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Full text of "Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften"

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SITZUNGSBERICHTE 


DEE  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


i 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


f 


CXXXIV.  BAND. 


JAHRGANG  1895. 


WIEN,  1896. 


IN   COMMISSION   BEI  CARL  GEROLD'S  SOHN 

BUCOBlVDUK  DIR  IA18. AKADEMIE  DK»  WISSENSCHAFT«. 
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j4/vcut-.  ~xr* 


SITZUNGSBERICHTE 


DJ» 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN  CLASSE 


DES  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


HUNDERTVIERUNDDREISSI6STER  BAND. 


WIEN,  1896. 


IN  COMMISSION   BEI   CARL  GEROLD'S   SOHN 

BUCHHiNDLKR  DER  MAIS.  AKADEMIE  DIB  WISSENSCHAFTEN 


Druck  Ton  Adolf  Holzhausrn, 
k.  um]  k.  n«>r*  und  UoiT«raittU>Boohdn»ok«r  in  Wien. 


s 


^ 


INHALT. 


I.  Abhandlung.  Fr.  Müller:    Das  Personal  -  Pronomen  der   altaischen 
Sprachen. 

II.  Abhandlang.  Gomperz:  Beitrage  zur  Kritik   nnd  Erklärung  grie- 
chischer Schriftsteller.  V. 

III.  Abhandlung.  Kühne rt:  Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen. 

IT.  Abhandlang.  Fr.  Müller:  Die  armenischen  Handschriften  des  Klo- 
sters von  Aryni  (Arghana). 

Y.  Abhandlang.  Günther:  Avellana-Studien. 

Tl.  Abhandlang.  Hillebrand:  Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildnng. 

TU.  Abhandlang.  Meyer:  Albanesische  Studien.  V.  Beiträge  zur  Kennt- 
niss  der  in  Griechenland  gesprochenen  albanesischen  Mundarten. 

Till.  Abhandlang.  Oblak:  Macedonische  Studien.  Die  sla vischen  Dialecte 
des  südlichen  und  nordwestlichen  Macedoniens. 

IX.  Abhandlang.  Mussafia:  Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer 
Texte. 

©  X.  Abhandlang.  Heinzel:  Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama. 

XI.  Abhandlang.   Hau ler:   Eine  lateinische   Palimpsestübersetzung  der 
Didascalia  apostolorum. 


a* 


XIX.  SITZUNG  VOM  9.  OCTOBER  1895. 


Der   Präsident   begrüsst    bei    der   Wiederaufnahme   der 
Sitzungen  die  anwesenden  Mitglieder  der  Classe. 


Der  Präsident  macht  weiter  Mittheilung  von  dem  am 
13.  Juli  erfolgten  Ableben  des  c.  M.  im  Auslände,  Dr.  Josef 
Müller,  Professors  in  Turin. 

Die  Mitglieder  erheben  sich   zum  Zeichen  des  Beileides. 


Se.  Excellenz  Paul  Freiherr  von  Gautsch  zeigt  mit  dem 
h.  Erlass  vom  2.  October  1895  die  Uebernahme  des  Ministeriums 
für  Cultus  und  Unterricht  an. 


Der  Secretär  theilt  die  Dankschreiben  der  c.  Mitglieder 
im  Inlande,  Regierungsrath  Professor  Dr.  Schönbach  in  Graz 
und  Professor  Dr.  Mitteis  in  Wien  und  der  c.  Mitglieder  im 
Auslande  geheimer  Justizrath  Professor  Dr.  Brunner  in  Berlin, 
J.  de  Goeje  in  Leyden  und  Maspero  in  Paris  für  die  auf  sie 
gefallene  Wahl  mit. 

Dr.  Ludwig  Hartmann  dankt  für  die  Bewilligung  einer 
Subvention  zur  Herausgabe  des  ,Tabularium  sanctae  Mariae  in 
Via  Lata'. 


Der  Secretär  legt  eine  Abhandlung  des  Herrn  Theodor 
Unger,  I.  Adjunct  am  steierm.  Landesarchive  in  Graz:  ,Proben 


VL 

eines  deutschen  Wörterbuches  der  österreichisch  -  bairischen 
Mundart'  vor,  deren  Verfasser  um  Bewilligung  einer  Subvention 
zur  Drucklegung  des  Werkes  ersucht. 

Die  Abhandlung  wird  einer  Commission  zur  Begutachtung 
tibergeben. 

Der  Secretär  tiberreicht  weiter  eine  Abhandlung  des  Herrn 
Dr.  Heinrich  Kretschmayr  in  Wien:  ,Ludovico  Gritti.  Eine 
Monographie',  um  deren  Aufnahme  in  die  Schriften  der  kais. 
Akademie  der  Verfasser  ersucht. 

Dieselbe  wird  der  historischen  Commission  überwiesen. 


Das  w.  M.  Herr  Professor  Dr.  Friedrich  Müller  legt 
eine  flir  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung :  ,Die  arme- 
nischen Handschriften  des  Klosters  Arghana'  vor. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Dr.  Theodor  Gomperz  übergibt 
eine  flir  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  ,Beiträge 
zur  Kritik  und  Erklärung  griechischer  Schriftsteller  V. 


XX.  SITZUNG  VOM  16.  OCTOBER  1895. 


Der  Präsident  überreicht  ein  ihm  von  der  Botschaft  der 
französischen  Republik  tibersendetes  Exemplar  des  ,Recueil  des 
Instructions  donnees  aux  ambassadeurs  et  ministres  de  France. 
T.  XIII.  Danemark'. 

Weiter  werden  folgende  Druckwerke  vorgelegt: 
,Mittheilungen   des  k.  k.  Finanzministeriums',   I.   Jahrg., 
1.  und  2.  Heft,  tibersendet  vom  k.  k.  Finanzministerium; 

,Staats -Voranschlag  für  das  Jahr  1895,  IX.  Ministerium 
flir  Cultus  und  Unterricht'  und  ,Finanzgesetz  für  das  Jahr  1895', 
übersendet  von  Sr.  Excellenz  dem  Herrn  Curator-Stellvertreter; 


VII 

,Bericht  über  den  Handel,  die  Industrie  und  die  Verkehrs- 
verhältnisse in  Niederösterreich  während  des  Jahres  1894',  über- 
mittelt von  der  Handels-  und  Gewerbekammer  in  Wien; 

,Archiv  Öesk^',  XIV.  Bd.,  übersendet  vom  Landesausschuss 
des  Königreiches  Böhmen ; 

,Grundsätze  für  die  Reform  unseres  staatlichen  Lebens' 
von  Eduard  Hammer. 


Das  w.  M.  Herr  Dr.  Otto  Benndorf  erstattet  einen  Be- 
richt im  Namen  der  Commission,  welche  die  Widmung  seiner 
Durchlaucht  des  regierenden  Fürsten  Johann  von  und  zu 
Liechtenstein  für  archäologische  Erforschung  Kleinasiens  ver- 
waltet. 


XXL  SITZUNG  VOM  23.  OCTOBER  1895. 


Herr  Geheimer  Rath  Professor  Ernst  Curtius  in  Berlin 
spricht  flir  die  Wahl  zum  Ehrenmitgliede  der  phil.-hist.  Classe 
im  Auslande  seinen  Dank  aus. 


Folgende  Druckschriften  werden  vorgelegt: 

,General  Anton  Josef  Freiherr  von  Brentano'  von  Friedrich 
Freiherrn  von  Brentano; 

,Oesterreichische   Reichsgeschichte'   von   Dr.    A.   Luschin 
v.  Ebengreuth.  I.  Theil,  2.  Hälfte. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Siegel  legt  Namens  der  Weis- 
thtimer-Commission  vor:  ,Ocsterreichische  Weisthümer,  VIII.  Bd., 
Niederösterreichische  Weisthümer',  herausgegeben  von  Gustav 
Winter.  II.  Theil. 


VIII 


XXII.  SITZUNG  VOM  6.  NOVEMBER  1895. 


Das  von  der  kais.  Akademie  subventionierte  Werk:  ,Abü 
Firäs,  ein  arabischer  Dichter  und  Held'  von  Dr.  Rudolf  Dvofdk 
wird  vorgelegt.  

Der  Secretär  überreicht  eine  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Wilhelm 
Erben,  Conservator  am  k.  und  k.  Heeres-Museum :  ,  Quellen  zur 
Geschichte  des  Stiftes  und  der  Herrschaft  Mattsee',  um  deren 
Aufnahme  in  die  Fontes  der  Verfasser  ersucht. 

Die  Abhandlung  geht  an  die  historische  Commission. 


Das  w.  M.  Herr  Professor  Dr.  Friedrich  Müller  über- 
gibt eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  ,Das 
Personal-Pronomen  der  altaischen  Sprachen'. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Dr.  Wilhelm  R.  v.  Harte  1 
macht  eine  Mittheilung  über  eine  lateinische  Uebersetzung  der 
Didascalia  apostolorum,  die  Privatdocent  Dr.  Edmund  Hauler 
in  dem  palimpsestischen  Veronensis  LV  (53)  theilweise  ent- 
ziffert hat. 


XXIII.  SITZUNG  VOM  13.  NOVEMBER  1895. 


Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Druckschriften  vor: 

,Die  Leibniz-Handschriftcn  der  königl.  öffentlichen  Biblio- 
thek in  Hannover',  beschrieben  von  Dr.  E.  Bodemann; 

,Die  canonis tischen  Handschriften  der  kais.  öffentlichen 
Bibliothek  in  St.  Petersburg',  von  Dr.  A.  Halban-Blumenstok; 

,Topographic  der  Bukowina  zur  Zeit  ihrer  Erwerbung 
durch  Oesterreich  (1774 — 1785)'  von  Dr.  D.  Werenka. 


IX 


Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Dr.  Fr.  Kenner  legt 
vor:  ^Bibliographie  gönörale  des  inventaires  imprimte'  par  F. 
de  Mely  et  Edmund  Bishop.  2  T. 


Die  Kirchen  väter-Comraission  legt  vor:  ,Corpus  scriptorum 
ecclesiasticornm  latinorum.  Vol.  XXVIII  (Sect.  III,  Pars  3). 
S.  Aurelii  Augustini  Quaestionum  in  heptateuchum  libri  VII, 
Adnotationum  in  Job  liber  unus'  ex  rec.  J.  Zycha. 


XXIV.  SITZUNG  VOM  20.  NOVEMBER  1895. 


Es  werden  folgende  Druckschriften  vorgelegt: 

,  Festschrift  zur  100jährigen  Geburtstagsfeier  fllr  Paul 
Josef  Safafik'  (mit  einer  Bronzemedaille) ,  übersendet  von  der 
böhmischen  Kaiser  Franz  Josefs- Akademie  in  Prag; 

Hugo  Schuchardt:  ;Sind  unsere  Personennamen  über- 
setzbar?'; 

Th.  Gomperz:  ,Griechische  Denker.  Eine  Geschichte 
der  antiken  Philosophie',  4.  und  5.  Lieferung;  gespendet  von 
den  Verfassern. 

,Mittheilungen  des  k.  und  k.  Kriegs- Archivs',  N.  F.  IX.  Bd., 
eingesendet  von  der  Direction  desselben. 


Die  Kirchenväter-Commission  legt  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Abhandlung  von  Otto  Günther  In  Berlin: 
,Avellana-Studien'  vor. 


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XI 


XXVII.  SITZUNG  VOM  18.  DECEMBER  1895. 


Der  Secretär  verliest  eine  Mittheilung  der  Fürst  Liechten- 
stein'schen  Hofkanzlei  ddo.  11.  December  1895,  Z.  11603, 
dass  Se.  Durchlaucht  die  Fortsetzung  der  im  Jahre  1890  zur 
Förderung  der  archäologischen  Durchforschung  Kleinasiens  ge- 
machten Widmung  nach  Ablauf  der  ersten  sechs  Jahre  auf 
weitere  drei  Jahre,  d.  i.  pro  1896,  1897  und  1898  mit  dem 
Jahresbetrage  von  5000  fl.  ö.  W.  zu  bewilligen  und  der  kais. 
Akademie  zur  Verfügung  zu  stellen  geruht  haben. 


Der  Secretär  legt  folgende  Druckschriften  vor: 

,Mittheilungen   des  k.  k.  Finanzministeriums',   1.  Jahrg., 
3.  Heft; 

,Arabica'  par  le  Comte  de  Landberg,  Nr.  III. 


Der  Secretär  legt  im  Auftrage  des  w.  M.  Herrn  Hofrathes 
Mussafia  eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung 
desselben:  ,Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte'  vor. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  v.  Hartel  überreicht  Namens 
der  Kirchen väter -Commission:  ,Corpus  scriptorum  ecclesiasti- 
corum  latinorum.  Vol.  XXXV.  Epistulae  imperatorum  ponti- 
ficum  aliorum,  ex  rec.  Ottonis  Guenther.  P.  1/ 


XII 


I.  SITZUNG  VOM  8.  JANNER  1896. 


Die   ^Geographische  Gesellschaft  in  Lissabon*  ladet  aur 

Theilnahme  an  der  am  8.  Juli  1897  stattfindenden  Feier  der 

vor  vier  Jahrhunderten  unternommenen  Expedition  des  Vasco 
de  Gama  ein. 

Das  Curatorium  der  Schwestern  Fröhlich* Stiftung  zur 
Unterstützung  bedürftiger  und  hervorragender  schaffender  Ta- 
lente auf  dem  Gebiete  der  Kunst,  Literatur  und  Wissenschaft 
übersendet  die  Kundmachung  über  die  im  Jahre  1896  statt- 
findende Verleihung  der  Stipendien  und  Pensionen  der  be- 
zeichneten Stiftung. 

Der  Secretär  legt  ,Studien  -  Stiftungen  im  Königreiche 
Böhmen*  HL  Bd.  (1755—1800),  übersendet  im  Auftrage  Sr. 
Excellenz  des  Herrn  Statthalters  des  Königreiches  Böhmen,  vor. 


IL  SITZUNG  VOM  15.  JÄNNER  1896. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  W.  v.  Hartel  überreicht  das 
Manuscript  des  IX.  Bandes  der  ,Tabulae  codicum  manuscrip- 
torum  praeter  graecos  et  orientales  in  Bibliotheca  Palatina 
Vindobonensi    asservatorum*. 


XIII 


III.  SITZUNG  VOM  22.  JÄNNER  1896. 


Es  werden  folgende  Druckschriften  vorgelegt: 

,Oesterreichischer  Erbfolgekrieg  1740 — 1748',  bearbeitet 
in  der  kriegsgeschichtlichen  Abtheilung  des  k.  und  k.  Kriegs- 
archivs, I.  Bd.,  1.  und  2.  Theil,  übersendet  von  der  Direction 
des  k.  und  k.  Kriegsarchivs; 

,A  Collection  of  Prakrit  and  Sanskrit  Inscriptions',  ge- 
spendet von  Sr.  Hoheit  Raol  Shri  Takhtsingji,  Maharaja  von 
Bhavnagar; 

,  Archäologisch-epigraphische  Mittheilungen  aus  Oesterreich- 
Ungarn',  herausgegeben  von  0.  Benndorf  und  E.  Bormann. 


Die  Kirchenväter-Commission  legt  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Abhandlung  des  Herrn  Professor  Dr.  Ed- 
mund Hauler  vor:  ,Eine  lateinische  Palimpsestübersetzung  der 
Didascalia  apostolorum'. 

Das  w.  M.  Herr  Professor  Dr.  Heinzel  überreicht  eine 
für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Arbeit:  , Abhandlungen  zum 
altdeutschen  Drama'. 


I.  Abb.:    Fr.  Müller.  Das  Porsonal-Pronomon  der  altaischen  Sprachen.  1 


I. 

Das  Personal-Pronomen  der  altaischen  Sprachen. 


Von 

Dr.  Friedrich  Mütter, 

Professor  an  der  Wiener  Universität. 


Die  vorliegende  kleine  Abhandlung  bringt  eine  verglei- 
chende Analyse  des  Personal-Pronomens  der  altaischen  Sprachen, 
wobei,  wie  ich  glaube,  zum  ersten  Male  der  Versuch  gemacht 
wird,  der  Bildung  dieses  bei  der  Sprachvergleichung  den  Aus- 
schlag gebenden  Redetheiles  auf  den  Grund  zu  kommen.  Sie 
soll  eine  Ergänzung  meines  ,Grundriss  der  Sprachwissenschaft' 
II,  2,  S.  214  und  274  (1882)'  bilden. 

Man  wird,  wie  ich  hoffe,  aus  meiner  Darstellung  er- 
sehen, dass  das  Pronomen  der  ersten  und  zweiten  Person 
der  altaischen  und  uralischen  (ugro-finnischen)  Sprachen  mit 
den  consonantischen  Elementen  desselben  Redetheiles  der  indo- 
germanischen Sprachen,  nämlich  m,  t  sich  deckt,  dass  aber 
die  Ausgestaltung  des  Pronomens  auf  den  beiden  Gebieten 
eine  radicale  Verschiedenheit  zeigt,  so  dass  die  Sprach- 
vergleichung über  diese  beiden  Elemente,  nämlich  w,  t  nicht 
hinausgehen  darf. 

Die  Uebersicht  des  Pronomens  der  ersten  und  zweiten 
Person  der  altaischen  Sprachen  lautet  wie  folgt:1 

I.  Person. 
Singular  Plural 

Nom.     Oblique  Cas.  Nom.  Oblique  Cas. 

Mandzu       bi  min-  be,  muse    men-,  muse- 

Tungus.       6t  min-  bil  mün- 


1  Vgl.  meinen  ,Grundriss  der  Sprachwissenschaft'  11,2,  S.274,  und  J.Grunzel, 
»Entwurf  einer    vergleichenden    Grammatik    der    altaischen    Sprachen', 
Leipzig  1S95.  8°.  S.  66. 
Sifcnngsber.  d.  pbil  -bist.  Cl.  CXXX1V.  Bd.  1.  Abb..  1 


I.  Abhandlung:    Fr.  M Aller. 


Mongol. 

bi 

min 

-,  nam- 

bide 

man-,  biden 

Burjät. 

bi 

min 

-,  nam- 

bide 

man- 

Jakut. 

min 

min 

b  isigi 

bisigi- 

Türkisch 

ben 

ben- 

II.  Penon. 

biz 

biz- 

S 

ingular 

Plural 

Nom. 

Oblique  Cas. 

Nom. 

Oblique  Cas. 

Mandzu 

8% 

sin- 

sue 

suen- 

Tungus. 

$in- 

M. 

Hin- 

Mongol. 

tii 

Uima- 

ta 

tan- 

Burjät. 

H 

&ama- 

ta 

tan- 

Jakut. 

an 

än- 

äsigi 
isigi 

äsigi- 
isigi- 

Türkisch 

sen 

sen- 

siz 

siz- 

Innerhalb  der  ersten  Person  decken  sich  Mandzu-  Tungus.  - 
Mongol. -Burjät.  bi  vollständig;  dagegen  schliesst  sich  Jakut. 
min  an  den  Stamm  der  obliquen  Casus  dieser  Sprachen  min- 
vollkommen  an.  Wie  die  osttürkischen  Dialekte  und  die  Suffixe 
des  Verbums  zeigen  (^,*,  ^»X-U-L«,  l£*U,  ^j^U,  sjJU  und  fjy^y 
f^Sl>  für  £x*jy*,  c^V*^)»  *st  ^as  wes*tür^scbe  ben  aus  m#n, 
min  hervorgegangen.  Und  min  selbst  dürfte  auf  mi-na  zurück- 
zuführen sein. 

Der  Plural  unterscheidet  sich  vom  Singular  sowohl  im 
Nominativ  als  auch  im  Stamm  der  obliquen  Casus  lediglich 
durch  die  Vocal-Variation,  so  Mandzu:  Singul.  bi,  min-,  Plural 
be,  men-y  Tungus.:  Singul.  bi}  min-,  Plural  bil,  miln-,  Mongol.- 
Burjät.:  Singular  bi,  min-,  Plural  man-.  Der  auffallende  Stamm 
der  obliquen  Casus  im  Mongol. -Burjatischen  nam-  dürfte  eine 
durch  den  Stamm  der  zweiten  Person  Uima-,  Sama-  beeinflusste, 
beziehungsweise  entstandene  Neubildung  sein.1 

1  Die  Declination  de«  Pronomens  der  ersten  Person  Singul.  im  Mongoli- 
schen setzt  sich  aus  folgenden  Stämmen,  beziehungsweise  Formen  zu- 
sammen: Nom.  bi,  Genit.  wun-w,  Accus,  nama-ji,  Dat.-Locat.  na-dury  na -da 
(r=  nam-dur,  nam-da).  Das  -da  in  nada  ist  das  mandä.  -de  (Dat.),  türki- 
sche -da,  -de  (Local);  es  kommt  im  Mongolischen  noch  manchmal,  z.  B. 
in  söni-de  »Nachts*,  tuun-da-ki  ,im  Wasser  befindlich'  vor.  In  den 
übrigen  Casus  ist  der  Dativ-Local  nada  als  Stamm  zu  Grunde  gelegt; 
man  sagt  daher  Instram.  nada  her.  Social  nada  higa,  Ablat.  nada  et#e. 


Dos  PerbODal-lJrououten  der  altaiacken  Sprachen.  3 

Innerhalb  der  zweiten  Person  zeigen  Mand2u:  SinguL  si9 
«m-,  Plural  sue9  suen-,  Tungus.:  SinguL  $i,  Sin-,  Plural  iü,  8ün- 
dieselbe  Vocal-Variation  der  beiden  Zahlen,  welche  wir 
oben  innerhalb  der  ersten  Person  beobachtet  haben.  Dagegen 
bieten  Mongol.-Burjätisch  zwei  äusserlich  verschiedene  Stämme, 
nämlich  Mongol. :  SinguL  tSi,  tSima-,  Plural  ta9  tan-,  Burjät.: 
SinguL  H9  sama-,  Plural  ta9  tan-.  Wir  werden  aber  weiter 
unten  sehen,  dass  t$i,  H  und  ta  miteinander  zusammenhängen, 
und  dass  dann  zwischen  ttima-  und  tan-  dieselbe  Vocal-Variation 
wie  innerhalb  der  Reihen  des  Mandäu-Tungusischen   herrscht. 

Kehren  wir  nun  wieder  zum  Pronomen  der  ersten  Per- 
son zurück  und  wenden  wir  unsere  Betrachtungen  denjenigen 
Formen  zu,  welche  wir  oben  vorderhand  bei  Seite  gelassen 
haben,  nämlich  Mandzu  muse9  Mongol.  bide,  biden*,  Tlirk.  biz9 
Jakut.  bisigi.  Wie  kommt  vor  allem  Anderen  die  Sprache  dazu, 
neben  be  eine  Form  muse  zu  bilden  und  die  Formen  bide, 
bidtn-9  biz9  bisigi9  welche  von  den  regelmässig  gebildeten  Formen 
des  Mandäu-Tungusischetf  ganz  abweichen,  einzuführen? 

Am  deutlichsten  von  diesen  Formen  ist  unstreitig  Mand£. 
mute  ,wir'  (inclusiv),1  welche  in  mu  +  #e  sich  zerlegt.  Das 
Element  se  kann  nichts  Anderes  sein  als  sue9  der  Plural  der 
zweiten  Pcrsonr.  Auf  dieselbe  Weise  muss  auch  Mong.-Burjät. 
bide  gebildet  sein,  welches  mithin  in  bi  -f  de  zu  zerlegen  ist, 
worin  de  mit  taf  dem  Plural  der  zweiten  Person  identisch  sein 
muss.  Ist  aber  bi  in  bide  nichts  Anderes  als  bi9  der  Nom.  Sing. 
der  ersten  Person,  dann  kann  auch  mu  in  muse  nur  den  obli- 
quen Stamm  des  Singulars  der  ersten  Person  min-  repräsentiren. 

Doch  könnten  sowohl  Mandi.  muse,  als  auch  Mongol.  bide 
auch  anders  erklärt  werden,  indem  man  -se9  -de  (=  -te)  als 
Pluralsuftixe  deutet.  Im  Mandzu  kommen  -sa,  -se,  -ta,  -te  als 
Zeichen  des  Plurals  vor,  z.  B.  sabi-sa  ,Schüler',  mori-sa  ,Pferdo', 
agu-se  ,Herren',  merge-se  , Weise,  Meister';  ama-ta  , Väter',  sefu- 
ia  , Lehrer',  da-ta  , Fürsten',  eme-te  , Mütter',  deo-te  Jüngere 
Brüder'.  Das  Mongolische  besitzt  das  Pluralzeichen  -de  in  den 
Pronominen  e-ne9  te-re,  welche  im  Plural  e-de,  ede-ger,  te-de9 
tede-ger   lauten.     Sonst   erscheint   das   Pluralzeichen    -de    beim 


1  musei  ama  ist  ,unser  (aller)  Vater*  (der  Kaiser),  dagegen  meni  ama  tuuser 
(leiblicher)  Vater*. 


4  I.  AbfcMriluf :    Fr.  Mtller. 

Nomen  als  -d  (z.  B.  mori-d  , Pferde',  noja-d  , Fürsten')  wie 
auch  das  Mand2.  -say  -se  uns  hier  blos  als  -s  (z.  B.  ere-8, 
,Männer',  eme-*  ,  Weiber*)  entgegentritt. 

Angesichts  der  Bedeutung  des  Mand2.  muse  ziehen  wir 
es  jedoch  vor,  an  der  ersten  Erklärung  festzuhalten  und  Mong. 
blde  davon  nicht  zu  trennen. 

Darnach  bedeuten  muse  =  min  -}-  sue,  bide  =  bi  -\-  ta 
so  viel  wie  ,ieh  +  ihr',  d.  h.  ropräsentiren  den  inclusiven 
Plural,  zum  Unterschiede  von  be,  bü7  obliqu.  Cas.  »wen-,  mün-, 
man-,   welche  den  exclusivcn  Plural  repräsentiren   müssen. 

Mit  dem  Mongol.-Burjät.  bide  ist  das  Jakut.  bisigi  identisch, 
das  in  bisi-gi  zerlegt  werden  muss.  Das  jakut.  «  ist  hier  aus 
d,  beziehungsweise  t  (ta)  hervorgegangen  *  ähnlich  wie  in  den 
Possessiv-Suffixen  3.  Pers.  Sing,  -ta  =  türkisch  ^y**,  1.  Pers.  Plural 
-büt  =  türkisch  j-«.1  —  Türkisch  biz  ist  mit  jakut.  bisi  iden- 
tisch. Lässt  man  diese  Erklärung  gelten,  dann  kann  das  Pro- 
nomen der  zweiten  Person  Plural  äsigi,  isigi,  siz  nichts  Anderes 
als  si~si  =  ,du  +  du'  d.  h.  als  ursprünglicher  Dual  der 
zweiten  Person  erklärt  werden. 

Darnach  möchte  ich  in  Betreff  des  Pronomens  der  ersten 
und  zweiten  Person  der  altaischen  Sprachen  die  nachfolgenden 
Sätze  aufstellen: 

1.  Als  Stamm  der  ersten  Person  fungirt  mi,  welches  selb- 
ständig (im  Nominativ)  in  bi  überging  und  in  den  obliquen 
Casus  zu  mi-na-  (min-)  erweitert  wurde. 

2.  Als  Stamm  der  zweiten  Person  fungirt  ta,  das  conform 
mit  dem  Stamme  der  ersten  Person  selbständig  (im  Nominativ) 
zu  ti  (das  wieder  zu  tsi,  H,  si  sich  weiter  entwickelte)  wurde, 
und  in  den  obliquen  Casus  als  tSima-,  Sama-,  sin-,  sin-  auftrat. 

3.  Der  Plural  wurde  ursprünglich  vom  Singular  durch 
die  Vocal-Variation,8  nämlich  die  Verwendung  des  stärkeren 

1  Man  könnte  auch  jakut.  bisigi,  tiirk.  biz  und  dann  auch  jakut  äsigi,  isigi, 
türk.  siz  mit  Böhtlingk  (Sprache  der  Jakuten,  S.  168)  aus  bi  \- si  ,ich 
+  du',  si  +  si  ,du  +  du*  erklären,  wobei  die  Function  der  Form  (Dual) 
dieselbe  bleibt.  Ich  ziehe  es  jedoch  vor,  die  jakut-türkischen  Formen 
der  ersten  Person  Plural  an  das  mongolische  bide  anzuschlieasen  und 
in  äsigi,  isigi,  siz  eine  an  das  nicht  mehr  verstandene  bisigi,  biz  sich  an- 
lehnende Neubildung  zu  vermuthen. 

8  Dieser  Process  wird  in  diesen  Sprachen  auch  zur  Bezeichnung  des  Ge- 
schlochtes  angewendet,  wobei  der  Vocal  a  das  stärkere   oder  grossere 


Bas  Porsoual-Prynomen  der  altaisohen  Sprachen. 


Vocals  e,  u,  a  im  Plural,  gegenüber  dem  schwächeren  Vocal  i 
im  Singular  abgeleitet. 

4.  Später  bildete  sich  in  den  einzelnen  Sprachen  (Mandzu, 
Mongolisch,  Türkisch)  einerseits  ein  inclusiver  Plural  (,ich  + 
ihr'),  andererseits  ein  Dual  (,du  +  du'),  der  theils  neben  dem 
gewöhnlichen  (exclusiven)  Plural  stehen  blieb  (Mandzu),  theils 
ihn  verdrängte  (Mongolisch,  Türkisch). 

Darnach  wäre  die  im  Anfange  der  Abharidlung  gegebene 
Uebersicht  des  Pronomens  folgendermassen  zu  corrigiren: 


I.  Person. 

Sin 

gular 

Excl. 

,  Plur. 

Incl. 

Plur. 

Nom. 

Obl.  C«s. 

Nom. 

Obl.  Cas. 

Noin. 

Obl.  Cas. 

Mandzu 

u 

min- 

be 

men- 

muse 

mu8e- 

Tungus. 

u 

min- 

bü 

mün- 

— 

— 

Mongol. 

u 

min- 

fehlt 

man- 

bide 

biden- 

Burjät. 

bi 

■ 

mxn- 

fehlt 

man- 

bide 

— 

Jakut. 

fehlt 

min- 

fehlt 

— 

bisigi 

bisigi- l 

Türkisch 

fehlt 

ben- 

fehlt 

— 

biz 

biz- 

Dass  im  Jakutisch -Türkischen  das  fast  überall  auftau- 
chende bi  durch  den  Stamm  des  obliquen  Casus  (min-,  ben-) 
ersetzt  wird,  darf  uns  gar  nicht  wundern,  tritt  doch  derselbe 
Vorgang  in  den  neupersischen  Formen  ^^c,  y,  U,  U-&  (ur- 
sprünglich Genitivformen)  deutlich  zu  Tage. 


il.  Person, 

• 

Sin 

gular 

Pli 

iral 

Dual 

Nora. 

Obl.  Ca». 

Nom. 

Obl.  Cas. 

Nom.   Obl.  Cas. 

Mandzu 

8% 

sin- 

sue 

suen- 

—           — 

Tungus. 
Mongol. 
Burjät. 

u 

tfi 

H 

Sin- 

tHma- 

Sama- 

Sü 
ta 
ta 

Sün- 
tan- 
tan- 

—          — 

Jakut. 
Türkisch 

fehlt 
fehlt 

än- 
sen- 

fehlt 
fehlt 

fehlt 
fehlt 

äsigi- 
isigi- 
—      siz- 

(männliche),  der  Vocal  e  das  schwächere  oder  kleinere  (weibliche)  In- 
dividuum ausdrückt,  z.  B.  maudi.  ama  , Vater',  eine  ,Mutter' ;  xaXa  »Mann1» 
%e%e  ,Weib'.  Man  vergleiche  ferner  nioh-mjaxa  }Gans(,  mje^e  ,Ente*. 
1  Oder  ursprünglicher  Dual,  wie  weiter  unten  äs  igt,  1*1*7»? 


1.  AbluudluDg:    Fr.  Müller. 


Von  grossem  Interesse  ist  die  völlige  Uebereinstimmung 
der  uralischen  (ugro-finnisehen)  Sprachen  mit  den  altaischen 
in  diesem  Rcdethcile,  sowohl  was  die  Stämme  als  auch  die 
Entwicklung  des  Personal- Pronomens  anlangt.   Man  vergleiche:1 


I.  Person. 

Singular 

Plural 

Suomi 

minä 

me 

Vcpsisch 

mina 

mö 

Votisch 

miä 

mö 

Estnisch 

mina 

me 

Livisch 

mina 

meg 

Mordvinisch 

mon 

min 

Tsehcremiss. 

min 

m'ä 

Lappisch 

mon   . 

mi 

Votjakisch 

mon 

mi 

Syrjäniseh 

me 

mi 

Permisch 

me 

mie 

Ostjakisch 

via 

mehy  muh 

Vogulisch 

am,  am 

man 

Magyarisch 

en 

IL  Person. 

mi,  mink 

Singular 

Plural 

Suomi 

tfinä 

te 

Vepsisch 

sina 

tö 

Votisch 

sitt 

tö 

Estnisch 

sina 

te 

Livisch 

sina 

leg 

Mordvinisch 

ton 

tin 

Tscheremiss. 

tyn,  tin 

tu 

Lappisch 

don 

di 

Votjakisch 

ton 

•       ti 

1  Vgl.  meinen  ,Grundriss  der  Sprachwissenschaft'  II,  2,  S.  214,  und  Nikolai 
Anderson  »Studien  zur  Vergleichung  der  ugrotinnischen  und  indoger- 
manischen Sprachen*.  Dorpat  1879.  8°.  (Verhandlungen  der  gelehrten 
estnischen  Gesellschaft  zu  Dorfrat.  Band  IX)  S.  29. 


Das  Porsonal-Pronomen  der  altaischen  Sprachen. 


Syrjänisch 

te 

ti 

Permisch 

tö 

*W< 

Ostjakisch 

neu 

neu 

Magyarisch 

te 

ti}  tik 

Hier  tritt  überall  ganz  augenscheinlich  der  im  altaischen 
Personal-Pronomen  zwischen  Singular  und  Plural  bestehende 
Vocalwechsel  zu  Tage.  Und  hierin  stimmen  Suomi,  Vep- 
sisch,  Votisch,  Estnisch,  Livisch  und  Tscheremissisch  mit  den 
altaischen  Sprachen  ganz  tiberein,  insofern  als  sie  den  schwa- 
chen Vocal  im  Singular,  den  starken  Vocal  dagegen  im  Plural 
aufweisen,  während  Mordvinisch,  Lappisch,  Votjakisch,  Syrjä- 
nisch, Permisch,  Ostjakisch  und  Magyarisch  umgekehrt  den 
starken  Vocal  im  Singular,  den  schwachen  Vocal  dagegen  im 
Plural  zeigen.  Der  letztere  Vorgang  dürfte  eine  Umbildung 
involviren.r 


II.  Abh.:    Gomperx.  Beitr.  s.  Kritik  u.  Erklärung  griechischer  Schriftsteller. 


II. 


Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  griechischer 

Schriftsteller. 

Von 

Theodor  Gomperz, 

wirkl.  Mitglied«  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 

V. 


1.  Aeschyl.  frg.  360  NA  Die  von  Bernardakis  (Plut. 
Mor.  V  486,  vgl.  Nauck's  Trag.  dict.  ind.  p.  X)  nach  der  Les- 
art des  cod.  Palat.  170  berichtigten  Worte  rcocioußptv  BJxiqv  7cupo$ 
erinnern  so  auffällig  an  Heraklits  fcßpiv  xptj  cßevvueiv  (xaXXov  fj 
xopxaüjv  (frg.  103  Byw.),  dass  man  schwerlich  an  ein  zufalliges 
Zusammentreffen  zu  denken  hat.  Vielleicht  entdecken  Andere 
auch  sonstige  heraklitische  Anklänge  bei  Aeschylos.  Ein  solcher 
liegt  kaum  vor  in  dem  Verse:  ä  8si,  rcapuv  fpovitCs,  jjwj  Kapw 
i*f,;  (Stob.  ed.  III  10  =  III  p.  194,  10  Wachsm.  -  Hense  ver- 
glichen mit  Heraklit  frg.  3  B.) ,  da  von  der  mangelnden  Ver- 
bürgung seines  äsehyleischen  Ursprungs  abgesehen,  dem  Dichter 
nicht  «owohl  der  heraklitische  Ausspruch  als  das  von  diesem 
angeführte  Sprilchwort  vorgeschwebt  haben  mag.  Ein  Nachhall 
dieser  sprüchwörtlichen  Redensart  begegnet  übrigens  auch  in 
Augustins  Confessiones,  VI  13:  adero  itaque  absens  etc. 

2.  Alexander  Lycopolit.  ed.  A.  Brinkmann  p.  26,  11 
ist  das  2>  der  Ueberlieferung  nicht  mit  Combefis  in  o>;  sondern 
in  wv  zu  verändern.  Eine  Parallelstelle  lässt  über  die  Richtigkeit 
dieser  Verbesserung  keinen  Zweifel  bestehen.     Man  vergleiche 


p.  26, 11:  etrs   ouv   2>v   eT/sv  itj 


p.  34, 9:  xtvi  TcoTS  &v  eT^evj  &pd  -ye 
ttj  [uyßiiari  xpb$  otüTtjv  8c(a  8u- 
vafxet;  ....  aXXa  tyj  araxTW 
xivt^jei ; 


SiUangaber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  *.  Abh. 


2  IL  Abhandlung:    Gomporz. 

P.  28,  3  schreibe  man:  xat  x£|j.vovxes  xaOarcep  (xa)xa  jjipir).  In 
Betreff  des  p.  14,  9  ausgefallenen  Wortes  kann  man  wohl  nur 
zwischen  fytepos  und  eraQu^a  schwanken;  das  letztere  konnte 
vor  exYjXOev  gar  leicht  ausfallen. 

3.  In  Antiphons  so  überaus  werthvollen  Bruchstücken, 
die  Blass  im  npoxpexuxo;  des  Jamblichos  entdeckt  hat,  harren 
noch  einige  Stellen  ihrer  Besserung.  P.  97,  2  Pist.  glaube  ich 
*2vu5v  tilgen  zu  müssen.  Wäre  das  Wort  echt,  so  müsste  man 
als  Gegensatz  auch  ein  dvaOa  erwarten.  Beides  ist  jedoch 
gleich  sehr  entbehrlich.  Man  vermisst  nichts  in  dem  Satze: 
dXXa  auvTpafTJvai  xe  auxjj  8et  *at  crjvau^O^vat  xwv  jjiev  eipYC[ievov  [xax&v] 
xäI  X6fü>v  xai  tqöwv,  xd  $' eTiciYjSsuovxa  xat  x«TepYa£o|ji.iVOv  <^>v  xcXXw 
Xpcvto  %<x\  bJijxsXsia. 

P.  97,  21  ist  die  überlieferte  Wortstellung  xal  arcelvat  xpeiccov 
oüio  t)  rcapeivai  tadellos.  Warum  Blass  (Kieler  Fest-Progr.  1889, 
p.  14)  hier  die  Worte  umgestellt  hat  (auxb  xpeTrcov),  ist  mir 
unerfindlich.  Ebendort  Z.  24  entspricht  dem  vorangehenden 
aYaOb;  xsXew;  das  blosse  TOrptoxo;,  während  das  diesem  bei- 
gefügte xsXew;  aus  dem  Vorigen  zur  Unzeit  wiederholt  scheint. 

P.  98,  24  sind  die  von  den  Herausgebern  mit  vergeblichen 
Conjecturen  heimgesuchten  Worte  Sit  touto  9J  &-fi  eaxiv  %  ty-x/ji 
meines  Erachtens  zu  tilgen.  Der  Ursprung  der  Interpolation 
liegt  in  der  missverstandenen  freieren  Construction :  fiXc^u/oSot 
[asv  xautYjq  ojv  9si8ovi«i  %xe.,  wobei  xauxtj;  auf  das  in  yXotyuyovGi 
enthaltene  tyr/+t  zurückgeht.  Aehnlichen  freien  Constructionen 
begegnen  wir  in  diesen  Bruchstücken  mehrfach. 

P.  100,  13  wird  der  unklare  Satz  sofort  durchsichtig,  wenn 
wir  schreiben:  cuv  dXXv^Xoi;  Se  E?vai  auxou;  xai  (5^  £v)  dvo|xia  8iai- 
xobQai  ou/  °*-v  TS  ***•  Unmittelbar  vorher  hat  das  von  Blass 
vor  Ttpb$  ouxyjv  eingeschobene  xa  die  Construction  verdunkelt. 
icpbs  auxTjv  heisst  so  viel  als:  im  Hinblick  auf  sie  (die  Not- 
wendigkeit). 

Erstaunlicher  Weise  haben  die  Herausgeber  bisher  keinen 
Anstoss  genommen  an  dem  ungeheuerlichen  Sätzchen  p.  104,4: 
xo><;  Y<*p  #v  aXXw;  ei;  eva  fxovap/Ja  Treptaxatir;  ei  pwj  y.x!.,  was  doch 
nicht  minder  sinnlos  ist,  als  wenn  es  hiesse :  tcü>$  äv  ei?  jiovapxov 
jAOvapxt«  ^sptcxaiYj;  Natürlich  ist  {/.ovap/ta  zu  tilgen  und  das  Sub- 
jeet  aus  dem  Vorangehenden  zu  entnehmen,  wenn  nicht  viel- 
mehr die  Construction  eine  unpersönliche  ist,  etwa  wie  in  dem 


ßeitr&ge  zur  Kritik  and  Erklärung  griechischer  Schriftsteller.  3 

verwandten  Sätzchen  Herodots  (III  82):   £x  8e  toO  *6vou  drceßrj 
e$  (JLcuvapxtYjv  — . 

4.  Im  §.  18  des  Aristeas-Briefes  (S.  66  der  Ausgabe 
von  Moritz  Schmidt  =  Merx,  Archiv  f.  wiss.  Erforschung  des 
alten  Testaments  I,  306)  ist  augenscheinlich  eine  kleine  Lücke 
zu  erkennen  und  also  auszufüllen:  !6o<;  *(dp  ecri,  *a6u>s  %«t  ob 
YivcJbcxeu;,  aq  ftq  Äv  rt[L&pa$  (fopov;)  b  ßaatXelx;  dpxijiat  xp^K^^&iv  [A^/pc? 

5.  Aus  Ariston  (augenscheinlich  aus  den  "Opioia  des  Keers 
dieses  Namens)  wird  bei  Stobäus  11120,139  (III  554  Wacbsni.- 
Hcnse)  die  Gnome  angeführt:  ttjv  xaxoXoYiav  t;  fyrpj  ^aivexai  okto- 
Yewwoa  &cxe  tj  fAifaip  oux  doreia.  Den  Weg  der  Verbesserung 
hat  Bücheier  mit  der  Ergänzung  o><;  Te(xv«)  betreten.  Ich  glaube, 
die  begonnene  Herstellung  zu  vollenden,  indem  ich  zu  schreiben 
vorschlage:  ttjv  xaxoXofiav  tq  bprft\  ^atve-cat  ttco-fcwäca  w$  ts(xv« 
xaX)rj  (Ji^iTip  oux  daisTa.  Schimpf-  und  Scheltreden,  die  Früchte 
des  Zornes,  sind  etwas  Niedriges  und  Gemeines  und  verhalten 
sich  zu  dem  edeln  und  männlichen  Affect  wie  unschöne  Kinder 
zu  einer  schönen  Mutter.  Dies  durfte  zwar  kein  Stoiker  oder 
Epikureer,  wohl  aber  ein  Peripatetiker  schreiben,  dem  die 
Affecte  nicht  etwas  schlechthin  Verwerfliches  sind,  ja  dem  der 
Zornmuth  als  das  unerlässliche  Organ  des  Kampfes  und  der 
Strafe,  als  eine  der  ,Sehnen  der  Seele'  galt  oder  als  einer  der 
Krieger,  ohne  welche  der  Feldherr  (die  Vernunft)  zur  Unthätig- 
keit  verurtheilt  ist  (vgl.  Philodem  de  ira  col.  31  ff.  und  Plutarch 
de  cohib.  ira  7 — 9  und  frg.  17  Dübner). 

6.  Der  unter  Demokrit's  Namen  gehende  Ausspruch 
bei  Stobaeus  IV  79  (HI  237  Wachsm.-Hense)  lässt  sich  am 
leichtesten  durch  Einsetzung  eines  Wörtchens  heilen:  'Avov^ove; 
CühjS  bpbfovxau.  (ovti)  T^paoq  Öavatov  SeSotxiies.  ,Die  Thoren  hängen 
am  Leben,  indem  sie  statt  (wie  sie  sollten)  das  Alter  (und 
seine  Beschwerden)  vielmehr  den  Tod  fürchten/  Vgl.  Plato 
Phädr.  2606:  xoxd  rcpdrretv  dvr'  d-faOüto.  Wird  doch  ävt!  ,oft  bra- 
chylogisch  mit  seinem  Substantiv  für  einen  entsprechenden 
Satz  gebraucht'  (Krüger,  Gr.  Gr.  §.  68,  15,  1). 

7.  Ein  witziges  Wort  des  Kynikers  Diogenes  möchte  ich 
vor  Anfechtung,  beziehentlich  vor  Schlimmbesserung  schützen. 
Ee  lautet  bei  Stob,  floril.  6,  52  M.  (=  HI  p.  295,  1  Wachsm.- 
Hense):  Aio^evr^   ctöev   euuvocepov    eivat    [aos/ou   5iu>p(£eT0   tyjv  tyur/ip 

1* 


4  II.  Abhandlung:    öomper«. 

twv  5payjjiYj<;  (Lviwv  rcpoVejjivou.  Diogenes  will  damit  sagen:  nichts 
Qeringwerthigeres  gibt  es  als  den  Störer  des  ehelichen  Friedens 
—  nach  seiner  Selbstschätzung  nämlich,  da  er  sein  Dasein  um 
das  aufs  Spiel  setzt,  was  er  um  eine  Drachme  haben  könnte. 
Nauck  wollte  eua>v6rspov  in  avou<rcepov  oder  ävourepov  ändern  (Mö- 
langes  Gröco-Rom.  VI  113).  Meine  oben  gegebene  Erklärung 
befriedigte  ihn  nicht,  da  euwvo$  nicht  ,  billig  verkaufend4  be- 
deuten könne.  Gewiss  nicht.  Auch  wäre  das  nicht  der*  hier 
erforderte  Gedanke.  Allein  man  durfte  doch  wohl  euuwo;  gerade 
so  wie  avi;to;  nicht  nur  von  Dingen  gebrauchen,  die  thatsächlich 
um  einen  geringen  Preis  verkauft  werden,  sondern  auch  ohne 
Rücksicht  auf  wirklichen  Kauf  und  Verkauf  von  dem  Gering- 
werthigen  oder  als  solchem  Veranschlagten.  Nun  bewerthet 
sich  eben  der  \Lzv/oq  nach  der  Meinung  des  Kynikers  selbst  so 
niedrig,  dass  er  sein  Leben  um  dessentwillen  hergibt,  was  für 
eine  Drachme  erhältlich  ist.  Zum  Gedanken  vergleiche  man 
die  gleichfalls  dem  Diogenes  zugeschriebene  Aufforderung  an 
einen  Jüngling:  eTueXOs  elq  5ropvsT6v  kou,  Iva  fxaöt);  Sri  twv  dva$u*>v 
xa  Tifjiea  ov>8&v  5i«p£pet  (Plutarch  de  educ.  puer.  7  fin.). 

Ein  anderes  derselben  Sphäre  angehöriges  Dictum  des 
Diogenes  ist  von  Cobet  missverstanden  und  kritisch  misshandelt 
worden.  Demetr.  de  elocut.  §  261  schreibt:  rcpoorcaXatwv  xaXtj» 
TtatSt  Aio^evT);  8iextvY)(hj  m*);  tö  atöotov.  tou  8e  xatZb$  foßijöevTOS  xai 
aiuo'mQS^aavTo^  ,öipp£i,  <*>  rcai5(ovc,  elrcev,  ,oux  Eijxi  Tairnj  Sfioio^.  Die 
Pointe  liegt  natürlich  darin,  dass  der  Vernunftmensch  Diogenes 
die  animalische  Regung  wie  etwas  seinem  Wesen  Fremdes  von 
sich  abschüttelt  und  sie  nicht  seiner  Persönlichkeit,  sondern 
dem  ungeberdigen  Körpertheil  zugerechnet  wissen  will.  ,Glaube 
nicht'  —  so  sagt  er  etwa  —  ,dass  ich  diesem  (ta6Tfl,  zu  denken 
ist  rrj  xögOttj)  ähnlich,  d.  h.  dass  ich  so  zuchtlos  bin  wie  dieses/ 
Cpbet  aber  verstand  dies  so  wenig,  dass  er  dazu  schrieb:  ,Pro 
absurdo  Sjjioco;  lege  <j>OB€POC'  (Mnemos.  N.  S.  V  276). 

Aus  den  mannigfachen  bei  Nauck  verzeichneten  Brechungen 
des  Frg.  trag,  adesp.  284  (wozu  noch  kommt  Gnomol.  Paris, 
ed;  Sternbach  n.  24)  darf  man  wohl  die  Urform  gewinnen: 
dbwoXt;  dtocxo;  ß(ov  ^ywv  iy  Vjfxipav. 

8.  Das  auf  einer  Hermensäule  verzeichnete  Epigramm, 
über  welches  einst  Böckh  und  Gotfr.  Hermann  so  heftig  stritten, 
wird  jetzt  von  Kirchhoff  (Corp.  inscr.  Att.  I  Nr.  522,  p.  216)  also 


Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  griechischer  Schriftsteller.  5 

gelesen:  ev  jjtec(<j)ü)  Ke<paXtfc  te  xa!  acreo«;.  Über  den  den  Hexa- 
meter schliessenden  Gottesnamen  '£ppfc  besteht  kein  Zweifel; 
nur  die  sechs  vorangehenden  Buchstaben  haben  noch  keine 
befriedigende  Deutung  gefunden.  Ich  schlage  vor  i^\ab<;  zu 
lesen,  was  der  Fourmont'schen  Abschrift,  vom  letzten  Buch- 
staben abgesehen,  der  ja  unmöglich  richtig  überliefert  sein  kann, 
so  gut  als  völlig  genau  entspricht.   Vgl.  Kaibel  Epigr.  Gr.  812,  1. 

9.  Sollte  noch  Niemand  in  dem  von  Damascius  de  prin- 
cipiis  p.  382  ed.  Kopp  (=  I  322  Ruelle)  überlieferten  wichtigen 
Bruchstück  des  Eudemos  (Fragmenta  coli.  Spengel  p.  171, 17) 
die  Lücke  bemerkt  und  ausgefüllt  haben,  die  den  Bericht  über 
einen  Hauptpunkt  der  Zoroastrischen  Religion  bis  zur  Unver- 
ständlichkeit  entstellt  hat?  Man  schreibe  wie  folgt:  ouiot  8'  o3v 
iwza  ttjv  dtöwixfiTov  $>6atv  Staxptvofxevr^v  rcotoöci  tyjv  Jitxyjv  auaiot/tav 
töv  xpeiTtovwv  (ts  xal  sauXoTepu>v  $aipi6vwv,  wv)  tyjs  p.&v  ilfreiaOac  tov 
'Opopiac^v,  zrt$  8e  ibv  'Apeipiivtov. 

10.  Eurip.  Hei.  34  liest  man  oupavoü  ^Osia'  ofoo.  Es  ist 
von  dem  Trugbild  der  Helena  die  Rede,  das  Hera  geschaffen 
und  an  ihrer  Statt  dem  Paris  übergeben  hat.  Soviel  ich  weiss, 
hat  niemals  und  nirgendwo  oupavo$  etwas  anderes  bedeutet  als 
den  Himmelsraum  oder  die  Himmelsdecke.  Die  hier  erforderte 
Bedeutung  von  Aether  oder  Himmelsstoff  ist  (von  der  nicht 
hieher  zu  ziehenden  empedokleischen  Kunstsprache  abgesehen) 
nur  für  diese  Stelle  erfunden  worden.  Auch  daran ,  darf  er- 
innert werden,  dass  asyndetisch  aneinander  gereihte  Aorist- 
Participien  in  ihrer  Abfolge  der  Folgeordnung  der  durch  sie 
wiedergegebenen  Vorgänge  zu  entsprechen  pflegen,  was  hier 
nicht  der  Fall  ist.  Ich  zweifle  nicht  daran,  dass  eine  kleine 
Lücke  vor  Alters  ungeschickt  ausgefüllt  worden  ist,  und  schlage 
vor,  also  zu  schreiben:  4 

3i'$ü>?(  8'cux  i\*.\  aXX'  Gfjiotctiffaa'  i\ko\ 
etBwXov  ejxTTVOüv,  cüpavou  xo^etc*  dfao, 
nptajjiou  Tupavvou  xatSi — . 

Eurip.  frg.  92: 

wtü)  Vaspwv  a)v  Sartq  avOpawco?  f^fos 
^fxov  xoXouet  /p^pt-aaiv  -pupouiJisvoq. 

Die  beste  Rechtfertigung  des  vielfach,  auch  einst  von  mir  ohne 
ausreichenden    Grund   angefochtenen    ayöpwwo?  liefert   die   Dar- 


6  II*  Abhandlung:    Gompers. 

legung  desselben  Gedankens  durch  Antiphon  in  den  jüngst  von 
Blass  diesem  Sophisten  zugewiesenen  Bruchstücken  bei  Jam- 
blichos  Protrept.  c.  20.  Dort  liest  man  p.  104,  6  ff.  Pist.:  Bei  y*P 
tbv  av$pa  tcutov  ,  lq  tt]v  Bixyjv  x.aT«X6et  xat  tbv  vofxov  tov  xaa»  xoivbv 
xat  cujjupipovra  dq>atpTQGSTai,  d8a[xavTtvcv  ^svlaÖai,  et  (jieXXsi  ouX^aerv 
xauTa  rcapi  toö  zX^flouq  twv  avOpcJtauv  e\$  a>v  xapa  icoXXwv  •  aipxtvo<; 
8e  xal  8{xoio;  xoT;  Xonto??  -yevoixevoq  xt§.  Nur  ein  Uebermensch  — 
dies  will  der  Dichter  sagen  —  könnte  das  vollbringen,  was 
für  unsereins,  was  für  einen  Menschen  von  Fleisch  und  Blut, 
der  nur  auf  seinen  Reichthum  au  pochen  vermag,  ein  vernunft- 
loses Wagnis  wäre. 

In  Betreff  des  Bruchstücks  334  muss  ich  eine  alte  Ver- 
muthung  nicht  sowohl  zurücknehmen  als  modificiren.  Nicht  ab- 
trennen möchte  ich  nunmehr  die  zwei  letzten  Verse,  wohl  aber 
sie  einer  zweiten  Gesprächsperson  zuweisen.  A  (v.  1 — 3)  miss- 
billigt es,  dass  B  sich  in  einen  eiteln  Wortstreit  mit  Schlechten 
(so  verallgemeinert  ausgedrückt)  einlässt  und  dadurch  auf  ihr 
Niveau  herabsteigt.  B  (v.  4 — 5)  rechtfertigt  sein  Verhalten, 
indem  er  es  für  unerträglich  erklärt,  die  von  Schlechteren 
ausgehende  Beschimpfung  stillschweigend  hinzunehmen.  Dem 
xaxouj».  in  v.  2  entspricht  genau  xaxiovwv  in  v.  5. 

Eurip.  frg.  832  ist  es  vielleicht  nicht  überflüssig,  das  un- 
gewöhnliche eis  Taux*  £7cpäaaov  durch  eine  Parallele  zugleich  zu 
beleuchten  und  der  Aenderungslust  gegenüber  zu  stützen.  Eine 
solche  bietet  Sophokl.  frg.  555,  d.  h.  die  von  einem  Grammatiker 
angeführte  Phrase  st?  opQbv  fpovslv.  Man  kann  sich  die  letztere 
Wendung  vielleicht  so  verständlich  machen,  dass  man  das  opOcv 
als  das  Ziel  des  <ppcvsw  ansieht  und  an  unserer  Stelle  als  das 
Endziel  des  -pauae».v5  das  ja  niemals  in  zwei  Fällen  ein  völlig 
identisches  ist,  die  Summe  des  aus  dem  individuellen  Lebens- 
schicksale resultirenden  Glücks  oder  Unglücks  ansieht.  Dann 
will  der  Sprechende  mit  den  Worten: 

et  &'euaeßY)$  ojv  towi  BusaeßscraTOis 

etc  Taui*  iTcpajcov,  icw;  Tao°  Äv  xaXa>$  £7,015 

ungeflihr  dieses  sagen:  was  nützt  mir  meine  Frömmigkeit,  wenn 
ich  mit  den  Unfrömmsten  schliesslich  an  das  gleiche  Lebensziel 
gelange? 


Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  griocbischer  Schriftsteller  7 

Eurip.  frg.  833: 

t(<;  S'ot&ev  £t  £vjv  tcuO'  3  xsxXt;Tai  öavetv, 
to  £i}v  $e  (Mjaxetv  eaxi;  icXrfv  Sjaux;  ßporöv 
vosouglv  ol  ßXexovces,  ol  o°6X(i>X6tss 
ouSsv  vocouatv  ouSe  xe'xxYjvTai  xaxd. 

Die  zwei  durchschossenen  Worte  hat  Nauck  ,verba  vitiosa'  ge- 
nannt. Ein  begreifliches,  aber,  wie  ich  glaube,  ein  übereiltes  Ur- 
theil.  Suchen  wir  die  Verse  getreu  wiederzugeben,  so  kommt 
uns  auch  im  Deutschen  eine  ganz  ähnliche  Partikelverbindung 
in  den  Sinn,  nämlich:  ,nur  freilich'.  Zuerst  sagt  der  Dichter: 
,Wer  weiss,  ob  nicht  das,  was  wir  Tod  nennen,  in  Wahrheit 
Leben,  das  Leben  aber  Tod  ist?'  Dann  hebt  er  mit  beissender 
Schärfe  einen  Unterschied  hervor,  der  zugleich  einen  Nachtheil 
auf  der  Seite  des  Lebens  darstellt.  Er  hätte  sich  ebensogut 
also  ausdrücken  können:  o{xo>;  Se  (jtivot  ol  £<3vt6$  voaouatv  xt£.  Die 
Einschränkung  der  in  jener  rhetorischen  Frage  angedeuteten 
Behauptung  wird  durch  eXVjv,  der  Widerspruch  gegen  die 
darin  enthaltene  Gleichstellung  von  Leben  und  Tod  durch  Sjjkos 
hervorgehoben.  Die  Verbindung  der  beiden  Partikeln  mag 
immerhin  ungewöhnlich,  vielleicht  unerhört  sein 5  ich  denke 
nicht,  dass  dies  einen  ausreichenden  Verdachtsgrund  bildet, 
wenn  eben  diese  Verbindung  eine  der  Gliederung  des  hier 
dargelegten  Gedankens  vollständig  entsprechende  ist. 

11.  Ein  paar  Besser ungs vorschlage  zu  dem  auf  Gorgias  be- 
züglichen Theile  des  Libellus  de  Melisso  Xenophane  et  Gorgia 
seien  dem  letzten  trefflichen  Herausgeber  zur  Erwägung  em- 
pfohlen. 979  fin.  (=  191,  5  Apelt)  ist  mir  die  Ergänzung  (etvai 
Sclv),  soweit  das  zweite  Wort  in  Betracht  kommt,  nicht  wohl 
verständlich,  während  eTvat  zwar  dem  Gedanken  gemäss,  aber 
entbehrlich  erscheint.  Man  wird  nichts  vermissen,  wenn  man 
die  Stelle  mit  den  übrigen  Ergänzungen  des  Herausgebers  wie 
folgt  liest:  eYo$  Se  (jmj)  ovtoq,  cuB*  äv  (5Xü>;)  eTvat  ouBev.  jatj  (y*P 
5vtos  evbf)  [wfie  %ok\d.  et  8e  jx^ie  (Sv,  fiQdCv),  jjltjts  icoXXa  eVciv, 
ofcSev  ecTiv. 

980»  16/7  =  192,  9/10  (Apelt)  ist,  meine  ich,  zweimal 
xcßjxa  durch  Taura  zu  ersetzen  in  dem  Satze:  xat  fap  &G7:ep  ixet 
woXXol  5v  taura  Töotev,  xai  evraoöa  rcoXXol  av  tauta  8tavoY)6e?ev.  Die 
Identität   der   Erkenntnis   ist   so   wenig  wie  jene   der    Sinne«- 


8  H.  Abhandlung:    Ooapers. 

Wahrnehmung  eine  Bürgschaft  gegenständlicher  Wahrheit.  Eben- 
dort  Z.  17/8  (=  980b  2)  verlangt  Xe-fst  ein  Object,  also  doch 
wohl:  xal  (X6yov)  Xeyet  6  Xe^wv,  4XX*  ou  xpäpa  ouBi  TCpxy|jt.a.  Doch 
ist  hier  ein  Zweifel  möglich,  so  gilt  dies  nicht  von  193,  17 
(=  980 b  14).  Dort  muss  Gorgias  mehr  beweisen  wollen  als 
bloss  dies,  dass  die  Empfindungen  des  Einen  mit  jenen  eines 
Anderen  kaum  vollständig  übereinstimmen.  Auch  fehlt  das 
beim  Optativ  atsöotxo  unentbehrliche  av.  Beide  Anstösse  ver- 
schwinden durch  die  Schreibung:  &rre  c/oXtj  aXXo)  v'av  (statt  irav) 
xaurb  aTaOotTÖ  ti;.  Das  nachdrückliche  yi  findet  im  Zusammen- 
hang seine  volle  Rechtfertigung;  geht  doch  unmittelbar  vorher: 
<pa(veTai  3e  008'  abtb$  auT<j>  Spioia  aiaöav6(Aevo;  ev  tw  auro)  xp6vq>, 
&XX'  erepa  tyJ  dbwfl  xat  tt}  J^et,  xal  vuv  te  xat  miXat  £ta?öp<i>;  — . 

12.  Herodot  134.  Herwerden's  Erinnerung,  dass  aic6XXuju 
von  Herodot  niemals  im  Sinne  des  Verlierens,  sondern  nur  in 
jenem  des  Verderbens  gebraucht  werde,  ist  voller  Beachtung 
werth,  und  einleuchtend  richtig  ist  die  von  ihm  daraus  gezo- 
gene Folgerung,  dass  in  o&yjFft  cßtjpeTj  das  Subject  zu  dnroXeT  zu 
suchen  ist.  Soweit  folge  ich  ihm  und  schreibe  daher  beide 
Worte  als  Nominative,  nicht  als  Dative.  Weiter  vermag  ich 
ihm  jedoch  nicht  zu  folgen.  Denn  keineswegs  ergibt  sich  aus 
dieser  Veränderung  nunmehr  auch  die  Nöthigung,  das  Particip 
ßXtjOera  zu  tilgen.  Das  Traumgesicht  verkündet  dem  Krösos 
in  Betreff  seines  Sohnes  Atys,  ,dass  eine  eiserne  Lanzenspitze 
ihn  treffen  und  verderben  werde',  <S>s  abroXe!  jjuv  alxw  ciStjp^Q 
ßXrjödvra.  Das  letzte  Wort  antasten  heisst  die  Fülle  des  hero- 
dotischen  Ausdruckes  beschneiden;  und  wie  misslich  dies  ist, 
weiss  jeder  Kenner  der  Diction  des  Halikarnassiers. 

13.  Die  Stelle  des  Hippokrates  oder  wer  sonst  der  Ver- 
fasser des  herrlichen  Buches  ,Ueber  Luft,  Lage  und  Wasser' 
sein  mag  (Littr^  II  84,  1  =  Kühlewein  I  67,  4  ff.)  hat  meines 
Erachtens  also  zu  lauten:  [amb]  to6twv  etxös  aioöovscöai  xal  ttjv  f£- 
veciv  ev  t?j  avpirffeti  xou  yövov,  (&ct'  oXXot')  aXXijv  xai  jxij  xw  owtü>  tt,v 
auiYjv  YtvscÖai  sv  ie  xw  6£pet  y.al  tu>  /eijjiwvt  xte.  Die  Tilgung  von  xk6 
und  die  Einschaltung  von  «XXote  rührt  von  Koraes  her;  ich 
habe  ftcre  hinzugefügt  und  dadurch  dem  Satz,  wie  ich  glaube, 
eine  gegen  jede  Anfechtung  gesicherte  Gestalt  gegeben.  Auch 
der  Ursprung  der  Lücke  ist  nicht  schwer  zu  erklären;  konnte 
doch  das  Auge  eines  Schreibers  gar  leicht  von  OY  in  y^voü  äu^ 


Beitrige  zur  Kritik  und  ErklAmng  griechischer  Schriftsteller.  9 

OT  in  aKkot'  abspringen,   da  T  und  Y  in   den  Handschriften 
oft  kaum,  wenn  irgendwie  zu  unterscheiden  sind. 

Prognost.  c.  3  (II  120  L.  =  I  82,  6  K.)  schlage  ich  vor, 
das  Sätzchen  (in  dessen  Schreibung  ich  mit  Littre  dem  Mar- 
cianus  folge)  «XXa  izpoki^ei^  ä%y  dpifow  xfvBuvov  eaöjxevov  von  seiner 
Stelle  zu  rücken.  Denn  das  Vorangehende  enthält  nichts,  wor- 
auf a*  dp^otv  sich  beziehen  könnte.  Ist  doch  hier  nur  von 
einem  Symptom,  dem  Zähneknirschen  im  Fieber,  die  Rede. 
Wenn  dieses  Symptom  fj.avix.bv  xal  öavaruiSe;  heisst,  so  erwächst 
uns  daraus  doch  keineswegs  das  Recht,  das  eine  Anzeichen 
in  zwei  zu  zerlegen,  wie  dies  Littr£  mittelst  der  folgenden 
Uebersetzung  that:  ,Le  grincement  et  le  dölire,  s'ils  se  r£- 
unissent,  pr^sagent  du  danger  par  leur  reunion.'  Weder  von 
zwei  Symptomen  noch  von  ihrer  Vereinigung  wird  mit  einem 
Worte  gesprochen.  Auch  fehlt  es  nicht  an  einer  directen 
Widerlegung  der  Littr^'schen  Deutung.  Sie  liegt  in  den  jenem 
Sätzchen  unmittelbar  nachfolgenden  Worten:  ty  5e  xat  rcapafpo- 
vewv  tcuto  ttonj,  $Xe6ptov  ^wz-zai  xipia  v^yj.  Jene  von  Littrd  vor- 
weggenommene Vereinigung  des  Zähneknirschens  mit  einer 
Bewusstseinsstörung  wird  hier  ausdrücklich  aufgeführt  und 
kann  daher  unmöglich  schon  im  Vorangehenden  zwischen  den 
Zeilen  gelesen  werden.  Auch  begreift  man  nicht,  was  nach 
öavorcoSs;  noch  xfv&uvcv  eac|xev3v  besagen  soll.  Das  wäre  doch 
ein  wunderbarer  Antiklimax.  Da  nichts  auf  eine  Verderbniss 
hinweist,  so  bleibt  uns  nur  die  Wahl  zwischen  der  Annahme 
einer  Lücke  und  einer  Umstellung.  Denn  Ermerins'  Tilgung 
des  an  sich  tadellosen  Sätzchens  ist  gewaltthätige  Willkür. 
Jeder  Anstoss  schwindet,  wenn  man  den  Satz  um  wenige 
Zeilen  hinaufrückt  und  an  die  Stelle  anschliesst:  ercl  faoTepa  5e 
xefrfai,  <!>  jj«}  o6vyj66?  eaxt  vuxi  uYtÄ^V0VTt  d™*  xotpwwOeu,  rcapafpocuviQV 
ttva  oTjfJuxivet  ^  o&uvyjv  twv  djx^t  ttjV  x,o'.X(tjv  toxwv  (ich  folge  auch 
hier  Littr^'s  Schreibungen,  doch  sind  die  Abweichungen  von 
Kühlewein's  neuem  Text  nicht  von  wesentlichem  Belang).  Hier 
wird  wenn  nicht  von  zwei  Symptomen,  so  doch  von  einer 
zwiefachen  Möglichkeit  der  Auslegung  eines  Symptoms  ge- 
handelt. Und  hieran  schliessen  sich  passend  die  Worte  aXXa 
spoXe-fsiv — ecopiÄvov  an,  die  dann  bedeuten:  mag  der  Grund 
jener  ungewöhnlichen  Lage  der  eine  oder  der  andere  sein,  in 
beiden  Fällen  ist  das  Symptom  ein  gefahrdrohendes. 


10  II.  Abhandlung:    Uomperz. 

14.  Der  (bald  Menandcr  bald  Philemon  zugeschriebene) 
Doppel vers  eines  Komikers: 

6  fJLYj  y^Xcotoc  &&<;  av  ^  ^£\u>q^ 
auiou  y^Xwto^  rcc^uxs  xardveXw^  — 

ward  noch  von  Meineke  in  so  schlechter  Ueberlieferung  vor- 
gefunden, dass  er  nach  vergeblichen  Herstellungsversuchen  hin- 
zufügt: ,nisi  versus  est  politicus'  (IV  274,  frg.  181).  Sternbach's 
Mittheilung  (Appendix  gnomica  im  Anhang  zu  Photii  patriarchae 
opusculum  paraeneticum,  Krakau  1893)  bietet  einen  ungleich 
handlicheren  Text.  Ich  schiebe  nur  ein  Wörtchen  ein  und 
ersetze  a£to<;  durch  a!|cov,  und  die  ursprüngliche  Gestalt  des 
Verspaares  ist  augenscheinlich  wiedergewonnen: 

b  fEXurc,  eav  (ti)  jjlyj  yj  y^wto;  aijtov, 

auiou  xe^uxe  toü  ^tkmzoq  xaiavs)^;. 

Ein  anderes  aus  derselben  Quelle  (der  Comparatio  Me- 
nandri  et  Phil.)  stammendes  Verspaar  scheint  noch  an  einem 
mit  leichter  Mühe  zu  beseitigenden  Gebrechen  zu  leiden.  Ich 
meine  die  Verse  238  f.  (bei  Wilh.  Meyer,  die  athenische  Spruch- 
rede u.  s.  w.,  Bayrische  Akad.-Abh.,  München  1891,  S.64  [288]): 

fepwv  ^oyL&izq  [Ar,  ^d\xs.i  vecoxspav 
aXXov  y«P  25eij  icatSavcuv^cet?  8e  cu  — 
wozu  Nauck  (M61.  Gr&jo-Rom.  VI  1  p.  132)  bemerkt:  ^Passender 
dürfte  sein  {xciy^bv  -^p  25«'-     Gelinder  in  jedem  Sinne  ist  wohl 
die   Schreibung   aXXo<;  ^ap   fijei.     Man    vergleiche,    wenn   dies 
Noth  thut,  Callimach.  epigr.  28  v.  5  f. 

Aücoviyj,  ab  8e  vafyi  xaXb$  xaXoq'  dXXa  iuplv  fifestv 
toOto  cra©w?,  r^to  ftjjt  xiqm  ,aXXoq  £xel'« 
Mangel   an  Lebenskenntnis  hat  Nauck   mitunter  zur  un- 
richtigen   Behandlung    der    das    Leben    selbst    abspiegelnden 
Aeusserungen  der  komischen  Dichter  vermocht.     So  wenn  er 
zu  Menander's  Frg.  623  K: 
toüs  tov  TBiov  8oc;uavümas  dXoYiorw;  ßiov 
to  xaXö;  äxoüetv  x<xyb  icoieT  rceivrjv  (so  statt  ^aciv  Bentley)  xoexw; 

bemerkt  (a.  a.  0.  S.  120):  ,Statt  to  xaXto;  dxojsiv  wäre  ein  Aus- 
druck wie  Tb  izokV  dvaXouv  deutlicher  und  angemessener'.  Was 
sollte  —  so  darf  man  vielmehr  fragen  —  xb  tcoXX*  dvaXouv  nach 
xbv  iSiov  SoncavövTa«;  ß(ov?  Nauck  vergass  hier,  dass  Verschwender, 
die   ,leben  und  leben  lassen',   die  ,das  Geld  unter   die  Leute 


Beitrage  zur  Kritik  und  Erklärung  griechischer  Schriftsteller.  1 1 

bringen',  sich  zumeist  grosser  Beliebtheit  erfreuen.  Dem  grossen 
Haufen  ^erscheint  jeder  Sparer  in  dem  Licht  eines  Aufspei- 
cherers ....  Wer  hingegen  sein  Vermögen  in  unproductivem 
Verbrauch  ausgibt,  wird  so  angesehen,  als  ob  er  ringsum  Wohl- 
thaten  verbreitete,  und  er  ist  ein  Gegenstand  so  grosser  Gunst, 
dass  ein  Theil  dieser  Popularität  ihm  selbst  dann  treu  bleibt,  wenn 
er  das  verausgabt,  was  nicht  ihm  gehört'.  Diese  Sätze  J.  S.  MilPs 
(Politic.  Economy,  Buch  I,  Cap.  5,  §.  5)  bilden  den  besten  Com- 
mentar  zu  dem  missverstandenen  Bruchstück  des  Menander. 

Ebenso  wenig  hätte  Nauck,  wenn  er  das  Leben  des  ge- 
meinen Mannes  im  Süden  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt 
hätte,  den  von  Aristophon  Frg.  1  (II  276  K.)  veranschaulichten 
Gedanken,  dass  der  Winter  die  Uebel  der  Armuth  an  den 
Tag  bringe,  einen  seltsamen  genannt  und  das  von  Kock  in 
vollkommen  befriedigender  Weise  erklärte  Bruchstück  mit 
Aenderungsvorschlägen  heimgesucht  (a.  a.  0.  S.  96).  Hätte  er 
sich  endlich  erinnert,  dass  die  Geburt  von  Söhnen  allezeit  und 
wohl  bei  allen  Völkern  ungleich  erwünschter  war  als  jene  von 
Töchtern  (vgl.  z.  B.  Schrader  Sprachvergleichung  und  Urge- 
schichte 387  f.,  H.  Spencer  Justice  171,  Daniell  Handbuch  der 
Geographie  I  236,  ,Der  Mädchenmord  in  Indien',  Neue  Freie 
Presse  Abendbl.  vom  14.  Juli  1887  n.  s.  w.),  er  hätte  nimmer- 
mehr das  eben  hierauf  bezügliche  Fragment  des  Poseidippos 
(IV  p.  516  Mein.  =  III  338  K.)  angetastet  (MdL  Gr.-Rom. 
V  244).  Dass  er  übrigens  in  seiner  von  unermesslicher  Belesen- 
heit und  von  staunenswerther  Combinationsgabe  zeugenden 
Besprechung  der  Kock'schen  Fragmentsammlung  vielfach  irre 
gegangen  ist,  dies  hat  mir  der  treffliche  Mann  in  dem  letzten 
Briefe,  den  ich  von  ihm  empfing,  bereitwillig  zugestanden, 
wie  er  denn  seine  Beanstandung  von  ,!6vc<;  bei  Menander  und 
Antiphanes  (S.  118)'  einen  ,ganz  abscheulichen  Flüchtigkeits- 
fehler' nannte. 

Um  der  Sache  willen  seien  hier  noch  einige  in  jener  Ab- 
handlung enthaltene  Aenderungsvorschläge  kurz  besprochen.  In 
Menander  Frg.  249,  3 ff.:  —  aXX'  exstvoq  f>fj[i.a  tt  |  iyU^ax' 
ouSev  e[A?ep£c,  [xa  töv  A(a,  |  tu  7yvCtöi  aaüxov',  ou3e  toi«;  ßoa)(xevocg  | 
•coutois  —  will  Nauck  toi;  ßowpiivotq  durch  dpoXou|jievoi<;  ersetzen. 
Dazu  scheint  uns  nicht  die  mindeste  Nöthigung  vorzuliegen. 
Von  Herodot  (III  39:  xpi-ftLuta  ßeßwjxsva  <zva  trjv  'Iwvftqv,  VIII  14: 


12  IL  Abhandlung:    Gomper». 

eß(«>o6iQ  dva  xaaav  ttjv  'EXXdda)  bis  auf  die  spätesten  Autoren  liegt 
eine  lange  Reihe  von  Belegen  für  die  hier  erforderte  Bedeutung 
von  ßooböat  vor.  Unmittelbar  hierauf  bespricht  Nauck  Mc- 
nandr.  frg.  252: 

eufatpovi'aq  eTa>6'  Ozepijfaviay  (so  Meineke  statt  uxeptj^avta;)  «otECv. 

,In  dieser  von  Anderen  hergestellten  Fassung  bleibt  noch  an- 
stössig  das  ganz  unpassende  xpoöfy.w; :  es  war  zu  schreiben  . . . 
Kpo/etfwc.'  Zur  Rechtfertigung  von  7:poö6{xa);  genügt  es,  auf  die 
bekannte  Wahrnehmung  zu  verweisen,  dass  ,sehr  häufig ...  in 
der  Absicht,  ein  Wort  nachdrücklich  hervorzuheben,  die  Ne- 
gation demselben  nachgesetzt  wird'  (Kühner  II  739  ähnlich 
Krüger  67,  10).  Nauck  hätte  sich  bloss  des  Frg.  trag,  adesp. 
439  zu  erinnern  brauchen: 

go?y)  jjl£V  ■JäiAYjv,  aXXa  xavi'  oux  eüTux^S. 

Philemon  Frg.  75   (II  498  K.)   lauten   die   ersten  zwei 
Verse  nach  den  Handschriften  (des  Stob,  floril.  102,  4)  wie  folgt: 

av6pü)7:ov  3v?2  paSiov  -apatveaac 
ecrctv,  xortjcai  2'  owtov   ou^t  £a8iov. 

Die  Worte  avOpwicov  5vta  gehören  zum  ganzen  Satze  und  vor- 
nehmlich zu  dessen  zweitem  Gliede.  Sie  sind  als  Apposition 
zu  einem  hinzuzudenkenden  xiva  aufzufassen.  Eine  prosaische 
Paraphrase  hätte  etwa  also  zu  lauten :  faotov  plv  am  tö  xapatveTv, 
yaXeicbv  5s  ib  &  v.$  rcapatvei  xae  outcv  icoieiv  avOpuncov  5vt«.  Die  in 
jenen  zwei  Worten  enthaltene  Erinnerung  an  die  menschliche 
Schwäche,  der  es  leicht  fällt,  gute  Rathschläge  zu  ertheilen, 
schwer  aber,  sie  selbst  zu  befolgen,  scheint  mir  hier  nicht 
weniger  am  Platz  wie  in  so  vielen  anderen  Fällen;  z.  B.  Me- 
nandri  monost.  8  (IV  340  Mein.):  avOpwrcos  S>v  |A6^/Yjao  xifc  xotvifc 
tü^tj?,  Eurip.  frg.  1075  N.2:  ösoü  ßiov  ö)v  aiJtoTq  avOpwicoc  Äv 
oder  Dionys.  archaeol.  V  4:  ävöpc&rcous  8'  Sviaq  (jhqSsv  Gitsp  -rijv 
avöpiomvtjv  fuetv  Tcovstv.  Anders  dachte  Bentley,  der  statt  avOpw^ov 
5vTa  zu  schreiben  vorschlug  aXXw  tcovoövti.  Ihm  sind  Meineke, 
Kock  und  auch  Nauck  gefolgt.  Dass  jedoch  diese  Textes- 
änderung eine  unnöthige  ist,  glauben  wir  soeben  gezeigt  zu 
haben ;  dass  sie  falsch  ist,  beweist,  wie  wir  meinen,  das  i;ori}a«i 
des  zweiten  Verses,  das  aufs  beste  zu  unserer  Auffassung,  aber 
ganz  und  gar  nicht  zu  derjenigen  Bentley 's  stimmt.    Auf  letz- 


Beiträge  zur  Kritik  and  Erklärung  griechischer  Schriftsteller.  13 

teren  Umstand  hat  Nauck  a.  a.  O.  (S.  102)  hingewiesen.  Nur 
zieht  er  freilich  ans  dieser  Incongruenz  die  Folgerung,  dass, 
wer  Bentley's  ^einleuchtende  Emendation  .  .  .  billigt',  nun  auch 
^unbedingt  V.  2  icovifcai  statt  7uorij<xai  schreiben*  müsse.  Uns  will 
vielmehr  scheinen,  dass  es  auch  diesmal  der  Fluch  einer  ver- 
fehlten Conjectur  ist,  dass  sie  fortzeugend  weitere  verfehlte 
Conjecturen  hervorbringt. 

Das  von  Stob.  III  12,  5  Wachsm.-Hense  =  IV  292  Mein, 
mitgetheilte  Bruchstück  des  Menander:  xpeitiov  eXeoOai  <]jeuBo<; 
t)  akrfiiq  xoxov  haben  die  Kritiker  bisher  wohl  allzu  schüchtern 
angefasst.  Man  hat  sich  damit  begnügt,  den  wankenden  Bau 
des  Verses  zu  stützen,  indem  man  entweder  ein  überflüssiges 
Je  einschob  (xpeurov  &')  oder  das  völlig  sinngemässe  eXeoOai 
durch  ein  jedenfalls  nicht  sinngemässeres,  aber  mit  consonan- 
tischem  Anlaut  versehenes  Verbum  wie  XiyeaQzi,  Ss/ejöai  u. 
dgl.  m.  ersetzte.  Man  übersah  dabei,  dass  der  Verbindung 
aXr,6e;  xaxsv  nicht  füglich  das  blosse  <|>eu&o<;  entsprechen  kann 
Der  Vers  mag  ursprünglich  also  gelautet  haben:  ayadov  eXsaOat 
üzfäo$  %  oikrßiq  xaxov,  während  das  zur  Vervollständigung  des 
Gedankens  Erforderte  im  Schluss  des  vorangehenden,  vom  Gno- 
mologen  weggelassenen  Verses  enthalten  war. 

15.  Moschion  Frg.  9  (Fragm.  trag.  Gr.  816  N.2)  ist  das 
schöne  Bild  eines  unglücklichen,  tiefgesunkenen  Fürsten  in  seinem 
Anfang  verstümmelt.  Aus  dem  sinnlosen  cuv  alci  (sie),  ouv  alcvi 
oder   cuvejei   der  Handschriften   möchte  ich  avvvpu?  6  gewinnen: 

c6vvou$  6  86§tj  rcp6c6e  xat  ^evet  jAeya^ 

"Ap^ou«;  SuvaaiYjs  Xenb;  ex  Tupavvtxcov 

Opovcov,  rcpoatxnfjv  OaXXöv  ^-fxaXiafjivo^ 

Iffxet^ev  et«;  ^T/v  o\l\lcl  auvve^ec;  <popa>v  xxl. 
Die  letzten  zwei  Worte  habe  ich  in  der  ihnen  von  Meineke- 
Nauck  und  Herwerden  verliehenen  Gestalt  angeführt.  Was 
dieser  Vers  mit  einer  gewissen  Ausführlichkeit  schildert,  das  fasst 
jenes  Eingangswort  wie  in  einen  Strich  zusammen.  Das  Sub- 
stantiv cuvvoia  wird  von  den  drei  grossen  Tragikern  gebraucht. 
Dass  das  Adjectiv  bisher  weder  bei  ihnen  noch  bei  einem 
ihrer  Nachfolger  nachgewiesen  ist,  darf  schwerlich  als  ein  Ein- 
wand gegen  unsere  Vermuthung  gelten. 

16.  Jene  Verse  des  Parmenides,  die  Simplicius  im  Com- 
mentar  zur  Physik  I  3  (p.  145,  23  ff.  Diels)  anführt,  glaube  ich 


14  II.  Abhandlung:    Qomperz. 

ohne  Aenderung  eines  Buchstabens  durch  blosse  Umstellungen 
verbessern  zu  können,  indem  ich  sie  also  schreibe: 

oüBe  Biaipexov  ecm  •  ebv  fap  eovrt  raXa^st  • 
ouBe  Tt  Tfl  [/.äXXov,  xav  o**I(ji,t:Xs6v  ecriv  eovioc, 

Tco  ^uv6)T6<;  ^av  eariv,  ircel  5uav  eoriv  ojjloTov. 

Für  völlig  sicher  gilt  mir  die  Umstellung  der  zwei  Halbverse 
24  und  25.  Denn  einen  Sinn  gibt  nur  die  Verbindung  gu8s  v. 
Xeipctepov,  xo  xev  etpvot  pitv  cuve/eoOat.  Den  Zusammenhang  des 
Stoffes  oder  des  Seienden  kann  nicht  ein  Plus,  sondern  nur 
ein  Minus  oder  ein  Minimum,  wenn  nicht  ein  Fehlen  von  Stoff 
beeinträchtigen.  Da  nun  hier  (anders  als  in  dem  verwandten 
Verse  ou  yap  flww^ijsi  tö  tcsXov  tou  iovzoq  i^soöat)  vom  Leeren 
nicht  die  Rede  ist,  so  muss  eine  Annäherung  an  das  Leere, 
eine  weitgehende  stoffliche  Verdünnung  gemeint  sein.  Vgl.  Ari- 
stot.  de  gejier.  et  corrupt.  I  8,  insbesondere  die  Worte:  oW  au 
rcoXXa  eTvat  [i^  5vto?  tou  8te(pYovtoc;  auch  des  Verfassers  Grieeh. 
Denker  I  442  f. 

In  den  uns  nur  durch  die  lateinische  Uebersetzung  des 
Caelius  Aurelianus  bekannten  Versen  des  Parmenides  ist  v.  143/4 
Stein,  wie  ich  meine,  die  Interpunction  zu  ändern  (beziehentlich 
Karsten's  Interpunction  wiederherzustellen)  und  v.  147  statt  per- 
mixto  in  corpore,  wo  permixto  aus  dem  vorangehenden  Vers 
irrthümlich  wiederholt  ist,  vielmehr  zu  schreiben  mixtae  uno  in 
corpore.     Darnach  hätten  die  sechs  Verse  zu  lauten: 

Femina  virque  simul  Veneria  cum  germina  iniscent 
venis,  informans  diverso  ex  sanguine  virtus, 
temperiem  servans,  bene  condita  corpora  fingit. 
at  si  virtutes  permixto  semine  pugnent 
nee  faciant  unam  mixtae  uno  in  corpore,  dirae 
nascentem  gemino  vexabunt  semine  sexum. 

17.  Den  bei  Philodem  und  bisher  nur  bei  ihm  nach- 
gewiesenen Worten  ah<xkr$i<x  und  aSiaXvjxreuü)  (vgl.  Sitzungsber. 
Bd.  CXXIII,  VI  S.  59 f.)  ist  noch  hinzuzufügen  das  Derivat 
a8taXifcrceu|*a  in  dem  Satze  (Vol.  Herc.2  X  76  col.  XI) :  ßXexets  ?£ 
(5)t;  <S>$  av  (ifj  %)ep\  ts  tococutä  xai  xotauxa  6£ü)p^{j.axa  Y^^K*^ 
Siavoia  oux.  Äv  S^w  y£ivoit(o)  rcavrb«;  aStaXijir^fj^aro*;).  Auch  das  Ad- 
jeetiv  aStaXtprro?  und  das  Adverb  d§taXnjxHi>$  begegnen  ebenda- 
selbst 77  col.  XIII  und  75  col.  VIII.  Selbst  für  die  Entscheidung 


Beiträge  zur  Kritik  und  Erkl&rung  griechischer  Schriftsteller.  15 

der  Frage  nach  der  Autorschaft  dieser  Schrift,  die  Körte  (Metro- 
dori  Epicurei  Fragmenta,  Leipzig  1890)  ohne  zulänglichen  Grund 
dem  Metrodor  zugewiesen  hat,  dürfte  diese  sprachliche  Wahr- 
nehmung nicht  ohne  Belang  sein. 

18.  Pia  ton,  Staat  387 b:  ouxoüv  üv.  %a\  ra  xspt  Tauia  ovojxaia 
irdvTa  ta  Secva  ts  v.a\  ^oßepa  arcoßXiQTsa,  Kü>kutoö<;  ts  xal  Ztuy«S  xai 
evspcix;  xal  aX(ßavT«<;,  xat  aXXa  oca  toutou  tou  tutcou  5vc{jLaC6p.sva  fpir- 
T£'.v  3tj  TCOtet  u>s  oieTat  rcivT«$  tob;  axcuoyca^.  Das  sinnlose  oiexai 
der  Handschriften  ist  noch  immer  nicht  gebessert.  Weder  oTov 
Tc  noch  cca  lv(\  noch  o'lxdxa;  noch  das  jüngst  vorgeschlagene 
5vt«  vermag  zu  befriedigen.  o>;  anzutasten  ist  kein  Grund  vor- 
handen, und  da  empfiehlt  es  sich  doch  am  meisten,  an  einen 
Vergleich  zu  denken,  und  zwar  mit  Wesen,  deren  Furchtsam- 
keit eine  notorische  ist.  Schrieb  nicht  Piaton  o>$  otSt«?  Man  ver- 
gleiche des  Photios  Glosse  olBta  •  wpoßaxta.  Die  Glosse  könnte 
wenigstens  aus  des  Boethos  XsSjewv  nXaromy.üW  ouva^wp^  °der 
aus  seiner  Schrift  rcept  tuv  rcctpa  ÜXi-wvt  axopoujAsvwv  Xeijeuv,  die 
Photios  gekannt  und  verwerthet  hat,  geschöpft  sein  (vgl.  Naber 's 
Prolegomena  p.  55). 

Piaton  oder  Pseudo-Platon ,  Hippias  maior  283* :  evavTiov 
Y«p  'Ava^avöpa  ?aGt  cujxßijvat  •?)  ujjlTv  •  xaTaXeis0evru>v  yoip  auiw  tcoaXüW 
XptjjMtrwv  xaia{/.£Xqaai  x,ai  objoXeaai  zavra  •  o&tgx;  auxbv  avoiQTa  ao©{- 
£ec6at.  Das  allzu  derbe,  durch  den  Zusammenhang  ganz  und 
gar  nicht  gerechtfertigte  dvorjxa  ist  sicherlich  durch  dvcvyjTa  zu 
ersetzen.  Ich  bemerke  nachträglich,  dass  diese  Vermuthung 
schon  von  einer  Handschrift,  nämlich  vom  Paris.  F,  dargeboten 
wird.  Stallbaum  erwähnt  sie,  verwirft  sie  aber  mit  der  meines 
Erachtens  thörichten  Begründung:  ,Sed  vera  est  lectio  vulgata 
qua  ad  voöv  illud  Anaxagorae  alluditur.'  Die  Zürcher  Heraus- 
geber, K.  F.  Hermann,  M.  Schanz  finden  jene  Lesart  wohl 
darum,  weil  sie  keinen  urkundlichen  Werth  besitzt,  nicht  ein- 
mal der  Erwähnung  werth. 

19.  Schwer  verständlich  ist  es  mir,  dass  die  Herausgeber 
des  Thukydides  die  spartanische  Rede  des  Alkibiades  (VI  92) 
noch  nicht  von  einem  offenbaren  Emblem  befreit  haben.  Ein  solches 
ist  doch  dort  mit  voller  Sicherheit  zu  erkennen,  wo  in  einen  ganz 
allgemein  gehaltenen  Satz  ein  die  specielle  Nutzanwendung 
enthaltendes  Wort  eingefugt  ist.  Und  solch  eine  Einschaltung 
konnte   um   so   leichter   dort   erfolgen,    wo  der   völlig  generell 


16        II.  Abb.:    Gomperz.  Beitr.  z.  Kritik  u.  Erkl&rung  griechischer  Schriftsteller. 

ausgedrückte,  dem  Leser  die  specielle  Anwendung  überlassende 
Gedanke  von  Sätzen  umgeben  ist,  die  solcher  Allgemeinheit 
entbehren.  All  dieses  trifft  in  unserem  Fall  zusammen.  Alki- 
biades  will  das  Misstrauen  beseitigen,  das  sein  vaterlandsfeind- 
liches Vorgehen  sogar  bei  den  Feinden  seines  Vaterlandes 
wachrufen  könnte,  und  spricht  also  zu  den  Spartanern:  ?v)fis 
Te  Y«p  e^r"  **%  T^v  eSfi^affovtwv  zovrjpias  %<xi  ou  ttj;  ujutef  a$,  ^v  7si<hQo6s 
(jiot,  axps/aa;,  xat  icoXsjAiwTepoi  ou^  ol  tou;  tcoXsjjliou;  zou  ßXa<CaVTS? 
[üjjleT«;]  9)  ol  xouq  ftXou^  Äva^^icavie?  ::oXefj.iou$  ^evsoflar  t6  ts  <ptX6xoXe 
oük  cv  &  a$ixoü[xai  fe'xw9  ^^  *v  $  aasaXu>s  exoXtTejöyjv.  ou&'  face  iza- 
tp(8a  oucav  Itt  f^oupLat  vüv  Uvai,  koXu  5&  (AaXXcv  tyjv  oüx  ouaav  ava- 
xxiaOat.  xal  9 iXöxoXt«;  outo$  cp6ü>^,  oü/  $s  av  ttjV  iaurou  d&(xo>{  dzoXeaa^ 
{jlyj  facty,  «XX*  Sq  äv  ex  xavTO«;  Tp6xoi>  Bia  tb  factöufxstv  xeipaö^  aurr^v 
avaXaßetv.  Die  letzten  Worte  erinnern  mich  übrigens  an  einen 
noch  nicht  mit  Sicherheit  hergestellten,  vielleicht  nicht  mit 
Sicherheit  herstellbaren  Vers  des  Euripides  (frgm.  1045  N.  *). 
In  den  Worten  \in\  xajjive  RorpiSot  cyjv  XaßcTv  rceipctyjLgvos  ist  das 
Simplex  XaßsTv,  wie  längst  erkannt,  nicht  haltbar.  Ob  aber 
Bothe's  und  Mähly's  TCarpiBi  cuXXaßciv  das  Richtige  trifft,  darf 
wohl  bezweifelt  werden.  Nicht  eben  gewaltsamer  und  an  sich 
wahrscheinlicher  ist  wohl  unsere  Vermuthung:  fxtj  xdjAve  rcäcrpav 
avaXaßetv  7retpa>fj.£vo^.  Oder  irre  ich  mit  der  Annahme,  dass  ftstfxift- 
jxsvos  eher  auf  diesen  als  auf  jenen  Gedanken  zu  führen  scheint? 


Register. 


Seite 

Aeschylos I 

Alexand.  Lycopol lf. 

Antiphon 2 

Aristeasbrief 3 

Ariston 3 

Aristophon H 

Demokrit 3 

Diogenes 3f- 

Epigramm 6 

Eudemos & 

Euripides 5ff.u.  16 

Gorgias  (bei  Ps.  Aristot.)  .    .    .  7f. 


Seite 
Herodot 8 

Hippokratos 8  f. 

Komiker 10  f. 

Menander 10  ff. 

Moschion 13 

Parmenides 14 

Philemon 12  f. 

Piaton 10 

Poseidippos H 

Thukydides 15  f. 

Tragiker 4 

Volum.  Herc.  " 14  f. 


III.  Abb.:    Kfthnert.  Ueber  den  Rhythmus   im  Chinesischen.  1 


III. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen. 


Yon 

Dr.  Fr.  Kühnert, 

Priratdocent  an  der  Unirersittt  Wien. 


öyntax,  Rhythmus  und  Euphonie  sind  die  Grundelemente 
des  chinesischen  Sprachbaues.  Der  Syntax  wurde  bereits  in 
den  hervorragenden  Grammatiken  grosse  Aufmerksamkeit  zu- 
gewendet —  man  sehe  nur  Gabelentz'  Grammatik  mit  Aus- 
schluss des  niederen  Stils  —  dem  Rhythmus  hingegen  wurden 
nur  wenige  stiefmütterliche  Bemerkungen  gewidmet. 

Hienach  könnte  es  den  Anschein  haben,  als  ob  im  Chine- 
sischen beim  Sprachbau  der  Rhythmus  keine  grössere  Rolle 
spiele  als  etwa  im  Deutschen,  als  ob  er  auch  im  Chinesischen 
nur  ein  willkommener  Schmuck,  ein  Ausfluss  des  Schönheits- 
gefühles sei,  der  vorhanden  sein  kann,  aber  nicht  vorhanden 
sein  muss. 

Dem  ist  aber  nicht  so.  Gleich  wichtig  wie  die  Syntax 
ist  auch  der  Rhythmus,  ja  Syntax  und  Rhythmus  stehen  in 
einem  derartig  innigen  Zusammenhange,  dass  ohne  detaillirte 
Kenntniss  des  Rhythmus  alle  syntactischen  Regeln  stellenweise 
nahezu  werthlos  sind,  wie  so  manche  Uebersetzungsfehler  selbst 
bei  hervorragenden  Autoritäten  in  Sinologicis  darthun. 

Der  einfachste  Maueranschlag,  die  trivialste  Veröffent- 
lichung enthält  —  wie  bereits  Hirth1  schon  bemerkt  —  einen 
solchen  Rhythmus,  dass  derartiges  sich  fast  wie  ein  euro- 
päisches Gedicht  liest. 

Bald  nach  meiner  Ankunft  in  China,  im  Verkehre  mit 
den  Chinesen  wurde  mir  klar,  welch  wichtiger  und  leider  nur 

1  Hirth,  Notes  on  the  Chinese  documentary  style,  p.  16  Anm. 
Sitzungsber.  d.  pnil.-hist.  Cl.  CXXIIV.  Bd.  3.  Abh.  1 


2  III.  Abhandlung:    Kuhnert. 

allzusehr  unterschätzter  Factor  der  Rhythmus  im  Chinesischen 
ist.  Mein  unablässiges  Streben  war  nun  bei  den  ferneren  Studien 
darauf  gerichtet  in  das  Wesen  des  Rhythmus  einzudringen,  mein 
von  Jugend  auf  ausgebildetes  rhythmisches  Empfinden  für  den 
Rhythmus  des  Chinesischen  dienstbar  zu  machen,  bezüglich  des- 
selben zu  erweitern  und  zu  befestigen. 

Erforderte  dieser  Theil  der  Arbeit  schon  eine  vollständige 
Anspannung  der  notwendigen  Kräfte,  so  war  er  im  Verhält- 
niss  zur  Aufgabe,  das  Wahrgenommene  allgemein  verständlich 
darzustellen,  dennoch  der  leichtere.  Wie  sollten  Dinge,  die 
lediglich  auf  Empfindung  beruhen,  dargestellt  werden,  damit 
durch  zweckentsprechende  Vorstellungen  im  retrospectivenWege 
derartige  Wirkungen  so  genau  wie  möglich  erreicht  werden,  wie 
sie  der  chinesische  Rhythmus  bietet. 

Als  zweckentsprechend  erschien  es  nach  reiflicher  Ueber- 
legung  durch  schickliche  Vergleiche  Anhaltspunkte  dafür  zu 
schaffen.  Dies  erforderte  aber  weitere  Studien  in  dazu  geeig- 
neten Disciplinen.  Das  brauchbarste  Material  liefert  dafür  die 
Musik,  bezüglich  deren  sich  die  zutreffendsten  Analogien  dar- 
boten. Füssen  doch  die  musikalischen  Gebilde  im  weitgehendsten 
Sinne  auf  dem  Rhythmus,  und  zwar  dem  Rhythmus  im  weiteren 
und  engeren  Sinne.  Der  Musik  zunächst  kam  die  Prosodik 
und  Metrik  der  deutschen  Sprache.  Hier  jedoch  zeigte  sich 
bereits,  dass  sehr  häufig  in  der  Bezeichnungsweise  nicht  auf 
das  hiedurch  Bezeichnete  Rücksicht  genommen  wird,  sondern 
dass  dies  nur  Ausdrücke  sind  für  Dinge,  deren  Wesen  wo 
anders  her  bekannt  ist. 

So  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  zum  Theil  die  Arbeit 
selbst  eine  kritische  bezüglich  verwandter  Materien  wurde,  um 
auf  ihr  eigentliches  Ziel  lossteuern  zu  können. 

Hierin  mag  theilweise  die  bisherige  stiefmütterliche  Be- 
handlung des  chinesischen  Rhythmus  ihren  Grund  haben.  Ein 
anderer  Factor  dürfte  aber  darin  zu  suchen  sein,  dass  eine 
Berücksichtigung  dieses  Elementes  bei  dem  Betreffenden  zu- 
nächst ein  weitausgebildetes  rhythmisches  Empfinden,  etwa  wie 
das  eines  guten  Musikers  voraussetzt,  dann  weiter  directen 
Verkehr  mit  den  Chinesen  selbst,  vor  Allem  aber  die  Fähig- 
keit, das  Wesen  des  Rhythmus  ergründen  und  angeben  zu 
können. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  3 

So  naheliegend  die  letztere  Bedingung  erscheint;  so  ge- 
hört sie  doch  zu  den  am  schwersten  zu  erfüllenden,  wie  die 
Erfahrung  lehrt. 

Wer  rhythmisches  Gefühl  besitzt,  wird  ohne  Zweifel  jeder- 
zeit wahrnehmen,  ob  sich  in  einem  Gebilde  Rhythmus  vorfindet 
oder  nicht.  Wer  aber  nur  nach  so  manchen  vorhandenen  De- 
finitionen urtheilt,  wird  einzelnen  Dingen,  wo  thatsächlich  ein 
Rhythmus  wahrgenommen  wird,  nach  diesen  Definitionen,  einen 
solchen  absprechen  müssen.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dass  die 
Empfindung  im  Irrthum  ist,  sondern  nur,  dass  die  Definitionen 
zu  enge  sind. 

Eine  Betrachtung  einzelner  solcher  Definitionen  wird  dies 
zur  Genüge  erweisen. 

So  heiß8t  es  an  einer  Stelle:  ,Rhythmus  ist  jede  takt- 
mässige  Bewegung,  namentlich  der  abgemessene,  gesetzmässige, 
in  seinen  verschiedenen  Formen  zur  Versinnlichung  verschie- 
dener seelischen  Bewegungen  dienende  Wechsel  von  Hebung 
und  Senkung  der  Sylben  in  Worten,  der  Töne  in  Tonstücken 
u.  s.  w/1 

Da  weder  in  der  Poesie  noch  in  der  Sprache  nach  Takten 
gemessen  wird  und  werden  kann,  sondern  nur  in  gewissen 
Formen  der  Musik  und  im  Tanze,  so  enthält  obige  Definition 
bereits  eine  schädliche  Beschränkung.  Weitere  Mängel  werden 
im  Späteren  zu  Tage  treten. 

In  der  Prosodik  und  Metrik  der  deutschen  Sprache  liest 
man:  ,Metrum  ist  das  Versmass  ohne  Berücksichtigung  seines 
Tonverhältnisses  und  seiner  Glieder,  aus  welchen  es  zusammen- 
gesetzt worden  ist,  so  dass  es  äusserlich  als  ein  Ganzes,  als 
ein  Vers  dasteht.  Rhythmus  aber  ist  die  Musik,  welche  über 
dem  Metrum  hinschwebt.'8  ,In  Hebung  und  Senkung  beruht 
der  jedesmalige  Rhythmus  eines  Verses;  das  Tonverhältniss  der 
einzelnen  Verstheile  wird  durch  einen  stärkeren  und  schwächeren 
Aufschlag  hergestellt/3  ,Indem  im  ersten  Hauptstück  das  Zeit- 
mass  der  Sylben  bestimmt  worden  ist,  haben  wir  nun  Längen 
und  Kürzen  erhalten,  durch  deren  geregelten  Wechsel  wir  eine 

1  Brockhaas,  Co  n  versa  tionslexikon,  s.  v.  Rhythmus. 

*  J.  Minckwitz,  Lehrbuch  der  deutschen  Verskunst  oder  Prosodik  und  Me- 
trik, p.  21. 

*  J.  Minckwitz  1.  c.  p.  97. 

1* 


4  m.  Abhandlung:    Kniinert. 

rhythmische  Reihe  zusammensetzen.  Eine  solche  Reihe  nennt 
man  einen  Vers/1 

,Metrik  d.  h.  namentlich  Rhythmik,  denn  auf  den  Takt 
kommt  es  an,  weniger  auf  die  Regeln,  nach  denen  der  Takt 
sich  richtet,  auf  den  Gesichtspunkt,  nach  dem  sich  die  Hebungen 
und  Senkungen  vertheilen. 

Auf  Hebungen  und  Senkungen,  guten  und  schlechten  Takt- 
theilen  beruht  der  Rhythmus. 

Wirkung  des  Rhythmus  ist  es,  dass  wir  den  Takt  mit 
dem  Fusse  treten.'2 

Wäre  Rhythmus  die  Musik,3  welche  über  dem  Metrum  hin- 
schwebt, dann  könnte  die  Musik  keinen  Rhythmus  haben;  denn 
eine  Musik  über  der   Musik  ist  eine   Contradictio  in  terminis. 

Auch  mit  dem  Takte,  wie  Scherer  andeutet,  kann  der 
Rhythmus  nicht  identisch  sein.  Davon  später.  Man  müsste 
nach  dem  Obigen  daher  nur  sagen:  ,Rhythmus  ist  der  nach 
einem  bestimmten  Gesetze  geregelte  Wechsel  langer  und  kurzer 
oder  starker  und  schwacher  Silben/ 

Diese  Definition  schliesst  —  ganz  conform  ihrer  Bestim- 
mung lediglich  für  die  Prosodik  und  Metrik  der  Sprache  — 
Musik  und  Tanz  aus;  denn  weder  die  Musik  noch  der  Tanz 
bestehen  aus  einem  Wechsel  langer  und  kurzer  oder  starker 
und  schwacher  Silben.  Nichtsdestoweniger  hat  auch  sie  trotz 
der  zum  voraus  gemachten  Einschränkung  des  Geltungsbezirkes 
ihre  Achillesferse. 

Berlioz4  sagt:  ,Rhythmus  ist  symmetrische  Eintheilung  des 
Zeitmasses  durch  die  Töne/ 

Piel5  gibt  an:  ,Das  Dauerverhältniss  der  Töne  zu  der 
Dauer  der  Taktzeichen  und  untereinander  bezeichnet  man  mit 
dem  Ausdruck  Rhythmus/ 

1  J.  Minckwitz  1.  c,  p.  95. 

9  W.  Scherer,  Poetik,  p.  273,  274. 

8  Auch  nicht  die  Melodie,  was  offenbar  hier  unter  Mnsik  gemeint  ist;  denn 
die  verschiedenartigsten  Melodien  können  über  dem  gleichen  Rhythmus 
aufgebaut  werden,  wie  z.  B.  die  Unmasse  von  Walzern  wohl  zur  Ge- 
nüge erweist,  weil  nicht  in  den  tonischen  Intervallverh&ltni&sen  der  Me- 
lodie der  Rhythmus  gelegen. 

*  H.  Berlioz,  Gesammelte  Schriften,  I.  Bd.  (A  travers  chants),  p.  9  (deutsch 
v.  Pohl). 

5  P.  Piel,  Harmonie-Lehre,  II.  Aufl.,  p.  8. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  0 

In  Lobe's  Compositionslehre1  wird  erklärt:  ,Zum  Rhyth- 
mus in  der  Musik  gehört:  Geltung  der  Töne,  Takt,  Tempo, 
Accent,  und  im  höheren  Sinne  Perioden,  Gruppen,  Theile.' 

Sieber2  äussert  sich:  ,Die  Musik,  die  sich  nicht  sowohl 
an  die  gewöhnliche  Sprache,  als  an  die  poetische  Diction,  die 
gebundene  Rede  anlehnt,  hat  es  mit  der  letzteren  gemeinsam, 
dass  zu  bestimmten  Zeiten  regelmässige  Betonungen  wieder- 
kehren. Dem  Metrum  des  Gedichtes  entspricht  der  Rhyth- 
mus der  Musik.  Der  Rhythmus  aber  wird  durch  die  Wahl 
der  Takt  arten  von  Seite  des  Componisten  festgestellt.  Jede 
Taktart  hat  ihre  eigenthUmlichen,  wiederkehrenden  Accente.' 
Jungmann  nennt  Rhythmus  den  gesetzmässigen  Wechsel  von 
Länge  und  Kürze.9 

Nach  A.  Westphal  ist  flir  ein  Werk  der  musischen  Kunst 
(Musik,  Orchestik,  Poesie)  eine  gesetzmässige  Gliederung  und 
Ordnung  der  von  ihm  ausgefüllten  Zeit  der  Rhythmus  oder 
Takt(8ic!),  der,  insoferne  er  in  der  Poesie  erscheint,  mit  dem  be- 
sonderen Namen  Metrum  bezeichnet  wird.4  Im  Weiteren  wird 
nach  Aristoxenus  gesagt:6  ,Der  unserem  Geiste  innewohnende 
Sinn  flir  Ordnung  und  Gesetzmässigkeit  verlangt,  dass  die  durch 
ein  Kunstwerk  ausgefüllte  Zeit  eine  gesetzinässig  gegliederte 
sei  und  dass  wir  uns  dieser  Zeitgliederung  durch  die  Eigen- 
artigkeit der  nacheinander  zur  Erscheinung  kommenden  ein- 
zelnen Momente  des  Kunstwerkes  bewusst  werden.  Die  so 
gegliederte  Zeit  heisst  Rhythmus/6 

Aristides  definirt:  Qv&tidg  roivw  iari  ovarrjpA  %i  i% 
yra)Qip(ov  %q6v<ov  xard  xiva  rd^iv  avyxeinevov,  was  Capeila 
übersetzt:  Rhythmus  igitur  est  compositio  quaedam  ex  sen- 


1  J.  C.  Lobe,  Lehrbuch  der  musikalischen  Composition,  I.  Bd.,  p.  414. 

*  F.  Sieber,    Vollständiges  Lehrbuch  der  Gesangskunst,   p.  158  (II.  Aufl.). 

*  J.  Jungmann,  Die  Schönheit  und  die  schöne  Kunst,  p.  336. 

4  Theorie  der  musischen  Künste  der  Hellenen.  A.  Rossbach  und  R.  West- 
phal, Bd.  I,  p.  33.  (Das  Wort  Takt  schränkt  das  Frühere  total  ein.  Ein 
musisches  Kunstwerk  hat  als  Gliederung  der  von  ihm  ausgefüllten  Zeit 
auch  Perioden,  Abschnitte,  Kola  etc.,  die  durch  das  Wort  Takt  sofort 
ausgeschlossen  werden.) 

6  Theorie  der  musischen  Künste,  I.  Bd.,  p.  41. 

6  Also  nicht  das  Zeitglied,  sondern  die  gegliederte  Zeit,  nicht  Mos  der 
Theil,  sondern  auch  das  Ganze. 


6  III.  Abhandlung:    K Innert. 

sibilibus  collata  temporibus,  ad  aliquem  habitum  ordinem- 
que  connexa.1 

In  demselben  Werke  wird  später  gesagt:  ,Beide  Aus- 
drücke werden  aber  auch  in  concreter  Bedeutung  gebraucht. 
Rhythmus  als  ein  grösserer  oder  kleinerer  Theil  eines 
musischen  Kunstwerkes  insoferne  dasselbe  durch  Takte 
oder  Takttheile  gegliedert  ist;  Rhythmopöie  dagegen  von 
der  Gliederung  nach  Takten  und  zugleich  von  den  Tönen 
des  Gesanges  und  der  Instrumente/8  Ferner:  ,Das  Grund- 
princip  des  Rhythmus  besteht  darin,  dass  die  aufeinander 
folgenden  Zeitmomente  in  bestimmte  Gruppen  zerfallen,  die  als 
solche  von  der  aiadrjatg  scharf  gesondert  werden  können.  Die 
einzelne  Gruppe  heisst  bei  den  Alten  Qv&pög  oder  ftovg, 
wir  nennen  sie  Takt/8  (sie!?) 

Und  abermals:  ,Auch  der  moderne  Vers  ist  der  sprach- 
liche Ausdruck  des  Rhythmus/* 

,Zum  Rhythmus  gehören  nun  nothwendig  Verse,  Ftisse 
und  Kola,  beim  melischen  Vortrag  ausserdem  noch  Perioden 
(Verse)  und  Systeme  (Strophen)/5  ,Stets  werden  mehrere 
Füsse  durch  einen  einzigen  Hauptaccent  zu  einer  höheren 
rhythmischen  Reihe  verbunden/6  ,Die  rhythmische  Theorie 
der  Alten  sieht  jede  Reihe  als  einen  einzigen  grösseren  Fuss 
an  und  bezeichnet  ihn  nach  der  Morenzahl  und  der  rhyth- 
mischen Gliederung  der  Haupt-  und  Nebenarsen/7  ,Gesun- 
g'ene  Poesie  hält  sich  strenger  im  Takte  als  deklamierte; 
in  jener  herrscht  der  ^v&(i6gy  diese  erscheint  nur  als  £v#- 
uoeidrjg  mit  bestimmter  Arsiszahl/8  Vergleicht  man  mit  dem 
Vorgeführten  noch  die  folgende  Stelle:  ,Nach  Aristoxenus  ist 
die  Bewegung  der  Stimme  entweder  eine  q>ovij  Xoyixij  oder 
eine  qtwvi)  ^ehfiäiy.ij.    Der  Rhythmus  der  q>wvij  Xoyutij  ist  nicht 


1  Theorie  der  musischen 

Künste, 

I.  Bd., 

p.  60. 

8  1. 

c. 

I.  Bd.,  p. 

86. 

8  1. 

c. 

I.  Bd.,  p. 

102. 

*  1. 

c. 

Ill/i  Bd., 

p.  1. 

8  1. 

c. 

HI/j  Bd., 

p.  58. 

e  1. 

c. 

HI/9  Bd., 

p.  4. 

7  1. 

c. 

III/a  Bd., 

p.  5. 

8  1. 

c. 

III/j  Bd., 

p.  513. 

Ueber  den  Bhythmua  im  Chinesischen.  7 

ganz  derselbe  wie  der  Rhythmus  der  qxorfj  pehpdixi},' x  so  dürfte 
die  Bedeutung  von  Qv&fiög  hiedurch  nichts  weniger  als  klar 
werden. 

Es  erschwert  sehr  das  Verstand niss,  dass  Westphal  sich 
darauf  steifte  novg  als  Takt  aufzufassen,  wozu  in  Aristoxenus' 
Lehre  nicht  die  mindeste  Nöthigung  vorliegt,  wo  im  Gegentheil 
vielmehr  die  Anwendung  des  Wortes  Takt,  welches  für  uns 
einen  vollkommen  unzweifelhaft  festgelegten  Begriff  ausdrückt, 
contraindiciert  ist.  Würde  doch  hiedurch  die  wunderbar  logische 
Auseinandersetzung  Aristoxenus'  unlogisch,  wie  die  Schwierig- 
keiten zeigen,  auf  die  Westphal  selbst  stösst.  Es  möge  hier 
in  Kürze  der  Gedanke  des  Aristoxenus  angedeutet  werden. 

Da  der  Rhythmus  im  weiteren  Sinne  (der  grosse  Rhyth- 
mus) genau  denselben  Gesetzen  unterworfen  ist,  wie  der  Rhyth- 
mus im  engeren  Sinne  (der  kleine  Rhythmus),  so  bezeichnet  Ari- 
stoxenus die  kleinste  rhythmische  Gruppe  des  grossen 
Rhythmus  genau  wie  die  kleinste  rhythmische  Gruppe 
des  kleinen  Rhythmus  als  novg  oder  Fuss.  Darum  be- 
zeichnet er  auch  das  xälov  unter  gewissen  Bedingungen  als 
novg.  Damit  nun  die  kleinste  Gruppe  sowohl  des  grossen  wie 
des  kleinen  Rhythmus  der  aloxhjatg  als  Einheit  erscheine, 
muss  sie  mindestens  zwei  Accente  haben,  einen  Haupt- 
accent  (&doig)  und  einen  Nebenaccent  (ÜQffig).  Sie  kann  aber 
auch  drei  Accente  haben,  einen  Hauptaccent  und  zwei  Neben- 
accente,  welch'  letztere  wieder  an  sich  im  Verhältniss  von 
$ioiq  und  äjHTig  stehen.  Mehr  als  vier  Accente  derselben  Ord- 
nung kann  eine  rhythmische  Gruppe  überhaupt  nicht  haben, 
weil  eine  grössere  Abstufung  —  müssen  ja  die  vier  Accente 
unter  einander  verschieden  sein  —  vom  Ohr  nicht  gefasst 
werden  kann.* 

2t](ieTöv  bedeutet  einfach  den  Accent,  welcher  die  Grup- 
pierung der  Empfindung  bemerkbar  macht,  und  hat  an  sich 
mit  einer  Takteintheilung  nichts,  mit  dem  Taktschlag  aber 
nicht   das  Mindeste  zu  thun.8    Es   ist  auch  unmöglich,    dass 


1  Theorie  der  musischen  Künste,  111/j  Bd.,  p.  1. 

*  Vgl.  Theorie  der  musischen  Künste,  I.  Bd.,  p.  110  ff. 

*  Man  beachte  die  wundervollen  Rhythmen  Beethoven's  in  seinen  Scherzis 
der  Symphonien,    die  trotz  des  dreischlägigen  Taktes  (*/4)  häufig  zwei- 


8 


III.  Abhandlung:    Kühnert. 


arjiietov,  wie  Dr.  Baumgart  will,  den  XQdvog  itQ&rog  bezeichne. 
Der  Daktylus  hat  mindestens  vier  Chronoi  protoi,  aber 
nur  zwei  Accente  (Semeia). 

Nehmen  wir  ein  Beispiel  aus  unserer  Poesie  und  zwar: 
Im  Hexameter  steigt  des  Springquells  flüssige  Säule, 

_  —   I    W      *-/       •  I  I       W    V-/       I       KS 


Hier  ist  der  XQÖvoq  TtQ&vog  die  Kürze  ^.  FLobg  davv&eTOQ  ist 
jeder  einzelne  Versfuss,  dem  eine  &t<Hg  und  ÜQGig  zukommt.1 
Als  nötig  ovvd'€TOs  treten  hier  auf:  ,1m  Hexameter  steigt'  und 
,des  Springquells  flüssige  Säule'.  Im  ganzen  Distichon  ist 
nun  wieder  der  Hexameter  wie  der  Pentameter  rtobg  avv&ezog. 

Wir  erhalten  also  folgende  übersichtliche  Gruppierung: 

■ 

V  A 

Im  Hexameter  steigt  des  Springquells  flüssige  Säule 


Accente  l.  Ordnung      &    a 


'  I    ' 

—  w  \j  \    _       — 

1.  XQÖvoi  noSixol 

&    a     i  &      a  \     S      a 


w  ks 


&  a 


&  a   =  noösq  da&v&eto* 


Accente  2.  Ordnung 


=ss  nödeg  <röv&£T(u 


2.  X^.  ^o*o„«c  »«i  {  }  s  ?  JK  So! 


Accente  3.  Ordnung  a  &  =  noifg  <r6v&fzo$ 

zu   12  XQ^V0L  noSutol  aus  den  einzelnen  Verstössen   und  zu  2  aij/LLtta  als 

Fuss  (im  grossen  Rhythmus)  an  sich.1 

So  wird  auch  klar,  was  Aristoxenus  sagt:3  ,Durch  das  eben 
Vorgetragene  darf  man  sich  aber  nicht  zu  der  irrigen  Meinung 
verleiten  lassen,  als  ob  ein  Fuss  nicht  in  eine  grössere  Anzahl 
von  Theilen  als  vier  zerfalle.  Vielmehr  zerfallen  einige  Fiisse 
in  das  Doppelte  der  genannten  Zahl,  ja  in  ihr  Vielfaches.  Aber 
nicht  an  sich  zerfilllt  der  Fuss  in  solche  grössere  Menge,  son- 
dern  die  Rhythmopöie  ist  es,  die   ihn  in  derartige  Abschnitte 


schlägig  sind,  z.  B.  in  der  IV.  B-Dur.,  Qiaig  wie  &Qctv<;  sind  jedes  ein 
G7\(jlüov,  ein  Zeichen,  das  uns  den  Rhythmus  fühlbar  macht. 

1  Thesis  und  Arsis  sind  hier  auf  Grund  der  Untersuchungen  Westphals 
(Theorie,  Bd.  I,  p.  103  ff.)  auch  in  der  Prosodik  sowie  in  der  Musik  ge- 
nommen, dass  Thesis  den  schwerbetonten,  Arsis  den  leicht  betonten 
Theil  nieint. 

8  Theorie,  I.  Bd.,  p.  122,  123. 

•  Theorie  der  musischen  Künste,  Bd.  I,  p.  118;  vgl.  auch  Bd.  HI/,,  p.  167  ff. 


XJeber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  9 

zu  zerlegen  heisst.  Die  Vorstellung  hat  nämlich  auseinander 
zu  halten:  einerseits  die  das  Wesen  des  Fusses  wahrenden 
Accente  (Semeia),  andererseits  die  durch  die  Rhythmopöie 
bewirkten  Zertheilungen  (Semeia).  Und  dem  Gesagten  ist  hin- 
zuzufügen, dass  die  Accente  (Semeia)  eines  jeden  Fusses  überall 
wo  er  vorkommt,  dieselben  bleiben,  sowohl  der  Zahl  als  auch 
dem  Megethos  nach,  dass  dagegen  die  aus  der  Rhythmopöie 
hervorgehenden  Zertheilungen  eine  reichere  Mannigfaltigkeit 
gestatten. 

Nach  Hanslick l  ist  der  Rhythmus  eine  Einheit,  zu  welcher 
aufeinander  folgende  Zeittheilchen  sich  zusammenfassen  und 
ein  anschauliches  Ganze  bilden. 

Hauptmann8  nennt  das  stetige  Mass,  wonach  die  Zeit- 
messung geschieht,  Metrum,  Rhythmus  die  Art  der  Bewegung 
in  diesem  Masse. 

Nach  diesen  Definitionen  schon  könnte  man  sagen,  dass 
jeder  der  betreffenden  Herren  empfand,  wo  Rhythmus  sei, 
wenige  jedoch  in  der  Lage  waren,  das  Wesen  des  Rhythmus 
anzugeben.  Wer  aber  nach  Durchlesung  derselben  angeben 
sollte,  was  Rhythmus  sei,  dürfte  höchstens  sich  zur  Antwort 
herablassen:  ,Rhythmus  ist  Rhythmus/  Diese  Schwierigkeiten 
werden  noch  vermehrt,  wenn  man  auf  den  sprachlichen  Ge- 
brauch des  Wortes  Rhythmus  sich  beziehen  will. 

So  sagt  man  z.  B. :  ,Steht  die  Hebung  vor  der  Senkung, 
so  ist  der  Rhythmus  des  Versfusses  fallend.  Steht  aber  die 
Senkung  vor  der  Hebung,  so  ist  der  Rhythmus  steigend/  So  hat 
/Treue*  einen  fallenden,   ,bewusst'  einen  steigenden  Rhythmus. 

^Rücksichten  auf  Wohlklang  und  Rhythmus  sowie  auf  die 
Anknüpfung  des  Satzes  (in  der  Prosa)  gestatten  Abweichungen 
von  der  geraden  Wortfolge  (Inversionen)/ 

Berlioz3  sagt  an  einer  anderen  Stelle:  ,Dieser  Rhythmus 
besteht  einzig  und  allein  aus  einem  Daktylus,  dem  ein  Spon- 
deus  folgt,  und  wird  ununterbrochen  bald  dreistimmig,  bald 
einstimmig,  dann  wieder  von  allen  Stimmen  zugleich  fort- 
geführt/ 


1  Ed.  Hanslick,  Vom  musikalischen  Schönen.  VI.  Aufl.,  p.  162. 

*  M.  Hauptmann,  Die  Natur  der  Harmonik  und  der  Metrik.  II.  Aufl.,  p.  211. 

*  1.  c.  p.  52. 


10  IH.  Abhandlung:    Kühnert. 

Bezüglich  des  Chinesischen  sagt  v.  d.  Gabelentz:1  ,Gerne 
werden  mehrere  Sätze  von  gleicher  Silbenzahl  aneinander  ge- 
reiht, zumal  viersilbige.  Nor  erwarte  man  nicht,  dass  der  an- 
genommene Rhythmus  in  eintöniger  Weise  ununterbrochen 
herrsche.  Der '  Rhythmus  ist  theils  einfach,  d.  h.  aus  je  gleich- 
langen Sätzen  bpstehend,  theils  zusammengesetzt,  d.  h.  derartig, 
dass  Sätze  von  verschiedener  Silbenzahl  in  gleicher  Reihen- 
folge wiederkehren.  Folgende8  Satztheile  dürfen  bei  Messung 
des  Rhythmus  ungezählt  bleiben  (sie !),  also  überzählig  sein, 
ohne  den  Rhythmus  zu  stören:  satzeröffnende  Conjunctionen, 
Adverbien,  Interjectionen ,  die  Negation  >^  put,  wenn  der 
Parallelsatz  an  dieser  Stelle  einen  positiven  Ausdruck  hat;  im 
Allgemeinen  alle  Satztheile,  welche  in  den  folgenden  Gliedern 
stillschweigend  weiter  wirken/ 

,Was  der  Ton  dem  Worte,  ist  der  Rhythmus  dem  Satze/ 
heisst  es  bei  Wade,4  wogegen  Mateer6  erklärt:  ,Unter  rhyth- 
mischer Emphase  des  Satzes  ist  verstanden  der  relative  Grad 
der  Emphase,  welcher  den  einzelnen  Wörtern  gegeben  wird, 
ihre  Vertheilung  in  Gruppen,  und  die  Schnelligkeit  oder  Lang- 
samkeit, mit  welcher  sie  einzeln  gesprochen  werden.' 

Premare6  vergleicht  in  seiner  bisher  nicht  übertroffenen, 
dem  Sprachgeiste  völlig  adäquaten  Erläuterung  des  Chinesischen 
den  Rhythmus  mit  den  Versen  in  der  französischen  Poesie, 
welche  freie  und  gemischte  genannt  werden,  weil  nach  dem 
Wohlgefallen  des  Dichters  längere  mit  kürzeren  untermischt 
sind.  Er  vergleicht  ihn  mit  dem  numerus  oratorius  und  ftihrt 
zur  Erläuterung  Cicero's  Stelle  an :  O  singularem  sapientiam 
judices  etc. ;  deutet  darauf  hin,  dass  ein  Element  des  Rhythmus 
in  dem  Verhältniss  der  Betonungen  ping  und  tse  zu  suchen 
sei,  welche  ähnlich  wie  die  Quantität  der  Silben  bei  der  an- 
tiken Metrik  und  Poesie  den  Rhythmus  bestimmen,  und  schliesst 
mit  dem  Satze:  Frustra  hie  adderem  minuta  praeeepta  multa- 


1  Gabelentz,  G.  v.  d.  Grammatik,  p.  344. 

*  1.  c.  p.  619,  §.  1454. 

"  1.  c.  p.  520,  §.  1466. 

4  Tzu  erh  chi,  Vol.  I,  p.  9.  II.  Aufl. 

B  C.  W.  Mateer,  A  course  of  mandarin  lessons,  p.  XX. 

0  Premare,  Notitia  linguae  sinicae,  Malacca  1831,  p.  190 — 192. 


Ueber  den  Bhjthmus  im  Chinesischen.  1 1 

que   in  variis  ad  exempla  quae   proferam   notis  longe  melius 
insinuabuntur  et  clarius  per  ipsamet  exempla  intelligentnr. 

Dies  dürfte  an  Citaten  über  den  Rhythmus  im  Chinesi- 
schen genügen,  um  zu  zeigen,  dass  auch  hierin  von  dem 
eigentlichen  Wesen  des  Rhythmus  in  den  seltensten  Fällen 
gehandelt  wird. 

Bezüglich  der  zunächst  zur  Frage  kommenden  Bedeutung 
der  Sprachrhythmik  sagt  treffend  Hauptmann:1  ,Die  Sprach- 
rhythmik an  sich,  von  der  Metrik  abgesehen,  ist  in  ihren 
Quantitätsnuancen  vergleichbar  der  Sprachmelodie,  der  Wort- 
und  Silbenbetonung  in  Absicht  auf  Höhe  und  Tiefe  des  Klanges. 
So  wenig  als  diese  in  harmonischer  Intervallbestimmung  dar- 
zustellen sein  würde,  wiewohl  sie  eben  auch  den  Sprachton 
sich  heben  und  senken  lässt;  ebenso  wenig  ist  eine  Bestimmung 
festzusetzen  für  die  unendlichen  Abstufungen  und  Uebergänge, 
in  welchen  der  Rhythmus  der  Redetheile  sich  den  rein 
metrischen  Formen  nähert,  mit  ihnen  zusammentrifft  und  wieder 
von  ihnen  abweicht;  indem  er  in  der  gemessenen  Rede  im 
Ganzen  doch  das  Mass  hält  und  auch  in  den  Gliedern  der- 
selben eins  zu  sein  scheint. 

Es  würde  aber  geradezu  absurd  zu  nennen  sein,  wenn 
man  sich  einbilden  wollte,  ein  poetisch  belebter  Redevortrag 
müsse  oder  könne  den  mathematischen  Formbestimmungen  einer 
starren  Metrik  sich  überall  genau  anschliessen,  oder  diese  selbst 
in  aller  Strenge  darstellen.  Die  metrische  Form  ist  das  feste 
Skelett,  das  Knochengerüst,  um  welches  das  Weiche,  dem  das 
Leben  innewohnt,  sich  bildet,  in  rundenden  in  sich  selbst  über- 
gehenden Formen,  die  des  fest  bestimmten  Haltes  wohl  nicht 
entbehren  können,  diesen  selbst  aber  nicht,  oder  doch  nur  in 
verhüllenden,  in  gemilderten,  scheinbar  sich  selbst  bestimmenden 
Umrissen  erscheinen  lassen. 

Der  antike  Vers  hat  die  sprachlichen  Quantitätsbestim- 
mungen zu  seinem  formellen  Kunstelement:  Länge  und  Kürze 
der  Silben.  Der  moderne  Vers  setzt  für  die  Länge  die  accen- 
tuirte,  die  logisch  betonte  Silbe,  für  die  Kürze  die  unbetonte, 
die  accentlose.' 


1  Natur  der  Harmonik  und  Metrik,  p.  842. 


12  III.  Abhandlung:    Kuhnert. 

Durch  kritische  Beleuchtung  der  im  Vorhergehenden  ge- 
gebenen Citate  dürfte  es  möglich  sein,  mit  Bezug  auf  die 
Bedeutung  des  Wortes  Rhythmus  ($v&(i6g)  sich  das  Wesen 
desselben;  d.  i.  seine  charakteristischen  Eigentümlichkeiten  klar 
zu  machen. 

Das  griechische  Wort  Rhythmus  wurde  angewendet  in 
dem  Ausdrucke:  im  Schritt  marschieren  (iv  Qv&(i$  ßalveiv), 
im  Takte  tanzen  (iv  $v&it$  ÖQ%uo&ai),  für  die  harmonische 
Bewegung  der  ungebundenen  Rede,  den  Wohlklang  der  Rede 
(numerus  oratorius),  das  Ebenmass  der  einzelnen  Theile  eines 
Ganzen,  das  richtige,  schöne  Verhältniss  derselben  (Proportion), 
überhaupt  von  jeder  nach  einem  gewissen  Ebenmass  bestimmten 
Gestalt,  für  Charakter,  Sitte,  Gemüthsart.1  Hienach  erscheint 
das  Wort  Rhythmus  nach  jetzigem  Sprachgebrauch  in  zwei- 
facher Anwendung,  einer  engeren  und  einer  weiteren.  Einmal 
nämlich  zur  Bezeichnung  der  accentuierten  Bewegungsart 
in  einer  angenommenen  Zeiteinheit,  welch1  letztere  durch  die 
Bewegungsart  als  anschauliches  Ganzes  der  Empfindung  sich 
darstellt;  das  andere  Mal  für  das  schöne  Verhältniss  der  Theile 
eines  Ganzen,  das  sich  aus  Bewegung  zusammensetzt,  weil  die 
Anschaulichkeit  des  Ganzen  ein  richtiges  schönes  Verhältniss 
der  einzelnen  Theile  bedingt. 

In  diesem  Sinne  setzen  die  früher  gegebenen  Definitionen 
von  Hanslick  und  Hauptmann  auch  den  Begriff  des  Rhythmus  fest. 

Dass  nicht  die  Taktart  in  der  Musik  den  Rhythmus  aus- 
macht, lässt  sich  an  einem  Beispiele  sofort  erkennen.  In  der 
Tanzmusik  haben  z.  B.  Menuett,  Walzer,  Polka  Mazur  dieselbe 
Taktart,  den  3/*  Takt.  Trotzdem  wird  jeder  Tänzer  bei  den 
ersten  Klängen  im  Klaren  sein,  ob  man  eine  Menuett,  einen 
Walzer  oder  eine  Polka  Mazur  beginne.  Nicht  einmal  den 
ganzen  ersten  Takt,  geschweige  denn  das  ganze  Musikstück 
braucht  er  zu  hören,  um  darüber  zur  Entscheidung  zu  kommen. 
Da  sich  nun  diese  drei  Tänze  und  deren  adäquate  Musik  durch 
den  Rhythmus  unterscheiden,  so  kann  derselbe  nicht  durch  die 
Taktart  gebildet  werden,  einfach  deshalb,  weil  diese  bei  allen 
dreien  gleich  ist.  Eine  Gleichheit  kann  aber  nie  und  nimmer 
einen  Unterschied  bewirken. 


1  Paasow,  Griech. -deutsch.  Wörterb.  s.  v.  $v$juöe. 


Ueber  d«o  Rhythmus  im  Chinesischen.  13 

Ebenso  wenig  kann  der  Rhythmus  in  der  regelmässigen 
Wiederholung  von  Gegensätzen  bestehen. 

Der  Jambus  besteht  aus  Kürze  und  Lauge  oder  aus 
Senkung  und  Hebung.  Vom  Jambus  aber  sagen  wir,  dass  er 
steigenden  Rhythmus  hat.  Wo  ist  hier  eine  Wiederholung? 
Eine  Kürze,  eine  Länge  oder  eine  Senkung,  eine  Hebung, 
nirgends  etwas  wenigstens  nur  doppelt,  wie  es  der  Begriff  der 
Wiederholung  bedingt;  noch  mehr,  wo  ist  hier  eine  Wieder- 
holung von  Gegensätzen?  Eine  Kürze  und  eine  Länge  oder 
eine  Senkung  und  eine  Hebung  bilden  zusammen  einen  Gegen- 
satz. Wo  sind  die  absolut  erforderlichen  zwei  Gegensätze  beim 
Jambus,  wenn  in  der  Wiederholung  der  Begriff  des  Rhythmus 
läge?    Nirgends,   und    doch  hat  der  Jambus  einen  Rhythmus. 

Der  Jambus  jedoch  ist  eine  Einheit,  die  aus  zwei  auf- 
einanderfolgenden Zeittheilchen  gebildet  wird,  welche  durch 
die  Accente  (Senkung,  Hebung)  sich  der  Empfindung  als  an- 
schauliches Ganze  kundgibt. 

Im  Jambus  haben  wir  das  Gesetz,  dass  die  Kürze  vor  der 
Länge  oder  die  Senkung  vor  der  Hebung  stehen  muss.  Ein 
Wechsel  ist  infolge  dessen  vorhanden,  und  so  wäre  in  diesem 
Falle  die  oben  (p.  4)  angeführte  Definition  richtig.  Wie  ver- 
hält es  sich  aber  mit  dem  Spondeus  ? 

Nach  der  antiken  Metrik,  heisst  es,  werde  nur  nach  Quan- 
titäten gemessen,  und  daher  müsste  ein  Wechsel  langer  und 
kurzer  Silben  den  Rhythmus  bilden.  Dann  könnte  aber  der 
Spondeus  keinen  Rhythmus  besitzen,  weil  Länge  und  Länge 
kein  Wechsel  von  Länge  und  Kürze  ist.  Dessenungeachtet 
schreibt  die  antike  Metrik  dem  Spondeus  einen  Rhythmus  zu. 
Demnach  ist  die  Definition  des  Rhythmus  als  Wechsel  langer 
und  kurzer  Silben  zu  enge. 

Der  Spondeus  aber  als  Einheit  von  zwei  Längen,  auf 
deren  erste  die  Hebung,  auf  deren  zweite  die  Senkung  fällt 
oder  umgekehrt,  stellt  sich  hiedurch  der  Empfindung  als  an- 
schauliches Ganze  dar. 

Hieraus  erhellt,  dass  auch  für  die  antike  Rhythmik  der 
Accent  mit  ein  Erforderniss  ist. 

In  ähnlicher  Weise  geräth  Berlioz  mit  sich  in  Wider- 
spruch ,  wenn  er  bei  der  Analyse  des  Allegrettos  aus  der  VII. 


14  III.  AbUndlunf :    Kfthnert. 

Symphonie  Beethovens  sagt:1  ,Der  Rhythmus  besteht  einzig  aus 
einem  Daktylus,  dem  ein  Spondeus  folgt/  Dass  diese  Folge  einen 
Rhythmus  gibt,  leugnet  wohl  niemand,  dass  hier  aber  eine  sym- 
metrische Eintheilung  des  Zeitmasses  vorläge,  dürfte  kaum  ohne 
weiteres  zugestanden  werden.  Denn  eine  Länge  zwei  Kurzen 
zwei  Längen  sieht  wenigstens  nicht  symmetrisch  aus. 

Nichtsdestoweniger  liegt  in  dieser  Folge  Rhythmus,  weil 
sich  in  derselben  aufeinanderfolgende  Zeittheilchen  zu  einer 
Einheit  zusammenfassen  und  durch  die  Accente  als  anschau- 
liches Ganze  der  Empfindung  darstellen. 

Ein  sich  drehendes  Transmissionsrad  hat  Bewegung,  gibt 
aber  keinen  Rhythmus,  weil  diese  Bewegung  der  Accente 
entbehrt. 

Weiter  in  die  einzelnen  Definitionen  einzugehen,  dürfte 
überflüssig  sein,  weil  eigenes  Nachdenken  jeden  dahin  führen 
wird  und  führen  muss,  die  Richtigkeit  oder  die  Mängel  der- 
selben zu  ergründen. 

Das  Wort  Rhythmus  findet  auf  grössere  rhythmische  Ge- 
bilde gleichfalls  Anwendung.  So  sprechen  wir  von  einem  Rhyth- 
mus des  Verses,  der  Strophe,  des  Gedichtes,  vom  Rhythmus 
der  Sätze  und  Perioden  in  der  Musik.  In  allen  diesen  Fällen 
hat  man  mit  der  Definition  Hanslick's  das  Auslangen. 

Die  übliche  Bezeichnung  des  Versmasses  und  Angaben 
wie  etwa:  den  Vers  bilden  fUnffussige  Jamben,  deuten  uns  nur 
auf  den  Rhythmus  des  Versfusses,  nicht  aber  auf  den 
Rhythmus  des  Verses.  Hauptmann  sagt  daher  mit  Recht: 
,Die  gebräuchlichste  Art  das  Versmetrum  zu  bezeichnen,  wie  sie 
für  die  rhythmischen  Nuancen  einer  genauen  Unterscheidung  er- 
mangelt, befasst  sich  auch  nicht  damit,  über  die  innere  metrische 
Beschaffenheit  des  Verses  Aufschluss  geben  zu  wollen.'  Es  be- 
stehen solche  Angaben  nur  in  einer  äusseren  Zusammenzählung 
der  Glieder;  von  der  inneren  Structur  der  metrischen  Form 
ist  ganz  abgesehen,  denn  man  erfährt  durch  eine  solche  Be- 
zeichnung nicht  viel  mehr,  als  durch  die  Angabe  nach  Silben- 
zahl und  darf  die  Benennungen  eben  nur  als  Namen  für  Sachen 


1  Berlioz,  Gesammelte  Schriften,  Bd.  I,  p.  62. 
8  Natur  der  Harmonik  und  Metrik,  p.  334. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  15 

betrachten,  die  ihrem  Inhalte  and  ihrer  Eigenschaft  nach  uns 
schon  bekannt  sein  müssen/1 

Ein  fÜnfiUssiger  trochäischer  Vers  ist  es  nicht,  wenn  nur 
schlechthin  fünf  Trochäen  aneinander  gereiht  werden,  es  müssen 
noch  gewisse  Accentverhältnisse  hinzutreten,  damit  der  Vers 
sich  der  Empfindung  als  Einheit  darstellt,  mit  anderen  Worten, 
dass  der  Vers  einen  Rhythmus  erhält.  Im  ersten  Falle  haben 
wir  nur  den  fünfmal  wiederholten  Rhythmus  des  Trochäus,  im 
zweiten  jedoch  einen  fünffüssigen  trochäischen  Vers,  in  welchem 
sich  ausser  dem  fünfmal  wiederholten  Rhythmus  des 
Trochäus  noch  ein  weiterer  Rhythmus  kund  geben  muss, 
welcher  den  Vers  als  ein  anschauliches  Ganze  der  Empfindung 
markiert. 

Aus  gleichem  Grunde  kann  man  nicht  sagen:  Der  Ga- 
lopp des  Pferdes  ist  Rhythmus,  sondern  nur:  Im  Galopp  des 
Pferdes  ist  Rhythmus. 

/Treue,  Schnupfen,  Pferde,  Menschen*  bilden  keinen  vier- 
füssigen  trochäischen  Vers,  sondern  sind  nur  vier  einzelne  Tro- 
chäen; hingegen  sind: 

,Wol1te  Gott,  es  war'  vorüber' 
,Ob  die  ersten  Lerchen  schweben' 

sicher  vierfüssige  trochäische  Verse,  weil  sie  durch  die  Accente 
höherer  Ordnung  (Senkung,  Hebung),  sich  als  eine  Einheit 
und  ein  anschauliches  Ganze  der  Empfindung  fühlbar  machen. 

So  hat  z.  B.  einen  Accent  ,Gott',  es  ist  der  schwächere, 
den  zweiten  ,wär'  und  dies  ist  der  stärkere.  Aber  selbst  jeder 
dieser  Theile  gruppiert  sich  wieder  aus  zwei  Theilchen,  nämlich 
einem  mit  stärkerem  und  einem  mit  schwächerem  Accent,  und 
zwar  hat  im  ersten  Theile  ,Gott*  den  stärkeren,  , Wollte'  den 
schwächeren;  im  zweiten  Theile  ,wär'  den  stärkeren,  ,ü<  den 
schwächeren. 

Lediglich  in  diesem  Rhythmus  im  weiteren  oder  höheren 
Sinne,  ohne  den  der  Vers  nicht  Vers  sein  kann,  ist  der  Grund 
gegeben,  warum  im  sechsfiissigen  jambischen  Vers  nach  dem 
dritten  Fusse  eine  überzählige  Senkung  und  eine  Diäresis,  im 
achtfüssigen   trochäischen  Vers    nach    dem  vierten    Fuss    eine 


1  Natur  der  Harmonik  und  Metrik,  p.  317. 


16  m.  Albandhtnf :    Kübnert. 

Diäresis  stehen,  warum  im  Hexameter  im  dritten  Fuss  eine 
Cäßur  vorhanden  sein,  im  Pentameter  die  Mitte  durch  eine 
Diäresis  markiert  werden  muss.  Ohne  diese  Merkzeichen  konnten 
sie  sich  nicht  der  Empfindung  als  eine  Einheit  darstellen,  zu 
der  aufeinander  folgende  Zeittheilchen  sich  zusammenfassen 
und  ein  anschauliches  Ganze  darstellen.  Sie  hätten  keinen 
Rhythmus  im  höheren  Sinne  und  wären  sonach  keine  Verse.1 
Dass  mitunter  auch  bei  wirklichen  Dichtern  eine  Ver- 
letzung dieses  Rhythmus  im  höheren  Sinne  unterläuft,  darf 
uns  nicht  irre  machen.  Es  tritt  dies  immer  ein,  wenn  man 
zu  Gunsten  des  Versmasses  von  der  normalen  und  logisch 
geforderten  Betonung  abweichen  muss.2  Hiedurch  ergibt  sich  ein 
rhythmischer  Widerspruch,  nämlich  zwischen  dem  Rhythmus 
im  engeren  und  weiteren  Sinne,  so  z.  B.  in  Bürger's  ,Der 
Kaiser  und  der  Abt'  bei  der  Stelle:  ,Hans  Bendix  soll  ihm  nicht 
die  Schafe  mehr  hüten',  wo  eine  Verletzung  des  ästhetischen 
Gefühls  eintritt.  Die  logischen  Hauptbetonungen  müssen  un- 
bedingt auf  ,8oll'  nicht  jinehr*  fallen,  wogegen  nach  dem  Rhyth- 
mus des  Verses  die  Hauptbetonung  im  Gegentheil  auf  ,ihm' 
zu  legen  ist.  Hans  Bendix  soll  Schaf hirte  überhaupt  nicht 
mehr  sein,  nicht  aber  blos  dem  Abt  von  St.  Gallen  keine 
Schafe  mehr  hüten,  hingegen  jedoch  anderen  Leuten.  Dies 
zeigt  die  Strophe  deutlich: 

Wir  lassen  dem  Abt  von  St.  Gallen  entbieten : 
Hans  Bendix  soll  ihm  nicht  die  Schafe  mehr  hüten, 
Der  Abt  soll  sein  pflegen,  nach  unserm  Gebot, 
Umsonst  bis  an  seinen  sanftseligen  Tod. 

Genau  die  kurz  zuvor  erwähnten  Verhältnisse  treten  auch 
in  der  Musik  zu  Tage  und  müssen  zu  Tage  treten,  weil  die 
Musik   ihre  Gebilde   auf  dem  Rhythmus  im  engeren  und  wei- 


1  J.  Minckwitz,  Lehrbuch  der  deutschen  Venkunst,  p.  100  sagt:  ,Jeder  längere 
Vers  muss  eine  Cäsur  oder  einen  Einschnitt  haben.  Er  ist  für  den 
Rhythmus  wesentlich  und  hat  die  Aufgabe  zu  verhindern,  dass  diese 
Verse  in  zwei  gleiche  Hälften  zerfallen1,  d.  h.  dass  nicht  jede  Hälfte  als 
Ganzes  erscheine. 
9  Dies  trifft  natürlich  nicht  Verse  wie: 

Während  der  frischhauchende  Wind  auf  das  Topsegel  bläst, 
Sehen  die  Schiffsleute  beglückt  über  die  Meerfluth  hinaus. 
Vgl.  J.  Minckwitz,  Lehrbuch  der  deutschen  Verskunst,  p.  26,  87.  22. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  17 

teren  Sinne  aufbaut.  Man  sehe  das  Allegrefto  der  bereits 
citierten  A-Dur  Symphonie  Beethoven's.  Durch  das  accordliche 
Material  werden  die  aufeinander  folgenden  Wiederholungen  des 
sich  gleichbleibenden  Rhythmus  im  engeren  Sinne,  mit  der 
Accentuierung  des  Rhythmus  im  weiteren  Sinne  bedacht,  so 
dass  wir  folgendes  anschauliche  Ganze  des  ersten  Satzes,  d.  i. 
der  Aufeinanderfolge  von  Daktylus  Spondeus  Daktylus  Spon- 
deus erhalten. 

Durch  die  Halbkadenz  auf  dem  ersten  (Quintsextaccord) 
und  den  Ganzschluss  auf  dem  zweiten  Spondeus  werden  diese 
vier  Rhythmen  im  engeren  Sinne  zu  einer  aus  zwei  Theilen 
bestehenden  Einheit  zusammengefasst  und  derart  durch  Accente 
zweiter  Ordnung  markiert,  dass  die  beiden  Theile  im  Verhältniss 
von  Frage  zu  Antwort  also  von  Hebung  zu  Senkung  stehen. 
Durch  den  Bassgang  ergeben  sich  Accente  dritter  Ordnung. 
Nämlich  der  erste  Daktylus  steht  zum  ersten  Spondeus  im  Ver- 
hältniss von  Senkung  zu  Hebung,  ebenso  der  zweite  Daktylus 
zum  zweiten  Spondeus. 

Das  Charakteristische  des  Rhythmus  besteht  so- 
nach in  der  Aufeinanderfolge  einzelner  als  solcher 
erkennbarer  Theile,  die  durch  die  Accentuierung  sich 
zu  einer  Einheit  für  die  Empfindung  gruppieren.  Die 
Erkennbarkeit  der  einzelnen  Theile  wird  erreicht  durch  im 
Verhältniss  zu  einander  längere  oder  kürzere  Dauer  derselben 
und  durch  Accente  verschiedener  Ordnungen.1 

Dieses  Charakteristische  eignet  auch  dem  oratorischen 
Numerus,  der  natürlichen  Harmonie  des  Stils,  und  daher  kann 
man  auch  von  einem  Rhythmus  in  der  Prosa  reden.  Wohl- 
klang ist  die  Seele  guten,  will  sagen  schönen  Stiles  und  zwar 
Wohlklang  in  einzelnen  Wörtern  und  Wortfügungen  (Eupho- 
nie), Wohlklang  in  Perioden  und  deren  Gliedern  (Numerus 
oder  Rhythmus).  Dieser  Wohlklang  der  Rede  wird  bei  unseren 
europäischen  Sprachen  befördert  durch  ein  schönes  Verhältniss 
zwischen  Vocalen  und  Consonanten,  zwischen  einsilbigen  und 
mehrsilbigen  Wörtern,  zwischen  kürzeren  und  längeren  Satz- 
gefügen, durch  das  schöne  Verhältniss  schneller  zu  sprechender 


1  Vgl.  Theorie    der    musischen   Künste    der  Hellenen.    A.   Rossbach    und 
B.  Westphal,  Bd.  I,  p.  42. 
ßitzungBbw.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  3.  Abb.  2 


18  HL  Abhandlung:    Kfthntrt. 

and  flüchtiger  zu  berührender  Wortgruppen,  Satztheilen  u.  s.  w. 
zu  solchen,  auf  welchen  die  volle  Wucht  des  Gedankens,  des 
Tones,  der  Stimmerhebung  feilt.1  Welch  schönen  Rhythmus 
haben  nicht  die  folgenden  Zeilen  Matthisson's:  ,Nur  einmal 
möcht'  ich,  eh  in  die  Schattenwelt  Elysiums  mein  seliger  Geist 
sich  senkt,  die  Flur  noch  segnen,  wo  der  Kindheit  himmlische 
Träume  mein  Haupt  umschwebten/ ' 

Wir  unterscheiden  in  unseren  europäischen  Sprachen  den 
Silbenaccent,  die  Dauer  der  einzelnen  Silben  markierend,  ob 
scharf  oder  schwach  geschnitten;  zur  Fixierung  des  Begriffes 
den  Wortaccent,  als  Hervorhebung  der  logisch  geltenden  Silbe 
(Hochton)  durch  Hebung,  Tonstärke  und  längere  Dauer  der- 
selben (grammatischer  Accent);  den  Satzaccent  als  Hervor- 
hebung des  logisch  wichtigen  Wortes  im  Satze  durch  grössere 
Tonstärke  als  Charakteristik  der  Satzarten  (oratorischer  Accent) 
und  zum  Ausdruck  der  verschiedenen  Affecte  des  Sprechenden 
'  (pathetischer  Accent)  durch  Tonhöhe  und  Dauer  (Satzmelodie). 
Alle  diese  Accente  nehmen  theil  an  der  Bildung  des  Rhythmus. 

Das  Charakteristische  des  Rhythmus  eignet  auch  der  chine- 
sischen Sprache,  wird  vom  Chinesen  als  solches  aufgefasst,  wes- 
halb er  die  Begriffe  Stil  der  Rede,  Rhythmus,  Melodie  mit  einem 
und  demselben  Charakter  |£|  diao  bezeichnet.  Vom  gewöhn- 
lichen Satze  in  der  Umgangssprache,  bei  dem  sich  infolge  der 
logischen  Accente  (Senkung,  Hebung,  Tonstärke)  der  schneller 
oder  langsamer  zu  sprechenden  Worte  mit  Rücksicht  auf  jene, 
der  schicklichen  Wahl  der  Worte  in  Bezug  auf  die  jedem  ein- 
zelnen Worte  zukommenden  Shengs,  ein  Wogen  und  Wallen 
bemerkbar  macht,  also  ein  Rhythmus  in  der  Rede  schon  fühl- 
bar ist  bis  zu  den  sublimsten  Gebilden  schönen  Stils,  in  denen 
der  Rhythmus  im  engeren  und  weiteren  Sinne  eine  wichtige 
Rolle  spielt,  überall  bekundet  sich  ein  der  Empfindung  sich 
aufdrängendes,  anschauliches  Ganze  aufeinanderfolgender  Zeit- 
theilchen.  Der  Rhythmus  ist  organisch  verbunden  mit  der  chine- 
sischen Sprache. 

Der  einfachste  Satz  wie  etwa:  ,Dies  ist  nicht  mein  Fehler* 
hat  oft  im  Chinesischen  einen  Rhythmus,  wie  wir  Europäer  ihn 


1  Schleintnger,  Grundzüge  der  Beredsamkeit,  p.  164.  • 

*  Alc&iflche  Strophe. 


Üeber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  19 

nur  in  unserer  gebundenen  Rede  anwenden;  ja  selbst  einzelne 
Ausdrucke  für  einen  Begriff  z.  B.  tschän-tschän-tschlng-tschlng-ti 
für  ,zitternd',  höei-tschjü  für  ,heimkehren'  weisen  einen  solchen 
auf.  Dies  wird  jeder  aus  Erfahrung  bestätigen ,  der  unter  An- 
leitung eines  Chinesen  die  Sprache  studierte,  wenn  er  sich  der 
Mühe  erinnert,  welche  sich  der  betreffende  Chinese  gab,  damit 
der  Europäer  genau  seinen  Rhythmus  nachahmte,  ohne  den  eben 
derartige  Ausdrücke  absolut  unverständlich  sind.  Man  kann 
allerdings  in  solchen  Fällen  beim  schriftlichen  Gedankenausdruck 
den  Rhythmus  nur  durch  Analoga  aus  bekannten  Sprachen  oder 
noch  besser  durch  notliche  Darstellung  beschreiben.1  Das  chine- 
sische Aequivalent  des  früher  erwähnten  Satzes  ,Dies  ist  nicht 
mein  Fehler'  offenbart  einen  Rhythmus,  der  völlig  identisch  ist 
mit  jenem  der  folgenden  deutschen  Worte:  Der  Altar  prangte 
im  Glanz. 

Oder  sollte  jemand  zweifeln,  dass  dieser  deutsche  Satz 
einen  Rhythmus  hat? 

Es  ist  ein  regelrechter  vierflissiger  daktylischer  Vers,  der 
durch  eine  Diäresis  in  zwei  Hälften  getheilt  wird.  Jede  Vers- 
hälfte ist  unvollzählig  und  hat  einen  männlichen  Schluss.  Der 
erste  Versfuss  ist  ein  Spondeus,  wie  solcher  stets  für  einen 
Daktylus  eintreten  kann.  In  der  ersten  Vershälfte  fällt  der 
schwächere  ^Accent  auf  ,der',  der  stärkere  auf  ,tar',  in  der 
zweiten  Hälfte  der  schwächere  auf  ,prang',  der  stärkere  auf 
,Glanz'.  Die  erste  zur  zweiten  Hälfte  steht  im  Verhältniss  von 
Senkung  zu  Hebung,  da  die  Accente  der  zweiten  Hälfte  stärker 
sind  als  jene  der  ersten.  So  haben  wir  denn  nach  der  üblichen 
metrischen  Bezeichnung  folgendes  rhythmisches  Gebilde: 

1  ^  I  >  II  v  w  w  |    >_  • 
So  wie  nun  im  modernen  Vers  der  Rhythmus  durch  die 
logischen  Accente   entsteht,   sind   diese   auch  mit  Ursache 
des  Rhythmus  im  Chinesischen. 

1  So  ist  der  Rhythmus  für  tschan  tschan  tsching  tschingti: 


s  Oder  deutlicher  in  Notenschrift: 


El J  J  U  MH  J^PTI 


,8* 


20  UI.  Abkaadhuf :    K«hn«ri. 

Demnach  ist  es  vollständig  zutreffend,  wenn  Mateer  sagt: 
,Unter  Rhythmus  des  Satzes  im  Chinesischen  ist  verstanden: 
der  relative  Qrad  der  Emphase,  welcher  den  einzelnen  Worten 
gegeben  wird,  ihre  Vertheilung  in  Gruppen  und  die  Schnellig- 
keit und  Langsamkeit,  mit  welcher  sie  einzeln  gesprochen 
werden/ 

Dieser  Rhythmus  des  einfachen  Satzes  ffthrt  zu  den 
rhythmischen  Gebilden  im  Stil,  die  dann  einen  Rhythmus  im 
weiteren  Sinne  darstellen.  Von  letzterem  —  freilich  blos  in 
derselben  unbestimmten  Ausdrucksweise,  wie  in  der  Prosodik 
unserer  Sprachen,  wo  nur  von  einer  Abzahlung  der  Silben  die 
Rede  ist,  nicht  aber  von  der  innersten  Structur,  dem  eigent- 
lichen Wesen  des  Rhythmus  —  handeln  die  anderen  rücksicht- 
lich  des  Chinesischen  angeführten  Citate  wie:  ,Gerne  werden 
mehrere  Sätze  von  gleicher  Silbenzahl  aneinandergereiht,  zumal 
viersilbige.  Nur  erwarte  man  nicht,  dass  der  angenommene 
Rhythmus1  in  eintöniger  Weise  ununterbrochen  herrsche/ 

Hier  ist  Rhythmus  im  engeren  Sinne  analog  dem  Rhyth- 
mus des  Verstosses  genommen.  So  wenig  aber  vier  Längen 
oder  vier  Kürzen  an  sich  ein  Rhythmus  sind,  weil  sie  erst 
durch  die  Accentuierung  sich  der  Empfindung  fühlbar  machen, 
und  so  wenig  —  wie  oben  erläutert  —  fünf  willkürlich  an- 
einandergereihte Trochäen  einen  fUnfiEÜssigen  trochäischen  Vers 
geben ;  ebensowenig  ist  die  blosse  Aneinanderreihung  beliebiger 
vier  Schriftzeichen  oder  Silben  im  Chinesischen  ein  Rhythmus 
im  engeren  Sinne,  noch  weniger  aber  ist  die  blosse  Aufeinander- 
folge von  viersilbigen  Sätzen  ein  Rhythmus  im  weiteren  Sinne. 
Denn  hätte  auch  jeder  einzelne  der  viersilbigen  Sätze  einen, 
z.  B.  den  vierschlägigen  Rhythmus,  ja  hätten  alle  aufeinander- 
folgenden Sätze  den  gleichen  vierschlägigen  Rhythmus,  so  könnte 
man  einem  derartig  losen  Gefüge  ebensowenig  Rhythmus  zu- 
sprechen, wie  den  früher  erwähnten  Trochäen:  Treue,  Schnupfen, 
Pferde,  Menschen;  denn  es  wäre  nur  eine  x-malige  Wiederholung 
des  gleichen  vierschlägigen  Rhythmus,  die  das  chinesische  Ohr 
ebenso  beleidigen  würde,  wie  unsere  Ohren  der  Satz:  ,Manche 


1  Also  der  vierschlägige ,  somit  wird  die  Verbindung  von  vier  Silben  ein 
Rhythmus  genannt  und  nicht  die  Wiederholung  von  je  vier  Silben  als 
Rhythmus  bezeichnet. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  21 

Menschen  klagen  immer  über  ihre  Leiden  ohne  deren  wahre 
Quelle  zu  erforschen/  in  welchem  ein  Rhythmus  wiederholt  wird, 
dem  aber  als  Ganzes  betrachtet  Rhythmus  abzusprechen  ist. 

Man  hatte  diesen  Mangel  in  der  Auffassung  des  Wortes 
wohl  gefühlt  und  darum  als  Auskunftsmittel  zur  Einführung 
des  Parallelismus1  gegriffen,  den  man  als  Vereinigung  von 
Rhythmus  und  Antithese  angibt.  Dies  ist  aber  unnöthig.  Der 
richtige  Begriff  des  Rhythmus  (im  engeren  und  weiteren  Sinne 
nämlich)  umschliesst  Alles  von  derartigen  Erscheinungen.  Ueber- 
haupt  kennt  der  Chinese  nur  den  Rhythmus,  und  eine  einfache 
Wiederholung  eines  niederen  Rhythmus  ist  im  Chinesischen 
ebenso  verpönt  wie  im  Deutschen,  also  brauchte  man  für  den 
Rhythmus  im  weiteren  Sinne  nicht  das  Wort  Parallelismus, 
scheinbar  als  neuen  Begriff  einzuführen. 

Wie  bemerkt  und  wohl  selbstverständlich  ist,  basiert  der 
Rhythmus  im  Chinesischen  auf  der  Sprechweise.  Würde  jedes 
einsilbige  Wort  gleich  lang  ausgesprochen  und  hätte  ein  solches 
lediglich  nur  die  ihm  logisch  nothwendige  Stimmbiegung  (den 
Sbeng)  nicht  aber  noch  einen  weiteren  Accent,  dann  könnte 
das  Chinesische  überhaupt  keinen  Rhythmus  haben  oder,  wenn 
man  die  Accente  zugibt,  nur  einen  spondeischen.  Da  aber  die 
Empfindung  uns  belehrt,  dass  das  Chinesische  über  die  mannig- 
fachsten Rhythmen  verfügt,  so  muss  nach  dem,  was  über  Rhyth- 
mus gesagt  wurde,  ein  Unterschied  zwischen  schnellerer  und 
langsamerer  Bewegung,  ein  Unterschied  in  der  Accentuierung 
vorhanden  sein.  Dies  kann  im  Chinesischen  aber  nur 
ebenso  wie  im  modernen  Versbau  durch  die  logischen 
Accente  erreicht  werden  und  durch  das  Verhältniss  der 
einzelnen  Stimmbiegungen,  und  zwar  namentlich  der 
beiden  sich  gegenüberstehenden  Hauptstimmbiegungen 
Ping  undTse,  durch  welche,  wie  die  Chinesen  lehren,  ein 
analoges  Verhältniss  zum  Ausdruck  kommt,  wie  das  von  Länge 
und  Kürze. 

Man  huldigt  in  Europa  meist  der  Ansicht,  das  Chinesische 
müsse,   da  es  der  Hauptsache   nach   eine  einsilbige  Sprache 


1  Was  die  Chinesen  «f  Bjg  dh'i  Um  nennen,  ist  ganz  etwas  anderes  als 
was  in  dieser  Angabe  unter  Parallelismus  verstanden  wird.  Davon 
später. 


22  m.  iUioAuc:    Kftfcn«rft. 

ist,  abgehackt  klingen.  Das  (iegentheil  aber  trifft  das  Rich- 
tige. Wenn  zwei  Chinesen  mit  einander  sprechen,  klingt  das 
Gespräch  ebenso  melodisch  und  flieset  gleichfalls  im  ununter- 
brochenen Strome  dahin,  wie  in  den  europäischen  Sprachen. 
Ja  noch  mehr,  das  Chinesische  klingt  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  musikalischer  als  die  europäischen  Sprachen.  Hierin  mag 
auch  der  Grund  liegen,  dass  die  Harmonie  der  chinesischen 
Musik  fremd  ist,  geradeso  wie  wir  bei  den  Italienern  wohl  den 
bei  canto,  aber  keine  ausgebildete  Harmonik  finden. 

Die  Shengs,  oder  wie  man  auch  sagt  die  Töne,  welcher 
sich  das  Chinesische  zur  Charakterisierung  für  einen  bestimmten 
Begriff  einer  Silbe  bedient,  geben  bereits  einen  Unterschied  in 
der  absoluten  Dauer  der  einzelnen  Worte.  Sämmtliche  Tse- 
sheng  sind  im  V erhält niss  zu  den  Ping-sheng  kurz,  trotzdem 
besteht  unter  den  einzelnen  Tse-sheng  ein  wesentlicher  Unter- 
schied in  der  Datier  des  Klanges. 

Beim  Ping-sheng  hallt  die  Stimme  gleichmässig  aus  — 
wie  ich  in  meinem  Artikel  über  die  Sheng  bereits  erwähnte1  — ; 
beim  Shang-sheng  setzt  die  Stimme  kräftig  und  plötzlich  ein 
und  steigt  mit  einer  gewissen  Schnelligkeit,  der  Kjü-sheng  setzt 
klar  und  ausgesprochen  ein  und  nimmt  hastig  an  Stärke  ab, 
sich  gleichsam  in  der  Ferne  verlierend.  Beim  Aju-sheng  bricht 
die  Stimme  kurz  und  plötzlich  ab,  um  sich  gleichsam  in  sich 
zu  verbergen.  Hieraus  zeigt  sich  schon,  dass  die  Betonungen 
Ping  und  Tse  nahe  im  Verhältniss  von  schwach  und  scharf 
geschnittenen  Silben  unserer  Sprache  stehen,  dass  jedoch  be- 
züglich der  schwach  geschnittenen  zwei  Grade  der  Dauer, 
bezüglich  der  scharf  geschnittenen  drei  Grade  der  Dauer  im 
Chinesischen  unterschieden  werden.  Es  sind  also  zweifelsohne 
die  Shengs  ein  Analogon  unseres  Silbenaccentes.  Und  nach- 
dem der  Chinese  sagt :  ^p  JJ^  ^  =p|  die  Ping  und  Tse  stehen 
(hier)  in  keinem  rhythmischen  Verhältniss,  von  einer  Stelle, 
bei  welcher  ein  schönes  Verhältniss  der  Ping  und  Tse  nicht 
obwaltet,  so  folgt  doch  daraus,  dass  die  Unterschiede  der  Ping- 
und  Tse-sheng  zur  Hervorbringung  des  Rhythmus  benützt 
werden. 


1  S.  Wiener  Zeitechr.  f.  d.  Kunde  des  Morgenlandes,  Bd.  VIII,  p.  30S  Anin. 


Utber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  23 

Aber  das  Chinesische  besitzt  auch  ein  Analogem  des  Wort- 
accentes.  Auf  den  ersten  Blick  könnte  es  scheinen,  als  ob 
hier  ein  Widersprach  mit  der  Einsilbigkeit  der  chinesischen 
Sprache  vorliege.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Unser  Wortaccent 
hat  den  Zweck  die  logisch  geltende  Silbe  herauszuheben  wie 
in:  gäbet  und  Geb^t.  Und  diesen  Zweck  hat  auch  das  Ana- 
logon  im  Chinesischen.  Wie  oben  (p.  19)  bereits  hingewiesen, 
gibt  es  im  Chinesischen  für  bestimmte  Begriffe  Ausdrücke,  die 
sich  aus  mehreren  chinesischen  Worten  zusammensetzen.  Von 
diesen  zu  einer  begrifflichen  Einheit  sich  zusammen* 
fassenden  Worten  hat  dasjenige,  auf  welches  das  logische 
Hauptgewicht  ftdlt,  den  Hauptton.  So  in  ,Heimkehren'  hoei- 
9Jä?  3)ä  entsprechend  dem  deutschen  Heim. 

Da  also  hier  das  logisch  wichtigste  Wort  dieser  zu- 
sammengesetzten Ausdrucksweise,  eben  wegen  seiner  logischen 
Bedeutung  den  Hauptton  erhält,  dieser  Accent  aber,  welchen 
einzelne  Theile  (Worte)  einer  solchen  begrifflichen  Einheit 
ausser  dem  Sheng  erhalten,  stets  und  immer  an  dem  be- 
stimmten Worte  dieser  Zusammensetzung  haftet  und  zwar 
auch  isoliert  von  jedem  Satzzusammenhange,  so  kann 
und  darf  man  ihn  dem  Wortaccente  unserer  Sprachen,  dem 
eine  analoge  Bedeutung  zufällt,  vergleichen.1  Es  lässt  sich  für 
die  Bepechtigung  der  Anwendung  des  Ausdruckes  ,  Wortaccent' 
auf  das  Chinesische  direct  ein  schlagender   Beweis  erbringen. 

Entsprechend  unserem  fragenden  ,  welcher?'  gebraucht 
der  Chinese  ^  ||£,  das  shen-mo*  (pek.  8hen*-mol)  zu  transcri- 
bieren  wäre.  Thatsächlich  spricht  der  Chinese  diese  Verbindung 
y9ch6mmoi  aus,  wie  wir  dieses  zweisilbige  Wort  aussprechen 
würden.  Er  assimiliert  sonach  das  schliessende  n  von  shen  dem 
anlautenden  m  von  mo,  und  dies  ist  in  der  innigen  Ver- 
schmelzung dieser  zwei  Worte  zu  einem  Ausdruck  durch 
die  lautphysiologischen  Gesetze  begründet. 

Daraus  kann  nicht  gefolgert  werden,  dass  das  Chinesische 
eine  polysyllabische  Sprache  sei,  noch  weniger  aber,  dass  die 
Anwendung  des  Ausdruckes  Wortaccent  mit  dem  Monosylla- 
bismus  des  Chinesischen  im  Widerspruch  stehe. 


1  Vgl.  MOllendorff,  Prakt.  Anleitung  zur  Erlernung  des  Hochchinesiflchen, 
p.  153. 


24  HI.  Abhandlung:    Kühnert. 

Monosyllabisch  ist  das  Chinesische  auch  heutzu- 
tage, und  auch  in  Bezug  auf  solche  Zusammensetzungen  zu 
einer  begrifflichen  Einheit  insoferne,  ab  jede  Silbe  für 
sich  noch  gegenwärtig  einen  Begriff  ausdrückt  und  als 
Wort  für  sich  angewendet  werden  kann.  Nicht  bo  bei  un- 
seren Sprachen.  Setze  ich  einfach  ,Gebet*  an,  so  wird  Jeder- 
mann beim  Sprechen  dies  in  gebet  trennen.  Durch  den  Wort- 
accent  hingegen  wird  uns  fühlbar  gemacht,  dass  flir  ,g£bet'  der 
begrifflichen  Einheit  nach  in  geb-et,  für  ,GebeY  in  ge-bet  zu 
trennen  ist.  Von  den  beiden  Silben  jedes  dieser  zwei  Worte  ist 
je  eine  Silbe  jeder  selbstständigen  begrifflichen  Bedeutung  nach 
dem  heutigen  Sprachgefühle  bar.  So  ist  in  göbet  die  Flexions- 
silbe ,et'  isoliert  bedeutungslos  im  Sprachgefühl,  ingleichen  ,ge' 
in  Gebebt.  Aber  noch  mehr,  obwohl  wir  den  begrifflichen  Gehalt 
je  nachdem  der  Silbe  ,geb'  oder  ,bet'  zuweisen,  ist  doch  keine 
derselben  als  selbstständiges  Wort  bei  der  sprachlichen  An- 
wendung im  Gebrauch,  jederzeit  muss  hier  noch  eine  weitere 
Silbe  zur  sprachlichen  Fixierung  des  Begriffes  hinzukommen. 
Und  darin  liegt  der  wesentliche  Unterschied  zwischen  den 
chinesischen  zusammengesetzten  Ausdrücken  und  dem 
Polysyllabismus  unserer  Sprache. 

Wollte  man  jedoch  das  Chinesische  wegen  der  häufigen 
innigen  Zusammensetzung  zweier  oder  mehrerer  einsilbigen 
Worte  zum  Ausdruck  eines  Begriffes  mehrsilbig  nennen,  dann 
müsste  man  das  Deutsche  nicht  eine  mehrsilbige,  sondern 
eine  mehrwortige1  Sprache  nennen. 

Man  sollte  meinen,  derartiges  speciell  hervorzuheben,  wäre 
,Eulen  nach  Athen  tragen',  praktische  Erfahrung  jedoch  hat 
mir  gezeigt,  dass  die  Betonung  dieser  Verhältnisse  eine  Not- 
wendigkeit sei. 

Rhythmus  ist  die  Seele  der  chinesischen  Sprache  und  in 
ihm  liegt  das  Gegengewicht  gegen  die  Monotonie  der  Ein- 
silbigkeit.    Der   Rhythmus    fast   ausschliesslich    —    und    zwar 


, Heimkehren'  ist  eine  Wortzusammensetzung  aus  Heim  und  zurückkehren 
für  ,nach  dem  Heim  zurückkehren*.  Das  chinesische  hoH-gj&  ist  genau 
dieselbe  Zusammensetzung,  nämlich  »zurückkehren*  }Heimc.  Beide  unter- 
scheiden sich  nur  dadurch,  daas  im  Chinesischen  die  grammatische 
Rection  erhalten  ist,  im  Deutschen  nicht. 


Ueber  den  Bbythmui  im  Chinesischen.  25 

Rhythmus  im  engeren  und  weiteren  Sinne  —  bildet  das  Hilfs- 
mittel zur  Erkenntniss  des  sprachlichen  Baues  von  einem  chine- 
sischen Satze,  einem  Satzgefüge,  einer  Periode.  Ebensowenig 
nun  als  in  der  Musik,  deren  Gebilde  gleichfalls  auf  dem 
Rhythmus  ruhen,  durch  eigene  von  den  tonlichen  Schriftzeichen 
verschiedene  Marken  die  Abgrenzungen  der  Satztheile,  Sätze, 
Perioden  augenfällig  gemacht  werden,  ebensowenig  dünkt  es  dem 
Chinesen  nothwendig  die  Abgrenzung  der  Satztheile,  Sätze  und 
Perioden  seines  literarischen  Productes  durch  Interpunktions- 
zeichen dem  Auge  ersichtlich  zu  machen. 

So  wie  in  der  Musik  der  Rhythmus  und  das  rhythmische 
Geftihl  die  einzigen  Leitsterne  bleiben,  so  sind  sie  es  auch  im 
Chinesischen.  Daher  muss  dort  wie  hier  erst  ein  sorgfältiges 
Studium  vorangehen,  damit  man  das  rhythmische  Gebilde  in 
seiner  Gänze  und  in  seinen  Theilen  erfasse,  um  es  richtig 
wiedergeben  zu  können  in  der  Musik  beim  künstlerischen  Vor- 
trag, im  Chinesischen  bei  der  Uebersetzung.1 

Der  vortragende  Künstler  muss  auf  derselben  Höhe  musi- 
kalischer Bildung  stehen  wie  der  Componist,  soll  er  eine  Com- 
positum so  vorführen,  wie  sie  gedacht  war;  der  Uebersetzer 
aus  dem  Chinesischen  hinwieder  muss  auf  derselben  Höhe  sach- 
licher Bildung  in  der  behandelten  Materie  stehen,  wie  der  Autor, 
dessen  Werk  übersetzt  werden  soll. 

-  Und  wie  das  Erkennen  und  Verstehen  der  rhythmischen 
Gliederung  einer  Composition  erste  und  unerlässliche,  wenn  auch 
nicht  immer  leicht  zu  erfüllende  Bedingung  ist  für  die  derselben 
zukommende  Geltung,  so  ist  auch  beim  Chinesischen  das  Er- 
kennen und  Verstehen  der  sprachlichen  Gliederung  durch  den 
Rhythmus  Sache  eines  eifrigen  Studiums  des  gegebenen  Textes, 
unerlässliche  Bedingung,  mit  derselben  allein  jedoch  keineswegs 
noch  die  correcte  Wiedergabe  des  chinesischen  Gedankens  ver- 


1  So  hat  Westphal  (Theorie  der  musischen  Künste,  Bd.  I,  p.  71)  das  Fugen- 
thema von  Bach's  Kunst  der  Fuge,  wie  es  in  Fuga  I  und  XU  auftritt, 
unrichtig  rhythmisiert.  Die  Casur  fällt  nach  dem  aweiten  Takte  und 
nicht  in  die  Hälfte  des  dritten ,  ingleichen  der  Schluss  auf  das  Ende 
des  vierten  Taktes.  Dies  zeigen  die  Harmonisierungen  und  die  thema- 
tische Arbeit  im  Verlauf  der  Fuge.  Der  Chronos  protos  ferner  ist  hier 
die  Achtel,  die  consequent  in  der  ganzen  im  Alla  Breve-Takt  ge- 
schriebenen Fuge  beibehalten  wird. 


26  III.  Albaaflluf:    Kfthnert. 

bürgt,  wenn  der  Uebersetzer  nicht  des  meritorisch  Sachlichen 
der  behandelten  Materie  vollständig  Herr  ist.  Darum  denn  singt 
sich  der  Chinese  selbst,  —  halblaut  oder  im  Geiste  —  geradeso 
den  Text  des  Aufsatzes  vor,  den  er  liest,  wie  der  Musiker 
die  Composition,  um  in  die  Satztheilung  eindringen  zu  können, 
damit  er  beim  zweiten  Durchlesen  den  Sinn  erfasse. 

Diesen  Verhältnissen  gemäss  ist  auch  die  Hauptaufgabe 
des  Europäers,  der  sich  mit  dem  Chinesischen  beschäftigen  will, 
seine  rhythmische  Empfindung  für  den  Rhythmus  im  Chine- 
sischen zu  erziehen,  keineswegs  eine  kleine  mit  Rücksicht  auf 
alle  Punkte,  denen  der  Lernende  seine  Aufmerksamkeit  zu- 
wenden muss.  Der  einzige  Weg  hiefiir  bleibt  nur  die  Aus- 
bildung viva  voce,  am  besten  an  der  Hand  eines  Chinesen, 
weil  die  Weckung  und  Ausbildung  der  Empfindung  nur  durch 
Sinneseindrücke  geschehen  kann.  So  wenig  einem  von  Jugend 
auf  tauben  Menschen,  der  nie  musikalische  Klänge  hörte,  die 
geistreichste  und  sorgfältigste  Analyse  einer  musikalischen  Com- 
position für  deren  Verständniss  Nutzen  bringen  kann,  ebenso- 
wenig kann  derjenige  aus  Erläuterungen  über  den  Rhythmus 
eines  chinesischen  Satzgefüges  nachhaltigen  Vortheil  ziehen, 
dessen  Empfindung  nicht  praktisch  hiefür  ausgebildet  ist.  Er 
gleicht  in  diesem  Falle  dem  von  Jugend  auf  Tauben. 

Bei  der  folgenden  Erläuterung  einzelner  Beispiele  bezüg- 
lich des  Rhythmus,  wird  sich  auch  zeigen,  dass  chinesische 
Perioden,  selbst  wenn  sie  nach  den  bisherigen  Angaben  nur 
durch  Wiederholung  viersilbiger  Sätze  gebildet  sind,  des  höheren 
absolut  erforderlichen  Rhythmus  —  sollen  sie  ein  anschauliches 
Ganze  bilden  —  nicht  entbehren.  Als  erstes  Beispiel  mag 
ein  freierer  Rhythmus  eine  Stelle  finden,  bei  dem  es  eines 
vollkommen  ausgebildeten  Empfindens  für  den  chinesischen 
Rhythmus  bedarf,  um  die  Stelle  richtig  zu  sprechen.  Es 
bieten  hiebei  die  Unterschiede  zwischen  den  Shengs  Ping  und 
Tse  fast  gar  keinen  Anhaltspunkt,  weil  hier  in  denselben 
nicht  das  Hauptelement  des  Rhythmus  zu  suchen  ist,  sondern 
vor  Allem  in  den  logischen  Accenten  wie  immer  in  der  Um- 
gangssprache, zu  welcher  das  Citat  gehört.  Aus  der  logi- 
schen Bedeutung  ergibt  sich,  welche  Stellen  schnell  zu  spre- 
chen sind,  und  auf  welchen  wegen  des  Nachdruckes  verweilt 
werden  muss. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  27 

Es  ist  eine  Erläuterung  vor  dem  Yamen  wegen  der  Be- 
helligung eines  Dolmetschers  und  dem  Koan-hoa  tschi-nan  (der 
Anleitung  zum  Hochchinesischen)  entnommen,  welcher  von  der 
japanischen  Gesandtschaft  zu  Peking  für  die  Japanesen  publi- 
ciert  wurde. 

Dass  einige  specifische  Pekinismen  wie  na-erh-tii  tien-men- 
Jcou-erh  statt  na-li-ti,  tien-men-Uou  vorkommen,  hat  nichts  auf 
sich.  Die  Erläuterung  dieses  Falles  wird  mit  folgender  Rede 
durchgeführt : 


Die  Transcription  nach  Nankinger  Aussprache  ist: 

in-ei  shä  ie%  %6  b\  gq  x-qb  fä-?-gä,  Ung  iö  he-dshäo, 
däo  mö  tshe  %6-lx  1qiy  gä  tä  däo-lido  nä-gb  <ß-/§,  d*lb  dshe  dsäi 
C-gb  dein  li-tq  lido\  shel  dshl  nä-Xydx  be  sing,  shdo  gjein  dö 
gal7  mei  Xjy"  sä  4  tsheng  kjin7  dsät  dein~men-kd-Xj  ieng-dsi  gä- 
kä,  kji  dskeng  hd  %6  lcö  tshe  be  sen  d*h&\  blng-tsil  M  gg* 
fä-C-gä,  feng  en  näsel-gb  be-slng,  %q  i  dsy  8p. 

Hier  den  Rhythmus  schriftlich  anzudeuten,  hat  mit  Rück- 
sicht auf  das  bereits  Erwähnte,  bedeutende  Schwierigkeiten, 
wenn  man  nicht  zu  rein  musikalischer  Notierung  greifen  will. 

Um  die  logischen  Accente  zu  erkennen,  folge  zunächst 
eine  Uebersetzung  dieser  Rede.  ,(Die  Angelegenheit)  bezieht 
sich  darauf,  dass  im  vergangenen  Monat  sich  ein  Dolmetsch 
(fa-i-koan)  unserer  Nation  (bi-go*)  nach  einem  gewissen  Orte 
begab,  nachdem  er  sich  einen  Pass  verschafft  hatte.  Als  er  in 
jenem  Orte  angekommen  war,  stieg  er  in  einem  Gasthofe  ab. 
Kaum  aber  —  wer  konnte  dies  wissen  —  hatten  ihn  die  Be- 
wohner dieses  Ortes  nur  wenig  gesehen,  so  kam  ihnen  dies 
ganz  ungewöhnlich    (sonderbar)  vor.     Täglich   drängten   sich 


28  m.  Attanflhn« :    Kftfciert. 

Gruppen  von  drei  oder  fünf  Menschen  am  Thore  des  Gast- 
hofes, um  ihn  darin  zu  sehen  und  es  gab  Leute,  die  sich  nicht 
ehrerbietig  ausliessen.  Ueberdies  erhielt  unser  Dolmetsch  Kunde, 
dass  jene  Leute  die  Absicht  hätten,  Händel  hervorzurufen/ 

Wie  gesagt,  spielt  hier  die  rhythmische  Emphase  sowie 
die  Schnelligkeit,  mit  der  die  einzelnen  Gruppen  zu  sprechen 
sind,  eine  wichtige  Rolle.  Beachtet  man,  dass  im  Folgenden 
die  Benachdruckung  jenes  Wortes  einer  Zusammensetzung,  das 
den  Hauptton  hat,  durch  den  Acutus  markiert  ist,  jene  Silben 
welche  hervorgehoben  werden  sollen,  durch  ein  untergesetztes 
_  bezeichnet,  während  jene  der  grössten  Kürzen  durch  w  an- 
gezeigt sind,  so  dürfte  die  folgende  Schreibweise  dazu  dienen, 
den  Rhythmus  in  etwas  anschaulich  zu  machen. 

index  sckang  yu&  you  bigöe  iggo  faniggÖan,  lingyau  hu- 
dschdUy  dau  mouUchu  yöuli  kjü,  gan  ta  dduleao  ndgo  difang, 
dsiou  dschu  dsal  iggo  dein  IMu-leau;  schöet  dschi,  ndXjdi  bering 
schdogjein  dogdx,  mdx  XjA  sanntschengkjün ,  dsal  deinmenkoukj 
ydngdsi  bueöendsche;  bingtsei  bigöe  faniggÖan  f ingoein  nasStgo 
bering9  youi  dsysy. 

Vorstehendes  ist  ein  freier  Rhythmus  (analog  dem  numerus 
oratorius)1  und  zwar  ein  Rhythmus  im  niederen  Sinne.  Bei  dem 
Rhythmus  im  weiteren  und  höheren  Sinne,  wo  der  Wechsel 
zwischen  den  Ping-  und  Tse-Shengs  eine  hervorragende  Rolle 
spielt,  sollen  diese  durch  unsere  Zeichen  für  Länge  (_)  und 
Kürze  (v>)  angedeutet  werden,  ohne  dass  damit  etwas  gesagt 
sein  soll  über  die  absolute  Dauer  der  verschiedenen  Längen 
und  Kürzen,  noch  auch,  dass  alle  Längen  oder  alle  Kürzen 
absolut  gleiche  Dauer  haben.  Die  weiteren  Accente  (Stärke- 
grade) sollen  vom  stärksten  zum  schwächsten  durch  die  fol- 
genden Zeichen:  a,  >,    i,  •  anschaulich  gemacht  werden. 

Von  diesem  Beispiel,  dem  Lüniü*  —  einer  Prosa  — 
entlehnt,  wird  behauptet,  es  sei  ein  einfacher  vierschlägiger 
Rhythmus,  also  aus  je  gleichlangen  und  zwar  viersilbigen 
Sätzen  bestehend. 


1  S.  oben  p.  11  das  hierauf  besOgliche  Citat  aus  Hauptmann. 

*  Der  Bfichenprache  angehörend,  im  Gegensats  rar  Umgangssprache. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  2*J 

Die  Stelle  lautet: 
dshi    de*  be   heny  An  ddo  be"  de    len  neng   el    16    ten  nmg 

>  V 

v-»  w  v*»  —  vy  v-*  vy  v-»  —         w  _  _ 

3S  "Cr 

e%     e 

•  T 

• 

Die  Betrachtung  der  untergesetzten  Marken  (_w)  und 
der  Accente  zeigt  deutlich,  dass  der  engere  Rhythmus  ein 
vierschlägiger  ist.  Wenn  auch  jede  Gruppe  vier  Silben,  somit 
die  gleiche  Anzahl,  enthält,  so  kann  man  doch  nicht  von 
gleicher  Länge,  d.  h.  von  gleicher  Dauer  sprechen.  Denn 
sonst  müsste  man  sagen:  Spondeus,  Daktylus,  Anapäst  seien 
gleich  lang,  weil  jeder  ein  zweischlägiger  Rhythmus  ist.  Dass 
aber  abgesehen  hievon  über  das  innere,  das  ist  eigentliche  Wesen 
des  Rhythmus  durch  die  Anzahl  der  Schläge  nichts  gesagt  wird, 
liegt  auf  der  Hand.  Es  wäre  denn  genügend  zu  sagen,  der 
Hexameter  sei  eine  Folge  von  sechs  zweischlägigen  Rhythmen.1 
Da  dies  unzulässig  ist,  weil  es  zweifelhaft  bliebe,  ob  der  Hexa- 
meter aus  Daktylen  oder  Anapästen  bestehe,  ob  es  erlaubt  sei, 
den  daktylischen  Spondeus  anzuwenden  oder  nicht,  so  ist  es 
ebenso  unzulässig  die  Anzahl  der  Silben  als  Charakteristikon 
des  Rhythmus  zu  nehmen. 

Obiges  Citat  besteht  durchaus  nicht  aus  vier  gleichlangen 
Rhythmen,  sondern  besteht  aus  vier  verschiedenen  vierschlägigen 
Rhythmen,  von  denen  der  zweite  die  kürzeste,  der  vierte  die 
längste  Dauer  hat.  Ebensowenig  kann  es  sich  um  eine  Wieder- 
holung desselben  Rhythmus  handeln,  wie  nach  der  citierten  An- 
gabe anzunehmen  wäre;  denn  schon  rücksichtlich  der  Ping  und 
Tse  besteht  nicht  die  mindeste  Gleichheit.  DreLTse  ein  Ping; 
vier  Tse;  drei  Ping  ein  Tse;  vier  Ping;  ich  finde  nirgends 
eine  Wiederholung  desselben  einfachen  Rhythmus.  Im  ganzen 
Satze  aber  empfinde  ich  einen  schönen  Rhythmus  im  höheren 

1  Wobei  der  rhythmische  oder  troch&ische  Daktylus,  als  in  der  Metrik 
nicht  verwendet,  ausser  Betracht  gelassen  ist,  wenn  gleich  die  Mehrzahl 
der  Sprachdaktylen  troch&ische  sind,  z.  B.  lächelnden,  also  dreischlägig. 


30  ITL  AbhandUng:    Kttho«rt. 

und  weiteren  Sinne.  Das  ganze  Satzgefüge  von  16  Worten 
zerftlllt  in  zwei  der  Empfindung  deutlich  sich  darstellende 
Hälften  zufolge  einer  Diäresis,  welche  durch  abschneidende 
Stimmbiegung  am  Ende  der  zweiten  kleineren  Gruppe  be- 
wirkt wird. 

Die  erste  Hälfte  spaltet  sich  für  die  Empfindung  abermals 
in  zwei  scharf  unterschiedene  Theile  dadurch,  dass  die  erste 
Viergruppe  mit  einer  gleichen  Stimmbiegung,  die  zweite  mit 
einer  abschneidenden  endet.  Den  stärksten  Accent  erhält  die 
zweite  Viergruppe  und  zwar  deshalb,  weil  die  ersten  zwei  Tse 
derselben  nur  durch  die  fallende  und  steigende  Stimmbiegung 
markiert  werden,  so  dass  der  hinzutretende  Accent  auf  der 
vierten  Silbe  durch  den  abschneidenden  Ton  am  meisten  heraus- 
gestochen (staccatissimo)  wird.  In  der  ersten  Viergruppe  ist  der 
Accent  wegen  der  einleitenden  abschneidenden  Stimmbiegung 
auf  der  vierten  Silbe  schwächer,  wozu  die  dauernde  ebene  Stimm- 
biegung gleichfalls  ihr  gut  Theil  beiträgt.  Ohne  Schwierigkeit 
wird  man  in  ähnlicher  Weise  erkennen,  dass  auch  die  zweite 
Hälfte  des  grossen  Ganzen  in  zwei  Theile  zerfallt,  deren  erster 
Theil  auf  seinem  vierten  Gliede  wegen  der  steigenden  Stimm* 
biegung  einen  stärkeren  Accent  haben  muss  als  der  zweite 
Theil  auf  seinem  vierten  Gliede. 

Aber  jeder  der  nun  erübrigenden  viersilbigen  Theile  wird 
wieder  als  eine  Einheit  empfunden,  welche  sich  aus  zwei  Theil- 
chen  zusammensetzt.  Im  ersten  Viergliede  bewirkt  dies  der 
Vocalwechsel  (bei  den  alten  Lauten  der  Verschluss  p,  k.)  bei 
den  beiden  abschneidenden  Stimmbiegungen,  im  zweiten  der 
Wechsel  von  fallender  und  steigender,  im  dritten  und  vierten 
der  Wechsel  zwischen  erster  und  zweiter  ebenen  Stimmbiegung. 
Das  ganze  Gebilde  stellt  sich  also  in  folgender  Weise  dar, 
wobei  in  den  kleinsten  Gliedern  nur  die  Hebung  durch  '  be- 
zeichnet ist: 

12  3  4 

'  .        'I        '  .        'II        '  'I        '  'II 

" >   _^ Z  H— l 

Senkung    Hebung  :  Hebung    Senkung 


"N>- 


Hebung  Senkung 


Ueto  den  Bbjthmns    im  Ohinesiiohen.  31 

Eb  correspondieren  ferner  noch  die  erste  mit  der  dritten, 
die  zweite  mit  der  vierten  Viergruppe,  in  der  ersten  sind  drei 
Tse  ein  Ping,  in  der  dritten  drei  Ping  ein  Tse,  in  der  zweiten 
vier  Tse,  in  der  vierten  vier  Ping.  Die  erste  mit  der  zweiten 
Viergruppe,  sowie  die  dritte  mit  der  vierten  stehen  gleichfalls 
in  Correspondenz  und  zeigen,  dass  der  vierschlägige  Rhythmus 
hier  ein  doppelt  zweischlägiger  ist. 

Nach  dieser  Betrachtung  dürfte  wohl  jedermann  ausser 
Zweifel  sein,  dass  dieser  chinesische  Satz  dem  prosaischen 
Bücherstil  entnommen,  den  schönsten  Rhythmus  im  engeren 
und  weiteren  Sinne  hat.  In  den  kleinsten  Theilen  stei- 
genden Rhythmus,  welcher  auch  in  der  nächst  höheren 
Gruppierung  beibehalten  wird,  während  die  zwei  Hälften 
des  Ganzen  entgegengesetzten  Rhythmus  aufweisen,  die 
erste  Hälfte  steigenden,  die  zweite  fallenden  Rhythmus. 
Die  beiden  Hälften  zu  einander  bilden  einen  fallenden 
Rhythmus. 

Diese  rhythmische  Gliederung  ist  aber  nichts  Zufälliges, 
sondern  eine  natürliche  Consequenz  des  chinesischen  Sprach- 
baues auf  Grund  der  hier  zum  Ausdruck  kommenden  Gedanken- 
verhältnisse. Setzt  man  die  Termini  der  Worte,  mit  welchen 
wir  in  unserem  Satzzusammenhange  die  einzelnen  chinesischen 
Charaktere  wiedergeben  müssen,  nach  der  Terminologie  unserer 
flectierenden  Sprachen  an,  so  erhält  man  folgendes  Bild: 

Zeitw.  Obj.,  Neg.  Zeitw.  |  Zeitw.  Obj.,  Neg.  Zeitw.  || 
Fragew.  Zeitw.,  Zeitw.  Obj.  |  Fragew.  Zeitw.,  Zeitw.  Obj. 

Und  so  gibt  uns  der  Rhythmus  den  festen  Anhalt  über 
die  logischen  Beziehungen,  welche  in  diesem  Satze  zum  Aus- 
druck kommen,  nämlich: 

An  der  Tugend  festhalten  und  nicht  aufwärts  streben,  an 
die  Vernunftform  glauben  und  nicht  standhaft  sein;  wie  kann 
man  dies  im  Stande  sein  und  im  Besitze  (von  Tugend  oder 
Glauben)  sich  befinden,  wie  kann  man  dies  im  Stande  sein  und 
im  Nichtbesitz  (von  Aufwärtsstreben  oder  Standhaftigkeit)  sich 
befinden.  Mit  anderen  Worten,  wer  Tugend  hat,  muss  aufwärts 
streben,  wer  an  die  Vernunftform  glaubt,  muss  standhaft  sein, 
denn  es  ist  undenkbar,  dass  jemand  Tugend  besitzt  und  nicht 
aufwärts  strebt,  den  Glauben  an  die  Vernunftform  hat  und  nicht 


32  IIL  AU*o41uf :    Kiba*rt. 

standhaft  ißt,  es  ist  aber  auch  undenkbar,  dass  jemand  aufwärts 
strebt,  ohne  im  Besitze  von  Tugend  zu  sein,  und  dass  jemand 
standhaft  ist,  ohne  den  Glauben  an  die  Vernunftform. 

Wem  sollte  es  hier  schwer  fallen,  die  gedanklichen  Be- 
ziehungen und  ihre  durch  den  Rhythmus  markierte  Stellang 
zu  erkennen?  Fahrt  nicht  der  Rhythmus  darauf,  dass  hier 
~fc  nicht  ang  sondern  £  gelesen  werden  muss? 

Vorstehendes  Beispiel  zeigt,  dass  auch  in  der  chinesischen 
Prosa  rhythmische  Gebilde  erscheinen,  welche  in  aller  Strenge 
den  Formbestimmungen  der  Metrik  genügen.  Es  kann  nicht 
die  Aufgabe  sein  hier  durch  Analyse  von  Beispielen,  als  dem 
sichersten  Wege,  alle  rhythmischen  Formen,  welche  in  der  Prosa 
des  Bucherstils  vorhanden  sind,  vorzufuhren,1  sondern  es  muss 
genügen  die  Hauptarten,  in  denen  der  Rhythmus  im  Chinesischen 
erscheint,  zu  erläutern. 

Als  Beispiel  zu  dem  strengen  Rhythmus  der  Prosa,  welcher 
zu  den  metrischen  Formen  der  Poesie  überleitet,  möge  eine  jener 
Schilderungen  dienen,  welche  die  Chinesen  ^  Fu  nennen  und 
bei  denen  auch  der  Reim  zur  Markierung  der  einzelnen  Absätze 
eine  Rolle  spielt.     Zottoli  sagt  über  dieselben: 

,|^£  bedeutet  nicht  nur  das  beschreibende  Gedicht,  sondern 
auch  eine  Gattung  schriftlicher  Aufsätze,  welche  der  gereimten 
Prosa  nahezukommen  scheint;  denn  sie  macht  vom  Reime  und 
Verse  Gebrauch.  Wenn  die  Phrasen  auch  sonst  wohl  gebaut 
und  stellenweise  parallel  sind,  so  verlangt  diese  Aufsatzgattung 
doch  keine  vollkommen  nach  metrischen  Gesetzen  gebildeten, 
sondern  gestattet  je  nach  der  Ausbreitung  des  Geistes  mehr 
oder  weniger  Abweichungen.  In  der  strengen  Form  der  Rede- 
wendung hat  sie  Theil  am  Reime,  in  der  freieren  an  der  Phrase. 
Der  Reim  aber  waltet  nicht  in  der  ganzen  Rede  vor,  sondern 
ist  auf  die  verschiedenen  Abschnitte  vertheilt.  Einem  und 
demselben  Theile  kommen  verschiedene  Reime  zu ,  deren 
Aenderung  auf  einen  Absatz  weist  So  bedienen  sich  die  hervor- 
ragenden Schilderungen  einer  solchen  Ordnung  in  der  Aus- 
schmückung, dass  sie  beim  stufen  weisen  Fortschritt  der  Argu- 


1  Abgesehen  davon,  dass  dies  auch  nnausföhrbar  ist,  da  die  Erfindung 
rhythmisch  schöner  Formen  in  der  chinesischen  Prosa  gewiss  noch  nicht 
abgeschlossen  ist. 


Ueber  deu  Kbythuias  im  Chinesischen.  «' 

mente  jedem  einzelnen  seinen  besonderen  Reim  zuweisen.  Daher 
verwenden  ihn  die  Neueren  nicht  blindlings,  sondern  wohl 
überlegt  und  bringen  ihn  in  der  Mitte  oder  gleich  am  An- 
fange an/1 

Als  Beispiel  wähle  ich  den  Anfang  der  Schilderung  des 
dichterischen  Historikers  (|^p  j$J  Jjg£)  von  Tsang  Shang-dsy.2 
Zur  Bezeichnung  des  Reimes  bediene  ich  mich  eines  Asterisks. 


mmmztum.mmmzmm, 

mmmm*fc&m&zWo 
&  m  iE  *»  #  &  *  n& 


—      W      


—      wx     v_v 


«-/     v> 


*i*  td  sht-i  dshi  gän, 

ex  asm  lem-kai  dshi  i; 

gei-Xjdn  de-kji  dshl  gjein,      _  _ 

kjeV-gjt  gäi-iein  dshl  «Äi ;       ^  ^ 

mä'i  ha  ei  dshi  shen-kjeng, 

sdo  tsi  lia  dshl  kji-h; 

i  gjäC  seng  dso'  'id-gan} 

skk  in  ho  e%  6o*-ß; 

sing  tsing  den-hb,  xäo  tä  feng  id  dshl  lein, 

l  Im  gjin-ien7  dshi  Ao*  tshun  tsi?  dshl  ß.      ^  _  ^  _ ,  ^  w  _ 


\~S        W        K*t        _        W        

\S        N-/        W 


v>     v>     \*s     v>     —     _ 

%»-/_-        ^S       KJ 


*v»      ~V^    —    v>    

* 


1  Zottoli,  Cursus  Vol.  V,  p.  640. 
1  Zottoli,  Vol.  V,  p.  698. 
Sttsoogiber.  d.  phil.-hirt.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  8.  Abb.  3 


34  111.  Abhandlung:     Kfthnert. 


\^     vs     w 

v^     \^     

KS \~t        \*S 

* 


ti  tsdl  dshhig-däj 

ge*  ge    Img-tseng, 

li    tshdo  kd~kd, 

da  teet  Img-leng,  ^  w 

sy  in  u  he  bäo-Mln,  ^  ^ 

l  hj&in  gä  he  hytwn-tsheng,       w  w  _ 

%a  en  v£n  dshl  Ing-häj  gjö  dsä  shi-shi* ; 

bei  ge-gjä  dshl  t&tw-g\  sietn  dse  gjln-tfaig.    ^  ^ 

sin  e  tsq  u  *j)-bi, 

fei  gjin  lc6-i  shy-dsheng. 


* 


_     v^>    v^>  •       —    V^    —     — 


v^     v^     v^     vy     —     — 


,Einst  ein  Censor  unter  den  Tang,  war  er  ein  Nachkomme 
Tsin  Yuenkai's,  in  der  Heimat  Tu's  erhob  er  sich  plötzlich 
zur  Höhe  in  der  Zeit  (der  Periode)  Kai-yuen.  Er  überragte 
die  gewaltige  Kraft  unter  den  Han  und  Wei  und  merzte  aus 
die  süssliche  Lieblichkeit  unter  den  Tsi  und  Leang,  er  machte 
Kiüe  und  Song  zu  seinen  (stilistischen)  Hauptautoritäten  (wörtl. 
Tribunalvorstehern)  und  nahm  Ho  und  Wei  als  ihre  (adäquaten) 
Begleiter  (wörtl.  Lictoren).  Streng  und  ehrenhaft  in  seinen  inner- 
sten Gefühlen  prüfte  er  aus  der  Ferne  die  Quellen  der  Sitten  und 
des  Anstandes,  im  Ausdrucke  seines  Urtheils  genau  und  bedächtig 
stimmte  er  stricte  mit  den  Gesetzen  des  Tschüin-tsiou  überein. 

,An  Gestalt  und  Erscheinung  thatsächlich  hervorragend, 
von  kräftigem  Körperbau,  bei  Hofe  von  unerschütterlicher  Offen- 
heit, in  höchster  Ehrenhaftigkeit  von  eckiger  Geradheit,  wendete 
er  in  seiner  Ausdrucksweise  in  verdeckter  Form  Lob  und  Tadel 
an  und  beabsichtigte  dem  Sinne  nach  in  offen  zu  Tage  liegender 
Weise  Ermahnung  und  Warnung.  Die  schönsten  Blüthen  brachte 
er  im  Garten  der  Literatur  hervor,  verbarg  sie  aber  lange  in 
in  den  Bibliotheken.  Er  vervollständigte  ,die  gepflegten  Alter- 
thümer  des  Staates',  er  trug  zur  Kenntniss  der  ,Goldbände' 
(chin-teng)  bei.  In  Wahrheit  hat  er  sich  in  Nichts  zu  schämen 
in  Bezug  auf  seinen  geschieh tsschreiben  den  Pinsel,  und  kann 
nicht  zu  sehr  in  der  Dichtung  gelobt  werden/ 

Die  rhythmische  Gliederung  und  die  sinnige  Verwendung 
des  Reimes,  im  ersten  Abschnitte  i,  im  zweiten  eng,  bedarf 
wohl  keiner  weiteren  Erläuterung.  Es  ist  hier  durchgehends  der 
Rhythmus  durch  den  Satzbau  bedingt.    Die  parallelen  Phrasen 


Ueber  den  Rhythmus  Im  Chinesischen.  35 

and  die  parallele  Satzconstruction  bei  dem  correspondierenden 
Rhythmus  fallen  wohl  jedermann  in  die  Augen.  Der  hier  ge- 
meinte Historiker  ist  $fc  ffi  Ta'fu>  (712~ 77°  P-  Chr)  der 
unter  den  Tang  Censor  war  und  daher  Kritik  am  Hofe  üben 
musste.  Zu  seinen  literarischen  Mustern  wählte  er  sich  Kiüe- 
yuen  ( J[jJ  ]§» )  und  (tJJ  3£)  Song-yü  aus  dem  Reiche  Tschou, 
sowie  die  Dichter  Yin-kien  (Jf£  ££)  und  Ho-siüen  (-fäf  j^) 
aus  den  sechs  Dynastien.  Steingemächer  (^  ^)  heissen  die 
Bibliotheken,  weil  einst  die  verborgenen  Bücher  in  Felsen  de- 
poniert waren.  Goldband  (chin-teng  fe  fü^)  ^8t  das  8ec^8te 
Capitel  der  Annalen  von  Tschou  im  Shu. 

Ist  durch  das  Vorhergehende  der  freiere  und  strenge 
Rhythmus  in  der  Prosa  erläutert,  so  tritt  nun  die  Frage 
heran,  ob  in  jenen  Gebilden,  die  von  Europäern  unter  dem 
Begriff  des  Parallelismus  zusammengefasst  werden,  andere  Ge- 
setze obwalten,  als  die  bisher  an  den  Beispielen  erläuterten. 

Als  Probestück  chinesischen  Parallelismus1  wurde  das 
Folgende  gepriesen.  Die  Untersuchung  wird  zeigen,  ob  es 
nOthig  war  einen  neuen  Begriff  einzuführen  oder  nicht;  mit 
andern  Worten,  ob  der  Chinese  sich  anderer  Mittel  bedient 
als  in  dem  eben  behandelten  Beispiele. 


Tshing   d$y  i  ddo   tsheng   ei  fe  shen   'd   ei   gei  %i  i  ddil 
dse'  ieV  fh  dsi)  dshhiq  ieV  qhl. 

In   ähnlicher  Weise   wie  früher   bezeichnet,    liegen   hier 
folgende  Verhältnisse  vor: 


3  4  5  6 


_;_yi_-;_>l_l ,wil 


deren  Accente  sich  gleich  beim  Lesen  ergeben  und  zwar  wegen 
der  Reime: 

mm      w  £         j*\  mm      ••  £  \  m» 

%$%  fe}   ie%    gei 

1  In  dem  früher  angegebenen  Sinne  einer  Vereinigung  von  Rhythmus  und 
Antithese,  nicht  aber  im  Sinne  der  chinesischen  Aiisdrucksweise  dVi-lfin. 
Gabelents,  Gramm,  p.  346. 

3* 


36  Hl.  AMuwdliiiit:    Kühu«rt. 

cinestheils  and  wegen  des  Tonfalles  der  Vocale  und  Stimm- 
biegungen (der  drei  Arten  des  Tse:  ^)  bei  den  übrigen  Ab- 
schnitten anderntheils. 

Ferner  machen  sich  auch  gleich:  ddo  tsheng;  shen'dn;  daht 
(he  ;  dsp  dshhig  als  zusammengehörig  geltend. 

1  und  4  als  Personalbezeichnungen  sind  abzutrennen  und 
geben  die  Hauptabtheilungen.  Es  correspondieren  2  und  5, 
3  und  6. 

Hienacb  ist: 

1  2  3 

v   I  >  I 

t  '  t 

Reim  Reim 

4  5  6 

f  I 

Reim  Reim 


Hebung  Senkung1 

Hier  fällt  vor  allem  ins  Gehör,  dass  der  Rhythmus  der 
zweiten  Hälfte  conform  ist  jenem  der  ersten,  nämlich  fallender 
Rhythmus,  während  im  früheren  Beispiele  (p.  29  f.)  die  Rhythmen 
der  beiden  Hälften  einander  entgegengesetzt  waren,  steigender 
zu  fallendem.  Aber  auch  der  Rhythmus  des  Ganzen  ist  con- 
form fallender  Rhythmus.  Entsprechend  diesen  rhythmischen 
Verhältnissen  müssen,  wie  kurz  zuvor  gesagt,  auch  die  logischen 
Beziehungen  der  Gedanken  im  Satze  und  somit  der  hierauf 
gegründete  Sprachbau  des  Chinesischen  sein.  Demnach  lautet 
diese  Stelle: 

Tsching-dsy  hält  Vernunftfulle  für  Reichthum,  Selbstzu- 
friedenheit für  Würde;  ich  nenne  Wissensftllle  Reichthum,  Selbst- 
achtung Würde. 

Walten  also  in  dieser  Stelle  andere  Mittel  vor  als  in  dem 
oben  (p.  29  f.)  erläuterten  Beispiele?  Gewiss  nicht.  Hier  wie 
dort  ist  es  lediglich  der  Rhythmus,  welcher,  auf  den  logischen 
Beziehungen  fussend,  uns  auf  diese  führt,  sohin  ist  der  neue 
Begriff  von  Parallelismus  als  Verbindung  von  Rhythmus  und 
Antithese  überflüssig. 

Ein  Unterschied  gegen  das  frühere  Beispiel  drängt  sich 
wohl  auf  und  das  ist  der  Reim.  Dieser  hat  aber  hier  keinen 
anderen  Zweck   als  der  Reim  unserer  modernen  Verse,   deren 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  37 

Rhythmus  gleichfalls  durch  die  logischen  Accente  (die  logisch 
betonten  Silben)  gebildet  wird.  Er  soll  das  metrische  Element, 
das  an  sich  von  dem  logischen  Inhalte  absorbiert  wird,  heben 
und  kunstvoller  gestalten.1 

So  wenig  wir  aber  in  der  Poesie  die  rhythmischen  Formen 
mit  Reim  von  den  reimlosen  oder  gar  die  ein  für  alle  Mal 
metrisch  festbestimmten  Formen  der  daher  gebundenen 
Rede  von  der  freien  Form  des  Rhythmus  in  der  Prosa  (Rhyth- 
mus, Numerus  oratorius)  durch  das  Wort  Parallelismus  unter- 
scheiden, ebensowenig  darf  man  dies  auch  im  Chinesischen. 
Der  Blankvers  des  Dramas  bleibt  trotz  des  mangelnden  Reims 
ein  fünffüssiger  Jambus  (Quinar)  und  niemandem  fällt  es  ein, 
die  aus  filnffüssigen  Jamben  mit  Reim  gebildete  Strophe  von 
der  reimlosen  durch  das  Wort  Parallelismus  zu  unterscheiden; 
denn  dies  wäre  ungereimt. 

Von  diesem  strengeren  Rhythmus  in  der  chinesischen  Prosa 
des  Bücherstils  gilt  gleichfalls,  was  Hauptmann  sagt:2  ,Wie  die 
metrischen  Formen  in  der  musikalischen  Anwendung  nicht  mit 
mechanischer  Strenge  ausgeübt  werden,  indem  sie  durch  har- 
monische und  melodische,  sowie  durch  die  Bedingungen  eines 
belebten  Vortrages  fortwährend  kleine  Abweichungen  von  der 
mathematisch  genauen  Bestimmtheit  erleiden;  so  ist  das  Sprach- 
metrum in  der  relativen  Quantität  seiner  Glieder  noch  weit  mehr 
den  Bedingungen  des  erfüllenden  Wortinhaltes,  den  logischen 
wie  den  phonetischen  zu  Modifikationen  hingegeben/ 

Wer  daher  beim  Vorlesen  oder  bei  der  Recitation  deutscher 
Gedichte  die  VersfÜsse  klappern  und  die  Reime  klingen  lässt, 
versündigt  sich  nicht  nur  gegen  den  Sprachgeist,  sondern  auch 
gegen  das  Gesetz  des  Schönen  und  beweist  hiemit  zugleich, 
dass  er  kein  rhythmisches  Gefühl  besitzt.3 

Hauptmann,  der  am  eingehendsten  mit  den  Gesetzen  der 
Rhythmik  sich  beschäftigte,  sagt  hierauf  bezüglich  weiter:4 
,Nicht   zu  verwechseln   ist   mit   diesen   durch   den    besonderen 


1  Hauptmann,  Natur  der  Harm,  und  Metrik,  p.  344. 

*  Hauptmann  1.  c.  p.  347. 

*  Vergleiche  diesbezüglich  auch,  was  Westphal  (Theorie  der  musischen 
Künste  III1  Bd.  p.  31)  über  Recitation  griechischer  Verse  sagt,  und 
J.  Minkwitz  (Lehrbuch  der  deutschen  Verskunst),  p.  64,  §.  120. 

4  Hauptmann  1.  c.  p.  348. 


38  HL  Abhandlang:    Kühne rt. 

Wortinhalt  entstehenden  Modificationen,  der  an  sich  nur  gleich- 
zeitig fortgehende  Rhythmus  (der  metrisch  unabänderlichen 
Form  in  der  deutschen  Poesie),  wie  ihn  die  nur  allein  accen- 
tuirte  metrische  Bildung  entstehen  lässt.  Hier  ist  der  Unter- 
schied von  Länge  und  Kürze  eben  gar  nicht  vorhanden;  der 
Wechsel  besteht  nur  in  der  Folge  betonter  und  nichtbetonter 
Glieder:  in  Hebung  und  Senkung.  Dieser  Art  sind  meisten- 
teils unsere  gereimten  Verse/ 

Nachdem,  wie  erkannt,  der  Begriff  des  Parallelismus  als 
Vereinigung  von  Rhythmus  und  Antithese  filr  die  rhythmischen 
Gebilde  der  Prosa  überflüssig  ist,  muss  untersucht  werden, 
worauf  schon  hingedeutet,  welche  Gesetze  jene  Gebilde  auf- 
weisen, die  die  Chinesen  mit  Doei'-lein  bezeichnen. 

Doei-lei'n  sind  die  sogenannten  ScrolPs,  parallele  Tafeln 
mit  parallelen  Phrasen.  Das  für  diese  parallelen  Phrasen 
geltende  Gesetz  ist:  es  müssen  alle  einzelnen  Schriftcharaktere 
der  beiden  Sätze  nach  ihrer  Geltung  im  Satzbau  miteinander 
correspondieren.  An  jener  Stelle,  wo  in  der  einen  Tafel  das 
Subject  steht,  muss  es  auch  in  der  zweiten  sich  finden,  Prä- 
dicat  mit  Prädicat,  Attribut  mit  Attribut,  Zeitangabe  mit  Zeit- 
angabe u.  s.  w.  correspondieren,1  kurz  Wort  mit  Wort  nach 
seiner  satzlichen  Geltung  z.  B. 

Prädicat  Object 


•** 


5je  #  m  *  #  fa 

ei     dshl    ming    lein  dsäl  ho     tshe 

Neg.   Zeitw.   Attrib.   Subst.  Zeitw.  Pron.   Subst. 
Zeitangabe 

%  W    —    B  m  it  # 

be'      kö        i1,       Ijy*       e  tsy     gjin 

Neg.  Zeitw.  Attrib.   Subst.  Zeitw.  Pron.   Subst. 

Zeitangabe 


Prädicat  Object 


1  Schlegel  (La  stele  funeraire  du  Teghin  Giogh,  p.  30)  sab  sich  daselbst 
veranlasst  auf  dieses  Gesetz  hinzuweisen,  das  auch  Zottoli  (Curs.  litterat. 
sinicae,  Vol.  V,  p.  776)  andeutet.  Weiter  ausgeführt  hat  Schlegel  dasselbe 
in:  La  loi  du  parallel isme,  Leiden  1896,  welche  hochwichtige  Erörterung 
während  des  Druckes  dieser  Arbeit  erschien. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  39 

Sieht  man  sich  den  Rhythmus  an, 

V-/      I       —      )       V>      _       W       I 

'  I   '  'I 

W      V>       I       W      V*»  ,       W      —        I 

so  ist  selbstverständlich  auch  darin  Parallelität,  weil  der  Rhyth- 
mus wie  schon  öfter  gesagt,  Ausfluss  und  Zeichen  des  Satz- 
baues ist,  der  durch  die  logischen  Gedankenverbindung  bedingt 
ist.  Auch  hier  sieht  man  dieselben  Gesetze  walten,  welche 
früher  schon  bezüglich  des  Rhythmus  nachgewiesen  sind. 

Die  Chinesen  bezeichnen  also  mit  parallelen  Phrasen 
(ob  selbe  nacheinander  oder  nebeneinander  geschrieben  sind, 
ist  gleichgültig)  zwei  solche,  welche 

1.  die  gleiche  Anzahl  Worte  enthalten  und  wo 

2.  in  jedem  der  zwei  Sätze  genau  an  derselben  Stelle 
derselbe  Satztheil  steht,  die  also  einander  symmetrisch  sind. 

]fö  lein  heisst  nämlich:  verbunden,  associert,  combiniert,  in  Ord- 
nung verbunden, 
^aj*  dhl:  Pendants,  correspondieren,  antworten,  vis  k  vis,  ein  Paar, 

$j*  Ijljp  del-Uin  sonach:   parallele  Mottos,  wo  die  Sätze  der 
Ordnung  nach  verbunden  sind,  also  ein  Paar  bilden. 

Parallel  kann  aber  nur  Gleichartiges  sein,  nicht  Entgegen- 
gesetztes, also  z.  B.  nur  zwei  gerade  Linien,  nicht  aber  eine 
gerade  und  eine  krumme  Linie;  sohin  schliesst  die  chinesische 
Ausdrucksweise  schon  an  sich  den  Begriff  des  Entgegengesetzten 
(Antithese),  des  Gegensatzes  aus,  und  schliesst  nur  den  Begriff 
des  Vis  ä  vis,  des  Gegenüber  ein.  Ihre  Ausdrucksweise  be- 
zieht sich  daher  nur  auf  die  Parallelität  des  Satzbaues  in  jeder 
der  beiden  Phrasen,  also  der  gleichen  logischen  Verhältnisse 
innerhalb  eines  jeden  der  beiden  Urtheile,  nicht  aber  auf  die 
logischen  Beziehungen  der  beiden  Urtheile  zu  einander.  So 
wie  bei  uns  ,Distichon'  nur  auf  die  Verbindung  von  Hexameter 
und  Pentameter  weist,  nicht  aber  zugleich  auf  die  logischen 
Beziehungen  der  in  beiden  Theilen  ausgedrückten  Gedanken; 
so  ist  das  logische  Verhältniss  der  beiden  Sätze  eines  Doei-lein 
in  dieser  Ausdrucksweise  gleichfalls  nicht  berührt. 

Es  ist  deshalb  unstatthaft,  dieses  logische  Verhältniss  der 
beiden  Urtheile  mit  in  den  Begriff  der  Parallelität  aufzunehmen, 
abgesehen  davon,  dass  dies  zu  einem  logischen  Widerspruch 
fiihrt,  weil  die  Chinesen  dies  nicht  mit  einbezogen  wissen  wollen 


40  HI-  Abhandlung:    Kfitinert. 

und  daher  dasselbe  nicht  bei  allen  solchen  parallelen  Phrasen 
dasselbe  sein  mnss  and  auch  nicht  ist.  Aber  noch  einen  weiteren 
Nachtheil  hiebei  hat  man  ins  Auge  zu  fassen.  Der  Chinese 
deutet  durch  kein  äusseres  Mittel  das  logische  Verhältniss  der 
beiden  Urtheile  an,  sondern  letzteres  muss  aus  den  beiden  Ur- 
theilen  selbst  abgeleitet  werden.  Zieht  man  jedoch  ungerecht- 
fertigter Weise  ein  bestimmtes  Verhältniss  in  den  Begriff  hinein, 
dann  kann  dies  leicht  zu  einer  total  unrichtigen  Uebersetzung 
führen. 

In  vielen  Fällen  mag  ja  ein  antithetisches  Verhältniss  vor- 
liegen, in  eben  so  vielen  Fällen  aber  auch  nicht.  Es  verhält 
sich  damit  geradeso  wie  mit  dem  Begriffe  des  Paares,  den  ja 
auch  Doe'i  repräsentirt.  Ihm  kommt  keineswegs  zu,  dass 
die  beiden  zu  einem  Paare  verbundenen  Dinge  in  einem  anti- 
thetischen Verhältniss  stehen,  wenn  auch  des  öftern  eines  vor- 
liegt. Unter  einem  Schuhpaar  verstehen  wir  gewöhnlich  einen 
linken  und  einen  rechten  Schuh,  unter  einem  Pferdepaar  aber 
nicht,  dass  das  eine  ein  Hengst,  das  andere  eine  Stute  sei, 
denn  man  kann  auch  sagen  Hengstenpaar,  Stutenpaar.  Wir 
sprechen  von  einem  ,schönen  Paar'  und  verstehen  darunter 
Mann  und  Frau,  d.  i.  ein  Menschenpaar,  hingegen  von  einem 
Schwesternpaar,  wo  die  Gleichheit  der  Geschlechter,  die  Ab- 
stammung von  denselben  Eltern  den  Ausschlag  gibt.  Der  Tanz- 
meister ruft  bei  der  Quadrille  nach  einem  Vis  k  vis. 

Der  Begriff  des  Paares  bedingt  nur  zwei  Individuen  der- 
selben Art,  also  zwei  Schuhe  und  nicht  einen  Schuh  und  einen 
Strumpf;  der  Begriff  des  Paares  bezieht  sich  nur  auf  das  den 
beiden  Dingen  Gemeinsame,  aber  nicht  auf  das,  wodurch  sie 
sich  unterscheiden.  Haben  oder  vielleicht  hatten  die  Frauen 
kein  Schuhpaar  an,  weil  keiner  der  Schuhe  speciell  filr  den 
rechten  oder  linken  Fuss  gemacht  war? 

Eine  Regel,  die  eine  Ausnahme  hat,  kann  streng  genommen 
nicht  als  Regel  gelten,  sie  gleicht  einem  lecken  Schiffe,  bei 
dem  man  das  Leck  durch  Werg  verstopfte,  um  es  mit  Noth 
für  kurze  Zeit  noch  über  Wasser  zu  halten. 

Unter  dem  Sprich worte:  nulla  regula  sine  exceptione  ver- 
birgt sich  im  Grunde  nur  Homer's  Schlafmomentchen,  d.  h.  es 
ist  ein  Deckmantel  für  Bequemlichkeit  oder  ein  frühzeitiges 
sich  Genügenlassen. 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  41 

Gesetz  für  die  Doei-lein  oder  die  Satzpaare  ist  nur: 

1.  gleiche  Anzahl  der  Schriftzeichen  in  jedem  der  beiden  Sätze, 

2.  vollständig  gleiche  Satzconstraction,  dass  also  das  Subject 
des  einen  Satzes  an  gleicher  Stelle  steht  wie  jenes  des 
zweiten,  dass  Prädicat  mit  Prädicat,  Ortsangabe  mit  Orts- 
angabe etc.  an  der  analogen  Stelle  correspondiere. 

Als  accessorische  Erscheinungen  können  auftreten,  müssen 
es  aber  nicht:  schicklicher  Wechsel  der  Betonungen  Ping  und 
Tse  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Satze,  eventuelle  Ver- 
wendung der  gepaarten  Ausdrucke  des  Sprachgebrauches,  seien 
sie  antitethisch  oder  coordiniert. 

In  dem  oben  citierten  Doei-lein  ist  ein  adversatives  Ver- 
hältniss  der  beiden  Urtheile  zufällig  vorhanden: 

,Ich  weiss  noch  nicht,  wo  ich  nächstes  Jahr  sein  werde; 
und  doch  kann  ich  nicht  ohne  diesen  Herren  sein/ 

Wo  im  nächsten  die  Antithese  liegen  soll,  ist  schwer  zu 
erkennen: 


-fe    fil    #    U  WlWl  = 

r  *ß    w  m  it  %  *  +  # 

Quant.  Hauptw.  Zeitw.  Hauptw.    Zeitw.    Zahlvv.  Mass    Zahlw.  Mass. 

,Sieben  Enten  schwammen  auf  den  Kjang  (Yangtsy),  rechne 
wie  du  willst,  so  sind  es  nur  drei  Paare  und  eine.  Eine  Schlange 
von  einem  Fuss  kam  aus  ihrer  Höhle,  miss  wie  du  willst,  so 
ist  sie  nur  neun  Zoll  und  zehn  Linien/1 

Noch  weniger  kann  bei  dem  Folgenden  von  einer  Anti- 
these gesprochen  werden: 


,Wie   du  niemals   einen  Pflugochsen   schlachtest,   so  wirf 
auch  kein  beschriebenes  Papier  weg.' 

Die  Rhythmen  beider  vorstehenden  parallelen  Sätze  stellen 
sich  wie  folgt: 


1  Der  chinesische  Fuss  hat  10  Zoll,  der  Zoll  10  Linien. 


42  IIL  Abh»ft41u|r:    Ktfcaert. 


tw*     in    fq       qjn       she     «fc      sä     shä    »* 
<*ä**  «&*  tofo**  <frn<7    ߣ     ^      27?  fr?*1  ****  /?* 


Die  Rhythmen  der  drei  Paare  der  Uebersicht  halber  zu- 
sammengestellt, ergibt: 

1.  [p.38]  wl  .  I_;  wlw    }7Worte 

2.  [p.  41] 


V*     —  f      —     —  W     w 


-  ~  w  7  '  )  10  Worte 

3.  [p.  41]  -;-     -;     J4  Worte 

Wo  hier  die  Regel  zum  Ausdruck  kommt,  welche  Herr 
William  Scarborough1  für  den  Parallelismus  als  /Verbindung  von 
Rhythmus  und  Antithese'  aufstellt,  ist  unerfindlich.  Die  Regel 
lautet  in  deutscher  Uebersetzung: 

»Ein  Tui-tzü  kann  irgend  eine  Anzahl  Worte  enthalten; 
die  gebräuchlichste  Zahl  aber  ist  sieben  in  jeder  Zeile.  Es  muss 
so  geschrieben  sein,  dass  die  Ordnung  der  Töne  (Shengs)  in 
der  ersten  Linie  sein  soll:  der  erste  ein  geneigter  (^  Tse)  der 
zweite  ein  ebener  (_  Ping)  der  dritte  ein  geneigter;  in  der 
zweiten  Zeile:  der  erste  ein  ebener  (~\  der  zweite  ein  geneigter 
(w).  der  dritte  ein  ebener  (_  i  oder  umgekehrt  Sollte  der 
erste,  dritte  oder  fünfte  Charakter  diese  Regel  verletzen,  so 
ist  dies  ohne  Bedeutung;  der  zweite,  vierte  oder  sechste  dürfen 
dies  aber  unter  keinen  Umständen.  Es  ist  wesentlich  auch, 
dass  der  letzte  Charakter  der  ersten  Zeile  einen  geneigten  Ton 
und  der  letzte  in  der  zweiten  Zeile  einen  ebenen  Ton  habe. 
Dieselben  Charaktere  sollen  nicht  in  jeder  Zeile  wiederholt 
werden,  und  es  ist  wesentlich,  dass  sich  eine  Antithese  vor- 
finde sowohl  im  Sinne  als  in  den  Tönen  der  Worte,  welche 
die  zwei  Zeilen  des  Paares  bilden/ 


1  A  Collöctiou  ot  Chinese  Pn>verbs.  lutrod.  p.  X. 


Ueber  den  Bhjthuras  im  Chinesischen.  43 

Ehe  auf  die  inneren  Widersprüche  dieser  Regel  einge- 
gangen wird,  soll  sie  an  den  vorgeführten  Beispielen  erprobt 
werden. 

Dass  diese  Beispiele  3.  Doei-lein  sind,  versichern  nns  die 
Chinesen.  Das  erste  führt  Zottoli1  an,  die  beiden  anderen  sind 
aus  dem  Werke  Scarborough's*  selbst  genommen.  Trotzdem 
sieht  jedermann  auf  den  ersten  Blick,  dass  nicht  alle  voll* 
kommen  mit  der  angegebenen  Regel  stimmen. 

Das  zweite,  welches  Scarborough  selbst  ausdrücklich  als 
Tui-tzü  hervorhebt,  verletzt  die  Regel  des  Tonwechsels  im 
zweiten  und  sechsten  Gliede,  von  einer  Antithese  im  Sinne 
oder  in  den  Worten  dürfte  schwer  etwas  zu  finden  sein. 

Das  dritte  verletzt  die  Regel,  dass  nicht  in  jeder  Zeile 
an  derselben  Stelle  der  gleiche  Schriftcharakter  vorkomme,  beim 
ersten  Schriftzeichen,  sowie  die  Regel  bezüglich  des  Tones  vom 
letzten  Schriftzeichen  und  bezüglich  des  Tonwechsels,  des- 
gleichen kann  auch  hier  von  einer  Antithese  im  Sinn  oder  in 
den  Worten  nicht  die  Rede  sein. 

Das  erste  endlich  verletzt,  abgesehen  davon,  dass  auch  hier 
von  keiner  Antithese  in  den  Worten  gesprochen  werden  kann, 
diese  Regel  direct.  In  der  ersten  Zeile  ist  der  fünfte  Charakter 
^£,  in  der  zweiten  fffe,  nun  ist  aber  der  Gegensatz  zu  ^  nach 
Sprachgebrauch  >£f,  wenn  eine  solche  Antithese  beabsichtigt 
ist.  Analog  verhält  es  sich  auch  mit  'jnf  und  ]|£ .  Gegensätzlich 
sind  fifc  und  fä. 

Was  bleibt  also  von  dieser  Regel  übrig?  Uebrigens  ent- 
hält sie  auch  einen  Widerspruch  in  sich.  Soll  der  letzte  Cha- 
rakter der  ersten  Zeile  einen  Tse-sheng,  der  letzte  der  zweiten 
einen  Ping-sheng  haben,  dann  gibt  es  bei  einer  geraden  Anzahl 
Worte  überhaupt  nur  die  eine  Form,  dass  in  der  ersten  Zeile 
der  zweite,  vierte,  sechste,  überhaupt  jeder  gerade  Charakter 
einen  Tse-heng  haben  muss,  in  der  zweiten  Zeile  jeder  gerade 
Charakter  einen  Ping-sheng,  wenn  es  wahr  wäre,  dass  ein 
Abweichen  von  dem  Betonungswechsel  bei  den  geraden  Cha- 
rakteren unter  keinen  Umständen  gestattet  ist.  Dass  aber  dieses 
Festhalten  an   den   bestimmten  Tönen   nicht  Regel  ist,   haben 


1  Zottoli,  Curat»  litteraturae  sinicae,  Vol.  V,  p.  798,  Nr.  101. 
*  1.  c.  Introd.  p.  XI  and  p.  281,  Nr.  1668. 


44  III.  Abhandlunjc    K 6b Bert. 

wir  bereits  gesehen,  ebensowenig  als  die  Regel,  dass  der  letzte 
Charakter  der  ersten  Zeile  ein  Tse-heng,  der  letzte  der  zweiten 
ein  Ping-8heng  sein  muss. 

Sohin  kann  die  Antithese,  der  von  Scarborough  aufgestellte 
Betonungswechsel  etc.  kein  wesentliches  Erforderniss  der  paral- 
lelen Phrasen  sein.  Derartige  Dinge  können  sich  vorfinden, 
müssen  es  aber  nicht.  Was  jedoch  nur  sein  kann  und  nicht 
sein  muss,  darf  nicht  als  Regel  ausgegeben  werden. 

Die  gleiche  Anzahl  der  Charaktere  (Worte)  und  die  corre- 
spondierende  Satzconstruction,  an  gleicher  Stelle  Subject,  Prädi- 
cat,  Orts-,  Zeitangabe  u.  s.  w.  sind  bei  diesen  parallelen  Phrasen 
in  jeder  der  beiden  Zeilen  vorhanden,  entsprechend  dem  Be- 
griffe der  Parallelität,  welcher  allein  die  Gleichartigkeit  ein-, 
hingegen  die  Ungleichartigkeit  an  sich  ausschliesst,  sohin  sich 
nur  auf  das  bezieht,  was  bei  zwei  Dingen  gleichartig  ist,  nicht 
aber  auf  das,  worin  sie  sich  unterscheiden.  Nicht  weil  es  ein 
rechter  und  ein  linker  Schuh  ist,  bilden  beide  ein  Paar,  sondern 
nur  deshalb,  weil  beide  Schuhe  sind.  Ein  Stiefel  für  den 
linken  Fuss  und  ein  Schuh  für  den  rechten  können  nie 
und  nimmer  als  Paar  aufgefasst  werden;  denn  was  wäre 
dies  für  ein  Paar?  Ein  Stiefelpaar?  Gewiss  nicht.  Vielleicht 
ein  Schuhpaar?     Auch  nicht. 

Die  zuletzt  betrachtete  Art  des  Rhythmus  leitet  über  zu 
den  rhythmischen  Gebilden  in  der  chinesischen  Poesie.  Der 
wesentliche  Unterschied  zwischen  dem  strengen  Rhythmus  der 
Prosa  und  den  rhythmischen  Formen  der  Poesie  besteht  darin, 
dass  in  der  Poesie  die  metrische  Form  ein  für  allemal  festgelegt 
ist.  Der  Dichter  ist  sonach  an  eine  bestimmte  metrische 
Form  gebunden,  der  Schriftsteller  hingegen  bestimmt 
seinen  selbst  strengen  Rhythmus  lediglich  nach  dem  jeweiligen 
Gedankenausdruck. 

Die  bestimmte  metrische  Form  beruht  auf  einer  als 
Norm  festgesetzten  Aufeinanderfolge  der  Betonungen  Ping 
und  Tse,  je  nach  dem  bestimmten  Strophenbau,  bei  dem  unter 
Umständen  auch  der  Reim  zur  Geltung  kommt. 

Eine  Aufzählung  der  metrischen  Formen  in  der  chine- 
sischen Poesie  ist  hier  nicht  beabsichtigt,  da  Zottoli  in  seinem 
Cursus  litteraturae  sinicae  Vol.  V.,  p.  435  ff.  Muster  derselben 
gibt.    Hier  soll  nur  auf  den  Rhythmus  in  der  Poesie  ab  einen 


Ueber  den  Rhythmus  im  Chiuesischeu.  45 

ein  für  allemal  an  die  fixe  metrische  Form  gebundenen,  hin- 
gewiesen werden,  im  Gegensatz  zu  dem  strengen  Rhythmus 
der  Prosa,  der  allein  von  den  Gedankenverhältnissen  vor- 
geschrieben wird.  Hiezu  genügt  ein  oder  das  andere  Beispiel. 
Nehmen  wir  eines  der  Gedichte,   dessen  Verse   aus  fünf 

Worten  bestehen  (3£  ^f  jljf)   un^   zwar  von   (j£  jfe)   ^en 
verkürzten  fünffüssigen  (Quinarii  recisi). 

^  flj^1  tshiin  mein 

5§£  HJ1  >P  tt  B|l  tshiin  mein  be*  gjo*  hjäo 

f$+  f&  &  $$  >%  ^i  ^H  &1  t*  nldo 

l£  3fc  JR  PS  $  ^  täfpg  %i  &m 

tt  l£  3&  $>  &  Hl°*  d^1  db-  sk-do' 

Hierin  haben  wir  folgende  Vertheilung  von  Ping  und  Tse: 


V>  *>J  v> 

v-#  V-/  _ 

v->        —         —         w 


Zottoli  äussert  sich  über  diese  Strophenform  in  folgender 
Weise: 

,Was  das  Metrum  >fejj  fp|  anbelangt,  so  ist  die  alte  und 
neue  Form  vor  Allem  zu  unterscheiden.  Die  erste  hat  den 
fünf  und  siebenfüssigen  alten  Vers,  in  denen  der  Reim  echt 
(2p)  oder  unecht  (|^)  sein  kann,  die  Accente  aber  unter- 
liegen keinem  anderen  Gesetz,  als  dass  in  demselben  Verse 
nicht  alle  unter  sich  gleich  sein  können.  Die  neuere  Form 
umfasst  die  verkürzten  fünf-  oder  siebenfüssigen,  die  normalen 
und  die  verlängerten,  deren  Gesetz  ist:  In  den  fünffüssigen 
sollen  die  Accente  also  vertheilt  sein: 

v->    l J    w        \~/ 

—    _    w    ^    _   (Reim) 
_  L  «w»  J  —     \s    s~* 

w  l_ J  w    w    —    __   (Reim) 
oder  umgekehrt: 

—    L  vx  J    —      v>      w 

»j[_lw    w    _    _   (Reim) 

__  _    w    w    _    (Reim) 

1  Zottoli  1.  e.  p.  488. 


46  m.  Abhandlvnc!    Kfthiiert. 

Der  Reim  in  den  filnfftissigen  kann  wie  bei  den  übrigen 
echt  (^f )  oder  unecht  (jX)  seinf  ^  den  verlängerten  mnss 
er  echt  sein/ 

Wie  man  sieht,  will  das  vorgeführte,  aas  Zottoli  selbst 
genommene  Beispiel  (und  zwar  das  erste)  mit  obiger  Regel 
nicht  stimmen.  Denn  weder  das  erste  noch  das  zweite  Schema 
ist  jenes  des  gegebenen  Gedichtes.  Das  Gedicht  stammt  aus 
der  Tang-Dynastie,  hat  Meng  Hao-jan  (689 — 740  p.  Chr.)  zum 
Verfasser,  und  ist  ein  Quinarius  recisus. 

Wie  Zottoli  selbst  bemerkt,  kann  der  Reim  planus  (^p) 
oder  implanus  (JX)  se*n*  Seine  obigen  beiden  Schemata  gelten 
aber  nur  für  den  Planus.  Wenn  man  mehrere  dieser  Strophen 
aus  fUnffftssigen  Versen  miteinander  vergleicht,  so  kommt  hiebei 
ein  etwas  weiter  gefasstes  Gesetz  zur  Geltung,  das  im  Schon- 
heitsgefühl  begründet  ist:  unitas  in  varietate. 

Der  zweite  Quinarius  in  Zottoli  ist: 

*fr  [&  ifr  ■%  ¥  w  Hf4  «•*  ** 

iL  $k  Hf  ÜtL  A  aje  lin3  <**>'  l%  fy™ 

Ü  Kfc  fö  %  #•  $*  **$*'  m£  h§  ttdo 

M  Ixa  ilt  *ft  i  hsijit^di  teÄtm 


der  vierte: 

;*:  slt  Üt  iß  #  dädäodthc  vi/a* 


0  jk  H  %  *■***"  *jy*  sjü  kß  dö 

3£  |§£  fk  &  -f"  ilin9  9&  9§M  <**$ 


§?  ^f  ^  3£  SJ  **?  **?  f  **'  ^ 

Die  Rhythmen  dieser  drei  Gedichte   neben  einander  ge- 
stellt, ergibt: 

l.  2.  3. 


/         1         / 

1      w     v>     v>> 

1         ' 

'         1          ' 

KS      KS        1        «^       W 

w  ^»   1    _  _.   w    Reim 

1 

—  v/  1   w  —  _    Reim 

1         ' 

—  w       _  w  _    Reim 

'         1         ' 

*»/     —      1     w    —     w 

_  ^   1    _  _  ^    Reim 

-  -   1    w  w  _    Reim 

—  —    1    —  «S  —    Reim 

von  denen  keiner  mit  den  von  Zottoli  angegebenen  Schemen 
stimmt;  am  ehesten  noch  der  zweite,  welcher  allein  im  ersten 
Verse  vom  Schema  II  abweicht. 


Ueher  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  47 

Das  thatsächlich  zur  Geltang  kommende  Bildungsgesetz 
hier  ist: 

Es  sollen  nicht  alle  Versflisse  eine  gleiche  Betonung  haben. 
Je  zwei  von  den  vier  Versen  einer  Strophe  sollen  ein  schönes 
Verhältniss  der  Ping  und  Tse  aufweisen,  gleichsam  als  Gegen- 
stücke zu  einander  erscheinen,  ferner  bei  je  zwei  nacheinander 
folgenden  Versen  (also  1,  2  und  3,  4)  nicht  mehr  als  auf  einem 
Versfusse  die  gleiche  Betonung  sein. 

Der  zweite  und  vierte  Vers  sollen  reimen  und  zwar  kann 
der  Reim  echt  (_)  oder  unecht  (^)  sein. 

Der  Hauptunterschied  zwischen  dem  Rhythmus  der  Poesie 
und  Prosa  Ist  demnach,  dass  bei  den  poetischen  Gebilden  in 
einer  rhythmischen  Gruppe  nicht  lauter  gleiche  Betonungen 
vorkommen  dürfen,  in  der  Prosa  wohl;  dass  der  Rhythmus  in 
der  Poesie  zum  voraus  festgelegt  ist,  jener  der  Prosa  durch 
die  Gedankenbeziehungen  bestimmt  wird,  dass  in  der  Poesie 
dem  correspondierenden  Rhythmus  nicht  ein  correspondierender 
Satzbau  entsprechen  muss,  wie  in  der  Prosa,  sondern  nur  der 
rhythmische  Accent  des  Verses  mit  dem  logischen,  beziehungs- 
weise pathetischen  sich  zu  decken  hat. 

Die  angeführten  drei  Gedichte  lauten  in  freierer,  zweck- 
entsprechender Uebersetzung : 

Der  Frühlingsschlaf  von  M6ng  Hao-jan. 

Im  Lenzestaumel  beachtet  ich  nicht  Aurorens  Kommen, 
Von  allen  Orten  empfing  nur  mein  Ohr  der  Vöglein  Gezwitscher; 
In  nacht' ger  Stille  entstanden  dann  Sturm  und  Kegengebrause, 
Der  Blümlein  manche  sie  fielen  zu  Grund,  ich  weiss  ja  wie  viele.1 

Meng  Hao-jan   traf  bei  einem  Besuche  den  Yuen   nicht  mehr 

als  Censor.2 

Zu  Loyang  da  traf  ich  der  Sprache  gewaltigen  Geist  an. 
Zu  Kjangling  doch  war  es  der  (arme)  vom  Hofe  Verbannte, 


1  Der  Dichter  schildert  hiemit  die  Glückseligkeit  seines  verborgenen  Le- 
bens. Wörtlich  heisst  es:  Im  Frühlingsschlaf  gewahrte  ich  nicht  die 
Morgenröthe,  überall  hörte  ich  die  zwitschernden  Vögel.  In  der  Nacht 
war  Sturm  und  Regengebraus,  die  BlÜthen  fielen  zur  Erde,  ich  weiss 
wie  viele. 

f  M6ng's  Freund  Yuen,  aus  Loyang,  war  Privatcensor  des  Kaisers,  er 
ging  ins  Exil  auf  den  ßerg  YüHng  in  Kiangsi,  wo  frühzeitiger  Frühling 
einzutreten  pflegte. 


48  HI.  Abhandln!)*:    Kuhn  ort. 

Dort  hört*  ich  wohl  preisen  der  Pflaumen  gar  zeitige  Blüthen, 
Wozu  soll'n  ihm  nützen  (die  Boten)  vom  Frühlenz  des  Erdstrichs?1 

Auf  die  Strasse  zu  Loyang  von  Tschu  Koang-hi. 

Dem  Haar'  gleich  erstreckt  sich  gerade  die  königlich  breite  der  Strassen, 
Dort  gibt  es  am  Frühlingstage  balsamische  Düfte  die  Menge, 
Fünf  Gräbern  zunächst  sich  tummeln  die  edelsten  Söhne  der  Fürsten, 
Vom  edelsteinschillernden  Zaumzeug  hallt  doppelt  ein  Schellengeklingel.8 

Die  durchgeführte  kritische  Discussion  hat  nun  klargestellt, 
was  man  unter  Rhythmus  im  Allgemeinen  auf  Grund  des  Sprach- 
gebrauches zu  verstehen  hat  und  welches  die  charakteristischen 
und  daher  unerlässlichen  Eigenschaften  desselben  sind.  Sie  hat 
ferner  gezeigt,  dass  die  Chinesen  in  ihrer  Sprache  genau  das 
anwenden,  was  wir  als  Begriff  mit  dem  Worte  Rhythmus  be- 
zeichnen und  dass  für  den  Chinesen  Stil  und  Rhythmus  in  dem- 
selben, ja  in  noch  weiterem  Umfange  als  für  unsere  Sprachen 
sich  decken. 

Beim  Rhythmus  im  Chinesischen  hat  man  nach  dem  Vor- 
geführten drei  Haupterscheinungsformen  desselben  zu  unter- 
scheiden. Die  erste  derselben  ist  der  freiere  Rhythmus  in  der 
Prosa,  der  durch  die  logischen  Accente  bedingt,  infolge  des 
hierauf  begründeten  schnelleren  Hinwegeilens  über  einzelne  Satz- 
theile  und  Perioden,  der  gewichtigeren  Hervorhebung  des  ge- 
danklich Wichtigen,  der  innigeren  lautlichen  Aneinanderreihung 
zweier  oder  mehrerer  Worte  zum  Ausdruck  eines  Begriffes 
hervorgerufen  wird  und  analog  dem  Numerus  oratorius  unserer 
Sprachen  mehr  von  dem  Sprechenden  auf  Grund  seines  Sprach- 
gefühles herausgefunden  werden  muss  als  sich  demselben  auf- 
drängt. 

Die  zweite  Erscheinungsform  ist  jene  des  strengen  Rhyth- 
mus in  der  Prosa,  bei  dem  die  rhythmischen  Gebilde  Rhythmus 
im  engeren  und  weiteren  Sinne  zeigen,  derselbe  steht  im  innigen 
Zusammenhang  mit  der  Satzconstruction,   weil  er  durch  diese 

1  Wortlich:  Zu  Loyang  traf  ich  ein  schriftstellerisches  Talent,  au  Kjang- 
ling  war  es  eiu  Verbannter,  ich  höre  sprechen  von  der  Frühzeit  der 
Pflaumeublüthen,  zu  was  nützt  dieses  Erdstrichs  Frühling? 

*  Wörtlich:  Die  königliche  (Reichs-)6trasse  ist  wie  ein  Haar  gerade,  am 
Frühlingstage  sind  der  heilsamen  Lüfte  viele,  hei  den  fünf  Grabhügeln 
sind  die  edlen  Fürstensühne,  doppelt  und  doppelt  klingt  das  edelstein- 
geschmückte  Zaumzeug. 


Ueber  den  Bhythmns  im  Chinesischen.  49 

d.  i.  durch  die  gedanklichen  Beziehungen  erzeugt  wird.  Seine 
Gebilde  streifen  an  die  rhythmisch  metrischen  Formen  unserer 
poetischen  Erzeugnisse  und  machen  sich  der  Empfindung  mit 
unwiderstehlicher  Gewalt  als  solch  strengrhythmische  Formen 
der  Prosa  fühlbar. 

Die  dritte  Erscheinungsform  des  Rhythmus  offenbart  sich 
in  den  rhythmisch-metrischen  Formen  der  chinesischen  Poesie. 
Hier  ist  die  Form,  die  schöne  Form,  das  zunächst  Festgelegte, 
an  die  der  Dichter  mit  Notwendigkeit  gebunden  ist.  Nicht 
lediglich  die  Beziehungen  der  Gedanken  sind  das  den  Rhyth- 
mus Bestimmende,  sondern  die  schöne  Form  im  harmonischen 
Verhältniss  ist  das  oberste  Gesetz.  Daher  stehen  Satzbau  und 
Rhythmus  beim  Verse  nicht  in  solch  inniger  Correspondenz  wie 
bei  dem  strengen  Rhythmus  in  der  Prosa,  nur  die  logischen 
beziehungsweise  pathetischen  Accente  müssen  mit  den  rhyth- 
mischen Accenten  des  Verses  zusammenfallen.  Rhythmisch  corre- 
spondierende  Verse  brauchen  keinen  correspöndierenden  Satzbau 
aufzuweisen,  wie  dies  beim  strengen  Rhythmus  der  Prosa  der 
Fall  ist. 

Die  Discussion  hat  aber  ferner  auch  gezeigt,  dass  die 
Aufstellung  des  Begriffes  Parallelismus  als  einer  innigen  Ver- 
bindung von  Rhythmus  und  Antithese  selbst  im  antithetischen 
Verhältniss  zu  dem  steht,  was  die  Chinesen  parallele  Phrasen 
nennen,  weil  die  für  diese  Auffassung  gegebenen  Regeln  von 
einer  grösseren  Anzahl  derartiger  Gebilde  Lügen  gestraft  werden, 
überdies  auch  mit  dem  chinesischen  Begriff  für  diese  Sätzepaare 
im  logischen  Widerspruch  stehen. 

Das  eigentliche  Gesetz,  welches  im  richtigen  Begriffe  des 
Sätzepaares  gelegen  und  von  den  Chinesen  thatsächlich  beob- 
achtet wird,  wurde  hiebei  ganz  bei  Seite  gelassen. 

Wie  einfach  führt  G.  Schlegel  (1.  c.)  dieses  Gesetz  an: 

,In  zwei  parallelen  nebeneinander  oder  auch  nacheinander 
gesetzten  Phrasen,  verlangt  das  chinesische  Stilgesetz,  dass 
s&mmtliche  Redetheile  wechselweise  miteinander  correspondieren: 
Snbject  mit  Subject,  Verbum  mit  Verbum,  Substantiv  mit  Sub- 
stantiv, Adjectiv  mit  Adjectiv,  Adverb  mit  Adverb,  Ortsname 
mit  Ortsname,  Genetivzeichen  mit  Genetivzeichen,  Object  mit 
Object  u.  8.  w/ 

Sümiigiber.  d.  phiL-hist.  Cl.  CIXXIV.  Bd.  S.  Abb.  4 


50  III.  Abhandlung:    lühoert. 

Er  vindiciert  sich  keineswegs  hiemit,  dass  er  das  Gesetz 
geschaffen  habe,  noch  beruft  er  sich  auf  seinen  chinesischen 
Lehrer1  und  mit  Recht,  denn  dieses  Gesetz  ist  Sprachgesetz, 
das  besteht,  und  nicht  ein  Gesetz,  welches  der  betreffende 
Chinese  erfunden  hat,  ein  Gesetz,  das  klar  für  jeden  zu  Tage 
liegt,  der  sich  in  den  Geist  des  Chinesischen  eingelebt.  Wenn 
so  viele  andere  ausser  Schlegel  achtlos  an  diesem  Gesetze 
vorübergegangen  sind,  so  hat  dies  seinen  Grund  darin,  dass 
man  häufig  den  Wald  vor  lauter  Bäumen  nicht  sieht.  Hier 
sind  eben  die  Bäume  die  Unmassen  scharfsinnig  erklügelter 
grammatischer  Regeln,  welche  zu  der  Einheit  des  in  Rede 
stehenden  Gesetzes  (dem  Walde)  sich  zusammenfassen. 

Aus  diesem  Grunde  sagt  auch  Schlegel  in  einer  An- 
merkung nur:  ,Keine  der  chinesischen  Grammatiken,  soviel 
uns  bekannt,  führt  diese  Regel  an/  Hiemit  ist  ein  wunder 
Punkt  der  chinesischen  Grammatiken  berührt,  der  bedeutend 
in  die  Wagschale  fällt. 

Grammatik  kann  für  das  Chinesische  nicht  sein,  die  Lehre 
von  den  verschiedenen  Formen  (Declination,  Conjugation  etc.), 
durch  welche  die  Gedankenverhältnisse  ausgedrückt  werden, 
sondern  nur  die  Lehre  von  den  Gesetzen  der  Sprache,  nach 
welchen  die  logischen  Beziehungen  der  Begriffe  im  Urtheile 
nach  der  Auffassung  des  Schreibenden  oder  Sprechenden  zum 
Ausdruck  kommen.  Dies  kann  aber  nur  eine  wissenschaft- 
liche Grammatik2  sein,  welche  die  oberste  Trinität  der  chine- 
sischen Sprachgesetze  umfassen  muss,  nämlich:  Syntax,  Rbyth- 


i 


Es  w&re  dies  ebenso  nichtssagend  als  bei  einem  Citate  anzuführen,  der 
Herr  X  oder  T  hat  mich  aufmerksam  gemacht,  dass  diese  oder  jene 
Sentenz  auch  in  dem  oder  jenen  Buche  zu  finden  sei,  wenn  man  darauf- 
hin das  betreffende  Buch  durchliest  und  auf  Grund  der  Leetüre  die  ent- 
sprechende Stelle  citiert.  Man  beruft  sich  nur  dann  auf  den  Herrn  X 
und  Y,  wenn  man  das  betreffende  Werk  nicht  selbst  einsehen  kann  und 
daher  nicht  in  der  Lage  ist,  die  Verantwortung  dafür  zu  übernehmen, 
dass  in  demselben  ein  derartiges  Citat  vorhanden  ist. 
Denn  nicht  das  Volk,  dessen  Muttersprache  die  betreffende  ist,  hat  die 
Gesetze  zum  Voraus  aufgestellt,  sondern  die  Sprache  hat  sich  organisch 
mit  der  anderen  Entwicklung  des  Volkes  ausgebildet,  und  Aufgabe  der 
Wissenschaft  ist  es,  die  Gesetze  abzuleiten,  welche  in  der  betreffenden 
Sprache  zum  Ausdrucke  der  logischen  Gedankenverhältnisse  obwalten 
und  in  ein  System  zu  bringen. 


Ueber  den  Rhythmn*  im  Chinesischen.  51 

nras  and  Euphonie.  Insoweit  als  hiedurch  dem  Lernenden  die 
Möglichkeit  geboten  wird,  schneller  zum  Ziele  zu  gelangen, 
als  dadurch,  dass  er  mühselig  sich  selbst  durch  langjährige  Er- 
fahrung die  Hauptgesetze  der  Sprache  zum  Bewusstsein  bringt, 
ist  sie  auch  praktisch. 

Eis  walten  hier  dieselben  Verhältnisse  ob,  wie  bei  der 
Logik.  Lange  vorher  ,ehe  es  eine  wissenschaftliche  Logik 
gab,  die  erst  Aristoteles  schuf,  wurde  bereits  logisch  gedacht 
und  eine  grosse  Summe  richtiger  und  geltender  Begriffe  ge- 
funden';1 ebenso  kann  man  auch  ohne  Grammatik  im  obigen 
Sinne  sich  des  sprachrichtigen  Ausdruckes  in  den  meisten  Fällen 
bedienen.  Man  verfährt  dann  nach  den  Sprachgesetzen  aber 
ohne  Wissen  von  denselben;  und  daher  kann  in  zweifelhaften 
Fällen,  wo  die  praktische  Erfahrung  im  Stiche  lässt,  die  sprach- 
richtige Ausdrucksweise  zur  Unmöglichkeit  werden. 

Die  Aufstellung  einer  wirklichen  Grammatik  ist  daher 
Sache  eines  gereiften  Mannes  der  Wissenschaft,  dem  überdies 
ein  vollständiges  Eingelebtsein  in  diese  Sprache  eigen  sein  muss. 
Letzteres  setzt  aber  ein  langjähriges  Studium  und  einen  directen 
Verkehr  mit  dem  dieselbe  redenden  Volke  voraus. 

Wer  die  chinesische  Grammatik  sich  in  der  Form  der 
Grammatiken  unserer  Sprachen  denkt,  der  geräth  in  eine  Sack- 
gasse; denn  wie  Schlegel  treffend3  bemerkt,  ist  die  chinesische 
Sprache  wie  eine  Lehre  aus  Holz  (sabot  en  bois),  sie  verträgt 
nicht  im  Mindesten,  dass  man  ihr  die  Form  der  Grammatik 
einer  flectirenden  Sprache  aufdränge. 

Wohin  dies  führen  kann,  möge  an  einem  Beispiele  ge- 
zeigt werden. 

Der  Chinese  bezeichnet  mit  Rücksicht  auf  den  Satz 
einzelne  Schriftcharaktere  als  Huo-dsy.  Huo  bedeutet  unter 
anderen  ,leben,  beweglich,  activ  etc.',  weswegen  man  Huo-dsy 
gewöhnlich  durch  ,Lebewörter'  wiederzugeben  pflegt.  Mit  Huo- 
dsy  bezeichnet  nun  der  Chinese  Prädicatsausdrücke  des  Satzes. 
Letztere  werden  in  den  flectierenden  Sprachen  grossentheils  durch 
Verba  gebildet;  Verba  aber  haben  in  letzteren  einen  bedeutenden 
Formenreichtum. 


1  Zimmermann,  Phil.  Propädeutik,  p.  13. 
9  La  stele  faneraire  du  Teghin  Oiogh,  p.  49. 

4* 


52  III.  Abhandlung:    Kühne rt. 

Wie  leicht  ist  es  nun,  dass  die  Ausdrucksweise:  ,  Huo-dsy 
bezeichne  Verba'  dahin  aufgefasst  werde,  der  Chinese  nenne 
deshalb  das  Verbum  Huo-dsy  =  das  bewegliche,  lebende  Wort, 
weil  das  Verbum  im  Chinesischen  den  bedeutendsten  Formen- 
reichthum  habe.  Hiedurch  würde  aber  der  chinesischen  Denk- 
nnd  Sprachweise  direct  ins  Angesicht  geschlagen.  Gienge  man 
nun  auf  Grund  dieser  Auffassung  weiter,  so  könnte  man  dahin 
kommen  nach  Muster  der  Conjugation  unserer  Verba  ein  Para- 
digma des  chinesischen  Zeitwortes  aufzustellen;  denn  der  Chinese 
kann  alles  das  begrifflich  wiedergeben,  was  wir  mit  den 
Formen  unserer  Zeitworte  ausdrücken.  Leider  hat  aber  der 
Chinese  kein  Verbum  in  unserem  Sinne,  noch  weniger  eine 
Conjugation,  wie  bekannt.  Man  würde  dann  z.  B.  sagen:  tstd'- 
fän  heisst  essen;  nach  dem  Paradigma  wäre:  ,Ich  habe  ge- 
gessen' =  6  (ich)  tshi^fän  (gegessen)  Uao  (habe).  Würde  man 
aber  auf  die  Frage:  Haben  Sie  schon  gegessen?  die  Antwort 
,ich  habe  gegessen'  durch  6  UikC-fän  Uao  geben,  so  würde  der 
Chinese  über  diese  unchinesische  Ausdrucksweise  lächeln; 
denn  richtig  Chinesisch  heisst  es:  tshi'  k§  Uao  (Essen  vor- 
über fertig). 

Der  Ausdruck  Huo-dsy  ist  in  Wirklichkeit  darauf  zurück- 
zuführen, dass  der  Prädicatsausdruck  veränderlich  ist  je  nach 
dem  Subjecte,1  also  in  diesem  Sinne  beweglich,  das  will  sagen, 
das  Schriftzeichen  für  den  Prädicatsbegriff  gilt  nicht  nach  dem 
ganzen  Umfange  seiner  Bedeutung,  sondern  nur  nach  jenem 
Umfange,  der  auf  das  jeweilige  Subject  Bezug  haben  kann.  In 
weiterer  Folge  deutet  dann  Huo  in  Huo-dsy  auch  auf  die  durch 
einen  derartigen  Charakter   eventuell   ausgedrückte  Thätigkeit 

Deswegen  muss  man  Schlegel  vollkommen  beistimmen, 
wenn  er  die  Notitia  linguae  sinicae  des  P.  Pr&nare,  jenem  der 
Europäer,  welcher  am  Besten  das  Chinesische  auffas6te,  allen 
anderen  Grammatiken  vorzieht,  weil  Pr&nare  nicht  mehr  oder 
weniger  geschickt  abgefasste  Regeln  in  Worten  aufstellt,  sondern 
den  unerfahrenen  Schüler  gleich  durch  zahlreiche  Beispiele  auf 
die  Grundgesetze  und  die  philosophische  Praxis  der  chinesischen 
Sprache  führt. 


1  Weiches  allein  nur  seinem  ganzen   Umfange   nach  genommen    werden 
kann,  also  abgeschlossen,  todt  ist. 


Uetar  den  Rhythmus  im  Chinesischen.  53 

In  der  Musik  liegt  ein  analoger  Fall  vor.  Joh.  Seb.  Bach, 
der  Meister  der  Fuge,  hat  eine  ,Kunst  der  Fuge'  veröffentlicht, 
wo  er  lediglich  durch  eine  Reihe  verschiedener  über  dasselbe 
Thema  gebildeter  Fugen  die  Gesetze  der  Fuge  ohne  weitere 
Worterklärung  lehrt.  Später  schrieb  Andr^e  eine  Fugenlehre 
auf  Grund  irgend  welcher  aus  seinem  Kopfe  geklügelter  Ge- 
setze. Statt  nun  sein  Werk  der  Stampfe  zu  überantworten, 
weil  die  erste  Fuge  in  Bach's  ,Kunst  der  Fuge*  nicht  zu 
seinen  Gesetzen  passt,  behauptet  er  im  Gegentheil  ,die  Kunst 
der  Fuge'  enthalte  keine  richtigen  Fugen  —  weil  sie  zu  seiner 
Theorie  nicht  passen.     Sapienti  sat. 

Hiemit  soll  keineswegs  den  vortrefflichen  und  dankens- 
werthen  Grammatiken  St.  Julien's  und  v.  d.  Gabelentz  nahe- 
getreten, sondern  nur  darauf  hingewiesen  werden,  dass  mit 
der  Kenntniss  der  Grammatiken  allein  noch  lange  nicht  Alles 
gethan,  sondern  im  Gegentheil  noch  vieles  zu  lernen  sei,  was 
in  der  Grammatik  nur  kümmerlich  angedeutet  werden  kann, 
wie  z.  B.  Rhythmus  und  Euphonie.  Hier  muss  das  Chinesische 
im  Geiste  des  Chinesen  behandelt  werden.  Denn  so  wenig  man 
den  Rhythmus  in  der  Musik  aus  Büchern  lernen  kann,1  so  wenig 
das  rhythmische  Gefühl  durch  Leetüre  von  Büchern  oder  Noten 
geweckt  wird;  ebensowenig  wird  aus  solchen  allein  begriffen 
werden,  was  der  Chinese  unter  Rhythmus  versteht  und  was 
wirklich  der  Rhythmus  im  Chinesischen  bedeutet.  Hier  wiegt 
ein  Jahr  praktischer  Erfahrungen  in  China  reichlich  ein  zehn- 
jähriges Studium  am  Schreibtische  zu  Hause  auf. 

Die  Hauptgesetze  der  Sprache  sind  so  wenige,  dass  sie 
auf  einem  winzigen  Blättchen  Papier  Raum  finden,  die  prak- 
tischen Anwendungen  derselben  so  mannigfaltig,  dass  man  damit 
Bände  füllen  könnte.  Wer  jene  im  richtigen  Sinne,  d.  i.  also 
im  Sinne  des  Chinesen  gefasst,  wird  sich  auf  Grund  dieser 
philosophisch  tiefsinnigen  Gesetze  stets  in  der  Sprache  zurecht- 
finden, auslernen  aber  wird  man  im  Chinesischen  nie.  Ob 
man  sich  der  Schriftsprache  zuwendet  oder  der  Umgangssprache, 

1  Daher  ist  Westphal  (Theorie  der  musischen  Künste,  p.  14)  im  Unrecht, 
wenn  er  meint,  dass  bei  Beethoven  der  Rhythmus  weniger  reich  sei  als 
bei  Bach.  Das  Gegentheil  dürfte  weniger  unrichtig  sein,  man  darf  eben 
in  Bach's  Compositionen  nicht  Rhythmen  hineinzwingen,  gegen  welche 
die  Com position  protestiert. 


54  111.  Abb.:    Kfthnert.  ü«btr  den  Rhythmus  im  Cbiimueben. 

immer  nur  gilt  als  Regel  sich  an  Werke  zu  halten,  die  von 
Chinesen  direct  oder  indirect  herrühren. 

Ist  diese  Erörterung  eigentlich  über  das  Ziel  der  Be- 
handlung des  Rhythmus  etwas  hinausgegangen,  so  möge  man 
mir  dies  um  dessentwillen  zu  Gute  halten,  dass  die  bisherigen 
Erörterungen  über  den  Rhythmus  es  mir  nahelegten,  meine 
Anschauungen  über  diesen  Punkt  der  Grammatik  zum  Aus- 
druck  zu  bringen,  eine  Anschauung,  welche  durch  die  persön- 
liche Anwesenheit  in  China  im  Gegensatze  zu  einem  früheren 
Jahre  langen  Studium  sich  mir  mit  zwingender  Notwendig- 
keit aufdrängte. 

Ich  stand  nicht  an  meine  frühere  Anschauung  diesbezüglich 
über  Bord  zu  werfen,  nachdem  mich  die  praktische  Erfahrung 
gelehrt  hat,  dass  das  Punctum  saliens  beim  Chinesischen  tiefer 
liegt,  als  wo  man  es  suchen  möchte. 


IY.  Abb.:  Fr.  Müller.    Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters  etc. 


IV. 

Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters 

von  Aryni  (Arghana). 

Von 

•  Dr.  Friedrich  Müller, 

Professor  an   der  Wiener  Universität. 


Die  Handschriftensammlung  des  armenischen  Klosters  von 
Arvni  (1V?V)  oder  Argni  (IVfty)  kann  zu  den  bedeutendsten 
Sammlungen  des  Orients  überhaupt  gezählt  werden.  Schon  in 
der  Zahl  der  Handschriften  übertrifft  sie  z.  B.  die  Sammlung 
der  Berliner  königl.  Bibliothek,  indem  sie  nicht  weniger  als 
142  (147)  Handschriften  umfasst,  während  die  Berliner  Biblio- 
thek nach  dem  Catalog  von  Karamianz  blos  99  und  mit  den  seit- 
dem dazu  gekommenen  Erwerbungen,  nach  den  Mittheilungen 
des  Herrn  P.  Jacob  Daschian,  110  armenische  Codices  besitzt.1 
—  Wie  wir  sehen  werden,  kann  die  Sammlung  des  Klosters  von . 
Arvni  nicht  blos  quantitativ,  sondern  auch  qualitativ  den  Vor- 
rang vor  der  Sammlung  der  Berliner  Bibliothek  beanspruchen. 

Aryni  (Arghana)  liegt  im  Wiläjet  (*r«#<J«Af.)  Dijärbekr  im 
Nord -Westen  der  gleichnamigen  Hauptstadt.    P.  Leon  Alischa- 


1  Herr  Dr  Grigor  Kalemkjar  schätzt  die  Zahl  aller  vorhandenen  armeni- 
schen Codices  auf  etwa  10.000.  In  EdSmiatsin  befinden  sich  etwa  2800, 
in  Venedig  2000,  in  Jerusalem  1600,  in  Wien  (Bibliothek  der  P.  P. 
Mechitharisten)  500,  in  Tiflis  etwa  400,  in  Paris  300,  in  Constantinopel 
(Bibliothek  der  Antonianer)  350,  in  England  200,  in  Moskau  150,  in  Ber- 
lin HO,  in  St.  Petersburg  100,  in  Rom  100.  Der  Rest,  ungefähr  1500  Hand- 
schriften, vertheilt  sich  auf  die  übrigen,  sowohl  öffentlichen  als  Privat- 
sammlungen. Leider  muss  man  in  Betreff  der  armenischen  Handschriften 
dasselbe  sagen,  was  von  den  arabischen  gilt.  Die  theologische  Literatur 
ist  stark  vertreten,  dagegen  sind  die  Werke  historischen  Inhalts  sehr 
selten. 

Sitzongsber.  d.  phil-hist.  Cl.  CXX1IV.  Bd.  4.  Abb.  1 


2  IT.  AMumdlmnf :    Fr.  MtUer. 

nean  schreibt  in  seinem  Werke  S^V^f^P  $tß-d  A^-g  (Venedig 
1855.  8°),  S.  43  (§.  69)  darüber  Folgendes:  ,r~r~  t*— *—■ 
(nämlich  dem  Flosse  f—ff***.)  Atf  ^ft£«ffe  1]^^%^  mf  *«.  IVtV 

Ift—T  Wrtlfit  J"f»*J*  ^"If^ff^  fymJSAmA  Ifmy  %ft  ^mfumtLsy  fmtwT  jmftät 
tfjktnyit,  9fi  pt-pl—.  ^mt^mt^/fflh  f>pp  2880'   'fi  ptmflrt[mvmftf  Iru  arnpf  ■»  mA y. 

^fkfl"  "^^ci.  tmma-^M'  1000>  j»p"  300  4*v,<f  •  *i"v  mm  "ifry  f  7^  ^  /""f* 

Ifu^mylruß  \\nmmäjM^u  &/&  »f^ß  jmmm  Jß  £/»{  *fa  {ff/Mr.'  yAlX  diesem 

FlUsschen  (nämlich  dem  Bafi-su,  respective  dem  oberen  Tigris) 
zieht  sich  der  District  Altana,  was  Ar^ni  oder  Argni  ist,  worin 
die  gleichnamige  Stadt  im  Süden  oder  auf  der  rechten  Seite 
des  Flusses  auf  einem  hohen  Felsenberge,  ungefähr  2880'  hoch, 
in  einer  lieblichen  und  fruchtbaren  Gegend  sich  befindet,  1000 
Häuser  umfassend,  darunter  300  den  Armeniern  gehörend,  deren 
Vorstandshaus  das  Kloster  der  „nach  oben  schauenden  Gottes- 
mutter" ist,  auf  einer  Zinke  des  hufeisenförmig  sich  hinziehen- 
den Berges/  —  Das  hier  erwähnte  Kloster  der  ,nach  oben 
schauenden  Gottesmutter*  ist  es,  in  welchem  die  Handschriften- 
sammlung sich  befindet.  —  Das  Material  zu  dem  vorliegenden 
Handschriften -Verzeichnisse  stammt  aus  dem  Buche  fcK-r«- 
«ngjMvjt  f.f»*0  <)<i«rjff£f/iEr  1]  ^  ^»li.w^iii^  (Constantinopel  -  Ba-f- 
dadlian.  1885.  8°)  Vol.  h"  p.  383—410,  und  ich  theile  es  hier 
besonders  deswegen  mit,  weil  ich  die  europäischen  Armenisten 
auf  die  schöne  Sammlung,  welche  den  beiden  berühmten  Biblio- 
theken von  Edzmiatsin  und  Jerusalem  würdig  an  die  Seite  ge- 
stellt werden  kann,  aufmerksam  machen  möchte. 


I.  Die  Bücher  der  heiligen  Schrift. 

(20  Handschriften.) 

1.  Die  Bibel,  d.  h.  die  Bücher  des  alten  und  des  neuen  Testa- 

ments (u#«m«*«rÄ-M#2mi2).  —  Geschrieben  im  Jahre  /rf*  (799 
=  1350).  —  Nr.  110. 

2.  Die  Bibel  (mmmmumhm^M%£^7  Pergament -Handschrift  mit  Ab- 

bildungen. —  Geschrieben  im  Jahre  «^/»  (1082  =  1633). 
—  Nr.  144. 

3.  Die  Bibel.  Pergament-Handschrift.  Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  145. 


Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters  Aiyni  (Arghana).  3 

4.  Die  Bibel.    Pergament-Handschrift.    Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  146. 

5.  Der  Psalter.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  38. 

6.  Der  Psalter.   Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  49. 

7.  Der  Psalter.   Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  53. 

8.  Der  Psalter.  Pergament-Handschrift.  Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  138. 

9.  Der  Psalter.   Geschrieben  im  Jahre  «^  (1060  =  1611)  in 

Tigranakert.  —  Nr.  140. 

10.  Die  Sprüche  Salomos.    Die   Propheten.    Ohne  Zeitbestim- 

mung. —  Nr.  141. 

11.  Die  Sprüche  Salomos.  —  Das  Buch  Hiob.  —  Grigor  Niusatshi 

(Gregor  von  Nyssa),  Predigten  und  Commentar  zum  Eccle- 
siastes.  Geschrieben  im  Jahre  &*  (771  =  1322).  —  Nr.  84. 

12.  Die   vier  Evangelien.     Geschrieben   im  Jahre  fa  (936  = 

1487).  —  Nr.  31. 

13.  Die  vier  Evangelien.    Mit  Abbildungen.    Geschrieben   im 

Kloster  |V*f6tyj  »f-'kp  in  Edzmiatsin  unter  dem  Katholi- 
kos  Grigor  X.  im  Jahre  fr  (904  =  1455).  —  Nr.  66. 

14.  Die  vier  Evangelien.  Geschrieben  in  Hromklah  im  Jahre  <y 

(800  =  1351).  —  Nr.  67. 

15.  Die  vier  Evangelien.    Pergament-Handschrift.    Geschrieben 

im  Jahre  «^  (672  =  1223)  im  Kloster  der  Gottesmutter 
auf  dem  Berge  Karmir.  —  Nr.  68. 

16.  Die  vier  Evangelien.  Geschrieben  im  Jahre  «y«*  (810=  1361). 

—  Nr.  113. 

17.  Die  vier  Evangelien.     Mit  Abbildungen.     Geschrieben   im 

Jahre  m+p  (1019  =  1570).  —  Nr.  116. 

18.  Die  vier  Evangelien.    Geschrieben  im  Jahre  *-$?  (1063  = 

1614)  in  Constantinopel.  —  Nr.  117. 

19.  Die  vier  Evangelien.    Geschrieben  im  Jahre  «y«^/t  (812  = 

1363)  in  Avthamar.  —  Nr.  119. 

20.  Die  vier  Evangelien.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  130. 

II.  Erklärungen  der  heiligen  Schrift. 

» 

(12  Handschriften.) 

1.  Wardan  Bardzrberdetshi  (12.  Jahrh.).    Commentar  zu  den 
Psalmen.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  8. 


4  IV.  Abhandlung:    Pr.  Müller. 

2.  Wardan  Bardzrberdetshi.  Commentar  zu  den  Psalmen.  Ge- 

schrieben im  Jahre  *J-p-  (1019  =  1570)  in  Kamenitz  im 
Lande  Polen,  als  Sigismund  III.  regierte.  —  Nr.  13. 

3.  Nerses  Lambronatshi  (12.  Jahrh.).  Commentar  zn  den  Psal- 

men. Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  128. 

4.  Commentar  zum  hohen  Liede  Salomos1  nnd  zn  dem  Pauli- 

nischen  Briefe  an  die  Epheser.2  Ohne  Zeitbestimmung.  — 
Nr.  51. 

5.  Nerses  Lambronatshi  (12.  Jahrb.).  Erklärung  der  Sprüche 

Salomos.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  137. 

6.  Commentar  zum  Propheten  Isaias.3   Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  48. 

7.  Mechithar  Göä  (12.  Jahrh.).  Commentar  zum  Propheten  Jere- 

mias.  —  Johannes  Wanakan  Tawuäetshi  (13.  Jahrh.).  Com- 
mentar zum  Buche  Hiob.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  124. 

8.  Grigor  (VII.)  Anawarzetshi,  Katholikos  (13.  Jahrh.).    Er- 

klärung der  Offenbarung  von  Johannes  und  /»«»V  «yA«»«*^. 
Geschrieben  auf  Wunsch  des  Königs  Hethum.  Ohne  Zeit- 
bestimmung. —  Nr.  77. 

9.  Commentar  zur  Offenbarung  Johannis.4    Ohne  Zeitbestim- 

mung. —    Nr.  142. 
10.  Georg  Lambronatshi  (auch  Skewratshi  genannt,  13.  Jahrh.). 
Erklärung  der  Apostelgeschichte  (\yifb»±P't'-%  rv^'w  *»"»- 

\Kw\g  \\u»p»qfr  Ar«.  l|AL/"7^;  vgl.  X,  Theologische  Tractate,  2. 
Geschrieben  im  Jahre  &p  (759  =  1310).  —  Nr.  120. 

1  Von  Grigor  Nitisatzi?  Grigor  Narekatshi?  Wardan?  Jacob  Karnetshi? 
Abraham  Astapattshi?  s.  yyuyp  gnctjtufy  der  Bibliothek  von  Edimiatsin 
(Tiflis  1862,  4°),  6.  146  ff. 

9  Von  Johannes  Chrysostomus?  Pöyos  wardapet?  s.  1]  «»/f  gncflutty,  S.  162  ff. 

8  Von  Sargis  Snorfcali?  Mechithar  Gö§?  (Beide  12.  Jahrh.)  Grigor  Skewra- 
tshi? Georg  Skewratshi?  (Beide  13.  Jahrh.)  Grigor  Tathewatehi?  Johannes 
Golotik?  (Beide  14.  Jahrh.) 

4  Von  Grigor  VII.  Anawarzetshi  oder  von  Athanasius,  übersetzt  von  Nerses 
Lambronatshi? 


Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters  von  Aryn   (Arghana).  {> 

11.  Sargis   Snor^ali   (12.  Jahrh.).    IJIfrfW/l/rir   \Y»p^'^ibkfru\)3' 

Erklärung  der  apostolischen  Briefe.  Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  123. 

12.  Anania  Sana^netshi  (11.  Jahrh.).  Commentar  zu  den  Briefen 

des  Apostels  Paulus.    Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  131. 
Grigor  Niusatshi  (Gregor  von  Nyssa).    Commentar  zum  Eccle- 
siastes;  s.  I,  Die  Bücher  der  heiligen  Schrift,  11. 

III.  Canones. 

(6  Handschriften.) 

1.  Canones  (l|«£"Arf/ß»).  Geschrieben  auf  Wunsch  des  Warda- 

pet  Thömah  Metsophetshi,  also  im  15.  Jahrhundert.  — 
Nr.  12. 

2.  Canones  (\^%n%u,^fip^)m     Kleine  Schrift.     Ohne  Zeitbestim- 

mung. —  Nr.  30. 

3.  Canones.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  54. 

4.  Canones.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  101. 

5.  Basilius.  Canones  (i|«A»^  «*•  f  Wf»^).  Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  24. 

6.  Basilius.  Canones  (1|«ä»^  \\u,[n,qf).   Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  55. 

Canones,  s.  VIII,  Predigten,  7. 
Canones,  s.  VIII,  Predigten,  11. 

IV.  Rituale  and  Missale. 

(18  Handschriften.) 

1.  Rituale  (Maätotsh).  Geschrieben  im  Jahre  «^c  (1098  =  1649) 

in  Ak$l  («/»  Jlrp*  WJföuy),  im  Kloster  der  Gottesmutter  und 
des  heil.  Kreuzes  als  Philippos  Patriarch  in  Edzmiatsin 
war.  —  Nr.  2. 

2.  Mafitotsh.  Geschrieben  im  Jahre  *tp  (669  =  1220).  —  Nr.  3. 

3.  Maätotsh  (fuyp  ä^«»^).1    Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  9. 

4.  Maätotsh  (Jlrh*  Jlu^umß),   Alt.   Ohne  nähere  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  11. 


1  Während  das  Jtu^uin^  blos  das  den  Priester  betreffende  Rituale  umfasst, 
ist  in  dem  Juyp  $Hu^uwng  oder  ,ÄÄ-  Jut^mng  das  ganze  Rituale,  auch 
jenes,  welches  den  Bischof  und  Erzbischof  angeht,  enthalten. 


6  IT.  Abfaandliug:    Fr.  Müller. 

5.  Maätotsh.  Geschrieben  im  Jahre  j^  (930  =  1481).  Mank.  — 

Nr.  29. 

6.  Maätotsh  (-ß»/r  -/irzrw^)-  Geschrieben  im  Jahre  £&  (931  = 

1482).  —  Nr.  33. 

7.  Maätotsh  («%r  ■/iz-»*ar).   Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  34. 

8.  Maätotsh  (A^mmg  jfvr)-  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  52. 

9.    Maätotsh    (^-m ff    lLmX*.+e*±pt,m%    mg,    If^f.    lrrfo~~L~r).     Q* 

schrieben  im  Jahre  f§k  (897  =  1448).  —  Nr.  58. 

10.  Maätotsh    und    Hymnologium.     Ohne    Zeitbestimmung.   — 

Nr.  95. 

11.  Maätotsh.  Zwei  Theile.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  98, 99. 

12.  Maätotsh.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  122. 

13.  Missale   (£"£»j  ?Av?)-1    Mank.    Ohne   Zeitbestimmung.   — 

Nr.  135. 

14.  Missale  (£—va)  mit  Abbildungen.  Geschrieben  im  Jahre  «^ 

(1090    =  1641)  in  Tigranakert.  —  Nr.  105. 

15.  Missale  (*«w).  Altes  Exemplar.  Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  106. 

16.  Missale  (fapfyfmmtmf,)*  Geschrieben  im  Jahre  «-#f  (1126 

»  1677).  —  Nr.  37. 

17.  Mirale  (^/t<^»^«— »A«.^).    Verziert  mit  Gold  und  Malereien. 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  41. 
JH.  MiMsalo  (farfp+m—irMip)'     Mit  Verzierungen.    Ohne  Zeitbe- 
stimmung. —  Nr.  42. 

V.  Hymnologium. 

(9  Handschriften.) 

1.  Hymnologium  (Sarakan).  Geschrieben  im  Jahre  *fp-  (1029 

1580)  in  Senquä.  —  Nr.  4. 

2.  »Sarakan.  Klein.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  23. 

3.  Marakan.   Klein.   Geschrieben  im  Jahre  Iff.  (944  =  1495) 

im  Kloster  Sirunqari.  —  Nr.  25. 
\,  ftarakan.  Klein.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  26. 
5,  Sarakan.  Klein.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  27. 

1  IM*  Mesabuch  mit  dem  Lectionarium. 
*  BloMes  Messbuch. 


Di«  armenischen  Handschriften  des  Klosters  Aryni  (Arghana).  7 

6.  Sarakan.    Pergament* Handschrift.    Klein.    Geschrieben  im 

Jahre  *>*  (1048  =  1599)  in  flamith  U.-"#P).  —  Nr.  39. 

7.  Sarakan.  Geschrieben  im  Jahre  *-*  (1006  =  1557)  im  Orte 

Sanvatsh  (Söyats).  —  Nr.  69. 

8.  Sarakan.  Zwei  Theile.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  78,  79. 

9.  Sarakan.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  89. 
Hymnologium,  s.  IV,  Rituale  und  Missale,  10. 

YI.  Horologium. 

(3  Handschriften.) 

1.  Horologium  («/Wifj/^).  Auf  Pergament.  Ohne  Zeitbestim- 

mung. —  Nr.  6. 

2.  Horologium  («fW«^/^).  Pergament-Handschrift.  Ohne  Zeit- 

bestimmung. —  Nr.  64. 

3.  Erbauungsbuch  (/kf  «m»»«^^ ).  Klein.  Ohne  Zeitbestimmung. 

—  Nr.  45. 

VIL  Calendarium. 

(3  Handschriften.) 

1.  Calendarium  («■»»t-ziy).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  17. 

2.  Fest-Calendarium  und  Horologium  («toW^y  k*.  «/w^/ßf ). 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  36. 

3.  Fest-Calendarium  (-»ok«^«^).  Drei  Theile.  Ohne  Zeitbestim- 

mung. —  Nr.  59,  60,  61. 

VIEL  Predigten. 

(14  Handschriften.) 

1.  Sammlung  von  Homilien  (TC—n-iüi—fo).  Geschrieben  im  Jahre 

*-<>*  (1075  =  1626)  von  Stephannos  mit  dem  Beinamen 
Karmir.  —  Nr.  5. 

2.  Sammlung  von  Homilien  (£»<t£W/r).    Mank.   Ohne  Zeitbe- 

stimmung. —  Nr.  21. 

3.  Reden  {&*sp  ^^-»t«»^-  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  63. 

4.  Reden.  Predigten.  Erklärungen.  Zwei  Theile.  Ohne  Zeitbe- 

stimmung. —  Nr.  82,  83. 

5.  Reden  (*-"*-/?)•  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  134. 


/ 


8  IT.  Abhandlung:    Fr.  Müller. 

6.  Predigten  (^«"^«»f//^).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  35. 

7.  Predigten.    Canones.    Chronik.    Lieder.    Chronikon.    Ohne 

Zeitbestimmung.  —  Nr.  81. 

8.  Predigten.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  85. 

9.  Predigten.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  88. 

10.  Reden  und  Erzählungen.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  90. 

11.  Predigten.  Reden.  Canones.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  94. 

12.  Predigten  fiir  die  Sonntage.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  104. 

13.  Predigten  (^?*r"ttAjp).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  121. 

14.  Wardan.  Ermahnungen  (^«»-^).  Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  10. 
Grigor  LusaworitSh  (4.  Jahrh.).  Homilien  (</*»Ä-^«»«Y*-M,,"tJ0;  8- 

XIV.  Rechtswissenschaft,  3. 
Grigor  Niusatshi  (Gregor  von  Nyssa).  Predigten,  s.  I,  Die  Bücher 

der  heiligen  Schrift,  11. 
^«fr«?^ ;  b.  XIV,  Rechtswissenschaft,  3. 

IX.  Gebete  und  Lieder. 

(8  Handschriften.) 

1.  Gebet-  und  Liederbuch  für  die  heilige  Messe  (f«W  tbfiß)- 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  7. 

2.  Gebet-  und  Liederbuch  fiir  die  heilige  Messe  (f^Af).  Ge- 

schrieben im  Jahre  «-fy  (1052  =  1603)  in  Erzikan  (J»  ^-*- 

W#  \^%bk^\  —  Nr.  40. 

3.  Narek  (10.  Jahrh.).  Geschrieben  im  Jahre  «yAx(846  =  1397) 

im  Kloster  Sanabin  (f>  |  «r4"-  ^-»«»«/).  —  Nr.  28. 

4.  Grigor  Narekatshi    (10.  Jahrh.).    Gebetbuch   (—t?Pmibite). 

Geschrieben  im  Jahre  «-#^  (U49  =  1700).  —  Nr.  71. 

5.  Grigor  Chlathetshi  Tserentsh  (15.  Jahrh.).  Gebete  und  Lieder 

(f.MÄ^).     Geschrieben   im  Jahre   *y   (1006  =  1557).  — 
Nr.  72. 

6.  Gebet-  und  Liederbuch  fiir  die  heilige  Messe  (^«Ai  ?//*/?)• 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  91. 

7.  Grigor  Narekatshi  (10.  Jahrb.).  Gebete  (m^p-tm^f^p).  Ohne 

Zeitbestimmung.  —  Nr.  115. 

8.  Gebete  von  Ephrem,  Mesrop,   Georg  IL    Garnetshi,   Lusa- 

woritäh,  Sarkawag,  Anania,  Anastas,  Johannes  Chrysosto- 


Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters  Aryni  (Arghana).  9 

mus,  Johannes  Erznkatshi,  Mgchithar  Göä,  Georg  Meyrik, 
Grigor  Skewratshi.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  139. 
Gebet-  und  Liederbach  für  die  heilige  Messe,  s.  VIII,  Predigten,  7. 

X.  Theologische  Tractate. 

(14  Handschriften.) 

1-  Grigor  Aya^atshi.    Gegen  die  Eunomianer.1    Ohne  Zeitbe- 
stimmung. —  Nr.  70. 

2.  Athanasios  und  Kyrillos  von  Jerusalem.  Fragen  (des  Letz- 

teren)  und  Antworten   (des  Ersteren).    Ohne  Zeitbestim- 
mung. —  Nr.  74. 

3.  Grigor  Niusatshi   (Gregor  von  Nyssa).    |p^^a^«f^/i«/?/«i 

und  Mrftnt-P'fiJi  trpu/hnt.p-trui'bg.    Geschrieben  im  Jahre  fta. 
(958  =  1509).  —  Nr.  75. 

4.  \\—ym^»  y^fii.pfattt-un'üf,}  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  93. 

5.  Grigor  Astwatsaban. 3    Werke.    Ohne   Zeitbestimmung.  — 

Nr.  97. 

6.  Grigor  Astwatsaban  l^«-  */»«.  —  Grigor  Niusatshi  gegen  die 

Eunomianer.  —  tfinp  /&«*/**-*.  —  Stephannos  Siunetshi 

ui$»mu»ufuui%fy>  gAtfjfJ^tT  auffffo    *\)n.u*Ü^.utg    tfusiT  ^iLnJuy.    Ohne 

Zeitbestimmung.  —  Nr.  103. 

7.  Biographie  des  heil.  Nerses  Snorbali.  Sein  p-»*.q&  f^»cj*W- 

j3~lruthij    Und    ju$qut^.u     Jfttupuiünuf&lruiü     kt^lrqLß^mj    QntfüiMiij    £l 

Pöyos  Tarönetshi  (11. — 12.  Jahrh.).  «^«»/^»«.ä  {{»^w^  b*.  «y«,. 
Stephannos  Siunetshi  (8.  Jahrb.).    fnh—-i&  «•»•■-   *\**pfm%*»   «y««- 

M0SÖ8     ErZnkat8hi.         ^utanutufaiuu/i     f»     gfutiyfiqt/l,      tun.     ^ustnni-uibtr^ 

Chosrow.  F*äie» 

Anania  Sirakuni  (7.  Jahrh.).    1*)^^  *-«-  feM^. 

1  Die  Eunomianer  waren  eine  arianische  Secte  (die  strengen  Arianer),  so 
genannt  nach  Eunomios  ans  Kappadocien,  gegen  Ende  des  4.  Jahrhun- 
derts Bischof  von  Kyzikos. 

9  Ufa*/"*/?    T&hamtfhean  II,  301. 

8  Vgl  TshamtShean  I,  S.  459. 


10  Hr.  Akkaailut:    Fr  Miller. 

Nerses  Snorbali  und  Grigor  IV.  T^vah  Katholikos  (12.  Jahrb.). 

**■  fr*fc  «v  ******-»*  *«■  *-•*  f~- *-#»*-*  4— •?/- 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  129. 

8.  Hex&meron  (t|  *mtfg)*  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  133. 

9.  Piuros  (Pyrrhos),   Patriarch  von  Constantinopel  und  Komi- 

tas,  Katholikos  der  Armenier  (7.  Jahrb.).  ^«hpkJB.  Ohne 
Zeitbestimmung.  —  Nr.  136. 

10.  Untersuchung  des  Glaubens  (^ttMc/tytfr  $~*j—mV)  des  Kö- 

nigs Azaron  und  des  Patriarchen  Timotheos.  Ohne  Zeit- 
bestimmung. —  Nr.  14. 

11.  Nerses  Klajetshi  Snorbali  (12.  Jahrh.).  Hirtenbrief,  Poesien 

und  Anderes.  Geschrieben  im  Jahre  »^  (693  =  1244). 
—  Nr.  16. 

12.  Nerses  Klajetshi  Snorfcali  (12.  Jahrh.).  Pastoralbrief  (Ency- 

clica).  —  Brief  des  Katholikos  Jacob  I.  (13.  Jahrh.).  — 
Predigten  des  Bischofs  Bartholomäus.3  Ohne  Zeitbestim- 
mung. —  Nr.  47. 

1  Lies  ||««^fiMMif£<j»jfe.     Es  ist    «^»1/  f—mJfa  gemeint,   s.  Tiham- 

tfthean  III,  279,  293,  300. 
5  Von   Basiliufl    aus   Caesarea?   von   Bartholomäus,  Bischof  von   Maraya 

(s.  Tihamtfhean  in,  326)?  oder  von  Mattheos  Wardapet?  s.  jp»^^.*.- 

3-k  der  Bibliothek  von  Edimiatsin  (Tiflis  1S63.  4°),  S.  204  ff. 
*  Bartholomäus,  römischer  Missionar  (14.  Jahrh.),  im  Verein  mit  Johannes 

Qfnetshi  der  Begründer  der  sogenannten  Unitarier-Secte;  s.  T&hamt&hean 

HI,  326. 


Die  armenischen  Handschriften  de*  Klosters  Aryni  (Arghana).  1 1 

13.  Nerses  Larabronatshi  (12.  Jahrh.).  —  tm—lr%mfuou*t-p-fiä3  (Sy- 

nodalrede).   — - •    MaampaaaBmaJjD-jiaii,    Jlrlptnt.p-fiub    aafamanampaua.fi, 

—  £u»n-g  jmqautfM  <§-tnnM»u^m*j9£m*ß.  Ohne  Zeitbestimmung.  — 
Nr.  114. 

14.  Reden   der   heiligen  Doctoren.     Nerses  Klajetshi   Önorl?aH. 

Hirtenbrief. 

sttttLuttf    ira.  ^igirpttb^ftp    Ira.  \\  aupikUtajnpfaut    ira.    unamaSau  puLaV *i»oi 

f\cwlr     ma.miM.3m     jamqaumM     l1  uamna,auh-auhrüfiu    fi   %ama.amuaupmJ»     aß-ir 
onp    ^amuwampiru    ^uaj^f    ira.    m£    amj^auma^.^  t 

\m    Laaajammam%maJjrkajlvm    mauuammamu    upp*»a  > 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  127. 

XI.  Leben  der  Heiligen. 

(12  Handschriften.) 

1.  Martyrologium  oder  Legendarium  (./«•/-»•/Zu«.»«./^).  Geschrieben 

im  Jahre  njf  (733  =  1284)  in  Sebastia  unter  dem  Ponti- 
ficate  Jacobs  und  der  Regierung  des  Königs  Leon.  — 
Nr.  107. 

2.  Legendarium  ^jaayuaTaua.na.f^),  Mit  Abbildungen.  Geschrieben 

im  Jahre  **&«-  (854  =  1405),  dem  Todesjahre  Timur's.  — 
Nr.  108. 

3.  Legendarium  (j^-a/Zuc«*./^).  Ohne  Zeitbestimmung. — Nr.  109. 

4.  Legendarium  («/-"/m/loj»^).  Geschrieben  im  Jahre  Ijjr  (935 

=  1486)  in  Bavöä.  —  Nr.  143. 

5.  Legendarium   (j«»/"^»«^«-^).     Pergament  -  Handschrift.    Ge- 

schrieben im  12.  Jahrhundert.  —  Nr.  147. 

6.  Leben  der  Väter  {$aupauua  ^-ng).  Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  65. 

7.  Leben  der  Väter  (^*ay»t*A#  £«w).  Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  73. 

8.  Leben  der  Väter  ($-pau%3  fang).  Geschrieben  im  Jahre  «-** 

(1180  =  1731).  —  Nr.  118. 

9.  Leben  des  Eremiten  Evagrios  und  des  Ne^os  (Neilos).   Ge- 

schrieben im  Jahre  ;///.  (768  =  1319\  —  Nr.  44. 


12  IV.  AbhwriluQf :    Fr.  Müller. 

10.  Evagrios.   Sein  Leben   und   seine   Ermahnungen   {£»pp   **- 

1*1— -ig).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  126. 

11.  Buch  der  Genealogien  (^.^.—^mf—^f»^.  Mank.   Ohne  Zeit- 

bestimmung. —  Nr.  18. 

12.  Genealogien  der  Geschlechter  des  alten  und  des  neuen  Te- 

staments mit  Bildern  und  Stammbäumen.  Pergament-Hand- 
schrift, geschrieben  im  Jahre  «-rfjk/t  (1142  =  1693)  in  Amith 
(W  -  Nr.  43. 

XU.  Philosophie  und  Grammatik. 

(14  Handschriften.) 

1.  Dawith  (5.  Jahrh.).  Definitionen  und  Aristoteles*  Kategorien 

(f$u^fuätso   fitfu»*t*nuiitApna-fir/rs$&  &<.    »m*f>»4*u.£y^r  0  J .      VOU    dem    ,Kf- 

steren  übersetzt.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  15. 

2.  Aristoteles.  —  p^tg  ku  p-—*q&.    Ohne  Zeitbestimmung.  — 

Nr.  22. 

3.  Philo.    Daran  schliesst  sich  eine  Anatomie,  aus  dem  Latei- 

nischen übersetzt  von  Wardan  Jonaneantsh  (jAr-»jfcW*/*/*fr 

pnL"üb  J%uartkuiill*t  •ß"i''*v)'  Geschrieben  im  Jahre  ^it  (1134 
=  1665).  —  Nr.  32. 

4.  Dawith.    Definitionen   (««»£/«Ä£  ^*/L*««.«»«/^«#^^«#l!r).     Ohne 

Zeitbestimmung.  —  Nr.  56. 

5.  Porphyrius.    Introductio    (tr^«»^«*/^«Sr).    —    Dawith.    Defi- 

nitionen (uu,^Jui%^y  Erklärung  der  Grammatik.  Ohne  Zeit- 
bestimmung. —  Nr.  80. 

6.  Dawith.  Definitionen  (**«»4,/*,»fy?).  Aristoteles1  Kategorien  und 

Analytica.    —   Grigor  Magistros   (11.  Jahrh.),     Gedichte 
(ffiiruifc«^^).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  87. 

7.  Aristoteles.  Physica.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  92. 

8.  Dionysius  '{^»fck-fi*»  (Areopagita?  oder  Thrax?).  Ohne  Zeit- 

bestimmung. —  Nr.  96. 

9.  Porphyrius  und  Dawith.  Definitionen  und  ^«/l»«««»«^/»«*.^^.^. 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  100. 

10.    PrOcluS.    l-Lb-JiiAäg.   dkljün^fith,  pufcfy  <|*«f^0^  ^ft^aum^tmjf, . 

Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  132. 
11.  Johannes  Eznkatshi  (13.  Jahrh.).  Erklärung  der  Grammatik 
[Jla(^nt.p-f»M%  ugkpu»liu*bn*.p-iruib}%   Ohne  Zeitbestimmung.   — 
Nr.  20. 


Die  armenischen  Handschriften  des  Klosters  Aryni  (Arghana).  13 

12.  Simeon  Däu-fajetshi  (17.  Jahrh.).  Grammatik.  Ohne  Zeitbe- 

stimmung. —  Nr.  62. 

13.  M$chithar  Sebastatshi  (17. — 18.  Jahrh.).    Kurzes  Lehrbuch 

der  Rhetorik.  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  50. 

14.  Jeremias  (Eremia)  Wardapet  (17.  Jahrh.).    Wörterbuch  zu 

den  heiligen  Büchern.    Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  86. 

XIII.  Geschichte. 

(3  Handschriften.) 

1.  Samuel    von   Ani   (12.  Jahrh.).     Chronik   (cfiüi/aAü^a^m-- 

Pfi***)  und  die  Pastoralbriefe  von  Nerses  Rlajetshi  Snor- 
bali  (12.  Jahrh.).  Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  46. 

2.  MosSs  Chorenatshi   (5.  Jahrh.).  —   Stephannos  Tarönetshi, 

Asoyik  (10.  Jahrh.).  —  Aristakes  Lastiwerttshi  (11.  Jahrh.). 
—  Eusebius,  Kirchengeschichte.  Zehn  Bücher  fawnfl-fiiStp). 
Geschrieben  im  Jahre  SH  (257  =  808).  —  Nr.  lll.1 

3.  Agathangelos  (4.  Jahrh.)  —  Geschichte  Nerses*  des  Grossen 

und  seine  Vision.  —  Geschichte  des  Stammes  der  Mami- 
konier.  —  Zenob  und  Johannes  Mamikonean,  Geschichte 
Taröns  (4.  Jahrh.).  —  Faustos  von  Byzanz  (4.  Jahrh.)  — 
E^iSe  (5.  Jahrh.).  —  Stephannos  (13.  Jahrh.),  Geschichte 
der  Orbeliden.  —  Geschichte  der  Einfälle  der  Araber  und 
Tataren,  ohne  Titel  (revond?  —  8.  Jahrh.).  —  Wahram 
(13.  Jahrh.),  Geschichte  der  Rubeniden.  Ohne  Zeitbestim- 
mung. —  Nr.  112. 
Chronik,  s.  VIII,  Predigten,  7. 

XIY.  Rechtswissenschaft. 

(3  Handschriften.) 

1.  Mgchithar  GöS  (12.  Jahrh.).  Rechtsbuch  (^«»«f«»»»»«»!«»^/^).* 
Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  102. 


1  Wenn  die  Zeitbestimmung  dieses  Codex  richtig  ist,  dann  kann  sie  sich 
nur  auf  das  Werk  von  Eusebius  beziehen.  In  diesem  Falle  wäre  dieser 
Theil  der  Handschrift  der  älteste  datirte  armenische  Codex,  den  man 
überhaupt  kennt 

*  Das  bekannte  Rechtsbuch  von  M$chithar  GöS  (vgl.  WZKM.,  Band  V, 
S.  52).  Ausserdem  gibt  es  noch  ein  Rechtsbuch  von  Nerses  Lambronatshi 


14        IT-  Abs.:  Fr.  HftlUr.  Die  arm.  Handschriften  te  Klostsrs  Azyni  (Irgluns). 

2.  M$chithar  Göä.    Rechtsbach  (^-»-»«»•■rW.f/flp)  und  Grigor 

LusaworitSh  (4.  Jahrh.).  Homilien  (jmfmfcm^mimmiJ*).  Ohne 
Zeitbestimmung.  —  Nr.  19. 

3.  M$chithar  Göä  (12.  Jahrh.).  Rechtsbach  (pm-nm-mm r*«»?^»). 

—  ^iufn^.  Geschrieben  im  Jahre  «-fc  (1068  =  1619).  — 
Nr.  1. 

XV.  Poesie. 

(3  Handschriften.) 

1.  Araqel  Siunetshi  (15.  Jahrh.).  Die  sieben  Tage  der  Schöpfung 

des   Herrn   (=  1^/»/^?).    Ohne   Zeitbestimmung.   — 
Nr.  57. 

2.  Nerses  Klajetshi  Snorfcali  (12.  Jahrb.).     {J^«m.*  -rtfr.     Ge- 

schrieben im  Jahre  ibk  (727  —  1298)  unter  dem  Pontifi- 
cate  Jacobs  und  der  Regierung  des  Königs  Leon.  —  Nr.  76. 

3.  Grigor  Magistros   (11.  Jahrh.).    Poesien   und  Briefe  (^f 

pnwhf.  In.  p»*.yPzp).    Ohne  Zeitbestimmung.  —  Nr.  125. 
Grigor  Magistros.  Gedichte  (««»«»W*»^),  s.  XII,  Philosophie  und 
Grammatik,  6. 

(12.  Jahrh.),  von  welchem  Patkanean  in  seinem  Catalogue  de  la  littera- 
ture  armenienne  (Bulletin  de  TAcad^mie  imp.  de  St.  Petersbourg.  Tom.  II, 
p.  49  ff.)  auf  p.  74  ein  Exemplar  in  der  Bibliothek  des  Erzbischofs  Sargis 
von  Sana^in  anführt;  ein  zweites  Exemplar  soll,  wie  mir  Dr.  G.  Kalem- 
kjar  mittheilt,  in  Constantinopel  im  Privatbesitz  vorhanden  sein.  —  Dieses 
Werk  soll  in  der  Vulgärsprache  des  12.  Jahrhunderts  abgefasst  sein  (vgl. 
Die  Handschriften  -Verzeichnisse  der  königl.  Bibliothek  zu  Berlin.  X.  Bd. ; 
Verzeichniss  der  armenischen  Handschriften  von  Dr.  N.  Karamianz.  Ber- 
lin 1888.  4°.  S.  45,  b,  Note). 


V.  Abhandlung:    Günther.  ATelUn*-Studieu. 


V. 

Avellana-Studien. 

Von 

Otto  Günther 

in  Berlin. 


Von  der  kritischen  Ausgabe  der  in  den  Kreisen  der  Kano- 
nisten  und  Kirchenhistoriker  als  ,Avellana'  bekannten  Samm- 
lung von  Kaiser-  und  Papstbriefen,  die  ich  mit  Unterstützung  der 
Savigny-Stiftung  auf  Veranlassung  der  kaiserlichen  Akademie 
bearbeitet  habe,  ist  vor  kurzem  der  erste  Halbband  erschienen 
(Corpus  scriptorum  ecclesiast.  latin.  ed.  consilio  et  imp.  academiae 
litt.  Caesareae  Vindobonensis,  vol.  XXXV,  pars  1);  der  zweite 
ist,  was  den  Text  anlangt,  ebenfalls  im  Druck  fertiggestellt 
und  wird  erscheinen,  sobald  die  Indices  vollendet  sein  werden. 
In  den  Prolegomena,  die  ich  dem  ersten  Bande  vorausgeschickt, 
habe  ich  vor  allem  das  Verhältniss  der  Codices  und  älteren 
Drucke  eingehend  erörtert:  die  einzige  Handschrift,  aus  der 
alle  übrigen  direct  oder  indirect  abstammen,  ist  der  Vaticanus 
3787  aus  dem  Anfang  des  11.  Jahrhunderts,  von  mir  mit  V 
bezeichnet.  Der  Name  ,Avellana',  den  die  trefflichen  Ballerini 
der  Sammlung  nach  dem  einst  im  Besitz  des  umbrischen  Klosters 
S.  Crucis  in  fönte  Avellana  befindlichen  Vaticanus  4961  beigelegt 
haben,  hat  darnach  heute  an  und  für  sich  keine  Berechtigung 
mehr;  wir  sollten  sie  ,Sammlung  der  Vaticanischen  Handschrift 
3787'  nennen.  Trotzdem  habe  ich  aus  praktischen  Rücksichten 
die  alte  eingebürgerte  Bezeichnung  beibehalten;  sie  empfiehlt 
sich  der  Kürze  wegen  und  weil  sonst  leicht  Verwechslungen 
mit  kanonistischen  Sammlungen  anderer  vaticanischer  Hand- 
schriften stattfinden  könnten.  Der  Inhalt  der  Sammlung  ist 
uns  zum  aUergrössten  Theile  nur  aus  dieser  Quelle  bekannt. 
Ueber  die  anderweitige  Ueberlieferung  weniger  Briefe  habe  ich 

Sitanngsb.  d«r  phil.-hiat  Ol.  CXXXIV.  Bd.  6.  Abb.  1 


2  V.  Abhandlung:    Günther. 

im  dritten  Capitel  der  Prolegomena  kurz  berichtet.  Bei  vier 
Stücken  schien  mir  eine  längere  Auseinandersetzung  am  Platze 
zu  sein;  sie  wird  im  zweiten  Abschnitt  dieser  Abhandlung  ge- 
geben werden.  Vor  allem  aber  musste  ich  noch  darlegen,  was 
etwa  über  Composition  und  Quellen  der  Sammlung  zu  erschliessen 
war.  Auch  dies  hätte  in  jene  Prolegomena  gehört,  und  nur  die 
Furcht  vor  einem  allzu  starken  Anschwellen  des  Bandes  hat 
mich  veranlasst,  diese  Untersuchungen  hier  gesondert  vorzulegen. 
Dabei  Hess  sich  die  Unbequemlichkeit,  fortwährend  auf  Seiten- 
und  Zeilenzahl  meiner  Ausgabe  verweisen  zu  müssen,  leider 
nicht  vermeiden. 

I. 

Composition  und  Quellen  der  Sammlung. 

1. 

Die  Form,  in  der  uns  die  Avellana  im  Vaticanus  3787 
vorliegt,  kann  nicht  vor  dem  Jahre  553  entstanden  sein;  in 
dieses  Jahr  fallt  die  Abfassung  des  jüngsten  Stückes  der 
Sammlung,  des  sogenannten  Constitutum  de  tribus  capitulis  des 
Papstes  Vigilius  (n.  83). 

Eine  Sonderung  der  Briefe  in  verschiedene  Gruppen  hat 
zuerst  Maassen1  vorgenommen,  und  Ewald2  hat  sich  dieser 
Eintheilung  angeschlossen.  Maassen  unterscheidet  folgende  sechs 
Gruppen: 

I)  n.  1 — 13:  über  das  Schisma  des  Ursinus  (366/7)  und  seine 

Folgen  5 
II)  n.  14—37 :   über   das   Schisma  des  Eulalius  (418/9)   und 

seine  Folgen; 
III)  n.  38 — 50:  ein  Schreiben  des  Honorius  an  Arcadius  be- 
treffend die  gegen  Johannes  Chrysostomus  verübten  Ge- 
walttätigkeiten (n.  38);  zwei  Schreiben  des  Maximus 
tyrannus  (n.  39  an  Valentinian  II.  gegen  die  Gewalttätig- 
keiten der  Arrianer,  n.  40  an  Papst  Siricius),  vier  Schreiben 


1  Sitzungsber.  der  phil.-hist.  Ciasse  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften, 

Bd.  LXXXV.  Wien  1877,  S.  239  ff. 
'  Sybel's  Histor.  Zeitschrift,  N.  F.  IV,  S.  154;    Zeitschrift  der  Savigny- 

Stiftang  V,  German.  Abtheilung,  p.  289. 


AT«ll*na-8tudi€n.  O 

von  Papst  rnnocenz  I.  (n.  41 — 44)  und  sechs  Stücke 
(n.  45 — 50)  aus  dem  Pontificat  des  Zosimus  zur  Geschichte 
des  Pelagianismus; 

IV)  n.  51 — 78 :  28  Stücke ,  die  monophysitischen  Irrungen  in 
den  Kirchen  von  Alexandrien  und  Antiochien  zur  Zeit 
des  Timotheus  Ellurus,  Petras  Mongns  und  Petrus  Folio 
betreffend ; 
V)  n.  79—104 :  Stücke  aus  dem  Pontificat  Gelasius'  I.  (492— 
496),  Anastasius'  IL  (496—498)  und  Symmachus'  (498— 
514),  betreffend  die  Angelegenheiten  des  acacianischen 
Schismas  und  des  Pelagianismus;  dazwischen  (n.  82 — 93) 
zwölf  Stücke  dogmatischen  Inhalts  aus  der  Regierungs- 
zeit der  Päpste  Johann  II.  (532 — 535),  Agapetus  (535 — 
536)  und  Vigilius  (537—555); 

VI)  n.  105—243:    Stücke  aus    dem  Pontificat   des  Hormisda 
(514—523). 

Von  dem  Standpunkte  einer  ausschliesslich  den  Inhalt  der 
einzelnen  Stücke  berücksichtigenden  Sonderung  wird  man  gegen 
diese  Analyse  der  Sammlung  nicht  viel  einwenden  können; 
allein  man  darf  hierbei  nicht  stehen  bleiben,  sondern  muss 
darauf  ausgehen,  die  einzelnen  Schriftstücke  nach  den  Quellen 
zu  gliedern,  aus  denen  sie  in  unsere  Sammlung  übergegangen 
sind.  Derartige  Untersuchungen  sind  ihrer  ganzen  Natur  nach 
öfters  unsicher,  allein  an  den  meisten  Punkten  wird  man  hier 
doch  zu  festen  Resultaten  gelangen. 

2. 

Betrachten  wir  zunächst  die  beiden  ersten  von  Maassen 
abgesonderten  Gruppen,  n.  1 — 13  über  das  Schisma  des  Ur- 
sinus  und  n.  14 — 37  über  das  des  Eulalius.  Zu  der  Ansicht,  dass 
beide  von  einander  zu  sondern  seien,  ist  auch  Wilhelm  Meyer 
aus  Speyer1  gelangt.  Er  spricht  es  direct  aus,2  dass  der 
Sammler  von  n.  14 — 37  sowohl  von  dem  verschieden  sei,  der 
die  Stücke  über  das  Schisma  des  Ursinus  zusammengebracht, 


1  Seine  beiden  die  Avellana  betreffenden  Abhandlungen  finden  sich  in  den 

Göttinger  Indices  scholarum  vom  Sommer  1888  und  Winter  1888/89.  Ich 

citire  sie  im  Folgenden  der  Kürze  halber  immer  als  I  und  II. 

II,  S.  4  f. 

1* 


4  T.  AttaaJIwf:    Glatter. 

wie  auch  von  dem,  welcher  der  Avellana  ihre  endgiltige  Ge- 
stalt gegeben  habe:  beide  Gruppen  hätten  als  kleine  Samm- 
lungen lange  für  sich  bestanden,  bevor  sie  in  das  Corpus 
Avellanum  aufgenommen  seien.  Dass  n.  1 — 13  mit  dem  Sammler 
von  n.  14 — 37  nichts  au  thun  haben,  leitet  Meyer  aus  der  Ver- 
schiedenheit der  Ueberschriften  ab.  Die  Briefe  der  ersten 
Gruppe  tragen  Ueberschriften,  welche  die  ursprüngliche  Form 
der  Adresse  «war  durchweg  stark  zusammengezogen  haben, 
sie  aber  doch  noch  einigermassen  erkennen  lassen,  so: 

n.    3  Valentinianus  Theodosius  et  Arcadius  Augusti  Sa- 

lustio  praefecto  urbi. 
n.    6  Valentinianus  Valens  et  Gratianus  Praetextato  p.  u. 
n.    7  Idem  Augusti  Praetextato  p.  u. 
n.    8  Idem  Augusti  ölybrio  p.  u. 
n.    9  Idem  Augusti  ad  Aginatium  vicarium. 
n.  10  Idem  Augusti  ad  Olybrium  p.  u. 
n.  11  Idem  Augusti  ad  Ampelium  p.  u. 
n.  12  Idem  Augusti  Maximino  cicario  urbis  Romae. 
n.  13  Gratianus  et  Valentin  ianus  Augusti  Aquilino  vicario. 

Durchaus  verschieden  hiervon  sind  die  Ueberschriften, 
welche  die  Stücke  der  zweiten  Gruppe  tragen :  sie  werden  fast 
alle  eingeleitet  mit  einem  Worte  wie  relatio  (oder  epistola  oder 
oratio  oder  edictum)  oder  gar  mit  exemplum  relationis  (exem- 
plum  sacrarum  litterarum,  exemplum  precum)*  vgl.: 

n.  14  Exemplum  relationis  Symmachi  praef.  urb.  ad  Ho- 
norium  prineipem  Ravennae  constitutum. 

n.  15  Exemplum  sacrarum  litterarum. 

n.  16  Exemplum  relationis  Symmachi  p.  u.  ad  prineipem. 

n.  17  Exemplum  precum  prtsbyterorum  pro  Bonifatio. 

n.  19  Item  relatio  p.  «.  Symmachi. 

n.  20  Exemplum  sacrarum  litterarum  ad  synodum. 

n.  22  Exemplum  sacrarum  litterarum  ad  Achilleum  Spo- 
litanum  episcopum. 

n.  23  Principis  oratio  ad  senatum. 

n.  24  Eiusdem  principis  edictum  ad  populum. 

n.  25  Eiusdem  principis  epistola  ad  sanetum  Paulinum 
episcopum  Nolanum. 

n.  26  Item  eiusdem  principis  ad  episcopos  Afros. 


At«11m»*- Studien.  5 

n.  27  Eiusdem  principis  epistola  ad  sanctum  Aurelium 
Carthaginiensem  episcopum. 

n.  28  Eiusdem  epiMola  ad  Augustinum  Alypium  .  .  epi- 
scopos  uniformis. 

n.  29  Relatio  Symmachi  p.  u.  ad  Constantium. 

n.  30  Epistola  illustris  comitis  Constantii  ad  Symmachum 
p.  u. 

n.  31  Exemplum  sacrarum  litterarum  ad  Symmachum  p.  u. 

n.  32  Exemplum  relationis  Symmachi  praef.  urbis  ad  virum 
inl.  com.  Constantium  patricium. 

n.  33  Exemplum  sacrarum  litterarum  Symmacho  p.  u. 

n.  34  Exemplum  relationis  Symmachi  p.  u.  de  ingressu 
papae  Bonifatii  ad  principem  supra  scriptum. 

n.  35  Exemplum  sacrarum  litterarum  proconsuli  Africae. 

n.  36  Epistola  Largi  proc.  ad  Aurelium  episcopum  Carihag. 

n.  37  Epistola  imperatoris  Honorii  ad  Bonifatium  episco- 
pum  Romanum. 

Man  sieht,  der  von  Meyer  hervorgehobene  Unterschied 
der  Titel  ist  in  der  That  durchweg  vorhanden  und  beruht 
sicher  nicht  auf  einem  Zufalle.  Trotzdem  ist  Meyer's  Annahme 
schwerlich  richtig. 

In  der  zweiten  Reihe  der  Briefe  (n.  14—37)  tritt  uns  an 
zwei  Stellen  die  Thatsache  entgegen,  dass  von  zwei  auf  einander 
folgenden  Stücken  das  zweite  nicht  einfach  neben  das  erste 
gesetzt,  sondern  durch  eine  verbindende  Zwischenbemerkung 
an  jenes  angereiht  ist,  eine  Zwischenbemerkung,  die  den  Zweck 
hat,  den  innern  Zusammenhang  der  betreffenden  beiden  Stücke 
kurz  auszudrücken.  Das  ist  zunächst  der  Fall  zwischen  n.  17 
und  18.  n.  17  ist  eine  am  6.  oder  7.  Januar  des  Jahres  419 
von  römischen  Presbytern  zu  Gunsten  des  Bonifatius  an  die 
Kaiser  Honorius  und  Theodosius  gerichtete  Bittschrift;  n.  18 
ein  Edict,  das  Honorius  in  Folge  jener  Eingabe  am  15.  Januar 
desselben  Jahres  an  den  Stadtpräfecten  Symmachus  erliess. 
n.  18  hat  in  der  Sammlung  keinen  eigentlichen  Titel;  statt 
seiner  erscheint  zu  Anfang  der  Satz:  Ad  petitionem  presby- 
terorum  (d.  i.  n.  17)  huiusmodi  sacrum  rescriptum  imperator 
p.  u.  Symmacho  destinavit}  worauf  dann  sofort  der  Text  Post 
relationem  sublimitatis  tuae  u.  s.  w.  folgt.  Dasselbe  findet  zwi- 
schen n.  20  und  21  statt,    n.  20  ist  ein  Schreiben  des  Honorius 


6  V.  Abhandlung:    Qtnther. 

an  die  Synode,  die  er  zur  Entscheidung  des  Streites  zwischen 
Eulalius  und  Bonifatius  auf  den  8.  Februar  419  nach  Ravenna 
zusammenberufen  hatte;  n.  21  ein  Erlass  des  Honorius  an  den 
Stadtpräfecten  Symmachus  vom  15.  März  desselben  Jahres,  in 
dem  er  ihm  mittheilt,  dass  er  zur  Ausführung  der  heiligen 
Ceremonien  bei  dem  bevorstehenden  Osterfeste  den  Bischof 
Achilleus  von  Spoleto  nach  Rom  beordert  habe :  wenn  das  Fest 
vorüber  sei,  solle  dann  der  Streit  zwischen  den  beiden  Präten- 
denten Eulalius  und  Bonifatius  ex  iudicio  sacerdotum  ent- 
schieden werden.  Eine  selbständige  Ueberschrift  zu  n.  21  fehlt 
wieder,  dagegen  ist  n.  21  durch  folgende  Worte  an  das  Exemplum 
sacrarum  litter arum  ad  synodum  (n.  20)  angeschlossen:  Haec 
8ynodu8  (zu  Ravenna)  inter  se  dissentiert*  praesentem  causam 
terminare  non  potuit.  unde  venerabilis  Imperator  Honorius  ad 
maius  condlium  hoc  credidit  negotium  differendum  et  Interim 
propter  dies  qui  inminebant  sanctae  paschae  utrosque,  Boni- 
fatium  scilicet  et  Eulalium,  ab  urbe  iussit  abscedere  et  Spoli- 
tinum  episcopum  Achilleum  nomine  sacra  iussit  mysteria  cele- 
brare}  Symmacho  praef.  urbi  hoc  idem  suis  scriptis  insinuans. 
Diese  Zwischenbemerkung  enthält  nichts,  was  nicht  aus  den 
folgenden  Nummern  zu  entnehmen  wäre ; x  sie  ist  nur  gemacht, 
um  den  Leser  in  kurzen  übersichtlichen  Worten  über  die  Ver- 
änderung der  Lage  zu  unterrichten,  die  zwischen  der  Zeit  der 
Absendung  von  n.  20  und  dem  15.  März  eingetreten  war. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  der  ersten  Serie  von  Schrift- 
stücken, zu  n.  1 — 13.  Da  tritt  uns  denn  ganz  dieselbe  Er- 
scheinung entgegen,  die  wir  soeben  in  jener  anderen  Reihe 
gefunden  haben.  Zunächst  eine  Verbindung,  die  ganz  analog 
ist  der  von  n.  17  und  18.  n.  2  ist  die  in  der  Literaturgeschichte 
mit  Unrecht  als  ,libellus  precum'  bekannte  ausführliche  Bitt- 
schrift der  luciferianischen  Presbyter  Marcellinus  und  Faustinus 
an  die  Kaiser  Valentinian,  Theodosius  und  Arcadius;  n.  2*  das 


1  Der  Umstand,  dass  die  Synode  zu  Ravenna  sich  nicht  einigen  und  in 
keinem  zeitigen  Ende  kommen  konnte,  wird  z.  B.  in  n.  21,  23  und  24 
hervorgehoben;  von  der  Ueberweisung  der  Angelegenheit  an  ein  zahl- 
reicher zu  beschickendes  Concil  spricht  das  Edict  n.  24;  von  dem  an 
die  beiden  Prätendenten  ergangenen  Befehl,  bis  zur  Entscheidung  sich 
von  Rom  fernzuhalten,  n.  31  §  1.  Der  Sendung  des  Achilleus  wird  in 
mehreren  der  folgenden  Stücke  Erwähnung  gethan. 


ATell*na-8tndien. 


kaiserliche  Edict,  dass  infolge  jener  Bittschrift  dem  Praefectus 
praetorio  Cynegius  zuging.  Letzteres,  selbst  ohne  Ueberschrift, 
ist  mit  der  Eingabe  der  beiden  Presbyter  in  der  Avellana  durch 
die  Worte  verbunden :  Ad  hos  preces  ita  lex  Augusta  respondit. 

Der  zweite  Fall  betrifft  die  Verbindung  von  n.  1  und 
n.  2,  über  die  ich  etwas  ausführlicher  sein  muss.  n.  1  ist  über- 
schrieben Quae  gesta  sunt  inter  Liberium  et  Felicem  episcopos. 
In  Wahrheit  entspricht  dieser  Titel  allerdings  dem  Inhalt  dieser 
Gesta  nur  sehr  wenig,  denn  wenn  auch  der  Streit  zwischen 
Liberias  und  Felix  für  sie  den  Ausgangspunkt  abgiebt,  so  bildet 
doch  ihren  Hauptinhalt  die  Erzählung  vom  Schisma  des  Ursinus, 
das  von  seinen  Anfängen  an  bis  zum  Ende  des  Jahres  367  mit 
allen  Details  dargelegt  wird.  Gegen  Schluss  des  Stückes  wird 
berichtet,  wie  Damasus  nach  der  am  16.  November  367  erfolgten 
zweiten  Verbannung  des  Ursinus  fortgefahren  habe,  gegen  die 
Anhänger  seines  Gegners  zu  wüthen,  und  wie  er  bei  S.  Agnese 
unter  ihnen  ein  förmliches  Blutbad  angerichtet.  Diese  Greuel- 
that,  so  heisst  es  weiter  (§  13),  habe  unter  den  italischen 
Bischöfen  grossen  Unwillen  hervorgerufen,  und  als  einige  von 
ihnen  auf  Einladung  des  Damasus. *  zu  seiner  Geburtstagsfeier 
nach  Rom  gekommen  seien  und  er  sie  durch  Geld  und  gute 
Worte  habe  bestimmen  wollen,  ein  Verdammungsurtheil  gegen 
Ursinus  auszusprechen,  da  hätten  sie  geantwortet:  ,Wir  sind  er- 
schienen, um  einen  Geburtstag  zu  feiern,  nicht  aber  um  jemand 
ungehört  zu  verdammen/  ita  prava  eins  intentio  caruit  quo 
nitebatur  effectu  —  ,bo  blieb  des  Damasus  böse  Absicht  ohne  den 
gewünschten  Erfolg';  mit  diesen  Worten  schliesst  die  Geschichte 
ab.  Es  folgen  dann  noch  die  Worte:  Exinde  presbyteri  diversis 
modis  afflicti  per  exilia  et  peregrina  loca  dispersi  sunt,  ex 
quibu8  Marcellinus  et  Faustinus  presbyteri  de  confessione  verae 
fidei  et  ostentatione  sacrae  communionis  et  persecutione  adver- 
santium  veritati  preces  Valentiniano  Theodosio  et  Arcadio  prin- 
cipibus  optulerunt  ita.  Hieran  schliesst  sich  ohne  Ueberschrift 
der  Text  von  n.  2. 

Die  letzten  von  mir  ausgeschriebenen  Worte  haben  bis 
in  die  neueste  Zeit  hinein  zu  einem  schweren  Irrthum  Ver- 
anlassung gegeben.  Man  hat  auf  Grund  davon  n.  1  als  eine 
Vorrede  betrachtet,  die  von  den  Presbytern  Marcellinus  und 
Faustinus  ihrer  Bittschrift  bei  deren  Veröffentlichung  ,wie  eine 


8  V.  Abhsndtang:    Günther. 

Nachricht  über  die  Persönlichkeit  der  Verfasser0  vorausge- 
schickt sei.  Selten  ist  eine  unglücklichere  Hypothese  aufgestellt 
und  mit  schwächeren  Gründen  gestützt  worden.  In  der  That 
haben  beide  Schriftstücke  ebensowenig  etwas  mit  einander  zu 
thun  wie  die  Ursinianer  mit  den  Luciferianern.  Die  Gesta 
behandeln,  wie  schon  gesagt,  von  dem  Streit  zwischen  Liberius 
und  Felix  ausgehend ,  das  Schisma  des  Ursinus  bis  zum  Ende 
des  Jahres  367,  und  zwar  in  einer  Weise,  dass  die  Zugehörig- 
keit des  Verfassers  zur  Partei  des  Ursinus  überall  deutlich  zu 
Tage  tritt;  die  im  Jahre  383  oder  384  verfasste  Bittschrift  der 
beiden  luciferianischen  Presbyter  hat  keinen  anderen  Zweck, 
als  einmal  über  die  Unbilden  Beschwerde  zu  führen,  welche 
die  Verfasser  besonders  bei  ihrem  Aufenthalt  in  Palästina  hatten 
erdulden  müssen,  sodann  aber  Lucifer  selbst  und  seine  Anhänger 
gegen  die  ihnen  gemachten  Vorwürfe  der  Häresie  in  Schutz  zu 
nehmen  und  die  Verwerflichkeit  seiner  Gegner  in  das  richtige 
Licht  zu  rücken.  Wie  in  n.  2  Ursinus  mit  keinem  Worte  ge- 
nannt wird,  so  enthält  n.  1  nicht  das  Geringste  über  den 
Luciferianismus;  Lucifer  selbst  wird  darin  überhaupt  nur  ein- 
mal (§1)  erwähnt,  und  zwar  ganz  nebenbei  unter  der  Zahl 
der  Bischöfe,  die  im  Verein  mit  Liberius  sich  weigerten, 
Athanasius  zu  verurtheilen ,  und  daher  von  Constantius  mit 
der  Verbannung  bestraft  wurden.  Der  künstlich  und  ohne 
den  geringsten  Anhalt  construirte  Zusammenhang  zwischen  den 
Ursinianern,  die,  ,von  halbnovatianischen  Grundsätzen  über  die 
Sünde  des  Abfalles  ausgehend,  oder  vielmehr  diese  auf  die 
Häresie  ausdehnend,  eigentlich  (!)  Gesinnungsgenossen  des  über- 
eifrigen Bischofs  Lucifer  von  Calaris  waren',8  und  eben  diesem 
Bischof  von  Calaris  besteht  thatsächlich  nicht.  Die  ganze  Hypo- 
these von  der  Identität  der  Verfasser  von  n.  1  und  2,  gegen 
die  einst  schon  Tillemont,  jedoch  ohne  gehört  zu  werden,  auf- 
trat, ist  denn  neuerdings  auch  von  Gustav  Krüger  mit  einem 
kräftigen  Stosse  über  den  Haufen  geworfen.  Am  Ende  seiner 
in  jeder  Beziehung  zutreffenden  Darlegungen  kommt  Krüger s 
zu  dem  Resultat:  ,Der  Schlusspassas   der  Vorrede  muss   also 


1  M.  Rade,  Damasus,  Bischof  von  Rom  (1882),  S.  8. 

*  Jos.  Langen,  Geschichte  der  römischen  Kirche  I,  1881,  S.  502. 

8  Gnst.  Krüger,  Lucifer,  Bischof  von  Calaris,  1886,  S.  86  f. 


Arellanft-Stndieo.  9 

von  einem  Anderen  herrühren,  der  die  heftige  Polemik  des 
Damasus  in  der  Bittschrift  und  in  der  Vorrede  mit  einander 
in  Verbindung  zu  bringen  suchte.  Der  Zusatz  ex  quibus  etc. 
könnte  an  sich  recht  gut  fehlen,  zumal  der  Uebergang  ein 
sehr  abrupter  ist;  und  die  betreffende  Inhaltsangabe,  wie  die 
Nennung  der  Namen  der  Verfasser,  welche  am  Schluss  des 
Libellus  wiederkehren,  deutet  gewiss  auf  Absicht  hin/ 

Allein  man  muss  noch  weiter  gehen,  als  es  Krüger  gethan 
hat:  nicht  nur  die  Worte  ex  quibus  Marcellinus  et  Faustinus 
presbyteri  de  confessione  verae  fidei  et  ostentatione  sacrae  com- 
munionis  et  persecutione  adversantium  veritati  preces  Valen- 
tiniano  Tkeodosio  et  Arcadio  prindpibus  optulerunt  ita9  sondern 
auch  das,  was  vorhergeht:  exinde  presbyteri  diversis  modis 
affiicti  per  exilia  et  peregrina  loca  dispersi  sunt,  ist  von  n.  1 
loszulösen.  Denn  es  leuchtet  ein,  dass  die  ganze  Erzählung 
von  den  Umtrieben  des  Damasus  mit  ita  prava  eius  intentio 
caruit  quo  nitebatur  effectu  einen  weit  besseren  Abschluss  findet, 
als  wenn  noch  die  Worte  hinzugefügt  werden  exinde  presbyteri 
diversis  modis  affiicti  per  exilia  et  peregrina  loca  dispersi  sunt, 
deren  Zusammenhang  mit  dem  Vorangehenden  gar  nicht  ein- 
mal klar  ist.  Was  hat  das  Vorgehen  gegen  die  Presbyter  zu 
thun  mit  dem  vergeblichen  Versuch  des  Damasus,  einen  Theil 
der  italischen  Bischöfe  in  seinem  Streit  mit  Ursinus  zu  sich 
herüberzuziehen?  Ferner,  was  sind  das  für  Presbyter,  die  er 
in  die  Verbannung  schickt?  und  warum  tritt  er  nur  gegen 
Presbyter  auf,  warum  nicht  gegen  jene  Bischöfe,  die  ihm  eine  so 
freimüthige  Antwort  gegeben,  warum  nicht  gegen  alle  Cleriker, 
die  etwa  dem  Ursinus  noch  anhängen  mochten?  Alle  diese 
Fragen  finden  keine  genügende  Beantwortung,  wenn  wir  die 
Worte  exinde  presbyteri  .  .  dispersi  sunt  als  zu  n.  1  zugehörig 
betrachten.  Ich  habe  also  in  meiner  Ausgabe  den  ganzen 
Passus  von  exinde  presbyteri  bis  optulerunt  ita  im  Gegensatz 
zu  allen  früheren  Herausgebern  von  n.  1  abgetrennt  und  dem 
zurückgegeben,  dem  er  gehört:  dem  Redactor  dieses  Theiles, 
der  n.  1  und  n.  2  auf  diese  Weise,  nicht  eben  glücklich,  mit 
einander  in  Verbindung  brachte.  Was  ihn  hierzu  bewog,  ist  that- 
sächlich  nichts  Anderes  als  der  Umstand,  dass  dem  Damasus 
sowohl  in  n.  1  wie  in  n.  2  übel  mitgespielt  wird;  eine  weitere 
gegenseitige  Beziehung  des  Inhalts  beider  Stücke  liegt  nicht  vor. 


10  V.  Abhandlung:    Gttnther. 

Dass  der  Verfasser  jener  Zwischenbemerkung  die  Namen 
des  Marcellinus  and  Faustinus  dem  Schluss  der  Bittschrift  selbst 
entnommen,  hat  schon  Krüger  gesehen:  allein  seine  Benützung 
der  Bittschrift  selbst  geht  noch  viel  weiter.  Die  Schrift  der 
beiden  Presbyter  liegt  ausser  der  Avellanischen  Sammlung  noch 
in  einer  anderen  Ueberlieferung  vor;  sie  ist  uns  erhalten  in  den 
von  Maassen  als  ^Sammlung  der  Handschrift  von  Corbie',  ,Samm- 
lung  der  Handschrift  von  Albi'  und  ^Sammlung  der  Pithou'schen 
Handschrift'  bezeichneten  verwandten  Collectionen,1  zu  denen 
noch  einige  völlig  anders  geartete  Miscellanhandschriften  hinzu- 
treten. Die  gemeinsame  Tradition  aller  dieser  Sammlungen, 
die  ich  in  meiner  Ausgabe  mit  <ß  bezeichnet  habe,  und  über 
die  im  Einzelnen  ich  im  zweiten  Theil  dieser  Abhandlung  reden 
werde,  giebt  der  Schrift  den  Titel  De  confessione  verae  fidei  et 
osientatione  sacrae  communionis  et  persecutione  adversantium 
veritati;  dieselbe  Tradition  hat  am  Ende  der  Schrift  die  Worte 
Marcellinus  presbyter  obtuli  (oder  obtulit).  Damit  haben  wir  die 
Quellen  jener  Zwischenbemerkung  aufgedeckt.  Den  ersten  Satz 
exinde  presbyteri  diversis  modis  afflicti  per  exilia  et  peregrina 
loca  dispersi  sunt  hat  der  Verfasser  dem  ganzen  Inhalt  der  Bitt- 
schrift entnommen,  wo  von  den  Verfolgungen  und  Ausweisungen, 
unter  denen  die  Anhänger  des  Lucifer  zu  leiden  hatten,  immer- 
fort die  Rede  ist.  Dass  er  dabei  nur  von  presbyteri  spricht, 
ist  jetzt  klar:  er  will  eben  auf  Marcellinus  und  Faustinus  hinaus, 
und  die  waren  Presbyter.  Was  den  zweiten  Satz  angeht:  ex 
quibus  Marcellinus  et  Faustinus  presbyteri  de  confessione  verae 
fidei  et  ostentatione  sacrae  communionis  et  persecutione  adver- 
santium veritati  preces  Valentiniano  Theodosio  et  Arcadio  prin- 
cipibus  optuhrunt  itay  so  hat  der  Verfasser  sich  die  Namen 
der  Presbyter  aus  den  Subscriptionen2  geholt,  ebendaher  aber 
auch  das  Verbum  offerre.  Die  Worte  de  confessione  .  .  veritati 
sind  der  alten  Ueberschrift  des  Werkes  entlehnt,3  die  Namen 


1  Maassen,   Gesch.  der  Quellen  and  Lit  des  kanon.  Rechte,  8.  363  §  371. 

*  In  der  Avellana  stehen  beide  Namen  am  Ende;  in  den  Sammlangen, 
die  für  ans  *  repräsentiren,  heute  nur  noch  der  des  Marcellinus. 

8  Das  gleichmässige  Vorkommen  der  Worte  de  confessione  verae  fidei  .  .  . 
veritati  im  Schlusspassus  von  n.  1  und  dem  Titel  der  Recension  *P  von 
n.  2  hat  bereits  Meyer  bemerkt  (II,  S.  32),  allein  irrthümlich  angenommen, 
dass  sie  in  n.  1   ursprünglich  seien  und  von  dort  in  jene  Inscriptio  der 


AyeUana-Stndieii.  11 

der  Kaiser  ans  dem  Anfangsparagraphen  desselben.  So  geht 
alles  ohne  Rest  auf. 

Ich  kehre  jetzt  dorthin  zurück,  von  wo  ich  ausgegangen 
war.  Eis  hat  sich  ergeben,  dass  sowohl  in  der  Serie  n.  1 — 13 
wie  in  der  n.  14 — 37  einzelne  Stücke  dadurch  untereinander 
in  die  engste  Verbindung  gebracht  sind,  dass  irgend  welche 
Worte  dazwischen  gesetzt  wurden,  die  —  mehr  oder  minder 
glücklich  —  den  Zusammenhang  klarstellen  sollten.  Die  An- 
nahme, dass  zwei  verschiedene  Personen  zu  verschiedenen 
Zeiten  gleichmässig  auf  diese  Idee  verfallen  und  beider  so 
gleichmässig  geartete  Sammlungen  dann  durch  einen  reinen 
Zufall  in  der  Avellana  nebeneinander  gerathen  sein  sollten, 
verbietet  sich  von  selbst.  Vielmehr  führt  uns  die  Betrachtung, 
die  wir  angestellt  haben,  zu  dem  unabweislichen  Resultat,  dass 
in  der  Avellana  n.  14 — 37  nicht  von  n.  1 — 13  zu  trennen  sind, 
sondern  mit  diesen  zusammen  eine  Sammlung  ausmachen:  die 
erste  grössere  in  sich  geschlossene  Theilsammlung,  die  später 
in  die  Avellana  aufgenommen  wurde. 

Zu  demselben  Resultat  kommen  wir  übrigens  auch  noch 
von  einer  anderen  Seite  durch  eine  Betrachtung,   die  uns  zu- 

Classe  4>  übertragen  wären.  Dass  das  unmöglich  ist,  beweist  meine 
ganze  Darlegung,  folgt  aber  auch  schon  aus  dem  gleichmässigen  Vor- 
kommen von  offerre  im  Schlusspassus  von  n.  1  und  der  Subscriptio  von 
el  2  in  der  Becension  4».  Denn  dass  das  obtuli  hier  aus  dem  optulerunt 
dort  herübergeholt  sein  sollte,  ist  ausgeschlossen.  Die  Subscriptio  der 
Schrift  lautete  im  Original  so:  ego  Mareeüinus  presbyter  obtuli  optans 
feUcissimo  imperio  vestro  securam  quietem  et  in  regno  Christi  et  dei  per- 
petuam  beatitudinem,  piissimi  impereUores,  ego  Faustimu,  qui  non  possum 
dignus  vocari  presbyter  dei,  obtuli  optans  ut  et  hie  multos  annos  clemen- 
lissimae  divinüaUs  auxilio  feUciter  imperetis  et  in  futuro  Christi  filii  dei 
regno  perpetuam  cum  sancHs  beatitudinem  consequamini,  gloriosissimi  im- 
peratores.  Davon  hat  <P  heute  nur  noch  die  Worte  Mareeüinus  presbyter 
obtuli,  alles  Andere  ist  weggefallen;  die  Avellana  hat  die  Subscriptio 
ganz,  mit  Ausnahme  des  obtuli  an  beiden  Stellen.  Der  Verfasser  der 
Zwischenbemerkung  Hess  bei  n.  2  eben  nach  Kräften  alles  fort,  was  er 
davon  schon  in  jene  Bemerkung  hineingearbeitet  hatte,  so  die  Ueberschrift, 
so  das  obtuli  in  den  Subscriptionen.  Dass  die  Ueberschrift  De  eonfessione 
verae  fidei  et  ostentaUone  saerae  eommunionis  et  perseeuHone  adversante  (oder 
mit  der  Zwischenbemerkung  adversantium)  veritati  dem  Schriftchen  von 
den  beiden  Presbytern  selbst  beigelegt  ist,  scheint  mir  durchaus  wahrschein- 
lich, und  man  wird  gut  thun,  es  in  der  Literaturgeschichte  künftig  so  zu  be- 
nennen. Die  übliche  Bezeichnung  als  JUbeüus precumf  ist  ohne  jede  Autorität. 


12  ▼•  Abhandlung:    Günther. 

gleich  auf  die  Quelle  führt,  der  diese  erste  Theileammlung  der 
Avellana  die  überwiegende  Mehrzahl  ihrer  Stücke  entnommen 
hat.  Wenn  wir  nämlich  vor  Allem  die  Schriftstücke  n.  14 — 37 
betrachten,  die,  von  den  verschiedensten  Orten  aus  an  die  ver- 
schiedensten Personen  Italiens  und  Afrikas  gerichtet,  uns  von 
dem  Schisma  des  Eulalius  ein  Bild  geben,  so  genau,  wie  wir 
es  nur  immer  wünschen  können,  so  müssen  wir  es  von  vorne- 
herein als  höchst  unwahrscheinlich  bezeichnen,  dass  jemand 
dies  Material  durch  wirkliches  Sammeln  zusammengebracht 
habe,  d.  h.  indem  er  ein  Stück  hieher,  ein  zweites  dorther 
und  wieder  andere  anderswoher  nahm.  Viel  natürlicher  würde 
es  sein,  wenn  eine  mehr  oder  minder  officielle  Quelle  dem 
Redactor  der  Theilsammlung  dies  Material  in  seiner  ganzen 
Vollständigkeit  an  die  Hand  gegeben  hätte.  Und  dies  lässt 
sich  in  der  That  nachweisen:  es  stellen  sich  uns  nicht  nur 
n.  14 — 37,  sondern  die  ganze  Reihe  n.  3 — 37  (von  1.  2  und  2a 
sehe  ich  einstweilen  ab)  ihrer  Provenienz  nach  als  eine  ein- 
heitliche Masse  dar. 

Von  den  Stücken  der  ersten  Gruppe  sind  n.  3  und  5 — 1 1 
an  Stadtpräfecten,  n.  12.  13  und  ebenso  wohl  auch  n.  41  an 
Stadtvicare  gerichtet.  Von  der  zweiten  Gruppe  14 — 37  sind 
die  n.  15.  18.  21.  30.  31.  33  ebenfalls  Schreiben  an  einen 
Stadtpräfecten,  die  n.  14.  16.  19.  29.  32.  34  dagegen  Schreiben 
eines  Stadtpräfecten  selbst.  Nehmen  wir  nun  noch  den  Um- 
stand hinzu,  dass  das  Schreiben  des  Honorius  an  den  Stadt- 
präfecten Symmachus  n.  33  am  Schlüsse  das  Einlaufsdatum 
(Accepta  VI.  Id.  April.)  trägt,  das  ihm  doch  nur  auf  der  Stadt- 
präfectur  selbst  gegeben  werden  konnte,  so  werden  wir  sicher 
nicht  fehlgehen,  wenn  wir  als  Quelle  fUr  die  ganze  Masse 
n.  3 — 37  eine  bestimmte  Art  von  Regesta,  d.  h.  Copialbüchern, 
eben  dieser  Behörde  ansehen.  Dass  die  verschiedensten  Be- 
hörden der  damaligen  Zeit  eigene  derartige  Regesta  führten, 
ist  hinlänglich   bekannt;2    dass    der    erste    der   stadtrömischen 


1  Der  Brief,  an  Pinianus  gerichtet,  gehört  offenbar  nicht  in  das  Jahr  386/7, 
wo  Pinianus  praefectus  urbi  war,  sondern  in  das  Jahr  385.  Dass  Pinianus 
damals  yicarios  urbis  war,  hat  schon  Meyer  (II,  S.  11)  vermuthet;  es  ist 
in  der  That  äusserst  wahrscheinlich. 

9  H.  Bresslau  verweist  in  seinem  grundlegenden  Aufsatz  über  die  Common- 
tarii   der   römischen  Kaiser  und   die  Registerbücher  der   Papste    (Zeit- 


ÄTelluift-Stadien.  13 

Beamten  besonders  in  seiner  Eigenschaft  als  oberste  Polizei- 
behörde der  Stadt  ihrer  im  Verkehr  mit  dem  Herrscher  dm 
meisten  bedurfte,  liegt  auf  der  Hand.  Die  Thätigkeit  des 
vicarius  nrbis  geht  bekanntlich  mit  der  des  Stadtpräfecten  in 
dieser  Zeit  vielfach  Hand  in  Hand,  and  wie  sie  häufig  zu- 
sammenwirken und  ein  gemeinschaftliches  Gerichtslocal  be- 
sitzen/ so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  sich  in  den 
Regesta  des  Stadtpräfecten  auch  Abschriften  von  Stücken 
fanden,  die  an  den  vicarius  urbis  erlassen  waren.  Wenn  aber 
in  der  Reihe  jener  Schriftstücke,  um  die  es  sich  hier  handelt, 
sich  einige  vorfinden,  die  weder  von  Stadtpräfecten  verfasst, 
noch  an  solche  oder  vicarii  urbis  gerichtet  sind  (n.  17.  20. 
22 — 28.  35 — 37),  so  liegt  doch  auch  hier  auf  der  Hand,  wie 
Miese  in  die  Regesta  jener  Behörde  gelangt  sind.  Wenn  bei- 
spielsweise Kaiser  Honorius  in  n.  18  dem  Stadtpräfecten  Svm- 
machus  eine  neue  Anweisung  gibt,  zu  der  ihn  die  Bittschrift 
einer  Reihe  von  Presbytern  veranlasst  hat,  so  ist  es  eigentlich 
selbstverständlich,  dass  er  sich  nicht  mit  der  Uebersendung 
dieser  Anweisung  begnügt,  sondern  seinem  Vertreter  in  Rom 
auch  die  Bittschrift  selbst  (n.  17)  in  Abschrift  mitgetheilt  haben 
wird;  oder  wenn  er  ihm  in  n.  21  Mittheilung  macht  von  der 
Delegirung  des  Bischofs  Achilleus  von  Spoleto  nach  Rom,  so 
wird  er  ihm  auch  die  Schriftstücke  n.  22.  23  und  24  haben 
zugehen  lassen,  von  denen  n.  22  an  Achilleus  selbst  gerichtet 
ist,  n.  23  und  24  aber  Senat  und  Volk  von  Rom  von  der 
kaiserlichen  EntSchliessung  in  Kenntniss  setzen.9  Und  ebenso 
ist  es  mit  den  übrigen  Nummern:  da  Symmachus  verschiedent- 
lich Gelegenheit  gehabt  hatte,  als  Vertreter  der  Regierung  in 
den  Streit  zwischen  Bonifatius  und  Eulalius  einzugreifen,  so  ist 
es  nur  natürlich,  dass  ihm  auch  von  denjenigen  in  dieser  Sache 

schrift  der  Savigny-Stiftung  VI)  in  dieser  Beziehung  mit  Recht  auf  die 
Worte  quae  in  regtttis  diveraorum  officiorum  relata  sunt  des  Gesetzes  de 
Theodosiani  codicis  aueUnrUaU. 

1  Mtertlarium  commune,  vgl.  Symmachus,  Epist,  X,  23  (ed.  Seeck),  §4  und  12. 

*  Offenbar  lag  damals  dem  Symmachus  als  Stadtpräfecten  selbst  die  Pflicht 
ob,  nicht  nur  das  edictum  ad  populum  durch  Öffentlichen  Anschlag  be- 
kanntzumachen (vgl.  hierzu  die  Aufforderung  des  Kaisers  an  ihn  in  n.  31 
§  7  per  omnet  vero  titulos  vel  loca,  quae  conventu  celebri  frequentaniur,  kaec 
quae  ttatmmu»  proponentur)  sondern  auch  die  oratio  ad  senatum  im  Senat 
zur  Verlesung  zu  bringen. 


14  V.  Abhandlung:    Günther. 

erlassenen  Schriftstücken,  die  nicht  an  ihn  selbst  gerichtet  waren, 
wenigstens  die  wichtigeren  in  Abschrift  mitgetheilt  wurden.1 

Wie  hat  nun  der  Collector  der  ersten  Theilsammlung  die 
Regesta  des  praefectus  urbi  im  Einzelnen  benützt?  Manches  wird 
bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  unsicher  bleiben,  manches 
auf  verschiedene  Weise  erklärt  werden  können;  immerhin  aber 
lohnt  es  sich  doch  der  Mühe,  der  Frage  näherzutreten.  Was 
zunächst  die  Reihenfolge  angeht,  so  sind  die  Stücke  5—13  über 
das  Schisma  des  Ursinus  und  14 — 37  über  das  des  Eulalius  im 
Grossen  und  Ganzen  chronologisch  geordnet,8  und  im  Wesent- 
lichen fand  er  diese  Reihenfolge  gewiss  bereits  in  den  Regesta 
vor,  freilich  so,  dass  hier  zwischen  den  einzelnen  Stücken 
sicher  noch  Schriftstücke  anderen  Inhalts  standen,  die  er  nicht 
aufnahm.  An  den  beiden  Stellen,  wo  kleine  Abweichungen  von 
der  Chronologie  stattfinden,  ist  dies  in  dem  Charakter  der  Re- 
gesta selbst  begründet,  n.  17,  die  Preces  presbyterorum  pro 
Bonifatio  vom  6.  oder  7.  Januar  419,  stehen  hinter  n.  16,  einem 
Schreiben  des  Symmachus  vom  8.  Januar;  allein  jene  Bittschrift 
kam  natürlich  erst  einige  Tage  nach  ihrer  Abfassung  (vermuth- 
lich  mit  n.  18  zusammen)  über  Ravenna  in  die  Hände  des 
Stadtpräfecten  und  musste  daher  in  den  Regesta  nothwendiger 
Weise  ihren  Platz  nach  dem  8.  Januar  erhalten.     Ebenso   ist 


1  Den  Ursprung  aus  der  kaiserlichen  Kanzlei  verräth  in  dieser  Beziehung 
recht  deutlich  n.  28,  der  Galla  Placidia  epirtola  ad  Auguatinum  Alypium 
Euhodium  Donotionum  Silvanum  Novatum  et  Deuterium  episcopos  uni- 
formis,  d.  h.  ein  Brief,  der  in  gleicher  Ausfertigung  an  jeden  einzelnen 
dieser  sieben  Bischöfe  versandt  war.  Der  Zusatz  uniformi*  konnte  eben 
nur  in  der  Kanzlei  des  Absenders  gemacht  werden;  in  den  Adressen 
der  Originalausfertigungen,  in  denen  natürlich  immer  nur  ein  Name 
stand,  fehlte  er  selbstverständlich.  Im  Uebrigen  ist  diese  Stelle  als 
frühester  Beleg  für  eine  epistida  uniformis  in  Bresslau's  oben  citirter 
Abhandlung  S.  4  nachzutragen. 

*  Ueber  die  Chronologie  des  Schisma  des  Ursinus  siehe  den  ersten  Excure 
zu  dieser  Abhandlung.  Die  Chronologie  von  n.  14—37  ist  von  Meyer 
(II,  S.  6  ff.)  vollständig  erschöpfend  behandelt;  nur  das  eine  möchte  ich 
hinzufügen,  dass  die  Briefe  n.  27  und  28,  die,  wie  Meyer  nachgewiesen 
hat,  der  Galla  Placidia  gehören/  sicher  nicht  nach,  sondern  zusammen 
mit  n.  26  abgeschickt  sind.  Es  ist  dies  an  und  für  sich  im  höchsten 
Grade  wahrscheinlich,  ergibt  sich  aber  auch  aus  den  Worten  der  Pla- 
cidia selbst;  vgl.  n.  27,  §  2  mea  (sc.  scripta)  .  .  adiunxi;  n.  28,  §  3 
socianda  .  .  «erenitatis  nostrae  scripta  iudicanius. 


Aveil&nA-Studien .  1 5 

es  mit  n.  35,  einem  Schreiben  des  Kaisers  an  den  Proconsnl 
von  Afrika  vom  7.  April;  das  vorangehende  Schreiben  des 
Symmachus  ist  nach  dem  10.  April  verfasst,  allein  die  Ab- 
schrift von  n.  35,  die  offenbar  der  Kaiser  selbst  an  Symmachus 
sandte,  brauchte  von  Ravenna  bis  Rom  immerhin  einige  Tage 
und  konnte  in  die  Regesta  daher  erst  nach  n.  34  aufgenommen 
werden.  Uebrig  bleiben  nun  noch  die  Anfangsstücke  n.  1.  2. 
2\  3  und  4,  und  in  der  Anordnung  dieser  müssen  wir,  glaube 
ich,  die  nicht  ungeschickte  Hand  des  Gollectors  dieser  Theil- 
sammlung  selbst  erkennen.  Dass  er  n.  1.  2  und  2A  ebenfalls  in 
den  Regesta  der  Stadtpräfectur  vorfand,  ist  wohl  ausgeschlossen, 
denn  wie  in  aller  Welt,  als  durch  einen  blossen  Zufall,  hätten 
sie  dorthin  kommen  sollen?  Er  nahm  sie  also  wohl  irgendwo 
anders  her.  n.  1,  die  Oesta  über  das  Schisma  des  Ursmus, 
stellte  er  nun  als  passende  Einleitung  an  die  Spitze  seiner  kleinen 
Sammlung,  knüpfte  hieran  vermittelst  der  oben  S.  7  ff.  analy- 
sirten  Zwischenbemerkung  die  Schrift  des  Faustin  und  Mar- 
cellin  De  confessione  verae  fidei  und  hieran  wieder,  ebenfalls 
durch  eine  Zwischenbemerkung,  das  in  ihrer  Angelegenheit 
erlassene  kaiserliche  Edict  vom  Jahre  384  (n.  2a).  An  dieses 
schloss  er  zunächst  ein  anderes  derselben  Kaiser  aus  dem 
Jahre  386  (n.  3),  das  er  bereits  den  Regesta  entnahm,  sowie 
ein  zweites  vom  24.  Februar  385  (n.  4).  Letzteres  hat  mit 
dem  eigentlichen  Schisma  des  Ursinus  kaum  etwas  zu  thun 
(sonst  würde  der  Collector  es  der  Chronologie  wegen  sicher 
hinter  n.  14  geschoben  haben),  die  Erwähnung  des  Ursinus 
darin  ist  nur  eine  recht  nebensächliche;  immerhin  war  es  eben 
wegen  dieser  Erwähnung  geeignet,  einen  passenden  Uebergang 
zu  bilden  zu  den  nun  folgenden  n.  5 — 13  über  das  Schisma  des 
Ursinus.  An  die  Actenstücke  über  das  ursinianische  Schisma 
reihten  sich  dann  passend  die  n.  14 — 37  über  den  Streit  des 
Eulalius  und  Bonifatius  an. 

Ich  will  hier  nun  gleich  bemerken,  dass  zu  dieser  ersten 
so  von  mir  construirten  Theilsammlung  offenbar  auch  noch  die 
drei  folgenden  Stücke,  n.  38 — 40,  gehören.  Maassen  freilich 
hat  sie  zu  der  nächsten  Gruppe  der  Avellana  gezogen,  die  er 
mit  n.  50  endigen  läset,  allein  inhaltlich  haben  sie  mit  dieser 
nicht  das  Geringste  gemein,  n.  41  —  50  sind  Schreiben  von 
Päpsten   und  Bischöfen  und  betreffen  die  Geschichte  des  Pela- 


16  V.  Abhandlung:    Günther. 

gianismas  unter  den  Päpsten  Innocenz  I.  und  Zosimus;  n.  38 — 40 
dagegen  sind  Schreiben  römischer  Gewalthaber  über  ganz  ver- 
schiedenartige kirchliche  Angelegenheiten,  n.  38  ist  ein  Brief 
des  Honorius  an  Arcadius,  geschrieben  bald  nach  dem  20.  Juni 
404,  and  betrifft  die  gegen  Johannes  Chrysostomus  begangenen 
Gewalttätigkeiten;  n.  39  ein  Schreiben  des  Maximus  tyrannus 
an  Valentinian  II.  aus  der  Zeit  zwischen  Januar  386  und  Sep- 
tember 387,  das  sich  gegen  die  Begünstigung  der  Arrianer 
wendet;  n.  40  ein  Schreiben  desselben  Maximus  an  den  Papst 
Siricius  wohl  noch  aus  dem  Jahre  385  über  verschiedene  kirch- 
liche Dinge.  Wenngleich  also  der  Inhalt  von  n.  38 — 40  auch  mit 
dem  der  vorangehenden  Stücke  in  keinem  inneren  Zusammen- 
hang steht,  so  passen  sie  doch  in  ihrem  Charakter  als  Schreiben 
römischer  Herrscher  weit  besser  zu  diesen  als  zu  den  folgenden. 
Bei  dem  allgemeineren  Interesse  der  in  ihnen  behandelten 
Gegenstände  halte  ich  es  sogar  ftlr  recht  wahrscheinlich,  dass 
auch  sie  den  Regesta  der  Stadtpräfectur  entnommen  sind,  und 
dass  die  erste  Theilsammlung  zwar  vorwiegend,  aber  doch 
nicht  ausschliesslich  Schriftstücke  zur  Geschichte  der  beiden 
Papstschismen  geben  wollte,  das  zeigt  ja  vor  Allem  n.  3,  das 
Edict  über  den  Bau  von  San  Paolo.  Gegen  die  Stelle  aber, 
an  der  n.  38 — 40  in  dieser  Sammlung  auftreten,  ist  nicht  viel 
einzuwenden;  die  Chronologie  freilich  ist  ausser  Acht  gelassen, 
war  aber  in  Wahrheit  überhaupt  nicht  einzuhalten,  wenn  man 
nicht  bei  den  übrigen  Stücken  andere  Rücksichten  des  inneren 
Zusammenhanges  verletzen  wollte.  Dass  n.  38 — 40  nicht  zu  der 
folgenden  Gruppe  gehören,  wird  übrigens  auch  die  weitere  Be- 
trachtung der  n.  41 — 50  lehren.  Das  Charakteristische  der  Pro- 
venienz, das  wir  für  n.  41 — 50  ermitteln  werden,  fehlt  für  jene 
vollständig. 

Ich  habe  noch  ein  paar  Worte  über  die  Form  der  Ueber- 
schriften  in  der  ersten  Theilsammlung  zu  sagen.  Was  die  von 
Meyer  hervorgehobene  Verschiedenheit  der  Titel  von  n.  14 — 37 
einerseits  und  n.  3 — 13  andererseits  betrifft,  so  wird  man  die- 
selbe schwerlich  dem  Collector,  sondern  ohne  Frage  schon 
den  Regesta  selbst  beizumessen  haben.  Die  beiden  Serien  von 
Schriftstücken  liegen  zeitlich  gut  30  Jahre  auseinander;  da 
ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  sich  im  Laufe  dieser  Zeit  im 
Eanzleigebrauch  der  Stadtpräfectur,  was   die  Wiedergabe  der 


ATeiUna-Studien.  17 

Ueberschriften  anlangt,  eine  Aenderung  vollzogen  hat.1  Die 
Bezeichnung  einer  Reihe  von  Stücken  der  Serie  14 — 37  als 
relatiOj  exemplum  relationis }  exemplum  sacrarum  litterarum 
n.  dgl.  erinnert  stark  an  den  Gebrauch,  den  wir  zu  Beginn 
des  6.  Jahrhunderts  in  der  päpstlichen  Kanzlei  des  Hormisda 
vorfinden  werden,  obgleich  hier,  wie  wir  sehen  werden,  mit 
exemplum  nur  Abschriften  solcher  Stücke  bezeichnet  zu  werden 
pflegten,  die  von  auswärts  einliefen  und  dann  in  die  päpst- 
lichen Copialbticher  eingetragen  wurden.  Wem  der  Irrthum 
zur  Last  zu  legen  ist,  der  in  den  Ueberschriften  von  n.  27 
und  28  vorwaltet,  von  denen  n.  27  mit  eiusdem  principis7 
n.  28  mit  eiusdem  auf  Honorius  weisen,  während  doch  nach 
Meyer's  schlagender  Darlegung  (II,  10)  beide  der  Galla  Pla- 
cidia  gehören,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden;  doch  ist  es 
immerhin  wahrscheinlicher,  dass  hier  der  Copist  der  Stadt- 
präfectur  gedankenlos  gewesen  ist,  als  dass  der  Irrthum  dem 
Collector  passirt  sein  sollte.8  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob 
wir  die  kurzen  Inhaltsangaben,  die  einzelnen  Briefen  voran- 
gestellt sind,  ebenfalls  schon  den  Regesta  zuweisen  sollen.  Es 
sind  dies  folgende:  n.  3  De  constructione  basilicae  sancti  apo- 
stoli  Pauli,  n.  4  Gratulatoria  de  ordinatione  papae  Siricii, 
n.  5  Ubi  Ursinus  et  qui  cum  eo  sunt  ab  exilio  relaxantur,  n.  6 
Ubi  redditur  basilica  Sicinini,  n.  7  De  expellendis  sociis  Ur- 
sini extra  Romam,  n.  13  -D«  rebaptizatoribus ,  n.  34  De  in- 
gressu  papae  Bonifatii  (in  die  Ueberschrift  eingeflochten),  n.  37 

1  Auf  die  Uebernahme  der  Titel,  so  wie  sie  sind,  aus  den  Regesta  selbst 
weist  vielleicht  die  Ueberschrift  von  n.  34  hin:  Exemplum  relationis  Sym- 
machi  p.  u.  de  ingresm  papae  Bonifatii  ad  principem  supra  scriptum. 
Der  princeps  supra  scriptum  ist  Honorius.  Das  vorangehende  Stück  ist 
überschrieben  Exemplum  sacrarum  litterarum  Symmacho  p.  u.,  also  ohne 
dass  Honorius  genannt  oder  auch  nur  durch  princeps  bezeichnet  wäre. 
Die  Beziehung  auf  n.  17,  wo  allein  unter  den  vorangehenden  Stücken  Ho- 
norius namentlich  genannt  wird,  liegt  doch  wohl  zu  fern.  Ich  glaube, 
dass  in  den  Regesta  vor  n.  34  irgend  ein  anderes  Schriftstück  stand,  in 
dessen  Adresse  der  Kaiser  ausdrücklich  mit  Namen  angeführt  war. 

1  Man  könnte  sich  vielleicht  helfen,  wenn  man  bei  n.  27  das  principis  als 
Einschiebsel  (nach  Analogie  von  24 — 26)  ansähe  und  annähme,  dass  vor 
n.  27  und  28  in  den  Regesta  noch  ein  anderes  Schreiben  der  Galla  Pia- 
cidia  mit  namentlicher  Nennung  der  Verfasserin  gestanden  hätte,  das 
von  unserem  Collector  nicht  aufgenommen  wäre.  Sehr  wahrscheinlich 
ist  diese  Annahme  freilich  nicht. 
Sitranftber.  d.  phit-hUt.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  6.  Abh.  2 


18  T.  Abhandlung:    Gontfaer. 

Epistola  imperatoris  Honorii  .  .  qua  statuit  ut  si  denuo  ordinati 
fuerint  duo  episcopi  ambo  de  civitate  pellantur,1  n.  38  De  per- 
sona sancti  Iohannis  episcopi  Constantinopolitani,  n.  39  Contra 
Arrianos  et  Manichaeos*  Auch  hier  bin  ich  in  der  That  der 
Ansicht,  dass  diese  Inhaltsangaben  zum  Zweck  leichterer  Orien- 
tirung  den  einzelnen  Stücken  bereits  in  den  Regesta  voran- 
gesetzt waren,3  vor  Allem  aus  dem  Grunde,  weil  sie,  wie 
schon  Meyer  bemerkt  hat,  an  einzelnen  Stellen  Bemerkungen 
darbieten,  die  aus  dem  Inhalt  der  Stücke  selbst  nur  schwer 
oder  gar  nicht  erschlossen  werden  konnten  (vgl.  Meyer  II  5, 
Anm.  3).  Wem  die  thörichte  Ueberschrift  von  n.  1  Quae 
gesta  sunt  inter  Liberium  et  Felicem  episcopos  zur  Last  zu 
legen  ist,  die  den  Inhalt  dieser  Gesta,  wie  schon  bemerkt,  nur 
höchst  mangelhaft  wiedergiebt,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Die 
Ueberschrift,  die  vor  dem  Titel  von  n.  14  steht  und  sich  auf 
die  ganze  Gruppe  n.  13 — 37  bezieht:  De  his  quae  inter  Boni- 
fatium  et  Eulalium  gesta  sunt,  quando  utrique  post  mortem 
papae  Zosimi  episcopatum  Romanae  tirbis  contentionis  ambitu 
pervaserunt,  stammt  sicher  von  dem  Collector,  der  ja  auch 
sonst,  wie  wir  gesehen  haben,  durch  Zwischenbemerkungen 
das  Seinige  that,  um  den  Zusammenhang  der  von  ihm  zu 
einer  Sammlung  vereinigten  Stücke  verständlicher  zu  machen. 


1  Eine  Ueberschrift,  die  ans  dieser  abzuleiten  ist,  trägt  n.  37  anch  in  der 
Parallelüberlieferung,  über  die  ich  im  2.  Capitel  dieser  Abhandlang  ge- 
nauer sprechen  werde.  Wenn  daher  dieser  Uebersichtstitel  ebenso  zu 
betrachten  und  auf  die  gleiche  Quelle  zurückzufahren  ist  wie  die 
übrigen  Inhaltsangaben,  die  wir  vor  einzelnen  Stücken  der  ersten  Theil- 
sammlung  finden,  so  geht  jene  Parallelüberlieferung  im  Grunde  eben- 
falls entweder  auf  die  Regesta  der  Stadtpräfectur  oder  eine  aus  ihr  ab- 
geleitete Quelle  zurück. 

*  Von  dieser  Inhaltsangabe  bezieht  sich  auf  n.  39  Übrigens  nur  die  erste 
Hälfte  contra  Arrianos;  von  Manichäern  ist  in  dem  ganzen  Stück  nicht 
die  Rede,  wohl  dagegen  in  n.  40  (§  4),  so  dass  das  et  Manichaeos  offen- 
bar auf  n.  40  geht.  Es  hat  darnach  den  Anschein,  als  ob  beide  Stücke 
bereits  in  der  Quelle  durch  die  gemeinsame  Ueberschrift  gewissennassen 
zu  einem  Ganzen  zusammengefaßt  wären.  Den  Grund  hierfür  vermögen 
wir  nicht  mehr  zu  erkennen. 

9  Auch  hierfür  finden  wir  in  späteren  päpstlichen  Regesten  Analoga;  ich  ver- 
weise auf  die  Notizen  in  den  Ueberschriften  von  n.  66  (SimpUdus  epheopus 
Zenoni  Augusto.  De  ecde*ia  Antiockena.)  und  n.  67  (SimpUeius  epvtcopw 
Acacio.  Ordinato  ab  eo  Kalendione  Antiocheno  epUcopo.)  der  Avellana. 


ATeilana-8tudien.  19 

Wann  diese  erste  Theilsammlung,  die  bald  nach  der  Mitte 
des  6.  Jahrhunderts  als  Ganzes  in  die  Avellana  aufgenommen 
wurde,  ihrerseits  entstanden  ist,  darüber  wage  ich  nichts  zu 
sagen.  Dass  nicht  erst  der  Collector  der  Avellana  selbst  es 
gewesen  ist,  der  unter  Benützung  des  Archivs  der  Stadtpräfectur 
die  Stücke  n.  1 — 40  so  zusammenstellte,  ergiebt  sich  aus  den 
geschilderten  besonderen  Eigenthümlichkeiten  dieses  ersten  Be- 
standtheiles,  die  eben  nur  in  dieser  ersten  Gruppe  vorkommen 
und  sich  mit  dem  ganzen  Charakter  der  übrigen  Sammlung, 
wie  wir  noch  weiter  sehen  werden,  nicht  vereinigen  lassen. 

3. 

Ich  wende  mich  zu  einer  Betrachtung  der  zweiten  in  die 
Avellana  aufgenommenen  Gruppe,  der  Nummern  41 — 50.  Es 
sind  folgende: 

n.  41  Epistola  tertia  sancti  Innocentii  ad  episcopos  V. 
Dilecti8simi8  fratribus  Aurelio  Alypio  Augustino 
Eoodio  et  Possidio  Innocentius  (Fraternitatis  ve- 
strae  litter as  .  .  .). 

n.  42  Dilectissimo  filio  Hieronymo  presbytero  Innocentius 
(Numquam  boni  aliquid  .  .  .). 

n.  43  DilecÜ88imo  fratri  Iohanni  Innocentius  (Direptiones 
caedes  .  .  .). 

n.  44  Dilectissimo  fratri  Aurelio  Innocentius  (Piissimum 
iter  .  .  .). 

n.  45  Incipit  exemplum  epistolae  I.  Zosimi  papae  in  de- 
fensionem  Caelestii  contra  Africanos  episcopos. 
Zosimus  Aurelio  et  universis  episcopis  per  Africam 
constitutis  dilectissimis  fratribus  in  domino  so- 
lutem  (Magnum  pondus  .  .  .). 

n.  46  Zosimus  episcopus  Aurelio  et  universis  episcopis  per 
Africam  constitutis  dilectissimis  fratribus  in  do- 
mino salutem  (Posteaquam  a  nobis  .  .  .). 

n.  47  'Libellus  Paulini  diaconi  adversum  Caelestium  Zosi- 
mo  episcopo  datus  (Beatitudinis  tuae  iustitiam  ...). 

n.  48  Item  exemplum  epistolarum  sancti  Augustini  ad  ea 

quae  supra  scripta  sunt  rescribentis  per  Albinum 

acolitum  et  Firmum  presbyterum.    Domino  vene- 

rabili    et  in  Christi    caritate  suscipiendo   sancto 

2* 


20  V.  Abhandlung :     Gantaer. 

fratri   Xysto  presbytero    Augustinus   in   domino 

salutem  (Ex  quo  Hipponem  .  .  .). 
n.  49  Domino  sancto  omnique  honore  colendo  ac  beatissimo 

papae  Cyrillo  Eusebius  (In  Christo  gratias  egi  . . .). 
n.  50  Zosimus  Aurelio  et  ceteris  qui  in  concilio  Carthagi- 

nensi  adfuerunt  dilectissimis  fratribus  in  domino 

salutem  (Quamvis  patrum  traditio  .  .  .). 

Die  Verwandtschaft  dieser  Stücke  ist  eine  rein  inhaltliche: 
verfasst  in  den  Jahren  417  oder  41 8,  betreffen  sie  sämmtlich 
die  Entwicklung  des  Pelagianismus  in  dieser  Zeit. 

n.  41  ist  in  der  Avellana  überschrieben  Epistola  tertia 
sancti  Innocentii  ad  episcopos  V.  Diese  merkwürdige  Ueber- 
schrift  ist  bereits  von  Maassen  erklärt  und  zu  richtigen  Folge- 
rungen benutzt.  Im  Jahre  416  richteten  die  beiden  Synoden 
zu  Carthago  und  Mileve,  um  eine  Verurtheilung  des  Pelagius 
herbeizuführen,  je  ein  Schreiben  an  Innocenz:  es  sind  das  die 
Schriftstücke  Cum  ex  more  ad  Carthaginensem}  und  Quia  te  do- 
minus gratiae*  Innocenz  beantwortete  beide  am  27.  Januar  417, 
jenes  durch  den  Brief  In  requirendis*  dieses  durch  das  Schreiben 
Inter  ceteras  Romanae  ecclesiae.*  Allein  zusammen  mit  jenen 
beiden  Synodalschreiben  lief  noch  ein  drittes  Schriftstück  bei 
Innocenz  ein,  das  Schreiben  De  conciliis  duobusf  in  dem  die 
fünf  afrikanischen  Bischöfe  Aurelius,  Alypiu9,  Augustinus,  Evo- 
dius  und  Possidius  in  der  gleichen  Angelegenheit  persönlich 
dem  Papst  ihre  Meinung  unterbreiteten.  Die  Antwort  des  Inno- 
cenz hierauf  ist  unsere  n.  41  }Fraternitati$  vestrae*.  Das  Schrift- 
stück ist  uns  ausser  der  Avellana  noch  durch  die  sogenannte 
Quesnel'sche  Sammlung  überliefert,  und  diese  ist  es,  die  auch 
jene  übrigen  fünf  Stücke  enthält,  und  zwar  in  der  Reihenfolge: 

n.     VI6  Schreiben  der  Synode  von  Carthago  Cum  ex  more. 
n.    VII  Antwort  des  Innocenz  darauf  In  requirendis. 
n.  VIII  Schreiben  der  Synode  von  Mileve  Quia  te  dominus. 

1  Coustant,  Epp.  pontif.  868;  Baller.  III  128. 
1  Coustant  873;  Baller.  III  141. 

*  Coustant  888;  Baller.  HI  134. 
4  Coustant  895;  Baller.  III  144. 

*  Coustant  876;  Baller.  HI  149. 

4  Ueber   die  Zahlung   der  Sammlung  vgl.  Maassen,    Gesch.  der  Quellen 
p.  495  ff. 


ATeUuft-Studien.  21 

n.  IX  Antwort  des  Innocenz  darauf  Inter  ceteras. 

n.     X  Schreiben  der  fünf  afrikanischen  Bischöfe  De  con- 

ciliis  duobus. 
n.     XI  Antwort  des  Innocenz  darauf  Fraternitatis  vestrae. 

In  dieser  Gruppe  der  Quesnelliana  ist  also  thatsächlich 
unsere  n.  41  das  dritte  Schreiben  des  Innocenz.  Aus  der  Ques- 
nelliana selbst  hat  nun  die  Avellana  dies  Stück  nicht  ent- 
nommen: das  zeigt  einmal  die  Thatsache,  dass  V  eine  Reihe 
besserer  Lesarten  hat  als  jene,  sodann  aber  vor  Allem  der 
Umstand,  dass  n.  51  in  der  Quesnelliana  gar  nicht  als  epistola 
tertia  Innocentii  bezeichnet  ist,  sondern  einfach  die  Ueber- 
schrift  trägt  Incipit  epistola  papae  Innocenti  ad  suprascriptos. 
Daher  hat  Maassen  mit  Recht  für  Quesnelliana  und  Avellana, 
was  dies  Stück  angeht,  eine  gemeinsame  Quelle  angenommen, 
in  der,  wie  in  der  Quesnelliana,  n.  41  als  dritter  jener  drei 
Briefe  des  Innocenz  auftrat.  Falls  nicht  eine  uns  unbekannt 
gebliebene  Mittelinstanz  existirt  habe,  so  könne,  meint  Maassen 
weiter,1  jene  Quelle  nur  das  päpstliche  Archiv  selbst  gewesen 
sein,  und  Ewald,2  der  ihm  beistimmt,  wagt  ebenfalls  zwischen 
diesen  beiden  Möglichkeiten  nicht  zu  entscheiden.  Diese  An- 
sicht ist  jedoch  falsch;  es  lässt  sich,  wie  wir  sehen  werden, 
sicher  nachweisen,  dass  Avellana  und  Quesnelliana  in  dieser 
Partie  weder  direct  noch  indirect  auf  das  lateranensische  Re- 
gister, sondern  auf  eine  ganz   andere   Quelle   zurückgehen. 

n.  42 — 44  tragen  in  der  Avellana  ausser  der  Adresse  keine 
Ueberschrift;  n.  42,  das  Schreiben  des  Innocenz  an  Hieronymus, 
ist  sonst  nicht  überliefert,  ebensowenig  die  beiden  anderen, 
n.  43  an  Johannes  von  Constantinopel  und  n.  44  an  Aurelius.8 

1  Sitzungsberichte,  LXXXV.  Bd.,  p.  241. 

*  Sybel's  Histor.  Zeitschrift,  N.  F.  IV,  166. 

s  Der  Anfang  dieses  Briefes  lautet  nach  V  folgendermaßen:  Piissimum 
iter  ad  not  perveniendi  tuas  affeetiones  bene  compresbyter  notier  credidü 
Hieronymw,  d.  h.:  ,Hieronymus  ist  mit  Recht  der  Meinung  gewesen, 
dass,  um  (mit  der  Nachricht  über  die  ihm  widerfahrene  Unbill)  zu  uns 
zu  gelangen,  deine  Freundschaft  der  pietätvollste  Weg  sei'.  Hieronynius 
hatte  sich  nicht  direct  an  den  Papst  gewandt,  sondern  durch  Vermitt- 
lung des  Aurelius.  In  dem  jungen,  auf  eine  Abschrift  von  V  zurück- 
gehenden Ottobonianus  1105  war  nun  iter  in  etiam  verdorben,  und  eine 
zweite  Hand  änderte  dann  piisrimam  etiam  ad  nos  perveniendi  tuam 
affectumem  etc.     Nur  auf  dieser  unsinnigen,  aber  von  Carafa  und  allen 


22  ▼.  Abhandlung:    Günther. 

Chronologisch  schliessen  sie  sich  passend  an  n.  41  an,  sie  sind 
bald  nach  dem  27.  Januar  417  geschrieben.1 

Es  folgt  n.  45,  überschrieben  Exemplum  epistolae  I  Zo- 
simi  papae  in  defensionem  Caelestii  contra  Africanos  episcopos. 
Der  erste  Brief  des  Zosimus  überhaupt  ist  n.  45  ebensowenig 
wie  n.  41  der  dritte  des  Innocenz;  wohl  aber  —  jedenfalls 
für  uns  —  der  erste,  den  er  in  Sachen  des  Pelagianismus 
geschrieben  hat.*  Die  charakteristische  Art  der  Ueberschrift 
weist  ihn  also  ziemlich  sicher  eben  derselben  Quelle  zu,  aus 
der  auch  n.  41  in  die  Avellana  gekommen  ist. 

Die  beiden  folgenden  Stücke,  n.  46  der  Brief  des  Zosimus 
an  die  afrikanischen  Bischöfe  vom  21.  September  417  und  n.  47 
der  Libell  des  Paulinus  von  Mailand  an  Zosimus  vom  8.  No- 
vember desselben  Jahres,  bieten  in  Ueberschrift  oder  Subscription 
nichts,  was  auf  die  Art  der  Quelle,  aus  der  sie  entnommen, 
schliessen  Hesse.  Anders  ist  es  mit  n.  48,  dem  auch  sonst  unter 
den  Briefen  des  Augustin  überlieferten  Schreiben  dieses  Bischofs 
an  den  Presbyter  Xystus  Ex  quo  Hipponem.  Die  Ueberschrift 
lautet,  wie  wir  gesehen:  Item  exemplum  epistolarum  sancti  Augu- 
stini  ad  ea  quae  supra  scripta  sunt  rescribentis  per  Albinum 
acolitum  et  Firmum  presbyterum.  Der  Presbyter  Xystus  war 
in  den  Verdacht  gekommen,  der  Lehre  des  Pelagius  geneigt 
zu  sein.  Zu  seiner  Rechtfertigung  entsendet  er  einmal  durch 
den  Akolythen  Leo  ein  kurzes  Schreiben  an  Aurelius  von 
Carthago,  darauf  ein  zweites  durch  den  Presbyter  Firmus  an 
Augustin  und  Alypius  von  Thagaste.  Als  Firmus  nach  Hippo 
Rhegius  kommt,  findet  er  den  Augustin  nicht  vor,  lässt  daher 
sein   Schreiben   dort   zurück   und    geht   weiter   —   wir   wissen 

Folgenden  recipirten  Lesart  beruht  das,  was  bei  Coustant,  Vallarsi  und 
auch  noch  bei  Langen  (Gesch.  der  röm.  Kirche  I  724)  über  ,den  frommen 
Vorsatz4  des  Aurelius,  den  Papst  ,in  Rom  zu  besuchen4,  zu  lesen  ist. 

1  Dass  die  Briefe  nicht  in  das  Jahr  416  gehören,  sondern  in  die  Zeit 
nach  n.  41  zu  setzen  Bind,  scheint  mir  Coustant  (p.  905/6)  überzeugend 
nachgewiesen  zu  haben. 

*  Dass  er  noch  in  das  Jahr  417  gehört,  zeigt  die  Subscriptio;  in  n.  46 
vom  21.  September  desselben  Jahres  wird  auf  ihn  Bezug  genommen. 
Im  Uebrigen  ist  die  Subscription  corrupt,  und  der  Versuch  Coustant's 
(948  Note  g),  durch  Conjectur  den  Monat  aus  den  überlieferten  Schrift- 
zügen herzustellen,  fallt  in  sich  zusammen,  da  er  nicht  auf  der  Lesart 
von  V  fusst,  sondern  auf  der  des  aus  jenem  abgeschriebenen  Codex  «. 


Ayellanft-Stadien.  23 

nicht,  wohin.  Nach  Hippo  zurückgekehrt,  findet  Augnstin  den 
Brief  des  Xystus  vor  und  ergreift  die  nächste  Gelegenheit, 
um  ihm  durch  den  nach  Italien  gehenden  Akolvthen  Albinus 
eine  Antwort  zu  übersenden.  Zuvor  lässt  er  den  Albinus  jedoch 
bei  Alypius  vorkehren,  um  nun  auch  diesem  das  an  sie  gemein- 
schaftlich gerichtete  Schreiben  des  Xystus  zustellen  zu  lassen. 
Alles  dies  erfahren  wir  aus  n.  48,  eben  jenem  Antwortschreiben, 
das  Albinus  an  Xystus  überbrachte.1  Später  kehrt  dann  Firmus 
noch  einmal  nach  Hippo  zurück,  und  ihm  übergibt  Augustin 
nun  ein  zweites,  weit  ausfuhrlicheres  Schreiben  an  Xystus,  n.  194 
nach  Zählung  der  2.  Mauriner- Ausgabe,  das  mit  den  Worten 
beginnt:  In  epistola,  quam  per  carissimum  fratrem  nostrum 
Albinum  acolyihum  misi7  prolixiorem  me  misswrum  esse  pro- 
misi*  per  sanctum  fratrem  et  compresbyterum  nostrum  Firmum, 
qui  nobis  litteras  adtulit  sinceritatis  tuae.  Wir  haben  also 
zwei  Briefe  des  Augustin  an  Xystus:  unsere  n.  48,  die  Al- 
binus überbrachte,  und  das  Schreiben  In  epistola  quam  per 
carissimum,  dessen  Ueberbringer  Firmus  war.  Das  letztere 
ist  in  der  Avellana  nicht  erhalten;  dass  es  in  ihrer  Quelle  auf 
n.  48  folgte,  zeigt  die  Ueberschrift  von  48  Item  exemplum 
epi stolarum  s.  Augustini  ad  ea  quae  supra  scripta  sunt  re- 
scribentis  per  Albinum  acolitum  et  Firmum  presbyterum, 
die  sich  als  gemeinsame  Ueberschrift  für  beide  Briefe  an 
Xystus  kennzeichnet.    Beiden  Schreiben  voran,  das  lehren  uns 


1  Albinus  befördert  zu  gleicher  Zeit  noch  zwei  andere  Briefe  des  Augustin 
nach  Italien,  die  Schreiben  Quamvis  longe  absens  (=  n.  192  der  2.  Aus- 
gabe der  Mauriner)  an  den  damaligen  Diakon  und  späteren  Papst  Cae- 
lestin  und  Lüterae  dilectionis  tuae  quas  prius  (=  n.  193)  an  Marius 
Mercator.  Das  letztere  gibt  uns  an,  wo  Augustin  in  jener  Zeit  gewesen, 
als  Firmus  ihn  in  Hippo  suchte:  zunächst  in  Carthago,  dann  in  Mau- 
ritania  Caesariensis,  wohin  er  auf  Veranlassung  des  Zosimus  gegangen 
war  (vgl.  den  Brief  an  Optatus,  ed.  2.  Maur.  n.  190),  um  mit  dem 
Donatistenbischof  Emeritus  zu  verhandeln  (vgl.  Retractat.  II  51  und 
Possidius,  Vita  Augustini,  c.  14).  Diese  Verhandlungen  fanden  am 
20.  September  418  statt  (vgl.  die  Qesta  cum  Emerito,  Bd.  IX,  p.  425  der 
zweiten  Mauriner-Ausgabe).  Schon  die  Mauriner  haben  daher  bemerkt, 
dass  n.  48  nicht  vor  Ende  des  Jahres  418  an  Xystus  abgeschickt  ist. 

*  In  Wahrheit  hat  Augustin  diese  seine  Absicht  in  dem  ersten  Schreiben, 
wie  es  uns  vorliegt,  nicht  ausgesprochen.  Aber  wie  oft  meint  man  nicht, 
man  habe  dies  und  jenes  geschrieben,  und  hat  doch  nur  die  Absicht 
gehabt,  es  zu  thun,  es  in  Wahrheit  aber  nicht  gethan. 


24  V.  Afchaadluof:    Günther. 

die  Worte  ad  ea  quae  supra  scripta  sunt  rescribentis,  ging 
in  jener  Quelle  das  Schreiben  des  Xystus,  das  Firmus  im 
Jahre  418  nach  Hippo  brachte.  Der  Sammler  der  Avellana 
hat  dieses  nicht  aufgenommen  (leider,  müssen  wir  sagen,  denn 
so  ist  es  uns  verloren  gegangen),  beabsichtigte  dagegen,  wie  sich 
aus  der  Ueberschrift  von  n.  48  ergiebt,  die  beiden  Antwort- 
schreiben des  Augustin  aufzunehmen.  Ausgeführt  hat  er  diese 
Absicht  nicht:  das  durch  Firmus  Übersandte  Schreiben  fehlt  in 
der  Avellana  ganz,  und  das  Schreiben,  das  Albinus  zu  überbringen 
hatte,  ist  darin  nur  etwa  zu  drei  Vierteln  enthalten;  es  geht  bis 
zu  den  Worten  impietate  facientes,  dann  bricht  der  Text  ab,  und 
es  steht  statt  dessen  Et  reliquum.  Ich  glaube  nun  nicht,  dass 
die  Auslassung  des  durch  die  Ueberschrift  von  n.  48  mit  ange- 
kündigten Briefes  In  epistola  quam  per  carissimum,  sowie  die 
Verstümmelung  von  n.  48  selbst  erst  im  Laufe  der  Zeit  von 
irgend  einem  Abschreiber  der  Avellana  vorgenommen  ist,  denn 
der  Abschreiber  schreibt  doch  im  Allgemeinen  das,  was  ihm  ab- 
zuschreiben aufgetragen  ist.  Viel  wahrscheinlicher  ist,  dass  beides 
auf  den  Sammler  selbst  zurückgeht.  Offenbar  liegt  die  Sache  so: 
als  er  bis  zu  dem  Punkte  gekommen,  wo  n.  48  in  der  Avellana 
abbricht,  erinnerte  er  sich,  dass  beide  Briefe  des  Augustin  sich 
auch  in  dessen  veröffentlichter  Briefsammlung  befanden;  ver- 
muthlich  hatte  er  selbst  ein  Exemplar  dieser  Sammlung  zu  Hause 
in  seiner  Bibliothek.  Er  sparte  sich  also,  als  ihm  diese  Erkennt- 
niss  gekommen  war,  die  Mühe  weiteren  Abschreibens  und  setzte, 
statt  n.  48  zu  Ende  zu  führen  und  das  zweite  Schreiben  hinzu- 
zufügen, in  sein  Concept  kurz  und  bündig  Et  reliquum.  Für 
den  ganzen  Charakter  der  Avellana  ist  dieser  Vorgang  nicht 
ohne  Bedeutung  und  Interesse,  zumal  uns  im  Laufe  unserer 
Untersuchung  noch  ein  ganz  ähnlicher  Fall  begegnen  wird. 

Die  beiden  letzten  Stücke  unter  den  zehn  hier  zu  be- 
sprechenden sind  n.  49,  das  Schreiben  eines  gewissen  Eusebins 
an  Cyrill  von  Alexandreia,  und  n.  50  das  Schreiben  des  Zo- 
simus  an  die  afrikanischen  Bischöfe  Quamvis  patrum  traditio. 
Ueber  das  erstere  ist  kaum  etwas  zu  bemerken.  Ueber  den 
Absender  wissen  wir  ebensowenig  etwas l  wie  über  den  in  dem 


1  Baronius  identificirt  ihn  mit  Eusebius  von  Cremona;    das  ist  möglich, 
aber  keineswegs  sicher. 


Avellana- Studien.  25 

Briefe  selbst  genannten  Valerianus,    der  als  servus  Ariminensis 
possessionis  inlustrissimi  Valeri  comitis  bezeichnet   wird.     Ge- 
schrieben ist  es  nach  dem  Tode  Innocenz'  I.  (f  12.  März  417), 
vermnthlich   im  Jahre   418.     Das   zweite,    das   Schreiben   des 
Zosimus,  ist  datirt  vom  21.  März  418;  ausserdem  trägt  es  am 
Schlnss  die  Note  Accepta  III  Kai.  Maias,   d.  h.  am  29.  April 
desselben  Jahres.     Derartige  Bezeichnungen   des  Einlaufstages 
sind   nicht   ungewöhnlich;  unter  den  Schreiben  an  Papst  Hor- 
misda   im   letzten  Theil  der  Avellana  finden  sie  sich,   wie  wir 
sehen   werden,    ziemlich   häufig.     Sehr  beachtenswerth   ist   in 
diesem   Falle   nur  der  Umstand;   dass  wir  es   hier  nicht   mit 
einem  Schreiben  zu  thun  haben,   welches  der  Papst  empfängt; 
sondern  mit  einem  solchen;   das  von  ihm  ausgeht.     Es  ergiebt 
sich  daraus  mit  absoluter  Sicherheit;  dass  als  Quelle  für  dies 
Stück   nicht  das   päpstliche  Archiv  in  Rom  zu  betrachten  ist; 
sondern   das  Archiv   irgend   eines   der  afrikanischen   Bischöfe, 
an  die  es  gesandt  war;   denn  erst  hier  konnte  es  mit  jenem 
Zusätze  versehen  werden.1      Auch  bei  einigen  anderen  der  im 
Vorstehenden  besprochenen  zehn  Stücke  ist  das  päpstliche  Ar- 
chiv als  Quelle   so   gut  wie  ausgeschlossen.     So  vor  Allem  bei 
n.  49;  dem  Schreiben  des  Eusebius  an  Cyrill  von  Alexandreia, 
bei    dem    nicht    abzusehen   ist,    wie   es   hätte    in    die    scrinia 
sedis  apostolicae   gelangen   sollen.    Sodann  aber  auch   bei  den 
beiden    Schreiben    des   Augustin   an    Xystus    (n.   48).      Dass 
dieser  Presbyter  Xystus   identisch  ist  mit  dem  späteren  Papst 
Xystus  III.;   ist  öfter  vermuthet   und  auch  mir  nicht   im   Ge- 
ringsten zweifelhaft;   allein  Xystus  wurde  erst  432  Papst;  und 
es   ist  doch  wenig  wahrscheinlich;    dass  er  da  auch  die  Briefe 
in  das  päpstliche  Register  sollte  aufgenommen  haben;   die  er 
14  Jahre  zuvor  als  einfacher  Presbyter  geschrieben   und   em- 
pfangen hatte. 

1  Als  eine  in  Afrika  hinzugefügte  Kanzleinotiz  fasse  ich  auch  die  cor- 
rupten  Worte  am  Schluss  von  n.  45:  Exemplaria  auctorum  (lies  actorum) 
habita.  Sie  scheinen  sich  auf  ein  Schriftstück  zu  beziehen,  von  dem  es 
in  §.  3  (p.  1005)  heisst  omnia  igitur,  quae  prius  fuerant  acta,  Heut  ge- 
t  Cor  um  huic  epistolae  cohaerentium  instruetione  dUcetis  ...  In 
Wahrheit  sind  diese  Gesta  dem  Briefe  in  unserer  Sammlung  nicht  ange- 
fügt; jene  Worte  aber  Exemplaria  actorum  habita  scheinen  ausdrücken 
zu  sollen,  dass  man  sie  in  Afrika  zusammen  mit  dem  Briefe  wirklich 
erhalten  hat. 


26  V.  AMundlonf :    Gftntber. 

Und  diese  Betrachtung  führt  uns  weiter.  Es  ist  bereits 
hervorgehoben,  dass  die  zehn  Stücke,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  ihrem  Inhalte  nach  insofern  sehr  nahe  verwandt  sind, 
als  sie  sämmtlich  die  Geschichte  des  Pelagianismus  in  den 
Jahren  417  und  418  betreffen.  Allein  es  kommt  noch  etwas 
Anderes  hinzu:  sie  alle  mit  Ausnahme  des  Schreibens  n.  49  an 
Cyrill  von  Alexandreia  haben  irgend  einen  localen  Zusammen- 
hang mit  der  Provinz  Afrika,  n.  41.  45.  46.  50  sind  an  Aure- 
lius  von  Carthago  im  Verein  mit  anderen  afrikanischen  Bischöfen 
gerichtet;  n.  47,  der  Libellus  des  Paulinus  von  Mailand,  ist  von 
Carthago  aus  an  den  Papst  abgeschickt.1  n.  44  ist  wieder  ein 
Schreiben  des  Innocenz  an  Aurelius  von  Carthago;  zugleich  mit 
n.  44  ist  aber  auch,  wie  wir  aus  den  Worten  dieses  Schreibens 
sehen,1  der  Brief  des  Innocenz  an  Hieronymus  n.  42  an  Aurelius 
gesandt,  damit  dieser  ihn  weiterbefördere,  und  das  Gleiche  lässt 
sich  ohne  Weiteres  von  n.  43  annehmen,  dem  Schreiben  des 
Innocenz  an  Johannes  von  Jerusalem,  das  mit  n.  42  zugleich  von 
Rom  abging,   n.  48   schliesslich  ist  ein  Schreiben  des  Augustin. 

Also  neun  der  Schriftstücke  sind  einmal  in  der  Provinz 
Afrika  gewesen,  eins  in  Alexandreia.  Dass  n.  41  und  45  sicher- 
lich auf  eine  und  dieselbe  Quelle  zurückgehen,  haben  wir  ge- 
sehen; dass  auch  die  Übrigen  Stücke  gleichen  Ursprungs  sind,  ist 
bei  der  nahen  Verwandtschaft  nach  Zeit  und  Inhalt  wohl  sicher. 
Da  nun  überdies  n.  50  mit  der  Bezeichnung  des  Empfangs- 
datums sicherlich  auf  ein  afrikanisches  Archiv  zurückgeht,  so 
scheint  es  mir  zweifellos,  dass  auch  alle  übrigen  eben  diesem  ent- 
stammen. Und  auch  darüber  wird,  zumal  wenn  wir  n.  42 — 44 
ins  Auge  fassen,  kein  Zweifel  bestehen,  dass  es  das  Archiv 
des  Primas  von  Afrika,  des  Aurelius  von  Carthago  war,  aus 
dem  diese  Stücke  geflossen  sind.  Dass  auch  Briefe  von  und 
an  Augustin  nach  Carthago  gelangten,  ist  bei  dem  regen  Ver- 
kehr, der  zwischen  ihm  und  Aurelius  bestand,  nur  natürlich, 
und  auch  der  Umstand,  dass  ein  an  Cyrill  von  Alexandreia 
gerichtetes  Schreiben  dorthin  gekommen  sein  sollte,  hat  nicht 
das  geringste  Verwunderliche  an  sich,  zumal  der  Verkehr  der 
afrikanischen  Bischöfe   mit   dem  Orient  gerade   in   dieser  Zeit 

1  Vgl.  n.  47,  §.  9. 

*  Vgl.  n.  44,  §.  2  germanUas  tua,  fraier  karusime,  cituu  littercu  mcmoraio 
(sc.  Hieronymo)  reddere  festinet. 


I 


ATtlUnft-StadMii.  27 

offenbar  recht  lebhaft  war  und  sich  zweifellos  auf  dem  Wege 
über  Alexandreia  dorthin  bewegte.  Ein  Auszug  aus  dem 
bischöflichen  Archiv  zu  Carthago  also  war  es,  der  später 
irgendwie  nach  Rom  gelangte  und  den  die  Redactoren  der 
Quesnelliana  und  der  Avellana,  ein  jeder  in  seiner  Weise,  dann 
für  ihre  Sammlungen  benutzt  haben. 

4. 

Auf  die  zweite  im  Vorangehenden  behandelte  grössere 
Unterabtheilung  der  Avellana  folgen  fünf  Briefe  Leos  I.,  n.  51 
und  52  vom  17.  Juni  460,  n.  53 — 55  vom  18.  August  desselben 
Jahres.  Sie  betreffen  die  wohl  kurz  vorher  erfolgte  Entfernung 
des  Timotheus  Elurus  vom  Bischofssitze  zu  Alexandreia  und 
seine  Ersetzung  durch  Timotheus,  der  den  Beinamen  Salofaciolus 
trug.  Maassen  zieht  in  seiner  Zerlegung  der  Sammlung  diese 
Stücke  zu  der  folgenden  Gruppe  (56 — 78);  allein  wie  sie  zeit- 
lich 16  Jahre  früher  fallen  als  die  ältesten  von  jenen,  so  haben 
sie  auch  innerlich  mit  ihnen  nichts  zu  thun,  und  die  Quellen- 
untersuchung, die  über  die  folgenden  Nummern  anzustellen 
sein  wird,  ergiebt  von  selbst  auch  das  Resultat,  dass  diese 
Schreiben  des  Leo  mit  der  für  jene  sich  ergebenden  Quelle 
schwerlich  etwas  zu  thun  haben.  Es  lag  dem  Redactor  un- 
serer Sammlung  für  diese  fünf  Stücke  eben  irgend  eine  be- 
sondere Quelle1  vor,  so  dass  sie  in  der  Analyse  der  Avellana 
als  eine  Gruppe  für  sich  dastehen.  Hervorheben  möchte  ich 
hier  nur  noch  den  Umstand,  dass  sämmtliche  fünf  Briefe  Leos 
nur  durch  die  Avellana  auf  uns  gekommen  sind  und  sich  in 
keiner  der  mannigfachen  Briefsammlungen  dieses  Papstes  finden, 
über  welche  die  Gebrüder  Ballerini  in  den  Prolegomena  ihrer 
Ausgabe  gehandelt  haben.  Das  ist  nicht  unwesentlich  und 
findet  seine  Erklärung  in  dem,  was  ich  weiter  unten  über  den 
ganzen  Charakter  unserer  Sammlung  darlegen  werde. 

5. 

Als   vierten    in    sich    abgeschlossenen    Bestandtheil    der 
Avellana  fasst   Maassen   die    n.   51 — 78    zusammen    ,achtund- 


1  In   letzter  Instanz   gehen   sie  auf  das  päpstliche  Register  zurück,  wie 
ich  noch  weiter  unten  ausführen  werde. 


28  V.  Abhandlung:    Günther. 

zwanzig  Stücke,  die  monophysitischen  Irrungen  in  den  Kirchen 
von  Alexandrien  und  Antiochien  zur  Zeit  des  Timotheus  Ae- 
lurus,  Petrus  Mongus  und  Petrus  Fullo  betreffend'.  Dass 
n.  51 — 55  von  dieser  Gruppe  abzusondern  sind,  habe  ich  oben 
bemerkt;  um  die  Quelle  festzustellen,  aus  der  die  übrigen  dieser 
Schriftstücke  stammen,  ist  es  nöthig,  eine  andere  Handschrift 
kanonistischen  Inhalts  heranzuziehen,  den  Cod.  Berolinensis 
lat.  79,  von  mir  im  Folgenden  wie  in  meiner  Ausgabe  mit  B 
bezeichnet. 

Die  Berliner  Handschrift,  die  unter  den  Codices  des  Sir 
Thomas  Phillipps  einst  die  Nummer  1776  fllhrte,  ist  im  Aus- 
gang des  9.  Jahrhunderts  auf  Pergament  geschrieben.  Ein- 
gehend behandelt  hat  sie  Valentin  Rose,  ,Die  lat.  Meerman- 
Handschriften  des  Sir  Thomas  Phillipps  in  der  königlichen 
Bibliothek  zu  Berlin*  (1892),  S.  149ff.  Die  Handschrift  war 
einst  in  Verdun;  es  benutzte  sie  Jakob  Sirmond,  der  einige 
Stücke  daraus  in  seiner  Appendix  codicis  Theodosiani  (Paris 
1631)  bekannt  machte,  und  schon  vorher  Fronton  du  Duc,  der 
sie  bei  der  Edition  der  Stücke  n.  72  und  74  der  Avellana 
heranzog.1  Dank  der  Bereitwilligkeit  der  Verwaltung  der 
königlichen  Bibliothek  in  Berlin  konnte  ich  die  Handschrift, 
die  Maassen  für  seine  ,6eschichte  der  Quellen*  noch  nicht  heran- 
ziehen konnte,  im  Jahre  1892  längere  Zeit  in  Göttingen,  später 
dann  hier  in  Berlin  benutzen  und  alle  Stücke,  auf  die  es  mir 
ankam,  selbst  vergleichen. 

Um  das  Verhältniss  zwischen  Avellana  (V)  und  Beroli- 
nensis (B)  klarer  vor  Augen  zu  führen,  muss  ich  den  Inhalt 
des  letzteren  hier  in  Kurzem  noch  einmal  wiedergeben.  Zu- 
nächst thue  ich  das  so,  dass  ich  die  einzelnen  Stücke  der 
Reihe  nach  aufführe  und  numerire,  ohne  weder  auf  die  Zahlen 
Rücksicht  zu  nehmen,  die  sie  in  dem  der  Sammlung  von  erster 
Hand  voraufgeschickten  Index  tragen,  noch  auf  diejenigen,  die 


1  In  seiner  Ausgabe  von  ,Ioann.  Zonarae  monachi  in  canones  apostolorum 
commentarii',  Lutet.  Paris.  1618,  p.  551  und  553.  Fronton  du  Duc  war 
es  auch,  der  dem  Baronius  eine  Abschrift  von  n.  103  der  Avellana  aus 
dem  Virdunensis  besorgte;  vgl.  Baronius,  Annal.  eccl.  zum  Jahre  495 
n.  5.  Bei  n.  56  der  Avellana  hat  Phil.  Labbe  dieselbe  Handschrift 
eingesehen  und  benutzt,  jedoch  nur  an  wenigen  Stellen;  vgl.  seine 
Sacrosancta  Concilia  IV  (1671),  p.  1070. 


Arellana-Stndien.  29 

einzelnen  der  Stücke  in  der  Sammlung  selbst  vorgesetzt  sind. 
Der  Inhalt  der  Handschrift  ist  folgender: 

I  Athanasius  an  Epictet:  Ego  quidem  opinabar1 
II  Caelestin  an  Cyrill:  Tristitiae  nostrae2 

III  Cyrill  an  Nestorius:  (Obloquun)tur  quidem  ut  disco* 

IV  Caelestin  an  Nestorius:  Aliquantis  diebus* 

V  Cyrill  an  Nestorius:  Salvatore  nostro  dicente  aperte* 
VI  Simplicius  an  Acacius:  Quam  sit  efficax6 
VII  Simplicius  an  Zeno:  Olim  divinorum'1 
VIII  Simplicius  an  Acacius:  Quantos  et  quam  uberes8 
IX  Simplicius  an  Zeno:  Proxime  quidem  cum9 
X  Simplicius  an  Acacius:  Proxime  quidem  dilectioni10 
XI  Simplicius  an  Zeno:  Venerandos  mihi11 
XII  Simplicius  an  Acacius:  Miramur  pariter12 

XIII  Simplicius  an  Acacius:  Antiocheni  exordiumn 

XIV  Simplicius  an  Basiliscus:  Cuperem  quidem14, 
XV  Simplicius  an  Acacius :  Cum  filii  nostri 15 

XVI  Simplicius  an  Acacius:  Quantum  presbyterorum1* 
XVII  Simplicius  an   die   Presbyter   etc.   von   Constantinopel : 

Per  filium  nostrum 17 
XVIII  Simplicius  an  Acacius:  Cogitationum  ferias1* 
XIX  Acacius  an  Simplicius:  Sollicitudinem  omnium19 
XX  Felix  III.  an  Zeno:  Decebat  profecto20 
XXI  Felix  an  Acacius:  Postquam  sanctae21 
XXII  Felix  an  Zeno:  Cum  sibi  redditam22 

XXIII  Felix  an  Acacius:  Episcopali  diligentia2* 

XXIV  Felix  an  Acacius:  Multarum  transgressionum24 

1  Uebersetzung  verschieden  von  der  bei  Maassen,  Gesch.  der  Quellen  §.  370 
angeführten. 

■  Maassen  §.  279,  4. 

*  Dieselbe  Üebersetzung  führt  Maassen  §.  381,  2  aus  der  Sammlung  von 
Acten  des  ephesinischen  Concils  der  Handschrift  von  Tours  an. 

4  Maassen  §.  279,  6.        5  Vgl.  Maassen  §.  109  ff. 

4  Maassen  §.  283,  7.        7  ebenda  §.  283,  8.  *  ebenda  §.  283,  9. 

9  ebenda  §.  283,  11.       10  ebenda  §.  283,  10.       "  ebenda  §.  283,  13. 
11  ebenda  §.  283,  16.        u  ebenda  §.  283,  15.       "  ebenda  §.  283,  3. 
u  ebenda  §.  283,  6.  w  ebenda  §.  283,  2.         "  ebenda  §.  283,  4. 

M  ebenda  §.  283,  18.        >•  ebenda  §.  449.  80  ebenda  §.  284, 1. 

M  ebenda  §.  284,  2.         "  ebenda  §.  284,  4.        n  ebenda  §.  284,  3. 
**  ebenda  §.  284,  6. 


30  V.  Abbandion*:    Günther. 

XXV   Felix   an   Andreas   von  Thessalonice:    Qpod  plene 

catholicae l 
XXVI  Felix  und   die  römische   Synode   an   die  Presbyter 

von  Constantinopel  etc.:  Olim  nobit* 
XX VII  Felix  an  Clerus  und  Volk  von  Constantinopel:  Pro- 
batem cunctis* 
XXVIII  Felix  an  Rufin,  Thalasius  etc.:  Diabolicae  artis* 
XXIX  Felix  an  Thalasius  etc.:  Post  facta*  litter  asb 
XXX  Felix  an  Vetranio:  Quod  unitatis  ecclesiae* 
XXXI  Die  sogenannten  Gesta  de  nomine  Acacii:  In  cauta 

fidei* 
XXXII  Felix  an  Zeno:  Qaoniam  pietas  tua  licet9 

XXXIII  Felix  an  Zeno:  Dignas  referre* 

XXXIV  Gelasius'  I.  Tractat  de  duabus  naturis:  Necessarium 

quae  fuit10 
XXXV  Leo  I.  an  Flavianus:  Lectis  dilectionis  tuae11 
XXXVI  Gelasius  (Anastasius)   an  Laurentius   von  Lignidus: 

In  prolixitate1* 
XXXVII  Gelasius   an   die  Bischöfe  von  Dardanien   etc.:  An- 
dienten orthodoxam1* 
XXXVIII  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Dardanien:  Ubi  primum 

respirare  M 
XXXIX  Rescript  der  Bischöfe  von  Dardanien   an  Gelasius: 

Saluberrima  apostolatus™ 
XL  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Dardanien:  Valde  mirati 

sumu81G 
XLI  Des  Gelasius  sogenannter  ;tomus':  Ne  forte  quod 
8olent,11  am  Anfang  unvollständig  und  erst  mit 
den  Worten  Cognoscat  (so!)  igitur  quoniam  (Thiel, 
Epp.  Rom.  pont.  p.  558,  3)  beginnend 
XLII  Fragment  eines  Tractats  des  Gelasius  ,in  quo  etiam 
ponet  (!)  exemla  (!)  epistolarum  ad  locum  sancti 
Symplici' 18 

1  Maassen  §.  284,  18.        »§.284,10.        »§.284,8.         4  §.  284,  11. 

8  §.  284,  17.         •  §.  284,  16.         T  §.  616.  •  §.  284,  7.         •  §.  284,  14. 

10  Thiel,  Epiatolae  Roman,  pontif.  I,  p.  630.        n  Maassen  §.  281,  19. 
18  §.  286,  2.  »  §.  286,  14.        "  §.  286,  1.         M  §.  451.  »  §.  286,  16. 

17  Maassen  §.  285,  6. 

18  Appendix  Cod.  Theodosiani  ed.  Sirmond,  p.  170 — 188. 


Ayellana-Stndien.  31 

XLIII  Gelasius  (oder  Felix)  an  Flavitas  von  Constantinopel: 

Malta  sunt  quae  nobis1 
XLIV  Gelasius   an    Euphemius    von    Constantinopel:    Quod 
pleno,  cupimus* 
XLV  Römisches    Concil    des    Gelasius    betreffend   die  Ab- 
solution des  Misenus:  Residente  synodo* 
XL  VI  Symmachus  an    die  Bischöfe  von  Illyrien  etc.:  Quod 
plene  fieriA 
XLVII  Hormisda  an   die  Presbyter  etc.  von  Syria  secunda: 
Lectis  litteris6 
XLVIII  Des  Hormisda  sogenannter  libellus  fidei:  Prima  salus* 
XLIX  Cyrill  an  die  Mönche:  Venerunt  quidem1 

L  Felix  an  Petrus  von  Antiochia:   Quoniam  pestiferis* 
LI  Quintianus  an  Petrus  von  Antiochia:  Multifarie  mul- 

tisque9 
LH  Justinus  an  Petrus  von  Antiochia:  Oportet  armari10 
LIII  Anteon  an  Petrus  von  Antiochia:  Valde  contristatus11 
LIV  Faustus   (oder  Faustinus)   an  Petrus  von  Antiochia: 
Quoniam  permissum  ; 12  die  Handschrift  hat  nur  den 
Anfang  des   Briefes;   in  ihrem   Archetypus  waren 
wohl  ein  paar  Blätter  ausgefallen,  so  dass  im  Text 
von  B  der  grösste  Theil  dieses  Schreibens  und  eben- 
so die  ganze  n.  LV  und  der  Anfang  von  LVI  fehlen 
LV  Pamphilus  an  Petrus  von  Antiochia:  Multa  contritio.1* 
Der  Titel  ist  im  Index  erhalten;  in  der  Sammlung 
selbst  fehlt  das  Stück,  vgl.  zu  LIV 
LVI  Flaccianus   an    Petrus    von   Antiochia:   Venätores  be- 

stiarum;1*  der  Anfang  fehlt,  vgl.  zu  LIV 
LVII  Asclepiades  an  Petrus  von  Antiochia:  Ecce  karissime 

repletus 15 
LV1II  Presbyter   Trifolius   an   den   Senator  Faustus:   Man- 
dare  mihi  dignatus  es.16 


1  Müssen  §.  284,  15.         f  §.  285,  3.         »  §.  285,  17.         4  §.  287,  6. 

*  §.  288,  31.         6  Thiel,  Epp.  Rom.  pont.  p.  754. 

*  Maassen  §.  381,  6.        8  §.  644,  2.        e  §.  554.       10  §.  553.       "  §.  549. 
M  §.  550.  M  §.651. 

14  Vgl.  Baronius,  Annal.  eccl.  zum  Jahre  483,  62  ff.        15  Maassen  §.  562. 
16  Von  Sirmond  ans  dieser  Handschrift  abgeschrieben  und  aus  seinem  Nach- 
lasse von  Labbe  herausgegeben. 


32  V.  Abhandluog:    Günther. 

Von  den  Nummern,  die  ich  oben  den  einzelnen  Stacken 
gegeben,  habe  ich  bereits  bemerkt,  dass  sie  von  mir  stammen. 
Im  Corpus  der  Sammlung  selbst  ist  nur  ein  sehr  kleiner  Theil 
derselben  numerirt,  nämlich  folgende:  die  von  mir  mit  XXXV, 
XXXVI,  XXXVIII,  XXXIX  und  XL  bezeichneten  Stücke  tragen 
in  der  Sammlung  die  Nummern  XXXIII,  XXXIV,  XXXVI, 
XXXVII  und  [XXjXVIII;  der  von  mir  als  n.  XLII  aufgeführte 
Tractat  hat  in  der  Sammlung  selbst  keine  Nummer,  wohl 
aber  ist  dem  darin  eingelegten  Fragmente  des  Felix  (übt  esse 
=  Sirmond,  App.  Cod.  Theod.  p.  172)  vorgeschrieben  fiap. 
XLF,  woraus  hervorgeht,  dass  der,  welcher  die  Nummern 
hinzugesetzt,  meine  Nummer  XLI  als  XXXIX  und  den  ersten 
Theil  meines  Tractats  XLII  als  XL  gezählt  hat;  meine  Num- 
mern XLIII  und  XLIV  sind  dann  als  XLII  und  XLIII  be- 
zeichnet. Also  zusammcngefasst:  meine  Nummern  XXXV  bis 
XLIV  tragen  oder  trugen  im  Corpus  der  Sammlung  die  Zahlen 
XXXIII  bis  XLIII,  woraus  folgt,  dass  der  Zähler  zwei  der 
vorangehenden  Stücke  nicht  gezählt  hat.  Ob  das  auf  einen 
Irrthum  zurückzuführen  ist,  oder  ob  nach  erfolgter  Zählung 
noch  irgend  zwei  Stücke  in  diesen  Theil  der  Sammlung  einge- 
drungen sind,  dürfte  kaum  zu  entscheiden  sein.1 

Ich  komme  jetzt  zu  der  Numerirung  der  Stücke  in 
dem  Index,  der  der  Sammlung  auf  Blatt  1  vorangeht.  Dass 
derselbe  schon  in  der  Vorlage  der  Handschrift  stand,  ergiebt 
sich  aus  dem,  was  ich  oben  zu  n.  LIV,  LV  und  LVI  bemerkt 
habe.  Wie  im  Index  die  ersten  Briefe  gezählt  sind,  lässt  sich 
heute  nicht  mehr  sagen,  da  der  obere  Theil  von  Blatt  1  durch 
Fäulniss  zerstört  ist  und  infolge  dessen  die  Titel  von  I — III 
ganz  und  von  IV — IX  wenigstens  die  ersten  Wörter  oder  Buch- 
staben der  Titel  und  mit  ihnen  auch  die  vorgesetzten  Zahlen  ver- 
loren gegangen  sind.  Der  erste  Titel,  der  ganz  erhalten,  ist 
der  von  meiner  n.  X:  er  trägt  im  Index  aber  die  n.  IX,  woraus 
sich  ergiebt,  dass  entweder  von  meinen  n.  I — III  eine  im  Index 
ausgelassen  war  oder  in  der  Zählung  von  n.  I — IX  sonst  irgend- 
wie ein  Irrthum  hat  begangen  sein  müssen.     Es  folgen  meine 

1  Daraus,  dass  den  n.  I  und  II  im  Corpus  der  Sammlung  alte  Ueber- 
schriften  fehlen,  möchte  ich  noch  nicht  folgern,  dass  sie  von  der 
ursprünglichen  Form  der  Sammlung  auszuschließen  seien.  Die  alte 
Ueberschrift  fehlt  e.  B.  auch  vor  n.  LI. 


Ayellan*-Sfradien.  33 

n.  XI — XIX,  im  Index  der  Reihe  nach  bezeichnet  als  X — XVIII. 
Meine  Nummern  XX — XXIII  fehlen  im  Index  überhaupt,  allein 
dass  die  Titel  nur  durch  die  Nachlässigkeit  eines  Schreibers 
fortgeblieben  sind,  ergiebt  sich  aus  dem,  was  ich  über  die  Zu- 
gehörigkeit auch  dieser  Stücke  zu  der  ältesten  erkennbaren 
Form  dieser  Sammlung  weiter  unten  (vgl.  besonders  S.  45)  aus- 
fuhren werde.  Es  folgen  meine  n.  XXIV  und  XXV,  im  Index  ge- 
zählt als  XIX  und  XX.  Meine  n.  XXVI  und  XXVII  erscheinen  im 
Index  in  umgekehrter  Reihenfolge,  numerirt  sind  sie  daselbst  irr- 
tümlicher Weise  jede  für  sich  mit  n.  XXI.  Dieser  Irrthum  wirkt 
weiter:  die  Nummern  XXVIII — XXX  meiner  Zählung  werden  im 
Index  zu  n.  XXII— XXIV.  Das  folgende  Stück  der  Sammlung, 
meine  n.  XX2£I  (Gesta  de  nomine  Acacii),  fehlt  im  Index;  die 
weiteren  n.  XXXII  bis  XL  erscheinen  als  n.  XXV  bis  XXXIII, 
jedoch  so,  dass  n.  XXXIX  und  XL  im  Index  wiederum  ihre 
Stelle  vertauscht  haben.  Wir  kommen  jetzt  zur  Rückseite 
des  Blattes.  Infolge  der  erwähnten  Zerstörung  fehlen  die  Titel 
meiner  n.  XLI — XLIII,  und  die  erste  Zahl,  die  erhalten,  ist 
n.  XXXIX:  sie  steht  vor  dem  von  mir  mit  XLV  bezeich- 
neten Stücke.  Es  hatten  also  offenbar  zur  Numerirung  meiner 
n.  XLI— XLIV  im  Index  die  Nummern  XXXIV-XXXVIII 
Verwendung  gefunden,  und  es  ist  daher  wohl  sicher,  dass  wie 
im  Corpus  der  Sammlung,  so  auch  im  Index  das  von  mir  als 
n.  XLII  bezeichnete  Fragment  des  Qelasius  in  zwei  Stücke 
zerlegt  und  demzufolge  mit  zwei  Nummern,  XXXV  und  XXXVI, 
bezeichnet  gewesen  ist.  Ueber  den  Rest  der  Briefe  ist  nichts 
Besonderes  zu  sagen:  meine  n.  XL  VI — LVIII  erscheinen  im 
Index  als  n.  XL— LII.1 

Ich  habe  diese  Bemerkungen  über  die  verschiedenen  Zäh- 
langen in  der  Sammlung  selbst  und  in  ihrem  Index  voraus- 
schicken müssen,  um  zu  zeigen,  dass  beide,  von  wenigen  Irr- 
thümern  abgesehen,  gut  zu  der  Reihenfolge  stimmen,  in  welcher 
die  Stücke  selbst  heute  in  der  Sammlung  auftreten,   und  dass 


1  Durch  Versehen  des  Abschreibers  trägt  das  letzte  Stück  im  Index  zwei 
Nummern,  in  folgender  Weise: 

• 

LII  Epia  trifoUi  p  pTib  f  &  a  beato  fausto  senatore  contra  iohanne 

hlll  excuta  monacho 
d.  h. :  LII  JEpistola  Trifolii  preabyteri  et .  .  ad  beatum  Faustum  senatorein 
contra  Iohannem  Scytham  monackum. 
Sitnngsber.  d.  phil.-hiat.  Cl.  CXXXIY.  Bd.  6.  Abb.  3 


34  T.  Abkmodlnng:    Gtnthar. 

ans  ihnen  sich  ftlr  eine  etwaige  ältere  Form  der  Sammlang  so 
viel  wie  nichts  ergibt.  Jetzt  wenden  wir  ans  za  der  Frage, 
wie  der  Berolinensis  B  mit  der  Avellana,  die  ich  hier  der 
Kürze  halber  immer  mit  V  bezeichne,  im  Znsammenhang  steht. 
B  zeichnet  sich  vor  allen  übrigen  Sammlangen  von  Papstbriefen 
dadurch  aus,  dass  er  am  meisten  Briefe  von  Simplicins  and 
besonders  von  Felix  III.  enthält.  Die  Briefe  des  Felix  n.  XXV, 
XXVII— XXX,  XXXII-XXXIII  sind  überhaupt  nar  durch 
B  erhalten;  Brief  XXXI  des  Felix  und  VI— XVH  des  Sim- 
plicius  kennen  wir  ausserdem  nur  noch  aus  der  Avellana.  Ich 
gebe  jetzt  eine  Uebersichtstabelle  über  die  Stücke,  die  B  und  V 
gemeinsam  sind,  und  zwar  so,  dass  ich  mich  in  der  Reihen- 
folge im  Allgemeinen  an  B  anschliesse.  Die  römischen  Zahlen 
bezeichnen  die  Stelle,  die  die  einzelnen  Stücke  (nach  der  von 
mir  oben  durchgeführten  Numerirung)  in  B  einnehmen,  die  ara- 
bischen die  Nummer,  die  sie  in  meiner  Avellana- Ausgabe  tragen. 

Berolinensis  ArelUna 

B 

VI  Simplicins  an  Acacius:  Quam  sit  efficax  61 

VII  Simplicius  an  Zeno:  Olim  divinorum  62 

VIII  Simplicius  an  Acacius:  Quantos  et  quam  63 

IX  Simplicius  an  Zeno:  Proxime  quidem  cum  64 

X  Simplicius    an    Acacius:    Proxime    quidem   di- 

lectioni  65 

XI  Simplicius  an  Zeno:  Venerandos  mihi  66 

fehlt  (Simplicius  an  Acacius :  Clementissimi  principis)  67 

XII  Simplicius  an  Acacius:  Miramur  pariter  68 

XIII  Simplicius  an  Acacius:  Antiocheni  exordium  69 

XIV  Simplicius  an  Basiliscus:  Cuper em  quidem  56 
XV  Simplicius  an  Acacius:  Cum  filii  57 

XVI  Simplicius  an  Acacius :  Quantum  presbyterorum       58 

XVII  Simplicius  an  die  Presbyter  von  CP:  Per  filium     59 

fehlt  (Simplicius  an  Zeno:  Inter  opera)  60 

XVIII  (Simplicius  an  Acacius:  Cogitationum  ferias)  fehlt 

XIX  (Acacius  an  Simplicius :  Sollicitudinem  omnium)  fehlt 

XXVI    Felix  und  die  römische  Synode:  Olim  nobis  70 

XXXI    Gesta  de  nomine  Acacii:  In  causa  fidei  99 

XXXVI    Gelasius  an  Laurentius:  In  prolixitate  81 


Ayellana-Studien.  35 

BerolinensLs  Avellana 

B 

XXXVII    Oelasius   an   die   dardanischen  Bischöfe:  An- 
diente* 101 
XXXVIII    Gelasius   an  die   dardanischen  Bischöfe:   übi 

primum  respirare  79 

XXXIX   Die  dardanischen  Bischöfe  an  Gelasius:  Salu- 

berrima  80 

XL    Gelasius  an  die  dardanischen  Bischöfe:  Valde 

mirati  95 

XLV    Gelasius  und  die  römische  Synode:  Residente 

synodo  103 

XL  VI    Sjmmachus  an  die  Bischöfe  von  Hlyrien:  Quod 

plene  fieri  104 

XL VII    Hormisda  an  die  Presbyter  von  Syrien:  Lectis 

litteris  140 

L  Felix  an  Petrus:  Quoniam  pestiferis  71 

LI  Quintianus  an  Petrus:  Multifarie  multisque  72 

LII  Justinus  an  Petrus:  Oportet  armari  73 

LIII  Anteon  an  Petrus:  Valde  contristatus  74 

LIV  Faustus  an  Petrus:  Quoniam  permissum  75 

LV  Pamphilus  an  Petrus:  Multa  contritio  76 

LVI  Flaccianus  an  Petrus:  Venatores  bestiarum  77 

LVII  Asclepiades  an  Petrus:  Ecce  karissime  78 

Ein  Blick  in  die  vorstehende  Tabelle  genügt,  um  einmal 
erkennen  zu  lassen,  dass  die  Briefe  des  Simplicius  in  B  fast 
in  derselben  Reihenfolge  auftreten  wie  in  V.  Wenn  wir  davon 
absehen,  dass  n.  67  und  60  der  Avellana  in  B  fehlen,  so  ist 
der  einzige  Unterschied  der,  dass  in  V  die  ganze  Serie  der 
n.  VI — XVII  gleichsam  in  zwei  Theile  zerrissen  erscheint  und 
diese  beiden  Theile  B  gegenüber  ihre  Plätze  gewechselt  haben: 
die  Stücke,  die  in  V  zu  Anfang  stehen  (56 — 59),  bilden  in  B 
den  Beschluss  (XIV — XVII).  Sodann  gewahren  wir,  dass  die 
acht  apokryphen 1  Briefe  an  Petrus  Fullo  von  Antiochien  (L — 
LVII)  in  derselben  Reihenfolge  auch  in  V  erscheinen  (71 — 78). 
Wir  ziehen  hieraus  den  sicheren  Schluss,  dass,  falls  nicht  die 

1  Vgl.  über  diese  meine  Bemerkungen  in   den  Nachrichten  der  k.  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  zu  Göttingen,  philolog.-hist.  Classe  1894,  Nr.  2. 

3* 


36  V.  Abhandlung    Günther. 

betreffenden  Stücke  aus  B  in  die  Avellana  oder  aus  der  Avel- 
lana  in  B  übergegangen  sind,  für  beide  irgend  eine  dritte 
Sammlung  als  gemeinsame  Quelle  anzunehmen  ist. 

Welche  von  diesen  drei  Möglichkeiten  ist  nun  die  richtige? 
In  der  Avellana  geht  jenen  acht  Schreiben  an  Petrus  Fullo 
(n.  71 — 78)  das  Schreiben  des  Felix  und  der  römischen  Synode 
Olim  nobis  (n.  70)  voran;  am  Ende  aber  von  n.  71,  ebenfalls 
einem  Schreiben- des  Felix,  stehen  in  V  folgende  Worte:  Ex- 
plicit  epistola  papae  Felicis  ad  Petrum  Antiochenum  damnans 
eum.  quae  epistola  ante  damnationem  Acacii  quoniam  quantum 
eius  textus  indicat,  conperitur  scripta,  sed  quia  cum  aliorum 
litteris  ad  eundem  Petrum  directis  in  Graeco  volumine  invenimus 
de  Latino  translatas}  quas  nunc  iterum  de  Graeco  in  Latinum 
necessitate  compulsi  transferentes  descripsimus  propter  haereti- 
corum  insidias  et  supra  scriptis  epistolis  eiusdem  papae  conecti- 
mus.  Es  hat  also  einmal  einen  Mann  gegeben,  der  die  acht 
aus  dem  Griechischen  übersetzten  Briefe  an  Petrus,  von  denen 
der  erste  sich  als  ein  Schreiben  des  Papstes  Felix  ausgiebt, 
an  irgend  welche  andere  Briefe  dieses  Papstes  anreihte.  Dass 
dieser  Mann  nicht  derselbe  war,  der  die  Avellana  endgiltig 
zusammenstellte,  ist  klar,  denn  hier  geht  den  betreffenden 
Stücken  n.  71 — 78  zwar  ein  Brief  des  Felix  voraus  (n.  70), 
aber  nicht  mehrere,  wie  wir  es  nach  den  Worten  supra  scriptis 
epistolis  jener  Bemerkung  erwarten  sollten.  Die  Avellana  enthält 
ausser  n.  70  und  71  überhaupt  keine  weiteren  Schreiben  dieses 
Papstes.  Also  ist  Maassen  im  Irrthum,  der  jene  Bemerkung 
dem  Redactor  der  Avellana  zuweist  und  jene  Uebersetzungen 
aus  dem  Griechischen  erst  durch  ihn  für  diese  Sammlung  an- 
gefertigt sein  lässt.  Die  Bemerkung  stand  vielmehr  schon  in 
der  Quelle  dieses  Theils  der  Avellana,  und  diese  Quelle  muss 
so  beschaffen  gewesen  sein,  dass  darin  den  n.  71 — 78  mehrere 
Schreiben  des  Felix  direct  vorangingen. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  B.  Auch  in  dieser  Handschrift 
stehen  jene  Worte,  wenn  auch  nur  zum  Theil  und  nicht  ohne 
Verderbnisse;  doch  finden  sie  sich  hier  nicht  am  Schluss,  sondern 
zu  Anfang  des  Felixbriefes  n.  71  =  L.  Es  heisst  da  folgender- 
massen:  (Incipit  epistola  papae  Felicis  ad  Petrum  Antiochenum) 
deponens  eumy  quia  passione  corporis  Christi  in  trinitate  prae- 
dicabat  dicens  ^sanctus  deus  sanctus  fortis  sanctus  inmortalis 


ATellanft-Studien.  37 

qui  crudfixu8  est  propter  nos',  id  est  aut  totam  trinitatem, 
quae  v/aus  deus  est,  crucifixam  aut  solum  filium  in  sua  deitate 
crucifixum,  separans  patrem  et  spiritum  sanctum  a  ßliitate  et 
fortitudine  et  inmortalitatefm] \  dividens  sanctam  et  Individuum 
trinitatis  deitatem,  unam  partem  dicens  mortalem,  inmortales 
autem  duas.  has  epistolas  in  greco  invenimus  de  latino 
translatas,  quas  nunc  iterum  de  greco  in  latino  neces- 
sitate  compolsi  scripsimus  propter  hereticos.  Es  fehlt 
hier  also  das,  was  in  der  Avellana  über  die  Verbindung  der 
apokryphen  Schreiben  an  Petrus  mit  vorausgehenden  Felix- 
Briefen  steht  und  was,  wie  wir  gesehen,  schon  in  der  Quelle 
der  Avellana  gestanden  haben  muss.  Und  zwar  fehlt  es  hier 
mit  Recht,  denn  es  kommt  zwar  eine  grosse  Anzahl  von  Briefen 
des  Felix  in  B  vor  (n.  XX— XXX  und  XXXII— XXXIÜ), 
dieselben  sind  aber  von  den  apokryphen  Stücken  durch  eine 
grosse  Reihe  anderer  Schriftstücke  (XXXIV — XLIX)  getrennt. 
Eben  dieser  Umstand  aber,  dass  in  B  den  Schreiben  an  Petrus 
keineswegs  direct  Briefe  des  Felix  vorangehen  und  dem  ent- 
sprechend die  Worte  et  supra  scriptis  epistolis  eiusdem  papae 
conedimus  fehlen,  eben  dieser  Umstand  beweist,  dass  für  den 
Theil  der  Avellana,  um  den  es  sich  hier  handelt,  dieselbe  Samm- 
lung, die  uns  noch  heute  in  B  vorliegt,  nicht  als  Quelle  ge- 
dient haben  kann. 

Ganz  undenkbar  ist  auf  der  anderen  Seite  auch  die  Mög- 
lichkeit, dass  B  die  Stücke,  die  er  mit  V  gemeinsam  hat,  aus 
der  Avellana  geschöpft  haben  sollte.  Ich  führe  hier  nur  Einiges 
an.  Der  Brief  des  sogenannten  Justinus  an  Petrus  n.  73  (==  LII) 
trägt  in  V  folgende  Ueberschrift:  Incipit  epistola  Iustini  episcopi 
ad  eundem  Peürum  Antiochenum  de  eadem  causa,  dagegen  in  B: 
Incipit  epistola  Iustini  episcopi  Siciliae  ad  Petrum  Anthiocenum, 
quoniam  non  oportet  adici  in  tresagion  crucem  ne  duo  filii  in* 
ducatur  (I).  Dass  hier  B  der  Lesart  von  V  gegenüber  nicht  etwa 
eine  Interpolation  giebt,  zeigt  das  griechische  Original,  das  uns 
ja  erhalten  ist  (vgl.  p.  LXI1II  ff.  meiner  Prolegomena)  und  das 
die  Ueberschrift  trägt:  'Ettiorokii  'Iovotutlvov  ijtiayuÖTtov  2i%sXlag 
KQdg  xdv  aötdv  Tlergov  Sri  ob  dsl  nqoa&rpcqv  elvai  h  %(p  TQioaylq) 
otovqoG,  %va  fjti)  dvo  elai^tjg  vlovg.  Ganz  ebenso  verhält  es  sich 
mit  der  Ueberschrift  von  n.  74  (=LIII);  ich  setze  die  Lesarten 
von  V7  B  und  dem  griechischen  Original  nebeneinander: 


38 


V.  Abhandlung:    Günther. 


Vi 

Incijrit  epistola  An- 
theonis  episcopi  Ar- 
senoe  ad  eundem  Pe- 
trum  Antiochenum 


Bi 

Incipit  epistola  An- 
teonis  Arsenone  ad 
Petrum  quoniam  non 
oportet  pa8sibilem  in 
tresagion  copulare 
per  adiectionum  7qui 
crucifixus  est  prop- 
ter  nos1  quam  Pe- 
trus sicut  hereticus 
apposuit 


Griech.  Original: 

*u4vt£<0voq  htioxd- 
nov  'AQoev&r$  iiti- 

CToXij   ftQÖQ   IHtqov 

irtioxoTtov  yAv%io- 
Xslag^  Sri  ob  du 
Ttd&OQ  iv  %(jf  xqiaa- 
yi(p  awdtcTSiv  diä 
tfjg  izqoaitfpM)g  rijg  ,6 
aTavQ(o9etQ  dtfjfi&g1 
?)v  o\  aiQevixoi  ttqoo- 


Es  bleibt  also  nur  die  dritte  Möglichkeit  übrig,  dass  so- 
wohl B  wie  der  Theil  der  Avellana,  um  den  es  sich  hier  handelt, 
auf  eine  ältere  dritte  Sammlung  als  gemeinsame  Quelle  zurück- 
gehen;   ob   beide  direct,   ist   freilich  noch  eine  andere  Frage. 

Sicher  ist  die  Thatsache,  dass  in  der  unmittelbaren  Quelle 
der  Avellana  die  apokryphen  Briefe  an  Petrus  sich  unmittelbar 
an  mehrere  Schreiben  des  Felix  anschlössen.  Der  Redactor  der 
Avellana  hat  diese  Quelle  dann  so  benutzt,  dass  er  aus  irgend 
einem  Grunde  die  Felixbriefe  mit  Ausnahme  von  n.  70  fort- 
liess.  Ist  nun  diese  Sammlung,  in  der  die  an  Petrus  Fullo 
gerichteten  Schreiben  sich  unmittelbar  an  die  Felixbriefe  an- 
fügten, auch  für  B  als  directe  Quelle  anzunehmen?  Wäre  dies 
der  Fall,  so  müsste  derjenige,  auf  den  die  Sammlung  des  Bero- 
linensis,  wie  sie  uns  heute  vorliegt,  zurückgeht,  in  der  Weise 
verfahren  sein,  dass  er  sowohl  die  Felixbriefe  (XX  — XXX, 
XXXII,  XXXIII)  wie  auch  die  apokryphen  Schreiben  an  Petrus 
aus  jener  Quelle  aufnahm,  diese  letzteren  jedoch  von  jenen 
dadurch  trennte,  dass  er  zwischen  beide  die  n.  XXXIV — XLIX 
schob.  Eben  diese  Annahme  aber  muss  uns,  wie  mir  scheint,  recht 
bedenklich  machen.  Die  Reihenfolge  der  Stücke  VI — LVII,  wie 
B  sie  giebt,  hat  wenig  Anstössiges,  wenn  man  annimmt,  irgend 
jemand  habe  aus  einer  Quelle  die  Briefe  des  Simplicius  und 
Felix  genommen,  aus  verschiedenen  anderen  die  bunte  Menge 
von  n.  XXXIV — XLIX  und  wieder  aus  einer  anderen  die 
Briefe  an  Petrus  Fullo.  Dagegen  wird  es  schwer,  einen  Grund 
ausfindig  zu  machen,   der  jemand  dazu  bewogen  haben  sollte, 


ATell&na-Stadien. 


39 


von  den  Briefen  an  Felix  die  n.  L — LVII  losznreissen,  die 
ungef&hr  dieselbe  Zeit  wie  jene  betreffen  und  die  sich  an  jene 
schon  deshalb  durchaus  passend  anschlössen,  weil  der  erste 
von  ihnen  (n.  L)  sich  doch  auch  als  ein  Schreiben  des  Felix 
darstellt.  Wozu,  frage  ich,  sollte  jemand  diese  beiden  Gruppen 
auseinandergerissen,  wozn  die  buntscheckige  Masse  von  Briefen 
des  Gelasius,  Leo,  Symmachus,  Hormisda  und  Cyrill  dazwischen- 
geschoben  haben? 

Und  noch  ein  Anderes.    Man  vergleiche  noch  einmal  die 
bereits  oben  ausgeschriebenen  Worte: 


B: 

(Incipit  epistola  papae  Felicis 
ad  Petrum  Antiochenum)  de- 
ponens  eumf  quia  pa8sione{m) 
corporis  Christi  in  trinitate 
praedicabat  dicens  . .  (folgt  die 
Charakterisirung  der  Lehrtf  des 
Petrus),  has  epistolas  in  Graeco 
(volumine)  invenimus  de  Latino 
translatas:  quas  nunc  iterum 
de  Graeco  in  Latinum  necessi- 
tate  compulsi  (transferentes  de-) 
scripsimus  propter  hereticos. 


Explicit  epistola  papae  Felicis 
ad  Petrum  Antiochenum  dam- 
nans  eum.  quae  epistola  ante 
damnationem  Acacii  quoniam 
quantum  eins  textus  indicat 
conperitur  scripta,  sed  quia 
cum  aliorum  litteris  ad  eun- 
dem  Petrum  directis  in  Graeco 
volumine  invenimus  de  Latino 
translatas,  quas  nunc  iterum 
de  Graeco  in  Latinum  necessi- 
tate  compulsi  transferentes  de- 
scripsimus  propter  hereticorum 
insidias  et  supra  scriptis  episto- 
lis  eiusdem  papae  conectimus. 

In  dem  Wortlaut,  wie  V  ihn  gibt,  ist  quoniam  vielleicht 
nur  Dittographie  von  quantum  und  daher  zu  streichen;  fehler- 
haft aber  bleibt  die  ganze  Construction  trotzdem,  da  man  statt 
quas  nunc  iterum  vielmehr  eas  nunc  iterum  erwarten  sollte. 
Ein  Schreibfehler  ist  ausgeschlossen:  das  quas  wird  gesichert 
durch  B,  wo  nichts  an  ihm  zu  tadeln  ist.  Soll  man  in  diesem 
Falle  die  mangelhafte  Construction  für  die  ursprüngliche  und 
die  correcte  für  die  seeundäre  halten  oder  soll  man  nicht  viel- 
mehr auch  hier  die  Fassung  von  B  (abgesehen  natürlich  von 
mechanischen  Corruptelen)  für  die  ältere  ansehen  und  die 
Incorrectheit  der  Fassung  in  V  durch  das  zu  erklären  suchen, 
was  diese  Fassung  derjenigen  von  B  gegenüber  mehr  bringt? 


40  V.  Abhandlung:    Günther. 

Was  die  Inconcinnität  in  die  Fassung  von  V  hineinbringt,  ist 
der  Gedanke:  die  Briefe  an  Petrus  sind  zwar  vor  der  Ver- 
dammung des  Acacius  geschrieben  und  gehören  infolgedessen 
eigentlich  nicht  hinter  die  Briefe  des  Felix,  die  nach  seiner 
Verurtheilung  geschrieben  sind,  mögen  aber  gleichwohl  an  jene 
angereiht  werden.  Ich  glaube,  alle  Schwierigkeiten  lösen  sich 
auf  eine  befriedigende  Weise,  wenn  wir  denjenigen,  der  die 
Briefe  an  Petrus  aus  dem  Griechischen  übersetzte,  von  dem- 
jenigen trennen,  der  diese  Uebersetzung  an  die  Felixbriefe 
anreihte,  und  wenn  wir  demnach  die  unmittelbare  Quelle  der 
Avellana,  in  der  diese  Verbindung  bereits  bestand,  für  secun- 
där  einer  anderen  gegenüber  betrachten,  in  welcher,  wie  noch 
heute  in  B,  beide  Reihen  von  Schriftstücken  durch  andere 
getrennt  waren.  Ist  dies  richtig,  so  hätten  wir  also  eine  alte 
Sammlung  X  anzunehmen,  die  im  Grossen  und  Ganzen  die- 
selbe Gestalt  zeigte  wie  B.  Aus  dieser  Sammlung  schuf,  eben- 
falls in  recht  alter  Zeit,  jemand  eine  andere  Y,  indem  er 
unter  Ausscheidung  der  Stücke  XXXIV — XLIX  die  an  Petrus 
Fullo  gerichteten  Briefe  direct  an  die  Felixbriefe  rückte  und 
in  den  die  Uebersetzung  aus  dem  Griechischen  betreffenden 
Passus  in  nicht  eben  sehr  geschickter  Weise  eine  Entschuldigung 
dafür  einflocht,  dass  er  diese  jüngeren  Stücke  an  die  älteren 
anschliesse.  Ein  Exemplar  dieser  secundären  Sammlung  Y  lag 
dem  Redactor  der  Avellana  vor:  er  entnahm  ihr  die  Briefe 
des  Simplicius  und  die  apokryphen  Schreiben  an  Petrus,  von 
den  zwischen  beiden  stehenden  Felixbriefen  jedoch  nur  einen, 
n.  XXVI  (=  n.  70).  B  auf  der  anderen  Seite  hat  direct  die 
Sammlung  X  benutzt.  Wie  dies  im  Einzelnen  geschehen  ist, 
darüber  mag  man  zweifeln,  da  es  ja  nicht  einmal  feststeht,  ob 
X  die  einzige  Quelle  von  B  gewesen  ist.  Sicher  ist  nur,  dass 
die  Reihenfolge  von  X  insofern  von  B  getreuer  wiedergegeben 
wird,  als  wir  annehmen  müssen,  dass  wie  in  B  so  auch  in  X 
zwischen  den  Felixbriefen  und  den  Schreiben  an  Petrus  sich 
eine  Reihe  anderer  befunden  hat,  und  wahrscheinlich  ist,  dass 
dies  wenigstens  zum  Theil  dieselben  Schriftstücke  waren,  durch 
welche  noch  heute  in  B  jene  beiden  Gruppen  getrennt  werden. 
Ich  komme  auf  die  Sammlung  X  sogleich  noch  einmal 
zurück,  einstweilen  wenden  wir  uns  zu  Maassen's  fünfter 
Gruppe,  den  n.  79 — 104  der  Avellana. 


ATelUna~Stndien.  41 

Es  sind  dies  zunächst  drei  Schreiben  aas  der  Zeit  Ge- 
lasius' I.: 

n.  79  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Dardanien  >Ubi  pri- 
mum  respirare*  (ans  dem  Jahre  493). 

n.  80  Die  dardanischen  Bischöfe  an  Gelasius  ,Saluberrima 
apostolatus'  (494). 

n.  81  Gelasius  an  Laurentius  von  Lignidus  ,/n  prolicitate*. 

Hierauf  wird  die  Reihe  der  Schriftstücke  aus  gelasianischer 
Zeit  unterbrochen  durch  die  n.  82 — 93,  die  die  jüngsten  der 
ganzen  Sammlung  sind  und  in  die  Zeit  der  Regierung  Justi- 
nians,  in  die  Pontificate  von  Johannes  II.,  Agapetus  und  Vigilius 
fallen  (534 — 553).  Mit  n.  94  setzen  dann  wieder  Schriftstücke 
gelasianischer  Zeit  ein: 

n.    94  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Picenum  7Barbaricis 

hactenus1  (1.  November  493). 
n.    95  Gelasius   an    die   Bischöfe    von   Dardanien   ,Valde 

mirati*  (1.  Februar  oder  13.  Mai  496). 
n.    96  Gelasius  an  Bischof  Honorius  ,Miramur  dilectionem' 

(490  [?]). 
n.    97  des  Gelasius  Dicta  adversus  Pelagianam  haeresim 

,De  Pelagianis  quidem  sensibles'. 
n.    98  Gelasius  an  Honorius  ,Licet  inter  varias'  (28.  Juli 

490  [?]). 
n.    99  der  gewöhnlich  dem  Gelasius  zugeschriebene  und 

als  Gesta  de  nomine  Acacii  bezeichnete  Tractat 

,In  causa  fidei1. 
n.  100  Gelasius   gegen   Andromachus  und   die  Feier  der 

Luperealien  in  Rom  fiedmt  quidam'. 
n.  101  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Dardanien  yAudientes 

orthodoxam1  (3.  August  494). 
n.  102  Schreiben   der  Apocrisarii   Alexandrini   an  die  in 

Constantinopel   weilenden   römischen   Gesandten 

,Venerabile8  sanetae1  (497),  nach  der  Subscription 

Explicit.  Dionysiu8  Exiguus  Romae  de  Graeco 

converti  eine  Uebersetzung  des  berühmten  Dio- 

nysius. 
n.  103  die  römische  Synode  unter  Gelasius  vom  13.  Mai 

495  yResidente  synodo'. 


42  V.  Abhandlung:    Quntner. 

Schliesslich  noch  ein  Stück  ans  dem  Pontificat  des  Sym- 
machus : 

n.  104  Symmachus  an  die  Geistlichkeit  von  Dlyrien,  Dar- 
danien  etc.  ,Quod  plene  fieri  cupimus.  sx  quae 
8cribimu8(  vom  8.  October  512  (5.  März  513?). 

Das  Wesentliche  bei  diesen  Stücken  aus  der  Zeit  des 
Gelasins  (von  den  n.  82 — 93  sehe  ich  einstweilen  ab)  und  was 
uns  hinsichtlich  der  Erkenntniss  ihrer  Quelle  etwas  weiterhilft, 
ist  der  Umstand;  dass  ein  Theil  derselben  auch  wiederum  im 
Berolinensis  B  und  ausserdem  nirgends  überliefert  ist;  es  sind 
dies  die  Stücke : 


Avellana 

B 

79 



XXXVIII 

80 

T, 

XXXIX 

81 



XXXVI 

95 

= 

XL 

99 

=Z 

XXXI 

101 



XXXVII 

103 



XLV 

104 



XL  VI 

Dass  wir  in  der  That  auch  für  diese  Stücke  eine  gemeinsame 
Quelle  für  Avellana  und  B  anzunehmen  haben,  dafür  spricht 
zweierlei.  Einmal  das  Vorhandensein  gemeinsamer  Corruptelen 
in  V  und  B,  wie  ich  das  p.  LVI  meiner  Ausgabe  nachgewiesen 
habe;  sodann  aber  der  Umstand,  dass  wenigstens  an  zwei 
Stellen  zwei  Briefe  in  B  in  derselben  Reihenfolge  vorkommen 
wie  in  V:  Avell.  79-80  =  B  XXXVIII— XXXIX  und  Avell. 
103-104  =  B  XLV— XLVI.  Bei  dem  ersten  Paar  würde 
dies  nicht  viel  sagen,  da  Avell.  n.  79  und  80  ihrem  Inhalt 
nach  so  eng  zusammengehören,  dass  sie  wohl  von  verschiedenen 
Sammlern  auch  unabhängig  von  einander  hätten  zusammen- 
gestellt werden  können.  Anders  ist  dies  bei  103  und  104  = 
B  XLV  und  XLVI.  Hier  liegen  beide  Schriftstücke  zeitlich 
beträchtlich  auseinander  und  haben  inhaltlich  kaum  etwas  mit 
einander  zu  thun.  Dass  sie  in  ihrer  Vereinigung  sowohl  in  V 
wie  in  B  eine  Gruppe  von  Gelasiusbriefen  absfchliessen ,  kann 
daher  nimmermehr  ein  Zufall  sein,  sondern  ist  auf  die  gemein- 
same Quelle  von  V  und  B  zurückzufuhren.    Selbstverständlich 


ATelUnÄ-8tndien.  43 

ist  dies  nun  keine  andere  als  die  Sammlung  X,  aus  der  durch 
Vermittlung  eines  Zwischengliedes  Y  die  Simpliciusbriefe ,   der 
Brief  des  Felix  und  die  Briefe  an  Petrus  Fullo  in  die  Avellana 
übergegangen  sind.    Wir  gewinnen  hier  eine  Bestätigung  für 
die  oben  ausgesprochene  Ansicht,  dass  das,  was  in  X  zwischen 
den  Felixbriefen  und  den  Schreiben  an  Petrus  gestanden  hat, 
im  Grossen  und  Ganzen  dieselben  Stücke  gewesen  sein  werden 
wie  die,  welche  noch  heute  in  B  zwischen  jenen  beiden  Gruppen 
stehen.    Y  schob,  wie   wir   sahen,    dieselben   aneinander,    hat 
aber,  wie  wir  jetzt  erfahren,  die  dazwischen  stehenden  Stücke 
nicht  einfach  fortgelassen,  sondern  vielmehr  an  das  Ende,  hinter 
die  Briefe  an  Petrus  gestellt,   und   diese  Reihenfolge  ist  uns 
dann  durch  die  Avellana  bewahrt,  der  jenes  Y  als  Quelle  diente. 
Als  Resultat  der  vorstehenden  Bemerkungen  ergiebt  sich 
also,   dass  wir  nicht  mit  Maassen   die  Briefe  56 — 104  in   die 
beiden  Gruppen  56 — 78  und  79 — 104  zerlegen  dürfen:  ihrer  Pro- 
venienz nach  bilden  sie  nur  eine  Masse,  die  durch  Vermittlung 
von  Fauf  eine  und  dieselbe  Quelle  X  zurückgeht.  Wie  im  Ein- 
zelnen diese  Quelle  ausgesehen  hat,  darüber  freilich  wird  man  zu 
keinem   festen  Resultate   gelangen   können;   es  bleibt  hier  fast 
Alles  unsicher.  Schon  das  ist  zweifelhaft,  ob  die  Stücke,  die  in  B 
den  Simpliciusbriefen  vorangehen  (I — V),  jener  Sammlung  X  zu- 
zuweisen sind;  sehr  wahrscheinlich  ist  es  nicht.     Eine  weitere 
Frage  ist  die,  in  welcher  Reihenfolge  in  X  die  Briefe  des  Simpli- 
cius  gestanden  haben,  ob  in  der  von  V  oder  in  der,  welche  uns 
in  B  vorliegt.   Der  einzige  Gesichtspunkt,  von  dem  aus  es  mir 
möglich  erscheint  eine  Beantwortung  dieser  Frage  zu  versuchen, 
ist  die  Chronologie  der  Stücke.    In  der  Avellana  stehen,  wie  ich 
im  zweiten  Excurs  dieser  Abhandlung  nachweisen  werde,   die 
Briefe   56 — 69   genau   in   chronologischer  Reihenfolge  mit   der 
einzigen  Ausnahme,  dass  n.  57  hinter  n.  59  gehört  hätte.    In  B 
dagegen  erscheinen  n.  56 — 59  (XIV — XVII),  die  von  Allen  die 
ältesten  sind  (Januar  476),  zwischen  69  (XIII)  vom  15.  Juli  482 
und  der  in  der  Avellana  fehlenden  Nummer  XVIII  vom  6.  No- 
vember 482.   Nun  ist  ja  sicherlich  an  und  flir  sich  die  Annahme 
nicht  ausgeschlossen,  dass  die  unchronologische  Reihenfolge  die 
ursprüngliche  ist,   und  dass  erst  in  der  von  der  Avellana  be- 
nutzten Sammlung  Y  die  richtige  zeitliche  Reihenfolge  hergestellt 
wurde.   Allein  wahrscheinlicher  ist  doch  der  andere  Fall,  dass 


44  V.  Abbandlonf :    Gfinther. 

in   der  Ursammlung  X  in   der  That  die  Briefe  chronologisch 
aufeinanderfolgten,  wie  es  noch  heute  in  V  geschieht,  und  dass 
diese   Aufeinanderfolge  in  B  durch   irgend  ein  Versehen   des 
Abschreibers,  vielleicht  infolge  einer  Blatt  Verschiebung,  gestört 
ist.    Ich  möchte  daher  die  Briefe  56 — 69   der  Avellana,   ein- 
schliesslich  der  in  B  fehlenden   n.  60  und  67,  in   derselben 
Reihenfolge  auch  schon  der  Sammlung  X  zuweisen.1      Auf  69 
folgten  dann  höchst  wahrscheinlich  die  beiden  Briefe  B  XV  ULI 
und  XIX,  die  ihrerseits  in  der  Avellana  fehlen  und  von  denen 
XVIII    (6.  November  482)    sich   chronologisch  richtig    an   69 
(15.  Juli  482)   anschliesst,   während  XIX,   das  Schreiben  des 
Acacius,   auf  welches  n.  61  (VI)  vom  8.  März  478   die   Ant- 
wort ist,   wohl   deswegen  nicht  der  Chronologie  entsprechend 
seine  Stelle  vor  n.  61   erhalten  hatte,    damit   die  Reihe   der 
Simpliciusbriefe  nicht  durch  das  Schreiben  einer  anderen  Per- 
sönlichkeit  unterbrochen    würde.       Hierauf  folgten    in   X  die 
Felix briefe   XX — XXXIII,    von    denen    in   der   Avellana   nur 
XXVI  (=  70)  Aufnahme  gefunden  hat.    Ob  B  auch  das  unter 
diesen  Schreiben  des  Felix  auftretende  Stück  XXXI,   die   so- 
genannten Gesta   de   nomine  Acacii,    der    Sammlung    X  ent- 
nommen hat,  darüber  könnte  man  zweifeln,  denn  einmal  fehlt 
dieser  Tractat  in  dem  Index,  der  der  Sammlung  des  Codex  B 
vorangeht  (vgl.  oben  S.  33),   sodann  aber  findet  sich  dasselbe 
Stück  zwar  auch  in  V  (n.  99),   allein  in   einer  Recension,  die 
von  der  uns  in  B  entgegentretenden  durchaus  verschieden  ist 
Trotzdem  ist   die  Möglichkeit  nicht   ausgeschlossen,   dass  der 
Archetypus  von  B  aus  X  die  Gesta  ursprünglich  in  derselben 
Recension  entnommen   hat,   wie  sie  V  zeigt,   dass   dieser  Text 
dann  aber  später  nach  einem  Exemplar  der  abweichenden  Re- 
cension von  Grund  aus  corrigirt  wurde  und  in  dieser  corrigirten 
Form  nun  in  B  vorliegt.     Derartige  Fälle,   wo   durch   Ueber- 
tragung  von  Lesarten,  ja  geradezu  durch  Ausradirung  des  ge- 
sammten  Textes  und  Substituirung  eines  neuen,  eine  Recension 
durch  die  andere  ersetzt  wird,  kommen  in  der  That  vor.* 


1  Dies  wird  auch  dadurch  bestätigt,  dass  die  Urquelle  dieser  Simplicius- 
briefe offenbar  das  päpstliche  Register  war  (vgl.  unten  S.  54,  Anm.  1), 
und  dieses  zeigte  natürlich  eine  chronologische  Reihenfolge  der  Stücke. 

1  Vgl.  meine  Bemerkung  über  den  Vindobonensis  2147  (q*)  auf  S.  791 
meiner  Ausgabe.      Dafür,  dass  auch  in  diesem  Falle  etwas  Aehnliches 


ATelUn»-8tudi«n.  45 

Bemerkt  zu  werden  verdient  noch,  dass  die  Briefe  XVIII — 
XXIV  in  genau  derselben  Reihenfolge  wie  in  B  noch  in  zwei 
anderen  canonistischen  Sammlungen  vorkommen,  einmal  in  der 
von  Maassen  als  ^Sammlung  der  Vaticanischen  Handschrift' 
(Vatic.  1342)  bezeichneten,1  sodann  auch  in  der  ,  vermehrten 
Hadriana'.*  Vermuthlich  wird  die  gemeinsame  Quelle3  dieser 
beiden  Sammlungen  die  Stücke  aus  X  entlehnt  haben,  denn 
das  umgekehrte  Verhältniss  erscheint  ausgeschlossen,  da  die 
betreffenden  Stücke  in  J3,  d.  h.  in  X,  chronologisch  geordnet 
sich  zeitlich  richtig  an  eine  eng  mit  ihnen  zusammengehörende 
Reihe  ebenfalls  chronologisch  geordneter  Briefe  anschliessen, 
während  in  jenen  beiden  anderen  Sammlungen  ihnen  andere 
Stücke  aus  völlig  anderer  Zeit  vorangehen. 

Auf  die  Felixbriefe  folgte  in  X  eine  Anzahl  von  Stücken, 
deren  Anzahl  und  Reihenfolge  nicht  zu  bestimmen  ist:  unter 
ihnen  befanden  sich  sicherlich  diejenigen  der  n.  XXXIV— XLIX 
von  B,  die  in  der  Avellana  oder  richtiger  in  der  Sammlung  Y 
hinter  die  Petrusbriefe  zurückgesetzt  wurden.  Vielleicht  bot 
auch  dieser  Theil  in  X  einen  einheitlichen  Anblick,  was  von 
der  Gruppe  XXXIV — XLIX  in  B  sich  nicht  behaupten  lässt;  ist 
es  doch  sehr  wohl  möglich,  dass  wie  V  aus  diesem  Theil  von  X 
nur  Schriftstücke  gelasianischer  Zeit  und  das  eine  Schreiben 
des  Symmachus  aufweist,  ebenso  auch  X  selbst  nur  Schrift- 
stücke dieser  Epoche  an  jener  Stelle  darbot  und  dass  B  also 
vor  Allem  die  Nummern  XXXV  (Leo  I),  XLVII  und  XL VIII 
(Hormisda)  und  XLIX  (Cyrill)  aus  anderen  Quellen  entlehnt 
hat.  Den  Schluss  der  Schriftstücke  aus  gelasianischer  Zeit 
bildete  n.  XLV  =  Avell.  103  und  daran  sich  anschliessend  der 

erfolgt  ist,  spricht  eine  Reihe  von  Lesarten  in  B,  die  diese  Handschrift 
abweichend  von  den  übrigen  Vertretern  derselben  Recension  mit  V  ge- 
ineinsam hat  (vgl.  darüber  den  2.  Theil  dieser  Abhandlung,  wo  von  den 
Recensionen  der  Gesta  die  Rede  ist).  Dieselben  wären  dann  nicht  als 
Uebertragnngen ,  sondern  als  Reste  der  ursprünglich  auch  in  B  vorhan- 
denen Recension  von  V  anzusehen. 

1  Vgl.  Maassen,  Gesch.  der  Quellen,  S.  612;  in  dem  Maassen1  sehen  Index 
S.  521  sind  es  die  Stücke  LXXII— LXXV  und  die  nur  durch  den  Irr- 
thum  eines  Abschreibers  nicht  mit  den  Nummern  LXXVI— LXXV11I 
bezeichneten  Stücke  LXXIX-LXXXI. 

'  Vgl.  Maassen,  S.  454;  im  Index  S.  460 f.  die  Nummern  CXXVI-CXXXU. 

*  Vgl.  Maassen,  S.  462. 


46  V.  Abh*ndl*nf:    Gftnther. 

Brief  des  Symmachus  XL  VI  =  Avell.  104.       Hierauf  folgten 
dann  noch  die  acht  apokryphen  Briefe  an  Petrus  Fullo. 

In  dieser  Weise  haben  wir  uns  die  Quelle  zu  denken,  auf 
die  B  und  durch  Vermittlung  von  Y  auch  die  AveUana  in 
den  Briefen  51 — 104  zurückgeht.  Ich  glaube,  das  Resultat 
im  Grossen  und  Ganzen  ist  sicher,  mag  man  auch  im  Ein- 
zelnen allerlei  Zweifel  hegen  und  sich  bei  manchem  vergebens 
nach  einer  Erklärung  umsehen.  So  gestehe  ich  z.  B.,  dass  ich 
für  die  verschiedene  Datirung  des  Symmachusbriefes  n.  104 
(in  V:  VIII  Id.  Oct.  post  cons.  Felicis  =  8.  October  512;  in  Bz 
III  Non.  Mari.  Probo  cons.  =  5.  März  513)  ebensowenig  eine 
Erklärung  habe,  wie  für  die  von  n.  95  (V:  Kai.  Febr.  (post) 
cons.  Viatoris,  B:  III  Id.  Maias  post  cons.  Viatoris).  Sehr 
auffallend  ist  sodann  der  Umstand,  dass  in  V  mitten  in  die 
Reihe  der  Schriftstücke  aus  gelasianischer  Zeit,  wie  ich  bereits 
oben  S.  41  bemerkt  habe,  12  Schreiben  einer  viel  späteren 
Zeit  eingeschoben  sind.     Es  sind  folgende: 

n.  82  Agapetus  an  Justinian  firatulamur  venerabüis'  (un- 
vollständig, dasselbe  Stück  wie  n.  91). 
n.  83  Vigilius    an    Justinian    ,Inter   innumeras',    das    so- 
genannte  Constitutum    de    tribus    capitulis    vom 
14.  Mai  553. 
n.  84  Johannes  II.  an  Justinian  ,Inter  ciaras1  (25.  März  534). 
n.  85  Die   afrikanischen   Bischöfe   Reparatus   etc.  an    Jo- 
hannes fiptimam  consuetudinem1  (wohl  Mai  535). 
n.  86  Agapet  an  Reparatus  etc.  }Iamdudum  quidem'  (9.  Sep- 
tember 535). 
n.  87  Agapet    an    Reparatus    yFraternitatis    tuae    litteris 

indicasti1  (9.  September  535). 
n.  88  Agapet  an  Justinian  ,Licet   de  sacerdotii*  (15.  Oc- 
tober 535). 
n.  89  Justinian  an  Agapet  yPrima  salus  est1  (16.  März  536). 
n.  90  Menas  von  Constantinopel  an  Agapet  ,Prima  salus 

est1  (16.  März  536). 
n.  91  Agapetan  Justiniaii  ,Gratulamurvenerabilis'(l$.'M.2LTz 

536). 
n.  92  Vigilius   an  Justinian  }Litteris  clementioet  (17.  Sep- 
tember 540). 
n.  93  Vigilius  an  Menas  7Licet  universal  (VI .  September  540). 


ÄTellAiut-Stvdien.  47 

Dass  fUr  diese  Stücke  eine  andere  Quelle  anzunehmen 
ist,  als  für  die  sie  umgebenden  n.  56 — 81  und  94 — 104,  liegt 
auf  der  Hand.  Mit  Ausnahme  der  beiden  ersten  Stücke  sind 
sie  chronologisch  geordnet;  auch  hat  der  Sammler  sie  schwerlich 
einzeln  zusammengesucht,  sondern  offenbar  schon  in  dieser  Ver- 
bindung als  ein  Ganzes  vorgefunden.1  Dass  er  sie  mitten  in 
die  gelasianischen  Schriftstücke  einschob,  dem  kann  nur  irgend 
ein  Zufall  zu  Grunde  liegen:  während  er  bei  der  Arbeit  sass 
und  die  Briefe  des  Gelasius  abschrieb,  muss  ihm  von  irgend 
einer  anderen  Seite  her  der  Fascikel  n.  82 — 93  zugekommen 
sein  and  er  ihn  kurz  entschlossen  an  der  Stelle  eingeschoben 
haben,  an  der  er  sich  bei  seiner  Abschreibearbeit  gerade  be- 
fand. Mit  dem  ganzen  Charakter  der  Avellana  als  einer  rohen 
Sammlung  neuer  Materialien,  von  dem  unten  noch  ausführlicher 
die  Rede  sein  wird,  lässt  sich  diese  Thatsache  recht  gut  ver- 
einigen. 

Noch  ein*  Wort  über  die  Subscriptio  von  n.  102;  dieselbe 
lehrt  uns  (vgl.  oben  S.  41),  dass  das  Schriftstück  ursprünglich 
griechisch  abgefasst  war  und  in  Rom  von  Dionysius  Exiguus 
ins  Lateinische  übertragen  wurde.  Die  Uebersetzerthätigkeit 
des  Dionys  ist  ja  bekannt,9  und  es  liegt  also  der  Gedanke 
nicht  sehr  weit  ab,  dass  auch  die  Uebersetzung  der  Briefe  an 
Petrus  Pullo  (71 — 78)  auf  ihn  zurückzufahren  sei.8  Die  Ueber- 
setzung sei  gemacht,  so  sagt  die  Subscriptio  von  n.  71  propter 

1  Die  Subscriptio  des  Domnicus  unter  n.  98:  Flavitu  Domnicu»  v.  c,  comes 
domesticorum  ex  conaule  ac  patricht»  ha»  scidas  a  .  .  papa  Vigiüo  in  causa 
fidei  facta»  ad  doninum  nostrum  Iustinianum  .  .  sed  et  ad  Menam  ...  re- 
legen» conferen»  conaentieruque  »u»crip*i  .  .  .  bezieht  sich  auf  die  beiden 
vorangehenden  Stücke  n.  92  und  93.  Hervorgehoben  zu  werden  ver- 
dient, dass  unter  den  Papstschreiben  dieses  eingeschobenen  Fascikels  die 
Briefe  des  Johannes  (n.  84)  und  Vigilius  (88, 92, 93)  nach  Form  der  Adresse 
und  Subscription  Abschriften  der  betreffenden  Originalausfertigungen  sind. 
Das  emendavi,  das  im  Constitutum  de  tribus  capitulis  (p.  318  n)  vor  der 
Subscriptio  des  Papstes  steht,  geht  auf  die  Thätigkeit  des  Papstes  selbst; 
sonst  findet  man  in  demselben  Sinne  recognovi  (vgl.  356  17  recognovi  atque 
»uscripri  und  Et  manu  Felici»  papae:  recognovi  in  dem  Praeceptüm  papae 
FeUd»  (IV)  morienti»  im  Spicil.  Casinense  I,  180,  Spalte  2, 10). 

1  Vgl.  z.  B.  Langen,  Gesch.  der  röm.  Kirche  II,  339;  Amelli  im  Spici- 
legium  Casinense  I,  p.  L. 

8  Vgl.  De  Rossi  in  der  Einleitung  zum  1.  Band  der  Vaticanischen  Palatini 
latini,  p.  LI. 


48  V.  Abhandlung:    Gftnther. 

kereticorum  insidias  (propter  hereticos  B)y  offenbar  solcher 
haeretici,  die  auf  dem  Standpunkt  des  Petrus  Fullo  standen, 
der  dem  Trisagion  die  Worte  qui  crudfixus  es  pro  nobis  ein- 
fügen wollte.  Diese  Frage  hängt  eng  zusammen  mit  dem  grossen 
Streit  über  die  Orthodoxie  der  Formel  unus  ex  trinitate  passus, 
der,  in  seinen  Anfängen  auf  Proolus  von  Constantinopel  zurück- 
gehend, im  6.  Jahrhundert  besonders  noch  zweimal  die  Ge- 
müther lebhaft  bewegte,  einmal  unter  Hormisda  bei  dem  Auf- 
treten der  scythischen  Mönche  (519),  dann  unter  Johannes  II. 
im  Jahre  534.  Ueber  die  Stellung  des  Dionysius  Exiguus  zu 
dieser  Frage  ist  man  sich  nicht  einig.1  Doch  ist  wohl  so  viel 
sicher,  dass  Dionysius  die  eutychianische  Auffassung  des  unus 
ex  trinitate  passus  nicht  billigte  und  daher  auch  jene  Sub- 
scriptio  mit  ihrer  Bezugnahme  auf  die  haeretici  wohl  von  ihm 
geschrieben  sein  konnte.  Es  ist  daher  in  der  That  nicht  un- 
möglich, dass  auch  die  lateinische  Uebersetzung  der  n.  71 — 78 
von  Dionysius  stammt,  und  dass  demgemftss  es  Dionysius  ge- 
wesen ist,  der  etwa  um  das  Jahr  534  die  ganze  Sammlung  X 
veranstaltete.  .  Allein  mehr  als  eine  gewisse  Möglichkeit  kann 
diese  Hypothese  schwerlich  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 

6. 

Ich  wende  mich  zu  dem  letzten  und  zugleich  umfang- 
reichsten Bestandteile  der  Avellana,  den  Briefen  105 — 243, 
der  Correspondenz  des  Papstes  Hormisda  aus  den  Jahren  514 
— 521,  die  von  sehr  wenigen  Stücken  abgesehen  nur  durch 
unsere  Sammlung  erhalten  ist.  Ueber  die  Chronologie  dieses 
Briefwechsels  habe  ich  in  den  ,Beiträgen  zur  Chronologie  der 
Briefe  des  Papstes  Hormisda'  im  CXXVI.  Bande  dieser  Sitzungs- 
berichte eingehender  gehandelt  und  kann  daher,  was  die  Da- 
tirung  der  einzelnen  Stücke  angeht,  auf  jene  Abhandlung  ver- 
weisen. Hier  interessirt  uns  vor  allem  die  Quelle,  aus  der  der 
Sammler  diese  Correspondenz  genommen  hat,  sodann  aber  die 
Art  und  Weise,  wie  er  sie  benutzt  hat,  da  dies  uns  über  den 
ganzen  Charakter  unserer  Sammlung  weiteren  Aufschluss  gewährt. 

Es  ist  schon  früher  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass 
der  Sammler  der  Avellana  einen  Theil  seines  Materials   direct 


1  Vgl.  Amelli,  Spicil.  Ca».  I,  p.  LI. 


▲▼elUna-StndMn.  49 

dem  päpstlichen  Archiv,  den  scrinia  sedis  apostolicae,  ent- 
nommen habe,  und  in  der  That  lässt  sich  dies  für  den  Brief- 
wechsel des  Hormisda  mit  zweifelloser  Sicherheit  nachweisen. 
Dieser  Nachweis  wird  im  Grossen  und  Ganzen  von  den  Ge- 
sichtspunkten ans  zu  fUhren  sein,  die  von  Bresslau  in  seinem 
schon  oben  erwähnten  Aufsatz  ,Die  Commentarii  der  römischen 
Kaiser  und  die  Registerbücher  der  Päpste'  aufgestellt  sind,  ob- 
wohl er  gerade  diesen  Briefwechsel  bei  seinen  Darlegungen 
nicht  herangezogen  hat. 

Zunächst  ein  paar  Worte  über  die  äussere  Form  der 
Briefe.  Unter  den  annähernd  140  Nummern  sind  gut  die 
Hälfte  Briefe  des  Hormisda  selbst.  Von  diesen  trägt  nur  einer 
eine  vollständige  Adresse  an  der  Spitze,  n.  106:  Dilectissimo 
fratri  Dorotheo  Hormisda.  Dass  sich  Hormisda  dieser  Form 
der  Anrede  in  der  That  bedient  hat,  zeigen  einige  seiner 
Schreiben,  die  in  die  Hispana  aufgenommen  sind  und  in  deren 
Adresse  die  gleiche  Form  auftritt;  vgl.  darüber  p.  LXXVIH 
meiner  Prolegomena.  Alle  übrigen  in  der  Avellana  enthaltenen 
Briefe  des  Hormisda  geben  dagegen  die  Anrede  in  verkürzter 
Form,  und  zwar  so,  dass  Hormisda  vorangestellt  wird  und  dann 
der  Name  des  Empfängers  im  Dativ  folgt,  also  z.  B.  108  Hor- 
misda Anastasio  Augusto,  120  Hormisda  synodo  Epiri  veteris, 
132  Hormisda  clero  populo  et  monachis  orihodoxis  Constan- 
tinopoli  consistentibus.  Mit  Recht  hat  Bresslau  diese  Verein- 
fachung der  Adresse  als  ein  Merkmal  des  Ursprungs  aus  dem 
päpstlichen  Register  hingestellt.  *  Dass  sie  nicht  erst  auf  den 
Redactor  der  Sammlung  zurückzuführen  ist,  ergiebt  sich  schon 
daraus,  dass  dieselbe  Form  z.  B.  auch  in  den  Ueberschriften 
der  Simpliciusbriefe  vorkommt,  die,  wie  oben  nachgewiesen, 
Avellana  und  Codex  B  gemeinsam  aus  der  alten  Sammlung  X 
übernommen  haben;  vgl.  z.  B.  n.  64  Simplicius  episcopus  Ze- 
noni  Augusto.  Auch  das  spricht  dafür,  dass  auch  die  alte 
griechische  Uebersetzung  von  n.  237,  die  im  Jahre  536  auf  dem 
Concil  von  Constantinopel  verlesen  wurde  und  die  nach  dem 
im  päpstlichen  Archiv  befindlichen  lateinischen  Original  her- 
gestellt wurde,  die  gleiche  Form  der  Ueberschrift  trägt:  10q- 
ulodag  yE7tiq>avuj>  iniöAÖTKx)  KcDVOTamvovTtöXscjg.1 


1  Vgl.  darüber  unten  ö.  57  f. 
Sitzugsber.  d.  phil.-hist.  CU  CXXXIV.  Bd.  5.  Abb. 


50  ▼•  Abteailvaf :    Gtather 

Bei  den  Briefen,  die  an  Hormisda  gerichtet  sind,  finden 
wir  verschiedene  Arten  der  Ueberschriften.    Nur  in  wenigen 
(etwa   10)  Fällen  tritt  uns  auch  hier  die   gleiche    Form  der 
Kürzung  entgegen,  so  n.  109  Anastasius  Augustus  Hormisdae 
papae,  194  Eufimia  Augusta  Hormisdae  papae;  bei  einer  weit 
grösseren  Anzahl  (etwa  30)  ist  die  Adresse  in  extenso  gegeben 
je  nach  der  Art,  wie  Kaiser,  Bischöfe,  Concilien  zn  jener  Zeit 
den  römischen  Bischof  in  ihren  Schreiben  anzureden  pflegten 
(vgl.  z.  B.  105.  136.  139).     Eine  Verbindung  der  kurzen  Form 
mit  der  ausführlichen  haben  wir  in  n.  113:  Anasiasius  Augustus 
senatui  urbis  Romas ,  per  Theopompum  et  Severianum  vc.  cc. 
Imperator   Caesar  Flavius   Anastasius  pontifex   inclitus   Grer- 
manicus  inclitus  u.  s.  w.  proconsulibus   consulibus  praetoribus 
tribunis  plebis  senatui  suo  salutem  dicit.     Die  vorangestellte 
knappe  Form  des  Titels  dient  hier  wie  überall  dazu,   um  aus 
dem  mehr  oder  weniger  grossen  Wortschwall  der  ausführlichen 
Adresse  das  Wesentliche,  d.  h.  Absender  und  Empfänger,  über- 
sichtlich herauszuheben.   Aehnliche  Doppeltitel  finden  sich  übri- 
gens in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen,  so  bei  n.  187  Exem- 
plum  epistolae  Iustiniani.   Domino  saneto  meritis  beatissimo  et 
apostolico  domno  patri  papae  Hormisdae  Iustinianus.  Wie  hier 
so  ist  auch  sonst  in  der  vorangehenden   kurzen   fingirten    In- 
haltsüberschrift der  Name   des  Adressaten   häufig  ausgelassen, 
und  zwar  auch  dann,  wenn,   wie  es  öfter  vorkommt,   die  aus- 
führliche  Adresse   neben    der   kurzen   Inhaltsüberschrift    über- 
haupt fortgelassen  ist;   so    196  Exemplum  epistolae  Iustiniani 
illustris,  222   Suggestio   Dioscori   diaconi,   beide   ohne  Hinxu- 
fügung  von  ad  Hormisdamf  beide  ohne  jede  nachfolgende  aus- 
führlichere Adresse.    Die  Form,   dass   diese  Inhaltsüberschrift 
mit   exemplum    oder   exemplar   beginnt,    kommt   recht   häufig 
vor,  wenn  ich  recht  gezählt  habe,  37  mal  (exemplum  epistolae, 
exemplum    relationis,    exemplum    suggestionis   u.    a.),   jedoch 
immer  nur  bei  Stücken,   die  an  Hormisda  gerichtet  sind,    nie 
bei  solchen,  die  von  ihm  ausgehen.1 


1  Das  trifft  auch  für  116b  zu,  den  von  Hormisda  verfassten  sogenannten 
libellos  fidei,  denn  das  hier  Torliegende  Exemplar  desselben  ist,  wie  die 
Subscriptio  seigt,  ein  gam  bestimmtes,  das  von  einer  bestimmten  Person 
an  einem  bestimmten  Tage  dem  Papst  unterschrieben  anrfickgesaudt  ist. 


ATelUna-Studien.  51 

Schon  diese  Beobachtungen,  vor  Allem  die  Auslassung 
des  Namens  des  Hormisda  in  den  Ueberschriften  solcher  Stücke, 
die  an  ihn  gerichtet  sind,  weist  uns  in  die  Kanzlei  des  Hor- 
misda als  Ausgangspunkt  des  hier  vereinigten  Materials.  Andere 
Umstände  bestätigen  dies.  So  werden  die  päpstlichen  Ge- 
sandten in  den  Ueberschriften  einige  Male  kurz  als  legati  nostri 
bezeichnet,  so  bei  158,  221,  so  auch  in  n.  192,  einem  Schreiben 
des  Justin,  das  die  zurückkehrenden  päpstlichen  Gesandten  nach 
Rom  bringen.  Sodann  trägt  eine  Reihe  von  Briefen  am  Schluss 
eine  Notiz  über  den  Tag  des  Empfanges  (die  Nummern  105. 
107.  109.  136.  146.  166.  195.  199.  212.  215.  222-225.  230.  232. 
233),  und  zwar  sind  dies  ausschliesslich  Schreiben  an  Hormisda, 
die  also  mit  jenem  Praesentat  nur  in  der  päpstlichen  Kanzlei 
versehen  worden  sein  können.  Eine  andere  Reihe  von  Briefen, 
und  zwar  nur  von  solchen  des  Papstes  selbst  sind  ihrer  Ueber- 
schrift  zufolge  a  pari,  d.  h.  in  gleicher  Ausfertigung  an  verschie- 
dene Personen  gerichtet,  vgl.  152  Hormisda  Celeri  et  Patricio 
a  pari,  153  Hormisda  praefecto  praetorio  Thessalonicensi  et 
ceteris  illustribus  a  pari,  155  Hormisda  Theodosio  archidiacono 
Constantinopolitano  et  universis  catholicis  a  pari,  157  Hor- 
misda Anastasiae  et  Palmatiae  a  pari.  Der  Zusatz  a  pari  (oder 
a  paribus)  in  der  Ueberschrift  eines  Briefes  konnte  selbst- 
verständlich in  den  ausgefertigten  Originalen  keinen  Platz 
haben;  vielmehr  weist  auch  das  Vorkommen  dieser  Worte 
hinter  der  Adresse  von  Papstbriefen,  wie  Bresslau  richtig  be- 
merkt hat,  stets  darauf  hin,  dass  die  betreffenden  Abschriften 
mittelbar  oder  unmittelbar  auf  die  päpstlichen  Register  zurück- 
gehen, in  denen  sie  mit  diesem  Zusatz  versehen  wurden.1  In 
die  Kategorie  dieser  Schreiben  a  pari  gehört  übrigens  ohne 
jeden  Zweifel  auch  n.  171,  überschrieben  Hormisda  Iohanni 
episcopo  Constantinopolitano  et  Dioscoro  diacono.  Ueber  die 
verschiedenen  Versuche  der  früheren  Herausgeber,  diesem  Titel 
Gewalt  anzuthun,  habe  ich  ,Beiträge'  p.  32 ff.  gesprochen;  allein 
wenn  ich  ebendort  dafür  eintrat,  dass  der  Brief  in  der  That 
an  beide  genannten  Adressaten  gerichtet  sei,  so  muss  das  in 
der  Weise  eingeschränkt  werden,   dass  nicht  ein  und  dasselbe 


1  Gleichbedeutend  mit  a  pari  ist  der  Ausdruck  epiHda  uniformu,  den  wir 
im  ersten  Theil  der  Avellana  antrafen  (vgl.  oben  S.  14,  Anm.  1). 

4» 


52  V.  Abtaadlvng:    GttntW. 

Exemplar  bestimmt  war,   an  Beide  zu  gehen,   sondern  sowohl 

Johannes    wie   Dioscorus   eine    besondere  Aasfertigung   dieses 

Schreibens  erhielt.     Das  wird  ganz  sicher  bewiesen  durch  die 

Lesart  p.  6283  ff.:  quod  quam  acerbe  fert  animus  noster,  etiam 

fraternitatem   dilectionem   tuam  credimus   aertimare,   wo 

eine  jüngere  Handschrift  mit  Unrecht  zwischen  fraternitatem 

und  dilectionem  ein  et  eingeschoben  hat.    Es  stehen  hier  eben 

die   beiden   Anreden   unverbunden   nebeneinander,   von   denen 

die  Ausfertigung  an  Johannes  nur  fraternitatem  tuam}  die  an 

Dioscorus  nur  dilectionem  tuam  aufwies,  und  wir  würden  nach 

heutiger  Gepflogenheit   die  Worte   am   besten  folgendennassen 

,       ,  ^.        (fraternitatem}   . 

drucken:  etiam  [Jdüeeti4mem     J  «««m. 

So  führt  uns  die  Betrachtung  sowohl  der  an  Hormisda 
gerichteten  wie  der  von  ihm  verfassten  Schriftstücke  in  die 
päpstliche  Kanzlei  als  an  denjenigen  Ort,  von  dem  die  in  der 
Avellana  vereinigte  Correspondenz  dieses  Papstes  ausgegangen 
ist.  Aus  dieser  Thatsache,  und  zwar  nur  aus  dieser,  lassen 
sich  auch  einige  andere  Eigentümlichkeiten,  die  verschiedenen 
dieser  Briefe  anhaften,  auf  das  Leichteste  erklären.  Auf  die 
Instruction  n.  116,  die  der  Papst  im  August  des  Jahres  515 
seinem  Gesandten  Ennodius  und  Genossen  nach  Constantinopel 
mitgicht,  folgt  n.  116*,  überschrieben  Item  capitula  singularum 
cauHarum.  Ich  habe  schon  in  meiner  Ausgabe  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  unter  diesem  Titel  folgenden  Darlegungen 
keineswegs  ebenfalls  an  die  Gesandten  gerichtet  sind;  vielmehr 
wird  von  diesen  in  dritter  Person  gesprochen,  vgl.  52020  Prae- 
ter e,a  quae  legatis  inter  reliqua  iniunximus.  Dieser  Umstand 
verbunden    mit   dem  ganzen  nach  Form1  und  Inhalt   skizzen- 

1  Da«  ernte  Capitulum  beginnt  mit  einem  selbständigen  ttf-Satz:  Ut  taneta 
trynodu*  Caletdonensia  et  epistolae  saneti  papae  Leonis  serverdur  ,Es  sollen 
die  Öynodo  von  C.  und  die  Briefe  Leos  anerkannt  werden',  an  den  sich 
dann  in  salopper  Weise  ein  Hauptsatz  anschliesst  atque  dementisrimu*  im- 
perator  coiutentiens  debet  pietati*  suae  »acra  generalia  ad  wnversos  epi- 
*copo9  destinare  u.  s.  w.  Das  zweite  Capitulum  (§.  2)  wird  durch  einen 
in  der  Luft  schwebenden  Accusativus  cum  infinitivo  eingeleitet:  In  exUium 
deportatos  .  .  revocandos]  dem  dritten  (§.  3)  fehlt  gar  jede  concinne  Form: 
Praeterea  quae  legatis  inter  reliqua  iniunximus:  ut  «  u.  8.  w.  , Ausserdem 
noch  das,  was  ich  den  Gesandten  beiher  aufgetragen  habe:  ob  soll, 
wenn  .  .  .'. 


Avell&na-Studien.  53 

haften  Charakter  dieser  Ausführungen  macht  es  sicher,  dass 
wir  es  hier  mit  einem  Schriftstück  zu  thun  haben,  das  über- 
haupt nicht  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmt  war,  sondern  das 
der  Papst  nur  zu  eigenem  Gebrauch  dictirte,  um  die  wesent- 
lichen Punkte,  auf  die  es  bei  der  Gesandtschaft  ankam,  in 
knapper  Form  vor  Augen  zu  haben.  Man  vergleiche  ferner 
die  Briefe  173  und  175  mit  einander.  Beide  sind  überschrieben 
Hormi&da  Dioscoro  diacono,  beide  stimmen  nicht  nur  in  den 
Anfangsworten,  sondern  überhaupt  in  den  meisten  Partien  so 
gut  wie  wörtlich  überein.  Was  sie  unterscheidet,  ist  einmal 
der  Umstand,  dass  sich  in  173  eine  Anweisung  findet  über 
die  Behandlung  derer,  die  auch  schriftlich  die  Beschlüsse  von 
Chalcedon  verdammt  haben  (§.  1),  und  dass  diese  Anweisung 
in  175  fehlt;  statt  dessen  hat  in  175  ein  längerer  Passus  Auf- 
nahme gefunden,  in  dem  Hormisda  dem  Dioscorus  als  Be- 
lohnung für  seine  treuen  Dienste  eine  Beförderung  in  Aussicht 
stellt.  Dass  beide  Briefe  mit  ihrem  im  Uebrigen  völlig  gleichen 
Wortlaut  in  der  That  an  Dioscorus  abgegangen  sind,  ist  un- 
denkbar; man  wird  vielmehr  annehmen  müssen,  dass  wir  in  173 
nur  den  Entwurf  eines  Schreibens  vor  uns  haben,  das  aus  irgend 
welchen  Gründen  dann  nicht  in  dieser,  sondern  in  der  leicht 
veränderten  Form  175  abgesandt  ist.  Bestätigt  wird  diese 
Annahme  durch  den  Umstand,  dass  n.  175  am  Schluss  ein 
vollständiges  Datum  trägt,  n.  173  nur  das  Wort  Data  ohne 
Ausfüllung  des  Tages. 

Als  charakteristisch  für  den  Ursprang  der  Hormisdabriefe 
aus  den  päpstlichen  Registern  betrachte  ich  auch  die  Hinzu- 
fugung  der  Namen  der  Ueberbringer  bei  manchen  dieser  Briefe. 
Von  den  27  Schreiben,  die  eine  solche  Notiz  tragen,  geben  5 
den  Namen  des  Boten  am  Schluss,1  und  zwar  n.  108  nach 
dem  Datum,  n.  107  und  136  an  die  Acceptnotiz  angefügt, 
n.  105  und  166  in  die  Acceptnotiz  eingeschaltet.  In  den  übrigen 
22  Nummern  (110—115.  11?.  118.  120—127.  144.  149.  167. 
191.  192.  230)  steht  der  Vermerk  nicht  am  Schluss,   sondern 

1  Die  päpstliche  Kanzlei  hat  hier,  wie  fast  Überall,  den  Kanzleigebrauch 
der  Staatsbehörden  übernommen;  eine  Botenbezeichnnng  am  Schluss  des 
Briefes  zeigt  z.  B.  in  dem  ersten  Theil  der  Avellana  n.  18  (Data  XVIII 
Kai.  Feb.  per  Aptkonium) ,  wo  dieselbe  in  der  Kanzlei  des  Stadtpräf ecten 
hinzugefügt  ist 


54  V    Abkaadlanf:    Günther. 

zu  Anfang  des  Briefes,  und  zwar  stets  hinter  der  gekürzten 
Adresse ,  also  z.  B.  110  Hormisda  Anastasio  Augusto.  Per 
Severianum,  230  Exemplum  relationis  PoBsessoris  episcopi  Afri. 
Per  Iustinum  diaconum  eins.  Dass  diese  Botennotizen  nicht 
von  dem  Absender  herrühren,  liegt  ja  schon  deswegen  auf 
der  Handy  weil  sie  stets  nur  an  die  fingirten  Kurztitel  an- 
geschlossen sind;  dass  sie  nicht  von  dem  Sammler  aus  dem 
Inhalt  der  Briefe  erschlossen  und  zugesetzt  sind,  zeigen  die 
Angaben  bei  123  per  Iohannem  diaconum  eins  und  191  per 
fratrem  Proemptoris,  denn  beide  Namen  kommen  im  Text  der 
Briefe  selbst  nicht  vor.  Also  sind  auch  diese  Notizen  Zusätze 
der  päpstlichen  Kanzlei.1  Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  diese 
Botenbezeichnungen  in  V  zwar  auch  von  erster  Hand,  aber 
doch  in  kleinerer,  von  dem  übrigen  Ductus  abweichender  Schrift 
geschrieben  sind,  und  ferner,  dass  sie  oft  entweder  ganz  oder 
doch  theilweise  auf  dem  Rande  der  Handschrift  stehen.  Das 
Letztere  scheint  auch  schon  in  einem  älteren  Archetypus  von  V 
der  Fall  gewesen  zu  sein,  denn  hieraus  wäre  es  leicht  zu  er- 
klären, dass  die  Botenbezeichnung,  die  hinter  die  Ueberschrift 
von  n.  123  gehört,  in  unserem  Vaticanus  fälschlich  hinter  die 
letzten  Worte  von  n.  122,  und  demgemäss  die  Notiz,  die  einst 
hinter  der  Ueberschrift  von  n.  124  stand,  hinter  das  Datum 
von  n.  123  gerathen  ist.2 

Noch  ein  weiteres  Merkmal  für  den  Ursprung  aus  der 
päpstlichen  Kanzlei:  es  ist  das  der  Umstand,  dass  manche 
Ueberschriften  oder  Daten  nicht  völlig  ausgeführt  sind,  sondern, 
um  zu  kürzen,  auf  andere  vorangegangene  Bezug  nehmen.  So 
ist   z.  B.  n.  220   überschrieben  Hormisda   quibus  supra,   d.  h. 


1  Wir  haben  demnach  auch  die  Leobriefe  51  and  62  (am  8chlnsa:  Per 
Füoxenum  agentem  in  rebus)  und  mit  ihnen  natürlich  auch  53 — 66  mittel- 
bar oder  unmittelbar  auf  das  päpstliche  Register  zurückzuführen ,  wofür 
überdies  die  bekannte  Kurzform  der  Ueberschrift  spricht  (vgl.  z.  B.  51 :  Leo 
episcopus  Leoni  Augusto),  Ebenso  ist  das  papstliche  Register  als  letzte 
Quelle  anzunehmen  für  die  Simpliciusbriefe  56—69,  die  dieselbe  kurze 
Form  der  Ueberschrift  zeigen  und  von  denen  wenigstens  ein  Theil 
(62 — 66  und  68)  auch  die  Botenbezeichnung  zu  Anfang  oder  am  Schluss 
in  V  oder  B  oder  in  beiden  Handschriften  aufweist  (n.  60  auch  in  dem 
von  mir  für  diesen  einen  Brief  herangezogenen  Miscellancodex  Vatic. 
lat.  1844,  saec.  X). 

9  Vgl.  meine  »Beitrage1  8.  12  f. 


ATell*n*-Stndien.  55 

den  in  der  Ueberschrift  von  n.  219  genannten  päpstlichen  Ge- 
sandten Germanus  Johannes  u.  s.  w.;  ebenso  n.  221  Hormisda 
legatis  nostris  quibus  supra  f  n.  228  Hormisda  quibus  supra. 
Noch  häufiger  ist  die  gleiche  Erscheinung  in  den  Daten,  so 
n.  221  Data  eodem  die,  172  Data  (die)  quo  supra  consule 
supra  scripta.  Allein  diese  Ruckweise  beziehen  sich  keineswegs 
immer  auf  das  Datum  desjenigen  Briefes,  der  in  der  Avellana 
gerade  unmittelbar  vorangeht.  So  steht  am  Ende  von  n.  128 
Data  ut  supra:  der  Brief  ist  vom  3.  April,  der  vorhergehende 
n.  127  dagegen  vom  12.  April  517. 1  Solche  Fälle  sind  sehr 
bezeichnend:  sie  beweisen  einmal,  dass  jene  Ausdrucksweise 
nicht  etwa  auf  die  Bequemlichkeit  des  Redactors  der  Samm- 
lung zurückzuführen  ißt,  sondern  sich  bereits  in  seiner  Quelle, 
den  päpstlichen  Registern,  vorfand;  sodann  aber,  dass  die 
Reihenfolge  der  Briefe  in  diesen  vielfach  eine  andere  war,  als 
sie  uns  heute  in  der  Avellana  entgegentritt. 

Wie  diese  päpstlichen  Briefregister  ausgesehen  haben, 
darüber  kann  heute,  meine  ich,  kaum  noch  ein  Zweifel  be- 
stehen:* es  waren  richtige  Copialbücher.  Nur  bei  der  Annahme 
von  Buchform  findet  das  in  den  soeben  genannten  Notizen  vor- 
kommende supra  seine  Erklärung.  Dabei  ist  natürlich  nicht 
ausgeschlossen,  dass  nebenher  auch  noch  die  Originale  der  ein- 
gelaufenen Schreiben  wenigstens  theilweise  aufbewahrt  werden 


1  Ebenso  ist  es  mit  folgenden  Fällen:  n.  171  (nach  dem  8.  December  519) 
Data  (die)  quo  supra:  n.  170  vom  9.  Juli  619;  n.  174  (9.  Juli  519) 
Data  die  quo  (supra):  n.  173  ein  nicht  abgesandter  Entwurf  zu  n.  175 
(3.  December  619);  n.  175  (3.  December  519)  Data  die  (quo)  supra: 
n.  174  vom  9.  Juli  619;  n.  176  (9.  Jnli  519)  Data  die  quo  (supra):  n.  176 
vom  3.  December  519;  n.  216  (empfangen  am  19.  Juni  619)  Accepta 
die  quo  supra:  n.  214  ist  sicher  etwa  vier  Wochen  vor  dem  19.  Juni  in  Rom 
eingetroffen.  —  Ich  bemerke  beiläufig,  dass  im  Vaticanus  V  die  Subscription 
die  quo  supra  durchweg  abgekürzt  mit  d  (oder  di)  ? /wiedergegeben  ist  und 
dass  von  diesen  drei  Buchstaben  durch  Schuld  des  Abschreibers  fast  jedes- 
mal einer  ausgelassen  ist.  Doch  kann  an  der  Richtigkeit  der  Ergänzung 
kein  Zweifel  sein;  am  Ende  von  n.  216  ist  das  die  qf  vollständig  erhalten. 

9  Ausser  Bresslau's  oben  citirter  Abhandlung  ist  besonders  De  Rossi's  Ein- 
leitung zum  1.  Band  des  Katalogs  der  vaticanischen  Palatini  latini  zu 
vergleichen.  Die  späteren  Untersuchungen  Ewald's  und  Pflugk-Harttung's 
Über  die  päpstlichen  Register  betreffen  durchweg  eine  jüngere  Zeit,  und 
man  muss  sich  hüten,  schon  Einrichtungen  des  Registers  von  Gregor  I. 
ohneweiteres  auf  die  ältere  Zeit  zu  übertragen. 


56  ▼•  Abhandlung:    Günther. 

mochten.  Was  die  Schriftstücke  der  Päpste  selbst  angeht, 
so  kann  man  darüber  zweifeln,  ob  es  die  Concepte  waren,  die 
in  die  Register  eingetragen  wurden,  oder  Abschriften  der  aus- 
gefertigten Originalbriefe.  Im  Allgemeinen  hat  man  das  erstere 
angenommen,  und  gewiss  mit  Recht.  Schon  das  Fehlen  der 
ausführlichen  Anrede  sowie  der  gewöhnlichen  eigenhändigen 
Subscription  des  Papstes:  Dens  te  incolumem  custodiat  frater 
carissime,  spricht  dafür,  obgleich  dieser  Umstand  allein  nicht 
durchschlagend  ist,  denn  beides  könnte  ja  von  dem  päpstlichen 
Notar  beim  Copiren  stets  mit  Absicht  abgeändert,  beziehungs- 
weise fortgelassen  sein.  Wichtiger  ist  der  Umstand,  dasB  manche 
von  den  Schriftstücken  des  Hormisda,  wie  wir  gesehen  haben, 
offenbar  niemals  über  den  Zustand  des  Concepte  hinausge- 
kommen, d.  h.  in  Wahrheit  nie  verschickt  sind.  Nicht  un- 
wichtig ist  in  dieser  Beziehung  auch  Brief  231,  ein  Schreiben 
des  Hormisda  an  den  Bischof  Possessor.  Wir  haben  für  dies 
Stück  eine  Parallelüberlieferung  zur  Avellana,  da  der  Brief 
auch  unter  den  Schriften  des  Johannes  Maxentius  erhalten  ist 
(vgl.  darüber  p.  LXXXVH  meiner  Prolegomena).  Diese  Parallel- 
überlieferung weicht  von  der  Avellana  nun  nicht  allein  darin  ab, 
dass  sie  die  ausführliche  Anrede  und  die  päpstliche  Subscription 
Dens  te  incolumem  etc.  aufweist,  sondern  auch  in  einzelnen 
Lesarten  innerhalb  des  Textes.  So  liest  die  Avellana  699  3 ff.: 
haec  ideo  dilectioni  vestrae  indicanda  mb  occasione  credidimus, 
ne,  8i  illuc  fuerint  forte  delati,  ignorantes,  quemadmodum  se 
in  Romana  urbe  tractaverint,  sub  aliqua  verborum  simulatione 
deciperent;  die  Parallelüberlieferung  hat  statt  deciperent  da- 
gegen posßint  aliquos  decipere.  Beide  Lesarten  sind  gut,  und 
es  ist  nicht  einzusehen,  wie  durch  Verschulden  von  Abschreibern 
die  eine  aus  der  anderen  hätte  entstanden  sein  sollen.  Die 
Avellana  gibt  uns  hier  vielmehr  die  Worte  des  Concepts,  die 
Parallelüberlieferung  bei  Maxentius  die  leicht  abgeänderten  des 
Originals.  Wir  werden  also,  wie  es  von  anderer  Seite  für  die 
Registerbücher  späterer  Päpste  wiederholt  nachgewiesen  ist,  so 
auch  für  das  Register  des  Hormisda  den  Grundsatz  aufstellen 
können,  dass  es  bei  seinen  eigenen  Briefen  im  Wesentlichen 
die  Concepte  waren,  die  in  sie  eingetragen  wurden.  Als  Ab- 
schrift einer  päpstlichen  Originalausfertigung  ist  mit  einiger 
Sicherheit    nur    n.  239    anzusehen,    wo    am   Ende    die  Worte 


AYellana-ßtudien.  57 

stehen  ET  MANU  PAPAE:  Suseepimus  calicem  aureum  gem- 
matum  .  .  .  et  vela  duo  .  .  .  a  caritate  tua  direeta,  denn  dass 
der  Papst  diese  Empfangsbestätigung  eigenhändig  bereits  dem 
Concept  angefügt  haben  sollte,  ist  kaum  glaublich. 

Wie  vorsichtig  man  übrigens  darin  sein  muss,  aus  der 
Vollständigkeit  der  Adresse  und  dem  Vorhandensein  der  päpst- 
lichen Schlusssubscription  für  ein  Schriftstück  folgern  zu  wollen, 
es  sei  Abschrift  der  Originalausfertigung ,  dafür  bietet  gerade 
die  Avellana  oder  vielmehr  ihre  Parallelüberlieferung  zwei  lehr* 
reiche  Beispiele.  Auf  das  eine  habe  ich  bereits  in  den  Prole- 
gomena  meiner  Ausgabe  hingewiesen  (p.  LXXVTUff.).  Die 
Briefe  159  des  Johannes  von  Constantinopel,  160  des  Justin, 
236  und  237  des  Hormisda  sind  auch  in  der  Hispana  über- 
liefert, und  zwar  sind  sie,  wie  wir  aus  anderen  Schreiben  des 
Hormisda  wissen,  nach  Spanien  gekommen  in  Abschriften,  die 
der  Papst  selbst  dorthin  sandte.  Dass  diese  Abschriften  nicht 
von  den  Originalen  genommen  sind,  sondern  von  dem  Text 
der  Copialbücher,  ist  an  und  für  sich  wahrscheinlich  und  wird 
ausserdem  dadurch  bewiesen,  dass  Avellana  und  Hispana  einige 
Corruptelen  gemeinsam  haben,  die  auf  den  mit  Uebertragung 
der  Schriftstücke  in  das  Copialbuch  betrauten  päpstlichen  Notar 
zurückgehen.  Trotzdem  zeigt,  während  V  in  n.  236  und  237  die 
bekannte  dem  Register  eigentümliche  Kurzform  der  Adresse 
giebt,  die  Hispana  in  beiden  Fällen  die  ausführliche  Anrede 
(vgl.  Proleg.  p.  LXXVII).  Auffallen  kann  dies  nicht;  sollte  näm- 
lich von  den  im  Copialbuch  eingetragenen  Concepten  später 
irgendwie  amtlich  Gebrauch  gemacht  werden,  so  lag  es  auf 
der  Hand,  dass  man  in  den  Abschriften  dieser  Concepte  alles 
das,  was  speeifische  Eigentümlichkeit  des  Copialbuches  war, 
beseitigte  und  daher  auch  statt  der  nur  der  Bequemlichkeit 
entsprungenen  Kurzform  der  Anrede  die  thatsächliche  officielle 
Form  der  Adresse  substituirte.  Das  andere  Beispiel  zeigt  uns 
die  griechische  Uebersetzung  der  beiden  Briefe  des  Hormisda 
n.  140  an  die  Geistlichkeit  von  Syria  seeunda  und  237  an  Epi- 
phanius  von  Constantinopel.  Diese  Briefe  wurden  im  Jahre  536 
in  Constantinopel  auf  der  Synode  gegen  Anthimus  verlesen, 
und  zwar  verlas  zuerst  Menas,  der  csxovvdoxrjQiog  voxaquav  xov 
änooTofaxov  $Qdvov  den  lateinischen  Text  'ix  xtav  TtaQ*  afooTg 
ÜMuir,   sodann  der  voxdqiog  nai  oyxQrjTdQiog  Christophoros  die 


58  V.  Abhandlung:    G  tut  her. 

griechische  Uebersetzung,  welche  dann  in  die  Acten  der  Synode 
aufgenommen  ist  (Mansi  VIII,  1022  ff.).  Dass  den  päpstlichen 
Beamten  damals  in  Byzanz  nicht  die  Originalausfertigungen 
der  beiden  Briefe  zur  Verfügung  standen,  liegt  auf  der  Hand; 
die  naq  ctitolg  äitra  waren  sicher  nichts  als  ein  Auszug  aus 
dem  Copialbuch.  Vergleichen  wir  aber  den  griechischen  Text 
mit  dem  lateinischen  der  Avellana,  so  sehen  wir,  dass  nicht  nur 
in  der  Ueberschrift  von  n.  140  die  Kurzform  Hormisda  pres- 
byteris  diaconibus  et  archimandritis  secundae  Syriae  in  der 
griechischen  Uebersetzung  durch  eine  vollständige  Anrede  er- 
setzt  ist  fOQuiodag  initrxonog  itQsoßvt€QOtg  Sianuivoig  xai  dggt- 
fiavÖQiTaig  xolg  h  devriqcjc  2vqlq  oioi  xai  komoZg  ÖQdvd6^oig  h 
oupörptors  dvarokuujfr  xkiyuni  diayovoi  xai  i*  rfj  tfjg  ä7too%oXauj$ 
xa&iÖQag  xotvcovia  diafibovaiv)  ,l  sondern  dass  auch,  um  die 
Fiction,  die  Uebersetzung  sei  nach  der  Originalausfertigung 
gemacht,  in  jeder  Beziehung  aufrecht  zu  erhalten,  vor  dein 
Datum  die  päpstliche  Subscriptio  eingefügt  ist:  KAI  ETEPAl 
XEIPI  '  lO  &8ÖQ  i>(iäg  bytabortag  duxqwld^ai,  rixva  <fyani]tä. 
Aehnlich  ist  es  bei  dem  zweiten  zur  Verlesung  gekommenen 
Stück,  bei  n.  237 ;  auch  hier  giebt  die  Uebersetzung  am  Schluss 
die  Subscriptio  des  Papstes:  KAI  AAAHl  XEIPI  •  lO  &eög  oe 
byifj  diacpvkaTTOi ,  ddekpi  rifudnars,  während  man  die  Kurz- 
form der  Adresse  'OQpiodag  'Ertupavup  iiziax67tq>  Ksavaxavxivov- 
ndXswg  in  diesem  Falle  beibehalten  hat. 

Die  Copialbücher,  um  auf  diese  zurückzukommen,  ent- 
hielten also  Abschriften  der  beim  päpstlichen  Stuhle  eingelau- 
fenen Originalschreiben  und  Abschriften  der  päpstlichen  Con- 
cepte,  in  selteneren  Fällen  der  päpstlichen  Originale.  Daraus, 
dass  unter  Bonifatius  IL  einmal  von  ecclesiastici  annale*  die 
Rede  ist,  hat  man  schliessen  wollen,  dass  für  jedes  Jahr  ein 
besonderer  Tomus  angelegt  gewesen  sei.  Ich  halte  das  für  die 
Zeit  des  Hormisda  nicht  gerade  für  wahrscheinlich,  da  wohJ 
sonst   schwerlich    in    der   Avellana   so    häufig    ein   Hinundher- 


1  Den  Zusatz  xai  loinotg  .  .  .  iutfiivovaiv  halte  ich  für  eine  willkürliche 
Erweiterung  der  Uebersetzer.  Die  Adresse  der  Originalausfertigung  wird 
einfach  gelautet  haben  Büectissimis  fratribus  presbyteri*  diaconibus  et 
archxmandriUt  per  secundam  Syriern  eonatUuUs  Hormiada  episcopu*  (vgl. 
die  Originalbriefe  des  Hormisda  in  der  Hispana  n.  24—26.  142.  143 
bei  Thiel). 


ATelUuM-Stadien.  59 

springen  von  einem  Jahr  zum  anderen  vorkommen  würde,  wie 
es  thatsächlich  vorkommt.1  De  Rossi  hat  ferner  die  Ansicht 
aasgesprochen  und  die  Anderen  sind  ihm  darin  gefolgt,  dass  in 
den  Bänden  die  einzelnen  Stücke  nnmerirt  gewesen  wären. 
Aach  hierfür  fehlt,  soweit  ich  sehe,  jeder  Anhaltspunkt:  die 
Schriftstücke,  auf  die  De  Rossi  seinen  Schluss  gründete,  sind 
die  Zosimushriefe,  von  deren  Numerirung  oben  S.  22  die  Rede 
gewesen  ist;  allein  wir  haben  gesehen,  dass  diese  überhaupt 
nicht  ans  den  päpstlichen  Registern  stammen  und  die  Zahlen 
dort  auf  eine  ganz  andere  Quelle  zurückgehen.  Innerhalb 
der  Copialbücher  wird  naturgemäße  eine  chronologische  Folge 
der  Schriftstücke  stattgehabt  haben,  d.  h.  chronologisch  inso- 
weit, als  sie  eingetragen  wurden  nach  den  Tagen,  an  denen 
sie  in  Rom  entweder  concipirt,  beziehungsweise  abgesandt 
wurden  oder  dort  von  auswärts  einliefen.  Ein  Schreiben  des 
Justin  vom  2.  März  519,  um  einen  Fall  zu  fingiren,  wird  also 
nicht  seine  Stelle  unmittelbar  hinter  einem  Briefe  des  Uormisda 
vom  1.  März  desselben  Jahres  erhalten  haben,  sondern,  wenn 
es  am  15.  April  einlief,  eben  unter  den  Schriftstücken  des 
15.  April  in  den  Tomus  eingetragen  sein. 

Der  Collector  unserer  Sammlung  hat  diese  in  der  Natur 
des  Copialbuches  liegende  Reihenfolge  zum  grossen  Theil  bei- 
behalten ;  die  an  Hormisda  gerichteten  Briefe  stehen  durchweg 
nicht  an  der  Stelle,  an  die  sie  dem  Tage  ihrer  Absendung 
nach  hingehörten,  sondern  an  der,  die  durch  das  Datum  des 
Einlaufes  gegeben  wird.  Manche  Reihen  des  Briefwechsels 
bringen  in  dieser  Beziehung  die  chronologische  Folge  ziemlich 
tadellos  zum  Ausdruck.  Allein  es  kommen  doch  sehr  viel  Ab- 
weichungen vor,  wie  jeder  selbst  sehen  kann,  der  sich  einmal 


1  Ein  anderes  dürfte  vielleicht  zu  erwägen  sein.  Ich  halte  es  nicht  für 
wahrscheinlich,  dass  in  älterer  Zeit  die  gesammte  Correspondenz  des 
Papstes  in  ein  und  dasselbe  Copialbuch  eingetragen  ist,  sondern  glaube, 
dass  es  deren  mehrere  gegeben  hat,  die  nach  dem  Inhalt  und  ganzen 
Charakter  der  Briefe  von  einander  gesondert  waren.  Ich  denke  in  dieser 
Beziehung  besonders  an  die  Briefe  Qelasius'  I.,  die  uns  in  der  Collectio 
Britannica  erhalten  sind  und  die,  direct  oder  indirect,  sicher  auf  das 
Register  des  Gelasius  zurückgehen.  Alle  diese  Briefe  tragen  einen,  ich 
mochte  sagen  internen  Charakter  und  haben  mit  der  grossen  Politik 
nichts  zu  thun. 


60  V.  Abhandlung:    Günther. 

an  der  Hand  der  von  mir,  Beiträge,  S.  45  ff.,  gegebenen  Tabelle 
eine  andere  aufstellt,  in  der  er  die  Reihenfolge  der  AveU&na 
beibehält  und  darin  jeden  Brief  des  Hormisda  mit  dem  über- 
lieferten oder  durch  Vermuthung  erschlossenen  Abgangsdatum, 
die  Briefe  an  Hormisda  dagegen  in  gleicher  Weise  mit  dem 
Einlaufsdatum  versieht.  Im  Grossen  und  Ganzen  betrachtet, 
steigen  in  einer  solchen  Tabelle  die  Daten  richtig  von  März 
515  bis  etwa  in  den  Juni  521  herunter,  allein  es  kommen 
nicht  nur  innerhalb  eines  und  desselben  Jahres  manche  Ver- 
schiebungen vor,  sondern  auch  grössere,  durch  welche  Briefe 
verschiedener  Jahre  stark  durcheinander  gewürfelt  werden. 
Kleinere  Abweichungen  von  der  zeitlichen  Reihenfolge  mögen 
ja  auch  in  dem  Copialbuch  stattgefunden  haben,  besonders  in 
Folge  verspäteter  Eintragung;  die  grösseren  jedoch  werden 
wir  nicht  dem  Copialbuch,  sondern  dem  Collector  unserer  Samm- 
lung zur  Last  legen  müssen. 

Wie  ist  dies  zu  erklären  ?  Vor  Allem  jedenfalls  dadurch, 
dass  der  Collector  offenbar  nicht  die  Absicht  hatte,  Alles  auf- 
zunehmen, was  das  Register  ihm  darbot.  Denn  sonst  wäre 
schwer  ein  Grund  ausfindig  zu  machen,  warum  er  von  der  ihm 
vorliegenden  Ordnung  abgewichen  sein  sollte.  Dass  es  aber 
wirklich  eine  grosse  Reihe  von  Briefen  an  und  von  Hormisda 
gegeben  hat,  die  wir  nicht  mehr  besitzen,  dafür  habe  ich  in 
den  ,Beiträgen'  hinreichend  Beweise  gegeben,  und  selbstver- 
ständlich ist,  dass  diese  ebenso  gut  in  dem  Register  standen 
wie  die  uns  erhaltenen.  Der  Collector  wählte  also  aus,  und 
zwar  vor  Allem  wohl  auf  Grund  der  grösseren  oder  geringeren 
Bedeutung,  die  er  dem  Inhalt  der  einzelnen  Schriftstücke  bei- 
mass.  Dass  bei  einem  solchen,  ich  möchte  sagen  springenden 
Verfahren  die  chronologische  Reihenfolge  dann  oft  und  stark 
durchbrochen  wurde,  kann  nicht  gross  Wunder  nehmen.  So 
ist  es  denn  auch  zu  erklären,  dass  ein  Brief,  der  mit  seinein 
Data  die  quo  supra  im  Register  selbst  sich  in  richtiger  Weise 
auf  den  vorangehenden  bezog,  in  der  Avellana  heute  isolirt 
dasteht,  indem  der,  welcher  vor  ihm  stand,  entweder  über- 
haupt nicht  oder  doch  an  anderer  Stelle  aufgenommen  wurde. 

Ein  recht  bezeichnendes  Beispiel  für  diese  Thätigkeit  des 
Collectors,  die  darin  besteht,  dass  er  nicht  der  Reihe  nach  ab- 
schreibt, was  ihm  vorliegt,  sondern  das  Copialbuch  durchblättert 


AYellana-Stodien.  61 

und  bald  von  dieser,  bald  von  jener  Stelle  nimmt,  was  er  sucht 
oder  was  ihm  des  Nehmens  werth  erscheint,  ein  recht  bezeich- 
nendes Beispiel  hiefür,  sage  ich,  bietet  uns  n.  116b.  n.  116 
ist  ein  sogenannter  Indiculus  —  Instruction  würden  wir  sagen 
—  ftir  die  päpstlichen  Gesandten  Ennodius,  Fortunatus,  Venan- 
tiuß,  Vitalis  und  Hilarus,  die  mit  einer  vom  11.  August  515 
datirten  Sendung  von  Schreiben  des  Hormisda  nach  Constan- 
tinopel  abgehen,  um  den  Frieden  mit  Kaiser  Anastasius  wieder- 
herzustellen. Ueber  ihr  Verhalten  den  orientalischen  Bischöfen 
gegenüber  giebt  der  Papst  ihnen  unter  Anderem  folgende  An- 
weisung (§  23):  Si  cum  dei  adiutorio  episcopi  uoluerint  se 
adcommodare  sedi  apostolicae,  habetis  textum  libelli  ex  scrinio 
ecclesiae  editum,  iuxta  quem  debeant  prqfiteri.  Der  hier  er- 
wähnte libellus  ist  das  bekannte  in  der  Correspondenz  des 
Hormisda  so  oft  auftretende  Schriftstück,  das  mit  den  Worten 
beginnt:  Prima  salus  est  rectae  fidei  regulam  custodire.  Die 
Unterzeichnung  dieser  Erklärung  ist  es  ja,  die  Hormisda  von 
den  orientalischen  Bischöfen  wieder  und  wieder  verlangt  und 
zur  hauptsächlichsten  Vorbedingung  der  Versöhnung  macht. 
Auf  n.  116  folgen  dann  zunächst  in  116*  die  Capitula  singu- 
larum  causarum,  von  denen  oben  S.  52  die  Rede  gewesen  ist; 
auch  in  ihnen  bezieht  sich  der  Papst  auf  den  Libellus,  den  er 
den  Gesandten  mitgegeben  hat  (p.  520  12  secundum  textum  li- 
belli, quem  per  notarios  nostros  edidimus).  Hieran  schliesst 
sich  in  n.  116b  unter  der  Ueberschrift  Exemplum  libelli  per 
Ennodium  et  Fortunatum  episcopos  Venantium  presbyterum 
Vitalem  diaconum  et  Hilarum  notarium  der  Text  jener  Glau- 
bensformel. An  und  für  sich  möchte  man  nun  annehmen,  dass 
dies  Schriftstück  an  der  Stelle,  die  es  in  der  Avellana  ein- 
nimmt, auch  in  dem  Copialbuch  eingereiht  gewesen  wäre; 
würde  es  doch  dem  ganzen  Zusammenhang  nach  durchaus 
dorthin  gepasst  haben.  Allein  dem  ist  nicht  so.  Der  Schluss 
von  n.  116b  lautet  folgendermassen :  harte  autem  professionem 
meam  manu  propria  subscripsi  et  tibi  Hormisdae  saneto  et  ve- 
nerabili  papae  urbis  Romae  obtuli  die  XV.  Kai.  April.  Agapito 
v.  c.  cons.  Das  Schriftstück,  das  uns  hier  vorliegt,  ist  also 
nicht  etwa  ein  einfaches  Formular,  wie  es  die  Gesandten  mit 
sich  nahmen  und  wie  es  daher  allenfalls  an  dieser  Stelle  im 
Copialbuch  hätte   aufgenommen   werden  können,    sondern   ein 


62  ▼.  Abhärtung:    Gtntber. 

ganz  bestimmtes  Exemplar,  das  von  irgend  Jemand  die  XV 
Kai.  April.  Agapito  cons.,  d.  h.  am  18.  März  517  ausgefertigt 
nnd  dann  dem  Papst  wieder  zugestellt  ist.  Diese  Ausfertigung 
hat  natürlich  in  dem  Copialbuch  nicht  an  dieser  Stelle  nach 
116*  gestanden,  sondern  viel  später,  nämlich  dort,  wohin  sie 
nach  der  Zeit  ihres  Einlaufens  in  Rom  gehörte.  Der  Sammler 
hat  also,  da  er  an  dieser  Stelle  im  Copialbuch  den  Text  des 
libellu8,  auf  den  n.  116  und  116»  Bezug  nehmen,  nicht  vor- 
fand, ihn  aber  doch  aus  sachlichen  Gründen  hier  erwartete 
und  wünschte,  in  dem  Copialbuch  weiter  geblättert,  bis  er 
unter  den  eingelaufenen  Schreiben  etwa  des  April  517  das, 
was  er  suchte,  vorfand,  und  hat  dann  eine  Abschrift  hiervon 
unter  Beibehaltung  des  Datums  an  die  Capitula  singidarum 
causarum  angehängt.  Für  die  Ueberschrift  von  116b  ergiebt 
sich  hieraus,  dass  zum  Mindesten  die  Worte  per  Ennodium . . . 
et  Hilarum  notarium  hier  nicht  aus  der  Quelle  herübergenommen 
sind,  da  Ennodius  in  Begleitung  der  übrigen  hier  genannten 
Fortunatus,  Venantius,  Vitalis  und  Hilarus  nur  einmal  im  Orient 
war,  Herbst  bis  Winter  515.  Die  Botenbezeichnung  stammt 
hier  vielmehr  von  dem  Collector,  der  an  dieser  Stelle  nichts 
als  das  Formular  zu  geben  beabsichtigte,  das  Ennodius  und 
Genossen  im  August  515  mit  sich  nahmen,  und  daher  an  die 
Worte  Exemplum  libelli,  die  er  an  jener  späteren  Stelle  des 
Copialbuches  als  Anfang  der  Ueberschrift  dieses  Stückes  ge- 
funden haben  mochte,  dieselbe  Botenbezeichnung  per  Ennodium 
et  Fortunatum  etc.  anschloss,  die  ihm  seine  Quelle  kurz  vorher 
in  dem  Titel  von  n.  116  selbst  darbot. 

Dem  auswählenden  Verfahren  des  Collectors  wird  man 
an  dieser  Stelle  —  abgesehen  von  dem  irrthümlich  beibehal- 
tenen späteren  Datum  —  seine  Zustimmung  nicht  versagen 
können.  An  anderen  Stellen  ist  er  offenbar  mit  weniger  Be- 
dacht verfahren  und  hat  sich  rein  vom  Zufall  leiten  lassen,  so 
dass  sich  heute  Gründe  dafür,  warum  dieser  oder  jener  Brief 
von  seiner  durch  die  Chronologie  gebotenen  Stelle  entfernt  ist 
und  nun  an  einem  ganz  anderen  Orte  erscheint,  kaum  an- 
führen  lassen. 

Ausser  durch  die  grössere  oder  geringere  Wichtigkeit  der 
einzelnen  Stücke  hat  sich  der  Collector  in  seinem  Verfahren 
zum  Mindesten  in  einem  Falle  noch  durch  eine  andere  Rück- 


ATftllana  -Stadien.  63 

sieht  bestimmen  lassen:  er  hat  Schriftstücke  fortgelassen,  weil 
eine  Abschrift  davon  bereits  in  seinem  Besitz  war.  Wir  werden 
zu  dieser  Erkenntniss  geführt  durch  eine  Notiz,  die  in  der 
AveUana  zwischen  n.  240  und  241  überliefert  ist.  n.  240  ist, 
ebenso  wie  die  vorangehenden  n.  236 — 239,  ein  Brief  des  Hor- 
misda  vom  26.  März  521  in  Sachen  der  nach  Rom  gekommenen 
kaiserlichen  Gesandtschaft  des  Johannes  von  Claudiopolis  und 
Genossen;  n.  241,  ein  Schreiben  des  Justin  vom  1.  Mai  des- 
selben  Jahres,  betrifft,  ebenso  wie  das  folgende  Stück  n.  242, 
die  Abdankung  des  Bischofs  Paulus  von  Antiochien.  Zwischen 
beiden  findet  sich  nun  in  V  von  erster  Hand  die  Notiz:  Gesta 
in  causa  Abundantii  episcapi  Traia(no)politani  in  scrinio  ha- 
bemus.  Dieser  Abundantius  von  Trajanopolis  ist  uns,  von  dieser 
Stelle  abgesehen,  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bekannt.  Mit 
dem  Inhalt  von  n.  240  hat  diese  Notiz  ebenso  wenig  etwas  zu 
thun,1  wie  mit  dem  von  241.  Wie  ist  sie  also  zu  erklären? 
An  und  fllr  sich  sind  zwei  Möglichkeiten  denkbar:  entweder 
haben  die  Worte  bereits  in  der  Quelle  der  Avellana  gestanden, 
d.  h.  in  dem  Copialbuch,  oder  aber  sie  rühren  erst  von  dem 
Collector  selbst  her.  Im  ersten  Falle  würden  wir  annehmen 
müssen,  dass  der  päpstliche  Notar  eigentlich  beabsichtigte,  an 
dieser  Stelle  des  Copialbuches  die  Gesta  in  causa  Abundantii 
einzureihen,  jedoch  aus  praktischen  Gründen  davon  abstand 
and  sich  damit  begnügte,  durch  jene  Notiz  auf  die  Stelle  zu 
verweisen,  wo  sie  zu  finden  wären,  auf  das  scrinium.  Gegen 
diese  Erklärung  der  Worte  spricht  aber,  wie  mir  scheint,  ein 
so  schwerwiegender  Grund,  dass  sie  kaum  die  richtige  sein 
dürfte.  Denn  wenn  die  Gesta  in  causa  Abundantii  sich  in 
scrinio  befanden,  so  war  die  übrige  Correspondenz  des  Hör- 
misda,  die  die  Avellana  uns  erhalten  hat,  d.  h.  das  von  ihr 
benutzte  Copialbuch  nicht  in  scrinio  sedis  apostolicae.  Aber 
wo  soll  das  Copialbuch  sonst  gewesen  sein?  Man  könnte  an 
einen  Gegensatz  von  päpstlichem  Archiv  (scrinium)  und  päpst- 
licher Bibliothek  denken,  allein  dafür  fehlt  in  dieser  älteren 
Zeit  jeder  Anhalt.  Die  Ansicht,  dass  auch  die  Copialbücher 
einen  Theil  des  scrinium  gebildet  haben ,   ist  kaum  abzuweisen 


1  Mit  Unrecht  bezeichnet  sie  also  Bresslau,  Urkundeulehre  I  122,  Anm.  3 
als  »Nachschrift*  zu  dem  vorhergehenden  Stücke. 


64  ▼.  Abhandlung :    G  fi  n  t  h  e  r. 

und  wird  auch,  so  viel  ich  sehe,  von  allen  Forschern  ausge- 
sprochen.1 Wir  werden  uns  demnach  für  die  zweite  Möglich- 
keit zu  entscheiden  haben,  dass  nämlich  jene  Notiz  über  die 
Gesta  in  causa  Abundantii  erst  von  dem  Collector  herrührt. 
Die  Ballerini  und  Maassen  sind  gleichfalls  dieser  Ansicht  ge- 
wesen; vgl.  die  ersteren  in  der  App.  ad  S.  Leonis  opera 
S.  CLVIII  und  Maassen,  Gesch.  d.  Q.  791  f.,  sowie  Sitzungsber. 
1877,  S.  250.  Freilich  geht  mir  aus  den  Worten  sowohl  der 
Ballerini  wie  auch  Maassen's  nicht  mit  völliger  Sicherheit  her- 
vor, ob  sie  das  in  der  Notiz  erwähnte  scrinium  ebenso  auffassen, 
wie  ich  es  für  das  allein  richtige  halte;  beide  scheinen  mir 
nämlich  der  Ansicht  zu  sein,  als  ob  auch  hier  unter  dem  scri- 
nium das  päpstliche  Archiv  verstanden  werden  müsse.  Von 
dieser  Auffassung  aus  vermag  ich  die  Worte  überhaupt  nicht 
zu  erklären;  denn  warum  sollte  der  Sammler  die  Gesta  nur 
aus  dem  Grunde  weggelassen  haben,  weil  sie  sich  im  päpst- 
lichen Archiv  befanden?  Dann  hätte  er  ja  auch  die  übrige 
Correspondenz  des  Hormisda  nicht  ihrem  Tenor  nach  der 
Sammlung  einzuverleiben,  sondern  ebenfalls  nur  zu  registriren 
brauchen.  Ich  meine  daher,  das  scrinium  jener  Notiz  ist  nicht 
das  päpstliche,  sondern  das  Privatarchiv  des  Sammlers.  Als 
dieser  im  Copialbuch  an  jener  Stelle  zwischen  n.  240  und  241 
auf  die  Gesta  in  causa  Abundantii  stiess,  erinnerte  er  sich, 
dass  er  eine  Abschrift  davon  bereits  zu  Hause  hatte,  nahm  sie 
daher  nicht  auf,  sondern  registrirte  einfach  ,die  Schriftstücke  in 
Sachen  des  Abundantius  habe  ich  schon  in  meiner  Bibliothek'. 
Wenn  wir  die  Worte  so  erklären  —  und  ich  glaube,  wie 
gesagt,  sie  lassen  keine  andere  Erklärung  zu  — ,  so  tragen  sie 
nicht  wenig  dazu  bei,  uns  die  Thätigkeit  unseres  Sammlers  in 
ihrem  eigensten  Lichte  erscheinen  zu  lassen:  er  schreibt  nicht 
etwa  ab,  was  ihm  gerade  vorkommt,  sondern  sucht  nach  neuem, 

1  Einige  Stellen  über  die  Erwähnung  des  scrinium  sedis  apostolicae  im 
5.  und  6.  Jahrhundert  siehe  bei  Bresslau,  Urkundenlehre  122.  Hinzuzu- 
fügen aus  der  Zeit  des  Hormisda  wäre  etwa  noch  Thiel  I,  S.  787  nnd 
793,  wo  Hormisda  an  spanische  Bischöfe  de  ecderiae  scriniis  Abschriften 
von  Docnmenten  sendet,  die  auf  die  Streitigkeiten  mit  dem  Orient  Bezug 
haben  (ebenso  wie  später  Thiel  I,  p.  885  und  981;  die  an  den  beiden 
letzten  Stellen  erwähnten  Abschriften  stammten  nachweislich  aus  den 
Copialbüchern,  vgl.  S.  LX XVIII  f.  der  Prolegomena  meiner  Ausgabe). 


AreHina-Studien.  65 

nach  Stücken,  die  noch  nicht  in  seinem  Besitz  sind.  Das 
Corpus,  das  uns  vorliegt,  ist  keine  Sammlung  systematischer 
Art,  die  den  Zweck  verfolgte,  nach  irgend  einer  Richtung  hin 
das  vorhandene  Material  in  möglichster  Vollständigkeit  zu  geben, 
es  stellt  vielmehr  nur  eine  Vereinigung  dessen  dar,  was  der 
Sammler  nicht  schon  sonst  kannte,  beziehungsweise  in  seiner 
Bibliothek  besass.  Daher  auch  der  Umstand,  dass  die  Stücke 
der  Avellana  uns  mit  wenigen  Ausnahmen  eben  nur  durch 
diese  eine  Sammlung  erhalten  worden  sind,  und  dass  sie  gerade 
mit  den  älteren  canonistischen  Sammlungen,  vor  Allem  mit  der 
Dionysiana  so  gut  wie  nichts  gemein  hat.1 

Aber  noch  in  anderen  Beziehungen  sind  uns  die  Worte 
Gesta  in  causa  Abundantii  etc.  von  Werth.  Zunächst  beweisen 
sie  uns  so  gut  wie  sicher,  dass  die  Correspondenz  des  Hor- 
misda  n.  105 — 243  nicht  etwa  schon  vor  Zusammenstellung 
der  Avellana  in  dieser  Auswahl  vereinigt  war  und  wir  also 
ein  Mittelding  zwischen  den  päpstlichen  Registern  und  unserer 
Sammlung  anzunehmen  hätten.  Denn  dasselbe  Verfahren  des- 
selben Mannes,  der  hier  Stücke,  die  ihm  bekannt  sind,  fort- 
lässt,  glaube  ich  auch  in  den  oben  S.  23  f.  besprochenen  That- 
sachen  zu  erkennen,  dass  von  den  zwei  in  der  Ueberschrift 
von  n.  48  angekündigten  auch  sonst  überlieferten  Briefen  des 
Augustin  der  zweite  überhaupt  fehlt  und  auch  der  erste  nicht 
vollständig  aufgenommen  ist,  sondern  plötzlich  mit  einem  et  re- 
liquum  abbricht.  Der,  welcher  die  n.  105 — 243  dem  päpst- 
lichen Copialbuch  entnahm,  und  der,  welcher  der  ganzen  Samm- 
lung ihre  heutige  Gestalt  gab,  sind  darnach  sicher  ein  und 
dieselbe  Person. 

Auch  für  die  Composition  des  ersten  Theiles  unserer  Samm- 
lung, der  n.  1 — 40,  gewinnen  wir  hier  noch  etwas.  Ich  habe 
wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  dass  die  Stücke,  die  das 
Schisma  des  Ursinus  betreffen,  schon  vor  ihrer  Aufnahme  in  die 
Avellana  mit  der  anderen  Gruppe  derer  vereinigt  waren,  die  vom 
Schisma  des  Eulalius  handeln,  und   habe  das  unter  Anderem 

1  Nur  Brief  37  steht  auch  in  der  Dionysiana.  Aber  diese  Nummer  ist  ja 
in  der  Avellana,  wie  wir  gesehen  haben,  ein  Bestandteil  einer  umfang- 
reicheren Theilsammlung,  die  der  Sammler  ganz  in  seine  Sammlung 
aufnahm.  Dass  dieser  die  Dionysiana  gekannt  hat,  ist  mir  nicht 
zweifelhaft. 
Sitranpber.  d.  phil.-hüt.  Cl.  CZXXIV.  Bd.  5.  Abh.  6 


66  V-  Abhandlung:     Gfinther. 

aas    der   charakteristischen   Art   von   verbindenden  Zwischen- 
bemerkungen abgeleitet,  die  sich  in  beiden  Gruppen  in  gleicher 
Weise  vorfinden.     Diese  Vermuthung  findet  ihre   Bestätigung 
durch   die  Art   des  Verfahrens,   die  wir   soeben   an   dem  Col- 
lector  unserer  Sammlung  wahrgenommen  haben.  Jene  Zwischen- 
bemerkungen geben  freilich  nichts,  was  sich  nicht  aus  den  be- 
treffenden Schriftstücken  selbst  erschliessen  liesse,   allein  dazu 
gehörte   doch  immerhin  eine  gewisse  Zeit  und  geistige  Arbeit, 
und   diese   die  Schriftstücke   schon  vor   dem   Abschreiben  bis 
ins  Einzelne  prüfende,  jedes  Wort  und  jede  Beziehung  genau 
erwägende  Thätigkeit  ist  von  Grund  aus  verschieden  von  dem 
Verfahren   des  Mannes,   dem   es  nur  darauf  ankommt,   seinen 
Documentenschatz  durch  neue  Stücke  zu  bereichern,   der  sich 
das  Material,  welches  ihm  unter  die  Hände  kommt,  nur  darauf- 
hin ansieht,   ob  er  es  zu  Hause  schon  besitzt  oder  nicht,  und 
im  letzteren  Falle  dann,  ohne  auf  Grund  des  Textes  erst  ein- 
gehendere historische  Studien  anzustellen,   einfach   abschreibt, 
was  er  besitzen  will.    Der  Redactor  der  Theilsammlung  1 — 40 
ist  also   ein  Anderer   gewesen  als  der  Collector  der  Avellana, 
Ferner:  die  Avellana   ist  keine  Sammlung,  die,  wie  etwa 
die  Decretalensammlung  des  Dionysius  Exiguus,  zu  Nutz  und 
Frommen  der  Allgemeinheit  abgefasst  und  zur  Veröffentlichung 
und  Vervielfältigung   bestimmt   war,   wenigstens   nicht   in   der 
Form,    wie    sie   uns   vorliegt.     Möglich   ist  ja,   dass   der  Col- 
lector  die  Absicht   hatte,  das  Material,   um  modern  zu  reden, 
zu  einer  richtigen  Ausgabe  zu  verarbeiten.   Allein  das  ist  nicht 
geschehen,   denn  halbe  Briefe  würde  er  dort  ebensowenig  ge- 
duldet haben  wie  jene  Notiz  über  seine  zu  Hause  im  Schranke 
ruhende  Abschrift  der  Gesta  in  causa  Abundantii.     Die  Avel- 
lana  ist  vielmehr   nichts   als   eine  Materialsammlung,   die  wir 
dem  Sammeleifer  eines  Gelehrten  verdanken,  der  um  die  Zeit 
des  Vigilius   in  Rom   lebte,   dort   die  Register  des  päpstlichen 
Archivs  benutzte   und    aus    diesen  und    anderen   Quellen    die 
Sammlung  zusammenschrieb,  die  uns  heute  vorliegt. 

7. 

Ich  habe  in  den  Erörterungen  über  Quellen  und  Compo- 
sition  der  Avellana  ausführlich  sein  müssen ;  um  so  kürzer  kann 


AYelUna-Stndien.  37 

ich  eben  darum  in  der  Besprechung  einiger  Hypothesen  sein,  die 
in  neuerer  Zeit  über  unsere  Sammlung  aufgestellt  sind.  Es  erle- 
digen sich  diese  nach  dem,  was  ich  oben  entwickelt  habe,  eigent- 
lich von  selbst.  Maassen,  der  durch  seine  Abhandlung  ,Ueber 
eine  Sammlung  Gregor's  I.  von  Schreiben  und  Verordnungen  der 
Kaiser  und  Päpste'  im  85.  Bande  dieser  Sitzungsberichte  zuerst 
die  Aufmerksamkeit  weiterer  Kreise  auf  die  Avellana  gelenkt 
hat,  hat  dort  die  Vermuthung  zu  begründen  gesucht,  wir  be- 
sässen  in  diesem  Corpus  eine  von  Gregor  I.  veranstaltete  Samm- 
lung, die  der  Jurist  Petrus  Crassus,  der  Zeitgenosse  und  An- 
hänger König  Heinrichs  IV.,  diesem  Herrscher  zu  übersenden 
versprach:  ,mittam  piae  magnißcentiae  vestrae  librum,  si  opus 
fuerit,  in  quo  beatus  Gregorius  utrasque  composuit  leges  et 
utraque  in  sancta  usus  est  ecclesia',  heisst  es  in  seiner  De- 
fensio  Heinrici  IV  =  Monum.  Germ,  histor.  Libelli  de  lite 
impp.  I  434,  39  ff.  Schon  Ewald  und  Wilhelm  Meyer  haben 
Maassen's  Gründe  entkräftet  und  seiner  Hypothese  jeden  Boden 
entzogen.  Ihre  berechtigten  Einwendungen1  brauche  ich  hier 
nicht  zu  wiederholen;  mit  dem  Charakter  der  Sammlung  aber, 
wie  ich  ihn  oben  an  der  Hand  der  einzelnen  Gruppen  ent- 
wickelt habe,  lässt  sich  nun  vollends  jene  Hypothese  gar  nicht 
in  Einklang  bringen.  Was  Gregor  schuf,  muss  etwas  Voll- 
ständiges, Abgeschlossenes,  Fertiges  gewesen  sein,  nicht  eine 
Sammlung,  die  wie  die  unserige  die  Spuren  des  Unfertigen, 
Unausgearbeiteten  so  deutlich  an  der  Stirne  trägt.  Schon  allein 
die  Worte  Gesta  in  causa  Abundantii  .  .  in  scrinio  habemus 
genügen,  um  Maassen  zu  widerlegen.  Wenn  der  Verfasser 
unserer  Sammlung  ein  Papst  gewesen  wäre,  so  könnte  das 
hier  genannte  scrinium  ja  nur  sein  eigenes  Archiv  sein;  dann 
aber  wären  die  Worte  unverständlich,  denn  auch  die  übrigen 
Briefe  von  und  an  Hormisda  befanden  sich  in  diesem  scrinium 
und  konnten  daher  auch  mit  demselben  Rechte  darin  bleiben 
wie  die  Gesta  in  causa  Abundantii. 

Ganz  anders,   aber  nicht  minder  falsch,   ist  die  Ansicht, 
die  Ewald  selbst  von  der  Avellana  hatte.  Jch  kann/  so  sagt  er,2 


1  Ewald  in  Sybel's  Histor.  Zeitschrift.  N.  F.   IV  164  ff.    (vgl.  auch   Neues 

Archiv  V  530) ;  Meyer  I,  S.  3  ff. 
1  A.  a,  O.  8.  169. 

ö* 


68  V.  Abhandlung:    Günther. 

.  .  .  überhaupt  die  Avellana  nicht  als  eine  systematisch  an- 
gelegte  Sammlung  gelten  lassen.  Die  einzelnen  Gruppen,  so 
ist  meine  Ansicht,  sind,  wohl  nicht  ohne  Zuthun  des  lateranen- 
sischen  Archivs,  für  sich  unmittelbar  nach  den  Ereignissen  zu- 
sammengestellt und  publicirt,  andere  Briefe  sind  in  die  gleichen 
Codices  eingetragen;  mit  diesen  fremden  Bestandteilen  wurde 
eine  und  die  andere  Gruppe  der  dritten  angereiht,  und  so 
finden  wir  jetzt  in  einer  späten  Abschrift  des  11.  Jahrhunderts 
jene  243  Briefe  zusammen.1  Dass  die  Avellana  keine  syste- 
matisch angelegte  Sammlung  ist,  muss  man  insofern  gelten 
lassen,  als  der  Collector,  wie  wir  sahen,  stets  unter  den  ihm 
zu  Gesicht  kommenden  Stücken  auswählte  und  keineswegs  nach 
dieser  oder  jener  Richtung  hin  das  Material  in  seiner  Voll- 
ständigkeit wiederzugeben  trachtete.  Im  Uebrigen  wird  die  An- 
sicht Ewald's  von  einer  sich  auf  eine  Reihe  von  Zufälligkeiten 
gründenden  und  durch  mehrere  Jahrhunderte  erstreckenden 
snccessiven  Entstehung  der  Avellana  durch  meine  eigenen  Aus- 
führungen, denke  ich,  hinreichend  widerlegt.  Als  später  zu  der 
eigentlichen  alten  Sammlung  hinzugekommen  betrachte  ich,  wie 
schon  Maassen,  nur  das  letzte  Stück,  n.  244,  das  Fragment  einer 
lateinischen  Uebersetzung  von  dem  verlorenen  Tractat  des  Epi- 
phanias von  Cypern  über  die  zwölf  Edelsteine  am  Gewände 
des  Hohenpriesters,  denn  es  fällt  inhaltlich  so  gänzlich  aus 
dem  sonstigen  Charakter  der  Sammlung  heraus,  dass  wir  es 
hier  meiner  Ansicht  nach  ohne  Zweifel  mit  einer  zufälligen 
Anfügung  späterer  Zeit  zu  thun  haben. 

Wilhelm  Meyer  hat  sich  über  die. Entstehung  der  Samm- 
lung nicht  eingehend  geäussert;  mit  einigen  Andeutungen  hat 
er  schwerlich  das  Richtige  getroffen.  Doch  spare  ich  mir 
ein  näheres  Eingehen  hierauf  passender  für  das  2.  Capitel  des 
folgenden  Abschnitts  auf,  wo  ich  über  die  Ueberlieferung  des 
37.  Briefes  zu  handeln  habe. 

In  allerneuester  Zeit  hat  Ainelli  im  I.  Bande  des  Spici- 
legium  Casinense  verschiedentlich  die  Avellanische  Sammlung 
als  ein  Werk  des  Dionysius  Exiguus  bezeichnet.1  Ich  gestehe, 
dass  auch  ich  Anfangs  dieser  Meinung  war  und  dass,  als  ich 
im  Sommer  des  Jahres  1890  bei  den  gastlichen  Benedictinern 


1  Vgl.  Amelli's  Einleitung  p.  XL1X,  Anm.  6  und  p.  LVI. 


ATelUaa-Stndien.  69 

auf  Monte  Cassino  einkehrte,  es  mich  freute,  von  Amelli  die 
gleiche  Vermuthung  äussern  zu  hören.  Allein  bei  schärferer 
Prüfung  kann  die  Hypothese  nicht  standhalten.  Schon  die 
Lebenszeit  des  Dionysius  bereitet  ihr  Schwierigkeiten;  höchst 
wahrscheinlich  ist  Dionysius  schon  vor  Mitte  der  Vierziger- 
jahre des  6.  Jahrhunderts  gestorben.1  Eine  Spur,  die  direct 
auf  ihn  hinwiese,  finden  wir  nur  in  der  oben  S.  47  f.  erwähnten 
Subscriptio  von  n.  102,  und  wie  ich  schon  dort  bemerkte, 
liegt  wenigstens  die  Möglichkeit  vor,  dass  er  mit  der  von  mir 
als  Quelle  jenes  ganzen  Theiles  der  Avellana  angenommenen 
Sammlung  X  irgendwie  in  näherer  Beziehung  steht.  Wer  diese 
Möglichkeit  nicht  anerkennt,  für  den  beschränkt  sich,  wie 
gesagt,  der  Antheil  des  Dionysius  einzig  und  allein  auf  die 
Uebersetzung  von  n.  102;  wer  sie  annimmt,  muss  dagegen 
die  Autorschaft  des  Dionysius  für  die  ganze  Avellana  um  so 
kräftiger  verneinen.  Die  Art  und  Weise,  wie  jene  Theil- 
sammlung  X  von  dem  Collector  der  Avellana  benutzt  ist,  lässt 
sich  hiermit  in  keiner  Weise  in  Einklang  bringen.  Es  kommt 
hinzu,  dass,  wie  ich  oben  ausgeführt  habe,  der  ganze  Cha- 
rakter der  Avellana  von  dem  der  älteren  Decretalensammlung 
des  Dionysius  von  Grund  aus  verschieden  ist. 


IL 
Zur  Ueberlieferung  einzelner  Stücke  der  Sammlung. 

1. 

Die  Schrift  der  Presbyter  Marcellinus  und  Faustinus 
9De  confesßione  verae  fidei  . . .'  (Avell.  n.  2). 

Das  zweite  Stück  der  Avellanischen  Sammlung  und  zu- 
gleich eines  der  umfangreichsten  ist  die  Bittschrift,  welche  die 
beiden  Presbyter  Marcellinus  und  Faustinus  im  Jahre  383 
oder  384  zu  Constantinopel2  an  die  Kaiser  Valentinian,  Theo- 


1  Vgl.  Maassen ,   Gesch.  der  Quellen  S.  423  (besonders  Anm.  6)   und  dazu 

Hefele,  Conciliengescbichte*  II  789. 
*  Ueber  Zeit  und  Ort  der   Abfassung  vgl.  G.  Krüger,   Lucifer  von  Ca- 

laris,  S.  62. 


70  V.  Abhandlung:    Ofinther. 

dosius  und  Arcadius  richteten.  Seit  Sirmond  ist  sie  als  ,Libellus 
precum'  bekannt;  irgend  welche  handschriftliche  Gewähr  hat 
diese  Bezeichnung  nicht,  die  Presbyter  selbst  scheinen  ihr  die 
Ueberschrift  De  confessione  verae  fidei  et  ostentatione  sacrae 
communionis  et  persecutione  adversantium  veritati  gegeben  zu 
haben  (vgl.  oben  S.  1 1).  Die  Schrift,  die  besonders  fllr  die  Ge- 
schichte des  Luciferianismu8  von  beträchtlicher  Bedeutung  ist, 
wird  sowohl  von  Gennadius  erwähnt,  der  in  dem  Artikel  über 
Faustinus  (cap.  16)  von  diesem  sagt:  scripsit  et  librum  quem 
Valentiniano  Theodosio  et  Arcadio  imperatoribus  pro  defen- 
sione  suorwm  cum  Marcellino  quodam  presbytero  obtulit,  wie 
auch  von  Pseudoisidor,  der  de  viris  illustr.  c.  14  (ed.  Arevalo 
VII  146)  von  Marcellinus  sagt:  Marcellinus  Italiae  presbyter 
scripsit  Theodosio  minori  Arcadioque  imperatoribus  opuscrilum 
unum,  in  quo  retexit  gesta  episcoporum  etc.  Als  eigentlicher 
Verfasser  des  Werkes  ist  ohne  jede  Frage  Faustinus  anzusehen, 
mit  dessen  Schrift  de  trinitate  (Migne,  Patrol.  Lat.  XIII  37  ff.) 
es  im  Grossen  und  Ganzen  wie  in  Einzelheiten  die  allergrösste 
Aehnlichkeit  zeigt.1 

Was  die  Ueberlieferung  der  Schrift  anlangt,  so  treten  zu 
der  Avellana,  d.  h.  dem  Vaticanus  3787,  noch  sieben  andere 
Handschriften  hinzu,  von  denen  nur  die  unter  n.  3,  6  und  7 
angeführten  bei  Maassen,  Gesch.  der  Quellen  etc.  I,  §.  371 
nicht  erwähnt  sind;  es  sind  folgende: 

1.  n  =  Paris,  lat.  12097  (Sangerm.  936,  Corb.  26), 
nach  Maassen  ,saec.  VI — VTP.  Ueber  die  Sammlung,  die 
diese  Handschrift  enthält,  vgl.  Maassen,  Gesch.  der  Quellen  etc. 
I,  p.  556  ff.  Die  Schrift  des  Faustinus  und  Marcellinus  be- 
ginnt auf  Blatt  44 v  und  reicht  bis  Blatt  55.  Als  Ueberschrift 
geht  voran  Incipit  epistola  episcoporum  ad  imperatores.  Brevis 
statutorum^  allein  die  Worte  Brevis  statutorum  sind  nur  durch 
den  Irrthum  eines  Schreibers  an  diese  Stelle  gerathen,  sie 
beziehen  sich  auf  das  sogenannte  Breviarium  Hipponense,  das 
unter  der  Ueberschrift  Incipit  brevis  statutorum  sich  auf  Bl.  55 
an  die  Schrift  der  beiden  Presbyter  anschliesst. 

1  Eine  Reihe  von  recht  charakteristischen  Ausdrücken  und  Wendungen 
sind  beiden  Schriften  gemeinsam ;  ich  verweise  hier  nur  auf  den  häufigen 
Gebranch  von  inlendere,  von  utique,  von  denique  =  nam,  auf  den  Ge- 
brauch von  (et)  bene  quod,  auf  Ausdrücke  wie  supereminenUa  u.  a. 


Arellanft-Stadien.  7 1 

2.  x  =  Paris,  lat.  1564  (Colb.  1863,  Reg.  f™),  der  so- 
genannte , codex  Pithoeanus'  Sirmond's,  nach  Maassen  aus  dem 
9.  Jahrhundert.  Die  Handschrift  ist  zu  Anfang  verstümmelt, 
über  ihren  Inhalt  ist  Maassen  I  604  ff.  zu  vergleichen.  Die 
Schrift  der  beiden  Presbyter  erstreckt  sich  von  Bl.  48 v  bis 
Bl.  55*. 

3.  a  =  Sangallen sis  190,  nach  Scherrer,  Verzeichniss 
der  Handschriften  der  Stiftsbibliothek  von  St.  Gallen  p.  68, 
aus  dem  9.  Jahrhundert.  Ueber  den  Inhalt  dieser  Sammel- 
handschrift ist  Scherrer  zu  vergleichen.  Das  Werk  des  Mar- 
cellinus und  Faustinus  reicht  von  p.  332  bis  p.  347,  Jfet  aber 
unvollständig,  da  es  unten  auf  Seite  347  schon  mit  den  Worten 
atque  apostolorum  doctrinis  (§.  87  =  p.  31  23  meiner  Aus- 
gabe) abbricht,  p.  347  ist  in  der  Handschrift  Rückseite  eines 
Blattes,  und  da  die  letzten  Worte  atque  apostolorum  doctrinis 
den  Schluss  dieser  Seite  bilden,  so  hat  offenbar  erst  in  der 
St.  Gallener  Handschrift  ein  Blattausfall  stattgefunden,  obgleich 
nach  einer  Mittheilung  des  Herrn  Stiftöbibliothekars  die  Lage 
der  Pergamentblätter  selbst  keine  Lücken  aufweist. 

4.  cp  =  Albig.  2  der  Stadtbibliothek  zu  Albi,  nach 
Maassen  aus  dem  9.  Jahrhundert.  Die  Sammlung,  die  in  dieser 
und  der  unter  n.  5  zu  erwähnenden  Handschrift  enthalten  ist,  hat 
Maassen  I,  p.  592  ff.  eingehend  beschrieben  (vgl.  auch  Sitzungs- 
berichte der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften,  philos.-histor. 
Classe,  vol.  LIV,  p.  157  ff.).  Unsere  Schrift  reicht  von  Bl.  66 
bis  Bl.  76  *. 

5.  x  =  Tolos.  364  (früher  B  63)  der  Bibliothfcque  de 
la  ville  in  Toulouse  aus  dem  9.,  nach  anderer  Ansetzung  aus 
dem  8. — 9.  Jahrhundert;  vgl.  Maassen  1 592.  Die  Handschrift  ent- 
hält die  gleiche  Sammlung  wie  der  Codex  aus  Albi;  die  Schrift 
des  Marcellinus  und  Faustinus  reicht  von  Bl.  46   bis  Bl.  52 v. 

6.  Paris,  lat.  1687,  nach  privater  Mittheilung  Delisle's 
aus  dem  12.  Jahrhundert.  Es  ist  eine  Sammelhandschrift,  ohne 
inhaltliche  Verwandtschaft  mit  1 — 5;  unsere  Schrift  macht  den 
Anfang  auf  Bl.  1.  Vgl.  den  3.  Band  des  alten  Pariser  Kata- 
logs vom  Jahre  1744. 

7.  Paris,  lat.  1700,  Papierhandschrift  des  ausgehenden 
16.  Jahrhunderts;    ebenfalls    MisceUanhandschrift    und    ihrem 


72  V.  Abhandlung:    Günther. 

sonstigen  Inhalt  nach  von  den  übrigen  Handschriften  durchaus 
verschieden  (vgl.  den  3.  Band  des  alten  Pariser  Katalogs); 
unser  Stück  beginnt  p.  133. 

Das  Verhältniss  der  sieben  angeführten  Handschriften 
zum  Vaticanus  V  der  Avellana  wird  sofort  klargestellt  durch 
zwei  grosse  Lücken,  die  sich  in  ihnen  allen  in  gleicher  Weise 
vorfinden,  während  V  davon  frei  ist.  Es  fehlen  einmal  in  allen 
sieben  Codices  die  Worte  ita  ut  resistentes  bis  invadere  non 
potuerunt  p.  10  n — 27  22  meiner  Ausgabe,  sodann  in  nxq>%  und 
den  beiden  Parisini  1687  und  1700  (a  ist  in  dieser  Partie 
schon  nicht  mehr  vorhanden)  die  Worte  quomodo  enim  beatus 
Heraclida  bis  effugiens  et  sectans  p.  35  12 — 37  9  meiner  Ausgabe. 
Alle  sieben  Handschriften  gehen  also  auf  einen  einzigen  Codex 
zurück,  der  offenbar  noch  vor  dem  Jahre  600  geschrieben 
war  und  ebenfalls  bereits  jene  Lücken  aufwies.  Die  Lücken 
waren  dort  jedenfalls  durch  Blattausfall  entstanden;  an  eine 
absichtliche  Kürzung  zu  denken  verbietet  der  Umstand,  dass 
an  beiden  Stellen  des  Zusammenhang  der  Sätze  und  Worte 
durch  den  Ausfall  vollkommen  zu  nichte  geworden  ist.  Ich 
bezeichne  hier,  wie  ich  es  in  meiner  Ausgabe  gethan  habe, 
jene  alte  verstümmelte  Handschrift,  auf  die  die  sieben  Codices 
zurückgehen,  mit  dem  Buchstaben  <Z>. 

Bevor  ich  jetzt  darauf  eingehe,  das  gegenseitige  Ver- 
hältniss der  Handschriften  im  Einzelnen  darzulegen,  will  ich 
noch  eine  kurze  Bemerkung  über  die  Handschrift  von  Tou- 
louse einschieben.  Wie  schon  gesagt,  zeigt  auch  %  die  beiden 
grossen  Lücken,  allein  beide  erstrecken  sich  hier  nach  rück- 
wärts wie  nach  vorwärts  noch  ein  beträchtliches  Stück  weiter. 
Es  fehlen  in  %  vor  der  ersten  grossen  Lücke  auch  noch  die 
Worte  p.  8  22 — 10  11  novas  adversus  unigenitum  bis  impietate 
contendunt  und  nach  ihr  die  Worte  27  22 — 30  9  denique  alibi  in 
agello  bis  tales  caiholicos  qui;  ebenso  vor  der  zweiten  Lücke 
das  Stück  34  12 — 35  12  sanctissimae  conversationis  bis  quorum 
non  erat  numerus1  und  nach  ihr  das  Stück  37  9 — 38  18  salu- 
taria  sacramenta  bis  acrius  inquietassent.  Die  Ursache  dieses 
Umstandes  ist  leicht  zu  erklären:   da  die  letzten  Worte,  die 


1  So  haben  7txq>  (a  fehlt)  statt  der  Lesart  von  V  quorum  non  erat  dignus 
mundu*. 


AYelUna-Stvdtan.  73 

in  %  diesen  Lücken  vorangehen,  in  beiden  Fällen  am  Ende 
eines  Blattes  stehen,1  so  ergiebt  sich,  dass  an  beiden  Stellen 
in  x  selbst  Blattausfall  stattgefunden  hat.  Wie  viel  Blätter 
ausgefallen  sind,  lässt  sich  unschwer  berechnen.  An  der  ersten 
Stelle  fehlen  in  x  mehr  als  in  nxaq>  die  Worte  8  22 — 10  n  und 
27  22 — 30  9,  zusammen  109  Zeilen  meiner  Ausgabe;  an  der 
zweiten  Stelle  fehlen  in  x  mehr  als  in  tiKcp  die  Worte  34 12 — 35 12 
und  37  9  — 38  18,  zusammen  59  Zeilen  meiner  Ausgabe;  da  nun 
in  den  Partien,  wo  %  erhalten  ist,  auf  das,  was  in  ihm  den 
Raum  eines  Blattes  einnimmt,  im  Durchschnitt  etwa  57  Zeilen 
meiner  Ausgabe  kommen,  so  ergibt  sich,  dass  in  %  an  der 
ersten  Stelle  zwei  Blätter,  an  der  zweiten  ein  Blatt  ausgefallen 
sind.  Ein  innerer  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Lücken, 
die  den  Handschriften  Ttytocpx,  beziehungsweise  7t'/.q>x  gemein- 
sam und  also  schon  dem  Codex  O  zuzuweisen  sind,  und  der 
Erweiterung  dieser  Lücken  zu  dem  Umfang,  wie  sie  in  x  vor" 
liegen,  besteht  also  keineswegs;  nur  durch  einen  Zufall  ist  es 
geschehen,  dass  unter  den  drei  aus  x  verloren  gegangenen 
Blättern  sich  auch  gerade  die  beiden  befanden,  auf  denen  die 
zwei  Stellen  standen,  wo  schon  in  0  der  Faden  der  Schrift 
durch  Lücken  zerrissen  war. 

Dies  nebenher.  Ich  komme  jetzt  zu  der  Frage  nach  dem 
Verwandtschaftsverhältniss  der  Codices  7t  na q>  x%  untereinander. 
Da  ist  von  vornherein  zu  vermuthen,  dass  q>  und  %,  die  die 
gleiche  von  den  drei  übrigen  Handschriften  verschiedene  Samm- 
lung enthalten,  zusammengehören  und  von  ix%a  zu  sondern 
sind.  Die  einzelnen  Lesarten  bestätigen  diese  Vermuthung; 
ich  führe  nur  ein  paar  an,  wo  die  Worte  in  cpx  durch  Cor- 
rnptel  oder  Interpolation  entstellt  sind: 

5  12     in  exiguis  7t  xa  exiguü  (p% 

6  21     piae  (statt  pia)  7t  xa  pii  q> x 

6  23     sub  vobis  imperatoribus  it  xa  vobis  Imperatoren  q>  x 

7  23     communicaret  non  ille  Alexander 

7t  xa  om.  cpx 

8  11      intraturum  7t  xa  intraturio  q>x 


1  Mit   den  Worten   debuit  et  peHre  8  2%  endigt  in  %   Blatt  47,    mit  den 

Worten  doctrinae  atgue  ipsius  34  12  Blatt  49. 
1  Ueber  die  beiden  jungen  Parisini  1687  und  1700  siehe  unten  S.  79. 


8 

H 

38  24 

39 

3 

40 

18 

41 

17 

41 

18 

74  V.  Abhandlung:    Günther. 

repenie  na,  repitente  it  om.  q>% 
quod  in  sanctum  Ephe&ium  con- 

summare  n%  (a  fehlt  bereits)  om.  q>x 

rem  viri  (statt  rem  veri)  it x  remoneri  et  q>x 

a  singulis  n%  singulis  q>% 

curi  eo  (statt  cuneo)  it%  errore  q>x 
et  ipsi  quoque  qui  pie  inter  eo8 
putantur  credere  patris  etfilii 

it%  om.  cpx 

42  5      sacramenti  alter  itx  sacramenti  altaris  q>% 

Eine  andere  Frage  ist  die,   ob  vielleicht  von  den  beiden 
Handschriften  cpx  die  eine  aus  der  anderen  abgeschrieben  ist. 
Für    x   lBt   dies    ohneweiters    zu    verneinen,    denn    abgesehen 
davon,  dass  die  Toulouser  Handschrift  offenbar  die  ältere  von 
beiden  ist,   zeigt  sie  auch   an   vielen  Stellen   bessere  Lesarten 
als  die  von  Albi ;  so  fehlt  z.  B.  in  <p,  nicht  in  Xy  38  25  nesciens, 
40  11  ut.     Schwieriger  ist  die  Entscheidung  bei  tp.     Am  Ende 
der  ganzen  Sammlung  trägt  (p  die  Subscription:  Ego  Perpetuus 
qtiamvis  indignus  presbyter  iussus  a  domino  meo  Didone  urbis 
Albigensium  episcopum  hunc  librum  canonum  scripsi.  post  in- 
cendium  civitatis   ipsius  hie  liber  recuperatus  fuit  deo   auxi- 
liante  sub  die  VIII.  kal.  Aug.  ann.  IUI  regnarii  domini  nostri 
Childerici  reg.     Da   sich   diese  Worte   auf  die   dem   9.  Jahr- 
hundert angehörende  Handschrift  <p  selbst  nicht  beziehen  können, 
müssen    sie    von   dem   Schreiber    mit   aus    der   Vorlage   abge- 
schrieben sein.1    Leider  fehlt  nun  aber  in   x  heute  der  letzte 
Theil  der  Sammlung,  so  dass   von  dieser  Seite  eine  Entschei- 
dung darüber  unmöglich  ist,  ob  etwa  zwischen  der  alten  vom 
Presbyter   Perpetuus   geschriebenen   Handschrift  und  unserem 
Codex  (p  die  Toulouser  Handschrift  x  *k  Mittelglied  einzureihen 
ist.    Aus  den  Varianten,   die  das  Werk  des   Marcellinus  und 
Faustinus  liefert,  ergiebt  sich  nicht  eben  viel ;  immerhin  scheinen 
mir  Stellen  wie 

31  15      contra  ipsum  tronum  (statt  pa-     contra  ipsum  thronum 
tronum)  hereticorum  q>  hereticorum  % 

43  16      ubique  (p  ubi  x 

1  Vgl.  Maassen,  Zwei  Synoden  unter  König  Childerich  II.  (Gra*  1867), 
p.  25  sqq. 


ArellAn»-8tudien. 


75 


dafür  zu  sprechen,  dass  auch  cp  nicht  ans  %  abgeschrieben  ist, 
vielmehr  beide  auf  einen  gemeinsamen  Archetypus  zurückgehen, 
den  ich  mit  T  bezeichnen  will.  Für  die  Recension  der  vor- 
liegenden Schrift  ist  die  Frage,  ob  cp  aus  %  stammt  oder  beide 
aus  einer  dritten  Handschrift,  übrigens  von  ziemlich  geringer 
Bedeutung,  da  cp  infolge  des  Blattverlustes  in  %  auch  in  dem 
ersteren  Falle  heranzuziehen  wäre. 

Wie  steht  nun  Y  zu  den  drei  übrigen  Handschriften,  wie 
vor  Allem  zu  der  ältesten  von  diesen,  dem  Parisinus  7t?  Dass 
Y  nicht  etwa  aus  diesem  abgeschrieben  ist,  sondern  völlig  un- 
abhängig neben  ihm  steht,  ergiebt  sich  aus  vielen  Stellen,  an 
denen  cpx  oder,  wo  %  fehlt,  allein  cp  die  richtige  Lesart  dar- 
bietet, während  n  und  mit  ihm  fast  immer  auch  x  und,  wo  er 
vorhanden  ist,  auch  a  fehlerhaft  ist.  Ich  begnüge  mich  damit, 
nur  einen  Theil  dieser  Stellen  anzuführen: 


6  25 

po88umu8  cpx 

possimus  7t  xa 

7  17 

atque   ipsius  . 

.   8ervaretur 

om.  7t 

7  22 

ecclesiam  cpx 

ecclesia  7t  xa 

8  24 

erat  et  cp  (x  fehlt  hier) 

erat  n  xa 

9    l 

ne  cp 

nee  Ttxa 

9  12 

damnato8  cp 

damnatu8  7t  xa 

9  15 

pares  cp 

pars  7t  xa 

28  18 

mitigans  cp 

mitiganti  7t ,    miticanti  o, 
mitigante  x 

29U 

mxnxs  cp 

moenis  7t  x,  menis  a 

29  19 

nomine  cp 

nominime  7t ,  non  miniine  x  a 

31    4 

doctrinam  cp% 

doctrina  n  xa 

31  19 

ageret  cpx 

agerit  tz xa 

3121 

kaberet  cpx 

haberit  n xa 

32   7 

poßsent  cpx 

possint  n xa 

32  24 

fideles  cpx 

fidelis  7t xa 

33  8 

tarnen  cpx 

tarn  Ttxa 

33  26 

episcopum  cpx 

episcopo  Ttxa 

42n 

avaritia   cp  x 

(statt   avari- 

tiae) 

abasiae7tx  {a  fehlt  bereits) 

42  12 

conludunt  cpx 

concludunt  7t  x 

42  26 

falsa  cpx 

falsi  Ttx 

76  V.  Abhandlung:    Günther. 


43  26 

abiecta  tp% 

obiecta  n% 

44  13 

ac  tpx 

hac  n  x 

44  15 

ac  veras  ecclesiae  cp  % 

hac  vera  ecclesia  et  fix 

44  17 

orbe  q>x 

urbe  Ttx 

44  20 

marcellinus  q>% 

marcellianu8  Ttx. 

Diese  Stellen,  denen  ich  leicht  ebenso  viel  andere  hinzu- 
fügen könnte,  beweisen  hinreichend,  einmal  dass  Y  nicht  aus 
7t  abgeschrieben  war,  sodann  aber  auch  dass  die  Handschriften 
xa  eng  mit  n  zusammenhängen. 

Es  bleibt  nun  noch  die  Frage  nach  dem  Verhältniss  von 
7t  xa  untereinander  übrig.  Dass  weder  x  noch  a  direct  ans  7t 
stammt,  erhellt  schon  aus  der  einen  Stelle,  die  ich  bereits  oben 
angeführt  habe :  p.  7  17,  wo  die  Worte  atque  ipsius  .  .  servaretur 
von  allen  Handschriften  allein  in  n  fehlen.  In  ähnlicher  Weise, 
um  nur  noch  Einiges  hinzuzufügen,  geben  10  3  vero  xa,  33  l 
adserendum  nunc  necessario  est  quod  in  his  partibus  x  (a  fehlt 
bereits),  33  14  servare  x:  alles  dies  fehlt  in  n.  Ebenso  kann 
die  St.  Gallener  Handschrift  a  nicht  direct  aus  x  geschöpft 
haben,  denn  a  hat  richtig  p.  6  23  ei}  p.  9  24  divinis,  p.  27  27  et, 
p.  29  1  vel  dam  salutis  nostrae  eacramenta  facienda  sunt, 
während  in  x  alles  dies  ausgefallen  ist.  Aber  auch  das  Um- 
gekehrte, dass  x  aus  a  stammen  sollte,  ist  ausgeschlossen,  a  ist 
eine  Miscellanhandschrift,  deren  übriger  Inhalt  mit  dem  von  x 
keine  Verwandtschaft  zeigt,  während  x  ausser  der  Bittschrift 
des  Marcellinus  und  Faustinus  noch  eine  grosse  Anzahl  von 
anderen  Stücken  mit  7t  gemeinsam  hat  (vgl.  Maassen,  p.  610), 
die  also  sicher  auch  in  der  Vorlage  von  x  bereits  gestanden 
haben  müssen. 

Wir  kommen  so  also  zu  dem  Resultat,  dass  Ttxa  insofern 
unabhängig  nebeneinander  stehen,  als  keiner  von  ihnen  direct 
aus  einem  der  beiden  anderen  stammt,  und  dass  für  alle  drei 
eine  gemeinsame  Quelle  X  anzunehmen  ist,  die  an  vielen 
Stellen  besser  war  als  Y,  an  vielen  aber  auch  schlechter.  Zu 
erwägen  bleibt  immerhin  noch,  ob  nicht  trotzdem  zwischen 
zweien  der  drei  Handschriften  noch  ein  engeres  Verwandt- 
schaftsverhältniss  besteht,  so  dass  wir  zwischen  ihnen  selbst 
und  X  noch  ein  Mittelglied  anzunehmen  hätten,  aus  dem  nur 
sie  —   nicht   auch    die   dritte    Handschrift   abzuleiten   wären. 


Arellana-Stadien.  77 

Dabei  ist  freilich  nur  mit  äusserster  Vorsicht  zu  schliessen; 
denn  wenn  irgendwo  zwei  der  drei  Codices  dieselbe  Corruptel 
zeigen,  der  dritte  dagegen  die  richtige  Lesart  aufweist,  so 
folgt  daraus  noch  keineswegs  eine  dementsprechende  Sonderung 
in  zwei  Unterabtheilungen.  Vielmehr  muss  durchaus,  damit 
gerechnet  werden,  dass  leichte  Fehler,  mit  denen  schon  X  be- 
haftet war,  in  dem  einen  oder  anderen  seiner  Descendenten 
von  dem  Schreiber  selbständig  corrigirt  sein  können.  Ich  gebe 
ein  Beispiel:  die  Anfangsworte  der  Schrift  p.  5  7  lauten  in  7t  a 
deprecamur  mansuetudinem  vestram  piissimi  imperatoris9  wäh- 
rend x  richtig  imperatores  liest.  Da  wäre  es  voreilig,  wenn 
man  annehmen  wollte,  X  habe  imperatores  gehabt  und  it  und 
a  gingen  auf  ein  Mittelglied  mit  der  Corruptel  imperatoris 
zurück,  imperatoris  kann  sehr  wohl  schon  in  X  gestanden 
haben  und  der  Vocativus  pluralis  in  x  durch  leichte  Conjectur 
hergestellt  sein.  Das  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  sich  nach- 
weisen lässt,  dass  der  Schreiber  von  x  an  einer  anderen  Stelle 
in  der  That  ein  Verderbniss  durch  Conjectur  beseitigt  hat: 
43  l  lesen  wir  in  x  richtig:  confusi  sunt  quoniam  defecerunt 
et  nee  sie  quidem  confusionem  sustinentes  erubuerunt,  7t 
(ff  fehlt)  hat  confessionem,  und  dass  diese  Corruptel  nicht 
nur  in  X,  sondern  auch  schon  in  O  gestanden  hat,  beweist  die 
Lesart  von  q>  x,  die  ebenfalls  confessionem  zeigen.  Ebenso  ist 
es  mit  den  wenigen  Stellen,  wo  von  den  drei  zur  Gruppe  X 
gehörenden  Handschriften  allein  a  die  richtige  Lesart  darbietet, 
denn  auch  o  emendirt  hier  und  da  durch  eigenes  Nachdenken, 
so  z.  B.  7  20,  wo  es  heisst:  Arrius . .  subripuit  apud  Constan- 
tium  sperans,  quod  ipsius  suffragio  spiritalium  sacerdotum  sen- 
tentia  rescissa  reeipi  posset  in  ecclesiam.  Statt  spiritalium 
liest  hier  tc  spirete  talium,  x  speret  et  talium,  und  dass  diese 
Corruptel  älter  ist  als  die  gemeinsame  Quelle  von  rtx<T,  wird 
dadurch  erwiesen,  dass  auch  q>  spiret  et  alium  und  %  spiret 
et  talium  h$t.  Die  richtige  Lesart  spiritalium,  die  ausser  der 
Avellana  eben  nur  a  aufweist,  ist  in  letzterem  also  sicher 
durch  Conjectur  hergestellt  worden.  Nicht  anders  werden  dem- 
nach auch  die  übrigen  Stellen  zu  beurtheilen  sein,  wo  a  gegen 
7i x  eine  richtige  Lesart  zeigt:  9  27  heredes  (heredis  7t,  hedis  %) 
dereliquit]  28  17  non  vino  (vinum  rix)  stomachum  relevans;  29  8 
quod..  vigilias  celebrat  (celebrant  rtn)..  Macharius:  an  allen 


78  V.  Abhandlung.    Oftnth«c. 

diesen  lag  die  Emendation  sozusagen  auf  der  Hand  und  konnte 
mit  Leichtigkeit  von  jedem  gefunden  werden. 

Anders  liegt  die  Sache,  wo  auf  der  einen  Seite  rt,  auf 
der  anderen  xa  stehen.  Freilich  sind  auch  hierunter  Stellen, 
wo  die  richtige  Lesart  von  n  sehr  wohl  auf  Conjectur  zurück- 
geführt werden  könnte/  so  30  2  adversus  sanctos  et  fiddes 
(fidelis  xo)  y  31  16  quid  novum  quasi  hereticus  (hereticos  xa) 
scripsit  Allein  es  bleiben  solche  übrig,  wo  die  richtige  Lesart 
in  7t  gegenüber  von  xa  nicht  leicht  durch  Conjectur  entstanden 
sein  kann.  Ich  führe  eine  an,  die  mir  durchschlagend  scheint 
8  2  heisst  es  von  dem  Bischof  Alexander  von  Constantinopel: 
cum  videret  quod  Arrius  saeculi  istius  rege  nüeretwr,  exda- 
mavit  ex  imo  pectoris  dolore . .  ad  Christum.  So  die  Avellana; 
die  aus  0  stammenden  Handschriften  zeigen  sämmtlich  folgende 
Corruptelen:  viderit}  regni  (oder  regno)  teneretur,  eximium, 
dolo.  Allein  xa  lesen  exetamit  eximium  peccatoris  dolo,  n 
richtiger  (mit  cpx)  exclamavit  eximium  pectoris  dolo.  Hier 
kann  vor  Allem  pectoris  unmöglich  auf  eine  richtige  Conjectur 
des  Schreibers  von  it  zurückgeführt  werden,  um  so  weniger, 
als  die  Worte  in  n  auch  so  noch  völlig  sinnlos  sind:  pectoris 
muss,  wie  es  in  Y  stand,  so  auch  noch  in  X  gestanden  haben, 
und  wir  haben  demnach  zwischen  X  auf  der  einen  und  x  und 
a  auf  der  anderen  Seite  ein  Mittelglied  (X')  anzunehmen,  aus 
dem  die  Corruptelen  exlamit  .  .  peccatoris  in  gleicher  Weise  in 
die  Codices  x  und.a  übergegangen  sind. 

Damit  wäre  das  Verhältniss  der  fünf  älteren  auf  den  Co- 
dex <D  zurückgehenden  Handschriften  klargestellt;  als  Stemma* 
ergiebt  sich  demnach  folgendes: 


1  Oefters  weichen  xa  in  orthographischer  Hinsicht  von  n  ab,  indem  sie  o 
statt  u  (so  s.  B.  8  10  potavit;  10  s  dispotatumem;  27  25  posbolationt;  27  26 
decorionum;  30  13  aemolatione;  31  16  aemolatumemj  oder  t  statt  e  bieten 
(so  10  7  oporterü;  29  12  fierü) ;  allein  auch  diese  Eigentümlichkeit  der 
Schreibweise  war  schon  der  Quelle  X  eigen,  da  sie  an  anderen  Stellen 
auch  in  n  auftritt,  so  7  26  expolä  n,  expolit  <r  (expulü  x);  40  20  po- 
tamus  7t,  potavimus  x  (a  fehlt);  41  24  oposeoli  nx  {a  fehlt);  42  u  *mgo- 
loriim  (a  fehlt);  31  19  agerü  nxa\  31  21  haberü  nxa  u.  a. 

1  Ich  habe  die  Untersuchung  Über  das  Verhältniss  der  Handschriften  nxa<px 
zu  Ende  geführt,  ohne  dabei  die  Argumente  zu  verwenden,  die  sich  aas 
dein  Inhalt  der  unter  einander  nahe  verwandten  Sammlungen  nxYy  be- 
sonders der  Reihenfolge  ihrer  Stücke  entnehmen  lassen  (a  als  Miscellan- 


Avellan*-8tudien.  79 


Die  beiden  jüngeren  Parisini  1687  und  1700  habe  ich  in 
diesem  Stemma  und  den  ihm  zu  Grunde  liegenden  Unter- 
suchungen nicht  berücksichtigt;  ich  wurde  auf  sie  erst  aufmerk- 
sam, als  mir  das  gegenseitige  Verhältniss  der  fünf  übrigen  aus  <D 
geflossenen  Handschriften  bereits  feststand.  Eine  nachträgliche 
Collation  der  beiden  glaubte  ich  mir  aber  um  so  eher  ersparen 
zu  sollen,  als  sie  einerseits  beträchtlich  jünger  sind  als  jene  fünf 
übrigen,  andererseits  aber  nicht  etwa  neben  X  und  Y  einen 
dritten  selbständigen  Zweig  der  Ueberlieferung  <D  repräsentiren, 
sondern,  wie  einige  mir  von  Delisle  gütigst  mitgetheilte  Les- 
arten schon  der  Ueberschrift  beweisen  (vgl.  unten  S.  81),  auch 
ihrerseits  dem  Zweige  X  (wahrscheinlicher  wohl  noch  der  Unter- 
abtheilung X')  angehören.  Unter  diesen  Umständen  würde  die 
Hinzuziehung  der  Paris.  1687  und  1700  den  Apparat  nur  un- 
übersichtlicher machen,  für  die  Reconstruction  von  <D  selbst 
aber  nichts  ausgeben.    Für  diese  erwachsen  uns  aus  dem  dar- 


codex  völlig  anderer  Art  kommt  hiebei  nicht  in  Betracht).'  Von  dieser 
anderen  Seite  hat  Maassen  die  Sache  angegriffen  und  mit  gewohntem 
Scharfsinn  durchgeführt  (vgl.  seine  Gesch.  der  Quellen  I  556—573).  Um 
zu  zeigen,  dass  sein  Ergebniss  mit  dem  meinen  nicht  im  Widerspruche 
steht,  vielmehr  völlig  mit  ihm  übereinstimmt,  führe  ich  sein  Schluss- 
resultat hier  wörtlich  an  (Maassen  p.  572) :  ,Die  älteste  Redaction  der 
Sammlung  (der  Handschrift  von  Corbie  =  n),  die  sich  nachweisen  lässt 
f=  *PJ,  scJUoss  mit  dem  vierten  Concil  von  Arles  vom  Jahre  624  .  .  .  Die 
Sammlung  wurde  von  einer  zweiten  Hand  mit  einigen  älteren  gallischen 
Concilien  vermehrt.  Zu  dieser  vermehrten  Sammlung,  deren  Text  wir  nicht 
mehr  besitzen  (irgend  ein  Mittelglied  zwischen  *P  und  Y),  gehört  das  zweite 
Verzeichniss.  Aus  ihr  oder  aus  einer  nahe  verwandten  Sammlung  hat  der 
Autor  der  Sammlung  (Y)  der  Handschrift  von  Albi  f(p)  geschöpft.  Von 
einer  anderen  Hand  wurde  die  Sammlung  in  ihrer  ersten  Gestalt  (4*) 
durch  einen  Anhang  vermehrt ...  In  dieser  Gestalt  (X)  lag  die  Samm- 
lung dem  ersten  Schreiber  des  Manuscripts  (n)  vor;  in  dieser  Gestalt  ist 
sie  fitr  die  Sammlung  (X'J  der  Pithou*  sehen  Handschrift  (x)  .  .  .  benutzt 
worden.' 


80  V.  Abhandlung:    G  flottier. 

gelegten  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Handschriften  nxaifi 
naturgemäss  folgende  Regeln: 

1.  wo  7tx  gegen  a  oder  7t a  gegen  x  stehen,  ist  die  Les- 
art  der  alleinstehenden  Handschrift  Corruptel  oder  Conjectur; 

2.  wo  n  mit  Y  übereinstimmt,  sind  abweichende  Lesarten 
von  X'  ohne  Werth; 

3.  stimmen  Y  und  X'  überein,  so  sind  abweichende  Les- 
arten von  ix  ohne  Werth; 

4.  ohne  Werth  sind  alle  Abweichungen  von  %,  wenn  (f 
mit  X  übereinstimmt;  ebenso  die  von  q>,  wenn  %  mit  X  zu* 
sammengeht. 

Mit  anderen  Worten:  die  gemeinsamen  Lesarten  von  rix 
oder  na  sind  für  den  Codex  X,  gemeinsame  Lesarten  von  Xj 
oder  Xq>  oder  YX'  oder  T/r  fllr  den  Codex  0  in  Ansprach 
zu  nehmen. 

Diese  Regeln  habe  ich  denn  auch  bei  der  Zusammen- 
stellung des  kritischen  Apparates  in  meiner  Ausgabe  befolgt: 
ich  habe  kein  Bedenken  getragen,  die  einzelnen  Varianten  ein- 
zelner Handschriften,  soweit  sie  unter  jene  Regeln  fallen,  zu 
unterdrücken;  habe  aber  auch  kein  Bedenken  getragen,  hier  und 
da  etwas  als  Lesart  von  0  zu  bezeichnen,  auch  wenn  beispiels- 
weise 7t  oder  %a  oder  <p  oder  %  etwas  Anderes  darbot.  Neben 
den  Lesarten  der  Avellana,  die  unabhängig  neben  0  dasteht, 
kommen  für  die  Herstellung  des  Textes  eben  nicht  einzelne 
Varianten*  dieser  oder  jener  der  fünf  zur  Classe  0  gehörigen 
Handschriften  in  Betracht,  sondern  nur  die  Lesart,  die  wir  anf 
Grund  des  Verwandtschaftsverhältnisses  dieser  Handschriften  für 
ihren  gemeinsamen  Stammvater  0  in  Anspruch  nehmen  müssen. 
Ja,  von  diesem  Princip  aus  bin  ich  noch  weiter  gegangen:  wenn 
entweder  die  Unterabtheilung  X  oder  die  Unterabtheilung  f 
mit  der  Avellana  übereinstimmt,  die  andere. aber  eine  Ab- 
weichung zeigt,  so  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese  Abweichung 
erst  in  der  Unterabtheilung  aufgetreten  ist  und  mit  0  nichts 
zu  thun  hat;  darum  habe  ich  auch  solche  Abweichungen  einer 
der  beiden  Untergruppen  mit  gutem  Gewissen  unterdrücken 
zu  können  geglaubt.  Der  Apparat  ist  hierdurch  verhältnissmassig 
einfach  geworden,  was  Verständige  nicht  beklagen  werden.  Doch 
tfiebt  er  Alles,  was  nöthig  ist,  hier  und  da  sogar  noch  etwas 
mehr.    So  habe  ich  grundsätzlich  alle  Wortauslassungen  notirt, 


ATell*na-Studi«D.  8 1 

auch  wenn  sie  nur  eine  einzelne  Handschrift  betreffen  und  also 
für  die  Reconstrtiction  von  O  gänzlich  gleichgiltig  sind;  allein 
es  wäre  doch  möglich,  dass  noch  einmal  andere  Handschriften 
der  Classe  0  auftauchten,  und  die  sind  dann  an  der  Hand 
solcher  Angaben  über  Wortausfall  sofort  am  leichtesten  zu 
classificireq.  Um  übrigens  an  einem  kleinen  Stücke  ein  Bei* 
spiel  zu  geben,  wie  der  Apparat  aussehen  würde,  wenn  ich 
alle  Varianten  notirt  hätte,  will  ich  hier  zu  dem  Anfang  der 
Schrift  (§.  1)  einmal  die  ganze  varia  lectio  zusammenstellen, 
mit  Ausnahme  orthographischer  Kleinigkeiten  wie  ci  für  ti 
und  e  für  ae:  Ueberschrift:  Incipit  (incipiunt  q>)  de  con- 
fessiane  (conf  essine  x,  confesione  a,  conpassione  (p)  vere  fidei 
et  ostentatione  sacrae  communionis  (communis  xcr  Paris.  1700; 
osientatio  //////  muneris  Paris.  1687)  et  persecutione  (perse- 
qtUione  #,  persecutionis  xa  Paris.  1687)  adversante  (adversanti 
(px)  veritati  (yeritatis  %a  Paris.  1700)  %aq>%;  incipit  epistula 
episcoporum  ad  imperatores  brems  statutorum  it;  p.  5  7  de- 
praecamur  n%  imperatoris  na  8  valentiniane  x,  aber  ane 
in  Rasur  von  später  Hand,  valentiniani  et  <p  theudosi  rc%a^ 
iheodosii  q>  archadi  x,  arcadii  q>  9  Christi  om.  nxotpx 
fili  iz%a%  iubat  ttxct,  iuvati  q>  imperia  aus  imperium 
corr.  %>  periti  q>  10  dignimini  7t%a  sublimem  n,  sublimi  x 
n  fili  x  opitulationem  (px  12  conscendit  aus  conscendat 
corr.  a  in  om.  (px  ominibus  q>  dispicetis  ity  dispicites  er, 
dispicitis  x,  despectis  cp,  dispectis  %  13  roborates  %  oe  q> 
u  etenim  iz%0(p%  aput  q>  16  veritas  om.  n%(5(px  16  *«*• 
saeculi  om.  it^otpx  17  scribtum  %  verbum  7t  potentia  corr. 
aus  potentiae  1t  aequum  vel  x  18  exiguiis  x  vindecetur  x> 
ridecetur  a. 

Ich  tilge  noch  ein  paar  Worte  hinzu  über  das  Verhältniss 
der  Recension  Q>  zu  der  der  Avellana,  d.  h.  des  Codex  V. 
Dass  V  unabhängig  neben  <t>  steht,  folgt  ja  schon  daraus, 
dass  in  ihm  die  beiden  grossen  Lücken  von  <Z>  fehlen.  Die 
beiden  Zweige  der  Ueberlieferung  sind  schon  in  sehr  früher 
Zeit  auseinandergegangen,  denn  aus  dem  Alter  des  Codex  it 
ergiebt  sich,  dass  CD  doch  sehr  wahrscheinlich  noch  in  das  6.  Jahr- 
hundert zu  setzen  ist.  Darum  sind  auch  die  Textverderbnisse, 
die  beiden  Recensionen  gemeinsam  wären,  einigermassen  selten; 
sicher  sind  folgende:   30  22  ipse  statt  ipsae;  34  18  eadem  statt 

Siteangtb.  der  pbil.-biat.  Cl.  CXXXIY.  Bd.  5.  Abb.  6 


82  V.  Abhandlung:    Günther. 

eaedem;  34  21  accfpta  V}  accepta  0  statt  a  coepta;  42  8  sperant 
(spirant  y%)  statt  separant;  44  4  ut  statt  et;  ebenso  auch 
wohl  44  4  futura  et  statt  futurae,  das  allein  in  T  erscheint, 
aber  sicher  nur  infolge  von  Conjectnr.  Conjectnralkritik  ist 
also,  wo  beide  Zweige  der  Ueberliefernng  erhalten  sind  und 
übereinstimmen,  jedenfalls  nur  im  Nothfalle  am  Platze.  Wo 
V  and  0  von  einander  abweichen,  bietet  an  manchen  Stellen 
0  anzweifelhaft  Besseres  and  Richtigeres;  im  Uebrigen  kann 
man  sich  —  von  jenen  beiden  grossen  Lücken  ganz  abgesehen 
—  der  Einsicht  nicht  verschliessen,  dass  im  Grossen  und  Ganzen 
die  Ueberliefernng  von  V  bedeutend  weniger  durch  Verderb- 
nisse aller  Art  entstellt  ist  als  diejenige  von  0.  So  finden  sich 
in  den  Partien,  wo  auch  0  erhalten  ist,  höchstens  6—8  Stellen, 
wo  in  V  einzelne  oder  mehrere  Worte  ausgefallen  sind;  in  <P 
habe  ich  deren  etwa  40  gezählt.  Auch  von  Interpolationen 
ist  0  nicht  frei,  vgl.  z.  B.  9  10  eed  ut;  28  26  colligere  ei  eos; 
38  21  wo  statt  sancta  illic  (so  V)  in  0  illic  se  a  erscheint, 
indem  offenbar  zunächst  scä  mechanisch  in  se  a  verdorben 
war  und  dieser  Verderbniss  dann  durch  Umstellung  abgeholfen 
werden  sollte.  Ein  Verbum  (habent)  ist  irrthümlich  40  l  zu- 
gesetzt, wo  ausserdem  der  etwas  gewähltere  Ausdruck  mystica 
vasa  durch  s  an  et  a  vasa  ersetzt  ist;  auch  29  25  scheint  das 
habent  nach  sepulturam  interpolirt  und  die  Stelle  vielmehr  im 
Anschluss  an  die  Lesart  von  V  so  zu  heilen  zu  sein,  wie  ich 
es  in  der  Adnotatio  versucht  habe.  In  V  habe  ich  dem  gegen- 
über in  diesem  Stücke  so  gut  wie  nirgends  die  Spur  einer 
interpolirenden  Hand  entdecken  können.  Bei  dieser  Sachlage 
habe  ich  es  für  geboten  gehalten,  auch  an  solchen  Stellen 
der  Lesart  von  V  zu  folgen,  wo  man  an  und  für  sich  zwi- 
schen ihr  und  der  von  0  schwanken  könnte.  Ich  will  die 
Stellen  hier  nicht  einzeln  aufzählen,  da  sie  dem  Leser  leicht 
aufstossen. 

Es  bleibt  noch  übrig,  Einiges  über  die  Ausgaben  der 
Bittschrift  zu  sagen.  Der  Erste,  der  sie  herausgab,  war  Jac. 
Sirmond:  Marcellini  et  Faustini  presbyterorum  libellus  precum 
ad  imperatores,  nunc  primum  in  lucem  editus  .  .  .  Parisiis  1650. 
Voran  schickte  Sirmond  die  Erzählung  über  die  Streitigkeiten 
zwischen  Liberias  und  Felix,  Ursinus  und  Damasus,  die  unter 
der  Ueberschrift  Quae  gesta  sunt  inter  Liberium  et  Felicem  epi- 


ATelUna-Stadien.  83 

scopo*1  in  der  Avellana  unserer  Schrift  vorangeht  (n.  1)  und  über 
deren  Zusammenhang  mit  dieser  ich  unten  S.  7  ff.  gesprochen 
habe;  ebenso  gab  er  am  Schluss  seiner  Ausgabe  das  Rescript,  das 
Theodosius  in  Sachen  der  beiden  Presbyter  an  Cynegius  richtete 
(n.  2*  der  Avellana).  n.  1  wie  n.  2a  sind  nur  durch  die  Avel- 
lanische  Sammlung  erhalten,  und  schon  hieraus  wie  aus  dem  Um- 
stände, dass  die  beiden  grossen  Lücken  von  0  bei  Sirmond  nicht 
erscheinen,  kann  man  darauf  schliessen,  dass  diesem  irgend  eine 
Handschrift  der  Avellana  zu  Gebote  stand.  Allein  man  kommt 
noch  weiter.  Ich  habe  in  den  Prolegomena  meiner  Ausgabe 
einer  verhältnissmässig  jungen  Handschrift  dieser  Sammlung, 
des  Ottobonianus  1105  (—  o)9  Erwähnung  gethan  und  gezeigt, 
wie  diese  von  späteren  Händen  (=  o%)  am  Rande  mit  Con- 
jecturen  versehen  ist,  die  dann  in  verschiedenen  Abschriften 
des  Ottobonianus  in  den  Text  aufgenommen  sind.  Eine  solche 
Abschrift  ist  z.  B.  der  Vaticanus  5617  (=  q)*  auch  diesem 
sind  wieder  von  einem  der  beiden  Schreiber  der  Handschrift 
Conjecturen  beigeschrieben  (=  q%),  die  ihrerseits  zum  Theil 
wieder  in  einen  Descendenten  von  q}  den  Codex  292  der  Biblio- 
theca  Angelica  tibergegangen  sind.  Aus  einer  Reihe  von  Stellen 
geht  nun  hervor,  dass  der  von  Sirmond  benutzte  Avellanacodex 
ein  Zwillingsbruder  des  Angelicanus  war;  nicht  wenige  eigen- 
artige Lesarten  des  Letzteren,  die  aber  zum  Theil  schon  auf 
o2  oder  wenigsten  q*  zurückgehen,  finden  sich  auch  bei  Sirmond. 
Ich   fiihre  nur  einen  Theil  dieser  Stellen  an: 

6  26  quaesumus  autem  (autem  om.  0),  supplices  quae- 
sumus (quaesumus  om.  &),  ut  regias  aures  vestras  nobis  exi- 
guissimis  commodetis  V  (0).  Das  zweite  quaesumus  ist  in  V 
ebenso  wie  in  dem  daraus  abgeschriebenen  er,  dem  Stamm- 
vater von  o,  durch  die  Abkürzung  qs  wiedergegeben,  eine 
Abkürzung,  die  in  V  häufiger  vorkommt,  o  verstand  dieselbe 
nicht   und   schrieb   statt   dessen  quas;  für  quas  ut  conicirt  o2 


1  Sirmond  gab  ihr  die  Ueberschrift  Praefatio  de  eodem  schismate  Urnni, 
au*  eigener  Erfindung  und  gegen  die  Autorität  aller  Handschriften,  de 
eodem  «chismate  Urrini  sagt  er,  weil  er  zu  Anfang  seiner  Ausgabe 
unter  anderen  Stellen  mich  die  zusammengestellt  hat,  die  ihm  aus  den 
Kirchenschriftstellern  ,de  subreptione  Ursini'  bekannt  geworden  waren. 
So  lösen  sich  die  gerechtfertigten  Bedenken  von  G.  Krüger,  Lucifer  von 
Calaris,  S.  85. 

6* 


84  V.  Abhandlung:    Gfinther. 

am  Rande  quatenus.    Der  Angelicanus  hat  supplices  quatenus 
regia»  im  Text,  ebenso  lesen  wir  bei  Sirmond. 

7  17  servaretur  Vo  (0):  of  am  Rande  dafür  ßrmaretur 
und  so  im  Text  der  Angelicanns  und  Sirmond. 

10  4  quod  imperatorem  V  (0) :  quod  {qu€)  imperatorem 
interpolirt  o  und  so  auch  Angel,  und  Sirmond. 

13  30  incalllllluit  Vf  incaluit  oq:  inclinavit  Angel,  und 
Sirmond. 

15  1«  sperans  quod  V:  quod  tilgt  q*>  es  fehlt  im  Angel, 
und  bei  Sirmond. 

18  24  tm  (=  tarnen)  V:  tantum  o*  Angel.  Sirmond. 

20  32  evertentes  illa  statua  Vo:  o*  schreibt  an  den  Rand 
forte  yStatuta';  evertentes  illa  forte  statuta  Angel,  und  Sirmond. 

22  1—2  haeretici  bis  defensores  ist  infolge  des  voran- 
gehenden defensores  im  Angelicanus  (ob  auch  schon  in  g 
oder  o,  habe  ich  mir  nicht  notirt)  ausgefallen  und  fehlt  auch 
bei  Sirmond. 

25  19  consdentem  Vq:  consentientem  q*,  ebenso  am  Rande 
der  Angelicanus  und  Sirmond  im  Text. 

Allein  dem  ersten  Herausgeber  stand  noch  eine  andere 
Quelle  zur  Verfügung,  er  hat  ausser  jener  jungen  Avellana- 
handschrift  auch  einen  Codex  der  Recension  O  benutzt;  vgl.  z.  B. 

etenim  0  Sinn.  enim  V 

veritatiß  0  Sinn.  veri  V 

adfligi  cum  nee  ipsi  0  Sinn,  adfligi  V 
et  dwinitatis . .  omnipotentiae 

0  Sinn.  om.  V 

sepulturam  habent  0  Sinn.  sepulturam  V 

cum  0  Sinn.  om.  V 

libere  vindicantem  0  Sirm.  liberam  ei  indicantem  V 
quid   enim  .  .    glorientur    0 

Sirm.  om.  V. 

An  anderen  Stellen  hat  er  die  Lesarten  beider  Recen- 
sionen  contaminirt,  so: 

9  26  8ed  licet  Arrius  sit  sepultus  stercoribus  reliquit  ta- 
rnen suae  impietati8  heredes  V9  sed  licet  Arrius  sit  sepultus  in 
stercoribus  aliquos  tarnen  suae  impietatis  heredes  dereliquit  0: 


14 

6 

3 

7 

2 

8 

1 

29 

25 

31 

18 

39 

19 

43 

9 

AYftUaoa-Stndien.  85 

sed  licet  Arrius  sit  sepultus  in  stercoribus  aliquos  tarnen  relir 
quit  suae  impietatis  heredes  Sinn. 

33  28  diacone8  illibatae  fidei  F<2>;  über  illibatae  setzt  o* 
das  Zeichen  .*.  und  notirt  unter  demselben  Zeichen  am  Rande 
ittius  p(uto).,  was  im  Angelic.  in  den  Text  aufgenommen  ist: 
diaconos  illius  fidei,  Sirmond  liest  diaconos  illius  illibatae  fidei. 

40  l  mystica  vasa  V,  sancta  vasa  0:  sancta  mystica 
vasa  Sinn. 

40  6  svb  auctoritate  spei  contemplatione  fidem  catholicam 
vindicatis  V9  sub  auctoritate  vestri  naminis  auctoritatis  piae 
contemplationis  (contemplacione  %)  fidem  catholicam  vindicatio 
(vindicantes  %)  O:  sub  vestri  nominis  auctoritate  piae  spei 
contemplatione  fidem  catholicam  vindicantis  Sinn. 

Schon  die  letzte  Stelle,  wo  x  mit  contemplacione  und 
vindicantes  im  Gegensatz  steht  zu  den  übrigen  Handschriften 
der  Recension  O  (vindicatio  n<p,  vindecates  %)9  macht  es  nicht 
un wahrscheinlich ,  dass  eben  der  Parisinas  x  es  gewesen  ist, 
den  Sirmond  bei  seiner  Aasgabe  mit  herangezogen  hat.  Be- 
stätigt wird  diese  Vermuthung  noch  durch  eine  andere  Lesart: 

28  2  lesen  rcatp  (%  fehlt)  mit  V  richtig  paenitentes:  per 
paenitentes  hat  allein  x  and  nach  ihm  Sirmond. 

Eigenen  Werth  kann  nach  den  vorausgehenden  Dar- 
legungen der  Sirmond'sche  Text  in  keiner  Weise  beanspruchen; 
ich  bin  daher  auch  nicht  der  leidigen  Angewohnheit  mancher 
Heraasgeber  gefolgt,  die  sich  ein  Vergnügen  daraas  machen, 
ihren  Apparat  mit  sämmtlichen  Varianten  älterer  und  notorisch 
werthloser  Aasgaben  zu  belasten.  Der  nicht  angelehrte  und 
über  alle  Massen  rührige  Jesuit  hat  seine  Aufgabe  nicht  besser 
und  nicht  schlechter  gelöst  als  die  meisten  Herausgeber  seiner 
Zeit:  er  hat  vielfach  gegen  die  Autorität  beider  Recensionen 
geändert,  umgestellt,  hier  und  da  auch  Wörter  oder  ganze  Sätze 
ausgelassen.  Alles  dies  habe  ich  im  Apparat  nicht  angemerkt; 
wo  sein  Name  dort  erscheint,  ist  es  nur  bei  Emendationen  oder 
solchen  Conjecturen,  die  immerhin  der  Ueberlegung  werth  sind. 

Die  späteren  Herausgeber1  wiederholen  sämmtlich  den 
Text  der  Editio  princeps;  Handschriften  hat,  wenn  man  davon 


1  Die  Titel  sämmtlicher  Ausgaben  sind  zusammengestellt  bei  Migne,  Pa- 
trol.  Lal  XIII  36  ff. 


86  Y.  Abhandlung:    0*ntber. 

absieht,  dass  in  der  Aasgabe  von  Sirmond's  gesammelten 
Werken1  hier  und  da  einige  Varianten  des  codex  Colbertinns 
(%)  angemerkt  sind,  keiner  zu  Rathe  gezogen. 

2. 
Die  Ueberlleferung  von  n.  37. 

Das  Schreiben  des  Kaisers  Honorius  an  Papst  Bonifatius 
^Scripta  beatitudinis  tuae1,  das  in  der  Avellanischen  Sammlung 
n.  37  ausmacht,  ist  in  einer  so  grossen  Anzahl  canonistischer 
Sammlungen  überliefert  und  zeigt  in  den  einzelnen  Handschriften 
so  mannigfache  Verschiedenheiten  der  Lesarten,  dass  der  Ver- 
such, seine  Ueberlieferung  im  Einzelnen  gliedern  zu  wollen, 
als  ein  ziemlich  schwieriger  und  vielleicht  aussichtsloser  er- 
scheinen könnte.  Wenn  ich  ihn  trotzdem  unternehme,  so  ge- 
schieht es  vor  Allem  auch  deswegen,  um  bei  der  Gelegenheit 
eine  Hypothese  zu  berühren,  die  Wilhelm  Meyer  an  diesen 
Brief  angeknüpft  hat  und  die  die  ganze  Avellanische  Samm- 
lung angeht.  Meyer  *  geht  von  der  Thatsache  aus,  dass  der 
Anfang  des  Schreibens  in  der  Avellana  den  Wortlaut  hat: 
Scripta  beatitudinis  tuae  .  .  suscepimus,  omnipotenti  deo  ma- 
ximal gratias  referentes  quod  u.  s.  w.,  während  die  übrigen 
sieben  canonistischen  Sammlungen,  die  das  Stück  enthalten, 
folgendermasscn  lesen:  Scripta  beatitudinis  tuae  .  .  suscepimus, 
quibus  recensitis  egimus  omnipotenti  deo  maximas  gratias  qwod 
u.  8.  w.  Mit  dieser  Thatsache  verbindet  Meyer  die  andere, 
dass  in  n.  2  der  Avellana,  der  Schrift  der  Presbyter  Marcel- 
linus und  Faustinus,  die  Avellana  einen  vollständigeren  und 
vielfach  besseren  Text  giebt  als  die  drei  oder  vier  Sammlungen, 
in  denen  die  Schrift  uns  sonst  noch  überliefert  ist,  und  schliesst 
nun  Folgendes:  Oritur  suspicio  magnampartem  epistularum,  qtuze 
codicibus  iuris  canonici  vulgatis  traditae  sunt,  redire  ad  uruxm 
eandemque  collectionem  ut  antiquissimam  ita  et  erroribus  descri- 
bentium  et  interpolantis  cuiusdam  audacia  misere  vitiatam. 

1  Vgl.  Sirmondi  opera  varia.  Tom.  I,  Paris.  1696,  col.  137  ff.  und  dazu  c  II 
der  Praefatio.  Von  den  hier  erwähnten  Variante»  leciiones  .  .  ex  codiee 
Remigiano  habe  ich  unter  dem  Text  selbst  nichts  entdeckt;  Ton  dem 
Remigianus  selber  weiss  ich  nichts. 

a  Vgl.  II,  S.  31  f. 


ATeilaafr»8tudien.  87 

Ich  möchte  hiergegen  zunächst  das  einwenden,  dass  von 
der  Recension  der  Avellana  als  einer  einheitlichen  doch  erst 
von  dem  Zeitpunkt  an  die  Rede  sein  kann,  wo  der  Redactor 
die  verschiedenen  Theilsammlungen  oder  Theile  von  solchen, 
die  wir  oben  geschieden  haben,  zu  einem  Corpus  vereinigte. 
Vor  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  hatte  jede  dieser 
Gruppen  ihre  eigene  Ueberlieferung  und  demnach  ihre  eigenen 
Schicksale.  Auch  darüber  lässt  sich  streiten,  ob  von  diesem  Zeit- 
punkt an  die  Ueberlieferung  der  Avellana  wirklich  eine  gute 
genannt  zu  werden  verdient;  denn  wo  neben  V  eine  Parallel- 
überlieferung auftritt .  sei  es  nun  der  Berolinensis  Bf  sei  es  die 
Hispana  oder  sonst  eine  Sammlung,  da  finden  sich  doch  Stellen 
genug,  wo  die  richtige  Lesart  zweifellos  nicht  in  V,  sondern  in 
der  Parallelüberlieferung  anzutreffen  ist.  Sodann  sehe  ich  nicht 
ab,  wie  die  Avellana  von  allen  übrigen  canonistischen  Sammlungen, 
die  mit  ihr  sei  es  diesen,  sei  es  jenen  Brief  gemeinsam  haben, 
so  gesondert  werden  kann,  dass  letztere  ihr  gegenüber  als  eine 
einheitliche  recensio  vulgata  zusammengefasst  werden.  Wenn 
die  sieben  Sammlungen,  die  ausser  der  Avellana  den  Brief  37 
enthalten,  sämmtlich  eine  von  dem  Text  der  Avellana  ver- 
schiedene und  ohne  Zweifel  schlechtere  Lesart  aufweisen,  so 
liegt  auf  der  Hand,  dass  alle  sieben  Sammlungen  auf  ein 
schon  verdorbenes  Exemplar  x  dieses  Briefes  zurückgehen. 
Allein  dass  jene  sieben  Sammlungen  durch  mannigfache  Ver- 
wandtschaft mit  einander  verknüpft  sind,  stand  aus  Gründen, 
die  ihrer  Composition  entnommen  waren,  schon  längst  fest. 
Wiederum,  wenn  in  den  vier  Sammlungen,  die  die  Parallel- 
überlieferung der  Schrift  der  Presbyter  Marcellinus  und  Fau- 
stinus  darbieten  und  die  von  jenen  sieben  erstgenannten  Samm- 
lungen durchaus  verschieden  sind,  jene  Schrift  an  vielen  Stellen 
Lücken  und  Verderbnisse  zeigt,  von  denen  die  Avellana  frei 
ist,  so  folgt,  dass  sie  auf  ein  Exemplar  y  jenes  Libellus  zurück- 
gehen, das  vielfach  schlechter  war  als  das  in  die  Avellana  auf- 
genommene. Allein  die  enge  Verwandtschaft  auch  dieser  vier 
Sammlungen  war  aus  inneren  Gründen  längst  erschlossen.  Mit 
welchem  Recht  aber  will  man  nun  jenes  Exemplar  x  von  n.  37 
und  das  Exemplar  y  von  n.  2  mit  einander  in  Verbindung 
bringen?  mit  welchem  Recht  aus  dem  Umstand,  dass  durch 
einen    reinen   Zufall   n.   2   und    n.  57    in    der   Avellana   ver- 


88  T.  AManüaf :    Sftnthftr. 

einigt  sind,  darauf  schliessen,  dass  anch  jenes  x  und  y  einst 
in  irgend  einer  Sammlung  vereint  gewesen  wären  und  gemein- 
same Schicksale  erlitten  hätten,  während  doch  heute  die  Samm- 
lungen, in  denen  x  vorkommt,  von  denen,  in  welchen  y  steht, 
völlig  verschieden  sind? 

Es  ist  durchaus  daran  festzuhalten,  einmal,  dass  die  Avel- 
lanische  Sammlung  nicht  im  Geringsten  anders  zu  beurtheilen 
ist  als  die  meisten  übrigen  canonistischen  Sammlungen.  Wahr 
ist,  dass  sie  uns  sehr  viele  Stücke  erhalten  hat,  die  wir  sonst 
nicht  kennen  würden,  wahr,  dass  sie  gute  Quellen  benutzt  hat; 
allein  beides  hebt  sie  doch  nicht  so  aus  der  Reihe  der  übrigen 
Sammlungen  heraus,  dass  ein  principieller  Unterschied  zwischen 
ihr  und  diesen  festgestellt  werden  könnte.  Jede  Sammlung 
hat  ihre  eigene  Geschichte,  die  Avellana  so  gut  wie  die  Dio- 
nysiana  oder  die  Sammlung  der  Handschrift  von  Albi:  eine 
gemeinsame  Geschichte  aller  übrigen  Sammlungen  gegenüber 
der  Avellana  giebt  es  nicht.  Wir  haben  nur  dann  das  Recht, 
zwei  Sammlungen  in  inneren  Zusammenhang  zu  bringen,  wenn 
ihr  Inhalt  in  irgend  welchen  Stücken  gleich  oder  ähnlich  ist. 
KemSnt  in  zwei  Sammlungen  a  uud  b  eine  längere  Reihe  von 
Briefen  in  derselben  oder  doch  in  ähnlicher  Reihenfolge  vor, 
so  kann  das  kein  Zufall  sein,  sondern  es  hat  entweder  a  aas 
b  oder  b  aus  a  oder  sowohl  a  wie  b  aus  einer  gemeinsamen 
Quelle  c  geschöpft.  Auf  diesem  Wege  haben  die  Brüder  Bal- 
lerini und  dann  vor  allen  Maassen  die  verschlungenen  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse vieler  Sammlungen  auf  das  Glücklichste 
klargelegt  Meyer  spricht  diesen  Schlüssen  die  absolute  Sicher- 
heit ab  und  meint,  es  müsse  ein  zweites  hinzukommen:  die 
Handschriften  derselben  Sammlung  müssten  dieselben,  die  Hand- 
schriften ähnlicher  Sammlungen  ähnliche  Lesarten  zeigen.  Im 
Grossen  und  Ganzen  wird  dies  ja  ohne  Frage  zutreffen,  allein 
nothwendig  ist  es  keineswegs.  Meyer  selbst  weist  darauf  hin, 
wie  oft  Handschriften  einer  Classe  mit  Lesarten  von  Hand- 
schriften einer  anderen  Classe  durchsetzt  worden  sind.  Das 
ist  in  der  That  so  häufig  der  Fall,  dass  jemand,  der  die  Ab- 
hängigkeit einer  Sammlung  von  einer  anderen  nur  auf  Grund 
von  gleichen  oder  ähnlichen  Lesarten  behaupten  wollte,  vielfach 
irre  gehen  würde.  Es  ist  bekannt,  wie  sich  aus  der  Decretalen- 
8ammlung  des  Dionysius  Exiguus  im  Laufe  der  Zeiten  die  Form 


ATeilwiÄ-Studien.  89 

entwickelt  hat,  die  wir  als  Dionysio-Hadriana  zu  bezeichnen 
gewohnt  sind.  Auch  diese  Form  hat  wieder  mancherlei  Ab- 
änderungen erfahren,  vor  Allem  die,  welche  heute  die  vier 
Handschriften  Monac.  14008,  Vallicellanus  A  5,  Vercellensis 
LXXVI  und  Vaticanus  1353  zeigen.  Maassen  hat  diese  , ver- 
mehrte Hadriana'  genauer  beschrieben;  das  Wesentliche  an 
ihrer  Form  ist,  dass  die  Dionysio-Hadriana  als  Kern  in  der 
Mitte  steht  (vgl.  Maassen,  S.  445,  n.  VII— LXVIII),  dem  nur 
einige  andere  Stücke  vorangesetzt  und  wieder  andere  angefügt 
sind.  Wie  ist  es  nun  mit  den  Lesarten?  In  unserem  Brief  37 
geben  p.  84  9  f.  meiner  Ausgabe  alle  Handschriften  der  Dionysio- 
Hadriana  ut  ei  quid  forte  religioni  tuae  quod  non  optamus 
humana  sorte  contigerit,  alle  vier  Codices  der  vermehrten  Ha- 
driana  schieben  dagegen  zwischen  forte  und  religioni  ein  tale 
ein  und  nähern  sich  so  den  Lesarten  der  von  der  Dionysiana 
unabhängigen  alten  ^Sammlung  von  St.  Blasien'  (Z),  unter  deren 
vier  von  mir  herangezogenen  Handschriften  £*  und  Pforte  tale 
quod,  C1  forte  aliquod  (corrigirt  aus  alequod),  t8  forte  reli- 
gioni tale  quod  darbieten.  Ebenso  liest  die  vermehrte  Hadriana 
84  12  mit  der  Sammlung  von  St.  Blasien  certatim}  während  die 
Dionysio-Hadriana  ebenso  wie  die  Avellana  certantum  hat.  Aus 
solchen  und  ähnlichen  Stellen  schliesst  Meyer:  der  Monacensis 
14008,  dessen  Lesarten  ihm  von  den  vier  oben  angeführten 
Handschriften  der  vermehrten  Hadriana  allein  zu  Gebote  standen, 
fnon  auctam  Hadrianam  sed  aliam  verborum  conformationem 
exhibet1.  Wenn  dies  nichts  weiter  bedeuten  soll,  als  dass  die 
Handschrift  an  einigen  Stellen  nicht  Lesarten  der  Dionysio- 
Hadriana,  sondern  solche  der  Sammlung  von  St.  Blasien  auf- 
weist, so  wird  dem  Niemand  widersprechen.  Allein  es  klingt 
doch  beinahe  so,  als  ob  Meyer  aus  jener  Verschiedenheit  der 
Lesarten  den  Schluss  zöge,  die  in  besagtem  Monacensis  und 
seinen  drei  Genossen  Überlieferte  Sammlung  sei  von  Maassen 
falschlich  ,vermehrte  Hadriana'  genannt  und  Brief  37  nicht 
aus  der  Hadriana,  sondern  irgendwo  anders  her  in  jene  Samm- 
lung übernommen.  Dies  wäre  eine  Folgerung,  der  man  sich 
unter  keinen  Umständen  anschliessen  dürfte.  Da  die  ganze 
Hadriana  als  geschlossenes  Corpus  in  der  , vermehrten  Hadriana' 
thatsächlich  enthalten  ist,  so  stammt  auch  Brief  37  und  was 
sonst  vielleicht   noch   anderswo   überliefert  ist  eben    aus    der 


90  V.  Abhandlung:    Günther. 

Hadriana.1  Die  Erklärung  solcher  Fälle  ist  immer  dieselbe: 
der  Archetypus  jener  vier  Handschriften  stammt  aus  einem 
Exemplar  der  Hadriana,  in  das  eine  Reihe  von  Lesarten  der 
Sammlung  von  St.  Blasien  übertragen  war.  Noch  ein  anderes 
Beispiel  mag  hier,  da  wir  gerade  bei  der  ,  vermehrten  Hadriana' 
stehen,  kurze  Erwähnung  finden.  Im  Codex  Vallicell.  A  5 
dieser  Sammlung  ist  Brief  37  von  anderer  Hand  nach  einem 
Exemplar  der  Avellana  corrigirt,  beispielsweise  der  oben  aus* 
geschriebene  Anfang  Scripta  beatitudinis  tuae  .  .  suscepimus 
quibus  refconjcensetis  egimus  omnipotentifs]  deo  maximas  gr alias 
quod  u.  s.  w.  in  suscepimus  omnipotenti  deo  maximas  gratias 
referentes  quod  u.  s.  w.  abgeändert.  Wären  diese  Correcturen 
zufälligerweise  nicht  in  den  Vaüicellanus,  sondern  schon  in  den 
gemeinsamen  Archetypus  der  vier  Handschriften  der  vermehrten 
Hadriana  eingetragen,  so  würden  heute  alle  vier  die  Lesarten 
der  Avellana  zeigen.  Aber  würde  darum  die  vermehrte  Ha 
driana  als  solche  auch  nur  irgend  etwas  mit  der  Avellana  eu 
thun  haben? 

Ich  möchte  also  den  Grundsatz  aufstellen:  wo  immer  über 
die  Verwandtschaft  zweier  Sammlungen  a  und  b  aus  der  Com- 
position,  d.  h.  aus  der  Reihenfolge  gemeinschaftlicher  Stücke 
etwas  zu  erschliessen  ist,  da  werden  solche  Schlüsse  durch 
Uebereinstimmung  der  Lesarten  wohl  bestärkt,  auf  der  anderen 
Seite  aber  nicht  im  Geringsten  dadurch  entkräftet,  wenn  etwa 
an  einer  Reihe  von  Stellen  b  nicht  die  der  Sammlung  a  eigren- 
thümlichen  Lesarten,  sondern  vielleicht  die  einer  dritten  Samm- 
lung c  zeigt.  Von  Wichtigkeit  sind  einzelne  Lesarten  nur 
dann,  wenn  aus  der  Composition  überhaupt  keine  Schlüsse 
gezogen  werden  können,  oder  aber,  wenn  mehr  als  zwei 
Sammlungen  auch  ihrer  Composition  nach  verwandt  sind  und 
nun  die  Gleichheit,  beziehungsweise  Verschiedenheit  der  Les- 
arten eine  Handhabe  bietet,  um  unter  mehreren  an  und  für 
sich  möglichen  Verwandtschaftsverhältnissen  eines  als  das 
wahrscheinlichste  zu  ermitteln.  Vorsicht  ist  freilich  auch  hier 
von  Nöthen. 


1  An  anderen  Stellen  ergiebt  sich  dies  auch  aus  den  Lesarten;  vgl.  84  19 
studio,  Avellana  und  Sammlung  von  St  Blasien:  sua  studio,  älteste  Dio- 
nysiana,  Dionysio-Hadriana,  vermehrte  Hadriana. 


ATellaairStndien.  91 

Den  Brief  37,  um  nun  endlich  im  Einzelnen  zu  seiner  lieber* 
lieferung  zu  kommen,  haben  abgesehen  von  der  Avellana  uns 
noch  sieben  andere  Sammlungen  erhalten.  Ich  habe  sie  S.  LXff. 
meiner  Prolegomena  genauer  bezeichnet  und  stelle  hier  nur 
die  Chiffren  zusammen,  soweit  ich  sie  im  Folgenden  nöthig  habe: 

1.  Z  =  ^Sammlung  von  St.  Blasien*.    Handschriften:   C1  = 

Sanblas.  6  saec.  VI,  £2  =  Lucens.  490  saec.  VIII,  £8  = 
Paris.  3836  saec.  VIII,  £4  =  Paris.  1455  saec  X  (letz- 
terer enthält  die  ,Sammlung  der  Colbert'schen  Hand- 
•  schrift',  deren  erster  Theil  jedoch  nichts  Anderes  ist  als 
die  ,Sammlung  von  St.  Blasien'). 

2.  r  =  ,Sammlung  der  Handschrift  von  Chieti'  Vatic.  Re- 

gin.  1997  saec.  X. 

3.  üj  =  ,Sammlung  der  Vaticanischen  Handschrift',    w2  = 

Barberin.  XIV  52,  saec.  IX;  Vatic.  1342  und  Laurent.  82 
bibl.  aedil.  Florent.  enthalten  den  Brief  nicht. 

4.  J  =s  ^Sammlung  der   Handschrift  von  Diessen'.   Monac. 

5508  saec.  IX. 

5.  D  =  älteste  Form   der  ,Dionysiana* :  d1  =■=  Paris.  3837 

saec.  IX,  d*  =  Vatic.  5845  saec.  IX. 

6.  H=  ,Dionysio-Hadriana'.    Von   mir   zehn  Handschriften 

des  9.  und  10.  Jahrhunderts  verglichen,  darunter  A8 
und  A9,  die  Mlinchener  3860  und  3860*. 

7.  Hisp.  =  ,Hispana'.    Von   mir  benutzt  die  Ausgabe   der- 

selben von  Gonzalez  (Madrid  1808,  2.  Band  1821)  und 
zur  Controle  verglichen  die  Handschriften  i l  =  Vatic. 
1341  saec.  X,  i2  =  Vatic.  630  saec/  X,  is  =  Vatic. 
3791  saec.  XH. 

Von  diesen  Sammlungen  hätte  ich,  ebenso  wie  ich  den 
Parisinus  1455  mit  unter  die  Handschriften  der  Sammlung  von 
St.  Blasien  gerechnet  und  die  ^vermehrte  Hadriana'  als  einen  Ab- 
leger von  H  unberücksichtigt  gelassen  habe  —  rein  methodisch 
gebandelt  —  auch  von  H  selbst  und  ebenso  von  der  Hispana 
absehen  können,  da  beide  bekanntermassen  die  Decretalen- 
sammlung  des  Dionysius  und  mit  ihr  auch  Brief  37  aus  D  in 
sich  aufgenommen  haben.  Wenn  ich  sie  trotzdem  herangezogen 
habe,   so  ist  es  deshalb  geschehen,   weil  ich  für  D  selbst  nur 


■*■•   - 


■*•* 


C  • 


•  * 


Avellam-Stndien.  93 

83  7  suscepimus]  suseipimus  £*  £2  z/;  84  10  non]  fehlt  in  £x  //). 
Wenngleich  also  A  den  Brief  37  nicht  aus  £*  selbst  geschöpft 
haben  kann  (vgl.  83  10  didicimus]  dedicimus  J}  dicimus  ^1li] 
84 18  seditiosis  conspirationibusj  seditionibus  conspirationibus  A, 
seditionibus  t1  £*),  so  liegt  doch  auf  der  Hand,  dass  seine  Quelle 
nicht  r,  sondern  eine  dem  Codex  £*  sehr  nahe  stehende  Hand- 
schrift der  Sammlung  Z  gewesen  ist.  Wieweit  dies  auch  für 
die  übrigen  Briefe  zu  constatiren  ist,  die  den  Sammlungen  AZV 
gemeinsam  sind  und  die  Maassen  die  Sammlung  A  aus  T  ge- 
schöpft haben  lässt,  kann  nur  eine  Vergleichung  der  Lesarten 
sämmtlicher  Stücke  lehren. 

Was  die  Sammlungen  ZTw  angeht  (denen,  was  Brief  37 
anlangt,  noch  A  anzureihen  ist),  so  hat  bereits  Maassen  aus 
ihrer  Compositum  den  zweifellosen  Nachweis  geführt,  dass 
sie  auf  eine  sehr  alte  gemeinsame  Quelle  zurückgehen,  die 
verschieden  ist  von  der  Decretalensammlung  des  Dionysius.1 
In  der  That  beweisen  auch  die  Lesarten,  dass  D  auf  der  einen 
Seite  steht,  ZTtaA  auf  der  anderen.  Vgl.  folgende  Stellen,  bei 
denen  ich  wie  in  meiner  Ausgabe  die  gemeinsamen  Lesarten 
von  ZATio  mit  K,  die  gemeinsamen  Lesarten  von  DH  Hisp. 
mit  3  bezeichne: 

83  3  ut  st  dermo  romae  episcopi        ut  si  denuo  (romae  fügt  JT 

ordinati  fuerint  duo  3  hinzu)  ordinati  fuerint 

duo  K 
ut  si  ordinati  fuerint  duo 
episcopi  V 

84  7  credidit  V*2  credimus  oder  credidimus  K 
84  19  sua  studia  3                                studio,  FK 

Die  ersten  beiden  der  angeführten  Stellen  beweisen  unter 
Berücksichtigung  der  Lesart  von  V7  dass  K  nicht  Quelle  für  3, 
die  letzte  ebenso,  dass  3  nicht  Quelle  für  K  gewesen  sein  kann. 

Die  Decretalen  der  Hispana  sind,  so  weit  sie  in  der  älte- 
sten Form  der  Dionysiana  vorkommen,  aus  dieser  entlehnt; 
ebenso  ist  die  Dionysio-Hadriana  nur  eine  Weiterbildung  jener 


1  Vgl.  Maassen,  S.  500  ff.  Dasselbe  gilt  von  der  »Sammlung  der  Justerschen 
Handschrift*  (Maassen,  S.  533),  die  aber  weder  n.  37  enthält,  noch  die 
supplicatio  Bonifatii. 


94 


Y.    AMtoadtaig:    Oflntker. 


ältesten  Form  der  Dionysiana.  Wir  würden  demnach,  was 
Brief  37  angeht,  zu  einem  Verwandtschaftsverhältniss  der  ein- 
zelnen Sammlangen  gelangen,  das  dnrch  folgendes  Stemma 
veranschaulicht  wird: 


Freilich  stimmen  nicht  alle  Lesarten  hiermit.  So  zeigt  f, 
dessen  Zugehörigkeit  znr  Classe  X  sowohl  durch  die  oben  von 
mir  angeführten  Lesarten,  wie  durch  Maassen's  Untersuchungen 
über  die  Composition  dieser  Sammlung  bewiesen  wird,  an 
einigen  Stellen  Lesarten,  die  von  denen  seiner  Genossen  ZAta 
abweichen  und  vielmehr  mit  denen  von  D  übereinstimmen; 
vgl.  83  2  romanum  DHV:  fehlt  in  ZJw*  83  3  in  qua  ZJcj*: 
in  quo  2  T  83  3  ordinaH  VZJan* :  romae  episcopi  ordinati  2, 
romae  ordinati  F.  Zweifellos  ist  also  irgend  eine  Zwischen- 
stufe zwischen  K  und  /'  durch  Lesarten  der  Dionysiana  inter- 
polirt  worden.  Ebenso  ist  auf  Interpolation  durch  Lesarten  der 
Classe  2  zurückzuführen,  wenn  in  w*  83  6  urbis  Romae  zu 
lesen  ist.  das  sonst  nur  in  der  Handschrift  d*  und  der  Hispana 
steht,  während  alle  übrigen  Handschriften  von  R  mit  «I1  und 
s&mmtlichen  Handschriften  von  H  urbis  aeternae  darbieten.1 

Schliesslich  ist  auch  die  Hispana  nicht  frei  von  Inter- 
polationen aus  der  anderen  Classe,  vgl. 

83  2  romanum  DHTVi  fehlt  in  ZJta*  Hisp. 

84  2  uti  DHZJTi  ut  Hisp.  a>*V 

1  Wenn  •*  84  *  ut  liest,  w&hrend  mit  Ausnahme  der  Hispana  alle  Hand- 
schriften beider  Classen  K  und  Z  uti  haben,  so  kann  das  Zufall  sein.  84  « 
hat  ••*  richtig  ne  (mit  V  und  Hisp.),  was  in  ZA  fehlt,  w&hrend  T  €»,  D  ut 
liest  Ich  glaube,  wie  in  ZAy  fehlte  das  Wort  sehen  in  dem  gemein- 
samen Archetypus  der  Classen  K3  und  die  Lücke  wurde  in  rD  und 
möglicher  Weise  auch  in  m  durch  rerschiedene  Cowjecturen  erganst 


Ardlana-Studien.  95 

84  6  ut  D  und  mit  Ausnahme  von     ne  Hisp.  ä8ä°ci>2F 

A*  A9  auch  H  (eo  T,  fehlt  in 

ZA) 
84  9  voluimus  D  and  mit  Ausnahme     volumus  R  VHisp.  A8  A9 

von  A8A9  auch  H 
84  n  duo  DHr  duo  forte  ZJV^Hisp. 

Sicheres  über  die  Quelle  dieser  Interpolationen l  wird  sich 
kaum  feststellen  lassen,  möglicherweise  stammen  sie  aus  einer 
Handschrift  wie  w*. 

Wir  sehen  also,  dass  auf  der  einen  Seite  öfter  Lesarten 
der  Classe  K  in  Handschriften  oder  Sammlungen,  die  von  2 
abhängen,  übertragen  worden  sind,  und  dass  auf  der  anderen 
Seite  auch  das  Umgekehrte  stattgefunden  hat.  Ich  habe  das 
einigermaßen  zu  erklären  versucht;  wer  mehrere  in  K  und 
2  gemeinsam  vorkommende  Stücke  vergleicht,  wird  vielleicht 
hier  und  da  zu  anderen  Erklärungen  kommen,  ohne  jedoch 
an  dem  wesentlichen  Resultat,  an  der  Trennung  der  einzelnen 
Sammlungen  in  die  Classen  K  und  2  etwas  zu  ändern.  Denn, 
um  es  zu  wiederholen,  in  einem  Falle,  wo  die  aus  der  Compo- 
situm der  Sammlungen  gewonnenen  Resultate  durch  eine  Reihe 
von  schwerwiegenden  Lesarten  ihre  Bestätigung  finden,  in  einem 
solchen  Falle  ist  es  gleichgiltig,  ob  in  diesem  o'der  jenem  Zweige 
der  einen  Classe  der  Ueberlieferung  einmal  eine  Lesart  auf- 
tritt, die  der  anderen  Classe  angehört. 

Aus  Allem,  was  ich  über  das  Verhältniss  der  Sammlungen 
X3  und  V  gesagt  habe,  ergiebt  sich  als  praktisches  Resultat  für 
den  Herausgeber  von  Brief  37,  dass  in  allen  Fällen,  wo  K 
und  2  von  einander  abweichen,  diejenige  Lesart  die  ursprüng- 


1  Man  könnte  auf  den  Gedanken  kommen,  der  Collect» r  der  Hispana  habe 
einen  Codex  der  Dionysiana  benutzt,  der  an  manchen  Stellen  besser  war 
als  die  uns  erhaltenen.  Allein  damit  erledigen  sich  keineswegs  alle  oben 
angeführten  Stellen,  denn  dass  83  a  das  in  der  Hispana  fehlende  roma- 
num  in  DH  mit  Recht  steht,  wird  durch  die  Uebereinstinimung  von  V 
bewiesen;  und  84  2  ist  uti  nicht  allein  für  die  ursprüngliche  Lesart  der 
Classe  2  zu  halten,  sondern  auch  für  den  gemeinsamen  Archetypus  von 
3  und  X  in  Anspruch  zu  nehmen.  Mit  einem  Worte  erwähnen  will 
ich  gleich  hier  die  abweichenden  Lesarten  der  beiden  Münchner  Ha- 
driana- Handschriften  A8  und  h°.  Wie  hier,  so  geben  sie  auch  in  an- 
deren Stücken  vielfach  Lesarten,   die  der  Hispana  eigen thümlich  sind. 


96  V.  Abhandlung:    Günther. 

liehe  ist  7  die  mit  V  übereinstimmt.  Stehen  R2  dagegen  zu- 
sammen gegen  V,  so  hat  man  ans  inneren  Gründen  zu  ent- 
scheiden, welche  Lesart  die  richtige  ist. 

Hinzufügen  möchte  ich  noch  eins.  Wir  sahen  oben,  dass 
irgend  jemand  in  alter  Zeit  den  Brief  37  an  die  Supplicatio 
Bonifatii  anfügte,  auf  die  er  Antwort  giebt.  Wer  das  that,  der 
ersetzte  sachgemäss  das  Epistola  imperatoris  Honorii,  das 
wir  noch  in  V  lesen,  durch  ein  Rescriptum  Honori  Augusti, 
wie  es  K  und  2  haben.  Allein  der  Betreffende  ist  bei  dieser 
Aenderung  offenbar  etwas  nachlässig  gewesen.  Denn  da  es 
in  Fheisst:  Epistola  imperatoris  Honorii  ad  Bonifatium  epi- 
scopum  Romanum  qua  statuit  ut  u.  s.  w.,  und  wir  auch  in  K 
(mit  Ausnahme  des  aus  der  Dionysiana  interpolirten  F)  lesen: 
Rescriptum  Honori  Augusti  ad  Bonifatium  papa  in  qua 
statuit  ut  u.  s.  w.,  so  ist  hier  das  qua  offenbar  kein  Schreibfehler, 
sondern  durch  ein  Versehen  aus  dem  anderen  Titel  Epistola . . . 
qua  herübergenommen  und  erst  von  Dionysius  in  quo  corrigirt 

worden.1 

• 

3. 

Die  Ueberlleferung  des  Briefes  9Valde  mirati  &umu& 

des  Gelaslus  (Avell.  n.  95). 

Das  Schreiben  des  Gelasius  an  die  Bischöfe  von  Dardanien 
vom  1.  Februar  (oder  13.  Mai?)  496  Valde  mirati  sumus  —  n.  95 
in  der  Avellanischen  Sammlung  —  sucht  den  Nachweis  zu  führen, 
dass  Acacius  von  Constantinopel  mit  Recht  vom  apostolischen 
Stuhle  verdammt  sei.  Es  ist  von  beträchtlichem  Umfange  und 
unter  den  eigentlichen  Briefen  jenes  Papstes  weitaus  der  längste. 
Die  Ueberlieferung  des  Stückes  ist  etwas  verwickelt;  ich  habe 
daher,  obgleich  meine  Ansicht  darüber  von  der  bisher  geltenden 


1  Ob  der  Titel  Supplicatio  papae  Bonifatii,  ut  conttituatur  a  principe,  qua- 
tenu*  in  urbe  Roma  numquam  per  ambüum  ordinetur  antistes,  der  dem 
Schreiben  des  Bonifatius  vorangeht,  schon  in  dem  Archetypus  von  X 
and  3  gestanden  hat  oder  erst  von  Dionys  nach  dem  Master  jenes  an- 
deren Rescriptum  Honori  AugtuU  u.  s.  w.  angefertigt  worden  ist,  ist  nicht 
ganz  sicher.  Ausser  3  hat  ihn  auch  o>  (vgl.  Maassen,  S.  618,  n.  3LLV), 
doch  braucht  er  deswegen  noch  nicht  in  K  gewesen  zu  sein,  da  »,  wie 
ich  oben  bemerkt  habe,  Spuren  von  Interpolationen  aus  3  zeigt. 


AYeUan*-8tudien.  97 

durchaus  abweicht,  in  meiner  Aasgabe  nicht  näher  darauf  ein- 
gehen wollen,  bin  aber  eben  darum  verpflichtet,  die  Frage 
hier  ausführlicher  zu  behandeln. 

Die  Hauptsache  ist  die,  dass  zwei  Fassungen  des  Schreibens 
existiren,  eine  längere  (=  ii)  und  eine  kürzere  (=  2).     Die 
letztere  habe  ich  in  der  Appendix  I  meiner  Ausgabe  zum  Ab- 
druck gebracht.   Die  Unterschiede  beider  Fassungen  hegen  ein- 
mal  darin,   dass  an  einer  Reihe  von  Stellen,   wo  in  ß  irgend 
ein  Gedanke  des  Gelasius  entweder  breit  ausgeführt  oder  durch 
geschichtliche  Beispiele  erläutert  wird,  in  2  diese  weiteren  Aus- 
fuhrungen oder  Beispiele  fehlen.    So  giebt  ß  in  den  §§.  60 — 63 
eine  grössere  Anzahl  von  Fällen  an,  in  denen  Geistliche  den  un- 
rechten Bestrebungen  politischer  Machthaber  freimüthigen  und 
offenen  Widerstand  entgegengesetzt  hätten:  als  solche  werden 
genannt  der  Prophet  Nathan  gegenüber  König  David,  Ambro- 
sius  von  Mailand  im   Kampfe  mit  Theodosius,   Papst  Hilarus 
in  seinen  Bestrebungen  gegen  den  Kaiser  Anthemius,  die  Päpste 
Simplicius  und  Felix  gegenüber  Basiliscus  und  Zeno,  Eugenius 
von  Carthago  im  Widerstand  gegen  den  Vandalenkönig  Hunne- 
rich   und   schliesslich  Gelasius   selbst   mit   seiner  Nichtachtung 
von  Befehlen  des  Odovaker.   Von  allen  diesen  Beispielen  hat  2 
nur  den  Propheten  Nathan;  die  Worte  390  18  beatae  memoriae 
Ambrosia*  bis  391  21  paruisse  manifestum  est  fehlen.      In  ähn- 
licher Weise   fehlen   in  2  die  Worte  ß   §.  55 — 57,   in   denen 
durch   eine  Reihe  von  Beispielen   aus  der  Papstgeschichte  die 
irrige  Meinung  widerlegt  wird,  als  ob  die  Würde  des  Bischofs 
von  Constantinopel  dadurch  einen  Zuwachs  erfahre,  dass  Con- 
stantinopel  die  Residenz  der  römischen  Kaiser  sei;   und  solche 
Fälle   können   noch  mehrere  angeführt  werden.       An  anderen 
Stellen  ist  der  Wortlaut  in  2  nicht  nur  kürzer  als  in  ß,  sondern 
er  erscheint  diesem  gegenüber  auch  in  veränderter  Reihenfolge 
der  Gedanken.     Ich  weise   in   dieser  Beziehung  hier  nur  kurz 
auf  einen  Fall  hin,   auf  den  ich  unten  noch  näher  einzugehen 
habe:   ß  §§.  11 — 25   erscheinen  in  2  so,   dass  auf  §.  11  nur 
die  Anfangsworte  von  §.  12  folgen,   dann   springt   die  Rede 
auf  den  Anfang  von  ß   §.  15  und  von  hier  unter  Einfügung 
einiger  Worte,  die  in  ß  fehlen,  auf  ß  §§.  23 — 25,  jedoch  so, 
dass  vor  ß   §.  25  (=  2  §.  15,   p.  779  li)  noch  der  Anfang 
von  ß   §.  18   auftritt.       Weniger  erheblich   sind  solche  Fälle, 

Sitrangttor.  d.  pkiL-hirt.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  6.  Abh.  7 


98  V.  Abhandlung:    Günther. 

wo  statt  irgend  welcher  einzelnen  Worte  von  ß  in  2  syn- 
onyme Ausdrücke  erscheinen,  vgl.  z.  B.  p.  371  20  in  haec 
consortia  Q:  in  hos  blasphemias  2$  p.  372  1  novis  ausibus  Q: 
nomter  2]  p.  385  6  pariter  £}:  quoque  2]  p.  392  13  expelli  £2: 
excludi  2. 

Ueber  das  Verhältniss  der  beiden  Fassungen  hat  sich 
zuerst  Quesnel1  geäussert:  er  hält  die  kürzere  Form  für  die 
echte,  spricht  alles,  was  die  längere  ihr  gegenüber  mehr  hat, 
dem  Gelasius  ab  und  hält  es  für  Interpolation  einer  späteren 
Zeit.  Dieselbe  Ansicht  hat  nach  ihm  Maffei*  ausgesprochen 
und  zu  vertheidigen  gesucht.  Die  von  beiden  ins  Feld  ge- 
führten Gründe  sind  jedoch  ohne  jede  Beweiskraft  und  von  den 
Ballerini3  und  von  Thiel4  so  treffend  widerlegt,  dass  ich  hier 
davon  absehen  kann,  von  Neuem  auf  sie  einzugehen.  Sowohl 
die  Ballerini  wie  Thiel  halten  also  auch  die  längere  Form  für 
gelasianisch;  der  Meinung  freilich,  dass  die  kürzere  die  ältere 
sei,  haben  auch  sie  sich  nicht  entschlagen  können;  sie  halten  2 
für  den  ersten  Entwurf  des  Papstes,  ß  für  eine  ebenfalls  von 
Gelasius  ausgegangene,  vermehrte  und  verbesserte  zweite  Re- 
daction  desselben.6  Auch  Jos.  Langen  hält  die  kürzere  Fas- 
sung für  die  ältere  und  glaubt  sogar,  dass  diese  wirklich  an 
die  Bischöfe  Dardaniens  abgesandt  sei;  er  sagt  über  die  beiden 
Texte  Folgendes:  ,Der  längere  charakterisirt  sich  als  eine  Er- 
weiterung des  kürzeren,  welcher  der  ursprüngliche  war.  Die 
Zusätze  enthalten  Ausführungen  und  historische  Beläge,  welche 
zum  Theil  wenigstens  dazu  dienen  sollten ,  die  in  dßm  Briefe 
aufgestellten  Behauptungen  zu  bekräftigen.     Es  spricht  nichts 


1  Ad  S.  Leonis  opera  Appendix  (=  2.  Band  der  Opera  Leonis),  p.  186. 
s  Supplementum  Acacianum  (Venet  1728)  p.  9  f. 

3  Appendix  ad  S.  Leonis  opera  (=  3.  Band  ihrer  Ausgabe),  p.  CXLVI  ff. 

4  Epp.  Roman.  Pontific.  I,  p.  36  ff. 

5  JIoc  vero  auctius  exemplum  cum  et  dausulam  tet  chronicam  notam  prae- 
ferat,  ad  ipso*  Dardanos  missum  videtur:  alterum  vero  brevius  primum 
fuisse,  quod  Gelasius  prioribus  curis  paraverat,  non  tarnen  perfecerat, 
sagen  die  Ballerini  (a.  a.  O.  p.  CXLVIII);  tLeonem  vero . . .  imüatus  est 
Gelasius  eo  quod  opus  rudiore  penicülo  primum  delineatum  postmodum 
perficere  atque  omnibus  numeris  suis  explere  nisus  est*  heisst  es  bei  Thiel 
(p.  38).  Dem  Urtheil  Thiel's  schliesst  sich  an  A.  Roux,  Le  pape 
S.  Gälase  I,  Paris -Bordeaux  1880,  p.  82  —  ein  Buch  ohne  jeden 
eigenen  Werth. 


▲▼ellanarStndien.  99 

gegen  die  Annahme,  dass  schon  zu  Gelasius'  Zeit  und  mit 
seiner  Billigung  der  nach  Dardanien  abgeschickte  Brief  in  dieser 
Weise  erweitert  dem  römischen  Archiv  einverleibt  wurde.11 

Die  Entscheidung  kann  natürlich  nur  auf  Grund  einer  ge- 
nauen Interpretation  des  Einzelnen  getroffen  werden.  Die  kür- 
zere Form  werden  wir  dann  für  die  ursprüngliche  und  ältere 
halten  müssen,  wenn  das,  was  in  ihr  concinn  und  folgerichtig 
auseinandergesetzt  wird,  in  der  längeren  durch  Zusätze  derart 
gestört  wird,  dass  das  Einzelne  nicht  mehr  gut  zusammenhängt; 
dagegen  wird  man  die  kürzere  Form  für  einen  Auszug  der 
längeren  in  dem  Falle  anzusehen  haben,  wenn  irgend  etwas, 
was  hier  gut  und  tadellos  ist,  in  der  kürzeren  so  auftritt, 
dass  der  Gedankenzusammenhang  gestört  und  der  eine  oder 
andere  Ausdruck  nicht  mehr  zu  erklären  ist.  Quesnel,  die 
Ballerini  und  Thiel  haben  diesen  Weg  der  Interpretation  über- 
haupt nicht  betreten,  und  auch  Langen  ist  darin,  wie  mir 
scheint,  nicht  eben  glücklich  gewesen.  Alles,  was  er  in  dieser 
Beziehung  vorbringt,  ist  ohne  zwingende  Kraft  und  dürfte 
leicht  zu  widerlegen  sein.8     Freilich  wäre  es  dazu  nöthig,  den 

1  Gesch.  der  röra.  Kirche  von  Leo  I.  bis  Nicolaus  I.,  p.  178  Anmerkung. 

9  Langen  wendet  sich  besonders  gegen  die  Worte  Si  §.  18:  Quapropter 
utrum  errori  vel  praevaricatumi  eommumcarit  Acacius,  quid  opus  erat 
nova  discussione  cognoscere,  cum  tarn  Utteris  suis  esset  ipse  confessus  ac, 
sicut  scriptum  est  ,ore  tuo  iusUficaberis  et  ore  tuo  condemnaberis',  ver- 
borum  suorum  vineulis  et  reu»  teneretur  et  iure  plectendusf  Gelasins  hat 
Torher  (Sl  §.  10 — 17)  auseinandergesetzt,  dass  der  p&pstliche  Stuhl  ge- 
mäss den  Beschlüssen  des  Concils  von  Chalcedon  mit  vollem  Recht  den 
Acacius  von  seiner  Gemeinschaft  ausgeschlossen  habe,  da  er  nicht  nur 
ein  Urtheil  des  Papstes  von  sich  gewiesen,  sondern  sich  auch  selbst 
offen  zu  der  Gemeinschaft  mit  Petrus  von  Alexandreia  bekannt  habe. 
Hieran  schliesst  sich  jenes  an,  wie  ich  meine  durchaus  folgerichtig:  da 
Acacius  selbst  seine  mit  den  Beschlüssen  von  Chalcedon  unvereinbare  Ge- 
meinschaft mit  Petrus  zugestanden  hat,  so  war  eine  Untersuchung  darüber, 
ob  Petrus  im  Irrthum  oder  in  praevaricatio  befangen,  vollständig  über- 
flüssig. In  £,  wo  die  ganze  Auseinandersetzung  über  die  Schuld  des 
Acacius  stark  gekürzt  erscheint,  ist  von  jenen  Worten  nur  der  Anfang 
da  und  dieser  mit  dem,  was  Sl  erst  an  viel  späterer  Stelle  in  §.  25 
bringt,  folgendermassen  verbunden:  Quodsi,  utrum  errori  vel  praevari- 
cationi eommumcarit  Acacius,  forsitan  dicatur  oportuisse  constare,  breviter 
praebemus  ad  ista  responsum:  out  enim  ipsi  doceant  Petrum  legitime  vera- 
dttrque  purgatum  et  ab  omni  kaereticorum  contagione  rite  discretum,  cum 
ei  commutücavit  Acacius,  si  eius  communicatorem  putant  Acacium  aliqua- 

7* 


100  V.  AbWiluof:    Günther. 

umfangreichen  Brief  des  Papstes  bis  in  seine  einzelnen  Theile 
hinein  genau  zu  zergliedern  —  ein  Unternehmen,  das  sich 
bei  den  mancherlei  Gedankensprüngen  des  Verfassers  nicht 
auf  wenigen  Seiten  erledigen  lässt.  Ich  begnüge  mich  daher, 
meinerseits  nur  äine  Stelle  aus  dem  Schriftstück  hervorzuheben, 
allerdings  eine  solche,  von  der  ich  hoffe,  dass  sie  auch  Langens 
Meinung  ändern  wird. 

In  ß  schliesst  das  ganze  Schreiben  mit  den  Worten  (§.  80): 
Haec  vero  ad  instructionem  vestrae  dilectionis  satis  abundeque 
sufficere  iudicamus,  quamvis  eadem  latius,  si  dominus  con- 
cesserit  facultatem,  studeamus  exponer e,  quatenus  et  ßdelium 
quisque  cognoscat  nihil  apostolicam  sedem}  quod  abrit,  prae- 
propere   censuisse   et  non   habere,   quod  iuste  possit  opponere, 


tenus   excusandum,    out   sif    quod   magig   est   verum,    convenienter    atque 
legitime  Petrum   tum  probaverinl    expiatum,    restat    ul   eins   mexpiatione 
fuerit   et   qui   ei   communicavü    infcctus.     Langen  giebt   das   so  wieder: 
ßage  man,  es  habe  constatirt  werden  müssen,  ob  Acacius1  Verhalten  Ho* 
auf  einem  Irrthum   oder  auf  einem   Vergehen   beruhe,   so  sei   auch    das 
längst  Mar*,  und  meint,  die  Worte  seien  von  dem  Redactor  von  SL  miss- 
verstanden.    Allein  dagegen  ist  einmal  einzuwenden,  dass  Langen  den 
Vordersatz   nicht  richtig  übersetzt  hat;  es  handelt  sich  an  dieser  8telle 
nicht  darum,  ob  bei  Acacius  error  oder  praevaricatio  anzunehmen  war, 
sondern  darum,  ob  bei  der  Person,  cui  Acacius  communicavü,   d.  h.  bei 
Petrus  damals  entweder  error  oder  praevaricatio  hätte  constatirt  werden 
müssen.     Sodanu  steht  der  Nachsatz   *o  sei  auch  das  längst  klar0  wohl 
bei  Langen,  aber  nicht  im   lateinischen  Text.    Das  Dilemma  aber,  mit 
dem  in  2  jene  Frage  beantwortet  wird,  ist  wenig  am  Platze;  es  möchte 
zur  Noth   als   eine   freilich   recht  ungeschickte   Antwort  auf  die  Frage 
gelten  können,  ob  Petrus  damals  error  oder  praevaricatio  vorzuwerfen  ge- 
wesen, jedoch  nicht  auf  die,  ob  hierüber  zu  jener  Zeit  eine  Untersuchung 
erforderlich  war.     Ich  sehe  gerade  in  dieser    ungeschickten   Verbindung 
durch    die  Worte  breviter  praebemus  ad    ista   responswn   die  Hand    des 
späteren  Redactors  Z,  der  weder  die  Worte  Sl  %.  18  quapropter  utrum 
errori  etc.,  noch  den  Satz  &  §.  25  nunc  attiem  ipsi  doceant  legitime  Petratu 
fuisse  purgatum  etc.  ganz  aufgeben  wollte  und  daher,  nachdem  er   das 
Mittelsttick    herausgeschnitten ,    beides    durch    einen    selbstverfeiügten 
farblosen  Lappen  so  gut  wie  es  ging    aneinanderflickte.     In  £  ist  an 
den  Worten  Nunc  autem  ipsi  doceant  legitime  Petrum  fuisse  purgatum  etc 
kaum  etwas  auszusetzen.     Nachdem  der  Papst  die  seiner  Meinung  nach 
zweifellose  Schuld  des  Acacius  dargelegt,  kommt  er,  zu  einem  neuen 
Theile  übergehend,  den  Gegnern  soweit  entgegen,  dass  er  sich  über- 
haupt zu  einer  Erörterung  der  Frage  herbeilässt,   ob  Petrus  damals  als 
ein  legitime  purgatus  betrachtet  werden  konnte. 


Arellana-Stndien.  101 

perversa  doceatur  improbitas  —  worauf  nur  noch  (§.81)  die  Auf- 
forderung folgt,  sowohl  die  catkolici  wie  die  contraria  sapientes 
mit  dem  Inhalt  des  Schreibens  bekanntzumachen,  und  das 
Datum.  Dass  die  ausgeschriebenen  Worte  nur  am  Ende  des 
Briefes  ihre  passende  Stelle  haben,  liegt  auf  der  Hand.  In  2 
sind  sie  umgestellt;  es  folgt  auf  sie  das,  was  bei  ß  den  §.76 
ausmacht:  Quae  tarnen  sententia  in  Acacium  destinata  etsi 
nomine  tantummodo  praesulis  apostolici,  cuius  erat  utique  pote- 
stattSy  legitime  probatur  esse  deprompta  .  .  .,  tarnen  quia  Ortho- 
doxie ubique  deiectis  et  haereticis  tantummodo  eorumque  con- 
sortibus  iam  relictis  in  Oriente  catkolici  ^pontifices  aut  residui 
omnino  non  essent  aut  nullam  gererent  libertatem9  plurimorum 
in  Italia  catholicorum  congregatio  sacerdotum  rationabiliter  in 
Acacium  sententiam  cognovit  fuisse  prolatam.  Mit  dem  was  ihnen 
in  ß  vorangeht,  stehen  diese  Worte  im  besten  Zusammenhang, 
der  Papst  hat  vorher  des  Längeren  über  das  Verdammungs- 
urtheil  gesprochen,  das  vom  apostolischen  Stuhle  gegen  Acacius 
und  seine  Anhänger  gefällt  ist;  jetzt  fügt  er  hinzu,  dass  dies 
Urtheil  auch  die  Bestätigung  der  Geistlichkeit  erhalten  habe, 
obschon  es  deren  an  sich  nicht  bedurft  hätte.  In  2  dagegen  ist 
dieser  Zusammenhang  durch  die  Worte  quae  ad  instructionem 
vestrae  dilectionis  satis  abundeque  sufficere  iudicamus  etc.  völlig 
unterbrochen  und  die  Aufeinanderfolge  der  Sätze  eine  geradezu 
sinnlose.  Allein  es  kommt  noch  etwas  Anderes  hinzu,  was 
nicht  minder  schwer  wiegt.  Während  wir  in  ß  lesen:  qua- 
tenus  et  fidelium  quisque  cognoscat  nihil  apostolicam  sedemy 
quod  absity  praepropere  censuisse  et  non  habere,  quod  iuste 
possit  opponere,  perversa  doceatur  improbitas,  fehlen  in  2  die 
Worte  et  non  habere  bis  doceatur  improbitas.  Da  haben  wir 
deutlich  die  Spur  des  Epitomators:  den  ganzen  Satz  wollte  er 
nicht  geben,  so  gab  er  denn  den  halben,  jedoch  ohne  zu  be- 
merken, dass  er  die  Construction  des  et  ...  et  zerstörte,  und 
dass  das  et  vor  fidelium  nach  Fortlassung  der  zweiten  Hälfte 
des  Satzes  überhaupt  unverständlich  geworden  war. 

Ich  bin  in  der  That  der  Meinung,  dass  dies  eine  et, 
das  in  2  nicht  zu  erklären  ist  und  dem  in  ß  ein  zweites  et 
correspondirt,  die  ganze  Frage  nach  der  Priorität  der  längeren 
oder  kürzeren  Fassung  für  jeden  Philologen  notwendiger  Weise 
dahin  entscheiden  muss,   dass  ß  die  ursprüngliche  Form   des 


102  V.  Abhandlung:    Günther. 

Schreibens  ist  und  zugleich  die  einzige,  die  Gelasius  ihm  ge- 
geben. Der  Grund,  der  später  jemanden  dazu  veranlasste, 
diese  Form  zu  kürzen,  war  sicherlich  nur  der  rein  äusserliche, 
dass  er  durch  die  Reducirung  des  Schriftstückes  auf  einen 
massigen  Umfang  seine  Uebersichtlichkeit  und  damit  sein  Ver- 
ständniss  erhöhen  wollte.  Geschehen  ist  dies  sehr  bald  nach  der 
Zeit  des  Gelasius,  denn  die  Sammlungen,  in  denen  uns  2  über- 
liefert ist,  sind  nach  Maassen's  zweifellos  richtiger  Ansetzung1 
durchweg  um  die  Wende  des  5.  zum  6.  Jahrhundert  entstanden. 
Ich  wende  mich  jetzt  zu  der  Ueberlieferung  des  Briefes 
im  Einzelnen.  Wenn  wir  von  der  Sammlung  des  Anselm  von 
Lucca  absehen,  über  die  ich  unten  eingehender  zu  sprechen 
habe,  so  war  die  Recension  ß  bisher  allein  durch  die  Avel- 
lanische  Sammlung,  d.  h.  den  Codex  V  und  seine  Descendenz 
bekannt.  Ich  war  in  der  Lage,  zwei  neue  Handschriften  hin- 
zufügen zu  können. 

1.  R  =  Vatic.  lat.  3832,  eine  Pergamenthandschrift  des 
12.  Jahrhunderts.  Dieselbe  enthält  Excerpte  aus  verschiedenen 
canonistischen  Sammlungen,  darunter  auf  Bl.  94b  bis  98 b  die 
längere  Form  unseres  Gelasiusbriefes. 

2.  B  =  Berolin.  lat.  79  (Phillipp.  1776),  die  alte  Hand- 
schrift Sirmond's  aus  dem  9.  Jahrhundert,  über  die  ich  oben 
schon  weitläufig  gehandelt  habe. 

Vergleichen  wir  zunächst  -ß  mit  V9  so  lehrt  ein  Blick 
in  die  Adnotatio  meiner  Ausgabe,  dass  er  im  Allgemeinen  V 
an  Werth  nachsteht:  er  ist  mit  einer  recht  grossen  Anzahl  von 
Fehlern  —  Lücken  und  Corruptelen  —  behaftet,  von  denen  V 
frei  ist.  Doch  ist  er  keineswegs  aus  V  abgeschrieben,  das 
beweisen  etwa  30  Stellen,  an  denen  im  Gegentheil  die  richtige 
Lesart  bei  2?  zu  finden  ist,  während  V  eine  Verderbniss  zeigt. 
Ich  führe  nur  einige  an:  p.  370  l  dementiam  R:  clementiam  V 
372  l  novis  R:  nobis  V  372  2  propterea  in  R:  propter  cain  V 
372  16  pro  suo  R:  pro  V  376  12  apostolicae  id  est  R:  apo- 
stolica  eide  V  378  18  norme  R:  nostrorum  V  380  6  scriptwras 
sancta,8  R:  scripturas  V  390  9  suggerendis  R:  su§  gerendis  V 
392  5  esto  R:  est  V  393  21  competerent  R:  peterent  V  396  ö 
inde  R:  unde  V      396  17  in  Oriente  R:  moriente  V, 


1  Vgl.  seine  Gesch.  der  Quellen,  besonders  S.  479,  490,  764. 


A  vellanft-Studien .  1 03 

R  steht  also  selbständig  neben  V.  Doch  hat  auch  er, 
was  diesen  Gelasiusbrief  angeht,  aus  einer  Handschrift  der 
Avellanischen  Sammlang  geschöpft;  denn  an  einer  Reihe  von 
Stellen  zeigen  Fund  R  gemeinsame  Corruptelen,  so:  386  9 
quo  VR  statt  quod  390  10  pro  in  VR  ausgefallen  393  17 
obstiteret  V9  obsj '/ '/ '/iteret  R  (ausradirt  ist  ein  t)  statt  obsisteret 
394  4  quod  VR  statt  quos  394  10  quod  VR  statt  quid.  Es 
gab  darnach  für  V  und  R  eine  gemeinsame  Quelle,  die  schon 
eben  diese  Verderbnisse  zeigte,  die  jenen  beiden  gemeinsam 
6ind.  Wenn  wir  aber  zu  diesen  gemeinsamen  Verderbnissen 
noch  hinzunehmen,  dass  387  18  VR  beide  firmium  statt  ßrmium 
darbieten,  so  folgt  daraus  nicht  nur,  dass  in  ihrer  Quelle  schon 
ßrmium  stand,  sondern  auch,  dass  diese  Quelle  ihrerseits  aus 
einer  Minuskelhandschrift  abgeschrieben  war,  d.  h.  aus  einer 
Handschrift,  die  einer  beträchtlich  jüngeren  Zeit  angehört  als 
der,  in  welcher  die  Avellana  entstanden  ist.  Damit  ist  die  Pro- 
venienz des  Gelasiusbriefes  in  R  aus  einer  Avellanahandschrift 
bewiesen. 

An  das,  was  ich  über  R  gesagt  habe,  schliesst  sich  am 
besten  gleich  eine  kurze  Erörterung  über  die  Recension,  die 
in  der  leider  noch  immer  unedirten  Sammlung  des  Anseimus 
von  Lucca  vorliegt.  Ueber  die  Handschriften  dieser  Samm- 
lung, soviel  deren  bis  jetzt  bekannt  geworden,  sind  die  Aus- 
führungen der  Ballerini1  und  Theiner's*  zu  vergleichen.  Ich 
habe  fiir  den  vorliegenden  Brief  zwei  Handschriften   benutzt: 

1.  Al  =  Vatic.  lat.  1364,  Pergamenthandschrift  des 
12.  Jahrhunderts. 

2.  A9  =  Vatic.  lat.  4983,  Papierhandschrift  des  16.  Jahr- 
hunderts.8 

Von  diesen  ist  A9,  obgleich  ziemlich  jungen  Ursprungs, 
doch  auch  seinerseits  von  selbständigem  Werth,  da  er  aus  einer 
Handschrift  des  beginnenden  12.  Jahrhunderts  abgeschrieben  ist,4 


1  De  antiquis  collect,  canon.  IV,  cap.  13  (=  Leonis  opp.  III,  p.  CCXCVff.). 

*  Disquisition.  critic,  p.  363  ff. 

8  Der  Barberiii.  XI  178  aus  dem  Anfang  des  12.  Jahrhunderts,  den  ich 
für  andere  Stücke  heranziehen  konnte,  enthält  nur  Buch  1 — 7  der  Col- 
lectio  Ansei mi,  also  nicht  unseren  Brief  (=  lib.  XI,  n.  76  in  A 1). 

*  Vgl.  die  Ballerini  a.  a.  O.,  p.  CCXCV. 


104  V.  Abhandlung:    Günther. 

die  unabhängig  neben  Ax  stand.1  Die  gemeinsame  Lesart  beider 
Handschriften  bezeichne  ich  mit  A. 

Vergleichen  wir  nun  A  mit  V  und  R,  so  ergiebt  sich, 
dass  an  einer  sehr  beträchtlichen  Anzahl  von  Stellen,  an  denen 
V  und  R  von  einander  abweichen,  A  auf  der  Seite  von  R 
steht.  Ich  führe  nur  einen  kleinen  Theil  derselben  an:  p.  369  2 
Galasi(V)  eps  urbis  Rome  ad  Dardanios  V:  Gelasius  epis  Dar- 
daniae  RA  370  9  voluerint  V:  voluerwnt  RA  370  ll  per- 
miserint  V:  permiserunt  RA  370  12  pervidentes  V:  provi- 
denies  RA  371  17  sensu  V:  consensu  RA  373  6  Iohannes  V: 
fehlt  in  RA      373  18  esset  nullatenus  V:  nullatenus  esset  RA 

375  8  communicarat  incideret  V:  communicaverat  incidisset  RA 

376  6  pontißcis  V:  episcopi  RA  377  14  helurus  V:  belurus  RA 
378  19  apostolicae  sedis  V:  sedis  apostolicae  RA  383  23  et  mul- 
tiplici  V:  multiplici  RA  384  l  dicat  ergo  V:  dicat  igitur  RA 
387  18  trivero8  V:  tiberos  RA  398  l  haec  vero  u.  s.  w.  bis  zum 
Schluss  des  Briefes  Vi  fehlt  in  RA.  Bei  einer  grossen  Reihe 
von  diesen  Stellen  liegt  die  Corruptel  offenkundig  bei  RA.  Dass 
R  seinen  Text  aus  der  Sammlung  des  Anselm  geschöpft  haben 
sollte,  ist  schon  infolge  dessen  ausgeschlossen,  was  ich  unten  über 
die  Beziehungen  von  A  zu  der  gekürzten  Recension  2  ausführen 
werde.  Wir  kommen  also  dazu,  was  unseren  Brief  anlangt, 
für  VRA  folgendes  Verwand tsehaftsverhältniss  anzunehmen: 


V         /      X 

n 

in  Worten:  Anselm  von  Lucca  hat  eine  neben  V  unab- 
hängig dastehende  Avellanahandschrift  benutzt,  auf 
die  auch  R  zurückgeht. 

1  Das  beweisen  mehrere  Stellen,  wo  i1  durch  Lücken  oder  sonstwie  ver- 
dorben ist,  während  A*  mit  der  gesammten  übrigen  Tradition  das  Rich- 
tige bewahrt  hat.  Vgl.  p.  3714  fuerant  A*:  sunt  A1  378  21  decuit  ez- 
equenti  A*:  exequenti  decuit  Al  379  22  est  secuta  A*:  esse  secuta  Al 
383  29  in  eins  A*:  eins  A1  387  17  fuerit  A*:  fuit  A1  388  20  principe* 
A*:  principis  A1  391  16  sacerdos  Eugenius  Carthaginensis  episcopus  nudti- 
que  cum  eodem  cathclici  sacerdotes  constanter  A6:  sacerdos  constanter  Al 
392  2  ipse  A*:  fehlt  in  A1  392  17  a  principe  saltim  A*:  saUim  a  prin- 
cipe A1      393  10  resuUanti  non  restitit  A9:  non  restUit  resuUanti  AK 


i 


A  velUna-Studien .  1 05 

Allein  es  kommt,  wie  schon  angedeutet,  bei  ihm  noch 
ein  zweites  hinzu.  Obwohl  nämlich  im  Grossen  und  Ganzen 
sein  Text  derjenige  der  längeren  Fassung  ß  ist,  fehlt  es  nicht 
an  einzelnen  Stellen,  wo  er  im  Gegentheil  Lesarten  der  Epi- 
tome  2  darbietet,  so  z.  B. 

372  13     aliquam  Fund  aus  ali~     nullam  A2 

qua  v.  2.  Hand  corr.  R 
372  24      cum  VR  primum  cum  A,  primum  (ohne 

cum  infolge  der  veränder- 
ten Construction)  2 
378    7     non  reticemus  autem  VR     nee  plane  tacemus  A2 
378  12      voluerint  VR  voluerunt  A2 

388  15      tunc  8ub  eadem  VR  sub  eodem  tunc  A2 

Schon  hiedurch  werden  wir  auf  die  Vermuthung  geführt, 
dass  irgend  eine  Avellanahandschrift,  auf  die  A  zurückgeht, 
contaminirt  gewesen  sein  muss  mit  Lesarten  der  kürzeren  Fas- 
sung 2.  Zur  Sicherheit  wird  diese  Vermuthung,  wenn  wir 
die  beiden  Stellen  in  Betracht  ziehen,  die  ich  jetzt  kurz  an- 
führen will. 

Es  ist  bereits  oben  erwähnt,  dass  in  2  die  Worte  ß 
§.  18 — 22  fortgelassen,  dann  aber  die  Worte  ß  §.  25  nunc 
autem  ipsi  doceant  legitime  Petrum  fuisse  purgatum  etc.  an 
das,  was  ß  §.  24  steht,  hoc  tenore  etiam  Timotheus  Helurus . . . 
probatur  esse  damnatus  in  der  Weise  herangeschoben  sind, 
dass  ein  Theil  der  Worte  von  ß  §.  18  quapropter  utrum  errori 
vel  praevaricationi  communicarit  Acacius  quid  opus  erat  nova 
discussione  cognoscere  zur  Verbindung  benutzt  wurde  und  dem- 
gemäss  unter  Störung  des  Gedankenzusammenhanges  folgendes 
Satzgefüge  zu  Stande  kam:  quo  tenore  Timotheus  etiam  .  .  . 
probatur  esse  damnatus  .  quodsi  utrum  errori  vel  praevarica- 
tioni communicarit  Acacius  forsitan  dicatur  oportuisse  constare7 
breviter  praebemus  ad  ista  responsum:  aut  enim  ipsi  doceant 
Petrum  legitime  veraciterque  purgatum  etc.  Die  Sammlung  An- 
gelina von  Lucca  giebt  nun  §.  18 — 24  genau  in  derselben  Weise 
wieder  wie  VR,  zu  Anfang  von  §.  25  aber  weicht  sie  von  ß 
ab,  indem  sie  statt  der  Worte  nunc  autem  ipsi  doceant  viel- 
mehr die  Lesart  von  2  quod  si  utrum  errori  vel  praevaricationi 
communieaverit   Acacius  forsitan   dicatur   oportuisse   constare, 


106  Y.  Abhandlung:    Günther. 

breviter  praebemus  ad  ista  responsum:  aut  enim  ipsi  doceant 
darbietet,  so  dass  sie  also  die  Worte  utrum  errori  vel  prae- 
varicationi  communicarit  Acacius  einmal  mit  ii  in  §.  18  und 
einmal  mit  2  in  §.  25  aufweist.  Aehnlich  liegt  die  Sache 
bei  einer  Stelle,  die  ich  gleichfalls  bereits  oben  berührt  habe. 
An  das,  was  ii  §.  75  ausgeführt  ist,  schliesst  sich,  wie  wir 
gesehen  haben,  in  2  nicht  ß  §.  76  sondern  das  an,  was  in  42 
zu  Anfang  von  §.  80  steht  und  was  mit  vielem  anderen  in  2 
an  dieser  Stelle  fortgeblieben  ist.  2  liest  also:  . . .  transgressione 
punita  cunctorum.  [quae  ad  instructionem  vestrae  dilectionis 
satiß  abundeque  sufficere  iudicamus,  quamvis  eadem  latius,  si 
dominus  concesserit  facultatem,  studeamus  exponer e,  quatenus 
et  fidelium  quisque  cognoscat  nihil  apostolicam  sedem,  quod 
absit,  praepropere  censuisse.]  quae  tarnen  sententia  u.  s.  w. 
Die  von  mir  in  Klammern  gesetzten  Worte,  die  aus  ii  §.  80 
genommen  sind,  stehen  nun,  ebenso  wie  in  2>  so  auch  bei 
Anselm  von  Lucca  zwischen  den  §§.  ii  75  und  ii  76.  Fehlten 
nicht  in  R  und  A  die  ganzen  Schlussparagraphen  80  und  81, 
so  würden  hier  eben  jene  Worte  in  der  ungekürzten  Fassung 
von  ii  in  §.  80  sicher  zum  zweiten  Male  erscheinen. 

Dass  Anselm  selbst  auf  eine  so  thörichte  Weise  Lesarten 
der  Fassung  2  in  die  längere  ii  hinübergetragen  haben  sollte, 
ist  nicht  wohl  anzunehmen.  Viel  wahrscheinlicher  ist,  dass  die 
Lesarten  von  2,  die  heute  in  A  erscheinen,  von  irgend  einem 
Leser  als  Varianten  in  einer  Avellanahandschrift  angemerkt 
wurden,  dann  in  einem  Apographon  dieser  Handschrift  in  den 
Text  drangen  und  dieser  Text  dann  von  Anselm  abgeschrieben 
wurde.1 

Ich  wende  mich  jetzt  zu  dem  Berolinensis  B.  B  zeigt 
die  Form  ii  in  fast  völliger  Reinheit,   nur  an  einer  Stelle   ist 


1  Eine  Reihe  dieser  Lesarten  kommen  keineswegs  in  der  gesammten  Ueber- 
lieferung  von  2  vor,  sondern  nur  in  einem  Zweige  derselben,  in  der 
Sammlung  des  Pseudoisidor.  Ich  verweise  in  dieser  Beziehung  auf  die 
Varianten,  die  ich  zu  776  19,  779  8,  780  10,  781  15,  782  4,  784  ii  an- 
gegeben und  bei  denen  ich  die  übereinstimmende  Lesart  von  A  mit 
vermerkt  habe.  Die  Handschrift  der  Form  2,  aus  der  in  die  Avellana- 
vorlage  Anselms  Lesarten  übertragen  waren,  war  also  ein  Codex  der 
Pseudoisidoriana,  unter  den  von  mir  verglichenen  am  nächsten  ▼er- 
wandt mit  der  aus  Pseudoisidor  stammenden  Miscellanhandschrift  T  = 
Vatic.  lat.  1344,  saec.  X. 


AvelbmA-Stndien.  107 

• 

auch  hier  eine  Lesart  aus  2  eingedrungen.  Es  sind  das  die 
Worte,  über  die  ich  schon  öfter  geredet  habe:  ß  §.  25.  Wo 
V  und  R  hier  nunc  autem  ipse  doceant  lesen,  giebt  2  unter 
Benutzung  von  ß  §.  18  die  Worte  quodsi  utrum  errori  vel 
praevaricationi  communicarit  Acacius  forsitan  dicatur  opor- 
tuisse  constare,  breviter  praebemus  ad  ista  responsum:  aut 
enim  doceant,  und  ebenso  liest  B,  abgesehen  davon,  dass  er 
nicht  mit  2  aut  enim,  sondern  mit  VR  nunc  autem  darbietet. 
Die  Worte  ß  §.  18  quapropter  utrum  errori  vel  praevari- 
cationi communicarit  Acacius,  quid  opus  erat  nova  discus- 
sione  cognoscere  etc.,  aus  denen  2  jenen  Zwischensatz  quodsi 
utrum  errori  etc.  entnommen  hat,  die  aber  an  ihrer  rich- 
tigen Stelle  in  2  fehlen,  diese  Worte  stehen,  wie  in  VR,  so 
auch  in  B  dort,  wohin  sie  gehören.  Es  ist  also  an  dieser 
Stelle  wie  A,  so  auch  B  aus  2  interpolirt  —  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  in  B  dies  die  einzige  gröbere  Interpolation 
der  Art  ist,  während  A,  wie  wir  gesehen,  deren  eine  ganze 
Reihe  zeigt. 

Was  im  Einzelnen  die  Lesarten  von  B  gegenüber  denen 
von  V  (und  RA)  angeht,  so  ist  bei  diesem  Briefe  dasselbe  zu 
constatiren,  was  auch  bei  anderen  Stücken  der  Fall  ist,  die  in 
beiden  Sammlungen  überliefert  sind:  an  vielen  Stellen  ist  V 
besser,  an  einigen  aber,  die  bisher  schwer  verdorben  gelesen 
wurden,  hat  endlich  der  Berolinensis  die  richtige  Lesart  an 
den  Tag  gefördert.  Ich  sehe  dabei  ab  von  Kleinigkeiten,  wie 
p.  382  3,  wo  B  mit  seinem  nominibus  (VRA  omnibus)  mir 
eine  Conjectur  bestätigt  hat,  deren  Richtigkeit  schon  längst 
bei  mir  feststand,  oder  wie  380  19,  wo  durch  das  perpendant 
von  B  (VRA  perpendantur)  endlich  Sinn  und  Rhythmus  her- 
gestellt ist.  Schwerer  waren  die  Verderbnisse  376  3  und  376  7, 
wo  durch  B  zwei  Lücken  von  VRA  ausgefüllt  werden,  welche 
die  Herausgeber  bisher  nicht  bemerkt  hatten,  oder  auch  375  18, 
wo  V  folgende  Lesart  hat:  cur  ipse  (sc.  Acacius)  .  .  .  ut  causam 
diceret  seu  per  se  seu  nam  vel  venire  vel  destinare  contempsitf 
In  R  fehlen  die  Worte  seu  nam,  und  dafür  ist  eine  Lücke 
von  etwa  7  Buchstaben  gelassen;  A  schreibt  seu  per  se  seu 
(per  submissam  perso)nam,  dem  Sinne  nach  richtig,  aber  doch 
nur  infolge  von  Conjectur,  da,  wie  wir  gesehen,  VR  in  ihrer 
dem  Grande  nach  identischen  Corruptel  hiervon  weit  abliegen 


108  Y.  Abhandlung:     Günther. 

i 

und  2  an  dieser  Stelle  überhaupt  fehlt.  Auch  hier  hat  uns 
erst  B  mit  seinem  seu  per  se  seu  (per  legitimam  quam  velUt 
ipse  per$o)nam  die  ursprüngliche   alte  Lesart  zurückgegeben. 

Das  gesammte  handschriftliche  Material,  das  für  Q  vorliegt, 
ist  demnach  in  zwei  Classen  zu  sondern:  auf  der  einen  Seite 
stehen  VmRAy  auf  der  anderen  der  Berolinensis  JB.  Letzterem 
tritt  dann  noch  die  Epitome  2  an  die  Seite.  Dies  ergiebt  sich 
nicht  sowohl  aus  einer  Reihe  von  Stellen,  wo  B2  die  richtige 
Lesart  zeigen,  während  VR A  die  gleiche  Verderbniss  haben, 
als  vielmehr  aus  solchen  Lesarten ,  wo  den  Handschriften 
VRA  gegenüber  B2  den  gleichen  Fehler  aufweisen.  Solcher 
Stellen  sind  nicht  viel,  doch  genügen  sie,  um  das  Verhältniss 
deutlich  hervortreten  zu  lassen,  p.  379  10  geben  VRA  richtig 
certe  damnarat:  certe  damnaverat  B2  mit  rhythmischem 
Fehler.  385  2  ecce  potuit  et  in  aliis  resultarey  si  v  eil  et  (sc.  re- 
sultare)  VRA:  statt  vellet  hat  B  nolle,  2  nollet.  394  5 
manifestum  est  VRA:  manifestum  sit  B  und  mit  Ausnahme 
einer  Handschrift  auch  2.  Auch  hieraus  ergiebt  sich  die  Richtig- 
keit dessen,  was  ich  oben  über  das  Verhältniss  von  ß  und  2 
dargelegt  habe.  Wäre  nach  Langen's  und  der  übrigen  Meinung 
2  die  ursprüngliche  Form  des  Briefes,  aus  der  dann  zunächst 
ein  Text  wie  der  von  B  entstanden  wäre,  so  müsste  man  die 
richtigen  Lesarten,  die  VRA  gegenüber  von  B2  aufweisen, 
für  Interpolationen  oder  meinetwegen  Emendationen  halten,  und 
das  zu  glauben  fällt  doch  schwer.  Und  &ne  Stelle  fände  auch 
so  keine  Erklärung:  p.  377  7  lesen  VRA  si  auctoritatis  pondus 
inquiritur}  Calcedonensis  synodi  tenor  cum  apostolica  seit 
consentiens  et  illius  definitionis  executio  reperitur,  quo  etc., 
womit  B  übereinstimmt,  abgesehen  davon,  dass  er  statt  tenor 
vielmehr  tenor e  bietet.  2  zieht  die  Worte  so  zusammen:  si 
auctoritatis  pondus  inquiritur,  Calchedonensis  synodi  tenor e 
Ulms  definitionis  executio  reperitur  quo  etc.  Das  giebt  zur 
Noth  einen  Sinn;  dagegen  ist  nicht  einzusehen,  wie  daraus 
jemand  die  Lesart  von  B  hätte  herstellen  sollen,  die  an  sich 
völlig  unverständlich  ist,  aus  der  richtigen  Lesart  von  VRA 
aber  durch   eine   leichte  Corruptel  unschwer  entstehen  konnte. 

Damit  wäre  das  erschöpft,  was  ich  über  die  Ueberlieferung 
des  Briefes  zu  sagen  hätte.  Als  Stemma  der  Handschriften 
ergiebt  sich  demnach  folgendes: 


Avellana-StudiM».  109 


und   als  Regeln  für  den  Herausgeber  dürften  nachstehende  zu 
betrachten  sein: 

1.  Wo  die  Classen  I  und  II  sich  gegenüber  stehen,  ist 
an  und  für  sich  keine  der  anderen  vorzuziehen,  da  jede  vor 
der  anderen  ihre  Vorzüge  hat. 

2.  Wo  entweder  VR  gegen  A  oder  VA  gegen  R  stehen, 
giebt  die  übereinstimmende  Lesart  der  beiden  Vertreter  die 
Lesart  der  ganzen  Classe  wieder,  die  abweichende  des  allein- 
stehenden dritten  ist  ohne  Autorität. 

3.  Wo  B2  entweder  mit  Foder  mit  RA  übereinstimmen, 
ist  die  gemeinschaftliche  Lesart  für  die  des  beiden  Classen 
gemeinschaftlichen  Archetypus  zu  halten. 

4.  Wo  Classe  I  entweder  mit  B  oder  mit  2  stimmt,  ist 
ebenfalls  die  gemeinschaftliche  Lesart  schon  dem  gemeinsamen 
Archetypus  beider  Classen  zuzuweisen. 

5.  Wenn  die  Lesart  der  Classe  II  irgendwo  mit  A  über- 
einstimmt,  so  verstärkt  das  ihre  Autorität  nicht,  da  A  an  vielen 
Stellen  aus  2  interpolirt  ist. 

Nebenbei  ein  paar  Worte  über  die  Ueberlieferung  der 
kürzeren  Form  2,  die  ich  in  der  Appendix  I  neu  herausgegeben 
habe.  Das  Verhältniss  der  Sammlungen,  in  denen  2  vor- 
kommt, auf  Grund  der  Lesarten  dieses  einen  Stückes  (und 
der  Epitome  von  n.  99)  im  Einzelnen  genau  zu  bestimmen, 
wage  ich  nicht.  Nur  einige  Andeutungen  will  ich  geben.  Was 
in  den  Lesarten  vor  Allem  auffällt,  ist  die  grosse  Ueberein- 
stimmung  der  Sammlung  von  Freisingen  (ß)  mit  dem  Anhang 
der  Sammlung  von  Diessen  (d).  Jedoch  hat  d  nicht  direct 
aus  dem  uns  erhaltenen  Exemplar  ß  geschöpft  (so  Maassen 
S.  479),  sondern  aus  einem  Zwillingsbruder  oder  dem  Vater 
von  ß]  Beweis:  p.  783  19  liest  ß  fuerat,  woran  an  und  für 
sich  kaum  Anstoss  zu  nehmen  wäre;  ä  hat  erat,  und  dass  dies 


110  V.  AMuuadlunf :    Günther. 

das  Richtige  ist,  zeigt  die  sonstige  Ueberlieferung.  ßd  gegen- 
über steht  vor  Allem  die  Quesnelliana  (Q)9  während  die  alte 
Veroneser  Handschrift  v  bald  mit  ßd  gegen  Q,  bald  mit  Q 
gegen  ßd  geht.  In  Wahrheit  scheint  sie  jedoch  enger  mit  ßd 
als  mit  Q  verwandt  zu  sein.  Wo  v  mit  Q  gemeinsame  Cor- 
rnptelen  gegenüber  von  ßd  aufweist,  ist  dies  vielleicht  so  zu 
erklären,  dass  die  richtige  Lesart  von  ßd  auf  einer  Ueber- 
tragung  aus  der  längeren  durch  die  Avellana  überlieferten 
Form  Q  beruht.1  Die  Sammlung  £  (vermehrte  Hadriana)  hat 
von  der  Epitome  von  n.  95  nur  ein  paar  Fragmente  bewahrt, 
hier  und  da  ohne  die  leichten  Corruptelen,  die  hier  Qvßd 
gemeinsam  sind.  Vielleicht  steht  sie  also  diesem  ganzen  Com- 
plex  selbständig  gegenüber.  Im  Uebrigen  ist  £  ihrem  Inhalt 
und  der  Reihenfolge  der  Stücke  nach  eng  mit  (o  (Sammlang 
der  Vaticanischen  Handschrift  Vat.  1342)  verwandt,  und  bei 
der  Epitome  von  n.  99  sind  wohl  sämmtliche  Sammlungen  so 
zu  sondern,  dass  ursprünglich  auf  der  einen  Seite  £w,  auf 
der  anderen  Qvßd  stehen.  Pseudoisidor  scheint  die  Epitome 
von  95  nicht,  wie  bisher  angenommen  wurde,  der  Quesnelliana 
sondern  einer  Handschrift  entnommen  zu  haben,  die  dem  Ve- 
ronensis  v  ähnlich  war. 

4. 

Die  Ueberlieferung  der  sogenannten  9Oesta  de  nomine 

Acaci'  (Avell.  n.  99). 

Der  umfangreiche  und  historisch  nicht  unwichtige  Tractat, 
der  in  der  Avellanischen  Sammlung  als  n.  99  erscheint  und 
gewöhnlich  als  Gesta  de  nomine  Acacii  bezeichnet  wird,  gilt 
seit  langer  Zeit  allgemein  als  ein  Werk  Gelasius'  I.  Freilich 
fällt  seine  Abfassung  sicher  noch  in  die  Zeit  des  Felix,  allein 
Thiel,  der  in  der  Einleitung  seiner  Epistolae  pontificum,  S.  70  f. 
die  verschiedenen   Ansichten    darüber   eingehender   behandelt, 

1  Dass  eine  solche  Uebertragung  hier  stattgefunden  hat,  dafür  spricht  viel- 
leicht die  Lesart  776  4,  wo  mit  Ausnahme  von  ßS  die  ganze  Ueber- 
lieferung von  2  liest:  in  hoc  eadem  causa  und  ebenso  auch  die  Hand- 
schriften B  und  A  (d.  i.  Anselm)  der  längeren  Form;  in  ßS  fehlt  hacy 
ebenso  wie  in  V  und  B  der  längeren  Form.  Ebenso  788  l,  wo  Qv  mit 
Psendoisidor  und  dem  Codex  B  der  längeren  Form  gewiss  richtig  tarn 
darbieten,  während  ßSV  eadem,  RA  eandem  lesen. 


AyelUnft-StaAtai.  111 

hat  doch  an  der  Autorschaft  des  Gelasius  festgehalten  und 
die  Vermuthung  aufgestellt,  Gelasius  habe  ihn  unter  dem  Ponti- 
ficate  seines  Vorgängers  auf  dessen  eigenes  Geheiss  nieder- 
geschrieben. Für  mich  steht  die  Urheberschaft  des  Gelasius, 
wenn  auch  manches  für  sie  zu  sprechen  scheint,  doch  keines- 
wegs unantastbar  fest.  Eine  directe  Ueberlieferung,  die  sie 
bezeugte,  giebt  es  nicht;  denn  wenn  in  der  Avellanischen  Samm- 
lung das  Stück,  das  auf  die  Gesta  folgt,  die  Ueberschrift  trägt 
JEiusdem  papae  Gelasii  adversus  Andromachum,  so  will  das 
bei  dem  eigenartigen  Charakter  dieser  Sammlung  nicht  allzu- 
viel sagen,  weiss  man  doch  gar  nicht,  ob  nicht  in  der  Quelle 
der  Avellana  dem  Schreiben  gegen  Andromachus  ein  ganz 
anderes  Stück  vorangegangen  ist.  Eine  einigermassen  sichere 
Antwort  wird  wahrscheinlich  der  geben  können,  der  auf  dem 
von  Wilhelm  Meyer  gewiesenen  Wege  die  unzweifelhaft  gela- 
sianischen  Schriftstücke  einmal  auf  das  Genaueste  auf  die  Rhyth- 
mik der  Satzschlüsse  hin  untersucht.  Ich  habe  diese  Unter- 
suchung bisher  nicht  soweit  ins  Einzelne  geführt,  wie  es  zu 
diesem  Zwecke  erforderlich  wäre;  allein  es  scheint  mir  doch  schon 
jetzt,  als  ob  gerade  Gelasius  mehr  noch  als  seine  Vorgänger 
und  mehr  auch  als  später  beispielsweise  Hormisda  in  dieser  Be- 
ziehung äusserst  feste  Regeln  befolgte,  und  als  ob  die  Gesta 
mit  diesen  Regeln  nicht  in  Einklang  zu  bringen  seien.  Uebri- 
gens  steht  auch  die  Bezeichnung  des  Tractates  als  Gesta  de 
nomine  Acacii  auf  recht  unsicheren  Füssen.  Von  den  beiden 
Recensionen,  in  denen  er  vorliegt,  giebt  nur  die  eine  diese 
Ueberschrift,  und  zwar,  wie  ich  nachweisen  werde,  die  weniger 
gute:  in  der  anderen  fehlt  ihm  jede  Ueberschrift. 

Die  beiden  Textrecensionen,  in  denen  uns  die  Gesta 
erhalten  sind,  will  ich  mit  K  und  2  bezeichnen. 

Die  Recension  K  liegt  uns  vollständig  nur  in  der  Avel- 
lana vor,  d.  h.  im  Codex  V.  Jedoch  ist  hier  sogleich  hervor- 
zuheben, dass,  wie  schon  Thiel  erkannt  hat,  die  beiden  Schluss- 
paragraphen 30  und  31,  die  nur  in  V  vorkommen,  zu  Unrecht 
an  diesem  Platze  stehen  und  überhaupt  nicht  zu  den  ursprüng- 
lichen Gesta  gehören.    Es  sind  die  folgenden  Worte: 

§.  30  Po8tquam   Iohannes  mpervenit  episcopus,   quem  Romana 
suscepit  ecclesia,  sanctus  papa  Felix  legationem,  ut  dictum 


112  T.  Attaallaof :    6taU«r. 

est,  sicut  oportuii,  ordinavit.  quae  apud  perditos  (prae- 
dictos  V)  animos  quicquid  est  hostilitatis  experta  est,  nam 
detrusa  in  custodiam  perdiHs  chartis  cum  grandi  trix  rt- 
meavit  opprobrio,  episcopatum  Petri}  ad  quem  expellendum 
missa  fuerat,  ßrmatum  reportans,  quem  Romana  anathe- 
marat  ecclesia. 
§.  31  Ita  Felix  papa  episcopis  per  Aegyptum  Thebaidem  Lybxam 
et  Pentapolim  constitutis  post  alia:  Petrum  vero  u.  s.  w. 
(es  folgt  der  Ausspruch  des  Anathems  über  Petrus  Folio). 

Thiel  sondert  diese  Worte  in  zwei  Theile,  und  zwar  in 
der  Weise,  wie  ich  es  hier  durch  den  Absatz  angedeutet 
habe,  und  glaubt,  der  erste  Theil  sei  aus  irgend  einem  Tractat 
des  Gelasius  entnommen  und  hier  angefügt,  das  Fragment  des 
Felixbriefes  aber  nur  deswegen  angehängt,  um  die  Verurtheilung 
des  Petrus  Fullo  durch  den  römischen  Stuhl  in  irgend  einer 
Weise  hier  anzubringen  und  das  Vergehen  der  römischen  Ge- 
sandten, die  mit  ihm  Gemeinschaft  machten,  dadurch  um  so 
schärfer  hervortreten  zu  lassen.  Nur  die  zweite  Hälfte  dieser 
Ansicht  ist  richtig,  die  erste  bedarf  einer  Correctur.  Nicht 
mit  zwei  auseinanderfallenden  Anhängseln  haben  wir  es  zu 
thun,  sondern  nur  mit  einem.  Die  Einheit  tritt  hervor,  sowie 
wir  richtig  interpungiren:  episcopatum  Petri,  ad  quem  expel- 
lendum missa  fuerat,  ßrmatum  reportans.  quem  Romana  ana- 
themarat  ecclesia  ita:  Felix  papa  etc.  In  der  That  kam  es 
dem,  welcher  die  beiden  Paragraphen  anfügte,  nur  darauf  an. 
das  Felixfragment  über  die  Verdammung  des  Petrus  irgendwie 
anzubringen,  allein  er  machte  das  so,  dass  er  zunächst  aus 
dem  Wortlaute  der  Gesta  selbst  ein  paar  Sätze  zusammen- 
flickte und  durch  diese  nun,  ohne  sich  um  die  historische  Folge 
der  Thatsachen  zu  kümmern,  zu  dem  Fragmente  des  Felix  über 
leitete.  Dass  die  ersten  Sätze  aus  dem  Wortlaute  der  Gesta 
selbst  zusammengestellt  sind,  lehrt  folgende  Vergleichung: 

§.  30  Postquam  Iohannes  super-  §.  23  supervenit    idem  fugiens 

venu  episcopus,  quem  Ro-  sanctus   Iohannes  episco- 

mana    suscepit    ecclesia,  pus,  qui  sicut  decebat  ab 

sanctus  papa  Felix  lega-  apostolica  sede  susceptus 


tionem,  ut  dictum  est,  si-  est 

cut  oportuit,  ordinavit . . . 


ATelUna-Studien.  113 

nam  detrusa  in  custodiam     §.  28  quamvis  in  custodiam  . . . 
perditis  chartis  .  .  .  detrusi  Chartas  amiserint 

episcopatum    Petri ,     ad  §.  28  conßrmationem  Petri  epi- 

quem  expellendum  missa  scopatus,  ad  quem  pellen- 

fueraty  firmatum  repor-  dum  missi  fuerant,    de- 

tans,  ferentes. 

Wir  gewinnen  durch  diese  Erkenntniss  ein  Doppeltes.  Zu- 
nächst verstehen  wir  jetzt,  in  welchem  Sinne  die  Worte  ut 
dictum  est  in  §.  30  aufzufassen  sind:  sie  weisen  auf  die  Gesta 
selbst  zurück,  deren  Angaben  mit  ihren  eigenen  Worten  hier 
wiederholt  werden.  Sodann  ergiebt  sich  aus  jenem  Umstand 
eine  sichere  Textemendation :  die  Worte  sicut  oportuit  sind 
da,  wo  sie  in  §.  30  stehen,  recht  überflüssig  und  wenig  an- 
gebracht, und  wo  in  den  Gesta  selbst  von  der  Absendung 
der  Gesandtschaft  die  Rede  ist  (§.  27),  findet  sich  nichts  von 
einem  derartigen  Zusatz.  Dagegen  heisst  es  in  §.  23  der 
Qesta  von  Johannes:  qui  sicut  decebat  ab  apostolica  sede 
susceptus  est,  und  da  diese  Worte,  wie  die  obige  Zusammen- 
stellung zeigt,  in  dem  Anhängsel  benutzt  sind,  so  ergiebt  sich 
Air  dieses,  wie  ich  meine,  mit  Evidenz  die  Umstellung:  quem 
sicut  oportuit  Romana  suscepit  ecclesia}  sanctus  papa  Felix 
legationem,  ut  dictum  est}  ordinavit 

Die  beiden  §§.  30  und  31  haben  wir  also  als  eine 
spätere  Zuthat  von  dem  Vorhergehenden  loszulösen,  um  in  V 
die  reine  und  vollständige  Recension  K  vorzufinden.  Denn 
vollständig  liegt,  wie  schon  bemerkt,  diese  Recension  nur  in  V 
vor:  unvollständig  ausserdem  in  einer  sehr  alten  Epitome  der 
Gesta  (2)}  die  in  mehreren  Sammlungen  überliefert  ist  und 
die  ich  in  Appendix  II  meiner  Ausgabe  neu  herausgegeben  habe. 

Dass  dem  Epitomator  die  Recension  K  vorgelegen  hat, 
brauche  ich  hier  nicht  zu  beweisen:  ein  Blick  in  die  Adnotatio 
der  Gesta  selbst  macht  es  jedem  sofort  klar.  Ebensowenig 
habe  ich  Veranlassung,  nach  den  Ausführungen  bei  Thiel,  S.  71  f., 
hier  noch  einmal  auf  die  von  Quesnel1  und  den  Brüdern  Bal- 
lerini1 vertretene  Ansicht  einzugehen,  welche  in  2  die  ältere 
und  ursprünglichere  Form  der  Gesta  zu  erkennen  meinte.  2  ist 

1  LeonU  opp.  ed.  Quesnel  II  (1675),  8.  156  Adhi. 
1  LeonU  opp.  ed.  Baller.  m,  307  ff.  Anm. 
8feonpb«r.  d.  phiL-hist.  CL  CXXXIV.  Bd.  5.  Abk.  ö 


114  V.  Abhandlung:    Günther. 

nichts  als  eine  sehr  alte,  aber  stellenweise  recht  ungeschickte 
Epitome  der  ursprünglichen  Fassung.1  Trotzdem  ist  sie  für  uns 
nicht  ohne  Bedeutung,  denn  einmal  tritt  sie  als  eine  nicht  zu 
verachtende  Vertreterin  der  Recension  K  neben  deren  —  sonst 
einzigen  —  Repräsentanten  V-  sodann  ist  sie  nicht  unwichtig 
für  die  Kritik  des  Liberatus,  der  sie  in  seinem  Breviarium 
vielfach  wörtlich  ausgeschrieben  hat.2 

Die  zweite  Recension  2  liegt  uns,  abgesehen  von  dem 
cod.  Vallicell.  XVIII  (=  W),  von  dem  unten  noch  weiter  die 
Rede  sein  wird,  in  folgenden  drei  Handschriften  vor: 

B  =  Berolin.  lat.  79  (Phillipp.  1776),  saec.  IX 

I*  =  Vatic.  Reg.  1997,  saec.  IX/X  (vgl.  Maassen  I,  p.  529) 

J  =  Monac.  lat.  5508,  saec.  IX  (vgl.  Maassen  I,  p.  627). 

Die  Abweichungen  beider  Recensionen  von  einander  be- 
stehen im  Wesentlichen  in  folgenden  Punkten: 

1.  An  einer  Reihe  von  Stellen  ist  nur  die  Wortstellung 
verschieden;  vgl.  444  8,  445  3,  446  3,  8,  13,  447  2,  4,  448  ta, 
449  u,  451  6,  6,  452  4. 

2.  An  anderen  erscheinen  für  irgendwelche  Ausdrücke 
der  Recension  K  in  2  Synonyma;  vgl.  440  n  lapsus  V:  raptus 
BVAW  441  4  existentiae  V:  essentiae  BIJW  441  16  apud 
Ephesum  civitatem  V:  in  Ephesina  civitate  BVA  442  6 ff.  re- 
pudiatae  sunt  papae  Leonis  dogmaticae  ad  .  .  .  directae  litterae 
nee  permittuntur  aliquatenus  recenseri  V:  repudiaia  est  epistola 
papae  Leonis  dogmatica  ad  .  .  .  direeta  et  penitus  non  permit- 
titur   recenseri  BTJ      44A  11    item  V:   etiam  BT4W      445  7 


1  Z  hat  Anfang  und  Schluss  derselben  fortgelassen,  im  Uebrigen  stark 
zusammengezogen  und  nicht  ohne  dabei  Verwirrung  anzurichten  (vgl. 
Thiel  S.  72,  S.  617  Anm.  35).  Aus  anderen  Quellen  ist  nichts  hinzu- 
gefügt, mit  Ausnahme  des  Schlussparagraphen  (§.  14),  der  die  ganze 
Erzählung  über  Acacius  nicht  im  Mindesten  weiterbringt  und  überhaupt 
zu  dem  Vorangehenden  in  keinem  inneren  Zusammenhang  steht.  Thiel'* 
Vermuthung,  das  angefügte  Stück  sei  ein  Fragment  irgend  eines  (anderen) 
Tractates  des  Gelasius  (vgl.  Thiel  S.  518,  Anm.  38),  ist  hier  im  höchsten 
Grade  wahrscheinlich.  Ob  der  Epitomator  selbst  es  gewesen,  der  es  an- 
gefügt hat,  ist  schwer  zu  sagen  und  auch  unwesentlich. 

1  Uebrigens  erstreckt  sich  die  Benutzung  der  Epitome  durch  Liberatus, 
was  gegen  Garnier  hervorzuheben  ist,  nur  auf  die  capp.  16,  16  und  18 
de«  Breviariums.  Die  längere  Form  der  Gesta  hat  Liberatus  nicht  be- 
nutzt und  daher  auch  wohl  schwerlich  gekannt. 


AvellMift-Studien.  115 

ministerium  proprium  V2:  ministeria  sua  BFAW  445  12 
conductis  perditis  V2:  collecta  multitudine  perditorum  BFA 
446  7  consultiqtie  V:  interrogatique  BFA  447  l  fugare  catho- 
licos  V2:  catholico8  per  sequi  BFAW  449  2  more  V:  de  con- 
suetudine  BFA  450  7  Oasam  deportatum  V2:  ad  Oasitanum 
exilium  esse  directum  BFA  451  1  ne  ipso  quidem  . . .  aspectu 
V2:  nee  visu  BTAW  452  7  rescribente  V:  dirigente  BFA 
452  u  a  se  ordinato  V:  quem  ipse  ordinaverat  BTAW. 

3.  In  K  fehlen  manche,  für  den  Inhalt  meist  belanglose 
Worte,  die  in  2  stehen;  vgl.  445  14  funus  V2:  funus  eius 
BTAW  445  18  sceleris  V2:  tanti  sceleris  BFAW  446  4 
Anatolius  episcopus  V2:  Anatolius  episcopus  Constantinopoli- 
tanus  B  FAW  448  6  ut  fieret  V2:  ut  ageret  cum  imperatore 
et  fieret  BTAW  449  4  episcopum  V2:  iam  episcopum  BTAW 
450  l  retulit  etiam  V2:  retulerat  non  longe  post  etiam  BTA. 

4.  In  3  fehlen  Worte  oder  ganze  Sätze  der  Recen- 
sion  K;  vgl.  442  4  archidiaconus  wrbis  V:  archidiaconus  BTAW 
442  5  notarius  ecclesiae  V:  notarius  BTA  443  17  tunc  tem- 
poris  V:  fehlt  in  BTA  447  16 ff.  dicens  Petrum  olim  in  dia- 
conio  esse  damnatum,  nunc  etiam  Christiana  societate  semotum9 
mandans  per  Isaiam  episcopum  ut  V  (und  ähnlich  2):  rogans 
ut  BTA  448  4  vel  (et  2)  amplius  V2:  fehlt  in  BTAW 
448  16  quem  clementissimus  imperator  pro  ecclesia  et  fide  scrip- 
8er at  laborare  V:  fehlt  in  BTA  449  10  ante  direeta  V:  fehlt 
in  BTA  449  12  fugiens  V:  fehlt  in  BFA  450  5  vilissimum 
populum  et  V2:  fehlt  in  BFA  450  6  ab  episcopis  atque  V2: 
fehlt  in  BTA  451  4  sanetus  V:  fehlt  in  BFAW  452  4  /e- 
cerunt  V:  fehlt  in  BFA      452  10  postea  V:  fehlt  in  BFAW. 

Welcher  von  beiden  Kecensionen  ist  nun  als  der  ur- 
sprünglichen der  Vorzug  zu  geben?  Sollen  wir  Thiel  bei- 
stimmen, der  von  der  Recension  der  Handschriften  B  und  F 
erklärt,  sie  schienen  ihm  9prae  omnibus  pristinum  colorem 
referre1  (Praefat.  p.  72)? 

Aus   der   Verschiedenheit    der  Wortstellung   ergiebt   sich 

nichts.  Man  möchte  freilich  von  dem  Standpunkt  einer  strengen 

Rhythmik  der  Satzschilisse  aus  geneigt  sein,  an  einigen  wenigen 

Stellen  die  Lesart  von  2  vorzuziehen  und  beispielsweise  447  4 

nicht  Timotheo  iunxit  mit  8  sondern  iunxit  Timotheo  mit  3 

zu  lesen.     Allein   wie  wenig  streng  der  Verfasser    der  Gesta 

8* 


116  V.  Abhuidluif :    Günther. 

bei  der  Bildung  der  Satzschlüsse  die  sonst  gegen  Ausgang 
des  5.  Jahrhunderts  durchweg  üblichen  Regeln  in  der  That 
befolgt  hat,  zeigen  Schlüsse  wie  440  8  suis  didicit,  442  13  hone 
orthodoxam,  443  7  Nestorius  fecit,  446  5  diaconum  suurn, 
446  14  imperator  Leo,  447  3  suis  reddidit,  447  4  monasterio 
latet,  450  8  dedisse  fidem  und  andere  mehr,  in  denen  beide  Re- 
censionen  übereinstimmen.  Man  wird  also  vielmehr  versuchen 
müssen,  aus  inneren  Gründen  eine  Entscheidung  zu  treffen. 

Ich  will  hierbei  nicht  näher  auf  die  Stelle  in  §.  24  eingehen : 
illo  enim  tempore,  quo  de  Petro  Alexandrino  damnato  retulit  (sc. 
Acacius),  etiam  de  Petro  et  Johanne  Antiocheno  sie  scripserat,  wo 
2  statt  des  retulit  etiam  vielmehr  retulerat,  (non  longe  post)  etiam 
darbietet  und  wo  schon  Thiel  die  historische  Unrichtigkeit 
dieser  letzteren  Angabe  erörtert  und  dargelegt  hat,  dass  der 
die  beiden  Antiochener  Petrus  Fullo  und  Johannes  betreffende 
Brief  des  Acacius  vielmehr  vor  der  Zeit  geschrieben  sei,  wo 
Acacius  dem  Papst  über  die  Verdammung  des  Petrus  Mongus 
Bericht  erstattete.  Ich  führe  lieber  ein  paar  andere  Stellen 
an,   die   in  ihrem  Zusammenhang  leichter  zu  beurtheilen  sind. 

§.  3  heisst  es:  contra  quem  (d.  h.  gegen  Nestorius)  Eu- 
tyches  post  annos  plurimos  aestimans  disputandum  rectum  tra- 
mitem  teuere  neseivit  et  in  Apollinaris  est  lapsus  insaniam  in 
haec  verba  prorumpens,  quibus  adsereret  Christum  verum 
hominem  non  fuisse.  So  K,  wogegen  U  liest:  .  .  .  in  Apolli- 
naris est  raptus  insaniam  ita  prorumpens,  quibus  adsereret 
u.  s.  w.  Hier  ist  quibus  völlig  unverständlich;  es  ist  aus  Ver- 
sehen beibehalten,  als  jemand,  um  zu  kürzen,  die  Worte  in 
haec  verba  durch  ein  einfaches  ita  ersetzte.1 

Etwas  anders  liegt  die  Sache  §.  16.  Nach  der  Thron- 
besteigung  Kaiser  Leos,  so  wird  erzählt,  wenden  sich  die 
beiden  kirchlichen  Parteien  Alexandrias  an  jenen:  die  Ortho- 
doxen verlangen  Sühne  für  die  Ermordung  ihres  Bischofs  Pro- 
terius,  die  Anhänger  des  Timotheus  Elurus  Annullirung  der 
Beschlüsse  des  Concils  von  Chalcedon.    considerans  imperator, 

1  Ganz  ahnlich  and  offenbar  in  Anlehnung  an  diese  Stelle  der  Gesta 
schreibt  später  Gelaaios  an  die  Bischöfe  von  Dardanien  (Brief  79  der  Avell. 
§.  4):  aptid  Qraecos...  tarn  ante  cmno«  ferc  quadragwUa  et  quinque  (vgl.  die 
Zahlangabe  der  Geste  p.  440  5  f.)  .  .  nata  ctmquauüo  eH  JSufyche  9110110km 
presbytero  .  . .  in  blaspkemias  proruente,  per  qua*  diceret  xu  s.  w. 


AT4lUn*4tn4ien.  117 

so  heisst  es  dann,  nimis  esse  grave  vexari  tanto  itinere 
sacerdotes,  quorum  plurimos  aut  aetas  aut  infirmitas  aut  etiam 
paupertas  hunc  laborem  subire  prohibebat,  dirigit  per  totum 
Orieniem  magistrianos  .  .  .  per  quos  omnes  Uli  episcopi,  qui 
Calcedona  fuerant  congregati,  quid  Alexandriae  factum  fuisset 
agnoscunt  consultique  rescribunt  Chalcedonensem  synodum  usque 
ad  sanguinem  defendendam  esse.  So  der  Wortlaut  von  K.  Die 
Recension  2  hat  statt  tanto  itinere  vielmehr  tanto 8  iterum  % 
und  Thiel  hält  diese  Lesart  für  die  ursprüngliche.  Der  Sinn 
ist  ja  klar,  und  auf  den  ersten  Blick  hat  in  der  That  die  Les- 
art von  U  etwas  Bestechendes:  der  Kaiser  will  den  Bischöfen, 
die  erst  vor  nicht  gar  langer  Zeit  in  Chalcedon  zusammen- 
gekommen waren,  die  Last  ersparen,  schon  wiederum  die 
Fahrt  zu  einem  Concil  anzutreten.  Trotzdem  ist  die  richtige 
Lesart  vielmehr  das  tanto  itinere  von  K;  denn  wenn  wir  tantos 
iterum  lesen,  schweben  die  Worte  hunc  laborem  in  der  Luft, 
weil  dann  vorher  mit  keiner  Silbe  angedeutet  ist,  worin  dieser 
labor  bestehen  sollte.1  Wie  ist  aber  die  Lesart  tantos  iterum 
entstanden?  Vielleicht  war  itinere  irgendwie  verdorben;  jeden- 
falls aber  ist  das,  was  dann  in  2  daraus  geworden  ist,  eine 
bewusste  Aenderung,  eine  Interpolation,  die  den  an  und  für 
sich  durchaus  zutreffenden  Gedanken  zu  deutlichem  Ausdruck 
bringen  wollte,  dass  das  eventuell  zu  berufende  Concil  das 
zweite  gewesen  sein  würde,  zu  dem  die  Bischöfe  innerhalb 
einer  kurzen  Zeit  berufen  worden  wären.  In  denselben  eben 
ausgeschriebenen  Worten  findet  sich  übrigens  auch  ein  Beispiel, 

1  Wenn  ich  diese  Stelle  benutze,  nm  daraus  anf  die  Originalität  der  Les- 
art von  K  gegenüber  der  von  3  zu  schliessen,  so  könnte  man  mir  eine 
andere  entgegenhalten,  wo  scheinbar  das  Verhältniss  umgekehrt  liegt, 
p.  450  2  ff.  heisst  es:  Petrum  .  .  .  a  Leone  principe  Oaaam  deportatum,  de 
quo  lapsum  Constantinopolim  redisse.  So  K;  3  liest  statt  dessen  a  Leone 
principe  ad  Oasitanum  exüium  esse  directum,  de  quo  lapsum  u.  s.  w. 
Allein  die  Beziehung  des  de  quo  auf  ein  vorangehendes  Femininum  ist 
in  dieser  Zeit  nicht  anstössig;  es  ist  zu  quo  eben  loco  zu  ergänzen.  Ich 
habe  augenblicklich  folgende  Parallelstellen:  Hormisda  in  dem  Briefe 
n.  174,  p.  631  s ff. :  petimus  ut...  quocumque  (sc.  loco)  contentionu  alicuius 
ciderilis  remansisse  vtstigia,  curetis  modis  omnibus  insequenda.  Ps.  Rufin 
Uebersetzung  von  Ioseph.  c.  Ap.  I,  §.  19S  Est  autem  in  ipsa  niedietate 
civitatis  lapidea  quadriporticus  .  .  .  haben*  duplice*  ianuas,  quo  ara  est 
quadrianguU  figuratione  composüa  (ntotßoXos  U&tvoc  .  .  .  iv  $  ß<a(±6$ 
i<m  das  Original). 


118 


T.AkfaWluf:    Gtatfcer. 


das  uns  lehrt,  wie  wir  solche  Fälle  zu  betrachten  haben,  in 
denen  2  mehr  bietet  als  K.  Anstatt  des  einfachen  consuUique 
lesen  wir  in  2  die  Worte  inierrogatique  cum  suis  provin- 
cialibus  episcopis.  Nun  waren  aber  auf  dem  Concil  von 
Chalcedon  bekanntlich  nicht  nur  Metropolitanbischöfe  sondern 
auch  Pro  vinzialbischöfe ,  and  da  mit  ausdrücklichen  Worten 
bezeugt  wird,  dass  omnes  Uli  episcopi  qui  Calcedona  fuerant 
congregati,  also  auch  die  Provinzialbischöfe,  durch  Leo  von 
der  Sachlage  in  Kenntnis»  gesetzt  worden  waren,  so  ist  der 
Zusatz  cum  suis  provincialibus  episcopis  nicht  nur  überflüssig 
sondern  geradezu  fehlerhaft.  Derselbe  Mann,  der  an  anderen 
Stellen  die  ursprüngliche  Fassung  kürzte,  wollte  hier  offenbar 
etwas  eigene  Weisheit  hinzufügen;  dabei  ist  es  ihm  denn  passirt, 
dass  er  in  seiner  Redseligkeit  unlogisch  geworden  ist. 

Die  angeführten  Stellen  sind,  obwohl  nur  wenig  an  Zahl, 
doch  meiner  Meinung  nach  dafür  ausreichend,  um  auf  Grund 
derselben  von  der  übrigens  durch  keine  Gründe  gestützten 
Ansicht  Thiel's  abzugehen  und  vielmehr  die  Recension  K  als 
die  ursprüngliche  Fassung  der  Gesta  hinzustellen.  Ich  halte  also 
D  ftlr  eine  leichte  Ueberarbeitung  des  ursprünglichen  Textes  K, 
eine  Ueberarbeitung,  die  weniger  irgend  einer  bestimmten  Ab- 
sicht als  der  Laune  eines  Abschreibers  entsprang,  der,  wie 
es  ihm  gerade  passte,  kürzte  oder  zusetzte,  umstellte  oder 
besserte.  Denn  dass  an  einigen  wenigen  Stellen  der  Text 
von  3  wirkliche  Besserungen  dem  von  K  gegenüber  aufweist, 
lässt  sich  nicht  bestreiten;  allein  auch  diese  Besserungen  sind 
derart,  dass  sie  die  Ansicht  von  der  Ursprünglichkeit  von  K 
nur  bestätigen  können.  Ich  will  nur  eine  dieser  Stellen  an- 
fuhren.  §.  24  lautet  in  den  beiden  Fassungen  folgendennassen: 


K: 

huius  (sc.  Iohannis  Alexandri- 
ni) adventus  pleiixus  universa 
patefecit.  cui  dum  Acacii  scri- 
pta leger emus,  quae  de  Petro 
et  Iohanne  miserat,  excessus 
Acacii  etiam  in  hac  causa  gra- 
vissimi  sunt  retecti.  Mo  enim 
tempore,  quo  de  Petro  Alexan- 


huius  adventus  plenius  universa 
patefecit.  cui  dum  Acacii  scri- 
pta leger  emus,  quae  de  Petro 
et  Iohanne  Antiochenis  mi- 
serat}  excessus  Acacii  etiam  in 
hac  causa  gravissimus  (-mos  r) 
deprehenditur  (-dit  BTJ).  Mo 
enim   tempore,    quo   de   Petro 


AreUana-Studien. 


119 


dfHno  damnato  retulit,  etiam  Alexandrino  damnato  retulerat, 
de  Petro  et  Johanne  Antio-  non  lange  post  etiam  de  Petro 
cheno  sie  scripserat  ...  et  Iohanne  sie  scripserat .  .  . 

Hier  ist  die  Fassang  von  3  in  einer  Beziehung  ohne 
jede  Frage  besser  und  klarer.  Bisher  war  nur  von  den  beiden 
Alexandrinern  Petrus  (Mongus)  und  Johannes  (Talaia)  die  Rede 
gewesen:  da  lag  es  sehr  nahe  und  war  eigentlich  erforderlich, 
dass  wo  nun  zum  ersten  Male  von  den  beiden  Antiochenern 
Petrus  (Fullo)  und  Johannes  die  Rede  war,  beide  den  Ale- 
xandrinern gegenüber  auch  wirklich  als  Antiochener  bezeichnet 
wurden.  So  lesen  wir  es  denn  auch  in  2.  Allein  man  darf 
nicht  vergessen,  dass  der  Verfasser  der  Gesta  ein  Zeitgenosse 
der  Personen  war,  über  die  er  schrieb,  und  dass  ihm  die 
ganzen  Ereignisse,  die  er  selbst  mit  erlebt  hatte,  völlig  ge- 
läufig waren,  und  so  kann  man  bei  ihm  die  Ungenauigkeit 
der  Personenbezeichnung  in  gewisser  Weise  entschuldigen.  Da- 
gegen würde  es  doch  schwer  fallen,  die  einem  Missverständniss 
so  sehr  ausgesetzte  Fassung  von  K  hier  für  die  seeundäre  zu 
halten,  da  zu  einer  derartigen  Abänderung  der  Fassung  2 
auch  nicht  der  Schatten  eines  Grundes  vorlag. 

Ganz  ähnlich  liegt  das  Verhältniss  in  §.  15: 


Leo  sumit  imperium,  ad  quem 
tanti  facinoris  catholicorum 
querela  pervenit.  contra  quo* 
haeretici  supplicarunt  petentes, 
ut  Calcedonensis  synodus  abo- 
leretur,  Uli  autem  vindietam 
tanti  sceleris  expetebant  (ex- 
peetabant  J,  speetabant  B). 

Die  Anakoluthie  der  Fassung  K  ist  in  3  beseitigt,  ebenso 
wie  sie  Liberatus  beseitigt  hat.1  Allein  trotz  des  Anakoluths 
oder  vielmehr  eben  wegen  desselben  ist  auch  hier  die  Fassung 
von  K  die  ursprüngliche,   denn  man  muss  sich  hüten,   diese 


Leo  sumit  imperium,  ad  quem 
tanti  facinoris  catholicorum 
querela  pervenit.  contra  quos 
haeretici  supplicarunt  petentes, 
ut  Calcedonensis  synodus  abo- 
leretur:  Uli  autem  vindietam 
sceleris  postulantes. 


1  e  contra  Uli  a  parte  Proterii  vindietam  sceleris  postodabant  Li  berat,  cap.  15, 
p.  102  ed.  Garn  er. 


120  V.  Attaadta)*:    Gttnther. 

Stellen  ebenso  beurtheilen  zu  wollen  wie  die  oben  angeführten, 
in  denen  eben  die  Concinnität  der  Fassung  K  es  war,  die  für 
die  Ursprünglichkeit  derselben  sprach:  dort  war  die  Lesart 
von  D  nicht  nur  schlechter  als  die  von  K  sondern  in  den 
meisten  Fällen  geradezu  unverständlich;  hier  dagegen  ist  der 
Wortlaut  von  K  ja  freilich  weniger  gut  als  der  von  D,  allein  er 
ist  doch  durchaus  möglich  und  giebt  in  sich  einen  guten  Sinn. 

Ich  wende  mich  jetzt  zu  den  einzelnen  Vertretern  der 
Recension  2,  zu  den  Handschriften  BFA.  Ein  völlig  klares 
Bild  ihrer  Verwandtschaft  läset  sich  aus  ihren  Lesarten  nicht  ge- 
winnen, da  an  manchen  Stellen  BF}  an  anderen  BAf  an  wieder 
anderen  FA  der  jedesmaligen  dritten  Handschrift  gegenüber 
gleiche  Corruptelen  zeigen.  Trotzdem  scheint  es  mir  einiger- 
massen  sicher,  dass  B  und  F  auf  eine  gemeinsame  andere 
Quelle  zurückgehen,  als  die  war,  aus  der  A  die  Gesta  ent- 
nommen hat.  Ich  schliesse  das  besonders  aus  zwei  Stellen. 
In  §.  11  heisst  es  vom  Kaiser  Marcianus  (p.  444  6):  indicit 
synodum  apud  Nicaeam,  in  qua  et  ipse  et  Pulcheria  resedit 
et  omne8  cum  senatu  saeculi  potestates.  So  V.  Hieraus 
ist  das,  was  wir  in  A  lesen:  omnes  cum  senatu*  et  potestates, 
durch  CoiTuptel  entstanden,  indem  ein  Abschreiber  statt  senatu 
seit  vielmehr  senatus  et  schrieb.  Auf  die  corrumpirte  Lesart 
von  A  gründet  sich  dann  aber  die  Interpolation  von  BT  omni* 
cum  (eo)  senatus  et  potestates.  §.18  hat  A  Timotheum  Timo- 
theus  (statt  des  richtigen  Timotheo  Timotheum):  BT  lassen  beide 
Timotheum  fort. 

Was  die  Stellen  angeht,  wo  BA  eine  gemeinsame  Cor- 
ruptel  zeigen,  während  F  die  richtige  Lesart  hat,  so  sind 
dieselben  eigentlich  alle  der  Art,  dass  das  Richtige  aus  dem 
Falschen  durch  Conjectur1  von  jedem  mittelmässigen  Abschreiber 


1  Dass  der  Schreiber  von  /",  beziehungsweise  seiner  Quelle,  Conjecturen 
nicht  abgeneigt  war,  beweisen  die  Worte  in  §.  24  (p.  449 15),  wo  die 
ursprüngliche  Lesart  der  Recension  3  allein  im  Vallicellanus  W  er- 
halten ist:  huiu»  adventus  plenhu  univeraa  patefecü.  evi  dum  Acacii 
scripta  leger emus,  quae  de  Peiro  et  Iokanne  Anliochenis  muerat,  ercesm* 
Acacii  etiam  in  hoc  causa  gravitsimuB  deprekenditur.  Die  letzten 
Worte  wurden  dann  in  gravUsimus  deprekendit  (so  BA)  corrumpirt,  was  T 
mit  Bewusstsein  in  gravissimos  deprekendit  abänderte,  nicht  eben 
geschickt,  da  dunkel  bleibt,  wer  deprekendit. 


Arellana-Stndtai.  121 

überaas  leicht  hergestellt  werden  konnte.  Es  sind  folgende: 
446  12  se  r:  fehlt  in  BA  445  lö  cineresque  Fi  cinerüque  A, 
cineris  quae  B  446  16  in  ventos  F:  inoentus  BA  448  10 
contingeret  T:  contigerit  BA  451  l  confugerent  F:  confu- 
gerint  BA  451  16  ipsi  F:  ipse  BA  452  2  voluntatem  F; 
volunUxte  BA. 

Dasselbe  lässt  sich  kaum  von  jeder  der  etwa  15  Stellen 
behaupten,  wo  B  mit  V  Lesarten  gemeinsam  hat,  während  TA 
eine  Corruptel  oder  jedenfalls  eine  gemeinsame  von  VB  ab- 
weichende Lesart  darbieten.     Ich  verweise  da  vor  Allem  auf: 

447  16  8cribit  V2B:  scripsit  A,  scribsit  F 

448  6  numquam  V2B:  non  FA 

450  2  8crip8erat  VB:  sie  scripserat  FA2 

450  1  principe  VB  (imperatore  2):  tunc  principe  FA 

452  2  debuerant  VB:  debuerunt  FAW. 

Besonders  wichtig  erscheint  mir  hierunter  die  Stelle  450  2,  wo  B 
mit  einer  offenbaren  Corruptel  von  V  übereinstimmt;  denn  dass 
auch  die  Recension  K  das  sie  ursprünglich  gehabt  hat,  beweist 
die  Lesart  der  ihr  angehörigen  Epitome  2.  Es  scheint  dem- 
nach kaum  etwas  Anderes  übrig  zu  bleiben  als  die  Annahme, 
dass  der  Codex,  aus  dem  B  die  Gesta  entnommen,  einige 
Stellen  derselben  nach  einem  Exemplar  corrigirt  hat,  das  mit 
der  Avellanahandschrift  V  verwandt  war,  oder  aber,  wie  ich 
oben  S.  44 f.  ausgeführt  habe  und  was  mir  wahrscheinlicher  ist, 
dass  ursprünglich  auch  die  Sammlung  (nicht  die  Handschrift) 
B  die  Recension  K  zeigte,  diese  aber  durch  dine  grosse  spä- 
tere Correctur  dann  durch  die  Recension  3  ersetzt  wurde,  mit 
Ausnahme  jener  paar  Stellen,  die  dem  Corrector  durch  Zufall 
entgingen.  Wie  dem  aber  auch  sei,  für  uns  gehört  die  Hand- 
schrift B  heute  jedenfalls  zur  Recension  3. 

Ausser  den  drei  Handschriften  BF Ax  gehört  der  Recen- 
sion 3  noch  der  von  mir  mit  ^bezeichnete  Codex  Vallicellanus 

1  Für  eine  geroeinsame  Quelle  der  Sammlung  der  Handschrift  von  Di  essen 
(A)  nnd  derjenigen  der  Handschrift  von  Chieti  (T)  hat  aus  inneren 
Gründen  sich  bereits  Maassen  (Qesch.  d.  Quellen,  8.  631)  ausgesprochen. 
Auf  dieselbe  gemeinsame  Urquelle  geht,  was  die  Gesta  anlangt,  also 
mach  die  Berliner  Handschrift  B  zurück.  Dass  die  Sammlung  von 
Diessen  nicht  aus  dem  uns  erhaltenen  Codex  r  geschöpft  hat,  geht  aus 


122  V.  Abhsndlnng :    Gftnther. 

XVIII  an.  Es  ist  eine  Miscellanhandschrift  des  10.  Jahrhunderts; 
die  Oesta  beginnen  Blatt  246%  allein  wie  schon  die  Ueber- 
schrifl  zeigt  (Ablatio  ex  gestis  quibus  Accacius  Constantinopoli- 
tanus  episcopus  monstratur  hereticus  et  a  papa  Feiice  dam- 
natus)}  haben  wir  es  hier  nur  mit  einem  Auszug  derselben 
zu  thun.  Der  Urheber  desselben  hat  seine  Sache  nicht  nur 
öfter  recht  ungeschickt  angefangen,  sondern  dabei  auch  eigener 
Willkür  recht  breiten  Spielraum  gewährt.  Sehr  charakteristisch 
dafür  ist  eine  Stelle  in  §.  2,  wo  es  von  Nestorius  heisat,  dass 
er  ante  quinquaginta  octo  ferme  annos  Photini  et  Pauli  Samo- 
sateni  secutus  errorem  Oasitano  exilio  meruit  relegari.  Der 
Epitomator  hat  die  Zeitbestimmung,  die  die  Zahl  der  Jahre 
vom  Auftreten  des  Nestorius  bis  zur  Abfassung  der  Geste 
angiebt,  ganz  willkürlich  durch  eine  andere  ersetzt,  er  schreibt 
flott  post  centum  quinquaginta  et  octe  fere  annos,  will  also  die 
Zeit  angeben,  die  zwischen  dem  Auftreten  des  Nestorius  und 
dem  seiner  Vorgänger  Photinus  und  Paulus  liegt,  wobei  er 
freilich  nicht  bedacht  zu  haben  scheint,  dass  auch  die  beiden 
letzteren  ihrerseits  wieder  durch  ein  paar  Menschenalter  von  ein- 
ander getrennt  sind.  Es  hat  also  in  gewisser  Weise  Thiel  Recht, 
wenn  er1  diese  Lesart  des  Vallicellanus  als  summe  memoranda 
bezeichnet;  sie  ist  das  freilich  nicht  nach  der  Richtung  hin,  wie 
Thiel  es  sich  gedacht  zu  haben  scheint,  nach  der  Richtung  irgend 
welchen  inneren  Werthes,  wohl  aber  zur  Charakterisirung  der 
ganzen  willkürlichen  Art,  in  der  diese  Epitome  hergestellt  ist. 
Dass  dem  Epitomator  nicht  die  Recension  K  sondern  viel- 
mehr D  vorgelegen  hat,  geht  aus  den  Lesarten,  die  ich  im 
Laufe  meiner  Darlegungen  aus  W  notirt  habe,  zur  Genüge 
hervor,  und  ich  habe  nicht  nöthig,  aus  dem  kritischen  Apparat 
meiner  Ausgabe  noch  mehr  Beweisstellen  dafür  zusammen- 
zutragen.   Im  Uebrigen  ist  über  diese  Epitome  *  nur  noch  das 


dem  hinreichend  hervor,  was  ich  oben  über  die  beiden  Handschriften  r 
und  J  ausgeführt  habe.  Mehr  Belege  dafür  sind  dem  kritischen  Apparat 
meiner  Ausgabe  mit  Leichtigkeit  au  entnehmen. 

1  p.  511,  Anm.  2. 

*  Ich  habe  sie,  verderbt  wie  sie  in  W  ist,  in  der  dritten  Appendix  meiner 
Ausgabe  noch  einmal  abgedruckt  —  eigentlich  sum  ersten  Male,  denn 
was  Thiel  8.  620  ff.  ,ex  cod.  Vallicellano  XVI1T  abdruckt,  ist  eher  alles 
Andere  als  der  wirkliche  Text  dieser  Handschrift. 


Avellftoa-Stndien. 


123 


zu  sagen  —  und  das  ist  überhaupt  das  Einzige,  was  uns  daran 
interessiren  kann  — ;  dass  dem  Epitomator  offenbar  eine  Hand- 
schrift der  Recension  2  vorgelegen  hat,  die  der  Recension  K 
noch  näher  stand  als  die  gemeinsame  Quelle  von  BFA.  Es 
folgt  dies  aus  Stellen  wie: 


440    4     temporis  VW 

433    l     Eusebius  episcopus  VW 

446  n  vixit  Timotheus  V 
Timotheus  vixit  2 
vixit  etiam  Timotheus  W 

448    5     destitit  (desistit  V)  scribere 
V2W 

450  16      et    invadit     eins    eeclesiam 

V2W 

451  10     fidei  et  totius  ecclesiasticae 

disciplinae  V 
fidei  W 
451  16      Alexandrino  VW 


temporum  B  FA 
Eusebiu8  BFA 


vivit  (vivet  A)  Timotheus 

BFA 
desiit  scribendo  BFA 

fehlt  in  BFA 

» 

totius    ecclesiasticae    di- 
sciplinae  BFA 

fehlt  in  BFA 


Was  sich  über  die  Handschriften  der  Gesta  sagen  Hesse, 
scheint  mir  hiermit  erschöpft  zu  sein.  Ihr  gegenseitiges  Verhält- 
niss  wird  durch  folgendes  Stemma  veranschaulicht,  in  welchem 
die  Darstellung  der  Verwandtschaft  von  BFA  untereinander 
auf  absolute  Sicherheit  allerdings  keinen  Anspruch  machen  kann, 
übrigens  auch  praktisch  kaum  von  Werth  ist. 


Ursprüngliche  Recension 


124  Y.  Abhandlung:    Gftnther. 

Als  Hauptregel  ergiebt  sich  für  den  Herausgeber  dem- 
nach folgende:  wo  2  mit  der  Recension  2  zusammengeht,  ist 
die  abweichende  Lesart  von  V  als  Corruptel  zu  betrachten. 
Demgemäss  habe  ich  z.  B.  445  15  ipsiu»  (2BTÄW),  nicht 
eins  (V),1  447  10  imperator  (2BTJW),  nicht  princeps  (V), 
450  2  sie  scripserat  2TJ,  nicht  scripserat  (VB)  aufgenommen. 
Wo  2  fehlt  und  uns  also  keine  Controle  darbietet,  bin  ich 
von  der  Lesart  von  V  nur  an  ganz  vereinzelten  Stellen  ab- 
gewichen. 

Zum  Schluss  ein  Wort  über  die  Ausgaben  der  Gesta. 
Zunächst  stehen  sie  in  der  Decretalensammlung  des  Carafa 
(I*  p.  142),  der  sie  aus  der  Avellanischen  Sammlung  ans 
Licht  zog.  Es  folgt  Sirmond  (Append.  Cod.  Theodos.  p.  111), 
der  den  alten  Virdunensis  B  zu  Grunde  legte,  seinen  Text  aber 
mit  Lesarten  der  Recension  K  contaminirte,  die  er  entweder 
aus  dem  Drucke  des  Carafa  oder  aus  einer  dem  Vaticanus  V 
entstammenden  Avellanahandschrift  entnahm.2  Schliesslich  Thiel 
(Epp.  pontif.  p.  510),  der  freilich  die  Lesarten  der  in  Betracht 
kommenden  Handschriften  notirt,  allein  bei  Vergleichung  der- 
selben es  wie  gewöhnlich  an  der  nöthigen  Genauigkeit  hat 
fehlen  lassen  und  dadurch,  dass  er  das  richtige  Verhältniss 
der  beiden  Recensionen  K  und  2  sowie  das  der  Epitome  2 
zu  K,  das  der  Epitome  W  zu  2  nicht  erkannt  hat,  ohne  jede 
Kritik  bald  diese  bald  jene  Lesart,  wie  es  ihm  beliebt,  auf- 
nimmt oder  verwirft. 


1  Wenn  an  dieser  Stelle  eiu*  auch  bei  Liberatus  steht,  so  beweist  das 
nichts,  da  dieser  beim  Ausschreiben  von  £  vielfach  den  Wortlaut  leicht 
abändert. 

■  Hier  drei  Beispiele  anstatt  vieler:  440  11  netcivit  F,  offendü  B:  ne*dens 
offendit  Sirm.  446  5  per  quo*  V,  et  B:  per  quo*  ei  Sirm.  447  16  di- 
cen*  Petrum  olim  in  diaconio  e**e  damnatum  nunc  etiam  Christiana  *oci&- 
tale  *emotum,  mondän*  per  Isaiant  epiacopum  V,  rogan*  (alles  Uebrige 
fehlt)  B:  fdicen*  "Petrum  .  .per  Esaiam  episcopum]  rogan»  Sirm.  Sirmond 
ist  hier  genau  auf  dieselbe  Weise  verfahren,  wie  wir  es  bei  seiner  Aus- 
gabe des  sogenannten  libeüu*  precum  des  Marcellinus  und  Faustinus 
sahen;  vgl.  oben  S.  82 ff. 


ATSlUna-Stitdien.  125 


Chronologische  Excurse. 

1. 

Zur  Chronologie  des  Schisma  des  Ursinas 

(Avell.  n.  1,  4—13). 

Die  Chronologie  der  hier  in  Betracht  kommenden  Stücke 
ist  von  W.  Meyer1  vollkommen  richtig  dargelegt,  nur,  in  ein 
paar  Einzelheiten  kann  man  vielleicht  noch  etwas  weiter  kommen. 

Papst  Liberias  starb  am  24.  September  366  (vgl.  n.  1, 
§.  4).  Sieben  Tage  darauf,9  also  Sonntag  den  1.  October  366 
wird  Damasus  ordinirt.  Die  erste,  durch  den  iudex  urbis 
Viventius  (n.  1,  §.  6)  verhängte  Verbannung  des  Ursinus,  Aman- 
tiu8  und  Lupus  fkllt  also  zwischen  1.  und  26.  October,  an 
welch  letzterem  Tage  Damasus  gegen  die  zurückgebliebenen 
Anhänger  des  Ursin  das  auch  aus  Ammian  bekannte  Blutbad 
bei  S.  Maria  Maggiore  anrichtet  (n.  1,  §.  7).  Die  Rückkehr 
des  Ursin  erfolgt  auf  Veranlassung  des  Valentinian  am  15.  Sep- 
tember 367  (n.  1,  §.  10);  auf  diese  erste  Rückkehr  bezieht 
sich  das  kaiserliche  Edict  n.  5,  nicht  auf  die  Wiederkehr  aus 
dem  zweiten  Exil,  das  der  Kaiser  selbst  (n.  1,  §.  11)  und 
nicht  der  Stadtpräfect  verhängt  hatte,  dessen  Vorgehen  in  n.  5 
corrigirt  wird.  n.  5  ist  also  im  Jahre  367  vor  dem  15.  Sep- 
tember erlassen. 

Zum  zweiten  Male  geht  Ursinus  schon  am  16.  November  367 
in  die  Verbannung  (n.  1,  §.  11;  dass  er  nach  Gallien  verwiesen 
war,  zeigt  n.  11,  §.  2);  das  hierauf  bezügliche  Edict  des  Kaisers 
(zwischen  15.  September  und  16.  November)  ist  nicht  er- 
halten. Der  praefectus  urbi  Praetextatus  geht  hierauf  seiner- 
seits auch  gegen  die  Anhänger  des  Ursin  vor,  wird  darin  jedoch 
durch  das  Edict  des  Kaisers  n.  7  vom  12.  Januar  368  rectificirt.3 


1  Ind.  scbol.}  Göttingen  1888,  S.  8  ff. 

*  Dass  die  sieben  Tage  (n.  1,  §.6)  von  dem  Tode  des  Liberius,  nicht  von 
dem  Blutbad  bei  der  basilica  Iulii  (n.  1,  §.  5)  an  xu  zählen  seien,  ist 
gegen  Langen  (Gesch.  der  röm.  Kirche  .  .  I  497)  besonders  von  Rade 
(Damasus,  Bischof  von  Rom,  S.  12)  richtig  ausgeführt. 

*  Erlassen  ist  das  Edict,  wie  die  ihm  zeitlich  am  nächsten  stehenden 
Cod.  Theod.  VI  36,  7  (XIV  Kai.  Dec.  367)  und  XVI  2,  18  (XIII  Kai. 
Mart.  368),  in  Trier. 


126  V.  Abhandlung:    Günther. 

Der  von  Rade1  entdeckte  vermeintliche  Widerspruch  zwischen 
der  Datirung  von  n.  7  und  der  Angabe  über  den  Antritt  des 
zweiten  Exils  in  n.  1,  §.  11  ist  also  in  Wirklichkeit  nicht 
vorhanden. 

Noch  vor  n.  7  ist  n.  6  erlassen,  das  die  Herausgabe  der 
von  den  Ursinianern  noch  behaupteten  basilica  Sicinini  an- 
ordnet. Das  Edict  beginnt  mit  den  Worten  Dissensionis  auctare 
sublato  omnis  causa  discordiae  sopienda  est,  fällt  also  offen- 
bar in  die  Zeit,  wo  der  Kaiser  noch  nichts  davon  wusste, 
dass  Prätextatus  auch  gegen  die  Genossen  des  Ursinus  ein- 
geschritten war,  d.  h.  zwischen  den  16.  November  367  und 
den  12.  Januar  368.  Nach  Erlass  dieses  Edicts  geschah  das, 
was  n.  1,  §.  12  berichtet  wird:  sed  populus  timens  deum  .  .  . 
non  imperatorem,  non  iudices  nee  ipsum  .  .  .  Damasum  timuit 
sed  per  coemeteria  martyrum  stationes  sine  clericis  celebrabat. 
unde  cum  ad  sanetam  Agnem  multi  fidelium  convenissent ,  ar- 
matu8  cum  satellitibus  suis  Damasus  irruit  et  plurimos  vasta- 
tionis  suae  strage  deiecit.  Natürlich  ist  hier  die  Basilica  der 
heiligen  Agnes  vor  Porta  Nomentana  gemeint,  nicht  die  gleich- 
namige Kirche  in  der  Stadt,  wie  Rade  ohne  Gründe  anzugeben 
sehr  zuversichtlich  ausspricht.  Die  Kirche  S.  Agnese  fuori  le 
mura  bestand  schon  vor  Papst  Honorius,  der  sie  nur  miro 
opere  reparavit,  wie  es  in  der  Notitia  ecclesiarum  urbis  Ro- 
mae  des  Cod.  Vindob.  795  heisst  (De  Rossi,  Roma  sotterr.  I, 
p.  139,  20).  Auf  die  Kirche  vor  dem  Thor  weist  auch  n.  8, 
§.  1  adhuc  aliquantos  placata  miscere  delectat  extramura- 
nisque  conventibus  frequens  strepitus  excitatur. 

n.  8  und  10  sind  an  den  Stadtpräfecten  Olybrius  ge- 
richtet, der  zwischen  dem  20.  September  368  (C.  Th.  I  6,  6) 
und  28.  Januar  369  (C.  Th.  XIV  8,  2)  auf  Prätextatus  folgte 
und  sein  Amt  niederlegte  zwischen  dem  21.  August  370  (C.  Th. 
II  10,  5)  und  1.  Januar  371  (C.  Th.  XV  10,  1);  vgl.  Seeck, 
Hermes  XVIII  303  und  in  seiner  Ausgabe  des  Symmachus 
p.  LXXXVII  und  XCVII.  n.  8  ist  etwas  früher  geschrieben 
als  n.  10;  dass  beide  noch  in  das  Ende  des  Jahres  368  fallen, 
wird  aus  den  Worten  n.  10,  §.  2  wahrscheinlich  (talem  enim 
te  futurum  esse  praesumpsimus ,    cum  detulerimus  tuis  meritis 


1  Damasus  .  .  S.  16  f. 


Arellona-8tndiön.  127 

praefecturam ,    qualem   statim   in    administrationis   exor- 
diis  invenimus).      n.  9  ist  von  demselben  Tage  wie  n.  8. 

Für  die  Datirung  der  am  gleichen  Tage  erlassenen  n.  1 1 
und  12  haben  wir  keinen  Anhalt  als  die  Stadtpräfectur  des  Am- 
pelius,  der  zwischen  dem  21.  August  370  und  1.  Januar  371  auf 
Olybrius  folgte  und  zwischen  dem  5.  Juli  (C.  Th.  VI  7,  1)  und 
22.  August  372  (C.  Th.  VI  4,  21)  durch  Bappo  ersetzt  wurde. 

Am  schwierigsten  ist  die  Datirung  von  n.  13,  einem  Edict 
der  Kaiser  Gratian  und  Valentinian  II.  an  den  vicarius  urbis 
Aquilinus,  das  veranlasst  wurde  durch  die  Bittschrift  einer 
römischen  Synode  (edirt  zuerst  von  Sirmond,  Append.  Cod. 
Theod.  p.  78  ff.).  Die  Zeit  dieser  Synode  steht  nicht  fest,  da 
man  die  Zeit  des  Vicariats  des  Aquilinus  nicht  kennt.  Vgl. 
Meyer  a.  a.  0.,  S.  10  f.  Einstweilen  halte  ich  die  Ansetzung 
von  Blondel  und  Richter  für  die  wahrscheinlichere,  die  sowohl 
die  Bittschrift  des  römischen  Concils  wie  das  kaiserliche  Re- 
script  in  die  Zeit  zwischen  den  9.  August  378  und  19.  Januar 
379  verlegen.  Dann  würde  man  Aquilinus  als  Nachfolger  des 
Vindicianus  (15.  August  378,  C.  Th.  X  19,  9)  und  als  Vor- 
gänger des  Potitus  (9.  August  379,  C.  Th.  VI  28,  1)  zu  be- 
trachten haben. 


2. 


Zur  Chronologie  der  Simpllciusbriefe  (Avell.  n.  56 — 69). 

In  den  Ueberschriften  und  Daten  dieser  Stücke  findet 
sich  einiges  vor,  was  eine  Erklärung  oder  wenigstens  den 
Versuch  einer  solchen  beansprucht.  Ich  gehe  hier  um  so  eher 
darauf  ein,  als  ich  in  der  Adnotatio  meiner  Ausgabe  von  län- 
geren chronologischen  Auseinandersetzungen  absehen  musste. 
Den  Inhalt  der  einzelnen  Briefe  setze  ich  hier  als  bekannt 
voraus.     Ich  folge  der  Reihenfolge  der  Avellana. 

n.  56  (=  XIV  im  cod.  Berolinensis  B)  ist  in  V  über- 
schrieben Zenoni  Augusto  Simplicius  episcopus,  am  Ende  steht 
das  Datum  Data  est  IV  Iduum  Ian.  Basilisco  Aug.  consule.  In 
B  fehlt  die  Datirung,  die  Ueberschrift  lautet  abweichend  von  V: 
Simplicius  Basilisco  Augusto.  Da  ist  zunächst  klar,  dass,  wenn 
der  Brief  wirklich  an  den  Kaiser  Zeno  gerichtet  ist,  die  Sub- 
scription  der  Avellana  falsch  sein  muss;  denn  zu  einer  Zeit,  wo 


128  V.  Abhandlung:    Günther. 

Zeno  regiert,  kann  der  Usurpator  Basiliscus  nicht  als  Augustus 
bezeichnet  werden.  Baronius  hat  das  eingesehen  und  daher 
(vgl.  Annal.  eccl.  476,  16)  Basilisco  et  Armato  conss.  herstellen 
wollen  (das  ist  das  Jahr  476).  Die  Aenderung  ist  gewalt- 
thätig,  allein  man  gewinnt  überdies  nicht  einmal  etwas  durch 
sie,  denn  im  Januar  des  Jahres  476  regierte  nicht  Zeno,  sondern 
Basiliscus.1  Hierzu  kommt  der  Umstand,  dass  dem  ganzen  In- 
halt des  Briefes  nach  Zeno  nicht  der  Adressat  sein  kann. 
Wann  sollte  er  an  diesen  geschrieben  sein  ?  Nach  dem 
Sturze  des  Basiliscus?  Dann  würde  doch  wie  in  allen  den 
anderen  Schreiben  aus  dieser  Zeit  sich  auch  hier  wohl  irgend 
eine  Wendung  finden,  mit  der  der  Papst  an  den  gestürzten 
Gegner  erinnerte  und  zugleich  an  die  Dankbarkeit  des  Kaisers 
Gott  und  der  Kirche  gegenüber  appellirte.  Das  erste  Schreiben 
des  Simplicius  an  Zeno  nach  dem  Sturze  des  Basiliscus  ist 
n.  60,  und  nach  diesem  kann  n.  56  überhaupt  keine  Stelle 
mehr  finden.  Ebensowenig  aber  kann  n.  56  an  Zeno  vor  der 
Erhebung  des  Basiliscus  gerichtet  sein;  hiergegen  sprechen, 
um  von  Anderem  abzusehen,  schon  die  Worte  in  Brief  58  an 
Acacius,  der  gleichzeitig  mit  n.  56  abgesandt  ist  (§.  5):  nota 
namque  .  .  .  quae  sanctae  memoriae  prodecessor  mens  Leo  ad 
consultationem  augustae  recordationis  Leonis  scripserit  et  quam 
veneranter  accepta  sint  recognoscat  (der  Kaiser):  appareat,  Heut 
confidimuß,  eins  Imitator  fidei,  cuius  propitiante  deo  dignior 


1  Ueber  die  Zeit  der  Tyrannis  des  Basiliscus  ist  viel  hin  und  her  ge- 
stritten; der  Wahrheit  scheint  mir  auch  in  diesem  Falle  De  Rossi  am 
nächsten  gekommen  zu  sein.  Ich  halte  es  für  ausgemacht:  1.  dass  Ba- 
siliscus noch  im  August  des  Jahres  476  Tyrann  war  (vgl.  Inscript.  christ. 
urbis  Romae  ed.  De  Rossi  I,  n.  863,  S.  382),  aber  noch  im  Laufe  des- 
selben Jahres  gestürzt  wurde  (vgl.  Theophanes  und  Victor  Tunnun.  zu 
diesem  Jahre);  dass  der  Sturz  vor  dem  17.  December  dieses  Jahres  er- 
folgte, scheint  mir  De  Rossi  (a.  a.  O.  p.  382  f.)  aus  Cod.  Iust  I  2,  16 
richtig  geschlossen  zu  haben;  2.  dass  Basiliscus  20  Monate  am  Ruder 
war  (auvapiO(M>upivcov  xat  xtov  x'  pjvtÜv  xou  BaaiX(axoo  tvjc  Tupawtöoc  Theoph. 
p.  120  ed.  de  Boor;  Eyovti  8e  BaaiX(axo>  tjjv  tupsvvf&a  iviaurov  te  xat  {jjjvac 
oxtio  Procop.  Vand.  I  7,  p.  196  B;  vgl.  Euagr.  III  8  xat  Bcutepov  frof  rfj; 
apy^ffc  xpaT^aavrc  röv  BaaiXCaxov  i^coOEttai).  Daraus  würde  folgen,  dass  er 
sich  der  Tyrannis  bemächtigt  habe  innerhalb  der  vier  ersten  Monate 
des  Jahres  475,  und  dass  sein  Sturz  innerhalb  der  vier  letzten  Monate 
des  Jahres  476  erfolgte. 


Arellmft-Studien.  129 

est  suecessor  imperii.  Das  letzte  passt  nicht  auf  Zeno,  der 
vor  der  Erhebung  des  Basiliscus  zwischen  Kaiser  Leo  und 
sich  keinen  Vorgänger  hatte  und  daher  auch  keinen  an  Würdig- 
keit übertreffen  konnte.  Aus  allem  diesen  ergiebt  sich,  dass 
in  V  nicht  das  Datum  sondern  die  Adresse  von  n.  56  falsch 
ist,  und  dass  das  Schreiben  in  der  That  nicht  an  Zeno  sondern, 
wie  B  angiebt,  an  Basiliscus  gerichtet  ist.  Doch  glaube  ich 
nicht,  dass  in  die  Adresse  sich  ein  Irrthum  eingeschlichen 
hat,  zumal  der  Brief  schon  im  Jahre  553  von  Papst  Vigilius 
als  an  Zeno  gerichtet  citirt  wird;1  vielmehr  erscheint  es  mir 
sehr  wahrscheinlich  —  und  auch  De  Rossi  ist  auf  diese  Ver- 
muthung  gekommen  — ,  dass  nach  der  Restitution  des  Zeno 
der  Name  des  Basiliscus  durch  irgend  jemand,  der  Interesse 
daran  hatte,  über  die  compromittirende  Stellungnahme  des  apo- 
stolischen Stuhles  zu  Gunsten  des  Usurpators  einen  Schleier  zu 
ziehen,  absichtlich  aus  der  Adresse  dieses  Briefes  (des  einzigen, 
der  an  Basiliscus  erhalten  ist)  entfernt  und  durch  den  des 
Zeno  ersetzt  worden  ist.  Möglich  ist,  dass  dies  erst  in  der 
unmittelbaren  Quelle  der  Avellana  (X)  geschehen  ist,  viel  wahr- 
scheinlicher jedoch  (und  darauf  weist  auch  das  Citat  bei  Vigi 
lius),  dass  die  Substituirung  des  einen  Namens  für  den  anderen 
in  noch  älterer  Zeit,  d.  h.  schon  im  päpstlichen  Archiv  erfolgt 
ist,  und  dass  der  wahre  Thatbestand,  den  die  Adresse  in  B 
wiedergiebt,  hier  erst  durch  Conjectur  hergestellt  ist. 

Brief  n.  56  ist  also  von  Simplicius  am  10.  Januar  467 
an  Basiliscus  abgesandt.  Dass  die  Schreiben  desselben  Papstes 
n.  58  (=  XVI)  an  Acacius  und  n.  59  (=  XVII)  an  die  Pres- 
byter und  Archimandriten  von  Constantinopel  mit  jenem  gleich- 
zeitig abgefasst  sind,  geht  aus  ihrem  Inhalt  zur  Genüge  hervor.8 


1  Im  sogenannten  Constitutum  de  tribus  capüulis  =  Avellana  n.  83,  §.  295. 

1  Vgl.  z.  B.  69,  §.  4  ad  ChristianUsimum  quoque  principem  vd  ad  Jratrem 
et  coepUeopum  meum  Acacium  competentia  simul  scripta  direximu*. 
Ueberbringer  von  Brief  66,  58  und  59  war  ein  gewisser  Epiphanias 
(vgl.  59,  §.  1  Per  filium  nostrum  laudabüem  virum  Epiphanium  UUeris 
vestrae  diUctionis  . .  acceptis  und  §.4,  wo  auf  die  eben  ausgeschriebene 
Stelle  ad  Ckristianissimum  quoque  principem  u.  s.  w.  die  Worte  folgen: 
Ut  autem  plenius  düectio  vestra    oognoscat   nostrarum,   quas  ad  ckristia- 

•  nisrimum  principem  misimus,  seriem  litterarum,  cxemplaria  intemuntio 
quem  mUUtit  redeunte  direximus).  Woher  Langen  (Gesch.  der  röm. 
Sitennfsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXJY.  Bd.  5.  Abb.  9 


130  V.  Abhandlung:    Günther. 

Da  nun,  wie  wir  gesehen,  an  der  Datirung  von  n.  56  in  V 
keinerlei  Anstoss  zu  nehmen  ist,  so  liegt  es  auf  der  Hand, 
dass  die  Datirung  von  n.  58  (XVI)  in  B:  Data  II  Kai.  Febr. 
consule  qui  de  Oriente  fuerit  nuntiatus  kaum  richtig  ist,  zumal 
die  Daten,  die  n.  58  und  59  in  V  tragen,  mit  dem  von  n.  56 
durchaus  stimmen,  wenn  man  die  Überlieferten  Schriftzüge  nur 
richtig  ergänzt,  beziehungsweise  emendirt.  n.  58  trägt  in  V  die 
Subscription  DAT  QV  ID  IAN  CONSVl,  d.  h.  Data  qu(arto) 
Id.  Ian.  consule  {suprascripto) ,  n.  59  DAT  CHI  (zu  emen- 
diren  in:  IUI)  ID  IAN  CONSVL  SS. 

Zwischen  n.  56  (XIV)  auf  der  einen  und  den  auf  den 
gleichen  Tag  fallenden  n.  58  (XVI)  und  59  (XVII)  auf  der 
anderen  Seite  steht  sowohl  in  V  wie  in  B  Brief  n.  57  (XV), 
und  zwar  in  beiden  Sammlungen  ohne  Datum.  Dass  er  nicht 
gar  lange  nach  n.  56,  58  und  59  geschrieben  ist,  geht  aus 
den  Worten  hervor,  in  denen  er  auf  die  Briefe  56  und  58 
Rücksicht  nimmt  (§.  1):  proxime  namque ...  tamChristianissimo 
principi  quam  dilectioni  tuae  scripsimu$f  ut  modis  omnibus  re- 
sistatur.  Man  hat  daher  denn  auch  schon  längst  diesen  Brief 
ebenfalls  noch  dem  Januar  des  Jahres  476  zugewiesen.  Ich 
möchte  nun  die  Vermuthung  wagen,  dass  auf  diesen  Brief  das 
Datum  zu  beziehen  sei,  das  in  B,  wie  wir  gesehen  haben,  am 
Ende  von  n.  58  (XVI)  steht:  Dat.  II  Kai.  Febr.  consule  qui  de 
Oriente  fuerit  nuntiatus.  War  dasselbe  am  Ende  von  n.  XV 
irgendwie  so  geschrieben,  dass  es  mit  dem  Titel  von  n.  XVI 
auf  eine  und  dieselbe  Zeile  kam,  oder  war  es  gar  etwa  an 
den  Rand  der  Handschrift  herausgerückt,  so  konnte  ein  Ab- 
schreiber wohl  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  es  zu  n.  XVI 
gehöre,  und  es  dann  an  das  Ende  dieses  Briefes  setzen.  Jeden- 
falls würde  der  31.  Januar  476  der  Lage  der  Dinge  nach  für 
n.  57  ausgezeichnet  passen.  Unklar  bliebe  dabei  freilich  immer 
noch,  warum,  wenn  bereits  n.  56  wie  in  V  so  doch  sicher 
auch  in  der  alten  Sammlung  X  und  noch  weiter  zurück  im 
päpstlichen  Registerbuch  die  Consulardatirung  Basilisco  Aug. 
cons.  trug,  nicht  ebenso  auch  der  später  geschriebene  Brief 
n.  57   datirt   war   II  Kai.  Febr.  Basilisco   Aug.  cons.  sondern 


Kirche  II,  130  am  Ende)  die  Nachricht  von  zwei  Gesandten  des  Papstes 
hat,  habe  ich  nicht  entdecken  können. 


▲TtIUn»-8l«di«k.  131 

statt  dessen  II  Kai.  Febr.  consule  qui  de  Oriente  fuerit  nun- 
tiatus. Einen  sicheren  Ausweg  weiss  ich  nicht.  Sollte  das 
ursprüngliche  vielleicht  auch  hier  cons.  supra  scripta  gewesen, 
dann  supra  Scripte  (=  si)  in  einer  Handschrift  ausgefallen 
und  von  einem  kundigen  Leser  (demselben  vielleicht,  der  in 
der  Adresse  von  n.  56  den  Basiliscus  an  die  Stelle  von  Zeno 
setzte)  durch  das  qui  de  Oriente  fuerit  nuntiatus  ersetzt  sein? 
Verdächtig  ist  diese  Formel  hier  auch  in  anderer  Hinsicht; 
cons.  qui  de  Oriente  fuerit  nuntiatus  oder  einfacher  cons.  qui 
fuerit  nuntiatus  kommt,  wie  Mommsen  bemerkt  hat  (Neues 
Archiv  XIV  234)  in  Regierungserlässen  der  Kaiser  im  fünften 
Jahrhundert  bis  zum  Jahre  461  (vgl.  Mommsen  a.  a.  O.,  S.  232, 
243)  häufiger  vor,  in  dem  Schreiben  eines  Papstes  ist  es  sonst 
nicht  nachweisbar,  und  unser  Beispiel  wäre  das  einzige. 

Das  Schreiben  des  Simplicius  an  Zeno  n.  60  fehlt  in  B. 
In  V  ist  es  datirt  VII  Id.  Oct.  post  consulatum  Basilisci  et  Ar- 
mati ,  das  wäre  der  9.  October  477.  Doch  kommt  für  diesen 
Brief  noch  eine  andere  Quelle  in  Betracht:  er  steht  auch  in 
einem  Miscellancodex  des  10.  Jahrhunderts,  dem  Vatic.  lat.  1344, 
von  mir  in  meiner  Ausgabe  mit  T  bezeichnet.  T,  der  V  gegen- 
über einige  vortreffliche  Lesarten  hat  und  zweifellos  von  der 
Avellana  unabhängig  ist,  hat  nun  ein  anderes  Datum:  Data 
p.  c.  Basilisci  Aug.  VIII  Idus  Aprelis,  das  ist  der  6.  April  477. 
Welches  Datum  ist  das  richtige?  Ich  glaube  sicher  das  von  T. 
Brief  60  ist  ohne  jede  Frage  der  erste,  den  Simplicius  dem  Zeno 
nach  seiner  Ruckkehr  auf  den  Thron  gesendet  hat:  die  ganzen 
drei  ersten  Paragraphen  enthalten  nichts  als  überschwängliche 
Aeus8erungen  der  Freude  und  des  Dankes  gegen  Gott  dafilr, 
dass  der  Kaiser  nunmehr  in  sein  Reich  zurückgekehrt  und 
Basiliscus,  der  parrieida,  der  publicus  ineubator,  beseitigt  ist. 
Der  Brief  ist,  wie  wir  aus  §.  3  ersehen,  die  Antwort  des 
Papstes  auf  ein  verloren  gegangenes  Schreiben  des  Zeno,  in 
dem  dieser  unter  Anderem  die  Erwartung  ausgesprochen  hatte, 
dass  der  Papst  während  der  Tyrannis  des  Basiliscus  zu  Gott 
um  die  Rückkehr  des  vertriebenen  Herrschers  gebetet  haben 
würde.1    Dies   Schreiben  wird   der  Kaiser  ohne  Zweifel   sehr 


1  Der  Papst  antwortet,  dass  diese  Erwartung  des  Kaisern  durchaus  gerecht- 
fertigt sei :  ricut  erdm  pietaa  vestra  merito  reeteque  coqfidü  Mo  nos  tempore 

3* 


132  Y.  Abhandlung:    Oftüther. 

bald  nach  seinem  Siege  über  Basiliscus  haben  abgehen  lassen, 
da  ihm  doch  sicherlich  daran  liegen  mnsste,  die  durch  seine 
Flacht  aus»  Constantinopel  unterbrochenen  Beziehungen  zum 
römischen  «Stuhle  möglichst  bald  wiederherzustellen.  Nun  hat 
die  Rückkf  ur  des  Zeno  auf  den  Thron,  wie  wir  sahen,  innerhalb 
der  letzten  vier  Monate  des  Jahres  476,  und  zwar  wohl  noch  vor 
dem  17.  December  stattgefunden.  Da  ist  es  denn  doch  unendlich 
viel:  Wahrscheinlicher,  dass  diese  erste  Correspondenz  zwischen 
dem  L4rückgekehrten  Kaiser  und  dem  Papst  in  den  Frühling 
des  Jahres  477  fallt,  als  dass  sie  erst  im  Herbst  desselben  statt- 
gefunden haben  sollte.  Wie  die  abweichende  Lesart  von  V  ent- 
standen ist,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen;  da  ja  eigentlich 
nur  der  Monat  differirt,  möchte  ich  am  liebsten  an  eine  rein 
mechanische  Corruptel  glauben.1 

Der  Brief  des  Papstes  an  Acacius  n.  61  (VI)  ist  geschrieben 
nach  V:  a.  d.  III  Id.  Mart.}  nach  B :  a.  d.  VIII  Id.  Mari,  unter 
dem  Consulat  des  Illus  (478).  Eins  muss  aus  dem  anderen 
durch  Corruptel  entstanden  sein.  Da  VIII  wohl  leichter  in  III 
verdorben  werden  konnte  als  umgekehrt  III  in  VIII,  so  möchte 
ich  der  Lesart  von  B  den  Vorzug  geben  und  den  Brief  also 
auf  den  8.  März  478  setzen. 


nihil  aliud  deum  nostrum  suppliciter  implorcuse  quam  ut  nobis  Rornani 
imperii  praetules,  quälet  nunc  loquimur,  r edder entur,  üa  u.  s.  w.  Wie 
wenig  passt  diese  Versicherung  zu  der  oben  (8.  128  f.)  ausgeschriebenen 
Stelle,  wo  er  in  dem  Briefe  an  Acacius  den  gegenwärtigen  Machthaber 
Basiliscus  dem  vertriebenen  Zeno  gegenüber  als  den  würdigeren  Nach- 
folger Kaiser  Leos  hinstellt ! 
1  Mit  n.  60  ist  dann  auch  das  Schreiben  des  Simplicius  an  Acacius  auf 
den  6.  April  477  zu  setzen,  das  Lucas  Holsten  in  seiner  Collectio  Rom. 
bipartita  1 194  veröffentlicht  hat  (jetzt  auch  bei  Thiel  p.  189,  n.  7)  und 
das  ich  in  anderem  Zusammenhange  Byzantin.  Zeitschrift  III,  8.  146  f. 
besprochen  habe.  Dass  beide  Stücke  gleichzeitig  abgesandt  sind,  hatte 
man  schon  früher  erkannt;  jetzt  gewinnen  wir  dafür  noch  eine  hand- 
schriftliche Bestätigung.  Aus  dem  Anfang  des  von  Holsten  bekannt  ge- 
machten Schreibens  geht  hervor,  dass  der  Brief  des  Acacius,  auf  den  es 
die  Antwort  giebt,  durch  eben  jenen  Epiphanius  Überbracht  war,  der 
einst  Ueberbringer  von  n.  56,  58  und  59  gewesen  war.  Nichts  liegt 
näher  als  die  Annahme,  dass  auch  die  Antwort  des  Papstes  wieder  durch 
Epiphanius  gegangen  ist.  Damit  stimmt  nun  die  Ueberschrift,  die  n.  60 
in  T  trägt:  Incipit  epistola  »implicii  episcopi  urbi*  rome  ad  zenonem  augu- 
rtum  per  epiphanium  diaconum. 


ATellana-Stndien.  133 

Es  folgen  die  Schreiben  n.  62  (VII)  an  Zeno  und  63  (VIII) 
an  Acacius,  in  V  beide  ohne  Hinzufügung  eines  Datums.  Dass 
sie  auf  denselben  Tag  zu  setzen  seien,  hat  man  lange  erkannt;1 
ebenso  auch,  dass  sie  nach  n.  61  (VI),  d.  h.  nach  d<  u  8.  März 
478,  und  vor  n.  64  (IX)  geschrieben  sein  müssen,  wp  h  letzterer 
Brief  nach  Farn  XKal.  Nov.,  nach  B  am  XII  Kai.  Nov.  des  Jahres 
478  abgesandt  ist.  Nicht  im  Einklang  mit  dieser  Thatsache  stehen 
die  Subscriptionen ,  die  B  zeigt:  für  62  (Dat.)  VIII  Id.  7  '%rt., 
für  63  Dat.  XI  Id.  Octobr.  Wie  die  Uebereinstimmu  der 
Daten  herzustellen  ist,  muss  unsicher  bleiben,  denn  einmal  ist 
es  wohl  möglich,  dass  in  dem  Datum  von  n.  62,  wie  B  es 
bietet,  nur  der  Monat  verdorben  ist,  so  dass  wir  beide  Briefe 
auf  den  VIII  Id.  Oct.  zu  setzen  hätten.  Auf  der  anderen  Seite 
jedoch  ist  auch  sehr  wohl  denkbar,  dass  das  ganze  Datum  von 
n.  62  in  B  nur  eine  irrthümliche  Wiederholung  des  Datums 
von  n.  61  ist.  In  diesem  Falle  müssten  wir  den  Tag  einzig 
und  allein  durch  Conjectur  aus  dem  corrupten  Datum  von 
n.  63  herzustellen  suchen;  Dat.  VI  Id.  Oct.  läge  paläographisch 
dann  wohl  am  nächsten.  Die  Frage  bleibt  also  unentschieden; 
sicher  ist  nur  das,  dass  beide  Briefe,  n.  62  und  63,  auf  einen 
und  denselben  Tag  fallen  und  dieser  zwischen  Nonen  und  Iden 
des  Octobers  478  anzusetzen  ist. 

Die  beiden  folgenden  Briefe  n.  64  (IX)  und  65  (X)  ge- 
hören wieder  auf  einen  und  denselben  Tag,  wie  jeder  sieht, 
der  nur  die  ersten  Worte  in  beiden  mit  einander  vergleicht. 
Datirt  sind  sie  folgendermassen: 

V:  B: 

n.  64    X  Kai.  Nov.  XII  Kai.  Nov. 

n.  65    XVI  Kai.  Nov.  XI  Kai.  Noo. 


1  Sie  sind  geschrieben,  nachdem  Esaiaa  und  die  übrigen  Gesandten  in 
Rom  angelangt  waren,  die  Timotheus  ,catholicus'  nach  seiner  Rückkehr 
nach  Alexandrien  an  den  Papst  abgeordnet  hatte  mandans  . .  ut  scribe- 
retur  imperatori  de  Petro  longius  in  exiUum  dirigendo,  quia  latebat  in 
Alexandrina  civüate  et  insidiabatur  ecdesiae  (Gesta  de  nomine  Acacii 
6P  99,  §.  19).  Beide  Briefe  sind  durch  einen  gewissen  Petras  über- 
bracht, der  n.  63,  §.  3  vir  apeclabüis  cornes  genannt  und  in  der  Note, 
die  in  V  an  den  Titel  von  n.  62  angeschlossen  ist  (in  B  steht  sie  statt 
dessen  am  Schluss  von  n.  63),  als  vir  apectabüU  comes  Placidiae  nobi- 
tittmae  feminae  bezeichnet  wird. 


134  V.  Abhandln!»*:    Qttnthar.  AT«lUo*-8tndi«n. 

Als  gemeinsames  Datum  für  beide  Briefe  ist  demnach  wohl 
XII  Kai.  Nov.,  d.  i.  der  21.  October  478,  anzunehmen,  die- 
jenige Lesart,  aus  der  sich  paläographisch  die  drei  übrigen 
Varianten  am  leichtesten  erklären  lassen. 

Von  einem  und  demselben  Tage  sind,  wie  ihr  Inhalt 
zweifellos  angiebt,  auch  die  Briefe  n.  66  (XI)  und  n.  67,  von 
denen  der  erstere  in  V  wie  in  B  die  Subscriptio  trägt  Dat. 
X  Kai.  Iul.  p.  c.  Uli  v.  c.  (479),  der  zweite  dagegen  nur  in  V, 
und  zwar  ohne  Datum  überliefert  ist.1  Es  folgen  dann  noch 
n.  68  (XII)  und  69  (XIII),  beide  in  V  und  B  datirt  vom 
15.  Juli  482. 

Wir  gewinnen  demnach  flir  die  Briefe  n.  56—69  der  Avel- 
lana  der  Reihenfolge  nach  folgende  Daten:  56:  10.  Januar  476; 
57:  31.  (?)  Januar  476;  58  und  59:  10.  Januar  476;  60:  6.  April 
477;  61:  8.  März  478;  62  und  63:  zwischen  7.  und  15.  October 
478;  64  und  65  21.  October  478;  66  und  67:  22.  Juni  479 
(482?);  68  und  69:  15.  Juli  482.  Die  Reihenfolge  ist  also  in 
der  Avellana  durchaus  chronologisch,  mit  der  einen  Ausnahme, 
dass  n.  58  und  59  eigentlich  vor  n.  57  hätten  stehen  sollen. 


1  Es  ist  Öfter  darauf  hingewiesen,  dass  diese  Briefe  nicht  in  das  Jahr  479 
gehören  sondern  in  das  Jahr  482  zu  setzen  sind  (vgl.  besonders  Geiser, 
Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Theologie  XXVI,  1883,  p.  509).  Ich 
muss  gestehen,  dass  ich  noch  nicht  völlig  davon  überzeugt  bin,  obgleich 
ich  die  vorliegenden  Schwierigkeiten  nicht  verkenne  und  selbst  keinen 
Überzeugenden  Ausweg  sehe.  An  dieser  Stelle  die  Frage  nach  der  Chro- 
nologie der  Bischöfe  Petrus,  Johannes,  der  beiden  Stephani  und  des 
Calandion  von  Antiochien  aufs  Neue  zu  untersuchen,  will  ich  unter- 
lassen, zumal  für  meinen  nächsten  Zweck  nichts  davon  abhängt,  ob  die 
Briefe  ins  Jahr  479  oder  erst  ins  Jahr  482  fallen.  Der  Vorschlag 
Thiel'8,  der  statt  post  com.  Iüi  v.  c.  vielmehr  po*t  com.  ÜL  v.  c.  lesen 
mochte  und  glaubt  ,vocem  ÜL  loco  nostri  N.  N.  provisorie  pro  nomine 
proprio  a  librario  positam   fuisse',  wird  kaum  irgendwo  Beifall  finden. 


YI.  Abhandlung:    Hillebrand.  Zur  Lehre  tod  der  Hypothesenbildang.  1 


VI. 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung. 

Von 

Dr.  Franz  HÜlebrand, 

a.  ö.  Professor  der  Philosophie  an  der  Universität  in  Wien 


I.  Einleitung. 

§  1.  In  unserem  der  Metaphysik  so  abholden  Zeitalter 
dürfte  kaum  eine  Erscheinung  so  sehr  auffallen  wie  die  That- 
sache,  dass  sich  in  jeder  exacten  Wissenschaft  die  Tendenz 
fühlbar  macht,  ihre  erkenntnisstheoretischen  Grundlagen  einer 
neuerlichen  Revision  zu  unterziehen  und  sozusagen  vor  dem 
Weiterbauen  noch  einmal  auf  die  Fundamente  einen  prüfenden 
Blick  zu  werfen  und  ihre  Tragfähigkeit  zu  untersuchen.  Hie- 
mit  hängt  eine  zweite  Thatsache  zusammen ,  die  —  auf  den 
ersten  Anblick  wenigstens  —  fast  noch  mehr  in  Verwun- 
derung setzt:  nicht  wie  früher  sind  es  die  berufsmässigen  Er- 
kenntnisstheoretiker, die  solcher  Forschung  sich  widmen  und 
sich  etwa  eine  systematische  Darstellung  des  Gesammtgebietes 
der  Erkenntnisstheorie  zur  Aufgabe  machen;  vielmehr  ist  die 
Erkenntnisstheorie  zerfallen  in  einzelne  Erkenntniss- 
theorien, entsprechend  den  Sonderbedürfnissen  der  einzelnen 
Wissensgebiete;  und  an  die  Stelle  des  berufsmässigen ,  ausser- 
halb der  Einzeldisciplinen  stehenden  Erkenntnisstheoretikers 
sind  die  Vertreter  jener  Einzeldisciplinen  selbst  getreten,  und 
jeden  von  ihnen  sehen  wir  ausschliesslich  an  dem  Theile  der 
Erkenntnisslehre  arbeiten,  der  im  Besonderen  seinem  Special- 
fach zugehört.  So  sehen  wir  —  um  nur  einige  Beispiele  an- 
zuführen —  einen  Chemiker  wie  Ostwald  um  die  Feststellung 
der  constitutiven  Merkmale  des  Begriffes  ,Real'  sich  bemühen, 
dem  Ursprung  des  Begriffes  ,Substanz'  nachgehen,  ihn   durch 

Sitrnngsber.  d.  pkil.-hist.  Cl.  CXXXIV  Bd.  6.  Ahh.  1 


2  VI.  AMumdlang:    Hillebrand. 

Angabe  der  unbedingt  nöthigen  Merkmale  präcisiren,  den 
Begriff  Energie  definiren  und  ihre  letzten,  irreduciblen  Gat- 
tungen namhaft  machen  und  was  derlei  grundlegende  Ver- 
richtungen mehr  sind.1  Wir  sehen  schon  früher  einen  Physiker 
wie  Mach  mit  der  Entwicklungsgeschichte  der  Mechanik  be- 
schäftigt in  der  offenbaren  Tendenz,  hier  nicht  einfach  histo- 
rische Daten  in  chronologischer  Folge  zu  registriren,  sondern 
die  wahren  empirischen  Quellen  auch  für  diejenigen  primitivsten 
mechanischen  Begriffe  und  Gesetze  aufzusuchen,  von  denen  uns 
nach  den  üblichen  Darstellungen  der  Lehrbücher  die  ersteren 
immer  wie  blos  terminologische  Festsetzungen,  die  letzteren  wie 
blos  deductiv  aus  der  Analyse  jener  gewonnene  Wahrheiten 
erscheinen.  Vieles,  was  selbstverständlich',  d.  h.  analytisch  ge- 
wonnen erschien,  zeigt  sich  hiebei  abhängig  von  ganz  bestimmten 
Erfahrungen,  freilich  oft  von  so  alltäglichen  und  hundertfach 
gehäuften,  dass  das  instinctiv  für  wahr  Gehaltene  den  Eindruck 
des  Selbstverständlichen  erwecken  konnte.  Die  Anweisung,  die 
einst  David  Hume  gegeben  hatte,  fllr  jeden  auch  noch  so 
abstracten  und  complicirten  Begriff  die  ,Sensationen'  anzu- 
geben, aus  welchen  er  gewonnen  wurde,  finden  wir  bei  Mach 
auf  das  Strengste  befolgt;  denn  auch  die  vermeintlich  blossen 
Rechnungsausdrücke  (wie  ,lebendige  Kraft')  haben,  wenn  sie 
auch  nicht  der  unmittelbare  Ausdruck  eines  empirischen 
Datums  sind,  doch  in  gewissen  Relationen  derartiger  Data 
ihre  letzte  Quelle.  Wir  finden  Mach  weiter  bemüht,  die  Auf- 
gabe jeder  Naturforschung  scharf  zu  präcisiren,  indem  er  den 
Begriff  ,Naturerklärung'  genau  definirt  und  in  dem  ,Princip 
der  Oekonomie'  die  oberste  und  allgemeinste  Forschungsregel 
aufzustellen  sucht.  Weiter  sehen  wir,  um  ein  drittes  Beispiel 
zu  erwähnen,  auch  Helmholtz  mit  den  erkenntnisstheoretischen 
Grundlagen  der  mannigfachen  von  ihm  beherrschten  und  fort- 
gebildeten Wissenszweige  beschäftigt;  so  wenn  er  nach  allge- 
meinen Kriterien  für  die  ursprünglich  in  der  Sinneswahrnehmung 
gelegenen  und  für  die  erst  durch  Erfahrung  erworbenen  Daten 
forscht;   ebenso,   wenn   er  in   den  Grundlagen   der  Geometrie 


1  Vgl.  Ostwald,  Lehrbuch  der  allgemeinen  Chemie,  Leipzig  1898,  II.  Bd., 
I.  Theil,  1.  und  2.  Capitel;  ferner  desselben  Autors  Antrittsvorlesung, 
Die  Energie  und  ihre  Wandlungen,  Leipzig  1888. 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung.  3 

die    empirischen   Momente    herauszufinden   und   von   den   ana- 
lytischen zu  sondern  trachtet. 

§  2.  Gerade  die  Thatsache  nun,  dass  die  Erkenntniss- 
theorie in  dieser  Weise  aufgelöst  worden  und  Theil  flir  Theil  in 
die  Hände  derjenigen  übergegangen  ist,  welche  auch  das  ent- 
sprechende Erkenntnissmate riale  beherrschen,  gibt  noch  flir 
einen  anderen  Umstand  Zeugniss.  Die  Revision  der  erkenntniss- 
theoretischen Grundlagen  hat  aufgehört  blos  um  ihrer  selbst 
willen  Gegenstand  des  Interesses  zu  sein,  sie  wird  vielmehr 
als  Bedürfniss  der  Forschungspraxis  gefühlt,  sie  soll  bestimmt 
sein,  der  positiven  Einzelforschung  die  leitenden  Principien  zu 
geben  und  ihre  Grenzen  zu  bestimmen;  die  Erkenntnisstheorie 
zeigt  sich  als  eine  eminent  verwerthbare  Wissenschaft,  nicht 
mehr  als  eine  Speculation,  der  sich  der  Naturforscher  zwar 
gelegentlich  aus  Liebhaberei  zuwendet,  der  er  aber  —  soweit 
er  Naturforscher  ist  —  vollkommen  entrathen  kann,  da  seine 
Forschung  von  ihren  Ergebnissen,  ob  sie  nun  so  oder  anders 
ausfallen,  in  keiner  Weise  tangirt  wird.  Beispiele  werden  dies 
deutlich  machen.  Ich  glaube  kaum,  dass  die  Frage,  ob  im 
Begriff  ,Ursache*  ein  aus  unseren  Willensacten  abstrahirtes  Ele- 
ment gelegen  sei  oder  ob  Ursache  (wie  Mill  meint)  einfach 
so  viel  heisse  wie  unveränderliches  und  unbedingtes  Antecedens 
—  ich  glaube  kaum,  dass  diese  Frage  einem  Physiker  bei  der 
Arbeit  im  Laboratorium  je  einmal  ernstlich  irritirt  hat;  ich 
glaube  kaum,  dass  auch  nur  eine  physikalische  Untersuchung 
anders  ausfallen  würde,  ob  im  Causalitätsgesetz  das  Wort  ,Ur- 
saehe'  den  Miirschen,  den  Kant'schen  oder  sonst  irgend  einen 
Sinn  hat.  Ich  zweifle  sehr  daran,  dass  die  Entscheidung  der 
ehemaligen  Streitfrage,  ob  die  Sätze  der  Mathematik  analytische 
oder  synthetische  Urtheile  a  priori  sind,  auf  den  t5ang  auch 
nur  einer  einzigen  mathematischen  Untersuchung  Einfluss  ge- 
nommen hat.  Die  Frage  aber,  ob  die  Annahme  einer  ato- 
mistischen  Constitution  der  Materie  (vorausgesetzt,  dass  sie  mit 
keiner  Erscheinung  im  Widerspruch  steht)  blos  den  Werth 
einer  Hilfsvorstellung,  eines  leitenden  oder  heuristischen  Prin- 
cipes  hat,  oder  aber,  ob  sie  zu  der  Gewissheit  von  etwas  that- 
sächlich  Bestehendem  erhoben  werden  kann,  diese  Frage  ist 
etwas,  woran  der  Naturforscher  als  solcher  in  allerhöchstem  Masse 

interessirt  sein  muss.    Die  Frage  ferner,  ob  die  Annahme  einer 

1* 


4  VI.  Abhandlung:    Hillobrand. 

dreidimensionalen  Mannigfaltigkeit,  falls  sie  den  Ansprüchen 
der  Chemie  genügt,  blos  den  Charakter  eines  zweckmässigen 
Forschungsmittels  an  sich  trägt,  oder  ob  sie  zu  bestimmten  Ver- 
muthungen  über  thatsächliche  Verhältnisse  führt,  diese  Frage 
kann  auf  die  concrete  Einzelforschung  unmöglich  ohne  ge- 
wichtigen Einfluss  sein. 

Unbeschadet  der  inneren  Bedeutung,  die  den  zuerst  ge- 
nannten Fragen  zweifellos  zukommt,  kann  denn  doch  die  höhere 
Wichtigkeit  der  zuletzt  genannten  Probleme  nicht  gut  in  Abrede 
gestellt  werden. 

Darin,  dass  gewisse  erkenntnisstheoretische  Untersuchungen 
aus  dem  Bedürfniss  der  Einzelforschung  hervorgegangen  sind, 
liegt  die  Erklärung  jener  eigentümlichen  Erscheinung  unserer 
Tage,  dass  die  Vertreter  jener  Disciplin  zum  grösseren  Theil 
unter  den  Naturforschern  zu  suchen  sind.  Wenn  wir  aber  ge- 
rade von  dieser  Seite  und  gerade  bei  Gelegenheit  erkenntniss- 
theoretischer Forschungen  so  manches  bittere  Wort  über  die 
Metaphysik  (der  ja  die  Erkenntnisstheorie  als  einer  ihrer  Theile 
zugehört)  zu  hören  bekommen,  ja  wenn  wir  bei  solchen  Ge- 
legenheiten den  Ausdruck  ,Metaphysik'  oder  gar  den  allge- 
meineren ,Philosophie'  geradezu  als  eine  Bezeichnung  des  Tadels 
gebraucht  finden,  dann  mögen  wir  uns  an  den  Ausspruch  Pas- 
cal's  erinnern: 

,Se  moquer  de  la  philosophie,  c'est  vraiment  philosopher/ 

§  3.  Die  folgende  Untersuchung  ist  einer  jener  erkenntniss- 
theoretischen Fragen  gewidmet,  die,  abgesehen  von  dem  Inter- 
esse, das  sie  um  ihrer  selbst  willen  beanspruchen  dürfen,  auch 
für  den  Gang  naturwissenschaftlicher  Forschung  (ich  möchte 
sagen:  für  dialogische  Technik  der  Naturforschung)  von  grosser 
Wichtigkeit  sind.  Sie  beschäftigt  sich  mit  der  Theorie  der 
Hypothesenbildung,  indem  sie  einen  Beitrag  zur  Lehre  von 
den  Bedingungen  liefern  will,  denen  eine  wissenschaftlich  be- 
rechtigte Hypothese  genügen  muss.  Von  den  Regeln,  in  welchen 
diese  Bedingungen  ausgesprochen  werden,  sind  einige  längst 
klar  formulirt  und  allgemein  anerkannt,  wie  z.  B.  die  Regel, 
dass  man  ceteris  paribus  die  weniger  complicirte  Hypothese 
der  complicirteren  vorziehen  soll;  oder  die,  dass  diejenige  Hypo- 
these den  Vorzug  verdient,  aus  welcher  die  in  Frage  stehende 


Zar  Lehre  ton  der  Hypothesenbildnng.  5 

Thatsache  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  folgt,  oder  —  wie 
man  auch  sagt  —  welche  die  Thatsache  ,leichter'  erklärt. 

Es  gibt  aber  in  der  Hypothesenlehre  einen  unklaren 
und  strittigen  Punkt,  eine  Regel,  über  deren  Auslegung  sowohl 
als  auch  über  deren  Giltigkeit  in  der  einen  oder  anderen  Aus- 
legung Zweifel  und  Meinungsverschiedenheit  herrschen.  Das 
ist  die  Regel,  nur  solche  Hypothesen  zuzulassen,  welche 
eine  ,vera  causa'  zum  Gegenstande  haben. 

Welchen  Sinn  diese  Regel  haben  kann  festzustellen,  und 
welches  das  Bereich  ihrer  Giltigkeit  ist  zu  untersuchen,  das 
soll  die  Hauptaufgabe  der  folgenden  Erörterungen  sein;  manche 
scheinbar  fernerliegende  Untersuchungen,  wie  z.  B.  die  über 
einige  Grundsätze  der  Mechanik,  über  den  Begriff  ,Kraft'  in 
der  Mechanik  u.  dgl.,  werden  in  ihrem  Zusammenhang  mit  dem 
eigentlichen  Thema  klar  werden. 

§  4.  Die  Vorschrift,  zur  Naturerklärung  nur  verae  causae 
zu  verwenden,  findet  sich  zuerst  bei  Newton.  In  seinen  Prin- 
cipien  hat  er  eine  Anzahl  ,regulae  philosophandi'  aufgestellt, 
von  denen  die  erste  lautet: 

,Causas  rerum  naturalium  non  plures  admitti  debere,  quam 
quae  et  verae  sint  et  earum  phoenomenis  explicandis  sufficiant.' 

Aber  —  schon  W he  well  hat  sich  darüber  beklagt  — 
eine  genauere  Formulirung  dieser  Regel,  vor  Allem  eine  De- 
finition des  Ausdruckes  ,verae  causae'  suchen  wir  vergebens. 
Und  auch  das  vielcitirte  ,Hypotheses  non  fingo'  kann  erst  durch 
eine  Definition  dieses  terminus  einen  verständlichen  und  un- 
zweideutigen Sinn  bekommen.  J.  St.  Mill  ist  der  Ansicht, 
dass  Newton's  Lichttheorie  ,ein  auffallendes  Beispiel  von  der 
Verletzung  seiner  eigenen  Regel  war'.1  Bei  einem  Forscher  wie 
Newton  werden  wir  uns  zu  der  Annahme  einer  derartigen  In- 
consequenz  nicht  ohne  zwingende  Gründe  entschliessen ;  es 
wird  die  Frage  berechtigt  sein,  ob  nicht  vielmehr  jene  erste 
Forschungsregel  missverstanden  worden  und  ihre  Verletzung 
eine  blos  scheinbare  war. 

Die  Frage  nach  Sinn  und  Geltung  dieser  Regel  ist  noch 
immer  eine  offene.  Hoffentlich  trägt  die  folgende  Untersuchung 
einigermassen  zur  Klärung  bei. 


1  Syst,  der  ded.  und  iud.  Logik,  Buch  III,  Cap.  XIV,  §  4. 


6  VI.  AUuuiAlaag:    Hillebrand. 

§  5.  Um  die  folgenden  Ueberlegungen  nicht  durch  Ex- 
cnrse  unterbrechen  zu  müssen,  will  ich  eine  Bemerkung  ül>er 
den  Begriff  der  Hypothese  im  Allgemeinen  und  eine  über 
den  Begriff  der  ,  vorläufigen  Hypothese'  gleich  hier  voraus- 
schicken. 

Eine  Hypothese  ist  ein  Urtheil,  welches  wir  darum  für 
wahr  halten,  weil  wir  erkennen,  dass  ein  anderes  Urtheil, 
welches  uns  als  sicher  gilt,  aus  ihm  mit  Notwendigkeit  oder 
mit  Wahrscheinlichkeit  folgt.  Das  ist  die  allgemeinste  De- 
finition des  Begriffes  .Hypothese';  sie  ist  mit  den  divergentesten 
Standpunkten  vereinbar,  welche  in  der  Hypothesenlehre  ein- 
genommen werden  können,  weil  sie  noch  gar  keine  weiteren 
Bedingungen  enthält  ausser  die  selbstverständliche  und  von 
Allen  zugestandene,  dass  zwischen  dem  Suppositum  und  der  in 
Frage  stehenden  Thatsachc  irgend  ein  erkannter  Zusammen- 
hang bestehen  müsse.  Causale  Ausdrücke  sind  absichtlich  ver- 
mieden, schon  um  den  Begriff  nicht  unnöthiger  Weise  auf  ur- 
sächliche Hypothesen  einzuschränken. 

Der  Charakter  der  blossen  Vermuthung,  der  in  dem 
Begriff  ,Hypothese*  liegt,  reducirt  sich  auf  zwei  Eigenschaften, 
die  schon  in  der  obigen  Definition  involvirt  sind:  erstens  darauf, 
dass  ein  Urtheil  (im  Allgemeinen)  nicht  blos  aus  einem  einzigen 
anderen,  sondern  aus  verschiedenen  anderen  folgen  kann;  und 
zweitens  darauf,  dass  ein  Urtheil  aus  einem  anderen  nicht  nur 
mit  Sicherheit,  sondern  nach  Umständen  auch  blos  mit  einem 
gewissen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  folgen  kann.1 

1  Man  ktfmite  meinen,  dass  hier  nicht  zwei  verschiedene  Momente  vor- 
liegen:  wenu  das  Urtheil  a  nicht  blos  aus  dem  Urtheil  x,  sondern  auch 
ans  y,  x  folgen  könne,  dann  sei  eben  der  Rückschluss  gerade  auf  x  ein 
blosser  Wahrscheinlichkeitsschluss,  und  somit  sei  der  erste  Umstand  auf 
den  zweiten  reducirt.  Richtig  ist  nuu,  dass  die  Mehrheit  begründender 
Urtheil e  jedem  einzelneu  eine  blos  wahrscheinliche  Giltigkeit  ertheilt; 
aber  ausser  dieser  Wahrscheinlichkeit  kommt  noch  eine  zweite  in 
Betracht.  Es  kann  sein,  dass,  weun  x  gilt,  a  mit  Notwendigkeit  darauf 
folgt;  danu  ist  die  blosse  Wahrscheinlichkeit  von  x  nur  eine  Folge  de« 
Vorhandeuseins  von  Coucurreuzhypothesen  (yf  x  ;  es  kann  aber  aueb 
sein,  dass,  «enn  x  wirklich  gilt  o  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  ans  ihm 
folgt  Diesfalls  würde  x  auch  ohne  Concurrenahypothesen  blos  wahr- 
scheinlich sein.  Natürlich  können  im  einzelnen  Falle  auch  beide  Mo- 
mente vereinigt  gegeben  sein. 


Zur  Lehre  von  der  Hypotfaeaenbildnng.  7 

§  6.  Von  der  Hypothese  im  oben  definirten  Sinne  unter- 
scheidet sich  sehr  wesentlich  das,  was  man  vorläufige  Hypo- 
these nennen  kann.  Ein  jedes  Gesetz,  ob  deductiv  oder  inductiv 
gewonnen,  wird  zuerst  ,vorläufig  angenommen',  ehe  es  bewiesen 
wird.  Eine  vorläufige  Hypothese  ist  nichts  Anderes  als  ein 
Forschungsmotiv,  und  ihrem  psychologischen  Charakter 
nach  ist  sie  kein  wirklich  gefälltes,  sondern  ein  blos  vor- 
gestelltes Urtheil.  Die  Auffindung  jedes  Gesetzes  geht  (wie 
man  schon  oft  bemerkt  hat)  in  dieser  Weise  vor  sich;  der  psy- 
chologische Process  spielt  sich  nicht  so  ab,  wie  es  etwa  nach  dem 
Schema  mancher  mathematischen  Deduction  den  Anschein  haben 
könnte;  vielmehr  ist  das  Resultat  immer  schon  in  gewisser  Weise 
anticipirt  —  natürlich  nicht  in  der  Weise,  dass  das  resultirende 
Urtheil  schon  früher  gefällt  wird,  wohl  aber  in  der  Weise,  dass 
es  schon  früher  vorgestellt  wird  und  man  sich  von  diesem  vor- 
gestellten Urtheil  leiten  lässt.  Wie  wäre  es  sonst  möglich,  dass 
Einer  unter  den  heterogenen  Kenntnissen,  die  er  bisher  auf- 
gesammelt hat,  gerade  diejenigen  auswählt,  die  ihm  als  Be- 
weisgründe für  das  später  zu  bewahrheitende  Gesetz  dienen? 

Aehnliches  gilt  bei  jedem  Experiment.  Man  braucht  dabei 
noch  nicht  an  diejenigen  Experimente  zu  denken,  von  denen 
schon  in  Folge  früherer  Untersuchungen  feststeht,  dass  sie  auf 
ein  präcise  gestelltes  Problem  die  Antwort  geben  (z.  B.  eine 
Alternative  entscheiden)  müssen;  auch  wenn  gar  keine  de- 
duetive  Vorbereitung  dieser  Art  vorliegt  und  sozusagen  ein 
blosses  Tatonnement  gemacht  wird,  muss  irgend  eine  ,  vorläufige 
Hypothese*'  den  Anlass  geben,  dass  gerade  diese  Versuchs- 
bedingung eingeführt,  gerade  diese  Veränderliche  wirklich 
variirt  wird.1 

Eine  vorläufige  Hypothese  ist  also  kein  Urtheil,  das  wirk- 
lich geglaubt  wird,  sie  braucht  nicht  einmal  eine  berechtigte 
Vermuthung  einzuschliessen ;  sie  ist  —  um  es  noch  einmal  zu 
sagen  —  ein  Forschungsmotiv.  Dass  diese  vorläufigen  Hypo- 
thesen mit  den  eigentlich  sogenannten  Hypothesen  (wie  sie 
oben  definirt  wurden)  nichts  zu  thun  haben,  dafür  gibt  be- 
sonders der  Umstand  Zeugniss,  dass  die  ersteren  auch  auf 
solchen  Gebieten  ihren   berechtigten  Platz  finden,   in  welchen 


1  Vgl.  J.  St.  Mill,  SyBt.  der  ded.  und  ind.  Logik,  Buch  III,  Cap.  XIV,  §  5. 


8  VI.  Abhandlung :    Hülebrand. 

Hypothesen  im  eigentlichen  Sinne  gar  nicht  vorkommen.  So 
bei  Beschreibungen,  seien  sie  nun  analytischer  Natur  oder 
nicht;  wenn  es  sich  um  die  Beschreibung  des  Fallphoenomens 
handelt^  so  ist  die  , Annahme',  dass  die  Geschwindigkeit  pro- 
portional der  Zeit  wächst,  nur  eine  vorläufige  Hypothese,  d.  h. 
lediglich  ein  Motiv,  die  gleichen  Zeiten  zugehörigen  Räume 
zu  messen  und  daraufhin  zu  prüfen,  ob  sie  mit  den  Quadraten 
der  Zeit  wachsen  oder  nicht;  eine  Hypothese  in  der  eigent- 
lichen Bedeutung  hat  hier  überhaupt  keinen  Platz,  weil  sie 
keinen  Sinn  hat.  In  den  mathematischen  Wissenschaften  wird 
dies  noch  deutlicher.  Wer  unter  bestimmten  Voraussetzungen 
zwei  Flächengebilde  gerade  auf  die  Gleichheit  ihres  Inhaltes 
hin  untersucht  und  nicht  auf  ihre  Congruenz  oder  auf  sonstige 
Beziehungen,  der  muss  sich  von  der  , vorläufigen  Hypothese' 
ihrer  Inhaltsgleichheit  leiten  lassen,  um  gerade  nach  den  Be- 
dingungen dieser  Relation  zu  forschen.  Aber  Hypothesen  im 
eigentlichen  Sinne  haben  hier  wie  überhaupt  in  den  mathema- 
tischen Wissenschaften  keinen  Platz.1 

Es  ist  auch  nützlich  zu  beachten,  dass  vorläufige  Hypo- 
thesen an  gar  keine  logischen  Regeln  gebunden  sind.  Von 
,Wahr'  und  ,Falsch*  ist  auf  diesem  Gebiete,  d.  h.  auf  dem  Ge- 
biete blos  vorgestellter  Urtheile,  überhaupt  nicht  die  Rede. 
Nur  um  , Tauglich'  oder  ,Untauglich'  kann  sich's  hier  handeln; 
ob  aber  das  Eine  oder  das  Andere,  darüber  lässt  sich  im  Vor- 
hinein nichts  sagen,  das  entscheidet  erst  der  Effect;  die  Logik 
hat  damit  nichts  zu  schaffen. 

Diese  Bemerkungen  vorauszuschicken  halte  ich  für  sehr 
nothwendig,  damit  nicht  gegen  die  späteren  Erörterungen,  die 
sich  (wenn  nicht  das  Gegentheil  ausdrücklich  bemerkt  ist)  nur 
mit  den  Hypothesen  im  eigentlichen,  oben  definirten  Sinne 
beschäftigen,  Einwände  erhoben  werden,  welche  sich  bloss  auf 
die  Betrachtung  der  vorläufigen  Hypothesen  gründen. 

§  7.  Mit  der  Frage  nach  der  Definition  des  Begriffes 
,vera  causa'  und  mit  der  weiteren  Frage  nach  den  Gründen, 
die  für  eine  derartige  Einschränkung  in  der. Freiheit  der  Hypo- 
thesenbildung sprechen,   hat  sich  am  eingehendsten  der  eng- 


1  Vgl.   dazu    auch   Ernest    Naville,   La  logique  de  Hypothese,   Pari* 
1880,  p.  6. 


Zur  I*hro  von  der  HypothesenbilduDg.  9 

lische  Logiker  J.  St.  Mi  11  beschäftigt.  Ich  will  daher,  ehe  ich 
meinerseits  eine  Lösung  dieser  Fragen  versuche,  die  Ansichten 
Mill's  darstellen  und  einer  genaueren  Prüfung  unterziehen.  Wir 
werden  dadurch  auf  den  späteren  Lösungsversuch  in  mannig- 
facher Weise  vorbereitet  werden. 


II.  J.  StT  MilPs  Lehre  von  den  Eigenschaften  einer 

berechtigten  Hypothese.1 

§  8.  J.  St.  Mill's  schickt  eine  Definition  des  Begriffes 
,Hypothese'  voraus,  mit  welcher  unsere  oben  gegebene  (vgl. 
p.  6)  wesentlich  identisch  ist.  Soweit  es  nur  auf  die  Merk- 
male in  dieser  Definition  ankommt,  gibt  es,  wie  Mill  mit  Recht 
betont,  ,für  Hypothesen  keine  anderen  Grenzen  als  die  der 
menschlichen  Einbildungskraft'.  Damit  aber  eine  Hypothese 
auch  wissenschaftlich  berechtigt  sei,  müssen  noch  gewisse, 
unsere  Phantasiethätigkeit  einschränkende  Bedingungen  er- 
füllt sein. 

,.  .  .  wir  können/  sagt  Mill,  ,wenn  es  uns  beliebt,  um 
einen  Grund  für  irgend  eine  Wirkung  anzugeben,  uns  eine 
Ursache  von  völlig  unbekannter  Art  ersinnen,  die  nach  einem 
ebenso  fictiven  Gesetze  wirkt.  Allein  da  Hypothesen  dieser 
Art  nichts  von  der  Scheinbarkeit  besitzen  würden,  die  den- 
jenigen zukommt,  welche  sich  durch  Analogie  an  bekannte 
Naturgesetze  anreihen,  und  überdies  auch  nicht  dem  Bedürfniss 
genügen  würden,  welches  willkürlich  ersonnene  Hypothesen  ge- 
wöhnlich befriedigen  sollen,  dass  sie  es  uns  nämlich  möglich 
machen,  uns  eine  dunkle  Erscheinung  in  dem  Lichte  einer  ge- 
wohnten vorzustellen,  so  hat  es  wahrscheinlich  in  der  Geschichte 
der  Wissenschaften  nie  eine  Hypothese  gegeben,  bei  der  beide 
Bestandtheile ,  das  Agens  selbst  und  das  Gesetz  seiner  Wirk- 
samkeit, fictiver  Natur  waren.  Entweder  die  Erscheinung,  die 
man  als  die  Ursache  hinstellt,  ist  wirklich,  aber  das  Gesetz, 
nach  dem  sie  wirken  soll,  blos  angenommen;  oder  die  Ursache 
ist  fingirt,  aber  man  setzt  voraus,   dass  sie   ihre  Wirkungen 


1  Vgl.  dazu  Syst.  der  ded.  und  ind.  Logik,  Buch  III,  Cap.  XIV,   Übersetzt 
von  Th.  Gomperz. 


10  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

nach  Gesetzen  hervorbringt,  die  denen  irgend  einer  bekannten 
Classe  von  Erscheinungen  ähnlich  sind/ 

Nachdem  Mill  darauf  hingewiesen  hat,  dass  Hypothesen, 
bei  denen  sowohl  das  Agens  ein  novum  ist  als  auch  dessen 
Wirkungsweise,  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften  sich 
schwerlich  auffinden  lassen,  und  dass  sonach  die  blosse  Eigen- 
schaft einer  Hypothese,  die  deductive  Ableitung  einer  beob- 
achteten Erscheinung  (d.  i.  also  ihre  Erklärung*)  zu  ermög- 
lichen, für  die  Legitimität  derselben  offenbar  als  nicht  hinreichend 
betrachtet  wird,  geht  er  nun  seinerseits  daran,  zu  untersuchen, 
wie  denn  jene  weitere  Bedingung  zu  formuliren  sei,  welcher 
eine  Hypothese  noch  überdies  genügen  muss. 

Mill  geht  von  folgendem  Gedanken  aus:  Die  Hypothese 
will  einen  Ersatz  fllr  eine  Induction  bieten;  sie  muss  daher  jeden- 
falls diejenige  Prüfung  bestehen,  welche  auch  eine  correcte  In- 
duction besteht;  d.  h.  was  sich  aus  ihr  deduetiv  ergibt,  muss 
sich  empirisch  verificiren  lassen,  gerade  so  wie  dasjenige,  was 
man  aus  einem  induetiv  gewonnenen  Gesetze  deduetiv  ableitet, 
sich  durch  die  Erfahrung  muss  bewahrheiten  lassen.  Zu  den 
Forderungen  aber,  denen  die  Hypothese  genau  ebenso  genügen 
muss  wie  die  Induction,  muss  für  die  Hypothese  noch  eine 
neue  hinzutreten.  Denn  wenn  für  die  Hypothese  wie  für  die 
Induction  nur  das  Kriterium  der  gelungenen  Verification  mass- 
gebend wäre,  so  würde  man  damit  die  Thatsache,  dass  im  Falle 
der  Induction  das  Gesetz  unmittelbar  aus  der  Erfahrung  ge- 
wonnen ist  (was  ja  bei  der  Hypothese  nicht  zutrifft),  für  er- 
kenntnisstheoretisch vollkommen  irrelevant  erklären,  was  doch 
offenbar  nicht  angeht.  Damit  ist  nicht  nur  nachgewiesen,  dass 
die  Hypothese  noch  um  eine  Bedingung  mehr  zu  erfüllen  haben 
muss  als  die  Induction,  sondern  es  ist  zugleich  eine  Art  er- 
kenntnisstheoretisches Mass  für  diese  neue  Bedingung  ge- 
wonnen. Ihre  Erfüllung  muss  nämlich  einen  vollen  Ersatz 
bieten  für  das,  was  der  Hypothese  im  Vergleiche  zur  Induction 
abgeht:  für  die  empirische  Grundlage.  Worin  erblickt  nun 
Mill  diesen  vollen  Ersatz?  Die  unmittelbare  Antwort  lautet: 
die  Verification  der  Hypothese  muss  so  beschaffen  sein,  dass  sie 
einer  vollständigen  Induction  gleichkommt.  Aber  wann  thut 
sie  dies?  Mill  erwidert:  dann,  wenn  die  Gewissheit  vorliegt, 
dass   kein   anderes    als    eben    das    hypothetisch    angenommene 


Zur  L«hre  von  der  Hypothesenbildung.  1 1 

Gesetz  zu  dem  richtigen  (d.^h.  mit  der  Erfahrung  überein- 
stimmenden) Ergebniss  führen  kann.  Eine  Verification  dieser 
Art  bietet  in  der  That  ein  volles  Aequivalent  für  die  mangelnde 
empirische  Grundlage. 

Ist  diese  Bedingung  aber  auch  erreichbar?  Dies  ist  die 
zweite  Frage,  die  sich  Mill  vorlegt.  Er  beantwortet  sie  bejahend, 
indem  er  zuerst  die  theoretische  Möglichkeit  nachweist,  dann 
aber  an  Beispielen  zeigt,  wie  diese  Möglichkeit  bei  manchen 
naturwissenschaftlichen  Hypothesen  realisirt  worden  ist. 

Die  allgemeine  Beantwortung  der  Frage:  wie  kann  die 
Gewissheit  gewonnen  werden,  dass  ausser  dem  supponirten 
Gesetze  kein  anderes  die  Verification  zulässt?  lautet:  durch  eine 
Verification,  die  nach  dem  Kanon  der  Differenzmethode 
erfolgt.  Wenn  von  dem  Complexe  ABC  von  Antecedentien 
C  das  supponirte  Element  bedeutet,  wenn  ferner  abc  das 
durch  die  Erfahrung  verificirte  complexe  Ereigniss  ist,  und 
wenn  ich  schliesslich  zeigen  kann,  dass  aus  AB  allein  oder 
aus  AB  im  Vereine  mit  irgend  einem  anderen  Element 
als  C  (z.  B.  mit  Z>,  E}  F,  G  .  .  .)  nur  Ereignisse  deducirt 
werden  können,  in  welchen  c  nicht  vorkommt,  sei  es  dass  das 
deducirte  Ereigniss  ab  heisst  oder  ab  im  Vereine  mit  einem 
anderen  Element  als  c  (z.  B.  d,  e,  /,  g . . .)  —  dann  weiss  ich, 
dass  C  nicht  nur  supponirt  werden  kann,  sondern  einzig  und 
allein  supponirt  werden  muss. 

Ein  Beispiel  sieht  Mill  in  Newton's  Annahme  einer  ,Central- 
kraft*.  Die  Planeten  im  Vereine  mit  dieser  Centralkraft  (be- 
richtet Mill)  stellen  den  einen  der  beiden  von  der  Differenz- 
methode geforderten  Fälle  dar,  die  Planeten  ohne  Centralkraft 
den  anderen;  aus  der  ersteren  Annahme  geht  deductiv  die 
empirisch  erwiesene  Thatsache  der  von  den  Radienvectoren  in 
gleichen  Zeiten  beschriebenen  gleichen  Räume  hervor;  aus  der 
zweiten  ergibt  sich  irgend  ein  anderes  Verhalten,  welches  be- 
stimmt wird  durch  die  besondere  Annahme,  die  man  an  Stelle 
der  Annahme  einer  Centralkraft  macht,  ein  Verhalten  aber, 
aus  dem  sich  jedenfalls  die  im  zweiten  Kepler'schen  Gesetze 
ausgesprochene  Thatsache  nicht  deduciren  lässt. 

§  9.  Nun  geht  Mill  noch  um  einen  Schritt  weiter.  Er 
stellt  sich  die  Frage:  wann  besteht  denn  die  Möglichkeit,  bei 
der  Bildung  einer  Hypothese  die  Differenzmethode  anzuwenden? 


12  VI.  Abhandlung:    Hiliebrand. 

Er  will  also  für  das  Kriterium  einer  legitimen  Hypothese  (An- 
wendbarkeit der  Differenzmethode)  selbst  noch  weitere  Kriterien 
gewinnen  (wenn  nicht  hinreichende,  dürfen  wir  dazusetzen, 
so  doch  nothwendige).  Da  der  nun  folgende  Schritt  fiir  den 
Standpunkt^  welchen  Mill  in  der  Hypothesenlehre  einnimmt, 
von  entscheidender  Bedeutung  ist,  will  ich;  statt  zu  referiren, 
lieber  unserem  Autor  selbst  das  Wort  lassen.  Nachdem  er  da- 
von gesprochen,  dass  wir  nur  durch  die  Differenzmethode  die 
Gewissheit  erlangen  können,  dass  gerade  das  supponirte  Anti- 
cedens  und  kein  anderes  der  Verification  theilhaftig  werden 
könne,  fahrt  er  folgendermassen  fort: 

;Nun  scheint  es  mir,  dass  wir  diese  Gewissheit  nicht  er- 
langen können,  sobald  die  in  der  Hypothese  angenommene  Ur- 
sache eine  unbekannte  Ursache  ist,  die  wir  nur  ersinnen,  um 
a  zu  erklären.  Wenn  wir  blos  das  genaue  Gesetz  einer  bereits 
ermittelten  Ursache  zu  bestimmen  oder  das  besondere  Agens, 
welches  in  Wahrheit  die  Ursache  ist,  unter  verschiedenen  Agen- 
tien  derselben  Art  heraus  zu  erkennen  suchen,  von  denen  wir 
bereits  wissen,  dass  eines  oder  das  andere  die  Ursache  ist, 
dann  können  wir  die  negative  Instanz  gewinnen.  Eine  Unter- 
suchung, welcher  von  den  Körpern  des  Sonnensystems  durch 
seine  Anziehung  irgend  eine  besondere  Unregelmässigkeit  in 
der  Bahn  oder  der  Umlaufszeit  eines  Trabanten  oder  Kometen 
verursacht,  wäre  ein  Fall  der  zweiten  Art.  Die  Untersuchung 
Newton's  war  einer  der  ersten  Art.  Hätte  man  nicht  schon 
vorher  gewusst,  dass  Planeten  durch  irgend  eine  Kraft,  die 
gegen  das  Innere  ihrer  Bahn  hinstrebt,  daran  gehindert  werden, 
sich  in  geraden  Linien  zu  bewegen,  wenngleich  die  genaue 
Richtung  zweifelhaft  war,  oder  hätte  man  nicht  schon  gewusst, 
dass  diese  Kraft  in  einem  oder  dem  anderen  Verhältniss  zu- 
nimmt, sobald  die  Entfernung  abnimmt,  und  abnimmt,  sobald 
diese  zunimmt,  so  würde  Newton's  Beweis  nicht  schlusskräftig 
gewesen  sein.  Da  jedoch  diese  Thatsachen  schon  feststanden, 
so  war  der  Kreis  zulässiger  Annahmen  auf  die  verschiedenen 
möglichen  Richtungen  einer  Linie  und  die  verschiedenen  mög- 
lichen Zahlenverhältnisse  zwischen  den  Variationen  der  Ent- 
fernung und  den  Variationen  der  Anziehungskraft  beschränkt;  nun 
war  es  bei  diesen  ein  Leichtes,  darzuthun,  dass  verschiedene  Vor- 
aussetzungen nicht  zu  identischen  Ergebnissen  führen  könnten/ 


Zar  Lehre  von  der  Hjpotbeeenbildang.  13 

Die  Differenzmethode  hält  also  Mill  in  zwei  Fällen  für 
anwendbar:  einmal,  wenn  die  Ursache  bereits  anderweitig  er- 
mittelt ist  und  es  sich  nur  um  das  ,genaue  Gesetz'  ihrer  Wirk- 
samkeit fragt;  dann  aber,  wenn  es  sich  darum  handelt,  aus 
einem  Kreise  von  Agentien,  welcher,  wie  wir  sicher  wissen, 
das  wahre  Agens  enthält,  dieses  letztere  herauszufinden. 

Obwohl  wir  uns  hier  streng  an  den  Wortlaut  der  Aus- 
fuhrungen Mill's  gehalten  haben,  dürfte  hiemit  doch  nicht 
die  letzte  und  endgiltige  Meinung  dieses  Forschers  wieder- 
gegeben sein. 

Etwas  später  sagt  er  nämlich  resumirend: 

,Es  scheint  daher  ein  Erforderniss  einer  wahrhaft  wissen- 
schaftlichen Hypothese  zu  sein,  dass  sie  nicht  ewig  Hypothese 
zu  bleiben  bestimmt,  sondern  so  beschaffen  ist,  dass  sie  durch 
die  Vergleichung  mit  beobachteten  Thatsachen  entweder  be- 
stätigt oder  entkräftet  wird.  Dieses  Erforderniss  wird  erfüllt, 
sobald  man  bereits  weiss,  dass  die  Wirkung  von  eben  der 
angenommenen  Ursache  abhängt,  und  die  Hypothese  es  nur 
mit  der  genauen  Art  dieser  Abhängigkeit  zu  thun  hat,  mit 
dem  Gesetz  der  Veränderung  der  Wirkungen,  je  nach  den 
Veränderungen  in  der  Grösse  oder  in  den  Beziehungen  der 
Ursache/ 

Und  wieder  etwas  später  heisst  es: 

,Aber  damit  dies  der  Fall  sein  kann  (sc.  damit  die  An- 
nahme mit  den  Erscheinungen  tibereinstimmen  kann),  halte  ich 
es,  sobald  die  Hypothese  mit  einem  ursächlichen  Verhältniss 
zu  thun  hat,  für  noth wendig,  dass  die  angenommene  Ursache 
nicht  nur  eine  wirkliche  Erscheinung,  etwas  in  der  Natur 
wirklich  Existirendes  sei,  sondern  dass  man  auch  bereits  wisse, 
dass  sie  auf  die  Wirkung  einen  Einfluss  irgend  einer  Art  aus- 
übe oder  wenigstens  ausüben  könne.  In  jedem  anderen  Falle 
ist  es  kein  Beweis  flir  die  Wahrheit  der  Hypothese,  dass  wir 
die  wirklichen  Erscheinungen   aus  ihr  herzuleiten   vermögen.' 

Hier  ftllt  sofort  auf,  dass,  während  früher  eine  alter- 
native Forderung  aufgestellt  wurde  (nämlich:  entweder  müsse 
bekannt  sein,  dass  das  hypothetisch  Angenommene  die  wahre 
Ursache  sei,  welchen  Falls  dann  nur  das  ,genauere  Gesetz* 
ihrer  Wirkungsweise  zu  bestimmen  sei  —  oder  es  müsse  fest- 
stehen,  dass  von   einer  gewissen  Gruppe  von  Agentien  Eines 


14  VI.  Abhandlung:    Hillebraad. 

die  wahre  und  wirkliche  Ursache  sei,  welchen  Falls  dann  die 
Aufgabe  entstehe,  dieses  herauszufinden),  nunmehr  eine  einzige, 
aber  zusammengesetzte  Forderung  erhoben  wird,  die  Forderung 
nämlich,  dass  wir  wissen,  dass  das  angenommene  Agens  wirklich 
existire  und  dass  es  auf  die  in  Frage  stehende  Erscheinung 
Einfluss  habe  oder  wenigstens  Einfluss  haben  könne,  wobei 
dann  nur  mehr  die  Aufgabe  übrig  bleibt,  die  ,genaue  Art  dieser 
Abhängigkeit'  festzustellen. 

Dass  die  Forderung,  sofern  sie  in  der  letztgenannten  Form 
gestellt  wird,  mit  jener  früheren  alternativen  Forderung  nicht 
einfach  identisch  ist,  leuchtet  sofort  ein.  Besteht  ein  Zusammen- 
hang zwischen  der  früheren  und  späteren  Forderung?  Oder 
zeigt  sich  eine  logische  Lücke  in  Mill's  Gedankengang?  Von 
der  Beantwortung  dieser  Frage  wird  es  abhängen,  welchen 
Sinn  Mill  dem  Ausdruck  vera  causa  unterlegt,  und  ob  er  das 
Recht  hat,  das  Vorhandensein  einer  vera  causa  in  diesem  Sinne 
als  eine  nothwendige  Bedingung  jeder  berechtigten  Hypothese 
anzusprechen. 

§  11.  Es  wird  sich  fragen,  ob  die  von  Mill  zuletzt  (an 
den  beiden  citirten  Stellen)  erhobene  Forderung  vielleicht  die  ge- 
meinsame Voraussetzung  für  jedes  der  beiden  Glieder  bildet, 
aus  denen  jene  frühere  alternative  Forderung  besteht. 

Die  erste  der  beiden  Bedingungen,  die  Mill  in  seiner 
Alternative  gestellt,  die  nämlich,  dass  die  Ursache  bereits  er- 
mittelt sein  muss,  ist  —  bei  etwas  veränderter  Ausdrucksform  — 
nahezu  identisch  mit  der  schliesslich  gestellten  Forderung,  das 
Agens  müsse  bekannt  sein  und  die  thatsächliche  oder  wenigstens 
mögliche  Einnussnalime  auf  die  fragliche  Erscheinung.  Denn 
wenn  man  die  Ursache  bereits  anderweitig  ermittelt  haben  muss, 
so  liegt  ja  darin  involvirt,  dass  das  supponirte  Ding,  Ereig- 
niss  u.  dgl.  bekannt  sei,  und  dass  weiters  feststehe,  dass  es 
auch  in  einer  causalen  Beziehung  zur  fraglichen  Erscheinung 
stehe.  Nur  der  Zusatz  ,oder  (einen  Einfluss)  wenigstens  aus- 
üben können'  stellt  sich  als  eine  Erweiterung  dar.  Das  erste 
Glied  der  Alternative  liegt  also  mindestens  in  jener  endgiltigen 
Forderung  implicite  enthalten. 

Wie  verhält  es  sich  nun  mit  dem  zweiten  Gliede?  Die 
Hypothese,  heisst  es,  ist  auch  dann  berechtigt,  wenn  wir  wissen, 
dass  von   einer   bestimmten   Gruppe   von  Agentien   Eines   die 


Zur  Lehre  von  der  Hypotheseabildnng.  15 

wahre  Ursache  sein  muss.  Hier  ist  zwar  die  Existenz  des 
supponirten  Ereignisses  bekannt,  da  es  ja  Eines  ans  einer 
Gruppe  von  bekannten  Ereignissen  ist.  Aber,  da  wir  bei  der 
Bildung  der  Hypothese  (also  vor  ihrer  Verification)  nicht  wissen, 
welches  Ereigniss  wir  als  die  wahre  Ursache  bevorzugen  sollen, 
haben  wir  der  Bedingung  offenbar  nicht  gentigt,  dass  die  (wirk- 
liche oder  mögliche)  Einflussnahme  des  supponirten  Ereig- 
nisses bereits  bekannt  sei.  Wenn  nun  schon  die  Annahme  einer 
disjunctiven  Ursachengruppe  hinreicht,  um  die  Differenz- 
methode anzuwenden  (und  auf  letzteres  Kriterium  kommt  es 
doch  nach  Mill  an),  dann  scheint  Mill  mehr  als  nöthig  zu 
fordern,  wenn  er  die  Bedingung  stellt,  es  müsse  ein  Ereigniss 
als  Ursache  supponirt  werden,  von  dem  wir  bereits  wissen,  dass 
es  die  fragliche  Erscheinung  beeinflusse  oder  beeinflussen  könne. 
Ein  Ereigniss,  das  bekannt  ist,  und  von  welchem  ferner  fest- 
steht, dass  es  auf  eine  causal  zu  erklärende  Erscheinung  Ein- 
fluss  nehmen  kann  —  ein  solches  Ereigniss  erst  ist  nach  Mill's 
Meinung  eine  vera  causa.  So  sehen  wir,  dass  mit  der  oben  er- 
wähnten Discrepanz  zwischen  den  einzelnen  Aufstellungen  MiU's 
nichts  Geringeres  in  Frage  gestellt  wird  als  der  erkenntniss- 
theoretische Werth  der  vera  causa,  sofern  diese  nämlich  zu 
einer  allgemeinen  und  nothwendigen  Bedingung  jeder  berech- 
tigten Hypothese  gemacht  wird. 

§  12.  Die  Lösung  der  Schwierigkeit  wird  sich  indessen, 
wie  ich  hoffe,  finden  lassen.  Allerdings  dürfte  sich  dabei  der 
Weg  sozusagen  von  selbst  anbahnen,  welcher  zu  einer  schliess- 
licben  Ablehnung  des  wichtigsten  Theiles  in  MiU's  Hypothesen- 
lehre führen  wird. 

Das  als  Ursache  angenommene  Ding  oder  Ereigniss  soll 
also  etwas  Bekanntes  sein,  und  die  Möglichkeit  seiner  Einfluss- 
nahme auf  die  in  Frage  stehende  Erscheinung  soll  ebenfalls 
unabhängig  von  der  Hypothese  feststehen.1    Es  fragt  sich  hie- 


1  Ich  sehe  hier  von  dem  naheliegenden  Bedenken  ab,  dass  der  Hypothese 
dann  überhaupt  nichts  mehr  zu  thnn  übrig  bleibt.  Denn  ,das  genauere 
Gesetz  der  Wirksamkeit  herausfinden*  (nach  Mill  das  eigentliche  Ge- 
schäft der  Hypothese)  heisst  gar  nichts  Anderes  als  die  gesammte  Er- 
scheinung richtig  beschreiben.  »Erscheinung'  heisst  ja  dann  nicht 
mehr  blos  ,das  zu  Erklärende',  sondern  dieses  im  Vereine  mit  der 
,Ursache',   da  die  letztere  ja   festgestellt,  und  zwar  ,als  Ursache'  fest- 


16  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

bei  natürlich:  wie  sind  diese  Bedingungen  realisirbar?  Unter 
welchen  Voraussetzungen  können  ans  diese  Kenntnisse  unab- 
hängig von  der  Hypothese  zu  Theil  werden? 

Anmerkung.  Den  Fall,  das  wir  diese  Erkenntnis«  in  deductiver 
Weise  aus  bereits  bestehenden  Gesetzen  erwerben,  lasse  ich  hier  absichtlich 
ausser  Acht;  denn  in  letzter  Linie  wird  sich  eine  solche  DedncÜon  doch 
wieder  auf  inductiv  gewonnene  Sätze  oder  auf  Hypothesen  stützen  mfissec. 
Dio  Berücksichtigung  einer  solchen  deductiven  Zwischenoperation  würde  un- 
sere Betrachtung  nur  verwickelter  machen,  ohne  an  dem  Wesen  der  Sache 
irgend  etwas  zu  Andern.  Es  handle  sich  also  der  Einfachheit  wegen  mn 
Kenntnisse,  die  uns  ohne  Deduction  aus  irgend  anderwärts  bekannten  Ge- 
setzen zu  Theil  werden. 

Dass  gerade  das  Ereigniss  A  dasjenige  ist,  dem  wir  eine 
Einflussnahme  auf  die  fragliche  Erscheinung  zuschreiben  (und 
dessen  genaues  Wirkungsgesetz  wir  dann  durch  das  Mittel  der 
Hypothese  zu  eruiren  suchen),  dies  kann,  wie  wir  hörten,  auf 
stringente  Weise  nur  durch  die  Differenzmethode  ermittelt  werden. 
Nun  kann  aber  die  Differenzmethode  im  vorliegenden  Falle 
nur  dann  zum  gewünschten  Ziele  führen,  wenn  der  Kreis  der 
möglichen  Annahmen  ein  endlicher  ist,  und  wenn  wir  über 
eine  erschöpfende  Kenntniss  dieser  in  ihrer  Zahl  beschränkten, 
einander  disjunetiv  coordinirten  Annahmen  verfügen.  Denn 
wenn  mich  gar  nichts  dazu  veranlasst  das  die  Erscheinung 
bestimmende  Element  in  dieser  oder  jener  Gruppe  von  Ante- 
cedentien  zu  suchen,  mit  anderen  Worten,  wenn  ich  einer  un- 
ermesslichen  Zahl  möglicher  Annahmen  gegenüberstehe,   dann 


gestellt  sein  muss.  Wenn  eine  Anzahl  von  Lichtbrechungserscheinungen 
gegeben  sind,  und  wenn  ich  weiss,  dass  dieselben  durch  eine  Verschieden- 
heit in  der  Dichte  der  Medien  veranlasst  sind,  dann  vermag  ich  in  dem 
Satze,  dass  der  Quotient  aus  dem  Sinus  des  Einfallswinkels  in  den  Sinus 
des  Brechungswinkels  eine  Constante  ist,  schlechterdings  nichts  Hypo- 
thetisches mehr  zu  erblicken.  Es  ist  dieser  bekannte  Satz  einfach  die 
richtige  Beschreibung  einer  Gruppe  von  Thatsachen.  Die  Gesetze  der 
Hypothesenbildung  würden  auch  dann  nicht  in  Wirksamkeit  treten,  wenn 
sich  mehrere  richtige  Beschreibungen  finden  Hessen.  Hier  ist  der  Punkt, 
wo  das  von  Mach  so  energisch  vertretene  Oekonomieprincip  allein 
massgebend  sein  kann.  Die  sparsamste  Beschreibung  verdient  den  Vor- 
zug, ohne  dass  damit  gesagt  sein  soll,  dass  nicht  auch  eine  weniger 
sparsame  Beschreibung  richtig  sein  kann  Zwischen  zwei  richtigen 
Beschreibungen  kann  nicht  wieder  das  Kriterium  der  Richtigkeit  ent- 
scheiden; wohl  aber  das  der  Zweckmässigkeit. 


Zur  Lehre  von  der  Hypotheaenbildnng.  17 

kann  ich  erstens  die  Differenzmethode  gar  nicht  anwenden 
und  würde  zweitens,  selbst  wenn  ich  sie  anwenden  könnte, 
zu  keinem  brauchbaren  Resultate  gelangen.  Ich  könnte  sie 
nicht  anwenden,  wurde  soeben  gesagt.  Warum  nicht?  Bin 
ich  denn  selbst  bei  einer  unbestimmten  Anzahl  von  Ante- 
cedentien  nicht  im  Stande,  das  zu  prüfende  Element  in  Ge- 
danken wegzulassen  und  nachzusehen,  ob  sich  aus  dem  Reste 
die  fragliche  Erscheinung  noch  immer  deduciren  lässt  oder 
nicht,  oder  das  zu  prüfende  Element  vielleicht  sogar  experi- 
mentell zu  beseitigen  und  zu  ermitteln,  ob  die  zu  erklärende 
Erscheinung  dadurch  alterirt  wurde?  Gewiss  ist  dies  möglich. 
Aber  was  (bei  einem  unbeschränkten  Kreis  von  Antecedentien) 
nicht  möglich  ist,  das  ist:  eine  Garantie  zu  erlangen,  dass 
alle  übrigen  Antecedentien  ungeändert  geblieben  sind. 
Das  ist  aber  eine  unumgängliche  Bedingung  fiir  die  Anwendung 
der  Differenzmethode.  —  Wir  haben  weiter  behauptet,  die 
Differenzmethode  würde,  selbst  wenn  ihrer  Anwendbarkeit  das 
vorige  Argument  nicht  entgegenstünde,  doch  zu  keinem  Re- 
sultate führen.  Warum  dies?  Aus  dem  naheliegenden  Grunde, 
weil  es  bei  unbeschränkter  Auswahl  gegen  alle  vernünftige 
Vermuthung  wäre,  dass  man  auf  dasjenige  Antecedens  verfallt, 
dessen  Weglassang  oder  Aenderung  eine  Aenderung  der  zu 
untersuchenden  Erscheinung  zur  Folge  hat.  Ich  setze  hiebei 
im  strengsten  Sinne  eine  unbeschränkte  Auswahl  von  Ante- 
cedentien voraus;  eine  Beschränkung  würde  schon  durch  jede 
Präsnmption  gegeben  sein,  die  sich  etwa  für  das  eine  oder 
andere  Antecedens  vorfinde. 

Die  beiden  genannten  Uebelstände  fallen  natürlich  weg, 
sobald  wir  es  mit  einem  beschränkten  und  daher  übersehbaren 
Kreise  von  Antecedentien  zu  thun  haben,  wie  sich  das  der 
Leser  leicht  klar  machen  kann. 

Die  obige  Ueberlegung  zeigt,  dass  sich  Mi  11,  indem  er 
an  zwei  verschiedenen  Stellen  die  Bedingungen  einer  berech- 
tigten Hypothese  verschieden  darstellt,  dennoch  keiner  sach- 
lichen Inconsequenz  schuldig  gemacht  hat  dadurch,  dass  er 
etwa  an  der  einen  Stelle  weitergehende  Forderungen  gestellt 
hätte  als  an  der  anderen.  Indem  er  nämlich  in  der  letzten 
Fassung  neben  dem  Bekanntsein  der  Existenz  der  Ursache 
auch    noch    die   Kenntniss    fordert,    dass   das  supponirte   Er- 

SitzangBber.  d.  phil.-hiet.  Cl.  CXXXIV.  B4.  6.  Abb.  2 


18  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

eigniss  auf  die  fragliche  Erscheinung  einen  Einfluss  ausübe 
(oder  ausüben  könne),  wiederholt  er  hiermit  im  Wesentlichen 
das  erste  Glied  der  früheren  Alternative.  Nun  hat  sich  uns 
aber  gezeigt,  dass  zur  Realisirung  der  in  dieser  Weise  ans 
gesprochenen  Forderung  das  zweite  Glied  der  Alternative 
(Erkenntniss,  dass  die  wahre  Ursache  in  einem  bestimmten 
Kreise  bekannter  Ereignisse  zu  suchen  sei)  eine  unerläsaKche 
Vorbedingung  ist.  Hiemit  wären  beide  Forderungen  vom  Stand- 
punkte Mill's  wenigstens  als  berechtigt  dargethan,  nur  ihre 
alternative  Gegenüberstellung  (das  ^Entweder — Oder')  lässt 
sich  nicht  aufrechterhalten.  Das  erste  Glied  setzt  das  zweite 
voraus,  und  darum  ist  die  wahre  logische  Beziehung  (im 
Sinne  MUTs)  in  folgender  Weise  herzustellen: 

Damit  eine  Hypothese  logisch  berechtigt  und  mehr  als  eine 
vorläufige  Muthmassung  sei,  ist  es  nicht  hinreichend,  dass  sich 
aus  ihr  die  zu  erklärende  Erscheinung  deductiv  ableiten  lasse; 
vielmehr  muss  die  Existenz  der  zur  Erklärung  herangezogenen 
Thatsache,  sowie  deren  thatsächliche  oder  mögliche  Einfluß- 
nahme auf  das  fragliche  Ereigniss  auch  unabhängig  von  der 
Fähigkeit  zu  erklären  festgestellt  werden  können.  Beides  muss 
mindestens  in  letzter  Linie  auf  empirischem  Wege  geschehen. 
Die  Bedingung  dafiir  aber  ist  (wegen  der  notwendigen  Anwen- 
dung der  Differenzmethode)  die,  dass  man  unabhängig  von  der 
Hypothese  mit  Bestimmtheit  wisse,  dass  die  wahre  Ursache  in 
einem  gewissen  allseits  bekannten  und  daher  notwendigerweise 
auch  endlichen  Kreise  von  Antecedentien  zu  suchen  sei.  Die 
Erfüllung  dieser  letzteren  Bedingung  würde  zwar  ftir  sich  allein 
schon  genügen,  um  eine  Hypothese  zu  einer  berechtigten  zu 
machen,  aber  —  genauer  besehen  —  doch  nur  dadurch,  dass  sie 
uns  zur  unabhängigen  Erkenntniss  von  der  Einflussnahme  einer 
bekannten  Thatsache  auf  die  zu  erklärende  führt,  mit  anderen 
Worten,  dass  sie  die  Erfüllung  der  ersten  Bedingung  ermöglicht. 
So  ist  also  die  Kenntniss,  dass  man  die  Ursache  unter  einer 
endlichen  Gruppe  von  Vorgängen  zu  suchen  habe,  einerseits  eine 
unerlässliche  Bedingung  jeder  berechtigten  Hypothese,  anderer- 
seits bleibt  sie  aber  immer  sozusagen  eine  Bedingung  zweiter 
Ordnung  (oder  —  wenn  man  den  Ausdruck  vorzieht  —  eine 
entferntere  Bedingung'),  insoferne  sie  es  erst  möglich  macht, 
die  Einflussnahme  eines  bestimmten  Vorganges  auf  den  zu  er- 


Zur  I*hre  toh  der  HypothMenbildong.  19 

klärenden  festzustellen.  Die  Erfüllung  dieser  Bedingungen  muss 
sozusagen  ausserhalb  der  Hypothese  stattfinden;  die  Hypothese 
selbst  hat  sich  mit  nichts  Anderem  zu  beschäftigen  als  mit  der 
präcisen  Fassung  des  Wirkungsgesetzes. 

§  13.  Nach  dieser  Darstellung  würde  es  den  Ai\schein 
haben,  als  setzte  Mill  dem  wissenschaftlichen  Fortschritt  unüber- 
steigliche  Schranken;  und  auch  der  weitere  Vorwurf  scheint 
sich  sofort  zu  erheben,  dass  in  der  thatsächlichen  Praxis  der 
Hypothesenbildung  Vorsichten  der  angegebenen  Art  meisten- 
theils  gar  nicht  beobachtet  worden  sind. 

Beiden  Bedenken  begegnet  Mill,  indem  er  betont,  dass 
Hypothesen ,  welche  nicht  vom  Anfang  an  die  genannten 
Kriterien  erfüllen,  nicht  schon  deswegen  abzulehnen  seien. 
Nur  dürfen  solche  Hypothesen  nicht  von  der  Art  sein,  dass 
schon  von  vornherein  keine  Aussicht  auf  eine  künftige  un- 
mittelbar empirische  Bewährung  vorhanden  ist,  mit  anderen 
Worten:  jene  oben  aufgestellten  Bedingungen  müssen  nicht  that- 
sächlich  erfüllt  werden,  wir  müssen  aber  erkennen,  dass  sie 
nicht  unerfüllbar  sind.  ,Es  ist  gewiss  nicht  nothwendig,'  sagt 
er,  ,dass  die  Ursache,  die  wir  angeben,  eine  bereits  bekannte 
Ursache  sei;  wie  könnten  wir  sonst  jemals  zur  Kenntniss  einer 
neuen  Ursache  gelangen?  Aber  was  an  dem  Grundsatz  richtig 
ist,  ist  dies,  dass  die  Ursache,  wenn  sie  uns  auch  nicht  früher 
bekannt  war,  doch  die  Möglichkeit  bieten  muss,  es  nachträglich 
zu  werden,  dass  sich  ihr  Dasein  entdecken  und  ihr  Zusammen- 
hang mit  der  ihr  zugeschriebenen  Wirkung  beweisen  lassen 
muss,  auf  Grund  selbstständiger  Beweismittel/  Er  fügt  aber 
sogleich  hinzu:  ,Die  Hypothese  weist  uns,  indem  sie  uns  Beob- 
achtungen und  Versuche  an  die  Hand  gibt,  den  Weg,  der  zu 
jenen  selbstständigen  Beweismitteln  führt,  wenn  diese  überhaupt 
zu  erreichen  sind,  und  solange  sie  nicht  erreicht  sind,  sollte 
die  Hypothese  für  nicht  mehr  zählen  als  für  eine  Muthmassung.' 
Das  Verfahren  des  Naturforschers,  nicht  nur  für  eine  bekannte 
Ursache  alle  von  vornherein  möglichen  Wirkungsgesetze  nach 
und  nach  durchzuprüfen,  sondern  auch  (bei  mangelnder  Kennt- 
niss der  wahren  Ursache)  alle  möglichen  blos  angenommenen 
Thatsachen  als  Ursachen  zu  supponiren  und  eine  nach  der 
anderen  auf  ihren  Erklärungswerth  zu  prüfen  —  dieses  Ver- 
fahren lässt  Mill  durchaus  zu  Recht  bestehen,  aber  nur  als 

2* 


20  Tl.  Abfcandling:    HilUbrand. 

methodologisches  Hilfemittel,  welches  den  Charakter  des  Vor- 
läufigen an  sich  trägt,  und  zwar  so  lange  an  sich  trägt,  als 
nicht  der  directe  und  von  der  Hypothese  unabhängige  Nachweis 
für  die  thatsächliche  Existenz  und  Einflussnahme  der  betreffen- 
den Thatsache  erbracht  ist.  Die  cartesianischen  Wirbel  sind 
ihm  daher  von  allem  Anfang  an  eine  nothwendig  abzuweisende 
Hypothese,  weil  wir  niemals  hoffen  durften,  in  den  Besitz  eines 
Mittels  zu  gelangen,  ,die  Wirklichkeit  der  Wirbel  als  einer 
Thatsache  der  Natur  dem  Prüfstein  der  Beobachtung  in  ent- 
scheidender Weise  zu  unterwerfen*. 

Die  Lichtätherhypothese  besteht  die  Prüfung  des  eng- 
lischen Logikers  nicht  so  schlecht  wie  Descartes'  Wirbel.  Die 
Aetherhypothese  erfüllt  zwar  nach  seiner  Meinung  die  Bedin- 
gungen einer  wissenschaftlich  berechtigten  Hypothese  durchaus 
nicht,  da  jene  ,selbstständigen  (d.  h.  ausserhalb  der  Hypothese 
gelegenen)  Beweismittel'  auch  hier  fehlen  und  somit  keine  vera 
causa  vorliegt;  aber  während  die  Wirbel  des  Cartesius  schon 
von  vornherein  als  einer  künftigen  directen  Bewährung  un- 
fähig angesehen  werden  mussten,  sei  eine  derartige  Bewährung 
in  Betreff  des  Lichtäthers  nicht  als  unmöglich  zu  betrachten. 
Mill  denkt  sich,  es  könnte  durch  allmälig  anwachsende  Ver- 
zögerung in  der  Bewegung  der  Himmelskörper  (wie  solche  beim 
Enke'schen  Kometen  thatsächlich  beobachtet  worden  ist)  die 
Existenz  eines  kosmischen  Mediums  erwiesen  werden;  dadurch 
aber  würde  die  Aetherhypothese  ,einen  beträchtlichen  Schritt 
vorwärts  zum  Charakter  einer  vera  causa  gethan  haben';  gleich- 
wohl wäre  noch  Manches  zu  thun,  um  den  Aether  wirklich  zu 
einer  vera  causa  zu  machen,  so  wäre  vor  Allem  die  Identität 
jenes  widerstehenden  Mediums  mit  dem  Medium  der  Licht- 
fortpflanzung zu  erweisen  u.  dgl.  m.  Kurz  gesagt:  der  Licht- 
äther ist  nach  Mill's  Ansicht  keine  vera  causa,  kann  aber 
vielleicht  dereinst  zu  einer  solchen  werden. 

Als  Beispiel  einer  logisch  durchaus  correcten  Hypothese 
finden  wir  unter  Anderem  die  Hypothese  von  der  natürlichen 
Zuchtwahl  angeführt.  Eine  Zuchtwahl  im  Sinne  Darwin's  findet 
wirklich  statt,  und  sie  ist  thatsächlich  im  Stande,  Wirkungen 
von  der  Art  der  geforderten  hervorzubringen,  d.  h.  eine  Ent- 
wicklung im  Sinne  der  zweckmässigen  Anpassung  zu  veran- 
lassen.   Damit  sind  die  Bedingungen  einer  berechtigten  Hypo- 


Zur  Lehre  yoü  der  Hjpofhetenbildnng.  21 

these  erfüllt,  und  es  ist  nur  mehr  ,eine  Frage  des  Grades',  ob 
die  Hypothese  ausreicht  oder  nicht.  Darwin  hat  also,  wenn 
wir  Mill  glauben  dürfen,  der  Forderung  nach  einer  vera  causa 
im  strengsten  Sinne  Genüge  geleistet. 


III.  Kritische  Betrachtungen  Aber  die  Lehre  J.  St.  Hiirs. 

§  14.  Vor  Allem  erhebt  sich  die  Frage:  was  ist  zu  halten 
von  jenem  allgemeinen  Beweis  für  die  Berechtigung,  eine  vera 
causa  im  definirten  Sinne  zu  fordern?  Die  speciellen  Beispiele 
wollen  wir  vorderhand  bei  Seite  lassen. 

Hier  feilt  nun  beim  ersten  Blick  auf,  dass,  wenn  MilFs 
Argumentation  zutreffend  ist,  dasjenige,  was  man  gemeiniglich 
Hypothese  nennt,  strenge  genommen  gänzlich  ausgeschlossen 
werden  muss.  Beschränken  wir  uns  einmal  auf  sogenannte  cau- 
sale  Hypothesen;  Mill  hat  ja  vorzüglich  diese  im  Auge,  und 
die  Anwendung  auf  Hypothesen  anderer  Art  läset  sich  leicht 
finden.  Wir  wissen,  will  ich  annehmen,  dass  Eines  von  A,  B, 
C,  D  die  Ursache  des  beobachteten  Vorganges  M  sein  muss  (ich 
sehe  vorläufig  davon  ab,  woher  wir  diese  Kenntniss  nehmen). 
Wenn  ich  nun  —  die  Differenzmethode  anwendend  —  nach 
und  nach  A,  B,  C,  D  ausschliesse  und  erst  beim  Ausschluss 
von  D  die  Erscheinung  M  wegfallen  oder  sich  ändern  sehe, 
und  wenn  ich  nun  auf  Grund  dessen  D  als  die  Ursache  (oder 
wenigstens  Mitursache)  von  M  anspreche,  habe  ich  dann  etwas 
Anderes  gethan  als  aus  einer  Wahrheit  eine  andere  deducirt? 
Was  berechtigt  uns  hier  noch  von  einer  Hypothese  zu  reden? 
Hier  fehlt  ja  gerade  dasjenige  Moment,  welches  der  Hypothese 
den  Charakter  einer  blossen  Vermuthung  gibt  und  welches 
(wie  p.  6  auseinandergesetzt  wurde),  darin  besteht,  dass  die 
erkannte  Wahrheit  sich  nicht  bloss  aus  einem  einzigen  suppo- 
nirten  Urtheil  deduciren  lasse  —  oder  dass  sie  wenigstens  aus 
diesem  bloss  mit  Wahrscheinlichkeit  deducirt  werden  könne. 
Ist  denn  der  Vorgang,  den  Mill  hier  im  Auge  hat,  ein  anderer 
ab  derjenige,  welcher  uns  in  jeder  mathematischen  Ableitung, 
in  jedem  richtigen  Syllogismus  vor  Augen  tritt?  Dass  es  sich 
hier  gerade  um  ursächliche  Verhältnisse  handelt,  das  ist  ein 
Umstand,   der  schon    in  der   Materie  der  Prämissen   gelegen 


So  kirn 


-\ --— *i:r.-re  "iim  als 
.jtt  _T~^r  _l  besteht 
l     —    -T    -iir  —  so 

_  —  rr  — r  Ted  an- 
i       -  -i.  zur  Bezuir 


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.  :      -■^••:i_*«iene    Btrdin- 

:— »■        v-i      liii    'srendet. 

—  r    — *  ts    rer  Hypo- 

_  _  -  j—»  -  ^gst  ist»    nur 

_i  ^  _■  --sia :••    ^a  ~u  -3.  C.  D 

-  .  —        — :  -4e*-i-i'iL^?  Beweis- 

-  -   i_        _-^.  ■-?•      -4    -   2    ne  Sprache 

—     -  •    f  •' 

-  ^. —-•  ?-*_     i  —  io-     nur  g*?<jen 

.-  -  -  .  -i      — .:  r       *":■  i  *3.       \  -mi  aber 

— — — r-    -  ■*    ^         md   »-"  ausge- 

j-i       _:r  .— _     •       .     -*    ^ =»e    las»  selbst- 

— ^ir        r     l  -         -       "-*XAic:%w'ii   von  2) 

-"  .ti;-  -.i-     _*  .     .  ji^    1    »  rranmelir  zn 

■     -JT-  — z    t:«    ^    m  *    :aa  .ltis«  weiter: 

^■*-   "  -T~-        -  —rrs  ^""-^    *zr  sacu^iL   laa»  ausser  .D 

-'*"■"-     •*".  i    ~r    jlj   £ —  'z.'-=»  "^sssL-iieii  masste) 

■*  ■*      •-*-  nz-T-'ü  z.  ▼-rs^ioa  exiätiren. 


»  •»  seil  ja,  nebt  um 
m  WTaiiBriiolBBr  einer 


Zar  Lehre  ron  der  Hypotheeenbildnng.  25 

Habe  ich  nun,  fortwährend  nach  den  Vorschriften  MiU's 
verfahrend,  nicht  gerade  das  gethan,  was  Mill  so  sehr  verpönte? 
Habe  ich  nicht  um  der  blossen  Erklärung  der  Erscheinung  M 
willen  die  Existenz  von  Realitäten  (nämlich  ff4/£4y4...)  suppo- 
nirt, die  sich  auf  Grund  gar  keiner  sogenannten  ,selbstständigen 
Beweismittel'  darthun  liess?  Ich  glaube,  man  kann  nicht  an- 
ders als  beide  Fragen  bejahen.  Die  Vorschriften  MiU's  bergen 
einen  Widerspruch -  in  sich,  so  dass  derjenige,  welcher  sie 
consequent  zu  befolgen  strebt,  sie  notwendigerweise  über- 
treten inuss. 

§  18.  Aber  man  wird  vielleicht  entgegnen:  jene  Mit- 
bedingungen a4/?4y4  .  .  .  werden  nicht  blos  um  der  Erklärung 
von  M  willen  supponirt,  also  blos  der  Hypothese  zu  Liebe 
und  ohne  dass  ihre  Existenz  durch  selbstständige  Beweismittel 
dargethan  wäre;  vielmehr  musste  (und  dies  wird  eben  voraus- 
gesetzt) die  Erkenntniss  vorangegangen  sein,  dass  D  nur  im 
Verein  mit  diesen  Mitbedingungen  eine  Erscheinung  von  der 
Art  von  M  hervorrufen  kann;  indem  also  hier  zur  Erklärung 
von  M  ausser  D  auch  noch  cr4/?4y4  .  .  .  supponirt  wird,  wird 
gar  kein  novum  angenommen,  sondern  Etwas,  dessen  Existenz 
schon  von  früher  her  bekannt  war  —  und  somit  wäre  Alles 
wieder  in  der  schönsten  Uebereinstimmung  mit  den  Vorschriften 
MiU's,  nur  dass  die  Kenntniss  von  der  Wirkungsfohigkeit  sich 
auflöst  in  die  Kenntniss  von  der  Existenz  gewisser  Realitäten. 

Ich  glaube  aber  nicht,  dass  auf  diese  Weise  dem  vorigen 
Argument  seine  Beweiskraft  genommen  werden  kann. 

Es  mag  auf  Grund  früherer  Erfahrungen  feststehen,  dass 
D}  nur  wenn  die  Mitbedingungen  a±ßAyA  realisirt  sind,  eine 
Erscheinung  von  der  Art  von  M  hervorruft;  aber  der  neue 
FaU  (der,  in  welchem  wir  für  M  eine  Ursache  suchen)  ist  doch 
nicht  einfach  identisch  mit  der  früheren  Erfahrung,  sonst  läge 
ja  gar  kein  Grund  vor,  eine  Hypothese  zu  bilden!  Ich  behaupte 
in  diesem  neuen  FaU  auf  Grund  der  Differenzmethode,  dass 
aißiYi  -  -  •  hie  et  nunc  vorhanden  sind,  nicht  dass  sie  einmal 
vorhanden  waren  zu  einer  anderen  Zeit  und  vieUeicht  auch  an 
einem  anderen  Ort;  in  diesem  ,hic  et  nunc'  Uegen  aUein  schon 
zwei  völlig  neue  Mitbedingungen,  und  somit  ist  wirklich  ein 
novum  supponirt  worden.  Wenn  ich  blos  darnach  frage,  ob 
Etwas  vöUig  neu  oder  aber  bereits  empirisch  constatirt  ist,  dann 


26  VI.  Attaaihnf :    Hillcbraal 

ist  in  diesem  Sinne  eine  Substanz  mit  bisher  anbekannten  Merk- 
malen gerade  so  gut  ein  novnm  wie  eine  Substanz  mit  be- 
kannten Merkmalen,  aber  an  einem  Orte,  den  sie  bisher  nicht 
eingenommen.  Warum  man  bei  der  Hypothesenbildung  den 
ersten  Fall  anders  behandelt  als  den  zweiten,  das  geht  ans  den 
später  zu  entwickelnden  wahren  Principien  der  Hypothesen- 
lehre hervor,  ans  denen  Mill's  aber  keineswegs. 

Es  dürften  übrigens  Ort  und  Zeit  gar  nicht  die  einzigen 
nova  sein,  mit  denen  eine  anch  den  Vorschriften  Mill's  genü- 
gende Hypothese  arbeitet.  Schon  der  Umstand,  dass  es  erst 
der  Hypothese  überlassen  werden  soll,  das  ^genauere  Gesetz* 
der  Wirkungsweise  ausfindig  zu  machen,  gibt  dafür  Zeugnis*. 
Wenn  es  sich  blos  darum  handelte,  einen  Ursachencomplex:  zu 
supponiren,  der  uns  nach  allen  seinen  Variablen  (Raum-  und 
Zeitlage  ausgenommen)  völlig  bekannt  ist,  dann  ist  eben  das 
Wirkungsgesetz  auch  schon  bekannt,  und  es  könnten  nur  etwa 
die  besonderen  Constanten  neu  sein;  Constanten  sind  es 
aber  nicht,  welche  das  Gesetz  einer  Wirkung  bestimmen.  In 
diesem  Punkte  scheint  mir  Mill  gegen  sich  selbst  Zeugniss 
zu  geben. 

Mill's  Argumentation  leidet  an  einem  sehr  gewöhnlichen 
Fehler:  an  einer  einseitigen  Berücksichtigung  gewisser  Varia- 
blen, derart,  dass  zwei  Erscheinungen,  welche  nur  diese  Va- 
riablen gemeinsam  haben,  darum  auch  schon  fttr  gleich  gehalten 
werden. 

§  19.    Aber  noch  von  einer  anderen  Seite  lässt  sich  Mill's 
Verfahren  angreifen.    Von  dem  disjunctiven  Ursachencomplex 
Ay  B}  C,  D  muss  nicht  nur  bekannt  sein ,   dass  jedes  einzelne 
Glied   die  Fähigkeit  hat,    auf  M  einzuwirken  (diesen  Punkt 
haben  wir  eben  abgehandelt),  er  muss  vielmehr  auch  die  Zahl 
der  Möglichkeiten  erschöpfen,   d.  h.  es  muss  schon  bekannt 
sein,   dass  keines   der  übrigen  Antecedentien  E}  F,  (?,  H .  .  . 
auf  die  Erscheinung  M  Einfluss  nehmen  kann.     Wie  kommt 
nun  diese  Erkenntniss  zu  Stande?  Man  darf  (wenigstens  vom 
Standpunkte  Mill's)  nicht  sagen,  sie  käme  zugleich  und  durch 
dieselben  Mittel  zu  Stande,  durch  welche  die  Erkenntniss  ent- 
steht, dass  von  dem  Complex  -4,  B}  C,  D  gerade  D  die  wahre 
Ursache  ist,  also  dadurch,  dass  gerade  beim  Ausschluss  von  D 
die  Erscheinung  M  wegfällt  oder  eine  andere  wird.  Diese  Me- 


Zur  Lehre  too  der  Hypothesenbildang.  27 

thode  ist  ja,  wie  wir  gesehen  haben,  nur  einwandfrei  bei  einer 
beschränkten  Zahl  bekannter  Antecedentien.  Aber  eben 
damit  diese  Zahl  beschränkt  sei  (hier  auf  A,  B,  C,  D)}  muss 
man  schon  früher  wissen,  dass  von  den  etwaigen  weiteren 
Antecedentien  E>  F,  G,  H .  .  .  keines  als  Ursache  in  Frage 
kommen  kann.  Die  Frage,  wie  denn  die  Sonderung  der  Gruppen 
Aj  By  C,  D  und  E,  Fy  6r,  H . . .  zu  Stande  kommt,  fuhrt  uns 
schliesslich  in  ein  Stadium  der  Untersuchung,  in  welchem  die 
,Wirkungsfahigkeit',  die  ,Möglichkeit  der  Einflussnahme'  nicht 
bereits  vorher  festgestanden  sein  kann,  sondern  schon  um 
des  blossen  Erklärungswerthes  willen  angenommen 
werden  muss. 

Dieses  letztere  Bedenken  lässt  sich  in  eine  Form  bringen, 
die  das  Gewicht  des  Argumentes  noch  fühlbarer  macht.  In 
der  Reihe  derjenigen  wissenschaftlichen  Hypothesen,  die  auch 
die  Prüfung  MilTs  bestehen,  muss  doch  eine  die  erste  gewesen, 
sein;  genauer  genommen  muss  es  viele  solcher  ersten  Hypo- 
thesen geben,  weil  es  wegen  der  Heterogeneität  der  Forschungs- 
gebiete nicht  eine,  sondern  viele  Reihen  von  Hypothesen  geben 
muss.  Können  derartige  erste  Hypothesen  im  Sinne  Mill's  legi- 
timirt  werden?  Mill  hat  die  Frage  gelegentlich  gestreift  (vgl. 
Logik,  Buch  IH.,  Cap.  XIV,  §  4  am  Ende).  Er  meint,  solche  ab- 
solut neue  Hypothesen  seien  als  vorläufige  Muthmassungen  wohl 
erlaubt,  sie  müssten  aber  zur  wissenschaftlichen  Berechtigung 
schliesslich  doch  selbstständig  erwiesen  werden,  d.  h.  offenbar 
die  von  ihm  aufgestellten  Bedingungen  erfüllen.  Mir  scheint 
nun,  dass  dies  gar  nicht  möglich  ist,  und  zwar  einfach  darum, 
weil,  um  die  Differenzmethode  im  Sinne  Mill's  anzuwenden,  das 
supponirte  Agens  schon  aus  einer  solchen  Gruppe  von  Agenden 
genommen  sein  muss,  von  denen  wir  bereits  wissen,  dass  sie 
die  fragliche  Erscheinung  beeinflussen  können.  Immer  ist  also 
die  Möglichkeit  einer  Causalbeziehung  schon  vorausgesetzt,  und 
zwar  ,Möglichkeit'  nicht  in  dem  Sinne,  dass  blos  kein  Grund 
für  die  Unmöglichkeit  vorliegt,  sondern  in  dem  Sinne,  dass 
wir  einen  positiven  Beweis  für  die  Möglichkeit  besitzen  —  um 
mich  aristotelisch  auszudrücken:  Möglichkeit  nicht  blos  im  Sinne 
des  dwaröv,  sondern  im  Sinne  des  dvvdpei  bv.  Eine  solche 
mögliche  Einflussnahme  ist  aber  (ich  verweise  auf  früher  Ge- 
sagtes) nur  aus  einer  wirklichen  zu  erschliessen.  Mithin  führen 


28  TL  Alhandluic:    HilUbrand. 

Mill's  Vorschriften  einerseits  nothwendig  zu  einem  regressus  in 
infinitum  bei  der  Hypothesenbildung,  wie  sie  andererseits  die 
Berechtigung  einer  ersten  Hypothese  anmöglich  machen. 

§  20.  Es  wird  gut  sein,  nunmehr  an  den  Zusammenhang 
kurz  zu  erinnern,  der  zwischen  den  soeben  gepflogenen  Er- 
örterungen und  der  Frage  nach  der  Berechtigung,  für  jede 
Hypothese  eine  yera  causa  zu  fordern,  besteht.  Mill  war  davon 
ausgegangen,  dass  eine  Hypothese  erst  dann  zu  einer  wissen- 
schaftlich berechtigten  wird,  wenn  sich  nicht  blos  die  fragliche 
Erscheinung  deductiv  aus  ihr  ergibt,  sondern  erst,  wenn  sich 
zeigen  lässt,  dass  sie  sich  nur  aus  ihr  und  aus  keiner  anderen 
ergibt.  Er  hatte  die  Anwendbarkeit  der  Differenzmethode  zum 
Kriterium  gemacht.  Weiter  hatte  er  geschlossen:  die  Differenz- 
methode ist  aber  anwendbar,  wenn  ich  schon  weiss,  dass  das 
angenommene  ,Agens'  existirt'  und  auf  die  fragliche  Erscheinung 
Einfluss  nehmen  kann  (diese  beiden  Momente  machen  die  vera 
causa  aus)  und  nur  das  genauere  Wirkungsgesetz  erst  fest- 
gestellt werden  muss  —  oder  wenn  bekannt  ist,  dass  unter 
einer  bestimmten  Anzahl  von  Realitäten  eine  die  wahre  Ur- 
sache sein  muss.  Wir  haben  nun  gezeigt,  dass  diese  beiden 
Bedingungen  in  Wahrheit  nicht  unabhängige  Glieder  einer 
Alternative  sind,  sondern  dass  die  erste  nur  realisirt  werden 
kann  mit  Hilfe  der  zweiten,  d.  h.  wir  haben  es  als  Vorbedingung 
ftlr  die  Aufstellung  einer  vera  causa  erkannt,  dass  sie  ein  Glied 
einer  endlichen  Gruppe  von  Antecedentien  sei,  von  der  wir 
schon  wissen,  dass  sie  die  wahre  Ursache  in  sich  enthalten 
muss.  Nun  haben  wir  untersucht,  auf  welche  Art  diese  Vor- 
bedingung verwirklicht  werden  kann.  Da  sind  wir  denn 
nun  zu  dem  Ergebniss  gelangt,  dass  diese  vorbedingende  Er- 
kenntniss  nicht  ohne  Verletzung  der  vera  causa- Vorschrift  (wie 
ich  sie  kurz  nennen  will)  erlangt  werden  kann,  und  daraus 
dürfen  wir  vor  Allem  schliessen,  dass  Mill  für  die  Berech- 
tigung bei  der  Bildung  legitimer  wissenschaftlicher 
Hypothesen  ganz  allgemein  eine  vera  causa  zu  for- 
dern keinen  stichhältigen  Beweis  vorzubringen  ver- 
mocht hat. 

§  21.  Aber  noch  ein  weitergehender  Schluss  ist  erlaubt. 
Wenn  die  Forderung  einer  vera  causa  nur  durch  das  Kriterium 
der  Differenzmethode  bedingt  ist,    dann  ist   nicht  nur  MilFs 


Zur  Lehre  Ton  der  Hypothesenbildung.  29 

Beweis  für  die  Berechtigung  dieser  Forderung  widerlegt,  es 
ist  vielmehr  auch  der  positive  Beweis  erbracht,  dass  man  diese 
Forderung  als  allgemein  giltige  gar  nicht  stellen  darf,  und 
zwar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  sich  unter  den  Vor- 
bedingungen für  die  thatsächliche  Anwendung  der  Differenz- 
methode ein  logischer  Schritt  vorfindet,  der  darin  besteht,  dass 
man  das  Vorhandensein  von  Theilursachen  (selbstständige  Reali- 
täten oder  Variable  einer  Realität)  annimmt  blos  zu  Er- 
klärungszwecken und  ohne  dass  ein  vorheriger  selbst- 
ständiger Nachweis  auch  nur  möglich  wäre. 

Aber  —  wird  man  fragen  —  lässt  sich  die  Forderung 
einer  vera  causa  nur  in  der  von  Mill  versuchten  Weise  plau- 
sibel machen  oder  lässt  sich  der  Nachweis  noch  von  anderen 
Seiten  her  führen,  so  dass  bei  Mill  vielleicht  nur  der  Beweis, 
nicht  aber  das  zu  Beweisende  hinfällig  wird? 

Offenbar  wird  es  hier  auf  die  Beantwortung  zweier 
Fragen  ankommen.  Erstens:  ist  es  sicher,  dass  eine  berech- 
tigte Hypothese  nur  nach  dem  Kanon  der  Differenzme- 
thode gebildet  werden  darf?  Und  zweitens:  kann  man  nur 
auf  Grund  der  Bejahung  dieser  Frage  eine  vera  causa  fordern, 
oder  auch  dann,  wenn  die  erste  Frage  sich  negativ  erledigen 
sollte? 

§  22.  Der  erkenntnisstheoretische  Werth  der  Differenz- 
methode lässt  sich  dadurch  charakterisiren,  dass  ihr  Ergebniss 
genau  eben  so  sicher  ist  wie  die  Erfahrungen,  auf  welche  sie 
angewendet  wurde;  die  Sicherheit  des  Ergebnisses  ist  von  der- 
selben Ordnung  und  von  demselben  Charakter  wie  die  der 
Prämissen,  ähnlich  wie  beim  Syllogismus.  Von  den  (vier  oder, 
nach  anderer  Zählung,  fünf)  inductiven  Methoden,  deren  er- 
schöpfende Darstellung  anerkanntermassen  ein  bleibendes  Ver- 
dienst Mill's  bildet,  hat  nur  die  Differenzmethode  diese  Eigen- 
schaft, und  mit  Recht  gibt  ihr  Mill  den  Vorrang  vor  allen 
anderen.  Ich  will  in  Kürze  den  hauptsächlichsten  Grund  dieser 
Bevorzugung  angeben,  wobei  ich  die  Bekanntschaft  mit  den 
MUTschen  Methoden  selbstverständlich  voraussetze.  Diejenigen 
Methoden,  welche  unmittelbar  auf  das  Erfahrungsmateriale 
anwendbar  sind,  d.  h.  welche  nicht  die  vorherige  Anwendung 
anderer  Methoden  bereits  voraussetzen  (wie  die  ,Methode  der 
Rückstände'),  reduciren  sich  eigentlich  auf  zwei:  die  Methode 


30  YI.  Abhandlung:    HilUbrand. 

der  Uebereinstimmung  and  die  Differenzmethode.1  Bei 
der  Methode  der  Uebereinstimmung  kommt  es  bekanntlich  darauf 
an,  mindestens  zwei  Fälle  der  fraglichen  Erscheinung  eu  ge- 
winnen, die  von  der  Art  sind,  dass  die  bezüglichen  Ante- 
cedentiengruppen  nur  in  Bezng  auf  ein  einziges  Antecedens  über- 
einstimmen, in  Bezug  auf  alle  sonstigen  aber  differiren.  Nun 
zeigt  sich  leicht  (und  Mill  hat  dies  ganz  richtig  ausgeführt),  dass 
dieser  übereinstimmende  Umstand  nicht  nothwendig  in  causalem 
Zusammenhang  mit  der  fraglichen  Erscheinung  stehen  muss, 
sondern  dass  er  ebensogut  eine  ständige  Begleiterscheinung  sein 
kann,  indem  z.  B.  er  sowohl  wie  die  fragliche  Erscheinung  von 
einem  dritten,  uns  weiter  ganz  unbekannten  Umstand  als  von 
ihrer  gemeinsamen  Ursache  abhängen  oder  sonst  wie.  ,Die 
Uebereinstimmungsmethode',  sagt  Mill,2  ,fiihrt  uns  nur  ...  zu 
Gleichförmigkeiten,  die  entweder  nicht  ursächliche  Gesetze  sind, 
oder  bei  denen  die  Frage  der  Ursächlichkeit  zunächst  uner- 
ledigt bleiben  muss.' 

Der  Differenzmethode,  und  ihr  allein,  haftet  diese  Unvoll- 
kommenheit  nicht  an.  Sie  allein  muss  als  diejenige  Methode 
angesehen  werden,  welche  einen  ursächlichen  Zusammenhang 
zwischen  zwei  Erscheinungen  mit  ebenderselben  Sicherheit  con- 
statiren   lässt,   mit  welcher  die  Erscheinungen  selbst  constatirt 

worden  sind. 

•  

Wie  wir  gehört  haben,  verlangt  Mill,  dass  eine  Hypo- 
these das  vollkommene  Aequivalent  für  eine  einwandfreie  In- 
duction  bilde.  Aber  während  uns  bei  der  Induction  die  Gruppe 
der  Antecedentien  und  der  zu  erklärende  Thatsachencomplex 
beide  empirisch  gegeben  sind  und  wir  blos  zu  untersuchen 
haben,  welches  Element  des  einen  Complexes  einem  bestimmten 
Elemente  des  anderen  causal  zuzuordnen  ist,  ist  uns  bei  der 
Hypothese  Ein  Element  der  Antecedentiengruppe  zunächst  nicht 
empirisch  gegeben,   es  wird  blos  supponirt  und  liefert  so  (zu- 


1  Man  sieht  leicht,  dass  die  sogenannte  »Methode  der  Begleitveränderung-en* 
nur  ein  Specialfall  der  Differenzmethode  ist  Denn  ob  ein  Umstand 
ausgeschlossen  wird  dadurch,  dass  man  ihn  ganz  wegfallen  lässt,  oder 
dadurch,  dass  an  seine  Stelle  in  continuirlichem  Wechsel  andere  Um- 
stände treten  (d.  h.  dass  er  sich  verändert),  das  kann  an  dem  Princip 
der  Methode  nichts  ändern. 

■  Syst.  d.  ded.  u.  ind.  Logik,  Buch  III,  Cap.  VIII,  §  3. 


Zur  Lehre  ron  der  Hypothesenbildung.  31 

• 

s&mmen  mit  den  übrigen  empirischen  Elementen  dieser  Gruppe) 
lediglich  die  für  die  Differenzmethode  nöthige  positive  Instanz; 
nun  ist  noch  die  negative  Instanz  zn  gewinnen,  mit  anderen 
Worten:  man  muss  zeigen,  dass,  wenn  das  Snppositum  nicht 
existirt,  die  erfahrungsmässige  Wirknng  ausbleiben  mtlsste.  Die 
Thatsache,  dass  man  neben  der  positiven  auch  eine  negative  In- 
stanz braucht,  macht  es,  wie  wir  Mill  auseinandersetzen  hörten, 
erforderlich,  dass  das  hypothetisch  Angenommene  nicht  dem 
directen  Nachweis  unzugänglich  sein  darf.  Dies  wird  aus  fol- 
gender Ueberlegung  (die  ich  in  etwas  veränderter  Form,  aber 
durchaus  im  Sinne  Mill's  wiedergebe)  klar:  wenn  von  der  sup- 
ponirten  complexen  Ursache  (ABC)  alle  Elemente  unbekannt 
sind,  dann  kann  ich  nie  sicher  sein,  ob  nicht  die  Supposition 
einer  ganz  anderen  Ursache  (MNO)  dieselben  Dienste  leistet; 
denn  der  Fall,  dass  (ABC)  später  einmal  durch  eine  Induction 
nach  der  Differenzmethode  als  die  wahre  Ursache  erwiesen  wird, 
kann  nicht  eintreten,  weil  die  Differenzmethode  zwei  Instanzen 
fordert,  die  in  allen  Elementen  bis  auf  ein  einziges  überein- 
stimmen. Die  später  zu  erhoffende  Induction  muss  AB  schon 
zu  ihrem  empirischen  Besitz  rechnen  können,  sonst  gewinnt 
sie  nie  die  beiden  Instanzen  ABC  und  AB  —  Nicht  C.  Zu 
der  Zeit,  wo  diese  Induction  noch  nicht  vorliegt,  sondern  einst- 
weilen erst  eine  Hypothese,  muss  wenigstens  feststehen,  dass 
AB  nicht  für  alle  Zukunft  unerweisbar  und  somit  die  Hoffnung 
auf  inductive  Bewährung  schon  von  vornherein  gänzlich  aus- 
geschlossen ist.  Daher  musste  AB  eine  vera  causa  in  dem 
Sinne  sein,  dass  seine  Existenz  feststand,  und  C,  welches  die 
Einflussnahme  auf  die  fragliche  Erscheinung  bedeutet,  musste 
wenigstens  als  möglich  feststehen. 

Wir  haben  früher  gezeigt,  dass  diese  Bedingungen  nicht 
erfüllbar  sind,  wenn  man  nicht  der  vera  causa- Vorschrift  schon 
in  einem  früheren  Stadium  der  Beweisführung  zuwiderhandelt. 
Der  tiefere  Grund  dieses  inneren  Widerspruches  wird  nun 
ganz  klar. 

Hätte  Mill  blos  verlangt,  dass  in  dem  Stadium,  in  welchem 
die  Hypothese  gebildet  wurde,  gegen  die  Möglichkeit  einer 
späteren,  nach  dem  Kanon  der  Differenzmethode  vor  sich  ge- 
henden Induction  kein  Gegengrund  vorliege,  dann  hätte 
ihm   ein  (versteckter)  innerer  Widerspruch   nicht  vorgeworfen 


32  TL  Abhandlung:    HiU«br»nd. 

werden  können.  Aber  er  verlangte  mehr.  Nicht  das  genügt 
ihm,  dass  kein  Beweis  für  die  Unmöglichkeit  einer  späteren  In* 
duction  vorliege  —  er  fordert  einen  positiven  Beweis  für 
die  Möglichkeit  einer  späteren  Induction,  und  dies 
schon  vor  Bildung  der  Hypothese;  und  erst  darin  liegt 
das  Verlangen  nach  einer  vera  causa  involvirt.  Wer 
blos  verlangt,  dass  gegen  die  Möglichkeit  einer  späteren  In- 
duction  nichts  vorliege,  der  kann  sich  im  Stadium  der  Hypo- 
thesenbildung auch  mit  einem  völligen  novum  zufrieden  geben, 
weil  und  insofern  es  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  dieses  novum 
einmal  bekannt  werde  und  dann  für  die  künftige  Induction 
die  gewünschten  zwei  Instanzen  möglich  mache.  Wir  brauchen 
also  die  Frage  einstweilen  gar  nicht  zu  untersuchen,  ob  Mill 
ein  Recht  hatte,  von  einer  Hypothese  zu  verlangen,  dass  sie 
nicht  immer  Hypothese  bleibe,  sondern  sich  einmal  indnctiv 
bewähren  lassen  müsse;  wir  dürfen  diesen  Standpunkt  sogar 
gelten  lassen  und  trotzdem  bestreiten,  dass  hiezu  eine  vera 
causa  erforderlich  war. 

Nun  ist  aber  folgendes  argumentum  a  fortiori  zweifellos 
erlaubt:  wenn  der  strengste  Anspruch,  den  man  überhaupt  an 
eine  Hypothese  stellen  kann,  dass  sie  nämlich  die  Möglichkeit 
bieten  müsse,  in  der  Zukunft  zu  der  Sicherheit  eines  nach  der 
exactesten  Inductionsmethode  bewährten  Naturgesetzes  erhoben 
zu  werden,  ich  sage,  wenn  dieser  strengste  Anspruch  nicht 
einmal  im  Stande  war,  die  Forderung  einer  vera  causa  zu  legi- 
timiren,  dann  kann  diese  Forderung  von  gar  keinem  Stand- 
punkte aus  als  allgemein  berechtigt  erwiesen  werden. 

Was  allein  in  jenem  Anspruch  involvirt  liegt,  das  ist  das 
Verbot,  eine  Realität  zu  supponiren,  die  ihrer  Natur  nach  eines 
empirischen  Nachweises  für  alle  Zeiten  unfthig  ist,  von  der 
man  also  schon  im  Stadium  der  Hypothese  sicher  weiss,  dass 
sie  nie  Gegenstand  eines  inductiven  Verfahrens  werden  kann. 
Das  allein  hätte  Mill  von  seinem  Standpunkte  aus  ver- 
langen dürfen. 

§  23.  So  viel  zur  Kritik  der  allgemeinen  Argumente, 
welche  Mill  für  seine  Hypothesenregel  vorbringt.  Von  der 
Anwendung  auf  specielle  Fälle  zu  sprechen  könnten  wir  uns 
füglich  ersparen,  wenn  hier  nicht  ein  traditionelles  und  tief 
eingebürgertes  Missverständniss   zu  berichtigen  wäre,   welches 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung.  33 

für  die  richtige  Würdigung-  sowohl  unserer  bisherigen  kritischen 
Bemerkungen,  als  auch  der  späteren  positiven  Aufstellungen 
eine  beständige  Gefahr  bildet.  Es  ist  unter  den  Logikern 
allmälig  ein  fester  Brauch  geworden,  die  Lehre  von  der  Hypo- 
these nicht  abzuschliessen,  ohne  auf  die  ,Gravitationshypothese' 
gewissennassen  als  auf  den  Typus  dieser  Art  logischer  Ver- 
richtungen hinzuweisen.  Namentlich  pflegt  man  diese  Hypo- 
these' als  ein  markantes  Beispiel  der  Erfüllung  jener  Vorschrift 
hinzustellen,  die  man  kurz  als  die  Regel  der  vera  causa  be- 
zeichnen kann. 

Ich    will    nun    von    denjenigen   Logikern    ganz    absehen, 
welche  meinen,  bei  der  Aufstellung  der  allgemeinen  Gravitation 
handle   es   sich   um    die  ,Uebertragung'  eines   für  terrestrische 
Erscheinungen  gefundenen  Gesetzes  auf  kosmische  Bewegungen, 
und  welche  die  Regel  der  vera  causa  dadurch  erfüllt  glauben, 
dass  die  ,Kraft',   welche  für  die  Planetenbewegungen  als  wir- 
kend' supponirt  wird,  mit  Hinblick  auf  die  terrestrischen  Fall- 
erscheinungen,   als  etwas  schon  Bekanntes  angesehen  werden 
müsse.    Eine  sachlich  und  historisch  so  verkehrte  Anschauung 
bedarf  keiner  Widerlegung;  dass  die  Aufstellung  eines  Gesetzes 
der  Planetenbewegungen   eine  Sache  flir   sich   ist  und  mit  et- 
waigen Beziehungen,   die   zwischen  den  Constanten  dieser  Be- 
wegungen und  der  Schwerebeschleunigung  bestehen  mögen,  gar 
nichts  zu  thun  hat,  das  sind  Dinge,  über  die  ein  Logiker  schon 
unterrichtet  sein  muss,  wenn  er  den  Anspruch  darauf  machen 
will  ernst  genommen  zu  werden.     Die  Entdeckerlegenden,  die 
sich    natürlich    auch    an    Newton's    Namen    geknüpft   haben, 
kümmern  uns  nicht  weiter.   Von  J.  St.  Mill  will  ich  ausdrück- 
lieh  hervorheben,  dass  er  diesem  (fast  unbegreiflichen)  Irrthum 
niemals  verfallen  ist;   er  hat  zwischen  den   zwei  wissenschaft- 
lichen Schritten,   um   die   es   sich   hier  handelt,   streng   unter- 
schieden.    Trotzdem   sehen  wir  auch  ihn  die  wissenschaftliche 
Hauptleistung  Newton's  im  Gebiete  der  Mechanik  als  Zeugniss 
hinstellen  rar  die  Vorschriften,   denen  er  eine  legitime  Hypo- 
these unterworfen  glaubt.  Er  erblickt  in  Newton's  Untersuchung 
über  die  Planetenbewegungen  einen  Fall,  in  welchem  es  sich  blos 
darum   handelt,   ,das   genaue  Gesetz   einer   bereits   ermittelten 
Ursache  zu  bestimmen';   das  Moment  der  vera  causa  liege  in 
der  Kenntniss,   ,dass  Planeten  durch  irgend  eine  Kraft,   die 

8iUung»ber.  d.  phil.-hist.  CI.  CXXXIV.  Bd.  6.  Abh.  3 


34  VI.  Abhandluug:    Hillebrmd. 

gegen  das  Innere  ihrer  Bahn  hinstrebt,  daran  verhindert 
werden,  sich  in  geraden  Linien  zu  bewegen'  (die  Richtung  dieser 
Kraft  ist  zunächst  unbekannt),  und  zweitens  in  der  Kenntniss, 
dasB  die  Grösse  dieser  Kraft  in  irgend  einer  (zunächst  ebenfalls 
ganz  unbekannten)  Weise  abhängig  sei  von  der  Entfernung. 
Für  beide  Sätze  musste  man  selbstständige  Beweisgründe  be- 
sessen haben,  sonst  ,würde  Newton's  Beweis  nicht  schluss- 
kräftig gewesen  sein'. 

Mir  scheint  auch  diese  Ansicht  gänzlich  verfehlt  zu  sein. 

Es  ist  nicht  sehr  verlockend,  nun  noch  einmal  die  Ent- 
deckung des  Oravitationsgesetzes  vom  erkenntnisstheoretischen 
Standpunkte  aus  zu  beleuchten,  nachdem  diese  Frage  von  den 
Logikern  schon  usque  ad  nauseam  behandelt  worden  ist.  Da 
es  ihnen  aber  (wenigstens  nach  meiner  Ueberzeugung)  bisher 
noch  immer  nicht  gelungen  ist,  Newton's  wissenschaftliche  That 
erkenntnisstheoretisch  richtig  zu  charakterisiren  und  namentlich 
ihre  Beziehung  zur  Hypothesenlehre  sachlich  und  historisch 
einwandfrei  festzustellen,  so  bleibt  auch  mir  nichts  übrig,  als 
diesen  viel  besprochenen  Gegenstand  noch  einmal  in  Angriff  zu 
nehmen,  umsomehr  als  sich  dabei  die  Gelegenheit  bieten  wird, 
einige  für  die  Erkenntnisstheorie  wichtige  Bemerkungen  über 
die  Principien  der  Mechanik  zu  machen  und  ein  paar  in  viele 
physikalische  Lehrbücher  eingedrungene  Fundamentalirrthümer 
richtigzustellen. 


IV.  Erkenntnisstheoretische  Bemerkungen  Aber  die 
Gravitations-,Hypothese'  und  den  Begriff  ,Kraft* 

in  der  Mechanik. 

§  24.  Wir  haben  die  Behauptung  Miü's  erwähnt,  es 
müsse  schon  vor  der  Aufstellung  des  Gravitationsgesetzes  be- 
kannt sein,  dass  die  Planeten  durch  irgend  eine  gegen  das 
Innere  der  Bahn  strebende  Kraft  daran  verhindert  werden, 
sich  in  geraden  Linien  zu  bewegen,  und  weiter  müsse  ebenfalls 
schon  vorher  feststehen,  dass  die  Grösse  dieser  Kraft  irgendwie 
von  der  Entfernung  abhänge.  Für  beide  ,  Vorbedingungen'  hat 
sich  Mill  die  Frage  nicht  vorgelegt,  wie  sie  einzig  und  allein 
auf  logisch  corrccte  Weise  erworben  werden  konnten. 


Zur  Lehre  tod  der  Hypotheeenbildiiog.  35 

In  Betreff  der  ersten  hat  Mach  —  dort,  wo  er  über 
Huyghens'  Leistungen  im  Gebiete  der  Mechanik  spricht1  — 
den  Weg  klar  und  deutlich  angegeben: 

,Hat  man  einmal  die  Galilei'sche  Erkenntniss,  dass  die 
Kraft  eine  Beschleunigung  bestimmt,  in  sich  aufgenommen,  so 
ist  es  unvermeidlich,  jede  Abänderung  einer  Geschwindig- 
keit, und  folglich  auch  jede  Abänderung  einer  Bewegungs- 
richtung (weil  diese  durch  drei  zu  einander  senkrechte 
Geschwindigkeitscomponenten  bestimmt  ist)  auf  eine  Kraft 
zurückzuführen/ 

In  dem  so  definirten  Kraftbegriff  liegt  zweierlei:  eine  ter- 
minologische Festsetzung  und  eine  Erfahrung.  Die  termino- 
logische Festsetzung  besteht  darin,  dass  man  dasjenige,  was 
eine  Bewegung  bestimmt,  ,Kraft'  nennt;  das  zweite  Moment, 
das  erfahrung8mässige  und  nicht  Convention  eile,  besteht  darin, 
dass  der  bewegungsbestimmende  Umstand  (=  die  Kraft)  eine 
Beschleunigung  bestimmt.  Diese  Erkenntniss  ist  nur  em- 
pirisch zu  erlangen,  sie  läset  sich  keinesfalls  durch  blosse 
Analyse  des  Kraftbegriffes  gewinnen,  nicht  aus  ihm  ,heraus- 
philosophiren*.  Mach  sagt  darum  richtig,  Galilei  habe  diese 
Definition  ,erschaut',  und  er  weist,  um  klar  zu  zeigen,  dass 
hier  keine  analytische  und  sozusagen  selbstverständliche  Wahr- 
heit vorliege,  mit  Recht  darauf  hin,  dass  Temperaturdifferenzen, 
die  doch  auch  Veränderungen  erzeugen ,  nicht  Ausgleichs- 
beschleunigungen, sondern  Ausgleichsgeschwindigkeiten 
bestimmen.8 

Eis  wird  sich  nun  darum  handeln,  klar  zu  machen,  wie 
man  sich  dieses  ,Erschauen'  des  Kraftbegriffes  zu  denken  habe, 
mit  anderen  Worten,  welches  die  notwendigen  und  hinreichen- 
den empirischen  Bedingungen  für  die  Bildung  dieses  Begriffes 
sind.  Darauf  kommt  aus  folgendem  Grunde  sehr  viel  an:  es 
liegt  die  Meinung  nahe,  dass  hier  eine  an  bestimmten  terre- 
strischen Erscheinungen  gemachte  Erfahrung  (eben  die,  welche 
im  Galilei'schen  Kraftbegriff  involvirt  liegt)  nunmehr  auf  die 
Planetenbewegungen  ,übertragen'  werde;  auf  letzterem  Gebiete 
würde   dieselbe   dann   blos   als  Hypothese  figuriren  und  somit 


1  »Die  Mechanik  in  ihrer  Entwickelnng.'   2.  Auflage,  Leipzig  1889,  p.  146. 
"  A.  a.  O.,  p.  130. 

3* 


36  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

die  Aufstellung  einer  Centralkraft  ebenfalls  hypothetisch  sein.1 
Es  wird  sich  also  fragen,  wie  man  den  Galilei'schen  Kraft- 
begriff gewinnen  kann,  und  darnach  wird  sich  entscheiden  lassen, 
ob  es  Fälle  gibt,  in  welchen  man  diesen  Begriff  anwendet,  ohne 
ihn  aus  diesen  Fällen  selbst  ,erschaut'  zu  haben,  sondern  indem 
man  den  anderwärts  gewonnenen  Begriff  erst  in  diese  neuen 
Fälle  hineinträgt.  Es  wird  sich,  sage  ich,  entscheiden,  ob 
es  sich  so  verhält,  oder  ob  alle  Fälle,  in  denen  man  den 
Galilei'schen  Kraftbegriff  anwendet,  so  beschaffen  sind,  dass 
man  denselben  aus  ihnen  selbst  gewinnen  konnte.  Der  Leser 
wird  schon  jetzt  begreifen,  in  welchem  Zusammenhang  diese 
Frage  mit  der  Hypothesenlehre  steht  —  ich  will  aber  späteren 
Ueberlegungen  nicht  vorgreifen. 

§  25.  Galilei  geht  aus  von  der  Beobachtung  fallender 
Körper.  Zunächst  galt  es  diese  Beobachtung  richtig  zu  be- 
schreiben, und  Mach  sieht  es  mit  Recht  als  einen  gewaltigen 
Fortschritt,  ja  man  kann  sagen  als  den  ersten  Schritt  zur  Be- 
gründung einer  wissenschaftlichen  Dynamik  an,  dass  Galilei 
nicht  fragt:  warum  fallen  die  schweren  Körper,  sondern  wie 
fallen  sie?8  Die  Antwort,  welche  Galilei  gibt,  dass  nämlich 
die  Geschwindigkeit  proportional  der  Zeit  zunehme,  ist  selbst- 
verständlich nichts  Anderes  als  die  richtige  Beschreibung 
der  fraglichen  Erscheinung.  Von  einer  Hypothese  ist  keine 
Rede,  wenn  auch  dieser  richtigen  Beschreibung  mehrere  vor- 
läufige Annahmen  vorausgegangen  waren  und  sie  selbst  zu- 
nächst die  Gestalt  einer  vorläufigen  Hypothese  hatte  — 
wissen  wir  doch,  dass  es  Galilei  zuerst  mit  der  Annahme  ver- 
sucht hat,  dass  die  Geschwindigkeiten  proportional  mit  den  Fall- 
räumen wachsen.  Ich  verweise  auf  das,  was  ich  früher  (p.  7) 
über  ,  vorläufige  Hypothesen'  gesagt  habe.  Dass  die  Erscheinung 
eine  terrestrische'  ist,  ist  hier  ganz  gleichgiltig;  würde  eine 
ihr  gleichende  Erscheinung  am  Himmel  sich  vorfinden,  so 
würde  dieselbe  ebenso  beschrieben  werden  können  —  nur  mit 
veränderter  Beobachtungstechnik. 


1  Dass  man  demzufolge  hierin  ein  werthvolles  Beispiel  für  eine  Hypo- 
these wird  sehen  wollen,  welche  die  Bedingung  der  vera  causa  erfüllt, 
sieht  der  Leser  leicht  ein. 

*  A.  a.  O.,  p.  118. 


Znr  Lehre  von  der  Hypotbeaenbildung.  37 

Sind  wir  nun  durch  die  so  erlangte  Kenntniss  des  Fall- 
phänomens unweigerlich  zu  einem  bestimmten  Kraftbegriff 
gezwungen?  Offenbar  nein!  Wir  könnten  in  diesem  Stadium 
die  ,  Kraft'  als  etwas  Geschwindigkeitsbestimmendes ,  und  wir 
könnten  sie  zweitens  als  etwas  Beschleunigungsbestimmendes 
auffassen.  Vermöge  der  ersten  Auffassung  würde  sich  die 
Kraft  fortwährend  ändern,  vermöge  der  zweiten  würde  sie 
constant  sein. 

Man  muss  sich  darüber  klar  sein,  dass  in  dieser  Phase 
der  Untersuchung  der  eine  Weg  genau  so  viel  für  sich  hat 
wie  der  andere. 

Die  Verkennung  dieses  Umstandes  kann  unter  Anderem 
zu  einem  Irrthum  führen,  den  Mach  mit  Recht  verwirft  indem 
er  sagt:  ,Es  wäre  ein  Anachronismus  und  gänzlich  unhistorisch, 
wollte  man  die  gleichförmig  beschleunigte  Fallbewegung,  wie 
dies  mitunter  geschieht,  aus  der  constanten  Wirkung  der  Schwer- 
kraft ableiten.  „Die  Schwere  ist  eine  constante  Kraft,  folglich 
erzeugt  sie  in  jedem  gleichen  Zeitelement  den  gleichen  Ge- 
schwindigkeitszuwachs, und  die  Bewegung  wird  eine  gleich- 
formig  beschleunigte."  Eine  solche  Darstellung  wäre  deshalb 
unhistorisch  und  würde  die  ganze  Entdeckung  in  ein  falsches 
Licht  stellen,  weil  durch  Galilei  erst  der  heutige  Kraftbegriff 
geschaffen  worden  ist/1  Das  getadelte  Raisonnement  ist  aus 
eben  dem  Grunde,  den  Mach  kurz  angedeutet  hat,  nicht  nur  als 
historisches,  sondern  auch  als  logisches  Hysteron-Proteron  anzu- 
sehen. Wenn  man  hier  durch  die  ,constante  Kraft  der  Schwere* 
den  fortwährenden  Geschwindigkeitszuwachs  ,erklären*  will,  so 
muss  Folgendes  bedacht  werden:  direct  wissen  wir  nichts  von 
jener  constanten  Kraft;  wenn  wir  sie  als  von  constanter  Grösse 
und  stetiger  Wirkung  denken,  so  involvirt  das  die  Voraus- 
setzung, dass  die  ,Kraft*  nicht  etwas  Geschwindigkeits-,  sondern 
etwas  Beschleunigungsbestimmendes  ist.  Man  setzt  also  zur 
Erklärung  eine  constante  Kraft  voraus  und  stattet  diese  Kraft 
mit  einem  Merkmal  aus,  in  welchem  die  zu  erklärende  Er- 
scheinung identisch  (wenn  auch  mit  anderen  sprachlichen  Aus- 
drücken) wiederholt  wird:  es  liegt  das  vor,  was  Comte  eine 
^metaphysische  Erklärung'  genannt  hat. 


1  A.  a.  O.,  p.  129  f. 


38  VI.  Abhandlung:    Hillehrind. 

Die  Fallerscheinungen  nöthigen  uns  also  noch  keineswegs, 
den  Kraftbegriff  im  Sinne  Galilei's  zu  definiren.1 

§  26.  Anders  aber  steht  es  schon  mit  denjenigen  Er- 
scheinungen, in  welchen  (wie  ich  mich  vorläufig  kurz  und  in 
bewusster  Weise  unlogisch  ausdrücken  will)  die  Schwerkraft 
zusammen  mit  einer  momentanen  Kraft  auf  einen  Körper  wirkt, 
wie  dies  z.  B.  beim  verticalen  Wurf  nach  aufwärts  oder  ab- 
wärts oder  beim  schiefen  Wurf  der  Fall  ist.  Um  logisch  cor- 
rect  vorzugehen,  müssen  wir  auch  diesen  Erscheinungen  völlig 
voraussetzungslos  gegenübertreten  und  ihnen  nicht  schon  fertige 
Begriffe  entgegenbringen,  die  erst  mit  Rücksicht  auf  die  frag- 
lichen Erscheinungen  selbst  gebildet  werden  können. 

Es  mag  vielleicht  von  einem  gewissen  didaktischen  Nutzen 
sein  (obzwar  ich  auch  dies  bezweifle),  den  Wurf  aus  der  Zu- 
sammensetzung zweier  Bewegungen  zu  ,erklären',  von  denen  die 
eine  vermöge  einer  constant  wirkenden  Kraft  (der  Schwerkraft') 
gleichförmig  beschleunigt,  die  andere  vermöge  einer  momen- 
tanen Kraft  gleichförmig  ist.  Der  logisch  correcte  Weg  ist  damit 
auf  keinen  Fall  bezeichnet:  man  erkennt  leicht,  dass  auch  hier 
ein  Hysteron-Proteron  vorliegt.8 


1  Ja  man  kann  sagen,  dass  es  von  vornherein  unseren  Denkgewohnheiten 
mehr  entsprechen  würde,  die  Kraft  als  etwas  Geschwindigkeitsbestim- 
mendes anzusehen  und  eine  constante  Kraft,  statt  (wie  wir  es  jetzt 
thun)  für  eine  gleichförmig  beschleunigte,  vielmehr  für  eine  gleich- 
förmige Bewegung  zu  supponiren.  Das  Trägheitsgesetz  (welches  im 
Galilei'schen  Kraftbegriff  in  seiner  Gänze  enthalten  ist)  hat  ja  ohne 
Frage  für  den,  der  es  zum  ersten  Male  aussprechen  hört,  etwas  Auf- 
fallendes, d.  h.  seinen  bisherigen  Denkgewohnheiten  Zuwiderlaufendes. 

9  Man  findet  dasselbe  in  der  Mehrzahl  der  physikalischen  Lehrbücher. 
Damit  wird  nur  erreicht,  dass  sich  der  Lernende  gleich  vom  Anfang'  an 
ganz  falsche  Vorstellungen  von  der  Natur  unserer  physikalischen  Kennt- 
nisse macht.  Was  speciell  die  Mechanik  anlangt,  so  fuhren  Fehler  von 
der  Art  des  bezeichneten  nicht  selten  dahin,  dass  man  diese  Wissen- 
schaft allmälig  für  völlig  constructiv  ansieht  und  den  Umstand  ganz 
aus  den  Augen  verliert,  dass  man  es  hier  schliesslich  auch  mit  nichts 
Anderem  als  mit  einer  empirischen  Wissenschaft  zu  thun  hat  Ich 
glaube,  dass  die  Hauptschuld  an  diesem  Uebelstande  in  dem  Heran- 
bringen von  gewissen  fertigen  Begriffen  liegt,  die  sich  mit  einer  schein- 
baren Nominaldefinition  einführen,  während  ihrer  Bildung  in  Wahrheit 
ein  empirischer  Thatbestand  zu  Grunde  liegt  und  häufig  gerade 
derjenige,  den  sie  scheinbar  aus  Nichts  construiren  helfen  sollen. 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildnng.  39 

Wir  haben  gesagt,  der  Galilei'sche  Kraftbegriff  sei  aus 
der  blossen  Fallerscheinung  nicht  zu  gewinnen,  er  könne  aber 
beispielsweise  aus  den  Wurf  bewegungen  gewonnen  werden.  Wir 
wollen  das  nunmehr  im  Einzelnen  zeigen. 

Folgende  Erfahrung  muss  als  bereits  gemacht  und  also 
bekannt  vorausgesetzt  werden:  Wenn  ein  Körper  durch  irgend 
einen  Umstand  bestimmt  wird,  eine  Bewegung  zu  machen,  die 
ihn  nach  dem  Orte  A  führt,  und  dann  eine  solche,  die  ihn 
von  A  nach  B  führt,  so  gelangt  dieser  Körper  auch  dann 
nach  B}  wenn  die  beiden  bewegungsbestimmenden  Umstände 
nicht  successive  eintreten  (sich  sozusagen  ablösen),  sondern 
wenn  sie  gleichzeitig  vorhanden  sind.  Und  dies  gilt  für  jede 
noch  so  kleine  Zeit. 

Diese  Erfahrung  kann  gemacht  werden,  und  ich  setze  sie 
bei  allen  späteren  Erörterungen  als  gemacht  voraus.  Ebenso 
setze  ich  die  richtige  Beschreibung  des  Fallphänomens  voraus.1 

Betrachten  wir  nun  an  erster  Stelle  den  verticalen  Wurf 
nach  aufwärts,  und  zwar  das  ganze  Phänomen,  vom  ersten 
Moment  des  Steigens  bis  zum  letzten  Moment  der  Abwärts- 
bewegung, also  bis  zum  Eintritt  der  Ruhe. 

Wir  wollen  zuerst  zusehen,  wie  die  Beschreibung  ausfeilt, 
wenn  wir  unter  Kraft  etwas  Geschwindigkeitsbestimmen- 
des verstehen,  und  wollen  dabei  Schritt  für  Schritt  und  völlig 
voraussetzungslos  zu  Werke  gehen,  d.  h.  der  Erscheinung  mit 
physikalischer  Unwissenheit  entgegentreten.2  An  das  Vorhanden- 
sein einer  einzigen  Kraft,  die  aber  mit  der  Zeit  irgendwie 
abnimmt  entsprechend  der  abnehmenden  Geschwindigkeit  beim 
Steigen,  lässt  sich  —  wenn  man  das  Phänomen  in  toto  be- 
schreiben will  —  nicht  denken,  das  wäre  nur  denkbar,  wenn 
der  Körper  an  seinem  höchsten  Punkt  in  Ruhe  bliebe.  Wir 
müssen  also  zwei  Kräfte  annehmen,  die  entgegengesetzte  Rich- 
tung haben  und  von  denen  die  Grösse  der  einen  constant  ist, 
die  der  anderen  fortwährend  (und  zwar  proportional  der  Zeit) 

1  Wir  werden  Übrigens  später  sehen,  dass  die  letztere  unter  Umständen 
sogar  entbehrt  werden  kann. 

1  Angenommen  sind  hier  und  in  der  Folge  nur  die  beiden  obigen  Er- 
fahrungen: die  Kenntnis»  der  Fallerscheinung  und  das  früher  formulirte 
Unabhängigkeitsgesetz. 


40  VI.  Abhandln!!*:    Hillebrand. 

wächst.  (Das  ist  jedenfalls  die  einfachste  Beschreibung,  sofern 
die  Kraft  als  ein  geschwindigkeitsbestiminender  Umstand 
angesehen  wird.) 

Dass  hier  natürlich  kein  Trägheitsgesetz  gilt,  brauche 
ich  kaum  zu  erwähnen.  Nun  steht  man  aber  bei  dieser  Art 
zu  beschreiben  der  Thatsache  völlig  rathlos  gegenüber,  dass 
der  Körper  von  einem  gewissen  Augenblick  an  geradeso  fällt 
wie  ein  anderer  Körper,  der,  auf  gleichem  Niveau  ruhend,  seiner 
Unterstützung  beraubt  wurde.  Nicht  das  ist  unverständlich, 
dass  der  Körper  überhaupt  feilt,  da  ja  die  zunehmende  Kraft* 
componente  schliesslich  zu  einer  solchen  Grösse  anwachsen  kann, 
dass  sie  in  Betreff  der  Bewegungsrichtung  den  Ausschlag  gibt 
gegenüber  einer  gegensinnigen  constanten  Kraft.  Aber  dass  eine 
Bewegung  eintritt,  die  ausschliesslich  von  der  einen  der  beiden 
Kraftcomponenten  bestimmt  wird,  dass  also  diese  eine  wirkt 
ohne  dass  ihre  Wirksamkeit  durch  eine  andere  Kraft  modi- 
ficirt  (hier  also  verringert)  wird,  das  ist  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  beide  Kräfte  geschwindigkeitsbestimmende 
Umstände  sind,  ganz  und  gar  unverständlich.  Darum  ist  eine 
Beschreibung  dieser  Erscheinung  in  ihrer  Totalität  mittels 
dieses  Kraftbegriffes  unmöglich.  Es  bleibt  nur  übrig,  die 
Kraft  als  etwas  Beschleunigungsbestimmendes  zu  definiren 
und  daher  eine  Kraft  anzunehmen,  die  gewirkt  hat,  und  eine, 
die  constant  fortwirkt.  Natürlich  ist  hiemit  implicite  das 
Beharrungsgesetz  eingeführt. 

Interessant  ist,  dass  die  sozusagen  zusammengesetzte  Er- 
scheinung, wie  sie  beim  verticalen  Wurf  nach  aufwärts  ge- 
geben ist,  nunmehr  auch  auf  die  blosse  Fallerscheinung  Licht 
wirft.  Die  Beschreibung  mittels  des  Galilei'schen  Kraftbegriffes 
passt  für  beide  Phänomene  in  ihrer  Zusammensetzung  (Wurf) 
und  zugleich  für  das  eine,  wenn  es  allein  auftritt  (Fall).  Wir 
sind  also  dahin  gelangt,  auch  die  Fallerscheinung  mittels  des 
Galilei'schen  Kraftbegriffes  zu  beschreiben,  während  früher,  als 
diese  Erscheinung  noch  allein  und  für  sich  zu  beschreiben  war, 
die  Wahl  vollkommen  freistand,  ob  man  den  Galilei'schen  oder 
einen  anderen  Kraftbegriff  anwenden  wollte. 

In  dieser  Phase  der  Ueberlegung  würde  übrigens  jenes 
früher  (p.  37)  verpönte  Raisonnement  über  die  Summirung  von 
Geschwindigkeiten  kein  Hysteron-Proteron  mehr  sein;  es  wäre 


Zur  Lehre  Ton  der  Hjpotheeenbildung  4-1 

aber  —  wie  man  sieht  —  nunmehr  gänzlich  überflüssig.  Man 
thnt  darum  gut,  dasselbe  ganz  und  für  immer  ausser  Gebrauch 
zu  setzen. 

§  27.  Was  den  schiefen  Wurf  anbelangt,  so  lässt  sich 
derselbe  freilich  am  raschesten  discutiren,  wenn  man  den  soeben 
gefundenen  Kraftbegriff  als  real  begründet  voraussetzt  und  ihn 
nun  auch  auf  diese  Erscheinung  anwendet.  Man  kann  ferner 
auch  so  verfahren,  dass  man  den  verticalen  Wurf  als  Grenz- 
fall des  schiefen  auffasst,  beziehungsweise  als  Mittelfall  zwischen 
den  positiven  und  negativen  Elevationen  (wenn  man  den  ersten 
Quadranten  des  rechtwinkligen  Coordinatensystems  als  posi- 
tiv, den  zweiten  als  negativ  bezeichnet).  Man  nimmt  diesfalls 
das  Continuitätsprincip  zu  Hilfe  und  schliesst,  dass,  wenn  im 
Falle  des  verticalen  Wurfes  die  Kraft  als  beschleunigungs- 
bestimmend aufgefasst  werden  muss,  dies  nothwendig  auch 
beim  schiefen  Wurf  statthaben  muss. 

Es  handelt  sich  aber  darum,  zu  zeigen,  dass  man  hier 
keinerlei  ,Uebertragung'  eines  anderswoher  gewonnenen  Be- 
griffes nöthig  hat,  sondern  dass  man  auch  ohne  weitere  theore- 
tische Voraussetzung  zu  demselben  Kraftbegriff  gelangen  kann. 
Man  braucht  nur  die  Erfahrung  in  Anspruch  zu  nehmen,  dass 
die  Endgeschwindigkeit  der  verticalen  Bewegungscomponente, 
welche  der  schief  geworfene  Körper  erreicht,  dieselbe  ist,  welche 
er  erlangt,  wenn  er  auf  den  höchsten  Punkt  seiner  Bahn  ge- 
bracht und  von  dort  fallen  gelassen  wird.  Es  finden  hier  ana- 
loge Ueberlegungen  statt  wie  früher.  Wenn  die  Kraft  etwas  Ge- 
schwindigkeitsbestimmendes wäre,  dknn  ginge  wieder  jede 
einheitliche  Beschreibung,  d.  h.  jede  Beschreibung  des  Total- 
phänomens verloren,  und  zwar  in  noch  eclatanterer  Weise  als 
beim  verticalen  Wurf.  Man  würde  nämlich  zu  der  sonderbaren 
Paradoxie  gelangen,  dass  unter  dieser  Voraussetzung  zwar  die 
Gestalt  der  Bahn,  nicht  aber  die  Verticalgeschwindigkeit 
an  jedem  ihrer  Punkte  verständlich  wäre.  Wenn  ich  die  Kraft 
als  geschwindigkeitsbestimmend  definire,  so  muss  ich  den  in 
der  Parabel  sich  bewegenden  Körper  als  unter  dem  Einfluss 
zweier  Kräfte  stehend  ansehen,  von  welchen  die  eine  constant 
ist,  die  andere  (die  ,Schwerkraft')  proportional  der  Zeit  zu- 
nimmt. Dieses  sind  die  hinreichenden  und  notwendigen  Voraus- 
setzungen, um  die  parabolische  Bahn  zu  erklären  oder,,  wie  wir 


42  VI.  Abhandln!»*:    Hilltbrind. 

besser  sagen,  die  hinreichenden  und  notwendigen  Begriffe  zur 
Beschreibung  des  Vorganges  mit  blosser  Rücksicht  auf  die  (para- 
bolische) Gestalt  der  Bahn.  Dann  sind  aber  die  thatsäch- 
lichen  Verticalgeschwindigkeiten  unverständlich.  Dass  in  jedem 
Punkte  des  absteigenden  Parabelastes  die  Geschwindigkeit  der 
verticalen  Componente  so  gross  ist  wie  die  eines  Körpers,  der 
vom  Scheitelpunkt  bis  zum  Niveau  des  betreffenden  Parabel- 
punktes frei  fällt,  wäre  nicht  zu  begreifen,  da  sich  dann  die 
eine  Kraftcomponente  als  völlig  wirkungslos  erweisen  wurde. 
Nur  der  Galileische  Kraftbegriff  ist  hier  zur  Beschreibung  taug- 
lich. Um  diesen  Begriff  aus  der  Betrachtung  des  schiefen 
Wurfes  zu  gewinnen,  war  also  nichts  Anderes  noth wendig  als 
die  Betrachtung  dieses  Phänomens  selbst  nach  dessen  verschie- 
denen unmittelbar  wahrnehmbaren  Eigenschaften  (Gestalt 
der  Bahn  und  jeweilige  Geschwindigkeit),  ferner  die  Erfahrung 
des  freien  Falles  und  die  empirische  Kenntniss  des  Unabhängig- 
keitsgesetzes.1 Es  ist  für  spätere  Zwecke  nützlich  zu  bemerken, 
dass  auch  die  Kenntniss  der  Anfangsbedingungen  gänzlich 
überflüssig  ist.  Es  ist  unnöthig  zu  wissen,  dass  man  den  (ge- 
worfenen) Körper  eine  Zeit  lang  gewaltsam  zu  einer  gewissen 
Bahn  und  zu  einer  gewissen  Geschwindigkeit  gezwungen  und 
ihn  dann  ,sich  selbst  überlassen  hat';  es  braucht  kein  Wer- 
fender sichtbar  zu  sein. 

Ja  wir  dürfen  noch  um  einen  Schritt  weiter  gehen:  es 
wird  sich  zeigen,  dass  wir  eine  von  den  vorausgesetzten  Er- 
fahrungen sogar  entbehren  können. 

Die  Thatsache  der  parabolischen  Bahn  hat  dazu  ge 
nöthigt,  von  den  beiden  Theilbewegungen,  aus  denen  wir  uns  die 
thatsächliche  Bewegung  zusammengesetzt  denken,  die  eine  als 


1  Die  «verticale  Geschwindigkeitscomponente'  ist  selbstverständlich  kein 
aiiB  einer  Hypothese  resultirender  Begriff.  Es  handelt  sich  dabei  blos 
um  die  geometrische  Projection  eines  Bahnstückes  anf  eine  rerticale 
Ebene.  Die  reale  Bedeutung  dieser  Vorstellung  wird  durch  das  Un- 
abhängigkeitsgesetz garantirt.  Wenn  man  eine  directe  empirische  Er- 
mittlung der  verticalen  Geschwindigkeitscomponente  wünscht,  so  würde 
diese  gegeben  sein  durch  den  Druck,  den  der  schief  fallende  Körper 
ausübt,  wenn  er  auf  eine  horizontale  Ebene  auftrifft.  Man  müsste  dies- 
falls bei  den  zu  vergleichenden  Erscheinungen  für  die  Constanx  der 
Masse  sorgen.  Indessen  ist  eine  empirische  Ermittlung  unnöthig,  sobald 
nur  das  Unabhängigkeitsgesetz  erfahr ungsgemass  feststeht. 


Zur  Lehre  Ton  der  Hypothesenbildnng.  43 

gleichförmig,  die  andere  als  gleichförmig  beschleunigt  anzusehen 
und  die  Richtung  der  gleichförmig  beschleunigten  Bewegungs- 
componente  ab  vertical  abwärts  zu  denken.  Nun  braucht  — 
wie  leicht  ersichtlich  —  nicht  erst  die  Erfahrung  gemacht 
zu  werden,  dass  die  verticale  Endgeschwindigkeit  dieser  Be- 
wegungscomponente  so  gross  ist  wie  die  Endgeschwindigkeit  eines 
vom  Farabelscheitel  frei  fallenden  Körpers;  denn  die  verticale 
Bewegungscomponente  ist  ja  identisch  mit  der  Bewegung  des 
vom  Scheitel  frei  fallenden  Körpers:  welche  Endgeschwindigkeit 
aber  bei  gegebener  Weglänge  ein  Körper  hat,  wenn  seine  Ge- 
schwindigkeit proportional  mit  der  Zeit  wächst,  ist,  insofern 
man  eine  gewisse  Constante  (g)  kennt,  analytisch  bestimmbar. 
Die  Grösse  dieser  Constanten  aber  kann  uns  hier  gleichgiltig 
sein,  da  sie  der  Voraussetzung  nach  dieselbe  ist,  ob  die  verti- 
cale Bewegung  isolirt  (wie  beim  Fall)  oder  in  Complication 
(wie  beim  Wurf)  auftritt.  Somit  ist  die  vorausgehende  Be- 
schreibung der  Fallerscheinung  für  die  Discussion  der  Wurf- 
bewegung entbehrlich,  nur  die  Parabelform  der  Bahn  und 
das  Unabhängigkeitsgesetz  müssen  bekannt  sein.  Darnach  aber 
wird  sich  an  allen  unseren  Ueberlegungen ,  die  wir  an  den 
schiefen  Wurf  geknüpft  haben,  insoweit  sie  uns  dazu  geführt 
haben,  die  Kraft  als  etwas  Beschleunigungsbestimmendes  anzu- 
sehen, gar  nichts  ändern,  wenn  wir  die  betreffende  Beobachtung 
nicht  an  einer  terrestrischen  Erscheinung  gemacht  hätten, 
sondern  wenn  uns  am  Himmel  eine  analog  verlaufende  para- 
bolische Bewegung  unterkommen  würde. 

Es  scheint  mir  sehr  wichtig,  das  zu  bemerken,  damit 
man  endlich  jenen  den  ganzen  methodologischen  Charakter  der 
Mechanik  verkennenden  Standpunkt  aufgibt,  als  handle  es 
•sich  bei  der  Beschreibung  ,kosmischer'  Bewegungen  nothwendig 
um  eine  ,Uebertragung*  dessen,  was  man  im  Gebiete  der 
terrestrischen'  Erfahrung  kennen  gelernt  hat.  Wer  noch  nicht 
im  Besitze  des  einzig  der  Erfahrung  genügenden  Kraftbegriffes 
ist,  der  würde  ihn  mit  derselben  zwingenden  logischen  Not- 
wendigkeit aus  den  kosmischen  wie  aus  den  terrestrischen  Er- 
fahrungen gewinnen.  Principiell  stehen  sich  beide  Gebiete  gleich. 
Daraus  aber  folgt,  dass  man  jene  sozusagen  blos  historische 
,Uebertragung'  nicht  als  eine  erkenntnisstheoretische  ansehen 
und  die  Sache  nicht  so  darstellen  darf,  als  bringe  man  etwas, 


44  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

was  in  einem  Gebiete  als  Thatsache   feststeht,   in   ein   anderes 
als  blosse  Hypothese. 

§  28.  Die  Kreisbewegung  stellt  sich  bekanntlich  als  kein 
principiell  neuer  Fall  mehr  dar.  Es  sind  nur  besondere  Werthe 
der  Constanten  nöthig,  damit  die  parabolische  Wurf bewegung  in 
die  Kreisbewegung  übergeht.  Daher  nöthigt  auch  die  Kreis- 
bewegung zu  derselben  Definition  des  Kraftbegriffes;  auch  hier 
liegt  also  keine  ,Uebertragung'  einer  Erfahrung  und  somit  keine 
Hypothese  vor. 

Ich  will  den  Leser  nicht  bei  allzu  bekannten  Dingen  un- 
nöthig  aufhalten  und  will  daher  auch  nicht  darauf  eingehen, 
wie  aus  einer  Kreisbewegung  durch  blosse  Aenderung  der  Con- 
stanten eine  elliptische  Bewegung  mit  einer  gegen  einen  Brenn- 
punkt gerichteten  ,Centralkraft'  werden  kann.1  Das  aber  — 
meine  ich  —  ist  jetzt  einleuchtend,  dass  der  Begriff  der  Kraft 
als  eines  Umstandes,  der  Beschleunigung  bestimmt,  nicht  hypo- 
thetisch, sondern  mit  zwingender  Notwendigkeit  auch  auf  diese 
Fälle  Anwendung  findet  —  und  weiter,  dass  dieser  Begriff  und 
die  in  ihm  eingeschlossene  Erfahrung  ebenso  aus  der  Wurf- 
bewegung wie  aus  der  kreisförmigen  oder  aus  der  elliptischen 
Bewegung  gewonnen  werden  kann.  Und  da  wir  weiter  ein- 
gesehen haben,  dass  wir  zu  diesem  Kraftbegriff  auch  dann 
gelangen,  wenn  wir  von  den  Anfangsbedingungen  der  betref- 
fenden Bewegung  nichts  wissen,  und  auch  dann,  wenn  das 
Ausmass  der  Beschleunigung  nicht  mit  dem  Ausmass  der  Be- 
schleunigung irgend  einer  anderen  bereits  bekannten  Bewegung 
verglichen  wird,  so  ergibt  sich,  dass  dieser  Kraftbegriff  und 
die  in  ihm  enthaltene  empirische  Thatsache  unmittelbar  aus 
der  Bewegung  des  Mondes  um  die  Erde  oder  der  Erde  um 
die  Sonne,  kurz  aus  jeder  planetarischen  Bewegung  genommen* 
werden  kann. 

§  29.  Die  in  diesem  Kraftbegriff  enthaltene  Erfahrung 
involvirt  also  (wie  schon  früher  bemerkt)  die  Existenz  einer 
Centralkraft,  mit  anderen  Worten  sie  charakterisirt  die  Bewe- 


1  Die  correctere  Folge  wäre  die,  von  der  Wurf  bewegung  direct  iut  ellip- 
tischen Bewegung  überiugehen  und  die  Kreisbewegung  als  einen  Special- 
fall der  elliptischen  darzustellen.  Für  unsere  Zwecke,  da  es  sich  nur 
um  die  Art  der  Gewinnung  des  Kraftbegriffes  handelte,  ist  diese  Ordnungs- 
frage irrelevant. 


Zar  Lehre  von  der  Hypotbesenbildung.  45 

gang  als  Centralbewegung.  Diese  Thatsache  nun  zusammen 
mit  der  unmittelbar  beobachtbaren  Thatsache,  dass  die  Bahn 
eine  Kegelschnittslinie  ist,  reicht  vollkommen  hin,  um  das  be- 
kannte Beziehungsgesetz  zwischen  Beschleunigung  und  Ent- 
fernung aufzustellen.  Es  liegt  also  weder  in  der  Richtung  der 
Beschleunigung,  noch  in  der  Abhängigkeit  ihrer  Grösse  von 
der  Entfernung  etwas  Hypothetisches,  vielmehr  sind  beide  Fest- 
stellungen Sache  der  blossen  Beschreibung.1  Sind  nun  die 
augenblicklichen  Richtungen  der  Beschleunigung  durch  blosse 
Beschreibung  festgestellt,  dann  ist  auf  demselben  Wege  auch 
die  Einheit  und  der  Ort  des  Schnittpunktes  gegeben.  Dass 
sich  in  diesem  Schnittpunkt  ein  Körper  befindet,  den  man  dem- 
gemäss  als  Gravitationscentrum  bezeichnet,  ist  selbstverständlich 
Sache  der  Beobachtung. 

§  30.  Wenn  also  die  Frage  aufgeworfen  wird,  wo  denn 
in  der  von  Newton  aufgestellten  Beziehung  zwischen  Kraft  und 
Entfernung2   das  Moment  des  Hypothetischen  gelegen  sei,   so 


1  Mill  hat  den  wahren  Sachverhalt  gänzlich  verkannt,  wenn  er  den  Weg, 
auf  dem  wir  zur  Erkenntniss  der  Centralkraft ,  sowie  denjenigen,  auf 
dem  wir  zur  Erkenntniss  der  Bezeichnung  zwischen  Beschleunigung  und 
Entfernung  gelangen,  sozusagen  in  je  zwei  Etappen  getheilt  denkt,  von 
denen  die  eine  in  einer  heiläufigen  Kenntniss  besteht,  die  andere  in 
der  strengen  Präcisirung  dieser  beiläufigen  Kenntniss.  -(Vgl.  oben  p.  12.) 
Von  einer  derartigen  Theilung  in  zwei  Stufen  kann  aber  gar  keine  Rede 
sein.  Wir  gelangen  nicht  zuerst  zur  Erkenntniss  einer  gegen  das  Innere 
der  Bahn  gerichteten  Kraft,  um  dann  deren  ,genauere  Richtung4  fest- 
zustellen; vielmehr  gelangen  wir  (in  der  angedeuteten  Weise)  sogleich 
zur  genauen  Richtung  der  Beschleunigung.  Und  ebenso  erkennen  wir 
nicht  zuerst,  dass  irgend  eine  Beziehung  zwischen  Beschleunigung 
und  Entfernung  besteht,  um  dann  erst  die  Function  zu  bestimmen,  sondern 
wir  gelangen  mit  einem  einzigen  Schritt  zur  Erkenntniss,  dass  eine 
solche  Beziehung  besteht  und  zugleich  von  welcher  Art  sie  ist.  Damit 
aber  fallen  alle  Consequenzen ,  die  Mill  aus  diesem  Beispiel  einer  legi- 
timen ,Hypothese'  für  die  Hypothesenlehre  überhaupt  gezogen  hat. 

*  Von  der  Beziehung  zwischen  Kraft  und  Masse  wird  hier  absichtlich 
nicht  gesprochen.  Die  Aufstellung  dieser  Beziehung  sagt  nur,  dass  beim 
Vorhandensein  von  mehr  als  zwei  Körpern  noch  eine  weitere  Constante 
in  Betracht  kommt  —  und  weiter  definirt  sie  diese  Constante.  Der 
Name  »Masse*  ist  eine  —  übrigens  ganz  irrelevante  —  Sache  der  Nomen- 
clatur.  Von  einer  ,quantitas  materiae'  u.  dgl.  ist  bei  diesem  Begriff 
natürlich  gar  keine  Rede. 


46  VI.  Abhandlung :    Hillebrand. 

lautet  die  Antwort:  Nirgends!  Es  liegt  eine  blosse  Beschrei- 
bung vor,  und  daher  ist  zur  Bildung  von  Hypothesen  gar  kein 
Anlass  gegeben. 

Der  vielcitirte  Ausspruch  Newton's  ,Hypotheses  non  fingo', 
an  dem  die  Logiker  allerlei  Interpretationskiinste  geübt  haben, 
heisst  ganz  einfach  und  ohne  unnöthige  Künstelei:  ,Ich  mache 
keine  Hypothesen',  sc.  weil  ich  die  Thatsachen  blos  beschreibe. 
Fragen  wie  die,  ob  nicht  ein  anderes  Gesetz  das  richtigere 
sei  —  Fragen,  die  bei  jeder  wirklichen  Hypothese  principieU 
gestattet  sein  müssen  —  haben  hier  überhaupt  keinen  ver- 
nünftigen Sinn. 

Mit  der  Thatsache,  dass  hier  und  in  der  Mechanik  über- 
haupt gar  keine  Hypothesen  bestehen,  scheint  mir  nun  aufs 
Engste  jene  erste  regula  philosophandi  zusammenzuhängen,  in 
welcher  der  kritische  Ausdruck  ,vera  causa'  vorkommt.  Wo 
es  sich  blos  um  Beschreibungen  handelt,  dort  liegt  es  in 
der  Natur  der  Sache,  dass  das  Bedingende  (=  der  bestimmende 
Umstand)  ebenso  ein  empirisch  gegebenes  Phänomen  ist  wie 
das  Bedingte:  Beides  muss  erkenntnisstheoretisch  gleich werthig 
sein,  d.  h.  es  muss  aus  einer  Quelle  derselben  Art  stammen 
und  denselben  Grad  von  Sicherheit  haben,  das  Bedingende 
muss  in  demselben  Sinne  ein  ,  verum'  sein,  wie  es  das  Bedingte 
ist.  Das  und  nichts  Anderes  ist  offenbar  gemeint,  wenn  man 
in  der  Mechanik  nur  ,verae  causae'  zulassen  will.  Somit  hat 
Newton,  indem  er  diese  Forderung  aufstellt,  dasselbe  gemeint, 
was  wir  heute  meinen,  wenn  wir  die  Beschreibung  der  Be- 
wegungen als  Aufgabe  der  Mechanik  bezeichnen.  Es  ist  nur 
eine  durch  die  Entwicklung  der  positivistischen  Erkenntniss- 
theorie bedingte  grössere  Präcision  im  Ausdruck,  wenn  wir  heute 
in  der  Mechanik  den  Terminus  ,Ursache'  ganz  fallen  lassen; 
ein  neuer  Gedanke  liegt  gegenüber  der  Newton'schen  Regel 
(wenn  sie  nur  richtig  verstanden  wird)  nicht  vor.  Die  Be- 
hauptung, dass  in  der  Mechanik  nur  verae  causae  Platz  finden, 
steht  und  fallt  also  mit  der  Berechtigung  jenes  anderen  Aus- 
spruches ,Hypotheses  non  fingo'.  Beide  Aussprüche  aber  dürfen 
nicht  aus  ihrem  ursprünglichen  Zusammenhang  herausgerissen 
werden;  sie  stehen  in  einem  Werk  über  Mechanik  und  be- 
ziehen sich  auf  mechanische  Forschungen.  Ob  in  anderen 
Forschungsgebieten  Hypothesen  zulässig  sind,  oder  ob  es  sich 


Zur  Lebre  von  der  Hypothesenbüdnng.  47 

überall  nur  um  Beschreibungen  handelt,  darüber  sagt  Newton 
gar  nichts.  Daher  erscheint  es  mir  höchst  unpassend,  wenn 
J.  St.  Mi  11  in  Newton'8  optischer  Theorie  ein  ,auffaUendes  Bei- 
spiel von  der  Verletzung  seiner  eigenen  Regel'  sehen  will.  Und 
noch  unpassender  ist  es  natürlich,  jene  erste  regula  philoso- 
phandi  zu  einer  Regel  für  die  Hypothesenbildung  zu  machen, 
da  sie  doch  offenbar  nur  auf  Gebieten  gilt,  wo  überhaupt 
keine  Hypothesen  vorkommen.  In  Newton's  Principien  wird 
man  vergebens  nach  Aufklärung  in  Sachen  der  Hypothesen- 
lehre suchen. 

Ebensowenig  ist  natürlich  in  der  zweiten  Leistung  New- 
tons, die  von  der  ersten  als  völlig  unabhängig  gedacht  werden 
muss,  eine  Hypothese  enthalten.  Dass  die  Beschleunigung, 
welche  den  Planeten  und  Satelliten  zukommt,  von  derselben 
Art  ist  wie  die  terrestrische  Schwerebeschleunigung,  dass  z.  B. 
das  dem  Monde  zukommende  g  demselben  Gesetze  genügt, 
zufolge  dessen  auch  das  g  an  verschiedenen  Punkten  der  Erd- 
oberfläche ein  verschiedenes  ist,  und  dass  die  empirisch  be- 
stimmte Constante  dieses  Gesetzes  für  die  terrestrischen  Fall- 
erscheinungen ebenso  passt  wie  für  die  Mondbewegung,  das  ist 
keine  Hypothese  und  war  auch  nie  eine;  es  handelt  sich  dabei 
gar  nicht  mehr  um  ein  neues  Gesetz,  sondern  nur  um  die 
Constatirung  der  quantitativen  Uebereinstimmung  von  Con- 
stanten. 

Von  der  psychologischen  Seite  her  kann  man  diese  zweite 
That  Newton's  mit  Mach  ganz  richtig  als  eine  ,Phantasie- 
leistung'  bezeichnen.  Sofern  man  gerade  die  psychologische 
Seite  dieser  Entdeckung  im  Auge  hat,  kann  man  ja  von  einer 
,Uebertragung'  eines  auf  anderem  Gebiete  gefundenen  Ver- 
haltens reden,  aber  nur  nicht  von  einer  Uebertragung  in  dem 
Sinne,  in  welchem  eine  anderwärts  bekannte  Ursache  einer 
Erscheinung  nun  für  eine  neue*  Erscheinung  hypothetisch  an- 
genommen wird.  Mach  hat  ohne  Zweifel  Recht,  wenn  er  sagt: 
Wahrscheinlich  war  es  . . .  das  Princip  der  Continuität,  welches 
auch  bei  Galilei  so  Grosses  geleistet  hat,  das  ihn  (sc.  Newton) 
zu  dieser  Entdeckung  geführt  hat.  Er  war  gewohnt,  und  diese 
Gewohnheit  scheint  jedem  wahrhaft  grossen  Forscher  eigen  zu 
sein,  eine  einmal  gefasste  Vorstellung  auch  Air  Fälle  mit  modi- 
iicirten   Umständen    soweit   als    möglich    festzuhalten,    in    den 


48  VI.  Abhandlung:    H  i  lieb r and 

Vorstellungen  dieselbe  Gleichförmigkeit  zu  bewahren,  welche 
uns  die  Natur  in  ihren  Vorgängen  kennen  lehrt/1  Naturlich 
darf  diesem  Principe  nur  die  Rolle  eines  leitenden  Gedankens 
zugeschrieben  werden;  beweisende  Kraft  kommt  ihm  nicht  zu. 
Es  ist  im  strengsten  Sinne  ein  heuristisches  Princip. 

§  31.  Hiemit  dürfte  die  erkenntnisstheoretische  Stellung, 
welche  den  beiden  grössten  Entdeckungen  Newton's  zuzuweisen 
ist,  hinreichend  charakterisirt  sein.  In  Bezug  auf  die  Frage, 
welche  Forderungen  eine  wissenschaftlich  berechtigte  Hypothese 
erfüllen  muss,  im  Besonderen,  ob  die  Forderung  einer  vera 
causa  sich  plausibel  machen  läset  und  wie  diese  Forderung 
präcisirt  werden  muss  —  in  Bezug  auf  alle  diese  Fragen  hat 
uns  die  Untersuchung  der  Gravitationslehre  auch  nicht  die  min- 
deste Aufklärung  geboten.  Aber  es  musste  im  Einzelnen  gezeigt 
werden,  in  welche  Gattung  intellectueller  Thätigkeit  die  Auf- 
findung und  der  Nachweis  der  allgemeinen  Gravitation  gehört.3 
Das  ist  in  sich  betrachtet  schon  nicht  werthlos;  es  hat  aber 
erhöhte  Bedeutung  für  denjenigen,  der  an  eine  Untersuchung 
der  Gesetze  der  Hypothesenbildung  geht  und  dem  in  der 
Literatur  an  allen  Orten  Regeln  begegnen,  welche  vermeintlicher 
Weise  der  Gravitationstheorie  schlechthin  auf  den  Leib  ge- 
schnitten sind,  während  sich  zeigt,  dass  das,  was  man  solcher- 
gestalt geradezu  als  den  Typus  einer  legitimen  Hypothese  an- 
sieht, in  Wahrheit  mit  Hypothesen  gar  nichts  zu  thun  hat.  Diese 
Bemerkung  gilt,  wie  ich  leider  sagen  muss,  auch  gegenüber 
Mill,  der  uns  den  Weg,  welchen  Newton  bei  seinen  grossen 
mechanischen  Entdeckungen  gegangen  ist,  sozusagen  als  den 
idealen  Weg  des  Hypothesenbildners  vorführt.  Man  muss  end- 
lich einmal  aufhören  die  Regeln  der  Hypothesenbildung  an 
solchen  Beispielen  studiren  zu  wollen,  in  denen  sie  gar  nicht 
verwirklicht  sind. 


1  A.  a.  O.,  p.  177. 

3  Dass  dieser  Nachweis  eine  descriptive  Leistung  ist,  diese  Wahrheit 
gehört  noch  immer  nicht  zu  dem  festen  geistigen  Besitzstand  der  Philo- 
sophen. Der  Grund  dafür  dürfte  darin  liegen,  dass  man  diese  Leistung 
gewöhnlich  nicht  in  ihre  elementaren  logischen  Schritte  auflöst  und  an 
jedem  einzelnen  seinen  lediglich  descriptiven  Charakter  nachweist, 
wie  das  oben  versucht  worden  ist. 


Zar  Lehre  tob  der  Hypothesenbildang.  49 


Y.  Ueber  die  wahren  Quellen,  aus  denen  die  Hypo- 
thesenregeln abgeleitet  werden  müssen,  und  über  die 
genaue  Fassung  dieser  Regeln  mit  Rücksicht  auf  jene 

Quellen. 

§  32.  Mi  11  war  bei  seinen  Ausführungen  über  die  Be- 
dingungen einer  legitimen  Hypothese  wesentlich  durch  den 
Gedanken  geleitet,  dass  dieselbe  an  Erkenntnisswerth  einer 
vollständigen  Induction  gleichkommen  müsse.  Nun  haben  wir 
aber  gesehen ,  dass  die  Forderung,  es  müsse  schon  im  Sta- 
dium der  Hypothesenbildung  die  Garantie  für  die  Möglichkeit 
einer  künftigen  inductiven  Bewährung  gegeben  sein,  in  dieser 
allgemeinen  Fassung  unmöglich  erfüllt  werden  kann.  Natar- 
gemäsB  erhebt  sich  jetzt  die  Frage:  wenn  sich  dem  Forschenden 
mehr  als  eine  Hypothese  bietet  und  keine  von  ihnen  die 
Garantie  für  die  Möglichkeit  einer  künftigen  inductiven  Be- 
währung in  sich  trägt,  muss  er  sich  dann  gegenüber  allen 
in  gleichem  Masse  ablehnend  verhalten  oder  ist  auch  hier 
noch  eine  Bevorzugung ,  der  einen  vor  der  andern  möglich 
und  gerechtfertigt?  Nun  scheint  mir  selbst  ein  Verfechter 
des  Mill'schen  Hauptkriteriums  die  Möglichkeit  zugeben  zu 
müssen,  dass  der  Forschende  jenen  Schritt  zur  inductiven 
Bewährung  von  der  einen  Hypothese  eher  erwarten  wird 
als  von  der  anderen,  und  zwar  muss  dies  ebenso  der  Fall 
sein  können,  wenn  beiden  Hypothesen  verae  causae  zu  Grunde 
liegen,  als  wenn  dies  bei  keiner  der  beiden  der  Fall  ist. 
So  wird  er  die  complicirtere  Hypothese  der  einfacheren  vor- 
ziehen; oder  er  wird  derjenigen  Hypothese  den  Vorrang  zu- 
sprechen, aus  welcher  die  fragliche  Erscheinung  mit  Not- 
wendigkeit folgt,  gegenüber  derjenigen,  bei  welcher  dies  nur 
wahrscheinlicher  Weise  der  Fall  ist.  Kurz:  wir  sehen  hier 
Ueberlegungen  über  den  Werth  von  Hypothesen  platzgreifen, 
welche  sich  gar  nicht  auf  die  Frage  der  späteren  inductiven 
Bewährung  beziehen,  also  gar  nicht  auf  das  Fundamental- 
kriterium Mill's. 

Diese  Ueberlegungen  haben  (um  es  noch  einmal  zu  sagen) 
mit  der  vera  causa  nichts  zu  thun;  sie  können  ebensogut 
statthaben,  wenn  von  den  concurrirenden  Hypothesen  jede  die 

Sttmngttar.  d.  phil.-htat.  Cl.  CXUIV.  Bd.  6.  Abb.  4 


50  VI.  Abtaodlanf:    Hill«br»nd. 

Bedingung  der  vera  causa  erfüllt,  wie  wenn  man  von  keiner 
weiss,  ob  sie  dies  thut. 

§  33.  Man  sieht  leicht  —  und  dies  ist  oft  genug  hervor* 
gehoben  worden  —  dass  diese  Ueberlegungen  dem  Wahr- 
scheinlichkeitscalcül  angehören  und  die  daraus  entspringenden 
Regeln  ihre  Berechtigung  nur  diesem  Calcül  entnehmen.1  Die 
Wahrscheinlichkeitstheoretiker  haben  denn  auch  längst  die  für 
die  Logik  der  Hypothese  geltenden  Gesetze  formulirt  Uns 
erübrigt  hier  nur  diejenigen  unter  ihnen,  welche  in  unmittel- 
barer Beziehung  zum  Problem  der  vera  causa  stehen,  in  Er- 
innerung zu  bringen,  um  dann  durch  Discussion  derselben 
gewisse  Anwendungen  auf  die  Technik  der  Forschung  zu  ge- 
winnen; principiell  Neues  haben  wir  hier  nicht  vorzubringen. 

Hier  kommt  nun  vor  Allem  ein  Gesetz  in  Betracht,  welches 
schon  Laplace  als  das  ,Fundamentalprincip'  desjenigen  Zweiges 
der  mathematischen  Analyse  des  Zufalls  bezeichnet  hatte,  der 
,im  Zurückgehen  von  den  Ereignissen  auf  die  Ursachen  besteht1. 
Es  ist  dies  das  sechste  Princip  nach  der  Anordnung,  welche 
Laplace  den  Grundgesetzen  der  Wahrscheinlichkeitstheorie  ge- 
geben hat.  Er  hat  dasselbe  in  folgender  Weise  formulirt:2 
,Jede  der  Ursachen ,  denen  ein  beobachtetes  Ereigniss  zu- 
geschrieben werden  kann,  lässt  sich  mit  um  so  mehr  Wahr- 
scheinlichkeit voraussetzen,  je   wahrscheinlicher   es   ist,   dass 


1  So  nimmt  beispielsweise  die  Regel,  ceteris  paribus  die  einfachere  Hypo- 
these der  complicirteren  vorzuziehen,  ihre  Berechtigung  aus  zwei  Sitzen: 
1.  aus  dem  Satze,  dass  die  Wahrscheinlichkeit  eines  aus  zwei  von 
einander  unabhängigen  Ereignissen  zusammengesetzten  Ereignisses  gleich 
ist  dem  Producte  aus  den  Wahrscheinlichkeiten  der  beiden  Theil- 
ereignisse,  und  2.  aus  dem  Satze,  dass  das  Product  zweier  echter  Brüche 
kleiner  ist  als  jeder  der  beiden  Factoren.  Die  obige  Regel  gilt  auch  nur 
in  dem  Sinne  und  in  dem  Ausmass,  als  sie  dem  ersten  dieser  zwei  Satze  ent- 
spricht. Man  sieht  dies  am  deutlichsten  aus  Folgendem:  wenn  die  »com* 
plicirtere'  Hypothese  nicht  die  einfachere  in  sich  schliesst,  oder  wenigstens 
eine  Hypothese  iu  sich  schliesst,  welche  gleich  wahrscheinlich  ist  wie 
die  »einfacheres  dann  ist  die  Regel  durchaus  nicht  giltig.  Und  eben- 
sowenig ist  sie  giltig,  wenn  die  Complic&tion  durch  Theilvoraussetsuigen 
entsteht,  welche  von  den  übrigen  nicht  unabhängig  sind.  Man  sieht: 
die  Regel  kann  nur  exact  gefasst  werden,  wenn  sie  Begriffe  des  Wahr- 
scheinlichkeitscalcüls  in  sich  aufnimmt. 

1  Vgl.  »Philos.  Versuche  über  die  Wahrscheinlichkeiten*,  deutsch  von  Nor- 
bert Schwaiger,  Leipzig  1886,  p.  14. 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung.  51 

unter  Voraussetzung  der  Existenz  dieser  Ursache  das  Ereigniss 
stattfinden  wird;  die  Wahrscheinlichkeit  der  Existenz  irgend 
einer  dieser  Ursachen  ist  also  ein  Bruch ,  dessen  Zähler  die 
Wahrscheinlichkeit  des  Ereignisses  ist,  wie  sie  sich  aus  dieser 
Ursache  ergibt,  und  dessen  Nenner  die  Summe  der  gleichen 
Wahrscheinlichkeiten  bezüglich  aller  Ursachen  ist;  wenn  diese 
verschiedenen  Ursachen,  a  priori  betrachtet,  ungleich  wahr- 
scheinlich sind,  so  muss  man  statt  der  aus  jeder  Ursache 
sich  ergebenden  Wahrscheinlichkeit  des  Ereignisses  das  Pro- 
duct  dieser  Wahrscheinlichkeit  mit  der  Möglichkeit  dieser  Ur- 
sache selbst  verwenden/ 

Anmerkung.  In  terminologischer  Beziehung  ist  cur  Vermeidung 
von  Missverständnissen  eine  Bemerkung  über  den  Sinn  beizufügen,  den  das 
Wort  ,Ursache'  in  diesem  Zusammenhange  haben  muss.  An  eine  ,wirkende 
Ursache*  darf,  wenn  man  dem  obigen  Principe  keine  unnöthige  Einschränkung 
geben  will,  keineswegs  gedacht  werden.  Vollkommen  einwandfrei  scheint 
mir  A.  Meyer1  den  Begriff  »Ursache4  (soweit  er  in  der  Wahrscheinlichkeits- 
rechnung zur  Anwendung  kommt)  analysirt  zu  haben.  Er  äussert  sich  hier- 
über (p.  165)  wie  folgt: 

,Die  Umstände,  welche  an  der  Hervorbringung  eines  Ereignisses  theil- 
nehnien,*  sind  entweder  constant  oder  stetig  veränderlich. 

,Die  ersten,  welche  man  als  Chancen  des  Ereignisses  zu  bezeichnen 
pflegt,  können  bekannt  oder  unbekannt  sein,  sie  sind  entweder  einer  genauen 
Berechnung  fähig  oder  lassen  nur  eine  annäherungsweise  Schätzung  zu. 

,Die  Umstände  der  zweiten  Art  sind  der  Rechnung  völlig  unzugänglich. 

,In  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  bezeichnet  man  die  Umstände 
der  ersten  Art  oder  die  Chancen  als  Ursachen  der  Ereignisse,  während 
man  die  Gesammtheit  der  veränderlichen  Umstände  Zufall  nennt.' 

Sonach  lässt  sich  für  die  vorliegenden  Zwecke  das  Wort  »Ursache*  durch 
das  Wort  »Hypothese4  ersetzen  (wie  dies  z.  B.  auch  bei  A.  Meyer  geschieht). 
Von  einer  Einschränkung  auf  ,causale  Hypothesen1  im  engeren  Sinne  ist 
natürlich  nicht  die  Rede. 

§  34.  Betrachten  wir  kurz  den  ersten  Theil  dieses  Prin- 
cipes.  Es  sei  ein  Ereigniss  gegeben,  welches  die  Ursachen 
ulf  u%,  uz  .  .  .  Ui  .  .  .  un  haben  kann;  die  Wahrscheinlichkeiten, 
mit  welcher  das  Ereigniss  aus  jeder  einzelnen  Ursache   folgt 

1  .Vorlesungen  über  Wahrscheinlichkeitsrechnung*,  deutsch  bearbeitet  von 
Emanuel  Czuber,  Leipzig  1879. 

*  Wir  werden  (noch  etwas  vorsichtiger)  das  Wort  ,Hervorbringung*  ver- 
meiden und  sagen:  ,Die  Umstände,  von  welchen  der  Eintritt  eines  Er- 
eignisses abhängt,  oder  durch  die  er  bestimmt  wird  .  .  .' 

4* 


52  Tl.  Abhiadhuig:    Hilletrand. 

(jede  einzelne  als  gewiss  vorausgesetzt),  seien  bezüglich  w17  w%, 
«?8  .  .  .  wi  .  .  .  wn.  Dann  ist  die  Wahrscheinlichkeit  der  Existenz 
einer  bestimmten  Ursache,  z.  B.  der  Ursache  ui}  die  wir  mit 
Wi  bezeichnen  wollen: 

Wi 


TT,= 


wi  +  w%  +  wi  +  •  •  •  *, 


Aus  dieser  Formel  ergibt  sich  unmittelbar,  dass,  wenn 
auch  aus  einer  bestimmten  Ursache  (z.  B.  w.)  das  Ereigniss 
mit  Sicherheit  folgen  würde  (wt  =  1),  die  Existenz  dieser 
Ursache  im  Allgemeinen  doch  nicht  gewiss,  sondern  nur  wahr- 
scheinlich wäre:  Wt  <  1. 

Das  ist  der  wahre  Grund,  warum  man  eine  Hypothese 
nicht  blos  um  ihres  Erklär  ungswerthes  willen  als  erwiesen  an- 
sehen darf.  Nur  in  dem  Falle,  wo  wlf  w9J  tv9  .  . .  w n  mit 
Ausnahme  von  Wi  den  Werth  0  annehmen,  wäre  Wi  =  1. 
Dieser  Fall  ist  praktisch  ohne  Bedeutung;  Hypothesen,  ans 
denen  die  Erscheinung  überhaupt  gar  nicht  folgt,  werden  ja 
von  vornherein  von  der  Concurrenz  ausgeschlossen;  nur  so  viel 
ist  allerdings  möglich,  dass  die  Wahrscheinlichkeit,  mit  welcher 
alle  übrigen  Ursachen  die  Erscheinung  zur  Folge  haßen,  ausser- 
ordentlich klein  wird,  ja  unter  jeden  angebbaren  Werth  sinkt, 
oder  —  wie  man  sich  nicht  sehr  passend  ausdrückt  —  sich 
nur  um  eine  unendlich  kleine  örÖBse  von  der  Null  unter- 
scheidet. Diesfalls  würde  sich  dann  Wi  um  eine  Grösse  von  1 
unterscheiden,  die  ebenfalls  unter  jeden  angebbaren  Werth  sinkt; 
mit  anderen  Worten  die  Existenz  von  ut  wäre  physisch  sicher. 

§  35.  Wir  haben  noch  den  zweiten  Theil  des  obigen 
Principes  zu  besprechen;  er  kommt  für  unser  Problem  besonders 
in  Betracht. 

In  die  vorige  Formel  für  Wi  sind  nur  diejenigen  Wahr- 
scheinlichkeiten eingegangen,  mit  welchen  das  fragliche  Ereigniss 
aus  den  einzelnen  Ursachen  folgen  würde,  die  letzteren  als 
gewiss  vorausgesetzt.  Der  allgemeinere  Fall  ist  aber  offen- 
bar der,  dass  die  einzelnen  Ursachen  abgesehen  von  ihrer 
Beziehung  zur  fraglichen  Erscheinung  schon  im  Vorhinein  ver- 
schieden wahrscheinlich  sind  (verschiedene  ,vorgängige  Wahr- 
scheinlichkeit' haben),  wie  es  z.  B.  bei  einer  völlig  unbekannten, 
aber  endlichen  Menge  von  Objecten  schon  von  vornherein  wahr- 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung.  53 

scheinlicher  ist,  dass  ihre  Zahl  eine  ungerade,  als  dass  sie  eine 

gerade  sei  u.  dgl.     Für  diesen  allgemeineren  Fall  ist  jedes  w 

noch  mit  der  ,absoluten*  (, vorgängigen')  Wahrscheinlichkeit  der 

entsprechenden  Ursache  zu  mtdtipliciren.    Seieil  diese  absoluten 

Wahrscheinlichkeiten   bezüglich  jeder   einzelnen  Ursache    der 

Reihe  nach 

alf  at}  a8  .  .  .  a,-  .  .  .  a*, 

so  nimmt  die  obige  Gleichung  die  Form  an: 

a,-  Wi 


Wi  = 


«i  ^i  +  <**  w%  +  a8  w9  +  .  .  .  an  wn  ' 
und  man  sieht,  dass  sie  für  den  Specialfall: 


öj    =    Ct j    =    Ct 3    =  .  .  .  &i 


die  frühere  einfachere  Form  annimmt. 

Auf  die  Frage  der  vera  causa  angewendet  ergibt  sich 
Folgendes: 

Gesetzt,  es  befände  sich  unter  den  angenommenen  Ur- 
sachen eine  einzige;  die  entweder  individuell  oder  blos  der 
Art  nach  bereits  erfahrungsgemäss  bekannt  wäre,1  alle  anderen 
wären  in  jeder  Hinsicht  nova,  dann  wäre,  wie  klein  auch  die 
Wahrscheinlichkeit  sein  mag,  mit  welcher  das  Ereigniss  aus 
dieser  bekannten  Ursache  folgt  (wenn  sie  nur  eine  endliche 
Grösse  besitzt),  diese  bekannte  Realität  mit  Gewissheit  als  die 
Ursache  der  Erscheinung  anzusprechen  (immer  vorausgesetzt, 
dass  die  Zahl  der  möglichen  Hypothesen  erschöpft  ist).  In 
diesem  Falle  wäre  also  ihr  Charakter  als  vera  causa  schlechter- 
dings ausschlaggebend. 

§  36.  Bedenken  wir  aber  genauer,  was  dazu  gehört, 
damit  dieser  Fall  verwirklicht  werde.  Es  wird  hier  angenommen, 
dass  alle  mitconeurrirenden  Hypothesen  die  vorgängige  (oder  ab- 
solute) Wahrscheinlichkeit  0  haben;  das  tritt  aber  nur  ein,  wenn 


1  Diese  Unterscheidung  bezieht  sich  auf  die  beiden  Fälle:  1.  dass  etwas 
wirklich  Existirendes  als  Ursache  aufgestellt  wird,  und  2.  dass  etwas 
einem  wirklich  Existireriaen  in  bestimmt  definirter  Weise  Aehnliches 
angenommen  wird.  Das  Letztere  ist  z.  B.  der  Fall,  wenn  man  etwas 
Bekanntes,  aber  quantitativ  über  das  empirische  Ausmaas  Gesteigerte», 
annimmt. 


54  VI.  Abhandlang:    Hillebrand. 

ausser  derjenigen  Hypothese,  welche  eine  vera  causa  enthält,  nur 
solche  Hypothesen  mitconcurriren,  welche  ein  novum  im  streng- 
sten Sinne  enthalten,  denn  nur  dann  ist  die  vorgängige  Wahr- 
scheinlichkeit =  0.  Das  Phlogiston  war  eine  derartige  Hypothese 
und  ebenso  der  horror  vacui.1  Man  darf  aber  nicht  etwa  den 
Lichtäther  hieher rechnen;  denn  von  den  Eigenschaften,  die  man 
ihm  zut heilt,  ist  durchaus  nicht  jede  ein  novum.  Dreidimen- 
sionale Medien,  die  transversal  schwingen  und  deren  Schwin- 
gungen jede  beliebige  Lage  zur  Fortpflanzungsrichtung  haben 
können,  sind  nichts  Unbekanntes,  wenn  auch  beim  Lichtäther 
das  Moment  des  Imponderablen  und  die  Notwendigkeit,  ihn 
unelastisch  zu  denken,  neu  hinzukommt  (wir  werden  später 
sehen,  wie  sich  die  Erkenntnisstheorie  zu  derartig  neuen  Va- 
riablen verhält). 

Sobald  das  Suppositum  nicht  etwas  schlechterdings 
Neues  ist,  sobald  also  seine  vorgängige  (oder  absolute)  Wahr- 
scheinlichkeit auch  nur  irgend  einen  endlichen  Werth  hat,  ist 
es  möglich,  dass  es  in  der  Concurrenz  mit  einer  vera  causa- 
Hypothese  sogar  den  Sieg  davonträgt,  wovon  man  sich  mit 
Hilfe  der  früheren  Formel  leicht  überzeugen  kann. 

§  37.  Ich  will  das  sogleich  an  einem  Specialfall  erläutern. 
Gesetzt,  es  concurriren  nur  zwei  Hypothesen;  die  eine  enthalte 
eine  vera  causa  in  jeder  Beziehung  und  habe  dahta*  die  vor- 
gängige Wahrscheinlichkeit  =  1,  die  andere  sei  zwar  nicht 
in  allen  ihren  Theilen,  aber  doch  nach  einigen  oder  sogar 
nach  den  meisten  ein  novum,  es  sei  ihre  vorgängige  Wahr- 
scheinlichkeit also   zwar  nicht  =  0,   aber  doch   sehr  klein  — 

1 

wir  wollen  sie  —  nennen  —  sie  habe  aber  das  Phänomen  mit 

x 

Sicherheit  zur  Folge,  während  die  vera  causa  (deren  vorgängige 

1 
Wahrscheinlichkeit    demnach   =    l    ist)    es  nur   mit  —  Wahr- 

y 

1  Hierin  liegt  also  der  wahre  Grand,  warum  man  die  »Erklärungen*  durch 
qualitates  occultae,  überhaupt  die  metaphysischen  Erklärungen'  im 
Sinne  Comte's  verwerfen  muss.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  dass  man 
die  eine  Wahrscheinlichkeitsformel  nur  nAch  bestimmten  Richtungen  hin 
(d.  h.  durch  bestimmte  Specialannahmen  in  Betreff  der  Werthe  w  und  a) 
zu  discutiren  braucht,  um  alle  und  jede  Regel  zu  gewinnen,  die  in 
Betreff  der  Hypothesen  im  Allgemeinen  aufgestellt  werden  kann. 


Zar  Lehre  ron  der  Hjpotheaenbildnng.  55 

scheinlichkeit  zur  Folge  hat.    (>ann  ist  die  Wahrscheinlichkeit 
der  a  priori  viel  unwahrscheinlicheren  Hypothese 

Li 

x 


l.i  +  i.i 

x  y 


die  der  vera  causa-Hypothese 


ii 

y 


I-i  +  i-I 

x  y 


Ist  zufällig  x  =  y,  dann  hat  keine  Hypothese  vor  der  anderen 

etwas  voraus.    Sobald  aber  x  «<  y  und  daher  -  >  — ,  kommt 

x         y' 

gerade  die  vera  causa-Hypothese  in  Nachtheil.  Concurriren  mit 
ihr  mehr  als  eine  Hypothese  und  erklären  diese  Mitconcurrenten 
die  Erscheinung  mit  Sicherheit,  so  wird  sogar  für  x  =  y9  und 
selbst  wenn  x  bis^  zu  einem  gewissen  Grade  grösser  ist  als  yf 
die  Wahrscheinlichkeit  der  vera  causa-Hypothese  unter  den 
Werth  */*  sinken,  wie  das  leicht  aus  der  Formel  ersichtlich  ist. 
§  38.  Nehmen  wir  nun  den  Fall  an,  es  würden  nur 
solche  Hypothesen  zugelassen,  welche  die  Erscheinung  mit  Not- 
wendigkeit zur  Folge  haben  (Mill  hat  immer  nur  diesen  Fall 
im  Auge,  aber  er  thut  Unrecht  daran,  alle  anderen  zu  ignoriren), 
oder  es  erklärten  alle  Hypothesen  die  Erscheinung  mit  der- 
selben Wahrscheinlichkeit.  Dann  fällt  natürlich  die  Wahr- 
scheinlichkeit, mit  welcher  die  Erscheinung  aus  den  einzelnen 
Hypothesen  folgt  (die  sogenannte  ,relative  Wahrscheinlichkeit'), 
aus  der  Formel  weg  und  nur  die  vorgängigen  Wahrscheinlich- 
keiten bleiben  in  derselben  zurück.  Unsere  frühere  Gleichung 
heisst  dann 

Wi  = -1 

at  +  as  +  a9  -f-  .  .  .  an 

Ist  nun  a,-  die  vorgängige  Wahrscheinlichkeit  der  (einzig  vor- 
handenen) vera  causa-Hypothese,  während  alle  übrigen  a  sehr 
geringe  Werthe  haben,  dann  kann  wieder  der  Fall  eintreten, 
dass  die  Wahrscheinlichkeit   der  vera  causa-Hypothese  sogar 


56  VI.  Abhandlung:    Rillebrand. 

kleiner  als  */*  wird,  sofern  nur  die  Summe  der  vorgängigen 
Wahrscheinlichkeiten  aller  anderen  Hypothesen  grösser  als  1 
wird.  Man  wird  diesfalls  die  yera  causa-Hypothese  zwar  jeder 
anderen,  einzeln  betrachtet,  vorziehen;  aber  man  darf 
die  anderen  eben  nicht  einzeln  betrachten,  und  wird  daher 
der  vera  causa-Hypothese,  weit  entfernt,  sie  als  sicher  an- 
zusehen, unter  Umständen  nicht  einmal  den  Werth  '/s  zn" 
sprechen  können. 

Wir  haben  uns  soeben  absichtlich  auf  den  Fall  beschränkt, 
dass  die  einzelnen  Hypothesen  in  Betreff  ihres  Erklärungs- 
werthes  einander  gleichstehen,  indem  sie  z.  B.  alle  die  Er- 
scheinung mit  Sicherheit  erklären.  Wir  haben  das  gethan,  um 
den  stillschweigenden  Voraussetzungen  MUTs  möglichst  nahe- 
zukommen. Und  trotzdem  hat  sich  gezeigt,  dass  die  einzige 
vera  causa-Hypothese  unter  Umständen  nicht  einmal  zur  Wahr- 
scheinlichkeit 7a  erhoben  werden  kann.  Mill  hatte  also,  ab- 
gesehen von  der  erwähnten  keineswegs  gerechtfertigten  Be- 
schränkung, einen  weiteren  Umstand  ganz  ausser  Auge  gelassen: 
die  Anzahl  der  concurrirenden  Hypothesen. 

Wenn  im  vorigen  Falle  die  vera  causa-Hypothese  mit  einer 
einzigen  anderen  concurrirt,  dann  ist  an  der  überwiegenden 
Wahrscheinlichkeit  der  ersteren  kein  Zweifel  (obwohl  von  einer 
Gewissheit  auch  dann  noch  nicht  die  Rede  ist);  bei  wachsender 
Anzahl  der  Concurrenz-Hypothesen  können  sich  aber,  wie  wir 
gesehen  haben,  die  Verhältnisse  ganz  anders  gestalten. 

Wie  erwähnt,  gelten  diese  Ueberlegungen  nur  für  den 
Fall,  dass  die  mit  einer  vera  causa-Hypothese  mitconcurrirenden 
Hypothesen  eine  endliche  vorgängige  Wahrscheinlichkeit  be- 
sitzen, dass  die  Ursachen  also  nicht  völlige  nova  sind.  Wir 
haben  nur  davor  gewarnt,  eine  hypothetische  Ursache,  die 
nicht  aus  lauter  bekannten  Elementen  besteht,  deshalb  schon 
als  ein  novum  anzusehen,  und  haben  ausdrücklich  betont,  dass 
z.  B.  die  Lichtätherhypothese  nicht  hieher  zu  rechnen  sei. 

§  39.  Gehen  wir  nun  aber  um  einen  Schritt  weiter.  Denken 
wir  uns,  von  den  in  Frage  kommenden  Hypothesen  habe  jede 
ein  völliges  novum  zum  Gegenstande.  Falls  nur  eine  vera 
causa-Hypothese  vorhanden  ist,  trägt  sie,  wie  wir  hörten,  eben 
dadurch  den  Sieg  über  alle  anderen  davon.  Wie  aber,  wenn 
gar  keine  derartige  Hypothese  mitconcurrirt? 


Zur  Lehre  ron  der  Hypothesenbüdung.  57 

Die  Lösung  ergibt  sich  von  selbst:  die  vorgängige  Wahr- 
scheinlichkeit verschwindet  einfach  aus  der  Formel.  Wir 
erhalten  den  schon  erwähnten  Specialfall: 

IT,-    ' 


Wl    +    W*    +  '    "   '  W* 

(Oder,  was  auf  dasselbe  hinausläuft:  der  Ausdruck 

di  Wi 
al    W\    +   a%    W%    +   •  •  •  an  W>n 

ergibt  unter  der  Voraussetzung,  dass 

a±  =  aa  =  a>i  =  .  .  .  an  =  0, 

nach  a  differenzirt,  die  obige  Formel.) 

Das  heisst  nun  mit  anderen  Worten:  wenn  man 
zur  Erklärung  einer  Erscheinung  nur  über  solche 
Hypothesen  verfügt,  von  denen  jede  ein  völliges  no- 
vum  zum  Gegenstande  hat,  wenn  also  keine  einzige 
vera  causa-Hypothese  vorliegt,  dann  wird  die  Wahr- 
scheinlichkeit der  einzelnen  Hypothese  nur  mehr  durch 
ihren  Erklärungswerth  bestimmt. 

So  wäre  denn  ein  Fall  gefunden,  in  welchem  eine  Hypo- 
these durch  den  Mangel  einer  vera  causa  überhaupt  nicht  be- 
einträchtigt wird. 

Wie  anderwärts,  so  müssen  wir  aber  auch  hier  darauf 
bedacht  sein,  ob  der  Fall,  mit  dem  wir  operiren,  nicht  am 
Ende  blos  fictiver  Natur  ist.  Es  erhebt  sich  nämlich  sofort 
die  Frage,  ob  bei  der  wissenschaftlichen  Forschung  die  Be- 
dingungen, unter  welchen  die  vorgängige  Wahrscheinlichkeit 
aus  der  Betrachtung  verschwindet,  auch  thatsächlich  eintreten 
können.  Dass  der  Forschende  mehrere  Hypothesen  bildet, 
von  denen  keine  eine  vera  causa  zum  Gegenstande  hat,  das 
kann  unmöglich  genügen;  es  könnte  ihm  ja  gerade  unter  den 
möglichen  Hypothesen  diejenige  entgangen  sein,  welche  eine 
bereits  anderwärts  bekannte  Realität  supponirt  und  gegenüber 
welcher  alle  sonst  erdachten  Hypothesen  sofort  ausser  Betracht 
kommen  müssten.  Die  blosse  Möglichkeit,  dass  in  der  Formel 
wieder  ein  a-Werth  auftreten  könnte,  müsste  unser  Vertrauen 
in  die  bisher  bevorzugte  Hypothese  aufs  Aeusserste  erschüttern. 


58  VI.  Abhandlung;    Hiliebrand. 

Wie  aber  sollen  wir  eine  Garantie  erlangen,  dass  wir  den 
Kreis  möglicher  Hypothesen  erschöpft  haben?  Man  könnte  an 
die  Einführung  eines  neuen  Wahrscheinlichkeitsfactors  denken. 
Wie  wahrscheinlich  ist  es,  dass  sich  ausser  den  von  mir  ge- 
bildeten Hypothesen  noch  eine  weitere  Hypothese  aufstellen 
lässt,  und  zwar  eine  vera  causa-Hypothese?  Ohne  Frage  würde 
sich  auf  diese  Weise  principiell  eine  Corrective  finden  lassen; 
aber  es  ist  ebenso  unzweifelhaft,  dass  uns  zur  Bildung  dieses 
Factors  schlechterdings  gar  keine  Daten  zu  Gebote  stehen. 
Man  muss  also  diesen  Versuch  fallen  lassen. 

Der  wahre  Ausweg  bietet  sich  an  einer  anderen  Stelle. 
Wenn  es  nämlich  Fälle  gibt,  bei  welchen  es  schon  in  der 
Natur  des  Problems  liegt,  dass  eine  vera  causa  nicht  ge- 
funden werden  kann,  dann  sind  wir  wirklich  in  jener  Lage, 
in  welcher  die  vorgängige  Wahrscheinlichkeit  aus  der  Betrach- 
tung verschwindet. 

§  40.  Solche  Fälle  gibt  es  aber.  Wer  nach  der  phy- 
sischen Ursache  einer  Empfindung  sucht,  kann  was  immer  für 
Hypothesen  bilden  —  es  ist  sicher,  dass  keine  von  ihnen  eine 
vera  causa  enthalten  kann.1  Was  thatsächlich  gegeben  ist, 
das  sind  Empfindungen;  und  es  wäre  absurd  zu  glauben, 
eine  physische  Realität,  die  als  Ursache  eines  bestimmten  Em- 
pfindungscomplexes  supponirt  wird,  könne  irgend  einmal,  früher 
oder  später,  sich  als  etwas  Anderes  denn  wieder  als  Ursache 
von  Empfindungen  uns  kundgeben,  wir  könnten  ihrer  unmittel* 
bar  habhaft  werden,  da  sie  doch  schon  der  Voraussetzung 
nach  nicht  in  den  Kreis  dessen  gehört,  was  uns  in  unmittel- 
barer Erfahrung  gegeben  ist.  Der  erste  Schritt,  den  wir  über 
die  Daten  der  inneren  Wahrnehmung  hinaus  machen,  scheint 
also  immer  eine  Hypothese  zu  sein,  welche  die  Forderung 
der  vera  causa  nicht  erfüllt  und  nicht  erfüllen  kann  —  aber 
glücklicher  Weise  ohne   Schaden   für   ihren  Erkenntnisswerth. 


1  Von  dem  Momente  der  Analogie  sehe  ich  hier  vorläufig  ab.  Trots 
der  vollständigen  Heterogeneität  der  Gebiete  des  Physischen  und  Psy- 
chischen sind  nämlich  Aehnlichkeiten  in  den  Verhältnissen  gleich- 
wohl möglich.  In  Betreff  der  Elemente  aber  muss  eine  physische 
Hypothese  (im  obigen  Sinne)  nothwendig  ein  novum  enthalten.  Es  ist 
nützlich,  diesen  Fall  isolirt  zu  untersuchen.  Dort,  wo  Analogien  mit  ins 
Spiel  kommen,  geht  in  die  a-Werthe  noch  ein  besonderer  Factor  mit  ein. 


Zur  Lehre  von  der  Hrpothwenbildung.  59 

In  seinem  System  der  Logik  hat  Mill  die  letzte  Conse- 
qnenz  aus  seiner  Hypothesenlehre  nicht  gezogen,  wohl  aber 
finden  wir  sie  in  seinem  Buche  über  Hamilton 's  Philosophie.1 
Nichts  Anderes  —  wird  dort  gelehrt  —  dürfe  man  ausserhalb 
der  eigenen  psychischen  Phänomene  annehmen  als  ,groups  of 
permanent  possibilities  of  sensations',  Gruppen  von  beharrenden 
Empfindungsmöglichkeiten;  dies  und  nichts  Anderes  seien  die 
eigentlichen  Realitäten  (,the  very  realities').  Ich  will  hier  nicht 
weiter  verfolgen,  zu  welchen  höchst  bedenklichen  Positionen 
eine  derartige  These  führen  muss,  wie  z.  B.  dass  unsere  Sen- 
sationen ,  Darstellungen,  Erscheinungen  oder  Wirkungen'  (,re- 
presentations,  appearences  or  effects')*  dieser  Realitäten  seien, 
dass  man  also  eine  wirkende  Möglichkeit  würde  zulassen 
müssen  —  nur  darauf  will  ich  hinweisen,  dass  diese  merk- 
würdige Lehre  als  eine  Consequenz  desjenigen  Standpunktes 
aufgefasst  werden  muss,  den  ihr  Urheber  in  Sachen  der  Hypo- 
thesenbildung eingenommen  hat. 

§  41.  Nun  wird  man  billig  folgende  Frage  erheben:  wenn 
schon  der  erste  Schritt,  den  wir  über  die  Grenzen  unserer 
psychischen  Phänomene  hinausmachen,  eine  Hypothese  ohne 
vera  causa  ist,  kann  denn  dann  eine  Hypothese  überhaupt 
jemals  eine  vera  causa  zum  Gegenstande  haben?  Treibt  uns 
nicht  die  Consequenz  dazu,  diese  Frage  schlechtweg  zu  ver- 
neinen? 

Wir  werden  sogleich  sehen,  wie  die  Behauptung  zu  ver- 
stehen ist,  dass  schon  unsere  ersten  transsubjectiven  Hypo- 
thesen (wie  man  sie  kurz  nennen  kann)  sämmtlich  keine  vera 
causa  zum  Gegenstände  haben  können. 

Von  dem,  was  man  gemeiniglich  Hypothese  nennt;,  stellt 
sich,  wie  wir  gesehen  haben,  Manches  als  blosse  Beschreibung 
heraus,  und  zwar  ab  Beschreibung  gewisser  Empfindungsthat 
Sachen  oder  Erscheinungen  im  ursprünglichen  Sinne  des  Wortes. 
Ein  Gesetz  wie  das  auf  die  Grösse  des  Brechungswinkels  bezüg- 
liche hat  auch  für  den  strengsten  Phänomenalisten  einen  durch- 
aus guten  Sinn,   desgleichen   das  Fallgesetz  und  viele  andere. 

1  ,An  Examination  of  Sir  William  Hamilton's  Philosophy  etc.1,  ein  Werk, 
das  —  obwohl  nicht  minder  bedeutungsvoll  als  des  Verfassers  mit  Recht 
hochgeschätzte  Logik  —  bis  heute  noch  nicht  ins  Deutsche  übersetzt 
ist    Für  unsere  Frage  vgl.  namentlich  das  XL  und  XII.  Capitel. 


60  VI.  AbbABdlnng:    HilUbrand. 

Wenn  nun  auch  gar  kein  Element  unserer  Empfindungen  in 
die  transsubjectiven  Hypothesen  übertragen  werden  kann,  den 
letzteren  also  in  diesem  Sinne  keine  verae  causae  sa  Theil 
werden  können,  so  ist  es  doch  ganz  gut  möglich,  Verhältnisse 
von  Elementen,  wie  wir  sie  innerhalb  des  Kreises  unserer  Em- 
pfindungen constatiren,  auf  jenes  ausserhalb  desselben  gelegene 
Gebiet  zu  übertragen.  Auch  wer  einen  Beweis  für  die  Existenz 
eines  objectiven  Raumes  für  unmöglich  hält,  wird  mit  Hinblick 
auf  die  sichtbare  Fallerscheinung  die  Annahme  machen  dürfen: 
hier  besteht  ausserhalb  des  Empfindungsgebietes  eine  Variable, 
welche  dem  Quadrate  der  Zeit  proportional  geht  Was  in 
Betreff  der  Elemente  gilt,  gilt  nicht  auch  in  Betreff  ihrer  Ver- 
hältnisse. Eine  transsubjective  Hypothese  muss  also  zwar  neoe 
Elemente,  sie  kann  aber  bekannte  Verhältnisse  zum  Gegen- 
stand haben;  letzterenfalls  ist  also  das  Suppositum  wenigstens 
zum  Theile  der  Art  nach  bekannt  und  diesem  Theile  nach  als 
ve^a  causa  anzusehen. 

§  42.  Wenn  wir  es  mit  dem  Begriff  vera  causa  ernst 
nehmen,  wenn  wir  ihn  definiren  als  Etwas,  dessen  Existenz 
uns  der  Species  nach  sicher  steht,  dann  sind  mit  dem  eben 
erwähnten  Fall  die  Möglichkeiten  erschöpft,  in  welchen  die 
ersten  transsubjectiven  Hypothesen  eine  theilweise  vera  causa 
enthalten  können. 

Man  kann  aber  von  einer  vera  causa  noch  in  einem 
anderen,  weniger  strengen  und  sozusagen  relativen  Sinne 
sprechen.  Ich  will  an  einem  Beispiel  auseinandersetzen,  was 
damit  gemeint  ist.  Wenn  ich  die  Annahme  mache,  dass  sich 
die  Erde  wie  ein  magnetischer  Körper  verhält,  so  kann  diese 
Annahme  auch  dann  gemacht  werden,  wenn  ich  in  Betreff 
der  mir  bekannten  magnetischen  Körper  nicht  weiss,  worin 
eigentlich  die  Natur  des  magnetischen  Zustandes  besteht  Für 
viele  auf  den  Erdmagnetismus  bezügliche  Untersuchungen  kann 
diese  letztere  Frage  auch  ganz  irrelevant  sein.  Nicht  darauf 
kommt  es  dann  an,  eine  Hypothese  zu  bilden  über  die  wahre 
Natur  des  Erdmagnetismus,  sondern  über  die  Beziehungen 
gewisser  (der  sogenannten  erdmagnetischen)  Erscheinungen  zu 
den  —  weiter  nicht  bekannten  —  Erscheinungen,  die  wir  im 
Laboratorium  an  nlagnetisirten  Körpern  beobachten.  Wenu 
man   nun   trotzdem  die  Annahme,   die  Erde  verhalte  sich 


Zur  Lehre  tob  der  Hypothwenbildung.  61 

Magnet,  für  eine  vera  causa  hält,  so  ist  klar,  dass  damit  mir 
eine  vera  causa   secundärer  Art  gemeint  sein  kann.     Dies 
geht   schon  aus  dem   Umstände    hervor,    dass    eine   derartige 
Hypothese   uns   in  keiner  Weise   über  die  wahre  Natur  des 
betreffenden  äusseren  Vorganges  Aufklärung  verschafft,  ja  dass 
sie  dies  gar  nicht  einmal  beabsichtigt.    Das  Ziel,  welches  dabei 
angestrebt  wird,  ist  in  der  That  ein  ganz  anderes:   es  soll 
blos   eine  möglichst  umfassende  und  dabei  möglichst  sparsame 
Beschreibung  von  Vorgängen  erreicht  werden,  die  unserer  Er- 
fahrung unmittelbar  zugänglich  sind.   In  Betreff  solcher  Hypo- 
thesen   möchte  ich  die  Charakteristik,   die  Mach,  sowohl  was 
ihre  Ziele  als  was  ihre  Mittel  anlangt,  gegeben  hat,  vollinhaltlich 
unterschreiben.     Dem  Standpunkte  Mach's  ist  es  eigen,   dass 
er  das  Ziel  der  Naturerforschung  in  der  Beschreibung  der  un- 
mittelbar sicheren  Erfahrungen x  und  dass  er  das  Frincip  dieses 
Beschreibens  in  der  möglichsten  Oekonomie  erblickt.9  Es  handelt 
Bich  also  hier  nur  um  eine  innere  Ordnung,  welche  in  das 
erfahrungsmässig  Gegebene    gebracht   werden   soll.    Von   der 
Natur  des  Zieles  hängt,  wie  überall,  die  der  Mittel  ab.   Soll  nur 
ökonomisch  beschrieben  werden,   dann  kann  selbstverständlich 
auch  das  Wort  ,Erklärung'  nur  den  Sinn  haben,  dass  eine  Er- 
scheinung als  Specialfall  eines  empirisch  bekannten  Verhaltens 


1  Es  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  darunter  nur  Daten  der  inneren 
Wahrnehmung  gemeint  sein  können.  Was  gesehen,  gehört  etc.  wird, 
steht  nur  als  Gesehenes,  als  Gehörtes  etc.  unmittelbar  fest.  Der 
vorgestellte  Inhalt  gehört  aber  in  das  Bereich  der  inneren  Wahr- 
nehmung, wie  z.  B.  der  Sehraum,  der  Fühlraum  Bestandteile  der  in- 
neren Wahrnehmung  sind. 

*  Eine  Aehnlichkeit  dieses  Standpunktes  mit  dem  Berkeley 's,  die  man  in 
Betreff  Mach's  manchmal  behaupten  hört,  kann  ich  beim  besten  Willen 
nicht  finden.  Aeussere  Realitäten  leugnet  Mach  ebensowenig,  wie  er  sie 
behauptet  (während  doch  Berkeley  das  Erstere  gethan  hat,  die  Existenz 
Gottes  abgerechnet).  Vielmehr  hält  Mach  das  ganze  transsubjective  Ge- 
biet für  ausserhalb  jeder  wissenschaftlichen  Erörterung  liegend.  Ob  mit 
Recht  oder  nicht,  das  ist  eine  andere  (sachliche)  Frage;  aber  in  Betreff 
des  historischen  Momentes  glaube  ich,  dass  eine  derartige  gewaltsame 
AnalogUirung  nur  auf  Kosten  der  Präcision  beider  »Standpunkte',  des 
Berkeley'schen  wie  des  Mach'schen,  unternommen  werden  kann.  Mach 
hat  diese  vermeintliche  historische  Beziehung  denn  auch  im  Anhang 
zur  2.  Auflage  seiner  Geschichte  der  Mechanik  (p.  487)  ausdrücklich 
abgelehnt.  ' 


62  VI.  Abhandlung:    HilUbrand. 

erwiesen  wird;  und  kann  dies  auf  directem  Wege  nicht  ge- 
schehen; dann  wird  der  indirecte  betreten  in  Gestalt  einer 
Hypothese,  d.  h.  die  Zugehörigkeit  der  einen  Erscheinung  zu 
einem  Kreise  anderer  wird  vorerst  supponirt  und  die  Conse- 
quenzen  dieser  Supposition  empirisch  geprüft.  Dieses  Ziel  kann 
selbstverständlich  nur  erreicht  werden,  wenn  die  Erklärungs- 
mittel  selbst  empirische  sind;  die  Aufgabe,  in  einen  Kreis  von 
Erscheinungen  Ordnung  zu  bringen,  nöthigt  nicht  nur  nicht 
diesen  Kreis  zu  überschreiten,  sondern  es  wäre  dies  auch  ein 
ganz  sinnloses  Beginnen.  Bei  diesem  Unternehmen  gibt  es 
also  —  der  Natur  der  Sache  wegen  —  gar  keine  andere  ab 
eine  vera  causa;  aber  diese  ist  eine  Erscheinung  wie  die 
zu  erklärende,  beide  sind  Daten  der  inneren  Wahrnehmung 
oder  in  letzter  Instanz  aus  solchen  gewonnen. 

Die  Sache  steht  aber  sofort  anders,  wenn  es  gilt,  über 
das  physische  Antecedens  eines  Empfindungsdatums  eine  Hypo 
these  zu  bilden,  also  eine  transsubjective  Hypothese;  sowie 
die  erste  Hypothese  dieser  Art  sich  nicht  an  die  Bedingung 
der  vera  causa  zu  halten  braucht,  kann  und  darf  eine  Hypo- 
these über  eine  zweite  Erscheinung,  welche  sich  als  Special- 
fall der  ersten  herausstellt,  an  jene  Bedingung  ebenfalls  nicht 
gebunden  sein.  Eine  Hypothese  über  die  erdmagnetischen  Er- 
scheinungen muss  daher  mindestens  ebensoviel  nova  in  sich  auf- 
nehmen wie  die  Hypothese  über  die  Natur  der  Erscheinungen, 
die  wir  aü  magnetisirten  Körpern  im  Laboratorium  beobachten 
(eventuell  aber  auch  mehr). 

Wenn  aber  Jemand  sagt:  du  darfst  überhaupt  keine  trans- 
subjectiven  Hypothesen  machen;  es  muss  dir  genügen,  eine 
.Erscheinung  als  zu  einer  Gruppe  anderer  Erscheinungen  zu- 
gehörig zu  erweisen  —  dann  kann  man  nur  mit  dem  Hinweise 
auf  die  einschlägigen  Ergebnisse  des  Wahrscheinlichkeitscalcüls 
antworten,  wodurch  diese  Selbstbeschränkung  sich  als  gänzlich 
willkürlich  und  weder  durch  die  Gesetze  der  Logik,  noch  durch 
die  besondere  Natur  des  Falles  gerechtfertigt  herausstellt. 

Hiemit  wäre  unser  Problem  im  Wesentlichen  erledigt.  Als 
allgemeingiltige  Forderung  —  das  dürfte  jetzt  feststehen  — 
darf  die  einer  vera  causa  nicht  erhoben  werden;  in  welchen 
besonderen  Fällen  sie  dennoch  berechtigt  ist,  ist  gezeigt  worden. 
Die  Grundsätze,   welche   für  beide  Fälle  massgebend  gemacht 


Zur  Lehre  von  der  Hypothesenbildung.  63 

werden  müssen,  sind  dargelegt  und  begründet  worden.  Nur 
in  Betreff  ihrer  Anwendung  auf  specielle  Probleme  sind  noch 
einige  Bemerkungen  am  Platze. 

§  43.  Sowohl  für  die  Auffindung  als  auch  für  die  Prüfung 
von  Hypothesen  scheint  mir  die  Regel  von  besonderem  Nutzen, 
jede  Hypothese  in  ihre  letzten  Elementarhypothesen  zu  zer- 
legen und  diese  zuerst  getrennt  zu  behandeln.  Unter  einem 
Element  einer  Hypothese  verstehe  ich  aber  nicht  blos  die  An- 
nahme einer  Theilrealität,  die  auch  für  sich  bestehen  könnte, 
sondern  die  Annahme  jeder  letzten,  d.  h.  nicht  weiter  zer- 
legbaren Variablen.  So  sehe  ich,  wenn  eine  Bewegung 
hypothetisch  behauptet  wird,  die  Annahme  einer  bestimmten 
Geschwindigkeit  als  besondere  Theilhypothese  an  neben  der  An- 
nahme der  Bewegungsrichtung;  die  Annahme  einer  bestimmten 
Beschleunigung  als  besondere  Theilhypothese  neben  der  An- 
nahme einer  gewissen  Anfangsgeschwindigkeit  u.  dgl.  m.  Nun 
scheint  es  mir  von  grösster  Wichtigkeit  für  die  Bildung  der 
Hypothese,  dieselbe  allmälig  aus  Elementarhypothesen  aufzu- 
bauen, für  die  Prüfung  aber  sie  wieder  in  dieselben  zu 
zerlegen  und  jede  Elementarhypothese  für  sich  dem  Calcül  zu 
unterwerfen.1 

§  44.  Vorerst  eine  kurze  Bemerkung  über  den  zweiten 
Punkt,  die  Prüfung.  Es  sei  eine  Variable  der  Hypothese  der 
Gattung  nach  in  der  Erfahrung  bekannt,  bei  einer  zweiten 
Variablen  sei  dies  nicht  der  Fall.  Der  Wahrscheinlichkeits- 
werth  der  einen  muss  nun,  wie  aus  früheren  Betrachtungen 
genugsam  einleuchtet,  nach  ganz  anderen  Grundsätzen  beurtheilt 
werden  als  der  der  anderen.  In  Betreff  der  zweiten  Elementar- 
hypothese kann  es  sich  vielleicht  herausstellen,  dass  sie  nur  mit 
solchen  Hypothesen  zu  concurriren  hat,  welche  ebenfalls  nova 
zum  Gegenstande  haben;  in  Betreff  der  ersten  liegen  vielleicht 
Concurrenzhypothesen  vor,  die  von  vornherein  (, vorgängig') 
ganz  verschieden  wahrscheinlich  sind.  Für  das  eine  Element 
wird  dann  das  Moment  der  , vorgängigen  Wahrscheinlichkeit'  aus 
der  Betrachtung  verschwinden  und  ihre  schliessliche  Wahr- 
scheinlichkeit (als  Erklärungsmittel)  von  endlicher,  ja  vielleicht 


1  Die  Zusammensetzung  unterliegt  dann  nur  der  Forderung,  keinen  inneren 
Widerspruch  zu  enthalten. 


64  VI.  Abhandlung:    HilUbnnd. 

von  sehr  beträchtlicher  Wahrscheinlichkeit  sein.  Für  das  zweite 
Element  ist  dies  vielleicht  anch  der  Fall,  jedenfalls  aber  nur  mit 
Errechnung  seiner  vorgängigen  Wahrscheinlichkeit.  Werden 
auf  diese  Weise  beide  Elemente  getrennt  geprüft,  so  kann  fftr 
das  Compositum  unter  Umständen  eine  sehr  starke  Präsumption 
sich  ergeben.  Das  ist  auch  die  einzig  richtige  Art  der  Be- 
handlung. Die  zusammengesetzte  Hypothese  unzerlegt  zu 
prüfen,  würde  zu  folgenden,  logisch  durchaus  verwerflichen 
Consequenzen  führen:  eine  zusammengesetzte  Annahme  in  toto 
betrachtet  ist  schon  dann  ein  novum,  wenn  auch  nur  eine 
Variable  ein  novum  ist.  Eine  vollkommen  unelastische  Materie 
z.  B.  wäre  unter  diesem  Gesichtspunkt  ein  novum,  wenn  sie 
auch  Eigenschaften  hat  (wie  die  dreidimensionale  Ausdehnung 
und  die  Schwere),  die  uns  sonst  hinreichend  bekannt  sind. 
Dürfte  man  eine  solche  Hypothese  in  toto  prüfen  (was  wir 
jetzt  annehmen  wollen),  so  wäre  ihre  vorgängige  Wahrschein- 
lichkeit Null;  sie  würde  also,  falls  sich  nur  irgend  eine  Con- 
currenzhypothese  findet,  deren  vorgängige  Wahrscheinlichkeit 
eine  endlich  grosse  ist,  sofort  ausser  Betracht  zu  setzen  sein 
—  während  sie  bei  getrennter  Behandlung  ihrer  Elemente 
eine  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  erlangen  kann.  —  Es 
wäre  von  Nutzen,  wenn  Hypothesen  wie  die  vom  Lichtäther 
nur  immer  unter  dem  Gesichtspunkte  dieser  methodologischen 
Vorschrift  beurtheilt  würden. 

§  45.  Aber  auch  für  die  Bildung  der  Hypothese,  sagten 
wir,  sei  eine  derartige  Sonderung  wichtig,  insoferne  als  es 
sich  empfehle,  dieselbe  Stück  für  Stück  aus  Elementarhypo- 
thesen aufzubauen.  Es  wird  nämlich  auf  diese  Weise  einem 
Fehler  gesteuert,  der  bei  der  Hypothesenbildung  nur  allzu 
leicht  unterläuft:  ich  meine  den  Fehler,  (wenigstens  in  ver- 
steckter Weise)  mehr  anzunehmen,  als  die  Erklärung  der  in 
Frage  stehenden  Erscheinung  unbedingt  fordert,  eine  Realität 
anzunehmen,  die  mehr  Eigenschaften  hat,  als  man  ihr  lediglich 
um  des  Erklärungswerthes  willen  beizulegen  braucht.  Wenn 
es  sich  z.  B.  als  nöthig  erweist,  dem  Suppositum  eine  Variabili- 
tät nach  den  drei  Raumdimensionen  zuzuschreiben,  so  schleicht 
sich  allzuleicht  der  Begriff  ,Materie'  ein  und  mit  ihm  der  Be- 
griff des  Gravitirens  nach  irgend  einem  Centrum;  und  wenn 
dann  Gründe  vorhanden  sind,  das  Suppositum  als  nicht  gravi- 


Zu  Lehre  ron  der  HypotheaenMldung.  65 

tirend  zu  denken,  so  drängt  sich  ebenso  leicht  das  Bedenken 
auf,  man  habe  hier  eine  aller  Erfahrung  zuwiderlaufende  An- 
nahme gemacht.  Aber  wer  heisst  uns  denn  dort,  wo  nichts 
Anderes  als  dreidimensionale  Ausdehnung  gefordert  wird,  so- 
gleich an  Materie  im  mechanischen  Sinne  denken,  d.  h.  die 
erforderlichen  Daten  um  etliche  nicht  erforderliche  willkürlich 
vermehren?  Wer  sich  die  Regel  beständig  vor  Augen  hält 
eine  Hypothese  aus  wahrhaft  letzten,  d.  h.  nicht  in  weitere 
Variable  zerlegbaren  Elementarhypothesen  allmälig  aufzubauen 
und  jeden  neuen  Zuwachs  sofort  darauf  zu  prüfen,  ob  er  auch 
wirklich  nur  aus  einem  Baustein  und  nicht  aus  mehreren 
besteht,  der  schützt  sich  gegen  Willkürlichkeiten,  die  nach- 
träglich so  oft  zu  Widersprüchen  und  Enttäuschungen  führen. 
Wer  vorsichtig  ist  und  nicht  mehr  supponirt  als  unbedingt 
nöthig,  der  wird  sich  hüten,  von  Transversal  Schwingungen 
des  Lichtäthers  zu  sprechen;  er  wird  es  bei  periodischen  Ver- 
änderungen bewenden  lassen,  die  ähnliche  Verhältnisse  wie 
transversale  Schwingungen  haben,  d.  h.  diesen  nicht  gleich, 
sondern  blos  analog  sind.  Mehr  kann  nicht  verlangt  werden. 
Eine  Gleichgewichtslage'  z.  B.  kann  bei  einer  periodischen  Ver- 
änderung auch  dann  vorhanden  sein,  wenn  dieselbe  in  keiner 
Ortsänderung  und  daher  in  keiner  ,Schwingung'  besteht;  nur 
bekommt  das  Wort  Gleichgewichtslage'  einen  viel  allgemeineren 
Sinn  und  wird  dann  vielleicht  besser  durch  ein  Wort  wie 
,Mittelzustand'  ersetzt. 

§  46.  Man  möchte  es  für  selbstverständlich  halten,  dass 
eine  Hypothese  nicht  mehr  enthalten  darf,  als  zur  Erklärung 
unbedingt  erforderlich  ist;  und  dennoch  glaube  ich,  dass  viel- 
leicht gegen  keine  Regel  häufiger  Verstössen  worden  ist  als 
gerade  gegen  diese.  Dafür  muss  ein  besonderer  Grund  vor- 
liegen, der  aber  unschwer  anzugeben  ist. 

Für  denjenigen,  welcher  eine  Hypothese  allmälig  aus 
letzten  Elementarhypothesen  aufbaut  und  keine  einzige  zulässt, 
die  sich  nicht  als  unentbehrlich  erweist,  ist  das,  was  er  in 
dieser  Weise  supponirt,  nichts  Anderes  als  ein  Complex  von 
Eigenschaften  (Merkmalen,  Bestimmungen,  Variablen  oder 
was  man  sonst  für  eine  Bezeichnung  wählen  inag);  in  Folge 
dessen  darf  es  ihm  gar  nicht  darauf  ankommen,  ob  diese 
Eigenschaften  —  nach  Analogie  unserer  sonstigen  Erfahrungen 

Sitnuiffber.  d.  phiL-Wst.  CL  GXUIV.  Bd.  6.  Abb.  5 


66  VI.  Abhandlung:    HilUbrand. 

beurtheilt  —  zusammen  eine  individualisirte  Realität  aus- 
machen, oder  ob  sie  zur  Individualisirung  nicht  hinreichen 
und  daher  ein  blosses  Abstractnm  geben.  Wenn  die  zu  er* 
klärende  Erscheinung  es  erforderlich  macht,  eine  periodische 
Veränderung  in  einer  dreidimensionalen  Mannigfaltigkeit  an- 
zunehmen, dann  darf  eben  nicht  mehr  als  dieses  snpponirt 
werden,  und  die  Thatsache,  dass  die  Art  dieser  Mannigfaltig- 
keit völlig  unbestimmt  ist  und  daher  das  Suppositnm  als  auf 
vielerlei  Art  realisirbar  gedacht  werden  kann  (wovon  die  ,Räum- 
lichkeit',  die  ,Schwingung'  u.  dgl.  nur  ein  specieller,  willkürlich 
gewählter  Fall  ist),  darf  keine  Veranlassung  geben,  in  Betreff 
der  Zahl  der  Elementarhypothesen  weniger  sparsam  zu  sein. 
Selbstverständlich  meinen  wir  nicht,  dass  man  an  die  Existenz 
nichtindividualisirter,  d.  h.  unbestimmter  Realitäten  glauben 
soll,  was  ja  ein  Widerspruch  wäre;  aber  man  soll  sozusagen 
den  Raum  für  weitere  individualisirende  Bestimmungen  nicht 
willkürlich  ausfüllen,  sondern  (wenigstens  vorläufig)  freilassen. 
Nun  liegt  aber  nichts  näher  und  ist  nichts  psychologisch  be- 
greiflicher als  eine  Verletzung  gerade  dieser  Regel.  Sie  kann 
in  bewusster  und  absichtlicher  Weise  stattfinden,  wenn  man 
die  mangelnde  Kenntniss  individualisirender  Bestimmungen  ver- 
wechselt mit  der  Behauptung,  dass  thatsächlich  keine  Indivi- 
dualisation  da  sei,  und  die  Absurdität  des  letzteren  Umstandes 
auf  den  ersteren  überträgt;  sie  unterläuft  aber  viel  häufiger  in 
völlig  unabsichtlicher  Weise  nach  den  Gesetzen  der  gewohnheits- 
mässigen  Association.  Es  ist  ja  nichts  natürlicher  als  eine  Be- 
stimmung, welche  sich  in  einer  Hypothese  als  nothwendig 
erweist,  gerade  so  individualisirt  zu  denken,  wie  sie  im  Gebiet 
unserer  phänomenalen  Erfahrungen  am  häufigsten  auftritt.  Wer 
möchte  sich  darüber  wundern,  dass  die  abstracte  Annahme 
einer  periodischen  Veränderung  sofort  das  viel  weniger  abstracte 
Gewand  einer  räumlichen  Bewegung  (einer  ,Schwingung*)  an- 
legt? Und  wem  wird  es  aufl&llig  erscheinen,  dass  die  ,Schwin- 
gung',  welche  —  wenn  auch  weniger  abstract  als  die  ^periodische 
Veränderung*  —  denn  doch  noch  immer  ein  Abstractnm  ist, 
sogleich  zur  Schwingung  eines  Stoffes  wird,  der  alle  Eigen- 
schaften hat,  die  wir  sonst  der  ,Materie'  zuzutheilen  pflegen? 
Lehnt  sich  doch  unser  Geist  sichtlich  dagegen  auf  auch  nur 
ein  Merkmal,  wie  z.  B.  die  Schwere,  aus  jenem  Complex  weg- 


Zur  Lehre  ron  der  Hjpotbesentildung.  67 

zulassen  und  so  von  der  Bahn  des  Gewohnten  abzuweichen. 
Ein  psychologischer  Zwang  ist  es,  der,  wie  vielfach  ander- 
wärts, so  auch  hier  der  logischen  Regel  zuwiderläuft. 

§  47.  Diese  Ueberlegung  fUbrt  uns  nun  zu  dem  so 
vielfach  missverstandenen,  weil  schlecht  oder  gar  nicht  de- 
finirten  Begriff  der  Hilfsvorstellung  oder  des  heuristischen 
Principes. 

Ein  heuristisches  Princip  ist  nichts  Anderes  als 
eine  über  Gebühr  specialisirte  Hypothese.  Man  kann 
dies  auch  so  ausdrücken:  ein  heuristisches  Princip  ist  immer 
dann  gegeben,  wenn  sich  in  einem  Complex  von  Elementar- 
hypothesen auch  nur  eine  findet,  die  durch  die  Besonderheit 
der  zu  erklärenden  Erscheinung  nicht  unbedingt  erfordert  wird. 
Solche  Ueberschreitungen  des  unbedingt  Erforderlichen  werden 
in  den  Naturwissenschaften  am  häufigsten  in  dem  Sinne  ge- 
macht, dass  man  dort,  wo  lediglich  Gleichheit  der  Verhält- 
nisse, also  Analogie,  verlangt  wird,  diese  Gleichheit  auch  auf 
die  Elemente  selbst  überträgt.  Wer  periodische  Veränderungen 
supponirt,  die  den  aus  der  Erfahrung  bekannten  Transversal- 
schwingungen analog  sind,  bleibt  auf  dem  Boden  der  legitimen 
Hypothese;  wer  aber  geradezu  von  Trans  Versalschwingungen 
selbst  spricht,  der  sollte  sich  stets  gegenwärtig  halten,  dass  er 
diese  Annahme  nur  als  heuristisches  Princip  ansehen  darf  und 
jeden  Augenblick  bereit  sein  muss,  das  Moment  der  Räumlich- 
keit preiszugeben.  Gar  Vieles,  was  sich  als  Hypothese  aus- 
gibt, dürfte,  an  diesem  strengen  Massstab  gemessen,  sich  als 
Gleichniss  herausstellen. 

Ueber  den  Nutzen,  den  solche  Gleichnisse  gewähren,  wäre 
es  überflüssig  auch  nur  ein  Wort  zu  verlieren;  was  hierüber 
bemerkt  zu  werden  verdient,  ist  längst  und  zu  wiederholten 
Malen  von  berufenerer  Seite  gesagt  worden.  Nur  einem  weit- 
verbreiteten Irrthum  über  die  erkenntnisstheoretische  Stellung, 
welche  solche  Gleichnisse  einnehmen,  möchte  ich  noch  entgegen- 
treten. So  unrichtig  es  nämlich  ist,  ein  derartiges  Gleichniss, 
eine  derartige  ,Hilfsvorstellung'  oder  wie  man  es  sonst  nennen 
mag,  für  eine  berechtigte  Hypothese  zu  nehmen,  so  sehr  hat 
man  sich  aber  auch  vor  dem  entgegengesetzten  Fehler  zu  hüten, 
der  darin  besteht,   dass  man  darin  gar  keinen  Ausdruck  für 

etwas  Thatsächlicbes,  sondern  blos  eine  Hilfe  für  die  For- 

6» 


68  VI.  Abhandlung:    Hillebrand. 

schling  erblickt.  Ein  Theil  eines  solchen  Gleichnisses  ist  ja 
eine  legitime  Hypothese  und  bezieht  sich  daher  auf  (direct 
nicht  erkennbare)  Thatsachen;  es  wäre  aber  ungerechtfertigt, 
lediglich  um  jenes  Plus  von  Annahmen  willen,  welche  ans  der 
Hypothese  ein  blosses  Bild  machen,  nnn  auch  den  Grundstock 
von  berechtigten  Elementarhypothesen  auf  das  Niveau  einer 
blossen  Hilfsvorstellung  herabzudrücken.  Eine  Parabel  erzählt 
keine  Thatsachen,  aber  sie  gibt  doch  Verhältnisse  wieder,  die 
den  factischen  Verhältnissen  gleichen. 

Auf  die  Gefahr  hin,  den  Vorwurf  auf  mich  zu  ziehen, 
dass  ich  der  Metaphysik  gegenüber  nicht  die  übliche  ablehnende 
Haltung  einnehme,  muss  ich  somit  behaupten,  dass  einer  legi- 
timen und  daher  nicht  über  Gebühr  specialisirten  Hypothese 
selbst  dann,  wenn  sie  ihrer  Natur  nach  bestimmt  sein  sollte,  in 
alle  Zukunft  Hypothese  zu  bleiben,  deswegen  nicht  die  blosse 
Function  eines  heuristischen  Hilfsprincipes  zukommt,  sondern 
dass  sie  uns  über  thatsächlich  Bestehendes  mit  Wahrscheinlich- 
keit unterrichten  kann,  sofern  sie  nur  im  Uebrigen  in  lieber- 
einstimmung  mit  den  Regeln  der  Probabilitätslehre  gebildet  ist. 
Verdient  doch  schon  der  Umstand  Beachtung,  dass  alle  Regeln 
über  die  Zweckmässigkeit  von  solchen  »Hilfsvorstelhingen' 
sich  decken  mit  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeitslehre.  Die 
letztere  belehrt  uns  aber  nicht  über  blosse  heuristische  Zweck- 
mässigkeiten;  sie  lehrt  uns  vielmehr,  das  Vertrauen  in  Ur- 
theile  über  Thatsächliches  richtig  abschätzen. 

§  48.  Und  noch  eine  Nutzanwendung  bietet  sich  dar.  Mach 
hat  sich  mit  Recht  gegen  die  so  ausserordentlich  verbrettete 
Ansicht  gewendet,  welche  eine  mechanische  Erklärung  als  das 
letzte  Ziel  jeder  Naturerforschung  hinstellt.1  In  unseren  obigen 
Ueberlegungen  dürfte  der  tieferliegende  Grund  zu  finden  sein, 
warum  sich  jeder  vorsichtige  und  gewissenhafte  Erkenntniss- 
theoretiker dieser  Tagesmeinung  gegenüber  ablehnend  verhalten 
muss.  Eine  mechanische  Hypothese  im  Gebiete  der  Wärme- 
lehre z.  B.  ist  nothwendig  eine  solche,  die  wir  als  ,über  Gebühr 
specialisirt'  bezeichnet  haben,  sie  enthält  immer  ein  unnöthiges 
Plus  von  Elementarhypothesen.   Nun  kann  eine  Hypothese  von 


1  Vgl.  ,Die  Mechanik  in  ihrer  Entwickehmg*,   V.  Capitel:  »Besiebungen 
der  Mechanik  zu  anderen  Wissensgebieten'. 


Zar  Lehre  tod  der  HypotitMenbildnng.  69 

• 

dieser  Art  als  leitender  Faden  für  die  Forschung  von  grossem 
Werthe  sein:  aber  das  wird  doch  Niemand  ernstlich  behaupten 
wollen,  dass  unser  letztes  Forschungsziel  Hypothesen  sein 
müssten,  die  überflüssige  Mehrannahmen  in  sich  enthalten. 

Erfreulicher  Weise  macht  sich  gerade  in  dieser  Richtung 
wieder  ein  gesünderer  und  —  ich  möchte  sagen  —  nüchtenerer 
Zug  geltend.  Im  Jahre  1872  noch  konnte  Du  Bois-Reymond 
in  seiner  berühmt  gewordenen  Rede  ,Die  Grenzen  des  Natur- 
erkennens'  an  die  Spitze  seiner  Betrachtungen  den  Satz  stellen: 
,Naturerkennen  ...  ist  Zurückführen  der  Veränderungen  in  der 
Körperwelt  auf  Bewegungen  von  Atomen  .  .  .  oder  Auflösung 
der  Naturvorgänge  in  Mechanik  der  Atome/  Konnte  dieser 
Satz  schon  damals  nicht  auf  ausnahmslose  Zustimmung  rechnen, 
so  war  doch  die  Majorität  der  Naturforscher  noch  im  Banne 
der  all-mechanistischen  Auffassung.  Heute  dürfte  dieser  Satz 
unter  dem  Titel  eines  selbstverständlichen  und  keines  Beweises 
bedürftigen  vor  einem  Publicum  von  Naturforschern  und  Aerzten 
nicht  mehr  ausgesprochen  werden.  Auf  der  einen  Seite  würden 
diejenigen  Protest  erheben,  welche  nur  Beschreibung  von 
Phänomenen  zulassen  wollen;  auf  der  anderen  Seite  diejenigen, 
welche  zwar  Aussagen  über  transcendente  Realitäten  gelten 
lassen,  aber  neben  der  mechanischen  noch  mehrfache  andere 
coordinirte  Energieformen  ab  letzte  und  irreducible  aner- 
kennen, d.  h.  als  solche,  die  zwar  in  erkennbar  gesetzmässige 
Beziehungen  zu  einander  treten  können,  nicht  aber  als  solche, 
von  denen  sich  die  eine  auf  die  andere  ,zurückführen'  lässt. 
Der  letztere  Standpunkt  dürfte  —  sofern  unsere  früheren  Er- 
örterungen richtig  waren  —  der  vorsichtigste  und  darum  der 
richtige  sein.  Vielleicht  gelingt  es  auch  in  dem  weiten  Kreise 
der  für  Naturforschung  interessirten  Laien,  dem  mechanistischen 
Chauvinismus  die  verdiente  Würdigung  zu  verschaffen.  Dabei 
mag  für  die  Logik  das  Verdienst  abfallen,  dass  jene  für  die 
ganze  Naturforschung  fundamentalen  Gesichtspunkte  von  Pro- 
blemen abhängen,  welche  diese  wenig  geachtete  Disciplin  stellt, 
und  von  Lösungen,  die  nur  sie, zu  bieten  im  Stande  ist. 


VII.  Abhandlung:    Meyer.  Albaneeieehe  Studien.  V. 


VII. 

Albanesische  Studien. 

Von 

Gustav  Meyer, 

corresp.  Mitgliede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 

v. 

Beiträge  zur  Kenntniss  der  in  Griechenland  gesprochenen 

albanesi  sehen  Mundarten. 


Vorbemerkung. 

Die  im  Folgenden  mitgetheilten  prosaischen  und  poe- 
tischen Texte  geben  zum  grössten  Theile  Proben  des  alba- 
nesischen  Dialektes,  der  auf  den  Inseln  Porös ,  Hydra  und 
Spezzia  im  argolischen  Meerbusen  gesprochen  wird.  Diese 
Inseln,  berühmt  durch  den  aufopfernden  Antheil,  den  ihre 
kühnen  Seeleute  an  den  griechischen  Freiheitskämpfen  gegen 
die  Türken  genommen  haben,  stellen  auch  gegenwärtig  noch  ein 
grosses  Contingent  zu  der  Bemannung  der  griechischen  Marine, 
so  dass  sowohl  auf  der  Kriegsflotte  wie  auf  den  Handelsschiffen 
die  Sprache  der  Matrosen  und  der  Officiere  vielfach  die  alba- 
nesische ist.  Die  Texte  stammen  zum  grössten  Theile  aus  dem 
Kachlasse  des  allen  Albanologen  bekannten  Dr.  Karl  Heinrich 
Theodor  Reinhold,  der,  ein  geborener  Göttinger,  1834  als  Arzt 
auf  einem  griechischen  Schiffe  nach  Griechenland  gieng,  wo  er 
eine  zweite  Heimat  finden  sollte.  Durch  mehr  als  dreissig  Jahre 
an  verschiedenen  Orten  des  Landes  als  Militärarzt  und  Schiffs- 
arzt thätig,  wurde  er  im  Jahre  1868  Oberarzt  der  griechischen 
Marine  und  hat,  so  viel  ich  weiss,  diese  Stelle  bis  zu  seinem 
Tode  bekleidet.  Er  war  durch  seinen  beruflichen  Verkehr  mit 
den  Soldaten  des  griechischen  Heeres,  besonders  aber  seit  seiner 
Stellung  bei  der  Marine  theils  als  Schiffsarzt,  theils  als  Sanitäts- 
arzt in  Porös,  früh  mit  dem  Albanesischen  bekannt  geworden, 

Sitznngsber.  d.  phü.-hist.  Cl.  CXXX1V.  Bd.  7.  Abh.  1 


2  VH.  AbbADdlmif :    H«yer. 

und  das  Erscheinen  der  ,Albanesischen  Studien'  von  dem  öster- 
reichischen Consul  v.  Hahn  spornte  ihn  an,  dieses  wichtige  und 
grundlegende  Buch   nach  der  Seite  der  griechisch-albanischen 
Dialekte  hin  zu  ergänzen.    Von  dem,  was  er  in  langen  Jahren 
mit   grossem  Fleisse   und  grosser  Sorgfalt   gesammelt  hat,   ist 
nur  wenig  der   Oeffentlichkeit  bekannt  geworden.     Ein   Jahr 
nach   dem  Erscheinen   des  Hahn'schen  Buches  Hess  er  (1855) 
seine  Noctes  pelasgicae  vel  symbolae  ad  cognoscendas  dialectos 
Graeciae  pelasgicas  collatae  in  Athen  erscheinen.  Sie  umfassten 
den  Anfang  einer  Grammatik  (39  Seiten),  einen  IIpsSpcpc;  Ae- 
;txou  (80  Seiten)  und  eine  Anzahl  poetischer  Texte,  'AvQoXc-fia, 
Aupa  KsXcrjp'a;,  T$psa$  xal  'AXtcjcr;;  (28  Seiten).    Im  folgenden 
Jahre  (1856)  liess  er  zu  diesen  drei  Theilen  autographirte  Fort- 
setzungen herstellen,  und  zwar  von  der  Grammatik  S.  41  —  79. 
von    dem    Glossar   S.  87 — 112,   von    den   Texten    S.  29 — 52, 
darunter  jetzt  auch  einiges  Prosaische,  Märchen  und  Gespräche. 
Dieser  Anhang  ist  nie  in  den  Buchhandel  gekommen,  sondern 
von  Reinhold  nur  verschenkt  worden;  er  ist  daher  leider  sehr 
unbekannt  geblieben.   Später  hat  Reinhold,  so  viel  mir  bekannt 
ist,  nichts  Albanologisches  mehr  veröffentlicht. 

Als  ich  anfieng,  mich  mit  dem  Studium  des  Albanesischen 
zu  beschäftigen,  wurde  mir  —  ich  glaube  durch  den  verstor- 
benen Buchhändler  Wilberg  in  Athen  —  mitgetheilt,  dass  der 
Nachlass  Reinhold's  in  die  Hände  seines  Neffen  übergegangen 
sei,  der  damals  Hauptmann  bei  der  Artillerie  in  Posen  war 
und  jetzt  Oberstlieutenant  im  Fussartillerieregimente  General- 
Feldzeugmeister  in  Mainz  ist.  Ich  wendete  mich  an  ihn  mit 
der  Bitte,  mir  eine  Einsicht  in  den  albanesischen  Theil  dieses 
Nachlasses  zu  gestatten,  und  mit  einer  Liebenswürdigkeit,  für 
die  ich  ihm  nicht  dankbar  genug  sein  kann,  überliess  er  mir 
das  Ganze  als  Geschenk.  Es  war  ein  ziemlich  umfangreiches 
Convolut  von  Heften,  in  denen  Texte,  oft  zwei-  und  dreimal 
abgeschrieben,  verzeichnet  waren,  Märchen,  Fabeln,  Dialoge, 
Räthsel ,  Lieder ;  ferner  ein  durchschossenes  Exemplar  des 
Lexikons  aus  den  Noctes  pelasgicae  mit  einer  Anzahl  von 
Nachträgen;  Auszüge  aus  älteren  albanesischen  Drucken  der 
Propaganda;  Sammlungen  von  Personennamen  der  albanesi- 
schen Inseln;  endlich  eine  Menge  von  Briefen  der  albanesischen 
Freunde  und  Gewährsmänner  Reinhold's  an  diesen. 


Albanesische  Studien.  V.  3 

Leider  erst  spät  komme  ich  der  Verpflichtung  nach,  die 
ich  damals,  wenn  auch  nicht  ausgesprochen,  übernommen  hatte, 
und  mache  wenigstens  einen  Theil  der  Reinhold'schen  Samm- 
lungen der  Wissenschaft  zugänglich.  Bei  dem  grossen  Mangel, 
den  wir  überhaupt  noch  an  wirklich  gut  aufgezeichneten  Texten 
der  albanischen  Sprache  haben,  werden  diese  Mittheilungen 
willkommen  sein,  um  so  mehr,  als  ja  gegenwärtig  bereits  einige 
jüngere  Kräfte  sich  mit  hübschem  Erfolge  an  diesen  Studien 
zu  betheiligen  beginnen.  Reinhold  hat  sehr  genau  gehört  und 
aufgeschrieben.  Ich  habe  bei  meinem  letzten  Aufenthalte  in 
Griechenland  den  grössten  Theil  der  hier  veröffentlichten  Texte 
mit  zwei  aus  Hydra  und  einer  aus  Porös  stammenden  Per- 
sönlichkeit durchgenommen  und  habe  mit  ihrer  Hilfe  die 
Reinhold'schen  Texte  an  einigen,  aber  nicht  an  sehr  vielen 
Stellen  verbessert.  Der  eine  von  ihnen  hatte  den  alten  Herrn 
noch  gekannt  und  behauptete,  er  hätte  viel  besser  albanesisch 
sprechen  können  als  sie  alle.  Reinhold's  Orthographie  habe 
ich  in  die  von  mir  sonst  angewendete  umgesetzt;  seine  Unter- 
scheidung der  drei  Z-Laute  (l,  l,  l,  oder  wie  ich  schreibe, 
2,  T,  l)  habe  ich  beibehalten,  denn  sie  existieren  im  griechischen 
Albanesisch  wirklich.  Auch  das  l  ist  mehr  erweicht  als  unser 
gewöhnliches  l}  aber  der  Unterschied  von  X  ist  bei  einiger 
Uebung  doch  nicht  schwer  zu  erfassen. 

Die  im  Folgenden  mitgetheilten  Texte  sind: 

1.  Achtundachtzig  aesopische  Fabeln,  etwa  die  Hälfte 
derjenigen,  welche  in  Reinhold's  Heften  stehen.  Sie  sind  von 
einem  Albanesen  aus  Porös  nach  der  Ausgabe  von  Furia  über- 
setzt, indessen  ist  der  Anschluss  an  den  griechischen  Text 
häufig  ein  sehr  freier.  Ich  habe  ihnen  die  Nummern  der 
Halm'schen  Textausgabe  beigefügt  und  sie  darnach  geordnet. 
Der  bekannte  Inhalt  und  die  einfache  Sprache  wird  sie  zum 
Einlesen  ins  Albanesische  ganz  besonders  geeignet  machen. 

2.  Drei  Märchen,  die  beiden  ersten  aus  Porös,  das  dritte 
aus  Hydra.  Das  erste  und  das  dritte  habe  ich  bereits  vor  län- 
gerer Zeit  in  deutscher  Uebersetzung  mitgetheilt  in  der  Samm- 
lung albanischer  Märchen,  die,  von  werth vollen  Bemerkungen 
Reinhold  Köhler's  begleitet,  im  XII.  Bande  des  Archivs  für 
Literaturgeschichte  S.  92 — 148  (1883)  erschienen  sind. 


4  TU.  Abhandlung:    Meyer. 

3.  Zehn  kurze  Erzählungen  und  Schwanke.  Die  dritte 
derselben  stimmt  im  Motive  mit  dem  mittelhochdeutschen  Ge- 
dichte ,Das  Auge*  in  den  ,Gesammtabenteuern'  I,  Nr.  XII, 
S.  245  ff.  tiberein.  Nr.  4  die  Geschichte  von  dem  Blinden,  der 
sich  nicht  heilen  lassen  will,  aus  Furcht  seine  Frau  hässlich 
zu  finden,  stimmt  ziemlich  tiberein  mit  der  Anekdote  bei  Car- 
donne,  M&anges  de  litt^rature  Orientale  (Paris  1770)  II  96,  die 
in  der  Schwanksammlung  ,Neuer  Bienenkorb  voller  ernsthaften 
und  lächerlichen  Erzählungen*  II  (Cöln  1776)  Nr.  38  wieder- 
holt ist,  und  noch  genauer  mit  Nr.  94  der  letzten  Sammlung. 
Nr.  5,  Blinder  mit  der  Laterne,  steht  bei  Galland,  Les  paroles 
remarquables ,  les  bons  mots  et  les  maximes  des  Orientaux 
(Lyon  1695),  S.  30,  bei  Cardonne  a.  a.  O.  II  98  und  in  der 
Barca  di  Padova  (Venetia  1689)  S.  2.  Nr.  7  ist  eine  bekannte 
Anekdote,  die  z.  B.  auch  im  Passe-temps  joyeux  (Paris  1717) 
S.  84  und  in  den  Contes  a  rire  (Paris  1881)  S.  303  steht. 
Nr.  8,  Geschichte  vom  Lahmen  und  Buckligen,  findet  sich  auch 
in  der  Arcadia  in  Brenta  von  Vacalerio  (Bologna  1693)  S.  111. 
so  wie  in  dem  ,Neuen  Bienenkorb*  II  97.  Nr.  10  gehört  in 
den  Kreis  der  Schwanke  von  Unibos,  Campriano,  Bertoldo 
u.  s.  w.,  den  zuletzt  Bolte  in  seiner  Ausgabe  von  Schumann's 
Nachtbüchlein  (Tübingen  1893)  S.  387  ff.  besprochen  hat. 

4.  Uebersetzung  von  einigen  Bruchstücken  aus  den  Evan- 
gelien, nämlich  Matthäus  VIII  5—13.  28—34.  IX  1—7.  27—35. 
Johannes  I.  IL  III.  1  —  15.  Ihnen  habe  ich  noch  das  Euarf^Xiov 
xvj;  SsuTspa;  avasracjew;  (Johannes  XX  19 — 25)  angeschlossen  in 
der  Uebersetzung  des  griechischen  Albanesen  Kupitoris  (vgl. 
mein  Etymologisches  Wörterbuch  der  alb.  Sprache,  Biblio- 
graphie S.  520),  die  mir  auf  einem  gedruckten  Blatte  vorliegt. 

5.  Lieder.  Die  ersten  drei  längeren  Stücke  und  zwanzig 
Vierzeilen  sind  aus  Porös,  elf  Vierzeilen  und  drei  Abzählreime 
bei  Kinderspielen  aus  Hydra.  Angeschlossen  habe  ich  ihnen 
acht  griechisch-albanische  Liebeslieder,  die  mir  der  jetzt  auch 
verstorbene  Albanese  Mitkos,  der  Herausgeber  der  ,Albanischen 
Biene'  (Et.  Wörterb.  S.  521)  vor  längerer  Zeit  zur  Verfügung 
gestellt  hat,  so  wie  zwei  Uebersetzungen  in  den  Dialekt  von 
Hydra,  die  der  eben  erwähnte  Kupitoris  von  einem  gegischen 
Liede  und  einem  aus  den  albanischen  Colonien  Calabriens 
angefertigt   hat;    sie   sind   ebenfalls   auf  einem   Flugblatte   ge- 


Albanesische  Stadien.  V.  5 

druckt  Endlich  habe  ich  noch  einmal  die  Tanzliedchen  aus 
Athen  vorgelegt,  die  Lord  Byron  in  der  Anmerkung  zur 
32.  Strophe  des  IL  Gesanges  seines  Childe  Harold  nach  eigener 
Aufzeichnung  mitgetheilt  hat,  sammt  drei  Strophen  aus  dem 
Reisewerke  seines  Begleiters  Lord  Broughton  (Hobhouse).  Ich 
habe  diese  Tanzlieder  bereits  in  einem  in  der  Anglia  N.  F.  III 
1 — 8  veröffentlichten  Aufsatze  herzustellen  gesucht;  ein  Her- 
stellungsversuch, den  ich  von  elf  dieser  Strophen  in  den  Manu- 
Scripten  Reinhold's  fand,  hat  mich  veranlasst,  die  Sache  noch 
einmal  vorzunehmen,  und  es  ist  mir  gelungen,  einige  Stellen 
sicherer  als  das  erste  Mal  zu  verbessern. 

Den  Texten  habe  ich  ein  Glossar  angefügt.  Dieses  um- 
fasst  die  Wörter  der  Texte,  soweit  sie  nicht  in  meinem  Ety- 
mologischen Wörterbuche  verzeichnet  sind;  ferner  die  Wörter 
des  Reinhold'schen  Glossars  sammt  den  autographierten  und 
handschriftlichen  Nachträgen,  die  ich  bei  der  Zusammenstellung 
meines  Wörterbuches  nicht  aufgenommen  habe;  endlich  Bei- 
träge, die  mir  ein  handschriftliches,  leider  Fragment  gebliebenes 
Glossar  des  griechischen  Albanesisch  von  Dr.  Nerutsos-Bey 
in  Ramleh  bei  Alexandrien  geliefert  hat.  Dieser,  ebenfalls 
Arzt  wie  Reinhold,  und  besonders  durch  seine  topographischen 
Untersuchungen  über  das  alte  Alexandrien  bekannt,  stellte 
mir  für  die  Abfassung  meines  Wörterbuches  bereits  1888  ein 
von  ihm  verfasstes  Glossar  des  griechischen  Albanesisch  in 
Aussicht,  das  ich  aber  bis  zur  Vollendung  meines  Buches 
nicht  erhielt.  Nach  seinem  vor  drei  Jahren  erfolgten  Tode 
hat  mir  seine  Witwe  auf  einige  Zeit  zwei  Hefte  zur  Ver- 
fügung gestellt,  die  aus  den  Buchstaben  A  bis  L  (darunter,  bei 
der  griechischen  Schreibung  des  Verfassers,  auch  V  =  ß) 
Nachträge  zu  v.  Hahn  und  Reinhold  enthielten,  von  denen  viele 
allerdings  auch  schon  in  den  ungedruckten  Aufzeichnungen 
Reinhold's  zu  seinem  Glossare  stehen.  Ich  habe  die  Sammlung 
von  Nerutsos  verwerthet  und  die  ihr  entnommenen  Wörter  oder 
Bedeutungen  mit  N.  bezeichnet,  während  R.  Reinhold  bedeutet. 
Meine  eigenen  Sammlungen  von  albanesischen  Märchen 
und  Liedern,  die  ich  an  verschiedenen  Punkten  des  alba- 
nesischen Sprachgebietes  in  Griechenland  angelegt  habe,  werde 
ich,  wie  ich  hoffe,  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  mit  einer  deutschen 
Uebersetzung  veröffentlichen. 


VII.  Abhandlung:    Meyer. 


A.  Texte. 

I.  Fabeln. 

1.  SKipie  ede*  dilpere. 

Halm  6.  'Atibg  xal  dktonr^. 

Ne  iKtpie  ede*  dilpsra  bene  pre  es  ba§kut  ioKeri  e  9am 
te  beine  ed&  foUt  e  tire  nd  arte,  prs  te  kene  tie  do  Kerö  te 
preziere;  e  aitü  me  Jute  te  mbdfvene  fie  milier  ese  te  vertete  t&t 
te  pa-tündure.  aitü  iKipiea  beri  folen  e  saj  sipre  nde  fis  driu 
te  larte,  ede*  dilpsra  e  beri  atii  afre  nde  tsa  drizazs  t  übte, 
er &  hohe  tie  do  pH  delpera,  e  pual  nde  foU  te  saj.  e  ne  hen 
kii  ikure  delpera  nga  folea  e  saj,  e  vej  te  kuidn.  iKipiea  8  las 
ge  te  haj:  u  laiua  nga  folea  e  saj  e  u  rus  yfimese  nde  foli  te 
dilperese,  e  i  muar  dielmt  e  saj  e  i  henger  me  zotet  e  saj,  e  i 
niti  nde  foli  te  saj.  delpera  fukareia,  kur  u  pruar  nga  te 
kutöturit  e  saj  e  dzu  ketö,  ti  u  bene,  u  vrerua,  jo  koke  pn 
vdekete  te  dielvet  saj,  po  vreronhei  me  sums  tie  s  munt  tivin 
pre  hakut  iKipiese.  e  si  sih  pse  8  munt  t  i  vin  pre  hakut  htti- 
piese,  aitü  beri  ati  Ue  benene  fukarate  nde  te  forte  ners*f 
dükhete,  ndini  pre  8  alargut  e  nemei  ifcipiese.  aitü  neke  ikoi 
iums  koke,  e  u  laiua  iKipiea  poite  e  rembeu  ne  tsope  Si  ih 
pikhej,  me  te  gi&e  Üenyil  te  diegurs7  Ue  piKne  tsa  nde  ne  an 
atie  afre;  e  e  kieii  nde  fole  te  saj.  ahera  frin  ede  fie  ers,  t 
zune  Sengilte  ziarm  e  zu  folea  e  iKipiese.  aitü  zolet  e  iKipiw 
iine  iume  te  vegsl  e  s  munt  te  lefteröine;  u  doli  folea  e  ratu 
nde  de.    delpera  beri  vrap  e  i  henger  tuti  perpara  de  iKipiea. 

plareza  Ute  pr  ata  tie  iinene  miUsressns  nd  ata  müc  tk 
8  kane  fukine,  t  u  vinsns  pre  hakut:  po  perendia  8  i  le  pa 
fieküare. 

2.  SKipie   ede   b rumbuh 

Halm  7.  'Atzög  xal  xdv&UQoq. 

Gahej  ne  here  ns  Tepur  nga  ne  slcipie.  u  fieh  nde  foli 
te  brümbutit  e  i  falhej  brümbulit  t  e  ruan  edi  t  e  ipetön  nga 
iKipiea.  e  brümbuli  beri  iume  te  fdltura  te  iKipiea  prs  te 
mos  e  vrit;  e  e  itij  nde  ine  zot  Die  e  i  &oi:  te  mos  veiddi  nde 
te  fdltura  t  ime  te  vögelit,  po  feste  te  bei  pre  pale  t  ens  zotit 


Albanesische  Stadien.  T.  7 

Diese.  Skipiea  me  te  ma&  indt  te  saj  i  ra  brümbulit  me  krähe 
te  saj  e  e  remben  T&purine  e  e  henger.  e  brümbuli  lefterdi  baSke 
me  Skipiene  fiere  ncfe  foU  te  saj,  e  tsoi  vete  e  ikipiese  e  i  ru- 
kulisi  poSte  e  rane  nd-e  de,  e  u  dremuane.  aStü  Skipiea  e  vre- 
ruare  Sume,  jatre  here  i  beri  vet  e  saj  nde  ne  me  te  larte  vent: 
po  brümbuli  eii  atii  vate  e  i  a  beri  si  te  parate,  aStu  Skipiea 
z  dij  me  tSe  te  ben  edä  ku  te  vej  vete  e  saj,  po  vate  la  nde 
Icielz  e  i  vu  nde  preher  te  Diese  e  i  falhej  t  i  man  mire.  po 
brümbuli  beri  fie  bol  nga  pre^im  e  u  iiit  nde  Icielz  e  i  a  vu 
Diese  nde  cji.  aStü  Diea  u  ngre  Stuare  te  Shunt  pregimne  nga 
giri  i  tia,  mbe  ne  rane  vete  e  Skipiese  poste  e  u  tSane.  e  si 
dzu  Diea  nga  brümbuli  pse  kete  e  ben  pre  t  i  vifie  pre  hakut 
Skipiese,  i  da  lik  Diea  brümbulit,  pse  eöi  de  Diea  Skipiea  neke 
besoi.  e  aStü  Diea  pre  te  mos  birhete  fara  e  Skipiese,  i  falhej 
brümbulit  te  benene  pak  me  Skipiene»  e  si  z  doi  brümbuli  t 
ulhej  nde  te  kerkuarit  e  Diese,  urderoi  Diea  tS  ahera  Skipiea 
t  6  befie  vete  ahera,  tSe  z  dükhene  brumbul. 

plareza  Sota  pse  z  ben  te  Stinene  done  fieri,  e  le  jete  eöi 
i  vogel:  pse  s  Ute  done  i  demesuare,  tSe  te  mos  vine  hohe  te 
gekot'te  e$6  at. 

3.    Qeuze  edipetrit. 

Halm  9.  Idrfluv  xal  Uqo£. 

Qeuza  rii  mbe  drize  e  kendön.  e  petriti  e  pa  e  e  zu  t  e 
hai.  e  i  &ote  d-euza:  mos  ine  ha,  pse  jam  e  vögele  e  do  mos 
te  frin  bdrkune;  po,  nde  do  te  friheS,  {juai  te  mbeden  zok.  e 
petriti  i  dvte:  se  do  jem  Sume  i  mafe,  nde  lefSa  te  ngrinete 
tSe  kam  nde  gote,  e  te  §uaih  tiatre  te   ngrene  tSe  s  e  soh  fare. 

mid'oa  d'ots  pse  Ua  iierez,  pre  te  tS6hene  me  Sume,  bdrene 
edi  te  pdkene  tSe  kane  nde  dore. 

4.   Ar  dp. 

Halm  13.    At&Coty. 

Ne  neriu  bleu  fie  Ardp  e  i  ndote  pse  s  e  lan  fare  zot  i 
pare,  pra  iS  i  zi.  e  zeroi  ki  t  e  lan  nga  dita  eöi  t  e  ferkön 
pre  te  zbardhei.  e  i  ziu  jo  pse  neke  zbardhei,  po  ede  nga  te 
ferkuarit  e  Sume  u  semür. 

pldreza  d'Ote  pse  ajö  tse  ka  neriu  nga  te  lirite,  viithete 
üera  te  vdise. 


8  VII.  Abhandlung!    M«y«r. 

5.   Kundf  edi  fiel. 

Halm  14.  AtXov(t<x  xal  dUxrqvwv. 

Kunavi  zu  fie  gel  me  lili  pre  t  e  haj  e  zu  t  e  tan,  pse  $ 
Je  Mrezete  ndtene  te  prdhene.  e  {jeli  i  &a  pse  ,u  e  ben  pre  te 
mite  t  atire  e  i  ztfoü  pre  te  ierbifane'.  e  meta  kunavi  e  ttin 
pse  Ute  putin  e  bie  me  Ü  emme  edi  me  motrat  e  tij.  e  geli  £a: 
,edi  ati  pune  e  befi  meta  pre  te  mire  te  nirezevety  te  piilene 
turne  ve.  e  kunavi  i  d-a  pse  ,ti  nde  ke  turne  te  pre§igura,  u 
neke  viethem  pa  te  ngrsne*.    e  attü  e  henger. 

pldreza  &ote  pse  Aeriu  i  kelc  tte  veidon  si  te  mboresfe  te 
bsne  te  liga  edi  pa  Uli  i  bsn. 

6*.   Mi  edi  matte. 

Halm  15.  AlXovqos  xal  /ufas. 

Nde  iie  ttepi  itine  turne  mi,  mdttea  nga  dite  i  pakesön, 
e  mitey  si  pane  se  pakesdnhetine ,  &ane  me  vitehe  te  tire:  ,te 
mos  rüshemi  me  atji,  se  tuti  do  rbirhemi;  ketu  mattea  nenke 
hipen,  e  do  ipetöims'.  attü  mattea  doi  t  i  Ket  e  u  var  de  m 
hu  e  ben  te  ngördurite.  e  te  nga  mite  u  uX  e  i  &ote:  ,o  zofia 
matte!  edi  lekure  daülese  te  bsnhet,  afre  me  s  te  viims*. 

mi&oa  d-ote  pse  nirezite  e  mentiim  kur  prspikhens  me 
fieres  tte  i  tcitüene,  nenke  i  besönens  me,  edi  te  vertäten*  u 
d'iftine. 

7.  Oela  edi  &eleza. 

Halm  22.  %AUxTQv6vtg  xal  ntgStf. 

Ne  iieri  kit  gela  e  bleu  eöe  m  $eleze  e  e  vu  baike  me 
gela,  po  ata  e  tsimbisne  edi  e  tfüaine.  e  kiö  helmonhej  tum 
e  &oi  pse  Jam  e  huaj  e  neke  u  glas:  pranddj  me  gudnene.'  po 
me  fie  tsitske  teh  §ilate  tte  zihetine  neri  me  tjdtrene.  mbe  iU  u 
ksehelmua  e  d-a  pse:  ,u  ketü  e  pare  do  mos  helmonhem,  pse 
toh  edi  ata  tte  zihensJ 

plareza  &ote  pse  iierezit  e  urte  ndurönene  te  tdrete  e  ne- 
rezevet  huaj,  kur  i  töhene  tte  tdnsne  edi  gerit  e  tire. 


libanesische  Stadien.  V.  9 

8.   PiiUatore. 
Halm  24.  'Alutg. 

Tsa  piikatore  tfuaine  e  iume  Kerö  {juaitine  e  done  peik 
neke  zune.  u  vrerüane  iume  e  döine  t  {keine  ngah  atii.  edi 
mbe  üe,  ns  peak  i  mad-,  i  güaiture  nga  tiatre  peik  i  ma&,  u 
ra  mmerda  nde  barke.    e  atd9  si  e  pane,  u  gezüane  e  ikne. 

pldreza  xhte  pse  iume  here  atö  Ue  8  na  jep  mnieitria, 
na  e  jep  fati. 

9.   Peard  eii  mar i da. 

Halm  28.  lAlwbg  xal  fiaivtg. 

Ne  peard  vu  di%tne  nde  det  e  zu  ne  maride.  ajdifalhei 
t  e  Te,  Ue  ii  e  vögele,  e  i  &oi  pse  ,kur  te  riihem,  me  ze,  e  do 
hei  me  iume  Uar/  e  psarai  &a  pse  ,do  jem  %  mafe,  nde  lefia 
Kare  tie  kam  nde  dore,  e  le  jete  eii  i  vogel,  e  te  kerk&h  te 
ma&  Uar  tie  nek  e  Höh.' 

pldreza  &ote  pse  Ute  i  mafe  at  tie  Haren  e  vogel  z  do  tie 
ka  nde  dore,  e  kerkön  te  mad'  tie  z  di  ku  Ute. 

10.  Jilpere  edi  fefe. 

Halm  32.   'Aldmrß  xal  ßärog. 

Ne  iilpere  nfiithoi  nde  ne  frurime  e  ikau  e  do  bij;  e  aitti 
u  zu  te  mbahei  nde  ne  fefe.  e  u  ngtemua  nga  gtembat  e  fifese 
e  gakesoi  kimbene.  e  me  te  dimbure  te  iume  i  &ote  fifese:  u 
te  zura  pre  te  me  ndihne,  e  ti  me  bere  me  te  made  te  keUe.  e 
fera  i  9ote:  ti  bere  te  keKe,  tie  zure  mua;  pse  u  jam  dzene 
te  ze  te  tiere. 

mi&oa  &ote  tie  atö  pesöiiene  färezite,  tie  kerköAene  ndihme 
nga  neres  tie  fji&emön  b&iene  te  lige  nde  te  tiere. 

11.   Jilpere  eii  krokondil. 

Halm  37.  IdXwnrjZ  xal  xQoxödtdog. 

• 

Jilpera  eöi  krokondil  büne  kiil  baike  kui  ii  nga  eoj.  e 
kroköndili  $oi  pre  vitehe  te  ti  edi  pre  print  i  ti  te  mbedd  ed£ 
iuma  te  ritura,  dükhete,  ee  ben  te  mbedd  trimereea.    e  dilpera 


10  TU.   AbbMdlonf:     Mef«r. 

&oi:  o!  i  mire  ti!  eii  ti  te  mos  e  deje  kete,  te  vertetene  e  ka- 
lezdn  lekura  e  ote. 

pldreza  &ote  pse  Mrezite  tie  neke  kalezdüene  te  vertäten*, 
kalezdnhene  nga  te  binate  e  pünevet  tire. 

12.  Jilpere  eii  londdr. 

Halm  39.  'j4X<anr$  xal  Xitav. 

Jüpera  s  kiS  pare  kufe  londdr.  e  heren  e  pars,  tie  pa, 
vate  te  vdis  nga  frika.  e  pa  edi  heren  e  dite  e  s  u  tremp 
koke;  e  pa  edi  te  tritene  e  s  u  tremb  fare,  po  doi  ede'  t  i  flit. 

mid'oa  dote  se  po  Sume  here  kashemi  afre  nde  te  mbedate 
prame,  pasandai  i  dzegdime. 

13.   Jelpere  ede   maimü. 

Halm  44.   'AX&nrg  xal  ntötjxoe. 

De  tie  te  mbeUdure  te  kdfSevet  ketseu  maimui,  e  koke  « 
pelkeu}  8a  e  vunne  mbrätete.  dilpere  e  Hin,  e  aitü  e  mer  fse- 
huraze  e  i  deftdn  fie  Uopu  miS  nde  ne  kudre,  e  i  &ote,  se  9ati 
täova,  po  nenke  vaita  t  e  mafe,  pa  te  mos  t  a  lefton  ti,  Üs  je 
mbritele;  keitü  mer  e  nani.'  e  aStü  maimui  u  hod*  t  e  mir,  e 
u  zu  nde  kudre.  aitu  e  §an  düperene,  e  ajö  i  da:  ,o  zona 
maimui  kake  maresire  ke  e  do  te  benheS  mbritele  kdf&evet'. 

mid'oa  Sote  pse  sa  Her  es  zenne  ierbise  pa  ment,  bierene 
nde  te  mbedd  te  liga. 

14.   ddlpere   ede*  tsidp. 

Halm  46.   *JX&nr£  xal  TQdyog. 

Jüperene  ed£  tsiapne  i  muar  etja  e  u  ruzne  nde  ne  pus, 
te  piine  uje.  e  kur  piine  ujete,  vüddn  tsxapi,  si  do  n§ithe\ 
nga  pusi.  i  &ote  düpera  se  ti  te  HereS  kimbete  nde  le&  te 
pusit  e  te  ngrU  lart  brirete,  te  ikel  nde  kurm  t  ent  ede  nde 
brire,  te  daV  jaHe;  ahera  te  te  ze  ede*  ti,  te  te  ndzier.  e  keStn 
dual  düpera  e  ke§.  tsiapi  i  zi  e  San  düperene.  e  pregeghete 
düpera  e  i  &ote  se,  nde  kiie  koke  ment,  sa  kirne  ke  nde  mie- 
kreze,  do  hohe  repara,  ande  daXe  dot  ja&te,  pra  te  hiüe. 

midoa  &ote,  pse  iieriu  i  mentsim  do  me  perpara  te  sioi- 
Hte  pünene  pa-bene  e  jo  kur  benhete. 


libanesische  Studien.  V.  11 

15.  dtlpera. 
Halm  46.  'AlwnijZ  xölovgog. 

Ne  dttpere  u  zu  nde  ku3re  e  preu  btitine.  e  nga  duna 
e  sai  u  3a  te  titravet:  te  prisni  biSterate,  te  Skarkönheni  nga 
te  rendet  e  tire.  e  Ae  ngah  atö  i  3a:  o  zoiie  iilperel  kiö,  Ue 
na  3ua  nevet  te  heims,  nde  mos  i$  e  mire  pre  ti,  nenke  na  e 
3eji  nevet 

mi3oa  3ote,  pse  nirezite  e  lue  nenke  dtiane  te  mirene  e 
te  titrevet  me  turne  ngah  te  tirene. 

16.  Ailp er e. 

Halm  47.   'Aliünrjg  nQÖg  (lOQfiohoxuov. 

Ne  dilpere  hiri  nde  ne  argastir  te  fieriut  Ue  ben  mdskare 
eöe  krere  te  drtiita.  e  Uoi  ne  krie  te  bükure  e  3a:  tSe  te  bu- 
kure  krie  ketti,  po  tru  Ue  s  ka. 

mi3oa  3ote  pse  8ume  fierss  nde  te  pars  jane  te  bukur, 
po  nder  ment  jane  te  mafe. 

17.  Mulohtö. 

Halm  58.    'Avfy  ip(va%. 

Ne  iieri  fukard  u  semür  e  iS  äume  rende.  e  jatrote  i 
3ane  pse  s  ka  gate  me.  aJstü  falhej  perendise  te  ieronhej  e  te 
3er  rie  leint  lie.  e  gruaja  e  ti  i  3oi:  ,and  u  befSe  mire,  ku 
do  i  Uo&  te  ne  Hin  IceteV  e  at  i  3ote:  ,kur  te  ngrihem  u  nga 
ketu,  te  ndote,  pse  ine  zot  do  me  kerkons  mua  ng  atö  SerbiseV 

pldreza  3ote  pse  tsa  me  kiite  Ue  3one  besönhene;  po  pre 
te  benene  atö  sa  3one  s  kane  fulcine. 

18.   Karvuftdr  ed4  lifandi. 

Halm  69.   'Av&gaxtitg  xal  yvmpvöq. 

Ne  karvundr  skon  hohen  e  tia  nde  niut  lifandi  Ue  zbar3 
plehtirete,  e  i  falhej  te  mbethej  baSke  me  lifandine.  e  lifandiu 
i  3a  pse  ,z  ben  ne  te  di  te  rime  baSke;  pse  trembhem  atö  Ue 
zbar3  uf  mos  m  i  ndzin  ti.1 

plareza  3ote  pse  ata  Tieres  Ue  neke  gldsene  nde  huj  ebt 
nde  ipirt,  z  b&nhene  mite  rnüc  mite  baike  rins. 


12  VII.  AbhftBdluic:    Mtjtr. 

19.  Neri  edi  Ken  miK. 

Halm  62.   "Av&Qmnoe  xal  m&mv. 

Ne  iieri  ndren  fat  prs  te  fton  ne  mik  te  tia;  e  Keni  t 
ketit  ftoi  ne  tiatrs  Ken  e  i  Soi:  ,o,  miku  i  im,  ea  mbrzma  ii 
harnt  baiks.'  aitu  ikne.  e  Soi  ki  Keni  pee  ja  te  gszüare  me 
er&  te  pa-prime:  dua  koke  te  ha  e  te  ndendhem,  ea  menaie  do 
moe  ms  mare  uja  fareJ  ketö  Soi  Keni  psrpara  de  miku  i  tia 
e  tund  edi  bÜtine.  e  majeri,  ei  e  pa,  e  zu  nga  büti  e  e  itie 
prejaita  nga  paleSirea.  ahera  Keni  iken  tuke  Sifurz;  e  U 
tiirete  Ken  e  piiine,  ei  hingere  eontet  e  at  u  Sa:  koke  Sums 
hingera  edi  piva,  ea  u  deie,  e  e  paSs  nga  dcia. 

pldreza  Sots  pee  e  prepe  te  besöims  t  atd  tSe  me  pranu 
te  huai  pithene,  te  na  binene  te  min. 

20.  Neri  edi  Inezdt  i  drüits. 

Halm.  66.    "Avfywnos  xatafyafoae  äyalpa. 

Ns  fitri  kii  nde  $tepi  ns  tene  zot  te  drüits,  e  i  fdlhei  t 
i  bsn  te  pdeure;  po  at  nsks  fjeghei.  e  keti  e  zu  inati,  e  e  zu 
nga  kimbete  e  e  Hiu  per  de.  e  kur  u  tia  e  u  dremua,  u  derS 
nga  kriet  e  tia  maidm;  e  ki  e  muar  e  Soi:  7ms  dükhete  pee 
je  i  mar*  edi  i  pamentiim;  pee  nani  tSs  te  tidita  e  te  itiva 
per  de,  nani  me  bsn  te  mirene.4 

pldreza  Sote  pee,  kur  jep  nderjs  Mut  te  keK  edi  te  dre- 
durs  neri,  e  te  bsn  te  mirs;  po,  kur  i  bsn  te  keKe,  ahera  te  do. 

21.  BrsteK. 

Halm.  74.    Bchfcftoi. 

Di  breteK  kuJöins  nde  ne  lutee.  e  virene  u  Sa  lutea  e  e 
lans  ati  e  kerkdinz  tiatrs.  e  tfuans  ns  pue  te  Seit,  e  neri 
Soi  tiatrit:  ,rimz  kstüJ  e  u  pregiK  tiatri  e  i  Sa:  ,nds  u  Sa- 
ftete edi  ki,  ei  do  ngithemi  lartV 

miSoa  Sote  pee  pa  te  piens  neriu,  e  prepe  te  bens  gz. 

22.  NikoKirS  (zokS  i  ndtees). 

Halm.  85.   Bttalh  xal  rvxT<£&. 

Nga  ne  virzzz  varhej  As  nikokirS  e  ksndön.  e  laskurüü 
e  pieiti,  pee  ditene  prahe  e  netten«  kzndön.    e  at  uprzgeß  p*t 


Albanerisebe  Studien.  V.  13 

,neks  e  ben  mbe  te  mbdrtura;  pse  ne  here  kendone  ditene  e  u 
zuhe,  ka  ahera  vura  ment'.  e  laskuriki  i  &a,  pse  ,preps  pa 
zene  te  rüheie;  nani  me  s  veUn  §e.1 

pldreza  &ote  pse  pa-bene  neriu  §e  te  rühete,  e  jo  kur  e  ben. 

23.  Matte. 

Halm.  86.   raXfj. 

Matiea  hiri  de  ne  argastir  Ue  beine  Knute,  e  tSoi  ne 
ngah  atö  e  zu  e  e  lepin;  e  tuke  lepiture  dzir  §ak  gluha  e 
sai,  6  t  ndodei  pse  mit  hai,  e  sa  ferkön,  'here  tte  prüi  tuti 
glühen  e  sai. 

Pldreza  Ute  pre  ata  Ue  düane  <ji&e  mone  te  &ene  kitte 
e  te  prejeghene,  e  demesonene  vitehen  e  tire. 

24.  Plak  eöd  vdikele. 

Halm.  90.    I¥q<ov  xal  davaiog. 

Nde  ne  mal  he  plak  prit  dru  e  e  muar  ngrahe;  e,  si  U 
dromi  i  turne,  &erü:  ,vd6keVe,  ea,  mer  me!'  na,  edi  vdikeTa  e 
vate  e  i  &ote:  ,Ue  me  kerkönV  plaku  i  $a:  ,te  &ira  te  me 
ndihniS  te  ngarkonhem/ 

mi&oa  &ote  pse,  kur  kemi  Hrenfiim,  kerköime  vddketene, 
po,  kur  vien,  duame  me  turne  jfdlene. 

» 
25.  Neri  edi  Jcente. 

Halm.  95.   rtctigydg  xal  xifotg. 

Ne  heri,  pse  ti  dimer,  rix  nde  kalive  te  ti.  e  perpara 
henger  dilete,  pastai  edi  dite  e  ti,  e  pa  sküare  dimeri,  &eri 
ede  Jcete  e  pünese.  e,  si  pane  Heute  zone,  se  i  henger  edi  atd, 
&ane;  tSe  rime  nevet  kettit  po  zotit  s  i  öembi  zemera  pre  ke 
te  pünese,  nevet  do  te  na  lere  t  ikeimet 

mi$oa  &ote,  pse  ng  atd  neres  t  {keime,  tie  demesonene 
eii  mik  e  tire. 

26.  Pendes  me  diilm  te  ti. 

Halm.  98.   rteoQyög  xal  natStg  avrov. 

Ne  pendes  vdis  e  doi  te  ben  diüt  e  ti  pendes  te  mire,  e 
u  &ote:  ,diüm   te  mit  u  vdes,   e  kam  nde  vreSte  f&ihurs  tsa 


I 


14  VII.  Abhandlung:    Meytr. 

prame,  e  kerkoni  t  %  tioni.'  e  kur  vdik  jati,  atire  u  ndote 
pse  do  kiS  fiehure  §e  pari  nde  weite:  e  aitu  müare  ieterin 
ede  dikeTe  e  remdine  vrütene  pre  te  tiöine  vione.  e  s  tsuane  fan 
<)e,  po  vreita  e  u  ierbii  nga  te  remüarite  e  bene  vere  mbe  diu 
nga  tie  biine. 

pldreza  &ote  pse  te  ierbierite  edi  te  lödurite  nde  nert  Ute 
te  pdsure. 

27.  Pen  de 8. 

Halm.  101.    rttoQydg  xal  Ttyr}. 

Ne  pendes  remdn,  e  atii  tie  remdn  tioi  maldm.  e  nga 
dita  falhei  atit  vendit  tie  tioi  maldmite.  e  fati  i  tia  mbet  e  i  &a: 
,o  nert  i  mire!  pse  ndirjene  i  a  jep  vendit  e  s  m  a  jep  mua 
tse  me  veFenf  dij  keti  pse  u  te  bera  te  pdsure  e,  nd'  dritte 
Herd  tie  te  pdsurite  t'  end  te  ve  nde  tiatre  neri,  mua  do  me 
maleköi/ 

pldreza  &ote  pse  te  mirene  ngah  at  ti  e  tiöime,  atit  ede 
ndirjate  te  jamme. 

28.  Plake  edd  jatrö. 

Halm.  107.    rpavg  xal  torp<fc. 

* 
Ne  plake  i  &a  jatroit  tie:  ,me  dembene  site,  e,  te  me  bt* 

te  ioh,  do  te  jap  kalie,  e,  nde  mos  pafia,  do  mos  te  jap  gs.K 

e,  tie-kur  zeroi  jatroi  e  vei,  i  mir  nga  dita  nga  i\e  prame  U 

itepise.    tiers   tie  u  be  mire,  jatroi  s   i  la  ge  nde  itepL    aitu 

jatroi  kerkoi  likne  e  ti.    plaka  i  &ote  pse  yahera  tie  me  öimbm 

site,   iohe   iume  prame   nde   itepi;  nanif   tie   &ua   ti,   se  ioh, 

nenke  ioh  §e  nde  itepi*. 

mi&oa  &ote  pse  nirezite  e  keUi  nga  te  mirate  tie  behens, 

se   dükhete   se  fiihhine,  po  nga  te  binnate  e  tire  kalezönhene. 

29.  Grua  eii  bufe. 

Halm.  108.    rvvtf. 

we  grua  kii  bure  bekri  e  doi  pre  t  e  ben  te  mos  pij  »»€. 
e  kur  e  pa  te  dSiture,  e  ngriti  nde  krähe  te  saj  e  e  tteli  e  e 
vu  de  fie  var,  e  i  mbili  direne.  e  kur  er&  mbi  ve'tehe  nga  te 
diiturite,  pole  grüaja  deren  e  varit  e  ki  nga  pre  mberda  &a: 
,kui  iiteP    e  grüaja  &a:  ,kam  sele  pre  te  harte  te  vdeTcurittJ 


\ 


Albanesisch«  Stadien.  V.  15 

e  at  i  &a:  ,mos  me  sele  te  ha,  po  te  pi:  pse  kur  me  keltön  te 
ngrinete  meretonhem,  ami  pre  te  pire  gezonhem.'  e  ajö  &a:  ,o, 
e  ndara  u!  Ue  rbora  koposet  e  mi:  pse  ti  jo  Ue  nek  u  ndreiSe, 
po  u  beäs  me  Rk§.' 

pldreza  &ote  pse  ixeriu  Ue  nde  M  te  lige  ben  vitera}  me 
8  ndr&chete,  pse  benhet  e  Xiga  si  edi  t  e  kiS  Ue  kur  u  le. 

30.   Grua  e  ve  me  kopela. 

Halm.  110.    Tw^i  xal  Ötgäncuvcu. 

Ne  grua  e  ve  kiä  kopela  e  i  ngrin  naten  e  Serbeine,  kur 
kendön  geli.  aHü  atö  kopilate  vune  nder  ment  te  tire  te  vrd- 
8ene  gele,  pse  zgon  zonen  e  tire.  e  kur  mbttene  fiele,  i  pesuane 
me  te  mbedd,  pse  zona  e  tire  neke  nih  Ue  ore  iS,  e  i  zifon  me 
nate  akoma. 

pldreza  &ote  pse  neriu  vete  tuke  kerküare  te  mirene,  si  i 
&ote  ment  i  tia,  e  Uon  me  te  ligene. 

31.  Grua  e  ve  e&&  pula. 

Halm.  111.    rwT)  xal  öqvig. 

Ne  grua  e  ve  kti  ne  pule,  e  nga  dite  i  ben  ne  ve.  asait 
i  ndote,  nde  i  jip  §ume  elp,  do  pil  di  here  ditene;  e  i  jip.  e 
pula  hai  hatte,   sa  u  mai  e  s  munt  te  pH  mos  ne  here  ditene. 

mid'oa  Ute  pr  ata  Ue  kane  te  paka  te  mira  e  vihene  te 
Uönene  te  himate:  bdrene  ede  te  pdkate. 

32.  Grua  magiStrete. 

Halm.  112  b.    Pvvr]  fi&yog. 

Ne  mafiiUreh  grua  majeps  e  &oi  pse  ka  fuki  te  Suafo 
fatne  e  Xik  edi  te  kekte  tütizevet.  e  me  ketö  Ue  &oi  mbeli& 
tsa  pari,  e  kalezüane  de  (jikdtesi,  e  at  urderoi  vdekelen  e  sai. 
e  ne  e  pa  Ue  e  hilne,  e  i  &a:  ,o  ti,  e  mire  grua!  Ue  &oje 
pse  ke  fuMine  te  pe&6$  te  ttärevet  te  kekte,  si  s  peSön  eii  te 
kekte  e  gikdtesit?' 

pldreza  &ote  pse  tsa  tieres  &one  me  kSite  pse  b&fiene  te 
mbedd  prame,  po  ede  atö  te  vögelate  s  munt  t  i  b&fiene. 


16  VIT.  Abhandlung:    M«y«r. 

33.  Dre  edi  weite. 

Halm  127.    "EXcupoc  xal  8/untlos. 

Ne  dre  iken  nga  tfaitörete  e  u  fieh  de  ne  weite  e  kur 
iküane  tfaitörete  pare  nga  vreita,  dreu  &a  p$e  ipetoi,  e  zu  e 
haj  fletet  e  vriiteee.  aitü  u  pruare  tfaitörete  e  e  pane  drene  e 
e  vrane.  e  aitü,  ei  vdie,  &oi:  ,me  te  §i&e  UH  e  pssova:  pee  s 
prepe  te  demesoAs  ati  tie  me  man*. 

pldreza  &ote  pee  ea  demesöAene  ata  ti  u  bifiene  te  mire, 
do  koldehene  nga  Perendia. 

34.  Londdr  edi  dre. 

Halm  129.    "EXa<pos  xal  li&v. 

Dreu  iken  nga  gdtörete  e  hiri  nde  Ae  ipele  tie  u  ndoS 
t  ii  mberda  Ae  londdr.  e  ei  e  zu  londari  e  pa  tie  do  vdis, 
%hi:  ,o  i  ndari  u!  (keile  nga  Airezite  e  raie  nde  &on  te  londarit.' 

pldreza  9ote  pee  iume  Aeree  (keAene  nga  tea  te  vögela  U 
liga  e  bidrene  nde  me  te  mbedd. 

35.    Te   meriture. 

Halm  144.  *EX$Qo(. 

Di  Aeres  te  meriture  takeidepene  me  Ae  kardf  e  Aeri  ii 
perpara  nde  puar9  e  tiatri  nde  prim.  e  aitü  beri  Ae  furtum 
e  madi,  ea  i  ngalköine  diterate,  e  vej  te  birhej  karavi.  e  at 
tie  fij  nde  prim  piin  nafklirine  e  i  &oi:  ,teila  angone  e  ka- 
ravit  do  mbithete  me  perpara',  e  i  &a  pee  ,puarifm  e  at  &a 
pee  ,u  nani  e  trembhem  vdikeüne,  pee  do  ioh  te  mbithete  me 
perpara  at  tie  i  kam  indV. 

pldreza  öote  pee  iume  Aires  neke  zenne  demn  e  tire  pn 
§e,  po  iöhene,  tie  demesönhene  edi  ohtröt  e  tire. 

36.  Jelfin  edi  peik. 

Halm  167.    &övvo$  xal  ätX<plv. 

Ne  Seif  in  vu  mbe  katie  Ae  peik  te  ma&,  e  nga  trembssira 
e  tire  rane  tfaite  nde  Ae  niei  tie  te  di.    e  aitü  u  pruar  peihi 


i 


Albonesische  Studien.  V.  17 

e  vdtdon  Selfine  tSe  i  dil  Spirti,  e  i  &ote:  ynenke  helmonhem  se 
vdes,  pse  Soh  ati  Ue  me  ben  vdäkelkne  t  ime,  tSe  vdes  ede*  at.1 
plareza  &ote  pse  nie   leh  Skönene  fukarine  fdrezite,  kur 
Söhene  ata  iieres,  tSe  i  Stinene,  te  jene  fukard. 

37.   Jatrö  ede*  i  semürm. 

Halm  169.    'JatQÖg  xal  voadtv. 

» 

Ne  jatrö  Seron  iie  te  semürm:  e  i  semürm  vdilc.  e  jatröi 
&oi  pse  ,at  iieriu  te  moS  pii  vere  e  te  mos  ben  ede*  servitsi,  do 
mos  vdis.  e  ne  i  &a:  ,o  neri  i  mirel  nani  z  ben  te  d-eS  ngah 
ata  kitte  tSe  neke  benene  doüe  te  mire;  po  t  i  &eje  ahera  tSe 
mboretö  te  büne  done  te  mire'. 

pidreza  d-ote  pse  mifcte  ahera  jane  mik  kur  te  b&iene  te 
mire  nde  milc  te  tire  nde  iie  Strenfiim,  e  jo  ati  koke,  kur  z 
veTen  e  mira  e  tire. 

38.  Ne  tSe  dzir  zoJc  ed6  neperte. 

Halm  171.   Vffvrfc  xal  AanCg. 

9 

Ne  tSe  ndzir  zoll  muar  iie  ku&re  eö6  purteka  pre  te 
güane  zok.  e  nde  ixe  drize  pa  iie  tSihle  e  vu  dertite  e  tia  pre 
t  e  zij.  e  si  kis  mende  nde  zok,  Skeli  ne  neperte  tSe  flij  nde 
vent  tSe  fij  at.  aStü  neperta  mbe  iie  tS  e  Skeli  e  zu.  e  at  me 
te  dimbure  &oi:  ,vemo9  i  ndarif  u  Ue  d-oje  te  tiere  te  zere,  u 
zuSe  nga  tjatre,  e  kam  gati  te  rbar  jitene  t  ime.1 

pidreza  &ote  pse  tsa  düane  te  demesönene  te  tiere,  e  Jces- 
hene  e  demesönhene  atd  nga  te  tidrete. 

39.   Uli  eii  kalm. 
Halm  179  b.   Kdlafiog  xal  UaCa. 

Uliri  ede  kalmi  biine  k$il  pre  te  forte  ed(  pre  te  praga- 

lidsure.    e  uliri  San  kdimine  te  paforte,  pse  tSe  do  ere  e  ben 

e  ülhete  iiere  nde  de.     e   kalmi  puSon,   iiere   tSe   zu   iie   ere   e 

forte.    aStü  kalmi  nd  ajö  era  e  forte  uThei,  e  Spetoi;  po  uliri 

rix  i  pa-tündure,  iiere  sa  ts  u  tSa  e  u  dremua  tuti. 

pidreza  &ote  pse  me  me  te  forte  nga  ti  te  mos  e  vei,  pse 
demesonte;  po  te  geghei  edi  te  Jcei  bark  te  ma&,  ande  do  te 
roi  mire. 

8itsnngsb«r.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIY.  Bd.  7.  Abh.  2 


18  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

40.  Gamile. 

Halm  180.    Kd/xr^Xo;. 

Te  pdrene  here  Mrezite  pane  gamilens  e  u  trembne  eie 
SaStisne  nga  kurmi  i  mafr  tSe  kiS,  e  (keine,  e  pastdi,  si  t  pani 
te  butet  e  sai  tSe  kiS,  zune  e  KdsheSine  afre.  e  me  pastui 
akoma,  si  parte,  pse  s  Jie  fare  indt,  e  dzegöine  e  i  vune  t&t 
{jem,  e  i  jipne  nde  dielm  te  tire  t  e  hilKne. 

pldreza  $ote  pse  nde  te  mbedd  prame  kuS  Kdshete  Sums 
here,  pastai  i  dükhene  te  vögela. 

41.    Gir&ete   eii  ddlpere. 

Halm  186.   KaQxCvog  xal  dldmitf. 

Ne  g&rd'ete  dual  nga  deti  nde  Ae  mal.  e  delpera  guan 
pre  te  ngrene.  aStü  tsoi  gir&etene  e  e  henger.  e  ger&eta  &a: 
,mire  te  pesöit!  pse  atj4,  tSe  jeSe  detes,  doje  te  binheSe  %  deut: 

pldreza  &ote  pse,  kuS  le  Serbesne  t§e  dzu  tSe  pre  se  voge- 
lit  e  kerkön  tjatre,  demesönhene  me  Sums. 

42.  Kast6r%. 

Halm  189.   KdortoQ. 

Kiö  kafSe  iSte  me  katre  kembe  e  kulön  (fi&e  mone  nga 
lütsate.  e  &one  pse  herdet  e  ketit  bHene  jatri.  aStü  kiö  kafia 
kur  Seh  t§  e  <fud?iene}  di  pre  tSe  e  §udnene  e  prirhete  me 
Sembe  te  tia  hirdete  e  i  laSön;  e  aStu  Spetön  jeten  e  tia. 

pldreza  &ote  pse  fi&rezit  i  mentSim  pre  te  miren  e  Spirtit 
edi  kurmit,  neke  mbdnene  te  mbilura  te  pdsurit  e  tire,  po  kur 
iSte  Strengim,  e  dzerene. 

43.   Perivoldr   ed£  Ken. 

Halm  192.   KrpzcoQÖg  xal  xtW. 
» 
Niut  perivoldr  i  ra  Keni  nde  pus.    e  perivolari  u  ru$  t 

i  ndih  Kenit.     Keni  i   trimbure  mos  u  rus  perivoldri  pre  t  i 

mbin,   u  pruar  e  e  zu.    perivolari  nga  te  dhnburit  e  Sume  n 

nit   e   d-oi  pse  ,mir  e  pesova,  pse   tSe  doje  u  t  i  ndihne  niut 

tSe  vete  at  do  vdtkeTen  e  tia?' 

pldreza  iSte  pre  neres    tSe   s   nohene   te  mirene   tSe  ti  u 

ben,  e  do  te  binene  te  lige. 


Albanesische  Stadien.  V.  19 

44.  Karakaske. 
Halm  202.    Kolotdg  (pvydg. 

Ne  zu  ne  karakaske  e  i  Ude  nde  kembe  ne  tsope  galme, 
e  i  u  da  dialit  tia  te  luan.  e  karakdskese  s  i  pelMu  te  gent- 
hei  me  Hertz  baSke:  tioi  kolain  e  sai  e  iku  e  vate  nde  tsa 
driza.  e  tfahni  t§  i  varhei  u  kolis  nde  kertsiil  te  drizavet.  e 
astü  vei  pre  te  vdis  e  &oi:  ,o  e  ndara  u!  tse,  pre  te  mos  rije 
batike  me  neres  t  u  Serbeiie,  u  kehe,  e  nani  rbier  jttene  t  ime. 

pldreza  d'Ote  pse  Ua  düane  te  Spetöfisne  nga  te  vögela  te 
liga,  e  keShene  e  biifene  nde  me  te  mbedd. 

45.  Pen 6k. 

Halm  203.    Kofinaorrjs. 

Ne  neri  muar  den  e  huaj,  e  meta  u  pruar  nde  vent  te  tia  e 
&oi  pse  nde  Sume  vende  beri  te  mbedd  trimeresa,  &a  pse  edi 
nde  Rofr  beri  ne  te  karbetsiere  te  ma$,  e  tiatre  iieri  nek  u  ndo& 
t  i  a?en,  e  kiS  edi  kalezore  ata  ts  u  ndode  atii.  aitü  u  pregeg 
/ie  e  i  öote:  ,§eg  u,  mik!  nd  Ute  e  vertete  ajö  tSe  &ua,  neke  na 
dühene  kalezore,  po  ketu  Ute  edi  Rodi  edi  te  karbstsierite.' 

pldreza  &ote  pse  tsili-do  nek  i  deftön  prdmete  me  te  bene 
atö  Ue  &ote,  sa  do  te  &ote  me  ksile,  neke  zene  vent 

46.  Zok&  i  vogel. 

•  Halm  209.    KogvSaXXös. 

Ne  zok&  u  zu  nde  ku&re  e  tuke  klare,  &oi:  }atl{  nde 
mua  kakomire  edi  te  bute&ine  zok&!  doiiiut  voda  maldm  mite 
rgent  mite  tiatre  ge;  po  vdteme  ne  kölceze  grure  me  ben  te  bar 
jttene  t  imeJ 

pldreza  täte  pre  atd  tSe  per  pak  diafuar  iköiiene  te 
ma&  rizik. 

47.  Qrumbil. 

Halm  217.   Ko^Uat. 

Ne  diale  pSndesit  pik  drumbit:  e  atd  krisisne  nde  ziarm. 
e  at  u  &ote:  ,o  te  kek  kafSe,  tSe  Stepirate  t  uai  dilchene  ejuvet 
kendoni.' 

mi&oa  d'Ote  pse,  sa  prame  nenke  benhene  nde  koke,  tuti 
jane  te  Hitura. 

2* 


20  VII.  Abhandlung:    Mo 7 er. 

48.  Nerz. 

Halm  221.   Kvv6$j\xto$. 

Ne  neri  e  zu  Iceni,  e  kerkdn  jatrö.  e  fieri  tiatri  e  dzu 
e  i  &ote:  ,ande  do  te  SeronheS,  mer  ne  Uitskeze  büke  e  fix 
gdlcite  e  lavdmese  e  jep  i  a  leenit  tSe  te  zu,  t  e  haje.'  e  at  Resi 
e  i  $a:  ,ande  befsa  u  keti,  e  leente  e  hdrese  t  i  dzene,  iuti  do 
vinene  me  zene.' 

pldreza  &ote  pse  iieriut  te  kell,  sa  do  te  mira  t  i  &ts, 
at  gi&e  do  te  te  Mine. 

* 

49.  Ken  eöi  fiel. 

Halm  225.  Kvtov  xal  dktxTQvmv. 

Keni  ede  geli  bene  Solceri  e  et  seine  baSlce,  e  hur  u  er, 
fieli  u  ngit  nde  drize  e  Keni  mbet  nde  reue  te  drizese  tte  H* 
gofale.  e  ndai  menate  Icendoi  geli,  undre  si  iS  dzene.  t  hz 
dttpere,  si  e  fiele  tSe  &iri,  vate  atje  e  i  &ote:  ,te  falhem  stime, 
te  vis  poSte;  tue  me  pelKen  &irme  jote}  e  dua  te  te  pu9.'  ' 
geli  i  &ote:  ,nde  do  te  rushem,  zgo  d6resine}  tSe  iSte  nde  rm 
te  drizese/  aStü,  si  kerkdn  delpera  dSresine ,  leeni  e  fiele  e  u 
ngre  e  e  henger. 

mi&oa  d'Ote  pse  neriu  i  tirete,  kur  nenke  munt  vete}  ts 
dernesone  nerin  e  keU,  e  keS  e  e  dergön  nde  me  te  mad-  neri 
te  keK. 

50.  Ken  ed6  ulk. 

Halm  231.    Kvtov  xal  Ivxog. 

Ne  Ken  flu  prejasta  Stepise  e  ulku  e  tsoi  e  doi  t  e  hm. 
e  Iceni  i  falhei  e  i  $oi:  ,se  nani  jam  i  höh  ede  i  lik,  po  prit 
tsa  leer 6,  tSe  do  benene  zoterite  e  mi  dasme,  e  do  ha  Sums  e 
do  te  te  dukhem  i  Siluam.1  aStu  utku  besoi  e  e  la.  e  me  pah 
dit  er  dt  prape  utku  nde  Stepi  te  leenit  e  e  pa  tSe  iS  de  i  si- 
premi  pat  i  stepise,  e  i  &ote:  ,kultd,  nie  ke  tdksure  e  rusn 
poSte.'  e  Iceni  i  &ote:  ,o  ulk!  tSe  sot  e  pare,  nde  me  pafie,  te 
fle  poSte,  mos  prit,  te  benhene  dasme.1 

mi&oa  &ote  pse  nirezite  e  ürete,  kur  Spetdnene  nga  ne  e 
lige,  ruhene,  te  mos  bitvene  nde  jatre. 


Albanesische  Studien.  Y.  21 

öl.  Majer  ed&  Ken. 

Halm  232.    Kvcov  xal  fidytiQog. 

De  iis  majeriö  hiri  ne  Ken,  e  si  kis  mdjeri  serbes  ts  ti, 
Jceni  Uoi  iis  zemsrs  e  e  rsmbeu  e  iku.  e  mdjeri  kur  pa  Kens 
t$s  iksn  d'a;  ,o  ti  Ken!  ku-dö  te  te  soh,  do  kein  gi&e  mone 
mende,  pse  zimsrs  ti  nsks  ms  more,  po  ms  daSe  zsmsrs.' 

pldreza  &ote  pse  te  pssüarate  nds  iieri  bsnhens  te  mbs- 

suara. 

52.  U&pura  ed6  brstsK. 

Halm   237.    Aaytaol  xal  ßdiga/ot. 

U&purats  u  mbsTods  e  kTdins  te  gdtste  e  tire,  pse  üts 
pJot  friks,  pse  ede  nga  üerss  edi  nga  Ken  ede  nga  te  tiers  kafSs 
birhins.  e  &6ins:  ,ms  mirs  ists  te  vdesme  iis  hers,  se  nds  tuti 
Jets  t  sns  te  kemi  friks.'  e  zsruans  tuti  e  vin  nds  lutss  te 
mbitheSine.  breteKits,  t$s  ihis  tors  büzsvet  lütssss,  si  ge<jns  t 
etsurits  e  Tepuravet,  mbs  iis  karbstsiens  nds  lutss.  astü  iis  nga 
Tepurate,  m  i  mSntSimi,  u  Sote:  ,rini,  miKl  le  mos  bsims  ts 
ligs  nds  vetshi  t  sns,  pse  veZdoni,  tss  jans  ede  ts  tiers  kafSs 
me  ms  ts  made  friks  nga  nevet/ 

mi&oam  &ote  pse  fukarats  ligönhens,  kur  Söhsns  ms  te  UK 
nga  vetshea  e  tire  fukard. 

53.   Londdr   ede   dölpsrs. 

Halm  246.   Abav  xal  dXtoTcr)!-. 

Ns  londdr  u  mblak  e  s  munt  te  guan  ms.  e  aHü  vate 
e  hiri  nde  ns  ipets  e  &oi  pse  iS  ssmurs.  e  veins  kdfSsts  t  e 
sihns,  e  at  i  zii  e  i  hai.  aHü  e  dzu  ede  ddlpsra  e  vate:  po 
nohu  delpsrin  e  tia,  e  mbet  prsjasta  spHsss  e  e  piin  ths  bsn. 
e  londari  i  &oi:  ,jam  kek;  po  hir  mbsrda!'  e  delpsra  i  &a: 
9nsks  hin  mbsrda,  pse  Soh  ksmbs  te  Sumsvet  kafSs  t§s  hins 
mbsrda,  po  te  pdksvet  ksmbs  Soh,  Us  duale.' 

pldreza  &ote  pse  nerszit  e  menUim  prs  s  alargut  iiöhsns 
tis  do  i  tSoiis,  e  ruhsns. 

• 

54.   Londdr   edi  arkuds. 

Halm  247.  Adav  xal  äQxtog. 

Londari  ede  arkuda  tsuans  fis  vits  e  zihesins  te  di,  ku§ 
t  e  mir.  e  nga  te  sumste  ts  zsns  u  lods  e  rans  psr  de.  na!  eäv 


22  VH.  Abhandlung:    Meyer. 

ne  delpere  at  ore  &kon  atie  e  pa  pse  ketd  z  munt  te  ngriheiine, 
londari  edi  arkuda,  e  viUi  U  atie  per  de  i  vrare  nde  mes  U 
tire.  vate  e  ngriti  Jciö  e  iken.  ata  e  $ihne  e  pse  z  munt  tt 
ngrihesine,  &ane:  ,o  te  mh&rete  nevet!  pse  pre  delpere  bem  kalk 
te  lödura/ 

pldreza  &ote  pse  8ume  iieres  lödhene  prs  tsa  Serbise,  po 
te  tiere  i  gezoriene. 

55.  Londdr  edi  bretek. 

Halm   248  b.    Altav  xal  ßArga^og. 

Londari  geK  ne  bretek  Ue  &erit  fort;  e  u  pruar  nde 
male  te  üirmese,  pse  i  u  duk  Ue  iä  kafse  e  maöe  Ue  teriL 
e  nie  ne  UiUke  dual  breteku  nga  lutea;  e  si  e  pa  londari,  vate 
e  e  kataikeli. 

mi&oa  &ote  pse  nenke  ben,  te  tr&mbhemi  mbe  ne  nd  ad 
tSe  geghemi,  pa  te  mos  e  Somme. 

56.  Londdr  ede*  ulk. 

Halm  265.   Aiwv,  Ivxog  xal  dhtmrfc. 

U  mbldkure  londari  e  derghej  de  iie  Speie.  aJktu  tuti  haf- 
tete vane  t  e  Uöine,  veU  nga  dilpera.  ulku  si  Uoi  koldj,  t 
htiti  delperene  nde  londdr  e  i  &oi  pse  }ajö  pak  nder  mbretne  e 
tuti  kdfSevet,  e  anddj  s  ka  drdure  te  te  Sohe/  e  nde  male  te 
kuvSndese  afü  ede*  dilpera  e  fiele  te  pasanddimete  JUile  uTkut. 
e  londari  u  egeresua  mbi  male  dilperese;  po  ajd  u  pregek  e  i 
&a:  ytsili  nga  ketd  Ue  erde  e  te  pane,  te  beri  te  mire,  sa  te 
bera  u,  Ue  veje  tuke  kerküare  jatrine  pre  ti,  e  e  UovaV  e 
londari  e  urderoi  te  i  &ei  jatrine  Ue  Uoi.  e  ajd  u  pregäc: 
,rip  i'ie  ulk  te  fiaie  e  vere  lekuren  e  tia  te  ngröhete  nde  mah 
te  kurmit  t  ent,  e  do  benhei  mire.'  a$tü  londari  mbe  ns  $eri 
ülkune  e  atie*  Ue  lahtaris  ulku  per  de  si  i  vddkure,  dilpera 
tuke  UiSure  &oi:  ,s  preps  te  seleS  zone  nde  indt,  ulk,  me  te 
tündurate  Ü  ent/ 

pldreza  &ote  pse  at  Ue  leftön  te  itine  tidtrene  nde  zot  te 
mad'  pre  te  keke,  prirhete  do-ne  here  e  JceJcea  mbi  male  atit 


Albaneaische  Stadien.  V.  23 

57.  Londdr,  gaidür  ede  delpere. 

Halm  260.  Aitav^  Övog  xal  dX&nrß. 

Londari,  gaiduri  ede*  dälpera  bene  sokerie  duale  te  guaine, 
e  zune  $ume  te  ifuaiture.  aStü  i  $a  londari  gaidurit  te  ndane 
te  guaituriU.  at  i  ndaiti  e  i  beri  tri  piese  te  dreita  e  &a: 
,yi&e~kuS  te  zglede  te  mare.'  e  londdri  kaue  u  ngeli,  sa  e 
vrau  gaidure.  pastai  i  &ote  dölperese:  ,ndaj  i  tiV  e  deU 
pera  i  beri  tuti  ne  piese  e  aö  mbaiti  ne  UiUke.  e  i  &ote  lon- 
dari: ,o  zone  d&pere!  kuä  te  mbesoi  te  ndanes  kalce  mireV  aö 
u  pregeU:  fe  paprimea  e  gaidurit/ 

plareza   &ote  pse   fterezite   mbesdnene,    kur   Sdkete   e   tire 

pesdnene. 

58.  Utk  edd  leilik. 

Halm  276  b.   Atixoq  xal  yfyavoq. 

Niut  ulk  u  mbet  ne  kokal  nde  grike,  e  i  d-a  leilekut  pse 
,po  ti  je  kadir  te  me  dzefeS  kökaline  nga  grike,  u  do  te  te 
paguaii.'  e  leileku  vu  kriet  e  sai  nde  gole  t  ulkut  e  me  Uep 
te  tia  i  dzuar  kökaline  ulkut;  e  pastai  kerkoi  te  paguditurite. 
e  ulku  JceU  e  i  &a:  ,t'  aren  pre  te  paguditure  t§e  ndzore  nga 
gola   e  ulkut  edd  nga  dembet  e  tia  kriete  t  end  e  s  pesove  ge.' 

plareza  täte  pre  neres  Ue  pagüanene  atd  Ue  u  ipetönene 
jetene,  me  ne  te  paguditure  si  atd  t'  ulkut. 

59.  Mayo. 

Halm  286.   Mdvng. 

Ne  mayo  rii  nde  bazdr  e  majeps  nene  tidtrene,  e  aStü 
vete  ne  e  i  &ote  pse  dierte  edi  pali&iret  e  Stepise  s  ate  Une 
hdpete  e  te  vode  tuti,  sa  üne  mmerda.  e  mayoa  mbe  ne  sal- 
tari  ede  tuke  pSeretiture  beri  vrap.  aStü  ne  e  pa  Ue  vej  vrap, 
e  i  &ote:  ,o  Aeri  ti!  Ue  praymet  e  huaj  majepsne,  si  neke  dije 
te  rüafie  edd  te  tuatef 

plareza  iSte  pre  atd  Ue  neke  Sdhene  ato  te  pa-  mirate 
Ue  benene,  po  düane  te  mbesdnene  te  tidrete. 

60.   Milengone   ede  pelistdr. 

Halm  296  b.   MvQfirß  xal  ntQUJTiQä. 

Ne  milengone  e  ki§  mare  dtjea  e  hiri  nde  lume  te  pii 
uje.    lumi  e  mir  dzare  e  do  mbithei.    ne  pelistdr  e  pa  e  stie 


24  VII.  Abhandlung:    Heyer. 

ne  degeze  drize  e  u  mba  mihngona  e  spetoi  te  gdhte.  atje  w 
ndo&  ede  iie  fiuaites  tSe  ngul  nde  de  purteka  te  zii  pelistere:  e 
mihngona  e  zu  nde  kembe  nats,  e  nga  te  demberite  stiu  per 
de  purtikate  e,  si  pa  aUü  pelisteri,  iku. 

mi&oa  &ote  pse}  kus  te  ben  te  mire,  t'  i  bes  ede  ti. 

61.  Te  ri  ede  majer. 

Halm  301.   Ntavfaxoi  xal  /uäyttgog. 

Di  te  ri  dielm  u  ndode  afre  nde  rf«  majeriö,  e  mdjeri 
do  ben  te  ngrena  nga  mi$.  e  iieri  nga  ketü  te  di  muar  »e 
tsope  mi§  e  i  a  vu  nde  <fi  tiatrit.  kur  kerkon  mdjeri  müU 
tse  duhej  e  z  munt  t  e  tson,  pregeghete  fieri  ngah  ata,  at  Üb 
e  muar,  e  i  ben  be  pse  ,8  e  kam  u/  e  at  t§e  kiS  nde  gi7  bin 
be  pse  s  e  muar.  mdjeri  i  ziu,  si  pa  te  kefc  t  atirevet,  &a  i 
pse  ,mua  mboretd  te  me  Jcesni,  po  t  ene  zone  Ue  beni  be}  do 
mos  e  ke$ni.< 

pldreza  $ote  pse  iierezite  me  be  Ue  büme  mboreto  t  i 
Uesme,  po  t  ene  zone  nek  i  ßesme. 

62.  VitS   dreut   ede   dre. 
Halm  303.   Neßgög  xal  Mlatpog. 

VitH  i  dreut  &a  nde  dre:  ,o  täte!  ti  je  i  ma&  ede  m  i 
Speite  nga  kente}  ke  akoma  ede  brirs  te  mbeden  pre  t  %  lefto*: 
pse  koke  u  trembheV  e  dreu  tuke  Icesure  i  &a:  ,o  didl  i  im,  ts 
vertetene  &ua:  po  besö,  pse  te  gamelisurit  e  ßenit  te  geghemf 
neke  di  sa  frike  me  ze/ 

pldreza  &ote  pse  sa  jane  t§e  nde  ts  lere  friketore,  dohs 
kxil  nek  u  jep  zemere. 

63.  Jatrö  ede   i  ssmürm. 

Halm  305.   NooStv  xal  iajQdg. 

§ 

Ne  iieri  u  semür,  e  jatroi  e  pien  si  skoi.  u  pregeg  pse 
dirsi  §ume.  e  jatroi  i  &a:  ,e  mire  i$te/  e  meta  e  pieiti  si 
Skoi,  e  u  pregeg  pse  e  zu  §ume  te  gerditure.  e  jatroi  i  &a:  fi 
mire  ede  kiö.'  edi  mbe  treteze  e  pieiti  ,si  §kove',  e  i  semurmi 
u   pregtff,  pse   ,me   zu   dropiki.'    e  jatroi  i  &a  pse  ede  kio  t 


Albanische  Studien.  Y.  25 

mirs  iSts.  aStuns  e  pieiti  ts  ssmürmit:  ,mik,  sijeP  e  at  u  pre- 
ge'g  e  i  &a  pse  ,nga  ts  mirats  tSs  jatroi  ms  &ots  pse  kam, 
kam  gati  ts  birhem.' 

pläreza  &ots  pse  ata  fterss  tSs  na  d'ons  sa  na  pstkensns, 
t  alargdrhemi  ngah  ata  ede*  t  i  Stttms. 

64.  Di  fierss. 

Halm  309.   €0#oi7c6qoi. 

Di  vets  etssins  de  ns  drom  ba§ks,  e  nsri  ngah  ata  tSoi 
iis  sspats;  e  tiatri  i  falhei  ts  mos  d-ei,  pse  e  tSova,  po  e 
tsuam.  e  si  etsns  tsa  pak  drom,  e  rbuare  sspdtsns.  e  at  tSs 
kiS  tsuare  sspdtsns  &oi:  ,e  rbuarm  sepdtene.'  e  tiatri  u  pregeK 
e  i  &a:  ,mos  &uai  pse  e  rbuarm;  pse  kur  e  tSove,  neke  d-oje  ,e 
tsuam,*  po  ,e  tsovaS 

pldreza  d'Ote  pse,  sa  s  kans  piese  ts  bsnsns  nds  ts  pd~ 
surs,  mite  nds  dsms  nsks  jans  mik  ts  vertete. 

65.  Arometare. 

Halm  310.   'OdoinÖQoi. 

Tsa  drometare  veine  nde  ne  drom  pr  ana  deitit  e  Sihns 
tSs  sil  deti  tsa  ikarpa;  e  Sans  pse  i§  dons  kardv  i  ma&,  e 
fcsndroins  t  e  Sihne.  e}  si  zuns  ikarpaie  e  UdsheSins,  &ans: 
9xSts  karafö  i  vogsl.'  e  me  tsa,  tss  sual  deti  Skdrpats  jasts 
nde  de,  &ans  nsri  tiatrit:  ,pre  §e  mbem  ati  e  pam  ate  tse  z 
dojemV 

plareza  dots  pse,  po  Somms  pre  s  alargut  Tieres,  na  dü- 
khets  pse  jane  te  mbeden  eöe  trima;  po  kur  Jcdshens  pr  ans, 
nohms  tSs  s  jane  {je  fare. 

66.  Arometdr. 

Halm  315.  'Odotnögos  xctl  %EQfirjg. 

Ne  drometdr  etsi  Sums  drom  e  &a  de  Ins  zot  pse  nga 
tSsdö  te  tSoiis  nde  drom,  te  jape  te  (fimsate  pre  Spirt  te  tia.  e 
aHu  tSoi  iis  kofins  plot  korme  ede  midali,  e  henger  ts  prsjas- 
msn  e  kormevet  e  ts  prsmmsrmen  e  midalevet  e  fudst   atirevet 


26  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

i  da  pre  Spirt}  tuke  $ene,  pse,  nga  sa  t£ova  daSe  te  gimsati 
edi  nga  te  prejdsmete  ede  nga  te  premmirmete.4 

pldreza  iSte  nd  ata  tSe  jane  te  Streite  ede  mifc  nde  pare: 
nga  Streitire  e  tire  ede  t'ene  zone  duane  ts  tcistiene. 

67.  Londdr,  yomdr  edi  geh 

Halm  323.    "Ovog,   dltxTQVtav    xal   tewv. 

§ 
Geli  ede  yomari  kutöine  baSke.    aStü  ne  londdr  u  dtr& 

mbi  male  yomarit.    e  fjeli  d-iri  e  u  tremp   londari  e  iku  (ihm 

pse  londari  te  gifjhete  Firmen  e  gelit  trimbhete  e  iken).  yomari 

8i  pa  tS  iku  londari  beri  zemere  e  i  vej  mbi  male  londarit  nga 

prapa  e  e  guan.    kur  vane  alaryu  tSe  z  (feghej  &irma  e  gelit, 

u  pruar  londari  mbi  male  yomarit  e  e  vrau.    e  yomari  tuke 

vdekure   Soi:  }o   i  müeri   edi  i  pamentSim  u!  printe  t  im  s 

üne  te  lüftese,  u  pre  tSe  doje  te  leftofieP 

pldreza  &ote  pse  po  m  i  forti  te  ben  vent  e  iken,  U  mo$ 

i  UepheS;  pse  vien  kohe  tSe  te  ha  jitene. 

68.   romdr   edi  br etile. 

Halm  327.  "Ovog  xal  ß&TQ«xot. 

Ne  yomdr  ban  dru  e  Skon  afre  nde  fie  lutse.  e  astü  u 
pole  e  ra  per  de,  e  z  munt  te  ngrihei;  pSeretin  edi  klai.  e  bn- 
tekite  tSe  isne  nde  lutse,  e  {je§ne  e  &ane:  ,o  ti!  tSe  do  benhest, 
nde  rije  kalte  mote,  sa  neve  jemi  ketüf  e  pre  ne  tiitSke  tie  ke 
rare  ati,  kTan  ede  pSeretin.' 

plareza  $ote  pse  tsa  fieres  te  vögelate  te  dembura  8  i 
nduröfiene,  nde  te  mbedd  neke  fldsene  fare. 

69.  Kaie  edi  yomdr. 

Halm   328.    "Ovog  xal  Tnnog. 

romari  i  &oi  kalit  pse  Skon  mire,  e  ha  ede  te  Suma  te 
ngrena  e  i  Jcerdnene  edi  kürmine9  e  yomari  nenke  frihete  kaSU 
e  ben  Sume  te  lödura.  aStü  iie  here  u  be  ne  lüfte:  e  pa  mbi 
male  kalit  üeri  me  arme  tSe  hin  nde  te  lik  iieres,  kake  sa  edi 
kali  Skrihhei  UkSt.  yomari,  si  pa  kete ,  nderoi  kSitete  e  ligon 
kdlene. 


Albauesuehe  8tudien.  V.  27 

pldreza  &ote  pse  nenke  ben  te  dzegdime  zoterite  edi  te 
pdsurite,  po  te  keltönhemi,  tse  peSö/iene;  e  nevet  te  fälhemi  pre 
te  pdkene  täe  kemi. 

70.   Perivoldr   edi  yomdr. 

Halm  329.   "Ovog  xal  xjjncogds. 

Ne  yomdr  Serben  ne  perivoldr  e  lodhej  Sume  e  haj  pak. 
a8tü  u  fal  de  Ine  zot  t  e  laSdn  nga  perivolari  e  te  hin  de 
tiatre  zot.  aStü  te  fdlurit  e  yomärit  i  u  §e§,  e  perivolari  e 
Siti  nde  ne  tSe  ben  Keramidete,  tSe  gi&e  ditene  e  ngarkön  balle 
edi  Keramiäe.  e  meta  falhej  te  nderone  zone,  e  meta  u  Sit  e  e 
bleu  üe  tie  ben  leküreze.  aUü  ei  pa  yomari  i  kse%orizm  täe 
vej  nga  e  JceJcea  de  e  kefcea,  9a:  ,o,  i  ndari  u!  ms  mire  te 
vietheSe  me  te  pdrete  zoteriii:  pee  ki  tSe  kam  nani  do  argasiie 
ede  lekürene  t  ime(. 

pldreza  &ote  pee  Serbetörete  ahera  kettönhene  zoterint  e 
pare,  kur  Söhene  te  ditetite. 

71.  Öaitör. 

Halm  340.  'Oqv&o&fyas  xal  xdqvSog. 

Ne  (faitör  i  zoKvet  ngrehen  i\e  ku&re.  e  ne  zok  e  pieiti 
t§e  ben  ati£,  e  at  i  9a  pse  dertön  ne  pirk.  e  kur  iku  fiaitori, 
zok&i  e  besoi  e  vate  te  Sih,  e  u  zu  nde  ku&re.  e  kur  pa  gai- 
tore  e  vin,  i  &a:  ,o  ti!  ahde  dertön  ti  nga  ketü  pirge,  te  pake 
do  Uo§  pre  te  fine  mmerdaJ 

pldreza  d-ote  pse  ahera  priShene  pirge  ede  Stepira,  kur  zo~ 
teriiit  e  atirevet  jane  te  kelci. 

72.    Geriete   edi  gar  per. 

Halm  346.   "Otpiq  xal  xctQxCvoq. 

Gdrperi  edi  g£r&e£a  bene  Sokeri:  e  gir&eTa  iS  pa  te 
kelce,  e  fdlhei  ede*  gdrperit  te  binhei  ede*  at  i  bute,  e  nenke 
doj.  aktu  gir&eTa  e  tioi  tSe  flij,  e  e  vrau.  e  kur  e  vrau,  u 
nglat.  girbela  i  &ote:  ,doi  me  perpara  te  je$e  koke  i  bute,  si 
je  nani;  pra  8  i  pesoixe  ketö*. 

pldreza  &ote  pse,  ku$  vüdön  mikne  me  te  keK,  te  ligene 
e  tiönene  nde  vitehe  tire. 


28  VI!.  Abbtndlang:    Meyer. 

73.  Gar  per. 

Halm  347.   "Oiftf  naTo$fiivo$. 

Gar  per  ine  e  Skeltie  nerezite  e  u  Ida  de  Aiea.  e  Jiea  i 
&a  pse:   }nde  zere  te  pdrene  t«e  te  »kell,  %  diteti  neke  te  skä\ 

pldreza  &ote  pse  tsili-do  nde  e  para  e  kette  mbethett 
trim,  paetai  s  ka  done  frike. 

74.  Meme  ede  diale. 

Halm  351.   UaTq  xA^nrij?  xal  fi^rriQ. 

Diali  vo&  ne  karte  nga  skolioi  e  %  a  jep  s  emese  t  t 
rüane.  e,  si  s  e  kertoi  e  ema  didline,  zeroi  e  vi&  me  te 
mbedd  ene,  koke  sa  gukdtesi  i  vendit  e  zu  e  doi  t  e  vrit.  e  e 
ema  rij  e  kTai:  aetü  geti  t  imene  afre  pre  t  i  $ei  nde  ve*, 
e,  ei  u  kas,  e.  zu  veSne  nats  e  i  a  preu.  e  i  &ane  te  tieraU: 
ypse  beri  kete  te  lige  s  at  emeP  7pse  nga  kiö  sot  u  rbirhem; 
pse,  te  nie  kertön  te  heren  e  pare  tse  voda  kdrtene,  neke  riife 
nde  vdekeTe.' 

mi$oa  &ote:  kuii  neke  mbesdn  dielte  e  t  i  leertone  nde  te 
rögela  puna,  bierene  nde  me  te  mbedd. 

75.  Pelister. 

Halm  357.   UfQuntQÜ  öiil*kra. 

9 

Xe  pelister  e  muar  etia  e  si  pa  de  ne  le&  zograßsun 
uje7  &af  se  is  te  certete  uje,  e  rate  me  viasi  te  made,  e  nga  te 
speit ite  e  sai  tSditi  ptndete  e  ra  per  de,  e  tsa  Ue  Skdine,  e  müun. 

pldreza  $ote  pse  sa  duane  mbe  vrap  te  binene  punat  e 
tire,  gi$e  mone  do  bdrene. 

76.  Pelister  ede  sore. 
Halm  358.   ZTcpumpc}  xctl  xo£«#nj. 

Xe  pelister  tajishei  nde  ne  pelisterione  e  &oi  pse  ben 
sume  dielm.  e  sora  e  gek  e  i  9oi:  ,o  ti,  i  mire,  pu*ö!  pse.  sa 
me  sume  piel,  koke  farmeke  ede  te  dimbura  mbi  retehe  ben.' 

pldreza  Ute  pre  Skier  ede  pre  serbetore,  tie  sa  dielm  te 
benene.  meta  Skier  jane. 


i 


Albanesische  Studien.  V.  29 

77.  TSopdn  edi  deti. 

Halm  370  b.   Uotfi^v  xal  96Xaaaa. 

9 

Ne  Uopdn  kulön  dele  e  skon  pr  ans  detit:  is  edi  bo- 
natse.  e  i  &a  zemera  te  ben  tie  taksi&  si  prämatur,  e  siti 
delete  e  bleu  kormi.  e  nde  taksid-  Ue  viine  u  ndo&  tie  kalce 
furtune  sä  Mine  kormets  nde  det  e  gati  te  bir  ede  jeten  e  tia. 
e  pastdj  nga  pak  dit  Uopani  etsen  batike  me  tsa  te  tiere  nde 
prs  dtt  U  i§  meta  bunatse.  e  SaStis  i  ndari  sume  e  &a:  ,me 
ndiete,  se  deti  deserdn  te  haje  korme,  pr  anddj  iste  kaue  i  bute.' 

pldreza  &ote  pse  te  Sküara  nde  tieres  jane   te  mbesüara. 

78.  Tsopdn  edS  ulk. 

Halm  374.   Uoi^v  xal  Xtixog. 

Ne  Uopdn  Uoi  tie  kuli§  ulkut  e  e  tajis  baske  me  Ken 
te  tij.  e  kur  u  rit,  e  vin  dotie  jatre  ulk  e  mir  dorn  dele,  at 
e  (Juan  batike  me  Ken  te  stanit,  e,  kur  prirheiine  Kente  prape, 
at  vei  pasojet  ulkut  e  hai  ed£  at  nga  delea.  e  Sume  here  vrit 
ede  at  dele  e  i  hai  baske  me  Ken,  tiere  Ue  e  ndieiti  Uopani. 
aStii  e  vari  nde  tie  drize  e  e  vrau. 

mi&oa  &ote  pse  ku§  u  le ,  te  betie  te  Uga,  kure  te 
mira  z  ben. 

79.   Thopdn. 

Halm  378.   Uotfirjv  xal  ngößara. 

Ne  Uopdn  vu  dent  e  tia  te  kulöine  prepds  nde  tie  drize; 
e  at  u  tiit  sipre  nde  drize  e  Shunt  fdrazet  e  drizese,  e  biine 
polte  pre  t  i  haine  dente.  e  kis  lene  te  vesurat  e  ti  nde  bi&e 
te  drizese.  e  dente  atid,  tse  haine  koket  e  drizese,  hingere  ede 
robat  e  Uopanit.  e  kur  Uopani  pa  keti,  &a:  ,o  kafse  te  kefcaf 
juve  jipni  leite  t  uai  nde  te  tiere  tierez  e  vUhene;  e  mua  Ue 
u  tajis,  me  hingerte  rdbate.' 

pldreza  &ote  pse  sume  Tieres  nde  te  huai  betiene  te  mira, 
e  te  tirete  i  demesdtiene. 

80.  Sege  edi  mole. 

Halm  385.    Pota  xal  fi-qUa  xal  ßdrog. 

Sega  ede  mola  bdine  kSil  pre  te  bukurit  e  tire.  e  fera 
nga  fhirima  &oi:  ,le  peSdime,  mdtrazet  e  mia,  ede*  te  mos  zihemi!' 


30  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

pldreza  d'ote  pse  nde  Harte  te  te  mbedenvet  trazönhene  eit 
te  vägelite  pre  te  dükhene  se  jane  drelc. 

81.  Orirazite  ed4  &eleza. 

Halm  392.   Ziptfxtg  xal  nfydtxts  xal  yttopyög. 

Orirazite  edö  SeUzats  i  kiS  man  itia,  e  kerköine  frivt 
pendes  uje,  e  prs  te  pagüaine,  i  &öine  &elezate  te  remöine 
vrestate,  e  grirazite  te  ziine  kursare  pre  te  mos  vide  mite,  t 
pSndesi  u  &ote:  ,na  u  ketxi  kam  He  Ue  pa  t  u  9em  <js  bb'une 
atö  Ue  &oni  juvetS 

pldreza  Ute  pre  üeres  te  lue  Ue  d-one  te  b&fiene  üe  te 
mire  e  atd  demesöfiene  me  6ume. 

82.  Payön  edi  korp  i  ndteee. 

Halm  398.    Tai*;  xal  xoloiög. 

Körbete  (korikete)  döine  te  böine  iie  mbret.  e  payoni  9oi 
pse  ,u  jam  kadir  nga  te  bukurite  t  im/  e  aHti  tuti  döine.  e 
korbi  i  ndtese  i  &a:  ,po  ti  do  mbreterofiei ,  delpera  te  na 
tjxiafte,  si  do  na  8petö$f 

pldreza  &ote  pse  neke  ben  te  zgltdme  zoterih  pre  te  na 
urderöiiene  Ue  te  jene  te  bukur  vetem,  po  te  kene  ment  edi  /«&'. 

83.  Derk  i  eger  edi  dilpere. 

Halm  407.   TYg  äyQiog  xal  dlantf. 

Ne  derk  i  eger.  fix  prepö$  de  ne  drize  e  ehen  dhnbete.  * 
dilpera  e  pa  e  i  &a:  ,pse  ehen  dimbete  nani  Ue  dorn  Strengim 
neke  keV  e  derku  x  eger  x  &ote:  ,keti  s  e  beii  pre  te  bdrtun; 
pse  nde  m  u  ndo&te  je,  te  mos  ri  ahera  t  i  ehefi,  po  t  « 
kern  hazir.' 

pldreza  &ote  pse  {jiSemone  preps  te  jemi  hazir  e  jo  at 
ore  Ue  na  vi6n  Strengim. 

84.  Dose  edi  butSe. 

Halm  409  b.   rYg  xal  xvcvv. 

Dosa  ede  buUa  biine  kUl  tsila  piel  me  leh.  e  %hi  buUa 
pse  pil  me  mire  nga  tuti  te  tiirate  kaföe.  e  dosa  i  &a:  ,dij 
kete,  pse  ti  nga  te  Sputete  te  piele  t'  ent  ben  kuli§te  te  virben.' 


Albanesische  Studien.  V.  31 

pldreza  &ote  pse  s  preps  te  penezms  atö  sa  benhene  me 
te  Speite,  po  atö  tSe  benhene  te  mira  ed6  te  sosme. 

t  85.    Neri   i    Streite. 

Halm  412  b.    <PtXd(>yvQog. 

Ne  neri  i  Streite  tSe-do  kiS  i  Siti  tuti  e  i  beri  fte  Uope 
rnaldm,  e  e  nguli  nde  de;  e  nga  dita  vej  e  e  ve£dön.  e  ne  nga 
Serbetoret  e  tia  e  pa  e  vate  e  i  a  muar  maldmine.  e  kur  vate 
i  Streiti  e  pa  vende  te  remuam  e  maldmine  te  viföure,  zeröi  e 
kTai  e  Skul  mielcrate.  di-tsili  e  pieiti  tSe  pesöi:  e  dl  i  a  &a: 
ymo8  u  helmö,  u  pregik  at,  pse  kur  e  kiSe  maldmite,  nek  e 
uröeroüe:  vere  nani  ne  gur  nde  vent  tSe  kiSe  maldmite,  e  &uai 
pse  e  ke  akoma;  pse  kaKe  veUn.  pse}  kur  e  kiSe  fS4hure}  pre 
ge  8  te  veFen/ 

pldreza  &ote  pse  ede  nde  kemi  Sume  yroS  e  neke  i  jamme 
nde  pünera  t  ona,  po  i  rüaime,  Ute  ei  te  mos  kemi  fare. 

86.    TalanduSe   ede*  sore. 

Halm  415.   XtXidüiv  xal  xoq(ovt\. 

TalandüSea  eii  Sofa  böine  kSü  tsila  iS  m  e  bükure.  e 
sota  i  &ote  talandüSese  pse  ,te  bukurite  t  ent  iSte  vetene  vSrene, 
po  te  bukurite  t9  im  iSte  me  Sume  e6i  dimerine.' 

pldreza  &ote  pse  Senddtea  e  kurmit  iSte  m  e  mire  nga 
bukuria. 

87.    BreSke   ede*  Skipie. 

Halm  419.   Xtltavrj  xal  dtiög. 

Ne  breSke  i  falhei  SJcipiese  t'  e  dze  te  fleterön.  e  ajö  i 
$oi  pse  ,juvet  nenke  u  Uiti  perendia  te  fleteroni  [lefteroni].4 
ajö  me  Sume  i  falhei  pre  keti.  aStü  ede  ajö  e  zu  me  &oii  e  e 
ngriti  la-la  e  e  laSoi.    e  bie  nde  ne  gur  e  dremönhete. 

mi&oa  &ote  pr  ata  tSe  z  §6<jene  te  mentSimite  e  aStü  de- 
mesönene  vätehene  e  tire. 

88.  PleSt  edi  neri. 

Halm  424.    *Pvlla. 

Ne  pleSt  ndih  nde  kembe  iie  üeriut,  e  ai  ftoi  ty  ene  zone 
t  i  ndih  pre   t   e  zij.     e  pleSti  iku  ngah  atii  tSe  rij,   e  neriu 


32  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

p&eretin   e   &oi:   ,o  Perendt,  de  kiö  e  paka  neke  me  ndihe:  $i 
do  des  te  me  ndihi'ies*  nde  m  u  ndofrte  do/ie  m  e  sumeV 

pldreza  &ote  pse  s  preps  te  ftöime  ty  ene  zone  pre  prayms 
te  vögela,  po  nde  Hrengtm  te  ma9. 


II.  Märchen. 

1.  Die  neidisohe  Königstochter  (aus  Porös). 

U  ne  here  ne  e  ki§  tre  dielm:  e  fieri  ü  me  ne  si,  e  jatri 
me  iiB  kembe}  e  i  trtteti  me  ne  te  vitsms  si  nde  bah.  e  kur 
urine  tuti  e  ubene  trima,  do-iie  vdize  nek  i  doi  prs  bufa. 
astü  upriSne  edi  ketd  e  vane  nde  de  te  huau  e  at  ts  uli  me 
fie  si  i  virbere,  vats  prei  notist;  e  at  ts  uli  me  si  nde  bah, 
vate  anatolise;  e  i  SkTiperi  vate  nde  pol, 

e  at  me  fie  si  nde  bale  Skruan  nde  print  te  ti  pse  at 
iste  dieli  e  jep  dritene  nde  tuti  de;  e  at  me  m  si  Skruan  ndt 
print  pse  i$  hineza  tse  feks  ndtene.  e  aitti,  si  gegne  print  t 
tire  ketd  kZiüe  te  mare,  uvrerüane  e  &ane:  ,ponde,  se  uletu 
te  virbere  edi  te  SkUpere,  po  jane  edi  pa  menU 

po  i  Skldpure,  si  vate  nde  pol,  hiri  Serbetör  nde  nt 
mneStre  tse  Jen  plehure  te  mendafite,  e  dzu  edi  at  mne&trins. 
e  pastai  nga  tre  viet  undd  nga  mAeHH  e  vate  afre  stspist 
mbretit  e  zu  fie  Stepize  atii  e  Serbin  mfieitrin  e  tia.  po  ki  e 
stoi  miieStrine  e  jen  %risdf  me  rtiaze  te  rgenta  edi  te  malamta. 
nstü  ne  dite  iS  vesure  me  roba  nga  kiö  plehura  täe  ku  jen 
vete  e  ü  dale  iV  ore  nga  stavrodromi;  e  atie  e  pa  visure  t 
biTa  e  vezirit.  e  kur  upreziene  me  te  biten  e  mbretit,  i  &a: 
,ini§-ini§  pa$e  t'ie  dite/  e  aStü  e  bila  e  mbretit  d'Ote  pse:  ,ati 
mnititrene  e  kam  fjitön}  e  &ane  te  dia:  ,porsiims  te  na  bem 
nga  tis  foresif'     e  &ane:  ,po,  i  porstime.' 

aUu  Jie  dite  e  ftuane  e  i  &ane:  Me  do  te  te  jamme  pre  U 
na  beS  nga  ne  te  vesure  te  diavetV  e  at  upreififc  pse:  ,nga 
kiö  phhura  t$e  u  jeti  neke  ve§  do-ne  grua  me  perpara,  pa  t  * 
vesne  gruaja  jime  tse  te  mar'.  —  ,aUü,  i  &on  atö,  e  ti  i  ikK- 
pure  iieri,  tsila  umdr  te  te  mafe  bufet'  —  e  at  pregeghetf  e 
u  &ote  pse:  ,i  skTepure  jam,  po  me  i  pdsure  iieri  nga  mua  nde 
de  z  ginthete;  pse  te  pdsurit  e  mbretvet  birheis,  po  t  mite 
kure  neke  birhete.' 


AlbanesUcbe  Studien.  V.  33 

astü,  si  fiegne  ketö  ksilet  e  te  skleperit,  hine  nde  te  zeza 
nga  te  pdsurit  e  atit.  e  &oi  nera  tidtrese:  ,e  marme  bure 
nera  nga  nevetV  astü  vaiza  e  mbretit  i  &ote  asait  te  vezirit:  ,u 
z  munt  t  e  mar  atk  bure,  edä  mdlete  t  i  ki§  maldm;  pse  nomet 
e  mbreterise  nek  e  düane  te  mar  bufe  te  hiiuam.  po  ti  mbo- 
retö  t  e  mareS,  e  do  SkoS  jete  te  mire.'  aHü  vaiza  e  vezirit  i 
a  &a  8  emese,  pse  täte  s  kiä;  e,  me  pak  khile,  u-baSküane  e  e 
Tntbar  bure.  edS  mbe  ne  i  beri  ixe  te  vihire  ngah  ajö  ple- 
hura  e  tia. 

po  kur  e  pa  e  bila  e  mbretit  viSure,  i  ra  bi$a  pre  te 
Jcü  eii  ajö.  po  kiö  e  bila  e  vezirit  i  &ote  te  SoJcit  pse:  Jatre 
grua  z  dua  te  vehie  keti  tSe  veS  u  nani,  po  pastai  nga  tre 
mit/  keStü  i  soki  i  mbaiti  veh.  astü  ne  dite  e  bila  e  mbretit 
e  ftoi  nde  stepi  e  i  Sote  pre  t  i  bene  ede*  asait  fie  te  veäure  si 
e$6  te  sölcese.  po  i  d-a  pse:  ,neke  veS  do-iie  grua  nde  pol  ngah 
ajö  roba,  po  pastai  nga  tre  viät/  aHü  u-helmua  e  bila  e 
mbretit  e  i  a  dote  jatit:  ,inis-iniS,  tate}  iSte  iie  i  SkKpere/ 

mbreti,  si  <fiek  ketö,  e  ftoi  e  i  d-ote  pse:  ,i  te  beS  iie 
forest  eii  s  ime  bile  ngah  ajö  e  grüase  8  ate,  i  nga  mbreteria 
jime  tuti  t  ikeiieS  baSke  me  t  et  Solle.'  ki  u-pretfeU  e  i  &a 
pse:  ,mbreterine  t  ende  e  ur Seron,  po  mua  te  me  <fuane$  nga 
mbreteria  jote,  s  ke  kake  fuki/  aHü  mbreti  u-ngekua  e  ur- 
deroi  tse  ne  nate  t  e  zene  trimat  e  ti  e  t  e  mbiiiene.  ede  aHü 
u-be,  si  urderoi  mbreti,   e  mbitine  ixe  nate  e  e  Hine  nde  lume. 

mite  ne  e  rdimeze,  mite  ne  e  vertiteze. 

2.  Der  Räuber  und  das  Madehen  (aus  Porös). 

Ne  kursdr  i  vdSure  Spaten  ede  piStölate  dual  nde  kur- 
sari;  e  öromit  t$e  vei  prepölc  ne  lume  te  fiere  e  neke  munt  te 
Jskon.  po  tei  ndera  pa  ne  vdSeze  e  mire  bene.  i  d-ote:  ,vd§ezo! 
nde  me  SkofSe  nga  lumi  te  mos  mbithem,  do  te  te  mar  grua;  e 
nde  mos  me  Skofie  e  skova  vete,  ku  te  ve§,  ede*  nde  bri  te  kant 
te  hü,  do  te  te  tSofi  te  te  pres.  e  silojisu  mire  e  bsn  ati  Ue 
te  &om,  e  do  mos  bareS;  pse  jam  plot  floriii,  e  do  SkoS  jetene 
t  ende  mire/  vdieza  u-prefök  e  i  d-a:  7ande  je  trim  i  mire 
ede  kursdr,  iko  vete9  pa  te  te  Ikon  u:  e  ahera  mbesöft  pse,  nde 
me  marSe  grua,  do  Skon  mire/ 

Sitxongsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  7.  Abb.  3 


34  Vn.  Abhandlung:    Meyer. 

aStü  kursari  beri  tse  beri  e  e  kapetoi  lümene  e  u-Jcas  pr 
ane  vdizese  e  i  %rote:  ,undre  bsra  tSe  bsra  do  te  te  pres,  te 
mos  gentheS  nde  kiö  jeta,  po,  nde  ke  gi,  porsi  nde  print  t 
ende/  astü  vd§eza  i  &ote  pse:  ,mo8  me  pre  ketü  nde  skreteri, 
po  nde  je  trim  zemerdr,  te  vemi  nde  %ore  te  mar  edä  u  ItfJa 
e,  nde  me  rafSe  i  pari,  se  me  preve,  e,  nde  te  rafsa  e  parn 
u,  te  mos  veineS  nie  drmete,  po  t  SteefieS  eii  ti  8%  grua  pa  arme. 
e,  nde  mos  do  kete,  te  dvm  tiatre:  te  me  beS  tuti  mua  pese 
tsope  kurmine  t  im  tuti  me  frike,  e  nera  me  tidtrene  tsopa  te 
jene  drelc  nd  oke,  e  e  para  tsopa  e  kurmit  t  im  Ute  kriete,  e 
tiatri  kurm  do  benhete  katre  tsope.  po  je  kadir  t  i  bei  keto, 
sa  te  &aie,  vemi  nde  §ik,  te  biime  kdrtene.  e  nde  mos  nu 
prefie,  undre  si  te  Som,  te  je$  i  (fekuare  nga  gilcia  te  marto* 
katre  motra  te  ikTepera  t£e  kam/ 

aStü  kursari  i  &ote  pse:  ,u  kam  koke  trimerese  pre  te  te 
ben  pese  drelc  tsope;  po  ku§  do  i  zijasfie  tedpetet'  vaiza  i  \hte: 
}heren  e  pare  te  me  preseö  kriete  nga  kurmi,  e  te  UoS  ne  reze 
fikut  te  jete  diete  vi6t}  e  ati  rizene  t  e  presei  me  pridn,  e  tukt 
prere  kriete  t  im,  e  ve  mbe  ne  nde  maTe  te  küteurit  fikut,  e  u 
ahera  do  von,  nere  te  preseS  ed6  tidtrine  kurm  t  im,  e  do  §oh, 
sa  oke  do  daXe  tsopa;  e,  nde  mos  dalsine  tuti  tsöpete  dreK, 
ahera  do  martöli  te  katre  mötrate  t  ime.  eöe  te  prerete  e  tso- 
pavet  kurmit  t  im  do  jete  me  ne  te  sele  d-ikene,  e  jo  me  di.  e, 
po  me  ne  &ike  s  me  preve  kriete,  ahera  je  vrare,  mire  vrare 
nga  derezite  t  im,  e  te  pdsurite  t  ent  do  Skotie  nde  print  t  im/ 

kursari  i  $ote:  ,jo!  po,  po  ti  do  te  me  deftöS  trimerese 
mua,  eise  te  ifemi  nde  %ore,  te  mareS  &ike  e  te  leftöime;  e  po 
me  raSe  e  para  ti,  te  te  jap  vione,  e  po  te  raSe  i  pari,  te  te 
mar  grua/  ,jo,  i  &ote  vaiza,  pse  u  kursdr  bure  neke  dw; 
po,  po  ti  me  ra§e  i  pari,  u  te  te  dulpekön  vione  t  ent/ 

aitu  kursari  e  geti  küile  e  vdizese,  e  vane  nde  xor£  e 
bene  nde  jfilc  karte,  e  üe  dite  veSi  vdiza  friken  e  jatit  nde 
mes  eöe  kursari  te  tine7  e  duale  nde  ne  lake  Ue  atji  u-mbefods 
te  mbeden,  te  vegel.  e  vaiza  u-ngit  sipre  nde  ne  gur  te  mad  e 
&iri  nde  te  gegure  tütivet  e  #a :  ,ka  vate,  vdsaze,  sa  mua 
glisni  nde  turperi,  edi  juve  gra  te  martüame,  t$e  z  Senoni 
bürate  t  i'iai!  sot  u  pre  t'ie  nderj^  Stepise  tdtese  t  im  ede  so- 
Kevet  t  ime  do  rbiir  jetene  t  ime,  pre  te  mos  ulhete  jVtfr* 
vdseze  e  genture  nde  skreteri,  si  u  <jenUs  u,  e  me  tioi  Ici  kur- 


Albanesische  Studien.  Y.  35 

sari  e  doi  ts  ms  Skel;  po  kstü  e  pars  edi  ndo-ns  nga  juvet 
nds  pssofsits  ksti,  Us  u  pssön  sot,  ms  ts  dets  vdskslsns  pse  ts 
äkilturit  e  ts  hüaivet  e  nani,  nds  vdeksa,  u  falhem  Sums  Sums, 
t$s  kürmins  t  im  ts  tos  psStili  nds  msrte,  e  t  e  mirni  dimbs- 
öiets  vdSazs,  §aJc  i  Icluam,  e  t  e  Jcali  pr  ans  vafit  tdtsss,  e 
siprs  vafit  t  im  ts  ngrini  ns  kolons,  e  ts  Skrüani  imsrins  t 
im  edi  ts  gsküarits  USs  pssdfi/  e  si  &a  tuti  Jcstd  vdSsza,  u-prua 
e  ksrkoi  nga  tuti  ndsless,  e  u-rus  nga  guri  e  u-fal  nds  pe- 
rsndi  e  #a:  ,ti,  persndi,  Us  bsre  dunians  tuti  edi  pimsts 
tuti  e  bsre  edi  mua  iisrin  e  vogsl,  ts  falhem  glüfiazs  ts  ms 
japsS  fuM  ts  made,  ts  munt  sot  ksti  ts  lign  e  iiirszits  edi  ts 
vitshess  t  ime;  ts  ms  japsS,  &om,  fuki  t  e  munt  prs  ts  Söhsns 
edi  ts  tiirsts  Soket  e  ti,  ts  mos  e  bifisns/ 

aHü  i  $ots  kursarit:  ,tsili  i  pari  do  helles  &iksns?<  kur- 
sari  u-prsgik:  ,u'.  vaiza  i  d'Ots:  ,jo,  po  do  Stiems  Skürtezsns/ 
e  aStü  Hins  Skürtezsns  e  i  ra  vdizsss  ts  helks  e  para  &iksns. 
e  aHü  zu  \Hksns  me  dors  ts  diä&sts  e  e  hapi  Mksns  zerviät  e 
me  ts  gid-s  fuki  i  n  sual  nds  mes  kursarit  e  e  ndaiti  si  kar- 
tsavits  kursars.  e  aStü  brstiti  tuti  iierszia  atii:  fi  ma&  imsri 
i  persndiss  vdizsss/  aHü  zjjeSns  kursars  e  i  U&hsns  di  mils 
florin  mbi  mals,  e  i  a  jdpsns  vdizsss  tuti.  aHü  vaiza  muar 
tuti  atd  florifds  e  da  nga  pess  kint  mötravet  sait  e  i  martoi;  e 
ati  mbs  fis  e  ksrkoi  grua  iis  mbretopul. 

aHü,  si  e  ksrkoi  mbretöpuli  prs  grua,  u-prsgik  pse:  ,u 
bufs  mbret  nsks  dua,  po  do  dal  jaHs  siprs  nds  pess  mils  trima 
e  do  zsröh*  lufts  me  mbretns  Us  urdsrön  vends  e  did&sts  te 
%6rsss  8  ans.  e}  po  at  ms  mundi,  le  tos  bsfis  Us  ts  dots,  e  po 
e  munda,  tuti  vindets  e  ti  edi  vion  e  ti  do  e  ndafi  nds  tuti 
fukard  ts  mbretsris  e  tia  edi  ts  %6rsss  s  ime/  e  aHü  mbslodi 
pess  mils  trima  fis  nga  ns ,  e  u-hap  vent  prs  vent,  e  u  &oi 
katundidrsvet:  ,ku§  do  ts  nglans  jetsn  e  ti  edi  ts  pdsurit  e  ti, 
e  ts  viithess  pa  ts  pagüans  gs  mos  at,  mos  diilt  e  ti  mote  Sums, 
le  vesns  diksn  edi  ts  tiera  arms  e  le  ms  ndieks/  e  aStü  bsri 
parazs;  e  Hers  ts  vei  nds  mbretsri  t  atit  mbretit,  mbstöd-  trima 
fis  kint  mils  edi  ms  Sums. 

e  si  u-kas  pr  ans   %6rsss  mbretsriss,  ngeSi  %6rsns  trims- 

ress  edi  palatns,   e  dsrgoi  nde  mbreti   habers  pse:   9nds   do  ts 

fdlhets  nde  mua,   ka  jetsn  e  tia  at  edi  fsmila  e  ti,  ka  edi  ns 

fein  mils  florin;  po  e  mora  me  lufts,  do  i  mar  kriets  e  fsmilsn 

3* 


36  VII.  Abhandlung:    Meyor. 

e  tia  sklef  te  pa-laSüare,  sa  te  jene  e  te  röneneS  aStü  mbreti, 
si  pa  tuti  ketö  te  strengüamete  ede  te  Icertüarit  e  sai,  hapi 
göEene  tSe  ne  grua  u-tunt  te  vine  niS-niS  pa  ndo-ne  lik  t  i  man 
mbreterine.  nek  i  gel  kSiTet  e  grüase,  pse  i  vin  ede*  dune,  mh 
ne  te  üThete  nde  te  kerküare  te  grüase;  po  u-preg&L:  ,pastai 
nga  Stete  dit  t  i  pregegete  nde  te  kerküare  te  sai.€  e  ajö  i  $a 
pse:  ,jo  pre  diete  dit,  po  pse  diete  ore;  4  po  Sküane  te  diete 
örete  e  nek  u-pregelc,  ka  tri  ts  tiera  ore. 

aStü  si  Sküane  tuti  te  ngTdturat  e  ditevet  e  nek  u~prej& 
mbreti,  zeroi  lüftene  gruaja.  e  pastai  nga  tri  dit  nga  te  Uf- 
tüarite  mbreti  i  kerkoi,  te  mbufone  lüftene,  pre  te  fldsene. 
aUü  gruaja  mbaiti  lüftene,  mbufoi  trimate  nga  lüfte  e  kendrony 
te  dzii  tse  do  i  &ei  mbreti.  aStü  mbreti  i  $a  pse  t  e  lefe  ndt 
mbreteri  te  tia  e  t  i  jape  te  pagüaiture  pre  nezet  viet  nga  pm 
diete  mite  florin.  aStü  gruaja  kSil  i  mbretit  keti  e  diri  nde 
tuti  trimerise  te  sai,  ande  düane  atd;  e  atd  u-pre§egne  pse: 
,tSe  te  beS  ti,  iste  mire  bene,  po  veStö  viteme,  mos  mef  nds 
grike  t  ende  kaJce  mite  Spirtera,  po  tsilene  tieh  me  te  mire,  ati 
ede*  te  bes,  e  nde  do  lüfte,  jemi  perpara;  ande  do,  te  beS  paß, 
ti  e  neh  keti,  e  ben/  aStü  gruaja,  si  gek  ed6  kSifet  e  trimavet 
sai,  e  dergöi  mbretit,  e  mbreti  u-uT  nd  atö  sa  gruaja  kerkoi  t 
mbile  pakne,  e  han  e  pin  atd  nere  mbe  sot. 

3.  Das  Mädchen  im  Kasten  (aus  Hydra). 

IS  iie  here  ne  plake  fto%6  e  kei  üe  diale.  kur  u-rit,  i 
&ote:  ,biro!  neve  jemi  te  vefiel  i'ieres;  nani  tSe  u  ritse  edi  ti} 
te  vestoneS  te  zeS  üe  Serbes  te  röime;  pse  u  z  munt  te  te  jap 
me  te  hau/  diali  u-stan  kakoziu  se  jema  kei  liije  e  i  $ote: 
,memezo!  u  per  te  pundn  s  jam,  po  t  i  Skrüaime  nunit  im  tk 
iSte  pramatefti  nde  Zmirn  te  me  mate  nd  ane,  te  foti  ede  « 
mire,  te  ts  dergdü  edt  ti  te  Skoües/  aStü  i  Skrüaitine  nunit  t 
at  me  te  gi&e  zemere  u-streks  te  mare  didline  nd  ane.  i  bsri 
jema  stolite  e  e  dergoi  nde  Zmirn  me  ne  barke.  si  vate  diali 
nde  nuni,  e  kaodeksi  e  e  vu  nde  mayazi,  e  si  iS  bekdr,  i  jip 
pareh  dialit  e  vej  e  psonis  e  majer&ps  at  per  te  dzij  te  benhej 
i  mire  neri  e  i  mbaiSim. 

ne  dite,  si  rij  diali  nde  dere  te  mayaziut.  Seh  {te  hamdl 
e  mbaj  ne  sendük  e  &erit:  ,Ses  keti  sendukne;  e  tsili  t  e  maf*f 


Albonesische  Stadien.  Y.  37 

do  metanoisfte,  e  tsili  te  mos  e  mare,  meta  do  metanoisfie.'  at 
si  e  pa,  diali  ,vre,  &a,  tse  9ote  at?  tSe  te  kete  at  senduki?  a! 
le  t  e  mar!'  —  ,sa  e  jep  sendukne,  hamdlV  i  &ote  diali.  ,pese 
leint  roS,  birof'  i  pergeghet  at.  diali,  si  kej  ata  parete  rüai- 
ture  nga  pah  e  pak  nga  roga  e  tij,  i  da  e  muar  sendukne,  e 
e  vu  nde  ne  angone  te  mayaziut  fSdhaze  nga  nuni.  mbe  menate 
iS  e  diele  e  u-ndrek  diali,  vate  e  psonisi;  pastai  vate  nde  kliSe 
e  &a  me  vetehe  te  tij :  ,kur  te  dal  nga  kliSa,  vete  e  ben  favn&S 
at  sa  te  dil  nga  kliSa  —  pse  menüane  te  dile  —  vate  nde  Stepi 
e  tSoi  fätne  te  hdrekure  e  kake  te  mire  tSe  mite  m  i  miri  majir 
8  e  ben.   ,ah,  veStd,  9a,  er  9  nuni  e  ndreki  faine,  e  u  UpsheSe.' 

kur  vate  nuni,  kenosne  e  ndifine  te  hdine.  nani  nuni 
kur  pa  kake  te  mire  fat,  i  9ote  Kostandiut  —  aStü  i  a  9dine 
dialit  — ;  ,biro!  sot  ve  guSt,  pse  midi  vasilea  s  ka  kalte  te 
mire  fat.  ti  u-beSe  m  i  miri  majer  i  vendit.'  diali  9a  me 
vetehe:  ,veStd,  nuni  e  beri  fa'ine  vete,  e  nani  me  dzegdn.'  u-nguk 
ne  tsitSke  e  puSoi. 

mbe  jitrene  dite  meta  psonisi  piSki,  e  i  la  nde  Stepi,  e 
vate  nde  mayazi  sa  te  vin  gati  mesimeri,  per  te  vej  t  i  maje- 
reps.  kur  Spetoi  nga  Serbisete,  vate  nde  Stepi  e  i  tSoi  piSkite 
te  majeripsure  e  kake  bukur  tSe  meduris  tuti  jitonia.  ,Ah,  9a, 
meta  m  a  beri  Serbesne  nuni.1  vate  nuni  mesimir  e  ndiiine  te 
haine,  e  i  u-duk  koke  e  mire  fa'ia  tSe  z  dij  tSe  te  mira  te  9ej 
dialit. 

diali  nani  si  pa  pse  nuni  ben,  pse  z  dij  ge  fare,  hiri 
nde  gRmba,  e  vate  e  psonisi  mbe  menate  e  keli  nde  Stepi,  e 
andis  t  iken  te  vej  nde  mayazi,  u-fSeh  nde  iie  kasdn.  e  atie 
Seh  e  del  nga  senduki  ne  kopile  kake  e  bukure  tSe  feksi  Stepia 
nga  te  bukurtt  e  saj.  ad  tuke  tSe  dual,  u-pervdS  e  zeroi  e 
majer  &ps.  nani  diali  sa  e  Sih,  i  keputhej  zimera  e  z  munt  te 
mbaj ;  del  dale-dale  e  vete,  e  i  bie  nde  kembe  e  i  9ote:  ,engil 
je  i  neri,  si  je  ketü  mberda  V  — ,  ixeri  jam,  i  9ote  ad,  mos  u- 
tremptSe  kur  erde  nde  kid  %ore,  te  paSe  e  t  ayapisa,  pse  je 
kake  i  bukur.  u  jam  e  bila  e  vasiUse  Misirit;  e  iie  dite,  si 
jeSe  drdure  nde  Zmirn  per  te  Skone  verene,  te  paSe  e  te  dua 
nga  fort,  kur  vaita  nde  tata  nde  Misir ,  doi  te  me  martdn; 
e  u,  si  te  doje  tij,  e  dije  pse  tata  kufe  do  mos  doi  te  me  jip 
nde  ti,  i  9aSe  pse:  ,z  dua  te  martonhem/  at  ahera  e  zu  inati 
e  i  9ote  ne  neriut  e  tij  te  me  vere  nde  ne  senduk  e  te  me  mare 


38  VII.  Abhandlung:     Meyer. 

fSeyaze  te  me  Sese  alargu  nga  Misiri.  u  i  &aSe  heriut  te  mi 
sele  nde  Zmirn  te  me  Sese  nde  tij.  nani  ruah  te  Some  lata  tie 
do  befie,  pse  s  ka  tietre  dials.' 

Kostandiu  si  pa  pse  kopilea  iS  vasilise,  i  ra  nde  kernbe. 
ad  e  ngriti  e  e  pud-i,  e  u-martuane  fiehaze  nga  nuni  i  dialit 
e  mbe  jetrene  dite  vate  Kostandiu  e  tSoi  he  harke  e  i  $ote 
karavokirit:  ,do  te  te  jap  he  senduk  e  t  e  veStoheS  mire  mire, 
8i  site  t  sixt,  t  e  UelheS  nde  mema*  aStü  i  a  da,  e  karavoKiri 
e  Keli  nde  jema  e  dialit,  me  karte  tSe  i  Skruan  s  emess  Ko- 
standiu, pse  mberda  nde  senduk  ist  e  Sokea.  jema  e  kaodeksi 
e  e  doi  nga  fort. 

he  dite  karsi  nde  Stepi  te  pldkese  ii  he  tSifüt;  e  si  e  pa 
väizene  kalte  te  bukure,  i  hiri  demoni  t  e  mir.  aStü  si  pa  tie 
dual  he  dite  kopilea  nde  dere,  vate  me  pramati  per  te  blij;  t 
si  e  pa  kopilea,  hiri  monotaru  mberda.  tSifuti  Skon  nga  Sita 
per  t  e  Sih;  ad  fSihej;  at  vu  heres  per  ti  flisne,  e  ad  i  stros, 
here  sa  u-barfo  tSifuti  e  mer  e  ben  he  karte  nde  Kostandiu  e 
i  &ote  pse:  ,e  §oKea  ve  tuti  trimate  nde  Stepi  fSihazs  nga  t 
ema,  e  iSte  grua  e  pa-mire/  Kostandiu  si  e  {jäc,  hake  e  zu 
inati  sa  iku  monotaru  -nga  Zmirni  e  vete  nde  e  ema.  ad  si  e 
pa  kopilea  nga  paraihirea,  rusete  vrap  te  ve  t  i  haphe  direni 
e  t  e  pudnie.  atid  nde  dere  Skon  he  lume  i  ma&.  e  si  u-hap 
dera  e  pa  Kostandiu  te  Sokene,  halle  indt  kej  sa  s  priti  t  t 
piin,  nd  iSne  te  verteta  sa  i  &a  tSifuti;  po  i  kepün  he  e  e 
Hie  nde  lume.  pastai  hin  mberda  nde  e  ema  e  e  pieiti  per  te 
Sdfcene.  ad  ahera  i  &ote  pse  sa  beri  Uifuti  per  te  mir  te  So- 
Kene,  e  ad  e  Haiti,  ahera  Kostandiu  vate  te  vrithej.  vete  nde 
lume,  vu  heres  per  te  Hhne  —  u~mbit:  §akunf  s  e  pa  heri. 
aStü  muar  sit  e  tij  e  etsen  si  i  mafe  mdlevet. 

nani  kopilea  si  ra  nde  lume,  keine  Stire  psarate  dihtete. 
e  zune  te  gimse-vdekure  e  e  puStrüane  me  gune.  atie  Skon  ns 
Turk  e  pieiti,  nde  keine  piski.  atd  i  d-ane,  pse  neke  zune  §ef 
po  he  grua.  at  si  e  pa,  i  hiri  nde  zemere  e  e  bleu  nga  psa- 
rate pese  diete  mite  roS.  ad  kur  u  zgua,  pa  he  Turk  nd  ane; 
ahera  kuitdj  tSe  pesdj.  i  &ote  Turkut:  ,ti  nani  tSe  do  nga 
muaf  nde  me  marSe  e  te  Sohe  ndohe  jetre  m  i  forte  nga  ti, 
do  te  me  mafe;  po  di  tSe  te  beimef  te  me  japeS  foresite  t  endt, 
te  viShem  si  bufe,  tSe  te  mos  me  hohe  heri,  e  dStü  te  mos  me 
hdhene,  pse  jam  grua,   te  me  kerdeshesJ     at  u  streks,  e  muar 


Alb&nesische  Studien.  V.  39 

ajö  föbate  e  Turlcut  e  vate  nga  prapa  nga  tsa  driza  te  viS- 
hej.  nd  ane  atie  is  kali  i  TurkuL  aStü  viShete  e  ngalkön 
nde  kale  e  iken  me  te  katra.  Turku  nani  pa  Ue  menöj,  e 
vate  te  Sih:  aö  kej  ikure*  aStü  i  ndari  iku  edä  at  i  zyeSure 
si  iS  ede  pa  kale. 

aö  nani  si  ngalköj,  etsi  ora  mbe  ora  ede  mal  mbe  mal, 
sa  ariti  ndtene,  pa  te  mos  e  dij,  nde  Misir,  nds  vent  Ue  ku- 
menddr  jati.  e  si  iSne  dierte  te  mbiltura  e  bij  zbore  ed6  si, 
vate  e  u  krus  nga  perjaHa  nga  dera  e  kdstrose  %örese.  nani 
nde  Misir  atd  dit  kej  vdekure  vasilea,  e  s  ila  ndoiie  nde  kembe 
te  tij  vasilea,  u  mbetode  ipuryote  e  dercjüane  per  te  tsoine  te 
bilen  e  vasilese  Ue  kei  rbdrture  (si  d-a  vasilea  pseftri).  aStü 
si  kerküane  tsa  dit  pa  t  e  Uoine,  e  deu  te  kej  %ri  nga  vasile, 
&ane:  ,ne  here  Ue  s  §enthete  diali  nga  gak  i  vasilese,  te  mos 
kalezoine  ge  fare,  e  menate  pastdi  nga  aö  nate  e  lige  ede  me 
rbore  e  te  ftöhete,  Ue  vdis  neri  te  rij  jaSte:  tsilene  te  tsoine 
te  pare  perjaHa  nga  dera  e  kdstrose,  t  e  beine  vasile/  nani 
menate,  pa  te  mos  dij  ge  fare  kopilea,  viSure  si  is  buferiSt  e 
gimse-vdekure  nga  te  ftöhetite,  Seh  e  hdphete  dera  edä  dodekada 
tSe  dual,  aö  monotaru  ngalköj  e  ndiii  nga  benda  per  te  Skoine. 
atd  si  e  pane  astü  trim  te  bukur,  rane  nde  kembe  te  tij  e  e 
muare  e  e  keine  nde  sardj  e  e  dronisne  vasile. 

aö  nani  si  iS  e  diture  e  neri  s  e  nih  pse  iS  grua,  ku- 
menddr  kake  mire  vasiliene,  Ue  tuti  e  doine  si  Ine  Zot,  e  iS  e 
ddsure  ka  laöj  kake,  sa  i  vune  stör  ine  nde  tuti  vrise  te  %örese, 
per  t  e  Sihne  tuti,  sa  veine  e  mire  uje.  nani  kopilea  d-ote  nde 
neres  te  saj  fSehaze,  pse  kuS  te  Skoiie  te  mare  uje  e  t  e  söhene 
te  pSerstifie,  kur  Seh  storine  e  saj,  t  e  mdrene  nde  sardj  t  e 
rüaftene,  iiere  sa  t  u  d'ete  aö.  atii  Skon  ttifuti  rie  dite  —  Ue  kej 
skruaiture  kdrtene  nde  i  Soki  — ,  e  si  Stiu  site  e  pa  storine,  psere- 
titi.  si  e  pane  ftirezit  e  vasilese,  e  mdrene  e  e  kele  nde  sardj. 
mbe  jätrene  dite  Skönene  psarate:  edd  atd  si  e  pane,  pSere- 
titine,  e  i  müare  nde  sardj.  pastdj  nga  tsa  dit  Skoj  Turku,  e 
e  müare  ede  ate  si  pseretiti.  pastdj  nga  tsa  dit  Skon  ede  i 
Solei,  e  si  pa  storine:  ,Ah!  &a,  sa  i  gXet!  ah!  si  te  rbora!(  e  e 
müare  lote  e  Maiti  dStü  e  müare  ede  ate  nde  sardj. 

nani  kopilea,  si  pa  Ue  u  mbeCodne  tuti  sa  doj,  &a  ?\e 
dite  te  mbelidhej  ipurjioa,  t  u  &ej  iie  kris  Ue  kej  te  benm  u 
mbetode   astü   tuti  e  ndifi  ajö  nde  mes  si   vasile:   &a   e   süale 


40  Vn.  Abhandlung:    Meyer. 

edi  tuti  ata  sa  keine  zene;  e  kumendari,  iieri  te  mos  flase,  pa 
te  mos  i  &ete.  e  zeröj  e  foli  vasilea:  ,tiifüt!  &a,  pse  pieretxte 
kur  paie  ati  storine  nde  vrisf  vezdö,  i  d'Ote,  mos  &ei  pseftri, 
*  pse  te  pres  kriete  monotaru/  ,tie  te  te  Sem,  zoti  vasile,  i 
&ote  at;  e  tioha  ati  stori  se  ii  grua  ad.'  e  zerdj  e  &a  tuti  te 
vertitene,  si  ikrüaiti  kdrtene,  pe  z  doj  kopilea  t  e  mir  bufe 
ati.  kur  u  nettar,  i  &ote:  ,mire,  te  vertdtene  &aie;  fi  nga 
nira  ane/  nani  i  ioKi,  si  gek  nga  goTa  e  tHfutit  avanine  tie 
kej  itire  te  iökese,  u  sul  te  mbin;  po  vasilea  i  öote:  ,H  nga 
nira  ane  e  mos  u  tunt:  pse  do  te  kakopatirüei.'  aitü  u  hoTk 
at.  pastdj  &ote  vasilea  psaravet:  ,juve,  tie  kejete,  tie  pSere- 
tite.'  ,e,  $ane,  neve  e  zum  keti  grua  e  e  Htim  nde  ne  Turk.' 
,e  ti,  dvte  vasilea  Turkut,  tie  kejef'  ,u,  &a  at,  u  jeie  tie  e 
bleva,  e  me  iku  e  me  la  akoma  pa  pare  mire  pa  fvba  e  me 
muar  kdlene.'  ahera  tuti  ipurjioa  u  pruar  e  veidöj  vasilene: 
at  u  beri  noime  te  mos  tuntheiine.  pastdj  i  dote  te  ioKit:  ,e 
ti  pse  pieretitet'  ,ah,  i  ndari,  &a  at  me  lot  nde  si,  u  jeie  i 
Solei,  e  nani  e  rbora  nga  vitehea  e  ime.'  ,jö,  i  $ote  vasilea, 
neke  e  rbore.  rini,  &a,  ne  tiitske  e  nani  vifiS  vete  mberda  e 
viihete  me  roba  grariite  tie  kej,  kur  i§  de  i  ioki,  e  del.  tuke 
ti  e  pane,  tuti  hapne  site.  ipurjioa  nohu  te  bttene  e  vasilest 
ede  e  iolii  ede  te  tierete  kopilene.  i  pari  i  ioki  vate  e  i  ra 
nde  kembe  e  i  &a,  t  e  ndeTene.  ad  e  ngriti  e  e  pud-i  e  e  vu  e 
ndii'i  nd  ane  nde  ad.  psaravet  u  da  roi  ede  Turkut  to  idio,  e 
tiifune,  tie  z  doine  ipuryote  te  karvartsne,  e  ndeleu,  po  i  $a, 
nde  ne  zet  e  katre  ora  t  iken  nga  vasilioj  i  saj.  astü  -friri 
permeteiri,  pse  u  tiua  e  biTa  e  vasilese  tire,  e  bens  %are  te 
mbedd.    Kostandiu  u  be  vasile,   e  hingare  e  pine  nere  mbe  sot 


III.  Erzählungen  und  Schwänice  (aus  Porös). 

i. 

Nde  Angli  te  hapsösurite  kane  litientse  te  idsene  kürmerei 
e  tire  nde  jatrö  tie  ierön  lavdmete:  e  parehte  tie  mdretie,  i 
han  e  i  pine.  aitü  ne  nga  Jcetd  te  hapsösurite,  tse  kii  bene  in 
te  made  te  lige,  ftoi  ne  jatrö  nga  te  lavömevet  e  kerfafn  te  Ht 
vetehen  e  tia.  e  nga  te  iümate  te  d-ena  geti  di  lira  pre  kurm 
te  tia.    e  si  muar   parehte,   zeroi  te  Uei,   e  Jcei  tuti  ne.  jatroi 


- 


Albanesißche  Stadien.  V.  41 

8i  e  pa  Ue  keS,  e  pieiti  pse  JceS.  ,ke§  pse  ti  me  bleve  prs  iieri 
tse  do  varhem  nde  kremale,  e  je  nde  kiö  i  keSure:  pse  u  do 
mos  varhem,  po  do  dighem/ 

2. 

9 

Ne  zot  etsen  mbsrda  nds  gar&  te  tia  nds  pis  te  vdpese; 
e  perivolari  e  tia  flei  nde  tsa  driza  prepös.  e  i  ngekuare  zoti 
psaks  t  e  Uon,  e  i  -frote :  ,pse,  paTeo-neri,  ße  e  neke  Serben  f  ti 
astü  z  veFen  pre  te  te  Sohe  dieli/  i  pregtyhete  perivolari  e  i 
&ote  tuke  ferkuare  site:  ,anddj  ed&  u,  zoti  i  im,  fle  nde  he/ 

3. 

Ne  ngles  nde  Londre  doi  i\e  vdseze  me  pak  te  Sume  e  doi 
t  i  vii  kurone;  po  aö  vertetaze  i  &oi  pse  s  e  do.  po  dukhej 
pse  ede  ajö  e  doi.  nglezi  i  ziu  doi  te  dzii  ngah  ajö  tse  is  e 
saja,  Ue  s  e  doi  t  i  vii  kurore.  aStü  vaiza  e  mündure  nga 
pale  i  Sume,  i  a  kSiloi  pse  z  do  te  i  vere  kurore;  pse  fte  here, 
di  8i  u  be,  e  u  pre  fiera  Jcembe  kesait,  e  Ute  me  i'ie  kembe,  e 
tüitrene  e  ka  te  druite.  e  anddj  neke  doi  t  i  vii  kurore;  pse, 
Icur  te  ba§könheäine,  do  Sih  dl  e  do  i  ftohhej  zemera,  e  do  mos 
kiS  palen  e  pare  me.  po  nglezi  i  zi,  i  plote  pale  pre  ati  vdSeze, 
ts  e  doi  koke  Sume,  ede  pre  te  gene  vaizene,  zeroi  fie  taksi&  pre 
Parise,  e  atii  Ue  vate,  urderoi  e  i  prene  nene  kembe.  e  si  u 
Serua,  u  pruar  prape  nde  Londre  e  vete  nd  ajö^  vaiza  e  i  &ote : 
,ms  ndote,  vdSezo,  nani,  pse  do  mos  jete  ndoiie  k$il  pre  te 
mos  baskönhemi;  pse,  na!  ede  u  Ue  me  rie  kembe  jam  nani}  si 
ed£  ti/  vaiza  me,  Ue  te  ben,  po  Ue  ki$  edi  ajö  nd  at  paU  ede 
at  nd  ajö:  vune  kurore  e  u  baSküane. 

4. 

Nde  Veneti  ne  i  verber e  kiS  ne  grua  e  e  doi  nga  fort;  e 
neri  tiatri  i  &öine  pse  s  i§te  e  bükure.  e  fte  dite  er&  ne  i 
diture  jatrö  per  si  nga  Parisete  e  i  &oi  te  verberit,  pse  ,u  te 
mar  nde  maTe  te  te  ben  te  Hohes"/  i  virberi  i  d-ote:  ,neke  dua 
pre  te  me  bei  te  Soh;  pse,  po  te  Soh,  ahera  do  rbar  palen  e 
Bums  Ue  kam  de  grüaja  e  ime,  e}  si  jam  nani,  me  dükhete, 
pse  paki  Ue  kam  de  grüaja  e  ime,  me  ben  te  pdsure/ 


42  VII.  Abhandlung:    Heyer. 

5. 

Ne  i  verbere  eisen  nie  fandr  nde  dore  ndtene  nde  pri 
drome  nde  te  made  er&ire,  e  kii  n  krähe  ede  ne  stamne  t  ujit. 
ne  diale  e  zgüare  Sume  e  prepdli  keti  te  verber  ine  e  saStUi  ti 
e  pa  nie  fandr  nde  dore,  e  i  &ote:  ,vre9  i  pa-mentHm!  tse  te 
veten  ti  drita  tSe  ke  nde  doret  dita  edi  nata  pre  ti  8  ist*  ni 
lojisiV  i  verber i  i  pregeghete  pse:  ,dritene  neke  e  mbah  pn 
vetehene  t  ime,  po  e  mbaii  pre  te  mare  iieres,  ti  ede  ti  u  nglt't 
atire,  tie,  po  te  me  sdhene,  te  beiiene  nga  benda,  te  mos  mi 
vinene  nde  male  te  me  Stiiiene  e  nie  LsdAene  edi  stdmnene. 

6\ 

Ne  prift  nde  Roms  vii  loyo  nde  klite,  e  atii  tie  vii  h>- 
yone,  &a  pse  rbuar  ne  ksil,  ne  karagds  u  ngre  Huara  e  &a: 
7deres,  mbH  derene  mire,  e  ketü  jane  tuti  neres  nie  nder,  te 
Some  teilt  nga  ketd  e  ka  tsüare  k&ili  tse  rbuar  daskali.' 

7. 

Nde  Vienne  nde  gard'  te  mbreterise  ne  %  verberi  nga  neri 
ei  prepdk  ne  menate  ne  d£umbd,  e  doi  t  e  prekiS:  ,mik7  i  &ot€, 
menate  u  ngarküase.'  e  d&umboi  u  pregelc:  ,ti  te  ndota  pse 
iste  menate,  pse  hape  ne  pale&ire  vetene.' 

Nde  Berolino  ne  neri  me  ne  kembe  prepdk  ne  cütumbo  e 
doi  t  e  prelies;  i  &ote:  ,siel  ge  habare  te  mira  nde  tröste  t*t 
keP  e  u  p reg^K  d&umboi:  ,ti  preps  te  kes  habare  te  mira,  pse 
gi&e-mone  vete  ketej-andej/ 

9. 

Ne  kale  pa  ne  mungui  prarit  e  u  derd-  mbi  male  e  kapsol 
tsa;  e  ei  zu  te  pertiphej ,  u  gTemua  e  e  ndzuar  nga  goTa  mbt 
ne  e  &a:  78t  iSte  te  koldturit  e  öivet  t  eger,  jane  edi  dite.1  »* 
di  e  prepoli  kaleii  e  i  &a:  ypse  vaite  e  hinger e  te  koldtutite  t 
aneP  ,pse  si  e  pase  aStv  te  gilbere  ede  munguldr,  $aüe  pse  w 
elp;  po  me  mire,  te  mos  e  ngrene  keSe,  pse  pre  ne  kapSore 
mungui  dua  tri  dit  te  Serdi'i  gdCene/ 


Albanesi8che  Studien.  Y.  43 

10. 

Ne  neri  beri  ne  te  made  te  lige;  aStü  giki  urdsroi  t  e 
zcne  t  e  vene  nde  ne  &es  e  t  e  Sterene  nde  det.  aStü  e  zune  e 
vune  ede  nde  &es}  e  öesne  e  lide  fort  e  e  vune  pr  ane  fie  ledit 
de  fie  vent  te  veteme.  aStü  ki  nga  pre  mmerda  d-esit}  po  geghej 
tse  Sköine  Her es,  &oi:  ,o  i  ndari  u,  tS  e  ligs  iSte  kiö  tSe  me 
tsua  mua  nani:  pre  mbret  u  neke  jam.  ku§  tiatre  do}  le  te 
hinef  tSe  me  pa-hir  Ute  kettV  aStü  tuke  &ene,  na!  e  Skoi  ed& 
ne  tSopdn  e  e  {jefihej,  \e  si  ulcas  pr  ane,  e  pieiti:  9tSe  ke,  vre, 
tSe  &eretP  ai  pregeghete:  ,vre,  via,  tSe  te  te  dem  f.  duane  me 
pa-hir  te  me  bifiene  ake-ku  mbret,  e  u  z  dua;  e  aStü  me  vune 
nde  ki  &esi  te  me  Kelnene.'  tSopani  i  &ote:  ,del  ti,  te  hin  uV 
at  i  &ote:  ,dal,  po  ti  tSe  do  me  japeS  pre  keU  te  mire  Ue  te 
befiV  Uopani  i  d-ote:  ,te  jap  te  gdlate  t  imeS  e  aHu  i  &ote  at 
nga  pre  mmerda:  ,ve£dö,  mos  dükhete  fori,  e  Speit  zgli&  &esne, 
e  hire  mmerda  te  U  li&,  e  vebdo  mos  flet  fare,  pse  te  nöhene.' 
e  astü  Uopani  zglidi  d-esne  e  hiri  mmerda,  e  e  lidi  at  e  vate, 
i  muar  te  gdlate;  e  keti  me  te  <fi&e  &es  e  Hine  nde  det. 


IV.  Bruchstücke  aus  den  Evangelien. 

Matthäus  VIII,  5  ff. 

5.  ati  kohe  er$  Jisui  nde  Kapernaum  e  i  vien  perpara 
ne  jUcdl  tuke  fdlture  atit  e  i  &oi: 

6.  ,zot !  diali  i  im  ka  rare  nds  Hepi  si  i  me'kure,  e  Hhhete 
e  pikhete  rende.' 

7.  e  i  &ote  Jisui:  ,u  do  vin  t  e  Seron  ati/ 

8.  e  u  pregek  filcali  e  i  &a:  ,zot,  neke  jam  u  kader  pre 
te  vis  ti  prepoS  nde  te  puStruam  Stepise  s  ime;  po  veteme  d-uai 
JchiI  ti,  e  Serönhete  diali  i  im. 

9.  pse  ede  u  neri  jam  tSe  kam  urderi  e  kam  afre  trima; 
e  &om  ketit  JaSön  u',  e  vete,  e  tiatrit  ,eac,  e  vien,  e  Serbetorit 
t  im  ,ben  kete',  e  e  ben/ 

10.  e  si  gek  Jisui  ketö,  SaStisi  e  &a  atire  tS  e  ndikne: 
,vert4t  &om  juvet,  mos  nd  Isratl  kalte  bese  Uova. 

11.  &om  akoma  de  juve:  pse  Sume  nga  natolia  ede  nga 
disi  do  vinene  e  do  fine  baSke  me  Abraamne  ede  Isaakne  ede 
Jakovne  nde  mbreteri  te  kielzvet. 


44  VII.  AbfatndltiBf :    Meyer. 

12.  e  dielte  e  eresirese  do  ktirhene  nde  eresire  te  Sek, 
atit  Ute  te  kfdrete  ede  h  krisurit  e  öimbevet.' 

13.  e  &a  Jisui  JUcalit :  ,etse,  e  si  besove,  le  te  te  binheU.' 
e  u  serua  i  biri  d  ajö  ore. 

Matthaas  Vm,  28  ff. 

28.  nd  ati  kohe  erd-  Jisui  nde  %ore  te  Gergesinevet ,  e  e 
prepokne  ati  di  te  demonisure  te  dale  nga  vdrete,  Sume  V  eqen, 
sa  z  munt  do-ne  te  Skon  nga  at  dromi. 

29.  e  mbe  ne  &ire  e  &öine:  ,t$e  de  neve  ede  de  ti,  Juu 
i  biri  i  Perendiset  erde  nani  pa  drdure  koha  te  na  jjekvs 
neveV 

30.  e  ü  alarga  ngah  ata  ne  dorbert  deravet  &ume  tk 
kulöine. 

31.  e  demonte  fdlheSine  de  at  e  i  d-öine:  ,nde  na  dzerU 
nevet,   ndeTe   nevet   te  vemi  d  ajö  dorbert  te  deravet/ 

32.  e  &a  atirevet:  ,4tseni!'  e  ata,  si  duale,  vane  nde  dor- 
bert te  diravet.  ede'  mbe  ne  u-%is  dorberia  e  deravet  pre  nde 
skemp  nde  det  e  vdilcne  tuti  nde  pre  uje. 

33.  e  ata  ts  i  rüaine  ikne  e,  si  vane  nde  politi,  d-ane 
ttttiy  sa  paney  ede*  ato  te  demonisurivet. 

34.  e  na  mbe  ne  tuti  nerezite  e  politise  duale  ts  prigs- 
zöine  Jisune;  e  si  e  pane  ati,  i  u-fale  atit  pre  t  iken  nga 
sinoret  e  atirevet. 

Matthäus  IX,  1  ff. 

1.  nd  ajö  kohe  hiri  Jisui  nde  barke  e  Skoi  e  er&  ncfe 
%ore  te  tia. 

2.  e  na,  i  suale  atit  ne  kliture  nde  ne  rantse  vene.  e  si 
pa  Jisui  besen  e  atirevet,  &a  te  kliturit:  ,mos  u-tremp,  dtalt! 
te  lasönhene  mkdtete.' 

3.  e  na,  tsa  nga  yrammatikote  &ane  me  vetehe  te  tire:  ,(ä 
vyastimis/ 

4.  e  pa  Jisui  atö  sa  &oin  ata  me  vetehe  te  tire  e  u  9a: 
}pse  juve  vini  nde  zimera  t  uai  te  ligaf 

5.  tsila  Ute  me  e  mire,  te  &em  te  laSüarite  amartivet  i 
te  &em:  ngru  e  etsef 


Altanesiflehe  Studien.  V.  45 

6.  e  pre  te  Hhni  pse  urdert  ka  i  biri  üeriut  nde  de  te 
lere  amartt.'  ahera  i  $ote  te  lditurit:  ,ngru  e  tner  rdntsene  e 
haide  nde  Stept  t  ende/ 

7.  e  u-ngre  e  vate  nde  stept  te  tia. 

Matthäus  IX,  27  ff. 

27.  nd  ajö  koke  8hon  Jisui  e  e  ndoJcn  ati  di  te  v&bere; 
tuke  SHfure  &6ins:  ,Uivernis  na  edS  nevet,  i  bir  i  Davidit!' 

28.  e  si  er#  nde  Stept,  i  erde  edä  te  v4rberite  perpara;  e 
<dot&  atirevet  Jisui:  ,besoni  pse  kam  fukt  t  e  ben  ketiV  —  i 
xhme  atzt:  ,po,  zoV 

29.  ahera  zu  sit  e  atirevet  e  d-a:  yundre  besene  tSe  keni 
te  binhete  de  juve.' 

30.  e  u-hapne  sit  e  atirevet.  e  tembi%iasi  atd  Jisui  e 
u  &a:  ,do-7ie  te  mos  e  dzefe.' 

31.  atd,  si  duale,  mblüane  tuti  közmine  nga  te  &inete. 

32.  e  tuke  ikure  atd,  na,  e  seltene  d  at  ns  ixeri  te  för- 
dere edi  te  demonisure. 

33.  e,  si  dual  demoni,  foli  i  Sürderi.  e  SaStisne  te  mbe- 
tedurit  e  ntrezevet  tSe  hure  s  u-duk  nd  Israil  iie  si  ki. 

34.  e  farisiote  d-öine:  ,de  zoti  i  demonvet  dzier  demoiiteS 

35.  e  Skoi  Jisui  tuti  katündete  edS  politite  e  mbesön  nde 
te  mbeßdurit  e  tire,  e  d-eHt  vanjel  e  mbreterise,  e  Seron  tSe-do 
semunde  edi  te  ligura  te  kozmit. 

Johannes  I. 

1.  heren  e  pare  iS  ksili  e  kSili  iä  nde  perendi  e  peren- 
dia  iS  ksili. 

2.  at  iS  tSe  heren  e  pare  nde  perendi. 

3.  tuti  ngah  at  u-bene,  e  pa  ate  do-fie  s  u-be  ngah  atd 
sa  u-bene. 

4.  d  at  gale  iS;  e  gdlete  iS  drita  e  nerezevet. 

5.  e  drita  nd  efesire  feks,  e  efesira  nek  e  mbaiti  ate. 

6.  e  aStü  u-dergua  iieri  nga  perendia,    ömeri   atit  Jodn. 

7.  at  er&  pre  te  kalezüare,  pre  te  kalezoile  pre  drite, 
Ue  ngah  at  te  besdfiene  tuti. 

8.  nek  iS  at  drita,  po  pre  te  kalezdn  pre  drite. 


46  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

9.  iS  drit  e  vertete  t$e  feks  t§e-do  neri  tse  vien  nde  kozm. 

10.  nde  kozm  is  e  kozmi  ngah  at  u-be  e  kozmi  ate  se  tiohu. 

11.  nde  te  ti  er$,  e  te  tite  8  e  mbditine. 

12.  sa  e  mbditine  ati,  u  da  atire  urderi,  diilm  perendm 
te  binhene,  8a  besüane  nd  emer  t  atit. 

13.  Ue  ata  mos  nga  gak,  mos  nga  te  ddsure  kurmit,  mos 
nga  te  ddsure  burit,  po  nga  perendia  u-lene. 

14.  e  kHli  mii  u-be  e  lcendroi  de  neve.  e  pam  urderin 
atit,  urderi  te  ßlüamit  birit  nga  täte,  plot  duretiTe  ede  ti 
verteU. 

15.  e  Joani  kalezön  pr  ati  e  &ertt  tuke  &ene:  ,at  üte  ti 
u  &ate:  at  tSe  me  vien  nga  prapa,  perpara  m  u-ndo$,  pst  i 
pari  i  im  iS. 

16.  e  nga  te  tite  neve  tuti  muarm  e  duretiTe  nga  duretVa. 

17.  pse  nomi  pre  Mo'isin  u-Sa,  e  duretita  eöi  e  vertete 
nga  Jisui  XriUi  u-be. 

18.  perendine  do-ne  do-iie  here  8  e  pa.  i  fiiuami  i  biri 
ts   i§  nde  (ji  te  jatit,  at  e  kuvendoi. 

19.  e  atd  iSte  te  kalezüarite  e  Joanit,  kur  dergüane  Ju- 
dAote  ngah  Jerosölimate  priftera  ede*  daskdT  pre  te  pieine  ati: 
ti  tsili  je? 

20.  e  nek  e  Uehu  e  u  &a:  pse  neke  jam  u  XriUi. 

21.  e  e  piäitine:  ,po,  Ue  jet  Hau  je  tiV  e  &ote:  ,neh 
jam/  —  ,po  profiti  je  UV  —  u-pre§elc:  ,jo/ 

22.  e  i  &ane  atd:  ,tsili  jet  pre  te  jame  te  pregegure  nd 
atd  tse  na  kane  dergüare.    tse  &ua  pre  ve'tehe  t  ende?' 

28.  u  &a:  ,&irme  e  gemüame  nde  Skreteri:  ndrelcni  öromn 
e  zotit,  undre  si  &a  Isaia  profiti/ 

24.  e  te  dergüamite  tine  nga  Farisiote. 

25.  e  e  pieitin  ati  e  i  &an  atit :  ,pse  pagezön ,  po  s  je 
Xrüti  mos  Hau  mos  profiti?1 

26.  u-pregek  Joani  atire  e  &a:  ,u  pagezön  nds  uje;  e  ndt 
pre  juve  jet  at  t§e  juve  Stijete. 

27.  at  i$t$  t$e  nga  prapa  mua  vi&i  e  prepara  me  ndoÖhete; 
tse  u  atit  s  jam  kadir  t  i  zgtid-  te  Udurit  e  kepütseze.' 

28.  ketö  u-bene  nde  Bi&abard  ndara  de  Jordani,  ti  ü 
Joani  e  pagezön. 

29.  e  mbe  menate  Seh  Joani  Jisune  e  vien  pre  nd  ati  *■ 
&ote:  na  Uengi  i  perendise  tSe  do  ngrefe  mkat  e  kozmit. 


Albanesische  Studien.  V.  47 

30.  ki  iäts  Us  pr  ati  Sass:  prapa  mua  viin  burs  Us 
prspara  mua  ndödhets,  pse  i  pari  i  im  iSts. 

31.  u  8  e  dije  ati;  po  prs  ts  dsftönhets  d  Israili,  prs 
keti  er  da  u  nds  ujs  e  pagszöii/ 

32.  e  kalszoi  Joani  e  &a  pse:  ,pa$s  Ipirtins  e  rushei  si 
pelistir  nga  Uidlzits  e  mbeti  mb  ati. 

33.  u  8  e  nohs  ati,  po  at  Us  ms  dsrgoi  ts  pagszöii  nd  ujs, 
at  me  &a:  de  tsili  ts  SohsS  ts  rüsheU  Spirti  ts  viethets  mb  ati, 
at  ists  Us  do  pagszons  me  Seilt  Spirt. 

34.  u  e  paSs  e  kalszova  pse  at  iSts  i  bir  i  persndiss.1 

35.  e  mbs  menate  meta  Joani  jit  edi  di  nga  ma&itits  ati; 

36.  e  tuke  vsStüars  nga  Jisui  U  etssn,  &ots:  na  Jceng  i 
persndiss. 

37.  e  gegns  ts  di  mad'itits  U  e  &oi  e  ndoJcns  Jisuns. 

38.  e  u-pruar  Jisui  e  sih   kstd  U  e  ndilcns.    &ots   atire: 

39.  ,Us  ksrkoniV  e  i  &ans  atd:  ydaskdl,  ku  mbetheP 

40.  e  &ots  atire:  eni  ts  Sihni.  e  erds  e  pans  ku  mbdthets, 
e  mbens  m  ati  gi&s  ati  dits.    ora  do  iS  fier  diets. 

41.  iS  Ndreu  i  vyai  Simonit  Pdtross  ns  nga  ts  di  Us 
gegns  nga  Joani  eSS  e  ndokns. 

42.  e  Uon  i  pari  ki  ts  vyans  ati  Simönins  e  i  &ots  atit: 
,e  Uuam  ts  dsrguamins  Us  ka  ts  d'ets  XriStiJ 

43.  e  e  suaX  ati  psrpara  de  XriSti.  e  e  veStoi  ati  Jisui 
e  $a:  ,ti  je  Simoni  i  bir  i  Jonait,  ti  do  frühes  Kifd,  Us 
mp8Önhets  PetroJ 

44.  mbs  menate  doi  Jisui  ts  del  nds  Galili,  e  Uoi  Fili- 
pons  e  i  &ots  atit:  ,ndilc  ms.1 

45.  i§  Filipoi  nga  Bi&saidai,  nga  vendi  Ndreut  edd 
Petross. 

46.  e  Uon  Filipoi  NaSanails  e  i  d-ots  atit:  ,ati  Us  skruan 
Moisiu  nds  nom  edd  profits,  e  Uuam  Jisuns,  ts  bir  e  Josifit 
nga  Nazareti/ 

47.  e  $a  atit  NaSanaili:  ,nga  Nazareti  binhete  ts  jets 
do~fis  e  mirsV   &ote  atit  Filipoi:  ,ea  e  Sih/ 

48.  e  pa  Jisui  Na&anails  Us  vien  de  at  e  $ots  prs  ati: 
,na  i  vsrtets  Israilit  Us  delpsri  s  ka/ 

49.  e  &ots  atit  Na&anaili:  ,nga  ms  ixehV  u-psrgek  Jisui 
e  i  &a  atit:  ,ms .  prspara  nga  ts  ts  flit  Filipoi 7  Us  jess  nds 
prs  fik,  ts  nohs  ti/ 


48  TO.  Abhandlung:    Meyer. 

50.  e  u-pregdk  Nadanaili  e  i  dote  atit:  ,rabbif  ti  je  i 
biri  i  perendise,  ti  je  mbreti  IsrailiU 

51.  u~pregefc  Jisui  e  i  &a  atit:  ,ati  Ue  te  &a&e:  te  pa*e 
prepos  nde  fik:  besdnt  me  te  mbedd  nga  ketd  do  SoheSS 

52.  e  i  &ots  atit:  ,vertet  vertet,  &om  juvet:  t§e  nani  do 
sihni  kieline  te  hdphete  edä  4njelit  e  perendise  te  nithene  e  te 
rushene  de  i  biri  i  neriuV 


Johannes  II. 

1.  e  diten  e  trete  dasme  benhei  nde  Kand  te  Galilese.  e  i* 
ede  jema  e  Jisuit  atiö. 

2.  u-ftua  edi  Jisui  edä  ma&itit  e  atit  nde  dasme. 

3.  e   si  z  genthei  veref    dote  jema  e  Jisuit  de  at:   ,vere 
8  kane.' 

4.  e  dote  asait  Jisui:  ,tse  de  mua  edi  de  ti,  grual  akorna 
s  er&  ora.( 

5.  e  d-ote  jema  atire  Serbetdrevet:  Ue  do  u  &ote  juvet? 
te  beni. 

6.  e  üne  atie  gaste  ene  gurefa,  e  fientheHns  te  paitrüame 
pre  Judeo,  e  ndziine  nga  di}  tri  te  mdtura  nera. 

7.  e  &ote  atirevet  Jisui:  mbloni  atö  enete  uje.  e  i  mbluan 
atö  Hera  la. 

8.  e  &ot  atirevet:  dzirni  nani  e  silni  aryitriklinoiL  e 
i  süale. 

9.  e  ei  piu  arxitriklinoi  e  pa  üjete  te  bene  vere,  e  nek  e 
dii  ngah  iS  bene  —  po  Serbetdrete  e  diine  se  hoUcne  üjete  — 
i  fiit  yambroit  arxitriklinoi  e  &ote  atit: 

10.  ,Ue-do  neri  veren  e  mire  siel  perpara,  e  kur  te  di- 
hene,  ahera  siil  me  te  pditerne;  e  ti  rüaite  te  mirene  vere 
iiere  nani/ 

11.  kete  beri  te  pdrene  &ame  Jisui  nde  Kand  te  Gali- 
lise,  e  deftoi  nderen  e  tia.     e  besüane  d  at  ma9-itit  e  ti. 

12.  pastai  nga  kid  u-rus  nde  Kapemaüm  at  edi  jema  e 
ti  edi  vyizerit  e  ti  edi  ma&itit  e  ti.    atie  bene  pak  e  ge  dit. 

13.  e  afre  i$  edi  pa&ka  e  Judeovet.  e  u-Jiit  nde  Jero- 
sdlima  Jisui. 

14.  e  tSoi  nde  jerd  atd  tSs  §isne  Ue  edi  den  ede  pelistere, 
ede  atd  Ue  nderdine  parete  e  riine. 


15.  a  feH  »  ■>"  .(S«  *  •  cW_    *     '     '    «  „^» 
*4  ***,   e  atire  tU  -W-*   »•_■"■«  *  -'    -  m^' 

u  a  prsjuar  atirt  «f  ?**]*•  f~T"  „, ;   «,  »  «  ~*« 

17    e   teßiia«   «***  «   ** "   -*"   •*  *i'*'^' 

18.  tt-pr«fcr«  J****  -.>«**-*«*** 

10.  e  ui>«je£  J«*"  «  *•  ■-»'*«'•    *"**" 
pre  tri  dit  t  t  ngrt.  ^ Jrtf  fa- 

„am,  e  «»  prc  «ri  Ä«  <**  *  *S™*  fatt" 

21.  .  ät  do»  -a*  ^  «  ha  f  r  ,; 

prs   keti  toi  *ttr**:  «  t*"<*"  "*  *ar^ 

**  JUuL  A.    T~<*olima    dt   «   krimpt«*  «  p<«fce«, 

24   po  Jw«»  2  ***•  "•  t*te**  "        P 

Johannes  m. 

1.  A  «.  *r<  »**  FarUeoU,  NikoSim  im*  i  atit,  i  V*r 

Judeovet.  ....    rahU,   dims  p»« 

2.  «t  erd   de  JUui  nätens   •   »*   «*«•    >™  fcwrrtffi 
nga  Ferenaia   erie   Saskdl;  doüe   z  raunt   te  M* 

Ue  ti  hen,  pa  Perendia  me  ate  $  tltt.  e.;  B<i, 

3.  „p^  Ji««  e*a  «*«••  .«^ ^8^lw«  e  m»r-«.« 

4.  *6U  de  ai  Nikoö^  *£**  J  "J*    te  .  imB8e  . 

te  JuanaUkettV  te  ftom  ti;  po  do/te  • 

5.  .  preW  Jisui:   '^'^Jjl  *  J  «*^ 
IAA  n?a  ^te  eW  «3«  «P»^  *eÄ'   Z  fnUnt 

tc  mbretit.  4 

ffiteM>g.b«.  d.  ,hü.-k»t.  Cl.  CXIXIV.  Bd.  7.  AM, 


50  VII.  Abhandln*«:    Meyer. 

6.  i  leri  nga  mi§  mü  üte,   e  i  leri  nga  Spirt   ipirt  Ute. 

7.  mos  iaStis  nde  sa  te  &aie:  preps  te  Uheni  nga  lart. 

8.  Spirti  ku  te  dete  frin  e  Firmen  atit  i  a  {je§he,  po   z 
di  ti  nga  viSn  e  ku  vete.     keitü  Ute  tsili  lihete  nga  äpirti. 

9.  u  preijeTc  Nikodimi  e  &a  atit:  ,si  mündriene  keto  te 
binheneP 

10.  e  u  pre^eü  Jisui  e  i  &a  atit:  }ti  je  daskdl  i  IsraiUt, 
e  ketö  neke  Zieht 

11.  vertet,  vertat,  &om  ti,  pse  ati  täe  dime  kSilöime,  e 
ati  tSe  getjm  kalezöime;  e  te  kalezuarite  nevet  neke  e  mirni. 

12.  te  ketit  kozmit  &a$e  de  jitve,  e  neke  besoni,  nde  9efia 
de  juve  te  Uielzvet,  do  besonit 

13.  e  dofie  s  u  ngit  nde  Kiel,  po  at  täe  u  nie  nga  üieli7 
i  biri  i  fieriut,  ti  ü  nde  kiel. 

14.  e  undre  ngriti  Moisiu  fidrperine  nde  ikreteri,  ke&tü 
do  ngrthete  eie  i  bir  i  Aeriut; 

15.  tie  teilt  do  te  besoAe  d  at,  te  mos  birhete,  po  te  kete 
jeten  e  pa-sösure. 

Tb    su«YY^tov    T*S*    SeuTepa;     ivastiaews     psiafpasöev    ix 
toO   rcpcoTroTuroü    etq   Tt;v   aXßavtxYjv   Y^öfftfav   ^wv   ev   'EXXict 

'AXßav&v  uxb  II.  KourctTttpT). 

E66  per  te  benemi  t  aksie  te  gegemi  ienJcne  vanjel,  zoneee 
perendise  tene  t  i  lutemi. 
meint  te  dritte, 
le  te  $e<$emi  ienJcne  vanjel,. 
paß  mbe  (fifre. 

Jca  i  ien-Janit  Ute  vanjeli  täe  do  ihihete. 
le  veme  re. 

Johannes  XX,  19  ff. 

19.  kur  ii  4rture,  diten  ati  te  paren  e  jdvese9  e  dierte 
iine  mbilture,  atji  ti  iine  ma&itite  mbeTiiure  ka  trembesira  e 
tiifutvet,  er  9*  Jisui  e  ndifi  nde  mee,  e  u  9ote:  pale  me  juve. 

20.  e  kete  tuke  9ene,  u  deftöj  däarte  edi  brinsn  e  tij. 
u  gezuan  aitu  ma&itite  ei  pane  zotne. 

21.  aitü  u  9a  Jisui  prape:  pak  mbe  juve;  undre  si  der- 
göi  mua  tata,  ede  u  dergöfi  juve. 


Albanesische  Studien.  V.  51 

22.  e  kste  tuks  $ens,  friti  mV  atd  e  u  &ots:  mirni  Spirt 
ts  Senkte. 

23.  nds  Ufüits  tsavet  mbskdtste,  u  jans  ts  Uns;  nd  i 
mbctni  tsavet,  u  jans  ts  mbditurs. 

24.  e  Qomau  ne  ka  ts  dimbsSjete,  tSs  &ähej  biliar,  nsk 
i§  me  atd,  kur  er&  Jisui. 

25.  aStü  i  &oins  ts  tj&rsts  ma&iti;  kernt  par  s  zotns.  e 
dt  u  $a:  nde  mos  paf§a  nde  duar  ts-tij  lavomsn  e  gö£dsvet  e 
vefsa  glisns  tim  nde  vent  ts  göidsvet  e  vsföa  dörsns  t  ime  nds 
brifts  ts  tij,  do  mos  jap  bess. 


V.  Lieder. 

A.  Lieder  aus  Porös. 

1. 

Kaie  plaka  bdbszo! 
haide,  bs  ms  fis  &elims: 
haide,  be  ms  fis  &elims, 
ts  ms  bsS  ksti  ts  mirs. 

Plaka.   T$s  &elims  do,  vre  dials, 
ts  t  a  bsfi  u  mono-fials: 
ts  t  a  befi  u  mono-fials, 
ts  mos  dzsts  tiatrs  dials. 

Diali.  Kaie  plaka  bdbszo! 

ts  martonhem  dua  i  ndari: 
ts  martonhem  dua  i  ndari, 
ts  ms  tSoS  grua  nga  Frari, 

ed&  ts  kets,  bdbszo, 
eM  ts  kets  Sums  mulke: 
ed£  ts  kets  Sums  mulke, 
foba,  yroS;  ts  jet  e  kuke. 

pra  ts  kets,  bdbszo, 
pra  ts  kets  si  ts  zes: 
pra  ts  kets  si  ts  zes, 
kur  t  e  mar,  <$i&s  ts  keS. 


4* 


52  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

pra  te  jete9  bdbezo, 
pra  te  jet  e  Skürtere: 
pra  te  jet  e  Skürtere, 
e  helTcur  edi  e  bükure. 

pra  te  jete,  bdbezo, 
pra  te  jet  e  blerme,  dua  : 
pra  te  jet  e  blerme,  dua, 
pra  do  beii  ajö  pre  mua. 

pra  te  kete,  bdbezo, 
pra  te  kete  iume  pale: 
pra  te  kete  Surrte  pale, 
den  e  6i,  de  Sums  male, 

pra  te  kete,  bdbezo, 
pra  te  kete  rfienteri: 
pra  te  kete  r^enteri, 
pende,  kafi  eii  itepi. 

pra  te  kete,  bdbezo, 
pra  te  kete  iume  ara: 
pra  te  kete  iume  ara, 
driza  iume,  drize  ara. 

pra  te  kete,  bdbezo, 

pra  te  kete  foresi: 

pra  te  kete  foresi, 

tie  te  mos  jene  nde  Frenyi 

pra  te  kete,  bdbezo, 
pra  te  kete  meme,  täte: 
pra  te  kete  meme,  täte, 
koii  te  mos  jete  &ate. 

pra  te  kete,  bdbezo, 
pra  te  kete  vjezer7  motra: 
pra  te  kete  vjezer9  motra 
me  itepiraze  te  plota. 

2. 

Die  ersten  beiden  Zeilen  werden  vor  jedem  neuen  Zwei- 
zeilenpaar wiederholt. 


Albanesische  Studien.  V.  53 

Nene,  mor  neue! 

te  vemi  nde  de  t  ene! 

Katre,  pese  kalojere 

8  munt  te  ngrijne  fie  flojere. 

atjd  poSte  nd  ajö  laka 
ka  folene  fuifuaka. 

vre,  täopdn,  me  Sarke  n  grahe, 
sei  na  nestre  n  oka  dia&e. 

eni,  vdSaze,  e  rini, 
uje,  vireze  te  pinL 

te  ketseni,  te  kendoni, 
nere  mbrema  te  vaitoni. 

te  na  &eni  kingaze, 
Kaure,  Turka,  Frengaze. 

te  na  &eine:  vemi  paref 
do  na  dukhej  koke  mbare. 

te  na  jipne  buk  e  dia&e, 
mamuzeze  te  na  mbaÖne. 

&erni,  piKni,  hani,  pini, 
po  doniut  te  mos  jipni. 

d-erni,  zien  atd  mute, 
pse  doniut  atd  s  iSte. 

üerni  HUtezen  e  baröe, 
pißni  kkmbezen  e  pare. 

zöfete  Mini  nde  pru§9 
le  te  haje  gi&e-kuS. 

haide,  pik  meUit  e  barda, 
po  nga  ziarmi  ndara-ndara. 

haide,  pik  melHn  e  zeze: 
tiatre  (je  s  kam,  kakozeze. 

haide,  vemi  nd  at  kroi, 
t$e  ka  he  aö  reza  ftoL 


54  VII.  Abhandlung:    Meyer 

ka  prepöS  fie  reze  rap: 
nd  anike  fldtezet  i  hap. 

ka  t%4  tor  ede  iie  mole: 
e  ka  mbiele  dor  e  nonie. 

• 

pra  ka  reze  midale, 
atj4  Iie  vaiez  üt  e  fle. 

iite  vdSeze  pa  meme: 
frik  i  arte  edi  gerne. 

täte  vdSeze  pa  täte: 
§em  i  arte  edi  flake. 

jane  reze  di,  tri  dar  da: 
tri  kopiUze  te  barda. 

Hera  iUe  Fanariote, 
jatra  Ute  Kranidiote. 

ajö  jatra,  e  tr&teza: 
ah,  i  ziu,  e  Skrdteza. 

kalt  e  hiiime  Ue  üte7 

tSe  nde  kozmit  tiatre  8  ufte, 

gote  ka  e  kHl  8  i  mer: 
8\u  i  saj  ti  te  &er. 

d  ajö  vate  iie  me  Frenga, 
e  i  &a:  ea  nga  bsnda. 

vate  Äe  Amerikdn 
e  i  taksi  i\e  fustdn. 

vate  ede  Ae  Frantsöe 
e  i  &a  pre  t  e  %ria68. 

vate  edi  fie  Prueeidn, 
po  e  beri  e  rij  e  klan. 

atj6  vate  edi  ne  Turk 
e  i  &a:  §aur  kutsuk. 

ajö  i  S-a:  siktür  te  veS, 
t&e  me  hin  pre  ti  nde  vesf 


Albanesische  Stadien.  V.  50 

<jel  burdah!  vdSsz  e  mirs, 
ts  ts  bsn  u  kalomirs. 

bar  u,  Turlc!  kiö  i  fhi, 
pss  d-rislcia  nsk  e  doi. 

gel  burdah !  le  jem  u  Turk, 
mos  e  kij  ti  kaue  turp. 

ti  je  Turk  —  si  Ken  vromJps, 
pr  ans  te  te  vin,  ms  zeks. 

gel  burdah!  giderum  ndara, 
te  te  ves  u  nde  ts  barda. 

haide,  Turk,  mos  ms  Ssrdö! 
u  do  mar  ns  tSs  ms  do. 

vdte  edi  As  Skodrdn; 

,u  nds  duar  ts  ts  mban.' 

ajö  i  &a:  je  Sum  i  traSs, 
ti  ms  mua  8  ke  ts  baäks.' 

vate  de  fis  nga  Russia, 
drasdo!  i  Sa,  jam  nga  Vlahia. 

Uups  je,  undrs  ms  Sans; 
u  do  ts  ts  maf  ti  pr  ans. 

prs  ts  vemi  nds  Russi, 
do  ts  rims  nds  VlahL 

tS  üte  Urs  grurste, 
d&ndhens  katirsts. 

atje  jane  yro§  florin, 
me  lopata  s  i  vsrvin. 

atje  jans   Venetsidn, 

tss-kur  jans,  ment  s  i  mban. 

nsks  vin  u,   Vlah,  po  iks! 
nga  atö  u  s  kam  dorn  friks. 

vate  ns  nga  Jermania: 
mirs  dite,  Urania. 


56  VII.  Abhandlung:    Meyer 

ben  venuto,  Jermanö! 
mua  me  &one  Qeanö. 

poU  atje*  nde  Jermani 
me  &ane,  do  ÜoUeri. 

dua  As  te  diture, 

nde  kurm  te  jet  i  Skiture. 

te  me  flas8  Frantsozist, 
ketu  ati  ede  ikTerÜt. 

te  me  flase  ElliniU, 
§i&e  mone  ArberiH. 

tuti  glühet  u  i  di, 
po  ti  be  me  Solceri. 

soyez  tranquille!  do  bbxhete, 
po  dit  ajö  te  ginthete. 

nestre,  dej,  do  beme  paSke, 
ahera  te  vemi  baäke. 

po  te  tSoiieS  ne  vapör, 
jo  kardv  g  ata  traepör, 

pee  jam  vaize  e>  zali ehern, 
t$e  per  de  paraliilxshem. 

guten  Morgen,  Qeanö, 

do  te  tf  a  #em  u  ti  kalio. 

goede  nacht,  &one  nd  Ulande, 
ve&i  i  it  iSte  perlande. 

ine  zot  te  bene  ere, 
pre  te  vemi  na  ne  here. 

le  te  frvhe  ere  Sume, 
sä  te  ngrere  deti  §kume. 

pre  te  Some  Jermanine, 
atji  ti  täe  ke  ätepine. 

le  te  frvhe  ixe  vore*, 
zeme  nde  kavo-Male. 


libanesische  Studien.  V.  57 

le  te  frifte  fie  garbi, 
vemi  ne  nde  Jermani. 

le  te  frifte  täedo  ere, 
do  te  vemi  dorie  here. 

sa  te  daXm  andij  nga  Malta, 
kuS  veidön  ahera  prapa. 

sa  te  Skoime  THmblitane, 
do  te  jemi  fundit  t'  ane. 

do  me  Ke$  ti  grua  mua: 
pee  nga  fort  u  ti  te  dua. 

e&6  mote  Sume,  diilm! 

3. 

71b  me  &eje9  pse  z  nie  doje: 
u  8  te  vine  ti  pasoje. 

po  me  &oje  pee  z  me  do: 
pra  te  ndiek  u  ti  ga-do. 

po  nani  me  &ua:  ilce! 
tie  me  hiri  mua  frike. 

te  me  &eje  Ue-nd-ar%i8, 
pee:  ,dimitri,  te  mos  vis/ 

u  do  veje  nde  ne  tiatre, 
me  kerköhene  tr'  a  Jcatre. 

Ue  me  jep  ne  miTe  yro8, 
pre  t  i  H  atit  prepöS. 

do  me  vefe  nikoJcir: 

Jca  taksid  at  pre  Misir. 

u  do  jap  e  u  do  mar: 
nga  done  u  8  kam  habdr. 

e  ti  mua  do  kefitös*, 
vetehene  do  pengö§. 

do  kettös  tie  te  Serbeva, 
e  ti  flere  nd  ato  Speia. 


58 


VII.  Abhandlung:    Meyer. 

e  u  nani  bsnhem  zot, 
pse  ms  duane  nga  fort. 

do  ms  japsn  edi  grua,  „ 
jo  si  ts  tis  man  hua. 

do  ms  &es:  Jimitrs  dials, 
ea  ti  me  mua  pr  ans. 

e  u  ms  do  mos  ts  vhi, 
de  6s  tiatre  vait  e  hin. 

pse  ti  kurs  nder  z  ms  da$e, 
po  ts  Sara  ti  ms  da$e. 

do  ts  vete  nds  n  Obre*, 
prs  ts  bsü  de  u  pari; 

prs  ts  bsn  fis  pends  Ue, 
prs  ts  mbiel  u  nds  de. 

grurs  ed  elp  ede  zmiyd&, 
prs  ts  bsü  sorö  ts  mad-. 

do  punön  ede  ts  huai, 
prs  ts  bis  di  a  tre  bunt, 

tSs  m  atd  do  Skier  densy 
si  timoni  Skier  dens. 

e  do  kern  Stspizs  t  ime, 
ts  ts  viAe  e  pa-prime. 

4.  Vierzeilen  und  Verwandtes. 

i.   U  ts  Sase  Sums  hers, 
se  me  mua  ts  mos  keS 
kSitsts,  tis  vait  e  &a$e: 
skularifc  var  i  nds  veS.1 

2.  Mor  e  barda  si  pumbdk, 
kas  u,  ts  ts  pu&  nds  bark! 
kSitsts  täs  kemi  $sns, 
dubbie  ede*  jLurifi  u  bsns. 


1  Variante:  ot&  U  kuJc  var  e  nde  vei. 


Altanesische  8tadien.  V.  59 

3.  Ah,  te  dije  te  kendone, 
Sume  zemera  do  zgone: 
vaiza  ka  sevdd  me  mua, 
po  jam  demon  e  8  e  dua. 

9gli6tet  uje  neke  mbäne 
nga  undzats  Ue  kane; 
vätulate  me  t  u  dzine, 
mos  u  ke  vene  vaßnet' 

,u  8  u  kam  vene  vafine, 
vet  e  karte  bukurine/ 
ah,  te  dije  te  kendone, 
iume  zimera  do  zgone. 
ngah  vaite,  zemereza  imeV 

4.  Ah,  i  ziu,  Ue  u  kanoniSe 
nga  ne  vaize  Ue  u  limbiSe. 
u  Ue  jam  nde  de  te  huaj, 
ei  pofir  sevdane  t  uaijf 

buza  m  u  te  murendua 

nga  sevdd,  po  ti  z  m  a  %hia. 

5.  Ea  nani,  ea  nani, 

viteme  jam,  Ue  8  kam  fieri. 

6.  Mori,  Ue  glani  kimbete 
e  zini  gi&e  dromne, 
mir  &one  edi  trimate, 

t  i  greme,  te  preSkoime. 

7.  Anga&aKi  nga  kranidi 
grapi  pldkene  nga  pidi. 

8.  Mor  preftreSe,  papandie, 
Ue  te  ben  prifti,  kur  biet 
me  Uepdn  me  ne  fendüe, 
di-Ue  zdharid'  me  Hie, 

9.  Nde  kltie  kur  beUdheni 
e  &oni  e  po  &oni, 

per  neu  eii  per  tiitrene, 
tuaijte  8  i  viZdoni. 


60  VII.  Abhandlung:    Hey  er. 

10.  Nd  ajö  vretta,  nd  ajö  fitea, 
atjd  jam,  po,  haide,  ea. 

IL  Tä  lA&QiuxQa  Tacnu£a>, 
güfete  i  dermön, 
xal  vip  dixfy  uov  iy&fttpr 
kure  nek  e  ha  fön. 

12.  Ndei  nga  maldi, 
ndei  nga  Skindi, 
mbetede  kokoreteeze, 
mori,  teulufe-drideze. 

13.  Dielt  Me  proto-del 
nde  ätepize  t  ime  viSn: 

po  po,  u  er  e  me  zu  mbrsma, 
e  do  me  Kertofie  mema. 

14.  Buti  ti  Ute  nden  avli, 

8  ha  vere,  po  ka  raJci; 

jeter  ti  Ute  ndene  dere, 

s  ka  ralci,  po  iit  me  vere. 
» 

15.  N8  me  sisa  te  mbedd, 

Uukala'it  i  ra  damld; 
e  fa  me  didkeze  lehön, 
tsukalai  e  vu  nde  dron; 
e  ns  me  dJtdkeze  psidi 
tsukalai  e  §tiu  per  de. 

16.  Mori,  btfezo,  ku  je? 
Jketü  jam,  tie  do,  merit 
kakoyramen,  nd  e  ndzefte  tata, 
ee  ndzure  e  na  trien  nga  prapa.' 

mori,  bitezo,  ku  jet 
Jcetti  jam,  tse  do,  merif 
kakoyramen,  nd  e  ndzefte  mema, 
se  ndzure  e  vUn  nga  mbrema.' 

mori,  büezo,  ku  jet 
,ketü  jam,  tSe  do,  merit 
kakoyramen,  nd  e  zefte  vtai, 
monodufeUi  te  vrä.' 


AlbftnenBohe  Studien.  Y.  61 

,eja,  meri,  eja,  meri, 
v6teme  jam  e  8  kam  fori.' 

17.  Hai  te  vemi  nd  atö  biete! 
}fiaide  ti,  pra  vvh  u  vete.' 
haide  vemi  nd  atö  lakra! 
,haide  ti,  pra  vifi  u  prapa.' 

18.  Mori  ti,  mori7  ku  vete? 
mori  ti,  nde  krua  vetef 
mori  ti,  Ue  do  nde  kruaf 
,te  mblofi  vüteene',  me  &ua. 

19.  VdSaze,  kur  stolüheni 
e  da  vini  nde  kliäe, 
kondoi  te  mos  u  Upshete 
e  jeni  pa  kemiSe. 

20.  Mori,  tSe  gXani  kimbete 
e  zini  tuti  dromne, 

e  neke  Uni  mite  plak 
all  ute  trim  te  Skofte. 


B.  Lieder  aus  Hydra. 

1.  Lal  Jorjdli,  lal  JorjdK, 
bief  i  Jcenit  me  kamdJc; 
lal  JorjaU,  lal  Jorjdli, 
bief  i  pidit  me  kamafc. 

2.  VdSeza  kur  krihete, 
do  kare  te  Kihete. 

3.  VdSeza  kur  Seh  kosare, 
do  tri7  katre  litre  kare. 

4.  Atd  leS  me  ketd  leS 
tSe  perpiJihene  8%  deS. 

5.  More  ti,  mor,  Piperine! 
me  &ane  ee  ndzore  line, 
me  &ane  se  ndzore  Sume, 
si  at  Suri  ndai  te  lume. 


62  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

6.  E  pime  ketö  vere 

e  dieime  keti  dere. 

7.  Ah,  i  ndari,  te  te  ki&e 
pa  ftistdn  e  pa  Tcemiie. 

8.  Kakozi,  kakovramSn, 

ndzer  i  ati  t&e  ke  nder  ment. 
§ 
.9.  Ne  Jcarave  prima-prima 

me  tri  diite  pese  trima; 

fie  karavi  orUaortsa 

me  tri  dUte  pese  dosa. 

10.  Roike  e  kambdneee, 
pi&  i  Annese. 

11.  KuS  e  priii  lödrenef 
T  i  Jcieime  te  mötrene. 

Abzählreime  bei  Kinderspielen  aas  Hydra. 

1.  pater  nezi 
ka  8%  sizi: 
tumba  tula, 
petita  filli : 
enne  mari. 
kutsa  valli 
ma88a  mari. 

•         2.   Vatre  Sin  vatre, 
is  tie  grua  plake, 
plake  ferlinge, 
di  TurliiH  e  Arberist, 
dzengeze,  po  dMngeze9 
paToydidaro  FrenJjeze. 

3.  Red-i,  re&  i  kimbeee, 
phu,  nde  pi*}  te  8  e*me8e. 

G.  Liebeslieder  aus  Griechenland. 

1. 

Ra  kambdn  e  Sen-Merlse, 
ngreu,  vdjezo,  te  veU  nde  tti§e. 


Albanesiacbe  Studien.  V.  63 

ra  kambana  di  tri  here, 
ngreu,  vdjezo,  te  ri§  nde  dere. 
prifti  me  priftrüene 
vann'  te  vieRn  vrtätene. 
erden  tore  tofe  drise, 
ukuklosen  fce  te  dize. 

2. 

T  a  kam  fene  di  tri  here,  ' 

sovarö  te  mos  me  mbas; 
fve  zot  Jce  kam  i  ndari, 
ede*  ati  do  m  e  ha$. 

3. 

Eja  nani}  eja  nani, 
vetem  jam  e  8  kam  fori, 
eja  nani  te  pu&emi, 
sä  jemi  dieTm  e  dühemi. 

4. 

Damianos*  e  traS  e  jfere 
Uro  %   VoIiJcit  te  flere, 
Damianese  DamianeSe, 
je  putir  ed£  foneäe. 

5. 

Mori  vajz9  e  bliese, 
Her  i  vat  kandilese. 
mos  i  Here  kalce  iume, 
se  duam  edi  te  Hüne. 

6. 

I  biri  Kolonate8, 

tSe  fine  primn*  te  varkes, 

at  sa  Ueä  e  sa  fi! 

ka  kuburen  me  Jcendt, 

ka  Jciriakulen  nde  <ji. 


64  VII.  Abhandlung :    Meyer. 

7. 

Mori  bitäe  Ambelalcote, 
kemi  vent  te  fleme  sontet 
kernt,  po  z  gutsöfi  nga  mema, 
8e  na  dzen  na  v%4n  nga  mbrema. 

8. 

T&dnezo,  bifezo, 
bit&e  sevdattezo! 
Hans  moj,  bite  moj, 
te  kerkön  yrammatikou 
mua  me  ka  &ene  mema: 
di  fTorifi  te  mar  nga  mbrema. 
mua  me  ka  &ene  tata: 
te  map  nga  di  kolonata. 
Tlana  me  Dimöputin 
Sditine  PirgöpuUn; 
Tidneza  me  KitSone 
Knine  reetiUone. 

D.  Uebersetzungen  von  Kupitoris  in  den  Dialekt  von  Hydra. 

1)  Ein  gegisches  Lied  aus  von  Hahn,  Albanesische  Stadien 
H  145,  Nr.  7. 

M  u  helmua  milcea  kalte, 
sa  me  mua  z  do  me  te  flase; 
t$  i  kam  bene  vav  u  i  mjeri, 
8e  8  e  dua,  kure  8  i  &a$e. 
po  nde  &oi  ndo-Ae,  nde  me  piien, 
8%  ixer  nan  me  milcene  hkove, 
be  i  befie  per  tene  zone, 
se  8  i  priSa  zimrena  kure* 

2)  Aas  de  Rada,  Poesie  albanesi  I,  Corigliano  Calabro  1873, 
S.  34,  Nr.  VI. 

Pee  nde  det  po  te  vene 
mende,  zimsra  jimet 
zbarde  ndvete  turka, 
pan,  altera  u-f Sehne; 
Arberts  i  er&  dita. 


libanesische  Stadien.  V.  65 

kXoftel  vemi  nde  lüfte, 
vdikm  mbi  Strat,  nde  mos  vdekHm 
ne  perpara  Stepivet; 
pse  hafoime  nde  böte 
vlezer,  Soli  eii  kroje 
edS  vent  e  katundit. 

nan,  Ue  nata  e  zeze, 
nan,  tSe  Hdi  i  bute 
halte  mblon  tSedö  ude, 
hapni  direne  juve, 
ti  u-mbelod'te  kopile, 
pa-kutdes  e  ketseni. 
fort  e  madea  vaize 
me  rembefte  ka  dora 
buzekeSmene  time, 
e  m  e  sefte  nde  vave 
e  le  gwfie  ka  turpja; 
mesit  fdfcese  äenk&i 
e  deftön  kur  te  ke&tie. 

pra  nde  si  nd  u-perpjekiim, 
deu  u-rbarte  i  tere. 


E.  Ans  Athen. 
Byron,  Childe  Harold  II  32,  Anmerkung. 

1.  Bo  bo  bo,  bo  bo  bo, 
na  tS  arura,  po  pu$6. 

2.  na  tS  arura,  na  tSe  vin, 
hape  dtrene  te  hin. 

3.  hape  deren  e  äkrdtene, 
te  vin  te  mar  Servätene. 

4.  Kaliriote  me  surmS 
ea,  hap,  pse  dua  te  ve. 

5.  bo  bo  bo,  bo  bo  bo, 
fiebern,  Spirt  e  zemero. 

6.  Kaliriote,  vure  funde 
ede  vete  tunde-tunde. 

Sitzongsber.  d.  phil.-hist.  CT.  CXXXIV.  Bd.  7.  Abh.  5 


66  VII.  Abhandlung:    M«y«r. 

7.  Kaliriote  me  surme, 

ti  me  pu&  e  poi  me  le. 

8.  ee  te  pu&a,  Ue  ts  morat 
zimerene  vetem  dojja. 

9.  vdiene  hiTlc  e  nga  dale, 
tSele  mori,  mori  tiele. 

10.  plühurite  t  trete, 
pluhurön  Uaprdzete. 

11.  nde  sevdd  t  end  u  lavoSe, 
veteme  u  prevelofSe. 

12.  a  vaizezo,  me  prevelove 
zimerene  me  lavose. 

IS.  u  te  &a$6}  roba  z  dua, 
Site  e  v&tulat  e  tua. 

14.  roba,  8  tin  orji,  8  i  dua, 
kurme&ine  vetem  dua. 

15.  kürmene  dua  tie  veKn, 
föbate  ziai*mi  t  %  djekne. 

16.  u  t'  ayapisa,  vdizezo,  me  sanieren  te  hapte, 
e  ti  me  bere,  dpiste,  ei  ne  Sendrö  te  d-ate. 

17.  nde  vura  dörene  ndere  tsitsate,  Ue  te  moraf 
doren  e  &ate  hollia  u  e66  kaimone  mora. 

Das  griechische  Original  zu  der  letzten  Zweizeile  ist  ans 
Chios  belegt  bei  Kanellakis,  Xtoxa  'AvocXsxto  Athen  1890,  S.  24: 

fiv  eyyiaa  'a  %dv  xÖQCpov  aov,  elwa  '#>a,  etwa  7tfjQa; 
TcaiQvw  tcc  xeQia  ddeiavä  %al  tty  xaQÖia  %a\iEvr\. 

Lord  Broughton  (Hobhousb)  Travels  in  Albania  and  other 
provinces  of  Turkey  in  1809  and  1810.  A  new  edition.  London 
1858.  II  433. 

1.  nde  vdekSa,  te  me  KaseS  mbe  gropa  tf  argaUse, 
te  te  kumbisem  bende,  te  me  pu§tro§  me  sise. 

2.  vdeüa  edä  me  savanosne 
e  pastdj  ms  metanome. 

3.  vdeüa  eÖe  nde  kliSe  me  Kalne, 
e  pastdj  rijne  te  klane. 


Albaoesische  Studien.  Y.  67 


B.  Glossar. 

d9eta  EW.  2:  jd&ets  -i  m.  ,Wade'.  N.  Entspricht  dem 
i  ä&ets  des  Kav.  Zu  den  EW.  gegebenen  Vergleichungen  füge 
man  noch  hinzu  die  altpersische  Wurzel  a#-,  die  F.  Müller, 
Wiener  Zeitschrift  für  Kunde  des  Morgenlandes  VIII  181  f. 
bespricht. 

ayuride  f.  ,unreife   Traube'  R.  =  aguride  EW.  4.  Bul- 
garisch neben  arypH^a  auch  rype^a  Sbornik  VII  459. 
a\U  ,achl'  Fab.  46.  ali  dass.  Ngr.  älloL 

qj  EW.  5:  snds  gr.  auch  »Gedanke,  Verdacht,  Sorge' 
R.  N. 

akss  .würdig,  fähig'  N.  Aus  ngr.  ä£og  für  ä£iog. 

all  ute  Lied  S.  61,  Nr.  20  =  dtä  oüts. 

altane  f.,  Plur.  altdnete  ,1)  die  schmalen,  etwa  zwei 
Fuss  hohen,  gemauerten  Blumenbeete,  womit  die  Terrasse  eines 
Hauses  ringsherum  eingefasst  ist;  2)  die  Terrasse  selbst,  der 
Söller/  N.  Aus  ngr.  dlrdva  =  it.  altana.  Vgl.  Verf.  Ngr. 
Stud.  IV  8. 

atamdn  EW.  8:  alamin  in  der  Redensart  u  beSs  alamin, 
die,  wie  u  bsSe  Turk,  so  viel  bedeutet  wie  lYtva  Sic&ßoXoq  von 
einem,  der  sehr  aufgebracht  ist.  R.   Wohl  it.  Alemanno. 

amd%  m.  ,Kampf,  Krieg'  EW.  9.  Auch  gr.  N. 

amarti  f.  ,Sünde'.  Aus  gr.  ä^ia^tia. 

ami  ,aber*.  Ngr.  iptiT]- 

anadoli  EW.  10:  in  Griechenland  die  gr.  Form  ana- 
toli  ,Osten'. 

ans  ,Gefäss'  EW.  12  unter  ans  ,Theil';  Plur.;en«.  Gr.  ens 
,Geftss'  N. 

an  dm  ,  Winde'  EW.  12,  auch  griechisch. 

anemik  ,Feind'  EW.  12.  Gr.  nach  N.  enemik. 

anga&aJci  m.  ,kleiner  Dorn'.  Ngr.  dyxa&diu. 

aniks  m.  ,Frühling'.  Ngr.  Hvoi&g. 

dpiste  f.  ,Treulose'.  Gr.  Umaxog. 

apsi&tf.  ,Wermut'.  N.  Aus  ngr.  dtyiSid  von  agr.  ätpivd-og. 

5* 


68  VII.  Abhuriluif:    M«y«r. 

araUe  f.,  Plur.  araliets  , kleine  Platterbsen ';  arnJU  t 
6gers  ,filzige  Wickel  N.  Gr.  äQaxwy  von  Sqccxoq  eine  Hülsen- 
frucht; ngr.  gewöhnlich  &Qaxäg. 

ardp  ,Neger'  EW.  14.  Dazu  arape  ,Negerin',  arapüi 
,arabisch'  N. 

dreze  EW.  14.  Die  geg.  Form  dneze  ist  auch  gr.  in  der 
Bedeutung  ,kleine  Wespe,  wilde  Biene'. 

argatt  f.  EW.  15  ,  Webstuhl';  auch  gr.  in  dem  Liedchen 
aus  Broughton,  S.  66,  Nr.  1. 

argds  ,verarbeite'.  Gr.  doyd^a)  aus  iqyd^io. 

argastir  /Werkstatt';  gr.  djfyaorrJQi  aus  i^yaar^Qior. 

argome  ,Brachfeld'  EW.  15  ist  auch  griechisch. 

arjjdnt  ,Silber'  EW.  15:  gr.  f^snt  ,Silber',  r§mt*ri  f- 
,Silbergeräth'. 

arhi  EW.  15:  nd  aryU  ,von  Anfang  an*. 

arkude  f.  ,Bärin'.  Gr.  dQ%oüda,  das  Augmentativ  zu  der 
Deminutivbildung  dQxovdi  von  ÜQxog  ist.  Dieses  ist  eine  vul- 
gäre, auch  in  der  späteren  Literatur  auftretende  Nebenform 
von  ÜQxrog,  die  dem  ar-  aus  arh-  ark-  (vgl.  tjer  ,spinne'  aus 
tierh,  tierk  EW.  431)  entspricht,  welches  alb.  ari  ,Bär'  zu 
Grunde  liegt. 

armdr  ,Schrank,  Kasten'  N.  Gr.  dQfidQi  aus  lat.  arma- 
rium.  Verf.  Ngr.  Stud.  III  12. 

armi  f.  ,Salzbrühe,  Salzwasser'.  Ngr.  dq^iid  von  doutj 
,Salzbrühe'  =  agr.  8Xpr].  Dazu  auch  armirt  f.  ,das  Gesalzen- 
sein',  ngr.  &q(ivqa  von  agr.  AXfivQÖg. 

armenis  ,lande'  EW.  16.  Gr.  ,fahre  mit  offenen  Segeln'  N. 

arriB  f.  ,Lappen'  EW.  16:  gr.  auch  arn  m.  , Flicklappen', 
und  ebenso  scut.  bei  Jungg.  ander  bei  Pedersen  ist  aus  *ands- 
rdh  =  anerön  EW.  16  gebildet. 

dreze  ;Nackenwirbel'  EW.  17  unter  ai*«.  Gr.  auch  ,Adams- 
apfel'  nach  N. 

afkii  sie.  EW.  17  unter  ariii  ,komme  an'.  Auch  gr.  R.  N. 

arnls  ,leugne'  EW.  17.    Gr.  arnis.    N. 

askdd-  ,überreife  Feige'  EW.  18.  Gr.  nach  N.  eine  Art 
schwarzer  Feigen. 

askuvaze  ,Kröte'  EW.  L8  ist  asktivazs  zu  betonen. 

attü  ,so'  EW.  19;  davon  eine  Deminutivbildung  a$tu$  N. 
vgl.  Verf.  Alb.  Stud.  I  34. 


Albanesisohe  Stadien.  V.  69 

asteng  EW.  19.  Gr.  auch  ,Schmalz'  N.  Das  ebenda 
angeführte  tsunge  wird  nach  R.  auch  vom  Zahnfleische  der 
Kinder,  bevor  sie  Zähne  haben,  gesagt. 

B. 

babs  ,Tante,  alte  Frau'  EW.  22:  bdbeze  Deminutiv.  Hiezu 
gehört  auch  babezi  f.  ,  Verwirrung,  Lärm';  der  Lautcomplex 
hob  dient  häufig  zur  Bezeichnung  des  Schwatzens. 

bagaS  ,feiler  Bursche,  Lustknabe',  N.  Männliche  Bildung 
zu  it.  bagascia  ,Hure'. 

baige  ,Kuhmist'  EW.  23:  baiige  f.  ,Kuhfladen'  N.  Dies 
steht  der  südrumänischen  Form  des  Wortes  am  nächsten.  Ueber 
die  Etymologie  s.  Verf.  Idg.  Forsch.  VI  116. 

bqj  ,mache'  EW.  23:  bstim  /vollendeter  Mann,  Gentleman'. 

baks  , Wanst*,  bakahär  , Dickbauch',  bakös-zi  ,Dickwanst'. 
N.  baköS  dass.  R.  baks  ist  das  lat.  bacca  ,vas  aquarium' 
bei  Isidor,  wozu  auch ,  bacar  ,vas  vinarium  simile  bacrioni'  und 
bacrio  ,genus  vasis  longioris  manubrii'  Paul.  Fest,  gehören. 
Auch  wir  nennen  einen  übermässig  dicken  Menschen  eine 
/Tonne'  oder  ein  ,Weinfass'. 

bals  f.  ,Ball,  Kugel'  N.  Aus  ngr.  fitt&Xa  =  it.  palla, 
vgl.  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  56. 

bang-u  m. ,  bange  f.  ,Bank,  Schulbank'.  Vgl.  bango 
EW.  26.  Zunächst  ngr.  ^indynog  und  |U7royxa,  s.  Ngr.  Stud.  IV  56. 

bar  bar  6  8  EW.  26.  Die  von  mir  dort  ausgesprochene 
Meinung,  die  von  v.  Hahn  angegebene  Bedeutung  beruhe  auf 
einer  Verwechslung  mit  bavarfa  ,Baier'  ist  richtig;  nur  kommt 
diese  Verwechslung  wirklich  im  Griech.  vor,  wo  BagßaQe^og 
für  BctßoQeXog  gebraucht  wird.  Fallmerayer,  Fragmente  aus  dem 
Orient8  389. 

barbün  m.  Fischname  ,mullus  barbatus,  Rothbart.'  N. 
Gr.  firtaQtifi&üvi  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  58. 

baitdrt  , Bastard'  EW.  29:  beHard-di  zunächst  aus  gr. 
tmaoräQdog.  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  58. 

baSteke  f.  ,taglie,  nde  antenne,  tSs  Skonns  mandilcete' R.41. 
Aus  it.  pasteca  ,pezzo  di  legno  a  mezzo  cerchio  che  serve  per 
tener  fermi  i  ganci  delle  scotte'  Boerio  480. 

bataks  ,Kartoffel'  EW.  29.   Auch  batate  N. 


70  VU.  Abhandlung:    Meyer. 

bed£une  Junge   Taube'   EW.   30:   gr.   bedzune  N.,  aus 
dem  Plural  izitoovvia. 

bekri  m.  ^Trunkenbold/  Ngr.  (tftexqijg,  aus  tttrk.  ^yü 
bekri. 

beS  Adj.  ,losgebunden',  von  Thieren.    R.  89. 

beUdr  ,ledig'  EW.  34.    Gr.  beMr. 

b 6t Säte  in  Hydra,  b6zaze  in  Spezzia  ,auf  allen  vieren'  R. 

biota  f.  pl.  nautischer  Ausdruck  ,xa  xaprco6£ia  twv  e^op- 
-rfwv4  R.  42.   Wahrscheinlich  it.  iiotto. 

bitSele,  in  Hydra  bizgele  ,ganz  voll',  vom  Einschenken 
R.  43. 

bokale  f.  ,grosse  Flasche'  N.  Aus  it.  boccale;  ngr. 
finoKdli  Ngr.  Stud.  IV  60. 

6or«  ,Hode'  EW.  41.    Gr.  6oZ  ,Kugel'. 

bolt§,  bultS,  butS  ,das  Aufschlagen  der  Steinchen  beim 
Spiel  <£{Aflföe<;'.  R.  43.  Wohl  lautnachahmend.  Ueber  das  Spiel 
Verf.  Ngr.' Stud.  IV  9. 

bore  ,Schnee'  EW.  42.  N.  unterscheidet  bore  ,Schnee' 
und  böte  , Sturm wetter'.  Ist  das  richtig,  so  ist  bore  mit 
seinem  v  von  dem  ebenfalls  gr.  alb.  bofaeke  aus  it.  burrasca, 
borraeca  beeinflusst.  Hieher  gehört  auch  borole  ,trübe'  vom 
Weine.  R. 

borike  ,Fichte'  EW.  42.  Diese  Betonung  wird  die  rich- 
tige sein,  denn  auch  N.  gibt  als  gr.  borige,  und  sie  entspricht 
ausserdem  bulg.  borika.  Nach  Jireäek,  Bulgarien  34  ist  bjala 
borika  ,Kiefer,  pinus  silvestris',  6erna  borika  ,Schwarzföhre'. 
Allerdings  weist  serb.  öopna  ,pinus  silvestris',  bulg.  belobörka 
,Kiefer'  auch  auf  die  Betonung  borika. 

bot 8  EW.  43:  hieher  boSlce,  botske  f.  Pflanzenname,  ,sciüa 
maritima,  Meerzwiebel'  R.  44.  108.  Ihre  Blätter,  welche  die 
Kinder  in  den  Mund  nehmen,  um  damit  zu  pfeifen,  heissen 
kifkikive.  butsete  ,rundliches  Mädchen',  R.  45  ist  =  butseEs 
,Tönnchen'  EW.  a.  a.  O. 

brakatSe  ,Krug'  EW.  44.  In  Spezzia  und  Porös  bra- 
hatsB  R.,  zunächst  aus  gr.  TtayxQdrin  ,Schöpfgefass'  Leukas, 
Syll.  VIII  393. 

bred-,  brefi  ,nage,  esse'  R.  46.  N.  Identisch  mit  brek 
,nage'  bei  Jungg.  Wurzel  kann  bhren-  sein  (&  =  h  gehört 
der  Präsensbildung   an),    zu  lat.  fren-do    ,knirsche    mit    den 


Albanesische  Stadien.  V.  71 

Zähnen,  zermalme'  an  dessen  Verwandtschaft  mit  fremo  ich 
nicht  zu  glauben  vermag. 

bres  m.  ,Gürtel'  EW.  46.  Gr.  auch  ,Holzlage  in  der 
Mauer'  N. 

brese  ,Cicborie'  EW.  47,  ist  nach  N.  ,Endivie,  Cichorium 
endivia'. 

bretek  EW.  47,  in  Spezzia  auch  ,Spanferkel'  und  ,Gelb- 
schnabel'  R.  46.  In  den  aesopischen  Fabeln  kommt  auch  die 
Form  bretek  vor,  vgl.  rum.  brätdc  neben  bröatec  EW.  a.  a.  O. 

brenda  EW.  47  , drinnen'.  Gr.  ausser  mberda  auch 
mmerda.     Pedersen  führt  mbernda  an. 

bri  ,Horn'  EW.  48.  Gr.  bri-dasit  Pflanzenname,  ,eryn- 
gium  viride',  eine  Distelart.    R.    Eigentlich  ,Widderhorn'. 

brüsk  ,herb'  vom  Weine.  Aus  ngr.  fi7tQOvaxog  =  it. 
brttsco.  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  64. 

bubdr  m.  ,gefilllte,  am  Spiess  gebratene  Eingeweide'.  N. 
Nach  R.  45  bumbare.  Zu  der  EW.  53  u.  bumbulit  bespro- 
chenen Sippe  bumb: 

bubui-bubuS  ,mit  vollen  Segeln'.    R.  45. 

buhdr  EW.  51  =  tlirk.  j\±>  bu^dr  ,Dampf,  Dunst'. 
Davon  buharisem  , schnaube',  von  Pferden  und  Ochsen.  N. 
R.  44. 

büke  EW.  51.  Damit  sind  einige  gr.  Pflanzennamen 
zusammengesetzt,  wie  buke-Tepur,  buke-Uiep,  buke-tsiap  i  malit 
R.  46.  103.    bükeze  e  kalmit  ist  ,Mark'  R.  104. 

buFber  m.  ,Schiesspulver'  N.  Aus  it.  pohere.  Ebenso 
in  S.  Marzano  burble  nach  Prinz  Bonapartes,  burbule  nach 
meinen  Aufzeichnungen. 

bun  ,schlafe'  geg.  v.  Hahn.  Dazu  gr.  uje  te  büiture 
,xo[A{ju£vov,  verschlagen'  R.  90.  bwh  vielleicht  aus  bugnjp,  zu 
idg.  bheugh-  ,biegen',  Grundbedeutung  ,sich  hinkauern  (zum 
Schlafen),  vgl.  lit.  bükti  ,sich  erschrecken'  (sich  aus  Furcht 
ducken),    büiture  =  bukture. 

burse  f.  ,Börse'.    Aus  it.  borsa  oder  frz.  bourse. 

burtulake  f.  ,Portulak',  Pflanzenname.     It.  portulaca. 

busture  f.  was  sich  im  Magen  der  Wiederkäuer  be- 
findet.   R.  45. 

bu$  1)  ,Rohrkolben'  N.  Wohl  identisch  mit  bu§  EW.  56. 
2)  ,Wauwau'  N.    R.  45. 


72  VII-  Abhandlung:    Meyer. 

but  ,8chenkel'  EW.  56.  Gr.  besonders  ,Hammelkeule'. 
bü&8  EW.  57.  i  ra  bi&a  ,sie  bekam  Lust'  Märchen  Nr.  1. 

D. 

da f  ins  EW.  58:  dafne  ist  auch  gr. 

daldis  EW.  59:  dale  ,toll,  tollkühn,  muthig'  N. 

dalndüüe  ,Schwalbe'  EW.  59:  gr.  talanduSe. 

dameSanne  f.  ^Korbflasche'  N.  Ven.  damegiana  oder  frz. 
dame-jeanne.    Die  ngr.  Wörter  8.  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  25. 

dano-a  ironische  Bezeichnung  der  Bewohner  von  Arges; 
auch  ,Dickschädel'  R.  53. 

datule  f.  ^Stechapfel,  datura  stramonium'.  N.  It.  datura. 

dege  ,Zweig'  EW.  62:  dazu  deges  m.  ,grosser,  starker 
Mann,  joli  brin  de  garcon'  R.  55. 

detiöj  EW.  63:   für  geg.  dqh7  gr.  din  ,  würdig,  werth'  N. 

der s  ,Thür'  EW.  63:  der es  ,Thürhüter'. 

difsTe  Pflanzenname.    R.  54.    Zu  der  ,Schwein'? 

devrs  ,Umkreis'  EW.  64.    Dazu  deverdA  R.  53. 

dsnt  , mache  dicht'  EW.  65:  ndsndhem  , stopfe  mich 
voll'.     Das  Wort  ist  wohl  lat.  tendere. 

derldk  ^Kälteschauer' ;  e  zu  dsrlaku  dxoXuxpuwse. 

dermöfi  ,zermalme'  EW.  65:  gr.  dremdfi,  ,zerreibe,  ver- 
krümle'. 

der  stire  ,walke'  EW.  65.  Gr.  auch  dsrstil  m.  N.  der- 
ttitdr  ,  Walker'. 

•  dsHön  ,abortierc'  EW.  66:  in  derselben  Bedeutung  nder- 
Stdn  R.  92. 

di  ,ich  weiss'  EW.  66:   diHm  ,Gelehrter'  N.  R. 

Die  in  den  aesopischen  Fabeln  Uebersetzung  von  2Zevg, 
aus  dem  Acc.  4ia. 

dite  f.  ,Tag'  EW.  68.  Dazu  gr.  m  diteze  ,einen  von 
diesen  Tagen',  gewöhnlich  ,vorgestern'.  dum  ^ep^stoi;'.  di- 
täim  ,einige  Tage  alt'. 

di-teili  jemand'  Fab.  Nr.  85. 

dja&e  ,Käse'  EW.  69.  Dafür  gr.  ein  altes  di&e  noch 
in   der  Verbindung  java  e  (njdi&it  =  Tuptv^j  eßSoj/ic,    die  dem 


Albanesische  Studien.  V.  73 

grossen  Fasten  vorhergehende  Woche;  Gegensatz  ist  java  e 
misit.  R.  N.  dja&e  nga  krie  ist  xe^aX^atov  Tup{,  5epox6pt;  dja&e 
te  tikit  oder  Hrkut  TouXou|x(atov  xup(,   Schlauchkäse. 

djal  /Teufel'  EW.  69.    Dem.  djaU».   N. 

d/ei  ,Sonne'  EW.  69.  Gr.  Sine  djeh  /Affe  /.upio*^'  ist 
die  Accusativform,  wie  mare  ,Dienstag'  EW.  261.  Vgl.  Pedersen 
135.     djel'dridss  ist  ,Sonnenblume'  fjXiOTQ&rtiov,  zu  dre&. 

djerse  ,  Seh  weiss*.  Gr.  auch  djers  ,  schwitze  %  dersi, 
dersime  f.  ,Schweiss'.    N. 

dorovate  ,Brombeerstrauch'  N.  R.  Wahrscheinlich  um- 
gestellt und  entstellt  aus  ßaTÖ(iovQa,  wie  die  Brombeeren  ngr. 
heissen. 

dose  ,Sau'  EW.  72:  döseze  heisst  in  Athen  der  Theil  des 
Pfluges,  der  sonst  söreze  genannt  wird,  nämlich  drud*  tse  mban 
Spdtezene  sipre  nde  stavdr  R.  87. 

dre&  EW.  73:  dredje  f.  ,Zaunwinde,  Ackerwinde,  Ranke/ 
N.  dre&eze  ebenfalls  ein  Pflanzenname  ,TCEptxXox(8a,  convol- 
vulus',  auch  ,cynanchum'  R,  N.  Danach  berichtigt  sich,  was 
EW.  74  unter  dre$e  über  dre&eze  gesagt  ist.  Hieher  noch 
dre&dn  ,wende  mich,  drehe  mich  nach  der  Seite'  N. 

dreits  EW.  74:  ndren  gr.  =  ndreJc  R.  105.  drite  ,direkt', 
dritem  ,richte  mich  auf  N.  stammen  aus  it.  dritto. 

drera,  Sene  drera  =  "Ayioi  'Avip^upoi  (Name  der  Tage 
vom  1. — 13.  November).  R.  105. 

dri&e  ,Getreide'  EW.  74;  in  Athen  speziell  ,Gerste'. 
dri&€8  m.  ,Getreide-,  besonders  Gerstensieb'.  R.  N. 

dromt88  f.  ,Bissen'  EW.  75:  gr.  dromsa  pl.  ,Krüm- 
chen'.  N. 

« 

dru  EW.  75.  Zu  duik  ,Eiche,  Gesträuch'  noch  gr.  in 
Porös  duSke,  in  Spezzia  duduSke  ,dichtes  Laub';  auch  von 
einer  starken  Frau  gebraucht.  R. 

dubbie  pl.  ,Dublonenl.  Ngr.  ddftma  aus  it.  doppio. 
du  de  f.  ,dickes  Stück  Brot'  R. 
du  kern  ,scheine'  EW.  76.  Gr.  dükhete  ,nämlich'. 
dulpekön  EW.  77:  gr.  auch  dublikös  N. 
dti  EW.  78  ,zwei'.  Gr.  dize  ,zweifach'. 
dzidze   EW.  79:   auch   mit  Tenuis    Uiteke,    UitSke   ,ein 
bischen',  vgl.  Ngr.  Stud.  II  89. 


74  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

dzire:  mali  i  dziresa  wird  die  xoxr,  axaAa  bei  Megara 
von  den  athenischen  Albanesen  genannt,  R.  92,  =  ,Gebirge 
der  Zerrissenheit',  s.  EW.  70  unter  djet. 

diube  EW.  82.  Nach  R.  92  ist  dZumbt  auch  ,einer,  der 
die  d2.  trägt'. 

dZumbö  ,bucklig',  entstanden  aas  Contamination  von  it. 
gibbo  und  gobbo. 

dakös  ,beisse'  N.  Aus  ngr.  dcnuhvu)  =  daxw,  dapuxrw. 

dalte  EW.  83,  nach  N.  ^geronnene  süsse  Milch',  im  Gegen- 
satze zu  kos  ,halbsaure  Milch'. 

dqmp  EW.  83:  gr.  auch  derote  f.  ,Zahn'.  dembtidt  m. 
(mit  hat  ,Karstr)  heisst  eine  Person  mit  grossen  und  breiten 
Schneidezähnen;  demba%ak  eine  Person  mit  langen  und  vor- 
stehenden Spitzzähnen,  auch  /Wildschwein'.  %dk  bedeutet  nach 
N.  , Hakenzahn,  Haken'.  Mir  ist  das  Wort  sonst  nicht  bekannt; 
das  deutsche  Haken  mhd.  hake,  ist  zwar  ins  Üechische  und 
Polnische  entlehnt  worden,  scheint  aber  in  den  so.  slavischen 
Sprachen  nicht  vorzukommen,  so  dass  eine  Vermittlung  für  das 
Albanesische  fehlt. 

de  ,aber'.  Gr.  dL 

demön  EW.  84:  demonisur  , besessen',  bar-demonit  ein 
Pflanzenname. 

dendrö  ,Oelbaum'  in  Attika,  aus  derÖQÖ  neben  devdgo. 

dera-te  pl.  f.  ,abschüssiges  Gebirge',  speziell  das  Ge- 
birge gegenüber  von  Porös  R.  23.  Gr.  de^-  4e<>at  hiess  ein 
Kastell  in  Sikyonia:  Bursian,  Geographie  von  Griechenland 
II  32;  über  andere  Orts-  und  Gebirgsnamen ,  die  hieher  ge- 
hören, vgl.  Grasberger,  Studien  zu  den  griechischen  Orts- 
namen 84. 

dt  f.  ,Ziege'  EW.  85:  dir*  ,zur  Ziege  gehörig',  z.  B. 
mii  t€  dirs  ,Ziegenfleisch',  traste  e  dirs  ,Brotsack  aus  Ziegen- 
haaren'. N.  R.  17.  24.  Pedersen  hat  dirs  ,von  Ziegenhaaren'. 

di%t  m.  ,Netz',  aus  gr.  dix?v  =  dUwov. 

öiküt  EW.  85:  dücet  m.  ,Gartenhaue'  aus  dtxeiUU,  di- 
Uefe  f.  dass.  aus  dUsXka.  dikute  f.  ist  ,Heugabel,  gezähnte 
Wurfschaufel  zum  Worfeln  des  ausgedroschenen  Getreides*.  N. 

dodekads  f.  ,eine  Zahl  von  zwölf  (Ministern)'.   Märchen. 


Albaoeaische  Stadien.  V.  75 

dokdn  m.  ,hölzerne  Falle*  N.  Gr.  doxdn. 

dokanike  EW.  87:  gr.  auch  dekanike  ,Stab  der  Geist- 
lichen in  der  Kirche'  N.  Vgl.  Verf.  Ngr.  Stnd.  in  20  f. 

dorne  f.  EW.  87;  gr.  bedeutet  es  /Terrasse,  Dach,  Dach- 
stube'. 

Srak  m.  ,böser  Geist,  Gespenst'.  Gr.  ÖQcmog. 

drom  EW.  87:  drometdr  /Wanderer'. 

6 rüde  f.  ,Krümchen,  Stückchen'  R.  Assimiliert  im  An- 
laute für  drude  derude,  s.  EW.  370  unter  rudo. 

duetn  ,ich  bitte'  N. 

dune  ,Schmach'  EW.  87:  dazu  dendn  ,beschimpfe'  = 
dundü  a.  a.  O. 

durön  ,schenke'  EW.  87  5  dem  Radaschen  durtU  ent- 
spricht gr.  durstile  ,Geschenk,  Gunst,  ydpi^. 

0. 

9agme  ,Wunder'  EW.  87.  Gr.  $ame;  &amasem  er- 
staune'. Auch  gr.  schon  ödfia,  d-a^idtu). 

$ambÖ8  ,blende,  verblende'  N.  Gr.  ^a^jccava). 

&arte  ,sauer'  EW.  88:  &are,  ödrets  ,sauer'  N. 

»eroke  EW.  89.  R.  100  hat  »eroke.  N.  hat  »roke  f. 
,Kehricht'.  Wohl  aus  gr.  q>QÖY,ccXov  ,Kehricht,  Besen',  auch 
q>€QOxdXi  bei  Legrand.  Die  Griechen  (vgl.  Korais,  "A-wntTa  IV  648) 
leiten  das  Wort  von  cpiloyuxUa  ,Liebe  zum  Schönen'  her,  und 
in  der  That  wird  qtiXoxaXü  für  ,auskehren'  gebraucht  (Legrand), 
schon  bei  Hesychios  unter  oaioei.  Aber  das  ist  offenbar  eine 
blosse  Volksetymologie.  Wahrscheinlich  liegt  *q>Qfaah>v  zu 
Grunde  (davon  zunächst  cpQOvxalaj),  das  aus  cpqvyavov  ,trocknes 
Reisholz'  mit  Anlehnung  an  (pQvaaw  =  cpQvyo)  und  Suffixver- 
tauschung  entstanden  ist.  In  Legrand's  cpSQOxdh  liegt  volks- 
etymologische Anlehnung  an  (pigeo  xalöv  vor. 

Seni  ,Niss'  EW.  90.  Gr.  9ri  N. 

»jaje  ,Tante'  EW.  91 :  gr.  »jake  N. 

&jeite  EW.  91  ist  auch  griechisch. 

öjeitre  EW.  91  ,Stiefsohn';  N.  gibt  die  Bedeutung 
,Adoptivsohn'. 

&ras  EW.  91:  dazu  örase  ,strotzend,  üppig  grünend, 
blühend,  mit  Früchten  überladen',  z.  B.  drizate  jane  &rase. 


76  Vn.  Abhandhuig:    Mcjer. 

ÖresKi  EW.  91:  richtiger  »risKi  R. 
9roni8  ,setze  auf  den  Thron*.    Von  &Qoritw.    Vgl.  EW. 
unter  fron. 

&rumbsf.  y überreife,  halb  getrocknete,  schwarze  Oliven*.  N. 
d'ur  ,umzäune'  EW.  92:  Öurims  f.  ,Zaun'. 

E. 

ehen  schärfe'.  Zu  cal.  eh  ,schärfe',  vgl.  EW.  352  unter 
pref. 

indayms  ,Fehler'  in  Hydra.  R.  97.  Gr.  ertay(ia  ist  mir 
nicht  bekannt. 

en§sl  ,Engel'  EW.  95:  engil. 

er e  EW.  96,  gr.  auch  ,Benehmen;  Geberde,  Miene;  Sang- 
weise'. N. 

F. 

fat  m.  ,  Essen',  aus  gr.  xö  q>at  (=  <paystv).  Pedersen  hat 
fat  ,feines  Essen*. 

falido  ein  nautischer  Ausdruck  ,compositionis  funis  ele- 
mentum  proximum,  =  3  spagi  contorti'  R.  83. 

farmdk  EW.  99.  f ärmste  pl.  f.  ,X6*«'  Fab.  76. 

fimsns  ,  weiblich'  EW.  101:  &6msrs  bei  N. 

femU  ,Stachel'  EW.  101:  dazu  öemböri  ,steche,  reize'  N. 

fenir  EW.  101;  gr.  auch  dessen  Grundwort  fandr  m. 
,Laterne'. 

fers  ,Dorn'  EW.  101 :  fers  Fab.  80. 

fsndüel  ,Schusterahle'  EW.  103:  fsndüe  R.  103. 

fikhem  von  Früchten,  die  durch  das  Liegen  ihren  über- 
flüssigen Saft  verlieren  und  schmackhafter  werden.  R. 

fiKdl  m.  ,Offizier'.  Aus  ngr.  cpaudkig  Verf.  Ngr.  Stud. 
III  50. 

filot  f.  ,Gespräch,  Erzählung'  R.  98.  Scheint  cpiXoloyla 
zu  sein. 

fite  f.  , Anpflanzung'.  Gr.  cpvrsia. 

floere  ,Flöte'  EW.  108.  Hieher  gehört  auch  gr.  fulistra 
pl.  f.  ,Flöte'. 

flori  EW.  109  ,Gold';  gr.  fluri  aus  tpXovqi 
forssi  f.  ,Kleid'  aus  (poqwLa. 


Albanesiseho  Stadien.  V.  77 

f  ratio  /tficoTes'  R.  84. 

freSke  EW.  111.   Dazu  ein  Fischname  tmze-freSke  R.  84. 

friks  ,Schrecken'  EW.  111:  friketör  ,furchtsam'. 

fruSkulifi  , pfeife'  EW.  112:  gr.  auch  vsrSeldn  N.; 
neben  fsrieldA  a.  a.  0. 

ftes  ,fehle'  EW.  113  aus  ecpraiaa,  daneben  gr.  ftehs  aus 
eqrtcct£a. 

fuds  pl.  ^Schalen  und  Kerne'  =?=  fluds  aus  gr.  <ploddi, 
cplovda  ,Schale,  Kern',  von  agr.  cpl&vg  neben  cploidg. 

fukard  ,arm'  EW.  114.  Dazu  gr.  Fem.  fukareSe. 

funde  ,Quaste':  ngr.  tpovvza.  Vgl.  EW.  114  unter  fundore. 

fundär-fundir  ,eilig'  R.  10. 

futumdh  m.  ,unliebenswürdiger  Mensch'  in  Porös.  R. 

G. 

gaidür  ,Esel'  EW.  117;  gr.  yaiHr. 

g ambro  EW.  118  ist  zu  verbessern  in  y  ambro. 

gamile  ,Kameel'  EW.  118:  gr.  auch  hamile.  kamileze 
ist  eine  Art  Kinderspiel,  R.  69. 

garbi  f.  ,  Westwind'.  Aus  Tlirk.  v^y  garb  ,Westen'. 

gar&  ,Hecke,  Zaun'  EW.  119.  Gr.  gardes  m.  ,Zaun'  N., 
,tofe  nde  uli  Ue  mban  Hjkte*  R.  93. 

gar  gar  d  EW.  120:  yaryare  f.  ,  Gurgelwasser'  N.  aus 
gr.  yaQy&Qa, 

gas  EW.  120:  pergszöfi,  prsgezöA  ,begrüsse'. 

gastare  EW.  121:  yastre  ^Blumentopf*  aus  gr.  y&arqa. 

gat  ,bereit'  EW.  121:  pergatarem  ;schirre  Pferde  an'  R.  62. 

gtttbsra  ,grün'  EW.  122:  <jelp-bi  ,gelbc  N.  R.,  aus  lat. 
galbua,  aus  der  im  Alb.  umgelauteten  Pluralform  *gelbi,  vgl. 
<feT—  galli,dreJc  =  *draci.  EW.  138.  gelbere  ,gelblich,  blond'  N. 

gsrbß  ,Buckel'  EW.  123.  Hieher  noch  grumbs  ,gebogen, 
höckerig';  grumbjas  ,mache  bucklig'  N.  R.  grumbjasem  , werde 
bucklig';  grumbjdsurs  ,bucklig'  R.  grtimbaze  f.  ^höckerige  An- 
schwellung, Skrofeln'  N.  grümbazE-dzümbazs  R. 

gsrdis  EW.  123:  gsrdis  vom  Fieberschauer.  Hieher 
auch  gerdes  ,Mädchenjäger'  R.  64? 

gir&ijs  ,Krebs'  EW.  123;  das  Simplex  in  gr.  ger&  m. 
,Krebs'   N.     Die   alb.  Wörter   können    direkt   auf   lat.   Cancer 


78  VII.  Abbaadluif:    M«yer. 

zurückgehen,  zunächst  auf  *crancer  (prov.  cat  cranc;  *cran- 
culus  =  it.  granchio,  grancio,  granzo  u.  8.  w.),  *grancer 
(g-  ausser  im  Italienischen  auch  im  port.  granquejo).  Aus  diesem 
wurde  gr§k,  mit  Umstellung  gerk  und  durch  die  aspirierende 
Kraft  des  r  gerh;  -#  steht  also  für  -h.  g&r&eh  ist  direkt 
*granculus. 

gerrere  f.  EW.  124  ,Schere';  gr.  auch  ,Hafer*,  wegen 
seiner  scherenartig  gespaltenen  Spelzen. 

g  er  vis  ,kratze'  EW.  125:  gr.  gervüt  ,ritze,  zerkratze'  R.  N. 

gögetei  makarunde  gögele  ,maccheroni  alla  napoletana', 
in  Spezzia;  in  Porös  makarunde  gogelemie.  R.  64.  Wenn  man 
die  Bedeutung  von  goge  als  ,plumper,  ungeschickter  Mensch' 
(EW.  126)  erwägt,  wird  man  diese  Bezeichnung  der  dicken 
und  kurzen  neapolitaner  Maccheroni  dahin  beziehen  dürfen. 
goge-hmie  wäre  ,plumper  Knäuel4. 

golomeS  , Fledermaus'.  N.  Von  slavisch  goh  ,nackt' 
und  mySb  ,Maus';  allerdings  kann  ich  diese  Bezeichnung  der 
Fledermaus  im  Slawischen  selbst  nicht  nachweisen  (slov.  speäi 
miS,  serb.  CAenn  muw,  Aepo.Hutu  u.  a.).  Vgl.  franz.  chauvt- 
souris. 

gomdr  ,Esel'  EW.  126:  gr.  yomdr. 

gon  m.  ,grosser  Ueberfluss'  R.  64.  Wohl  zu  gani  ,Ueber- 
fluss',  das  türkisch  ist.    EW.  119.     * 

grame  EW.  128:  gr.  yrame ,  yramatikua.  N.  Auch 
Pedersen  hat"  yrame  Plur.  ^gelehrte  Bildung*. 

graeiS-di  m.  ,griines  Futter'.    N.    Aus  gr.yQaaidi. 

grep  EW.  129:  grap  , fasse,  fange  mit  der  Angel*. 
graps  ,kneipe,  schäle  mit  den  Nägeln  ab'.    R.  65.  66.    N. 

grere  EW.  129  ,  Wespe':  gr.  grere  Fab.  81. 

gremerate  EW.  130.  Bei  N.  grhnerate  Plur.  ,Klümp- 
chen  der  beginnenden  Milchsecretion,  Gerinnsel  der  zusammen- 
gelaufenen Milch'.  R.  hat  in  dem  Handexemplar  seines  Glossars 
aus  dem  Munde  eines  peloponnesischen  Albanesen  die  Erklärung 
verzeichnet  gremeratene  (also  Sing,  f.)  e  beime  nga  giza,  d.  h. 
g.  machen  wir  aus  Topfen.  Jedenfalls  scheint  meine  EW. 
a.  a.  O.  gegebene  Etymologie  nicht  sicher  zu  sein.  Wenn  N. 
mit  seinem  grhnera  das  richtige  bietet,  könnte  man  an  den 
Plural  von  lat.  glomus  denken,  ,Klümpchen';  (doch  vgl.  kmS 
EW.  243).     Aber  es  scheint,   dass  R.  die   richtige  Form  hat; 


Albanesische  Studien.  V.  79 

denn  sie  kehrt  im  Griechischen  von  Kephallenia  als  YQa^ieydra 
wieder  NeoeXX.  'AviX.  II  192,  was  dort  erklärt  wird  als  ,das, 
was  in  dem  znr  Käsebereitung  dienenden  Gefässe  unten  hängen 
bleibt'.  Da  das  Wort  aus  dem  Griechischen  sich  nicht  er- 
klären lässt,  wird  es  Entlehnung  aus  dem  Alb.  sein,  in  der 
älteren  Form  *gremenate. 

griii  EW.  130.  Dazu  auch  ngrsfi  jucke'  und  gren& 
m.  ,Juckknötchen'.  N.  Ueber  letzteres  unrichtig  EW.  140 
unter  (fendere. 

griemaTe:  8  i  dais  griemaTe  =  dt*p6aaiv.  R.  Verhört 
fitr  krie-makf 

groS  ,Piaster'  EW.  131:  gr.  yroS  und  roS.  Märchen  Nr.  3. 
Vgl.  ran  und  grane  EW.  361 ,  auch  da  in  einem  viel  ge- 
brauchten Münznamen. 

grua  ,Frau'  EW.  132:  grariUe  ,  weiblich'. 

gründe  f.  ,Kleie'  EW.  132;  gr.  auch  ,lang  gewachsenes 
Haupthaar'.   R.  66.    N. 

gudulis  ,kitzle'  EW.  133:  gr.  auch  gedeih. 

gur  ,Stein'  EW.  135:  gürete  ,steinern'. 

guH  /Wette' ;  veme  guSt  ,  wetten  wir?'  R.  65;  vgl. 
3.  Märchen.  Scut.  bei  Jungg  Jcuät  ,  Gelübde,  Versprechen', 
Icu&tue  ,geloben'. 

<jale  ,lebendig'  EW.  137:  gala-te  ,Herde,  Thiere'.  Er- 
zählungen 10. 

gafi  ,gleiche'  EW.  137:  gr.  gfas,  glet.  Also  ist  der  ur- 
sprüngliche Anlaut  gl-  und  die  Vergleichung  mit  Kas  a.  a.  O. 
unrichtig.  Wurzel  ist  gl-9  die  Tiefstufenform  von  gel-  =  idg. 
gel-,  wozu  ai.  gdlati,  gr.  ßakho  diXlw  gehört.  Bedeutung 
, werfen,  treffen':  vgl.  ,er  ist  auf  dem  Bilde  sehr  gut  getroffen'. 

^er,Hahn'  EW.  148:  <jel&  ein  Pflanzenname.   R.  63. 

geh  EW.  138  bedeutet,  wie  in  Calabrien,  so  auch  in 
Griechenland  , Leben';  in  San  Marzano  nach  Bonaparte  ,breast', 
als  Hauptsitz  des  Lebens. 

§em  ,Ztigel';  aus  türk.  ^S  gem.     Auch  bei  Pedersen. 

<jei  ,knete'  EW.  139.  Dafür  auch  geten. 

{je  EW.  139:  dazu  noch  jjekü  ,irgendwo;  N. 

{jeme  EW.  139   ,Donner';   gr.  (jemetime   ,Donner'  R.  63. 


80  Vn.  Abhandlung:    M«y«r. 

<jemp  ,Dorn'  EW.  140:  glem&fi  ,steche'.  Die  Vergleichung 
mit  lit.  gembe,  die  ich  noch  Alb.  Stud.  III  9  aufrecht  hielt,  ist 
gewiss  falsch:  der  ursprüngliche  Anlaut  muss  gV  sein. 

gindere  ,Drüse'  EW.  140:  gr.  gUndere. 

Ijiri  EW.  141  /Verwandtschaft:  §er%  R.  106. 

§ize  ,Käse'  EW.  141,  auch  als  Ausruf  im  Sinne  unseres 
vulgären  ,Dreck!'  R.  64. 

$uan  EW.  142:  für  $uhe  ,Zunge'  gr.  gluhs]  glühe  e 
Idpese  ist  ein  Pflanzenname,  vgl.  agr..  ßovyXoMsaov. 

§üK  ,Gericht<  EW.  142:  gr.  $iJc  ,Richter<;  ,Gericht'  ist 
hier  der  Plural  giüe-te  (N.)  oder  giki  f.  gikates  m.  »Richter4. 
yeköfi  ,richte*. 

tfüsttk  m.  nautischer  Ausdruck:  ,brazzo  i  maütrese*  R.  64. 

H. 

habdr  ,Nachricht*  EW.  144:  auch  habdr  m.  und  habere  f. 

haps  yGefongniss'  EW.  146:  davon  mit  griechischer  En- 
dung hapeös  ,setze  ins  Gefängnisse 

hardi  ,  Weinstock'  EW.  147:  Sri  bedeutet  im  gr.  Alba- 
nesisch  auch  ,Nabelschnur'  R.,  vgl.  it.  tralcio  ,Rebschoss'  und 
,Nabelschnur'. 

he  ,Anmut'  EW.  149:  he&im  ,anmutig'. 

holevre  ,Katarrh,  Schnupfen'  EW.  153,  ist  gr.  x0^Q° 
,Dächrinne'. 

X. 

%ore  EW.  156:  höre  R. 

%ri  f.  ,Bedürfniss' :  gr.  xqeia. 

%riedf  m.  ,Gold'.  %rieÖ8  ,  vergolde':  %(*vo&<pi  xQvo&vta. 

I. 

idete  ,bitter'  EW.  157:  dazu  hidi  .Trauer,  Schmerz'  R.  83. 

idio,  to  =  rd  Xdio  ,dasselbe'. 

(i)ngU8  m.  ,Engländer';  gr.  'IfflSfag. 

iniS'iniS  ,so  und  so,  wie  ich  sagte'  R.  82.  Märchen 
Nr.  1.  Vgl.  EW.  310  u.  ntt-ntf. 

ipuryö  m.  ,Minister'.  ipurjio  m.  ,Ministerium'.  Gr.  inovQ- 
¥&;>  bnavqyelov. 


Albaneeische  Studien.  V.  81 

istori  EW.  159:  stori  ,Bild'. 

itns  f.  /Trüffel*.  Gr.  Vdvov,  vulgär  ifcavov. 

J. 

jaSts  ,draussen'  EW.  161:  i  jdStssmi  ,der  Satan'.  N. 

jdtere  EW.  162  ,anderer'.  Nach  N.  auch  dtsrs,  was  aus 
fiatsvs  ,ein  anderer'  abstrahiert  ist. 

jatrö  ,Arzt'  EW.  162:  jatrua-oi  N.  jatri  f.  ,Arzenei'. 
jatr&pB  ,heile'  =  larQsia  Icltqsvw. 

javs  ,  Woche'  EW.  162:  javs  e  made  ist  die  ,Charwoche', 
die  Woche  vorher  heisst  javs  e  stirdsrs.  R.  83. 

jerddm  ,Hochmut'  EW.  162:  in  Spezzia  jsrdams  hoch- 
mütig' R.  9.  83. 

jofir  m.  ,Brücke':  gr.  yioqrtQi. 

jorgads  f.  ,  Passgang  der  Pferde'  R.  62.  Aus  gr.  yioqy&da 
dass.  und  dies  von  türk.  Ae^.  jorga  ,cheval  qui  va  au  trot'. 

K. 

ka$  ,Geschwtir  am  Auge'  EW.  165.  Nach  N.  ist  gr. 
kad-i  m.  ,Gerstenkorn',  ka&-di  ,Schöpfeimer',  aus  gr.  xddog. 
Dazu  auch  kade  f.  ,Gährbottich'. 

kaf  ,  Vorgebirge'  EW.  165.  Gr.  auch  kavo. 

kafkalidi  EW.  165:  genauer  entspricht  gr.  xavxaX.rj&Qa 
alb.  kafkali&rs  ,Pimpernelle,  pimpinella  saxifraga'  N. 

ka'imö  m.  ,Verbrennung'.  Lied  S.  65,  Nr.  17/ Aus  gr. 
xa'ipög. 

kako-  gr.  xorxo-  in  Zusammensetzungen,  z.  B.  kakoyra- 
m&n  und  kakovramen  ,unglücklich'  =  xaxoyQafAfievog ,  kako- 
mire  (Fab.  46)  ^unglücklich'  =  xaxöfxoiQog,  kakopatir  ,erleide 
böses'  =  xcnt07rari()(x)  (Ngr.  Stud.  IV  69);  auch  mit  albanesi- 
schen  Wörtern  kakozi,  fem.  kakozezs  ,  unglücklich';  vgl.  u- 
kako-duk  ixcnioqtdvrpte  bei  Pedersen,   und    kalomirs   EW.  168? 

kakuli  f.  ein  Pflanzenname.  R.  70.  Vielleicht  zu  kuktit 
u.  s.  w.  EW.  211. 

kalad-e  f.  ,Handkorb'  N.  Aus  gr.  xaX&d-i,  Plur.  yuxXäd-ux. 

kal  EW.  168:  kdlturs  f.  ,Begräbniss'  N.  Zu  sie.  M 
,bringe'  gehört  gr.  lialsn,  Ao.  Kala  /bringe,  fllhre,  trage  hinein' 
N.,  flir  Uelsh. 

Sitevngibtf .  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  7.  Abh.  6 


82  Vn.  Abhandlung:    Heyer. 

kaldm  EW.  168:  kalamdr  m.  auch  /Tintenfisch',  wie 
ngr.  naXaii&qi. 

kalkdn  EW.  169:  dazu  kalkans  f.  ,Muttermund'  R. 

kaloj£r  EW.  169:  kaloyri  ist  ein  gr.  Pflanzenname, 
ebenso  kaloyrit  ,echinops  graecus'.  R.  te  State  katoyrete  sind 
,die  sieben  Fastenwochen'. 

käl  ,Pferd'  EW.  170:  ngalkön  ,steige  auf  (auch  vom 
Coitus)  und  zgalk&h  ,steige  ab'. 

kalaküde  f.  , Dohle'.  N.  Aus  ngr.  xoXouxxotida  oder 
xaXoiaxovda ,  Augmentati v  von  dem  Deminutivum  xoloiaxovdi 
zu  HoXoidyu,  das  selbst  schon  Deminutivum  zu  agr.  xolouig  ist 

kalkandzdr  m.  , Kobold'  N.  Aus  ngr.  xaliiukrtaaQOQ, 
vgl.  EW.  179  unter  karkandzol 

kamare  EW.  171 :  kamdr  m.  , Selbstgefühl',  kamarot 
,brÜ8te  mich'  R.  94.  N.  Aus  gr.  xapäQi  xapaQanrw.  kamdrm 
ist  nach  R.  69  eine  Art  Spiel,  kdmere  f.  ,Zimmer'  aus  xapaQa 
=  it.  camera. 

kambs  EW.  172:  kembe-sore  (,Krähenfuss')  ist  ein  Pflanzen- 
name R.  73,  kembs-äums  (,Vielfuss')  eine  Bezeichnung  des 
Tausendfusses. 

kamburjds  EW.  172:  hieher  gehört  gambe  ,Krümmung* 
R.  62,   wenn  es  nicht  =  y&yma  aus  it.  gamba  ,Schenkel'  ist 

kanddr  ,Wage'  EW.  173,  gr.  auch  ,Zentner'. 

k  an  eis  f.  ,Zimmet'.     Aus  gr.  xavikla  =  it.  cannella. 

kansp  ,Hanf  EW.  174;  kanavür  m.  ,Hanfsamen'  N.; 
gr.  xawaßovQi  Heldreich  21. 

kanön  EW.  174:  kanonis  auch  ,quäle'. 

kdnule  f.  , Hahn  am  Fasse'  aus  xdvovla  Verf.  Ngr. 
Stud.  IH  25. 

kaodeks  für  kalodeks  ,nehme  gut  auf,  aus  gr.  xc&o- 
dixopai.    Märchen  III. 

kaps  EW.  175:  kapote  f.  ,kurzer  Mantel',  gr.  xajmfca 
Verf.  Ngr.  Stud.  UI  26. 

kaperdin  EW.  175:  dafür  gr.  auch  kaperdds  R.,  wie 
flir  kaptön  gr.  kapetin  ,schlucke'.  Für  kapstdl  schreibt  N. 
kapstöt. 

kapüdA  ,beisse'  EW.  176:  kapHm  m.,  kapkor e  f.,  kap& 
reze  f.  ,Bissen'.    R. 


Albaneiiuclie  Studien.  V.  83 

kaj>uT6  f.  ,Kreuzgegend  der  Lastthiere'.  N.  aus  gr.  xct- 
novXiü  Verf.  Ngr.  Stud.  III  26. 

kaputsino  f.  nautischer  Ausdruck  /palangs  e  laues  e 
bummiV  R.  69. 

kär  m.  ,pemV  EW.  176:  Jcars-te  ,die  ganzen  männ- 
lichen Geschlechtstheile'.    N. 

kara-  EW.  176.  Zu  den  Zusammensetzungen  mit  ttirk. 
y^*  kara-  ,schwarz'  gehört  auch  gr.  karatfös  ,Spassniacher', 
eig.  ,Schwarzauge',  türk.  jjfrj*  karagöz,  Name  des  türkischen 
Hanswurst.  Ferner  karakakse,  karakasks  (bei  Pedersen  kara- 
katSs)  y  Krähe '  =  gr.  xa^axd^a,  entstellt  aus  ttirk.  d^lsay» 
karakarga  ,Krähe',  eig.  ,schwarzer  Rabe'. 

kardf  ,Schiff<  EW.  177.  Dazu  karavokir  ,Schiffsherr< 
=  gr.  xaQaßoxvQiq. 

karanfil  EW.  177.  Direkt  aus  KCCQvocpvlfo  stammt  gr. 
karjofiT,  das  ausser  der  ,Gewürznelke*  auch  eine  Pallikaren- 
flinte  mit  langem  Rohr  bezeichnet;  die  letzte  Bedeutung  hat 
Pedersen  auch  bei  karafü. 

karavele  EW.  177  ,Soldatenbrot':  gr.  auch  karvele  N. 
Vgl.  Ngr.  Stud.  II  30. 

karavide  f.  EW.  177.  Die  von  v.  flahn  angegebene 
Bedeutung  ^Krebsscheren'  ist  gewiss  falsch ;  N.  gibt  ,Meer- 
krebs'  an  und  jetzt  hat  auch  Jungg  das  Wort  als  scutarinisch 
mit  der  Bedeutung  ,granchio'. 

karbetsefi  ,springe,  tanze'.  Fab.  45.  Vgl.  ksrts&h,  kar- 
U&h  EW.  189. 

karjols  f.  ,Bettgestell'.  Aus  gr.  yuxQiöhx  =  it.  carri- 
uola.    Verf.  Ngr.  Stud.  III  28. 

karike  f.  ,Kürbissflasche   zum  Wasserschöpfen'.    R.  68. 

Vgl.    xagiyu  '   Teixi^iov  &)P«?  xoXox6v0y)£,    8i'  ou   ouvi-youaiv   ontb   vf}*; 

cvAqrG  toö  £XatoTpcße(ou  to  IXaiov  Leukas.   Syll.  VIII  391.  Ebenda 

393  wird    xaqiia    als    ein   Theil   der    Wassermühle    angeführt. 

In   Kephallenia    (und    anderwärts)    bedeutet   xagUi  *   6   qtjpav- 

Oet<;  Xoßb«;  xoD  ß<£|/ßaxo$   NsoeXX  'AvdX.  II  218  =  gr.  alb.  karike 

EW.    178.     xaQixia    sagt    man   in    Cerigo   flir   , Gemüsebeete*, 

Ilavo.  XIII  341.     Ein  anderes  xccqItgi,   das  die  in  dem  Stamm 

der  Aleppokiefer  behufs  Harzgewinnung  eingehackten  Laschen 

(Kerben)    bedeutet ,    führt   Deffner ;    Arch.  258    aus    Aegium 

und   Akrata   an.     Endlich    ist    noch   das   von   Paspatis   Xiaxbv 

6* 


84  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

^Xüxiffipiov  177  genannte  xaQtxi  ,cine  lange  Stange,  an  deren 
Ende  das  Netz  gebunden  wird'  zu  nennen,  karifce  ,Kürbiss- 
flasche'  =  kccqitu  ,Stück  hohler  Kürbis  zum  Wasserschöpfen', 
,trockene  Hülse  der  Baumwolle',  vielleicht  auch  ,Gemüsebeet', 
sind  wohl  auf  agr.  xaAv£  , Knospe ,  Saatkeim,  Samenkelch' 
zurückzuführen.     Dem.  xahfouov. 

karnavide  f.  , Kohlrabi'  N.  =  naQvafiTthi  aus  türk. 
cu^^Jy»  ltarnabit  ^Blumenkohl'  =  gr.  XQapßidiov  Verf.  Türk. 
Stud.  I  31. 

kdrnaksi  ,Schreihals',  als  Verwünschung  ftir  schreiende 
Kinder. 

karumbdl  EW.  179.  Lat.  corymbus  liegt  in  rum.  cärimb, 
carvmb  ,Stengel'  vor,  was  Miklosich,  EW.  132  verkannt  hat; 
auch  bei  Körting  fehlt  das  Wort.  Dazu  gehört  wohl  auch 
der  botanische  Ausdruck  korombiTs  R.  73. 

karumbe  f.  , Johannisbrot'.  N.  Aus  gr.  naQövpwa  = 
it.  carruba,  aus  dem  arabischen  <— >i^- 

karvunär  m.  ,Kohlenhändler'.  Aus  xaqßowaQT^.  Ngr. 
Stud.  ni  27. 

kafamuntss  ,Schalmei'  EW.  179:  gr.  karamundze  ,Sack- 
pfeife',  karamunStzidr  m.  ,Sackpfeifer'. 

kafe  EW.  180   ,Karren':   gr.  auch   kafo   m.  aus   %dqqoy. 

kasiS  m.  *, Grindkopf'  EW.  180:  gr.  kaside  Kopf- 
grind' N.  =  xaooida.  Ueber  die  Etymologie  s.  Verf.  Ngr. 
Stud.  IH  28. 

ka8tör%  m.  , Biber'.  Aus  gr.  xaoTÖQXi,  das  eigentlich 
das  Bibergeil  bezeichnet. 

kastro  m.  ,Hauptstadt'.    Aus  %&gtqov.    Ngr.  Stud.  III  28. 

katare  ,Fluch'.    katarisem  ,fluche*.    N.    Aus   gr.  xarrfga, 

XaTCCQÜJfACU. 

katarot  ,Schnupfen'.  kataroisem  ,habe  den  Schnupfen'. 
Gr.  xcnayQorj,  naraQQot^o^ai. 

katandi  f.  unter  katandü  EW.  181:  auch  gr.  ,xpoxo^/ 
(,Vortheil,  Fortschritt')  und  scherzhaft  vom  cunnus. 

katsdl  m.  =  gune  ,Oberkleid'.    R.  70. 

katsare  f.  ,Pantoffel'  R.  70.    N. 

kattint  EW.  183:  katundidr  m.  ,Dorfbewohner'. 

kavuke  f.  , grosse  Mütze'  R.  94.  Aus  gr.  xaßoinu  = 
türk.  j^ls  kavuk. 


Altenwitthe  Stadien.  V.  85 

keili  , schlecht '  EW.  184:  ngefcöh  , mache  böse',  nge- 
Iconhem  ,  verschlechtere  mich*  R.  108.  Vielleicht  ist  ketk  die 
Grundform  und  das  Wort  ans  lat.  cadücus  entstanden. 

kets  ,Ziege'  EW.  185:  gr.  nach  N.  auch  UiU. 

kembons  EW.  186:  kambanete  als  nautischer  Ausdruck 
=  xatiTtaveXXia,  äg^iaSoüQa  R.  69. 

ksnde  f.  , Appetit,  Gefallen',  z  nie  ka  kenda  ,ich  habe 
keinen  Appetit*.  8  ts  te  kets  kenda  ,wie  es  dir  beliebt'.  N. 
Vgl.  ende  in  derselben  Bedeutung,  EW.  5  unter  ^jf,  so  dass  der 
Verdacht  entsteht,  ob  es  nicht  aus  Verschmelzung  von  ka 
enda  ,es  gelüstet  mich,   macht  mir  Vergnügen'  entstanden  ist. 

kspÜ8  EW.  187  ,reisse  ab':  gr.  auch  kspifi. 

kssuts  EW.  190:  kaüulös  , lasse  die  Ohren  hängen' 
(von  Thieren;  wie  eine  Kappe)  R.  94.  N.  Für  kaUüt  m.  gr. 
auch  kat&uTe  f. 

kleft  m.  ,Dieb',  aus  gr.  %X£q>rr}Q. 

klotUs  ,gluckse,  brüte'.  EW.  191:  kluUÜ  dass.  R.  77.  N. 

klotHs  ,trete  mit  dem  Fusse'  EW.  192:  klaU  ,Schlag 
mit*  dem  Fusse'  N.    Jedenfalls  lautnachahmend. 

klene  Particip  zu  jam,  ==  tosk.  Kens.  Vielleicht  zu  asl. 
KA4A&  7 lege,  stelle',  das  isolirt  ist;  klsns  aus  kladne  ent- 
spräche in  der  Bedeutung  dem  stätus,  das  im  Romanischen 
z.  T.  Particip  Perf.  von  esse  geworden  ist. 

klene  ,ganz  durchnässt'  R.  77. 

klirre  f.  ,Erle'  N.,  aus  xXrj&Qa. 

kToistrs,  f.  ,Biestmilch'  EW.  192:  gr.  auch  kstoStrs  und 
JcToHtg. 

Muts  ,Schlüssel,  Gelenk'  EW.  193.  Dazu  MiUün  .Knie- 
kehle' R.  77.  N.  kTÜkazE  ein  Spiel,  bei  dem  eine  Kugel 
oder  ein  Stein  mit  einem  Schlägel  in  die  Höhe  geworfen 
wird.    R.  77. 

kos  aus  koie,  nautischer  Ausdruck,  eine  Kette,  welche 
die  Raaen  trägt.    R.  73. 

kofss-klinda  ,p61e-mele'  R.  73.    (,Hüften  und  Zwickel'?). 

koinake  f.  in  Hydra  die  grösste  Mandel  beim  Spielen 
mit  Mandeln.     In  Porös  heisst  sie  memeze  (, Mutter'). 

kokdl  ,Knochen'  EW.  194:  richtig  betont  kökal  R.  N. 
(auch  Pedersen).     kökale  f.  dass.     Griechisch  %6%%aXov. 


86  VII.  Abhandlung:    Moyer. 

kokomare  EW.  194,  bezeichnet  gr.  eine  Art  Gurke. 
Für  kukumare  , Erdbeerbaum'  gr.  auch  kukumaUe  N. 

kolce  EW.  194:  kökaze  ,Bonbons'  in  der  Ammensprache. 
R.  96,  von  koke  =  coccum.  Für  kokor4t§  (S.  195)  gr.  Jcoko- 
retse  f.  mit  griechischer  Aussprache. 

k olein  ,blass,  schlecht  aussehend  nach  einer  Krankheit' 
R.  108.  xökxivoq  ist  im  Gegentheil  ,roth';  doch  ist  koke  auch 
zur  Bezeichnung  des  Eidotters  verwendet  worden   (EW.  195). 

kolkotSane  Name  eines  Thieres  R.  73. 

kolone  ,Säule'  EW.  195:  dazu  ngo(l)one}  guhone  ,Art 
Auster*,  die  auch  borbotsimze  genannt  wird,  R.  73. 

kotes  ,Hölle'  EW.  195:  bei  N.  kölas  m.  kolasem  fün- 
dige',    kolds,  kods  ,strafe'  Fab.  33. 

kolle  f.  ,Stärke,  Kleister;  Bogen  Papier',  kollis  ,leinie'. 
kollarü  ,stärke'.  koTe  , Kaumastix'.  N.  Griechisch  xöila, 
xolhxoi^to. 

kotig  m.  ,Feldbaugenosse,  der  die  Hälfte  des  Ertrages 
geniesst'  N.    Griechisch  xoXXrjyag,  s.  Verf.  Ngr.  Stud.  HI  31. 

komp  ,Knopf  EW.  196:  kumbi  m.  ,Knopf.  kurqbös 
,knöpfe'  N.     Aus  gr.  %ov\mi,  novfi7td)va), 

kondö  m.  ,Haken',  gr.  xovtög. 

kondurs  EW.  197:  gr.  kundure  =  TtovvTOÜQa.  Ueber 
das  Wort  s.  Krumbacher,  Byzantinische  Zeitschrift  II  304  f. 

konoStis  EW.  197:  konoSH  auch  ,Bekanntschaft,  Um- 
gang'. N. 

kopö$  m.  ,Mühe',  aus  xönog.  kopjds  ,bemühe  mich'  in 
Höflichkeitsphrasen,  kopjasni  ,nehmen  sie  Platz',  gr.  yuumiä^ta] 
xomdaTS. 

kordk  EW.  199:  Plur.  koräce-te.  Fab.  82.  Neben  kora- 
kozüh  ,langlebig'  auch  karakozön  R.  95. 

kor  de  ,  Darmsaite'  N.  Auch  scutarinisch  nach  Jungg.  Zu 
kordele  EW.  199.    kordös  ,spanne,  ziehe  straff*  (eig.  die  Saite). 

kori-u  m.  , Wanze'  N.    Griechisch  xoqiöq  =  xöqu;. 

korkodit  ,Krokodil'   EW.  200:    krokondil  Fab.  Nr.  11. 

korkotsi  m.  nautischer  Ausdruck:  at  iäs  bie  varese.  R.  74. 

kormi  pl.  ,Datteln'.  Gr.  %ovQ[ia$  aus  ttirk.  Uyb  hurma 
,Dattel'. 

korone  EW.  200,  gr.  auch  ,Trauung'.  kuröü  ,segne  die 
Eheleute  ein'. 


Albtattiaehe  8tvdkD.  V.  87 

köteze  EW.  201  ,Hühnerpips'  ist  auch  gr.  R.  73.  fcrf- 
reze  N. 

kor 6  EW.  201.    Dem.  nach  N.    korize  betont. 

koeare  f.  ,Münze  von  zwanzig  Leptd':  gr.  (el)xoaaQiA. 

kose  ,Sense'  EW.  201:  kösere  f.  ,Gartenmesser'  N. 

kose  ,Zopf*  EW.  201:  kotS  m.  ,Zopf  N.  kotiide  ,Zopf 
R.  96.    N. 

kostis  ,koste'  N.:  aus  yuoütS^w  =  it.  costare. 

krähe  EW.  203:  krahe-zi   Name   eines  Fisches.    R.  96. 

kraku:  i  ke  düarte  kraku  5x«fw^vac  R.  96. 

kr  eh  EW.  204:  zu  kreSe  das  Verbum  kreä  yreinige  mit 
dem  Striegel'  N. 

kremale  f.  ,Galgen':  xoefiAXa. 

krisele  EW.  205:  daneben  krese  und  kreseli  f.  ,Quecke, 
a-fpoxm?'.    N. 

kreHe  EW.  205:  kreSt  m.  ,Haarzopf;  Bürste',  kreäts 
f.  ,Mähne;  Maishaare;  weibliche  Scham  und  Schamhaare'  R.  78. 
N.    Dazu  kreS  m.,  Plur.  krüiie  ^Haarflechte'  N.? 

kriture  ,vom  Durste  geplagt'  R.  78.    N. 

krende  ,reichlich,  üppig'  N.    <i<pOov(a  R.  78. 

kris  m.  ,Urtheil':  xqIoiq. 

kroS  m.  ,Franse'.    N.    Griechisch  xqoggöq. 

kru8  ,  falte,  runzle',  krusem  , werde  runzlig;  kauere 
mich;  reibe  oder  streiche  mich  an  jemandem,  um  Schutz  oder 
eine  Liebkosung  zu  erhalten'.  W  krüsure  ,ich  sitze  zusammen- 
gekauert4. R.  78.  N.  Dazu  gehört  scut.  krus-a  ,Reibeisen' 
Jungg.    krus  dürfte  =  kerus  EW.  190  sein. 

kruve  f.  nautischer  Ausdruck  }tse  lidet  trotsa  nde  katdrt 
tore*.  R.  78. 

ksanalihete  ,er  wird  wiedergeboren',  alb.  Verbum  mit 
gr.  %ava-,  d.  i.  £e-  und  ävd-,  zusammengesetzt.  Vgl.  EW.  208. 
So  mit  £e-  noch  ksehelmön  ,  gebe  meine  Betrübniss  auf'. 
Ganz   griechisch   ist  kse%orizm  m.  ^Unterschied'  =  %e%ihqiG\ia. 

kiah  ,zupfe  Leinwand  zu  Charpie'  N.  Aus  dem  Aorist 
egcnra  von  %aivw  entlehnt. 

kua  ,Rinde'  EW.  209:  kuhem  ,bin  wund,  aufgerieben', 
besonders  von  der  Hautaffection  des  sogenannten  Wolfes  gesagt. 
R.  75.  N.  8kuhem  ,springe  auf,  von  überreifen  Früchten.  R. 


88  VII.  Abhandlung:    Xejer. 

kubure  ,Pistole*  EW.  209:  lcumbure  N. 

ku&'di  EW.  209,  gr.  auch  ein  ,irdenes  Kochgeschirr*.  X. 

kuküd'  EW.  210,  griech.  auch  , Blutschwär,  Drüsen- 
geschwulst'. N. 

kukül  EW.  211:  kukulle  f.  ,  Kapuze*  N.  =  xovxovlht. 
kukvXe  f.  ,Seidencocon*  =  xovxodtät  (vom  Plur.  xovxovJÜUa). 
Hieher  gehört  auch  kukui,  mit  Artikel  kukla  f.  ,Puppe*  = 
gr.  xovxka.  Vgl.  Verf.  Türk.  Stud.  I  40.  Ngr.  Stud.  III  33  f. 
Für  kurkuk  gibt  N.  kurkufo  an. 

kuküm  m.,  kukumdr  m.,  kumdr  m.  ,bauchiger  Koch- 
topf N.    Aus  gr.  xovxovfii,  xowovjuape ,  Verf.  Ngr.  Stud.  III  34. 

kukute  ,Schierling*  EW.  211:  nach  N.  ist  gr.  Kikuti 
,conium  maculatum*,  Kirkute  ,thapsia  garganica*. 

kukuvaJB  ,Eule*  EW.  211:  eine  andere  gr.  Form  ist 
fuifuake  R.  98.  hukumaUe  ist  nach  R.  76  auch  eine  bota- 
nische Bezeichnung.  Zu  den  a.  a.  O.  angeführten  griechischen 
Eulennamen  ist  aus  Dialekten  noch  manches  nachzutragen, 
z.  B.  xovxovßdda  Syme,  Syll.  VIII  472;  xovxovßähx  Kastellorizo, 
Syll.  XXI  315,  28;  xovxovyidßla  Chios,  Pasp.  195;  xovxovftavla 
Thera,  Pet.  83;  xovxovaa  Nisyros,  Mvtjji..  I  384;  xovxwßu&u 
Siatisti,  'Apx-  I  2,  90.     Bulgarisch  ist  kakumvjaka, 

kuJc  ,roth*  EW.  210:  nguk  ,mache  roth*. 

kulöfi  , seihe  durch'  EW.  212:  gak  i  kuluam  , reines 
Blut,  Vollblut'  R.  75. 

kutuvrike  EW.  212:  kukuvrik  ,das  neu  ausgebrütete 
Küchlein*  N. 

knmanddr  ,beherrsche*,  aus  KOVfiavraQa)  Ngr.  Stud.  IV  39. 

kumbene:  da  ne  nds  bark  e  i  derdi  kumbenene  R.  109.  Be- 
deutung? wahrscheinlich  Speisekammer*  im  Sinne  von  ,Magen*, 
vgl.  xofirtdna  ,Speisekammer  auf  dem  Schiffe*  Ngr.  Stud.  IV  39. 
Den  gr.  Albanesen  liegt  eine  solche  nautische  Metapher  nahe. 

kumute  f.  ,Erdhaufen*  N.  Griechisch  xovjUoCAa  u.  s.  w. 
Verf.  Ngr.  Stud.  III  34. 

kunavje  EW.  214:  N.  hat  kundf-vi  m.  , Kaninchen', 
aber  kund&-di  ,Marder,  Iltis*. 

kune  f.  ,Blumenstrauss*.  N.  Von  gr.  x&vog  ,Kegel*:  Dem. 
xovviy  davon  ein  Augmentati  vum  *xovva. 

kuper  m.  ,Kupfer,  Bronze,  Messing*,  küperte  ,kupfern*. 
N.    Aus  lat.  cuprum.    Vgl.  Uipre  EW.  228. 


AlbftaesMche  Studien.  Y.  89 

kurd&-di  m.  ,trockene  Exkremente'  R.  108.  Ngr.  xov- 
Q&di  ,merde'. 

kurbdn  m.  ,Opfer'  EW.  215:  griechisch  korbdn. 

kurkofiJc  m.  ,die  erste  Milch,  gekocht  und  dann  ge- 
ronnen' (klumüta  te  ker&i  te  zjere  ed&  te  piksure'  R.). 

kurm  , Körper'  EW.  216:  kurmes  , schlank  gebauter, 
zierlicher  Leib'  N.  kurmari  f.  ,dvflfonQjjia,  auch  von  der  Erektion 
des  Penis'  R.  108:  xoQfuxQid. 

kurüp  ,mit  glatt  rasiertem  Kopfe'  N.  Griechisch  %ovQOV7tt]Q 
,ras4,  tondu'.  Türk.  ^y>  ist  ,  trocken,  leer,  nackt';  aber  das  p 
wüsste  ich  nicht  zu  erklären. 

kurupe  f.  ,irdenes,  bauchiges  Geßlss'  N.  Nach  R.  75 
ein  Ge&ss  mit  zerbrochenem  Schnabel;  der  Deckel  dazu  kuru- 
bele.  Griechisch  xovQOvrta,  novQOvm  ,pot  k  fleur,  vase'.  Vgl. 
'/.OQiTZiov  ,hydria'  bei  Ducange.*  Das  Wort  hängt  wahrscheinlich 
zusammen  mit  dem  Namen  einer  Schellfischart  xoQvcpior,  cory- 
phium,  Plin.  N.  H.  XXXH  53.  27.  Oribasius  I  143,  2. 

kusdr  ,Räuber'  EW.  217:  gr.  kursdr,  kursari  f.  ,Räuberei\ 

küßpuls  EW.  217:  kruspul  m.  ,Schrumpf,  durch  Brennen 
verkohlte  und  zusammengeschrumpfte  Stücke  von  vegetabili- 
schem oder  animalischen  Gewebe';  te  benete  hi  e  kruäpul  ,das 
himmlische  Feuer  soll  ihn  vernichten'.    N. 

kutre  f.  , Stirn,  Kopf;  Dummkopf  R.  76.  Aus  gr. 
xovTQa  =  xv&qcc,  %in;(>a.    Vgl.  EW.  218  unter  kutrule. 

kutulishem  ,nicke  aus  Schläfrigkeit  mit  dem  Kopfe'  R. 
Gr.  KOwovXL^io ,  von  xovvovlov,  novvelov,  worüber  man  Verf. 
Ngr.  Stud.  II  99  vergleiche. 

kutss  f.  ,Puppe'  N.  Nautisch  palanga  e  pare  e  pikit 
R.  76.  kutsur  m.  ,Klotz,  Strunk'  N.  =  xovtgovqov.  Vgl.  über 
kuU-  Ngr.  Stud.  II  97  ff. 

kuts  ,Hund'  EW.  218:  kutiuk  ,Hund'.  Ngr.  Stud.  II  101. 

kuvelle  f.  eine  Massbezeichnung,  =  3  metertiU  (ein  m. 
=  7,  xoiX6  von  Konstantinopel).    R.  108.    Zu  kove  EW.  203. 

K. 

m 

kaii  ,weine'  EW.  220:  gr.  Man  auch  von  beschnittenen 
Reben  oder  Bäumen,  von  denen  Saft,  Gummi  oder  Harz  aus- 
schwitzt.   N. 


90  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

Icas  ,nähere*  EW.  220:  auch  gr.  fcas  ,nähere',  also  sieber 
ursprünglich  lees.  Gr.  ktas  ,denke,  meine,  glaube,  vergleiche*  N. 

Jce&  ,schere'  EW.  221 :  leh  te  n$4%hirs,  yuzwapa  \iolkulx, 
,frisiertes  Haar'  R.  94. 

Kefel  ,Barbe'  EW.  221:  gr.  Uefdl 

JeeTepoSe  EW.  221:  Uefeie  auch  gr.  nach  N. 

Jeelp  EW.  221  f.:  ktebaUs  ist  auch  ,Klebkraut',  weil  es 
die  ebenso  genannte  Krankheit  der  Schafe  herbeiführt.  N.  R.  76. 

Ken  EW.  222:  geg.  Kq&  auch  in  gr.  Jcen$  ab  ,Zungen- 
geschwtir';  auch  ein  Pflanzenname.    R.  71. 

Kendis  ,sticke'  EW.  222:  gr.  Kendi  f.  »Stickerei,  ein- 
gelegte Arbeit*. 

Ueno s  , richte  Speisen  an',  aus  gr.  %ev(hvw.  Eig.  /ich 
mache  die  Bratpfanne  leer,  indem  ich  die  Speise  auf  den 
Teller  lege'.    Vgl.  Korais,  "Atäxt«  IV  228. 

Kep  ,nähe'  EW.  223:  gr.  auch  fiepen  N. 

Kep  »Schnabel'  EW.  222:  tteptä  ,steche«. 

Jcerds  EW.  223,   gr.  auch   ,schenke  zu  trinken  ein'.    N. 

Kesendis  EW.  224:  zu  türk.  e&**«**  feesmek  auch  Jcesim 
,dhcoxom^  R. 

Jcezer  m.  ,Kaiser'  N.,  aus  gr.  %alaaq. 

Kij  ,beschlafe'  EW.  226:  gr.  Uten,  Mn  N.,  Uihes  m.  ,qni 
libenter  coit'  R.  72.  Dadurch  wird  meine  Ableitung  aus  lat. 
inclinare  widerlegt;  lein  ist  =  Icid-nö,  skidnö  zu  Wurzel  shheid-, 
slchid-  ,spalten'  (ai.  chinddmi,  gr.  0%i£(o,  lat.  scindo,  lit.  slcedra). 

KiK  m.  ,Ricinus',  Pflanzenname.    N.    Aus  griechisch  xuu. 

kiki&-di  m.  ,Gallapfel'  N.    Aus  gr.  xrpcldi. 

Kimü§  m.,  KimuSe  f.  , angewebte  haarige  Tuchkante; 
Schnitzel  und  Abfeile  von  wolligem  Tuche'  N.  R.  Aus  lat. 
cimu88a,  wovon  it.  eimossa  ,Saum,  Sahlband';  aus  dem  Ii  gr. 
taitiovaa  Verf.  Ngr.  Stud.  IV  93. 

leint  m.  ,Z wickel'  EW.  227:  gr.  Jctint,  gemäss  dem  Ur- 
sprung aus  slav.  klin. 

liipsr  m.  Pflanzenname,  gr.  xvTteiQog.   N.  R. 

Kiri&e  f.  ,Bienenbrot',  gr.  %r)Qiv&og\  ,Wachsblume',  gr. 
xtfQiv&ov.    N. 

Kirkezs  f.  , Cirkassierin ;  Frau  von  grosser  Schönheit* 
R.  72.  Nicht  aus  türk.  ^$y*-  täerk&,  sondern  aus  dem  gr. 
classicistischen  xiQxäaotos. 


Albaoesiscbe  Studien.  Y.  91 

liistdr  m.  ,Ciströschen'  N.,  aus  yaoxdqtov  von  xlorog. 

Kiie  ,Kirche'  EW.  228;  gr.  klüe,  auch  ,Kirchenfest'.  R.  77. 

Uitrs  ,Pompelnuss,   citrus  decumana'  N.,   aus  gr.  tutqov. 

Jciu  in  dem  Sprichwort  bei  R.  72  u  doli  pldksze  nde  Kiu, 
pastai  frin  edi  kosit  =  i%dri%  ^  YPl<*  e^  T^  Xü^5  ?ua?  ^  T^ 
"Yiarpupti.    Also  #iu  =  Jeil]  lat.  chylus  aus  xvtaJg? 

Kiveria  EW.  228;  gr.  Mvernis  ,helfe'. 

Äowfi  f.  ,*pox<M,  Fortschritt'  R.  72.  108.  Zu  «os  EW.  228. 

Jcurkas  m.  Pflanzenname,  ,Hirtentäschchen,  capsella  bursa 
pastoris'  N.  Zu  Jiurk  ,Pelzwerk',  wie  es  gr.  für  Jcürk  EW. 
230  heisst. 

KuS  m.  Kjusche,  ein  Stamm  vlachischer  Maurer  und 
Salep- Verkäufer  aus  Mittel- Albanien;  die  alljährlich  in  Griechen- 
land umherziehen;  dann  als  Schimpfwort:  ,roher,  ungebildeter 
Mensch'. 

Uutjds  ,sitze  auf  der  Hühnerstange  um  zu  schlafen*  N. 
Aus  griechisch  xotrcf£ojuat. 

Kurs  ,Rotz'  EW.  230:  gr.  Kurs]  Uuf&h  ,habe  Schnupfen'; 
Jcurdä,  Jcufamdn  ,Rotzbube'.  N. 

la  Adv.  ,oben,  hinauf.  Fab.  2  u.  ö.  Aus  lat.  illäc? 

Ta  M.  ,Elias'. 

Taft  EW.  234 :  gr.  lavde  ,Laune'  N.  R.  85. 

lahtaris  EW.  231:  lahtars  f.  , Aufregung,  Erwartung', 
N.  Aus  griechisch  hxy^aQa.  Vgl.  Alb.  Stud.  IV  76  Nr.  523. 

laibi*  ,irre'  EW.  234:  gr.  Xadiii,  taȆ;  taM  f.  ,Irr- 
thum'.  N. 

Taks  EW.  235,  auch  gr.  ,tiefe  Stelle,  tiefer  Grund,  Ver- 
tiefung, Thal'.  N.  R. 

lakur  EW.  236:  neben  fakurik  ,Fledermaus'  gr.  auch 
laskuriU. 

laldr  m.  ,vom  Wasser  bespülter  und  abgerundeter  Kiesel- 
stein'. N.  Aus  XaXXaQL  von  agr.  X&ilrj  ,ein  vom  Wasser  be- 
spülter Kiesel'. 

langim  ganger  Sprung,  fä\iccxa  pe-faXa'  N.  R.  15.  Dadurch 
wird  meine  Erklärung  des  auch  von  Rada  als  cal.  angeführten 
Wortes  EW.  231  hinfällig. 


92  Vn.  Abhuxüiiiig:    Meyer 

Taps  EW.  237:  lape  ,  Reisspeise,  dick  und  weich  ge- 
kochter Reis  fllr  Kranke';  auch  ^Breiumschlag*.  N. 

lattuge  f.  ,Lattich'.  N.  Aus  it.  lattuga. 

lavös  EW.  238,  sammt  lavome  auch  griechisch. 

laze:  bar-tdzese  Pflanzen n am e  ,Salicornia'.  Redensart:  tiU 
nde  laze  ,inan  hat  seinen  Untergang  vorbereitet'.  R.  86,  eig. 
,er  ist  am  Messer',  so  dass  das  Wort  identisch  ist  mit  dem 
EW.  239  aus  Camarda  angeführten  gr.  laze. 

leh  EW.  240  ,belle';  gr.  auch  ,keuche,  schnaufe'.  Uhmi 
f.  ,Schlucken'.  N. 

Iek8  ,disputiere'.    leksi  ,  Wortgefecht'.   R.  85.    Aus  Aeyw, 

leUk  EW.  241:  leilek  übersetzt  Fab.  58  unrichtig  das 
gr.  Y^pavo«;. 

lemp  ,Napf  EW.  232:  gr.  lembe  ,Becken,  Waschbecken*  N. 

len  ,entstehe'  EW.  241:  nde  te  lere  ,von  Geburt  an4 
Fab.  62. 

lepjete  EW.  241 :  lapuSe  ,Deckblätter  der  Maiskolben'  N. 
lepuss  f.  ,wei8se  Seerose,  nymphaea  alba'  N.  (bei  Jungg  ,far- 
faraccio,  Huflattich',  wie  serb.  Aenytanua  (das  ausserdem  noch 
drei  andere  Pflanzen  bezeichnet,  bulek  194). 

leS  ,Wolle'  EW.  241 :  leite  (eig.  ,wollen')  gr.  auch  mit- 
leidig, barmherzig'.  N. 

Iev6t  m.  ,Kessel'  N.  Aus  ngr.  Xsßeti  =  keßrjtiov  von 
teßrjg. 

levi&s  f.  ,Spulwurm'  N.  Aus  gr.  Xißi&a  von  agr.  ekfur^. 

lerne  ,Tenne'  EW.  243:  davon  soll  nach  R.  85  lamntiim 
,hoch  und  schlank  gewachsen'  kommen,  axb  tou  aupoo  tyjs  SXw. 

lende  f.  ,altes  Kleid'  R.  Vgl.  £svr£*Xtq  ,in  Lumpen  ge- 
kleidet' in  Athen.  Verf.  Ngr.  Stud.  II  54. 

Isndön  EW.  244,  auch  gr.  N.  R.  =  ,tupfe  auf  eine 
wunde  Stelle'.  Das  Wort  wird  zu  linde  ,leinen'  gehören:  ,mit 
Leinwand,  Charpie  betupfen'. 

lenze  EW.  244,  nach  N.  ,starkes  Begiessen  des  Hofes 
oder  der  Strasse  bis  zum  Schlammigwerden  des  Bodens'. 

Is&dn  EW.  244:  griechisch  auch  Idiöii. 

li&  ,binde'  EW.  245:  lidme  f.  ,Carneval'  N.  Kdone  f.  ,eine 
Polypenart'  N.;  identisch  damit  ist  ledone  ,Art  Achtfuss'  R.  85. 


Albanerische  Studien.  V.  93 

lifandi  m.  ,Weber'  (nicht  nvaq>eig),  Fab.  18.  Aus  grie- 
chisch wcpayTTjg  =  bq>arvi/}g.  Verf.  in  den  Analecta  Grae- 
ciensia,  S.  lff. 

Zige  f.  ,Gesetz'  EW.  246:  K§  m.  ,Recht,  Gesetz'  N.  ZUt-fr 
,Recht'  R. 

liyadure  f.  ,Art  Seil'  R.  85.  Venez.  ligadura. 

Hhtid-di,  Zihudjdr  Feinschmecker*.  Zihudi  f.  ,Fein- 
schmeckerei'.    Aus  gr.  Äi%otf<Jijs,  hxovdidQrjg,  Xl%ovöi&. 

Zik  ,böse'  EW.  245:  dazu  Tige  ,Geifer,  Speichel,  thieri- 
scher  Schleim'.  Ugamdn  ,geifrig'.  Kgav6ts  m.  ,Schnecke'.  N. 

Zikorno  m.  1)  Einhorn;  2)  ein  aus  dem  vermeintlichen 
Hörne  dieses  Thieres  gemachtes  Kreuz,  durch  dessen  Eintauchen 
das  Weihwasser  eingesegnet  wird.  N.  R.  99.  It.  licorno. 

Zikoritss  f.  ,Süssholz'  N.  Aus  gr.  yXvxÖQQi^a  für  agr. 
yXvxvQQi^a. 

Zikös:  ,  schlage  einen  windelweich'  N.  e  Zikosa  =  tfev 
IXsuoca  \  xb  £6Xov.  R.  Aus  yXvyuovw. 

Zimbisem  ,bin  nach  etwas  lüstern,  verlange  heftig'  N.  R. 
Aus  gr.  Xipm£o(jiai  =  fa(ißi£opai,  XtfAfisvw. 

Cime  f.  ,Feile'  EW.  246:  dazu  Rmdr  ,naschhaft'  N. 

Zimdn  ,Citrone'  EW.  246:  gr.  Zeimone  f. 

Zindiere  EW.  246  ist  nicht  it.  leggiadra,  sondern  leggiera. 
Vgl.  ngr.  Xir^SQa,  Xt^eQtg.  Ngr.  Stud.  IV  45. 

Zir  EW.  247:  deZsrdti  ,entbinde',  Pass.  ,werde  ent- 
bunden'. N. 

Zirs  f.  ,Leier'  N.,  aus  Xvqci. 

Z%8  m.  ^Beendigung  einer  Krankheit'  N.,  aus  Xvatg. 

Zisivdk  m.  ,Salbei'  N.;  aus  gr.  iXsXiaqxxxov,  iXiocpcnud. 

lisentss,  HtSentse  f.  ,Erlaubniss'.  It.  licenza. 

loyo  m.  ,Predigt',  Xöyog. 

lohe  f.  ,trockene  Hitze,  heisser  Luftzug  vom  brennenden 
Ofen'.  N.    Aus  gr.  Xöx*]  =  Xöyxt]. 

loji  indeclinabel,  ,Art'  N.  Aus  Xoyr). 

lojisi  f.  ,Rechnung',  aus  gr.  XoyiaiA.  Erz.  III. 

londr  m.  ,Juli'.  N.  Gr.  dXajvaQrjg. 

Zope  f.  ,Kuh'  EW.  248:  Zop 68  ,Kuhtrift'  ist  häufiger 
Ortsname  in  Griechenland. 

Zot  ,Thräne'  EW.  249:  gr.  auch  ,der  letzte  Tropfen  im 
Becher  oder  im  Kruge'.  N. 


94  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

tot§7  lo$  m.  ,Thiernest,  Schweinestall;  Behausung,  Schlupf- 
winkel von  Tbieren'  N.,  ist  identisch  mit  totS  ,Sunipf,  Schlamm' 
bei  Rossi,  das  auch  Jungg  in  dieser  Bedeutung  bestätigt. 
Beide  gehören  zu  serb.  Aootca  ,Lager'  u.  s.  w. ,  wie  EW.  232 
schon  angenommen  wurde.  Auch  toitS,  güitS  EW.  249  werden 
hieher  zu  stellen  sein,  wenn  auch  das  i  und  das  g  nicht  klar  sind. 

tuq  ,Löwe'  EW.  249.  N.  führt  als  gr.  U%-uy  Plur-  lehrte 
,Löwe'  an.  lex  steht  für  lef  und  ist  die  Auslautsform  für  lev-, 
aus  asl.  AkKÄ,  8lov.  lev  ,Löwe' ;  über  die  Plurale  auf  -»i  s.  Verf. 
Alb.  Stud.  I  103. 

rufte  ,Krieg'  EW.  250:  teft&fi  ,bemühe  mich,  versuchet 
titön  bringe'.  N. 

tutdk  ,Indigo'  N.  Diese  Bedeutung  gibt  auch  Legrand 
für  Xovhhu.  Es  ist  türk.  vsTvu)  leilak,  vgl.  Miklosich  Türk. 
Elemente  I  2,  17,  und  bedeutet  gewöhnlich  ,Flieder,  syringa 
vulgaris';  die  ursprüngliche  Bedeutung  aber  ist  ,Indigo'.  Miklo- 
sich a.  a.  0.  II  1,  77. 

tum  ,glttcklich'  EW.  250:  e  Turne  ,die  schwarzen  Blattern' 
(euphemistisch)  vgl.  ngr.  ßXoyti  =  vikofa- 

tum  alle  f.  EW.  251  ist  nach  N.  vielmehr  der  Knospenaus- 
schlag an  Bäumen  und  Sträuchern  =  ßläOTijfjta]  auch  Pedersen 
erklärt  es  mit  vltutdr.  Ist  das  Wort  lat.  limäcem  ,Schnecke', 
so  ist  das  auf  die  Aehnlichkeit  mit  solchen  zu  beziehen. 

lumbade  f,  ,Art  Kinderspiel,  =  djjwtöes'.  R.  20. 

luv  m.  ,Stange  zum  Abschlagen  von  Früchten'  N.  Aus 
gr.  Xoüqoq. 

tute  ,Leine'  EW.  251:  luride  f.  ,Streifen'  N.  =  XovQida. 

tutee  ,Schmutz'  EW.  251:  als  Adverb  ,nass,  triefend'  N., 
vgl.  eyeiva  Xoircaa  ,ich  bin  ganz  durchnässt  worden'. 

luver  m.  ,Hopfen'  N.,  auch  R.  19.  It.  lupolo]  ven.  *lo- 
volo  scheint  nicht  nachweisbar. 

luvt  f.  ,Hül8e'  N.;  aus  ngr.  lovßi  von  Xoßög. 

M. 

magazi  EW.  253:  gr.  auch  mayazL 

mafii  EW.  253:  mafiistrete  ,Zauberin',  auch  bei  Pedersen, 
durch  Vermischung  mit  fjukyiarQog.  mayo  ,Zauberer'  ist  itäyog, 
maj&pe  ,wahrsage'  fiayevw. 


Albanesische  Studien.  V.  95 

mag  tri  EW.  253:  majeriö  m.  ^ayeiqelov. 

maje  ,  Spitze'  EW.  255:  gr.  mak.  mbi  maXe  ,gegen' 
Fab.  67. 

makarunde  f.  pl.  ,maccheroni'.  R.  64. 

mala  ms  f.  ,Gold'  EW.  256:  auch  maläm  m. 

mamuzS  f.,  Demin.  mamuzeze  ,Männerschuhe,  Schuhe 
überhaupt*.  R.  35.  Jungg  hat  mammuzt  pl.  f.  für  ,Männerschuhe'. 
Türk.  ist  }>•+*  mahmuz  ,Sporn',  in  alle  Balkansprachen  über- 
gegangen (s.  Miklosich  Türk.  Elem.  unter  dem  Worte);  etwa 
*  fiaxpovtid  ,Schuhe  mit  Sporen'? 

mangari  era  ,der  Wind  hat  sich  gelegt'  R.  35.  It.  mancare. 

maride  f.  ;Art  Fisch',  gr.  uaglöa. 

maUurosem  ,  werde  unverhofft  reich'.  R.  36. 

mbdrturs,  mbe  te  mb.  /vergeblich'  Fab.  22.  EW.  35 
unter  bie. 

mber&6n  EW.  265,  griechisch  auch  vom  Coitus  der 
Thiere.  R. 

mborie    ,kann'.    mboretö   ^möglich'.     Aus    gr.   f/finÖQeaa 

f4,7lOQ€TÖg. 

mbret  , König'  EW.  266:  mbretopul  ,  Königssohn',  mit 
der  gr.  Deminutivendung  -izovko-. 

mbufon  EW.  267,  auch  iiWydfa.  Märch.  II. 

mekem  EW.  268:  mikure  ,halbtodt,  lahm'.  R. 

mesimiri  m    ,Mittag',  aus  fiearj^Qi. 

metani  EW.  270:  metanös  auch  griechisch  in  der  Be- 
deutung ,flir  einen  Todten  beten'. 

m  et  er  tili  m.  eine  Massbezeichnung,  jdas  halbe  Constan- 
tinopler  xoilö.  R.  37.  Stellt  ein  griech.  {AeTpYpxov  dar;  -Je  ist  alb. 
.Pluralform. 

meltSi  ,Leber'  EW.  271;  gr.  metSi,  und  zwar  heisst  hier 
melii  e  bar  da  ,  weisse  Leber'  ,Lunge',  wie  türk.  ak  diijer, 
serb.  dztgerica  bijela,  bulg.  bela  drob  u.  s.  w.  EW.  a.  a.  O. 

mengön  EW.  272:  gr.  menate,  ebenso  Pedersen,  nicht, 
wie  EW.  273  geschrieben  ist,  menate]  es  ist  me  nate. 

meni  ,Zorn'  EW.  273:  meret&h  ,mache  traurig',  meritur 
,verfeindet,  Feind'. 

midi  aus  gr.  pr^de.  Ebenso  mite  aus  gr.  nrjre. 

mi&o-a  f.  ,Fabel',  aus  [ivfrog. 


96  VII.  AbhADdlun*:    Meyer. 

mingo,  Bezeichnung  für  kleine  Kinder.  R.  38.  Aach  bei 
Pedersen.  Vgl.  venez.  minga  =  miga,  mica. 

miß  tri  EW.  280:  mistrls  ,bewerfe  ein  Haas  mit  Kalk' 
R.  102. 

mjers  ,anglücklich"  EW.  283:  gr.  miier*. 

molivis:  Seh  faret  —  sa  molivis.  ,siehst  du  etwas?' 
,einen  schwachen  Schimmer'.  R.  Offenbar  von  fioXvßt  ,Blei'. 

muüce  Plur.  m.  ,  Besitztümer',  auch  bei  Pedersen.  Aus 
türk.  t«£U  mülk,  milk  ,Eigenthum';  gr.  juovAxi. 

mundze  f.  EW.  289:  mundzure  f.  ,Schande'  =  pow- 
tooüqcc  a.  a.  O. 

munustriks  , schirre  ein  Pferd  aus';  munustrikssme 
kuelts,  nämlich  um  zu  sehen,  welches  dem  andern  zuvorkommt. 
R.  39.  Steckt  fiövog  und  tq^xw  darin? 

muri  ,Maulbeere'  EW.  291:  murendohem  /werde  wie  eine 
Maulbeere'. 

murk  ,dunkel'  EW.  292:  dazu  noch  murm  ,grau,  von 
Thieren ;  trüb,  vom  Weine'.  R.  39. 

muSUndß  f.  ,Art  dicker  Suppe  mit  Gemüse  und  Fleisch- 
stücken'; übertragen  von  einem  h  äs  suchen  Gesichte.  R.  39. 

mutzU  f.  ,chicane'  R.  40.  Wohl  zu  mut  EW.  294,  vgl. 
den  Satz  e  beri  müUlene,  pra  iku. 

N. 

nafklir  m.  ,Schiffsherr',  gr.  vavxXrjQOQ. 

name't.  ,Fluch'  EW.  297:  nsmdfi  ,fluche'. 

naskaris  ,ordne,  bereite  vor'  R.  33.  Weist  auf  ein  gr. 
*  dvaaxaQi^a) ,  das  entweder  ,auf  den  Rost  (axdQa)  legen'  oder 
,vom  Kiele  (ox<xqI)  aus  aufbauen  (ein  Schiff)'  bedeuten  würde. 

nats  Adv.  ,mit  den  Zähnen'.    R.  33.  101. 

ndar  ,arm,  unglücklich',  Partizip  von  ndafi  ,theile,  trenne' 
(EW.  58  unter  daj),  also  eig.  ,ausgestossen'.  In  S.  Marzano 
ist  nach  Bonaparte  ndare  gerade  umgekehrt  ,schön',  =  ,aus- 
erlesen'. 

ndara  de  Jenseits'.  Joh.  I  28.  Wird  ebenfalls  zu  ndan 
gehören. 

nder  ,Ehre'  EW.  298:  auch  als  Verbum  nder.  Fab.  56. 
nder  ja  f.  ,Ehre'  Fab.  27. 


AlbanesisclM  Studien.  V.  97 

ndjete,  ms  ndjete  ,mir  scheint'  Fab.  77.  me  ndihete 
Porös.  Vgl.  di  EW.  66.  Daneben  me  ndots  R.  92,  vielleicht 
ans  ndödkete,  ndo&te,  zn  ndo&  EW.  301. 

ndrok:  kiö  kafia  eUen  ndrok,  ,stösst'.  R.60.  It.  trotto  ,Trab'? 

neperke  ,  Viper'  EW.  303:  gr.  neperte. 

nes  EW.  203:  nestre  ,morgen'.    So  auch  bei  Pedersen. 

netarem  Märchen  III,  gr.  y€t6qü>  aus  it.  nettare.  Ngr. 
Stud.  IV  65. 

ngardamös  ,xap8afAov  ßXeicw';  u  ngardamös  von  Menschen 
und  Thieren  ,der  Kamm  ist  ihnen  geschwollen';  von  Pflanzen 
,sich  nach  dem  Begiessen  erholen'.    R.  68. 

ngatsrön  EW.  305:  dazu  ngat  ,krank'  in  Andros  (R.)? 

ngridem  ,bin  brünstig'  vom  Bocke,  ngridurs  f.  ,Bocks- 
gestahk'.  R.  66.  Kann  mit  slov.  grd}  grdeti  se  ,Ekel  em- 
pfinden', das  EW.  123  unter  gerdfo  genannt  ist,  urverwandt  sein: 
-ri-  =  vocalischem  r  des  Slavischen. 

nikokir  EW.  309:  nikottir$  bezeichnet  eine  Art  kleinen 
Nachtvogel. 

nuse  EW.  312:  nusszs  f.  ,kleiner  Abscess  in  der  Achsel- 
höhle'. R.  Zur  Etymologie  von  nuse  s.  Pedersen,  Bezzen- 
berger's  Beiträge  XIX  295. 

N. 

nerk  ,Stiefvater'EW.313:  nerke  f.  auch  ^kinderlose  Frau'  R. 

nokes  m.,  in  Spezzia  gokss  ,Teufel'  R.  34.  Eigentlich 
,  Verfolger':  iiofies  ist  =  nnokes  aus  ndjokes,  (fokes  =  (n)dokes} 
djokes.     Zu  djek  EW.  300  mit  Ablaut  o  =  idg.  e. 

O. 

ohtrö  m.  ,Feind':  gr.  6%TQ6g  aus  &%&Q6q. 

ore  ,Stunde'  EW.  315:  nore  ,schnell'  in  Athen.    R.  97. 

ortse  f.  ,Backbord':  it.  orza. 

ozi  Name  des  Parnes  in  Attika.   R.  82. 

P. 

pagua  ,Pfau'  EW.  318:  paydn  m.  aus  gr.  itayövi. 
pak  ,Friede'  EW.  318:  griechisch  auch  ,Liebe'. 
paZo-Aeri:  palo-  =  gr.  ttakiö-  aus   naXaiög  ist  ein   be- 
schimpfender Bestandtheil  des  Compositums.   S.  auch  Pedersen. 

SiUungBber.  d.  phü.-hiat.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  7.  Abh.  7 


98  VII.  AbkaodluBf :    Meyer. 

pambük  ,Baum  wolle'  EW.  320:  gr.  bumbdk. 

paniere  f.  ,Tuch  um  den  Backofen  auszukehren*  R.47.  Von 
gr.  itawi  aus  lat.  pannus;  vgl.  ndcvra,  ti&wkjxqov  ,Lappen  zum 
Ofenreinigen';  nawl^w ,  wische  den  Ofen  aus'. Verf.  Ngr.  Stud.IIIöl. 

papandie  f.  ,Frau  eines  nanäq1,  aus  gr.  jzajtadiä. 

para&ir  m.  ,Penster  EW.  322:  gr.  auch  para&ire  f. 
und  palidir  m. 

parakendi  überzählig'  R.  90. 

parafcilis  y7tctQcncvM(oc. 

pelietir  m.  /Taube'  EW.  326:  peUsteridn  m.  ,Tauben- 
schlag',  gr.  neQtaxeqeihv. 

pendle  »Aufschneider'  EW.  326:  auch  pen4k. 

pende  ,Peder;  Paar  Ochsen'  EW.  326:  pendes  m.  ,Bauer\ 

penie  ,lobe':  inalveaa. 

pep&8}  von  Kindern  gesagt:  mite  flet  mit*  pepet  ,es 
schläft  nicht  und  sagt  nicht  papp.     Ammenwort. 

perivöl  ,Garten'  EW.  328:  perivoldr  m.  ,Qärtner,  hsqi- 
ßolAgic*. 

pegere  ,unrein*  EW.  331;  dazu  gehört  das  auf  S.  332 
gestellte  pergone  f.  ,Abtritt',  sowie  gr.  e  perguame  ,Skrofeln' 
und  pergim  m.  ,Mist  von  Menschen,  Hunden  und  Katzen*.  R.  48. 

pelüm  /Taube'  EW.  331:  aus  pelvmbe  gr.  pumbe;  pvfn- 
beze  Name  eines  Spieles.    R.  50.  51. 

per  Präposition  EW.  332:  gr.  pre. 

perlande  f.  plur.  ^Brillanten'.  Aus  türk.  pirlantu  Türk. 
Stud.  I  36. 

perekdt  EW.  334:  perseWi,  perselön  /verbruhe'  R.  48. 

pertiphem  ,kaue',  vgl.  pertrüp  ,kaue'  bei  Kavalliotis 
Nr.  592  (Alb.  Stud.  IV.  83). 

perveUM  m.  ,Gerste  mit  Schweinefett',  pervelore  ,Schweine- 
fett  mit  Brot'.    R.  48.    Zu  vel  (s.  u.)? 

peskade  f.  ,Fischfang',  aus  ven.  pescada. 

p%  ,trinke'  EW.  336:  perpiix  , verschlinge'  R.  48. 

pi&  ,cunnus'  EW.  336:  pide-Marie  eine  zoologische  Be- 
zeichnung. R.  49.  pidi-vidi  in  Kinderspielen  =  Xoa-Xoa;  R.  49. 

pik  EW.  337:  pikeluar  ,bunt'  R.  50. 

pilura  EW.  337  auch  R.  104. 

pip  ,Sprosse  der  Pflanze'  EW.  338:  pipul  ,6X£pjJivo^ 
R.  49.    Hieher  auch  pipilis  ,esse  ganz  auf  R.  90  =  gr.  «ww- 


AlUaesUche  Studien.  V.  99 

A/£ft>  ,sauge',  vgl.  die  a.  a.  O.  genannten  Wörter   für   ,Pfeife, 
Röhre*. 

pisa  ,Hölle*  EW.  339:  gr.  pis  m. 

pisJcole  ,Pistole*  EW.  339:  gr.  piätoh 

plaz  ,berste*  EW.  344:  pldseh  ,lästig,   iwaxO^'.    R.  104. 

ptuhur  ,Staub*  EW.  346:  buhtir  m.  ,Spreustaub'  N. 

pofSr  ,ertrage*,  aus  bfcoyioio. 

pol  m.  ,Konstantinopel*,  aus  itöXig. 
,     politi  f.  ,Stadt*,  aus  itoXirsia. 

popul  ,Volk*  EW.  348:  populi  in  Hydra,  sonst  pipuli 
,  Volksmenge*,  populia  i$te  mbs  ksmbe. 

pragaTds  vom  Winde  ,sich  legen*.  R.  51.  pragaldsurs 
,  Weichheit,  Milde*  Fab.  39.  Präposition  prs-  und  äydli,  über 
welches  man  Ngr.  Stud.  IV  5  vergleiche. 

prah  ,ruhe  aus,  schlafe*  Fab.  5.  Bei  Jungg  me  prq 
,aufhören,  schweigen*,  praxi  ,sich  ruhig  verhalten*.  Beide  sind 
=  prvh  EW.  5  unter  qj. 

pramati  ,  Handel*,  auch  ,  Waren*,  pramatefti  , Kauf- 
mann* =  7tQafiarsvr^g.    prame  =  rzoafia  aus  TtQöty^ia. 

premeKür  EW.  352,  richtig  prs-  oder  permelcir.  Bugge 
183  denkt  an  lat.  proclamare. 

pres  ,erwarte*  EW.  352:  pa-prime  ,uner wartet*  Fab.  19. 

pretsönezs  f.  »Schnauze  eines  Gefosses*  R.  52. 

pre868  eine  Art  Speise,  in  Hydra.  R.  104.  Vgl.  pSeS 
EW.  355. 

prift  ,Priester*  EW.  353:  Fem.  gr.  prsftr&s.    ' 

prim  m.,  prime  f.  ,Vordertheil  des  Schiffes*:  aus  TtQVfxr] 
fiir  TtQipvi].    Ungenau  prüm  EW.  355. 

priön  m.  ,Säge*,  aus  noidvi. 

prjer  ,drehe  um*  EW.  354:  prejiir,  Aor.  prejora  Joh. 
II,  15,  meine  Etymologie  bestätigend. 

proke  f.  ,öabel*  EW.  354:  broke  ,kleiner  Nagel,  Schuh- 
nagel* N.  Vgl.  imQthux,  Tto&yxa  Ngr.  Stud.  IV  64.  Hieher  auch 
prongö  ,Holz,  welches  die  Pflugdeichsel  im  Ringe  festhält*.  R.  91. 

prosmul  m.  ,Nabelschnur*  R.  91. 

psaks  ,berühre*,  gr.  hpa^a  zu  tpccvto. 

psard  m.  ,Fischer*,  aus  rpaoäq. 

pseftri  m.  ,Lügner*,  gr.  tpevrr^g,  das  q  vom  Femininum 

7* 


100  VII.  Abhandlung:    Meyer. 

pser  von  kleinen  Kindern,  die  greinen,  wenn  sie  nicht 
einschlafen  können.    R.  91. 

pside  Lied  15? 

psoni8  ,kaufe  ein',  ans  ipwvvCo) y  agr.  dipa)viovy  von  Bipor 
und  d)v£o(xca. 

pu.le  ,Tupfen'  EW.  356,  in  Porös  puve. 

pupeJc,  pipeK  m.  , Milchkuchen'  R.  51.  Zu  pupe  EW.  358. 

puidfi  ,höre  auf  EW.  359:  auch  peSon  Fab.  80. 

putans  ,Hure'  EW*.  359:  putine  Fab.  5. 

R. 

rizikö  ,Gefahr'  EW.  367:  auch  rizilc  m. 

Ro&~di  m.  ,Rhodos'. 

ruS  ,Traube'  EW.  371:  ruS-kulc  heissen  die  Blüthen  des 
Judasbaumes  (cercis  liquastrum),  die  wie  Trauben  gestellt 
sind.  R.  86. 

reUed'em  ,schaure  vor  Kälte'  EW.  373:  nfod-  in  m  erde 
Ua  te  nge%hira  ja'  dwarrptyjaae;  m  erde  tsa  te  perJcS&ara  trirpiftf. 
R.  71.  Vgl.  ngi&ete  ^Kälteschauer'  Ped.  Wahrscheinlich  zu  der 
idg.  Wurzel  kert-  ,schneiden',  lit.  kertü  ,scharf  hauen',  asl. 
np^kcTH,  Hp&TaTH  ,incidere',  ai.  krntdti  ^schneidet,  spaltet',  gr. 
yteQT-ofiog  ,schneidend',  d-%eqae'%6^ii}g  ,mit  unabgeschnittenen 
Haaren',  lat.  curtus  ,verstümmelt\  Alb.  Ke&-  =  kert  mit  # 
wegen  des  dann  ausgefallenen  r. 

rem  ,falsch'  EW.  373:  riimeze  f.  ,Lüge'. 

S. 

8 alte  ,Sprung'  EW.  378:  saltart  f.  dass. 

savdn  .Leichentuch'  EW.  380:  savands  ,  wickle  in  ein 
Leichentuch' ;  gr.  aaßavüva). 

servitsia  f.  plur.  ,Arbeiten',  it.  servizio. 

sevddteze  ,verliebt'  EW.  382:  sevdd  ,Liebe'. 

s f  Hat  so  ,Art  Tau'  R.  87.  Ven.  sfilazzo  =  trinelle, 
Boerio  768  b. 

sinastrts:  avi&dd  si  sinastrisi,  t:^  <tuv&ts<js  xai  ß^pi**  w^N 
R.  26,  also  ,sieh,  wie  es  eingetroffen  ist',  gr.  * (TwaatQiCto. 
avvaüTqia  ist  im  späten  Griechisch  die  astrologische  Conjunction 


Albanische  Stadien.  V.  101 

der  Sterne ;  (rvvaarqito  ,habe  G-lück  mit  etwas',  navta  awaorqu 
,alles  schlägt  gut  aus'. 

skolids  f.  ,Handschuh  zum  Flachskrempeln'  R.  27.  Gr. 
axovU  ist  ,gekrämpelter  Flachs'  Korais  "ATaxia  IV  519  f. 

skularilc  m.  ,Ohrgehänge' ,  gr.  axovhxqUi  von  ayualrj^ 
,Wurm'. 

sUap  ,Ziegenbock'  EW.  387:  Plur.  tsdpjete  ',affectation' 
R.  92.  Vgl.  \irth.a  ,Caprice,  Laune'  Ngr.  Stud.  IV  59  von  it. 
becco  ,Bock'  und  frz.  caprice  von  caper. 

ßßepdr  ,Handbeil'  EW.  388:  8Jc€pdr&  ein  Vogelname, 
av£|AO")fflE|xtjc  ,Thurmfalke'  R. 

sKites  m.  ,Kamm'.  R.  27.  s-  =  lat.  diV;  Jcites  flir  Kid-tes 
zu  idg.  skheid-  ,spalte',  s.  o.  unter  Jcij. 

8orö  m.  ,Haufen',  aus  awQÖg. 

stavrodrdm  m.  griechische  Bezeichnung  des  Stadttheiles 
Pera  in  Konstantinopel,  aravoodoöiu. 

stolz  f.  ,Kleid,  Schmuck'  EW.  393:  stolis  ,schmücke',  auch 
bei  Jungg. 

strangalis,  in  Porös  zdrangalis  ,erdrossle'.  R.  Aus  gr. 
OTQayyaXlCw. 

suret  ,Porträt'  EW.  397:  sorete  Plur.  Joh.  II 15  als  Ueber- 
setzung  von  x€Q[Aa  ,Scheidemünze'. 

Ä 

San  ^verspotte'  EW.  399:  Sare  f.  ,Spott'. 

Mastis  ,erstaune'  EW.  400:  auch  SaHis,  was  türk.  SaSmalc 
genauer  entspricht. 

Sat  ,Karst'  EW.  400:  Plur.  Setemi. 

8$JE  ,Zeichen'  EW.  401 :  dazu  noch  äenk-gu  ,Schecke' 
(Pferd)  R.  29.  Segnes  m.  das  Denkmal  des  Philopappos  bei 
Athen.  R.  101.  8efia&-di  für  sendl  ,Zeichen',  Joh.  II  18,  aus  it. 
segnale. 

Seröü  ,heile,  kastriere'  EW.  405:  die  letzte  Bedeutung 
hat  auch  gr.  Sentifc  R.  88.  Vgl.  ausser  it.  sanare  in  diesem 
Sinne  auch  frz.  sener  ,kastrieren',  worüber  Behrens,  Zeitschrift 
für  romanische  Philologie  XIV  364  und  Meyer-Lübke  in  Voll- 
möllers Jahresbericht  I  116  handeln. 


102  VII.  AMMDdlmig:    Mayer. 

iervite  f.  »Kopftuch  der  Frauen'.  Athen.  Aas  gT.  otgßha 
und  dies  aas  frz.  serviette  (wonach  Ngr.  Stud.  IV  80  u.  d.  W. 
zu  verbessern  ist). 

Skemp  m.  EW.  408:  mbs  Skimp  oder  mbe  ikim  sagt  man 
vom  Anfüllen  eines  Glases  bis  zum  Rande,  R.  31;  eine  Be- 
deutung, die  wohl  von  dem  glatt  abfallenden  Felsen  am  Ufer 
übertragen  ist.1 

ikendefi  EW.  408:  ftir  ikendije  ,Funke*  gr.  SkendOe  R.  30. 

Skitiare:  i  Sklüare  neri  ,ein  hervorragender  Mensch* 
R.  31.  Zu  Uuan  »nenne'  EW.  142  unter  dem  Worte  guafi,  das 
also  gr.  kluan  lauten  wird.  Dies  dürfte  zu  der  idg.  Wurzel 
Ulu-  Jcleu-  gehören,  die  ja  auch  in  lit.  klausaä  ,ich  gehorche' 
einen  velaren  Guttural  zeigt. 

Skrap  m.  ,Skorpion*  EW.  409:  gr.  tiurk. 

Skr  eh,  Pass.  Skrihem  ,wälze  mich*  R.  96.  Zu  kreh  EW. 204. 

Skrete  ,einsam*  EW.  409:  Skreteri  f.  »Einsamkeit*. 

Skrif  ,hacke*  R.  88.    Ebenfalls  zu  kreh  EW.  204. 

Skekeza  EW.  410:  ganz  anders  erklärt  R.  88  das  laut- 
lich damit  genau  übereinstimmende  gr.  SkWcsze  als  tSe  prestns 
nde  Shop,  kur  Sendnene  le'imana,  also  der  Einschnitt,  die  Kerbe 
in  dem  Stamme  des  Citronenbaumes  beim  Verschneiden  des- 
selben. 

iKeper  »hinkend*  EW.  410:  gr.  iklepsr. 

8  ob  et  m.  »kunstloses,  selbstgemachtes  Lager*  R.  29. 

Sok  EW.  412  »Genosse':  griechisch  auch  SoUeri  Fab.  1 
neben  Soksri  »Genossenschaft*. 

Stek  »Haarscheitel*  E\V.  415:  StekelM  ,mache  (der  Braut) 
einen  Haarscheitel*.    R.  27. 

Stino  -a  ,  ixTpo)  jjt.a,  Frühgeburt';  dann  »Bezeichnung  eines 
hässlichen  Menschen*.  R.  30.  Zu  UM  EW.  419,  gr.  stij  (»an- 
klagen*), Pedersen  Stij ,  bei  Jungg  Sti  in  den  Bedeutungen 
»hineinstecken*  und  ,abortieren*. 

Hrat  EW.  417.  Für  , Eierstock*  lies  , Eiterstock'.  In 
Griechenland  bedeutet  das  Wort  auch  »Haut  auf  Flüssigkeiten1 
und  »Hütte  der  Feldhüter'  R.  30.  88. 

Strengön  EW.  418:  in  Spezzia  ist  Streite  »Spinne*  R.  30. 
Streitire  f.  »Geiz*. 

Strige  EW.  418:  in  Porös  bezeichnet  Hrik  m.»  Hrige, 
Strigezs  f.  ein  Kind»  das  beide  Eltern  verloren  hat.    R.  30. 


Albaaesisebe  Studien.  V.  103 

ätrin    , breite   aus'    EW.   418:    stros   Märchen    III    ist 

EGTQQfOa   VOn    (JTQIOVW. 

itrojere  f.  , windgeschützter  Ort'  R.  30.  Der  zweite  Theil 
ist  efe  ,Luft,  Wind'. 

T. 

tabako  ,Schnupftabak'  EW.  421:  tabakireze  Name  eines 
Thieres,  R.  59,  wohl  Deminutiv  von  gr.  xo^iTta^iiqaL  —  it. 
tabacchiera  ,Tabaksdose'. 

tajis  ,nähre'  EW.  422.  Die  dort  gegebene  Erklärung 
von  rayi£(o  ist  unrichtig,  das  Wort  ist  griechisch  und  kommt 
von  byz.  %ayi\  (von  zdooio)  , Pferderation'.  Vgl.  Verf.  Idg. 
Forsch.  II  442. 

takko  ,Schiffszwieback'  R.  33  unter  nom.  Zu  it.  taeca, 
tacco,  ngr.  uxxog,  vgl.  Ngr.  Stud.  IV  87. 

taks  EW.  422:  taksideps  ,reise'  aus  ra&devu). 

tartakulle:  Ute  bene  tartakulh,  ,er  ist  stark  betrunken' 
R.  58. 

tartshdm  m.  ,Schwätzer'  R.  92.  Der  zweite  Text  wahr- 
scheinlich zu  hä  ,esse'. 

tavh  EW.  425,  gr.  auch  tavh  ,Brett'  R.  58. 

temön  EW.  426  ,Steuerruder':   gr.  timön  aus  %i\l6»i. 

terböti  EW.  429:  trebeldfi,  trsbulön  ,trübe'.  Hieher  auch 
ms  trehpi  te  ftöhetite  je  suis  transi  de  froid'  R.  92. 

tigdn  m.  ,Pfanne'  EW.  430:  tigdnezs  Bezeichnung  eines 
Thieres  R.  59. 

traspör  m.  ,Ueberfahrt',  aus  frz.  transport. 

travaje  ,Widerwärtigkeit'  EW.  435:  dazu  travutds  be- 
laste' R.  60,  der  trabulds  schreibt;  indessen  ist  bei  ihm  nicht 
selten  v  und  b  vertauscht. 

trenguliti  von  dem  Geräusche,  das  entsteht,  wenn  man 
den  Rand  eines  Glases  mit  den  Fingern  reibt.   R.  60. 

trssifo  -a  nautischer  Ausdruck  =  sfilaUa  ndridure. 
R.  92. 

trim  ,tapfer'  EW.  437:  trimsrese  f.  ,Heldenthat'. 

trokakie]  mos  ms  trokaliis  Mrdets  ,greife  (oder  stosse) 
mir  nicht  an  die  Hoden',  d.  h.  ,hebe  dich  weg  von  mir'.  R.  98. 
Zu  trokM  ,trete'  bei  Kav.  (EW.  437)  ? 

trumbs  EW.  438:  gr.  auch  drombets  /Trompete'  N. 


104  VII.  Abhandlung:    Mey«r. 

tsingu-tsingu  von  sparsam  aufgetragenen  Speisen  nnd 
überhaupt  von  allem,  was  nur  spärlich  gegeben  wird.  R.  67. 
Vgl.  taingul  EW.  441. 

tsipe  ,Haut  der  Zwiebeln'  EW.  441:  Ute  fa  Uipa-vtriz 
,er  ist  ein  giftiger  Kerl'  R.  106. 

tsope  ,Stüek'  EW.  442:  griechisch  auch  ,Kanone'  R.  97; 
vgl.  ,Stückpforte'. 

tsukald  m.  ,Töpfer'  aus  raovyuzXäq. 

täihur  m.  ein  Pflanzenname,  ,helminthia  echioides'  R 
Serb.  Huxopa  ist  Cichorium  endivia'  Sulek  56. 

tSihle  f.  ,Drossel',  aus  ngr.  %ai%Xa  neben  %i%hx. 

t§obdn  m.  ,Hirt':  griechisch  auch  Uopdn. 

tSovö'i  »ungebildeter ,  bäurischer  Mensch'  R.  92.  Von 
serb.  Hoejen  ,Mensch'  in  pejorativem  Sinne? 

1 8 utdks  ,ducke  mich',  von  den  Küchlein  unter  der  Henne. 
R.  Aus  gr.  xoLTd^cj. 

tunt  EW.  452:  tunde-tunde  Adv.  ,hin  und  her  schau- 
kelnd'. 

turäs-zi  ein  Pflanzenname  ,61obularia  alypum'.  R.  Iden- 
tisch mit  dem  Mttnznamen  EW.  453?  oder  zu  tore  EW.  433, 
vgl.  globularia  ,Kugelblume'? 

utroidizem  ,gehe  im  Kreise  umher,  wie  die  Ziegen  vor 
dem  Stalle' ;  übertragen  ,bin  ungeduldig'.  R.  6. 

V. 

vafi  f.  ,Tinktur,  Farbe',  aus  gr.  ßaqrf. 

vat  f.  EW.  461;  auch  ,Palmenzweig'  N.,  nach  R.  98  ,la- 
vendula  stoechas'. 

vanjöl  m.  ,Evangelium' ,  aus  eiayyifoov*  Vgl.  ungil 
EW.  457. 

vapör  m.  ,Dampfschiff',  aus  ßcmdqi  =  it.  vapore. 

var  ,begrabe'.  varhem  , werde  begraben'.  Vgl.  EW.  37 
unter  bire.  Meine  etymologische  Verbindung  mit  diesem  Worte 
und  seiner  Sippe  ist  unhaltbar.  Vielleicht  gehört  var  zu  idg. 
ver-  ,umhüllen,  einschliessen,  schützen'. 

var 4s  , mache  Verdruss'  EW.  463  ist  auch  griechisch. 

var  gern  de  impotentia  ex  affectu  deprimente.  R. 


AltanMuehe  Studien.  Y.  105 

vasili  m.  »König'  (EW.  28  unrichtig  basilt):  ßaoikag. 
vasilise  f.  »Königin':  ßaoifaaaa.  vasili  f.  »Königreich':  ßaoiXeia. 
vasilb  m.  »Reich* :  ßaailstov.  vasileze  f.-  »eine  Art  Würfelspiel'  R. 

vaäe  f.  »Mädchen'  EW.  464:  gr.  vaizs  und  va$e. 

vavuVe  f.  ,Knospe'  N.  Ans  gr.  ßccßovh.  Ngr.  Stud.  III 12. 

vdes  »sterbe'  EW.  465:  vddkele  f.  ,Tod'.  Auch  bei  Pe- 
dersen. 

ve  »wehe'  N.  vemo  dass. 

vehndze  »Wolldecke'  EW.  465:  veUnze  N.  Zur  Ety- 
mologie vgl.  Ngr.  Stud.  II  17.  102.  III  81. 

virbere  »blind'  EW.  466:  griechisch  auch  derbere  N. 

verd  »gelb'  EW.  466:  mos  u  ver&  »flirchte  dich  nicht'. 
as  verdem  as  kulcem  »ich  kümmere  mich  nicht  darum',  verdesire 
f.  »Gelbsucht4.  N. 

veS  ,Ohr'  EW.  467:  vüeze  »orillon  de  charrue'  N.  ,druri 
me  tri  angona,  Ue  nera  hin  nds  pluar  e  te  dia  te  tjSrate 
mburöhene  bötene'.  R.  84. 

vejiii  »nütze»  gelte'  EW.  469:  gr.  vsfäti;  vettere  »kostbar'.  N. 

veld  »Bruder'  EW.  469:  griechisch  auch  vyä,  Plur.  vjezer. 

venir  »Galle'  EW.  470:  wer  oft  »betrübe'. 

vergär  »unverschnitten'  EW.  470:  bei  N.  vergär. 

verjjeri  ,Jungfrauschaft'  EW.  470:  vertfer  jungfräulich, 
ungebraucht»  rein»  keusch'.  N. 

vertut  m.  EW.  471:  vertut  »Kraft»  starker  Trieb  (von 
Pflanzen)';   kerne  vertu  drizate  »die  Bäume  wachsen  stark'.   N. 

vefäs  »schreie'  EW.  471:  gr.  bert6e}  bretäs. 

vsHön  »betrachte'  EW.  471:  griechisch  auch  ve&döfi. 

vge  »Aleppokiefer'  EW.  471:  vjene  f.  »Ceder,  Cypressen- 
Wachholder'  N. 

vi  f.  »Rinne'  EW.  471:  gr.  viu  m.  N.   R.  84. 

viasi  »Eile',  aus  ßiaaig.     Bei  Pedersen  vjas. 

vidre  f.  »Fischotter'  N.  Aus  ngr.  ßvdgcc  =  asl.  Eyj^fid. 
Ngr.  Stud.  II  20. 

vih  m.  »Wicke**  Heldreich,  vik  i  6§ere  »Vogelwicke'.  N. 
Aus  ngr.  ßlxog,  Augmentativ  von  ßixlov. 

vio  m.  »Vermögen'»  aus  gr.  ßlog. 

violi  f.  »Violine'  N.»  aus  gr.  ßioU. 

vje&  »stehle'  EW.  474:  vjedes  »diebisch'  N. 

vjel  »speie'  EW.  475:  vel  »verursache  Uebelkeit'  N. 

Sitiungsber.  d.  phil.-biit.  Cl.  CXXXIT.  Bd.  7.  Abb.  8 


106  VII.  Abhandlung:    lUyer.  ▲lbftowtscbe  Stadien.  V. 

vjet  ,halte  Weinlese'  EW.  475:  vjeSte  f.  ,Herbst'  N. 

vjer  ,hänge  auf*  EW.  475:  vjer  ni.  ,Galgenstrick'  N. 

vjer  m.  ,Schwiegervater'  EW.  475:  vjeheri  f.  ,das  gegen- 
seitige Verhältniss  der  beiderseitigen  Schwiegereltern'  N. 

vjet  ,Jahr'  EW.  475:  sivjem  theurig'  N. 

vlahinike  ,  Walachei'  EW.  476:  vlah  m.,  vlahe  f. 
,Walache,  Walachin'  N. 

vla8fim{8  ,lästere'  EW.  476:  vyastimü  ist  auch  griechisch. 

vodim  von  Melonen,  die  aussen  nicht  glänzen,  sondern 
rauh  wie  eine  Feile  sind.    R.  84. 

vot8  ,Kind'  EW.  477;  griechisch  auch  eine  Art  kleiner 
Fische,  R.  84. 

vris  m.  ,  Quelle';  aus  gr.  ßqvag. 

vrom(p8  ,stinke'  EW.  478:  vrome  f.  ,Gestank,  Unrath? 
Kehricht'  =  ßQwpa.  vram  m.  ,stinkender,  schmutziger  Mensch1 
=  ßQtofxog.  N. 

Z. 

zahar  m.  ,Zucker'  EW.  480:  Deminutiv  zdhartö. 

zamare  f.  ,Doppelflöte,  Zigeunerflöte'  N. 

zavatdr  EW.  481  :  zavome  auch  Ungeschicklichkeit, 
Albernheit'. 

zbruh  , verwittere'.    Athen.    R. 

zburk  m.  ,cyclamen  graecum*.    R. 

zeks  ,stinke,  rieche  nach  etwas'  N.  R.  32.  Lied  2.  Aus 
ete£a  filr  e^soa  =  ü^eact  zu  #£a>. 

zirbste  ,link'  EW.  483:  zu  lesen  ist  z£rvete.  Dazu  zer- 
viU  ,nach  links'. 

z§eS  ,kleide  aus',  s.  EW.  467  ve8. 

zjeti  EW.  485:  prsziän  ,treffe  zusammen'. 

zmigd&'di  m.  ,Mengkorn',  aus  gr.  (T^ydöi. 

zor  m.  ,der  innere  Hals,  Kehle,  Schlund',  ms  demp  zori 
,der  Hals  thut  mir  weh'.  N.  Besteht  Zusammenhang  mit 
zverlc  EW.  488? 

zuber  m.  ,Korkeiche,  Kork'  N.  Aus  it.  suvero.  z-  be- 
fremdet. 

& 

iikul  ,Gespenst'  R.  88. 


VIII.  Abhandlung:    Oblak.   M&cedoniscbe  Studien.  1 


vni. 

Maeedonisehe  Studien. 

Von 

Dr.  Vatroslav  Oblak. 

Die  slavischen  Dialecte  des  südlichen  und  nordwestlichen 

Macedoniens. 


Einleitung. 

1.  Das  Interesse  für  die  slavischen  Dialecte  Macedoniens 
ist  ebenso  alt  als  die  slavischen  Studien.  Schon  Dobrovsky 
und  Kopitar  interessirten  sich  lebhaft  für  die  Sprache  der 
slavischen  Bewohner  Macedoniens.  Auch  auf  diesem  Gebiete 
erwies  sich  Vuk  Karadzic  als  der  Mann  der  That.  In  seinem 
im  Jahre  1822  in  Wien  erschienenen  ^o^aTaK  k  caHKTneTepöyp- 
ckhm  cpaBHirreJbHHM  pjeiHHAHva  c  ocoöhthm  oraeAHMa  öyrapcKora 
jeSHKa  theilte  er  mehrere  maeedonisehe  Volkslieder  mit  und  ver- 
mittelte so  den  gelehrten  Kreisen  die  nothdürftigste  Eenntniss 
der  macedonischen  Dialecte.  Wenn  auch  seitdem  durch  die 
Veröffentlichung  von  Volksliedern,  Sagen  und  Märchen  das 
diabetische  Material  aus  Macedonien  bedeutend  angewachsen 
ist  und  wir  insbesondere  aus  der  allerneuesten  Zeit  in  dem  vom 
bulgarischen  Unterrichtsministerium  herausgegebenen  Sbornik 
ein  gewaltiges  dialectisches  Material  von  ähnlichen  Sprachproben 
aus  verschiedenen  Gegenden  Macedoniens  zusammengetragen 
finden,  unsere  Eenntniss  der  macedonischen  Dialecte  ist  doch 
noch  immer  ungenügend  und  sehr  oberflächlich.  Wenn  die- 
selbe nicht  in  gleicher  Weise  mit  dem  dialectischen  Material 
zugenommen  hat,  so  tragen  daran  hauptsächlich  zwei  Umstände 
die  Schuld.  Erstens  sind  die  veröffentlichten  Sprachproben 
zum  grossen  Theil  Volkslieder,  und  es  ist  bekannt,  dass  sich 
die   Sprache,   wie   sie  uns  in   den   Volksliedern   entgegentritt, 

Sitenngsber.  d.  pbil.-hist  Cl.  CXXXIV.  Bd.  8.  Abb.  1 


2  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

öfters  nicht  vollkommen  mit  der  gewöhnlichen  Umgangssprache 
deckt.  Dies  ist  besonders  in  Macedonien  der  Fall,  worauf 
schon  die  einheimischen  Beobachter  zu  wiederholtenmalen  hin- 
gewiesen haben;  vergl.  üCn.  XXXIV  431.  Deshalb  finden  wir 
in  den  neuesten  Pnblicationen  der  Volkslieder  aus  Macedonien 
öfters  Verweisungen  auf  die  entsprechende  Form  der  Umgangs- 
sprache. Schon  aus  diesem  Grunde  lässt  sich  aus  solchem  dia- 
betischen Material  kein  getreues  Bild  der  unverfälschten  Volks- 
sprache gewinnen.  Ein  bedeutenderes  Hinderniss  ist  zweitens 
die  unvollkommene  und  unconsequente  Orthographie  der  älteren 
Publicationen  und  auch  vieler  neueren  Texte;  sie  lässt  in  vielen 
Fällen  die  Aussprache  nur  errathen,  manchmal  auch  dies  nicht. 
Es  hat  sich  auch  herausgestellt;  dass  dies  in  neuerer  Zeit  aus 
Macedonien  so  reichhaltig  zuströmende  diabetische  Material 
nicht  ganz  genau  aufgezeichnet  ist;  dass  dabei  manche  dia- 
betische Eigenthümlichkeiten  und  Feinheiten  unberücksichtigt 
gelassen,  anderes  unrichtig  niedergeschrieben  wurde.  Es  ist 
kein  Wunder,  dass  dieses  grösstenteils  von  Volksschullehrern, 
Popen  und  Kaufleuten  gesammelte  Material  nicht  allen  unseren 
Anforderungen;  die  wir  bezüglich  der  Genauigkeit  und  Zu- 
verlässigkeit der  Aufzeichnungen  stellen  müssen;  entspricht. 
Ein  grosser  Theil  der  ehrenwerthen  Männer,  die,  vom  besten 
Willen  beseelt,  derartige  dialectische  Beiträge  in  der  Gestalt 
von  Volksliedern  und  Erzählungen  lieferten,  besitzen  nicht  die 
nöthige  Kenntniss  dazu  und  wissen  nicht,  worauf  es  alles  beim 
Aufzeichnen  diabetischer  Beiträge  ankommt.  Wer  sich  mit  dem 
Sammeln  diabetischer  Sprachproben  und  nicht  mit  einzelnen 
lautphysiologischen  Untersuchungen  abgegeben  hat,  weiss  wie 
mühsam  es  ist;  sich  beim  Niederschreiben  zusammenhängender 
Texte  von  jedem  Einfluss  der  Schriftsprache  freizuhalten,  und 
so  manche  Ungenauigkeiten  zu  vermeiden.  Nach  dieser  Seite 
befriedigen  nur  die  wenigsten  Sammlungen  folkloristischen  und 
dialectischen  Materials  aus  Macedonien.  Auf  diesen  unbewusten 
Einfluss  der  Schriftsprache  auf  die  dialectischen  Aufzeichnungen 
haben  die  dabei  in  erster  Linie  interessirten  Bulgaren  selbst 
aufmerksam  gemacht,  vergl.  C6M.  X  345  ff.  Selbst  die  Auf- 
zeichnungen eines  so  fleissigen  und  bewährten  Sammlers  wie 
Sapkarev  sind  nicht  ganz  zuverlässig  und  haben  manche  dia- 
lectische Eigenthümlichkeiten  verwischt,  ja  selbst  in  seinen  Mit- 


Macedonisohe  Stadien.  3 

theilungen  aas  seinem  Ochridaer  Heimatsdialect,  den  er  gewiss 
genau  kennen  muss,  hat  man  einige  Ungenanigkeiten  entdeckt 
(C6M.  XI  582  f.).  Viel  seltener  sind  bewusste  Aenderungen  zu 
Gunsten  der  Schriftsprache,  obwohl  man  auch  solche  bemerkt 
hat  (DCn.  XLI— XLII  863).  Es  ist  deshalb  erklärlich,  dass 
Professor  Jagi6  noch  unlängst  den  Wunsch  nach  gewissen- 
haftem Studium  der  macedonischen  Dialecte,  an  Ort  und  Stelle 
unternommen,  äusserte. 

An  einzelnen  Bemerkungen  über  verschiedene  macedo- 
nische  Dialecte  fehlt  es  nicht,  eine  eingehendere,  allen  Eigen- 
thümlichkeiten  Rechnung  tragende  Studie  irgend  eines  mace- 
donischen Dialectes  besitzen  wir  noch  nicht,  wenn  wir  von 
der  summarisch  gehaltenen  Zusammenstellung  der  phonetischen 
Eigentümlichkeiten  des  Dialectes  von  Stip  im  C6M.  XI.  ab- 
sehen. Daran  sind  die  in  Macedonien  herrschenden  Verhältnisse 
Schuld.  Einheimische  Gelehrte,  die  vor  allem  zu  solchen  Studien 
berufen  wären,  gab  es  bis  in  die  neueste  Zeit  nicht,  fremden 
Gelehrten  sind  durch  die  dortigen  Verhältnisse  diabetische 
Studien  fast  unmöglich  gemacht.  Wenn  man  sich  um  griechische 
oder  gar  walachische  Dialecte  Macedoniens  interessirt,  so  geht 
es  noch  an,  aber  man  hüte  sich  bei  Leibe  ein  grösseres  Inter- 
esse für  bulgarische  Dialecte  zu  zeigen.  Auf  die  slavische 
Bevölkerung  und  ihre  Regungen  hat  man  ein  wachsames  Auge, 
ein  intensiver  Verkehr  mit  den  bulgarischen  Bauern,  Lehrern 
und  Popen  ruft  sofort  das  ärgste  Misstrauen  hervor  und  bringt 
diabetische  Studienreisen  zum  unfreiwilligen  Abschluss.  Die 
nächste  Zukunft  wird  uns  deshalb  wohl  kaum  slavische  dia- 
lectische Studien  aus  Macedonien  bringen,  wenn  sich  nicht  ein- 
heimische berufene  und  vollkommen  objeetive  Gelehrte  finden, 
die  uns  die  Kenntniss  der  macedonischen  Dialecte  erschliessen. 

Die  slavischen  Dialecte  Macedoniens  sind  in  mehrfacher 

Hinsicht  für  die  slavische  Philologie  von  besonderem  Interesse. 

Vor  allem  sind  sie  ausschlaggebend  bei  der  Frage   nach  der 

Heimat  des  Altkirchen  slavischen.     Ohne  genaue  Kenntniss  der 

südmacedonischen  Dialecte,  besonders  des  Dialectes,  der  in  der 

Umgebung  von  Salonichi  gesprochen  wird,    ist  die  endgiltige 

Lösung  der  altslovenischen  Frage  unmöglich.    In  neuester  Zeit 

steht  betreffs  der  macedonischen  Dialecte  besonders  ihr  Ver- 

hältniss   zur   bulgarischen   und  serbokroatischen  Dialectgruppe 

l* 


4  VIU.  Abhandlung:    ObUk. 

im  Vordergründe  des  Interesses.  Es  handelt  sich  um  die  in 
letzter  Zeit  viel  umstrittene  Frage,  ob  die  slavischen  Bewohner 
Macedoniens  zu  den  Bulgaren  oder  Serben  gehören.  Vom 
philologischen  Standpunkt  ist  die  Frage  so  zu  stellen:  befür- 
wortet die  Mehrzahl  der  charakteristischen  Eigentümlichkeiten 
der  verschiedenen  makedonischen  Dialecte  einen  engeren  Zu- 
sammenhang  derselben  mit  der  bulgarischen  oder  serbokroa- 
tischen Dialectgruppe?  Ob  sich  die  Bewohner  als  Bulgaren 
oder  Serben  fühlen,  das  mögen  sie  selbst  entscheiden,  das  zu 
untersuchen  ist  nicht  Sache  der  slavischen  Philologie. 

2.  Während  meines  mehrmonatlichen  Aufenthaltes  zu  Ende 
des  Jahres  1891  und  zu  Anfang  des  Jahres  1892  hatte  ich 
Gelegenheit  einige  macedonische  Dialecte  genauer  kennen  zu 
lernen.  Es  sind  dies  die  Dialecte  von  Suho,  der  Debradialect 
von  Galiönik,  Kiene  und  Oboki  und  der  Dialect  der  nördlichen 
Umgebung  von  Salonichi  und  zwar  der  Dörfer  Novo  selo, 
Grdabor,  Bugarie  vo,  Vatitak  und  Vardarovci.  Im  Folgenden 
theile  ich  die  Resultate  meiner  Studien  mit. 

In  Salonichi  lernte  ich  einen  jüngeren  Handwerker  aus 
Suho  kennen,  der  sich  erst  etwas  über  ein  Jahr  daselbst  auf- 
hielt. Vorher  hatte  er  auf  längere  Zeit  sein  Heimatsdorf  nicht 
verlassen.  Eine  bulgarische  Volksschule  hatte  er  nicht  besucht, 
bulgarisch  lesen  und  schreiben  konnte  er  nicht,  die  bulgarische 
Schriftsprache  war  ihm  unbekannt.  Er  sprach  seinen  Heimats- 
dialect  rein  und  ausserdem  auch  den  griechischen  Dialect,  wie 
er  in  Suho  gesprochen  wird. 

Auch  mit  dem  Debradialect  von  Galiänik  wurde  ich  in 
Salonichi  bekannt.  Mein  Gewährsmann  war  ein  vermögender 
Bauer  und  Herdenbesitzer  aus  Galiänik,  der  mit  seinen  Schaf- 
herden in  der  nächsten  Nähe  von  Salonichi  zu  überwintern 
pflegt.  Da  er  schon  durch  eine  Reihe  von  Jahren  den  Winter 
in  Salonichi  zubringt,  so  war  es  mir  trotz  seiner  Versicherung 
einigermassen  fraglich,  ob  er  den  Dialect  seines  Heimatsdorfes 
vollkommen  rein  und  frei  von  fremden  Elementen  spreche.  Ich 
machte  deshalb  in  seiner  Gesellschaft  einen  Ausflug  zu  seinen 
Hirten  südöstlich  von  Salonichi  und  hielt  mich  bei  denselben 
einen  Tag  auf,  um  meine  Aufzeichnungen  zu  controliren  und 
zu  vervollständigen.  Von  denselben  hatten  allerdings  einige 
schon  öfters  den  Winter  fern  von  ihrer  Heimat  bei  Salonichi 


Macedoniscfce  Studien.  O 

zugebracht,  aber  unter  ihnen  gab  es  auch  zwei  Burschen  aus 
Galicnik,  die  jetzt  zum  erstenmal  ihre  Heimat  verlassen 
hatten.  Mit  ihrer  Hilfe  konnte  ich  mich  überzeugen,  dass 
mein  Gewährsmann  den  Dialect  von  Galicnik  noch  voll- 
kommen unverfälscht  spreche.  Meine  Mittheilungen  über  diesen 
Dialect  beruhen  demnach  auf  den  Aufzeichnungen  nach  der 
Sprache  meines  erwähnten  Gewährsmannes  und  auf  jenen,  die 
ich  bei  Hirten  machte.  Diese  Aufzeichnungen  wurden  zum 
Theil  in  meiner  Wohnung  in  Salonichi,  theils  in  der  Hütte 
der  Hirten  gemacht,  wo  ich  in  vollster  Ruhe  und  unbehindert 
meine  volle  Aufmerksamkeit  der  Sprache  des  Redenden  zu- 
wenden konnte. 

In  Salonichi  lernte  ich  einen  etwa  9 — 10jährigen  Knaben 
aus  dem  Debradorfe  Kiene  kennen.  Derselbe  hatte  erst  vor 
einigen  Monaten  seine  Heimat  verlassen  und  besuchte  in  Salo- 
nichi durch  zwei  Monate  die  bulgarische  Volksschule.  Die 
Schule  konnte  demnach  noch  nicht  modificirend  auf  seinen  Dia- 
lect eingewirkt  haben.  Man  sieht  es  auch  seiner  Sprache  an, 
dass  sie  durchaus  aus  einem  einheitlichen  Gusse  ist. 

Die  Aufzeichnungen  aus  dem  Debradialect  von  Oboki 
sind  nach  der  Sprache  eines  etwa  55jährigen  Arbeiters  in  Salo- 
nichi gemacht.  Derselbe  versicherte  mich  zwar  zu  wieder- 
holtenmalen  hoch  und  theuer,  dass  er  jetzt  zum  erstenmale 
seine  bergige  Heimat  verlassen  und  früher  niemals  Salonichi 
gesehen  habe.  Doch  schon  am  ersten  Abend  wurde  mir  seine 
Sprache  verdächtig  und  es  stellte  sich  in  der  That  heraus,  dass 
der  Mann  schon'  durch  etwa  17  Jahre  auf  längere  Zeit  seine 
Heimat  zu  verlassen  pflegte,  um  in  verschiedenen  Gegenden 
Macedoniens,  hauptsächlich  in  Salonichi  seinem  Erwerbe  nach- 
zugehen. Deshalb  sind  in  seiner  Sprache  auch  manche  Dou- 
bletten  und  Unconsequenzen ,  die  sich  durch  den  Einfluss 
anderer  bulgarischer  Dialecte  erklären.  Ich  habe  trotzdem  seine 
Sprache  in  meine  Studie  aufgenommen,  um  an  einem  Beispiel 
die  in  Macedonien  so  häufige  Dialectmischung  zu  zeigen. 

Ich  hatte  vor,  meine  dialectischen  Aufzeichnungen  der  bei- 
den erwähnten  Dialecte  von  Suho  und  Debra  in  den  betreffenden 
Dörfern  selbst  zu  ergänzen  und  zu  vervollständigen.  Wegen 
des  plötzlichen  Abbruches  meiner  Studienreise  musste  ich  meine 
Absicht  aufgeben. 


5  VIII.  Abhudlnn«:    ObUk. 

Den  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi 
studirte  ich  an  Ort  und  Stelle,  in  den  Dörfern  selbst  Ich 
hielt  mich  dabei  möglichst  an  die  Sprache  der  Frauen,  und 
zwar  gewöhnlich  etwas  älterer  Frauen,  denn  dieselben  haben, 
da  sie  im  Gegensatz  zu  den  Männern  nur  selten  und  niemals 
auf  längere  Zeit  ihr  Heimatsdorf  verlassen,  am  reinsten  den 
Ortsdialect  bewahrt.  Vorher  erkundigte  ich  mich  jedesmal 
eingehend,  ob  die  betreffende  Person  auch  aus  demselben  Orte 
stamme,  ob  sie  irgend  eine  Schule  besucht  habe,  des  Lesens 
oder  Schreibens  kundig  wäre  oder  längere  Zeit  ausserhalb  des 
Ortes  zugebracht  hätte,  und  ob  nicht  ihr  Mann  aus  einem 
anderen  Orte  zugewandert  wäre.  Erst  nachdem  ich  mich  so 
von  ihrer  ,Autochthonität'  und  unverfälschten  Reinheit  ihrer 
Sprache  überzeugt  hatte,  legte  ich  ihre  Sprache  meinen  Auf- 
zeichnungen zu  Grunde. 

In  Novo  selo  waren  es  hauptsächlich  zwei  ältere  und 
eine  jüngere  Frau  und  ein  älterer  Mann,  nach  deren  Sprache 
ich  meine  Aufzeichnungen  machte.  Die  junge  Frau  hatte  aus 
dem  etwa  eine  halbe  Stunde  entfernten  Dorfe  Dudbxl  nach  Ns. 
geheiratet.  Ich  habe  es  leider  unterlassen  in  meinen  Notizen 
anzumerken,  welche  Aufzeichnungen  auf  ihrer  Sprache  be- 
ruhen. Viele  sind  es  nicht  und  auch  die  diabetischen  Unter- 
schiede sind  ganz  minimal.  In  Grdabor,  wo  ich  mich  nur 
kurze  Zeit  aufhielt,  machte  ich  meine  Notizen  nach  der  Sprache 
einiger  Männer.  Im  nächsten  Dorfe  Bugarievo  studirte  ich  die 
Mundart  mit  Hilfe  einiger  Männer  und  einer  Frau.  Die  dia- 
betischen Aufzeichnungen  aus  Vatiltk  beruhen  auf  der  Sprache 
zweier  Männer  und  einer  Frau.  Im  letzten  Dorfe  Vardarovci 
war  es  hauptsächlich  ein  altes  Mütterchen  und  ihr  etwa  zwanzig- 
jähriger Sohn,  nach  deren  Sprache  ich  meine  Aufzeichnungen 
niederschrieb. 

3.  In  allen  diesen  Dörfern  mit  Ausnahme  von  Grdabor 
machte  ich  meine  Aufzeichnungen  in  aller  Ruhe  und,  ungestört 
vom  Lärm  und  Getriebe  eines  Han,  in  den  Wohnhäusern  und 
Hütten.  War  mir  die  Aussprache  eines  Lautes  nicht  ganz  klar 
und  sicher,  so  wusste  ich  es  so  einzurichten,  dass  ich  den- 
selben Laut  öfters  hörte.  Um  in  zweifelhaften  Fällen  sicher 
zu  gehen,  wollte  ich  den  betreffenden  Laut  von  verschiedenen 
Leuten  und   zu  verschiedenen  Zeiten   hören,   denn  bekannter 


Mocedonische  Stadien.  7 

Blassen  ist  der  akustische  Eindruck  desselben  Lautes  nicht 
immer  gleichartig,  wie  er  auch  vom  Sprechenden  nicht  immer 
in  ganz  gleicher  Weise  gesprochen  wird.  Meine  besondere 
Aufmerksamkeit  richtete  ich  dabei  auf  die  viel  umstrittenen 
Laute  c,  d  —  #,  tj.  Es  kam  mir  vorzugsweise  auf  die  laut- 
lichen Eigentümlichkeiten  der  Sprache  an ,  denn  den  ge- 
sammten  Formenbestand  eines  Dialectes  kann  ein  Fremder 
selbst  bei  längerem  Aufenthalt  nicht  überblicken;  nach  dieser 
Seite  sind  die  Studien  fremder  Forscher  lückenhaft ,  Voll- 
ständigkeit kann  darin  nur  von  Einheimischen  erwartet  werden. 
Wenn  meine  Aufzeichnungen  hie  und  da  mit  jenen  der  ein- 
heimischen Sammler  nicht  ganz  übereinstimmen,  so  mag  dies 
theilweise  auch  darauf  beruhen,  dass  wir  zwar  dieselben  Laute 
hörten,  aber  bei  unserem  etwas  verschiedenartig  gearteten  Laut- 
system denselben  in  ihrem  Verhältniss  zu  anderen  Lauten  nicht 
denselben  Platz  anwiesen.  Manche  scheinbare  Unregelmässig- 
keit und  Unconsequenz  liess  ich  bestehen,  ich  durfte  nicht 
unserer  Theorie  zu  Liebe  die  Sprache  in  die  Zwangsjacke 
nicht  vorhandener  Regelmässigkeit  einzwängen.  Ueberall,  wo 
ich  im  Fluss  der  Rede  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene 
Formen  zu  hören  glaubte,  liess  ich  sie  unangetastet.  Dass  ich 
auch  solche  Erscheinungen,  die  kein  besonderes  Interesse  bieten, 
öfters  durch  eine  grössere  Zahl  von  Beispielen  belegt  habe, 
glaube  ich  bei  Dialecten,  deren  Studium,  wie  mehrere  Bei- 
spiele aus  letzter  Zeit  gezeigt  haben,  nicht  immer  glatt  ver- 
laufen, nicht  erst  entschuldigen  zu  müssen. 

4.  Nun  noch  einige  topographische  Bemerkungen. 

Suhö  ist  ein  grösseres  Dorf  und  liegt  ungefähr  in  der 
Mitte  zwischen  Salonichi  und  Serres,  etwa  acht  Stunden  von 
ersterem  entfernt,  rechts  von  der  Strasse  im  Gebirge.  Auf 
der  österreichischen  Karte  ist  es  als  Suchos  (Sucha)  eingetragen. 
Neben  Bulgaren  wird*  es  auch  von  Türken  bewohnt,  von  den 
ersteren  sind  viele  auf  dem  Wege  gräcisirt  zu  werden. 

Novo  selo  (Ns.)  ist  ein  rein  bulgarisches  Dorf,  zweieinhalb 
Stunden  nordwestlich  von  Salonichi.  Nur  eine  halbe  Stunde  in 
nordwestlicher  Richtung  davon  entfernt  ist  Grdabor  (Gr.),  wie 
den  Namen  die  Dorfbewohner  selbst  aussprechen,  die  Bulgaren 
schreiben  Gradobor.  In  einer  Entfernung  von.  ungefähr  zwei 
Stunden  liegt  nordwestlich   davon  das  Dorf  Bugarlevo  (Bug.) 


8  VIII.  Abhandlung:    OMak. 

und  in  gleicher  Entfernung  von  diesem  in  südwestlicher  Rich- 
tung Vatitak  (Vat.).  Drei  Stunden  von  Vatitak  in  nordwest- 
licher Richtung  ist  das  Dorf  Vardarovce  (Var.),  ausgesprochen 
Vardarofcc,  am  linken  Vardarufer. 

Die  Dörfer  Galiönik  (Gal.),  Kleric  (Kl.)  und  Oboki  (Oh.\ 
von  denen  das  erstere  das  bedeutendste  ist,  sind  im  Debra- 
gebiet  nördlich  von  Ochrida. 

Der  zweite  Theil  meiner  macedonischen  Studien  wird  die 
Erklärung  der  bedeutendsten  Lautprocesse,  die  Besprechung 
der  Stellung  der  hier  behandelten  Dialecte  zu  den  übrigen 
macedonischen  Dialecten  und  das  Verhältniss  der  letzteren  zur 
bulgarischen  und  serbokroatischen  Dialectgruppe  enthalten. 


Kurze  Beschreibung  der  Laute  und  Ueberslcht  des 
phonetischen  Werthes  der  Buchstaben. 

Vooale. 

5.  Die  Vocale  a,  ey  i,  o,  u  bedürfen  keiner  näheren  Er- 
klärung. Ihre  Aussprache  ist  die  im  Serbokroatischen  übliche. 
Nur  bezüglich  des  e  und  o  ist  zu  bemerken,  dass  damit  ein 
mittleres  e  und  o  bezeichnet  wird  oder  geradezu  alle  voca- 
lischen  Nuancen  zwischen  e  und  i  einerseits  und  zwischen  u 
und  breitem  o  anderseits,  vergl.  §.  38  Anm. 

e  ist  ein  breites  e}  zwischen  e  und  a  liegend. 

ä  ist  ein  sehr  breites  e,  das  sich  schon  stark  dem  a 
nähert. 

ü  bezeichnet  ein  etwas  nach  o  hinneigendes  u,  also  einen 
Laut,  der  zwischen  o  und  u  stehend,  sich  bereits  dem  letzteren 
stark  nähert.  Bei  schneller  Sprache  ist  ü  fast  nicht  vom  kurzen 
u  zu  unterscheiden. 

i  ein  gegen  e  verschobenes  i.  Es  steht  in  demselben  Ver- 
hältniss zu  i,  wie  ü  zu  u.  Bei  schneller  Aussprache  fiel  es  für 
mein  Ohr  fast  mit  i  zusammen. 

?j  — >  der  trübe,  dumpfe  Vocal,  den  ich  gewöhnlich  mit  dem 
Ausdruck  ,Halbvocal'  bezeichne.  Es  ist  ein  Mittelzungenvocal 
(gemischter  Vocal,  mixed,  vergl.  Storm,  Engl.  Phil.8  300.  327), 
über  dessen  Aussprache  vergl.  §  7  Anm.  ' 


Macedonische  8tudien.  y 

p,  0,  g  sind  einigermassen  reducirte  a-,  e-,  o-Vocale  mit 
etwas  dumpfer  und  trüber  Aussprache,  wodurch  sie  sich  schon 
dem  h  nähern. 

g  ist  ein  kurzes,  nicht  ganz  ausgeprägtes,  etwas  dumpf 
klingendes  a. 

§  ist  ein  kurzer  e-artiger  dumpfer  Laut,  ein  Halbvocal 
mit  offener  e-Basis. 

g  ist  ein  kurzes  etwas  dumpfes  o,  das  nicht  bei  gewöhnlicher 
Lippenstellung  des  o  gebildet  wird,  die  Lippen  sind  etwas  mehr 
vorgeschoben,   die  Oeflhung  ist  runder  und  kleiner  als  bei  o. 

9  ist  ein  etwas  reducirtes  e  von  geringer  Intensität,  ähn- 
lich dem  deutschen  e  in  ,Gabe'.  Es  unterscheidet  sich  von  §  nur 
wenig  und  zwar  dadurch,  dass  es  weniger  dumpf  (trübe)  klingt 
und  ein  engerer  Laut  als  §  ist. 

Kleine  Buchstaben,  die  nur  in  Verbindung  mit  anderen 
Vocalen  erscheinen,  bezeichnen  einen  sehr  schwachen  Eindruck 
des  betreffenden  Lautes,  der  gewöhnlich  sehr  kurz  ist.  Z.  B. 
'«,  e\  Niemals  wird  aber  dadurch  eine  Modification  der  Aus- 
sprache jenes  Lautes  bezeichnet,  dessen  Exponent  der  kleine 
Buchstabe  ist.  Ein  le  drückt  daher  niemals  enges  e  oder  einen 
e-Laut  aus,  der  sich  im  ersten  Theile  stark  dem  i  nähert.  Buch- 
stabenverbindungen grosser  Buchstaben  mit  kleinen  bezeichnen 
demnach  keine  einheitlichen  Laute. 

Das  Kürzezeichen  über  den  Vocalen,  z.  B.  I,  m,  wird  ver- 
wendet, um  eine  auffallende  Kürze  anzudeuten. 

Consonanten. 

6.  Die  Consonanten  b,  c,  £,  d9  f,  g,  ä,  j}  &,  ly  m,  n,  p,  r, 
8,  s,  ty  v,  z,  £  haben  die  in  den  südslavischen  Sprachen  be- 
kannte Aussprache. 

v  ist  der  dentolabiale  Spirant. 

w  ist  die  labiolabiale  (bilabiale)  Abart  des  Spiranten.  In 
einigen  Dialecten  nähert  sich  die  Aussprache  des  w  schon  stark 
dem  vocalischen  u,  in  solchen  Fällen  schreibe  ich:  u. 

I  ist  ein  mittleres  Z,  wie  im  Slovenischen,  Serbokroatischen 
und  Böhmischen. 

/  —  gutturales  (hartes)  Z,  das  besonders  den  russischen 
und  polnischen  Dialecten  bekannt  ist. 


10  Yin.  Abhandlung    ObUk. 

Es  klingt  etwas  weniger  guttural  (hart)  als  im  Russischen. 

I  —  ein  nur  im  geringen  Grade  hartes  (gutturales)  l,  das 
sich  schon  dem  mittleren  l  nähert. 

I  —  palatales  (mouillirtes)  l,  im  Serbischen  mit  Jb  be- 
zeichnet. 

fi  —  palatales  (mouillirtes)  w,  serbisches  h>. 

6  —  ungefähr  serbisches  Ä.  Näheres  über  die  Aussprache 
dieses  Lautes  und  des  dy  sowie  des  Jcy  g,  vergl.  beim  Reflexe 
des  urslav.  tj,  dj  und  im  Archiv  XVII  452. 

d  —  der  stimmhafte  Consonant  zu  6}  etwa  serb.  ß. 

K  —  ein  Explosivlaut,  der  sich  nur  ganz  unbedeutend 
durch  ein  geringeres  fricatives  Element  von  6  unterscheidet; 
vergl.  darüber  bei  den  Reflexen  des  urslav.  tj.  dj  und  Archiv 
XVII  452. 

(]  —  der  stimmhafte  Explosivlaut  zum  tonlosen  Je. 

Je  —  ein  palatales  (mouillirtes)  fc,  wohl  zu  unterscheiden 
von  Je,  denn  Je  ist  ein  weiches  k  ohne  fricativen  Ansatz. 

$m —  palatales  g,  das  gleichfalls  ein  reines  g  und  der 
stimmhafte  Laut  zu  Je  ist. 

Z  —  stimmhaftes  c. 

Die  palatale  (,weiche')  Aussprache  der  Consonanten  ist, 
wie  Je  und  §  zeigen,  durch  einen  Acut  bezeichnet,  z.  B.  f,  d7  c. 
Dabei  ist  nur  zu  beachten,  dass  c  kein  palatales  c,  sondern 
ungefähr  der  im  Serbischen  bekannte  Laut  Ä  ist.  Der  Grad 
der  Palatalität  ist  in  den  Dialecten  nicht  gleich. 

Kleine  Buchstaben  z.  B.  *  bezeichnen  einen  sehr  schwachen 
Eindruck  des  betreffenden  Consonanten  auf  das  Ohr.  Am  häu- 
figsten wird  i  vor  Vocalen  im  Silbenanlaut  angewendet,  wo  es 
oft  schwer  zu  entscheiden  ist,  ob  vor  dem  Vocale  j  vorhanden 
ist  oder  nicht,  ob  z.  B.  igra  oder  Hgra  gesprochen  wird. 


I 


>  sind  silbenbildende,  sonantische 


r 
l 
ii 
m 


Oefters  lässt  sich  im  Fluss  der  Rede  nicht  bestimmen,  ob 
vor  diesen  Sonoren  ein  halbvocaliscb.es  Element  auftritt;  rund 
vr  sind  sowohl  im  Bulgarischen  als  Slovenischen  schwer  aus- 
einander zu  halten. 


HacadoDiache  Studien.  11 


Lautlehre. 

~Vo  calismus. 
Halbvocale. 

A.  Dialect  von  Suho. 

7.  Die  beiden  altbulg.  Halbvocale  t>,  ^  entwickelten  sich 
im  Dialect  von  Suho  zu  1.  e,  o,  2.  a,  3*  q,,  4.  gänzliche  Ab- 
sorption. 

Anm.  Die  Klangfarbe  des  Halbvocals  in  den  mace- 
donischen  und  bulgarischen  Dialecten  ist  ebensowenig  über- 
all dieselbe,  wie  z.  B.  die  der  Reductionsvocale  in  unter  sich 
nahe  verwandten  deutschen  Dialecten  (vergl.  Kauffmann, 
Gesch.  der  schwäb.  Mundart  S.  7).  Für  das  Bulgarische 
wurde  dies  schon  von  Drinov  hervorgehoben  (Archiv  V, 
370,  vergl.  Archiv  XVI,  184  f.).  Man  kann  in  den  mace- 
donischen  und  bulgarischen  Dialecten  hauptsächlich  drei 
Klangfarben  der  Halbvocale  unterscheiden.  1.  Halbvocal 
mit  der  a-Basis.  Die  Zungenarticulation  ist  die  des  a,  nur 
mit  stärkerer  Zurückziehung  und  Hebung  der  Zunge  und 
Senkung  des  Kehlkopfes.  Die  Lippenöffnung  ist  die  von  u 
(vergl.  Conev  55  f.,  Archiv  XVI,  154,  184).  Diese  laut- 
physiologische Natur  haben  die  Halbvocale  vorzugsweise 
in  den  ostbulgarischen  Dialecten  (M.  Ivanov  IlCn.  XLV, 
S.  408  f.).  2.  Halbvocal  mit  der  o-Basis,  sonst  aber  in 
gleicher  Weise  gebildet  wie  der  vorige.  Diese  Klang- 
farbe hat  der  Halbvocal  im  Dialecte  der  nördlichen  Um- 
gebung von  Salonichi.  3.  Mit  der  e-Basis  im  Dialect  von 
Suho  (vergl.  eine  ähnliche  Aussprache  der  Halbvocale  in 
mehreren  slovenischen  Dialecten).  Eine  noch  ausgeprägtere 
6-Klangfarbe  hat  wahrscheinlich  der  von  Vasiljov  IlCn. 
VI,  148 — 150  beschriebene  Laut,  der  im  Dialect  von 
Teteven  und  Umgebung  flir  bulg.  i  gesprochen  wird.  Es 
scheint  geradezu  das  albanesische  §  zu  sein,  und  es  ist 
in  dieser  lautlichen  Modification  des  ^  ein  Einfluss  des 
benachbarten  Albanesischen  mit  seinem  §  zu  sehen,  das 
bis  in  diese  Gegenden  reicht  (Archiv  XVI,  184),  wie 
umgekehrt  die  Aussprache  des  A',   g  als   <?,  d  im  alba- 


12  VIII.  AMMDdluif :     ObUk 

nesischen  Dialect  von  Skodra  auf  den  Einfluss  des  be- 
nachbarten serbischen  (Montenegros)  zu  setzen  ist.  Ich 
bezeichne  alle  drei  Arten  des  Halbvocals  mit  i  wegen 
des  geringen  Unterschiedes. 

8.  Altbalg,  b  entwickelte  sich  im  Dialect  von  Suho  zu  e: 
den,  nemu  clhi  (dvnbs-),  nese  (dbnbBb) ,  dessen  auslautendes  e 
nach  Analogie  der  Adverbia  utre  etc.  neben  dhfib  (dbnb  mit 
dem  Artikel)  und  dni,  Sef  (h>vt)9  äefävi,  lekti,  Ihka,  len,  fe>nkif 
»vntec  und  darnach  "sogar  der  Plur.  svntlci,  även  und  nach 
Analogie  auch  ilvhii. 

9.  Altbulg.  ^  wurde  zu  o,  das  sich  dann,  wie  ein  jeder 
unbetonter  o-Laut,  in  unbetonten  Silben  zu  einem  zwischen  o 
und  u  schwankenden,  aber  doch  dem  letzteren  näher  stehenden 
Laute  ü  entwickelte.  Bei  schnellem  Sprechen  ist  dies  d  nicht 
leicht  von  ü  zu  scheiden:  mbziik,  mbzüci,  mozükb,  kugä,  Ibküti, 
(Nom.  PL),  tukufb,  pentok,  nos  (om).  —  Ausserdem  ic&men 
mit  ä  für  b,  vergl.  S.  14. 

10.  Beide  altbulgarischen  Halbvocale  fielen  in  allen  jenen 
betonten  Silben,  wo  sie  sich  nicht  zu  e,  o  entwickelt  hatten,  in  i 
zusammen,  das,  wie  bereits  erwähnt,  in  diesem  Dialect  mit 
e-artiger  Basis  gebildet  wird. 

a)  ^  für  altbulg.  b:  llska  (blitzen,  Ibsk-),  Itskafo,  ovat, 
ausserdem  du'ib. 

b)  t>  für  altbulg.  a:  dU  aber  dgidi  (3.  Sgl.),  s&nüvi,  dbUifa, 
dlh  (Athemzug),  dr>ham}  ra£,  m\ha}  dbska. 

Ebenso  shdbm,  bsvm,  vfy?hl. 

11.  In  jenen  unbetonten  Silben,  wo  die  Halbvocale  nicht 
zu  6,  o  (ti)  wurden,  erscheint  für  beide  q,:  dqJtdb,  vgxidhi  (den 
ganzen  Tag),  sg,s  nb$.  Ebenso  lyn^ä  (ab.  Ibza)  mit  historisch 
nicht  begründetem  Nasal.  Doch  finden  wir  ^  in  unbetonter 
Silbe:  dvfib.  Der  Nasal  hielt  die  Entwicklung  des  *  zu  p  auf. 
Wir  sehen  auf  vielen  Sprachgebieten,  dass  vor  Nasalen  und 
Liquiden  der  Vocal  stärker  reducirt  wird  als  vor  anderen 
Consonanten.  Der  Kräfteverlust  ist  vor  den  den  Vocalen  schon 
nahestehenden  Nasalen  und  Liquiden  bedeutend  grösser. 

12.  Absorption  der  Halbvocale  vor  m,  n,  wobei  die 
letzteren  sonan tische  Function  erhalten:  sj),  (ab.  svm),  siuüta 
neben  srbnüvi,  üstyna  (ab.  osvin-)  aus  üslmna. 


Maeedonische  Stadien.  13 

Mit  unorganischem  Nasal:  mfygia,  Ifäam  (ab.  hgati),  In^iv, 
Iri^bt  neben  dem  bereits  erwähnten  l$n$ä. 

Anm.  In  den  hier  erwähnten  Beispielen  werden  rp,y 
n  fast  wie  %mf  tn  mit  dunklem  a-,  u-artigen  Halbvocal 
gesprochen. 

13.  In  8vätl,  svätät  (ab.  cvbtq)  ist  'ä  der  Reflex  des  tb, 
das  hier  statt  des  ab.  b  durch  Anlehnung  an  Bildungen  mit 
der  stärkeren  Lautstufe  cv&t-  erscheint. 

Anm.  In  fönlci  ist  noch  eine  Spur  des  einst  weichen 
Halbvocals  in  der  Erweichung  des  t  sichtbar,  f  blieb 
wahrscheinlich  wegen  des  folgenden  erweichten  n  (Jn) 
bewahrt,  in  den  ist  bereits  hartes  d.  In  diesem  Dialect 
sind  überhaupt  die  mittelweichen  Consonanten  zu  weichen 
(erweichten)  verschoben.  Ursprünglich  scheint  das  aus 
dem  b  hervorgegangene  e  im  Bulgarischen  ein  weicherer 
Laut  als  das  etymol.  e  gewesen  zu  sein  und  erst  später 
beim  allgemeinen  Verhärtungsprocess  im  Bulgarischen  mit 
etymol.  e  im  harten  e  zusammengefallen  zu  sein. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

14.  Die  beiden  Halbvocale  wurden  zu:  1.  e}  o}  2.  ^7  3.  fi. 

Altbulg.  b  wurde  zu  e:  Ns.  den,  deneska,  cvete,  Ihn,  tenuk, 
zemam,  ppsten,  venec;  Gr.  len,  ienkü,  le&no;  Bug.  len,  tenka, 
zernam,  venec;  Vat.  defi,  denisia*  Veny  cveti;  Var.  den,  cveti, 
tenki,  Seftina,  jiden. 

15.  In  unbetonten  Silben  erscheint  i  für  dies  wie  auch 
für  das  etymol.  e:  Ns.  kubnic,  desin,  pp)in,  ebenso  nbgifi, 
v%glin,  vbzij,;  Gr.  ppnin,  uogln;  Bug.  vbglin;  Var.  ubgifi,  timnica, 
miglä,  cift\\a  neben  dem  bereits  erwähnten  cveti. 

Beim  geringen  Unterschiede  zwischen  I  und  b  ist  es 
nicht  ausgeschlossen,  dass  das  i  der  drei  letzten  Beispiele  nur 
eine  Modification  des  &  ist,  bedingt  durch  den  hellen  Vocal 
der  nächsten  Silbe. 

Für  rekil  (Ns.,  Var.)  würde  man  rekbl  erwarten.  Es  ist 
wahrscheinlich  aus  rekel  entstanden,  dessen  e  von  den  Präsens- 
und Aoristformen  hergenommen  ist,  vergl.  otkradet  (Bug.),  idel 
Prilep,  jyridela  (spinnen)  KukuS. 


14  VIII.  Abhandlung:    OlUk. 

bgefi,  wz\\  haben  e,  I  statt  secund.  ^  durch  Anlehnung 
an  Worte  mit  den  Suffixen  -hm,  em,  eh. 

o  für  ab.  b:  Ns.  döS,  dbZdi,  dub&dif  boöva,  voika,  fön, 
sbnüta,  sönlif,  p'etök,  to  (tb);  Gr.  doS7  dbidi,  läkot,  nbkot, 
iitbrtok;  Bug.  dbS,  dbZdi,  sbn,  oika}  bböva;  Vat.  doi,  do&Ti 
(3.  Sgl.),  8on9  boöva,  to;  Var.  dbSf  8ony  vo  (ovb). 

Analog  dem  {  flir  unbetontes  e  (=  ab.  b)  erscheinen  für 
unbetontes  o  aus  b  die  Vocale  ü,  8,  u:  Ns.  sünlh,  sunt,  sünlhte 
neben  sbn,  sübräli,  jtipük,  tenük,  rribzük,  mbzüci;  Bug.  pbp&k, 
läkätj  tentik,  mbzük,  üf  (üb)  gradina;  Vat.  läkät,  nbküt,  sunlh< 
mbzük;  Var.  nbküt. 

1%  in  räcfthn,  bsüm  (Ns.)  vertritt  secund.  b}  das  sich  hier 
in  ähnlicher  Weise  vor  m  zu  ä  entwickelte  wie  z.  B.  im  Dialect 
von  Kukufi  b  zu  u:  legnum,  reium  etc. 

In  Ji£ümen  (Ns.)  gegenüber  tbmnica  dürfte  sich  ü  aus 
unbetontem  e  oder  einem  e-artigen  Laute  —  6b  wurde  zu  6m  — 
nach  dem  £  entwickelt  haben,  wobei  auch  das  folgende  *» 
mitwirken  konnte,  vergl.  tolb  in  der  Sr&dna  Gora  IlCn.  XLVI7 
556,  wo  allerdings  auch  l  nicht  ohne  Einfluss  war. 

16.  In  allen  von  der  Entwicklung  zu  e,  o  nicht  berührten 
geschlossenen  Silben  fielen  beide  Halbvocale  in  b  zusammen 
ohne  Rücksicht  auf  die  Betonung. 

Anm.  Wie  bereits  erwähnt,  hat  der  Halbvocal  hier 
die  o-Basis,  wogegen  in  dem  nicht  weit  entfernten  Suho 
derselbe  die  e-ßasis  besitzt. 

a)  b  =  ab.  b:  Ns.  mbg\äy  Ibskä,.  tbmnica,  cbklb,  cbvti; 
Gr.  cbft,  cbft\9  mlglaf  tbmnica,  dvrihska;  Bug.  m%gla,  cbfti;  Vat 
mlyla,  dbSvt;  Var.  Ibska. 

b)  b  =  ab.  b:  Ns.  lb&a}  Ibii,  lb£l\f,  mbha,  bbst}  bistovi, 
rb$,  smbkndh,  IbSlca,  krbtbk;  Gr.  #7>n,  rbs,  sbsy  Vbika;  Bug. 
snbhä;  Vat.  Vbska,  Ibhm,  rbda. 

Secundäres  b  vor  Nasalen  und  Liquiden  nach  dem  Ver- 
stummen des  auslautenden  Halbvocals:  Ns.  8bm}  auch  jagbnea 
(PI.  zu  jagne),  Gr.  sedbm}  ubsbm;  Vat.  8bm. 

Ueber  b  für  e  vor  t  vergl.   §.  59. 

17.  Für  den  neu  aufgetretenen  Halbvocal  erscheint  ü 
vor  m:  Ns.  sfedüm,  bsüm;  Bug.  sMümy  ubsüm]  Vat.  sedüm 
bsüm;  Var.  sedüm,  uosüm. 


Macedonische  Studien.  15 

i  in  dimiriik  (Ns.)  statt  dimnik  beruht  auf  der  Analogie    . 
von  dimitL 

18.  a  in  mäha  (Vat.),  für  das  in  den  umgebenden.  Dörfern 
entsprechend  dem  Lautcharakter  dieses  Dialectes  sniha  ge- 
sprochen wird,  ist  vielleicht  das  Resultat  einer  Assimilation  an 
das  a  der  nächsten  Silbe,  wie  z.  B.  in  anderen  Dialecten  gihb. 
Der  Halbvocal  der  o-Basis  erhielt  die  a-Basis  und  entwickelte 
sich  dann  zu  vollem  a. 

19.  Ab.  vb9  Vh  wurde  im  Anlaute  nach  Schwund  des 
Halbvocals  zu  v,  daraus  entweder  u  über  w  oder  /,  je  nach 
dem  Charakter  des  nachfolgenden  Consonanten:  Ns.  udovica, 
fnük;  Bug.  Vat.  Var.  fnük.  Dagegen  wurde  im  Lautinnern 
der  Halbvocal  nach  dem  v  durch  die  Lautgruppe  vor  dem 
Schwunde  geschützt:  cvhti,  ceft\la}  (Var.).  Anders  wurde  an- 
lautendes Vb  in  *vhShka  behandelt.  Da  hier  zwei  aufeinander- 
folgende Silben  Halbvocale  hatten,  blieb  das  b  der  geschlossenen 
Silbe  und  konnte  sich  dann  auch  zu  o  entwickeln,  daher 
mJska,  voika. 

20.  Selbst  in  demselben  Dialecte  gibt  es,  wie  wir  ge- 
sehen haben,  geringe  Abweichungen  in  der  Behandlung  der 
Halbvocale.  In  Gr.  spricht  man  *an,  w>§ka,  dznteka,  in  dem 
etwa  nur  drei  Kilometer  davon  entfernten  Ns.  aber  6<rfi,  voska, 
dene&ka.  Ebenso  in  den  anderen  Dörfern.  Es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, dass  diese  von  mir  in  Gr.  beobachtete  Abweichung 
von  dem  Dialect  der  umliegenden  Dörfer  auf  individueller 
Aussprache  beruht,  da  sich  möglicherweise  jenes  Individuum, 
nach  dessen  Aussprache  ich  meine  Aufzeichnungen  in  einem 
Han  machte,  in  anderen  Gegenden  Macedoniens  aufgehalten 
hatte.  —  Viel  geringer  ist  der  Unterschied  zwischen  mig\a} 
timnica   in  Var.  und  mbgla,   tbmnlca  in  den  anderen  Dörfern. 

C.  Debradialeot. 

21.  Eine  charakteristische  Eigentümlichkeit  der  drei 
Debramundarten  von  Galiönik,  Kiene  und  Oboki  ist  es, 
dass  ihnen  der  Halbvocal  gänzlich  abgeht.  Als  Ersatz  der 
beiden  Halbvocale  erscheinen  hier  nur  e,  o.  Ersteres  nur  als 
Reflex  des  ab.  b  in  den  aus  anderen  macedonischen  Dialecten 
bekannten  Fällen;  o  vertritt  ab.  b  und  b.     Für  ab.  b  erscheint 


16  VIII.  AbhADdlttOf:    ObUfc. 

hier  o  in  jenen  Beispielen,  wo  die  macedonischen  und  bul- 
garischen Dialecte  dafür  ^  oder  das  daraus  entstandene  a 
bieten,  also  in  allen  von  der  Entwicklung  des  t  zu  e  resti- 
renden  Fällen  z.  B.  mbgla.  Der  Unterschied  zwischen  o  = 
ab.  h  und  o  =  ab.  b  ist  vor  allem  ein  zeitlicher;  ersteres  o  z.  B. 
in  son,  doi  entwickelte  sich  bedeutend  früher  aus  ^  als  letzteres, 
das  erst  durch  die  Mittelstufe  i,  die  in  sehr  vielen  Dialecten 
erscheint,  z.  B.  rmgla,  hervorging;  vgl.  Archiv  XVI  193,  473. 

22.  e  für  ab.  b:  Gal.  den,  denof,  deneska,  (Mika,  Usnü, 
len,  Ibienü,  6es,  Sesen  (öbstbm),  tfanno,  thnnica;  Kl.  deh7  dbia 
(Du.,  PL),  deneska,  vlzden,  des,  tämno,  Sef,  Usno;  Ob.  den, 
dhioi,  J^sno,  bves,  iest,  Pen. 

Unbetontes  e  (=  ab.  b)  wurde  zu  9:  Gal.  rütok,  febn, 
gnbswi;  Ob.  svhtec,  näidt  neben  näSpi]  gänzliche  Absorption 
des  Halbvocals  vor  n:  edn. 

23.  a)  o  für  ab.  ^:  Gal.  dbS,  dbüt,  son,  sbnevi,  sbnuvaf, 
bböva,  tenok,  \äkot,  pbpok,  tribzok,  snbva,  voilca,  bos,  bbzovi, 
cfkof,  Ibla,  Ibga,  vo,  so,'  o  des  Artikels  z.  B.  tbvekot;  Kl.  sbn, 
sbnif,  mof  (mihi),  snova,  \hkot,  so,  tnbko  etc.  und  o  des  Ar- 
tikels z.  B.  bgnot;  Ob.  knok  (tbnrJt),  mof,  snoa,  vo  und  doH, 
dfyzdit,  son,  pbpgci  neben  popok,  petyk,  dgh,  dghoj;  o  des  Ar- 
tikels z.  B.  pgtot. 

b)  o  für  ab.  b  (mittelbulg.  b):  Gal.  mbgla;  dbiol  ist  an- 
gelehnt an  solche  Formen  wie  rekol;  Kl.  mbgla,  biot;  Ob. 
mogta,  b8gl,  näigt  neben  naidt. 

Ebenso  erscheint  o  für  den  secundären  Halbvocal:  Gral. 
bgofi,  sedom,  bsom,  vltor,  jägonca;  Ob.  $gon. 

Anm.  1.  Das  p  meines  Gewährsmannes  beruht  wahr- 
scheinlich auf  dem  Einfluss  des  Dialectes  der  Umgebung 
von  Salonichi,  da  derselbe  längere  Zeit  in  derselben  zu- 
brachte. 

Anm.  2.  Das  an  Stelle  der  alten  Halbvocale  er- 
scheinende o  ist,  wie  ich  schon  erwähnt,  in  diesem  Dia- 
lect  verschiedenen  Alters.  In  jenen  Beispielen,  wo  es 
auch  die  anderen  macedonischen  Dialecte  bieten,  reicht 
es  in  jene  Periode  zurück,  wo  noch  die  Reflexe  der 
alten  b  und  &  geschieden  waren.  Wo  hingegen  die  mace- 
donischen   Dialecte    für    dies    o    den   Vocal   ^   oder   das 


Macedonische  Stadien.  17 

daraus  entwickelte  a  aufweisen,  gehört  es  ganz  wie  das 
erwähnte  a  (=  b)  einer  jüngeren  Epoche  an,  in  der  ab.  b 
bereits  mit  b  zusammengefallen  war. 

c)  ü  vor  m  für  den  unbetonten  secundären  Halbvocal: 
Kl.  8edüm}  bsüm.  Auch  in  jozu\  (Gal.)  ist  ü  aus  unbetontem  o 
entstanden,  das  durch  die  Klangfarbe  des  l  bedingt  wurde. 

d)  Gänzliche  Absorption  des  secundären  Halbvocals  vor 
m:  Ob.  «fli. 

24.  In  meinen  Aufzeichnungen  aus  der  Mundart  von  Ob. 
ist  auch  b  vertreten:  st>,  m,  bw,  bizoi,  mfrzbk.  Meine  Aufzeich- 
nungen dieser  Mundart  beruhen  auf  der  Aussprache  eines  Ar- 
beiters aus  Oboki,  der  sich  zu  wiederholten  Malen  monatelang 
in  der  Umgebung  von  Salonichi  aufgehalten  hatte,  und  sein  b 
ist  wahrscheinlich  aus  dem  Dialecte  der  Umgebung  von  Salonichi 
entlehnt.  Den  Mundarten  Debra's  ist  b  fremd.  In  rv£b\  (Gal.) 
steht  b  für  unbetontes  a. 

25.  Für  ab.  w>  erscheint  im  Inlaute  u,  das  die  Mittel- 
stufe w?  voraussetzt:  Gal.  cüt}  cütevi,  ctitit;  Ob.  cüt,  cütoj  (Nom. 
PL),  cütet  (3.  PL),  cütit  (3.  Sgl.).  —  u  in  u  Sotun  neben  vo 
Soiun  (Ob.)  setzt  natürlich  kein  w  voraus. 

Anm.  1.  Ob  vo  (vb)  vorzugsweise  vor  Silben-  mit 
einstigem  Halbvocal  erscheint,  vermag  ich  nicht  zu  sagen, 
nach  den  wenigen  mir  zu  Gebote  stehenden  Beispielen 
scheint  dies  nicht  der  Fall  zu  sein :  /  kot,  vo  Solun  (Gal.). 

Anm.  2.  Beim  anlautenden  w  vocalisirte  sich  v  nach 
dem  Schwunde  des  auslautenden  b.  Die  Entwicklung  des 
inlautenden  vb  war  eine  andere.  Es  wurde  nicht  durch 
die  Vocalisation  des  v  zu  u,  sondern  es  trat  Metathese 
ein:  das  aus  vb  entstandene  Vb  wurde  zu  w.  Gerade  die 
Metathese,  die  wir  schon  in  mittelbulgarischen  Denkmälern 
und  heutzutage  in  vielen  Dialecten  finden,  spricht  gegen 
die  Vocalisation  des  v,  sie  zeigt,  dass  der  Halbvocal  in 
dieser  Silbe  nicht  geschwunden  ist.  Ohne  Metathesis  würde 
man  im  Debradialect  analog  dem  voika  die  Form  cvot, 
wohl  kaum  cvet  erwarten,  da  andere  Dialecte  cbfti,  cafti 
und  nur  wenige  cveti  bieten,  vergl.  Archiv  XVI 194.  Kurzes 
w  mit  einem  stark  dem  u  sich  nähernden  v  (w)  wurde 
über  uu  (uw)  zu  u,  vergl.  die  Entwicklung  des  unbetonten 

Siteungsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXX1V.  Bd.  8.  Abb.  2 


18  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

ov  (gesprochen  ow7  o#)  zu  u  in  mehreren  slovenischen 
Dialecten,  oder  tl  für  6v>  bei  den  Adj.  poss.  in  böhmischen 
Dialecten.  Ein  solches  dem  slovenischen  und  kleinrassi- 
schen entsprechendes  w  hörte  ich  in  Gal.  in  tobda.  Be- 
kanntlich erscheint  es  auch  im  Dialect  von  Resen  in  oir 
für  l,  und  auch  der  im  Bulgarischen  weit  verbreitete 
Schwund  des  intervocalischen  v  beruht  wahrscheinlich  auf 
der  Aussprache  des  v  als  w.  Dieser  Lautprocess  vollzog 
sich  vor  der  Entwicklung  der  secundären  HaJbvocale,  d.  i. 
des  mittelbulg.  ^  (=  ab.  a  und  b)  zu  o,  denn  cut-  erscheint 
auch  in  jenen  Dialecten,  die  das  secundäre  h  zu  a  ent- 
wickelt haben.  In  cfkof  (Gal.)  verhinderte  der  Wandel 
des  auslautenden  v  zu  f  die  Entwicklung  des  u. 

Nasalvocalo. 
A.  Dialect  von  Suho. 

26.  Dieser  Dialect  gehört  mit  den  von  Kostur  und  Korea 
zu  jenen  südmacedonischen  Dialecten,  die  den  Nasalismus  im 
hohen  Grade  bewahrt  haben.  Der  Rhinesmus  erscheint  in  Suho 
nur  im  An-  und  Inlaute,  niemals  im  Auslaute.  Nasalvocale  als 
solche  haben  sich  hier  nicht  erhalten,  wie  überhaupt  nirgends 
in  Bulgarien,  sie  haben  sich  analog  vielen  polnischen  Dialecten 
und  dem  slovenischen  Gailthalerdialect  in  ein  vocalisches  Ele- 
ment mit  folgendem  m,  n  aufgelöst.  Ab.  &  wurde  zu  tm,  an, 
ab.  A  zu  em}  en.  zm7  an  werden  in  betonten  Silben  infolge 
gänzlicher  Absorption  des  a  durch  den  folgenden  Sonant  m,  n 
zu  r$i,  n9  in  unbetonten  Silben  konnte  sich  uu  ?  entwickeln, 
vergl.  §.11.  Auch  unbetontes  e  vor  en  konnte  zu  I  oder  selbst 
absorbirt  werden. 

Anm.  Das  sonantische  Element  von  rn}  n  für  ab.  & 
ist  bedeutend  dunkler  als  der  Halbvocal  dieses  Dialectes, 
der  mit  der  e-Basis  gebildet  wird,  es  hat  etwa  die  a-  und 
oft  sogar  die  u-Basis,  hie  und  da  lautet  in  fast  wie  um. 
Das  dem  ab.  A  entsprechende  n  ist  heller,  es  hat  ein 
e-artiges  Timbre. 

27.  Ab.  X  wurde  1.  zu  rn,  n  und  2.  in  unbetonten  Silben 
zu  q.m,  qn. 


Macedonische  Studien.  19 

a)  tp,  n:  ztyp,  zijiBä  aber  zgmbd,  dtyp  neben  dambü,  gtyba, 
mndrü,  mM  (mq£b)}  m^äf  ptypu  (pwnpu),  mfyta,  rifap,  rtybovi} 
pörijßähy  pürijibinuj,  grfydä  (gradb)  aber  granditä,  rfyka,  rnkdv- 
nica,  p$f,  phtiäta  aber  pq,ntb7  leix  p^nte,  krhk,  krfygo,  bbr&8} 
porfyöam,  sikbiita,  sfydam,  vfyzbl  (ab.  qzh,  vqzh)}  VTfrtäk  (Schiffchen 
beim  Weben),  krjifiam,  iskijtßähmi ,  kfyt  (Platz  beim  Herde), 
prrfika  (Stange),  sktypü,  paj#k,  paj^ani.  Ob  kündur  (kleiner 
Mensch)  mit  kqdrb  oder  mit  dem  ans  dem  Türkischen  entlehnten 
bulg.  kadar  mit  secundärem  Nasalismus  zusammenhängt,  wage 
ich  nicht  zu  entscheiden.  Für  letzteres  spricht  der  Umstand, 
dass  man  kbndar,  wie  es  scheint  in  der  Bedeutung  von  kidar, 
auch  im  Dialect  von  Eostur  findet  (Khhähe^i  I  23,  Archiv 
XV  74). 

b)  qm9  g,n  ftlr  unbetontes  &:  gtymbbk,  gbtq,mp}  gblq.mbi} 
kampina,  6äkq,nde,  zq.mb6}  dymbh,  grynditä,  pyntb. 

28.  Ab.  a  entspricht  mit  bewahrtem  Rhinesmus  1.  em, 
en,  9,  2.  in. 

a)  em,  en}  n:  phitok,  ientva,  rhidovi,  narhnduvam,  grenda 
(Holzbalken),  prendam,  Zendo,  öenddta,  bratütendiSta,  endrü, 
pent  (Spanne),  pentä,  pintä  (ab.  p&a),  mäsnic,  rfiäsnce,  rfie- 
sincina,  rrienkü,  z%ty  zfytiifci,  govqdäri,  8V$täc7  ugtndätü  aber 
glhlam,  telenta  aber  Üle,  idfäbenta  neben  idräbe,  küöqta  aber 
kute,  jägnenta  zum  Sgl.  jägtie,  prä^nta,  pllnta  und  nach 
Analogie  dieser  ^-Stämme  auch  imenta  zum  Sgl.  imä}  iämnta 
aber  6äme,  iervinta  zu  ilrtie,  vergl.  sloven.  pareta  (pero),  uSeta 
(uho)  Archiv  XIII  58—59. 

b)  im,  im  in  ln%iky  in%ici  beruht  i  auf  der  Assimilation 
an  das  einst  vorhergehende  j  beim  weichen  Charakter  der  nach- 
folgenden Silbe.  Ebenso  wurde  unbetontes  i  in  irimblca  an- 
geglichen an  die  beiden  benachbarten  i,  daher  t. 

29.  Historisch  unberechtigten  Nasalismus  finden  wir  in: 
a)  mfygia,  Ifynfam,  l^iv}  lq,n$äy  bznöva,  styglü]  degunde  (nir- 
gends) hat  durch  Analogie  von  täkqnde  sein  n  erhalten. 

b)  pntet. 

Hier  können   die  Partie,  dignnt  und  umr*änta  (*umr$m) 

als  eine  Contamination  von  dignem,   *umrim  mit  den  Partie. 

auf  -tb  hinzugefügt  werden. 

2* 


20  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

Anm.  1.  C6M.  IV  157  werden  aus  diesem  Dialect 
noch  ausserdem  angeführt:  vmfe,  rmndi,  fa>nda7  klhmbo. 
jynnt,  svintec]  ausserdem  bvnzy  breast  (aber  brüstt).  Nach 
Draganov  (Pycc.  «mia.  b4ct.  1888,  18)  wird  auch  ventr 
gesprochen.  Diese  Beispiele  hörte  ich  nicht,  trotzdem 
ich  mich  wohl  nach  den  meisten  von  ihnen  erkundigte; 
deshalb  möchte  ich  aber  noch  nicht  behaupten,  dass  diese 
Wörter  dem  Dialecte  abgehen. 

Anm.  2.  Bezüglich  des  unorganischen  Nasalismus 
verweise  ich  auf  die  polnischen  Dialecte,  z.  B.  das  allge- 
mein poln.  mfdzy,  das  in  vielen  Dialecten  vorkommende 
meskad,  rfi£8a6,  ausserdem  j^dfejch  (Rozprawy  i  spraw. 
VIII  198,  IX  168,  XI  162)  und  auf  einige  slovenische. 
So  spricht  man  z.  B.  im  Rosenthalerdialect  buntara  (Kres 
I  463)  neben  dem  organ.  miesenc,  und  in  dem  gleichfalls 
in  diesem  Dialecte  geschriebenen  Kolomanov  Segen  lesen 
wir  öfters  venöna,  obwohl  nicht  veno  für  vec  gesprochen 
wird.  In  dunha,  wie  man  bei  Völkermarkt  (Velikovec  in 
Kärnten)  statt  dowha  spricht,  steht  vielleicht  n  fiir  tc  (l). 

29.  Ausserdem  erscheint  für  ab.  &,  wie  in  den  meisten 
bulgarischen  Dialecten,  in  inlautenden  betonten  Silben  *  (für 
unbetonte  gehen  mir  Beispiele  ab),  in  betonten  Schlusssilben  <*, 
in  unbetonten  a. 

a)  *  =  &:  giska,  s&pfam,  kUta. 

b)  a  =  Jk:  in  der  3.  PL  sf'ätät  (cvbtqth). 

c)  $  =  ä:  in  der  3.  PL  Aor.  und  Impf.  z.  B.  dojdühn, 
iskmpähq;  in  der  3.  PL  Präs.  z.  B.  prhxdqt  und  im  Verbalsuff. 
-HA*-:  püb'ägng.,  üpregnah. 

30.  Nach  den  Palatalen  und  erweichten  Consonanten  er- 
scheint fiir  &  statt  g,  in  unbetonten  Silben  g,  wie  unter  gleichen 
Bedingungen  fiir  etymol.  a  durch  Umlaut  ä  erscheint:  düsf, 
nUftllfy  bang,  pbstilQ,  U8täü$mf  kuߧm  vergl.  §.  48. 

31.  Ab.  a  wurde  nach  Verlust  der  nasalen  Resonanz 
zu  e,  das  sich  in  unbetonten  Silben  wie  ein  jedes  e  zu  i  ent- 
wickelte. Daneben  erscheint  auch  'ä  und  mit  Verlust  der 
Weichheit  des  vorausgehenden  Consonanten  ä,  so  dass  der 
Reflex  des  a  in  solchen  Beispielen  mit  *k  zusammenfiel.  Ausser- 
dem noch  a  als  eine  Weiterentwicklung  des  'ä,   ä.     Ein   dem 


Macedonische  Studien.  21 

Reflex  des  A  entsprechender  Unterschied  zwischen  inlautenden 
nnd  Schlnsssilben  ist  beim  Reflex  des  a  nicht  vorhanden. 

a)  A  =  e7  i:  pet7  pitdisH,  gledam,  lesta,  teSka}  kletva, 
cestä,  setqm,  uprhgnqh,  üprügntivam,  rietre  (vergl.  böhm.  tady, 
dotady  onddy),  dh)lt9  desit,  trij'si,  Htirij'si  neben  sijset,  sedln- 
dUet;  im  Nom.  Sgl.  der  fJ-Stämme:  tUe,  Zdräbe,  pile. 

b)  ihäsit,  mä,  tä9  sä  (zäkalnt  sä),  imä. 

c)  malkam,  sa  (sa-umorXh)  misäjde  =  mi  s%  jade. 

In  töümen  wurde  durch  Assimilation  an  das  vorausgehende 
j  und  an  den  folgenden  Palatal  e  zu  i,  vor  dem  später  j 
schwand. 

32.  In  allen  Beispielen  mit  bewahrtem  Rhinesmus  werden 
die  Reflexe  der  beiden  Nasalvocale  streng  auseinander  gehalten, 
selbst  das  durch  Absorption  aus  en  entstandene  n  für  ab.  a 
ist  ein  von  #  =  x%  verschiedener  Laut.  Auch  nach  den  Pala- 
talen erscheint  en  für  a  und  in  den  des  Nasalismus  ent- 
kleideten Silben  e  und  nicht  etwa  der  dem  ab.  &  entsprechende 
Reflex  ^.  In  rhä,  sä,  maikam  etc.  hat  sich  der  Vertreter  des 
ab.  a  bereits  stark  dem  von  7k  (h,  a,  a)  genähert  und  ist 
theilweise  mit  ihm  zusammengefallen.  Vor  allgemeinem  Zu- 
sammenfallen wurde  er  zum  Theil  dadurch  verhindert,  dass 
'äj  ä,  abweichend  von  den  meisten  ostbulgarischen  Dialecten, 
in  unbetonten  Silben  nicht  zu  &  reducirt  wurde. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

33.  Hier  erhielt  sich  der  Rhinesmus  nur  in  folgenden 
Beispielen:  z&nba  (Ns.  Vat.),  %vmba  (Var.);  Ns.  enq;a  (gä  fatl 
en%a),  klen^a  (ein  Kinderspiel). 

34.  Der  allgemeine  Reflex  des  ab.  &  ist  hier  ohne  Rück- 
sicht auf  Betonung  und  Lage  im  Worte  a.  Nur  in  Schluss- 
silben erscheint  neben  dem  gewöhnlichen  ^  in  der  3.  PI.  Präs. 
auch  a,  das  aber  von  den  Verben  V.  Cl.  ausgegangen  sein 
kann.  Wo  0  allein  oder  neben  a  erscheint,  ist  es  seeundären 
Ursprungs,  hervorgerufen  durch  die  umgebenden  Consonanten. 
In  wenigen  Beispielen  wird  ft  durch  u  vertreten. 

a)  ]k  —  ^:  Ns.  sAp,  z&bi,  pU,  (fibi,  gteka,  gbsta,  mltna, 
mlZät,  rika,  mKno,  slbiUa,  rvp,  stäp,  grvbsna,  stäpkum,  südba, 
sTfdihj  Vbk,  kbpina,  selcbde,  narböähh. 

3.  Plur.  Aor.  Impf. :  tlpähh,  obrnäfo,  predefo,  re£ekb,  znähi. 


22  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

3.  PL  Präs.:  krädbt7  zhnvt,  reHt7  bidbt7  8h  etc.  neben 
thpat7  predat7  dilnat  etc. 

Gr.  rlka,  gübp7  j&t,  8bdi,  vUl7  gteka,  znäh>;  Bug.  rbka, 
zibe,  gnima,  cfaka,  gwenica,  8bdba7  tbiam7  sbt  (Fass  und  Ge- 
sicht), gif&p  neben  gb\bbi7  8b  (sqtb)7  kupuvähb  etc.,  Vat-  <fi*kay 
(fbsta,  gnlsnüy  gülp,  utepbt;  Var.  zbbi7  pbt7  dip,  gbska7  gbdba, 
(fbsta  etc. 

Anm.    Durch   seine  sehr  dumpfe  Aussprache  des  b 

in  Var.  nähert  sich  dieser  Laut  dem  a  stärker  als  in  Bug. 

b)  Ns.:  In  dbbovi  neben  dbp7  dbbbvo7  vbzil  neben  vbzi7 
vbglini  neben  vbglin,  gbfop  7  <jb\bbi  entwickelte  sich  o  aus 
dem  mit  der  o-Basis  gebildeten  b  wegen  des  benachbarten 
Labials,  in  gb\bbi  unter  Mitwirkung  des  \.  Der  Halbvocal  * 
in  gbfop,  der  an  das  einstige  b  der  folgenden  Silbe  angeglichen 
wurde,  spricht  fllr  die  späte  Entwicklung  des  o  aus  b.  In 
anderen  Dörfern  wird  noch  gbRp  gesprochen.  Doch  Bug. 
gb\bbl  neben  gbfip. 

c)  Durch  Absorption  wurde  im  Inlaute  rb  (=  p2k)  zu  /•: 
Ns.  gfdi  neben  prlöka;  Bug.  obfö;  Vat.  gfdi  neben  p^cka; 
Var.  gfdi. 

In  päjik,  pdjci  (Bug.),  päjih,  pajlci  (Vat.)  ist  die  Ana- 
logie der  mit  den  Suff,  -bkb,  beb  gebildeten  Substantiva  mass- 
gebend gewesen. 

35.  1k  —  u.  Das  aus  dem  Serbischen  eingedrungene  u 
erscheint  nur  in  wenigen  Beispielen  statt  des  einheimischen  », 
und  zwar  in  betonten  und  unbetonten  Silben:  Ns.  Jctica,  niga, 
üruiii,  ilru£eni7  vrü6ina;  Gr.  ku6a7  orü£i;  Bug.  rüga,  üru£eii7 
vrüJcina;  Vat.  vrütina,  güiüp7  güiübi;  Var.  südba,  sädum7  kuca. 

36.  Ab.  a  entwickelte  sich  wie  sonst  im  Bulgarischen  zu  e> 
das  dann  in  unbetonten  Silben  vielfach  zu  i  wurde.  Daneben 
erscheint  einigemal  auch  ie.     Nur  in  wenigen  Beispielen  z. 

a)  a  =  e:  Ns.  Htva7  öedü,  2e£i  (ab.  z\datx)7  ktetva, 
jitfva,  ez\1c7  m^stca,  idrhbi  etc.  und  zajc;  Gr.  leSta,  iedin, 
£etva7  dh)et7  pht7  peda7  iitrvä7  tl;  Bug.  Zedo7  zit,  *hlrö7  zetva, 
mesÖ,  ret7  se7  Utrva,  järl7  zdjic  und  nach  Analogie  der  Sub- 
stantiva auf  -ec  (=  beb)  zdjci  etc.;  Vat.  6hlo7  föboa,  >izUc7 
Utrva,  meslc  aber  mfoca  und  sogar  zajc;  Var.  pit7  zU7  deset, 
mteic,  me8ca7  Uz)k9  htfva. 


Macedonische  Studien.  23 

b)  *e  =  A:  Ns.  p^ta,  pleda}  ztet,  p*et,  w^tic;  Bug.  p'et, 
p'eda,  p'eta,  also  in  betonten  Silben. 

c)  t  =  A  in  unbetonten  Silben :  Ns.  Hriblca ,  H6ümen 
vergl.  §.  31  a. 

d)  *  =  a:  Vat.  dkvbt,  dtebt;  Var.  *b.  Ausserdem  q:  Vat. 
nKh  *$t  Var.  mg,. 

e)  Schwund  des  unbetonten  e  (=  a)  nach  r:  Hrblca  Vat. 

37.  Von  dem  nur  eine  gute  halbe  Tagesreise  entfernten 
Dialecte  von  Suho  unterscheidet  sich  demnach  dieser  Dialect  in 
der  Behandlung  der  Nasalvocale  hauptsächlich  durch  den  Mangel 
an  Rhinesmus. 

C.  Dialect  von  Bebra. 

38.  Im  Debradialect  wurde  bis  auf  die  Suffixsilben  ab.  & 
durchgehends  zu  o,  in  diesen  erscheint  consequent  a,  das 
aber  unbetont  ist,  da  der  Accent  nach  Möglichkeit  auf  der 
drittletzten  Silbe  ruht.  Nur  sporadisch  erscheint  g.  und  das 
fremde  u. 

Anm.  In  Gal.  unterscheidet  sich  dieses  o  nicht  vom 
etymologischen,  in  Kiene  ist  es  dagegen  etwas  breiter, 
indem  es  sich  in  der  zweiten  Hälfte  schon  dem  a  nähert, 
fast  ein  oa. 

a)  o  =  Jk  im  An-  und  Inlaut:  Gal.  zbp,  dbp}  rbka,  pbt} 
pdtgt,  mb§,  gtbboka,  gnbsm,  kot,  pbrota,  sbböta,  prböka,  kbpina, 
skbpo,  grbdi,  jozül,  \b&a}  ib&it,  bb£ilÖk,  kode  (ubi)  etc.;  Kl. 
zop,  rbbetie,  gbtöp,  kbpa,  etc.;  Ob.  gtfyboJca,  pppÖk,  pptot,  brgZe, 
Jcbpina.  % 

b)  q,  =  &  in  unbetonten  Silben  des  An-  und  Inlautes: 
Gal.  gtyg>p,  £ilq>t}  tklqdi,  bbrat  und  bbnö  wegen  der  Liquida; 
Ob.  d$p,  m$dr>  pgrföuam. 

c)  Schwund  des  anlautenden  o  =  ft:  Gal.  trbba,  Ob.  trlba. 
u  =  Jk.     Fttr   das  aus  dem  Serbischen  eingedrungene  u 

habe  ich  mir  folgende  Beispiele  notirt:  Gal.  kuda,  süt,  südime, 
gtwka,  gushnica,  gu8\o,  auch  ne6u}  das  bezüglich  des  u  von  su 
(ab.  jesmb)  getrennt  werden  muss,  denn  im  letzteren  wurde  * 
von  8bin  wegen  des  folgenden  m  zu  u  verschoben  (vergl.  Archiv 
XVI  195);  Kl.  Jcüöa,  küdnik,  kü6nica7  orü&ifia;  Ob.  nä  sut, 
südet,  gilska,  kü6a. 


24  Till.  Abhandlung:    ObUk. 

d)  a  —  3k  in  Endsilben  oder  ans  den  Endsilben  durch 
Formenanalogie  überragen:  Suff.  -H&-:  Gal.  mlgna  (2.  3.  SgLt7 
nämignaf,  pöcnaf,  krhnaf. 

Vielleicht  gehört  auch  die  1.  Sgl.  Präs.  hieher,  wenn 
nicht  das  aus  -ajq  entstandene  a  der  Verba  V.  Cl.  verall- 
gemeinert ist,  wogegen  aber  su  (ab.  jestm)  spricht:  bda,  jäda, 
$e£a  etc.,  auch  mola,  kupa  etc. 

Anm.  Die  nicht  unbedeutende  Anzahl  von  Bei- 
spielen mit  %,  q.  für  ab.  &  in  meinen  Aufzeichnungen 
der  Mundart  von  Oboki  erklären  sich  als  Beimischung 
des  Dialectes  der  Umgebung  von  Salonichi  und  vielleicht 
auch  anderer  macedonischer  und  bulgarischer  Dialecte, 
vgl.  §.  34.  Ich  notirte  mir:  plt  neben  pgtot,  rtfca,  r*kaf, 
mr&iy  M>ty  triba  (ab.  qtroba),  n&tna,  rip,  zaribuam, 
gridi,  bbrbfi,  S7>botaf  gbhbi,  TcbSbj,  skhp,  prbiha,  kbde^ 
ieht  neben  ielqdi,  gnisno,  Vbfofie,  ߣe,  m?>ka,  drig,  krbpa, 
zip  neben  zqbi.  In  den  Beispielen  mit  n  könnte  man 
schliesslich  noch  an  eine  Reduction  wegen  des  r  denken. 

Ausserdem  gtaselnca,  eine  volksetymologische  oder  ana- 
logische Umbildung  des  alten  gqs&niea. 

39.  Für  ab.  A  erscheint  bis  auf  drei  Beispiele  mit  voraus- 
gehendem j  durchgehends  e.  Nach  j  erscheint  o,  also  jener 
Reflex  wie  für  X,  rk. 

a)  A  =  e:  Gal.  meso,  gbvedo,  gbvedar,  svktec,  z&t,  meka, 
ptda}  pbtica,  fo$öa,  erübica,  teSki,  glbda,  devet,  devedeset,  me, 
8e,  zgek,  zgeci,  gleichfalls  nach  S:  Shta;  Kl.  pet,  devet,  «e, 
teSka  etc.;  Ob.  meso,  gbedo,  svMi,  gleda,  rrieka,  p'bda,  petica, 
gr*eda9  me}  se7  zbt,  zfok,  mies9c>  auch  nach  £,  2:  öedoy  brätoött, 
&htva,  £hdrj,  neben  zld%  vielleicht  fremder  Provenienz.  In  iedo 
klingt  das  e  etwas  ö-artig. 

b)  o  =  A  nach  j:  Gal.  jbzik,  jbzici,  jbkmen,  fotjvi. 

In  Ob.  fizik,  fizlciy  fiömen,  das  sich  mit  seinem  »  inso- 
ferne  mit  jozik,  joümen   deckt,   als   es   auch   für  A  den   dem 
ab.  Jk  entsprechenden  Reflex  zeigt.     Es  ist  in  dieser  Form  in 
der  Sprache   meines  Gewährsmannes   aus   einem   anderen  Dia 
lect  entlehnt. 

c)  Schwund  des  e  =  a:  pgße,  pg6e  Kl.,  in  Gal.  noch 
pbvefti. 


Macedooische  Studien.  25 

40.  Der  Rhinesraus  hat  sich  nur  in  gfyglif,  griglivit  Ob. 
erhalten,  wahrscheinlich  aus  einem  Dialecte  der  östlichen  Um- 
gebung von  Salonichi,  wo  er  ja  kräftig  lebt,  eingedrungen. 

41.  Durch  o  als  Reflex  des  *  hebt  sich  der  Debradialect 
scharf  von  allen  Nachbardialecten  ab.  Auf  dem  ganzen  Gebiet 
der  Balkanhalbinsel  einschliesslich  der  östlichen  Adrialänder 
erscheint  o  neben  oa  nur  in  dem  bulgarischen  Rhodopedialect. 
Der  Zusammenfall  des  alten  A  mit  dem  Reflex  des  Ax  nach  j 
z.  B.  jozik  wurde  auf  dem  südslavischen  Sprachgebiet  nur 
in  bulgarischen  Dialecte n  beobachtet,  wo  er  über  viele  Dia- 
lecte verbreitet  und  in  den  Denkmälern  weit  zurück  verfolgt 
werden  kann. 

A.  Dialect  von  Suho. 

42.  Der  Dialect  von  Suho  gehört  zur  südöstlichen  Gruppe 
der  macedonischen  Dialecte,  in  denen  die  Aussprache  des  alten  'k 
vom  Charakter  der  nachfolgenden  Silbe  und  vom  Accente  unab- 
hängig ist.  *k  lautet  in  Suho  wie  'ä,  d.  i.  ein  sehr  breites  dem 
a  schon  nahe  kommendes  ä,  mit  Erweichung  des  vorausgehenden 
Consonanten,  oder  wie  eä,  d.  i.  statt  der  Erweichung  des  vor- 
ausgehenden Consonanten  hebt  der  Vocal  mit  e  an,  das  schnell 
in  ä  übergeht.  Der  Unterschied  zwischen  'ä  und  eä  ist  ein  mini- 
maler. Die  Erweichung  vor  'ä  wurde  auch  bei  r  und  c  nicht 
aufgegeben.  Daneben  erscheint  auch  V  und  e,  letzteres  im  un- 
betonten Auslaut,   ersteres  in  unbetonten  Silben  des  Inlautes. 

Anm.  Eine  derartige  zweifache  Aussprache  des  rk 
erscheint  auch  in  anderen  südöstlichen  Dialecten  Mace- 
doniens.  So  im  Dialect  von  Ajvatovo,  Kireckjoj,  Nevrokop 
ea  neben  a. 

a)  *k  =  'ä:  fäka,  Zdfäbe,  6äi  (weiches  6,  aber  nicht 
serb.  h),  Täp  (hl£bb)9  mläkü,  goTäm,  sftäk,  fäsna,  däte,  däce, 
dädü,  tätf,  Mjka,  öüväk,  päiäm,  päsna,  fähnata,  tarne,  Säjym; 
die  Dualendung:  dvä,  grqdä,  penfä;  grqndilä;  Impf.  Bäh,  hast, 
porfyBäh,  loväh,  loväse,  späh,  8päH,  fatdh  neben  falesi;  Imper.: 
dadäte,  peiäte  etc.;  dh'iä  nach  Analogie  von  uträ,  UU,  zimä, 
vergl.  sloven.  snoti  nach  Analogie  von  jutri,  davi. 

b)  -k  =  eä:  b'äta,  b'äli,  sl'äp ,  sVäpa,  leät&,  pMva, 
m'äh,  gn'äzdä,  ztfäzda,  vfärvam,  sifät,  b'ägam,  peana,  tr*äbüva, 


26  VTH   Abhandlung:    Oblak. 

bdüpr*ät  y  8tr*äha}  stfähi,  istr*ätoh,  8tr*äda,  zdr*äta,  n€asi7 
nal'ävam,  gbr*ä;  Imper. :  nal'äjti,  no&äti,  turn'äfö,  d&kaf'äfc  — 
aber  k&Pänü,  wenn  richtig  aufgezeichnet. 

c)  *k  =  U:  brUh,  brähi,  vrfäüta,  sfe§,  mesinfona. 

d)  *k  =  e:  ütre,  nitre,  blize,  öäkande,  rtyce  (Du.),  £e- 
lezä,  mene. 

c)  ab.  Np*k-  entspricht  &r-  und  tere-:  6'rvb,  &rvä,  öirese. 

B.  Dialect   der  nordlichen  Umgebung  von  Saloniehi. 

43.  Hier  wurde,  wie  in  allen  macedonischen  Dialecten  mit 
Ausnahme  der  südöstlichen,  *fc  allgemein  zu  e.  Dies  e  konnte 
in  unbetonten  Silben  dann  zu  i  reducirt  werden.  Ns.  rekata, 
deUj  meh,  venec  (Reif),  lep,  zvezda,  ürihi,  mlekü,  mlhcnik, 
treva,  strhda,  stretlh;  vera  neben  vhri,  es  ist  demnach  in  diesem 
Falle  vor  harter  Silbe  e  ein  wenig  breiter;  m'hsec,  tfemo;  — 
Gr.  vera,  trhva,  dhca,  snek,  etc.;  Bug.  wiesic,  bela,  bili,  ZiVezo, 
creva;  Vat.  rn&h,  streda,  nedela,  nedUi,  crevü  neben  öüresa; 
Var.  oreh,  vira. 

Vor  6  entwickelte  sich  durch  vorzeitige  Engenbildung  ein 
schwaches  j:  Ns.  8vkj6a,  Gr.  vreJ'6a}  svetta,  Bug.  sveJ6a. 

Nach  r  wurde  unbetontes  e  infolge  der  grösseren  Kraftfiille 
der  Liquiden  absorbirt,  worauf  r  die  silbenbildende  Function 
übernahm:  vrtänH  Ns.,  aber  Bug.  vre&nü. 

C.  Debradialect. 

44.  Gleich  der  grossen  Mehrzahl  der  macedonischen  Dialecte 
hat  auch  dieser  Dialect  durchwegs  e  flir  *k:  Gal.  siiek,  cbvekot, 
dete,  deca,  mleko,  veri,  verni,  rüpa,  bbesa,  trebet,  mre£a}  tr&ca, 
lebovi  etc.;  Impf.:  fälef,  fäle§e,  bef,  bl&e;  doch  cure$a  neben 
örevü;  Kl.  vreme,  6oek,  cvece,  vriöa,  xveHa,  d'ete,  riemat,  bdef 
(Impf.);  Ob.  petet,  ibek}  bhto,  bref,  preko,  treva,  r^eka,  mFt&c, 
str'eda,  mVeko,  titr'e,  nigde,  svegdö;  Impf.:  pänef,  pasese,  bef, 
be$e.  Abweichend:  ö^evo,  c*reva  und  das  auch  sonst  seine 
eigenen  Wege  gehende  öerema. 

A. 

A.  Dialect  von  Suho. 

45.  Ucbereinstimmend  mit  seinen  nächsten  Nachbarn,  den 
Dialecten  von  Kireökjoj  und  Ajvatovo,   bleibt  im  Dialect  von 


Macedoniache  Stadien.  27 

Suho  unbetontes  a  bewahrt  und  wird  nicht  zu  ^  reducirt,  z.  B. 
nbskana,  zatväfam,  bblaci,  sogar  gradzna. 

Die  Absorption  des  a  nach  r  in  mfs  ist  demnach  auf- 
fallend, umsomehr  als  daneben  a  in  bbras  und  selbst  in  kraj 
unverändert  bleibt. 

Anm.  Das  Verhältniss  von  gradXna  zu  mj's  ist  ein 
deutlicher  Fingerzeig,  dass  in  diesem  Dialecte  unbetontes  a 
nicht  unmittelbar  an  ab.  a  anknüpft,  sondern  dass  es 
zu  ^  reducirt  wurde,  das  dann  sowie  etymol.  z  oder  ^ 
als  Reflex  des  Jk  behandelt  wurde:  in  unbetonten  Silben 
wurde  es  zu  einem  a-Laute.  Dadurch  erhalten  wir  auch 
die  erwünschte  Parallele  zu  dem  ähnlichen  Wandel  des 
unbetonten  e  und  o  zu  I  und  &,  die  gewöhnlich  dort 
erscheint,  wo  auch  a  zu  a  reducirt  wurde.  Die  Ent- 
wicklung von  mras  zu  tnf*  ist  allerdings  durch  das  r 
hervorgerufen,  aber  dass  die  Mittelstufe  mrts  wegen  des 
r  zu  mfs  wurde,  im  Gegensatz  zu  gradlnä  aus  gndina, 
beruht  auf  der  vom  Accente  abhängigen  verschieden- 
artigen Behandlung  des  Halbvocals.  —  Ob  unbetontes  a 
in  Suho  volles  a  und  nicht  etwa  a  sei,  vermag  ich  jetzt 
nicht  zu  sagen. 

46.  ü  (aus  unbetontem  o)  für  unbetontes  a  in  näopükü 
dürfte  auf  irgend  einer  Analogie  beruhen.  Das  wegen  des  ü  vor- 
auszusetzende o  ist  wahrscheinlich  erst  aus  ^  hervorgegangen, 
wenn  auch  nicht  auf  rein  phonetischem  Wege,  sondern  an- 
gelehnt an  Wörter  auf  -ok  (-ik),   vergl.  pik  in  Voda,   Kostur. 

47.  Tautosyllabisches  aj  =  ej.  Unbetontes  a  wird  dem  fol- 
genden tautosyllabischen  j  zu  e  assimilirt:  igrej  gegenüber 
igräjti,  Sltij,  äitijti,  vlkej,  vlkejti,  cäkijti  gegenüber  iäkaj, 
maZkijtä  aber  mätkgj,  pltaj. 

Betontes  tautosyllabisches  aj  bleibt  unverändert:  däj,  kräj. 

jajcb  wurde  zu  ice,  icä}  indem  unbetontes  a  zwischen 
zwei  j  nicht  bei  I  stehen  blieb,  sondern  sich  durch  Assimi- 
lation an  das  vorausgehende  j  zu  i  weiter  entwickelte,  vor 
dem  dann  im  Anlaut  j  schwand:  jajcl,  jtjcb,  jijcb,  ich 

Anm.  Einen  ähnlichen  Lautprocess  können  wir  auch 
sonst  im  Slavischen  nachweisen.  So  wird  z.  B.  im  Gouv. 
Archangelsk  jisf  gesprochen,  also  i  für  *k  zwischen  zwei 


28  VHI.  Abhandlung:    Obl»k. 

palaialen  Lauton,  während  sonst  hier  niemals  t  far  \ 
erscheint  (Sachmatov  166) :  im  Südgrossrnss.  ucrnb  und 
darnach  auch  utut  (Sobolevskij  im  iKMITp;  1894,  Nov.  28). 
Aehnlich  im  slovenischen  Jannthalerdialect  ßzerb,  Cirkno 
jizera. 

48.  ä  =  a  nach  palatalen  Consonanten.  Nach  den  Pa- 
latalen £,  $,  &  und  allen  erweichten  Consonanten  lautet  a  zu  ä 
um.  In  betonten  Silben  bleibt  ü,  in  unbetonten  aber,  wo  die 
Einwirkung  der  Weichheit  des  vorausstehenden  Consonanten 
stärker  und  auch  eine  lnclination  zur  Reduction  vorhanden 
ist,  wird  es  zu  §.  In  den  umgelauteten  Silben  iä,  iä9  zä  sind 
£,  8,  i  noch  weiche  Laute. 

a)  mhdiäj  t.äkam,  iäba}  iabl,  tu$a,  v$~ilä}  pqtefti. 

b)  ii8t(lv§m,  kuppm,  8lil8§m,  iiedälq,  du8$  kommen  hier 
nur  insoweit  in  Betracht,  als  sich  ihr  &  in  der  1.  Sgl.  Präs. 
im  Auslaute  zuerst  zu  einem  a-artigen  Laut  entwickelte,  der 
dann  ähnlich  dem  n  umlautete.  Vielfach  erscheint  aber  da- 
neben neuerdings  a,  übertragen  von  den  Formen  mit  harten 
Consonanten  vor  &,  z.  B.  kru$a9  kaiay  zeiiiata,  kazam,  Jdanqim. 

49.  Nach  j  bleibt  a,  möge  es  urslav.  a  oder  vorslav.  e  ent- 
sprechen: jas,  jävür,  jägne,  jäbtqka,  jästa,  jäsli,  jäkü,  jViin, 
Stojäne.  Neben  de.m  bereits  erwähnten  jam  erscheint  das  um- 
gelautete  ä  vor  einst  weichen  Consonanten  im  Imper.  jä$, 
jidäte,  auch  jidüS  (2.  Sgl.  Präs.).  Ausserdem  jere.  Der  Grund, 
dass  a  nicht  umlautete,  ist  wohl  nicht  darin  zu  suchen,  als 
ob  j  in  manchen  dieser  Beispiele  erst  nach  dem  Aufkommen 
des  Umlauts  von  a  zu  ä  hinzugetreten  wäre,  sondern  der 
Umlaut  unterblieb,  weil  das  ursprünglich  stark  palatale  j  einen 
bedeutenden  Theil  seiner  Palatalität  verloren  hatte.  Deshalb 
sehen  wir  in  mehreren  bulgarischen  Dialecten  j  im  Anlaute 
schwinden  und  können  bereits  in  den  mittelbulgarischen  Denk- 
mälern nach  j  ein  Schwanken  zwischen  &  und  A  beobachten. 

B.  Dialect  der   nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

50.  Auch  dieser  Dialect  behält,  wie  fast  alle  Macedoniens, 
unbetontes  a  ohne  Reduction  desselben  zu  *.  Wenn  hie  und 
da  dafür  i  erscheint,  so  sind  immer  ganz  bestimmte  Be- 
dingungen dieser  Reduction  vorhanden.  Ns.  rabbta,  gävran, 
tkajäh  etc.;  Gr.  järüta  etc.;  sogar  stranä  Ns.,  gradina  Bug. 


Macedonische  Stadien.  29 

» 

In  Vat.  finden  wir  schon  die  Reduction  des  unbetonten  a 
zu  h  in  der  Lautgruppe  ra  und  nach  j:  igryjäh,  jb(fonca9  nach 
j  auch  in  Var. :  znäjbh ,  stbjhh.  In  i\gra ,  Hgtq,  Ns.  sind  in 
dem  a  schon   die   ersten  Ansätze   dieser  Reduction  vorhanden. 

Sogar  betontes  a  wurde  in  der  Nachbarschaft  des  m 
zu  i:  mWa  Var.,  wo  der  verdumpfende  Einfluss  des  m  im 
Spiele  war.     In  Ns.  listavica. 

51.  Vollständiger  Schwund  des  a  ist  eingetreten  nachj:  Ns. 
pbjsovl  neben  pbjas7  znäjH,  stbjH  neben  znajbh,  stbfoh,  wobei 
die  Präsensformen  znajS,  znajme  mitwirkten.  Mitwirkend  war 
auch  der  Wortumfang.     Gr.  pojs,  pojsi. 

Der  Schwund  des  auslautenden  a  vor  dem  Artikel  -ta, 
was  wir  auch  in  anderen  Dialecten  finden,  z.  B.  mbjta  Vat., 
mbjta,  tvojto  Var.  gegenüber  nevlstata,  fänata  Ns.  ist  nicht 
rein  phonetischer  Natur.  Für  das  Verhältniss  vom  fem.  mojta 
zum  masc.  mojöt ,  mojbt  war  auch  das  Verhältniss  von 
solchen  Adjectiven  wie  tänük,  tenka  und  sogar  solche  Bil- 
dungen wie  rhkel,  rekla  mitbestimmend.  In  anderen  Dialecten, 
z.  B.  in  Ajvatovo,  ist  der  Schwund  des  a  vor  ta  viel  aus- 
gebreiteter. 

52.  Unbetontes  a  wurde  zu  ü;  die  Mittelstufe  ist  wohl 
o:  nazüt  Ns.,  Gr.,  Bug. 

53.  Tautosyllabisches  aj  bleibt  selbst  in  unbetonten  Silben 
bewahrt,  z.  B.  jäjce,  jäjca  Gr.,  Vat.  Es  ist  deshalb  nicht  ganz 
sicher,  dass  die  Imper.  üekij,  igrij,  gledij,  pltij,  fädij  neben 
den  Plur.  telcdjte,  Hgrdjti,  gleddjti,  pitdjte,  fadäUi  ihr  un- 
betontes ij  lautlich  aus  aj  entwickelten.  Es  können  dabei 
auch  andere  Imper.  wie  vrveHi,  kupe^te  mitgewirkt  haben. 

54.  Nach  den  Palatalen  und  erweichten  Consonanten  tritt 
unter  keiner  Bedingung  der  Umlaut  des  a  zu  ä  oder  e  ein. 
Daher:  Ns.  df&äli,  &äbi}  iäba,  hati;  Gr.  jägne,  järüta,  iäbi, 
jäsin;  Bug.  dfiäli,  ofcäri,  järl;  Vat.  kä$i,  jasli,  jägne;  Var. 
6ä$i,  jäsli,  mUca.  Darin  stimmt  dieser  Dialect  mit  den  mace- 
donischen  mit  Ausnahme  der  südöstlichen  überein. 

Vom  gewöhnlichen  Umlaut  des  a  zu  e  zu  trennen  ist 
öetcam  Gr.,  Bug.,  tekij  Vat.,  öetom  Var.,  das  sich  mit  e  auch 
in  anderen  macedonischen  und  westbulgarischen  Dialecten  findet. 
Auch  das  Serbische  hat  Üekati  und  ebenso  das  Böhmische  neben 


30  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

takati,   alles  Beweise,  dass  es  nicht  auf  gleiche  Linie  mit  den 
übrigen  Beispielen  des  Umlautes  zu  stellen  ist. 

C.  Debradialect. 

55.  Hier  hat  a  bis  auf  vereinzelte  Ausnahmen  keine 
nennenswerthe  Veränderung  durchgemacht:  unbetontes  a  wurde 
nicht  zu  i  reducirt,  nach  dem  Palatalen  tritt  kein  Umlaut, 
vor  j  nicht  die  Assimilation  zu  e  ein.  Z.  B.  Gal.  decata,  nä- 
praviy  prbdadof,  pü5(atey  jäsli,  jägne,  bföari,  prijäteli,  gledajte, 
jäjce)  Kl.  rabotaf,  orüzina;  Ob.  pbrastof,  livada,  jägiid,  jä&li7 
zat,  järd,  zbFa,  jäjce. 

Auch  hier  teka,  öekaä  Gal.,  gegenüber  öäkaf,  öäkafine 
Kl.  und  iakam  Ob.  Dies  Auseinandergehen  der  drei  so  nahe 
verwandten  Mundarten  ist  merkwürdig.  Jedenfalls  ist  die  Form 
mit  a  das  Auffallende,  da  alle  N  achbar  dialecte,  sowohl  die 
nördlichen,  serbischen,  als  die  südlichen,  macedonischen,  dafür 
die  Form  mit  e  bieten. 

56.  Betontes  a,  das  als  Contractionsproduct  einst  lang  war, 
wurde  zu  sehr  breitem  o:  znb  (1.  Sgl.  Prfts.),  zribeü}  neznof; 
Kl.  znom;  Ob.  znam.  In  zgök  Qal.  wird  a  durch  ein  dumpfes 
o  vertreten,  in  Ob.  bereits  ztok,  ausserdem  näzyt. 

o  =  a  nach  m:  mbSöea  Gal.,  nibmit,  izmbmif  Kl.  In 
diesen  Beispielen  wurde  a  durch  das  vorausgehende  m  zu  * 
verdumpft  und  reducirt,  das  dann  an  der  secundären  Ent- 
wicklung des  Halbvocals  zu  o  theilnahm.  Darauf  weisen  solche 
Formen  wie  rmSöaa  im  benachbarten  Dialect  von  Ochrida, 
mihteha  in  KukuS,  rmStea  Resen,  mlsca  Salonichi  und  izmlmi 
Kostur. 

E. 

57.  Die  Aussprache  des  e  ist  in  allen  drei  Dialecten,  wie 
überhaupt  in  den  macedonischen,  die  sonst  im  Südslavischen 
übliche  und  nicht  die  dem  Russischen  und  Polnischen  eigen- 
tümliche; e  ist  also  ein  harter  Laut,  der  nicht  die  Eigen- 
schaft besitzt  vorausgehende  Consonanten  zu  erweichen,  '«  findet 
sich  demnach  nur  in  solchen  Silben,  deren  Consonanten  durch  j 
erweicht  sind,  z.  B.  Xe%  fie,  serb.  M,  ne:  Zjf,  nj  wurde  zu  f,  ta. 
In  den  bulgarischen  Dialecten  schwand  vor  e  vielfach  die 
Weichheit  von  T,  /«,  z.  B.  Ns.  pble,  aber  püsthFa. 


Maeedonische  Stadien.  31 

A.  Dialect  von  Suho. 

58.  Während  für  unbetontes  a  nicht  &  erscheint,  wurde 
unbetontes  e  zu  1  reducirt,  z.  B.  mbrt,  zdrävi,  grbzdi,  HÜri,  idnb, 
idin,  kbrvh,  korini,  ri&9  piveS,  öisäiä,  diÄtifa,  sind,  polt, 
hamin,  kämifii,  pipil,  oäti,  Hihti,  blH,  8ti,  irimblca,  piraiti. 
An  diesem  Wandel  nimmt  auch  das  aus  a  entstandene  e 
theil,  vergl.   §.  31  a,  36  a. 

Allgemein  durchgeführt  ist  diese  Reduction  nicht,  z.  B. 
päenlca,  zeihäta.  Nachbarsilben ,  z.  B.  debeli,  zelena,  und  Ana- 
logie, z.  B.  pecäti  nach  pec,  daneben  jedoch  pi&$,  haben  sie 
gehemmt.  In  daükü  entwickelte  sich  i  aus  unbetontem  t  nach 
Zurückziehung  des  Accentes. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

59.  Auch  hier  wurde  unbetontes  e  zu  t  reducirt.  Haupt- 
sächlich geschah  dies  in  der  Nachbarschaft  von  j  oder  von 
erweichten  Consonanten,  wo  dies  nicht  bloss  als  Reduction, 
sondern  gleichzeitig  auch  als  eine  Assimilation  an  den  palatalen 
Charakter  des  Consonanten  aufgefasst  werden  kann,  und  vor 
2,  n,  r,  vergl.  §.  11.  Ns.  pbli,  zlli,  jäjci,  jägni,  sfonci,  Udln, 
citlri,  sitzte  aber  sechh,  Ibzl,  grbzdi,  uoUi,  tltlpüvah  aber 
tepäh,  iesin,  dhrir,  doch  kämen;  Gr.  ortiH,  zdrävi,  Hfortok, 
iidnb,  kamhie,  8trini;  Bug.  zdrävi,  vlH&;  Vat.  Ibzi,  kämin, 
Jidnä,  HVtzo,  kämin,  Urbica. 

Nach  j  vor  folgender  Silbe  mit  i  erscheint  i:  Hriblca  Ns. 

Vor  l  wurde  e  in  einigen  Suffixen  zu  h  reducirt  ohne 
Rücksicht  auf  die  Betonung,  der  beste  Beweis,  dass  wir  es  hier 
mit  einer  Einwirkung  des  l  zu  thun  haben:  petht  Gr.,  kisfM  Vat. 

Nach  j,  n,  r  ist  in  einigen  Fällen  vollständige  Absorption 
eingetreten:  Ns.  biH,  bV  neben  bijem,  tkaH,  ZniH,  Bug.  sirüa, 
dbnci  (donesi)  donc&te;  Vat.  xirhe,  inijS;  Var.  dbnsvm,  dbnsi, 
dbnsit  neben  donUhHe,  brojmi,  broHi  neben  brojln ,  skjme, 
plujme;  vergl.  donsa  Kireökjoj;  ausserdem:  pöenka  Ns.,  Hirt  Gr. 

In  betonten  Silben  erhielt  in  wenigen  Beispielen  e  einen 
leichten  i- Vorschlag,  z.  B.  ä'es,  s^edüm  Ns. 

C.  Debradialect. 

60.  Unbetontes  e  bleibt  unverändert.  Wenn  in  vereinzelten 
Fällen   dafür   9   eintritt,    so   sind   diese  Veränderungen   durch 


32  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

die  umgebenden  Consonanten  und  die  Analogie  bedingt.  Gral. 
erebica,  ezere,  prtjatel,  jajce9  btderne,  8]ncey  täte  etc.;  Kl. 
näSeto,  cütet,  edin,  rbbeüe}  zbirame,  corven. 

9  in  unbetonten  Suffixen  vor  n:  Gal.  kämen,  kärnziie, 
vM9ne,  ed9n  (9  =  b)  neben  toZene. 

In  Ob.  neben  gewöhnlichem  e  bereits  spontaner  Wandel 
des  unbetonten  e  zu  9,  der  aber  auf  dem  Einfluss  eines  anderen 
bulgarischen  Dialectes  beruht,  z.  B.  prijateli,  Jciselo,  pbmen, 
erebica,  kamen  aber  bro&d,  tUfte,  und  ebenso  in  der  Nachbar- 
schaft von  n:  llö9tie,  8ir97ief  känwfia,  jädw'ie. 

Selten  ist  '«;  rtfeita  Ob. 


A.  Dialeot  von  Suho. 

61.  Parallel  mit  der  Reduction  des  unbetonten  e  zu  I  ging 
die  Entwicklung  des  unbetonten  o  zu  ti,  z.  B.  rhusü,  cävah, 
i&zetü  neben  Ibzi,  fofdüvlca,  timih,  dänesüh,  brüfii  gegenüber 
brbjzm,  dükärvam  aber  dbkari,  &ven}  vrämetä,  smbüta  etc.  In 
derselben  Weise  wurde  auch  0  für  z  behandelt,  vergl.  §.  9. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

62.  Auch  hier  wurde  unbetontes  0  zu  ü,  nur  hielt  sich  da- 
neben noch  01  Ns.  Btü,  rämnü,  ütipüvah,  ürü£ti,  üreh,  skükäh, 
ptwteTa  neben  üovek,  godtna,  oräöi;  Bug.  üruäfen,  vre&nü,  tireh, 
tfivek,  gülema;  Vat.  dibtivi,  nü6evam9  güMp,  zttü;  Var.  dtivek, 
8bnuvi,  gü  neben  Hrbkö,  zdrävö.  Diesen  Wandel  machte  auch 
das  aus  &  hervorgegangene  0  mit,  z.  B.  nib£M,  vergl.  §.  15. 

u  in  nogu  (mnogo)  Ns.,  Bug.  ist  angelehnt  an  solche  Bil- 
dungen wie  dolUj  vt/rhu. 

^  für  unbetontes  0  in  g*lvp  Gr.,  Bug.,  </aÄp  Var.,  ffbjpp 
Ns.  ist  nicht  das  Resultat  einer  Reduction,  sondern  einer  Assi- 
milation an  das  ^  der  folgenden  Silbe,  gifip  (Ns.)  entstand 
erst  aus  älterem  g^fop,  das  auch  in  ostbulgarischen  Dialecten 
zu  finden  ist,  vergl.  Archiv  XVII  174. 

Der  Schwund  des  anlautenden  0  in  va  (fiir  alle  drei 
Genera),  vije  Ns.,  va  Gr.,  va,  va*  Bug.  wurde  gefördert  durch 
Anlehnung  an  die  consonantisch  anlautenden  Pronomina,  insbe- 
sondere an  vije  (Neubildung  mit  Zugrundelegung  des  alten  vy\ 
Dieser  auch  in  anderen  südmacedonischen  Dialecten  verbreitete 


Macedonisehe  Studien.  33 

Schwund  des  anlautenden  o  des  Pronomen  om»  z.  B.  in  Voden, 
Kostur,  Veles  erinnert  an  die  Ausgleichung  des  Auslautes  beim 
Pronomen  ja  (azt)  mit  ti. 

Nach  r  wurde  unbetontes  o  zu  *  reducirt:  stärw  Var. 

Betontes  o  entwickelte  sich  in  mehreren  Fällen  zu  uo, 
d.  i.  vor  o  erscheint  ein  kaum  wahrnehmbares  u:  Ns.  ubUiy 
"bstrüy  ubgiA,  kubledi,  kubnic}  hubdiä  und  sogar  puozla£torvh\  Gr. 
yHornö,  hubdgm,  "bgifi;  Vat.  Jcubza;  Var.  ub8um,  ubgin. 

Der  Vocal  o  erscheint  auch  in  bHe  Bug.,  ub$te  Gr.,  ubHi 
Ns.,  b§  und  ubUe  Vat.,  bSie  Var.,  kein  este;  ebenso  nur 
kblkxlj  tblM  Ns. 

C.  Debradialect. 

63.  Unbetontes  o  erleidet  hier,  wie  überhaupt  in  den  meisten 
macedonischen  Dialecten  mit  Ausnahme  der  südöstlichen,  keine 
Aenderung,  daher  Gal.  räbota,  tiiroko,  dfvoto ;  Kl.  näseto, 
oüdoe,  movoi  (Nom.  Plur.)  etc.;  Ob.  klselo,  Siroka ,  prodädoe, 
ggledatOy  folg. 

Anm.  Mein  Gewährsmann  aus  Oboki  sprach  auch 
in  betonten  Silben  öfters  g  für  o,  z.  B.  bgon,  bgnoi,  gbst, 
kha£i}  b§to.  Es  ist  dies  entweder  eine  individuelle  Eigen- 
thümlichkeit  der  Aussprache  oder,  was  mir  wahrschein- 
licher zu  sein  scheint,  beruht  g  auf  dem  Einfluss  anderer 
bulgarischer  Dialecte,  die  den  Halbvocal  besitzen.  Deren 
Aussprache  wurde  von  jenem  Worte,  wo  sie  dem  o  für 
%  und  7k  von  Ob.  gegenüberstehen,  auch  auf  etym.  o 
übertragen,  u  =  o.  In  mnogu  Gal.  beruht  u  auf  der 
Analogie  anderer  Adv.,  vergl.  §.  62,  in  mignüvafie  ist  es 
angelehnt  an  die  Substantiva  Verbalia  von  Verben  VI.  Gl., 
wo  o  durch  das  präsentische  u  verdrängt  wurde.  Auf- 
fallend ist  gü]<ap,  für  das  man  wohl  gbfep  oder  ga\q,p 
erwarten  würde.  Vielleicht  beruht  es  durch  die  Mittel- 
stufe von  ^  auf  der  tief  gutturalen  Aussprache  des  g  und 
auf  dem  einst  dunkleren  £,  vergl.  gulab  in  Kißava. 

Befremdend  ist  uUe  Gal.,  uätv  Ob.  mit  seinem  u  auch 
bei  vorauszusetzender  älterer  Unbetontheit  des  o,  denn  o  ent- 
wickelte sich  in  diesem  Dialect  nicht  spontan  zu  u.  Auch  in 
Ochrida,  Bitolj,  Prilep,  Veles,   wo  überall  unbetontes  o  unver- 

8itarang8b6r.  d.  phiL-biat.  Cl.  CXiXIV.  Bd.  8.  Abb.  3 


34  VIII.  Abhandlimg:    ObUk. 

ändert  bleibt,  wird  uäte  gesprochen.  —  )Ste  Kl.  entwickelte 
sich  ans  dem  auf  einer  anderen  Lautstufe  stehenden  jeite 
durch  Assimilation  des  e  an  das  vorausgehende  j  beim  weichen 
Charakter  der  folgenden  Silbe. 

ktiaö  neben  kfyaöi  Ob.  ist  wahrscheinlich  eine  individuelle, 
auf  der  Dialectmischung  bei  meinem  Gewährsmanne  beruhende 
Eigentümlichkeit. 

Schwund  des  unbetonten  o  in  stritva  KL,  was  bei  diesem 
Verbum  auch  in  mehreren  anderen  Dialecten  zu  finden  ist 

64.  e  =  o.  In  izere  Gal.  beruht  e  auf  der  Analogie  der 
Substantiva  auf  -c  (a),  wie  jare,  vreme}  die  mit  Zugrunde- 
legung eines  secundären  n-Stammes  den  Plural  auf  -ina  bilden, 
also  zu  Collectiven  wurden.  Diese  Pluralbildung  wurde  zu- 
nächst auf  die  Substantiva  auf  -£t-  (telg)  und  dann  auf  alle 
Neutra,  die  auf  -e  endigen,  z.  B.  more,  pole,  ausgedehnt,  und 
schliesslich  gerieth  auch  ezero  in  diesen  Kreis  und  es  wurde 
zum  neuen  Plur.  ezhrifia  der  Sgl.  hsere  gebildet;  vergl.  im 
slovenischen  Rosenthalerdialect  den  Nom.  pari,  Cirkno  perey  weil 
das  Wort  in  die  Declination  der  «-Stämme  überführt  wurde, 
Archiv  XIII  58.  Auch  im  Böhmischen  wurde  nebo  durch  den 
Einfluss  der  Cas.  obliq.  vom  Stamme  nebes-  an  more  angelehnt 
und  zu  nebe  umgeformt  (Gebauer,  Staro&es.  skl.  km.  -O,  40). 
In  analoger  Weise  verdrängte  im  Kleinrussischen  das  pho- 
netisch aus  -je  (ja)  entwickelte  ja  in  betonten  Silben  die  En- 
dung -jo,je,  z.  B.  iitovjd  (IIIaxMaTOB'B,  Hsca'&a.  Bt  ofaacTH  pycc 

4>0H.  67). 

Betontes  o  wird  in  Ob.  vielfach  mit  einem  leichten  An- 
satz eines  u  gesprochen,  z.  B.  nvbga,  kubza9  kuorem$  vergl.  •« 
für  e  (§.  59)  und  *  (§.  42). 

I. 

65.  Der  Vocal  i  ist  in  allen  drei  Dialecten,  wie  überhaupt 
im  Südslavischen,  ein  mittleres  i,  das  vorausgehende  Conso- 
nanten  nicht  erweicht,  und  nicht  das  polnische  und  grossruss.  i. 
Sogar  die  Lautgruppen  Tiy  ni  wurden  in  vielen  macedonischen 
und  bulgarischen  Dialecten  zu  li,  ni.  Vor  diesem  t  können 
abermals  Gutturale  erscheinen,  durch  die  Analogie  aus  anderen 
Formen  eingedrungen. 


Macedonische  Studien.  35 

A.  Dialect  von  Snho. 

66.  Der  Vocal  i  erlitt  keine  Veränderungen  und  bleibt  in 
betonten  und  unbetonten  Silben  bewahrt,  z.  B.  riiva,  baüca,  raz- 
biräh.  Auch  nach  S,  §,  £  bleibt  i  unverändert:  ztf,  zvoa. 

Nur  vor  r  wurde  i  anders  behandelt,  indem  es,  wie  in 
mehreren  südslavischen  Dialecten,  zu  e  wurde:  Serbk.  Einiger- 
massen mag  dabei  auch  die  durch  die  Accentlosigkeit  bewirkte 
Unbestimmtheit  des  Vocales  mitgewirkt  haben. 

Nur  kbikä7  ibifco8  wie  auch  sonst  in  den  macedonischen 
und  bulgarischen  Dialecten. 

Anm.  Es  schwindet  zwar  nach  l  in  einigen  sla- 
vischen  Sprachen  ganz  sporadisch  unbetontes  i,  z.  B. 
böhm.  I  für  li,  altpoln.  albo,  aber  die  Uebereinstimmung 
mehrerer  slavischer  Sprachen,  von  denen  sich  z.  B.  schon 
im  Altpoln.  Jcielko  ohne  i  vorfindet,  macht  es  wahr- 
scheinlich, dass  kolko  und  das  daraus  umgebildete  kielko 
auf  ein  älteres  kohko  zurückgeht,  oder  an  Bildungen  wie 
toh,  kolb  angelehnt  ist.  tolko,  kolko  ist  nicht  bloss  im 
Bulgarischen  allgemein,  wir  finden  auch  in  mährischen 
Dialecten  kolky,  tolky,  slovak.  kolko ,  poln.  kielko,  im 
slovenischen  Dialecte   der  östlichen  Steiermark  telko  etc. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

67.  Auch  hier  bleibt  im  Allgemeinen  i  in  jeder  Lage  un- 
verändert z.  B.  vrüdina,  tidri,  siriiii,  bdime  Ns.  Auch  nach  £, 
&,  2:  ßtü,  B/Vat.,  BXo  Var.;  auch  Slrok  Ns.   Ebenso  siromah  Ns. 

i  =  i.  In  einigen  Fällen  erscheint  fllr  betontes  i  schon  I,  so 
dass  in  diesem  Laute  zwei  unbetonte  Laute  zusammengefallen 
sind:  e  und  i;  z.  B.  Ns.  *i,  dfH;  Gr.  zbbi,  nbsi§}  kräjUta,  sirbk; 
Bug.  Hrokü;  Vat.  Hrbka,  Ugräm  gegenüber  igrij,  prijatel. 

Geschwunden  ist  i  in  naUe  Ns.  theilweise  durch  die 
Wirkung  der  Analogie,  vergl.  §.  51. 

Nur  kblkü,  Ü>lkü  Ns.,  Gr. 

Vor  i  erscheint  im  Anlaute  hie  und  da  ein  leises  j:  Ns. 
Arne,  Hgrä}  ftgia;  Vat.  Uman,  Hgräjs. 

C.  Debradialect. 

68.  Der  Vocal  i  bleibt  betont  und  unbetont  unverändert, 
z.  B.  Gal.  mblite,  kfopina,  plänina,  Stroko,  \g\a;  Kl.  näsite, 
izlkgofj  «tbrif;  Ob.  Siroka,  iastbica,  tririne. 

3* 


36  VIII.  Abfondlung:    ObUk. 

9  =  i.  Unbetontes  i  entwickelte  sich  zu  9  im  Suffix 
iha,  das  zur  Pluralbildung  verwendet  wird:  Ob.  mbrvüa,  j*>- 
htia  etc.  In  Gal.  bleibt  dagegen  t  bewahrt:  ezhriüa,  jarxna; 
in  Kl.  na$9Jot. 

Geschwunden  ist  unbetontes  i  in  dvojca  Kl. 

Tbl. 

69.  'Kl  war  schon  früh  mit  i  in  einem  mittleren  i  zusammen- 
gefallen und  theilte  dann  das  Schicksal  desselben.  Einen  Unter- 
schied zwischen  dem  Reflex  des  ab.  u  und  i  gibt  es  in  keinem 
dieser  Dialecte,  was  ich  noch  ganz  besonders  gegenüber  gegen- 
teiligen Behauptungen  betonen  muss.  Man  spricht  in  Suho 
nur  sin,  sinüvi,  Wcy  k\tkay  kisqia,  slt,  miika,  b\h9  H&ri, 
airifd,  pitam. 

Anm.  Entschieden  unrichtig  ist  die  Behauptung 
einiger  bulgarischer  Aufzeichner  folkloristischen  Materials 
(üCn.  XVII  322,  XIX— XX  258),  die  auch  in  das  Werk 
Kalina's  I  178  Eingang  fand,  dass  sich  in  Suho  in  dem 
z  eine  Spur  des  alten  tu  erhalten  hätte.  Ich  hörte  in 
diesem  Dialect  kein  *%n,  Hh  etc.,  sondern  nur  sin,  bih 
(neben  dem  Impf.  Bäh),  dessen  i  sich  in  nichts  von  den 
übrigen  betonten  t  dieses  Dialectes  unterscheidet.  Ebenso 
endigt  der  Nom.  pl.  der  ä-Stämme  auf  -i,  z.  B.  gn&i. 
Ebenso  unbekannt  ist  a  als  Reflex  des  alten  u  im  Dia- 
lect der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi.  Dagegen 
mag  es  im  Dialect  von  Visoko  vorkommen;  ich  kenne 
letzteren  Dialect  nicht  (vergl.  Archiv  XVII  184). 

70.  In  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi  er- 
scheint gleichfalls  nur  i  für  *u,  z.  B.  Ns.  mltika,  kteelii,  ci&ri; 
Gr.  bik,  xlrini;  Bug.  klsilü;  Vat.  kisbt;  Var.  &t*e£o.  Ebenso  im 
Debradialect,  z.  B.  b\\  Gal. 

Wenn  nach  r  ein  gutturales  und  dumpfes  i  erscheint, 
das  sich  einigermassen  dem  russ.  m  nähert,  so  ist  darin,  wie 
schon  die  Einschränkung  auf  die  Stellung  nach  r  zeigt,  nicht 
das  einstige  alte  tu  zu  sehen,  sondern  u  wurde  in  der  Nachbar- 
schaft des  r  nicht  zum  mittleren  i,  vielmehr  blieb  es  bei  einem 
etwas  dumpferen  y  stehen:  rjfba  Suho,  Ns.,  Gr.,  Bug.,  Vat, 
Var.,  so  auch  in  Ochrida. 


Macedouiscbe  Stadien.  37 

Anm.  Nach  r  scheint  in  mehreren  slavischen  Sprachen 
Td  und  i  in  einem  solchen  mittleren  zwischen  tu  und  i 
stehenden  y  zusammengefallen  zu  sein.  Darauf  deutet  die 
Schreibung  altrussischer  Denkmäler,  wo  gerade  nach  r 
ein  Schwanken  zwischen  'kl  und  H  bemerkbar  ist  (Sobolev. 
.leK.2  74).  Schon  in  altslovenischen  Denkmälern  finden 
wir  vorzugsweise  ein  solches  Schwanken  nach  r,  mag  es 
serbischer  oder  bulgarischer  Provenienz  sein  (Co6o.a.  ^peB. 
U,epK0BH0-c^aB.  a3.  30,  Jag.  Cod.  Marian.  424,  Vondrak, 
Glag.  Cloz.  5,  Archiv  XV  591).  Im  Altslovenischen  dürfte 
dies  auf  einer  Verhärtung  der  Silbe  ri  beruhen  5  weiches 
r  wurde  zu  mittlerem  r. 

71.  t  als  Reflex  des  tu  konnte  ebenso  wie  etvmol.  i  in 
unbetonten  Silben  zu  i,  9  werden:  6et9ri  Gal.,  vor  r  wurde  es 
absorbirt,  daher  f  für  ir:  öetr  punte  gegenüber  Huri  Suho. 

^  in  Uzbk  neben  Jizici  Vat.  beruht  wahrscheinlich  auf  der 
Analogie  der  Substantiva  auf  -a&. 

U. 

72.  Im  Dialect  von  Suho  bleibt  u  in  betonter  und  unbe- 
tonter Silbe  im  Allgemeinen  von  jeder  Veränderung  bewahrt,  daher 
tum'äti,  türiS.  Auch  nach  erweichtem  l  bleibt  u  unverändert: 
zatübena,  klut  sogar  mit  Verlust  der  Weichheit  des  l  und  nicht 
etwa  klif.  Wie  zfytiivi,  zentilfci  zeigen,  muss  es  auch  hier 
Ansätze  zum  Umlaut  des  u  gegeben  haben,  denn  auf  einem 
solchen  beruht  die  Entwicklung  des  unbetonten  kurzen  ü  (aus  0) 
nach  dem  einst  weichen  t  in  den  beiden  Beispielen. 

Besonders  muss  jzfdüvlca  (vbdooica)  erwähnt  werden.  Soll 
hier  in  der  That  im  Anlaute  Metathese  des  vb>  w>  zu  w  mit 
später  hinzugetretenem  j  vorliegen?  Auf  fovdovica  beruht  jav- 
dovica  in  Demir  Hissar  (Dorf  Kröovo).  Im  Anlaute  haben 
wir  allerdings  auch  in  Suho  Metathese  in  u&ijpna  aus  usvona, 
usvbn — . 

Im  Dialect  nördlich  von  Salonichi  ist  bei  u  keine  Ver- 
änderung zu  verzeichnen.  Sowohl  kluö  Gr.  als  üzda,  hizda 
Ns.     Dasselbe  gilt  vom  Debradialecte. 


38  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

Halbvocale  in  Verbindung  mit  r,  l. 

73.  Wie  überhaupt  auf  südslavischem  Sprachgebiet,  so  ist 
auch  in  den  macedonischen  Dialecten  jeder  Unterschied  zwischen 
^  und  b  bei  r,  l,  sowie  zwischen  ihrer  ursprünglichen  Lage,  sei 
es  vor  sei  es  nach  r,  l,  geschwunden.  Ursl.  br}  *r  und  rb,  r*, 
ursl.  bly  bl  und  h,  h  haben  denselben  Reflex  ergeben.  Selbst 
in  jenen  bulgarischen  Dialecten,  wo  r&,  h  mit  vr7  -d  wechselt, 
ist  dieser  Wechsel  nicht  von  der  ursprünglichen  (urslavischen) 
Stellung  des  Halbvocals,  sondern  lediglich  von  der  Gestalt  der 
ganzen  Lautgruppe,  somit  von  einem  erst  spät  aufgekommenen 
Princip  abhängig. 

A.  Dialect  von  Suho. 

74.  Der  gewöhnliche  Reflex  des  ab.  rt}  rb,  h,  h  ist  hier 
r*7  t*7  d.  h.  r,  l  mit  nachfolgendem  vocalischen  Element,  das 
ähnlich  dem  Halbvocal,  nur  kürzer  und  reducirter  als  der  ge- 
wöhnliche Halbvocal  dieses  Dialectes  ist.  Es  ist  fast  r,  U 
nur  ist  das  vocalische  Element  auf  der  zweiten  Hälfte  der 
Silbe  concentrirt,  während  sonst  im  Südslavischen  der  erste 
Theil  der  Silbe  die  silbenbildende  Function  übernimmt.  Das 
Verhältniss  von  r8,  i*7  zu  f,  l  ist  ungefähr  dasselbe,  wie  in 
mehreren  slovenischen  Dialecten  das  von  *r  zu  f.  Neben  r*  er 
scheint  bereits  f. 

a)  r5,  t6:  drhtäj  dr9vä7  tr*n7  tr9ni7  umr'kna,  mr*d&va7  pr*s. 
kr*pa7  krhf}  kr  he.  —  df'k,  &pt7  vt*k7  vf'cb,  vl*na,  vf*ni. 
pf'ni,  8$*nci,  bt*ha7  bf*hi7  zälct*nl. 

b)  r:  pfvna7  driftf7  örveni. 

c)  fjt,  fry.  zäkgfni,  zakg,Mäte  neben  zäkt'ni,  jäbtgka.  Ana- 
log dem  q  für  unbetontes  b  finden  wir  demnach  in  unbetonten 
Silben  bereits  q,l7  Iq,:  es  wurde  das  vocalische  Element  bei  l 
so  behandelt,  wie  der  gewöhnliche  Halbvocal.  Das  Schwanken 
zwischen  q,t  und  la  kann,  wie  die  Beispiele  zeigen,  nicht  auf 
dem  urslavischen  Unterschied  von  h7  h  und  bl,  bl  beruhen. 

d)  6er.  Andere  Wege  schlug  die  alte  Lautgruppe  ötk 
6rb  ein.  Sie  wurde  wie  im  Böhmischen  zu  cer,  wogegen  ab. 
Hb7  Hb  von  einer  ähnlichen  Entwicklung  zu  &el  ausgeschlossen 
blieb  und  analog  den  anderen  Fällen  zu  zi*  wurde.  Ich  ver- 
zeichnete  nur:    öerna7   6ervb7   ö'rvä  neben  örveni.     Diesen  Bei- 


r 


Macedonische  Studien.  39 

spielen   ist  auch  öerkva  gefolgt  und  wir  würden  deshalb  nicht 
6arvut  erwarten.  —  Hier  sei  auch  tfreSe  erwähnt. 

Ausserdem:  die  in  den  macedonischen  und  bulgarischen 
Dialecten  seltene  Form  butgärin. 

B.  Dialeot  der  nordlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

75.  Bis  auf  vereinzelte  Ausnahmen  sind  hier  f ,  l  conse- 
quent  durchgeführt. 

a)  f."  Ns.  ppsten,  dfvoto,  nasfduva,  jitfva,  vfni,  obpiäh, 
tfciy  dj-Sam,  dfzava  (ein  Stück  bebauten  Landes),  kfstot,  kff, 
cfoiü,  cfkva,  ebenso  fdqsa,  c'rvenü;  Gr.  pfmna,  svlkjva,  Utpoa, 
vfhiita  neben  vrth,  cfkva,  cfven,  cpno,  auch  f&a;  Bug.  dtfät, 
pfvna,  pfs  neben  prtstfit,  tj-plmi,  vf%am,  crv&na,  cerna;  Vat. 
vmum,  Utpoa,  pf8}  djva  ,  dr&aJte;  Var.  vfne,  pfstöt,  vfba, 
ffhm,  cfkva,  cfno,  cfven. 

b)  |:  Ns.  d\boka,  izd\benoy  v]na,  m|£i,  ml%i9  jablka,  sl^a, 
dlföi  vlc*?  Plna>  Hhi>  fytä;  Gr.  vlk,  plna,  jäbfea,  fyt\  Bug. 
p\na  neben  phn}  blha,  i\t  etc.;  Vat.  8l%i,  jäblka;  Var.  vlk} 
sl%a9  j%b\ka  etc. 

c)  rb,  h:  Ns.  d\%gü,  sfonci;  Gr.  vrlh  neben  vrhüta,  sllncl; 
Bug.  prbstüt  neben  pH,  crbkva,  vrbh,  dfo</,  shnci;  Vat.  prbvna, 
krbfj  drbS,  dfiajte;  Var.  shnce.  —  rtS  (ab.  rbh)  Ns.,  Gr., 
rixtaf  Bug.,  rlda  Vat.,  Var.  sind  von  den  übrigen  Beispielen 
zu  trennen,  da  sie  nicht  zum  Typus  trtt  gehören,  vergl.  serb. 
roi.  Erst  verhältnissmässig  spät  entwickelte  sich  im  Süd- 
slavischen unter  dem  Einfluss  der  Cas.  obliq.  mit  geschwun 
denem  ^  der  Nom.  f£. 

d)  61:  Vereinzelt  steht  moUgm  Gr.,  md£6t  Vat.,  doch 
Ns.  mUvm. 

o 

e)  Wie  die  sub  a)  angeführten  Beispiele  zeigen,  ent- 
wickelten sich  die  altbulgarischen  Lautgruppen  £r&,  £r&  durch- 
gehendes zu  cf.  Darin  stimmt  dieser  Dialect  mit  den  meisten 
macedonischen  und  den  serbischen  überein.  —  i\  (ab.  £h,  Hb) 
blieb  und  wurde  nicht  zu  Zel. 

f)  u:  Wie  in  den  meisten  macedonischen  Dialecten,  die 
aus  dem  Serbischen  eingedrungene  Form  bugari  Ns.,  bugärin  Gr. 

C.  Debradialect. 

76.  Innerhalb  der  Debradialecte  lassen  sich  nach  dem  Re- 
flexe des  ab.  r&,  r&,  h,  h  zwei  Gruppen  unterscheiden,  die  auch  in 


40  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

einigen  anderen  Punkten  der  Lautlehre  auseinander  gehen.  Die 
eine  Gruppe  hat  f,  l,  die  andere  or,  ol}  ohne  Rücksicht  auf  den 
Accent.  Streng  durchgeführt  ist  dieser  Unterschied  nur  bei  r, 
denn  neben  l  erscheint  auch  in  der  ersten  Gruppe,  wenigstens 
in  den  beiden  mir  bekannten  Mundarten,  schon  hie  und  da 
ol.  Zu  der  ersten  Gruppe  gehören  von  den  hier  behandelten 
Mundarten  die  von  Galißnik  und  Oboki,  zur  zweiten  die  von 
Kiene.  Die  erste  Gruppe  mit  ihrem  f,  \  repräsentirt  den 
älteren  Zustand,  aus  dem  sich  ory  ol  durch  die  Mittelstufen 
von  ^r)  il  entwickelten.  Es  wurde  demnach  der  secund&re 
Halbvocal  vor  r,  l  ebenso  infolge  der  secundären  Voc&lisa 
tion  zu  o,  wie  in  jeder  anderen  Stellung  der  ursprüngliche 
Halbvocal,  z.  B.  in  mogta.  Würde  nur  ol  erscheinen,  so  wäre 
es  möglich  anzunehmen,  dass  a  vor  l  durch  die  Klangfarbe 
des  l  zu  o  gefärbt  wurde,  wie  dies  in  dem  benachbarten 
Dialecte  von  Ochrida,  Prilep  etc.  der  Fall  ist,  oder  dass  sich 
o  direct  ohne  die  Mittelstufe  des  ^  aus  dem  l  entwickelte. 
Da  aber  daneben  auch  ganz  allgemein  or  auftritt,  dessen  o 
von  dem  vor  l  nicht  getrennt  werden  kann,  so  ist  sowohl 
für  or  als  für  ol  eine  Mittelstufe  ar,  ^l  anzusetzen,  deren 
Halbvocal  dann  in  der  üblichen  Weise  behandelt  wurde.  In 
der  ersten  Gruppe,  wo  neben  /•,  l  nur  vereinzelt  ol  erscheint, 
ist  es  wahrscheinlich  aus  den  benachbarten  Dörfern  einge- 
drungen. 

Anm.  I  ist  ein  harter  Laut,  doch  nicht  in  dem  Grade 
wie  das  russ.  t.  In  der  Mundart  von  Galiänik  wird  es 
mit  geringer  Intensität  gesprochen  und  ist  nur  schwach 
hörbar.  In  einigen  macedonischen  Dialecten  ist  es  bereits 
geschwunden,  so  z.  B.  in  Stip,  Veles  dtzi,  kme. 

77.  Galiönik.  a)  f,  \:  vfnet,  ietvrti,  dfvo,  pfvi,  trny  krvi, 
vrf  (vrh),  fga,  pfstof.  Ausserdem  er:  cpten,  cfno}  cfkof.  — 
vlk,  vlhÖ9,  plno,  klne,  bhaf  jäblka,  slnce. 

b)  ol:  dolga,  volna. 

78.  Oboki.  a)  r,  l:  pfvi,  prvni,  prst,  trn%  brs,  vfzanka, 
cetvrtgk,  vrf  (vrh),  kff,  kppa,  auch  r&-  Aber  bereits  pvrsti  und 
sogar  vbrnit.  —  dlg,  klrupm,  vlkZena. 

b)  pt;  sgtza,  vgtk}  botva,  poina,  jäbgtka  und  mit  Schwund 
des  l:  sbnee. 


Macedonische  Studien.  41 

Hier  ist  demnach  ol  bedeutend  stärker  verbreitet  als  in 
Galiönik.  Da  ich  mir  daneben  auch  ein  Beispiel  mit  or  ver- 
zeichnete, so  ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  dies  Ueber- 
wiegen  des  ol  in  Ob.  ein  individueller  auf.  der  Dialectmischung 
mit  der  anderen  Gruppe  beruhender  Zug  der  Sprache  meines 
Gewährmannes  ist.  Ebenso  scheint  die  weniger  energische 
Articulation  und  geringere  Vibration  des  r  gegenüber  dem  f 
in  Galicnik  und  *r  eine  Anbequemung  an  die  südmacedo irischen 
oder  bulgarischen  Dialecte  zu  sein. 

c)  cer:  c*rno,  c*rveno9  ctrkof.  Auch  er  dürfte  der  unver- 
fälschten Mundart  von  Oboki  unbekannt  sein. 

79.  Kletie.  or,ol:  vbrnit,  dbrva,  «drp,  vbrvi,  porst  ebenso 
brda,  sogar  corven,  —  volna,  sol^a,  jäbolka  und  sonce. 

Anm.  1.  o  vor  r,  l  in  Kiene  ist  in  der  Regel  ein 
sehr  breites,   in  seinem  zweiten  Theile  zu  a  geneigtes  o. 

Anm.  2.  Die  Aussprache  des  f  ist  nicht  auf  dem 
ganzen  macedobulgarischen  Sprachgebiet  gleichartig.  Sie 
ist  nicht  überall  so  ausgeprägt  wie  im  Serbokroatischen, 
im  Böhmischen  und  in  den  slovenischen  Dialecten  der 
östlichen  Steiermark.  Die  Articulation  des  r  ist  weniger 
energisch,  die  Anzahl  der  Vibrationen  scheint  geringer,  die 
Lippenöffnung  um  ein  Unbedeutendes  grösser  zu  sein  als  im 
Serbischen.  So  wird  f  auch  im  Dialect  der  nördlichen  Um- 
gebung von  Salonichi  gesprochen.  Es  ist  dies  dieselbe  Aus- 
sprache, die  in  mehreren  slovenischen  Dialecten  erscheint. 
Die  bulgarischen  Aufzeichner  von  Volksliedern  etc.  geben 
in  unbehilflicher  Weise  p  durch  ^p  und  ftp  wieder. 

Ausserdem  verzeichnete  ich  nur  aus  der  Mundart  des 
Dorfes  Caredvor  bei  Resen  (nordwestliches  Macedonien)  cpno, 
cjwen,  cfkva  neben  Sereva  und  dbwk,  sbwza,  Zowte,  80wnce. 

Contractlon. 

80.  Der  Dialect  von  Suho  bietet  einige  beachtenswerthe 
Contractionserscheinungen,  die  den  beiden  anderen  Dialecten 
unbekannt  sind.  Die  Contraction  tritt  in  Suho  nicht  bloss  bei 
den  Verben  V.  CL  ein,  die  das  a  des  Infinitivstammes  nicht  be- 
tonen, wie  z.  B.  skäkam,  skäka  ebenso  8lü$$m,  slütiS,  sondern 
in  der  2.  Sgl.  wird  auch  betontes  aje,  uje,  ije,  eje  zu  a,  u}  i, 


42  VUI.  Abhandlung:    ObUk. 

ä}  z.  B.  igräi  aber  igräj$m}  igräj  (3.  Sgl.),  igräjmi,  6üs  neben 
ctyVro,  cuj  (3.  Sgl.),  &y»»t,  ctijti,  iüjft,  dü§  doch  diljym,  duj, 
dujmi;  pfui  neben  pfuj$mf  6i$,  bif  blmi  aber  bijqmy  t££,  tTt/ife, 
vijam,  iltnü,  ämi/Vem,  j5ö$  aber  päj$m. 

Die  Contraction  im  Präsens  tritt  also  nur  dann  ein,  wenn 
auf  ein  j  ein  heller  Vocal  in  einer  geschlossenen  Schiasssilbe 
folgte,  da  vor  einem  solchen  das  j  zu  schwinden  pflegt  In 
diesem  Falle  scheint  der  Vocal  nicht  eine  so  starke  Reduction 
erfahren  zu  haben.  Im  Plur.,  wo  gegenüber  dem  Sgl.  auf  die 
zu  contrahirende  Silbe  noch  eine  Silbe  folgte,  war  durch  die 
Vertheilung  der  Expiration  auf  eine  grössere  Anzahl  von  Silben 
dieser  Vocal  stärker  reducirt  und  schwand  gänzlich  nach  j, 
daher  lujie  neben  fui. 

Dem  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nich i  ist  eine  derartige  Construction  fremd,  daher  z.B.pejqm, 
pejiS,  tujtf,  plujU. 

In  Galidnik  ist  die  Contraction  bei  den  Verben  V.  Cl.  ohne 
Rücksicht  auf  die  Betonung  durchgeführt,  z.  B.  glkda  (1 .  Sgl.), 
gledaS,  glidaty  Setame,  nur  in  der  3.  Plur.  erscheint  die  uncontra- 
hirte  Form  auf  -aet:  glhdaet,  porböaet.  Uncontrahirte  Formen 
finden  wir  ausserdem  in  der  3.  Plur.  Aor.,  z.  B.  izlogae,  pekoe,  ja 
sogar  solche  Formen  wie  bidee,  krVee.  Umso  bemerkenswerter 
ist  es,  dass  gerade  bei  den  Verben  I.  Cl.  und  einigen  anderen  in 
der  1.  Sgl.  Neubildungen  mit  contrahirten  Formen  auftreten, 
x.  B.  £nenf  ftite*,  tria,  trie$,  splja,  *pVety  peJQ,  peJei.  In 
Oboki  cef,  celi  aus  ceoet  nach  Schwund  des  intervocalischen  p. 

Anm.  Die  Contraction  von  öujeS  zu  £u$  erinnert 
an  die  Formen  auf  -oyoyTTk,  oyoyTi,  z.  B.  ß-kpo^oyT«  im 
Cod.  Marian.,  sie  erscheint  aber  gerade  in  der  2.  Sgl., 
wogegen  es  im  Cod.  Marian.  in  dieser  Person  nur  un- 
contrahirte Formen  gibt. 

Oonsonaiitismus. 
Allgemeines. 

Hl.  Der  Consonantismus  der  macedonischen  und  bulgari- 
gehen  Dialectc  nimmt  eine  vermittelnde  Stellung  zwischen  dem 
der  südslavischen  Dialectgruppen  des  Serbokroatischen  und  Slo- 


lUcedoDische  Studien.  43 

venischen  und  den  rassischen  Dialecten  ein.  Im  Allgemeinen 
schliessen  sich  die  macedobulgarischen  Dialecte  in  diesem 
Punkte  viel  enger  an  das  Serbokroatische  und  Slovenische  an 
als  an  den  nordöstlichen  russischen  Nachbar,  sie  zeigen  auch 
darin  im  Grossen  und  Ganzen  den  südslavischen  Typus.  Die 
Weichheit  ist  in  den  bulgarischen  und  macedonischen  Dia- 
lecten bei  weitem  nicht  in  dem  Grade  entwickelt,  wie  im 
Russischen,  insbesondere  im  Grossrussischen.  Deshalb  wird 
auch  der  Gegensatz  zwischen  weichen  und  harten  Consonanten 
viel  weniger  gefühlt  als  im  Grossrussischen,  der  Unterschied 
zwischen  bulg.  te  und  ta  ist  bedeutend  geringer  als  zwischen 
grossruss.  te  und  ta,  denn  bulgarisch  t  vor  e  ist  wesentlich 
ein  anderer  Laut  als  das  grossruss.  t  in  gleicher  Lage.  In 
mehreren  Punkten  weicht  der  bulgarische  und  macedonische 
Consonantismus  vom  serbokroatischen  und  slovenischen  ab  und 
nähert  sich  dem  russischen.  So  kennt  das  Bulgarische  noch 
ein  weiches  r,  mag  die  Weichheit  desselben  auch  nicht  so  aus- 
gebildet sein  wie  im  Russischen,  auch  hartes  l,  jedoch  weniger 
guttural  als  das  des  russ.  i,  lebt  noch  in  sehr  vielen  Dialecten, 
weiches  t,  d  sind  häufiger  als  in  westlichen  Schwestersprachen, 
durch  die  in  einigen  Dialecten  erhaltene  Weichheit  des  £,  ä,  & 
übertrifft  es  sogar  die  meisten  russischen  Dialecte  in  der  Be- 
wahrung des  alten  Sprachzustandes.  Innerhalb  der  macedo- 
bulgarischen Dialecte  sind  es  abermals  die  macedonischen,  die 
sich  durch  ihren  härteren  Charakter  des  Consonantismus  enger 
an  das  benachbarte  Serbokroatische  anschliessen.  Nur  die  süd- 
macedonischen  Dialecte  entfernen  sich,  entsprechend  ihrer  son- 
stigen engen  Berührung  mit  den  centralen  Dialecten  des  Bul- 
garischen, von  den  übrigen  macedonischen  und  gehen  mit  den 
östlichen  bulgarischen  Nachbardialecten.  Sie  haben  nämlich  bei 
einer  grösseren  Anzahl  von  Consonanten  die  Weichheit  gerettet 
als  die  anderen  macedonischen  Dialecte.  Zu  diesen  gehört  der 
Dialect  von  Suho. 

1,  n,  r. 

82.  Der  Dialect  von  Suho  hat  ein  dreifaches  l:  hartes  t 
vor  dunklen  Vocalen,  mittleres  l  vor  hellen  Vocalen  und  weiches 
(erweichtes)  l  für  ab.  ai:  prhtü,  debeli,  zalubena.  Hartes  t  ist 
nicht  in  dem  Grade  guttural  wie  im  Russischen. 


44  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

Zweifaches  n:  hartes  and  erweichtes,  z.  B.  üvh%f  jagte. 
Hartes   und   erweichtes   r:   irimlilce,   dh&tifa. 

Im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi 
sind  gleichfalls  drei  Arten  des  l:  äruBt,  beli,  pbsteta.  i  ist  nur 
mittelhart,  etwas  gutturaler  klingt  es  im  Wortschlusse:  in  kaiai 
ist  es  härter  als  in  predefa  (Ns.).  Damit  hängt  bekanntlich  die 
Entwicklung  des  /  zu  u  im  Auslaute  in  einigen  slavischen 
Sprachen  zusammen,  während  es  im  Inlaute  bewahrt  bleibt 
oder  zu  mittlerem  l  wurde.  —  X  ist  fast  ganz  durch  das  mitt- 
lere l  verdrängt,  ich  hörte  es  in  Vardarovci. 

Zweierlei  n:  n  und  ii}  letzteres  vor  dunklen  Vocalen: 
ptanina ,  ramifia.  —  Unter  den  aufgezeichneten  Beispielen 
finde  ich  nur  ein  mittleres  r. 

Im  Debradialect  sind  einige  geringe  Unterschiede  bei 
diesen  Consonanten  bemerkbar.  Der  Dialect  von  Gal.  hat  ein 
zweifaches  l:  mittleres  und  ein  nicht  stark  davon  verschiedenes 
hartes  \:  ig\a}  pole.  Im  Dialect  von  Kiene  ist  das  zweite  l 
etwas  härter  (gutturaler)  als  in  Gal. 

n  und  11  in  Gal.:  dbnesi,  kon.  —  Unter  den  notirten  Bei- 
spielen finde  ich  nur  mittleres  r. 

Kiene,  i  härter  als  in  Gal.,  ungefähr  derselbe  Laut 
wie  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi,  und 
mittleres  l:  mogta,  ludi.  —  n  und  tf:  näSeto,  ogha. 

Oboki.  Dreierlei  l:  \  wie  in  Gal.,  mittleres  l  und 
weiches  (erweichtes)  l:  gofop,  prolet,  lutje.  Vielleicht  beruht 
dieser  Unterschied  gegenüber  den  beiden  anderen  Debramund- 
arten  mit  nur  zweifachem  l  auf  diabetischer  Mischung  in  der 
Sprache  meines  Gewährsmannes.  —  n  und  ü:  enoS,  baiia.  Ein 
weiches  r  verzeichnete  ich  mir  nicht:  mbrv  und  nicht  mbte. 

t,  d. 

83.  Im  Dialect  von  Suho  sind  mittleres  und  weiches  tf  d 
vorhanden:  turiä,  digam  —  pijt,  rüdenü.  Die  Weichheit  ist 
besonders  bei  t  stark  bemerkbar.  In  djavot  wird  nach  d 
volles  j  gesprochen. 

Auch  nördlich  von  Salonichi  findet  man  mittleres  und 
weiches  t,   doch   ist   dies  sehr  selten  und  nicht  in  dem  Grade 


Macedonische  Stadien.  45 

weich,   wie  im  Dialect  von  Suho:   bstra,   brerfa.    Beispiele  für 
weiches  d  gehen  mir  ab. 

In  den  Debramundarten  von  Galiönik  und  Kletie  habe 
ich  mir  kein  weiches  t,  d  verzeichnet,  sondern  nur  mittleres: 
Gal.  pot,  Kl.  piSite. 

Aus  der  Mundart  von  Oboki  notirte  ich  mir  zwar  cfofi, 
aber  es  ist  mir  fraglich,  ob  weiches  d  in  dieser  Mundart  exi- 
stirt,  sie  dürfte  nur  mittleres  t,  d  besitzen;  d  wäre  dann  eine 
individuelle  Eigentümlichkeit  meines  Gewährsmannes.  Aus- 
lautendes t  wird  nur  schwach  gehört. 

p,  b,  v,  m. 

84.  Die  Weichheit  der  labialen  Consonanten  im  Dialect  von 
Suho  ist  viel  geringer  als  bei  t,  sie  erscheint  neben  den  ur- 
slavischen  Lautgruppen  p7  6,  v7  m  +  j  von  allen  Vocalen  nur 
vor  dem  Reflex  des  *k  ('ä)-}  päsna,  vätf.  Nur  für  urslav. 
pjy  bj  etc.  erscheinen  in  den  macedonischen  und  bulgarischen 
Dialecten  weiche  Labiale,  die  Lautgruppen  pe,  pi,  be7  bi  etc. 
sind   hart,   wenn  sie  nicht  einem  urslav.  pje   etc.  entsprechen. 

Neben  dentolabialem  v  haben  alle  drei  macedonischen 
Dialecte  noch  einen  in  der  Mitte  zwischen  v  und  /  stehenden 
Laut.  Im  Dialect  von  Suho  erscheint  er  hauptsächlich  nach 
tonlosen  Consonanten,  z.  B.  sfirka,  sfivam.  Auslautendes  / 
statt  v,  z.  B.  Bf,  ist  der  gewöhnliche  Dentolabial.  Stärker  ver- 
breitet ist  dieser  mittlere  zwischen  v  und  /  stehende  Laut  im 
Debradialect  (Galiönik),  wo  nicht  bloss  v  vor  vielen  Conso- 
nanten durch  Assimilation  zu  diesem  Laut  wird,  sondern  der- 
selbe auch  an  Stelle  des  auslautenden  h  erscheint,  z.  B.  sldnaf, 
vff7  ftbri,  sogar  ofde.     Ebenso  in  der  Mundart  von  Oboki. 

Auch  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi 
nähert  sich  v  in  ppma  einigermassen  dem  /. 

Im  Anlaute  vor  Vocalen  stehend  ist  v  ein  labiolabialer 
Laut:  woda. 

k,  g,  h. 

85.  Weiche  Gutturale  sind  diesen  Dialecten  bis  auf  ganz 
vereinzelte  Beispiele  unbekannt.   Weiches  k  hörte  ich  in  Suho: 


46  Vni.  AbbAndlungr    Oblak. 

bratke,  povVci,   mustajlce  und  im  Dialect  der  nördlichen  Um- 
gebung von  Salonichi:  ezilc,  Jcitka  Ns. 

C|       8|       Za 

86.  Diese  Consonanten  haben  im  Dialect  von  Suho  noch 
vielfach  ihre  Weichheit  bewahrt.  Hauptsächlich  ist  dies  der 
Fall  vor  dunklen  Vocalen:  cMäk,  icümen,  doch  auch  zäba, 
dui$.  Ebenso  kann  i  in  2;  weich  sein:  m#d£ä.  Die  Weichheit 
scheint  sich  am  stärksten  bei  £,  etwas  weniger  bei  £.  am 
schwächsten  bei  8  gehalten  zu  haben.  In  einem  geringeren 
Grade  ist  6  auch  im  Dialecte  der  nördlichen  Umgebung 
von  Salonichi  weich,  z.  B.  se6ey  f%kam}  ausserdem  tefezü. 

Im  Debradialect  (GaliÖnik)  ist  nur  £  in  ganz  unbedeutendem 
Masse  weich;  viel  weniger  ab  in  Suho,  so  dass  sich  hier  c 
kaum  von  6  unterscheidet:  ibvek,  ietwi. 

In  der  Mundart  von  Oboki  notirte  ich  mir  auch  die 
weiche  Aussprache  dieser  Laute:  cest,  covek,  £Mhd,  £at}  bfcar, 
täkam,  doch  ist  es  mir  fraglich,  ob  sich  mein  Individuum 
dieselbe  nicht  aus  einem  anderen  Dialect  angeeignet  hat. 

c,  s,  z,  dz. 

87.  Nicht  bloss  s,  z,  sondern  auch  c,  2;  sind  harte  Laute. 
Den  Laut  ^  kennen  alle  drei  Dialecte. 

Bezüglich  <?,  d,  k7  $  vergl.  §.  3.  6. 

Verhärtung  und  Erweichung  der  Consonanten« 

88.  In  allen  drei  Dialecten  ist  eine  Neigung  zur  Verhärtung 
ursprünglich  weicher  Consonanten  bemerkbar.  Es  ist  dies  eine 
allen  südslavischen  Dialecten  gemeinsame  Eigentümlichkeit, 
ungleichmässig  in  den  verschiedenen  Dialecten' ausgebildet  Es 
waren  dabei  verschiedene  Principe  bestimmend.  Im  Allgemeinen 
haben  alle  drei  Dialecte  die  Weichheit  der  Consonanten  im 
höheren  Grade  erhalten  als  die  serbokroatischen  Dialecte. 
Insbesondere  gilt  dies  vom  Dialecte  von  Suho.  In  einigen 
Punkten  hat  jedoch  das  Serbokroatische  den  älteren  Zustand 
treuer  bewahrt.    So  wurde  im  Debradialect  weiches   l  zu  mitfc- 


Macedoniache  Studien.  47 

lerem,  zum  grossen  Theil  gilt  dies  auch  vom  Dialect  der  nörd- 
lichen Umgebung  von  Salonichi.  Selbst  der  Dialect  von  Suho 
hat  vor  e  und  i  weiches  l  zu  mittlerem  entwickelt.  In  gleicher 
Weise  schwand  auch  bei  n  vor  e  und  i  im  Dialect  von  Suho 
in  grösserem  Umfange  die  Weichheit,  während  im  Serbo- 
kroatischen bekanntlich  sowohl  Jb  als  h>  erhalten  sind.  Im  Bul- 
garischen bleibt  gerade  vor  dunklen  Vocalen  die  alte  Weich- 
heit der  Consonanten  consequenter  bewahrt  als  vor  e,  i,  vor 
diesen  Vocalen  schwand  sie  gewöhnlich. 

1,  n,  r. 

89.  A.  Dialect  von  Suho.  In  diesem  ist  ab.  X  durch- 
gehends  als  weiches  X  erhalten  a)  vor  u :  Xudi,  zaXhbeni. 

b)  Vor  den  Pluralbildungen  auf  -ja  bleibt  X  vor  dem  um- 
gelauteten  ä,  z.  B.  pnteXä,  vn?itä. 

c)  Durchgehends  weiches  X  in  Xä  fUr  ab.  A*k :  mXükä,  Xäp 
(hUbt);  doch  mittleres  l  in  leä  =  ab.  A*k,  z.  B.  sleäp}  l'ätu. 

Vor  e  wurde  X  selbst  dort,  wo  es  sich  erst  aus  hj  ent- 
wickelt hatte,  zu  l:  pbll  und  zili. 

Mittleres  l  erscheint  auch  in  sol. 

Gegenüber  iovem  mit  i  vor  betontem  o  erscheint  ein  fast 
mittleres  l  vor  unbetontem  o:  low§,  lotiüh. 

Besser  als  X  hat  sich  n  gehalten.  Es  erscheint  fllr  ab.  n, 
nbj  im  Auslaute  oder  vor  dunklen  Vocalen ;  vor  e  und  i  wurde 
es  grösstentheils  verhärtet:  kbri,  vbgrio,  vbgfii,  nhSfiü,  vikaiii, 
bän§,  bäni,  düfß,  kämiM,  auch  zemfie,  jagfie,  doch  nlva,  Jcniga, 
plrarik,  m'äsene,  kbreni  neben  koren.  Vor  dunklen  Vocalen 
und  im  Auslaute  erscheint  n  auch  für  ab.  na  (nicht  fib):  dvhb 
neben  den,  dni,  kämifi,  kbriii,  sogar  teHxki. 

Weiches  r  erscheint  vor  dunklen  Vocalen  als  Reflex  des 
alten '  p  k  und  ausserdem  in  der  Lautgruppe  rä  fllr  ab.  p*k : 
{itfäiqm,  dlHifa  doch  düHiri,  mori;  —  räka. 

90.  B.  Im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Sa- 
lonichi ist  X  seltener  als  in  Suho,  auslautendes  ab.  X  wurde 
grösstentheils  zu  mittlerem  l,  das  öfters  auch  im  Inlaut  selbst 
vor  dunklen  Vocalen  erscheint.  Vor  e,  i  wurde  auch  altes  hj  zu 
mittlerem  l.  Ns.  prijatel,  püsieli  aber  pfo&Xa,  nedela,  pbli, 
ztlly  sogar  kluö,  lüti]   Gr.  prijätil,  lüdi,  kluS]   Bug.  prijateX, 


48  VIII.  Abhandlung:    Obltk. 

uüteZÜt,  doch  lüdi,  klu£,  nedela;  Var.  postiXa,  lüdi,  pbli,  zbli. 
Secundäre  Erweichung:  mofom  neben  molii,  frfam. 

Mittleres  l  erscheint  auch  in  sol  (Ns.). 

Das  nur  iin  geringen  Grade  harte  l  erscheint  überall 
dort,  wo  es  unmittelbar  vor  dunklen  Vocalen  stand,  z.  B.  glava, 
loka.  Von  solchen  Formen  konnte  es  auch  in  die  Silben  li,  le 
mit  ursprünglich  mittlerem  l  eindringen,  z.  B.  debety  Ns.  nach 
debd,  sübrä\i.  Im  Auslaute  erscheint,  wie  bereits  erwähnt,  ein 
härteres  i  als  im  Inlaute,  so  dass  zwischen  JcaZäl,  urü&t,  pekot 
und  planina,  g\ava  ein  kleiner  Unterschied  bezüglich  des  l 
besteht.  I  in  prijatel  etc.  wurde  nicht  zu  i,  weil  es  die  Weich- 
heit erst  spät  aufgegeben  hatte,  —  sol  mit  mittlerem  l  beweist, 
dass  einst  der  Unterschied  zwischen  mittlerem  l  und  /  bedeu- 
tender sein  musste  als  gegenwärtig. 

Mittleres  l  entspricht  ab.  mittlerem  (doch  etwas  weicherem) 
l  vor  hellen  Vocalen  und  auch  weichem  f.  Im  ersteren  Falle 
steht  demselben  vor  dunklen  Vocalen  (ab.  ia,  to,  iu)  hartes  l 
zur  Seite,  z.  B.  bell  aber  be\a  Bug. 

n  entspricht  ab.  n  und  mittlerem  n  vor  altem  auslautendem 
«»,  vereinzelt  sogar  hartem  n.  Auch  ab.  nhj  wurde  vor  Vocalen 
zu  n.  Hauptsächlich  erscheint  n  im  Auslaute  und  vor  dunklen 
Vocalen,  vor  hellen  Vocalen  konnte  es  selbst  dann,  wenn  es 
altem  nhj  entspricht,  die  Weichheit  einbüssen.  Ns.  kbn9  konot 
aber  kohite,  viZina,  ramina,  ubgbh,  luna,  svina,  dh'i,  jäshi,  gor- 
nid,  edinot  neben  edin,  kamen,  sogar  kamini,  jägni,  nihnata, 
slrini  doch  niva.  —  Gr.  koren,  kbrüni]  Bug.  kbnf  ogen,  bäna} 
sviiia ,  vbglir'i,  auch  jägnt ,  aber  kämini ,  niva  und  den ;  Vat 
kbnfti,  vbgen,  den,  aber  jagne^  Var.  uogiii,  kämin,  sogar  bajna 
mit  Vorausnahme  der  palatalen  Articulation,  und  tenki.  Daneben 
gorni,  jagne,  niva. 

Auch  n  wurde  zu  n  in  sbii  Ns.,  Bug.,  sonlif  Ns.,  dagegen 
son  Vat.,  Var.  Es  ist  dies  um  so  merkwürdiger,  da  man  in 
Bug.  neben  son  doch  den  spricht. 

Für  r  erscheint  selbst  vor  a  mittleres  r:  oföära  Var. 

91.  C.  Debradialect.  Die  Mundart  von  Galiönik  kennt 
kein  weiches  l,  es  wurde  zu  mittlerem:  postela,  pole,  prijatel. 
In  sol  *st  das  ^  einigermassen  hart.  Vor  dunklen  Vocalen  und 
im  Auslaute  für  ab.  h  erscheint  ein  mittelhartes  l,   z.  B.  gib- 


Hacedonisoh«  Stadien.  49 

boha9  rribgla,  slde\o  (Nest)  sorwval.    In  Kiene  gleichfalls  kein  T9 
z.  B.  lüdi,  l  ist  hier  härter  als  in  Gal. 

Die  Mundart  von  Oboki  hat  nach  meinen  Aufzeichnungen 
auch  weiches  l,  es  ist  mir  nicht  sicher,  ob  es  einheimischen 
Ursprungs  ist:  Tutje,  zaTubeni,  rikdeti,  pbsteti,  z&Tl  neben  pbleto. 

Dagegen  ist  altes  ü  nicht  bloss  durchgehends  ohne  Rück- 
sicht auf  den  Charakter  des  folgenden  Vocales  bewahrt,  son- 
dern erhielt  sogar  einen  Zuwachs.  Im  Auslaute  wurde  nämlich 
auch  ab.  n*  (nicht  nt>)  zu  n:  Gal.  kon,  ezkrifia,  tiereMa,  jägne, 
töZene,  ogon,  doch  ognevi.  —  den,  aber  dn\7  dhwf,  sogar  te>nko 
neben  thnok.  Nur  8on}  sbnevi;  KL  rbbehe  (rqb-)7  dütä9f  bgoti, 
bgiia;  Ob.  kbn7  bäna,  bäni}  präM,  bgofi,  aber  bgnoi,  dhn,  aber 
denoi,  kbrvte  neben  kubren7  sogar  glaseßnca  (gasSnica).  Doch 
n  für  altes  n:  niva,  knlga. 

Es  wurden  demnach  im  Debradialect  fund  n  verschieden- 
artig behandelt. 

r  für  /:  mbr9}  mbrona  Ob. 

t,  d. 

92.  In  Suho  erscheint  weiches  (palatales)  t  für  ab.  mittel- 
weiches t  vor  b  (tb)  im  Auslaute,  im  Inlaute  nur  vor  a,  o,  vor 
i  ist  es  verhärtet:  ptyt,  pantb,  aber  phtüta,  ribff,  lükiUb,  auch 
fankü,  pent  (pgdb),  doch  pU,  dh)ity  <Rsit7  zht.  Ausserdem  er- 
scheint weiches  t  in  der  Silbe  tä7  ab.  T*k:  (ühnite,  pbnfä. 

In  einer  Reihe  von  Beispielen  ist  die  Weichheit  secun- 
dären  Ursprungs,  hervorgerufen  durch  die  Analogie.  Deshalb 
tritt  die  Erweichung  auch  bei  anderen  Consonanten  ohne  Rück- 
sicht auf  den  Charakter  des  folgenden  Vocales  auf.  Es  sind 
dies  fast  ausschliesslich  Conjugationsformen:  püzlafenü,  sfopfom, 
rüdhiü,  sndam. 

Anm.  Die  Weichheit  des  t  ist  in  diesem  Dialecte 
stark  ausgebildet.  In  dem  unweit  davon  entfernten  Dia- 
lecte von  Neguvan  entwickelte  sich  t  gerade  zu  6.  Ich 
hörte  von  einer  Frau  aus  Neguvan  gbspüd,  ph6  (patb)7 
aber  pltitka,  ze6  (zfib),  na  zävU.  Einen  ähnlichen  Ueber- 
gang  des  i  in  16  (oder  £?)  kennen  mehrere  ostbulgarische 
Dialecte  z.  B.  Kotel,  Malko  Trnovo. 

Sttsnngsber.  d.  pWl.-hist.  CT.  CXXXIY.  Bd.  8.  Abb.  4 


50  VI1L  Abhandlung:    Oblak. 

Im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Saloni 
wurde  ab.  tb  zu  hartem  t,   z.  B.  jnt,  z*et  Ns.,   I  erscheint 
altes   tbj ,    insoweit   sich   dasselbe  nicht  zn  £,  6  entwicke 
brafa,  svafe  Bog.;  ausserdem  rab*olmi  Vat.;  d  der  alten  Li 
gruppe  dbj  wurde  vor  e  verhärtet;   also  de  statt  de,  dje;  grc 
Ns.,  grbzdä  Bug.;  d  vor  altem  -bba  ist  hart:  tvadba  Bug. 

Der  Debradialect  kennt  kein  weiches  t,   d;  altes  tb, 
wurde  zu   t,   d   z.  B.  pbt,    \äkot,   devet  Gal.     Secund&res 
(ab.  tbj)  wurde  zu  6,  Je:  trelci.     Hartes  d  in  avadba  (Gal.). 

p,  b,  v,  m, 

93.  Die  Labiale  sind  im  Dialect  von  Suho,  mit  Ausnahm 
des  Reflexes  des  urslav.  p,  b9  v,  m  +  j  vor  dunklen  Vocalen 
hart  und  zwar  vor  allen  Vocalen,   nur  in  der  Verbindung  mi 
folgendem  *k  sind  sie  weich,  daher  kr*ff  jifdävica,  aber  vätf. 
dvä,  päsna.     Selbst  in  der  alten  Lautgruppe  vbj  wurde  v  vor 
hellen  Vocalen  verhärtet:  zdrävi.     Auffallend  ist  daher  neEet&j 
das   wahrscheinlich    als    eine  Neubildung    *neboje   aufzufassen 
ist,   vergl.  Lavrov   125.     Auch   im  Partie,   zdtvbena  wurde  J 
verhärtet,  wie  die  daneben  noch  vorkommenden  Partie,  p&zla- 
tenü  etc.  zeigen. 

Der  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi 
kennt  gleichfalls  fast  nur  harte  Labiale,  z.  B.  kff  Ns.,  doch 
kupeHi  Bug.,  Vat.  gegenüber  küpam  Bug.,  vergl.  jadqti, 
fatejti,  falejti  Var. 

Nur  harte  Labiale  im  Dialect  von  Debra. 

Ueber  die  Reflexe  des  urslav.  p,  6,  v,  m  -f  j  siehe  §.  110. 

k,  g,  h. 

94.  Die  einigen  bulgarischen  Dialecten  bekannte  Erweichung 
des  k  nach  j  besonders  vor  dunklen  Vocalen,  z.  B.  majlca,  ist 
allen  drei  Dialecten  unbekannt,  daher  nur  majka  Suho,  Ns.,  Bug., 
Var.  Vielleicht  kann  hieher  ezxH  Ns.  gerechnet  werden.  Den 
umgekehrten  Vorgang,  nämlich  die  Entwicklung  eines  j  vor 
weichem  U  in  der  Weise,  dass  die  zur  Erweichung  des  £  not- 
wendige Zungenstellung  schon  vor  der  Articulation  des  £  ein- 


1. . 

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*  T«i  «ii  Ce  drei  Dialecte 
,^-i.  :<=  -~-  -.J.«  auf  jene  Falle  < 
r  riUT.  ■  t»  -i  »ad  ü  bemht,  bo 
■  ~  -^i  -  ^selben  Beispielen  nnd 
c  Iy-.-,  at  dieier  Lant  Beltener 
r-=r  »iri  auca  im  Debradialec*  % 
.xi  «bon  der  benachbarte,  in 
L~_  tbereinstimmende  Dialect  »" 
il  ;  iLgemem  feet  bielt,  njii  d» 
Aüspracbe  des  z  in  »»•»  ™ 
d»«  alten  z  betrachten  durfte. 

..  Snho-.  <»*  wu-  *"*•' 

b)  Dialect  «ordlieb   »"■■ 
m!-i,  en,o,    W«»?»  ud1  f6    ,. 

-i  —  *'."*/^£*.. 

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52  YUI.  Abhandlung:    ObUk. 

Bezüglich   z  in   %a*tra  vergleiche   man  %aran  Samokov? 

Dup.  Dzumaja,   zyrwtb  Trojan,   na%at  Veles,   na&de  Kukul, 

na^ade  Samokov. 

Anm.  1.  ?astra7  das  auch  im  Dialect  von  GevgeK 
(nördlich  von  Salonich  i),  Voden,  Lerin  und  vielleicht  noch 
in  anderen  Dialecten  existirt,  ist  aus  za  utra  entstanden: 
zäutra,  zavtra  f  zavstra  —  letztere  Form  im  Psalt.  Sinait: 
3a  oyrrpa  —  und  nach  Schwund  des  v  in  der  Laut- 
gruppe vs  (vergL  shkakvä,  sikbde  Ns.)  zastra.  Die  Form 
Zastra  mit  *  erscheint  nur  in  jenen  Dialecten,  die  sr  su 
str,  zr  zu  zdr  entwickelten,  z.  B.  streda,  striteh,  ostrami, 
stribrena  Voden;  ustramila,  str  etat  Lerin;  stredi  Gevgeli; 
für  den  Dialect  nördlich  von  Salonichi  vergl.  §.112.  Die 
Lautgruppe  str  war  in  diesen  Dialecten  so  beliebt,  dass 
auch  tr  von  zavtra  im  Wortinnern ,  an  dieselbe  angelehnt 
und  zu  str  umgebildet  wurde,  wie  z.  B.  in  analoger  Weise 
crkva  zu  ierkva  in  jenen  Dialecten  umgebildet  wurde, 
die  altes  tr  zu  ler  entwickelten.  Ich  glaube  also  nicht, 
dass,  wie  Matov  C6M.  V  168  annimmt,  zavtra,  zaftra 
durch  Assimilation  zu  zastra  wurde,  denn  Beispiele  für 
eine  solche  Assimilation  haben  wir  nicht.  Dadurch  ist 
aber  auch  jeder  Boden  der  Vermuthung  Geitler's  (Ein- 
leitung zum  Psalt.  Sinait.  S.  XVIII)  entzogen,  dass  za 
ustra  (rd  rtquit)  des  Psalt.  Sinait.  noch  das  dem  Litauischen 
entsprechende  *  bewahrt  habe,  was  noch  Miklosich  Et. 
W.  373  veranlasste,  utro  mit  der  bei  ihm  selbstverständ- 
lichen Reserve  aus  ustro  zu  deuten:  ,utro  vielleicht  aus 
ustro:  asl.  za  ustra/  Dagegen  gibt  uns  diese  Form  des 
Psalt.  Sin.  einen  Fingerzeig,  wo  wir  die  Heimat  dieses 
Denkmals  zu  suchen  haben:  nach  unserer  jetzigen  Kennt- 
niss  der  macedonischen  Dialecte  im  südlichen  Macedonien, 
vorausgesetzt,  dass  sich  einst  die  Verbreitung  der  Laut- 
gruppe str  für  sr  mit  der  gegenwärtigen  deckte. 

Anm.  2.  Der  Laut  z  ist  keine  ausschliessliche  Eigen- 
tümlichkeit der  macedonischen  Dialecte,  er  lebt  auch  in 
den  west-  und  ostbulgarischen  Dialecten,  wenn  er  auch 
in  den  macedonischen  Dialecten  etwas  stärker  verbreitet 
ist  und  auch  über  die  alten  Grenzen,  die  ihm  durch 
seinen    etymologischen   Ursprung   aus  g  gezogen   waren, 


Mftoedoniscbe  Studien.  53 

gegriffen  hat.  Seltener  ist  %  in  den  Rhodopedialecten 
und  den  sich  daran  anschliessenden  südostmacedonischen, 
denn  selbst  im  Dialect  von  Suho  ist  es,  wie  zv'äzda, 
shza  zeigen;  eingeschränkt. 

97.  In  wenigen  Fällen  erscheint  £  neben  gewöhnlichem  i. 
Suho:  mh$ä,  im  Auslaut  m#£  (mqJh>)}  l$n£ä,  tyfam,  h&if  (IzZa), 
pajr^fani  (pajqkb),  also  ausnahmslos  nach  n,  aber  Zeiezü;  Ob. 
fhlezdo. 

Diese  Beschränkung  des  %  auf  vorausgehendes  n  im  Dia- 
lect von  Suho  macht  es  wahrscheinlich ,  dass  sich  hier  £  erst 
secundär  aus  n£  entwickelte.  Dass  sich  altes  £  hier  gehalten 
hätte^  gestützt  durch  vorausgehendes  n,  ist  mir  weniger  wahr- 
scheinlich, da  die  Entwicklung  des  n  aus  dem  Nasalvocal 
(mr}$ä)  nicht  so  weit  hinaufreicht.  Darauf  weist  schon  der 
secundäre  Rhinesmus  in  lq,n$a.  In  dem  Nasalvocale  kann  aber 
f  keine  genügende  Stütze  gefunden  haben.  Die  schönste  Pa- 
rallele finden  wir  in  in%ik}  vfyzil  in  Suho,  wo  sich  gleichfalls 
Z  nach  n  erst  aus  z  entwickelte,  denn  ursprünglich  kann  in 
diesem  Worte,  wie  das  Litauische  £  zeigt,  der  Laut  $-  nicht 
sein.  Allerdings  wurde  die  Entwicklung  des  nz  zu  n%  dadurch 
unterstützt,  dass  die  Sprache  ein  altes  dz}  z.  B.  nodzi,  besass. 
Eine  gegenseitige  Einwirkung  des  nasalen  Elementes  und  des 
darauffolgenden  Dentals,  allerdings  in  umgekehrter  Richtung, 
ist  in  vielen  polnischen  Dialecten  bemerkbar:  <j,  £  +  t}  d  ent- 
wickelten sich  zu  ant,  and. 

Anm.  In  einigen  bulgarisch-macedonischen  Dialecten 
hat  z  über  seine  ursprünglichen  Grenzen  hinaus  gegriffen, 
es  erscheint  nicht  bloss  als  Correspondent  des  slav.  g, 
sondern  auch  dort,  wo  das  Litauische  £  bietet;  z.  B.  aus 
den  Sprachproben  notirte  ich  mir :  Voden  ^7Äa-to,  zima, 
Zastra,  wr?uvam  neben  altem  druqi,  bla%e,  no^e;  Ochrida 
%izdot,  gveroi,  zapunit  und  altes  8ol%i}  dru^i,  %oezda7  vergl. 
Kaiina  I  299—300,  Lavrov  100,  Sapkarev  C6. 1 29  Anm.  5. 

Uebereinstimmend  erscheint  im  Dialect  von  Voden, 
wo  es  ein  neues  z  gibt,  auch  £:  filezu,  dbl?ila,  nufiöka. 
Es  ist  deshalb  sehr  fraglich,  ob  dies  £  gegenüber  dem  £ 
anderer  Dialecte  einen  älteren  Zustand  der  Sprache  dar- 
stellt.   In  diesem  Falle  sollte  es  viel  consequenter  durch- 


54  V1U.  Abhandlung:    OfaUk. 

geführt  sein.     In   einigen   Dialecten  finden  wir  £  haupt- 
sächlich nach  r  (vr),  z.  B.  Konop&i  v*rfi,   dvrfi,  p*rfi, 
Bttrfiy   birfi  neben  gasmh;   Stara  Zagora  dvrfi   (vergl. 
Kaiina  I  306).     Es  ist  nicht  anzunehmen,   dass  in  diesen 
Worten  urslav.  f  in   dem  r  eine  Stütze   gefunden   und 
sich   gehalten   hätte,    da  es  in  einer   älteren,  für    einige 
macedonische  Dialecte  durch  das  Altslovenische  (Altbul- 
garische) repräsentirten  Periode  des  Sprachlebens,  durch 
einen  halbvocalischen  Laut  von  r  getrennt  war.     Es  ent- 
wickelte sich  erst  später  die  Lautgruppe  rl  zu  rf.  Wenn 
ich    daher  auch  wegen   üdenq   etc.   slavisches   i  auf  ein 
älteres  £  zurückführen  möchte,  so  glaube  ich  doch  mit 
Potebnja  (Archiv  III  365),   dass  in  vielen  Fällen  in  dem 
£  der  heutigen  bulgarischen   und  macedonischen  Dialecte 
kein  Residuum  des  urslavischen  Zustandes  vorliege,   wie 
dies  Miletiö,  Grapofojir.  TpaM.  30  und  C6M.  II  223  fürs 
bulg.   $  annimmt,   sondern    sehe  in  demselben   vielmehr 
eine  nachträgliche  Entwicklung  aus  £.    Es  hat  mit  Recht 
Mareti6,  £ivot  i  k6i£.  rad  Fr.  Mikloöita  17  fürs  montene- 
grinische (und  angrenzend  dalmatische)  ?ub,  %ora}  §asnuti} 
§ak,  in  welchen  Miklosich  noch  altes  ?,  $  sah,  auf  nach- 
trägliche Entwicklung  eines  d  in  §amor,  §ebrak  verwiesen, 
und  ebenso  sieht  auch  Gebauer,  Histor.  mluv.  I  526  f.  in 
dem  £  vielfach  einen  Laut  späteren  Ursprungs.  Von  diesem 
£  aus  &  ist  £  für  urslav.  dj  der  kleinrussischen  Karpathen- 
dialecte  zu  trennen,   denn  dies  ist  gegenüber  dem  £  der 
anderen  russischen  Dialecte  in  der  That  das  ältere,  wobei 
jene  russischen  Dialecte,   die  £  in  solchen   Formen   wie 
hofu  zeigen,   nicht  in  Betracht  kommen;   ihr  f  entstand 
aus  £  durch  Anlehnung  an  die  anderen  Formen  mit  be- 
wahrtem stammhaften  d  (CoßoaeB.   JLeKu;.8  127,  BpaEgvra 
.leim.  125). 

Es  ist  zu  beachten,  dass  selbst  in  solchen  Dialecten, 
in  denen,  wie  z.  B.  in  Ochrida,  %  stark  verbreitet  ist,  nur 
ielezo  gesprochen  wird,  trotzdem  gerade  in  Ochrida  für 
urslav.  dj  gewöhnlich  if  (neben  d,  jj)  erscheint,  z.  B. 
veigi,  6u£fi.  Die  verschiedenen  Reflexe  des  urslav.  dj 
sind  entschieden  jüngeren  Ursprungs  als  der  Wandel  der 
Gutturale   zu   Palatalen,    daher   sich   d  der   urslavischen 


Mocedonische  8tudicn.  55 

Lautgrnppe  dj  auch  fester  hielt,  und  dies  umsomehr,  als 
die  ganze  Entwicklang  nur  auf  einer  Modifikation  des 
erweichten  d  beruht. 


Consonanten  in  Verbindung  mit  nachfolgendem  j. 

98.  1.  Ij,  nj,  rj  werden  za  T,  6,  i,  die  dann  verschieden- 
artig behandelt  werden,  vgl.  §.  89 — 91. 

2.  Urslav.  tj,  dj. 

Zugleich  mit  den  Reflexen  der  urslavischen  Lautgruppen 
tj,  dj  bespreche  ich  auch  die  Vertretung  der  urslavischen  Laut- 
combinationen  stj,  zdj,  sk,  zg  vor  j  oder  palatalen  Vocalen  und 
die  Lautverbindungen  kt  (=  kt  und  gt),  ht,  also  alle  jene  ur- 
slavischen Lautgruppen,  als  deren  gemeinsame  Reflexe  im  ab. 
8t,  id  erscheinen.  Die  macedonischen  Dialecte  gehen  darin 
auseinander.  In  den  südöstlichen  Dialecten  Macedoniens  er- 
scheint für  alle  diese  Fälle  eine  gemeinsame  Vertretung,  näm- 
lich 8t,  id,  die  übrigen  macedonischen  Dialecte,  also  die  grosse 
Mehrzahl,  hat  nicht  bloss  86  für  ab.  8t  —  8t  selbst  ist  nur  in 
sehr  wenigen  Dialecten  zu  finden  —  sondern  neben  8t,  id  auch 
6,  d,  Jt,  £.  Im  Allgemeinen  lässt  sich  aber  auch  in  diesen 
Dialecten  ein  Unterschied  zwischen  den  beiden  Reflexen  der 
urslavischen  Lautgruppen  constatiren,  wobei  ich  6,  d,  und  K,  <jf 
wegen  ihres  ganz  geringfügigen  Unterschiedes  als  &nen  Reflex 
auffasse:  6,  d  und  k,  ff  sind  hauptsächlich  Reflexe  des  urslav. 
tf}  &h  dagegen  86  (8t),  id  (idi)  grösstentheils  Vertreter  von 
altem  stj,  zdj,  sk,  zg.  Doch  kann  ein  solcher  Unterschied  nur 
im  Grossen  und  Ganzen  beobachtet  werden,  im  einzelnen  gehen 
die  verschiedenen  Dialecte  darin  etwas  auseinander. 

A.  Dialect  von  Suho. 

99.  Dieser  Dialect  gehört  zur  südöstlichen  Gruppe  der  ma- 
cedonischen Dialecte,  die  nur  8t,  id  für  urslav.  tj,  dj,  stj,  zdj, 
zg  besitzt.  Da  hier  im  Auslaute  auch  t  schwinden  kann,  z.  B. 
pr*8,  8es,  so  erscheint  neben  8t,  id  im  Auslaute  auch  £;  ganz 
vereinzelt  stehen  zd,  kt. 

a)  8t,  id:  vr&H8ta,  sfe8,  sfe8te,  dtätifa,  klä8te,  \8tam,  b8ti, 
pra&ta  (Bogen),  le&ta,  pla8tam,  faStam,  usno8te,  prenbitim,  stfa- 


56  VIII.  Abhudlaaf :    ObUk. 

da  no8;  grobüte.  —  jä$  (jaidb)  ra£dat7  saidi7  paidam,  izva£damf 
mUdu,  dU}  daidi. 

b)  zdi  nur  das  gleichfalls  einigen  anderen  bulgarischen 
und  macedonischen  Dialecten  in  dieser  Form  bekannte  cüzda. 

c)  £ :  pbvilci,  das  in  dieser  Form  und  sogar  mit  Verlust  der 
Weichheit  des  k  auch  in  ostbulgarischen  Dialecten  verbreitet  ist. 

d)  t:  notnu  neben  dem  bereits  erwähnten  prenbitim  etc. 
I  in  nofnü  deutet  darauf  hin,  dass  das  Wort  einst  £  oder  e 
hatte,  also  *nottnü  lautete,  vergl.  noino  nördlich  von  Salonichi, 
wo  sonst  £  oder  6  erscheint,  auch  serbokroat.  notäo,  worüber 
L.  Masing,  Zur  Laut-  und  Accentlehre  der  macedonischen  Dia- 
lecte  30 — 33.  Beispiele  wie  rüdenü,  pfizlatenü  gehören  als 
Analogiebildungen  in  die  Conjugation. 

100.  Secundäres  tj,  d.  i.  wo  sich  die  beiden  Consonanten 
erst  nach  dem  Schwunde  des  zwischen  ihnen  stehenden  Halb- 
vocales  berührten,  wurde  zu  iJc:  brattee,  trltfcä.  Secund.  dj  bleibt 
oder  wurde  zu  dj:  djfavol  und  djavol. 

Anm.  Ein  solches  tU}  d§  finden  wir  auch  in  dem 
nur  einige  Stunden  westlich  von  Suho  entfernten  Dialect 
von  Ajvotovo,  wo  prltki,  palaiüi  und  daneben  auch 
ghbgi  (aus  gihbji)  gesprochen  wird,  und  in  Ochrida  cvetKe 
C6M.  IV  193,  Matov  nCn.  XLIV,  254.  Wir  haben  es 
hier  mit  einer  Entwicklung  des  j  zu  g  zu  thun,  wie 
schon  ghbgi,  djavol  und  trekki  im  Dialect  von  Malko 
Trnovo.  In  diesem  wurde  das  durch  j  erweichte  f  von 
trefji  wie  sonst  zu  £,  vergl.  deseJc  etc.,  während  sich  j  zu 
<j  und  weiter  durch  Assimilation  zu  £  entwickelte,  das 
schliesslich  verhärtet  wurde.  Dadurch  erinnert  trekki  an 
kleinruss.  platta  (Potebnja,  ^na  H3CJii/V  131),  obwohl  dies 
andern  Ursprunges  ist,  da  sich  j  direct  dem  voraus- 
gehenden Consonanten  assimilirt  zu  haben  scheint.  Am 
klarsten  spiegelt  sich  dieser  Lautprocess  im  Dialect  der 
ungarischen  Slovenen  ab.  Dort  spricht  man  nicht  bloss 
trieilia,  cvetJca,  raspetkfy  (aus  raspetje),  sondern  auch  im 
Instr.  Sgl.  potkjouf  (potjov,  J>qto>3<i)i  9mvikjouf  etc.  und 
daneben  veselgje,  zelgje,  morgje,  lidgje,  also  bei  voraus- 
gehendem tönenden  Charakter  des  Consonanten  gj7  bei 
tonlosem  kj,  £.    Der  Entwicklungsgang  ist  folgender:  j 


Macedoniach«  Stadien.  57 

wurde  zu  einem  stark  palatalen  g,  aus  dem  sich  ebenso 
gj  entwickelte  wie  rj  aus  /.  Von  einem  Einschub  eines 
g  oder  k  zwischen  t,  d  und  j  kann  nicht  gesprochen 
werden ,  da  im  Dialect  der  ungarischen  Slovenen  auch 
gjarem,  gjagoda,  tfetra  gesprochen  wird.  Auch  im  Jaun- 
thalerdialect  und  in  Windisch  Graz  (Steiermark)  spricht 
man  tretki  (vergl.  Archiv  XIV  336  ff.,  Miklosich  im  Fest- 
gruss  an  Böhtlingkh  90).  Die  Entwicklung  des  j  zu  $ 
kennen  auch  einige  nordmacedonische  Dialecte,  z.  B.  noixc, 
mute  (nCn.  XXXIV,  470)  und  von  den  Nachbarsprachen 
das  Griechische  (Hatzidakis  121).  Vor  primären  Palatal- 
vocalen  erscheint  g  für  j  auch  in  deutschen  Dialecten, 
z.  B.  im  schwäbischen  (Fr.  Kauffmann,  Gesch.  der  schwäb. 
Mundart  252  f.). 

Nur  dort,  wo  j  die  volle  spirantische  Aussprache 
hatte  und  nicht  zum  Halbvocal  \  geworden  war,  ent- 
wickelte sich  dasselbe  in  der  Lautgruppe  tj  zu  <f — U.  Wo 
es  vor  Vocalen  in  der  secundären  Verbindung  tj  zu  % 
wurde,  wurde  tj  zu  Ji  oder  6  (Je),  wie  dies  in  den  meisten 
macedonischen  und  serbokroatischen  Dialecten  der  Fall 
ist.  Dieser  Lautprocess  wurde  in  den  macedonischen  und 
bulgarischen  Dialecten  durch  den  Schwund  der  Jotation 
vor  e  und  i  noch  mehr  eingeschränkt.  —  Spirantisches  j 
konnte  mit  vorausgehendem  t  Tteine  enge  Verbindung  ein- 
gehen ;  etwas  ähnliches  sehen  wir  bei  m  im  Kleinrussischen 
und  Weissrussischen,  z.  B.  mjaso  mit  hartem  m  aus  rh 
(Sachmatov  15)  oder  pjit,  bjit  (aus  p>  B)  in  böhmischen 
Dialecten  (Gebauer,  Hist.  ml.  1 418, 422,  Archiv  XVI  524). 
Es  blieb  dabei  tj  oder  wurde  zu  tJc. 

Am  deutlichsten  ist  die  verschiedenartige  Behand- 
lung des  j  und  \  im  Dialect  der  ungarischen  Slovenen. 
In  veselje,  zelje  wurde  volles  j  gesprochen,  wie  noch  heut- 
zutage einige  slovenische  Dialecte  zwischen  veselje  und 
pole  unterscheiden,  daher  veselgje,  zelgje.  Dagegen  pole, 
kapla  aus  älterem  pole,  kapla.  Im  Slovenischen  wurde  f 
zu  rj,  daher  auch  morgje.  In  anderen  slovenischen  Dia- 
lecten, wo  tj  voi;  Vocalen  zu  $  geworden  war,  wo  dem- 
nach auch  veseTe  oder  jetzt  sogar  vesele  gesprochen  wird, 
erscheint  auch  treki,  trejki,  treki  neben  treli.    Die  Form 


58  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

trekki  in  Malko  Trn.  findet  in  der  ausserordentlichen 
Feinfuhligkeit  dieses  Dialectes  gegen  die  Erweichung  und 
in  dem  hohen  Grade  derselben  ihre  Erklärung,  daher 
auch  püc  (pqtb),  deveJc :  trekki  aus  tretji,  tretji ;  tritkü  in 
Suho  aus  tiritjo,  tritKo,  ohne  die  Mittelstufe  von  trefji. 
Viel  unwahrscheinlicher  scheint  mir,  dass  trekki  aus  tretji, 
tretki  durch  Assimilation  entstanden  wäre.  In  diesem 
Falle  hätten  wir  treki  oder  treki. 

B.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

101.  Dieser  Dialect  gehört  bereits  zu  jener  Gruppe  macedo- 
nischer  Dialecte,  in  denen  urslav.  tj,  dj  eine  doppelte  Vertretung 
haben:  1.  86  oder  8t,  £d,  2.  6,  d  oder  K,  §.  Die  zweite  Art 
der  Vertretung  überwiegt  hier  ganz  entschieden;  86,  8€  treten 
gegenüber  6,  d,  K,  §  sehr  stark  zurück,  £d  ist  äusserst  selten. 
Dabei  sehe  ich  natürlich  von  jenen  Fällen  ab,  wo  86,  8t  auf 
urslav.  st j,  skj  beruhen,  da  in  solchen  Fällen,  wie  das  Serbo- 
kroatische, Slovenische,  Altböhmische,  Polnische  etc.  zeigen,  8c 
auch  dort  vorkommt,  wo  tj  niemals  zu  86  oder  U  wurde.  Die 
Laute  6,  d,  K,  §  reichen  demnach  in  Macedonien  bis  vor  die 
Thore  Salonichis,  bis  zur  äussersten  Südgrenze  des  slavischen 
Sprachgebietes  am  Vardar. 

Anm.  Ich  fasse  6,  d  und  K,  §  wegen  des  ganz  un- 
wesentlichen Unterschiedes  als  &nen  Reflex  gegenüber 
bulg.  86  (8t)  und  id  auf.  Bei  energischer  Aussprache, 
bei  starkem  Expirationsdruck  emp&ngt  man  von  diesen 
Lauten  jenen  akustischen  Eindruck,  wie  vom  serb.  6,  rf, 
bei  geringerer  Energie  der  Aussprache  hört  man  dagegen 
U,  <f.  Dasselbe  Wort  lautet  im  Munde  derselben  Person 
bald  mit  6,  bald  mit  K.  Der  Unterschied  zwischen  diesen 
Lauten  ist  eben  so  gering,  dass  der  akustische  Eindruck 
derselben,  ob  6  oder  #,  von  der  Energie  abhängig  ist.  Die 
Laute  6,  d  und  U,  §  unterscheiden  sich  in  den  von  mir 
beobachteten  macedonischen  Dialecten  nur  ganz  minimal, 
weil  sie  nicht  das  Resultat  verschiedener  Articulations- 
stelle  oder  Articulationsart ,  sondern  nur  grösserer  oder 
geringerer  Energie  bei  gleicher  Articulation  sind.  Beiden 
Lauten  gemeinsam  ist  ein  fricatives  Element;  bei  6,  d  ist 
dies  etwas  kräftiger  und  bedeutender  als  bei  K,  $.    Dies  ist 


Mftcedonische  Studien.  59 

der  ganze  Unterschied  zwischen  diesen  Lauten.  K,  §  sind, 
was  ich  ausdrücklich  bemerke,  nicht  bloss  palatales  k,  g, 
sondern  haben  hinter  sich  ein  fricatives  Element.  Die 
Aussprache  dieser  Laute  mag  in  verschiedenen  Dialecten 
Macedoniens  nicht  ganz  gleichartig  sein,  wie  es  ja  in 
diesem  Punkte  auch  innerhalb  des  Serbokroatischen  ganz 
bedeutende  Unterschiede  gibt,  und  wie  auch  bezüglich  der 
Halbvocale  in  den  macedonischen  Dialecten  kleine  Unter- 
schiede bestehen.  In  jenen  macedonischen  Dialecten,  wo 
ich  diese  Laute  zu  hören  Gelegenheit  hatte,  fand  ich  sie 
gleichartig.  Es  sind  dies  neben  den  beiden  Dialecten  der 
Umgebung  von  Salonichi  und  dem  Debradialect  die  Dia- 
lecte  von  Ochrida,  Bitolj,  Resen,  Prilep,  Veles  und  Stip. 
Ein  geringer  Unterschied  zwischen  serb.  und  maced. 
d,  &  mag  darin  bestehen ,  dass  sie  im  Serbischen  um  ein 
geringes  weiter  vorne  gebildet  werden,  daher  ihre  Ex- 
plosion auch  reiner  ist,  aber  dieser  Unterschied  reicht 
nicht  einmal  an  den  vom  ätokav.  6  und  fokavischen  6  heran. 
Selbst  #,  §  stehen  dem  serb.  6,  d  der  Aussprache  nach 
gewiss  so  nahe  wie  öak.  <5;  vergl.  Archiv  XVI  314,  XVII 
450—453. 

102.  a)  86,  86 }  8(}  £d:  Ns:  gäSti,  8no8ti9  dagegen  nod,  noK, 
le86a;  ple8ki  ist  wohl  nicht  davon  als  eine  Analogiebildung  mit 
anderem  Suffix  zu  trennen,  vergl.  ple86i  Vat. ;  Gr.  gä8ti,  leSta, 
plbSki;  Bug.  gäiti,  ll8ta9  saZdi;  Vat.  liSia,  ple8ii;  Var.  1186a, 
m%86i7  ga86i}  pleSki. 

Anm.  8t  in  Bug.  ist  erweicht. 

b)  zd  flir  urslav.  dj:  Ns.  öuzdi,  6ust;  Gr.  Üuzdi,  6m;  Bug. 
Vat.  6üzdi,  6m;  Var.  6uzdi. 

Ein  Zd  flir  dj  notirte  ich  mir  nur  in  Ns. 

Anm.  Ich  weiss,  man  könnte  mir  entgegenhalten, 
dass  es  unwahrscheinlich  sei,  dass  in  der  Sprache  des- 
selben Dorfs  neben  8t  auch  86  gehört  werde.  Mir  selbst 
dünkte,  bevor  ich  Gelegenheit  hatte  in  verschiedenen 
Gegenden  des  südslavischen  Sprachgebietes  dialectische 
Studien  von  Dorf  zu  Dorf  zu  machen,  eine  derartige  Ge- 
setzlosigkeit ungeheuerlich.  Ich  glaube,  dass  sich  die 
sprachlichen   Thatsachen  nicht  nach  unserer  Theorie   zu 


60  VIII.  Abhandlung:    Oblalc. 

modificiren  haben,  sondern  dass  letztere  sich  den  That- 
sachen  anbequemen  muss,  mögen  dieselben  noch  so  sehr 
unserer  Systemisirungssucht  widerstreben.  Die  Sprache 
ist  ein  sociales  Product,  und  die  damit  verbundene  Art 
der  Verbreitung  neuer  Spracherscheinungen  fördert  eben 
oft  Thatsachen  zu  Tage,  die  nicht  gerade  im  Einklang 
mit  der  Ausnahmslosigkeit  der  sogenannten  Lautgesetze 
stehen.  Ich  verweise  nur  darauf,  dass  ich  in  Vardarovci 
$6  im  Munde  der  älteren,  H  von  der  jüngeren  Generation 
hörte.  Bezüglich  des  Beispieles  leäöa  neben  sonstigem  H 
in  Ns.  weiss  ich  allerdings  nicht,  ob  dies  nicht  eine  in- 
dividuelle Eigenthümlichkeit  der  betreffenden  Person  war, 
nach  deren  Sprache  ich  meine  Aufzeichnungen  machte, 
und  ich  erinnere  mich  nicht  mehr,  ob  ich  diese  Form 
von  mehreren  Personen  hörte.  Es  ist  auch  nicht  aus- 
geschlossen, dass  ich  sie  von  einer  Frau  in  Ns.  hörte,  die 
aus  dem  benachbarten  Dudfrbl  nach  Ns.  geheiratet  hatte. 

c)  69  d  und  K9  <jf  für  urslav.  tj.  dj:  Ns.  fa6am9  vru6ina, 
nbk  bei  gewöhnlicher  Aussprache,  bei  energischer,  lauter  Sprech- 
weise nb69  pbve6i9  derkü  neben  leerkü,  pladam,  vre?6a9  svejca 
immer  deutlich  hu6a  doch  nur  l?a9  Jci  (Hilfsverbum),  hodb>Jci, 
zborüvaJKi.  —  mbdu9  meda9  vädam,  rädam,  fdasa9  sä§i.  Gr. 
kü6a9  nb69  plä6am9  pbvede,  8ve*6a9  wV6a9  Uerka,  nur  Ki  —  mida, 
mldu,  fda9  rbda9  rädam9  izvädam;  Bug.  kü6a,  dhrka9  nb6  doch 
notno9  fä6am9  vreJ6a9  vrVUi  und  vref6i9  svV6a9  8vtfKa9  poviJce9 
vräJcina9  nur  J&i  —  tribdu,  mida9  ridat9  rbda9  pädam9  izvädam] 
Vat.  kü6a9  nb6a9  nü&vam,  £brka9  svhda,  vre?6a9  vre*6i}  plä6tm9 
vrü6ina9  fäfom,  pbvi6i9  nur  Ki  —  mbda9  medu,  r%da9  rädvm9 
izvädtm;  Var.  kü6a9  nb69  svi6a9  pove6e9  8trl6hm9  fä£bm9  pläcqm, 
vre>ca9  &rka9  nur  Jci  —  medu9  mkda9  rodäne,  rtäa9  pädhtn. 

Anm.  K  in  Jci,  Ki  (serb.  6e9  bulg.  He)  ist  nicht  in 
dem  Grade  erweicht  wie  in  den  anderen  Beispielen,  des- 
halb erscheint  in  diesem  Dialecte  auch  kein  6i.  An  Ui 
schliessen  sich  auch  die  Partie.  Präs.  wie  hod&Jci  an. 
Diese  von  allen  anderen  etwas  verschiedenartige  Aus- 
sprache des  Je  in  Jci  ist  bei  diesem  Hilfsverbum  über  viele 
macedonische  Dialecte  verbreitet.  Man  darf  sich  deshalb 
nicht  auf  dies  Ke9  das  bereits  Grigoroviö,  OvepKB  nyr.  165 


Macedonische  Stadien.  61 

erwähnt,  zum  Beweise  berufen,  dass  in  den  macedonischen 
Dialecten  Je  und  nicht  auch  6  gesprochen  werde,  wie  wir 
dies  bei  Drinov,  H^ckoabko  caob'b  o6*b  asHKi  S.  8  finden. 

103.  Auch  secundäres,  erst  durch  Schwund  des  Halbvocales 
zusammengetroffenes  tj  wurde  in  diesem  Dialect  zu  <?,  Je,  se- 
cundäres  dj  zu  d,  §.  Für  die  Beurtheilung  des  macedonischen 
67  d  sind  diese  Beispiele  mit  secundärem  (jüngerem)  6,  et  ganz 
nebensächlich,  da  wir  ein  secundäres  6  für  weiches  Je  auch  in 
solchen  slovenischen  Dialecten  finden,  denen  ein  6  älteren  Ur- 
sprunges (für  urslov.  tj)  ganz  unbekannt  ist.  Es  ist  dies,  wie 
das  Serbokroatische  schon  zeigt,  ein  Lautprocess  jüngeren  Ur- 
sprunges, der  noch  nicht  überall  abgeschlossen  ist,  und  von 
der  alten  Entwicklung  des  urslav.  tj,  dj  zu  6,  d  gänzlich  zu 
trennen:  zwei  verschiedene  Phasen  des  Sprachlebens.  Ns. 
bräda,  andere  sprachen  brafa,  svada  und  svafa,  ubden  neben 
uogin]  doch  nur  pridojden  Ns.,  Gr.  bräca;  Bug.  bräda  und  bräfa, 
dedö  (dete  mit  dem  Artikel,  in  Ns.  detto)  aber  PL  decata,  aber 
ich  hörte  nur  sväta,  wate  und  dojden;  Vat.  brada,  svaca  und 
decü,  ebenso  Je&hdä,  dagegen  Sgl.  kbnut. 

In  ubdeii  drang  d  aus  der  Form  mit  dem  Artikel  und 
dem  Plural,  wo  sich  g  unmittelbar  mit  ii  berührte  und  durch 
Assimilation  zu  et  wurde,  auch  in  den  Nom.  Sgl.  ein;  vergl. 
in  den  slovenischen  Dialecten,  wo  n  zu  jn  wurde,  ojgn.  Da 
hier  nicht,  wie  in  einigen  macedonischen  Dialecten,  Je,  g  vor 
palatalem  Vocal  zu  £,  g  wurden ,  so  ist  eine  solche  Erklärung 
auch  für  ubden  ausgeschlossen. 

Anm.  Die  Form  detto  zeigt,  dass  bei  der  Erklärung 
von  dedo,  detdo  vom  verkürzten  detto  aus  dete-to  aus- 
zugehen ist,  wobei  selbstverständlich  die  alte  Lautgruppe 
tt  strenge  von  diesem  seeundären  tt  auseinander  zu  halten 
ist.  Wahrscheinlich  wurde  detto  (Ns.)  zu  dejto  (vergl. 
hojte  aus  hodite,  sejte  aus  sedite,  plejte  aus  pletite,  poj 
glavu  für  pod  in  Grablje  auf  Lesina) ,  woraus  nach  Art 
des  serb.  nadi  (vergl.  bulg.  devojJea,  majJca,  ujJia  und 
dafür  sogar  maJca,  uüa  in  Samokov,  wo  also  die  ^'-Stellung 
der  Zunge  erst  zu  Beginn  der  &-Articulation  eingenommen 
oder  bis  zur  Bildung  des  Je  behalten  wurde),  defo,  deljo 
und  detdo  wie  in  Ajvatovo  tj  zu  tJe. 


62  VIII.   Abhandlung:     ObUk. 

104.  Die  urslavischen  Verbindungen  stj,  skj,  zdj7  zgj  werden 
liier  nur  durch  8&f  867  8c7  8f7  8t7  id  und  nach  Schwund  des 
auslautenden  t  (d)  auch  durch  8  vertreten ;  niemals  erscheinen 
dafür  69  d  und  #,  § ,  wie  ja  dies  bekanntlich  auch  im  Serbo- 
kroatischen und  Slovenißchen  nicht  der  Fall  ist  Dies  ist  ein 
wesentlicher  Unterschied  gegenüber  der  Vertretung  des  ursl&Y. 
tj>  dj,  für  das  hier  neben  seltenem  86f  8t  gewöhnlich  c,  d  (E7g) 
erscheinen.  8i7  867  8ff  8t  gehen  auf  älteres  86  zurück;  in  gleicher 
Weise  entwickelte  sich  id  erst  aus  id. 

Ns.  8t7  8ö7  id:  kleUi,  ub8te9  jär\8ta7  pr>ti8£a7  ribtifa  aber 
dvori&ta7  grüb\8ta7  ausserdem  pu86am  neben  puStih  —  dbzdovi, 
do87  doidi;  Gr.  8t7  id:  kleäti,  ubSte7  järi8ta  —  db87  dbidi\  Bug. 
8f7  id:  b8fe7  kUiti7  pü&fam,  grobWa  —  dbS7  dbidi;  Vat.  ic7  id: 
u8ie7  b87  kleSci  —  doide  (vergl.  veidii  Ochrida),  db8*  Var.  86: 
b$6e9  kle86i7  grol08ci7  r%bi86a  —  doS. 

Interessant  ist  die  Beobachtung,  die  ich  in  Var.  machte. 
Während  die  alte  Generation  86  sprach ,  kennt  die  junge  Ge- 
neration nur  8t.  Sie  ist  sich  dabei  gar  nicht  des  Unterschiedes 
zwischen  ihrem  8t  und  dem  86  der  Aelteren  bewusst  Als  ich 
einen  etwa  zwanzigjährigen  Burschen  aufmerksam  machte,  dass 
er  kleSti7  seine  daneben  sitzende  Mutter  aber  kle86i  spreche, 
konnte  er  keinen  Unterschied  herausfinden  und  meinte,  beide 
sprächen  das  Wort  in  gleicher  Weise.  Dieser  Bauernbursche 
hat  keine  bulgarische  Schule  gesehen,  konnte  weder  lesen 
noch  schreiben  und  hatte  niemals  auf  längere  Zeit  sein  heimat- 
liches Dorf  verlassen,  fremder  Einfluss  ist  daher  bei  ihm  aus- 
geschlossen. 

Anm.  Es  ist  dies  ein  neuer  Beweis  für  die  Richtig- 
keit der  von  Paul  vertretenen  Ansicht,  dass  sich  die 
sprachlichen  Veränderungen  als  die  Summe  der  haupt- 
sächlich im  Kindesalter  bei  der  Spracherlernung,  also 
beim  Act  der  Sprachübertragung  von  einer  Generation 
auf  die  andere,  sich  einstellenden  geringen  Differenzen 
darstellen.  Speciell  in  unserem  Fall  können  wir  gewiss 
von  keiner  Veränderung  der  Muskel-  und  Nervenfunction 
der  Sprachorgane,  die  ihrerseits  von  der  Veränderung 
der  Wohnsitze  und  Boden-  und  Lebensverhältnisse  be- 
dingt sein  sollte,  reden,  und  darin  sucht  Fr.  Kauffmann 
den  Grund  der  Sprachveränderung.     Mit  welcher  Zähig- 


Macedooisch«  Stodico.  63 

keit  man  dagegen  an  bewussten  Sprachunterschieden  fest- 
hält, davon  konnte  ich  mich  unlängst  neuerdings  auf 
slovenischem  Sprachgebiet  überzeugen.  Eine  ältere  aus 
Plaöe  (im  Wippachthaie)  gebürtige  Frau,  die  schon  durch 
25  Jahre  in  dem  davon  nur  eine  Viertelstunde  entfernten 
Sv.  Krii  (H.  Kreuz)  wohnt,  hat  noch  die  Eigenthümlich- 
keit  der  Sprache  ihres  Geburtsortes,  nämlich  Jcuhana, 
rhuha  etc.  bewahrt,  wofttr  man  in  Sv.  Krii  kuhana  etc. 
spricht.  Und  doch  ist  im  übrigen  die  Sprache  der  beiden 
Dörfer  identisch. 

105.  Für  das  Verhältniss  von  $£,  St  für  urslav.  tj  zu  6,  Je 
ist  beachtenswerth,  dass  bis  saidi  (in  der  speciellen  Bedeutung 
von  Spinngewebe)  es  in  allen  fünf  Dörfern  dieselben  Worte 
sind,  die  So,  St  aufweisen.  Die  Beispiele  So,  H  sind  im  Ver- 
hältniss zu  6,  d  (Je,  §)  in  verschwindender  Minorität,  ein  Beispiel 
mit  id  für  urslav.  dj  habe  ich  mir  gar  nicht  notirt,  ich  fand 
dafür  vor  d,  bis  auf  tuzd  mit  zd.  Es  hat  demnach  d  stärker 
um  sich  gegriffen  als  6,  K.  Schon  dies  weist  darauf  hin,  dass 
eine  der  beiden  Vertretungen  (St  oder  <f)  des  urslav.  tj,  dj  nicht 
heimischen  Ursprunges  sein  kann.  Ebenso  hörte  ich  hier  kein 
g  neben  d,  wie  neben  6  ein  K  existirt,  was  mir  dafür  zu  sprechen 
scheint,  in  dem  6,  Je,  d  fremde  Eindringlinge  zu  suchen  und  So 
(St),  id  als  den  alten  einheimischen  Reflex  zu  betrachten. 

Das  ^-Gebiet  reicht  im  südlichen  Macedonien  im  An- 
schlüsse an  die  thracischen  Dialecte  nach  Westen  bis  zum 
Flüsschen  Galik  (östlich  von  Vardar,  unweit  von  Salonichi), 
noch  im  ersten  Dorfe  jenseits  desselben,  in  Bug.  spricht  man 
äf,  in  Vat.  bereits  Sc7  das  sich  fast  durch  alle  macedonischen 
Dialecte  zieht. 

C.  Debradialect. 

106.  Derselbe  Dualismus  in  der  Vertretung  des  urslav.  tj  (Jet) 
wie  im  Dialect  nördlich  von  Salonichi,  erscheint  auch  im  Debra- 
dialect. Neben  &,  St  und  id  ist  auch  <?,  d  und  ß,  §  vorhanden. 
Urslav.  stjy  zdj,  skj,  zgj  werden  auch  hier  durch  S&,  St,  id  ver- 
treten. In  der  Wiedergabe  des  urslav.  tj,  dj  gehen  die  Debra- 
dialecte  trotz  ihrer  gleichartigen  und  von  den  umgebenden 
Dialecten  sich  genugsam  abhebenden  Structur  auseinander :  die 
einen  haben  (neben  6,  d,  Jl,  $)  So,  die  anderen  St.     Zur  ersten 


64  VIH.  Abhandlung:    ObUk. 

Gruppe  gehört  der  Dialect  von  Gal.,  zur  letzteren  die  von  Kl. 
und  Ob. 

a)  So  für  urslav.  tj:  Gal.  UUa,  pleSöi  neben  pleSka,  moSlea. 

Anm.  6  in  der  Lantgruppe  K  wird  in  Gal.  nnr 
schwach  gehört,  es  überwiegt  ganz  entschieden  S.  Das- 
selbe  wurde  auch  in  anderen  macedonischen  Dialecten 
beobachtet.  In  Resen  ist  die  Aussprache  des  S  von  st 
so  scharf  und  stark,  dass  t  fast  nicht  hörbar  ist  und  man 
ein  SS  zu  hören  vermeint  (Archiv  XIV  133,  Ehhshh^ 
IV  266).  Das  ist  der  erste  Schritt  zum  gänzlichen  Schwund 
des  zweiten  Elementes  von  St,  So,  der  schon  in  mehreren 
macedonischen  Dialecten  eingetreten  ist.  So  spricht  man 
in  Ns.  So  mit  sehr  scharfem  S,  und  von  einer  ganz  ähn- 
lichen Aussprache  des  S  in  So  in  Veles,  wo  in  anderen 
Beispielen  So  bewahrt  bleibt,  berichtet  Matov,  C6M.  VII 
452.  Daraus  erklärt  sich,  dass  t  von  St  selbst  in  solchen 
Dialecten  schwindet,  wo  der  Schwund  des  auslautenden  t 
nicht  allgemein  ist.  Die  schwache  Aussprache  des  t  von  i 
St  führte  in  dieser  Lautgruppe  zuerst  zum  Schwunde 
des  t  Im  Inlaute  wurde  der  Schwund  auch  durch  manche 
Lautgruppen,  z.  B.  in  moSno,  begünstigt. 

b)  St,  id  für  urslav.  tj,  dj:  Kl.  USta,  svlSta,  vraStaet,  faSta, 
plaSta,  pleSti  —  meida,  roida;  Ob.  IbSta,  faStat,  pleSti,  vrfy- 
Stame,  moStea,  pomoS  —  me&da,  roldfofie  (gewiss  nicht  die  orts- 
übliche Betonung),  scßdi. 

Anm.  Durch  die  hier  gegebenen  Beispiele  für  St, 
S6  aus  der  unverfälschten  Volkssprache  des  Debragebietes 
und  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi  sind  die 
Zweifel  Novakovi6's  (h  h  1)  y  iiaijeA.  HapoA-  AHJ&a.  32,  35), 
ob  diese  Lautgruppen  in  den  macedonischen  Dialecten 
wirklich  existiren,  beseitigt :  ,MiuaAHHOBip[  —  so  schreibt 
er  S.  35  —  HMajy  EaTxaA  Honrre  m.  Hohe,  oueT  6es  cyitae, 
no  MexaHHiKoj  naBHijH  npenncaia  oöhohx  a*  nnnry  6y- 
rapcKH/ 

c)  6,  d  und  U,  §  für  urslav.  tj\  dj :  Gal.  kuda,  küönik,  küönica, 
nb6,  noU,  no6a,  no6no,  sveöa,  sve6i  und  sveKi,  vreta,  vreKi,  6Mca, 
nldu,  ribßeS,  neKet,  vräta,  vraKa,  fäda,  dbmacin,  domäcinka, 
strtäava,  striKava,  präda,  pbveKi,  pbpralca,  gälci,   Vq,  und  die 


Macedonisebe  Stadien.  65 

Partie.  Präs.  Act.  auf  — JH  mit  einem  weniger  erweichten  #,  Je 
z.  B.  gledd'Ki,  igrd'Ki,  öekd'Ki  —  niedu,  mhta,  rriktja,  tild,  tüiti, 
tuga,  tügo,  tülji,  tüdina,  räday  fda  und  ?§a,  fdaf  und  f§aff 
grä&anka,  sätji,  patfd'Ki. 

Kl.  €krka}  kü6af  kü6i,  Mcnik,  Jcildnica,  nbda,  nb6no}  pbtnoö, 
vrhSa,  pbKe}  ppte,  Uq.  —  rriedu,  metfu,  tüd7  brda7  br§9. 

Ob.  kü6a7  kuKata,  Jcüti,  kü6nik7  küdnica,  ribißa,  nb*Jcno} 
nbcnOy  nbJcivam,  pbtnoß,  rikc%m7  nhJceS,  svelca,  vVKi  (v$8te)7  db- 
maKin,  vrhKa,  pbpraßai,  streißa,  Khrka,  vräKam,  pldßam,  fäKam, 
gäJci,  Jce  —  tüd  aber  tuji,  tujina,  rbtjat,  fjja,  fgavo,  rrikgu. 
Ausserdem  vermeinte  ich,  was  hervorgehoben  werden  muss, 
auch  grädanka  zu  hören,  wo  weiches  d  weiter  vorne  gebildet 
wurde  als  d  oder  <jf. 

Anm.  1.  Die  Aussprache  der  beiden  Laute,  die  bald 
als  <5,  <£,  bald  als  Ä,  §  je  nach  dem  Grade  des  Expirations- 
druckes  erscheinen,  ist  bei  meinem  Gewährsmanne  aus 
Oboki  um  ein  unbedeutendes  von  der  in  Gal.  und  Kl. 
verschieden.  In  der  Sprache  der  beiden  letzten  Orte  er- 
scheint 67  d  viel  häufiger,  während  in  Ob.  an  deren  Stelle 
gewöhnlich  #,  §  zu  hören  ist.  Das  fricative  Element  ist 
also  in  Ob.  um  ein  geringes  schwächer.  Ob  dies  all- 
gemein in  dieser  Mundart  oder  nur  eine  individuelle 
Eigentümlichkeit  des  betreffenden  Individuums  ist,  die 
er  sich  vielleicht  auf  einem  anderen  Dialectgebiet  an- 
geeignet hat,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

Anm.  2.  In  einigen  Worten  hörte  ich  in  Gal.  nur 
6,  d.  Es  sind  dies:  küda,  ne6u7  nb6no7  bra6a  (seeundär), 
medu. 

d)  Auch  seeundäres  tj,  dj  entwickelte  sich  zu  <?,  H  und  d,  <jf: 
Gal.  brä6a7  cvkße,  trlKi,  lüfje\  Kl.  cvi6ef  lüdi  ist  angelehnt  an 
andere  Nom.  auf  -t;  Ob.  braßa7  cxfelli7  lüjfe. 

jd  bleibt  unverändert:  Ob.  dbjdi,  dojduam. 

107.  Wenn  in  Gal.  neben  trlKi  auch  treti  und  in  Ob.  gleich- 
falls trhti  gesprochen  wird,  so  beruht  dies  darauf,  dass  in  diesem 
Dialecte  die  Jotation  überhaupt  schwach  ist  und  vor  e,  i  sogar 
schwinden  kann,  vergl.  brg£&  Ob.  Es  wurde  das  aus  tj  ent- 
standene f  zum  Theil  früher  zu  t  als  es  sich  zu  6  entwickelte. 

SitenngsW.  d.  phil.-hirt.  01.  CXXXIV.  Bd.  8.  Abh.  5 


66  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

Dies  war,   neben   der  Anlehnung  an  andere   Nom. ,   auch  bei 

ludi  (Gal.)  der  Fall. 

j  für  urslav.  dj.  Ganz  besondere  Beachtung  verdient  j  fer 

urslav.  dj,  das  wir  auf  diesem  Sprachgebiet  gewiss  nicht  erwartet 

hätten :  Kl.  tüja,  tuju  neben  tud*  Ob.  tüji,  tujina,  doch  tuä. 
Anm.  Für  diese  Beispiele  aus  Ob.  ist  es  allerdings 
nicht  ausgeschlossen ,  dass  sie  mein  Gewährsmann  ans 
serbokroatischen  Dialecten  hat.  Wahrscheinlich  ist  dies 
aber  nicht.  Für  die  Mundart  von  Kl.  unterliegt  es  aber 
nicht  dem  geringsten  Zweifel,  dass  diese  Formen  der  dor- 
tigen Umgangssprache  angehören.  Der  etwa  neunjährige 
Bauernknabe,  von  dem  ich  sie  hörte,  hatte  erst  vor  kur- 
zem sein  heimatliches  Dorf  zum  ersten  Male  verlassen, 
eine  Volksschule  hatte  er  vorher  nicht  besucht,  in  der 
bulgarischen  Schule  in  Salonichi  konnte  er  sich  natürlich 
diese  Formen  auch  nicht  aneignen.  Es  scheint  mir  nicht 
wahrscheinlich,  dass  dies  j  in  diesen  Dialect  aus  dem 
Serbokroatischen  eingedrungen  wäre,  so  weit  nach  Süden 
reicht  im  Serbokroatischen  j  nicht.  Ich  glaube  vielmehr, 
dass  sich  j  aus  dem  sehr  weichen  d  (g)  entwickelte.  Dies 
wäre  ein  neuer  Beweis,  wie  nahe  sich  d  und  j  berühren. 
Im  Öakavischen  finden  wir  auf  einigen  wenigen  Ge- 
bieten neben  j  in  der  That  sporadisch  das  dem  £ak.  c  (fj 
entsprechende  dy  d  mit  viel  zarterer  Aussprache  als  im 
Ätodialect.  Einige  Aehnlichkeit  mit  der  Entwicklung  des 
j  in  Kl.  hat  die  neueste  Palatalisation  einiger  slovenischer 
Dialecte :  g  wurde  vor  hellen  Vocalen  zu  j.  Eine  hübsche 
Parallele  bieten  die  bosnischen  Urkunden.  In  ihnen  er- 
scheint im  12.  — 13.  Jahrhundert  d ,  von  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  tritt  aber  j  auf,  das  sich,  wie  ich  schon 
Archiv  XIV  136,  XVI  450  erwähnte,  aus  einem  älteren 
sehr  weichen  d  (d)  entwickelte,  wie  ja  auch  das  Caka- 
vische  einen  solchen  Entwicklungsgang  voraussetzt.  Das 
von  Kaiina  I  29 1  aus  Struga  (Milad.  70)  angeführte  isvaje 
hat  kein  j  fttr  dj  (d)}  wie  izvail  (Ohrida)  zeigt ;  £  stellte 
sich  erst  nach  dem  Schwunde  des  d  ein,  vergl.  oü,  od, 
poi,  poam  Prilep. 
108.  In  der  Vertretung  des  urslav.  stj,  skj  zerfallen  die  De- 

bramundarten  in  zwei  Gruppen.    Dort  wo  tj,  dj  zu  &t  wurde,  er- 


Maoedoniache  Stadien.  67 

scheint  dies  auch  für  urslav.  stj,  skj^  dort  wo  So  erscheint,  ver- 
tritt es  auch  altes  stj,  skj.  Beim  urslav.  zgj  lässt  sich  kein 
ähnlicher  Dualismus  beobachten,  für  dasselbe  erscheint  gleich- 
massig  in  den  Mundarten  id  und  das  daraus  im  Auslaute  ent- 
standene S.  Wir  sollten  analog  dem  86  ein  Zdi  erwarten,  das 
in  der  That  in  einigen  dem  Debragebiet  nahegelegenen  Dia- 
lecten,  z.  B.  in  Ochrida  gesprochen  wird.  Die  Debramundarten 
stimmen  darin  mit  der  Mehrzahl  der  macedonischen  Dialecte 
überein,  die  zwar  ein  86  aber  kein  idi  kennen. 

a)  86,  i :  Gal.  u86e}  pu88a,  kUSti,  konbpüöe,  pbtiSöa,  gro~ 
b%86a9  sogar  niS6o  (ötio)  neben  So.  —  dbS,  dbiit\  niSöo  für  niSto 
zeigt,  wie  beliebt  in  diesem  Dialecte  die  Lautgruppe  86  ist  und 
wie  die  Sprache  St  meidet. 

b)  St:  Kl.  iSte,  hUsti,  daher  niSto]  Ob.  üSte,  klüSti,  guStl- 
rica,  konbpiSte,  pUi$ta7  auch  niStg.  —  d§8,  dbidit. 

109.  Aus  der  Vergleichung  der  verschiedenen  Reflexe  des 
urslav.  tj9  dj  in  den  drei  Debramundarten  ergibt  sich,  dass  selbst 
eng  verwandte  Mundarten  desselben  Dialectes  auseinander- 
geben: die  einen  haben  in  denselben  Worten  St}  id}  wo  die 
anderen  6  (Jc)}  d  (Jf)  aufweisen.  So  wird  in  Kl.  sveSta,  in  Gal. 
und  Ob.  sveda  (weUa);  in  Kl.  faSta  (Ob.  fäStat),  in  Gal.  fä6a\ 
in  KL  vräStaet  (Ob.  vrfrStame),  in  Gal.  vrä6a;  in  Kl.  plaSta, 
Ob.  pläTcam  gesprochen.  Dieselbe  Ungleichmässigkeit  ist  auch 
bei  id  bemerkbar.  Kl.  und  Ob.  meida,  Gal.  mhda.  Kl.  roida 
(Ob.  roidebe),  Gal.  räda,  Ob.  saidi,  Gal.  safii.  Schon  diese 
Ungleichmässigkeit  weist  darauf  hin,  dass  eine  dieser  Vertre- 
tungen von  aussen  eingedrungen  ist. 

Noch  grösser  ist  in  diesem  Punkt  die  Discrepanz  zwischen 
dem  Debradialect  und  dem  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nichi.  Auf  der  einfen  Seite  finden  wir  im  letzteren  ein  Plus 
an  St  (So)  in  gaiti,  gaSti,  wofür  die  Debramundarten  nur  gaJci 
bieten,  anderseits  erscheint  nördlich  von  Salonichi  6  in  fäcam, 
svhta,  pläcam,  wo  in  Kl.  und  Ob.  St  gesprochen  wird.  Noch 
bedeutender  ist  der  Unterschied  bezüglich  des  id.  Nördlich 
von  Salonichi  erscheint  et  selbst  in  solchen  Worten  (meda,  roda, 
sagt  in  Ns.  neben  Saldi  Bug.),  die  in  Debra  id  aufweisen: 
meida,  roida  KL,  saidi  Ob.  Dafür  wird  aber  nördlich  von 
Salonichi  öuzd  gesprochen,  gegenüber  tud7  tuja  in  Debra. 
Merkwürdigerweise  stimmt  also  bezüglich  des  Gebrauches  von 

5* 


68  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

6,  d  (K,  ij)  die  eine  Debramundart,  nämlich  die  von  GaL,  ganz 
hübsch  mit  der  auf  der  entgegengesetzten  Seite  Macedoniens 
in  der  Umgebung  von  Salonichi  gesprochenen  überein ,  and 
entfernt  sich  darin  von  beiden  anderen,  ihr  in  Lauten  und 
Formen  so  nahe  stehenden  Mundarten.  Interessant  wäre  roZdefie 
neben  rbtjat  Ob.,  wenn  in  der  That  beide  Formen  in  der  Um- 
gangssprache von  Ob.  existiren  würden.  Sowohl  im  Dialect 
von  Debra  wie  in  dem  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nichi überwiegt  6,  R  als  Reflex  des  alten  tj  ganz  entschieden, 
noch  mehr  gilt  dies  von  d,  §  an  Stelle  des  urslav.  dj,  in  Galiönik 
scheint  es  gar  nicht  und  nördlich  von  Salonichi  nur  ganz  aus- 
nahmsweise vorhanden  zu  sein. 

3.  Urslav.  pj,  bj,  vj,  mj. 

110.  Für  altes  pj,  bj,  vj,  mj  erscheint  in  allen  drei  Dialecten, 
wie  überhaupt  bis  auf  ganz  vereinzelte  Ausnahmen  im  Bulgari- 
schen, p,  B,  6,  m,  ein  Z-epenth.  kennen  demnach  diese  Dialecte 
nicht.  Z.  B.  Dialect  von  Suho:  zerha,  zaliibeni;  Dialect  nörd- 
lich von  Salonichi:  zema  Bug.,  Var. ;  Debradialect:  zerhata, 
zalüBeni,  zemi  mit  Verhärtung  des  m  vor  i  Ob. 

Anm.  Damit  stimmen  die  aus  dem  Debragebiet 
mitgetheilten  Sprachtexte.  So  zemja,  sabja,  sabi  bei  Jastr., 
zerha,  saBa  aus  Tresanöe  bei  Hiev,  zerha  aus  Radoeäca 
(Sapk.  III  322),  zerha,  zemi  aus  Gal.  in  Kolo. 

Neben  m  finden  wir  auch  mit  flir- urslav.  mj.  In  Suho 
mlogü  zemne  neben  zemg;  im  Dialect  nördlich  von  Salonichi 
zemna  Ns.,  Vat.,  in  zwei  anderen  Dörfern  dieses  Gebietes  das 
bereits  erwähnte  zerha. 

Anm.  mit  als  Reflex  des  alten  mj  haben  auch  andere 
bulgarische  Dialecte,  besonders  makedonische  und  westbul- 
garische, z.  B.  Voden  na  zemni  (vor  i  wurde  n  verhärtet), 
Prilep  zemha-va,  Samokov  und  Gurmazovo  (bei  Sofia) 
zemna.  Sogar  im  Volksliede  aus  Galiönik  lesen  wir  zemni 
neben  zemna  (C6M.  VI  53) ;  Vranja  zevna.  Auch  flir  das 
aus  mbj  —  mij  entstandene  m  erscheint  mn  im  Worte 
tbmbjam  (vergl.  Jagi6,  Cod.  Mar.  473):  temnan  Tresanöe 
(Debra),  Hiev  272,  doch  zerha  und  nicht  zemna  Iliev  134. 


Macedonische  Stadien.  69 

Veränderung;  der  Consonanten  in  Consonantengruppen. 

1,  n,  r. 

111.  In  der  Lautgruppe  mn  wurde  anlautendes  n  ver- 
schiedenartig behandelt:  Suho  mtbgü,  dagegen  Ns. ,  Bug.,  Vat. 
nbgu7  Gal.  mnbgu,  aber  Kl.  mtogu;  im  Inlaute  tbmnica  Ns. 

Ebenso  sonderbar  ist  es,  dass  sich  in  Suho  aus  vn  gerade 
die  sonst  gemiedene  Lautgruppe  mn  entwickelte:  mnuk,  mnuci. 
—  Ausserdem  zemna. 

ns  wurde  zu  js  in  Vat.:  dbjsi }  dojs&te  aus  donsi;  den 
Schwund  des  unbetonten  e  finden  wir  in  dbnci,  dotierte  Bug. 

Zu  erwähnen  ist  giäs&'nca  Ob.  wegen  des  ly  für  das  wir 
gbs&nca  erwarten. 

t,  d. 

112.  Die  Lautgruppen  sr}  zry  ir  wurden  zu  str,  zdry  zdr. 
Suho:  sträm}  stramütaj,  ztr*äda,  8tribrny  8tr*ce  (srbdbce),  strq,- 
ceto,  zdr*äia.  Nördlich  von  Salonichi:  stram  Ns.  Bug.,  streich 
Ns.,  stretam  Gr.,  stretüvam  Bug.,  Var.,  stretehme  Vat.,  strtda 
Ns.,  Bug.,  Vat.,  Var.,  strebrü  Ns.,  Vat.,  in  Bug.  wird  in  diesem 
Worte  t  nur  schwach  gehört:  8trebroy  natürlich  auch  shstra  Ns. 
Auffallend  ist  gegenüber  diesen  Beispielen  der  Schwund  des  t 
in  bsy  neben  bstra  Var.,  "bsy  Vat.  —  Zdrkbi  Ns.,  idrebe  Gr., 
Vat.  —  zdjmcalä  Ns.,  natürlich  auch  zdraoi  Ns.  Debra- 
dialect:  Gal.  8trebroy  8treRava\  Kl.  stretif;  Ob.  stretuam,  sträm, 
nä  stredü,  strhbro,  aber  syed ;  idrebe  auch  uzdre  (reifen),  zdrena 
(reif),  ebenso  zdraf. 

Anm.  Die  Entwicklung  des  sry  zr  zu  8try  zdr  reicht 
in  einigen  bulgarischen  Dialecten  zumindest  ins  11.  Jahr- 
hundert hinauf,  vergl.  H3ji,Q&KrK\  in  Cod.  Marian.  und 
ct fiAMQMh  im  Ps.  Sin.  146.  Lavrov  111  führt  aus  Param. 
Grigor.  einige  Beispiele  an. 

113.  zdn.  In  diesem  Punkte  herrscht  selbst  in  demselben 
Dialect  keine  vollkommene  Uebereinstimmung :  in  ganz  nahe 
nebeneinander  gelegenen  Dörfern  wird  zdn  und  zn  gesprochen. 
Nördlich  von  Salonichi:  Nr.  pbznü,  praznik;  Gr.  pbzdnö] 
Bug.  pozdnoy  praz?na\  Vat.  prazdnüy  pozdnü.   Debra:  prazno 


70  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

Gal.    Es  schwindet  daher  d  in  dieser  Lautgruppe  selbst  dort, 
wo  sich  zwischen  z  und  r  ein  d  entwickelte. 

Auch  bezüglich  der  Lautgruppe  zdj  (aus  zdbj),  die  vor 
hellen  Vocalen  zu  zd  wurde,  gibt  es  keine  Uebereinstimmung. 
Nördlich  von  Salonichi  bleibt  d  bewahrt:  grozdi  Ns.,  Vat., 
grbzdä  Bug. ;  im  Ob.  (Debra)  dagegen  gr&rie. 

114.  dn.  Auch  hierin  gehen  die  drei  Dialecte  auseinander. 
Vor  allem  ist  die  alte  Lautgruppe  dn  vom  secundären,  erst  durch 
Schwund  eines  Halbvocals  entstandenen  dn  auseinander  zu 
halten.  Für  die  erstere  finden  wir  n  auch  dort,  wo  secundäres 
dn  bewahrt  bleibt,  z.  B.  Ob.  pänaf  neben  hdn7  ena.  Doch 
pädnam  Ns.,  wo  d  unter  Anlehnung  an  die  Formen  mit  d 
(päd-)  neuerdings  eindrang.  Im  allgemeinen  hielt  sich  d  im 
secundären  dn  in  allen  drei  Dialecten,  es  wurde  vor  dem 
Schwunde  durch  daneben  stehende  Formen,  wo  d  und  n  durch 
einen  Vocal  getrennt  sind,  geschützt;  z.  B.  edin  :  edna.  Suho: 
idnä  neben  idXn.  Nördlich  von  Salonichi:  iedmS  Ns.,  Jidnb 
Gr.  etc.  neben  hdXn  Ns.;  Debra:  edna  Gal.,  ena%  eno  aber  edn 
Ob.  —  In  neSM  Suho  wurde  anlautendes  dn  zu  n  vereinfacht. 

Anm.  Viel  weiter  sind  in  der  Assimilation  des  dn 
zu  n  die  ostbulgarischen  Dialecte  gegangen.  Wir  finden 
in  denselben  nicht  bloss  ein  inno  Gabrovo,  Razgrad  (Dorf 
Dikili-taä),  Sumen  (Vrbica),  Sviätovo  etc.,  sennala  Varna 
(Jahitepe),  vwenm  Sviätovo  (Hadii  Musa),  glanna  Stara 
Zagora  (Cavla  kjuju),  Senna  ib.,  utkrann§  (Karag.),  panne, 
senm,  runnim  Malko  Trnovo,  ghnnä,  poglenm  etc.  Loveö, 
sondern  es  lautet  sogar  der  Nom.  PL  von  den :  nni  SviStovo 
(Hadäi  Musa,  Ovca  mogila),  Malko  Trnovo  oder  trinni 
Elena,  Stara  Zag.  (Karag.),  vergl.  Kaiina  I  348. 

1 15.  tl,  dl.  Wie  überhaupt  im  Slavischen  metta  Suho,  met]a 
Ns.,  rtfetla  Ob.  —  Natürlich  nur  pretü  Suho  etc.,  sogar  poslano 
(steTq)  Kl. 

In  pazva  Ns.,  Var.,  pazua  Ob.,  pazga  Bug.,  Vat.  haben 
wir  es  nicht  mit  der  Lautgruppe  zd  zu  thun,  denn  ein  pazduha 
scheint  es  im  Bulgarischen  überhaupt  nicht  zu  geben,  sondern 
es  liegt  im  Bulgarischen  überall  pazuha  zu  Grunde.  Dies  wurde 
in  jenen  Dialecten,  wo  intervocalisches  h  schwand,  nach  dem 
Schwunde  des  h  zu  pazuva.     Aber  auch  dort,   wo  sich  inter- 


Macedonische  Studien.  71 

vocalisches  h,  das  ohnedies  in  vielen  Dialecten  des  Bulgarischen 
nicht  energisch  gesprochen  wird,  hielt,  schwand  es  in  diesem 
Falle,  da  es  in  einem  mehrsilbigen  Worte  in  der  zweiten  Silbe 
nach  dem  Accente  stand.  Unbetontes  uv  wurde  zu  v,  eine 
Entwicklung,  die  wir  auch  in  anderen  slavischen  Sprachen 
finden,  z.  B.  böhm.  Gen.  PI.  -ü  aus  ~6v  (List.  fil.  XX  464  ff.), 
sloven.  ucä  aus  vocä,  usä  neben  dem  Nom.  oves,  weissruss. 
nacuala  etc.  Sobol.  OiepiCb  pycc.  fthA.  III  10.  So  ist  pazva  im 
Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi  zu  erklären. 
In  dem  daneben  vorkommenden  pazga  entwickelte  sich  v  von 
zv  zu  zg>  vergl.  im  Sloven.  zgon  aus  zvon,  ja  sogar  für  min  aus 
an  die  Form  gun  in  Oberkrain  (Baudouin  de  C.  Othcth  102). 
In  gleicher  Weise  im  Weissruss.  g  neben  v  vor  o,  u.  Diese 
Entwicklung  des  v  zu  g  scheint  mit  dem  labiolabialen  Charakter 
des  v,  das  einem  kurzen  u  nahe  kommt,  in  Zusammenhang  zu 
stehen,  daher  wir  sie  vorzugsweise  im  Slovenischen  (Ober- 
krain, Innerkrain)  und  im  Weiss-  und  Kleinrussischen  antreffen. 

116.  t  in  der  Lautgruppe  st  vor  Z,  n  schwand,  z.  B.  Kl. 
poslano.  —  Inlautendes  st  vor  Vocalen  behält  sein  t:  rästim, 
rq.Btei  Suho,  raste  Gr. 

Anm.  Dieser  Schwund  t  des  t  ist  in  einigen  bulgari- 
schen Dialecten  stark  verbreitet,  z.  B.  poramalo,  rasla 
neben  rastel  Veles,  izraslo  neben  raste  Rupcos  (Bojkovo), 
räsh  Razlog,  izräsh  SviSt.  5  auch  porashl  neben  porasla 
Prövala  (Lom),  porasal  Orhan.,  wo  nicht  unter  dem  Ein- 
fluss  der  Präsens-  und  Aoristformen  neuerdings  t  ein- 
drang, hauptsächlich  deshalb  nicht,  weil  die  Formen  des 
Fem.  und  Neutr.  des  Part.  Prät.  Act.  ohne  t  waren.  In 
umgekehrter  Weise  ist  in  einigen  slovenischen  Dialecten 
die  6-lose  Form  aus  dem  Particip  auch  in  das  Präsens 
eingedrungen:  rasem. 

Im  Anlaute  bleibt  die  secundäre  Lautgruppe  tu  bewahrt: 
tnoko  (ttmkb)  Kl.  oder  wurde  zu  kn:  knok}  knoka  Ob.,  vergl. 
kmica  für  tmica  im  Kajkav. 

117.  t7  d  im  Auslaute.  Auslautendes  t  ist  in  Ob.  nur 
schwach  hörbar :  §es*9  kfs1  etc.  und  in  vereinzelten  Fällen  konnte 
es  nach  Vocalen  im  Auslaute  schwinden.  Es  ist  dies  hauptsächlich 
dann  der  Fall,  wenn  es  nach  einem  unbetonten  Vocale  im  Aus- 


72  Vni.  Abhandlung:     ObUk. 

laute  umfangreicher  Worte  steht,  z.  B.  Suho :  Htirtj'si,  ses,  trij'si, 
aber  petdiset,  sijset  und  sogar  nach  unbetontem  Vocal:  devit, 
,  des  iL  Postvocalisches  t  (d)  bleibt  im  Auslaute  fast  durchgehend  s 
erhalten:  pet,  bbrntot  Suho;  z*et  Ns.,  pet  Gr.,  zet,  ret  Bug.; 
devbt  Vat. 

Weit  verbreitet  ist  im  Bulgarischen  der  Schwund  des 
auslautenden  t  von  st,  St  und,  da  im  Auslaute  auch  d  zu  t 
wurde,  des  aus  d  entstandenen  t  von  zd,  zd:  kj-s,  pris  aber 
prtste,  sfeS,  dbS,  jäk  Suho;  S*es  Ns.,  doch  tust  neben  öuzdi  Ns., 
während  in  Gr.,  Bug.,  Vat.  Öus  gesprochen  wird ;  pns  (pr*) 
neben  pnstüt  Bug. ;  pr s,  gos  neben  gbstitü,  stäros,  Ses,  glis  aber 
gtisti,  lis,  os,  doS  Vat. ;  Ses,  staris,  pj-s,  doS  Var. ;  Ses,  Zes,  pf8, 
zis  neben  zizdovi  Gal. ;  (es  aber  porst,  Sest  Kl. ;  in  Ob.  bleibt 
das  t  von  st :  Sest,  cest,  prst,  l**t  aber  lisje.  Dagegen  ist  in 
St  auch  hier  t  geschwunden:  pbmoS;  dass  daneben  noch  dost 
vorkommt,  zeigt,  dass  sich  das  t  von  id  fester  hielt.  Wenn 
in  tesen  Gal.  selbst  im  Inlaute  t  geschwunden  ist,  so  wurde 
dies  nicht  so  sehr  durch  (es  veranlasst  (vergl.  pfs  trotz  pystüt), 
als  vielmehr  durch  jene  Formen,  in  denen  n  auf  st  folgte: 
testna  etc.  wurde  zu  öesna  und  durch  Verallgemeinerung 
schliesslich  auch  öesen. 

Anm.  1.  Da  nach  den  Vocalen  regelmässig  und 
nach  anderen  Consonanten  im  Auslaute  t  immer  erhalten 
bleibt,  z.  B.  ptyt,  zht,  penf  (Spanne),  noft  Suho,  noft  Ns., 
nokt  Ob.,  so  ist  der  Grund  des  Schwundes  von  t  (d)  nicht 
bloss  in  der  schwachen  Articulation  desselben,  sondern 
vor  allem  in  der  Lautgruppe  st,  St,  &d  selbst  zu  suchen 
(vergl.  denselben  Schwund  in  mehreren  dalmatinischen 
Dialecten  oder  S  für  st  im  montenegrin.  dvaS,  triS  Archiv 
XIII  631).  Im  Inlaute  blieb  t,  weil  *  und  t  verschiedenen 
Silben  angehören. 

Anm.  2.  t  von  st  ist  im  Bulgarischen  und  Serbo- 
kroatischen erst  in  neuerer  Zeit  geschwunden.  Lavrov  107 
fUhrt  die  ältesten  Beispiele  aus  dem  17.  Jahrhundert  an, 
auch  im  Mihanov.  Psalt.  aus  dem  16.  Jahrhundert  (Va- 
ljavec,  O  prijevodu  psal.  190)  findet  man  Mt>3b  für  Mbcmt, 
im  Katech.  Safaf.  (herausgeg.  von  Argirov  IlCn.  XLIV) 
wecb.     Etwas    weiter    zurück    reichen    die    Beispiele    im 


Mmcolonische  Studien.  73 

Serbokroatischen,  z.  B.  svitlos  im  Bern.  Splje6.  Es  wäre 
falsch  diesen  Schwund  des  auslautenden  t  von  st  im  Bul- 
garischen und  in  einigen  südwestlich  serbokroatischen 
Dialecten  mit  der  geographischen  Lage  unter  gleichen 
Himmelsstrichen  in  Zusammenhang  zu  bringen,  wir  finden 
ja  denselben  Schwund  nicht  bloss  in  einigen  böhmischen 
Dialecten  (Gebauer  I  399,  DuSek,  Hlask.  naf.  jihoces. 
I  20),  sondern  auch  in  russischen  (Potebnja,  ^Ba  H3cai^. 
88.  89,  Archiv  III  607). 

cbklo  Ns.  ist  eine  hübsche  Parallele  zu  serbokroat.  caklo 
(Archiv  XVI  181). 

Geschwunden  ist  t  in  o$oi  Ob.,  Metathese  fand  statt  in 
svabda  (sfäbda)  Ob.  gegenüber  svädba  Gal.  In  tkaim  Ns.,  tkaja 
Gal.  bleibt  secundäres  tk  unverändert. 

118.  Besonders  beachtenswerth  ist  in  mehreren  macedoni- 
schen  Dialecten  der  Schwund  des  inlautenden  d,  vorzüglich  des 
intervoc.  d9  vergl.  Archiv  XVI  304.  Diese  Lauterscheinung  ist 
durchaus  nicht  allgemein,  sondern  hauptsächlich  auf  einige 
wenige  Verba  beschränkt.  Suho  zapo§  aber  zapbdam,  zapodat 
(zapojda) ;  Dudbtl  kl  dorn,  ki  fom,  im  benachbarten  Ns.  aber 
dafür  noch  Jci  dojdam,  ki  hodam\  Vat.  Kl  dorn,  döß7  dbjht, 
kjom  und  Jci  hom  neben  vollem  hbdzm,  hodis,  hbdl)  Var.  kl 
doj8$  'Gr.  jaS  neben  jadvm,  jade)  Bug.  selten  ja&,  gewöhnlich 
jadis,  jadam;  Gal.  dae§,  daet  (3  Sgl.  und  PL),  daeme  neben 
dada.  Sonst  bleibt  intervoc.  d  hier  bewahrt,  z.  B.  bda,  jada} 
jademe,  glldame,  gledate,  natürlich  auch  zedof,  zedoe;  etwas 
häufiger  ist  dieser  Schwund  in  Ob.,  denn  neben  dae8,  daemey 
da'te  aber  dade,  prodaofme,  prodaof,  zeof,  finden  wir  hier  auch 
ojif  ke  (kqdi),  doch  zedof,  prodade,  prodadoe.  Der  Schwund 
des  d  in  daeS  etc.  dürfte  in  diesem  Dialecte  nicht  lautlich  zu 
deuten  sein.  Nach  dem  Imper.  daj,  dajte  wurde  zuerst  die 
3.  Plur.  Präs.,  die  *dadet  lautete,  vergl.  jadet,  petet  etc.  um- 
gebildet; dies  geschah  um  so  leichter,  da  bei  einer  Anzahl  von 
Verben  (V.  Gl.)  die  3.  Plur.  auf  -aet,  bei  anderen  auf  -et  en- 
digte; das  Verhältniss  war  daj  :  daet  =  gledaj  :  gledaet.  Von 
der  3.  PI.  drang  die  Form  ohne  d  auch  in  die  anderen  Präsens- 
formen. 


74  Yin.  Abhandlung:    OfcUk. 

b,  p,  v,  m. 

119.  In  der  Behandlung  des  secund.  mn  gehen  die  bulgari- 
schen, wie  überhaupt  die  südslavischen  Dialecte  auseinander.  Im 
Anlaute  wurde  mn  selbst  in  jenen  Dialecten  zu  n,  die  im  Inlaute 
eine  entschiedene  Vorliebe  zu  mn  zeigen,  so  dass  sie  sogar 
secund.  vn  zu  mn  umformten:  Ns.  nbgu  neben  timmca  und 
sogar  rämnfi  (aus  ravno),  zemna]  Bug.  Vat.  nbgä  aber  ramnö] 
Var.  nogu  doch  ot  damna,  ramno. 

In  Suho  finden  wir  im  Anlaute  mi  für  mn:  miogü,  im 
Inlaute  mn  für  im:  uSmna  doch  prvna.  Auffallend  ist  mnuk 
(aus  vnuk);  auch  zemne.  —  Anlautendes  mn  wurde  demnach 
früher  ?u  mi  als  sich  vn  zu  mn  entwickelte. 

In  den  Debramundarten  herrscht  in  diesem  Punkte  keine 
Uebereinstimmung.  In  Gal.  mnogü,  daher  auch  ramno  und 
natürlich  auch  temno,  in  Kl.  mtogü,  Ob.  mnbgo. 

Ueber  vn  ist  neben  dem  bereits  Erwähnten  noch  zu  be- 
merken, dass  im  Gegensatz  zum  Dialect  von  Suho  nördlich 
von  Salonichi  anlautendes  vn  zu  fn  wurde :  fnuk  Ns.;  Bug.  Vat., 
Var.;  im  Inlaute  dagegen  mn.  Nur  in  Vat.  prwna  mit  einem 
zwischen  v  und  /  stehenden  Laut  neben  ramnd,  zemtia;  Gr. 
auch  prmna. 

Vom  anlautenden  V8  schwand  v:  selcide,  soti  (omnes)  Ns., 
8e,  8ono6  Gal.;  dagegen  Metathese  in  Kl.  sve,  Ob.  svi-te.  In 
sve  für  8te  (je8te)  Ob.  haben  wir  ein  Beispiel  eines  sonst  un- 
erhörten Lautwandels  in  der  Conjugation.  Es  ist  dies  kein 
Sprachfehler  meines  Gewährsmannes,  wie  ich  anfangs  annehmen 
wollte,  denn  dieselbe  Form  erscheint  auch  in  Ochrida  Sapk. 
C6.  III  169.  An  eine  Anlehnung  an  den  alten  Dual,  wie  z.  B. 
in  umgekehrter  Weise  in  slovenischen  und  anderen  Dialecten 
der  Dual  an  den  Plural  angelehnt  ist  (delama) ,  ist  nicht  zu 
denken. 

Anm.  Der  Schwund  des  anlautenden  v  von  vs  scheint 
hauptsächlich  in  jenen  slavischen  Dialecten  vorzukommen, 
die  kein  labiolabiales  w  oder  ü  besitzen.  In  den  westlichen 
Dialecten  des  Slovenischen  spricht  man  üs69  in  den  öst- 
lichen, denen  w  oder  ä  (=  v)  abgeht,  sen  saksemi  (Ormui 
—  Friedau);  im  Klein-  und  Weissrussischen,  wo  anlau- 
tendes v  allgemein  zu  ü,   uw  wurde,   üse;   im  Südböhmi- 


Macedonisohe  Studien.  75 

sehen,  wo  v  in  keiner  Lage  zu  u  wurde,  ist  der  Schwund 
desselben  ziemlich  verbreitet,  DuSek,  Hlaskosl.  26.  —  An- 
lautendes vs  behält  im  Slavischen  entweder  unverändert 
sein  v,  das  dann  schwinden  kann,  oder  es  wurde  v  zu  10, 
ü,  das  durchgehends  bewahrt  bleibt. 

Vor  Consonanten  unterlag  v  der  Assimilation.  Daher 
jifdftvica  Suho,  fibri ,  oföar  Ns. ,  ofde,  föera,  f  kot  Gr., 
föera  Ob. 

In  der  Lautgruppe  sv  bleibt  *  nicht  bloss  von  der  re- 
gressiven Assimilation  bewahrt,  sondern  es  näherte  sich  in  Suho 
v  dem  «,  indem  es  zu  einem  /-artigen  Laut  wurde :  sfirka,  sfät, 
sfivam,  ebenso  in  Ob.  sfina,  sfeRa,  sfabda,  vergl.  Kaiina  I  283. 

Auf  einer  ähnlichen  Assimilation  beruht  die  im  Bulgari- 
schen stark  verbreitete  Entwicklung  des  hv  zu  /,  z.  B.  fat\7 
fäcam  Ns.,  fäöam  Bug.;  fäliS,  faca  Gr.,  fasta  KL,  fa&tat  Ob. 

v  in  dv  bleibt  unverändert:  dvor  Suho,  Ns.,  Gr. 

v  schwand  in  der  seeundären   Lautgruppe  stv:  stora  Kl. 

bc  wurde  im  Inlaute  zu  mc:  nemea-va  Gal.  —  Nur  buka 
Ns.,  Gal.  wie  allgemein  im  Bulgarischen,  kein  bukva. 

Metathese  in  gärvan  Suho,  doch  gavran  Gr. 

120.  Schwund  des  v.  Eine  sehr  in  die  Augen  fallende 
Eigenthümlichkeit  einiger  Mundarten  des  Debragebietes  ist  der 
Schwund  des  intervocalischen  v.  Diesem  ging  unzweifelhaft 
die  Aussprache  des  v  als  eines  labiolabialen  w  voraus.  Ein 
solches  w  finden  wir  in  Gal.  im  Anlaute,  z.  B.  woda,  Ob.  uoda. 
Die  Betheiligung  der  Zähne  und  Lippen  an  der  Bildung  des  v 
wurde  durch  blosse  Lippenbetheiligung  ersetzt.  Vorausgehendes 
o,  u  erleichterte  die  Entwicklung  des  w,  das  dann  gänzlich 
schwand,  wozu  auch  die  Dissimilation  einiges  beigetragen  haben 
mag.  Es  ist  zu  beachten,  dass  in  der  Mehrzahl  dieser  Beispiele 
vor  v  ein  o  steht.  Von  solchen  Beispielen  mag  der  Schwund 
des  w,  u  ausgegangen  sein.  Einigermassen  befremdend  ist,  dass 
labiodentales  v  auch  vor  hellen  Vocalen  e,  i,  zu  w  wurde: 
im  Gailthalerdialecte ,  wo  man  einen  ähnlichen  Wandel  und 
auch  Schwund  des  v — w  allgemein  beobachten  kann,  wurde  v 
zu  u  nur  vor  dunklen  Vocalen,  vor  hellen  Vocalen  wurde  es 
zu  einem  Laute,  der  fast  mit  b  zusammenfiel,  z.  B.  gtvda,  gdwo 
(aus   glavo)  neben  gwdbi.     Im  Debradialect   scheint   der   vor- 


76  TTn.  Abhandluff :    OU»k. 

ausgehende    Vocal   von   grosserem   Einflüsse   gewesen   zu  sein 
als  im  slovenischen  Dialecte. 

Kleöe:  cbek,  p6Ke  (aus  poceße)  etc.  und  in  der  Endung 
des  Nom.  Plur.  auf  -ort,  z.  B.  sorpoi7  sbnoi  etc.  Wenn  in  sewi 
(Sgl.  $ef)  ??  erhalten  ist,  so  ist  es  an  den  Sgl.  angelehnt,  viel- 
leicht wurde  es  auch  einigermaßen  durch  das  vorausgehende  t 
geschützt.  In  noga-va  ist  das  v  des  Artikels  durch  System- 
zwang bewahrt.  Aus  mhvoi  neben  den  Sgl.  mof  (rmkb),  mom 
können  wir  schliessen,  dass  sich  h  noch  nicht  zu  v,  sondern 
zu  einem  zwischen  /  und  t?  liegenden  Laut  entwickelt  hatte, 
als  der  Schwund  des  intervoc.  v  aufkam.  Deshalb  wurde  von 
demselben  nur  das  etym.  v  ergriffen.  Vor  einer  Anhäufung 
von  Vocalen  scheuten  die  nördlichen  macedonischen  Dialecte 
durchaus  nicht  zurück ,  wie  wir  z.  B.  an  jaoroo  (javorovo)  im 
Dialect  von  Prilep  sehen. 

Oboki:  tbek,  gbedo,  goedarot,  lastoica,  gtaa-ta,  küal, 
prais,  dojduam,  stretuam,  cl>t  (tevel)  etc.;  Nom.  PL  denoi, 
bgnoi  etc.  Für  kurzes  und  unbetontes  i  hört  man  in  dieser 
Nominativendung  oft  j :  cutoj,  dbhoj.  Auch  praoi  gehört  hieher, 
es  ist  hier  nicht  h  geschwunden,  da  es  in  diesem  Dialect  im 
Inlaute  zwischen  Vocalen  zu  v  wird.  —  In  den  Doubletten 
gtäva,  cbvek,  ribovi  meines  Gewährsmannes  aus  Ob.  sehe  ich 
den  Einfluss  anderer  bulgarischer  Dialecte  auf  seine  Sprache; 
ausserdem  nblcivam,  vergl.  dagegen  prenocuat  Prilep. 

In  Gal.  ist  intervoc.  v  erhalten:  Öbvek,  gbvedar,  gtam, 
dbbovi  etc. 

Aus  dem  Dialect  von  Caredvor  (Resen)  notirte  ich  mir 
den  Nom.  PI.  dbidol. 

Anm.  Die  Debradialecte  zerfallen  auch  durch  die 
Behandlung  des  interv.  ü  in  zwei  Gruppen.  Jene,  in  der 
v  schwand,  umfasst  die  Sprache  der  Dörfer  Klenje,  Oboki, 
Drenok,  Modriö,  Dzepliita,  Radoeäta,  Lukovo  gor.,  Luk. 
dol. ,  Sebiäta,  Jablanica  und  noch  einige.  Zur  zweiten 
mit  bewahrtem  r  gehören :  Galiänik,  Lazaropole,  Tresanle, 
Osoj,  Ehloveö,  vergl.  Matov,  HCn.  XXXIV  434. 

v  schwand  im  Anlaute:  bSka  Bug.,  neben  i$o$ka  Ns., 
vUka  Vat. 


I 


M&codonuche  Stadien.  77 


k,  g,  h. 


121.  Weit  verbreitet  ist  der  Schwund  des  A.  Am  allge- 
meinsten ist  er  im  Anlaute  und  zwar  vor  Consonanten,  da  wir 
ihn  in  solcher  Lage  auch  in  Dialecten  antreffen,  wo  h  im 
In-  und  Auslaut  bewahrt  bleibt.  Suho:  Väp  neben  hübavi,  bllhi} 
trbha,  präh,  m'äh. 

Auch  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Sa- 
lon ich i  ging  h  hauptsächlich  vor  consonantischem  Anlaut  ver- 
loren :  Ns.  llbüvi,  bdimi,  das  an  Bildungen  von  idq,  z.  B.  ideä, 
dojdeh  angelehnt  sein  mag,  denn  daneben  spricht  man  hodah, 
hubdamy  hodbJßi,  hübaf,  hbrü  und  sogar  hladnü-,  in  mlki  dürfte 
sich  kein  h  entwickelt  haben.  Vat.  lip,  aber  hodvm.  Im  In- 
und- Auslaute  ist  hier  h  durchgehends  bewahrt,  wenn  es  zwi- 
schen Vocalen  auch  nur  schwach  hörbar  ist:  Ns.  suha}  meh 
(Bauch),  muha,  prah,  vj-h,  Mipüvah,  ütipüvato,  doch  sünh, 
wofür  ich  einen  alten  Mann  sunito  sprechen  hörte;  Bug.  muha\ 
Vat.  müha,  süho,  aber  i  (ih). 

In  der  Mundart  des  benachbarten  nördlichen  Dorfes  Var. 
ist  der  Schwund  des  h  schon  viel  ausgebreiteter.  Im  Auslaute 
bleibt  es  zwar  noch,  z.  B.  prah,  strah,  orhh,  peöüh,  aber  im  In- 
laute ist  es  zwischen  Vocalen  geschwunden:  prä"vi,  strahl, 
vtrüvi,  orli,  müa,  b\a  (ab.  bhha),  auch  vjanam;  natürlich  auch 
lebüt,  bdvm  mit  Schwund  des  anlautenden  h. 

Charakteristisch  für  die  Debradialecte  ist  unter  an- 
derem auch  der  Wandel  des  h  zu  /  im  Auslaute  und  zu  v  im 
Inlaute  zwischen  Vocalen.  Gal.  bref,  brevi,  t>f/,  vpoovi,  sednaf, 
bef,  snova  (smha),  movi  neben  snoa  wahrscheinlich  aus  einer 
benachbarten  Mundart  des  Debragebietes,  java,  duva,  sogar 
blva.  Auffallend  ist  daher  düh,  dilhovi.  Es  scheint  dies  als 
ein  nicht  volkstümliches  Wort  der  Literatur-  und  Kirchen- 
sprache entlehnt  zu  sein. 

In  jenen  Debramundarten,  wo  intervocalisches  v  schwand, 
war  an  diesem  Process  auch  der  Reflex  des  h  betheiligt,  snoa 
in  Ob.  ist  daher  nicht  direct  durch  Schwund  des  h  aus  snoha 
hervorgegangen,  sondern  geht  auf  die  Mittelstufe  snova  zurück. 
Ob.:  snoa,  snoif  brei  und  bref9  praoi  und  praf,  straoi  und 
straf,  mua,  bif7  najdof.   Mein  Gewährsmann  sprach  auch  ubavo, 


78  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

javam,    wahrscheinlich  hat  er  diese  Form  der  beiden  sehr  ge- 
wöhnlichen Worte  aus  einem  anderen  Dialecte. 

In  Kiene  schwand  v  =  A  aus  den  oben  angeführten 
Gründen  nicht,  daher:  snova,  movoi,  mof,  vratif,  izlegof. 

122.  Auch  vor  Consonanten  finden  wir  /,  v  für  A,  doch  ist 
dies  als  eine  Assimilationserscheinung  von  der  isolirten  Ent- 
wicklung des  A  zu  /,  v  verschieden.  Allgemein  ist  dies  im 
Aor.  und  Imperf.,  z.  B.  Gal.  preshkofme,  prestikofte,  spafme. 
spafte,  fälefme,  fälefte,  ebenso  hfla  (aus  elha);  KL  iskbpif] 
iskbpifme,  izlbgofte;  Ob.  befine,  hefte,  porästofine.  Um  so  auf- 
fallender wäre  nokt7  nokti  Ob.,  wenn  es  dort  wirklich  so  ge- 
sprochen würde,  denn  kt  wird  über  ht  selbst  in  manchen  Dia- 
lecten,  die  sonst  kein  /  für  A  kennen,  zu  ft}  z.  B.  Suho  nbfl, 
Ns.  noft]  in  Vat.  noch  nbhte,  ebenso  in  Gr.  nbhti  (nbköt)-.  — 
In  lakti  Gal.  ist  k  bewahrt  wegen  des  Sgl.  läkot. 

Im  Aor.  ist  das  /  von  -fme,  -fte  nicht  aus  der  1.  Sgl. 
eingedrungen,  wo  es  im  Auslaute  stand,  sondern  es  muss  an- 
genommen werden,  dass  auch  vor  Consonanten  im  Inlaut  A  zu 
/,  v  wurde,  was  ja  Beispiele  wie  noft,  efla  aufs  unzweideutigste 
zeigen.  Wir  finden  v  für  A  neben  den  bereits  angefahrten 
Beispielen  auch  in  solchen  Formen,  wo  eine  Anlehnung  an  das 
auslautende  /  ganz  ausgeschlossen  ist,  z.  B.  javna  Prilep.  Auch 
die  1.  PI.  Aor.  auf  -tme,  z.  B.  bevne,  pojdovne  gegenüber  der 
1.  Sgl.  pojdof  Prilep  spricht  gegen  eine  solche  Erklärung. 

Dagegen  ist  in  der  3.  Plur.  Aor.  und  Imperf.  nicht  bloss 
in  Ob.  h  geschwunden,  z.  B.  pasee,  udrie  etc.,  sondern  auch 
in  Gal.,  wo  selbst  altes  v  zwischen  Vocalen  bewahrt  bleibt, 
z.  B.  fälie,  izlbgae,  bee}  vfegae.  Auch  in  Kl.,  wo,  wie  erwähnt, 
v  =  h  bewahrt  bleibt,  finden  wir  izlegoe,  zne?,  rahotae  etc. 
Warum  kein  vUgove  in  Gal.,  da  die  Sprache  ganz  gut  t?,  sei 
es  alter  oder  neuer  Provenienz,  vor  e,  i  verträgt,  wie  dies  die 
Beispiele  govedar,  brevi  etc.  zeigen  ?  Ich  glaube,  der  Grund  ist 
in  der  Betonung  zu  suchen.  Die  3.  Plur.  Aor.  hatte  fast  aus- 
nahmslos den  Accent  auf  der  drittletzten  Silbe  —  fast  durch- 
wegs wird  nämlich  in  den  Debramundarten  diese  Silbe  betont 
—  A  stand  demnach  vor  einem  infolge  der  weiten  Entfernung 
von  der  Tonsilbe  schon  stark  geschwächten  Vocal.  Dieser  ist 
oft  kaum  hörbar,   z.  B.    ?>mre*.     In   solchen   Fällen  konnte   es 


Macedoniacbe  Studien.  79 

daher  leicht  schwinden.    Eine  Entwicklung  zu  v  ist  mir  in  der 
3.  PI.  Aor.  Imperf.  ganz  unwahrscheinlich. 

123.  Man  wäre  vielleicht  versucht  mit  Hinweis  auf  serbo- 
kroat.  muva  von  einem  Schwunde  des  h  und  einer  späteren 
Entwicklung  des  v  zwischen  beiden  Vocalen  zur  Beseitigung  des 
Hiatus  zu  sprechen.  Nun  gibt  es  in  diesen  drei  Mundarten 
keinen  so  allgemeinen  Schwund  des  h  wie  in  vielen  südlichen 
Dialecten  des  Serbokroatischen,  der  Schwund  ist  vielmehr,  wie 
wir  gesehen  haben,  nur  auf  gewisse  nicht  zahlreiche  Fälle  be- 
schränkt. Vor  allem  spricht  aber  der  Umstand,  dass  neben 
inlautendem  v  =  h  im  Auslaute  /  steht,  mit  Entschiedenheit 
gegen  eine  solche  Erklärung  im  Debradialecte.  Im  Auslaut, 
der  keine  tönenden  Consonanten  duldet,  wurde  h  unmittelbar 
zu  jenem  zwischen  /  und  v  stehenden  Consonanten,  den  ich 
mit  /  bezeichne,  im  Inlaute  zwischen  Vocalen  dagegen  zum 
tönenden  v.  Einige  Aehnlichkeit  mit  diesem  Lautprocess  hat 
das  herzegovinische  g  für  auslautendes  A,  das  sich  wahrschein- 
lich erst  aus  </*,  gr*  entwickelte.  —  Einen  Wandel  des  h  zu  / 
finden  wir  auch  auf  romanischem  Gebiet  der  Balkanhalbinsel, 
z.  B.  in  Vlaho-Meglen  kifkoies,  slav.  kih-  (Weigand,  S.  20), 
das  vielleicht  schon  in  dieser  Form  mit  /  aus  einem  südmace- 
donischen  Dialecte  (in  Gevgeli  spricht  man  vrf}  in  Lerin  bef) 
aufgenommen  wurde.  Auch  in  einigen  serbokroatischen  Dialecten 
finden  wir  /  für  A,  wenn  dies  auch  im  Serbokroatischen  selten 
ist,  z.  B.  Vrisnik  auf  Lesina  Jcruf  neben  kruh,  graf,  grafa, 
juf  und  jufa,  fräna;  im  Auslaute  erscheint  /  für  ä  auch  in 
einigen  grossrussischen  Dialecten,  z.  B.  if  (Sobol.,  JKhb.  Orap. 
II  2,  S.  18),  während  im  Kleinrussischen  sporadisch  im  Anlaute 
/  für  h  auftritt:  fustka  (Sobol.  IV  52.  60).  Den  Wandel  des  h 
in  /  kennen  auch  neugriechische  Dialecte  (Foy  32)  und  vom 
Albanesischen  das  Gegische  (Hahn,  Studien  II  18). 

In  ot  ka  Vat.  aus  ot  koga  haben  wir  ein  Beispiel  für  den 
Schwund  des  g  zwischen  Vocalen,  in  8vegd%  nigdte  Ob.  ist  es 
dagegen  erhalten. 

6,  z,  6. 

124.  ö  in  der  Lautgruppe  6r  wurde  zu  c :  er  im  Dialect  nörd- 
lich von  Salonichi  und  im  Debradialect,  in  Suho  blieb  6  zwar  un- 
verändert, aber  die  ganze  Lautgruppe  wurde  zu  cer,  vergl.  §.  74. 


80  VIII.  Abhandle :    ObUk. 

Beispiele  eines  lautlichen  Ersatzes  des  l  durch  c  habe 
ich  mir  in  keinem  der  drei  Dialecte  verzeichnet,  einen  der- 
artigen Process  gibt  es  im  Bulgarischen  nur  in  äusserst  ein- 
geschränktem Umfange,  vergl.  Archiv  XVII  461  f. 

Die  secundäre,  nach  Schwund  des  e  entstandene  Laut- 
gruppe öt  bleibt  in  Gr.  unverändert:  ötiri,  Gal.  cetori* 

Secundäres  p$  wurde  selbst  in  nahe  verwandten  Dialecten 
verschieden  behandelt:  Gal.  ptenica,  dagegen  Ob.  Ühjnca. 

Für  öbsk  erscheint  in  Suho  tit:  tüväcka. 

In  Vat.  izdlhme,  izdeli  für  izehme  neben  jädht.  Ist  es  eine 
Anlehnung  an  die  hier  beliebte  Lautgruppe  zd  oder  ist  zd  aus 
zg  und  dies  aus  zj  entstanden?  Vielleicht  ist  es  sogar  eine 
Verschränkung  der  Participalformen  izel  und  des  Aor.  izedeh. 

C|    S)    &• 

125.  cv.  Selbst  sehr  nahe  verwandte  Dialecte  stimmen  in 
dem  Reflexe  dieser  Lautgruppe  nicht  überein.  So  wird  nördlich 
von  Salonichi  in  den  einen  Dörfern  et?  bewahrt,  in  den  an- 
deren tritt  die  bei  cv  im  Bulgarischen  stark  verbreitete  Meta- 
these ein:  cbvti  Ns.,  cbftl,  Cbfti,  aber  cvhti  Vat.,  Var.  In  Suho 
vöätl  durch  Assimilation.  —  Ueber  cu  =  cvb  im  Debradialect 
vergl.  §.  25. 

Im  Imper.  dbnesi  wurde  nach  Schwund  des  e,  ns  zu  ne: 
dbnei  Ns.,  Bug.,  donc&te  Bug. 

Man  spricht  in  Ns.  bez  nhgü.  —  «in  jasnü  wird  in  Ns. 
sehr  scharf  ausgesprochen,  man  vermeint  fast  ein  s*  zu  hören, 
vergl.  So  für  Sto  in  Ns.  mit  einer  derartigen  Aussprache  des  &. 
—  Wie  allgemein  im  Bulgarischen  bleibt  *  in  8uiaf  suha  Ns. 
unverändert. 

Schwund  des  j. 

126.  j  im  An-  und  Inlaut  bleibt  vor  dunklen  Vocalen,  vor 
e,  i  schwindet  es  ohne  Rücksicht  auf  seinen  etymologischen 
Ursprung.  Damit  stimmt  auch  die  Behandlung  der  weichen 
Lautgruppen  Ta}  fia}  gegenüber  &,  fie  überein,  vergl.  §.  88 — 91. 
Suho:  jas,  jästa,  jävur7  jägfie,  Stojäne.  Charakteristisch  fiir 
die  Behandlung  des  j  ist  das  Beispiel  ick,  Icä  aus  jajee 
(jice)   umgelautet.     Vor  dem    durch    Umlaut    aus    a   hervor- 


Macadonische  Stadien.  81 

gegangenen  ä,  §,  die  nicht  zu  hellen  Vocalen  gerechnet  werden 
können,  bleibt  j:  jäS  (ja&db),  jere.  Aber  ednä,  irimlbca,  doch 
je  (ji,  jertb). 

Auch  vorgetreten  ist  j:  jidüvica. 

Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi:  Ns. 
jäsli,  jar}  jäsin,  jägfii,  jäjci,  prijatel,  vlja  (diese),  Kji&  (3.  PL). 
Auch  ütri,  aber  ez\k,  endza,  doch  tüji.  Im  Fluss  der  Rede 
wird  auch  vor  e,  i  ein  kurzer  ^-ähnlicher  Uebergangslaut  ge- 
hört ohne  Rücksicht  darauf,  ob  das  Wort  ein  anlautendes  altes 
oder  secundäresj  hatte:  iedin,  Jedmä9^e8in,Hrib\ca}Ugra  (3.  Sgl.), 
*tyW-  —  Qt.  Jas,  järiSta,  jäjca,  jägfie,  prijätil,  jaham,  jade 
(mcth),  aber  Hdnb}  lcräiUa  und  *1gra.  —  Bug.  jägfii,  igräjat 
neben  igraü,  *ednä,  H  (Dat.  Sgl.),  Urlkca,  sVi,  p#i,  doe  (säugen), 
igräi  und  auch  jas  a  (ja).  —  Vat.  jagne}  jajce,  jab\kay  igrhjäh, 
znijvm  doch  z"niü9  jasli,  aber  fidnä,  Hztk,  i  (H)ffc)  und  sogar 
Jlgfa.  —  Var.  jas,  järe,  j-ihlka,  jäsli,  igrajym  neben  igraü, 
znaat  neben  znae  — Jiztk,  ilden,  i  (H)fk). 

Debradialect.  Gal.  ja,  jägonca,  jbzul,  jbzik  auch  jäda, 
aber  erebica,  gledaet]  Kl.  jas,  jäbotko  —  vrastaet,  zneet;  Ob. 
jär9,  javam  (h)(4Th),  jagfo  aber  enä,  erebica,  e  (lecTk),  e  (ab. 
I€h),  izlagaet. 

Noch  in  einer  Reihe  von  Beispielen  können  wir  den 
Schwund  des  j  beobachten,  und  zwar  vor  Consonanten.  Es  ist 
dies  in  den  Zusammensetzungen  mit  ida  der  Fall.  Man  spricht 
in  Suho  pot  für  pojdi,  podam,  zapbdam,  zapbS  neben  pojme, 
dojdi,  dbjdüh. 

Nicht  Schwund,  sondern  Anticipation  des  j  finden  wir 
in  lojz9  Ob. 

Anm.  Uebereinstimmung  bezüglich  der  Jotation  im 
Anlaute  gibt  es  in  den  bulgarischen  Dialecten  nicht.  Es 
gibt  nicht  bloss  Dialecte,  in  denen  die  Jotation  auch  vor 
a  geschwunden  ist,  sondern  auch  solche,  in  denen  secun- 
däres  j  vor  o,  u  erscheint.  Nur  in  der  Abneigung  gegen 
ein  ji,  das  fast  nirgendswo  im  Bulgarischen  existirt, 
herrscht  Uebereinstimmung;  auch  je  ist  selten.  Haupt- 
sächlich sind  es  ostbulgarische  Dialecte,  in  denen  j  auch 
vor  a  geschwunden  ist,  z.  B.  Sumen  äfolkh,  as  aber  jar§, 
falls  die  Aufzeichnungen  genau  die  Aussprache  wieder- 
geben,  und  dennoch  sogar  secundäres  j :  jutvärejti.     In 

Sitrasgsber.  d.  pbil.-birt.  Cl.  CXXXIT.  Bd.  8.  Abb.  6 


82  VIII.  AbbAndlung:    ObUk. 

Bonöev's  Sbor.  wird  in  den  Volksliedern  aas  Bazgmd 
agniy  agneta  (Lavrov  115)  geschrieben,  im  G6M.  aber 
nicht  bloss  jagni,  jar7  sondern  sogar  secundäres  j  vor  o 
(u),  z.  B.  jogvn,  jbaem,  jutia\.  Es  scheint  mir  fraglich, 
ob  die  von  Bonöev  gesammelten  Volkslieder  genau  auf- 
gezeichnet sind.  Theilweise  mag  diese  Verschiedenheit 
darauf  beruhen,  dass  beim  Singen  der  Volkslieder«  wie  dies 
M.  Ivanov  für  den  Dialect  der  Srfidna  gora  IlCn.  XLVI 579 
berichtet,  jeder  anlautende  Vocal  jotirt  wird,  während 
sich  in  der  Umgangssprache  in  diesem  Dialect  j  nur  vor 
dunklen  Vocalen  hält.  —  Vor  o,  u  finden  wir  secundäres 
j  sowohl  in  bulgarischen  als  macedonischen  Dialecten, 
von  den  letzteren  in  den  südlichen,  z.  B.  Kostur  da  jodi, 
da  jostavü,  zora  jobzora,  grendi  jod,  je  jugove,  aber  utro, 
edno,  ezero,  %  etc. ;  Kukuä  a  Jon,  me  joitaviS,  da  joble&e, 
da  jumram,  si  juzel  etc.,  doch  edna  und  adna.  Ein  ja 
gibt  es  in  KukuS  nicht,  da  dasselbe  zu  je  umlautete, 
woraus  nach  Schwund  der  Jotation  e,  z.  B.  ez,  egne  etc.; 
Akbr-Cel.  jostru,  juzda  etc.  In  Vrbenica  (bei  Sofia)  nicht 
bloss  ja,  sondern  auch  je  und  sogar  ji:  jide,  jitny  ji 
(ich)  etc. 

Accent  und  Quantität. 

127.  Bereits  Conev  machte  in  seiner  bekannten  Studie  über 
die  Betonung  im  Bulgarischen  (3a  yAapeHHCTO  bt»  ftMrap.  esBVb 
im  C6M.  Bd.  V)  S.  22 — 27  darauf  aufmerksam,  dass  sich  in 
den  macedonischen  Dialecten  verschiedene  Betonungsprincipe 
ausgebildet  haben,  vergl.  auch  meine  Bemerkungen  im  Archiv 
XV  75.  Die  erste  Kenntniss  vom  unbeweglichen  und  zwar 
auf  der  drittletzten  Silbe  ruhenden  Accent  im  Debradialecte 
verdanken  wir  Verkovi6,  Oiricame  6uTa  6oat.  nacea.  MaKCA-, 
1868,  S.  226  (vergl.  L.  Masing,  Zur  Laut-  und  Accentlehre  der 
macedoslavischen  Dialecte  127).  Matov  (Khhähii.h  III  55)  be- 
stätigt dies  hinsichtlich  des  Dialectes  von  Debra,  Ochrida  und 
Veles,  vergl.  Drinov,  0  6o.arap.  caoBapi  A.  A.  ,3,10b.  15.  Masing 
geht  in  der  erwähnten  Schrift  auch  auf  die  eigentümliche 
Betonung  dieser  Dialectgruppe  ein.  Aus  jüngster  Zeit  besitzen 
wir  eine  fleissige  Studie  über  die  Betonung  im  Dialect  von 
Resen,  der  gleichfalls  zu  dieser  Gruppe  gehört,  im  IlCn.  XLI — 


Ifocedonische  Studien.  83 

XLII  857—915  und  über  den  Accent  in  der  ganzen  nordwest- 
macedonischen  Dialectgruppe  eine  übersichtliche  Darstellung 
von  Drimkolov  im  C6M.  IX  391— 409. 

Von  den  drei  von  mir  besprochenen  Dialecten  ist  es  der 
Debradialect,  dessen  Betonung  besonders  hervorsticht.  .In  der 
Mundart  von  Gal.  und  Ob.  ruht  der  Accent  ausnahmslos  auf 
der  drittletzten  Silbe,  mag  das  Wort  ein  Simplex  oder  Com- 
positum sein,  bei  zweisilbigen  Worten  natürlich  auf  der  ersten 
Silbe.  Erhält  ein  drei-  oder  mehrsilbiges  Wort  durch  eine 
Endung,  Stammsuffix  oder  Artikel  einen  Silbenzuwachs,  so 
rückt  der  Accent  um  so  viel  Silben  gegen  das  Ende,  als  die 
Zahl  der  neu  hinzugetretenen  Silben  beträgt,  z.  B.  Gal.  gbvedar 
aber  govbdarot,  sbniwaf  doch  sonüvale,  räbotat  aber  rabbtaet. 
Koch  einige  Beispiele  aus  Gal.:  rbka,  rbkaf,  y,bda}  kena,  tbve- 
koty  prijatel  aber  prijäteli,  hzerS  —  ezeriiia,  pbrotaä  —  porb- 
öaet,  gbvedor  —  govldari,  Zllezdo,  dbvet,  devhleset,  Ispekof  — 
i&pükoe,  peücava.  Das  nachfolgende  Reflexivum  se  wird  mit 
dem  Verbum  als  ein  Wortganzes  aufgefasst,  daher  falite  se 
neben  fäli  se,  pomestovdJKi  se.  Von  den  Präpositionen  gilt  dies 
nicht,  z.  B.  po  pöt,  na  gbsti,  od  ümot. 

Ob.  rbka,  zfonna,  gbedo  —  goedata,  govedarot,  brätoöet  — 
brgtütedi,  prijatel  —  prijätdi,  pbrastof  —  porästofme,  prbdaof 
—  prodädoe,  nigof  —  negbvata,  bikbi-ti,  rämena  —  ramlna-ta, 
pdzua  —  pazüa-ta.  Ist  die  Präposition  mit  dem  Worte  zu  einem 
Ganzen  vereinigt,  so  trägt  dieselbe  bei  ein-  und  zweisilbigen 
Worten  den  Accent,  z.  B.  nä  strede,  wo  die  ganze  Fügung  als 
Präposition  gefühlt  wird,  ndpred;  natürlich  auch  in  der  Com- 
position  pbdmiika.  Dasselbe  gilt  auch  vom  enclitischen  rat,  ti, 
st,  daher  bratbe  si,  na  bräta  si.  Sonst  tritt  die  Präposition  in 
keine  so  innige  Vereinigung  mit  dem  Nomen,  was  als  ein  Unter- 
schied von  der  serbokroatischen  und  russischen  Betonung  her- 
vorgehoben werden  muss,  z.  B.  pari  za  vino7  na  bro,  na  zemi, 
od  zhmi,  prhko  ubda  aber  nä  gosti  in  der  Phrase  Jcä  bdam  na 
gostij  in  Gal.  jedoch  na  gbsti)  dagegen  dobrb  utro. 

Nur  scheinbare  Abweichungen  sind  dvanäjset  in  Gal., 
pebndjsdt,  sedzmndjsdt,  oshmnäjszt,  dewtndjsdt,  dvdjsdt  in  Ob., 
wo  die  betonte  Silbe  erst  nach  Schwund  der  vorletzten  (de) 
an  die  zweite  Stelle  rückte ;  dasselbe  finden  wir  in  Resen  IICii. 
XLI— XLII  880. 

6» 


84  VHI.  AbUndlnog:    ObUk. 

Ein  Beispiel  illustrirt  uns  recht  deutlich,  dass  diese  Be- 
tonungsart auf  der  drittletzten  Silbe  gewiss  nicht  weit  zurück 
reicht.  In  Gal.  spricht  man  trbba,  wo  das  anlautende  u  nur 
infolge  seiner  Accentlosigkeit  schwinden  konnte ,  vergl.  russ. 
utrbba,  öak.  utrbba,  Neman,  ü  41.  Dieser  Schwund  ist  ent- 
schieden nicht  alt. 

Nicht  ganz  mit  gleicher  Strenge  wird  dies  Betonungs- 
princip  in  der  dritten  Mundart  des  Debragebietes ,  in  Kleäe 
eingehalten.  Regelmässig  erscheint  auch  hier  die  drittletzte 
Silbe  betont,  bei  zweisilbigen  Worten  die  vorletzte,  z.  B.  rb- 
bebe,  dhneska,  nbgava,  jäbolko,  8hvoi,  bdime,  otidoe,  pl&ime,  nä- 
Seto,  vräitaet.  Die  Sprache  geht  sogar  so  weit,  dass  bei  enger 
Verbindung  des  Adjectivs  mit  dem  Substantiv  beide  als  eine 
Einheit  aufgefasst  werden,  daher  corvenä  boja  neben  cdrven. 
Um  so  auffallender  ist  daher  jede  Abweichung.  Sie  beruht 
darin,  dass  beim  Silbenzuwachs  der  Wortaccent  nicht  veniickt 
wird,  z.  B.  kbpa,  kbpü  etc.  und  daher  auch  islcbpif,  mbmit 
und  darnach  izmbmif.  In  izlbgof  (hinausgehen)  neben  iz&gofrnt, 
izlfyofle,  izlhgoe  haben  wir  es  mit  keiner  Anlehnung  des  Ver- 
bums an  das  Simplex  zu  thun,  denn  dies  scheint  nicht  einmal 
vorhanden  zu  sein,  es  war  vielleicht  die  Mehrzahl  der  Aorist- 
formen auch  für  den  Singular  bestimmend  —  vorausgesetzt,  dass 
sich  in  diesem  Punkte  beim  Knaben,  nach  dessen  Sprache  ich 
meine  Aufzeichnungen  machte,  nicht  der  Einfluss  der  bulgari- 
schen Schule  bemerkbar  machte.  Dasselbe  gilt  von  rabötaf, 
rabbta  neben  rabbtae. 

128.  Die  Betonung  im  Debradialect  weicht  demnach  in 
zweifacher  Hinsicht  von  der  ostbulgarischen  ab.  1.  ist  sie  unbe- 
weglich und  zwar  ruht  sie  2.  auf  der  drittletzten  Silbe.  Von 
der  im  Serbokroatischen  üblichen  Betonung  ist  also  diese  Accen- 
tuation  ganz  verschiedenartig,  sie  hat  mit  derselben,  wie  über- 
haupt mit  der  Betonung  in  allen  slavischen  Sprachen  —  aus- 
genommen sind  theilweise  nur  einige  westliche  Dialecte  des 
Slovenischen  und  des  Öakav.  —  nur  die  Tendenz  gemeinsam, 
den  Ton  vom  Wortende  zurückzuziehen.  Masing  S.  131J,  er- 
klärt die  Accentuation  der  nordwestmacedonischen  Dialecte 
durch  den  Einfluss  der  Sprache  der  Vorfahren  der  Macedo- 
rumänen  (ostromanische  Mundart).  Matov  (Archiv  XIV  135) 
und  ich  in  der  Besprechung  der  Schrift  Masings  (,LjubIj.  Zvon', 


M&cedonische  Stadien.  85 

1891, 747),  haben  unsere  Zweifel  gegen  einen  solchen  Er- 
klärungsverBUch  geäussert.  Mag  auch  das  lateinische  Element 
in  den  nördlichen  Theilen  Macedoniens  und  Dardaniens,  also 
im  Gebiete  von  Skopje  und  Kumanovo,  in  den  ersten  nach- 
christlichen  Jahrhunderten  bedeutend  gewesen  sein,  so  darf 
doch  nicht  übersehen  werden,  dass  für  eine  Beeinflussung  der 
später  hinzugekommenen  slavischen  Bevölkerung  nicht  diese  alte 
Periode,  sondern  die  späteren  Jahrhunderte  in  Betracht  kommen. 
Nach  den  Stürmen  der  slavischen  Occupation  war  es  gerade 
das  südliche  Macedonien  und  besonders  das  angrenzende  Thes- 
salien, \izyxkri  Kkor/la  des  11.  Jahrhunderts,  das  eine  starke 
romanische  Bevölkerung  aufwies,  die  sich  aus  den  nördlichen 
Gegenden  hieher  geflüchtet  hatte  (vergl.  Jiredek,  Archiv  XV  99). 
Wir  müssten  demnach  in  südlichen  und  südwestlichen  mace- 
donischen  Dialecten  die  Betonung  auf  der  drittletzten  Silbe 
finden,  wenn  sich  dieselbe  unter  dem  Einfluss  des  romanischen 
Elementes  entwickelt  hätte.  Bekanntlich  ist  dies  im  Dialect 
von  Koröa  (Umgebung),  Eostur,  Voden  und  Salonichi  nicht 
der  Fall.  Noch  ein  schwerwiegendes  Bedenken.  Eine  der- 
artige Beeinflussung  wäre  nur  möglich  vor  der  Absorption  des 
starken  romanischen  Elementes  in  den  Gebieten  des  nordwest- 
lichen Macedoniens.  Soweit  zurück  reicht  die  Festsetzung 
dieser  Betonung  gewiss  nicht.  Mag  auch  im  Uritalischen  die 
Anfangssilbe  die  Trägerin  des  Accentes  gewesen  sein,  im  Ma- 
cedorumänischen  ist  sie  es  gewiss  nicht.  In  diesem  ist  die  Be- 
tonung gar  nicht  unbeweglich  und  an  die  drittletzte  Silbe 
gebunden,  wie  wir  dies  aus  den  von  Weigand,  Die  Arumunen 
Bd.  II  mitgetheilten  Texten  und  aus  dessen  Vlacho-Meglen 
ersehen.  Warum  sollten  wir  auf  diesem  Sprachgebiete  die  Er- 
klärung der  eigenartigen  Betonung  in  dem  Einflüsse  eines 
fremden  sprachlichen  Elementes  suchen,  wenn  wir  für  die 
polnische  Betonung,  die  doch  grosse  Aehnlichkeit  mit  der  er- 
wähnten macedonischen  besitzt,  nicht  zu  einer  solchen  Erklärung 
greifen?  Wir  können  ja  in  anderen  macedonischen  Dialecten 
eine  Neigung  zur  Zurückziehung  des  Accentes  und  zur  Heraus- 
bildung einer  unbeweglichen  Betonung  beobachten.  So  herrscht 
im  Dialecte  von  Kostur  fast  durchgehends  die  penultima  Be- 
tonung, also  eine  ,polnische'  Betonung  auf  macedonischem  Boden. 
Ist  auch  diese  Betonung  auf  einen  fremden  Einfluss  zurückzu- 


86  Vni.  Abhandlung:    Ot»Uk. 

führen?  Gewiss  nicht.  Es  ist  dies  nur  ein  anderes  Resultat 
derselben  Tendenz  in  der  Betonung,  die  in  den  nordwestraace- 
donischen  Dialecten  zur  Festsetzung  des  Accentes  auf  der  dritt- 
letzten Silbe  führte. 

129.  In  dem  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Sa- 
lon ich i  ist  die  Betonung  noch  beweglich  und  nicht  einmal,  wie 
in  einigen  südmacedonischen  Dialecten,  an  die  beiden  letzten 
Silben  gebunden,  z.  B.  Ns.  tilkaäni,  shkakvü,  prijäteli,  dbZdovni, 
vrüöina,  pridojdhn,  siromäh.  In  manchen  Punkten  weicht  sie 
von  der  im  Ostbulgarischen  üblichen  Betonung  ab.  Vor  allem 
macht  sich  auch  hier  ein  Streben  nach  Zurückziehung  der  Be- 
tonung bemerkbar,  z.  B.  Ns.  mlgla,  ihxa-ta,  rtka,  c&klo,  Var. 
dtiSa,  ubda.  Auch  in  umgekehrter  Weise  wird  der  Accent 
gegen  das  Wortende  verschoben,  was  an  einige  £akavische 
und  südwestlich  slovenische  Dialecte  erinnert,  z.  B.  dimirük, 
gübp.  Sogar  zwei  Worte  können  durch  einen  Accent  zu  einem 
Ganzen  vereinigt  werden,  was  wir  schon  in  der  nordwestmace- 
donischen  Dialecten gruppe  in  grösserem  Umfange  gefunden 
haben ,   z.  B.   Ns.  vä  den,  vä  dete,  käta  den,  doch  Vat.  vä  tovtk. 

130.  Die  Betonung  im  Dialect  von  Suho  schliefst  sich  eng 
an  die  ostbulgarische  und  thracische  an,  wie  überhaupt  dieser 
Dialect  in  viel  engeren  Beziehungen  zu  den  genannten  als  zu 
den  west-  und  nordmacedonischen  steht.  Der  Accent  ist  dem- 
nach in  Suho  beweglich,  z.  B.  kä£üvam}  ednb,  käträ,  ri&tre  etc. 
Doch  sind  manche  Abweichungen  von  der  ostbulgarischen  Durch- 
schnitts-Accentuation  bemerkbar,  die  auf  dem  Streben  nach 
Zurückziehung  des  Accentes  beruhen,  z.  B.  kbsa,  Jcbza,  gbra, 
zbra,  shstra,  snlha,  rbsa,  vbda,  rfoka,  pbstil§. 

131.  Im  Allgemeinen  haben  die  bulgarischen  Dialecte  die 
Quantität  verloren,  sie  kennen  nur  kurze  Silben.  In  den 
macedonischen  Dialecten,  besonders  in  den  nördlichen  und  cen- 
tralen, sind  noch  viele  Ueberreste  der  Quantität  erhalten.  Ich 
hörte  lang  betonte  Silben  nicht  bloss  in  den  Debramundarten, 
sondern  auch  im  Süden,  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung 
von  Salonichi,  hier  allerdings  seltener.  Dieselbe  Beobachtung 
machte  ich  ausserdem  in  der  Sprache  von  Leuten  aus  Prilep 
und  Ochrida,  mit  denen  ich  verkehrte.  Gehörten  die  letzteren 
auch  ausnahmslos  der  Intelligenz  an,  so  hatten  sie  doch  nur 
bulgarische  Schulbildung  genossen,  des  Serbischen  waren  sie 


MacedoDuche  Stadien.  87 

nicht  mächtig.  Ich  hatte  schon  bei  der  Besprechung  der  Schrift 
Masings,  ,Ljub.  Zvon'  1891,  746  hervorgehoben  und  später  im 
Archiv  XV  306  mit  Nachdruck  betont,  dass  einige  macedonische 
Dialecte  auch  betonte  Längen  besitzen,  wenn  auch  zum  grossen 
Theile  in  contrahirten  Silben.  Für  den  Dialect  von  Veles 
wurde  vor  einigen  Jahren  an  einem  Seminarabende  von  Profes- 
sor Jagi6  und  den  Seminarmitgliedern  an  D.  Matovs  Sprache 
der  Accent  ~  beobachtet,  es  war  dies  zumeist  bei  Vocalen  der 
Fall,  die  ein  Contractionsproduct  darstellen.  Seitdem  hat  auch 
Matov  selbst  im  C6M.  VII  452  auf  vereinzelte  Fälle  von  langen 
Silben  in  seinem  Veleser  Heimatsdialect  aufmerksam  gemacht. 
Für  den  Dialect  von  Korda  (Boboäöica  bei  Korda)  im 
äussersten  Südwestmacedonien  haben  wir  Nachrichten  von  No- 
vakovi6  (Archiv  XV  44).  Allerdings  meint  Miletiö,  BtJirapcKH 
üperjieÄ  I  216,  dass  ~  und  "  bei  Novakovi6  thatsächlich  derselbe 
Accent  und  zwar  %  seien.  Der  Unterschied  zwischen  -*  und 
ist  für  einen  Serben  so  bedeutend,  dass  er  diese  beiden  Accente 
nicht  leicht  verwechseln  kann.  Wenn  Novakovi6  ausdrücklich 
bemerkt,  dass  ~  etwas  milder  und  kürzer  sei  als  im  Serbischen, 
so  darf  daraus  doch  nicht  geschlossen  werden,  dass  dieser 
Accent  geradezu  kurz  sei.  Wir  wissen  ja  heutzutage,  dass 
sowohl  ~  als  '  im  Serbokroatischen  nicht  überall  ganz  gleich- 
artige Accente  sind.  Besonders  muss  aber  an  das  Slovenische 
erinnert  werden,  das  auch  '  und  ~  kennt,  aber  gleichfalls 
nicht  in  dem  Masse  ausgeprägt  wie  im  Serbokroatischen. 
Gerade  die  erwähnte  Bemerkung  zeugt  für  die  Feinheit  der 
Beobachtungen  Novakovi6's.  Jedenfalls  müsste  uns  Miletiö  aus- 
drücklich versichern,  dass  er  Gelegenheit  hatte,  den  Dialect 
von  Bobiäöa  zu  hören,  bevor  er  ein  Urtheil  über  dessen  .Be- 
tonung abgeben  und  die  Beobachtung  in  Zweifel  ziehen  kann. 
Und  selbst  in  diesem  Falle  ist  es  noch  immer  fraglich,  ob  er 
derartige  Accentunterschiede  wahrzunehmen  vermag.  Bekannt- 
lich vermögen  viele  Slovenen  die  verschiedenen  Accente  des 
Serbischen  nicht  aus  einander  zu  halten.  Dass  '  des  Dialectes 
von  Bobidöa  dem  serbischen  ~  ähnlich  sei,  davon  finde  ich  bei 
Novakovi6  nichts.  Im  Gegentheil,  er  bemerkt  ausdrücklich, 
dass  er  '  in  diesem  Dialect  nicht  wahrgenommen.  Es  braucht 
aber  deshalb  ein  serbisches  und  slovenisches  '  und  ~  nicht 
ausschliesslich   in  ~  zusammengefallen   zu   sein,  wir   finden  in 


88  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

der  That  an  dessen  Stelle  auch  ":  Wahrscheinlich  ist  im  Süd- 
slavischen der  musikalische  Accent  am  schärfsten  ausgeprägt 
im  Serbokroatischen  und  nimmt  nach  beiden  Seiten,  im  Nord- 
westen auf  slovenischem,  im  Süden  auf  macedonischem  Sprach- 
gebiet, an  seiner  Prononcirtheit  ab.  Ich  getraue  mir  zwar  mit 
meinem  unmusikalischen  Gehör  nicht  mit  Sicherheit  '  von  ~  zu 
unterscheiden,  und  bezeichne  deshalb  den  Accent  in  langen 
Silben  überhaupt  mit  ',  das  demnach  sowohl  das  Vuk'sche 
Zeichen  '  als  ~  ersetzt,  aber  lange  und  kurze  Silben  vermag 
ich  doch  leicht  aus  einander  zu  halten. 

In  der  Debramundart  von  Gal.  hörte  ich  pötot,  mozi,  ddjmx 
go9  ddjte  und  sdti,  das  aber  weniger  in  Betracht  kommt 
Besonders  erscheint  die  Länge  im  Partie.  Präs.,  z.  B.  gledd'Ki, 
patj&lti,  igr&Uij  öekd'Jci,  pomestovdJlci.  Dies  hängt  wahrschein- 
lich damit  zusammen,  dass  der  darauf  folgende  Vocal  ganz 
kurz  und  stark  reducirt  gesprochen  wird,  und  mit  dem  be- 
tonten Vocal  nur  eine  Silbe  bildet.  —  Kl.  zdp9  pörstöt,  edixen, 
vötna,  sönce.  —  Ob.  mdjka}  ndpret,  shrivam.  Auch  im  Dialect 
von  Prilep  beobachtete  ich,  dass  öfters  bei  den  mit  dem  Artikel 
versehenen  Formen  der  Stammesvocal  lang  ist,  z.  B.  pdtot 
gegenüber  pät. 

Im  Dialect  nördlich  von  Salonichi:  Ns.  pondpret,  ku- 
mdt  (komad),  vekot,  ndzüt,  dridva,  zboruvdjki;  Bug.  zdjic7  zdjci, 
ddj,  dadeHe,  dondite^  vä  den]  Vat.  tekdjte,  gleddjte,  pitäjie, 
vpium. 

Suho:  voddta,  granditä,  zdjnc,  indzik,  öüzda. 

Ein  eingehendes  Studium  der  Betonung  der  macedonischen 
Dialecte  ist  dringend  nothwendig.  Dasselbe  darf  sich  nicht  dar- 
auf beschränken  zu  constatiren  auf  welcher  Silbe  der  Accent 
stehe,  sondern  muss  aufs  minutiöseste  auf  die  Betonungsarten 
eingehen.  Natürlich  kann  es  nur  von  einem  Forscher  mit 
feinem  musikalischen  Gehör  unternommen  werden,  der  ausser- 
dem mit  dem  serbischen  Accente  wohl  vertraut  sein  muss. 


Maoedonische  Stadien.  89 


Formenlehre. 

Nominale  Declination. 

132.  Im  Folgenden  sollen  die  bemerkenswerthesten  Declina- 
tionserscbeinungen  und  die  Ueberreste  der  Declination,  so  weit 
ich  sie  mir  verzeichnete,  erwähnt  werden.  Während  meines 
kurzen  Aufenthaltes  in  Macedonien  war  es  mir  selbstverständlich 
nicht  möglich  die  Ueberreste  der  Declination  in  ihrem  vollen 
Umfange  kennen  zu  lernen  und  Gebrauch  und  Ausdehnung 
einzelner  Casusformen  genau  abzugrenzen.  Charakteristische 
Casusformen  in  den  drei  Dialecten  dürften  mir  kaum  entgangen 
sein.  Eine  eingehende  und  erschöpfende  Darstellung  der  Decli- 
nation kann  nur  von  Jemandem  erwartet  werden,  der  sich 
durch  längeren  Aufenthalt  mit  dem  Ortsdialecte  genau  vertraut 
machte  und  sich  denselben  aneignete  oder  von  Jugend  an  kennt. 

Vor  allem  ist  zu  bemerken,  dass  in  der  Umgangssprache, 
in  der  Sprache  des  täglichen  Verkehres,  die  Declinationsüber- 
reste  geringer  sind  als  in  der  Sprache  der  Volkspoesie.  Die 
letztere  ist  im  allgemeinen  conservativer.  Dafür  lässt  sich  aber 
hinsichtlich  des  Artikels  gerade  das  Umgekehrte  beobachten. 
In  der  Umgangssprache  finden  wir  denselben  häufiger  als  in 
der  Volksdichtung. 

133.  Dialect  von  Suho.  Hier  ist  die  Endung  des  Nom. 
Plur.  der  Monosyllaba  masc.  gen.  fast  ausnahmslos  -ovi,  z.  B. 
pijipüvi,  rqibüvi,  grbbüw9  &nüvif  Ifefüvi,  btküvi,  prähüvi,  krfygüvi, 
sinüvi,  sfätüvi,  sn'äg&vi,  gtäsüvi,  dlhüvi,  snbptivi,  pbstüvi,  sbküvi, 
räküvi,  strähüvi,  vfhävi,  vbt&vi,  dvbrävi,  bräküvi,  rendüvi,  zhtüvi, 
sogar  bratüöentävi.  Auch  bei  Monosyllaben,  die  einst  weichen 
Stammauslaut  hatten,  erscheint  -ovi:  kluöüvi,  grbSivi,  nb&vi, 
koäüvi. 

Die  Nominativendung  -ovi  beruht  auf  dem  -ove  der  u- 
Stämme,  dessen  unbetontes  e  zu  i  wurde.  Dadurch  wurde  die 
Endung  um  so  leichter  mit  der  Nominativendung  -i  ausgeglichen. 

Nicht  viel  weniger  verbreitet  sind  in  diesem  Dialect  die 
Nom.  PI.  auf  -Uta,  hauptsächlich  bei  den  Monosyllaben.  Bei  vielen 
einsilbigen  Substantiven  bestehen  neben  einander  Nom.  auf  -ovi 


90  VIII.  AbhMdloiif :    ObUk. 

und  -iUa  ohne  jeden  Bedeutungsunterschied.  Neben  dvor  hatte 
die  Sprache  auch  ein  dvoriite,  neben  o<p>n  ein  ognüte,  neben 
grob  ein  grobiSte  etc.  Der  Nom.  PI.  der  letzteren  Bildungen 
lautete  regelmässig  dvoriUa  etc.,  der  dann  als  die  Plnralform 
zum  Sgl.  dvor  etc.  aufgefasst  wurde;  vergl.  in  einigen  gross- 
russischen Dialecten  die  Nom.  PI.  auf  -ja,  ursprünglich  Nom. 
Sgl.  von  Collectiven  (IIIaxMaTOBT>  70).  Die  Nom.  PL  sind  in 
Suho  durchaus  nicht  beschränkt  auf  Substantiva,  die  einen  Ort 
oder  Kaum  bezeichnen,  sie  erscheinen  auch  bei  solchen,  die 
lebende  Wesen  und  Personen  bezeichnen.  Ich  notirte  mir:  dtb- 
ri§ta,  kfyti&ta,  snUta,  krnglUa,  pfytiäta,  kbli&ta,  käliHa,  vbliHa, 
sogar  bratüöendiSta. 

Auch  einige  Nom.  PI.  auf  -int  aus  -ina  notirte  ich  mir, 
z.  B.  korine,  kamifä,  grebtm,  UümiM.  Im  C6M.  IV  188  finden 
wir  momina. 

Die  alte  Nominativendung  -i  der  *- Stämme  ist  daher 
stark  eingeschränkt:  rnkävi,  btvüli,  grbb%}  vbgfii,  bblaci,  mbztici, 
Vtäsi,  govqdäri  zum  Sgl.  gov^därbn,  Butgäri  zu  Bulgarin, 
sogar  tfätiri,  das  an  den  Nom.  Sgl.  und  an  die  Form  mit  dem 
Artikel  angelehnt  ist.  Vielleicht  sind  auch  Mväki,  brihi  hieher 
zu  zählen,  wahrscheinlicher  sind  es  jedoch  Accusativformen, 
denn,  wie  oblaci,  no%e  etc.  zeigen,  ist  hier  der  Sibilant  nicht 
durch  den  Guttural  verdrängt. 

Bei  einigen  Substantiven  lautet  der  Nom.  PL  auf  -ovei. 
Es  drang  -ov-  vom  PI.  ein  und  das  Substantiv  wurde  dann 
durch  -beb  weiter  gebildet.  Einen  Sgl.  auf  -ovec,  -ovic,  -otk 
hörte  ich  zu  diesem  PI.  nicht.  Ich  verzeichnete  mir:  zntüfei 
neben  zqtüvi,  strtküfei  zum  Sgl.  strlkü  (mit  Artikel),  üö&fci  zu 
tieü.    Es  sind  also  nur  Verwandtschaftsnamen. 

Wie  in  anderen  bulgarischen  Dialecten  hat  die  Nominativ- 
form der  ff-Stämme  bei  den  Neutren,  die  gleich  den  {^-Stämmen 
auf  -e  auslauten,  stark  um  sich  gegriffen,  daher  nicht  bloss 
telenta,  jarenta,  jägnenta,  sondern  auch  imenta,  IvMia,  cerventa 
zum  Sgl.  ierve  (nicht  öerv). 

Auch  die  Endung  -e  im  Nom.  PL  ist  beliebt:  kbne  neben 
kojiij  pünte,  nbfte,  dq/mb\  künce,  üvhne,  rhtUnce,  zäJQce,  aber 
nur  hidij  das  vielleicht  ein  ursprünglicher  Acc.  PL  sein  mag. 
—  dni,  z.  B.  dva  dni}  miogü  dni  ist  alter  Nom.  Dual.,  der 
sich  hier,  wie  auch  sonst  im  Bulgarischen  in  Verbindung  mit 


Maeedoniacbe  Studien.  91 

den  Zahlwörtern  erhalten  hat.  In  der  Nominativendung  -e  sind 
die  Nora,  auf  -bje  der  i-Stämme  und  auf  -e  der  consonantischen 
Stämme  zusammengefallen,  ersteres  war  nach  dem  Schwunde 
des  j  vor  e  auf  lautlichem  Wege  zu  e  geworden. 

Vom  Nom.  PI.  der  a-Stämme  ist  nichts  zu  bemerken,  er 
hat  die  alte  Endung  bewahrt,  z.  B.  iäb\}  8tr*ähi,  trbhi,  d&ski, 
6erkvi,  jäsli  (Sgl.  jattd),  grgndffä,  sfybüti,  pint\.  —  Der  Nom. 
PL  der  neutralen  o-Stämme  endigt  in  alter  Weise  auf  -a,  z.  B. 
8ela~ta}  &rva~ta,  icä. 

Vom  Nominativ  Dualis  notirte  ich  mir  neben  dni  noch 
mfydzä,  u&i-te,  b£i,  weiters  rib%e,  rhce;  auch  dvä  gtavi  dürfte 
Dual  sein,  vergl.  bezüglich  des  Auslautes  lani  gegenüber 
utre  etc. 

mtogü  zijidä,  pnteTä%  vn%itä  sind  wahrscheinlich  keine 
Dualformen,  sondern  nominativische  Neubildungen  auf  -ja. 

Von  den  übrigen  Declinationsformen  sind  gar  spärliche 
Ueberreste  erhalten,  ich  habe  mir  nur  folgende  aufgezeichnet: 
Gen.  Sgl.  8*8  bbga.  Der  Nominativ  mit  dem  Artikel  lautet 
dagegen  auf  -o,  -oty  z.  B.  sanb,  sinot.  —  mtogü  zemne,  zum 
Casus  gener.  zemh-ta\  hrhe. 

Vocat.  auf-e:  Stojäne,  brate,  boie;  oh  bb&im  me  bolt  aus 
bo&e  mi,  weniger  wahrscheinlich  ist  es,  dass  der  alte  Voc.  bole 
noch  ein  rn  nach  Analogie  von  redom  etc.  erhalten  hätte:  Vocat. 
auf  -i:  gbspodi  in  der  Wendung  g.  boie  pümbgni  mi}  wahr- 
scheinlich aus  der  Kirchensprache  eingedrungen. 

Loc.  Sgl.  in  Adverbialbildungen,  a)  auf  *k:  ütre,  rietre, 
gbre}  nach  solchen  Beispielen  auch  usnoste  blize,  stfada  noi. 
Hieher  gehört  wahrscheinlich  auch  dina,  dihe  als  Neubildung 
nach  utre»  —  lani.    b)  auf  u:  dotu. 

Vor  dem  i  (=  Tu)  des  Nom.  PI.  der  a-Stämme  bleiben  die 
Gutturale:  trbhi,  milhi  etc.  Zu  erwähnen  sind  die  Nom.  Sgl. 
dhStita,  öerkva. 

Die  Endung  des  Cas.  general.  der  a-Stämme  ist  a  nach 
den  Palatalen  und  erweichten  Cons.  §,  z.  B.  faka,  voda-ta, 
mngta,  leäta,  khäta  —  duäe,  nedäle. 

134.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 
Vor  allem  unterscheidet  sich  dieser  Dialect  hinsichtlich  der 
Casusformen  von  dem  von  Suho  dadurch,   dass  hier  bei  den 


\)2  Till.  Abhandlu« :    Obltk. 

Neutren  die  Nom.  PI.  auf  ina  viel  stärker  verbreitet  sind,  z.  B. 
Ns.  vbBna,  ku&na,  pratina,  Zdrebina,  ramb'ia  (Sgl.  ramo);  Gr. 
kämiiia\  Bug.  viztna,  vtylifia.  Diese  Endung  drang  sogar  bei 
den  Mascul.  ein:  Var.  "bgina,  öeßiiia.  Ursprünglich  war  diese 
Endung  wohl  auf  die  alten  TA-Stämme  beschränkt,  von  diesen 
dürfte  sie  zuerst  auf  die  im  Nom.  Sgl.  gleich  auslautenden 
rf-Stämme  übertragen  sein,  denn  im  Bulgarischen  sind  vielfach 
n-  und  ft-Stämmc  im  Nom.  PI.  ausgeglichen,  vergl.  imeta. 

Der  Nom.  PI.  auf  -ifia  beruht  auf  dem  Nom.  PL  der 
neutr.  n-Stämme:  gegenüber  dem  Sgl.  inte  wurde  -ena  ab 
Endung  aufgefasst.  Durch  Anlehnung  an  die  im  Bulgarischen 
stark  verbreiteten  Collectiva  auf  -itie,  Plur.  -vha  wurde  das  e 
von  -ena  durch  i  verdrängt  und  n  durch  ri  ersetzt.  In  einigen 
macedonischen  Dialecten,  z.  B.  Prilep,  Moriovo,  Resen  (vergl. 
Matov,  3a  HCTOp.  Ha  HOBO-6x.a.  rpaM.  15)  hat  sich  noch  -ina  mit 
hartem  n  erhalten. 

Sehr  stark  um  sich  gegriffen  haben  die  Nom.  PL  auf 
-üta}  besonders  bei  Honosyllaben,  die  eine  Oertlichkeit  be- 
zeichnen. Trotzdem  -i&ta  ursprünglich  eine  Endung  neutraler 
Stämme  ist,  erscheint  sie  jetzt  hauptsächlich  bei  Mascul.,  da 
die  Monosyllaba  fast  ausschliesslich  masc.  gen.  sind.  Ns.  sbniita, 
VfhlSta,  dvbriUa,  zldiHa,  grüblHa,  grädtita,  jartfta,  jfetiita, 
ribiUa  und  rbbüta,  ztetista,  ja  sogar  siniHa  neben  sinüvi  und 
auch  HmiHa  und  nicht  etwa,  wie  wir  erwarten  würden  Hmtna. 
Gr.  pltista,  järiSta,  kräjüta;  Vat.  jMüca,  zldiäia,  kraiica. 
dhiiSia;  Var.  ribi§6a. 

Neben  dieser  Endung  finden  wir  im  Nom.  PL  bei  den 
Monosyllaben  auch  -ovi,  -ovt  stark  verbreitet.  Manche  Substan- 
tiva  haben  in  der  Sprache  desselben  Dorfes  und  Individuums 
-ista  und  -ovi  im  Nom.  PL,  Ns.  dbbovi,  sÖnovl,  zfetüvi,  Ifotüvi, 
klä8Üvi7  grädovi,  slnüvi,  rbgovi,  llbtivi;  Bug.  rkdüvi,  vrbhovi, 
zidövi*  Vat.  d%büvi,  meküvi,  brügüvi,  grädtivi.  Hieher  gehört 
auch  der  Nom.  PL  villoj-to.  Var.  8bn*vi,  vVtltri. 

Doch  finden  wir  bei  den  Monosyllaben  auch  die  Nominativ- 
endung -i  der  TrStämme.  Hauptsächlich  erscheint  dieselbe  aber 
bei  den  mehrsilbigen  Substantiven,  vor  ihr  sind  in  der  Regel 
die  Sibilanten  bewahrt,  nur  *  ist  zum  Theil  schon  durch  h 
verdrängt.  Ns.  diminici,  mbzüci,  ezici,  fnuci,  siromäsi,  urhht, 
auch  dni,  wahrscheinlich  der  alte  Nom.  Dual,  durch  den  Zu- 


Hatedoniiche  Studien.  93 

sammenfall  mit  dem  Nom.  PI.  der  vStämme  erhalten;  ludi: 
Gr.  mlii;  Bug.  pbpüci  vergl.  vetire;  Vat.  fnüci,  sribpi-to. 

Auch  die  Endung  -e  (=  e  und  hje)  finden  wir  im  Nom. 
PL  Bug.  gifibi,  s&bi,  kbne,  rmit;  Vat.  &bi7  lüdi,  rmZi.  Nom. 
PI.  auf  unbetontes  e  und  i  sind  oft  nicht  aus  einander  zu 
halten,  denn  unbetontes  i  und  e  sind  beim  schnellen  Sprechen 
in  äinen  Laut  zusammengefallen. 

Noch  eine  Eigenthümlichkeit  der  Nominativbildung  im  PI. 
mu8S  hervorgehoben  werden.  Die  Substantiva  auf  -e,  es  sind 
grösstenteils  et-Stämme,  bilden  den  Nom.  PI.  auf  -ca  oder  d, 
als  ob  der  Nom.  Sgl.  auf  -ec  oder  -ce  lauten  würde.  Gewiss 
bestanden  einst  neben  den  Substantiven  auf  et-  Deminutiv- 
bildungen  auf  beb  und  -bce.  Ns.  pilca,  Sgl.  pill;  Gr.  jaginca; 
Var.  järciy  jagnlca. 

Anm.  An  den  Beispielen  popüci,  laküti,  vetiri  sehen 
wir,  dass  mit  Silbenzuwachs  nicht  der  Reflex  des  Halb- 
vocals  schwindet,  die  Nominativform  des  Sgl.  ist  auch 
dem  PL  zu  Grunde  gelegt,  vergl.  plsa  etc.  in  slovenischen 
Dialecten.  —  Aus  den  Beispielen  ergibt  sich  auch,  dass 
dieselben  Substantiva  in  ganz  nahe  bei  einander  liegenden 
Dörfern  den  Nom.  PL  auf  verschiedene  Weise  bilden  können. 

Nom.  PL  der  a-Stämme  lautet  wie  sonst  auf  -i,  vor  dem 
die  Gutturale  unverändert  bleiben,  z.  B.  Ns.  mäht,  snlhi,  büki] 
Bug.  müht;  rbci  Ns.  ist  die  Dualform. 

Der  Dual  hat  sich  vorzüglich  in  Verbindung  mit  Zahl- 
wörtern erhalten,  z.  B.  Ns.  pbta.  Auch  dena  Ns.,  Var.,  z.  B. 
dhset  dena  und  nogä  oflara  Var.  sind  Dualformen  und  nicht 
etwa  ein  aus  dem  Serbischen  eingedrungener  Gen.  PL  umge- 
formt durch  den  bulg.  Nom.  den. 

Anm.  Dagegen  ist  devet  godin  dana  in  einem  Volks- 
liede  aus  Jarlovo  bei  Samokov,  IUanK.  III  48,  55  ein  Ser- 
bismus, wie  schon  das  daneben  vorkommende  einheimi- 
sche dena  beweist,  denn  der  Nom.  Sgl.  lautet  hier,  wie 
überhaupt  in  allen  westbulgarischen  Dialecten  den  (vergl. 
Archiv  XVI  472). 

Einen  Instrum.  Sgl.  notirte  ich  mir  in  Ns. :  sfopkvm  (ge- 
hend), wo  ^  wahrscheinlich  wegen  des  m  erscheint.  Vocat.  Sgl.: 
neve&to  Ns. 


94  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

Der  Casus  generalis  der  a-Stämme  endigt  durchgehend* 
auf  -a,  z.  B.  Ns.  nevbsta,  kaia7  h&\ca;  Bug.  (p>ba,  8viAa  etc. 

135.  Debradialect.  Auch  hier  finden  wir  die  drei  be- 
reits bekannten  Endungen  des  Nom.  PL  -ovi,  -Uta,  -tAa. 

a)  Am  stärksten  verbreitet  ist  die  Endung  -ovi,  z.  B.  Gal. 
grbbovi  neben  grbbücä,  dbbovi  neben  dbbJ9,  rbbovi,  bbzovi,  ro- 
goviy  vblovi,  vfvovi,  Itbovi,  bgnovi.  Daneben  auch  Nom.  PL 
auf  -evi :  -bgnevi,  zum  Sgl.  ogon,  sbnevi,  cütevi,  zhteci,  also  durch- 
aus nicht  bloss  bei  Substantiven,  deren  Stamm  einst  auf  einen 
palatalen  Consonanten  auslautete.  —  KL  zweisilbiges  -oi  ans 
-ovi:  sbnoiy  hh)oi,  mbvoi,  sorpoi.  —  Ob.  ribovi,  zdtpvi,  frgnoi, 
Vbzoij  dr%goi}  cut-oj ,  dphoj,  svätoi,  Icttoi,  rhdoi,  mleoi7  gbstori, 
slnoi,  ja  sogar  dhnoi. 

b)  -Uta  (-iUa)  Gal. :  pbti&öa,  grbbiita.  —  Ob.  pUi§ta,  jä- 
riMa,  kuöista.  Die  Nom.  PL  auf  -iHaf  -i8£a  sind  nach  meinen 
Aufzeichnungen  im  Debradialect  auf  wenige  Beispiele  be- 
schränkt. Dies  finde  ich  auch  durch  die  publicirten  Sprach- 
proben bestätigt. 

c)  -ina.  Dagegen  sind  hier  die  Nom.  PL  auf  -ina  ver- 
hältnissmässig  stark  vertreten.  Gal.  'zeriiia,  zum  Nom.  Sgl. 
ezere,  das  eine  Neubildung  nach  dem  PL  ist,  jarina,  kän&na, 
pbliiia;  Kl.  oru£ina]  Ob.  jiZina,  Sgl.  jfo&,  pbltäa,  mbr9na7 
Sdrtebdfia,  vlktena,  aber  rämena,  Sgl.  rämo. 

Daneben  endigt  der  Nom.  PL  der  Mascul.  auch  auf  -t: 
Gal.  moH9  brevi,  gtilqbi,  vlciy  jbzici,  zgeci,  jbzli,  iiladi,  läkti. 
In  na  gosti  (ja  go  zbva  n.  g.)  hat  sich  wahrscheinlich  der  alte 
Acc.  PL  der  i-Stämme  dadurch  gehalten,  dass  er  mit  dem  Nom. 
PL  auf  -i  zusammenfiel.  Da  in  Ob.  neben  dem  gewöhnlichen 
Nom.  PL  gostoi  auch  odam  na  gosti  gesprochen  wird,  so  durfte 
diese  Form  in  der  That  der  alte  Acc.  PL  sein.  Kl.  vbrvi9  ludi, 
pbrsti,  Ibkoti.  —  Ob.  m%£i9  pilci,  prijateli,  ofiari,  zqbi9  pUi} 
nbkti. 

Nom.  PL  auf  -je  notirte  ich  mir  nur  wenige.  Gal.  dbbj»} 
lütfd;  Ob.  sribpje,  d$bJ9.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  die 
Formen  auf  -je  Collectiva  sind,  denn  hier  ist  auch  der  Plur. 
von  niva  durch  die  Collectivbildung  nlyjd  ersetzt.  Ebenso  gra- 
dine Gal. 

Auch  hier  finden  wir  Nom.  PL  auf  -ca,  -et  von  Neutr. 
auf  -e,  z.  Gal.  jägonca;  Ob.  pilei,  telci. 


MactdooiBche  Studien.  95 

Der  Nom.  PI.  der  a-Stämme  hat  durchgehends  die  alte 
Endung  -t  (ab.  tl),  z.  B.  Gal.  plänini,  güski,  büki,  kbzi-te  etc. 

Nom.  Dual.  Gal.  rbci]  Kl.  dena,  bgna\  Ob.  dena,  nodzi-te, 
pleiti}  üöi,  dva  p%ti. 

Von  den  übrigen  Declinationsformen  haben  sich  nur  we- 
nige erhalten.  Gen.  Sgl.  auf  -a:  Ob.  na  *ina}  die  bestimmte 
Form  mit  dem  Artikel  ist  dagegen,  z.  B.  kbnot.  Dat.  Sgl.  -ovi; 
Ob.  bratoe  si,  besonders  in  Volksliedern,  in  der  Umgangs- 
sprache wird  der  Dativ  auch  bei  diesen  Substantiven  in  gewöhn- 
licher Weise  ausgedrückt. 

Anm.  Die  Endung  -oe  beruht  auf  -ovi7  dessen  i 
durch  die  Dativendung  ~e  des  Femininums  ersetzt  wurde, 
denn  wir  sehen  auch  sonst  in  den  macedonischen  Dia- 
lecten,  dass  die  Analogie  selbst  die  Grenzen  des  Genus 
überschreitet,  vergl.  Nom.  PL  maglove  (Miletiö,  GrapOTO 
cbaoh.  30,  Archiv  XVI  491,  jlaBpoB  147).  In  den  Volks- 
liedern aus  Debra,  in  denen  sich  bekanntlich  mehr 
Declinationsüberreste  erhalten  haben  als  in  der  Umgangs* 
spräche,  finden  wir  in  Mundarten,  die  v  zwischen  Vo- 
calen  noch  bewahrt  haben,  Dative  auf  -ovey  z.  B.  strikove 
C6M.  VII  67  und  in  grösserer  Anzahl  Dat.  Sgl.  der  a- 
Stämme  auf  -e,  z.  B.  iene  in  Zaborje,  IHanK.  II  185,  *ve- 
korve  C6M.  VU  67,  zolve  VII  67,  devojke  VII  67,  74,  96, 
majke  VII  70. 

Gen.  Sgl.  auf  -i:  Gal.  kpri;  Ob.  od  zemi.  Letztere  Form 
dürfte  ursprünglich  ein  Loc.  Sgl.  sein,  der  sich  bei  diesem 
Substantiv  hier  in  Verbindung  mit  Präpositionen  fest  gehalten 
hat,  z.  B.  na  zemi. 

Loc.  Sgl.  auf  -i:  Gal.  na  nebest]  Ob.  na  zemi]  auf  -e: 
Ob.  nä  8tred&,  ütre. 

Der  Cas.  gener.  der  a-Stämme  lautet  durchgehends  auf  -a, 
z.  B.  Gal.  £ena}  rbka,  gfava;  Kl.  kü6a7  nbga]  Ob.  pazua,  uoda, 
majka,  zhha,  pbstela.  —  cfkof  Gal. 

Pronominale  und  zusammengesetzte  Declinatlon. 

136.  Dialect  von  Suho.  Zu  erwähnen  ist  vor  allem  das  Pro- 
nomen nbs  (Nom.  Sgl.  Masc),  nes  (Nom.  PI.)  neben  noskana  m., 
näskana  f.,  neskana  PL     Auch  in  den  im  C6M.  IV  188  mitge- 


96  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

theilten  Sprachproben  liest  man  naz  (Nom.  F.),  nuzi  (Nom. 
Neutr.).  Es  ist  dies  wahrscheinlich  das  Pronomen  o»*,  in 
Zusammensetzungen  onzi,  onazi  mit  Schwund  des  anlautenden 
o  und  unter  Anlehnung  des  Masc.  an  das  hier  viel  gebrauchte 
Pronomen  tos,  toxi.  Weniger  wahrscheinlich  scheint  es  mir, 
dass  wir  es  hier  mit  einem  Pronominalstamm  m  zu  thun  hätten, 
den  man  im  Böhmischen  in  Zusammensetzungen  mit  anderen 
Pronominalstämmen  findet,  z.  B.  ten,  onen,  sen,  in  den  Freisinger 
Denkm.  ton.  Jedenfalls  ist  o  für  h  im  Masc.  nos  so  zu  beur- 
theilen  wie  in  toj,  tozi.  Bezüglich  des  Schwundes  des  anlauten- 
den o  vergl.  vo  öovek,  va  Voden,  va  Ns.  Auch  im  Dialect  von 
Nevrokop  (Dorf  Gajtaninovo)  existirt  diese  Pronominalform: 
nos  den  Iliev  343.  —  tos  (Masc.)  aus  *tlzi,  tos,  tüzt;  im  Neutr. 
ausserdem  tuzikana.  Fragepronomen:  to  (kbto)  und  kutri, 
küträ,  kütrb  wie  in  Ahur-Öel.  —  tähna-ta  cäsd,  tähni-te  kMi; 
niHü,  siöki  (omnes)  ludi.  In  usnoste  hat  sich  ein  Ueberrest 
des  Pronom.  si  erhalten,  bezüglich  des  auslautenden  e  angelehnt 
an  Adv.  wie  utre.  —  vqzi  den  (den  ganzen  Tag).  —  jas.  Gen. 
gü,  riegü;  Gen.  PL  gi9  dessen  g  vom  Sgl.  eingedrungen  ist.  Dat 
Sgl.  i  (jej),  mu.  Acc.  j*. 

137.  Dialect  nördlich  von  Salonichi.  Das  Pronom.  on 
hat  im  Nom.  Sgl.  für  alle  drei  Genera  die  Form  va.  Ns.  vä  den, 
vä  godina,  vä  dete;  Gr.  va  6ov$k9  vä  se\o;  Bug.  Vat.  vä  tovik; 
aber  in  Var.  vo  Zovek,  vb  dete,  va  iena,  Bug.  to  öovek  (hie), 
riiktij;  Ns.  sükakvü,  nihna-ta  ku6a.  Nom.  Sgl.  Masc.  und  Neutr. 
von  tb  lautet  in  Ns.  und  Bug.  to,  dessen  o  gleich  dem  von  vo 
(ovh)  in  Var.  sich  aus  a  entwickelt  hatte,  vergl.  serb.  taj,  ovaj, 
sloven.  ta.  —  Nom.  PI.  vija  deca,  vija  ludi}  vüje  nevesti,  tije 
deca,  80ti;  Var.  vije  kofie.  —  Gen.  Sgl.  negü,  gä  Ns.,  gü  Vat. 
—  Gen.  PI.  U  (ih)  Bug.;  i  Vat;  drugi  Bug.  —  Dat.  nim 
Bug.  —  Acc.  Sgl.  Jca  pitam  (aus  Ei  ja),  a  (ja)  Bug.,  Vat;  fq 
(=  Ui  ja)  Var.  Griechischen  Ursprunges  ist  kata  den  (jeden  Tag, 
täglich)   Ns.  aus   griech.  xer^  €va,  naö*  iv  und  daraus  xa&f£. 

Personalpronom.  jas  jäska,  Ns.,  jas  Gr.,  Bug.,  Vat,  Var.; 
predmeni  Ns.,  shtebe  Gr.;  nateb,  namen  Vat;  Acc.  ti  Gr., 
ta  Vat.;  rni  Vat.,  si  Ns.  Der  Nom.  PL  lautet  durchgehende 
nija,  nije  Ns.,  nije  Vat.  etc.,  und  ni  Vat.  angelehnt  an  die 
übrigen  Casus,  die  sämmtlich  mit  n  anlauten.  In  dem  nahen 
Kireökjoj  noch  die  ältere  Form  mie. 


Macedoniscbe  Studien.  97 

138.  Debradialect.  Vor  allem  verdienen  folgende  Eigen- 
tümlichkeiten, durch  die  sich  die  Debramundarten  von  den 
meisten  bulgarischen  Dialecten  unterscheiden,  hervorgehoben 
zu  werden.  Personalpronomen  der  ersten  Person :  ja  GaL,  Kl., 
Ob.  (in  Bitolj,  Prilep,  Moriovo,  Eesen  jas).  Der  Nom.  PL  hat 
noch  das  alte  m  bewahrt:  mije  GaL,  KL,  Ob.;  Acc.  PL  ne,  ve 
Gal.  —  Das  Neutr.  Sgl.  von  fo,  om,  ovb  lautet  teja  kuöe  Gal., 
bvea  vino,  onea  Ob.;  die  anderen  Formen  sind  tbj  Sbvek,  taja 
gradina  GaL ;  ona  öoek  KL ;  toj,  taja,  bvia  coek,  bvad,  Zena,  ofia 
(Masc),  ona  (Fem.),  bnea  (Neutr.),  Ob.;  PL  tVe,  onie,  ovie 
Ob.;  Gen.  go  GaL;  Dat.  mi  GaL,  tebi,  mi,  si,  nejzi,  e  Ob.; 
Ace.  me,  mene,  te,  j^  Ob.;  Nom.  PL  svi-te  dleca,  vije  Ob.;  Dat. 
im  Ob.;  Instr.  8  nimi  Ob.  —  Ausserdem:  Ob.  gen.  sVepago; 
nejzino  d'ete;  Kl.  vezden,  sve  also  mit  Metathese. 

139.  Der  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nich i  unterscheidet  sich  von  den  beiden  anderen  durch  eine 
syntaktische  Eigentümlichkeit,  die  er  mit  seinen  nächsten  Nach- 
barn, den  Dialecten  von  Kireßkjoj,  Ajvatovo  und  Kukuä, 
theilt.  Es  wird  nämlich  oft  jler  Accusativ  durch  die  Präpo- 
sition na  ausgedrückt,  beim  Personalpronomen  wird  sogar  nach 
der  präpositionslosen  Accusativform  noch  der  Accusativ  mit 
der  Präposition  wiederholt,  so  dass  hier  die  Anwendung  von 
na  über  die  im  Bulgarischen  gebräuchlichen  Grenzen  hinaus- 
gegriffen hat.  Z.  B.  Vat.  jas  tg,  vikäl  na  teb,  va  Zovek  mg  Jcara 
na  men,  gü  kara  na  kbntit,  pxtam  na  mojta  £hna;  vergl.  in 
Kireßkjoj  ne  sakam  na  teb  (MaTOBi  3a  HCTop.  6),  majkata  biza 
na  djateto  (Khhjkhh,h  II  44),  go  zavode  na  DojSin  junak  IUanK. 
HI  80. 

Artikel. 

140.  Der  Artikel  ist  in  allen  drei  Dialecten  (in  der  Um- 
gangssprache) allgemein  in  Verwendung.  Die  beiden  südlichen 
Dialecte  haben  nur  eine  Form  desselben,  nämlich  t,  ta,  to. 
Die  Debramundarten  besitzen  dagegen  einen  dreifachen  Ar 
tikel:  neben  t,  ta,  to  auch  v,  va,  vo  und  n,  na,  no. 

Debradialect.  Gal.  a)  -t,  -ta,  -to:  pbtgt,  govhlarot,  6b- 
vekot,  tvbjot,  kbnot,  mbjata  gfäva,  peticata,  drvoto,  mojte  drva  etc. 
b)  -«,  va,  vo:  dbnof,  prlstof,  nbsof,  mbjof  kon,  nbgava,  mojava 
roka,  üstava  mi  boUt,  peticava   (wenn  von  der  eigenen  Ferse 

Sitznngsber.  d.  phil.-hist  Cl.  CXXIIV.  Bd.  8.  Abb.  7 


98  VIII.  AMwmdlttnf :    ObUk. 

die   Rede   ist),   nemcava.    c)  -n,  -na,  -no:   deteno,   drvono,  h- 
nine,  decana. 

Kl.  a)  bgnot,  porstot,  naSite  ludi.    b)  nbgava. 

Ob.  a)  J&tot,  pptot,  goedarot}  domäkinot,  goedata,  mojbt, 
mojata,  tvojata,  negovata,  tedoto,  nodzite,  ramenata,  bxkoiU, 
Bvite  etc.  b)  rrJeaa  (eigene  Hand),  n"bgaa,  grldive,  nozive, 
mojof,  diesnavaf  rnojevo.    c)  drvono. 

Im  Dialect  von  Suho  ist  das  auslautende  t  des  Artikels 
gewöhnlich  geschwunden,  daher  zq,mbö,  mqdriü,  ptypü,  krtyu, 
Jcntü,  dvftb,  vbg&ö,  pyntb  neben  gtasbt,  bbrqföt,  vodata,  trfämetu, 
tüze*tä,  tervata,  öendata  etc. 

Der  Dialect  nördlich  von  Salonichi  kennt  gleichfalls 
nur  eine  Form  des  Artikels,  dessen  t  im  Auslaute  durch- 
gehende bewahrt  bleibt,  z.  B.  Ns.  kfstot,  zldot,  vekot,  rajot, 
kbnoty  mlZüt,  mbjöt,  edinöt,  gbrnüt  —  rekata,  Senata,  mojta 
majka,  ppvnata  iena  —  drvoto,  detto  —  miSiti,  gfdite,  üstata] 
Bug.  prbstüt,  drugüt  etc. ;  Vat.  tätüt,  kofiüt,  fnüküt,  mojta  iena, 
fnucite;  Var.  Ibbüt,  pfstüt,  kbfnt,  mojta  iena,  tvojta  (Fem.). 

In  den  nördlichen  Dörfern  dieses  Dialectgebietes  wird  im 
Plural  für  alle  drei  Genera  die  Singularform  des  neutralen 
Artikels,  also  -to  gebraucht.  Im  Bulgarischen  sind  Collectiv- 
bildungen  auf  -je  (-tje)  stark  verbreitet,  manche  Erscheinung, 
wie  z.  B.  die  Nom.  PI.  auf  -ifia,  weist  darauf  hin,  dass  die 
Sprache  eine  Vorliebe  für  die  Auffassung  des  PI.  als  eines 
Collectivums  zeigt.  Auf  diesem  Streben  beruht  auch  der  Ar- 
tikel -to  im  Plural,  z.  B.  Vat.  gbstitü,  snopitö,  vülojtö,  prsthtü 
neben  fnucite.  Es  wird  -to  im  Plural  bei  dem  Mascuünum 
wohl  zuerst  bei  solchen  Formen  wie  tudetö,  koneto  aufgekommen 
sein.  Zum  Nom.  PL  pilci  (Sgl.  pili)  ist  die  bestimmte  Form 
pil6ü,  ebenso  kbn6ä  zum  Sgl.  konüt. 

Anm.  Bekanntlich  suchte  Eopitar  (Kl.  Schriften  239) 
und  nach  ihm  Miklosich  die  Erklärung  des  bulgarischen 
und  rumänischen  Artikels  im  thrako-  illyrischen  Ele- 
ment; Miletiö,  Kaiina  und  Lavrov  weisen  dagegen  jede 
Annahme  eines  fremden  Einflusses  zurück  und  erklären 
die  Entwicklung  des  Artikels  aus  dem  Bulgarischen  selbst. 
Hasdeu  (Cuvente  1879,  647—55)  sieht  darin  den  Einfluss 
des    Rumänischen    (vergl.    Weigand,    Die    Sprache   der 


Maotdonische  Stadien.  99 

Olympo-Wlachen  65).  In  formeller  Beziehung  finden  wir 
dieselbe  innige  Verknüpfung  eines  Substantivs  mit  dem 
nachgesetzten  Pronomen  demonstrativum  schon  in  den  äl- 
testen altslovenischen  (altbulgarischen)  Denkmälern  z.  B. 
pdK'kT'k,  p*A*ck,  und  sporadisch  in  den  meisten  heutigen 
sla vischen  Sprachen,  serb.  no6as}  zimus,  sloven.  letos, 
böhm.  veöeroß,  poln.  dzti,  russ.  vesnust.  Diese  Verknüpfung 
ist  demnach  allgemein  slavisch.  Doch  dies  ist  noch  kein 
Artikel,  denn  bei  formeller  Gleichheit  besteht  ein  functio- 
n eller  Unterschied,  das  postpositive  Pronomen  hat  seine 
ursprüngliche  Bedeutung  bewahrt.  Das  Bulgarische  ging 
in  dieser  Verknüpfung  weiter  als  die  übrigen  slavischen 
Sprachen,  wie  wir  dies  schon  an  den  Beispielen  in  den 
ältesten  altslovenischen  Denkmälern  sehen,  wo  diese  Zu- 
sammenrückung nicht  wie  in  den  anderen  slavischen 
Sprachen  auf  das  Pronomen  st  beschränkt,  sondern  wie 
heutzutage  schon  auf  das  Pronomen  tb  ausgedehnt  ist. 
Pronomen  und  vorausgehende  Substantive  wurden  in 
solchen  Verbindungen  als  ein  Wortganzes  aufgefasst,  wie 
die  Behandlung  des  Stammauslautes  zeigt,  wo  %  zu  o 
wurde.  Infolge  dessen  wurde  die  demonstrative  Bedeu- 
tung des  Pronomen  abgeschwächt  und  sank  zur  Function 
des  Artikels  herab.  Schon  in  den  sogenannten  pannoni- 
schen  Denkmälern  des  Altbulgarischen  sehen  wir  -fo  in 
derartigen  Verbindungen  in  der  Function  des  Artikels,  an 
mehreren  Stellen  entspricht  es  nicht  dem  griech.  exsTvog, 
sondern  ist  nur  die  Wiedergabe  des  griechischen  Artikels. 
Dieselbe  Bedeutungs-  und  Functionsmodification  beob- 
achten wir  auch  im  Rumänischen,  wo  dasselbe  postpositive 
Pronomen  zum  Artikel  wurde.  Wie  der  Rhodopedialect 
zeigt,  wo  wir  noch  jetzt  solche  Formen  wie  deteamo, 
drugeamteam  etc.  finden,  verlor  das  angehängte  Pronomen 
nicht  bloss  im  Nominativ,  sondern  auch  in  den  anderen 
Casus  für  das  Sprachgefühl  seine  Selbstständigkeit.  Wenn 
wir  den  bulgarischen  Artikel  in  dieser  Weise  auffassen 
und  in  vereinzelten  Beispielen  bis  in  die  pannonischen 
Denkmäler  hinauf  verfolgen,  so  ist  damit  zugleich  die 
Hauptschwierigkeit  der  Erklärung  desselben  aus  dem  Bul- 
garischen selbst  aus  dem  Wege  geschafft.     Woher  —  so 

7* 


100  Vin.  Abhandlung:    ObUk. 

musste  man  sich  fragen  —  der  bewahrte  Stammauslaut  » 
im  Masculinum,  wenn  die  Bildung  des  Artikels  nicht  in 
eine  alte  Periode  zurückreiche?  Die  Bildungsweise  des 
bulgarischen  Artikels  ist  in  formaler  Beziehung  urslavisch, 
in  functioneller  Beziehung  reichen  ihre  Anfänge  wenigstens 
in  das  11.  Jahrhundert  zurück.  Beispiele  des  Artikels 
aus  mittelbulgarischen  Denkmälern  haben  Miletiä,  O  ölanu 
u  bugar.  jez.  10 — 11  und  Lavrov  186 — 88  zusammenge- 
tragen. Besonders  interessant  sind  jene  aus  dem  Sestodnev 
des  Joh.  Exarch  Bulg.,  die  dem  griechischen  Substantiv 
mit  dem  Artikel  entsprechen,  z.  B.  TKapkTa  i,  Sr^ioup-^x 
Mehr  Beispiele  gibt  es  in  den  wlachischen  Urkunden, 
z.  B.  wt  cmata  aus  den  Jahrgängen  1407,  1410;  zuletzt 
sind  von  Miletiö  aus  den  in  Rumänien  geschriebenen 
mittelbulgarischen  Denkmälern  und  Urkunden  neueren 
Datums  hübsche  Belege  für  den  Artikel  im  G6M.  IX  170, 
206,  275  veröffentlicht. 

Der  Artikel  kam  im  Bulgarischen  nicht  erst  mit 
dem  Schwunde  der  Declination  auf,  er  ist  viel  älter.  Er 
ersetzt  auch  nicht  die  verlorenen  Casusformen,  denn  die- 
selben werden  durch  Verbindungen  mit  Präpositionen  aus- 
gedrückt. Ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  dem 
Artikel  und  dem  Verfalle  der  Declination  scheint  aber 
doch  zu  bestehen.  Der  Artikel  gewann  mit  dem  Verluste 
der  Declinationsformen  an  Verbreitung,  er  wurde  allge- 
meiner. Deshalb  finden  wir  mehr  Beispiele  desselben  erst 
aus  dem  14.  Jahrhundert,  wo  die  Zerrüttung  der  Declina- 
tion bereits  begonnen  hatte. 

Fremden  Ursprunges  ist  demnach  der  bulgarische 
Artikel  nicht,  thrako-illyrisches  Element  ist  an  dessen 
Bildung  nicht  betheiligt.  Die  Verbindung  eines  nachge- 
setzten Pronomen  zu  einem  Wortganzen  finden  wir  ver- 
einzelt in  allen  slavischen  Sprachen.  In  den  russischen, 
insbesondere  nordrussischen  Dialecten  sind  noch  viele 
Ueberreste  eines  mit  dem  bulgarischen  gleichartigen  Ar- 
tikels erhalten,  z.  B.  dorogu-tu7  baby-te  im  Gub.  von 
Jaroslav  (Co6o.a.  II  7),  konce-te}  pofa-ta9  bogaty-te.  im  Dialect 
von  Simbirsk  (Co6o*i.  II  9),  vergl.  £onu-tuf  £ony-te,  cfnv-tu, 
baba-ta,    okno-to,    hiebot,   maslo-to,    kaia-ta  etc.  in  ver- 


Macedonische  Stadien.  101 

schiedenen  nordrassischen  Dialecten  (Co6.  II  11,  20,  24). 
Wir  sehen,  dass  die  in  allen  sla vischen  Sprachen  vor- 
liegenden Keime  (zimua,  danas  etc.)  zur  Verknüpfung  auf 
zwei  slavischen  Gebieten  weiter  ausgebildet  wurden,  im 
Süden  im  Bulgarischen  und  im  hohen  Norden  in  den 
nordrussischen  Dialecten.  Zur  schnellen  Verbreitung  des 
Artikels  kann  das  thrako-illyrische  Element  auch  aus  dem 
Grunde  nicht  beigetragen  haben,  da  zu  jener  Zeit,  als 
der  Artikel  sich  stärker  zu  verbreiten  anfieng,  schon 
längst  von  einem  solchen  Einfluss  keine  Rede  sein  kann, 
da  das  thrako-illyrische  Element  schon  vorher  im  Slavi- 
schen aufgegangen  war.  Bekanntlich  hat  man  jetzt  auch 
im  Rumänischen  bei  der  Erklärung  des  Artikels  vom  frem- 
den Einfluss  Umgang  genommen  (Meyer- Lübke,  Grammat. 
der  roman.  Spr.  II  123,  132,  Weigand,  Die  Sprache  der 
Olympo-Wlachen  65). 

Die  verschiedenen  Formen  des  Artikels  sind  klar 
und  durchsichtig.  Im  Mascul.  Sgl.,  der  durch  den  Artikel 
in  den  Inlaut  zu  stehen  kam,  hat  sich  ^  erhalten:  stoht.  Es 
wurde  noch  unlängst  von  M.  Ivanov  (IlCn.  XLV  413 — 15) 
der  ganz  missglückte  Versuch  gemacht,  ^  vor  t  des  Ar- 
tikels als  Einschub  zu  erklären.  Davon  könnte  nur  die 
Rede  sein,  wenn  die  Verbindung  des  Pronom.  tt  mit  dem 
vorausgehenden  Substantiv  zu  einem  Wortganzen  ganz 
jungen  Datums  wäre.  Die  Beispiele  des  Altslovenischen 
zeigen  uns  das  Gegentheil.  Für  das  im  Inlaute  stehende 
a  von  rabbtb  etc.  kann  doch  nicht  die  Behandlung  des 
auslautenden  ^  massgebend  sein,  wie  auch  z.  B.  Air  *fc  in 
ob$d%  nicht  das  Schicksal  des  anlautenden  *k  von  mth 
bestimmend  ist.  Inlautendes  %  von  rabbtb  wurde  ganz 
regelrecht  in  den  einen  Dialecten  zu  o,  in  den  anderen 
blieb  es  länger  bewahrt  und  entwickelte  sich  erst  später 
zu  einem  a-Laute,  daher  in  den  Dialecten  rabbt,  rabot, 
rabatj  wo  dann  das  t  auch  schwinden  konnte.  Auch*  in 
den  russischen  Dialecten  theilt  das  ^  vor  tb  die  Schicksale 
des  inlautenden  ^)  daher  hlebot  wie  otobrati.  M.  Ivanov 
fragt  allerdings,  warum,  wenn  in  rahfo  das  stammaus- 
lautepde  ^  erhalten  blieb,  dies  auch  in  radostbta  nicht 
der  Fall  sei?  Er  hat  dabei  die  primitivste  Regel  der  Ent- 


102  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

wickelung  der  Halbvocale  übersehen.  Wie  sich  $ladih 
zu  sladok,  dagegen  dadtka  zu  slatka  entwickelte,  so  auch 
rabitb  zu  rabot  und  radosttta  zu  radosta.  Von  ofoafe, 
ovbmt  sollten  wir  otcvt  oder  otcet,  ovmt,  ovnot  erwarten. 
Es  erscheint  aber  nur  otectt,  ovemt,  angelehnt  an  den 
Nom.  Sgl.  otec,  oven,  wobei  auch  das  Verhältniss  von  stol 
zu  stoht  mitwirkte;  vergl.  denselben  Ausgleich  zwischen 
verschiedenen  Stammesfonnen  im  Böhm,  snem,  shemu 
altböhm.  mem,  senma,  poln.  sejm,  altpoln.  sjem,  $ejmuf 
russ.  pri&lec  priileca  und  priidec  prtielhca;  auch  in  den 
macedonischen  Dialecten  finden  wir  neben  mi/rtvec  ein 
mirtovec,  dem  die  Cas.  obl.  und  vor  allem  der  Nom.  PL 
zu  Grunde  liegen. 

Conjugatlon. 

Allgemeines. 

141.  Ein  ganz  anderes  Schicksal  als  die  Declination  hatte 
die  Conjugation  im  Bulgarischen.  Dieselbe  ist  durchgehends  in 
dem  Masse  erhalten  wie  in  den  übrigen  slavischen  Sprachen. 
Die  einzige  Einbusse,  die  das  Bulgarische  an  Conjugations- 
formen  gegenüber  den  anderen  slavischen  Sprachen  erlitten  hat, 
ist  der  Verlust  des  Infinitivs  und  Supinums.  Ja  das  Bulgarische 
übertrifft  im  Kreise  der  südslavischen  Sprachen  das  Slovenische 
und  selbst  das  Serbokroatische  dadurch  an  Alterthümlichkeit, 
dass  es  Aorist  und  Imperfect  ganz  allgemein  im  Sprachge- 
brauche bewahrt,  in  der  1.  Sgl.  Präs.  noch  nicht  in  allen  Dia- 
lecten -m  verallgemeinert,  in  einigen  noch  -t  in  der  3.  Sgl.  er- 
halten, bei  den  Verben  V.  Cl.  die  Contraction  von  -a/e-  noch 
nicht  durchgeführt  hat.  Aorist  und  Imperfect  sind  allerdings 
im  Serbokroatischen  erhalten,  doch  in  der  Volkssprache  schon 
sehr  stark  vor  den  zusammengesetzten  Perfectformen  zurück- 
getreten, in  den  bulgarischen  Dialecten,  speciell  in  den  mace- 
donischen, die  ich  zu  kennen  Gelegenheit  hatte,  sind  beide 
Formen  ganz  allgemein  in  der  täglichen  Umgangssprache  im 
Gebrauch.  Dadurch  steht  das  Bulgarische,  das  die  Declination 
fast  ganz  eingebüsst  hat,  bezüglich  des  Reichthums  an  Conju- 
gationsformen  an  der  Spitze  aller  slavischen  Sprachen,  es  über- 
trifft darin  sogar  die   beiden  lausitzserbischen  Sprachen,  denn 


Macedonüche  Studien.  103 

auch  in  diesen  sind  die  Aorist-  und  Imperfectformen  haupt- 
sächlich in  der  Literatursprache  zu  finden,  in  der  Volkssprache 
sind  sie  grösstenteils  schon  antiquirt,  einigen  Dialecten  schon 
ganz  unbekannt,  Mucke  607. 

Von  der  grossen  Lebenskraft  der  bulgarischen  Conju- 
gation  legen  zahlreiche  Neu-  und  Analogiebildungen  Zeugniss 
ab.  Wohl  auf  keinem  anderen  slavischen  Sprachgebiet  hat  die 
Analogie  in  der  Conjugation  derartig  überwuchert,  wie  im 
Bulgarischen. 

In  einigen  ganz  wesentlichen  Punkten  der  Conjugation 
gehen  die  drei  macedonischen  Dialecte  auseinander.  Im  Dialect 
von  Suho  und  nördlich  von  Salonichi  hat  die  1.  Sgl.  Präs. 
durchgehends  -m,  in  den  Debramundarten  von  Gal.  und  El. 
endigt  dieselbe  ebenso  consequent  auf  -a,  selbst  jesrnt  musste  sich 
dem  Systemzwange  fügen  und  verlor  sein  -m.  Der  andere  Unter- 
schied betrifft  die  3.  Sgl.  Präs.  Alle  drei  Debramundarten 
haben  t  in  der  3.  Sgl.  gerettet,  in  dem  Dialecte  von  Suho  und 
nördlich  von  Salonichi  ist  es,  wie  in  der  grossen  Mehrzahl 
der  macedonischen  und  in  allen  bulgarischen  und  thrakischen 
Dialecten,  geschwunden.  In  den  erwähnten  Punkten  ist  also 
der  Debradialect  alterthümlicher  als  die  beiden  südlichen.  Aus- 
drücklich will  ich  noch  bemerken,  dass  ich  in  diesen  drei  Dia- 
lecten keine  Spur  vom  Infinitiv  gefunden  habe,  auch  im  Debra- 
dialect nicht,  trotzdem  gerade  darauf  meine  Aufmerksamkeit 
gerichtet  war.  In  einem  Volksliede  bei  Jastrebov  443  heisst 
es  zwar  nemoj  bigat,  aber  der  Umgangssprache  gehen  solche 
Formen  ab.  Die  geringen  Ueberreste  des  Infinitivs  (vergl. 
Archiv  XVII  466  f.),  die  wir  aus  den  Volksliedern  des  nörd- 
lichen Macedoniens  und  westlichen  Bulgariens,  also  aus  Ge- 
bieten, die  dem  serbischen  Sprachgebiete  benachbart  sind  und 
einst  auch  dem  serbischen  Einfiuss  ausgesetzt  waren,  kennen, 
sind  serbischer  Provenienz  und  keine  bulgarischen  Archaismen, 
wir  finden  sie  in  Dialecten,  die  auch  sonst  sporadisch  Serbismen 
zeigen. 

142.  Der  ausgleichende  Einfiuss  der  Analogie  macht  sich 
bemerkbar  in  solchen  Bildungen  wie  1.  Sgl.  Präs.  rehm,  mohm 
Ns.,  3.  PI.  moht  Ns.,  dessen  ö,  z  aus  den  Präsensformen  auch 
in  die  1.  Sgl.  und  3.  PI.  eingedrungen  sind.  Ebenso  haben  die 
Imperative  der  Verba  I  4,  z.  B.   bseöi  Suho,  pomoZi  Ns.  ihren 


104  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

Palatal  aus  den  Präsensformen  bezogen.  In  derselben  Weise 
sind  vletäh,  vletehg,  Ns.  angelehnt  an  die  Präsens-  and  Imper- 
fectformen  und  an  die  2.  und  3.  Sgl.  Aor.  Im  Partie.  Prät 
Act.  II  bleiben  noch  die  Gutturale  bewahrt,  z.  B.  reki}  Ns., 
wofür  schon  in  manchen  macedonischen  Dialecten,  z.  B.  Prilep, 
retel  gesprochen  wird.  Dagegen  sind  die  Partie,  dojdel  Ns., 
otkradel  Bug.  nach  dem  Präsens  und  Aorist  neu  geschaffen. 
Das  in  den  macedonischen  Dialecten  allgemein  verbreitete 
b\dam,  bide  (bqdq)  hat  sein  i  für  i,  a,  o  aus  den  vom  Infinitiv- 
stamme 6t-  gebildeten  Formen.  Durch  sein  d  (do-,  de-)  war  es 
genügend  vom  Präs.  bijam  Qrija)  geschieden.  Neben  dem 
neuen  Präs.  bidam  kann  es  kein  dem  kleinruss.  und  bohm. 
bul  entsprechendes  Partie.  ln>l  (bal}  bol)  in  den  macedonischen 
Dialecten  geben  (vergl.  Polansk^,  Listy  fil.  1893,  324  ff.).  An 
die  Formen  vom  Infinitivstamm  ist  gleichfalls  das  Präs.  päjem 
Suho,  pejam  Bug.  angelehnt,  in  umgekehrter  Weise  in  einigen 
slovenischen  Dialecten  Steiermarks  pojati.  Verschiedene  Modi- 
ficationen  erfuhr  £bfi$  zeti.  Wir  würden  fria,  £nam  oder  hiam 
erwarten.  Diese  Form  finden  wir  in  der  That  in  Suho:  znam, 
ine.  Im  Dialect  nördlich  von  Salonichi  wurde  das  Verbum 
in  Cl.  I  7  überführt,  daher  inijhm,  im  Debradialect  in  die  CL 
16:  znea;  ein  £»£-  liegt  auch  dem  montenegrinischen  inijem 
zu  Grunde,  im  Dialect  von  Lastovo  ist  es  in  die  III.  Cl.  über- 
getreten: ifiejen. 

Präsens. 

143.  1.  Sgl.  Im  Dialect  von  Suho  wurde  das  -m  der  athe- 
matischen Verba  auf  alle  Verbalclassen  ausgedehnt,  z.  B.  <£>/- 
dam7  pbdam,  prhndam,  ptetam,  ttnam,  zbvam,  mbgam,  sporn, 
püram,  digarn,  vikam,  faHam,  ntitam  (nolo),  käZtivam,  &äkam, 
skäkam,  IHam,  ätivam,  zavlvam,  sfivam,  kbvam,  natürlich  auch 
j&fn}  imaTn. 

Bei  den  Verben  IV.  Cl.  ist  der  Consonant  vor  der  Endung 
erweicht  und  es  erscheint  vor  m  der  Laut  §:  küp§m,  üstävpn, 
lbti§m,  hbd§m,  vüfym,  trbp§m7  nbspm,  tüfgm. 

Auch  in  anderen  Verbalclassen  erscheint  nach  den  Pala- 
talen und  erweichten  Consonanten  nicht  -am,  sondern  -fw: 
8luS§m,  cuj§m,  klqfigm,  päj$m,  igraj§m}  %'$m;  bei  den  Verben 
V.  Cl.  gewöhnlich  -#m  nicht  -gm,  wahrscheinlich  unter  dem  Ein* 


Macedouiacho  Stadien.  105 

fluss  der  anderen  Verba  dieser  Classe,  die  -am  zeigen:  videfqm, 
klepam  (die  Augen  schliessen),  kaiqm,  titfäfam,  zatväfam. 

Wie  schon  die  angeführten  Beispiele  zeigen,  wurde  bei 
den  Verben  V.  Cl.  aje  in  a  contrahirt,  doch  noch  igräjgm, 
igräj  (3.  Sgl.),  igräj§t  aber  igräi.  —  umlvam  und  umijgm} 
poJcrivam. 

Gegen  unser  Erwarten  lautet  von  jesmb  die  1.  Sgl.  sa, 
n'äsa,  daneben  notirte  ich  mir  auch  sim  und  sam,  letzteres  an- 
gelehnt an  sa  oder  Analogiebildung  nach  der  grossen  Anzahl 
von  Verben  auf  -am. 

Bei  den  Verben  I.  und  II.  Cl.  trat  -m  an  a  =  q\  am 
wurde  dann  mit  den  Verben  V.  Cl.  ausgeglichen;  die  Verba 
IV.  Cl.  entwickelten  ihr  q  zu  §,  daher  -gm. 

144.  Auch  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von 
Salonich i  ist  in  der  1.  Sgl.  -m  verallgemeinert.  Nur  in  Ns.  no- 
tirte ich  mir  zwei  Beispiele  ohne  -m,  wovon  auffallenderweise  das 
eine  ein  Verbum  V.  CL  ist,  wo  wir  gerade  -m  erwarten  würden: 
pita,  Tci  vjahna.  Sonst  in  Ns.  nur  -am  bei  Verben  V.  Cl.  und 
sogar  IV.  Cl.,  nur  wenige  der  letzteren  haben  -im;  -im  neben 
-am  erscheint  auch  bei  den  Verben  I.  Cl. 

Ns:  thpam,  prkdam,  zhnam,  bldam,  mb&am,  dünam,  päd- 
nam,  obpiam,  rabbtam,  naredüvam,  fädam,  pläcam,  vädam,  ja- 
harn,  lliam,  dfiam^  hodam,  imam\  —  no*im,  smefom,  mföim, 
jädvm,  reto/rn,  bijvm  und  bij#my  inifom,  tkaj§m,  *im. 

Gr.:  iteam,  jaham,  hbdam,  rästam,  moltam,  Snipm,  jadim, 
nonm,  pi$§m. 

Bug. :  zhnam  und  zhiam,  pejam,  brbjam,  mljam,  tiiam, 
pbtüvam,  Jcupüvam,  sluSam,  kilpam  (kaufen),  sejam,  plujam, 
jadam,  dam  etc.  —  mozzm,  öufom,  £nijzm}  *im.  Uncontrahirte 
Formen  igräjam,  znaiS  neben  znam. 

Vat.  -im,  -am:  mozvm,  petvm,  znijvm,  hodim  neben  Jfl 
hvm,  föiim,  fä6vm,  plä6hm9  pädvm,  izväävmy  igräfom,  doch  VI 
igräm,  8hm]  —  df&qm,  stbjnm,  mfogm,  jadqm}  Ki  dojsam,  velam, 
znam.  Durch  Contraction  -um  aus  -uvam:  stretum,  aber  auch 
vpnüm9  u  vielleicht  wegen  des  m. 

Var.  Neben  -im  schon  -um,  das  auch  im  benachbarten 
Dialecte  von  KukuS  erscheint:  &£im,  dbnesim,  öetom,  bä\m, 
igräjran,  mo/im,  ffXvm  etc.  und  8üdumy  pe&m7  motfrm,  rabotum^ 
prhdPm,  uikp*m  und  znäm.    Wie  ich  schon  im  Archiv  XVI 159 


106  Till.  Abhudlaog:    ObUk. 

erwähnte  (vergl.  jetzt  MiletU,  C6M.  IX  58)  beruht  -am  auf  •«, 
das  zu  ^  wurde,  an  das  dann  durch  die  Analogie  m  trat  Auch 
um  erklärte  ich  Archiv  XVI  195  aus  älterem  -*m  durch  den 
Einfluss  des  m  (vergl.  Miletiö,  C6M.  IX  57). 

145.  Von  den  drei  Debramundarten  fehlt  in  Gal.  und 
Kl.  durchgehends  -m,  nicht  einmal  die  Verba  V.  CL  haben  es,  ja 
sogar  bei  den  athematischen  Verben  wurde  es  durch  die  Ana- 
logie aller  übrigen  Verba  aufgegeben  und  sum  zu  tu.  Der 
Schwund  des  m  in  su  ist  jungen  Datums,  worauf  die  Entwick- 
lung des  ^  zu  u  vor  m  hinweist.  Bei  dam  und  jam  half  sich 
die  Sprache  durch  Neubildungen,  die  von  der  3.  PI.  ausgingen, 
und  schuf  die  1.  Sgl.  dada,  jada  statt  eines  zu  erwartenden 
da,  ja. 

Gal.:  bda,  bida  (badq),  shda,  spüja,  inea,  trija,  peja,  zhna, 
tkäja,  potna,  migna,  znoa,  gUda,  porofa,  praia,  stbja,  rUa, 
Ibza,  dada,  jada,  ima,  vräta.  Auch  bei  den  Verben  IV.  CL 
•a  mit  Verlust  der  Weichheit  des  vorausgehenden  Consonanten, 
z.  B.  mola,  küpa,  naprava,  obesa.  —  *tt;  nh6u  ist  betreff  seines 
u  von  su  zu  trennen,  es  ist  ein  Serbismus. 

Ganz  derselbe  Bestand  in  KL:  8jnja,  düja,  stritva,  fakta, 
pläSta,  pUa,  kopa  (baden),  zkma,  stbpa,  stbra,  misfa  mit  be- 
wahrter Weichheit  des  Consonanten;  *u.  Daneben  notirte  ich 
mir  zwei  Beispiele  mit  -m:  znfrm,  zndm.  Auch  in  den  aus  dem 
Debragebiet  veröffentlichten  Volksliedern  findet  ein  Schwanken 
zwischen  -a  und  -am  in  der  1.  Sgl.  statt,  darunter  auch  znam. 

Anders  in  der  Mundart  von  Oboki.  Hier  endigt  die 
1.  Sgl.  auf  -a  und  -am;  ich  notirte  mir  einigemal  sogar  von 
demselben  Verbum  beide  Formen,  am:  odam,  dojduam,  zhmam, 
p'hram,  kinam,  mb£am  und  mbgam,  umiram,  krenuam,  sfrnuam, 
stretuam,  nbfcivam,  baram,  praSam,  pbprakam,  str&kam,  vraKam, 
fakam,  heam,  javam,  päsam,  mislam,  znam,  imam  und  ima, 
jadam  und  jada,  dam,  pijvm  und  piJ9;  süm,  neöhm.  a:  pleta, 
splja,  Kbpa  und  die  bereits  erwähnten  Doubletten. 

Ich  war  zuerst  geneigt  dies  Schwanken  zwischen  -am  und 
•a  in  Ob.  als  Dialectmischung  aufzufassen,  da  die  Sprache 
meines  Gewährsmannes  auch  sonst  manche  Abweichungen  von 
dem  Ortsdialect  zeigt,  und  nur  in  den  Formen  auf  -a  die  reine, 
ungetrübte  Volkssprache  von  Ob.  zu  sehen.  Jetzt  bin  ich 
doch  einigermassen  schwankend  geworden.    Ich  finde  dasselbe 


M*c*ioni*che  Stadien.  107 

Schwanken  zwischen  ~a  and  -am  in  den  Volksliedern  aas  dem 
Debragebiet.  Allerdings  deckt  sich  die  Sprache  der  Volks- 
poesie nicht  ganz  mit  der  Umgangssprache ,  insbesondere  gilt 
dies  von  den  Volksliedern  aas  dem  nördlichen  Macedonien, 
aber  das  Schwanken  zwischen  -am  and  -a  kann  doch  nicht 
allein  durch  diesen  Gegensatz  erklärt  werden. 

146.  2.  Sgl.  Diese  endigt,  wie  überhaupt  im  Balgarischen, 
nur  auf  -£.  Nirgends  auf  bulgarischem  Sprachgebiet  hat  sich 
eine  Spar  von  -ti  erhalten.    Die  Endung  -si  rettete  nur  jesmb. 

Suho:  lovi8,  pUl$,  mb2e$9  hbdiS,  i§tü7  kiafiU,  iu$,  pä§ 
(p&ti)j  plu$,  pirl$}  igrää,  znäti,  viüi,  brüflS,  trapüä,  türiS,  zhva§, 
küviif  thnU,  nal*äva$f  dünishü,  zapoi  (zapojde$),  niSteS  (nolis), 
auch  jidbL  Es  erscheint  demnach ,  abgesehen  von  rein  laut- 
lichen Veränderungen,  in  der  2.  Sgl.  durchaus  der  Schlussvocal 
des  Präsensstammes. 

Dialect  nördlich  von  Salonichi:  Ns.  prldU,  rlZU, 
id£§,  nbsts,  zhnU,  huodi§,  bV&,  zni>S9  düni§,  pitüvaS,  fätaä,  ra- 
bbieiy  si.  —  Gr.  &ni§,  si.  —  Bug.  A£i£,  IvbU,  pei§f  broi$,  seiS, 
pluiä,  znäü,  rabotaS,  shbhß,  sluSU,  JcupüvaS,  sogar  daS,jadi$} 
si.  Zu  erwähnen  ist  ne  mojS;  Vat.  stoiS,  Hgraiä,  inij§}  znai§, 
piji}  küpi§,  fälU7  velU,  pehS,  jade§,  ne  inoS,  und  sogar  vfnüS, 
stretul-,  Vard.  igräü,  znäiS,  doj8,  dbnsU}  ll&ti. 

Wenn  bei  den  Verben  I. — IV.  Cl.  in  der  1.  Sgl.  -am 
(~%m)  gegenüber  -«£  und  -U  erscheint,  so  liegt  da  keine  Ana- 
logie nach  den  Verben  V.  Cl.  vor,  sondern  a  fo)  von  -am  ist 
der  Reflex  der  alten  Form  auf  -a.  Dagegen  ist  iS  über  die 
Verba  IV.  CL  hinaus  ausgedehnt,  es  ist  kein  lautlicher  Process, 
wie  schon  M.  Ivanov  C6M.  VIII  115  (vergl.  Archiv  XVII  178) 
richtig  erkannt  hat,  sondern  eine  Analogiebildung  nach  den 
Verben  IV.  Cl.,  die  durch  die  Entwicklung  des  unbetonten  e 
zu  i  angebahnt  wurde.  Interessant  sind  die  beiden  Formen 
mojs  und  moi,  die  man  auch  in  anderen  Dialecten,  z.  B.  Prilep, 
Ochrida  mojif  findet.  Schon  Ljapunov  (HtcKOJBKO  c&OBi  o 
rosop.  .ayKOÄHOBCK.  y63A&  1894,  S.  34)  erklärte  sie  durch  den 
Schwund  des  intervocalen  &  und  verwies  auf  die  1.  Sgl.  wio/a 
im  Dialect  der  ungarischen  Bulgaren,  auf  moieme  der  Sieben- 
bürger Bulgaren.  Daraus  mbU,  mo|£,  mojs  und  nach  Schwund 
des  j  (vergl.  poam  Prilep,  doä  Kostur)  mo$.  Schon  im  Prager 
bulgarischen  Katechismus  aus  dem  17.  Jahrhundert  finden  wir 


108  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

alle  drei  Formen  Aioiurk,  mohutk,  Aieurk  IlCn.  XLIV.  Jeden- 
falls muss  früher  der  Schwand  des  i  als  der  des  unbetonten  e 
eingetreten  sein,  denn  in  Vat.  wird  mo&me,  motte  gesprochen. 
Es  mag  der  Schwund  des  unbetonten  e  in  diesem  Verbum  ge- 
radezu durch  die  Anlehnung  an  die  2.  Sgl.  moi  gefördert 
worden  sein,  vergl.  im  Slovenischen  holte  angelehnt  an  hoc. 
Warum  blieb  der  Schwund  des  intervocalen  l  auf  die  2.  SgL 
beschränkt?  Wahrscheinlich  fand  er  eine  Stütze  in  dem  Dissi- 
milirungstriebe ,  denn  im  Silbenanfang  und  -schluss  stand  ein 
Palatal  (t — *),  vergl.  den  Wandel  des  6u£d  zu  tuzd.  Eine 
Form  moi  kennen  auch  andere  slavische  Sprachen.  An  eine 
Dissimilation  von  moil  aus  moie$  zu  mojS,  wofllr  wir  Parallelen 
aus  verschiedenen  slavischen  Sprachen  hätten,  zu  denken,  ver- 
bieten die  Formen  moji>7  moieme.  Für  die  Dialecte  von  Prilep, 
Ochrida,  wo  der  intervocale  Consonant  (d}  v}  g)  vielfach  schwand, 
ist  der  Ausfall  des  i  verständlich.  Aber  auch  bezüglich  des 
Dialectes  nördlich  von  Salonichi  ist  zu  beachten,  dass  wir  diese 
Form  gerade  in  der  Sprache  jener  Dörfer  finden,  die  auch 
sonst  Neigung  zu  Kürzungen  und  Consonantenschwund  zeigen, 
z.  B.  dorn,  doji,  hom  in  Vat. 

Auch  in  den  Debramundarten  erscheinen  in  der  2.  Sgl. 
gegenüber  der  für  alle  Verba  gleichlautenden  1.  Sgl.  auf  -a 
verschiedene  Präsensvocale,  also  -eSy  -i$,  -a8.  Gal.  bide$,pe£e$9 
vleces,  seceS,  2nee8,  poöneS,  neKeS,  jade$,  fatiS7  molü,  napravis, 
8toU7  dava§,  gledaS,  imaS.  —  Kl.  2nee$,  8tori§.  —  Ob.  ide$7 
dojdeS,  najde§  und  sogar  oj§}  pleteS,  p'ereS,  pletei,  pas9$9  dtfh 
moli§,  momi§7  praü,  ima§,  krenuaS,  baraS. 

Anm.  Die  2.  Sgl.  auf  -h  lässt  sich  im  Bulgarischen 
bis  in  das  12. — 13.  Jahrhundert  hinauf  verfolgen  (Parimej. 
Grigoroviö),  wenn  auch  nur  in  vereinzelten  Beispielen. 
Erst  in  der  Troj.  priäa  sind  solche  Beispiele  zahlreicher 
(Lavrov  192,  CofioaeB.  JKMnp.  1894,  Juni  435).  Wenn 
das  Bulgarische  neben  -H  von  altersher  auch  ein  -h  hatte, 
so  ist  es  auffallend,  dass  wir  in  den  Denkmälern  des 
11.,  12.  Jahrhunderts  nicht  einzelne  solche  Formen 
nachweisen  können.  Wir  finden  ja  in  den  sogenannten 
pannonischen  Denkmälern  einzelne  Abweichungen  in  der 
Conjugation  zu  Gunsten  eines  vom  Altslovenischen  einiger- 


Macedonisehe  Studien.  109 

inassen   abweichenden  Dialectes,   z.  B.   Schwand   des  -fo 
in  der  3.  Sgl.,  Imper.  wie  da£di. 

147.  3.  Sgl.  Im  Dialect  von  Suho  und  der  nördlichen  Um- 
gebung von  Salonichi  erscheint  die  3.  Sgl.  ohne  t,  während 
die  3.  PL  ihr  t  bewahrt  hat.  Suho:  ine,  küvl,  jidk,  hbdi,  boü, 
trgpk,  leü,  daidt,  Uti,  skäka,  zh)a,  igräj,  düj,  päj,  6äj,  brüji, 
cuj,  je.  Nördlich  von  Salonichi:  Ns.  cvlte,  blde,  prldl,  znaj, 
§V,  inV,  tka?,  bij,  tipa,  dbidi,  vfni,  llii,  &zime,  nosi,  prüdava^ 
Gr.  pbmoie,  raste,  nbsi,  Ugra-,  Bug.  moie,  c&fti,  igraji,  Öuji, 
peji}  küpi,  rabbtay  rüga,  je;  Vat.  duje,  mbie,  hbdi,  fäll,  vWl\ 
Vat.  dojde,  doi  (säugen),  vfne,  kära. 

Die  Debramundarten  haben  t  in  der  3.  Sgl.  noch  be- 
wahrt, trotzdem  dadurch  bei  der  Mehrzahl  der  Verba  (mit 
Ausnahme  der  der  V.  Cl.)  die  3.  Sgl.  und  PL  zusammengefallen 
sind.  Bei  den  Verben  V.  CL  steht  dem  -at  der  3.  Sgl.,  -aet 
in  der  3.  PL  gegenüber.  Gal.  bidet,  pocnet,  peöet,  setet,  zneet, 
spijet,  jadet,  daet,  molit,  db&it,  tutit,  bolit,  stoit,  imat,  gledat, 
begat,  aber  nur  je,  wie  auch  die  3.  PL  nur  %e  lautet;  —  Kl. 
bidet,  cutet,  ieet,  £ne%  sonit,  o&enit%  bolit,  atorit,  hopit,  nemat, 
izlagat,  zbirat ;  —  Ob.  p*eret,  jadet,  pasdt,  dojddt,  mislit,  plivat, 
imat,  faätat,  doch  e  (jesth). 

Die  Debramundarten  theilen  diese  Alterthümlichkeit  mit 
der  ganzen  nordwestmacedonischen  Dialectgruppe.  Auch  in 
den  Dialecten  von  Gostivar,  Kicava,  Ochrida,  Resen,  Bitolj, 
Prilep,  Moriovo  hat  die  3.  Sgl.  noch  -t,  aber  schon  im  Dialecte 
von  Veles  und  Lerin  und  weiters  in  allen  anderen  macedoni- 
schen  Dialecten  ist  -t  geschwunden.  Wie  Cod.  Suprasl.  und 
die  wenigen  Beispiele  im  Evang.  Zograph.  zeigen,  wurde  -tb 
der  3.  Sgl.  auf  einigen  Gebieten  des  Bulgarischen  schon  im 
11.  Jahrhundert,  wenn  nicht  allgemein,  so  wenigstens  zum 
Theile,  aufgegeben.  Vereinzelte  Beispiele  ziehen  sich  durch 
die  sogenannten  mittelbulgarischen  Denkmäler  und  die  bulgari- 
schen Urkunden  (vergl.  Lavrov  192).  In  den  Formen  ohne  -t 
wollte  man  die  3.  Sgl.  des  Injunctivs  mit  der  secundären  indo- 
germanischen Endung  t  erblicken,  das  schon  im  Urslavischen 
im  Auslaute  schwand.  Soll  man  nun  auch  für  e  st.  jestb,  dem 
man  nicht  bloss  im  Cod.  Suprasl.,  sondern  auch  in  solchen  alt- 
sla vischen  Denkmälern  begegnet,  die  sonst  tb  in  der  Sgl.  durch- 


110  Yin.  Abhandln*:    ObUk. 

wegs  festgehalten  haben  and  das  auch  in  den  Debramundarten 
erscheint,  trotzdem  in  denselben  alle  Verba  -t  zeigen,  ein  uraltes 
est  neben  esti  annehmen  und  nicht  Schwund  des  auslautenden 
st  (stb)?  Durch  das  Verstummen  des  auslautenden  t  in  solchen 
Fällen  wie  It*  etc.,  kann  der  Schwund  des  t  in  der  3.  SgL 
nicht  erklärt  werden,  ersteres  ist  gewiss  erst  in  neuerer  Zeit 
eingetreten,  und  wir  finden  des,  mlados  etc.  besonders  in  jenen 
macedonischen  Dialecten,  wo  die  3.  Sgl.  noch  auf  -t  endigt. 
Der  Schwund  des  t  in  der  Sgl.  muss  also  davon  ganz  getrennt 
werden. 

148.  1.  Plur.  Die  1.  PL  endigt  in  allen  drei  Dialecten  bei 
allen  Verbalclassen  auf  -wie.  Wir  finden  -me  sogar  in  Gal.  und 
Kl.,  trotzdem  hier  die  1.  Sgl.  durchwegs  auf  -a  (aus  q)  endigt 
Dies  zeigt,  dass  -wie  nicht  auf  dem  Differenzierungstriebe  gegen- 
über dem  -wi  der  1.  Sgl.  beruht.  Die  1.  PI.  auf  -me  ist  uralt 
und  setzt  nicht  ein  altes  -rm  voraus,  das  im  Altslovenischen 
erscheint.    Ebenso  endigt  die  1.  PI.  Aor.  und  Impf,  auf  -me» 

Suho:  öüjmi,  igrajmi,  hbdimi,  vijmi,  gledami,  pojmi  und 
8ni  (jesrm),  wahrscheinlich  angelehnt  an  ni  (mi). 

Dialect  nördlich  von  Salonichi:  Ns.  pridime,  zhnime, 
jademe,  Hgräme,  hubdime7  «wie;  Gr.  jadme,  jähame;  Bug.  da- 
derne,  pejmi,  küpime^  plujmi,  mijml}  mo&eme,  «wie;  Vat.  moime; 
Var.  nbsimi,  dbjdmi. 

Debradialect.  Gal.  peteme,  se6eme,  daeme,  neJceme,  mo- 
lime,  gledame;  Kl.  ine'wie,  odime,  öakame,  kopime  auch  kbpit, 
kbpite;  Ob.  jäd?me7  pier9mef  mislime,  imame,  sme. 

149.  2.  Plur.  Die  2.  PL  hat  ohne  Unterschied  der  Genera 
die  Endung  -te.  Suho:  iHiti,  6üjti9  igräjti,  **t.  —  Ns.  h*bdite. 
predite,  mo£ite\  Bug.  ti£ite7  Znijte,  sejti,  dadte;  Vat.  moHe; 
Var.  dojte  angelehnt  an  die  2.  SgL  dojS  aus  dojdeä.  —  Gal. 
jodete,  petete,  molite,  puäüate;  Kl.  storite,  kbpite,  püHte;  Ob. 
daete,  mislite,  aber  sve  statt  ste}  wie  in  Ochrida  sfe  neben  sie 
fflanK.  III  1G9. 

150.  3.  Plur.  Diese  hat  in  allen  drei  Dialecten  -t  be- 
wahrt. Suho:  gledat,  predat,  Znat}  jedat,  \$tat,  pikät  und peX&j 
hbdet,  klänety  ciijet,  pä>et,  brüjet,  igrajet,  aber  8a. 

Dialect  nördlich  von  Salonichi:  Ns.  krädht,  rhht, 
vle&bt,  mbibt,  jadht}  Znipt,  bidht,  hubdht,  nbsit,  znajit,  rabotat, 
dävat,  pläcat  und  n;  Gr.  jadbt,  zborüvat,  8h;  Bug.  dadht,  ßitf, 


Maeedonisolie  8tadien.  111 

rabbtat,  skbkat,  8i;  Vat.  rabubtat,  dopt  angelehnt  an  dbjS  und 
dojte;  Var.  rabbtat  zur  l.  Sgl.  rabbPm,  igräat  zu  igräjim, 
znaat  zu  znam,  aber  znaii  aus  znajeS,  utejAt. 

In  Var.  erscheint  bei  den  Verben  V,  1.  Cl.  nicht  -at, 
sondern  noch  die  altere  Form  -aat:  igräat,  znaat.  So  viel  ich 
aus  den  mir  vorliegenden  Sprachproben  zu  ersehen  vermag, 
ist  die  3.  Plur.  auf  -aat  den  südmacedonischen  Dialecten  un- 
bekannt, besonders  nicht  vorhanden  in  dem  Nachbardialect  von 
KukuS.  Solche  Formen  finden  wir  in  den  centralen  Dialecten 
Macedoniens,  z.  B.  Veles,  Prilep,  Moriovo. 

In  den  drei  Debramundarten  endigt  die  3.  PL  der  Verba 
V.  Cl.  ausnahmslos  auf  -aet  (-ai*T*k),  das  wir  auch  im  Dialecte 
von  Prekodrin  und  Ochrida  neben  den  gewöhnlich  schon  assi- 
milirten  Formen  auf  -eet  finden.  Wir  würden  in  der  3.  PI.  in 
den  Debramundarten  um  so  eher  -at  erwarten,  da  in  der 
Mundart  von  Gal.  der  Präsensvocal  auch  in  die  3.  PL  ein- 
gedrungen ist,  daher  molit.  Letztere  Neubildung  zeigt  auch, 
dass  der  Grund  für  die  unterbliebene  Contraction  nicht  in  dem 
Umstände  zu  suchen  ist,  dass  dann  die  3.  Sgl.  und  3.  PL  in 
einer  Form  zusammengefallen  wären.'!  Die  Form  -aet  beruht 
auf  altem  -aiftT"k. 

151.  Noch  eine  andere  Eigentümlichkeit  bemerken  wir  in 
der  3.  PL  Bei  den  Verben  I.  Cl.  ist  in  alle  drei  Mundarten  der 
Präsensvocal  e  aus  den  übrigen  Präsensformen  mit  Ausnahme 
der  1.  Sgl.  eingedrungen,  daher  peöet.  In  Gal.  wurde  in  dieser 
Weise  auch  das  i  der  Verba  IV.  CL  auf  die  3.  PL  übertragen: 
molit,  in  EL  und  Ob.  dagegen  noch  molet,  das  vielleicht  gar 
nicht  direct  älterem  molgtb  entspricht,  sondern  eine  Analogie- 
bildung nach  den  Verben  I.  CL  mit  gleichzeitiger  Anlehnung 
an  das  e  von  aet  ist.  Es  ist  demnach  vielleicht  auch  in  Kl. 
und  Ob.  molet  aus  moletb  zu  molit  umgestaltet  worden.  Wenig- 
stens *e,  für  das  wir  sa  erwarten  würden,  muss  eine  Nach- 
bildung sein.  Eine  derartige  Herübernahme  der  präsentischen 
Vocale  in  die  3.  PL  ist  auch  in  einigen  nordmacedonischen 
Dialecten  nachweisbar :  in  Eratovo  idev  aus  ideu  (u  =  q),  metev 
wie  im  Sloven.  nesejo  molijo,  vergl.  Miklos.  I2  369,  Archiv 
XVII  142.  Einige  Schwierigkeiten  bleiben  aber  doch  bei  der 
hier  vorgeschlagenen  Erklärung  des  se  bestehen.  Im  Dialect 
von  Kostur,   wo  auch  diese  Form  existirt,   ist  se  verständlich, 


112  VITI.  Abhandlung :    Oblak. 

da  daneben  sogar  rabote,  aobere  gesprochen  wird.  Dagegen 
kann  im  Dialecte  von  Prilep  set  und  se  and  Moriovo  $et  nicht 
in  dieser  Weise  erklärt  werden,  da  hier  sonst  die  3.  PL  nur 
auf  -aty  -aet  endigt. 

Die  3.  Sgl.  und  PL  sind  demnach  bei  den  Verben  I.  CJ. 
in  allen  drei  Debramundarten,  bei  den  Verben  IV.  CL  nur  in 
Gal.  zusammengefallen. 

Gal.  seiet,  peöet,  intet,  spiet ,  jedet,  molit,  sudit,  tozit 
gledaet,  porotaet,  robotaet  und  se;  Kl.  tkaet,  störet  (3.  SgL 
storit),  odet,  piset,  se\  Ob.  jadet,  p{erety  cutet,  mislet,  bglet, 
imaet,  dävaet,  izlagaet  neben  se. 

Vom  Dual  fand  ich  keine  Spur. 

Das  zur  Bildung  des  Futurums  angewandte  Hilfsverb 
jfOUJTft  hat  für  alle  Personen  und  Zahlen  dieselbe  Form  und 
zwar  im  Dialect  nördlich  von  Salonichi  #f,  in  einigen  Dörfern 
geradezu  Eif  im  Debradialect  Jca.  Ersteres  ist  die  3.  SgL,  letz- 
teres die  1.  Sgl.  Als  selbstständiges  Verbum  in  der  Bedeutung 
,  wollen'  wird  es  in  gewöhnlicher  Weise  conjugirt,  nur  in  der 
1.  SgL  erscheint  in  Gal.  -w,  also:  ne6u,  neJceä ,  neJcet,  nekeme, 
neUete,  neJcet  (Gal.).  Im  Dialect  von  Suho  wird  das  Futurum 
durch  die  Verbindung  von  za  mit  dem  Präsens  ausgedruckt 
(vergl.  §.  161).  Gal.  Jca  si  oda}  ti  Jca  rnefatis,  mije  Ua  toHme;  Kl. 
Ua  stbra,  Ua  storiS,  Ua  storit,  Ua  störet. 

Imperativ. 

152.  Im  Dialect  von  Suho  ist  vor  allem  hervorzuheben, 
dass  bezüglich  des  Vocals  vor  der  Endung  noch  der  Unterschied 
zwischen  dem  Singular  und  Plural  des  Imperativs  festgehalten 
ist:  das  i  des  Singular  ist  noch  nicht  in  den  Plural  einge- 
drungen. Dieser  Unterschied  wurde  sogar  über  seine  ursprüng- 
lichen Grenzen  ausgedehnt,  denn  auch  bei  Verben  III.8  und 
IV.  CL  erscheint  im  Plural  der  Reflex  des  *k  nach  Analogie 
der  Verba  I.,  II.  und  V.  3  CL  Diese  Analogiebildung  finden 
wir  innerhalb  des  Slavischen  überall  dort,  wo  zwischen  dem  i 
des  Singular  und  dem  *k  des  Plural  unterschieden  wird,  z.  B. 
im  Kaj dialect  gasete,  prosete]  Ro2i6  Kajkav.  dijalekat  152 ff., 
Archiv  XVII  288  und  im  Kleinrussischen.  In  Suho  ist  im 
Singular  unbetontes  i  vielfach   geschwunden.     Suho:  zäkalni, 


Makedonische  Stadien.  113 

zakah'iäte,  pot  (pojdi),  podät,  JcaS7  ka&äte,  phc,  pecäte,  bseci, 
üääcäte,  bbleöi,  nos,  nofäti,  tumi,  turn'äte,  dbkari,  dükaidüti, 
vhni,  vefiäti,  küp,  kup'äti. 

Diese  Imperative  erinnern  an  die  altslovenischen  Imper. 
bijate  etc.,  nur  erscheinen  sie  gerade  bei  jenen  Verben  nicht, 
die  im  Altslavischen  Imperative  auf  -a  bilden.  Wären  das 
gleichartige  Bildungen,  d.  h.  würde  asl.  bijate  eine  Analogie- 
bildung nach  nesete  sein,  wobei  *k  den  Lautwerth  von  a,  'ä 
hätte,  so  müsste  sich  in  den  mittelbulgarischen  Denkmälern 
eine  allmälige  Zunahme  und  Ausbreitung  dieser  Imperative 
nachweisen  lassen.  Dies  ist  nicht  der  Fall.  In  den  mittelbul- 
garischen Denkmälern  sind  derartige  Imperative  seltene  Ar- 
chaismen oder  gar  nicht  vorhanden,  in  den  heutigen  Dialecten 
aber  stark  verbreitet,  doch  in  ganz  anderer  Richtung  als  im 
Altslavischen.  Deshalb  möchte  ich  heutiges  kaiäte  nicht  in 
unmittelbaren  Zusammenhang  mit  asl.  piiate  bringen. 

Daneben  auch  pbkri,  pokrijte,  bmi,  umijte,  Vlj,  fyjte,  denn 
bei  diesen  Verben  gab  es  schon  in  alter  Zeit  kein  i  im  Im- 
perativ, deshalb  konnte  es  auch  durch  *k  nicht  ersetzt  werden. 
In  neuerer  Zeit  wurde  unbetontes  aj  der  Verben  V.  Cl.  öfters 
zu  ej9  ij:  iäkaj,  aber  iakejte,  Setej,  Setijte,  vücij,  vücijte,  mäckaj, 
ma&kijte9  aber  pltaj,  pitäjte.  Diese  Imperative  auf  -ej,  ejte  sind 
keine  Contamination  von  Imperativen  auf  -i  und  -rk,  denn  dann 
müs8ten  sie  vücüjte  lauten,  man  müsste  dann  ausserdem  an- 
nehmen, dass  der  Sgl.  auf  -ej  nach  dem  PL  umgeformt  ist.  — 
tacTH  hat  im  Sgl.  den  alten  Imper.  jä§,  im  PI.  wurde  jedoch  i 
durch  *k  verdrängt:  jidäte;  dam  hat  dagegen  bereits  daj  neben 
dadäte.  Bekanntlich  erscheint  der  nach  dem  Präsens  neu  ge- 
bildete Imper.  daj  einigemal  schon  in  den  Denkmälern  des 
reinen  Altslovenischen  (Cod.  Zogr.,  Mar.).  Beispiele  aus  mittel- 
bulgarischen Denkmälern  vergl.  bei  Lavrov  208.  Altes  jaJtd 
hielt  sich  dagegen  so  fest,  dass  es  in  manchen  Dialecten  sogar 
in  den  PI.  eindrang:  jaite  (vergl.  kajk.  jette). 

153.  Im  Dialect  nördlich  von  Salon ichi  lässt  sich  im  Im- 
perativ eine  Reihe  von  Analogiebildungen  beobachten.  Manche 
Verba  bilden  die  2.  PI.  Imper.  auf  -ejte,  -e>te.  Es  sind  grössten- 
teils Verba  I.  Cl.,  z.  B.  prede>te,  Sgl.  prhdi.  Es  scheint  mir 
noch  am  wahrscheinlichsten,  dass  dabei  nach  dem  Verhältniss 
der  Verba  V.  Cl.  e  als  zum  Imperativstamme  angehörig  ange- 

8i«sangsfa6r.  d.  phiL-hist.  Cl.  CX1XIY.  Bd.  8.  Abh.  8 


114  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

sehen  wurde,  pitab,  pita  etc.:  pitajte  =  predei,  prede  etc.: 
prede>te.  Dann  mtlssten  wir  annehmen,  dass  von  den  Verben 
I.  Cl.  diese  Analogiebildungen  auch  auf  die  III.  2  und  IV.  CL 
ausgedehnt  wurden,  was  keine  Schwierigkeiten  machen  würde, 
da,  wie  wir  gesehen,  ja  auch  sonst  im  Bulgarischen  der  Im- 
perativ bei  den  Verben  IV.  Cl.  nach  Analogie  der  Verba  I.  Cl. 
gebildet  wurde. 

Eine  andere  Neubildung  erscheint  hauptsächlich  bei  Verben 
I,  7  und  III,  2,  und  zwar  im  Plural.  Derselbe  lautet  auf  -ajte, 
z.  B.  df£ajte.  Es  ist  dies  eine  Analogiebildung  nach  Verben 
V.  Cl.  unter  gleichzeitiger  Anlehnung  an  die  1.  Sgl.,  die  auf 
-am  endigt,  und  das  Imperfect.  Einen  derartigen  Unterschied 
zwischen  dem  Sgl.  und  PI.  des  Imperativs  wie  in  Suho  gibt 
es  hier  nicht,  falls  man  nicht  mit  Miletiö  C6M.  X  37  predejU 
als  Verschränkung  vom  Imper.  predete  und  anderen  Imperativen 
auf  -ite  auffasst.  Imperative  auf  -ite  sind  hier  sehr  selten. 
Bei  dyzajte  kann  schon  wegen  des  a  nicht  leicht  an  eine  solche 
Erklärung  gedacht  werden.  Im  Auslaute  ist  auch  hier  unbe- 
tontes i  oft  geschwunden. 

Ns.  predig  predei te9  zem,  zem&te,  rißt,  re&>te,  vlh6i,  rfe- 
£e>te,  sbci,  setete,  pomo£i7  ml$i}  vid,  vide*ti,  bij,  bijVti,  hubdi, 
huode?ti,  nbsiy  nos&ti,  smhj,  smejäjte,  dfz%}  drZaJte,  m££i,  mUa>ti, 
£nV,  £na>te}  £eUljte}  aber  rabbtite,  rabbti.  Kein  jaid7  sondern 
nur  jadi,  jadettl. 

Gr.  £n#,  inaHi,  peöi,  pet&te,  jadi,  jodelte ,  die  Form  ja* 
finden  wir  hier  in  der  2.  Sgl.  Präsens. 

Bug.  donci  (donesi),  donc&te,  jrätft,  peöe>te,  öuj,  bujetto, 
kupij  Jcupe>te,  plußjte,  daj,  dad&te,  jädiy  jodelte,  vidi,  vide>tef 
vfdzi,  vrdzdSti,  p£j,  pejaJte,  sijdjti. 

Vat.  vfviy  vrvefte,  küpi,  kwp&ti,  fäli,  fatyjti,  fäti,  fatejti, 
fä6ij}  fa6b?tl,  dojsl,  d°J8e^te  (donesi),  auch  räbütejti,  wofür  in 
Ns.  rabotite,  zni>,  zn&ti,  m°l6i,  m°Ua?ti}  pitij,  pitdjte,  Igrij, 
igrajajti,  gtedij,  gleddjte,  fäMj,  fafafa,  *toj,  st/)ja>ti,  ausser 
dem  pomof. 

Var.  Auch  hier  rabotßte,  aber  igri  angelehnt  an  das  t 
des  Imperativs  der  meisten  Verba,  nachdem  unbetontes  aj  zu 
ej,  ij  geworden  war,  wodurch  ohnedies  *  igrij  sich  schon  stark 
dem  Imperativ  auf  i  genähert  hatte.  Weiters  igriajH,  dbnsi, 
donU&te,  mole*te. 


Macedonische  Studien.  115 

154.  Die  Debramundarten  haben  sich  grösstentheils  von 
den  im  Balgarischen  sonst  üblichen  Neubildungen  im  Imperativ 
freigehalten.  Wir  finden  hier  nur  solche  Analogiebildungen,  die 
sich  auch  in  den  übrigen  südslavischen  Sprachen  belegen  lassen, 
so  peci,  daj,  jadi.  —  Gal.  spi,  vleöi,  peti,  fäli,  falite  se,  na- 
pravi,  napravite,  vidi,  vidite,  gledaj,  gledajte,  daj,  dajte,  jadi, 
jadite.  —  KL  zemi,  znej,  Znejte,  tkaj,  tkajte.  —  Ob.  cakaj, 
cakajte. 

Aorist. 

155.  Wie  überhaupt  im  Bulgarischen,  so  haben  sich  auch 
in  diesen  drei  Dialecten  vom  einfachen  Aorist  und  alten  8- 
Aorist  keine  Spuren  erhalten.  Dafür  lebt  aber  der  zusammen- 
gesetzte' Aorist  auf  -oH  und  -hr>  kräftig  fort.  Die  heutigen 
Formen  desselben  weichen  von  den  altbulgarischen  in  einigen 
Personen  ab.  Die  1.  PI.  endigt  jetzt  auf  -ohme,  z.  B.  predohme 
gegenüber  ab.  -ohorm,  sie  ist  angelehnt  an  die  1.  Sgl.  predoh, 
und  die  3.  PI.  predohh,  es  wurde  predoh  gewissermassen  als 
der  Aoriststamm  betrachtet.  Nicht  so  sehr  kommt  dabei,  wie 
M.  Ivanov  C6M.  VIII 133  meint,  die  2.  PI.  auf  -8te  in  Betracht,  da 
in  dieselbe  das  -A  erst  spät  eindrang,  während  wir  die  1.  PI. 
ohne  o,  also  in  heutiger  Form,  schon  aus  der  Trojan,  prica  be- 
legen können,  -me  von  -Arne  ist  identisch  mit  dem  Personal- 
suffix der  1.  PI.  Präsens. 

Allgemein  bulgarisch  ist  die  3.  PI.  Aorist  auf  -Aa  (-)f*)> 
z.  B.  predohz.  Sie  lässt  sich  schon  aus  dem  12.  Jahrhundert 
belegen,  z.  B.  aus  dem  Pogodin.  und  Bolog.  Psalter  (vergl. 
Lavrov  204,  Kaiina  II  165),  aus  dem  Paremejnik  Grigorov., 
z.  B.  (Dsp'k30)f&  cf,  im  Miroslav.  Evang.  serb.  Kedact.,  aus  dem 
Ende  des  12.  Jahrhunderts,  das  gleichfalls  aus  einer  bulgarischen 
Vorlage  geflossen  ist,  Bk3pdA*BA)fio  a  Luc.  XXII  5.  Jenem 
südmacedonischen  Dialecte,  in  dem  im  0.  Jahrhundert  das 
kirchenslavische  Schriftthum  begründet  wurde,  war  diese  Form 
fremd.  Wenn  wir  berücksichtigen,  dass  die  3.  PI.  Aorist  schon 
in  den  ältesten  Denkmälern  aller  drei  westslavischen  Sprachen 
übereinstimmend  auf  -A^  lautet  —  chq  kann  jetzt  aus  dem 
ältesten  polnischen  Sprachdenkmal,  den  Kazania  Swietokrzyskie, 
belegt  werden  —  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  diese 
Form  schon  im  Urslavischen   bei   den  Vorfahren  der  Böhmen, 

8* 


116  VUI.  Abhandlung:    ObUk. 

L.  Serben  and  Polen  bestanden  habe.     In  der  That  stimmt  die 
3.  PL  auf  -hq  (*-hont)   besser  zur   1.  Sgl.  auf  -A*  und  1.  PL 
auf  -härm  als   -*£  (*-hent    oder    *h'$t),    vergl.   im    einfachen 
Aorist  in  der  1.  Sgl.  -*,    1.  PL   -owi*,    3.  PL  -a.    Das  Verhält- 
niss  von   -H  zu  -ha  ist   dasselbe  wie   von   der  3.  PL   -f  des 
alten  «-Aorists,  z.  B.  proba8%  zu  dem  -q  des  einfachen  Aorists, 
z.  B.    vbnidq.      Fürs    bulg.    -hq    ist   mir   der  urslavische   Ur- 
sprung  desselben    einigermassen    zweifelhaft.     Formenüberein- 
8timmung   bedingt   noch   nicht   gemeinsamen   Ursprung.     Das 
sehen  wir  schon  an  den  balgarischen  Aoristen  wie  predeh,  die 
zwar  mit  dem  Aorist  in  den  westslawischen  Sprachen  überein- 
stimmen, aber  Neubildungen  jungen  Datums  sind.    Heutzutage 
ist    -Aa    (aus    -hq)    ganz    allgemein    im   Bulgarischen,    bis    auf 
einige  Nachbardialecte  des  Serbischen;   asl.  -lg  zeigt ,  dass  im 
9.    Jahrhundert    die    3.   PL    Aor.    noch    nicht    auf    dem    ge- 
sammten  bulgarisch-macedonischen  Sprachgebiet  auf  -ha  endigte. 
Von  den  sogenannten  pannonischen  Denkmälern,  die  gewiss  in 
verschiedenen  Gegenden    des   bulgarischen  Sprachgebietes  ge- 
schrieben wurden ,   zeigen   einige   schon  starke  Einflüsse  eines 
vom   Altslovenischen   (Altbulgarischen)    verschiedenen    bulgari- 
schen Dialectes,   aber  ein  -hq  ist  in   ihnen   nicht   vorhanden. 
Zu  Ende  des  9.  Jahrhunderts    gab   es   demnach    aller   Wahr- 
scheinlichkeit nach  wenigstens  in  mehreren  bulgarischen  Dia- 
lecten    keine  Aoristformen  auf  -ha.    Sie  sind  angelehnt  an  das 
-hh  der  1.  Sgl.  und  das  Impf.;  letzteres  konnte  besonders  seit 
der  Zeit,  als  es  -sete  etc.   durch  -ste  ersetzt  hatte,    einwirken. 
Zuletzt  drang  h  von  den  anderen  Aoristformen  auch  in   die 
2.  Plural. 

156.  Im  Dialect  von  Suho  sind  keine  von  der  bulgarischen 
Durchschnittssprache  abweichende  Umformungen  des  Aorists 
bemerkbar.  Der  Aorist  wird  hier  viel  gebraucht.  Ich  habe 
mir  aus  der  Umgangssprache  nur  eine  geringe  Anzahl  von 
Beispielen  für  das  zusammengesetzte  Perfect  (Part  auf,  -h  und 
jesmb)  aufgezeichnet,  sondern  fast  nur  Aorist  und  Imperfect 
Aor. :  dojdüh,  dbjdi  (2.  und  3.  Sgl),  dojdühmi,  dojdähfy  d&nk- 
8Üh7  ispWctih,  rlküh,  rhkühmi,  pri$äküh}  prÖdädüh,  zhh}  zkhq, 
pltih,  ümih,  bih,  6äh,  6ä,  öähg,,  zdignq,h,  püb'ügngJi,  püfcägnq* 
piWägnqhg,,  naspäh,  naspa,  naspäha,  vldih,  lÖvih,  lövi,  lÖwhmi, 
lövihti,  löviha,  üstävih,  plsah. 


Macedonische  Stadien.  117 

157.  Im  Dialect  nördlich  von  Salonichi  wurde  bei  den 
Verben  I.  Cl.  das  vor  dem  A  stehende  o  durch  e  verdrängt, 
z.  B.  najdeh,  najdehme,  najdehte,  najdekb.    Bei  dieser  mit  dem 
Altböhmischen    und    Altpolnischen    gleichartigen    Neubildung 
waren  mehrere  Einflüsse  thätig.     Vor  allem  die  2.  und  3.  Sgl. 
mit  ihrem  e  (najde),  und  das  Verhältniss  bei  den  Verben  HL, 
IV.  und  V.  Cl. ,   wo  %  i,  a  durch  alle  Personen   und  Zahlen 
des  Aorists  geht.     Nach  rabotah,  pravih  :  rabota,  pravi  wurde 
auch  zu  najde  die   Form   najdeh  etc.   aus   najdoh  umgeformt. 
In  jenen  Dialecten,  wo  *k  =  e  ist,  mag  zu  dieser  Bildung  auch 
das  Imperfect  mit  seinem  -eh,  -ehme,  -ehz  beigetragen  haben. 
Es  erscheinen  aber  derartige  Aoriste  auch  in  einigen   südöst- 
lichen   macedonischen  Dialecten,    in    denen   'ä,  ea  für  *k  ge- 
sprochen wird,   z.  B.  im  Dialect  von  Kireökjoj  und  Ajvatovo. 
Diese  Aoriste  sind  eine  Eigenthümlichkeit  der  südmacedonischen 
Dialecte,   ausser  im  Dialecte  nördlich  von  Salonichi  und  den 
beiden    bereits    erwähnten    Dialecten    östlich    von    Salonichi, 
treffen    wir   sie   auch   in    dem   nördlichen    Nachbardialect    von 
KukuS,  weiters  im  Dialect  von  Voden  (vergl.  Archiv  XV  76, 
XVn  470). 

Ns.  najdeh,  streich,  prüdadhh,  prüdade  (2.,  3.  Sgl.)  und 
nicht  etwa  in  der  2.  Sgl.  prüdadeS  wie  z.  B.  in  Kireökjoj  doj- 
de$,  prüdadehme,  dühte,  -dfcAa,  predlh,  prede,  predbhh,  refth, 
vliceh,  vli&hg,  8&foh}  bidbh,  bidihme,  narböah,  -<n£ähh,  obrnäh, 
padnäh,  -hi,  süriih,  s&n),  sünihmi,  väriihti,  sunt*,  ein  älterer 
Mann  sprach  sünlhi;  pravih,  sfbdito. 

Gr.  dojdbh,  pe6eh,  porasteh,  mb£bh,  dolnahme,  -Aa. 
Bug.  prldlh,  Jcradlto,  najdeh,  vliteh,  peöhh,  dadeh,  zbh, 
zb,  zkha,  izdbhme,  jadüh,  jadkhte,  udrih,  padnäh,  kupih,  kupi, 
Ahme,  -ihti,  -tAa,  mih,  mi,  mihi. 
Var.  pleteh,  pletä. 

Erwähnt  zu  werden  verdient  der  Aor.  bih  in  Ns. ,  von 
dem  die  2.,  3.  Sgl.  biH  lautet,  als  ob  es  ein  Imperfect  wäre. 
Die  übrigen  Personen  sind:  bihme,  b)hti,  JiAa.  Die  Function 
des  Imperfects  von  diesem  Verbum  versieht  in  der  2.,  3.  Sgl. 
die  Form  beSe.  Noch  interessanter  ist  das  alte  Impf,  moiah 
in  Ns.,  Bug.  in  der  Function  des  Aor.  In  diesem  Imperfect 
hat  sich  nach  dem  Palatal  noch  altes  a  erhalten,  es  ist  nicht 
durch  e  verdrängt.    Dass  es  als  Aorist  aufgefasst  wird,  zeigen 


118  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

die  2.,  3.  Sgl.,  die  in  den  beiden  Dörfern  mozä  und  nicht  mo 
iaSe  lauten. 

158.  Im  Dialect  von  Debra  verdient  vor  allem  die  3.  PL 
Aor.  Beachtung.  Sie  endigt  auf  -e,  z.  B.  presekoe,  napravie.  Diese 
Form  entspricht  nicht  einem  alten  sekoi^,  in  dem  £  durch  das 
h  der  1.  Sgl.  und  1.  und  2.  PI.  ersetzt  wäre.  Auch  hier  ging 
der  heutigen  Form  ein  älteres  sekohq  voraus.  Wir  sollten 
dafür  8ekova  (vergl.  snova)  oder  unter  Anlehnung  an  die  übrigen 
Aoristformen  sekofa  oder  sekoa  erwarten.  Auf  jeden  Fall  war 
fUr  das  Sprachgefühl  das  auslautende  a  die  Endung  der  1.  Sgl, 
da  die  1.  Sgl.  Präs.  durchgehends  auf  -a  endigt.  Aus  diesem 
Grunde  wurde  das  a  von  sekoa  durch  das  e  des  PI.  Präs.  verdrängt 
In  Gal.  haben  ja  alle  Verben  mit  Ausnahme  jener  der  IV.  CL 
in  der  3.  PL  Präs.  et,  -aet,  in  Ob.  endigen  sie  sogar  ausnahms- 
los auf  -et,  -aet.  Dies  e  erscheint  auch  im  Impf.,  z.  B.  imae. 
Wir  finden,  wie  ich  schon  im  Archiv  XVI,  491 — 92  auseinander 
setzte,  Aoristformen  otidoe  etc.  nur  in  jenen  Dialecten,  wo  in 
der  3.  PI.  Präsens  die  Endung  e  ganz  entschieden  vorherrscht 

Gal.:  prlsekof,  -sete,  -aikofine,  sikofte,  -sekoe\  dojdof 
izvlekof,  -vlhkoe,  Ispekof,  -pWcoe,  ümref,  ümrefme,  iimree7  eed*jf 
(z£ti),  zide,  zedoe,  vlegof,  vlegoe,  skrif,  nämignaf,  shdnaf,  legnaf, 
izlogaf,  -Ibgafme,  -Ibgae,  zägubif,  krhnaf,  krinae,  strHif,  na- 
pravif,  -pravi,  -prafme,  -pravie,  zägubif,  fälif,  fälifme,  fälie, 
kilpif,  khpie,  späf,  spa,  spafme.  In  poönaf  ist  n  aus  dem 
Präsens  eingedrungen,  weshalb  es  wie  in  Verben  II.  CL  be- 
handelt wurde. 

Der  Aor.  vidof,  vidofte,  vidoe  statt  videf  erinnert  an  das 
asl.  Partie.  Präs.  vidqste.  Es  ist  wahrscheinlich  eine  Analogie- 
bildung nach  den  Verben  I.  CL  zur  Differenzirung  vom  Imper- 
fect,  das  hier  gleichfalls  videf  lauten  würde,  vergl.  faleh.  Da- 
durch erklären  sich  auch  in  anderen  Dialecten,  z.  B.  Ochrida, 
btip,  Eostur,  Dup.  Dzumaja  bei  den  Verben  III  2  derartige 
Aoristformen,  z.  B.  ostaroh,  vergl.  Archiv  XVII  469. 

KL  otidoe,  izlegof,  -legoe,  storif,  storifme,  vrätif  iskbpif 
-kbpie. 

Ob.  otidoe,  pbrastof,  -ste,  -stofme,  -stoße,  prodaof,  -daa\\ 
-däofme,  -dädoe,  zeof  und  zedof  (zfti),  zede,  zedoe,  aber  daneben 
noch  das  alte  zefme;  klnafte,  slegof,  sUgoe,  sekof,  ümref,  ümre, 
hmrefme,    hmrde,  iidrif,  opraf  (erschlug). 


Macedonische  Studien.  119 

Miletiä,  C6M.  II  226,  sieht  in  dem  de  von  zede  die  Par- 
tikel de,  die  auch  in  hade,  dede,  mli£ide  erscheint.  Dann  müsste 
man  annehmen,  dass  nach  der  3.  Sgl.  die  übrigen  Formen  um- 
gebildet worden  wären,  wie  z.  B.  zum  sloven.  na  der  PL  nate 
oder  im  Serb.  hajdete  zu  hajde,  bulg.  hajdete,  aus  türkischem 
hajde  /vorwärts'  und  rumän.  haidete  geschaffen  wurde  (Meyer- 
Lübke,  Zur  Gesch.  des  Infin.  im  Rumän.  in  den  ,Roman.  Ab- 
handlungen' 84).  Mit  Recht  bemerkt  M.  Ivanov,  C6M.  VIII  134, 
dass  an  die  3.  Sgl.  pi,  pe  trotz  ihrer  Einsilbigkeit  kein  de  hinzu- 
getreten sei,  und  erklärt  zedoh  als  Analogiebildung  nach  dadoh 
als  dem  Verbuni  mit  entgegengesetzter  Bedeutung,  £r  verweist 
dabei  auf  solche  Redensarten  wie  tokmo  davam,  tokmo  zemam, 
tokmo  zede,  kvso  dade  etc.,  wo  beide  Verba  neben  einander 
stehen. 

Imperfeot. 

159.  Ebenso  kräftig  wie  der  Aorist  lebt  in  den  drei  mace- 
donischen  Dialecten  das  Imperfect.  In  den  Formen  hat  es  die- 
selben Umgestaltungen  erfahren  wie  der  Aorist.  In  der  1.  PI. 
erscheint  -hme  für  altes  -horm,  in  der  2.  PI.  ist  8  durch  h  ver- 
drängt, daher  -hte.  Die  bedeutendste  Veränderung  gegenüber 
dem  ab.  Imperfect  ist  der  gänzliche  Mangel  an  uncontrahirten 
Formen  auf  -'kajf'k,  -AA\'k,  es  gibt  nur  Imperfecte  auf  -'kx'k> 
-ajfk.  Ebenso  sind  solche  Formen  wie  peöah  den  westlichen 
Dialecten  im  allgemeinen  fremd  und  durch  peöeh  ersetzt,  wobei 
die  2.  und  3.  Sgl.  und  die  Analogie  der  Verba  I  thätig  war. 
Im  übrigen  verweise  ich  bezüglich  der  Veränderungen,  die 
das  Imperfect  in  den  bulgarischen  Dialecten  durchgemacht,  auf 
die  übersichtliche  und  klare  Darstellung  bei  M.  Ivanov  C6M. 
VIII,  123—127. 

Im  Dialect  von  Suho  hat  *k  in  jeder  Lage  den  Lautwerth 
von  a  oder  eä,  in  unbetonten  Silben  auch  e,  daher  im  Imper- 
fect kein  Schwanken  zwischen  -äh  und  -e8e,  sondern  -'äh,  -ü&i 
und  -4M  etc.:  Bäh,  Basl,  Bahmi,  Bahti,  Bäh*?,  loväh,  lovaH,  lo- 
öahmi,  lovähti,  lotiähq,  faCäh,  falett,  hbdäh,  kmpähmi,  kippähq, 
späh,  8päH,  spähg,  pisäh  mit  Umlaut  des  a  (Aor.  pUah), 
VbäkaU. 

Der  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nich i  hat  noch  das  alte  Impf.  molah,  wenn  auch  in  der  Func- 


120  TBL  Abhandlung:    Oblak. 

tion  des  Aor.,  igrajäh,  znäjhh  sind  ebensowenig  die  alten  un- 
contrahirten  Formen,  wie  das  von  Florinskij  JleKniH  no  c^anau. 
JI3LIK03.  142  angeführte  igraeha.  Es  sind  Neubildungen  zum 
Präs.  igrajam.  Die  1.  Sgl.  Präs.  lautet  zwar  hier  schon 
znam,  aber  znajS  aus  znajeS,  znajme  etc.  zeigen,  dass  die  Con- 
traction  in  der  1.  Sgl.  erst  in  neuester  Zeit  stattgefunden  hat. 
Bei  den  Verben  III.  2  und  IV.  CL,  deren  Stamm  auf  -t,  -d  en- 
digt, wurde  für  st}  id  neuerdings  t,  d  restituirt,  das  demnach 
so  zu  beurtheilen  ist,  wie  pozlaten. 

Ns.  hodahy  tkajäh,  thajUe,  stbjhh,  stojH,  beSe,  tepäh,  te- 
pa$e,  tepähb,  znäjhh,  znajH,  znäjihh,  rabotase,  igrajäh]  Vat. 
biie  (von  bijq),  igrtjäh.  —  mo&äh,  mo&ä  Ns.,  Bug. 

In  der  3.  PL  erscheint  in  den  Debramundarten  nach  h 
gleichfalls  -e  wie  im  Aorist,  statt  des  Reflexes  des  a,  der  a  wäre, 
also  falee  und  nicht  falea.  Dies  e  wurde  aus  der  3.  PL  Prä«, 
übertragen.  Kein  peöaf  sondern  nach  Analogie  der  gewaltigen 
Majorität  petef 

Gal.  bef}  bese,  befrne,  befte,  bee\  petef,  piteSe,  phöefmej 
pecefte,  pelee\  se  krief,  kriese,  kriefme,  krie?,  p&ef7  pfcw. 
peefme,  peefte,  pee*  (dreisilbig!),  kupuvaf  fälef  fäleäe,  falee, 
—  Ob.  täf,  bese,  päsef,  päseSe,  pasee,  spief,  zhmaf  zemahe, 
zernag  (Aor.  zedof  zeof),  plivaf,  plivae\  znaef  ziiäee,  cäkaee 
sind  Neubildungen:  an  den  Verbalstamm  trat  das  Imperfect- 
suffix  -eh]  es  wurde  nach  dem  Verhältniss  von  pases  etc.,  pa- 
sese  etc.  auch  zu  znajeS  etc.,  znaese  gebildet.  Wenig  glaubhaft 
scheint  es  mir,  dass  znaef  auf  älterem  uncontrahirten  znaah 
beruhe,  dessen  letztes  e  durch  das  e  der  übrigen  Imperfecte 
ersetzt  wurde. 

Farticipia. 

160.  Von  den  Participen  hat  sich  am  besten  das  Part. 
Präter.  Act.  II  (auf  -h)  gehalten,  nur  im  Dialect  von  Suho  ist  es 
verhältnissmässig  selten,  da  statt  desselben  gerne  Aorist  und 
Imperfect  gebraucht  werden.  Auch  das  Part.  Präter.  Pass.  ist 
noch  allgemein  im  Gebrauch.  Dafür  haben  die  Dialecte  die 
anderen  Participien  bis  auf  geringe  Ueberreste  eingebüsst. 
Das  Part.  Präs.  Act.  hat  sich  in  erstarrten  Bildungen  vor- 
zugsweise in  den  nordmacedonischen  Dialecten,  also  auch  im 
Debradialect,  erhalten. 


Macedonische  Stadien.  121 

Suho.  Wie  bemerkt  ist  das  Participium  auf  -h  hier 
wenig  im  Gebrauch,  ich  verzeichnete  mir  rlkta,  narästUa.  Ver- 
hältnissmässig  stark  ist  hier  das  Part.  Prät.  Pass.  auf  -ti  ver- 
breitet und  ist  sogar  über  die  im  Südslavischen  üblichen  Grenzen 
gedrungen.  Wir  finden  nicht  bloss  digni^t  (aus  dvignqti),  m- 
knnt,  sondern  auch  umi*änta}  üfonent,  eine  Verbindung  von 
Part.  umrtm,  ozevem  mit  den  auf  -fo.  —  t,  d  der  VerbalV.  Cl. 
wurden  im  Part.  Prät.  Pass.  auf  -em}  wie  allgemein  im  Bul- 
garischen; durch  die  Analogie  der  übrigen  Präsensformen  resti- 
tuirt;  ihre  Weichheit  haben  sie  noch  zum  Theil  bewahrt: 
rüdenüy  püzlatenü. 

Im  Dialect  nördlich  von  Salonichi  sind  beim  Parti- 
cipium mehrere  Neubildungen  zu  constatiren,  die  sich  auch 
in  anderen  macedonischen  Dialecten  nachweisen  lassen.  So 
wurde  dojdel  (Ns.)  für  doHl,  pridfya  Bug.  nach  dem  Präsens 
und  Aorist  umgebildet,  denn  letzterer  lautet  hier  dojdbh.  Ebenso 
jyrädadelij  predela  Ns.,  porasthlo  Gr.,  otkradel  Bug.,  aber  noch 
dbShi  Vat.,  rlkvt  und  nicht  retel  Var.,  izdel7  izmit  Vat.,  zeli  Bug. 

Das  Part.  Prät.  Pass.  auf  -em  hat  sich  gut  gehalten:  Ns. 
bifin,  pozlafenü  und  sogar  pridojden  (angekommen,  angesiedelt); 
Bug.  oSte  nVe  dojden\  Vat.  bijenä,  mijen,  navijenü,  siföni,  fa- 
tenü,  ja  sogar  umren  äüvek,  Part.  Prät.  Pass.  auf  -fo:  ras- 
kinäti  Bug. 

Vom  Part.  Präs.  Act.  gibt  es  nur  ganz  kümmerliche 
Ueberreste:  Ns.  hodVki,  dessen  auslautendes  i  an  die  bestimmte 
Form  angelehnt  ist.  stlpkum  ist  so  zu  beurtheilen,  wie  kodej- 
Jcum  in  mehreren  macedonischen  Dialecten. 

Im  Debradialect  hat  sich  das  Part.  Präs.  Act.  viel 
besser  gehalten  als  in  den  ostmacedonischen  und  in  den  bul- 
garischen Dialecten  im  engeren  Sinne.  Ich  notirte  mir  aus 
Gal.  gledd'Ri,  igrd'Jci,  öekd'Jci,  pomestovdJki.  Die  Form  auf 
-aJJci  ist  aus  -aeJci  hervorgegangen  und  zwar  durch  die  Mittel- 
stufe a#Ki.  Diese  Participien  sind  nicht  einheimischer  Pro- 
venienz, sondern  aus  dem  Serbischen  eingedrungen,  und 
wurden  später  dem  Dialect  angepasst.  So  entstand  aus  gleda- 
juKi  die  Form  gledaeßi  oder,  was  noch  wahrscheinlicher  ist,  es 
wurde  $6  des  einheimischen  Part.  gledaeSH  infolge  des  serbi- 
schen Einflusses  durch  Je  verdrängt. 


122  VIII.  Abhandlung:    ObUk 

Ausserdem  notirte  ich  mir:  Gal.  pH,  kopai,jat,  und  nicht 
etwa  jadel  nach  jada,  jade\  Kl.  postano  (aus  posttano),  znet\ 
Ob.  pänat,  pbraiat,  imat,  jävali  (jahali). 

Anm.  Von  der  Vocalisation  des  l  zu  o  im  Part. 
Prät.  Act.  II,  von  der  Draganov  (H3B.  CLiaB.  06m.  18ö8f 
Nr.  2,  !)())  im  Idiom  von  Galtänik  zu  berichten  weiss,  habe 
ich  nicht  die  geringste  Spur  in  der  Volkssprache  gefunden. 

Futurum. 

101.  Im  Debradialect  wird  das  Futurum  durch  ßa  und 
das  Präsens,  im  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salo- 
nichi  durch  Kl,  Jcl  und  die  Präsensformen  ausgedruckt.  Es 
ist  dies  die  im  Bulgarischen  übliche  Bildungsweise.  Anders 
im  Dialect  von  Suho.  Hier  wird  za  statt  Ha  (sia)  mit  dem 
Präsens  zum  Ausdruck  des  Futurums  angewendet,  z.  B.  jaz 
za  pbdam  utre  u  Suhb,  za  ti  kaiam,  za  küp§m,  i  jaz  za  sa  tarn, 
ti  za  pire§,  jaz  za  dojdam.  Dagegen  konnte  ich  im  Dialect  von 
Suho  eine  Futurbildung  mit  da  und  dem  Präsens,  z.  B.  da  ida, 
die  nach  Matov  (3a  HCTop.  im  OcmuS  ro^.  othctb  25,  vergl. 
C6M.  II,  221)  hier  vorkommen  soll,  nicht  entdecken.  Auch  in 
den  aus  Suho  inzwischen  veröffentlichten,  allerdings  ganz  ge- 
ringen, Sprachproben  (C6M.  IV  188 — 189)  lese  ich  nur  za  stana, 
za  ti  gu  dam,  za  stanü,  za  stora  etc. 

Auch  der  Dialect  von  Ob.  kennt  die  Verbindung  von  za 
da  mit  dem  Präsens,  verwendet  sie  aber  nicht  zur  Futurbildung: 
ja  te  tekaf,  za  da  dojdes. 

Advcrbia. 

162.  Im  Folgenden  stelle  ich  die  Adverbien  und  Conjunc- 
tionen,  die  ich  mir  verzeichnete,  zusammen.  Suho:  blize,  netre^ 
gme,  ütre.  Nach  deren  Analogie  auch  riese  (dbUbSb),  dbne  und 
usnoSte  (gestern  abends);  gbr'ä  säkande,  angelehnt  an  letzteres 
hat  auch  digunde  den  Rhinesmus;  lani,  dblu,  daVÜcu,  mäikü* 
mlbgu;  tukana,  tamana,  domä  (domum  und  nicht  domi),  plädena 
seltener  pladma,  pomfoa  (wenig),  sigä,  nabpükä. 


Mftcedonwche  Stadien.  123 


Kurze  Charakteristik  der  Dialecte. 

I.  Dialect  von  Suho. 

1.  t,  =  e7  b  =  o.  Letzteres  fast  ausschliesslich  in  Suffixen  und 
im  Artikel.  In  allen  von  dieser  Entwicklang  der  Halb- 
vocale  bewahrten  Fällen  sind  b7  ^  =  ^  in  betonten,  =  # 
in  anbetonten  Silben. 

2.  Rhinesmas  im  In-  and  Auslaute  und  zwar  ist  &  =  m  (*m) 
in  betonten,  =  gm  in  unbetonten  Silben,  A  =  en,  selten 
in.     In  Endsilben:  Jk  =  ^  (betont),  g  (unbetont). 

3.  ±  =  'ä  und  <ä. 

4.  Umlaut  des  a  nach  den  Palatalen  und  erweichten  Con- 
sonanten;  unbetontes  tautosyllab.  aj  =  ej. 

5.  Unbetontes  e  =  i. 

6.  Unbetontes  o  =  ü. 

7.  Ab.  rb,  h  —  r*7  is7  selten  f. 

8.  Für  urslav.  tj7  dj  nur  it7  id7  kein  67  d  —  K,  g. 

9.  Dreifaches  l:  t,  l,  i.  —  £  hauptsächlich  vor  dunklen 
Vocalen. 

10.  h  =  ab.  n  und  mj7  vor  hellen  Vocalen  gewöhnlich  n. 

11.  ^  eingeschränkt;  einigemal  £  für  f. 

12.  Kein  Z-epenth.,  aber  im  Anlaute  p£ 

13.  «r,  zr  wird  zu  str7  zdr. 

14.  A  im  In-  und  Auslaute  bewahrt. 

15.  Ab.  erb  =  Zer,  ab.  Hb  =  2t\ 

16.  Verlust  der  Declination  in   dem  im  Bulgarischen  gewöhn- 
lichen Umfange. 

17.  Nom.  PL  auf  -iüta  bei  Masc.  und  Neutr. 

18.  Nom.  PL  auf  -ovei. 

19.  Nur  eine  Form  des  Artikels:  -t  (-o)7  -ta7  -to. 

20.  1.  Sgl.  Präs.  auf  -m. 

21.  3.  Sgl.  Präs.  ohne  -t 

22.  1.  PL  Präs.  aller  Verba  auf  -me. 

23.  3.  PL  Präs.  auf  -t. 

24.  *k  im  Plur.  des  Imperat.  bei  Verben  I.  4  und  sogar  III.  2, 
IV.  CL 

25.  3.  PL  Aor.  auf  -hg,  (-Jf*). 


124  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

26.  Verlust  des  Infinitivs. 

27.  Futurbildung  mit  za  und  dem  Präs. 

II.  Dialect  der  nördlichen  Umgebung  von  Salonichi. 

1.  5  =  e,  7»  =  o,  letzteres  in  ausgedehnterem  Umfange  als  im 
Suho  und  in  den  ostbulgarischen  Dialecten,  indem  es  auch  in 
Stammsilben  erscheint.  In  allen  übrigen  Fällen  sind  b,^  =  ^. 

2.  j&  =  *,  nur  in  einigen  Beispielen  u;  A  =  e,  in  einigen  Bei- 
spielen h,  a. 

3.  -k  =  e. 

4.  Unbetontes  a  bleibt  bewahrt. 

5.  Unbetontes  e  =  1. 

6.  Unbetontes  o  =  ü,  doch  nicht  allgemein. 

7.  V,  l>  selten  n>,  fo. 

8.  Zwei  Reflexe  des  urslav.  tj,  dj  und  zwar  Ns.  8t,  86  und  id 
neben  6,  d  —  K,  y;  Bug.  8t,  id  und  (5,  &  —  K,  £;  Vat.  *e, 
£d  und  (f,  (f  —  Je,  ff]  Var.  £<f,  id  neben  c,  d  —  Je,  £. 

9.  Urslav.  stj,  skj,  zgj  =  H,  86  und  id  Ns.;  8t,  id  Bug.;  Sc, 
id  Vat.;  S<5,  fd  Var. 

10.  Dreifaches  l:  T,l,t,  doch  t  selten. 

11.  Ab.  nvj  =  n  vor  hellen  Vocalen. 

12.  z 

13.  Kein  Z-epenth. 

14.  sr,  zr,  ir  =  str,  zdr,  idr. 

15.  Schwund  des  inlautenden  A  in  Var.  (nördlichstes  Dorf). 

16.  Ab.  &n>  =  cf,  ab.  ih  =  i\. 

17.  Verlust  der  Declination  in  dem  im  Bulgarischen  bekannten 
Umfange. 

18.  Nom.  PL  auf  -iiia  bei  Masc.  und  Neutr. 

19.  Nom.  PI.  auf  -i8ta  bei  Masc.  und  Neutr.  (Monosyllab.) 

20.  Nur  ein  Artikel:  -t,  ~ta,  -to. 

21.  1.  Sgl.  Präs.  auf  -m. 

22.  3.  Sgl.  Präs.  ohne  -t 

23.  2.  PL  Präs.  durchgehends  auf  -W6. 

24.  3.  PL  Präs.  auf  -t. 

25.  3.  PL  Aor.  auf  -Äa. 

26.  Aor.  der  Verba  I,  1 — 4  auf  -eh,  -ehme,  -ehi. 

27.  Verlust  des  Infinitivs. 

28.  Spuren  der  Quantität. 


Macedonische  Studien.  125 

III.  Debradialect. 

1.  h  =  e;  in  allen  Lagen,  wo  es  nicht  schwand,  ist  a  =  o; 
t  =  o  in  jenen  Fallen,  wo  es  nicht  zu  e  wurde  oder  ge- 
schwunden ist. 

2.  Jk  =  o  im  In-  und  Anlaute,  a  im  Auslaute;  selten  Ax  =  w; 
a  =  e,  anlautendes  b*  =/o. 

3.  *k  =  e. 

4.  Unbetontes  a  wird  nicht  zu  &  reducirt. 

5.  Unbetontes  6  und  o  werden  nicht  zu  t9  tL 

6.  r,  f  in  Gal.;  f,  Z  und  gt  in  Ob.;  or,  oJ  Kl. 

7.  Urslav.  «/,  d;  =  So  und  <5,  et  —  K}  §  Gal.;  =  **,  fd  und 
6,ä  —  K,§  Ob.,  KL 

8.  Urslav.  itj,  skj  =  So  Gal. ;  =  tt  Ob.,  Kl. 

9.  Nur  zweifaches  l  in  Gal-:  2  und  t,  kein  f. 

10.  rt  auch  vor  hellen  Vocalen. 

1 1.  %  selten. 

12.  Kein  Z-epenth. 

13.  *r,  ir  =  str,  idr. 

14.  Schwxmd  des  intervocalischen  v  in  Ob.,  Kl. 

15.  A  =  /  im  Auslaute,  =  v  im  Inlaute;    Schwund  des  inter- 
voc.  v  aus  A  in  Ob. 

16.  Ab.  ort  =  cf  Gal.,  Ob.,  =  cor  Kl. 

17.  Betonung  auf  der  drittletzten  Silbe. 

18.  Verlust  der  Declination  im  bekannten  Umfange. 

19.  Dreifacher    Artikel:    1.   -t,   -ta,   -to.    2  -ü,  -va,  -vo.    3.  -n, 
-na}  -no. 

20.  1.  Sgl.  Präs.  durchgehends  ohne  -w  Gal.,  Kl.;   auf  -m  und 
ohne  -m  Ob. 

21.  3.  Sgl.  Präs.  mit  bewahrtem  -t. 

22.  1.  PL  Präs.  stets  auf  -wie. 

23.  3.  PL  Präs.  auf  -t. 

24.  3.  PL  Präs.  der  Verba  V.  1  Cl.  auf  -aet. 

25.  3.  PL  Aor.  auf  -e  (-[h]e). 

26.  Ueberreste  der  Quantität. 

Besonders  sind  es  folgende  Eigentümlichkeiten,  durch 
die  sich  diese  Dialecte  von  der  Gruppe  der  macedonischen 
Dialecte  abheben.  Im  Dialect  von  Suho:  1.  Der  im  hohen 
Grade  bewahrte  Rhinesmus.    2.  Der  Lautwerth  des  *k  als  'ä,  rä. 


126  VIII.  Abhandlung:    Oblak. 

3.  Der  Umlaut  des  a  nach  weichen  Consonanten  zu  ä.  4.  Die 
Entwicklung  des  b  zu  e  und  die  starke  Verbreitung  des  i 
und  q,  (=  ä).  5.  Reduction  des  unbetonten  e  zu  i,  des  un- 
betonten  o  zu  ä.  6.  i*.  7.  Nur  H9  zd,  kein  c7  d  —  K9  g.  8.  cer. 
9.  1.  Sgl.  Präsens  nur  auf  -m.  10.  Im  Plural  des  Imperativs  *t 
11.  Futurbildung  mit  za  und  dem  Präsens. 

Für  den  Dialect  nördlich  von  Salonichi  sind  am 
meisten  charakteristisch:  1.  Ersatz  des  Jk  durch  z.  2.  Be- 
wahrung des  &  (ab.  b  und  *)  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen, 
und  Abgang  des  a  für  a.  3.  Aussprache  des  *k  als  e.  4.  Re- 
duction des  unbetonten  e,  o  zu  I,  u.  5.  Dualismus  im  Reflex 
des  ab.  st}  £d,  nämlich  So  (St)  und  6,  d  —  £,  g.  6.  er.  7.  Aorist 
auf  -eh. 

Im  Debradialect  kommen  besonders  in  Betracht:  1.  o 
als  Reflex  des  &.  2.  Entwicklung  der  beiden  Ualbvocale  zu  o 
in  allen  jenen  Fällen,  wo  b  nicht  zu  e  wurde  oder  schwand. 
3.  Aussprache  des  *k  als  e.  4.  or7  ol  für  ab.  r&,  h  in  Kl. 
5.  Dualismus:  Sc  (Gal.),  St  (Ob.,  Kl.)  und  c,  d  —  U,  g .  6.  Schwund 
des  intervocalen  v  KL,  Ob.  7.  er  Gal.,  cor  Kl.  8.  Betonung 
auf  der  drittletzten  Silbe,  9.  Dreifacher  Artikel.  10.  1.  Sgl. 
Präs.  durchwegs  ohne  -m  (Gal.,  Kl.).  11.  3.  Sgl.  Präs.  mit  er- 
haltenem -t.     12.  3.  PI.  Aor.  auf  -e. 


Verzeichnis  häufigerer  Abkürzungen. 

ab.  =  altbulgarisch. 

Archiv  =  Archiv  für  slavische  Philologie,  herausgegeben  von 

V.  Jagi6. 
Bug.  =  Bugarlevo. 
Conev  —  B.  JJ,OHeBi>,  3a  HCTomo-ÖMrapcmui  BOKajH3Mii»  (C6M. 

III  283  ff.,  IV  484  ff.). 
Gal.  =  Galiönik. 
Gr.  =  Grdabor. 
Hiev  =  A.  T.  ILmeBi»,  CßopHHKt  ort  HapoAHH  yMOTBopeHra, 

oönqaH  h  AP-  CLÖpaHH  hsi  pa3HH  (frarapcKH  nospaftHHHD. 

n-LpRH  (yrxbA'h.  Hapo^HH  nicHH.  KHHra  I.  Co*Ha  1889. 
Jastrebov  =  AcTpe6oBfb,  OötrcaH  h  nicHH  TypenKHXt  Cejtfowb. 

BTopoe  Hs^ame,  AOnoaneHHoe  hxt»  nposoio.  C1I6.  1889. 


Macedonisehe  Studien.  127 

Kaiina  =  A.  Kaiina,   Studyja   nad  historyjq  jezyka  bulgar- 

skiego.  I.  IL  Krakow.  1891. 
KL  =  Kiene. 
Khhähijh  =  Khhähijh  sa  npoHHTb  cb  6ejLaeTpHCTHHecK0,  Texun- 

necKO,  HayHHO  h  3a6aBHTe.AH0  CBAtp»aHHe.  ü^pBa  roAHiu- 

HHHa.  KHHatKa  I— X.  CoAywb  1889—1891. 
Lavrov  (•laBpoBTb)  =  II.   A.  .laBpoBt,    Oßsop'b   SByKOBHXi» 

h  *>opMadBHHx,B  ocoßeHHOCTeft  ßoarapcicaro  a3HKa.  MocKBa. 

1893. 
Matov  =  ^.  MaTOBt,  3a  HCTopnaTa  Ha  HOBO-öiwirapcKaTa  rpaM- 

Maima  (im  Ocmhö  roAHuieffB  OTierb  Ha  ö'wrapcEaTa  m;rjk- 

csa  rHMHa3Ha  cbb.  KnpH^.ii,  h  Mctoahä  m>  r.  Coajr'l.  3a 

yqeÖHaTa  1888 — 89  rcwraa). 
Miletiö  =  dl.  Mhäcthtb,    CTapoTO  CKjiOHeHHe   b*  AHemHHrk 

6wrapcKH  HapiqHa  (C6M.  II  269  ff.). 
Ns.  =  Novo  selo. 
Ob.  =  Oboki. 
II  Cn.  =  üepHOAHqecKoe   CnncanHe  Ha   (foarapcKOTO  khhäobho 

Apy»ecTBo  bi  Cpi^ei^'b. 
C6M.  =  CöopHHKi»  3a  napo^HH  yMOTBopenna,  Hayica  h  KHHÄHna. 

03Aaßa  MHHHCTepcTBOTO  Ha  Hapo^HOTO  npocBimeHHe.  I — XL 

Co*hh.  1889-1895. 
Sobol.  (CoöojieBCKiS)  =  A.  Coöo^eBCKift,  CteepKi»  pyccKofi  Aia- 

jeKTO^oriH  (JKHBaa  GrapHHa  IL). 
Sachmatov  (IlIaxüaTOBt)  =  A.  ffiaxMaTOBi»,  Haoi'BAOBaHifl  B'L 

oßjacTH  pyccKofi  <t>oneTHKH.  Bapmaßa  1893. 
Sapkarev  (EanKap.)  =  K.  A.  UlanKapeBfc,    CßopHHKi  orb 

ßfcjirapcKH  yMOTBopeHHa  I — VI.  Co*hä  1891. 
Vat.  =  Vatiltk. 
Var.  =  Vardarovci. 


128  Vin.  Abhandlung:    Oblsk. 


Anhang. 

Der  Verfasser  der  vorausgehenden  inhaltsreichen  Studie 
erlebte  nicht  die  Freude,  seine  Abhandlung  gedruckt  zu  sehen. 
Obwohl  er  schon  am  2.  December  1895  seine  Arbeit  der  phil.- 
hist.  Classe  zur  Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte  vorgelegt  hatte, 
verzögerte  sich  der  Beginn  des  Satzes  derselben  wegen  einiger 
typographischer  Schwierigkeiten  bis  in  den  Monat  Juli  d.  J., 
er  selbst  starb  aber  am  15.  April  1896  in  Cilli.  Bei  der  Cor- 
rectur  des  Druckes,  die  ich  übernahm,  vermisste  ich  leider 
häufig  seine  Auskunft;  denn  in  der  Eile  der  Abschrift  der  Ab- 
handlung hatten  sich  verschiedene  Versehen  eingeschlichen,  die 
er  selbst  bei  der  Correctur  des  Textes  gewiss  bemerkt  und  be- 
richtigt hätte.  Manches  konnte  ich  unbedenklich  in  seinem 
Sinne  und  aus  dem  Zusammenhang  der  Thatsachen  richtig 
stellen,  so  wie  ich  die  von  ihm  begonnene  Paragraphirung  zu 
Ende  führte.  Allein  es  gibt  doch  Stellen,  zumal  in  der  Auf- 
zählung von  Beispielen,  die  mir  nicht  zutreffend  zu  sein 
scheinen,  aber  ich  wollte  und  durfte  an  der  Form  des  Manu- 
scriptes  nichts  ändern.  Weitere,  durch  diesen  schönen  Anfang, 
angeregte  Forschungen,  mögen  Berichtigungen  liefern.  Da 
das  auf  S.  8  angekündigte  Vorhaben  unerfüllt  bleibt,  so  möchte 
ich  zur  Beleuchtung  dieser  Studie  aus  den  Briefen  des  ver- 
storbenen Verfassers  an  mich  alles  dasjenige  mittheilen,  was 
auf  den  hier  behandelten  Gegenstand  Bezug  nimmt  und  viel- 
fach unter  dem  frischen  Eindruck  der  Beobachtung  niederge- 
schrieben, für  uns  einen  um  so  grösseren  Werth  hat.  Einige 
Seitenblicke  auf  das  Leben  mögen  die  Mittheilung  der  dialecto- 
logischen  Beobachtungen  beleben.    Der  Verfasser  war  auch  in 

dieser  Schilderung  ein  feiner  Beobachter. 

V.  Jagi6. 

1. 

Salonichi,  21.  November  1891. 

Sehr  geehrter  Herr  Professor! 

Ueberall  Schmutz  und  Gestank,  ein  fürchterliches  Geschrei 
an  allen  Seiten,  keine  Menschen,  nur  brüllende  Bestien,  die 
entweder  auf  zweien  herumlaufen  oder  hockeud  und  schreiend 


MmcedoDische  Stadien.  129 

auf  einem  Esel  umherrennen.  Das  waren  die  ersten,  recht 
niederdrückenden  Eindrücke  von  Salonichi.  Gar  nichts  Euro- 
päisches, keine  bekannte  Seele,  mit  der  ich  sprechen  könnte; 
hätte  ich  keine  Verantwortung,  ich  wäre  schon  längst  auf  und 
davon  aus  diesem  lieben  Orient.  Jetzt  habe  ich  mich  bereits 
ein  bischen  hineingefunden  und  lasse  alles  geduldig  über  mich 
ergehen.  Vor  allem  heisst  es  bulgarisch  praktisch  erlernen 
und  dann  möglichst  bald  mit  den  diabetischen  Studien  an- 
fangen. Meine  Hoffnungen  sind  in  diesem  Punkt  fast  auf  den 
Gefrierpunkt  gesunken.  Ein  Fremder  hat  hier  auf  dem  Lande 
mit  unglaublichen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  er  gilt  allen 
und  jedem  als  Agent.  Vom  Director  des  bulgarischen  Gym- 
nasiums habe  ich  die  Erlaubniss  dem  Unterrichte  im  Bulgari- 
schen als  Gast  beizuwohnen;  ich  habe  bereits  eine  Stunde  mit- 
gemacht und  gefunden,  dass  die  macedonischen  Schüler  im 
Schriftbulgarischen  noch  nicht  besonders  fest  sind,  wenigstens 
nicht  in  der  Quarta.  Von  den  bulgarischen  Professoren  wurde 
ich  schön  aufgenommen  und  ich  hoffe  bei  ihnen,  einige  sind 
Macedonier,  Belehrung  über  die  hiesigen  Verhältnisse  zu 
finden.  —  —  —  Jastr.  erzählte  mir  viel  Interessantes  von 
seinen  Reisen  im  Innern  Macedoniens.  Es  ist  absolut  unmöglich 
nach  Debra  vorzudringen,  man  riskirt  den  Kopf  dabei,  den 
möchte  ich  doch  noch  behalten.  Jastr.  selbst,  der  in  diesen 
Gebieten  nur  unter  dem  Schutze  verschiedener  Hajdukenfilhrer 
gereist  ist,  wäre  fast  erschossen  worden.  Ein  Hajduk,  der 
siebzehn  Leute  getödtet,  begleitete  ihn  als  poäten  covjek!  Debra 
ist  also  bereits  aus  meinem  Programm  gestrichen.  Dagegen 
gibt  es  hier  viele  Leute  aus  Debra  und  Umgebung,  manche 
davon  sind  erst  seit  kurzem  da  und  waren  früher  nur  in  ihrer 
Heimat,  sie  sind  also  zuverlässige  Forsch ungsobjeete.  Sehr 
erwünscht  wäre  es  nach  Meglen  zu  gelangen,  im  südlichen 
Macedonien,  der  Dialect  noch  gänzlich  unbekannt,  doch  wieder 
gefährlich,  da  die  Gegend  von  halbwilden  Muhamedanern  bul- 
garischer Nationalität  bewohnt  wird.  —  Ein  rechtes  Elend  ist 
es  mit  den  Büchern.  Sbornik  des  bulgarischen  Ministeriums  ist 
hier  nirgends  zu  finden  (vielleicht  bei  Jastr.),  ebenso  nicht 
Period.  Spis.,  beides  ist  verboten ;  ich  muss  aber  das  irgendwie 
erlangen. 

SiUnnfiW.  d.  pbil.-hUt.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  8.  Abb.  9 


130  VIII.  Abbtndliuif :    Ob  lab. 

Hier  ißt  in  den  Hauptstrassen,  wie  sie  heissen  weiss  ich 
nicht,  wahrscheinlich  haben  sie  keine  Namen,  ein  reges  Leben, 
eine  zahllose  Menge  bewegt  sich  drängend  auf  und  ab,  doch 
nicht  still,  alles  schreit,  kreischt,  ruft  und  bietet  die  Waare 
aus.  Alle  Geschäfte  werden  fast  auf  der  Gasse  in  offenen 
Läden  und  Buden  besorgt.  Hier  wird  auf  der  Strasse  ge- 
schustert, geschmiedet,  gebackenes  Brot  aus  dem  Ofen  aus- 
gelegt, da  steht  ein  Offizier  in  einem  Strumpf  und  wartet,  dass 
ihm  der  Schuster  den  Schaden  am  Schuh  ausbessert,  dort 
hockt  ein  Sattler  mit  untergeschlagenen  Beinen  in  einem  ganz 
kleinen  Räume,  der  ihm  fast  keine  Bewegung  erlaubt.  Das 
Geklapper  der  Geldmäkler  mit  dem  Geld  ist  überall  hörbar: 
hier  schreit  ein  schmutziger  Türke  in  lang  gezogenen  Tönen 
vo — ä,  dort  dreht  sich  mitten  in  der  Strasse  ein  Evreer,  rie- 
chend nach  allem  Unmöglichen,  langsam  herum  tragend  auf  dem 
Kopfe  auf  einem  Brett  rohes  Fleisch,  das  wie  Fransen  rings- 
herum herabhängt,  hier  bricht  sich  wieder  ein  Albanese  oder 
Gott  weiss  was  für  ein  Individuum  mit  blutendem  Fleisch  in  der 
Hand,  Bahn  durch  die  Menge.  Gross  ist  die  Zahl  der  rauchen- 
den Nichtsthuer,  die  mit  Phlegma  auf  die  Vorbeiziehenden  und 
auf  die  wirbelnden  Rauchwolken  blicken.  Morgen  gehe  ich 
mit  einem  Lehrer  unter  die  Debrer,  um  sie  von  Angesicht  zu 
Angesicht  zu  schauen,  und  um  mich  ein  wenig  mit  ihren  Ge- 
wohnheiten vertraut  zu  machen.  Heute  hörte  ich  im  Dialect 
von  Prilep  Längen  und  zwar  ~ :  pätot,  aber  pät.  Der  Ton  ist 
auf  der  Drittletzten.  Im  Dialect  von  Ochrida  gibt  es  eine 
Mittellänge,  fast  serb.  '. 

Das  Klima  ist  bedeutend  wärmer  als  in  Wien  und  sieht 
noch  wärmer  aus,  als  es  ist;  ob  es  bei  diesem  Gestank  auch 
gesund  ist,  kann  ich  noch  nicht  wissen.  Vorläufig  bin  ich  mit 
der  Gesundheit  noch  zufrieden,  nur  etwas  matt  und  schwach. 
—  Meine  dialectischen  Mittheilungen  und  Correspondenzen 
werden  noch  lange,  lange  ausstehen,  ich  glaube  60gar,  dass 
meine  Ausbeute  hier  viel  reicher  an  trüben  Erfahrungen  als 
dialectischem  Material  sein  wird. 


Maeedonische  Stadien.  131 

2. 

Salonichi,  23.  November  1891. 

Ich  ersuche,  mir  durch  Stadl  die  beiden  Abhandlungen 
Tomaschek's,  ,Zur  Kunde  der  Hämus-Halbinsel  I.  und  11/  für 
Herrn  Jastrebov  auf  meine  Rechnung  unter  Kreuzband  zu- 
kommen zu  lassen.  Hoffentlich  wird  sie  Stadl  noch  bei  Tempsky 
auftreiben  können.  Jastrebov  interessirt  sich  für  einige  geogra- 
phisch-ethnographische Fragen  und  wusste  bis  jetzt  von  diesen 
Abhandlungen  Tomaschek's  nichts.  Da  ich  bei  ihm  so  freund- 
liche Aufnahme  fand  und  er  mir  immer  mit  seinem  Rathe  zu 
helfen  bereit  ist,  möchte  auch  ich  gerne  ihn  mit  diesen  Schriften 
bekannt  machen.  —  CÖopHüKi  des  bulgarischen  Ministeriums 
habe  ich  doch  bei  Jastrebov  gefunden,  aber  nur  die  drei 
ersten  Bände,  die  übrigen  haben  den  Weg  hieher  noch  nicht 
gefunden. 

Es  schwirren  ganz  entgegengesetzte  Ansichten  über  die 
macedonischen  ethnographischen  Verhältnisse  und  Dialecte  um 
mich:  der  reclamirt  sie  mit  Entschiedenheit  flir  die  Bulgaren, 
der  andere  spricht  von  ihnen  als  serbischen  und  in  einer 
Weise  als  ob  es  ganz  selbstverständlich  wäre  und  nicht  anders 
sein  könnte.  Zu  einer  eigenen  Ansicht,  die  natürlich  ganz 
unbeeinflusst  von  beiderseitiger  Propaganda  sein  wird,  werde 
ich  noch  lange  nicht  gelangen  können,  aber  dafür  werde  ich 
dann  umso  fester  an  ihr  halten.  Einigermassen  frappirt  hat 
es  mich,  dass  Jastrebov  auch  die  von  NovakoviÄ  publicirten 
Texte  (im  Archiv)  nicht  für  zuverlässig  hält,  er  meint,  dass 
sich  auch  Novakovi6  von  seinen  Individuen,  die  hier  immer 
persönlichen  Vortheil  suchen  oder  die  Zwecke  ihrer  Propaganda 
im  Auge  haben,  habe  mystificiren  lassen.  Ich  niuss  sagen, 
dass  Novakovi6  durchaus  nicht  diesen  Eindruck  auf  mich 
machte,  ja  er  rieth  mir  sogar  zur  grössten  Vorsicht  bei  meinen 
Nachforschungen,  obwohl  ich  schon  selbst  gegen  Täuschungen 
und  Schwindel  gewappnet  war.  Ich  machte  schon  hier  die 
Erfahrung  bei  macedonischen  (=  bulgarischen)  Patrioten,  die 
mir  in  ihrem  Dialecte  vorsprachen,  dass  sie  zuerst  manches- 
mal etwas  anders  aussprechen.  Besonders  hinsichtlich  Je  —  6 
glaubte  ich  gehört  zu  haben,  dass  sie  zuerst  einen  Laut  sprachen, 
der  nicht  mehr  ein  U  war;  als  ich  sie  dann  ersuchte  mir  noch- 

9* 


132  TOI.  Abhandln*:    ObUk. 

mals  das  Wort  auszusprechen,  hörte  ich  schon  deutlicher  den 
£-Laut,  er  war  patriotischer  geworden.  Ich  habe  jetzt  eine 
Privat-Wohnung  gefunden,  fllr  mein  elendes  Zimmer  im  ersten 
Hotel  zahle  ich  täglich  zwei  Gulden !  —  Die  S.  A.  vom  Archiv 
2.  H.  bitte  mir  am  besten  poste  restante  zukommen  zu  lassen, 
da  ich  meine  neue  Adresse  (Gassennamen  scheint  es  nicht  zu 
geben)  noch  nicht  weiss.  Die  Correcturen  möchte  ich  auf  jeden 
Fall  gerne  noch  in  Salonichi  besorgen,  denn  die  Sendungen 
der  österreichischen  Post  unterliegen  nicht  der  Censur;  wenn 
ich  ins  Innere  von  Macedonien  reise,  so  wird  mir  alles  durch 
die  türkische  Post  nachgeschickt,  wenn  überhaupt  etwas  die 
Censur  übrig  lässt,  was  aber  sehr  wenig  wahrscheinlich  ist. 

3. 

Salonichi,  12.  December  1891. 

Hier  ist  absolute  wissenschaftliche  Oede.  Kein  Mensch, 
mit  dem  ich  wissenschaftliche  Fragen,  die  mich  interessiren, 
erörtern  könnte,  kein  wissenschaftliches  Leben.  Das  bulgarische 
Gymnasium  ist  ein  Realgymnasium,  ohne  Philologen.  Es  ist 
deshalb  erklärlich,  dass  ich  das  zweite  Heft  des  Archivs  wie 
ein  Sanctissimum  von  der  Post  nach  Hause  trug.  —  —  — 
—  —  —  In  der  hiesigen  bulgarischen  Volksschule  fand  ich 
in  der  ersten  Gasse  einige  junge  Burschen  aus  Debra,  die 
erst  vor  einigen  vierzehn  Tagen  ihre  heimatlichen  Dörfer  ver- 
lassen und  vorher  keine  Schule  gesehen  hatten.  Leider  konnte 
ich  dieselben  nur  einmal  ausforschen,  als  ich  das  zweitemal 
zur  Volksschule  hinaufgeklettert  war,  fand  ich  sie  wegen  Diph- 
teritis  geschlossen.  In  der  Mundart  des  Dorfes  Kiene  aus 
diesem  Gebiete  sind  auch  lange  Silben:  zöap,  röabam  (ein- 
säumen), götÖp,  ja  (e<jo)y  säkam,  pö^stötl  pö^sti,  cörven,  aber 
corvenä  boja  (beide  Worte  mit  einem  Accent)  selbständig  bojn, 
voina,  8öatdza,  Zisto  kakb  sö^ce,  röaka. 

Mich  macht  etwas  stutzig  der  Umstand,  dass  die  Art  des 
langen  Accentes  öfters  mit  dem  Serbischen  nicht  übereinstimmt. 
In  einem  anderen  Dorfe  Debra's  hörte  ich,  wenigstens  von 
meinem  Individuum,  nur  *  in  allen  betonten  Silben  ohne 
Unterschied.   Ich  Hess  ihn  vor  der  Hand  aus  dem  Spiele.  Man 


lUoedonisohe  Stadien.  133 

kann  bei  solchen  Aufzeichnungen  niemals  genug  vorsichtig 
vorgehen,  denn  wenn  man  der  genaueren  Aussprache  wegen 
das  Wort  sich  einzeln  vorsagen  lässt,  erhält  man  leicht  eine 
andere,  von  der  gewöhnlichen  abweichende  Aussprache.  Es 
gelang  mir  einen  Menschen  aus  Suho,  einem  grossen  Dorfe 
zwischen  Salonichi  und  Seres,  also  aus  dem  südlichen  Mace- 
donien  aufzutreiben,  der  nur  die  griechische  Volksschule  be- 
sucht hatte.  Diese  Mundart  ist  sehr  interessant  wegen  des 
ungemein  stark  erhaltenen  Rhinesmus.  Einige  Beispiele  aus 
derselben  führte  bereits  Draganov  an.  Ich  verzeichnete  mir 
sehr  viele :  zipp,  miogü  (ä  ein  kurzer,  zwischen  u  und  o  schwan- 
kender Laut,  t  ist  wie  im  Debra'schen  nicht  so  hart  wie  das 
russisch-polnische),  zfyBä,  zambö  (mit  Artikel ;  a  ein  nicht  ganz 
ausgeprägtes  a),  dtyp  —  dambi,  gfyba  —  da  jedime  gtybi} 
rn '  drüy  mfö  (sie !  =  homo)  pl.  mfj,f'ä}  pfypä  —  ptypüvi,  mhta 
(trübe),  porfybiväm  (einsäumen,  mit  zwei  Accenten,  Hauptaccent 
auf  a),  rfyp  —  rrjibüvi,  grfydä  (Brust)  —  grandifä,  rfyka,  r&kavnbca, 
p%£  (sehr  weiches  t)  —  pfytUta  mit  Artikel  peenib,  kr%k,  krfygo, 
bbnfi  —  bbr&öot9  porfyöam  —  pory&bha,  sfybüta,  pentok,  shdam, 
indzik  (bA3rWKrk),  gov&därbn,  sv&Üc,  zlntva,  ügtqdätü,  z$t  — 
zfctüvi  und  zfytiifci,  mhikü,  pent  (Spanne),  pbntä  (Ferse),  irim- 
Üica,  rent,  rhidüvi,  vfydzbl  (Knopf),  bfyttik,  ktypam  (bade),  kht 
—  khtütdj  säkande  (tiberall),  gblamp  —  gblambi,  skfyp  (theuer), 
bratoöent,  grenda,  endrü,  tendo,  zdji}c,  päjnk,  prindam, 
gtambbk]  in  Suffixen:  imä  aber  imenta,  tile  —  telenta  (bei 
imenta  könnte  man  an  eine  Beeinflussung  der  alten  Cas.  obl. 
imene,  imeni  etc.  denken,  was  aber  doch  wenig  wahrscheinlich 
ist),  Zditxbe  —  idretbenta,  küöe  —  kutyta,  weiters  rhämic  — 
mä#Q,ce,  nar&iduvam.  Unorganischer  Nasalismus:  mfygta,  tan$ä 
(Lüge),  ihfam,  pqtei,  stfygtü  (Glas),  bqöva.  Geschwunden  ist 
der  Rhinesmus  in  tä§ka,  rhäm,  pet,  dhx>t7  desbt,  leHa,  gUdam, 
ma,  sa,  ta.  Mehrere  Wörter  mit  einstigem  Nasal  sind  in  diesem 
Dialecte  unbekannt.  Die  Aussprache  ist  durchaus  nicht  die 
polnische,  es  ist  kein  Vocal  e,  o  oder  a  mit  nasaler  Resonanz, 
sondern  ein  wirklicher  Nasal  mit  einem  solchen  sonantischen 
Element  wie  bei  p,  ähnlich  in  vielen  polnischen  Dialecten. 
Ich  könnte  statt  zrpp  auch  zvmp  schreiben,  es  ist  aber  das 
vocalische  Element  vor  diesem  Nasale  nicht  das  gleiche  wie 
in  Worten  mit  altem  Halbvocal  (b,  ^)9  es  ist  trüber,  es  bewegt 


134  TOI.  Abhandlung j    ObUk. 

sich  mehr  in  der  a-u~Richtung,  während  der  bulgarische  Halb- 
vocal  in  diesem  Dialecte  etwas  heller  (aber  nicht  weich)  aus- 
gesprochen wird,  wie  ein  ganz  unbestimmtes  e — f,  ich  schreibe 
deshalb  auch  b,  z.  B.  diS  —  daZdl  (3.  Sgl.),  Sbntivi  (PI.)?  dbHbfa, 
kbäta,  stbpfam,  Ü8j]ina  (osvbna-),  dlham,  aber  auch  e  und  selbst 
o:  täf,  den,  lekü,  len  (Ibn),  lükofo  (Ellenbogen),  &nkü,  sogar 
feJnki  (PL),  mbz&k,  neSiiu  (heutig),  säs,  vazidhi  (ganzen  Tag). 
Für  "k  haben  wir  ein  sehr  offenes  und  breites  ä  mit  einem  jo- 
tirten  Ansatz,  es  klingt  fast  wie  ein  a:  'ä:  vätf,  fäka,  däte,  6äi. 
Es  ist  ungemein  schwer  diesen  Laut  wiederzugeben,  öfters 
vermeinte  ich  ein  lang  gedehntes  e  zu  hören,  das  mit  einem 
wirklichen  e  anhebt  und  allmälig  in  jenes  sehr  breite  ä  über- 
geht, ich  schrieb  in  diesen  Fällen  eä  (ein  einheitlicher  Laut), 
z.  B.  beäiay  b'äii,  s&äp,  p'äna,  8tr*äha,  aber  Zeiezüy  breh  und 
besonders  tervö,  cervdta,  6brh§e. 

Keine  vollkommene  Einheit  ist  im  Ersatz  des  alten  it, 
id ;  das  gewöhnliche  ist  ganz  entschieden  die  Bewahrung  dieser 
Laute,  nur  ausnahmsweise  erscheint  ein  f,  d,  das  aber  zum 
Theil  auf  Analogiebildung  beruht.  Wir  dürfen  sagen  U,  zd 
sei  hier  die  Regel:  mUdu,  sfö8  —  sfeSte,  praSta,  ra£da,  leita, 
vreßiHi,  pa&dam,  plaktam,  dbHefa,  auch  ein  —  —  Macc 
donismus:  6uzda,  daneben  pbvbki,  ribtnu]  für  secundäres  tj — f 
erscheint  tk:  bratka  (-bra6a),  tritku  (mit  hartem  k).  Nicht  wie 
in  anderen  macedonischen  Dialecten  in  den  bekannten  Fällen 
So,  sondern  §t:  bStl}  niStü. 

Das  ist  das  Interessanteste  aus  den  bisherigen  Aufzeich- 
nungen dieses  Dialectes,  der,  so  viel  ich  hier  zu  sehen  vermag, 
bis  auf  einzelne  Beispiele  bei  Draganov  noch  nicht  erforscht 
ist.  Ich  werde  meine  Aufzeichnungen  fortsetzen.  Insbesondere 
wird  es  nothwendig  sein  oder  wenigstens  erwünscht,  das  Ver- 
breitungsgebiet des  Nasalismus  zu  erforschen;  im  äussersten 
Südwesten  —  Kosturgebiet  —  treffen  wir  denselben  wieder, 
aber  ist  er  auch  auf  dem  ganzen  Zwischengebiete  und  da 
überall  im  gleichen  Masse?  Ich  bezweifle  es.  In  den  Nachbar- 
dörfern Suho's  (Zarovo  und  Visoko)  lebt  er  ganz  bestimmt. 
Mein  Gewährsmann,  ein  ungebildeter  Mann,  ist  hinsichtlich 
des  Rhinesmus  ganz  zuverlässig,  er  ist  ja  kein  Slavist,  aber  im 
übrigen  will  ich  seine  Angaben  doch  controliren  und  zwar  an 
Ort  und  Stelle,  allerdings  erst  im  Frühjahr.     Die  grösste  Vor- 


VM«donlMh«  Studien.  135 

sieht  ist  hier  in  Macedonien  am  Platze  in  allen  solchen  Dingen. 
Man  sieht  dies  schon  hinsichtlich  der  Wiedergabe  des  mace* 
donischen  k  —  6  in  den  publicirten  Texten.  In  diesem  Punkte 
sind  die  sonst  getreuesten  Aufzeichnungen  nicht  verlässlich.  Ich 
will  nicht  sagen,  dass  die  bulgarischen  Aufzeichner  eine  ab- 
sichtliche Täuschung  begangen  hätten,  sondern  ihnen  ist  kb  die 
graphische  Wiedergabe  aller  jener  Laute,  die  zwischen  einem 
harten  k  und  dem  c  liegen,  mögen  dieselben  in  den  verschie- 
denen Dialecten  auch  verschieden  sein.  Sehr  viele  von  ihnen 
sind  ja  einfache  Lehrer  pder  Gymnasiasten,  die  oft  ein  Ä  gar 
nicht  kennen,  wenigstens  nicht  die  genaue  Aussprache  desselben. 
Ich  kann  jetzt  bestätigen,  dass  in  dem  Dialecte  Prilep's  wirklich 
£,  ^  ganz  wie  im  Serbischen  gesprochen  wird,  Novakovi6 
hatte  also  für  diesen  Dialect  vollkommen  Recht;  nur  darf  man 
diese  Aussprache  nicht  verallgemeinern  und  auf  alle  macedoni- 
schen  Dialecte  übertragen,  es  gibt  auch  solche  mit  weichem  k 
und  es  scheint  sogar  mit  verschiedenem  Grade  der  Weichheit. 
Eine  komische  Scene  spielte  sich  in  meiner  Wohnung  ab.  Es 
besuchte  mich  ein  Gymnasialprofessor  und  der  hiesige  bulga- 
rische Buchhändler,  beide  gute  Patrioten,  beide  aus  Macedonien, 
letzterer  aus  Prilep  gebürtig.  Wir  sprachen  natürlich  auch 
von  macedonischen  Dialecten.  Plötzlich  höre  ich  aus  dem 
Munde  des  Prileper  ein  6\  ,Wie  sprechen  Sie  das  Wort  aus*, 
frage  ich  ihn;  —  Jbra6a.i  —  ,Aber  das  ist  ja  ganz  derselbe 
Laut  wie  im  Serbischen;'  denn  ich  hörte  ganz  deutlich  wieder 
Ä.  ,Aber  nein,  sagt  plötzlich  der  Professor,  das  ist  ja  nur  ein 
weiches  i,  ganz  verschieden  vom  serbischen  <f/  Ich  lasse  jetzt 
den  Buchhändler  mehrere  Worte  mit  6  vorsprechen,  immer 
höre  ich  deutlich  ein  6.  Aber  der  patriotische  Professor  will 
das  nicht  zugeben,  er  hört  nur  ein  weiches  k}  während  das 
spirantische  Element  ganz  gut  hörbar  ist.  ,Aber  Du  sprichst 
ja  heute  ganz  sonderbar  das  k  aus,  ganz  anders  als  gewöhnlich/ 
wandte  er  sich  an  seinen  Freund;  abermals  angestrengte  Ver- 
suche des  Prileper  ein  ,inacedonisches'  (=  patriotisch  macedo- 
nisches)  fc  auszusprechen;  vergeblich.  Fast  dasselbe  war  bei  £; 
lange  sprach  er  nur  ^,  erst  nach  vieler  Mühe  konnte  er  seinem 
Freunde  ein  y  nachsprechen!  Nur  noch  einige  Declinations- 
brocken  und  eine  gute  Phantasie,  und  es  wäre  im  Dialect  von 
Suchö  die  Sprache  Cyrills  und  Methods  entdeckt! 


136  Vin.  Abhandlung:    ObUk. 

Flir  meine  dialectischen  Excursionen  muss  ich  das  Früh- 
jahr abwarten,  ich  beginne  natürlich  mit  dem  Süden.  Nach 
Jastrebov's  Mittheilungen  ist  es  in  mehreren  an  die  Albanesen 
gränzenden  and  theilweise  von  ihnen  bewohnten  Gegenden  gar 
nicht  anzurathen  schriftliche  Aufzeichnungen  zu  machen,  man 
läuft  Gefahr  als  Spion  sich  grossen  Unannehmlichkeiten  auszu- 
setzen; wenigstens  er  durfte  öfters  in  der  Gegenwart  der  Leute 
sich  nichts  aufzeichnen.  Nachträglich  kann  ich  aber  nach  dem 
Gedächtniss  keine  Aufzeichnungen  vornehmen,  es  wäre  fast 
nothwendig  mit  einer  Batterie  von  Phonographen  ausgerüstet 
zu  sein.  Ich  werde  trachten,  nicht  so  sehr  von  möglichst  vielen 
Mundarten  einzelne  Brocken  zu  sammeln,  sondern  mich  lieber 
begnügen  von  wenigem  die  charakteristischen  Merkmale  in 
ihrer  Gesammtheit  zu  geben.  Am  unangenehmsten  wäre  es 
mir,  wenn  ich  beim  Sammeln  des  dialectischen  Materials  an 
Ort  und  Stelle  wirklich  so  diplomatisch  vorgehen  müsste,  wie 
mir  dies  Jastrebov  auseinandersetzte,  dadurch  würde  ich  überall 
viel  Zeit  verlieren.  Es  wäre  gewiss  wichtig  ein  koüa  —  kota, 
ki>6a  nachzuweisen,  aber  es  dürfte  schwerlich  vorkommen.  Ein 
ähnliches  Wort  ist  ,Bugarin',  die  Macedonier  nennen  sich  zum 
grösstentheil  in  dieser  Form  und  nicht  entsprechend  den  ver- 
schiedenen Dialecten  blgar-,  bolg~. 

Diesen  Sommer  war  hier  in  Salonichi  (etwa  einen  Monat) 
behufs  dialectischer  Studien  Alexandrow  aus  Kazan  und  be- 
suchte einige  Dörfer  der  nächsten  Umgebung;  seine  Resultate 
sind  noch  nicht  veröffentlicht.  Wie  ich  höre,  ist  die  Sammlung 
bulgarisch  -  macedonischer  Volkslieder  Draganov's  im  Drucke, 
er  soll  aber  gezwungen  worden  sein,  einige  ,bulgarische'  Cor- 
recturen  an  denselben  vorzunehmen,  um  sie  als  Dissertation 
herausgeben  zu  können.  Mir  scheint  eine  derartige  wissen- 
schaftliche Pascherei  ganz  unglaublich;  dies  Märchen  ist  nur 
ein  Beweis,  dass  es  auch  im  schmutzigen  Salonichi  nicht  an 
Tratsch  fehlt.  Wenn  viele  von  den  Liedern  Draganov's  von 
Gymnasiasten  aufgezeichnet  sind,  so  ist  es  sehr  fraglich,  inwie- 
weit man  sich  auf  ihre  Genauigkeit  verlassen  darf.  Doch  wir 
werden  ja  sehen,  zuerst  das  Werk,  dann  die  Kritik;  zum  Glück 
gibt  es  bis  jetzt  in  der  Wissenschaft  noch  keine  Verläumdungen. 
Nach  Jastrebov's  Rath  gehe  ich  sogleich  nach  Ostern  (am  zweiten 
Tage)  auf  Athos,   wo  ich  die  Mönche  noch  bei  vollen  Fleisch- 


MMMdoniMb«  Studien.  137 

topfen  antreffe.  Im  Winter  ist  ein  Aufenthalt  dort  nicht  möglich, 
weil  es  keine  Oefen  gibt,  später  vor  Ostern  könnte  ich  aber 
in  den  Fasten  ausgehungert  werden.  Von  Athos  beginnen 
dann  sofort  meine  Wanderungen  ins  Innere.  Bezüglich  Athos 
möchte  ich  mir  einige  Rathschläge  erbitten.  1.  Ist  es  ange- 
zeigt, das  ganze  Evangelium  Miroslav's  abzuschreiben,  um  es 
heraus  zu  geben?  Das  würde  wenigstens  (180  Blätter)  drei 
Wochen  sehr  angestrengter  Arbeit  bedürfen;  steht  nun  dieser 
Zeitaufwand  im  Verhältniss  zur  Bedeutung  des  Denkmales? 
Für  die  Entwicklung  der  serbischen  Recension  (in  der  Sprache) 
ist  es  nicht  unwichtig,  die  Redaction  des  Textes  ist  noch 
alterthümlich  und  insofern  nicht  von  Belang,  weil  bereits  be- 
kannt. 2.  Es  wäre  doch  gut,  das  Typikon  Sava's  (in  Kareia) 
abzuschreiben,  das  ist  gewiss  das  älteste,  wenn  auch  nicht,  wie 
Duöi6  meint,  Sava's  Autograph.  3.  Duöi6  (S.  104)  spricht  von 
einem  Chronographen  mit  Randanmerkungen  aus  der  bulgari- 
schen Geschichte,  die  er  auch  mittheilt.  Wäre  es  nicht  für  die 
Geschichte  des  Chronographen  von  Belang,  von  diesem  eigen- 
tbümlichen  Chronographen  doch  etwas  mehr  zu  erfahren? 
Doch  welche  Partien  sind  daraus  abzuschreiben,  der  ganze 
Codex  ist  zu  umfangreich  und  auch  nicht  so  bedeutend. 

Beim  hiesigen  serbischen  Consul  ist  ein  Pentateuch  und 
ich  glaube  noch  einige  folgende  Bücher  des  alten  Testamentes 
aus  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts.  Da  diese  Texte  im  Ganzen 
doch  selten  sind,  so  wäre  es  nicht  überflüssig  diesen  mit  jenem 
der  Genadius-Bibel  und  der  Karlowitzer  Handschrift  zu  ver- 
gleichen. Wie  könnte  ich  zu  Bruchstücken  des  ersteren  ge- 
langen? Mit  Gorskij  und  Nevostr.  ist  mir  doch  nicht  geholfen, 
ich  würde  dann  ein  Paar  Seiten  als  Textprobe  abschreiben. 
Beim  serbischen  Consul  sah  ich  auch  ein  kleines  Büchlein  mit 
cursiver  Cyrillica,  wahrscheinlich  aus  dem  Anfang  des  vorigen 
Jahrhunderts,  enthaltend,  wie  es  scheint,1  Beschwörungen  gegen 
Krankheiten;  ich  werde  mir  dasselbe  ausleihen,  um  es  durch- 
zusehen. Im  bulgarischen  Gymnasium  fand  ich  zwei  Pergament- 
blätter bulgarischer  Redaction  aus  dem  Ende  des  13.  oder  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts,  Bruchstücke  eines  liturgischen  Buches; 
die  Schrift  hat  manches  Alte,  doch  das  einmal  am  Ende  'der 
Zeile  vorkommende  (lange)  a  protestirt  gegen  ein  zu  hohes  Alter. 
Es  sind  dort  noch  einige  Handschriften,  aber  alles  fragmentarisch, 


138  VIII.  Abbwidlnnf  j    OlUk. 

zum  grössten  Theil  die  obere  oder  untere  Hälfte  abgebrannt. 
Es  ist  darunter  eine  sehr  schön  geschriebene  Pergamenthand- 
schrift, serbischer  Redaction;  so  viel  ich  in  der  Eile  sehen 
konnte,  scheint  sie  alt  zu  sein,  Ende  des  13.  Jahrhunderts. 
Ich  werde  das  alles  mit  der  Zeit  durchsehen.  Die  slavischen 
Handschriften  sind  jetzt  in  Macedonien  selten  geworden.  Im 
heftigen  Kirchenstreite  zwischen  Bulgaren  und  Griechen  sollen 
letztere  massenhaft  slavische  Handschriften  als  unerwünschte 
Zeugen  (?)  slavischer  Liturgie  verbrannt  haben.  Dagegen  sollen 
sich  unter  den  Mohamedanern  und  Albanesen  noeb  slavische 
Handschriften  befinden,  die  aber  als  Reliquien  nicht  aus  den 
Händen  gegeben,  sondern  höchstens  aus  der  Entfernung  den 
bewundernden  Blicken  Fremder  gezeigt  werden.  Man  erzählte 
mir  soeben,  dass  sich  in  einer  aus  einer  Kirche  umgewandelten 
Moschee  in  Albanien  nicht  gar  weit  von  Durazzo  unter  dem 
Dache  ein  ungeheuerer  Haufe  slavischer  Handschriften  befinden 
soll.  Ich  werde  dem  Gerüchte  weiter  nachforschen;  falls  es 
sich  als  glaubwürdig  erweisen  sollte,  wäre  ich  gerne  bereit 
über  Triest  nach  Durazzo  zu  wandern,  falls  das  Ministerium 
es  für  thunlich  finden  sollte  mir  einen  genug  fetten  Bissen  mit 
freier  Dampfschifffahrt  auszuwerfen,  aber  ich  glaube  an  letz- 
teres nicht. 

Ich  habe  mich  schon  ein  Bischen  in  das  hiesige  Leben 
hineingefunden.  Die  Leute  sind  zwar  sonderbar;  so  traf  ich 
im  Regen  einen  türkischen  Offizier,  seinen  Fes  in  ein  Sacktuch 
eingewickelt,  ganz  wie  bei  uns  die  Hirten.  Dem  Gymnasial- 
director  begegnete  ich,  als  er  in  einem  ungeheueren  Korb  rohes 
Fleisch  nach  Hause  trug,  ein  praktischer  Mann  für  Alles,  gewiss 
von  seiner  Frau  hochgeschätzt.  Am  meisten  empfinde  ich 
jetzt  den  Mangel  an  jedem  wissenschaftlichen  Verkehr,  man 
kann  hier  höchstens  über  die  macedonische  Frage  streiten, 
aber  als  Politiker,  nicht  als  Slavist.  Es  war  deshalb  Ihr  Brief 
für  mich  ein  Ereigniss.  Meine  Influenza  habe  ich  glücklich 
absolvirt,  der  Muth  des  Ausharrens  ist  mir  noch  nicht  gesunken. 
Ich  hoffe,  dass  meine  Reise  doch  nicht  ganz  zweck-  und  er- 
folglos sein  wird,  weil  ich  dies  nicht  will.  Nur  darf  mich 
die  Gesundheit  nicht  im  Stiche  lassen.  Das  hiesige  Klima 
muss  doch  ziemlich  ungesund  sein,  jetzt  haben  wir  Influenza 
und  Diphteritis.    Ich  schwimme  jetzt  mitten  im  macedoniseben 


MaotdoniMhe  Städten.  139 

Streit,  die  sonderbarsten  Ansichten  höre  ich.  Den  Leuten 
macht  der  Name  Balgarien  die  gTössten  Schwierigkeiten,  es  ist 
gut,  dass  sie  nichts  vom  germanischen  Ursprung  des  Rusl 
wissen!  Man  hat  mir  schon  jetzt  recht  eindringlich  ans  Herz 
gelegt,  in  meiner  Abhandlung  über  die  macedonischen  Dialecte 
—  sie  denken  viel  weiter  voraus  als  ich  selbst  —  in  der  Vor- 
rede feierlichst  zu  erklären,  dass  die  wissenschaftlichen  Resultate 
nicht  für  politische  Zwecke  ausgebeutet  werden  sollen!!  Es 
solle  weder  das  Wort  ,serbisch'  noch  ,bulgarisch'  genannt 
werden!   Da  müsste  man  schliesslich  nur  mit  x  und  y  operiren! 


4. 

Salonichi,  24.  December  1891. 

Mit  den  Aufzeichnungen  des  Dialectes  von  Suho  bin  ich 
nun  zu  Ende.  Es  wird  dies  allerdings  keine  derartig  einge- 
hende Monographie  abgeben  können,  wie  etwa  die  Strekelj's 
über  den  Karstdialect,  aber  ich  glaube  doch  alles  Wichtige  ge- 
sammelt zu  haben.  Ich  werde  nochmals  das  Gesammelte  durch- 
mustern, um  etwaige  Lücken  rechtzeitig  ausfüllen  zu  können. 
Neue  Belege  für  den  Nasalismus  fand  ich  nicht,  ich  bemerkte 
nur,  dass  fast  alle  Substantive  auf  -A  (^-Stämme)  sowie  die 
ihrer  Analogie  folgenden  im  Plural  auf  -enta  endigen,  z.  B. 
prasenta.  Hieher  sind  auch  die  Participien  u&enent  (ver- 
heiratet), umr*anta,  dlgnrtf,  niknqt  zu  zählen,  wenn  sie  auch 
wahrscheinlich  erst  Neubildungen  jüngeren  Datums  sein  dürften 
(vielleicht  dignen  und  dies  nochmals  angelehnt  auf  Part,  auf 
-£,  ein  ent  ergab  dann  leicht  #£).  Wie  im  Schriftbulgarischen 
ist  £  =  a  in  maikam.  Für  \  (urspr.  bfal  und  hfo)  haben  wir 
h  und  t,  z.  B.  sfiaa,  vfi>k,  aber  pfnoj,  vfna,  vik.  An  das  Klein- 
russische erinnert  rpba,  während  sonst  rhi  mit  i  in  ein  mitt- 
leres i  zusammengefallen  ist.  (Man  erzählte  mir  zwar  hier  die 
Fabel,  dass  in  diesem  Dialect  noch  die  alte  Aussprache  des 
id  leben  soll,  aber  dies  ist  bestimmt  unrichtig  —  überhaupt 
wissen  ja  hier  die  Leute  gar  nicht,  wie  der  Laut  *u  ungefähr 
—  denn  genauer  wissen  ja  auch  wir  es  nicht  —  lautete.)  Die 
Palatale  £,  £,  £,  insbesondere  ersteres,  sind  sehr  weich,  man  hört 
fast  ein  j  nach  denselben.  Nach  diesen  Lauten  tritt  auch  der 
Umlaut  des  a  ohne  Rücksicht  auf  die  folgende  Silbe  ein,    es 


140  VIII.  Abhandle»«:    Ollak. 

erscheint  dann  ganz  derselbe  Laut  wie  für  *k  nämlich  'ä  oder 
eä,  z.  B.  £'äba,  oder  aber  ein  Laut,  der  dem  *fc  sehr  nahe  steht 
und  sehr  breit  gesprochen  wird,  doch  nicht  ganz  so  wie  *k: 
düS'i,  stüSäm,  pbstble.  Wenn  wir  (Urs  altbulgarische  *k  den 
Lantwerth  von  'a  —  'ü  annehmen,  so  kann  man  fragen,  ob 
sich  hinter  der  Schreibung  wie  «rkc*k  noM*uuiA*kukT*k  nicht 
etwas  mehr  verbirgt  als  ein  graphischer  Usus  (des  GlagoL  l 
Die  Annahme^  dass  im  ,Altslovenischen'  *k  den  Lantwerth  eines 
a-Lautes  (a*)  hatte,  hat  jetzt  nicht  mehr  so  viel  Unwahr- 
scheinlichkeit  für  mich.  Aber  warum  fand  man  sich  für  die 
Cyrillica  bemüssigt,  neben  0  auch  *k  einzuführen  und  so  vom 
glagolitischen  Vorbilde  abzuweichen?  Es  ist  vielleicht  nicht 
unmöglich,  dass  das  glagolitische  Schriftthum  auf  der  Baas 
eines  Dialectes  begründet  würde,  wo  der  Unterschied  zwischen 
•fc  und  u  nur  in  der  Weichheit  des  Anlautes  beruhte;  die 
Cyrillica  gehört  aber  dagegen  in  ein  Gebiet,  wo  diese  beiden 
Laute  in  gewissen  Silben  wohl  noch  vielfache  Berührungspunkte 
aufwiesen,  aber  in  der  Ungeheuern  Mehrzahl  der  Fälle  von  ein- 
ander abwichen,  indem  *k  mehr  wie  ein  *a  lautete;  ich  meine 
das  nordöstliche  Bulgarien.  Allerdings  ist  es  misslich,  so  uralte 
Zustände  nach  den  heutigen  Dialecten  beurtheilen  zu  wollen, 
besonders  in  einer  Sprache,  die  so  vielfache  Revolutionen  durch- 
gemacht. Doch  von  diesem  Phantasiren  zurück  zum  Factischen. 
In  der  Conjugation  ist  besonders  merkwürdig  die  Contraction, 
von  der  aber  die  1.  Sgl.  immer  ausgeschlossen  ist,  z.  B.  cüjem, 
cü$,  ciijj  cüjnii,  iäjtb,  itijet]  diljam,  duä,  duj,  dujmt  etc.,  ptiljam. 
pfil§7  plti,  ümijam,  ümU,  üml,  umijbt,  paß  am  (1.  Sgl.)  —  pämt 
(1.  PL).  Wir  dürfen  in  diesem  Gegensatz  der  1.  Sgl.  mit  ihrer 
ursprünglich  nicht  consonantisch  geschlossenen  Endsilbe  gegen- 
über den  übrigen  Personen  eine  Bestätigung  fiir  das  relativ 
späte  Aufkommen  des  m  in  der  1.  Sgl.  bei  diesen  Verben  finden. 
Es  erinnert  das  lebhaft  an  etwas  Aehnliches  im  Cod.  Mari  an., 
und  es  ist  zu  beachten,  dass  ja  auch  in  den  Freisinger  Denk- 
mälern die  1.  PI.  bereits  am  und  nicht  ajem  hat.  Die  1.  Sgl. 
lautet  immer  auf  m,  das  sonderbarste  ist,  dass  bei  dieser  Ver- 
allgemeinerung des  m  gerade  jemt  in  der  Verbindung  mit  ne: 
n'äsa  (1.  Sgl.)  dieses  rn  aufgegeben  hat.  Wunderbare  (Konse- 
quenz der  Sprache !  3.  Sgl.  hat  niemals  t7  dafür  natürlich  3.  PI. 
In  der  1.  Sgl.  nimmt  am  Oberhand  und  verdrängt  em,  im,  z.  B. 


Hftcedoniseha  Studien.  141 

säjam  (2.  Sgl.  &h&),  Vijam  (blä  2.  Sgl.  schlagen)  etc.  Aorist  und 
Imperfect  leben  in  voller  Kraft  und  werden  strenge  geschieden, 
die  Partie,  praet.  auf  -l  sind  selten.  Dagegen  ist  die  Decli- 
nation  radical  getilgt,  es  sind  von  ihr  kaum  so  viel  Ueberreste 
als  in  der  Schriftsprache,  ja  nicht  einmal.  Ich  konnte  nur  oh 
bo&bm  aufstöbern.  Ein  l  epent.  ist  nicht  zu  finden.  Ich  forschte 
auch  nach  den  lexicalischen  Pannonismen,  aber  alles  umsonst. 
Die  Sprache  Cyrills  und  Methods  ist  unwiederbringlich  dahin ;  ja 
selbst  das  l  epent.  der  alten  Sprache  macht  viel  Schwierig- 
keiten, heutzutage  ist  es  in  den  bulgarischen  Dialecten  so  gut 
wie  nicht  zu  finden.  —  Nun  noch  einige  Beiträge  zur  philo- 
logischen Humoristik.  Ich  habe  jetzt  ein  Individuum  aus  dem 
Dorfe  Oboki  (Debragebiet) ;  es  hat  mir  schon  zwei  Audienzen 
gewährt.  Bezüglich  8t9  id  sieht  es  da  bunt  aus,  ich  fange  fast 
an,  meinen  eigenen  Aufzeichnungen  nicht  zu  trauen,  so  einen 
Wirrwarr  finde  ich  in  diesem  Punkte  —  und  da  sucht  man 
noch  Consequenz  in  der  Sprache!  Für  H  habe  ich  mir  auf- 
gezeichnet Jcj  k}  H  und  sogar  <?,  für  id\  g,  Zd,  £  j,  d.  Das 
gewöhnliche  ist  allerdings  tt,  g,  z.  B.  nbilca,  pbtnolci,  8vblca9 
küfea,  vhftci,  vrika,  stre^üa  (begegnen),  dbmakin,  kü6nik7  kü6nica} 
mbStea,  pleUi,  vr&Hamy  pbmoS,  ausserdem  bräUa,  cvtäi,  doch 
tritt.  —  mlgu,  rbgat,  fga}  ffiavö,1  aber  me&da  trotz  rribfiu, 
dbidit;  tü$,  doch  tüji,  tüjina;  in  gradanka  glaubte  ich  ein 
weiches  d  und  nicht  g  zu  vernehmen.  Diese  Mundart  hat 
ganz  entschieden  auch  lang  betonte  Silben,  und  zwar  einige- 
mal mit  auffallend  stark  musikalischem  Accent,  wie  im  reinsten 
Stokavischen,  z.  B.  sdti  (Gen.  PL),  ndpret,  ja  ich  glaubte  sogar 
in  unbetonter  Silbe  eine  Länge  zu  hören:  skrlväm,  aber  viel- 
leicht nur  deshalb,  weil  mir  das  Wort  prononcirt  vorgesprochen 
wurde. 

Für  Av  ist  fast  durchwegs  z>,  aber  ein  dumpferer  Laut 
als  im  Dialect  von  Suho,  bewegt  sich  in  der  a-o-Richtung, 
öfters  vermeint  man  geradezu  ein  ö  zu  hören  (so  dürfte  viel- 
leicht im  Altrussischen  der  ältesten  Periode  ^  geklungen  haben), 
z.  B.  rika,  ml$,  zählte,  kat,  pit  und  pötot,  mltna  vbda}  gr%di7 


1  Mit  6  bezeichne  ich  ein  unvollkommen  gebildetes  und  sehr  dumpfes  o, 
fast  ein  i.  Die  Lippenstellung  ist  fast  ganz  die  von  «,  also  sehr  kleine 
Rundung  und  vorgestülpte  Lippen. 


142  VIII.  Abhandlung:    Oblat 

rip,  porätuam,  pdpk]  A  =  e:  gbedo,  gahdarot,  zleda,  ertbica, 
p^di  (PL  Spanne)  etc.,  tdriebe  —  idr^ebbfia  (PL),  sänie  — 
wintbna,  doch  da  ist  bn  natürlich  nicht  =  a,  es  sind  Neu- 
bildungen auf  ena  (auch  sonst  nachweisbar).  Eine  besondere 
Stellang  nehmen  sqfo  =  se  und  die  3.  PL  Iraperf.  auf  -e  ein, 
alles  Analogiebildungen,  z.  B.  tätc<ze}  päsee,  xmae  etc.  Aber  auch 
u  =  a  ist  einigemal  vorhanden :  neben  kulca,  süt,  südht,  *üdb±, 
guska.  Da  kurzes  e  vielfach  als  b  gesprochen  wird,  auch  zu 
(=  a).  Anzumerken  wäre  noch  bröib]  in  fiztJc,  fi&men  ist 
doch  von  einem  ^a  aus  je  auszugehen.  —  f  ist  vorhanden, 
doch  hie  und  da  nicht  energisch  ausgesprochen  (mit  weniger 
Vibrationen),  und  so  geradezu  ^r  in  pvrsti;  die  bekannten  Aus- 
nahmen ctrno,  cerveno,  cerkof,  &revo  (ganz  böhmisch  und  vene- 
tianisch-slovenisch),  öereSiii.  Für  9k  erscheint  neben  e  auch  ein 
sehr  geschlossenes  mit  einem  i  anfangendes  e,  aber  ae  ist  ein 
ganz  einheitlicher  Laut,  z.  B.  str*hda,  m'esbc,  ütr'e.  Für  l  haben 
wir  öt  und  f:  vfg,  s6tza}  völk,  böfoa,  pötna,  jäbötka,  doch  das 
bekannte  sbnce.  6  ist  ein  wenig  weich,  doch  ohne  Umlaut 
dhsdy  bfcar,  jäsli,  täkam,  jäjca  etc.  Auslautendes  h  wird  zu  / 
(nicht  ganz  reines  /,  es  ist  etwas  härter  zwischen  f  und  r) 
b\f}  bref,  inlautend  schwindet  es,  also  PL  brei,  mlef  —  nieoi, 
ümrie  (3.  PL  Aor.),  zhnaf  —  zhnae  (3.  PL  Imperf.),  zedoe 
(3.  Aor.),  javaf  (reiten),  javae ;  dasselbe  Schicksal  hat  A  im  An- 
laut: bdam.  Zwischen  Vocalen  schwindet  v,  aber  es  gibt  da- 
neben auch  Formen  mit  erhaltenem  v:  Nom.  PL  svatoi,  Veboi, 
redoi  und  redovi,  gtava  (i  ist  bei  weitem  nicht  so  hart  wie  im 
Russischen,  sogar  weniger  als  in  Suho),  doch  auch  gläaia  — 
8träm,  striebro%  ilzdre  (reifen),  Sä^ebe-,  ?:  no^ite,  %vtedi-te  sogar 
fUezdol  Dreifaches  l:  t,  l,  T9  —  Sonderbar  ist  die  Form  sm 
(jeste).  Die  1.  Sgl.  endet  gewöhnlich  ohne  m,  aber  daneben 
gibt  es  bei  demselben  Verbum  auch  m,  3.  Sgl.  hat  wie  3.  PL  f. 
Die  1.  PL  scheint  an  die  1.  Sgl.  angelehnt  zu  sein,  deshalb 
zefme  weil  zef}  ümrefme  weil  ümref.  Bis  jetzt  konnte  ich  nur 
einen  zweifachen  Artikel  t  und  v  aufbringen.  Alle  Versuche 
einen  dritten  auf  -n  zu  eruiren,  waren  trotz  vielfachen  Be- 
mühens und  directen  Nachfragens  vergebens. 1}  -ta,  -to  wird 

gebraucht  wie  im  Bulgarischen,  dagegen  -t?,  -t?a,  -vo  in  der- 
selben Function  wie  im  Rhodopedialect  *;  also  rika-ta  die 
bekannte  Hand,  rbka-va  nur  meine  Hand,   nbgava  der  eigene 


Macedomseh«  Studien.  143 

Fuss.  Der  Accent  ist  auf  der  drittletzten  Silbe,  wird  also  bei 
einem  dreisilbigen  Wort  durch  das  Antreten  des  Artikels  um 
eine  Silbe  verrückt. 

Soeben  hat  mich  mein  Oboöanin  verlassen.  Die  #-<5-Laute 
können  den  Menschen  zur  Verzweiflung  bringen.  Ich  glaube 
mir  selbst  nichts  mehr.  Heute  hörte  ich  kuci,  Icuda,  no>c  neben 
noJlca,  neben  faHat  spricht  man  auch  faJcam.  Ich  corrigirte 
also  kuka  in  ku6a.  Die  Aussprache  dieses  Lautes  ist  in  dem- 
selben Worte  bei  demselben  Individuum  nicht  immer  ganz  die 
gleiche,  sie  scheint  von  der  verschiedenen  Energie  abhängig. 
Oefters  lässt  sich  nicht  sagen,  haben  wir  ein  6  oder  £;  ganz 
gewiss  wird  von  meinem  Exemplar  das  k  nicht  in  allen  Worten 
gleich  weich  ausgesprochen  (ganz  abgesehen  von  den  Fällen, 
wo  es  nicht  mehr^/c,  sondern  6  ist).  Ich  sollte  eigentlich  ein 
k1  und  k*  einführen,  aber  derartige  mathematische  Zeichen 
schrecken  ja  jeden  Leser  ab.  Mein  Nachfolger  muss  in  diese 
Gegenden  ausgerüstet  mit  ganzen  Batterien  von  Phonographen 
reisen.  Die  grosse  Frage  ist  auch  die,  ob  mein  Individuum 
rein  seinen  Dialect  spricht,  ob  die  verschiedenen  Doubletten 
(l.  Sgl.  -m  und  ohne,  k  und  U)  nicht  auf  Beimischung  eines 
anderen  Dialectes  beruhen.  Die  sichersten  Forschungsobjecte 
sind  für  uns  hier  nur  alte  zahnlose  Weiber,  und  zwar  an  Ort 
und  Stelle.  An  die  Erklärung  dieser  so  verschiedenartigen 
lautlichen  Gebilde  (k}  6,  k9  §t)  wage  ich  vorderhand  gar  nicht 
zu  denken.  Auf  kirchlichen  oder  literarischen  Einfluss  sind 
die  Worte  mit  st,  £d  in  ihrer  Gesammtheit  entschieden  nicht 
zurückzuführen.  Anderseits  ist  es  aber  auch  nicht  möglich,  in  ß 
eine  Vorstufe  des  späteren  H,  oder  umgekehrt  eine  Weiter- 
entwicklung desselben  zu  sehen.  Sind  aber  k  und  St  unab- 
hängig von  einander,  so  fragt  es  sich  sofort,  sind  das  nicht 
Folgen  verschiedener  ethnischer  Lagerungen?  —  doch  welcher? 
—  Entschieden  möchte  ich  Jastrebov  gegen  die  zu  strenge 
Kritik  Drinov's  in  Schutz  nehmen  (ich  sehe  dabei  vom  ver- 
meintlichen Serbismus  ab,  derselbe  ist  ja  Glaubenssache  und 
als  solcher  unantastbar),  ob  govorie  oder  -ije  gesprochen  wird, 
ist' in  dieser  Mundart  ungemein  schwer  zu  entscheiden.  Auch 
in  Drinov's  Mittheilungen  sind  Ungenauigkeiten.  Ich  rufe  mir 
immer  zu  , Vorsicht'  und  bin  hier  unter  den  Ungläubigen  der 
Ungläubigste  geworden. 


144  Vm.  Abhmodlung:    ObUk. 


Beiliegend  sende  den  Anfang  einer  handschriftlichen  Be- 
schreibung des  Falles  von  Constantinopel  mit  der  Bitte  nach- 
zusehen oder  nachsehen  zu  lassen,  ob  diese  mit  der  bereits  in 
Russland  herausgegebenen  übereinstimmt.  Interessant  ist  die 
Sprache,  die  ja  fast  ganz  national  bulgarisch  ist.  Die  Hand- 
schrift —  ein  Papiercodex  von  ungefähr  60  Blättern  —  ist  in 
Stip  (südöstlich  von  Skoplje);  ich  habe  hier  von  einem  Bul- 
garen eine,  wie  er  behauptet  ganz  getreue,  Abschrift  erhalten, 
die  allerdings  nur  das  erste  (oder  zwei  ersten)  Blatt  mnfasst: 
das  beigelegte  schrieb  ich  davon  ab  und  bitte  es  aufzuheben, 
da  ich  vielleicht  zu  der  Handschrift  selbst  nicht  gelangen  werde. 
Wäre  die  Handschrift  aus  dem  15.  Jahrhundert,  sie  hätte  wegen 
der  Sprache  grossen  Werth.  —  Handschriften  sind  hier  sehr 
selten  geworden,  Macedonien  ist  kein  Kalifornien  mehr,  und 
dabei  hüten  die  Leute  (auch  die  Intelligenz)  jeden  Papierfetzen 
mit  abergläubischer  Ehrfurcht,  als  ob  sie  so  viel  Autographen 
des  Cyrill  und  Method  hätten.  Je  schmutziger  der  Papier- 
fetzen, desto  werthvoller! 

Heute  erfahre  ich,  dass  die  Hajduci  am  Sonntag  in  Debra 
(Stadt)  den  Leiter  der  Volksschule  am  »hellen  Tage,  als  er 
aus  der  Kirche  ging,  entführt  hätten!  Schöne  Zustände!  Und 
doch  wird  es  einmal  nothwendig  sein,  das  dialectische  Material 
an  Ort  und  Stelle  zu  controliren.     —     —     —     —     —     — 


5. 

Salonichi,  2.  Jänner  1892. 

Das  neue  Jahr  habe  ich  mit  einem  heftigen  Wechsel- 
fieber begonnen.  Am  peinigendsten  war  der  Gedanke,  dass 
ich  vielleicht  plötzlich  werde  nach  Hause  zurückkehren  müssen. 
Der  Arzt  beruhigte  mich  jedoch  in  dieser  Hinsicht,  und  heute 
bin  ich  auch  das  Fieber  losgeworden,  doch  das  viele  Medt- 
ciniren  hat  mir  den  Magen  radical  verdorben.  Es  trifft  sich 
gerade  glücklich,  dass  ich  heute  Correcturen  von  Leipzig  er- 
halte, denn  für  andere  Arbeit  bin  ich  für  mehrere  Tage  un- 
tauglich. 


Mtcedoniflche  Stadien.  145 

Meinen  Obocanin  habe  ich  davongejagt.  Es  stellte  sich 
heraus,  dass  er  allerdings  erst  vor  einem  Monat  von  Debra 
hier  eingetroffen,  dass  er  aber  bereits  in  früheren  Jahren  öfters 
hier  mehrere  Monate  zugebracht  hatte;  was  er  mir  am  ersten 
Tage  ableugnete.  Jetzt  sind  also  die  mich  so  frappirenden 
Doppelformen  erklärlich;  sie  sind  —  doch  nicht  alle  —  eine 
Beeinflussung  der  Salonicher  Sprache.  Im  Allgemeinen  sind 
aber  seine  Angaben  doch  treu  und  richtig  gewesen,  gewisse 
Doppelformen  bestehen  in  diesen  Dialecten,  z.  B.  N.  Plur.  oi 
neben  otn.  Dafür  habe  ich  aber  den  Knaben  aus  Kleiüe  weiter 
ausgeforscht  (in  der  bulgarischen  Volksschule),  meine  Besuche 
sind  aber  jetzt  auf  einige  Zeit  unterbrochen.  In  dieser  Mund- 
art wird  fast  ausschliesslich  £,  $  sehr  deutlich  ausgesprochen, 
nur  selten  ist  ein  Je,  g  zu  hören,  aber  selbst  da  ist  es  fraglich, 
ob  dieses  Je,  §  doch  nicht  schon  6,  $  ist.  Ich  hörte  ein  Je  bei 
einer  leiseren  und  nicht  erergischen  Aussprache.  Ich  will  nur 
einige  Beispiele  anführen:  &rka,  Jcu6a,  nbda,  nböno,  vri6a}  ku6- 
nik,  kuenica,  pbaJce  (poveke),  aber  energisch  ausgesprochen 
pbe6e7  selbst  evide  —  tü$,  tuja,  tüju,  mhfju,  beim  schnellen 
Sprechen  mehr  me§u}  brfa  (Rost) ,  daneben  aber  St7  id :  leHa, 
sveita,  vraUaet  (3.  Sgl.),  faHa  (1.  Sgl.),  me£da,  plaSta  (1.  Sgl.), 
ro&da,  pleüti,  kleäti',  —  l$te  (oHe),  niUo.  Die  beiden  Laute  6 
und  d  sind  ausser  in  diesem  (und  dem  von  Oboki)  und  Priliper 
Dialect  auch  in  Resen  (südöstlich  von  Ochrida)  und  Stip  (süd- 
östlich von  Skoplje)  anzutreffen,  also  jedenfalls  weit  verbreitet; 
ihr  Verbreitungsgebiet  werde  ich  zu  eruiren  versuchen.  —  Auch 
in  der  Mundart  von  Kiene  findet  man  von  der  gewöhnlichen 
Regel  des  Ersatzes  von  a,  ^  durch  o  ,  Ausnahmen':  dhi,  äef, 
len,  mlska  (mozak)  i  hier  wohl  erst  später  aus  e  hervorge- 
gangen. Liegen  da  nicht  etwa  zweierlei  Phasen  in  der  Er- 
setzung des  Halbvocales  vor,  und  ist  nicht  o  (oa),  welches  gleich- 
massig  b}  ^  und  A*  vertritt,  etwas  relativ  spätes,  später  als  e  in 
den?  vb  =  u:  cütet. 

Bei  den  gegebenen  Verhältnissen  ist  es  wohl  besser,  dass 
meine  kurzen  brieflichen  Mittheilungen  über  macedonische  Dia- 
lecte  nicht  flirs  Archiv  verwerthet  werden.  Ich  möchte  gerne 
bezüglich  meines  diabetologischen  Materiales  für  infallibel 
gelten ;  wenn  nun  doch  in  einem  Falle  in  den  schon  jetzt  ver- 
öffentlichen Mittheilungen  eine  Unrichtigkeit  nachgewiesen  wäre, 

SitzQDffsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  8.  Abh.  10 


146  TBL  Abhandlufi    ObUk. 

so  wäre  es  mit  meiner  Unfehlbarkeit  auch  bei  dem  Werke 
selbst  (wenn  es  je  erscheint)  dahin;  es  würden  sich  serbische 
und  balgarische  (patriotische)  Altgläubige  finden.  Dagegen 
möchte  ich  —  wenn  es  Ihre  Zustimmung  findet  —  im  Archiv 
kurze  skizzenhafte  Darstellungen  (der  wichtigsten  Erscheinungen  i 
der  makedonischen  Dialecte  geben,  sobald  ich  das  bereits  Ge- 
sammelte an  Ort  und  Stelle  controlirt  oder  überhaupt  irgendwo 
am  Ort  selbst  Aufzeichnungen  gemacht.  So  würde  ich  auch 
in  geschickter  Weise  für  meine  zukünftige  ausführliche  dia- 
betologische Abhandlung  Reclame  machen!!  Der  Unterschied 
wäre  nur  der,  dass  damit  erst  im  4.  Heft  des  Archivs  begonnen 
werden  könnte  und  nicht  bereits  im  3.,  und  dass  das  Gebo- 
tene in  jeder  Hinsicht  zuverlässig  wäre.  Ich  sehe  auch  einer 
Angabe  betreffs  der  Anzeige  von  Kalina's  Werk  entgegen. 

Ich  habe  jetzt  bei  mir  ungefähr  250  Seiten  Predigten, 
geschrieben  vor  30  Jahren  in  griechischer  Schrift  (ergänzt  mit 
einigen  mehr  gezeichneten'  bulgarischen  [kirchenslavischen] 
Buchstaben),  ganz  im  Dialect  von  Visoko  (unweit  von  Suho 
und  diesem  sehr  ähnlich).  Ich  werde  jedenfalls  Einiges  davon 
abschreiben  und  denke  schon  jetzt  darüber  nach,  wo  ich  dies, 
begleitet  mit  kurzen  Anmerkungen  (aber  keiner  ganzen  Ab- 
handlung), publiciren  könnte.  Es  ist  dies  ein  schönes  dialecto- 
logisches  Material  aus  einem  interessanten  Gebiete.  —    —   — 

6. 

6alonichi,  14.  Jänner  1892. 

Ich  habe  mich  schon  zu  einem  Gang  in  die  bulgarische 
Volksschule  aufgerafft,  aber  die  Mühe  war  umsonst,  da  die 
Knaben  erkrankt  sind.  Wahrscheinlich  wird  sich  die  Sache 
so  arrangiren  lassen,  dass  der  betreffende  Knabe,  sobald  er 
gesund  wird,  mich  wöchentlich  zwei  bis  dreimal  besucht;  in 
der  Schule  selbst  ist  das  Nachforschen  doch  unangenehm.  Ich 
kann  also  heute  keine  diabetologischen  Mittheilungen  machen; 
von  der  Mundart  von  GaliÖnik  (Debra)  glaube  ich  bereits  in 
meinem  letzten  Brief  berichtet  zu  haben.  Sobald  das  Wetter 
einigermassen  warm  wird,  besuche  ich  eine  Hirtencolonie  (un- 
gefähr zwei  Stunden  von  hier,)  ausschliesslich  Leute  aus  Galidnik. 


MftMdontolM  Studios.  147 

die  ganz  abgeschlossen  und  einsam  den  Winter  hier  mit  ihren 
Herden  zubringen  und  daher  ihre  Sprache  ganz  rein  bewahrt 
haben.  Ich  erwarte  schon  mit  Ungeduld  den  Frühlingsanfang, 
dann  beginnt  die  Arbeit.  Es  fehlt  zwar  hier  nicht  an  Leuten 
aus  Debra,  und  auch  aus  anderen  Gegenden  Hesse  sich  jemand 
finden,  allein  ihre  Sprache  ist  schon  ein  Gemengsei  verschie- 
dener Dialecte;  besser  weniger,  aber  Sicheres!  Um  mich  wenig- 
stens einigermassen  nützlich  zu  machen,  sende  hier  eine  kleine 
Anzeige.  Ich  habe  mich  bemüht,  mich  kurz  zu  fassen  und 
ich  sehe,  dass  dies  nicht  so  leicht  ist.  Die  erwähnte  Legende 
ist  jene,  die  den  Passus  von  der  Taube  mit  Buchstabenbündel 
enthält,  und  gerade  diese  Stelle  war  ja  in  dem  von  Porph. 
benutzten  Texte  verderbt,  sie  kann  jetzt  verbessert  werden. 
Anzeigen  ohne  alle  wissenschaftliche  Hilfsmittel  zu  schreiben 
ist  ein  schwierig  Ding.  Ich  glaube  mich  zu  erinnern,  dass  ein 
telko  auch  den  grosspolnischen  Dialecten  bekannt  ist,  es  kommt, 
glaube  ich,  auch  in  jenem  Texte  vom  Jahre  1526  vor,  den 
KryÄski  im  Prace  II  (Erzählung  von  der  Eupraxia?)  veröffent- 
lichte, aber  ich  wagte  doch  nicht  aus  dem  Kopf  zu  citiren.  Ein 
Lied  des  Inhaltes,  dass  neun  Brüder  auf  den  Fluch  der  Mutter 
sterben  etc.  habe  ich  noch  diesen  Sommer  gelesen,  aber  wo?  Ist 
es  nicht  im  2.  Band  des  Vuk?  Ich  hoffe  in  kurzem  eine  kleine 
Anzeige  der  Abhandlung  Conjefs  über  den  ostbulgarischen 
Vocalismus  zu  senden,  wenn  es  mir  gelingt  das  1.  Heft  des 
Period.  Spisan.  (Sofia)  aufzutreiben.  Mir  ist  nämlich  die  An- 
sicht, dass  der  Umlaut  des  a  zu  e  im  Bulgarischen  nur  durch 
die  Analogie  des  von  *k  (la)  zu  e  hervorgerufen  wäre,  ganz 
unwahrscheinlich,  aber  es  geht  mir  hier  alles  diabetische  Ma- 
terial für  die  ostbulgarischen  Gegenden  ab.       —    —     —    — 

7. 

Salonichi,  9.  Februar  1892. 

Die  Frage  über  die  Stellung  der  macedonischen  Dialecte 
ist  bereits  gründlich  gelöst  und  ich  könnte  nach  Hause  zurück- 
kehren !  Es  erschien  soeben,  KapTa  cpncKHX  3eif a-fca  mit  einer 
langen  ,historisch-sprachlichen'  Einleitung,  herausgegeben  von 
der  serbischen  ,Omladina*.  In  ganz  Macedonien,  westlichem 
Bulgarien   sammt  Sofia,  ja  theilweise   noch  in  den  Rhodopen 

10» 


148  VIII.  AMmndlwif:    ObUk. 

sind  nur  Serben!  Um  dieses  grossserbische  Gebiet  besser  zu 
arrondiren,  werden  auch  die  östliche  Hälfte  Erains  und  die  öst- 
lichen Theile  der  Südsteiermark  hinzngeschlagen !  Drinov  und 
die  Miladinovci  werden  als  Falsificatoren  erklärt,  alle  von  den 
Bulgaren  aufgezeichneten  Lieder  sind  umgearbeitet  etc.!!  Ich 
preise  mich  glücklich,  dass  ich  diese  glänzende  Abhandlung 
noch  rechtzeitig  erhielt,  denn  erst  jetzt  weiss  ich,  dass  der 
Dialect  von  Suho  gar  nicht  bulgarisch  ist!  —  —  Man  muss 
die  Serben  sehr  bedauern,  dass  sie  eine  solche  Universitäts- 
jugend haben,  die  nichts  lernt  und  nichts  weiss.  —  —  — 
Ich  habe  jetzt  einen  Tag  unter  den  Schafhirten  von  Ga- 
liönik  in  ihrer  Strohhütte  an  ihrem  Herdfeuer  verlebt  Ich 
fand  Alles,  was  ich  mir  bereits  früher  aufgezeichnet,  bestätigt 
Der  Artikel  ist  dreifach:  govhlarot,  petlca-va  (meine  Ferse), 
dfaieska  je  ubaf  dhnof.  Die  Silben  sind  grösstenteils  kurz, 
doch  auch  ~  und  ',  z.  B.  nd  sut,  ndprava  (1.  Sgl.),  pdönaf. 
Für  q  steht  o,  einigemal  auch  u :  gtiski,  güslo  Q  ist  ein  nur  im 
geringen  Grade  hartes  Z),  gushnica,  sut,  sudtt,  selten  a:  ielad, 
bbraö  und  auch  geradezu  6brt>6.  Ob  das  u  in  den  Fällen  nach 
g  so  aufzufassen  ist  als  etwa  in  sut,  ist  mir  fraglich,  es  scheint, 
dass  hier  der  gutturale  Charakter  des  g  mitgewirkt  hat,  vgl. 
besonders  gülabi,  also  u  trotzdem  es  betont  ist;  hieher  gehört 
auch  mnbgu,  während  sonst  das  neutr.  o  als  solches  bleibt  oder 
sich  nur  wenig  dem  u  nähert,  also  i%.  Die  Lautgruppe  je 
wird  einigemal  durch  jo  vertreten :  jozik,  jotfva,  joömen ,  liegt 
hier  ein  Wandel  des  jft  in  jq  vor  oder  ist  es  so  aufzufassen 
wie  oste?  Für  ostbulg.  St,  id  erscheint  gewöhnlich  6,  $,  selten 
Je,  g,  z.  B.  mhgu  aber  mefa,  tufi  aber  tüga,  veJci,  daneben  selten 
auch  So:  leSöa,  kleSH,  puSta,  wobei  das  6  nur  schwach  gehört 
wird.  Doch  So  und  nicht  S6o  (Sto).  In  den  Partie,  wie  gle- 
dd^Ki  nur  K,  niemals  <5.  Die  Aussprache  des  z  ist  in  gewissen 
Fällen  sehr  scharf,  man  vermeint  fast  ein  %  zu  hören,  z.  B. 
zet,  zvezda.  Für  l  —  61  und  \,  wobei  aber  in  den  Fällen,  wo 
nur  l  erscheint,  dieses  sehr  schwach  gesprochen  wird:  vblna, 
dblga,  vlk,  jäblka.  —  öereSna,  öereva.  In  der  Conjugation  fehlt 
das  m  in  der  1.  Sgl.  selbst  bei  Verben  der  V.  Cl.,  ja  sogar 
nur  su  und  nicht  sum.  Gerade  dies  Beispiel  scheint  aber  da- 
für zu  sprechen,  dass  die  Verben  V.  Cl.  sich  erst  spät  mit 
den  übrigen  in  der  1.  Sgl.  ausgeglichen,  dass  sie  also  in  älterer 


Muoedoniaohe  Studien.  149 

Periode  wie  in  den  meisten  balgarischen  Dialecten  ein  m  hatten ; 
für  su  muss  dies  angenommen  werden,  denn  sonst  bleibt  das 
u  anerklärt,  eine  Anlehnung  der  1.  Sgl.  an  die  3.  Sgl.  liegt 
hier  nicht  vor,  da  letztere  se  (was  ist  damit  anzufangen,  ist  e 
an  das  auslautende  e  der  3.  PL  der  häufigen  Aor.  angelehnt?) 
lautet.  Diese  Aufzeichnungen,  die  zwar  für  mich  selbst  sicher 
und  unzweifelhaft  sind,  werde  ich  doch  trachten  nochmals  und 
zwar  an  Ort  und  Stelle  zu  prüfen,  um  ja  das  Gewissen  selbst 
der  grössten  Zweifler  zu  beruhigen.  Mit  dem  Resultate  dieses 
Eintagsausfluges  bin  ich  ganz  zufrieden,  obwohl  mich  derselbe 
zehn  Gulden  kostet.  Mein  Plan  für  meine  erste  Reise  ist  schon 
fertig  gestellt,  ich  warte  nur  warmes  Wetter  ab;  wenn  die 
Jahreszeit  günstig  ist,  so  kann  ich  schon  am  1.  März  auf- 
brechen. Ich  gehe  von  hier  über  Suho  (wobei  ich  alle  umlie- 
genden Dörfer  besuche)  nach  Seres,  bleibe  dort  7 — 10  Tage 
um  die  Mundarten  der  Umgebung  zu  studiren,  von  dort  gehe 
ich  bis  nach  Drama  und  dann  nach  Nevrokop  (am  Südwest- 
abhänge  der  Rhodopen)  und  Melnik,  von  dort  nach  Petriö, 
Strumica,  Dojran,  KukuS,  Salonichi.  Diese  Tour,  auf  4—6 
Wochen  berechnet,  wird  äusserst  beschwerlich,  oft  wird  kaum 
ein  ordentliches  Pferd  aufzutreiben  sein.  Ich  denke  an  diese 
Reise  nicht  gerade  mit  Vergnügen,  aber  glaube,  dass  sie  in- 
teressante diabetologische  Ausbeute  liefern  wird.  Vorher  will 
ich  aber  auf  kleineren  Reisen  die  Umgebung  Salonichi's  be- 
reisen. Jetzt  ist  dies  noch  unmöglich,  bei  schönem  Wetter 
kann  man  sich  in  die  Dörfer  bei  Tage  leicht  wagen,  doch  die 
Nächte  sind  noch  immer  sehr  kühl  und  im  Dorfe  nirgends  ein 
ordentliches  Nachtlager.  Wenn  ich  meine  Aufgabe  so  lösen 
will,  wie  ich  mir  dieselbe  ausgedacht,  und  also  ganz  Mace- 
donien  bereisen  will,  bedarf  ich  einer  ziemlich  ausgiebigen 
Unterstützung  des  Ministeriums,  hauptsächlich  muss  aber  die- 
selbe rechtzeitig  eintreffen,  und  doch  möchte  ich  nicht  gerne 
früher  um  dieselbe  einkommen,  bis  nicht  die  Grazer  Ange- 
legenheit erledigt  ist.  Es  fragt  sich  nur,  ob  das  Ministerium 
auch  diese  Angelegenheit  (der  Unterstützung)  in  gewohnter 
Langsamkeit  erledigen  wird,  dann  dürfte  ich  allerdings  erst 
in  Cilli  die  Sendung  erhalten! 

Ich  möchte  mir  Ihren  Rath  in  der  Art  des  diabetischen 
Ausforschens  erbitten.    Wichtig  ist,    einen   Modus    zu  finden, 


150  VIII.  Abhmndlonf :    ObUk. 

der  ermöglicht  solche  Aufzeichnungen  in  gewünschter  Rich- 
tung möglichst  schnell  zu  machen,  und  gerade  über  jenes 
sich  zu  informiren,  was  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  interessant 
oder  wenigstens  für  die  Classification  wichtig  sein  könnte. 
Wenn  ich  die  Leute  einfach  sprechen  lasse,  so  kann  ich  eine 
ganze  Woche  oder  noch  länger  warten  bis  es  [der  Zufall  fügt, 
dass  ich  über  eine  Form  oder  einen  lautlichen  Reflex  etwas 
erfahre.  Ich  verfahre  jetzt  so,  dass  ich  zuerst  die  Leute  frage, 
wie  sprecht  ihr  dies  und  jenes  aus,  wobei  ich  immer  das  Wort 
in  einer  anderen  Form  ausspreche,  als  es  wahrscheinlich  in 
ihrem  Dialecte  lautet.  Erst  wenn  ich  mich  schon  über  alle 
lautlichen  Eigentümlichkeiten  informirt,  lasse  ich  mir  lungere 
Sätze  vorsprechen.  Vielleicht  haben  Herr  Professor  noch  welche 
specielle  Wünsche,  die  sich  etwa  bei  den  Vorträgen  über  die 
vergleichende  slavische  Grammatik  ergeben  haben?  —   —  — 

Beim  Lesen  bulgarischer  Volkslieder  ist  mir  aufgefallen, 
dass  einige  serbische  Helden  selbst  den  Liedern  aus  den  Rho- 
dopen  bekannt  sind,  ein  kritisch -vergleichendes  Studium  der 
serbischen  und  bulgarischen  Volkslieder,  besonders  der  Volks- 
epik, wäre  höchst  interessant ;  vielleicht  bringt  hierin  die  grosse 
Abhandlung  des  dänischen  (schwedischen?)  Gelehrten,  die  ich 
in  zwei  Hefken  im  Redactionsfach  des  Archivs  sah,  einiges 
Licht.     —     —     —     —     —     —     —     —     —    —     —     — 

P.  S.  Ich  komme  gerade  vom  türkischen  General-Gou- 
verneur, den  ich  zwar  nicht  selbst  gesprochen  habe,  sondern 
nur  den  Dragoman  unseres  Consulates.  Ich  bedarf  für  meine 
Reise  ins  Innere  unumgänglich  eines  offenen  Empfehlungs- 
schreibens ,Bajrundu'  des  General-Gouverneurs  selbst,  nur  dann 
machen  mir  die  türkischen  Behörden  in  den  kleinen  Orten 
keine  Schwierigkeiten,  und  meine  Reise  ist  nur  bei  einem  sol- 
chen Geleitsbrief  unverdächtig.  Halten  sich  die  kleinen  Be- 
hörden abseits,  so  bin  ich  den  Einwohnern  selbst  verdächtig, 
und  es  ist  dann  jeder  Verkehr  mit  denselben  unmöglich.  So 
wurde  mir  übereinstimmend  von  mehreren  Kennern,  die  Mace- 
donien  und  die  Türkei  bereist,  berichtet.  Unser  Viceconsul 
(einen  Consul  haben  wir  noch  nicht),  ist  erst  seit  Kurzem  da 
und  ein  Neuling  in  allen  türkischen  Angelegenheiten,  er 
hat  die  Sache  verkehrt  angefasst.  Statt  selbst  zum  Pascha  zu 
gehen,  schickte  er  mich  mit  dem  Dragoman   zu  einem  hoben 


Vactdoiiiioha  Stadien.  151 

türkischen  Beamten,  der  eigentlich  in  dieser  Sache  gar  nichts 
zu  entscheiden  hat;  und  wirklich  ist  es  so  geschehen,  wie  mir 
für  diesen  Fall  Jastrebov  vorausgesagt;  der  Pascha  will  mir 
ein  Empfehlungsschreiben  geben  und  kein  Bajrundu.  Das  sind 
die  ersten  Früchte  des  ,Nachthunlichkeits-Empfehlungsbriefes'. 
Ich  bekomme  morgen  dasselbe  und  werde  sehen,  ob  es  mit 
demselben  gerathen  ist  die  Reise  ins  Innere  anzutreten;  wenn 
es  nur  ein  leerer  Wisch  ist,  dann  muss  ich  von  der  Bereisung 
des  ganzen  südlichen  Macedoniens  absehen  (Seres,  Nevrokop, 
Kostur)  und  nach  Bitolj  reisen,  um  dort  für  die  dortigen  Ge- 
genden vom  dortigen  Pascha  ein  solches  Bajrundu  zu  erhalten. 
Ich  werde  mir  bei  Jastrebov  Rath  erholen  und  ihm  das  Schreiben 
vorlegen.  Jener  hohe  türkische  Beamte  hat  mir  angerathen, 
durch  unsere  Botschaft  in  Constantinopel  bei  der  Pforte  ein 
Empfehlungsschreiben  an  alle  türkischen  Vilajets  in  Macedonien 
auszuwirken,  was  ich  nur  für  eine  Falle  halte;  ich  glaube 
aber,  abgesehen  von  allein  anderen,  dass  ich  durch  ein  solches 
,hohe'  Empfehlungsschreiben  den  Behörden  verdächtig  er- 
scheinen würde;  ich  werde  bei  Jastrebov  nachfragen.  Der 
türkische  Beamte  erkundigte  sich,  wie,  das  ist,  in  welcher  Weise 
ich  meine  Forschungen  vornehmen  will,  was  ich  eigentlich 
dabei  suche  etc.,  kurz  mein  Zweck  schien  ihm  etwas  verdächtig. 
Ein  trauriges  Land,  wo  wissenschaftliche  Zwecke  und  Reisen 
verdächtig  erscheinen! 

8. 

Salonichi,  21.  Februar  1892. 

Bei  unseren  Lehrern  —  vielleicht  stehen  die  in  Deutsch- 
land auf  einer  höheren  Stufe  —  muss  ausdrücklich  betont 
werden,  dass  sich  diese  Aufzeichnungen  ganz  von  der  Schrift- 
sprache zu  emancipiren  haben;  gewöhnlich  wird  das  Wort  nur 
in  jenem  Punkt,  nach  dem  man  gerade  fragt,  genau  aufge- 
zeichnet, das  Uebrige  wird  aber  in  der  Form  der  Schriftsprache 
gegeben.    —    —    —    —    —    —     —    —     —     —    —    — 

In  14  Tagen  hoffe  ich  schon  meine  grössere  Reise  ins 
südöstliche  Macedonien  antreten  zu  können,  ich  warte  schon 
kaum  das  Ende  des  qualvollen  Nichtsthun  ab.  Dieser  Tage 
mache  ich  einen  grösseren  Ausflug  in  die  Umgebung  Salonichi's 


152  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

im  weiteren  Sinne.  Der  Dialect  von  Galiönik  ist  fast  voll- 
endet, er  ist  nur  lautlich  interessant.  Nach  vielen  Jahren  las 
ich  abermals  Sievers'  Phonetik  durch,  aber  ohne  jeden  prak- 
tischen Nutzen  für  meine  dialectischen  Beobachtungen.  Ich 
kann  doch  nicht  mit  Kautschukschläuchen  herumziehen  und 
die  Tuschmanier  anwenden,  dazu  gibt  sich  wohl  niemand  hier 
her.  Das  Buch  ist  in  der  Theorie  ganz  vortrefflich,  lässt  uns 
aber  gerade  dort  im  Stich,  wo  wir  Belehrung  suchen.  Vom 
General-Gouverneur  habe  ich  zwei  geschlossene  Schreiben  er- 
halten, mit  denen  ich  mich  abermals  in  Seres  und  Drama 
beim  Pascha  melden  muss,  um  auf  der  Reise  wieder  Zeit  zn 
verlieren.  Zum  Glück  kommt  bald  Schm.  —  her,  der  die 
türkischen  Verhältnisse  kennt. 

9. 

Salonichi,  27.  Februar  1892. 

Da  ich  definitiv  in  8 — 10  Tagen  von  hier  abreise,  so 
möchte  ich  ersuchen  zu  urgiren,  dass  ich  nach  Möglichkeit 
bis  dahin  die  Correctur  der  ,Altslovenischen  Bemerkungen'  er- 
halte. Später  habe  ich  bis  nach  meiner  Rückkehr  aus  Mace- 
donien  keine  Gelegenheit,  die  Correctur  zu  lesen.  —  —  — 
Für  die  Reise  ist  bereits  Alles  vorbereitet.  Ich  glaube  von 
Seres  den  ersten  diabetologischen  Beitrag  fürs  Archiv  senden 
zu  können  und  hoffe,  dass  er  ungefähr  am  25.  März,  noch  nicht 
zu  spät  für's  4.  Heft,  kommt. 

10. 

Salonichi,  4.  Mari  1892. 

Gestern  abends  um  10  Uhr  bin  ich  vom  Dorfe  Vardarovce, 
ungefähr  10  Stunden  von  da,  in  Begleitung  von  zwei  Gendar- 
merieoffizieren und  vier  Gendarmen  als  Spion  zurückgekehrt, 
nachdem  zwei  Gendarmen  sich  vorher  entfernt.  Die  Nacht  ver- 
brachte ich  auf  dem  Polizeiamte.  Ich  ging  von  hier  nach  Novo 
selo  und  nach  vier  anderen  Dörfern,  und  hatte  gerade  meine 
Aufzeichnungen  in  Vardarovce  fast  vollendet,  als  die  Katastrophe 
eintrat.  Ich  sass  beim  Popen  am  Herdfeuer  und  machte  ruhig 
meine  Notizen,    plötzlich   verfinstert  sich  das  elende  Zimmer, 


Mocedonische  Studien.  153 

als  ich  aufblicke,  sehe  ich  einen  türkischen  Offizier  mit  Revolver 
auf  mich  stürmen,  hinter  ihm  sechs  Suvaris'  (Gendarmen)  mit 
gespanntem  Gewehr.   Er  reisst  mir  mit  wildem  Blick  mein  Notiz- 
buch  aus   der  Hand,    packt   schnell  meine  wenigen  Schriften 
zusammen,  jagt  die  Einheimischen  hinaus  und  durchsucht  zu- 
erst  meinen    Pferdetreiber.     Dann   kam   die   Reihe    an   mich. 
Alles  wurde  mir  weggenommen  bis   aufs  Geld   und  die  Uhr. 
Wir  wurden  zuerst  zum  türkischen  Dorfrichter  escortirt.     Ich 
zeigte  gleich  beim  Anfall  dem  Offizier  meinen  Pass  und  ins- 
besondere das  Schreiben  des  General-Gouverneurs,  aber  er  griff 
es  nur  mit  Hast,  um  es  ungesehen  fn  die  Tasche  zu  stecken. 
Ich  protestirte,  erklärte,  dass  ich  österreichischer  Unterthan  bin, 
alles   vergebens;   sie   verstanden  zwar  nichts,  ausser   dass  ich 
ein  österreichischer  Unterthan  bin,  aber  darauf  nahm  man  keine 
Rücksicht.     Vom   Dorfrichter  wurden  wir   nach   Salonichi  es- 
cortirt.    Durchnässt  bis   auf  die   Haut  und  fast  erstarrt  vom 
heftigen   kalten   Wind   kamen   wir   dort  an,    nachdem   ich  an 
diesem   Tage  zwölf  Stunden  zu  Pferde  war,   obwohl  ich   das 
Reiten  gänzlich  ungewohnt  bin !  Dass  ich  heute  fast  weder  gehen 
noch  sitzen  kann,  ist  ganz  begreiflich.   Um  ein  Uhr  nach  Mitter- 
nacht wurde  ich  verhört,  aber  wir  konnten  uns  fast  nicht  ver- 
ständigen.    Heute   wurde   ich   in  Gnaden   entlassen,   während 
der  arme  Teufel,  mein  Pferdeführer,  der  kein  fremder  Unterthan 
ist,  noch  jetzt  sitzt.      Also  trotz  des  Passes  und  des  Empfeh- 
lungsschreibens kann  einem  ein  solcher  unfreiwilliger  Transport 
passiren.     —     —     —     —     —     —    —     —     —     —     —     — 

In  den  fünf  Dörfern  machte  ich  genug  interessante  Be- 
merkungen. In  zwei  Dörfern  fand  ich,  dass  die  alte  Mutter 
noch  8c  sprach,  während  ihr  daneben  sitzender  Sohn  schon  U9 
und  trotzdem  war  er  fest  überzeugt,  dass  er  ganz  so  spreche. 
In  den  drei  ersten  Dörfern  fand  ich  noch  H  in  Wörtern  wie 
Jdeäte,  o&te,  in  den  letzten  zwei  entfernteren  von  Salonichi 
bereits  U.  Ueberall  6 ,  £  bis  auf  Üb  (Futur.) ;  lange  Accente 
sind  öfters  stark  bemerkbar,  davon  hängt  sogar  in  einigen 
Dörfern  der  Wandel  des  aj  in  ej  ab,  d.  h.  kurz  betontes  aj 
wird  ej.  Rhinesmus  erhalten  nur  in  endza  gä  fatl  und  zamba, 
wenn  dieses  kein  Fremdwort  ist,  sonst  bis  auf  vereinzelte  Aus- 
nahmen für  qj  und  a  nur  ^,  aber  nicht  von  ganz  gleicher  Klang- 
farbe in  allen  fünf  Dörfern.  —  Wenn  ich  nur  mein  Notizbuch 


154  VIII.  Abhandlung:    ObUk. 

zurück  bekomme,  wo  alle  meine  bisherigen  Aufzeichnungen 
eingetragen  sind,  wenn  man  es  nicht  als  verdächtig  ver- 
brennt! Von  den  vielen  Beschwerden  und  Unannehmlich- 
keiten, Schwierigkeit  wegen  der  Nahrung  etc.  will  ich  heute 
gar  nicht  sprechen,  ich  bin  zu  müde  und  muss  schliessen. 

Alle  jene  Leute,  die  mich  auf  meiner  Reise  gastfreundlich 
aufgenommen,  dürften  Unannehmlichkeiten  haben,  eingesperrt 
und  zu  Geldstrafen  verurtheilt  werden.  Sie  erbarmen  mir  wirk- 
lich, aber  unser  Consul  hat  noch  nicht  verlangt,  dass  man  meine 
Führer  los  lasse,  obwohl  er  dies  leicht  erlangen  kann.  Das 
Reisen  in  den  Dörfern  ohne  private  Empfehlungen  von  Dorf 
zu  Dorf  ist  unmöglich,  die  Leute  sind  zu  misstrauisch,  und 
sie  haben  vollkommen  Recht.  Ich  kann  es  nicht  leicht  über 
mich  bringen,  die  Leute  solchen  Gefahren  auszusetzen.  Um 
etwas  leichter  zu  reisen,  müsste  ich  mich  als  Antikensammler 
ausgeben,  aber  dann  könnte  ich  so  gut  wie  keine  sprachlichen 
Aufzeichnungen  machen.  Der  Consul  sagte  mir  auch,  dass  es 
sehr  zweifelhaft  ist,  ob  ich  vom  hiesigen  General-Gouverneur 
Empfehlungsschreiben  in  andere  Gebiete  erhalten  kann,  z.  B. 
nach  Veles.    Ohne  dieselben  ist  das  Reisen  ein  Unding. 

11. 

tialonichi,  5.  Mars  1892. 

Jedes  weitere  Reisen  in  Macedonien  ist  für  mich  ab- 
solut unmöglich.  Ich  war  heute  abermals  bei  unserem  Consul 
und  er  gab  mir  den  guten  Rath,  so  bald  als  möglich  aus  der 
Türkei  fortzureisen.  Ich  stehe  bei  den  Türken  jetzt  im  Ge- 
rüche eines  Spions,  und  es  ist  sogar  fraglich,  ob  sie  mir  einen 
Pass  nach  Athos  geben.  Sie  sagen,  in  meinen  Aufzeichnungen 
befinden  sich  nur  Notizen  über  die  Zahl  der  Bulgaren  in  Ma- 
cedonien!! kü6a,  nazot,  de6o  etc.  scheinen  also  nichts  ab  eine 
neue  Methode  der  Volkszählung  darzustellen,  denn  ausser  solchen 
Dingen  ist  absolut  nichts  im  Notizbuch.  Wenn  ich  den  Pass 
nach  Athos  erhalte,  so  gehe  ich  mit  dem  nächsten  Schiff  dahin 
ab,  nachdem  ich  mich  vorher  hier  bei  einigen  Athosmönchen 
erkundigt,  ob  es  mir  möglich  ist,  eine  ö — 6-wöchentliche  Fasten- 
probe auszuhalten.  Wenn  mir  unmöglich  ist  dahin  zu  gehen, 
so   reise  ich  nach  Krk  und  die  benachbarten   Inseln   nm   dort 


lUcedoniflch«  Stadien.  155 

die  Dialecte  zu  studieren;  hoffentlich  sieht  man  dort  in  mir 
keinen  nissischen  Spion.  Die  hiesige  Polizei  hat  erfahren,  dass 
ich  bei  Jastrebov  war,  und  deshalb  bin  ich  ihr  jetzt  noch  ver- 
dachtiger, es  scheint  mir  fast,  dass  auch  der  Consul  etwas 
zweifelt,  ob  ich  nicht  politische  Missionen  verfolge  1!  In  Bel- 
grad halte  ich  mich  jedenfalls  einige  Zeit  auf,  und  wenn  ich 
in  den  dortigen  Bibliotheken  lohnende  Arbeit  finde,  so  ver- 
längere ich  meinen  Aufenthalt.  Für  Krk  hoffe  ich  mich  durch 
Mil£eti6  in  Fiume  mit  einigen  Empfehlungen  versehen  zu 
können. 

Für  derartige  genaue  diabetische  Studien,  wie  ich  sie 
im  Auge  hatte,  ist  in  Macedonien  noch  lange  nicht  die  Zeit 
angebrochen.  Hier  kann  deutsche  Gründlichkeit  sehr  gefähr- 
lich werden.  Wenn  ich  nur  von  Stadt  zu*  Stadt  reise,  die 
Dörfer  nur  gelegentlich  berühre,  so  erregt  dies,  wenn  man  ein 
Schreiben  der  Behörde  hat,  keinen  Verdacht,  aber  von  Dorf 
zu  Dorf,  das  soll  jetzt  noch  niemand  wagen  und  keine  Uni- 
versität jemanden  zu  solchen  Zwecken  hieher  senden.  Leicht 
ist  es  Volkslieder  zu  sammeln,  denn  da  reist  man  vorgeblich 
als  Botaniker  oder  Alterthumsforscher  und  bringt  die  Rede 
auf  die  Lieder,  sobald  man  eines  hört,  bewundert  man  es  und 
zeichnet  es  auf,  aber  anders  ist  es  bei  rein  diabetologischen 
Zwecken,  wenn  man  aus  der  Quelle  selbst,  d.  i.  an  Ort  und 
Stelle  schöpfen  will.  —  Welche  Vorbereitungen  hatte  ich  be- 
reits für  die  Reise  getroffen,  und  jetzt  ist  Alles  umsonst. 

Mein  Schreiben  berechtigte  mich  nach  wiederholten  Ver- 
sicherungen J.'s  auch  zur  Reise  in  die  jetzt  bereisten  Dörfer, 
dieselben  liegen  nicht  so  weit  abseits,  der  Dialect  dieser  Dörfer 
steht  in  engster  Beziehung  mit  dem  auf  dem  Wege  von  Salo- 
nichi  nach  Seres.  Ich  kann  ja  bei  derartigen  Reisen,  wo  es 
sich  um  die  Feststellung  des  Verhältnisses  der  einzelnen  Mund- 
arten zu  einander  handelt,  nicht  im  Voraus  bestimmen,  in 
welche  Dörfer  mich  die  Reise  führt,  man  kann  durch  diabeti- 
sche Funde  ganz  verschlagen  werden.  So  was  ist  aber  hier, 
wie  ich  jetzt  sehe,  ganz  unmöglich.  Hätte  ich  das  früher  ge- 
wusst,  ich  hätte  mich  mit  weniger  begnügt  und  andere  Zwecke 
verfolgt.  Ich  tröste  mich  jetzt  damit,  dass  auch  Krk  ein 
diabetologisches  Kalifornien  ist. 


156  VIII.  Abhandlung:    ObUk.   KAOtdonische  Studien. 

Ich  war  beim  Consul;  er  gibt  mir  keinen  Pass  nach  Athos, 
weil  er  fürchtet,  dass  ich  dort  abermals  verhaftet  werden 
könnte.  Er  bat  mich  wenigstens  zehnmal  gleich  abzureisen, 
denn  ich  sei  den  Türken  im  hohen  Grade  verdächtig,  und  er 
könne  nicht  mehr  lange  für  meine  Sicherheit  garantiren.  Ich 
reise  also  nach  Belgrad;  dorthin  bitte  unter  post  restante  um 
Mittheilungen. 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung  S.  1—8.  —  Kurse  Beschreibung  der  Laute  und  Uebersicht  des 
phonetischen  Werthes  der  Buchstaben  8.  8—10. 

Lautlehre.  Vooalismue. 

Halbvocale  8.  11—18.  —  Nasalvocale  8.  18—26.  —  T>  S.  25—26.  —  A 
8.  26-30.  —  E  8.  30-32.  —  O  8.  32—34.  —7  8.  34—36.  —  -vi 
8.  36—37.  —  U  8.  87.  —  Halbvocale  in  Verbindung  mit  r— /  S.  38 
bis  41.    -  Contraction  8.  41—42. 

Consonantismus. 
Allgemeines  8.  42—46.    —   Verhärtung   und    Erweichung    der    Consonanten 
S.  46—55.   —   Consonanten  in  Verbindung  mit  nachfolgendem  j  S.  55 
bis  68.    —    Veränderung   der   Consonanten    und   Consonantengruppen 
8.  69—82.  —  Accent  und  Quantität  8.  82—88. 

Formenlehre. 

Nominale  Declination  8.  89—95.  —  Pronominale  und  zusammengesetzte  De- 
clination  8.  96-97.  —  Artikel  8.  97— 102.  -  Conjugation.  Allgemeines 
8.  102—104.  —  Präsens  8.  104-112.  —  Imperativ  S.  112— 115.  - 
Aorist  8.  116—119.  —  lmperfect  8.  119—120.  —  Participia  8.  120 
bis  122.  —  Futurum  8.  122.  —  Adverbia  8.  122.  —  Kurze  Charak- 
teristik der  Dialecte  8.  122-126.  -  Verzeichnis«  häufigerer  Abkür- 
zungen S.  126—127. 

Anhaue:  S.  128  —  156. 


IX.  Abb.:    Mussafia.  Zor  Kritik  and  Interpretation  romanischer  Texte.  1 


IX. 
Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte. 

Ein  Beitrag 

ron 

Adolf  Mussafia, 

wirkl.  Mitfüede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


SOÄDEL. 

I. 


Car  no-lli '  n  valc  capiros  ni  viseira 
que  de  la  galta  no-ll*  en  fezes  cartiers. 

Der  einzige  Fall  von  epischer  Cäsar  läset  sich  dadurch 
beseitigen,  dass,  wie  in  solchen  Constructionen  üblich,  que  un- 
ausgedritckt  bleibt. 

VII. 

Ben  a  gran  tort  car  in'  apella  joglar, 
18     c*  ab  autre  vau  et  autre  yen  ab  me, 

e  don  ses  penre  et  el  pren  ses  donar, 
20     qu'  en  son  coro  met  tot  quan  pren  per  merce, 

mafl  eu  non  pren  ren  don  anta  m'  eschaja, 

anz  met  ma  renda  e  no'n  vuoill  guizerdon 

mae  boI  d'  amor  .  .  . 

18  vau  muss  dritter  Person  sein  und  ist  daher  wohl  zu 
vai  zu  ändern.  Denn  die  Antithese  erscheint  dreimal:  ,er 
(Peire  Bremon)  geht  mit  Anderen,  Andere  gehen  mit  mir;  ich 
gebe  ohne  zu  nehmen,  er  nimmt  ohne  zu  geben;  er  verwendet 
für  seinen  Leib,  was  er  von  fremder  Mildthätigkeit  empfängt,  ich 
nehme  nichts,   was  mir   zur  Schmach  gereichen   könnte,   ver- 

1  Ed.  Cesare  De  Lollis,  Halle  1896.  —  Wo  es  nicbt  darauf  ankommt,  die 
Lesung  der  Handschrift  genau  wiederzugeben,  uniformiere  ich  leise  die 
Graphie.  Enclitica  (mit  Ausnahme  von  an  Präposition  angelehntem  Ar- 
tikel) bezeichne  ich,  der  Deutlichkeit  halber,  mittelst  eines  vorgesetzten 
Punktes. 
Sitxungsber.  d.  phil  -hist.  Ol.  CXXX1V.  Bd.  9.  Abh.  1 


&  IX.  Abhandlung:    Mutsafia. 

wende  vielmehr  meine  Einkünfte  [zu  Nutzen  Anderer],   und 
wünsche  keinen  anderen  Lohn  als  Liebe*. 

25     Car  sol  si  aap  peigner  et  afaitar  .  .  . 

28     cre  que'is  n'  azaut  tota  domna  de  se;1 
mas  eu  non  crei  que  pros  domna  8f  atraja 
vas  tant  vil  cors  per  tant  vil  ochaison  .  .  . 

33     En  luoc  d'  ausberc  fai  cami&a  redar  . . . 

36     e  per  escut  pren  mantel  e'l  rete ; 

e  si  per  so  a  d'  araor  ren  que'il  plaja 
reptar  pot  hom  amor  de  tracio : 
mas  non  o  fai  mas  per  semblansa  gaja 
lo  fals  feignens,  car  al  res  no  *  ill  ten  pro. 

Die  Interpretation:  ma  d'amore  egli  non  s'occupa  se 
non  per  darsi  1'  aria  d'  uomo  gajo,  scheint  mir  das  Richtige 
wenn  auch  zu  streifen,  doch  nicht  vollständig  zu  treffen.  33  ff. 
wiederholen  in  ausführlicherer  Art  den  25  ff.  enthaltenen  Ge- 
danken: ,ich  glaube  nicht,  dass  eine  edle  Dame  sich  zu  einem 
solchen  Stutzer  hingezogen  fühlen  könne'.  Hier  heisst  es :  »Sollte 
Amor  einem  solchen  Stutzer  etwas  gewähren,  so  müsste  man 
ihn  anklagen',  non  o  fai  steht  in  Beziehung  zu  a  d'  amor 
ren  . . . ;  39 — 40  bedeuten  ,Er  hat  aber  nichts  von  Amor  als  den 
leeren  Schein,  den  er,  sich  freudig  stellend,  hervorzubringen 
sich  bestrebt;  denn  etwas  Anderes  hat  er  nicht  davon'.* 

vin. 

12  e  dizon  que'l  soana  lo  Tempi1  e  lf  Espitals, 
quar  entr'  eis  no  cap  hom  volpils  ni  deslials. 

So  R;  die  andere  Handschrift  home,  mit  einem  Flexions- 
fehler, der  im  Texte  nicht  erscheinen  sollte. 

13  Semblan  sai  qu'  el  fara,  com  que'l  fassa  marrir; 
que  ren  noi  presara  lo  mal  que  m'  auzis  dir. 

Besser  in  R :  non  presara,  ohne  proleptisches  'l ,  das  hier 
wenig  passend  und  wegen  'l  in  der  vorangehenden  Zeile  ver- 
wirrend ist. 


1  So  mit  Stimming;  De  L.  zieht  dessc  vor. 

*  Keineswegs  ausgeschlossen  ist  die  Möglichkeit,  dass  per  «emUan$a  yaja 
sich  auf  die  Frauen  beziehe,  die,  den  Stutzer  verspottend,  sich  stellen, 
als  ob  sie  dessen  Liebeswerbungen  freundlich  entgegennähmen. 


Zur  Kritik  nnd  Interpretation  romanischer  Text«.  3 

X. 

1      Lai  al  corate  mon  segnor  voill  pregar 
non  li  plassa  qu'  ab  se'm  men  oltra  mar, 
quar  ben  sapcha  qu1  eu  lai  non  poac  passar; 

4     pero  el  iniez  totz  temps  volri'  estar, 
ben  volria  la  gent  acompagnar 
e  Dens  penses  de  las  armas  salvar. 

V.  4 — 5  sind  mir  wohl  dem  Wortlaute,  nicht  aber  dem 
Znsammenhange  nach  vollkommen  klar,1  ich  halte  jedoch  für 
zweifellos,  dass  6  bedeutet:  ,und  Gott  möge  fttr  Rettung  der 
Seelen  sorgen'.  De  L.  emendiert  Dens  zu  Deu  und  gibt  penses 
mit  ,penserei*  wieder,  ohne  zu  erklären,  wie  er  dann  die  Stelle 
versteht. 

9     Ancar  non  ai  de  la  mar  tant  apres, 
si  tot  lai  gen  sui  nuiritz,  qu'  eu  pogues 
oltra  passar,  per  esfortz  qu1  eu  fezes; 

12     per  que'l  comte  voill  pregar  non  li  pes 

s1  ab  lui  non  pas,  qu1  esser  non  dei  repres, 

qu'  eu  tem  tan  fort  la  mar,  quan  male  temps  es, 

qu1  oltra  non  posc  passar,  per  re  zoin  pes, 

16     e'l  coms  non  deu  voler  qu'  eu  mora  ges. 

In  V.  15  soll  causales  per  mit  concessiver  Bedeutung  vor- 
liegen. Wie  solche  Constructionen  beschaffen  sind  (per  pena 
ch'  eo  patisca,  per  pauc  qu'  eu  agues,  por  entränge  estat  quf  il 
preist]  vgl.,  ausser  Diez,  Tobler  in  Verm.  Beitr.  II  23  ff.)  zeigt 
deutlich  V.  11.  Die  in  V.  15  angenommene  Wendung  lautet 
doch  anders.  Und  wie  wäre  sie  auch  zu  übersetzen?  Etwa 
,so  schwer  es  mir  fällt,  so  leid  es  mir  thut'  ?  aber  pes  ist  schon 
Reimwort  in  V.  12.  Oder  sollte  gemeint  sein:  ,so  sehr  ich  es 
mir  überlege'?  Diess  könnte  höchstens  durch  per  re  que'm 
pes  ausgedrückt  sein.  Man  interpungiere:  .  .  .  no  posc  passar 
per  re,  zo'm  pes.%  ,ich  kann  durchaus  nicht  die  Ueberfahrt 
unternehmen,  Diess  denk1  ich'. 


1  Heiüst  es:  ,ich  will  mich  in  der  Mitte  halten,  d.  h.  nicht  zu  Hause 
bleiben  und  uicht  ius  heilige  Land  ziehen,  sondern  nur  eine  Strecke 
Weges  die  Kreuzfahrer  begleiten1? 

1  Vgl.  dieselbe  Füllsel  XXXX,  803. 

1* 


IX.  Abhandln«:    M«i«»fi». 


XV. 


1 0  aissi  co  stai  mal  al  pro  *  paupretatz, 

si  estai  mal  al  croi  ric  la  rietatz; 

qu'  amdui  trajon  greu  pena  e  greu  türmen, 

e  non  sai  dir  cal  a  major  raneura; 

que "  1  pros  paubres  no  pot  viure  joios, 

e'l  riefe]  croi[s]  via  marritz  e  consiros, 

abdui  vivon  ab  gran  desa Ventura . . . 
21     Per  so  mi  par  que  fos  ben  e  dretura 

que'l  trop[s]  delß  ricx  malvas  e  nuaillos 

fos  mes  al  pauc  del  valen  sofrachos, 

que'l  paucs  e'l  trops,  V  uns  e  Y  autre  pejura. 

V.  24  soll  offenbar  meinen :  ,zu  wenig  und  zu  viel,  Beides 
schadet',  so  dass  pejura  absolut  gebraucht  wäre.  Als  Lesart  der 
einzigen  Handschrift  (T)  wird  lun*  angegeben,  wahrscheinlich 
ein  Druckfehler  für  lun.  Aber  selbst  wenn  T  luns  läse,  würde 
es  sich  empfehlen  V  un  zu  lesen : 2  V  un  e  V  autre  sind  Accu- 
sative  zu  pejura]  das  Komma  ist  zu  tilgen.  Es  wird  hier 
nämlich  der  VV.  14—17  ausgedrückte  Gedanke  wiederholt: 
,wie  dem  tüchtigen  Armen  der  Mangel,  so  schadet  dem 
schlechten  Reichen  der  Ueberfluss'.  Der  Parallelismus  würde 
durch  Aenderung  in  V.  22  zu  del  ric  wesentlich  gewinnen. 
Vgl.  V.  15.  28.  31. 

25     Mas  una  reu  vos  voill  far  entendeu  s 

segon  qu'  ieu  cre  qu*  es  raisons  e  vertatz; 
c'  anc  non  fo  rics  per  aver  om  malvatz 
ni'l  pros  paupres  per  pauc  aver  ni  argen. 


1  Hschr.  und  Druck  pn>&, 

*  Ich  drückte  mich  so  aus,  weil  mir  die  letzten  Hefte  von  Mahn'»  Ge- 
dichten nicht  zugänglich  waren.  Jetzt  sehe  ich,  da/»  T  in  der  That 
luns  hat  Wäre  nicht  das  Komma,  so  milchte  man  Vuns  des  Textes  al» 
Druckfehler  ansehen. 

9  far  etUenden  wird  als  facti  tives  8eitenstück  zu  estrt  enternden  angeseheu; 
wie  dieses  »verstehen',  so  jenes  .verstehen  lassen,  lehren';  die  zunächst 
als  Gerundium  aufzufassende  en-Form  hätte  noch  Verbalkraft;  wie  « 
trastornan  lo  pöble  =  commovet  populum  (Dtez  III,  199 — 200),  so  vot/atz 
mtenden  una  ren  ,ich  mache  euch  zu  einem  Etwas  verstehenden*.  Ver- 
gleicht man  indessen  Stellen,  in  denen  ein  Pronomen  der  dritten  Person 
oder  ein  Substantiv  vorkommt,  so  erkennt  man,  das  w»  Dativ  ist  Da- 
durch wird  die  ingeniöse  Erklärung  —  die  wohl  nicht  der  von  Tobler, 
Verm.  Beitr.  I,  36  ff.   entgegentreten   will  —  hinfällig. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  5 

ni  erleidet  nirgends  Elision;  es  ist  zweifellos  aur  ni  argen, 
die  beliebte  Verbindung,  zu  lesen,  auer  st.  aur  wird  sich  aus 
vorangehender  Zeile  eingeschlichen  haben. 

XVI. 

22  Ai,  com  pot  esser  tan  desvergoignatz 
nuls  om  gen tils,  qeis  an  embastarden 
so  lignage  per  aur  ni  per  argen  ? 

V.  22  nach  I8  K*  würde  der  einzige  Fall  von  überschla- 
gender Cäsursilbe  sein.  TF1  haben  aber  tan  esser ;  man  wird 
die  metrische  Besonderheit  um  so  weniger  auf  Rechnung  des 
Dichters  setzen,  als  PK2  in  derselben  Zeile  fehlerhaft  de  uer- 
goingna  lesen. 

In  V.  23  hat  keine  der  erwähnten  vier  Handschriften  das 
Reflexivpronomen;  sie  lesen  que  oder  qez* 

In  V.  24  haben  PK*T  den  Accusativ,  während  F  sos 
legnages  liest.  Embastardir  kann  Transitiv  3  oder  Intransitiv  sein. 
Der  Sinn  bleibt  sich  in  beiden  Fällen  gleich:  ,wie  kann  ein 
Mensch  von  edler  Herkunft  so  aller  Scham  (oder:  alles  Ehr- 
gefühles) baar  sein,  dass  er  des  Geldes  halber  die  Entartung 
seines  Geschlechtes  herbeiführe?'  oder  ,dass  sein  Geschlecht 
des  G.  halber  immer  mehr  entarte'?  Höchstens  kann  erstere 
Ausdrucksweise,  die  den  Menschen  als  thätig  darstellt,  wirk- 
samer erscheinen. 

IK  weichen  ab;  sie  lesen: 

Ai,4  com  poira  esser  desvergoignatz 
nuls  om  gentils,  que  *  is  vai  embastarden 
sos5  lignages  per  aur  ni'per  argen. 

Es  ist  schwer,  diese  Lesung  als  die  ursprüngliche  anzu- 
sehen. Ist  poira  nicht  Fehler  für  pot  tan  (pottä),  so  mag  man 
darin   eine  —  metrische  —  Correctur   der  Stellung  esser   tan 


1  F  hat  eigentlich  "esaer  "tan. 

9  qez  in  F,  nach  Stengel'8  Abdruck.    Nach  De  L.,   der  zu  qeis  des  Textes 

nur  die  Variante  I'K'T  que  verzeichnet,  hätte  auch  F  qeis. 
9  l'K*  haben,  gegen  den  Reim,  embastardan,  wodurch  das  transitive  Genus 

deutlicher  ausgedrückt  wird. 

4  Eigentlich  Si  mit  irriger  Initialis. 

5  I  so. 


6  IX.  Abhandlung :    Mnscsfia. 

sehen,  die  sich  dadurch  als  ein  alter  Fehler  erweisen  würde.  Das 
Fehlen  von  tan  mag  die  Aenderang  von  an  zu  vai  ver- 
anlasst haben;  que  ist  dann  relatives  Adverbium,  que  ..$0$ 
,dessen'.  Desverg.  könnte  mehr  passive  Bedeutung  haben,  ,wie 
wird  zu  Schande  kommen  der  Mensch  (=  welche  Schande  ffir 
den  Menschen),  dessen  Geschlecht  immer  mehr  entartet*;  re- 
flexives embastardir  mit  gleicher  Bedeutung  wie  intransitives. 
Man  wird  also  lesen: 

Ai,  com  pot  tan  esaer  desvergoignatz 

nuls  om  gentils,  ^       .    an  embastarden 
0  '  que*  18 

son  lignage  .  „ « 

..  °  ^     per  aur  m  per  argen  i  * 
808  lignages  r  r        ° 

Wenn  man  transitives  embast.  vorzieht,  so  nur  que;  wenn 
intransitives,  so  kann  zwar  auch  da  que  bleiben;  es  lässt  sich 
indessen,  ohne  gerade  eklektisch  zu  verfahren ,  das  -s  von  I K 
benützen ;  qez  von  F  wäre  Fehler  fiir  qes. 

XIX. 

In  dieser  Tenzone  trägt  Sordel  den  Bertran  von  Alamanon, 
was  höher  zu  schätzen  sei:  Liebe  oder  Waffenruhm.  Bertran 
entscheidet  sich  für  letzteren.     Darauf  Sordel: 

17      Be  sai  partir  e  vob  mal  prendre,2 

e  parra  be  ans  que'us  partatz  de  ini, 
que  ees  amor  luns  hom  non  a  pretz  fi : 

20     qu'  avetz  chausit  gent  fariatz  apendre, 
quar  anc  laissetz  joi,  domnei  ni  amor 
per  sofrir  colps,  fam  e  freg  e  calor. 

Zu  V.  20  die  Bemerkung:  que  ,ciö  che';  </.  far.  ap.  ,ben 
dovreste  imparare'.  Faire  +  reiner  Infinitiv  wird  mit  Hinweis 
auf  Appel  zu  Peire  Rogier  durch  fare  in  modo  da  erklärt. 
Appel  hat  aber  diess  nicht  gesagt,  er  hat,  faire  blasmar  mit 

1  Raynouard,  Lex.  Rom.  I,  474  liest  pot  tant  es.  d.  .  .  .  qti*  vai  emh.  *o» 
Ugnatges,  was  wie  eine  Combination  von  I*Kf  mit  IK  aussieht.  Ebenso 
der  erste  Vers  V,  608  pot  tant  e*.  d.;  die  zwei  letzten  lauten  II,  193 
n.  om  g.  qne  an  cmb.  ton  Ugnatge  ,nul  homme  gentil  qnt  aille  ab&tar- 
dissant  sa  lignee'  [nuU  und  que  nicht  richtig  wiedergegeben,  weil  Rayn. 
den  Zusammenhang  übersehen  hat]. 

*  Hb.  penre:  die  Reime  entmdre,  atomdre,  defendre  u.  s.  w.  fordern  prendrt. 


Zar  Kritik  and  Interpretation  romanischer  Texte.  7 

faire  a  blasmar  vergleichend,  hervorgehoben,  dass  ersteres 
, bewirken,  dass  man  tadelt*,  letzteres  ^handeln  in  solcher 
Weise,  bewirken,  dass  man  zu  tadeln  geneigt  ist'.  Für  die 
zweite  Wendung  nimmt  Appel  drei  Fälle  an,  von  denen  der 
erste  üblich,  die  zwei  anderen  überaus  selten  sind:  a)  Subject 
von  faire  und  Object  des  transitiven  Infinitivs  sind  identisch:  el 
fax  a  blasmar  ,er  handelt  so,  dass  man  geneigt  ist  [ihn]  zu 
tadeln'  =  ,er  ist  tadelnswerth'.  b)  Subject  ist  ein  Satz,  Ob- 
ject des  transitiven  Infinitivs  ist  ein  Nomen:  Quar  no'i  ausetz 
anar  vos  fax  a  blasmar,  ,dass  ihr  nicht  zu  gehen  wagt ,  be- 
wirkt, dass  man  geneigt  ist  euch  zu  tadeln'  =  ,ihr  seid  tadelns- 
werth,  weil',  c)  Das  Verbum  im  Infinitiv  ist  intransitiv,  sein 
Subject,  verschieden  von  dem  von  faire,  ist  unbestimmt :  tal 
domna  fai  a  viwre  ,eine  solche  Frau  bewirkt,  dass  man  [gerne] 
lebt'.1  Es  ergibt  sich  daraus,  dass  fariatz  ap.  den  Sinn,  den 
ihm  De  L.  zuweist,  nicht  haben  kann.  Eher  liesse  sich  an  jene 
Umschreibung  des  Verbums  mittelst  facere  und  dem  Infinitiv 
denken,  die  sowohl  im  Provenzalischen  als  im  Altfranzösischen 
hie  und  da  begegnet:  fariatz  aprendre  =  aprendriatz.  Diess 
ergäbe  ,ihr  würdet  lernen  was  ihr  gewählt  habt';  diess  passt 
aber  eben  so  wenig  in  den  Zusammenhang  als  ,ihr  müsstet 
lernen  was  u.  s.  w.'. 

Ich  folgte  bisher  der  Ansicht  De  L.'s,  der  in  apendre  (so 
in  allen  drei  Handschriften)  lat.  apprehendere  erblickt  (gibt  es 
aber  eine  solche  Form  neben  aprendre  und  apenre?).  Es  liegt 
indessen  apendre  vor;  fariatz  apendre  ,ihr  würdet  den  Galgen 
verdienen'.  Das  Formelhafte  benimmt  dem  Ausdrucke  seine 
Schärfe;  gemeint  ist  ,ihr  verdient  Tadel,  Strafe';  gent  wäre 
durch  ,mit  Fug  und  Recht'  oder  ,wohl'  wiederzugeben;  von 
den  zwei  anderen  Handschriften  hat  eine  be,  die  andere  ja  •  n. 
In  q\C  avetz  chausit  könnte  que  relatives  Adverbium  sein,  be- 
treffs dessen,  das';  man  wird  vorziehen,  darin  einen  Fragesatz 
zu  erblicken.  Von  den  anderen  Handschriften  hat  M  qes  avez 
pres,  F   (durch  Ambr.  u.  Rice,  vertreten)  e  qauez  pres.     Da 

1  Läset  sich  nicht  kürzer  sagen:  im  Falle  a)  entspricht  a  blasmar  dem 
Neutrum  des  Partie.  Pass.  Fat.?  laudandum  facit  =  fai  a  lauzar,  ,er 
that  Lobenswerthes  =  er  ist  lobenswerth'.  Dann  auch  im  übertragenen 
Sinne:  so.  fai  a  desirar.  Die  seltenen  Fälle  b)  nnd  c)  wären  Nach- 
ahmungen von  a). 


8  U>  Abhandlung:    Mnssafia. 

Bertran  in  der  Entgegnung,    wo   gern  die  vom  Oppositor  ge- 
brauchten Ausdrücke  wiederholt  werden,  sagt: 

Be  mi  sabrai,  Sordel,  de  vos  defendre 
que'l1  mielh  ai  pres  e  dirai  vos:  cossi  * 
iretz  vezer  lieis  qu1  amatz  ab  cap  cli? 

so  Hesse  sich  pres  als  die  ursprüngliche  Lesung  ansehen. 

XX. 

13  enaissi  es  guitz 

per  dretz  guidar  sos  genz  cors  ben  aibitz 
las  pros  en  pretz,  com  las  naus8  en  mar  guida 
la  tramontana  e '  1  fers  e '  1  caramida. 

De  L.  bringt  eine  Reihe  von  beherzigenswerten  Argu- 
menten gegen  diese  von  allen  sechs4  Handschriften  gebo- 
tene Lesung  vor  (nur  eine  hat  den  Fehler  sertz,  eine  an- 
dere fer  5  alle  el  caramida) ;  er  ist  überzeugt,  dass  zwei  Ver- 
gleiche vorliegen,  so  dass  zu  lesen  wäre  e'l  fer  la  caramida. 
Der  Consensus  der  Ueberlieferung  und  der  Umstand,  dass  hier 
nur  von  guitz  und  guidar  die  Rede  ist  und  der  Magnet  wohl 
das  Eisen  zieht  (V  azimans  atrai  lo  fer),  es  aber  nicht  führt 
(oder:  leitet),  zwingen  uns,  caramida  als  Subject  von  guida 
la»  naus  anzusehen.  eml  fers  zu  erklären  wird  vielleicht  jenen 
gelingen,  die  in  der  mittelalterlichen  Naturwissenschaft  bewandert 
sind.  Ich  möchte  noch  fragen,  ob  folgende  mit  allem  Vor- 
behalte ausgesprochene  Conjectur  irgend  welche  Berechtigung 
habe.     Die  dritte  Strophe  beginnt: 


5 


.      _         guida  ferin  lestela  luzenz       Ce,  R 
p     guidal  ferme  stela  luzenz       IK,  Me 
las  naus  qui  van  perillan  pur  la  mar, 
ben  degra  mi  eil  qui'l  sembla  guidar, 
20     qu'  en  la  mar  sui  per  leis  profondamentz 


1  De  L.  qu'  d.     Eben  so  II,  5  *'  el  statt  «el  (tst'l). 
9  So  von  De  L.  interpungiert.    Vielleicht  besser  d.  vos  cossi:  iretz. 
8  Ce  Uu  natu,  IK  la  natu,  MK  la  nau\  De  L.  la  nau,    wogegen  nichts 
einzuwenden  wäre,  wenn  nicht  V.  18  entschieden  für  Plural  spräche. 

4  Eigentlich  fünf,  da  IK  nur  Sine  Hs.  repräsentieren. 

5  R  mit  den  Fehlern  E  por  guidar  .  .  .  baten. 

6  M  ferm  tstda.  % 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  9 

tan  esvaratz,  destreitz  et  esbaitz  * 

que'i  serai  mortz,  anz  que  u'  eisca,  e  fenitz.2 

De  L.  erhält  durch  Combination  der  zwei  Fassungen: 

E  pos  guid'  al  ferm  1'  estela  luzenz 

und  erklärt :  ,und  da  der  glänzende  Stern  die  in  Gefahr  schwe- 
benden Schiffe  auf  Festes,  Sicheres  (,luogo  sicuro  d'  approdo') 
leitet'.  Sinnig,  wenn  auch  deshalb  bedenklich,  weil  gegen  allen 
Brauch  die  Cäsur  al  von  ferm  trennt.  Sollte  es  aber  gestattet 
sein,  von  diesem  Bedenken  abzusehen,  dann  fühlte  man  sich 
versucht,  in  elfers  von  V.  13  ein  al  ferm  zu  vermuthen.3 

XXL 

In  IKD«;4  Bruchstücke  (VV.  1,  17—24,  33—40)  in  D*. 
Die  Angabe,  der  Text  folge  Dc,  betrifft  also  nur  die  in  dieser 
Blumenlese  enthaltenen  17  Verse. 

1     Atretan  deu  ben  chantar  finameu 

d'  invern  com  fatz  d'  estiu,  segon  razon, 

per  c'  ab  lo  freitz  voill  far  gaja  canson, 
4     que  sen  pascor  de  chantar  cor  mi  pren 

quar  la  rosa  sembla  lei  de  cui  chan, 

autresi  es  la  netiß  del  sieu  semblan: 


1  Der  Druck  hat  esvaitz,  nach  M,  deren  Graphie  bei  diesem  Liede  an- 
genommen wird.  Die  von  Mahn's  Gedichten  für  IR  gebotene  Lesung 
esbaitz  wird,  als  bloss  graphische  Variante,  nicht  angeführt.  Wie  Ce 
lesen,  weiss  ich  nicht.  Da  esvaüz  weder  als  selbständiges  Wort  noch 
als  lautliche  Variante  von  esbaitz  verständlich  ist,  so  wird  es  sich  eher 
um  einen  Schreibfehler  —  u  st.  k  —  handeln. 

*  So  nach  MRe:  dnrch  Benützung  von  C  o  peritz,  IK  esperüz  hätte  mau 
einen  in  Verbindung  mit  mar  öfters  vorkommenden  Ausdruck  und  — 
was  schwerer  ins  Gewicht  fällt  —  würde  man  die  Wiederholung  des- 
selben Wortes  im  Reime  (fenüz  kommt  auch  V.  29  vor)  vermeiden. 

3  Vgl.  Jetzt  Appel,  Chr.  prov.  Nr.  72,  nach  IKM:  e  po«  guida  •  l  ferm' eztela 
luzenz,  wo  ferma  die  Bedeutung  »zuverlässig,  sicher  leitend*  hätte.  Im 
Glossare  wird  die  Stelle  nicht  angegeben.  Metrisch  ist  Anlehnung  des 
'l  trotz  der  Cäsur  unanfechtbar,  und  so  mag  diese  Deutung  der  Stelle, 
wenn  auch  nicht  vollkommen,  doch  mehr  als  die  oben  vorgebrachten, 
befriedigen. 

*  Dass  De  L.  von  einer  Mittheilung  der  Lesungen  von  Dd  absieht,  ist 
berechtigt,  denn  Dd  ist  nur  ein  Excerpt  aus  K  (Gröber,  Liedersamml. 
S.  471). 


10  H.  Abhandlung:    Xastsfi». 

per  qu'  en  andos  deu  per  s'  amor  chantar, 

8  tant  fort  mi  fai  la  rosa  e'l  neu  menbrar. 

V.  1.  Dc  liest  dei]  eben  so  Dd  nach  Palazzi's  Abdruck;1 
IK  dou.  Es  ist  dei  zu  lesen,  da  eine  Form  deu  =  debeo  an- 
bekannt ist.  Eben  so  V.  7,  wo  Dd  deu  liest.  —  V.  4  ist  «en 
zu  *'  en  zu  trennen;  ,denn  wenn  ich  in  Frühlingszeit  singe, 
weil  die  Rose  meiner  Dame  gleicht,  so  gleicht  ihr  nicht  minder 
der  Schnee'.  —  V.  8  ist  eine  Aenderung  der  übereinstimmenden 
Lesung  von  IKD*  tan  fort  mi  fan  la  rosa  e*l  neus  membrar. 
Wie  diess  zu  verstehen  sei,  ist  nicht  leicht  ersichtlich.  Ist  etwa 
gemeint,  dass  die  Geliebte  den  Dichter  an  Rose  und  Schnee 
erinnert,  so  müsste  es  e  la  neu  heissen,  denn  obliquer  femininer 
Artikel  als  Encliticon,  überhaupt  sehr  selten,  kommt  bei  Sordel 
nirgends  vor.  Der  Dichter  sagt  aber:  ,Rose  und  Schnee  gleichen 
ihr;  desshalb  muss  ich  sie  im  Sommer  und  Winter  besingen, 
da  Rose  und  Schnee  mich  [an  sie]  erinnern'.  Membrar  ohne 
Object,  welches  zu  ergänzen  dem  Hörer  überlassen  bleibt 

Die  zweite  Strophe  sagt: 

,Meiner  Herrin  zu  dienen,  bedarf  ich  eines  tüchtigen 
Herzens,  denn  das  Herz  (der  Muth,  der  Sinn)  muss  den  Thaten 
entsprechen,  die  man  unternimmt;  da  nun  der  Gegenstand 
meiner  Liebe  höher  steht  als  alle  anderen,  so  strebt  mein  Sinn 
darnach,  die  Tüchtigsten  an  treuer  Liebe  und  an  edlen  Thaten 
zu  übertreffen*. 

9  Sobre  totz  am  domna  pro  e  valen, 
don  m'  a  mestier  ric  cor  tota  sason 
en  ben  amar,  qar  me  fara  semon 

12     c'om  aja  cor  segon  los  faitz  c'  on  pren, 
e  car  en  pris  tal  amor  c'  onqu'  enan, 
que  de  sotz  mi  n'  an,  domna«,  tuit  1'  aman, 
cor  ai  que'ls  fins  vensa  de  ben  amar 

1 6     eis  plus  valenz,  s'  eu  posc,  de  mielz  a  far. 

V.  12  haben  alle  drei  Handschriften  qar  me  fura  semon 
(Dd  in  zwei  Worten,  ob  auch  IK,  weiss  ich  nicht).  Zu  seiner 
Emendation  gibt  De  L.  keine  Erklärung.  Was  ist  aber  Snbject 
zu  fara  ?  Ich  schlage  vor :  quar  mesura  semon.  Vgl.  im  Ensenka- 
men  879  ff. 


1  In  meiner  Beschreibung  von  D  hatte  ich  ftir  Dd  deu  gelesen. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Text«.  1 1 

qui  vol  emprendre  noblamen 
808  fate,  egal  d*  el  que  empren 
deu  aver  cor. 

Auch  hier  ist  die  Rede  von  atempransa  del  sen,  ohne  die  man 
nichts  unternehmen  sollte.1 

V.  13  ist  en  wohl  e*n  =  ewn;  ne  auf  domna  bezogen. 
cJ  onqu'  enan  würde  bedeuten :  ,dass  nie  zuvor',  zu  ergänzen 
,ich  (oder  irgend  ein  Mensch)  eine  gleiche  Liebe  fasste'.  Das 
que  in  V.  14  wäre  durch  ,so  dass'  wiederzugeben.  Da  aber 
blosses  onque  (ein  übrigens  im  Provenz.  seltenes  Wort)  nicht 
negiert  und  die  elliptische  Wendung  —  die  etwa  mit  afz.  que 
nus  plus  sich  vergleichen  Hesse  —  ungewöhnlich  erscheint,  wäre 
ich  geneigt,  den  Nexus  conquenan  anders  aufzulösen.  Folgt 
man  treu  der  Ueberlieferung,  so:  c' on  que  n' an  ,dass,  wohin 
immer  ich  gehe';  vermuthet  man  in  der  ersten  Niederschrift 
conquenan,  so:  com  que'm  nf  an  ,wie  immer  es  mir  ergehe'.  In 
beiden  Fällen  läge  einer  jener  eingeschobenen  Sätze  vor,  die 
Sordel  ungemein  häufig  verwendet.  Mit  ersterem  wären  zu  ver- 
gleichen XXII,  16  on  qu'  ieu  an  n'  estia,  XXIII,  25  on  qu'  ieu  est  ei, 
XXIX,  16  on  qu9  ilh  sia;  42  on  qu'ilh  estia-,  XXIII,  39  on  que'm 
vire;  der  zweite  begegnet  uns  XXVI,  23  mos,  com  qemm  n'  an, 
sobre  tote  V  amarai;  XXXX,  870  com  que'l  ri  an;  ib.,  1277 
com  que  an.  Solche  Sätze  sind  manchmal  nichts  als  den  Vers 
ausfüllende  Formeln;  hier  würde  das  Einschiebsel  —  möge 
man  die  eine  oder  die  andere  Formel  wählen  —  den  Werth 
der  gefassten  Liebe  preisen,  unabhängig  von  dem  Erfolge,  den 
der  Dichter  zu  erwarten  habe.  Bei  der  ersten  Formel  wäre  que 
wiederholt,  nur  erscheint,  wenn  ich  nicht  irre,  in  solchen  Fällen 
das  que  nicht  gerne  elidiert.  Sollte  meine  Auflösung  des  Nexus 
gegenüber  jener  von  De  L.  Zustimmung  finden,  so  würde  ich 
mich  zunächst  für  die  zweite  Formel  entscheiden. 

V.  14  muss,  wie  oben  erwähnt,  bedeuten:  ,dass  mir  alle 
Liebenden  nachstehen';  der  Ausdruck  aver  alcuna  re  (od. 
partitiv:  de  alc.  re)-  desotz  alcu  ist  allerdings,  gegen  Sordel's 
Art,  ziemlich  gewunden.  Ist  domnas  Vocativ,  so  bezieht  sich 
ne  auf  amor ;  da  aber  der  Vocativ  einigermassen  befremdet,  so 


1  Man  konnte  daher  auch  V.  12  des  Liedes  qu1  empren  vermnthen;   doch 
ist  pren  mit  Hinblick  auf  pri*  in  V.  18  anbedenklich. 


12  IX.  Abhandlung:    ttuisafia. 

drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  domnag  nicht  Accusativ  zu  an 
sei;  nel  würde  die  Beziehung  der  zweiten  Aussage  zur  ersten 
bezeichnen.9 

1 7     Quan  ben  m'  albir  e  mon  ric  pensamen 
de  lei  quals  es,  a  cui  m'  autrei  e *  m  don, 
tan  r  am,  quar  val  part  las  plasenz  que  son, 

20     qu'  en  dreg  d'  amor  —  —  —  — 
e  quar  non  sai  autr'  el  mon  tan  presan 
de  qu'  ie'n  preses  plazer  jazen  baisan, 
qu'  eu  non  voill  ges  nul  fruit  asaborar, 

24     per  que  lo  dolz  me  8  tornes  en  amar. 

Das  zweite  Glied  von  V.  20  lautet  IK:  ...  tenc  chascun 
en  men]  Dc:  tenc  chascunament  Dd:  chascun  me  men;  De  L.: 
qu9  en  dreg  d?  amor  [eu]  tenc  chascun  en  men,  wobei  er  offenbar 
men  wie  IX,  4  als  mentem  auflaset.*  Was  bedeutet  nun  diess? 
Ich  zweifle  nicht,  dass  men  zu  nien  zu  bessern  sei.    Also 

a  Dc6 

qu'  endreg6  d'  amor  tenc  chascun1       nien      .... 

1  °  en  I K 7 

Quan  kann  =  quando  sein,  dann  wäre  V.  21  e  quar 
(=  que)*  zu  que  tenc  coordiniert,  ,wenn  ich  überlege,  welche 
Vorzüge  sie  hat,  da  liebe  ich  sie  so  sehr,  dass  ich  jede  andere 
geringschätze  und  keine  kenne,  von  der  u.  s.  w/  Wollte  man 
aber  die  zwei  mit  quar  eingeleiteten  Sätze  als  coordiniert  an- 
sehen, so  Hesse  sich  quan  als  quantum  auffassen,  ,in  dem 
Maasse,  als  ich  ihre  Vorzüge  überlege,   liebe  ich  sie,  denn  sie 


1  ne  scheint  übrigens  in  D c  zu  fehlen. 

3  Es  sei  noch  eine  Möglichkeit  verzeichnet,   an  die  ich  eiuen  Augenblick 

dachte : 

e  car  eu  pris  tal  amor  que,  on  que  u  au, 
que  desotz  mi  van,  domnas,  tuit  V  amau. 
Ein  präeiöser  Ausdruck;   doch    Hesse  sich    »wandeln4    mehr  in   der  Be- 
deutung von  ,handeln'  auffassen. 
*  So  nach  I>  «wodurch  .  .  .* ;  I K  IM  no  ,damit  .  .  .*. 

4  Ist  es  ein  Zufall,  dass  auch  hier  dem  Versgliede  eine  Silbe  fehlt?  Ob  nicht 
wieder  nien  statt  men  su  lesen?  Ich  will  diess  nur  angedeutet  haben. 

5  Ich  ziehe  es  vor,  so,  in  emeni  Worte,  zu  schreiben. 

6  Dc  verdient  auch  hier  den  Vorzug. 

7  Hätte  Dd  selbständigen  Werth,  so  Hesse  sich  cJicurcun/aJ  m  e[n]  nien  vor- 
schlagen; da  aber,  wie  erwähnt,  diese  Hs.  von  K  abhängig  ist,  so  sind  das 
Fehlen  von  tenc  und  die  Lesung  me  statt  en  nichts  als  Schreiberversehen. 

8  Etwa  geradezu  zu  que  oder  yu'  eu  zu  ändern? 


Zur  Kritili  und  Interpretation  romanischer  Texte.  13 

übertrifft  an  Werth  die  Anmnthigsten   [so  sehr],   dass  ich  alle 
anderen  geringschätze,  und  ich  kenne  keine,  von  der  u.  s.  w.'. 

XXII. 

31  T  onors  m'  es  guazardos  d'  aitan 

que'l  sobreplus  non  quier,  mas  be  o  penria. 

33     Vailla'm  ab  vos  merce,  dolza  enemia, 
no  m'  auziez,  s'  eu  vos  am  ses  enjan : 
que  me  suffratz  que'uß  serv'  ab  ferm  talan, 

36     tal  don  deman,  ni  estre  non  deuria. 

V.  32  hat  eine  Silbe  zu  viel.  C,  die  einzige  Handschrift; 
hat  aber  beu  mit  angelehntem  u  =  o  oder  eher  mit  u  =  l. 
In  jedem  Falle  war  beu  (be  •  u)  penria  zu  drucken.  Zu  V.  36. 
Intendi:  ,eppure  non  dovrebb*  esser  cosi,  che  io,  cio&,  non  vi 
chieda  (non  abbia  il  diritto  di  chiedervi)  altro  se  non  che . . .'. 
Diese  Auffassung  könnte  eine  Stütze  in  dem  Schlüsse  von  32 
finden;  wie  dort  würde  sich  der  Dichter  zuerst  bescheiden,  um 
dann  doch  den  Wunsch  auszudrücken,  etwas  mehr  zu  erlangen. 
Die  ungewöhnliche  Form  estre  liesse  sich  ohne  weiteres  zu 
esser  ändern.  Man  vermisst  indessen  den  entsprechenden  Aus- 
druck für  den  Gedanken,  dass  der  Dichter  nur  diese  Gabe 
verlangt.  Ich  stelle  daher  die  Frage,  ob  nicht  estiers  gemeint 
sei,  ,und  andere  Gabe  dürfte  ich  nicht  verlangen*. 

XXIII. 

Gran  esfortz  fai  qni  ama  per  amor 
trop,  e  ve  pauc  Heiß  on  a  son  cor  mes; 
sa  vidas  trai,  venha  Y  en  mala  o  bes, 
quar  per  cascu  mor,  languen,  de  dezire; 
5      que'l  mal[s]  1'  auci  per  lo  beu  esperan 
e'l  ben[s]  per  mielz,  tan  lo  vai  deziran. 

Bei  solcher  Interpunction  in  2  und  Behandlung  der  Di- 
stinctio  verborum  in  3,  ist  der  Beginn  der  Strophe  kaum  ver- 
ständlich. Ich  lese:  Gran  esfortz  fai . . .  a  son  cor  mes,  s'  a 
vida-s  trai  u.  8.  w.  ,wer  heftig  liebt  und  die  Geliebte  selten 
sieht,  der  leistet  viel,  wenn  er  sich  am  Leben  erhält'.1 


1  Dieser  Beleg"  für  »«'  tewr  a  vida  ,tenersi   in  vita,   vivere'    wäre   zu  dein 
im  Glossar  aus  XXXX  angeführten  hinzuzufügen. 


14  IX.  Attandhuf :    fttostzfia. 

Zu  per  lo  ben  esperan  wird  bemerkt:  etperan  dipendera 
da  per?  ma  che  razza  mai  di  costruziene  si  avrebbe?  £  non 
h  piuttoßto  da  costroire  esp.  per  lo  ben  ,aspettando  pel  bene, 
in  attesa  del  bene'?  Schliesslich  erkennt  doch  De  L.,  dass 
V.  6  zu  Gunsten  der  ersten  Constrnction  spricht  Diese  hat  in 
der  That  nichts  Auffallendes  an  sich.  Eis  genügt,  auf  ToUer, 
Verm.  Beitr.  1, 44,  zu  verweisen  und  aus  der  reichen  Fülle  der 
von  ihm  gesammelten  Stellen  eine  anzuführen :  Mout  se  desfen- 
dent  bien  por  me  raemant. 

37  ie*  m  tenc  d'  amor  per  pagatz  ab  aitan, 

savals  d'  aquo  qu'  ieu  desir,  qu'  autr'  aman 
non  tem;  qu'  ieu  puosc  en  ma  8enh*}  on  quem  vir«, 
cridar :  segur,  merce,  de  la  gensor. 

De  L.:  ,io  mi  tengo  appagato  d'amore  con  cosi  poco,  aJ- 
meno  di  ciö  che  io  desidero,  che  non  ho  a  temere  [la  concor- 
renza  di]  altro  amante;  giacchfe  [di  questo  io  mi  contento  e 
troppo  poco  sarebbe  per  un  altro  amante]  io  posso  nella  mia 
insegna,  dovunque  io  mi  volga,  implorare  [gridando]:  salute, 
merc&,  dalla  piü  gentile'.  Eis  wird  hier  meines  Erachtens  zu 
viel  hineingelegt.  Auch  glaube  ich  nicht,  dass  zwei  Rufe  ge- 
meint sind;  mir  ist  segur  Adverbium,  das  den  Gedanken 
autr'  aman  non  tem  noch  einmal  zum  Ausdrucke  bringt:  ,ich 
bin  damit  zufrieden,  dass  ich  keinen  anderen  Liebenden  zu 
fürchten  habe,  dass  ich  unbesorgt  um  Gnade  flehen  kann'. 

41     Ges  non  istauc  tan  prea  d*  autre  prezan 
*  *  el  mieg  cilh  qu*  ieu  am ;  per  que  gran 
esfortz  no  fatz  s*  autr1  amor  non  desire.1 

Die  Lücke  wird  durch  no  eia  zu  ergänzen  sein;  vgl. 
XXXX,  1215  ff: 

Bona  domna  non  taign  qu*  esgart 
d*  oillz  ni  de  cor  vas  nulla  part 
tan  coralmen,  qu'  el  mieg  no  sia 


1  Diese  und  die  folgendeu,  zwei  tornadai  bildenden  Verse  finden  sich  nur 
in  einer  der  vier  Handschriften,  die  das  Lied  enthalten.  Ihr  Inhalt  — 
der  Dichter  erklärt  die  Liebe  zu  jeder  anderen,  wenn  noch  so  tüchtigen 
Frau  zu  verschmähen  —  könnte  zur  Frage  Anlass  geben,  ob  in  V.  SS 
autr  aman  nicht  als  alteram  amantmn  aufzufassen  sei;  wie  wäre  aber 
dann  die  Stelle  zu  verstehen? 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  15 

808  pretz  per  miraill  tota  via, 
en  que's  mir. 

Beide  Male  steht  in  der  Mitte  der  Gegenstand,   welcher 
als  Schutz  gegen  ungehöriges  Thun  dient. 

XXIV. 

11      Be  mi  dei  doncx  d1  amor  lauzar 

que'm  fetz  chausir  la  plus  valen 

del  mon  e  la  plus  conoissen, 
14     qu'  ab  ben  dir  et  ab  gen  parlar 

te  tota  la  gen  et  apaya, 

gardan  son  bon  pretz  que  non  chaya. 

Per  qu'  ieu  fatz  orgueil,  ben  o  sai, 
1 8     quar  1'  am ;  mas,  per  Dieu,  no '  n  puesc  mai, 

qu'  aitan  be  pot  far  fin  aman 

amors  del  petit  com  del  gran. 

V.  17.  Diese  Lesung  findet  sich  in  C;  mit  einer  kleinen 
Variante  T:  Ad  fas9  R  (metrisch  irrig)  Qui  fas.  Das  Verbum 
ist  also  immer  in  erster  Person ;  ,ich  weiss,  es  ist  verwegen  von 
mir  [dem  Geringfügigen],  sie  [die  Hochstehende]  zu  lieben ;  ich 
kann  aber  nicht  anders;1  denn  Amor  kann  auch  dem  Geringen 
treue  Liebe  einflössen4.  Jede  Aenderung  ist  da  von  Uebel. 
De  L.  setzt  in  den  Text  qu1  ilh  fax  ein. 

XXV. 

9     Aital  m'  autrei,  fis,  vertadiers, 
a  vob  qu1  etz  ses  par  de  valor, 
qu'  eu  am  .  .  . 

Demnach  wären  fis  und  vert.  als  Apposition  zum  nicht  aus- 
gedrückten Subjecte  eu  aufzufassen;  aital  wäre  ein  Prädicat 
zu  me.  Mir  will  scheinen,  als  ob  fis  und  vert.  mit  m'  autrei  in 
Verbindung  zu  setzen  seien;  es  sind  Prädicate  zum  reflexiven 
Accusativ,  die,  wie  üblich,  in  der  Nominativform  auftreten. 
Aital ,  wenn  in  gleicher  grammatischer  Function  verwendet, 
wäre  zu  aitals  zu  ändern  (das  Lied  ist  nur  in  der  Blumenlese 
der  Chigiana  bewahrt),  es  kann  aber  auch  als  Adverbium  an- 
gesehen werden.  Es  wären  demnach  das  erste  und  das  dritte 
Komma  zu  streichen.    Vgl.  damit1  XXXIV,  1  ff. : 

1  Ital.  mm  ne  poeso  piu  ist  keine  genaue  Wiedergabe  der  Locution. 


16  IX.  Abhandlung:    Maisafia. 

Dompna,  mieillz  qu'  om  pot  pensar 
lejals  e  fins  sea  cor  vaire, 
m1  autrei  per  totz  temps  amar 
V08  .  . . 

Das  Komma  nach  V.  2  wäre  zu  streichen. 

17      Qu1  atnar  noii  pot  nuis  cavaliers 
sa  domna  ses  cor  trichador, 
s'  engal  lei  non  ama  sa  honor; 
per  que'us  prec,  bels  cors  plazentiers, 
que  pauc  ni  guaire  ni  mija 
don  fassatz  de  re  que'us  dija, 
qu1  esser  puesca  contra '1  vostr'  onramen. 
guardatz  s'  ie  •  us  am  de  fin  cor  Halmen ! 

V.  20 ff.  müssen  bedeuten:  , weshalb  ich  euch  bitte,  mir 
nichts  zu  gewähren,  was  eure  Ehre  beeinträchtigen  könnte'. 
Wenn  don  =  donum  ist,  so  Hesse  sich  zur  Noth  die  Construction 
que  ni  guaire  ni  mija  don  fassatz  halten:  die  an  sich  nicht 
negativen  Ausdrücke  würden,  weil  in  Verbindung  mit  ni  und 
vor  dem  Verbum  stehend,  negative  Bedeutung  haben;  paur 
aber  verträgt  diese  Deutung  nicht.  Ich  schlage  vor  non  oder 
vielmehr  nom  =  no'm.    Vgl.  XXXIV,  21 : 

E  si  *  m  fai  ren  desirar 
amors,  que  non  dejatz  faire, 
per  merce  vos  voill  pregar 
que  no "  m  faissatz  pro  ni  guaire. 

XXVII. 

19     Mas  de  lieis  no'm  don  temor 
que  de  so  que  pus  mi  plai 
no '  m  desvede,  son  cors  guai. 

De  L.  construirt :  De  lieis  nom  don  temor  mos  que  de  [qiu] 
nom  desvede  so  que  pus  mi  plai  und  fligt  hinzu:  se  donar  t. 
va  construito  con  de:  ciö  spiega  il  de  que.  Die  Auslassung  des 
que  ist  unmöglich:  de  würde  in  der  Luft  hängen.  Der  Dichter 
ist  eben  in  die  Klemme  gerathen,  die  sich  im  Romanischen 
stets  ergibt,  wenn  das  zweite  Glied  einer  Comparation  ein  qu*- 
Satz  ist;  hier  dadurch  verschärft,  dass  das  regierende  Verbum 
nach  sich  de  fordert.  Läge  tem  vor,  so  hiesse  es:  mais  non 
tem  que  nom  desvede  so  que  plus  mi  plai;  que  =  que  que  ,als 


Zur  Kritik  and  Interpretation  romanischer  Texte.  17 

dass'.1  Bei  don  temor  müsste  es  heissen :  mais  no'm  don 
temor  que  de  so,  que  no'm  desvede  so  que  pus  mi  plai,  durch 
Umstellung:  m.  no'm  d.  t.  que  de  so  que  so  que  p.  mi  pl, 
no'm  desv.;  gleichsam  unbewusst  wird  statt  zwei  so  que  trotz 
der  verschiedenen  Betonung  (einmal  so  que}  das  andere  Mal 
so-qu£)  nur  eines  verwendet. 

31  sitot  plane  e  plor, 

quar  vei  pauc  lieis  que  m'  enansa 
al  sieu  plazer,  m'  a  legor 
qu'  ades  remir  per  semblansa, 
on  qu'  estia,  son  coro  e  sa  fatz. 

Wir  hätten  demnach  eine  Locution  m'  a  legor  que  .  .  ., 
etwa  mit  m'  a  mestier  que  zu  vergleichen.  Es  liegt  aber  Prä- 
sens des  Verbums  si  alegorar  vor. 

XXX. 

32  Ai,  per  que'm  fai  tan  mal  traire? 
qu'  ilh  sap  be  de  que  m'  es  gen 
qu'  el  sieu  pretz  dir  e  retraire ; 
sui  pluB  sieus  on  piegz  en  pren. 

de  que  soll  die  Verbindung  des  Nebensatzes  vermitteln, 
wofür  auf  Diez  verwiesen  wird,  der  diese  Construction  nur  im 
Spanischen  und  Portugiesischen  nachweise.  Diess  gilt  aber, 
wie  Diez  ausdrücklich  bemerkt,  nur  für  die  Fälle,  in  denen  der 


1  Ein  Auskunftsmittel  wäre,  ao  einzuschieben:  mais  no  tem  que  *o,  que  no 

me  desvede  [das  Komma  soll  nur  bezeichnen,  dass  mit  so  das  Object  zu 

tem  bereits  ausgedrückt  ist;  der  que-8&tz  gibt  dann  den  Inhalt  von  so 

an].    Das  andere  Mittel,  das  zweite  Glied  in  der  Form  eines  «»-Satzes 

(selbstverständlich  mit  dem  Verbum  im  Indicativ)  einzukleiden,  begegnet 

XXIX,  63— 58: 

ieu  tenc  a  mais  valen 

que  saupessetz  la  via 

del  cor  e  totz  sos  pessatz 

de  la  bella  don  chantatz, 

que  8'  ilh  sap  cum  la  cujatz 

enganar. 
Eben  so  XXXX,  1251: 

cent  per  un  deu  om  plus  doptar 

la  mort  d'  onor,  qui  la  te  car, 

que  s1  om  del  tot  mor  e  desvai. 
Sitxnngsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXX1V.  Bd.  9.  Abb.  2 


18  IX.  Abhandlung:    Mussafin. 

abhängige  Satz  einem  von  de  begleiteten  Substantiv  entspricht 
(se  olvida  de  que  naciö,  disculpöse  de  que  avia  entrado).  üh  $ap 
de  que  m'  es  gen  statt  sap  que  ist  nirgends  möglich.  Und  seihst 
wenn  diess  anginge,  so  bliebe  die  —  von  De  L.  nicht  ge- 
stellte —  Frage  nach  dem  Sinne  von  V.  34.  Offenbar  sieht  er 
el  als  Artikel  an.  Wir  hätten  dann  m'  es  gen  que  dir  lo  prete, 
zu  vergleichen  etwa  mit  dem  von  Tobler,  Verm.  Beitr.  I,  12 
angeführten  c  est  li  mieus  que  la  wie  assegier.  Diese  auch  im 
Altfranzösischen  seltene  Wendung  ist,  so  weit  ich  es  übersehe, 
im  Provenzalischen  nicht  nachweisbar.  Endlich  ist  sui  am  Be- 
ginne des  Satzes  wenig  ansprechend.  Ich  fasse  el  als  in  illo 
auf  und  interpungire : 

qu'  ilh  aap  be,  de  que  m'  es  gen, 
qu'  el  si eu  pretz  dir  e  retraire 
sui  pluB  sieus  on  piegz  en  pren.1 

XXXIV. 

41      Ja  nuills  tempe2  no'm  poiretz  far, 
pros  dompna,  tan  de  mal  traire, 
qu1  eu  nos  eial  mercejar, 
pos  de  vos  no'm  puosc  estraire. 

De  L. :  Ci  rassegneremo  a  riconoscere  in  mercejar  una 
riduzione,  per  assorbimento  dell'-i-,  della  forma  regolare  merce- 
jaire.  Liest  man  qu7  eu  no's  (=  no  •  us)  sV  al  mercejar,  so  ist 
diese  Annahme  überflüssig. 

XXXVIII. 

qui  m'  en  cre  faire  paor 
conseir  o  que  lo  descreja. 

Ich  zweifle  daran,  dass  hier  Construction  von  conselhar 
aleuna  re  ad  aleu  vorliege;  qui  müsste  Dativ  sein,  der  que- 
Satz  würde  den  Inhalt  von  o  angeben,  oder  mit  anderen 
Worten:  o  wäre  expletiv.     Eher  consel  Zo;8   lo  wieder  qui... 

1  en  pren  =  inde  prehendo  ist  unbedenklich ;  my  en  pren  wäre  vielleicht 
dem  Sprachgebrauch   angemessener.     Das  Lied  ist  nur  in   C  enthalten. 

9  Auch  anderswo;  eben  so  negua  temps.  Ist  Plural  zu  dulden?  Wohl  eher 
nuiü,  negn. 

3  Vgl.  XXXX,  799  lo  conseiäon. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  19 

aufnehmend  oder  besser  absolutes  qui  (Komma  nach  paor), 
,wenn  Einer  glaubt  mir  Furcht  einzuflössen,  so  rathe  ich  ihm, 
diesen  Glauben  aufzugeben'.  Soll,  um  die  zwei  lo  zu  ver- 
meiden, que  o  d.  vorgeschlagen  werden? 

xxxx. 

23  s'  en  aital  obr'  eu  fallia, 

miravilla  granz  no  seria, 
25     segon  que  1'  ausiretz,  complida 

de  granz  razos,  quan  er  finida, 

e  quar  no  sai  divinitat, 

leis  ni  decretz,  ni  m'  es  mostrat. 

Zu  V.  25  schlug  Suchier  st  non  que  la  veiretz  complida 
vor;  De  L.  schliesst  sich  mit  Recht  dieser  Aenderung  nicht  an. 
Der  Dichter  meint:  ,Sollte  ich  den  Erwartungen  nicht  ent- 
sprechen, so  wäre  diess  aus  zweifachem  Grunde  nicht  zu  ver- 
wundern; die  Arbeit  ist  schwer,  und  meine  Gelehrsamkeit  ist 
gering'.  Den  ersten  Grund  konnte  er  so  angeben:  ilh  (=  V obra) 
es  complida  de  granz  rasos,  com  auziretz  quan  er  finida;  er 
wählt  statt  dessen  die  Wendung  vos  V  auz.  compl.  de  gr.  r.9 
quan  er  f.  Als  Conjunction  gebraucht  er,  statt  quar  wie  beim 
zweiten  Grunde,  segon  que  ,in  Folge  davon,  dass',  ,mit  Rück- 
sicht auf  den  Umstand,  dass'.  Vielleicht  meint  De  L.  ungefähr 
dasselbe,  nur  dass  er  complida  nicht  als  prädicierende  Ergän- 
zung, sondern  —  was  im  Grunde  dasselbe  ist  —  als  Apposition 
zu  la  ansieht;  daher  das  Komma  vor  complida,  das  ich  lieber 
streichen  möchte.1 

389  uulz  om  c'  ab  mesura's  tenga 

en  pauc  ni  en  trop  no  desrenga, 

e  qui  pauc  ni  trop  non  faria 

dieu  e '  1  segl'  engen»  retenria : 

zo  que  ses  mesura  non  es 
394     res  viveuz  qu'  om  faire  pogucs. 

Zu  V.  393—394.  Suchier:  Sinnlos.  Vielleicht  darf  fol- 
gender Besserungsversuch  gewagt  werden: 


1  Auch  bei  Cresciui,  Mau.  prov.,  und  bei  Appel,  Chr.  prov.,  kein  Komma. 
Appel  gibt  segon  que  mit  »gemäss  dem,  dass*  wieder. 

2* 


20  IX.  Abhuidlunff:    Massafia. 

zo1  qu'  es  ses  mesura  mort  es; 
res  vivenz  faire  nol  pognes. 

Schultz:  Meine  Copie  hat  bes  vivenz,  das  ich  in  be  es 
zerlegen  möchte: 

zo  que  ses  mesura  non  es 

be  es  vivenz  qu'  o  faire  pognes. 

Wie  er  die  Stelle  versteht,  sagt  Schultz  nicht.  Und  das  Metrum? 

De  Lollis: 

zo  que  es*  ses  mesura  non  es 
res  vivenz  qu'  o  faire  pogues. 

Er  erklärt:  ,Di  tutto  ciö  che  e  senza  misura  nulla  v'ha 
al  mondo  (vivenz  =  esistente)  che  uomo  potesse  fare*. 

Ich  kann  mich  mit  keinem  dieser  Vorschläge  befreunden. 
Ich  nehme  mit  Palazzi  und  De  Lollis  an,  die  Handschrift  lese 
Res*  und  halte  Schultz'  Besserung  von  quam  (Vorlage  oder 
etwa  die  Handschrift  selbst  quo?)  zu  qu  o  für  unerlässlich.  Also: 

zo  que,  ses  mesura,  non  es 
res  vivenz  qu1  o  faire  pogues. 

,Maass  hält,  wer  weder  zu  viel  noch  zu  wenig  thut;  wer  so 
handelt,  der  gefällt  Gott  und  der  Welt,  was  ohne  Maass  Nie- 
mandem gelingen  könnte'.  Zo  que  bezieht  sich  auf  dieu  eml 
segle  retenria;  o  nimmt  zo  que  wieder  auf.  Ital.:  cib  che  (oder 
il  che,  oder  cosa  che)  senza  misura  non  c  e  uomo  vivente  che 
fare  il  (oder  la)  potesse. 

399         li altatz  es  pezazos 

de  fin  pretz  e  de  totz  aibs  bos: 

per  zo,  s'  ab  lialtat  non  1*  a, 
402     nulz  oms  bo  pretz  no  1'  aura  ja. 

V.  402  würde  V  (wie  soeben  in  V.  394  angenommen)  den 
vorangehenden  Accusativ  wieder  aufnehmen;  man  wird  aber 
gerne  mit  Suchier  no  V  zu  non  bessern. 

649     Per  zo  fora  drehz  e  razos 

qu'  a  igal  del  cor  lo  poders  fos. 

1  Nicht  lo  wie  bei  De  L.,  wohl  in  Folge  eines  Druckfehlers. 

9  De  L.  verweist  auf  die  zahlreichen  Fälle,  in  denen  die  Handschrift  -# 

vor  #-  vernachlässigt. 
8  Hat  die  Handschrift  wirklich  By  so  ist  es  zu  R  zu  emendieren. 


Zar  Kritik  und  Interpretation  roman isolier  Texte.  21 

Die  Handschrift  hat  selbstverständlich  quaigal;  Palazzi 
las  qu'  aigal.  De  L.  gibt  die  Form  aigal  zu,  ,sotto  1'  influenza 
di  voci  di  valor  comparativo  quali  aitan,  aital,  aissie,  meint 
aber,  egal  als  Präposition  werde  nur  mit  dem  Accusativ  con- 
struiert.  Daher  seine  Lesung.  Er  übersieht  aber,  dass  der 
Vers  um  eine  Silbe  zu  viel  zählt.  Man  wird  bei  qu'  aig.  oder 
qu9  ig.  bleiben,  und  entweder  die  Construction  mit  de  anerkennen 
(ig.  eher  Adverbium  als  Präposition)  oder  igaU  lesen.  In  der 
oben  zu  XXI,  12  angeführten  Stelle  XXXX,  879  den  aver 
cor  engat  d'  el  qu'  empren  kann  engal  Adjectiv  oder  Indecli- 
nabile  sein. 

783     De  doas  res  1'  una  obs  auria 

a  tot  om,  qui  be  far  volria: 
785     que  el  agues  bon  sen  ades 

o  que  son  bon  conseill  crezes. 

quar,  si  'n  ome  no  es  bos  senz 

ni  es  de  bo  conseill  crezenz 

ja  no  creirai  que  be  li  prenda 
790     de  negtm  affar  qu'  el  emprenda; 

quar  ab  qui  non  a  ni  de  que 

V  en  deja  penre  gen  ni  be, 

que'l  plus  savis  deu  a  sazo 

creire  son  conseill  cert  e  bo, 
795     quar  es  soven  per  fol  voler 

destregz,  qui'l  toi  sen  e  valer, 

e,  quar  non  son  sei  conseiller 

destreg  d'  aquel  voler  leugier, 
799     lo  conseillon  saviamen. 

De  L.  bemerkt  zu  793:  que  sta  qui  a  sostituire  il  quar 
del  v.  791,  und  erklärt  791 — 794  wie  folgend:  ,chi  il  piü  savio 
deve  seguire  come  certo  e  buono  il  consiglio  di  colui  che  non 
ha  alcun  interesse  personale  nelT  esito  della  faccenda'.  L1  ab 
del  v.  791  preluderebbe  a  una  costruzione  diversa  da  quella 
che  si  ha;  ab  qui  equivale  a  de  qui,  e  sta  ad  esprimere  in 
anticipazione  il  possessivo  son,  che  viene  poi  fuori  al  v.  794. 
Es  wäre  also  gemeint:  quar  lo  plus  savis  deu  a  sazo  creire 
cert  e  bo  lo  conseill  de  qui  non  a  [re]  de  que  V  en  deja  penre 
gen  ni  ben  und  gesagt:  quar,  ab  (=  de)  qui  non  a  [re]  de  que  . .  . 
ben,  que  (==  quar)  lo  savis  deu  creire  cert  e  bo  so  (=  lo)  con- 
seill. Also  que  nicht,  wie  in  den  angeführten  Stellen  bei  Diez, 
als  Vertreter  eines  zweiten  coordinierten  quar,   sondern   eines 


22  IX.  Abhandlung:    Mnfts&fio. 

wiederholten,  abundierenden  quar.  Abgesehen  von  der  sonder- 
baren Wortstellung,  ist  eine  solche  Wiederholung  von  quar 
unerhört.  Und  wo  bliebe  ni  vor  de  que?  Die  Stelle  ist  anders 
zu  verstehen.  Eis  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  V  en  deja 
penre  in  792  sich  auf  dieselbe  Person  wie  que  be  li  prenda  in  7*9 
bezieht.  ,Wer  richtig  handeln  will,  muss  entweder  selbst  Verstand 
haben  oder  fremden  guten  Rath  befolgen;  sonst  glaube  ich  nicht, 
dass  es  ihm  in  seinen  Unternehmungen  wohl  ergehen  könne;  hat 
er  doch 1  weder  einen  Menschen  noch  ein  Ding,  wodurch  es  ihm 
wohl  ergehen  sollte*.  Bei  dem  strengen  Parallelismus,  dessen 
sich  Sordel  in  seiner  Darstellung  stets  befleissigt,  ist  es  sehr 
wahrscheinlich,  dass  sich  ab  qui  auf  den  in  Rede  stehenden, 
von  dem  eigenen  Verstände  nicht  geleiteten  Menschen,  de  que 
auf  den  nicht  befolgten  Rath  beziehe;  möglich  ist  indessen, 
dass  mit  ab  qui  der  Rathgeber  gemeint  sei  ,hat  er  doch  weder 
Rathgeber  noch  Rath'.  Mit  792  ist  dieser  Theil  der  Lehre  zu 
Ende  und  der  Dichter  könnte  abbrechen;  was  folgt  ist  eine 
zweite  Auseinandersetzung,  die  das  bisher  Gesagte  eindring- 
licher beweist :  ,denn  selbst  der  Weiseste  (geschweige  denn  der 
Unverständige)  muss  gelegentlich  (a  sazo)  guten  Rath  befolgen  * 
(=  bedarf  geleg.  guten  Rathes). 

Daran  schliesst  sich  folgende  Stelle  an: 

803     Mas  d'  affars  i  a  be,  zo'm  pes, 

de  qu'  om  non  deu  esperar  ges 
5     conseill',  quar  qui  una  proeza 

fai  n i  un  bei  don  d'  azauteza 

ses  conseill,  n'  es  trop  plus  prezatz 

que  s'  agut  n'  er  aconseillatz. 

Per  que  las  fazendas  o  an 
10     de  que  taign  qu'  om  conseill  deman, 

e  de  qu'  om  no'l  deu  demandar, 

per  zo*s  en  yuell  un  sen  menbrar: 

us  dels  granz  senz  del  mon  seria 

qui  zo  que  a  cochar  faria 
1  T>      non  tardava,  e  zo  qu'  a  tardar 

fai,  no  volgues  per  re  cochar; 

qu'  abrivatz  sembla  trop  cochanz 


1  Oder:  ,gibt  es  doch*. 

*  Also  auch  hier  wie  786,  w  in  #o  conseill  mit  der  Geltung  eine»  objee- 
tiveii  Geuetivs  ,den  ihm  ertheilten  Rath*.    Cert  e  ho  sind  attributiv. 


Znr  Kritik  nnd  Interpretation  romanischer  Texte.  23 

e  nonchalenz  par  trop  tardanz: 
per  qu1  om  si  deu  d*  abrivamen 
20     gardar  e  de  nonchalemen. 

Zu  809 — 812.  Schultz:  Ich  möchte  lesen  per  que  las  fa- 
zendas  soan  ,deshalb  schätze  ich  das  Thun  gering,  für  das  man 
Rath  einholen  muss,  nnd  mit  Bezug  auf  welches  man  ihn  nicht 
einzuholen  braucht,  dafür  will  ich  . . .'.  De  L.  pflichtet  ihm  bei 
und  setzt  in  den  Text  [s]oan  ein.  Auch  hier  wird  dem  klar 
denkenden  und  sich  schlicht  ausdrückenden  Dichter  etwas  zu- 
geschrieben, woran  er  gewiss  nicht  gedacht  hat.  Er  sagt: 
,Man  soll  guten  Rath  einholen  und  befolgen;  doch  gibt  es 
Fälle,  in  denen  es  rühmlicher  ist,  selbständig,  nicht  in  Folge 
fremden  Käthes,  zu  handeln.  Da  [ich  nun  erwähnt  habe,  dass] l 
die  [verschiedenen]  Angelegenheiten  diess  an  sich  haben  (=  so 
beschaffen  sind),  dass  es  bald  angezeigt  ist  Rath  einzuholen, 
bald  nicht,  so  will  ich  eine  damit  zusammenhängende  Lehre 
vorbringen :  man  soll  nicht  zögern  wenn  es  gilt,  rasch  zu  han- 
deln, und  nicht  rasch  handeln,  wenn  es  gilt  bedächtig  zu  sein 
(= —  sich  berathen). 

De  L.  sieht  abrivatz  und  nonchalenz  als  Subjecte,  cochanz 
und  tardanz  als  prädicierend  an.  Dass  das  umgekehrte  Ver- 
hältniss  das  richtige  ist,  liegt  auf  der  Hand. 

860  avols  es  qui  son  menor 

consen  per  re  que  sob  pars  sia, 
ni'l  pars  majers. 

De  L.  sieht  son  menor  als  Accusativ  durch  Attraction  an, 
und  vergleicht  damit 

89     la  re  del  mon  que  om  deuria 
faire  plus  volenters,  seria 
aquella,  si  be'i  esgardatz, 
qui  a  Dieu  e  al  segle  platz, 
und 

457      e'l  major  gaug,  c'  om  puesc'  aver, 
es  aquelz,   que  om  trai,  per  ver, 
de  son  cor  per  be  dir  e  faire. 

Wie  man  sieht,  sind  diese  zwei  Fälle  anders  geartet.  Hier 
liegt  in  der  That  jene  Attraction  vor,  von   der  Tobler,   Verm. 

1  Ich  bediene  mich   dieser  Umschreibung,  weil  8 12 ff.   nicht  gerade  eine 
Schlussfolgeruiig  des  in  809—811  Ausgesagten  ist. 


24  IX.  Abhandlung:    Mussafi*. 

Beitr.  I,  197  ff.  spricht.  Das  Beziehungswort  nimmt  die  Form 
an,  die  dem  Relativpronomen  zukommt :  Naucratem,  quem  con- 
venire  volui,  in  navi  non  erat  statt  Naucratet]  afz.  chiaus  que 
nou8  avons  cht  nomme's,  li  plus  rike  komme  estoient  statt  chil. 
Tobler  führt  für  das  Altfranzösische  nur  Beispiele  für  Demon- 
strativum  an;  hier  bietet  uns  das  Provenzalische  deren  zwei 
für  Substantivum.  Einem  dritten  begegnen  wir  784  (sieh  oben 
die  ganze  Stelle)  obs  auria  a  tot  om  qui  be  far  volria.  Keine 
Verletzung  der  Flexion,  sondern  om  statt  ome9  wegen  qui. 

In  860  würde  es  sich  um  etwas  Anderes  handeln.  Be- 
kannt ist  die  Neigung,  das  Subject  des  Nebensatzes  noch  vor 
dem  Verbum  des  Hauptsatzes  auszudrücken:  sens  e  prete  tem 
que'l  sofranha,  Betr.  de  B.  ed.  Stimming,  XIV,  54  statt  tem 
que  8.  e  pr.  li  «.  Zu  dem  von  De  L.  angeführten  VI,  11:  Sa 
molhers  sai  que  se  vistra  de  neir  =  sai  que  8a  m.  se  vistra 
kämen  noch  VII,  13  om  que  nuill  temps  non  fetz  colp  no  m'  es 
semblan  pogues  far  nuill  fach  Jon;  XXXX,  1215  bona  dompna 
non  taign  qu'  esqart}  Stimming,  S.  236  (und  mit  ihm  De  L.) 
bezeichnet  diesen  Vorgang  ebenfalls  als  Attraction;  doch 
glaube  ich,  dass  ein  solcher  Ausdruck  für  die  Fälle  aufgespart 
bleiben  sollte,  in  denen  die  zu  erwartende  Form  durch  eine 
andere,  der  strengen  Forderung  der  Grammatik  nicht  ent- 
sprechende ersetzt  erscheint;  in  solcher  Vorwegnahme  des  Sub- 
jectes*  handelt  es  sich  eigentlich  nur  um  eine  freiere  Wort- 
stellung, die  bestimmt  ist,  das  Wesen,  dem  die  Aussage  gilt, 
wirksamer  hervortreten  zu  lassen. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  bei  Voranstellung  des  Subjectes  des 
Nebensatzes  Attraction   in   dorn  Sinne  stattfinden  könne,   dass 

1  Noch  im  jetzigen  Italienischen  häufig.  Am  leichtesten  wenn  che .  . . 
Subjectsatz  ist:  Senta,  Barhera  (sagte  Manzoni  zum  bekannten  Verleger) 
ü  procuratore  sarä  inutüe  die  venga.  Queste  parcle  e  naturale  che  non  po- 
tessero  piacere  .  .  .  Che  ...  ist  Objectsatz.  In  einem  Briefe  Barbera's:  U 
idee  dominanti  del  libro  vorrei  che  fossero  ü  Uworo,  V  energia.  In  einer 
Becension  D*  Ancona's:  Questa  seconda  dissertazione,  pubbticala .  .  .  e  che 
porta  .  .  .,  vediamo  con  piacere  che  sarä  inserüa .  .  . 

8  Ob  Subject  oder  ein  anderer  Satztheil  vorangestellt  wird,  ist  gleichgiltig. 
De  L.  bleibt  sich  demnach  consequent,  wenn  er  Attraction  auch  in  a*»- 
Uan  sai  que  fara  —  sai  que  fara  semblan  erblickt;  eben  so  in  una  ren 
tx>s  voiä  far  erdenden,  nach  seiner  Auffassung  (s.  oben  zu  XV,  25  Anm.) 
=  vos  «.  far  ent.  una  ren. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  25 

es  in  Beziehung  zn  dem  transitiven  Verbum  des  Hauptsatzes 
gesetzt  werde  und  als  Accusativ  erscheine,  dass  es  also  (wie 
De  L.  meint)  statt  qui  consen  que  sos  menre  sia  sos  pars 
heisse  qui  son  menor  consen  que  sos  pars  sia.  A  priori  ist  diess 
nicht  schwer  denkbar;  nur  ist  unser  Fall  nicht  geeignet,  es  zu 
beweisen.  Dass  ni'l  pars  [sia]  majer  folgt,  scheint  allerdings  zu 
Gunsten  dieser  Auffassung  zu  sprechen;  es  kann  aber  auch  son 
menor  Dativ  sein,  ,der  einem  Geringeren  gestattet,  dass  er  sein 
Gleicher  sei',  worauf  mit  veränderter  Construction  ,und  dass  ein 
ihm  Gleicher  ihm  überlegen  sei'  folgt.1  Es  würde  die  Mühe 
lohnen  nachzusehen,  ob  die  in  Rede  stehende  Attraction  un- 
zweifelhaft zu  belegen  sei.  Als  Beitrag  zur  Lösung  der  Frage 
merke  ich  aus  unserem  Dichter  zwei  Stellen  an.  In  der  oben 
angeführten  liest  D  sa  muilliers,  A  aber  sa  moiller.  Möglich, 
dass  es  sich  nur  um  eine  Vernachlässigung  der  Flexion  handle: 
man  könnte  aber  in  molher  einen  Accusativ,  durch  sai  attra- 
hiert,  erblicken.    XX,  9  lauten  in  C: 

Tan  pens  en  leis  e  tan  1'  am  coralmenz 
que  nueit  e  jorn  temps  rai  faill  el  pensan. 

IKMe  haben  tem  . .  failla  (R  temi  fallir);  spricht  man  dieser 
Variante  irgend  einen  Werth  zu,  so  würde  man  erwarten:  que 
nueite  e  jornz  tem  mi  failV  al  p.;  der  Accusativ  käme  auf 
Rechnung  von  tem. 

Attraction  wird  auch  angenommen  in  bemm  plai  del  comte 
quar  li  vei  la  renda  coillir  ,mi  piace  di  vedere  che  il  conte . .  /, 
in  qui  be'is  membra  del  segle  quy  es  passatz  com  hom  lo  vi., 
plazen  =  qui  beis  m.  com  hom  vi  lo  segle  . . ./  de  domna'us 
fatz  saber  que  non  pot  noble  cor  aver  =  vos  f.  s.  que  d.  non 
pot\  selbst  in  ai!  dels  caitivs  desvergoignatz  com  pot  esser  qu'estan 
malvatz,  wo  man  nach  desv.  besser  ein  Ausrufungszeichen  setzt. 
Diess  alles  nach  Stiraming  a.  a.  O.  Sowohl  in  diesen  Fällen 
als  in  solchen  wie  los  crosatz  vauc  reptan  del  passatge  qu'  an 
mes  en  obli  =  v.  rep.   quy  an   mes   en  obli   lo  p.  (letztere   be- 


1  De  L.  beruft  sieb  auf  Schultz.  Dieser,  Palazzi's  Anmerkung:  ,1a  concor- 
danza  grammaticale  vorrebbe  sos  menre1  abiebnend,  sagt  bloss:  menor 
ist  in  der  Ordnung  und  der  Nomin.  pars  majers  erklärt  sich  durch  ein 
Fallen  aus  der  Construction,  hervorgerufen  durch  sia.  Seh.  scheint 
ebenfalls  son  menor  als  Dativ  anzusehen. 


20  IX.  AMumdlun*:    Mmsafi*. 

sonders  häufig  im  Altfranz.)  möchte  ich  ebenfalls  eine  von  der 
heutigen  verschiedene  Art  den  Gedanken  auszudrücken,  nicht 
aber  Attraction  in  eigentlichem  Sinne  erblicken.  Es  sei  noch 
folgende  Stelle  angeführt: 

XV,  29     que'l  pros,  quant  a  <T  aver  major  fraitura, 
mielz  pot  mostrar  com  es  valenz  e  bos, 
31      e'l  rics  malvais,  can  plus  es  poderos, 
pot  om  provar  mielz  sa  flaca  natura. 

Zu  31  wird  bemerkt:  ,Siamo  ancor  sempre  nel  campo 
deir  attrazione'.  Wir  haben  es  hier  mit  einer  Anakoluthie  zu 
thun,  die  von  Attraction  genau  zu  unterscheiden  ist  (vgl.  Tobler 
a.a.O.);  wohl  aber  ist  zu  bemerken,  dass  31 — 32  für  sich 
diese  Gestalt  nicht  leicht  angenommen  hätten;  nur  weil  mit 
e'l  pros  begonnen  wurde,  wird  mit  e'l  rics  fortgesetzt,  ohne 
im  übrigen  Theile  des  Satzes  bei  der  gleichen  Construction  zu 
bleiben. 

Nicht  anders  in  der  damit  verglichenen  Stelle: 

XXXX,  479  cel  qu'  es  savis  e  sabenz 

no  deu  esser  en  re  faulenz, 
e  qui  no  es  neguns  d'  amdos 
melz  li  vengues  que  natz  no  fos. 

Es  Hessen  sich  allerdings  die  zwei  letzten  Verse  auch  an 
und  für  sich  gut  denken;  dann  wäre  qui  =  ,wenn  Einer*.  In 
der  That  ist  hier  qui  =  ,wer',  coordiniert  zu  cel  que. 

889           nulz  om  no's  den  laissar 
890 

tro  que  s'  en  tenga  per  pagatz 

de  son  cor,  com  que  razonatz 

per  cels,  que  1'  amaran,  en  sia, 

qu'  estiers  be  non  o  menaria. 

V.  '90  bietet  die  Handschrift  de  null  fag  quem  pnde  a 
menar;  Palazzi:  qu1  empren ,  de  amenar]  Schultz:  man  muss  doch 
schreiben:  qu' emprend' a  menar;  De  Lollis  nimmt  mit  Recht 
den  Indicativ  in  Schutz  und  liest  de  null  fag  qu1  empren  de  'a 
menar,  mit  Wiederholung  der  Präposition  de  wegen  des  Ein- 
schubes  des  Relativsatzes.  Für  eine  solche  Wiederholung  wird 
man  schwerlich  irgend  einen  Beleg  finden.  Bedenkt  man,  dass 
es  sich  nicht  um  blosses  menar,  sondern  um  be  menar  handelt 
(vgl.  894),  so  wird  man  nicht  anstehen,  de  zu  be  zu  emendieren. 


Zar  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  27 

Zu  891 — 892  wird  nichts  bemerkt.  Und  doch  lohnt  es  die 
Mühe,  hervorzuheben,  dass  hier  nicht  com-que  als  Einleitung 
eines  einräumenden  Satzes,  sondern  com  \  que  vorliegt;  com 
vergleichend,  que  mit  tro  zu  verbinden ;  razonatz  bedeutet  ,ver- 
theidigt,  gebilligt,  gelobt':  ,bis  er  sowohl  Selbstbefriedigung  als 
Billigung  von  Seite  Derer,  die  ihn  lieben,  erlangt'.  Ich  wäre 
geneigt,  diese  Bedeutung  von  razonar  auch  in  folgender  Stelle 
zu  erblicken.    Von  der  Frau  heisst  es: 

1219  aitan  tost  perdra 

son  pretz  com  faillimen  fara,1 
don  no'ill  puesca  razonamenz 
tener  pro  entre'ls  conossenz. 

De  L. :  raz.  sta  qui  nel  senso  proprio  di  ,discorso,  discus- 
sione',  e  intendi:  di  cui  non  si  possa  ragionare  tra  i  suoi  cono- 
scenti  senza  che  gliene  venga  danno.  Trotz  des  Hinweises  auf 
165 ff.  wäre  ich  geneigt  zu  übersetzen:  ,so  bald  sie  eines 
solchen  Vergehens  sich  schuldig  machen  wird,  dass  keine  (eigene 
oder  fremde)  Verteidigung  ihr  bei  den  Verständigen  irgendwie 
nützen  könne'. 

907     Gardatz  donc  si's  fai  bon  estraire 
de  fort  malvasa  vida  faire. 

De  L.:  estraire  =  ,sottrarsi',  costruzione  intransitiva  che  fu 
forse  qui  agevolata  dalT  esser  gia  Y  -s  (tibi)  riflessivo  espresso 
con  fai.  De  L.  weist  nämlich  noch  immer  faire  in  Locutionen 
wie  fai  bo  viure  Bedeutung  und  Construction  von  esser  zu ;  der 
Infinitiv  ist  ihm  Subject.  So  z.  B.  in  XXXI,  34  tan  vos  fai  bei 
r emirar ,  wo  bemerkt  wird:  fe  affatto  regolare  che  essendo  al 
posto  di  soggetto  della  proposizione  un  infinito,  a  questo  si 
colleghi  T  agg.  bei  colle  funzioni  di  attributo.  So  in  XXXX,  937 
bon  esquivar  fai  lor  pacha,  wo  es  heisst,  der  Infinitiv  könne, 
weil  artikellos,  mit  oder  ohne  -s  auftreten.  Es  ist  aber  weder 
bon  esquivar s  fai  als  bon  se  fai  viure  je  gesagt  worden.  Dass 
wir  es  hier  mit  subjectlosem  fai,  dessen  Accusativ  bo  viure 
(bon  estraire,  bei  remirar)  ist,  hat  Tobler,  Verm.  Beitr.  I,  179 
lichtvoll  erörtert. 


1  far  soll  hier  Verbum  vicarium    sein ;    wie  i«t  dann   die  Stelle  zu  ver- 
stehen? 


28  IX.  Abhandlung:    Mussafi». 

909     Bern  miravill,  si  Deus  be'm  do, 
quoin  od  pot  aver  pauc  e  pro 
ensems;  que  ben  i  a,  zos  die, 
d'  aitals;  sabez  quäl  so? 

Zu  912:  S'  ha  qui  un  caso  d'  attrazione  analogo  a  «a 
moillers  sai  que  se  vistra  de  nier  =  sai  que  sa  m.  se  vistra: 
quäl  soggetto  di  son}  pur  rimanendo  al  nomin.,  dipende  da 
saher ;  perö,  qui  non  essendo  e  non  potendo  essere  quäl  dislo 
cato  davanti  a  sai  V  aecusativo  suonerebbe  meglio,  e  non  e 
improbabile  che  1'  -8  manchi  semplicemente  perche  la  parola 
seguente  incomincia  per  #-. 

Man  wird  sich  hüten  quals  zu  emendieren.  Die  zwei  Con- 

struetionen  haben  nichts  mit  einander  gemein.    In  quäl  so  Hegt 

ein  indirecter  Fragesatz  vor 5    Verwendung  des  Accusativs  ist 

undenkbar. 

1059  ergoilz  non  a  raaa  contra  ergoill 

null  loc,  qu'  autres  dregz  non  V  acoill ; 
e  si  non  [de]  dregz  segon  Dieu, 
mas  segon  lo  segle  *n  pari'  eu. 

Ergänzt  man   de,    so   ist  dreg  zu  lesen;  will  man  dregz 
behalten,  so  mit  Suchier  [es], 

1069     E  de  tot  cavalier  volpill 
ni  cubetos  mi  meravill 
com  bona  domna  ausa  pregar 
ni  com  domna  lui  escoltar; 
qu1  el  non  es  mas  miegz  ca valiers; 
qu1  esser  non  pot  negus  entiers 
75     en  araor,  si  non  es  arditz 

e  larcs,  qu1  estiers  non  es  coinplitz; 
e,  si  domna  consen,  aman 
demieg,  torna  d1  aquel  semblan 
demiega,  al  laus  dels  conossenz. 

1077  consen  =  aeconsente   ed   e  notevole  che  sia  usato 

* 

co8i  assolutamente.  II  Palazzi  non  pone  virgola  tra  consen  e 
amar,  ma  non  e  il  caso  di  pensare  a  una  costruzione  di  con- 
sentir  col  gerundio  in  luogo  delP  infinito.  De  L.  meint  also : 
,und  wenn  eine  Frau  einwilligt,  indem  sie  einen  halben  [Ritter] 
liebt1.  Man  wird  Palazzi's  Interpunction  vorziehen;  aman  ist 
nicht  Gerundium,  sondern  Partie.  Präsens  ,wenn  eine  Frau 
einen  Liebhaber  genehmigt,  der  nur  ein  halber  [Ritter]  ist*. 
Consentir  mit  Accusativ  ,dulden,  zulassen,  genehmigen*. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  29 

1085     amar  pot  tal  qu'  il  en  perdra 
Bon  pretz  e  son  cors  descaira. 

Se  cors  sta  qui  per  ,corpo'  riman  dubbio  se  descaira  stia 
in  senso  neutro  o  transitivo.  Wäre  desc.  intransitiv,  so  müsste 
es  808  heissen.  Zu  einer  Emendation  ist  aber  kein  Anlass.  Vgl. 
901 — 912  avols  vida  a  cel  qui  la  fai  toi  son  pretz  e  son  cors 
deschai  e'l  tramet  V  arma  ses  govern  a  la  coral  dolor  d!  infern} 
eine  Stelle,  die  weder  über  die  Bedeutung  von  cors  noch  über 
das  Genus  von  deschai  irgend  einen  Zweifel  zulässt. 

1099  om  no  ama  be  lialmen, 

si  tot  autretan  coralmen 
non  ama,  ses  cor  camjador, 
de  sa  dompna  *  1  pretz  e  1'  onor 
quom  son  cors  ni  s'  amor  a  prendre. 

Es  wird  davor  gewarnt  die  Construction  amar  a  prendre 
anzunehmen;  es  handle  sich  um  Infinitiv  mit  de  . .  a,  wie  in 
nulz  om  non  deu  gen  prepauzar  de  nulla  re  cabal  a  far  und 
in  nuls  om  nos  deu  laissar  de  null  fag  qu'  empren  be  a  menar. 
Wir  hätten  demnach  erstens  ama  de . .  a  prendre,  eine  uner- 
hörte Construction;  zweitens  ein  de  statt  deren  zwei,  da  es  doch 
heissen  müsste:  si  autretan  non  ama  de  a  prendre  lo  prez  e 
V  onor  de  sa  domna  quom  son  cors  ni  s*  amor.  Man  wird  diese 
Ansicht  nicht  theilen.  Es  liegt  jene  Construction  vor,  nach 
welcher  was  nach  moderner  Auffassung  Object  des  Infinitivs 
ist  als  Object  des  regierenden  Verbums  hingestellt  wird,  worauf 
epexegetischer  Infinitiv  mit  a  folgt:  ama  lo  pretz  de  sa  dompna 
a  prendre. 

FOLQUET l  DE  B0MAN&* 

I. 
Der  Dichter  ist  freudig  und  froh;  zwar 

9  non  a  gair'  enquera 

qu'  us  orguelhs  m'  avia  mort; 

mas  trobat  n'  ai  era 
ric  cosselh  . .  . 


1  Falquet? 

*  Ed.  Rudolf  Zenker,  Halle  1895. 


30  IX.  Abhandlung:    Mussafifc. 

Es  folgt  dann: 

1 7  Erguelh  ni  pezansa 

non  ai,  s'  aver  non  o  dei, 
quar  tan  luenh  mi  lansa 
20     la  bella  a  cu*  m'  autrei, 
quar  amistat  ni  semblansa 
qu'  ela  fei 
endreg  mei 
non  es  qu'  al  cor  no  *  m  estei. 

Zenker:  Als  Object  zu  mi  lansa  ist  erguelh  ni  pezansa 
zu  ergänzen:  ,weil  sie  mir  ihn,  d.  h.  den  Kummer,  so  fern 
hält*.  Man  vermisst  das  hinweisende  Pronomen;  vielleicht  ist 
mi'l  lansa  zu  lesen. 

Gewiss  nicht;  denn  wie  im  Altfranzösischen,  so  geht  im 
Provenzalischen  das  Pronomen  der  dritten  dem  der  ersten  oder 
zweiten  stets  voran.  Wohl  aber  könnte  das  Accusativpronomen 
ohne  weiteres  unausgedrückt  geblieben  sein.  Ich  halte  indessen 
mi  für  Accusativ:  ,dass  meine  Herrin  mich  so  weit  von  sich 
stösst*.  Diess  ist  eben  die  Unbill,  die  ihn  bis  zum  Tode  ge- 
kränkt hatte;  das  ric  eosseih,  das  ihn  tröstet,  ist  der  Gedanke 
an  die  Freundlichkeit,  die  sie  ihm  früher  erwiesen  hat.  Erguelh 
bedeutet  ,schroffes  Abweisen';  in  10  ist  das  Thun  der  Frau 
und  vielleicht  auch  die  im  Dichter  dadurch  erzeugte  Em- 
pfindsamkeit gemeint;  in  17  letztere.  Es  empföhle  sich  s' on 
zu  c'  on  zu  bessern  (das  Lied  ist  nur  in  einer  manche  Mängel 
aufweisenden  Handschrift  auf  uns  gekommen).  Ich  deute  die 
Stelle  so:  ,desshalb  weil  meine  Herrin  mich  von  sich  so  weit 
stösst,  fühle  ich  keinen  Kummer,  und  darf  ihn  nicht  fühlen, 
denn . .  / 

45     lai  on  mos  cors  diria 
qu'  a  rescos 
ab  lieis  fos 
lo  sieus  amics  fis  e  bos. 

lai  soll  für  zwei  Silben  gelten.  Diess  ist  unter  keiner  Bedin- 
gung zuzugeben.  Vielleicht  me  diria  ,wo  ich  (—  mein  Herz) 
wünschen  würde  mit  ihr  zu  sein  als  treuer  guter  Freund'.1 


1  Ich  meine  selbstverständlich  nicht,  das«  lo  s.  a.  prädicierend  sei.  Es  i>t 
Subject  und  bedeutet  ,ich';  aus  Bescheidenheit  wendet  der  Dichter  die 
dritte  Person  an. 


Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  31 

IV. 

2     domna  non  m'  er  tan  plaisen. 

plaisen  soll  ,Acc.  in  Function  des  Nom/  sein.  Man  wird  den 
Dichter  von  diesem  Declinationsfehler  frei  sprechen;  plaisen 
ist  Gerundium;  vgl.  altital.  h  ingannando  =  inganna. 

V. 

Aucel  no  truob  chantan 
ni  no  vei  flor  novella, 
mas  ieu  no '  in  lais  de  chan 
ni  de  joi  qui'm  n'  apella; 
qu'  en  joi  ai  tot  mon  cor, 
qu'  om  no  sai  qu*  ora's  mor 
e  ma  domna 'm  te  let, 
qu'  ab  joi  plagen 
mon  fi  cor  gazanhet. 

Zenker:  »Denn  ich  weiss  Niemand,  der  augenblicklich 
stürbe'.  Dieser  sonderbare  Gedanke  hat  wohl  nur  den  Zweck, 
die  Anbringung  des  Refrainwortes  mor  zu  ermöglichen. 

Sollte  es  dann  nicht  ome  und  mora  heissen?  Ich  lese  quora'8 
und  übersetze:  ,denn  der  Mensch  weiss  nicht,  wann  er  stirbt*. 
Der  Vers  würde  am  besten  zwischen  Kommata  (Klammern,  Ge- 
dankenstrichen) stehen.  Gemeint  ist:  ,Ich  bin  von  Freude  er- 
füllt und  denke  nicht  ans  Sterben,  denn  meine  Herrin . . .'. 

23     Tant  1'  am  de  bon  talan 
que'l  cor  me  resanceila. 

Zenker:  resancellar  ist  jedenfalls  =  resarcellar  und  dieses 
eine  Ableitung  von  im  Altfranzösischen  belegten  resarcir  ,re- 
prendre  de  la  force,  de  la  vigueur*.  Ob  nicht  eher  mit  afz. 
sancier,  resancier  ,wieder  gesund  machen'  zusammenhängend? 

38     domna,  ajatz  cha'l  cor, 

que  mieus  es  lai  que  mor 
40     qu'  ainch  un  jor  no'm  lonhet 
vostre  cors  gen 
ni  re  no  desiret 
tan  coralmen. 

Zenker:  ,Herrin,  nehmt  hier  mein  Herz,  denn  besser  ist 
es,  dass  es  dort  (d.  i.  bei  Euch)  stirbt  (oder:  besser  ist  es  dort, 
als  dass  er  sterbe?);   denn  nicht  öinen  Tag   entfernte  es  mir 


32  IX.  Abhandlung:    M assafi». 

(d.  i.  Hess  es  mich  vergessen)  Eure  schöne  Gestalt  und  nichts 
ersehnte  er  so  herzlich*. 

Ich  sehe  mieus  als  Pronomen  Possessivum  an  (auch  an- 
derswo ohne  Artikel;  es  lässt  sich  indessen  leicht  quel  lesen); 
es  läge  eine  Construction  wie  die  italienische  e  lä  che  muore.1 
lonhar  alcu  oder  alcuna  re  ist,  wie  afz.  esloignier,  in  der  Be 
deutung  ,sich  entfernen*  verwendet ;  -m  ist  Dat.  commodi,  wenn 
nicht  non  zu  lesen.  Nicht  ganz  klar  ist  mir  V.  38;  etwa:  ,Herrin, 
möget  Ihr  hier  Euer  Herz  haben  (=  nähert  euch  mir?);  denn 
das  meine  ist  dort  (—  bei  dem  euren,  oder:  bei  Euch)  zu  Tod 
schmachtend,  denn  nicht  einen  Tag  entfernte  es  sich  von  Euch'. 

64     N'  Oth  del  Caret,  lo  cor 
avetz  on  pretz  no  mor; 
qu'  ainch  nulhz  om  no  renhet 

plus  franchamen 
ni  genchere  no  obret 

home  valen, 
per  qu'  ieu  am  vostra  senhoria. 

Zu  68  Zenker:  Loos,  Nominalflexion  im  Prov.  bezweifelt 
das  Vorkommen  des  hier  durch  das  Versmass  gesicherten  Nom. 
Sing.  ome.  Loos  hat  meines  Erachtens  Recht;  home  valen  ist 
Vocativ,  und  da  ist  die  oblique  Form  zulässig.  Genehers  kann 
prädicierend  zum  Subjecte  nulhz  om  sein;  zu  plus  franchamen 
würde  besser  gencheis  stimmen. 

xni. 

71  eu  non  cre  que  negus  fos  natz 

con  tan  bei  glavi  fos  navratz 
com  eu  so i,  ni  ab  tan  plazen. 

Zenker  erblickt  hier  Ellipse  des  relativen  Ausdrucks  nach 
verneinenden  Formeln  wie  ,es  gibt  Niemand',  ,es  gibt  Nichts'. 
Da  aber  die  —  überhaupt  recht  seltene  —  Präposition  con  ,mit* 
unserem  Dichter  unbekannt  ist  und  da  unmittelbar  ab  folgt, 
so  wird  man  trotz  des  Consensus  der  drei  Handschriften  sich 
geneigt  fühlen,  c'  ab  zu  bessern.  Vielleicht  hatte  die  Vorlage 
cam  =  c'  am. 


1  Vgl.  über  diese   Constructionen  jetzt  Tobler  in   Zeitschr.   f.  rom.  PhiL 
XX,  55. 

0 


Zur  Kritik  and  Interpretation  romanischer  Texte.  33 

173     e*  m  diseea  qu'  eu  era  primers 
amics  e  seria  derers, 

175     don  vos  anc  fos  enamorada; 
ar  fos  la  veritatz  provada 
ab  que  n'  agues  crebat  V  un  huelb. 

So  L;  die  zwei  anderen  Handschriften  haben  177  a  que. 

Letzterer  Lesung  folgt  Z.,   er  fasst  a  als  Interjection  auf  nnd 

druckt: 

ar  fos  la  veritaz  provada ! 

A !  que  n*  agues  crebat  1'  un  huelh ! 1 

Er  erklärt:  ,  Würdet  Ihr  mir  doch  die  Wahrheit  (dieser 
Eurer  Behauptung)  jetzt  beweisen!'  Aber  kaum  hat  der  Dichter 
diesen  Wunsch  ausgesprochen,  so  überkommt  ihn  die  Befürch- 
tung, er  möge  zu  viel  gesagt  haben.  ,Ja',  fährt  er  fort,  ,ich 
verdiente,  dass  man  mir  dafür  (als  Strafe  für  meine  Kühnheit) 
das  eine  Auge  aussteche'. 

Ab  que  ist  richtig.  Ab  =  apud  bezeichnet  den  beglei- 
tenden Umstand.  Mit  o  farai  ab  que'lh  plaza  wird  gesagt: 
,Ich  will  es  thun,  bei  Dim,  dass  . . .',  ,den  Umstand  angenommen, 
dass...',  gerade  so  wie  wenn  es  hiesse:  ab  so  plazer.  Stellt 
man  nun  die  Thätigkeit  als  unter  Umständen  eintretend  dar, 
die  sie  eigentlich  hemmen  sollten,  so  gesellt  sich  zur  Aussage 
des  Nebensatzes  der  Begriff  ,auch,  selbst,  sogar'  hinzu,  sie  wird 
concessiv;  o  farai  ab  qu'  el  lo9m  devet  ,ich  will  es  thun,  [selbst] 
bei  Dem,  dass . . .',  ,[selbst]  den  Umstand  angenommen,  dass  . . .'. 
In  beiden  Sätzen  bedeutet  ab  que  ,wenn';  im  ersten  ,wenn  nur' 
(=  ,8ofern  als',  frz.  pourvu  que),  im  zweiten  ,wenn  gleich' 
(=  ^obgleich,  obwohl'  u.  s.  w.).a  Die  erste  Verwendung  ist  die 
übliche:  die  zweite,  seltenere,  ist  von  Appel,  Provenz.  Inedita 
S.  XXVI,  belegt  worden.  So  auch  in  unserer  Stelle:  ,Möchte 
ich  den  Beweis  Euerer  Worte  erhalten,  selbst  wenn  ich  dafür 
ein  Auge  einbüssen  sollte  (=  und  sollte  ich  auch  mein  Glück 
mit  dem  Verluste  eines  Auges  erkaufen)!'  —  Da  ab  in  anderen 
Verwendungen  mit  a  häufig  abwechselt,  so  erklärt  sich  leicht 
der  Fehler  der  anderen  Handschriften. 


1  Ebenso  NapoLski  in  seiner  Ausgabe  des  Pons  de  Capduoill;  a,  que... 
1  Vgl.  ital.  lo  färb  am  quetto,  che  voi  mi  promettiate    di . .  .  und  lo  färb 

con  ftutloj  ctb  che  io  tema  di .  . . 
Sitsungsber.  d.  phü.-hist.  Ol.  CXXXIV.  Bd.  9.  Abb.  3 


34  IX-  Atbairilug:    Maiiftfia. 

211  eu  vos  dirai  que  m'  esdeve 

per  V08  c'am  mau  qae  nnlla  re: 
quan  m*  en  soi  intrate  al  moster, 
si  com  autres  pechaires  quer 
a  Den  perdon  de  sos  pechats, 
et  eu  vos  or  entre  mos  bratz. 

Zenker:  ^zwischen  meinen  Armen',  d.  h.  das  Haupt  zwi- 
schen meinen  Armen;  es  ist  hier  also  angezeigt  die  Stellung 
eines  in  Knieen  Betenden,  der  die  Arme  aufgestützt,  die  Hände 
gefaltet  und  das  Haupt  zwischen  den  Armen  hat,  d.  h.  die 
Stellung  eines  mit  tiefer  Inbrunst  Betenden. 

Es  liegt  hier  vielmehr  eine  anmuthig  abgekürzte  Con- 
struction  vor.  Gemeint  ist:  ,ich  flehe  zu  Gott,  er  möge  mir 
gewähren,  dass  ich  euch  in  meinen  Armen  halte'.  Man  wird 
erinnert  an:  je  von*  croyais  ä  Paris]  noch  näher  steht  [U] 
Heu  oü  je  me  souhaite  bei  Voiture,  von  Littre  citiert. 


GUIRAUT  DE  BORNE  LH.1 

VI.8 

9     Lo  segles  es  chamjatz  de  cortezia 
e  vilanatg'  es  et  e  perdizo ; 
plus  es  lauzatz  qui  tot  toi  a  bando 
qae  sei  qui  dona  per  sa  manentia; 
c'  ardis  lo  crois  sordejors  e  m'  es  clis 
1'  us  ab  T  autre;  tals  e  tals  vai  tapis 
15     pe'l  seu  donar,  e  per  ea  trufardia, 
gardem  nos  be  d'  aital  poestaria ! 

Die  Inhaltsangabe  lautet:  ,Die  Schlechtigkeit  greift  in  der 
Welt  immer  mehr  um  sich,  von  den  bösen  Buben  muss  man 
sich  hüten,  auch  wenn  sie  einem  Wohlthaten  anbieten  (?)'. 

Die  Strophe  wird  Übersetzt:  ,Die  Welt  hat  von  Höflich- 
keit abgelassen,  in  Gemeinheit  ist  sie  und  in  Verderbnis»;  mehr 
gelobt  wird,  wer  alles  nach  Belieben  wegnimmt,  als  derjenige« 
welcher  gemäss  seinem   Reichthum  gibt;   denn   der  Gemeine 


1  ed.  Adolf  Kolsen,  Berlin  1894. 

*  Ob  dieses  nur  in  8*  enthaltene  Lied  wirklich  von  Girant  herrühre ,  W 
nicht  vollständig  sicher. 


Zw  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte.  35 

ermuthigt  die  Schlechteren,1  und  sie  unterstützen  einander  (?); 
der  und  jener  geht  im  Verborgenen  (?)  um  seines  Gebens 
willen,  und  wegen  seiner  Betrügerei  wollen  wir  uns  von  solchem 
Besitze  wohl  hüten1. 

Anmerkungen.  Zu  13 — 14:  It.  Vun  alV  altro  chini  (Dante, 
Purg.  14,7)  bedeutet  ,beide  an  einander  geneigt,  sich  an  einander 
lehnend'.  Sollte  hier  der  Dichter  beabsichtigt  haben,  sich  der 
entsprechenden  Wendung  zu  bedienen,  und  zwar  in  übertra- 
genem Sinne  ,einander  unterstützend'?8 

Zu  14:  Der  Dichter  scheint  hier  Leute  im  Sinne  zu  haben, 
welche  sich  die  Mittel  für  ihre  Freigebigkeit  auf  unrecht- 
mässige Weise  erwarben. 

Zu  16:  altit.  podesteria  bedeutet  ,Besitz'. 

Die  wiederholten  Fragezeichen  deuten  an,  dass  diese  Er- 
klärungen Eolsen  selbst  wenig  befriedigen;  zumal  die  Ueber- 
setzung  des  zweiten  Theiles  der  Strophe  ist  kaum  verständlich. 
Ich  versuche  eine  —  wenigstens  beiläufige  —  Deutung.  Vor 
Allem  sei  das  hervorgehoben,  was  ich  für  unzweifelhaft  halte: 

1.  lo  crois  kann  nicht  Nomin.  Sing,  sein;  vgl.  23  li  croi, 
26  los  crois  9  29  li  sordejor,  33  e'lh  savai  croi]  es  gehören 
demnach  crois  und  sordejors  zusammen;  statt  lo  ist  los  zu  lesen. 
Daraus  ergibt  sich,  dass  seu  donar  und  sa  trufardia  sich  nicht 
auf  lo  crois,  sondern  auf  cel  qui  dona  beziehen. 

2.  mesclis  der  Handschrift  ist  &n  Wort;  es  ist  eine  Neben- 
form von  mesclius  ,zänkisch'.  V  us  ab  V  autre  lässt  sich  als 
eine  erstarrte  Apposition  im  Sinne  eines  Adverbiums  ,gegen 
einander'  auffassen;  wie  ilh  son  mescliu  V  us  ab  V  autre,  so 
etwa  no  am  los  homes  mesclius  V  us  ab  V  autre.  Die  Beschaffen- 
heit der  einzigen  Handschrift  würde  indessen  die  leichte  Aen- 
derung  zu  V  u  oder  V  un  gestatten. 

Ich  erblicke  nun  in  plus  es  lauzatz  nicht  eine  Klage  dar- 
über, dass  der  Nehmer  mehr  Lob  erntet  als  der  Schenker, 
sondern  glaube,  dass,  wie  V.  19 — 20  plus  es  lauzatz  qui  dona 
que  cel  qui  pren  den  Spruch  des  heil.  Paulus:  Beatius  est  dare 
quam  accipere  wiedergibt,  so  auch  hier  gemeint  sei:  ,Lobens- 
werther  ist  noch,  wer  frank  und  frei  wegnimmt,  als  wer  so  gibt, 


1  MfLsste  es  nicht  lo»  mrdejors  heissen? 
8  Wie  ist  aber  m'  zu  erklären? 

3* 


36  IX.  Abh. :    Massafia.   Zur  Kritik  und  Interpretation  romanischer  Texte. 

dass  Schlechtes  daraus  folgt'.  Die  schlechten  Folgen  sind  in 
den  W.  13 — 15  ausgedrückt;  es  scheint  gemeint  zu  sein,  dass 
die  Niedriggesinnten,  Habgierigen  kühn  gemacht  oder  gegen 
einander  aufgehetzt  werden,  so  dass  die  Leidenschaften  sich 
entfesseln  und  allerlei  Uebles  daraus  entsteht :  ^mancher  erleidet 
Schaden1  durch  die  Gaben  eines  solchen  Schenkers;  hüten  wir 
uns  vor  ähnlichen  Gebietern!'  Denn  auch  der  Schenker  ist 
nicht  frei  von  Schuld,  niedrige  Gesinnung  leitet  ihn  bei  der 
Vertheilung  seiner  Gaben.  Vielleicht  Hesse  sich  schon  in  den 
Ausdruck  per  sa  manentia  eine  pejorative  Bedeutungsnuance 
hineinlegen,  etwa  ,aus  Protzenthum'  oder  ,um  seine  Macht  zu 
vermehren';  trufardia  kennzeichnet  deutlich  das  unedle  Gefühl, 
welches  den  Geber  beseelt.2 

Nach  meiner  Deutung  wäre  die  Interpunction  zu  modifi- 
cieren;  am  Schlüsse  von  12  Komma,  in  15  das  Komma  vor  e 
zu  tilgen,  dafür  am  Schlüsse  Semikolon  oder  Punkt.  Daran 
schliesst  sich  gut  das  Folgende  an: 

17     Donc  non  a  Iuecß  so  que  sol  Pauls  aprendre, 

qui  dizia  e  son  escrit  aisi; 

,Pluß  es  lauzatz  qui  don*  al  seu  vezi 
20     que  sei  qui  pren',  c'  ar  sol  franqueza  vendre, 

ni  no  coselh  demandar  jutjador 

cals  sia  mels  e  de  major  lauzor, 

prendre  o  dar;  car  li  croi  volran  rendre 

garen tia:  no  val  tan  dar  com  prendre. 

,Zu  unserer  Zeit,  da  man  sich  geneigt  fühlt,  einen  ehr- 
lichen Wegnehmer  lieber  zu  haben  als  Einen,  der  aus  gemeinen 
Gründen  schurkische  Leute  beschenkt,  zu  unserer  Zeit,  in  der 
Freigebigkeit  nichts  wie  ein  niedriger  Handel  ist  (V  ar  sol 
franqueza  vendre),  da  gilt  nicht  mehr  der  Satz  des  heil.  Paulus: 
Seliger  ist  Geben  wie  Nehmen.  Doch  (fügt  nicht  ohne  Schalk- 
heit  der  Dichter  hinzu)  möchte  ich  nicht  Umfrage  halten,  was 
besser  sei,  denn  die  Habgierigen  würden  sich  ohne  weiteres  für 
das  Nehmen  entscheiden'. 


1  leb  fasse  tapi  im  Sinne  von  «geduckt,  armselig'  auf. 
8  »Betrug*  wäre  kein  passender  Ausdruck. 


®  X.  Abb.:    Heinzel.   Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  1 


X. 

Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama. 

Von 

Eichard  Heinzel, 

•  ___ 

wirkl.  Hitgliede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


feeit  längerer  Zeit  mit  den  Vorarbeiten  zu  einer  Be* 
Schreibung  des  geistlichen  Schauspiels  im  deutschen  Mittelalter 
beschäftigt ,  habe  ich  einige  Beobachtungen  gemacht,  welche 
einerseits  über  das  abgegrenzte  Gebiet  hinausgehen,  sich  auf 
das  weltliche  Drama  des  15.  Jahrhunderts  oder  auf  die  Bühne 
des  16.  Jahrhunderts  beziehen,  andererseits  wegen  ihres  histori- 
schen Charakters  nicht  in  die  rein  poetische  Beschreibung  passen 
würden.  Indem  ich  sie  hier  mittheile,  habe  ich  zu  bemerken, 
dass  die  angeführten  Beispiele  nur  in  Bezug  auf  die  drama- 
tische Literatur  Deutschlands  bis  zum  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts aus  zusammenhängender  Lecture  hervorgegangen  sind, 
während  was  ich  aus  fremden  Literaturen  oder  aus  der  deut- 
schen jenseits  dieses  Zeitraumes  anführe,  sich  nur  zufallig 
angeschlossen  hat.  —  Von  dramatischen  Liturgien,  die  den 
eigentlichen  Gottesdienst  angehören,  sind  nur  Nürnb.  Ostf.  und 
Wien.  Ostf.  berücksichtigt. 

Die  arabischen  Ziffern  beziehen  sich,  wo  es  nicht  anders 
angegeben  ist,  auf  die  Verse ;  eine  unbezeichnete  römische  nach 
einem  Dramentitel  zeigt  den  Act,  eine  solche  mehr  einer  ara- 
bischen Act  und  Scene  an.  Die  Verszahlen  können  auch  auf 
die  vorhergehende  Spielanweisung  gehen. 

Die  nach  ihrer  häufigeren  oder  selteneren  Benutzung  mehr 
oder  minder  verkürzten  Titel  der  Dramen  sind  am  Schlüsse 
erklärt,  wo  auch  die  Fundorte  der  Dramen  und  ausführlicheren 
Titel  der  sonst  citierten  Werke  angegeben  sind. 

Wo  die  Aufzählung  nicht  durchaus  alphabetisch  ist,  da 
ist  sie   es  innerhalb  gewisser  Zeiträume,   so   dass  die  Stücke, 

SitznngBber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  10.  Abb.  1 


X.  Abhandlung:    Heinsei. 


deren  Handschriften  ins  11.  und  12.  Jahrhundert  fallen,  als 
eine  von  den  anderen  durch  einen  Strich  oder  sonst  geschiedene 
Reihe  auftreten,  ebenso  jene,  welche  im  13.,  im  14.,  im  15., 
im  16.  Jahrhundert  aufgeschrieben  sind. 


I.  Zu  den  geistlichen  Schauspielen  des  Hittelalters 

als  Texte  betrachtet. 

Der  gewöhnlichste  Titel  der  geistlichen  Dramen  —  nicht 
der  dramatischen  Liturgien  —  des  Mittelalters  ist  ludus.  Stades 
Weihnachtsspiel  (ludus  scenicus  de  nativitate  Christi,  wenn  der 
Titel  alt  ist).  —  Dor.  (ludus  de  sancta  Dorothea),  Frankf.  Pass. 
Dir.,  S.  Gall.  Pass.,  Innsbr.  Fronl.,  Innsbr.  M.  Himm.  (ludw 
de  a88umptione  beatae  Mariae  virginis),  Innsbr.  Ost.  H.  (ludus 
de  resurrectione  domini),  Kath.  (ludus  de  beata  Katerina),  Trier. 
Ost.  (ludus  de  nocte  pasche,  de  tribus  Mariis  et  Maria  Magda- 
lena), Wien.  Pass.  (ludus  paschalis),  Zehn  Jungfr.  (ludus  dt 
decem  virginibus).  —  Alsf.  Pass.,  Cass.  Weihn.  (ludus  de  nativitate 
domini),  Eger.  Pass.  (ludus  de  creacione  mundi),  Erl.  Dreik. 
(ludus  trium  magorum.  ordo  et  processus  trium  magorum),  Erl. 
Ost.  H.  (ludus  Judeorum  circa  sepulcrum  domini),  Erl.  Weihn. 
(ludus  incunabilis  Christi),  Frankf.  Pass.  (ludus  de  passiom 
domini  nostri  Jhesu  Christi) ,  Luz.  Grabl.  (ludus  de  resurref- 
tione  Christi,  ludus  depositionis  Jesu),  M.  Magd,  (hidw 
Marie  Magdalene  in  gaudio) ,  Sterzinger  Christi  Himmelfahrt 
(ludus  de  ascensione  domini),  Sterz.  Mkl.  (ludus  virginis  plane- 
tus  cum  prophetis) ,  Sterz.  M.  Lichtm.  (ludus  hanestus  de 
purificatione  beatae  virginis),  Wolf  Mkl.  (ludus  passianis  do- 
mini nostri  Jhesu  Christi). 

Die  deutsche  Uebersetzung  davon  ist  spil:  Wien.  Ost.  H. 

Ordo :  Freis.  0.  Räch  (Ordo  Racheiis),  Isaac  und  Rebecca 
(Ordo  de  Isaac  et  Rebecca  et  filiis  eorum  recitandus),  —  Frankf. 
Pass.  Dir.  (ordo  sive  registrum  de  passione  domini),  —  Erl. 
Dreik.  (ineipit  ordo  et  processus  trium  magorum). 

Registrum:  Frankf.  Pass.  Dir.  (Ordo  sive  registrum  de  fai- 
sione  domini),  —  Künzelsauer  Frohnleichnamsspiel  (Registrum 
processionis  corporis  Christi). 


Abbandinngen  zum  altdeutschen  Drama.  3 

Deutsch:  Register:  Don.  Pass.  (das  register  des  lidens 
Jhesu  Christi  zä  Sprüchen  gesetzt,  im  mass  das  man  das  — 
tcoll  spülen  mag),  Erlauer  Spiele,  s.  Kummer  S.  XXVII,  S.  167, 
Wackerneil  S.  6.  —  Heidelberger  Passionsspiel  (das  Register 
oder  Ordenung  vonn  denn  geschichtenn,  marter  vnd  leyden  Jhesu 
Christi). 

Ordenung  Heidelberger  Passionsspiel,  s.  oben. 

Planctus  Bord.  Mkl.  (planctus  devotissimus  beatissime 
Marie  virginis  cum  misericordissima  et  devotissima  nota.  — 
planctus  iste  non  est  ludus  nee  ludibrium),  Sterz.  Mkl.  s.  oben. 

Figur.  Augsb.  Ost.  H.  2175  Proclamator:  Nun  merekt  ir 
allerliebsten  mein,  was  die  nächst  figur  werd  sein.  S.  unten  in 
der  Erklärung  der  abgekürzten  Titel.  Der  Titel  ist  auffällig. 
Denn  sonst  bedeutet  Figur  einen  durch  den  Inhalt  abge- 
schlossenen Theil  des  Stückes  wie  Actus,  Historie;  R.  Brand 
stetter,  Regenz  S.  5a.  18\  32». 

Die  Spielanweisungen  sind  bei  den  lateinischen  Stücken 
(lat.)  immer,  bei  den  gemischten  und  ganz  deutschen  über- 
wiegend lateinisch. 

Lateinisch.  Bilsener  Dreikönigsspiel  (lat.),  Freis.  Her. 
(lat.),  Freis.  O.  Räch,  (lat.),  Teg.  Ant.  (lat.),  —  Ben.  Pass., 
Ben.  Weihn.  (lat.),  Himmelg.  Pass.,  Klosterneuburger  Osterspiel 
(lat.).  Muri.  Ost.  H.,  Nürnb.  Ostf.  (lat.),  Stades  Weihnachts- 
spiel, Strassburger  Dreikönigsspiel  (lat.),  —  Dor.,  Frankf.  Pass. 
Dir.,  S.  Gall.  Pass.,  Jacob  und  Esau,  Innsbr.  Frohnl.,  Innsbr. 
M.  Himm.,  Innsbr.  Ost.  H.,  Kath.,  Theoph.  Stockh.  (deutsch: 
426. 538.  542),  Trier.  Mkl.,  Trier.  Ost,  Wien.  Pass.,  Zehn  Jungfr., 
—  Alsf.  Pass.,  Bord.  Mkl.,  Cass.  Weihn.,  Docens  Marienklage, 
Eger.  Pass.,  Erl.  Dreik.,  Erl.  Mkl.,  Erl.  Ost.,  Erl.  Ost.  H.,  Erl. 
Weihn.,  Eroberung  Jerusalems,  Frankf.  Pass.,  Friedb.  Pass.  Dir., 
S.  Gall.  Chr.  Himm.,  S.  Galler  Marienklage,  Himmelg.  Mkl., 
Künzelsauer  Frohnleichnamsspiel ,  Luzerner  Marienklage,  Luz. 
Grabl.,  M.  Magd.,  Münchner  Marienklage,  Red.  Ost.  H.,  Ster- 
zinger  Christi  Himmelfahrt,  Sterz.  M.  Lichtm.,  Sterz.  Mkl.,  Sterz. 
Ost.,  Wackerneil  S.  13.  40.  70.  78.  81.  103.  105.  124.  134, 
Wien.  Ostf.  (lat.),  Wolf.  Mkl.  (deutsch:  220  sal  man  spreken) 
Wolf.  Ost.,  Wolf.  Sund. 


4  X.  Abhandlung:    Heinzel. 

Deutsch.  S.  Gall.  Weihn.,  Mastr.  Pass.,  Prag.  Mkl.,  Theoph. 
Heirast.,  Augsb.  Ost.  H.,  Augsb.  Pass.,  Don.  Pass.  (lat.  2073), 
heil.  Georg,  Jutta,  heil.  Kreuz,  Rhein,  j.  Tag.,  Theoph.  Trier., 
Wien.  Ost.  H.  (und  latein),  Heidelberger  Passion. 

Ueber  Mischung  von  Deutsch  und  Latein  in  derselben 
Spielanweisung  s.  R.  Haage,  Dietrich  Schernberg  und  sein 
Spiel  von  Frau  Jutten,  S.  8. 

Die  Spielanweisung  steht  im  Indicativ,  zuweilen  auch 
Conjunctiv  Praesentis.  Bilsener  Dreikönigsspiel,  Freis.  Her.,  Freis. 
O.  Räch.,  Isaac  und  Rebecca,  Teg.  Ant.,  —  Ben.  Pass.,  Ben. 
Weihn.,  Klostern euburger  Osterspiel,  Ntirnb.  Ostf.,  Stades  Weih- 
nachtsspiel, Strassburger  Dreikönigsspiel,  —  Breslauer  Marien- 
klage, Dor.,  Frankf.  Pass.  Dir.,  S.  Gall.  Pass.,  S.  Gall.  Weihn., 
Jacob  und  Esau,  Innsbr.  Frohnl.,  Innsbr.  M.  Himm.,  Innsbr. 
Ost.  H.,  Kath.,  Mastr.  Pass.,  Prag.  Mkl.  Theoph.  Stockh.. 
Trier.  Mkl.,  Trier.  Ost.,  Wien.  Pass.,  Zehn.  Jungfr.,  —  Alsf. 
Pass.,  Augsb.  Ost.  H.,  Augsb.  Pass.,  Bord.  Mkl.,  Cass.  Weihn., 
Docens  Marienklage,  Don.  Pass.,  Eger  Pass.,  Erl.  Dreik.,  Erl. 
Mkl,  Erl.  Ost.,  Erl.  Ost.  H.,  Erl.  Weihn.,  Eroberung  Jeru- 
salems, Frankf.  Pass.,  Friedb.  Pass.  Dir.,  S.  Gall.  Chr.  Himin., 
S.  Galler  Mkl.,  heil.  Georg,  Jutta,  heil.  Kreuz,  Künzelsauer 
Frohnleichnamsspiel,  Luz.  Grabl.,  Luzerner  Marienklage,  Münch- 
ner Marienklage,  M.  Magd.,  Red.  Ost.  H.,  Rhein,  j.  Tag,  Ster- 
zinger  Christi  Himmelfahrt,  Sterz.  Mkl.,  Sterz.  M.  Lichtm., 
Sterz.  Ost.,  Theoph.  Trier.,  Wackernell  S.  13.  40.  70.  76.  78. 
81.  103.  105.  124.  134,  Wien.  Ostf.,  Wien.  Ost.  H.,  Wolf. 
Mkl,  Wolf.  Ost.,    Wolf.  Sund.,  —  Heidelberger  Passionsspiel. 

Das  Futurum.  Teg.  Ant.  45  cantabit,  —  Frankf.  Pass.  Dir. 
26*.  91 &  cantabunt,  38  vocabit,  45  clamabit,  Kath.  S.  160 
exibit,  S.  165  veniet,  Zehn  Jungfr.  S.  18  incipiet,  —  Frankf. 
Pass.  1364  cantabunt,  4134  clamavit(?),  Wien.  Ostf.  S.  251 
canent. 

Ein  Praeteritum.  Ben.  Pass.  179  tacebat,  S.  Gall.  Weihn. 
17.  47  sprach,  377  kom,  410  sprach  und  lopt  got,  459  fund&h 
Jacob  und  Esau  S.  426  respondit,  expavit  et  dixit,  Innsbr.  H. 
Himm.  1  exiit,  Mastr.  Pass.  1.  9.  40.  1169.  1494  sprag, 
sprach,  sach,  vil,  lief,  Theoph.  Heimst,  immer  sprak,  299  horde, 
Theoph.  Stockh,  119  plangebat,  426  sprak,  538.  542.  454  por- 
tarnt,  538.  542,  —  Augsb.  Pass.  75  Als  ihesus  war  in  Simonis 


Abhandlungen  mm  altdeutschen  Drama.  5 

haws  sprach  zu  dem  herren  ihesu  Maria  Magdalena,  Eger. 
Pass.  8243  obstupuit,  Frankf.  Pass.  4124  clamabat,  Wien. 
Ost.  H.  S.  303,  15   Da  die  ritter  lagen,  so  sungen  die  engel. 

Statt  eines  Verbums  flir  den  Begriff  inquit,  canit  be- 
gegnet legit,  legat.  Alsf.  Pass.  7137  Luciper  videns  per  fenestram 
legit  sub  accentu  prophecie:  Quare  rubrum  est  u.  s.  w.  et  dicit: 
deutsche  Reimpaare,  S.  Galler  Marienklage  22,  Luz.  Grab], 
179.  8.  Mone,  Altdeutsche  Schauspiele  S.  28  Anm.  und  Wien. 
Pass.  5  im  Prolog  so  muget  ir  von  göte  hören  singen  ufl  lesen. 

Zuweilen  ist  die  Spielanweisung  in  Versen  abgefasst,  doch 
kaum  jemals  durchgehend :  Bilsener  Dreikönigsspiel  (Hexa- 
meter), Freis.  Her.  im  Anfang,  —  Mastr.  Pass.  1169  Du  Maria 
unsen  here  sach,  du  vil  si  ze  sinen  vussen  ende  sprach,  Theoph. 
Heimst.  261  Do  sprak  Theophilus  vromichliken  alsus,  285  Do 
sprak  Theophilus  jamerliken  alsus,  403,  Theophilus  Stockh.  538 
Se  gingen  albedille  Vor  den  prester  unde  stoegen  stille,  542 
Theophilus  dl  stille  swech,  Vor  den  prester  dat  he  sik  vlech. 
S.  Creizenacb  I  63.  Im  Freis.  Her.  scheint  sie  sogar  notirt 
S.  56.  —  Metrische  Spielanweisungen  haben  z.  Th.  auch  die 
R^surrection  (13.  Jahrh.),  Monmerquö  S.  11,  —  und  die  Digby 
Mysteries,  S.  180. 

Für  das  erste  Auftreten  des  Schauspielers  auf  der  Bühne, 
oft  in  Form  einer  Procession,  werden  die  Ausdrücke  produci, 
deduci,  exire,  egredi,  procedere  gebraucht.  Isaac  und  Rebecca 
S.  177  Hoc  cantu  (Eingangsgesang)  producendus  est  Ysaac 
usque  ad  lectum.  —  Ben.  Pass.  Primitus  producatwr  Pilatus  et 
uxor  sua  cum  militibus.  —  Frankf.  Pass.  Dir.  Primo  igitur  per- 
sone  ad  loca  sua  cum  instrumentis  musicalibus  et  clangore 
tubarum  deducantur.  Innsbr.  M.  Himm.  Primo  exiit  Jhesus. 
Innsbr.  Ost.  H.  Primo  euim  exiit  Pylatus  cum  suis  militibus.  — 
Bord.  Mkl.  S.  289  primo  exit  dominus  Jhesus  cum  cruce  cum 
Johanne.  Dominus  Jhesus  quum  primo  exit  cum  aliis  quatuor 
personis  — .  Quum  exeunt  et  quum  intrant,  faciunt  tria  paria. 
890  Nota:  quum  exeunt,  primo  cantant  psalmum  sequens;  dem- 
entsprechend nach  890  Quando  intrant,  cantant  responsorium 
sequens.  Erl.  Ost.  H.  Tunc,  nach  dem  Silete  der  Engel,  exit 
Pilatus  cum  militibus.  Sterz.  M.  Lichtm.  et  prius  exit  praecursor9 
S.    100   egrediantur   de    loco    abscondito   Joseph   et  Maria    (?). 


6  X.  Abhandlung:    HeinzeL 

Procedere:  Teg.  Ant.  His  ita  ordinatis  pintno  procedit  Genu- 
lltes cum  rege  Babiloni,  s.  45.  50,  —  ErL  Weihn.  In  cunabili 
Christi  debent  esse  Maria,  puer,  Joseph,  obstetrix  et  duo  an- 
gelt et  duo  cithariste  et  pastor  et  Judeorum  synagoga.  ß 
procedunt  usque  ad  locum,  ubi  Indus  fieri  debet.  Erl.  Dreik. 
Primo  procedant  duo  angeli,  et  postquam  venerunt  ad  locum 
stacionis,  cantant.  —  Deutsch  blos  gen,  Wien.  Ost.  H.  S.  298,  30 
nach  dem  Prolog  des  Präcursors:  Pilatus  und  die  Juden  gen 
mit  im,  S.  299,  1  Pilatus  get  uf  das  pallas.  Im  Don.  Pass. 
1.  21  her  für  gan. 

Im  16.  Jahrhundert  wird  dafür  ,aufziehen'  gebraucht; 
R.  Brandstetter,  Germania  XXX  325.  342. 

Das  gänzliche  Abtreten  von  der  Bühne  kann  durch  rect- 
dere  ausgedrückt  werden.  Ben.  Weihn.  232  Hoc  conpleto  detur 
locus  prophetis  vel  ut  recedant  vel  sedeant  in  locis  suis  propter 
honorem  ludi,  241  Deinde  recedat  Elisabeth,  quia  amplius  non 
habet  locum  hec  persona,  Trier.  Mkl.  S.  272,  15  et  sie  recedunt 
totaliter  et  Maria  cantat  quod  sequitur,  et  tunc  etiam  recedit. 
Nach  Marias  Gesang  schliesst  das  Stück.  —  In  der  Bord.  Mkl. 
wird  dies  intrare  genannt;  s.  die  oben  S.  5  angeführte  Stelle. 
Erl.  Ost.  1121  Et  sie  recedit  ortulanus,  Christus  als  Gärtner,  um 
1146  in  habitu  sacerdotali  wiederzukommen.  —  S.  Don.  Pass. 
3665  Nu  legend  sy  den  Salvator  in  das  grab  und  beschliessent 
das  — .  Und  in  diesem  schlicht  der  Salvator  uss  dem  grab  und 
becleidet  sich  anders  und  leit  sich  den  wider  dar. 

Für  das  Hervorkommen  der  Schauspieler  aus  dem  Bühnen* 
stand,  dem  Standort  findet  man  exire,  egredi,  venire,  procedert, 
transire,  vadere,  accedere,  auch  disponi,  actum  facere,  paratum 
esse,  dazu  entsprechende  deutsche  Verben.  Freis.  O.  Räch.  94 
consolatrix  accedens  dicat.  —  Ben.  Pass.  1  Postea,  nach  der 
Eingangsprocession,  an  der  Christus  lycht  Theil  nimmt,  vadat 
dominica  persona  sola  ad  litus  maris  vocare  Petrum  et  Andream, 
58  Tunc  accedat  amator  quem  Maria  salutet.  Ben.  Weihn.  11 
Postea  Daniel,  der  nach  der  Angabe  1  seinen  Standort  neben 
Augustinus  hat,  procedat  prophetiam  suam  exprimens,  38  Tercio 
loco  Sybilla  gesticulose  procedat,  237  Deinde  Maria  vadat  casua- 
liter  nichil  cogitans  de  Elisabeth  vetula  —  et  salutet  eam.  242 
qua  (stella)  visa  tres  reges  a  diversis  partibus  mundi  veniant  et 
ammirentur  de  apparitione  talis  stelle.  398  Modo  veniat  archi- 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  7 

synagogus  zu  Hcrodes,  der  ihn  hatte  rufen  lassen.  —  Frankf. 
Pass.  Dir.  352  veniens  ad  paradysum  (dominica  persona),  Innsbr. 
M.  Himm.  921  Et  sie  Maria  vadit  ad  locum  baptismatis. 
Innsbr.  Ost.  H.  422  Tunc  prima  (persona)  exit  cantando,  434 
Secunda  persona  exit  cantando,  446  Tertia  persona  exit  can- 
tando, 1043  Tunc  Jhesus  venit  in  specie  hortulani,  1081  Jhesus 
venit  cum  vexillo.  Wien.  Pass.  36  Quo  facto  sit  paratus  Lu- 
eifer  —  et  ducatur  per  diabolum  ad  sedem  suam,  279  Maria 
Magdalena  exeat  in  superbia  cantans  cum  uno  iuvene.  —  Alsf. 
Pass.  620  Deinde  Luciper  cum  suis  exeunt  de  Inferno,  1044 
Disponatur  Lucifer  sub  silencio  ad  doleum  cum  suis,  1307  et 
Interim  disponitur  Samaritana  que  venit  cum  vase,  s.  2505 
Disponatur  azinus  in  Jherusalem,  3126  Disponatus  Saihanas, 
7642  Hie  disponatur  Uriel  ut  sedeat  super  sepulcrum  domini. 
Bord.  Mkl.  S.  289  virgo  Maria  quum  facit  actum  suum  vadit 
ad  medium  et  aliquando  vertit  se  adfilium  ad  orientem,  aliquando 
ad  oeeidentem,  aliquando  ad  aquilonem,  aliquando  ad  meridiem 
— .  quandocumque  fecit  actum  tuum  vadit  ad  locum  suum  et 
stat  a  dextris  (Christi),  890  Nota:  quum  exeunt  primo  cantant 
psalmum  sequens.  Eger.  Pass.  441  Et  sub  Mo  Salvator,  Gott 
Vater,  transit  versus  paradisum,  2365  Primus  miles  accedit  ad 
Herodem  dicens,  2375.  2385.  2395.  7979  Et  sub  illo  venit  Sal- 
vator in  specie  hortulani.  Erl.  Dreik.  167  Deinde  veniant  magi 
equitantes.  Erl.  Ost.  1146  Tunc  dominica  persona  venit  in  har 
bitu  sacerdotali.  Erl.  Ost.  H.  1  Tunc  exit  Pilatus  cum  militi- 
bus  cantando,  21  Deinde  Cayphas  cum  synagoga  cantantes 
(veniunt).  S.  Gall.  Chr.  Himm.  9  Deinde  sint  congregati  disci- 
puli  et  mater  domini  cum  duabus  Mariis,  et  veniens  Jhesus 
dicat  eis.  Luz.  Grabl.  31  Deinde  Joseph  ab  Arimathia  cum 
duobus  servis   accedat  Mariam  inclinando  se.    M.    Magd.   298 

e 

Luciper:  Es  uril  iczund  her  aus  gen  ein  frau,  haiszt  Mag- 
dalen,  370  Deinde  exit  Procus  cantando.  Sterz.  Mkl.  S.  121 
quo  finito  (dem  gemeinsamen  Gesang  des  Propheten)  procedit 
primus  propheta  Jeremias,  s.  S.  125.  128.  S.  131  Tunc  venit  quar- 
ins  propheta  David,  S.  134  Tunc  procedit  Simeon  (der  fünfte 
Prophet),  S.  136  Tunc  venit  Jonas,  propheta  sextus,  S.  138  quo 
finito   (Propheten chor)  venit  seeundus  iuvenis  ad  locum  suum1 

1  Was  hier  ad  locum  suum  heisst,  ist  dunkel. 


8  X.  Abhandlung:    Heiniel. 

cum  candelabro  et  dicit  rigmum.  Sterz.  M.  Lichtm.  S.  100 
post  istum  cantum  egrediantur  de  loco  abscondito  Joseph  et 
Maria  baiulana  parvulum  in  manibus  cum  duobus  angeli* 
praecedentibus. 

Vereinzelt  ist  intrare  für  das  Hinzutreten  zu  dem  Stand- 
platz eines  andern ,  S.  Gall.  Pass.  51  Tunc  Judaei  intrant  ad 
Johannem  dicentes. 

Für  das  Zurückkehren  auf  den  Standplatz  gilt  recedere, 
enweg  gan.  Alsf.  Pass.  2059  et  Martha  et  Maria  Magdalena 
recedunt;  beide  kommen  noch  wiederholt  im  Stück  vor;  6839 
Et  sie  Maria  recedit  cum  sororibus  et  cum  aliis  ad  locum  eius* 
nach  der  Grablegung  Christi.  Cass.  Weihn.  55  Tum  angelus 
recedit,  75  et  sie  recedit  (Joseph).  Tunc  apparet  ei  angelus 
Gabriel;  Joseph  bleibt  also  in  seinem  Standort  sichtbar.  Don. 
Pass.  3775  den  gand  si  enweg,  Christen-  and  Judenthum. 
Erl.  Dreik.  67  Et  sie  recedant  pastores,  239  Et  sie  recedant,  die 
heil,  drei  Könige,  27 1  Et  sie  recedant,  die  heil.  Familie.  Sterz. 
Mkl.  S.  139  Tunc  recedit  Maria  cantando.  Sterz.  M.  Lichtm. 
S.  109  Replicando  versus  donec  sacerdos  cum  ministris,  Simeon 
cum  servo,  Anna  cum  ancilla  recedant.  S.  110  Joseph  reeipit 
puerum  et  recedit  angelis  praecedentibus.  S.  152  Et  tunc  duae 
personae  recedunt  cantando,  Sterz.  Ost.  S.  154  Et  sie  hortulanus 
recedit,  S.  160  Tunc  sälvator  recedit  ad  tempus  nach  seiner 
Erscheinung  bei  Maria  Magdalena,  vor  seiner  Erscheinung  bei 
den  Aposteln,  S.  162  Et  sie  recedit  (Thomas  oder  Christus?). 
Wolf.  Sund.  2094  Hie  recedit  Moyses. 

Aber  es  ist  nicht  nöthig,  dass  immer  ein  Ausdruck  wie 
exire,  procedere,  venire  gebraucht  wird,  um  das  Herauskommen 
auf  die  Bühne  vom  Standplatz  aus  zu  bezeichnen;  6.  Alsf.  Pass. 
133  Hoc  facto  Luciper  ascendit  dolium,  natürlich  muss  er 
dabei  die  Hölle  verlassen,  Sterz.  M.  Lichtm.  S.  100  Tunc  sit 
altare  in  medio  ecclesiae  vel  loco  congruo  paratum,  ad  qm*i 
sacerdos  quidem  iudeus  cum  duobus  ministris  accedat  cantando: 
darauf  post  istum  cantum  egrediantur  de  loco  abscondito  Jo- 
seph et  Maria. 

Auch  statt recedere  können  andere  Verba  gebraucht  werden: 
Alsf.  Pass.  400  Sic  omnes  currunt  ad  infernum. 

Wie  andererseits  procedere  und  recedere,  venire,  rädert 
ad,  accedere  ad,  transire  von  andern  Orten  als  den  Standplätzen 


Abhandlangen  mm  altdeutschen  Drama.  9 

aus  gemeint  sein  können.  Ben.  Pass.  4  Postea  vadat  dominica 
persona  ad  Zacheum,  8  Hiis  f actis  Jesus  procedat  ad  Zacheum, 
11  Jesus  venit,  nachdem  Jesus  schon  2  ans  Meeresufer  zur 
Apostelwahl  gegangen  war.  —  Innsbr.  M.  Himm.  932  Deinde 
recedit  ad  locum  ieiunii,  Maria,  nachdem  sie  beim  locus 
baptismatis  gewesen  war,  439  Maria  iterum  procedit  ad 
locum  passionis ,  966  Maria  iterum  procedit  ad  locum  pul- 
ture,  966  Maria  iterum  procedit  ad  locum  ascensionis. 
Innsbr.  Ost.  H.  1099  Maria  recedit  vom  Grabe  Christi,  und 
spricht  nun  mit  den  Aposteln  1124.  1158.  Trier.  Mkl.  S.  266,  2 
et  sie  recedunt,  Maria  und  Johannes,  aber  sie  bleiben  ganz  in 
der  Nähe  des  Kreuzes  und  kehren  auf  Christi  Ruf  zurück.  — 
Eger.  Pass.  423  Et  tunc  Adam  accedit  ad  Eoam  —  et  swmens 
pomum  dicit,  1857  transity  T744  Et  sie  transeunt,  die  Grab- 
wächter, ad  parvum  spacium  de  sepulchro  ad  medium  circuli, 
7764.  7798.  7902.  7995  et  sie  ulterius  procedit  (Maria  Magda- 
lena) de  ortulano,  8013  Et  sie  Maria  recedit  tercio  modo  ab 
ortulano.  Frankf.  Pass.  2671  Judas  recedit  suspendens  eius 
ymaginem.  S.  Gall.  Chr.  Himm.  17  Et  procedat  Jhesus  versus 
matrem  eius,  nachdem  er  schon  9  zu  den  Aposteln  und  der 
Mutter  gekommen  war.  Luz.  Grabl.  51  Deinde,  nach  seinem 
Gespräch  mit  Maria,  vadat  Joseph,  von  Arimathia,  cum  duobus 
servis  ad  Pilatum.  Sterz.  Mkl.  S.  121  Duae  personae  simul  acce- 
dunt  tertiam  et  canunt,  S.  130  Tandem  venu  Johannes,  S.  133 
Tunc  iterum  veniat  Johannes,  während  Johannes  seit  S.  120 
auf  der  Scene  ist. 

Die  Spielanweisung,  welche  sich  auf  die  Rede  des  Schau- 
spielers bezieht,  das  Inquit,  gibt  mitunter  auch  den  Inhalt  der 
Rede  an.  Teg.  Ant.  50  Tunc  Imperator  dirigit  nuntios  suos 
ad  singulos  reges  et  primo  ad  regem  Francorum  dicens:,  94  Tunc 
Imperator  eum  suseipiens  in  hominem  et  concedens  sibi  regnum 
cantat:.  —  Ben.  Pass.  8  Hiisf actis  Jesus  procedat  ad  Zacheum 
et  vocet  illum  de  arbore:,  131  Interim  Judas  veniat  festinando 
et  querat  oportunitatem  tradendi  dicens:,  Ben.  Weihn.  11  Postea 
Daniel  procedat  prophetiam  suam  exprimens:,  340  Modo  pro- 
cedant  reges  usque  in  terram  Herodis  querendo  de  puero  et 
cantando.  —  Dor.  S.  287,  27.  288,  7,  S.  Gall.  Weihn.  410 
Maria  sprach  und  lopt  got,  Mastr.  Pass.  17  Hie  tüirt  Lucifer 


10  X.  Abhandlung:    Heimel. 

virstoseny  ende  spricht  vnse  kere:9  286  Hie  kumet  der  enget 
zo  Joseppe  ende  bevilt  ome  Marien  in  eine  hude:.  —  Angst). 
Pass.  297  Salvator  zu  iohanni  vnd  petro  vnd  bevilcht  inen  von 
Bethania  gen  iherusalem  zu  gan}  das  aubentessen  zu  beraüten, 
323,  Don.  Pass.  2991,  Eger.  Pass.  825.  1361.  1761.  1795.  22011, 
S.  Gall.  Chr.  Himm.  61,  Rhein,  j.  Tag  384.  461.  687,  Theoph. 
Trier.  46.  262.  268.  278.  336,  Wien.  Ost.  H.  S.  300,  12,  Wolf. 
Mkl.  421  Johannis  lenit  eam  (Maria): 

Dass  die  Spielanweisung  sagt,  was  während  der  folgenden 
Worte  agirt  werden  soll,  ist  das  Gewöhnliche.  Eis  kommt  aber 
auch  vor,  dass  sie  für  die  Action  nach  der  Rede  Vorschriften 
gibt.  Dor.  S.  293,  22  herum  Fabricius  dicit  ad  toriores  et 
facit  paganos  ducere  ad  decollandum.  —  Alsf.  Pass.  528  et  Jo- 
hannes aspergit  aquam  super  personam  Salvatoris.  Jhesus 
venit  ad  locum  deputatum.  Maiestas  quoque  cantat:  Hie  est 
filius  meus  dilectus  et  dicit  rigmum:  Sehet  diez  ist  myn  zarter 
sone  u.  s.  w.  Erst  dann  kann  Jesus  auf  seinen  Standplatz 
zurückkehren.  5272  Et  imponatur  ei  corona  spinea  post  rigmum 
sequentem,  Don.  Pass.  2083  ff.  die  Juden  schreien  bei  der  Ge- 
fangennehmung: Jhesum  Nazarenum.  Und  tretten  darmit  hinder 
sich  und  fallent  nider}  denn  facht  der  Salvator  aber  an  und 
spricht:  Jhesus  Nazarenus9  der  bin  ich.  Oder  ist  hier  Ver- 
wirrung des  Textes  anzunehmen?  Eger.  Pass.  529(?).  553 
Caym  et  Abel  transeunt  de  domo  Ade.  Caym  dicit  ad  patrem: 
er  spricht  die  Absicht  aus,  das  Feld  zu  bauen.  899  Et  sub 
Mo  transgreditur  populus  mandatum  ipsius  Moysi  corisando  et 
adorando  mtulwm.  Synagogarius  dicit  ad  Aaron:  das  Tanzen 
und  Anbeten  des  noch  nicht  gegossenen  Kalbes  erfolgt  erst 
921.  1523.  1549  Maria  respondit  et  summit  bovem  et  azinum. 
Maria  desuper  sedit.  Jetzt  bittet  Maria  aber  erst  um  den 
Esel,  2925. 

So  reich  die  Spielanweisungen  oft  sind,  so  geben  sie  doch 
bei  weitem  nicht  alles  an,  was  der  Schauspieler  zu  thun  hatte. 

Auch  zeigt  sie  oft  Mängel  und  Fehler.  Ben.  Pass.  213 
Wer  spricht  das  mit  Noten  versehene  Inri?  —  S.  Gall.  Pass. 
242 ff.  sind  die  Personen  falsch  angegeben,  Mastr.  Pass.  126. 
132  ist  die  Person  der  Gerechtigkeit  gemeint  statt  der  der 
Wairheit,  welche  der  Text  bietet,  1266  ist  Symon  statt  La- 
zarus gesetzt.  —  Theoph.  Heimst.  606  das  Einschlafen  des  Helden 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  1 1 

ist  nicht  angegeben.  —  Alsf.  Pass.  1770  fehlt  eine  Spiel- 
angabe über  die  ancilla  der  Magdalena,  die  nach  1824  an- 
wesend ist.  6793  wie  kommt  Jacobns  maior  zur  Grablegung 
Christi?  Ueber  eine  Wolkendecoration,  welche  7876  voraus- 
setzt, ist  nichts  angegeben.  Augsb.  Pass.  121  Es  fehlt  die 
Angabe,  dass  Jesus  in  Lazarus'  Haus  gegangen  sei.  173  Dass 
Jesus  Marien  die  Antwort  auf  ihre  Frage  durch  Action  während 
der  Judenscene  gibt,  muss  man  errathen.  Cass.  Weihn.  357 
Dass  der  eine  Hirt  den  andern  mit  dem  Stocke  stösst,  ist 
nur  aus  den  Textworten  zu  ersehen.  Ebenso  Eger.  Pass.  29. 
37  die  Weltschöpfung,  343  die  Schöpfung  Evas,  438,  dass 
Eva  ihre  Scham  bedeckt,  1035  der  Kampf  Davids  mit  Goliath, 
8013  fehlt  das  Weggehen  Christi  als  Gärtner.  Erl.  Ost.  H.  456 
der  Weg  Medes7,  Kaiphas  Diener,  zum  Grab  fehlt.  S.  Gall.  Chr. 
Himm.  23  Christi  Weggehen  nach  der  ersten  Erscheinung  bei 
den  Aposteln,  238  bei  der  Himmelfahrt.  Sterz.  M.  Lichtm.  vor 
S.  103  fehlt  die  Angabe  prima,  secunda  vice  bei  dem  Gesang 
,Anima  in  laudibus',  s.  S.  103.  1 10.  Wien.  Ost.  H.  S.  299,  23. 
307,  13.  310,  11.  311,  17  sind  die  Namen  der  Redenden  falsch. 
Wolf.  Sund.  Wann  Adam  Eva  von  dem  Verbote  Gottes  unter- 
richtet, ist  nur  zu  errathen.  —  Im  Nicolaus,  —  in  der  Ben. 
Pass.  213  bei  den  Worten  des  Inri,  —  Prag.  Mkl.  1.  13.  17  ff., 
—  Heidelberger  Passion  2913.  5082  u.  o.  fehlen  die  Inquit. 

Im  Allgemeinen  wird  Reden  und  Singen  durch  die  Spiel- 
anweisung unterschieden;  s.  z.  B.  Mastr.  Pass.  1188,  aber  dicit 
ist  nicht  selten,  auch  wo  Gesang  gemeint  ist,  wie  die  Notirung 
zeigt,  Freis.  O.  Räch.  13.  16.  S.  Froning.  S.  552,  Grein,  Alsf. 
Pass.  S.  XVI. 

Die  Spielanweisung  fehlt  gänzlich  im  Nicolausspiel,  so 
dass  sogar  deshalb  alle  Namen  der  redenden  Personen  zu  er- 
rathen sind. 

Die  Latinität  der  Spielanweisungen  ist  voll  grober  Fehler. 
Nur  ein  paar  Beispiele  Ben.  Pass.  83  respondit,  gleich  respondet, 
was  sehr  häufig  auch  sonst  vorkommt,  127  Et  sie  tacendo 
clerus  cantatj  d.  h.  während  Christus  schweigt,  singt  der 
clerus.  —  Alsf.  Pass.  1138  materna  lingwagione  et  non  rigma- 
ticOj  1848  regraciando,  Eger.  Pass.  1549  respondit  et  summit 
bovem  et  azinum,  2281  azinus,  2187  affisando,  7130  lintiga- 
mina,  Erl.  Ost.  H.  456  Et  sie  currunt  vias,  Künzelsauer  Frohn- 


12  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

leichnamsspiel  temptata  für  tentatio,  s.  T.  Mansholt,  Das  K.  F. 
S.  28,  Wackemell  S.  124  respondit,  Wolf.  Sund.  1020  exigü 
paradisum. 

Rigmus,  Ricmus,  Ritmus  für  rhythmus  bedeutet  in  der 
Regel  die  gesprochene ,  nicht  gesungene  deutsche  Rede  in 
Reimpaaren.  Frankf.  Pass.  Dir.  232*  Parvo  habito  intervaüo 
Jhe$u8  clamabit  sie:  Heli,  Hely,  la  etc.  Hie  non  sequitur 
rigmus,  sed  clamore  Jheso  finito  statim  dicat  Abraham  Ju- 
den*:  Höret,  er  eishit  Helyam.  Wien.  Pass.  110  ff.,  124  ff., 
349ff.,  361ff.,  374ff.,  440ff.  —  Alsf.  Pass.  5926ff.,  5950ff.? 
6050ff.,  6080ff.,  6094ffv  6112ff.,  Erl.  Mkl.  54ff.,  116ff. 

Augsb.  Pass.  323  bedeutet  reym  die  Rede  eines  Schau- 
spielers, die  erst  an  eine,  dann  an  eine  zweite  Person  gerichtet 
wird;  s.  391,  also  was  der  Schauspieler  auf  einmal  spricht.  — 
Das  heisst  zu  Luzern  im  16.  Jahrhundert  .Sprach*.  Brand- 
stetter,  Regenz  S.  18 b,  wo  die  sprach,  die  rym  auch  den 
ganzen  Text  des  Spieles  bezeichnen,  Keller,  Fastnachtsspiele 
in  S.  1373. 

Aber  Trier.  Ost.  104  Salvator  respondet  rigmatice  can- 
tando.  Es  folgen  zwei  deutsche  Verse  ohne  Noten.  Dann: 
Deinde  Maria  iterum  cantat  rigmatice:  Dolor  crescit  u.  s.  w. 
Wien.  Pass.  36  Pueri  cantant  Silete  cum  riemo. 

Eigentümlich  ist  der  Gebrauch  von  interim,  interea,  das 
zuweilen  fUr  tum,  tunc  zu  stehen  scheint.  Nürnb.  Ostf.  S.  20 
Populo  interim  acclamante:  Crist  ist  erstanden,  nach  dem  Ge- 
sang Johannes'  und  Petrus*  vorhergegangen. 

Ben.  Pass.  125  Gerade  hat  Magdalena  gesungen.  Interea 
content  diseipuli:  Phariseus  iste  fontem  u.  s.  w.  131  Gerade 
hat  der  Clerus  gesungen.  Interim  Judas  veniat  festinando  et 
querat  oportunitatem  tradendi  dicens:  O  pontifices  u.  s.  w.  — 
Alsf.  Pass.  2119  Interim  Martha  mittit  nuntium  —  et  dicit 
servo:  getruwer  Unecht  u.  s.  w. ,  nachdem  vorhergegangen: 
Sinagoga  cantat,  Wackernell  S.  74,  Wolf.  Sund.  1665  Hie 
portant  adam  in  ebron,  Interimque  sepeliunt  adam.  Seth  dicit 
Htmum.     Oder  heisst  hier  interim  /während'? 

Nicht  eigentliche  Spielanweisungen  sind  Zwischenbemer- 
kungen in  der  Handschrift  des  Künzelsauer  Fronleichnamspiels 
wie  Josua  cum  botro,  Sampson  portans  ianuam,  Sequitur  litigatio 
sororum  misericordiae ,  pacis ,    iustitiae   et  veritatis,   sequitur 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  13 

temptata,  post  temptata  decollatio  Johannis,  post  decollationem 
Maria  Magdalena  u.  s.  w.,  T.  Mansholt,  Das  K.  F.  S.  10 f.  28. 
S.  auch  Alsf.  Pass.  ed.  Grein  S.  XIV  Conuersio  Marie  Magda- 
lena u.  &.,  Heidelberger  Passionsspiel  27  Jhesus  baptizatus  a 
Johanne,  257  Jhesus  temptatus  a  diabulo  n.  s.  w.  Das  diente 
wohl  nur  dem  Spielleiter  zur  Orientirung  in  der  Handschrift. 

Anders  gemeint  sind  die  Einzeichnungen  in  Alsf.  Pass.  ed. 
Grein  S.  XIV,  Froning  S.  551  Fiat  hie  notificatio  baptismatis 
Christi  a  Johanne,  Fiat  hie  notificatio  popularis  temptationis. 
Das  bezieht  sich  auf  den  Prediger;  s.  1138. 

Wieder  anders  sind  die  lateinischen  meist  biblischen 
Stellen  im  Heidelberger  Passionsspiel  zu  verstehen.  Denn 
Milchsack  urtheilt  S.  293  wohl  mit  Recht,  dass  sie  nicht  zum 
Vortrag  bestimmt  waren,  da  bei  ihrem  grossen  Umfang  die 
stark  verkürzte  Form  dem  Dirigenten  und  Schauspieler  wenig 
helfen  konnte. 

Personen  Verzeichnisse  geben  Alsf.  Pass.  am  Schluss,  Erl. 
Weihn.  am  Anfang,  —  wie  im  16.  Jahrhundert  H.  Sachs, 
J.  Ayrer,  S.  Wilt  Passion  1566  u.  a.;  s.  R.  Brandstetter,  Regenz 
S.  23b.  25»,  Germania  XXX,  S.  205.  325,  Zs.  f.  d.  Ph.  XVII, 
S.  347.  —  S.  Digby  Mysteries  S.  24.  138. 

Ein  Verzeichniss  der  dargestellten  Oertlichkeiten  hat  Isaac 
und  Rebecca  und  Don.  Pass.  S.  158;  s.  dazu  die  Pläne  von 
Don.  Pass.  S.  156,  Froning  S.  276,  Könnecke,  Bilderatlas  S.  55, 
Alsf.  Pass.  S.  267.  860,  Grein,  Alsf.  Pass.  S.  258,  einer  Tiroler 
Passion,  A.  Pichler,  Drama  des  Mittelalters  in  Tirol  S.  63. 

Ein  Verzeichniss  der  Requisiten  steht  in  Isaac  und  Re- 
becca, Don.  Pass.  S.  184,  Erl.  Dreik.  am  Schluss;  —  im  16.  Jahr- 
hundert Vsrilstungsrödel  genannt,  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  1 1 a. 
33%  Germania  XXX,  S.  205.  325,  zusammen  mit  dem  Per- 
sonenverzeichniss.  —  S.  de  gereetscap  in  der  siebenten  Bliscap 
van  Maria  S.  IV. 

S.  die  Verzeichnisse  bei  Jubinal  n,  S.  IX  von  1496,  in 
den  Digby  Mysteries,  Ende  15.  Jahrhundert,  S.  24.  138,  in  der 
York  Plays  S.  XIX  von  1415.  Letztgenanntes  gibt  mit  den  Per- 
sonen zugleich  Inhalt  und  Requisiten  an. 


14  X.  Abhandlung:    Heinxel. 

Vielfach  zeigen  die  Spielanweisungen  wie  auch  die  Ein- 
richtung des  Textes,  dass  der  Dichter  den  Schauspielern  eine 
gewisse  Freiheit  einräumte  oder  dass  diese  sie  sich  nahmen; 
ein  Ansatz  zur  freien  Rollenerfindung  in  der  Commedia  delT  arte. 

So  wird  es  öfter  dem  Belieben  anheimgestellt  ,  ob  etwas 
vorkommen  solle  oder  nicht.  Alsf.  Pass.  616  Hie,  si  plactt* 
Mors  lento  pede  vadat  post  Jokannem.  2584  Chorus  cantat: 
Noli  timere  filia  etc.,  si  placet  4480  Incipit  disputacio  EcdesU 
cum  Sinagoga.,  si  placet  Bord.  Mkl.  400  Maria,  si  potest  hoc 
commodose  fieri,  incipit  seeundo  cum  omni  devotione  canticum 
,We  helpet  clagen'  u.  s.  w.  690  Nota:  planctum  sequentem  heata 
virgo  cantat  bis,  quia  devotissimus  est,  si  fieri  potest  commo- 
dose. Wackern  eil  S.  144  Hie  potes  introducere  medicum  cum 
servo  suo,  si  placet.  Wackernell  meint,  die  Scene  sei  gegebenen- 
falls aus  dem  Gedächtniss  gespielt  worden.  Wien.  Ostf.  S.  252 
Et  ita  clerus  redeat  ad  chorum  cantando  antiphonam  ,Surrexit 
enim';  sed,  si  non  suffecerit,  repetatur. 

Oder  es  werden  zwei  Formen  oder  Fassungen  zur  Wahl 
gestellt.  Frankf.  Pass.  Dir.  251  Et  notandum,  quod  optime  con- 
gruit,  ne  populus  nimiam  moram  faciendo  gravetur,  et  ut  re- 
surrectio  domini  gloriosius  celebretur,  ut  ulterior  ordo  ludi  in 
diem  alterum  conservetur,  quod  si  apud  rectores  deliberatum 
fuerit,  Augustinus  cor  am  populo  proclamet  sine  rigmo  ut  in 
die  crastino  revertatur.  Innsbr.  M.  Himm.  2457  das  falsche 
Programm  für  das  Folgende  deutet  auf  zwei  Anordnungen.  — 
Alsf.  Pass.  878  Disdpuli  Johannis  ibunt  ad  locum  pristinum 
vel  ad  placitum  manebunt  stare  timidi  usque  ad  decollacionem 
Johannis.  898  et  interim  Judex  vel  dyaboli  corisant.  1212  Hoc 
dicto  chorus  cantet:  ,Ad  unius  visionis*  vel  ,Ambulans  Jhesus' 
seeundum  placitum.  4919  Hier  mitten  in  der  Disputation  zwi- 
schen Ecclesia  und  Synagoge  findet  sich  die  Bemerkung  bei- 
geschrieben post  crueifixionem ,  und  dort  am  dritten  Spieltage 
6838  Fiet  disputatio  Ecclesie  et  Synagoge,  Grein,  Alsf.  Pass. 
XVIII.  5178  Ecclesia  subiungit  vel  capellanus^stans  cum  thuri- 
bulo  et  dicit.  5725  Angeli  canunt  ,SHete* ,  vel  chorus  cantat: 
Posuerunt  super  caput  eius  u.  s.  w.  Cass.  Weihn.  821  Sequitur 
Sermo  Luciperi ,  qui  fieri  potest  post  (1.  per)  sermonem  ipsius 
vel  per  ludi  regentem  disponatur.  Wenn  nach  dem  Explicit  871 
noch  eine  Schlussrede  folgt,  so  deutet  das  wohl  auf  die  Mög- 


Abbandlangen  zum  altdeutschen  Drama.  15 

lichkeit,  an  zwei  Stellen  zu  schliessen.  Don.  Pass.  3177  Nu  bru- 
chent  die  Juden  den  Salvator  aber  untugentlich,  das  in  demselben 
Maria  zwurent  oder  dristunt  sol  nider  sincken.  Eger.  Pass. 
2797  das  falsche  Programm  für  den  zweiten  Tag  deutet  auf 
verschiedene  Eintheilung. 

Oder  es  wird  die  Ausführung  einer  allgemeinen  Vorschrift 
dem  Belieben  anheimgestellt.  Isaac  und  Rebecca  S.  172.  Esau 
soll  durch  Action  eine  Jagd  darstellen  et  inde  quod  placet 
faciat.  Teg.  Ant.  50  Postea  procedunt  et  alii  reges  cum  militia 
sua  cantantes  singuli  quod  conveniens  visum  fuerit.  —  Wien. 
Pass.  36  Pueri  cantant  Silete  cum  ricmo  (?).  Quo  facto  Lu- 
cifer  sit  paratus  in  forma  diaboli  u.  8.  w.  279  Maria  Magda- 
lena exeat  in  superbia  cantans  cum  uno  iuvene,  quem  interdum 
amplexatur.  Vadat  ad  medicum :  Michi  confer,  venditor  u.  s.  w. 
—  Alsf.  Pass.  924  Et  sie  omnibus  sedentibus  et  epulantibus 
Sinagoga  cantat.  Finito  cantu  pausat.  1413  Cecus  et  servus 
ineipiunt  cantare  et  transire  u.  s.  w.  Post  canticum  servus  dicit 
rigmum.  1555  Sinagoga  cantat  cum  Judeis;  hoc  facto  dicit 
rigmum  ad  cecum.  2059  Quo  facto  angeli  canunt  canticum 
aliquod.  2333  Tunc  Sinagoga  cantat  et  dicit  Lazaro  demon- 
stratio Jhesum.  3426  Tunc  Judex  dueunt  Jhesum  ad  Annam 
corizando  et  cantando  canticum  aliquod,  scilicet:  Jhesus,  der 
trogener.  5264  Hie  proclamator  dicit  rigmum  ponendo  con- 
clusionem  seeundi  diei.  5298  Hoc  facto  Jhesus  sedens  iterum 
delvditur  per  cantica  Sinagoge,  qui  circumdans  (sie!)  ipse 
cum  Judeis  cantat.  Sinagoga  dicit.  Augsb.  Pass.  1688  Yetz 
singend  die  iuden  vnder  dem  creitz  das  iudengsang  halb  ausz. 
Erl.  Ost.  329  Hoc  facto  Pusterpalkch  currit  ad  placitum  suum, 
681.  Erl.  Weihn.  1  Et  cessant  ludere  ipsi  cithariste  stantes  a 
latere  loci  seeundum  benepladtum.  Frankf.  Pass.  am  Schluss 
nur:  Conclusor  concludit.  Red.  Ost.  H.  195  Vigil  cantat  et  uno 
versu  finito  dicit,  s.  205.  215.  227.  753,  —  227  Angeli  simul. 
231  Iterum  cantantes  simul.  Wien.  Ost.  H.  S.  300,  7  die  Juden 
tanzen  zu  Pilato  und  singen  judisch.  S.  307,  13  Die  engel  gen  nu 
in  das  grap  und  singen.  S.  307,  23  Die  Juden  tanzen  und  singen 
zu  Pilato. 

Im  Cass.  Weihn.  liegt  eine  grössere  Stelle  618  bis  716 
in  zwei  Fassungen  vor.  Doppelfassungen  nimmt  Kummer  auch 
bei  den  Erlauer  Spielen  an,  S.  LH.  —  Starke  Erweiterungen 


16  X.  Abhandlung:    Heinz  et 

haben  von  gleichzeitigen  und  jüngeren  Händen  das  Alsf.  Pass., 
Froning  S.  551,  Grein  S.  XI  ff. ,  die  Erl.  Mkl.,  Kummer, 
S.  LXI,  die  Himmelg.  Mkl.,  s.  Sievers  S.  396  erfahren.  —  Siehe 
im  16.  Jahrhundert  die  Auslassungen  und  Zusätze  in  den  Lu 
zerner  Spielen,  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  21  *\ 

Ebenso  wird  in  der  siebenten  Bliscap  van  Maria  S.  V,  — 
und  in  Jubinal's  Myst&res  inädits  sehr  viel  dem  Belieben  der 
Auffuhrenden  anheimgestellt,  besonders  in  Bezug  auf  die  Aus- 
dehnung des  Stückes;  I  S.  23,  II  S.  23.  38.  41.  60.  97.  167. 
281.  Siehe  auch  Ludus  Coventriae  S.  275. 

Gleicherweise  ist  der  Text,  den  der  Schauspieler  zu 
sprechen  oder  zu  singen  hat,  oft  unvollständig.  Ausser  den 
Fällen  wirklicher  Wiederholung,  bei  denen  der  Schreiber  sich 
gerne  mit  Verweisungen  begnügt,  so  z.  B.  Alsf.  Pass.  107. 
464,  Augsb.  Ost.  H.  2604,  sind  auch  die  aus  dem  Gottes- 
dienst bekannten  lateinischen  und  deutschen  Gesänge  meistens 
nur  durch  den  Anfang  bezeichnet.  Dazu  gehört  wohl  auch 
Alsf.  Pass.  3670  Ach  du  armer  Judas  etc.  Auch  von  dem 
weltlichen  Lied,  das  Theophilus  singt,  Theoph.  Trier.  823  ist 
blos  der  Anfang  geschrieben. 

Wo  die  Wahl  eines  Gesangstückes  dem  Spielleiter  über- 
lassen ist,  fehlt  natürlich  der  Text;  s.  oben  S.  15. 

Im  Augsb.  Ost.  H.  wird  2447  ff.  auf  den  Text  der  Augsb. 
Pass.  2 133  ff.  verwiesen.  Ebenso  soll  der  Schluss  des  Augsb. 
Ost.  H.  den  Epilog  des  Augsb.  Pass.  bilden:  Augsb.  Ost.  H. 
Proclamator  beschlewszt  wie  oben  stat. 

Ausser  ganzen  Texten  wurden  auch  Dirigierrollen  ge- 
schrieben Frankf.  Pass.  Dir.,  Friedberger  Dirigierrolle,  Dirigier 
rolle  des  Neidhartspiels  bei  Zingerle.  Siehe  die  Inhaltsangabe 
des  Luzerner  Fastnachtspiels  von  1592,  Zs.  f.  d.  Ph.  XVII  S.  347. 

Und  Einzelrollen.  Die  Marienrolle  zur  Himmelg.  Mkl., 
die  Botenrolle  zur  Eroberung  Jerusalems,  die  Marienrolle  zur 
Münchner  Marienklage;  s.  Schönbach,  Ueber  die  Marienklagen 
S.  20,  Grein,  Alsf.  Pass.  S.  XIII.  —  In  Luzern  hiess  im  16.  Jahr- 
hundert das  Manuscript  einer  solchen  Rolle  Stände-Rodel,  Denck- 
Bödel,  Brandstätter,  Regenz  S.  lla.  31». 


Abhandlungen  znm  altdeutschen  Drama.  17 

Noten  enthalten  die  Handschriften  von  Freis.  Her.,  Freis. 
O.Rach,  Isaac  und  Rebecca,  Teg.  Ant.,  —  Ben.  Pass.,  Ben. 
Weihn.,  Strassburger  Dreikönigsspiel,  —  Engelberger  Marien- 
klage, Jacob  und  Esau,  Trier.  Mkl.,  Trier.  Ost.,  Wien.  Pass., 
—  Alsf.  Pass.,  Grein,  Alsf.  Pass.  S.  XVI,  Don.  Pass.,  s.  Bolte, 
Zs.  XXXH,  S.  2,  Eger.  Pass.,  s.  Tucher,  Anzeiger  für  Kunde 
d.  d.  Ma.  1859,  S.  88.  130.  168,  Erl.  Mkl.,  Erl.  Ost., 
Erl.  Ost.  H.,  Himmelg.  Mkl.,  M.  Magd.,  Wackernell,  S.  4. 
69,  Wolf.  Mkl.,  Wolf.  Ost.  —  Von  den  Stücken  mit  aus 
Latein  und  Deutsch  gemischtem  Text  hat  die  Wien.  Pass. 
Noten  für  die  lateinischen,  die  übrigen  auch  für  die  deutschen 
Texte. 

Für  Luzern  ist  im  16.  Jahrhundert  eine  Musikrödel  be- 
zeugt; Brandstetter,  Regenz  S.  lla. 

Widersprüche  und  Unsinniges  verschiedener  Art  kommt  in 
unseren  Texten  sehr  häufig  vor,  so  wenn  Ben.  Pass.  82  Magda- 
lena den  Kaufmann  im  Namen  der  drei  Marien  um  Salbe  für 
den  todten  Christus  anspricht,  während  er  noch  am  Leben  ist. 
Wenn  Sterz.  Mkl.  S.  124  Johannes  Marien  auf  ihre  Aufforderung 
die  Scenen  unter  dem  Kreuz,  dass  Christus  sie  ihm,  ihr  sie 
empfohlen  habe,  also  was  sie  so  gut  weiss  als  er,  erzählt,  so 
hat  dies  ein  Gegenstück  in  Alfieri's  Vita,  Mailand  1874  S.  311. 
Der  Abate  di  Caluöo  erzählt  als  Nachwort  den  Tod  Alfieri's, 
bei  dem  er  nicht  anwesend  war.  Er  hat  davon  Nachricht 
durch  die  Gräfin  d'Albany,  in  deren  Armen  Alfieri  gestorben 
war.  Die  Form  aber,  in  der  der  Abate  di  Caluso  dem  Publi- 
cum den  Tod  Alfieri's  erzählt,  ist  die  eines  Briefes  an  die 
Gräfin  d'Albany.  —  Ich  handle  darüber  an  einem  anderen  Ort. 
Man  muss  sich  vor  Correcturen  und  der  Annahme  hüten,  die 
betreffende  Handschrift  sei  nicht  die  bei  der  Aufführung  ge- 
brauchte gewesen;  s.  Wackernell  S.  87. 

Für  das  Manuscript  eines  Stückes  oder  einzelner  Theile 
desselben  war  im  Mittelalter  der  Ausdruck  registrum,  register 
üblich,  s.  oben  S.  2f.,  für  das  16.  Jahrhundert  ist  in  Luzern 
Rodel  bezeugt;  Brandstetter,  Regenz  S.  11*  Textrödel ,  Quart- 
rödel,  Musikrödel,  Ständerödel,  Denchrödel,  Quartiere,  Quartale, 
Quarte,  Viertheile,  Zwölftheile.     Ausserdem  gab  es  Vsrilstungs- 

SiUungsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXXX1V.  Bd.  10.  Abh  2 


18  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

rödel  und  Rodel  mit  Considerabilia,  Denckpuncten.  —  In  den 
Digby  Mysteries  S.  135  heisst  der  Text  Oreginale. 


IL  Ueber  die  Schauspieler  der  geistlichen  Dramen  im 

Hittelalter. 

Der  gemeinsame  Name  für  die  Schauspieler  ist  persona*; 
Frankf.  Pass.  Dir.  la.  22\  91*.  251\  355,  S.  Gull.  Pass. 
1.  106  (aliqua  persona  abscondita),  Innsbr.  Frohnl.  1,  AM. 
Pass.  1,  Bord.  Mkl.  1.  Christus  und  Gott  Vater  werden  als 
dominica  persona  bezeichnet,  Niirnb.  Ostf.  S.  18,  Frankf.  Pass. 
Dir.  251 b.  350,  Innsbr.  M.  Himm.  1485.  2414,  Kath.  S.  165. 
167,  Wien.  Pass.  1.  6.  110,  Zehn  Jungfr.  S.  15.  22.  26,  Erl. 
Ost.  1146,  Erl.  Ost.  H.  442,  als  prima,  secunda,  tertia  per- 
sona die  drei  Marien  am  Grabe  Christi;  Innsbr.  Ost.  H.  422. 
434.  446,  Eger.  Pass.  5834,  Erl.  Ost.  1,  Sterz.  Mkl.  S.  119, 
Sterz.  Ost.  S.  149,  Wien.  Ost.  H.  S.  316,  22. 

Der  Ausdruck  begegnet  noch  in  V.  Boltz,  Weltspiegel 
(1550)  4934  Jetz  gond  vsz  den  hilszlin  alle  Personen,  in  Th. 
Stimmer's  Comedia  (1580)  30  nach  dem  Prolog:  Sy  ziehen 
8amptlich  auff,  geht  jeder  person  in  sin  scena;  s.  Creizenach  I 
S.  381  Anm. 

Besonders  fest  haftet  der  Name  personae  an  den  drei 
Marien,  die  zum  Grab  Christi  gehen,  d.  i.  Maria  Salomae, 
Maria  Cleophae,  Maria  Magdalena,  und  jener  anderen  Drei- 
heit,  die  aus  der  heil.  Jungfrau  mehr  zwei  dieser  Marien  be- 
steht. Die  Bezeichnung  prima,  secunda,  tertia  persona  (Maria) 
wechselt.  Die  prima  persona  ist  Maria  Cleophae  Sterz.  Mkl. 
S.  123,  Maria  Magdalena  Erl.  Ost.  1037,  die  secunda  Maria 
ist  Maria  Magdalena  Wolf.  Mkl.  271  (secunda  Maria),  die  tertia 
persona  ist  die  heil.  Jungfrau  Wolf.  Mkl.  17 ,  Maria  Magdalena 
Sterz.  Ost.  S.  151,  Wien.  Ost.  H.  S.  325,  1,  Wolf.  Ost.  112. 

Von  diesem  persona  stammt  das  Adjectiv  oder  Adverbium 
,persönlich'  in  dem  Titel  zu  J.  Ayrer's,  Opus  theatricum  (1618) 
Comedien  vnd  Tragedien  —  spielweise  verfasset,  das  man  aües 
persönlich  agiren  kan.   Ebenso  in  der  Vorrede  S.  6. 

Erl.  Dreik.  225  wird  der  Schauspieler,  welcher  als  Engel 
die   heil,   drei  Könige   zur  Heimkehr  auffordert,   vir  unus  ge- 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  19 

nannt:  Et  in  medio  veniat  vir  unus  dic&ns:  lr  Herren,  ich  wil 
euch  pewaren,  in  der  Sterz.  Mkl.  S.  118.  138  sind  die  iuvenes 
wahrscheinlich  Engel:  Iuvenes  antecedentes  cantent:  Terra  tre- 
muit  etc.  Post  hoc  omnes  in  una  processione  veniunt  ante- 
cedentibu8  duobus  iwomibus  albis  in  vestibus,  qui  portant  can- 
delabras  cum  luminibus.  —  primus  iuvenis  dicit:  —  quo  finito 
venit  secundus  iuvenis  ad  locum  suum  cum  candelabro  et  dicit 
rigmum.  —  S.  den  iuvenis  als  Statisten  in  Bord.  Mkl.  1. 

Deutsch  heissen  die  Schauspieler  , Gesellen',  , Spieler ', 
,  Spielleute ',  Gesellschaft',  Froning  S.  539.  541.  542.  544,  — 
im  16.  Jahrhundert  auch  ,Spielgenossen',  ,Agenten',  ,Actoren', 
,Comedianten',  Gesellschaft',  ,gemeine  Gesellschaft';  B.  Brand- 
stetter,  Regenz  S.  28b,  Zs.  f.  d.  Phil.  XVII,  S.  349. 

Die  älteste  Nachricht  über  den  bürgerlichen  Namen  eines 
Schauspielers  finden  wir  vielleicht  im  Muri  Ost.  H.  150.  288, 
wo  statt  Maria  Magdalena  Antonius  steht.  Dann  Otteber,  der 
Darsteller  des  Boten  in  der  Eroberung  Jerusalems,  Zs.  XXXVIII, 
S.  222.  S.  unten  über  Hilarius.  —  War  Beckart  der  Name  des 
Statisten  miles  Beckart  Frankf.  Pass.  3695,  der  kein  Wort  redet? 

Für  die  Frankfurter  und  Friedberger  Passionen  sind  reich- 
lich Personennamen  bezeugt,  Froning  S.  540.  542.  544.  545, 
Zs.  VII,  S.  546,  ebenso  für  die  Tiroler.  Wackerneil  S.  6 ff., 
74.  162  und  oft,  im  15.  und  16.  Jahrhundert  fllr  die  Luzerner 
Spiele,  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  4b.  6».  29b.  30b,  in  S.  Mein- 
rads Leben  (1576),  S.  122. 

In  den  älteren  Stücken  und  in  den  dramatischen  Liturgien 
wie  Nürnb.  Ostf.,  Wien.  Ostf.  (S.  251  diaconus,  presbyteri) 
waren  die  Schauspieler  ausschliesslich  Geistliche,  wie  sie  ja 
öfters  die  Dichter  der  Stücke  waren,  Baldemar  von  Peterswil 
des  Frankf.  Pass.  Dir.,  Arnold  Immessen  des  Wolf.  Sund., 
und  auch  Theodorich  Schernberg  der  Verfasser  des  Spiels  von 
Frau  Jutta.  Im  Freis.  Her.  weist  der  Ausdruek  expleto  officio 
S.  61  darauf.  Aber  auch  im  Ben.  Pass.  130  heisst  es  clerus 
cantet  im  S.  Gall.  Pass.  769  capellanus  dicat  amen,  im  Innsbr. 
Frohnl.  661  Papa  dicit,  der  eine  poetische  Predigt  hält:  Nu 
hört,  kinder,  und  steiget  stille,  im  Innsbr.  M.  Himm.  767  Prae- 
dicator  surgens  intimat  ludum  dicens,  folgt  eine  poetische  Pre- 
digt. Innsbr.  Ost.  H.  1183  dy  pristere  und  dy  schulere  alle 
biten  got  um  das  ewige  Leben  fllr  alle  Menschen.     Von  Zehn 


20  X.  Abhandlung:    Heintel. 

Jungfr.  wissen  wir,  dass  es  a  clericis  et  a  soolaribus  auf- 
geführt wurde,  S.  4.  In  der  Bord.  Mkl.  1  wird  erst  nur  ge- 
fordert, dass  die  Aufführung  a  bonis  et  devotis  kominibus  ge- 
schehe, dann  aber:  ille  gut  est  Jhesus  est  devotus  saoerdos, 
Maria  itwenis,  Johannes  ewangelista  sacerdos,  Maria  Magda- 
lena et  mater  Johannis  ewangelistae  iuvenes.  Alsf.  Pass.  1 138  Hijs 
omnibus  peractis  praedicator  insinuat  omnia  ista  prescripta 
populo  materna  lingwagione  et  non  rigmatico,  5178  Ecclesia 
8ubiungit  vel  capellanus  stans  cum  ihuribolo.  Künzelsauer  Frohn- 
leichnamsspiel,  der  pappa  beschliesst,  Mansholt,  Das  K.  F. 
S.  8.    Wolf.  Sund.     2151  Hie  cantat  sacerdos:  in  eternum. 

Zweifelhaft  ist,  ob  der  primus,  seeundus,  tertius  cantor 
im  Cass.  Weihn.  221.  258.  280,  oder  der  cantor  in  Luz. 
Grabl.  476  —  interim  cantor  ineipiat  responsorium:  sepulto 
domino  —  auf  kirchliche  Sänger  deuten  wie   in  Nürnb.  Ostf. 

In  Frankfurt  kennen  wir  die  Namen  zweier  Geistlichen, 
welche  1467  und  1498  die  Rolle  Christi  in  Passionsspielen 
gaben;  Evaldus  Dottenfeldt,  ein  Frankfurter  Priester,  und  Bal- 
thasar, Pfarrer  in  Obern  Eschenheim,  Froning,  S.  540.  542. 
545;  flir  Luzern  s.  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  4b.  5»  (15.  Jahr- 
hundert). 

Dabei  ist  abgesehen  von  Geistlichen,  welche  sich  als 
Rectoren  betheiligten,  Froning  S.  640,  Joannes  Bach,  vicarius 
ecclesiae  nostrae,  1468,  S.  542  Joannes  Kolmesser,  vicarius,  et 
Petrus  Dolde,  1498,  S.  542  dieselben  1506,  S.  545.  Für 
Luzern  im  15.  16.  Jahrhundert  s.  R.  Brandstetter,  Regenz 
S.  4b.  5\  9*.  10*. 

Vielleicht  ist  es  durch  Betheiligung  der  Geistlichkeit  an 
der  Aufführung  zu  erklären,  dass  im  Red.  Ost.  H.  1906  weder 
Lucifer  noch  Sathan  dem  Sacerdos  etwas  anhaben  können.  Aber 
auch  der  Verfasser  konnte  so  seinen  eigenen  Stand  verherr- 
lichen. S.  auch  Creizenach  I,  S.  56  Anm.  2.  Wackerneil 
schliesst  S.  154  auf  einen  Geistlichen  als  Verfasser  der  Tiroler 
Passion,  weil  kein  Geistlicher  unter  den  armen  Sündern  in 
der  Hölle  vorkommt. 

In  Tirol  betheiligte  sich  zu  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
die  Geistlichkeit  nicht  mehr  an  der  Aufführung.  Dagegen  ist 
ein  herr  Linhart  als  Darsteller  des  Judas  bezeugt;  Wacker- 
nell  S.  9. 


Abhandlungen  »um  altdeutschen  Drama.  21 

Daneben  Schüler.  Ben.  Weihn.,  der  episcopus  puero- 
rum  94,  und  die  lateinischen  Verse,  welche  entschieden  den 
Charakter  der  Goliardenpoesie  zeigen,  besonders  564 ff. ;  s. 
unten.  Innsbr.  Ost.  H.  1174  im  Epilog:  Ouch  hatte  ich  mich 
vorgessen,  dy  armen  schuler  haben  nicht  czü  essen,  den  sult  ir 
czu  tragen  braten  u.  8.  w.  Nu  hört,  vil  liben  lute  alle,  dy 
pristere  und  dy  schuler e  alle  biten  got,  dass  er  uns  allen  das 
ewige  Leben  verleihe.  Das  Zehn  Jungfr.  wurde,  wie  gesagt, 
a  clericis  et  a  scolaribus  aufgeführt,  S.  4.  Don.  Pass.  1559 
beim  Einzug  Christi  in  Jerusalem  fachen  die  schüler  an  singen 
dis  nach  geschrieben  gesang:  Hie  est,  qui  venturus  est  in  sa- 
lutem  populi.  hie  est  salus  nostra  et  redemptio  Israhel.  Aber 
es  können  die  jüdischen  Schulkinder  des  Stücks  gemeint  sein. 
Eger.  Pass.  7542  wird  ein  Schüler  aus  der  Hölle  erlöst,  und 
im  Epilog  8303  Ich  verman  euch,  das  ir  euch  solt  erbarmen 
lieber  die  schuller  vil  armen  u.  s.  w.  M.  Magd.  214  wird  ein 
Schüler  nicht  in  die  Hölle  gelassen,  allerdings  238  auch  eine 
Hure  nicht;  daselbst  601  erhält  ein  Schreiber  den  Vorzug  von 
dem  Ritter;  s.  Zingerle,  Venus  798.  Eger.  Pass.  7542  und 
M.  Magd.  214  könnten  allerdings  auch  für  Schüler  als  Ver- 
fasser sprechen.  —  Auch  in  einem  böhmischen  Spiel  weist  der 
Teufel  die  Schüler  von  der  Hölle  zurück,  Creizenach  I  S.  354. 

Im  Innsbr.  Frohnl.  wird  1  verlangt  sumentur  personae 
literatae  et  aptae;  s.  oben  über  das  Personal  der  Bord.  Mkl. 
Das  kann  Geistliche  oder  Schüler  anzeigen. 

Dazu  kommen  die  Nachrichten  über  verlorene  Stücke, 
die  von  Schülern  aufgeführt  wurden:  aus  der  ersten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts,  die  von  Gerhoch  über  Weihnachts- 
spiele in  Augsburg,  Creizenach  I,  S.  75.  103,  Vogt  in  Paul's 
Grundriss  II,  1,  S.  393.  Für  1264  die  der  Corveyer  Annalen 
von  einem  Josephus  venditus,  Creizenach  I,  S.  75,  Vogt,  PauPs 
Grundriss  II,  1,  S.  396.  Für  1300  s.  Teuber,  Geschichte  des 
Prager  Theaters  S.  4 :  Schüler  geben  ein  geistliches  Spiel.  Für 
die  spätere  Zeit  s.  W.  Wackemagel,  Geschichte  der  deutschen 
Literatur  H*,  S.  155  Anm.  14.  Ueber  ihre  Mitwirkung  bei 
Fastnachtsspielen  s.  Creizenach  I,  S.  407. 

Für  Frankreich  bezeugt  Theilnahme  der  Schüler  an  der 
Aufführung  vielleicht  Hilarius,  der  begabte  Schüler  Abälards, 
ein   echter  Goliarde,   der  auch   drei   Stücke  geschrieben  hat, 


22  X-  Abhandlung:    Hein  sei. 

Daniel ,  Nicolaus,  Lazarus.  In  seinem  Daniel  steht  S.  56.  5-S 
am  Rande  wiederholt  Hilarius,  daneben  auch  Jordanus,  Simon, 
Hugo.  Petit  de  Julleville  I,  S.  40  meint  allerdings,  damit 
könne  nicht  etwa  Hilarius  als  Schauspieler  bezeichnet  sein,  da 
die  Rolle  des  Daniel  sonst  von  Hilarius  und  Jordanus  gegeben 
worden  wäre.  Aber  es  konnte  doch  seine  und  anderer  Scho- 
laren bei  verschiedenen  Aufführungen  verschiedene  Theilnahme 
diese  sonst  räthselhaften  Angaben  erklären.  S.  oben  S.  19. 
Im  14.  Jahrhundert  wurde  Adam's  Robin  et  Marion  zu  Angiers 
von  Schülern  gegeben,  Monmerquä  et  Michel,  Theatre  frangais 
au  moyen-äge  S.  28.  S.  G.  Paris,  Histoire  de  la  littärature 
frangaise  S.  236.  241. 

In  Frankreich  haben  ausserdem  bei  der  Aufführung  geist- 
licher und  weltlicher  Stücke  ganz  junge  Schüler,  Schulknaben 
schon  in  früher  Zeit  mitgewirkt,  so  beim  Officium  von  Li- 
moges,  14.  Jahrhundert,  Hartmann,  Das  altspanische  Drei- 
königsspiel S.  8,  dann  im  15.  16.  Jahrhundert  bei  den  Mora- 
lins, Creizenach  I,  S.  471  ff.,  Petit  de  Julleville  HI,  S.  43. 

Kinder  erscheinen  auf  der  Bühne;  sprechend,  singend: 
Himmelg.  Pass.  S.  393,  das  zweijährige  Jesuskind,  Mastr.  Pass. 
1244  Di  hindere  sängen  gloria,  laus,  Cass.  Weihn.  183.  334 
das  neugeborne  Jesuskind,  Don.  Pass.  465  in  dem  fachen  an 
die  kleinen  knaben  in  der  Judenschül  ze  singen,  1559;  s.  oben 
S.  21.  Eger.  Pass.  1257  Anna  sumit  puerum,  d.  i.  den  Dar- 
steller Marias,  1269  puer  Maria  dicit  ad  parentes  et  petii 
licenciam  ad  templum,  2659  Christus  als  zwölfjähriger  puer 
im  Tempel,  3359 ff.  Primus  —  sextus  chorus  ßliorum  beim 
Einzug  Christi  in  Jerusalem,  wenn  es  nicht  erwachsene  Schüler 
waren,  da  3359.  3365.  3371.  3383.  3389.  3397  auch  unus  iu- 
venis  spricht.  6640  unus  parvus  demon  mittens  volare  albam 
columbam  deinde  dicit.  —  S.  im  16.  Jahrhundert  die  Kinder 
in  den  Susannadramen,  die  vier  kleinen  Engel  in  J.  Rufs 
Adam   und   Heva   287,  R.  Brandstetter,   Regenz   S.  29*.  32 b. 

Wenn  Kinder  nicht  sprechen,  wie  oft  das  Jesuskind  und 
die  unschuldigen  Kinder,  sind  es  wohl  Puppen. 

Der  Protagonist  scheint  Primarius  geheissen  zu  haben; 
s.  Zehn  Jungfr.  S.  31  primarius,  soviel  als  dominica  persona, 
Jesus  Christus.   S.  die  verschiedenen  Würden  der  Schauspieler 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  23 

in  den   Luzerner  Stücken   des    16.   Jahrhunderts,    R.   Brand- 
stetter,  Regenz  S.  28 b. 

Ob  ein  Schauspieler  mitunter  mehrere  Rollen  gab  oder 
mehrere  sich  in  eine  theilten,  ausser  wenn  Christus,  Maria  erst 
als  kleine  Kinder,  dann  als  erwachsene  Personen  zu  reden 
hatten,  Creizenach  I,  S.  125.  155.  166,  kann  man  nicht  sagen.  — 
Im  16.  Jahrhundert  ist  es  für  Luzern  bezeugt,  besonders  oft 
das  erstere  bei  stummen  Personen,  aber  auch  bei  redenden; 
s.  R.  Brandstetter ,  Regenz  S.  30 Ä,  Zeitschrift  für  deutsche 
Philologie  XVII,  S.  349,  —  100  Rollen  auf  70  Agenten  — . 
In  England  kann  man  die  Sitte  schon  1461  nachweisen  im 
Sacramentsspiel  von  Croxton,  dann  in  Bale's  König  Johann,  in 
Preston's  Cambises,  Dodslcy-Hazlitt  IV,  S.  158;  s.Toulmin  Smith, 
York  plays  S.  XXXVII. 

Ansprachen  an  das  Publicum  können  von  Personen  des 
Stückes  gehalten  werden,  worüber  an  einem  anderen  Ort,  auch 
am  Eingang  und  Schluss:  daneben  aber  wird  für  den  Prolog 
verwendet  der  Proclamator  Alsf.  Pass.  1.  464.  2930,  Augsb. 
Ost.  H.  1,  Cass.  Weihn.  1,  Don.  Pass.  21.  1711,  M.  Magd.  1, 
der  Praecursor  Innsbr.  M.  Himm.  1,  Eger.  Pass.  1.  2797. 
5710,  Sterz.  Mkl.,  S.  115,  M.  Lichtm.  S.  99,  Wien.  Ost.  H.  S. 
297,  1,  der  Praelocutor  Wolf.  Sund.  72,  der  Expositor  ludi 
Innsbr.  Ost.  H.  1,  qui  proponit  ludum  Dor.  S.  285,  1,  der 
Regens  Alsf.  Pass.  85,  der  Knecht  des  Proclamators  Don. 
Pass.  1,  de  bode  Theoph.  Trier.  8,  primus  iuvenis  Sterz. 
Mkl.  S.  118. 

Für  den  Epilog  der  Conclusor  Eger.  Pass.  2775.  5670. 
Red.  Ost.  H.,  Frankf.  Pass.,  der  Proclamator  Alsf.  Pass.  2910. 
5624,  Luz.  Grabl.  Don.  Pass.  1701,  der  Praecursor  Sterz.  M. 
Lichtm.  —  Ueber  die  Ansprachen  der  Geistlichen  s.  oben  S.  19. 

Die  Schauspieler  wurden  von  dem  Spielleiter  auf  der 
Bühne  unterwiesen.  Bord.  Mkl.  1,  in  der  Eingangsprocession 
ultimo  mater  Johannis  cum  rectore,  889  Ultimo  rector  incipit 
psalmum,  rector  auch  im  Künzelsauer  Frohnleichnamsspiel,  Ger- 
mania IV  339,  Cass.  Weihn.  821,  der  Epilog  könne  per  ludi 
gereutem  vorgetragen  werden,  Erl.  Dreik.  AI  Et  sie  recedant 
pastores  versus  Jerusalem  euntes}  seeundum  disposicionem  regi- 
strantis.  S.  auch  die  Nota  am  Schluss.  Sterz.  Mkl.  S.  118 
quum  regens  quemlibet  ordinet  ad  locum  suum}  nach  dem  Pro- 


24  X.  Abhmndlunf :    H«i»s«l. 

log  des  Praecursors.  —  In  Innsbr.  M.  Himm.  1  ff.  weist  dieser 
Fraecursor  den  Schauspielern  ihre  Plätze  an.  Das  Amt  des 
Leiters  und  des  Praecursors  werden  also  öfters  vereinigt  ge- 
wesen sein;  Dor.  S.  285,  1  Primus  dicit  rhythmum,  d.  i.  den 
Prolog,  qui  proponit  ludum.  Auch  im  Innsbr.  Ost  H.  ist  der 
Expositor  ludi,  im  Alsf.  Pass.  85  der  regen*  Prologsprecher. 
S.  Wackernell  S.  6,  wo  der  Ausdruck  Prindpator  bezeugt 
wird.  —  Ueber  die  Art  und  Weise  der  Einübung  und  Leitung 
bei  der  Aufführung  haben  wir  erst  aus  dem  16.  Jahrhundert 
Nachrichten.  S.  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  31bff. 

Eine  höhere  Instanz  ist  vielleicht  unter  den  Rectores  zu 
verstehen;  Frankf.  Pass.  Dir.  251  si  apud  rectores  deliberatum 
fuerit,  dass  das  Stück  an  zwei  Tagen,  nicht  an  einem  ge- 
spielt werden  sollte. 

In  Luzern  hiess  im  16.  Jahrhundert  der  Inbegriff  aller 
Thätigkeiten,  die  zur  Vorbereitung  und  Aufführung  eines  Stückes 
gehören,  die  Regenz;  s.  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  9*.  Ueber 
die  Regenten,  Rectoren,  Pfleger  u.  s.  w.  daselbst. 

Die  Schauspieler  waren,  wie  wir  auch  sonst  wissen,  durch- 
aus Personen  männlichen  Geschlechts;  s.  den  puer,  der  Eger. 
Pass.  1257.  1269  die  kleine  Maria,  den  iuvenis,  der  Bord. 
Mkl.  1  Maria,  die  ewangelistae  iuvenes,  welche  daselbst  die 
Mutter  Johannes7  und  Maria  Magdalena  spielen.  S.  auch  oben 
S.  19  üb?r  Antonius  im  Muri.  Ost.  H. 

Das  älteste  Zeugniss  für  Schauspielerinnen  bei  einer  öffent- 
lichen Vorstellung  in  Deutschland  verdanken  wir  Felix  Platter, 
der  berichtet,  dass  bei  der  Aufführung  von  Heinrich  Pantaleon's 
Philargyrus  zwischen  1540  und  1650  in  Basel  die  Töchter  des 
Professors  Lepusculus  mitgewirkt  haben,  ebenso  eine  Merianin, 
die  Braut  des  Dichters,  in  Coccius'  Susanna.  Daneben  aber 
spielt  doch  ein  Henricus  Ribener  die  Rolle  der  Maria  in  einem 
Auferstehungsspiel;  Thomas  Platter  und  Felix  Platter  heraus- 
gegeben von  Techter  1840f  S.  122  f.  S.  Heman,  F.  Platter, 
Erinnerungsblatt  1882,  S.  31,  Bahlmann,  Das  lateinische  Drama 
S.  101,  Wackernagel,  Geschichte  der  deutschen  Literatur  I*, 
S.  392.  394,  II2  S.  109.  115.  —  In  Luzern  gab  es  am  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  noch  keine  Schauspielerinnen;  R.  Brand- 
stetter, Regenz,  S.  28 b. 


Abhandlungen  xum  Altdeutschen  Dran».  25  - 

Für  Frankreich  ist  ein  kleines  Mädchen  als  Darstellerin 
der  kleinen  Maria  1338  bezeugt;  Creizenach  I,  S.  155. 

Das  Costttm  hiess  im  16.  Jahrhundert  in  Luzern  ,Spiels- 
kleidung',  ,Standeskleidung',  von  ,Stand'  gleich  ,Rolle';  R.  Brand- 
stetter,  Regenz  S.  33*.  22  \ 

Waren  die  Schauspieler  auch  Dilettanten,  doch  8.  Creize- 
nach Iy  S.  217,  so  fühlten  sie  und  gaben  sich  doch  als  eine  Cor- 
poration. Cass.  Weihn.  855  Joseph  zu  Maria:  Nu  woluff,  es 
ist  zithf  Du  sehest  wol,  das  uns  nymmand  nicht  brenget  u.  s.  w. 
Er  schlägt  ihr  vor,  die  Kleider,  das  Costüm,  zu  vertrinken. 
Aehnlich  beschliessen  am  Schluss  des  Erl.  Weihn.  52  Maria 
und  Joseph  nach  Hause  zu  gehen.  S.  oben  die  Stellen  über 
Schüler  als  Schauspieler  S.  20 f. 

Ausser  den  Schauspielern  mögen  auch  Theaterdiener  zu- 
weilen gesehen  worden,  sein.  Denn  weder  von  den  Schauspielern 
noch  von  unsichtbarer  Hand  können  die  sessiones  für  die  Berg- 
predigt Alsf.  Pass.  1938  aufgestellt  worden  sein;  Hoc  facto 
ordinantur  sessiones  predicationis  et  Christus  sedendo  predicat 
discipulis  et  Marthe  et  Magdalena,  Im  Eger.  Pass.  ^646  scheinen  $* 
sie  Schwitzbuben  genannt  und  mit  einer  kleinen  Rolle  bedacht 
worden  zu  sein.  Sie  holen  das  Handwerkszeug  zur  Kreuzigung 
bei  Pilatus.  S.  die  ,Platzdiener*  in  Luzern,  R.  Brandstetter, 
Germania  XXXI,  S.  256,  Aufführung  S.  281.  284.  287.  290. 
292.  300.  314. 


III.  Ueber  die  Bühne  der  geistlichen  Dramen 

im  Mittelalter. 

Der  Name  für  den  Spielplatz,  auf  dem  die  Bühne  auf- 
gerichtet war,  ist  als  spilhof  im  14.  Jahrhundert  bezeugt,  Mone, 
Schauspiele  des  Mittelalters  II,  S.  129. 

Das  hölzerne  Bühnengerüst  heisst  machina,  geruste,  hutte} 
pün,  Froning  S.  539.  542.  543.  544.  546,  Wackernell  S.  157. 
160,  Heidelberger  Passionsspiel  1.  Im  weiteren  Verlauf  des 
16.  Jahrhunderts  wird  ,Brücke'  vorherrschend;  s.  das  deutsche 
Wörterbuch,  Wackernagel,  Geschichte  der  deutschen  Literatur 
I2  393.  In  Luzern,  Germania  XXX,  S.  342.  348,  XXXI,  S.  253. 
261  hiessen   so  die  Bühnen-  wie  die  Zuschauergerüste,    Spec- 


/ 


26  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

tantenbrücken,  R.  Brandßtetter,  Regenz  S.  4*.  33*.  —  Ueber  den 
Ausdruck  ,Bühne'  bei  H.  Sachs  und  J.  Ayrer  s.  J.  G.  Robert- 
son, Zur  Kritik  J.  Ayrer's  S.  9.  11. 

Eine  stehende  Bühne  scheint  zuerst  1447/48  in  Brüssel 
aufgestellt  worden  zu  sein  De  sevenste  Bliscap  S.  I,  Verordnung 
des  Brüsseler  Stadtraths:  ende  dat  de  stad  van  Bruessel  daertoe 
sal  doen  mähen  een  Stellinge  eens,  dair  men  tspel  jairlix  op 
speien  sal.  Im  16.  Jahrhundert  hatte  es  amphitheatralische 
Form  ähnlich  dem  Colosseum,  S.  XIII.  XXI. 

Für  die  BühnenstÄnde,  und  zwar  sowohl  für  die  ange- 
nommenen Wohnorte  der  Personen,  als  jene  Locale,  wo  sie 
zeitweilig  zu  thun  hatten,  wird  der  Ausdruck  locus  gebraucht 

Ben.  Weihn.  232  Hoc  completo,  d.  i.  nach  dem  Vorspiel, 
in  dem  die  Propheten  und  Augustinus  gegen  die  Juden  ge- 
stritten haben,  detur  locus  prophetis,  vel  ut  recedant  vel  se- 
deant  in  locis  suis  propter  honorem  ludi.  564  Rex  Egipti  cum 
comitatu  suo  in  locum  suum  producatur  cum  conductu.  — 
Frankf.  Pass.  Dir.  60  Item  Jhesus  appropinquans  loco  Judeo- 
rum  inveniat  infirmum  iacentem  in  lecto9  64  Jhesus  quoque  reci- 
piat  se  in  loco,  donec  ordo  ludi  eum  iterum  tangat,  118  Judex 
quoque,  qui  ibi,  bei  der  Auferstehung  Lazarus',  fuerant,  ad  loca 
sua  revertantur,  209  Quo  facto}  nach  der  Begrüssung  zwischen 
Herodes  und  Pilatus,  Herodes  ad  locum  redeat,  242  Cum  hec 
dixerat  Longinus,  nach  seiner  Bekehrung,  ad  locum  suum  re- 
vertatur,  25  lb  Cum  igitur  persone  iterato,  d.  i.  am  zweiten 
Spieltage  in  locis  suis  conveneriht.  Innsbr.  M.  Himm.  665  Et 
sie  ponunt  se  ad  locum,  die  Juden  nach  ihrer  Berathung,  891 
Maria  surgens  in  loco  suo. 

Alsf.  Pass.  1  Primo  igitur  omnibus  personis  ordinale  in 
suis  locis  constitutis,  491  Jhesus  surgit  a  loco  suoy  vadit  ad 
Johannem,  es  ist  Jesus*  erstes  Auftreten,  528  Jhesus  venu  ad 
locum  deputatum,1  nach  der  Taufe  durch  Johannes,  878  Disci- 
pull  Johannes  ibunt  ad  locum  pristinum  vel  ad  placitum  ma- 
nebunt  stare  timidi  usque  ad  decollationem  Johannis.  —  Hys 
omnibus  hoc  modo  peractis  Jhesus  in  suo  loco  manebit  stare, 
donec  ordo  iterum  tangit  eum,   6839  Et  sie  Maria  recedü  ad 


1  S.  Creizenach  I,  S.  167,  d'Ancona,  Origini  del  teatro  italiano  I,  S.  192 
luoghi  depfttati. 


Abhandlungen  zum  Altdeutschen  Drama.  27 

locum  eiu8.  Bord.  Mkl.  1  Virgo  Maria  quum  facit  actum  suum 
vadit  ad  medium  u.  8.  w.  quandocunque  fecit  actum  suum,  vadit 
ad  locum  suum  et  etat  a  dextris,  Christi  nämlich.  Eger.  Pass. 
3653  Et  sie  transeunt  de  synagoga,  quilibet  ad  locum  suum, 
d.  i.  Cayphas,  Annas  und  andere  Juden,  die  in  der  Synagoge 
über  das  Verderben  Christi  berathen  haben,  4228  Et  sie  Sal- 
vator  transit  ad  locum  orationis}  4320  Et  sie  transeunt  cum 
Juda  ad  medium  drculi  et  omnes  conveniunt  pretter  pontifices, 
qui  manent  in  locis  suis,  7440  Et  sie  transeunt  ad  locum  in- 
ferni.  Sterz.  Mkl.  S.  118  nach  der  Rede  des  Praecursor  und 
der  Procession:  Et  interim,  quum  regen»  quemlibet  ordinet  ad 
locum  suum. 

Den  jeweiligen  Platz  des  Spieles  bezeichnet  locus:  Innsbr. 
M.  Himm.  921  Et  sie  Maria  vadit  ad  locum  baptismatis.  — 
Deinde  recedit  ad  locum  ieiunii.  —  Maria  iterum  procedit  ad 
locum  passionis,  —  ad  locum  sepulturae,  —  ad  locum  ascen- 
sionis,  als  sie  vor  ihrem  Tode  von  den  Lebens-  und  Leidens- 
stätten Christi  Abschied  nimmt.  Das  Leben  und  Leiden  Christi 
kommt  in  diesem  Stücke  nicht  vor.  Wien.  Pass.  515  Mox 
quidam  diseipuli  abeuntes  preparent  locum  cenaculi.  Zehn 
Jungfr.  S.  18  Tunc  fatue  corizando  et  cum  magno  gaudio  va- 
dunt  ad  alium  locum.  —  Alsf.  Pass.  1952  Interim  Jhesus  vadit 
ad  alium  locum  faciendo  sermonem  Marihe  et  Magdalene  po- 
nendo  thema  scilicet:  Beati  pauperes  in  spiritu,  1994  Jhesus 
manet  stare ,  nun  folgt  die  Bekehrung  Maria  Magdalenas, 
2059  Sed  Jhesus  manet  in  loco,  2425  Et  sie  manebit  Jhesus 
in  loco,  2482  Hoc  completo,  nach  Berathung  der  Juden  Chri- 
stus zu  verderben,  statim  Jhesus  dicit  diseipulis  suis:  ,Ecce 
ascendimus  Jherosolimam1 .  Et  tarnen  semper  manent  in  eodem 
loco,  bis  nach  der  folgenden  Rede  Christi  und  dem  Gespräch 
mit  Andreas,  5808  Sed  Petrus  et  Johannes  parum  manent  in 
eodem  loco,  donec  Maria  Salomae  venu  ad  eos.  Erl.  Ost.  901 
Rubinus  ducit  dominam  ad  locum  cantando,  d.  h.  er  entführt 
sie.  S.  Gall.  Chr.  Himm.  91  Et  sxirgat  et  vadat  ad  locum  ascen- 
sionis  (Christus).  Red.  Ost.  H.  888  Tunc  abeunt  milites  ad  locum 
suum,  d.  i.  zum  heil.  Grab. 

Unklar  ist  locus  Sterz.  Mkl.  S.  138  quo  finito  (dem  Ge- 
sang des  Propheten)  venu  seeundus  iuvenis  ad  locum  suum 
cum  candelabro  et  dicit  rigmum:  Ansprache  an  das  Publicum. 


28  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

Dieselbe  Bedeutung  wie  locus  hat  castrum.  Alsf.  Pass. 
1850  miles  (Herodes',  der  Geliebte  Maria  Magdalenas)  revertüur 
ad  castrum  suum,  2425  Judex  autem  redeunt  ad  castra  sua, 
5298  Et  sie  milites  recedunt  et  vadunt  ad  castrum  Pilati.  — 
S.  den  Plan  Froning  S.  267.  860. 

Während  sedes  vielleicht  auch  den  Ort  bezeichnet ,  wo 
ein  Schauspieler  in  einem  gegebenen  Augenblick  zu  sitzen  hat, 
wenn  es  auch  daneben  sein  gewöhnlicher  Aufenthalt  sein  kann. 
Teg.  Ant.  1  Templum  domini  et  VII  sedes  regales  primum  collo- 
centur  in  hunc  modum  u.  s.  w.,  33  et  sie  ipsa  et  rex  Babilonie 
ascendunt  in  sedem  suam.  —  Ben.  Weihn.  1  Frimo  ponatur 
sedes  Augustini.  Wien.  Pass.  36  Quo  facto  Lucifer  sit  paratus 
—  et  ducatur  per  dyabolum  ad  sedem  suam  in  medium  (also 
nicht  in  die  Hölle). 

Dasselbe  gilt  von  thronus.  Teg.  Ant.  45  Quod  et  ipsa 
(Synagoga)  eantabit  singulis  in  temporibus  et  sie  ascendat  tro- 
num  suum.  Eger.  Pass.  825  Moyses  transit  de  throno  (Gottes) 
ad  medium  circuli  et  annuntiat  populo  (dem  Publicum)  nati- 
vitatem  suam. 

Auch  bei  palatium,  pallas  finden  wir  einerseits  die  Be- 
deutung Standplatz,  Innsbr.  M.  Himm.  1311  Et  ducit  eos  (Ra- 
phael  den  Petrus  und  Paulus)  ante  palatium  Mariae,  1365  Et 
sie  omnes  intrant  palatium  Mariae9  da  Marien  doch  nicht  ein 
wirkliches  palatium  zugeschrieben  sein  wird,  wie  dem  Pilatus, 
Prankf.  Pass.  Dir.  194  Pilatus  ducat  eum  (Christum)  in  pala- 
tium, Wien.  Ost.  H.  S.  299,  1  Pilatus  get  uf  das  pallas.  Vgl. 
Pilatus*  praetorium,  Frankf.  Pass.  Dir.  209  Pylatus  quoque 
in  pretorium  ad  Jhesum  vadat  nach  seiner  Begrüssung  mit 
Herodes. 

Auch  Mansio  ist  zweideutig.  Dor.  S.  288,  19  Tunc  Fa- 
bricius  vadit  ad  mansionem  Doroiheae,  S.  288,  24  Tunc  Fabricius 
transit  ad  mansionem  suam.  —  Ebenso  habitatio.  Eger.  Pass.  559 
Abell  dicit  ad  fratrem  et  tunc  ambo  transeunt  ad  habitaciones 
eorum,  1459  Maria  intrat  cum  Elizabeth  ad  habitacionem,  der 
Elisabeth  nämlich,  1475  Maria  intrat  habitacionem,  Josephs 
nämlich. 

Von  deutschen  Ausdrücken  entspricht  dem  locus  etat  Don. 
Pass.  433  Nu  gand  die  engel  und  der  Salvator  an  ir  stet, 
nach  der  Versuchung  Christi,  505  Nu  gat  ieder  man  wider  an 


Abh&ndlongen  mm  altdeutschen  Drama.  29 

sin  stat,  nach  Heilung  der  Gichtbrüchigen,  807  Nu  gat  yeder- 
man  an  sin  stat,  nach  Erweckung  der  Jünglinge  von  Naim.  — 
Hüs  und  hof  ist  zweideutig  Augsb.  Ost.  H.  2493  Nach  dem, 
nach  der  Auferstehung  Christi,  spricht  Maria  die  mütter  ihesu 
in  dem  haws,  darynn  sy  ist  Don.  Pass.  S.  184  und  sind  dis 
nach  bendmpten  die  husser  und  hoff,  so  man  dar  zu  haben  müsz, 
darunter  ausser  wirklichen  Häusern,  wie  denen  des  Cayphas, 
Herodes  u.  s.  w.  auch  Der  gart  Marie  Magdalene,  Der  berg, 
da  der  tüffel  got  versucht.  Die  stat  Naym}  Der  brunn  oder 
cistem,  Lausarus  grab,  Der  Olberg  u.  8.  w. ;  s.  S.  156. 

Im  Innsbr.  M.  Himm.  wird  im  Text  der  Ausdruck  burc 
gebraucht :  8  sagt  der  platzanweisende  Praecursor  vffe  der  borg 
sal  her  stany  von  Gott,  16  uff  der  bürg  sal  so  stan,  von  Maria, 
s.  30.  38.  44.  —  Im  Heidelberger  Passionsspiel  begegnet  sess, 
1  itzlicher  an  seinen  sesse  gesetzt,  —  ort  6118  die  Juddenn  ghenn 
an  jre  ort,  —  ende  567,  nach  6125. 

Im  späteren  16.  Jahrhundert  ist  der  Ausdruck  stand1 
sehr  häufig;  Mone,  Schauspiele  des  Mittelalters  II,  S.  123.  420 f. 
Daneben  platz,  sitz,  hof,2  ort,  R.  Brandstetter,  Germania  XXXI, 
S.  255,  Regenz  S.  33»,  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XVH,  S.  361,  — 
hüszlin,  V.  Boltz,  Weltspiegel  (1550)  4933  Jetz  gond  usz  den 
häszlin  alle  person  uszgnon  propheten  und  junkfratven ,  Stelln 
sich  für  di  ghilsz  vff  beid  sytten,  —  Scena,  S.  Meinrads  Leben 
(1576)  S.  6,  Th.  Stimmer,  Comedia  (1580)  30  Sy  ziehen  sampt- 
lieh  au  ff,  get  Jeder  person  in  sin  scena. 

Zu  Luzern  wurde  im  16.  und  17.  Jahrhundert  zwischen 
,Ort'  und  ,Hof  unterschieden,  insofern  dieses  den  Standplatz 
im  engeren  Sinne,  jenes  die  Summe  von  Standplätzen  bezeich- 
nete, die  für  ganze  Scenen  und  Acte  in  Verwendung  kamen; 
R.  Brandstetter,  Aufführung  S.  334. 

Prugk  im  Augsb.  Pass.  1316  bedeutet  wohl  nur  Terrasse 
eines  Hauses.  Barrabas,  der  bei  Pilatus  eingekerkert  war,  laufft 
'Aber  die  prugk  hinab.  1390  Darnach  nempt  pylatus  den  herren 
vnd  fürt  in  im  purpur  claid  vnd  in  der  dürnin  krön  herausz 


1  Stand  erhält  dadurch  die  Bedeutung  ,Rolle';   R.  Brandstetter,   Regenz 

S.  22  b. 
*  Hof  heüat  aber  auch  der  Ort,  wo  sich  die  Schauspieler  Aufhalten,  wenn 

sie  nicht  spielen;  Brandstetter,  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XVII,  S.  361. 


30  X.  Abhandlung:    Heinz cl. 

fär  sein  prugk  und  zeigt  ihn  den  Juden.  Während  der  Aus- 
druck im  16.  Jahrhundert  für  Bühnengerüst  und  Balcon  ge- 
braucht wird;  s.  oben  S.  25  und  unten  S.  30. 

Dunkel  ist  die  Bedeutung  von  ,Brücke'  in  J.  RufPs  Adam 
und  Heva  (1550)  5552  Wie  bald  Mathusalah  ze  grab  ist  tragen, 
sol  der  Statthalter,  trugsäss  und  der  hofmeister  des  fürsten  mit 
einanderen  härfür  gon  uff  die  brüge  mit  nachfolgenden  beiden 
dieneren.  6118  Yetz  zilhend  sy  uff  die  brüge,  d.  i.  der  Haupt- 
mann mit  seinen  Soldaten.  6366  im  Epilog:  uff  das  fromm, 
vest  ouch  eersam  herren,  üch  sol  ich  dancken  aüer  eeren  von 
wägen  einer  eerlichen  burgerschafft  üwrer  demuot  und  grossen 
triiw  umb  die  brüge  und  anders  gbüw,  das  ir  erloubt  uns  du 
spil  hand  üch  zeeren  und  dem  vatterland,  darmit  ir  hand  gros 
kosten  ghan.  An  der  letzten  Stelle  ist  ,Brilcke'  wieder  die  Bühne, 
anders  gbüw  wahrscheinlich  die  Gerüste  für  die  Zuschauer. 

Im  16.  Jahrhundert  bedeutet  aber  ,Briicke'  neben  dem 
ganzen  Biihnengeriist,  s.  oben  S.  25,  auch  die  Emporbahne,  den 
Balcon  an  der  Hinterwand  mit  einem  abgeschlossenen  Räume 
unter  derselben,  das  ,Loch'  bei  J.  Ayrer.  S.  J.  G.  Robertson, 
Zur  Kritik  J.  Ayrer's  S.  10  ff.  Ob  ,Zinne'  dasselbe  bedeutet 
wie  ,Brlicke',  ist  zweifelhaft,  s.  Robertson  S.  14.  Später  wird 
,Hütte'  für  den  durch  einen  Vorhang  verschliessbaren  Raum 
unter  der  ,Brücke'  gebraucht;  J.  Schwering,  Zur  Geschichte 
des  niederländischen  und  spanischen  Dramas  in  Deutschland, 
S.  89.  Bei  J.  Rist  im  Friedewtinschenden  Deutschland  (1647), 
II.  Aufzug,  heisst  dieser  Ort  , Schauplatz i  oder  ^innerer 
Schauplatz'. 

Im  Mittelalter  hat  es  höchst  wahrscheinlich  diese  Ein- 
richtung auf  der  deutschen  Bühne  nicht  gegeben.  Sonst  wäre 
dahin  wohl  der  öfters  erhöhte  Himmel  und  die  Hölle  verlegt 
worden,   was  nach  den  erhaltenen  Plänen  nicht  der  Fall  war. 

In  Stücken,  wo  es  keine  wirklichen  Bühnenstände  gab, 
wie  in  den  Marienklagen,  ausser  Himmelg.  Mkl.,  bedeutet  locus 
den  Bühnenort,  wo  sich  der  Schauspieler  im  Zustand  der  Ruhe 
befindet.  Bord.  Mkl.  S.  289  quandocuiique  fecit  actum  suum 
(die  heil.  Jungfrau),  vadit  ad  locum  suum  et  stat  a  dextris 
(Christi  sc).    S.  oben  S.  26. 

Der  Ausdruck  bürg,  näher  bestimmt  durch  die  gemeine* 
wird  auch   für  jenen  Bühnenort  verwendet,    der  zu   verschie- 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  31 

denen  Zwecken  dient.  Don.  Pass.  S.  184  unter  dem  Register 
des  Stücks:  Und  die  gemeine  bürg,  in  der  man  krönt ,  geislet, 
das  nachtmal  und  ander  ding  volbringt.  Das  Folgende:  den 
stock,  dar  die  gefangen  ligen,  driiy  crticz,  die  sul  und  anders 
u.  s.  w.  gehört  nicht  mehr  in  die  Kategorie  der  gemeinen  Burg. 

Es  gab  also  neben  den  Bühnenständen,  die  einer  Person 
oder  sachlich  zusammengehörigen  Gruppe  dienten,  auch  Locale, 
die  zu  verschiedenen  Zwecken  verwendet  wurden. 

So  ist  auch  im  Alsf.  Pass.  nach  dem  Plan  bei  Froning 
S.  267  dem  Pater  familias,  bei  dem  das  Abendmal  abgehalten 
wird,  und  dem  Regulus  nur  ein  Bühnenstand  angewiesen,  — 
ebenso  benutzen  Nicodemus  und  Joseph  von  Arimathia  nur 
ein  Local.  —  Im  Red.  Ost.  H.  wird  das  Dolium,  eine  Bütte, 
Alsf.  Pass.  144,  von  Lucifer,  wenn  er  die  Hölle  verlässt,  und 
von  dem  Conclusor  bestiegen;  Creizenach  I,  S.  166. 

Auch  im  16.  Jahrhundert  konnten  die  ,Höfe'  von  mehreren 
Schauspielern  benutzt  werden;  so  im  Luzerner  Osterspiel,  Ger- 
mania XXXI,  S.  255.  Bei  demselben  gab  es  auch  eine  ge- 
meine begrebnus,  für  alle,  die  im  Stücke  begraben  wurden, 
R.  Brandstetter,  Aufführung  S.  285. 

Erst  im  16.  Jahrhundert  scheint  es  bezeugt  zu  sein,  dass 
Bühnenstände  weggeschafft  wurden,  um  für  neu  aufzustellende 
Raum  zu  geben.  So  in  Luzern,  Germania  XXXI,  S.  256  (1597) 
Item  es  giebt  auch  platz,  für  das  das  wiehnachthüttlin  dannen 
kompt,  deszglichen  so  man  Johannis  wüste  dannen  thut.  Salat, 
Verlorner  Sohn  (1537)  Nun  kompt  die  Rüstung  der  andern 
Landschaft;  Gen^e,  Lehrjahre  S.  79.  J.  Ayrer,  Comödie  Zwei 
fürstliche  Räthe  Band  IV.  S.  2316,  4  schliesst  die  Scene  bei 
der  Jägermeisterin,  auf  welche  eine  Scene  im  Apollotempel  folgt: 
Jetzt  rieht  man  den  tempel  zu.  S.  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XVII, 
S.  361. 

Hie  und  da  befanden  sich  in  den  Bühnenständen  Vor- 
richtungen, die  es  zeitweilig  ermöglichten,  einen  Schauspieler 
ungesehen  oder  verschwinden  zu  lassen,  was  schon  im  Mittel- 
alter öfters  anzunehmen  nöthig  ist;  s.  Froning  S.  270  und  was 
ich  an  einem  anderen  Ort  darüber  zusammenstelle.  Für  das 
16.  Jahrhundert  s.  R.  Brandstetter,  Germania  XXX,  S.  325 
ouch  sol   der  himel  grüst   sin  mit  einem  Oberdeckel   vnd  Vmb~ 


32  X.  Abhaadlaag:    Heime  1. 

hengen,    die   man   könne  für  ziehen.     S.   auch   die   Verstecke 
Adams  and  Evas  vor  der  Erschaffung,  S.  325.  342. 

De  sevenste  Blißcap  (Mitte  des  15.  Jahrhunderts,  Hand- 
schrift aus  dem  16.)  Selete.  Di  wile  sal  man  den  hemel  opdoen, 
daer  Ood  sit.  Bühnenanweisung  zu  370  Gods  troon  toe,  492 
Troon  toe,  1046  de  helle  toe.  Der  Himmel  musste  wohl  zeit- 
weilig geschlossen  sein,  weil  weder  die  geistige  noch  leibliche 
Himmelfahrt  Mariens  dargestellt  wird. 

S.  in  Frankreich  die  custodes,  E.  Dumäril,  Origines  dn 
theatre  moderne  S.  68,  Creizenach  I,  S.  166,  Thüren  oder 
Vorhänge,  —  in  England  im  15.  16.  Jahrhundert  corteyn,  arras. 
Pollard,  Miracle  plays  S.  XXVI,  Ludus  Coventriae  S.  261. 
270  the  coumsel  hous  —  xal  sodeynly  enclose,  —  and  than 
xal  the  place  —  ther  Crist  is  in,  xal  sodeynely  unclose,  — 
the  corteyn  drawyn  as  she  (Pilatus'  Frau)  lyih  in  bedde,  Digby, 
Mysteries  S.  106  Her  xall  hevyne  opyne  and  Jesus  xatt  shew7 
—  Mario we,  Tamburlaine  II,  Act  II,  V.  3103  the  arras  is 
drawen,  Shakespeare,  Genee,  Shakespeare  Jahrbuch  XXVI. 

Ausser  den  Bühnenständen,  die,  in  der  Form  eines  Hauses 
oder  sonst  gekennzeichnet ,  einem  oder  mehreren  Zwecken 
dienten,  gab  es  noch  einen  grossen  freien  Raum  in  der  Mitte 
der  Bühne,  den  mittleren  Ort  oder  Kreis,  s.  Creizenach  I, 
S.  167, l  dessen  Function  noch  allgemeiner  war  als  die  der 
gemeinen  Burg.  Wien.  Pass.  36  Quo  facto  Lucifer  sit  paratus 
in  forma  diaboli  et  ducatur  per  dyabolum  ad  sedem  suam  in 
medium  omni  silentio,  et  dyaboli  intrantes  in  infernum.  Frankf. 
Pass.  Dir.  34  Deinde  Sathanas  ducat  Jhesum  super  dolium, 
quod  positum  sit  in  medio  ludi,  representans  pinnaculum  templi. 
Wolf.  Sund.  2665  hie  Salomon  equitat  cum  regina  (von  Saba) 
primum  spadum  usque  ad  medium.  Innsbr.  Ost  H.  100  Et 
sie  nuntius  (Pilati)  currit  hinc  et  inde  in  circülo,  und  wirht 
die  Grabwächter. 

Alsf.  Pass.  1  Proclamator  in  medio  ludi  dicit,  510  Hie 
Johannes  (Baptista)  et  Jhesus  sint  in  medio  ludi,  1994  Maria 
Magdalena  convertitwr  recedens  a  Christo  et  dicit  circumeundo 
circulum  die  folgende  Selbstanklage  und  Reuerede,  5272  et 
ponunt  eum  in  medium  ludi  super  sedem,  die  Geissler  Christus, 


1  S.  die  teena  commune,  d'Ancona,  Origini  del  teatro  it&liano  I,  S.  192. 


Abhandlungen  nun  altdeutschen  Drama.  33 

5906  Deinde  Maria  faciendo  longurn  circulum  cum  Iohanne  et 
Petto  et  duabus  sororibus  plangendo  cantat  Marienklage. 
Bord.  Mkl.  1  virgo  Maria  quum  facit  actum  suum,  vadit  ad 
medium,  169  valde  modicum  transeunt,  Maria  und  Johannes, 
scilicet  si  est  opus  usque  ad  medium  circuli.  Don.  Pass.  1.  21 
der  Knecht  des  Proclamators  und  dieser  selbst  sprechen  in 
mittel  platzes.  Eger.  Pass.  825  Moyses  transit  de  throno  ad 
medium  circuli,  annunctiat  populo  nativitatem  suam,  1523 
Nunctius  (Caesaris)  transiens  ad  medium  circuli  dicit  dem 
Volk  den  Befehl  des  Kaisers,  3557  Judas  transit  in  circulo  et 
obviabit  ei  diabolus  Sathanas,  4320  Et  sie  transeant,  die  Juden, 
ad  medium  circuli  et  omnes  conveniunt  pretter  pontifices,  qui 
manent  in  heis  suis,  7744  Et  sie  transeunt,  die  Grabwächter, 
ad  parvum  spacium  de  sepulchro  ad  medium  circuli.  Et  sie 
Judex  exeunt  de  synagoga  in  obviam.  Erl.  Ost.  54.  Theoph. 
Trier.  8  Hyr  kundigt  de  bode  dat  spei  van  Theophilo  ersten 
ut  unde  secht  inmidden  des  kreses,  526  Hyr  geit  Theophilus 
in  den  kreis  her  unde  dar  unde  klaget,  wo  he  verdrehen  sy. 
S.  J.  Ruf,  Des  Herrn  Weingarten  (1539)  3938  Jetz 
zücht  Vespasianus  vff  halben  platz   mit  trummen  vnd  pfiffen. 

Geräthe  und  Thiere1  sind  fttr  die  mittelalterliche  Bühne 
reichlich  durch  Spielanweisnngen  und  durch  die  Requisiten- 
verzeichnisse belegt;  s.  oben  S.  13.  17. 

Sie  gehörten  mit  den  Standplätzen  zu  dem,  was  man  im 
16.  Jahrhundert  Rüstung,  Usrüstung  nannte 5  R.  Brandstetter, 
Regenz  S.  33»,  Germania  XXX,  S.  342.  —  In  den  Fast- 
nachtsspielen wird  man  sich  oft  einfacher  beholfen  haben.  N.  22 
Von  einem  Kaiser  und  dem  Abt  sind  nach  dem  Text  S.  205, 
29.  206, 1  die  Pferde  schon  vor  den  Wagen  gespannt,  aber  die 
Spielanweisung  S.  207,  1  lautet:  Nu  sitzt  der  mulner  auf  das 
wegenlein,  so  ziehen  in  die  pav/ren  in  die  stuben  für  den  kaiser. 

1  Der  oft  citierte  hölzerne  Esel  ist  nur  für  Processionen  bezeugt  durch 
Naogeorgs  Regni  papistici  1.  IV,  S.  144  (ed.  1553)  Ligneum  habent  asinum 
et  nmulacrum  equitantis  in  iUo  Ingeina:  ot  vero  tabula  consistit  asettua 
Quatuor  atque  rotia  trahUur,  quem  mane  paratum  Ante  forta  tenipli  atatuunt. 
—  Post  haec  in  templum  trahitur.  Aber  hölzerne  Widder  und  Lämmer 
wurden  in  Luzern  verwendet;  K.  Brandstetter,  Germania  XXX,  8.  327. 
342,  Aufführung  8.  284.  286.  —  In  den  ehester  Plays  erscheinen  animaUa 
depieta  in  corUs,  S.  54. 

Sitsungsber.  d.  poiL-hitt.  CL  GXXXIV.  Bd.  10.  Abh.  3 


34  X.  Abhandluf :    HeinseL 

Aber  auch  in  der  sevenste  Bliscap  571  wird  Johannes 
von  zwei  Engeln  mit  einem  weissen  Mantel  bekleidet  and  fort- 
geführt, oft  anderssinsf  soet  best  es  und  574  sagt  eine  Bäuerin: 
Ic  sacken  henen  varen  In  een  wölke. 

Eine  Angabe  über  das  Wegschaffen  unnützen  Gerftthes 
kommt  ein  paarmal  vor,  Don.  Pass.  764  Nu  stand  di  junger 
uff  und  tünd  die  spis  neben  sich,  wie  Mone  11,  S.  161  be- 
merkt hat.  Sterzinger  Christi  Himmelfahrt  S.  14 h  Ibi  Judcsi 
cantant,  at  interim  deportatur  mensa,  an  der  Christus  gegessen 
hatte,   in  locum  personarum  et  tandem  salvatar  dicit  rigmum. 

Im  16.  Jahrhundert  wird  das  Herbei-  und  Wegachaffen 
von  Geräthen  öfters  erwähnt  oder  ist  anzunehmen;  R.  Brand- 
stetter,  Aufführung  S.  281.  284.  287.  290.  292.  300.  303.  314,  ein 
Katheder  für  Gregorius,  die  Säule  für  das  goldene  Kalb,  für 
die  Schlange  u.  s.  w.  In  H.  Sachs'  Hug  Schapler  (1556) 
Band  XIII,  S.  17,  9  wird  das  Hinausschaffen  der  Todten  an- 
geordnet. 

D'  Ancona,  Origini  del  teatro  italiano  I,  S.  512  neu  Ottor 
viano:  rovina  subito  il  tempio,  e  la  Nativita  del  N  Signare 
apparisce. 

IV.  Baum  und  Zeit  auf  der  alten  Bühne. 

Der  wichtigste  Unterschied  zwischen  der  mittelalterlichen 
Bühne  und  der  späteren  besteht  darin,  dass  jene  einen  sehr 
grossen  Raum  der  Wirklichkeit  darstellt  mit  verschiedenen 
Einzellocalen,  Bühnenständen,  an  denen  abwechselnd  gespielt 
wird,  während  diese  jedesmal  nur  einen  kleineren,  dem  Einzel- 
local  der  mittelalterlichen  Bühne  entsprechenden  Raum  enthält 

Doch  kommen  Uebergänge  vor,  welche  das  Alte  mit  dem 
Neuen  verbinden.  Schon  auf  der  mittelalterlichen  Bühne  gab 
es  mitunter  einen  Bühnenstand  oder  -ort,  der  entweder  gleich- 
zeitig zwei  Orte  der  Wirklichkeit,  oder  bald  den  einen,  bald 
den  anderen  bedeutete;  s.  oben  S.  30 f.  Dass  im  letzteren 
Falle  die  Phantasie  des  Publicums  durch  aufgestellte  und  weg- 
genommene Versatzstücke  unterstützt  wurde,  ist  nicht  über- 
liefert und  nicht  wahrscheinlich.  Im  16.  Jahrhundert  geschah 
das  allerdings,  s.  oben,  aber  nicht  immer. 


Abhandlungen  tum  altdeutschen  Drama.  35 

So  nicht  in  H.  Sachs'  Cirus  (1557)  Band  XIII,  S.  325,  6, 
wo  Cirus  Speise  und  Trank  auf  der  Bühne,  die  sein  Lager 
vorstellt,  zurücklägst  and  mit  seinem  Heere  abzieht.  Die  fol- 
gende Scene  ist  aber  im  Scythenlande  bei  Königin  Thomiris, 
S.  325,  29  gehen  auch  die  Scythen  alle  ab,  Und  lauffen  her- 
wider  mit  geschrey,  da  finden  sie  speisz  und  tranck. 

In  J.  Ayrer's  Sidea  (vor  1605),  wenn  der  Baum  mit  der 
Quelle  darunter,  auf  dem  sich  Sidea  verbirgt,  IV.  Act,  33,  im 
ganzen  Stück  oder  wenigstens  im  vierten  Act  immer  zu  sehen 
ist,  also  nicht  nur  in  den  Scenen,  die  im  Walde  spielen, 
sondern  auch  bei  Ludolf,  Sideas  Vater,  IV.  Act,  136,  bei  dem 
Schuster  Dietrich,  IV.  Act,  186,  der  doch  in  der  Stadt  wohnt, 
die  weit  vom  Brunnen  entfernt  ist,  IV.  Act,  41.  Die  Decorations- 
stücke Brunnen  und  Quelle  wurden  keineswegs  zwischen  den 
Scenen  weggeschafft,  vielmehr  benutzt  der  Dichter  die  Bühnen- 
nähe von  des  Schusters  Wohnung  und  Brunnen  mit  Quelle 
im  harten  Widerspruch  mit  IV.  Act,  136  zur  Ueberführung 
der  eitlen  Schusterin,  die  das  Spiegelbild  der  auf  dem  Baume 
sitzenden  Sidea  für  ihr  eigenes  gehalten  hatte.  Wenn  er  IV.  Act, 
186  Sidea  in  seine  Wohnung  bringt,  lässt  er  diese  eine  Weile 
draussen  —  man  sieht  sie  nicht  — ;  er  fragt  unterdess  seine 
Frau  um  den  Grund  ihres  Hochmuths  und  führt  sie,  als  er 
ihn  erfahren,  zur  Quelle,  welche  ihr  jetzt  nur  ihre  eigene 
Gestalt  zeigt.  Dann  tritt  Sidea  ein.  —  Auch  in  der  Esther 
der  englischen  Komödianten  scheint  der  Galgen  immer  sichtbar 
zu  sein,  S.  34  f.,  obwohl  er  im  Hofe  gebaut  wird  und  die  fol- 
gende Scene  im  Innern  des  Palastes  spielt. 

Ausserdem  hat  man  sich  seit  dem  Mittelalter  bis  in 
die  neueste  Zeit  über  Scenenwechsel  und  zeitraubende  Moti- 
virung  dadurch  weggeholfen,  dass  man  benöthigte  Personen 
kommen  und  andere  abgehen  Hess,  mehr  nach  dem  Be- 
dürfhiss  der  Bühne  als  der  betreffenden  Vorgänge  und  Zu- 
stände. So  erscheint  Rubin  gerade,  als  der  Krämerarzt  einen 
Diener  braucht;  Innsb.  Ost.  H.  460,  Erl.  Ost.  108,  Wien. 
Ost.  H.  S.  313,  27,  Nicodemus,  als  Joseph  von  Arimathia 
einen  Helfer  zur  Bestattung  Christi  nöthig  hat,  Luz.  Grabl. 
107,  die  vier  Soldaten,  als  die  Juden  Grabwächter  suchen, 
Luz.  Grabl.  429,  die  Kupplerin,  als  der  Procus  ihrer  bedarf, 
M.  Magd.  386. 

3* 


36  X.  Abbudluf :    Hein  sei. 

Hans  Sachs,  Virginia  (1530)  Band  II,  S.  4,  17,  Violanta 
(1645)  Band  VIII,  S.  348,  31,  Hecastus  (1549)  Band  VI, 
S.  156,  13,  Fastnachtsspiel  Der  junge  Kaufmann  Nicola  (1550), 
N.  23,  153;  Nicola  wollte  gerade  zu  seinem  Freunde  gehen: 
da  kommt  dieser.  Florio  und  Bianceffora  (1551)  Band  VIH, 
S.  305,  10.  Fastnachtsspiel  zwischen  dem  Gott  Apollo  und 
dem  Römer  Fabio  (1551),  N.  30,  81.  249.  Fastnachtsspiel 
Der  Teufel  nahm  ein  altes  Weib  (1557),  N.  76,  286.  358. 
Der  Arzt  kommt  gerade,  wenn  man  ihn  braucht  und  herbei- 
wünscht. 

B.  Waldis,  Verlorner  Sohn  (1527)  267. 

J.  Kollross,  Fünferlei  Betrachtungen  (1532)  443. 
Naogeorgus,  Pammachius  (1538)  123.  1596.   Judas  (1552) 

II  i.  in  2.  V  2. 

S.  Wild,  Passionsspiel  (1566)  1626. 

Herzog  Heinrich  Julius,  Von  einem  Weib  (1593)  TL  2. 
Von  einem  Buhler  und  einer  Buhlerin  (1594)  I  2.  Von  einem 
ungerathenen  Sohn  (1594)  I  1. 

J.  Ayrer  (vor  1605),  Phaenicia  HI  Act,  130.  235.  Er- 
bauung der  Stadt  Rom  Band  I,  S.  56,  20.  Machumet  IL 
Band  II,  S.  801,  15. 

W.  Spangenberg,  Saul  (1606)  1239.  2016. 

C.  Brülovius,  Caesar  (1616)  II  1  kommt  M.  Brutus, 
IV  4.  5  Cicero  ganz  unmotivirt.     Moyses  (1621)  I  7.  II  6. 

Englische  Komödianten  (vor  1620)  Esther  S.  34  Sih, 
Zimmermann,  du  bist  gleich  als  toärestu  gerufen.  Hans:  O  ja, 
ich  bin  ein  solch  wunderlich  Kerl,  ich  komm,  ehe  man  mich 
ruft  Der  verlorne  Sohn  S.  54. 

Niederdeutsche  Bauernkomödien ,  Tewesken  Kindelbehr 
(1661),  S.  276. 

S.  u.  a.  die  barmherzigen  Brüder  in  Schiller's  Wilhelm  TelL 

Abele  Speien,   Esmoreit  (14.   15.  Jahrhundert)   158  der 
Meister  kommt  im  rechten  Augenblick,  um  Esmoreit  zu  retten. 
De  sevenste  Bliscap  206. 
Gnaphaeus  Acolastus  (1529)  101.  110.  699. 


Udall's    Ralph    Roister   Doister   (1550)    Dodsley  -  Haslitt, 
Band  III,  S.  122  (IV  1). 


Abhandlungen  mm  altdeutschen  Drau».  37 

Jacob,  Recueil  de  farces  S.  192. 

Ebenso  begegnet  zufälliges  oder  unschicklich  motivirtes 
Abgehen1  statt  Scenenwechsel. 

Hans  Sachs,  Fastnachtsspiel  Der  Doctor  mit  der  grossen 
Nase  (1559)  N.  83,  117.  209  Der  Edelmann  geht  mit  seinem 
Gast,  dem  Doctor,  ab,  um  ihm  einen  Bau,  seine  Bibliothek  zu 
zeigen,  damit  der  Narr  mit  dem  Reitknecht  an  demselben  Orte 
sprechen  kann.  Fastnachtsspiel  Der  Neidhart  mit  dem  Veil- 
chen (1561)  N.  75,  372.  Der  Herzog  geht  ab  Wil  gen  spa- 
ciren  in  irgarteny  damit  die  Bauern  an  demselben  Orte  über 
ihre  Rache  an  Neidhart  berathen  können. 

J.  Ayrer  (vor  1605)  Gründung  von  Bamberg  Band  I, 
S.  663,  17  der  Kaiser: 


1  Davon  sind  jene  Abgänge  zu  unterscheiden,  welche  die  übrigbleibenden 
oder  kommenden  Personen  nur  von  einer  lustigen  oder  unschicklichen 
Gegenwart  befreien  sollen:  Im  mittelalterlichen  Drama  geht  Joseph  bei 
der  Gebart  Christi  anter  irgend  einem  Vorwand  ab  —  oder  bei  Seite, 
C&8S.  Weihn.  142,  Eger.  Pass.  1623,  York  plays  S.  129,  in  einem  polni- 
schen Weihnachtsspiel,  mitgetheilt  von  W.  Creizenach,  Festschrift  für 
K.  Weinhold,  1896,  Separatabdruck  S.  5.  —  H.  Sachs,  Melusine  (1556) 
Band  XII,  S.  554,  14  die  Knechte  gehen  ab,  weil  sie  die  sich  schlagenden 
Pferde  beruhigen  wollen.  Hier  sind  nur  die  Knechte  auf  der  Bühne. 
Die  folgende  Scene  spielt  am  selben  Ort  zwischen  Goffroy,  dem  Sohne 
Melusinens,  und  dem  Kundtman.  Fastnachtspiel  Der  Neidhart  mit  dem 
Veilchen  (1561)  N.  75,  426  Neidhart  wird  für  das  bevorstehende  Gespräch 
zwischen  seiner  Frau  und  dem  in  sie  verliebten  Herzog  entfernt,  indem 
er  dem  ankommenden  Herzog  bis  ans  Hausthor  entgegengeht  und  dann, 
wie  man  wohl  annehmen  darf,  noch  häusliche  Anordnungen  zu  treffen 
hat  —  Ackermann,  Tobias  (1539)  995.  —  M.  Haineccius,  Hans  Pfriem 
(1582)  1055.  —  J.  Ayrer  (vor  1605)  Valentin  und  Ursus  I,  Band  II, 
S.  1313,  6  Meliflsus  zu  Rudolphus:  Jetz  kommet  rein  in  die  Cantzeley,  Ob 
nichts  neues  vorhanden  sey.  Nur  die  zwei  sind  auf  der  Bühne,  die  sie 
räumen,  am  der  Kaiserin  an  demselben  Ort  Platz  zu  machen.  —  Herzog 
Heinrich  Julius,  Sosanna  ( 1 593)  III  4,  die  Mutter  Susannas  geht  wegen 
zu  grosser  Gemüthsbewegung  ab.  —  Oder  wenn  in  den  mittelalterlichen 
Osterspielen  Christus  als  Gärtner  abgeht,  um  in  der  typischen  Kleidung 
wiederzukommen.  S.  z.  B.  Erl.  Ost.  1121.  —  Eine  besondere  Gruppe 
bilden  dann  jene  unmotivierten  Abgänge,  welche  die  Bühne  für  den 
Schluss  des  Stückes  oder  des  Actes  entleeren  sollen,  was  sich  noch  lange 
nach  der  Einführung  des  Vorhangs  erhält;  K.  Heinemann,  Grenzboten 
1890  I,  8.  465.  520.  521.  523. 


38  X.  Abhandlung:    Heiniel. 

Ehrnholt,  geh  du  nur  auch  jetzt  ab} 
Allein  ich  zu  verrichten  hab. 

Und   er   hält   einen  Monolog   über    die   bevorstehende   Heirat. 
S.  dasselbe  Motiv  in  der  Anmerkung. 

Wieland  in  Clementine  von  Porretta,  lässt  wiederholt  seine 
Personen  wegen  übermässiger  Gemütsbewegung  abtreten,  meist 
in  den  Garten  gehen  und  gewinnt  dadurch  ein  Mittel,  die 
Zurückbleibenden  sich  ohne  Ortsveränderung  aussprechen  zu 
lassen  1  2,  III  12,  III  13,  IV  12.  S.  in  der  Anmerkung  Herzog 
Heinrich  Julius'  Susanna. 

Aehnlich  ist  das  Herausrufen  einer  benöthigten  Persön- 
lichkeit. 

Hans  Sachs,  Hecastus  (1549)  Band  VI,  S.  138,  20.  144,  19. 

Schwerttanzspiel  aus  Lübeck  Zs.  XX,  S.  10  ff.,  Zs.  ftr 
Völkerpsychologie  XIX,  S.  206.  418. 

Hartmann,  Volksschauspiele  S.  VI. 

Sehr  häufig  war  dies  schon  in  der  niederländischen  Abele 
Speien  (14./15.  Jahrhundert),  die  bei  der  grossen  Anzahl  von 
Standplätzen  diese  so  klein  machen  mussten,  dass  nur  schwer 
in  ihnen  zu  spielen  war,  wie  ja  auch  die  Personen  in  ihnen 
oft  unsichtbar  sind.  Lanselot  290.  542.  708  ruft  der  Wald- 
hüter seine  Herrin  aus  dem  Schloss,  838  der  Knappe  seinen 
Herrn.  —  Esmoreit  904  —  Winter  und  Sommer  436.  —  Ebenso 
in  den  Sotternien.  —  S.  auch  Esmoreit  58.  747.  851,  Hertog 
van  Bruyswijck  37.  50.  86.  725.  854.  902. 

Verwandt  den   vorhergehenden  Fällen   ist   der  folgende. 

Schon  im  Mittelalter  begegnet  es  hie  und  da,  dass,  während 
man  erwartet,  dass  die  Person  A  zu  der  Person  B  gehen 
werde,  die  Person  B  vielmehr  zu  A  kommt,  wodurch  ein 
.Wechsel  der  Locale  vermieden  wird.  So  in  den  Scenen,  in 
welchen  Magdalena  den  Aposteln  von  der  Auferstehung  be- 
richtet. Innsbr.  Ost.  H.  1099  Maria  (Magdalena)  recedit  (vom 
Grabe)  cantando:  Vere  vidi  dominum  vivere  u.  s.  w.,  nach  der 
Begegnung  mit  Christus  als  Gärtner,  1109  Thomas  venu  ad 
Mariam  et  dicit:  Maria,  laz  diu  schallen  u.  s.  w.;  1140  Maria 
(Magdalena)  cantat:  Victimae  paschali  u.  s.  w.    Petrus  et  Jo- 


Abhudhingan  »am  altdeutschen  Drum.  39 

Hannes  veniunt  clamando:  Die  nobis  Maria,  quid  vidisti  in 
via?  —  Eger.  Pass.  8061  Et  sie  salvator  recedit  a  Maria 
Magdalena  in  locum  suum,  nachdem  er  ihr  als  Gärtner  er- 
schienen war,  donec  Maria  canit  obviantibus  duobus  apostolis, 
scilicet  Petro  et  Johanne;  8103  Tunc  Maria  (Magdalena)  pro- 
cedit  ulterius  ad  parvum  »pactum,  Tunc  veniunt  ei  in  obviam 
Maria  Jacobi  et  Maria  Salome  cantantes:  Die  nobis  Maria 
u.  s.  w.  Erl.  Ost.  1176  Magdalena  singt:  Vere  vidi  dominum 
vivere  u.  s.  w.,  dann  1203  Victimae  paschali  u.  s.  w.  Deinde 
venient  Petrus  et  Johannes  cantantes:  Die  nobis  Maria  u.  s.  w., 
1256  erscheint  auch  Thomas.  Sterz.  Ost.  S.  160  Tunc  Sal- 
vator recedit  ad  tempvs,  nachdem  er  Magdalena  als  Gärtner 
erschienen  war.  Maria  plangit  et  canit  iterum:  Ich  hob  war- 
leich  gesehenden  lieben  heren  mein  u.  ß.  w.  Deinde  venu  Thomas 
dicens:  Maria,  la  dein  schallen!  Wie  mag  mir  das  gefallen, 
Dasz  ein  todter  man  Von  dem  tod  sol  aufstan.  S.  162  tunc 
Maria  canit:  Victimae  paschali  u.  8.  w.  Tunc  Petrus  et  Jo- 
hannes vadunt  ei  obviam  cantando:  Die  nobis  Maria   u.  s.  w. 

So  auch  in  späteren  Dramen. 

Reuchlin,  Sergins  (vor  1507)  70,  er  will  zu  seinen  Genossen 
gehen:  da  sieht  er  sie  plötzlich  kommen:  Sed  eceos  commodum, 
Eccos  prope  in  medio  fori. 

S.  Wild,  Passionsspiel  (1566)  1626.  Der  Hauptmann  ist 
zu  den  Grabwächtern  gekommen,  die  ihm  ihre  Schande  ge- 
stehen. Er  sagt,  sie  müssten  sich  gleichwohl  verantworten,  da 
sie  das  Geld  empfangen  hätten.  Aber  anstatt,  dass  sie  nun 
zu  Cayphas  gehen,  fährt  der  Hauptmann  fort: 

Da  kompt  Cayphas  vnd  Annas  gleich; 
Secht,  wie  jr  auffs  best  verantwort  euch! 

Digby  Mysteriös  S.  11  die  Mütter  mit  den  unschuldigen 
Kindern  kommen  zu  den  Mördern,  S.  223  die  Apostel  den 
drei  Marien  entgegen. 

In  diesen  Fällen,  den  mittelalterlichen,  wie  in  denen  des 
16.  Jahrhunderts  kann  man  ungeschickte  Erfindung  annehmen, 
durch  die  der  Dichter  um  die  Schwierigkeit  des  Scenenwechsels 
herumkommen  will.  Anders  ist  es  in  folgenden  Beispielen,  wo 
vor   den  Augen   des  Publicums   die   gesehene  Bühne   in   ihrer 


40  X.  Abhandlung:    Heimel. 

ganzen  Ausdehnung  oder  an  einem  ihrer  Theile  sich  verändert, 
d.  h.  nun  einen  anderen  Ort  bedeutet  als  früher,  und  zwar 
ohne  Abgang  der  Personen. 

H.  Sachs,  Die  falsche  Kaiserin  (1B51)  Band  VIII,  S.  118? 
18,  Der  verurtheilte  Graf  bittet  den  Kaiser,  seine  Frau  noch 
sehen  zu  dürfen.  Der  Kaiser  bewilligt  es  und  geht  ab.  Der 
Keyser  ab.  Man  fürt  den  Grafen  hin.  Die  Gräfin  kompt  xmd 
spricht.  —  Fastnachtsspiel  von  der  verunglückten,  verschwatzten 
Buhlschaft  (1552)  N.  39,  455.  Ein  Jüngling  wird  durch  einen 
Boten  zu  seinen  Eltern,  die  in  einer  anderen  Stadt  wohnen, 
beschieden.  Spielanweisung:  Sie  gehen  hin.  Sein  Vatier  vnnd 
Mutter  kummen  jm  entgegen,  sein  Vatter  spricht.  —  Zerstörung 
Trojas  (1554)  Band  XII,  S.  298,  18.  Die  Leiche  Hectors 
war  vorher  auf  freiem  Feld  gedacht,  jetzt  ist  sie  in  Troja> 
ohne  dass  sie  hinaus-  und  wieder  hereingetragen  wurde.  — 
Sirason  (1556)  Band  X,  S.  206,  25.  Delila  war  vorher  hei 
den  Philistern,  ist  jetzt  wieder  zu  Hause.  Diese  Stücke  haben 
keine  Standplätze. 

S.  Wild,  Passionsspiel  (1566)  1508.  Nachdem  die  drei 
Marien  von  den  Engeln  am  Grab  Christi  Aufklärung  erhalten 
haben,  folgt  die  Spielanweisung:  Die  Frawen  wenden  eich  vmb 
vnnd  die  Engel  gehn  ab.    Maria  Magdalena  spricht: 

Ach,  lieben  Schwestern,  das  ist  war, 
Wie  vns  die  Männer  sagen  klar. 
1610  Wir  wollen  gehn  vns  sehen  vmmen. 
Wo  wir  seine  Junger  bekummen 
Vnd  jn  solliches  zeygen  an. 

Maria  Salome: 

Ja,  so  kompt  her  vnd  laszt  vns  gähn! 

Darauf  folgt  die  Spielanweisung:  Nun  geht  Petrus  vnnd  Jo- 
hannes ein.    Magdalena  meldet  ihnen,  was  geschehen. 

J.  Ayrer,  Phaenicia  (vor  1605),  III.  Act  131,  Die  vor- 
hergehende Scene  war  im  Hause  Phaenicias  zwischen  dieser 
und  ihrer  Kammerfrau  Phillis,  die  den  Auftrag  erhält,  dem 
Grafen  Timbor  abzusagen.  Phaenicia  geht  ab.  Der  kurze 
Monolog  der  Kammerfrau  ist  schon  halb  auf  der  Gasse  gedacht: 

doch  rieht  ich  meinen  bevelch  aus. 
schau,  dort  get  der  graf  gleich  heraus, 


Abhandlungen  zum  Altdeutochen  Drama.  41 

wie  das  folgende  Gespräch  zwischen  der  Kammerfrau  and  dem 
Grafen  Timbor  ganz  auf  der  Strasse  gehalten  wird.  Denn  am 
Schluss  193  sagt  sie: 

ich  tet  mich  lang  bei  euch  verweiln; 
ich  musz  wider  zu  haus  heim  eiln, 
das  es  mein  Jungfrau  nicht  erfar. 

Marlowe,  Tamburlaine  I.  Am  Ende  von  V  1,  nach  1844 
(Bd.  I,  S.  93)  Exeunt  all  except  the  Virgins,  Bei  Beginn  der 
nächsten  Scene  V  2  vor  1846  Enter  Tamburlaine  u.  s.  w. 
Die  Jungfrauen  der  belagerten  Stadt  Damascus  wollten  zu 
Tamburlaine  in  sein  Lager  vor  der  Stadt  gehen,  1799;  statt 
dessen  kommt  Tamburlaine  zu  ihnen.  Das  Stück  hat  keine 
Standplätze.  —  Marlowe,  Massacre  of  Paris  Band  II.  S.  306 
Exeunt  Catherine  and  Guise\  Charles  bleibt;  die  Scene  mit 
Catherine  und  Guise  war  beim  König  Charles.  Die  nächste 
Scene  bringt  The  Admiral  discovered  in  bed.  Die  Mittelbilhne, 
welche  früher  eine  Wand  des  königlichen  Zimmers  dargestellt 
hatte,  ist  nun,  wohl  durch  Wegziehen  eines  Vorhangs,  —  s.  Tam- 
burlaine II,  Act  III,  l  V.  3103  the  arras  is  drawen  und  die 
Custodes  der  mittelalterlichen  Bühne,  —  die  offene  Wohnung  des 
Admirals.  Statt  dass  Charles  zu  ihm  geht,  ist  dieser  zum  König 
gekommen.  S.  309  zeigt  deutlich,  dass  der  Admiral  in  einem 
offenen  Hause  zu  sehen  war,  da  er  vor  den  Augen  der  Zu- 
schauer ermordet  und  auf  die  Strasse  geworfen  wird.1 


1  8.  den  gleichzeitigen  Stieb  von  der  Ermordung  Coligny's  in  O.  Jäger, 
Geschichte  der  neueren  Zeit,  S.  163.  Er  stellt  eine  Straßenecke  dar, 
die  durch  das  Haus  Coligny's  gebildet  ist.  Ein  Stück  der  Wand  im 
ersten  Stockwerk  ist  weggenommen,  so  dass  man  sieht,  wie  Coligny  im 
Bett  ermordet,  dann   durch  ein  Fenster  auf  die  Strasse  geworfen  wird. 

—  In  Marlowe's  Eduard  II.,  Band  II,  S.  281  spricht  der  Mörder  Light- 
born ,  der  sich  in  demselben  Local  wie  Matrevis  und  Gurneg ,  die 
Wächter  des  Königs,  befindet,  plötzlich  mit  dem  König,  der  in  einem 
unterirdischen  Gefängniss  verwahrt  ist,  das  zugleich  als  Senkgrube  dient. 

—  Shakespeare,  Henry  VI,  II ,  HI,  2 :  The  folding  doors  of  an  inner  Cham- 
ber are  thrown  open  and  GHoster  is  discovered  dead  in  his  bed:  Warwick 
and  others  Handing  by  it.  Der  Bühnenraum  ist  das  Zimmer,  in  dem  der 
König  sich  aufhält,  das  gewiss  nicht  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  mit 
dem  Gefängniss  Gloster's  gedacht  ist. 


42  X.  Abhandlung:    Hcinxel. 

S.  317  Anjou  knocketh  at  the  door  and  enter  the  hing  of 
Navarre  and  the  Printe  of  Condi  with  their  Udo  sckoolmasters. 
Also  statt  dass  Anjou  zu  den  jungen  Prinzen  geht,  kommen 
diese  zu  ihm  heraas.  Derselbe  Bühnenraum  bedeutet  erst  die 
Strasse  vor  dem  Hause  des  Prinzen,  dann  das  Innere  des  Hauses. 
S.  346  First  Murderer  [withinj  zu  dem  andern:  Stand  dose! 
he  (Guise)  is  Coming  —  — .  Enter  first  and  second  Murderer 
und  tödten  Guise. 

S.  D'Ancona,  Origini  del  teatro  italiano  I  S.  512  nelV 
Ottaviano:  rovina  subito  il  tempio,  e  la  Nativitä  del  N.  Signore 
apparisce*. 

E.  Rigal,  Alexandre  Hardy,  S.  191  über  Verwandlung  der 
Bühne  ohne  Abgang  der  Schauspieler  im  17.  Jahrhundert 
K.  Heinemann,  Grenzboten  1890, 1,  S.  462  und  465,  wo  er  auf 
Voltaire's  Semiramis  verweist,  III  6  Le  cabinet  oü  itait  Sem%- 
ramis  (mit  Arzace  und  Azema)  faxt  place  ä  un  grand  sahn 
magnifiquement  orn4  u.  8.  w.  Hier  wurden  also,  während  die 
Personen  der  vorhergehenden  Scene  auf  der  Bühne  blieben, 
Versatzstücke  aufgestellt. 

Die  andere  Methode,  den  Zuschauer  glauben  zu  machen, 
er  sehe  jetzt  in  der  ganzen  sichtbaren  Bühne  einen  anderen 
Kaum  als  vorher,  besteht  in  der  Entleerung  der  Bühne  am 
Schluss  des  ersten  und  —  was  beim  Mangel  eines  Vorhangs 
nöthig  war  —  in  dem  Hereinkommen  zu  Anfang  der  zweiten 
Scene,  wo  die  antike  Eintheilung  herrscht,  auch  bei  Actschluss 
und  Anfang  des  nächsten. 

In  P.  Gengenbach's  Combiszt  (vor  1524,  nur  in  einer 
Umarbeitung  von  1540 — 1546  erhalten),  gibt  es  zwar  keine  Spiel- 
anweisung, aber  es  ist  doch  nicht  zu  bezweifeln,  dass  nach  I  1, 
Haine  vnd  Hanszlin,  zwen  bauern  vnnd  der  pfaff,  nicht  nur 
dieser  abgeht,  wie  er  selbst  sagt  181  Es  ist  nun  zeit,  ich  far 
darum,  sondern  auch  die  übrigen.  Dann  die  nächste  Scene 
I  2  wird  von  Ciuis  und  Pfaff  gespielt.  Dieser  ist  also  abge- 
gangen, kommt  wieder  herein  und  begegnet  dem  von  anderer 
Seite  eintretenden  Ciuis,  der  ihn  anspricht.  185  Sihe  herrlin, 
wa  kumpt  ihr  her.     Am  Schluss  dieser  Scene  jagt  Ciuis  den 


Abhandlangen  mm  »ttctaitochen  Drama.  43 

Pfaffen  fort  265  Farhin  wnd  nim  so  jetzt  vorgüt.  Sie  verlassen 
also  beide  die  Bühne.  Am  Anfang  der  nächsten  Scene,  I  3, 
ist  der  Pfaff  aber  wieder  da  und  hält  einen  Monolog.  Er  ist 
also  wieder  hereingekommen.  Die  Scenen  I  1.  2.  3  spielen  an 
verschiedenen  Orten. 

Diese  Form  begegnet  u.  A.  bei  H.  Sachs,  in  Th.  Gart's 
Joseph  (1540),  H.  Ackermann's  Ungerathenem  Sohn  (1540),  in 
S.  Wild's  Passionsspiel  (1566),  bei  J.  Ayrer,'  den  englischen  Ko- 
mödianten, Brülovins,  in  Gnaphaeus'  Acolastus,  wie  überhaupt 
bei  den  Lateinern. 

S.  z.  B.  H.  Ackermann,  Ungerathener  Sohn  (1540)  206 
der  Vater  geht  ab,  246  die  Matter  auch:  Aber  itzundfalt  mir 
etwas  ein,  Das  musz  ich  balde  richten  aus,  Dieweil  mein  herr 
nicht  ist  zu  haus.  Dadurch  wird  die  Scene  frei  für  den  Nach- 
bar, der  in  seinem  Hause  einen  Monolog  hält. 

H.  Sachs,  Schöpfung  (1548)  Band  I,  S.  37,  22  Eva  geht  ab, 
um  den  Baum  des  Lebens  zu  suchen,  S.  38,  6  kommt  sie  wieder 
und  findet  ihn  auf  der  Bühne,  die  also  jetzt  einen  anderen 
Theil  des  Paradieses  darstellt.  —  Fastnachtsspiel  von  der  un- 
glücklichen verschwatzten  Buhlschaft  (1552)  N.  39,  78,  der  ab- 
reisende Jüngling,  den  seine  Eltern  begleiten,  verlässt  die 
Bühne,  am  Beginn  der  nächsten  Scene  tritt  er  wieder  auf  und 
ist  in  der  fremden  Stadt.  —  Cirus  (1557)  Band  XIII,  S.  325, 
19  dieselben  Personen,  die  Scythen  gehen  ab,  kommen  gleich 
wieder  herein  und  sind  nun  in  Cirus'  Lager.  S.  oben  S.  34. 

Tirao  de  Molina,  Der  Verführer  von  Sevilla;  Rapp,  Band  V, 
III.  Act,  22.  Scene,  Schluss:  Don  Juan  und  Catalinos  gehen  in 
die  Kapelle,  23.  Scene,  sie  treten  wieder  auf  und  sind  in  der 
Kapelle. 

Dadurch  entstehen  aber  manche  Unzukömmlichkeiten,  d.  i. 
Fehler  gegen  die  beabsichtigte  Naturwahrheit. 

H.  Sachs,  Pallas  und  Venus  (1530)  Band  III.  Trotz  der 
dargestellten  Gerichtssitzung  gehen  alle  Personen  bei  den  Ab- 
schlüssen ab  und  zu  Anfang  des  nächsten  wieder  ein.  —  Ju- 
dicium Paridis  (1532)  Band  VII.  Am  Schluss  des  ersten  Actes 
versammeln  sich  die  Götter  zu  einem  Gelage  und  gehen  dann 
ab.    Am  Anfange  des  zweiten  erscheint  erst  Discordia  allein, 


44  X.  Abhaodluif :    H*ins«l. 

die  den  Apfel  wirft  and  dann  abgeht.  Darauf  kommen  die 
Götter  and  setzen  ihr  Gelage  fort,  wobei  sie  den  Apfel  er- 
blicken. —  Opferung  Isaacs  (1533)  Band  X,  S.  71,  19  und 
Abraham  (1558)  Band  X,  S.  53,  23  Adam  and  Isaac  sind  vor- 
ausgegangen, die  Knechte  zurückgeblieben;  die  Knechte  werden 
nun  von  der  Bühne  entfernt  indem  sie  bemerken,  dass  ihr  Esel 
sich  verlaufen  hat  —  s.  oben  S.  36  Anm.  das  Motiv  in  H.  Sachs' 
Melusine  —  und  Abraham  tritt  mit  Isaac  wieder  ein,  d.  h.  sie 
sind  unterdessen  auf  die  Höhe  des  Berges  gelangt,  den  die 
Bühne  jetzt  darstellt.  —  Jacob  und  Esau  (1550)  Band  I.  Der 
Abgang  Isaacs  und  Esaus  am  Ende  des  III.  Acts  ist  unmotivirt 
—  Fastnachtspiel   von  Joseph,   Melissas  and   König   Salomon 

(1550)  N.  26,  122.  Joseph  and  Melissas,  die  beschlossen  haben, 
bei  Salomon  Rath  zu  suchen  gehen  beyde  ausz.  König  Salomon 
kumbt,  setzt  sich,  nach  einem  Gespräch  Salomons  und  Marcolfis 
erscheinen  Joseph  und  Melissas.  Das  Kommen  Salomons  ist 
ganz  unnatürlich.  Gemeint  ist,  dass  er  auf  seinem  Throne  sitzt, 
nicht  sich  erst  darauf  setzt.  —  Fastnachtsspiel  Der  böse  Rauch 

(1551)  N.  28,  139.  Vorher  war  die  Scene  im  Hause.  Der  Mann 
ist  von  der  Frau  besiegt  worden  und  fortgegangen,  d.  i.  vors 
Haus,  131.  Sie  triumphirt  allein  bis  138  und  geht  auch  ab 
139,  sie  geht  ausz,  der  man  kumbt  vnd  setzt  rieh  traurig,  nach 
146  auf  den  Stein  vor  seinem  Hause.  Er  kann  nicht  jetzt  erst 
kommen,  sondern  sitzt  seit  131  darauf.  S.  163.  —  Fastnacht- 
spiel  von  der  unglücklichen  verschwatzten  Buhlschaft  (1552) 
N.  39,  168.  Der  Held  und  sein  Freund  waren  162  aas  der 
Werkstatt  weggegangen,  um  die  Familie  Gutmans  deren  Tochter 
wegen  zu  besuchen.  Nachdem  ihr  Meister  und  seine  Frau  auch 
die  Werkstatt  verlassen  haben,  heisst  es  168  Outman,  der  Eoa 
vater,  vnnd  Beningna,  jr  Mutter,  kummen,  er  spricht.  D.  h.  die 
Scene  ist  jetzt  in  Gutmans  Haus,  in  das  natürlich  die  Eigen- 
tümer nicht  eintreten.  Ebenso  219.  258.  —  Komödie  Die 
ungleichen  Kinder  Adams  und  Evas  (1553)  Band  I.  Die  Exa- 
mination  der  Kinder  wird  durch  den  Schluss  von  Act  HI  unter- 
brochen, bei  dem  wie  immer  alle  abgehen,  um  beim  IV.  Act 
wieder  hereinzukommen.  —  Abraham  (1558)  Band  X,  S.  36, 14. 
Loths  in  eine  Salzsäule  verwandelte  Frau  muss  auch  abgehen, 
weil  die  nächste  Scene  an  einem  andern  Orte  spielt.  Das  weih 
sieht  umb,  wird  ein  sewleny   bleibt  stehn.   Sie  gehen  alle  ausz. 


Abhandlungen  mn  altdeutschen  Drama.  45 

Abraham  kommt  und  ist  an  einem  andern  Ort,  auf  dem  Berge. 
—  Fastnachtsspiel  Die  junge  Witwe  Francisca  (1560)  N.  84, 
165.  Die  vorhergehende  Scene  war  im  Hause  Franciscas.  Sie 
schickt  ihre  Zofe  fort  und  geht  auch  ab,  Ein  weil  wil  ich  in 
garten  naüs,  in  hof.  Die  Bühne  ist  also  leer  und  kann  im 
Folgenden  die  Strasse  darstellen,  auf  der  Rinficzo,  der  Lieb- 
haber Franciscas,  deren  Zofe  trifft.  —  Fastnachtsspiel  Der  Neid- 
hart mit  dem  Veilchen  (1561)  N.  75,  386.  Die  Bauern  gehen 
ab,  die  Bühne  ist  leer  und  bedeutet  in  der  folgenden  Scene 
Neidharts  Haus. 

Th.  Gart,  Joseph  (1540).  1958  Joseph  will  seine  Brüder 
zu  Pharao  führen.  Das  geschieht  dadurch,  dass  er  mit  ihnen 
die  Bühne  verlässt  und  dann  mit  Pharao  hereinkommt. 

S.  Wild,  Passionsspiel  (1566),  402.  552  Actschluss,  642. 
732.  1566  Nachdem  die  drei  Marien  Christum  gesehen  haben, 
beschliessen  sie,  es  den  Jüngern  zu  melden,  und  gehn  darmit 
ab.  Andreas  vnd  Jacobus  gehn  ein,  Petrus  vnd  Johannes  gleich 
hinnach.  D.  h.  sie  sind  in  ihrer  Wohnung,  wohin,  1584,  die  drei 
Frauen  kommen. 

J.  Ayrer  (vor  1605),  Pelimperia  und  Horatius,  Band  II, 
S.  917,  10.  Der  Marschall  geht  ab  und  kommt  in  der  nächsten 
Scene  mit  dem  König  heraus;  d.  h.  er  ist  zum  König  ge- 
gangen. —  Hugdietrich,  Band  II,  S.  972, 11  Hugdietrich  geht  ab 
und  kommt  mit  dem  Wächter;  d.  h.  er  ist  zu  dem  Wächter  auf 
die  Burgzinne  gegangen.  —  Theseus,  Band  II,  S.  1246,  11  Egeus: 

So  kompt  nur  rein  in  die  Cantzeley! 
Secht,  was  drinn  zu  verrichten  sey! 

Abgang  Egeus'  und  aller.  Die  folgende  Scene  spielt  an  einem 
ganz  andern  Ort:  Adra  geht  mit  Theseo  ein  und  sagt.  — 
Knabenspiegel,  Band  V  3381,  12: 

Kumbt,  last  vns  In  die  Canzley  gon, 
Ob  etwas  Villeucht  sey  furgf allen. 

Abgang.  Die  folgende  Scene  spielt  auf  einem  neuen  Locale. 
Das  Kanzleimotiv  des  Abgangs  wie  oben  und  S.  37  Anm. 

Schauspiele  der  englischen  Komödianten  (vor  1620),  For- 
tunatus  S.  121  Die  zwei  Grafen  führen  den  Andalosia  hinein, 
um  ihn  zu  martern,  bis  er  bekennt,  woher  er  seinen  Schatz 
habe.    Darauf  ist  die  Scene  in  Famagusta  bei  Ampedo,  Anda- 


46  X.  Abhandlung:    Hein  sei. 

losia's  Bruder.  Ampedo  körnt  Er  hat  schon  die  Nachricht 
von  dem  Ueberfall  auf  seinen  Bruder  erhalten  und  stirbt  au* 
Schmerz.  Nun  fehlt  allerdings  die  Bühnenanweisung,  daas  er 
hinausgetragen  wird,  wie  sie  nach  der  gleich  folgenden  Er- 
mordung Andalosia's  vorkommt  sammt  der  Angabe,  dass  die 
Grafen  mit  Andalosia  wieder  auftreten.  Aber  es  ist  gewiss  so 
gemeint.  Denn  gleich  darauf  sprechen  sie  zu  dem  gemarterten 
Andalosia  und  tödten  ihn  vollends. 

Le  Roux  de  Lincy,  Die  Farce:  La  Mere,  la  fille,  le  tes- 
moing,  l'amoureux  et  POfficial.  Mutter  und  Tochter  gehen  ab. 
Le  juge  entre,  er  hält  einen  Monolog,  dann  treten  Mutter  und 
Tochter  bei  ihm  ein.  D.  h.  Mutter  und  Tochter  sind  zum 
Richter  gegangen,  der  in  seinem  Zimmer  ist,  nicht  in  dasselbe 
einzutreten  hat. 

In  den  York  Plays  zeigt  eine  Bühnenanweisung,  die 
von  späterer  Hand  der  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts, 
S.  XXVIII,  angesetzten  Handschrift  beigeschrieben  ist,  den 
Uebergang  von  der  alten  Form  in  die  neue.  Das  XVII.  Stück, 
ein  Dreikönigsspiel,  hatte  ursprünglich  einen  Bühnenstand  für 
Herodes,  einen  Air  die  heil.  Familie,  die  heil.  dreL  Könige 
gehen  erst  zu  Herodes,  dann  nach  Bethlehem.  Ein  Verschwinden 
der  heil,  drei  Könige  oder  Herodes  war  ganz  unnöthig.  Trotz- 
dem sagt  die  Bühnenanweisung,  bevor  die  heil,  drei  Könige 
nach  Bethlehem  zur  heil.  Familie  kommen:  the  Harrod  passeth, 
and  the  iij  kynges  comyth  agayn  to  make  there  offerynge*. 

Calderon  Gu&rdate  de  la  agua  mansa,  Band  IV,  S.  351*. 
Die  vorige  Scene  war  in  einem  Zimmer  von  Don  Felix7  Haus, 
bei  dem  zwei  Edelleute  Don  Juan  und  Don  Pedro  zu  Gaste 
sind.  Erst  spricht  der  Hausherr  mit  Don  Juan,  bis  dieser 
abgeht  —  vase  —  um  die  Damen  des  Hauses  am  Hausthor 
zu  erwarten.  Dann  kommt  Don  Pedro,  der  dem  Hausherrn 
dieselbe  Absicht  mittheilt.  Nun  muss  eine  Verwandlung  ein- 
treten —  Gasse  vor  dem  Hausthor  statt  Zimmer  —  die  in 
der  Ausgabe  nicht  angezeigt  ist.  Don  Felix  und  Don  Pedro 
gehen  auch  ab  und  kommen  wieder,  und  auch  Don  Juan  tritt 
auf  —   das  ist    angezeigt,    sale  —   wohl   von    anderer   Seite. 


Abhandlangen  mm  altdeutschen  Drama.  47 

Aber  Don    Juans  Auftreten    ist  nicht   wörtlich   zu  verstehen: 
er  ist  schon  seit  S.  350 b  auf  der  Gasse  vor  dem  Hausthor. 

An  das  unschickliche,  aber  ohne  Vorhang  nicht  zu  ver- 
meidende Eintreten  von  in  Ruhe  gedachten  Personen  war  man 
vom  Mittelalter  her  gewöhnt,  wo  dies  für  den  Anfang  aller 
Stücke  nothwendig  war. 

Bei  Lope  de  Vega,  König  Wamba,  Rapp,  Band  III,  III  3, 
S.  72  scheint  ein  Auskunftsmittel  getroffen  worden  zu  sein. 
König  Wamba  sitzt  bereits  zu  Gericht.  S.  auch  Die  ver- 
schmähte Schöne  Rapp,  Band  II,  II  1,  S.  47,  Beginn  des 
II.  Acts;  der  Thürhtiter  Arnaldo  einen  Besucher  abweisend. 

Mit  dieser  Form  verbindet  sich  gern,  dass  die  herein- 
kommenden Personen  ein  hinter  der  Scene  begonnenes  Gespräch 
fortsetzen;  s.  Creizenach  I,  S.  575.  H.  Sachs  Hecastus  (1549), 
Band  VI,  S.  170,  27.    171,  10. 

Naogeorgus,  Judas  (1552),  II  3. 

J.  Ayrer  (vor  1605),  Fastnachtsspiel  Der  Eiferer,  Band  IV, 
S.  2794,  20. 

C.  Brülovius,  Julius  Caesar  (1616),  I  2. 

Schauspiele  der  englischen  Komödianten  (vor  1620)  Esther 
S.  17,  Jemand  und  Niemand  S.  127,  am  Anfang  des  Stücks, 
Der  verlorne  Sohn  S.  47,  Fortunatus  S.  81,  im  Anfang  des 
Stücks  S.  121. 

Niederdeutsche  Bauernkomödien  (vor  1661)  S.  142. 

Udall's  Ralph  Roister  Doister  (1550)  Dodsley  -  Hazlitt, 
Band  III,  S.  130,  IV  4.  —  Marlowe,  Massacre  of  Paris  S.  319. 
—  So  auch  bei  Shakespeare. 

Lope  de  Vega,  König  Wamba  II  1.  3.  4  (Rapp,  Band  III, 
S.  279.  291.  299),  Columbus  I  1  (Band  III,  S.  205),  Demetrius 
II  2.  in  5  (Rapp,  Band  IV,  S.  348.  411),  Die  verschmähte 
Schöne  II.  III  1.  in  2.  III  3  (Rapp,  Band  IV,  S.  14.  85. 
93.  99),  Reichthum  und  Armuth  II.  II  l  (Rapp,  Band  IV, 
S.  123.  167),  Die  schöne  Tolederin  II  1.  3.  4  (Rapp,  Band  IV, 
S.  279.  291.  299),  La  esclava  de  su  gaUn  I  1.  II  1.  III  1.  — 


48  X*  Abhandlung:    Heiniel. 

Tirso  de  Molina,  Der  Verführer  von  Sevilla  I  1.  II  1    (Kapp, 
Band  V,  S.  35.  72). 

Nicht  bei  allen  sind  die  genannten  Auskunftsmittel  beliebt 
Auch  ohne  Einfluss  der  antiken  Ortseinheit  ziehen  es  manche 
vor,  in  recht  unwahrscheinlicher  Weise  das  häusliche  Leben 
auf  die  Gasse  zu  versetzen.  So  Herzog  Heinrich  Julius  fast 
überall.  Niederdeutsche  Bauernkomödien  (vor  1661)  S.  273.  — 
W.  Spangenberg,  Saul  (1606)  1246.  1969.  2021.  —  Udalls 
Ralph  Roister  Doister  (1550),  Dodsley-Hazlitt,  Band  III,  S.  69.  97. 

Andere  bleiben  lang  bei  der  alten  Bühne  mit  Standplätzen 
und  offenen  Häusern. 

Urner  Tellenspiel  (bald  nach  1511)  137.  193  vn  gat  ein 
yegklicher  an  sin  ort  heim. 

V.  Boltz,  Weltspiegel  (1550)  4934  Jete  gond  ufi  den  hüszlin 
alle  Personen  — .  Stellen  sich  für  die  ghiisz  herfür  vff  beid 
sytten. 

H.  Sachs,  Griseldis  (1546),  Band  H,  S.  47,  5  Der  Weg 
vom  Palast  zu  Griseldis  Hütte  wird  durch  Herumgehen  markirt. 
—  Auferweckung  des  Lazarus  (1551),  Band  XI,  S.  247,  26 
Christus  geht  auf  der  Bühne  herum,  um  nach  Bethanien  zu 
kommen.  —  Josua  (1556),  Band  X,  S.  104,  35  Das  Heer  geht 
herum  und  gelangt  so  zum  Jordan.  —  Cleopatra  und  An- 
tonius (1560),  Band  XX,  S.  218,  9.  Cleopatra  und  Antonius 
begeben  sich  vor  den  Augen  des  Publicums  auf  ihre  Flotte 
und  kämpfen  bei  Actium. 

T.  Stimmer,  Fastnachtsspiel  Comedia  (1580)  30  nach  dem 
Prolog:  Sy  ziehen  samptlich  auff,  geht  jeder  person  in  sin  scena. 

Sogar  in  Italien,  wo  die  neue,  das  ist  die  der  antiken 
nachgebildete  Bühne,  die  nur  einen  Ort  der  Wirklichkeit  vor- 
stellt, so  früh  beginnt,  erhält  sich  daneben  die  Bühne  mit  den 
Standplätzen ;  £.  Flechsig,  Die  Decoration  der  modernen  Bühne 
in  Italien,  S.  31.  37.  43.  52.  70.  83. 

Im  Französischen  gab  es  Bühnenstände,  offene  Häuser 
nicht  nur  im  16.  Jahrhundert,  so  im  Passionsspiel  von  Valen- 
ciennes  von  1547,  sondern  auch  im  17.  bis  auf  Corneille;  Ebert, 


Abhandlungen  tarn  altdeutschen  Dnuna.  49 

Entwicklungsgeschichte  der  französischen  Tragödie  S.  155.  218, 
E.  Rigal,  Hardy  S.  173  f.  177  f. 

CaJderon,  La  hija  del  aire  I,  Band  II,  S.  67,  I.  Act 
Chatos  Wohnung  und  die  Wildniss,  wo  Semiramis  haust. 

Fröbel  in  seinem  Lebenslauf  I,  S.  348  erzählt  von  einer 
Aufführung  in  Centralamerika,  wo  die  eine  Hälfte  des  Pfarr- 
hofs das  christliche,  die  andere  das  Mohrenreich  darstellt. 

Nicht  selten  ist  Mischung  von  Standplätzen  und  Ab-  und 
Eintreten  bei  Scenenschluss  und  -Anfang. 

Th.  Gart,  Joseph  (1540)  237  Joseph  verlässt  während 
der  Scene  Jacob  und  kommt  nach  Sichern,  2072  Jacob  von 
Bersaba  nach  Gosen.  —  Der  Kerker,  wo  Josef,  der  Bäcker 
und  Schenke  gefangen  liegen,  ist  offen,  888. 

H.  Sachs,  Cleopatra  Band  XX,  S.  218,  9,  s.  oben  S.  48. 

C.  Brülovius,  Julius  Caesar  (1616).  In  den  Scenen  III 
3.  4  muss  Caesars  Haus,  vor  dem  sein  Abschied  von  Calpurnia 
stattfindet,  und  die  Curia,  zu  welcher  ihn  D.  Brutus  führt, 
vorgestellt  werden. 

Gnaphaeus,  Acolastus  (1529).  H  2  spielt  im  Haus,  H  3 
vor  dem  Haus.  Acolastus  ist  in  H  2.  3  fortwährend  beschäftigt; 
das  Haus  war  also  offen  s.  I  3.  4. 


Die  Gleichzeitigkeit  zweier  Vorgänge  kann  im  geist- 
lichen Drama  des  Mittelalters  dadurch  zur  Anschauung  ge- 
bracht werden,  dass  an  einem  Bühnenort  gesprochen  und  agirt, 
an  dem  andern  zur  selben  Zeit  blos  agirt  wurde;  Creizenach  I, 
S.  187.  Die  Form  findet  sich  auch  im  weltlichen  Drama  des 
Mittelalters,  dem  Fastnachtspiel  und  im  16.  17.  Jahrhundert, 
soweit  die  Bühnenstände  sich  erhalten  haben. 

Fastnachtspiel  Susanna,  N.  129,  S.  240,  25  stumme  Ge- 
richtsscene  —  Daniel  redet  mit  den  Alten. 

P.  Gengenbach,  Bileamsesel  357  Klage  der  Eselin,  — 
Christus,  Petrus,  Paulus,  die  herankommen.  820  der  Papst  — 
der  herankommende  Ablasskrämer. 

Heidelberger  Passionsspiel  (1514)  159.  317.  1579. 

8itzungsber.  d.  phü.-hist.  Cl.  CXXUV.  Bd.  10.  Abh.  4 


50  *•  Abhandlung:    Heimel. 

H.  Sachs,  Lucretia  (1527)  Band  XII,  S.  8,  1  Monolog 
der  Ancilla,  —  während  Sextus  bei  Lucretia  in  deren  Schlaf- 
zimmer ist.  —  Gideon  (1556)  Band  X,  S.  156,  23  Gideons 
Rede  während  der  Operation  mit  dem  Fell,  —  indess  kommen 
die  anderen  heran. 

H.  Bullinger,  Lucretia  (1533)  1170. 

G.  Binder,  Acolastus  (1535)  765  lautes  Gespräch  von 
Philautus  und  Acolastus,  —  stummes  von  Pamphagus  und  Pan- 
tolabus  an  anderem  Ort.  2004. 

Naogeorgus,  Pammachius  (1538)  III  6,  seit  2706  Sathans 
lautes  Gespräch  mit  Planus  —  während  des  stummen  Ge- 
sprächs zwischen  Pammachius  und  Porphyrio. 

Th.  Gart,  Joseph  (1540)  976  Pharao  redet  auf  seinen 
Thron,  —  stumme  Scene  Josephs  und  der  anderen  Gefangenen 
im  Kerker.  2073  Jacob  und  seine  Söhne  ziehen  redend  nach 
Egypten,  —  Joseph  kommt  ihnen  stumm  nach  Gosen  entgegen. 

H.  R.  Manuel,  Fastnachtsspiel  Weinspiel  (1548)  875  Reb- 
mans  Gespräch  mit  dem  Wein,  —  daneben  stummes  Gelag 
der  Gesellen. 

J.  Ruf,  Adam  und  Heva  (1550)  1859  Evas  Gebet,  — 
während  Adam  und  Kain  nach  Hause  gehen.  2407  Gott  redet 
mit  Kain,  —  während  Adam  und  Eva  der  Delbora,  Abels 
Gattin,  dessen  Ermordung  durch  Action  erzählen.  4319  Monolog 
Henochs,  —  während  Kenan  begraben  wird.  5552  Vorberei- 
tungen zum  Gelag  bei  dem  Fürsten,  dieses  selbst,  —  während 
Noe  die  Arche  baut. 

W.  Schmelzl,  Samuel  und  Saul  (1551)  458  Gespräch 
zwischen  Jeremias  und  Nabal  —  während  der  Bewirthang 
Sauls  bei  Samuel.  704  Rede  der  Belagerten  —  während  der 
Action  der  Belagerer.  800  vielleicht  drei  Vorgänge.  Botschaft 
der  Belagerten  an  die  Israeliten  —  während  der  Actionen  der 
Belagerer  und  der  Belagerten. 

Naogeorgus,  Judas  (1552)  III 6,  Judas,  Sargannabus  und 
Conscientia  reden  —  während  des  stummen  Abendmahls  Christi. 
IV  3  Christus  und  die  Apostel  auf  dem  Oelberg,  —  Judas 
und  die  Soldaten  reden  abwechselnd. 

L.  Kulman,  Die  Witfrau  (nach  1554)  IV  2,  der  Sohn 
entlehnt  redend  Krüge  in  verschiedenen  Häusern,  —  während 
die  Witwe  das  Oel  einfüllt. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  51 

J.  Ayrer  (vor  1605),  Julius  redivivus  Band  I,  S.  540,  3. 
—  Theodosius  Band  II,  S.  831,  14  Gespräch  —  während  der 
Einsiedler  liest.  —  Pelimperia  Band  II,  S.  894,  10.  —  Der 
alte  Buhler  Band  III,  S.  2254,  21. 

W.  Spangenberg,  Mammons  Sold  (1613)  755  Gespräch 
Sathans  und  des  Todes,  —  während  die  Weiber  Karten  spielen. 
801  Gespräch  Sathans  und  des  Todes,  —  während  die  Weiber 
trinken. 

De  sevenste  Bliscap  165  bis  305,  die  Juden  berathen  re- 
dend, —  während  Maria  stumm  ihre  Andacht  an  den  Stationen 
verrichtet. 

Gnaphaeus,  Acolastus  (1529)  I.  1,  V  101,  Eubulus  drückt 
in  einem  Monolog  seine  Absicht  aus  zu  Pelargus,  dem  Vater, 
zu  gehen,  —  während  dieser  nachsinnt,  ob  er  den  Sohn  ziehen 
lassen  soll.  II,  5,  während  des  Gesprächs  zwischen  Pelargus 
und  Eubulus  —  entschliesst  sich  der  Sohn  heimzukehren  und 
legt  die  Reise  zurück. 

Miracles  de  Nostre  Dame  Band  I,  L'abbesse  grosse  682 
Gespräch  des  Bischofs  mit  seinem  Clerus,  —  während  die 
Nonnen  in  ihrem  Kloster  beten. 

S.  im  modernen  Drama  die  Stücke  mit  wagrecht  oder 
senkrecht  getheilter  Bühne. 

Eine  für  die  moderne  Anschauung  weniger  auffallende 
Spielart  ist  es,  wenn  die  zwei  Vorgänge  sich  räumlich  so  nahe 
liegen,  dass  die  Personen  des  einen  den  zweiten  Vorgang  be- 
trachten, beobachten,  bespähen,  behorchen  können.  Siehe  die 
Scene  von  der  Verleugnung  Petri  im  Hofe  während  des  Ver- 
hörs Christi  in  den  Passionsspielen  des  Mittelalters. 

Fastnachtsspiele  N.  126,  S.  162,  16;  s.  S.  155,  14. 

H.  Sachs,  Sechs  Kämpfer  (1549)  Band  VIII,  S.  14,  3. 
—  Hecastus  (1549)  Band  VI,  S.  173,  19.  —  Die  Vertriebene 
Kaiserin  (1555)  Band  VIII,  S.  182,  28.  —  Der  hörnerne  Sieg- 
fried  (1557)  Band  XIH,  S.  170,  3,  Hildebrand  sieht  redend 
dem  stummen  Kampf  Siegfrieds  mit  dem  Berner  zu. 

Naogeorgus,  Pammachius  (1538)  II  4.  III  5,  V.  2017.  2485. 

4* 


52  X.  Abhandlung:    Heinzel. 

J.  Ayrer,  (vor  1605)  Theodosius  Band  II,  S.  819,  31.  — 
Pelimperia  Band  II,  S.  883,  19.  893,  17.  894,  1.  —  Ranms 
Band  III,  S.  1858,  19.  —  Zwei  fürstliche  Käthe  Band  HI, 
S.  2283,  6. 

Schiller,  Die  Bankettscene  in  den  Piccolomini. 

Anzengruber,  Der  Fleck  auf  der  Ehr,  Gesammelte  Werke 
IX,  S.  46.  Der  Text  läuft  in  drei  Spalten,  der  Wirt  rechnet 
laut,  Andrä  sieht  aufgeregt  der  stummen  Scene  zwischen  Hüb- 
mayr  und  Franzi  zu. 

Gnaphaeus,  Acolastus  (1529)  II,  3,  V.  498. 

Wenn  aber  beide  Vorgänge  Rede  verlangten,  so  konnten 
die  zwei  gleichzeitig  gedachten  Scenen  einander  folgen:  die 
Zeit  geht  zurück.  Innsbr.  M.  Himm.  1624.  1807,  Kath.  S.  168, 
Wien.  Pass.  337,  Alsf.  Pass.  2482  u.  8.  w.  .Ich  gedenke  an 
einem  anderen  Ort  darüber  zu  handeln. 

Fastnachtsspiel  von  König  Artus,  N.  127;  S.  198,  19ff. 
ist  gleichzeitig  mit  S.  199,  30  ff.  Vor  S.  198,  19  hatte  die 
Botin  der  Königin  von  Cypern  das  Hörn  König  Artus  gebracht, 
S.  198,  19  meldet  sie  ihrer  Herrin  die  Besorgung  des  Auf- 
trags, S.  199,  30  spricht  Artus  mit  den  Seinen  über  das 
Hörn.  Ir  Herren  vnd  frawen,  merekent  mich  eben!  Das  hören, 
das  man  vns  hat  geben ,  Und  das  gmachet  ist  von  spechem  list, 
Wellen  hören,  was  doch  sein  tugent  ist. 

Naogeorgus,  Pammachius  (1538)  I  5  und  I  6  sind  gleich- 
zeitig. I  4  waren  Pammachius  und  Porphyrius  bei  Kaiser 
Julianus,  haben  ihn  bedroht  und  sind  fortgegangen,  I  5  Mono- 
log des  empörten  Julianus,  I  6  Gespräch  zwischen  Pammachius 
und  Porphyrius  über  Julianus. 

Porphyrius:  Enimvero,  pater,  iratum  tu  Caesarem 

Liquisti.     Nonne  vides  guantum  deliberet 

Quam  spargat  huc  illucque  manus,  quam  iactitä 

Caput  f 

H  5  und  H  6  sind  gleichzeitig.  In  II  4  waren  Pam- 
machius und  Porphyrius  bei  Sathan,  Pammachius  hat  dem 
Sathan  zugeschworen  und  von  ihm  die  Krone  empfangen.  Dann 
haben   sich  Pammachius   und   Porphyrius   entfernt.     H  5   Ge- 


Abhandlungen  tum  altdeutschen  Drama.  53 

sprach  Sathans  mit  seinen  Genossen  über  die  Besucher.  II  6 
Painmachius  und  Porphyrius  reden  über  den  Erfolg  des  Be- 
suches bei  Sathan. 

III  5,  V.  2678  ff.  und  III  6  sind  gleichzeitig.  III  5  von 
V.  2678  ab  hat  Julianus,  der  mit  Nestor  bei  Pammachius  und 
Porphyrius  war,  sich  bei  diesem,  der  doch  sein  Verderben  will, 
noch  bedankt  und  sich  in  Gesellschaft  Nestors  entfernt.  Dieser 
klagt  V.  2678 ff.  heftig  über  die  Schande,  die  Julianus  er- 
dulden muss.  III  6  sprechen  Porphyrius  und  Pammachius  über 
Julianus. 

Porphyrius:  Bellus  profecto  homo  sum.     Mihi  etiam  gratias 

Aguntur  plurimae  summa  cum  iniuria. 

H.  Sachs,  Fastnachtsspiel  Der  böse  Rauch  (1551)  N.  28, 
139.     S.  oben  S.  44. 

J.  Ruf,  Teilenspiel  (1545)  1532—1581,  Ende  des  IV.  Acts: 
es  ist  der  Weihnachtstag,  der  Vogt  von  Samen  macht  sich 
mit  den  Knechten  auf  den  Weg  zur  Kirche  und  befiehlt  seiner 
Frau  die  Behütung  des  Schlosses.  1582 — 1865,  Anfang  des 
V.  Acts:  das  Weihnachtsfest  ist  nur  nahe,  Dxoyls  Wienecht 
fest  bald  nahen  tMt  1647.  W.  Teil  beräth  mit  den  Verbün- 
deten den  Ueberfall  auf  Samen,  sobald  der  Herr  zur  Kirche 
gegangen  wäre.     Der  Ueberfall  geschieht  1892. 

J.  Ayrer  (vor  1605)  Tarquinius  Priscus  Band  I,  S.  248,  24 
Streit  auf  der  Strasse,  er  wird  beendigt.  S.  250,  23  Tarquinius 
hört  in  seinem  Palast  den  Lärm  dieses  Streites  und  erkundigt 
sich  nach  der  Ursache. 

Passionsspiel  von  St.  Stephan  (17.  Jahrhundert)  S.  331a Nach- 
dem Longinus  die  Seite  des  Heilands  durchstochen,  befiehlt 
ihm  der  Schutzengel  dies  und  den  Tod  Jesu  seiner  Obrigkeit 
anzuzeigen.  Aber  Longinus  gehet  an  seinen  Ort.  S.  331 b  Reden 
Magdalenas  und  des  Schutzengels  unter  dem  Kreuz.  Dann: 
Longinus  gehet  zu  Pilato  und  meldet  das  Geschehene. 

Grillparzer,  Die  Jüdin  von  Toledo  II  1.  2,  Sämmtliche 
Werke  (1874)  Band  VII,  S.  177.  184;  die  zweite  Scene  Rahel 
und  Esther  im  Gartenhaus  ist  gleichzeitig  mit  der  ersten.  Der 
König,  der  am  Ende  der  ersten  ins  Gartenhaus  eingetreten  ist 
S.  148,  gelangt  erst  S.  186  zu  den  Mädchen. 


54  X.  Abhandlung:    Hein  sei. 

Towneley  Mysteries  S.  156  Symeon  im  Tempel  hört  die 
Ankunft  der  heil.  Familie  —  Spielan Weisung:  lunc  pulsabunt  — , 
diese  fasst  aber  erst  nachher  den  Entschluss  Christus  im  Tempel 
darzubringen. 

Marlowe,  Tamburlaine  II.  VI,  Band  I,  S.  201,  wird 
Babylon  von  Tamburlaine  belagert,  in  derselben  Scene  V.  4172 
erobert.  V  2  (S.  212)  V.  4335  wird  es  noch  belagert.  V  2  ist 
also  gleichzeitig  mit  einem  Theil  von  V  1,  und  geht  dem  fer- 
neren Verlauf  von  V  1  zeitlich  vorauf. 

Mystere,  La  Nativite'  de  N.  S.  Jhösu  Christ,  Jubinal 
Band  II,  S.  39  ff.  Joseph  und  eine  Anzahl  von  Jünglingen  sind 
im  Tempel  versammelt  und  der  Stab  Josephs  trägt  Blüthen. 
Er  wird  also  mit  Maria  vermählt,  gestattet  ihr  aber  im  Tempel 
zu  bleiben.     S.  41 

Le  premier  bachelier: 

Beaux  seigneurs,  veez  cy  grant  pitie. 
Diex  a  faxt  ä  Joseph  grant  gräce: 
Tont  maintenant  en  ceßte  place 
Sa  verge  porte  fieur  vermeille. 

Le  premier: 

Ralon8-nous  en  nos  pai8, 
Car  yey  ne  faisons-nous  rien 
De  no8tre  preu}  je  le  sgay  bien. 

Dieses  Gespräch  der  Jünglinge  ist  unmittelbar  nach  dem 
Wunder  zu  denken. 

Miracles  de  Notre  Dame  N.  X,  268. 

E.  Rigal,  Hardy  196. 

Calderon,  Guärdate  de  la  agua*  mansa,  s.  oben  S.  46.  La 
Dama  duende,  Band  I,  S.  206* ff.  Zimmer  der  Angela,  von 
dem  aus  Don  Manuel  mit  der  Zofe  Isabel  durch  eine  Seiten- 
thür  links  in  das  anstossende  Zimmer  Don  Manuels  gehen. 
Don  Juan  tritt  bei  Angela  ein,  unterredet  sich  mit  ihr,  dann 
gehen  beide  ab.  Die  folgende  Scene  ist  im  Zimmer  Don  Manuels, 
der  mit  Isabel  eintritt. 


▲bhandlaogen  zum  altdeutschen  Drama.  55 

Isabel:  Aqui  has  de  quedarte,  y  mira, 

Que  no  hagas  ruido;  que  pueden 
sentirte. 

Diese  Worte  können  nur  gedacht  sein,  während  der  Unter- 
redung Angelas  mit  Don  Juan  in  Angelas  Zimmer.  —  S.  207 b 
Zimmer  Don  Manuels:  anwesend  Don  Manuel,  Isabel  und  der 
Diener  Cosme.  Isabel  führt  Cosme  durch  die  Thlir  rechts  in 
das  anstossende  Zimmer  Angelas ;  Monolog  Don  Manuels. 
Zimmer  der  Angela:  Angela  redet  mit  Beatriz.  Isabel  und 
Cosme  treten  ein,  Cosme  spricht  mit  Angela.  Dieses  Gespräch 
muss  gleichzeitig  mit  dem  Monolog  Don  Manuels  sein.  — 
S.  208 a  Zimmer  der  Angela;  anwesend  Angela,  Beatriz,  Isabel, 
Cosme.  Isabel  und  Cosme  gehen  durch  die  Thiir  links  in  Don 
Manuels  Zimmer.  Gespräch  Angelas  mit  Beatriz  und  dem 
eintretenden  Don  Luis.  Dieser  geht  auch  links  ab  in  das 
Zimmer  Don  Manuels.  Gespräch  der  zurückbleibenden  An- 
gela und  Beatriz.  Zimmer  Don  Manuels:  Isabel  und  Cosme 
treten  ein:  Rede  Isabels  und  Don  Manuels,  Rede  Don  Luis, 
der  auch  eintritt.  Die  Rede  Isabels  und  Don  Manuels  wie 
die  des  Don  Luis  sind  während  des  letzten  Gesprächs  der  in 
Angelas  Zimmer  zurückgebliebenen  Angela  und  Beatriz  zu 
denken. 


V.  Uebcr  das  Mcdicnsspiel  und  die  lustige  Person  der 

alten  Bühne. 

Creizenach  I,  S.  120  vermuthet,  dass  die  Figur  des 
Wunderdoctors,  wie  sie  die  bekannten  Scenen  der  Osterspiele 
und  Passionen  seit  1300  zeigen,  S.  90,  von  den  deutschen  Spiel- 
leuten schon  eher  ausgebildet  worden  sei,  bevor  sie  in  die  geist- 
lichen Spiele  aufgenommen  wurde.  S.  382  verweist  er  auf  Rute- 
beufs  Dit  de  Therberie  (1260),  wo  ein  Quacksalber  erst  in  Versen 
dann  in  prosaischer  Rede  von  seinen  weiten  Reisen  und  aben- 
teuerlichen Heilmitteln  erzählt.  S.  Kressner  S.  115,  Jubinals  Aus- 
gabe I,  S.  250  und  die  Parallelen  in  den  Anmerkungen  I,  S.  408. 
475,  die  komischen  Monologe  Les  Ditz  de  maitre  Aliboron, 
Watelets  Maitre  Hambrelin  (1531),  La  fille  basteliire,  Petit  de 
Julleville  V,  S.  141.  167.  189.    266.  275.  276;   eine  provenza- 


56  X.  Abhandlung :    Heinxel. 

Ksche  Fassung  ist  sogar  älter  als  Rutebeuf,  Rayinon  d'Avignon, 
Komania  XIV,  S.  496.  S.  auch  den  Maitre  Aliboron  in  Ju- 
binals  Mystferes  inödits  II,  S.  146.  287,  die  Aerzte  in  der  Vcn- 
geance  de  Notre  Seigneur,  Petit  de  Julleville  II,  S.  451.  Vgl. 
Lier,  Studien  zur  Geschichte  des  Nürnberger  Fastnachtsspiels 
I  S.  61  ff.  Du  Meril  dachte  an  eine  französische  weltliche  selbst- 
ständige Quacksalbercomödie,  s.  Michels  Studien  S.  49,  A.  von 
Weilen  an  eine  italienische,  deutsche  Literaturzeitung  1891, 
S.  1412. 

In  der  That  scheint  manches  darauf  hinzuweisen,  dass 
die  Quacksalberscenen  unserer  geistlichen  Spiele  einmal  eine 
selbständige  Existenz  geführt  haben,  wenn  auch  Kaufleute, 
von  welchen  Magdalena  die  Salbe  für  den  todten  Christus 
kaufte,  schon  den  ganz  lateinischen  liturgischen  oder  halb- 
liturgischen Osterfeiern  bekannt  waren,  so  der  Feier  von  Tours 
(12.  Jahrhundert),  Milchsack,  Oster-  und  Passionsspiele  S.  97 
und  von  Prag  (14.  Jahrhundert),   Lange,   Osterfeiern  S.  166. 

Darauf  führt  das  Schwanken  zwischen  Kaufmann  und 
Arzt.  Das  Ben.  Pass.  hat  nur  einen  Mercator  27.  $2  in  der 
Spielanweisung,  den  Magdalena  als  venditor,  mercator  und 
chramer  anspricht  27.  35.  82,  als  sie  für  sich  und  den  lebenden 
Christus,  der  bei  Simon  zu  Qast  ist,  Schminke  und  Salbe  kauft. 

Das  Muri.  Ost.  H.  hat  Paltenaere  in  Spielanweisung  und 
Rede  6.  10.  24.  151,  Institor  39.  158.  170  in  der  Spielanweisung. 

In  Frankf.  Pass.  Dir.  erscheinen  in  Spielanweisung  und 
Rede  mercatores  270.  272.  274.  276,  Koufman  273,  279,  — 
aber  nach  276  uxor  mercatoris  dicat:  Ey:  meister  —  heisst 
es:  Medicus  respondeat:  Swig,  habe,  laz  diu  — .  Hie  percutiat 
uxorem  que  fleat,  et  dicat  uxor  alterius  medici:  Achilang 
leyder  — . 

In  Innsbr.  Ost.  H.  nennt  die  Spielanweisung  die  fragliche 
Person  Mercator  455 ff.  Aber  Rubin,  sein  Knecht,  singt  531 
hye  komt  meister  Ypocras  de  gratia  divina,  sin  mtiter  eyner 
meister  (?)  eyn  slegel  vras  in  arte  medicina,  s.  551,  und  642  sagt 
er:  Ja  bin  ich  xeorden  eyns  areztes  Knecht.  848  fragt  die  eine 
der  drei  Marien  Rubin  um  einen  Mann,  der  czü  arztige  ich 
gerate  kan;  880.  884. 

In  Wien.  Pass.  heisst  die  Person,  von  der  Magdalena 
Schminke  für  sich  kauft,  in  der  Spielanweisung  283.  287.  291, 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drain».  07 

institor,  im  Text  venditor  279,  cramer  287,  —  aber  in  der 
Spielanweisung  279  medicus. 

Im  Alsfelder  Passionsspiel  mercator,  Koufman  in  Spiel- 
anweisung und  Rede,  7558.  7582.  7588  mercator  Ypocras, 
7593.  7598.  7608,  7623.  Aber  7483  Servus  medici,  Rubinus, 
exclamat  medicinam  magistri  sui  Ypocratis:  Hie  est  magister 
Ypocras  de  gracia  bovina,  non  est  inventus  melior  in  arte  me- 
diana; s.  Spielanweisung  7545. 

In  Erl.  Ost.  reden  die  drei  Marien  777  die  Person  mit 
mercator  an,  welche  sonst  seit  81  in  der  Spielanweisung  immer 
medicus  genannt  wird,  sich  Meister  nennt  83,  und  immer  als 
Arzt  benimmt.  Auch  seine  Frau  nennt  die  Spielanweisung 
medica7  seit.  376. 

In  Wien.  Ost.  H.  hat  die  Spielanweisung  Kaufman  S.  313, 
5.  314,  7.  317,  23,  Mercator  S.  315,  19.  317,  25.  318,  1,  9. 
319,  3.  21.  31.  320,  15.  23.  25.  321,  2.  18.  28,  der  Kramer 
S.  320,  7,  für  die  Frau  Mercatrix  S.  320,  11.  19.  24.  321,  1. 
8.  26,  320,  5  spricht  sie  von  meinem  kram,  —  aber  S.  314,  13 
nennt  die  Spielanweisung  den  Mann  medicus,  ebenso  S.  314, 
21.  315,  1.  315,  31,  315,  9  der  arzt,  die  Frau  die  erztin 
S.  321,  1,  und  im  Text  gebärdet  sich  der  Mann  immer  als 
Arzt,  S.  313,  5  Ich  bin  nemlich  komen  von  Pareis:  Uf  erztei 
habe  ich  geleget  meinen  vleiss  u.  s.  w. 

In  Wolf.  Ost.  nennt  die  Spielanweisung  einen  mercator 
31.  39.  59;  so  nennen  ihn  auch  die  drei  Frauen  35,  oder  cra- 
mer 43,  —  aber  43  singen  sie: 

Sage  uns,  cramer,  leve  vrunt, 
is  dy  van  arsedige  icht  kunt, 
edder  hestu  jennige  salve  gut, 
dar  na  so  steit  uns  de  mutf 

Ad  Robin. 

Wilkome,  leve  iungelin, 
God  de  beter  al  din  ding, 
Westu  jennigen  man, 
50     De  uns  to  arsedige  raden  kan? 

Darauf  antwortet  der  Mercator,  dass  er  viele  Jahre  auf  dies 
Studium  verwendet   habe   und  sie  nennen  ihn  55.    68  meister. 


58  X.  Abhandlung:    He  in  sei. 

Nur  die  Vorstellung  von  einem  Apotheker  findet  sich 
im  Don.  Pass.  193,  als  Magdalena  Salbe  für  den  lebenden 
Christus,  4047  als  die  drei  Marien  sie  für  den  todten  Christus 
kaufen. 

Nur  die  von  einem  Arzt,  der  eine  Apotheke  hält  in 
Eger.  Pass.  7872;  s.  die  Spielanweisung  Medicus  7864.  7866. 
7892.  7898,  die  Frauen  nennen  ihn  meister  7888.  —  7880 
heisst  Rubin  sie  zu  seinem  Herrn  meister  Symon  gehen,  der 
hat  sein  appotecken  auff  gestellt 

Dass  sich  dieses  Schwanken  blos  daraus  erkläre,  dass 
der  Arzt  in  der  That  auch  das  Gewerbe  eines  Verkäufers  aus- 
üben konnte,  ist  nicht  wahrscheinlich,  da  so  alte  Spiele  wie 
Ben.  Pass.  und  Muri.  Ost.  H.  nur  einen  Kaufmann  kennen. 

Das  Motiv  des  Streites  zwischen  dem  Verkäufer  und 
seiner  Frau  scheint  schon  aus  jener  Epoche  zu  stammen,  wo 
der  Verkäufer  nur  ein  Mercator,  kein  medicus  war,  denn  in 
der  Eingangsprocession  von  Ben.  Pass.  wird  mercator  et  uxor 
sua  aufgeführt.  Das  beweist  zwar  nicht,  wie  Creizenach  I, 
S.  100  anzunehmen  scheint,  dass  in  dem  verlorenen  Schluss 
des  Ben.  Pass.  die  Streitscene  zwischen  dem  mercator  und 
seiner  Frau  vorkam,  denn  es  wird  neben  Pilatus  auch  seine 
Frau  in  der  Procession  erwähnt,  die  entschieden  nicht  mit- 
spielte, da  unser  Stück  keine  Scene  mit  ihrem  Traum  und 
der  Intervention  bei  Pilatus  kennt,  —  aber  es  muss  ältere 
Stücke  als  Ben.  Pass.  gegeben  haben,  die  den  Streit  zwischen 
dem  Kaufmann  und  seiner  Frau  enthielten. 

Bemerkenswerth  ist  auch,  dass  im  Erl.  Ost.  57  die  Scenen, 
in  denen  der  Krämer  auftritt,  als  ein  besonderes  Spiel  be- 
zeichnet werden.  Tunc  veniat  Rubinus  proclamando  ludum: 
Hie  lauft  Gumpolt,  Rumpolt,  Harolt,  Marolt  u.  s.  w. 

63     Nu  hört  all  gemain, 

paide  gross  und  chlain, 
65     Main  und  grosz, 

rauch  und  plosz, 

arm  und  reich, 

nu  hört  all  geleich! 

wir  wellen  haben  spil, 

des  ist  nicht  wenig  und  nicht  ml. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  59 

dar  an  sol  uns  nimant  wenkchen  (1.  krenken?) 
ob  wir  an  den  reimen  icht  wenkchen. 

7ji  Rubinus  63  gibt  eine  Randbemerkung  Precursor. 

Dem  entspricht  933  ein  Epilog.     Et  sie  medicus  surgens 

et  recedat.     Pusterbale  benedicens  populum: 
« 
Ir  herrn,  got  müsz  euch  gesegen, 

ir  habt  unser  zwar  wol  gephlegen.  \ 

935     habt  ir  von  uns  icht  nuez  gen&men, 
es  mag  euch  wol  ze  reun  ch&men. 
ir  habt  grosz  geschafft, 
mich  tunkcht,  wir  haben  euch  geäfft 
mit  unserm  groszn  tant. 

0 

940     wir  haben  noch  verrer  in  unser  lant; 
also  ge  wir  von  dann 
und  lasz  wir  Mar  ein  zann! 

• 

Obwohl  der  letzte  Vers  wieder  an  das  Osterspiel  an- 
knüpft, erinnert  doch  das  Ganze  an  die  Abschiedsreden  der 
Schauspieler  in  den  Fastnachtsspielen. 

Dazu  kommt  die  Erwägung,  dass  ein  fahrender  eben 
angekommener  Krämer  oder  Arzt  für  den  Zweck  des  Stückes 
nicht  nothwendig  ist,  da  die  drei  Marien  ihre  Salbe  auch  von 
einem  Ansässigen  kaufen  konnten,  und  dass  die  Dingung  eines 
Dieners  durch  den  Krämerarzt,  zum  Theil  auch  durch  Rubin, 
so  wie  die  Entführung  der  Frau  durch  Rubin  mit  der  Haupt- 
handlung gar  nicht  oder  nur  sehr  lose  zusammenhängen.  Aller- 
dings ist  die  Frau  durch  die  Schläge,  welche  sie  von  dem 
Krämerarzt  wegen  des  Handels  mit  den  drei  Marien  bekommen 
hat,  willig  sich  von  Rubin  entführen  zu  lassen.  Aber  das  ist 
möglicherweise  eine  späte  Anknüpfung;  sie  konnte  ihre  Schläge 
ursprünglich  auf  Anlass  eines  anderen  Geschäfts  erhalten  haben. 

Und  in  der  That  fehlt  es  der  weltlichen  Bühne  Frank- 
reichs, Englands  und  Deutschlands  nicht  an  Stücken,  in  welchen 
der  komische,  meist  marktschreierische  Arzt  die  erste  oder 
doch  eine  wichtige  Rolle  spielt.  S.  die  oben  S.  55  angeführten 
französischen  Stücke,  —  the  Play  of  the  sacrament  (1461), 
Transactions  of  the  philological  society  1860/61,  —  Fastnachts- 
spiele N.  6.  48.  82.  85.  98.  101.  114.  120,   O.  Zingerle  N.  4. 


00  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

6.  19.  21.  22.  24;  R.  Brandstetter,  Regenz  S.  8b  fahrt  ein 
ungedrucktes  Luzerner  Spiel  an,  das  er  den  Wunderdoctor 
nennt.  Oft  ist  dieser  Arzt  von  seinem  auch  komischen  Diener 
begleitet. 

Aber  die  Handlungen  der  Oster-  und  Passionsspiele,  dass 
der  Arzt  einen  Diener  miethet,  der  Zank  zwischen  dem  Arzt 
und  seiner  Frau,  die  Entführung  dieser  durch  den  Diener, 
kehrt,  so  viel  mir  bekannt,  nur  bei  O.  Zingerle  N.  4  wieder, 
zusammen  mit  dem  Namen  Ipocras  und  Rubein. 

Hier  läge  nun  ein  Fastnachtsspiel  vor,  das  blos  die 
Arzt-Krämersccnen  ohne  die  in  dem  geistlichen  Drama  damit 
verbundenen  von  den  drei  Marien  enthält.  Ist  dieses  Spiel, 
oder,  da  es  in  der  gegenwärtigen  Gestalt  ja  dem  16.  Jahr- 
hundert angehört,  eine  ältere  Form  derselben  Quelle  fiir  die 
betreffenden  Scenen  in  den  Oster-  und  Passionsspielen?  Ich 
glaube  nicht. 

Es  scheint  vielmehr  aus  der  Verbindung  mit  einem  geist- 
lichen Spiel  ausgelöst  worden  zu  sein.  In  der  Rede  des  Arztes 
336  heisst  es: 

Zbar  nun  pin  ich  gar  verdorben, 
den  leyttn  ist  ain  froindt  gestorbn, 
Dy  da  woltn  deiner  salben  kaufen 
vnd  zu  im  frointen  laufen. 

S.  auch  unten  352  Arczt: 

Rubein ,  du  solt  pald  lauffn 
vnd  schrey  ausz7  ob  iemandt  woll  kauffn     • 
Dye  vill  edlen  salben,  dy  ich  den  hany 
355     dauon  ain  toter  mocht  auf  stan 
Als  ain,  den  man  mit  ahn  scheyt 
er  schlecht  auf  ainer  haydn  weyt} 
Vnd  haisz  Sy  komen  frolich  dar; 
ich  wil  ins  geben  wolfayll  zbar. 

Die  erste  Stelle  gehört  von  337  an  vielleicht  nicht  dem 
Arzte,  sondern  einem  seiner  Diener,  der  nach  einer  Lücke 
zwischen  336  und  337  spricht. 

Jedenfalls  aber  enthält  sie  eine  Beziehung  auf  die  drei 
Marien,  stammt  also  aus  einem  Osterspiel.  S.  Innsbr.  Ost.  H.  82b 
der  Krämerarzt  zu  Rubin: 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  Gl 

ich  sehe  dort  in  eyner  awen 

dry  schone  frawen, 

sjj  weynen  sere  und  clagen, 

ich  werte,  ir  here  sjf  sere  geschlagen. 

Vgl.  Erl.  Ost.  710,  Eger.  Pass.  7866 ,  Wien.  Ost.  H. 
S.  318,  5,  Wirth,  Die  Oster-  und  Passionsspicle  170. 

Auch  die  ungemeine  Verworrenheit  des  tiroüschen  Stückes, 
s.  V.  Michels  Studien  über  die  ältesten  Fastnachtsspiele  S.  52, l 
ist  der  Annahme  eines  selbständigen  Fastnachtsspiels  nicht 
günstig.  41  ist  Treybmschalck  Diener  des  Arztes,  63  sucht 
dieser  einen  Diener,  135  hat  er  sogar  schon  einen  Knecht 
Pusterbalg,  143  aber  ist  Pusterbalg  nicht  Diener,  sondern  Pa- 
tient des  Arztes,  195  wird  dieser  geheilte  Patient  vom  Arzt 
als  Diener  angenommen,  307  aber  ist  er  wieder  der  Knecht 
Rubeins. 

Auch  der  Streit  zwischen  dem  Arzt  und  seiner  Frau  360  ff. 
ist  viel  weniger  motivirt  als  in  den  Osterspielen  und  Passionen, 
wo  sie  den  Preis  bemängelt,  den  er  den  drei  Marien  für  die 
Salbe  macht.  Sie  ist  allerdings  324  mit  Rubein  durchgegangen 
aber  als  sie  360  wieder  erscheint,  ist  davon  gar  nicht  mehr 
die  Rede  und  er  schlägt  sie,  weil  sie  sich  ganz  im  Allgemeinen 
über  seine  Geschäftsführung  geringschätzig  ausgesprochen  hat. 

Zudem  wären  wir  bei  der  Annahme  eines  Spiels  wie 
Zingerle  N.  4  als  Grundlage  der  Krämerarztepisode  in  den 
Oster-  und  Passionsspielen  genöthigt,  die  Entstehung  des  deut- 
schen Fastnachtsspiels  ins  13.  Jahrhundert  zu  verlegen,  vor 
Ben.  Pass.,  8.  oben  S.  58,  worauf  sonst  nichts  führt.  Denn  die 
Thymelici,  welche  nach  Canon  83  des  Achener  Concils  von  816 
spectacula  in  scenis  und  in  nuptiis,  wahrscheinlich  unanständige 
Possen,  aufführten,  da  die  Geistlichen  sie  nicht  anhören  sollen, 
vgl.  die  Warnung  AIcuins,  Rachd  Schulkomödie  S.  6,  das  Frauen- 
turnier  von  Tolenstein,  das  Wolfram  als  Fastnachtsbelustigung 
erwähnt,  Parz.  VIII  409.  8,  so  wie  andere  Fastnachtsscherze, 
über  die  V.  Michels  Studien  S.  94  handelt,  brauchen  in  keinem 
Zusammenhang  mit  dem  Fastnachtsspiel  des  15.  Jahrhunderts 


1  Diese  Schrift  ist  mir  erst  zugekommen,  als  mein  Mannscript  bereits  der 
Druckerei  übergeben  war. 


t 


62  X.  Abhandlung:    HeinseL 

zu  stehen.  Ein  solcher  ist  vielmehr  bei  dem  Mangel  an  Binde- 
gliedern sehr  unwahrscheinlich. 

Auch  F.  Vogt,  in  PauPs  Grundriss  II,  1,  S.  397  nimmt  im 
Allgemeinen  an,  dass  die  Fastnachtsspieldichter  komische  Scenen 
aus  den  geistlichen  Spielen  herübergenommen  haben,  ebenso 
V.  Michels  a.  a.  O.  S.  52. 

Was  die  Tiroler  Spiele  anbelangt,  so  scheint  auch  N.  6 
Doctor  Knoflach  aus  einem  Gerichtsspiel  zu  einem  Medicus- 
spiel  gemacht  worden  zu  sein.  Denn  wie  kommt  ein  Arzt 
dazu  eine  Ehe  zu  scheiden? 

Ebenso  wenig  liesse  sich  ein  Zusammenhang  zwischen  der 
komischen  Scene  von  dem  Blinden  des  Evangeliums  und  seinem 
Diener  Alsf.  Pass.  1430  und  dem  französischen  Dialog  des 
13.  Jahrhunderts,  in  welchem  ein  Blinder  von  einem  Diener 
betrogen  wird,  nachweisen;  s.  Creizenach  I  397.  267. 

Immerhin  aber  geht  aus  dem  Obigen  hervor,  dass  sich  in 
Deutschland  schon  im  14.  Jahrhundert,  s.  Frankf.  Pass.  Dir., 
Innsbr.  Ost.  H.,  eine  komische  Scene,  wenn  auch  innerhalb  des 
geistlichen  Schauspiels  ausgebildet  hatte,  mit  festen  Charakteren 
und  den  Namen  Ipocras  und  Rubin.  Ipocras  heisst  auch  ein 
Weiser  ohne  komischen  Anstrich  im  Spiel  von  der  heil.  Ka- 
tharina S.  164,  Rubin  wird  der  Diener  des  Arztes  auch  bei 
Zingerle  N.  21,  V.  201  genannt,  der  Arzt  selbst  Fastnachts- 
spiele N.  66;  ebenso  eine  lustige  Person  in  einem  Schwerttanz- 
spiel, Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  XIX,  S.  204,  V.  77. 104  ff. 
148  (Ruwey) ,  in  einem  andern  Schwerttanzspiel  Zs.  XXXIV, 
S.  199  (Robent),  ein  Narr  in  der  Comödie  Die  Narrenschule, 
wie  Weinhold,  Gosches  Jahrbuch  I  39  anführt,  nebst  vielen  an- 
dern Narrennamen  in  demselben  Stücke,  ein  Jude  Wien.  Ost 
H.  S.  300,  18,  ein  Jude  Alsf.  Pass.  3160  (Rupia)*  ein  Teufel 
in  Mauritius'  Comoedia  vom  Schulwesen  1606  JRuffin),  ein 
Bauernknecht  Fastnachtsspiele  N.  55  (Rubling).  Bekannt  ist 
der  Waltherianer  Rubin.  Wolf.  Ost.  47  ist  die  Form  Robin, 
was  wohl  das  ursprüngliche,  d.  i.  die  französische  Gestalt  des 
Namens  sein  wird.  Auch  kommt  in  einer  Farce  bei  Leroux 
de  Lincy  Band  III  ein  Badin  Robmet  vor,  ein  dummer  Diener, 


1  S.  den  Juden  Rewfin  im  Ludus  Coventriae  S.  262. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  63 

den   seine   verwittwete    Herrin  heirathet,   ein  Diener  Robinet, 
Miracles  de  Nostre  Dame  N.  XVI  712. 

Wenn  im  Innsb.  Ost.  H.  481  Ipocras  zu  Rubin,  der  sich 
eben  genannt  hat,  sagt:  Du  sprichz  gar  an  argen  wan,  ez  ist 
gar  eyn  stolczer  nam9  und  Rubin  empfindlich  antwortet:  Here, 
der  nam  ist  nicht  alleyn  myn9  ir  moget  selbir  eyn  schalle  sin, 
so  sieht  man,  dass  schon  im  14.  Jahrhundert  der  Name  Rubin 
einen  verächtlichen  Sinn  bekommen  hatte.  Ebenso  wird  fran- 
zösisch ein  Mensch  geringer  Herkunft,  ein  Bauer  Bobin  ge- 
nannt, Petit  de  Julleville  I,  S.  235;  s.  Robin  und  Marion  von 
Adam  de  la  Halle,  13.  Jahrhundert,  und  Robin,  den  Natur- 
burschen in  den  Pastourelen. 

Im  älteren  deutschen  Theater  heisst  die  lustige  Person 
öfters  ,Rüpel,  RiepeK  Aus  dem  16.  Jahrhundert  zwar,  wohin 
ihn  J.  Grimm,  Mythologie  I4,  S.  417  und  Wackernagel,  Ger- 
mania V,  S.  353  versetzen,  vermag  ich  kein  Beispiel  anzu- 
führen. Aber  aus  dem  17.  Jahrhundert  weist  mir  ihn  A.  v. 
Weilen  nach  in  dem  deutschen  Interludium  des  Wiener  lateini- 
schen Jesuitendramas  Septennium  Romano-Imperatorium  1665 
(Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  N.  13225),  ferner  in 
Stranitsky's  Haupt-  und  Staatsactionen,  abgesehen  von  den 
Erwähnungen  in  andern  Schriften.  Bolte  kennt  ihn  aus  einem 
Salzburger  Stück  von  1749.  S.  Rüpel  im  DWB.  und  Devrient, 
Geschichte  der  deutschen  Schauspielkunst  I,  S.  137.  314.  329. 

Wenn  der  erwähnte  französische  Badin  nur  zufällig  ein- 
mal Robinet  heisst,  so  ist  der  Name  Rubin,  Robin  für  die 
lustige  Person  in  den  Spielen  des  14.  Jahrhunderts  vielleicht 
in  Deutschland  aufgekommen.  Die  französische  Form  desselben 
könnte  sich  erklären  wie  Ritschart  im  Biterolf,  duc  Loys  für 
den  Baiernherzog  in  Albrechts  Titurel,  San  Marte  Parcival  H, 
S.  283,  der  Prior  Loi,  Fastnachtsspiel  N.  22,  S.  202,  7  und  wie 
die  gegenwärtigen  Jean  und  Louis. 

Aber  auch  in  England,  wo  der  Name  Robin  seit  dem 
Sohne  Wilhelm  I.  eingebürgert  ist,  s.  Skeat  Etymological 
Dictionary,  Ludus  Coventriae  S.  131  Robin  Rede  unter  vielen 
sehr  bürgerlichen  Namen,  begegnet  ein  Robin,  nämlich  Robin 
Hood,  oder  eine  Mischung  des  berühmten  Outlaw  mit  dem 
Kobold  Robin  good  fellow,  als  dramatische  Person  in  den  Mai- 
spielen,   allerdings   erst  in    Zeugnissen   des   16.  Jahrhunderts. 


64  X.  Abhandlung:     Hein  sei. 

S.  Child  English  and  scottish  ballads  V,  S.  420  ff.,  Einleitung 
S.  XXVII.  XXXVI,  A.  Kuhn,  Zs.  V,  S.  481,  Creizenach  L 
S.  455. 

Da  die  Kobolde,  wie  J.  Grimm,  Mythologie*  S.  416  Anm. 
bemerkt,  eine  unverkennbare  Aehnlichkeit  mit  dem  witzigen 
Hofnarren  zeigen,  zu  den  Zeugnissen  bei  A.  Schultz,  Höfisches 
Leben  I2  S.  207,  s.  auch  Wolfram  Parz.  V  229,  4,  und  weiter 
mit  der  lustigen  Person  des  Dramas,  die  ja  mit  dem  Hofnarren 
die  Kleidung,  Weinhold  über  das  Komische,  Gosches  Jahrbuch  I 
S.  39,  Petit  de  Julleville  III,  S.  146,  und  den  Namen  fou  ,Narr* 
gemein  hatte,  Petit  de  Julleville  I,  S.  267,  II,  S.  482.  490,  seit 
es  in  Frankreich  eine  eigene  lustige  Person  im  Drama  gab, 
d.  i.  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  —  in  Deutschland, 
Rubin  ausgenommen,  nicht  vor  dem  16.  Jahrhundert,—  so  wurde 
man  in  letzter  Linie  auf  den  Knecht  Ruprecht  geführt ;  J.  Grimm, 
Mythologie4,  S.  417.  425.  782,  zu  dessen  Namen  Robin  und 
Rüpel  als  Deminutivbildungen  gehörten. 

Rubin  ist  sonach  der  ältere  Name  für  diejenige  Person 
des  deutschen  Lustspiels,  die  man  bei  den  englischen  Comö- 
dianten  Pikelhäring,  auch  Bicklingshering  nannte.  Dass  dieser 
Name  ganz  deutschen  Ursprungs  sei,  wie  Creizenach  Die  eng- 
lischen Comödianten  S.  XCIV  annimmt,  glaube  ich  nicht,  trotz- 
dem Pickelherinc  für  den  Fisch  als  Speise  mnd.  bezeugt  ist, 
s.  Schiller  und  Lübben  WB.,  —  weil  er  bei  diesen  fremden 
Truppen  zuerst  erscheint,  noch  früher  ein  ähnlicher  ,Stockfisch* 
für  den  Schauspieler  Spencer,  und  weil,  wie  Creizenach  da- 
selbst anführt,  Veselovskij  auf  vlämische  Holzschnitte  des 
15.  Jahrhunderts  verwiesen  hat,  die  einen  Narren  darstellen 
mit  einem  Häring  —  als  Mahnung  an  die  Fastenzeit  —  über 
der  Narrenkappe;  s.  J.  Schwering,  zur  Geschichte  des  nieder- 
ländischen und  spanischen  Dramas  in  Deutschland,  S.  94. 

Die  ältesten  Zeugnisse  für  die  Beziehung  des  Narren,  fou, 
der  doch  mit  der  lustigen  Person  des  Dramas  so  grosse  Aehn- 
lichkeit hat,  zu  Fischen,  stammen  aus  der  französischen  Litte- 
ratur  des  13.  Jahrhunderts.  So  in  Tristan  als  Narr,  Hs.  Douce, 
Tristan  ed.  F.  Michel  II,  S.  103.   Tristan  sagt  von  sich: 

Ma  mere  fu  une  baieine, 
En  mer  hantat  cume  sereine 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  65 

S.Bartsch:  Romanzen  und  Pastourelen,  Romanzen  N.  28,  wo 
ein  Mädchen  in  phantastischem  Aufzug  singt: 

Le  rosignox  est  mon  pere, 
qui  chante  sor  la  ramee 
el  plus  haut  boscage, 
la  seraine  ele  est  ma  mere, 
qui  chante  en  la  mer  salee 
el  plus  haut  rivage. 

Tristan  als  Narr,  Hs.  von  Bern,  Michel  I,  S.  222: 

Fox7  con  as  nonf  G'e  non  Picous. 
Qui  t'engendrat  Uns  valerox. 
De  qui  t'ot-ilf  D'une  balaine. 

Wie  Creizenach  S.  XCV  nachweist,  sagt  Pickelhäring  im  Ulmer 
Puppenspiel  von  Dr.  Faust,  sein  Vater  heisse  Stockfisch,  seine 
Mutter  Blatteisz;  eben  dasselbe  Simplicissimus  als  Narr. 

Man  mag  vermuthen,  dass  auch  Pikel-  von  Pikelhäring  in 
dem  Namen  Picous  des  Tristangedichtes  bewahrt  ist,  da  Picous 
ein  Picols  voraussetzt.  Pecol}  picoul,  picouil  heisst  nach  Gode- 
froy  unter  anderem  ,manche  de  faux',  ,un  baston  ferro',  picolet 
,petit  crampon',  —  könnte  sich  also  auf  die  Pritsche  des  Narren 
beziehen,  die  macue,  wie  sie  in  Tristan  als  Narr  Hs.  Bern, 
Michel  I,  S.  221  genannt  wird,  —  der  cholbe  in  einem  deutschen 
Gedicht  des  12.  Jahrhunderts,  Zeitschr.  XX,  S.  348.  Aber  es 
gibt  auch  andere  Möglichkeiten.  Puck  ist  als  Kobold  in  Eng- 
land seit  dem  14.  Jahrhundert  nachgewiesen,  s.  Skeat,  Etymo- 
logical  Dictionary.  In  der  französischen  Farce  Maitre  Ham- 
brelin  (a.  1537),  Petit  de  Julleville  V,  S.  275,  gibt  sich  der 
Titelheld,  der  Diener  des  maitre  Aliborum,  für  den  Vetter 
Pacolets  aus,  eines  bekannten  Kobolds,  J.  Grimm,  Mythologie  III, 
S.  137.  313.  Auch  der  Teufel  Puck  im  Redentiner  Oster- 
spiel 1312.  1454  hat  eine  komische  Rolle.  Doch  könnte  hier 
wieder  die  Namensform  Beelczebuck,  Belczbugk,  Belczebüg, 
Cass.  Weihn.  760,  Alsf.  Pass.  380,  Zehn  Jungfr.  S.  25  in  Be- 
tracht kommen.  Die  Verwendung  der  Namen  Puck,  Pouke 
fiir  den  Teufel,  als  helle  pouke  oder  pouke  allein  ist  seit  dem 
14.  Jahrhundert  zu  belegen,  Skeat,  Zu  Langlands  Vision  of 
William  XVI  164. 

SitzimgBber.  d.  phil.-hirt.  Cl.  CXXUV.  Bd.  10.  Abh  5 


66  X.  Abhandlung:    Heins« L 

Ueber  andere  Beziehungen  zwischen  dem  geistlichen  Drama 
und  dem  weltlichen,  dem  Fastnachtsspiel,  s.  Wirth,  Oster-  und 
Passionsspiele  S.  170.  173.  179.  214.  Dazu  kommen  die  Fast- 
nachtsspiele N.  56.  57.  111,  in  denen  der  Teufel  eine  ähnlich 
wichtige  Rolle  spielt  wie  in  vielen  geistlichen  Dramen,  dann 
die  ernsten  Fastnachtsspiele,  welche  zum  Theil  dieselben  Stoffe 
behandeln  wie  die  geistlichen  Spiele,  Wackernagel,  Literatur- 
geschichte II8,  S.  110,  die  Antichristspiele  N.  1.  20.  68,  s.  das 
Tegernseer  Spiel  und  Creizenach  I,  S.  232,  —  Salomon  und 
die  zwei  Mütter,  Fastnachtsspiele  N.  60,  Schnorr's  Archiv  III, 
N.  III,  s.  Eger.  Pass.  1069,  Wolf.  Sund.  2386,  —  Susanna,  Fast- 
nachtsspiele N.  111,  —  und  die  vielleicht  als  Fastnachtsspiele 
gemeinten  Spiele  von  Jutta,  vom  heil.  Kreuz,  vom  heil.  Georg 
N.  125.  126.  129. 


VI.  Beziehungen  zwischen  dem  altfranzösischen 

und  altdeutschen  Drama. 

Der  Einfluss  des  französischen  Dramas  geistlich-liturgischer 
Art  auf  das  deutsche  scheint  sehr  gering  gewesen  zu  sein.  Ist 
es  doch  im  13.  14.  Jahrhundert  entschieden  weniger  entwickelt 
als  dieses.  Wo  sich  Uebereinstimmungen  zeigen,  sind  auch 
andere  Erklärungen  möglich  als  Entlehnung  von  Seiten  der 
deutschen  Dramendichter  aus  dem  Französischen.  Was  Mone, 
Schauspiele  des  Mittelalters  II,  S.  27.  164.  234  anfuhrt,  beweist 
wenig.  Der  Teufel  Tutevillus  im  Red.  Ost.  H.,  M.  Magd,  und  sonst, 
Creizenach  I,  S.  203,  Schröder,  Redentiner  Osterspiel  S.  16 f., 
bei  Wackerneil  S.  99  Titinil,  kommt  allerdings  auch  in  fran- 
zösischen Mysterien  vor,  und  zwar  in  derselben  Function  als 
Störer  der  kirchlichen  Andacht,  als  Sammler  und  Aufzeichner 
der  bei  der  Liturgie  entfallenen  Worte,  —  s.  die  Vorwürfe 
eines  Geistlichen  an  einen  anderen  im  Mystcre  de  S.  Gene- 
vieve  bei  Jubinal  I,  S.  255,  —  als  notaire  des  enfers,  Petit 
de  Julleville  II,  S.  471.  530,  mit  der  Namensform  Jithinilus, 
—  aber  auch  in  England  als  Tutivillus,  Titivillus;  Tutivillus 
in  den  Towneley  Mysteries  S.  309:  I  was  your  (der  Teufel) 
chefe  tollare  And  8Ühen  conti  rollar,  S.  311  Fragmina  verborum 
lutivillus    roll  ig  it    horum,  Belzabub  algorum   (1.  aliorum),   Be- 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  67 

lial  bellum  doliorum  (?).  S.  Wackernagel,  Geschichte  der  deut- 
schen Litteratur  I2,  S.  466.  S.  312  eignet  er  sich  u.  A.  die 
kyrkchaterars  zu.  Pollard,  Miracle  Plays  führt  S.  XLIX  Titi- 
villus  aus  der  Moralität  Mankind  an.  Aber  der  Name  ist  dunkel. 

Lautlich  klingt  an  das  im  Lateinischen  einmal  bezeugte 
titimlles  ^Kleinigkeiten',  Richtigkeiten',  das  zu  dem  auch  sel- 
tenen titivillitium  derselben  Bedeutung  gehört.  In  dieser  kann 
man  einen  Bezug  auf  das  Amt  des  Teufels  sehen,  der  es  ja 
in  der  That  meist  mit  lässlichen  Sünden  zu  thun  hat. 

Die  Namensbildung  stimmt  allerdings  nicht  zu  der  sonst 
bei  lateinisch-griechischen  Teufelnamen  angewendeten.  In  der 
langen  Liste  bei  Weinhold  in  Gosche's  Jahrbuch  für  Literatur- 
geschichte I,  S.  18,  wozu  nun  Wackerneil  S.  99.  147  ff.,  Wacker- 
nagel, Geschichte  der  deutschen  Litteratur  II2  111,  Brandstetter, 
Regenz  S.  26  *  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XVII,  S.  348  käme, 
finde  ich  nur  Asotus,  Cacodemon,  Charon,  Cupido,  Demon, 
Mendax,  Pluto,  Satyr  und  lateinische  Namen  für  Laster,  Ava- 
ritia.  Luxuria  u.  s.  w.  Aber  manche  sind  allerdings  auch 
dunkel. 

Ob  der  Name  und  die  Vorstellung  von  der  Function 
dieses  Teufels  ausserhalb  des  Dramas1  deutsch  oder  französisch 
sei,  lässt  sich  auch  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  obwohl  die 
bis  jetzt  beigebrachten  Zeugnisse  auf  Frankreich  weisen,  Jacob 
von  Vitry,  13.  Jahrhundert,  der  einen  Teufel  mit  der  genannten 
Function  kennt,  und  Petrus  de  Palude,8  ein  Burgunder  oder 
Franzose  aus  dem  14.  Jahrhundert,  der  auch  den  Namen 
dazu  hat. 

Wenn  in  französischen  und  deutschen  Dramen  Knechte 
und  sonst  Personen  niederer  Lebensstellung  mit  herren,  ritter 
angeredet  werden,  seigneur,  chevalier,  Jubinal  II,  S.  204.  282. 
329,  Petit  de  Julleville  I,  S.  102,  schon  im  13.  Jahrhundert,  so 
kann   das   in  Frankreich  wie  in  Deutschland   zu  Gunsten   der 


1  S.  Millstädter  Sündenklage  (12.  Jahrhundert)  Zeitschr.  XX,  S.  265,  330  der 
leidige  hellewarte,  der  hat  gebruofet  harte  mlne  manige  missetdt.  Lud/er 
•i  gescriben  hat  und  wil  die  briefe  bringen  ze  dinem  tagedinge.  Hier  wäre 
Anlass  gewesen,  wenn  auch  keine  Nüthigung,  einen  andern  Teufel  als 
Lucifer  zu  erwähnen. 

*  Nach  Grässe,  Litterärge schichte  II,  2,  8.  302  war  Petrus  Paludanus  Do- 
minikaner und  Patriarch  von  Jerosalom;  er  stirbt  l."U*2. 

5* 


68  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

Schauspieler  geschehen  sein,  die  allerdings  weder  in  Frankreich 
noch  in  Deutschland  dem  Herrenstande  angehörten ,  s.  oben 
S.  19ff.,  aber  nicht  gerne  als  wirkliche  Knechte  erscheinen  wollten: 
was  die  Grab  Wächter  anbetrifft,  so  mag  die  Auffassung  von 
milites  in  Frankreich  wie  in  Deutschland  geschwankt  haben. 
Matthaeus  c.  27.  28  ist  allerdings  nur  von  custodes  die  Rede, 
aber  die  Auffassung  derselben  als  bewaffneter  Krieger  ist  sehr 
alt.  Auch  das  Publicum  wird  zuweilen  mit  herren  angesprochen, 
was  es  doch  nur  zum  geringsten  Theile  war,  Wien.  Pass.  2, 
Sterz.  M.  Lichtm.  S.  113. 

Was  in  S.  Dummois  statt  Thomas  im  Mastrichter  Passions- 
spiel 1112  französisch  sein  soll,  Mone  II,  S.  234,  ist  nicht  zu 
begreifen. 

Auch  dass  abgesehen  von  den  liturgischen  Stoffen  die 
geistlichen  Dramen  Deutschlands  und  Frankreichs  oft  dieselbe 
Auswahl  aus  der  christliche.!  Ueberlieferung  zeigen  wie  die 
französischen  wird  eher  auf  allgemeinen  Culturverhältnissen  als 
auf  Nachahmung  beruhen.  S.  das  provenzalische  Spiel  von  den 
klugen  und  thörichten  Jungfrauen,  Gr.  Paris,  Litterature  firan- 
9aise  S.  237,  deutsch  im  thüringischen  Spiel  ed.  Bechstein,  der 
Gang  nach  Emaus,  Petit  de  Julleville  II,  S.  177,  deutsch: 
Wackerneil  S.  88,  der  Tod  und  die  Himmelfahrt  Marias,  Petit 
de  Julleville  II,  S.  175.  176,  deutsch:  Innsbr.  M.  Himm.,  die 
Bekehrung  Magdalenas,  Petit  de  Julleville  II,  S.  176,  s.  das 
Weltleben  Magdalenas,  Petit  de  Julleville  V,  S.  77,  deutsch: 
M.  Magd.,  die  Rache  des  Herrn,  d.  i.  die  Eroberung  Jerusa- 
lems, Petit  de  Julleville  H,  S.  175,  deutsch:  Zeitschr.  XXXVIH, 
S.  222,  vgl.  den  Schluss  von  Innsbr.  M.  Himm.,  die  Auffindung 
des  heil.  Kreuzes,  Petit  de  Julleville  H,  S.  177,  deutsch:  Fast- 
nachtsspiele N.  125,  4&s  jüngste  Gericht,  Petit  de  Julleville  H, 
S.  178,  deutsch:  Rhein,  j.  Tag,  S.  Nicolaus,  der  Patron  der 
Schüler,  von  Jean  Bodel,  13.  Jahrhundert,  in  Deutschland:  der 
lateinische  S.  Nicolaus  aus  Einsiedeln,  12.  Jahrhundert,  Katha- 
rina, die  Patronin  der  Schüler,  Petit  de  Julleville  II,  S.  177, 
IH,  S.  5,  deutsch:  Kath.,  im  16.  Jahrhundert  das  Luzerner 
Katharinenspiel,  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XVIH,  S.  47,  der  heil. 
Georg,  Petit  de  Julleville  H,  S.  179,  deutsch:  Fastnachtsspiele 
N.  126,  Theophilus  von  Rutebuef,  13.  Jahrhundert,  deutsch: 
Theoph.  Heimst.  Stockh.  Trier. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  69 

Einzelheiten.  Predigten  vor,  in,  nach  dem  Stück  durch 
einen  Geistlichen,  Petit  de  Julleville  I,  S.  124.  140,  deutsch: 
Alsf.  Pass.  1138,  Theoph.  Heimst.  Stockh.  und  sonst.  Creize- 
nach  hebt  I,  S.  152.  234  hervor,  dass  der  deutsche  Theophilus 
den  französischen  Marienmirakeln,  wo  diese  Predigten  ständig 
sind,  dadurch  ähnlich  ist,  dass  hier  wie  dort  ein  Umschwung  in 
der  Gesinnung  des  Helden,  also  der  wichtigste  dramatische 
Vorgang,  durch  diese  Predigt  bewirkt  werde;  Miracles  de 
Nostre  Dame  N.  XVI  98,  XVIII  282.  S.  dazu  den  Juden  Bonen- 
fant,  Theoph.  Trier.  464.  Eine  Bischofswahl,  Petit  de  Julleville  I, 
S.  134,  H,  S.  234,  deutsch:  Theoph.  Stockh.  Trier.  —  Die  halb 
musikalische,  opernmässige  Form,  weiche  in  den  französischen, 
lateinischen  und  deutschen  Texten  viele  wörtliche  Wieder- 
holungen hat,  —  im  Deutschen  jedoch  nicht  in  der  Form  des 
Rondeau  wie  französisch. 

Ueber  die  Aehnlichkeit  des  lateinischen  geistlichen  Dramas 
der  Franzosen  und  Deutschen  im  11.  12.  Jahrhundert  s.  E. 
Schröder,  Zeitschr.  XXXVI,  S.  239.  S.  Singer  hat  im  Sonntags- 
blatt des  Schweizer  Bundes  1895,  S.  256a  (Euphorion  II,  S.  396) 
auf  bemerkenswerthe  Aehnlichkeiten  der  V.  Voith'schen  Esther 
(1537)  mit  dem  Mystere  du  viel  testament  hingewiesen. 

Aber  die  Uebereinstimmungen  des  deutschen  mit  dem 
englischen  Drama  sind  keineswegs  geringer. 

Wichtiger  scheinen  mir  die  Aehnlichkeiten  in  den  welt- 
lichen Spielen  Frankreichs  und  Deutschlands  schon  wegen  des 
beträchtlich  höheren  Alters  der  französischen.  Klar  ist  die  Ab- 
hängigkeit eines  1592  aufgeführten  Luzerner  Fastnachtsspieles 
von  einem  französischen  aus  dem  Jahre  1507,  Holthausen,  Ger- 
mania XXXI,  S.  110.  —  Bekannt  aber  nicht  klar  ist  die  Be- 
ziehung zwischen  Reuchlin's  Henno  1498  und  der  Farce  von 
Maltre  Pathelin,  die  1474  zuerst  gedruckt  wurde,  aber  schon 
1470  bekannt  war  Petit  de  Julleville  V,  S.  191.  H.  Sachs' 
Fastnachtsspiel  N.  87,  und  das  Luzerner  Neujahrsspiel  von  1560, 
Fastnachtsspiele  N.  107,  beruhen  auf  Henno. 

Noch  nicht  verzeichnet  scheint  zu  sein,  dass  die  deutschen 
Fastnachtsspiele  mit  dem  Stoff  von  Manuelas  Elsli  Trag  den 
Knaben  (1530)  ed.  Bächtold,  oder  Fastnachtsspiele  N.  110,  dazu 
die   ins   15.  Jahrhundert  zurückreichenden  Fastnachtsspiele  N. 


70  X-  Abhandlung:    Heimel. 

115.  130,  O.  Zingerle,  N.  1  und  8,  über  die  zuletzt  Reuling,  Die 
komische  Figur  S.  33,  und  V.  Michels,  Studien  über  die  ältesten 
deutschen  Fastnachtsspiele  S.  67.  73,  gehandelt  haben,  in  einer 
Farce  bei  Leroux  de  Lincy's  Band  I  seine  Entsprechung  bat,  und 
zwar  stimmt  die  französische  Farce  am  nächsten  zu  Manuel,  weil 
in  diesen  beiden  Stücken  die  Wahrheit,  dass  der  Geklagte  die 
Klägerin  unter  dem  Versprechen  der  Ehe  verführt  habe,  durch 
die  Aussage  eines  männlichen  Zeugen  an  den  Tag  kommt, 
Fastnachtsspiele  S.  875,  11,  bei  Bächtold  442,  während  in  den 
anderen  deutschen  Spielen  eine  Zeugin  erscheint  und  der  Ge- 
klagte durch  eine  unbedachte  Aeusserung  im  Streit  mit  dieser 
überführt  wird,  Fastnachfcspiele  S.  998,  16,  Nachlese  S.  253,  15, 
O.  Zingerle  N.  1  V.  228,  N.  8  V.417.  Wann  die  französische 
Farce  entstanden  ist,  wissen  wir  allerdings  nicht.  Leroux  de 
Lincy  sagt  I,  S.  6:  von  1500  bis  1550.  Aber  jünger  als  die 
Form  des  französischen  ist  jedenfalls  das  Stück  Manuel's  wegen 
der  viel  reicheren  Ausführung  und  der  Steigerung,  welche  in 
der  Heirat  des  Vaters  der  Beklagten  mit  der  Mutter  der 
Klägerin  liegt. 

Auf  den  Namen  Official,  den  der  Richter  in  den  fran- 
zösischen und  deutschen  Stücken  trägt,  lege  ich  kein  Gewicht. 
Er  erscheint  auch  in  den  Fastnachtsspielen  N.  42.  102,  bei 
O.  Zingerle  N.  5,  ebenso  französisch  in  der  Farce  des  veaulx, 
Leroux  de  Lincy  Band  II,  Petit  de  Julleville  I,  S.  314.  S. 
Du  Cange,  Nitzsch,  Deutsche  Geschichte  III  17,  Hegel,  Chro- 
niken, XIV,  S.  50,  3;  sogar  in  Island  begegnet  der  Titel,  Arkiv 
för  nordisk  filologi  XII,  S.  50. 

Weiter  ab  steht  eine  Farce  in  Band  II  der  Lcroux'schen 
Sammlung,  Jehan  de  Lagny,  über  den  drei  verführte  Mädchen 
mit  dem  Advocaten  vor  dem  Richter  klagen,  der  Jehan  frei- 
spricht, —  und  M.  Steindorfer's  Komödie  von  1540;  s.  J.  Bolte, 
Zeitschr.  XXXVI,  S.  364. 

Die  französischen  und  deutschen  Stücke,  welche  sonst 
Novellenstoffe  behandeln,  haben  nur  diese  allgemeine  Achnlich- 
keit,  zu  der  Deutschland  die  Anregung  wohl  nicht  von  Frank- 
reich bekommen  hat.  S.  die  ausgeführte  Scene  von  Magdalena, 
procvä  und  vetula  im  Erlauer  M.  Magd. 

Ich  verweise  noch  aaf  einige  den  französischen  wie 
deutschen  Spielen  gemeinsamen  Stoffe.   Processscenen,  Petit  de 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  71 

Julleville  V,  S.  25.  27.  (14.  Jahrhundert)  47.  134.  149.  150.  191. 
234.  261;  Fastnachtsspiele  N.  8.  10.  18.  24.  27.  29.  34.  40. 
42.  51.  52.  54.  61.  69.  72.  73.  78.  87.  88.  97.  102.  104.  108. 
110.  112.  115.  123.  130. 

Streit  zwischen  Mann  und  Frau,  Petit  de  Julleville  V, 
S.  118.  130.  147.  149.  167.  232,  zwei  verschiedene  Stücke, 
S.  233,  8.  auch  S.  186;  Fastnachtsspiele  N.  3.  4.  5.  31.  56. 
61.  114.     S.  im  16.  Jahrhundert  Hans  Sachs  u.  a. 

Klagen  der  Frau  bei  Gericht  über  geschlechtliche  Un- 
tüchtigkeit  des  Mannes,  Petit  de  Julleville  V,  S.  134:  Fastnachts- 
spiele N.  27.  40.  42.  104;  —  Petit  de  Julleville  V,  S.  186  klagt 
die  Frau  bei  ihren  Eltern. 

Die  bösen  Frauen  im  Wirthshaus,  Petit  de  Julleville  V, 
S.  116;  Fastnachtsspiele  N.  56;  s.  W.  Spangenberg,  Mammons 
Sold  (1613)  III.  IV.  V.  Act,  Michels  Studien  S.  33,  Bödier, 
Les  Fabliaux  S.  310. 

Der  junge  Ehemann,  der  auffallend  früh  Vater  wird, 
Petit  de  Julleville  V,  S.  152,  Mittelniederländische  Sotternie  III, 
S.  242. 

Markt-,  Strassenscenen,  Petit  de  Julleville  V,  S.  109.  155. 
161;  Fastnachtsspiele  N.  23.  35.  49.  50.  105.  113. 

Der  Bauernsohn,  der  Geistlicher  werden  will  oder  soll, 
Petit  de  Julleville  V,   S.  173.  257  (1488);   O.  Zingerle  N.  25. 

Das  Einsalzen  der  Frauen,  Petit  de  Julleville  V,  S.  149 
Ehemänner  lassen  ihre  zu  süssen  Frauen  salzen;  Fastnachts- 
spiele N.  91,  s.  N.  66.  77,  die  Jungfrauen,  welche  im  Carneval 
nicht  geheiratet  haben,  sollen  eingesalzen  werden. 

Die  personificirte  Fastnacht,  Petit  de  Julleville  V,  S.  43. 
243;  Fastnachtsspiele  N.  72.  73.  Auch  in  niederländischen 
Schauspielen  des  15.  Jahrhunderts,  Schwering,  Zur  Geschichte 
des  niederländischen  und  spanischen  Dramas  in  Deutschland 
S.  94,  Vasten  und  Vastenavont. 

Kirchliche  Schäden  als  Krankheit,  Petit  de  Julleville  V, 
S.  79  (1530),  92  (1561);  Manuel's  Krankheit  der  Messe  (1528). 

Der  Ablasskrämer,  Petit  de  Julleville  V,  S.  189;  Manuel 
(1525). 

Klagen  über  eine  ansteckende  Krankheit,  la  toux,  Tana- 
wächtel,  Petit  de  Julleville  V,  S.  161  (unter  Karl  XL,  d.  i. 
1380—1422,  und   1557);   Fastnachtsspiele  N.  54  (nach  1410). 


72  *•  Abhandlung:    Heinxel. 

Ueber  die  Aerztespiele  s.  oben  S.  55  ff. 

So  findet  sich  auch  zwischen  den  allegorischen  und  ge- 
lehrten Kampfgesprächen  Frankreichs  und  Deutschlands  manches 
Uebereinstimmende. 

Aach  die  Verbindung  von  Rede  mit  Gesang  besonders 
am  Ende  des  Stückes  als  Abschied  vom  Publicum  ist  fran- 
zösisch und  deutsch,  z.  B.  Leroux  de  Lincy  I.  III,  Fastnachts- 
spiele N.  111  und  sehr  oft. 


VII.  Ueber  das  Mantellied  Magdalenens. 

Ein  Maria  Magdalena   in   den  Mund  gelegtes  Lied  zeigt 
Verwandtschaft  mit  der  Dorfpoesie.  Wien.  Pass.  311: 

Ich  liez  minen  mantel  in  der  auwe, 
do  begonde  wagen  min  vrowe, 
wo  ich  gewesen  wer  et  waz  wolt  sie  mint 
8ol  ich  mines  libes  nicht  gewaltig  sint 

M.  Magd.  330: 

Ja  liesz  ich  meinen  mandel  in  der  aue, 
Do  wegund  mich  fragen  meine  fraue, 
wo  ich  gewesen  wäre; 
des  däucht  ich  mich  so  spähe; 
was  wil  si  mein,  was  wil  si  mein? 
335     sol  ich  meines  leibe»  nicht  gewaltig  sein? 

Nach  der  Antwort  der  Teufel,  ja,   sie  solle  über  ihren  Leib 
verfügen : 

343     In  frduden  wil  ich  immer  leben 

nach  der  jungen  lere, 
345     mein  herze  m&s  in  frduden  sweben 

heut  und  immer  mere. 

zürnet  dann  di  muter  mein, 

das  mag  sein,  was  wil  si  meint 

sol  ich  meines  leibes  nicht  gewaltig  sein? 

Alsf.  Pass.  1796;  s.  Friedb.  Pass.  S.  547: 

Ich  breitte  minen  mantel  in  die  awe, 
du  begunde  mich  zu  vragen  min  frawe, 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  73 

wo  ich  so  lange  were  gewestf 

was  wolde  sie  desf 

sol  ich  mines  jungen  libes  nicht  gewaldigk  sin? 

Am  ursprünglichsten  scheint  die  Fassung  im  Wien.  Pass., 
am  verderbtesten  im  Alsf.  Pass.  —  Obwohl  die  zweite  Strophe 
in  M.  Magd,  ein  anderes  Metrum  zeigt,  also  vielleicht  von 
Hause  aus  keinen  Zusammenhang  mit  der  ersten  hat,  so  ist 
doch  gewiss  meine  frawe  in  dieser  und  in  Wien.  Pass.,  Alsf. 
Pass.  dieselbe  Person,  welche  in  der  zweiten  Strophe  als  Mutter 
des  redenden  Mädchens  bezeichnet  wird.  S.  Wigalois  8810 
min  frouwe  gleich  ,meine  Mutter'  in  der  dritten  Person,  wie 
Martin  zur  Gudrun  680  bemerkt  hat.  Zu  den  dort  angeführten 
Stellen  kann  man  noch  hinzufügen  Neidhart  S.  45,  35,  wo  das 
Mädchen  seine  Mutter  mit  vrouwe  anspricht,  und  wohl  auch 
S.  46,  24.1 

Also  Erzählung  von  einem  Gespräch  zwischen  Mutter 
und  Tochter  über  deren  Entjungferung,  welches  Gespräch  Neid- 
hart S.  17,  24  selbst  Gegenstand  des  Gedichtes  ist.8 

Das  Mädchen  gibt  in  beiden  Fällen  zu,  verführt  worden 
zu  sein:  dadurch  tritt  das  Mantellied  und  das  Neidhartische 
Gedicht  in  die  Gruppe  der  Mädchenbeichten.  S.  Carmina  bu- 
rana  N.  125,  a: 

Eine  wunnerliche  stat 

het  er  mir  beschaiden; 

da  diu  blumen  und  das  gras 

stunden  grüne  baide. 

dar  chom  ih,  als  er  mich  pat: 

da  geschach  mir  leide. 

Lodircundeie,  lodircundeie. 

Das  deutsch-lateinische  N.  146  Ich  war  ein  chint  so  wol- 
getan  —  mit  dem  sehr  derb  ausgeführten  Stelldichein  unter 
der  Linde.  • 

Walther  S.  39.  11  Under  der  linden  — .  S.  die  Nach- 
ahmungen Hadloups  ed.  Ettmüller  N.  XXXII.  XXXVIII. 

1  S.  Bartsch,  Romanzen  und  Pastourelen;  Romanzen  N.  2  nennt  der 
Dichter  die  Mutter  der  Heldin  sa  dorne,  und  dorne  wird  sie  auch  von 
der  Tochter  angesprochen. 

■  Bartsch,  Romanzen  N.  2. 


74  X.  Abhandlung:    Ho  in  sei. 

Bei  Reimar  S.  200,  25,  in  einem  Lied,  das  Walther  wohl 
zu  31),  11  benutzt  hat,  ist  die  Beichte  nur  hypothetisch. 

swes  er  phlaege, 

swenne  er  bi  mir  laege, 

mit  so  fr'ömden  sacken 

könder  wol  gemachen, 

daz  ich  sxner  sekimpke  müese  lachen. 

In  einem  von  Haupt-Lachmann  nicht  anerkannten  Veldeke- 
sclien  Lied  ein  Wunsch;  MSF4  S.  262  in  den  Anmerkungen. 

Min  liep  mac  mich  zuo  der  linden  bringen, 
den  ick  nähe  mines  herzen  brüst  teil  twingen. 
er  sol  tou  von  bluomen  swingen: 
ich  wil  um  ein  niuwez  krenzel  mit  im  ringen. 

Ich  weiz  wol,  daz  er  mir  niemer  des  entwenket  tl  s.  w. 

von  uns  beiden  wirt  bluomen  vil  verrenket. 

Mit  Ausnahme  des  Reimarischen  und  Veldeke'schen  Ge- 
dichtes geben  sich  alle  als  zur  Dorfpoesie  gehörig  zu  erkennen 
dadurch,  dass  die  Heldinnen  Mädchen,  keine  verheirateten  Frauen 
sind,  durch  den  Ton,  die  Keckheit  oder  Naivität  der  Heldin, 
auch  durch  die  Vorstellung  von  Liebesgenuss  im  Freien  in  der 
Au,  die  besser  zur  niederen  als  zur  hohen  Minne  passt.1 

Auch  Neidhardt  S.  17,  24  ist  so  zu  verstehen.  Denn  wo 
sollte  ein  Ritter  und  ein  Bauernmädchen  sonst  zusammen- 
kommen? Höchstens  auf  der  Flachsdarre,  auf  dem  Heuboden; 
s.  Neidhart  S.  47,  2  und  Anm. 

In  Walther's  Gedicht  weist  auch  db  wart  ich  emphangen 
here  frouwe  darauf.  Sie  ist  es  also  nicht.  Here  frouwe  hat 
mir  zwar  Singer  in  Bezug  auf  die  heil.  Jungfrau  nachgewiesen 
in  Ulrichs  Rennewart,  Wiener  Hs.  2670  fo.  291 d  kere  frouwe, 
nu  wis  gemant,  aber  nur  als  Anrufung,  nicht  als  Ausruf.  Ebenso- 
wenig als  auf  die  heil.  Jungfrau  kann  sich  kere  frouwe  auf 
die  Mutter  des  Mädchens  beziehen,  wenn  auch  eine  Tochter 
ihre  Mutter  so  anreden  kann,  s.  oben  S.  72,  und  Neidhart 
S.   4,   26    liebiu  muoter   kere.     Es    ist   unglaublich,    dass   ein 


1  Im  Französischen  allerdings  begegnen  anch  Schäferstanden  von  Bitter 
und  verheirateter  Frau  im  Walde,  auf  der  Wiese;  Bartsch,  Romanzen 
N.  28(?).  36.47.49.63.  69. 


Abhandlungen  zam  altdeutschen  Drain».  75 

Dichter  das  Mädchen  ihrer  Mutter  in  dieser  Form  Beichte 
ablegen  Hesse.  —  Der  ehrenvolle  Empfang  besteht  in  der  Zu- 
richtung des  Blumenbeetes.1 

In  dieser  Sphäre  bewegen  sich  auch  die  Berichte  des 
Mannes,  Carmina  burana  N.  57  sub  tilia,  Walther  S.  75,  17 
in  dem  Gedicht  Nemt,  frowe,  disen  kränz ,  —  Die  bluomen 
vielen  ie  von  dem  boume  bi  uns  nider  an  daz  gras,  ein  Traum- 
bild, Neidhart  S.  XLVI,  3,  der  Dichter  ist  Zeuge  einer  Schäfer- 
stunde zwischen  einem  Kitter  und  einem  Bauernmädchen  im 
Wald.  Für  das  Romanische  s.  G.  Schsefer,  Studien  über  das 
Taglied  S.  16.  60.  70. 

Das  Dietmar'sche  Tagelied  S.  39,  18  wird  wohl  nicht 
hierher  gehören  trotz  des  Vögleins,  ein  vogellin  so  wol  getan, 
daz  ist  der  linden  an  daz  zwi  gegdn,  und  der  Anrede  des 
Ritters  an  die  Geliebte  mit  Teint.  Der  Dichter  nennt  sie  frouwe, 
sie  wird  also  wohl  eine  Dame  und  eine  verheiratete  Frau  sein, 
und  das  Paar  hat  nicht  nur  Liebe  genossen,  sondern  die  ganze 
Nacht  zusammen  verbracht.  Auch  de  Gruyter,  Das  deutsche 
Taglied  S.  93  und  G.  Schlaeger,  Studien  über  das  Tagelied 
S.  19,  die  das  Local  im  Freien  annehmen,  kennen  kein  anderes 
Beispiel  dafür  in  der  deutschen  Kunstpoesie.  Wenn  die  Ge- 
liebte sagt  wan  wecket  uns  leider  schiere,  so  braucht  sie  damit 
nicht  das  im  Folgenden  erwähnte  Vöglein  zu  meinen,  das  in  dem 
von  de  Gruyter  S.  5.  78.  106.  besprochenen  Volkslied  bei  einem 
im  Freien  lagernden  Liebespaar  nur  als  späterer  Zusatz  vor- 
kommt. Wie  das  wan  hier  Gegensatzpartikel  sein  soll,  Paul,  Bei- 
träge II,  S.  466  Anm.,  verstehe  ich  nicht:  die  Wortstellung  wäre 
unerhört.  Die  Dame  des  Dietmar'schen  Liedes  wird  durch  das 
Fenster  gesehen  haben,  dass  die  Vögel  auf  den  Bäumen  sich 
regen,  ihre  Nester  verlassen  und  erwartet  nun  bald  den  Ruf 
des  Wächters  zu  hören.  S.  Guiraut  de  Borneil,  Bartsch,  Chresto- 
mathie provenyale8  S.  99,  die  Liebenden  sind  im  Zimmer;  aber 
der  wachende  Freund  verweist  auf  die  Vögel,  die  schon  singen ; 
G.  Schlaeger,  Studien  über  das  Tagelied  S.  38. 

Auch  wenn  die  Situation  im  Freien  gedacht  ist,  etwa  in  einem 
Garten,  wie  in  der  provenzalischen  Alba,  Mahn,  Gedichte  der 

1  S.  Canticum  canticorum  Cap.  I  15  Lectidus  noster  floridus,  H  5  Futcite 
me  florifms,  stipate  me  matis  und  G.  Schäfer,  Stadien  über  das  Tagelied 
S.  11.30. 


76  X.  Abhandlung:    HeiozeL 

Troubadours  N.  132,  Bartsch,  Chrestomathie  proven9ale3  S.  99, 
kann  das  Gedicht  der  hohen  Minne  angehören.  Nur  ist  dann  in 
Deutschland  wahrscheinlich  das  Schlafen  im  Freien  literarische 
Tradition  wie  der  April  statt  des  Mai  bei  Heinrich  von  Vel- 
deke.  S.  Scherer,  Deutsche  Studien8  S.  107.  Doch  ist  der 
Fall,  dass  Liebende  die  ganze  Nacht  im  Freien  bei  einander 
geschlafen  haben  sollen,  auch  in  romanischer  Literatur  selten. 
Bei  Bartsch,  Romanzen  N.  31,  ist  es  ein  Mädchen,  welches 
die  ganze  Nacht  im  Wald  bei  ihrem  Geliebten  verbracht  hat. 

Auch  zeigt  Walthers  Gedicht  die  Wirkung  poetischer 
Tradition.  Dass  ein  Dichter  es  sich  als  Vorwurf  wählt,  die 
Beichte  des  Mädchens  an  ihre  Mutter  zu  schildern,  oder  das 
Mädchen  von  dieser  Beichte  an  die  Mutter  —  Mantellied  — 
oder  von  dem  Stelldichein  selbst  im  Monolog  berichten  oder 
vielmehr  diese  Vorgänge  in  ihrer  Erinnerung  wieder  aufleben 
zu  lassen^in  Form  eines  Monologes,  der  ja  wie  in  der  Epik1 
nur  ihre  Gedanken  ausdrückt,  nicht  eine  wirklich  gesprochene 
oder  gesungene  Rede  darstellt,  begreift  sich.  Nicht  aber  ohne 
vorhergehende  litterarische  Tradition,  dass  ein  Dichter  die 
Heldin  eine  Ansprache  an  das  Publicum  über  das  genannte 
Thema,  die  Verführung,  halten  lässt  Dd  mugent  ir  vinden,  — 
seht  wie  rot  mir  ist  der  munt,  vielleicht  auch  kuster  mich?, 
und  ihr  am  Schluss  doch  die  Hoffnung  in  den  Mund  legt,  die 
Sache  werde  wohl  nicht  aufkommen,  da  niemand  darum  wisse 
als  er  unt  ich  Und  ein  kleines  vogellin. 

Die  Ansprache  stammt  aus  der  Beichte  an  die  Mutter, 
die  Erwartung  der  Heimlichkeit  aus  dem  Gedankenmonolog. 

Der  harte  Widerspruch  hat  die  Literarhistoriker,  Aesthe- 
tiker  so  wie  das  unliterarische  Publicum  nicht  gehindert,  das 
Gedicht  mit  den  höchsten  Lobsprüchen  zu  bedenken.  Es  muss 
also  wohl  trotz  des  Widerspruches  allgemein  gefallen  haben. 
Scherer  ist  meines  Wissens  der  Einzige,  der  Literaturge- 
schichte l  207  f.  einen  Tadel  ausspricht  wegen  der  conventionellen 
Voraussetzung:  ,denn  ein  Mädchen  so  beschaffen  wie  dieses, 
wird  ein  solches  Erlebniss  überhaupt  nicht  oder  nicht  so  er- 
zählen'.    Aber   eine   so   abschliessende   Vorliebe   ftir   erlebte 


1  S.  Hugos  Martina  S.  9,  17,  Johannes*  Kreuziger  9704,  Passional  ed.  Hahn 
S.  72,  76.  74,  49.  93,  20,  Tristan  als  Mönch  763.  1138.  1966. 


Abhandlangen  zum  altdeutschen  Drama.  77 

Poesie,   die  Scherer  eine  solche  auch  oft  dort  finden  Hess,  wo 
sie  nicht  vorhanden  war,  ist  nicht  allgemein. 

Walther  hatte  keine  principielle  Abneigung  gegen  die 
Dorf-  und  Schäferpoesie  —  alle  Gedichte  der  ^niederen  Minne' 
gehören  ihr  an,  auch  das  dem  Under  der  linden  in  B  und  C 
unmittelbar  vorausgehende  S.  39,  1  mit  den  Mädchen,  die  an 
der  Strasse  Ball  spielen1  —  nur  von  den  wirklichen  Bauern 
und  Bäuerinnen  Neidharts  wollte  er  nichts  wissen. 

Vgl.  die  Figur  des  Wächters  im  Tagelied,  die  nur  durch 
litterarische  Tradition  und  Uebertragung  zu  erklären  ist;  G. 
Wächter,  Studien  über  das  Tagelied  S.  39. 

Dass  die  Frau  in  einer  Anrede  an  das  Publicum  von 
ihren  Liebesangelegenheiten  spricht,  kommt  übrigens  auch 
sonst  vor.  Aber  die  Fälle  sind  nicht  so  auffällig.  Heinrich 
von  Veldeke  S.  57,  34 : 

Ich  wände  dat  he  hovesch  wcere: 
des  was  ich  ime  von  herzen  holt, 
daz  segg  ich  üch  wol  offenbare: 
des  ist  he  gar  äne  scholt. 

Heinrich  von  Morungen  S.  142,  33: 

Mirst  daz  herze  worden  sware. 
seht,  daz  schaffet  mir  ein  sendiu  not. 
ich  bin  worden  dem  unmatre, 
der  mir  dicke  svnen  dienest  bot. 

Hartmann  von  Aue  S.  212,  37: 

Ob  man  mit  lügen  die  sele  nert, 
so  weiz  ich  den,  der  heilec  ist, 
der  mir  dicke  meine  swert. 
mich  iiberwant  sin  karger  list, 
daz  ich  in  zeime  friunde  erkos. 
da  wände  ich  stcete  fünde. 
213,  5     min  selbes  sin  mich  da  verlos, 
als  ich  der  weite  künde: 


1  Reimar  S.  201,  8  braucht  nicht  so  aufgefasst  zu  werden,  da  hier  kein 
Local  für  das  Ballspielen  vorkommt;  s.  A.  Schultz,  Das  hofische  Leben 
I1,  S.  642. 


78  X.  Abhandlung:    Heinzel. 

sin  lip  ist  also  valschelos 
als  daz  mer  der  iinde. 

Walther  S.  119,  30: 

Im  wart  von  mir  in  allen  gdhen 
ein  küssen  und  ein  umbevähen: 
seht,  do  schöz  mir  in  min  herze 
daz  mir  iemer  nähe  lit, 
unz  ich  getuon  des  er  mich  bat. 
ich  taitezy  wurde  mirs  diu  stat.1 

Aber  auch  sonst  bieten  die  Magdalenenscenen  einige  An- 
klänge an  die  Dorfpoesie,  wie  schon  Wirth,  Die  Ostern-  und 
Passionsspiele,  gezeigt  hat,  S.  224,  aber  nur  Anklänge:  Maria, 
die  Herrin  von  Magdala,  wird  keineswegs  als  eine  Bauern dirnc 
dargestellt,  zu  der  Ritter  und  Schreiber  sich  herablassen.  Kranz. 
Schleppe,  Spiegel,  Ballspiel  kommt  auch  bei  Damen  vor.  Aber 
ihr  Verhältniss  zu  Martha  hat  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
dem  der  Neidhartischen  Dirnen  zu  ihren  warnenden  Müttern. 

Dazu  die  Häufung  der  Bauernnamen  im  Prolog  zum  Arzt- 
spiel Erl.  Ost.  57  wie  bei  Neidhart: 

Hie  lauft  Gumpolt,  Rumpolt}  Harolt7  Marolt, 
Seibolt,  Neidolty  Hirolt,  Mirolt  u.  s.  w. 

Im  Sterz.  Ost.  S.  148  sagt  einer  der  Grabwächter  zu  dem 
andern:  Pfui,  dasz  euch  der  Neidhart  schänd. 

In  den  weltlichen  Stücken,  den  Fastnachtsspielen,  ist  die 
Berührung  mit  der  Neidhartischen  Poesie  inniger;  s.  die  Neid- 
hartspiele in  den  Fastnachtsspielen  N.  21.  53,  O.  Zingerle  N.  2ti, 
H.  Sachs  N.  75.  Hier  V.  221  begegnet  auch  die  Bedrohung  Neid- 
harts  durch  einen  Bauer,  er  werde  ihn  hauen,  dass  die  Sonne 

1  Im  Provenzalischen  vergleicht  sich  das  Lied  Coindeta  «tu,  Bartsch,  Chre- 
stomathie3 S.  243,  worin  die  Dame  das  Publicum  anspricht,  Queu  beut 
dirait  e  dirai  vos,  s.  die  ganze  letzte  Strophe,  und  ihm  mittheilt,  dass 
sie  ohne  sich  um  ihren  Gatten  zu  kümmern,  dem  Geliebten  angehören 
werde.  Ich  glaube,  dass  auch  hier  das  Publicum  an  Stelle  des  Gatten, 
der  Mutter,  einer  Freundin  getreten  ist;  Personen,  denen  in  den  alt- 
französischen  Romanzen  oft  solch  kecke  Geständnisse  gemacht  werden; 
Bartsch,  Romanzen  N.  22.  25.  41.  42,  39,  —  36.  47.  48.  67.  N.  51  ist 
reiner  Gedankenmonolog  desselben  Inhalts,  Klage  über  den  Ehemann, 
Entschluss,  dem  Geliebten  anzugehören. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  79 

durch  ihn  scheine,  vgl.  N.  74  V.  374,  ähnlich  Neidhart  S.  158,  22 
ich  trenne  in  üf7  daz  man  wol  einen  sezzel  in  in  setzet. 

Mit  der  Parodie  des  Minnesangs,  wie  sie  sich  bei  den 
späteren  Vertretern  der  Dorfpoesie  findet,  Steinmar,  Hadloup, 
Hermann  von  Sachsenheini,  berührt  sich  das  geistliche  Drama 
im  Innsbr.  Ost.  H.  668,  Erl.  Ost.  384,  M.  Magd.  459,  Wien.  Ost. 
H.  S.  316,  7  und  das  Fastnachtsspiel  N.  14.  15.  16  u.  o.;  s. 
auch  N.  38.  74.  103,  O.  Zingerle  N.  7  V.  57,  N.  17  V.  162. 


VIII.  Ueber  die  Goliardenrerse  des  altdeutschen  Dramas. 

Die  Stellen,  welche  am  meisten  geeignet  sind,  die  Ab- 
hängigkeit deutscher  Vers-  und  Strophenformen  des  Mittelalters 
von  lateinischen  zu  erweisen,  sind  den  Parallelstrophen  des 
Dramas  zu  entnehmen,  da  das  lateinische  Drama  nicht  nur  ent- 
schieden älter  ist  als  das  deutsche,  sondern  dieses  aus  jenem 
durch  allmälige  Verdeutschung  entsteht. 

I.  Strophen,  die  aus  einem  Vers  von  7  Silben  iambischen 
Ausgangs  mehr  6  Silben  trochäischen  Ausgangs  gebildet  werden: 
7-^+6-^;  die  , Vagantenstrophe'.  S.  W.  Meyer,  Der 
Ludus  de  Antichristo  S.  165. 

In  der  folgenden  Aufzeichnung  dieser  und  der  entspre- 
chenden deutschen  Strophen  halte  ich  mich,  abgesehen  von  den 
Längezeichen,  die  ich  tilge,  an  die  Orthographie  und  Vers- 
zählung der  Herausgeber,  aber  nicht  in  der  Drückeinrichtung 
der  ganzen  und  der  Cäsurverse,  auch  nicht  in  der  Interpunction. 
Die  wenigen  Conjecturen  sind  bezeichnet.  . —  Ich  führe  zu- 
nächst Stellen  an,  in  denen  auf  einen  lateinischen  gesungenen 
Text  ein  deutscher  ähnlichen  Inhalts,  —  meist  unmittelbar, 
öfter  aber  auch  in  einiger  Entfernung  folgt,  der  auch  gesungen 
wird,  wie  sich  aus  den  darübergesetzten  Noten  oder  der  Spiel- 
anweisung cantat  statt  dicit  ergibt. 

Ben.  Pass.  19.  Maria  Magdalena  cantet: 

Mundi  delectatio         dulcis  est  et  grata, 
20  eins  conversatio         suavis  et  ornata. 

Mundi  sunt  delicie,         quibus  aestuare 
volo  nee  laseiviam         eins  devitare. 


/ 


80  *•  Abhandlung:    Hein  sei. 

Pro  mundano  gaudio         vitam  terminabo, 
bonis  temporalibus         ego  militabo. 

25  Nil  cur  ans  de  ceteris         corpus  procurabo, 
variis  coloribus      illud  perornabo. 

Modo   vadat  Maria  (Magdalena)   cum  puellis   ad  mercatorem 
cantando: 

27  Michi  confer,  venditor,         species  emendas 
pro  multa  pecunia         tibi  tarn  reddenda, 
si  quid  habes  insuper         odoramentorum. 

30  nam  volo  perungere         corpus  hoc  decorum. 

Mercator  cantet: 

31  Ecce  merces  optime!  prospice  nitoremf 
hee  tibi  conveniunt  ad  vultus  decorem. 
hee  sunt  odorifere.  quas  si  comparabis1 
corporis  fragrantiam  omnem*  super  abis. 

Maria  Magdalena: 

35  Chramer,  gip  die  varwe  mier,         diu  min  wengel  rotte, 
da  mit  ich  di  jungen  man         an  ir  danch  der  minnenliebe 

noete. 
Item: 

39  Seht  mich  an, 

40  jungen  man7 

Lat  mich  eu  gevallen. 

Item: 

42  Minnet9  tugentliche  man,         minnekliche  vrauwen! 

Minne  tuoet  eu  hoech  gemuet,         45  unde  lat  euch  in  hoehen 

eren  schautcen. 
Item: 

Seht  mich  an, 

junge  man, 

Lat  mich  eu  gevallen. 


1  Hb.  comprobari*. 

1  L.  fragrcmtia  omnet  (?). 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  8 1 

Item: 

47  Wol  dir  werlt,  daz  du  bist       also  vreudenreiche ! 

ich  wil  dir   sin   undertan         50  durch    dein    liebe    immer 

sicherlichen. 
Seht  mich  an, 
jungen  man, 
Lat  mich  eu  gevallen. 

Dann  nach  der  Erscheinung  des  Engels  im  Traume: 

57  Recedat  angelus  et  surgat  Maria  cantando: 
Mundi  delectatio  d.  h.  wohl  19  bis  30. 

Tunc  accedat  amator,   quem  Maria  salutet  et,   cum  parum  lo- 
cuntur,  cantet  Maria  ad  puellas: 

58  Wol  dan  minneklicheu  chint,         schauwe  wier  chramef 

60  Chauf  wier  di  varwe  da,         di  uns  machen  schoene  unde 

toolgetane, 
er  muez  sein 
sorgen  vrei, 
der  da  minnet  mir  den  leip. 

Iterum  cantet: 

64  Chramer,  gip  di  varwe  mier  —  d.  i.  wohl  35  bis  41. 

Mercator  respondet : 

65  Ich  gib  eu  varwe,         deu  ist  guot,  dar  zuo  lobeliche1 

deu  eu  machet  reht  schoene        unt  dar  zuoe  vil  reht  wun- 

neckliche. 
nempt  si  hin, 
hob  ir  si ! 
70  ir  ist  niht  geleiche. 

Alle  diese  lateinischen  und  deutschen  Verse  sind  mit 
Neumen  versehen. 

Inhaltlich  stimmen  überein  die  Strophen  19.  20,  oder  viel- 
leicht besser  21.  22,  Mundi  sunt  delicie  und  47  AT.  Wol  dir, 
werlt  — ,  27  bis  30  Michi  confer  —  und  35  ff.  Chramer,  gip  — , 
31  bis  34  Ecce  merces  —  und  65  ff.  Ich  gib  eu  varwe  — . 


1  Hs.  lobdich. 
SitiungBber.  d.  pMl.-hist.  Cl.  CIXIIV.  Bd.  10.  Abb.  6 


82  X.  Abhaadlang;    Heiniel 

Ueber  die  Melodie  kann  ich  nichts  sagen,  da  sie  nicht 
edirt  ist  und  ich,  wenn  sie  es  wäre,  mir  kein  Urtheil  darüber 
zutrauen  würde. 

Metrisch  zeigen  die  lateinischen  oder  deutschen  Strophen 
nicht  Gleichheit,  aber  Aehnlichkeit.  Den  deutschen  Strophen 
liegt  die  aus  zwei  Langzeilen  bestehende  lateinische  19  ff.  oder 
die  Hälfte  der  aus  vier  Langzeilen  bestehenden  Strophe  27  ff. 
zu  Grunde,  an  welche  ein  ganz  selbstständiger  Kehrreim  an- 
gefügt ist.     Das  Schema  der  deutschen  Strophen  ist: 

4  stumpf  x  -f-  3  klingend  a 
4  stumpf  x  -f  5  klingend  a 
2  stumpf  b 

2  stumpf  b 

3  klingend  x. 

Statt  4  stumpf  x  kann  im  Cäsurvers  auch  3  kl.  x  stehen. 

58  weicht  nur  in  der  letzten  Zeile  des  Kehrreims  ab: 
4  stumpf  x  statt  3  klingend  x.  Der  Rhythmus  ist  auch  im 
Deutschen  durchweg  trochäisch.  —  Das  gelegentliche  Fehlen 
von  Senkungen  im  deutschen  Text  ist  vielleicht  nur  Schuld 
der  Ueberlieferung. 

Im  Wien.  Pass.  erscheinen  295  bis  306  auch  die  Strophen 
Mundi  delectacio  —  vermehrt  mit  zwei  anderen.  Nach  der 
ersten  des  Ben.  Pass.: 

297  In  hac  tota  cupio         mente  ioeundari, 
nil  enim  ioeundius        possum  amplexari. 

und  nach  der  zweiten: 

301  Blandiciis  seculi        placet  adherere, 
et  concupücenciis         animum  replere. 

Auf  diese  lateinische  Strophenreihe  folgt: 

In  theutonico  eadem  sunt: 

307  Werltlich  freude  den  ist  guot,         deu  ist  mir  worden  sueze 

310  sie  Kot  gehoet  mir  den  muot,         wie  och  ich  8%  geboeze* 

Et  mbiungat:  Es  folgt  das  deutsche  Mantellied. 

Maria  cantat: 

316  Der  weit  ich  vil  gedienet  han        mit  treuwen  ane  maze.1 
ich  han  gehabt  vil  mangen  man,       unt  teil  der  noch  nit  lose. 

1  Ha.  maz. 


Abhandlungen  tnm  altdeutschen  Drama.  83 

Dann  wieder  das  Mantellied. 

Jterum  dicat: 

321  Ich  wil  immer  vroelich  sin         mit  disem  jungelinge. 

gein  dem  froewet  sich  daz  herze  min,         swie  ich  mit  got 

gedinge 
Nach   den  Reden  zweier  Teufel  Maria  iterum  ut  prius: 
333  Ich  wil  immer  vroelich  sin        unt  wil  in  wenden  sterben, 
want  den  groesse  vreude  min        let  mich  nit  verderben. 

Nur  die  lateinischen  Verse  sind  notirt,  und  zwar  ergibt  die 
Composition  Strophen  aus  zwei  Langzeilen.  Vor  dem  deutschen 
Text  von  321  heisst  es  allerdings  dicat,  aber  vor  316  cantat, 
die  übrigen  Stellen   können   auf  Rede  wie  auf  Gesang  gehen. 

Jedenfalls  ist  das  deutsche  Metrum  dem  lateinischen  nicht 
blos  ähnlich  wie  Ben.  Pass.,  sondern  gleich,  mit  Ausnahme  des 
Auftacts,  der  oft  erscheint,  und  der  Cäsurreime,  die  übrigens 
in  der  ersten  lateinischen  Strophe  —  delectacio:  conversacio  — 
ihr  Vorbild  haben.  Durch  fehlenden  Auftact  und  Cäsurreim 
steht  Ben.  Pass.  dem  Original  näher. 

J.  Haupt  hat  in  den  Anmerkungen  seiner  Ausgabe  des 
Wien.  Pass.  in  Wagner's  Archiv  I  S.  355  wiederholt  auf  die 
Aehnlichkeit  der  deutschen  mit  den  lateinischen  Metren  dieses 
Stückes  hingewiesen. 

M.  Magd. 

Et  tunc  cantat  (Magdalena): 

318  Mundi  delectacio         dulcis  est  et  grata, 
eins  conversacio         suavis  et  ornata. 

Et  cantat  rikmum: 

318  Ich  wil  preisen  meinen  leib         mit  tanzen  und  mit  raien  — 

320  wan  ich  pin  ein  schoenes  weip  —         den  phaffen  und  auch 

den  laxen, 
das  ist  war,  des  muos  ich  gehen,         das  ist  ane  laugen, 
schöner  weip  wart  nie  gepom        offenwar  an  taugen. 

Dann  nach  Reimpaaren  und  dem  Mantellied  Magdalenens 

und  einem  Lied  der  Teufel. 

Maria  cantat: 

343  In  fraeuden  wil  ich  immer  leben        nach  der  jungen  lere, 

345  mein  herze  muos  in  fraeuden  sweben         heut  und  immer 

mere. 
6* 


84  *•  Abhandlung:    Hein  sei. 

zuernet  dan  di  muoter  mein, 

das  mag  sein,  was  wil  si  meint 

sol  ich  meines  leibes  nicht  gewaltig  sein! 

Die  hervorgehobenen  lateinischen  und  deutschen  Strophen 
sind  für  den  Gesang  bestimmt,  wie  ans  dem  cantat  und  den 
Noten  hervorgeht. 

Die  zwei  Langzeilen  im  Anfang  der  deutschen  Strophen 
sind  wieder  der  lateinischen  Strophe  gleich  mit  Ausnahme  des 
Auftacts  und  des  Cäsurreimes,  wenn  wir  annehmen,  dass 
Magdalena  318  nicht  nur  die  Strophe  Mundi  delectacio  — , 
sondern  auch  die  anderen  gesungen  habe,  die  keinen  Cäsur- 
reim  haben.  Also  das  Verhältniss  wie  in  Wien.  Pass.  Da- 
gegen fällt  die  Beschränkung  in  Beziehung  auf  den  Auftact  und 
den  Cäsurreim  fort  für  den  zweiten  Theil  der  ersten  deutschen 
Strophe  322.  323.  Es  ist  die  genaueste  Nachbildung  der  latei- 
nischen Strophe,  die  man  sich  denken  kann.  Dagegen  hat 
die  zweite  deutsche  Strophe  einen  Abgesang  347,  der  voll- 
kommen fllr  sich  steht. 

Ohne  Anzeichen,  dass  die  deutschen  Strophen  auch  ge- 
sungen wurden  wie  die  vorhergehenden  lateinischen. 

Wien.  Pass.  279  begegnen  die  oben  aus  Ben.  Pass.  an- 
geführten lateinischen  vierzeiligen  Strophen  Michi  confer  ven- 
ditor  —  und  Ecce  merces  optime  — ,  mit  Noten.  —  Darauf 
ohne  Noten: 

Maria  ad  institorem: 

287  Sage  mir,  hoebescher  cramer,         stolz  und  lobbere, 
ich  han  silber  unt  golt7        phenningef  die  sint  swere: 
wiltu  mir  dor  umbe  iht  geben        rot  vilzel  unt  wiz  mel, 

290  daz  ich  nu  an  dirre  stunt        schoen  mache  mir  min  t>dt 

Institor  respondet: 

291  Vrowe,  nemt  der  varwe  war,  wie  sie  eu  gevalle. 
sedf  mag  sie  eu  wesen  guot,  die  gib  ich  eu  alle, 
wizset,  das  sie  wol  gezimet  allen  jungen  wiben, 
die  mit  mannen  wellen        ir  swere  zit  vertriben. 

Die  Abweichung  vom  Latein  besteht  im  Auftact  und  was 
die  Reimverse  der  ersten  Strophe,  zweite  Hälfte,  anbelangt  in 
der  Ersetzung  des  Typus  3  kl.  b  durch  3  st.  b. 


Abhandlungen  «um  altdeutschen  Drama.  85 

Tunc  Maria  quasi  stupefacta  flebili  voce  dicat: 

403  Heu  vita  preterita,         vita  plena  malis, 
luxus  turpitvdinis,        fons  exitialis! 

405  Heu  quid  agam  misera}        plena  peccatorum, 
Que  polluta  palleo        sorde  viciorum! 

Et  dicat  ritmum: 

407  0  we  miner  missetat        die  ich  hau  begangen 

mit  verwen  an  manger  stat        unt  mit  manigen  mannen! 

411  0  we  ich  han  gesundet  mit  prise         und  auch  mit  tanzen, 
ich  truog  geverwet  risen        mit  mangen  hohem  cranze. 

Der  deutsche  Text  weicht  von   dem  lateinischen   durch 
Auftact  und  Cäsurreim  ab. 

415  Hinc  ornatus  seculi}  vestium  candores! 

procul  a  me  fugite,  turpes  amatores! 

utquit  nasci  volui,  que  sum  detestanda 

et  ex  omni  genere  criminum  notandaf 

Ibo  nunc  ad  medicum  turpiter  egrota 

medicinam  prostulans.  lacrimarum  vota 

huic  restat  ut  offeram  et  cordis  languores, 

qui  cunctoSy  ut  audio,  sanat  peccatores. 

Et  dicat  ritmum: 

423  0  we}  wie  torst  ich  arme  sunderinne1        tuon  sulche  misse- 

wende! 

425  des  muoz  ich  immer  trurich  sin        gar  untz  an  min  ende, 
o  we}  durch  got  helfet  mir        piten  minen  herren, 
daz  er  die  teuvel  heize        schiere  von  mir  cheren! 

Der  Cäsurreim  423  ist  vielleicht  nicht  beabsichtigt.   Dann 
besteht  die  Abweichung  vom  Lateinischen  nur  im  Auftact. 

Judas  quasi  indignando  canat: 

441  0  vos  condiscipuli7         quid  vobis  videturf 
cur  hoc  unguentarium        gratis  dispergeturf 


1  L.  ich  sunderin. 


86  *•  Abhandlung:    Heinscl. 

Nam  canveniencius         illud  venderetur, 
ut  turbis  pauperibus         distribueretur.1 

Et  dicat  ritmum: 

445  Ze  weu  ist  dise  grosse  Verlust         so  rehte  teuwer  salben, 
den  so  manige  tugent  hat        hie  unt  allenthalben. 

sie  wer  besser  hin  geben 

unt  mang  arme  getroestet        an  sinen  cranchen  leben. 

Die  deutschen  Verse  unterscheiden  sich  durch  den  Anf- 
tact  und  in  den  Reimversen  447.  448  durch  Ersetzung  des 
Typus  3  kl.  b  durch  3  st.  6,  —  oder  4  st.  b9  —  sowie  durch 
das  Reimschema. 

Wohl  nur  zufällig  fehlen  an  den  folgenden  Stellen  die 
Noten  auch  beim  lateinischen  Text. 

Cui  Jhesus  redarguendo  respondeat: 

449  Bonum  opus  mulier  hec  est  operata} 

450  sepulture  munera  sint  hec  adoptata* 
pauperes  habebitis,  cum  me  non  habetis, 
hiis,  cum  volueritis,  bene  facietis! 

Et  dicit  ritmum: 

453  Daz  dise  vrowe  hat  getan,         daz  ist  nicht  ane  sacke: 
seu  hat  geworht  ein  guotez  werch        mit  groessem  ungemache. 

455  armen  leuten  den  tuot  guot         nu  unt  zu  allen  stunden, 
wan  ir  mich  schiere  werdet        sehen  als  einen  diep  gebunden. 

Der  deutsche  Text  ist  vom  lateinischen  verschieden  durch 
den  Auftact  und  die  um  eine  Hebung  verlängerte  Schlusszeile. 

Jhesus  conversus  ad  mulier em  dicat  Simoni: 

485  Pedes  meos  mulier         lacrimis  rigavitf 
pedibus  dans  oscula,         que  multiplicavit, 
caput  unxit  oleo.         sed  tu}  quid  fecistif 


1  Vgl.  bei  Rustebuef  in  seinem  Drama  von  Theophilos  Strophen  wie: 

A  toz  ceus  qui  verront        ceste  letre  commune, 
faxt  Sathan  a  savoir        que  ja  torna  fortune, 
que  Theophile»  ot        a  Vevesque  rancune, 
ne  li  laUsa  Vevesque        eeignorie  neesune. 

2  1.  adaptata. 


Abhandlung«!  mm  alftdeuteohen  Dituoa.  87 

mihi  de  hiis  omnibus         nichil  providisti. 
remittuntwr  igitur        illius  peccata. 

490  vade  salva1  mulier,        es  fide  salvata. 

Et  dicat  ritmum: 

491  Ditz  wip  hat  mit  iren  zeher en        gewaschen  mine  ftieze, 
unt  hoet  sie  wol  tausent  stunt        gechusset  also  sueze, 
unt  hat  mit  gueter  salben        daz  haubt  mir  bestrichen, 
dez  unt  ander  guoter  werch         bin  ich  von  dir  beswichen. 

495  do  von  sag  ich  dir  nu  daz}         unt  wil  ir  do  mit  loenen: 
ir  suln  ir  sunde  vergeben  sin        unt  haben  von  himel  die 

croene. 

Der  Unterschied  des  deutschen  vom  lateinischen  Texte 
besteht  nur  im  Auftact. 

Hoc  facto  Maria  surgat  cantando: 

497  Ego,  que  peccamine  fueram  gravata, 

Christi  consolamine  iam  sum  consolata. 
nichil  ergo  proderint        verba  pharisey, 

500  nam  remisso  crimine  famula  sum  dei. 

Et  dicit  ritmum: 

501  Mit  sunden  waz  min  armer  lip         also  sere  besezzen, 
daz  ich  sundeberez  wip         het  mins  gotez  vergessen. 

505  den  hat  mir  sin  goteheit         also  gar  verlazen, 
do  von  wil  ich  furbaz        sunden  mich  erlazen. 

Die  deutschen  Verse  unterscheiden  sich  von  den  latei- 
nischen nur  durch  den  Auftakt,  denn  der  Cäsurreim  begegnet 
an  derselben  Stelle  wie  im  Lateinischen. 

In  der  Sequenz  Planctus  ante  nescia,  der  bekannten 
Grundlage  der  deutschen  Marienklagen,  Schönbach,  Marien- 
klagen, S.  6,  begegnet  unser  Metrum  gleichfalls,  und  zwar  mit 
Cäsurreimen.  Die  deutschen  Marienklagen  haben  gewöhnlich 
keinen  lateinischen  Text. 

So  z.  B. : 

75  Quid  stupes,  gens  misera,        terram  se  movere, 
Obscurari  sidera,         languidos  luger ef 


1  Hb.  sola,  von  Haupt  gebessert. 


88  X.  Abhandlung:    Heinzel. 

Solem  priva8  lumine:        quomedo  lucerett 
Aegrum  medicamine:        unde  convalerett 

In   der  Prag.  Mkl.  I   entspricht  nach  Inhalt  und  Form: 

177  di  sunne  pirget  iren  schein         aller  der  weit  gemaint , 
di  erde  pidemt,  do  si  leit,        180  auf  cliben  sich  die  staine. 
valsche  diet,  ir  pruvet  nicht,         was  sein  gothait  pringet; 
alle  di  sein  ouge  sieht,         nach  seinem  tode  si  ringen. 

S.  Münch.  Mkl.  S.  374,  Eger.  Pass.  6726. 

39  0  verum  eloquium         iusti  Simeonis! 
quem  promisit  gladium         sentio  doloris. 

Bord.  Mkl. 
690  Symeonis  grymmige  swert}         du  bist  my  unvorborghen. 
du  byst  my  lange  vor  bescherd,        des  mot  ik  sere  sorgen. 

oder  Eger.  Pass. 

6494  Ein  schwert ,    das  mir  geheissen  wardt        Von   Simeonis 

munde, 
Jhesu  Crist,  do  ich  dein  genos,         Das  schneidet  mich 

zu  stunden. 

S.  Münch.  Mkl.  S.  374,  Erl.  Mkl.  213. 

Ohne  lateinisches  Master. 
Ben.  Pass. 

Cantet  Joseph  ab  Arimathia: 
274  Jesus  von  gotlicher  art,         275  ein  mensch  an  alle  wunde, 
der  an  schult  gemartret  wart,         ob  man  den  vurbaz  vunde 
genaglet  an  dem  chriuze  stan,         daz  wer  niht   chuneges 

ere. 
280  darumb  solt  ir  mich  in  lan         bestaten,  rihter  herre! 

Pilatus: 
282  Swer  redelicher  dinge  gert,         daz  stet  wol  an  der  mau, 
daz  er  ir  werde  wol  gewert.         285  du  betest  daz  ich  laze 
dich   bestaten  Jhesum   Christ:        daz  main   ich  wol   in 

guote. 
seit  er  dir  so  ze  herzen  ist,         nim  in  nach  dinem  muote. 

Die  Verse  sind  notirt.  —  Die  Cäsuren  sind  gereimt  wie 
oben  Pen.  Pass.  307.  407.  —  Der  Satz  geht  von  einer  Strophen- 
hälfte in  die  andere  über. 


Abhandlungen  mm  altdeutschen  Drama  89 

Eger.  Pass. 
1716  Ein  Kindelein  so  lobigkleich         Ist  uns  geporen  heütte. 
S.  Hoflfmann,  Kirchenlied,  S.  197. 

Der  Cäsurreim  ist  im  Lateinischen  nicht  selten  durch- 
geführt, so  in  den  betreffenden  Strophen  der  Sequenz  Planctus 
ante  nescia.    Ben.  Weihn.  564.  698,  Carmina  burana  N.  XXVI. 

Lxxvn. 

Was  den  Auftact  anbelangt,  so  findet  sich  auch  die  Va- 
riante, dass  der  zweiten  Vershälfte  eine  Silbe  vorgeschlagen 
wird,  und  zwar  gerade  in  Dramen.  Hilarius  in  seinem  Drama 
Daniel  S.  43. 

Cantabunt  milites  hanc  prosam: 

Resonent  unanimes         cum  plausu  populari 
Et  decantent  prineipis        potenciam  preclari, 
Cuius  seeptrum  maxime         debemus  venerari, 
Nam  late  diffunditur        in  terris  et  in  mari, 
Cuius  pater  potuit        de  hoste  gloriari 
Vasa  de  dominico         diripiens  altari. 

Strophische  Gliederung  ist  hier  nicht  zu  ersehen. 

In  beiden  Vershälften:  im  Teg.  Ant.  1,  wo  auch  Cäsur- 
reim hinzutritt. 

1  Deorum  immortalitas         est  omnibus  colenda}  • 

2  eorum  et  pluralitas         ubique  metuenda. 

9  Si  enim  unum  credimus,         qui  presit  universis, 
10  subiectum  hunc  concedimus         contrarie  diver  eis. 


IL  Strophen,  die  aus  einem  Vers  von  4  Silben  trochäischen 
oder  iambischen  Ausgangs  mehr  6  Silben  iambischen  Ausgangs 
gebildet  sind  :4  o  *  +6  ^  _ ;  W.  Meyer  S.  90. 

Innsbr.  Ost.  H. 

Tertia  persona  cantat: 

1021  Cum  venissem         ungere  mortuum, 
monumentum        inveni  vaeuum. 


90  X.  Ahb«il— g;    H*ias«L 


heu  nescio         rede  discernere 

ubi  possum        magistrum  quaerere.1 

Item  cantat: 

1025  Atce  der  mere,         awe  der  jemmerlichen  dage, 

daz  grab  ist  lere,        awe  miner  clage! 

wo  ist  nue  hin  min  trost? 
1030  der  mich  von  runden  hat  erlost, 

der  dye  sunde  mir  vorgab, 

den  sack  ich  legen  in  ein  grab. 

Maria  recedit  cantando: 

1099  Vere  vidi        dominum  vivere, 

1100  nee  dimisit        me  pedes  längere, 
discipuli        oportent  credere 
quod  ad  fairem        velit  scandere. 

Item  cantat: 

1103  Ich  sach  werlichen        minen  heren  lebende. 

1105  er  enliz  mich  nicht        ruren  dye  fuesze  sin. 

dy  jungern        schütten  dez  gläubig  syenf 

daz  er  wil  stigen        czue  dem  vater  sin. 

Die  Innsbrucker  Handschrift  hat,  wie  es  scheint,  keine 
Noten.  —  Im  ersten  Beispiel  sind  nur  die  ersten  zwei  Lang- 
zeilen der  vierteiligen  lateinischen  Strophe  nachgebildet,  im 
zweiten  alle  vier,  auch  mit  Nachbildung  der  Reimfolge  aaaa. 
lebende  ist  ein  Fehler;  s.  unten  S.  90. 

Trier.  Ost. 
Tunc  procedunt,   die   drei   Marien,   et   cantat  prima  recedem 
vSrsum  ,Jhesu   nostra   redempeio1,    deinde  seeunda   seeundum 
versum  7Qui  te  vicit4,   deinde  tertia  ultimum  versumf   uUerius 
procedendo  cantando: 

76  Cum  venissem        ungere  mortuum, 
monumentum    .    inveni  vaeuum. 
Heu  nescio        rede  discernere, 
ubi  po88tm        magistrum  querere. 

1  S.  das  französische  Adamsspiel  ans  dem  12.  Jahrhundert  ed.  Grass. 
622  Oh  paradis        tont  par  es  bd  mainer/  • 

Vergier  de  glorie,        tont  vtu  /et  bd  veer! 
Jetez  en  tut        par  mon  pechii  par  voir: 
Del  recovrer        tot  ai  perdu  Vttpoir. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  91 

80  heu,  heu,  heu  redempcio  Israel, 

utquid  mortem  sustinuitf 
82  Owe  der  mere,        owe  der  jemerlychen  clage! 

daz  graff  was  lere,         85  owe  myner  dage! 

Was  yst  nu  myn  leben,        synt  ich  syn  nycht  fynden  mach, 

den  ich  sueche,         der  in  deme  grabe  lach. 

Owe,  owe  myr  armen,  was  sal  ycht 
90  oder  were  wyl  nu  troesten  mych. 

Der  lateinische  und  deutsche  Text  ist  mit  Noten  versehen. 

Deinde  Maria  iterum  cantat  rigmatice  ,Dolorl. 
106  Dolor  crescit,         tremunt  precordia 

de  magistri        pii  absenda, 

qui  8alvavit        me  plenam  viciis 

pulsis  a  me        Septem  demoniis. 
110  Heu,  heu,  heu  redemptio  Israhel! 

utquid  mortem  sustinuitf 
112  Myn  leyd  dat  wysset,         myn  hercze  trurych  yst, 

nu  myn  lyebe        meyster  ghestorben  yst, 

der  mych  van  sewen        duf eilen  machte  fry, 
115  dye  myr  alles  stedys        woentten  nahe  by. 

owe,  owe,  owe!  myn  heyl,  myn  troest,  myn  got, 

warumbe  lydestu  den  bitteren  doetf 

Maria  cantat  ut  sequitur: 

157  Vere  vidi  bis  velit  scandere  (ascendere);  s.  oben  S.  89. 

161  Ich  sach  werlichen         leben  den  heren  myn: 

hy  lyesz  mych  nyet        ruerren  dye  fuesze  syn. 

den  jüngeren        sal  das  werden  schyn, 

das  hye  wyl         myt  syme  vader  syn. 

Alle  lateinischen  und  deutschen  Verse  sind  notirt. 

Das  Metrum  Cum  venissem  ungere  mortuum  ist  deutlich 
nachgeahmt;  —  auch  die  Form  der  vierzeiligen  Strophe  mit  2 
oder* 4  Endreimen,  —  mit  Ausnahme  des  Auftacts  und  des  Cäsur- 
reims  82.  Sehr  frei  ist  der  Anhang  Heu  heu  —  im  Deutschen 
behandelt. 

Erl.  Ost. 
(Prima  Maria.) 

1040  Cum  venissem  bis  querere.  S.  oben  S.  89. 

1041  Owe  der  maire,        owe  der  jcemerchlichen  clagf 


92  X.  Abhandlung:    Hein  sei. 

das  grab  ist  leere,         owe  der  meinen  tag! 
1045  wo  ist  nu  mein  trostf 

der  so  liebpleich  mit  mier  chost, 
der  mier  mein  sunde  vergab, 
den  sack  ich  legen  in  ein  grab. 

En  lapis  est  vere  depositus, 

qui  fuerat  in  Signum  positus. 

munierant  locum  militibus} 

locus  vacat  eis  absentibus. 

Durch  got  ir  frauen,         1050  ir  helft  ze  chlagen  mier 

mein  laid, 
ich  cham  her  schauen       das  grab  der  scelichait. 
er  ist  mir  benoemen. 

ach  milter  got,  wo  pist  du  hin  choement 
1055  ich  muosz  sterben,  ich  ensehe  dich, 
sueszer  got,  nu  troeste  mich. 

Es  folgen  noch  zwei  deutsche  Strophen  desselben  Me- 
trums. Alle  lateinischen  und  deutschen  Verse  sind  zum  Gesang 
bestimmt. 

Bis  auf  den  Auftact  und  Cäsurreim  sind  die  ersten  beiden 
Langzeilen  der  lateinischen  Strophe  wiedergegeben,  das  fol- 
gende in  zwei  Reimpaaren. 

Et  Maria  (Magdalena)  ineipit  planctum: 

1121  Dolor  crescit  bis  demoniis.    S.  oben  S.  90. 

1121  Der  smerz  der  wachset,         traurig  ist  das  he**ze  mein 
umb  meinen  herren,         dem  ich  muos  froemde  sein, 
der  mich  erloeset         hat  von  meiner  missetat 
und  siben  teufel        von  mier  vertriben  hat. 

1125  Seine  smerzen  sach  ich  an  vil  armes  weip, 
mit  einem  sper  verwunden  seinen  leip, 
er  laid  grosze  not 
durch  meiner  sele  missetat, 
ich  muesze  sterben  oder  ich  vinde  dich, 
ach  herre  got,  nuo  troeste  mich! 

1130  Er  ist  entwachet,         den  des  todes  twalme  pand, 

als  mier  chund  machet        der  enget,  den  ich  vand. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  93 

der  stein  ligt  her  ab 
1135  geverret  wol  vom  grab. 

der  ritter  chraft        macht  da  nicht  wider, 
der  enget  chraft        sluog  seu  nider. 

Alles  Citierte  ist  ftir  Gesang  bestimmt. 

Die  erste  Strophe,  1121  Der  smerz  der  wachset,  stimmt  bis 
auf  den  Auftakt  genau  zum  lateinischen,  nur  ist  in  der  dritten 
Zeile  wohl  meiner  vor  missetat  zu  streichen. 

Die  zweite  Strophe,  1125  Seine  smerzen  -j-,  weicht  ganz  ab. 

Die  dritte,  1130  Er  ist  entwachet  — ,  ist  in  den  ersten 
zwei  Langzeilen  wieder  bis  auf  den  Auftact,  der  in  dem  Verse 
den  des  todes  ttvalme  fand  sogar  zweisilbig  zu  sein  scheint, 
und  den  Cäsurreim  gleich  dem  lateinischen  Vorbild.  Das  Fol- 
gende in  dieser  Strophe  weicht  ab. 

Maria  (Magdalena)  iterum  cantat: 

Vere  vidi  bis  velit  scandere  (ascendere).   S.  oben  S.  89. 

1176  Mein  hende  winden        sach  mich  der  liebe  herre  wol, 

er  liesz  sich  vinden,         do  ward  ich  fraeuden  vol. 
1180  do  pei  behuob  sich  ein  swaer: 

er  was  qeleich  einem  qartner. 

nein  algen  sein  nicht  erchanten, 

um  er  Jesus  Mariam  nante. 

Ich  sprach:   Raboni,         1185  und  viel  iem  an  di  fusze 

sein, 

im  nigen  throni,         er  ist  der  enget  schein. 

er  sprach:  Maria,  ruer  mich  nicht, 

gedenkch  an  meines  herzen  Hecht, 
1190  das  ich  vom  tod  erstanten  sei. 

do  ward  ich  aller  sorgen  frei. 

1176  ist  liebe  vor  herre  wohl  zu  streichen.  —  Alle  diese 
Verse  waren  Air  Gesang  bestimmt. 

Die  ersten  beiden  Langverse  der  zwei  Theile,  in  welche 
die  deutsche  Strophe  zerfallt,  sind  wieder  dem  lateinischen 
Original  gleich  bis  auf  den  Auftact  und  die  Cäsurreime.  Das 
Folgende  weicht  ab. 


94  X.  Abhandlung:    Hftinael. 

Wolf.  Ost. 
Tertia  Maria  cantat: 

Cum  venissem  bis  querere.   S.  oben  S.  88. 
115  0  we  wat  schal  ik  arme  wifl 

0  we,  dat  ik  nu  gewan  den  Uff 

0  we,  jo  han  ik  den  vorloren, 

Den  ik  to  tröste  hadde  irkoren. 

Tertia  Maria  cantat: 

120  0  we  der  mare,         o  we  der  jammerliken  klage! 

dat  graf  was  wan}         to  dem  ik  sulven  quam. 

wur  is  nu  Ken  min  trost, 

de  mik  van  sunden  had  gelost  f 
125  ik  was  arme  na  vorloren, 

he  wart  dorch  mine  hulpe  geboren. 

Tertia  Maria: 

En  lapis  est        vere  depositus, 

qui  fuerat        in  Signum  positus. 

munierunt         locum  militibus: 

locus  vacat        eis  absentibus. 
135  Der  mertere  smerte        sach  ik  an  om  vil  trovich  wif, 

mit  so  vullen  herten         sin  vorwunde  lif 

liden  grote  not. 

Ach  here,  lege  ik  vor  ome  dotf 

de  mik  mine  sunde  vorgaff 
140  den  sach  ik  legen  an  ein  graf. 
Tertia  cantat: 

Dolor  crescit  bis  demoniis.   S.  oben  S.  90. 
Tertia  Maria: 

Dorch  gody  gi  vrowen,         145  helpet  my  alle  klagen  my, 

ik  quam  irschowen        Jhesum  den  heren  min. 

Nu  is  he  my  benomen. 

ach  heref  war  bistu  gekomenf 
150  Ik  mut  sterven}  ik  ense  dy} 

vil  riker  god,  nu  tröste  my. 

Tertia  Maria  cantat: 

Vere  vidi  bis  scandere  (ascendere).  S.  oben  S.  89. 
Ik  sach  werligen        minen  heren  levendich, 


Abhandlungen  «um  altdeutschen  Drama.  95 

he  enleit  my  nicht        roren  de  vote  sin. 
190  de  jüngeren        schal  dat  werden  schin,1 

dat  he  to  sineme  himmelschen  vader        schere  komen  wil. 

Alles  Lateinische  und  die  deutschen  Strophen  120  ff.  135  ff. 
144  ff.  188  ff.  sind  notirt  mit  Notenzeichen,  nicht  Neumen,  nnd 
dnrchcomponirt.  —  Die  Melodien  der  lateinischen  nnd  der 
ihnen  folgenden  deutschen  Strophen  sind  sich  sehr  ähnlich,  in 
den  ersten  zwei  Langzeilen  gleich,  in  den  folgenden  variirt. 

Das  Metrum  der  deutschen  Strophen  bis  auf  die  letzte 
188  ff.  bildet  deutlich  die  zwei  ersten  Langzeilen  des  lateini- 
schen nach,  mit  Ausnahme  des  Auftacts,  der  Cäsurreime  in 
135  ff.  144  ff.  und  fehlenden  Senkungen.  Die  letzten  zwei  Lang- 
verse des  Lateinischen  sind  durch  deutsche  Reimpaare  wieder- 
gegeben. Die  Strophe  188  ff.  weicht  darin  ab,  dass  sie  keine 
Cäsurreime  und  fehlende  Senkungen  hat,  und  dass  auch  die 
dritte  und  vierte  Langzeile  nachgebildet  werden,  aber  was  die 
vierte  anbelangt,  mit  starker  Verlängerung  der  Cäsurzeile. 

Im  Wien.  Ost.  H.  steht  S.  331,  9  die  deutsche  Ueber- 
setzung  des  oben  citierten  Vere  vidi  u.  s.  w.  ohne  den  lateini- 
schen Text: 

9  Ich  sach  werlich         leben  den  herren  mein, 
10  Er  Hess  mir  nicht        rilren  die  vüsse  sein. 
Die  junger        müssen  des  gleubig  sein. 
Das  er  uns  wil  vüren        zu  dem  vater  sein. 


III.  Strophen  aus  einem  Vers  von  acht  Silben  mit  iam- 
bischem  Ausgang;  s.  W.  Meyer  S.  93. 

Wolf.  Ost. 

Prima  et  secunda  (Maria)  cantant: 

Jhesu  nostra  redemptio, 
amor  et  desiderium, 
Dens  creator  omnium, 
homo  in  fine  temporum! 
Quae  te  vicit  dementia, 
ut  ferres  nostra  crimina. 


1  achin  fehlt  in  der  Hs. 


96  *•  Abhandlung:    Haimel. 

crudelem  mortem  patiens 
ut  nos  a  morte  tolleres! 

Secunda  Maria: 

101  Goddes  sone  Jhesu  Crist} 

Du  alder  werlde  ein  lozer  bist. 

Du  dorch  alle  dine  gute 

Vorlie  uns  alle  ein  stete  gemote, 
105  Dat  we  dy  alle  klagen 

Unde  din  leid  helpen  dragen. 

Tertia  Maria  cantat: 

107  Vil  sandeshat  des  meres  grunt7 

noch  han  ik  mer  wen  dusent  stunt 

wedder  god  missedan, 
110  o  we  dat  ik  nu  lif  gewan! 

Seven  duvel  han  bevangen  my. 

o  we,  wat  schal  ik  arme  wif! 

moste  ik  vor  sine  vote  komen, 

de  my  de  duvel  had  benomen! 

Das  Lateinische  und  die  deutsche  Strophe  107 ff.,  nicht 
die  vorhergehende,  sind  notirt  und  zerfallen  nach  der  Compo- 
sition  in  gleiche  Hälften. 

Das  deutsche  Metrum  stimmt  zum  lateinischen.  Nur  fehlen 
mitunter  die  Auftacte  und  die  Reime  sind  reiner. 


IV.  Versus  caudati. 

Das  Metrum  ist  in  den  Marienklagen  sehr  beliebt.     Der 
lateinische  Text  nach  Schönbach,  Marienklagen,  S.  6  f. 

1  Planctus  ante  nescia} 

planctu  lassor  anxia, 

crucior  dolore. 

orbat  orbem  radio, 
5  me  Judaea  filio, 

gaudio  dulcore 
Lichtenth.  Mkl. 

1  Awe  der  iemerleichen  clag, 

die  ich  muter  aine  trag 


Abhandlungen  tum  altdeutschen  Drama.  97 

von  des  todes  wanne! 
Wainen  was  mir  unbekant, 
5  seit  ich  muter  was  genant 
und  doch  mannes  anne. 

19  Proh  dolor! 

20  hinc  color 
effugit  oris} 
hinc  ruity 
hinc  fluit 
unda  cruoris. 

Lichtenth.  Mkl. 

31  Awe  kint} 

dein  wengel  sint 

dir  nu  gar  erplichen. 

Deineu  mäht 
35  und  auch  dein  kraft 

ist  dir  gar  entwichen. 

Die  Lichtenth.  Mkl.  ist  nicht  notirt.  Die  Uebereinstimmung 
ist  im  ersten  Beispiel  genau,  im  zweiten  ungenau.  Anstatt  1  kl.  a, 
1  kl.  a,  2  kl.  b  hat  der  deutsche  Text  2  st.  a;  2  st.  a,  3  kl.  b. 

Bord.  Mkl, 

Sancta  Maria  Magdalena: 

257  Heu  quantus  luctus 

nobis  est  inductus 

pre  hac  tristitia! 
260  0  we  uns  armen, 

got  lote  sik  erbarmen 

over  unse  grote  leyt. 

Weder  die  lateinischen  noch  die  deutschen  Verse  haben 
Noten.  —  Letztere   unterscheiden   sich   durch   Auftact  in    der 
zweiten,  durch  zweisilbigen  Auftact  in  der  dritten  Zeile. 
Mater  Johannis  evangeliste  cantat  post  hoc: 

281  Jam  auctor  lucis 
nunc  in  ligno  crucis 
stat  in  angustia. 

Sitsnngsber.  tl.  phil.-hiat.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  10.  Abk.  7 


98  X-  Abhandlung:    Hei  nie  1. 

Nu  sy  wy  mit  sorgen 
285  hüten  gar  vorborgen 

unde  in  der  yamercheyt. 

Weder  der  lateinische  Text  noch  der  deutsche  haben 
Noten.  —  Der  deutsche,  dessen  Inhalt  nichts  mit  dem  lateini- 
schen zu  thun  hat,  würde  genau  zum  lateinischen  stimmen, 
wenn  man  wy  in  sorgen  läse,  statt  wy  mit  sorgen. 

Ohne  lateinisches  Muster. 
Ben.  Pass.  39.  46.  51  der  Kehrreim,  s.  oben  S.  80 f.: 

seht  mich  an, 

jungen  man, 

hat  mich  eu  gevallen. 

S.  den  Abgesang  in  Magdalenas  Lied  Mastr.  Pass.  800  ff. 

V.  Andere  Strophen. 

Erl.  Mkl. 

Fleant  materna  viscera 

Marie  matris  vulneraf 

materne  doleo, 

que  dici  soleo 

felix  puerpera. 
22  Wainet,  vil  liebe  christenhait, 

unser  groszes  herzenlaid 

umb  unsern  herren  Jhesum  Christ, 
25  der  nu  ser  gemartert  ist 

von  der  posen  Juden  list. 

Der  lateinische  und  deutsche  Text  sind  zum  Gesang  be- 
stimmt. —  Nur  die  ersten  zwei  Verse  stimmen  genau,  das 
Uebrige  weicht  in  der  Reimordnung  und  Hebungszahl  ab.  Doch 
ist  die  Verszahl  gleich. 

Erl.  Mkl. 
Maria  mater  domini  cantat: 

Flete,  fideles  anime, 
flete,  sorores  optime, 
ut  sint  multiplices 
doloris  inndiceSy 
planctus  et  lacrime. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  99 

Maria  Cleophae  cantat: 

1  Bainen  wil  ich,  des  get  mier  not, 

Wainen  wil  ich  gotes  tod. 

der  war  mein  gesunder  trast, 

di  werld  er  hat  erlost 
5  mit  seinem  plüt  so  rot 

Der  lateinische  und  deutsche  Text  sind  für  Gesang  be- 
stimmt. —  Die  Verszahl,  die  Reimordnung,  der  Bau  der  Verse 
mit  Ausnahme  des  Auftacts  stimmen  überein.  3  ist  wohl  sunder 
statt  pesunder  zu  lesen. 

Neben  diesen  mehr  oder  minder  die  metrische  Form  des 
lateinischen  Originals  durchscheinen  lassenden  Formen  kommt 
auch  ganz  freie  Wiedergabe  des  Inhalts  der  lateinischen  Ge- 
sangstexte durch  deutsche  Reimpaare  —  auch  von  mehr  als 
vier  Hebungen  —  vor;  zum  Sprechen  Ben.  Pass.  91,  Wien. 
Pass.  349.  360.  457,  Bord.  Mkl.  346.  734,  Wolf.  Ost.  7.  31.  35. 
49.  —  Zum  Singen  Eger.  Pass.  .7956,  Erl.  Mkl.  27.  158.  170, 
—  31  wird  gesungene  lateinische  Prosa  durch  deutsche  Reim- 
paare wiedergegeBen,  —  M.  Magd.  314;  hier  steht  auffällig 
der  deutsche  Text  vor  dem  lateinischen. 


Wenn  nun  in  geistlichen  Dramen  —  abgesehen  von  welt- 
lichen Liedern ,  wie  dem  Frühlingslied  im  Mastr.  Pass.  796, 
dem  Mantellied  Magdalenens  Wien.  Pass.  311,  Alsf.  Pass.  1796, 
M.  Magd.  330,  dem  Hochzeitslied  Erl.  Weihn.  27,  den  Liebes- 
liedern Innsbr.  Ost.  H.  664,  Erl.  Ost.  384,  Red.  Ost.  H.  755, 
Theoph.  Trier.  823,  die  aus  der  weltlichen  Poesie  stammen  und 
ihrem  Inhalt  nach  zum  Theile  Einschübe  sein  können,  —  sich 
Strophen  finden,  die  metrisch  den  besprochenen  sicher  dem 
Latein  entlehnten  sehr  ähnlich  sind,  so  liegt  die  Vermuthung 
sehr  nahe,  dass  auch  sie  lateinischen  nachgebildet  sind,  die 
sich  bei  der  zunehmenden  Verdeutschung  des  Dramas  verloren 
haben. 

Trier.  Mkl.  (die  Orthographie  nach  Wackernagel,  Kirchen- 
lied). 

Et  sie  recedunt  totaliter7  et  Maria  cantat  quod  sequitur 
ettunc  etiam  recedit.  Deo  gratias.  S.  272,  15: 

7* 


1 


100  X.  Abhandlung:    Heiniel. 

Nu  hebyd  sych  groesz  weynnen        unde  schryen  ummerme, 
nu  enweysz  ich9  arme  frauwe,         we  isz  myr  sal  erghen. 
Nu  byn  ich,  arme  frauwe,         verweyset  also  gar: 
mynen  troest  hayt  mir  benomen         die  valschen  judenschar. 

Die  Verse  sind  notirt.  Sie  finden  sich  auch  zum  Gesang 
bestimmt  im  Alsf.  Pass.  6493. 

Es  ist  die  Nibelungenstrophe  mit  durchaus  dreihebigen 
Reimversen  ohne  Cäsurreime. 

G.  Freytag,  De  initiis  scenicae  poesis  apud  Germanos, 
S.  53:  Unicum,  quod  scio,  exemplum  veteris  heroici  numeri  t» 
scenicis  ludis.  Das  andere  Beispiel  begegnet  im  Zehnjungfr. 
S.  30  auch  am  Schluss  des  Stückes. 

Post  hec  fatue  vadant  inter  populum  cantando  planctos. 
Prima  cantat: 

Nuo  hebet  sich  groz  schrigen         vnn  toeynen  ummerme. 

Got  hat  uns  vorvluchet,         von  eme  hiz  er  uns  ge. 

wy  haben  en  erczomit,         uns  wirt  nummir  rat. 

dez  lazet  uch  liben  erbarmen,         wan  iz  uns  kumirlichen  gat. 

Alie  respondent  ad  quemlibet  versum  (Strophe): 

Owe  unn  owet 

sul  wir  Jhesum  Cristum  nummir  me  gese! 

Secunda  fatua: 

Wy  clagen  uch  liben  alle        was  unse  here  tet. 
ja  enwalde  he  nicht  erhöre         syne  muotir  gebet, 
die  bat  vor  uns  vil  armen:         daz  enhalf  uns  leyder  nicht, 
he  sprach:  warumme  solde  ich  mich  obir  suo  irbarment         so 

getaten  suo  ny  nicht  dorch  mich. 

Der  erste  Vers  der  ersten  Strophe  ist  gleich  dem  ersten 
der  betreffenden  Strophe  in  der  Trier.  Mkl.  und  dort  weniger 
passend  als  hier,  vielleicht  also  ist  die  Strophe  der  Marienklage 
im  Zehnjungfr.  nachgebildet.  —  Im  Ganzen  zwölf  derartige 
Strophen,  die  sich  von  der  Nibelungenstrophe  dadurch  unter- 
scheiden, dass  der  vierte  Cäsurvers  meist  fünf  Hebungen  mit 
klingendem  Ausgang  hat,  gleich  dem  zweiten,  dritten  und 
vierten  Reimverse  der  Titurelstrophe,  dem  vierten  der  Gudrun- 
strophe. Es  ist  also  genauer  gesagt  die  Walther-  und  Hilde- 
gundenstrophe. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  101 

Schon  die  vierzeilige  aabb  reimende  Vagantenstrophe 
Michi  confer  venditor  species  emendas  —  s.  oben  S.  80,  ist 
der  Nibelungenstrophe  durch  die  Cäsur  in  der  Langzeile  sehr 
ähnlich. 

Ich  verweise  aber  noch  auf  andere  Formen  mit  stumpfen 
Reimversen. 

Mit  klingender  Cäsur  7 +  7^_;    W.  Meyer  S.  97. 

Im  12.  Jahrhundert  bei  Hilarius.  N.  III: 

Superba,  nee  superba  nisi  solo  nomine, 

Lege  missa  tibi  verba  tanquam  meae  dominae, 

Tunc  ego  scribi  tibi  (?)  speciosa  femina, 

Cui  decet  a  me  scribi, .  cum  sis  mea  domina  u.  s.  w. 

Der  Vers  ist  gleich  der  gewöhnlichen  Form  des  vierten 
Langverses  der  Nibelungenstrophe,  aller  Langverse  von  Minne- 
sangs Frühling,  S.  4,  1  Diu  linde  ist  an  dem  ende  nu  järlanc 
sieht  unde  blbz  — .  S.  auch  Meinloh  von  Sevelingen,  den  Burg- 
grafen von  Regensburg;  vgl.  Dietmar  von  Eist  S.  32,  1.  36,  34. 

Mit  stumpfer  Cäsur  7  ^  _  +  7  ^  _.  Ben.  Weihn. 

Vos  qui  regum  habitus         et  insigne  geritis, 
nobis  notum  facite,         345  quare  sie  inceditis, 
vel  si  noturum  aliquid         reserandum  noscitis, 
quod  ad  aures  regis        ferre  queritis. 

350  Nos  Herodis  vernule         sumus  et  nicarii, 

ad  quem  sepe  transoolant  ex  diversis  nuntii. 
Nulla  nobis  clausa  sunt  355  secreta  palatii, 
ergo  scire  possrimus         vestri  rem  negotii. 

In  349  quod — queritis  fehlen  drei  Silben. 

Mit  Cäsurreimen: 

Ecce  virgo  pariet         sine  viri  semine, 
per  quem  mundum  abluet        a  peccati  crimine. 
5  de  venturo  gaudeat        Judea  numine, 

et  nunc  (1.  non)  ceca  fugiat         ab  erroris  lumine. 

S.  67.  110.  126,  wo  0  Augustine  ausserhalb  des  Verses 
steht,  242.  390.  478.  494.  515. 

Die  Hälfte  unserer  vierzeiligen  Strophe  ist  erhalten  im 
Teg.  Ant. 


102  *•  Abhandlung:    Heinxel. 

418  Nos  erroris  penitet,         ad  fidem  convertimur. 
Quicquid  nobis  auferet         persecutor,  patimur. 

Carolina  Bnrana  N.  VIII: 

Bonum  est  confidere  %      in  dominorum  domino, 
bonum  est  spem  ponere         in  spei  nostrae  termino. 

Eine   ähnliche    Bildung  ist    durch    stumpfen    dreihebigen 
Versausgang  das  oben  S.  89  citierte  Metrum  Cum  venissem 
ungere   mortuum   —   in   meist   vierzeiligen    Strophen  mit  dem 
Reimschema  aaaa\  s.  auch  Hilarius  N.  X. 

Ave  splendor         telluris  anglice, 
Decus  summum         et  decor  unice, 
De  te  fama         testatur  publice, 
Largitatis         quam  sis  immodice. 

N.  XV  S.  53  im  Drama  Daniel: 

Andient  principes         qui  sunt  in  curia 
Quod  iussit  fieri        potestas  regia, 
Nee  debent  respui        regis  imperia: 
Est  vir  incognitus         in  Babilonia 
Qui  eunetis  preminens         mira  sciencia 
Predixit  Baltasar         regni  diseidia. 

J.  Grimm,  Kleinere  Schriften  III,  S.  49 : 

Lingua  balbus,         hebes  ingenio 
viris  doctis         sermonem  facio. 
sed  quid  loquor,         qui  loqui  riesdof 
necessitas        est,  non  presumptio. 

Ben.  Weihn. 

118  Nunc  aures  aperi,        Judea  misera! 

120  Rex  regum  veniet        veste  sub  altera, 
qui  matris  virginis        dum  sugit  ubera, 
dei  et  hominis         coniunget  (1.  coniungit)  federa. 

Ebenso  454.  S.  W.  Mapes  ed.  Wright  S.  1.  77.  106.  147. 
187.  Lauter  vierzeilige  Strophen,  gereimt  aaaa. 

Durch  vierhebigen  Versausgang.  Der  trochäische  Fünf- 
zehnsilber 8  _  w  +  7  ^  _,  W.  Meyer  S.  79.  Hilarius  N.  I. 

Veni  dator  omnis  boni,         veni  sanete  Spiritus! 

Et  que  modo  sum  dicturus         dieta  mihi  primitus. 


Abhandlungen  mm  altdeutschen  Drama.  103 

Veni  precor  et  inspira         servo  tuo  celitus. 
Letos  enim  nisi  per  te        non  habebit  exitus. 

Es  ist  eine  vierzeilige  Strophe  der  Reimordnung  aaaa. 
Wackernagel,  Zs.  V,  S.  296: 

Nummus  vivit,  nummus  regnat        nummus  cunctis  imperat 
reos  solvit,  iustos  ligat,         impedit  et  liberat. 

Die  Verse  bilden  eine  zweizeilige  Strophe.  S.  Trier.  Ost.  1  ff, 
sechszeilige  Strophen. 

Vergleiche  die  Langverse  in  Mastr.  Pass.  796: 

Alle  creaturen        vrauwent  sich  der  liver  zijt, 

rosenblumen  hure         riet  man  springen  wider  strijt. 

ri  woren  versunden, 

si  hant  or  leit  vorwonden, 

sie  dun  den  sumer  kunt. 

susze,  suverliche, 

werde  ich  vrouden  riche, 

dat  deit  mir  din  roder  munt 

Aber  selbst  wenn  die  Nibelungenstrophen  im  Drama  nicht 
Uebersetzungen  verlorner  ähnlicher  Strophen,  sondern  freie 
Erfindungen  des  14.  Jahrhunderts  in  der  seit  dem  12.  be- 
kannten Kürenberger-  oder  Nibelungenstrophe  wären,  was  ja 
möglich  ist,  so  sind  die  aufgeführten  lateinischen  in  Lyrik  und 
im  Drama  gebrauchten  Strophen  der  Nibelungenstrophe  und 
ihren  Verwandten  so  ähnlich,  durch  Theilung  der  Langzeile 
in  zwei  Hälften  mit  festem  Endreim  und  gelegentlichem  Cäsur- 
reim,  durch  den  Wechsel  zwischen  klingendem  und  stumpfem 
Versausgang  in  Cäsur  und  Reim,  durch  die  Bindung  zu  vier- 
zeiligen  Strophen,  dass  die  Annahme,  die  Nibelungenstrophe 
und  einige  Verwandte  habe  sich  im  12.  Jahrhundert  durch 
Uebersetzen  lateinischer  Lyrik  ins  Deutsche  gebildet,  mir  sehr 
wahrscheinlich  vorkommt.  Wenn  man  die  Freiheiten  erwägt, 
welche  sich  die  Dramatiker  bei  Wiedergabe  des  lateinischen 
Textes  durch  einen  deutschen  in  Bezug  auf  Metrum  und  Me- 
lodie erlaubten,  die  ähnlichen  zwischen  den  Melodien  der  Stro- 
phen im  St.  Petrus-  und  Galluslied,  Denkmäler,  Scherer  zu  IX. 
XII,  zwischen  der  Melodie  und  der  deutschen  Uebertragung 
einer  lateinischen  Prosa,  Scherer  zur  Sequenz  von  Muri  LX1I, 


1 


104  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

hat  man  kein  Recht  eine  Strophe  etwa  wie  Hilarius  N.  III: 
Superba,  nee  superba  nisi  solo  nomine  — ,  aber  mit  drei 
dreihebigen  Reimversen,  am  Schluss  mit  einem  vierhebigen  ab 
Vorlage  ftir  die  deutschen  Kürenberger-  und  Nibelungenatrophen 
zu  fordern. 

Die  Verlängerung  des  vierten  oder  die  Verkürzung  der 
ersten  drei  Reimverse,  ebenso  wie  die  Ersetzung  der  durch 
feste  Silbenzahl  geregelten  lateinischen  Verse  durch  deutsche 
mit  ihren  Freiheiten  der  Tactfitflung,  womit  vielleicht  das  Auf- 
geben des  dipodischen  Verscharakters  in  so  vielen  Fällen  zu- 
sammenhängt, die  metrische  Gleichwerthigkeit  von  klingendem 
und  um  eine  Hebung  vermehrtem  stumpfen  Versausgang,  die 
anfänglich  geringe,  aber  immer  steigende  Regelmässigkeit  in 
der  Setzung  klingender,  nicht  stumpfer,  Cäsur-  und  stumpfer, 
nicht  klingender,  Reimverse  wird  sich  in  der  Ppaxis  der 
deutschen  Dichter  festgesetzt  haben. 

Wann  im  12.  Jahrhundert  und  wie  der  Process  vor  sich 
ging,  ist  unsicher.  Vielleicht,  dass  er  schon  vollzogen  war,  als 
man  einzelne  Verse  dieser  Art,  nicht  Strophen,  in  geistlichen 
Gedichten  gebrauchte,  deren  Originale,  lateinische  Prosa,  selbst 
kein  metrisches  Vorbild  darbieten  konnten.  S.  Sequenz  von  Muri: 

47  oioe  kilniginne}         waz  gnaden  got  an  dir  begie. 

60  den  er  leit  dur  die  mennischeit,         sehe  an  menniseliche  not. 

63  siner  cristenen  hantgetdt         gnaedic  in  den  sündeti  si. 

Mit  längcrem  Reimvers  36.  39.  44. 

Wie  ja  auch  ähnliche  Verse  mit  klingendem  Ausgang  in 
diesen  Dichtungen  erscheinen.  Sequenz  von  St.  Lambrecht: 

15  und  mit  rehtem  glouben        ze  dtnen  gnaden  dingent 

Sequenz  von  Muri: 

6  der  dich  und  al  die  werlt  geseuof,       nu  sich  wie  reine  ein  taz 

du  maget  do  weere. 

11  daz  ich  den  vater  und  den  sun         und  den  vil  heren  geist 

gelouben  mileze. 
Mit  ungenauen  Cäsurreimen: 

23  diu  vil  reine  scam  erscrac  von  disem  rnare, 
25  wie  maget  dne  man         iemer  leint  gebeere 
29  der  die  helle  brach}         der  lac  in  dinem  libey 

31  unde  wurde  iedoch  dar  under  niet  ze  wibe. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  105 

Die  betreffenden  lateinischen  Metra  waren  ja  nicht  auf 
weltliche  Poesie  beschränkt. 

Der  Process  konnte  im  12.  Jahrhundert  mit  Nachbildung 
lateinischer  strophischer  Lyrik  angefangen  haben  geistlichen 
und  weltlichen  Charakters,  und  die  Nibelungenstrophe  mit  ver- 
wandten Formen,  auch  solchen  mit  constant  klingendem  Aus- 
gang, wurde  Eigenthum  der  deutschen  Litteratur.  Aber  der 
Process,  der  ja  nicht  die  Schaffung  deutscher  Strophenformen 
beabsichtigte,  ist  wohl  im  13.  und  14.  Jahrhundert  fortgesetzt 
worden  dadurch,  dass  man  auch  im  Drama  lateinische  Strophen 
deutsch  nachbildete,  um  sie  nach  derselben  Melodie  wie  die 
lateinischen  singen  zu  können. 

S.  im  Englischen  die  Nachbildung  der  Vagantenzeile  im 
Poema  Morale  und  bei  Orm,  12.  13.  Jahrhundert,  der  Vaganten- 
strophe in  den  Balladen  wie  Chevy  chase;  J.  Schipper,  Eng- 
lische Metrik  I,  S.  349,  Pauls  Grundriss  II  1,  S.  1046. 

Die  Annahme,  dass  die  Nibelungenstrophe  und  Verwandte 
ihren  Ausgangspunkt  von  der  lateinischen  Poesie  nahm,  scheint 
mir  wahrscheinlicher,  als  dass  sie  sich  aus  einer  französischen 
Versform  entwickelt  habe,  Lachmann,  Wackernagel,  da  die 
in  Deutschland  gedichtete  und  gesungene  lateinische  Lyrik 
deutschen  Dichtern  geographisch  näher  stand  als  die  franzö- 
sische. Der  Zehnsilber  mit  seiner  Cäsur  nach  der  vierten 
Silbe  ist  dem  Nibelungenvers  auch  bei  weitem  nicht  so  ähnlich 
als  die  lateinischen  Verse  der  Gestalt  7  -  ^  -f-  7  ^  -  und  Ver- 
wandte, die  neben  dem  beliebten  Wechsel  von  stumpf  und 
klingend  in  Cäsur  und  Reim  die  ausgesprochene  Neigung  haben, 
die  Cäsuren  auf  einander  reimen  zu  lassen  und  sich  zu  vier- 
zeiligen  Strophen  zusammenzuschliessen.  Dazu  die  Verwandt- 
schaft derselben  lateinischen  Verse  auch  mit  der  Gudrun-  und 
Titurelstrophe  s.  oben  S.  99  und  die  Analogie  des  Dramas. 

Aber  auch  einheimische  Entwicklung  aus  Verlängung  und 
dann  Theilung  der  lyrischen  Zeile,  Scherer,  lässt  sich  nicht 
wahrscheinlich  machen,  da  für  solche  Zeilen  von  der  althoch- 
deutschen Periode  bis  zum  Kürenberger  alle  Belege  fehlen,  die 
nicht  Einwirkung  lateinischer  Formen  zeigen,  wie  die  Sequenzen 
von  St.  Lambrecht  und  Muri. 

Denn  die  überlangen  Verse,  welche  in  den  Reimpaaren 
epischer  oder  didaktischer  Gedichte  des  11.  12.  Jahrhunderts, 


106  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

Heusler,  Zur  Geschichte  der  altdeutschen  Verskunst,  S.  75. 
Pirig,  Die  jüngere  Judith,  S.  60  und  auch  im  gesprochenen 
Vers  des  Dramas  begegnen,  Alsf.  Pass.  4388  ff.,  Bord.  Mkl.  im 
Prolog,  dazu  130ff.  164 ff.  271  ff.  289ff.  352f.  509.  624.  740ff. 
750  ff.  831  ff.  859  ff.  874  ff.,  Cass.  Weihn.  97,  Red.  Ost  H.  sehr 
häufig,  Wackernell  S.  51,  braucht  man  auch  dann  nicht  mit 
den  Cäsurversen  der  lateinischen  Poesie  oder  deutschen  wie 
den  Nibelungenversen  in  Verbindung  zu  bringen,  wenn  sie 
sich,  was  doch  immer  nur  sehr  vereinzelt  möglich  ist,  mit 
ähnlicher  Cäsur  lesen  lassen. 

Die  überlangen  Verse  der  älteren  geistlichen  Lyrik,  wie 
im  Ezzolied  und  Summa  theologiae  lassen  eine  solche  Theilung 
nicht  zu. 

Ebenso  wenig  wahrscheinlich  scheint  mir  die  Erhaltung 
des  altgermanischen  Langverses,  die  Heusler  vertritt,  Zur  Ge 
schichte  der  deutschen  Verskunst,  S.  93  ff.  Es  ist  in  der  That 
ein  Sprung  über  Jahrhunderte,  wie  Wilmanns  sagt,  da  die  über- 
langen Verse  des  11.  12.  Jahrhunderts  durch  nichts  —  wie 
etwa  durch  Alliteration  im  Englischen  —  verrathen,  dass  sie 
aus  der  alten  Zeit  stammen. 

Für  seine  Theorie,  dass  der  Nibelungenvers  auf  den 
daktylisch  scandirten,  dann  aufgelösten  französischen  Zehn- 
silber zurückgehe,  beruft  sich  Wilmanns  in  seinen  Beiträgen  IV, 
S.  82  auf  die  Möglichkeit,  die  Form  des  Nibelungenverses  nach 
seiner  Theorie  der  Uebertragung  des  Zehnsilbers  ins  Deutsche 
aufzufassen  und  auf  die  beliebte  Form  der  Schlusszeile,  mit 
fehlender  Senkung  nach  der  zweiten  Hebung.  Aber  was  den 
ersten  Punkt  anbelangt,  so  zeigen  die  Verse  unserer  Strophe 
keine  andere  Gestalt,  als  wir  sie  seit  Otfried  kennen,  mit  Aus- 
nahme der  Verkürzung  der  ersten  drei  Reimzeilen.  Und  för 
den  erwähnten  Typus  der  letzten  Reimzeile  kann  man  sich  auf 
Wilmanns'  Beiträge  III,  S.  35  berufen,  wo  er  sie  als  einen 
Lieblingsrhythmus  Otfrieds  nachweist.  Andererseits  konnte  ein 
vierhebiger  lyrischer  Vers,  der  sich  der  Theorie  Wilmanns' 
entsprechend  aus  dem  romanischen  Zehnsilber  entwickelt  hätte, 
zum  Theil  Einfluss  auf  die  Gestalt  der  letzten  Reimzeile  der 
Nibelungenstrophe  genommen  haben. 

Aber   die  Nibelungenstrophen   lassen   nicht   nur  eine  an- 
dere Erklärung  zu  als  die  Wilmann'sche:  diese  scheint  mir  auch 


Abhandlungen  tum  altdeutschen  Drama.  107 

unwahrscheinlich.  Denn  warum  finden  sich  nicht  ähnliche  Ge- 
bilde bei  den  vielen  Daktylikern  des  12.  13.  Jahrhunderts,  und 
warum  stehen  die  Daktylendichter  inhaltlich  dem  Ktirenberger 
so  ferne? 

Auch  wenn  Wilmanns'  Theorie  über  die  Entstehung  der 
deutschen  Daktylen  aus  dem  französischen  Zehn-  und  Elfsilber 
richtig  ist,  könnten  daneben  der  lateinische,  rhythmische  oder 
quantitirende  Daktylus  nachgeahmt  worden  sein ,  W.  Meyer 
S.  147,  ebenso  wie  die  Entstehung  der  überschlagenden  Reime 
auch  auf  lateinisches  Vorbild  zurückgehen  kann,.  W.  Meyer 
S.  141.  Für  Tannhäusers  und  anderer  Daktylen  in  den  Tanz- 
liedern hat  Siebert,  Tannhäuser  S.  48,  auf  eine  dritte  Möglichkeit 
hingewiesen:  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  XXVIII,  S.  387. 

Bei  den  Carmina  burana  wird  die  an  sich  wahrschein- 
liche Priorität  der  lateinischen  Gedichte,  Martin,  Zs.  XX,  S.  46, 
durch  die  Analogien  des  Dramas  gestärkt.  Im  Einzelnen  kann 
es  sich  freilich  auch  anders  verhalten. 

Ich  setze  also  noch  N.  139  hieher. 

Volo  virum  vivere         viriliter. 
DiligOj  si  diligar         aequaliter. 
Sic  amandum  censeo,         non  aliter. 
Hac  in  parte  fortior         quam  Jupiter 
nescio  procari 
Commercio  vulgari, 
Amaturus  forsitan 
volo  priv*  amari. 

Ich  wil  den  sumer  gruzen,  so  ih  besten  chan, 

der  winder  hat  mir  hiwre  laeides  vil  getan: 

des  wil  ich  in  rufen         in  der  vroteen  ban. 

Ich  sih  die  liehte  haeide,  in  grüner  varwe  8 tan. 

dar  süln  wir  alle  gahen 

die  sumerzit  enphahen. 

des  tanzes  ich  beginnen  sol}  wil  ez  iu  niht  versmahen. 

Die  ersten  vier  Langzeilen  der  deutschen  Strophe  sind 
eine  Nibelungenstrophe  wie  in  der  Trier.  Mkl,  mit  einem  ein- 
zigen Reim.  Die  Vergleichung  mit  dem  Lateinischen  zeigt  grosse 
Freiheit  von  Seiten  des  deutschen  Dichters. 


108  X.  Abhandlang:    Hftinsel. 

Die  dritte  Zeile  der  Gudrunstrophe  —  s.  Dietmar  von  Eist 
S.  39,  10,  —  oder34  q|*  Xx  +  3  kl  b  ist  gleich   dem  Vers  der 

Vagantenstrophe  Mundi  delectatio        dulcis  est  et  grata.  Ueber 
die  vierte  s.  oben  S.  99. 

Auch  bei  der  Moroltstrophe  zweifle  ich  nicht  an  lateini- 
schem Ursprung.    S.  Carmina  burana  N.  108: 

Musa  venu  carmine, 
dulci  modulamine: 
pariter  cantemus; 
ecce  virent  omnia, 
prata  ras  et  nemus. 

Die  deutsche  Entsprechung  ist  das  Gedicht  von  der  Kö- 
nigin von  England. 

Waere  diu  werlt  alle  min 

von  dem  mere  unz  an  den  Rin, 

des  wolt  ih  mih  darben. 

daz  diu  chiinegin  von  Engellant 

laege  an  minen  armen. 

Inhaltlich  ahmt  das  deutsche  Gedicht  ein  anderes  Va- 
gantenlied  nach,  N.  51  mit  abweichendem  Metrum,  das  wegen 
placet  plus  Franciae  regina  älter  sein  muss  als  das  deutsche. 

Es  ist  nicht  einmal  nöthig  anzunehmen,  dass  es  eine 
lateinische  Strophe  mit  iambischem  Ausgang  der  dritten  und 
fünften  Zeile  und  mit  troch&ischem  in  der  dritten  gegeben 
habe.  Diese  Form  der  epischen  Moroltstrophe  kann  deutsche 
Entwicklung  sein. 


Anhang. 


Die  nahen  Beziehungen  zwischen  dem  geistlichen  Drama 
und  der  Goliardenpoesie,  die  sich  aus  den  obigen  Zusammen- 
stellungen so  wie  aus  vielen  Stellen  des  Tegernseer  Antichrists, 
des  Benedictbeurer  Passions-  und  Weihnachtsspiels,  dem  Wiener 
Passionsspiel  deutlich  ergeben,  s.  Koppen,  Weihnachtsspiele 
S.  46 ,  werden  unter  anderen  durch  die  Thatsache  beleuchtet, 
dass   Hilarius,   der  Schüler  Abälards,   ein   begabter  Vertreter 


Abhandlungen  tun  altdeutschen  Drama.  109 

der  Goliardenpoesie,  auch  Dramen  von  Lazarus,  Daniel  und 
Nicolaus,  dem  Schülerpatron,  Creizenach  I,  S.  104.  107.  137.  434, 
geschrieben  hat.  Eines  seiner  Gedichte  N.  XIV  handelt  de 
papa  scholastico,  das  ist  der  episcopus  püerorum  im  Ben. 
Weihn.  94. 

In  den  Carmina  burana  N.  CCV.  CCVI.  CCVII  S.  109  ff. 
finden  sich  Gedichte  auf  die  heil.  Katharina,  die  zugleich 
Heldin  französischer,  englischer  und  deutscher  Dramen  ist;  s. 
oben  S.  68  und  Ward,  A  history  of  english  dramatick  literature  I 
S.  5.  28,  12.  13.  Jahrhundert.  Sie  war  wie  der  heil.  Nicolaus 
Schulpatronin,  Petit  de  Julleville  S.  5,  Creizenach  I  S.  103. 
Miracles  de  Nostre  Dame  N.  XVI  1297  werden  Nicolaus  und 
Katharina  zusammen  genannt.  Im  Jahre  1585  wurde  nach  einer 
Donaueschinger  Handschrift  ein  Passionsspiel  für  den  Katha- 
rinentag  gestiftet;  s.  Bolte,  Zs.  XXXII,  S.  3. 

S.  oben  S.  21  über  die  Betheiligung  der  Schüler  an  den 
Aufführungen. 

Zu  S.  2.  Ueber  die  Ausdrücke  für  einen  Dramentext  im 
16.  Jahrhundert  s.  R.  Brandstetter  Regenz  S.  18b. 

Zu  S.  18.  S.  Miracles  de  Nostre  Dame  par  personages. 

Zu  S.  63.  Es  war  £.  Martin,  Anzeiger  für  deutsches  Alter- 
thum  VIII,  S.  311  zu  citieren,  der  Rubin  französische  Herkunft 
zuschreibt. 

Zu  S.  68.  Ueber  herren  in  der  Anrede  s.  L.  Wirth,  Oster- 
und  Passionsspiele  S.  167. 


Erklärung  der  abgekürzten  Titel. 

Abele  speien,  ed.  H.  E.  Moltzer,  Dramatische  poezie. 

J.  Ackermann,  Tobias,  Der  ungerathene  Sohn,  ed.  H.  Holstein; 

Ackermann's  und  Voith's  Dramen.  Litterarischer  Verein. 
Alsf.  Pass.,  Alsfelder  Passionsspiel,  ed.  R.  Froning  S.  567. 
Augsb.  Ost.   H. ,   Augsburger  Osterspiel  mit  Höllenfahrt,   ed. 

A.  Hartmann,  Das  Oberammergauer  Passionsspiel  S.  81.1 

1  Allerdings  bezieht  sich  der  Proclaraator  auf  das  in  der  Handschrift  vor- 
hergehende Passionsspiel,  —  Nun  merekt,  ir  aüerliefoten  mein,  was  die 


110  X.  Abhandlung:    Heinsei. 

Augsb.  Pass.,  Augsburger  Passionsspiel,  ed.  A.  Hartmann. 
a.  a.  O.  S.  3. 

J.  Ayrer,  Dramen,  ed.  A.  v.  Keller.  Litterarischer  Verein.  Phae- 
nicia,  Sidea,  ed.  J.  Tittmann,  Schauspiele  ans  dem  16.  Jahr- 
hundert. II. 

Niederdeutsche  Bauernkomödien,  ed.  H.  Jellinghaus. 

Ben.  Pass.,  Benedictbeurer  Passionsspiel,  ed.  R.  Froning  S.  284. 

Ben.  Weihn.,  Benedictbeurer  Weihnachtsspiel,  ed.  R.  Froning 
S.  877.1 

Bilsener  Dreikönigsspiel,  ed.  Cahier  et  Martin,  Melanges 
'      d'ArcWologie  I  (1847),  S.  259. 

J.  Binder,  Acolastus,  ed.  J.  Bosshart,  Schweizerische  Schau- 
spiele I. 

De  sevenste  bliscap  van  Maria,  ed.  K.  Stallaert  1887. 

V.  Boltz,  Weltspiegel,  ed.  A.  Gessler,  Schweizerische  Schau- 
spiele II. 

Bord.  Mkl. ,  Bordesholmer  Marienklage,  ed.  K.  Müllenhoff, 
Zs.  XVII,  S.  288. 

R.  Brandstetter,  Die  Aufführung  eines  Luzerner  Osterspieles 
im  16.  17.  Jahrhundert,  Schweizerischer  Geschichtsfreund 
XLVIH,  S.  279. 


nächste  figur  werd  »ein,  —  auch  der  Ausdruck  figur  für  ein  selbständiges 
Spiel  ist  kein  gewöhnlicher,  s.  oben  S.  3,  —  und  die  Spielan Weisung: 
des  Osterspiels  verweist  2447  und  am  Schluas  auf  2145  und  den  Schlu» 
des  Passionsspiels  —  der  Proclamator  be&chlewszt  wie  oben  Hat:  aber 
andererseits  steht  nach  Augsb.  Pass.  Finis%  und  im  Augsb.  Pass.  geht 
Christus1  Seele  schon  2150  vom  Grab  in  die  Hölle,  was  sie  im  Augsb. 
Ost.  H.  erst  2371  thut. 
1  Das  eigentliche  Weihnachtsspiel  endigt  562.  Darauf  folgt  ein  Spiel  von 
Christus  in  Egypten  mit  dem  Titel  Rex  Egypti  bis  669:  Et  omnia  idoU 
abiciantur.  Hie  est  finU  regia  EgipU.  670  bis  697  folgt  in  sehr  ver- 
stümmelter und  verwirrter  Gestalt  der  Tegernseer  Antichrist,  während 
698  biß  zum  Schluss  ein  Chorlied  ist,  das  zu  einem  mit  dem  Rex  Egypti 
ähnlichen  Stücke  gehört  hat,  aber  nicht  zu  diesem,  da  dort,  im  Rex 
Egypti,  Egypten  und  sein  König  zu  Christus  bekehrt  wird,  während  hier 
706  der  egyptische  König  noch  für  sich  göttliche  Ehren  beansprucht. 
Keinesfalls  auch  gehört  das  Lied  zum  Ben.  Weihn.,  da  dort  Herodee 
schon  todt  ist  560,  während  ihm  in  dem  Lied  der  Tod  erst  angedroht 
wird.  Vgl.  G.  v.  Zezschwitz,  Das  Drama  vom  Ende  des  Kaiserthums, 
S.  199. 


Abhandlungen  tum  altdeutschen  Drama.  111 

R.  Brandstetter,  Die  Luzerner  Bühnenrodel,  Germania  XXX, 
S.  205.  325.  XXXI,  S.  249. 
—   Die  Regenz  bei  den  Luzerner  Osterspielen,  Luzern  1886. 

Breslauer  Marienklage  ed.  A.  Schultz,  Germania  XVI,  S.  58. 

C.  Brulovius,  Julius  Cäsar  1616.  Moses  1621. 

H.  Bullinger,  Lucretia  und  Brutus,  ed.  J.  Bächtold,  Schwei- 
zerische Schauspiele  I. 

P.  Calderon,  Comedias,  ed.  J.  G.  Keil. 

Cass.  Weihn.,  Casseler  Weihnachtsspiel  ed.  R.  Froning  (Das 
hessische  Weihnachtsspiel)  S.  904. 

W.  Creizenach,  Geschichte  des  neueren  Dramas. 

Dietmar  von  Eist,  ed.  Lachmann-Haupt,  MSF.  S.  32. 

Digby  Mysteries,  ed.  F.  J.  Furnivall,  New  Shakspere  So- 
ciety, London  1882. 

Docen's  Marienklage,  ed.  H.  Hoffmann,  Fundgruben  II, 
S.  281. 

Dodsley-Hazlitt,  A  select  collection  of  old  english  plays. 

Don.  Pass.,  Donaueschinger  Passionsspiel,  ed.  F.  J.  Mone, 
Schauspiele  des  Mittelalters  II,  S.  184. 

Dor.,  Spiel  von  der  heil.  Dorothea,  ed.  H.  Hoffmann,  Fund- 
gruben II,  S.  285. 

DWB.,  J.  und  W.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch. 

Eger.  Pass.,  Egerer  Passionsspiel,  ed.  G.  Milchsack  (Frohn- 
leichnamsspiel),  Litterarischer  Verein.  Auch  Creizenach  I, 
S.  284  meint,  dass  es  eher  ein  Passionsspiel  sei. 

Engelberger  Marienklage,  ed.  F.  J.  Mone,  Schauspiele  des 
Mittelalters  I,  S.  201. 

Engl.  Komödianten,  Die  Schauspiele  der  englischen  Komö- 
dianten in  Deutschland,  ed.  J.  Tittmann. 

Erl.  Dreik.,  Erlauer  Dreikönigsspiel,  ed.  K.  F.  Kummer,  Erlauer 
Spiele,  S.  15. 

Erl.  Mkl.,  Erlauer  Marienklage,  ed.  K.  F.  Kummer  a.  a.  O. 
S.  151. 

Erl.  Ost.,  Erlauer  Osterspiel,  ed.  K.  F.  Kummer  a.  a.  O. 
S.  35. 

Erl.  Ost.  H.,  Erlauer  Osterspiel  mit  Höllenfahrt,  ed.  K.  F. 
Kummer  a.  a.  O.  S.  125. 

Erl.  Weihn.,  Erlauer  Weihnachtsspiel,  ed.  K.  F.  Kummer 
a.  a.  O.  S.  5. 


112  X.  Abhuidliing:    HeimcL 

Eroberung  Jerusalem 8,  ed.  K.  Bartsch,  Beiträge  zur  Quellen- 
kunde der  altdeutschen  Litteratur,  S.  355. 

Fastnachtsspiele,  ed.  A.  v.  Keller.  Litterarischer  Verein. 

Prankf.    Pass.   Dir.,   Dirigierrolle  des   Frankfurter  Passions- 
spiels von  Baldemar  von  Peterweil,  ed.  R.  Froning  S.  340. 

Frankf.  Pass.,  Frankfurter  Passionsspiel,  ed.  Froning  S.  379. 

Fr  ei  8.  Her.,   Freisinger  Herodes,   ed.  K.  Weihnhold,  Weih- 
nachtsspiele und  Lieder,  1875,  S.  56. 

Freis.  O.  Räch.,  Freisinger  Ordo  Racheiis,  ed.  Froning  S.  871. 

Friedb.   Pass.,    Friedberger    Passionsspiel,    Mittheilung   von 
Weigand,  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  VII,  S.  545. 

R.  Froning,  Das  Drama  des  Mittelalters. 

S.  Gall.  Chr.  Himm.,  St.  Galler  Christi  Himmelfahrtsspiel,  ed. 
F.  J.  Mone,  Schauspiele  des  Mittelalters  U,  S.  254. 

S.  Gall.  Pass.,  St.  Galler  Passionsspiel,  ed.  F.  J.  Mone,  a.  a.  0. 
I,  S.  72. 

S.  Gall.  Weihn.,  St.  Galler  Weihnachtsspiel,  ed.  F.  J.  Mone 
a.  a.  O.  I,  S.  143. 

St.  Galler  Marienklage,  ed.  F.  J.  Mone,  a.  a.  O.  I,  S.  199. 

Th.  Gart,  Joseph,  ed.  E.  Schmidt,  Elsässische  Literaturdenk- 
mäler IL 

P.  Gengenbach,  ed.  K.  Goedeke. 

h.  Georg,  das  Spiel  vom  heil.  Georg,  ed.  A.  v.  Keller,   Fast- 
nachtsspiele N.  126. 

G.  Gnaphaeus,  Acolastus,  ed.  J.  Bolte.  Lateinische  Literatur- 
denkmäler. 

Hartmann  von  Aue,   Lieder,  ed.  Lachmann -Haupt,  MSF. 
S.  205. 

M.  Hayneccius ,   Hans  Pfriem  (ed.  Th.  Raehse).  Neudrucke 
deutscher  Litteraturwerke. 

Heidelberger  Passionsspiel,  ed.  G.  Milchsack.  Litterarischer 
Verein. 

Herzog  Heinrich  Julius  von  Braunschweig,  Schauspiele,  ed. 
J.  Tittmann. 

Heinrich    von    Morungen,    ed.    Lachmann  -  Haupt ,     MSF. 
S.  122. 

Heinrich  von  Veldeke,  Lieder,  ed.  Lachmann-Haupt,  MSF. 
S.  56. 

Hilarius,   Versus,  ed.  Champollion-Figeac  1838. 


Abhandlungen  zum  altdeutschen  Drama.  113 

Himmelg.  Pass.,  Himmelgartner  Passionsspiel,  ed.  £.  Sievers, 

Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  XXI,  S.  393. 
Himmelg.  Mkl.,  Himmelgartner  Marienklage,   ed.  E.  Sievers 

a.  a.  O.  S.  397. 
P.  L.  Jacob,  R^cueil  de  farces. 

Jacob  nnd  Esau,  ed.  K.  Meyer,  Zs.  XXXIX,  S.  425. 
Innsbr.  Frohnl.,  Innsbrucker  Frohnleichnamsspiel ,   ed.  F.  J. 

Mone,  Altdeutsche  Schauspiele,  S.  145. 
Innsbr.  M.  Himm.,  Innsbrucker  Maria  Himmelfahrtsspiel,  ed. 

F.  J.  Mone  a.  a.  O.  S.  21. 
Innsbr.  Ost.  H.,  Innsbrucker  Osterspiel  mit  Höllenfahrt,   ed. 

F.  J.  Mone  a.  a.  O.  S.  109. 
Isaac  und  Rebecca,    ed.   O.   Kernstock,   Anzeiger  ftir   die 

Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1877,  S.  169. 
A.  Jubinal,  Mysteres  ineMits. 
Jutta,   Th.   Schernbergs  Spiel  von   Jutta,    ed.  A.  v.  Keller, 

Fastnachtsspiele  N.  111. 
Kath.,   Katharina,   ed.  F.  Stephan,   Neue  Stofflieferungen  für 

die  deutsche  Geschichte  II,  S.  160. 
Klosterneuburger  Osterspiel,  ed.  Milchsack,  Die  Oster-  und 

Passionsspiele,  S.  105. 
J.  Kolross,  Fünferlei  Betrachtnisse,    ed.  Th.  Odinga,  Schwei- 
zerische Schauspiele  I. 
h.  Kreuz,   das  Spiel  vom  heil.  Kreuz,  ed.  A.  v.  Keller,  Fast- 
nachtsspiele N.  125. 
L.  Kulmann,  Wittfrau,  ed.  J.  Tittmann,  Schauspiele  aus  dem 

16.  Jahrhundert  I. 
Künzelsauer  Frohnleichnamsspiel,   s.  T.  Mansholt,   Das 

K.  F.  1892. 
A.  J.  V.  Leroux  de  Lincy  et  Fr.  Michel,  Recueil  de  farces. 

Die  einzelnen  Hefte  haben  besondere  Paginierung. 
Lichtenth.  Mkl.,  Lichtenthaler  Marienklage,   ed.  R.  Froning 

S.  251. 
Lope  de  Vega  Carpio,  übersetzt  bei  M.  Rapp,  La  esclava  e 

su  galan  nach  einem  Einzeldruck  o.  O.  und  J. 
Ludus  Coventriae,  ed.  J.  O.  Halliwell,  London  1841. 
Luz.  Grabl.,  Luzerner  Grablegung  von  Mathias  Gundelfinger, 

ed.   F.  J.  Mone,   Schauspiele   des   Mittelalters  II,  S.  131. 

Es  ist  eine  Grablegung,  kein  Theil  eines  Osterspiele,  wie 

Siteungsber.  d.  pbü.-biat.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  10.  Abh.  8 


tl4l  X.  AWuumUwic:    Heint«L 

der  gut  erhaltene  Schluss  zeigt.  Aber  der  überlieferte 
Titel  lautet:  ludus  de  resurrectione  Christi.  Wenn  es 
beim  Personenverzeichniss  und  der  ProcessioneerdiroBg 
S.  121  heisst:  personae  ad  ludum  depotitionem  (sie}  Jesu 
acturae,  so  bezieht  sich  das,  wie  die  abweichenden  Roiten- 
namen zeigen,  auf  ein  anderes  Stück. 

Luzerner  Marienklage,  ed.  F.  J.  Mone,  Schauspiele  des 
Mittelalters  I,  &  202. 

M.  Magd.5  Maria  Magdalena  ed.  K.  F.  Kummer,  Erlauer  Spiels, 
S.  95. 

H.  R.  Manuel,  Weinspiel,  s.  N.  Manu*!,  ed.  J.  Bachtold  &  305. 

N.  Manuel,  ed.  J.  Bachtold. 

Chr.  Marlowe,  ed.  A.  Dyee  1850.  Tamburlaine  auch  ed.  Brey- 
mann-Wagner. 

Mastr.  Pass«,  Mastrichter  Passionsspiel,  ett  H.  F.  Massnanm 
Zs.  II,  S.  303. 

Meinloh  von  Sevelingen,  ed.  Lachmann-Haupt,.  MSF.  S.  11. 

St.  Meinrads  Leben,  Ein  geistliches  Spiel  voa  St.  Meinrads 
Leben  und  Sterben,  ed.  öall  Morel,  Litteradriseher  Verein. 

W.  Meyer,  Der  ludus  de  Antichrißto>  Sitzungsberichte  der  k. 
bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  phikdogisch- 
bistorieche  Classe  1882. 

V.  Michels,  Studien  über  die  ältesten  deutschen  Faatnachts- 
spielfe  QF.  67.  Strassburg  1896. 

Miracles  de  Nostre  Dame,  ed.  G.  Plans  et  U.  Robert,  So- 
eidtd  des  anciens  textes  francais. 

Molina,  s.  Tirso  de  Molina  übers,  bei  Rapp. 

Lu  J.  N.  Monmerquö  et  F.  Michel,  Thd&tre  fraugaiß  au 
moyen-&ge. 

MSF.,  Minnesangs  Frtthfcng,.  ed.  LachmannrHaupi. 

Münch.  MkL,  Münchener  Marienklage,  ed.  F.  Pfeiffer  Alt- 
deutsche Blattet  U,  S.  373. 

Muri.  Ost.  H.,  Murier  Osterspiel  mit  Höllenfahrt,  ed.  Froning 
S.  228. 

Naogeorgus,  Pammachius,  ed.  J.  Bolte  und  E.  Schmidt.  La- 
teinische Litteraturdenkmäler.  Judas  1552. 

Neidhart  von  Reuenthal,  ed.  M.  Haupt. 

Nicolaus,  ed.  Gall  Morel,  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen 
Vorzeit  1859,  &  207.  &  Z».  XXXVI,  S.  238. 


Afehandtaogtn  tun  sitfeutMhaa  Drama.  I15i 

Nürnb.  Oatf.,  Nürnberger  Osterfeter,  ed.  R.  Frening  S.  17. 
Passion  von  St.   Stephan,  ed.  A.  Camesina,  Berichte  und 

Mittheilunge»  des  Akerthunrrereii»  an  Wien  X  (1869^ 

S.  327. 
Petit  de  Jolteville,  Histoiire  du  tkiatr»  de  France,  I,  II  My- 

stires,  V  Repertoire  du  Tk&tre  eemque. 
Prag.  Mkl.,  Prager  Marieöklage-  I,  ed.  A.  Schtfabaeh^.  Ueber 

die  Ifarienklagen  S.  5Ex 
M.  Rapp,  Spanisches  Theater. 
Red.  O&t.  H.,   Redentiner  Osterspiel  mii  Höllenfahrt,,  ed.  R. 

Froning  S.  12& 
Burggraf  van  Regens  barg,   ed.  Lagkraann-BaMpt,.  MStF. 

S.  16. 
Reimar,  ed.  Lachmann-Haupt,  MSF.  Sv  156k 
J.  ReuchHn,  Sergius,  ed.  H.  Holstein,  J.  Rewchhn's  Komödien^ 
Rhein,  j*  Tag,  Rheinauer  Spiel  von*  jüngste*  Tag,*  ed.  F.  J. 

Nene,  Schauspiele  des.  Mittelalters  l>  S.  973» 
J.  Ruff ,  Adam  und  Heva,  ed.  HL  M.  Kottinger,  Bibliothek  der 

deutschen  NatioaaHitrteratur  XXVI.  Das  neue  TeUenspiel, 

ed.  J.  B&chtoldi,  Schweizerische  Schauspiele  III.  Von  des 

Herrn  Weingarten,  ed.  B.  Wyss,  a.  a.  O.  IB. 
H.  Sachs,   ed.  A.  v.  Keller  (-öoetze).     Literarischer  Verein. 

Fastnachtsspiele,   ed.  Goetze.     Neudrucke»,  deutsch»  Lit- 

teraturwerke. 
W.  Schmelz  1,  Samuel  und  Saul,  ed.  F.  Spengler.  Wiener  Neu- 

cbueke,  N.  3l 
Sotternien,  ed.  H.  E.  Moltzer,  Dramatische  Poöei& 
W.  Spangenfeerg,  Ausgewählte  Dkktaftgen  (iGauskönigr,.  Satrf, 

MammoBB.  SoH,  Glüekawechsel)^  ed.  E.  Martin,  Eteässisch* 

Litteraturdenkmäler  IV. 
Stade 'a  Weihnaehtsspiel,  ed.  F.  v.  Stade,  Specunen  Iftetio* 

num  antiqnarnm  1708r  S;.  34. 
Sterzinger  Christi  Himmelfahrt,  Lndoe  de  aseension«  de- 
mini,  ed.   A.  Piehler,   Inasbrucker  GymnasialprogramiH; 

1852. 
Sterz.  Mkl. ,   Sterzinger  Marieoklage,  ed.  A.  Kchler,   Ueber 

das  Drama  des  Mittelalters  in  Tirol,  S.  115. 
Sterz.  M.  Licbtm. ,   Sterzinger  Maria  Liclufcmessspiel^  ed.  A. 

Pichler  a.  a.  O.  S.  99. 

8* 


118  *•  Abb.:    Heins«!.   Abhaadloofen  tarn  altdevtecben  Drama. 


Inhalt. 


Seite 
I.  Zu   den  geistlichen  Schauspielen  des  Mittelalters  als  Texte  be- 
trachtet     2 

II.  Ueber  die  Schauspieler  der  geistlichen  Dramen  im  Mittelalter  18 

III.  Ueber  die  Bühne  der  geistlichen  Dramen  im  Mittelalter    ....  25 

IV.  Raum  und  Zeit  auf  der  alten  Bühne      34 

V.  Ueber   das  Medicusspiel   und  die  lustige  Person  der  alten  Bühne  55 

VI.  Beziehungen  zwischen  dem  altfranzösischen  und  dem  altdeutschen 

Drama 66 

VII.  Ueber  das  Mantellied  Magdalenens 72 

VIII.  Ueber  die  Goliardenveree  des  altdeutschen  Dramas 79 

Anhang 108 

Erklärung  der  abgekürzten  Titel 109 


XI.  Abhi:    H an  ler.   Eine  l»t.  PaUmpsestubersetsong  der  Didaac.  aport. 


XL 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetzung 
der  Didascalia  apostolorum. 


Von 

Dr.  Edmund  Hauler. 


Ziur  Auffindung  dieser  vulgärlateinischen  Uebersetzung 
der  Didascalia  apostolorum,  der  werth vollen  in  den  Aposto- 
lischen Constitutionen  uns  erweitert  vorliegenden  Grundschrift, 
gab  Professor  Th.  Mommsen  den  ersten  Anstoss. 

Kurz  vor  Antritt  der  Ferialreise,  welche  ich  im  Auftrage 
der  königl.  Berliner  Akademie  behufs  Vervollständigung  der 
Frontocollationen  W.  Studemund's  unternehmen  sollte,  sprach 
der  Gelehrte  den  Wunsch  aus,  ich  möchte  auf  der  Capitular- 
bibliothek  in  Verona  eine  nähere  Untersuchung  des  im  Isidor- 
codex  LV  (53,  rnembr.  8°  saec.  VIII.)1  enthaltenen  palim- 
psestischen  Blattes  87  vornehmen,  welches  mit  der  auf  dem 
nächsten  Folio  88*  stehenden  Fastentafel  äusserlich  eng  zu- 
sammenhängt. Ueber  diese  hat  er  bereits  im  Hermes  VII,  474  ff. 
eingehend  gehandelt  und  überzeugend  dargelegt,  dass  das  in 
schöner,  deutlicher  Unciale  geschriebene,  die  Jahre  439 — 486 
n.  Chr.  umfassende  Consularverzeichniss  aus  einer  bis  etwa  481 
reichenden  Vorlage,  welche  die  Redaction  der  abendländischen 
Reichshälfte  zeigte,  im  Jahre  486  abgeschrieben  und  von  einer 
wenig  späteren  Hand  bis  zum  Jahre  494  fortgeführt  worden 

1  Der  Inhalt  dieses  langobardische  Schrift  aufweisenden  unvollständigen 
Codex  besteht  in  Isidors  sent.  libri  III  (Reifferscheid,  BibL  patrum  Latin, 
Italica  I,  p.  98  f.). 

*  Abbildung  beider  Seiten  dieses  Folio  in  Zangemeister  -  Wattenbach's 
Exempla  codicum  Latin,  litt,  maiusc.  scriptorum,  Heidelberg  1876,  S.  29 
und  30.  Daselbst  ist  (besser  auf  p.  30,  und  zwar  auf  dem  seitlich 
mitvervielfaltigten  Viertelblatte)  eine  Schriftprobe  unseres  Palimpsestes 
zu  Beten. 
Sitznngsb.  der  phii.-hi«!  Cl.  CXXXIV.  Bd.  11.  Ab*.  1 


2  XL  Abhandlung:    Ha  vier. 

ist.  Das  textlich  noch  unbekannte  Fol.  87  konnte,  so  ver- 
mnthete  der  Gelehrte,  über  dieses  versprengte  Fastenblatt  Auf 
schluss  geben,  wenngleich  schon  Reifferscheid  a.  O.  dessen 
Inhalt  gleich  dem  der  anderen  des  nämlichen  Palimpsestes 
(33,  34  und  60 — 98,  nicht  61 — 99)  als  ecclesiastisch  und  später 
Conte  Giuliari,  der  vormalige  Präfect  der  Capitularbibliothek,  als 
constitutiones  ecclesiasticae  bezeichnet  hatte.  Diese  allgemeinen 
wenig  zureichenden  Angaben  reizten  aber  Mommsen  nur  noch 
mehr,  die  Wahrheit  zu  ergründen.  Sein  Wunsch  veranlasste 
Wilh.  R.  von  Hartel,  bezeichnende  Theile  einer  Probe 
aus  demselben  Palimpseste,  welche  Professor  W.  Studemund 
•  im  Jahre  1867  für  das  Corpus  scriptorum  ecclestasticorum 
angefertigt  hatte,1  sofort  an  Professor  Mommsen  zu  senden. 
Dieser  übergab  die  offenbar  kirchlichen  Fragmente  Professor 
Ad.  Harnack  zu  näherer  Bestimmung.  Der  Forscher  erklärte, 
noch  bevor  ich  in  Verona  eintraf,  die  Blätter  als  zu  einer  alt- 
lateinischen wörtlichen  Uebersetzung  der  Apostolischen  Consti- 
tutionen gehörig  und  betonte  den  kirchengeschichtlichen  Werth 
des  Fundes.  Die  von  mir  entzifferte  Rückseite  des  Blattes  87 
(die  Vorderseite,  welche  sich  unrichtig  numerirt  in  Stude- 
mund's  Probe  vorfand,  bedurfte  nur  einer  Ueberprüfung)  schien 
dies  zu  bestätigen;  denn  der  hier  enthaltene  Schluss  des  ersten 
und  Beginn  des  zweiten  Buches  stimmt  in  der  Didascalia  und 
in  den  Constitutiones  apostolorum  fast  völlig  überein. 

Bei  diesem  für  Professor  Mommsen  negativen  Ergebnisse 
konnte  ich  mich  nicht  in  die  Lesung  des  Palimpsestes  ver- 
tiefen, da  die  Frontoarbeit  drängte.  Erst  gegen  Schluss  der 
Ferien  vermochte  ich  einige  Tage  hieftir  abzuzweigen,  und 
zwar  las  ich  abgesehen  von  der  schon  anfangs  entzifferten 
Seite  87 u  noch  die  beiden  Blätter  97  und  98,  welche  durch 
Alter,  Abschürfung  und  Wurmstichigkeit  sehr  gelitten  haben, 
aber  von  der  Isidorhand  nicht  überschrieben  sind.  Von  ihnen 
sind  Fol.  97 r  und  98*  durch  Giobertische  Tinctur,  Fol.  97« 
und  98 r  durch  Galläpfeltinctur  gehoben.  Ausserdem  verglich 
ich  die  bereits  von  Studemund  gelesenen  Fol.  33 r,  85r  und  87 r, 

1  Es  sind  die  Blätter  S3r,  78 r,  81,  83«,  84°,  85%  86,  87 r  gans,  dann  82 
lückenhaft;  von  Fol.  33°  sind  23  Zeilen,  von  den  Seiten  78"  and  84r 
19  and  16  Zeilen  (auch  diese  nicht  vollständig)  entziffert.  Die  Zahlen 
sind  nach  der  jetzt  im  Codex  vermerkten  Numerierung  gegeben. 


Eine  lateinische  P&ümpsestftbersetznng  der  Didascalia  aportolorwn.  3 

welche  er  mit  Galle,  ferner  81r»ü  und  86 r«  u,  die  er  mit  Schwefel 
behandelt  hat.  Die  meisten  der  noch  nicht  entzifferten  oder 
revidirten  Blätter  hat  zuerst  eine  weniger  glückliche  Hand, 
vielleicht  die  Fr.  Blume's,1  mit  Giobertischer  Tinctur,  dann  aber 
die  Studemund's  geschickt  mit  verschiedenen  Reagentien  lesbar 
zu  machen  sich  bemüht. 

Bald  ergab  mir  die  nähere  Vergleichung  des  lateinischen 
Textes  mit  dem  griechischen  Wortlaute  der  Constitutionen  apo- 
Btolorum  (nach  der  Ausgabe  von  P.  A.  de  Lagarde,  Leipzig  und 
London  1862),  dass  jener  eine  auffällig  verkürzte  Form  dar- 
biete. Der  Gedanke,  dass  der  Palimpsest  nicht  die  8  Bücher 
der  vielfach  erweiterten  und  interpolirten  Constitutionen,  sondern 
die  6  Bücher  der  weit  älteren  und  werthvolleren  Grundschrift, 
der  Didascalia  apostolorum,  enthalte ,  lag  nun  zwar  ziemlich 
nahe,  liess  sich  aber  längere  Zeit  nicht  constatiren.  Denn 
diese  Schrift  war  uns  bisher  nur  in  syrischer  Uebersetzung 
überliefert  (Edit.  Lagarde's  1854),  deren  Inhalt  jedem  dieser 
Sprache  Unkundigen  verschlossen  bleibt,  und  P.  Bötticher's 
(=  P.  de  Lagarde's)  Versuch,  ihren  griechischen  Text  aus 
dem  Syrischen  und  den  Constitutionen  wiederherzustellen,  ist 
im  VI.  Bande  eines  seltenen  Werkes  ChrUtianity  and  Man- 
kind,  their  beginnings  and  prospects  von  Bunsen,  London  1854 
(zugleich  unter  dem  besonderen  Titel:  Analecta  Ante-Nicaena 
Vol.  II)  in  der  Art  niedergelegt,  dass  auf  Seite  45  bis  224 
die  Interpolationen  von  dem  Texte  der  Grundschrift  durch 
Anwendung  verschiedener  Schriften  kenntlich  gemacht  sind, 
sodann  von  S.  225  bis  338  die  Grundschrift  selbst  als  Dida- 
scalia purior  folgt.  Noch  bevor  ich  in  diesen  Band  Einsicht 
nehmen  konnte,  verschafften  mir  die  Mittheilungen  des  hoch- 
verdienten Specialforschers  Prof.  Dr.  Franz  X.  von  Funk  in  Tü- 
bingen und  der  Inhalt  seiner  gelehrten  Monographie:  ,Die  Apo- 
stolischen Konstitutionen,  eine  litterar-historische  Untersuchung' 
(Rottenburg  am  Neckar,  Bader,  1891)  darüber  die  erwünschte 
sichere  Aufklärung.  Für  das  überaus  förderliche  Interesse, 
welches  der  Genannte  dem  Funde  entgegenbrachte,  spreche 
ich  hiemit  den  verbindlichsten  Dank  aus.  Nicht  minder  grossen 
schulde  ich  meinem  hochverehrten  Lehrer  W.  R.  v.  Hartel, 


1  Vgl.  Iter  Italicum  I,  262. 


4  XI.  Abhandluf :    Hill». 

der  unter  Anderem  die  erste  Mittheilung  darüber  im 
der  phil.-hist.  Gasse  der  hiesigen  kais.  Akademie  der  Wissen- 
schaften am  6.  November  189ö  gemacht  hat.  Zugleich  kann 
ich  nicht  umhin,  den  Herren  Professoren  Mommsen  und 
Harnack  für  ihre  Anregungen  sowie  den  hw.  Herren  Bibliothe- 
karen in  Verona  für  ihre  grosse  Zuvorkommenheit  bestens  zu 
danken  und  der  Manen  des  auch  um  diesen  Palimpsest  ver- 
dienten Meisters  Studemund  in  ehrender  Weise  zu  gedenken. 

Was  nun  die  Abfassungszeit  der  Uebersetzung  anlangt, 
so  ist  der  terminus  ex  quo  die  Vollendung  des  griechischen  Ori- 
ginals, das  nach  Prof.  v.  Funk's  Darlegungen  (a.  O.  S.  50 — 54) 
dem  ersten  Viertel  des  3.  Jahrhunderts  zuzuweisen  ist  Die 
obere  Grenze  bildet  die  durch  Mommsen  festgestellte  Datirung 
der  Niederschrift  der  Fastentafel  (486  n.  Chr.),  womit  auch 
ungefähr  die  Zeit  der  Abschrift  unserer  Uebersetzung  bezeichnet 
wird.  Denn  es  ist  höchst  unwahrscheinlich,  dass  ein  grösserer 
Codex  längere  Zeit  unvollendet  gelassen  worden  wäre.  Die 
fernere  Erwägung,  dass  die  Didascalia  wohl  noch  vor  Ab- 
fassung und  Verbreitung  der  ausführlicheren  Constitutionen, 
die  um  das  Jahr  400  interpolirt  wurden  (s.  Funk  a.  O.  S.  95), 
übersetzt  worden  ist,  engt  die  Wahl  auf  das  3.  oder  4.  Jahr- 
hundert ein.  Für  dieses  scheinen  mir  einige  später  zu  er- 
örternde sprachliche  Eigentümlichkeiten  zu  sprechen. 

Ueber  den  Ort  der  Uebersetzung  läset  sich  aus  der  Sprache 
kaum  etwas  Genaues  ermitteln,  da  das  Vulgärlatein  und  die  inter- 
lineare Art  der  Uebertragung  ihr  mit  vielen  unserer  ältesten  Bibel- 
versionen gemein  ist.  Vielleicht  geben  aber  die  erst  zu  entziffern- 
den Blätter  auch  hiefiir  einen  sicheren  Fingerzeig.  Immerhin 
lässt  mich  der  Umstand,  dass  die  Schrift  des  etwas  jüngeren 
cod.  Veron.  XXXVIII  (36),  welcher  die  uita  Martini  und  die  dia- 
logi  des  Sulpicius  Seuerus  enthält  und  ,per  Ursicinum,  lectorem 
ecclesiae  Veronentis',  hergestellt  ist,  mit  unserer  Palimpsesthand 
sehr  grosse  Aehnlichkeit  besitzt,  die  Vermuthung  aussprechen, 
dass  auch  die  Didascalieübersetzung  in  Verona  copirt  sein  könnte. 

Um  die  Beschreibung  des  Codex  zu  ergänzen,,  erwähne 
ich  ferner,  dass  von  seinen  im  ganzen  99  Blättern1  diejenigen, 


1  Trotz   der  Numerierung   des   letzten  Blatte«  mit  98  ist  diese  Zahl  die 
richtige,   weil  2  Bl&tter  irrig   die  Nummer  46  tragen  und  erst   nach- 


Ein«  lateinische  Pilimpseatfiberoetiang  der  tHdattalia  apottolorum. 


welche  nicht  palimpsestisch  sind,  circa  17  cm  Breite  und  25  cm 
Höhe  besitzen,  während  die  Palimpsestblätter  (Fol.  33,  34, 
60 — 98)  um  1 — 2  cm  schmäler  sind  und  die  Didascalie  auf 
einer  Schriftfläche  von  12*5  zu  21  cm  aufweisen.  Die  35  Zeilen 
jeder  dieser  Seiten  enthalten  etwa  ebensoviele  Buchstaben  (von 
28  bis  40  Schriftzeichen).  Den  Zusammenhang  der  41  Pa- 
limpsestblätter macht  folgendes  Schema  ersichtlich: 


33.  34 

I I 


||  60.  61.  62.  63.  64.  65.  66.  67 

I I 


68.  69.  70.  71.  72.  73.  74.  75  |  76.  77.  78.  79.  80.  81.  82.  83 


Li 


l 


LJ 


84.  85.  86.  87.  88.  89.  90.  91  'I  92.  93.  94.  95.  96.  97.  98.  [991 » 
|     L—J     I      I  I      i     I.      "     '      ■      ■ 


LJ    I    | 


Hie  von  gehört  Fol.  88,  das  die  Fastentafel  trägt,  zwar  nicht 
zur  Didascalieübersetzung,  es  beginnt  aber  deren  I.  Quaternio; 
denn  da  das  zusammenhängende  Blatt  87  das  Ende  des  I.  und 
den  Anfang  des  II.  Buches  enthält,  so  standen  nach  Mass- 
gabe des  Textes  der  Didascalia  purior  (bei  Lagarde)  min- 
destens 5  volle  Blätter,  mit  Rücksicht  auf  das  Mehrerforderniss 
an  Raum  zu  Beginn  einer  neuen  Schrift,  soviel  wie  sicher, 
6  Folien  dazwischen.  Nun  geht  dem  Inhalte  des  Fol.  87  der 
des  unten  mitgetheilten  Blattes  98  unmittelbar  vorher;  danach 
fällt  auch  das  mit  diesem  eine  Lage  bildende,  aber  bisher 
noch  nicht  gelesene  Fol.  93  in  die  Lücke.  Die  zwei  noch  er- 
übrigenden Blätterpaare  des  I.  Quaternio  sind  zwischen  93 
und  98  einstweilen  als  unbekannte  Grössen  anzusetzen,  so 
dass  sich  dieser  erste  Quaternio  der  Didascalie  graphisch  fol- 
gendermassen  darstellen  lässt: 


fraglich   durch    Hinzufttgung   der   Buchstaben   a   and    b   unterschieden 
worden  sind. 
1  Von  diesem  (eigentlich  mit  100  zu  bezeichnenden)  Folio  sind  nur  mehr 
ganz   unbedeutende,   unbeschriebene    Reste   im    Codex   vorhanden;    es 
scheint  von  unberufener  Hand  herausgerissen  worden  zu  sein. 


XI.  Abhaadluaf :    HauUr. 


88  (Fastenblatt).  93.    *    *    *    *    98.  87 

I        1      l-J     I        I 


Daraas  ist  auch  zugleich  klar,  dass  die  Fastentafel  der  latei- 
nischen Didascalie  vorausgegangen  sein  muss;  denn  die  Masse 
des  Stoffes,  der  auf  den  Inhalt  des  Fol.  87  (Ende  des  I.  Buches) 
folgt  (nach  Lagarde's  Text  etwa  50  Blätter),  schliesst  eine 
andere  Anordnung  aus.  Dem  zweiten  Quaternio  der  Didascalie- 
Handschrift  gehören  Fol.  33  und  34  (aus  Buch  II,  c.  14)  an. 
Aber  bereits  beim  nächsten  Fol.  97  (aus  Buch  II,  c.  21,  22) 
gestaltet  sich  infolge  des  nicht  zuverlässigen  Textes  von  La- 
garde  die  Entscheidung,  ob  dasselbe  noch  dem  II.  oder  bereits 
dem  III.  Quaternio  zuzuzählen  ist,  recht  schwierig.  Darüber  wie 
über  die  Vertheilung  der  Blätter  in  den  weiteren  Quaternionen 
wird  gleichfalls  erst  die  nähere  Untersuchung  genau  orientiren. 
Da  ein  Textblatt  in  Lagarde's  Didascalia  purior  etwa  dem 
Inhalt  eines  Folio  unserer  Handschrift  entspricht,  würden  die 
erhaltenen  40  Blätter  des  alten  Codex  gegenüber  den  57  der 
Ausgabe  etwa  zwei  Drittel  der  gesammten  Schrift,  nach  der 
weit  genaueren  Uebersetzung  der  Professoren  v.  Funk  und 
Socin  in  Leipzig  aber  nur  ungefähr  die  Hälfte  repräsentiren. 

Die  Schrift  ist  eine  regelmässige,  schöne  Halbunciale. 
Die  Hand  ist  aber  nicht  nur  sicher  von  der  ersten  uncialen  und 
grösseren  der  Fastentafel,  sondern  wohl  auch  von  der  zweiten, 
welche  diese  vom  Jahre  486  bis  494  in  Semiunciale  weitergeführt 
hat,  verschieden,  wenn  auch  ihre  Formen  für  bf  d,  g}  r,  s  im  We- 
sentlichen übereinstimmen.  Dies  erklärt  sich  meines  Erachtens 
ohneweiters  aus  der  Gleichzeitigkeit  beider  Hände.  Sehr  grosse 
Aehnlichkeit  besitzen  ferner  die  Schriftzeichen  unserer  Ueber- 
setzung mit  denen  des  schon  erwähnten  cod.  Veron.  XXXVIII 
(36),  welcher  Sulpicius  Seuerus  enthält  und  im  Jahre  517 l 
geschrieben  ist,  weiter  mit  denen  desHilariuscodex  der  Basi- 
licana  (D.  182),  der  im  Jahre  509/10  corrigirt  wurde,  und  des 
ältesten  Casinensis  (Nr.  346,  saec.  VI.)  mit  der  Uebersetzung 
des  Origenescommentars  zu  Paulus' Briefen.  Unsere  Handschrift 
ist  als  die  wohl  älteste  ihrer  Art  auch  paläographisch  sehr  wichtig. 

1  Vgl.  Reifferscheid  De  Latinorum  codicum  wbtcriptionibtt*  commentaricktm, 
(Index  schol.  Vratisl.  hib.  1S72/3),  p.  Sf. 


Ein«  lateinische  Palimpsestftbersetzung  der  Didaacalia  opostolorum.  7 

Ihr  Alphabet  zeigt  neben  der  häufigen  Minuskelform 
des  b  auch  noch  die  Uncialform  (b),  besonders  zu  Wortbeginn. 
Ferner  weisen  d,  /,  g  (geschwänzt  $),  ry  8  und  t  regelmässig, 
m  meist  die  Cursiv-  und  Mmuskelgestalt,  dagegen  stets  a^  m>  ü 
und  Y,  manchmal  OD  die  Uncialform  auf.  Leicht  zu  verwechseln 
sind  r  und  *,  i  und  t}  o  mit  u,  c  und  e,  ti  mit  u  oder  o. 
Die  lange  Zunge  des  e  verbindet  sich  gerne  mit  folgendem 
gf  m.  r,  8  und  t.  Am  Zeilenende  findet  sich  die  Virgula 
-  oder  -»  (manchmal  mit  daruntergesetztem  Punkte)  meist 
für  ffi,  seltener  für  n;  auch  sind  daselbst  bisweilen  mehrere 
Buchstaben  kleiner  geschrieben  (VII,1  29  au-;  IX,  21  col-, 
29  nec)f  die-  i  dagegen  unter  die  Zeile  verlängert  (IV,  4 
und  XI,  32)  oder  Zeichenpaare  contignirt,  so  ist  (XII,  20), 
a>  (I,  6,  VI,  12,  VII,  26)  und  -f  =  U8  (XII,  33).  Von  Ab- 
kürzungszeichen  finden  sich  blos  die  auch  sonst  allgemein  ge- 
bräuchlichen q.  (oder  q>)  für  -que  (so  auch  I,  7  laq.at,  VIII, 
25  relinq.re,  XI,  23  8eq.bantur)  und  b.  für  -bus,  das  aber 
auch  ausgeschrieben  wird.  Ferner  sind  die  alten  kirchlichen 
Abbreviaturen  ds,  dm,  xps,  ihs9  sps,  scs  in  allen  Casus  üblich. 

Die  Buchstaben  sind  in  der  Regel  von  einander  gleich- 
weit entfernt ;  doch  finden  sich  Anzeichen ,  dass  schon  die 
erste  Hand  die  Unübersichtlichkeit  der  scriptura  continua  durch 
Punkte  und  Spatien  einigermassen  zu  beheben  suchte.  Sie  hat 
nicht  selten  an  Stelle  des  Punktes,  Strich-  oder  Doppelpunktes 
und  Kommas,8  ferner  gelegentlich  vor  Nebenbestimmungen,3 
dann  nach  oder  vor  Abkürzungen4  und  zur  Hervorhebung  der 


1  Der  Kürze  halber  bezeichnen  wir  die  entzifferten  Seiten  der  Reihenfolge 
nach  mit  den  römischen  Zahlzeichen,  und  zwar  Fol.  98  und  87  mit  I — IV, 
Fol.  33 r  mit  V,  Fol.  97  mit  VI  und  VII,  Fol.  81  mit  VIII  und  IX,  Fol.  85' 
mit  X  und  Fol.  86  mit  XI  und  XII. 

9  So  I,  7  quae  .  .  est'iam,  20  insipiena  est  •  dedinet;  II,  4  mulieri'nam, 
6  labantur  ■  mulier,  16  dies  '  ora  autem  sit,  17  deeima  •  oportet  enim;  III,  20 
condemnaueris '  sit  igitur;  IV,  3  regnauit '  unde,  10  f.  terram'sit  autem  et 
misericors  •  quoniam;  VI,  33  dixit  *  sit;  X,  14  dies  '  nox  •  caelum  u.  a. 

8  Z.  B.  I,  8  discamus  igitur.  Et  eas,  19  dirigentes  iter  ■  in  uiis  suis;  II,  25 
here\ctitaris  •  aput  dm;  VII,  15  mandaui  eis'  secundum;  X,  20  facta  sunt' 
ex  non  conslilutis. 

*  Vgl.  I,  10  sapientiam  *  s~cm  uerbum;  II,  24  in  dm '  et  tu,  26  dt  •  blasphe- 
matur;  V,  19  uerbo  dni  di  •  de;  VII,  27  dicit  dns  •  ds'  istrahel;  XI,  7  uir- 
tutem  '  ict  *  sps  •  pro  pecunia. 


8  XI.  Abhandlung:    Hanler. 

Eigennamen  sowie  Zahlwörter1  Punkte  gesetzt.  Hauptsächlich 
bei  Eigennamen  finden  sich  auch  zwischen  den  einzelnen  Silben 
(ähnlich  in  gewissen  späteren  Inschriften)  Punkte,  so  VI,  20 
matris  eius  •  ep '  8%'  ba';  VII,  17  seruus  meus  •  moy  ses;  vielleicht 
erklärt  sich  dies  aus  dem  beim  Dictiren  von  Namen  besonders 
nöthigen  Syllabiren.  Auch  Interiectionen  wie  o  werden  öfters 
durch  Punkte  kenntlich  gemacht,  z.  B.  VI,  4  0  •  episcope;  aber 
auch  gleich  in  der  nächsten  Zeile  an\te  '  o  •  culos;  II,  19  cowuenti' 
o  m  nem9  ausserdem  III,  8  parrodis  •  o  •  portet,  was  in  diesen  und 
ähnlichen  Fällen8  wohl  auf  eine  Künstelei  oder  geringe  Latein- 
kenntniss  des  Abschreibers  zurückzuführen  sein  wird.  Uebrigens 
findet  sich  auch  sonst  manchmal  beim  Zusammentreffen  von 
Vocalen  oder  vocalischen  Zeichen  der  Punkt  verwendet.3  Können 
und  müssen  wir  diese  unregelmässige  und  vielfach  störende4 
Interpunction  des  Schreibers  (theilweise  vielleicht  schon  seiner 
Vorlage)  füglich  bei  der  Wiedergabe  des  Textes  übergehen,  so 
wollen  wir  dagegen  die  nach  Sinnespausen,  meist  am  Ende  von 
Sätzen  beobachteten  Zwischenräume,  welche  der  Breite  zweier 
oder  mehrerer  Buchstaben  entsprechen,  möglichst  wahren  und 
die  massig  grösseren  Anfangsbuchstaben,  welche  nach  solchen 
Spatien  stehen,  wiedergeben  oder  anzeigen. 

Der  Codex  ist  im  Allgemeinen  sorgfältig  geschrieben  und 
zeigt  verhältnissmässig  wenig  Correcturen,  die  theils  von  erster, 
theils  von  einer  wohl  gleichzeitigen  zweiten  Hand  herrühren. 
Jene  (m1)  tilgt  gewöhnlich  durch  mehrere  über  das  betreffende 


1  Entweder  vor  und  nach  dem  Worte  oder  auch  nur  an  einer  dieser  Stellen 
VI,  27  fteU'achab'rex;  VII,  82  domus'achab;  VI,  18  inperacü  •  quin- 
quaginta  arvnos  u.  a. 

■  Auch  t  wird  so  zwischen  Punkte  gesetzt:  1,4  se'i'terum;  ferner  a: 
I,  24  nescientes •  |  qui •  a  •;  XI,  17  post  nos'pseudo'  a •  | portoUu;  XII,  1 
pteudo '  a\postolos.  Silbentrennung  scheint  beabsichtigt  in  11,19  tupec 
tum;  III,  15  ignor'cmt;  VI,  5  praeces •  $e \ runt;  XI,  29  per'a'era'uo' 
lan  •  tem  •  et;  XII,  24  in \  ueni  ■  ebamus. 

8  Vgl.  I,  3  animae '  iUius ,  6  ei'infamia;  II,  6  ubi-uiri,  21  omnes ' prae- 
terea  •  aduerswt;  VI,  28  altaria  *  omni;  XI,  22  eo  •  eranL 

*  So  V,  15  praeeeptum  non  enim  oportet  te  (freier  Raum  für  l*/i  Buchst) 
0  epU\cope  statt  praeeeptum.  Non  enim  oportet  te,  o  episcope;  I,  17  dom{tu 
*u)ae '  sedet  •  super  seBam;  22  suauiter  •  edetis;  V,  22  abscidahtr  •  kaec  «- 
apicio;  IX,  19  minus  membrum  •faeere  •  corpus  xpi';  X,  12  resuscitauit  *  aar 
ricuH. 


Eine  lateinische  Palimpsestflbersetxuiig  der  Didascalia  apoHoiortm.  9 

Wort  gesetzte  Punkte,  gelegentlich,  wie  es  scheint,  durch 
links  oben  vor  und  rechts  unten  nach  dem  Worte  gesetzte 
Punkte;  denn  so  dürften  diese  zu  dem  ersten  beati  IV,  9  ge- 
setzten Zeichen  zu  erklären  sein.  Den  ersten  Modus  wählt 
auch  m*  zur  Tilgung,  so  V,  29  diceietur  (=  dicetur). 

Wie  die  Sprache,  welche  wir  weiter  unten  behandeln 
werden,  ist  auch  die  Orthographie  vulgär.  Sie  ist  im  folgenden 
Textabdrucke  möglichst  unverändert  beibehalten,  da  sich  eine 
sichere  Scheidung  dessen,  was  dem  Schreiber  und  was  der 
Vorlage  angehört,  kaum  mehr  durchführen  lassen  wird.  Nur 
wo  die  Verständlichkeit  des  Textes  zu  leiden  schien,  wurden 
die  üblichen  Formen,  aber  mit  cursiven  Lettern  eingesetzt. 
Correcturen  sind  nur  bei  offenbaren  Fehlern  und  Versehen 
vorgenommen,  jede  textliche  Abweichung  aber  gleichfalls  in 
dem  Drucke  angedeutet.  Durch  Conjectur  ergänzte  Buchstaben 
oder  Silben  sind  mit  (  ) ,  interpolierte  mit  [  ] ,  wichtigere  im 
textkritischen  oder  sprachlichen  Theile  behandelte  Wörter  und 
Stellen  durch  ein  nachgesetztes  *  bezeichnet.  Bei  weniger  sicher 
lesbaren  Zeichen,  besonders  solchen,  die  stärker  verstümmelt  oder 
durch  die  jüngeren  Schriftzeichen  verdeckt  sind,  habe  ich 
Doppelhäkchen  ( }  unterhalb,  bei  sehr  zweifei-  und  schattenhaften 
Buchstaben  dieselben  Zeichen  oberhalb  angebracht.  Der  Kürze 
halber  bezeichne  ich  endlich  weiterhin  Lagarde's  Ausgabe  der 
Apostolischen  Constitutionen  durch  AC.  und  seine  in  Bunsen's 
Analecta  Ante-Nicaena  enthaltene  Reconstruction  der  Didascalie 
durch  AA. 

Bevor  ich  nunmehr  an  die  Mittheilung  des  Textes  der 
zwölf  Pfobeseiten  schreite,  muss  ich  noch  einige  Worte  vor- 
ausschicken, um  über  den  Zusammenhang  zu  orientieren. 

Den  ersten  vier  zusammenhängenden  Seiten  (I — IV,  AC.  I, 
c.  8 ff.)  geht  folgender  Gedanke  voraus: 

Die  Ehefrau  soll  ihre  häuslichen  Arbeiten  mit  Sorgfalt 
verrichten,  sich  nicht  schmücken,  um  anderen  Männern  zu  ge- 
fallen, also  weder  Hetärenkünste  spielen  lassen  noch  Koketterie 
treiben,  durch  die  sie  leicht  Anlass  gibt,  dass  einer  sich  aus 
Begehrlichkeit  herandrängt. 

Die  Situation  für  die  V.,  grösstenteils  dem  14.  Capitel 
des  II.  Buches  der  ( AC.)  entsprechende  Seite  ist  folgende :  Der 
Bischof  möge  bußfertigen  Sündern  gegenüber  Liebe  und  Gnade 


10  XL  Athwdluf :    Hml«r. 

walten  lassen;  denn  die  heilige  Schrift  bestätige  nicht  die  An- 
sicht, dass  man  durch  das  Zusammensein  mit  solchen  Leuten 
befleckt  werde.  Vielmehr  geht  der  Gerechte  mit  dem  Gottlosen 
nicht  zugleich  zugrunde,  sondern  ein  jeder  wird  ft&r  sich  selbst 
Rechenschaft  ablegen  müssen. 

Das  nächste  Folio  (VI,  VE,  AC.  II,  21  f.)  leitet  der  Ge- 
danke ein:  Vergebet,  dass  Euch  vergeben  werde;  denn  der- 
jenige, welcher  Unschuldige  ausstösst,  ist  ärger  als  ein  Mörder, 
da  er  weder  der  Barmherzigkeit  noch  der  Güte  Gottes  gegen 
reuige  Sünder  eingedenk  ist. 

Das  weitere  Blatt  (VIII,  IX,  AC.  II,  57  ff.)  folgt  auf  die 
detaillierte  Angabe  der  Sitzordnung  der  Presbyter,  des  Bischofs 
und  der  einzelnen  Theile  der  christlichen  Gemeinde  bei  den 
gottesdienstlichen  Handlungen.  Der  Diakon  möge  hiebei  die 
Anweisung  der  Plätze  vornehmen  und  wachen,  dass  keiner 
schwätze,  lache  oder  einschlafe;  denn  in  der  Kirche  müsse 
man  sich  wohlanständig  betragen. 

Vor  Beginn  der  X.  Seite  wird  (AC.  V,  7)  die  Zuversicht 
der  Märtyrer  und  die  christliche  Sündhaftigkeit  durch  den 
Glauben  an  die  Unsterblichkeit  begründet  und  bezüglich  der 
Auferstehung  auf  die  Verjüngung  des  Vogels  Phönix  hin- 
gewiesen.' 

Das  letzte  Blatt  (XI,  XII,  AC.  VI,  7  ff.)  erzählt  den  Be- 
ginn der  Häresien  durch  den  vom  Teufel  besessenen  Magier 
Simon,  der  in  Jerusalem  den  Aposteln  die  Gabe  der  Heilung 
abkaufen  wollte. 

Es  folge  nunmehr  der  Text  selbst: 

« 

I.  Fol.  98'. 

AA.  p.  55,  23  (233,  17);  AC.  I,  c  8,  p.  11,  22  ff. 

s^d^er^e*  t(e).     Si  autem  pe(c)lcaJueris,  et  ,tu  pej(r)- 
1d.(idiysti1  (u)itam*  tuam  eltJ  con,o,xia*  facta  es  p? 
^ijinae  illius.     Et  postea,  si  peccauerit  in  uno, 


I«  1.  (de)!sitderAr[ej  (d,  a,  e  bis  auf  kl.  Reste  zerfressen).  —  t«  (Loch), 
dann  ein  kleines  Spatium.  —  pe*tc,.  —  ,caj  and  itu»  theilw.  zerfressen.  — 

tpe>*.    —  2.  tdi    (d  oder  n)*  **  %ti'*  i tarn  (am    etwas    zerrissen).    —    e(t 
(t  unten  zerfressen).  -   da  (o  seitlich  zerfressen). 


Ein«  lateinUcne  PftlimpBOsttbenetsung  der  Didtuealia  apostolorum.  \  \ 

^j^spiciens  se  iterum  ad  aliud*  transiet*  f  cu" 
5     uenerit  in  profundum  malorum,  conte^pj- 

^it,  et  ueniet  ei  infamia  et  inproperium.     Q'uae' 
ta(l)is  autem  est,  iam  uulnerat  et  laq(ue)at  ani- 
{mp8  insipientium.       Di^camus  igitur  et 
eas,  quae  tales  sunt,  quomodo  tri^mphat 

10     per  ipsam  Sapientiam  scm  uerbum. 

Dicit  autem  ita:  Sictu,t  inaures  in  nare  po^c/i), 
ita  mulieri  maliuolae  species.       Et  iterum: 
Sicut  lignum  uermis  exterminat,  sie  per^dji]- 
jdji^ui^um  mulier  malefica.       Et  iterum:  M^- 

15     lier  stulta  et  saeua  indigens  panem  effiLcir 

tur,  quae  nescit  ruborem;  in  ianuis  dom(us  su-) 
ae  sedet  super  sellam  adparens  in  plateis, 
aduocans  eos  praetereuntes,  dirigentes 
iter  in  uiis  suis*,  et  dixit:  Quisque  ex  uobis  in- 

20     sipi^n^  est,  declinet  ad  me,  et  eis,  qui  sine  sa- 
pienti^  sunt,  praeeipio  dicens:  ,Panes  abs- 
^onsos  in  prufijna  suauiter  edetis  et  aquam 
fjUjrtiuam  dulcem  bibetis.'     Et  nescien[te]s, 
quia  terriginae  aput  eam  pereunt,  et  in  p[ljettr 

25     aurum*  inferorum  oecurrit.      Sed  fuge 
citius  et  nol(i)  remorari  loco  eius. 
Et  ^tejTum:  Melius  est  habitare  in  ^ngulo 
obscuro  quam  cum  muliere  linguosa  e^  ,ri,- 
x^osa*.      Nolite  igitur  eas,  quae  tales  sunt, 

30    muliere(s  i^mijtari,  uos  Chr^teanae!     Qc^ae  [fi,- 

4.  Prov.  18,  3.  —  7.  Vgl.  Eccl.  7,  27.  —  11.  Prov.  11,  22.  —  13.  Prov. 
12,  4.  —   14.  Prov.  9,  13ff.  —  27.  Prov.  21,  9. 19. 


4.  Aispiciens.  —  t  über  iet  wohl  von  ms;  ausgefallen  ist  etwa 
<cum  sensu  nullo,  sicut  dicit  in  Sapientia:  Inpius).  —  6.  (Q)'uaB1 
sehr  schwach  sichtbar  (vielleicht  stand  anfangs  blos  q.).  —  7.  ta*is.  — 
8.  Nach  insipientium  8  Buchst.  Spatium.  —  (Di)«  Obertheil  zerfressen. 
—  10.  ipsum.  —  uerbum*****  (autem  von  m1  rad.).  —  II.  ita  s  auf 
Bas.,  es  stand  wahrschl.  sicut.  —  pof  ci*.  —  13.  (per)di  verstümmelt.  — 
16.  dorn****.  —  24.  terrigine.  —  25.  (in  p[l]eiti)aurum,  bz\  Tcitaupov 
LXX.  —  oecurrit  (Spatium  von  2  Buchst.)  sed  fuge  (e  viell.  aus  »).  — 
26.  nol*me  (e  etwas  verst.).  —  eius******  (wohl  iterum  rad.).  —  27.  titer 
zerfressen.  —  29.  eas  (#  corr.).  —  30.  muliere** im L  (mi  zerfressen).  — 
-aar  zerfressen. 


12  XI.  Abhandlung :    Havler. 

(deljis  (nis  ess^e,,  (qu^ej*  erg,o,  fjid^lis  nis  esse  u^ro,  (t),U0j 
,aduerj(te,  ut  plac^eas,  illi  soli,  et,  cum  ,111,  (pfyate/is) 
am^ulaueris,)  ca(p)ut  (t^m,  (uej(l)a<ns  u)e,8/te;   nam  per) 

itfis/tua  pulchritudo  o)rpertetur. 

( obfle^ationem  *  mal-).  Et  noli  ^(epingere  tuum  uul-> 
35    (t^m,  (a  do  factum;  o^rnat/us  enim  nihil  in  te  eget)* 


IL  Fol.  98». 

AA.  p.  66,  20  (234,  4);  AC.  I,  8—10,  p.  12,  18ff. 

(De^orsUjm  jpe^e^^p^c/i^e/is*  iter  tu(u)m  \te  mulier)^ibj(us) 

occtpüu*. 

,u/t)q>  ^ecum  cooplerJ(i)en8  Decl(i)na,  ,a(d)u(erte,  et) 
balneum,  ubi  uir^  labantur,  quod  super^u,- 
um  est  mn.li,eri;  nam  etsi  non  faerit  in  ciui- 
5     täte  uel  in  regione  balneum,  in  eo  balneo, 
ubi  uiri  labantur,  mulier  fidelis  non  labe- 
tur.       Si  enim  uultum  tuum  uelas,  ,ut,  a^b,  ali- 
enis  uiris  non  uidearis,  quomodo  r^u/la 
cum  alienis  uiris  in  balneo*  ingrederis?  Si 
10     autem  [non]*  est  balneum  muliebre,  quod 
utaris,  et  uis  contra  naturam  cum  uiris  la- 
^jari,  cum  disciplina  et  cum  reuerentia,  qu,~ 
mensura  labare.  In  talibus  enim  ualneis 


31.  nltis*  (ein  gerundeter  Strich  richtbar)  *****  &  ** ia  (Reste  von 

e).    —    -gtpj    (go  oder  ge  möglich).   —  -ädr  zerfressen.  —   *iUO>    —    32.  a 

(zerrissen)  nduer,   (zerfressen)  ********  Leasj    (nur   theilweiae   sichtbar).  — 

iii  (nur  kl.  Rest)  inj** »Ate.  (schwach  sichtbar)**.  —  83.  ibj  (Obertheil  aicht- 

t 
bar)  ******* *ca*u  (theilw.)t*uu,    dann   -imui  (verst.) tej*a*** oa    (bis  8 

» p       e 

Buchst,  fehlen).  —  34.  tobjUtej  (es  fehlen  10 — 11  Buchst.)  et  noli  &   (c  15 

Buchst,  ausgeflossen).  Ueber  der  Zeile  tOjitSj  (c.  16  Buchst,  fehlen)  feiu'ietnr. 

—  36.  liuiou  (m  halbiert),  c.  10  Buchst  ausgeflossen,  dann  trnat  (es  fehlen 
c.  19  Buchst). 

fn  i     o       f 

II«  1.  *  *torj  (untere  Hälfte  erh.)  iSUjm  ipejdtesj  #pjiA*Ans  (von  ap  und 

c  nur  kl.  Reste  erh.).   —  tum   (um  auf  Ras.  mx),   es  fehlen  7—8  Buchst, 

1 

dann  jbj.  —  2.  lUj  (kl.  Reste)*.   —  pierj*ens  (er,  e  theilw.  zerfressen).  — 

d  o 

-cl*naiaj*u******.  —  oscipiant  (m*  über  d.  Z.). —  8.  -fl«». —  7.  iut&ih 

b 

verstümmelt  —  12.  ^(zerrissen)  ari. 


Eine  lateinische  PtiimpBestflbersetzaDg  der  DUkuaUia  apottolorum.  13 

non  freqnenter  laaetar  nee  diu  lauet^ 

15    nee  in  meridie,  sed  [et]*,  si  potest  fieri,  nee  per 
(ain)gtdo8  dies.  (H)ora  autem  sit  tibi  snperflne 
^ljlius  ualnei  deeima;  oportet  enim  te  con- 
stitntam  fidelem  ab  omni  partes*  ocnlor^" 
aspectum  et  conuentionem,  quae  in  ta^ 

20     balneo  ^t,  fugire.    Ne  autem  eis  litigios(a)  atdJ  ,om,- 
nes,  praeterea  aduersus  uirum  ^um,  trecij- 
de  hoc  malum  a  te,  quoniam  fi^ejis  es,  lUjt  luiirJ 
tuus,  si  est  fidelis  aut  gentilis,  proptelrJ  ttej  ,nonj 
cogatur  blasfemare  in  dm,  et  tu  uae  ^ejre1- 

25     ditaris*  aput  dm:       Uae,  inquid,  per  que^  ^[o1- 
^en  dl  blasphematur  intetr,  gentes;  si  ai^te" 
fidelis  est  uir  tuus,  cogatur  dicere,  ut  ^/c^iejnlsj 
scribturas,  quod  scriptum  est  in  Sapier^tia,: 
Mel^UjS  est  habitare  in  deserto  quam  c^/m1 

30    'muUiejre  linguosa  et  litigios(a).       ^ulieres,  jigi^ 
^ujr,  {p/&r  confusio(ne)m  tet,  [ma/n^s/uetyujdijnlem, 
(religion^ejm1  ^(tendi)^  ,adj  jCO^nuer^sJi^onem)  'et1 
(corroboratioynejm  fij(de)ri  eis1,  (qui  foris  ec-) 
(clesia  sunt,  siue)  ^ulijeri^bus  siue  ui^r^s. 

35    (Et  si  paucis  admonent),ej(s)  Ler^(udiuimus  uos,)  ^orjo1*- 


25.  Isaias  52,  5.  —  29.  Prov.  21,  19. 


16.  ##«gulos  dies'ora.   —  17.  tiljlius  (ü  viel  1.  auf  R&s.).  —  18.  ab 

e« 

(b  aus  u  von  m1).  —  20.  ostaiA.  —  21.  jreeij.  —  27.  is^ae/n1^  (fo  Ober- 
theil  zerfressen).  —  80.  litigiös*  (darauf  Spatium  für  2  Buchstaben  frei) 
M  (verst.).    —    31.  ip(  (zerfressen);  —  ~io**m  (m  theilweise  zerfressen).  — 

o      t  •  11  nl 

imaj*i8j*  **ru1tdijfn1tenx.  —   32.  Etwa  8  Buchstaben  fehlen  vor  &   und  dem 

nt 

folgenden  Beste  wohl  eines  (D  (p,  e,  c),   ferner  iosj;    dann  nach  Lücke  von 

obl 6  1  » 

5—7  Buchst.  tLeadcoj  (4 — 5  Buchstaben  fehlen),  is/i1  (Lücke  von  4 — 5  Buchst.) 
t« 
«et».  —  33.  Anfangs  fehlen  etwa  12  Buchst,  (vor  dem  6.-8.  Zeichen  Best  einer 

etn  1«         •    n 

Oberhasta  vorhanden),  dann  *ne\mj  ifi**«i  eis1;  darauf  Lücke  von  c.  10  Zei- 

U  q  m 

eben.   —   34.  Ausfall    von   c.   14  Buchst.,   hierauf   Lmj (verst.) lUli/eri1;  dann 

0 

nach  Lücke  von  etwa  9  Zeichen  Lrisj.   —   35.  Ungefähr  18  Buchst,  wegge- 

t 
rissen,  dann  <e*erj,  ferner  c.  11  Zeichen  ausgefallen,  schliesslich  isor/o1  (das 

letzte  o  zweifelhaft). 


14  XI.  Abhandlung:    Hau ler. 

III.  Fol.  87*. 

AA.  p.  67,  19  (234,  28);  AC.  I,  10.  II,  1;  p.  13,  16 ff. 

res  et  filiae  et  membra  nostra,  tarnen  sicut 
sapientes  et  u^jS  quae  bona  sunt  et  sine  re- 
praehensione  quaerite  oitae  istius  docu- 
menta,  nt  sciatis,  per  quae  possitia  regno  dl 
6     nostri  propinquare  et  bene  placentes  re- 
pausare.  Pa^sto,rj;  qui  con- 

stituitur  in  nisitatione  praesbyteri^  et 
in  ecclesiis  oinnib(us)  et  parrociis,  oportet  eu~ 
sine  quacrella  esse,  inreprehensibilem, 

10     alienum  ab  omni  iniquitate,  uirum  non 
minus  a^nnjOrum  cinquaginta,  quoniam 
per  quan^m  tr,ationem  iune^taSj  ^uxu- 
rias  et  diabolica  nitia  ala/agisse  iam  aide- 
,t,ur  et  ab  eis,  quae  a  falsis  fratribus  in  mal- 

15     tfip  iactantur,  blasfemiis,  qui  ignorant 

uerbum  dl,  quoldJ  in  euuangellJio  est:  Quoni- 
am, inquid,  qui  dixerit  ^erb^m,  otiosum, 
reddet  rationem  pro  eo  dnö  in  die  iudicii. 
De  uerbis  enim  tuis,  ait,  iustifica&eris  et  de 

20     uerbis  tuis  condemna6eris.     Sit  igitur,  si 
possibile  est,  ad  omnia  eruditus;  et  si  sine  lit- 
teris  est,  sed  notitiam  ha,b,ens  uerbi  diui- 
ni  et  stabilis  aetate.       Si  autem  in  paro- 
cia  modica  ordinanduß  est  episcopus 

25     et  non  inuenitur,  qui  tempora  aetatis 
iam  transisse  uideatur  et  testimonium 
habere  et  sapiens,  est  altern  iuuenis  eltJ  tes- 
timonium habet  ab  his*,  qu^i,  cum  eodem 
sunt,  quia  dignus  est  ad  episcopatum,  et 

30     per  iuueni^em  aetatem,  per  mansuetudi- 
nelmJ  et  bonam  conuelr,sationem  senec- 


9  ff.  Vgl.  Tim.  I,  3,  2  ff.    -  16.  Matth.  12,  36.  37. 


III.  11.  ein  (m1  wollte  anfangs  q  statt  c  setzen).  —  12.  iuuentas, 
corr.  Funk  (oder  iuuentu(ti)s?).  —  19.  iustificaueris.  —  20.  condem- 
naueris.  —  24.  Zwischen  est  und  episcopus  unpr.  Loch. 


Eine  lateinische  Palimpseetftbersetsnng  der  Didaacalia  apottolonm.  15 

tutem  ostendit,  jprjObetur  e^,  si  ab  omnib(us) 
tale  testimonium  habet,  constituatur 
episcopus  in  pace.        Nam  et  Sa(lomon) 
35     duodecim  annorum  constit(utus  regnauit) 

IV.  Fol.  87«. 

AA.  p.  58,  20  (236,  25);  AC.  II,  1,  p.  14,  18  ff. 

in  Istrahel  et  Iosias  in  iustitia  octo  annoru~ 
con^tutuSj  r^g^avitj,  ^imilitjer  et  ^ojsijas,  cum 
esset  septem  annorum,  regnaait.  Unde,  eti- 
amsi  iuuenis  est,  tarnen  ut  mansuetus  sit,  Ltir 
5     midus  et  quietus,  quoniam  dicit  per  Eseia" 

dns'ds*:  Super  qu^m,  'rjespicijam,  nistij  sujper, 
mansuetum  et  quietum  et  trementem  uer- 
ba  mea  semper?  Simil^ter  et  in  euangelio 
dicit  ita:  [beati]  Beati  mansueti,  quia  ips^  (he-) 

10    ^edi^abunt  ^e^ram.  Sit  autem  et  miseri- 
cors,  quoniam  dicit:  Beati  misericordes, 
quia  ips^Sj  ^iserejbitu^  (djS'.     SliJmlilitier  et  .pa,- 
^fictts,  quoniam  iter^jm  dicit:  Beati  pacifi- 
ci,  quoniam  fili  dl  uocabuntur.  Sit  autem 

15     et  sine  malitia  et  iniquitate  et  maligns- 
te, qu^niani  d^citj  ^terum^  Beati  mun^i,  cor- 
de,  qLuiaj  ip^i,  luidebu,nlt  dm.       ^it,  ^rgo  sobr^- 
us,  castus,  ornatus,  non  turbulentus,  non  ui- 
no  multo  deditus,  non  percussor,  sed  in- 

20     nocens,  non  litigiosus,  non  auarus;  non 
neofitus,  ut  non  i^jüetur  et  in  iudicium  in- 
ctdat,  quoniam:  Omnis,  ^ui  se  exaltat,  hu- 

6.  Isai.  66,  2.  —  9.  Matth.  5,  6.  —  11.  Matth.  5,  7.  —  13.  Matth.  5,  9. 

—  16.  Matth.  6,  8.    —    17  ff.   Vgl.  Tim.   I,  3,  2  ff.  —  21.  Vgl.  Tim.  I,  3,  6. 

—  22.  Luc.  14,  11. 


34.  sa,  dann  Riss,  es  fehlen  etwa  5  Buchst.  —  35.  Köpfchen  des 
letzten  t  sichtbar;  dann  c.  12  Zeichen  weggerissen. 

IT«  9.  ita*  beati.  (scheint  durch  die  Punkte  getilgt).  —  ipsLiJv  die  folg. 
2   Zeichen   ganz    unsicher:    (he->|  red  itabunt    zuerst    Wölfßin.    —   12.  <ditf' 

o 

(auch  ac  wäre  möglich).  —  13.  (pa)(CjificiOj8.  —  16.  mundA.  —  22.  (in)cedat. 


16  XI.  Abhandlung:    Hioler. 

milia^i^u,^       Talern  decet  esse  episcopu", 

unius  uxoris  uirum,  curam  domos 
25     suae  bene  agentem.  Ita  ergo  pro^etur, 

com  manus  inpositionis  .acjcepit,  et  sie  or- 

dinetur  in  epifcopatum,  si  est  castus,  si 

uxorem  castam  aut  fidelem  habuit  aut 

Aa&et,  si  filios  caste  edocauit  (et)  eradiens  pro- 
30     duxit,  si  [h]ii,  qai  intra  domum  eins  sunt, 

T^u^rjentur  eum  et  ^o^o^ant  eam  et  om- 

nes  [et  omnes]  su^iti  ill^ij  sunt.  Si  enim,  qx^i, 

se^updam  carnem  illius  proprii  sur^t,, 

^/editio^em  *  faciunt  aduersum  eum  et 
35     (non  pare),n,t*  ei,  quomodo  [hjii,  qui  foris  domu"  . 

V.  Fol.  33 r. 

AA.  p.  69,  20  (242,  22);  AC.  II,  14,  p.  26,  6  ff. 

licto.  Neq(ue)  enim  Iudas  nos  noeuit,  cum  nobis- 
cum  oraret,  sed  solus  periit.  Nam  et  in  arca 
Noe  (et)  duo  filii  eins  saluati  et  benediqt;  sunt; 
Cham  autem,  filius  eins,  non,  sed  semen  eins 
5     maledictum  est;  ^stiae  etiam,  quae  ingres- 
aiei  fiupt,  exiernnt.     Non  ergo  opo^t^t  his*,  qni 
parati  sunt  ad  motrt^mj  et  odtiuntJ  .frat^es 
et  diligunt  crimina  et  com  occansionibos 
mortem  quaerunt,  nos  adtendere;  alius  eni" 

10    pro  alio  non  monetär.  Sed  uos  iuuate  in- 
fi^mis,  et  (per^clitanjtibus  ,et,  ^ran^ibus  et 
liberate  eos  de  morte,  non  seeundum  duri- 
tiam  cordis  et  uoluntatem  hominum,  sed 
seeundum  dm  dl  nostri  uoluntatem  et 

15    praeeeptum.  Non  enim  oportet  te,  o  epis- 

0 

24.  Zwischen  uxo  und  ris  urspr.  Loch.  —   29.  au  et.  —   31.  ihonkUr 

rant.   —  34.  Erstes  Zeichen  Obertheil  eines  «,  dann  Lücke  von  6  Buchst 

—  35.  Es  fehlen   7—8  Zeichen,  das  letxte  (nach  dem  erhaltenen  Obertheil 

einer  Hasta)  wohl  n. 

V,  1.  (pro  suo  de) I  licto,  vgl.  AA.  a.  O.  &w<tt<k  yap  icspt  btutov  «coXorf- 
d       ix 
oetau  —  6.  freistijae.   —  9.  alios.   —  16.  te  und  nach  Lücke  von  etwa 

2  Buchstaben  O  epis. 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetzung  der  Didatcalia  apoHolorw*.  17 

cope;  cum  sis  caput,  caudae  adtendere,  id  est 
laico  uel  seditioso  hornin^,,  qui  facile  du- 
citur  ad  alterius  perditionem,  sed  solum 
intendere  uerbo  dni  di*  de  his.  Qaod  'eni^m, 

20    ^on,  p,o,test  quis  pe^re  p^o,  ^lte^ius  pecca- 
tis  Lautj  jCOjinqu^nafi  manifestum  est.     Ut  ex- 
tollatur  et  abscidatur  ha^c  suspicio  et 
malignorum  hominum  mens,  per  Eze- 
chiel  sie  dicit  dns  ds  noster:     Et  factum 

25     est  uerbum  dni  ad  me  dicens:  „QjUa^e,  dici- 
,ti8,  ^08  parabolam  hanc  in  terra  Jstrahelj: 
patres  manducauerunt  [uju^am  ace^uam 
et  dentes  filiorum  indurati  sunt?     Uiuo  ego, 
dicit  Adonai  dns-,  si  amplius  dicetur  pa- 

30     rabola  haec  in  Istrahel:  quoniam  omnes 
anim(a)e  meae  sunt.     Q.uemadmodum  anima 
,patrisJ?  ^ta  et  anima  fili  meae  sunt;  Le,t  an^m^ 
quae  peccat,  ipsa  morietur.     Homo  autem, 
qui  erit  iustus,  qui  facit  iudicium  et  iustiti- 

35     am,  in  montibus  non  manducauit  et  oculos 

VI.  Fol.  97 r. 

AA.  p.  82,  21  (261,  16);  AC.  II,  21,  p.  41,  14  ff. 

tatem  eius  nee  obiect(a)ns  eos,  qui  tales 
sunt  et  in  multitudine  peccatorum  in 
penitentia  aeeiperunt*  remissionem 
a  do.       Oportet  autem  te,  o  episcope,  an- 
5     te  oculos  habere  et  ea,  quae  praecesse- 

runt,  simul  ad  scientiam  sanitatis  ad(hibere  ad)41 


24.  Ezech.  18,  2  ff. 


16.  catide.  —  19.  bo  aus  uo  durch  Ras.  corrig.  —  27.  u/utujain.  — 
29.  dicesetur  (Punkte  von  m8).  —  31.  anime  meae.  —  32.  (anim)a 
f(ili)  auf  Ras.  —  36.  et  oculos|<suos  non  extollit  ad  desideria  do- 
mus  Istrahel). 

Tl.    1.   <benigni)|tatem  AA.  a.   O.  aya6waijvi)v.   —    oblecttns.    — 
4.  Zwischen  te  und  O*  episcope  kleines   Spatium.  —  6.  ad  (admonen- 
dum)  Funk. 
.  Sitznngsb.  der  phil.-hist  Cl.  CXXXIV.  Bd.  11.  Abb.  2 


18  XI*  Abhandlonf:    Hau  ler. 

eos,  qui  corripiendi  sunt  et  obtrectandi*. 
Adhuc  et  ad  iudicandu(ra),  ad  conparatio- 
nein  causae,  per  multam  doctrinam  ex- 

10     quirere  dl  uolimtatem,  sicut  ,i,p8e  fecit, 
ita  et  nos  oportet  facere  in  iudiciis.     [De 
Manasse]*     Audite,  o  episcopi,  adhuc  haec, 
quae  talia  sunt,  .i^u  amen  tum  *  similitu- 
din^Sj.  Scriptum  est  in  quarto  libro  Reg 

15     norum*  et  in  secundo  Paralipomenum, 

quod  est  praetermissarum*,  sie:  In  dieb(us) 
filius  erat  duodeeim  annorum  Manas- 
ses,  cum  regnasse^,,  ^t,  inperauit  quinqua- 
ginta  annos  in  Hierusalem.  Et  nomen 

20     matris  eins  Epsiba.  Et  fecit  malignum 
coram  dri^  ^bominationibus  gentili,- 
um,  quos  dilsJp(erd),i,dit  dn~s  a  facie  filio- 
LrjUm  Istrahel.  Et  conuersus  est  et  aedi- 
ficauit excelsa,  quae  distruxit*  Ezecias, 

25     pater  ipsius,  et  constituit  sculptilia  Ba- 
halim  et  e^egit*  altarem  Bahal  et  fecit 
co^dens,^,  sicut  fecit  Achab,  rex  Istrahel, 
et  fecit  altaria  ,0,111  ni  militiae  [et]  oaeli  et 
adorauit  omnem  uirtutem  caeli  et 

30     aedificauit  ^ltarem  in  d^mo  dni,  in  qua 
dixit  dns:  ,In  domo  Hierusalem  ponam 
nom(e)n  meum.'  Et  seruiit  altaribus  Ma- 
nasses  et  dixit:  ,Sit  nomen  meum  in  ae- 
terntu,m'  (e)t  aedificauit  altari(a,  omni 

35     militiae  caeli  ^n  ^trisque  atri^s  domus 


16.  Reg.  IV,  21,  lff.  (Paral.  H,  33,  lff.) 


7.  oblectandi  Funk  (obttstandi,  obseerandif  Haider;  doch  s.  unten). 
—    8.    iudicandu*.    —    12.    haec.    —    15.    paralipomenum    (e   aus    • 

corr.  m1).  —  22.  di^p  (verst.)  *  *  *  (Reste  eines  Querstriches)  Ad  it.  — 
30.  a1,  d(Qü  nnten  stark  zerfressen.  —  31.  hie  verst.  —  32.  nomtn.  — 
34.  (n)iUj(m)  stark  zerfressen.  —  ♦  t  —  36.  von  ii\(n)  nur  die  Spitze  erhalten. 


Eine  lateinische  Palimpsestnbersetznng  der  Didatealia  apoitolontm.  19 


VII.  Fol.  97  ■. 

AA.  p.  84,  2  (252,  12);  AC.  H,  22,  p.  43,  Uff. 

domini  ^t  ipse  t(r)ansponebat  ^ilios  suos 
per  ignem  in  Gae^Bajnaemon*  fet-  auguria- 
batur*  et  maleficia  faciebat  et  fecit  sibi  pti,- 
tones  et  procantatores*  et  praescios  et  m^l- 
5     tiplicauit  facere  malignuin  in  oculis  diu, 
ut  inritaret  eum.  Et  posuit  sculptilem  et 
jfjUsilem  condensi  imaginem,  quam  fecit 
in  domo  dhl,  (in)  qu(a)*  dixit  dns  ad  Dauid  et  ad 
,SJolomonem)  filium  eins:  ,In  domo  hac  in 

10     Hierusalem,  (quam)*  elegi  ex  omnib(us)  trib(ubXus) 

Istrahel 
et  ponam  nomen  meum  in  aeternum  et 
non  adponam  mouere  pedem  menm  a 
terra  Istrahel,  qnam  dedi  patribus  ipso- 
rum,  ita  tarnen,  si  custodierint  omnia, 

15     qnaecnmq(ne)  mandaui  eis  secundum  omne 
praeceptum,  quod  mandauit  eis  seruns 
mens  Moyses/  Et  non  andiernnt  enm  et 
seduxit  eos  Manasses,  nt  facerent  malig- 

super  igjentes,  quas  absitjulit  dns 

nnm  in  oculis  dnla  a  facie  filiornm  Istra- 
20     hei.  Et  locutus  est  dns  snper  Manassem 
et  super  popnlum  eius  i^  manus  seru^,"" 
rum  snornm  profetar^m,  d^c^ns:     Ptr,op- 
ter  abominationes  iniquas,  quas  fecit 
Manasses,  rex  Iuda,  ex  omnibus,  quibus 
25     fecit  Amorr(a)leJus  coram  ipso,  et  pecca- 
re  fecit  Iudam  in  simulacris  eius,  haec 
dicit  dnä*  ds*  Istrahel:  ,Ecce  ego  in^u^a" 
mala  super  locum  istum  ita,  ut  omni- 

1.  t*ans.    —    2.  gaeLbj   (6  unterh.   theilw.   zerfressen,  scheint  aus  u 

U  u 

corrig.)    ad  (zerrissen)  aemonret>.   —    3.  pi  (danach  Riss;  auch  u  möglich). 

—  8.  dni  quibus  dixit*  ad  dauid  ettad  (dns  über  der  Zeile  von  m.1;  ad 
auf  Ras.,  es  stand  etiam).  —  19.  super  tgjentes  quas  absAulit  dns  von 
m.1  oberh.  der  Zeile.  —  26.  amornejus.  —  26.  lisec. 

2* 


20  XL  Abhmndlung:    Hmler. 

um  audientium  resonent  utreque  au- 
30     res,  et  extendara  mala  super  Hierusale-, 
mensurani  Samariae  et  ponderatione 
domus  Achab,  et  deleam  Hieru^alem,  si- 
cut  deletur  alabastrus*  unguent.is,;  euer- 
titur  et  eue'r'titur*  in  faciem  (s)uam  et  re- 
35     tribuam  reliquias  hereditatis  meae. 

VIII.  Fol.  81'. 

AA.  p.  122,  19  (280,  7);  AC.  II,  67,  68,  p.  86,  25  ff. 

cum  disciplina  et  sobrietate  u,igilare  et 
intentam  aurem  habere  ad  uerbum  dni. 
Si  qt^ißj  ^utem,  de  ,parrocia,  frater  aut  soror, 
uelnerit,  d^a^onus  requjrat  ,ajb  ea,  si  adhuc 
5    uirum  habet,  si  uidua  est  aut  fidelis  et  si  de 
ecclesia  est  et  non  in*  heresi.   Et  ^ic,  iam  per- 
ducens  ea1mJ  faciat  in  de1cret)o  loco  sede- 
re.       ß'f.  ^Ujtem  praesbyter  de  ecclesia  jsar,- 
ro^c^e  uenerit,  suscipite  eppa.  praesby- 

10    ^eri  con^mUjiiijterj  in  loco  (ueftro.     Et  si 
epi9co,puSj  lad1uelnJerit,  (\ufa  ^jpiscojpo  se- 
deat  eundem  honorem  ab  eo  recipiens. 
Et  pelte]s  eum  tu,  episcope,  ut  adloqu^tur 
plebem  tuam,  ^uoniam  Pleregrinlu8j,  'cHim 

15     adlo^Ujium  ^t,,  'deftitiat*  populum; 

scriptum  est  ,enim,:  Nujlus,  ^ro^het^  ^uscej^- 
tns  est  in  patria  sua.  Et  ^n,  grattia  agenda 
ip^Oj  dicat.     Si  autem,  cum  a^itj  prudens 
et  honoLremj  ttibij  [rej  lrJeselruansJ,  no^n,  ^elit,  su- 

20     per  calliJcelmj  d^cat,.     Si  ^te^,  ppun  tsedesJ7 
alias  quis  ^ut  alia  superuenerit  honora- 


16.  Luc.  4,  24. 


82.  iA  (bis  auf  die  Spitze  zerstört)  alem.  —  33.  -(t)iisj  zerfressen. 
34.  *uam.   —  re  vielleicht  aas  rie  corrigirt 

Till«  6.  non  ut  heresi.   —   16.  fdei'ubat.   —   19.  itibirenes. 
t 

20.  isedis;  oder  ist  mit  dem  Syr.  an  sed(et)is  zu  denken? 


Eine  lateinische  PalimpsestflbersetEung  der  Didatcalia  apostolorwn.  21 

bilior  sae^Cjiindum  sa^culum  a^ut,  (peregrinus  aut)*  de  ip- 
so ^ocOj  ,tnoJ?  epi^cop^,  cum  ^c^Sj  ^e^bujm 
dr  au^  ^udis  ,aut,  ^egis,,  nojij  proper  per- 

25     sonarum  acceptionem  relinq(ue)re  mi-    - 
nisterium  uerbi  tui  et  disponere  eis  se^- 
ftor^a,,  sed  pern^ane,  inqui^tus*  eltJ  ^oli  me- 
diare  uerfyuiiij.  FratrteSj  ^u^m,  ,e,os  ^uscij- 
pien,tr     Sin  jUe^ro  locus  non  fuerit,  qui 

30     dilectionem  fraternam  hatyetj  Lejt  cari- 

tatem  et  ^onorabili^  je^st,  slu,r,gensJ  ^once- 
de,tj  ei(s)  locum  et  ijpsej  tstabitr       Si  autem  ,iu,- 
uenijOjrib^s)  sedentibus  senior  ^ut  ani- 
cula  surgens  concesserint  locum,  tu,  dia- 

35     conus,  circuminsp^cej  de  iuuenioribus 


IX.  Fol.  81». 

AA.  p.  124,  20  (281,  3);  AC.  II,  68,  59,  p.  89,  5  ff. 

qui  magis  iunior  est  aut  iuuencula,  et  ex- 
surgere  facies  eam  et  sedere  eam,  quae  lo- 
cum co^cessit;  eam  uero,  quae  non  cessit 
exsurgens,  facies  posteriorem  omnibus 
5     stare,  ut  discant  et  ceteri  concedere  ma- 
ioribus  aetate.  Si  autem  egenus  aut  eg,ena, 
siue  de  loco  siue  peregrinus  superuene- 
rit  et  praeterea  senior  aetate  et  locus  no~ 
fuerit,  tu,  episcope,  talibus  locum  ex 

10     toto  corde  fac,  etiamsi  tu  ipse  super  humu~ 
sederis,  ut  non  fiat  aput  homines  a  te  per- 
sonarum  acceptio,  sed*  apt^t,  döi  •  ministe- 
rium  tuum  placeat.  [Quoniam  expedit 
numquam  deesse  ab  e^cjesia.]     Docens  au- 

15     tem  iube  et  hortare  populum  in  ^desia* 
frequentare  et  penitus  numquam  dees- 
se, sed  conuenire  semper  et  ecclesiam 


u 


22.  aiutj  de.  —  33.  -ueniiQjrib.   —  34.  Zwischen  locum  und  Tu  Spa- 
tium  von  2  Buchstaben. 

IX.  9.  Nach   fuerit  Spatium   von  2  Buchstaben. 


22  XI.  Abhandlung:    II an ler. 

non  angustare,  cum  se  subtrahunt,  et  mi- 
nus membrum  facere  cor(pus}  ^pi,.  Unus- 

20     quisq(ue)  autem  non  de  alio  ^c  cogitet,  sed 
de  se  ipso,  quoniam  dictum  est:  Qui  non  col- 
ligit  mecuin,  spargit.     Nolite  ergo  (uos)met 
ipsos,  cum  sitis  membra  xpi',  spargere 
(a,b  ecclesia„  cum  non  coadtu;nlaJmini,  xplmJ 

25     enim  capr^t  habentes  secundum  promis- 
sionem  ipsius  praesentem  et  conmuni- 
cantem  uobis.  No^ijte  ,ijpsi  uos  neclege^e, 
nee  alienare  slaJluatLo!rem  a  membr,^  suis 
nee  scinder^  nee  spargere  corpus  eius  nee 

30     praeponere  di*  uerbo  necessitates  ,tjempo- 
rariae  uitae  uest,r,ae.      Sed  die,  d^minica 
jOrnni^  ^ponei^tes,  coneurri^e  ad  elccle- 
si,am,.     N,a,m  ^ualcin,  excusation(e,m  da- 
turus  est  dö,  qui  non  conuenit  in  eodem  di- 

35     e  audire  salutar,e,  ^e^bum  et  nutriri  'ab1 


X.  Fol.  85 r. 

AA.  p.  167,  10  (308,  10);  AC.  V,  7,  p.  134,  18ff. 

resurrectionis  nobis  ostendit,  multo  ma- 
gis  nqs,  credentes  resurrectioni  et  repro- 
missioni  dl,  etiamsi  martyrium  nobis  su- 
peruenerit,  quasi  qui  talein  digni  sumus 
5     adsequi  gloria.m„  u,^  coronam  portem^jS 
incorruptam  in  uita  aeterna,  gaudentes 
ad  tarn  magnum  hoc  donum  et  dignita- 
tem  gloriae  dl,  id  est  ad  martyrium,  pro- 
peremus  et  libenter  illud  ,cum,  gaudio 
10     tacc,ipiamus,  c^edentes  dno*  dö,  quia  per 
gloriam  suam  clariticatos  resuscita- 


21.  Matth.  12,  30. 


22.   ergo*   met.    —   30.   praeponere    a  uerbo.   —  31.    -rarie.    — 
•  t 
35.  nutriri  rab]. 

X*  1.  (spem)|re8urrectioni8.  —  2.  credentia. 


Eine  lateinische  Palimpsestftbersetsang  der  Didaacalia  apoHolorum.  23 

6it  nos.  Sicuti  in  principio  ds  praecipi- 

ens  uerbo  mundum  construxit  dicens: 

F^at  lumen,  dies,  nox,  caelum,  t^rr^,  mare, 
15     uolatilia,  n^tatilia,  repentia  et  quadru- 

pedia,  arbusta  et  uniuersa  per  uerbum 

cius  creata  sunt  et  deformata,  sicuti  et 

seriptura  significat,  et  ipsa  creatura  per 

^boediejütia^m,  ^estijinoi^iuraj  ,dö„  qr^ij  ea  fe- 
20     cit,  perhibet  de  eo,  quod  facta  sunt  ex  non 

constitutis  resurrectionem  signifi- 

cantia,  sicuti  ergo  omnia  fecit,  ita  et 

hominem,  qui  et  plasma  eius  propria  est, 

^u^to  magis  uiuificans  resuscitaftit. 
2f>     (S,i  elniim  ex  non  constitutis  mundum  con- 

stru^t,  facilius  ex  constitutis  hominem, 

cum  sit  plasma  eius,  uiuificans  resuscita- 

iit,  sicuti  et  in  semine  hominem  defor- 

mans  in  utero  perfectum  reddit. 
30     Si  igitur  omnes  homines  resuscitat,  ut  di- 

cit  per  Eseiam:  Quoniam  uidebit  om- 

nis  caro  salutarem*  di,  multo  magis  sal- 

uat,  uiuificat  ^d^les  suos.       Et  iterum 

fide^ium  ^delio^es  tCjO  nptitutos  martyres 
35     in  maiori  gloria  fortiores  suscitans. 


XL  Fol.  86 r. 

AA.  p.  196,  9  (325,  11);  AC.  VI,  7—9,  p.  163,  9ff. 


multam  optulit  nobis  cupiens,  sicuti  Ada 
per  degustationem  ligni  seien tiae  a  ligno 
uitae  eum*  alienauit,  ita  et  nos  per  datio- 
nem  paeeuniae  a  datione  dl"  uoluit  circu-" 


12.  Vgl.  Gen.  I,  3  ff.  —  31.  Isai.  40,  5  (vgl.  26,  19;  52,  10;  64,  7). 


12.  -uit  —  22.  nach  -cantia  Spatium  von  2  Buchst.   —   24.  28.  re- 
suscitauit.   —  29.   reddet,  darauf  unbeschriebener  Raum. 
XI.  1.  (peeuniam)  |  multam. 


II.  Abhudlong:    Hmlsr. 

u.eE^e  et  per  pecnniam  m  entern  nostram 
occupare,  ut  commutante^,  detrahere- 
mua  illi  uirtutem  -  sei  -  spä  ■  pro  peeunia.  Sed 
cum  omnes  in  hoc  iaoti  fuisseraus,  inten- 
dens  Petras  ad  propinqunm  Simonis  dia- 
bolam  dixit:  Pecania  tua  tecum  erit  in  inte 
ritum;  non  e,n,lm  erit  tibi  pa,rJticipatio 
tmq^uc)  Bors  in  hoc  aerbo.      Com  autem  di- 
uidissemus*  inter  nos  duodeeim  unei- 
as  B&eculi  et  ex^uimus  ad  gentes,  ut  in  om- 
ni mundo  praedicaremus   u^rbum,, 
tune  inspirauit  di  abolas  et  concitauit 
plebem,  ut  mittereut  post  nos  pseudoa- 
post.o,Io9  ad  intaminationem  *  uerbi.  Et 
opt,u.lerunt  de  populo  Cleouium  quen- 
dam  et  ,iu,nzerunt  eum  ,S,imoni,  et  ppste- 
a  iterum  alios  post  illos.  Simon  ergo  et 
qui   cum  eo  erant  post  uestigia  mea  IV 
^ri,  seq(ue)bautur  seducentes  populum. 
Et  cum  uenisset  Romaro,  ualde  de,p,opu- 
latus  est  ecclesiam  multos  exbortans 
et  adoptans  sibi  et  getttile.s,  sedneebat 
magicis  operatioluilbus  et  uirtutibus. 
Siuut,i,  in    una  di,c  procedens  nidi  illum 
per  aera  uolantem  et  ferebat,nr,. 
Et  subsistens  dixi:  ,In  uirtute  sancti  Ho- 
minis ihLu  ■  excido  uirtutes  tu&s'  et  sie 
ruena  ^emur  pedis  su,i  fregit.        Multi 
quidem  tunc  absceslsleniut  ab  ,<soj   al,ii  an- 
tem,  qui  digni  illo  fuerunt,  manserunt 
cum  ipso  et  tunc  prima  illa  nxa  est 


""    Act.  apost.  S,  20%. 

;om  mutante«.  —  12.  neiqr  (j-  auf  Rasur,  wohl  an«  e).  — 
lerbura  nichts  Weiteres  zu  sehen.  —  18.  -(post)tOi-  scheint  aus 
81.  s-  iterum-  («  corr.  aus  t),  —  26.  raulto'd  (m.>  corr.  wohl  d 
ilberschr.  »).  —  20.  nach  ferebat.ur,  Raum  frei.  —  35.  Zwischen 
lft  uropr.  Loch  im  Pergament. 


Eine  lateinische  Palimpsestttberietzuag  der  Didatcalia  apottolorum.  25 


XII.  Fol.  86*. 

AA.  p.  198,  12  (326,  6);  AC.  VI,  9—12,  p.  166,  9ff. 

haeresis  illius  et  per  ceteros  pseudoa- 
postolos  o,perjatus  est  diabol,^.  Et  erat 
quidem  illis  Omnibus  aequaliter  lex,  de- 
creta  et  ut  profetas  non  utantu^  et  ut 
5     patrem  ^fn,  ^las/emarent  et  reSjUr^ec- 
tionem  non  credant;  cetera*  autem 
diuers[a]e  per  doctrinas  suas  insp^jT- 
,gjebant.     Alii  enim  multos  docebant 
non  debere  nubere  dicentes,  quia  qui 

10     non  ^jubet  ^stitjatem  studeret;  per  ^s- 
titatem  sensus  suos  ad  haeres^m,  deltnJ- 
lerunt.       Alii  iterum  ex  ipsis  ne,qj(ue)  ,Cjar- 
nem  sumere  docebant  dicentes  ela],  quae 
animam  habent,  non  ^ftb^rej  ^an/lu- 

15     carij.       Alii  autem  diceban^  a  so^a,  por- 
cina  carne  debere  se  abstinere,  ea  ue- 
ro,  quae  in  lege  sunt  munda,  debere  ma-~ 
ducare  et  secundum  legem  circumci- 
di.     Alii  uero  aliter  ^centes  jse^itiones 

20     faciebant  et  eccle^as  depraeLdajbant. 
Nos  autem,  qui  rectum  catholicae  eccle- 
siae  uerbum  ante  praedicaueramus,  ^e,- 
uertebamur  iterum  ad  ecc^esia/s  et  in- 
ueniebamus  ill^OjS  ad  alias  ^oluptates 

25     fui8se  ^jT^jeuentos.*       Alius  quidem 
castitatem  studebat,  alius  autem  a  car- 
ne et  uino  se  abstinefyat^  aliu^  ite,rumJ 
a  porcina,  et  qiuantaJ  ex  ui^culis  secun- 
dationis  legis  er,a,nt,  obseruabat. 

30     Quapropter  cum  uniuersa  ecc^eSjia 


2.  diaboliQjB.   —    6.  uetera.   —   10.  tcastit,atem.   —   13.  que.   — 

0 

20.  -(daba)nt  contign.  —  22.  ant(e  oberhalb  d.  Z.  von  m.1).  —  26.^1-^6- 

i      do 

uentus  (oder  ist praeuersos  zu  corr.?). —  28.  qaiantai.  —  fecun|dationis; 
Funk:  secund.  (Syr.  deuUroseos).  —  29.  Kaum  nach  obseruabat  frei. 


periclitaretur  et  haeresis  facta  esset, 
eonucnieiite.s    11,0s,  duorfeeim  apoBtoli 
in  unum  in  ,  Hieropolyma  traetauiraus, 
quid  deberet  tieri,  et  placuit  nohis  scri- 
35     Lere  unuin  sentientibus  catolica-. 

Die  erste  und  zweite  Seite  ist  infolge  Wurmstichigkeit 
siebartig  durchlöchert  und  unten  fast  ganz  ausgefressen.  Zu 
Anfang  dürfte  nacli  dem  griechischen  Texte  der  AC.  und  ohne 
Zweifel  auch  der  Didascalia  eig  rd  imfhftifaal  aov  weniger 
wahrscheinlich  (ut  de)sideraret  t(e)  als  (ad  de)siderare  He)  (vgl. 
Hü  lisch,  Itala  und  Vulgata2,  p.  43U)  zu  ergänzen  sein.  In  der 
nächsten  Zeile  entspricht  den  Zügen  des  Codex  pe(r)\d{idi  *ti 
{it)itam  tuam  meines  Erachtens  am  meisten;  vom  griechischen 
irrlr/nnclr/aag  entfernt  es  sich  dem  Sinne  nach  nicht  soweit, 
dass  man  an  das  mit  den  entzifferten  Zeichen  weit  weniger 
verträgliche  und  der  Construction  nicht  förderliche  pe(r;n« 
q)u(i)tiam  tuam  denken  konnte.  Schwieriger  ist  die  Beurtheilung 
der  Z.  4,  wo  zunächst  dinpimenn  m  (vulgär  für  denpicicm  ml 
dem  griechischen  iTtoyvoxaa  zu  entsprechen  scheint.  Ad  aliud 
tranriet  setzt  die  Lesart  &<p  itsQov  (so  auch  der  Vat.  1  bei  Pitr»! 
voraus.  Das  wohl  von  m.s  diesem  Veibum  überschriebene  (  ist, 
da  tranriet  (Rönseh  a.  a.  0.  293)  dem  ixTQafxfyrj)  besser  ent- 
spricht als  tramit,  kaum  etwas  Anderes  als  ein  Versuch  der 
zweiten  Hand,  dsn  lückenhaften  Text  lesbar  zu  machen.  Nach 
den  Worten  der  Didascalia  bei  Lagarde  (p.  56,  2  ff.)  djttji.pjia.ta, 
xa9a  (ptjotv  iv  ü<xpia  •  Srav  I5.5jj  äoeßfe  ttg  ßd&oe:  xaxtov  wird 
der  Ausfall  einer  Zeile  infolge  Homoioteleutons  anzunehmen 
sein,  etwa  {cum  sensu  nullo,  ricut  dicit  in  Sapientia:  Inpiiu,) 
cum  u.  s.  w.  Statt  des  Präposition alausd rucke s  wäre  freilich 
auch  insensibili»,  anstatt  sicut  unter  Anderem  ut  möglich.  — 
Z.  10  ist  «er  tpsum  Sapientiam  wohl  blosser  Schreibfehler  flu- 
Saptentiam,  wobei  ipse  mit  Bezug  auf  das  soeben 
nem  idem  gleichkommt  In  der  gleichen  Linie  bat 
cipiertes  Wort  (hier  autem)  wie  öfters  verbessert; 
11,  wo  auf  dem  Räume,  auf  welchem  ita  »-  steht, 

;    contlgn.    —    3a.   Zwischen    unum    und    sentientibua   ur- 


Eine  lateinische  Palimpsostnberseteong  der  Didaacdlia  apottolorum.  27 

früher  sicut  geschrieben  war,  ferner  Z.  26,  in  der  nach  eius 
wohl  iterum  radiert  ist.  —  Z.  13  fg.  ist  Dittographie  in  per- 
[dijdit  wahrscheinlich,  da  das  Griechische  ärtdllvoiv  bietet.  — 
Z.  23  ist  nicht  nur  nach  dem  Sinne  und  dem  Texte  der  LXX, 
sondern  auch  nach  dem  von  Prof.  v.  Funk  mitgetheilten  syrischen 
Texte  dieser  Stelle,  der  auf  ignorat  weist,  der  Singular  nesciens 
statt  ne8ciente8  vorzuziehen.  —  Z.  24  fg.  wird  statt  des  über- 
lieferten inplet  aurum  nach  dem  Wortlaute  der  Septuaginta 
int  rthavqov  wohl  mit  dem  soeben  Genannten  in  petaurum 
zu  lesen  sein.  —  Trotz  grosser  Lückenhaftigkeit  des  Anfanges 
von  Z.  31  ist  der  Text  qtiae  fi\delis  (uis  ess)ey  (qu)ae  ergo 
fidelis  uis  esse  fast  sichergestellt.  Auch  nach  dem  griechischen 
Texte  matij  6i  &eXovaa  elvai  ergiebt  sich,  dass  die  Worte 
vom  erstmal  gesetzten  fidelis  bis  zu  dem  zweiten  quae  einem 
Schreibfehler  des  Copisten  entsprungen  sind,  der  ergo  aus- 
gelassen hatte  und  dann  das  Nämliche  nochmal  schrieb.  — 
Z.  32  ist  nach  den  Resten  und  den  Worten  der  AC:  rq>  aq>  ävdgl 
7tq6ae%E  ini  ry  äQiaxsiv  ccörip  (.i6va>,  iv  di  raig  nXazeiaig  wohl 
richtig  ergänzt.  Weniger  sicher  lässt  sich  dies  für  die  weiteren 
Zeilen  behaupten,  deren  schwache  Reste  sich  den  (nach  La- 
garde's  AA.  p.  56,  15  ff.)  durch  die  syrische  Uebersetzung  be- 
zeugten Worten:  axenovaa  zijv  xecpalrjv  aov  r(j)  Ifiazi^.  diä 
yäq  %f\g  irtiytaXtnfJewg  d7t6xXeiod,r}aeTcu  %b  noXv  xdXXog  aov.  [irj 
yuxTa^wyQdysi  aov  zd  imd  Ssov  7ts7toir]fiivov  itqdauyrcov  (nach 
der  genauen  Uebersetzung  der  Professoren  von  Funk  und  Socin 
lautet  der  syrische  Text:  caput  tuum  tege  uestimento  tuo,  ut 
uelamine  tuo  tegatur  magna  pulchritudo  tua.  Neque  orna 
fadem  oculorum  tuorum)  etwa  auf  die  von  mir  natürlich  nur 
vorschlagsweise  gegebene  Art  anpassen  lassen.  Bei  der  inter- 
linearen Form  der  Uebersetzung  ist  statt  uela{ns)  schwerlich 
uela(bis)  zu  schreiben;  eher  könnte  man  auf  uela  (tua  ü)este 
rathen,  aber  der  Umfang  der  Lücke  scheint  mir  die  in  den 
Text  gesetzte  Fassung  zu  begünstigen.  Für  depingere  (Z.  34) 
in  dieser  Bedeutung  verweise  ich  auf  Heges.  IV,  25,  2  stibio 
oculos  depingebant  (vgl.  Vulg.  Reg.  IV,  9,  30);  Hieron.  epist. 
108,  15  faciem  purpurisso  .  .  et  stibio  und  127,  3  ora  purpu- 
risso  et  cerussa  d.  Damit  ist  aber,  wie  das  in  Z.  35  erhaltene 
(o)rnat(us)  zeigt,  der  griechische  Text  unserer  Uebersetzung 
nicht  erschöpft;   es  dürfte  vor  Beginn  der  II.  Spalte  noch  das 


28  XL  Abhandlung:    Hau ler. 

in  den  AC.  enthaltene,  im  Syrischen  fehlende  Sätzchen  (AA. 
p.  56,  18;  AC.  p.  12,  15 fg.)  oidkv  y&Q  iv  aol  8  xoafiJjGeag 
ö&btcli  übertragen  gewesen  sein.  Meine  Fassung  (o)rna&u* 
enim  nihil  in  te  eget)  dient  gleichfalls  nur  zur  Ausfüllung 
der  Lücke;  doch  entspricht  sie  dem  Griechischen  noch  mehr 
als  etwa  (o)rnat(um  enim  nihil  indiges),  vgl.  Z.  15  indigem 
panem. 

Der  verstümmelte  Beginn  der  II.  Seite  lautete,  entsprechend 
dem  Satze  der  AC.  12,  18 fg.:  xdrio  ßtertowa  ii)v  bdoinogicnr 
aov  noiov  TtsqixaXimovaa  icnnip,  xa&ä)g  7TQ€7tsi  ywai£ir,  viel- 
leicht (De)orsum  pedes  spic(i)ens  iter  tv/ji)m  (te  muHer)ib(us) 
tt(t)q(tte)  aecum  cooper(i)ens  occipias.1  Gleich  darauf  scheint 
mir  Decl(i)naf  a(d)u(erte7  et)  balneum,  ubi  uiri  labantur  mög- 
lich im  Hinblick  sowohl  auf  die  syrische  Fassung  Et  attend*, 
ne  latteris  in  balneis  cum  uiris  als  auch  auf  den  Wortlaut 
der  AC:  nsQiiaTaao  xai  rijv  iv  ßaXavsiq*  perä  ivdqwv  .  .  ytvo- 
fihtjv  Xofkrtv.  Dem  Räume  würde  freilich  auch  Decl(i)na  d(e) 
u(ia  etiaT)  Genüge  leisten.  —  Dem  Sinne  entsprechend  scheint 
mir  ferner  non  in  Z.  10  zu  tilgen;  denn  schon  im  Voraus- 
gehenden ist  die  Eventualität  des  Fehlens  eines  Frauenbades 
in  der  Stadt  oder  Gegend  abgethan.  Auch  die  Adversativ- 
partikel autem  zeigt  an,  dass,  wie  im  griechischen  Texte  yvrai- 
xeiov  de  Svrog  ßaXavelov,  weiterhin  das  Gegentheil  besprochen 
wird.  —  In  Z.  15  sed  [et],  si  potest  fieri,  nee  per  (sin)gulos 
dies  wird  et  nach  dem  Griechischen  dXX*,  sl  dwarör,  pr^i 
xa#'  f}piiqav  auszuscheiden  sein.  —  Z.  31  steht  textlich  fast 
sicher.  Die  folgenden  vier  Linien  geben  zwar  den  Gedanken 
(AC.  13,  12 — 16)  orl  otV  ywaTxeg  diä  %¥$  aiöovg  xai  nqa&njtoq 
rijv  Ssoaeßeiav  ivdeixwo&e  eig  iniarqotf^v  xai  fCQOTQ07iijy  nioxtox; 
xai  xoig  ixtdg  itaaiv  eure  ywat^iv  sixs  ävögaaiv.  xai  sl  öi  dXtywv 
vov&eTJjaavreg  inaideixsauev  vpäg,  ädeX(<pai)  ohne  Zweifel  wieder; 
ihre  Fassung  im  Einzelnen  ist  aber  recht  unsicher.  Für  foris 
ecclesia  (extög)  verweise  ich  auf  Cassiod.  Compl.  5.  in  Col.  qui 
foris  ecclesia  esse  noseuntur.  Die  syrische  Uebersetzung  bietet 
ohne  wesentliche  Abweichung  von  unserem  Texte  decet  osten- 


I 


1  Wofür  m.9  wohl  vulgär  oscipiant  geschrieben  hat;  oder  sollte  suseipuu 
gemeint  sein?  Ueber  d.  pedes  tpicien»  (das  nicht  völlig  zweifellos  ist), 
s.  unten. 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetzang  der  Didascalia  apottolorum.  29 

dere  pietatem  erga  Deum,  ut  fides  extraneorum  conxiertatur  et 
augeatur,  uirorum  ac  mulierum. 

Auf  der  III.  Seite  dürfte  in  Z.  12  statt  iuuentus  luxuriös 
dem  griechischen  rag  vEioregixag  ära^iag  gemäss  mit  Professor 
v.  Funk  iuuentas  zu  schreiben  sein  (vgl.  CIL.  I,  1202  aetate 
iuenta  =  a.  iuuenta  und  iuuentare  vearvsQi&tv  in  Glossen); 
doch  liegt  auch  iuuentu(ti)s  nahe.  —  Das  Ende  der  Zeilen 
34  und  35  dieser  Seite  und  der  Anfang  der  nämlichen  auf 
der  IV.  Seite  ist  weggerissen.  Dem  Griechischen,  der  Länge 
der  unmittelbar  vorhergehenden  vollen  Zeilen  und  den  vor- 
handenen Resten  entsprechen  die  von  mir  eingesetzten  Ergän- 
zungen. Für  SaQomon)  .  .  con8tit(utu8  regnauit)  bietet  gleich 
IV,  2  einen  Beleg.  In  der  nämlichen  Linie  ist  Iosias  statt 
Ioas  ein  leicht  begreiflicher  Schreibfehler  (vgl.  Z.  1);  vielleicht 
war  aber  -si-  schon  in  der  Handschrift  gestrichen;  doch  lässt 
sich  dies  nicht  mehr  sicher  entscheiden.  —  Z.  IV,  9.  Die 
Punkte  zu  Beginn  und  zu  Ende  des  ersten  beati  sind  wohl 
auf  Tilgung  der  Dittographie  zu  deuten.  Eine  ähnliche  Wieder- 
holung begegnet  noch  auf  derselben  Seite  Z.  32  et  omnes.  — 
Nach  edocauit  (IV,  29)  scheint  die  Conjunction  et  ausgefallen 
zu  sein,  welche  nach  AA.  59,  20  die  syrische  Didascalia  voraus- 
setzt: el  ri%va  öeoasfißg  iva&Qhpag  xort  rcaidsvaag  TtQorjyayev; 
so,  nur  mit  einem  kleinen  Zusatz  auch  AC.  15,  14. 

V,  3  ist  in  arca  Noe  (et)  duo  filii  eius  geschrieben  nach 
dem  syrischen  und  griechischen  Texte  (AA.  69,  letzte  Zeile, 
vgl.  AC.  26,  13)  iv  Tfj  7uß(or$  N&s  xal  oi  (dtio)  vloi  atirod. 
Dies  ist  auch  sinngemäss,  da  in  der  Didascalia  der  Satz 
7iccT€Q€g  tmkq  naidtav  ad  tl{j,ü)qovvtcu  oüfve  viol  inkq  itcnkqiav 
vorhergieng. 

VI,  1.  Nach  dem  griechischen  Wortlaute  (AA.  82,  18  ff., 
AC.  41,  1 1  ff.)  ö  fiivToi  ixßdkXwv  (pikv  ixßatäv  AA.J  töv  ävai- 
xtov  7ti%Q6xsQ0g  cpovhog  ö  TOiofrcog,  o&c  ä(poQ(bv  sig  rd  %ov  deoV 
elsog  oödi  fAvrjfxovevwv  atooti  xty  im  zolg  nexavoovoiv  <iya#ü)- 
otorp>  oidk  Xanßdvwv  onortobg  twv  toiovtcdv  xobg  h.  rtMj&ovg 
7taQa7tTü)fidT(jDv  ev  fisravoiqt  elhjqt&vag  ilcpeatv  habe  ich  zu  An- 
fang (benigni)tatem  eius  ergänzt  und  statt  nee  oblectans  unter 
Annahme  eines  leichten  Schreibfehlers  obieetans  vermuthet. 
Schwieriger  ist  die  Heilung  der  sofort  folgenden  verderbt  tiber- 
lieferten Stelle.    Da  uns  ihr  genauer  Wortlaut  in  der  von  den 


30 


XI.  Abhandlang  :    H  a  n  1  e  r. 


Professoren  Funk  and  Socin  angefertigten  Uebersetzung  ans 
dem  Syrischen  zur  Verfügung  steht,  wollen  wir  zur  besseren 
Beurtheilung  die  drei  Texte  nebeneinanderstellen: 


Lateinische  Didascalia: 

VI,  4  ff.  Oportet  au- 
tem  te,  o  epUcope,  an\te 
oculos  habere  et  ea,  qitae 
praecease  \  runt,  »imid  ad 
scientiam  sanitatis  ad\eos, 
qui  corripiendi  sitnt  et 
obtrectandi. 


Syrische  Didascalia: 

Oportet  autem ,  epi- 
scope,  ante  oculos  te  ha- 
bere etiam  praeterita  ab 
eisque  exemplum  sumere 
et  discere  eurationem  ani- 
marum  et  disciplinam  ae 
correptionem  et  quaerere 
eos,  qui  paenitentiam  a- 
gunt  et  qttaeri  necesse  ha- 
bent. 


Text  der  Constitution«!: 

p.  41,  22ff.  xei  ** 

at,  <o   inürxo7itz  ttqö  o- 

(f&ak/Liwv  $xfiv  *****  T* 
n  Qotodfvxöra  xal  lu- 
7T£/£<u;  aviols  X£%Qf>- 
o&at  n QÖgvov&taiarrwr 
axvTtt ixibv  jj  naoaxlrjt- 
xeör  dtöptvtov  ioy*>t. 


Ueber  das  Verhältniss  der  drei  Fassungen  zu  einander 
sprechen  wir  weiter  unten.  Der  Sinn  und  die  trotz  ihrer 
Breite  im  Wesentlichen  mit  dem  griechischen  Texte  überein- 
stimmende syrische  Uebersetzung  scheinen  darauf  hinzuweisen, 
dass  nach  ad  scientiam  sanitatis  eine  Lücke  auszufüllen  ist.  Ich 
halte  die  Ergänzung  von  sanitatis  ad(hibere  ad)  eos,  qui  corri- 
piendi sunt  et  obtrectandi  für  paläographisch  wahrscheinlicher 
als  ad  scientiam  sanitatis  ad  (admonendum)  eos  oder  ad  sc.  sani- 
tatis ad(hibere  ea  ad  admonendos)  eos  oder  ad  sc.  sanitatis  (iis 
uti)  ad  {admonendos)  eos  u.  dgl.  Ad  scientiam  =  ifirreiQfog  ent- 
spricht meines  Erachtens  dem  discere  des  Syrers.  Das  davon  ab- 
hängige Object  eurationem  animarum  fehlt  dem  Texte  der  AC; 
ich  finde  es  in  sanitatis1  der  lateinischen  Uebertragung  wieder 
und  glaube,  dass  lä^aza  oder  ein  ähnliches  Nomen,  welches 
sowohl  zu  OTvmiyubv  als  auch  zu  7taQa%Xrjvi%(av  passte,  statt 
oder  neben  airvoTg  in  der  griechischen  Didascalia  gestanden 
hat.  Ob  das  Verb  obtrectandi  in  obtestandi}  obsecrandi,  even- 
tuell mit  Professor  v.  Funk  in  oblectandi  zu  ändern  ist,  scheint 
mir  zweifelhaft,  da  keines  dieser  Zeitwörter  den  griechischen 
Begriff  (TtagcnikrjTixög)  ganz  deckt.  Bei  den  Solöcismen,  die 
sich  unser  Uebersetzer  erlaubt,  halte  ich  es  nicht  für  ausge- 
schlossen, dass  er  obtreetare  in  der  an  traetare,  traetatus  (Predigt, 


1  So  in  der  Itala,    vgl.  Rönsch  a.  a.  O.  S.  264  und  274;  Acc  auf  -»  wie 
IV,  26. 


Eine  lateinische  PalimpsestQbersetznng  der  Didascalia  apostoforum.  31 

z.  B.  Augustin.)  ihre  Stütze  findenden  Bedeutung,  (Schwer- 
müthige,  Traurige)  im  entgegengesetzten  Sinne  bearbeiten  oder 
behandeln,  trösten/  also  ohne  jeden  tadelnden  Sinn  fasste  und 
transitiv  gebrauchte.  —  In  Z.  11  fg.  ist  De  Manasse  als  Lemma 
des  Archetyps  in  den  Text  gedrungen.  Der  Relativsatz  quod 
est  praetei^missarum  (Z.  16)  aber  wird  als  eine  vom  lateinischen 
Uebersetzer  absichtlich  hinzugefugte  Erklärung  anzusehen  sein; 
die  Femininform  des  Particips  ist  nicht  zu  ändern,  sondern 
ein  nach  dem  unmittelbar  vorausgehenden  h  %fi  devTegq  r&v 
naqaXuTTOidvwv  erklärlicher  Gräcismus.  —  Z.  28.  Zwischen 
militiae  und  caeli  ist  et  zu  tilgen;  vgl.  Z.  35  und  ttj  GXQCtTiq 
zov  otqavov  im  Griechischen.  Die  Conjunction  fehlt  auch  im 
Syrischen. 

VII,  2.  Eine  schwierige  Stelle,  die  wahrscheinlich  schon 
in  der  Vorlage  nicht  ganz  heil  gewesen  und  überdies  im 
Codex  durch  Wurmstichigkeit  entstellt  ist;  denn  die  nach  Gae 
folgenden  zwei  Buchstaben  (wohl  ba7  aus  ua  verbessert)  sind 
theil weise  zerstört.  Da  das  nächste  Wort,  nach  %al  ixXrjdovi- 
ffiro  zu  schliessen,  ein  et  gewesen  sein  kann  (doch  erschien 
mir  te  ebenso  gut  möglich),  so  wird  die  Silbe  rnon  zu  dem 
Eigennamen  zu  ziehen  und  zusammen  in  Gae-Banaemon  zu 
lesen  sein,  was  dem  von  Coteler  geforderten  iv  yfj  Bevervöfi 
ziemlich  nahe  kommt.  Oder  sollte  in  Gaebanae  monte  möglich 
sein  ?  In  der  syrischen  Uebcrsetzung  steht  nach  einer  gütigen  Mit- 
theilung Professor  v.  Funk's  in  valle  Benennom.  —  Den  Worten 

dns 

(Z.  8)  in  domo  dni7  quibus  dixit  ad  David  entspricht  im 
griechischen  Text  der  Didascalia  (AA.  84,  8  und  252,  18)  ev 
oiyuf)  xvqIov  ,  iv  $  eins  xvQiog  tvqöq  daßid.  Da  die  gleiche 
Wendung  VI,  30  richtig  durch  in  qua  wiedergegeben  ist, 
muss   hier   an   eine  Corruptel  gedacht  werden.     Stand   in    der 

Vorlage  dni  ijgua  dixit,  so  wäre  der  Ausfall  von  l  und  die 
gedankenlose  Verschmelzung  von  qua  mit  dns  zu  quibus  nicht 
schwer  begreiflich.  Die  erste  Hand  hätte  dann  nachträglich  dns 
über  der  Zeile  nachgetragen,  ohne  die  eigentliche  Verderbniss 
zu  merken.  —  Z.  10  ist  nach  (In  domo  hac  in)  Hierusalem 
der  griechischen  Passung  (AA.  p.  84,  Anm.  5)  entsprechend 
das  Relativ  quam  einzuschalten.  Bei  der  Flüchtigkeit,  mit  der 
diese  Linien  geschrieben  zu  sein   scheinen  (vgl.  auch  die  Cor- 


32  XI.  Abhandlung:    Basler. 

rectur  der  m.1  oberhalb  der  Z.  19),  möchte  ich  das  bisher 
meines  Wissens  unbelegte  ex  omnibus  tribfus)  statt  tribubu4 
eher  als  Haplographie  des  Copisten  auffassen  als  darin  eine 
Vulgärform  suchen,  für  die  ab  omni  partes  II,  18  keine  Ana- 
logie bilden  kann.  —  Z.  34.  euertitur  et  euertitur  in  fadem, 
(s)uam  wird  durch  den  syrischen  Text  cadit  in  faciem  raan 
bestätigt. 

VIII,  6.  Diaeonus  requirat,  —  si  de  ecclesia  est  et  non 
in  (statt  ut)  heresi  paläographisch  leicht  nach  duhtorog  im- 
xqivkna,  —  el  ix  Ttjg  ixxXtjoiag  fj  ix  puag  %<bv  atqiaew  iart 
(AA.  123,  Anm.  2).  Mir  scheint  dies  anderen  naheliegenden 
Conjecturen,  wie  de  heresi  oder  ut(itur)  h.  vorzuziehen  zu 
sein.  —  Z.  22.  honorabilior  saecundum  saeculum  aut  (pere- 
grinus  aut)  de  ipso  loco  tuo  ist  gleichfalls  nach  den  grie- 
chischen Worten  (AA.  124,  14;  AC.  88,  27)  1}  £evog  1}  m«W°$ 
einzusetzen;  vgl.  IX,  7. 

IX,  22.  Nolite  ergo  (uos)met  ipsos  ....  spargere,  vgL  fAid 
oir  iavrovg  ....  oxoqniC.ete  (AA.  125,  13).  —  30.  Nolite  — 
nee  spargere  corpus  eius  (Christi)  nee  praeponere  di  (statt  a  ■ 
uerbo  necessitates  temporari(a)e  uitae  uestrae  firjdi  axoQrtiCerB 
%a  (i^Xtj  a&roü  pr]d&  nqoxqivsxs  roß  feiov  Xöyov  Tag  ßwmxag 
XQtlag  (AA.  125,  17 fg.;  AC.  90,  3fg.). 

XI,  3.  Eum  ist  nach  dem  zu  Anfang  des  Satzes  stehenden 
Adam  (Acc.  Sing.)  auffällig,  aber  kaum  zu  ändern,  da  die 
anakoluthische  Wiederaufnahme  dieses  Begriffes  durch  seine 
stärkere  Betonung  gegenüber  dem  folgenden  et  nos,  insbesondere 
aber  durch  die  Setzung  der  indeclinablen  Form  Adam  veran- 
lasst sein  wird.  Die  Construction  nähert  sich  der  in  Relativ- 
sätzen vulgär  nicht  seltenen  Wiederholung  des  Demonstrativs 
im  gleichen  Casus.  In  den  AC,  welche  hier  mit  der  Didascalia 
(nach  Lag.)  übereinstimmen,  findet  sich  in  minderen  Codd.  noch 
6  diäßoXog,  so  dass  man  versucht  sein  könnte,  auf  das  Fehlen 
von  inimicus  zu  rathen;  aber  erstens  hätte  der  Uebersetzer 
dafür,  wie  sonst,  wohl  diabolus  (vgl.  Z.  10)  geschrieben,  ferner 
hat  der  in  der  Didascalia  unmittelbar  vorhergehende  Satz  mit 
dem  unseren  das  gleiche  Subject;  daher  ist  dieses  Wort  fiir 
unsere  Stelle  kaum  vorauszusetzen.  —  Z.  15,  durch  die  geringe 
Buchstabenzahl  allerdings  etwas  auffällig  (doch  vgl.  Z.  29  und 
XII,  35),  könnte  nach  dem  Zeugniss  der  AC.  xt]Qvaoeiv  %dv  löyov 


Eine  lateinische  Palimpsestfibersetsung  der  DidatcaUa  apoitolortm.  33 

rfjg  ^(ofjg  zu  ut . . .  praedicaremus  uerbum  (uitae)  ergänzt  werden. 
Wahrscheinlicher  aber  ist  es,  dass  das  auch  im  Syr.  fehlende 
Wort  eine  Zuthat  in  den  AC.  ist. 

XII,  6.  Aus  uetera  autem  diuersae  per  doctrinas  suas 
inspergebant  ist  nach  dem  Zusammenhange  (vgl.  Z.  2  fg.  erat 
quidem  Ulis  omnibus  aequaliter  lex  u.  s.  w.  andererseits  Z.  8  ff. 
alii  .  .  docebant  — ,  alii  iterum  — ,  alii  autem  u.  s.  w.)  und 
nach  dem  bei  Lagarde  (AA.  p.  326,  10)  entsprechenden  grie- 
chischen Wortlaute  iv  ülloig  di  diacpÖQwg  did&axovoi  aal  &oqv- 
ßovat  unschwer  cetera  autem  diuerse  per  doctrinas  suas  in- 
spergebant herzustellen.  Ist  dies  richtig,  so  dürfte  in  der 
ursprünglichen  Didascalia  unter  Anderem  wohl  iv  toiq  liXXoig 
gestanden  sein. 

Die  Sprache  der  Uebersetzung  ist  in  allem  Wesentlichen 
das  Vulgärlatein,  welches  uns  die  ältesten  volkstümlichen 
Bibelübersetzungen  vor  Hieronymus  zeigen.  Wie  bei  diesen 
macht  sich  ferner  der  Einfluss  des  ziemlich  wortgetreuen  Ueber- 
setzens  aus  dem  Griechischen  stark  geltend. 

Wir  wollen  im  Folgenden  hauptsächlich  die  in  den  obigen 
zwölf  Spalten  enthaltenen  Vulgarismen  und  Gräcismen  kurz 
zusammenstellen,  wobei  es  uns  ferne  liegt,  alle  unelastischen 
Wörter  und  Wendungen  aufzuführen.  Citate  von  Rönsch  ohne 
weitere  Bezeichnung  des  Werkes  beziehen  sich  auf  seine  ,Itala 
und  Vulgata,  2.  Ausgabe,  Marburg  1875'. 

Hinsichtlich  der  Orthographie  erscheinen  die  meisten 
der  uns  auch  sonst  aus  den  ältesten  Handschriften  geläufigen 
Eigentümlichkeiten : 

Das  phonetische  Zusammenfallen  gewisser  Vocale  und  Di- 
phthonge im  Volksmunde  findet  auch  graphischen  Ausdruck  bei 
ae  und  e,  besonders  in  unbetonten  Silben:  saeeundum  VIII,  22; 
paeeuniae  XI,  4  (neben  pec.  daselbst  5);  diuersae  (f.  -e)  XII,  7 
u.  a.  —  caude  (f.  -ae)  V,  16;  penitentia  VI,  3;  Amorreus  VII, 
25  (^fiOQQalog);  que  (f.  quae)  XII,  13  u.  s.  w. 

i  und  e  in  dispiciens  se  (für  desp.  se)  I,  4;  distruxit 
VI,  24;  sedis  (f.  sedes?)  VIII,  20;  nos  credentis  (ijftstg  morevov- 
%eg)  X,  2;  in  maiori  gloria  X,  35;  terrigin(a)e  I,  24;  —  incedat 
(f.  ineidat)  IV,  22  (iyLnia^) ;  reddet  (st.  reddit)  X,  29;  Chri- 
steanae  I,  30. 

Sitxung»b«r.  d.  phil.-hkt.  Gl.  C1XX1V.  Bd.  11.  Abb.  3 


34  XI.  Abhandlung:    Hauler. 

o  und  u:  pacificos  (f.  -us)  IV,  13;  alios  (-us)  V,  9;  edo- 
cavit  IV,  29;  praeuentus  (f.  -o«)  XII,  25;  vielleicht  auch  honu- 
rant  IV,  31.  Bemerk enswerth  ist  ferner  uu  f.  u:  u.uuam 
(=  uvam)  V,  27  (vgl.  Rönsch  S.  466)  und  euuangelio  III,  16 
(euang.  IV,  8);  umgekehrt  tum  f.  <www  II,  1. 

Fälle  von  Prosthese  von  i  oder  e  vor  *,  dann  Zerdehnung 
oder  weitergehende  Casusvermischung  (wie  praesente,  excellente 
f.  praesens,  excellens)  erscheinen  noch  nicht.  Dagegen  die 
älteren  orthographischen  Formen:  fili  (f.  -ii)  IV,  14  und  V,  32; 
manus  inpositionis  (Acc.  Plur.)  IV,  26  und  vielleicht  sanitatU 
VI,  6. 

Nennenswerthe  Lauterscheinungen  bei  Consonanten  sind 
der  Wechsel  von  b  und  v :  labantur  II,  3.  6  a. ;  deiubat  VIII,  15. 
—  ualneis  II,  13,  -t  II,  17 ;  auet  (habet)  IV,  29;  aceruam  V,  27; 
Cleouium  XI,  19;  iustificaueris  (-beris)9  condemnaueris  (-beris) 
III,  19 fg.;  resuscitauit  X,  12.  24.  28. 

b  und  p:  scribturas  II,  28.  —  optulit  XI,  1,  vgl.  19. 

d  und  t :  inquid  II,  25.  —  aput  homines,  dm  IX,  1 1  fg. 

c  und  qu:  cinquaginta1  III,  11.  —  Sprachlich  richtig: 
aecum  f.  aequum  II,  2. 

Einschub  von  t:  Istrahel  IV,  1,  V,  26.  30  und  sonst  Dies 
die  spmehgerechte  Form  des  römischen  Volksmundes ;  ihr  Vor- 
kommen hält  Rönsch  (in  Hilgenfeld's  Zeitschr.  für  wissensch. 
Theologie  1883,  S.  497  ff.)  für  eines  der  wichtigsten  Merkmale 
sehr  hohen  Alters  bei  vorhieron.  Bibelversionen.  —  Einschal- 
tung von  p:  contempnit  I,  5;  von  n:  occansionibus  V,  8  (vgl. 
Probi  app.  IV,  198,  21  K. :  occasio  non  occansio).  —  Parasitisches 
s:  ab  omni  partes  II,  18.  —  Verdoppelung  der  Liquida:  qune- 
rella  III,  9;  parroeiis  III,  8,  -a  VIII,  3  a.  (aber  paroc.  III,  23). 

Schwund  des  -m  im  Auslaute  vielleicht  IX,  15  in  ecclesia  j 
frequentare  (slg  %ty  ixxkrjolav)  und  II,  9  in  balneo  ingrederis 
(doch  vgl.  Syntakt.  Eigenth.). 

Aspiration:  hii7  qui  IV,  30.  35;  vgl.  ab  his,  qui  III,  28, 
V,  6;  ora  (hora)  II,  16;  auet  (habet)  IV,  29;  pi  tones  (wahr- 
scheinlicher als  pu\tones)  ftv&taveg  VII,  3 fg.;  catolicam  XII,  35. 

1  Die  erste  Hand  schwankte  an  dieser  Stelle  zwischen  q  und  c.  Uebrigens 
ist  von  qui  ■=  kyi  zu  ki  der  Uebergang  leicht,  wie  ausser  der  Phonetik 
griechische  Transcriptionen  und  lateinische  Inschriften  bezeugen,  vgl. 
C1NQUE  und  CINQUAGINTA  im  CIL.  X,  6939,  7172  u.  a. 


Eine  lateinischo  Pulimpsestfibersetznng  der  Didtucalia  apottolorum.  35 

Es  fehlen  bisher  Beispiele  unter  anderem  für  den  Schwund 
eines  n  oder  Schluss-t  (z.  B.  uul),  für  Prosthese  von  8  vor  c 
oder  für  Verkürzung  von  ex  zu  8  (wie  sculpere  aus  exsculpere). 
Es  scheint  daher  glaublicher,  dass  oscipiant  (f.  oeeipias)  der  m* 
(II,  2)  eine  Verschreibung  ist  als  Zeichen  für  völlige  Verdunke- 
lung des  auslautenden  Flexions-«  und  -nt  der  Verba.  Sonst  wird 
in  der  Schreibung  /  vor  ph  bevorzugt,  daher  blasfemare  II,  24, 
XII,  5  {-ph.  II,  26);  neoßtus  IV,  21;  profetarum  VII,  22, 
XII,  4  u.  a. 

In  den  Compositis  ist  Dissimilation  nicht  selten:  adlo- 
quatur  VIII,  13;  adparens  I,  17;  adponam  VII,  12;  conmuni- 
cantem  IX,  26;  inreprehemilem  III,  9;  inritaret  VII,  6;  necle- 
gere  IX,  27. 

Die  Silbentrennung  erfolgt,  wie  sonst  in  den  alten  Co- 
dices, nach  der  Aussprache,  also:  Reg\ norum  VI,  14 fg.,  malig-\ 
num  VII,  18 fg.;  suseep  tus  VIII,  16 fg.;  te8\timonium  III,  27 fg.; 
cas\titatem  XII,  10 fg.  Ferner:  abs\con808  I,  21  f.;  epis\cope 
V,  15 fg.;  si\cut  VII,  32 f.;  inte\ritum  XI,  10 fg. 

In  formeller  Beziehung  ist  erwähnenswerth :  Die  hetero- 
klitische  latinisierte  Nominalform  plasma  ae  X,  23.  27  (auch 
Commodian  carm.  apol.  315,  Instr.  I,  35,  2).  Der  Genustausch 
bei  altarem  VI,  26.  30  (aber  altaria  VI,  28.  34,  altaribus  da- 
selbst 32).  Die  Umschreibung  des  Comparativs  durch  magis 
in  magis  iunior  IX,  1  nach  dem  griechischen  rdv  näkkov  vsw- 
t€qov  (daneben  iuuenior  VIII,  33  fF.). 

Conjugations tausch  der  regelmässigen  Verba:  fugire  II, 
20  (vgl.  I,  25) ;  deleam  (dnoleitpü))  VII,  32.  —  Analogismen : 
eregit  VI,  26;  aedperunt  VI,  3;  diuidissemus  XI,  13;  absconsos 
I,  22.  —  Anomala  et  defectiva:  exiuimus  XI,  14;  odiunt  V,  7. 
Vertauschung  der  Verbalgenera:  fuisse  praeuentus  (-o%)  =  prae- 
ueni88e  XII,  25  (oder  ist  praeuersos  gemeint?);  depraedabant 
XII,  20  (wie  depraedauerunt  Ital.  Zach.  2,  8  bei  Ambr.  de  fide 
II  4  [3],  36). 

Besonderheiten  der  Endung,  Bildung  und  Bedeutung. 
So  weit  ich  sehe,  sind  bisher  unbelegt  oder  sehr  selten: 

Alabastrus   (Nom.;  sonst   alabaster  oder  strum)  VII,  33 

(rtv&ov;    Plur.   alabastri   Inscr.  Neap.  4378,  -os  Plin.  XXI,  14 

gehören  vielleicht  auch  zu  dieser  Vulgärform). 

3* 


36  XL  Abhandlung:    Hanler. 

Auguriari  (auguriabatur)  VII,  2  (Gen.  c.  44,  5.  15  ist  in 
der  Vulg.  auguriari  und  auguriandi  recht  gut  bezeugt,  vgl. 
Rönsch,  Vollmöller's  Rom.  Forsch.  III,  335). 

Conoxia  (facta  es  animae)  I,  2  (mit  Genetiv  wie  noxiu* 
bei  Tacit.  und  evoxog  im  Griechischen);  ähnliche  Bildungen 
der  Volkssprache  sind  comparticeps,  condigntts,  consponsus,  s. 
Rönsch  S.  223  fg. 

Deiuuare  (deiubare)  höchst  förderlich  sein:  peregrinus, 
cum  adloquium  dat,  deiubat  populum  VIII,  15  (TtaQcnJir/ji^ 
wcpsh(.iwTdTrj) .  Das  &Vra§  elqr^evov  bei  Plaut.  Trin.  344  dese- 
rere  illum  et  deiuuare  in  rebus  aduorsis  pudet  hat  die  ent- 
gegengesetzte Bedeutung. 

Inquietus  (permane  i.,  psve  fjavxtog)  VIII,  27;  also  =  in 
guiete,  (plane)  quietus,  vgl.  die  positiven  Begriffe  inpinguis  fett 
Hegesipp.  III,  26,  2  und  die  lateinische  Uebersctzung  der  epist. 
Clementis  ad  Corinth.  (Morin)  p.  3,  12;  inopimus  Oros.;  inca- 
seatus  August.,  Ital.;  incrassatus  Ital.,  Vulg. 

Intaminatio  (ad  -onem  uerbi  eig  ßsßJjkwGiv  tov  Xdyov)  XI,  18 
(das  Verb  intimare  =  contaminare  Mos  bei  Hegesipp.  II,  10, 4 
und  in  Gloss.,   vgl.  Rönsch,  Vollmöller's  Rom.  Forsch.  I,  319). 

Procantatores  (ijtaoidoig)  VII,  4  (vgl.  praecantator  August, 
in  psalm.  127,  11  u.  a. ;  probibere  Gloss.;  pronomen  =  prae- 
nomen  Bened.  reg.  II,  5,  Wölffl.). 

Repausare  reflexiv  (ävattavetT&at,  se  reposer)  III,  5  fg.  (s. 
unter  Graecismen). 

Rixiosus  I,  29  (in  der  Vulg.  rixosa);  ähnlich  in  der  Itala 
und  Vulg.:  alleuiare,  angustiati,  confortians  und  auguriari. 

Secundatio  XII,  28  fg.  (vgl.  Syr.  deuteroseos ;  überliefert 
ist  fecundationis). 

Sonst  sind  noch  zunächst  wegen  der  Bildung  hervorzu- 
heben: I.  Die  Substantiva:  Inproperium  I,  6  (ö'veidog);  iuua- 
mentum  similitudinis  VI,  13  (totpeXi^tov  7taQadeiyfia;  iuuam.  auch 
Veget.  Mulom.  III,  4  Ende);  sessoria  (disponere)  VIII,  26%. 
(auch  Cael.  Aur.  Acut.  I,  11,  84);  pru[i]na  (ävÖQaxux)  I,  22 
(Ital.,  Vulg.).  Dann  eine  Reihe  von  Bildungen  auf  -io  abge- 
sehen von  dem  archaistischen  conuentio  II,  19  und  dem  auch 
sonst  häufigen  conuersatio  III.  31  und  dem  wahrscheinlich 
ergänzten  (corroboratio)nem  fidei  II,  33  (ftQOTQonijv  Triatea/g) 
u.   a.:    abominationibus    VI,   21    (drcd   x&v   ßdekvyiAdrtov),   con~ 


>  i 

i 


Eine  lateinische  PalimpsestüberMtarag  dar  Didatcalia  apottolorum.  37 

fusionem  (Bedeutung  s.  unten)  II,  31;  partidpatio  XI,  11 
(pegis;  August.,  Vulg.  a.);  ponderationem  VII,  31  (ara&fiöv;  vgl. 
Vitruv.  und  Vulg.  Sirac.  6,  15);   vielleicht  auch  obue(lationem) 

I,  34  (vgl.  coopertio,  oblaqueatio  und  besonders  reuelatio  in  der 
Grundbedeutung  bei  Arnob.).  Deminutiva:  Ausser  anicula  VIII, 
33 fg.  noch  iuuencula  IX,  1  (Tert.).  Substantivierte  Adiec- 
tiva:  uolatilia,  natatilia  X,  15  (izezeivA,  vtjxzd,  vgl.  italien. 
uolatili,  franz.  uolaille);  sculptilia  VI,  25  (yXv7trd;  Didasc. 
OTJjXag) ;  uidebit  omnis  caro  salutarem  di  X,  32  (wohl  =  vijy 
aanrjQiav  vlvqiov,  vgl.  Rönsch  S.  100);  condensum  VI,  27  (-a)} 
VII,  7  (-i),  üXaog,  vgl.  Tert.  de  uirg.  uel.  17  (aber  in  anderer 
Bedeutung). 

IL  Die  Adiectiva:  (cum  mulier e)  linguosa  I,  28;  litt' 
giosa  II,  20.  30;  -us  IV,  20. 

III.  Verba:    1.  Derivata:   angustare   IX,  18;    hereditates 

II,  24  fg.,  IV,  9 fg.;  mediare  (uerbum)  VIII,  28  (dia^/mxsiv) ; 
clarificatos  X,  11;  iustificaberis  (diYJXKDxHjorj  Matth.  12,  37,  wie 
viele  Italacodices  und  die  Vulg.)  III,  19;  uiuificans  (Cponoielv) 
X,  24.  27.,  ~at  daselbst  33.  —  2.  Simplicia:  spiciens  II,  1  (auch 
archaisch).  —  3.  Composita:  circuminspice  VIII,  35;  coaduna- 
mini  IX,  24  (avva&QOi^öpevoi ,  vgl.  Ital.  und  Lucif.  Cal.  4,  22 
Hartel,  Instit.);  coinquinari  V,  21  (GVfifioXvvso&ai).  —  4.  Inten- 
siva:  manducauerunt  V,  27  (etpayov),  daselbst  35,  XII,  14  fg.  u.  a. 

Semasiologisches:  1.  Substantiva:  Abgesehen  von  dem 
häufigen  uirtus  =  uis7  dvvafitg :  per  confusionem  (diu  rfjg  aldovg) 
II,  31;  per  bonam  conuersationem  (iv  efaa^iq)  III,  31  (guter 
Lebenswandel);  wahrscheinlich  auch  ad  co(nuer)si(onem)  . .  fidei 
(elg  imatQoq^v  .  .  moTewg)  II,  32  (wie  Augustin  de  civ.  dei 
VII,  33;  VIII,  24,  2);  maleficia  faciebat  (icpaQ^axeveTo)  VII,  3; 
(sine  quaerella  esse,)  inreprehensibilem  III,  9  {äviyxkrfcov ,  &v- 
ertih)7tTovy  vgl.  Genes.  17,  1  esto  sine  querela,  hoc  est  inrepre- 
hensibilis  Ambros.  de  Abr.  I,  4  und  Rönsch  p.  321). 

2.  Pronomina:  Quanta  ex  uinculis . .  legis  erant  (=quot) 
XII,  28  (cf.  Tert,  Lact.,  Lucif.  Cal.  p.  300,  7 ff.,  Bened.  reg. 
IX,  1  W.  und  Rönsch  S.  336);  —  per  ipsam  Sapientiam  (= 
eandem,  rrjv  airvrjv)  I,  10  *  und  umgekehrt  qui  cum  eodem  sunt 

1  Rönsch  S.  424  fg.  und  in  Vollmöiler's  Rom.  Forschungen  II,  287,  wo 
Beispiele  aus  der  sehr  alten  vorhieron.  Uebersetzung  der  Apostelgesch. 
im  Cod.  QigoB  angeführt  werden. 


38  XI.  Abhandlung:    Hau ler. 

(=  ipso,  awdviiüv  aixqi)  III,  28;  quisque  (—  quicumque)  I,  19 
(Rönsch  336). 

3.  Adiectiva:  (fecit)  malignum  VI,  20  (%6  ttorrjQÖv),  VII, 
5.  18;  (in  parocia)  modica  III,  24  (iv  n.  f-UXQq). 

4.  Adverbium:   praeter ea   =   praesertim,    (cum — )tum7 
{iälioia  II,  21,  IX,  8  (cf.  Digest.  XXXI,  34,  5.  L.  7,  16  pr.)- 

5.  Verba:  (martyrium)  accipiamus  X,  10;  non  adponam 
mauere  pedem  meum  VII,  12  (oi>  7tQog^fysia  %öv  ndda  fiov  aa~ 
Xevaai,  nicht  weiter;  Hebraismus) ;  nos  —  a  datione  di  uoluit  cir- 
cumuenire  XI,  4  (vfjg  döoewg  %ov  deov  7t€Qiygaipai ;  etwa  = 
intercludere) ;  detraheremus  Uli  uirtutem  XI,  7  (drtod&ftf&a 
afaoj  . . .  dcjQedv;  =  deponere,  tr ädere);  exterminat  I,  13  (zer- 
stören, vernichten);  facere  mit  acc.  c.  in/.  (=  franz.  faire  mit 
Inf.):  peccare  fecit  Iudam  (cf.  Vulg.  Reg.  II,  23,  15  qui  p.  /. 
Israel)  VII,  26,  IX,  2  ff.;  intendens  Petrus  ad  XI,  8 fg.  (äreviaa*; 
]J.  slg  —  intuens,  spectans);  nescit  (ruborem)  I,  16;  non  debere 
(eos)  nubere  dicentes,  quia  qui  non  nubet  XII,  9  fg.  (=  uxorem 
ducere,  yctfielv);  obtrectandi,  wie  es  scheint,  in  der  Grund- 
bedeutung ohne  tadelnden  Sinn  VI,  7  (vgl.  S.  30 fg.) ;  cum . .  sobrie- 
täte  uigilare,  entsprechend  dem  griechischen  vrtfaletDg  xai  ky^tj- 
yoQ&itog  hat  Aval  VIII,  1,  wohl  durch  die  Bedeutung  von  stare 
=  esse  (etre)  im  Vulgärlatein  (Rönsch  388)  erklärlich,  so  dass 
der  Uebersetzer  iyQ.  iai,  als  cum  uigilantia  esse9  uigilem  esse 
fasste  und  daher  durch  uigilare  ausdrückte. 

6.  Präpositionen:  (litigiosa)  ad  omnes  —  aduersus  o. 
II,  20  (rtQÖg  ndvcag);  quae  in  lege  sunt  munda  XII,  17  (xatä 
vöfiovj  vgl.  daselbst  18  secundum  L);  foris  domum  IVf  35  (%;& 
%f\g  oixiag),  vgl.  II,  33  fg.  (foris  ecclesia  hxög,  so  auch  Cassiod. 
Compl.  5  in  Col.)  und  deorsum  pedes  II,  1  (ähnlich  seorsum 
mit  Abi.  bei  Lucr.  III,  564.  631  fg.). 

Syntaktische  Eigentümlichkeiten:  1.  Casus  und  Prä- 
positionen. Um  von  castitatem  studere  (XII,  10.  26)  abzu- 
sehen, ist  erwähnenswerth :  ipsis  miserebitur  ds  IV,  12  (Matth. 
5,  7,  ebenso  bei  Ambros.  Off.  I,  16;  vgl.  Rönsch  413  fg.);  t'ndt- 
gens  panem  I,  15  (wie  egere  Rönsch  414);  profetas  non  utantur 
XII,  4;  balneum  . .  .,  quod  utaris  II,  10 fg. ;  dirigentes  iter  in 
uiis  suis  I,  19;  in  balneo  ingrederis  II,  9;  in  ecclesia  \  fre- 
quentare  IX,  15  (elg  rfjv  ixKtyaiav  ivdelsx'iCeiv ;  auch  Abfall 
des   m  möglich).    —   per    quandam   rationem   III,  12    (xqAmf 


Eine  lateinische  PalimpeestttbersetEung  der  DitUucalia  apostolorwn.  39 

rivl);  per  dationem  paecuniae  XI,  3    (kfjipei,  %(bv   xqr^&tmv) , 
vgl.  III,  30  und  VI,  9. 

2.  Comparativ  statt  Positivs:  fuge  citius  I,  26  (für  cito; 
vgl.  Bened.  reg.  V,  16;  LX,  4  W.);  fidelium  fideliores  X,  34 
(tovq  maxobg  r&v  tuox&v). 

3.  Tempora,  Consecutio  temporum  und  Modi:  Das 
vollere  Plusquamperfect  Coni.  statt  Impf.  Coni.:  cum  regnasset 
VT,  18;  cum  .  .  .  moti  fuissemus  XI,  8  (fjit&v  .  .  .  raQax&eytwv) ; 
Futur  wechselt  mit  Coni.  Präs. :  cogatur  (ävayxao&rjaeuai)  II,  27, 
vielleicht  durch  das  vorhergehende  (Z.  22  ff.)  ut  —  non  co- 
gatur mitbeeinflusst;  sit  (eatai)  VI,  33;  erit  (el\)  XI,  11  (wenn 
nicht  an  freiere  Uebersetzung  zu  denken).  Consecutio  temp.: 
erat .  .  .  lex,  decreta  et  ut  profetas  non  utantur  et  ut  patrem 
deum  blasfemarent  et  resurrectionem  non  credant  XII,  3  ff. 
Unauffällig  sind  Beispiele  wie  (dicentes,)  quia  qui  non  nubet 
castitatem  studeret  XII,  10  (üya^wg)  und  ea}  qu(a)e  animam 
habentj  non  debere  manducari  (Eii\fw%a)  daselbst  14.  —  Ut  .  . 
non  im  Finalsatz:  II,  22fg.,  IX,  11  (Iva  —  pr});  Indicativ 
findet  sich  (wohl  nach  dem  Griechischen)  im  indirecten  Frage- 
satz: requirat  .  .  .,  si  adhuc  uirum  habet  u.  s.  w.  VIII,  5  fg.  (el 
VnavÖQog  —  iori). 

4.  Infinitiv,  Acc.  c.  Inf.  vertreten  durch  quod7  quia: 
quod  .  .  non  potest  quis  perire  —  manifestum  est  V,  19 ff.; 
testimonium  habet  — ,  quia  dignus  est  III,  29  (iMfiaQTVQTftievog 
—  ug  ü&og).  Infinitiv  statt  Gerundivum  wahrscheinlich  in  (ad 
de)siderare  t(e)  I,  1. 

Stillstisch:  Die  Wiederholung  des  Verbs  nach  Negier ung 
des  vorhergehenden  positiven  Begriffes  unterlassen,  trotzdem  es, 
nach  dem  syrischen  Texte  zu  schliessen,  im  griechischen  Ori- 
ginal stand:  filii  eius  saluati  et  benedicti  sunt;  Cham  autem  .  . 
non  V,  4  (Xä^i  de  .  .  .  oi)x  tjvloyrjdT]). 

Grraecismen  ausser  den  schon  erwähnten:  1.  Formelle: 
Pseudoapostolus  XI,  17  fg.,  XII,  1  fg.  (auch  sonst,  so  Cypr., 
Lucif.  Cal.);  repausare  III,  5 fg.  (ävaitaveod-ai  oder  -oao$ai) 
reflexiv:  sich  zur  Ruhe  legen,  vgl.  franz.  se  reposer;  ähnlich 
Ilieron.  hom.  Orig.  in  Ezech.  12,  5  und  transit.  Interpr.  comm. 
Orig.  in  Matth.  §.  138  qui  .  . .  quasi  supra  patris  gremium  illud 
(caput)  repausans  exiit  (Rönsch,  Zeitschr.  für  die  österr.  Gymn. 


40  XI.  Abkudlaog:    Hanler. 

1887,  89).  —  Transcription:  In  quarto  libro  Regnorum  et  in 
secundo  Paralipomenum  VI,  14 fg.  (iv  ttj  Tetd^rt]  rwv  ßaoi- 
Xei&v  aal  iv  rjj  devriqq  x&v  7taQaX€i7to^4vwv);  in  Gae-Banaemon 
(t)  VII,  2  (iv  yfj  Bevewöfi).  —  Genus:  In  secundo  Parali- 
pomenum,   quod    est   praetermissarum    (iv  t§   devxeQq  %(av  7t.) 

VI,  16,  wohl  durch  das  Femininum  dsvtioq  (nämlich  ßißha) 
veranlasst. 

2.  Syntaktische  bezüglich  a)  der  Casuslehre:  petes 
eum  .  .  .,  ut  (i(HOT7]0EiQ  abrdv)  VIII,  13;  iuuate  infirmis  etc. 
V,  10  fg.  (ßoq&etv  TOig  voooikn);  no8  nocuit  V,  1  (eßlaipev  fjpäg); 
—  inperauit  .  .  in  Hierusalem  VI,  19  (iv  tL)y  VII,  9  fg. ;  in 
Hierosolyma  XII,  33  (aber  cum  uenisset  Romam  XI,  24).  — 
b)  Der  Pronomina:  Demonstrativa  statt  des  griechischen  Ar- 
tikels: aduocans  eos  praeter  euntes  I,  18;  uitae  istius  III,  3  (tot 
ßlov).  —   Attraction   des   Relative:    ex  omnibus,    quibus  fecit 

VII,  24  (ind  ndvrfov,  &v  irtoirjasv).  —  c)  Des  Infinitivs;  final: 
qui  non  conuenit  .  .  .  audire  (st.  ut  audiat)  IX,  34  fg.  (6  utj 
avveq%6^evoq  .  .  .  dxoveiv).  —  d)  Des  Particips:  constitutum 
fidelem  II,  17  fg.  (itiazty  ofaav)]  ähnlich  2oXo{itbv  dtoöeiuxstrjg 
.  .  ißaailevOBv  S.  duodedm  annorum  constit(utus  regnauit)  TU, 
35;  ferner  'Iioolag  iv  diyutioovvrj  öktu)  izwv  ißaolXevcev  los.  in 
iustitia  octo  annorum  constitutus  regnauit  IV,  2  (wo  vielleicht 
der  Nominalbegriff  von  regnare  vorherrscht). 

Der  Uebersetzer  Hess  sich  also  von  der  Sprache  des 
Volkes  und  des  griechischen  Textes  stark  beeinflussen.  Ana- 
koluthien  (vgl.  XI,  3)  und  schwerere  Verstösse  finden  sich 
relativ  selten.  Doch  möchte  ich  weder  daraus  noch  aus  meh- 
reren Missverständnissen  des  griech.  Textes  auf  die  Nationalität 
des  Uebersetzers  einen  Schluss  wagen.  Immerhin  scheint  es 
beachtenswerth ,  dass  die  Sprache  manches  mit  dem  soge- 
nannten Hegesipp  Gemeinsame  aufweist. 

Wie  schon  das  Gesagte  schliessen  lässt,  zeigt  sich  zu- 
nächst in  den  vielen  Bibelstellen  zwar  weniger  geschmack- 
volles Latein  als  in  Hieronymus*  Uebersetzung,  dafür  aber  in 
der  Regel  engerer  Anschluss  an  den  griechischen  Text  und 
infolge  dessen  meist  auch  grössere  Durchsichtigkeit  des  Ge- 
dankens. Man  wird  unwillkürlich  an  Augustins  bekannte 
Worte  über  die  Itala  erinnert  (de  doctr.  Christ.  II,  16)  est  uer- 
borum   tenacior   cum  perspicuitate  sententiae.     Dies   geht  ans 


Eine  lateinische  PaMmpsestÜbenetsnng  der  Didascalia  apoHolorum. 


41 


dem  Vergleiche  des  Vulgatatextes  fast  jeder  der  von  uns  auf 
den  Probeseiten  citierten  Bibelstellen  mit  unserem  und  dem 
griechischen  Wortlaute  hervor.  Wir  glauben,  dies  nur  kurz 
an  den  ersten  Beispielen  belegen  zu  müssen,  und  stellen  gleich 
im  Folgenden  die  Texte  nebeneinander: 


Griech.  Bibeltext: 

Prov.  18,  3:  "Orav 
n&rj  äatßijS  ek  ß&Sog 
xctxüv,  xctTatpQovtT,  in£(>- 
Xtiai  61  avr&  AxifiCa 
xat  bv(t4og. 

Prov.  11,  22:   laGntQ 

tviüTlOV    iv  $ivl  tfdff,    0$- 

jtog  yvvaixl   xax6(pQovi 
xdXXoq. 

Prov.  12,  4:  ßaneq 
[61  om.  in  AC.J  Iv  £ttty 
<rx<aXrj$ ,  oihtog  ävÖQCt 
dndXXvai  fdn.  ävÖQa 
ACJ  yvvii  xaxonoiög. 


Uebersetzung  der  Didasc&lie : 

I,  4  (Inpius,)  cum  ue- 
nerit in  prq/undum  ma- 
lorum,  contempnit,  et  ue- 
hiet  ei  infamia  et  inpro- 
perium. 

I,  1 1  Sicut  inaures  in 
nare  pore(i),  ita  mtUieri 
maliuclae  species. 

I,  13  Sicut  lignum 
uermis  exterminat ,  sie 
perfdijdit  uirum  mutier 
malefica. 


Vulgata: 

Impius,  cum  in  pro- 
fundum uenerit  peccato- 
rum,  contemnit:  sed  se- 
quitur  eum  ignominia  et 
opprobrium. 

Circulus  aureus  in 
naribus  suis,  mulier  pul- 
chra  et  fatua. 

(Mulier)  putredo  in 
ossibus  eius  (uirij,  quae 
confusione  res  dignas  ge- 
rit. 


Die  Auslassung  des  Wortes  doeßrjg  inpius  an  der  ersten 
Stelle  in  unserer  Uebersetzung  haben  wir  schon  oben  zu  er- 
klären versucht.  Im  Uebrigen  ist  bis  auf  die  Wortfolge  alles 
möglichst  genau  dem  griechischen  Wortlaute  nachgebildet. 
Hieronymus  aber  setzt  statt  xaxöv  malorum  freier  peccatorum, 
fiir  i7tiQ%Bi;m  ain(p  ueniet  ei  blos  sinngemäss  sequitur  eum,  dies 
wohl  um  die  Wiederholung  von  uenire  zu  vermeiden.  Weiter- 
hin hat  er  das  kräftigere  infamia  durch  ignominia,  das  vul- 
gäre inproperium  durch  das  classische  opprobrium  ersetzt.  Mit 
der  Fassung  in  der  Didascalia  stimmt  das  Citat  des  auet.  oper. 
imperf.  in  Matth.  hom.  41  cum  uenerit  impius  in  profundum 
malorum,  contemnit  fast  wörtlich  und  August.  Psalm.  113  pec- 
cator,  dum  uenerit  in  profundum  malorum,  c.  im  Wesentlichen 
überein.  —  Die  zweite  und  dritte  Stelle  im  Einzelnen  zu  be- 
sprechen, dürfte  überflüssig  sein,  da  die  Umgestaltung  bei 
Hieronymus  ohneweiters  in  die  Augen  springt.  An  der  zweiten 
bietet  der  soeben  erwähnte  Verfasser  des  opus  imp.  in  Matth. 
hom.  45,  in  wichtigen  Punkten  mit  unserer  Fassung  überein- 
stimmend, sicut  inaures  aureae  in  naribus  porci,   ita  mulieris 


42  XI.  Abhandlung:    Hanler. 

male  morigeratae  species,  doch  ist  aureae  hinzugesetzt  und  die 
Genetivconstruction  gewählt,  welche  dem  Griechischen  minder 
genau    entspricht.     Hieronym.   in   Ezech.  27,   28   hat    inauri* 
(ohne  Zusatz)  in  naribus  porcae,    sie  mulieri   male    moratae 
pulchritudo.     Cassian   Collat.  XIV,  16  berührt  sich   in  specie* 
wieder  mit   dem   Didascaliainterpreten.     Unserem   Uebersetzer 
ist,  nach  der  Wortstellung  in  dem  dritten  Spruche  zu  urtbeileD, 
die  uns  in  AC.  bewahrte  Textesvariante  vorgelegen.    Das  Bild 
hat  er  ferner  plastisch  wiedergegeben,  während  es  die  Vulgata 
abändert.     Aus   den    übrigen  Citaten  der  heiligen  Schrift  hebe 
ich  noch  die  zweimal  I,  27  und  II,  29  angeführte  Stelle  Prov. 
21,  19  hervor,   weil  sie  Abweichungen  im  Wortlaute  aufweist. 
Den  Worten   in  angulo  obscuro   und   cum  mutiere  linguosa  ei 
rixiosa    dort   entspricht  hier  in  deserto  und  cum   muliere  lin- 
guosa  et   Utigio8a.      Der  dazu  gehörige   griechische   Text   bei 
Tischendorf  bietet  iv  tjJ  iQtjfMp  und  (.tera  yvvcuxdg  itaxipav  %ai 
yXaxjOtodovg  xal  ÖQyilov,    in  den  AC.  aber  steht  an  der  ersten 
Stelle  (12,  8  Lag.)  iv  ywviq  (Int  ytuviag)  vnai&QOv  (wohl  im  Hin- 
blick auf  Prov.  21,  9  gewählt)   und  fi€tä  yvvcuxdg  yhaaa&dovg 
aal  fiaxitiijQ,  an  der  zweiten  (13,  11)  iv  i(yquto  und  gleichfalls 
fi.  y.  yX.  x.  (ia%.   Ist  die  griechische  Lesung  wtai&Qov  gesichert, 
so   hat   der  Interpret   das  Wort   in   der  nach  unseren  Wörter- 
büchern  sonst   nicht   belegten  Bedeutung  von  iftaeQtog  (Apoll. 
Rh.  IV,  1577  ftikayog,  obscurum)  gefasst.  Wir  ersehen  hieraus, 
dass   ihm   der   uns   in   den   AC.  überlieferte   griechische 
Text   der  Bibelstellen  in  wesentlich  gleicher  Fassung  vor- 
gelegen  ist;   ferner,   dass   er   auch   einander  so   nahe   Citate 
nicht    gleichgemacht    noch   nach    dem    eigentlichen    Bibeltexte 
verglichen,   sondern   sich   treu   an   seine  Vorlage  gehalten 
hat.     Da  zu  II,  29  die  syrische  Uebersetzung  nach  Lagarde's 
Angabe  nicht  auf  iv  iorjiMp,   sondern  auf  inl  yiovlag  vnaid^ov 
schliessen  lässt,  ausserdem  den  Zusatz  iv  fiiaip  rfjg  olxiag  nach 
ywatxdg  yL  x.  p.  aufweist,  so  dürften  wir  nicht  fehlgehen,  wenn 
wir  dem  Syrer  oder   seiner  griechischen  Vorlage  hier  ein  An- 
gleichen   der   beiden  Stellen  und  Erweiterung  der  zweiten  zu- 
schreiben.     Schliesslich    will    ich    noch    IV,  6  ff.   (Isai.  66,  2) 
deshalb    berühren,    weil    die    lateinischen   Worte    Super  quem 
respiciam,  nisi  super  mansuetum  et  quietum  et  trementem  uerba 
mea  semperf   fast   ganz   dieselbe   Fassung  zeigen    wie   in  der 


Eine  lateinische  PalimpscstüWsetzung  der  Didascalia  aportolorwn.  43 

von  Morin  jüngst  herausgegebenen  Uebersetzung  des  Clernens- 
briefes  an  die  Korinther  S.  14,  lff.;  hier  lauten  sie  nämlich 
Super  quem  respiciam,  nisi  super  humilem  et  mansuetum  et 
trementem  uerba  meaf  Das  Fehlen  des  semper  hat  in  dem 
gewöhnlichen  griechischen  Wortlaute:  inl  xiva  i7iißXhpiü,  älX 
fj  ini  %öv  xaneivdv  xal  tjovxiov  %al  xq&yLOvza  %vbg  Xöyovg  ftov; 
seinen  Grund,  und  so  hat  auch  Lagarde  in  seiner  Ausgabe 
der  AC.  14,  21  ff.  geschrieben,  aber  statt  xcmeivdv  (cod.  y  und 
ed.  princ.)  das  von  seinen  besten  Handschriften  (wx)  bezeugte 
rtQäov  aufgenommen.  Dies,  wie  der  lateinische  Text  zeigt,  mit 
Recht;  semper  jedoch  weist  darauf  hin,  dass  im  Folgenden 
die  Ueberlieferung  diä  Ttavzög  (in  y  und  der  ed.  princ,  vgl. 
Pitra)  auch  die  des  Uebersetzers  war,  und  dasselbe  bestätigt 
die  syrische  Version.  Wir  sehen  schon  daraus,  dass  wir  mit 
dem  lateinischen  Texte  ein  wichtiges  Hilfsmittel  für  die 
Kritik  des  Textes  der  Bibelstellen  auch  der  AC.  gewonnen 
haben.  An  und  für  sich  aber  sind  die  vielen  lateinischen  Ci- 
täte  für  die  Kenntniss  der  vorhierony manischen  Uebersetzungen 
höchst  wichtig,  zumal  da  sie  oft  weit  ausgedehnter  sind  als 
nach  dem  Texte  der  AC.  und  nach  Lagarde's  Didascalia  pu- 
rior  anzunehmen  ist.  So  erstreckt  sich  z.  B.  die  V,  24  be- 
ginnende Anführung  der  Worte  aus  Ezech.  18  nicht  nur  von 
§.  2  bis  5,  sondern  läuft  von  §.  1  ab  ohne  Unterbrechung  auf 
der  nächsten  Seite  fort,  und  zwar  höchst  wahrscheinlich, 
übereinstimmend  mit  der  syrischen  Uebersetzung  (vgl.  Funk, 
Apostol.  Constit.  S.  30),  bis  §.  32,  wenn  auch  bisher  der  la- 
teinische Text  nur  sicher  bis  §.13  entziffert  ist.  In  den  AC. 
ist  dieses  lange  Citat  auf  die  §§.  2 — 5,  9 — 11,  13,  19,  20, 
24,  27,  28  und  30  reduciert,  also  um  18  Abschnitte  verkürzt. 
Lagarde  lässt  in  seiner  Didascalia  9purior  die  in  den  AC. 
auf  die  Excerpierung  des  ursprünglich  vollständigen  griechi- 
schen Textes  hinweisenden  Wendungen:  xcu  iltfjQ  iitiUytov  rag 
Xomäg  ÜQETccg  iniaq>gayi^ezai  Xiycjv,  dann  xai  krtdywv  rä  i£fjg 
irtayei  rolg  relewaioig  —  xai  iiex*  dliya  (irtayst)  (prpiv  — 
xai  i£fjg  einfach  weg  und  schiebt  den  lückenhaften  Bibeltext 
zusammen. 

Nicht  minder  werthvoll  ist  meines  Erachtens  unsere  Ueber- 
setzung für  die  Wiederherstellung  des  übrigen  Textes  der 
alten  Didascalia.     Den  bisher  einzigen  Versuch,   ihren   grie- 


einsehen  Text  zn  reconstruieren,  hat  Lagarde,  wie  erwähnt, 
nach  der  syrischen  Uebersetzung  gemacht;  doch  hielt  er  sieh 
zn  sehr  an  den  Wortlaut  and  die  Anordnung  der  AC.  und 
übergieng  grossere  Thcile  des  syrischen  Textes  ohne  gehörigen 
Grand.  Da  diese  Auslassungen  öfters  gar  nicht  bezeichnet 
sind,  ist  ein  Urthe.il  über  den  eigentlichen  Bestand  für  einen 
des  Syrischen  Unkundigen  kaum  möglich.  Gute  Dienste  leistet 
zwar  die  Inhaltsangabe,  welche  Prof.  Fr.  X.  v.  Funk,  unterstützt 
von  Prof.  Dr.  Socin  in  Leipzig,  a.  a.  O.  S.  29 — 40  von  der 
syrischen  Didascalia  gegeben  hat,  doch  bezweckt  dieses  Argu- 
mentum nur  die  Mittheilung  des  Wesentlichen  und  kann  selbst- 
verständlich nicht  Über  das  Einzelne  aufklaren.  Einen  voll- 
kommenen Einblick  in  diese  Schrift  wurden  wir  erst  durch  die 
von  diesen  beiden  Gelehrten  ausgearbeitete  genaue  lateinische 
Uebersetzung  erhalten,  deren  Manuscript  druckfertig  ist.  In 
besonderer  Güte  bat  der  Erstgenannte  mir  daraus  unter  An- 
derem eine  schwierigere  Stelle  VI,  4—11  abgeschrieben,  von 
der  ich  mit  Erlaubnis«  der  Herren  Verfasser  einen  Tbeil 
schon  oben  mitgetheilt  habe,  den  Rest  aber  unten  anführen 
werde.  Eine  weitere  Schwierigkeit  erwächst  uns  aus  dem  Um- 
stände, dass  der  griechische  Text  der  AC.  noch  nicht  test- 
kritisch gesichert  vorliegt.  Lagarde's  Apparat  ist  für  eine  ge- 
hörige Recension  unzulänglich;  Cardinal  Pitra  aber  hat  seine 
Collationen  von  sieben  meist  sehr  alten  römischen  Codices  für 
seine  Ausgabe  (Iuris  ecclesiattici  Graecorum  kistoria  et  monu- 
menta  I,  111  ff.)  nicht  zu  verwerthen  gewnsst.1  So  bleibt  auch 
für  den  griechischen  Text  Prof.  v.  Funks  gewiss  treffliche 
Edition  abzuwarten.  Dieser  Forscher  hat  also  allein  alle  Mittel 
in  der  Hand,  welche  eine  vollkommen  richtige  Beurtheilung 
des  durch  die  alte  lateinische  Uebersetzung  gebotenen  Ge- 
winnes für  die  Textesconstitntion  ermöglichen.  Für  seine  uns 
:„  v.„\.v  ngwdrdigster  Weise  gegebenen  sachkundigen  Winke 
r  ihm  überaus  dankbar  und  wünschen,  dass  der  Fand 
Textstudien  die  gehoffte  Förderang  bringe. 
'ir  müssen  uns  bei  dieser  Sachlage  auf  einige  Schlüsse 
nken,  die  aus  dem  uns  zur  Verfügung  stehenden  un- 
snden  Material  sich  ziehen  lassen. 

Fr.  X.  t.  Funk,  *.  «_  O.  S.  26%. 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetzung  der  Dukucalia  apottolorwn.  45 

Die  Uebereinstimmung  der  lateinischen  Uebersetzung  der 
Didascalia  mit  der  syrischen  zeigt  sich  besonders  in  gemein- 
samen Auslassungen  und  Zusätzen  gegenüber  dem  grie- 
chischen Texte  der  AC.  Wir  wollen  dies  an  einigen  Beispielen 
zeigen : 

V,  1  fehlt  zwischen  (de)licto  und  Neque  enim  Inda»  nos 
nocuit  das  nach  Lagarde's  AA.  p.  69,  20  (AC.  26,  5)  auch  im 
Syrischen  ausgelassene  Stück  von  xat  od  pt}  avvarcoliarj  bis 
6  d£  7tagä  g>tiaiv  IrtTditevog  Tteoäav  avvBTqißiq.  Vor  dem  in  den 
AC.  (daselbst  13)  folgenden  xai  iv  rfj  Hißwity  Note  xtA.  findet 
sich  nach  Lagarde  im  Syrischen  die  Uebersetzung  der  Worte 
xal  y&Q  aidi  *Iovdag  eßlctipev  iftiäg  otidev  cvvsv^dfievog  fjfiTv, 
dXlä  fiövog  ärttolero,  die  genau  den  Zeilen  V,  1  und  2  ent- 
sprechen. Auch  der  nächste  in  den  AC.  geänderte  Satz  V,  2 
Nam  et  in  arca  bis  Z.  5  maledictum  est  findet  sich  ebenso 
im  syrischen  Texte.  Aus  Lagarde's  Anm.  1  auf  S.  70  der  AA. 
ist  aber  nicht  ersichtlich,  ob  das  im  Lateinischen  folgende 
bestiae  etiam,  quae  ingress(a)e  sunt,  exierunt  auch  in  der  sy- 
rischen Uebersetzung  steht.  Die  Naivetät  des  Zusatzes  scheint 
mir  flir  seine  Originalität  zu  sprechen.  Die  weiteren  Worte 
in  den  AC. :  7ta%6QBg  inkq  r&xv<ov  (naidwv)  aö  rinwQoftvTcu 
ofce  vioi  VTteq  nateQwv  fehlen  in  beiden  Uebersetzungen,  weil 
sie  in  der  Didascalia  schon  vorher  standen.  Das  darauffolgende 
Stück  (AA.  p.  70,  3—10,  AC.  26,  16—24)  dfjlov  &g  oVze  yv- 
vaixeg  bis  dlV  jj  Ttjg  yvu)^rjg  b[i6voia  ist  gleichfalls  hier  wie 
dort  ausgelassen.  Dagegen  war  oi  %($  oiv  nolg  hoi(,io&a- 
vaxoig  —  TCQoaixstv  offenbar  in  der  gemeinsamen  Vorlage  ent- 
halten. Das  V,  9  fg.  gebotene  alius  (-os)  enim  pro  alio  non 
morietvr  entspricht  dem  griechischen  ttzegog  ydq  imeq  Mqov 
oi*.  äno&aveiTat.  Das  Sätzchen  mangelt  nach  Lagarde  dem 
Syrischen,  aber,  wie  mir  scheint,  nicht  zum  Vortheil  des  Zu- 
sammenhanges. Es  dürfte  eine  Zeile  des  Originals  übersprungen 
worden  sein.  Das  weitere  dXkä  2eiQ<xig  x&v  iavrov  dvofiitov 
(&pct(>Tiü)y)  SxaüTog  otpiyyszai  fehlte  hier  in  der  Didascalia,  weil 
es  bereits  im  Vorhergehenden  verwerthet  war.  Der  darauffolgende 
Satz  aal  'Idob  —  tzqoowtzov  airuod  gehört  dem  Ueberarbeiter 
der  AC.  an,  da  er  weder  im  Lateinischen  noch  im  Syrischen 
steht.  Auch  darnach  stimmen  die  beiden  Uebersetzungen  in 
der  Auslassung  von  aal   (igf)  fiaov  olöv  %e  rjj  7taqatviaei  %ov 


4(5  XI.  Abhandlung:    Hau ler. 

k&yov  vyia^siv  ainovg  und  der  drei  Zeilen  o$  XQeiay  Y&Q  —  **S 
t&v  fUKQfiv  (tovhüv)  überein.  Die  Z.  12 — 15  im  Latein  non 
secundum  duritiam  cordü  et  uoluntatem  hominum,  sed  secun- 
dum  dni  di  nostri  uoluntatem  et  praeceptum  scheinen  nach 
Lagarde's  Texte  nicht  in  der  syrischen  Uebersetzung  enthalten 
zu  sein,  wohl  aber  entsprechen  sie  dem  in  den  AC.  erweitert 
Vorliegenden:  oi  y&Q  (%ty)  twv  GxXrjQOxaQÖiiav  dv&Qwncjy  (dv- 
öq&v)  ßoükrpiv  terra*  xqtj,  dllä  rijv  roti  &eov  xal  ftatQÖg  xmv 
tikwv  tijv  dtä  'Irflov  Xqiotov  ro$  xvqiov  fjfn&y,  $  fj  dö^a  elg  tobg 
alwvag  '  dprjv.  Die  knappe,  mit  dem  Vorausgehenden  enger 
verknüpfende  und  zum  Folgenden  gut  überleitende  lateinische 
Fassung  macht  mir  gegenüber  dem  griechischen  Text  der  AC.t 
andererseits  dem  syrischen  den  Eindruck  der  Ursprünglichkeit. 
Der  übrige  Inhalt  dieser  V.  Seite  stimmt  in  allem  Wesentlichen 
(unter  Anderem  in  der  Auslassung  der  vier  Druckzeilen  Sgxeiv 
ydq  ae  %qrj  —  Xatxdg  imaxdnov)  mit  der  syrischen  Didascalia 
überein.  Nur  zeigt  sich  auch  hier  wieder,  dass  die  lateinische 
Uebersetzung  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  den  griechischen 
Text  correcter  wiedergibt;  es  weist  z.  B.  Z.  22 fg.  haec  su~ 
spicio  et  malignorum  hominum  mens  auf  das  in  den  AC.  er- 
haltene rijv  %dv  runtOTj&wv  intdvoiav  hin,  nicht  auf  %anuorjdrn 
wie  der  Syrer  nach  Lagarde  gelesen  haben  soll.  Schon  nach 
dem  Gesagten  ist  es  wohl  unzweifelhaft,  dass  die  beiden 
Uebersetzungen  auf  die  gleiche  Schrift,  nämlich  die  Di- 
dascalia, zurückgehen. 

Dies  zeigen  auch  die  Seiten  VI  und  VII,  welche  ver- 
hältnissmässig  am  meisten  differieren.  Um  Geringfügigeres  zu 
übergehen,  so  sind  die  Worte  der  AC:  dtä  tovto  hafuareQog 
bis  6  &eo<pätjg  Jaßid  (AA.  p.  82,  23—27,  AC.  p.  41,  16—22) 
und  j)  ydtQ  oi%l  —  dqrfjxe  tov  iyxXrjuaTog  (AA.  p.  83,  5 — 10,  AC. 
p.  42,  4 — 10)  in  beiden  Didascaliaübersetzungen  ausgelassen; 
ebenso  erscheint  in  ihnen  TtQÖg  Jaßld  xai  nQÖg  2oXo{uova  xbv 
vidv  airtov  (von  AA.  p.  83,  24  fg.  auf  H4,  8,  von  AC.  43,  6  auf 
44,  2)  umgestellt  (VII,  8  fg.  ad  Dauid  et  ad  Solomonem9  filium 
eius)  und  nach  iv  ' IsQOvoalrjfA  (AA.  84,  9,  AC.  44,  3)  das  Sätz- 
chen fjv  e^ske^dßtjv  ix  naaßv  x&v  (pvlwv  ylaqartX  (VII,  10  fg. 
(quam)  elegi  ex  omnibus  tri(bu)bu8  Istrahel)  eingefügt.  Die 
Abweichungen  hievon  in  den  AC.  sind  ohne  Zweifel  Aende- 
rungen  des  Ueberarbeiters  der  Didascalia.    Stärkere  Verschie- 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetzung  der  Didascalia  apoHolorum.  47 

denheiten  scheinen  für  den  ersten  Blick  im  Allfang  des  22.  Ca- 
pitels  des  II.  Baches  der  AC.  zu  bestehen.  Doch  wird  durch 
den  gemeinsamen  Text  der  zwei  Uebersetzungen  (vgl.  oben 
S.  30)  der  griechische  Wortlaut  von  %($  k*8  /toowdsvxöra  für 
die  Didascalia  völlig  gesichert.  Auch  das  Weitere  lässt  trotz 
des  bedauerlichen  Verderbnisses  im  lateinischen  und  der  breiten 
Paraphrasierung  im  syrischen  Exemplare  einen  gleichen  Unter- 
grund durchblicken,  der  im  Texte  der  AC,  wenn  auch  nicht 
ganz  intact,  vorliegt.  Ad  scientiam  z.  B.  entspricht  offenbar 
dem  discere,  beides  dem  iurtsiowg,  ferner  sanitatis  der  Ver- 
bindung curationem  animarum,  wofür  im  Griechischen  tdfiaai  ge- 
standen haben  wird.  Ist  auch  im  Folgenden  durch  die  Corruptel 
ein  sicheres  Urtheil  über  den  lateinischen  Text  einigermassen 
erschwert,  so  ist  doch  dieser  dem  griechischen  Original  ohne 
Zweifel  in  der  Kürze  und  hinsichtlich  der  Construction  weit 
näher  gestanden  als  die  syrische  Version.  Offenbar  waren  die 
Schwierigkeiten,  welche  die  Worte  von  i^iTteigiog  bis  jtaoavikrf 
tix&v  6eo^ev(Dv  X&ywv  dem  Uebersetzer  bereiteten,  nicht  gering, 
und  sie  trugen  an  der  so  breiten  Wiedergabe  schuld.  Auch 
das  Weitere  verdient  eine  genauere  Prüfung. 

Lateinische  Didascalia:  Syrische  Didascalia:  Text  der  Constitutionen: 

VI,  8  ff.  Adhuc  et  ad  Et  ri  homines  iudi-  "Eti  xal  iv  r£>  xqC- 
iudicandu(m),  ad  conpa-  cas,  caute  ac  cum  multa  veiv  at  [Sil  add.  cod.  yz] 
rationem  catuae,per  mul-  diligentia  exemplum  tibi  SCxaiov  tu)  tov  &tov 
tarn  doctrinam  exquirere  aumendum  est  et  oboe-  l£axoXov&€Tv  d-eX^/nan, 
Dei  uoluntatem,  sicutip-  diendum  uoluntati  Dei,  xal  fj  &tög  ötx&tci  roi>g 
ae  fecit,  ita  et  nos  opor-  et  tricut  ipse  fecit,  Uta  uos  ä/uctgrcipovrag  xal  Ern- 
tet facere  in  iudiciis.  decet  facere    in    iudiciis  aroiipovrag ,     naqanlri- 

uestris.  oCtag  xal  oi  xoCvkiv. 

Die  Uebersetzungen  stimmen  mit  dem  griechischen  Text 
überein  in  ert  bis  %(j>  kqivuv  (denn  homines  des  Syrers  scheint 
eine  freiere  Wendung),  ferner  in  xq>  tov  S-bov  i&itoXovd-eTy 
&ekrjpazi ,  wo  exquirere  (in  der  Grundbedeutung)  dem  Grie- 
chischen kaum  ferner  steht  als  oboediendum,  endlich  im  Wesent- 
lichen auch  zum  Schluss  von  7iaQcc7tXt]Oiwg  bis  xQivetv,  nur  dass 
statt  ai  im  Didascaliatexte  fyiäg  oder  bfiäg  gestanden  und  das 
Prädicat  wohl  mit  noulv  Sei  (xq$)  und  einem  Präpositional- 
ausdruck  gebildet  war.  Im  Uebrigen  weicht  der  Text  der  AC. 
stärker  von  jeder  der  Uebertragungen  ab  als  diese    von  ein- 


48  XL  Abhamllaog:    H  an  ler. 

ander.  Denn  die  letzteren  stimmen  in  der  Auslassung  der 
Worte  xal  fi  Sedg  dindtei  Tobg  . .  hniotQ&qtowag  überein  und 
setzen  dafür  (et)  sicut  ipse  fecit,  ein  Zusammentreffen,  das 
gegen  die  Originalität  des  Constitutionentextes  mal  jj  &edg  «Je- 
no%et  spricht;  und  im  Vorhergehenden  weist  caute  ac  cum 
multa  diligentia,  zusammengehalten  mit  per  multam  doctrinam 
auf  eine  vom  Constitutor  vorgenommene  Kürzung  des  ursprüng- 
lichen Textes;  vielleicht  ist,  entsprechend  der  syrischen  Fassung, 
ad  conparationem  causae  asyndetisch  mit  per  multam  doctri- 
nam zu  verbinden  und  jenes  gleich  caute  etwa  für  ein  grie- 
chisches 7iQOvot]Tixfog  gesetzt  zu  denken.  Den  übrigen  Tbeil 
der  zwei  Seiten  nimmt  die  Bibelstelle  über  Manasses  (Reg.  IV, 
21,  1  ff .  und  Paral.  II,  33,  1  ff.)  ein,  deren  Text  natürlich  weniger 
Abweichungen  zeigt.  Jedoch  fehlen  z.  B.  VI,  23  wie  im  Syri- 
schen die  Worte  der  AC.  43,  7  fg.  bottjos  Mavaaaijg  ^vaiaorif 
oia  und  VII,  4  (AC.  43,  13  fg.)  xal  9eoa<pdn.  Die  Lesart  VI,  32 
seruiit  altaribus  stand  auch  in  der  Vorlage  des  Syrers  (aber 
in  AC.  43,  8  edovl&vos  tjj  B&al).  Hingegen  wird  das  im  Syri- 
schen fehlende  Sätzchen  VI,  26  et  eregit  altarem  Bahal  durch 
die  AC.  43,  2  xal  dve<TTf]<re  övtxiaoTrjQLOv  rfj  Baal  bezeugt  und 
VI,  28  fg.  et  adorauit  omnem  uirtutem  caeli,  das  nach  Lagarde 
weder  im  Syrischen  noch  in  den  AC.  gestanden  ist,  für  diese 
durch  die  Worte  seines  besten  Codex  w  xal  nooa&xivrfie  fuxarj 
Tjj  dwApet,  roti  oioavov  bestätigt. 

Um  auch  noch  von  den  anderen  Seiten  Beispiele  fiir  die 
Uebereinstimmung  der  beiden  Uebersetzungen  beizubringen, 
führe  ich,  von  Unwesentlichem  absehend,  noch  als  gemeinsame 
Auslassungen  und  Zusätze  gegen  den  Text  der  AC.  an: 

I,  1  fehlen  vor  si  autem  die  Worte  der  AC.  p.  11,  22  fg. 
%al  pi)  bis  vxavddXy,  11  (AC.  p.  12,  3 — 5)  'Eplvtjaa  bis  mal  b 
Üttois,  35  (p.  12,  16—18)  irtel7t€Q  —  iwßo^ui  II,  3  (p.  12,  21) 
noXla  yäo  %ä  dUrva  zoti  rtOYijQoC;  III,  19  (p.  14,  7)  mal  nah*, 
im  Latein  ist  aber  der  Uebergang  durch  De  uerbis  enim  tui$ 
ait  passend  in  engerem  Anschluss  an  den  Bibelspruch  (Matth. 
12,  37)  vermittelt.  Eine  kleine  Erweiterung  zeigt  IQ,  6 fg. 
Pastor ,  qui  constituitur  in  uisitatione  praesbyterii  gegenüber 
tdv  not[iha  %öv  %ad-ia%&pLevov  iitlo%onov  der  AC.  13,  21;  dass 
der  Originaltext  nicht  diese  kürzere  Fassung  aufwies,  zeigt 
der  Zusatz  %al  itowtov  iv  7tQeaßvrr^i<p ,  den   nach  Lagarde's 


Eine  lateinische  Palimpsestübersetsong  der  Didatcalia  apottolorum.  49 

AA.  58,  Anm.  2  das  Syrische  voraussetzt.  Ebenso  III,  21  ad 
omnia  eruditus  Ttenaidsv^ivog  %al  didioxalog  (AA.  58,  Anm.  6); 
AC.  14,  9  blos  Jtsjtaidevfieyog.  —  Nach  VIII,  2  fehlt  ferner  die 
lange  Partie  .AC.  87,  1 — 88,  8;  auch  das  Weitere  stimmt,  von 
Kleinigkeiten  abgesehen,  in  den  mannigfachsten  Auslassungen 
und  Zusätzen  mit  dem  syrischen  Didascaliatexte  überein.  —  In 
IX,  21  ist  die  gemeinsame  Verkürzung  der  Bibelstelle  Matth.  12, 
30  um  die  erste  Hälfte  (AC.  89,  23)  bemerkenswerth.  —  IX,  31 
sind  die  Worte  (AC.  90,  4)  äXX'  htdaryg  fj^iQag  bis  (Z.  11)  dva- 
orrjoccviL  ausgelassen ;  von  dem  stellvertretenden  Passus  in  beiden 
Uebersetzungen  findet  sich  in  den  AC.  nur  rfj  xvQiaxfj  orzov- 
daiorigcog  äftavTäxa  wieder.  Sehr  bezeichnend  ist  ferner  die 
Seite  X,  welche  dem  in  den  AC.  sehr  überarbeiteten  7.  Capitel 
des  V.  Buches  nur  inhaltlich  entspricht,  dagegen  wörtlich  mit 
dem  syrischen  Texte  (AA.  167  und  168  in  den  Anmerkungen) 
übereinstimmt.  Der  Zusatz  Z.  25 — 27  in  der  lateinischen  Ueber- 
setzung  steigert  passend  den  Gedanken  und  dürfte  in  der  sy- 
rischen nur  durch  Homoioteleuton  ausgefallen  sein.  Endlich 
fehlen  in  dieser  ebenso  wie  auf  unseren  Seiten  XI  und  XII 
folgende  Zusätze  des  Ueberarbeiters:  AC.  163,  9  Ifywv  — 
11  nvevfia  üyiov,  daselbst  18  Sri  —  19  xräa&oa,  20  iv  rfj 
TtlüiEi  —  164,  4  &v  ElqrpuxrB^  daselbst  8  obvoi  —  9  tfjg  dgxfjg, 
10  Mqiov  —  165,  3  slg  rijv  'ItccMccv,  165,  6  elg  tö  &€cctqov  — 
8  i7trjyyell6TO ,  daselbst  8  n&rtiav  di  —  166,  4  i§ai<nov}  12 
Syvüxnov  —  15  adzoyivsd'Xov,  16  xgiacv  jui)  elvav  —  20  al&vag 
dTtsiQOvg,    167,  7  maxsveiv  —  12  vlol  dqyfjg,   13  vfjg  siaeßeUxg 

—  168,  20  hei  roti  Öpov,   daselbst  23  dvrl  yäq  %ov  rtgodörov 

—  25  X&ßoi  ersQog.  Texterweiterungen  und  Uebergänge  sind 
auch  hier  in  allem  Wesentlichen  gleich;  vgl.  XI,  28 — 31  mit 
AA.  197,  Anm.  3—6;  XII,  6—8  und  AA.  198,  Anm.  5;  XII, 
13—15  mit  AA.  198,  Anm.  6;  XII,  19  fg.  und  AA.  199,  Anm.  2; 
XII,  21  und  35  die  Hervorhebung  des  katholischen  Momentes 
wie  AA.  199,  Anm.  4  und  200,  Anm.  2.  Ebenso  findet  sich 
die  Umstellung  von  vd^iif  %ai  nqoqyfjfcaig  pij  %(xxo&ai  (AA.  198, 
17;  AC.  166,  15)  vor  %bv  (itavto*Q(hoQa)  &sdv  ßhxaqnjtisTv,  wie 
sie  die  lateinische  Uebersetzung  in  XII,  4  fg.  bietet,  in  der 
anderen  wieder. 

Aus   diesen   Beispielen  ergibt    sich,   dass   die    lateinische 
Uebersetzung  uns  ein  sehr  wichtiges  Hilfsmittel  zur  Kenntniss 

Sitsnngsber.  d.  phil.-hiat.  Cl.  CXXXIV.  Bd.  11.  Abh.  4 


50  XI.  Abhandlung:    Hau l er. 

des  griechischen  Textes  der  Didascalia  bietet,  das  um  so  höher 
zu  schätzen  ist,  als  einerseits  diese  beiden  Sprachen  einander 
weit  näher  stehen  als  Griechisch  und  Syrisch  und  der  La- 
teiner weit  seltener  paraphrasiert  und  erweitert.  Seine  Ueber- 
einstimmnng  mit  dem  Syrer  in  Zusätzen  oder  Auslassungen 
gegenüber  dem  Texte  der  AC.  weist  notwendigerweise  auf 
Abweichungen  der  griechischen  Didascalia  von  diesen.  Dies 
gilt  auch  von  Lesarten;  so  III,  12 fg.  iuuentas  (iuuentu(ti)8f) 
luxuriös  et  diabolica  uitia  %äq  vswvtQutäg  äraüTQOfpäg  mal  rdg 
ircidvfiiag  roü  1%&qov  (dagegen  AC.  14,  2  t.  v.  im&v/ilaQ  xai 
rag  e^io&ey,  diaßoldg).  Nicht  selten  werden  sich  auch  für  den 
Text  der  AC.  Varianten  verwerthen  lassen:  III,  10  uirum  äv- 
&QW7tov  (AC.  14,  1  dv&QWTZwv)',  III,  22  notitiam  Habens  uerbi 
diuini  efinstQog  tov  löyov  (so  auch  cod.  y  und  die  ed.  princ. 
zu  AC.  14,  10,  wo  i.  t&v  Xöywv  im  Texte  steht). 

Beim  Auseinandergehen  beider  Uebersetzungen  wird  die 
Uebereinstimmung  des  griechischen  Wortlautes  der  AC.  mit 
einer  der  Fassungen  sehr  wichtig  sein. 

So  werden  folgende  Zusätze,  welche  der  lateinische 
Text  gegenüber  dem  syrischen  (nach  Lagarde)  aufweist,  weil 
sie  in  dem  griechischen  Texte  der  AC.  ihre  Bestätigung  finden, 
ohne  Zweifel  die  Originalfassung  geben:  I,  4  und  IV,  13 
iterum  n&Xw  (AC.  p.  11,  27  und  15,  1;  im  Syrischen  aus- 
gelassen nach  AA.  56,  2  und  59,  6);  I,  8  ff.  Diecamus  igüur 
—  8cm  uerbum.  Dicit  autem  ita:  ,Sicut  inaures  —  mulier 
malefica1  uadwpev  oiv  —  6  &eio$  kfyog  (pdaxcov  "Qotieq  irü- 
%tO¥  —  ywi)  xaxo7toiög  (AC.  12,  2  fg.,  5—8;  dagegen  AA.  56, 
6  fg.,  9  fg.);1  II,  lfg.  (mulier)ibu8  u{t)que  aecum*  xadxog  ngirtsi 
ywaüz'tv  (AC.  12,  19;  AA.  56,  21);  12  fg.  cum  disciplina  et 
cum  reuerentia,  cum  mensura  la(u)are  eÜT&xiwg  perä  aldovg 
fU^€tQj]iJv(og  Xovio&o)  (AC.  12,  25 fg.;  AA.  57,  2);  15 fg.  sed 
[et],  ei  poteet  fieri,  nee  per  (ein)gulo8  dies  älV  el  dvyatöv 
firjdi  xa&y  fj^iiqav  AC.  13,  1;  AA.  57,  4);  23  fidelis  aut  m- 
ütöq  i)  AC.  13,  6,  aber  AA.  57,  9  Uiziaxog  i?  als  im  Syrischen 
fehlend  bezeichnet:  IV,  8   similiter  öfioitog  (AC.  14,  23;  AA. 

1  Vielleicht  auch  I,  35  \o)rnat{u8  enim  nihil  in  U  ege£)  oif6iv  y&Q  iv  ao\,  8 

xexs^attoi  ötirai  (AA.  56,  18;  AC.  12,  16  fg.). 
1  Das  Fehlen    im    Syrischen  bestätigt  die    Uebersetzung   der  Professoren 

t.  Funk  und  Socin. 


Eine  lateinische  PalimpaettflberMteung  der  Didascalia  apotiolorum.  51 

59,  3);  IV,  28  fg.  (si  uxorem  .  .  .)  habuit  aut  (habet)  ü  yu- 
vaixa  .  .  .  exsi  Vj  ioxfai  (AC.  15,  13 fg.;  AA.  59, 19  nach  dem 
Syrischen  blos  exet);  IX,  16  penitus  %6  avvolov  (AC.  89,  18; 
AA.  125,  7). 

Andererseits  ergeben  sich  durch  die  Uebereinstimmung 
der  AC.  mit  dem  syrischen  Texte  als  in  unsere  Uebersetzung 
eingedrungene  Lemmata:  VI,  11  fg.  De  Manasse,  IX,  13  fg. 
Quoniam  expedit  numquam  deesse  ab  ecclesia  und  VI,  16  als 
Erklärung  des  Fremdwortes  Paralipamenum  die  Worte  quod 
est  praetermismrum.  Dagegen  werden  unter  Anderem  als  Zu- 
thaten  des  Syrers  zu  betrachten  sein:  III,  6  am  Ende  des 
I.  Buches  (AC.  13,  19)  nach  Biaqiatwg  (oder  -ovaai)  %ai  dva- 
navsa&ai  die  Schlussworte  air$  e^yotg  iya&ou;  (AA.  57, 
Anm.  8).  Gleich  darauf  zu  Beginn  des  ü.  Buches  scheint  die 
Wendung  De  episcopatu  auditote  (AA.  58,  'Anm.  1)  blos  des 
Ueberganges  halber  eingeschoben  zu  sein,  wenn  auch  AC.  13, 20 
mit  JIsqI  di  twv  im(JxÖ7tü}v . .  JjxovaafAev  Aehnliches  aufweist. 

Dies  fUhrt  uns  darauf,  dass  die  Uebereinstimmung  der 
jüngeren  AC.  mit  der  (gleichfalls  nach  einem  ohne  Zweifel 
späteren  Texte  der  Didascalia  angefertigten)  syrischen  Ueber- 
setzung nicht  allein  entscheidend  sein  kann.  Dass  das  griechi- 
sche Manuscript,  welches  dieser  zugrunde  lag,  an  Alter  der 
lateinischen  Vorlage  nachstand,  ergibt  sich  schon  daraus,  dass 
jenes  allem  nach  bereits  die  Theilung  in  26  Capitel  (vgl. 
Funk  a.  a.  O.,  S.  28)  aufwies.  Da  diese  aber  ganz  äusserlich 
und  mit  offenbarer  Zerreissung  des  inhaltlich  Zusammen- 
gehörigen durchgeführt  ist,  kann  sie  unmöglich  vom  Verfasser 
selbst  herstammen.  Die  lateinische  Uebersetzung  hingegen 
zeigt  diese  Eintheilung  noch  nicht,  ja  III,  6,  wo  das  erste 
Buch  der  Constitutionen  schliesst,  wird  der  Uebergang  zu  dem 
neuen  Stoffe  nur  durch  ein  etwas  grösseres  Spatium,  aber 
nicht  einmal  durch  den  Beginn  einer  frischen  Zeile  hervor- 
gehoben. Das  griechische  Exemplar  unserer  Didascaliaüber- 
setzung  kannte  also  weder  die  Capitel-  noch  die  Bucheintbeilung; 
dass  auch  diese  nicht  ursprunglich  ist,  zeigt  schon  das  zu 
Beginn  der  Bücher  II. — IV.  der  Lagardischen  Didascalia  und 
Constitutionen  erscheinende  de.  Der  lateinische  Archetyp  des 
Veranensis  wies  nur  an  einigen  Stellen  der  Uebersichtlichkeit 
halber  Lemmata  auf,  die  aber,  wie  VI,  11  -De  Manasse  zeigen 

4* 


52  XL  Abhandlung:    H  an  ler. 

kann,  mit  der  Buch-  oder  Capiteleintheilung  nicht  oder  nur  zu- 
fällig zusammenfielen. 

Darnach  wird  unser  Text  beim  Auseinandergehen  aller  drei 
Zeugen  die  grösste  Qlaubwürdigkeit  beanspruchen  können, 
ja  auch  bei  der  Uebereinstimmung  des  syrischen  Textes  mit 
den  AC.  werden  Abweichungen  des  lateinischen  Textes  ge- 
hörig und  gewissenhaft  geprüft  werden  müssen.  So  zunächst 
kürzere  Fassungen,  wie  IV,  11  ff.  quoniam  dicit  —  Similiter 
et  pacificus  Sri  n&Xtv  eYotjtai  —  eatu)  de  xal  slor}vo7toi6g  (AA. 
59,  5 fg.;  AC.  14,  25 fg.);  14 ff.  sit  autem  et  sine  malitia  et  int- 
quitate  et  malignitate  ycviadu)  de  xal  eiavyeidtjTog,  näatjg  xaxtag 
xal  7tovt]Qlag  xal  ddtxlag  xexa&aQfieyog  (AA.  59,  7 ff.;  AC.  15, 
2 fg.);  18  fehlt  unter  den  Eigenschaften  des  Bischofs  eüora&tjg; 
22  ist  vor  quoniam  zoG  diaßölov  ausgelassen  (AA.  59,  14; 
AC.  15,  8);  IX,  13  findet  sich  nach  ministeriutn  tuum  placeat 
nicht  der  nach  Lagarde  auch  der  syrischen  Didascalia  angehörige 
Satz  (AA.  125,  3 fg.;  CA.  89,  14r-16)  tö  d'crfrd  noultw  xal  *< 
didxovog  raig  iTtSQro^ivaig  yvvai^l  it%w%alg  ijtoi  7iXovoiaig>  ein 
wohl  späterer  Zusatz,  der  in  der  Didascalia  nicht  gestanden 
haben  wird,  weil  in  ihr  dem  Bischof  (nicht,  wie  in  den  AC, 
dem  Diakon)  die  Fürsorge  für  die  Platzanweisung  an  die  Armen 
beiderlei,  nicht  blos  männlichen  Geschlechtes  ans  Herz  gelegt 
wird.  Aber  auch  solche  Fassungen,  welche,  nach  Lagarde's  Text 
zu  urtheilen,  in  der  lateinischen  Uebersetzung  etwas  voller  er- 
scheinen, werden  nicht  leichthin  verworfen  oder  als  Erweiterung 
angesehen  werden  dürfen,  so  II,  4 — 7  nam  etsi  non  fuerit  — 
non  labetur;  19  fg.  (conuentionem^)  quae  in  tali  balneo  sit. 
VIII,  29 — 35  und  IX,  1 — 4  zeigen  eine  etwas  ausführlichere 
Darstellung  als  AA.  124,  19 ff.,  doch  sind  von  jener  zum  Theil 
noch  Reste  in  der  Umarbeitung  in  den  AC.  89,  5  ff.  zu  erkennen. 

Auch  manche  andere  Varianten,  die  der  lateinische  Text 
voraussetzt,  sind  höchst  bemerkenswerth;  so  weist  III,  2 fg. 
quae  bona  sunt  et  sine  repraehensione  quaerite  uitae  istitts 
documenta  auf  dya9&  xal  dXoidöorjra  toP  ßiov  (juk&tjfiara  statt 
auf  dXoidÖQKjroi  xoft  ßiov  dvapLslvcne '  h^r^relte  fiad^jfiara  (ymb- 
axeiv  x%k.)  AA.  57,  20  oder  &Xoid6or\xoi  %ov  ß.,  ix£.  p.  (y.  xxX.) 
AC.  13,  17.  Ferner  spricht  IX,  24  ff.  Christum  enim  caput 
habentes  .  .  .  praesentem  et  conmunicantem  uobis  gegen  die 
Lesart  im  Syrischen   (nach  Lagarde  AA.  125,  14  fg.)  Xqunöv 


Eine  lateinische  PalimpMBtnbeiMftsnng  der  Didascalia  apotlolorum.  53 

xeq>aXijv  $xovreg  .  .  .  xoivwvovvreg  fyitr,  sondern  flir  die  von  dem 
Genannten  nicht  aufgenommene  Lesart  der  AC.  89,  26  fg.  Xq. 
xeq>.  ü%.  .  .  .  avvdvza  aal  xoivwvovvra  (cod.  yz,  ed.  princ.  und 
Pitra)  ifuv.  Endlich  ergibt  XI,  20  ff.  eine  andere  Construction, 
als  der  Text  der  Didascalia  nach  Lagarde  gehabt  haben  soll: 
elra  mal  $v€qoi  Tiäfav  i%  twv  itSQi  SifMovog  faolotöow  ifiol 
nhQ(p  duxGTQ&puv  xdv  löyov  (AA.  197,  Anm.  1). 

Wahrscheinlich  wird  auch  in  manchen  dieser  und  an- 
derer Fälle  der  genaue  Text  der  syrischen  Uebersetzung  oder 
der  AC.  die  lateinische  Fassung,  welche  nach  Lagarde  isoliert 
scheint,  unterstützen,  wie  dies  z.  B.  für  die  Worte  XI,  12  ff.  (cum 
autem)  diuidissemus  inter  nos  duodecim  uncias  saeculi  gilt, 
die  unser  Text  vor  et  exiuimus  ad  gentes  (AC.  164,  4)  hinzu- 
fügt, geradeso  wie  dies  Funk  a.  a.  O.  S.  70  für  die  syrische 
Didascalia  bezeugt. 

Die  Behandlung  des  Textes  und  die  Würdigung  seines 
paläographischen,  sprachlichen  und  kritischen  Werthes  hat  uns 
vielleicht  schon  zu  weit  geführt.  Doch  wir  können  nicht 
schliessen,  ohne  auch  der  kirchengeschichtlichen  Wichtig- 
keit des  Fundes  wenigstens  kurz  Erwähnung  zu  thun.  Man 
nahm  bisher  allgemein  an,  dass  nicht  nur  unsere  Grundschrift, 
sondern  auch  die  jüngeren,  verbreiteteren  AC.  bis  ins  XVI.  Jahr- 
hundert, als  diese  zuerst  der  Venetianer  Capellius  1546  frag- 
mentarisch in  lateinischer  Uebersetzung,  dann  1563,  gegen 
Schluss  des  Concils  von  Trient,  Turrianus  vollständig  griechisch, 
Bovius  lateinisch  veröffentlichte,  der  abendländischen  Kirche 
unbekannt  und  fremd  geblieben  seien.  Dass  diese  Ansicht 
auch  bezüglich  der  Didascalia  unhaltbar  ist,  zeigt  unser  Palim- 
psest  am  besten.  Er  gesellt  sich  als  das  dem  Umfang  nach 
grösste  Stück  zu  dem  in  den  letzten  Jahren  von  O.  v.  Gebhardt 
und  Funk1  ausgegrabenen  kleinen  latein.  Bruchstücke  der 
Didache  (Doctrina  apostolorum,  der  Grundschrift  des  VII. 
Buches  der  AC),  das  seinerzeit  Bernhard  Pez  im  IV.  Bande 
seines   Thesaurus   anecdotorum  nouissimus  aus   einem   Melker 


1  Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur, 
herausgegeben  von  Oscar  v.  Gebhardt  und  Adolf  Harnack,  Leipzig 
1886,  II,  275 ff.  Doctrina  duodecim  apostolorum,  ed.  F.  X.  Funk,  1887, 
8.  102 — 104,  wo  das  Bruchstück  nach  dem  Melker  Codex  neu  heraus- 
gegeben ist. 


54  XI-  Abb.:    H an ler.    Eins  Ut.  PalimpMatfltorMtxiwg  4«r  JHdatc.  apo*. 

Codex  des  9./10.  Jahrhunderts  veröffentlicht  hatte,  und  zu  der 
von  D.  Germ.  Morin  neulich  aufgefundenen  und  publicierten 
lateinischen  Uebersetzung  des  Clemensbriefes  an  die  Korinther 
(Anecd.  Maredsol.  II,  1894). 

Haben  sich  auch  bisher  keine  directen  Spuren  einer 
Benützung  der  AC.  in  der  abendländischen  Literatur  des 
Mittelalters  auffinden  lassen ,  so  wird  es  doch  nach  der  hoffent- 
lich bald  möglichen  Entzifferung  der  übrigen  68  Palimpsest- 
seiten  eine  Aufgabe  der  Kenner  sein,  auf  Grund  des  latei- 
nischen Wortlautes  nachzuprüfen,  ob  nicht  doch  aus  dem  dann 
weit  klarer  gestellten  Texte  der  Didascalia  bisher  verkannte 
sachliche  oder  sprachliche  Anklänge  sich  nachweisen  lassen. 
Schon  nach  den  auf  S.  41  gegebenen  Bibelci taten  scheint  es 
Herrn  Prof.  v.  Funk  und  mir  glaublich,  dass  der  wohl  im  V. 
bis  VI.  Jahrhundert  lebende  Verfasser  des  opus  imperf.  in 
Matth.f  welcher  die  Didascalia  kannte  (Funk,  Die  ApostoL 
Konstit.  S.  49) ,  unsere  lateinische  Uebersetzung  benutzt  hat, 
nicht  den  griechischen  Originaltext. 


Von  allen  grösseren,  sowohl  in  den  Sitzungsberichten  als 
in  den  Denkschriften  enthaltenen  Aufsätzen  befinden  sich 
Separatabdrücke  im  Buchhandel. 


V 


DfeC-Ö*^ 


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WIEN,  1896. 


DRUCK    VON    ADOLF    HOLZHAU8EN 

K.  ÜHD  K.  HOP-  UND  DXIVKR8ITiTS  -  BÜCHDRUCKKR 


5 


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Ausgegeben  am  28.  October  1896. 


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