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SITZUNGSBERICHTE
DEE KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
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PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
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CXXXIV. BAND.
JAHRGANG 1895.
WIEN, 1896.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD'S SOHN
BUCOBlVDUK DIR IA18. AKADEMIE DK» WISSENSCHAFT«.
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j4/vcut-. ~xr*
SITZUNGSBERICHTE
DJ»
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DES KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
HUNDERTVIERUNDDREISSI6STER BAND.
WIEN, 1896.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD'S SOHN
BUCHHiNDLKR DER MAIS. AKADEMIE DIB WISSENSCHAFTEN
Druck Ton Adolf Holzhausrn,
k. um] k. n«>r* und UoiT«raittU>Boohdn»ok«r in Wien.
s
^
INHALT.
I. Abhandlung. Fr. Müller: Das Personal - Pronomen der altaischen
Sprachen.
II. Abhandlang. Gomperz: Beitrage zur Kritik nnd Erklärung grie-
chischer Schriftsteller. V.
III. Abhandlung. Kühne rt: Ueber den Rhythmus im Chinesischen.
IT. Abhandlang. Fr. Müller: Die armenischen Handschriften des Klo-
sters von Aryni (Arghana).
Y. Abhandlang. Günther: Avellana-Studien.
Tl. Abhandlang. Hillebrand: Zur Lehre von der Hypothesenbildnng.
TU. Abhandlang. Meyer: Albanesische Studien. V. Beiträge zur Kennt-
niss der in Griechenland gesprochenen albanesischen Mundarten.
Till. Abhandlang. Oblak: Macedonische Studien. Die sla vischen Dialecte
des südlichen und nordwestlichen Macedoniens.
IX. Abhandlang. Mussafia: Zur Kritik und Interpretation romanischer
Texte.
© X. Abhandlang. Heinzel: Abhandlungen zum altdeutschen Drama.
XI. Abhandlang. Hau ler: Eine lateinische Palimpsestübersetzung der
Didascalia apostolorum.
a*
XIX. SITZUNG VOM 9. OCTOBER 1895.
Der Präsident begrüsst bei der Wiederaufnahme der
Sitzungen die anwesenden Mitglieder der Classe.
Der Präsident macht weiter Mittheilung von dem am
13. Juli erfolgten Ableben des c. M. im Auslände, Dr. Josef
Müller, Professors in Turin.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Se. Excellenz Paul Freiherr von Gautsch zeigt mit dem
h. Erlass vom 2. October 1895 die Uebernahme des Ministeriums
für Cultus und Unterricht an.
Der Secretär theilt die Dankschreiben der c. Mitglieder
im Inlande, Regierungsrath Professor Dr. Schönbach in Graz
und Professor Dr. Mitteis in Wien und der c. Mitglieder im
Auslande geheimer Justizrath Professor Dr. Brunner in Berlin,
J. de Goeje in Leyden und Maspero in Paris für die auf sie
gefallene Wahl mit.
Dr. Ludwig Hartmann dankt für die Bewilligung einer
Subvention zur Herausgabe des ,Tabularium sanctae Mariae in
Via Lata'.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Theodor
Unger, I. Adjunct am steierm. Landesarchive in Graz: ,Proben
VL
eines deutschen Wörterbuches der österreichisch - bairischen
Mundart' vor, deren Verfasser um Bewilligung einer Subvention
zur Drucklegung des Werkes ersucht.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
tibergeben.
Der Secretär tiberreicht weiter eine Abhandlung des Herrn
Dr. Heinrich Kretschmayr in Wien: ,Ludovico Gritti. Eine
Monographie', um deren Aufnahme in die Schriften der kais.
Akademie der Verfasser ersucht.
Dieselbe wird der historischen Commission überwiesen.
Das w. M. Herr Professor Dr. Friedrich Müller legt
eine flir die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung : ,Die arme-
nischen Handschriften des Klosters Arghana' vor.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Theodor Gomperz übergibt
eine flir die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Beiträge
zur Kritik und Erklärung griechischer Schriftsteller V.
XX. SITZUNG VOM 16. OCTOBER 1895.
Der Präsident überreicht ein ihm von der Botschaft der
französischen Republik tibersendetes Exemplar des ,Recueil des
Instructions donnees aux ambassadeurs et ministres de France.
T. XIII. Danemark'.
Weiter werden folgende Druckwerke vorgelegt:
,Mittheilungen des k. k. Finanzministeriums', I. Jahrg.,
1. und 2. Heft, tibersendet vom k. k. Finanzministerium;
,Staats -Voranschlag für das Jahr 1895, IX. Ministerium
flir Cultus und Unterricht' und ,Finanzgesetz für das Jahr 1895',
übersendet von Sr. Excellenz dem Herrn Curator-Stellvertreter;
VII
,Bericht über den Handel, die Industrie und die Verkehrs-
verhältnisse in Niederösterreich während des Jahres 1894', über-
mittelt von der Handels- und Gewerbekammer in Wien;
,Archiv Öesk^', XIV. Bd., übersendet vom Landesausschuss
des Königreiches Böhmen ;
,Grundsätze für die Reform unseres staatlichen Lebens'
von Eduard Hammer.
Das w. M. Herr Dr. Otto Benndorf erstattet einen Be-
richt im Namen der Commission, welche die Widmung seiner
Durchlaucht des regierenden Fürsten Johann von und zu
Liechtenstein für archäologische Erforschung Kleinasiens ver-
waltet.
XXL SITZUNG VOM 23. OCTOBER 1895.
Herr Geheimer Rath Professor Ernst Curtius in Berlin
spricht flir die Wahl zum Ehrenmitgliede der phil.-hist. Classe
im Auslande seinen Dank aus.
Folgende Druckschriften werden vorgelegt:
,General Anton Josef Freiherr von Brentano' von Friedrich
Freiherrn von Brentano;
,Oesterreichische Reichsgeschichte' von Dr. A. Luschin
v. Ebengreuth. I. Theil, 2. Hälfte.
Das w. M. Herr Hofrath Siegel legt Namens der Weis-
thtimer-Commission vor: ,Ocsterreichische Weisthümer, VIII. Bd.,
Niederösterreichische Weisthümer', herausgegeben von Gustav
Winter. II. Theil.
VIII
XXII. SITZUNG VOM 6. NOVEMBER 1895.
Das von der kais. Akademie subventionierte Werk: ,Abü
Firäs, ein arabischer Dichter und Held' von Dr. Rudolf Dvofdk
wird vorgelegt.
Der Secretär überreicht eine Arbeit des Herrn Dr. Wilhelm
Erben, Conservator am k. und k. Heeres-Museum : , Quellen zur
Geschichte des Stiftes und der Herrschaft Mattsee', um deren
Aufnahme in die Fontes der Verfasser ersucht.
Die Abhandlung geht an die historische Commission.
Das w. M. Herr Professor Dr. Friedrich Müller über-
gibt eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Das
Personal-Pronomen der altaischen Sprachen'.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Wilhelm R. v. Harte 1
macht eine Mittheilung über eine lateinische Uebersetzung der
Didascalia apostolorum, die Privatdocent Dr. Edmund Hauler
in dem palimpsestischen Veronensis LV (53) theilweise ent-
ziffert hat.
XXIII. SITZUNG VOM 13. NOVEMBER 1895.
Der Secretär legt folgende eingesendete Druckschriften vor:
,Die Leibniz-Handschriftcn der königl. öffentlichen Biblio-
thek in Hannover', beschrieben von Dr. E. Bodemann;
,Die canonis tischen Handschriften der kais. öffentlichen
Bibliothek in St. Petersburg', von Dr. A. Halban-Blumenstok;
,Topographic der Bukowina zur Zeit ihrer Erwerbung
durch Oesterreich (1774 — 1785)' von Dr. D. Werenka.
IX
Das w. M. Herr Regierungsrath Dr. Fr. Kenner legt
vor: ^Bibliographie gönörale des inventaires imprimte' par F.
de Mely et Edmund Bishop. 2 T.
Die Kirchen väter-Comraission legt vor: ,Corpus scriptorum
ecclesiasticornm latinorum. Vol. XXVIII (Sect. III, Pars 3).
S. Aurelii Augustini Quaestionum in heptateuchum libri VII,
Adnotationum in Job liber unus' ex rec. J. Zycha.
XXIV. SITZUNG VOM 20. NOVEMBER 1895.
Es werden folgende Druckschriften vorgelegt:
, Festschrift zur 100jährigen Geburtstagsfeier fllr Paul
Josef Safafik' (mit einer Bronzemedaille) , übersendet von der
böhmischen Kaiser Franz Josefs- Akademie in Prag;
Hugo Schuchardt: ;Sind unsere Personennamen über-
setzbar?';
Th. Gomperz: ,Griechische Denker. Eine Geschichte
der antiken Philosophie', 4. und 5. Lieferung; gespendet von
den Verfassern.
,Mittheilungen des k. und k. Kriegs- Archivs', N. F. IX. Bd.,
eingesendet von der Direction desselben.
Die Kirchenväter-Commission legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandlung von Otto Günther In Berlin:
,Avellana-Studien' vor.
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XI
XXVII. SITZUNG VOM 18. DECEMBER 1895.
Der Secretär verliest eine Mittheilung der Fürst Liechten-
stein'schen Hofkanzlei ddo. 11. December 1895, Z. 11603,
dass Se. Durchlaucht die Fortsetzung der im Jahre 1890 zur
Förderung der archäologischen Durchforschung Kleinasiens ge-
machten Widmung nach Ablauf der ersten sechs Jahre auf
weitere drei Jahre, d. i. pro 1896, 1897 und 1898 mit dem
Jahresbetrage von 5000 fl. ö. W. zu bewilligen und der kais.
Akademie zur Verfügung zu stellen geruht haben.
Der Secretär legt folgende Druckschriften vor:
,Mittheilungen des k. k. Finanzministeriums', 1. Jahrg.,
3. Heft;
,Arabica' par le Comte de Landberg, Nr. III.
Der Secretär legt im Auftrage des w. M. Herrn Hofrathes
Mussafia eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung
desselben: ,Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte' vor.
Das w. M. Herr Hofrath v. Hartel überreicht Namens
der Kirchen väter -Commission: ,Corpus scriptorum ecclesiasti-
corum latinorum. Vol. XXXV. Epistulae imperatorum ponti-
ficum aliorum, ex rec. Ottonis Guenther. P. 1/
XII
I. SITZUNG VOM 8. JANNER 1896.
Die ^Geographische Gesellschaft in Lissabon* ladet aur
Theilnahme an der am 8. Juli 1897 stattfindenden Feier der
vor vier Jahrhunderten unternommenen Expedition des Vasco
de Gama ein.
Das Curatorium der Schwestern Fröhlich* Stiftung zur
Unterstützung bedürftiger und hervorragender schaffender Ta-
lente auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft
übersendet die Kundmachung über die im Jahre 1896 statt-
findende Verleihung der Stipendien und Pensionen der be-
zeichneten Stiftung.
Der Secretär legt ,Studien - Stiftungen im Königreiche
Böhmen* HL Bd. (1755—1800), übersendet im Auftrage Sr.
Excellenz des Herrn Statthalters des Königreiches Böhmen, vor.
IL SITZUNG VOM 15. JÄNNER 1896.
Das w. M. Herr Hofrath W. v. Hartel überreicht das
Manuscript des IX. Bandes der ,Tabulae codicum manuscrip-
torum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina
Vindobonensi asservatorum*.
XIII
III. SITZUNG VOM 22. JÄNNER 1896.
Es werden folgende Druckschriften vorgelegt:
,Oesterreichischer Erbfolgekrieg 1740 — 1748', bearbeitet
in der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des k. und k. Kriegs-
archivs, I. Bd., 1. und 2. Theil, übersendet von der Direction
des k. und k. Kriegsarchivs;
,A Collection of Prakrit and Sanskrit Inscriptions', ge-
spendet von Sr. Hoheit Raol Shri Takhtsingji, Maharaja von
Bhavnagar;
, Archäologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich-
Ungarn', herausgegeben von 0. Benndorf und E. Bormann.
Die Kirchenväter-Commission legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandlung des Herrn Professor Dr. Ed-
mund Hauler vor: ,Eine lateinische Palimpsestübersetzung der
Didascalia apostolorum'.
Das w. M. Herr Professor Dr. Heinzel überreicht eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Arbeit: , Abhandlungen zum
altdeutschen Drama'.
I. Abb.: Fr. Müller. Das Porsonal-Pronomon der altaischen Sprachen. 1
I.
Das Personal-Pronomen der altaischen Sprachen.
Von
Dr. Friedrich Mütter,
Professor an der Wiener Universität.
Die vorliegende kleine Abhandlung bringt eine verglei-
chende Analyse des Personal-Pronomens der altaischen Sprachen,
wobei, wie ich glaube, zum ersten Male der Versuch gemacht
wird, der Bildung dieses bei der Sprachvergleichung den Aus-
schlag gebenden Redetheiles auf den Grund zu kommen. Sie
soll eine Ergänzung meines ,Grundriss der Sprachwissenschaft'
II, 2, S. 214 und 274 (1882)' bilden.
Man wird, wie ich hoffe, aus meiner Darstellung er-
sehen, dass das Pronomen der ersten und zweiten Person
der altaischen und uralischen (ugro-finnischen) Sprachen mit
den consonantischen Elementen desselben Redetheiles der indo-
germanischen Sprachen, nämlich m, t sich deckt, dass aber
die Ausgestaltung des Pronomens auf den beiden Gebieten
eine radicale Verschiedenheit zeigt, so dass die Sprach-
vergleichung über diese beiden Elemente, nämlich w, t nicht
hinausgehen darf.
Die Uebersicht des Pronomens der ersten und zweiten
Person der altaischen Sprachen lautet wie folgt:1
I. Person.
Singular Plural
Nom. Oblique Cas. Nom. Oblique Cas.
Mandzu bi min- be, muse men-, muse-
Tungus. 6t min- bil mün-
1 Vgl. meinen ,Grundriss der Sprachwissenschaft' 11,2, S.274, und J.Grunzel,
»Entwurf einer vergleichenden Grammatik der altaischen Sprachen',
Leipzig 1S95. 8°. S. 66.
Sifcnngsber. d. pbil -bist. Cl. CXXX1V. Bd. 1. Abb.. 1
I. Abhandlung: Fr. M Aller.
Mongol.
bi
min
-, nam-
bide
man-, biden
Burjät.
bi
min
-, nam-
bide
man-
Jakut.
min
min
b isigi
bisigi-
Türkisch
ben
ben-
II. Penon.
biz
biz-
S
ingular
Plural
Nom.
Oblique Cas.
Nom.
Oblique Cas.
Mandzu
8%
sin-
sue
suen-
Tungus.
$in-
M.
Hin-
Mongol.
tii
Uima-
ta
tan-
Burjät.
H
&ama-
ta
tan-
Jakut.
an
än-
äsigi
isigi
äsigi-
isigi-
Türkisch
sen
sen-
siz
siz-
Innerhalb der ersten Person decken sich Mandzu- Tungus. -
Mongol. -Burjät. bi vollständig; dagegen schliesst sich Jakut.
min an den Stamm der obliquen Casus dieser Sprachen min-
vollkommen an. Wie die osttürkischen Dialekte und die Suffixe
des Verbums zeigen (^,*, ^»X-U-L«, l£*U, ^j^U, sjJU und fjy^y
f^Sl> für £x*jy*, c^V*^)» *st ^as wes*tür^scbe ben aus m#n,
min hervorgegangen. Und min selbst dürfte auf mi-na zurück-
zuführen sein.
Der Plural unterscheidet sich vom Singular sowohl im
Nominativ als auch im Stamm der obliquen Casus lediglich
durch die Vocal-Variation, so Mandzu: Singul. bi, min-, Plural
be, men-y Tungus.: Singul. bi} min-, Plural bil, miln-, Mongol.-
Burjät.: Singular bi, min-, Plural man-. Der auffallende Stamm
der obliquen Casus im Mongol. -Burjatischen nam- dürfte eine
durch den Stamm der zweiten Person Uima-, Sama- beeinflusste,
beziehungsweise entstandene Neubildung sein.1
1 Die Declination de« Pronomens der ersten Person Singul. im Mongoli-
schen setzt sich aus folgenden Stämmen, beziehungsweise Formen zu-
sammen: Nom. bi, Genit. wun-w, Accus, nama-ji, Dat.-Locat. na-dury na -da
(r= nam-dur, nam-da). Das -da in nada ist das mandä. -de (Dat.), türki-
sche -da, -de (Local); es kommt im Mongolischen noch manchmal, z. B.
in söni-de »Nachts*, tuun-da-ki ,im Wasser befindlich' vor. In den
übrigen Casus ist der Dativ-Local nada als Stamm zu Grunde gelegt;
man sagt daher Instram. nada her. Social nada higa, Ablat. nada et#e.
Dos PerbODal-lJrououten der altaiacken Sprachen. 3
Innerhalb der zweiten Person zeigen Mand2u: SinguL si9
«m-, Plural sue9 suen-, Tungus.: SinguL $i, Sin-, Plural iü, 8ün-
dieselbe Vocal-Variation der beiden Zahlen, welche wir
oben innerhalb der ersten Person beobachtet haben. Dagegen
bieten Mongol.-Burjätisch zwei äusserlich verschiedene Stämme,
nämlich Mongol. : SinguL tSi, tSima-, Plural ta9 tan-, Burjät.:
SinguL H9 sama-, Plural ta9 tan-. Wir werden aber weiter
unten sehen, dass t$i, H und ta miteinander zusammenhängen,
und dass dann zwischen ttima- und tan- dieselbe Vocal-Variation
wie innerhalb der Reihen des Mandäu-Tungusischen herrscht.
Kehren wir nun wieder zum Pronomen der ersten Per-
son zurück und wenden wir unsere Betrachtungen denjenigen
Formen zu, welche wir oben vorderhand bei Seite gelassen
haben, nämlich Mandzu muse9 Mongol. bide, biden*, Tlirk. biz9
Jakut. bisigi. Wie kommt vor allem Anderen die Sprache dazu,
neben be eine Form muse zu bilden und die Formen bide,
bidtn-9 biz9 bisigi9 welche von den regelmässig gebildeten Formen
des Mandäu-Tungusischetf ganz abweichen, einzuführen?
Am deutlichsten von diesen Formen ist unstreitig Mand£.
mute ,wir' (inclusiv),1 welche in mu + #e sich zerlegt. Das
Element se kann nichts Anderes sein als sue9 der Plural der
zweiten Pcrsonr. Auf dieselbe Weise muss auch Mong.-Burjät.
bide gebildet sein, welches mithin in bi -f de zu zerlegen ist,
worin de mit taf dem Plural der zweiten Person identisch sein
muss. Ist aber bi in bide nichts Anderes als bi9 der Nom. Sing.
der ersten Person, dann kann auch mu in muse nur den obli-
quen Stamm des Singulars der ersten Person min- repräsentiren.
Doch könnten sowohl Mandi. muse, als auch Mongol. bide
auch anders erklärt werden, indem man -se9 -de (= -te) als
Pluralsuftixe deutet. Im Mandzu kommen -sa, -se, -ta, -te als
Zeichen des Plurals vor, z. B. sabi-sa ,Schüler', mori-sa ,Pferdo',
agu-se ,Herren', merge-se , Weise, Meister'; ama-ta , Väter', sefu-
ia , Lehrer', da-ta , Fürsten', eme-te , Mütter', deo-te Jüngere
Brüder'. Das Mongolische besitzt das Pluralzeichen -de in den
Pronominen e-ne9 te-re, welche im Plural e-de, ede-ger, te-de9
tede-ger lauten. Sonst erscheint das Pluralzeichen -de beim
1 musei ama ist ,unser (aller) Vater* (der Kaiser), dagegen meni ama tuuser
(leiblicher) Vater*.
4 I. AbfcMriluf : Fr. Mtller.
Nomen als -d (z. B. mori-d , Pferde', noja-d , Fürsten') wie
auch das Mand2. -say -se uns hier blos als -s (z. B. ere-8,
,Männer', eme-* , Weiber*) entgegentritt.
Angesichts der Bedeutung des Mand2. muse ziehen wir
es jedoch vor, an der ersten Erklärung festzuhalten und Mong.
blde davon nicht zu trennen.
Darnach bedeuten muse = min -}- sue, bide = bi -\- ta
so viel wie ,ieh + ihr', d. h. ropräsentiren den inclusiven
Plural, zum Unterschiede von be, bü7 obliqu. Cas. »wen-, mün-,
man-, welche den exclusivcn Plural repräsentiren müssen.
Mit dem Mongol.-Burjät. bide ist das Jakut. bisigi identisch,
das in bisi-gi zerlegt werden muss. Das jakut. « ist hier aus
d, beziehungsweise t (ta) hervorgegangen * ähnlich wie in den
Possessiv-Suffixen 3. Pers. Sing, -ta = türkisch ^y**, 1. Pers. Plural
-büt = türkisch j-«.1 — Türkisch biz ist mit jakut. bisi iden-
tisch. Lässt man diese Erklärung gelten, dann kann das Pro-
nomen der zweiten Person Plural äsigi, isigi, siz nichts Anderes
als si~si = ,du + du' d. h. als ursprünglicher Dual der
zweiten Person erklärt werden.
Darnach möchte ich in Betreff des Pronomens der ersten
und zweiten Person der altaischen Sprachen die nachfolgenden
Sätze aufstellen:
1. Als Stamm der ersten Person fungirt mi, welches selb-
ständig (im Nominativ) in bi überging und in den obliquen
Casus zu mi-na- (min-) erweitert wurde.
2. Als Stamm der zweiten Person fungirt ta, das conform
mit dem Stamme der ersten Person selbständig (im Nominativ)
zu ti (das wieder zu tsi, H, si sich weiter entwickelte) wurde,
und in den obliquen Casus als tSima-, Sama-, sin-, sin- auftrat.
3. Der Plural wurde ursprünglich vom Singular durch
die Vocal-Variation,8 nämlich die Verwendung des stärkeren
1 Man könnte auch jakut. bisigi, tiirk. biz und dann auch jakut äsigi, isigi,
türk. siz mit Böhtlingk (Sprache der Jakuten, S. 168) aus bi \- si ,ich
+ du', si + si ,du + du* erklären, wobei die Function der Form (Dual)
dieselbe bleibt. Ich ziehe es jedoch vor, die jakut-türkischen Formen
der ersten Person Plural an das mongolische bide anzuschlieasen und
in äsigi, isigi, siz eine an das nicht mehr verstandene bisigi, biz sich an-
lehnende Neubildung zu vermuthen.
8 Dieser Process wird in diesen Sprachen auch zur Bezeichnung des Ge-
schlochtes angewendet, wobei der Vocal a das stärkere oder grossere
Bas Porsoual-Prynomen der altaisohen Sprachen.
Vocals e, u, a im Plural, gegenüber dem schwächeren Vocal i
im Singular abgeleitet.
4. Später bildete sich in den einzelnen Sprachen (Mandzu,
Mongolisch, Türkisch) einerseits ein inclusiver Plural (,ich +
ihr'), andererseits ein Dual (,du + du'), der theils neben dem
gewöhnlichen (exclusiven) Plural stehen blieb (Mandzu), theils
ihn verdrängte (Mongolisch, Türkisch).
Darnach wäre die im Anfange der Abharidlung gegebene
Uebersicht des Pronomens folgendermassen zu corrigiren:
I. Person.
Sin
gular
Excl.
, Plur.
Incl.
Plur.
Nom.
Obl. C«s.
Nom.
Obl. Cas.
Noin.
Obl. Cas.
Mandzu
u
min-
be
men-
muse
mu8e-
Tungus.
u
min-
bü
mün-
—
—
Mongol.
u
min-
fehlt
man-
bide
biden-
Burjät.
bi
■
mxn-
fehlt
man-
bide
—
Jakut.
fehlt
min-
fehlt
—
bisigi
bisigi- l
Türkisch
fehlt
ben-
fehlt
—
biz
biz-
Dass im Jakutisch -Türkischen das fast überall auftau-
chende bi durch den Stamm des obliquen Casus (min-, ben-)
ersetzt wird, darf uns gar nicht wundern, tritt doch derselbe
Vorgang in den neupersischen Formen ^^c, y, U, U-& (ur-
sprünglich Genitivformen) deutlich zu Tage.
il. Person,
•
Sin
gular
Pli
iral
Dual
Nora.
Obl. Ca».
Nom.
Obl. Cas.
Nom. Obl. Cas.
Mandzu
8%
sin-
sue
suen-
— —
Tungus.
Mongol.
Burjät.
u
tfi
H
Sin-
tHma-
Sama-
Sü
ta
ta
Sün-
tan-
tan-
— —
Jakut.
Türkisch
fehlt
fehlt
än-
sen-
fehlt
fehlt
fehlt
fehlt
äsigi-
isigi-
— siz-
(männliche), der Vocal e das schwächere oder kleinere (weibliche) In-
dividuum ausdrückt, z. B. maudi. ama , Vater', eine ,Mutter' ; xaXa »Mann1»
%e%e ,Weib'. Man vergleiche ferner nioh-mjaxa }Gans(, mje^e ,Ente*.
1 Oder ursprünglicher Dual, wie weiter unten äs igt, 1*1*7»?
1. AbluudluDg: Fr. Müller.
Von grossem Interesse ist die völlige Uebereinstimmung
der uralischen (ugro-finnisehen) Sprachen mit den altaischen
in diesem Rcdethcile, sowohl was die Stämme als auch die
Entwicklung des Personal- Pronomens anlangt. Man vergleiche:1
I. Person.
Singular
Plural
Suomi
minä
me
Vcpsisch
mina
mö
Votisch
miä
mö
Estnisch
mina
me
Livisch
mina
meg
Mordvinisch
mon
min
Tsehcremiss.
min
m'ä
Lappisch
mon .
mi
Votjakisch
mon
mi
Syrjäniseh
me
mi
Permisch
me
mie
Ostjakisch
via
mehy muh
Vogulisch
am, am
man
Magyarisch
en
IL Person.
mi, mink
Singular
Plural
Suomi
tfinä
te
Vepsisch
sina
tö
Votisch
sitt
tö
Estnisch
sina
te
Livisch
sina
leg
Mordvinisch
ton
tin
Tscheremiss.
tyn, tin
tu
Lappisch
don
di
Votjakisch
ton
• ti
1 Vgl. meinen ,Grundriss der Sprachwissenschaft' II, 2, S. 214, und Nikolai
Anderson »Studien zur Vergleichung der ugrotinnischen und indoger-
manischen Sprachen*. Dorpat 1879. 8°. (Verhandlungen der gelehrten
estnischen Gesellschaft zu Dorfrat. Band IX) S. 29.
Das Porsonal-Pronomen der altaischen Sprachen.
Syrjänisch
te
ti
Permisch
tö
*W<
Ostjakisch
neu
neu
Magyarisch
te
ti} tik
Hier tritt überall ganz augenscheinlich der im altaischen
Personal-Pronomen zwischen Singular und Plural bestehende
Vocalwechsel zu Tage. Und hierin stimmen Suomi, Vep-
sisch, Votisch, Estnisch, Livisch und Tscheremissisch mit den
altaischen Sprachen ganz tiberein, insofern als sie den schwa-
chen Vocal im Singular, den starken Vocal dagegen im Plural
aufweisen, während Mordvinisch, Lappisch, Votjakisch, Syrjä-
nisch, Permisch, Ostjakisch und Magyarisch umgekehrt den
starken Vocal im Singular, den schwachen Vocal dagegen im
Plural zeigen. Der letztere Vorgang dürfte eine Umbildung
involviren.r
II. Abh.: Gomperx. Beitr. s. Kritik u. Erklärung griechischer Schriftsteller.
II.
Beiträge zur Kritik und Erklärung griechischer
Schriftsteller.
Von
Theodor Gomperz,
wirkl. Mitglied« der kais. Akademie der Wissenschaften.
V.
1. Aeschyl. frg. 360 NA Die von Bernardakis (Plut.
Mor. V 486, vgl. Nauck's Trag. dict. ind. p. X) nach der Les-
art des cod. Palat. 170 berichtigten Worte rcocioußptv BJxiqv 7cupo$
erinnern so auffällig an Heraklits fcßpiv xptj cßevvueiv (xaXXov fj
xopxaüjv (frg. 103 Byw.), dass man schwerlich an ein zufalliges
Zusammentreffen zu denken hat. Vielleicht entdecken Andere
auch sonstige heraklitische Anklänge bei Aeschylos. Ein solcher
liegt kaum vor in dem Verse: ä 8si, rcapuv fpovitCs, jjwj Kapw
i*f,; (Stob. ed. III 10 = III p. 194, 10 Wachsm. - Hense ver-
glichen mit Heraklit frg. 3 B.) , da von der mangelnden Ver-
bürgung seines äsehyleischen Ursprungs abgesehen, dem Dichter
nicht «owohl der heraklitische Ausspruch als das von diesem
angeführte Sprilchwort vorgeschwebt haben mag. Ein Nachhall
dieser sprüchwörtlichen Redensart begegnet übrigens auch in
Augustins Confessiones, VI 13: adero itaque absens etc.
2. Alexander Lycopolit. ed. A. Brinkmann p. 26, 11
ist das 2> der Ueberlieferung nicht mit Combefis in o>; sondern
in wv zu verändern. Eine Parallelstelle lässt über die Richtigkeit
dieser Verbesserung keinen Zweifel bestehen. Man vergleiche
p. 26, 11: etrs ouv 2>v eT/sv itj
p. 34, 9: xtvi TcoTS &v eT^evj &pd -ye
ttj [uyßiiari xpb$ otüTtjv 8c(a 8u-
vafxet; .... aXXa tyj araxTW
xivt^jei ;
SiUangaber. d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. *. Abh.
2 IL Abhandlung: Gomporz.
P. 28, 3 schreibe man: xat x£|j.vovxes xaOarcep (xa)xa jjipir). In
Betreff des p. 14, 9 ausgefallenen Wortes kann man wohl nur
zwischen fytepos und eraQu^a schwanken; das letztere konnte
vor exYjXOev gar leicht ausfallen.
3. In Antiphons so überaus werthvollen Bruchstücken,
die Blass im npoxpexuxo; des Jamblichos entdeckt hat, harren
noch einige Stellen ihrer Besserung. P. 97, 2 Pist. glaube ich
*2vu5v tilgen zu müssen. Wäre das Wort echt, so müsste man
als Gegensatz auch ein dvaOa erwarten. Beides ist jedoch
gleich sehr entbehrlich. Man vermisst nichts in dem Satze:
dXXa auvTpafTJvai xe auxjj 8et *at crjvau^O^vat xwv jjiev eipYC[ievov [xax&v]
xäI X6fü>v xai tqöwv, xd $' eTiciYjSsuovxa xat x«TepYa£o|ji.iVOv <^>v xcXXw
Xpcvto %<x\ bJijxsXsia.
P. 97, 21 ist die überlieferte Wortstellung xal arcelvat xpeiccov
oüio t) rcapeivai tadellos. Warum Blass (Kieler Fest-Progr. 1889,
p. 14) hier die Worte umgestellt hat (auxb xpeTrcov), ist mir
unerfindlich. Ebendort Z. 24 entspricht dem vorangehenden
aYaOb; xsXew; das blosse TOrptoxo;, während das diesem bei-
gefügte xsXew; aus dem Vorigen zur Unzeit wiederholt scheint.
P. 98, 24 sind die von den Herausgebern mit vergeblichen
Conjecturen heimgesuchten Worte Sit touto 9J &-fi eaxiv % ty-x/ji
meines Erachtens zu tilgen. Der Ursprung der Interpolation
liegt in der missverstandenen freieren Construction : fiXc^u/oSot
[asv xautYjq ojv 9si8ovi«i %xe., wobei xauxtj; auf das in yXotyuyovGi
enthaltene tyr/+t zurückgeht. Aehnlichen freien Constructionen
begegnen wir in diesen Bruchstücken mehrfach.
P. 100, 13 wird der unklare Satz sofort durchsichtig, wenn
wir schreiben: cuv dXXv^Xoi; Se E?vai auxou; xai (5^ £v) dvo|xia 8iai-
xobQai ou/ °*-v TS ***• Unmittelbar vorher hat das von Blass
vor Ttpb$ ouxyjv eingeschobene xa die Construction verdunkelt.
icpbs auxTjv heisst so viel als: im Hinblick auf sie (die Not-
wendigkeit).
Erstaunlicher Weise haben die Herausgeber bisher keinen
Anstoss genommen an dem ungeheuerlichen Sätzchen p. 104,4:
xo><; Y<*p #v aXXw; ei; eva fxovap/Ja Treptaxatir; ei pwj y.x!., was doch
nicht minder sinnlos ist, als wenn es hiesse : tcü>$ äv ei? jiovapxov
jAOvapxt« ^sptcxaiYj; Natürlich ist {/.ovap/ta zu tilgen und das Sub-
jeet aus dem Vorangehenden zu entnehmen, wenn nicht viel-
mehr die Construction eine unpersönliche ist, etwa wie in dem
ßeitr&ge zur Kritik and Erklärung griechischer Schriftsteller. 3
verwandten Sätzchen Herodots (III 82): £x 8e toO *6vou drceßrj
e$ (JLcuvapxtYjv — .
4. Im §. 18 des Aristeas-Briefes (S. 66 der Ausgabe
von Moritz Schmidt = Merx, Archiv f. wiss. Erforschung des
alten Testaments I, 306) ist augenscheinlich eine kleine Lücke
zu erkennen und also auszufüllen: !6o<; *(dp ecri, *a6u>s %«t ob
YivcJbcxeu;, aq ftq Äv rt[L&pa$ (fopov;) b ßaatXelx; dpxijiat xp^K^^&iv [A^/pc?
5. Aus Ariston (augenscheinlich aus den "Opioia des Keers
dieses Namens) wird bei Stobäus 11120,139 (III 554 Wacbsni.-
Hcnse) die Gnome angeführt: ttjv xaxoXoYiav t; fyrpj ^aivexai okto-
Yewwoa &cxe tj fAifaip oux doreia. Den Weg der Verbesserung
hat Bücheier mit der Ergänzung o><; Te(xv«) betreten. Ich glaube,
die begonnene Herstellung zu vollenden, indem ich zu schreiben
vorschlage: ttjv xaxoXofiav tq bprft\ ^atve-cat ttco-fcwäca w$ ts(xv«
xaX)rj (Ji^iTip oux daisTa. Schimpf- und Scheltreden, die Früchte
des Zornes, sind etwas Niedriges und Gemeines und verhalten
sich zu dem edeln und männlichen Affect wie unschöne Kinder
zu einer schönen Mutter. Dies durfte zwar kein Stoiker oder
Epikureer, wohl aber ein Peripatetiker schreiben, dem die
Affecte nicht etwas schlechthin Verwerfliches sind, ja dem der
Zornmuth als das unerlässliche Organ des Kampfes und der
Strafe, als eine der ,Sehnen der Seele' galt oder als einer der
Krieger, ohne welche der Feldherr (die Vernunft) zur Unthätig-
keit verurtheilt ist (vgl. Philodem de ira col. 31 ff. und Plutarch
de cohib. ira 7 — 9 und frg. 17 Dübner).
6. Der unter Demokrit's Namen gehende Ausspruch
bei Stobaeus IV 79 (HI 237 Wachsm.-Hense) lässt sich am
leichtesten durch Einsetzung eines Wörtchens heilen: 'Avov^ove;
CühjS bpbfovxau. (ovti) T^paoq Öavatov SeSotxiies. ,Die Thoren hängen
am Leben, indem sie statt (wie sie sollten) das Alter (und
seine Beschwerden) vielmehr den Tod fürchten/ Vgl. Plato
Phädr. 2606: xoxd rcpdrretv dvr' d-faOüto. Wird doch ävt! ,oft bra-
chylogisch mit seinem Substantiv für einen entsprechenden
Satz gebraucht' (Krüger, Gr. Gr. §. 68, 15, 1).
7. Ein witziges Wort des Kynikers Diogenes möchte ich
vor Anfechtung, beziehentlich vor Schlimmbesserung schützen.
Ee lautet bei Stob, floril. 6, 52 M. (= HI p. 295, 1 Wachsm.-
Hense): Aio^evr^ ctöev euuvocepov eivat [aos/ou 5iu>p(£eT0 tyjv tyur/ip
1*
4 II. Abhandlung: öomper«.
twv 5payjjiYj<; (Lviwv rcpoVejjivou. Diogenes will damit sagen: nichts
Qeringwerthigeres gibt es als den Störer des ehelichen Friedens
— nach seiner Selbstschätzung nämlich, da er sein Dasein um
das aufs Spiel setzt, was er um eine Drachme haben könnte.
Nauck wollte eua>v6rspov in avou<rcepov oder ävourepov ändern (Mö-
langes Gröco-Rom. VI 113). Meine oben gegebene Erklärung
befriedigte ihn nicht, da euwvo$ nicht , billig verkaufend4 be-
deuten könne. Gewiss nicht. Auch wäre das nicht der* hier
erforderte Gedanke. Allein man durfte doch wohl euuwo; gerade
so wie avi;to; nicht nur von Dingen gebrauchen, die thatsächlich
um einen geringen Preis verkauft werden, sondern auch ohne
Rücksicht auf wirklichen Kauf und Verkauf von dem Gering-
werthigen oder als solchem Veranschlagten. Nun bewerthet
sich eben der \Lzv/oq nach der Meinung des Kynikers selbst so
niedrig, dass er sein Leben um dessentwillen hergibt, was für
eine Drachme erhältlich ist. Zum Gedanken vergleiche man
die gleichfalls dem Diogenes zugeschriebene Aufforderung an
einen Jüngling: eTueXOs elq 5ropvsT6v kou, Iva fxaöt); Sri twv dva$u*>v
xa Tifjiea ov>8&v 5i«p£pet (Plutarch de educ. puer. 7 fin.).
Ein anderes derselben Sphäre angehöriges Dictum des
Diogenes ist von Cobet missverstanden und kritisch misshandelt
worden. Demetr. de elocut. § 261 schreibt: rcpoorcaXatwv xaXtj»
TtatSt Aio^evT); 8iextvY)(hj m*); tö atöotov. tou 8e xatZb$ foßijöevTOS xai
aiuo'mQS^aavTo^ ,öipp£i, <*> rcai5(ovc, elrcev, ,oux Eijxi Tairnj Sfioio^. Die
Pointe liegt natürlich darin, dass der Vernunftmensch Diogenes
die animalische Regung wie etwas seinem Wesen Fremdes von
sich abschüttelt und sie nicht seiner Persönlichkeit, sondern
dem ungeberdigen Körpertheil zugerechnet wissen will. ,Glaube
nicht' — so sagt er etwa — ,dass ich diesem (ta6Tfl, zu denken
ist rrj xögOttj) ähnlich, d. h. dass ich so zuchtlos bin wie dieses/
Cpbet aber verstand dies so wenig, dass er dazu schrieb: ,Pro
absurdo Sjjioco; lege <j>OB€POC' (Mnemos. N. S. V 276).
Aus den mannigfachen bei Nauck verzeichneten Brechungen
des Frg. trag, adesp. 284 (wozu noch kommt Gnomol. Paris,
ed; Sternbach n. 24) darf man wohl die Urform gewinnen:
dbwoXt; dtocxo; ß(ov ^ywv iy Vjfxipav.
8. Das auf einer Hermensäule verzeichnete Epigramm,
über welches einst Böckh und Gotfr. Hermann so heftig stritten,
wird jetzt von Kirchhoff (Corp. inscr. Att. I Nr. 522, p. 216) also
Beiträge zur Kritik und Erklärung griechischer Schriftsteller. 5
gelesen: ev jjtec(<j)ü) Ke<paXtfc te xa! acreo«;. Über den den Hexa-
meter schliessenden Gottesnamen '£ppfc besteht kein Zweifel;
nur die sechs vorangehenden Buchstaben haben noch keine
befriedigende Deutung gefunden. Ich schlage vor i^\ab<; zu
lesen, was der Fourmont'schen Abschrift, vom letzten Buch-
staben abgesehen, der ja unmöglich richtig überliefert sein kann,
so gut als völlig genau entspricht. Vgl. Kaibel Epigr. Gr. 812, 1.
9. Sollte noch Niemand in dem von Damascius de prin-
cipiis p. 382 ed. Kopp (= I 322 Ruelle) überlieferten wichtigen
Bruchstück des Eudemos (Fragmenta coli. Spengel p. 171, 17)
die Lücke bemerkt und ausgefüllt haben, die den Bericht über
einen Hauptpunkt der Zoroastrischen Religion bis zur Unver-
ständlichkeit entstellt hat? Man schreibe wie folgt: ouiot 8' o3v
iwza ttjv dtöwixfiTov $>6atv Staxptvofxevr^v rcotoöci tyjv Jitxyjv auaiot/tav
töv xpeiTtovwv (ts xal sauXoTepu>v $aipi6vwv, wv) tyjs p.&v ilfreiaOac tov
'Opopiac^v, zrt$ 8e ibv 'Apeipiivtov.
10. Eurip. Hei. 34 liest man oupavoü ^Osia' ofoo. Es ist
von dem Trugbild der Helena die Rede, das Hera geschaffen
und an ihrer Statt dem Paris übergeben hat. Soviel ich weiss,
hat niemals und nirgendwo oupavo$ etwas anderes bedeutet als
den Himmelsraum oder die Himmelsdecke. Die hier erforderte
Bedeutung von Aether oder Himmelsstoff ist (von der nicht
hieher zu ziehenden empedokleischen Kunstsprache abgesehen)
nur für diese Stelle erfunden worden. Auch daran , darf er-
innert werden, dass asyndetisch aneinander gereihte Aorist-
Participien in ihrer Abfolge der Folgeordnung der durch sie
wiedergegebenen Vorgänge zu entsprechen pflegen, was hier
nicht der Fall ist. Ich zweifle nicht daran, dass eine kleine
Lücke vor Alters ungeschickt ausgefüllt worden ist, und schlage
vor, also zu schreiben: 4
3i'$ü>?( 8'cux i\*.\ aXX' Gfjiotctiffaa' i\ko\
etBwXov ejxTTVOüv, cüpavou xo^etc* dfao,
nptajjiou Tupavvou xatSi — .
Eurip. frg. 92:
wtü) Vaspwv a)v Sartq avOpawco? f^fos
^fxov xoXouet /p^pt-aaiv -pupouiJisvoq.
Die beste Rechtfertigung des vielfach, auch einst von mir ohne
ausreichenden Grund angefochtenen ayöpwwo? liefert die Dar-
6 II* Abhandlung: Gompers.
legung desselben Gedankens durch Antiphon in den jüngst von
Blass diesem Sophisten zugewiesenen Bruchstücken bei Jam-
blichos Protrept. c. 20. Dort liest man p. 104, 6 ff. Pist.: Bei y*P
tbv av$pa tcutov , lq tt]v Bixyjv x.aT«X6et xat tbv vofxov tov xaa» xoivbv
xat cujjupipovra dq>atpTQGSTai, d8a[xavTtvcv ^svlaÖai, et (jieXXsi ouX^aerv
xauTa rcapi toö zX^flouq twv avOpcJtauv e\$ a>v xapa icoXXwv • aipxtvo<;
8e xal 8{xoio; xoT; Xonto?? -yevoixevoq xt§. Nur ein Uebermensch —
dies will der Dichter sagen — könnte das vollbringen, was
für unsereins, was für einen Menschen von Fleisch und Blut,
der nur auf seinen Reichthum au pochen vermag, ein vernunft-
loses Wagnis wäre.
In Betreff des Bruchstücks 334 muss ich eine alte Ver-
muthung nicht sowohl zurücknehmen als modificiren. Nicht ab-
trennen möchte ich nunmehr die zwei letzten Verse, wohl aber
sie einer zweiten Gesprächsperson zuweisen. A (v. 1 — 3) miss-
billigt es, dass B sich in einen eiteln Wortstreit mit Schlechten
(so verallgemeinert ausgedrückt) einlässt und dadurch auf ihr
Niveau herabsteigt. B (v. 4 — 5) rechtfertigt sein Verhalten,
indem er es für unerträglich erklärt, die von Schlechteren
ausgehende Beschimpfung stillschweigend hinzunehmen. Dem
xaxouj». in v. 2 entspricht genau xaxiovwv in v. 5.
Eurip. frg. 832 ist es vielleicht nicht überflüssig, das un-
gewöhnliche eis Taux* £7cpäaaov durch eine Parallele zugleich zu
beleuchten und der Aenderungslust gegenüber zu stützen. Eine
solche bietet Sophokl. frg. 555, d. h. die von einem Grammatiker
angeführte Phrase st? opQbv fpovslv. Man kann sich die letztere
Wendung vielleicht so verständlich machen, dass man das opOcv
als das Ziel des <ppcvsw ansieht und an unserer Stelle als das
Endziel des -pauae».v5 das ja niemals in zwei Fällen ein völlig
identisches ist, die Summe des aus dem individuellen Lebens-
schicksale resultirenden Glücks oder Unglücks ansieht. Dann
will der Sprechende mit den Worten:
et &'euaeßY)$ ojv towi BusaeßscraTOis
etc Taui* iTcpajcov, icw; Tao° Äv xaXa>$ £7,015
ungeflihr dieses sagen: was nützt mir meine Frömmigkeit, wenn
ich mit den Unfrömmsten schliesslich an das gleiche Lebensziel
gelange?
Beiträge zur Kritik und Erklärung griocbischer Schriftsteller 7
Eurip. frg. 833:
t(<; S'ot&ev £t £vjv tcuO' 3 xsxXt;Tai öavetv,
to £i}v $e (Mjaxetv eaxi; icXrfv Sjaux; ßporöv
vosouglv ol ßXexovces, ol o°6X(i>X6tss
ouSsv vocouatv ouSe xe'xxYjvTai xaxd.
Die zwei durchschossenen Worte hat Nauck ,verba vitiosa' ge-
nannt. Ein begreifliches, aber, wie ich glaube, ein übereiltes Ur-
theil. Suchen wir die Verse getreu wiederzugeben, so kommt
uns auch im Deutschen eine ganz ähnliche Partikelverbindung
in den Sinn, nämlich: ,nur freilich'. Zuerst sagt der Dichter:
,Wer weiss, ob nicht das, was wir Tod nennen, in Wahrheit
Leben, das Leben aber Tod ist?' Dann hebt er mit beissender
Schärfe einen Unterschied hervor, der zugleich einen Nachtheil
auf der Seite des Lebens darstellt. Er hätte sich ebensogut
also ausdrücken können: o{xo>; Se (jtivot ol £<3vt6$ voaouatv xt£. Die
Einschränkung der in jener rhetorischen Frage angedeuteten
Behauptung wird durch eXVjv, der Widerspruch gegen die
darin enthaltene Gleichstellung von Leben und Tod durch Sjjkos
hervorgehoben. Die Verbindung der beiden Partikeln mag
immerhin ungewöhnlich, vielleicht unerhört sein 5 ich denke
nicht, dass dies einen ausreichenden Verdachtsgrund bildet,
wenn eben diese Verbindung eine der Gliederung des hier
dargelegten Gedankens vollständig entsprechende ist.
11. Ein paar Besser ungs vorschlage zu dem auf Gorgias be-
züglichen Theile des Libellus de Melisso Xenophane et Gorgia
seien dem letzten trefflichen Herausgeber zur Erwägung em-
pfohlen. 979 fin. (= 191, 5 Apelt) ist mir die Ergänzung (etvai
Sclv), soweit das zweite Wort in Betracht kommt, nicht wohl
verständlich, während eTvat zwar dem Gedanken gemäss, aber
entbehrlich erscheint. Man wird nichts vermissen, wenn man
die Stelle mit den übrigen Ergänzungen des Herausgebers wie
folgt liest: eYo$ Se (jmj) ovtoq, cuB* äv (5Xü>;) eTvat ouBev. jatj (y*P
5vtos evbf) [wfie %ok\d. et 8e jx^ie (Sv, fiQdCv), jjltjts icoXXa eVciv,
ofcSev ecTiv.
980» 16/7 = 192, 9/10 (Apelt) ist, meine ich, zweimal
xcßjxa durch Taura zu ersetzen in dem Satze: xat fap &G7:ep ixet
woXXol 5v taura Töotev, xai evraoöa rcoXXol av tauta 8tavoY)6e?ev. Die
Identität der Erkenntnis ist so wenig wie jene der Sinne«-
8 H. Abhandlung: Ooapers.
Wahrnehmung eine Bürgschaft gegenständlicher Wahrheit. Eben-
dort Z. 17/8 (= 980b 2) verlangt Xe-fst ein Object, also doch
wohl: xal (X6yov) Xeyet 6 Xe^wv, 4XX* ou xpäpa ouBi TCpxy|jt.a. Doch
ist hier ein Zweifel möglich, so gilt dies nicht von 193, 17
(= 980 b 14). Dort muss Gorgias mehr beweisen wollen als
bloss dies, dass die Empfindungen des Einen mit jenen eines
Anderen kaum vollständig übereinstimmen. Auch fehlt das
beim Optativ atsöotxo unentbehrliche av. Beide Anstösse ver-
schwinden durch die Schreibung: &rre c/oXtj aXXo) v'av (statt irav)
xaurb aTaOotTÖ ti;. Das nachdrückliche yi findet im Zusammen-
hang seine volle Rechtfertigung; geht doch unmittelbar vorher:
<pa(veTai 3e 008' abtb$ auT<j> Spioia aiaöav6(Aevo; ev tw auro) xp6vq>,
&XX' erepa tyJ dbwfl xat tt} J^et, xal vuv te xat miXat £ta?öp<i>; — .
12. Herodot 134. Herwerden's Erinnerung, dass aic6XXuju
von Herodot niemals im Sinne des Verlierens, sondern nur in
jenem des Verderbens gebraucht werde, ist voller Beachtung
werth, und einleuchtend richtig ist die von ihm daraus gezo-
gene Folgerung, dass in o&yjFft cßtjpeTj das Subject zu dnroXeT zu
suchen ist. Soweit folge ich ihm und schreibe daher beide
Worte als Nominative, nicht als Dative. Weiter vermag ich
ihm jedoch nicht zu folgen. Denn keineswegs ergibt sich aus
dieser Veränderung nunmehr auch die Nöthigung, das Particip
ßXtjOera zu tilgen. Das Traumgesicht verkündet dem Krösos
in Betreff seines Sohnes Atys, ,dass eine eiserne Lanzenspitze
ihn treffen und verderben werde', <S>s abroXe! jjuv alxw ciStjp^Q
ßXrjödvra. Das letzte Wort antasten heisst die Fülle des hero-
dotischen Ausdruckes beschneiden; und wie misslich dies ist,
weiss jeder Kenner der Diction des Halikarnassiers.
13. Die Stelle des Hippokrates oder wer sonst der Ver-
fasser des herrlichen Buches ,Ueber Luft, Lage und Wasser'
sein mag (Littr^ II 84, 1 = Kühlewein I 67, 4 ff.) hat meines
Erachtens also zu lauten: [amb] to6twv etxös aioöovscöai xal ttjv f£-
veciv ev t?j avpirffeti xou yövov, (&ct' oXXot') aXXijv xai jxij xw owtü> tt,v
auiYjv YtvscÖai sv ie xw 6£pet y.al tu> /eijjiwvt xte. Die Tilgung von xk6
und die Einschaltung von «XXote rührt von Koraes her; ich
habe ftcre hinzugefügt und dadurch dem Satz, wie ich glaube,
eine gegen jede Anfechtung gesicherte Gestalt gegeben. Auch
der Ursprung der Lücke ist nicht schwer zu erklären; konnte
doch das Auge eines Schreibers gar leicht von OY in y^voü äu^
Beitrige zur Kritik und ErklAmng griechischer Schriftsteller. 9
OT in aKkot' abspringen, da T und Y in den Handschriften
oft kaum, wenn irgendwie zu unterscheiden sind.
Prognost. c. 3 (II 120 L. = I 82, 6 K.) schlage ich vor,
das Sätzchen (in dessen Schreibung ich mit Littre dem Mar-
cianus folge) «XXa izpoki^ei^ ä%y dpifow xfvBuvov eaöjxevov von seiner
Stelle zu rücken. Denn das Vorangehende enthält nichts, wor-
auf a* dp^otv sich beziehen könnte. Ist doch hier nur von
einem Symptom, dem Zähneknirschen im Fieber, die Rede.
Wenn dieses Symptom fj.avix.bv xal öavaruiSe; heisst, so erwächst
uns daraus doch keineswegs das Recht, das eine Anzeichen
in zwei zu zerlegen, wie dies Littr£ mittelst der folgenden
Uebersetzung that: ,Le grincement et le dölire, s'ils se r£-
unissent, pr^sagent du danger par leur reunion.' Weder von
zwei Symptomen noch von ihrer Vereinigung wird mit einem
Worte gesprochen. Auch fehlt es nicht an einer directen
Widerlegung der Littr^'schen Deutung. Sie liegt in den jenem
Sätzchen unmittelbar nachfolgenden Worten: ty 5e xat rcapafpo-
vewv tcuto ttonj, $Xe6ptov ^wz-zai xipia v^yj. Jene von Littrd vor-
weggenommene Vereinigung des Zähneknirschens mit einer
Bewusstseinsstörung wird hier ausdrücklich aufgeführt und
kann daher unmöglich schon im Vorangehenden zwischen den
Zeilen gelesen werden. Auch begreift man nicht, was nach
öavorcoSs; noch xfv&uvcv eac|xev3v besagen soll. Das wäre doch
ein wunderbarer Antiklimax. Da nichts auf eine Verderbniss
hinweist, so bleibt uns nur die Wahl zwischen der Annahme
einer Lücke und einer Umstellung. Denn Ermerins' Tilgung
des an sich tadellosen Sätzchens ist gewaltthätige Willkür.
Jeder Anstoss schwindet, wenn man den Satz um wenige
Zeilen hinaufrückt und an die Stelle anschliesst: ercl faoTepa 5e
xefrfai, <!> jj«} o6vyj66? eaxt vuxi uYtÄ^V0VTt d™* xotpwwOeu, rcapafpocuviQV
ttva oTjfJuxivet ^ o&uvyjv twv djx^t ttjV x,o'.X(tjv toxwv (ich folge auch
hier Littr^'s Schreibungen, doch sind die Abweichungen von
Kühlewein's neuem Text nicht von wesentlichem Belang). Hier
wird wenn nicht von zwei Symptomen, so doch von einer
zwiefachen Möglichkeit der Auslegung eines Symptoms ge-
handelt. Und hieran schliessen sich passend die Worte aXXa
spoXe-fsiv — ecopiÄvov an, die dann bedeuten: mag der Grund
jener ungewöhnlichen Lage der eine oder der andere sein, in
beiden Fällen ist das Symptom ein gefahrdrohendes.
10 II. Abhandlung: Uomperz.
14. Der (bald Menandcr bald Philemon zugeschriebene)
Doppel vers eines Komikers:
6 fJLYj y^Xcotoc &&<; av ^ ^£\u>q^
auiou y^Xwto^ rcc^uxs xardveXw^ —
ward noch von Meineke in so schlechter Ueberlieferung vor-
gefunden, dass er nach vergeblichen Herstellungsversuchen hin-
zufügt: ,nisi versus est politicus' (IV 274, frg. 181). Sternbach's
Mittheilung (Appendix gnomica im Anhang zu Photii patriarchae
opusculum paraeneticum, Krakau 1893) bietet einen ungleich
handlicheren Text. Ich schiebe nur ein Wörtchen ein und
ersetze a£to<; durch a!|cov, und die ursprüngliche Gestalt des
Verspaares ist augenscheinlich wiedergewonnen:
b fEXurc, eav (ti) jjlyj yj y^wto; aijtov,
auiou xe^uxe toü ^tkmzoq xaiavs)^;.
Ein anderes aus derselben Quelle (der Comparatio Me-
nandri et Phil.) stammendes Verspaar scheint noch an einem
mit leichter Mühe zu beseitigenden Gebrechen zu leiden. Ich
meine die Verse 238 f. (bei Wilh. Meyer, die athenische Spruch-
rede u. s. w., Bayrische Akad.-Abh., München 1891, S.64 [288]):
fepwv ^oyL&izq [Ar, ^d\xs.i vecoxspav
aXXov y«P 25eij icatSavcuv^cet? 8e cu —
wozu Nauck (M61. Gr&jo-Rom. VI 1 p. 132) bemerkt: ^Passender
dürfte sein {xciy^bv -^p 25«'- Gelinder in jedem Sinne ist wohl
die Schreibung aXXo<; ^ap fijei. Man vergleiche, wenn dies
Noth thut, Callimach. epigr. 28 v. 5 f.
Aücoviyj, ab 8e vafyi xaXb$ xaXoq' dXXa iuplv fifestv
toOto cra©w?, r^to ftjjt xiqm ,aXXoq £xel'«
Mangel an Lebenskenntnis hat Nauck mitunter zur un-
richtigen Behandlung der das Leben selbst abspiegelnden
Aeusserungen der komischen Dichter vermocht. So wenn er
zu Menander's Frg. 623 K:
toüs tov TBiov 8oc;uavümas dXoYiorw; ßiov
to xaXö; äxoüetv x<xyb icoieT rceivrjv (so statt ^aciv Bentley) xoexw;
bemerkt (a. a. 0. S. 120): ,Statt to xaXto; dxojsiv wäre ein Aus-
druck wie Tb izokV dvaXouv deutlicher und angemessener'. Was
sollte — so darf man vielmehr fragen — xb tcoXX* dvaXouv nach
xbv iSiov SoncavövTa«; ß(ov? Nauck vergass hier, dass Verschwender,
die ,leben und leben lassen', die ,das Geld unter die Leute
Beitrage zur Kritik und Erklärung griechischer Schriftsteller. 1 1
bringen', sich zumeist grosser Beliebtheit erfreuen. Dem grossen
Haufen ^erscheint jeder Sparer in dem Licht eines Aufspei-
cherers .... Wer hingegen sein Vermögen in unproductivem
Verbrauch ausgibt, wird so angesehen, als ob er ringsum Wohl-
thaten verbreitete, und er ist ein Gegenstand so grosser Gunst,
dass ein Theil dieser Popularität ihm selbst dann treu bleibt, wenn
er das verausgabt, was nicht ihm gehört'. Diese Sätze J. S. MilPs
(Politic. Economy, Buch I, Cap. 5, §. 5) bilden den besten Com-
mentar zu dem missverstandenen Bruchstück des Menander.
Ebenso wenig hätte Nauck, wenn er das Leben des ge-
meinen Mannes im Süden zu beobachten Gelegenheit gehabt
hätte, den von Aristophon Frg. 1 (II 276 K.) veranschaulichten
Gedanken, dass der Winter die Uebel der Armuth an den
Tag bringe, einen seltsamen genannt und das von Kock in
vollkommen befriedigender Weise erklärte Bruchstück mit
Aenderungsvorschlägen heimgesucht (a. a. 0. S. 96). Hätte er
sich endlich erinnert, dass die Geburt von Söhnen allezeit und
wohl bei allen Völkern ungleich erwünschter war als jene von
Töchtern (vgl. z. B. Schrader Sprachvergleichung und Urge-
schichte 387 f., H. Spencer Justice 171, Daniell Handbuch der
Geographie I 236, ,Der Mädchenmord in Indien', Neue Freie
Presse Abendbl. vom 14. Juli 1887 n. s. w.), er hätte nimmer-
mehr das eben hierauf bezügliche Fragment des Poseidippos
(IV p. 516 Mein. = III 338 K.) angetastet (MdL Gr.-Rom.
V 244). Dass er übrigens in seiner von unermesslicher Belesen-
heit und von staunenswerther Combinationsgabe zeugenden
Besprechung der Kock'schen Fragmentsammlung vielfach irre
gegangen ist, dies hat mir der treffliche Mann in dem letzten
Briefe, den ich von ihm empfing, bereitwillig zugestanden,
wie er denn seine Beanstandung von ,!6vc<; bei Menander und
Antiphanes (S. 118)' einen ,ganz abscheulichen Flüchtigkeits-
fehler' nannte.
Um der Sache willen seien hier noch einige in jener Ab-
handlung enthaltene Aenderungsvorschläge kurz besprochen. In
Menander Frg. 249, 3 ff.: — aXX' exstvoq f>fj[i.a tt | iyU^ax'
ouSev e[A?ep£c, [xa töv A(a, | tu 7yvCtöi aaüxov', ou3e toi«; ßoa)(xevocg |
•coutois — will Nauck toi; ßowpiivotq durch dpoXou|jievoi<; ersetzen.
Dazu scheint uns nicht die mindeste Nöthigung vorzuliegen.
Von Herodot (III 39: xpi-ftLuta ßeßwjxsva <zva trjv 'Iwvftqv, VIII 14:
12 IL Abhandlung: Gomper».
eß(«>o6iQ dva xaaav ttjv 'EXXdda) bis auf die spätesten Autoren liegt
eine lange Reihe von Belegen für die hier erforderte Bedeutung
von ßooböat vor. Unmittelbar hierauf bespricht Nauck Mc-
nandr. frg. 252:
eufatpovi'aq eTa>6' Ozepijfaviay (so Meineke statt uxeptj^avta;) «otECv.
,In dieser von Anderen hergestellten Fassung bleibt noch an-
stössig das ganz unpassende xpoöfy.w; : es war zu schreiben . . .
Kpo/etfwc.' Zur Rechtfertigung von 7:poö6{xa); genügt es, auf die
bekannte Wahrnehmung zu verweisen, dass ,sehr häufig ... in
der Absicht, ein Wort nachdrücklich hervorzuheben, die Ne-
gation demselben nachgesetzt wird' (Kühner II 739 ähnlich
Krüger 67, 10). Nauck hätte sich bloss des Frg. trag, adesp.
439 zu erinnern brauchen:
go?y) jjl£V ■JäiAYjv, aXXa xavi' oux eüTux^S.
Philemon Frg. 75 (II 498 K.) lauten die ersten zwei
Verse nach den Handschriften (des Stob, floril. 102, 4) wie folgt:
av6pü)7:ov 3v?2 paSiov -apatveaac
ecrctv, xortjcai 2' owtov ou^t £a8iov.
Die Worte avOpwicov 5vta gehören zum ganzen Satze und vor-
nehmlich zu dessen zweitem Gliede. Sie sind als Apposition
zu einem hinzuzudenkenden xiva aufzufassen. Eine prosaische
Paraphrase hätte etwa also zu lauten : faotov plv am tö xapatveTv,
yaXeicbv 5s ib & v.$ rcapatvei xae outcv icoieiv avOpuncov 5vt«. Die in
jenen zwei Worten enthaltene Erinnerung an die menschliche
Schwäche, der es leicht fällt, gute Rathschläge zu ertheilen,
schwer aber, sie selbst zu befolgen, scheint mir hier nicht
weniger am Platz wie in so vielen anderen Fällen; z. B. Me-
nandri monost. 8 (IV 340 Mein.): avOpwrcos S>v |A6^/Yjao xifc xotvifc
tü^tj?, Eurip. frg. 1075 N.2: ösoü ßiov ö)v aiJtoTq avOpwicoc Äv
oder Dionys. archaeol. V 4: ävöpc&rcous 8' Sviaq (jhqSsv Gitsp -rijv
avöpiomvtjv fuetv Tcovstv. Anders dachte Bentley, der statt avOpw^ov
5vTa zu schreiben vorschlug aXXw tcovoövti. Ihm sind Meineke,
Kock und auch Nauck gefolgt. Dass jedoch diese Textes-
änderung eine unnöthige ist, glauben wir soeben gezeigt zu
haben ; dass sie falsch ist, beweist, wie wir meinen, das i;ori}a«i
des zweiten Verses, das aufs beste zu unserer Auffassung, aber
ganz und gar nicht zu derjenigen Bentley 's stimmt. Auf letz-
Beiträge zur Kritik and Erklärung griechischer Schriftsteller. 13
teren Umstand hat Nauck a. a. O. (S. 102) hingewiesen. Nur
zieht er freilich ans dieser Incongruenz die Folgerung, dass,
wer Bentley's ^einleuchtende Emendation . . . billigt', nun auch
^unbedingt V. 2 icovifcai statt 7uorij<xai schreiben* müsse. Uns will
vielmehr scheinen, dass es auch diesmal der Fluch einer ver-
fehlten Conjectur ist, dass sie fortzeugend weitere verfehlte
Conjecturen hervorbringt.
Das von Stob. III 12, 5 Wachsm.-Hense = IV 292 Mein,
mitgetheilte Bruchstück des Menander: xpeitiov eXeoOai <]jeuBo<;
t) akrfiiq xoxov haben die Kritiker bisher wohl allzu schüchtern
angefasst. Man hat sich damit begnügt, den wankenden Bau
des Verses zu stützen, indem man entweder ein überflüssiges
Je einschob (xpeurov &') oder das völlig sinngemässe eXeoOai
durch ein jedenfalls nicht sinngemässeres, aber mit consonan-
tischem Anlaut versehenes Verbum wie XiyeaQzi, Ss/ejöai u.
dgl. m. ersetzte. Man übersah dabei, dass der Verbindung
aXr,6e; xaxsv nicht füglich das blosse <|>eu&o<; entsprechen kann
Der Vers mag ursprünglich also gelautet haben: ayadov eXsaOat
üzfäo$ % oikrßiq xaxov, während das zur Vervollständigung des
Gedankens Erforderte im Schluss des vorangehenden, vom Gno-
mologen weggelassenen Verses enthalten war.
15. Moschion Frg. 9 (Fragm. trag. Gr. 816 N.2) ist das
schöne Bild eines unglücklichen, tiefgesunkenen Fürsten in seinem
Anfang verstümmelt. Aus dem sinnlosen cuv alci (sie), ouv alcvi
oder cuvejei der Handschriften möchte ich avvvpu? 6 gewinnen:
c6vvou$ 6 86§tj rcp6c6e xat ^evet jAeya^
"Ap^ou«; SuvaaiYjs Xenb; ex Tupavvtxcov
Opovcov, rcpoatxnfjv OaXXöv ^-fxaXiafjivo^
Iffxet^ev et«; ^T/v o\l\lcl auvve^ec; <popa>v xxl.
Die letzten zwei Worte habe ich in der ihnen von Meineke-
Nauck und Herwerden verliehenen Gestalt angeführt. Was
dieser Vers mit einer gewissen Ausführlichkeit schildert, das fasst
jenes Eingangswort wie in einen Strich zusammen. Das Sub-
stantiv cuvvoia wird von den drei grossen Tragikern gebraucht.
Dass das Adjectiv bisher weder bei ihnen noch bei einem
ihrer Nachfolger nachgewiesen ist, darf schwerlich als ein Ein-
wand gegen unsere Vermuthung gelten.
16. Jene Verse des Parmenides, die Simplicius im Com-
mentar zur Physik I 3 (p. 145, 23 ff. Diels) anführt, glaube ich
14 II. Abhandlung: Qomperz.
ohne Aenderung eines Buchstabens durch blosse Umstellungen
verbessern zu können, indem ich sie also schreibe:
oüBe Biaipexov ecm • ebv fap eovrt raXa^st •
ouBe Tt Tfl [/.äXXov, xav o**I(ji,t:Xs6v ecriv eovioc,
Tco ^uv6)T6<; ^av eariv, ircel 5uav eoriv ojjloTov.
Für völlig sicher gilt mir die Umstellung der zwei Halbverse
24 und 25. Denn einen Sinn gibt nur die Verbindung gu8s v.
Xeipctepov, xo xev etpvot pitv cuve/eoOat. Den Zusammenhang des
Stoffes oder des Seienden kann nicht ein Plus, sondern nur
ein Minus oder ein Minimum, wenn nicht ein Fehlen von Stoff
beeinträchtigen. Da nun hier (anders als in dem verwandten
Verse ou yap flww^ijsi tö tcsXov tou iovzoq i^soöat) vom Leeren
nicht die Rede ist, so muss eine Annäherung an das Leere,
eine weitgehende stoffliche Verdünnung gemeint sein. Vgl. Ari-
stot. de gejier. et corrupt. I 8, insbesondere die Worte: oW au
rcoXXa eTvat [i^ 5vto? tou 8te(pYovtoc; auch des Verfassers Grieeh.
Denker I 442 f.
In den uns nur durch die lateinische Uebersetzung des
Caelius Aurelianus bekannten Versen des Parmenides ist v. 143/4
Stein, wie ich meine, die Interpunction zu ändern (beziehentlich
Karsten's Interpunction wiederherzustellen) und v. 147 statt per-
mixto in corpore, wo permixto aus dem vorangehenden Vers
irrthümlich wiederholt ist, vielmehr zu schreiben mixtae uno in
corpore. Darnach hätten die sechs Verse zu lauten:
Femina virque simul Veneria cum germina iniscent
venis, informans diverso ex sanguine virtus,
temperiem servans, bene condita corpora fingit.
at si virtutes permixto semine pugnent
nee faciant unam mixtae uno in corpore, dirae
nascentem gemino vexabunt semine sexum.
17. Den bei Philodem und bisher nur bei ihm nach-
gewiesenen Worten ah<xkr$i<x und aSiaXvjxreuü) (vgl. Sitzungsber.
Bd. CXXIII, VI S. 59 f.) ist noch hinzuzufügen das Derivat
a8taXifcrceu|*a in dem Satze (Vol. Herc.2 X 76 col. XI) : ßXexets ?£
(5)t; <S>$ av (ifj %)ep\ ts tococutä xai xotauxa 6£ü)p^{j.axa Y^^K*^
Siavoia oux. Äv S^w y£ivoit(o) rcavrb«; aStaXijir^fj^aro*;). Auch das Ad-
jeetiv aStaXtprro? und das Adverb d§taXnjxHi>$ begegnen ebenda-
selbst 77 col. XIII und 75 col. VIII. Selbst für die Entscheidung
Beiträge zur Kritik und Erkl&rung griechischer Schriftsteller. 15
der Frage nach der Autorschaft dieser Schrift, die Körte (Metro-
dori Epicurei Fragmenta, Leipzig 1890) ohne zulänglichen Grund
dem Metrodor zugewiesen hat, dürfte diese sprachliche Wahr-
nehmung nicht ohne Belang sein.
18. Pia ton, Staat 387 b: ouxoüv üv. %a\ ra xspt Tauia ovojxaia
irdvTa ta Secva ts v.a\ ^oßepa arcoßXiQTsa, Kü>kutoö<; ts xal Ztuy«S xai
evspcix; xal aX(ßavT«<;, xat aXXa oca toutou tou tutcou 5vc{jLaC6p.sva fpir-
T£'.v 3tj TCOtet u>s oieTat rcivT«$ tob; axcuoyca^. Das sinnlose oiexai
der Handschriften ist noch immer nicht gebessert. Weder oTov
Tc noch cca lv(\ noch o'lxdxa; noch das jüngst vorgeschlagene
5vt« vermag zu befriedigen. o>; anzutasten ist kein Grund vor-
handen, und da empfiehlt es sich doch am meisten, an einen
Vergleich zu denken, und zwar mit Wesen, deren Furchtsam-
keit eine notorische ist. Schrieb nicht Piaton o>$ otSt«? Man ver-
gleiche des Photios Glosse olBta • wpoßaxta. Die Glosse könnte
wenigstens aus des Boethos XsSjewv nXaromy.üW ouva^wp^ °der
aus seiner Schrift rcept tuv rcctpa ÜXi-wvt axopoujAsvwv Xeijeuv, die
Photios gekannt und verwerthet hat, geschöpft sein (vgl. Naber 's
Prolegomena p. 55).
Piaton oder Pseudo-Platon , Hippias maior 283* : evavTiov
Y«p 'Ava^avöpa ?aGt cujxßijvat •?) ujjlTv • xaTaXeis0evru>v yoip auiw tcoaXüW
XptjjMtrwv xaia{/.£Xqaai x,ai objoXeaai zavra • o&tgx; auxbv avoiQTa ao©{-
£ec6at. Das allzu derbe, durch den Zusammenhang ganz und
gar nicht gerechtfertigte dvorjxa ist sicherlich durch dvcvyjTa zu
ersetzen. Ich bemerke nachträglich, dass diese Vermuthung
schon von einer Handschrift, nämlich vom Paris. F, dargeboten
wird. Stallbaum erwähnt sie, verwirft sie aber mit der meines
Erachtens thörichten Begründung: ,Sed vera est lectio vulgata
qua ad voöv illud Anaxagorae alluditur.' Die Zürcher Heraus-
geber, K. F. Hermann, M. Schanz finden jene Lesart wohl
darum, weil sie keinen urkundlichen Werth besitzt, nicht ein-
mal der Erwähnung werth.
19. Schwer verständlich ist es mir, dass die Herausgeber
des Thukydides die spartanische Rede des Alkibiades (VI 92)
noch nicht von einem offenbaren Emblem befreit haben. Ein solches
ist doch dort mit voller Sicherheit zu erkennen, wo in einen ganz
allgemein gehaltenen Satz ein die specielle Nutzanwendung
enthaltendes Wort eingefugt ist. Und solch eine Einschaltung
konnte um so leichter dort erfolgen, wo der völlig generell
16 II. Abb.: Gomperz. Beitr. z. Kritik u. Erkl&rung griechischer Schriftsteller.
ausgedrückte, dem Leser die specielle Anwendung überlassende
Gedanke von Sätzen umgeben ist, die solcher Allgemeinheit
entbehren. All dieses trifft in unserem Fall zusammen. Alki-
biades will das Misstrauen beseitigen, das sein vaterlandsfeind-
liches Vorgehen sogar bei den Feinden seines Vaterlandes
wachrufen könnte, und spricht also zu den Spartanern: ?v)fis
Te Y«p e^r" **% T^v eSfi^affovtwv zovrjpias %<xi ou ttj; ujutef a$, ^v 7si<hQo6s
(jiot, axps/aa;, xat icoXsjAiwTepoi ou^ ol tou; tcoXsjjliou; zou ßXa<CaVTS?
[üjjleT«;] 9) ol xouq ftXou^ Äva^^icavie? ::oXefj.iou$ ^evsoflar t6 ts <ptX6xoXe
oük cv & a$ixoü[xai fe'xw9 ^^ *v $ aasaXu>s exoXtTejöyjv. ou&' face iza-
tp(8a oucav Itt f^oupLat vüv Uvai, koXu 5& (AaXXcv tyjv oüx ouaav ava-
xxiaOat. xal 9 iXöxoXt«; outo$ cp6ü>^, oü/ $s av ttjV iaurou d&(xo>{ dzoXeaa^
{jlyj facty, «XX* Sq äv ex xavTO«; Tp6xoi> Bia tb factöufxstv xeipaö^ aurr^v
avaXaßetv. Die letzten Worte erinnern mich übrigens an einen
noch nicht mit Sicherheit hergestellten, vielleicht nicht mit
Sicherheit herstellbaren Vers des Euripides (frgm. 1045 N. *).
In den Worten \in\ xajjive RorpiSot cyjv XaßcTv rceipctyjLgvos ist das
Simplex XaßsTv, wie längst erkannt, nicht haltbar. Ob aber
Bothe's und Mähly's TCarpiBi cuXXaßciv das Richtige trifft, darf
wohl bezweifelt werden. Nicht eben gewaltsamer und an sich
wahrscheinlicher ist wohl unsere Vermuthung: fxtj xdjAve rcäcrpav
avaXaßetv 7retpa>fj.£vo^. Oder irre ich mit der Annahme, dass ftstfxift-
jxsvos eher auf diesen als auf jenen Gedanken zu führen scheint?
Register.
Seite
Aeschylos I
Alexand. Lycopol lf.
Antiphon 2
Aristeasbrief 3
Ariston 3
Aristophon H
Demokrit 3
Diogenes 3f-
Epigramm 6
Eudemos &
Euripides 5ff.u. 16
Gorgias (bei Ps. Aristot.) . . . 7f.
Seite
Herodot 8
Hippokratos 8 f.
Komiker 10 f.
Menander 10 ff.
Moschion 13
Parmenides 14
Philemon 12 f.
Piaton 10
Poseidippos H
Thukydides 15 f.
Tragiker 4
Volum. Herc. " 14 f.
III. Abb.: Kfthnert. Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 1
III.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen.
Yon
Dr. Fr. Kühnert,
Priratdocent an der Unirersittt Wien.
öyntax, Rhythmus und Euphonie sind die Grundelemente
des chinesischen Sprachbaues. Der Syntax wurde bereits in
den hervorragenden Grammatiken grosse Aufmerksamkeit zu-
gewendet — man sehe nur Gabelentz' Grammatik mit Aus-
schluss des niederen Stils — dem Rhythmus hingegen wurden
nur wenige stiefmütterliche Bemerkungen gewidmet.
Hienach könnte es den Anschein haben, als ob im Chine-
sischen beim Sprachbau der Rhythmus keine grössere Rolle
spiele als etwa im Deutschen, als ob er auch im Chinesischen
nur ein willkommener Schmuck, ein Ausfluss des Schönheits-
gefühles sei, der vorhanden sein kann, aber nicht vorhanden
sein muss.
Dem ist aber nicht so. Gleich wichtig wie die Syntax
ist auch der Rhythmus, ja Syntax und Rhythmus stehen in
einem derartig innigen Zusammenhange, dass ohne detaillirte
Kenntniss des Rhythmus alle syntactischen Regeln stellenweise
nahezu werthlos sind, wie so manche Uebersetzungsfehler selbst
bei hervorragenden Autoritäten in Sinologicis darthun.
Der einfachste Maueranschlag, die trivialste Veröffent-
lichung enthält — wie bereits Hirth1 schon bemerkt — einen
solchen Rhythmus, dass derartiges sich fast wie ein euro-
päisches Gedicht liest.
Bald nach meiner Ankunft in China, im Verkehre mit
den Chinesen wurde mir klar, welch wichtiger und leider nur
1 Hirth, Notes on the Chinese documentary style, p. 16 Anm.
Sitzungsber. d. pnil.-hist. Cl. CXXIIV. Bd. 3. Abh. 1
2 III. Abhandlung: Kuhnert.
allzusehr unterschätzter Factor der Rhythmus im Chinesischen
ist. Mein unablässiges Streben war nun bei den ferneren Studien
darauf gerichtet in das Wesen des Rhythmus einzudringen, mein
von Jugend auf ausgebildetes rhythmisches Empfinden für den
Rhythmus des Chinesischen dienstbar zu machen, bezüglich des-
selben zu erweitern und zu befestigen.
Erforderte dieser Theil der Arbeit schon eine vollständige
Anspannung der notwendigen Kräfte, so war er im Verhält-
niss zur Aufgabe, das Wahrgenommene allgemein verständlich
darzustellen, dennoch der leichtere. Wie sollten Dinge, die
lediglich auf Empfindung beruhen, dargestellt werden, damit
durch zweckentsprechende Vorstellungen im retrospectivenWege
derartige Wirkungen so genau wie möglich erreicht werden, wie
sie der chinesische Rhythmus bietet.
Als zweckentsprechend erschien es nach reiflicher Ueber-
legung durch schickliche Vergleiche Anhaltspunkte dafür zu
schaffen. Dies erforderte aber weitere Studien in dazu geeig-
neten Disciplinen. Das brauchbarste Material liefert dafür die
Musik, bezüglich deren sich die zutreffendsten Analogien dar-
boten. Füssen doch die musikalischen Gebilde im weitgehendsten
Sinne auf dem Rhythmus, und zwar dem Rhythmus im weiteren
und engeren Sinne. Der Musik zunächst kam die Prosodik
und Metrik der deutschen Sprache. Hier jedoch zeigte sich
bereits, dass sehr häufig in der Bezeichnungsweise nicht auf
das hiedurch Bezeichnete Rücksicht genommen wird, sondern
dass dies nur Ausdrücke sind für Dinge, deren Wesen wo
anders her bekannt ist.
So konnte es nicht fehlen, dass zum Theil die Arbeit
selbst eine kritische bezüglich verwandter Materien wurde, um
auf ihr eigentliches Ziel lossteuern zu können.
Hierin mag theilweise die bisherige stiefmütterliche Be-
handlung des chinesischen Rhythmus ihren Grund haben. Ein
anderer Factor dürfte aber darin zu suchen sein, dass eine
Berücksichtigung dieses Elementes bei dem Betreffenden zu-
nächst ein weitausgebildetes rhythmisches Empfinden, etwa wie
das eines guten Musikers voraussetzt, dann weiter directen
Verkehr mit den Chinesen selbst, vor Allem aber die Fähig-
keit, das Wesen des Rhythmus ergründen und angeben zu
können.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 3
So naheliegend die letztere Bedingung erscheint; so ge-
hört sie doch zu den am schwersten zu erfüllenden, wie die
Erfahrung lehrt.
Wer rhythmisches Gefühl besitzt, wird ohne Zweifel jeder-
zeit wahrnehmen, ob sich in einem Gebilde Rhythmus vorfindet
oder nicht. Wer aber nur nach so manchen vorhandenen De-
finitionen urtheilt, wird einzelnen Dingen, wo thatsächlich ein
Rhythmus wahrgenommen wird, nach diesen Definitionen, einen
solchen absprechen müssen. Daraus folgt aber nicht, dass die
Empfindung im Irrthum ist, sondern nur, dass die Definitionen
zu enge sind.
Eine Betrachtung einzelner solcher Definitionen wird dies
zur Genüge erweisen.
So heiß8t es an einer Stelle: ,Rhythmus ist jede takt-
mässige Bewegung, namentlich der abgemessene, gesetzmässige,
in seinen verschiedenen Formen zur Versinnlichung verschie-
dener seelischen Bewegungen dienende Wechsel von Hebung
und Senkung der Sylben in Worten, der Töne in Tonstücken
u. s. w/1
Da weder in der Poesie noch in der Sprache nach Takten
gemessen wird und werden kann, sondern nur in gewissen
Formen der Musik und im Tanze, so enthält obige Definition
bereits eine schädliche Beschränkung. Weitere Mängel werden
im Späteren zu Tage treten.
In der Prosodik und Metrik der deutschen Sprache liest
man: ,Metrum ist das Versmass ohne Berücksichtigung seines
Tonverhältnisses und seiner Glieder, aus welchen es zusammen-
gesetzt worden ist, so dass es äusserlich als ein Ganzes, als
ein Vers dasteht. Rhythmus aber ist die Musik, welche über
dem Metrum hinschwebt.'8 ,In Hebung und Senkung beruht
der jedesmalige Rhythmus eines Verses; das Tonverhältniss der
einzelnen Verstheile wird durch einen stärkeren und schwächeren
Aufschlag hergestellt/3 ,Indem im ersten Hauptstück das Zeit-
mass der Sylben bestimmt worden ist, haben wir nun Längen
und Kürzen erhalten, durch deren geregelten Wechsel wir eine
1 Brockhaas, Co n versa tionslexikon, s. v. Rhythmus.
* J. Minckwitz, Lehrbuch der deutschen Verskunst oder Prosodik und Me-
trik, p. 21.
* J. Minckwitz 1. c. p. 97.
1*
4 m. Abhandlung: Kniinert.
rhythmische Reihe zusammensetzen. Eine solche Reihe nennt
man einen Vers/1
,Metrik d. h. namentlich Rhythmik, denn auf den Takt
kommt es an, weniger auf die Regeln, nach denen der Takt
sich richtet, auf den Gesichtspunkt, nach dem sich die Hebungen
und Senkungen vertheilen.
Auf Hebungen und Senkungen, guten und schlechten Takt-
theilen beruht der Rhythmus.
Wirkung des Rhythmus ist es, dass wir den Takt mit
dem Fusse treten.'2
Wäre Rhythmus die Musik,3 welche über dem Metrum hin-
schwebt, dann könnte die Musik keinen Rhythmus haben; denn
eine Musik über der Musik ist eine Contradictio in terminis.
Auch mit dem Takte, wie Scherer andeutet, kann der
Rhythmus nicht identisch sein. Davon später. Man müsste
nach dem Obigen daher nur sagen: ,Rhythmus ist der nach
einem bestimmten Gesetze geregelte Wechsel langer und kurzer
oder starker und schwacher Silben/
Diese Definition schliesst — ganz conform ihrer Bestim-
mung lediglich für die Prosodik und Metrik der Sprache —
Musik und Tanz aus; denn weder die Musik noch der Tanz
bestehen aus einem Wechsel langer und kurzer oder starker
und schwacher Silben. Nichtsdestoweniger hat auch sie trotz
der zum voraus gemachten Einschränkung des Geltungsbezirkes
ihre Achillesferse.
Berlioz4 sagt: ,Rhythmus ist symmetrische Eintheilung des
Zeitmasses durch die Töne/
Piel5 gibt an: ,Das Dauerverhältniss der Töne zu der
Dauer der Taktzeichen und untereinander bezeichnet man mit
dem Ausdruck Rhythmus/
1 J. Minckwitz 1. c, p. 95.
9 W. Scherer, Poetik, p. 273, 274.
8 Auch nicht die Melodie, was offenbar hier unter Mnsik gemeint ist; denn
die verschiedenartigsten Melodien können über dem gleichen Rhythmus
aufgebaut werden, wie z. B. die Unmasse von Walzern wohl zur Ge-
nüge erweist, weil nicht in den tonischen Intervallverh<ni&sen der Me-
lodie der Rhythmus gelegen.
* H. Berlioz, Gesammelte Schriften, I. Bd. (A travers chants), p. 9 (deutsch
v. Pohl).
5 P. Piel, Harmonie-Lehre, II. Aufl., p. 8.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 0
In Lobe's Compositionslehre1 wird erklärt: ,Zum Rhyth-
mus in der Musik gehört: Geltung der Töne, Takt, Tempo,
Accent, und im höheren Sinne Perioden, Gruppen, Theile.'
Sieber2 äussert sich: ,Die Musik, die sich nicht sowohl
an die gewöhnliche Sprache, als an die poetische Diction, die
gebundene Rede anlehnt, hat es mit der letzteren gemeinsam,
dass zu bestimmten Zeiten regelmässige Betonungen wieder-
kehren. Dem Metrum des Gedichtes entspricht der Rhyth-
mus der Musik. Der Rhythmus aber wird durch die Wahl
der Takt arten von Seite des Componisten festgestellt. Jede
Taktart hat ihre eigenthUmlichen, wiederkehrenden Accente.'
Jungmann nennt Rhythmus den gesetzmässigen Wechsel von
Länge und Kürze.9
Nach A. Westphal ist flir ein Werk der musischen Kunst
(Musik, Orchestik, Poesie) eine gesetzmässige Gliederung und
Ordnung der von ihm ausgefüllten Zeit der Rhythmus oder
Takt(8ic!), der, insoferne er in der Poesie erscheint, mit dem be-
sonderen Namen Metrum bezeichnet wird.4 Im Weiteren wird
nach Aristoxenus gesagt:6 ,Der unserem Geiste innewohnende
Sinn flir Ordnung und Gesetzmässigkeit verlangt, dass die durch
ein Kunstwerk ausgefüllte Zeit eine gesetzinässig gegliederte
sei und dass wir uns dieser Zeitgliederung durch die Eigen-
artigkeit der nacheinander zur Erscheinung kommenden ein-
zelnen Momente des Kunstwerkes bewusst werden. Die so
gegliederte Zeit heisst Rhythmus/6
Aristides definirt: Qv&tidg roivw iari ovarrjpA %i i%
yra)Qip(ov %q6v<ov xard xiva rd^iv avyxeinevov, was Capeila
übersetzt: Rhythmus igitur est compositio quaedam ex sen-
1 J. C. Lobe, Lehrbuch der musikalischen Composition, I. Bd., p. 414.
* F. Sieber, Vollständiges Lehrbuch der Gesangskunst, p. 158 (II. Aufl.).
* J. Jungmann, Die Schönheit und die schöne Kunst, p. 336.
4 Theorie der musischen Künste der Hellenen. A. Rossbach und R. West-
phal, Bd. I, p. 33. (Das Wort Takt schränkt das Frühere total ein. Ein
musisches Kunstwerk hat als Gliederung der von ihm ausgefüllten Zeit
auch Perioden, Abschnitte, Kola etc., die durch das Wort Takt sofort
ausgeschlossen werden.)
6 Theorie der musischen Künste, I. Bd., p. 41.
6 Also nicht das Zeitglied, sondern die gegliederte Zeit, nicht Mos der
Theil, sondern auch das Ganze.
6 III. Abhandlung: K Innert.
sibilibus collata temporibus, ad aliquem habitum ordinem-
que connexa.1
In demselben Werke wird später gesagt: ,Beide Aus-
drücke werden aber auch in concreter Bedeutung gebraucht.
Rhythmus als ein grösserer oder kleinerer Theil eines
musischen Kunstwerkes insoferne dasselbe durch Takte
oder Takttheile gegliedert ist; Rhythmopöie dagegen von
der Gliederung nach Takten und zugleich von den Tönen
des Gesanges und der Instrumente/8 Ferner: ,Das Grund-
princip des Rhythmus besteht darin, dass die aufeinander
folgenden Zeitmomente in bestimmte Gruppen zerfallen, die als
solche von der aiadrjatg scharf gesondert werden können. Die
einzelne Gruppe heisst bei den Alten Qv&pög oder ftovg,
wir nennen sie Takt/8 (sie!?)
Und abermals: ,Auch der moderne Vers ist der sprach-
liche Ausdruck des Rhythmus/*
,Zum Rhythmus gehören nun nothwendig Verse, Ftisse
und Kola, beim melischen Vortrag ausserdem noch Perioden
(Verse) und Systeme (Strophen)/5 ,Stets werden mehrere
Füsse durch einen einzigen Hauptaccent zu einer höheren
rhythmischen Reihe verbunden/6 ,Die rhythmische Theorie
der Alten sieht jede Reihe als einen einzigen grösseren Fuss
an und bezeichnet ihn nach der Morenzahl und der rhyth-
mischen Gliederung der Haupt- und Nebenarsen/7 ,Gesun-
g'ene Poesie hält sich strenger im Takte als deklamierte;
in jener herrscht der ^v&(i6gy diese erscheint nur als £v#-
uoeidrjg mit bestimmter Arsiszahl/8 Vergleicht man mit dem
Vorgeführten noch die folgende Stelle: ,Nach Aristoxenus ist
die Bewegung der Stimme entweder eine q>ovij Xoyixij oder
eine qtwvi) ^ehfiäiy.ij. Der Rhythmus der q>wvij Xoyutij ist nicht
1 Theorie der musischen
Künste,
I. Bd.,
p. 60.
8 1.
c.
I. Bd., p.
86.
8 1.
c.
I. Bd., p.
102.
* 1.
c.
Ill/i Bd.,
p. 1.
8 1.
c.
HI/j Bd.,
p. 58.
e 1.
c.
HI/9 Bd.,
p. 4.
7 1.
c.
III/a Bd.,
p. 5.
8 1.
c.
III/j Bd.,
p. 513.
Ueber den Bhythmua im Chinesischen. 7
ganz derselbe wie der Rhythmus der qxorfj pehpdixi},' x so dürfte
die Bedeutung von Qv&fiög hiedurch nichts weniger als klar
werden.
Es erschwert sehr das Verstand niss, dass Westphal sich
darauf steifte novg als Takt aufzufassen, wozu in Aristoxenus'
Lehre nicht die mindeste Nöthigung vorliegt, wo im Gegentheil
vielmehr die Anwendung des Wortes Takt, welches für uns
einen vollkommen unzweifelhaft festgelegten Begriff ausdrückt,
contraindiciert ist. Würde doch hiedurch die wunderbar logische
Auseinandersetzung Aristoxenus' unlogisch, wie die Schwierig-
keiten zeigen, auf die Westphal selbst stösst. Es möge hier
in Kürze der Gedanke des Aristoxenus angedeutet werden.
Da der Rhythmus im weiteren Sinne (der grosse Rhyth-
mus) genau denselben Gesetzen unterworfen ist, wie der Rhyth-
mus im engeren Sinne (der kleine Rhythmus), so bezeichnet Ari-
stoxenus die kleinste rhythmische Gruppe des grossen
Rhythmus genau wie die kleinste rhythmische Gruppe
des kleinen Rhythmus als novg oder Fuss. Darum be-
zeichnet er auch das xälov unter gewissen Bedingungen als
novg. Damit nun die kleinste Gruppe sowohl des grossen wie
des kleinen Rhythmus der aloxhjatg als Einheit erscheine,
muss sie mindestens zwei Accente haben, einen Haupt-
accent (&doig) und einen Nebenaccent (ÜQffig). Sie kann aber
auch drei Accente haben, einen Hauptaccent und zwei Neben-
accente, welch' letztere wieder an sich im Verhältniss von
$ioiq und äjHTig stehen. Mehr als vier Accente derselben Ord-
nung kann eine rhythmische Gruppe überhaupt nicht haben,
weil eine grössere Abstufung — müssen ja die vier Accente
unter einander verschieden sein — vom Ohr nicht gefasst
werden kann.*
2t](ieTöv bedeutet einfach den Accent, welcher die Grup-
pierung der Empfindung bemerkbar macht, und hat an sich
mit einer Takteintheilung nichts, mit dem Taktschlag aber
nicht das Mindeste zu thun.8 Es ist auch unmöglich, dass
1 Theorie der musischen Künste, 111/j Bd., p. 1.
* Vgl. Theorie der musischen Künste, I. Bd., p. 110 ff.
* Man beachte die wundervollen Rhythmen Beethoven's in seinen Scherzis
der Symphonien, die trotz des dreischlägigen Taktes (*/4) häufig zwei-
8
III. Abhandlung: Kühnert.
arjiietov, wie Dr. Baumgart will, den XQdvog itQ&rog bezeichne.
Der Daktylus hat mindestens vier Chronoi protoi, aber
nur zwei Accente (Semeia).
Nehmen wir ein Beispiel aus unserer Poesie und zwar:
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
_ — I W *-/ • I I W V-/ I KS
Hier ist der XQÖvoq TtQ&vog die Kürze ^. FLobg davv&eTOQ ist
jeder einzelne Versfuss, dem eine &t<Hg und ÜQGig zukommt.1
Als nötig ovvd'€TOs treten hier auf: ,1m Hexameter steigt' und
,des Springquells flüssige Säule'. Im ganzen Distichon ist
nun wieder der Hexameter wie der Pentameter rtobg avv&ezog.
Wir erhalten also folgende übersichtliche Gruppierung:
■
V A
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule
Accente l. Ordnung & a
' I '
— w \j \ _ —
1. XQÖvoi noSixol
& a i & a \ S a
w ks
& a
& a = noösq da&v&eto*
Accente 2. Ordnung
=ss nödeg <röv&£T(u
2. X^. ^o*o„«c »«i { } s ? JK So!
Accente 3. Ordnung a & = noifg <r6v&fzo$
zu 12 XQ^V0L noSutol aus den einzelnen Verstössen und zu 2 aij/LLtta als
Fuss (im grossen Rhythmus) an sich.1
So wird auch klar, was Aristoxenus sagt:3 ,Durch das eben
Vorgetragene darf man sich aber nicht zu der irrigen Meinung
verleiten lassen, als ob ein Fuss nicht in eine grössere Anzahl
von Theilen als vier zerfalle. Vielmehr zerfallen einige Fiisse
in das Doppelte der genannten Zahl, ja in ihr Vielfaches. Aber
nicht an sich zerfilllt der Fuss in solche grössere Menge, son-
dern die Rhythmopöie ist es, die ihn in derartige Abschnitte
schlägig sind, z. B. in der IV. B-Dur., Qiaig wie &Qctv<; sind jedes ein
G7\(jlüov, ein Zeichen, das uns den Rhythmus fühlbar macht.
1 Thesis und Arsis sind hier auf Grund der Untersuchungen Westphals
(Theorie, Bd. I, p. 103 ff.) auch in der Prosodik sowie in der Musik ge-
nommen, dass Thesis den schwerbetonten, Arsis den leicht betonten
Theil nieint.
8 Theorie, I. Bd., p. 122, 123.
• Theorie der musischen Künste, Bd. I, p. 118; vgl. auch Bd. HI/,, p. 167 ff.
XJeber den Rhythmus im Chinesischen. 9
zu zerlegen heisst. Die Vorstellung hat nämlich auseinander
zu halten: einerseits die das Wesen des Fusses wahrenden
Accente (Semeia), andererseits die durch die Rhythmopöie
bewirkten Zertheilungen (Semeia). Und dem Gesagten ist hin-
zuzufügen, dass die Accente (Semeia) eines jeden Fusses überall
wo er vorkommt, dieselben bleiben, sowohl der Zahl als auch
dem Megethos nach, dass dagegen die aus der Rhythmopöie
hervorgehenden Zertheilungen eine reichere Mannigfaltigkeit
gestatten.
Nach Hanslick l ist der Rhythmus eine Einheit, zu welcher
aufeinander folgende Zeittheilchen sich zusammenfassen und
ein anschauliches Ganze bilden.
Hauptmann8 nennt das stetige Mass, wonach die Zeit-
messung geschieht, Metrum, Rhythmus die Art der Bewegung
in diesem Masse.
Nach diesen Definitionen schon könnte man sagen, dass
jeder der betreffenden Herren empfand, wo Rhythmus sei,
wenige jedoch in der Lage waren, das Wesen des Rhythmus
anzugeben. Wer aber nach Durchlesung derselben angeben
sollte, was Rhythmus sei, dürfte höchstens sich zur Antwort
herablassen: ,Rhythmus ist Rhythmus/ Diese Schwierigkeiten
werden noch vermehrt, wenn man auf den sprachlichen Ge-
brauch des Wortes Rhythmus sich beziehen will.
So sagt man z. B. : ,Steht die Hebung vor der Senkung,
so ist der Rhythmus des Versfusses fallend. Steht aber die
Senkung vor der Hebung, so ist der Rhythmus steigend/ So hat
/Treue* einen fallenden, ,bewusst' einen steigenden Rhythmus.
^Rücksichten auf Wohlklang und Rhythmus sowie auf die
Anknüpfung des Satzes (in der Prosa) gestatten Abweichungen
von der geraden Wortfolge (Inversionen)/
Berlioz3 sagt an einer anderen Stelle: ,Dieser Rhythmus
besteht einzig und allein aus einem Daktylus, dem ein Spon-
deus folgt, und wird ununterbrochen bald dreistimmig, bald
einstimmig, dann wieder von allen Stimmen zugleich fort-
geführt/
1 Ed. Hanslick, Vom musikalischen Schönen. VI. Aufl., p. 162.
* M. Hauptmann, Die Natur der Harmonik und der Metrik. II. Aufl., p. 211.
* 1. c. p. 52.
10 IH. Abhandlung: Kühnert.
Bezüglich des Chinesischen sagt v. d. Gabelentz:1 ,Gerne
werden mehrere Sätze von gleicher Silbenzahl aneinander ge-
reiht, zumal viersilbige. Nor erwarte man nicht, dass der an-
genommene Rhythmus in eintöniger Weise ununterbrochen
herrsche. Der ' Rhythmus ist theils einfach, d. h. aus je gleich-
langen Sätzen bpstehend, theils zusammengesetzt, d. h. derartig,
dass Sätze von verschiedener Silbenzahl in gleicher Reihen-
folge wiederkehren. Folgende8 Satztheile dürfen bei Messung
des Rhythmus ungezählt bleiben (sie !), also überzählig sein,
ohne den Rhythmus zu stören: satzeröffnende Conjunctionen,
Adverbien, Interjectionen , die Negation >^ put, wenn der
Parallelsatz an dieser Stelle einen positiven Ausdruck hat; im
Allgemeinen alle Satztheile, welche in den folgenden Gliedern
stillschweigend weiter wirken/
,Was der Ton dem Worte, ist der Rhythmus dem Satze/
heisst es bei Wade,4 wogegen Mateer6 erklärt: ,Unter rhyth-
mischer Emphase des Satzes ist verstanden der relative Grad
der Emphase, welcher den einzelnen Wörtern gegeben wird,
ihre Vertheilung in Gruppen, und die Schnelligkeit oder Lang-
samkeit, mit welcher sie einzeln gesprochen werden.'
Premare6 vergleicht in seiner bisher nicht übertroffenen,
dem Sprachgeiste völlig adäquaten Erläuterung des Chinesischen
den Rhythmus mit den Versen in der französischen Poesie,
welche freie und gemischte genannt werden, weil nach dem
Wohlgefallen des Dichters längere mit kürzeren untermischt
sind. Er vergleicht ihn mit dem numerus oratorius und ftihrt
zur Erläuterung Cicero's Stelle an : O singularem sapientiam
judices etc. ; deutet darauf hin, dass ein Element des Rhythmus
in dem Verhältniss der Betonungen ping und tse zu suchen
sei, welche ähnlich wie die Quantität der Silben bei der an-
tiken Metrik und Poesie den Rhythmus bestimmen, und schliesst
mit dem Satze: Frustra hie adderem minuta praeeepta multa-
1 Gabelentz, G. v. d. Grammatik, p. 344.
* 1. c. p. 619, §. 1454.
" 1. c. p. 520, §. 1466.
4 Tzu erh chi, Vol. I, p. 9. II. Aufl.
B C. W. Mateer, A course of mandarin lessons, p. XX.
0 Premare, Notitia linguae sinicae, Malacca 1831, p. 190 — 192.
Ueber den Bhjthmus im Chinesischen. 1 1
que in variis ad exempla quae proferam notis longe melius
insinuabuntur et clarius per ipsamet exempla intelligentnr.
Dies dürfte an Citaten über den Rhythmus im Chinesi-
schen genügen, um zu zeigen, dass auch hierin von dem
eigentlichen Wesen des Rhythmus in den seltensten Fällen
gehandelt wird.
Bezüglich der zunächst zur Frage kommenden Bedeutung
der Sprachrhythmik sagt treffend Hauptmann:1 ,Die Sprach-
rhythmik an sich, von der Metrik abgesehen, ist in ihren
Quantitätsnuancen vergleichbar der Sprachmelodie, der Wort-
und Silbenbetonung in Absicht auf Höhe und Tiefe des Klanges.
So wenig als diese in harmonischer Intervallbestimmung dar-
zustellen sein würde, wiewohl sie eben auch den Sprachton
sich heben und senken lässt; ebenso wenig ist eine Bestimmung
festzusetzen für die unendlichen Abstufungen und Uebergänge,
in welchen der Rhythmus der Redetheile sich den rein
metrischen Formen nähert, mit ihnen zusammentrifft und wieder
von ihnen abweicht; indem er in der gemessenen Rede im
Ganzen doch das Mass hält und auch in den Gliedern der-
selben eins zu sein scheint.
Es würde aber geradezu absurd zu nennen sein, wenn
man sich einbilden wollte, ein poetisch belebter Redevortrag
müsse oder könne den mathematischen Formbestimmungen einer
starren Metrik sich überall genau anschliessen, oder diese selbst
in aller Strenge darstellen. Die metrische Form ist das feste
Skelett, das Knochengerüst, um welches das Weiche, dem das
Leben innewohnt, sich bildet, in rundenden in sich selbst über-
gehenden Formen, die des fest bestimmten Haltes wohl nicht
entbehren können, diesen selbst aber nicht, oder doch nur in
verhüllenden, in gemilderten, scheinbar sich selbst bestimmenden
Umrissen erscheinen lassen.
Der antike Vers hat die sprachlichen Quantitätsbestim-
mungen zu seinem formellen Kunstelement: Länge und Kürze
der Silben. Der moderne Vers setzt für die Länge die accen-
tuirte, die logisch betonte Silbe, für die Kürze die unbetonte,
die accentlose.'
1 Natur der Harmonik und Metrik, p. 842.
12 III. Abhandlung: Kuhnert.
Durch kritische Beleuchtung der im Vorhergehenden ge-
gebenen Citate dürfte es möglich sein, mit Bezug auf die
Bedeutung des Wortes Rhythmus ($v&(i6g) sich das Wesen
desselben; d. i. seine charakteristischen Eigentümlichkeiten klar
zu machen.
Das griechische Wort Rhythmus wurde angewendet in
dem Ausdrucke: im Schritt marschieren (iv Qv&(i$ ßalveiv),
im Takte tanzen (iv $v&it$ ÖQ%uo&ai), für die harmonische
Bewegung der ungebundenen Rede, den Wohlklang der Rede
(numerus oratorius), das Ebenmass der einzelnen Theile eines
Ganzen, das richtige, schöne Verhältniss derselben (Proportion),
überhaupt von jeder nach einem gewissen Ebenmass bestimmten
Gestalt, für Charakter, Sitte, Gemüthsart.1 Hienach erscheint
das Wort Rhythmus nach jetzigem Sprachgebrauch in zwei-
facher Anwendung, einer engeren und einer weiteren. Einmal
nämlich zur Bezeichnung der accentuierten Bewegungsart
in einer angenommenen Zeiteinheit, welch1 letztere durch die
Bewegungsart als anschauliches Ganzes der Empfindung sich
darstellt; das andere Mal für das schöne Verhältniss der Theile
eines Ganzen, das sich aus Bewegung zusammensetzt, weil die
Anschaulichkeit des Ganzen ein richtiges schönes Verhältniss
der einzelnen Theile bedingt.
In diesem Sinne setzen die früher gegebenen Definitionen
von Hanslick und Hauptmann auch den Begriff des Rhythmus fest.
Dass nicht die Taktart in der Musik den Rhythmus aus-
macht, lässt sich an einem Beispiele sofort erkennen. In der
Tanzmusik haben z. B. Menuett, Walzer, Polka Mazur dieselbe
Taktart, den 3/* Takt. Trotzdem wird jeder Tänzer bei den
ersten Klängen im Klaren sein, ob man eine Menuett, einen
Walzer oder eine Polka Mazur beginne. Nicht einmal den
ganzen ersten Takt, geschweige denn das ganze Musikstück
braucht er zu hören, um darüber zur Entscheidung zu kommen.
Da sich nun diese drei Tänze und deren adäquate Musik durch
den Rhythmus unterscheiden, so kann derselbe nicht durch die
Taktart gebildet werden, einfach deshalb, weil diese bei allen
dreien gleich ist. Eine Gleichheit kann aber nie und nimmer
einen Unterschied bewirken.
1 Paasow, Griech. -deutsch. Wörterb. s. v. $v$juöe.
Ueber d«o Rhythmus im Chinesischen. 13
Ebenso wenig kann der Rhythmus in der regelmässigen
Wiederholung von Gegensätzen bestehen.
Der Jambus besteht aus Kürze und Lauge oder aus
Senkung und Hebung. Vom Jambus aber sagen wir, dass er
steigenden Rhythmus hat. Wo ist hier eine Wiederholung?
Eine Kürze, eine Länge oder eine Senkung, eine Hebung,
nirgends etwas wenigstens nur doppelt, wie es der Begriff der
Wiederholung bedingt; noch mehr, wo ist hier eine Wieder-
holung von Gegensätzen? Eine Kürze und eine Länge oder
eine Senkung und eine Hebung bilden zusammen einen Gegen-
satz. Wo sind die absolut erforderlichen zwei Gegensätze beim
Jambus, wenn in der Wiederholung der Begriff des Rhythmus
läge? Nirgends, und doch hat der Jambus einen Rhythmus.
Der Jambus jedoch ist eine Einheit, die aus zwei auf-
einanderfolgenden Zeittheilchen gebildet wird, welche durch
die Accente (Senkung, Hebung) sich der Empfindung als an-
schauliches Ganze kundgibt.
Im Jambus haben wir das Gesetz, dass die Kürze vor der
Länge oder die Senkung vor der Hebung stehen muss. Ein
Wechsel ist infolge dessen vorhanden, und so wäre in diesem
Falle die oben (p. 4) angeführte Definition richtig. Wie ver-
hält es sich aber mit dem Spondeus ?
Nach der antiken Metrik, heisst es, werde nur nach Quan-
titäten gemessen, und daher müsste ein Wechsel langer und
kurzer Silben den Rhythmus bilden. Dann könnte aber der
Spondeus keinen Rhythmus besitzen, weil Länge und Länge
kein Wechsel von Länge und Kürze ist. Dessenungeachtet
schreibt die antike Metrik dem Spondeus einen Rhythmus zu.
Demnach ist die Definition des Rhythmus als Wechsel langer
und kurzer Silben zu enge.
Der Spondeus aber als Einheit von zwei Längen, auf
deren erste die Hebung, auf deren zweite die Senkung fällt
oder umgekehrt, stellt sich hiedurch der Empfindung als an-
schauliches Ganze dar.
Hieraus erhellt, dass auch für die antike Rhythmik der
Accent mit ein Erforderniss ist.
In ähnlicher Weise geräth Berlioz mit sich in Wider-
spruch , wenn er bei der Analyse des Allegrettos aus der VII.
14 III. AbUndlunf : Kfthnert.
Symphonie Beethovens sagt:1 ,Der Rhythmus besteht einzig aus
einem Daktylus, dem ein Spondeus folgt/ Dass diese Folge einen
Rhythmus gibt, leugnet wohl niemand, dass hier aber eine sym-
metrische Eintheilung des Zeitmasses vorläge, dürfte kaum ohne
weiteres zugestanden werden. Denn eine Länge zwei Kurzen
zwei Längen sieht wenigstens nicht symmetrisch aus.
Nichtsdestoweniger liegt in dieser Folge Rhythmus, weil
sich in derselben aufeinanderfolgende Zeittheilchen zu einer
Einheit zusammenfassen und durch die Accente als anschau-
liches Ganze der Empfindung darstellen.
Ein sich drehendes Transmissionsrad hat Bewegung, gibt
aber keinen Rhythmus, weil diese Bewegung der Accente
entbehrt.
Weiter in die einzelnen Definitionen einzugehen, dürfte
überflüssig sein, weil eigenes Nachdenken jeden dahin führen
wird und führen muss, die Richtigkeit oder die Mängel der-
selben zu ergründen.
Das Wort Rhythmus findet auf grössere rhythmische Ge-
bilde gleichfalls Anwendung. So sprechen wir von einem Rhyth-
mus des Verses, der Strophe, des Gedichtes, vom Rhythmus
der Sätze und Perioden in der Musik. In allen diesen Fällen
hat man mit der Definition Hanslick's das Auslangen.
Die übliche Bezeichnung des Versmasses und Angaben
wie etwa: den Vers bilden fUnffussige Jamben, deuten uns nur
auf den Rhythmus des Versfusses, nicht aber auf den
Rhythmus des Verses. Hauptmann sagt daher mit Recht:
,Die gebräuchlichste Art das Versmetrum zu bezeichnen, wie sie
für die rhythmischen Nuancen einer genauen Unterscheidung er-
mangelt, befasst sich auch nicht damit, über die innere metrische
Beschaffenheit des Verses Aufschluss geben zu wollen.' Es be-
stehen solche Angaben nur in einer äusseren Zusammenzählung
der Glieder; von der inneren Structur der metrischen Form
ist ganz abgesehen, denn man erfährt durch eine solche Be-
zeichnung nicht viel mehr, als durch die Angabe nach Silben-
zahl und darf die Benennungen eben nur als Namen für Sachen
1 Berlioz, Gesammelte Schriften, Bd. I, p. 62.
8 Natur der Harmonik und Metrik, p. 334.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 15
betrachten, die ihrem Inhalte and ihrer Eigenschaft nach uns
schon bekannt sein müssen/1
Ein fÜnfiUssiger trochäischer Vers ist es nicht, wenn nur
schlechthin fünf Trochäen aneinander gereiht werden, es müssen
noch gewisse Accentverhältnisse hinzutreten, damit der Vers
sich der Empfindung als Einheit darstellt, mit anderen Worten,
dass der Vers einen Rhythmus erhält. Im ersten Falle haben
wir nur den fünfmal wiederholten Rhythmus des Trochäus, im
zweiten jedoch einen fünffüssigen trochäischen Vers, in welchem
sich ausser dem fünfmal wiederholten Rhythmus des
Trochäus noch ein weiterer Rhythmus kund geben muss,
welcher den Vers als ein anschauliches Ganze der Empfindung
markiert.
Aus gleichem Grunde kann man nicht sagen: Der Ga-
lopp des Pferdes ist Rhythmus, sondern nur: Im Galopp des
Pferdes ist Rhythmus.
/Treue, Schnupfen, Pferde, Menschen* bilden keinen vier-
füssigen trochäischen Vers, sondern sind nur vier einzelne Tro-
chäen; hingegen sind:
,Wol1te Gott, es war' vorüber'
,Ob die ersten Lerchen schweben'
sicher vierfüssige trochäische Verse, weil sie durch die Accente
höherer Ordnung (Senkung, Hebung), sich als eine Einheit
und ein anschauliches Ganze der Empfindung fühlbar machen.
So hat z. B. einen Accent ,Gott', es ist der schwächere,
den zweiten ,wär' und dies ist der stärkere. Aber selbst jeder
dieser Theile gruppiert sich wieder aus zwei Theilchen, nämlich
einem mit stärkerem und einem mit schwächerem Accent, und
zwar hat im ersten Theile ,Gott* den stärkeren, , Wollte' den
schwächeren; im zweiten Theile ,wär' den stärkeren, ,ü< den
schwächeren.
Lediglich in diesem Rhythmus im weiteren oder höheren
Sinne, ohne den der Vers nicht Vers sein kann, ist der Grund
gegeben, warum im sechsfiissigen jambischen Vers nach dem
dritten Fusse eine überzählige Senkung und eine Diäresis, im
achtfüssigen trochäischen Vers nach dem vierten Fuss eine
1 Natur der Harmonik und Metrik, p. 317.
16 m. Albandhtnf : Kübnert.
Diäresis stehen, warum im Hexameter im dritten Fuss eine
Cäßur vorhanden sein, im Pentameter die Mitte durch eine
Diäresis markiert werden muss. Ohne diese Merkzeichen konnten
sie sich nicht der Empfindung als eine Einheit darstellen, zu
der aufeinander folgende Zeittheilchen sich zusammenfassen
und ein anschauliches Ganze darstellen. Sie hätten keinen
Rhythmus im höheren Sinne und wären sonach keine Verse.1
Dass mitunter auch bei wirklichen Dichtern eine Ver-
letzung dieses Rhythmus im höheren Sinne unterläuft, darf
uns nicht irre machen. Es tritt dies immer ein, wenn man
zu Gunsten des Versmasses von der normalen und logisch
geforderten Betonung abweichen muss.2 Hiedurch ergibt sich ein
rhythmischer Widerspruch, nämlich zwischen dem Rhythmus
im engeren und weiteren Sinne, so z. B. in Bürger's ,Der
Kaiser und der Abt' bei der Stelle: ,Hans Bendix soll ihm nicht
die Schafe mehr hüten', wo eine Verletzung des ästhetischen
Gefühls eintritt. Die logischen Hauptbetonungen müssen un-
bedingt auf ,8oll' nicht jinehr* fallen, wogegen nach dem Rhyth-
mus des Verses die Hauptbetonung im Gegentheil auf ,ihm'
zu legen ist. Hans Bendix soll Schaf hirte überhaupt nicht
mehr sein, nicht aber blos dem Abt von St. Gallen keine
Schafe mehr hüten, hingegen jedoch anderen Leuten. Dies
zeigt die Strophe deutlich:
Wir lassen dem Abt von St. Gallen entbieten :
Hans Bendix soll ihm nicht die Schafe mehr hüten,
Der Abt soll sein pflegen, nach unserm Gebot,
Umsonst bis an seinen sanftseligen Tod.
Genau die kurz zuvor erwähnten Verhältnisse treten auch
in der Musik zu Tage und müssen zu Tage treten, weil die
Musik ihre Gebilde auf dem Rhythmus im engeren und wei-
1 J. Minckwitz, Lehrbuch der deutschen Venkunst, p. 100 sagt: ,Jeder längere
Vers muss eine Cäsur oder einen Einschnitt haben. Er ist für den
Rhythmus wesentlich und hat die Aufgabe zu verhindern, dass diese
Verse in zwei gleiche Hälften zerfallen1, d. h. dass nicht jede Hälfte als
Ganzes erscheine.
9 Dies trifft natürlich nicht Verse wie:
Während der frischhauchende Wind auf das Topsegel bläst,
Sehen die Schiffsleute beglückt über die Meerfluth hinaus.
Vgl. J. Minckwitz, Lehrbuch der deutschen Verskunst, p. 26, 87. 22.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 17
teren Sinne aufbaut. Man sehe das Allegrefto der bereits
citierten A-Dur Symphonie Beethoven's. Durch das accordliche
Material werden die aufeinander folgenden Wiederholungen des
sich gleichbleibenden Rhythmus im engeren Sinne, mit der
Accentuierung des Rhythmus im weiteren Sinne bedacht, so
dass wir folgendes anschauliche Ganze des ersten Satzes, d. i.
der Aufeinanderfolge von Daktylus Spondeus Daktylus Spon-
deus erhalten.
Durch die Halbkadenz auf dem ersten (Quintsextaccord)
und den Ganzschluss auf dem zweiten Spondeus werden diese
vier Rhythmen im engeren Sinne zu einer aus zwei Theilen
bestehenden Einheit zusammengefasst und derart durch Accente
zweiter Ordnung markiert, dass die beiden Theile im Verhältniss
von Frage zu Antwort also von Hebung zu Senkung stehen.
Durch den Bassgang ergeben sich Accente dritter Ordnung.
Nämlich der erste Daktylus steht zum ersten Spondeus im Ver-
hältniss von Senkung zu Hebung, ebenso der zweite Daktylus
zum zweiten Spondeus.
Das Charakteristische des Rhythmus besteht so-
nach in der Aufeinanderfolge einzelner als solcher
erkennbarer Theile, die durch die Accentuierung sich
zu einer Einheit für die Empfindung gruppieren. Die
Erkennbarkeit der einzelnen Theile wird erreicht durch im
Verhältniss zu einander längere oder kürzere Dauer derselben
und durch Accente verschiedener Ordnungen.1
Dieses Charakteristische eignet auch dem oratorischen
Numerus, der natürlichen Harmonie des Stils, und daher kann
man auch von einem Rhythmus in der Prosa reden. Wohl-
klang ist die Seele guten, will sagen schönen Stiles und zwar
Wohlklang in einzelnen Wörtern und Wortfügungen (Eupho-
nie), Wohlklang in Perioden und deren Gliedern (Numerus
oder Rhythmus). Dieser Wohlklang der Rede wird bei unseren
europäischen Sprachen befördert durch ein schönes Verhältniss
zwischen Vocalen und Consonanten, zwischen einsilbigen und
mehrsilbigen Wörtern, zwischen kürzeren und längeren Satz-
gefügen, durch das schöne Verhältniss schneller zu sprechender
1 Vgl. Theorie der musischen Künste der Hellenen. A. Rossbach und
B. Westphal, Bd. I, p. 42.
ßitzungBbw. d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. 3. Abb. 2
18 HL Abhandlung: Kfthntrt.
and flüchtiger zu berührender Wortgruppen, Satztheilen u. s. w.
zu solchen, auf welchen die volle Wucht des Gedankens, des
Tones, der Stimmerhebung feilt.1 Welch schönen Rhythmus
haben nicht die folgenden Zeilen Matthisson's: ,Nur einmal
möcht' ich, eh in die Schattenwelt Elysiums mein seliger Geist
sich senkt, die Flur noch segnen, wo der Kindheit himmlische
Träume mein Haupt umschwebten/ '
Wir unterscheiden in unseren europäischen Sprachen den
Silbenaccent, die Dauer der einzelnen Silben markierend, ob
scharf oder schwach geschnitten; zur Fixierung des Begriffes
den Wortaccent, als Hervorhebung der logisch geltenden Silbe
(Hochton) durch Hebung, Tonstärke und längere Dauer der-
selben (grammatischer Accent); den Satzaccent als Hervor-
hebung des logisch wichtigen Wortes im Satze durch grössere
Tonstärke als Charakteristik der Satzarten (oratorischer Accent)
und zum Ausdruck der verschiedenen Affecte des Sprechenden
' (pathetischer Accent) durch Tonhöhe und Dauer (Satzmelodie).
Alle diese Accente nehmen theil an der Bildung des Rhythmus.
Das Charakteristische des Rhythmus eignet auch der chine-
sischen Sprache, wird vom Chinesen als solches aufgefasst, wes-
halb er die Begriffe Stil der Rede, Rhythmus, Melodie mit einem
und demselben Charakter |£| diao bezeichnet. Vom gewöhn-
lichen Satze in der Umgangssprache, bei dem sich infolge der
logischen Accente (Senkung, Hebung, Tonstärke) der schneller
oder langsamer zu sprechenden Worte mit Rücksicht auf jene,
der schicklichen Wahl der Worte in Bezug auf die jedem ein-
zelnen Worte zukommenden Shengs, ein Wogen und Wallen
bemerkbar macht, also ein Rhythmus in der Rede schon fühl-
bar ist bis zu den sublimsten Gebilden schönen Stils, in denen
der Rhythmus im engeren und weiteren Sinne eine wichtige
Rolle spielt, überall bekundet sich ein der Empfindung sich
aufdrängendes, anschauliches Ganze aufeinanderfolgender Zeit-
theilchen. Der Rhythmus ist organisch verbunden mit der chine-
sischen Sprache.
Der einfachste Satz wie etwa: ,Dies ist nicht mein Fehler*
hat oft im Chinesischen einen Rhythmus, wie wir Europäer ihn
1 Schleintnger, Grundzüge der Beredsamkeit, p. 164. •
* Alc&iflche Strophe.
Üeber den Rhythmus im Chinesischen. 19
nur in unserer gebundenen Rede anwenden; ja selbst einzelne
Ausdrucke für einen Begriff z. B. tschän-tschän-tschlng-tschlng-ti
für ,zitternd', höei-tschjü für ,heimkehren' weisen einen solchen
auf. Dies wird jeder aus Erfahrung bestätigen , der unter An-
leitung eines Chinesen die Sprache studierte, wenn er sich der
Mühe erinnert, welche sich der betreffende Chinese gab, damit
der Europäer genau seinen Rhythmus nachahmte, ohne den eben
derartige Ausdrücke absolut unverständlich sind. Man kann
allerdings in solchen Fällen beim schriftlichen Gedankenausdruck
den Rhythmus nur durch Analoga aus bekannten Sprachen oder
noch besser durch notliche Darstellung beschreiben.1 Das chine-
sische Aequivalent des früher erwähnten Satzes ,Dies ist nicht
mein Fehler' offenbart einen Rhythmus, der völlig identisch ist
mit jenem der folgenden deutschen Worte: Der Altar prangte
im Glanz.
Oder sollte jemand zweifeln, dass dieser deutsche Satz
einen Rhythmus hat?
Es ist ein regelrechter vierflissiger daktylischer Vers, der
durch eine Diäresis in zwei Hälften getheilt wird. Jede Vers-
hälfte ist unvollzählig und hat einen männlichen Schluss. Der
erste Versfuss ist ein Spondeus, wie solcher stets für einen
Daktylus eintreten kann. In der ersten Vershälfte fällt der
schwächere ^Accent auf ,der', der stärkere auf ,tar', in der
zweiten Hälfte der schwächere auf ,prang', der stärkere auf
,Glanz'. Die erste zur zweiten Hälfte steht im Verhältniss von
Senkung zu Hebung, da die Accente der zweiten Hälfte stärker
sind als jene der ersten. So haben wir denn nach der üblichen
metrischen Bezeichnung folgendes rhythmisches Gebilde:
1 ^ I > II v w w | >_ •
So wie nun im modernen Vers der Rhythmus durch die
logischen Accente entsteht, sind diese auch mit Ursache
des Rhythmus im Chinesischen.
1 So ist der Rhythmus für tschan tschan tsching tschingti:
s Oder deutlicher in Notenschrift:
El J J U MH J^PTI
,8*
20 UI. Abkaadhuf : K«hn«ri.
Demnach ist es vollständig zutreffend, wenn Mateer sagt:
,Unter Rhythmus des Satzes im Chinesischen ist verstanden:
der relative Qrad der Emphase, welcher den einzelnen Worten
gegeben wird, ihre Vertheilung in Gruppen und die Schnellig-
keit und Langsamkeit, mit welcher sie einzeln gesprochen
werden/
Dieser Rhythmus des einfachen Satzes ffthrt zu den
rhythmischen Gebilden im Stil, die dann einen Rhythmus im
weiteren Sinne darstellen. Von letzterem — freilich blos in
derselben unbestimmten Ausdrucksweise, wie in der Prosodik
unserer Sprachen, wo nur von einer Abzahlung der Silben die
Rede ist, nicht aber von der innersten Structur, dem eigent-
lichen Wesen des Rhythmus — handeln die anderen rücksicht-
lich des Chinesischen angeführten Citate wie: ,Gerne werden
mehrere Sätze von gleicher Silbenzahl aneinandergereiht, zumal
viersilbige. Nur erwarte man nicht, dass der angenommene
Rhythmus1 in eintöniger Weise ununterbrochen herrsche/
Hier ist Rhythmus im engeren Sinne analog dem Rhyth-
mus des Verstosses genommen. So wenig aber vier Längen
oder vier Kürzen an sich ein Rhythmus sind, weil sie erst
durch die Accentuierung sich der Empfindung fühlbar machen,
und so wenig — wie oben erläutert — fünf willkürlich an-
einandergereihte Trochäen einen fUnfiEÜssigen trochäischen Vers
geben ; ebensowenig ist die blosse Aneinanderreihung beliebiger
vier Schriftzeichen oder Silben im Chinesischen ein Rhythmus
im engeren Sinne, noch weniger aber ist die blosse Aufeinander-
folge von viersilbigen Sätzen ein Rhythmus im weiteren Sinne.
Denn hätte auch jeder einzelne der viersilbigen Sätze einen,
z. B. den vierschlägigen Rhythmus, ja hätten alle aufeinander-
folgenden Sätze den gleichen vierschlägigen Rhythmus, so könnte
man einem derartig losen Gefüge ebensowenig Rhythmus zu-
sprechen, wie den früher erwähnten Trochäen: Treue, Schnupfen,
Pferde, Menschen; denn es wäre nur eine x-malige Wiederholung
des gleichen vierschlägigen Rhythmus, die das chinesische Ohr
ebenso beleidigen würde, wie unsere Ohren der Satz: ,Manche
1 Also der vierschlägige , somit wird die Verbindung von vier Silben ein
Rhythmus genannt und nicht die Wiederholung von je vier Silben als
Rhythmus bezeichnet.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 21
Menschen klagen immer über ihre Leiden ohne deren wahre
Quelle zu erforschen/ in welchem ein Rhythmus wiederholt wird,
dem aber als Ganzes betrachtet Rhythmus abzusprechen ist.
Man hatte diesen Mangel in der Auffassung des Wortes
wohl gefühlt und darum als Auskunftsmittel zur Einführung
des Parallelismus1 gegriffen, den man als Vereinigung von
Rhythmus und Antithese angibt. Dies ist aber unnöthig. Der
richtige Begriff des Rhythmus (im engeren und weiteren Sinne
nämlich) umschliesst Alles von derartigen Erscheinungen. Ueber-
haupt kennt der Chinese nur den Rhythmus, und eine einfache
Wiederholung eines niederen Rhythmus ist im Chinesischen
ebenso verpönt wie im Deutschen, also brauchte man für den
Rhythmus im weiteren Sinne nicht das Wort Parallelismus,
scheinbar als neuen Begriff einzuführen.
Wie bemerkt und wohl selbstverständlich ist, basiert der
Rhythmus im Chinesischen auf der Sprechweise. Würde jedes
einsilbige Wort gleich lang ausgesprochen und hätte ein solches
lediglich nur die ihm logisch nothwendige Stimmbiegung (den
Sbeng) nicht aber noch einen weiteren Accent, dann könnte
das Chinesische überhaupt keinen Rhythmus haben oder, wenn
man die Accente zugibt, nur einen spondeischen. Da aber die
Empfindung uns belehrt, dass das Chinesische über die mannig-
fachsten Rhythmen verfügt, so muss nach dem, was über Rhyth-
mus gesagt wurde, ein Unterschied zwischen schnellerer und
langsamerer Bewegung, ein Unterschied in der Accentuierung
vorhanden sein. Dies kann im Chinesischen aber nur
ebenso wie im modernen Versbau durch die logischen
Accente erreicht werden und durch das Verhältniss der
einzelnen Stimmbiegungen, und zwar namentlich der
beiden sich gegenüberstehenden Hauptstimmbiegungen
Ping undTse, durch welche, wie die Chinesen lehren, ein
analoges Verhältniss zum Ausdruck kommt, wie das von Länge
und Kürze.
Man huldigt in Europa meist der Ansicht, das Chinesische
müsse, da es der Hauptsache nach eine einsilbige Sprache
1 Was die Chinesen «f Bjg dh'i Um nennen, ist ganz etwas anderes als
was in dieser Angabe unter Parallelismus verstanden wird. Davon
später.
22 m. iUioAuc: Kftfcn«rft.
ist, abgehackt klingen. Das (iegentheil aber trifft das Rich-
tige. Wenn zwei Chinesen mit einander sprechen, klingt das
Gespräch ebenso melodisch und flieset gleichfalls im ununter-
brochenen Strome dahin, wie in den europäischen Sprachen.
Ja noch mehr, das Chinesische klingt in der Mehrzahl der
Fälle musikalischer als die europäischen Sprachen. Hierin mag
auch der Grund liegen, dass die Harmonie der chinesischen
Musik fremd ist, geradeso wie wir bei den Italienern wohl den
bei canto, aber keine ausgebildete Harmonik finden.
Die Shengs, oder wie man auch sagt die Töne, welcher
sich das Chinesische zur Charakterisierung für einen bestimmten
Begriff einer Silbe bedient, geben bereits einen Unterschied in
der absoluten Dauer der einzelnen Worte. Sämmtliche Tse-
sheng sind im V erhält niss zu den Ping-sheng kurz, trotzdem
besteht unter den einzelnen Tse-sheng ein wesentlicher Unter-
schied in der Datier des Klanges.
Beim Ping-sheng hallt die Stimme gleichmässig aus —
wie ich in meinem Artikel über die Sheng bereits erwähnte1 — ;
beim Shang-sheng setzt die Stimme kräftig und plötzlich ein
und steigt mit einer gewissen Schnelligkeit, der Kjü-sheng setzt
klar und ausgesprochen ein und nimmt hastig an Stärke ab,
sich gleichsam in der Ferne verlierend. Beim Aju-sheng bricht
die Stimme kurz und plötzlich ab, um sich gleichsam in sich
zu verbergen. Hieraus zeigt sich schon, dass die Betonungen
Ping und Tse nahe im Verhältniss von schwach und scharf
geschnittenen Silben unserer Sprache stehen, dass jedoch be-
züglich der schwach geschnittenen zwei Grade der Dauer,
bezüglich der scharf geschnittenen drei Grade der Dauer im
Chinesischen unterschieden werden. Es sind also zweifelsohne
die Shengs ein Analogon unseres Silbenaccentes. Und nach-
dem der Chinese sagt : ^p JJ^ ^ =p| die Ping und Tse stehen
(hier) in keinem rhythmischen Verhältniss, von einer Stelle,
bei welcher ein schönes Verhältniss der Ping und Tse nicht
obwaltet, so folgt doch daraus, dass die Unterschiede der Ping-
und Tse-sheng zur Hervorbringung des Rhythmus benützt
werden.
1 S. Wiener Zeitechr. f. d. Kunde des Morgenlandes, Bd. VIII, p. 30S Anin.
Utber den Rhythmus im Chinesischen. 23
Aber das Chinesische besitzt auch ein Analogem des Wort-
accentes. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als ob
hier ein Widersprach mit der Einsilbigkeit der chinesischen
Sprache vorliege. Dem ist aber nicht so. Unser Wortaccent
hat den Zweck die logisch geltende Silbe herauszuheben wie
in: gäbet und Geb^t. Und diesen Zweck hat auch das Ana-
logon im Chinesischen. Wie oben (p. 19) bereits hingewiesen,
gibt es im Chinesischen für bestimmte Begriffe Ausdrücke, die
sich aus mehreren chinesischen Worten zusammensetzen. Von
diesen zu einer begrifflichen Einheit sich zusammen*
fassenden Worten hat dasjenige, auf welches das logische
Hauptgewicht ftdlt, den Hauptton. So in ,Heimkehren' hoei-
9Jä? 3)ä entsprechend dem deutschen Heim.
Da also hier das logisch wichtigste Wort dieser zu-
sammengesetzten Ausdrucksweise, eben wegen seiner logischen
Bedeutung den Hauptton erhält, dieser Accent aber, welchen
einzelne Theile (Worte) einer solchen begrifflichen Einheit
ausser dem Sheng erhalten, stets und immer an dem be-
stimmten Worte dieser Zusammensetzung haftet und zwar
auch isoliert von jedem Satzzusammenhange, so kann
und darf man ihn dem Wortaccente unserer Sprachen, dem
eine analoge Bedeutung zufällt, vergleichen.1 Es lässt sich für
die Bepechtigung der Anwendung des Ausdruckes , Wortaccent'
auf das Chinesische direct ein schlagender Beweis erbringen.
Entsprechend unserem fragenden , welcher?' gebraucht
der Chinese ^ ||£, das shen-mo* (pek. 8hen*-mol) zu transcri-
bieren wäre. Thatsächlich spricht der Chinese diese Verbindung
y9ch6mmoi aus, wie wir dieses zweisilbige Wort aussprechen
würden. Er assimiliert sonach das schliessende n von shen dem
anlautenden m von mo, und dies ist in der innigen Ver-
schmelzung dieser zwei Worte zu einem Ausdruck durch
die lautphysiologischen Gesetze begründet.
Daraus kann nicht gefolgert werden, dass das Chinesische
eine polysyllabische Sprache sei, noch weniger aber, dass die
Anwendung des Ausdruckes Wortaccent mit dem Monosylla-
bismus des Chinesischen im Widerspruch stehe.
1 Vgl. MOllendorff, Prakt. Anleitung zur Erlernung des Hochchinesiflchen,
p. 153.
24 HI. Abhandlung: Kühnert.
Monosyllabisch ist das Chinesische auch heutzu-
tage, und auch in Bezug auf solche Zusammensetzungen zu
einer begrifflichen Einheit insoferne, ab jede Silbe für
sich noch gegenwärtig einen Begriff ausdrückt und als
Wort für sich angewendet werden kann. Nicht bo bei un-
seren Sprachen. Setze ich einfach ,Gebet* an, so wird Jeder-
mann beim Sprechen dies in gebet trennen. Durch den Wort-
accent hingegen wird uns fühlbar gemacht, dass flir ,g£bet' der
begrifflichen Einheit nach in geb-et, für ,GebeY in ge-bet zu
trennen ist. Von den beiden Silben jedes dieser zwei Worte ist
je eine Silbe jeder selbstständigen begrifflichen Bedeutung nach
dem heutigen Sprachgefühle bar. So ist in göbet die Flexions-
silbe ,et' isoliert bedeutungslos im Sprachgefühl, ingleichen ,ge'
in Gebebt. Aber noch mehr, obwohl wir den begrifflichen Gehalt
je nachdem der Silbe ,geb' oder ,bet' zuweisen, ist doch keine
derselben als selbstständiges Wort bei der sprachlichen An-
wendung im Gebrauch, jederzeit muss hier noch eine weitere
Silbe zur sprachlichen Fixierung des Begriffes hinzukommen.
Und darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen den
chinesischen zusammengesetzten Ausdrücken und dem
Polysyllabismus unserer Sprache.
Wollte man jedoch das Chinesische wegen der häufigen
innigen Zusammensetzung zweier oder mehrerer einsilbigen
Worte zum Ausdruck eines Begriffes mehrsilbig nennen, dann
müsste man das Deutsche nicht eine mehrsilbige, sondern
eine mehrwortige1 Sprache nennen.
Man sollte meinen, derartiges speciell hervorzuheben, wäre
,Eulen nach Athen tragen', praktische Erfahrung jedoch hat
mir gezeigt, dass die Betonung dieser Verhältnisse eine Not-
wendigkeit sei.
Rhythmus ist die Seele der chinesischen Sprache und in
ihm liegt das Gegengewicht gegen die Monotonie der Ein-
silbigkeit. Der Rhythmus fast ausschliesslich — und zwar
, Heimkehren' ist eine Wortzusammensetzung aus Heim und zurückkehren
für ,nach dem Heim zurückkehren*. Das chinesische hoH-gj& ist genau
dieselbe Zusammensetzung, nämlich »zurückkehren* }Heimc. Beide unter-
scheiden sich nur dadurch, daas im Chinesischen die grammatische
Rection erhalten ist, im Deutschen nicht.
Ueber den Bbythmui im Chinesischen. 25
Rhythmus im engeren und weiteren Sinne — bildet das Hilfs-
mittel zur Erkenntniss des sprachlichen Baues von einem chine-
sischen Satze, einem Satzgefüge, einer Periode. Ebensowenig
nun als in der Musik, deren Gebilde gleichfalls auf dem
Rhythmus ruhen, durch eigene von den tonlichen Schriftzeichen
verschiedene Marken die Abgrenzungen der Satztheile, Sätze,
Perioden augenfällig gemacht werden, ebensowenig dünkt es dem
Chinesen nothwendig die Abgrenzung der Satztheile, Sätze und
Perioden seines literarischen Productes durch Interpunktions-
zeichen dem Auge ersichtlich zu machen.
So wie in der Musik der Rhythmus und das rhythmische
Geftihl die einzigen Leitsterne bleiben, so sind sie es auch im
Chinesischen. Daher muss dort wie hier erst ein sorgfältiges
Studium vorangehen, damit man das rhythmische Gebilde in
seiner Gänze und in seinen Theilen erfasse, um es richtig
wiedergeben zu können in der Musik beim künstlerischen Vor-
trag, im Chinesischen bei der Uebersetzung.1
Der vortragende Künstler muss auf derselben Höhe musi-
kalischer Bildung stehen wie der Componist, soll er eine Com-
positum so vorführen, wie sie gedacht war; der Uebersetzer
aus dem Chinesischen hinwieder muss auf derselben Höhe sach-
licher Bildung in der behandelten Materie stehen, wie der Autor,
dessen Werk übersetzt werden soll.
- Und wie das Erkennen und Verstehen der rhythmischen
Gliederung einer Composition erste und unerlässliche, wenn auch
nicht immer leicht zu erfüllende Bedingung ist für die derselben
zukommende Geltung, so ist auch beim Chinesischen das Er-
kennen und Verstehen der sprachlichen Gliederung durch den
Rhythmus Sache eines eifrigen Studiums des gegebenen Textes,
unerlässliche Bedingung, mit derselben allein jedoch keineswegs
noch die correcte Wiedergabe des chinesischen Gedankens ver-
1 So hat Westphal (Theorie der musischen Künste, Bd. I, p. 71) das Fugen-
thema von Bach's Kunst der Fuge, wie es in Fuga I und XU auftritt,
unrichtig rhythmisiert. Die Casur fällt nach dem aweiten Takte und
nicht in die Hälfte des dritten , ingleichen der Schluss auf das Ende
des vierten Taktes. Dies zeigen die Harmonisierungen und die thema-
tische Arbeit im Verlauf der Fuge. Der Chronos protos ferner ist hier
die Achtel, die consequent in der ganzen im Alla Breve-Takt ge-
schriebenen Fuge beibehalten wird.
26 III. Albaaflluf: Kfthnert.
bürgt, wenn der Uebersetzer nicht des meritorisch Sachlichen
der behandelten Materie vollständig Herr ist. Darum denn singt
sich der Chinese selbst, — halblaut oder im Geiste — geradeso
den Text des Aufsatzes vor, den er liest, wie der Musiker
die Composition, um in die Satztheilung eindringen zu können,
damit er beim zweiten Durchlesen den Sinn erfasse.
Diesen Verhältnissen gemäss ist auch die Hauptaufgabe
des Europäers, der sich mit dem Chinesischen beschäftigen will,
seine rhythmische Empfindung für den Rhythmus im Chine-
sischen zu erziehen, keineswegs eine kleine mit Rücksicht auf
alle Punkte, denen der Lernende seine Aufmerksamkeit zu-
wenden muss. Der einzige Weg hiefiir bleibt nur die Aus-
bildung viva voce, am besten an der Hand eines Chinesen,
weil die Weckung und Ausbildung der Empfindung nur durch
Sinneseindrücke geschehen kann. So wenig einem von Jugend
auf tauben Menschen, der nie musikalische Klänge hörte, die
geistreichste und sorgfältigste Analyse einer musikalischen Com-
position für deren Verständniss Nutzen bringen kann, ebenso-
wenig kann derjenige aus Erläuterungen über den Rhythmus
eines chinesischen Satzgefüges nachhaltigen Vortheil ziehen,
dessen Empfindung nicht praktisch hiefür ausgebildet ist. Er
gleicht in diesem Falle dem von Jugend auf Tauben.
Bei der folgenden Erläuterung einzelner Beispiele bezüg-
lich des Rhythmus, wird sich auch zeigen, dass chinesische
Perioden, selbst wenn sie nach den bisherigen Angaben nur
durch Wiederholung viersilbiger Sätze gebildet sind, des höheren
absolut erforderlichen Rhythmus — sollen sie ein anschauliches
Ganze bilden — nicht entbehren. Als erstes Beispiel mag
ein freierer Rhythmus eine Stelle finden, bei dem es eines
vollkommen ausgebildeten Empfindens für den chinesischen
Rhythmus bedarf, um die Stelle richtig zu sprechen. Es
bieten hiebei die Unterschiede zwischen den Shengs Ping und
Tse fast gar keinen Anhaltspunkt, weil hier in denselben
nicht das Hauptelement des Rhythmus zu suchen ist, sondern
vor Allem in den logischen Accenten wie immer in der Um-
gangssprache, zu welcher das Citat gehört. Aus der logi-
schen Bedeutung ergibt sich, welche Stellen schnell zu spre-
chen sind, und auf welchen wegen des Nachdruckes verweilt
werden muss.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 27
Es ist eine Erläuterung vor dem Yamen wegen der Be-
helligung eines Dolmetschers und dem Koan-hoa tschi-nan (der
Anleitung zum Hochchinesischen) entnommen, welcher von der
japanischen Gesandtschaft zu Peking für die Japanesen publi-
ciert wurde.
Dass einige specifische Pekinismen wie na-erh-tii tien-men-
Jcou-erh statt na-li-ti, tien-men-Uou vorkommen, hat nichts auf
sich. Die Erläuterung dieses Falles wird mit folgender Rede
durchgeführt :
Die Transcription nach Nankinger Aussprache ist:
in-ei shä ie% %6 b\ gq x-qb fä-?-gä, Ung iö he-dshäo,
däo mö tshe %6-lx 1qiy gä tä däo-lido nä-gb <ß-/§, d*lb dshe dsäi
C-gb dein li-tq lido\ shel dshl nä-Xydx be sing, shdo gjein dö
gal7 mei Xjy" sä 4 tsheng kjin7 dsät dein~men-kd-Xj ieng-dsi gä-
kä, kji dskeng hd %6 lcö tshe be sen d*h&\ blng-tsil M gg*
fä-C-gä, feng en näsel-gb be-slng, %q i dsy 8p.
Hier den Rhythmus schriftlich anzudeuten, hat mit Rück-
sicht auf das bereits Erwähnte, bedeutende Schwierigkeiten,
wenn man nicht zu rein musikalischer Notierung greifen will.
Um die logischen Accente zu erkennen, folge zunächst
eine Uebersetzung dieser Rede. ,(Die Angelegenheit) bezieht
sich darauf, dass im vergangenen Monat sich ein Dolmetsch
(fa-i-koan) unserer Nation (bi-go*) nach einem gewissen Orte
begab, nachdem er sich einen Pass verschafft hatte. Als er in
jenem Orte angekommen war, stieg er in einem Gasthofe ab.
Kaum aber — wer konnte dies wissen — hatten ihn die Be-
wohner dieses Ortes nur wenig gesehen, so kam ihnen dies
ganz ungewöhnlich (sonderbar) vor. Täglich drängten sich
28 m. Attanflhn« : Kftfciert.
Gruppen von drei oder fünf Menschen am Thore des Gast-
hofes, um ihn darin zu sehen und es gab Leute, die sich nicht
ehrerbietig ausliessen. Ueberdies erhielt unser Dolmetsch Kunde,
dass jene Leute die Absicht hätten, Händel hervorzurufen/
Wie gesagt, spielt hier die rhythmische Emphase sowie
die Schnelligkeit, mit der die einzelnen Gruppen zu sprechen
sind, eine wichtige Rolle. Beachtet man, dass im Folgenden
die Benachdruckung jenes Wortes einer Zusammensetzung, das
den Hauptton hat, durch den Acutus markiert ist, jene Silben
welche hervorgehoben werden sollen, durch ein untergesetztes
_ bezeichnet, während jene der grössten Kürzen durch w an-
gezeigt sind, so dürfte die folgende Schreibweise dazu dienen,
den Rhythmus in etwas anschaulich zu machen.
index sckang yu& you bigöe iggo faniggÖan, lingyau hu-
dschdUy dau mouUchu yöuli kjü, gan ta dduleao ndgo difang,
dsiou dschu dsal iggo dein IMu-leau; schöet dschi, ndXjdi bering
schdogjein dogdx, mdx XjA sanntschengkjün , dsal deinmenkoukj
ydngdsi bueöendsche; bingtsei bigöe faniggÖan f ingoein nasStgo
bering9 youi dsysy.
Vorstehendes ist ein freier Rhythmus (analog dem numerus
oratorius)1 und zwar ein Rhythmus im niederen Sinne. Bei dem
Rhythmus im weiteren und höheren Sinne, wo der Wechsel
zwischen den Ping- und Tse-Shengs eine hervorragende Rolle
spielt, sollen diese durch unsere Zeichen für Länge (_) und
Kürze (v>) angedeutet werden, ohne dass damit etwas gesagt
sein soll über die absolute Dauer der verschiedenen Längen
und Kürzen, noch auch, dass alle Längen oder alle Kürzen
absolut gleiche Dauer haben. Die weiteren Accente (Stärke-
grade) sollen vom stärksten zum schwächsten durch die fol-
genden Zeichen: a, >, i, • anschaulich gemacht werden.
Von diesem Beispiel, dem Lüniü* — einer Prosa —
entlehnt, wird behauptet, es sei ein einfacher vierschlägiger
Rhythmus, also aus je gleichlangen und zwar viersilbigen
Sätzen bestehend.
1 S. oben p. 11 das hierauf besOgliche Citat aus Hauptmann.
* Der Bfichenprache angehörend, im Gegensats rar Umgangssprache.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 2*J
Die Stelle lautet:
dshi de* be heny An ddo be" de len neng el 16 ten nmg
> V
v-» w v*» — vy v-* vy v-» — w _ _
3S "Cr
e% e
• T
•
Die Betrachtung der untergesetzten Marken (_w) und
der Accente zeigt deutlich, dass der engere Rhythmus ein
vierschlägiger ist. Wenn auch jede Gruppe vier Silben, somit
die gleiche Anzahl, enthält, so kann man doch nicht von
gleicher Länge, d. h. von gleicher Dauer sprechen. Denn
sonst müsste man sagen: Spondeus, Daktylus, Anapäst seien
gleich lang, weil jeder ein zweischlägiger Rhythmus ist. Dass
aber abgesehen hievon über das innere, das ist eigentliche Wesen
des Rhythmus durch die Anzahl der Schläge nichts gesagt wird,
liegt auf der Hand. Es wäre denn genügend zu sagen, der
Hexameter sei eine Folge von sechs zweischlägigen Rhythmen.1
Da dies unzulässig ist, weil es zweifelhaft bliebe, ob der Hexa-
meter aus Daktylen oder Anapästen bestehe, ob es erlaubt sei,
den daktylischen Spondeus anzuwenden oder nicht, so ist es
ebenso unzulässig die Anzahl der Silben als Charakteristikon
des Rhythmus zu nehmen.
Obiges Citat besteht durchaus nicht aus vier gleichlangen
Rhythmen, sondern besteht aus vier verschiedenen vierschlägigen
Rhythmen, von denen der zweite die kürzeste, der vierte die
längste Dauer hat. Ebensowenig kann es sich um eine Wieder-
holung desselben Rhythmus handeln, wie nach der citierten An-
gabe anzunehmen wäre; denn schon rücksichtlich der Ping und
Tse besteht nicht die mindeste Gleichheit. DreLTse ein Ping;
vier Tse; drei Ping ein Tse; vier Ping; ich finde nirgends
eine Wiederholung desselben einfachen Rhythmus. Im ganzen
Satze aber empfinde ich einen schönen Rhythmus im höheren
1 Wobei der rhythmische oder troch&ische Daktylus, als in der Metrik
nicht verwendet, ausser Betracht gelassen ist, wenn gleich die Mehrzahl
der Sprachdaktylen troch&ische sind, z. B. lächelnden, also dreischlägig.
30 ITL AbhandUng: Kttho«rt.
und weiteren Sinne. Das ganze Satzgefüge von 16 Worten
zerftlllt in zwei der Empfindung deutlich sich darstellende
Hälften zufolge einer Diäresis, welche durch abschneidende
Stimmbiegung am Ende der zweiten kleineren Gruppe be-
wirkt wird.
Die erste Hälfte spaltet sich für die Empfindung abermals
in zwei scharf unterschiedene Theile dadurch, dass die erste
Viergruppe mit einer gleichen Stimmbiegung, die zweite mit
einer abschneidenden endet. Den stärksten Accent erhält die
zweite Viergruppe und zwar deshalb, weil die ersten zwei Tse
derselben nur durch die fallende und steigende Stimmbiegung
markiert werden, so dass der hinzutretende Accent auf der
vierten Silbe durch den abschneidenden Ton am meisten heraus-
gestochen (staccatissimo) wird. In der ersten Viergruppe ist der
Accent wegen der einleitenden abschneidenden Stimmbiegung
auf der vierten Silbe schwächer, wozu die dauernde ebene Stimm-
biegung gleichfalls ihr gut Theil beiträgt. Ohne Schwierigkeit
wird man in ähnlicher Weise erkennen, dass auch die zweite
Hälfte des grossen Ganzen in zwei Theile zerfallt, deren erster
Theil auf seinem vierten Gliede wegen der steigenden Stimm*
biegung einen stärkeren Accent haben muss als der zweite
Theil auf seinem vierten Gliede.
Aber jeder der nun erübrigenden viersilbigen Theile wird
wieder als eine Einheit empfunden, welche sich aus zwei Theil-
chen zusammensetzt. Im ersten Viergliede bewirkt dies der
Vocalwechsel (bei den alten Lauten der Verschluss p, k.) bei
den beiden abschneidenden Stimmbiegungen, im zweiten der
Wechsel von fallender und steigender, im dritten und vierten
der Wechsel zwischen erster und zweiter ebenen Stimmbiegung.
Das ganze Gebilde stellt sich also in folgender Weise dar,
wobei in den kleinsten Gliedern nur die Hebung durch ' be-
zeichnet ist:
12 3 4
' . 'I ' . 'II ' 'I ' 'II
" > _^ Z H— l
Senkung Hebung : Hebung Senkung
"N>-
Hebung Senkung
Ueto den Bbjthmns im Ohinesiiohen. 31
Eb correspondieren ferner noch die erste mit der dritten,
die zweite mit der vierten Viergruppe, in der ersten sind drei
Tse ein Ping, in der dritten drei Ping ein Tse, in der zweiten
vier Tse, in der vierten vier Ping. Die erste mit der zweiten
Viergruppe, sowie die dritte mit der vierten stehen gleichfalls
in Correspondenz und zeigen, dass der vierschlägige Rhythmus
hier ein doppelt zweischlägiger ist.
Nach dieser Betrachtung dürfte wohl jedermann ausser
Zweifel sein, dass dieser chinesische Satz dem prosaischen
Bücherstil entnommen, den schönsten Rhythmus im engeren
und weiteren Sinne hat. In den kleinsten Theilen stei-
genden Rhythmus, welcher auch in der nächst höheren
Gruppierung beibehalten wird, während die zwei Hälften
des Ganzen entgegengesetzten Rhythmus aufweisen, die
erste Hälfte steigenden, die zweite fallenden Rhythmus.
Die beiden Hälften zu einander bilden einen fallenden
Rhythmus.
Diese rhythmische Gliederung ist aber nichts Zufälliges,
sondern eine natürliche Consequenz des chinesischen Sprach-
baues auf Grund der hier zum Ausdruck kommenden Gedanken-
verhältnisse. Setzt man die Termini der Worte, mit welchen
wir in unserem Satzzusammenhange die einzelnen chinesischen
Charaktere wiedergeben müssen, nach der Terminologie unserer
flectierenden Sprachen an, so erhält man folgendes Bild:
Zeitw. Obj., Neg. Zeitw. | Zeitw. Obj., Neg. Zeitw. ||
Fragew. Zeitw., Zeitw. Obj. | Fragew. Zeitw., Zeitw. Obj.
Und so gibt uns der Rhythmus den festen Anhalt über
die logischen Beziehungen, welche in diesem Satze zum Aus-
druck kommen, nämlich:
An der Tugend festhalten und nicht aufwärts streben, an
die Vernunftform glauben und nicht standhaft sein; wie kann
man dies im Stande sein und im Besitze (von Tugend oder
Glauben) sich befinden, wie kann man dies im Stande sein und
im Nichtbesitz (von Aufwärtsstreben oder Standhaftigkeit) sich
befinden. Mit anderen Worten, wer Tugend hat, muss aufwärts
streben, wer an die Vernunftform glaubt, muss standhaft sein,
denn es ist undenkbar, dass jemand Tugend besitzt und nicht
aufwärts strebt, den Glauben an die Vernunftform hat und nicht
32 IIL AU*o41uf : Kiba*rt.
standhaft ißt, es ist aber auch undenkbar, dass jemand aufwärts
strebt, ohne im Besitze von Tugend zu sein, und dass jemand
standhaft ist, ohne den Glauben an die Vernunftform.
Wem sollte es hier schwer fallen, die gedanklichen Be-
ziehungen und ihre durch den Rhythmus markierte Stellang
zu erkennen? Fahrt nicht der Rhythmus darauf, dass hier
~fc nicht ang sondern £ gelesen werden muss?
Vorstehendes Beispiel zeigt, dass auch in der chinesischen
Prosa rhythmische Gebilde erscheinen, welche in aller Strenge
den Formbestimmungen der Metrik genügen. Es kann nicht
die Aufgabe sein hier durch Analyse von Beispielen, als dem
sichersten Wege, alle rhythmischen Formen, welche in der Prosa
des Bucherstils vorhanden sind, vorzufuhren,1 sondern es muss
genügen die Hauptarten, in denen der Rhythmus im Chinesischen
erscheint, zu erläutern.
Als Beispiel zu dem strengen Rhythmus der Prosa, welcher
zu den metrischen Formen der Poesie überleitet, möge eine jener
Schilderungen dienen, welche die Chinesen ^ Fu nennen und
bei denen auch der Reim zur Markierung der einzelnen Absätze
eine Rolle spielt. Zottoli sagt über dieselben:
,|^£ bedeutet nicht nur das beschreibende Gedicht, sondern
auch eine Gattung schriftlicher Aufsätze, welche der gereimten
Prosa nahezukommen scheint; denn sie macht vom Reime und
Verse Gebrauch. Wenn die Phrasen auch sonst wohl gebaut
und stellenweise parallel sind, so verlangt diese Aufsatzgattung
doch keine vollkommen nach metrischen Gesetzen gebildeten,
sondern gestattet je nach der Ausbreitung des Geistes mehr
oder weniger Abweichungen. In der strengen Form der Rede-
wendung hat sie Theil am Reime, in der freieren an der Phrase.
Der Reim aber waltet nicht in der ganzen Rede vor, sondern
ist auf die verschiedenen Abschnitte vertheilt. Einem und
demselben Theile kommen verschiedene Reime zu , deren
Aenderung auf einen Absatz weist So bedienen sich die hervor-
ragenden Schilderungen einer solchen Ordnung in der Aus-
schmückung, dass sie beim stufen weisen Fortschritt der Argu-
1 Abgesehen davon, dass dies auch nnausföhrbar ist, da die Erfindung
rhythmisch schöner Formen in der chinesischen Prosa gewiss noch nicht
abgeschlossen ist.
Ueber deu Kbythuias im Chinesischen. «'
mente jedem einzelnen seinen besonderen Reim zuweisen. Daher
verwenden ihn die Neueren nicht blindlings, sondern wohl
überlegt und bringen ihn in der Mitte oder gleich am An-
fange an/1
Als Beispiel wähle ich den Anfang der Schilderung des
dichterischen Historikers (|^p j$J Jjg£) von Tsang Shang-dsy.2
Zur Bezeichnung des Reimes bediene ich mich eines Asterisks.
mmmztum.mmmzmm,
mmmm*fc&m&zWo
& m iE *» # & * n&
— W
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*i* td sht-i dshi gän,
ex asm lem-kai dshi i;
gei-Xjdn de-kji dshl gjein, _ _
kjeV-gjt gäi-iein dshl «Äi ; ^ ^
mä'i ha ei dshi shen-kjeng,
sdo tsi lia dshl kji-h;
i gjäC seng dso' 'id-gan}
skk in ho e% 6o*-ß;
sing tsing den-hb, xäo tä feng id dshl lein,
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%»-/_- ^S KJ
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*
1 Zottoli, Cursus Vol. V, p. 640.
1 Zottoli, Vol. V, p. 698.
Sttsoogiber. d. phil.-hirt. Cl. CXXXIV. Bd. 8. Abb. 3
34 111. Abhandlung: Kfthnert.
\^ vs w
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KS \~t \*S
*
ti tsdl dshhig-däj
ge* ge Img-tseng,
li tshdo kd~kd,
da teet Img-leng, ^ w
sy in u he bäo-Mln, ^ ^
l hj&in gä he hytwn-tsheng, w w _
%a en v£n dshl Ing-häj gjö dsä shi-shi* ;
bei ge-gjä dshl t&tw-g\ sietn dse gjln-tfaig. ^ ^
sin e tsq u *j)-bi,
fei gjin lc6-i shy-dsheng.
*
_ v^> v^> • — V^ — —
v^ v^ v^ vy — —
,Einst ein Censor unter den Tang, war er ein Nachkomme
Tsin Yuenkai's, in der Heimat Tu's erhob er sich plötzlich
zur Höhe in der Zeit (der Periode) Kai-yuen. Er überragte
die gewaltige Kraft unter den Han und Wei und merzte aus
die süssliche Lieblichkeit unter den Tsi und Leang, er machte
Kiüe und Song zu seinen (stilistischen) Hauptautoritäten (wörtl.
Tribunalvorstehern) und nahm Ho und Wei als ihre (adäquaten)
Begleiter (wörtl. Lictoren). Streng und ehrenhaft in seinen inner-
sten Gefühlen prüfte er aus der Ferne die Quellen der Sitten und
des Anstandes, im Ausdrucke seines Urtheils genau und bedächtig
stimmte er stricte mit den Gesetzen des Tschüin-tsiou überein.
,An Gestalt und Erscheinung thatsächlich hervorragend,
von kräftigem Körperbau, bei Hofe von unerschütterlicher Offen-
heit, in höchster Ehrenhaftigkeit von eckiger Geradheit, wendete
er in seiner Ausdrucksweise in verdeckter Form Lob und Tadel
an und beabsichtigte dem Sinne nach in offen zu Tage liegender
Weise Ermahnung und Warnung. Die schönsten Blüthen brachte
er im Garten der Literatur hervor, verbarg sie aber lange in
in den Bibliotheken. Er vervollständigte ,die gepflegten Alter-
thümer des Staates', er trug zur Kenntniss der ,Goldbände'
(chin-teng) bei. In Wahrheit hat er sich in Nichts zu schämen
in Bezug auf seinen geschieh tsschreiben den Pinsel, und kann
nicht zu sehr in der Dichtung gelobt werden/
Die rhythmische Gliederung und die sinnige Verwendung
des Reimes, im ersten Abschnitte i, im zweiten eng, bedarf
wohl keiner weiteren Erläuterung. Es ist hier durchgehends der
Rhythmus durch den Satzbau bedingt. Die parallelen Phrasen
Ueber den Rhythmus Im Chinesischen. 35
and die parallele Satzconstruction bei dem correspondierenden
Rhythmus fallen wohl jedermann in die Augen. Der hier ge-
meinte Historiker ist $fc ffi Ta'fu> (712~ 77° P- Chr) der
unter den Tang Censor war und daher Kritik am Hofe üben
musste. Zu seinen literarischen Mustern wählte er sich Kiüe-
yuen ( J[jJ ]§» ) und (tJJ 3£) Song-yü aus dem Reiche Tschou,
sowie die Dichter Yin-kien (Jf£ ££) und Ho-siüen (-fäf j^)
aus den sechs Dynastien. Steingemächer (^ ^) heissen die
Bibliotheken, weil einst die verborgenen Bücher in Felsen de-
poniert waren. Goldband (chin-teng fe fü^) ^8t das 8ec^8te
Capitel der Annalen von Tschou im Shu.
Ist durch das Vorhergehende der freiere und strenge
Rhythmus in der Prosa erläutert, so tritt nun die Frage
heran, ob in jenen Gebilden, die von Europäern unter dem
Begriff des Parallelismus zusammengefasst werden, andere Ge-
setze obwalten, als die bisher an den Beispielen erläuterten.
Als Probestück chinesischen Parallelismus1 wurde das
Folgende gepriesen. Die Untersuchung wird zeigen, ob es
nOthig war einen neuen Begriff einzuführen oder nicht; mit
andern Worten, ob der Chinese sich anderer Mittel bedient
als in dem eben behandelten Beispiele.
Tshing d$y i ddo tsheng ei fe shen 'd ei gei %i i ddil
dse' ieV fh dsi) dshhiq ieV qhl.
In ähnlicher Weise wie früher bezeichnet, liegen hier
folgende Verhältnisse vor:
3 4 5 6
_;_yi_-;_>l_l ,wil
deren Accente sich gleich beim Lesen ergeben und zwar wegen
der Reime:
mm w £ j*\ mm •• £ \ m»
%$% fe} ie% gei
1 In dem früher angegebenen Sinne einer Vereinigung von Rhythmus und
Antithese, nicht aber im Sinne der chinesischen Aiisdrucksweise dVi-lfin.
Gabelents, Gramm, p. 346.
3*
36 Hl. AMuwdliiiit: Kühu«rt.
cinestheils and wegen des Tonfalles der Vocale und Stimm-
biegungen (der drei Arten des Tse: ^) bei den übrigen Ab-
schnitten anderntheils.
Ferner machen sich auch gleich: ddo tsheng; shen'dn; daht
(he ; dsp dshhig als zusammengehörig geltend.
1 und 4 als Personalbezeichnungen sind abzutrennen und
geben die Hauptabtheilungen. Es correspondieren 2 und 5,
3 und 6.
Hienacb ist:
1 2 3
v I > I
t ' t
Reim Reim
4 5 6
f I
Reim Reim
Hebung Senkung1
Hier fällt vor allem ins Gehör, dass der Rhythmus der
zweiten Hälfte conform ist jenem der ersten, nämlich fallender
Rhythmus, während im früheren Beispiele (p. 29 f.) die Rhythmen
der beiden Hälften einander entgegengesetzt waren, steigender
zu fallendem. Aber auch der Rhythmus des Ganzen ist con-
form fallender Rhythmus. Entsprechend diesen rhythmischen
Verhältnissen müssen, wie kurz zuvor gesagt, auch die logischen
Beziehungen der Gedanken im Satze und somit der hierauf
gegründete Sprachbau des Chinesischen sein. Demnach lautet
diese Stelle:
Tsching-dsy hält Vernunftfulle für Reichthum, Selbstzu-
friedenheit für Würde; ich nenne Wissensftllle Reichthum, Selbst-
achtung Würde.
Walten also in dieser Stelle andere Mittel vor als in dem
oben (p. 29 f.) erläuterten Beispiele? Gewiss nicht. Hier wie
dort ist es lediglich der Rhythmus, welcher, auf den logischen
Beziehungen fussend, uns auf diese führt, sohin ist der neue
Begriff von Parallelismus als Verbindung von Rhythmus und
Antithese überflüssig.
Ein Unterschied gegen das frühere Beispiel drängt sich
wohl auf und das ist der Reim. Dieser hat aber hier keinen
anderen Zweck als der Reim unserer modernen Verse, deren
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 37
Rhythmus gleichfalls durch die logischen Accente (die logisch
betonten Silben) gebildet wird. Er soll das metrische Element,
das an sich von dem logischen Inhalte absorbiert wird, heben
und kunstvoller gestalten.1
So wenig wir aber in der Poesie die rhythmischen Formen
mit Reim von den reimlosen oder gar die ein für alle Mal
metrisch festbestimmten Formen der daher gebundenen
Rede von der freien Form des Rhythmus in der Prosa (Rhyth-
mus, Numerus oratorius) durch das Wort Parallelismus unter-
scheiden, ebensowenig darf man dies auch im Chinesischen.
Der Blankvers des Dramas bleibt trotz des mangelnden Reims
ein fünffüssiger Jambus (Quinar) und niemandem fällt es ein,
die aus filnffüssigen Jamben mit Reim gebildete Strophe von
der reimlosen durch das Wort Parallelismus zu unterscheiden;
denn dies wäre ungereimt.
Von diesem strengeren Rhythmus in der chinesischen Prosa
des Bücherstils gilt gleichfalls, was Hauptmann sagt:2 ,Wie die
metrischen Formen in der musikalischen Anwendung nicht mit
mechanischer Strenge ausgeübt werden, indem sie durch har-
monische und melodische, sowie durch die Bedingungen eines
belebten Vortrages fortwährend kleine Abweichungen von der
mathematisch genauen Bestimmtheit erleiden; so ist das Sprach-
metrum in der relativen Quantität seiner Glieder noch weit mehr
den Bedingungen des erfüllenden Wortinhaltes, den logischen
wie den phonetischen zu Modifikationen hingegeben/
Wer daher beim Vorlesen oder bei der Recitation deutscher
Gedichte die VersfÜsse klappern und die Reime klingen lässt,
versündigt sich nicht nur gegen den Sprachgeist, sondern auch
gegen das Gesetz des Schönen und beweist hiemit zugleich,
dass er kein rhythmisches Gefühl besitzt.3
Hauptmann, der am eingehendsten mit den Gesetzen der
Rhythmik sich beschäftigte, sagt hierauf bezüglich weiter:4
,Nicht zu verwechseln ist mit diesen durch den besonderen
1 Hauptmann, Natur der Harm, und Metrik, p. 344.
* Hauptmann 1. c. p. 347.
* Vergleiche diesbezüglich auch, was Westphal (Theorie der musischen
Künste III1 Bd. p. 31) über Recitation griechischer Verse sagt, und
J. Minkwitz (Lehrbuch der deutschen Verskunst), p. 64, §. 120.
4 Hauptmann 1. c. p. 348.
38 HL Abhandlang: Kühne rt.
Wortinhalt entstehenden Modificationen, der an sich nur gleich-
zeitig fortgehende Rhythmus (der metrisch unabänderlichen
Form in der deutschen Poesie), wie ihn die nur allein accen-
tuirte metrische Bildung entstehen lässt. Hier ist der Unter-
schied von Länge und Kürze eben gar nicht vorhanden; der
Wechsel besteht nur in der Folge betonter und nichtbetonter
Glieder: in Hebung und Senkung. Dieser Art sind meisten-
teils unsere gereimten Verse/
Nachdem, wie erkannt, der Begriff des Parallelismus als
Vereinigung von Rhythmus und Antithese filr die rhythmischen
Gebilde der Prosa überflüssig ist, muss untersucht werden,
worauf schon hingedeutet, welche Gesetze jene Gebilde auf-
weisen, die die Chinesen mit Doei'-lein bezeichnen.
Doei-lei'n sind die sogenannten ScrolPs, parallele Tafeln
mit parallelen Phrasen. Das für diese parallelen Phrasen
geltende Gesetz ist: es müssen alle einzelnen Schriftcharaktere
der beiden Sätze nach ihrer Geltung im Satzbau miteinander
correspondieren. An jener Stelle, wo in der einen Tafel das
Subject steht, muss es auch in der zweiten sich finden, Prä-
dicat mit Prädicat, Attribut mit Attribut, Zeitangabe mit Zeit-
angabe u. s. w. correspondieren,1 kurz Wort mit Wort nach
seiner satzlichen Geltung z. B.
Prädicat Object
•**
5je # m * # fa
ei dshl ming lein dsäl ho tshe
Neg. Zeitw. Attrib. Subst. Zeitw. Pron. Subst.
Zeitangabe
% W — B m it #
be' kö i1, Ijy* e tsy gjin
Neg. Zeitw. Attrib. Subst. Zeitw. Pron. Subst.
Zeitangabe
Prädicat Object
1 Schlegel (La stele funeraire du Teghin Giogh, p. 30) sab sich daselbst
veranlasst auf dieses Gesetz hinzuweisen, das auch Zottoli (Curs. litterat.
sinicae, Vol. V, p. 776) andeutet. Weiter ausgeführt hat Schlegel dasselbe
in: La loi du parallel isme, Leiden 1896, welche hochwichtige Erörterung
während des Druckes dieser Arbeit erschien.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 39
Sieht man sich den Rhythmus an,
V-/ I — ) V> _ W I
' I ' 'I
W V> I W V*» , W — I
so ist selbstverständlich auch darin Parallelität, weil der Rhyth-
mus wie schon öfter gesagt, Ausfluss und Zeichen des Satz-
baues ist, der durch die logischen Gedankenverbindung bedingt
ist. Auch hier sieht man dieselben Gesetze walten, welche
früher schon bezüglich des Rhythmus nachgewiesen sind.
Die Chinesen bezeichnen also mit parallelen Phrasen
(ob selbe nacheinander oder nebeneinander geschrieben sind,
ist gleichgültig) zwei solche, welche
1. die gleiche Anzahl Worte enthalten und wo
2. in jedem der zwei Sätze genau an derselben Stelle
derselbe Satztheil steht, die also einander symmetrisch sind.
]fö lein heisst nämlich: verbunden, associert, combiniert, in Ord-
nung verbunden,
^aj* dhl: Pendants, correspondieren, antworten, vis k vis, ein Paar,
$j* Ijljp del-Uin sonach: parallele Mottos, wo die Sätze der
Ordnung nach verbunden sind, also ein Paar bilden.
Parallel kann aber nur Gleichartiges sein, nicht Entgegen-
gesetztes, also z. B. nur zwei gerade Linien, nicht aber eine
gerade und eine krumme Linie; sohin schliesst die chinesische
Ausdrucksweise schon an sich den Begriff des Entgegengesetzten
(Antithese), des Gegensatzes aus, und schliesst nur den Begriff
des Vis ä vis, des Gegenüber ein. Ihre Ausdrucksweise be-
zieht sich daher nur auf die Parallelität des Satzbaues in jeder
der beiden Phrasen, also der gleichen logischen Verhältnisse
innerhalb eines jeden der beiden Urtheile, nicht aber auf die
logischen Beziehungen der beiden Urtheile zu einander. So
wie bei uns ,Distichon' nur auf die Verbindung von Hexameter
und Pentameter weist, nicht aber zugleich auf die logischen
Beziehungen der in beiden Theilen ausgedrückten Gedanken;
so ist das logische Verhältniss der beiden Sätze eines Doei-lein
in dieser Ausdrucksweise gleichfalls nicht berührt.
Es ist deshalb unstatthaft, dieses logische Verhältniss der
beiden Urtheile mit in den Begriff der Parallelität aufzunehmen,
abgesehen davon, dass dies zu einem logischen Widerspruch
fiihrt, weil die Chinesen dies nicht mit einbezogen wissen wollen
40 HI- Abhandlung: Kfitinert.
und daher dasselbe nicht bei allen solchen parallelen Phrasen
dasselbe sein mnss and auch nicht ist. Aber noch einen weiteren
Nachtheil hiebei hat man ins Auge zu fassen. Der Chinese
deutet durch kein äusseres Mittel das logische Verhältniss der
beiden Urtheile an, sondern letzteres muss aus den beiden Ur-
theilen selbst abgeleitet werden. Zieht man jedoch ungerecht-
fertigter Weise ein bestimmtes Verhältniss in den Begriff hinein,
dann kann dies leicht zu einer total unrichtigen Uebersetzung
führen.
In vielen Fällen mag ja ein antithetisches Verhältniss vor-
liegen, in eben so vielen Fällen aber auch nicht. Es verhält
sich damit geradeso wie mit dem Begriffe des Paares, den ja
auch Doe'i repräsentirt. Ihm kommt keineswegs zu, dass
die beiden zu einem Paare verbundenen Dinge in einem anti-
thetischen Verhältniss stehen, wenn auch des öftern eines vor-
liegt. Unter einem Schuhpaar verstehen wir gewöhnlich einen
linken und einen rechten Schuh, unter einem Pferdepaar aber
nicht, dass das eine ein Hengst, das andere eine Stute sei,
denn man kann auch sagen Hengstenpaar, Stutenpaar. Wir
sprechen von einem ,schönen Paar' und verstehen darunter
Mann und Frau, d. i. ein Menschenpaar, hingegen von einem
Schwesternpaar, wo die Gleichheit der Geschlechter, die Ab-
stammung von denselben Eltern den Ausschlag gibt. Der Tanz-
meister ruft bei der Quadrille nach einem Vis k vis.
Der Begriff des Paares bedingt nur zwei Individuen der-
selben Art, also zwei Schuhe und nicht einen Schuh und einen
Strumpf; der Begriff des Paares bezieht sich nur auf das den
beiden Dingen Gemeinsame, aber nicht auf das, wodurch sie
sich unterscheiden. Haben oder vielleicht hatten die Frauen
kein Schuhpaar an, weil keiner der Schuhe speciell filr den
rechten oder linken Fuss gemacht war?
Eine Regel, die eine Ausnahme hat, kann streng genommen
nicht als Regel gelten, sie gleicht einem lecken Schiffe, bei
dem man das Leck durch Werg verstopfte, um es mit Noth
für kurze Zeit noch über Wasser zu halten.
Unter dem Sprich worte: nulla regula sine exceptione ver-
birgt sich im Grunde nur Homer's Schlafmomentchen, d. h. es
ist ein Deckmantel für Bequemlichkeit oder ein frühzeitiges
sich Genügenlassen.
Ueber den Rhythmus im Chinesischen. 41
Gesetz für die Doei-lein oder die Satzpaare ist nur:
1. gleiche Anzahl der Schriftzeichen in jedem der beiden Sätze,
2. vollständig gleiche Satzconstraction, dass also das Subject
des einen Satzes an gleicher Stelle steht wie jenes des
zweiten, dass Prädicat mit Prädicat, Ortsangabe mit Orts-
angabe etc. an der analogen Stelle correspondiere.
Als accessorische Erscheinungen können auftreten, müssen
es aber nicht: schicklicher Wechsel der Betonungen Ping und
Tse zwischen dem ersten und zweiten Satze, eventuelle Ver-
wendung der gepaarten Ausdrucke des Sprachgebrauches, seien
sie antitethisch oder coordiniert.
In dem oben citierten Doei-lein ist ein adversatives Ver-
hältniss der beiden Urtheile zufällig vorhanden:
,Ich weiss noch nicht, wo ich nächstes Jahr sein werde;
und doch kann ich nicht ohne diesen Herren sein/
Wo im nächsten die Antithese liegen soll, ist schwer zu
erkennen:
-fe fil # U WlWl =
r *ß w m it % * + #
Quant. Hauptw. Zeitw. Hauptw. Zeitw. Zahlvv. Mass Zahlw. Mass.
,Sieben Enten schwammen auf den Kjang (Yangtsy), rechne
wie du willst, so sind es nur drei Paare und eine. Eine Schlange
von einem Fuss kam aus ihrer Höhle, miss wie du willst, so
ist sie nur neun Zoll und zehn Linien/1
Noch weniger kann bei dem Folgenden von einer Anti-
these gesprochen werden:
,Wie du niemals einen Pflugochsen schlachtest, so wirf
auch kein beschriebenes Papier weg.'
Die Rhythmen beider vorstehenden parallelen Sätze stellen
sich wie folgt:
1 Der chinesische Fuss hat 10 Zoll, der Zoll 10 Linien.
42 IIL Abh»ft41u|r: Ktfcaert.
tw* in fq qjn she «fc sä shä »*
<*ä** «&* tofo** <frn<7 ߣ ^ 27? fr?*1 **** /?*
Die Rhythmen der drei Paare der Uebersicht halber zu-
sammengestellt, ergibt:
1. [p.38] wl . I_; wlw }7Worte
2. [p. 41]
V* — f — — W w
- ~ w 7 ' ) 10 Worte
3. [p. 41] -;- -; J4 Worte
Wo hier die Regel zum Ausdruck kommt, welche Herr
William Scarborough1 für den Parallelismus als /Verbindung von
Rhythmus und Antithese' aufstellt, ist unerfindlich. Die Regel
lautet in deutscher Uebersetzung:
»Ein Tui-tzü kann irgend eine Anzahl Worte enthalten;
die gebräuchlichste Zahl aber ist sieben in jeder Zeile. Es muss
so geschrieben sein, dass die Ordnung der Töne (Shengs) in
der ersten Linie sein soll: der erste ein geneigter (^ Tse) der
zweite ein ebener (_ Ping) der dritte ein geneigter; in der
zweiten Zeile: der erste ein ebener (~\ der zweite ein geneigter
(w). der dritte ein ebener (_ i oder umgekehrt Sollte der
erste, dritte oder fünfte Charakter diese Regel verletzen, so
ist dies ohne Bedeutung; der zweite, vierte oder sechste dürfen
dies aber unter keinen Umständen. Es ist wesentlich auch,
dass der letzte Charakter der ersten Zeile einen geneigten Ton
und der letzte in der zweiten Zeile einen ebenen Ton habe.
Dieselben Charaktere sollen nicht in jeder Zeile wiederholt
werden, und es ist wesentlich, dass sich eine Antithese vor-
finde sowohl im Sinne als in den Tönen der Worte, welche
die zwei Zeilen des Paares bilden/
1 A Collöctiou ot Chinese Pn>verbs. lutrod. p. X.
Ueber den Bhjthuras im Chinesischen. 43
Ehe auf die inneren Widersprüche dieser Regel einge-
gangen wird, soll sie an den vorgeführten Beispielen erprobt
werden.
Dass diese Beispiele 3. Doei-lein sind, versichern nns die
Chinesen. Das erste führt Zottoli1 an, die beiden anderen sind
aus dem Werke Scarborough's* selbst genommen. Trotzdem
sieht jedermann auf den ersten Blick, dass nicht alle voll*
kommen mit der angegebenen Regel stimmen.
Das zweite, welches Scarborough selbst ausdrücklich als
Tui-tzü hervorhebt, verletzt die Regel des Tonwechsels im
zweiten und sechsten Gliede, von einer Antithese im Sinne
oder in den Worten dürfte schwer etwas zu finden sein.
Das dritte verletzt die Regel, dass nicht in jeder Zeile
an derselben Stelle der gleiche Schriftcharakter vorkomme, beim
ersten Schriftzeichen, sowie die Regel bezüglich des Tones vom
letzten Schriftzeichen und bezüglich des Tonwechsels, des-
gleichen kann auch hier von einer Antithese im Sinn oder in
den Worten nicht die Rede sein.
Das erste endlich verletzt, abgesehen davon, dass auch hier
von keiner Antithese in den Worten gesprochen werden kann,
diese Regel direct. In der ersten Zeile ist der fünfte Charakter
^£, in der zweiten fffe, nun ist aber der Gegensatz zu ^ nach
Sprachgebrauch >£f, wenn eine solche Antithese beabsichtigt
ist. Analog verhält es sich auch mit 'jnf und ]|£ . Gegensätzlich
sind fifc und fä.
Was bleibt also von dieser Regel übrig? Uebrigens ent-
hält sie auch einen Widerspruch in sich. Soll der letzte Cha-
rakter der ersten Zeile einen Tse-sheng, der letzte der zweiten
einen Ping-sheng haben, dann gibt es bei einer geraden Anzahl
Worte überhaupt nur die eine Form, dass in der ersten Zeile
der zweite, vierte, sechste, überhaupt jeder gerade Charakter
einen Tse-heng haben muss, in der zweiten Zeile jeder gerade
Charakter einen Ping-sheng, wenn es wahr wäre, dass ein
Abweichen von dem Betonungswechsel bei den geraden Cha-
rakteren unter keinen Umständen gestattet ist. Dass aber dieses
Festhalten an den bestimmten Tönen nicht Regel ist, haben
1 Zottoli, Curat» litteraturae sinicae, Vol. V, p. 798, Nr. 101.
* 1. c. Introd. p. XI and p. 281, Nr. 1668.
44 III. Abhandlunjc K 6b Bert.
wir bereits gesehen, ebensowenig als die Regel, dass der letzte
Charakter der ersten Zeile ein Tse-heng, der letzte der zweiten
ein Ping-8heng sein muss.
Sohin kann die Antithese, der von Scarborough aufgestellte
Betonungswechsel etc. kein wesentliches Erforderniss der paral-
lelen Phrasen sein. Derartige Dinge können sich vorfinden,
müssen es aber nicht. Was jedoch nur sein kann und nicht
sein muss, darf nicht als Regel ausgegeben werden.
Die gleiche Anzahl der Charaktere (Worte) und die corre-
spondierende Satzconstruction, an gleicher Stelle Subject, Prädi-
cat, Orts-, Zeitangabe u. s. w. sind bei diesen parallelen Phrasen
in jeder der beiden Zeilen vorhanden, entsprechend dem Be-
griffe der Parallelität, welcher allein die Gleichartigkeit ein-,
hingegen die Ungleichartigkeit an sich ausschliesst, sohin sich
nur auf das bezieht, was bei zwei Dingen gleichartig ist, nicht
aber auf das, worin sie sich unterscheiden. Nicht weil es ein
rechter und ein linker Schuh ist, bilden beide ein Paar, sondern
nur deshalb, weil beide Schuhe sind. Ein Stiefel für den
linken Fuss und ein Schuh für den rechten können nie
und nimmer als Paar aufgefasst werden; denn was wäre
dies für ein Paar? Ein Stiefelpaar? Gewiss nicht. Vielleicht
ein Schuhpaar? Auch nicht.
Die zuletzt betrachtete Art des Rhythmus leitet über zu
den rhythmischen Gebilden in der chinesischen Poesie. Der
wesentliche Unterschied zwischen dem strengen Rhythmus der
Prosa und den rhythmischen Formen der Poesie besteht darin,
dass in der Poesie die metrische Form ein für allemal festgelegt
ist. Der Dichter ist sonach an eine bestimmte metrische
Form gebunden, der Schriftsteller hingegen bestimmt
seinen selbst strengen Rhythmus lediglich nach dem jeweiligen
Gedankenausdruck.
Die bestimmte metrische Form beruht auf einer als
Norm festgesetzten Aufeinanderfolge der Betonungen Ping
und Tse, je nach dem bestimmten Strophenbau, bei dem unter
Umständen auch der Reim zur Geltung kommt.
Eine Aufzählung der metrischen Formen in der chine-
sischen Poesie ist hier nicht beabsichtigt, da Zottoli in seinem
Cursus litteraturae sinicae Vol. V., p. 435 ff. Muster derselben
gibt. Hier soll nur auf den Rhythmus in der Poesie ab einen
Ueber den Rhythmus im Chiuesischeu. 45
ein für allemal an die fixe metrische Form gebundenen, hin-
gewiesen werden, im Gegensatz zu dem strengen Rhythmus
der Prosa, der allein von den Gedankenverhältnissen vor-
geschrieben wird. Hiezu genügt ein oder das andere Beispiel.
Nehmen wir eines der Gedichte, dessen Verse aus fünf
Worten bestehen (3£ ^f jljf) un^ zwar von (j£ jfe) ^en
verkürzten fünffüssigen (Quinarii recisi).
^ flj^1 tshiin mein
5§£ HJ1 >P tt B|l tshiin mein be* gjo* hjäo
f$+ f& & $$ >% ^i ^H &1 t* nldo
l£ 3fc JR PS $ ^ täfpg %i &m
tt l£ 3& $> & Hl°* d^1 db- sk-do'
Hierin haben wir folgende Vertheilung von Ping und Tse:
V> *>J v>
v-# V-/ _
v-> — — w
Zottoli äussert sich über diese Strophenform in folgender
Weise:
,Was das Metrum >fejj fp| anbelangt, so ist die alte und
neue Form vor Allem zu unterscheiden. Die erste hat den
fünf und siebenfüssigen alten Vers, in denen der Reim echt
(2p) oder unecht (|^) sein kann, die Accente aber unter-
liegen keinem anderen Gesetz, als dass in demselben Verse
nicht alle unter sich gleich sein können. Die neuere Form
umfasst die verkürzten fünf- oder siebenfüssigen, die normalen
und die verlängerten, deren Gesetz ist: In den fünffüssigen
sollen die Accente also vertheilt sein:
v-> l J w \~/
— _ w ^ _ (Reim)
_ L «w» J — \s s~*
w l_ J w w — __ (Reim)
oder umgekehrt:
— L vx J — v> w
»j[_lw w _ _ (Reim)
__ _ w w _ (Reim)
1 Zottoli 1. e. p. 488.
46 m. Abhandlvnc! Kfthiiert.
Der Reim in den filnfftissigen kann wie bei den übrigen
echt (^f ) oder unecht (jX) seinf ^ den verlängerten mnss
er echt sein/
Wie man sieht, will das vorgeführte, aas Zottoli selbst
genommene Beispiel (und zwar das erste) mit obiger Regel
nicht stimmen. Denn weder das erste noch das zweite Schema
ist jenes des gegebenen Gedichtes. Das Gedicht stammt aus
der Tang-Dynastie, hat Meng Hao-jan (689 — 740 p. Chr.) zum
Verfasser, und ist ein Quinarius recisus.
Wie Zottoli selbst bemerkt, kann der Reim planus (^p)
oder implanus (JX) se*n* Seine obigen beiden Schemata gelten
aber nur für den Planus. Wenn man mehrere dieser Strophen
aus fUnffftssigen Versen miteinander vergleicht, so kommt hiebei
ein etwas weiter gefasstes Gesetz zur Geltung, das im Schon-
heitsgefühl begründet ist: unitas in varietate.
Der zweite Quinarius in Zottoli ist:
*fr [& ifr ■% ¥ w Hf4 «•* **
iL $k Hf ÜtL A aje lin3 <**>' l% fy™
Ü Kfc fö % #• $* **$*' m£ h§ ttdo
M Ixa ilt *ft i hsijit^di teÄtm
der vierte:
;*: slt Üt iß # dädäodthc vi/a*
0 jk H % *■***" *jy* sjü kß dö
3£ |§£ fk & -f" ilin9 9& 9§M <**$
§? ^f ^ 3£ SJ **? **? f **' ^
Die Rhythmen dieser drei Gedichte neben einander ge-
stellt, ergibt:
l. 2. 3.
/ 1 /
1 w v> v>>
1 '
' 1 '
KS KS 1 «^ W
w ^» 1 _ _. w Reim
1
— v/ 1 w — _ Reim
1 '
— w _ w _ Reim
' 1 '
*»/ — 1 w — w
_ ^ 1 _ _ ^ Reim
- - 1 w w _ Reim
— — 1 — «S — Reim
von denen keiner mit den von Zottoli angegebenen Schemen
stimmt; am ehesten noch der zweite, welcher allein im ersten
Verse vom Schema II abweicht.
Ueher den Rhythmus im Chinesischen. 47
Das thatsächlich zur Geltang kommende Bildungsgesetz
hier ist:
Es sollen nicht alle Versflisse eine gleiche Betonung haben.
Je zwei von den vier Versen einer Strophe sollen ein schönes
Verhältniss der Ping und Tse aufweisen, gleichsam als Gegen-
stücke zu einander erscheinen, ferner bei je zwei nacheinander
folgenden Versen (also 1, 2 und 3, 4) nicht mehr als auf einem
Versfusse die gleiche Betonung sein.
Der zweite und vierte Vers sollen reimen und zwar kann
der Reim echt (_) oder unecht (^) sein.
Der Hauptunterschied zwischen dem Rhythmus der Poesie
und Prosa Ist demnach, dass bei den poetischen Gebilden in
einer rhythmischen Gruppe nicht lauter gleiche Betonungen
vorkommen dürfen, in der Prosa wohl; dass der Rhythmus in
der Poesie zum voraus festgelegt ist, jener der Prosa durch
die Gedankenbeziehungen bestimmt wird, dass in der Poesie
dem correspondierenden Rhythmus nicht ein correspondierender
Satzbau entsprechen muss, wie in der Prosa, sondern nur der
rhythmische Accent des Verses mit dem logischen, beziehungs-
weise pathetischen sich zu decken hat.
Die angeführten drei Gedichte lauten in freierer, zweck-
entsprechender Uebersetzung :
Der Frühlingsschlaf von M6ng Hao-jan.
Im Lenzestaumel beachtet ich nicht Aurorens Kommen,
Von allen Orten empfing nur mein Ohr der Vöglein Gezwitscher;
In nacht' ger Stille entstanden dann Sturm und Kegengebrause,
Der Blümlein manche sie fielen zu Grund, ich weiss ja wie viele.1
Meng Hao-jan traf bei einem Besuche den Yuen nicht mehr
als Censor.2
Zu Loyang da traf ich der Sprache gewaltigen Geist an.
Zu Kjangling doch war es der (arme) vom Hofe Verbannte,
1 Der Dichter schildert hiemit die Glückseligkeit seines verborgenen Le-
bens. Wörtlich heisst es: Im Frühlingsschlaf gewahrte ich nicht die
Morgenröthe, überall hörte ich die zwitschernden Vögel. In der Nacht
war Sturm und Regengebraus, die BlÜthen fielen zur Erde, ich weiss
wie viele.
f M6ng's Freund Yuen, aus Loyang, war Privatcensor des Kaisers, er
ging ins Exil auf den ßerg YüHng in Kiangsi, wo frühzeitiger Frühling
einzutreten pflegte.
48 HI. Abhandln!)*: Kuhn ort.
Dort hört* ich wohl preisen der Pflaumen gar zeitige Blüthen,
Wozu soll'n ihm nützen (die Boten) vom Frühlenz des Erdstrichs?1
Auf die Strasse zu Loyang von Tschu Koang-hi.
Dem Haar' gleich erstreckt sich gerade die königlich breite der Strassen,
Dort gibt es am Frühlingstage balsamische Düfte die Menge,
Fünf Gräbern zunächst sich tummeln die edelsten Söhne der Fürsten,
Vom edelsteinschillernden Zaumzeug hallt doppelt ein Schellengeklingel.8
Die durchgeführte kritische Discussion hat nun klargestellt,
was man unter Rhythmus im Allgemeinen auf Grund des Sprach-
gebrauches zu verstehen hat und welches die charakteristischen
und daher unerlässlichen Eigenschaften desselben sind. Sie hat
ferner gezeigt, dass die Chinesen in ihrer Sprache genau das
anwenden, was wir als Begriff mit dem Worte Rhythmus be-
zeichnen und dass für den Chinesen Stil und Rhythmus in dem-
selben, ja in noch weiterem Umfange als für unsere Sprachen
sich decken.
Beim Rhythmus im Chinesischen hat man nach dem Vor-
geführten drei Haupterscheinungsformen desselben zu unter-
scheiden. Die erste derselben ist der freiere Rhythmus in der
Prosa, der durch die logischen Accente bedingt, infolge des
hierauf begründeten schnelleren Hinwegeilens über einzelne Satz-
theile und Perioden, der gewichtigeren Hervorhebung des ge-
danklich Wichtigen, der innigeren lautlichen Aneinanderreihung
zweier oder mehrerer Worte zum Ausdruck eines Begriffes
hervorgerufen wird und analog dem Numerus oratorius unserer
Sprachen mehr von dem Sprechenden auf Grund seines Sprach-
gefühles herausgefunden werden muss als sich demselben auf-
drängt.
Die zweite Erscheinungsform ist jene des strengen Rhyth-
mus in der Prosa, bei dem die rhythmischen Gebilde Rhythmus
im engeren und weiteren Sinne zeigen, derselbe steht im innigen
Zusammenhang mit der Satzconstruction, weil er durch diese
1 Wortlich: Zu Loyang traf ich ein schriftstellerisches Talent, au Kjang-
ling war es eiu Verbannter, ich höre sprechen von der Frühzeit der
Pflaumeublüthen, zu was nützt dieses Erdstrichs Frühling?
* Wörtlich: Die königliche (Reichs-)6trasse ist wie ein Haar gerade, am
Frühlingstage sind der heilsamen Lüfte viele, hei den fünf Grabhügeln
sind die edlen Fürstensühne, doppelt und doppelt klingt das edelstein-
geschmückte Zaumzeug.
Ueber den Bhythmns im Chinesischen. 49
d. i. durch die gedanklichen Beziehungen erzeugt wird. Seine
Gebilde streifen an die rhythmisch metrischen Formen unserer
poetischen Erzeugnisse und machen sich der Empfindung mit
unwiderstehlicher Gewalt als solch strengrhythmische Formen
der Prosa fühlbar.
Die dritte Erscheinungsform des Rhythmus offenbart sich
in den rhythmisch-metrischen Formen der chinesischen Poesie.
Hier ist die Form, die schöne Form, das zunächst Festgelegte,
an die der Dichter mit Notwendigkeit gebunden ist. Nicht
lediglich die Beziehungen der Gedanken sind das den Rhyth-
mus Bestimmende, sondern die schöne Form im harmonischen
Verhältniss ist das oberste Gesetz. Daher stehen Satzbau und
Rhythmus beim Verse nicht in solch inniger Correspondenz wie
bei dem strengen Rhythmus in der Prosa, nur die logischen
beziehungsweise pathetischen Accente müssen mit den rhyth-
mischen Accenten des Verses zusammenfallen. Rhythmisch corre-
spondierende Verse brauchen keinen correspöndierenden Satzbau
aufzuweisen, wie dies beim strengen Rhythmus der Prosa der
Fall ist.
Die Discussion hat aber ferner auch gezeigt, dass die
Aufstellung des Begriffes Parallelismus als einer innigen Ver-
bindung von Rhythmus und Antithese selbst im antithetischen
Verhältniss zu dem steht, was die Chinesen parallele Phrasen
nennen, weil die für diese Auffassung gegebenen Regeln von
einer grösseren Anzahl derartiger Gebilde Lügen gestraft werden,
überdies auch mit dem chinesischen Begriff für diese Sätzepaare
im logischen Widerspruch stehen.
Das eigentliche Gesetz, welches im richtigen Begriffe des
Sätzepaares gelegen und von den Chinesen thatsächlich beob-
achtet wird, wurde hiebei ganz bei Seite gelassen.
Wie einfach führt G. Schlegel (1. c.) dieses Gesetz an:
,In zwei parallelen nebeneinander oder auch nacheinander
gesetzten Phrasen, verlangt das chinesische Stilgesetz, dass
s&mmtliche Redetheile wechselweise miteinander correspondieren:
Snbject mit Subject, Verbum mit Verbum, Substantiv mit Sub-
stantiv, Adjectiv mit Adjectiv, Adverb mit Adverb, Ortsname
mit Ortsname, Genetivzeichen mit Genetivzeichen, Object mit
Object u. 8. w/
Sümiigiber. d. phiL-hist. Cl. CIXXIV. Bd. S. Abb. 4
50 III. Abhandlung: lühoert.
Er vindiciert sich keineswegs hiemit, dass er das Gesetz
geschaffen habe, noch beruft er sich auf seinen chinesischen
Lehrer1 und mit Recht, denn dieses Gesetz ist Sprachgesetz,
das besteht, und nicht ein Gesetz, welches der betreffende
Chinese erfunden hat, ein Gesetz, das klar für jeden zu Tage
liegt, der sich in den Geist des Chinesischen eingelebt. Wenn
so viele andere ausser Schlegel achtlos an diesem Gesetze
vorübergegangen sind, so hat dies seinen Grund darin, dass
man häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Hier
sind eben die Bäume die Unmassen scharfsinnig erklügelter
grammatischer Regeln, welche zu der Einheit des in Rede
stehenden Gesetzes (dem Walde) sich zusammenfassen.
Aus diesem Grunde sagt auch Schlegel in einer An-
merkung nur: ,Keine der chinesischen Grammatiken, soviel
uns bekannt, führt diese Regel an/ Hiemit ist ein wunder
Punkt der chinesischen Grammatiken berührt, der bedeutend
in die Wagschale fällt.
Grammatik kann für das Chinesische nicht sein, die Lehre
von den verschiedenen Formen (Declination, Conjugation etc.),
durch welche die Gedankenverhältnisse ausgedrückt werden,
sondern nur die Lehre von den Gesetzen der Sprache, nach
welchen die logischen Beziehungen der Begriffe im Urtheile
nach der Auffassung des Schreibenden oder Sprechenden zum
Ausdruck kommen. Dies kann aber nur eine wissenschaft-
liche Grammatik2 sein, welche die oberste Trinität der chine-
sischen Sprachgesetze umfassen muss, nämlich: Syntax, Rbyth-
i
Es w&re dies ebenso nichtssagend als bei einem Citate anzuführen, der
Herr X oder T hat mich aufmerksam gemacht, dass diese oder jene
Sentenz auch in dem oder jenen Buche zu finden sei, wenn man darauf-
hin das betreffende Buch durchliest und auf Grund der Leetüre die ent-
sprechende Stelle citiert. Man beruft sich nur dann auf den Herrn X
und Y, wenn man das betreffende Werk nicht selbst einsehen kann und
daher nicht in der Lage ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen,
dass in demselben ein derartiges Citat vorhanden ist.
Denn nicht das Volk, dessen Muttersprache die betreffende ist, hat die
Gesetze zum Voraus aufgestellt, sondern die Sprache hat sich organisch
mit der anderen Entwicklung des Volkes ausgebildet, und Aufgabe der
Wissenschaft ist es, die Gesetze abzuleiten, welche in der betreffenden
Sprache zum Ausdrucke der logischen Gedankenverhältnisse obwalten
und in ein System zu bringen.
Ueber den Rhythmn* im Chinesischen. 51
nras and Euphonie. Insoweit als hiedurch dem Lernenden die
Möglichkeit geboten wird, schneller zum Ziele zu gelangen,
als dadurch, dass er mühselig sich selbst durch langjährige Er-
fahrung die Hauptgesetze der Sprache zum Bewusstsein bringt,
ist sie auch praktisch.
Eis walten hier dieselben Verhältnisse ob, wie bei der
Logik. Lange vorher ,ehe es eine wissenschaftliche Logik
gab, die erst Aristoteles schuf, wurde bereits logisch gedacht
und eine grosse Summe richtiger und geltender Begriffe ge-
funden';1 ebenso kann man auch ohne Grammatik im obigen
Sinne sich des sprachrichtigen Ausdruckes in den meisten Fällen
bedienen. Man verfährt dann nach den Sprachgesetzen aber
ohne Wissen von denselben; und daher kann in zweifelhaften
Fällen, wo die praktische Erfahrung im Stiche lässt, die sprach-
richtige Ausdrucksweise zur Unmöglichkeit werden.
Die Aufstellung einer wirklichen Grammatik ist daher
Sache eines gereiften Mannes der Wissenschaft, dem überdies
ein vollständiges Eingelebtsein in diese Sprache eigen sein muss.
Letzteres setzt aber ein langjähriges Studium und einen directen
Verkehr mit dem dieselbe redenden Volke voraus.
Wer die chinesische Grammatik sich in der Form der
Grammatiken unserer Sprachen denkt, der geräth in eine Sack-
gasse; denn wie Schlegel treffend3 bemerkt, ist die chinesische
Sprache wie eine Lehre aus Holz (sabot en bois), sie verträgt
nicht im Mindesten, dass man ihr die Form der Grammatik
einer flectirenden Sprache aufdränge.
Wohin dies führen kann, möge an einem Beispiele ge-
zeigt werden.
Der Chinese bezeichnet mit Rücksicht auf den Satz
einzelne Schriftcharaktere als Huo-dsy. Huo bedeutet unter
anderen ,leben, beweglich, activ etc.', weswegen man Huo-dsy
gewöhnlich durch ,Lebewörter' wiederzugeben pflegt. Mit Huo-
dsy bezeichnet nun der Chinese Prädicatsausdrücke des Satzes.
Letztere werden in den flectierenden Sprachen grossentheils durch
Verba gebildet; Verba aber haben in letzteren einen bedeutenden
Formenreichtum.
1 Zimmermann, Phil. Propädeutik, p. 13.
9 La stele faneraire du Teghin Oiogh, p. 49.
4*
52 III. Abhandlung: Kühne rt.
Wie leicht ist es nun, dass die Ausdrucksweise: , Huo-dsy
bezeichne Verba' dahin aufgefasst werde, der Chinese nenne
deshalb das Verbum Huo-dsy = das bewegliche, lebende Wort,
weil das Verbum im Chinesischen den bedeutendsten Formen-
reichthum habe. Hiedurch würde aber der chinesischen Denk-
nnd Sprachweise direct ins Angesicht geschlagen. Gienge man
nun auf Grund dieser Auffassung weiter, so könnte man dahin
kommen nach Muster der Conjugation unserer Verba ein Para-
digma des chinesischen Zeitwortes aufzustellen; denn der Chinese
kann alles das begrifflich wiedergeben, was wir mit den
Formen unserer Zeitworte ausdrücken. Leider hat aber der
Chinese kein Verbum in unserem Sinne, noch weniger eine
Conjugation, wie bekannt. Man würde dann z. B. sagen: tstd'-
fän heisst essen; nach dem Paradigma wäre: ,Ich habe ge-
gessen' = 6 (ich) tshi^fän (gegessen) Uao (habe). Würde man
aber auf die Frage: Haben Sie schon gegessen? die Antwort
,ich habe gegessen' durch 6 UikC-fän Uao geben, so würde der
Chinese über diese unchinesische Ausdrucksweise lächeln;
denn richtig Chinesisch heisst es: tshi' k§ Uao (Essen vor-
über fertig).
Der Ausdruck Huo-dsy ist in Wirklichkeit darauf zurück-
zuführen, dass der Prädicatsausdruck veränderlich ist je nach
dem Subjecte,1 also in diesem Sinne beweglich, das will sagen,
das Schriftzeichen für den Prädicatsbegriff gilt nicht nach dem
ganzen Umfange seiner Bedeutung, sondern nur nach jenem
Umfange, der auf das jeweilige Subject Bezug haben kann. In
weiterer Folge deutet dann Huo in Huo-dsy auch auf die durch
einen derartigen Charakter eventuell ausgedrückte Thätigkeit
Deswegen muss man Schlegel vollkommen beistimmen,
wenn er die Notitia linguae sinicae des P. Pr&nare, jenem der
Europäer, welcher am Besten das Chinesische auffas6te, allen
anderen Grammatiken vorzieht, weil Pr&nare nicht mehr oder
weniger geschickt abgefasste Regeln in Worten aufstellt, sondern
den unerfahrenen Schüler gleich durch zahlreiche Beispiele auf
die Grundgesetze und die philosophische Praxis der chinesischen
Sprache führt.
1 Weiches allein nur seinem ganzen Umfange nach genommen werden
kann, also abgeschlossen, todt ist.
Uetar den Rhythmus im Chinesischen. 53
In der Musik liegt ein analoger Fall vor. Joh. Seb. Bach,
der Meister der Fuge, hat eine ,Kunst der Fuge' veröffentlicht,
wo er lediglich durch eine Reihe verschiedener über dasselbe
Thema gebildeter Fugen die Gesetze der Fuge ohne weitere
Worterklärung lehrt. Später schrieb Andr^e eine Fugenlehre
auf Grund irgend welcher aus seinem Kopfe geklügelter Ge-
setze. Statt nun sein Werk der Stampfe zu überantworten,
weil die erste Fuge in Bach's ,Kunst der Fuge* nicht zu
seinen Gesetzen passt, behauptet er im Gegentheil ,die Kunst
der Fuge' enthalte keine richtigen Fugen — weil sie zu seiner
Theorie nicht passen. Sapienti sat.
Hiemit soll keineswegs den vortrefflichen und dankens-
werthen Grammatiken St. Julien's und v. d. Gabelentz nahe-
getreten, sondern nur darauf hingewiesen werden, dass mit
der Kenntniss der Grammatiken allein noch lange nicht Alles
gethan, sondern im Gegentheil noch vieles zu lernen sei, was
in der Grammatik nur kümmerlich angedeutet werden kann,
wie z. B. Rhythmus und Euphonie. Hier muss das Chinesische
im Geiste des Chinesen behandelt werden. Denn so wenig man
den Rhythmus in der Musik aus Büchern lernen kann,1 so wenig
das rhythmische Gefühl durch Leetüre von Büchern oder Noten
geweckt wird; ebensowenig wird aus solchen allein begriffen
werden, was der Chinese unter Rhythmus versteht und was
wirklich der Rhythmus im Chinesischen bedeutet. Hier wiegt
ein Jahr praktischer Erfahrungen in China reichlich ein zehn-
jähriges Studium am Schreibtische zu Hause auf.
Die Hauptgesetze der Sprache sind so wenige, dass sie
auf einem winzigen Blättchen Papier Raum finden, die prak-
tischen Anwendungen derselben so mannigfaltig, dass man damit
Bände füllen könnte. Wer jene im richtigen Sinne, d. i. also
im Sinne des Chinesen gefasst, wird sich auf Grund dieser
philosophisch tiefsinnigen Gesetze stets in der Sprache zurecht-
finden, auslernen aber wird man im Chinesischen nie. Ob
man sich der Schriftsprache zuwendet oder der Umgangssprache,
1 Daher ist Westphal (Theorie der musischen Künste, p. 14) im Unrecht,
wenn er meint, dass bei Beethoven der Rhythmus weniger reich sei als
bei Bach. Das Gegentheil dürfte weniger unrichtig sein, man darf eben
in Bach's Compositionen nicht Rhythmen hineinzwingen, gegen welche
die Com position protestiert.
54 111. Abb.: Kfthnert. ü«btr den Rhythmus im Cbiimueben.
immer nur gilt als Regel sich an Werke zu halten, die von
Chinesen direct oder indirect herrühren.
Ist diese Erörterung eigentlich über das Ziel der Be-
handlung des Rhythmus etwas hinausgegangen, so möge man
mir dies um dessentwillen zu Gute halten, dass die bisherigen
Erörterungen über den Rhythmus es mir nahelegten, meine
Anschauungen über diesen Punkt der Grammatik zum Aus-
druck zu bringen, eine Anschauung, welche durch die persön-
liche Anwesenheit in China im Gegensatze zu einem früheren
Jahre langen Studium sich mir mit zwingender Notwendig-
keit aufdrängte.
Ich stand nicht an meine frühere Anschauung diesbezüglich
über Bord zu werfen, nachdem mich die praktische Erfahrung
gelehrt hat, dass das Punctum saliens beim Chinesischen tiefer
liegt, als wo man es suchen möchte.
IY. Abb.: Fr. Müller. Die armenischen Handschriften des Klosters etc.
IV.
Die armenischen Handschriften des Klosters
von Aryni (Arghana).
Von
• Dr. Friedrich Müller,
Professor an der Wiener Universität.
Die Handschriftensammlung des armenischen Klosters von
Arvni (1V?V) oder Argni (IVfty) kann zu den bedeutendsten
Sammlungen des Orients überhaupt gezählt werden. Schon in
der Zahl der Handschriften übertrifft sie z. B. die Sammlung
der Berliner königl. Bibliothek, indem sie nicht weniger als
142 (147) Handschriften umfasst, während die Berliner Biblio-
thek nach dem Catalog von Karamianz blos 99 und mit den seit-
dem dazu gekommenen Erwerbungen, nach den Mittheilungen
des Herrn P. Jacob Daschian, 110 armenische Codices besitzt.1
— Wie wir sehen werden, kann die Sammlung des Klosters von .
Arvni nicht blos quantitativ, sondern auch qualitativ den Vor-
rang vor der Sammlung der Berliner Bibliothek beanspruchen.
Aryni (Arghana) liegt im Wiläjet (*r«#<J«Af.) Dijärbekr im
Nord -Westen der gleichnamigen Hauptstadt. P. Leon Alischa-
1 Herr Dr Grigor Kalemkjar schätzt die Zahl aller vorhandenen armeni-
schen Codices auf etwa 10.000. In EdSmiatsin befinden sich etwa 2800,
in Venedig 2000, in Jerusalem 1600, in Wien (Bibliothek der P. P.
Mechitharisten) 500, in Tiflis etwa 400, in Paris 300, in Constantinopel
(Bibliothek der Antonianer) 350, in England 200, in Moskau 150, in Ber-
lin HO, in St. Petersburg 100, in Rom 100. Der Rest, ungefähr 1500 Hand-
schriften, vertheilt sich auf die übrigen, sowohl öffentlichen als Privat-
sammlungen. Leider muss man in Betreff der armenischen Handschriften
dasselbe sagen, was von den arabischen gilt. Die theologische Literatur
ist stark vertreten, dagegen sind die Werke historischen Inhalts sehr
selten.
Sitzongsber. d. phil-hist. Cl. CXX1IV. Bd. 4. Abb. 1
2 IT. AMumdlmnf : Fr. MtUer.
nean schreibt in seinem Werke S^V^f^P $tß-d A^-g (Venedig
1855. 8°), S. 43 (§. 69) darüber Folgendes: ,r~r~ t*— *—■
(nämlich dem Flosse f—ff***.) Atf ^ft£«ffe 1]^^%^ mf *«. IVtV
Ift—T Wrtlfit J"f»*J* ^"If^ff^ fymJSAmA Ifmy %ft ^mfumtLsy fmtwT jmftät
tfjktnyit, 9fi pt-pl—. ^mt^mt^/fflh f>pp 2880' 'fi ptmflrt[mvmftf Iru arnpf ■» mA y.
^fkfl" "^^ci. tmma-^M' 1000> j»p" 300 4*v,<f • *i"v mm "ifry f 7^ ^ /""f*
Ifu^mylruß \\nmmäjM^u &/& »f^ß jmmm Jß £/»{ *fa {ff/Mr.' yAlX diesem
FlUsschen (nämlich dem Bafi-su, respective dem oberen Tigris)
zieht sich der District Altana, was Ar^ni oder Argni ist, worin
die gleichnamige Stadt im Süden oder auf der rechten Seite
des Flusses auf einem hohen Felsenberge, ungefähr 2880' hoch,
in einer lieblichen und fruchtbaren Gegend sich befindet, 1000
Häuser umfassend, darunter 300 den Armeniern gehörend, deren
Vorstandshaus das Kloster der „nach oben schauenden Gottes-
mutter" ist, auf einer Zinke des hufeisenförmig sich hinziehen-
den Berges/ — Das hier erwähnte Kloster der ,nach oben
schauenden Gottesmutter* ist es, in welchem die Handschriften-
sammlung sich befindet. — Das Material zu dem vorliegenden
Handschriften -Verzeichnisse stammt aus dem Buche fcK-r«-
«ngjMvjt f.f»*0 <)<i«rjff£f/iEr 1] ^ ^»li.w^iii^ (Constantinopel - Ba-f-
dadlian. 1885. 8°) Vol. h" p. 383—410, und ich theile es hier
besonders deswegen mit, weil ich die europäischen Armenisten
auf die schöne Sammlung, welche den beiden berühmten Biblio-
theken von Edzmiatsin und Jerusalem würdig an die Seite ge-
stellt werden kann, aufmerksam machen möchte.
I. Die Bücher der heiligen Schrift.
(20 Handschriften.)
1. Die Bibel, d. h. die Bücher des alten und des neuen Testa-
ments (u#«m«*«rÄ-M#2mi2). — Geschrieben im Jahre /rf* (799
= 1350). — Nr. 110.
2. Die Bibel (mmmmumhm^M%£^7 Pergament -Handschrift mit Ab-
bildungen. — Geschrieben im Jahre «^/» (1082 = 1633).
— Nr. 144.
3. Die Bibel. Pergament-Handschrift. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 145.
Die armenischen Handschriften des Klosters Aiyni (Arghana). 3
4. Die Bibel. Pergament-Handschrift. Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 146.
5. Der Psalter. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 38.
6. Der Psalter. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 49.
7. Der Psalter. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 53.
8. Der Psalter. Pergament-Handschrift. Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 138.
9. Der Psalter. Geschrieben im Jahre «^ (1060 = 1611) in
Tigranakert. — Nr. 140.
10. Die Sprüche Salomos. Die Propheten. Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 141.
11. Die Sprüche Salomos. — Das Buch Hiob. — Grigor Niusatshi
(Gregor von Nyssa), Predigten und Commentar zum Eccle-
siastes. Geschrieben im Jahre &* (771 = 1322). — Nr. 84.
12. Die vier Evangelien. Geschrieben im Jahre fa (936 =
1487). — Nr. 31.
13. Die vier Evangelien. Mit Abbildungen. Geschrieben im
Kloster |V*f6tyj »f-'kp in Edzmiatsin unter dem Katholi-
kos Grigor X. im Jahre fr (904 = 1455). — Nr. 66.
14. Die vier Evangelien. Geschrieben in Hromklah im Jahre <y
(800 = 1351). — Nr. 67.
15. Die vier Evangelien. Pergament-Handschrift. Geschrieben
im Jahre «^ (672 = 1223) im Kloster der Gottesmutter
auf dem Berge Karmir. — Nr. 68.
16. Die vier Evangelien. Geschrieben im Jahre «y«* (810= 1361).
— Nr. 113.
17. Die vier Evangelien. Mit Abbildungen. Geschrieben im
Jahre m+p (1019 = 1570). — Nr. 116.
18. Die vier Evangelien. Geschrieben im Jahre *-$? (1063 =
1614) in Constantinopel. — Nr. 117.
19. Die vier Evangelien. Geschrieben im Jahre «y«^/t (812 =
1363) in Avthamar. — Nr. 119.
20. Die vier Evangelien. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 130.
II. Erklärungen der heiligen Schrift.
»
(12 Handschriften.)
1. Wardan Bardzrberdetshi (12. Jahrh.). Commentar zu den
Psalmen. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 8.
4 IV. Abhandlung: Pr. Müller.
2. Wardan Bardzrberdetshi. Commentar zu den Psalmen. Ge-
schrieben im Jahre *J-p- (1019 = 1570) in Kamenitz im
Lande Polen, als Sigismund III. regierte. — Nr. 13.
3. Nerses Lambronatshi (12. Jahrh.). Commentar zn den Psal-
men. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 128.
4. Commentar zum hohen Liede Salomos1 nnd zn dem Pauli-
nischen Briefe an die Epheser.2 Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 51.
5. Nerses Lambronatshi (12. Jahrb.). Erklärung der Sprüche
Salomos. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 137.
6. Commentar zum Propheten Isaias.3 Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 48.
7. Mechithar Göä (12. Jahrh.). Commentar zum Propheten Jere-
mias. — Johannes Wanakan Tawuäetshi (13. Jahrh.). Com-
mentar zum Buche Hiob. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 124.
8. Grigor (VII.) Anawarzetshi, Katholikos (13. Jahrh.). Er-
klärung der Offenbarung von Johannes und /»«»V «yA«»«*^.
Geschrieben auf Wunsch des Königs Hethum. Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 77.
9. Commentar zur Offenbarung Johannis.4 Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 142.
10. Georg Lambronatshi (auch Skewratshi genannt, 13. Jahrh.).
Erklärung der Apostelgeschichte (\yifb»±P't'-% rv^'w *»"»-
\Kw\g \\u»p»qfr Ar«. l|AL/"7^; vgl. X, Theologische Tractate, 2.
Geschrieben im Jahre &p (759 = 1310). — Nr. 120.
1 Von Grigor Nitisatzi? Grigor Narekatshi? Wardan? Jacob Karnetshi?
Abraham Astapattshi? s. yyuyp gnctjtufy der Bibliothek von Edimiatsin
(Tiflis 1862, 4°), 6. 146 ff.
9 Von Johannes Chrysostomus? Pöyos wardapet? s. 1] «»/f gncflutty, S. 162 ff.
8 Von Sargis Snorfcali? Mechithar Gö§? (Beide 12. Jahrh.) Grigor Skewra-
tshi? Georg Skewratshi? (Beide 13. Jahrh.) Grigor Tathewatehi? Johannes
Golotik? (Beide 14. Jahrh.)
4 Von Grigor VII. Anawarzetshi oder von Athanasius, übersetzt von Nerses
Lambronatshi?
Die armenischen Handschriften des Klosters von Aryn (Arghana). {>
11. Sargis Snor^ali (12. Jahrh.). IJIfrfW/l/rir \Y»p^'^ibkfru\)3'
Erklärung der apostolischen Briefe. Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 123.
12. Anania Sana^netshi (11. Jahrh.). Commentar zu den Briefen
des Apostels Paulus. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 131.
Grigor Niusatshi (Gregor von Nyssa). Commentar zum Eccle-
siastes; s. I, Die Bücher der heiligen Schrift, 11.
III. Canones.
(6 Handschriften.)
1. Canones (l|«£"Arf/ß»). Geschrieben auf Wunsch des Warda-
pet Thömah Metsophetshi, also im 15. Jahrhundert. —
Nr. 12.
2. Canones (\^%n%u,^fip^)m Kleine Schrift. Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 30.
3. Canones. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 54.
4. Canones. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 101.
5. Basilius. Canones (i|«A»^ «*• f Wf»^). Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 24.
6. Basilius. Canones (1|«ä»^ \\u,[n,qf). Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 55.
Canones, s. VIII, Predigten, 7.
Canones, s. VIII, Predigten, 11.
IV. Rituale and Missale.
(18 Handschriften.)
1. Rituale (Maätotsh). Geschrieben im Jahre «^c (1098 = 1649)
in Ak$l («/» Jlrp* WJföuy), im Kloster der Gottesmutter und
des heil. Kreuzes als Philippos Patriarch in Edzmiatsin
war. — Nr. 2.
2. Mafitotsh. Geschrieben im Jahre *tp (669 = 1220). — Nr. 3.
3. Maätotsh (fuyp ä^«»^).1 Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 9.
4. Maätotsh (Jlrh* Jlu^umß), Alt. Ohne nähere Zeitbestimmung.
— Nr. 11.
1 Während das Jtu^uin^ blos das den Priester betreffende Rituale umfasst,
ist in dem Juyp $Hu^uwng oder ,ÄÄ- Jut^mng das ganze Rituale, auch
jenes, welches den Bischof und Erzbischof angeht, enthalten.
6 IT. Abfaandliug: Fr. Müller.
5. Maätotsh. Geschrieben im Jahre j^ (930 = 1481). Mank. —
Nr. 29.
6. Maätotsh (-ß»/r -/irzrw^)- Geschrieben im Jahre £& (931 =
1482). — Nr. 33.
7. Maätotsh («%r ■/iz-»*ar). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 34.
8. Maätotsh (A^mmg jfvr)- Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 52.
9. Maätotsh (^-m ff lLmX*.+e*±pt,m% mg, If^f. lrrfo~~L~r). Q*
schrieben im Jahre f§k (897 = 1448). — Nr. 58.
10. Maätotsh und Hymnologium. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 95.
11. Maätotsh. Zwei Theile. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 98, 99.
12. Maätotsh. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 122.
13. Missale (£"£»j ?Av?)-1 Mank. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 135.
14. Missale (£—va) mit Abbildungen. Geschrieben im Jahre «^
(1090 = 1641) in Tigranakert. — Nr. 105.
15. Missale (*«w). Altes Exemplar. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 106.
16. Missale (fapfyfmmtmf,)* Geschrieben im Jahre «-#f (1126
» 1677). — Nr. 37.
17. Mirale (^/t<^»^«— »A«.^). Verziert mit Gold und Malereien.
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 41.
JH. MiMsalo (farfp+m—irMip)' Mit Verzierungen. Ohne Zeitbe-
stimmung. — Nr. 42.
V. Hymnologium.
(9 Handschriften.)
1. Hymnologium (Sarakan). Geschrieben im Jahre *fp- (1029
1580) in Senquä. — Nr. 4.
2. »Sarakan. Klein. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 23.
3. Marakan. Klein. Geschrieben im Jahre Iff. (944 = 1495)
im Kloster Sirunqari. — Nr. 25.
\, ftarakan. Klein. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 26.
5, Sarakan. Klein. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 27.
1 IM* Mesabuch mit dem Lectionarium.
* BloMes Messbuch.
Di« armenischen Handschriften des Klosters Aryni (Arghana). 7
6. Sarakan. Pergament* Handschrift. Klein. Geschrieben im
Jahre *>* (1048 = 1599) in flamith U.-"#P). — Nr. 39.
7. Sarakan. Geschrieben im Jahre *-* (1006 = 1557) im Orte
Sanvatsh (Söyats). — Nr. 69.
8. Sarakan. Zwei Theile. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 78, 79.
9. Sarakan. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 89.
Hymnologium, s. IV, Rituale und Missale, 10.
YI. Horologium.
(3 Handschriften.)
1. Horologium («/Wifj/^). Auf Pergament. Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 6.
2. Horologium («fW«^/^). Pergament-Handschrift. Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 64.
3. Erbauungsbuch (/kf «m»»«^^ ). Klein. Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 45.
VIL Calendarium.
(3 Handschriften.)
1. Calendarium («■»»t-ziy). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 17.
2. Fest-Calendarium und Horologium («toW^y k*. «/w^/ßf ).
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 36.
3. Fest-Calendarium (-»ok«^«^). Drei Theile. Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 59, 60, 61.
VIEL Predigten.
(14 Handschriften.)
1. Sammlung von Homilien (TC—n-iüi—fo). Geschrieben im Jahre
*-<>* (1075 = 1626) von Stephannos mit dem Beinamen
Karmir. — Nr. 5.
2. Sammlung von Homilien (£»<t£W/r). Mank. Ohne Zeitbe-
stimmung. — Nr. 21.
3. Reden {&*sp ^^-»t«»^- Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 63.
4. Reden. Predigten. Erklärungen. Zwei Theile. Ohne Zeitbe-
stimmung. — Nr. 82, 83.
5. Reden (*-"*-/?)• Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 134.
/
8 IT. Abhandlung: Fr. Müller.
6. Predigten (^«"^«»f//^). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 35.
7. Predigten. Canones. Chronik. Lieder. Chronikon. Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 81.
8. Predigten. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 85.
9. Predigten. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 88.
10. Reden und Erzählungen. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 90.
11. Predigten. Reden. Canones. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 94.
12. Predigten fiir die Sonntage. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 104.
13. Predigten (^?*r"ttAjp). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 121.
14. Wardan. Ermahnungen (^«»-^). Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 10.
Grigor LusaworitSh (4. Jahrh.). Homilien (</*»Ä-^«»«Y*-M,,"tJ0; 8-
XIV. Rechtswissenschaft, 3.
Grigor Niusatshi (Gregor von Nyssa). Predigten, s. I, Die Bücher
der heiligen Schrift, 11.
^«fr«?^ ; b. XIV, Rechtswissenschaft, 3.
IX. Gebete und Lieder.
(8 Handschriften.)
1. Gebet- und Liederbuch für die heilige Messe (f«W tbfiß)-
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 7.
2. Gebet- und Liederbuch fiir die heilige Messe (f^Af). Ge-
schrieben im Jahre «-fy (1052 = 1603) in Erzikan (J» ^-*-
W# \^%bk^\ — Nr. 40.
3. Narek (10. Jahrh.). Geschrieben im Jahre «yAx(846 = 1397)
im Kloster Sanabin (f> | «r4"- ^-»«»«/). — Nr. 28.
4. Grigor Narekatshi (10. Jahrh.). Gebetbuch (—t?Pmibite).
Geschrieben im Jahre «-#^ (U49 = 1700). — Nr. 71.
5. Grigor Chlathetshi Tserentsh (15. Jahrh.). Gebete und Lieder
(f.MÄ^). Geschrieben im Jahre *y (1006 = 1557). —
Nr. 72.
6. Gebet- und Liederbuch fiir die heilige Messe (^«Ai ?//*/?)•
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 91.
7. Grigor Narekatshi (10. Jahrb.). Gebete (m^p-tm^f^p). Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 115.
8. Gebete von Ephrem, Mesrop, Georg IL Garnetshi, Lusa-
woritäh, Sarkawag, Anania, Anastas, Johannes Chrysosto-
Die armenischen Handschriften des Klosters Aryni (Arghana). 9
mus, Johannes Erznkatshi, Mgchithar Göä, Georg Meyrik,
Grigor Skewratshi. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 139.
Gebet- und Liederbach für die heilige Messe, s. VIII, Predigten, 7.
X. Theologische Tractate.
(14 Handschriften.)
1- Grigor Aya^atshi. Gegen die Eunomianer.1 Ohne Zeitbe-
stimmung. — Nr. 70.
2. Athanasios und Kyrillos von Jerusalem. Fragen (des Letz-
teren) und Antworten (des Ersteren). Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 74.
3. Grigor Niusatshi (Gregor von Nyssa). |p^^a^«f^/i«/?/«i
und Mrftnt-P'fiJi trpu/hnt.p-trui'bg. Geschrieben im Jahre fta.
(958 = 1509). — Nr. 75.
4. \\—ym^» y^fii.pfattt-un'üf,} Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 93.
5. Grigor Astwatsaban. 3 Werke. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 97.
6. Grigor Astwatsaban l^«- */»«. — Grigor Niusatshi gegen die
Eunomianer. — tfinp /&«*/**-*. — Stephannos Siunetshi
ui$»mu»ufuui%fy> gAtfjfJ^tT auffffo *\)n.u*Ü^.utg tfusiT ^iLnJuy. Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 103.
7. Biographie des heil. Nerses Snorbali. Sein p-»*.q& f^»cj*W-
j3~lruthij Und ju$qut^.u Jfttupuiünuf&lruiü kt^lrqLß^mj QntfüiMiij £l
Pöyos Tarönetshi (11. — 12. Jahrh.). «^«»/^»«.ä {{»^w^ b*. «y«,.
Stephannos Siunetshi (8. Jahrb.). fnh—-i& «•»•■- *\**pfm%*» «y««-
M0SÖ8 ErZnkat8hi. ^utanutufaiuu/i f» gfutiyfiqt/l, tun. ^ustnni-uibtr^
Chosrow. F*äie»
Anania Sirakuni (7. Jahrh.). 1*)^^ *-«- feM^.
1 Die Eunomianer waren eine arianische Secte (die strengen Arianer), so
genannt nach Eunomios ans Kappadocien, gegen Ende des 4. Jahrhun-
derts Bischof von Kyzikos.
9 Ufa*/"*/? T&hamtfhean II, 301.
8 Vgl TshamtShean I, S. 459.
10 Hr. Akkaailut: Fr Miller.
Nerses Snorbali und Grigor IV. T^vah Katholikos (12. Jahrb.).
**■ fr*fc «v ******-»* *«■ *-•* f~- *-#»*-* 4— •?/-
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 129.
8. Hex&meron (t| *mtfg)* Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 133.
9. Piuros (Pyrrhos), Patriarch von Constantinopel und Komi-
tas, Katholikos der Armenier (7. Jahrb.). ^«hpkJB. Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 136.
10. Untersuchung des Glaubens (^ttMc/tytfr $~*j—mV) des Kö-
nigs Azaron und des Patriarchen Timotheos. Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 14.
11. Nerses Klajetshi Snorbali (12. Jahrh.). Hirtenbrief, Poesien
und Anderes. Geschrieben im Jahre »^ (693 = 1244).
— Nr. 16.
12. Nerses Klajetshi Snorfcali (12. Jahrh.). Pastoralbrief (Ency-
clica). — Brief des Katholikos Jacob I. (13. Jahrh.). —
Predigten des Bischofs Bartholomäus.3 Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 47.
1 Lies ||««^fiMMif£<j»jfe. Es ist «^»1/ f—mJfa gemeint, s. Tiham-
tfthean III, 279, 293, 300.
5 Von Basiliufl aus Caesarea? von Bartholomäus, Bischof von Maraya
(s. Tihamtfhean in, 326)? oder von Mattheos Wardapet? s. jp»^^.*.-
3-k der Bibliothek von Edimiatsin (Tiflis 1S63. 4°), S. 204 ff.
* Bartholomäus, römischer Missionar (14. Jahrh.), im Verein mit Johannes
Qfnetshi der Begründer der sogenannten Unitarier-Secte; s. T&hamt&hean
HI, 326.
Die armenischen Handschriften de* Klosters Aryni (Arghana). 1 1
13. Nerses Larabronatshi (12. Jahrh.). — tm—lr%mfuou*t-p-fiä3 (Sy-
nodalrede). — - • MaampaaaBmaJjD-jiaii, Jlrlptnt.p-fiub aafamanampaua.fi,
— £u»n-g jmqautfM <§-tnnM»u^m*j9£m*ß. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 114.
14. Reden der heiligen Doctoren. Nerses Klajetshi Önorl?aH.
Hirtenbrief.
sttttLuttf ira. ^igirpttb^ftp Ira. \\ aupikUtajnpfaut ira. unamaSau puLaV *i»oi
f\cwlr ma.miM.3m jamqaumM l1 uamna,auh-auhrüfiu fi %ama.amuaupmJ» aß-ir
onp ^amuwampiru ^uaj^f ira. m£ amj^auma^.^ t
\m Laaajammam%maJjrkajlvm mauuammamu upp*»a >
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 127.
XI. Leben der Heiligen.
(12 Handschriften.)
1. Martyrologium oder Legendarium (./«•/-»•/Zu«.»«./^). Geschrieben
im Jahre njf (733 = 1284) in Sebastia unter dem Ponti-
ficate Jacobs und der Regierung des Königs Leon. —
Nr. 107.
2. Legendarium ^jaayuaTaua.na.f^), Mit Abbildungen. Geschrieben
im Jahre **&«- (854 = 1405), dem Todesjahre Timur's. —
Nr. 108.
3. Legendarium (j^-a/Zuc«*./^). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 109.
4. Legendarium («/-"/m/loj»^). Geschrieben im Jahre Ijjr (935
= 1486) in Bavöä. — Nr. 143.
5. Legendarium (j«»/"^»«^«-^). Pergament - Handschrift. Ge-
schrieben im 12. Jahrhundert. — Nr. 147.
6. Leben der Väter {$aupauua ^-ng). Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 65.
7. Leben der Väter (^*ay»t*A# £«w). Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 73.
8. Leben der Väter ($-pau%3 fang). Geschrieben im Jahre «-**
(1180 = 1731). — Nr. 118.
9. Leben des Eremiten Evagrios und des Ne^os (Neilos). Ge-
schrieben im Jahre ;///. (768 = 1319\ — Nr. 44.
12 IV. AbhwriluQf : Fr. Müller.
10. Evagrios. Sein Leben und seine Ermahnungen {£»pp **-
1*1— -ig). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 126.
11. Buch der Genealogien (^.^.—^mf—^f»^. Mank. Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 18.
12. Genealogien der Geschlechter des alten und des neuen Te-
staments mit Bildern und Stammbäumen. Pergament-Hand-
schrift, geschrieben im Jahre «-rfjk/t (1142 = 1693) in Amith
(W - Nr. 43.
XU. Philosophie und Grammatik.
(14 Handschriften.)
1. Dawith (5. Jahrh.). Definitionen und Aristoteles* Kategorien
(f$u^fuätso fitfu»*t*nuiitApna-fir/rs$& &<. »m*f>»4*u.£y^r 0 J . VOU dem ,Kf-
steren übersetzt. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 15.
2. Aristoteles. — p^tg ku p-—*q&. Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 22.
3. Philo. Daran schliesst sich eine Anatomie, aus dem Latei-
nischen übersetzt von Wardan Jonaneantsh (jAr-»jfcW*/*/*fr
pnL"üb J%uartkuiill*t •ß"i''*v)' Geschrieben im Jahre ^it (1134
= 1665). — Nr. 32.
4. Dawith. Definitionen (««»£/«Ä£ ^*/L*««.«»«/^«#^^«#l!r). Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 56.
5. Porphyrius. Introductio (tr^«»^«*/^«Sr). — Dawith. Defi-
nitionen (uu,^Jui%^y Erklärung der Grammatik. Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 80.
6. Dawith. Definitionen (**«»4,/*,»fy?). Aristoteles1 Kategorien und
Analytica. — Grigor Magistros (11. Jahrh.), Gedichte
(ffiiruifc«^^). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 87.
7. Aristoteles. Physica. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 92.
8. Dionysius '{^»fck-fi*» (Areopagita? oder Thrax?). Ohne Zeit-
bestimmung. — Nr. 96.
9. Porphyrius und Dawith. Definitionen und ^«/l»«««»«^/»«*.^^.^.
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 100.
10. PrOcluS. l-Lb-JiiAäg. dkljün^fith, pufcfy <|*«f^0^ ^ft^aum^tmjf, .
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 132.
11. Johannes Eznkatshi (13. Jahrh.). Erklärung der Grammatik
[Jla(^nt.p-f»M% ugkpu»liu*bn*.p-iruib}% Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 20.
Die armenischen Handschriften des Klosters Aryni (Arghana). 13
12. Simeon Däu-fajetshi (17. Jahrh.). Grammatik. Ohne Zeitbe-
stimmung. — Nr. 62.
13. M$chithar Sebastatshi (17. — 18. Jahrh.). Kurzes Lehrbuch
der Rhetorik. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 50.
14. Jeremias (Eremia) Wardapet (17. Jahrh.). Wörterbuch zu
den heiligen Büchern. Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 86.
XIII. Geschichte.
(3 Handschriften.)
1. Samuel von Ani (12. Jahrh.). Chronik (cfiüi/aAü^a^m--
Pfi***) und die Pastoralbriefe von Nerses Rlajetshi Snor-
bali (12. Jahrh.). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 46.
2. MosSs Chorenatshi (5. Jahrh.). — Stephannos Tarönetshi,
Asoyik (10. Jahrh.). — Aristakes Lastiwerttshi (11. Jahrh.).
— Eusebius, Kirchengeschichte. Zehn Bücher fawnfl-fiiStp).
Geschrieben im Jahre SH (257 = 808). — Nr. lll.1
3. Agathangelos (4. Jahrh.) — Geschichte Nerses* des Grossen
und seine Vision. — Geschichte des Stammes der Mami-
konier. — Zenob und Johannes Mamikonean, Geschichte
Taröns (4. Jahrh.). — Faustos von Byzanz (4. Jahrh.) —
E^iSe (5. Jahrh.). — Stephannos (13. Jahrh.), Geschichte
der Orbeliden. — Geschichte der Einfälle der Araber und
Tataren, ohne Titel (revond? — 8. Jahrh.). — Wahram
(13. Jahrh.), Geschichte der Rubeniden. Ohne Zeitbestim-
mung. — Nr. 112.
Chronik, s. VIII, Predigten, 7.
XIY. Rechtswissenschaft.
(3 Handschriften.)
1. Mgchithar GöS (12. Jahrh.). Rechtsbuch (^«»«f«»»»»«»!«»^/^).*
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 102.
1 Wenn die Zeitbestimmung dieses Codex richtig ist, dann kann sie sich
nur auf das Werk von Eusebius beziehen. In diesem Falle wäre dieser
Theil der Handschrift der älteste datirte armenische Codex, den man
überhaupt kennt
* Das bekannte Rechtsbuch von M$chithar GöS (vgl. WZKM., Band V,
S. 52). Ausserdem gibt es noch ein Rechtsbuch von Nerses Lambronatshi
14 IT- Abs.: Fr. HftlUr. Die arm. Handschriften te Klostsrs Azyni (Irgluns).
2. M$chithar Göä. Rechtsbach (^-»-»«»•■rW.f/flp) und Grigor
LusaworitSh (4. Jahrh.). Homilien (jmfmfcm^mimmiJ*). Ohne
Zeitbestimmung. — Nr. 19.
3. M$chithar Göä (12. Jahrh.). Rechtsbach (pm-nm-mm r*«»?^»).
— ^iufn^. Geschrieben im Jahre «-fc (1068 = 1619). —
Nr. 1.
XV. Poesie.
(3 Handschriften.)
1. Araqel Siunetshi (15. Jahrh.). Die sieben Tage der Schöpfung
des Herrn (= 1^/»/^?). Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 57.
2. Nerses Klajetshi Snorfcali (12. Jahrb.). {J^«m.* -rtfr. Ge-
schrieben im Jahre ibk (727 — 1298) unter dem Pontifi-
cate Jacobs und der Regierung des Königs Leon. — Nr. 76.
3. Grigor Magistros (11. Jahrh.). Poesien und Briefe (^f
pnwhf. In. p»*.yPzp). Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 125.
Grigor Magistros. Gedichte (««»«»W*»^), s. XII, Philosophie und
Grammatik, 6.
(12. Jahrh.), von welchem Patkanean in seinem Catalogue de la littera-
ture armenienne (Bulletin de TAcad^mie imp. de St. Petersbourg. Tom. II,
p. 49 ff.) auf p. 74 ein Exemplar in der Bibliothek des Erzbischofs Sargis
von Sana^in anführt; ein zweites Exemplar soll, wie mir Dr. G. Kalem-
kjar mittheilt, in Constantinopel im Privatbesitz vorhanden sein. — Dieses
Werk soll in der Vulgärsprache des 12. Jahrhunderts abgefasst sein (vgl.
Die Handschriften -Verzeichnisse der königl. Bibliothek zu Berlin. X. Bd. ;
Verzeichniss der armenischen Handschriften von Dr. N. Karamianz. Ber-
lin 1888. 4°. S. 45, b, Note).
V. Abhandlung: Günther. ATelUn*-Studieu.
V.
Avellana-Studien.
Von
Otto Günther
in Berlin.
Von der kritischen Ausgabe der in den Kreisen der Kano-
nisten und Kirchenhistoriker als ,Avellana' bekannten Samm-
lung von Kaiser- und Papstbriefen, die ich mit Unterstützung der
Savigny-Stiftung auf Veranlassung der kaiserlichen Akademie
bearbeitet habe, ist vor kurzem der erste Halbband erschienen
(Corpus scriptorum ecclesiast. latin. ed. consilio et imp. academiae
litt. Caesareae Vindobonensis, vol. XXXV, pars 1); der zweite
ist, was den Text anlangt, ebenfalls im Druck fertiggestellt
und wird erscheinen, sobald die Indices vollendet sein werden.
In den Prolegomena, die ich dem ersten Bande vorausgeschickt,
habe ich vor allem das Verhältniss der Codices und älteren
Drucke eingehend erörtert: die einzige Handschrift, aus der
alle übrigen direct oder indirect abstammen, ist der Vaticanus
3787 aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts, von mir mit V
bezeichnet. Der Name ,Avellana', den die trefflichen Ballerini
der Sammlung nach dem einst im Besitz des umbrischen Klosters
S. Crucis in fönte Avellana befindlichen Vaticanus 4961 beigelegt
haben, hat darnach heute an und für sich keine Berechtigung
mehr; wir sollten sie ,Sammlung der Vaticanischen Handschrift
3787' nennen. Trotzdem habe ich aus praktischen Rücksichten
die alte eingebürgerte Bezeichnung beibehalten; sie empfiehlt
sich der Kürze wegen und weil sonst leicht Verwechslungen
mit kanonistischen Sammlungen anderer vaticanischer Hand-
schriften stattfinden könnten. Der Inhalt der Sammlung ist
uns zum aUergrössten Theile nur aus dieser Quelle bekannt.
Ueber die anderweitige Ueberlieferung weniger Briefe habe ich
Sitanngsb. d«r phil.-hiat Ol. CXXXIV. Bd. 6. Abb. 1
2 V. Abhandlung: Günther.
im dritten Capitel der Prolegomena kurz berichtet. Bei vier
Stücken schien mir eine längere Auseinandersetzung am Platze
zu sein; sie wird im zweiten Abschnitt dieser Abhandlung ge-
geben werden. Vor allem aber musste ich noch darlegen, was
etwa über Composition und Quellen der Sammlung zu erschliessen
war. Auch dies hätte in jene Prolegomena gehört, und nur die
Furcht vor einem allzu starken Anschwellen des Bandes hat
mich veranlasst, diese Untersuchungen hier gesondert vorzulegen.
Dabei Hess sich die Unbequemlichkeit, fortwährend auf Seiten-
und Zeilenzahl meiner Ausgabe verweisen zu müssen, leider
nicht vermeiden.
I.
Composition und Quellen der Sammlung.
1.
Die Form, in der uns die Avellana im Vaticanus 3787
vorliegt, kann nicht vor dem Jahre 553 entstanden sein; in
dieses Jahr fallt die Abfassung des jüngsten Stückes der
Sammlung, des sogenannten Constitutum de tribus capitulis des
Papstes Vigilius (n. 83).
Eine Sonderung der Briefe in verschiedene Gruppen hat
zuerst Maassen1 vorgenommen, und Ewald2 hat sich dieser
Eintheilung angeschlossen. Maassen unterscheidet folgende sechs
Gruppen:
I) n. 1 — 13: über das Schisma des Ursinus (366/7) und seine
Folgen 5
II) n. 14—37 : über das Schisma des Eulalius (418/9) und
seine Folgen;
III) n. 38 — 50: ein Schreiben des Honorius an Arcadius be-
treffend die gegen Johannes Chrysostomus verübten Ge-
walttätigkeiten (n. 38); zwei Schreiben des Maximus
tyrannus (n. 39 an Valentinian II. gegen die Gewalttätig-
keiten der Arrianer, n. 40 an Papst Siricius), vier Schreiben
1 Sitzungsber. der phil.-hist. Ciasse der kais. Akademie der Wissenschaften,
Bd. LXXXV. Wien 1877, S. 239 ff.
' Sybel's Histor. Zeitschrift, N. F. IV, S. 154; Zeitschrift der Savigny-
Stiftang V, German. Abtheilung, p. 289.
AT«ll*na-8tudi€n. O
von Papst rnnocenz I. (n. 41 — 44) und sechs Stücke
(n. 45 — 50) aus dem Pontificat des Zosimus zur Geschichte
des Pelagianismus;
IV) n. 51 — 78 : 28 Stücke , die monophysitischen Irrungen in
den Kirchen von Alexandrien und Antiochien zur Zeit
des Timotheus Ellurus, Petras Mongns und Petrus Folio
betreffend ;
V) n. 79—104 : Stücke aus dem Pontificat Gelasius' I. (492—
496), Anastasius' IL (496—498) und Symmachus' (498—
514), betreffend die Angelegenheiten des acacianischen
Schismas und des Pelagianismus; dazwischen (n. 82 — 93)
zwölf Stücke dogmatischen Inhalts aus der Regierungs-
zeit der Päpste Johann II. (532 — 535), Agapetus (535 —
536) und Vigilius (537—555);
VI) n. 105—243: Stücke aus dem Pontificat des Hormisda
(514—523).
Von dem Standpunkte einer ausschliesslich den Inhalt der
einzelnen Stücke berücksichtigenden Sonderung wird man gegen
diese Analyse der Sammlung nicht viel einwenden können;
allein man darf hierbei nicht stehen bleiben, sondern muss
darauf ausgehen, die einzelnen Schriftstücke nach den Quellen
zu gliedern, aus denen sie in unsere Sammlung übergegangen
sind. Derartige Untersuchungen sind ihrer ganzen Natur nach
öfters unsicher, allein an den meisten Punkten wird man hier
doch zu festen Resultaten gelangen.
2.
Betrachten wir zunächst die beiden ersten von Maassen
abgesonderten Gruppen, n. 1 — 13 über das Schisma des Ur-
sinus und n. 14 — 37 über das des Eulalius. Zu der Ansicht, dass
beide von einander zu sondern seien, ist auch Wilhelm Meyer
aus Speyer1 gelangt. Er spricht es direct aus,2 dass der
Sammler von n. 14 — 37 sowohl von dem verschieden sei, der
die Stücke über das Schisma des Ursinus zusammengebracht,
1 Seine beiden die Avellana betreffenden Abhandlungen finden sich in den
Göttinger Indices scholarum vom Sommer 1888 und Winter 1888/89. Ich
citire sie im Folgenden der Kürze halber immer als I und II.
II, S. 4 f.
1*
4 T. AttaaJIwf: Glatter.
wie auch von dem, welcher der Avellana ihre endgiltige Ge-
stalt gegeben habe: beide Gruppen hätten als kleine Samm-
lungen lange für sich bestanden, bevor sie in das Corpus
Avellanum aufgenommen seien. Dass n. 1 — 13 mit dem Sammler
von n. 14 — 37 nichts au thun haben, leitet Meyer aus der Ver-
schiedenheit der Ueberschriften ab. Die Briefe der ersten
Gruppe tragen Ueberschriften, welche die ursprüngliche Form
der Adresse «war durchweg stark zusammengezogen haben,
sie aber doch noch einigermassen erkennen lassen, so:
n. 3 Valentinianus Theodosius et Arcadius Augusti Sa-
lustio praefecto urbi.
n. 6 Valentinianus Valens et Gratianus Praetextato p. u.
n. 7 Idem Augusti Praetextato p. u.
n. 8 Idem Augusti ölybrio p. u.
n. 9 Idem Augusti ad Aginatium vicarium.
n. 10 Idem Augusti ad Olybrium p. u.
n. 11 Idem Augusti ad Ampelium p. u.
n. 12 Idem Augusti Maximino cicario urbis Romae.
n. 13 Gratianus et Valentin ianus Augusti Aquilino vicario.
Durchaus verschieden hiervon sind die Ueberschriften,
welche die Stücke der zweiten Gruppe tragen : sie werden fast
alle eingeleitet mit einem Worte wie relatio (oder epistola oder
oratio oder edictum) oder gar mit exemplum relationis (exem-
plum sacrarum litterarum, exemplum precum)* vgl.:
n. 14 Exemplum relationis Symmachi praef. urb. ad Ho-
norium prineipem Ravennae constitutum.
n. 15 Exemplum sacrarum litterarum.
n. 16 Exemplum relationis Symmachi p. u. ad prineipem.
n. 17 Exemplum precum prtsbyterorum pro Bonifatio.
n. 19 Item relatio p. «. Symmachi.
n. 20 Exemplum sacrarum litterarum ad synodum.
n. 22 Exemplum sacrarum litterarum ad Achilleum Spo-
litanum episcopum.
n. 23 Principis oratio ad senatum.
n. 24 Eiusdem principis edictum ad populum.
n. 25 Eiusdem principis epistola ad sanetum Paulinum
episcopum Nolanum.
n. 26 Item eiusdem principis ad episcopos Afros.
At«11m»*- Studien. 5
n. 27 Eiusdem principis epistola ad sanctum Aurelium
Carthaginiensem episcopum.
n. 28 Eiusdem epiMola ad Augustinum Alypium . . epi-
scopos uniformis.
n. 29 Relatio Symmachi p. u. ad Constantium.
n. 30 Epistola illustris comitis Constantii ad Symmachum
p. u.
n. 31 Exemplum sacrarum litterarum ad Symmachum p. u.
n. 32 Exemplum relationis Symmachi praef. urbis ad virum
inl. com. Constantium patricium.
n. 33 Exemplum sacrarum litterarum Symmacho p. u.
n. 34 Exemplum relationis Symmachi p. u. de ingressu
papae Bonifatii ad principem supra scriptum.
n. 35 Exemplum sacrarum litterarum proconsuli Africae.
n. 36 Epistola Largi proc. ad Aurelium episcopum Carihag.
n. 37 Epistola imperatoris Honorii ad Bonifatium episco-
pum Romanum.
Man sieht, der von Meyer hervorgehobene Unterschied
der Titel ist in der That durchweg vorhanden und beruht
sicher nicht auf einem Zufalle. Trotzdem ist Meyer's Annahme
schwerlich richtig.
In der zweiten Reihe der Briefe (n. 14—37) tritt uns an
zwei Stellen die Thatsache entgegen, dass von zwei auf einander
folgenden Stücken das zweite nicht einfach neben das erste
gesetzt, sondern durch eine verbindende Zwischenbemerkung
an jenes angereiht ist, eine Zwischenbemerkung, die den Zweck
hat, den innern Zusammenhang der betreffenden beiden Stücke
kurz auszudrücken. Das ist zunächst der Fall zwischen n. 17
und 18. n. 17 ist eine am 6. oder 7. Januar des Jahres 419
von römischen Presbytern zu Gunsten des Bonifatius an die
Kaiser Honorius und Theodosius gerichtete Bittschrift; n. 18
ein Edict, das Honorius in Folge jener Eingabe am 15. Januar
desselben Jahres an den Stadtpräfecten Symmachus erliess.
n. 18 hat in der Sammlung keinen eigentlichen Titel; statt
seiner erscheint zu Anfang der Satz: Ad petitionem presby-
terorum (d. i. n. 17) huiusmodi sacrum rescriptum imperator
p. u. Symmacho destinavit} worauf dann sofort der Text Post
relationem sublimitatis tuae u. s. w. folgt. Dasselbe findet zwi-
schen n. 20 und 21 statt, n. 20 ist ein Schreiben des Honorius
6 V. Abhandlung: Qtnther.
an die Synode, die er zur Entscheidung des Streites zwischen
Eulalius und Bonifatius auf den 8. Februar 419 nach Ravenna
zusammenberufen hatte; n. 21 ein Erlass des Honorius an den
Stadtpräfecten Symmachus vom 15. März desselben Jahres, in
dem er ihm mittheilt, dass er zur Ausführung der heiligen
Ceremonien bei dem bevorstehenden Osterfeste den Bischof
Achilleus von Spoleto nach Rom beordert habe : wenn das Fest
vorüber sei, solle dann der Streit zwischen den beiden Präten-
denten Eulalius und Bonifatius ex iudicio sacerdotum ent-
schieden werden. Eine selbständige Ueberschrift zu n. 21 fehlt
wieder, dagegen ist n. 21 durch folgende Worte an das Exemplum
sacrarum litter arum ad synodum (n. 20) angeschlossen: Haec
8ynodu8 (zu Ravenna) inter se dissentiert* praesentem causam
terminare non potuit. unde venerabilis Imperator Honorius ad
maius condlium hoc credidit negotium differendum et Interim
propter dies qui inminebant sanctae paschae utrosque, Boni-
fatium scilicet et Eulalium, ab urbe iussit abscedere et Spoli-
tinum episcopum Achilleum nomine sacra iussit mysteria cele-
brare} Symmacho praef. urbi hoc idem suis scriptis insinuans.
Diese Zwischenbemerkung enthält nichts, was nicht aus den
folgenden Nummern zu entnehmen wäre ; x sie ist nur gemacht,
um den Leser in kurzen übersichtlichen Worten über die Ver-
änderung der Lage zu unterrichten, die zwischen der Zeit der
Absendung von n. 20 und dem 15. März eingetreten war.
Wenden wir uns jetzt zu der ersten Serie von Schrift-
stücken, zu n. 1 — 13. Da tritt uns denn ganz dieselbe Er-
scheinung entgegen, die wir soeben in jener anderen Reihe
gefunden haben. Zunächst eine Verbindung, die ganz analog
ist der von n. 17 und 18. n. 2 ist die in der Literaturgeschichte
mit Unrecht als ,libellus precum' bekannte ausführliche Bitt-
schrift der luciferianischen Presbyter Marcellinus und Faustinus
an die Kaiser Valentinian, Theodosius und Arcadius; n. 2* das
1 Der Umstand, dass die Synode zu Ravenna sich nicht einigen und in
keinem zeitigen Ende kommen konnte, wird z. B. in n. 21, 23 und 24
hervorgehoben; von der Ueberweisung der Angelegenheit an ein zahl-
reicher zu beschickendes Concil spricht das Edict n. 24; von dem an
die beiden Prätendenten ergangenen Befehl, bis zur Entscheidung sich
von Rom fernzuhalten, n. 31 § 1. Der Sendung des Achilleus wird in
mehreren der folgenden Stücke Erwähnung gethan.
ATell*na-8tndien.
kaiserliche Edict, dass infolge jener Bittschrift dem Praefectus
praetorio Cynegius zuging. Letzteres, selbst ohne Ueberschrift,
ist mit der Eingabe der beiden Presbyter in der Avellana durch
die Worte verbunden : Ad hos preces ita lex Augusta respondit.
Der zweite Fall betrifft die Verbindung von n. 1 und
n. 2, über die ich etwas ausführlicher sein muss. n. 1 ist über-
schrieben Quae gesta sunt inter Liberium et Felicem episcopos.
In Wahrheit entspricht dieser Titel allerdings dem Inhalt dieser
Gesta nur sehr wenig, denn wenn auch der Streit zwischen
Liberias und Felix für sie den Ausgangspunkt abgiebt, so bildet
doch ihren Hauptinhalt die Erzählung vom Schisma des Ursinus,
das von seinen Anfängen an bis zum Ende des Jahres 367 mit
allen Details dargelegt wird. Gegen Schluss des Stückes wird
berichtet, wie Damasus nach der am 16. November 367 erfolgten
zweiten Verbannung des Ursinus fortgefahren habe, gegen die
Anhänger seines Gegners zu wüthen, und wie er bei S. Agnese
unter ihnen ein förmliches Blutbad angerichtet. Diese Greuel-
that, so heisst es weiter (§ 13), habe unter den italischen
Bischöfen grossen Unwillen hervorgerufen, und als einige von
ihnen auf Einladung des Damasus. * zu seiner Geburtstagsfeier
nach Rom gekommen seien und er sie durch Geld und gute
Worte habe bestimmen wollen, ein Verdammungsurtheil gegen
Ursinus auszusprechen, da hätten sie geantwortet: ,Wir sind er-
schienen, um einen Geburtstag zu feiern, nicht aber um jemand
ungehört zu verdammen/ ita prava eins intentio caruit quo
nitebatur effectu — ,bo blieb des Damasus böse Absicht ohne den
gewünschten Erfolg'; mit diesen Worten schliesst die Geschichte
ab. Es folgen dann noch die Worte: Exinde presbyteri diversis
modis afflicti per exilia et peregrina loca dispersi sunt, ex
quibu8 Marcellinus et Faustinus presbyteri de confessione verae
fidei et ostentatione sacrae communionis et persecutione adver-
santium veritati preces Valentiniano Theodosio et Arcadio prin-
cipibus optulerunt ita. Hieran schliesst sich ohne Ueberschrift
der Text von n. 2.
Die letzten von mir ausgeschriebenen Worte haben bis
in die neueste Zeit hinein zu einem schweren Irrthum Ver-
anlassung gegeben. Man hat auf Grund davon n. 1 als eine
Vorrede betrachtet, die von den Presbytern Marcellinus und
Faustinus ihrer Bittschrift bei deren Veröffentlichung ,wie eine
8 V. Abhsndtang: Günther.
Nachricht über die Persönlichkeit der Verfasser0 vorausge-
schickt sei. Selten ist eine unglücklichere Hypothese aufgestellt
und mit schwächeren Gründen gestützt worden. In der That
haben beide Schriftstücke ebensowenig etwas mit einander zu
thun wie die Ursinianer mit den Luciferianern. Die Gesta
behandeln, wie schon gesagt, von dem Streit zwischen Liberius
und Felix ausgehend , das Schisma des Ursinus bis zum Ende
des Jahres 367, und zwar in einer Weise, dass die Zugehörig-
keit des Verfassers zur Partei des Ursinus überall deutlich zu
Tage tritt; die im Jahre 383 oder 384 verfasste Bittschrift der
beiden luciferianischen Presbyter hat keinen anderen Zweck,
als einmal über die Unbilden Beschwerde zu führen, welche
die Verfasser besonders bei ihrem Aufenthalt in Palästina hatten
erdulden müssen, sodann aber Lucifer selbst und seine Anhänger
gegen die ihnen gemachten Vorwürfe der Häresie in Schutz zu
nehmen und die Verwerflichkeit seiner Gegner in das richtige
Licht zu rücken. Wie in n. 2 Ursinus mit keinem Worte ge-
nannt wird, so enthält n. 1 nicht das Geringste über den
Luciferianismus; Lucifer selbst wird darin überhaupt nur ein-
mal (§1) erwähnt, und zwar ganz nebenbei unter der Zahl
der Bischöfe, die im Verein mit Liberius sich weigerten,
Athanasius zu verurtheilen , und daher von Constantius mit
der Verbannung bestraft wurden. Der künstlich und ohne
den geringsten Anhalt construirte Zusammenhang zwischen den
Ursinianern, die, ,von halbnovatianischen Grundsätzen über die
Sünde des Abfalles ausgehend, oder vielmehr diese auf die
Häresie ausdehnend, eigentlich (!) Gesinnungsgenossen des über-
eifrigen Bischofs Lucifer von Calaris waren',8 und eben diesem
Bischof von Calaris besteht thatsächlich nicht. Die ganze Hypo-
these von der Identität der Verfasser von n. 1 und 2, gegen
die einst schon Tillemont, jedoch ohne gehört zu werden, auf-
trat, ist denn neuerdings auch von Gustav Krüger mit einem
kräftigen Stosse über den Haufen geworfen. Am Ende seiner
in jeder Beziehung zutreffenden Darlegungen kommt Krüger s
zu dem Resultat: ,Der Schlusspassas der Vorrede muss also
1 M. Rade, Damasus, Bischof von Rom (1882), S. 8.
* Jos. Langen, Geschichte der römischen Kirche I, 1881, S. 502.
8 Gnst. Krüger, Lucifer, Bischof von Calaris, 1886, S. 86 f.
Arellanft-Stndieo. 9
von einem Anderen herrühren, der die heftige Polemik des
Damasus in der Bittschrift und in der Vorrede mit einander
in Verbindung zu bringen suchte. Der Zusatz ex quibus etc.
könnte an sich recht gut fehlen, zumal der Uebergang ein
sehr abrupter ist; und die betreffende Inhaltsangabe, wie die
Nennung der Namen der Verfasser, welche am Schluss des
Libellus wiederkehren, deutet gewiss auf Absicht hin/
Allein man muss noch weiter gehen, als es Krüger gethan
hat: nicht nur die Worte ex quibus Marcellinus et Faustinus
presbyteri de confessione verae fidei et ostentatione sacrae com-
munionis et persecutione adversantium veritati preces Valen-
tiniano Tkeodosio et Arcadio prindpibus optulerunt ita9 sondern
auch das, was vorhergeht: exinde presbyteri diversis modis
affiicti per exilia et peregrina loca dispersi sunt, ist von n. 1
loszulösen. Denn es leuchtet ein, dass die ganze Erzählung
von den Umtrieben des Damasus mit ita prava eius intentio
caruit quo nitebatur effectu einen weit besseren Abschluss findet,
als wenn noch die Worte hinzugefügt werden exinde presbyteri
diversis modis affiicti per exilia et peregrina loca dispersi sunt,
deren Zusammenhang mit dem Vorangehenden gar nicht ein-
mal klar ist. Was hat das Vorgehen gegen die Presbyter zu
thun mit dem vergeblichen Versuch des Damasus, einen Theil
der italischen Bischöfe in seinem Streit mit Ursinus zu sich
herüberzuziehen? Ferner, was sind das für Presbyter, die er
in die Verbannung schickt? und warum tritt er nur gegen
Presbyter auf, warum nicht gegen jene Bischöfe, die ihm eine so
freimüthige Antwort gegeben, warum nicht gegen alle Cleriker,
die etwa dem Ursinus noch anhängen mochten? Alle diese
Fragen finden keine genügende Beantwortung, wenn wir die
Worte exinde presbyteri . . dispersi sunt als zu n. 1 zugehörig
betrachten. Ich habe also in meiner Ausgabe den ganzen
Passus von exinde presbyteri bis optulerunt ita im Gegensatz
zu allen früheren Herausgebern von n. 1 abgetrennt und dem
zurückgegeben, dem er gehört: dem Redactor dieses Theiles,
der n. 1 und n. 2 auf diese Weise, nicht eben glücklich, mit
einander in Verbindung brachte. Was ihn hierzu bewog, ist that-
sächlich nichts Anderes als der Umstand, dass dem Damasus
sowohl in n. 1 wie in n. 2 übel mitgespielt wird; eine weitere
gegenseitige Beziehung des Inhalts beider Stücke liegt nicht vor.
10 V. Abhandlung: Gttnther.
Dass der Verfasser jener Zwischenbemerkung die Namen
des Marcellinus and Faustinus dem Schluss der Bittschrift selbst
entnommen, hat schon Krüger gesehen: allein seine Benützung
der Bittschrift selbst geht noch viel weiter. Die Schrift der
beiden Presbyter liegt ausser der Avellanischen Sammlung noch
in einer anderen Ueberlieferung vor; sie ist uns erhalten in den
von Maassen als ^Sammlung der Handschrift von Corbie', ,Samm-
lung der Handschrift von Albi' und ^Sammlung der Pithou'schen
Handschrift' bezeichneten verwandten Collectionen,1 zu denen
noch einige völlig anders geartete Miscellanhandschriften hinzu-
treten. Die gemeinsame Tradition aller dieser Sammlungen,
die ich in meiner Ausgabe mit <ß bezeichnet habe, und über
die im Einzelnen ich im zweiten Theil dieser Abhandlung reden
werde, giebt der Schrift den Titel De confessione verae fidei et
osientatione sacrae communionis et persecutione adversantium
veritati; dieselbe Tradition hat am Ende der Schrift die Worte
Marcellinus presbyter obtuli (oder obtulit). Damit haben wir die
Quellen jener Zwischenbemerkung aufgedeckt. Den ersten Satz
exinde presbyteri diversis modis afflicti per exilia et peregrina
loca dispersi sunt hat der Verfasser dem ganzen Inhalt der Bitt-
schrift entnommen, wo von den Verfolgungen und Ausweisungen,
unter denen die Anhänger des Lucifer zu leiden hatten, immer-
fort die Rede ist. Dass er dabei nur von presbyteri spricht,
ist jetzt klar: er will eben auf Marcellinus und Faustinus hinaus,
und die waren Presbyter. Was den zweiten Satz angeht: ex
quibus Marcellinus et Faustinus presbyteri de confessione verae
fidei et ostentatione sacrae communionis et persecutione adver-
santium veritati preces Valentiniano Theodosio et Arcadio prin-
cipibus optuhrunt itay so hat der Verfasser sich die Namen
der Presbyter aus den Subscriptionen2 geholt, ebendaher aber
auch das Verbum offerre. Die Worte de confessione . . veritati
sind der alten Ueberschrift des Werkes entlehnt,3 die Namen
1 Maassen, Gesch. der Quellen and Lit des kanon. Rechte, 8. 363 § 371.
* In der Avellana stehen beide Namen am Ende; in den Sammlangen,
die für ans * repräsentiren, heute nur noch der des Marcellinus.
8 Das gleichmässige Vorkommen der Worte de confessione verae fidei . . .
veritati im Schlusspassus von n. 1 und dem Titel der Recension *P von
n. 2 hat bereits Meyer bemerkt (II, S. 32), allein irrthümlich angenommen,
dass sie in n. 1 ursprünglich seien und von dort in jene Inscriptio der
AyeUana-Stndieii. 11
der Kaiser ans dem Anfangsparagraphen desselben. So geht
alles ohne Rest auf.
Ich kehre jetzt dorthin zurück, von wo ich ausgegangen
war. Eis hat sich ergeben, dass sowohl in der Serie n. 1 — 13
wie in der n. 14 — 37 einzelne Stücke dadurch untereinander
in die engste Verbindung gebracht sind, dass irgend welche
Worte dazwischen gesetzt wurden, die — mehr oder minder
glücklich — den Zusammenhang klarstellen sollten. Die An-
nahme, dass zwei verschiedene Personen zu verschiedenen
Zeiten gleichmässig auf diese Idee verfallen und beider so
gleichmässig geartete Sammlungen dann durch einen reinen
Zufall in der Avellana nebeneinander gerathen sein sollten,
verbietet sich von selbst. Vielmehr führt uns die Betrachtung,
die wir angestellt haben, zu dem unabweislichen Resultat, dass
in der Avellana n. 14 — 37 nicht von n. 1 — 13 zu trennen sind,
sondern mit diesen zusammen eine Sammlung ausmachen: die
erste grössere in sich geschlossene Theilsammlung, die später
in die Avellana aufgenommen wurde.
Zu demselben Resultat kommen wir übrigens auch noch
von einer anderen Seite durch eine Betrachtung, die uns zu-
Classe 4> übertragen wären. Dass das unmöglich ist, beweist meine
ganze Darlegung, folgt aber auch schon aus dem gleichmässigen Vor-
kommen von offerre im Schlusspassus von n. 1 und der Subscriptio von
el 2 in der Becension 4». Denn dass das obtuli hier aus dem optulerunt
dort herübergeholt sein sollte, ist ausgeschlossen. Die Subscriptio der
Schrift lautete im Original so: ego Mareeüinus presbyter obtuli optans
feUcissimo imperio vestro securam quietem et in regno Christi et dei per-
petuam beatitudinem, piissimi impereUores, ego Faustimu, qui non possum
dignus vocari presbyter dei, obtuli optans ut et hie multos annos clemen-
lissimae divinüaUs auxilio feUciter imperetis et in futuro Christi filii dei
regno perpetuam cum sancHs beatitudinem consequamini, gloriosissimi im-
peratores. Davon hat <P heute nur noch die Worte Mareeüinus presbyter
obtuli, alles Andere ist weggefallen; die Avellana hat die Subscriptio
ganz, mit Ausnahme des obtuli an beiden Stellen. Der Verfasser der
Zwischenbemerkung Hess bei n. 2 eben nach Kräften alles fort, was er
davon schon in jene Bemerkung hineingearbeitet hatte, so die Ueberschrift,
so das obtuli in den Subscriptionen. Dass die Ueberschrift De eonfessione
verae fidei et ostentaUone saerae eommunionis et perseeuHone adversante (oder
mit der Zwischenbemerkung adversantium) veritati dem Schriftchen von
den beiden Presbytern selbst beigelegt ist, scheint mir durchaus wahrschein-
lich, und man wird gut thun, es in der Literaturgeschichte künftig so zu be-
nennen. Die übliche Bezeichnung als JUbeüus precumf ist ohne jede Autorität.
12 ▼• Abhandlung: Günther.
gleich auf die Quelle führt, der diese erste Theileammlung der
Avellana die überwiegende Mehrzahl ihrer Stücke entnommen
hat. Wenn wir nämlich vor Allem die Schriftstücke n. 14 — 37
betrachten, die, von den verschiedensten Orten aus an die ver-
schiedensten Personen Italiens und Afrikas gerichtet, uns von
dem Schisma des Eulalius ein Bild geben, so genau, wie wir
es nur immer wünschen können, so müssen wir es von vorne-
herein als höchst unwahrscheinlich bezeichnen, dass jemand
dies Material durch wirkliches Sammeln zusammengebracht
habe, d. h. indem er ein Stück hieher, ein zweites dorther
und wieder andere anderswoher nahm. Viel natürlicher würde
es sein, wenn eine mehr oder minder officielle Quelle dem
Redactor der Theilsammlung dies Material in seiner ganzen
Vollständigkeit an die Hand gegeben hätte. Und dies lässt
sich in der That nachweisen: es stellen sich uns nicht nur
n. 14 — 37, sondern die ganze Reihe n. 3 — 37 (von 1. 2 und 2a
sehe ich einstweilen ab) ihrer Provenienz nach als eine ein-
heitliche Masse dar.
Von den Stücken der ersten Gruppe sind n. 3 und 5 — 1 1
an Stadtpräfecten, n. 12. 13 und ebenso wohl auch n. 41 an
Stadtvicare gerichtet. Von der zweiten Gruppe 14 — 37 sind
die n. 15. 18. 21. 30. 31. 33 ebenfalls Schreiben an einen
Stadtpräfecten, die n. 14. 16. 19. 29. 32. 34 dagegen Schreiben
eines Stadtpräfecten selbst. Nehmen wir nun noch den Um-
stand hinzu, dass das Schreiben des Honorius an den Stadt-
präfecten Symmachus n. 33 am Schlüsse das Einlaufsdatum
(Accepta VI. Id. April.) trägt, das ihm doch nur auf der Stadt-
präfectur selbst gegeben werden konnte, so werden wir sicher
nicht fehlgehen, wenn wir als Quelle fUr die ganze Masse
n. 3 — 37 eine bestimmte Art von Regesta, d. h. Copialbüchern,
eben dieser Behörde ansehen. Dass die verschiedensten Be-
hörden der damaligen Zeit eigene derartige Regesta führten,
ist hinlänglich bekannt;2 dass der erste der stadtrömischen
1 Der Brief, an Pinianus gerichtet, gehört offenbar nicht in das Jahr 386/7,
wo Pinianus praefectus urbi war, sondern in das Jahr 385. Dass Pinianus
damals yicarios urbis war, hat schon Meyer (II, S. 11) vermuthet; es ist
in der That äusserst wahrscheinlich.
9 H. Bresslau verweist in seinem grundlegenden Aufsatz über die Common-
tarii der römischen Kaiser und die Registerbücher der Papste (Zeit-
ÄTelluift-Stadien. 13
Beamten besonders in seiner Eigenschaft als oberste Polizei-
behörde der Stadt ihrer im Verkehr mit dem Herrscher dm
meisten bedurfte, liegt auf der Hand. Die Thätigkeit des
vicarius nrbis geht bekanntlich mit der des Stadtpräfecten in
dieser Zeit vielfach Hand in Hand, and wie sie häufig zu-
sammenwirken und ein gemeinschaftliches Gerichtslocal be-
sitzen/ so kann es nicht Wunder nehmen, wenn sich in den
Regesta des Stadtpräfecten auch Abschriften von Stücken
fanden, die an den vicarius urbis erlassen waren. Wenn aber
in der Reihe jener Schriftstücke, um die es sich hier handelt,
sich einige vorfinden, die weder von Stadtpräfecten verfasst,
noch an solche oder vicarii urbis gerichtet sind (n. 17. 20.
22 — 28. 35 — 37), so liegt doch auch hier auf der Hand, wie
Miese in die Regesta jener Behörde gelangt sind. Wenn bei-
spielsweise Kaiser Honorius in n. 18 dem Stadtpräfecten Svm-
machus eine neue Anweisung gibt, zu der ihn die Bittschrift
einer Reihe von Presbytern veranlasst hat, so ist es eigentlich
selbstverständlich, dass er sich nicht mit der Uebersendung
dieser Anweisung begnügt, sondern seinem Vertreter in Rom
auch die Bittschrift selbst (n. 17) in Abschrift mitgetheilt haben
wird; oder wenn er ihm in n. 21 Mittheilung macht von der
Delegirung des Bischofs Achilleus von Spoleto nach Rom, so
wird er ihm auch die Schriftstücke n. 22. 23 und 24 haben
zugehen lassen, von denen n. 22 an Achilleus selbst gerichtet
ist, n. 23 und 24 aber Senat und Volk von Rom von der
kaiserlichen EntSchliessung in Kenntniss setzen.9 Und ebenso
ist es mit den übrigen Nummern: da Symmachus verschiedent-
lich Gelegenheit gehabt hatte, als Vertreter der Regierung in
den Streit zwischen Bonifatius und Eulalius einzugreifen, so ist
es nur natürlich, dass ihm auch von denjenigen in dieser Sache
schrift der Savigny-Stiftung VI) in dieser Beziehung mit Recht auf die
Worte quae in regtttis diveraorum officiorum relata sunt des Gesetzes de
Theodosiani codicis aueUnrUaU.
1 Mtertlarium commune, vgl. Symmachus, Epist, X, 23 (ed. Seeck), §4 und 12.
* Offenbar lag damals dem Symmachus als Stadtpräfecten selbst die Pflicht
ob, nicht nur das edictum ad populum durch Öffentlichen Anschlag be-
kanntzumachen (vgl. hierzu die Aufforderung des Kaisers an ihn in n. 31
§ 7 per omnet vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentaniur, kaec
quae ttatmmu» proponentur) sondern auch die oratio ad senatum im Senat
zur Verlesung zu bringen.
14 V. Abhandlung: Günther.
erlassenen Schriftstücken, die nicht an ihn selbst gerichtet waren,
wenigstens die wichtigeren in Abschrift mitgetheilt wurden.1
Wie hat nun der Collector der ersten Theilsammlung die
Regesta des praefectus urbi im Einzelnen benützt? Manches wird
bei der Beantwortung dieser Frage unsicher bleiben, manches
auf verschiedene Weise erklärt werden können; immerhin aber
lohnt es sich doch der Mühe, der Frage näherzutreten. Was
zunächst die Reihenfolge angeht, so sind die Stücke 5—13 über
das Schisma des Ursinus und 14 — 37 über das des Eulalius im
Grossen und Ganzen chronologisch geordnet,8 und im Wesent-
lichen fand er diese Reihenfolge gewiss bereits in den Regesta
vor, freilich so, dass hier zwischen den einzelnen Stücken
sicher noch Schriftstücke anderen Inhalts standen, die er nicht
aufnahm. An den beiden Stellen, wo kleine Abweichungen von
der Chronologie stattfinden, ist dies in dem Charakter der Re-
gesta selbst begründet, n. 17, die Preces presbyterorum pro
Bonifatio vom 6. oder 7. Januar 419, stehen hinter n. 16, einem
Schreiben des Symmachus vom 8. Januar; allein jene Bittschrift
kam natürlich erst einige Tage nach ihrer Abfassung (vermuth-
lich mit n. 18 zusammen) über Ravenna in die Hände des
Stadtpräfecten und musste daher in den Regesta nothwendiger
Weise ihren Platz nach dem 8. Januar erhalten. Ebenso ist
1 Den Ursprung aus der kaiserlichen Kanzlei verräth in dieser Beziehung
recht deutlich n. 28, der Galla Placidia epirtola ad Auguatinum Alypium
Euhodium Donotionum Silvanum Novatum et Deuterium episcopos uni-
formis, d. h. ein Brief, der in gleicher Ausfertigung an jeden einzelnen
dieser sieben Bischöfe versandt war. Der Zusatz uniformi* konnte eben
nur in der Kanzlei des Absenders gemacht werden; in den Adressen
der Originalausfertigungen, in denen natürlich immer nur ein Name
stand, fehlte er selbstverständlich. Im Uebrigen ist diese Stelle als
frühester Beleg für eine epistida uniformis in Bresslau's oben citirter
Abhandlung S. 4 nachzutragen.
* Ueber die Chronologie des Schisma des Ursinus siehe den ersten Excure
zu dieser Abhandlung. Die Chronologie von n. 14—37 ist von Meyer
(II, S. 6 ff.) vollständig erschöpfend behandelt; nur das eine möchte ich
hinzufügen, dass die Briefe n. 27 und 28, die, wie Meyer nachgewiesen
hat, der Galla Placidia gehören/ sicher nicht nach, sondern zusammen
mit n. 26 abgeschickt sind. Es ist dies an und für sich im höchsten
Grade wahrscheinlich, ergibt sich aber auch aus den Worten der Pla-
cidia selbst; vgl. n. 27, § 2 mea (sc. scripta) . . adiunxi; n. 28, § 3
socianda . . «erenitatis nostrae scripta iudicanius.
Aveil&nA-Studien . 1 5
es mit n. 35, einem Schreiben des Kaisers an den Proconsnl
von Afrika vom 7. April; das vorangehende Schreiben des
Symmachus ist nach dem 10. April verfasst, allein die Ab-
schrift von n. 35, die offenbar der Kaiser selbst an Symmachus
sandte, brauchte von Ravenna bis Rom immerhin einige Tage
und konnte in die Regesta daher erst nach n. 34 aufgenommen
werden. Uebrig bleiben nun noch die Anfangsstücke n. 1. 2.
2\ 3 und 4, und in der Anordnung dieser müssen wir, glaube
ich, die nicht ungeschickte Hand des Gollectors dieser Theil-
sammlung selbst erkennen. Dass er n. 1. 2 und 2A ebenfalls in
den Regesta der Stadtpräfectur vorfand, ist wohl ausgeschlossen,
denn wie in aller Welt, als durch einen blossen Zufall, hätten
sie dorthin kommen sollen? Er nahm sie also wohl irgendwo
anders her. n. 1, die Oesta über das Schisma des Ursmus,
stellte er nun als passende Einleitung an die Spitze seiner kleinen
Sammlung, knüpfte hieran vermittelst der oben S. 7 ff. analy-
sirten Zwischenbemerkung die Schrift des Faustin und Mar-
cellin De confessione verae fidei und hieran wieder, ebenfalls
durch eine Zwischenbemerkung, das in ihrer Angelegenheit
erlassene kaiserliche Edict vom Jahre 384 (n. 2a). An dieses
schloss er zunächst ein anderes derselben Kaiser aus dem
Jahre 386 (n. 3), das er bereits den Regesta entnahm, sowie
ein zweites vom 24. Februar 385 (n. 4). Letzteres hat mit
dem eigentlichen Schisma des Ursinus kaum etwas zu thun
(sonst würde der Collector es der Chronologie wegen sicher
hinter n. 14 geschoben haben), die Erwähnung des Ursinus
darin ist nur eine recht nebensächliche; immerhin war es eben
wegen dieser Erwähnung geeignet, einen passenden Uebergang
zu bilden zu den nun folgenden n. 5 — 13 über das Schisma des
Ursinus. An die Actenstücke über das ursinianische Schisma
reihten sich dann passend die n. 14 — 37 über den Streit des
Eulalius und Bonifatius an.
Ich will hier nun gleich bemerken, dass zu dieser ersten
so von mir construirten Theilsammlung offenbar auch noch die
drei folgenden Stücke, n. 38 — 40, gehören. Maassen freilich
hat sie zu der nächsten Gruppe der Avellana gezogen, die er
mit n. 50 endigen läset, allein inhaltlich haben sie mit dieser
nicht das Geringste gemein, n. 41 — 50 sind Schreiben von
Päpsten und Bischöfen und betreffen die Geschichte des Pela-
16 V. Abhandlung: Günther.
gianismas unter den Päpsten Innocenz I. und Zosimus; n. 38 — 40
dagegen sind Schreiben römischer Gewalthaber über ganz ver-
schiedenartige kirchliche Angelegenheiten, n. 38 ist ein Brief
des Honorius an Arcadius, geschrieben bald nach dem 20. Juni
404, and betrifft die gegen Johannes Chrysostomus begangenen
Gewalttätigkeiten; n. 39 ein Schreiben des Maximus tyrannus
an Valentinian II. aus der Zeit zwischen Januar 386 und Sep-
tember 387, das sich gegen die Begünstigung der Arrianer
wendet; n. 40 ein Schreiben desselben Maximus an den Papst
Siricius wohl noch aus dem Jahre 385 über verschiedene kirch-
liche Dinge. Wenngleich also der Inhalt von n. 38 — 40 auch mit
dem der vorangehenden Stücke in keinem inneren Zusammen-
hang steht, so passen sie doch in ihrem Charakter als Schreiben
römischer Herrscher weit besser zu diesen als zu den folgenden.
Bei dem allgemeineren Interesse der in ihnen behandelten
Gegenstände halte ich es sogar ftlr recht wahrscheinlich, dass
auch sie den Regesta der Stadtpräfectur entnommen sind, und
dass die erste Theilsammlung zwar vorwiegend, aber doch
nicht ausschliesslich Schriftstücke zur Geschichte der beiden
Papstschismen geben wollte, das zeigt ja vor Allem n. 3, das
Edict über den Bau von San Paolo. Gegen die Stelle aber,
an der n. 38 — 40 in dieser Sammlung auftreten, ist nicht viel
einzuwenden; die Chronologie freilich ist ausser Acht gelassen,
war aber in Wahrheit überhaupt nicht einzuhalten, wenn man
nicht bei den übrigen Stücken andere Rücksichten des inneren
Zusammenhanges verletzen wollte. Dass n. 38 — 40 nicht zu der
folgenden Gruppe gehören, wird übrigens auch die weitere Be-
trachtung der n. 41 — 50 lehren. Das Charakteristische der Pro-
venienz, das wir für n. 41 — 50 ermitteln werden, fehlt für jene
vollständig.
Ich habe noch ein paar Worte über die Form der Ueber-
schriften in der ersten Theilsammlung zu sagen. Was die von
Meyer hervorgehobene Verschiedenheit der Titel von n. 14 — 37
einerseits und n. 3 — 13 andererseits betrifft, so wird man die-
selbe schwerlich dem Collector, sondern ohne Frage schon
den Regesta selbst beizumessen haben. Die beiden Serien von
Schriftstücken liegen zeitlich gut 30 Jahre auseinander; da
ist es sehr wohl möglich, dass sich im Laufe dieser Zeit im
Eanzleigebrauch der Stadtpräfectur, was die Wiedergabe der
ATeiUna-Studien. 17
Ueberschriften anlangt, eine Aenderung vollzogen hat.1 Die
Bezeichnung einer Reihe von Stücken der Serie 14 — 37 als
relatiOj exemplum relationis } exemplum sacrarum litterarum
n. dgl. erinnert stark an den Gebrauch, den wir zu Beginn
des 6. Jahrhunderts in der päpstlichen Kanzlei des Hormisda
vorfinden werden, obgleich hier, wie wir sehen werden, mit
exemplum nur Abschriften solcher Stücke bezeichnet zu werden
pflegten, die von auswärts einliefen und dann in die päpst-
lichen Copialbticher eingetragen wurden. Wem der Irrthum
zur Last zu legen ist, der in den Ueberschriften von n. 27
und 28 vorwaltet, von denen n. 27 mit eiusdem principis7
n. 28 mit eiusdem auf Honorius weisen, während doch nach
Meyer's schlagender Darlegung (II, 10) beide der Galla Pla-
cidia gehören, wage ich nicht zu entscheiden; doch ist es
immerhin wahrscheinlicher, dass hier der Copist der Stadt-
präfectur gedankenlos gewesen ist, als dass der Irrthum dem
Collector passirt sein sollte.8 Eine andere Frage ist die, ob
wir die kurzen Inhaltsangaben, die einzelnen Briefen voran-
gestellt sind, ebenfalls schon den Regesta zuweisen sollen. Es
sind dies folgende: n. 3 De constructione basilicae sancti apo-
stoli Pauli, n. 4 Gratulatoria de ordinatione papae Siricii,
n. 5 Ubi Ursinus et qui cum eo sunt ab exilio relaxantur, n. 6
Ubi redditur basilica Sicinini, n. 7 De expellendis sociis Ur-
sini extra Romam, n. 13 -D« rebaptizatoribus , n. 34 De in-
gressu papae Bonifatii (in die Ueberschrift eingeflochten), n. 37
1 Auf die Uebernahme der Titel, so wie sie sind, aus den Regesta selbst
weist vielleicht die Ueberschrift von n. 34 hin: Exemplum relationis Sym-
machi p. u. de ingresm papae Bonifatii ad principem supra scriptum.
Der princeps supra scriptum ist Honorius. Das vorangehende Stück ist
überschrieben Exemplum sacrarum litterarum Symmacho p. u., also ohne
dass Honorius genannt oder auch nur durch princeps bezeichnet wäre.
Die Beziehung auf n. 17, wo allein unter den vorangehenden Stücken Ho-
norius namentlich genannt wird, liegt doch wohl zu fern. Ich glaube,
dass in den Regesta vor n. 34 irgend ein anderes Schriftstück stand, in
dessen Adresse der Kaiser ausdrücklich mit Namen angeführt war.
1 Man könnte sich vielleicht helfen, wenn man bei n. 27 das principis als
Einschiebsel (nach Analogie von 24 — 26) ansähe und annähme, dass vor
n. 27 und 28 in den Regesta noch ein anderes Schreiben der Galla Pia-
cidia mit namentlicher Nennung der Verfasserin gestanden hätte, das
von unserem Collector nicht aufgenommen wäre. Sehr wahrscheinlich
ist diese Annahme freilich nicht.
Sitranftber. d. phit-hUt. Cl. CXXXIV. Bd. 6. Abh. 2
18 T. Abhandlung: Gontfaer.
Epistola imperatoris Honorii . . qua statuit ut si denuo ordinati
fuerint duo episcopi ambo de civitate pellantur,1 n. 38 De per-
sona sancti Iohannis episcopi Constantinopolitani, n. 39 Contra
Arrianos et Manichaeos* Auch hier bin ich in der That der
Ansicht, dass diese Inhaltsangaben zum Zweck leichterer Orien-
tirung den einzelnen Stücken bereits in den Regesta voran-
gesetzt waren,3 vor Allem aus dem Grunde, weil sie, wie
schon Meyer bemerkt hat, an einzelnen Stellen Bemerkungen
darbieten, die aus dem Inhalt der Stücke selbst nur schwer
oder gar nicht erschlossen werden konnten (vgl. Meyer II 5,
Anm. 3). Wem die thörichte Ueberschrift von n. 1 Quae
gesta sunt inter Liberium et Felicem episcopos zur Last zu
legen ist, die den Inhalt dieser Gesta, wie schon bemerkt, nur
höchst mangelhaft wiedergiebt, vermag ich nicht zu sagen. Die
Ueberschrift, die vor dem Titel von n. 14 steht und sich auf
die ganze Gruppe n. 13 — 37 bezieht: De his quae inter Boni-
fatium et Eulalium gesta sunt, quando utrique post mortem
papae Zosimi episcopatum Romanae tirbis contentionis ambitu
pervaserunt, stammt sicher von dem Collector, der ja auch
sonst, wie wir gesehen haben, durch Zwischenbemerkungen
das Seinige that, um den Zusammenhang der von ihm zu
einer Sammlung vereinigten Stücke verständlicher zu machen.
1 Eine Ueberschrift, die ans dieser abzuleiten ist, trägt n. 37 anch in der
Parallelüberlieferung, über die ich im 2. Capitel dieser Abhandlang ge-
nauer sprechen werde. Wenn daher dieser Uebersichtstitel ebenso zu
betrachten und auf die gleiche Quelle zurückzufahren ist wie die
übrigen Inhaltsangaben, die wir vor einzelnen Stücken der ersten Theil-
sammlung finden, so geht jene Parallelüberlieferung im Grunde eben-
falls entweder auf die Regesta der Stadtpräfectur oder eine aus ihr ab-
geleitete Quelle zurück.
* Von dieser Inhaltsangabe bezieht sich auf n. 39 Übrigens nur die erste
Hälfte contra Arrianos; von Manichäern ist in dem ganzen Stück nicht
die Rede, wohl dagegen in n. 40 (§ 4), so dass das et Manichaeos offen-
bar auf n. 40 geht. Es hat darnach den Anschein, als ob beide Stücke
bereits in der Quelle durch die gemeinsame Ueberschrift gewissennassen
zu einem Ganzen zusammengefaßt wären. Den Grund hierfür vermögen
wir nicht mehr zu erkennen.
9 Auch hierfür finden wir in späteren päpstlichen Regesten Analoga; ich ver-
weise auf die Notizen in den Ueberschriften von n. 66 (SimpUdus epheopus
Zenoni Augusto. De ecde*ia Antiockena.) und n. 67 (SimpUeius epvtcopw
Acacio. Ordinato ab eo Kalendione Antiocheno epUcopo.) der Avellana.
ATeilana-8tudien. 19
Wann diese erste Theilsammlung, die bald nach der Mitte
des 6. Jahrhunderts als Ganzes in die Avellana aufgenommen
wurde, ihrerseits entstanden ist, darüber wage ich nichts zu
sagen. Dass nicht erst der Collector der Avellana selbst es
gewesen ist, der unter Benützung des Archivs der Stadtpräfectur
die Stücke n. 1 — 40 so zusammenstellte, ergiebt sich aus den
geschilderten besonderen Eigenthümlichkeiten dieses ersten Be-
standtheiles, die eben nur in dieser ersten Gruppe vorkommen
und sich mit dem ganzen Charakter der übrigen Sammlung,
wie wir noch weiter sehen werden, nicht vereinigen lassen.
3.
Ich wende mich zu einer Betrachtung der zweiten in die
Avellana aufgenommenen Gruppe, der Nummern 41 — 50. Es
sind folgende:
n. 41 Epistola tertia sancti Innocentii ad episcopos V.
Dilecti8simi8 fratribus Aurelio Alypio Augustino
Eoodio et Possidio Innocentius (Fraternitatis ve-
strae litter as . . .).
n. 42 Dilectissimo filio Hieronymo presbytero Innocentius
(Numquam boni aliquid . . .).
n. 43 DilecÜ88imo fratri Iohanni Innocentius (Direptiones
caedes . . .).
n. 44 Dilectissimo fratri Aurelio Innocentius (Piissimum
iter . . .).
n. 45 Incipit exemplum epistolae I. Zosimi papae in de-
fensionem Caelestii contra Africanos episcopos.
Zosimus Aurelio et universis episcopis per Africam
constitutis dilectissimis fratribus in domino so-
lutem (Magnum pondus . . .).
n. 46 Zosimus episcopus Aurelio et universis episcopis per
Africam constitutis dilectissimis fratribus in do-
mino salutem (Posteaquam a nobis . . .).
n. 47 'Libellus Paulini diaconi adversum Caelestium Zosi-
mo episcopo datus (Beatitudinis tuae iustitiam ...).
n. 48 Item exemplum epistolarum sancti Augustini ad ea
quae supra scripta sunt rescribentis per Albinum
acolitum et Firmum presbyterum. Domino vene-
rabili et in Christi caritate suscipiendo sancto
2*
20 V. Abhandlung : Gantaer.
fratri Xysto presbytero Augustinus in domino
salutem (Ex quo Hipponem . . .).
n. 49 Domino sancto omnique honore colendo ac beatissimo
papae Cyrillo Eusebius (In Christo gratias egi . . .).
n. 50 Zosimus Aurelio et ceteris qui in concilio Carthagi-
nensi adfuerunt dilectissimis fratribus in domino
salutem (Quamvis patrum traditio . . .).
Die Verwandtschaft dieser Stücke ist eine rein inhaltliche:
verfasst in den Jahren 417 oder 41 8, betreffen sie sämmtlich
die Entwicklung des Pelagianismus in dieser Zeit.
n. 41 ist in der Avellana überschrieben Epistola tertia
sancti Innocentii ad episcopos V. Diese merkwürdige Ueber-
schrift ist bereits von Maassen erklärt und zu richtigen Folge-
rungen benutzt. Im Jahre 416 richteten die beiden Synoden
zu Carthago und Mileve, um eine Verurtheilung des Pelagius
herbeizuführen, je ein Schreiben an Innocenz: es sind das die
Schriftstücke Cum ex more ad Carthaginensem} und Quia te do-
minus gratiae* Innocenz beantwortete beide am 27. Januar 417,
jenes durch den Brief In requirendis* dieses durch das Schreiben
Inter ceteras Romanae ecclesiae.* Allein zusammen mit jenen
beiden Synodalschreiben lief noch ein drittes Schriftstück bei
Innocenz ein, das Schreiben De conciliis duobusf in dem die
fünf afrikanischen Bischöfe Aurelius, Alypiu9, Augustinus, Evo-
dius und Possidius in der gleichen Angelegenheit persönlich
dem Papst ihre Meinung unterbreiteten. Die Antwort des Inno-
cenz hierauf ist unsere n. 41 }Fraternitati$ vestrae*. Das Schrift-
stück ist uns ausser der Avellana noch durch die sogenannte
Quesnel'sche Sammlung überliefert, und diese ist es, die auch
jene übrigen fünf Stücke enthält, und zwar in der Reihenfolge:
n. VI6 Schreiben der Synode von Carthago Cum ex more.
n. VII Antwort des Innocenz darauf In requirendis.
n. VIII Schreiben der Synode von Mileve Quia te dominus.
1 Coustant, Epp. pontif. 868; Baller. III 128.
1 Coustant 873; Baller. III 141.
* Coustant 888; Baller. HI 134.
4 Coustant 895; Baller. III 144.
* Coustant 876; Baller. HI 149.
4 Ueber die Zahlung der Sammlung vgl. Maassen, Gesch. der Quellen
p. 495 ff.
ATeUuft-Studien. 21
n. IX Antwort des Innocenz darauf Inter ceteras.
n. X Schreiben der fünf afrikanischen Bischöfe De con-
ciliis duobus.
n. XI Antwort des Innocenz darauf Fraternitatis vestrae.
In dieser Gruppe der Quesnelliana ist also thatsächlich
unsere n. 41 das dritte Schreiben des Innocenz. Aus der Ques-
nelliana selbst hat nun die Avellana dies Stück nicht ent-
nommen: das zeigt einmal die Thatsache, dass V eine Reihe
besserer Lesarten hat als jene, sodann aber vor Allem der
Umstand, dass n. 51 in der Quesnelliana gar nicht als epistola
tertia Innocentii bezeichnet ist, sondern einfach die Ueber-
schrift trägt Incipit epistola papae Innocenti ad suprascriptos.
Daher hat Maassen mit Recht für Quesnelliana und Avellana,
was dies Stück angeht, eine gemeinsame Quelle angenommen,
in der, wie in der Quesnelliana, n. 41 als dritter jener drei
Briefe des Innocenz auftrat. Falls nicht eine uns unbekannt
gebliebene Mittelinstanz existirt habe, so könne, meint Maassen
weiter,1 jene Quelle nur das päpstliche Archiv selbst gewesen
sein, und Ewald,2 der ihm beistimmt, wagt ebenfalls zwischen
diesen beiden Möglichkeiten nicht zu entscheiden. Diese An-
sicht ist jedoch falsch; es lässt sich, wie wir sehen werden,
sicher nachweisen, dass Avellana und Quesnelliana in dieser
Partie weder direct noch indirect auf das lateranensische Re-
gister, sondern auf eine ganz andere Quelle zurückgehen.
n. 42 — 44 tragen in der Avellana ausser der Adresse keine
Ueberschrift; n. 42, das Schreiben des Innocenz an Hieronymus,
ist sonst nicht überliefert, ebensowenig die beiden anderen,
n. 43 an Johannes von Constantinopel und n. 44 an Aurelius.8
1 Sitzungsberichte, LXXXV. Bd., p. 241.
* Sybel's Histor. Zeitschrift, N. F. IV, 166.
s Der Anfang dieses Briefes lautet nach V folgendermaßen: Piissimum
iter ad not perveniendi tuas affeetiones bene compresbyter notier credidü
Hieronymw, d. h.: ,Hieronymus ist mit Recht der Meinung gewesen,
dass, um (mit der Nachricht über die ihm widerfahrene Unbill) zu uns
zu gelangen, deine Freundschaft der pietätvollste Weg sei'. Hieronynius
hatte sich nicht direct an den Papst gewandt, sondern durch Vermitt-
lung des Aurelius. In dem jungen, auf eine Abschrift von V zurück-
gehenden Ottobonianus 1105 war nun iter in etiam verdorben, und eine
zweite Hand änderte dann piisrimam etiam ad nos perveniendi tuam
affectumem etc. Nur auf dieser unsinnigen, aber von Carafa und allen
22 ▼. Abhandlung: Günther.
Chronologisch schliessen sie sich passend an n. 41 an, sie sind
bald nach dem 27. Januar 417 geschrieben.1
Es folgt n. 45, überschrieben Exemplum epistolae I Zo-
simi papae in defensionem Caelestii contra Africanos episcopos.
Der erste Brief des Zosimus überhaupt ist n. 45 ebensowenig
wie n. 41 der dritte des Innocenz; wohl aber — jedenfalls
für uns — der erste, den er in Sachen des Pelagianismus
geschrieben hat.* Die charakteristische Art der Ueberschrift
weist ihn also ziemlich sicher eben derselben Quelle zu, aus
der auch n. 41 in die Avellana gekommen ist.
Die beiden folgenden Stücke, n. 46 der Brief des Zosimus
an die afrikanischen Bischöfe vom 21. September 417 und n. 47
der Libell des Paulinus von Mailand an Zosimus vom 8. No-
vember desselben Jahres, bieten in Ueberschrift oder Subscription
nichts, was auf die Art der Quelle, aus der sie entnommen,
schliessen Hesse. Anders ist es mit n. 48, dem auch sonst unter
den Briefen des Augustin überlieferten Schreiben dieses Bischofs
an den Presbyter Xystus Ex quo Hipponem. Die Ueberschrift
lautet, wie wir gesehen: Item exemplum epistolarum sancti Augu-
stini ad ea quae supra scripta sunt rescribentis per Albinum
acolitum et Firmum presbyterum. Der Presbyter Xystus war
in den Verdacht gekommen, der Lehre des Pelagius geneigt
zu sein. Zu seiner Rechtfertigung entsendet er einmal durch
den Akolythen Leo ein kurzes Schreiben an Aurelius von
Carthago, darauf ein zweites durch den Presbyter Firmus an
Augustin und Alypius von Thagaste. Als Firmus nach Hippo
Rhegius kommt, findet er den Augustin nicht vor, lässt daher
sein Schreiben dort zurück und geht weiter — wir wissen
Folgenden recipirten Lesart beruht das, was bei Coustant, Vallarsi und
auch noch bei Langen (Gesch. der röm. Kirche I 724) über ,den frommen
Vorsatz4 des Aurelius, den Papst ,in Rom zu besuchen4, zu lesen ist.
1 Dass die Briefe nicht in das Jahr 416 gehören, sondern in die Zeit
nach n. 41 zu setzen Bind, scheint mir Coustant (p. 905/6) überzeugend
nachgewiesen zu haben.
* Dass er noch in das Jahr 417 gehört, zeigt die Subscriptio; in n. 46
vom 21. September desselben Jahres wird auf ihn Bezug genommen.
Im Uebrigen ist die Subscription corrupt, und der Versuch Coustant's
(948 Note g), durch Conjectur den Monat aus den überlieferten Schrift-
zügen herzustellen, fallt in sich zusammen, da er nicht auf der Lesart
von V fusst, sondern auf der des aus jenem abgeschriebenen Codex «.
Ayellanft-Stadien. 23
nicht, wohin. Nach Hippo zurückgekehrt, findet Augnstin den
Brief des Xystus vor und ergreift die nächste Gelegenheit,
um ihm durch den nach Italien gehenden Akolvthen Albinus
eine Antwort zu übersenden. Zuvor lässt er den Albinus jedoch
bei Alypius vorkehren, um nun auch diesem das an sie gemein-
schaftlich gerichtete Schreiben des Xystus zustellen zu lassen.
Alles dies erfahren wir aus n. 48, eben jenem Antwortschreiben,
das Albinus an Xystus überbrachte.1 Später kehrt dann Firmus
noch einmal nach Hippo zurück, und ihm übergibt Augustin
nun ein zweites, weit ausfuhrlicheres Schreiben an Xystus, n. 194
nach Zählung der 2. Mauriner- Ausgabe, das mit den Worten
beginnt: In epistola, quam per carissimum fratrem nostrum
Albinum acolyihum misi7 prolixiorem me misswrum esse pro-
misi* per sanctum fratrem et compresbyterum nostrum Firmum,
qui nobis litteras adtulit sinceritatis tuae. Wir haben also
zwei Briefe des Augustin an Xystus: unsere n. 48, die Al-
binus überbrachte, und das Schreiben In epistola quam per
carissimum, dessen Ueberbringer Firmus war. Das letztere
ist in der Avellana nicht erhalten; dass es in ihrer Quelle auf
n. 48 folgte, zeigt die Ueberschrift von 48 Item exemplum
epi stolarum s. Augustini ad ea quae supra scripta sunt re-
scribentis per Albinum acolitum et Firmum presbyterum,
die sich als gemeinsame Ueberschrift für beide Briefe an
Xystus kennzeichnet. Beiden Schreiben voran, das lehren uns
1 Albinus befördert zu gleicher Zeit noch zwei andere Briefe des Augustin
nach Italien, die Schreiben Quamvis longe absens (= n. 192 der 2. Aus-
gabe der Mauriner) an den damaligen Diakon und späteren Papst Cae-
lestin und Lüterae dilectionis tuae quas prius (= n. 193) an Marius
Mercator. Das letztere gibt uns an, wo Augustin in jener Zeit gewesen,
als Firmus ihn in Hippo suchte: zunächst in Carthago, dann in Mau-
ritania Caesariensis, wohin er auf Veranlassung des Zosimus gegangen
war (vgl. den Brief an Optatus, ed. 2. Maur. n. 190), um mit dem
Donatistenbischof Emeritus zu verhandeln (vgl. Retractat. II 51 und
Possidius, Vita Augustini, c. 14). Diese Verhandlungen fanden am
20. September 418 statt (vgl. die Qesta cum Emerito, Bd. IX, p. 425 der
zweiten Mauriner-Ausgabe). Schon die Mauriner haben daher bemerkt,
dass n. 48 nicht vor Ende des Jahres 418 an Xystus abgeschickt ist.
* In Wahrheit hat Augustin diese seine Absicht in dem ersten Schreiben,
wie es uns vorliegt, nicht ausgesprochen. Aber wie oft meint man nicht,
man habe dies und jenes geschrieben, und hat doch nur die Absicht
gehabt, es zu thun, es in Wahrheit aber nicht gethan.
24 V. Afchaadluof: Günther.
die Worte ad ea quae supra scripta sunt rescribentis, ging
in jener Quelle das Schreiben des Xystus, das Firmus im
Jahre 418 nach Hippo brachte. Der Sammler der Avellana
hat dieses nicht aufgenommen (leider, müssen wir sagen, denn
so ist es uns verloren gegangen), beabsichtigte dagegen, wie sich
aus der Ueberschrift von n. 48 ergiebt, die beiden Antwort-
schreiben des Augustin aufzunehmen. Ausgeführt hat er diese
Absicht nicht: das durch Firmus Übersandte Schreiben fehlt in
der Avellana ganz, und das Schreiben, das Albinus zu überbringen
hatte, ist darin nur etwa zu drei Vierteln enthalten; es geht bis
zu den Worten impietate facientes, dann bricht der Text ab, und
es steht statt dessen Et reliquum. Ich glaube nun nicht, dass
die Auslassung des durch die Ueberschrift von n. 48 mit ange-
kündigten Briefes In epistola quam per carissimum, sowie die
Verstümmelung von n. 48 selbst erst im Laufe der Zeit von
irgend einem Abschreiber der Avellana vorgenommen ist, denn
der Abschreiber schreibt doch im Allgemeinen das, was ihm ab-
zuschreiben aufgetragen ist. Viel wahrscheinlicher ist, dass beides
auf den Sammler selbst zurückgeht. Offenbar liegt die Sache so:
als er bis zu dem Punkte gekommen, wo n. 48 in der Avellana
abbricht, erinnerte er sich, dass beide Briefe des Augustin sich
auch in dessen veröffentlichter Briefsammlung befanden; ver-
muthlich hatte er selbst ein Exemplar dieser Sammlung zu Hause
in seiner Bibliothek. Er sparte sich also, als ihm diese Erkennt-
niss gekommen war, die Mühe weiteren Abschreibens und setzte,
statt n. 48 zu Ende zu führen und das zweite Schreiben hinzu-
zufügen, in sein Concept kurz und bündig Et reliquum. Für
den ganzen Charakter der Avellana ist dieser Vorgang nicht
ohne Bedeutung und Interesse, zumal uns im Laufe unserer
Untersuchung noch ein ganz ähnlicher Fall begegnen wird.
Die beiden letzten Stücke unter den zehn hier zu be-
sprechenden sind n. 49, das Schreiben eines gewissen Eusebins
an Cyrill von Alexandreia, und n. 50 das Schreiben des Zo-
simus an die afrikanischen Bischöfe Quamvis patrum traditio.
Ueber das erstere ist kaum etwas zu bemerken. Ueber den
Absender wissen wir ebensowenig etwas l wie über den in dem
1 Baronius identificirt ihn mit Eusebius von Cremona; das ist möglich,
aber keineswegs sicher.
Avellana- Studien. 25
Briefe selbst genannten Valerianus, der als servus Ariminensis
possessionis inlustrissimi Valeri comitis bezeichnet wird. Ge-
schrieben ist es nach dem Tode Innocenz' I. (f 12. März 417),
vermnthlich im Jahre 418. Das zweite, das Schreiben des
Zosimus, ist datirt vom 21. März 418; ausserdem trägt es am
Schlnss die Note Accepta III Kai. Maias, d. h. am 29. April
desselben Jahres. Derartige Bezeichnungen des Einlaufstages
sind nicht ungewöhnlich; unter den Schreiben an Papst Hor-
misda im letzten Theil der Avellana finden sie sich, wie wir
sehen werden, ziemlich häufig. Sehr beachtenswerth ist in
diesem Falle nur der Umstand; dass wir es hier nicht mit
einem Schreiben zu thun haben, welches der Papst empfängt;
sondern mit einem solchen; das von ihm ausgeht. Es ergiebt
sich daraus mit absoluter Sicherheit; dass als Quelle für dies
Stück nicht das päpstliche Archiv in Rom zu betrachten ist;
sondern das Archiv irgend eines der afrikanischen Bischöfe,
an die es gesandt war; denn erst hier konnte es mit jenem
Zusätze versehen werden.1 Auch bei einigen anderen der im
Vorstehenden besprochenen zehn Stücke ist das päpstliche Ar-
chiv als Quelle so gut wie ausgeschlossen. So vor Allem bei
n. 49; dem Schreiben des Eusebius an Cyrill von Alexandreia,
bei dem nicht abzusehen ist, wie es hätte in die scrinia
sedis apostolicae gelangen sollen. Sodann aber auch bei den
beiden Schreiben des Augustin an Xystus (n. 48). Dass
dieser Presbyter Xystus identisch ist mit dem späteren Papst
Xystus III.; ist öfter vermuthet und auch mir nicht im Ge-
ringsten zweifelhaft; allein Xystus wurde erst 432 Papst; und
es ist doch wenig wahrscheinlich; dass er da auch die Briefe
in das päpstliche Register sollte aufgenommen haben; die er
14 Jahre zuvor als einfacher Presbyter geschrieben und em-
pfangen hatte.
1 Als eine in Afrika hinzugefügte Kanzleinotiz fasse ich auch die cor-
rupten Worte am Schluss von n. 45: Exemplaria auctorum (lies actorum)
habita. Sie scheinen sich auf ein Schriftstück zu beziehen, von dem es
in §. 3 (p. 1005) heisst omnia igitur, quae prius fuerant acta, Heut ge-
t Cor um huic epistolae cohaerentium instruetione dUcetis ... In
Wahrheit sind diese Gesta dem Briefe in unserer Sammlung nicht ange-
fügt; jene Worte aber Exemplaria actorum habita scheinen ausdrücken
zu sollen, dass man sie in Afrika zusammen mit dem Briefe wirklich
erhalten hat.
26 V. AMundlonf : Gftntber.
Und diese Betrachtung führt uns weiter. Es ist bereits
hervorgehoben, dass die zehn Stücke, um die es sich hier
handelt, ihrem Inhalte nach insofern sehr nahe verwandt sind,
als sie sämmtlich die Geschichte des Pelagianismus in den
Jahren 417 und 418 betreffen. Allein es kommt noch etwas
Anderes hinzu: sie alle mit Ausnahme des Schreibens n. 49 an
Cyrill von Alexandreia haben irgend einen localen Zusammen-
hang mit der Provinz Afrika, n. 41. 45. 46. 50 sind an Aure-
lius von Carthago im Verein mit anderen afrikanischen Bischöfen
gerichtet; n. 47, der Libellus des Paulinus von Mailand, ist von
Carthago aus an den Papst abgeschickt.1 n. 44 ist wieder ein
Schreiben des Innocenz an Aurelius von Carthago; zugleich mit
n. 44 ist aber auch, wie wir aus den Worten dieses Schreibens
sehen,1 der Brief des Innocenz an Hieronymus n. 42 an Aurelius
gesandt, damit dieser ihn weiterbefördere, und das Gleiche lässt
sich ohne Weiteres von n. 43 annehmen, dem Schreiben des
Innocenz an Johannes von Jerusalem, das mit n. 42 zugleich von
Rom abging, n. 48 schliesslich ist ein Schreiben des Augustin.
Also neun der Schriftstücke sind einmal in der Provinz
Afrika gewesen, eins in Alexandreia. Dass n. 41 und 45 sicher-
lich auf eine und dieselbe Quelle zurückgehen, haben wir ge-
sehen; dass auch die Übrigen Stücke gleichen Ursprungs sind, ist
bei der nahen Verwandtschaft nach Zeit und Inhalt wohl sicher.
Da nun überdies n. 50 mit der Bezeichnung des Empfangs-
datums sicherlich auf ein afrikanisches Archiv zurückgeht, so
scheint es mir zweifellos, dass auch alle übrigen eben diesem ent-
stammen. Und auch darüber wird, zumal wenn wir n. 42 — 44
ins Auge fassen, kein Zweifel bestehen, dass es das Archiv
des Primas von Afrika, des Aurelius von Carthago war, aus
dem diese Stücke geflossen sind. Dass auch Briefe von und
an Augustin nach Carthago gelangten, ist bei dem regen Ver-
kehr, der zwischen ihm und Aurelius bestand, nur natürlich,
und auch der Umstand, dass ein an Cyrill von Alexandreia
gerichtetes Schreiben dorthin gekommen sein sollte, hat nicht
das geringste Verwunderliche an sich, zumal der Verkehr der
afrikanischen Bischöfe mit dem Orient gerade in dieser Zeit
1 Vgl. n. 47, §. 9.
* Vgl. n. 44, §. 2 germanUas tua, fraier karusime, cituu littercu mcmoraio
(sc. Hieronymo) reddere festinet.
I
ATtlUnft-StadMii. 27
offenbar recht lebhaft war und sich zweifellos auf dem Wege
über Alexandreia dorthin bewegte. Ein Auszug aus dem
bischöflichen Archiv zu Carthago also war es, der später
irgendwie nach Rom gelangte und den die Redactoren der
Quesnelliana und der Avellana, ein jeder in seiner Weise, dann
für ihre Sammlungen benutzt haben.
4.
Auf die zweite im Vorangehenden behandelte grössere
Unterabtheilung der Avellana folgen fünf Briefe Leos I., n. 51
und 52 vom 17. Juni 460, n. 53 — 55 vom 18. August desselben
Jahres. Sie betreffen die wohl kurz vorher erfolgte Entfernung
des Timotheus Elurus vom Bischofssitze zu Alexandreia und
seine Ersetzung durch Timotheus, der den Beinamen Salofaciolus
trug. Maassen zieht in seiner Zerlegung der Sammlung diese
Stücke zu der folgenden Gruppe (56 — 78); allein wie sie zeit-
lich 16 Jahre früher fallen als die ältesten von jenen, so haben
sie auch innerlich mit ihnen nichts zu thun, und die Quellen-
untersuchung, die über die folgenden Nummern anzustellen
sein wird, ergiebt von selbst auch das Resultat, dass diese
Schreiben des Leo mit der für jene sich ergebenden Quelle
schwerlich etwas zu thun haben. Es lag dem Redactor un-
serer Sammlung für diese fünf Stücke eben irgend eine be-
sondere Quelle1 vor, so dass sie in der Analyse der Avellana
als eine Gruppe für sich dastehen. Hervorheben möchte ich
hier nur noch den Umstand, dass sämmtliche fünf Briefe Leos
nur durch die Avellana auf uns gekommen sind und sich in
keiner der mannigfachen Briefsammlungen dieses Papstes finden,
über welche die Gebrüder Ballerini in den Prolegomena ihrer
Ausgabe gehandelt haben. Das ist nicht unwesentlich und
findet seine Erklärung in dem, was ich weiter unten über den
ganzen Charakter unserer Sammlung darlegen werde.
5.
Als vierten in sich abgeschlossenen Bestandtheil der
Avellana fasst Maassen die n. 51 — 78 zusammen ,achtund-
1 In letzter Instanz gehen sie auf das päpstliche Register zurück, wie
ich noch weiter unten ausführen werde.
28 V. Abhandlung: Günther.
zwanzig Stücke, die monophysitischen Irrungen in den Kirchen
von Alexandrien und Antiochien zur Zeit des Timotheus Ae-
lurus, Petrus Mongus und Petrus Fullo betreffend'. Dass
n. 51 — 55 von dieser Gruppe abzusondern sind, habe ich oben
bemerkt; um die Quelle festzustellen, aus der die übrigen dieser
Schriftstücke stammen, ist es nöthig, eine andere Handschrift
kanonistischen Inhalts heranzuziehen, den Cod. Berolinensis
lat. 79, von mir im Folgenden wie in meiner Ausgabe mit B
bezeichnet.
Die Berliner Handschrift, die unter den Codices des Sir
Thomas Phillipps einst die Nummer 1776 fllhrte, ist im Aus-
gang des 9. Jahrhunderts auf Pergament geschrieben. Ein-
gehend behandelt hat sie Valentin Rose, ,Die lat. Meerman-
Handschriften des Sir Thomas Phillipps in der königlichen
Bibliothek zu Berlin* (1892), S. 149ff. Die Handschrift war
einst in Verdun; es benutzte sie Jakob Sirmond, der einige
Stücke daraus in seiner Appendix codicis Theodosiani (Paris
1631) bekannt machte, und schon vorher Fronton du Duc, der
sie bei der Edition der Stücke n. 72 und 74 der Avellana
heranzog.1 Dank der Bereitwilligkeit der Verwaltung der
königlichen Bibliothek in Berlin konnte ich die Handschrift,
die Maassen für seine ,6eschichte der Quellen* noch nicht heran-
ziehen konnte, im Jahre 1892 längere Zeit in Göttingen, später
dann hier in Berlin benutzen und alle Stücke, auf die es mir
ankam, selbst vergleichen.
Um das Verhältniss zwischen Avellana (V) und Beroli-
nensis (B) klarer vor Augen zu führen, muss ich den Inhalt
des letzteren hier in Kurzem noch einmal wiedergeben. Zu-
nächst thue ich das so, dass ich die einzelnen Stücke der
Reihe nach aufführe und numerire, ohne weder auf die Zahlen
Rücksicht zu nehmen, die sie in dem der Sammlung von erster
Hand voraufgeschickten Index tragen, noch auf diejenigen, die
1 In seiner Ausgabe von ,Ioann. Zonarae monachi in canones apostolorum
commentarii', Lutet. Paris. 1618, p. 551 und 553. Fronton du Duc war
es auch, der dem Baronius eine Abschrift von n. 103 der Avellana aus
dem Virdunensis besorgte; vgl. Baronius, Annal. eccl. zum Jahre 495
n. 5. Bei n. 56 der Avellana hat Phil. Labbe dieselbe Handschrift
eingesehen und benutzt, jedoch nur an wenigen Stellen; vgl. seine
Sacrosancta Concilia IV (1671), p. 1070.
Arellana-Stndien. 29
einzelnen der Stücke in der Sammlung selbst vorgesetzt sind.
Der Inhalt der Handschrift ist folgender:
I Athanasius an Epictet: Ego quidem opinabar1
II Caelestin an Cyrill: Tristitiae nostrae2
III Cyrill an Nestorius: (Obloquun)tur quidem ut disco*
IV Caelestin an Nestorius: Aliquantis diebus*
V Cyrill an Nestorius: Salvatore nostro dicente aperte*
VI Simplicius an Acacius: Quam sit efficax6
VII Simplicius an Zeno: Olim divinorum'1
VIII Simplicius an Acacius: Quantos et quam uberes8
IX Simplicius an Zeno: Proxime quidem cum9
X Simplicius an Acacius: Proxime quidem dilectioni10
XI Simplicius an Zeno: Venerandos mihi11
XII Simplicius an Acacius: Miramur pariter12
XIII Simplicius an Acacius: Antiocheni exordiumn
XIV Simplicius an Basiliscus: Cuperem quidem14,
XV Simplicius an Acacius : Cum filii nostri 15
XVI Simplicius an Acacius: Quantum presbyterorum1*
XVII Simplicius an die Presbyter etc. von Constantinopel :
Per filium nostrum 17
XVIII Simplicius an Acacius: Cogitationum ferias1*
XIX Acacius an Simplicius: Sollicitudinem omnium19
XX Felix III. an Zeno: Decebat profecto20
XXI Felix an Acacius: Postquam sanctae21
XXII Felix an Zeno: Cum sibi redditam22
XXIII Felix an Acacius: Episcopali diligentia2*
XXIV Felix an Acacius: Multarum transgressionum24
1 Uebersetzung verschieden von der bei Maassen, Gesch. der Quellen §. 370
angeführten.
■ Maassen §. 279, 4.
* Dieselbe Üebersetzung führt Maassen §. 381, 2 aus der Sammlung von
Acten des ephesinischen Concils der Handschrift von Tours an.
4 Maassen §. 279, 6. 5 Vgl. Maassen §. 109 ff.
4 Maassen §. 283, 7. 7 ebenda §. 283, 8. * ebenda §. 283, 9.
9 ebenda §. 283, 11. 10 ebenda §. 283, 10. " ebenda §. 283, 13.
11 ebenda §. 283, 16. u ebenda §. 283, 15. " ebenda §. 283, 3.
u ebenda §. 283, 6. w ebenda §. 283, 2. " ebenda §. 283, 4.
M ebenda §. 283, 18. >• ebenda §. 449. 80 ebenda §. 284, 1.
M ebenda §. 284, 2. " ebenda §. 284, 4. n ebenda §. 284, 3.
** ebenda §. 284, 6.
30 V. Abbandion*: Günther.
XXV Felix an Andreas von Thessalonice: Qpod plene
catholicae l
XXVI Felix und die römische Synode an die Presbyter
von Constantinopel etc.: Olim nobit*
XX VII Felix an Clerus und Volk von Constantinopel: Pro-
batem cunctis*
XXVIII Felix an Rufin, Thalasius etc.: Diabolicae artis*
XXIX Felix an Thalasius etc.: Post facta* litter asb
XXX Felix an Vetranio: Quod unitatis ecclesiae*
XXXI Die sogenannten Gesta de nomine Acacii: In cauta
fidei*
XXXII Felix an Zeno: Qaoniam pietas tua licet9
XXXIII Felix an Zeno: Dignas referre*
XXXIV Gelasius' I. Tractat de duabus naturis: Necessarium
quae fuit10
XXXV Leo I. an Flavianus: Lectis dilectionis tuae11
XXXVI Gelasius (Anastasius) an Laurentius von Lignidus:
In prolixitate1*
XXXVII Gelasius an die Bischöfe von Dardanien etc.: An-
dienten orthodoxam1*
XXXVIII Gelasius an die Bischöfe von Dardanien: Ubi primum
respirare M
XXXIX Rescript der Bischöfe von Dardanien an Gelasius:
Saluberrima apostolatus™
XL Gelasius an die Bischöfe von Dardanien: Valde mirati
sumu81G
XLI Des Gelasius sogenannter ;tomus': Ne forte quod
8olent,11 am Anfang unvollständig und erst mit
den Worten Cognoscat (so!) igitur quoniam (Thiel,
Epp. Rom. pont. p. 558, 3) beginnend
XLII Fragment eines Tractats des Gelasius ,in quo etiam
ponet (!) exemla (!) epistolarum ad locum sancti
Symplici' 18
1 Maassen §. 284, 18. »§.284,10. »§.284,8. 4 §. 284, 11.
8 §. 284, 17. • §. 284, 16. T §. 616. • §. 284, 7. • §. 284, 14.
10 Thiel, Epiatolae Roman, pontif. I, p. 630. n Maassen §. 281, 19.
18 §. 286, 2. » §. 286, 14. " §. 286, 1. M §. 451. » §. 286, 16.
17 Maassen §. 285, 6.
18 Appendix Cod. Theodosiani ed. Sirmond, p. 170 — 188.
Ayellana-Stndien. 31
XLIII Gelasius (oder Felix) an Flavitas von Constantinopel:
Malta sunt quae nobis1
XLIV Gelasius an Euphemius von Constantinopel: Quod
pleno, cupimus*
XLV Römisches Concil des Gelasius betreffend die Ab-
solution des Misenus: Residente synodo*
XL VI Symmachus an die Bischöfe von Illyrien etc.: Quod
plene fieriA
XLVII Hormisda an die Presbyter etc. von Syria secunda:
Lectis litteris6
XLVIII Des Hormisda sogenannter libellus fidei: Prima salus*
XLIX Cyrill an die Mönche: Venerunt quidem1
L Felix an Petrus von Antiochia: Quoniam pestiferis*
LI Quintianus an Petrus von Antiochia: Multifarie mul-
tisque9
LH Justinus an Petrus von Antiochia: Oportet armari10
LIII Anteon an Petrus von Antiochia: Valde contristatus11
LIV Faustus (oder Faustinus) an Petrus von Antiochia:
Quoniam permissum ; 12 die Handschrift hat nur den
Anfang des Briefes; in ihrem Archetypus waren
wohl ein paar Blätter ausgefallen, so dass im Text
von B der grösste Theil dieses Schreibens und eben-
so die ganze n. LV und der Anfang von LVI fehlen
LV Pamphilus an Petrus von Antiochia: Multa contritio.1*
Der Titel ist im Index erhalten; in der Sammlung
selbst fehlt das Stück, vgl. zu LIV
LVI Flaccianus an Petrus von Antiochia: Venätores be-
stiarum;1* der Anfang fehlt, vgl. zu LIV
LVII Asclepiades an Petrus von Antiochia: Ecce karissime
repletus 15
LV1II Presbyter Trifolius an den Senator Faustus: Man-
dare mihi dignatus es.16
1 Müssen §. 284, 15. f §. 285, 3. » §. 285, 17. 4 §. 287, 6.
* §. 288, 31. 6 Thiel, Epp. Rom. pont. p. 754.
* Maassen §. 381, 6. 8 §. 644, 2. e §. 554. 10 §. 553. " §. 549.
M §. 550. M §.651.
14 Vgl. Baronius, Annal. eccl. zum Jahre 483, 62 ff. 15 Maassen §. 562.
16 Von Sirmond ans dieser Handschrift abgeschrieben und aus seinem Nach-
lasse von Labbe herausgegeben.
32 V. Abhandluog: Günther.
Von den Nummern, die ich oben den einzelnen Stacken
gegeben, habe ich bereits bemerkt, dass sie von mir stammen.
Im Corpus der Sammlung selbst ist nur ein sehr kleiner Theil
derselben numerirt, nämlich folgende: die von mir mit XXXV,
XXXVI, XXXVIII, XXXIX und XL bezeichneten Stücke tragen
in der Sammlung die Nummern XXXIII, XXXIV, XXXVI,
XXXVII und [XXjXVIII; der von mir als n. XLII aufgeführte
Tractat hat in der Sammlung selbst keine Nummer, wohl
aber ist dem darin eingelegten Fragmente des Felix (übt esse
= Sirmond, App. Cod. Theod. p. 172) vorgeschrieben fiap.
XLF, woraus hervorgeht, dass der, welcher die Nummern
hinzugesetzt, meine Nummer XLI als XXXIX und den ersten
Theil meines Tractats XLII als XL gezählt hat; meine Num-
mern XLIII und XLIV sind dann als XLII und XLIII be-
zeichnet. Also zusammcngefasst: meine Nummern XXXV bis
XLIV tragen oder trugen im Corpus der Sammlung die Zahlen
XXXIII bis XLIII, woraus folgt, dass der Zähler zwei der
vorangehenden Stücke nicht gezählt hat. Ob das auf einen
Irrthum zurückzuführen ist, oder ob nach erfolgter Zählung
noch irgend zwei Stücke in diesen Theil der Sammlung einge-
drungen sind, dürfte kaum zu entscheiden sein.1
Ich komme jetzt zu der Numerirung der Stücke in
dem Index, der der Sammlung auf Blatt 1 vorangeht. Dass
derselbe schon in der Vorlage der Handschrift stand, ergiebt
sich aus dem, was ich oben zu n. LIV, LV und LVI bemerkt
habe. Wie im Index die ersten Briefe gezählt sind, lässt sich
heute nicht mehr sagen, da der obere Theil von Blatt 1 durch
Fäulniss zerstört ist und infolge dessen die Titel von I — III
ganz und von IV — IX wenigstens die ersten Wörter oder Buch-
staben der Titel und mit ihnen auch die vorgesetzten Zahlen ver-
loren gegangen sind. Der erste Titel, der ganz erhalten, ist
der von meiner n. X: er trägt im Index aber die n. IX, woraus
sich ergiebt, dass entweder von meinen n. I — III eine im Index
ausgelassen war oder in der Zählung von n. I — IX sonst irgend-
wie ein Irrthum hat begangen sein müssen. Es folgen meine
1 Daraus, dass den n. I und II im Corpus der Sammlung alte Ueber-
schriften fehlen, möchte ich noch nicht folgern, dass sie von der
ursprünglichen Form der Sammlung auszuschließen seien. Die alte
Ueberschrift fehlt e. B. auch vor n. LI.
Ayellan*-Sfradien. 33
n. XI — XIX, im Index der Reihe nach bezeichnet als X — XVIII.
Meine Nummern XX — XXIII fehlen im Index überhaupt, allein
dass die Titel nur durch die Nachlässigkeit eines Schreibers
fortgeblieben sind, ergiebt sich aus dem, was ich über die Zu-
gehörigkeit auch dieser Stücke zu der ältesten erkennbaren
Form dieser Sammlung weiter unten (vgl. besonders S. 45) aus-
fuhren werde. Es folgen meine n. XXIV und XXV, im Index ge-
zählt als XIX und XX. Meine n. XXVI und XXVII erscheinen im
Index in umgekehrter Reihenfolge, numerirt sind sie daselbst irr-
tümlicher Weise jede für sich mit n. XXI. Dieser Irrthum wirkt
weiter: die Nummern XXVIII — XXX meiner Zählung werden im
Index zu n. XXII— XXIV. Das folgende Stück der Sammlung,
meine n. XX2£I (Gesta de nomine Acacii), fehlt im Index; die
weiteren n. XXXII bis XL erscheinen als n. XXV bis XXXIII,
jedoch so, dass n. XXXIX und XL im Index wiederum ihre
Stelle vertauscht haben. Wir kommen jetzt zur Rückseite
des Blattes. Infolge der erwähnten Zerstörung fehlen die Titel
meiner n. XLI — XLIII, und die erste Zahl, die erhalten, ist
n. XXXIX: sie steht vor dem von mir mit XLV bezeich-
neten Stücke. Es hatten also offenbar zur Numerirung meiner
n. XLI— XLIV im Index die Nummern XXXIV-XXXVIII
Verwendung gefunden, und es ist daher wohl sicher, dass wie
im Corpus der Sammlung, so auch im Index das von mir als
n. XLII bezeichnete Fragment des Qelasius in zwei Stücke
zerlegt und demzufolge mit zwei Nummern, XXXV und XXXVI,
bezeichnet gewesen ist. Ueber den Rest der Briefe ist nichts
Besonderes zu sagen: meine n. XL VI — LVIII erscheinen im
Index als n. XL— LII.1
Ich habe diese Bemerkungen über die verschiedenen Zäh-
langen in der Sammlung selbst und in ihrem Index voraus-
schicken müssen, um zu zeigen, dass beide, von wenigen Irr-
thümern abgesehen, gut zu der Reihenfolge stimmen, in welcher
die Stücke selbst heute in der Sammlung auftreten, und dass
1 Durch Versehen des Abschreibers trägt das letzte Stück im Index zwei
Nummern, in folgender Weise:
•
LII Epia trifoUi p pTib f & a beato fausto senatore contra iohanne
hlll excuta monacho
d. h. : LII JEpistola Trifolii preabyteri et . . ad beatum Faustum senatorein
contra Iohannem Scytham monackum.
Sitnngsber. d. phil.-hiat. Cl. CXXXIY. Bd. 6. Abb. 3
34 T. Abkmodlnng: Gtnthar.
ans ihnen sich ftlr eine etwaige ältere Form der Sammlang so
viel wie nichts ergibt. Jetzt wenden wir ans za der Frage,
wie der Berolinensis B mit der Avellana, die ich hier der
Kürze halber immer mit V bezeichne, im Znsammenhang steht.
B zeichnet sich vor allen übrigen Sammlangen von Papstbriefen
dadurch aus, dass er am meisten Briefe von Simplicins and
besonders von Felix III. enthält. Die Briefe des Felix n. XXV,
XXVII— XXX, XXXII-XXXIII sind überhaupt nar durch
B erhalten; Brief XXXI des Felix und VI— XVH des Sim-
plicius kennen wir ausserdem nur noch aus der Avellana. Ich
gebe jetzt eine Uebersichtstabelle über die Stücke, die B und V
gemeinsam sind, und zwar so, dass ich mich in der Reihen-
folge im Allgemeinen an B anschliesse. Die römischen Zahlen
bezeichnen die Stelle, die die einzelnen Stücke (nach der von
mir oben durchgeführten Numerirung) in B einnehmen, die ara-
bischen die Nummer, die sie in meiner Avellana- Ausgabe tragen.
Berolinensis ArelUna
B
VI Simplicins an Acacius: Quam sit efficax 61
VII Simplicius an Zeno: Olim divinorum 62
VIII Simplicius an Acacius: Quantos et quam 63
IX Simplicius an Zeno: Proxime quidem cum 64
X Simplicius an Acacius: Proxime quidem di-
lectioni 65
XI Simplicius an Zeno: Venerandos mihi 66
fehlt (Simplicius an Acacius : Clementissimi principis) 67
XII Simplicius an Acacius: Miramur pariter 68
XIII Simplicius an Acacius: Antiocheni exordium 69
XIV Simplicius an Basiliscus: Cuper em quidem 56
XV Simplicius an Acacius: Cum filii 57
XVI Simplicius an Acacius : Quantum presbyterorum 58
XVII Simplicius an die Presbyter von CP: Per filium 59
fehlt (Simplicius an Zeno: Inter opera) 60
XVIII (Simplicius an Acacius: Cogitationum ferias) fehlt
XIX (Acacius an Simplicius : Sollicitudinem omnium) fehlt
XXVI Felix und die römische Synode: Olim nobis 70
XXXI Gesta de nomine Acacii: In causa fidei 99
XXXVI Gelasius an Laurentius: In prolixitate 81
Ayellana-Studien. 35
BerolinensLs Avellana
B
XXXVII Oelasius an die dardanischen Bischöfe: An-
diente* 101
XXXVIII Gelasius an die dardanischen Bischöfe: übi
primum respirare 79
XXXIX Die dardanischen Bischöfe an Gelasius: Salu-
berrima 80
XL Gelasius an die dardanischen Bischöfe: Valde
mirati 95
XLV Gelasius und die römische Synode: Residente
synodo 103
XL VI Sjmmachus an die Bischöfe von Hlyrien: Quod
plene fieri 104
XL VII Hormisda an die Presbyter von Syrien: Lectis
litteris 140
L Felix an Petrus: Quoniam pestiferis 71
LI Quintianus an Petrus: Multifarie multisque 72
LII Justinus an Petrus: Oportet armari 73
LIII Anteon an Petrus: Valde contristatus 74
LIV Faustus an Petrus: Quoniam permissum 75
LV Pamphilus an Petrus: Multa contritio 76
LVI Flaccianus an Petrus: Venatores bestiarum 77
LVII Asclepiades an Petrus: Ecce karissime 78
Ein Blick in die vorstehende Tabelle genügt, um einmal
erkennen zu lassen, dass die Briefe des Simplicius in B fast
in derselben Reihenfolge auftreten wie in V. Wenn wir davon
absehen, dass n. 67 und 60 der Avellana in B fehlen, so ist
der einzige Unterschied der, dass in V die ganze Serie der
n. VI — XVII gleichsam in zwei Theile zerrissen erscheint und
diese beiden Theile B gegenüber ihre Plätze gewechselt haben:
die Stücke, die in V zu Anfang stehen (56 — 59), bilden in B
den Beschluss (XIV — XVII). Sodann gewahren wir, dass die
acht apokryphen 1 Briefe an Petrus Fullo von Antiochien (L —
LVII) in derselben Reihenfolge auch in V erscheinen (71 — 78).
Wir ziehen hieraus den sicheren Schluss, dass, falls nicht die
1 Vgl. über diese meine Bemerkungen in den Nachrichten der k. Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Göttingen, philolog.-hist. Classe 1894, Nr. 2.
3*
36 V. Abhandlung Günther.
betreffenden Stücke aus B in die Avellana oder aus der Avel-
lana in B übergegangen sind, für beide irgend eine dritte
Sammlung als gemeinsame Quelle anzunehmen ist.
Welche von diesen drei Möglichkeiten ist nun die richtige?
In der Avellana geht jenen acht Schreiben an Petrus Fullo
(n. 71 — 78) das Schreiben des Felix und der römischen Synode
Olim nobis (n. 70) voran; am Ende aber von n. 71, ebenfalls
einem Schreiben- des Felix, stehen in V folgende Worte: Ex-
plicit epistola papae Felicis ad Petrum Antiochenum damnans
eum. quae epistola ante damnationem Acacii quoniam quantum
eius textus indicat, conperitur scripta, sed quia cum aliorum
litteris ad eundem Petrum directis in Graeco volumine invenimus
de Latino translatas} quas nunc iterum de Graeco in Latinum
necessitate compulsi transferentes descripsimus propter haereti-
corum insidias et supra scriptis epistolis eiusdem papae conecti-
mus. Es hat also einmal einen Mann gegeben, der die acht
aus dem Griechischen übersetzten Briefe an Petrus, von denen
der erste sich als ein Schreiben des Papstes Felix ausgiebt,
an irgend welche andere Briefe dieses Papstes anreihte. Dass
dieser Mann nicht derselbe war, der die Avellana endgiltig
zusammenstellte, ist klar, denn hier geht den betreffenden
Stücken n. 71 — 78 zwar ein Brief des Felix voraus (n. 70),
aber nicht mehrere, wie wir es nach den Worten supra scriptis
epistolis jener Bemerkung erwarten sollten. Die Avellana enthält
ausser n. 70 und 71 überhaupt keine weiteren Schreiben dieses
Papstes. Also ist Maassen im Irrthum, der jene Bemerkung
dem Redactor der Avellana zuweist und jene Uebersetzungen
aus dem Griechischen erst durch ihn für diese Sammlung an-
gefertigt sein lässt. Die Bemerkung stand vielmehr schon in
der Quelle dieses Theils der Avellana, und diese Quelle muss
so beschaffen gewesen sein, dass darin den n. 71 — 78 mehrere
Schreiben des Felix direct vorangingen.
Wenden wir uns jetzt zu B. Auch in dieser Handschrift
stehen jene Worte, wenn auch nur zum Theil und nicht ohne
Verderbnisse; doch finden sie sich hier nicht am Schluss, sondern
zu Anfang des Felixbriefes n. 71 = L. Es heisst da folgender-
massen: (Incipit epistola papae Felicis ad Petrum Antiochenum)
deponens eumy quia passione corporis Christi in trinitate prae-
dicabat dicens ^sanctus deus sanctus fortis sanctus inmortalis
ATellanft-Studien. 37
qui crudfixu8 est propter nos', id est aut totam trinitatem,
quae v/aus deus est, crucifixam aut solum filium in sua deitate
crucifixum, separans patrem et spiritum sanctum a ßliitate et
fortitudine et inmortalitatefm] \ dividens sanctam et Individuum
trinitatis deitatem, unam partem dicens mortalem, inmortales
autem duas. has epistolas in greco invenimus de latino
translatas, quas nunc iterum de greco in latino neces-
sitate compolsi scripsimus propter hereticos. Es fehlt
hier also das, was in der Avellana über die Verbindung der
apokryphen Schreiben an Petrus mit vorausgehenden Felix-
Briefen steht und was, wie wir gesehen, schon in der Quelle
der Avellana gestanden haben muss. Und zwar fehlt es hier
mit Recht, denn es kommt zwar eine grosse Anzahl von Briefen
des Felix in B vor (n. XX— XXX und XXXII— XXXIÜ),
dieselben sind aber von den apokryphen Stücken durch eine
grosse Reihe anderer Schriftstücke (XXXIV — XLIX) getrennt.
Eben dieser Umstand aber, dass in B den Schreiben an Petrus
keineswegs direct Briefe des Felix vorangehen und dem ent-
sprechend die Worte et supra scriptis epistolis eiusdem papae
conedimus fehlen, eben dieser Umstand beweist, dass für den
Theil der Avellana, um den es sich hier handelt, dieselbe Samm-
lung, die uns noch heute in B vorliegt, nicht als Quelle ge-
dient haben kann.
Ganz undenkbar ist auf der anderen Seite auch die Mög-
lichkeit, dass B die Stücke, die er mit V gemeinsam hat, aus
der Avellana geschöpft haben sollte. Ich führe hier nur Einiges
an. Der Brief des sogenannten Justinus an Petrus n. 73 (== LII)
trägt in V folgende Ueberschrift: Incipit epistola Iustini episcopi
ad eundem Peürum Antiochenum de eadem causa, dagegen in B:
Incipit epistola Iustini episcopi Siciliae ad Petrum Anthiocenum,
quoniam non oportet adici in tresagion crucem ne duo filii in*
ducatur (I). Dass hier B der Lesart von V gegenüber nicht etwa
eine Interpolation giebt, zeigt das griechische Original, das uns
ja erhalten ist (vgl. p. LXI1II ff. meiner Prolegomena) und das
die Ueberschrift trägt: 'Ettiorokii 'Iovotutlvov ijtiayuÖTtov 2i%sXlag
KQdg xdv aötdv Tlergov Sri ob dsl nqoa&rpcqv elvai h %(p TQioaylq)
otovqoG, %va fjti) dvo elai^tjg vlovg. Ganz ebenso verhält es sich
mit der Ueberschrift von n. 74 (=LIII); ich setze die Lesarten
von V7 B und dem griechischen Original nebeneinander:
38
V. Abhandlung: Günther.
Vi
Incijrit epistola An-
theonis episcopi Ar-
senoe ad eundem Pe-
trum Antiochenum
Bi
Incipit epistola An-
teonis Arsenone ad
Petrum quoniam non
oportet pa8sibilem in
tresagion copulare
per adiectionum 7qui
crucifixus est prop-
ter nos1 quam Pe-
trus sicut hereticus
apposuit
Griech. Original:
*u4vt£<0voq htioxd-
nov 'AQoev&r$ iiti-
CToXij ftQÖQ IHtqov
irtioxoTtov yAv%io-
Xslag^ Sri ob du
Ttd&OQ iv %(jf xqiaa-
yi(p awdtcTSiv diä
tfjg izqoaitfpM)g rijg ,6
aTavQ(o9etQ dtfjfi&g1
?)v o\ aiQevixoi ttqoo-
Es bleibt also nur die dritte Möglichkeit übrig, dass so-
wohl B wie der Theil der Avellana, um den es sich hier handelt,
auf eine ältere dritte Sammlung als gemeinsame Quelle zurück-
gehen; ob beide direct, ist freilich noch eine andere Frage.
Sicher ist die Thatsache, dass in der unmittelbaren Quelle
der Avellana die apokryphen Briefe an Petrus sich unmittelbar
an mehrere Schreiben des Felix anschlössen. Der Redactor der
Avellana hat diese Quelle dann so benutzt, dass er aus irgend
einem Grunde die Felixbriefe mit Ausnahme von n. 70 fort-
liess. Ist nun diese Sammlung, in der die an Petrus Fullo
gerichteten Schreiben sich unmittelbar an die Felixbriefe an-
fügten, auch für B als directe Quelle anzunehmen? Wäre dies
der Fall, so müsste derjenige, auf den die Sammlung des Bero-
linensis, wie sie uns heute vorliegt, zurückgeht, in der Weise
verfahren sein, dass er sowohl die Felixbriefe (XX — XXX,
XXXII, XXXIII) wie auch die apokryphen Schreiben an Petrus
aus jener Quelle aufnahm, diese letzteren jedoch von jenen
dadurch trennte, dass er zwischen beide die n. XXXIV — XLIX
schob. Eben diese Annahme aber muss uns, wie mir scheint, recht
bedenklich machen. Die Reihenfolge der Stücke VI — LVII, wie
B sie giebt, hat wenig Anstössiges, wenn man annimmt, irgend
jemand habe aus einer Quelle die Briefe des Simplicius und
Felix genommen, aus verschiedenen anderen die bunte Menge
von n. XXXIV — XLIX und wieder aus einer anderen die
Briefe an Petrus Fullo. Dagegen wird es schwer, einen Grund
ausfindig zu machen, der jemand dazu bewogen haben sollte,
ATell&na-Stadien.
39
von den Briefen an Felix die n. L — LVII losznreissen, die
ungef&hr dieselbe Zeit wie jene betreffen und die sich an jene
schon deshalb durchaus passend anschlössen, weil der erste
von ihnen (n. L) sich doch auch als ein Schreiben des Felix
darstellt. Wozu, frage ich, sollte jemand diese beiden Gruppen
auseinandergerissen, wozn die buntscheckige Masse von Briefen
des Gelasius, Leo, Symmachus, Hormisda und Cyrill dazwischen-
geschoben haben?
Und noch ein Anderes. Man vergleiche noch einmal die
bereits oben ausgeschriebenen Worte:
B:
(Incipit epistola papae Felicis
ad Petrum Antiochenum) de-
ponens eumf quia pa8sione{m)
corporis Christi in trinitate
praedicabat dicens . . (folgt die
Charakterisirung der Lehrtf des
Petrus), has epistolas in Graeco
(volumine) invenimus de Latino
translatas: quas nunc iterum
de Graeco in Latinum necessi-
tate compulsi (transferentes de-)
scripsimus propter hereticos.
Explicit epistola papae Felicis
ad Petrum Antiochenum dam-
nans eum. quae epistola ante
damnationem Acacii quoniam
quantum eins textus indicat
conperitur scripta, sed quia
cum aliorum litteris ad eun-
dem Petrum directis in Graeco
volumine invenimus de Latino
translatas, quas nunc iterum
de Graeco in Latinum necessi-
tate compulsi transferentes de-
scripsimus propter hereticorum
insidias et supra scriptis episto-
lis eiusdem papae conectimus.
In dem Wortlaut, wie V ihn gibt, ist quoniam vielleicht
nur Dittographie von quantum und daher zu streichen; fehler-
haft aber bleibt die ganze Construction trotzdem, da man statt
quas nunc iterum vielmehr eas nunc iterum erwarten sollte.
Ein Schreibfehler ist ausgeschlossen: das quas wird gesichert
durch B, wo nichts an ihm zu tadeln ist. Soll man in diesem
Falle die mangelhafte Construction für die ursprüngliche und
die correcte für die seeundäre halten oder soll man nicht viel-
mehr auch hier die Fassung von B (abgesehen natürlich von
mechanischen Corruptelen) für die ältere ansehen und die
Incorrectheit der Fassung in V durch das zu erklären suchen,
was diese Fassung derjenigen von B gegenüber mehr bringt?
40 V. Abhandlung: Günther.
Was die Inconcinnität in die Fassung von V hineinbringt, ist
der Gedanke: die Briefe an Petrus sind zwar vor der Ver-
dammung des Acacius geschrieben und gehören infolgedessen
eigentlich nicht hinter die Briefe des Felix, die nach seiner
Verurtheilung geschrieben sind, mögen aber gleichwohl an jene
angereiht werden. Ich glaube, alle Schwierigkeiten lösen sich
auf eine befriedigende Weise, wenn wir denjenigen, der die
Briefe an Petrus aus dem Griechischen übersetzte, von dem-
jenigen trennen, der diese Uebersetzung an die Felixbriefe
anreihte, und wenn wir demnach die unmittelbare Quelle der
Avellana, in der diese Verbindung bereits bestand, für secun-
där einer anderen gegenüber betrachten, in welcher, wie noch
heute in B, beide Reihen von Schriftstücken durch andere
getrennt waren. Ist dies richtig, so hätten wir also eine alte
Sammlung X anzunehmen, die im Grossen und Ganzen die-
selbe Gestalt zeigte wie B. Aus dieser Sammlung schuf, eben-
falls in recht alter Zeit, jemand eine andere Y, indem er
unter Ausscheidung der Stücke XXXIV — XLIX die an Petrus
Fullo gerichteten Briefe direct an die Felixbriefe rückte und
in den die Uebersetzung aus dem Griechischen betreffenden
Passus in nicht eben sehr geschickter Weise eine Entschuldigung
dafür einflocht, dass er diese jüngeren Stücke an die älteren
anschliesse. Ein Exemplar dieser secundären Sammlung Y lag
dem Redactor der Avellana vor: er entnahm ihr die Briefe
des Simplicius und die apokryphen Schreiben an Petrus, von
den zwischen beiden stehenden Felixbriefen jedoch nur einen,
n. XXVI (= n. 70). B auf der anderen Seite hat direct die
Sammlung X benutzt. Wie dies im Einzelnen geschehen ist,
darüber mag man zweifeln, da es ja nicht einmal feststeht, ob
X die einzige Quelle von B gewesen ist. Sicher ist nur, dass
die Reihenfolge von X insofern von B getreuer wiedergegeben
wird, als wir annehmen müssen, dass wie in B so auch in X
zwischen den Felixbriefen und den Schreiben an Petrus sich
eine Reihe anderer befunden hat, und wahrscheinlich ist, dass
dies wenigstens zum Theil dieselben Schriftstücke waren, durch
welche noch heute in B jene beiden Gruppen getrennt werden.
Ich komme auf die Sammlung X sogleich noch einmal
zurück, einstweilen wenden wir uns zu Maassen's fünfter
Gruppe, den n. 79 — 104 der Avellana.
ATelUna~Stndien. 41
Es sind dies zunächst drei Schreiben aas der Zeit Ge-
lasius' I.:
n. 79 Gelasius an die Bischöfe von Dardanien >Ubi pri-
mum respirare* (ans dem Jahre 493).
n. 80 Die dardanischen Bischöfe an Gelasius ,Saluberrima
apostolatus' (494).
n. 81 Gelasius an Laurentius von Lignidus ,/n prolicitate*.
Hierauf wird die Reihe der Schriftstücke aus gelasianischer
Zeit unterbrochen durch die n. 82 — 93, die die jüngsten der
ganzen Sammlung sind und in die Zeit der Regierung Justi-
nians, in die Pontificate von Johannes II., Agapetus und Vigilius
fallen (534 — 553). Mit n. 94 setzen dann wieder Schriftstücke
gelasianischer Zeit ein:
n. 94 Gelasius an die Bischöfe von Picenum 7Barbaricis
hactenus1 (1. November 493).
n. 95 Gelasius an die Bischöfe von Dardanien ,Valde
mirati* (1. Februar oder 13. Mai 496).
n. 96 Gelasius an Bischof Honorius ,Miramur dilectionem'
(490 [?]).
n. 97 des Gelasius Dicta adversus Pelagianam haeresim
,De Pelagianis quidem sensibles'.
n. 98 Gelasius an Honorius ,Licet inter varias' (28. Juli
490 [?]).
n. 99 der gewöhnlich dem Gelasius zugeschriebene und
als Gesta de nomine Acacii bezeichnete Tractat
,In causa fidei1.
n. 100 Gelasius gegen Andromachus und die Feier der
Luperealien in Rom fiedmt quidam'.
n. 101 Gelasius an die Bischöfe von Dardanien yAudientes
orthodoxam1 (3. August 494).
n. 102 Schreiben der Apocrisarii Alexandrini an die in
Constantinopel weilenden römischen Gesandten
,Venerabile8 sanetae1 (497), nach der Subscription
Explicit. Dionysiu8 Exiguus Romae de Graeco
converti eine Uebersetzung des berühmten Dio-
nysius.
n. 103 die römische Synode unter Gelasius vom 13. Mai
495 yResidente synodo'.
42 V. Abhandlung: Quntner.
Schliesslich noch ein Stück ans dem Pontificat des Sym-
machus :
n. 104 Symmachus an die Geistlichkeit von Dlyrien, Dar-
danien etc. ,Quod plene fieri cupimus. sx quae
8cribimu8( vom 8. October 512 (5. März 513?).
Das Wesentliche bei diesen Stücken aus der Zeit des
Gelasins (von den n. 82 — 93 sehe ich einstweilen ab) und was
uns hinsichtlich der Erkenntniss ihrer Quelle etwas weiterhilft,
ist der Umstand; dass ein Theil derselben auch wiederum im
Berolinensis B und ausserdem nirgends überliefert ist; es sind
dies die Stücke :
Avellana
B
79
XXXVIII
80
T,
XXXIX
81
XXXVI
95
=
XL
99
=Z
XXXI
101
XXXVII
103
XLV
104
XL VI
Dass wir in der That auch für diese Stücke eine gemeinsame
Quelle für Avellana und B anzunehmen haben, dafür spricht
zweierlei. Einmal das Vorhandensein gemeinsamer Corruptelen
in V und B, wie ich das p. LVI meiner Ausgabe nachgewiesen
habe; sodann aber der Umstand, dass wenigstens an zwei
Stellen zwei Briefe in B in derselben Reihenfolge vorkommen
wie in V: Avell. 79-80 = B XXXVIII— XXXIX und Avell.
103-104 = B XLV— XLVI. Bei dem ersten Paar würde
dies nicht viel sagen, da Avell. n. 79 und 80 ihrem Inhalt
nach so eng zusammengehören, dass sie wohl von verschiedenen
Sammlern auch unabhängig von einander hätten zusammen-
gestellt werden können. Anders ist dies bei 103 und 104 =
B XLV und XLVI. Hier liegen beide Schriftstücke zeitlich
beträchtlich auseinander und haben inhaltlich kaum etwas mit
einander zu thun. Dass sie in ihrer Vereinigung sowohl in V
wie in B eine Gruppe von Gelasiusbriefen absfchliessen , kann
daher nimmermehr ein Zufall sein, sondern ist auf die gemein-
same Quelle von V und B zurückzufuhren. Selbstverständlich
ATelUnÄ-8tndien. 43
ist dies nun keine andere als die Sammlung X, aus der durch
Vermittlung eines Zwischengliedes Y die Simpliciusbriefe , der
Brief des Felix und die Briefe an Petrus Fullo in die Avellana
übergegangen sind. Wir gewinnen hier eine Bestätigung für
die oben ausgesprochene Ansicht, dass das, was in X zwischen
den Felixbriefen und den Schreiben an Petrus gestanden hat,
im Grossen und Ganzen dieselben Stücke gewesen sein werden
wie die, welche noch heute in B zwischen jenen beiden Gruppen
stehen. Y schob, wie wir sahen, dieselben aneinander, hat
aber, wie wir jetzt erfahren, die dazwischen stehenden Stücke
nicht einfach fortgelassen, sondern vielmehr an das Ende, hinter
die Briefe an Petrus gestellt, und diese Reihenfolge ist uns
dann durch die Avellana bewahrt, der jenes Y als Quelle diente.
Als Resultat der vorstehenden Bemerkungen ergiebt sich
also, dass wir nicht mit Maassen die Briefe 56 — 104 in die
beiden Gruppen 56 — 78 und 79 — 104 zerlegen dürfen: ihrer Pro-
venienz nach bilden sie nur eine Masse, die durch Vermittlung
von Fauf eine und dieselbe Quelle X zurückgeht. Wie im Ein-
zelnen diese Quelle ausgesehen hat, darüber freilich wird man zu
keinem festen Resultate gelangen können; es bleibt hier fast
Alles unsicher. Schon das ist zweifelhaft, ob die Stücke, die in B
den Simpliciusbriefen vorangehen (I — V), jener Sammlung X zu-
zuweisen sind; sehr wahrscheinlich ist es nicht. Eine weitere
Frage ist die, in welcher Reihenfolge in X die Briefe des Simpli-
cius gestanden haben, ob in der von V oder in der, welche uns
in B vorliegt. Der einzige Gesichtspunkt, von dem aus es mir
möglich erscheint eine Beantwortung dieser Frage zu versuchen,
ist die Chronologie der Stücke. In der Avellana stehen, wie ich
im zweiten Excurs dieser Abhandlung nachweisen werde, die
Briefe 56 — 69 genau in chronologischer Reihenfolge mit der
einzigen Ausnahme, dass n. 57 hinter n. 59 gehört hätte. In B
dagegen erscheinen n. 56 — 59 (XIV — XVII), die von Allen die
ältesten sind (Januar 476), zwischen 69 (XIII) vom 15. Juli 482
und der in der Avellana fehlenden Nummer XVIII vom 6. No-
vember 482. Nun ist ja sicherlich an und flir sich die Annahme
nicht ausgeschlossen, dass die unchronologische Reihenfolge die
ursprüngliche ist, und dass erst in der von der Avellana be-
nutzten Sammlung Y die richtige zeitliche Reihenfolge hergestellt
wurde. Allein wahrscheinlicher ist doch der andere Fall, dass
44 V. Abbandlonf : Gfinther.
in der Ursammlung X in der That die Briefe chronologisch
aufeinanderfolgten, wie es noch heute in V geschieht, und dass
diese Aufeinanderfolge in B durch irgend ein Versehen des
Abschreibers, vielleicht infolge einer Blatt Verschiebung, gestört
ist. Ich möchte daher die Briefe 56 — 69 der Avellana, ein-
schliesslich der in B fehlenden n. 60 und 67, in derselben
Reihenfolge auch schon der Sammlung X zuweisen.1 Auf 69
folgten dann höchst wahrscheinlich die beiden Briefe B XV ULI
und XIX, die ihrerseits in der Avellana fehlen und von denen
XVIII (6. November 482) sich chronologisch richtig an 69
(15. Juli 482) anschliesst, während XIX, das Schreiben des
Acacius, auf welches n. 61 (VI) vom 8. März 478 die Ant-
wort ist, wohl deswegen nicht der Chronologie entsprechend
seine Stelle vor n. 61 erhalten hatte, damit die Reihe der
Simpliciusbriefe nicht durch das Schreiben einer anderen Per-
sönlichkeit unterbrochen würde. Hierauf folgten in X die
Felix briefe XX — XXXIII, von denen in der Avellana nur
XXVI (= 70) Aufnahme gefunden hat. Ob B auch das unter
diesen Schreiben des Felix auftretende Stück XXXI, die so-
genannten Gesta de nomine Acacii, der Sammlung X ent-
nommen hat, darüber könnte man zweifeln, denn einmal fehlt
dieser Tractat in dem Index, der der Sammlung des Codex B
vorangeht (vgl. oben S. 33), sodann aber findet sich dasselbe
Stück zwar auch in V (n. 99), allein in einer Recension, die
von der uns in B entgegentretenden durchaus verschieden ist
Trotzdem ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass der
Archetypus von B aus X die Gesta ursprünglich in derselben
Recension entnommen hat, wie sie V zeigt, dass dieser Text
dann aber später nach einem Exemplar der abweichenden Re-
cension von Grund aus corrigirt wurde und in dieser corrigirten
Form nun in B vorliegt. Derartige Fälle, wo durch Ueber-
tragung von Lesarten, ja geradezu durch Ausradirung des ge-
sammten Textes und Substituirung eines neuen, eine Recension
durch die andere ersetzt wird, kommen in der That vor.*
1 Dies wird auch dadurch bestätigt, dass die Urquelle dieser Simplicius-
briefe offenbar das päpstliche Register war (vgl. unten S. 54, Anm. 1),
und dieses zeigte natürlich eine chronologische Reihenfolge der Stücke.
1 Vgl. meine Bemerkung über den Vindobonensis 2147 (q*) auf S. 791
meiner Ausgabe. Dafür, dass auch in diesem Falle etwas Aehnliches
ATelUn»-8tudi«n. 45
Bemerkt zu werden verdient noch, dass die Briefe XVIII —
XXIV in genau derselben Reihenfolge wie in B noch in zwei
anderen canonistischen Sammlungen vorkommen, einmal in der
von Maassen als ^Sammlung der Vaticanischen Handschrift'
(Vatic. 1342) bezeichneten,1 sodann auch in der , vermehrten
Hadriana'.* Vermuthlich wird die gemeinsame Quelle3 dieser
beiden Sammlungen die Stücke aus X entlehnt haben, denn
das umgekehrte Verhältniss erscheint ausgeschlossen, da die
betreffenden Stücke in J3, d. h. in X, chronologisch geordnet
sich zeitlich richtig an eine eng mit ihnen zusammengehörende
Reihe ebenfalls chronologisch geordneter Briefe anschliessen,
während in jenen beiden anderen Sammlungen ihnen andere
Stücke aus völlig anderer Zeit vorangehen.
Auf die Felixbriefe folgte in X eine Anzahl von Stücken,
deren Anzahl und Reihenfolge nicht zu bestimmen ist: unter
ihnen befanden sich sicherlich diejenigen der n. XXXIV— XLIX
von B, die in der Avellana oder richtiger in der Sammlung Y
hinter die Petrusbriefe zurückgesetzt wurden. Vielleicht bot
auch dieser Theil in X einen einheitlichen Anblick, was von
der Gruppe XXXIV — XLIX in B sich nicht behaupten lässt; ist
es doch sehr wohl möglich, dass wie V aus diesem Theil von X
nur Schriftstücke gelasianischer Zeit und das eine Schreiben
des Symmachus aufweist, ebenso auch X selbst nur Schrift-
stücke dieser Epoche an jener Stelle darbot und dass B also
vor Allem die Nummern XXXV (Leo I), XLVII und XL VIII
(Hormisda) und XLIX (Cyrill) aus anderen Quellen entlehnt
hat. Den Schluss der Schriftstücke aus gelasianischer Zeit
bildete n. XLV = Avell. 103 und daran sich anschliessend der
erfolgt ist, spricht eine Reihe von Lesarten in B, die diese Handschrift
abweichend von den übrigen Vertretern derselben Recension mit V ge-
ineinsam hat (vgl. darüber den 2. Theil dieser Abhandlung, wo von den
Recensionen der Gesta die Rede ist). Dieselben wären dann nicht als
Uebertragnngen , sondern als Reste der ursprünglich auch in B vorhan-
denen Recension von V anzusehen.
1 Vgl. Maassen, Gesch. der Quellen, S. 612; in dem Maassen1 sehen Index
S. 521 sind es die Stücke LXXII— LXXV und die nur durch den Irr-
thum eines Abschreibers nicht mit den Nummern LXXVI— LXXV11I
bezeichneten Stücke LXXIX-LXXXI.
' Vgl. Maassen, S. 454; im Index S. 460 f. die Nummern CXXVI-CXXXU.
* Vgl. Maassen, S. 462.
46 V. Abh*ndl*nf: Gftnther.
Brief des Symmachus XL VI = Avell. 104. Hierauf folgten
dann noch die acht apokryphen Briefe an Petrus Fullo.
In dieser Weise haben wir uns die Quelle zu denken, auf
die B und durch Vermittlung von Y auch die AveUana in
den Briefen 51 — 104 zurückgeht. Ich glaube, das Resultat
im Grossen und Ganzen ist sicher, mag man auch im Ein-
zelnen allerlei Zweifel hegen und sich bei manchem vergebens
nach einer Erklärung umsehen. So gestehe ich z. B., dass ich
für die verschiedene Datirung des Symmachusbriefes n. 104
(in V: VIII Id. Oct. post cons. Felicis = 8. October 512; in Bz
III Non. Mari. Probo cons. = 5. März 513) ebensowenig eine
Erklärung habe, wie für die von n. 95 (V: Kai. Febr. (post)
cons. Viatoris, B: III Id. Maias post cons. Viatoris). Sehr
auffallend ist sodann der Umstand, dass in V mitten in die
Reihe der Schriftstücke aus gelasianischer Zeit, wie ich bereits
oben S. 41 bemerkt habe, 12 Schreiben einer viel späteren
Zeit eingeschoben sind. Es sind folgende:
n. 82 Agapetus an Justinian firatulamur venerabüis' (un-
vollständig, dasselbe Stück wie n. 91).
n. 83 Vigilius an Justinian ,Inter innumeras', das so-
genannte Constitutum de tribus capitulis vom
14. Mai 553.
n. 84 Johannes II. an Justinian ,Inter ciaras1 (25. März 534).
n. 85 Die afrikanischen Bischöfe Reparatus etc. an Jo-
hannes fiptimam consuetudinem1 (wohl Mai 535).
n. 86 Agapet an Reparatus etc. }Iamdudum quidem' (9. Sep-
tember 535).
n. 87 Agapet an Reparatus yFraternitatis tuae litteris
indicasti1 (9. September 535).
n. 88 Agapet an Justinian ,Licet de sacerdotii* (15. Oc-
tober 535).
n. 89 Justinian an Agapet yPrima salus est1 (16. März 536).
n. 90 Menas von Constantinopel an Agapet ,Prima salus
est1 (16. März 536).
n. 91 Agapetan Justiniaii ,Gratulamurvenerabilis'(l$.'M.2LTz
536).
n. 92 Vigilius an Justinian }Litteris clementioet (17. Sep-
tember 540).
n. 93 Vigilius an Menas 7Licet universal (VI . September 540).
ÄTellAiut-Stvdien. 47
Dass fUr diese Stücke eine andere Quelle anzunehmen
ist, als für die sie umgebenden n. 56 — 81 und 94 — 104, liegt
auf der Hand. Mit Ausnahme der beiden ersten Stücke sind
sie chronologisch geordnet; auch hat der Sammler sie schwerlich
einzeln zusammengesucht, sondern offenbar schon in dieser Ver-
bindung als ein Ganzes vorgefunden.1 Dass er sie mitten in
die gelasianischen Schriftstücke einschob, dem kann nur irgend
ein Zufall zu Grunde liegen: während er bei der Arbeit sass
und die Briefe des Gelasius abschrieb, muss ihm von irgend
einer anderen Seite her der Fascikel n. 82 — 93 zugekommen
sein and er ihn kurz entschlossen an der Stelle eingeschoben
haben, an der er sich bei seiner Abschreibearbeit gerade be-
fand. Mit dem ganzen Charakter der Avellana als einer rohen
Sammlung neuer Materialien, von dem unten noch ausführlicher
die Rede sein wird, lässt sich diese Thatsache recht gut ver-
einigen.
Noch ein* Wort über die Subscriptio von n. 102; dieselbe
lehrt uns (vgl. oben S. 41), dass das Schriftstück ursprünglich
griechisch abgefasst war und in Rom von Dionysius Exiguus
ins Lateinische übertragen wurde. Die Uebersetzerthätigkeit
des Dionys ist ja bekannt,9 und es liegt also der Gedanke
nicht sehr weit ab, dass auch die Uebersetzung der Briefe an
Petrus Pullo (71 — 78) auf ihn zurückzufahren sei.8 Die Ueber-
setzung sei gemacht, so sagt die Subscriptio von n. 71 propter
1 Die Subscriptio des Domnicus unter n. 98: Flavitu Domnicu» v. c, comes
domesticorum ex conaule ac patricht» ha» scidas a . . papa Vigiüo in causa
fidei facta» ad doninum nostrum Iustinianum . . sed et ad Menam ... re-
legen» conferen» conaentieruque »u»crip*i . . . bezieht sich auf die beiden
vorangehenden Stücke n. 92 und 93. Hervorgehoben zu werden ver-
dient, dass unter den Papstschreiben dieses eingeschobenen Fascikels die
Briefe des Johannes (n. 84) und Vigilius (88, 92, 93) nach Form der Adresse
und Subscription Abschriften der betreffenden Originalausfertigungen sind.
Das emendavi, das im Constitutum de tribus capitulis (p. 318 n) vor der
Subscriptio des Papstes steht, geht auf die Thätigkeit des Papstes selbst;
sonst findet man in demselben Sinne recognovi (vgl. 356 17 recognovi atque
»uscripri und Et manu Felici» papae: recognovi in dem Praeceptüm papae
FeUd» (IV) morienti» im Spicil. Casinense I, 180, Spalte 2, 10).
1 Vgl. z. B. Langen, Gesch. der röm. Kirche II, 339; Amelli im Spici-
legium Casinense I, p. L.
8 Vgl. De Rossi in der Einleitung zum 1. Band der Vaticanischen Palatini
latini, p. LI.
48 V. Abhandlung: Gftnther.
kereticorum insidias (propter hereticos B)y offenbar solcher
haeretici, die auf dem Standpunkt des Petrus Fullo standen,
der dem Trisagion die Worte qui crudfixus es pro nobis ein-
fügen wollte. Diese Frage hängt eng zusammen mit dem grossen
Streit über die Orthodoxie der Formel unus ex trinitate passus,
der, in seinen Anfängen auf Proolus von Constantinopel zurück-
gehend, im 6. Jahrhundert besonders noch zweimal die Ge-
müther lebhaft bewegte, einmal unter Hormisda bei dem Auf-
treten der scythischen Mönche (519), dann unter Johannes II.
im Jahre 534. Ueber die Stellung des Dionysius Exiguus zu
dieser Frage ist man sich nicht einig.1 Doch ist wohl so viel
sicher, dass Dionysius die eutychianische Auffassung des unus
ex trinitate passus nicht billigte und daher auch jene Sub-
scriptio mit ihrer Bezugnahme auf die haeretici wohl von ihm
geschrieben sein konnte. Es ist daher in der That nicht un-
möglich, dass auch die lateinische Uebersetzung der n. 71 — 78
von Dionysius stammt, und dass demgemftss es Dionysius ge-
wesen ist, der etwa um das Jahr 534 die ganze Sammlung X
veranstaltete. . Allein mehr als eine gewisse Möglichkeit kann
diese Hypothese schwerlich für sich in Anspruch nehmen.
6.
Ich wende mich zu dem letzten und zugleich umfang-
reichsten Bestandteile der Avellana, den Briefen 105 — 243,
der Correspondenz des Papstes Hormisda aus den Jahren 514
— 521, die von sehr wenigen Stücken abgesehen nur durch
unsere Sammlung erhalten ist. Ueber die Chronologie dieses
Briefwechsels habe ich in den ,Beiträgen zur Chronologie der
Briefe des Papstes Hormisda' im CXXVI. Bande dieser Sitzungs-
berichte eingehender gehandelt und kann daher, was die Da-
tirung der einzelnen Stücke angeht, auf jene Abhandlung ver-
weisen. Hier interessirt uns vor allem die Quelle, aus der der
Sammler diese Correspondenz genommen hat, sodann aber die
Art und Weise, wie er sie benutzt hat, da dies uns über den
ganzen Charakter unserer Sammlung weiteren Aufschluss gewährt.
Es ist schon früher die Vermuthung ausgesprochen, dass
der Sammler der Avellana einen Theil seines Materials direct
1 Vgl. Amelli, Spicil. Ca». I, p. LI.
▲▼elUna-StndMn. 49
dem päpstlichen Archiv, den scrinia sedis apostolicae, ent-
nommen habe, und in der That lässt sich dies für den Brief-
wechsel des Hormisda mit zweifelloser Sicherheit nachweisen.
Dieser Nachweis wird im Grossen und Ganzen von den Ge-
sichtspunkten ans zu fUhren sein, die von Bresslau in seinem
schon oben erwähnten Aufsatz ,Die Commentarii der römischen
Kaiser und die Registerbücher der Päpste' aufgestellt sind, ob-
wohl er gerade diesen Briefwechsel bei seinen Darlegungen
nicht herangezogen hat.
Zunächst ein paar Worte über die äussere Form der
Briefe. Unter den annähernd 140 Nummern sind gut die
Hälfte Briefe des Hormisda selbst. Von diesen trägt nur einer
eine vollständige Adresse an der Spitze, n. 106: Dilectissimo
fratri Dorotheo Hormisda. Dass sich Hormisda dieser Form
der Anrede in der That bedient hat, zeigen einige seiner
Schreiben, die in die Hispana aufgenommen sind und in deren
Adresse die gleiche Form auftritt; vgl. darüber p. LXXVIH
meiner Prolegomena. Alle übrigen in der Avellana enthaltenen
Briefe des Hormisda geben dagegen die Anrede in verkürzter
Form, und zwar so, dass Hormisda vorangestellt wird und dann
der Name des Empfängers im Dativ folgt, also z. B. 108 Hor-
misda Anastasio Augusto, 120 Hormisda synodo Epiri veteris,
132 Hormisda clero populo et monachis orihodoxis Constan-
tinopoli consistentibus. Mit Recht hat Bresslau diese Verein-
fachung der Adresse als ein Merkmal des Ursprungs aus dem
päpstlichen Register hingestellt. * Dass sie nicht erst auf den
Redactor der Sammlung zurückzuführen ist, ergiebt sich schon
daraus, dass dieselbe Form z. B. auch in den Ueberschriften
der Simpliciusbriefe vorkommt, die, wie oben nachgewiesen,
Avellana und Codex B gemeinsam aus der alten Sammlung X
übernommen haben; vgl. z. B. n. 64 Simplicius episcopus Ze-
noni Augusto. Auch das spricht dafür, dass auch die alte
griechische Uebersetzung von n. 237, die im Jahre 536 auf dem
Concil von Constantinopel verlesen wurde und die nach dem
im päpstlichen Archiv befindlichen lateinischen Original her-
gestellt wurde, die gleiche Form der Ueberschrift trägt: 10q-
ulodag yE7tiq>avuj> iniöAÖTKx) KcDVOTamvovTtöXscjg.1
1 Vgl. darüber unten ö. 57 f.
Sitzugsber. d. phil.-hist. CU CXXXIV. Bd. 5. Abb.
50 ▼• Abteailvaf : Gtather
Bei den Briefen, die an Hormisda gerichtet sind, finden
wir verschiedene Arten der Ueberschriften. Nur in wenigen
(etwa 10) Fällen tritt uns auch hier die gleiche Form der
Kürzung entgegen, so n. 109 Anastasius Augustus Hormisdae
papae, 194 Eufimia Augusta Hormisdae papae; bei einer weit
grösseren Anzahl (etwa 30) ist die Adresse in extenso gegeben
je nach der Art, wie Kaiser, Bischöfe, Concilien zn jener Zeit
den römischen Bischof in ihren Schreiben anzureden pflegten
(vgl. z. B. 105. 136. 139). Eine Verbindung der kurzen Form
mit der ausführlichen haben wir in n. 113: Anasiasius Augustus
senatui urbis Romas , per Theopompum et Severianum vc. cc.
Imperator Caesar Flavius Anastasius pontifex inclitus Grer-
manicus inclitus u. s. w. proconsulibus consulibus praetoribus
tribunis plebis senatui suo salutem dicit. Die vorangestellte
knappe Form des Titels dient hier wie überall dazu, um aus
dem mehr oder weniger grossen Wortschwall der ausführlichen
Adresse das Wesentliche, d. h. Absender und Empfänger, über-
sichtlich herauszuheben. Aehnliche Doppeltitel finden sich übri-
gens in einer grossen Anzahl von Fällen, so bei n. 187 Exem-
plum epistolae Iustiniani. Domino saneto meritis beatissimo et
apostolico domno patri papae Hormisdae Iustinianus. Wie hier
so ist auch sonst in der vorangehenden kurzen fingirten In-
haltsüberschrift der Name des Adressaten häufig ausgelassen,
und zwar auch dann, wenn, wie es öfter vorkommt, die aus-
führliche Adresse neben der kurzen Inhaltsüberschrift über-
haupt fortgelassen ist; so 196 Exemplum epistolae Iustiniani
illustris, 222 Suggestio Dioscori diaconi, beide ohne Hinxu-
fügung von ad Hormisdamf beide ohne jede nachfolgende aus-
führlichere Adresse. Die Form, dass diese Inhaltsüberschrift
mit exemplum oder exemplar beginnt, kommt recht häufig
vor, wenn ich recht gezählt habe, 37 mal (exemplum epistolae,
exemplum relationis, exemplum suggestionis u. a.), jedoch
immer nur bei Stücken, die an Hormisda gerichtet sind, nie
bei solchen, die von ihm ausgehen.1
1 Das trifft auch für 116b zu, den von Hormisda verfassten sogenannten
libellos fidei, denn das hier Torliegende Exemplar desselben ist, wie die
Subscriptio seigt, ein gam bestimmtes, das von einer bestimmten Person
an einem bestimmten Tage dem Papst unterschrieben anrfickgesaudt ist.
ATelUna-Studien. 51
Schon diese Beobachtungen, vor Allem die Auslassung
des Namens des Hormisda in den Ueberschriften solcher Stücke,
die an ihn gerichtet sind, weist uns in die Kanzlei des Hor-
misda als Ausgangspunkt des hier vereinigten Materials. Andere
Umstände bestätigen dies. So werden die päpstlichen Ge-
sandten in den Ueberschriften einige Male kurz als legati nostri
bezeichnet, so bei 158, 221, so auch in n. 192, einem Schreiben
des Justin, das die zurückkehrenden päpstlichen Gesandten nach
Rom bringen. Sodann trägt eine Reihe von Briefen am Schluss
eine Notiz über den Tag des Empfanges (die Nummern 105.
107. 109. 136. 146. 166. 195. 199. 212. 215. 222-225. 230. 232.
233), und zwar sind dies ausschliesslich Schreiben an Hormisda,
die also mit jenem Praesentat nur in der päpstlichen Kanzlei
versehen worden sein können. Eine andere Reihe von Briefen,
und zwar nur von solchen des Papstes selbst sind ihrer Ueber-
schrift zufolge a pari, d. h. in gleicher Ausfertigung an verschie-
dene Personen gerichtet, vgl. 152 Hormisda Celeri et Patricio
a pari, 153 Hormisda praefecto praetorio Thessalonicensi et
ceteris illustribus a pari, 155 Hormisda Theodosio archidiacono
Constantinopolitano et universis catholicis a pari, 157 Hor-
misda Anastasiae et Palmatiae a pari. Der Zusatz a pari (oder
a paribus) in der Ueberschrift eines Briefes konnte selbst-
verständlich in den ausgefertigten Originalen keinen Platz
haben; vielmehr weist auch das Vorkommen dieser Worte
hinter der Adresse von Papstbriefen, wie Bresslau richtig be-
merkt hat, stets darauf hin, dass die betreffenden Abschriften
mittelbar oder unmittelbar auf die päpstlichen Register zurück-
gehen, in denen sie mit diesem Zusatz versehen wurden.1 In
die Kategorie dieser Schreiben a pari gehört übrigens ohne
jeden Zweifel auch n. 171, überschrieben Hormisda Iohanni
episcopo Constantinopolitano et Dioscoro diacono. Ueber die
verschiedenen Versuche der früheren Herausgeber, diesem Titel
Gewalt anzuthun, habe ich ,Beiträge' p. 32 ff. gesprochen; allein
wenn ich ebendort dafür eintrat, dass der Brief in der That
an beide genannten Adressaten gerichtet sei, so muss das in
der Weise eingeschränkt werden, dass nicht ein und dasselbe
1 Gleichbedeutend mit a pari ist der Ausdruck epiHda uniformu, den wir
im ersten Theil der Avellana antrafen (vgl. oben S. 14, Anm. 1).
4»
52 V. Abtaadlvng: GttntW.
Exemplar bestimmt war, an Beide zu gehen, sondern sowohl
Johannes wie Dioscorus eine besondere Aasfertigung dieses
Schreibens erhielt. Das wird ganz sicher bewiesen durch die
Lesart p. 6283 ff.: quod quam acerbe fert animus noster, etiam
fraternitatem dilectionem tuam credimus aertimare, wo
eine jüngere Handschrift mit Unrecht zwischen fraternitatem
und dilectionem ein et eingeschoben hat. Es stehen hier eben
die beiden Anreden unverbunden nebeneinander, von denen
die Ausfertigung an Johannes nur fraternitatem tuam} die an
Dioscorus nur dilectionem tuam aufwies, und wir würden nach
heutiger Gepflogenheit die Worte am besten folgendennassen
, , ^. (fraternitatem} .
drucken: etiam [Jdüeeti4mem J «««m.
So führt uns die Betrachtung sowohl der an Hormisda
gerichteten wie der von ihm verfassten Schriftstücke in die
päpstliche Kanzlei als an denjenigen Ort, von dem die in der
Avellana vereinigte Correspondenz dieses Papstes ausgegangen
ist. Aus dieser Thatsache, und zwar nur aus dieser, lassen
sich auch einige andere Eigentümlichkeiten, die verschiedenen
dieser Briefe anhaften, auf das Leichteste erklären. Auf die
Instruction n. 116, die der Papst im August des Jahres 515
seinem Gesandten Ennodius und Genossen nach Constantinopel
mitgicht, folgt n. 116*, überschrieben Item capitula singularum
cauHarum. Ich habe schon in meiner Ausgabe darauf hin-
gewiesen, dass die unter diesem Titel folgenden Darlegungen
keineswegs ebenfalls an die Gesandten gerichtet sind; vielmehr
wird von diesen in dritter Person gesprochen, vgl. 52020 Prae-
ter e,a quae legatis inter reliqua iniunximus. Dieser Umstand
verbunden mit dem ganzen nach Form1 und Inhalt skizzen-
1 Da« ernte Capitulum beginnt mit einem selbständigen ttf-Satz: Ut taneta
trynodu* Caletdonensia et epistolae saneti papae Leonis serverdur ,Es sollen
die Öynodo von C. und die Briefe Leos anerkannt werden', an den sich
dann in salopper Weise ein Hauptsatz anschliesst atque dementisrimu* im-
perator coiutentiens debet pietati* suae »acra generalia ad wnversos epi-
*copo9 destinare u. s. w. Das zweite Capitulum (§. 2) wird durch einen
in der Luft schwebenden Accusativus cum infinitivo eingeleitet: In exUium
deportatos . . revocandos] dem dritten (§. 3) fehlt gar jede concinne Form:
Praeterea quae legatis inter reliqua iniunximus: ut « u. 8. w. , Ausserdem
noch das, was ich den Gesandten beiher aufgetragen habe: ob soll,
wenn . . .'.
Avell&na-Studien. 53
haften Charakter dieser Ausführungen macht es sicher, dass
wir es hier mit einem Schriftstück zu thun haben, das über-
haupt nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt war, sondern das
der Papst nur zu eigenem Gebrauch dictirte, um die wesent-
lichen Punkte, auf die es bei der Gesandtschaft ankam, in
knapper Form vor Augen zu haben. Man vergleiche ferner
die Briefe 173 und 175 mit einander. Beide sind überschrieben
Hormi&da Dioscoro diacono, beide stimmen nicht nur in den
Anfangsworten, sondern überhaupt in den meisten Partien so
gut wie wörtlich überein. Was sie unterscheidet, ist einmal
der Umstand, dass sich in 173 eine Anweisung findet über
die Behandlung derer, die auch schriftlich die Beschlüsse von
Chalcedon verdammt haben (§. 1), und dass diese Anweisung
in 175 fehlt; statt dessen hat in 175 ein längerer Passus Auf-
nahme gefunden, in dem Hormisda dem Dioscorus als Be-
lohnung für seine treuen Dienste eine Beförderung in Aussicht
stellt. Dass beide Briefe mit ihrem im Uebrigen völlig gleichen
Wortlaut in der That an Dioscorus abgegangen sind, ist un-
denkbar; man wird vielmehr annehmen müssen, dass wir in 173
nur den Entwurf eines Schreibens vor uns haben, das aus irgend
welchen Gründen dann nicht in dieser, sondern in der leicht
veränderten Form 175 abgesandt ist. Bestätigt wird diese
Annahme durch den Umstand, dass n. 175 am Schluss ein
vollständiges Datum trägt, n. 173 nur das Wort Data ohne
Ausfüllung des Tages.
Als charakteristisch für den Ursprang der Hormisdabriefe
aus den päpstlichen Registern betrachte ich auch die Hinzu-
fugung der Namen der Ueberbringer bei manchen dieser Briefe.
Von den 27 Schreiben, die eine solche Notiz tragen, geben 5
den Namen des Boten am Schluss,1 und zwar n. 108 nach
dem Datum, n. 107 und 136 an die Acceptnotiz angefügt,
n. 105 und 166 in die Acceptnotiz eingeschaltet. In den übrigen
22 Nummern (110—115. 11?. 118. 120—127. 144. 149. 167.
191. 192. 230) steht der Vermerk nicht am Schluss, sondern
1 Die päpstliche Kanzlei hat hier, wie fast Überall, den Kanzleigebrauch
der Staatsbehörden übernommen; eine Botenbezeichnnng am Schluss des
Briefes zeigt z. B. in dem ersten Theil der Avellana n. 18 (Data XVIII
Kai. Feb. per Aptkonium) , wo dieselbe in der Kanzlei des Stadtpräf ecten
hinzugefügt ist
54 V Abkaadlanf: Günther.
zu Anfang des Briefes, und zwar stets hinter der gekürzten
Adresse , also z. B. 110 Hormisda Anastasio Augusto. Per
Severianum, 230 Exemplum relationis PoBsessoris episcopi Afri.
Per Iustinum diaconum eins. Dass diese Botennotizen nicht
von dem Absender herrühren, liegt ja schon deswegen auf
der Handy weil sie stets nur an die fingirten Kurztitel an-
geschlossen sind; dass sie nicht von dem Sammler aus dem
Inhalt der Briefe erschlossen und zugesetzt sind, zeigen die
Angaben bei 123 per Iohannem diaconum eins und 191 per
fratrem Proemptoris, denn beide Namen kommen im Text der
Briefe selbst nicht vor. Also sind auch diese Notizen Zusätze
der päpstlichen Kanzlei.1 Zu erwähnen ist noch, dass diese
Botenbezeichnungen in V zwar auch von erster Hand, aber
doch in kleinerer, von dem übrigen Ductus abweichender Schrift
geschrieben sind, und ferner, dass sie oft entweder ganz oder
doch theilweise auf dem Rande der Handschrift stehen. Das
Letztere scheint auch schon in einem älteren Archetypus von V
der Fall gewesen zu sein, denn hieraus wäre es leicht zu er-
klären, dass die Botenbezeichnung, die hinter die Ueberschrift
von n. 123 gehört, in unserem Vaticanus fälschlich hinter die
letzten Worte von n. 122, und demgemäss die Notiz, die einst
hinter der Ueberschrift von n. 124 stand, hinter das Datum
von n. 123 gerathen ist.2
Noch ein weiteres Merkmal für den Ursprung aus der
päpstlichen Kanzlei: es ist das der Umstand, dass manche
Ueberschriften oder Daten nicht völlig ausgeführt sind, sondern,
um zu kürzen, auf andere vorangegangene Bezug nehmen. So
ist z. B. n. 220 überschrieben Hormisda quibus supra, d. h.
1 Wir haben demnach auch die Leobriefe 51 and 62 (am 8chlnsa: Per
Füoxenum agentem in rebus) und mit ihnen natürlich auch 53 — 66 mittel-
bar oder unmittelbar auf das päpstliche Register zurückzuführen , wofür
überdies die bekannte Kurzform der Ueberschrift spricht (vgl. z. B. 51 : Leo
episcopus Leoni Augusto), Ebenso ist das papstliche Register als letzte
Quelle anzunehmen für die Simpliciusbriefe 56—69, die dieselbe kurze
Form der Ueberschrift zeigen und von denen wenigstens ein Theil
(62 — 66 und 68) auch die Botenbezeichnung zu Anfang oder am Schluss
in V oder B oder in beiden Handschriften aufweist (n. 60 auch in dem
von mir für diesen einen Brief herangezogenen Miscellancodex Vatic.
lat. 1844, saec. X).
9 Vgl. meine »Beitrage1 8. 12 f.
ATell*n*-Stndien. 55
den in der Ueberschrift von n. 219 genannten päpstlichen Ge-
sandten Germanus Johannes u. s. w.; ebenso n. 221 Hormisda
legatis nostris quibus supra f n. 228 Hormisda quibus supra.
Noch häufiger ist die gleiche Erscheinung in den Daten, so
n. 221 Data eodem die, 172 Data (die) quo supra consule
supra scripta. Allein diese Ruckweise beziehen sich keineswegs
immer auf das Datum desjenigen Briefes, der in der Avellana
gerade unmittelbar vorangeht. So steht am Ende von n. 128
Data ut supra: der Brief ist vom 3. April, der vorhergehende
n. 127 dagegen vom 12. April 517. 1 Solche Fälle sind sehr
bezeichnend: sie beweisen einmal, dass jene Ausdrucksweise
nicht etwa auf die Bequemlichkeit des Redactors der Samm-
lung zurückzuführen ißt, sondern sich bereits in seiner Quelle,
den päpstlichen Registern, vorfand; sodann aber, dass die
Reihenfolge der Briefe in diesen vielfach eine andere war, als
sie uns heute in der Avellana entgegentritt.
Wie diese päpstlichen Briefregister ausgesehen haben,
darüber kann heute, meine ich, kaum noch ein Zweifel be-
stehen:* es waren richtige Copialbücher. Nur bei der Annahme
von Buchform findet das in den soeben genannten Notizen vor-
kommende supra seine Erklärung. Dabei ist natürlich nicht
ausgeschlossen, dass nebenher auch noch die Originale der ein-
gelaufenen Schreiben wenigstens theilweise aufbewahrt werden
1 Ebenso ist es mit folgenden Fällen: n. 171 (nach dem 8. December 519)
Data (die) quo supra: n. 170 vom 9. Juli 619; n. 174 (9. Juli 519)
Data die quo (supra): n. 173 ein nicht abgesandter Entwurf zu n. 175
(3. December 619); n. 175 (3. December 519) Data die (quo) supra:
n. 174 vom 9. Juli 619; n. 176 (9. Jnli 519) Data die quo (supra): n. 176
vom 3. December 519; n. 216 (empfangen am 19. Juni 619) Accepta
die quo supra: n. 214 ist sicher etwa vier Wochen vor dem 19. Juni in Rom
eingetroffen. — Ich bemerke beiläufig, dass im Vaticanus V die Subscription
die quo supra durchweg abgekürzt mit d (oder di) ? /wiedergegeben ist und
dass von diesen drei Buchstaben durch Schuld des Abschreibers fast jedes-
mal einer ausgelassen ist. Doch kann an der Richtigkeit der Ergänzung
kein Zweifel sein; am Ende von n. 216 ist das die qf vollständig erhalten.
9 Ausser Bresslau's oben citirter Abhandlung ist besonders De Rossi's Ein-
leitung zum 1. Band des Katalogs der vaticanischen Palatini latini zu
vergleichen. Die späteren Untersuchungen Ewald's und Pflugk-Harttung's
Über die päpstlichen Register betreffen durchweg eine jüngere Zeit, und
man muss sich hüten, schon Einrichtungen des Registers von Gregor I.
ohneweiteres auf die ältere Zeit zu übertragen.
56 ▼• Abhandlung: Günther.
mochten. Was die Schriftstücke der Päpste selbst angeht,
so kann man darüber zweifeln, ob es die Concepte waren, die
in die Register eingetragen wurden, oder Abschriften der aus-
gefertigten Originalbriefe. Im Allgemeinen hat man das erstere
angenommen, und gewiss mit Recht. Schon das Fehlen der
ausführlichen Anrede sowie der gewöhnlichen eigenhändigen
Subscription des Papstes: Dens te incolumem custodiat frater
carissime, spricht dafür, obgleich dieser Umstand allein nicht
durchschlagend ist, denn beides könnte ja von dem päpstlichen
Notar beim Copiren stets mit Absicht abgeändert, beziehungs-
weise fortgelassen sein. Wichtiger ist der Umstand, dasB manche
von den Schriftstücken des Hormisda, wie wir gesehen haben,
offenbar niemals über den Zustand des Concepte hinausge-
kommen, d. h. in Wahrheit nie verschickt sind. Nicht un-
wichtig ist in dieser Beziehung auch Brief 231, ein Schreiben
des Hormisda an den Bischof Possessor. Wir haben für dies
Stück eine Parallelüberlieferung zur Avellana, da der Brief
auch unter den Schriften des Johannes Maxentius erhalten ist
(vgl. darüber p. LXXXVH meiner Prolegomena). Diese Parallel-
überlieferung weicht von der Avellana nun nicht allein darin ab,
dass sie die ausführliche Anrede und die päpstliche Subscription
Dens te incolumem etc. aufweist, sondern auch in einzelnen
Lesarten innerhalb des Textes. So liest die Avellana 699 3 ff.:
haec ideo dilectioni vestrae indicanda mb occasione credidimus,
ne, 8i illuc fuerint forte delati, ignorantes, quemadmodum se
in Romana urbe tractaverint, sub aliqua verborum simulatione
deciperent; die Parallelüberlieferung hat statt deciperent da-
gegen posßint aliquos decipere. Beide Lesarten sind gut, und
es ist nicht einzusehen, wie durch Verschulden von Abschreibern
die eine aus der anderen hätte entstanden sein sollen. Die
Avellana gibt uns hier vielmehr die Worte des Concepts, die
Parallelüberlieferung bei Maxentius die leicht abgeänderten des
Originals. Wir werden also, wie es von anderer Seite für die
Registerbücher späterer Päpste wiederholt nachgewiesen ist, so
auch für das Register des Hormisda den Grundsatz aufstellen
können, dass es bei seinen eigenen Briefen im Wesentlichen
die Concepte waren, die in sie eingetragen wurden. Als Ab-
schrift einer päpstlichen Originalausfertigung ist mit einiger
Sicherheit nur n. 239 anzusehen, wo am Ende die Worte
AYellana-ßtudien. 57
stehen ET MANU PAPAE: Suseepimus calicem aureum gem-
matum . . . et vela duo . . . a caritate tua direeta, denn dass
der Papst diese Empfangsbestätigung eigenhändig bereits dem
Concept angefügt haben sollte, ist kaum glaublich.
Wie vorsichtig man übrigens darin sein muss, aus der
Vollständigkeit der Adresse und dem Vorhandensein der päpst-
lichen Schlusssubscription für ein Schriftstück folgern zu wollen,
es sei Abschrift der Originalausfertigung , dafür bietet gerade
die Avellana oder vielmehr ihre Parallelüberlieferung zwei lehr*
reiche Beispiele. Auf das eine habe ich bereits in den Prole-
gomena meiner Ausgabe hingewiesen (p. LXXVTUff.). Die
Briefe 159 des Johannes von Constantinopel, 160 des Justin,
236 und 237 des Hormisda sind auch in der Hispana über-
liefert, und zwar sind sie, wie wir aus anderen Schreiben des
Hormisda wissen, nach Spanien gekommen in Abschriften, die
der Papst selbst dorthin sandte. Dass diese Abschriften nicht
von den Originalen genommen sind, sondern von dem Text
der Copialbücher, ist an und für sich wahrscheinlich und wird
ausserdem dadurch bewiesen, dass Avellana und Hispana einige
Corruptelen gemeinsam haben, die auf den mit Uebertragung
der Schriftstücke in das Copialbuch betrauten päpstlichen Notar
zurückgehen. Trotzdem zeigt, während V in n. 236 und 237 die
bekannte dem Register eigentümliche Kurzform der Adresse
giebt, die Hispana in beiden Fällen die ausführliche Anrede
(vgl. Proleg. p. LXXVII). Auffallen kann dies nicht; sollte näm-
lich von den im Copialbuch eingetragenen Concepten später
irgendwie amtlich Gebrauch gemacht werden, so lag es auf
der Hand, dass man in den Abschriften dieser Concepte alles
das, was speeifische Eigentümlichkeit des Copialbuches war,
beseitigte und daher auch statt der nur der Bequemlichkeit
entsprungenen Kurzform der Anrede die thatsächliche officielle
Form der Adresse substituirte. Das andere Beispiel zeigt uns
die griechische Uebersetzung der beiden Briefe des Hormisda
n. 140 an die Geistlichkeit von Syria seeunda und 237 an Epi-
phanius von Constantinopel. Diese Briefe wurden im Jahre 536
in Constantinopel auf der Synode gegen Anthimus verlesen,
und zwar verlas zuerst Menas, der csxovvdoxrjQiog voxaquav xov
änooTofaxov $Qdvov den lateinischen Text 'ix xtav TtaQ* afooTg
ÜMuir, sodann der voxdqiog nai oyxQrjTdQiog Christophoros die
58 V. Abhandlung: G tut her.
griechische Uebersetzung, welche dann in die Acten der Synode
aufgenommen ist (Mansi VIII, 1022 ff.). Dass den päpstlichen
Beamten damals in Byzanz nicht die Originalausfertigungen
der beiden Briefe zur Verfügung standen, liegt auf der Hand;
die naq ctitolg äitra waren sicher nichts als ein Auszug aus
dem Copialbuch. Vergleichen wir aber den griechischen Text
mit dem lateinischen der Avellana, so sehen wir, dass nicht nur
in der Ueberschrift von n. 140 die Kurzform Hormisda pres-
byteris diaconibus et archimandritis secundae Syriae in der
griechischen Uebersetzung durch eine vollständige Anrede er-
setzt ist fOQuiodag initrxonog itQsoßvt€QOtg Sianuivoig xai dggt-
fiavÖQiTaig xolg h devriqcjc 2vqlq oioi xai komoZg ÖQdvd6^oig h
oupörptors dvarokuujfr xkiyuni diayovoi xai i* rfj tfjg ä7too%oXauj$
xa&iÖQag xotvcovia diafibovaiv) ,l sondern dass auch, um die
Fiction, die Uebersetzung sei nach der Originalausfertigung
gemacht, in jeder Beziehung aufrecht zu erhalten, vor dein
Datum die päpstliche Subscriptio eingefügt ist: KAI ETEPAl
XEIPI ' lO &8ÖQ i>(iäg bytabortag duxqwld^ai, rixva <fyani]tä.
Aehnlich ist es bei dem zweiten zur Verlesung gekommenen
Stück, bei n. 237 ; auch hier giebt die Uebersetzung am Schluss
die Subscriptio des Papstes: KAI AAAHl XEIPI • lO &eög oe
byifj diacpvkaTTOi , ddekpi rifudnars, während man die Kurz-
form der Adresse 'OQpiodag 'Ertupavup iiziax67tq> Ksavaxavxivov-
ndXswg in diesem Falle beibehalten hat.
Die Copialbücher, um auf diese zurückzukommen, ent-
hielten also Abschriften der beim päpstlichen Stuhle eingelau-
fenen Originalschreiben und Abschriften der päpstlichen Con-
cepte, in selteneren Fällen der päpstlichen Originale. Daraus,
dass unter Bonifatius IL einmal von ecclesiastici annale* die
Rede ist, hat man schliessen wollen, dass für jedes Jahr ein
besonderer Tomus angelegt gewesen sei. Ich halte das für die
Zeit des Hormisda nicht gerade für wahrscheinlich, da wohJ
sonst schwerlich in der Avellana so häufig ein Hinundher-
1 Den Zusatz xai loinotg . . . iutfiivovaiv halte ich für eine willkürliche
Erweiterung der Uebersetzer. Die Adresse der Originalausfertigung wird
einfach gelautet haben Büectissimis fratribus presbyteri* diaconibus et
archxmandriUt per secundam Syriern eonatUuUs Hormiada episcopu* (vgl.
die Originalbriefe des Hormisda in der Hispana n. 24—26. 142. 143
bei Thiel).
ATelUuM-Stadien. 59
springen von einem Jahr zum anderen vorkommen würde, wie
es thatsächlich vorkommt.1 De Rossi hat ferner die Ansicht
aasgesprochen und die Anderen sind ihm darin gefolgt, dass in
den Bänden die einzelnen Stücke nnmerirt gewesen wären.
Aach hierfür fehlt, soweit ich sehe, jeder Anhaltspunkt: die
Schriftstücke, auf die De Rossi seinen Schluss gründete, sind
die Zosimushriefe, von deren Numerirung oben S. 22 die Rede
gewesen ist; allein wir haben gesehen, dass diese überhaupt
nicht ans den päpstlichen Registern stammen und die Zahlen
dort auf eine ganz andere Quelle zurückgehen. Innerhalb
der Copialbücher wird naturgemäße eine chronologische Folge
der Schriftstücke stattgehabt haben, d. h. chronologisch inso-
weit, als sie eingetragen wurden nach den Tagen, an denen
sie in Rom entweder concipirt, beziehungsweise abgesandt
wurden oder dort von auswärts einliefen. Ein Schreiben des
Justin vom 2. März 519, um einen Fall zu fingiren, wird also
nicht seine Stelle unmittelbar hinter einem Briefe des Uormisda
vom 1. März desselben Jahres erhalten haben, sondern, wenn
es am 15. April einlief, eben unter den Schriftstücken des
15. April in den Tomus eingetragen sein.
Der Collector unserer Sammlung hat diese in der Natur
des Copialbuches liegende Reihenfolge zum grossen Theil bei-
behalten ; die an Hormisda gerichteten Briefe stehen durchweg
nicht an der Stelle, an die sie dem Tage ihrer Absendung
nach hingehörten, sondern an der, die durch das Datum des
Einlaufes gegeben wird. Manche Reihen des Briefwechsels
bringen in dieser Beziehung die chronologische Folge ziemlich
tadellos zum Ausdruck. Allein es kommen doch sehr viel Ab-
weichungen vor, wie jeder selbst sehen kann, der sich einmal
1 Ein anderes dürfte vielleicht zu erwägen sein. Ich halte es nicht für
wahrscheinlich, dass in älterer Zeit die gesammte Correspondenz des
Papstes in ein und dasselbe Copialbuch eingetragen ist, sondern glaube,
dass es deren mehrere gegeben hat, die nach dem Inhalt und ganzen
Charakter der Briefe von einander gesondert waren. Ich denke in dieser
Beziehung besonders an die Briefe Qelasius' I., die uns in der Collectio
Britannica erhalten sind und die, direct oder indirect, sicher auf das
Register des Gelasius zurückgehen. Alle diese Briefe tragen einen, ich
mochte sagen internen Charakter und haben mit der grossen Politik
nichts zu thun.
60 V. Abhandlung: Günther.
an der Hand der von mir, Beiträge, S. 45 ff., gegebenen Tabelle
eine andere aufstellt, in der er die Reihenfolge der AveU&na
beibehält und darin jeden Brief des Hormisda mit dem über-
lieferten oder durch Vermuthung erschlossenen Abgangsdatum,
die Briefe an Hormisda dagegen in gleicher Weise mit dem
Einlaufsdatum versieht. Im Grossen und Ganzen betrachtet,
steigen in einer solchen Tabelle die Daten richtig von März
515 bis etwa in den Juni 521 herunter, allein es kommen
nicht nur innerhalb eines und desselben Jahres manche Ver-
schiebungen vor, sondern auch grössere, durch welche Briefe
verschiedener Jahre stark durcheinander gewürfelt werden.
Kleinere Abweichungen von der zeitlichen Reihenfolge mögen
ja auch in dem Copialbuch stattgefunden haben, besonders in
Folge verspäteter Eintragung; die grösseren jedoch werden
wir nicht dem Copialbuch, sondern dem Collector unserer Samm-
lung zur Last legen müssen.
Wie ist dies zu erklären ? Vor Allem jedenfalls dadurch,
dass der Collector offenbar nicht die Absicht hatte, Alles auf-
zunehmen, was das Register ihm darbot. Denn sonst wäre
schwer ein Grund ausfindig zu machen, warum er von der ihm
vorliegenden Ordnung abgewichen sein sollte. Dass es aber
wirklich eine grosse Reihe von Briefen an und von Hormisda
gegeben hat, die wir nicht mehr besitzen, dafür habe ich in
den ,Beiträgen' hinreichend Beweise gegeben, und selbstver-
ständlich ist, dass diese ebenso gut in dem Register standen
wie die uns erhaltenen. Der Collector wählte also aus, und
zwar vor Allem wohl auf Grund der grösseren oder geringeren
Bedeutung, die er dem Inhalt der einzelnen Schriftstücke bei-
mass. Dass bei einem solchen, ich möchte sagen springenden
Verfahren die chronologische Reihenfolge dann oft und stark
durchbrochen wurde, kann nicht gross Wunder nehmen. So
ist es denn auch zu erklären, dass ein Brief, der mit seinein
Data die quo supra im Register selbst sich in richtiger Weise
auf den vorangehenden bezog, in der Avellana heute isolirt
dasteht, indem der, welcher vor ihm stand, entweder über-
haupt nicht oder doch an anderer Stelle aufgenommen wurde.
Ein recht bezeichnendes Beispiel für diese Thätigkeit des
Collectors, die darin besteht, dass er nicht der Reihe nach ab-
schreibt, was ihm vorliegt, sondern das Copialbuch durchblättert
AYellana-Stodien. 61
und bald von dieser, bald von jener Stelle nimmt, was er sucht
oder was ihm des Nehmens werth erscheint, ein recht bezeich-
nendes Beispiel hiefür, sage ich, bietet uns n. 116b. n. 116
ist ein sogenannter Indiculus — Instruction würden wir sagen
— ftir die päpstlichen Gesandten Ennodius, Fortunatus, Venan-
tiuß, Vitalis und Hilarus, die mit einer vom 11. August 515
datirten Sendung von Schreiben des Hormisda nach Constan-
tinopel abgehen, um den Frieden mit Kaiser Anastasius wieder-
herzustellen. Ueber ihr Verhalten den orientalischen Bischöfen
gegenüber giebt der Papst ihnen unter Anderem folgende An-
weisung (§ 23): Si cum dei adiutorio episcopi uoluerint se
adcommodare sedi apostolicae, habetis textum libelli ex scrinio
ecclesiae editum, iuxta quem debeant prqfiteri. Der hier er-
wähnte libellus ist das bekannte in der Correspondenz des
Hormisda so oft auftretende Schriftstück, das mit den Worten
beginnt: Prima salus est rectae fidei regulam custodire. Die
Unterzeichnung dieser Erklärung ist es ja, die Hormisda von
den orientalischen Bischöfen wieder und wieder verlangt und
zur hauptsächlichsten Vorbedingung der Versöhnung macht.
Auf n. 116 folgen dann zunächst in 116* die Capitula singu-
larum causarum, von denen oben S. 52 die Rede gewesen ist;
auch in ihnen bezieht sich der Papst auf den Libellus, den er
den Gesandten mitgegeben hat (p. 520 12 secundum textum li-
belli, quem per notarios nostros edidimus). Hieran schliesst
sich in n. 116b unter der Ueberschrift Exemplum libelli per
Ennodium et Fortunatum episcopos Venantium presbyterum
Vitalem diaconum et Hilarum notarium der Text jener Glau-
bensformel. An und für sich möchte man nun annehmen, dass
dies Schriftstück an der Stelle, die es in der Avellana ein-
nimmt, auch in dem Copialbuch eingereiht gewesen wäre;
würde es doch dem ganzen Zusammenhang nach durchaus
dorthin gepasst haben. Allein dem ist nicht so. Der Schluss
von n. 116b lautet folgendermassen : harte autem professionem
meam manu propria subscripsi et tibi Hormisdae saneto et ve-
nerabili papae urbis Romae obtuli die XV. Kai. April. Agapito
v. c. cons. Das Schriftstück, das uns hier vorliegt, ist also
nicht etwa ein einfaches Formular, wie es die Gesandten mit
sich nahmen und wie es daher allenfalls an dieser Stelle im
Copialbuch hätte aufgenommen werden können, sondern ein
62 ▼. Abhärtung: Gtntber.
ganz bestimmtes Exemplar, das von irgend Jemand die XV
Kai. April. Agapito cons., d. h. am 18. März 517 ausgefertigt
nnd dann dem Papst wieder zugestellt ist. Diese Ausfertigung
hat natürlich in dem Copialbuch nicht an dieser Stelle nach
116* gestanden, sondern viel später, nämlich dort, wohin sie
nach der Zeit ihres Einlaufens in Rom gehörte. Der Sammler
hat also, da er an dieser Stelle im Copialbuch den Text des
libellu8, auf den n. 116 und 116» Bezug nehmen, nicht vor-
fand, ihn aber doch aus sachlichen Gründen hier erwartete
und wünschte, in dem Copialbuch weiter geblättert, bis er
unter den eingelaufenen Schreiben etwa des April 517 das,
was er suchte, vorfand, und hat dann eine Abschrift hiervon
unter Beibehaltung des Datums an die Capitula singidarum
causarum angehängt. Für die Ueberschrift von 116b ergiebt
sich hieraus, dass zum Mindesten die Worte per Ennodium . . .
et Hilarum notarium hier nicht aus der Quelle herübergenommen
sind, da Ennodius in Begleitung der übrigen hier genannten
Fortunatus, Venantius, Vitalis und Hilarus nur einmal im Orient
war, Herbst bis Winter 515. Die Botenbezeichnung stammt
hier vielmehr von dem Collector, der an dieser Stelle nichts
als das Formular zu geben beabsichtigte, das Ennodius und
Genossen im August 515 mit sich nahmen, und daher an die
Worte Exemplum libelli, die er an jener späteren Stelle des
Copialbuches als Anfang der Ueberschrift dieses Stückes ge-
funden haben mochte, dieselbe Botenbezeichnung per Ennodium
et Fortunatum etc. anschloss, die ihm seine Quelle kurz vorher
in dem Titel von n. 116 selbst darbot.
Dem auswählenden Verfahren des Collectors wird man
an dieser Stelle — abgesehen von dem irrthümlich beibehal-
tenen späteren Datum — seine Zustimmung nicht versagen
können. An anderen Stellen ist er offenbar mit weniger Be-
dacht verfahren und hat sich rein vom Zufall leiten lassen, so
dass sich heute Gründe dafür, warum dieser oder jener Brief
von seiner durch die Chronologie gebotenen Stelle entfernt ist
und nun an einem ganz anderen Orte erscheint, kaum an-
führen lassen.
Ausser durch die grössere oder geringere Wichtigkeit der
einzelnen Stücke hat sich der Collector in seinem Verfahren
zum Mindesten in einem Falle noch durch eine andere Rück-
ATftllana -Stadien. 63
sieht bestimmen lassen: er hat Schriftstücke fortgelassen, weil
eine Abschrift davon bereits in seinem Besitz war. Wir werden
zu dieser Erkenntniss geführt durch eine Notiz, die in der
AveUana zwischen n. 240 und 241 überliefert ist. n. 240 ist,
ebenso wie die vorangehenden n. 236 — 239, ein Brief des Hor-
misda vom 26. März 521 in Sachen der nach Rom gekommenen
kaiserlichen Gesandtschaft des Johannes von Claudiopolis und
Genossen; n. 241, ein Schreiben des Justin vom 1. Mai des-
selben Jahres, betrifft, ebenso wie das folgende Stück n. 242,
die Abdankung des Bischofs Paulus von Antiochien. Zwischen
beiden findet sich nun in V von erster Hand die Notiz: Gesta
in causa Abundantii episcapi Traia(no)politani in scrinio ha-
bemus. Dieser Abundantius von Trajanopolis ist uns, von dieser
Stelle abgesehen, nicht einmal dem Namen nach bekannt. Mit
dem Inhalt von n. 240 hat diese Notiz ebenso wenig etwas zu
thun,1 wie mit dem von 241. Wie ist sie also zu erklären?
An und fllr sich sind zwei Möglichkeiten denkbar: entweder
haben die Worte bereits in der Quelle der Avellana gestanden,
d. h. in dem Copialbuch, oder aber sie rühren erst von dem
Collector selbst her. Im ersten Falle würden wir annehmen
müssen, dass der päpstliche Notar eigentlich beabsichtigte, an
dieser Stelle des Copialbuches die Gesta in causa Abundantii
einzureihen, jedoch aus praktischen Gründen davon abstand
and sich damit begnügte, durch jene Notiz auf die Stelle zu
verweisen, wo sie zu finden wären, auf das scrinium. Gegen
diese Erklärung der Worte spricht aber, wie mir scheint, ein
so schwerwiegender Grund, dass sie kaum die richtige sein
dürfte. Denn wenn die Gesta in causa Abundantii sich in
scrinio befanden, so war die übrige Correspondenz des Hör-
misda, die die Avellana uns erhalten hat, d. h. das von ihr
benutzte Copialbuch nicht in scrinio sedis apostolicae. Aber
wo soll das Copialbuch sonst gewesen sein? Man könnte an
einen Gegensatz von päpstlichem Archiv (scrinium) und päpst-
licher Bibliothek denken, allein dafür fehlt in dieser älteren
Zeit jeder Anhalt. Die Ansicht, dass auch die Copialbücher
einen Theil des scrinium gebildet haben , ist kaum abzuweisen
1 Mit Unrecht bezeichnet sie also Bresslau, Urkundeulehre I 122, Anm. 3
als »Nachschrift* zu dem vorhergehenden Stücke.
64 ▼. Abhandlung : G fi n t h e r.
und wird auch, so viel ich sehe, von allen Forschern ausge-
sprochen.1 Wir werden uns demnach für die zweite Möglich-
keit zu entscheiden haben, dass nämlich jene Notiz über die
Gesta in causa Abundantii erst von dem Collector herrührt.
Die Ballerini und Maassen sind gleichfalls dieser Ansicht ge-
wesen; vgl. die ersteren in der App. ad S. Leonis opera
S. CLVIII und Maassen, Gesch. d. Q. 791 f., sowie Sitzungsber.
1877, S. 250. Freilich geht mir aus den Worten sowohl der
Ballerini wie auch Maassen's nicht mit völliger Sicherheit her-
vor, ob sie das in der Notiz erwähnte scrinium ebenso auffassen,
wie ich es für das allein richtige halte; beide scheinen mir
nämlich der Ansicht zu sein, als ob auch hier unter dem scri-
nium das päpstliche Archiv verstanden werden müsse. Von
dieser Auffassung aus vermag ich die Worte überhaupt nicht
zu erklären; denn warum sollte der Sammler die Gesta nur
aus dem Grunde weggelassen haben, weil sie sich im päpst-
lichen Archiv befanden? Dann hätte er ja auch die übrige
Correspondenz des Hormisda nicht ihrem Tenor nach der
Sammlung einzuverleiben, sondern ebenfalls nur zu registriren
brauchen. Ich meine daher, das scrinium jener Notiz ist nicht
das päpstliche, sondern das Privatarchiv des Sammlers. Als
dieser im Copialbuch an jener Stelle zwischen n. 240 und 241
auf die Gesta in causa Abundantii stiess, erinnerte er sich,
dass er eine Abschrift davon bereits zu Hause hatte, nahm sie
daher nicht auf, sondern registrirte einfach ,die Schriftstücke in
Sachen des Abundantius habe ich schon in meiner Bibliothek'.
Wenn wir die Worte so erklären — und ich glaube, wie
gesagt, sie lassen keine andere Erklärung zu — , so tragen sie
nicht wenig dazu bei, uns die Thätigkeit unseres Sammlers in
ihrem eigensten Lichte erscheinen zu lassen: er schreibt nicht
etwa ab, was ihm gerade vorkommt, sondern sucht nach neuem,
1 Einige Stellen über die Erwähnung des scrinium sedis apostolicae im
5. und 6. Jahrhundert siehe bei Bresslau, Urkundenlehre 122. Hinzuzu-
fügen aus der Zeit des Hormisda wäre etwa noch Thiel I, S. 787 nnd
793, wo Hormisda an spanische Bischöfe de ecderiae scriniis Abschriften
von Docnmenten sendet, die auf die Streitigkeiten mit dem Orient Bezug
haben (ebenso wie später Thiel I, p. 885 und 981; die an den beiden
letzten Stellen erwähnten Abschriften stammten nachweislich aus den
Copialbüchern, vgl. S. LX XVIII f. der Prolegomena meiner Ausgabe).
AreHina-Studien. 65
nach Stücken, die noch nicht in seinem Besitz sind. Das
Corpus, das uns vorliegt, ist keine Sammlung systematischer
Art, die den Zweck verfolgte, nach irgend einer Richtung hin
das vorhandene Material in möglichster Vollständigkeit zu geben,
es stellt vielmehr nur eine Vereinigung dessen dar, was der
Sammler nicht schon sonst kannte, beziehungsweise in seiner
Bibliothek besass. Daher auch der Umstand, dass die Stücke
der Avellana uns mit wenigen Ausnahmen eben nur durch
diese eine Sammlung erhalten worden sind, und dass sie gerade
mit den älteren canonistischen Sammlungen, vor Allem mit der
Dionysiana so gut wie nichts gemein hat.1
Aber noch in anderen Beziehungen sind uns die Worte
Gesta in causa Abundantii etc. von Werth. Zunächst beweisen
sie uns so gut wie sicher, dass die Correspondenz des Hor-
misda n. 105 — 243 nicht etwa schon vor Zusammenstellung
der Avellana in dieser Auswahl vereinigt war und wir also
ein Mittelding zwischen den päpstlichen Registern und unserer
Sammlung anzunehmen hätten. Denn dasselbe Verfahren des-
selben Mannes, der hier Stücke, die ihm bekannt sind, fort-
lässt, glaube ich auch in den oben S. 23 f. besprochenen That-
sachen zu erkennen, dass von den zwei in der Ueberschrift
von n. 48 angekündigten auch sonst überlieferten Briefen des
Augustin der zweite überhaupt fehlt und auch der erste nicht
vollständig aufgenommen ist, sondern plötzlich mit einem et re-
liquum abbricht. Der, welcher die n. 105 — 243 dem päpst-
lichen Copialbuch entnahm, und der, welcher der ganzen Samm-
lung ihre heutige Gestalt gab, sind darnach sicher ein und
dieselbe Person.
Auch für die Composition des ersten Theiles unserer Samm-
lung, der n. 1 — 40, gewinnen wir hier noch etwas. Ich habe
wahrscheinlich zu machen gesucht, dass die Stücke, die das
Schisma des Ursinus betreffen, schon vor ihrer Aufnahme in die
Avellana mit der anderen Gruppe derer vereinigt waren, die vom
Schisma des Eulalius handeln, und habe das unter Anderem
1 Nur Brief 37 steht auch in der Dionysiana. Aber diese Nummer ist ja
in der Avellana, wie wir gesehen haben, ein Bestandteil einer umfang-
reicheren Theilsammlung, die der Sammler ganz in seine Sammlung
aufnahm. Dass dieser die Dionysiana gekannt hat, ist mir nicht
zweifelhaft.
Sitranpber. d. phil.-hüt. Cl. CZXXIV. Bd. 5. Abh. 6
66 V- Abhandlung: Gfinther.
aas der charakteristischen Art von verbindenden Zwischen-
bemerkungen abgeleitet, die sich in beiden Gruppen in gleicher
Weise vorfinden. Diese Vermuthung findet ihre Bestätigung
durch die Art des Verfahrens, die wir soeben an dem Col-
lector unserer Sammlung wahrgenommen haben. Jene Zwischen-
bemerkungen geben freilich nichts, was sich nicht aus den be-
treffenden Schriftstücken selbst erschliessen liesse, allein dazu
gehörte doch immerhin eine gewisse Zeit und geistige Arbeit,
und diese die Schriftstücke schon vor dem Abschreiben bis
ins Einzelne prüfende, jedes Wort und jede Beziehung genau
erwägende Thätigkeit ist von Grund aus verschieden von dem
Verfahren des Mannes, dem es nur darauf ankommt, seinen
Documentenschatz durch neue Stücke zu bereichern, der sich
das Material, welches ihm unter die Hände kommt, nur darauf-
hin ansieht, ob er es zu Hause schon besitzt oder nicht, und
im letzteren Falle dann, ohne auf Grund des Textes erst ein-
gehendere historische Studien anzustellen, einfach abschreibt,
was er besitzen will. Der Redactor der Theilsammlung 1 — 40
ist also ein Anderer gewesen als der Collector der Avellana,
Ferner: die Avellana ist keine Sammlung, die, wie etwa
die Decretalensammlung des Dionysius Exiguus, zu Nutz und
Frommen der Allgemeinheit abgefasst und zur Veröffentlichung
und Vervielfältigung bestimmt war, wenigstens nicht in der
Form, wie sie uns vorliegt. Möglich ist ja, dass der Col-
lector die Absicht hatte, das Material, um modern zu reden,
zu einer richtigen Ausgabe zu verarbeiten. Allein das ist nicht
geschehen, denn halbe Briefe würde er dort ebensowenig ge-
duldet haben wie jene Notiz über seine zu Hause im Schranke
ruhende Abschrift der Gesta in causa Abundantii. Die Avel-
lana ist vielmehr nichts als eine Materialsammlung, die wir
dem Sammeleifer eines Gelehrten verdanken, der um die Zeit
des Vigilius in Rom lebte, dort die Register des päpstlichen
Archivs benutzte und aus diesen und anderen Quellen die
Sammlung zusammenschrieb, die uns heute vorliegt.
7.
Ich habe in den Erörterungen über Quellen und Compo-
sition der Avellana ausführlich sein müssen ; um so kürzer kann
AYelUna-Stndien. 37
ich eben darum in der Besprechung einiger Hypothesen sein, die
in neuerer Zeit über unsere Sammlung aufgestellt sind. Es erle-
digen sich diese nach dem, was ich oben entwickelt habe, eigent-
lich von selbst. Maassen, der durch seine Abhandlung ,Ueber
eine Sammlung Gregor's I. von Schreiben und Verordnungen der
Kaiser und Päpste' im 85. Bande dieser Sitzungsberichte zuerst
die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf die Avellana gelenkt
hat, hat dort die Vermuthung zu begründen gesucht, wir be-
sässen in diesem Corpus eine von Gregor I. veranstaltete Samm-
lung, die der Jurist Petrus Crassus, der Zeitgenosse und An-
hänger König Heinrichs IV., diesem Herrscher zu übersenden
versprach: ,mittam piae magnißcentiae vestrae librum, si opus
fuerit, in quo beatus Gregorius utrasque composuit leges et
utraque in sancta usus est ecclesia', heisst es in seiner De-
fensio Heinrici IV = Monum. Germ, histor. Libelli de lite
impp. I 434, 39 ff. Schon Ewald und Wilhelm Meyer haben
Maassen's Gründe entkräftet und seiner Hypothese jeden Boden
entzogen. Ihre berechtigten Einwendungen1 brauche ich hier
nicht zu wiederholen; mit dem Charakter der Sammlung aber,
wie ich ihn oben an der Hand der einzelnen Gruppen ent-
wickelt habe, lässt sich nun vollends jene Hypothese gar nicht
in Einklang bringen. Was Gregor schuf, muss etwas Voll-
ständiges, Abgeschlossenes, Fertiges gewesen sein, nicht eine
Sammlung, die wie die unserige die Spuren des Unfertigen,
Unausgearbeiteten so deutlich an der Stirne trägt. Schon allein
die Worte Gesta in causa Abundantii . . in scrinio habemus
genügen, um Maassen zu widerlegen. Wenn der Verfasser
unserer Sammlung ein Papst gewesen wäre, so könnte das
hier genannte scrinium ja nur sein eigenes Archiv sein; dann
aber wären die Worte unverständlich, denn auch die übrigen
Briefe von und an Hormisda befanden sich in diesem scrinium
und konnten daher auch mit demselben Rechte darin bleiben
wie die Gesta in causa Abundantii.
Ganz anders, aber nicht minder falsch, ist die Ansicht,
die Ewald selbst von der Avellana hatte. Jch kann/ so sagt er,2
1 Ewald in Sybel's Histor. Zeitschrift. N. F. IV 164 ff. (vgl. auch Neues
Archiv V 530) ; Meyer I, S. 3 ff.
1 A. a, O. 8. 169.
ö*
68 V. Abhandlung: Günther.
. . . überhaupt die Avellana nicht als eine systematisch an-
gelegte Sammlung gelten lassen. Die einzelnen Gruppen, so
ist meine Ansicht, sind, wohl nicht ohne Zuthun des lateranen-
sischen Archivs, für sich unmittelbar nach den Ereignissen zu-
sammengestellt und publicirt, andere Briefe sind in die gleichen
Codices eingetragen; mit diesen fremden Bestandteilen wurde
eine und die andere Gruppe der dritten angereiht, und so
finden wir jetzt in einer späten Abschrift des 11. Jahrhunderts
jene 243 Briefe zusammen.1 Dass die Avellana keine syste-
matisch angelegte Sammlung ist, muss man insofern gelten
lassen, als der Collector, wie wir sahen, stets unter den ihm
zu Gesicht kommenden Stücken auswählte und keineswegs nach
dieser oder jener Richtung hin das Material in seiner Voll-
ständigkeit wiederzugeben trachtete. Im Uebrigen wird die An-
sicht Ewald's von einer sich auf eine Reihe von Zufälligkeiten
gründenden und durch mehrere Jahrhunderte erstreckenden
snccessiven Entstehung der Avellana durch meine eigenen Aus-
führungen, denke ich, hinreichend widerlegt. Als später zu der
eigentlichen alten Sammlung hinzugekommen betrachte ich, wie
schon Maassen, nur das letzte Stück, n. 244, das Fragment einer
lateinischen Uebersetzung von dem verlorenen Tractat des Epi-
phanias von Cypern über die zwölf Edelsteine am Gewände
des Hohenpriesters, denn es fällt inhaltlich so gänzlich aus
dem sonstigen Charakter der Sammlung heraus, dass wir es
hier meiner Ansicht nach ohne Zweifel mit einer zufälligen
Anfügung späterer Zeit zu thun haben.
Wilhelm Meyer hat sich über die. Entstehung der Samm-
lung nicht eingehend geäussert; mit einigen Andeutungen hat
er schwerlich das Richtige getroffen. Doch spare ich mir
ein näheres Eingehen hierauf passender für das 2. Capitel des
folgenden Abschnitts auf, wo ich über die Ueberlieferung des
37. Briefes zu handeln habe.
In allerneuester Zeit hat Ainelli im I. Bande des Spici-
legium Casinense verschiedentlich die Avellanische Sammlung
als ein Werk des Dionysius Exiguus bezeichnet.1 Ich gestehe,
dass auch ich Anfangs dieser Meinung war und dass, als ich
im Sommer des Jahres 1890 bei den gastlichen Benedictinern
1 Vgl. Amelli's Einleitung p. XL1X, Anm. 6 und p. LVI.
ATelUaa-Stndien. 69
auf Monte Cassino einkehrte, es mich freute, von Amelli die
gleiche Vermuthung äussern zu hören. Allein bei schärferer
Prüfung kann die Hypothese nicht standhalten. Schon die
Lebenszeit des Dionysius bereitet ihr Schwierigkeiten; höchst
wahrscheinlich ist Dionysius schon vor Mitte der Vierziger-
jahre des 6. Jahrhunderts gestorben.1 Eine Spur, die direct
auf ihn hinwiese, finden wir nur in der oben S. 47 f. erwähnten
Subscriptio von n. 102, und wie ich schon dort bemerkte,
liegt wenigstens die Möglichkeit vor, dass er mit der von mir
als Quelle jenes ganzen Theiles der Avellana angenommenen
Sammlung X irgendwie in näherer Beziehung steht. Wer diese
Möglichkeit nicht anerkennt, für den beschränkt sich, wie
gesagt, der Antheil des Dionysius einzig und allein auf die
Uebersetzung von n. 102; wer sie annimmt, muss dagegen
die Autorschaft des Dionysius für die ganze Avellana um so
kräftiger verneinen. Die Art und Weise, wie jene Theil-
sammlung X von dem Collector der Avellana benutzt ist, lässt
sich hiermit in keiner Weise in Einklang bringen. Es kommt
hinzu, dass, wie ich oben ausgeführt habe, der ganze Cha-
rakter der Avellana von dem der älteren Decretalensammlung
des Dionysius von Grund aus verschieden ist.
IL
Zur Ueberlieferung einzelner Stücke der Sammlung.
1.
Die Schrift der Presbyter Marcellinus und Faustinus
9De confesßione verae fidei . . .' (Avell. n. 2).
Das zweite Stück der Avellanischen Sammlung und zu-
gleich eines der umfangreichsten ist die Bittschrift, welche die
beiden Presbyter Marcellinus und Faustinus im Jahre 383
oder 384 zu Constantinopel2 an die Kaiser Valentinian, Theo-
1 Vgl. Maassen , Gesch. der Quellen S. 423 (besonders Anm. 6) und dazu
Hefele, Conciliengescbichte* II 789.
* Ueber Zeit und Ort der Abfassung vgl. G. Krüger, Lucifer von Ca-
laris, S. 62.
70 V. Abhandlung: Ofinther.
dosius und Arcadius richteten. Seit Sirmond ist sie als ,Libellus
precum' bekannt; irgend welche handschriftliche Gewähr hat
diese Bezeichnung nicht, die Presbyter selbst scheinen ihr die
Ueberschrift De confessione verae fidei et ostentatione sacrae
communionis et persecutione adversantium veritati gegeben zu
haben (vgl. oben S. 1 1). Die Schrift, die besonders fllr die Ge-
schichte des Luciferianismu8 von beträchtlicher Bedeutung ist,
wird sowohl von Gennadius erwähnt, der in dem Artikel über
Faustinus (cap. 16) von diesem sagt: scripsit et librum quem
Valentiniano Theodosio et Arcadio imperatoribus pro defen-
sione suorwm cum Marcellino quodam presbytero obtulit, wie
auch von Pseudoisidor, der de viris illustr. c. 14 (ed. Arevalo
VII 146) von Marcellinus sagt: Marcellinus Italiae presbyter
scripsit Theodosio minori Arcadioque imperatoribus opuscrilum
unum, in quo retexit gesta episcoporum etc. Als eigentlicher
Verfasser des Werkes ist ohne jede Frage Faustinus anzusehen,
mit dessen Schrift de trinitate (Migne, Patrol. Lat. XIII 37 ff.)
es im Grossen und Ganzen wie in Einzelheiten die allergrösste
Aehnlichkeit zeigt.1
Was die Ueberlieferung der Schrift anlangt, so treten zu
der Avellana, d. h. dem Vaticanus 3787, noch sieben andere
Handschriften hinzu, von denen nur die unter n. 3, 6 und 7
angeführten bei Maassen, Gesch. der Quellen etc. I, §. 371
nicht erwähnt sind; es sind folgende:
1. n = Paris, lat. 12097 (Sangerm. 936, Corb. 26),
nach Maassen ,saec. VI — VTP. Ueber die Sammlung, die
diese Handschrift enthält, vgl. Maassen, Gesch. der Quellen etc.
I, p. 556 ff. Die Schrift des Faustinus und Marcellinus be-
ginnt auf Blatt 44 v und reicht bis Blatt 55. Als Ueberschrift
geht voran Incipit epistola episcoporum ad imperatores. Brevis
statutorum^ allein die Worte Brevis statutorum sind nur durch
den Irrthum eines Schreibers an diese Stelle gerathen, sie
beziehen sich auf das sogenannte Breviarium Hipponense, das
unter der Ueberschrift Incipit brevis statutorum sich auf Bl. 55
an die Schrift der beiden Presbyter anschliesst.
1 Eine Reihe von recht charakteristischen Ausdrücken und Wendungen
sind beiden Schriften gemeinsam ; ich verweise hier nur auf den häufigen
Gebranch von inlendere, von utique, von denique = nam, auf den Ge-
brauch von (et) bene quod, auf Ausdrücke wie supereminenUa u. a.
Arellanft-Stadien. 7 1
2. x = Paris, lat. 1564 (Colb. 1863, Reg. f™), der so-
genannte , codex Pithoeanus' Sirmond's, nach Maassen aus dem
9. Jahrhundert. Die Handschrift ist zu Anfang verstümmelt,
über ihren Inhalt ist Maassen I 604 ff. zu vergleichen. Die
Schrift der beiden Presbyter erstreckt sich von Bl. 48 v bis
Bl. 55*.
3. a = Sangallen sis 190, nach Scherrer, Verzeichniss
der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen p. 68,
aus dem 9. Jahrhundert. Ueber den Inhalt dieser Sammel-
handschrift ist Scherrer zu vergleichen. Das Werk des Mar-
cellinus und Faustinus reicht von p. 332 bis p. 347, Jfet aber
unvollständig, da es unten auf Seite 347 schon mit den Worten
atque apostolorum doctrinis (§. 87 = p. 31 23 meiner Aus-
gabe) abbricht, p. 347 ist in der Handschrift Rückseite eines
Blattes, und da die letzten Worte atque apostolorum doctrinis
den Schluss dieser Seite bilden, so hat offenbar erst in der
St. Gallener Handschrift ein Blattausfall stattgefunden, obgleich
nach einer Mittheilung des Herrn Stiftöbibliothekars die Lage
der Pergamentblätter selbst keine Lücken aufweist.
4. cp = Albig. 2 der Stadtbibliothek zu Albi, nach
Maassen aus dem 9. Jahrhundert. Die Sammlung, die in dieser
und der unter n. 5 zu erwähnenden Handschrift enthalten ist, hat
Maassen I, p. 592 ff. eingehend beschrieben (vgl. auch Sitzungs-
berichte der kais. Akademie der Wissenschaften, philos.-histor.
Classe, vol. LIV, p. 157 ff.). Unsere Schrift reicht von Bl. 66
bis Bl. 76 *.
5. x = Tolos. 364 (früher B 63) der Bibliothfcque de
la ville in Toulouse aus dem 9., nach anderer Ansetzung aus
dem 8. — 9. Jahrhundert; vgl. Maassen 1 592. Die Handschrift ent-
hält die gleiche Sammlung wie der Codex aus Albi; die Schrift
des Marcellinus und Faustinus reicht von Bl. 46 bis Bl. 52 v.
6. Paris, lat. 1687, nach privater Mittheilung Delisle's
aus dem 12. Jahrhundert. Es ist eine Sammelhandschrift, ohne
inhaltliche Verwandtschaft mit 1 — 5; unsere Schrift macht den
Anfang auf Bl. 1. Vgl. den 3. Band des alten Pariser Kata-
logs vom Jahre 1744.
7. Paris, lat. 1700, Papierhandschrift des ausgehenden
16. Jahrhunderts; ebenfalls MisceUanhandschrift und ihrem
72 V. Abhandlung: Günther.
sonstigen Inhalt nach von den übrigen Handschriften durchaus
verschieden (vgl. den 3. Band des alten Pariser Katalogs);
unser Stück beginnt p. 133.
Das Verhältniss der sieben angeführten Handschriften
zum Vaticanus V der Avellana wird sofort klargestellt durch
zwei grosse Lücken, die sich in ihnen allen in gleicher Weise
vorfinden, während V davon frei ist. Es fehlen einmal in allen
sieben Codices die Worte ita ut resistentes bis invadere non
potuerunt p. 10 n — 27 22 meiner Ausgabe, sodann in nxq>% und
den beiden Parisini 1687 und 1700 (a ist in dieser Partie
schon nicht mehr vorhanden) die Worte quomodo enim beatus
Heraclida bis effugiens et sectans p. 35 12 — 37 9 meiner Ausgabe.
Alle sieben Handschriften gehen also auf einen einzigen Codex
zurück, der offenbar noch vor dem Jahre 600 geschrieben
war und ebenfalls bereits jene Lücken aufwies. Die Lücken
waren dort jedenfalls durch Blattausfall entstanden; an eine
absichtliche Kürzung zu denken verbietet der Umstand, dass
an beiden Stellen des Zusammenhang der Sätze und Worte
durch den Ausfall vollkommen zu nichte geworden ist. Ich
bezeichne hier, wie ich es in meiner Ausgabe gethan habe,
jene alte verstümmelte Handschrift, auf die die sieben Codices
zurückgehen, mit dem Buchstaben <Z>.
Bevor ich jetzt darauf eingehe, das gegenseitige Ver-
hältniss der Handschriften im Einzelnen darzulegen, will ich
noch eine kurze Bemerkung über die Handschrift von Tou-
louse einschieben. Wie schon gesagt, zeigt auch % die beiden
grossen Lücken, allein beide erstrecken sich hier nach rück-
wärts wie nach vorwärts noch ein beträchtliches Stück weiter.
Es fehlen in % vor der ersten grossen Lücke auch noch die
Worte p. 8 22 — 10 11 novas adversus unigenitum bis impietate
contendunt und nach ihr die Worte 27 22 — 30 9 denique alibi in
agello bis tales caiholicos qui; ebenso vor der zweiten Lücke
das Stück 34 12 — 35 12 sanctissimae conversationis bis quorum
non erat numerus1 und nach ihr das Stück 37 9 — 38 18 salu-
taria sacramenta bis acrius inquietassent. Die Ursache dieses
Umstandes ist leicht zu erklären: da die letzten Worte, die
1 So haben 7txq> (a fehlt) statt der Lesart von V quorum non erat dignus
mundu*.
AYelUna-Stvdtan. 73
in % diesen Lücken vorangehen, in beiden Fällen am Ende
eines Blattes stehen,1 so ergiebt sich, dass an beiden Stellen
in x selbst Blattausfall stattgefunden hat. Wie viel Blätter
ausgefallen sind, lässt sich unschwer berechnen. An der ersten
Stelle fehlen in x mehr als in nxaq> die Worte 8 22 — 10 n und
27 22 — 30 9, zusammen 109 Zeilen meiner Ausgabe; an der
zweiten Stelle fehlen in x mehr als in tiKcp die Worte 34 12 — 35 12
und 37 9 — 38 18, zusammen 59 Zeilen meiner Ausgabe; da nun
in den Partien, wo % erhalten ist, auf das, was in ihm den
Raum eines Blattes einnimmt, im Durchschnitt etwa 57 Zeilen
meiner Ausgabe kommen, so ergibt sich, dass in % an der
ersten Stelle zwei Blätter, an der zweiten ein Blatt ausgefallen
sind. Ein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Lücken,
die den Handschriften Ttytocpx, beziehungsweise 7t'/.q>x gemein-
sam und also schon dem Codex O zuzuweisen sind, und der
Erweiterung dieser Lücken zu dem Umfang, wie sie in x vor"
liegen, besteht also keineswegs; nur durch einen Zufall ist es
geschehen, dass unter den drei aus x verloren gegangenen
Blättern sich auch gerade die beiden befanden, auf denen die
zwei Stellen standen, wo schon in 0 der Faden der Schrift
durch Lücken zerrissen war.
Dies nebenher. Ich komme jetzt zu der Frage nach dem
Verwandtschaftsverhältniss der Codices 7t na q> x% untereinander.
Da ist von vornherein zu vermuthen, dass q> und %, die die
gleiche von den drei übrigen Handschriften verschiedene Samm-
lung enthalten, zusammengehören und von ix%a zu sondern
sind. Die einzelnen Lesarten bestätigen diese Vermuthung;
ich führe nur ein paar an, wo die Worte in cpx durch Cor-
rnptel oder Interpolation entstellt sind:
5 12 in exiguis 7t xa exiguü (p%
6 21 piae (statt pia) 7t xa pii q> x
6 23 sub vobis imperatoribus it xa vobis Imperatoren q> x
7 23 communicaret non ille Alexander
7t xa om. cpx
8 11 intraturum 7t xa intraturio q>x
1 Mit den Worten debuit et peHre 8 2% endigt in % Blatt 47, mit den
Worten doctrinae atgue ipsius 34 12 Blatt 49.
1 Ueber die beiden jungen Parisini 1687 und 1700 siehe unten S. 79.
8
H
38 24
39
3
40
18
41
17
41
18
74 V. Abhandlung: Günther.
repenie na, repitente it om. q>%
quod in sanctum Ephe&ium con-
summare n% (a fehlt bereits) om. q>x
rem viri (statt rem veri) it x remoneri et q>x
a singulis n% singulis q>%
curi eo (statt cuneo) it% errore q>x
et ipsi quoque qui pie inter eo8
putantur credere patris etfilii
it% om. cpx
42 5 sacramenti alter itx sacramenti altaris q>%
Eine andere Frage ist die, ob vielleicht von den beiden
Handschriften cpx die eine aus der anderen abgeschrieben ist.
Für x lBt dies ohneweiters zu verneinen, denn abgesehen
davon, dass die Toulouser Handschrift offenbar die ältere von
beiden ist, zeigt sie auch an vielen Stellen bessere Lesarten
als die von Albi ; so fehlt z. B. in <p, nicht in Xy 38 25 nesciens,
40 11 ut. Schwieriger ist die Entscheidung bei tp. Am Ende
der ganzen Sammlung trägt (p die Subscription: Ego Perpetuus
qtiamvis indignus presbyter iussus a domino meo Didone urbis
Albigensium episcopum hunc librum canonum scripsi. post in-
cendium civitatis ipsius hie liber recuperatus fuit deo auxi-
liante sub die VIII. kal. Aug. ann. IUI regnarii domini nostri
Childerici reg. Da sich diese Worte auf die dem 9. Jahr-
hundert angehörende Handschrift <p selbst nicht beziehen können,
müssen sie von dem Schreiber mit aus der Vorlage abge-
schrieben sein.1 Leider fehlt nun aber in x heute der letzte
Theil der Sammlung, so dass von dieser Seite eine Entschei-
dung darüber unmöglich ist, ob etwa zwischen der alten vom
Presbyter Perpetuus geschriebenen Handschrift und unserem
Codex (p die Toulouser Handschrift x *k Mittelglied einzureihen
ist. Aus den Varianten, die das Werk des Marcellinus und
Faustinus liefert, ergiebt sich nicht eben viel ; immerhin scheinen
mir Stellen wie
31 15 contra ipsum tronum (statt pa- contra ipsum thronum
tronum) hereticorum q> hereticorum %
43 16 ubique (p ubi x
1 Vgl. Maassen, Zwei Synoden unter König Childerich II. (Gra* 1867),
p. 25 sqq.
ArellAn»-8tudien.
75
dafür zu sprechen, dass auch cp nicht ans % abgeschrieben ist,
vielmehr beide auf einen gemeinsamen Archetypus zurückgehen,
den ich mit T bezeichnen will. Für die Recension der vor-
liegenden Schrift ist die Frage, ob cp aus % stammt oder beide
aus einer dritten Handschrift, übrigens von ziemlich geringer
Bedeutung, da cp infolge des Blattverlustes in % auch in dem
ersteren Falle heranzuziehen wäre.
Wie steht nun Y zu den drei übrigen Handschriften, wie
vor Allem zu der ältesten von diesen, dem Parisinus 7t? Dass
Y nicht etwa aus diesem abgeschrieben ist, sondern völlig un-
abhängig neben ihm steht, ergiebt sich aus vielen Stellen, an
denen cpx oder, wo % fehlt, allein cp die richtige Lesart dar-
bietet, während n und mit ihm fast immer auch x und, wo er
vorhanden ist, auch a fehlerhaft ist. Ich begnüge mich damit,
nur einen Theil dieser Stellen anzuführen:
6 25
po88umu8 cpx
possimus 7t xa
7 17
atque ipsius .
. 8ervaretur
om. 7t
7 22
ecclesiam cpx
ecclesia 7t xa
8 24
erat et cp (x fehlt hier)
erat n xa
9 l
ne cp
nee Ttxa
9 12
damnato8 cp
damnatu8 7t xa
9 15
pares cp
pars 7t xa
28 18
mitigans cp
mitiganti 7t , miticanti o,
mitigante x
29U
mxnxs cp
moenis 7t x, menis a
29 19
nomine cp
nominime 7t , non miniine x a
31 4
doctrinam cp%
doctrina n xa
31 19
ageret cpx
agerit tz xa
3121
kaberet cpx
haberit n xa
32 7
poßsent cpx
possint n xa
32 24
fideles cpx
fidelis 7t xa
33 8
tarnen cpx
tarn Ttxa
33 26
episcopum cpx
episcopo Ttxa
42n
avaritia cp x
(statt avari-
tiae)
abasiae7tx {a fehlt bereits)
42 12
conludunt cpx
concludunt 7t x
42 26
falsa cpx
falsi Ttx
76 V. Abhandlung: Günther.
43 26
abiecta tp%
obiecta n%
44 13
ac tpx
hac n x
44 15
ac veras ecclesiae cp %
hac vera ecclesia et fix
44 17
orbe q>x
urbe Ttx
44 20
marcellinus q>%
marcellianu8 Ttx.
Diese Stellen, denen ich leicht ebenso viel andere hinzu-
fügen könnte, beweisen hinreichend, einmal dass Y nicht aus
7t abgeschrieben war, sodann aber auch dass die Handschriften
xa eng mit n zusammenhängen.
Es bleibt nun noch die Frage nach dem Verhältniss von
7t xa untereinander übrig. Dass weder x noch a direct ans 7t
stammt, erhellt schon aus der einen Stelle, die ich bereits oben
angeführt habe : p. 7 17, wo die Worte atque ipsius . . servaretur
von allen Handschriften allein in n fehlen. In ähnlicher Weise,
um nur noch Einiges hinzuzufügen, geben 10 3 vero xa, 33 l
adserendum nunc necessario est quod in his partibus x (a fehlt
bereits), 33 14 servare x: alles dies fehlt in n. Ebenso kann
die St. Gallener Handschrift a nicht direct aus x geschöpft
haben, denn a hat richtig p. 6 23 ei} p. 9 24 divinis, p. 27 27 et,
p. 29 1 vel dam salutis nostrae eacramenta facienda sunt,
während in x alles dies ausgefallen ist. Aber auch das Um-
gekehrte, dass x aus a stammen sollte, ist ausgeschlossen, a ist
eine Miscellanhandschrift, deren übriger Inhalt mit dem von x
keine Verwandtschaft zeigt, während x ausser der Bittschrift
des Marcellinus und Faustinus noch eine grosse Anzahl von
anderen Stücken mit 7t gemeinsam hat (vgl. Maassen, p. 610),
die also sicher auch in der Vorlage von x bereits gestanden
haben müssen.
Wir kommen so also zu dem Resultat, dass Ttxa insofern
unabhängig nebeneinander stehen, als keiner von ihnen direct
aus einem der beiden anderen stammt, und dass für alle drei
eine gemeinsame Quelle X anzunehmen ist, die an vielen
Stellen besser war als Y, an vielen aber auch schlechter. Zu
erwägen bleibt immerhin noch, ob nicht trotzdem zwischen
zweien der drei Handschriften noch ein engeres Verwandt-
schaftsverhältniss besteht, so dass wir zwischen ihnen selbst
und X noch ein Mittelglied anzunehmen hätten, aus dem nur
sie — nicht auch die dritte Handschrift abzuleiten wären.
Arellana-Stadien. 77
Dabei ist freilich nur mit äusserster Vorsicht zu schliessen;
denn wenn irgendwo zwei der drei Codices dieselbe Corruptel
zeigen, der dritte dagegen die richtige Lesart aufweist, so
folgt daraus noch keineswegs eine dementsprechende Sonderung
in zwei Unterabtheilungen. Vielmehr muss durchaus, damit
gerechnet werden, dass leichte Fehler, mit denen schon X be-
haftet war, in dem einen oder anderen seiner Descendenten
von dem Schreiber selbständig corrigirt sein können. Ich gebe
ein Beispiel: die Anfangsworte der Schrift p. 5 7 lauten in 7t a
deprecamur mansuetudinem vestram piissimi imperatoris9 wäh-
rend x richtig imperatores liest. Da wäre es voreilig, wenn
man annehmen wollte, X habe imperatores gehabt und it und
a gingen auf ein Mittelglied mit der Corruptel imperatoris
zurück, imperatoris kann sehr wohl schon in X gestanden
haben und der Vocativus pluralis in x durch leichte Conjectur
hergestellt sein. Das ist um so wahrscheinlicher, als sich nach-
weisen lässt, dass der Schreiber von x an einer anderen Stelle
in der That ein Verderbniss durch Conjectur beseitigt hat:
43 l lesen wir in x richtig: confusi sunt quoniam defecerunt
et nee sie quidem confusionem sustinentes erubuerunt, 7t
(ff fehlt) hat confessionem, und dass diese Corruptel nicht
nur in X, sondern auch schon in O gestanden hat, beweist die
Lesart von q> x, die ebenfalls confessionem zeigen. Ebenso ist
es mit den wenigen Stellen, wo von den drei zur Gruppe X
gehörenden Handschriften allein a die richtige Lesart darbietet,
denn auch o emendirt hier und da durch eigenes Nachdenken,
so z. B. 7 20, wo es heisst: Arrius . . subripuit apud Constan-
tium sperans, quod ipsius suffragio spiritalium sacerdotum sen-
tentia rescissa reeipi posset in ecclesiam. Statt spiritalium
liest hier tc spirete talium, x speret et talium, und dass diese
Corruptel älter ist als die gemeinsame Quelle von rtx<T, wird
dadurch erwiesen, dass auch q> spiret et alium und % spiret
et talium h$t. Die richtige Lesart spiritalium, die ausser der
Avellana eben nur a aufweist, ist in letzterem also sicher
durch Conjectur hergestellt worden. Nicht anders werden dem-
nach auch die übrigen Stellen zu beurtheilen sein, wo a gegen
7i x eine richtige Lesart zeigt: 9 27 heredes (heredis 7t, hedis %)
dereliquit] 28 17 non vino (vinum rix) stomachum relevans; 29 8
quod.. vigilias celebrat (celebrant rtn).. Macharius: an allen
78 V. Abhandlung. Oftnth«c.
diesen lag die Emendation sozusagen auf der Hand und konnte
mit Leichtigkeit von jedem gefunden werden.
Anders liegt die Sache, wo auf der einen Seite rt, auf
der anderen xa stehen. Freilich sind auch hierunter Stellen,
wo die richtige Lesart von n sehr wohl auf Conjectur zurück-
geführt werden könnte/ so 30 2 adversus sanctos et fiddes
(fidelis xo) y 31 16 quid novum quasi hereticus (hereticos xa)
scripsit Allein es bleiben solche übrig, wo die richtige Lesart
in 7t gegenüber von xa nicht leicht durch Conjectur entstanden
sein kann. Ich führe eine an, die mir durchschlagend scheint
8 2 heisst es von dem Bischof Alexander von Constantinopel:
cum videret quod Arrius saeculi istius rege nüeretwr, exda-
mavit ex imo pectoris dolore . . ad Christum. So die Avellana;
die aus 0 stammenden Handschriften zeigen sämmtlich folgende
Corruptelen: viderit} regni (oder regno) teneretur, eximium,
dolo. Allein xa lesen exetamit eximium peccatoris dolo, n
richtiger (mit cpx) exclamavit eximium pectoris dolo. Hier
kann vor Allem pectoris unmöglich auf eine richtige Conjectur
des Schreibers von it zurückgeführt werden, um so weniger,
als die Worte in n auch so noch völlig sinnlos sind: pectoris
muss, wie es in Y stand, so auch noch in X gestanden haben,
und wir haben demnach zwischen X auf der einen und x und
a auf der anderen Seite ein Mittelglied (X') anzunehmen, aus
dem die Corruptelen exlamit . . peccatoris in gleicher Weise in
die Codices x und.a übergegangen sind.
Damit wäre das Verhältniss der fünf älteren auf den Co-
dex <D zurückgehenden Handschriften klargestellt; als Stemma*
ergiebt sich demnach folgendes:
1 Oefters weichen xa in orthographischer Hinsicht von n ab, indem sie o
statt u (so s. B. 8 10 potavit; 10 s dispotatumem; 27 25 posbolationt; 27 26
decorionum; 30 13 aemolatione; 31 16 aemolatumemj oder t statt e bieten
(so 10 7 oporterü; 29 12 fierü) ; allein auch diese Eigentümlichkeit der
Schreibweise war schon der Quelle X eigen, da sie an anderen Stellen
auch in n auftritt, so 7 26 expolä n, expolit <r (expulü x); 40 20 po-
tamus 7t, potavimus x (a fehlt); 41 24 oposeoli nx {a fehlt); 42 u *mgo-
loriim (a fehlt); 31 19 agerü nxa\ 31 21 haberü nxa u. a.
1 Ich habe die Untersuchung Über das Verhältniss der Handschriften nxa<px
zu Ende geführt, ohne dabei die Argumente zu verwenden, die sich aas
dein Inhalt der unter einander nahe verwandten Sammlungen nxYy be-
sonders der Reihenfolge ihrer Stücke entnehmen lassen (a als Miscellan-
Avellan*-8tudien. 79
Die beiden jüngeren Parisini 1687 und 1700 habe ich in
diesem Stemma und den ihm zu Grunde liegenden Unter-
suchungen nicht berücksichtigt; ich wurde auf sie erst aufmerk-
sam, als mir das gegenseitige Verhältniss der fünf übrigen aus <D
geflossenen Handschriften bereits feststand. Eine nachträgliche
Collation der beiden glaubte ich mir aber um so eher ersparen
zu sollen, als sie einerseits beträchtlich jünger sind als jene fünf
übrigen, andererseits aber nicht etwa neben X und Y einen
dritten selbständigen Zweig der Ueberlieferung <D repräsentiren,
sondern, wie einige mir von Delisle gütigst mitgetheilte Les-
arten schon der Ueberschrift beweisen (vgl. unten S. 81), auch
ihrerseits dem Zweige X (wahrscheinlicher wohl noch der Unter-
abtheilung X') angehören. Unter diesen Umständen würde die
Hinzuziehung der Paris. 1687 und 1700 den Apparat nur un-
übersichtlicher machen, für die Reconstruction von <D selbst
aber nichts ausgeben. Für diese erwachsen uns aus dem dar-
codex völlig anderer Art kommt hiebei nicht in Betracht).' Von dieser
anderen Seite hat Maassen die Sache angegriffen und mit gewohntem
Scharfsinn durchgeführt (vgl. seine Gesch. der Quellen I 556—573). Um
zu zeigen, dass sein Ergebniss mit dem meinen nicht im Widerspruche
steht, vielmehr völlig mit ihm übereinstimmt, führe ich sein Schluss-
resultat hier wörtlich an (Maassen p. 572) : ,Die älteste Redaction der
Sammlung (der Handschrift von Corbie = n), die sich nachweisen lässt
f= *PJ, scJUoss mit dem vierten Concil von Arles vom Jahre 624 . . . Die
Sammlung wurde von einer zweiten Hand mit einigen älteren gallischen
Concilien vermehrt. Zu dieser vermehrten Sammlung, deren Text wir nicht
mehr besitzen (irgend ein Mittelglied zwischen *P und Y), gehört das zweite
Verzeichniss. Aus ihr oder aus einer nahe verwandten Sammlung hat der
Autor der Sammlung (Y) der Handschrift von Albi f(p) geschöpft. Von
einer anderen Hand wurde die Sammlung in ihrer ersten Gestalt (4*)
durch einen Anhang vermehrt ... In dieser Gestalt (X) lag die Samm-
lung dem ersten Schreiber des Manuscripts (n) vor; in dieser Gestalt ist
sie fitr die Sammlung (X'J der Pithou* sehen Handschrift (x) . . . benutzt
worden.'
80 V. Abhandlung: G flottier.
gelegten Verwandtschaftsverhältnisse der Handschriften nxaifi
naturgemäss folgende Regeln:
1. wo 7tx gegen a oder 7t a gegen x stehen, ist die Les-
art der alleinstehenden Handschrift Corruptel oder Conjectur;
2. wo n mit Y übereinstimmt, sind abweichende Lesarten
von X' ohne Werth;
3. stimmen Y und X' überein, so sind abweichende Les-
arten von ix ohne Werth;
4. ohne Werth sind alle Abweichungen von %, wenn (f
mit X übereinstimmt; ebenso die von q>, wenn % mit X zu*
sammengeht.
Mit anderen Worten: die gemeinsamen Lesarten von rix
oder na sind für den Codex X, gemeinsame Lesarten von Xj
oder Xq> oder YX' oder T/r fllr den Codex 0 in Ansprach
zu nehmen.
Diese Regeln habe ich denn auch bei der Zusammen-
stellung des kritischen Apparates in meiner Ausgabe befolgt:
ich habe kein Bedenken getragen, die einzelnen Varianten ein-
zelner Handschriften, soweit sie unter jene Regeln fallen, zu
unterdrücken; habe aber auch kein Bedenken getragen, hier und
da etwas als Lesart von 0 zu bezeichnen, auch wenn beispiels-
weise 7t oder %a oder <p oder % etwas Anderes darbot. Neben
den Lesarten der Avellana, die unabhängig neben 0 dasteht,
kommen für die Herstellung des Textes eben nicht einzelne
Varianten* dieser oder jener der fünf zur Classe 0 gehörigen
Handschriften in Betracht, sondern nur die Lesart, die wir anf
Grund des Verwandtschaftsverhältnisses dieser Handschriften für
ihren gemeinsamen Stammvater 0 in Anspruch nehmen müssen.
Ja, von diesem Princip aus bin ich noch weiter gegangen: wenn
entweder die Unterabtheilung X oder die Unterabtheilung f
mit der Avellana übereinstimmt, die andere. aber eine Ab-
weichung zeigt, so liegt auf der Hand, dass diese Abweichung
erst in der Unterabtheilung aufgetreten ist und mit 0 nichts
zu thun hat; darum habe ich auch solche Abweichungen einer
der beiden Untergruppen mit gutem Gewissen unterdrücken
zu können geglaubt. Der Apparat ist hierdurch verhältnissmassig
einfach geworden, was Verständige nicht beklagen werden. Doch
tfiebt er Alles, was nöthig ist, hier und da sogar noch etwas
mehr. So habe ich grundsätzlich alle Wortauslassungen notirt,
ATell*na-Studi«D. 8 1
auch wenn sie nur eine einzelne Handschrift betreffen und also
für die Reconstrtiction von O gänzlich gleichgiltig sind; allein
es wäre doch möglich, dass noch einmal andere Handschriften
der Classe 0 auftauchten, und die sind dann an der Hand
solcher Angaben über Wortausfall sofort am leichtesten zu
classificireq. Um übrigens an einem kleinen Stücke ein Bei*
spiel zu geben, wie der Apparat aussehen würde, wenn ich
alle Varianten notirt hätte, will ich hier zu dem Anfang der
Schrift (§. 1) einmal die ganze varia lectio zusammenstellen,
mit Ausnahme orthographischer Kleinigkeiten wie ci für ti
und e für ae: Ueberschrift: Incipit (incipiunt q>) de con-
fessiane (conf essine x, confesione a, conpassione (p) vere fidei
et ostentatione sacrae communionis (communis xcr Paris. 1700;
osientatio ////// muneris Paris. 1687) et persecutione (perse-
qtUione #, persecutionis xa Paris. 1687) adversante (adversanti
(px) veritati (yeritatis %a Paris. 1700) %aq>%; incipit epistula
episcoporum ad imperatores brems statutorum it; p. 5 7 de-
praecamur n% imperatoris na 8 valentiniane x, aber ane
in Rasur von später Hand, valentiniani et <p theudosi rc%a^
iheodosii q> archadi x, arcadii q> 9 Christi om. nxotpx
fili iz%a% iubat ttxct, iuvati q> imperia aus imperium
corr. %> periti q> 10 dignimini 7t%a sublimem n, sublimi x
n fili x opitulationem (px 12 conscendit aus conscendat
corr. a in om. (px ominibus q> dispicetis ity dispicites er,
dispicitis x, despectis cp, dispectis % 13 roborates % oe q>
u etenim iz%0(p% aput q> 16 veritas om. n%(5(px 16 *«*•
saeculi om. it^otpx 17 scribtum % verbum 7t potentia corr.
aus potentiae 1t aequum vel x 18 exiguiis x vindecetur x>
ridecetur a.
Ich tilge noch ein paar Worte hinzu über das Verhältniss
der Recension Q> zu der der Avellana, d. h. des Codex V.
Dass V unabhängig neben <t> steht, folgt ja schon daraus,
dass in ihm die beiden grossen Lücken von <Z> fehlen. Die
beiden Zweige der Ueberlieferung sind schon in sehr früher
Zeit auseinandergegangen, denn aus dem Alter des Codex it
ergiebt sich, dass CD doch sehr wahrscheinlich noch in das 6. Jahr-
hundert zu setzen ist. Darum sind auch die Textverderbnisse,
die beiden Recensionen gemeinsam wären, einigermassen selten;
sicher sind folgende: 30 22 ipse statt ipsae; 34 18 eadem statt
Siteangtb. der pbil.-biat. Cl. CXXXIY. Bd. 5. Abb. 6
82 V. Abhandlung: Günther.
eaedem; 34 21 accfpta V} accepta 0 statt a coepta; 42 8 sperant
(spirant y%) statt separant; 44 4 ut statt et; ebenso auch
wohl 44 4 futura et statt futurae, das allein in T erscheint,
aber sicher nur infolge von Conjectnr. Conjectnralkritik ist
also, wo beide Zweige der Ueberliefernng erhalten sind und
übereinstimmen, jedenfalls nur im Nothfalle am Platze. Wo
V and 0 von einander abweichen, bietet an manchen Stellen
0 anzweifelhaft Besseres and Richtigeres; im Uebrigen kann
man sich — von jenen beiden grossen Lücken ganz abgesehen
— der Einsicht nicht verschliessen, dass im Grossen und Ganzen
die Ueberliefernng von V bedeutend weniger durch Verderb-
nisse aller Art entstellt ist als diejenige von 0. So finden sich
in den Partien, wo auch 0 erhalten ist, höchstens 6—8 Stellen,
wo in V einzelne oder mehrere Worte ausgefallen sind; in <P
habe ich deren etwa 40 gezählt. Auch von Interpolationen
ist 0 nicht frei, vgl. z. B. 9 10 eed ut; 28 26 colligere ei eos;
38 21 wo statt sancta illic (so V) in 0 illic se a erscheint,
indem offenbar zunächst scä mechanisch in se a verdorben
war und dieser Verderbniss dann durch Umstellung abgeholfen
werden sollte. Ein Verbum (habent) ist irrthümlich 40 l zu-
gesetzt, wo ausserdem der etwas gewähltere Ausdruck mystica
vasa durch s an et a vasa ersetzt ist; auch 29 25 scheint das
habent nach sepulturam interpolirt und die Stelle vielmehr im
Anschluss an die Lesart von V so zu heilen zu sein, wie ich
es in der Adnotatio versucht habe. In V habe ich dem gegen-
über in diesem Stücke so gut wie nirgends die Spur einer
interpolirenden Hand entdecken können. Bei dieser Sachlage
habe ich es für geboten gehalten, auch an solchen Stellen
der Lesart von V zu folgen, wo man an und für sich zwi-
schen ihr und der von 0 schwanken könnte. Ich will die
Stellen hier nicht einzeln aufzählen, da sie dem Leser leicht
aufstossen.
Es bleibt noch übrig, Einiges über die Ausgaben der
Bittschrift zu sagen. Der Erste, der sie herausgab, war Jac.
Sirmond: Marcellini et Faustini presbyterorum libellus precum
ad imperatores, nunc primum in lucem editus . . . Parisiis 1650.
Voran schickte Sirmond die Erzählung über die Streitigkeiten
zwischen Liberias und Felix, Ursinus und Damasus, die unter
der Ueberschrift Quae gesta sunt inter Liberium et Felicem epi-
ATelUna-Stadien. 83
scopo*1 in der Avellana unserer Schrift vorangeht (n. 1) und über
deren Zusammenhang mit dieser ich unten S. 7 ff. gesprochen
habe; ebenso gab er am Schluss seiner Ausgabe das Rescript, das
Theodosius in Sachen der beiden Presbyter an Cynegius richtete
(n. 2* der Avellana). n. 1 wie n. 2a sind nur durch die Avel-
lanische Sammlung erhalten, und schon hieraus wie aus dem Um-
stände, dass die beiden grossen Lücken von 0 bei Sirmond nicht
erscheinen, kann man darauf schliessen, dass diesem irgend eine
Handschrift der Avellana zu Gebote stand. Allein man kommt
noch weiter. Ich habe in den Prolegomena meiner Ausgabe
einer verhältnissmässig jungen Handschrift dieser Sammlung,
des Ottobonianus 1105 (— o)9 Erwähnung gethan und gezeigt,
wie diese von späteren Händen (= o%) am Rande mit Con-
jecturen versehen ist, die dann in verschiedenen Abschriften
des Ottobonianus in den Text aufgenommen sind. Eine solche
Abschrift ist z. B. der Vaticanus 5617 (= q)* auch diesem
sind wieder von einem der beiden Schreiber der Handschrift
Conjecturen beigeschrieben (= q%), die ihrerseits zum Theil
wieder in einen Descendenten von q} den Codex 292 der Biblio-
theca Angelica tibergegangen sind. Aus einer Reihe von Stellen
geht nun hervor, dass der von Sirmond benutzte Avellanacodex
ein Zwillingsbruder des Angelicanus war; nicht wenige eigen-
artige Lesarten des Letzteren, die aber zum Theil schon auf
o2 oder wenigsten q* zurückgehen, finden sich auch bei Sirmond.
Ich fiihre nur einen Theil dieser Stellen an:
6 26 quaesumus autem (autem om. 0), supplices quae-
sumus (quaesumus om. &), ut regias aures vestras nobis exi-
guissimis commodetis V (0). Das zweite quaesumus ist in V
ebenso wie in dem daraus abgeschriebenen er, dem Stamm-
vater von o, durch die Abkürzung qs wiedergegeben, eine
Abkürzung, die in V häufiger vorkommt, o verstand dieselbe
nicht und schrieb statt dessen quas; für quas ut conicirt o2
1 Sirmond gab ihr die Ueberschrift Praefatio de eodem schismate Urnni,
au* eigener Erfindung und gegen die Autorität aller Handschriften, de
eodem «chismate Urrini sagt er, weil er zu Anfang seiner Ausgabe
unter anderen Stellen mich die zusammengestellt hat, die ihm aus den
Kirchenschriftstellern ,de subreptione Ursini' bekannt geworden waren.
So lösen sich die gerechtfertigten Bedenken von G. Krüger, Lucifer von
Calaris, S. 85.
6*
84 V. Abhandlung: Gfinther.
am Rande quatenus. Der Angelicanus hat supplices quatenus
regia» im Text, ebenso lesen wir bei Sirmond.
7 17 servaretur Vo (0): of am Rande dafür ßrmaretur
und so im Text der Angelicanns und Sirmond.
10 4 quod imperatorem V (0) : quod {qu€) imperatorem
interpolirt o und so auch Angel, und Sirmond.
13 30 incalllllluit Vf incaluit oq: inclinavit Angel, und
Sirmond.
15 1« sperans quod V: quod tilgt q*> es fehlt im Angel,
und bei Sirmond.
18 24 tm (= tarnen) V: tantum o* Angel. Sirmond.
20 32 evertentes illa statua Vo: o* schreibt an den Rand
forte yStatuta'; evertentes illa forte statuta Angel, und Sirmond.
22 1—2 haeretici bis defensores ist infolge des voran-
gehenden defensores im Angelicanus (ob auch schon in g
oder o, habe ich mir nicht notirt) ausgefallen und fehlt auch
bei Sirmond.
25 19 consdentem Vq: consentientem q*, ebenso am Rande
der Angelicanus und Sirmond im Text.
Allein dem ersten Herausgeber stand noch eine andere
Quelle zur Verfügung, er hat ausser jener jungen Avellana-
handschrift auch einen Codex der Recension O benutzt; vgl. z. B.
etenim 0 Sinn. enim V
veritatiß 0 Sinn. veri V
adfligi cum nee ipsi 0 Sinn, adfligi V
et dwinitatis . . omnipotentiae
0 Sinn. om. V
sepulturam habent 0 Sinn. sepulturam V
cum 0 Sinn. om. V
libere vindicantem 0 Sirm. liberam ei indicantem V
quid enim . . glorientur 0
Sirm. om. V.
An anderen Stellen hat er die Lesarten beider Recen-
sionen contaminirt, so:
9 26 8ed licet Arrius sit sepultus stercoribus reliquit ta-
rnen suae impietati8 heredes V9 sed licet Arrius sit sepultus in
stercoribus aliquos tarnen suae impietatis heredes dereliquit 0:
14
6
3
7
2
8
1
29
25
31
18
39
19
43
9
AYftUaoa-Stndien. 85
sed licet Arrius sit sepultus in stercoribus aliquos tarnen relir
quit suae impietatis heredes Sinn.
33 28 diacone8 illibatae fidei F<2>; über illibatae setzt o*
das Zeichen .*. und notirt unter demselben Zeichen am Rande
ittius p(uto)., was im Angelic. in den Text aufgenommen ist:
diaconos illius fidei, Sirmond liest diaconos illius illibatae fidei.
40 l mystica vasa V, sancta vasa 0: sancta mystica
vasa Sinn.
40 6 svb auctoritate spei contemplatione fidem catholicam
vindicatis V9 sub auctoritate vestri naminis auctoritatis piae
contemplationis (contemplacione %) fidem catholicam vindicatio
(vindicantes %) O: sub vestri nominis auctoritate piae spei
contemplatione fidem catholicam vindicantis Sinn.
Schon die letzte Stelle, wo x mit contemplacione und
vindicantes im Gegensatz steht zu den übrigen Handschriften
der Recension O (vindicatio n<p, vindecates %)9 macht es nicht
un wahrscheinlich , dass eben der Parisinas x es gewesen ist,
den Sirmond bei seiner Aasgabe mit herangezogen hat. Be-
stätigt wird diese Vermuthung noch durch eine andere Lesart:
28 2 lesen rcatp (% fehlt) mit V richtig paenitentes: per
paenitentes hat allein x and nach ihm Sirmond.
Eigenen Werth kann nach den vorausgehenden Dar-
legungen der Sirmond'sche Text in keiner Weise beanspruchen;
ich bin daher auch nicht der leidigen Angewohnheit mancher
Heraasgeber gefolgt, die sich ein Vergnügen daraas machen,
ihren Apparat mit sämmtlichen Varianten älterer und notorisch
werthloser Aasgaben zu belasten. Der nicht angelehrte und
über alle Massen rührige Jesuit hat seine Aufgabe nicht besser
und nicht schlechter gelöst als die meisten Herausgeber seiner
Zeit: er hat vielfach gegen die Autorität beider Recensionen
geändert, umgestellt, hier und da auch Wörter oder ganze Sätze
ausgelassen. Alles dies habe ich im Apparat nicht angemerkt;
wo sein Name dort erscheint, ist es nur bei Emendationen oder
solchen Conjecturen, die immerhin der Ueberlegung werth sind.
Die späteren Herausgeber1 wiederholen sämmtlich den
Text der Editio princeps; Handschriften hat, wenn man davon
1 Die Titel sämmtlicher Ausgaben sind zusammengestellt bei Migne, Pa-
trol. Lal XIII 36 ff.
86 Y. Abhandlung: 0*ntber.
absieht, dass in der Aasgabe von Sirmond's gesammelten
Werken1 hier und da einige Varianten des codex Colbertinns
(%) angemerkt sind, keiner zu Rathe gezogen.
2.
Die Ueberlleferung von n. 37.
Das Schreiben des Kaisers Honorius an Papst Bonifatius
^Scripta beatitudinis tuae1, das in der Avellanischen Sammlung
n. 37 ausmacht, ist in einer so grossen Anzahl canonistischer
Sammlungen überliefert und zeigt in den einzelnen Handschriften
so mannigfache Verschiedenheiten der Lesarten, dass der Ver-
such, seine Ueberlieferung im Einzelnen gliedern zu wollen,
als ein ziemlich schwieriger und vielleicht aussichtsloser er-
scheinen könnte. Wenn ich ihn trotzdem unternehme, so ge-
schieht es vor Allem auch deswegen, um bei der Gelegenheit
eine Hypothese zu berühren, die Wilhelm Meyer an diesen
Brief angeknüpft hat und die die ganze Avellanische Samm-
lung angeht. Meyer * geht von der Thatsache aus, dass der
Anfang des Schreibens in der Avellana den Wortlaut hat:
Scripta beatitudinis tuae . . suscepimus, omnipotenti deo ma-
ximal gratias referentes quod u. s. w., während die übrigen
sieben canonistischen Sammlungen, die das Stück enthalten,
folgendermasscn lesen: Scripta beatitudinis tuae . . suscepimus,
quibus recensitis egimus omnipotenti deo maximas gratias qwod
u. 8. w. Mit dieser Thatsache verbindet Meyer die andere,
dass in n. 2 der Avellana, der Schrift der Presbyter Marcel-
linus und Faustinus, die Avellana einen vollständigeren und
vielfach besseren Text giebt als die drei oder vier Sammlungen,
in denen die Schrift uns sonst noch überliefert ist, und schliesst
nun Folgendes: Oritur suspicio magnampartem epistularum, qtuze
codicibus iuris canonici vulgatis traditae sunt, redire ad uruxm
eandemque collectionem ut antiquissimam ita et erroribus descri-
bentium et interpolantis cuiusdam audacia misere vitiatam.
1 Vgl. Sirmondi opera varia. Tom. I, Paris. 1696, col. 137 ff. und dazu c II
der Praefatio. Von den hier erwähnten Variante» leciiones . . ex codiee
Remigiano habe ich unter dem Text selbst nichts entdeckt; Ton dem
Remigianus selber weiss ich nichts.
a Vgl. II, S. 31 f.
ATeilaafr»8tudien. 87
Ich möchte hiergegen zunächst das einwenden, dass von
der Recension der Avellana als einer einheitlichen doch erst
von dem Zeitpunkt an die Rede sein kann, wo der Redactor
die verschiedenen Theilsammlungen oder Theile von solchen,
die wir oben geschieden haben, zu einem Corpus vereinigte.
Vor der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts hatte jede dieser
Gruppen ihre eigene Ueberlieferung und demnach ihre eigenen
Schicksale. Auch darüber lässt sich streiten, ob von diesem Zeit-
punkt an die Ueberlieferung der Avellana wirklich eine gute
genannt zu werden verdient; denn wo neben V eine Parallel-
überlieferung auftritt . sei es nun der Berolinensis Bf sei es die
Hispana oder sonst eine Sammlung, da finden sich doch Stellen
genug, wo die richtige Lesart zweifellos nicht in V, sondern in
der Parallelüberlieferung anzutreffen ist. Sodann sehe ich nicht
ab, wie die Avellana von allen übrigen canonistischen Sammlungen,
die mit ihr sei es diesen, sei es jenen Brief gemeinsam haben,
so gesondert werden kann, dass letztere ihr gegenüber als eine
einheitliche recensio vulgata zusammengefasst werden. Wenn
die sieben Sammlungen, die ausser der Avellana den Brief 37
enthalten, sämmtlich eine von dem Text der Avellana ver-
schiedene und ohne Zweifel schlechtere Lesart aufweisen, so
liegt auf der Hand, dass alle sieben Sammlungen auf ein
schon verdorbenes Exemplar x dieses Briefes zurückgehen.
Allein dass jene sieben Sammlungen durch mannigfache Ver-
wandtschaft mit einander verknüpft sind, stand aus Gründen,
die ihrer Composition entnommen waren, schon längst fest.
Wiederum, wenn in den vier Sammlungen, die die Parallel-
überlieferung der Schrift der Presbyter Marcellinus und Fau-
stinus darbieten und die von jenen sieben erstgenannten Samm-
lungen durchaus verschieden sind, jene Schrift an vielen Stellen
Lücken und Verderbnisse zeigt, von denen die Avellana frei
ist, so folgt, dass sie auf ein Exemplar y jenes Libellus zurück-
gehen, das vielfach schlechter war als das in die Avellana auf-
genommene. Allein die enge Verwandtschaft auch dieser vier
Sammlungen war aus inneren Gründen längst erschlossen. Mit
welchem Recht aber will man nun jenes Exemplar x von n. 37
und das Exemplar y von n. 2 mit einander in Verbindung
bringen? mit welchem Recht aus dem Umstand, dass durch
einen reinen Zufall n. 2 und n. 57 in der Avellana ver-
88 T. AManüaf : Sftnthftr.
einigt sind, darauf schliessen, dass anch jenes x und y einst
in irgend einer Sammlung vereint gewesen wären und gemein-
same Schicksale erlitten hätten, während doch heute die Samm-
lungen, in denen x vorkommt, von denen, in welchen y steht,
völlig verschieden sind?
Es ist durchaus daran festzuhalten, einmal, dass die Avel-
lanische Sammlung nicht im Geringsten anders zu beurtheilen
ist als die meisten übrigen canonistischen Sammlungen. Wahr
ist, dass sie uns sehr viele Stücke erhalten hat, die wir sonst
nicht kennen würden, wahr, dass sie gute Quellen benutzt hat;
allein beides hebt sie doch nicht so aus der Reihe der übrigen
Sammlungen heraus, dass ein principieller Unterschied zwischen
ihr und diesen festgestellt werden könnte. Jede Sammlung
hat ihre eigene Geschichte, die Avellana so gut wie die Dio-
nysiana oder die Sammlung der Handschrift von Albi: eine
gemeinsame Geschichte aller übrigen Sammlungen gegenüber
der Avellana giebt es nicht. Wir haben nur dann das Recht,
zwei Sammlungen in inneren Zusammenhang zu bringen, wenn
ihr Inhalt in irgend welchen Stücken gleich oder ähnlich ist.
KemSnt in zwei Sammlungen a uud b eine längere Reihe von
Briefen in derselben oder doch in ähnlicher Reihenfolge vor,
so kann das kein Zufall sein, sondern es hat entweder a aas
b oder b aus a oder sowohl a wie b aus einer gemeinsamen
Quelle c geschöpft. Auf diesem Wege haben die Brüder Bal-
lerini und dann vor allen Maassen die verschlungenen Ver-
wandtschaftsverhältnisse vieler Sammlungen auf das Glücklichste
klargelegt Meyer spricht diesen Schlüssen die absolute Sicher-
heit ab und meint, es müsse ein zweites hinzukommen: die
Handschriften derselben Sammlung müssten dieselben, die Hand-
schriften ähnlicher Sammlungen ähnliche Lesarten zeigen. Im
Grossen und Ganzen wird dies ja ohne Frage zutreffen, allein
nothwendig ist es keineswegs. Meyer selbst weist darauf hin,
wie oft Handschriften einer Classe mit Lesarten von Hand-
schriften einer anderen Classe durchsetzt worden sind. Das
ist in der That so häufig der Fall, dass jemand, der die Ab-
hängigkeit einer Sammlung von einer anderen nur auf Grund
von gleichen oder ähnlichen Lesarten behaupten wollte, vielfach
irre gehen würde. Es ist bekannt, wie sich aus der Decretalen-
8ammlung des Dionysius Exiguus im Laufe der Zeiten die Form
ATeilwiÄ-Studien. 89
entwickelt hat, die wir als Dionysio-Hadriana zu bezeichnen
gewohnt sind. Auch diese Form hat wieder mancherlei Ab-
änderungen erfahren, vor Allem die, welche heute die vier
Handschriften Monac. 14008, Vallicellanus A 5, Vercellensis
LXXVI und Vaticanus 1353 zeigen. Maassen hat diese , ver-
mehrte Hadriana' genauer beschrieben; das Wesentliche an
ihrer Form ist, dass die Dionysio-Hadriana als Kern in der
Mitte steht (vgl. Maassen, S. 445, n. VII— LXVIII), dem nur
einige andere Stücke vorangesetzt und wieder andere angefügt
sind. Wie ist es nun mit den Lesarten? In unserem Brief 37
geben p. 84 9 f. meiner Ausgabe alle Handschriften der Dionysio-
Hadriana ut ei quid forte religioni tuae quod non optamus
humana sorte contigerit, alle vier Codices der vermehrten Ha-
driana schieben dagegen zwischen forte und religioni ein tale
ein und nähern sich so den Lesarten der von der Dionysiana
unabhängigen alten ^Sammlung von St. Blasien' (Z), unter deren
vier von mir herangezogenen Handschriften £* und Pforte tale
quod, C1 forte aliquod (corrigirt aus alequod), t8 forte reli-
gioni tale quod darbieten. Ebenso liest die vermehrte Hadriana
84 12 mit der Sammlung von St. Blasien certatim} während die
Dionysio-Hadriana ebenso wie die Avellana certantum hat. Aus
solchen und ähnlichen Stellen schliesst Meyer: der Monacensis
14008, dessen Lesarten ihm von den vier oben angeführten
Handschriften der vermehrten Hadriana allein zu Gebote standen,
fnon auctam Hadrianam sed aliam verborum conformationem
exhibet1. Wenn dies nichts weiter bedeuten soll, als dass die
Handschrift an einigen Stellen nicht Lesarten der Dionysio-
Hadriana, sondern solche der Sammlung von St. Blasien auf-
weist, so wird dem Niemand widersprechen. Allein es klingt
doch beinahe so, als ob Meyer aus jener Verschiedenheit der
Lesarten den Schluss zöge, die in besagtem Monacensis und
seinen drei Genossen Überlieferte Sammlung sei von Maassen
falschlich ,vermehrte Hadriana' genannt und Brief 37 nicht
aus der Hadriana, sondern irgendwo anders her in jene Samm-
lung übernommen. Dies wäre eine Folgerung, der man sich
unter keinen Umständen anschliessen dürfte. Da die ganze
Hadriana als geschlossenes Corpus in der , vermehrten Hadriana'
thatsächlich enthalten ist, so stammt auch Brief 37 und was
sonst vielleicht noch anderswo überliefert ist eben aus der
90 V. Abhandlung: Günther.
Hadriana.1 Die Erklärung solcher Fälle ist immer dieselbe:
der Archetypus jener vier Handschriften stammt aus einem
Exemplar der Hadriana, in das eine Reihe von Lesarten der
Sammlung von St. Blasien übertragen war. Noch ein anderes
Beispiel mag hier, da wir gerade bei der , vermehrten Hadriana'
stehen, kurze Erwähnung finden. Im Codex Vallicell. A 5
dieser Sammlung ist Brief 37 von anderer Hand nach einem
Exemplar der Avellana corrigirt, beispielsweise der oben aus*
geschriebene Anfang Scripta beatitudinis tuae . . suscepimus
quibus refconjcensetis egimus omnipotentifs] deo maximas gr alias
quod u. s. w. in suscepimus omnipotenti deo maximas gratias
referentes quod u. s. w. abgeändert. Wären diese Correcturen
zufälligerweise nicht in den Vaüicellanus, sondern schon in den
gemeinsamen Archetypus der vier Handschriften der vermehrten
Hadriana eingetragen, so würden heute alle vier die Lesarten
der Avellana zeigen. Aber würde darum die vermehrte Ha
driana als solche auch nur irgend etwas mit der Avellana eu
thun haben?
Ich möchte also den Grundsatz aufstellen: wo immer über
die Verwandtschaft zweier Sammlungen a und b aus der Com-
position, d. h. aus der Reihenfolge gemeinschaftlicher Stücke
etwas zu erschliessen ist, da werden solche Schlüsse durch
Uebereinstimmung der Lesarten wohl bestärkt, auf der anderen
Seite aber nicht im Geringsten dadurch entkräftet, wenn etwa
an einer Reihe von Stellen b nicht die der Sammlung a eigren-
thümlichen Lesarten, sondern vielleicht die einer dritten Samm-
lung c zeigt. Von Wichtigkeit sind einzelne Lesarten nur
dann, wenn aus der Composition überhaupt keine Schlüsse
gezogen werden können, oder aber, wenn mehr als zwei
Sammlungen auch ihrer Composition nach verwandt sind und
nun die Gleichheit, beziehungsweise Verschiedenheit der Les-
arten eine Handhabe bietet, um unter mehreren an und für
sich möglichen Verwandtschaftsverhältnissen eines als das
wahrscheinlichste zu ermitteln. Vorsicht ist freilich auch hier
von Nöthen.
1 An anderen Stellen ergiebt sich dies auch aus den Lesarten; vgl. 84 19
studio, Avellana und Sammlung von St Blasien: sua studio, älteste Dio-
nysiana, Dionysio-Hadriana, vermehrte Hadriana.
ATellaairStndien. 91
Den Brief 37, um nun endlich im Einzelnen zu seiner lieber*
lieferung zu kommen, haben abgesehen von der Avellana uns
noch sieben andere Sammlungen erhalten. Ich habe sie S. LXff.
meiner Prolegomena genauer bezeichnet und stelle hier nur
die Chiffren zusammen, soweit ich sie im Folgenden nöthig habe:
1. Z = ^Sammlung von St. Blasien*. Handschriften: C1 =
Sanblas. 6 saec. VI, £2 = Lucens. 490 saec. VIII, £8 =
Paris. 3836 saec. VIII, £4 = Paris. 1455 saec X (letz-
terer enthält die ,Sammlung der Colbert'schen Hand-
• schrift', deren erster Theil jedoch nichts Anderes ist als
die ,Sammlung von St. Blasien').
2. r = ,Sammlung der Handschrift von Chieti' Vatic. Re-
gin. 1997 saec. X.
3. üj = ,Sammlung der Vaticanischen Handschrift', w2 =
Barberin. XIV 52, saec. IX; Vatic. 1342 und Laurent. 82
bibl. aedil. Florent. enthalten den Brief nicht.
4. J =s ^Sammlung der Handschrift von Diessen'. Monac.
5508 saec. IX.
5. D = älteste Form der ,Dionysiana* : d1 =■= Paris. 3837
saec. IX, d* = Vatic. 5845 saec. IX.
6. H= ,Dionysio-Hadriana'. Von mir zehn Handschriften
des 9. und 10. Jahrhunderts verglichen, darunter A8
und A9, die Mlinchener 3860 und 3860*.
7. Hisp. = ,Hispana'. Von mir benutzt die Ausgabe der-
selben von Gonzalez (Madrid 1808, 2. Band 1821) und
zur Controle verglichen die Handschriften i l = Vatic.
1341 saec. X, i2 = Vatic. 630 saec/ X, is = Vatic.
3791 saec. XH.
Von diesen Sammlungen hätte ich, ebenso wie ich den
Parisinus 1455 mit unter die Handschriften der Sammlung von
St. Blasien gerechnet und die ^vermehrte Hadriana' als einen Ab-
leger von H unberücksichtigt gelassen habe — rein methodisch
gebandelt — auch von H selbst und ebenso von der Hispana
absehen können, da beide bekanntermassen die Decretalen-
sammlung des Dionysius und mit ihr auch Brief 37 aus D in
sich aufgenommen haben. Wenn ich sie trotzdem herangezogen
habe, so ist es deshalb geschehen, weil ich für D selbst nur
■*■• -
■*•*
C •
• *
Avellam-Stndien. 93
83 7 suscepimus] suseipimus £* £2 z/; 84 10 non] fehlt in £x //).
Wenngleich also A den Brief 37 nicht aus £* selbst geschöpft
haben kann (vgl. 83 10 didicimus] dedicimus J} dicimus ^1li]
84 18 seditiosis conspirationibusj seditionibus conspirationibus A,
seditionibus t1 £*), so liegt doch auf der Hand, dass seine Quelle
nicht r, sondern eine dem Codex £* sehr nahe stehende Hand-
schrift der Sammlung Z gewesen ist. Wieweit dies auch für
die übrigen Briefe zu constatiren ist, die den Sammlungen AZV
gemeinsam sind und die Maassen die Sammlung A aus T ge-
schöpft haben lässt, kann nur eine Vergleichung der Lesarten
sämmtlicher Stücke lehren.
Was die Sammlungen ZTw angeht (denen, was Brief 37
anlangt, noch A anzureihen ist), so hat bereits Maassen aus
ihrer Compositum den zweifellosen Nachweis geführt, dass
sie auf eine sehr alte gemeinsame Quelle zurückgehen, die
verschieden ist von der Decretalensammlung des Dionysius.1
In der That beweisen auch die Lesarten, dass D auf der einen
Seite steht, ZTtaA auf der anderen. Vgl. folgende Stellen, bei
denen ich wie in meiner Ausgabe die gemeinsamen Lesarten
von ZATio mit K, die gemeinsamen Lesarten von DH Hisp.
mit 3 bezeichne:
83 3 ut st dermo romae episcopi ut si denuo (romae fügt JT
ordinati fuerint duo 3 hinzu) ordinati fuerint
duo K
ut si ordinati fuerint duo
episcopi V
84 7 credidit V*2 credimus oder credidimus K
84 19 sua studia 3 studio, FK
Die ersten beiden der angeführten Stellen beweisen unter
Berücksichtigung der Lesart von V7 dass K nicht Quelle für 3,
die letzte ebenso, dass 3 nicht Quelle für K gewesen sein kann.
Die Decretalen der Hispana sind, so weit sie in der älte-
sten Form der Dionysiana vorkommen, aus dieser entlehnt;
ebenso ist die Dionysio-Hadriana nur eine Weiterbildung jener
1 Vgl. Maassen, S. 500 ff. Dasselbe gilt von der »Sammlung der Justerschen
Handschrift* (Maassen, S. 533), die aber weder n. 37 enthält, noch die
supplicatio Bonifatii.
94
Y. AMtoadtaig: Oflntker.
ältesten Form der Dionysiana. Wir würden demnach, was
Brief 37 angeht, zu einem Verwandtschaftsverhältniss der ein-
zelnen Sammlangen gelangen, das dnrch folgendes Stemma
veranschaulicht wird:
Freilich stimmen nicht alle Lesarten hiermit. So zeigt f,
dessen Zugehörigkeit znr Classe X sowohl durch die oben von
mir angeführten Lesarten, wie durch Maassen's Untersuchungen
über die Composition dieser Sammlung bewiesen wird, an
einigen Stellen Lesarten, die von denen seiner Genossen ZAta
abweichen und vielmehr mit denen von D übereinstimmen;
vgl. 83 2 romanum DHV: fehlt in ZJw* 83 3 in qua ZJcj*:
in quo 2 T 83 3 ordinaH VZJan* : romae episcopi ordinati 2,
romae ordinati F. Zweifellos ist also irgend eine Zwischen-
stufe zwischen K und /' durch Lesarten der Dionysiana inter-
polirt worden. Ebenso ist auf Interpolation durch Lesarten der
Classe 2 zurückzuführen, wenn in w* 83 6 urbis Romae zu
lesen ist. das sonst nur in der Handschrift d* und der Hispana
steht, während alle übrigen Handschriften von R mit «I1 und
s&mmtlichen Handschriften von H urbis aeternae darbieten.1
Schliesslich ist auch die Hispana nicht frei von Inter-
polationen aus der anderen Classe, vgl.
83 2 romanum DHTVi fehlt in ZJta* Hisp.
84 2 uti DHZJTi ut Hisp. a>*V
1 Wenn •* 84 * ut liest, w&hrend mit Ausnahme der Hispana alle Hand-
schriften beider Classen K und Z uti haben, so kann das Zufall sein. 84 «
hat ••* richtig ne (mit V und Hisp.), was in ZA fehlt, w&hrend T €», D ut
liest Ich glaube, wie in ZAy fehlte das Wort sehen in dem gemein-
samen Archetypus der Classen K3 und die Lücke wurde in rD und
möglicher Weise auch in m durch rerschiedene Cowjecturen erganst
Ardlana-Studien. 95
84 6 ut D und mit Ausnahme von ne Hisp. ä8ä°ci>2F
A* A9 auch H (eo T, fehlt in
ZA)
84 9 voluimus D and mit Ausnahme volumus R VHisp. A8 A9
von A8A9 auch H
84 n duo DHr duo forte ZJV^Hisp.
Sicheres über die Quelle dieser Interpolationen l wird sich
kaum feststellen lassen, möglicherweise stammen sie aus einer
Handschrift wie w*.
Wir sehen also, dass auf der einen Seite öfter Lesarten
der Classe K in Handschriften oder Sammlungen, die von 2
abhängen, übertragen worden sind, und dass auf der anderen
Seite auch das Umgekehrte stattgefunden hat. Ich habe das
einigermaßen zu erklären versucht; wer mehrere in K und
2 gemeinsam vorkommende Stücke vergleicht, wird vielleicht
hier und da zu anderen Erklärungen kommen, ohne jedoch
an dem wesentlichen Resultat, an der Trennung der einzelnen
Sammlungen in die Classen K und 2 etwas zu ändern. Denn,
um es zu wiederholen, in einem Falle, wo die aus der Compo-
situm der Sammlungen gewonnenen Resultate durch eine Reihe
von schwerwiegenden Lesarten ihre Bestätigung finden, in einem
solchen Falle ist es gleichgiltig, ob in diesem o'der jenem Zweige
der einen Classe der Ueberlieferung einmal eine Lesart auf-
tritt, die der anderen Classe angehört.
Aus Allem, was ich über das Verhältniss der Sammlungen
X3 und V gesagt habe, ergiebt sich als praktisches Resultat für
den Herausgeber von Brief 37, dass in allen Fällen, wo K
und 2 von einander abweichen, diejenige Lesart die ursprüng-
1 Man könnte auf den Gedanken kommen, der Collect» r der Hispana habe
einen Codex der Dionysiana benutzt, der an manchen Stellen besser war
als die uns erhaltenen. Allein damit erledigen sich keineswegs alle oben
angeführten Stellen, denn dass 83 a das in der Hispana fehlende roma-
num in DH mit Recht steht, wird durch die Uebereinstinimung von V
bewiesen; und 84 2 ist uti nicht allein für die ursprüngliche Lesart der
Classe 2 zu halten, sondern auch für den gemeinsamen Archetypus von
3 und X in Anspruch zu nehmen. Mit einem Worte erwähnen will
ich gleich hier die abweichenden Lesarten der beiden Münchner Ha-
driana- Handschriften A8 und h°. Wie hier, so geben sie auch in an-
deren Stücken vielfach Lesarten, die der Hispana eigen thümlich sind.
96 V. Abhandlung: Günther.
liehe ist 7 die mit V übereinstimmt. Stehen R2 dagegen zu-
sammen gegen V, so hat man ans inneren Gründen zu ent-
scheiden, welche Lesart die richtige ist.
Hinzufügen möchte ich noch eins. Wir sahen oben, dass
irgend jemand in alter Zeit den Brief 37 an die Supplicatio
Bonifatii anfügte, auf die er Antwort giebt. Wer das that, der
ersetzte sachgemäss das Epistola imperatoris Honorii, das
wir noch in V lesen, durch ein Rescriptum Honori Augusti,
wie es K und 2 haben. Allein der Betreffende ist bei dieser
Aenderung offenbar etwas nachlässig gewesen. Denn da es
in Fheisst: Epistola imperatoris Honorii ad Bonifatium epi-
scopum Romanum qua statuit ut u. s. w., und wir auch in K
(mit Ausnahme des aus der Dionysiana interpolirten F) lesen:
Rescriptum Honori Augusti ad Bonifatium papa in qua
statuit ut u. s. w., so ist hier das qua offenbar kein Schreibfehler,
sondern durch ein Versehen aus dem anderen Titel Epistola . . .
qua herübergenommen und erst von Dionysius in quo corrigirt
worden.1
•
3.
Die Ueberlleferung des Briefes 9Valde mirati &umu&
des Gelaslus (Avell. n. 95).
Das Schreiben des Gelasius an die Bischöfe von Dardanien
vom 1. Februar (oder 13. Mai?) 496 Valde mirati sumus — n. 95
in der Avellanischen Sammlung — sucht den Nachweis zu führen,
dass Acacius von Constantinopel mit Recht vom apostolischen
Stuhle verdammt sei. Es ist von beträchtlichem Umfange und
unter den eigentlichen Briefen jenes Papstes weitaus der längste.
Die Ueberlieferung des Stückes ist etwas verwickelt; ich habe
daher, obgleich meine Ansicht darüber von der bisher geltenden
1 Ob der Titel Supplicatio papae Bonifatii, ut conttituatur a principe, qua-
tenu* in urbe Roma numquam per ambüum ordinetur antistes, der dem
Schreiben des Bonifatius vorangeht, schon in dem Archetypus von X
and 3 gestanden hat oder erst von Dionys nach dem Master jenes an-
deren Rescriptum Honori AugtuU u. s. w. angefertigt worden ist, ist nicht
ganz sicher. Ausser 3 hat ihn auch o> (vgl. Maassen, S. 618, n. 3LLV),
doch braucht er deswegen noch nicht in K gewesen zu sein, da », wie
ich oben bemerkt habe, Spuren von Interpolationen aus 3 zeigt.
AYeUan*-8tudien. 97
durchaus abweicht, in meiner Aasgabe nicht näher darauf ein-
gehen wollen, bin aber eben darum verpflichtet, die Frage
hier ausführlicher zu behandeln.
Die Hauptsache ist die, dass zwei Fassungen des Schreibens
existiren, eine längere (= ii) und eine kürzere (= 2). Die
letztere habe ich in der Appendix I meiner Ausgabe zum Ab-
druck gebracht. Die Unterschiede beider Fassungen hegen ein-
mal darin, dass an einer Reihe von Stellen, wo in ß irgend
ein Gedanke des Gelasius entweder breit ausgeführt oder durch
geschichtliche Beispiele erläutert wird, in 2 diese weiteren Aus-
fuhrungen oder Beispiele fehlen. So giebt ß in den §§. 60 — 63
eine grössere Anzahl von Fällen an, in denen Geistliche den un-
rechten Bestrebungen politischer Machthaber freimüthigen und
offenen Widerstand entgegengesetzt hätten: als solche werden
genannt der Prophet Nathan gegenüber König David, Ambro-
sius von Mailand im Kampfe mit Theodosius, Papst Hilarus
in seinen Bestrebungen gegen den Kaiser Anthemius, die Päpste
Simplicius und Felix gegenüber Basiliscus und Zeno, Eugenius
von Carthago im Widerstand gegen den Vandalenkönig Hunne-
rich und schliesslich Gelasius selbst mit seiner Nichtachtung
von Befehlen des Odovaker. Von allen diesen Beispielen hat 2
nur den Propheten Nathan; die Worte 390 18 beatae memoriae
Ambrosia* bis 391 21 paruisse manifestum est fehlen. In ähn-
licher Weise fehlen in 2 die Worte ß §. 55 — 57, in denen
durch eine Reihe von Beispielen aus der Papstgeschichte die
irrige Meinung widerlegt wird, als ob die Würde des Bischofs
von Constantinopel dadurch einen Zuwachs erfahre, dass Con-
stantinopel die Residenz der römischen Kaiser sei; und solche
Fälle können noch mehrere angeführt werden. An anderen
Stellen ist der Wortlaut in 2 nicht nur kürzer als in ß, sondern
er erscheint diesem gegenüber auch in veränderter Reihenfolge
der Gedanken. Ich weise in dieser Beziehung hier nur kurz
auf einen Fall hin, auf den ich unten noch näher einzugehen
habe: ß §§. 11 — 25 erscheinen in 2 so, dass auf §. 11 nur
die Anfangsworte von §. 12 folgen, dann springt die Rede
auf den Anfang von ß §. 15 und von hier unter Einfügung
einiger Worte, die in ß fehlen, auf ß §§. 23 — 25, jedoch so,
dass vor ß §. 25 (= 2 §. 15, p. 779 li) noch der Anfang
von ß §. 18 auftritt. Weniger erheblich sind solche Fälle,
Sitrangttor. d. pkiL-hirt. Cl. CXXXIV. Bd. 6. Abh. 7
98 V. Abhandlung: Günther.
wo statt irgend welcher einzelnen Worte von ß in 2 syn-
onyme Ausdrücke erscheinen, vgl. z. B. p. 371 20 in haec
consortia Q: in hos blasphemias 2$ p. 372 1 novis ausibus Q:
nomter 2] p. 385 6 pariter £}: quoque 2] p. 392 13 expelli £2:
excludi 2.
Ueber das Verhältniss der beiden Fassungen hat sich
zuerst Quesnel1 geäussert: er hält die kürzere Form für die
echte, spricht alles, was die längere ihr gegenüber mehr hat,
dem Gelasius ab und hält es für Interpolation einer späteren
Zeit. Dieselbe Ansicht hat nach ihm Maffei* ausgesprochen
und zu vertheidigen gesucht. Die von beiden ins Feld ge-
führten Gründe sind jedoch ohne jede Beweiskraft und von den
Ballerini3 und von Thiel4 so treffend widerlegt, dass ich hier
davon absehen kann, von Neuem auf sie einzugehen. Sowohl
die Ballerini wie Thiel halten also auch die längere Form für
gelasianisch; der Meinung freilich, dass die kürzere die ältere
sei, haben auch sie sich nicht entschlagen können; sie halten 2
für den ersten Entwurf des Papstes, ß für eine ebenfalls von
Gelasius ausgegangene, vermehrte und verbesserte zweite Re-
daction desselben.6 Auch Jos. Langen hält die kürzere Fas-
sung für die ältere und glaubt sogar, dass diese wirklich an
die Bischöfe Dardaniens abgesandt sei; er sagt über die beiden
Texte Folgendes: ,Der längere charakterisirt sich als eine Er-
weiterung des kürzeren, welcher der ursprüngliche war. Die
Zusätze enthalten Ausführungen und historische Beläge, welche
zum Theil wenigstens dazu dienen sollten , die in dßm Briefe
aufgestellten Behauptungen zu bekräftigen. Es spricht nichts
1 Ad S. Leonis opera Appendix (= 2. Band der Opera Leonis), p. 186.
s Supplementum Acacianum (Venet 1728) p. 9 f.
3 Appendix ad S. Leonis opera (= 3. Band ihrer Ausgabe), p. CXLVI ff.
4 Epp. Roman. Pontific. I, p. 36 ff.
5 JIoc vero auctius exemplum cum et dausulam tet chronicam notam prae-
ferat, ad ipso* Dardanos missum videtur: alterum vero brevius primum
fuisse, quod Gelasius prioribus curis paraverat, non tarnen perfecerat,
sagen die Ballerini (a. a. O. p. CXLVIII); tLeonem vero . . . imüatus est
Gelasius eo quod opus rudiore penicülo primum delineatum postmodum
perficere atque omnibus numeris suis explere nisus est* heisst es bei Thiel
(p. 38). Dem Urtheil Thiel's schliesst sich an A. Roux, Le pape
S. Gälase I, Paris -Bordeaux 1880, p. 82 — ein Buch ohne jeden
eigenen Werth.
▲▼ellanarStndien. 99
gegen die Annahme, dass schon zu Gelasius' Zeit und mit
seiner Billigung der nach Dardanien abgeschickte Brief in dieser
Weise erweitert dem römischen Archiv einverleibt wurde.11
Die Entscheidung kann natürlich nur auf Grund einer ge-
nauen Interpretation des Einzelnen getroffen werden. Die kür-
zere Form werden wir dann für die ursprüngliche und ältere
halten müssen, wenn das, was in ihr concinn und folgerichtig
auseinandergesetzt wird, in der längeren durch Zusätze derart
gestört wird, dass das Einzelne nicht mehr gut zusammenhängt;
dagegen wird man die kürzere Form für einen Auszug der
längeren in dem Falle anzusehen haben, wenn irgend etwas,
was hier gut und tadellos ist, in der kürzeren so auftritt,
dass der Gedankenzusammenhang gestört und der eine oder
andere Ausdruck nicht mehr zu erklären ist. Quesnel, die
Ballerini und Thiel haben diesen Weg der Interpretation über-
haupt nicht betreten, und auch Langen ist darin, wie mir
scheint, nicht eben glücklich gewesen. Alles, was er in dieser
Beziehung vorbringt, ist ohne zwingende Kraft und dürfte
leicht zu widerlegen sein.8 Freilich wäre es dazu nöthig, den
1 Gesch. der röra. Kirche von Leo I. bis Nicolaus I., p. 178 Anmerkung.
9 Langen wendet sich besonders gegen die Worte Si §. 18: Quapropter
utrum errori vel praevaricatumi eommumcarit Acacius, quid opus erat
nova discussione cognoscere, cum tarn Utteris suis esset ipse confessus ac,
sicut scriptum est ,ore tuo iusUficaberis et ore tuo condemnaberis', ver-
borum suorum vineulis et reu» teneretur et iure plectendusf Gelasins hat
Torher (Sl §. 10 — 17) auseinandergesetzt, dass der p&pstliche Stuhl ge-
mäss den Beschlüssen des Concils von Chalcedon mit vollem Recht den
Acacius von seiner Gemeinschaft ausgeschlossen habe, da er nicht nur
ein Urtheil des Papstes von sich gewiesen, sondern sich auch selbst
offen zu der Gemeinschaft mit Petrus von Alexandreia bekannt habe.
Hieran schliesst sich jenes an, wie ich meine durchaus folgerichtig: da
Acacius selbst seine mit den Beschlüssen von Chalcedon unvereinbare Ge-
meinschaft mit Petrus zugestanden hat, so war eine Untersuchung darüber,
ob Petrus im Irrthum oder in praevaricatio befangen, vollständig über-
flüssig. In £, wo die ganze Auseinandersetzung über die Schuld des
Acacius stark gekürzt erscheint, ist von jenen Worten nur der Anfang
da und dieser mit dem, was Sl erst an viel späterer Stelle in §. 25
bringt, folgendermassen verbunden: Quodsi, utrum errori vel praevari-
cationi eommumcarit Acacius, forsitan dicatur oportuisse constare, breviter
praebemus ad ista responsum: out enim ipsi doceant Petrum legitime vera-
dttrque purgatum et ab omni kaereticorum contagione rite discretum, cum
ei commutücavit Acacius, si eius communicatorem putant Acacium aliqua-
7*
100 V. AbWiluof: Günther.
umfangreichen Brief des Papstes bis in seine einzelnen Theile
hinein genau zu zergliedern — ein Unternehmen, das sich
bei den mancherlei Gedankensprüngen des Verfassers nicht
auf wenigen Seiten erledigen lässt. Ich begnüge mich daher,
meinerseits nur äine Stelle aus dem Schriftstück hervorzuheben,
allerdings eine solche, von der ich hoffe, dass sie auch Langens
Meinung ändern wird.
In ß schliesst das ganze Schreiben mit den Worten (§. 80):
Haec vero ad instructionem vestrae dilectionis satis abundeque
sufficere iudicamus, quamvis eadem latius, si dominus con-
cesserit facultatem, studeamus exponer e, quatenus et ßdelium
quisque cognoscat nihil apostolicam sedem} quod abrit, prae-
propere censuisse et non habere, quod iuste possit opponere,
tenus excusandum, out sif quod magig est verum, convenienter atque
legitime Petrum tum probaverinl expiatum, restat ul eins mexpiatione
fuerit et qui ei communicavü infcctus. Langen giebt das so wieder:
ßage man, es habe constatirt werden müssen, ob Acacius1 Verhalten Ho*
auf einem Irrthum oder auf einem Vergehen beruhe, so sei auch das
längst Mar*, und meint, die Worte seien von dem Redactor von SL miss-
verstanden. Allein dagegen ist einmal einzuwenden, dass Langen den
Vordersatz nicht richtig übersetzt hat; es handelt sich an dieser 8telle
nicht darum, ob bei Acacius error oder praevaricatio anzunehmen war,
sondern darum, ob bei der Person, cui Acacius communicavü, d. h. bei
Petrus damals entweder error oder praevaricatio hätte constatirt werden
müssen. Sodanu steht der Nachsatz *o sei auch das längst klar0 wohl
bei Langen, aber nicht im lateinischen Text. Das Dilemma aber, mit
dem in 2 jene Frage beantwortet wird, ist wenig am Platze; es möchte
zur Noth als eine freilich recht ungeschickte Antwort auf die Frage
gelten können, ob Petrus damals error oder praevaricatio vorzuwerfen ge-
wesen, jedoch nicht auf die, ob hierüber zu jener Zeit eine Untersuchung
erforderlich war. Ich sehe gerade in dieser ungeschickten Verbindung
durch die Worte breviter praebemus ad ista responswn die Hand des
späteren Redactors Z, der weder die Worte Sl %. 18 quapropter utrum
errori etc., noch den Satz & §. 25 nunc attiem ipsi doceant legitime Petratu
fuisse purgatum etc. ganz aufgeben wollte und daher, nachdem er das
Mittelsttick herausgeschnitten , beides durch einen selbstverfeiügten
farblosen Lappen so gut wie es ging aneinanderflickte. In £ ist an
den Worten Nunc autem ipsi doceant legitime Petrum fuisse purgatum etc
kaum etwas auszusetzen. Nachdem der Papst die seiner Meinung nach
zweifellose Schuld des Acacius dargelegt, kommt er, zu einem neuen
Theile übergehend, den Gegnern soweit entgegen, dass er sich über-
haupt zu einer Erörterung der Frage herbeilässt, ob Petrus damals als
ein legitime purgatus betrachtet werden konnte.
Arellana-Stndien. 101
perversa doceatur improbitas — worauf nur noch (§.81) die Auf-
forderung folgt, sowohl die catkolici wie die contraria sapientes
mit dem Inhalt des Schreibens bekanntzumachen, und das
Datum. Dass die ausgeschriebenen Worte nur am Ende des
Briefes ihre passende Stelle haben, liegt auf der Hand. In 2
sind sie umgestellt; es folgt auf sie das, was bei ß den §.76
ausmacht: Quae tarnen sententia in Acacium destinata etsi
nomine tantummodo praesulis apostolici, cuius erat utique pote-
stattSy legitime probatur esse deprompta . . ., tarnen quia Ortho-
doxie ubique deiectis et haereticis tantummodo eorumque con-
sortibus iam relictis in Oriente catkolici ^pontifices aut residui
omnino non essent aut nullam gererent libertatem9 plurimorum
in Italia catholicorum congregatio sacerdotum rationabiliter in
Acacium sententiam cognovit fuisse prolatam. Mit dem was ihnen
in ß vorangeht, stehen diese Worte im besten Zusammenhang,
der Papst hat vorher des Längeren über das Verdammungs-
urtheil gesprochen, das vom apostolischen Stuhle gegen Acacius
und seine Anhänger gefällt ist; jetzt fügt er hinzu, dass dies
Urtheil auch die Bestätigung der Geistlichkeit erhalten habe,
obschon es deren an sich nicht bedurft hätte. In 2 dagegen ist
dieser Zusammenhang durch die Worte quae ad instructionem
vestrae dilectionis satis abundeque sufficere iudicamus etc. völlig
unterbrochen und die Aufeinanderfolge der Sätze eine geradezu
sinnlose. Allein es kommt noch etwas Anderes hinzu, was
nicht minder schwer wiegt. Während wir in ß lesen: qua-
tenus et fidelium quisque cognoscat nihil apostolicam sedemy
quod absity praepropere censuisse et non habere, quod iuste
possit opponere, perversa doceatur improbitas, fehlen in 2 die
Worte et non habere bis doceatur improbitas. Da haben wir
deutlich die Spur des Epitomators: den ganzen Satz wollte er
nicht geben, so gab er denn den halben, jedoch ohne zu be-
merken, dass er die Construction des et ... et zerstörte, und
dass das et vor fidelium nach Fortlassung der zweiten Hälfte
des Satzes überhaupt unverständlich geworden war.
Ich bin in der That der Meinung, dass dies eine et,
das in 2 nicht zu erklären ist und dem in ß ein zweites et
correspondirt, die ganze Frage nach der Priorität der längeren
oder kürzeren Fassung für jeden Philologen notwendiger Weise
dahin entscheiden muss, dass ß die ursprüngliche Form des
102 V. Abhandlung: Günther.
Schreibens ist und zugleich die einzige, die Gelasius ihm ge-
geben. Der Grund, der später jemanden dazu veranlasste,
diese Form zu kürzen, war sicherlich nur der rein äusserliche,
dass er durch die Reducirung des Schriftstückes auf einen
massigen Umfang seine Uebersichtlichkeit und damit sein Ver-
ständniss erhöhen wollte. Geschehen ist dies sehr bald nach der
Zeit des Gelasius, denn die Sammlungen, in denen uns 2 über-
liefert ist, sind nach Maassen's zweifellos richtiger Ansetzung1
durchweg um die Wende des 5. zum 6. Jahrhundert entstanden.
Ich wende mich jetzt zu der Ueberlieferung des Briefes
im Einzelnen. Wenn wir von der Sammlung des Anselm von
Lucca absehen, über die ich unten eingehender zu sprechen
habe, so war die Recension ß bisher allein durch die Avel-
lanische Sammlung, d. h. den Codex V und seine Descendenz
bekannt. Ich war in der Lage, zwei neue Handschriften hin-
zufügen zu können.
1. R = Vatic. lat. 3832, eine Pergamenthandschrift des
12. Jahrhunderts. Dieselbe enthält Excerpte aus verschiedenen
canonistischen Sammlungen, darunter auf Bl. 94b bis 98 b die
längere Form unseres Gelasiusbriefes.
2. B = Berolin. lat. 79 (Phillipp. 1776), die alte Hand-
schrift Sirmond's aus dem 9. Jahrhundert, über die ich oben
schon weitläufig gehandelt habe.
Vergleichen wir zunächst -ß mit V9 so lehrt ein Blick
in die Adnotatio meiner Ausgabe, dass er im Allgemeinen V
an Werth nachsteht: er ist mit einer recht grossen Anzahl von
Fehlern — Lücken und Corruptelen — behaftet, von denen V
frei ist. Doch ist er keineswegs aus V abgeschrieben, das
beweisen etwa 30 Stellen, an denen im Gegentheil die richtige
Lesart bei 2? zu finden ist, während V eine Verderbniss zeigt.
Ich führe nur einige an: p. 370 l dementiam R: clementiam V
372 l novis R: nobis V 372 2 propterea in R: propter cain V
372 16 pro suo R: pro V 376 12 apostolicae id est R: apo-
stolica eide V 378 18 norme R: nostrorum V 380 6 scriptwras
sancta,8 R: scripturas V 390 9 suggerendis R: su§ gerendis V
392 5 esto R: est V 393 21 competerent R: peterent V 396 ö
inde R: unde V 396 17 in Oriente R: moriente V,
1 Vgl. seine Gesch. der Quellen, besonders S. 479, 490, 764.
A vellanft-Studien . 1 03
R steht also selbständig neben V. Doch hat auch er,
was diesen Gelasiusbrief angeht, aus einer Handschrift der
Avellanischen Sammlang geschöpft; denn an einer Reihe von
Stellen zeigen Fund R gemeinsame Corruptelen, so: 386 9
quo VR statt quod 390 10 pro in VR ausgefallen 393 17
obstiteret V9 obsj '/ '/ '/iteret R (ausradirt ist ein t) statt obsisteret
394 4 quod VR statt quos 394 10 quod VR statt quid. Es
gab darnach für V und R eine gemeinsame Quelle, die schon
eben diese Verderbnisse zeigte, die jenen beiden gemeinsam
6ind. Wenn wir aber zu diesen gemeinsamen Verderbnissen
noch hinzunehmen, dass 387 18 VR beide firmium statt ßrmium
darbieten, so folgt daraus nicht nur, dass in ihrer Quelle schon
ßrmium stand, sondern auch, dass diese Quelle ihrerseits aus
einer Minuskelhandschrift abgeschrieben war, d. h. aus einer
Handschrift, die einer beträchtlich jüngeren Zeit angehört als
der, in welcher die Avellana entstanden ist. Damit ist die Pro-
venienz des Gelasiusbriefes in R aus einer Avellanahandschrift
bewiesen.
An das, was ich über R gesagt habe, schliesst sich am
besten gleich eine kurze Erörterung über die Recension, die
in der leider noch immer unedirten Sammlung des Anseimus
von Lucca vorliegt. Ueber die Handschriften dieser Samm-
lung, soviel deren bis jetzt bekannt geworden, sind die Aus-
führungen der Ballerini1 und Theiner's* zu vergleichen. Ich
habe fiir den vorliegenden Brief zwei Handschriften benutzt:
1. Al = Vatic. lat. 1364, Pergamenthandschrift des
12. Jahrhunderts.
2. A9 = Vatic. lat. 4983, Papierhandschrift des 16. Jahr-
hunderts.8
Von diesen ist A9, obgleich ziemlich jungen Ursprungs,
doch auch seinerseits von selbständigem Werth, da er aus einer
Handschrift des beginnenden 12. Jahrhunderts abgeschrieben ist,4
1 De antiquis collect, canon. IV, cap. 13 (= Leonis opp. III, p. CCXCVff.).
* Disquisition. critic, p. 363 ff.
8 Der Barberiii. XI 178 aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts, den ich
für andere Stücke heranziehen konnte, enthält nur Buch 1 — 7 der Col-
lectio Ansei mi, also nicht unseren Brief (= lib. XI, n. 76 in A 1).
* Vgl. die Ballerini a. a. O., p. CCXCV.
104 V. Abhandlung: Günther.
die unabhängig neben Ax stand.1 Die gemeinsame Lesart beider
Handschriften bezeichne ich mit A.
Vergleichen wir nun A mit V und R, so ergiebt sich,
dass an einer sehr beträchtlichen Anzahl von Stellen, an denen
V und R von einander abweichen, A auf der Seite von R
steht. Ich führe nur einen kleinen Theil derselben an: p. 369 2
Galasi(V) eps urbis Rome ad Dardanios V: Gelasius epis Dar-
daniae RA 370 9 voluerint V: voluerwnt RA 370 ll per-
miserint V: permiserunt RA 370 12 pervidentes V: provi-
denies RA 371 17 sensu V: consensu RA 373 6 Iohannes V:
fehlt in RA 373 18 esset nullatenus V: nullatenus esset RA
375 8 communicarat incideret V: communicaverat incidisset RA
376 6 pontißcis V: episcopi RA 377 14 helurus V: belurus RA
378 19 apostolicae sedis V: sedis apostolicae RA 383 23 et mul-
tiplici V: multiplici RA 384 l dicat ergo V: dicat igitur RA
387 18 trivero8 V: tiberos RA 398 l haec vero u. s. w. bis zum
Schluss des Briefes Vi fehlt in RA. Bei einer grossen Reihe
von diesen Stellen liegt die Corruptel offenkundig bei RA. Dass
R seinen Text aus der Sammlung des Anselm geschöpft haben
sollte, ist schon infolge dessen ausgeschlossen, was ich unten über
die Beziehungen von A zu der gekürzten Recension 2 ausführen
werde. Wir kommen also dazu, was unseren Brief anlangt,
für VRA folgendes Verwand tsehaftsverhältniss anzunehmen:
V / X
n
in Worten: Anselm von Lucca hat eine neben V unab-
hängig dastehende Avellanahandschrift benutzt, auf
die auch R zurückgeht.
1 Das beweisen mehrere Stellen, wo i1 durch Lücken oder sonstwie ver-
dorben ist, während A* mit der gesammten übrigen Tradition das Rich-
tige bewahrt hat. Vgl. p. 3714 fuerant A*: sunt A1 378 21 decuit ez-
equenti A*: exequenti decuit Al 379 22 est secuta A*: esse secuta Al
383 29 in eins A*: eins A1 387 17 fuerit A*: fuit A1 388 20 principe*
A*: principis A1 391 16 sacerdos Eugenius Carthaginensis episcopus nudti-
que cum eodem cathclici sacerdotes constanter A6: sacerdos constanter Al
392 2 ipse A*: fehlt in A1 392 17 a principe saltim A*: saUim a prin-
cipe A1 393 10 resuUanti non restitit A9: non restUit resuUanti AK
i
A velUna-Studien . 1 05
Allein es kommt, wie schon angedeutet, bei ihm noch
ein zweites hinzu. Obwohl nämlich im Grossen und Ganzen
sein Text derjenige der längeren Fassung ß ist, fehlt es nicht
an einzelnen Stellen, wo er im Gegentheil Lesarten der Epi-
tome 2 darbietet, so z. B.
372 13 aliquam Fund aus ali~ nullam A2
qua v. 2. Hand corr. R
372 24 cum VR primum cum A, primum (ohne
cum infolge der veränder-
ten Construction) 2
378 7 non reticemus autem VR nee plane tacemus A2
378 12 voluerint VR voluerunt A2
388 15 tunc 8ub eadem VR sub eodem tunc A2
Schon hiedurch werden wir auf die Vermuthung geführt,
dass irgend eine Avellanahandschrift, auf die A zurückgeht,
contaminirt gewesen sein muss mit Lesarten der kürzeren Fas-
sung 2. Zur Sicherheit wird diese Vermuthung, wenn wir
die beiden Stellen in Betracht ziehen, die ich jetzt kurz an-
führen will.
Es ist bereits oben erwähnt, dass in 2 die Worte ß
§. 18 — 22 fortgelassen, dann aber die Worte ß §. 25 nunc
autem ipsi doceant legitime Petrum fuisse purgatum etc. an
das, was ß §. 24 steht, hoc tenore etiam Timotheus Helurus . . .
probatur esse damnatus in der Weise herangeschoben sind,
dass ein Theil der Worte von ß §. 18 quapropter utrum errori
vel praevaricationi communicarit Acacius quid opus erat nova
discussione cognoscere zur Verbindung benutzt wurde und dem-
gemäss unter Störung des Gedankenzusammenhanges folgendes
Satzgefüge zu Stande kam: quo tenore Timotheus etiam . . .
probatur esse damnatus . quodsi utrum errori vel praevarica-
tioni communicarit Acacius forsitan dicatur oportuisse constare7
breviter praebemus ad ista responsum: aut enim ipsi doceant
Petrum legitime veraciterque purgatum etc. Die Sammlung An-
gelina von Lucca giebt nun §. 18 — 24 genau in derselben Weise
wieder wie VR, zu Anfang von §. 25 aber weicht sie von ß
ab, indem sie statt der Worte nunc autem ipsi doceant viel-
mehr die Lesart von 2 quod si utrum errori vel praevaricationi
communieaverit Acacius forsitan dicatur oportuisse constare,
106 Y. Abhandlung: Günther.
breviter praebemus ad ista responsum: aut enim ipsi doceant
darbietet, so dass sie also die Worte utrum errori vel prae-
varicationi communicarit Acacius einmal mit ii in §. 18 und
einmal mit 2 in §. 25 aufweist. Aehnlich liegt die Sache
bei einer Stelle, die ich gleichfalls bereits oben berührt habe.
An das, was ii §. 75 ausgeführt ist, schliesst sich, wie wir
gesehen haben, in 2 nicht ß §. 76 sondern das an, was in 42
zu Anfang von §. 80 steht und was mit vielem anderen in 2
an dieser Stelle fortgeblieben ist. 2 liest also: . . . transgressione
punita cunctorum. [quae ad instructionem vestrae dilectionis
satiß abundeque sufficere iudicamus, quamvis eadem latius, si
dominus concesserit facultatem, studeamus exponer e, quatenus
et fidelium quisque cognoscat nihil apostolicam sedem, quod
absit, praepropere censuisse.] quae tarnen sententia u. s. w.
Die von mir in Klammern gesetzten Worte, die aus ii §. 80
genommen sind, stehen nun, ebenso wie in 2> so auch bei
Anselm von Lucca zwischen den §§. ii 75 und ii 76. Fehlten
nicht in R und A die ganzen Schlussparagraphen 80 und 81,
so würden hier eben jene Worte in der ungekürzten Fassung
von ii in §. 80 sicher zum zweiten Male erscheinen.
Dass Anselm selbst auf eine so thörichte Weise Lesarten
der Fassung 2 in die längere ii hinübergetragen haben sollte,
ist nicht wohl anzunehmen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die
Lesarten von 2, die heute in A erscheinen, von irgend einem
Leser als Varianten in einer Avellanahandschrift angemerkt
wurden, dann in einem Apographon dieser Handschrift in den
Text drangen und dieser Text dann von Anselm abgeschrieben
wurde.1
Ich wende mich jetzt zu dem Berolinensis B. B zeigt
die Form ii in fast völliger Reinheit, nur an einer Stelle ist
1 Eine Reihe dieser Lesarten kommen keineswegs in der gesammten Ueber-
lieferung von 2 vor, sondern nur in einem Zweige derselben, in der
Sammlung des Pseudoisidor. Ich verweise in dieser Beziehung auf die
Varianten, die ich zu 776 19, 779 8, 780 10, 781 15, 782 4, 784 ii an-
gegeben und bei denen ich die übereinstimmende Lesart von A mit
vermerkt habe. Die Handschrift der Form 2, aus der in die Avellana-
vorlage Anselms Lesarten übertragen waren, war also ein Codex der
Pseudoisidoriana, unter den von mir verglichenen am nächsten ▼er-
wandt mit der aus Pseudoisidor stammenden Miscellanhandschrift T =
Vatic. lat. 1344, saec. X.
AvelbmA-Stndien. 107
•
auch hier eine Lesart aus 2 eingedrungen. Es sind das die
Worte, über die ich schon öfter geredet habe: ß §. 25. Wo
V und R hier nunc autem ipse doceant lesen, giebt 2 unter
Benutzung von ß §. 18 die Worte quodsi utrum errori vel
praevaricationi communicarit Acacius forsitan dicatur opor-
tuisse constare, breviter praebemus ad ista responsum: aut
enim doceant, und ebenso liest B, abgesehen davon, dass er
nicht mit 2 aut enim, sondern mit VR nunc autem darbietet.
Die Worte ß §. 18 quapropter utrum errori vel praevari-
cationi communicarit Acacius, quid opus erat nova discus-
sione cognoscere etc., aus denen 2 jenen Zwischensatz quodsi
utrum errori etc. entnommen hat, die aber an ihrer rich-
tigen Stelle in 2 fehlen, diese Worte stehen, wie in VR, so
auch in B dort, wohin sie gehören. Es ist also an dieser
Stelle wie A, so auch B aus 2 interpolirt — nur mit dem
Unterschiede, dass in B dies die einzige gröbere Interpolation
der Art ist, während A, wie wir gesehen, deren eine ganze
Reihe zeigt.
Was im Einzelnen die Lesarten von B gegenüber denen
von V (und RA) angeht, so ist bei diesem Briefe dasselbe zu
constatiren, was auch bei anderen Stücken der Fall ist, die in
beiden Sammlungen überliefert sind: an vielen Stellen ist V
besser, an einigen aber, die bisher schwer verdorben gelesen
wurden, hat endlich der Berolinensis die richtige Lesart an
den Tag gefördert. Ich sehe dabei ab von Kleinigkeiten, wie
p. 382 3, wo B mit seinem nominibus (VRA omnibus) mir
eine Conjectur bestätigt hat, deren Richtigkeit schon längst
bei mir feststand, oder wie 380 19, wo durch das perpendant
von B (VRA perpendantur) endlich Sinn und Rhythmus her-
gestellt ist. Schwerer waren die Verderbnisse 376 3 und 376 7,
wo durch B zwei Lücken von VRA ausgefüllt werden, welche
die Herausgeber bisher nicht bemerkt hatten, oder auch 375 18,
wo V folgende Lesart hat: cur ipse (sc. Acacius) . . . ut causam
diceret seu per se seu nam vel venire vel destinare contempsitf
In R fehlen die Worte seu nam, und dafür ist eine Lücke
von etwa 7 Buchstaben gelassen; A schreibt seu per se seu
(per submissam perso)nam, dem Sinne nach richtig, aber doch
nur infolge von Conjectur, da, wie wir gesehen, VR in ihrer
dem Grande nach identischen Corruptel hiervon weit abliegen
108 Y. Abhandlung: Günther.
i
und 2 an dieser Stelle überhaupt fehlt. Auch hier hat uns
erst B mit seinem seu per se seu (per legitimam quam velUt
ipse per$o)nam die ursprüngliche alte Lesart zurückgegeben.
Das gesammte handschriftliche Material, das für Q vorliegt,
ist demnach in zwei Classen zu sondern: auf der einen Seite
stehen VmRAy auf der anderen der Berolinensis JB. Letzterem
tritt dann noch die Epitome 2 an die Seite. Dies ergiebt sich
nicht sowohl aus einer Reihe von Stellen, wo B2 die richtige
Lesart zeigen, während VR A die gleiche Verderbniss haben,
als vielmehr aus solchen Lesarten , wo den Handschriften
VRA gegenüber B2 den gleichen Fehler aufweisen. Solcher
Stellen sind nicht viel, doch genügen sie, um das Verhältniss
deutlich hervortreten zu lassen, p. 379 10 geben VRA richtig
certe damnarat: certe damnaverat B2 mit rhythmischem
Fehler. 385 2 ecce potuit et in aliis resultarey si v eil et (sc. re-
sultare) VRA: statt vellet hat B nolle, 2 nollet. 394 5
manifestum est VRA: manifestum sit B und mit Ausnahme
einer Handschrift auch 2. Auch hieraus ergiebt sich die Richtig-
keit dessen, was ich oben über das Verhältniss von ß und 2
dargelegt habe. Wäre nach Langen's und der übrigen Meinung
2 die ursprüngliche Form des Briefes, aus der dann zunächst
ein Text wie der von B entstanden wäre, so müsste man die
richtigen Lesarten, die VRA gegenüber von B2 aufweisen,
für Interpolationen oder meinetwegen Emendationen halten, und
das zu glauben fällt doch schwer. Und &ne Stelle fände auch
so keine Erklärung: p. 377 7 lesen VRA si auctoritatis pondus
inquiritur} Calcedonensis synodi tenor cum apostolica seit
consentiens et illius definitionis executio reperitur, quo etc.,
womit B übereinstimmt, abgesehen davon, dass er statt tenor
vielmehr tenor e bietet. 2 zieht die Worte so zusammen: si
auctoritatis pondus inquiritur, Calchedonensis synodi tenor e
Ulms definitionis executio reperitur quo etc. Das giebt zur
Noth einen Sinn; dagegen ist nicht einzusehen, wie daraus
jemand die Lesart von B hätte herstellen sollen, die an sich
völlig unverständlich ist, aus der richtigen Lesart von VRA
aber durch eine leichte Corruptel unschwer entstehen konnte.
Damit wäre das erschöpft, was ich über die Ueberlieferung
des Briefes zu sagen hätte. Als Stemma der Handschriften
ergiebt sich demnach folgendes:
Avellana-StudiM». 109
und als Regeln für den Herausgeber dürften nachstehende zu
betrachten sein:
1. Wo die Classen I und II sich gegenüber stehen, ist
an und für sich keine der anderen vorzuziehen, da jede vor
der anderen ihre Vorzüge hat.
2. Wo entweder VR gegen A oder VA gegen R stehen,
giebt die übereinstimmende Lesart der beiden Vertreter die
Lesart der ganzen Classe wieder, die abweichende des allein-
stehenden dritten ist ohne Autorität.
3. Wo B2 entweder mit Foder mit RA übereinstimmen,
ist die gemeinschaftliche Lesart für die des beiden Classen
gemeinschaftlichen Archetypus zu halten.
4. Wo Classe I entweder mit B oder mit 2 stimmt, ist
ebenfalls die gemeinschaftliche Lesart schon dem gemeinsamen
Archetypus beider Classen zuzuweisen.
5. Wenn die Lesart der Classe II irgendwo mit A über-
einstimmt, so verstärkt das ihre Autorität nicht, da A an vielen
Stellen aus 2 interpolirt ist.
Nebenbei ein paar Worte über die Ueberlieferung der
kürzeren Form 2, die ich in der Appendix I neu herausgegeben
habe. Das Verhältniss der Sammlungen, in denen 2 vor-
kommt, auf Grund der Lesarten dieses einen Stückes (und
der Epitome von n. 99) im Einzelnen genau zu bestimmen,
wage ich nicht. Nur einige Andeutungen will ich geben. Was
in den Lesarten vor Allem auffällt, ist die grosse Ueberein-
stimmung der Sammlung von Freisingen (ß) mit dem Anhang
der Sammlung von Diessen (d). Jedoch hat d nicht direct
aus dem uns erhaltenen Exemplar ß geschöpft (so Maassen
S. 479), sondern aus einem Zwillingsbruder oder dem Vater
von ß] Beweis: p. 783 19 liest ß fuerat, woran an und für
sich kaum Anstoss zu nehmen wäre; ä hat erat, und dass dies
110 V. AMuuadlunf : Günther.
das Richtige ist, zeigt die sonstige Ueberlieferung. ßd gegen-
über steht vor Allem die Quesnelliana (Q)9 während die alte
Veroneser Handschrift v bald mit ßd gegen Q, bald mit Q
gegen ßd geht. In Wahrheit scheint sie jedoch enger mit ßd
als mit Q verwandt zu sein. Wo v mit Q gemeinsame Cor-
rnptelen gegenüber von ßd aufweist, ist dies vielleicht so zu
erklären, dass die richtige Lesart von ßd auf einer Ueber-
tragung aus der längeren durch die Avellana überlieferten
Form Q beruht.1 Die Sammlung £ (vermehrte Hadriana) hat
von der Epitome von n. 95 nur ein paar Fragmente bewahrt,
hier und da ohne die leichten Corruptelen, die hier Qvßd
gemeinsam sind. Vielleicht steht sie also diesem ganzen Com-
plex selbständig gegenüber. Im Uebrigen ist £ ihrem Inhalt
und der Reihenfolge der Stücke nach eng mit (o (Sammlang
der Vaticanischen Handschrift Vat. 1342) verwandt, und bei
der Epitome von n. 99 sind wohl sämmtliche Sammlungen so
zu sondern, dass ursprünglich auf der einen Seite £w, auf
der anderen Qvßd stehen. Pseudoisidor scheint die Epitome
von 95 nicht, wie bisher angenommen wurde, der Quesnelliana
sondern einer Handschrift entnommen zu haben, die dem Ve-
ronensis v ähnlich war.
4.
Die Ueberlieferung der sogenannten 9Oesta de nomine
Acaci' (Avell. n. 99).
Der umfangreiche und historisch nicht unwichtige Tractat,
der in der Avellanischen Sammlung als n. 99 erscheint und
gewöhnlich als Gesta de nomine Acacii bezeichnet wird, gilt
seit langer Zeit allgemein als ein Werk Gelasius' I. Freilich
fällt seine Abfassung sicher noch in die Zeit des Felix, allein
Thiel, der in der Einleitung seiner Epistolae pontificum, S. 70 f.
die verschiedenen Ansichten darüber eingehender behandelt,
1 Dass eine solche Uebertragung hier stattgefunden hat, dafür spricht viel-
leicht die Lesart 776 4, wo mit Ausnahme von ßS die ganze Ueber-
lieferung von 2 liest: in hoc eadem causa und ebenso auch die Hand-
schriften B und A (d. i. Anselm) der längeren Form; in ßS fehlt hacy
ebenso wie in V und B der längeren Form. Ebenso 788 l, wo Qv mit
Psendoisidor und dem Codex B der längeren Form gewiss richtig tarn
darbieten, während ßSV eadem, RA eandem lesen.
AyelUnft-StaAtai. 111
hat doch an der Autorschaft des Gelasius festgehalten und
die Vermuthung aufgestellt, Gelasius habe ihn unter dem Ponti-
ficate seines Vorgängers auf dessen eigenes Geheiss nieder-
geschrieben. Für mich steht die Urheberschaft des Gelasius,
wenn auch manches für sie zu sprechen scheint, doch keines-
wegs unantastbar fest. Eine directe Ueberlieferung, die sie
bezeugte, giebt es nicht; denn wenn in der Avellanischen Samm-
lung das Stück, das auf die Gesta folgt, die Ueberschrift trägt
JEiusdem papae Gelasii adversus Andromachum, so will das
bei dem eigenartigen Charakter dieser Sammlung nicht allzu-
viel sagen, weiss man doch gar nicht, ob nicht in der Quelle
der Avellana dem Schreiben gegen Andromachus ein ganz
anderes Stück vorangegangen ist. Eine einigermassen sichere
Antwort wird wahrscheinlich der geben können, der auf dem
von Wilhelm Meyer gewiesenen Wege die unzweifelhaft gela-
sianischen Schriftstücke einmal auf das Genaueste auf die Rhyth-
mik der Satzschlüsse hin untersucht. Ich habe diese Unter-
suchung bisher nicht soweit ins Einzelne geführt, wie es zu
diesem Zwecke erforderlich wäre; allein es scheint mir doch schon
jetzt, als ob gerade Gelasius mehr noch als seine Vorgänger
und mehr auch als später beispielsweise Hormisda in dieser Be-
ziehung äusserst feste Regeln befolgte, und als ob die Gesta
mit diesen Regeln nicht in Einklang zu bringen seien. Uebri-
gens steht auch die Bezeichnung des Tractates als Gesta de
nomine Acacii auf recht unsicheren Füssen. Von den beiden
Recensionen, in denen er vorliegt, giebt nur die eine diese
Ueberschrift, und zwar, wie ich nachweisen werde, die weniger
gute: in der anderen fehlt ihm jede Ueberschrift.
Die beiden Textrecensionen, in denen uns die Gesta
erhalten sind, will ich mit K und 2 bezeichnen.
Die Recension K liegt uns vollständig nur in der Avel-
lana vor, d. h. im Codex V. Jedoch ist hier sogleich hervor-
zuheben, dass, wie schon Thiel erkannt hat, die beiden Schluss-
paragraphen 30 und 31, die nur in V vorkommen, zu Unrecht
an diesem Platze stehen und überhaupt nicht zu den ursprüng-
lichen Gesta gehören. Es sind die folgenden Worte:
§. 30 Po8tquam Iohannes mpervenit episcopus, quem Romana
suscepit ecclesia, sanctus papa Felix legationem, ut dictum
112 T. Attaallaof : 6taU«r.
est, sicut oportuii, ordinavit. quae apud perditos (prae-
dictos V) animos quicquid est hostilitatis experta est, nam
detrusa in custodiam perdiHs chartis cum grandi trix rt-
meavit opprobrio, episcopatum Petri} ad quem expellendum
missa fuerat, ßrmatum reportans, quem Romana anathe-
marat ecclesia.
§. 31 Ita Felix papa episcopis per Aegyptum Thebaidem Lybxam
et Pentapolim constitutis post alia: Petrum vero u. s. w.
(es folgt der Ausspruch des Anathems über Petrus Folio).
Thiel sondert diese Worte in zwei Theile, und zwar in
der Weise, wie ich es hier durch den Absatz angedeutet
habe, und glaubt, der erste Theil sei aus irgend einem Tractat
des Gelasius entnommen und hier angefügt, das Fragment des
Felixbriefes aber nur deswegen angehängt, um die Verurtheilung
des Petrus Fullo durch den römischen Stuhl in irgend einer
Weise hier anzubringen und das Vergehen der römischen Ge-
sandten, die mit ihm Gemeinschaft machten, dadurch um so
schärfer hervortreten zu lassen. Nur die zweite Hälfte dieser
Ansicht ist richtig, die erste bedarf einer Correctur. Nicht
mit zwei auseinanderfallenden Anhängseln haben wir es zu
thun, sondern nur mit einem. Die Einheit tritt hervor, sowie
wir richtig interpungiren: episcopatum Petri, ad quem expel-
lendum missa fuerat, ßrmatum reportans. quem Romana ana-
themarat ecclesia ita: Felix papa etc. In der That kam es
dem, welcher die beiden Paragraphen anfügte, nur darauf an.
das Felixfragment über die Verdammung des Petrus irgendwie
anzubringen, allein er machte das so, dass er zunächst aus
dem Wortlaute der Gesta selbst ein paar Sätze zusammen-
flickte und durch diese nun, ohne sich um die historische Folge
der Thatsachen zu kümmern, zu dem Fragmente des Felix über
leitete. Dass die ersten Sätze aus dem Wortlaute der Gesta
selbst zusammengestellt sind, lehrt folgende Vergleichung:
§. 30 Postquam Iohannes super- §. 23 supervenit idem fugiens
venu episcopus, quem Ro- sanctus Iohannes episco-
mana suscepit ecclesia, pus, qui sicut decebat ab
sanctus papa Felix lega- apostolica sede susceptus
tionem, ut dictum est, si- est
cut oportuit, ordinavit . . .
ATelUna-Studien. 113
nam detrusa in custodiam §. 28 quamvis in custodiam . . .
perditis chartis . . . detrusi Chartas amiserint
episcopatum Petri , ad §. 28 conßrmationem Petri epi-
quem expellendum missa scopatus, ad quem pellen-
fueraty firmatum repor- dum missi fuerant, de-
tans, ferentes.
Wir gewinnen durch diese Erkenntniss ein Doppeltes. Zu-
nächst verstehen wir jetzt, in welchem Sinne die Worte ut
dictum est in §. 30 aufzufassen sind: sie weisen auf die Gesta
selbst zurück, deren Angaben mit ihren eigenen Worten hier
wiederholt werden. Sodann ergiebt sich aus jenem Umstand
eine sichere Textemendation : die Worte sicut oportuit sind
da, wo sie in §. 30 stehen, recht überflüssig und wenig an-
gebracht, und wo in den Gesta selbst von der Absendung
der Gesandtschaft die Rede ist (§. 27), findet sich nichts von
einem derartigen Zusatz. Dagegen heisst es in §. 23 der
Qesta von Johannes: qui sicut decebat ab apostolica sede
susceptus est, und da diese Worte, wie die obige Zusammen-
stellung zeigt, in dem Anhängsel benutzt sind, so ergiebt sich
Air dieses, wie ich meine, mit Evidenz die Umstellung: quem
sicut oportuit Romana suscepit ecclesia} sanctus papa Felix
legationem, ut dictum est} ordinavit
Die beiden §§. 30 und 31 haben wir also als eine
spätere Zuthat von dem Vorhergehenden loszulösen, um in V
die reine und vollständige Recension K vorzufinden. Denn
vollständig liegt, wie schon bemerkt, diese Recension nur in V
vor: unvollständig ausserdem in einer sehr alten Epitome der
Gesta (2)} die in mehreren Sammlungen überliefert ist und
die ich in Appendix II meiner Ausgabe neu herausgegeben habe.
Dass dem Epitomator die Recension K vorgelegen hat,
brauche ich hier nicht zu beweisen: ein Blick in die Adnotatio
der Gesta selbst macht es jedem sofort klar. Ebensowenig
habe ich Veranlassung, nach den Ausführungen bei Thiel, S. 71 f.,
hier noch einmal auf die von Quesnel1 und den Brüdern Bal-
lerini1 vertretene Ansicht einzugehen, welche in 2 die ältere
und ursprünglichere Form der Gesta zu erkennen meinte. 2 ist
1 LeonU opp. ed. Quesnel II (1675), 8. 156 Adhi.
1 LeonU opp. ed. Baller. m, 307 ff. Anm.
8feonpb«r. d. phiL-hist. CL CXXXIV. Bd. 5. Abk. ö
114 V. Abhandlung: Günther.
nichts als eine sehr alte, aber stellenweise recht ungeschickte
Epitome der ursprünglichen Fassung.1 Trotzdem ist sie für uns
nicht ohne Bedeutung, denn einmal tritt sie als eine nicht zu
verachtende Vertreterin der Recension K neben deren — sonst
einzigen — Repräsentanten V- sodann ist sie nicht unwichtig
für die Kritik des Liberatus, der sie in seinem Breviarium
vielfach wörtlich ausgeschrieben hat.2
Die zweite Recension 2 liegt uns, abgesehen von dem
cod. Vallicell. XVIII (= W), von dem unten noch weiter die
Rede sein wird, in folgenden drei Handschriften vor:
B = Berolin. lat. 79 (Phillipp. 1776), saec. IX
I* = Vatic. Reg. 1997, saec. IX/X (vgl. Maassen I, p. 529)
J = Monac. lat. 5508, saec. IX (vgl. Maassen I, p. 627).
Die Abweichungen beider Recensionen von einander be-
stehen im Wesentlichen in folgenden Punkten:
1. An einer Reihe von Stellen ist nur die Wortstellung
verschieden; vgl. 444 8, 445 3, 446 3, 8, 13, 447 2, 4, 448 ta,
449 u, 451 6, 6, 452 4.
2. An anderen erscheinen für irgendwelche Ausdrücke
der Recension K in 2 Synonyma; vgl. 440 n lapsus V: raptus
BVAW 441 4 existentiae V: essentiae BIJW 441 16 apud
Ephesum civitatem V: in Ephesina civitate BVA 442 6 ff. re-
pudiatae sunt papae Leonis dogmaticae ad . . . directae litterae
nee permittuntur aliquatenus recenseri V: repudiaia est epistola
papae Leonis dogmatica ad . . . direeta et penitus non permit-
titur recenseri BTJ 44A 11 item V: etiam BT4W 445 7
1 Z hat Anfang und Schluss derselben fortgelassen, im Uebrigen stark
zusammengezogen und nicht ohne dabei Verwirrung anzurichten (vgl.
Thiel S. 72, S. 617 Anm. 35). Aus anderen Quellen ist nichts hinzu-
gefügt, mit Ausnahme des Schlussparagraphen (§. 14), der die ganze
Erzählung über Acacius nicht im Mindesten weiterbringt und überhaupt
zu dem Vorangehenden in keinem inneren Zusammenhang steht. Thiel'*
Vermuthung, das angefügte Stück sei ein Fragment irgend eines (anderen)
Tractates des Gelasius (vgl. Thiel S. 518, Anm. 38), ist hier im höchsten
Grade wahrscheinlich. Ob der Epitomator selbst es gewesen, der es an-
gefügt hat, ist schwer zu sagen und auch unwesentlich.
1 Uebrigens erstreckt sich die Benutzung der Epitome durch Liberatus,
was gegen Garnier hervorzuheben ist, nur auf die capp. 16, 16 und 18
de« Breviariums. Die längere Form der Gesta hat Liberatus nicht be-
nutzt und daher auch wohl schwerlich gekannt.
AvellMift-Studien. 115
ministerium proprium V2: ministeria sua BFAW 445 12
conductis perditis V2: collecta multitudine perditorum BFA
446 7 consultiqtie V: interrogatique BFA 447 l fugare catho-
licos V2: catholico8 per sequi BFAW 449 2 more V: de con-
suetudine BFA 450 7 Oasam deportatum V2: ad Oasitanum
exilium esse directum BFA 451 1 ne ipso quidem . . . aspectu
V2: nee visu BTAW 452 7 rescribente V: dirigente BFA
452 u a se ordinato V: quem ipse ordinaverat BTAW.
3. In K fehlen manche, für den Inhalt meist belanglose
Worte, die in 2 stehen; vgl. 445 14 funus V2: funus eius
BTAW 445 18 sceleris V2: tanti sceleris BFAW 446 4
Anatolius episcopus V2: Anatolius episcopus Constantinopoli-
tanus B FAW 448 6 ut fieret V2: ut ageret cum imperatore
et fieret BTAW 449 4 episcopum V2: iam episcopum BTAW
450 l retulit etiam V2: retulerat non longe post etiam BTA.
4. In 3 fehlen Worte oder ganze Sätze der Recen-
sion K; vgl. 442 4 archidiaconus wrbis V: archidiaconus BTAW
442 5 notarius ecclesiae V: notarius BTA 443 17 tunc tem-
poris V: fehlt in BTA 447 16 ff. dicens Petrum olim in dia-
conio esse damnatum, nunc etiam Christiana societate semotum9
mandans per Isaiam episcopum ut V (und ähnlich 2): rogans
ut BTA 448 4 vel (et 2) amplius V2: fehlt in BTAW
448 16 quem clementissimus imperator pro ecclesia et fide scrip-
8er at laborare V: fehlt in BTA 449 10 ante direeta V: fehlt
in BTA 449 12 fugiens V: fehlt in BFA 450 5 vilissimum
populum et V2: fehlt in BFA 450 6 ab episcopis atque V2:
fehlt in BTA 451 4 sanetus V: fehlt in BFAW 452 4 /e-
cerunt V: fehlt in BFA 452 10 postea V: fehlt in BFAW.
Welcher von beiden Kecensionen ist nun als der ur-
sprünglichen der Vorzug zu geben? Sollen wir Thiel bei-
stimmen, der von der Recension der Handschriften B und F
erklärt, sie schienen ihm 9prae omnibus pristinum colorem
referre1 (Praefat. p. 72)?
Aus der Verschiedenheit der Wortstellung ergiebt sich
nichts. Man möchte freilich von dem Standpunkt einer strengen
Rhythmik der Satzschilisse aus geneigt sein, an einigen wenigen
Stellen die Lesart von 2 vorzuziehen und beispielsweise 447 4
nicht Timotheo iunxit mit 8 sondern iunxit Timotheo mit 3
zu lesen. Allein wie wenig streng der Verfasser der Gesta
8*
116 V. Abhuidluif : Günther.
bei der Bildung der Satzschlüsse die sonst gegen Ausgang
des 5. Jahrhunderts durchweg üblichen Regeln in der That
befolgt hat, zeigen Schlüsse wie 440 8 suis didicit, 442 13 hone
orthodoxam, 443 7 Nestorius fecit, 446 5 diaconum suurn,
446 14 imperator Leo, 447 3 suis reddidit, 447 4 monasterio
latet, 450 8 dedisse fidem und andere mehr, in denen beide Re-
censionen übereinstimmen. Man wird also vielmehr versuchen
müssen, aus inneren Gründen eine Entscheidung zu treffen.
Ich will hierbei nicht näher auf die Stelle in §. 24 eingehen :
illo enim tempore, quo de Petro Alexandrino damnato retulit (sc.
Acacius), etiam de Petro et Johanne Antiocheno sie scripserat, wo
2 statt des retulit etiam vielmehr retulerat, (non longe post) etiam
darbietet und wo schon Thiel die historische Unrichtigkeit
dieser letzteren Angabe erörtert und dargelegt hat, dass der
die beiden Antiochener Petrus Fullo und Johannes betreffende
Brief des Acacius vielmehr vor der Zeit geschrieben sei, wo
Acacius dem Papst über die Verdammung des Petrus Mongus
Bericht erstattete. Ich führe lieber ein paar andere Stellen
an, die in ihrem Zusammenhang leichter zu beurtheilen sind.
§. 3 heisst es: contra quem (d. h. gegen Nestorius) Eu-
tyches post annos plurimos aestimans disputandum rectum tra-
mitem teuere neseivit et in Apollinaris est lapsus insaniam in
haec verba prorumpens, quibus adsereret Christum verum
hominem non fuisse. So K, wogegen U liest: . . . in Apolli-
naris est raptus insaniam ita prorumpens, quibus adsereret
u. s. w. Hier ist quibus völlig unverständlich; es ist aus Ver-
sehen beibehalten, als jemand, um zu kürzen, die Worte in
haec verba durch ein einfaches ita ersetzte.1
Etwas anders liegt die Sache §. 16. Nach der Thron-
besteigung Kaiser Leos, so wird erzählt, wenden sich die
beiden kirchlichen Parteien Alexandrias an jenen: die Ortho-
doxen verlangen Sühne für die Ermordung ihres Bischofs Pro-
terius, die Anhänger des Timotheus Elurus Annullirung der
Beschlüsse des Concils von Chalcedon. considerans imperator,
1 Ganz ahnlich and offenbar in Anlehnung an diese Stelle der Gesta
schreibt später Gelaaios an die Bischöfe von Dardanien (Brief 79 der Avell.
§. 4): aptid Qraecos... tarn ante cmno« ferc quadragwUa et quinque (vgl. die
Zahlangabe der Geste p. 440 5 f.) . . nata ctmquauüo eH JSufyche 9110110km
presbytero . . . in blaspkemias proruente, per qua* diceret xu s. w.
AT4lUn*4tn4ien. 117
so heisst es dann, nimis esse grave vexari tanto itinere
sacerdotes, quorum plurimos aut aetas aut infirmitas aut etiam
paupertas hunc laborem subire prohibebat, dirigit per totum
Orieniem magistrianos . . . per quos omnes Uli episcopi, qui
Calcedona fuerant congregati, quid Alexandriae factum fuisset
agnoscunt consultique rescribunt Chalcedonensem synodum usque
ad sanguinem defendendam esse. So der Wortlaut von K. Die
Recension 2 hat statt tanto itinere vielmehr tanto 8 iterum %
und Thiel hält diese Lesart für die ursprüngliche. Der Sinn
ist ja klar, und auf den ersten Blick hat in der That die Les-
art von U etwas Bestechendes: der Kaiser will den Bischöfen,
die erst vor nicht gar langer Zeit in Chalcedon zusammen-
gekommen waren, die Last ersparen, schon wiederum die
Fahrt zu einem Concil anzutreten. Trotzdem ist die richtige
Lesart vielmehr das tanto itinere von K; denn wenn wir tantos
iterum lesen, schweben die Worte hunc laborem in der Luft,
weil dann vorher mit keiner Silbe angedeutet ist, worin dieser
labor bestehen sollte.1 Wie ist aber die Lesart tantos iterum
entstanden? Vielleicht war itinere irgendwie verdorben; jeden-
falls aber ist das, was dann in 2 daraus geworden ist, eine
bewusste Aenderung, eine Interpolation, die den an und für
sich durchaus zutreffenden Gedanken zu deutlichem Ausdruck
bringen wollte, dass das eventuell zu berufende Concil das
zweite gewesen sein würde, zu dem die Bischöfe innerhalb
einer kurzen Zeit berufen worden wären. In denselben eben
ausgeschriebenen Worten findet sich übrigens auch ein Beispiel,
1 Wenn ich diese Stelle benutze, nm daraus anf die Originalität der Les-
art von K gegenüber der von 3 zu schliessen, so könnte man mir eine
andere entgegenhalten, wo scheinbar das Verhältniss umgekehrt liegt,
p. 450 2 ff. heisst es: Petrum . . . a Leone principe Oaaam deportatum, de
quo lapsum Constantinopolim redisse. So K; 3 liest statt dessen a Leone
principe ad Oasitanum exüium esse directum, de quo lapsum u. s. w.
Allein die Beziehung des de quo auf ein vorangehendes Femininum ist
in dieser Zeit nicht anstössig; es ist zu quo eben loco zu ergänzen. Ich
habe augenblicklich folgende Parallelstellen: Hormisda in dem Briefe
n. 174, p. 631 s ff. : petimus ut... quocumque (sc. loco) contentionu alicuius
ciderilis remansisse vtstigia, curetis modis omnibus insequenda. Ps. Rufin
Uebersetzung von Ioseph. c. Ap. I, §. 19S Est autem in ipsa niedietate
civitatis lapidea quadriporticus . . . haben* duplice* ianuas, quo ara est
quadrianguU figuratione composüa (ntotßoXos U&tvoc . . . iv $ ß<a(±6$
i<m das Original).
118
T.AkfaWluf: Gtatfcer.
das uns lehrt, wie wir solche Fälle zu betrachten haben, in
denen 2 mehr bietet als K. Anstatt des einfachen consuUique
lesen wir in 2 die Worte inierrogatique cum suis provin-
cialibus episcopis. Nun waren aber auf dem Concil von
Chalcedon bekanntlich nicht nur Metropolitanbischöfe sondern
auch Pro vinzialbischöfe , and da mit ausdrücklichen Worten
bezeugt wird, dass omnes Uli episcopi qui Calcedona fuerant
congregati, also auch die Provinzialbischöfe, durch Leo von
der Sachlage in Kenntnis» gesetzt worden waren, so ist der
Zusatz cum suis provincialibus episcopis nicht nur überflüssig
sondern geradezu fehlerhaft. Derselbe Mann, der an anderen
Stellen die ursprüngliche Fassung kürzte, wollte hier offenbar
etwas eigene Weisheit hinzufügen; dabei ist es ihm denn passirt,
dass er in seiner Redseligkeit unlogisch geworden ist.
Die angeführten Stellen sind, obwohl nur wenig an Zahl,
doch meiner Meinung nach dafür ausreichend, um auf Grund
derselben von der übrigens durch keine Gründe gestützten
Ansicht Thiel's abzugehen und vielmehr die Recension K als
die ursprüngliche Fassung der Gesta hinzustellen. Ich halte also
D ftlr eine leichte Ueberarbeitung des ursprünglichen Textes K,
eine Ueberarbeitung, die weniger irgend einer bestimmten Ab-
sicht als der Laune eines Abschreibers entsprang, der, wie
es ihm gerade passte, kürzte oder zusetzte, umstellte oder
besserte. Denn dass an einigen wenigen Stellen der Text
von 3 wirkliche Besserungen dem von K gegenüber aufweist,
lässt sich nicht bestreiten; allein auch diese Besserungen sind
derart, dass sie die Ansicht von der Ursprünglichkeit von K
nur bestätigen können. Ich will nur eine dieser Stellen an-
fuhren. §. 24 lautet in den beiden Fassungen folgendennassen:
K:
huius (sc. Iohannis Alexandri-
ni) adventus pleiixus universa
patefecit. cui dum Acacii scri-
pta leger emus, quae de Petro
et Iohanne miserat, excessus
Acacii etiam in hac causa gra-
vissimi sunt retecti. Mo enim
tempore, quo de Petro Alexan-
huius adventus plenius universa
patefecit. cui dum Acacii scri-
pta leger emus, quae de Petro
et Iohanne Antiochenis mi-
serat} excessus Acacii etiam in
hac causa gravissimus (-mos r)
deprehenditur (-dit BTJ). Mo
enim tempore, quo de Petro
AreUana-Studien.
119
dfHno damnato retulit, etiam Alexandrino damnato retulerat,
de Petro et Johanne Antio- non lange post etiam de Petro
cheno sie scripserat ... et Iohanne sie scripserat . . .
Hier ist die Fassang von 3 in einer Beziehung ohne
jede Frage besser und klarer. Bisher war nur von den beiden
Alexandrinern Petrus (Mongus) und Johannes (Talaia) die Rede
gewesen: da lag es sehr nahe und war eigentlich erforderlich,
dass wo nun zum ersten Male von den beiden Antiochenern
Petrus (Fullo) und Johannes die Rede war, beide den Ale-
xandrinern gegenüber auch wirklich als Antiochener bezeichnet
wurden. So lesen wir es denn auch in 2. Allein man darf
nicht vergessen, dass der Verfasser der Gesta ein Zeitgenosse
der Personen war, über die er schrieb, und dass ihm die
ganzen Ereignisse, die er selbst mit erlebt hatte, völlig ge-
läufig waren, und so kann man bei ihm die Ungenauigkeit
der Personenbezeichnung in gewisser Weise entschuldigen. Da-
gegen würde es doch schwer fallen, die einem Missverständniss
so sehr ausgesetzte Fassung von K hier für die seeundäre zu
halten, da zu einer derartigen Abänderung der Fassung 2
auch nicht der Schatten eines Grundes vorlag.
Ganz ähnlich liegt das Verhältniss in §. 15:
Leo sumit imperium, ad quem
tanti facinoris catholicorum
querela pervenit. contra quo*
haeretici supplicarunt petentes,
ut Calcedonensis synodus abo-
leretur, Uli autem vindietam
tanti sceleris expetebant (ex-
peetabant J, speetabant B).
Die Anakoluthie der Fassung K ist in 3 beseitigt, ebenso
wie sie Liberatus beseitigt hat.1 Allein trotz des Anakoluths
oder vielmehr eben wegen desselben ist auch hier die Fassung
von K die ursprüngliche, denn man muss sich hüten, diese
Leo sumit imperium, ad quem
tanti facinoris catholicorum
querela pervenit. contra quos
haeretici supplicarunt petentes,
ut Calcedonensis synodus abo-
leretur: Uli autem vindietam
sceleris postulantes.
1 e contra Uli a parte Proterii vindietam sceleris postodabant Li berat, cap. 15,
p. 102 ed. Garn er.
120 V. Attaadta)*: Gttnther.
Stellen ebenso beurtheilen zu wollen wie die oben angeführten,
in denen eben die Concinnität der Fassung K es war, die für
die Ursprünglichkeit derselben sprach: dort war die Lesart
von D nicht nur schlechter als die von K sondern in den
meisten Fällen geradezu unverständlich; hier dagegen ist der
Wortlaut von K ja freilich weniger gut als der von D, allein er
ist doch durchaus möglich und giebt in sich einen guten Sinn.
Ich wende mich jetzt zu den einzelnen Vertretern der
Recension 2, zu den Handschriften BFA. Ein völlig klares
Bild ihrer Verwandtschaft läset sich aus ihren Lesarten nicht ge-
winnen, da an manchen Stellen BF} an anderen BAf an wieder
anderen FA der jedesmaligen dritten Handschrift gegenüber
gleiche Corruptelen zeigen. Trotzdem scheint es mir einiger-
massen sicher, dass B und F auf eine gemeinsame andere
Quelle zurückgehen, als die war, aus der A die Gesta ent-
nommen hat. Ich schliesse das besonders aus zwei Stellen.
In §. 11 heisst es vom Kaiser Marcianus (p. 444 6): indicit
synodum apud Nicaeam, in qua et ipse et Pulcheria resedit
et omne8 cum senatu saeculi potestates. So V. Hieraus
ist das, was wir in A lesen: omnes cum senatu* et potestates,
durch CoiTuptel entstanden, indem ein Abschreiber statt senatu
seit vielmehr senatus et schrieb. Auf die corrumpirte Lesart
von A gründet sich dann aber die Interpolation von BT omni*
cum (eo) senatus et potestates. §.18 hat A Timotheum Timo-
theus (statt des richtigen Timotheo Timotheum): BT lassen beide
Timotheum fort.
Was die Stellen angeht, wo BA eine gemeinsame Cor-
ruptel zeigen, während F die richtige Lesart hat, so sind
dieselben eigentlich alle der Art, dass das Richtige aus dem
Falschen durch Conjectur1 von jedem mittelmässigen Abschreiber
1 Dass der Schreiber von /", beziehungsweise seiner Quelle, Conjecturen
nicht abgeneigt war, beweisen die Worte in §. 24 (p. 449 15), wo die
ursprüngliche Lesart der Recension 3 allein im Vallicellanus W er-
halten ist: huiu» adventus plenhu univeraa patefecü. evi dum Acacii
scripta leger emus, quae de Peiro et Iokanne Anliochenis muerat, ercesm*
Acacii etiam in hoc causa gravitsimuB deprekenditur. Die letzten
Worte wurden dann in gravUsimus deprekendit (so BA) corrumpirt, was T
mit Bewusstsein in gravissimos deprekendit abänderte, nicht eben
geschickt, da dunkel bleibt, wer deprekendit.
Arellana-Stndtai. 121
überaas leicht hergestellt werden konnte. Es sind folgende:
446 12 se r: fehlt in BA 445 lö cineresque Fi cinerüque A,
cineris quae B 446 16 in ventos F: inoentus BA 448 10
contingeret T: contigerit BA 451 l confugerent F: confu-
gerint BA 451 16 ipsi F: ipse BA 452 2 voluntatem F;
volunUxte BA.
Dasselbe lässt sich kaum von jeder der etwa 15 Stellen
behaupten, wo B mit V Lesarten gemeinsam hat, während TA
eine Corruptel oder jedenfalls eine gemeinsame von VB ab-
weichende Lesart darbieten. Ich verweise da vor Allem auf:
447 16 8cribit V2B: scripsit A, scribsit F
448 6 numquam V2B: non FA
450 2 8crip8erat VB: sie scripserat FA2
450 1 principe VB (imperatore 2): tunc principe FA
452 2 debuerant VB: debuerunt FAW.
Besonders wichtig erscheint mir hierunter die Stelle 450 2, wo B
mit einer offenbaren Corruptel von V übereinstimmt; denn dass
auch die Recension K das sie ursprünglich gehabt hat, beweist
die Lesart der ihr angehörigen Epitome 2. Es scheint dem-
nach kaum etwas Anderes übrig zu bleiben als die Annahme,
dass der Codex, aus dem B die Gesta entnommen, einige
Stellen derselben nach einem Exemplar corrigirt hat, das mit
der Avellanahandschrift V verwandt war, oder aber, wie ich
oben S. 44 f. ausgeführt habe und was mir wahrscheinlicher ist,
dass ursprünglich auch die Sammlung (nicht die Handschrift)
B die Recension K zeigte, diese aber durch dine grosse spä-
tere Correctur dann durch die Recension 3 ersetzt wurde, mit
Ausnahme jener paar Stellen, die dem Corrector durch Zufall
entgingen. Wie dem aber auch sei, für uns gehört die Hand-
schrift B heute jedenfalls zur Recension 3.
Ausser den drei Handschriften BF Ax gehört der Recen-
sion 3 noch der von mir mit ^bezeichnete Codex Vallicellanus
1 Für eine geroeinsame Quelle der Sammlung der Handschrift von Di essen
(A) nnd derjenigen der Handschrift von Chieti (T) hat aus inneren
Gründen sich bereits Maassen (Qesch. d. Quellen, 8. 631) ausgesprochen.
Auf dieselbe gemeinsame Urquelle geht, was die Gesta anlangt, also
mach die Berliner Handschrift B zurück. Dass die Sammlung von
Diessen nicht aus dem uns erhaltenen Codex r geschöpft hat, geht aus
122 V. Abhsndlnng : Gftnther.
XVIII an. Es ist eine Miscellanhandschrift des 10. Jahrhunderts;
die Oesta beginnen Blatt 246% allein wie schon die Ueber-
schrifl zeigt (Ablatio ex gestis quibus Accacius Constantinopoli-
tanus episcopus monstratur hereticus et a papa Feiice dam-
natus)} haben wir es hier nur mit einem Auszug derselben
zu thun. Der Urheber desselben hat seine Sache nicht nur
öfter recht ungeschickt angefangen, sondern dabei auch eigener
Willkür recht breiten Spielraum gewährt. Sehr charakteristisch
dafür ist eine Stelle in §. 2, wo es von Nestorius heisat, dass
er ante quinquaginta octo ferme annos Photini et Pauli Samo-
sateni secutus errorem Oasitano exilio meruit relegari. Der
Epitomator hat die Zeitbestimmung, die die Zahl der Jahre
vom Auftreten des Nestorius bis zur Abfassung der Geste
angiebt, ganz willkürlich durch eine andere ersetzt, er schreibt
flott post centum quinquaginta et octe fere annos, will also die
Zeit angeben, die zwischen dem Auftreten des Nestorius und
dem seiner Vorgänger Photinus und Paulus liegt, wobei er
freilich nicht bedacht zu haben scheint, dass auch die beiden
letzteren ihrerseits wieder durch ein paar Menschenalter von ein-
ander getrennt sind. Es hat also in gewisser Weise Thiel Recht,
wenn er1 diese Lesart des Vallicellanus als summe memoranda
bezeichnet; sie ist das freilich nicht nach der Richtung hin, wie
Thiel es sich gedacht zu haben scheint, nach der Richtung irgend
welchen inneren Werthes, wohl aber zur Charakterisirung der
ganzen willkürlichen Art, in der diese Epitome hergestellt ist.
Dass dem Epitomator nicht die Recension K sondern viel-
mehr D vorgelegen hat, geht aus den Lesarten, die ich im
Laufe meiner Darlegungen aus W notirt habe, zur Genüge
hervor, und ich habe nicht nöthig, aus dem kritischen Apparat
meiner Ausgabe noch mehr Beweisstellen dafür zusammen-
zutragen. Im Uebrigen ist über diese Epitome * nur noch das
dem hinreichend hervor, was ich oben über die beiden Handschriften r
und J ausgeführt habe. Mehr Belege dafür sind dem kritischen Apparat
meiner Ausgabe mit Leichtigkeit au entnehmen.
1 p. 511, Anm. 2.
* Ich habe sie, verderbt wie sie in W ist, in der dritten Appendix meiner
Ausgabe noch einmal abgedruckt — eigentlich sum ersten Male, denn
was Thiel 8. 620 ff. ,ex cod. Vallicellano XVI1T abdruckt, ist eher alles
Andere als der wirkliche Text dieser Handschrift.
Avellftoa-Stndien.
123
zu sagen — und das ist überhaupt das Einzige, was uns daran
interessiren kann — ; dass dem Epitomator offenbar eine Hand-
schrift der Recension 2 vorgelegen hat, die der Recension K
noch näher stand als die gemeinsame Quelle von BFA. Es
folgt dies aus Stellen wie:
440 4 temporis VW
433 l Eusebius episcopus VW
446 n vixit Timotheus V
Timotheus vixit 2
vixit etiam Timotheus W
448 5 destitit (desistit V) scribere
V2W
450 16 et invadit eins eeclesiam
V2W
451 10 fidei et totius ecclesiasticae
disciplinae V
fidei W
451 16 Alexandrino VW
temporum B FA
Eusebiu8 BFA
vivit (vivet A) Timotheus
BFA
desiit scribendo BFA
fehlt in BFA
»
totius ecclesiasticae di-
sciplinae BFA
fehlt in BFA
Was sich über die Handschriften der Gesta sagen Hesse,
scheint mir hiermit erschöpft zu sein. Ihr gegenseitiges Verhält-
niss wird durch folgendes Stemma veranschaulicht, in welchem
die Darstellung der Verwandtschaft von BFA untereinander
auf absolute Sicherheit allerdings keinen Anspruch machen kann,
übrigens auch praktisch kaum von Werth ist.
Ursprüngliche Recension
124 Y. Abhandlung: Gftnther.
Als Hauptregel ergiebt sich für den Herausgeber dem-
nach folgende: wo 2 mit der Recension 2 zusammengeht, ist
die abweichende Lesart von V als Corruptel zu betrachten.
Demgemäss habe ich z. B. 445 15 ipsiu» (2BTÄW), nicht
eins (V),1 447 10 imperator (2BTJW), nicht princeps (V),
450 2 sie scripserat 2TJ, nicht scripserat (VB) aufgenommen.
Wo 2 fehlt und uns also keine Controle darbietet, bin ich
von der Lesart von V nur an ganz vereinzelten Stellen ab-
gewichen.
Zum Schluss ein Wort über die Ausgaben der Gesta.
Zunächst stehen sie in der Decretalensammlung des Carafa
(I* p. 142), der sie aus der Avellanischen Sammlung ans
Licht zog. Es folgt Sirmond (Append. Cod. Theodos. p. 111),
der den alten Virdunensis B zu Grunde legte, seinen Text aber
mit Lesarten der Recension K contaminirte, die er entweder
aus dem Drucke des Carafa oder aus einer dem Vaticanus V
entstammenden Avellanahandschrift entnahm.2 Schliesslich Thiel
(Epp. pontif. p. 510), der freilich die Lesarten der in Betracht
kommenden Handschriften notirt, allein bei Vergleichung der-
selben es wie gewöhnlich an der nöthigen Genauigkeit hat
fehlen lassen und dadurch, dass er das richtige Verhältniss
der beiden Recensionen K und 2 sowie das der Epitome 2
zu K, das der Epitome W zu 2 nicht erkannt hat, ohne jede
Kritik bald diese bald jene Lesart, wie es ihm beliebt, auf-
nimmt oder verwirft.
1 Wenn an dieser Stelle eiu* auch bei Liberatus steht, so beweist das
nichts, da dieser beim Ausschreiben von £ vielfach den Wortlaut leicht
abändert.
■ Hier drei Beispiele anstatt vieler: 440 11 netcivit F, offendü B: ne*dens
offendit Sirm. 446 5 per quo* V, et B: per quo* ei Sirm. 447 16 di-
cen* Petrum olim in diaconio e**e damnatum nunc etiam Christiana *oci&-
tale *emotum, mondän* per Isaiant epiacopum V, rogan* (alles Uebrige
fehlt) B: fdicen* "Petrum . .per Esaiam episcopum] rogan» Sirm. Sirmond
ist hier genau auf dieselbe Weise verfahren, wie wir es bei seiner Aus-
gabe des sogenannten libeüu* precum des Marcellinus und Faustinus
sahen; vgl. oben S. 82 ff.
ATSlUna-Stitdien. 125
Chronologische Excurse.
1.
Zur Chronologie des Schisma des Ursinas
(Avell. n. 1, 4—13).
Die Chronologie der hier in Betracht kommenden Stücke
ist von W. Meyer1 vollkommen richtig dargelegt, nur, in ein
paar Einzelheiten kann man vielleicht noch etwas weiter kommen.
Papst Liberias starb am 24. September 366 (vgl. n. 1,
§. 4). Sieben Tage darauf,9 also Sonntag den 1. October 366
wird Damasus ordinirt. Die erste, durch den iudex urbis
Viventius (n. 1, §. 6) verhängte Verbannung des Ursinus, Aman-
tiu8 und Lupus fkllt also zwischen 1. und 26. October, an
welch letzterem Tage Damasus gegen die zurückgebliebenen
Anhänger des Ursin das auch aus Ammian bekannte Blutbad
bei S. Maria Maggiore anrichtet (n. 1, §. 7). Die Rückkehr
des Ursin erfolgt auf Veranlassung des Valentinian am 15. Sep-
tember 367 (n. 1, §. 10); auf diese erste Rückkehr bezieht
sich das kaiserliche Edict n. 5, nicht auf die Wiederkehr aus
dem zweiten Exil, das der Kaiser selbst (n. 1, §. 11) und
nicht der Stadtpräfect verhängt hatte, dessen Vorgehen in n. 5
corrigirt wird. n. 5 ist also im Jahre 367 vor dem 15. Sep-
tember erlassen.
Zum zweiten Male geht Ursinus schon am 16. November 367
in die Verbannung (n. 1, §. 11; dass er nach Gallien verwiesen
war, zeigt n. 11, §. 2); das hierauf bezügliche Edict des Kaisers
(zwischen 15. September und 16. November) ist nicht er-
halten. Der praefectus urbi Praetextatus geht hierauf seiner-
seits auch gegen die Anhänger des Ursin vor, wird darin jedoch
durch das Edict des Kaisers n. 7 vom 12. Januar 368 rectificirt.3
1 Ind. scbol.} Göttingen 1888, S. 8 ff.
* Dass die sieben Tage (n. 1, §.6) von dem Tode des Liberius, nicht von
dem Blutbad bei der basilica Iulii (n. 1, §. 5) an xu zählen seien, ist
gegen Langen (Gesch. der röm. Kirche . . I 497) besonders von Rade
(Damasus, Bischof von Rom, S. 12) richtig ausgeführt.
* Erlassen ist das Edict, wie die ihm zeitlich am nächsten stehenden
Cod. Theod. VI 36, 7 (XIV Kai. Dec. 367) und XVI 2, 18 (XIII Kai.
Mart. 368), in Trier.
126 V. Abhandlung: Günther.
Der von Rade1 entdeckte vermeintliche Widerspruch zwischen
der Datirung von n. 7 und der Angabe über den Antritt des
zweiten Exils in n. 1, §. 11 ist also in Wirklichkeit nicht
vorhanden.
Noch vor n. 7 ist n. 6 erlassen, das die Herausgabe der
von den Ursinianern noch behaupteten basilica Sicinini an-
ordnet. Das Edict beginnt mit den Worten Dissensionis auctare
sublato omnis causa discordiae sopienda est, fällt also offen-
bar in die Zeit, wo der Kaiser noch nichts davon wusste,
dass Prätextatus auch gegen die Genossen des Ursinus ein-
geschritten war, d. h. zwischen den 16. November 367 und
den 12. Januar 368. Nach Erlass dieses Edicts geschah das,
was n. 1, §. 12 berichtet wird: sed populus timens deum . . .
non imperatorem, non iudices nee ipsum . . . Damasum timuit
sed per coemeteria martyrum stationes sine clericis celebrabat.
unde cum ad sanetam Agnem multi fidelium convenissent , ar-
matu8 cum satellitibus suis Damasus irruit et plurimos vasta-
tionis suae strage deiecit. Natürlich ist hier die Basilica der
heiligen Agnes vor Porta Nomentana gemeint, nicht die gleich-
namige Kirche in der Stadt, wie Rade ohne Gründe anzugeben
sehr zuversichtlich ausspricht. Die Kirche S. Agnese fuori le
mura bestand schon vor Papst Honorius, der sie nur miro
opere reparavit, wie es in der Notitia ecclesiarum urbis Ro-
mae des Cod. Vindob. 795 heisst (De Rossi, Roma sotterr. I,
p. 139, 20). Auf die Kirche vor dem Thor weist auch n. 8,
§. 1 adhuc aliquantos placata miscere delectat extramura-
nisque conventibus frequens strepitus excitatur.
n. 8 und 10 sind an den Stadtpräfecten Olybrius ge-
richtet, der zwischen dem 20. September 368 (C. Th. I 6, 6)
und 28. Januar 369 (C. Th. XIV 8, 2) auf Prätextatus folgte
und sein Amt niederlegte zwischen dem 21. August 370 (C. Th.
II 10, 5) und 1. Januar 371 (C. Th. XV 10, 1); vgl. Seeck,
Hermes XVIII 303 und in seiner Ausgabe des Symmachus
p. LXXXVII und XCVII. n. 8 ist etwas früher geschrieben
als n. 10; dass beide noch in das Ende des Jahres 368 fallen,
wird aus den Worten n. 10, §. 2 wahrscheinlich (talem enim
te futurum esse praesumpsimus , cum detulerimus tuis meritis
1 Damasus . . S. 16 f.
Arellona-8tndiön. 127
praefecturam , qualem statim in administrationis exor-
diis invenimus). n. 9 ist von demselben Tage wie n. 8.
Für die Datirung der am gleichen Tage erlassenen n. 1 1
und 12 haben wir keinen Anhalt als die Stadtpräfectur des Am-
pelius, der zwischen dem 21. August 370 und 1. Januar 371 auf
Olybrius folgte und zwischen dem 5. Juli (C. Th. VI 7, 1) und
22. August 372 (C. Th. VI 4, 21) durch Bappo ersetzt wurde.
Am schwierigsten ist die Datirung von n. 13, einem Edict
der Kaiser Gratian und Valentinian II. an den vicarius urbis
Aquilinus, das veranlasst wurde durch die Bittschrift einer
römischen Synode (edirt zuerst von Sirmond, Append. Cod.
Theod. p. 78 ff.). Die Zeit dieser Synode steht nicht fest, da
man die Zeit des Vicariats des Aquilinus nicht kennt. Vgl.
Meyer a. a. 0., S. 10 f. Einstweilen halte ich die Ansetzung
von Blondel und Richter für die wahrscheinlichere, die sowohl
die Bittschrift des römischen Concils wie das kaiserliche Re-
script in die Zeit zwischen den 9. August 378 und 19. Januar
379 verlegen. Dann würde man Aquilinus als Nachfolger des
Vindicianus (15. August 378, C. Th. X 19, 9) und als Vor-
gänger des Potitus (9. August 379, C. Th. VI 28, 1) zu be-
trachten haben.
2.
Zur Chronologie der Simpllciusbriefe (Avell. n. 56 — 69).
In den Ueberschriften und Daten dieser Stücke findet
sich einiges vor, was eine Erklärung oder wenigstens den
Versuch einer solchen beansprucht. Ich gehe hier um so eher
darauf ein, als ich in der Adnotatio meiner Ausgabe von län-
geren chronologischen Auseinandersetzungen absehen musste.
Den Inhalt der einzelnen Briefe setze ich hier als bekannt
voraus. Ich folge der Reihenfolge der Avellana.
n. 56 (= XIV im cod. Berolinensis B) ist in V über-
schrieben Zenoni Augusto Simplicius episcopus, am Ende steht
das Datum Data est IV Iduum Ian. Basilisco Aug. consule. In
B fehlt die Datirung, die Ueberschrift lautet abweichend von V:
Simplicius Basilisco Augusto. Da ist zunächst klar, dass, wenn
der Brief wirklich an den Kaiser Zeno gerichtet ist, die Sub-
scription der Avellana falsch sein muss; denn zu einer Zeit, wo
128 V. Abhandlung: Günther.
Zeno regiert, kann der Usurpator Basiliscus nicht als Augustus
bezeichnet werden. Baronius hat das eingesehen und daher
(vgl. Annal. eccl. 476, 16) Basilisco et Armato conss. herstellen
wollen (das ist das Jahr 476). Die Aenderung ist gewalt-
thätig, allein man gewinnt überdies nicht einmal etwas durch
sie, denn im Januar des Jahres 476 regierte nicht Zeno, sondern
Basiliscus.1 Hierzu kommt der Umstand, dass dem ganzen In-
halt des Briefes nach Zeno nicht der Adressat sein kann.
Wann sollte er an diesen geschrieben sein ? Nach dem
Sturze des Basiliscus? Dann würde doch wie in allen den
anderen Schreiben aus dieser Zeit sich auch hier wohl irgend
eine Wendung finden, mit der der Papst an den gestürzten
Gegner erinnerte und zugleich an die Dankbarkeit des Kaisers
Gott und der Kirche gegenüber appellirte. Das erste Schreiben
des Simplicius an Zeno nach dem Sturze des Basiliscus ist
n. 60, und nach diesem kann n. 56 überhaupt keine Stelle
mehr finden. Ebensowenig aber kann n. 56 an Zeno vor der
Erhebung des Basiliscus gerichtet sein; hiergegen sprechen,
um von Anderem abzusehen, schon die Worte in Brief 58 an
Acacius, der gleichzeitig mit n. 56 abgesandt ist (§. 5): nota
namque . . . quae sanctae memoriae prodecessor mens Leo ad
consultationem augustae recordationis Leonis scripserit et quam
veneranter accepta sint recognoscat (der Kaiser): appareat, Heut
confidimuß, eins Imitator fidei, cuius propitiante deo dignior
1 Ueber die Zeit der Tyrannis des Basiliscus ist viel hin und her ge-
stritten; der Wahrheit scheint mir auch in diesem Falle De Rossi am
nächsten gekommen zu sein. Ich halte es für ausgemacht: 1. dass Ba-
siliscus noch im August des Jahres 476 Tyrann war (vgl. Inscript. christ.
urbis Romae ed. De Rossi I, n. 863, S. 382), aber noch im Laufe des-
selben Jahres gestürzt wurde (vgl. Theophanes und Victor Tunnun. zu
diesem Jahre); dass der Sturz vor dem 17. December dieses Jahres er-
folgte, scheint mir De Rossi (a. a. O. p. 382 f.) aus Cod. Iust I 2, 16
richtig geschlossen zu haben; 2. dass Basiliscus 20 Monate am Ruder
war (auvapiO(M>upivcov xat xtov x' pjvtÜv xou BaaiX(axoo tvjc Tupawtöoc Theoph.
p. 120 ed. de Boor; Eyovti 8e BaaiX(axo> tjjv tupsvvf&a iviaurov te xat {jjjvac
oxtio Procop. Vand. I 7, p. 196 B; vgl. Euagr. III 8 xat Bcutepov frof rfj;
apy^ffc xpaT^aavrc röv BaaiXCaxov i^coOEttai). Daraus würde folgen, dass er
sich der Tyrannis bemächtigt habe innerhalb der vier ersten Monate
des Jahres 475, und dass sein Sturz innerhalb der vier letzten Monate
des Jahres 476 erfolgte.
Arellmft-Studien. 129
est suecessor imperii. Das letzte passt nicht auf Zeno, der
vor der Erhebung des Basiliscus zwischen Kaiser Leo und
sich keinen Vorgänger hatte und daher auch keinen an Würdig-
keit übertreffen konnte. Aus allem diesen ergiebt sich, dass
in V nicht das Datum sondern die Adresse von n. 56 falsch
ist, und dass das Schreiben in der That nicht an Zeno sondern,
wie B angiebt, an Basiliscus gerichtet ist. Doch glaube ich
nicht, dass in die Adresse sich ein Irrthum eingeschlichen
hat, zumal der Brief schon im Jahre 553 von Papst Vigilius
als an Zeno gerichtet citirt wird;1 vielmehr erscheint es mir
sehr wahrscheinlich — und auch De Rossi ist auf diese Ver-
muthung gekommen — , dass nach der Restitution des Zeno
der Name des Basiliscus durch irgend jemand, der Interesse
daran hatte, über die compromittirende Stellungnahme des apo-
stolischen Stuhles zu Gunsten des Usurpators einen Schleier zu
ziehen, absichtlich aus der Adresse dieses Briefes (des einzigen,
der an Basiliscus erhalten ist) entfernt und durch den des
Zeno ersetzt worden ist. Möglich ist, dass dies erst in der
unmittelbaren Quelle der Avellana (X) geschehen ist, viel wahr-
scheinlicher jedoch (und darauf weist auch das Citat bei Vigi
lius), dass die Substituirung des einen Namens für den anderen
in noch älterer Zeit, d. h. schon im päpstlichen Archiv erfolgt
ist, und dass der wahre Thatbestand, den die Adresse in B
wiedergiebt, hier erst durch Conjectur hergestellt ist.
Brief n. 56 ist also von Simplicius am 10. Januar 467
an Basiliscus abgesandt. Dass die Schreiben desselben Papstes
n. 58 (= XVI) an Acacius und n. 59 (= XVII) an die Pres-
byter und Archimandriten von Constantinopel mit jenem gleich-
zeitig abgefasst sind, geht aus ihrem Inhalt zur Genüge hervor.8
1 Im sogenannten Constitutum de tribus capüulis = Avellana n. 83, §. 295.
1 Vgl. z. B. 69, §. 4 ad ChristianUsimum quoque principem vd ad Jratrem
et coepUeopum meum Acacium competentia simul scripta direximu*.
Ueberbringer von Brief 66, 58 und 59 war ein gewisser Epiphanias
(vgl. 59, §. 1 Per filium nostrum laudabüem virum Epiphanium UUeris
vestrae diUctionis . . acceptis und §.4, wo auf die eben ausgeschriebene
Stelle ad Ckristianissimum quoque principem u. s. w. die Worte folgen:
Ut autem plenius düectio vestra oognoscat nostrarum, quas ad ckristia-
• nisrimum principem misimus, seriem litterarum, cxemplaria intemuntio
quem mUUtit redeunte direximus). Woher Langen (Gesch. der röm.
Sitennfsber. d. phil.-hist. Cl. CXXXJY. Bd. 5. Abb. 9
130 V. Abhandlung: Günther.
Da nun, wie wir gesehen, an der Datirung von n. 56 in V
keinerlei Anstoss zu nehmen ist, so liegt es auf der Hand,
dass die Datirung von n. 58 (XVI) in B: Data II Kai. Febr.
consule qui de Oriente fuerit nuntiatus kaum richtig ist, zumal
die Daten, die n. 58 und 59 in V tragen, mit dem von n. 56
durchaus stimmen, wenn man die Überlieferten Schriftzüge nur
richtig ergänzt, beziehungsweise emendirt. n. 58 trägt in V die
Subscription DAT QV ID IAN CONSVl, d. h. Data qu(arto)
Id. Ian. consule {suprascripto) , n. 59 DAT CHI (zu emen-
diren in: IUI) ID IAN CONSVL SS.
Zwischen n. 56 (XIV) auf der einen und den auf den
gleichen Tag fallenden n. 58 (XVI) und 59 (XVII) auf der
anderen Seite steht sowohl in V wie in B Brief n. 57 (XV),
und zwar in beiden Sammlungen ohne Datum. Dass er nicht
gar lange nach n. 56, 58 und 59 geschrieben ist, geht aus
den Worten hervor, in denen er auf die Briefe 56 und 58
Rücksicht nimmt (§. 1): proxime namque ... tamChristianissimo
principi quam dilectioni tuae scripsimu$f ut modis omnibus re-
sistatur. Man hat daher denn auch schon längst diesen Brief
ebenfalls noch dem Januar des Jahres 476 zugewiesen. Ich
möchte nun die Vermuthung wagen, dass auf diesen Brief das
Datum zu beziehen sei, das in B, wie wir gesehen haben, am
Ende von n. 58 (XVI) steht: Dat. II Kai. Febr. consule qui de
Oriente fuerit nuntiatus. War dasselbe am Ende von n. XV
irgendwie so geschrieben, dass es mit dem Titel von n. XVI
auf eine und dieselbe Zeile kam, oder war es gar etwa an
den Rand der Handschrift herausgerückt, so konnte ein Ab-
schreiber wohl auf den Gedanken kommen, dass es zu n. XVI
gehöre, und es dann an das Ende dieses Briefes setzen. Jeden-
falls würde der 31. Januar 476 der Lage der Dinge nach für
n. 57 ausgezeichnet passen. Unklar bliebe dabei freilich immer
noch, warum, wenn bereits n. 56 wie in V so doch sicher
auch in der alten Sammlung X und noch weiter zurück im
päpstlichen Registerbuch die Consulardatirung Basilisco Aug.
cons. trug, nicht ebenso auch der später geschriebene Brief
n. 57 datirt war II Kai. Febr. Basilisco Aug. cons. sondern
Kirche II, 130 am Ende) die Nachricht von zwei Gesandten des Papstes
hat, habe ich nicht entdecken können.
▲TtIUn»-8l«di«k. 131
statt dessen II Kai. Febr. consule qui de Oriente fuerit nun-
tiatus. Einen sicheren Ausweg weiss ich nicht. Sollte das
ursprüngliche vielleicht auch hier cons. supra scripta gewesen,
dann supra Scripte (= si) in einer Handschrift ausgefallen
und von einem kundigen Leser (demselben vielleicht, der in
der Adresse von n. 56 den Basiliscus an die Stelle von Zeno
setzte) durch das qui de Oriente fuerit nuntiatus ersetzt sein?
Verdächtig ist diese Formel hier auch in anderer Hinsicht;
cons. qui de Oriente fuerit nuntiatus oder einfacher cons. qui
fuerit nuntiatus kommt, wie Mommsen bemerkt hat (Neues
Archiv XIV 234) in Regierungserlässen der Kaiser im fünften
Jahrhundert bis zum Jahre 461 (vgl. Mommsen a. a. O., S. 232,
243) häufiger vor, in dem Schreiben eines Papstes ist es sonst
nicht nachweisbar, und unser Beispiel wäre das einzige.
Das Schreiben des Simplicius an Zeno n. 60 fehlt in B.
In V ist es datirt VII Id. Oct. post consulatum Basilisci et Ar-
mati , das wäre der 9. October 477. Doch kommt für diesen
Brief noch eine andere Quelle in Betracht: er steht auch in
einem Miscellancodex des 10. Jahrhunderts, dem Vatic. lat. 1344,
von mir in meiner Ausgabe mit T bezeichnet. T, der V gegen-
über einige vortreffliche Lesarten hat und zweifellos von der
Avellana unabhängig ist, hat nun ein anderes Datum: Data
p. c. Basilisci Aug. VIII Idus Aprelis, das ist der 6. April 477.
Welches Datum ist das richtige? Ich glaube sicher das von T.
Brief 60 ist ohne jede Frage der erste, den Simplicius dem Zeno
nach seiner Ruckkehr auf den Thron gesendet hat: die ganzen
drei ersten Paragraphen enthalten nichts als überschwängliche
Aeus8erungen der Freude und des Dankes gegen Gott dafilr,
dass der Kaiser nunmehr in sein Reich zurückgekehrt und
Basiliscus, der parrieida, der publicus ineubator, beseitigt ist.
Der Brief ist, wie wir aus §. 3 ersehen, die Antwort des
Papstes auf ein verloren gegangenes Schreiben des Zeno, in
dem dieser unter Anderem die Erwartung ausgesprochen hatte,
dass der Papst während der Tyrannis des Basiliscus zu Gott
um die Rückkehr des vertriebenen Herrschers gebetet haben
würde.1 Dies Schreiben wird der Kaiser ohne Zweifel sehr
1 Der Papst antwortet, dass diese Erwartung des Kaisern durchaus gerecht-
fertigt sei : ricut erdm pietaa vestra merito reeteque coqfidü Mo nos tempore
3*
132 Y. Abhandlung: Oftüther.
bald nach seinem Siege über Basiliscus haben abgehen lassen,
da ihm doch sicherlich daran liegen mnsste, die durch seine
Flacht aus» Constantinopel unterbrochenen Beziehungen zum
römischen «Stuhle möglichst bald wiederherzustellen. Nun hat
die Rückkf ur des Zeno auf den Thron, wie wir sahen, innerhalb
der letzten vier Monate des Jahres 476, und zwar wohl noch vor
dem 17. December stattgefunden. Da ist es denn doch unendlich
viel: Wahrscheinlicher, dass diese erste Correspondenz zwischen
dem L4rückgekehrten Kaiser und dem Papst in den Frühling
des Jahres 477 fallt, als dass sie erst im Herbst desselben statt-
gefunden haben sollte. Wie die abweichende Lesart von V ent-
standen ist, ist nicht mit Sicherheit zu sagen; da ja eigentlich
nur der Monat differirt, möchte ich am liebsten an eine rein
mechanische Corruptel glauben.1
Der Brief des Papstes an Acacius n. 61 (VI) ist geschrieben
nach V: a. d. III Id. Mart.} nach B : a. d. VIII Id. Mari, unter
dem Consulat des Illus (478). Eins muss aus dem anderen
durch Corruptel entstanden sein. Da VIII wohl leichter in III
verdorben werden konnte als umgekehrt III in VIII, so möchte
ich der Lesart von B den Vorzug geben und den Brief also
auf den 8. März 478 setzen.
nihil aliud deum nostrum suppliciter implorcuse quam ut nobis Rornani
imperii praetules, quälet nunc loquimur, r edder entur, üa u. s. w. Wie
wenig passt diese Versicherung zu der oben (8. 128 f.) ausgeschriebenen
Stelle, wo er in dem Briefe an Acacius den gegenwärtigen Machthaber
Basiliscus dem vertriebenen Zeno gegenüber als den würdigeren Nach-
folger Kaiser Leos hinstellt !
1 Mit n. 60 ist dann auch das Schreiben des Simplicius an Acacius auf
den 6. April 477 zu setzen, das Lucas Holsten in seiner Collectio Rom.
bipartita 1 194 veröffentlicht hat (jetzt auch bei Thiel p. 189, n. 7) und
das ich in anderem Zusammenhange Byzantin. Zeitschrift III, 8. 146 f.
besprochen habe. Dass beide Stücke gleichzeitig abgesandt sind, hatte
man schon früher erkannt; jetzt gewinnen wir dafür noch eine hand-
schriftliche Bestätigung. Aus dem Anfang des von Holsten bekannt ge-
machten Schreibens geht hervor, dass der Brief des Acacius, auf den es
die Antwort giebt, durch eben jenen Epiphanius Überbracht war, der
einst Ueberbringer von n. 56, 58 und 59 gewesen war. Nichts liegt
näher als die Annahme, dass auch die Antwort des Papstes wieder durch
Epiphanius gegangen ist. Damit stimmt nun die Ueberschrift, die n. 60
in T trägt: Incipit epistola »implicii episcopi urbi* rome ad zenonem augu-
rtum per epiphanium diaconum.
ATellana-Stndien. 133
Es folgen die Schreiben n. 62 (VII) an Zeno und 63 (VIII)
an Acacius, in V beide ohne Hinzufügung eines Datums. Dass
sie auf denselben Tag zu setzen seien, hat man lange erkannt;1
ebenso auch, dass sie nach n. 61 (VI), d. h. nach d< u 8. März
478, und vor n. 64 (IX) geschrieben sein müssen, wp h letzterer
Brief nach Farn XKal. Nov., nach B am XII Kai. Nov. des Jahres
478 abgesandt ist. Nicht im Einklang mit dieser Thatsache stehen
die Subscriptionen , die B zeigt: für 62 (Dat.) VIII Id. 7 '%rt.,
für 63 Dat. XI Id. Octobr. Wie die Uebereinstimmu der
Daten herzustellen ist, muss unsicher bleiben, denn einmal ist
es wohl möglich, dass in dem Datum von n. 62, wie B es
bietet, nur der Monat verdorben ist, so dass wir beide Briefe
auf den VIII Id. Oct. zu setzen hätten. Auf der anderen Seite
jedoch ist auch sehr wohl denkbar, dass das ganze Datum von
n. 62 in B nur eine irrthümliche Wiederholung des Datums
von n. 61 ist. In diesem Falle müssten wir den Tag einzig
und allein durch Conjectur aus dem corrupten Datum von
n. 63 herzustellen suchen; Dat. VI Id. Oct. läge paläographisch
dann wohl am nächsten. Die Frage bleibt also unentschieden;
sicher ist nur das, dass beide Briefe, n. 62 und 63, auf einen
und denselben Tag fallen und dieser zwischen Nonen und Iden
des Octobers 478 anzusetzen ist.
Die beiden folgenden Briefe n. 64 (IX) und 65 (X) ge-
hören wieder auf einen und denselben Tag, wie jeder sieht,
der nur die ersten Worte in beiden mit einander vergleicht.
Datirt sind sie folgendermassen:
V: B:
n. 64 X Kai. Nov. XII Kai. Nov.
n. 65 XVI Kai. Nov. XI Kai. Noo.
1 Sie sind geschrieben, nachdem Esaiaa und die übrigen Gesandten in
Rom angelangt waren, die Timotheus ,catholicus' nach seiner Rückkehr
nach Alexandrien an den Papst abgeordnet hatte mandans . . ut scribe-
retur imperatori de Petro longius in exiUum dirigendo, quia latebat in
Alexandrina civüate et insidiabatur ecdesiae (Gesta de nomine Acacii
6P 99, §. 19). Beide Briefe sind durch einen gewissen Petras über-
bracht, der n. 63, §. 3 vir apeclabüis cornes genannt und in der Note,
die in V an den Titel von n. 62 angeschlossen ist (in B steht sie statt
dessen am Schluss von n. 63), als vir apectabüU comes Placidiae nobi-
tittmae feminae bezeichnet wird.
134 V. Abhandln!»*: Qttnthar. AT«lUo*-8tndi«n.
Als gemeinsames Datum für beide Briefe ist demnach wohl
XII Kai. Nov., d. i. der 21. October 478, anzunehmen, die-
jenige Lesart, aus der sich paläographisch die drei übrigen
Varianten am leichtesten erklären lassen.
Von einem und demselben Tage sind, wie ihr Inhalt
zweifellos angiebt, auch die Briefe n. 66 (XI) und n. 67, von
denen der erstere in V wie in B die Subscriptio trägt Dat.
X Kai. Iul. p. c. Uli v. c. (479), der zweite dagegen nur in V,
und zwar ohne Datum überliefert ist.1 Es folgen dann noch
n. 68 (XII) und 69 (XIII), beide in V und B datirt vom
15. Juli 482.
Wir gewinnen demnach flir die Briefe n. 56—69 der Avel-
lana der Reihenfolge nach folgende Daten: 56: 10. Januar 476;
57: 31. (?) Januar 476; 58 und 59: 10. Januar 476; 60: 6. April
477; 61: 8. März 478; 62 und 63: zwischen 7. und 15. October
478; 64 und 65 21. October 478; 66 und 67: 22. Juni 479
(482?); 68 und 69: 15. Juli 482. Die Reihenfolge ist also in
der Avellana durchaus chronologisch, mit der einen Ausnahme,
dass n. 58 und 59 eigentlich vor n. 57 hätten stehen sollen.
1 Es ist Öfter darauf hingewiesen, dass diese Briefe nicht in das Jahr 479
gehören sondern in das Jahr 482 zu setzen sind (vgl. besonders Geiser,
Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie XXVI, 1883, p. 509). Ich
muss gestehen, dass ich noch nicht völlig davon überzeugt bin, obgleich
ich die vorliegenden Schwierigkeiten nicht verkenne und selbst keinen
Überzeugenden Ausweg sehe. An dieser Stelle die Frage nach der Chro-
nologie der Bischöfe Petrus, Johannes, der beiden Stephani und des
Calandion von Antiochien aufs Neue zu untersuchen, will ich unter-
lassen, zumal für meinen nächsten Zweck nichts davon abhängt, ob die
Briefe ins Jahr 479 oder erst ins Jahr 482 fallen. Der Vorschlag
Thiel'8, der statt post com. Iüi v. c. vielmehr po*t com. ÜL v. c. lesen
mochte und glaubt ,vocem ÜL loco nostri N. N. provisorie pro nomine
proprio a librario positam fuisse', wird kaum irgendwo Beifall finden.
YI. Abhandlung: Hillebrand. Zur Lehre tod der Hypothesenbildang. 1
VI.
Zur Lehre von der Hypothesenbildung.
Von
Dr. Franz HÜlebrand,
a. ö. Professor der Philosophie an der Universität in Wien
I. Einleitung.
§ 1. In unserem der Metaphysik so abholden Zeitalter
dürfte kaum eine Erscheinung so sehr auffallen wie die That-
sache, dass sich in jeder exacten Wissenschaft die Tendenz
fühlbar macht, ihre erkenntnisstheoretischen Grundlagen einer
neuerlichen Revision zu unterziehen und sozusagen vor dem
Weiterbauen noch einmal auf die Fundamente einen prüfenden
Blick zu werfen und ihre Tragfähigkeit zu untersuchen. Hie-
mit hängt eine zweite Thatsache zusammen , die — auf den
ersten Anblick wenigstens — fast noch mehr in Verwun-
derung setzt: nicht wie früher sind es die berufsmässigen Er-
kenntnisstheoretiker, die solcher Forschung sich widmen und
sich etwa eine systematische Darstellung des Gesammtgebietes
der Erkenntnisstheorie zur Aufgabe machen; vielmehr ist die
Erkenntnisstheorie zerfallen in einzelne Erkenntniss-
theorien, entsprechend den Sonderbedürfnissen der einzelnen
Wissensgebiete; und an die Stelle des berufsmässigen , ausser-
halb der Einzeldisciplinen stehenden Erkenntnisstheoretikers
sind die Vertreter jener Einzeldisciplinen selbst getreten, und
jeden von ihnen sehen wir ausschliesslich an dem Theile der
Erkenntnisslehre arbeiten, der im Besonderen seinem Special-
fach zugehört. So sehen wir — um nur einige Beispiele an-
zuführen — einen Chemiker wie Ostwald um die Feststellung
der constitutiven Merkmale des Begriffes ,Real' sich bemühen,
dem Ursprung des Begriffes ,Substanz' nachgehen, ihn durch
Sitrnngsber. d. pkil.-hist. Cl. CXXXIV Bd. 6. Ahh. 1
2 VI. AMumdlang: Hillebrand.
Angabe der unbedingt nöthigen Merkmale präcisiren, den
Begriff Energie definiren und ihre letzten, irreduciblen Gat-
tungen namhaft machen und was derlei grundlegende Ver-
richtungen mehr sind.1 Wir sehen schon früher einen Physiker
wie Mach mit der Entwicklungsgeschichte der Mechanik be-
schäftigt in der offenbaren Tendenz, hier nicht einfach histo-
rische Daten in chronologischer Folge zu registriren, sondern
die wahren empirischen Quellen auch für diejenigen primitivsten
mechanischen Begriffe und Gesetze aufzusuchen, von denen uns
nach den üblichen Darstellungen der Lehrbücher die ersteren
immer wie blos terminologische Festsetzungen, die letzteren wie
blos deductiv aus der Analyse jener gewonnene Wahrheiten
erscheinen. Vieles, was selbstverständlich', d. h. analytisch ge-
wonnen erschien, zeigt sich hiebei abhängig von ganz bestimmten
Erfahrungen, freilich oft von so alltäglichen und hundertfach
gehäuften, dass das instinctiv für wahr Gehaltene den Eindruck
des Selbstverständlichen erwecken konnte. Die Anweisung, die
einst David Hume gegeben hatte, fllr jeden auch noch so
abstracten und complicirten Begriff die ,Sensationen' anzu-
geben, aus welchen er gewonnen wurde, finden wir bei Mach
auf das Strengste befolgt; denn auch die vermeintlich blossen
Rechnungsausdrücke (wie ,lebendige Kraft') haben, wenn sie
auch nicht der unmittelbare Ausdruck eines empirischen
Datums sind, doch in gewissen Relationen derartiger Data
ihre letzte Quelle. Wir finden Mach weiter bemüht, die Auf-
gabe jeder Naturforschung scharf zu präcisiren, indem er den
Begriff ,Naturerklärung' genau definirt und in dem ,Princip
der Oekonomie' die oberste und allgemeinste Forschungsregel
aufzustellen sucht. Weiter sehen wir, um ein drittes Beispiel
zu erwähnen, auch Helmholtz mit den erkenntnisstheoretischen
Grundlagen der mannigfachen von ihm beherrschten und fort-
gebildeten Wissenszweige beschäftigt; so wenn er nach allge-
meinen Kriterien für die ursprünglich in der Sinneswahrnehmung
gelegenen und für die erst durch Erfahrung erworbenen Daten
forscht; ebenso, wenn er in den Grundlagen der Geometrie
1 Vgl. Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie, Leipzig 1898, II. Bd.,
I. Theil, 1. und 2. Capitel; ferner desselben Autors Antrittsvorlesung,
Die Energie und ihre Wandlungen, Leipzig 1888.
Zur Lehre von der Hypothesenbildung. 3
die empirischen Momente herauszufinden und von den ana-
lytischen zu sondern trachtet.
§ 2. Gerade die Thatsache nun, dass die Erkenntniss-
theorie in dieser Weise aufgelöst worden und Theil flir Theil in
die Hände derjenigen übergegangen ist, welche auch das ent-
sprechende Erkenntnissmate riale beherrschen, gibt noch flir
einen anderen Umstand Zeugniss. Die Revision der erkenntniss-
theoretischen Grundlagen hat aufgehört blos um ihrer selbst
willen Gegenstand des Interesses zu sein, sie wird vielmehr
als Bedürfniss der Forschungspraxis gefühlt, sie soll bestimmt
sein, der positiven Einzelforschung die leitenden Principien zu
geben und ihre Grenzen zu bestimmen; die Erkenntnisstheorie
zeigt sich als eine eminent verwerthbare Wissenschaft, nicht
mehr als eine Speculation, der sich der Naturforscher zwar
gelegentlich aus Liebhaberei zuwendet, der er aber — soweit
er Naturforscher ist — vollkommen entrathen kann, da seine
Forschung von ihren Ergebnissen, ob sie nun so oder anders
ausfallen, in keiner Weise tangirt wird. Beispiele werden dies
deutlich machen. Ich glaube kaum, dass die Frage, ob im
Begriff ,Ursache* ein aus unseren Willensacten abstrahirtes Ele-
ment gelegen sei oder ob Ursache (wie Mill meint) einfach
so viel heisse wie unveränderliches und unbedingtes Antecedens
— ich glaube kaum, dass diese Frage einem Physiker bei der
Arbeit im Laboratorium je einmal ernstlich irritirt hat; ich
glaube kaum, dass auch nur eine physikalische Untersuchung
anders ausfallen würde, ob im Causalitätsgesetz das Wort ,Ur-
saehe' den Miirschen, den Kant'schen oder sonst irgend einen
Sinn hat. Ich zweifle sehr daran, dass die Entscheidung der
ehemaligen Streitfrage, ob die Sätze der Mathematik analytische
oder synthetische Urtheile a priori sind, auf den t5ang auch
nur einer einzigen mathematischen Untersuchung Einfluss ge-
nommen hat. Die Frage aber, ob die Annahme einer ato-
mistischen Constitution der Materie (vorausgesetzt, dass sie mit
keiner Erscheinung im Widerspruch steht) blos den Werth
einer Hilfsvorstellung, eines leitenden oder heuristischen Prin-
cipes hat, oder aber, ob sie zu der Gewissheit von etwas that-
sächlich Bestehendem erhoben werden kann, diese Frage ist
etwas, woran der Naturforscher als solcher in allerhöchstem Masse
interessirt sein muss. Die Frage ferner, ob die Annahme einer
1*
4 VI. Abhandlung: Hillobrand.
dreidimensionalen Mannigfaltigkeit, falls sie den Ansprüchen
der Chemie genügt, blos den Charakter eines zweckmässigen
Forschungsmittels an sich trägt, oder ob sie zu bestimmten Ver-
muthungen über thatsächliche Verhältnisse führt, diese Frage
kann auf die concrete Einzelforschung unmöglich ohne ge-
wichtigen Einfluss sein.
Unbeschadet der inneren Bedeutung, die den zuerst ge-
nannten Fragen zweifellos zukommt, kann denn doch die höhere
Wichtigkeit der zuletzt genannten Probleme nicht gut in Abrede
gestellt werden.
Darin, dass gewisse erkenntnisstheoretische Untersuchungen
aus dem Bedürfniss der Einzelforschung hervorgegangen sind,
liegt die Erklärung jener eigentümlichen Erscheinung unserer
Tage, dass die Vertreter jener Disciplin zum grösseren Theil
unter den Naturforschern zu suchen sind. Wenn wir aber ge-
rade von dieser Seite und gerade bei Gelegenheit erkenntniss-
theoretischer Forschungen so manches bittere Wort über die
Metaphysik (der ja die Erkenntnisstheorie als einer ihrer Theile
zugehört) zu hören bekommen, ja wenn wir bei solchen Ge-
legenheiten den Ausdruck ,Metaphysik' oder gar den allge-
meineren ,Philosophie' geradezu als eine Bezeichnung des Tadels
gebraucht finden, dann mögen wir uns an den Ausspruch Pas-
cal's erinnern:
,Se moquer de la philosophie, c'est vraiment philosopher/
§ 3. Die folgende Untersuchung ist einer jener erkenntniss-
theoretischen Fragen gewidmet, die, abgesehen von dem Inter-
esse, das sie um ihrer selbst willen beanspruchen dürfen, auch
für den Gang naturwissenschaftlicher Forschung (ich möchte
sagen: für dialogische Technik der Naturforschung) von grosser
Wichtigkeit sind. Sie beschäftigt sich mit der Theorie der
Hypothesenbildung, indem sie einen Beitrag zur Lehre von
den Bedingungen liefern will, denen eine wissenschaftlich be-
rechtigte Hypothese genügen muss. Von den Regeln, in welchen
diese Bedingungen ausgesprochen werden, sind einige längst
klar formulirt und allgemein anerkannt, wie z. B. die Regel,
dass man ceteris paribus die weniger complicirte Hypothese
der complicirteren vorziehen soll; oder die, dass diejenige Hypo-
these den Vorzug verdient, aus welcher die in Frage stehende
Zar Lehre ton der Hypothesenbildnng. 5
Thatsache mit grösserer Wahrscheinlichkeit folgt, oder — wie
man auch sagt — welche die Thatsache ,leichter' erklärt.
Es gibt aber in der Hypothesenlehre einen unklaren
und strittigen Punkt, eine Regel, über deren Auslegung sowohl
als auch über deren Giltigkeit in der einen oder anderen Aus-
legung Zweifel und Meinungsverschiedenheit herrschen. Das
ist die Regel, nur solche Hypothesen zuzulassen, welche
eine ,vera causa' zum Gegenstande haben.
Welchen Sinn diese Regel haben kann festzustellen, und
welches das Bereich ihrer Giltigkeit ist zu untersuchen, das
soll die Hauptaufgabe der folgenden Erörterungen sein; manche
scheinbar fernerliegende Untersuchungen, wie z. B. die über
einige Grundsätze der Mechanik, über den Begriff ,Kraft' in
der Mechanik u. dgl., werden in ihrem Zusammenhang mit dem
eigentlichen Thema klar werden.
§ 4. Die Vorschrift, zur Naturerklärung nur verae causae
zu verwenden, findet sich zuerst bei Newton. In seinen Prin-
cipien hat er eine Anzahl ,regulae philosophandi' aufgestellt,
von denen die erste lautet:
,Causas rerum naturalium non plures admitti debere, quam
quae et verae sint et earum phoenomenis explicandis sufficiant.'
Aber — schon W he well hat sich darüber beklagt —
eine genauere Formulirung dieser Regel, vor Allem eine De-
finition des Ausdruckes ,verae causae' suchen wir vergebens.
Und auch das vielcitirte ,Hypotheses non fingo' kann erst durch
eine Definition dieses terminus einen verständlichen und un-
zweideutigen Sinn bekommen. J. St. Mill ist der Ansicht,
dass Newton's Lichttheorie ,ein auffallendes Beispiel von der
Verletzung seiner eigenen Regel war'.1 Bei einem Forscher wie
Newton werden wir uns zu der Annahme einer derartigen In-
consequenz nicht ohne zwingende Gründe entschliessen ; es
wird die Frage berechtigt sein, ob nicht vielmehr jene erste
Forschungsregel missverstanden worden und ihre Verletzung
eine blos scheinbare war.
Die Frage nach Sinn und Geltung dieser Regel ist noch
immer eine offene. Hoffentlich trägt die folgende Untersuchung
einigermassen zur Klärung bei.
1 Syst, der ded. und iud. Logik, Buch III, Cap. XIV, § 4.
6 VI. AUuuiAlaag: Hillebrand.
§ 5. Um die folgenden Ueberlegungen nicht durch Ex-
cnrse unterbrechen zu müssen, will ich eine Bemerkung ül>er
den Begriff der Hypothese im Allgemeinen und eine über
den Begriff der , vorläufigen Hypothese' gleich hier voraus-
schicken.
Eine Hypothese ist ein Urtheil, welches wir darum für
wahr halten, weil wir erkennen, dass ein anderes Urtheil,
welches uns als sicher gilt, aus ihm mit Notwendigkeit oder
mit Wahrscheinlichkeit folgt. Das ist die allgemeinste De-
finition des Begriffes .Hypothese'; sie ist mit den divergentesten
Standpunkten vereinbar, welche in der Hypothesenlehre ein-
genommen werden können, weil sie noch gar keine weiteren
Bedingungen enthält ausser die selbstverständliche und von
Allen zugestandene, dass zwischen dem Suppositum und der in
Frage stehenden Thatsachc irgend ein erkannter Zusammen-
hang bestehen müsse. Causale Ausdrücke sind absichtlich ver-
mieden, schon um den Begriff nicht unnöthiger Weise auf ur-
sächliche Hypothesen einzuschränken.
Der Charakter der blossen Vermuthung, der in dem
Begriff ,Hypothese* liegt, reducirt sich auf zwei Eigenschaften,
die schon in der obigen Definition involvirt sind: erstens darauf,
dass ein Urtheil (im Allgemeinen) nicht blos aus einem einzigen
anderen, sondern aus verschiedenen anderen folgen kann; und
zweitens darauf, dass ein Urtheil aus einem anderen nicht nur
mit Sicherheit, sondern nach Umständen auch blos mit einem
gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit folgen kann.1
1 Man ktfmite meinen, dass hier nicht zwei verschiedene Momente vor-
liegen: wenu das Urtheil a nicht blos aus dem Urtheil x, sondern auch
ans y, x folgen könne, dann sei eben der Rückschluss gerade auf x ein
blosser Wahrscheinlichkeitsschluss, und somit sei der erste Umstand auf
den zweiten reducirt. Richtig ist nuu, dass die Mehrheit begründender
Urtheil e jedem einzelneu eine blos wahrscheinliche Giltigkeit ertheilt;
aber ausser dieser Wahrscheinlichkeit kommt noch eine zweite in
Betracht. Es kann sein, dass, weun x gilt, a mit Notwendigkeit darauf
folgt; danu ist die blosse Wahrscheinlichkeit von x nur eine Folge de«
Vorhandeuseins von Coucurreuzhypothesen (yf x ; es kann aber aueb
sein, dass, «enn x wirklich gilt o nur mit Wahrscheinlichkeit ans ihm
folgt Diesfalls würde x auch ohne Concurrenahypothesen blos wahr-
scheinlich sein. Natürlich können im einzelnen Falle auch beide Mo-
mente vereinigt gegeben sein.
Zur Lehre von der Hypotfaeaenbildnng. 7
§ 6. Von der Hypothese im oben definirten Sinne unter-
scheidet sich sehr wesentlich das, was man vorläufige Hypo-
these nennen kann. Ein jedes Gesetz, ob deductiv oder inductiv
gewonnen, wird zuerst ,vorläufig angenommen', ehe es bewiesen
wird. Eine vorläufige Hypothese ist nichts Anderes als ein
Forschungsmotiv, und ihrem psychologischen Charakter
nach ist sie kein wirklich gefälltes, sondern ein blos vor-
gestelltes Urtheil. Die Auffindung jedes Gesetzes geht (wie
man schon oft bemerkt hat) in dieser Weise vor sich; der psy-
chologische Process spielt sich nicht so ab, wie es etwa nach dem
Schema mancher mathematischen Deduction den Anschein haben
könnte; vielmehr ist das Resultat immer schon in gewisser Weise
anticipirt — natürlich nicht in der Weise, dass das resultirende
Urtheil schon früher gefällt wird, wohl aber in der Weise, dass
es schon früher vorgestellt wird und man sich von diesem vor-
gestellten Urtheil leiten lässt. Wie wäre es sonst möglich, dass
Einer unter den heterogenen Kenntnissen, die er bisher auf-
gesammelt hat, gerade diejenigen auswählt, die ihm als Be-
weisgründe für das später zu bewahrheitende Gesetz dienen?
Aehnliches gilt bei jedem Experiment. Man braucht dabei
noch nicht an diejenigen Experimente zu denken, von denen
schon in Folge früherer Untersuchungen feststeht, dass sie auf
ein präcise gestelltes Problem die Antwort geben (z. B. eine
Alternative entscheiden) müssen; auch wenn gar keine de-
duetive Vorbereitung dieser Art vorliegt und sozusagen ein
blosses Tatonnement gemacht wird, muss irgend eine , vorläufige
Hypothese*' den Anlass geben, dass gerade diese Versuchs-
bedingung eingeführt, gerade diese Veränderliche wirklich
variirt wird.1
Eine vorläufige Hypothese ist also kein Urtheil, das wirk-
lich geglaubt wird, sie braucht nicht einmal eine berechtigte
Vermuthung einzuschliessen ; sie ist — um es noch einmal zu
sagen — ein Forschungsmotiv. Dass diese vorläufigen Hypo-
thesen mit den eigentlich sogenannten Hypothesen (wie sie
oben definirt wurden) nichts zu thun haben, dafür gibt be-
sonders der Umstand Zeugniss, dass die ersteren auch auf
solchen Gebieten ihren berechtigten Platz finden, in welchen
1 Vgl. J. St. Mill, SyBt. der ded. und ind. Logik, Buch III, Cap. XIV, § 5.
8 VI. Abhandlung : Hülebrand.
Hypothesen im eigentlichen Sinne gar nicht vorkommen. So
bei Beschreibungen, seien sie nun analytischer Natur oder
nicht; wenn es sich um die Beschreibung des Fallphoenomens
handelt^ so ist die , Annahme', dass die Geschwindigkeit pro-
portional der Zeit wächst, nur eine vorläufige Hypothese, d. h.
lediglich ein Motiv, die gleichen Zeiten zugehörigen Räume
zu messen und daraufhin zu prüfen, ob sie mit den Quadraten
der Zeit wachsen oder nicht; eine Hypothese in der eigent-
lichen Bedeutung hat hier überhaupt keinen Platz, weil sie
keinen Sinn hat. In den mathematischen Wissenschaften wird
dies noch deutlicher. Wer unter bestimmten Voraussetzungen
zwei Flächengebilde gerade auf die Gleichheit ihres Inhaltes
hin untersucht und nicht auf ihre Congruenz oder auf sonstige
Beziehungen, der muss sich von der , vorläufigen Hypothese'
ihrer Inhaltsgleichheit leiten lassen, um gerade nach den Be-
dingungen dieser Relation zu forschen. Aber Hypothesen im
eigentlichen Sinne haben hier wie überhaupt in den mathema-
tischen Wissenschaften keinen Platz.1
Es ist auch nützlich zu beachten, dass vorläufige Hypo-
thesen an gar keine logischen Regeln gebunden sind. Von
,Wahr' und ,Falsch* ist auf diesem Gebiete, d. h. auf dem Ge-
biete blos vorgestellter Urtheile, überhaupt nicht die Rede.
Nur um , Tauglich' oder ,Untauglich' kann sich's hier handeln;
ob aber das Eine oder das Andere, darüber lässt sich im Vor-
hinein nichts sagen, das entscheidet erst der Effect; die Logik
hat damit nichts zu schaffen.
Diese Bemerkungen vorauszuschicken halte ich für sehr
nothwendig, damit nicht gegen die späteren Erörterungen, die
sich (wenn nicht das Gegentheil ausdrücklich bemerkt ist) nur
mit den Hypothesen im eigentlichen, oben definirten Sinne
beschäftigen, Einwände erhoben werden, welche sich bloss auf
die Betrachtung der vorläufigen Hypothesen gründen.
§ 7. Mit der Frage nach der Definition des Begriffes
,vera causa' und mit der weiteren Frage nach den Gründen,
die für eine derartige Einschränkung in der. Freiheit der Hypo-
thesenbildung sprechen, hat sich am eingehendsten der eng-
1 Vgl. dazu auch Ernest Naville, La logique de Hypothese, Pari*
1880, p. 6.
Zur I*hro von der HypothesenbilduDg. 9
lische Logiker J. St. Mi 11 beschäftigt. Ich will daher, ehe ich
meinerseits eine Lösung dieser Fragen versuche, die Ansichten
Mill's darstellen und einer genaueren Prüfung unterziehen. Wir
werden dadurch auf den späteren Lösungsversuch in mannig-
facher Weise vorbereitet werden.
II. J. StT MilPs Lehre von den Eigenschaften einer
berechtigten Hypothese.1
§ 8. J. St. Mill's schickt eine Definition des Begriffes
,Hypothese' voraus, mit welcher unsere oben gegebene (vgl.
p. 6) wesentlich identisch ist. Soweit es nur auf die Merk-
male in dieser Definition ankommt, gibt es, wie Mill mit Recht
betont, ,für Hypothesen keine anderen Grenzen als die der
menschlichen Einbildungskraft'. Damit aber eine Hypothese
auch wissenschaftlich berechtigt sei, müssen noch gewisse,
unsere Phantasiethätigkeit einschränkende Bedingungen er-
füllt sein.
,. . . wir können/ sagt Mill, ,wenn es uns beliebt, um
einen Grund für irgend eine Wirkung anzugeben, uns eine
Ursache von völlig unbekannter Art ersinnen, die nach einem
ebenso fictiven Gesetze wirkt. Allein da Hypothesen dieser
Art nichts von der Scheinbarkeit besitzen würden, die den-
jenigen zukommt, welche sich durch Analogie an bekannte
Naturgesetze anreihen, und überdies auch nicht dem Bedürfniss
genügen würden, welches willkürlich ersonnene Hypothesen ge-
wöhnlich befriedigen sollen, dass sie es uns nämlich möglich
machen, uns eine dunkle Erscheinung in dem Lichte einer ge-
wohnten vorzustellen, so hat es wahrscheinlich in der Geschichte
der Wissenschaften nie eine Hypothese gegeben, bei der beide
Bestandtheile , das Agens selbst und das Gesetz seiner Wirk-
samkeit, fictiver Natur waren. Entweder die Erscheinung, die
man als die Ursache hinstellt, ist wirklich, aber das Gesetz,
nach dem sie wirken soll, blos angenommen; oder die Ursache
ist fingirt, aber man setzt voraus, dass sie ihre Wirkungen
1 Vgl. dazu Syst. der ded. und ind. Logik, Buch III, Cap. XIV, Übersetzt
von Th. Gomperz.
10 VI. Abhandlung: Hillebrand.
nach Gesetzen hervorbringt, die denen irgend einer bekannten
Classe von Erscheinungen ähnlich sind/
Nachdem Mill darauf hingewiesen hat, dass Hypothesen,
bei denen sowohl das Agens ein novum ist als auch dessen
Wirkungsweise, in der Geschichte der Wissenschaften sich
schwerlich auffinden lassen, und dass sonach die blosse Eigen-
schaft einer Hypothese, die deductive Ableitung einer beob-
achteten Erscheinung (d. i. also ihre Erklärung*) zu ermög-
lichen, für die Legitimität derselben offenbar als nicht hinreichend
betrachtet wird, geht er nun seinerseits daran, zu untersuchen,
wie denn jene weitere Bedingung zu formuliren sei, welcher
eine Hypothese noch überdies genügen muss.
Mill geht von folgendem Gedanken aus: Die Hypothese
will einen Ersatz fllr eine Induction bieten; sie muss daher jeden-
falls diejenige Prüfung bestehen, welche auch eine correcte In-
duction besteht; d. h. was sich aus ihr deduetiv ergibt, muss
sich empirisch verificiren lassen, gerade so wie dasjenige, was
man aus einem induetiv gewonnenen Gesetze deduetiv ableitet,
sich durch die Erfahrung muss bewahrheiten lassen. Zu den
Forderungen aber, denen die Hypothese genau ebenso genügen
muss wie die Induction, muss für die Hypothese noch eine
neue hinzutreten. Denn wenn für die Hypothese wie für die
Induction nur das Kriterium der gelungenen Verification mass-
gebend wäre, so würde man damit die Thatsache, dass im Falle
der Induction das Gesetz unmittelbar aus der Erfahrung ge-
wonnen ist (was ja bei der Hypothese nicht zutrifft), für er-
kenntnisstheoretisch vollkommen irrelevant erklären, was doch
offenbar nicht angeht. Damit ist nicht nur nachgewiesen, dass
die Hypothese noch um eine Bedingung mehr zu erfüllen haben
muss als die Induction, sondern es ist zugleich eine Art er-
kenntnisstheoretisches Mass für diese neue Bedingung ge-
wonnen. Ihre Erfüllung muss nämlich einen vollen Ersatz
bieten für das, was der Hypothese im Vergleiche zur Induction
abgeht: für die empirische Grundlage. Worin erblickt nun
Mill diesen vollen Ersatz? Die unmittelbare Antwort lautet:
die Verification der Hypothese muss so beschaffen sein, dass sie
einer vollständigen Induction gleichkommt. Aber wann thut
sie dies? Mill erwidert: dann, wenn die Gewissheit vorliegt,
dass kein anderes als eben das hypothetisch angenommene
Zur L«hre von der Hypothesenbildung. 1 1
Gesetz zu dem richtigen (d.^h. mit der Erfahrung überein-
stimmenden) Ergebniss führen kann. Eine Verification dieser
Art bietet in der That ein volles Aequivalent für die mangelnde
empirische Grundlage.
Ist diese Bedingung aber auch erreichbar? Dies ist die
zweite Frage, die sich Mill vorlegt. Er beantwortet sie bejahend,
indem er zuerst die theoretische Möglichkeit nachweist, dann
aber an Beispielen zeigt, wie diese Möglichkeit bei manchen
naturwissenschaftlichen Hypothesen realisirt worden ist.
Die allgemeine Beantwortung der Frage: wie kann die
Gewissheit gewonnen werden, dass ausser dem supponirten
Gesetze kein anderes die Verification zulässt? lautet: durch eine
Verification, die nach dem Kanon der Differenzmethode
erfolgt. Wenn von dem Complexe ABC von Antecedentien
C das supponirte Element bedeutet, wenn ferner abc das
durch die Erfahrung verificirte complexe Ereigniss ist, und
wenn ich schliesslich zeigen kann, dass aus AB allein oder
aus AB im Vereine mit irgend einem anderen Element
als C (z. B. mit Z>, E} F, G . . .) nur Ereignisse deducirt
werden können, in welchen c nicht vorkommt, sei es dass das
deducirte Ereigniss ab heisst oder ab im Vereine mit einem
anderen Element als c (z. B. d, e, /, g . . .) — dann weiss ich,
dass C nicht nur supponirt werden kann, sondern einzig und
allein supponirt werden muss.
Ein Beispiel sieht Mill in Newton's Annahme einer ,Central-
kraft*. Die Planeten im Vereine mit dieser Centralkraft (be-
richtet Mill) stellen den einen der beiden von der Differenz-
methode geforderten Fälle dar, die Planeten ohne Centralkraft
den anderen; aus der ersteren Annahme geht deductiv die
empirisch erwiesene Thatsache der von den Radienvectoren in
gleichen Zeiten beschriebenen gleichen Räume hervor; aus der
zweiten ergibt sich irgend ein anderes Verhalten, welches be-
stimmt wird durch die besondere Annahme, die man an Stelle
der Annahme einer Centralkraft macht, ein Verhalten aber,
aus dem sich jedenfalls die im zweiten Kepler'schen Gesetze
ausgesprochene Thatsache nicht deduciren lässt.
§ 9. Nun geht Mill noch um einen Schritt weiter. Er
stellt sich die Frage: wann besteht denn die Möglichkeit, bei
der Bildung einer Hypothese die Differenzmethode anzuwenden?
12 VI. Abhandlung: Hiliebrand.
Er will also für das Kriterium einer legitimen Hypothese (An-
wendbarkeit der Differenzmethode) selbst noch weitere Kriterien
gewinnen (wenn nicht hinreichende, dürfen wir dazusetzen,
so doch nothwendige). Da der nun folgende Schritt fiir den
Standpunkt^ welchen Mill in der Hypothesenlehre einnimmt,
von entscheidender Bedeutung ist, will ich; statt zu referiren,
lieber unserem Autor selbst das Wort lassen. Nachdem er da-
von gesprochen, dass wir nur durch die Differenzmethode die
Gewissheit erlangen können, dass gerade das supponirte Anti-
cedens und kein anderes der Verification theilhaftig werden
könne, fahrt er folgendermassen fort:
;Nun scheint es mir, dass wir diese Gewissheit nicht er-
langen können, sobald die in der Hypothese angenommene Ur-
sache eine unbekannte Ursache ist, die wir nur ersinnen, um
a zu erklären. Wenn wir blos das genaue Gesetz einer bereits
ermittelten Ursache zu bestimmen oder das besondere Agens,
welches in Wahrheit die Ursache ist, unter verschiedenen Agen-
tien derselben Art heraus zu erkennen suchen, von denen wir
bereits wissen, dass eines oder das andere die Ursache ist,
dann können wir die negative Instanz gewinnen. Eine Unter-
suchung, welcher von den Körpern des Sonnensystems durch
seine Anziehung irgend eine besondere Unregelmässigkeit in
der Bahn oder der Umlaufszeit eines Trabanten oder Kometen
verursacht, wäre ein Fall der zweiten Art. Die Untersuchung
Newton's war einer der ersten Art. Hätte man nicht schon
vorher gewusst, dass Planeten durch irgend eine Kraft, die
gegen das Innere ihrer Bahn hinstrebt, daran gehindert werden,
sich in geraden Linien zu bewegen, wenngleich die genaue
Richtung zweifelhaft war, oder hätte man nicht schon gewusst,
dass diese Kraft in einem oder dem anderen Verhältniss zu-
nimmt, sobald die Entfernung abnimmt, und abnimmt, sobald
diese zunimmt, so würde Newton's Beweis nicht schlusskräftig
gewesen sein. Da jedoch diese Thatsachen schon feststanden,
so war der Kreis zulässiger Annahmen auf die verschiedenen
möglichen Richtungen einer Linie und die verschiedenen mög-
lichen Zahlenverhältnisse zwischen den Variationen der Ent-
fernung und den Variationen der Anziehungskraft beschränkt; nun
war es bei diesen ein Leichtes, darzuthun, dass verschiedene Vor-
aussetzungen nicht zu identischen Ergebnissen führen könnten/
Zar Lehre von der Hjpotbeeenbildang. 13
Die Differenzmethode hält also Mill in zwei Fällen für
anwendbar: einmal, wenn die Ursache bereits anderweitig er-
mittelt ist und es sich nur um das ,genaue Gesetz' ihrer Wirk-
samkeit fragt; dann aber, wenn es sich darum handelt, aus
einem Kreise von Agentien, welcher, wie wir sicher wissen,
das wahre Agens enthält, dieses letztere herauszufinden.
Obwohl wir uns hier streng an den Wortlaut der Aus-
fuhrungen Mill's gehalten haben, dürfte hiemit doch nicht
die letzte und endgiltige Meinung dieses Forschers wieder-
gegeben sein.
Etwas später sagt er nämlich resumirend:
,Es scheint daher ein Erforderniss einer wahrhaft wissen-
schaftlichen Hypothese zu sein, dass sie nicht ewig Hypothese
zu bleiben bestimmt, sondern so beschaffen ist, dass sie durch
die Vergleichung mit beobachteten Thatsachen entweder be-
stätigt oder entkräftet wird. Dieses Erforderniss wird erfüllt,
sobald man bereits weiss, dass die Wirkung von eben der
angenommenen Ursache abhängt, und die Hypothese es nur
mit der genauen Art dieser Abhängigkeit zu thun hat, mit
dem Gesetz der Veränderung der Wirkungen, je nach den
Veränderungen in der Grösse oder in den Beziehungen der
Ursache/
Und wieder etwas später heisst es:
,Aber damit dies der Fall sein kann (sc. damit die An-
nahme mit den Erscheinungen tibereinstimmen kann), halte ich
es, sobald die Hypothese mit einem ursächlichen Verhältniss
zu thun hat, für noth wendig, dass die angenommene Ursache
nicht nur eine wirkliche Erscheinung, etwas in der Natur
wirklich Existirendes sei, sondern dass man auch bereits wisse,
dass sie auf die Wirkung einen Einfluss irgend einer Art aus-
übe oder wenigstens ausüben könne. In jedem anderen Falle
ist es kein Beweis flir die Wahrheit der Hypothese, dass wir
die wirklichen Erscheinungen aus ihr herzuleiten vermögen.'
Hier ftllt sofort auf, dass, während früher eine alter-
native Forderung aufgestellt wurde (nämlich: entweder müsse
bekannt sein, dass das hypothetisch Angenommene die wahre
Ursache sei, welchen Falls dann nur das ,genauere Gesetz*
ihrer Wirkungsweise zu bestimmen sei — oder es müsse fest-
stehen, dass von einer gewissen Gruppe von Agentien Eines
14 VI. Abhandlung: Hillebraad.
die wahre und wirkliche Ursache sei, welchen Falls dann die
Aufgabe entstehe, dieses herauszufinden), nunmehr eine einzige,
aber zusammengesetzte Forderung erhoben wird, die Forderung
nämlich, dass wir wissen, dass das angenommene Agens wirklich
existire und dass es auf die in Frage stehende Erscheinung
Einfluss habe oder wenigstens Einfluss haben könne, wobei
dann nur mehr die Aufgabe übrig bleibt, die ,genaue Art dieser
Abhängigkeit' festzustellen.
Dass die Forderung, sofern sie in der letztgenannten Form
gestellt wird, mit jener früheren alternativen Forderung nicht
einfach identisch ist, leuchtet sofort ein. Besteht ein Zusammen-
hang zwischen der früheren und späteren Forderung? Oder
zeigt sich eine logische Lücke in Mill's Gedankengang? Von
der Beantwortung dieser Frage wird es abhängen, welchen
Sinn Mill dem Ausdruck vera causa unterlegt, und ob er das
Recht hat, das Vorhandensein einer vera causa in diesem Sinne
als eine nothwendige Bedingung jeder berechtigten Hypothese
anzusprechen.
§ 11. Es wird sich fragen, ob die von Mill zuletzt (an
den beiden citirten Stellen) erhobene Forderung vielleicht die ge-
meinsame Voraussetzung für jedes der beiden Glieder bildet,
aus denen jene frühere alternative Forderung besteht.
Die erste der beiden Bedingungen, die Mill in seiner
Alternative gestellt, die nämlich, dass die Ursache bereits er-
mittelt sein muss, ist — bei etwas veränderter Ausdrucksform —
nahezu identisch mit der schliesslich gestellten Forderung, das
Agens müsse bekannt sein und die thatsächliche oder wenigstens
mögliche Einnussnalime auf die fragliche Erscheinung. Denn
wenn man die Ursache bereits anderweitig ermittelt haben muss,
so liegt ja darin involvirt, dass das supponirte Ding, Ereig-
niss u. dgl. bekannt sei, und dass weiters feststehe, dass es
auch in einer causalen Beziehung zur fraglichen Erscheinung
stehe. Nur der Zusatz ,oder (einen Einfluss) wenigstens aus-
üben können' stellt sich als eine Erweiterung dar. Das erste
Glied der Alternative liegt also mindestens in jener endgiltigen
Forderung implicite enthalten.
Wie verhält es sich nun mit dem zweiten Gliede? Die
Hypothese, heisst es, ist auch dann berechtigt, wenn wir wissen,
dass von einer bestimmten Gruppe von Agentien Eines die
Zur Lehre von der Hypotheseabildnng. 15
wahre Ursache sein muss. Hier ist zwar die Existenz des
supponirten Ereignisses bekannt, da es ja Eines ans einer
Gruppe von bekannten Ereignissen ist. Aber, da wir bei der
Bildung der Hypothese (also vor ihrer Verification) nicht wissen,
welches Ereigniss wir als die wahre Ursache bevorzugen sollen,
haben wir der Bedingung offenbar nicht gentigt, dass die (wirk-
liche oder mögliche) Einflussnahme des supponirten Ereig-
nisses bereits bekannt sei. Wenn nun schon die Annahme einer
disjunctiven Ursachengruppe hinreicht, um die Differenz-
methode anzuwenden (und auf letzteres Kriterium kommt es
doch nach Mill an), dann scheint Mill mehr als nöthig zu
fordern, wenn er die Bedingung stellt, es müsse ein Ereigniss
als Ursache supponirt werden, von dem wir bereits wissen, dass
es die fragliche Erscheinung beeinflusse oder beeinflussen könne.
Ein Ereigniss, das bekannt ist, und von welchem ferner fest-
steht, dass es auf eine causal zu erklärende Erscheinung Ein-
fluss nehmen kann — ein solches Ereigniss erst ist nach Mill's
Meinung eine vera causa. So sehen wir, dass mit der oben er-
wähnten Discrepanz zwischen den einzelnen Aufstellungen MiU's
nichts Geringeres in Frage gestellt wird als der erkenntniss-
theoretische Werth der vera causa, sofern diese nämlich zu
einer allgemeinen und nothwendigen Bedingung jeder berech-
tigten Hypothese gemacht wird.
§ 12. Die Lösung der Schwierigkeit wird sich indessen,
wie ich hoffe, finden lassen. Allerdings dürfte sich dabei der
Weg sozusagen von selbst anbahnen, welcher zu einer schliess-
licben Ablehnung des wichtigsten Theiles in MiU's Hypothesen-
lehre führen wird.
Das als Ursache angenommene Ding oder Ereigniss soll
also etwas Bekanntes sein, und die Möglichkeit seiner Einfluss-
nahme auf die in Frage stehende Erscheinung soll ebenfalls
unabhängig von der Hypothese feststehen.1 Es fragt sich hie-
1 Ich sehe hier von dem naheliegenden Bedenken ab, dass der Hypothese
dann überhaupt nichts mehr zu thnn übrig bleibt. Denn ,das genauere
Gesetz der Wirksamkeit herausfinden* (nach Mill das eigentliche Ge-
schäft der Hypothese) heisst gar nichts Anderes als die gesammte Er-
scheinung richtig beschreiben. »Erscheinung' heisst ja dann nicht
mehr blos ,das zu Erklärende', sondern dieses im Vereine mit der
,Ursache', da die letztere ja festgestellt, und zwar ,als Ursache' fest-
16 VI. Abhandlung: Hillebrand.
bei natürlich: wie sind diese Bedingungen realisirbar? Unter
welchen Voraussetzungen können ans diese Kenntnisse unab-
hängig von der Hypothese zu Theil werden?
Anmerkung. Den Fall, das wir diese Erkenntnis« in deductiver
Weise aus bereits bestehenden Gesetzen erwerben, lasse ich hier absichtlich
ausser Acht; denn in letzter Linie wird sich eine solche DedncÜon doch
wieder auf inductiv gewonnene Sätze oder auf Hypothesen stützen mfissec.
Dio Berücksichtigung einer solchen deductiven Zwischenoperation würde un-
sere Betrachtung nur verwickelter machen, ohne an dem Wesen der Sache
irgend etwas zu Andern. Es handle sich also der Einfachheit wegen mn
Kenntnisse, die uns ohne Deduction aus irgend anderwärts bekannten Ge-
setzen zu Theil werden.
Dass gerade das Ereigniss A dasjenige ist, dem wir eine
Einflussnahme auf die fragliche Erscheinung zuschreiben (und
dessen genaues Wirkungsgesetz wir dann durch das Mittel der
Hypothese zu eruiren suchen), dies kann, wie wir hörten, auf
stringente Weise nur durch die Differenzmethode ermittelt werden.
Nun kann aber die Differenzmethode im vorliegenden Falle
nur dann zum gewünschten Ziele führen, wenn der Kreis der
möglichen Annahmen ein endlicher ist, und wenn wir über
eine erschöpfende Kenntniss dieser in ihrer Zahl beschränkten,
einander disjunetiv coordinirten Annahmen verfügen. Denn
wenn mich gar nichts dazu veranlasst das die Erscheinung
bestimmende Element in dieser oder jener Gruppe von Ante-
cedentien zu suchen, mit anderen Worten, wenn ich einer un-
ermesslichen Zahl möglicher Annahmen gegenüberstehe, dann
gestellt sein muss. Wenn eine Anzahl von Lichtbrechungserscheinungen
gegeben sind, und wenn ich weiss, dass dieselben durch eine Verschieden-
heit in der Dichte der Medien veranlasst sind, dann vermag ich in dem
Satze, dass der Quotient aus dem Sinus des Einfallswinkels in den Sinus
des Brechungswinkels eine Constante ist, schlechterdings nichts Hypo-
thetisches mehr zu erblicken. Es ist dieser bekannte Satz einfach die
richtige Beschreibung einer Gruppe von Thatsachen. Die Gesetze der
Hypothesenbildung würden auch dann nicht in Wirksamkeit treten, wenn
sich mehrere richtige Beschreibungen finden Hessen. Hier ist der Punkt,
wo das von Mach so energisch vertretene Oekonomieprincip allein
massgebend sein kann. Die sparsamste Beschreibung verdient den Vor-
zug, ohne dass damit gesagt sein soll, dass nicht auch eine weniger
sparsame Beschreibung richtig sein kann Zwischen zwei richtigen
Beschreibungen kann nicht wieder das Kriterium der Richtigkeit ent-
scheiden; wohl aber das der Zweckmässigkeit.
Zur Lehre von der Hypotheaenbildnng. 17
kann ich erstens die Differenzmethode gar nicht anwenden
und würde zweitens, selbst wenn ich sie anwenden könnte,
zu keinem brauchbaren Resultate gelangen. Ich könnte sie
nicht anwenden, wurde soeben gesagt. Warum nicht? Bin
ich denn selbst bei einer unbestimmten Anzahl von Ante-
cedentien nicht im Stande, das zu prüfende Element in Ge-
danken wegzulassen und nachzusehen, ob sich aus dem Reste
die fragliche Erscheinung noch immer deduciren lässt oder
nicht, oder das zu prüfende Element vielleicht sogar experi-
mentell zu beseitigen und zu ermitteln, ob die zu erklärende
Erscheinung dadurch alterirt wurde? Gewiss ist dies möglich.
Aber was (bei einem unbeschränkten Kreis von Antecedentien)
nicht möglich ist, das ist: eine Garantie zu erlangen, dass
alle übrigen Antecedentien ungeändert geblieben sind.
Das ist aber eine unumgängliche Bedingung fiir die Anwendung
der Differenzmethode. — Wir haben weiter behauptet, die
Differenzmethode würde, selbst wenn ihrer Anwendbarkeit das
vorige Argument nicht entgegenstünde, doch zu keinem Re-
sultate führen. Warum dies? Aus dem naheliegenden Grunde,
weil es bei unbeschränkter Auswahl gegen alle vernünftige
Vermuthung wäre, dass man auf dasjenige Antecedens verfallt,
dessen Weglassang oder Aenderung eine Aenderung der zu
untersuchenden Erscheinung zur Folge hat. Ich setze hiebei
im strengsten Sinne eine unbeschränkte Auswahl von Ante-
cedentien voraus; eine Beschränkung würde schon durch jede
Präsnmption gegeben sein, die sich etwa für das eine oder
andere Antecedens vorfinde.
Die beiden genannten Uebelstände fallen natürlich weg,
sobald wir es mit einem beschränkten und daher übersehbaren
Kreise von Antecedentien zu thun haben, wie sich das der
Leser leicht klar machen kann.
Die obige Ueberlegung zeigt, dass sich Mi 11, indem er
an zwei verschiedenen Stellen die Bedingungen einer berech-
tigten Hypothese verschieden darstellt, dennoch keiner sach-
lichen Inconsequenz schuldig gemacht hat dadurch, dass er
etwa an der einen Stelle weitergehende Forderungen gestellt
hätte als an der anderen. Indem er nämlich in der letzten
Fassung neben dem Bekanntsein der Existenz der Ursache
auch noch die Kenntniss fordert, dass das supponirte Er-
SitzangBber. d. phil.-hiet. Cl. CXXXIV. B4. 6. Abb. 2
18 VI. Abhandlung: Hillebrand.
eigniss auf die fragliche Erscheinung einen Einfluss ausübe
(oder ausüben könne), wiederholt er hiermit im Wesentlichen
das erste Glied der früheren Alternative. Nun hat sich uns
aber gezeigt, dass zur Realisirung der in dieser Weise ans
gesprochenen Forderung das zweite Glied der Alternative
(Erkenntniss, dass die wahre Ursache in einem bestimmten
Kreise bekannter Ereignisse zu suchen sei) eine unerläsaKche
Vorbedingung ist. Hiemit wären beide Forderungen vom Stand-
punkte Mill's wenigstens als berechtigt dargethan, nur ihre
alternative Gegenüberstellung (das ^Entweder — Oder') lässt
sich nicht aufrechterhalten. Das erste Glied setzt das zweite
voraus, und darum ist die wahre logische Beziehung (im
Sinne MUTs) in folgender Weise herzustellen:
Damit eine Hypothese logisch berechtigt und mehr als eine
vorläufige Muthmassung sei, ist es nicht hinreichend, dass sich
aus ihr die zu erklärende Erscheinung deductiv ableiten lasse;
vielmehr muss die Existenz der zur Erklärung herangezogenen
Thatsache, sowie deren thatsächliche oder mögliche Einfluß-
nahme auf das fragliche Ereigniss auch unabhängig von der
Fähigkeit zu erklären festgestellt werden können. Beides muss
mindestens in letzter Linie auf empirischem Wege geschehen.
Die Bedingung dafiir aber ist (wegen der notwendigen Anwen-
dung der Differenzmethode) die, dass man unabhängig von der
Hypothese mit Bestimmtheit wisse, dass die wahre Ursache in
einem gewissen allseits bekannten und daher notwendigerweise
auch endlichen Kreise von Antecedentien zu suchen sei. Die
Erfüllung dieser letzteren Bedingung würde zwar ftir sich allein
schon genügen, um eine Hypothese zu einer berechtigten zu
machen, aber — genauer besehen — doch nur dadurch, dass sie
uns zur unabhängigen Erkenntniss von der Einflussnahme einer
bekannten Thatsache auf die zu erklärende führt, mit anderen
Worten, dass sie die Erfüllung der ersten Bedingung ermöglicht.
So ist also die Kenntniss, dass man die Ursache unter einer
endlichen Gruppe von Vorgängen zu suchen habe, einerseits eine
unerlässliche Bedingung jeder berechtigten Hypothese, anderer-
seits bleibt sie aber immer sozusagen eine Bedingung zweiter
Ordnung (oder — wenn man den Ausdruck vorzieht — eine
entferntere Bedingung'), insoferne sie es erst möglich macht,
die Einflussnahme eines bestimmten Vorganges auf den zu er-
Zur I*hre toh der HypothMenbildong. 19
klärenden festzustellen. Die Erfüllung dieser Bedingungen muss
sozusagen ausserhalb der Hypothese stattfinden; die Hypothese
selbst hat sich mit nichts Anderem zu beschäftigen als mit der
präcisen Fassung des Wirkungsgesetzes.
§ 13. Nach dieser Darstellung würde es den Ai\schein
haben, als setzte Mill dem wissenschaftlichen Fortschritt unüber-
steigliche Schranken; und auch der weitere Vorwurf scheint
sich sofort zu erheben, dass in der thatsächlichen Praxis der
Hypothesenbildung Vorsichten der angegebenen Art meisten-
theils gar nicht beobachtet worden sind.
Beiden Bedenken begegnet Mill, indem er betont, dass
Hypothesen , welche nicht vom Anfang an die genannten
Kriterien erfüllen, nicht schon deswegen abzulehnen seien.
Nur dürfen solche Hypothesen nicht von der Art sein, dass
schon von vornherein keine Aussicht auf eine künftige un-
mittelbar empirische Bewährung vorhanden ist, mit anderen
Worten: jene oben aufgestellten Bedingungen müssen nicht that-
sächlich erfüllt werden, wir müssen aber erkennen, dass sie
nicht unerfüllbar sind. ,Es ist gewiss nicht nothwendig,' sagt
er, ,dass die Ursache, die wir angeben, eine bereits bekannte
Ursache sei; wie könnten wir sonst jemals zur Kenntniss einer
neuen Ursache gelangen? Aber was an dem Grundsatz richtig
ist, ist dies, dass die Ursache, wenn sie uns auch nicht früher
bekannt war, doch die Möglichkeit bieten muss, es nachträglich
zu werden, dass sich ihr Dasein entdecken und ihr Zusammen-
hang mit der ihr zugeschriebenen Wirkung beweisen lassen
muss, auf Grund selbstständiger Beweismittel/ Er fügt aber
sogleich hinzu: ,Die Hypothese weist uns, indem sie uns Beob-
achtungen und Versuche an die Hand gibt, den Weg, der zu
jenen selbstständigen Beweismitteln führt, wenn diese überhaupt
zu erreichen sind, und solange sie nicht erreicht sind, sollte
die Hypothese für nicht mehr zählen als für eine Muthmassung.'
Das Verfahren des Naturforschers, nicht nur für eine bekannte
Ursache alle von vornherein möglichen Wirkungsgesetze nach
und nach durchzuprüfen, sondern auch (bei mangelnder Kennt-
niss der wahren Ursache) alle möglichen blos angenommenen
Thatsachen als Ursachen zu supponiren und eine nach der
anderen auf ihren Erklärungswerth zu prüfen — dieses Ver-
fahren lässt Mill durchaus zu Recht bestehen, aber nur als
2*
20 Tl. Abfcandling: HilUbrand.
methodologisches Hilfemittel, welches den Charakter des Vor-
läufigen an sich trägt, und zwar so lange an sich trägt, als
nicht der directe und von der Hypothese unabhängige Nachweis
für die thatsächliche Existenz und Einflussnahme der betreffen-
den Thatsache erbracht ist. Die cartesianischen Wirbel sind
ihm daher von allem Anfang an eine nothwendig abzuweisende
Hypothese, weil wir niemals hoffen durften, in den Besitz eines
Mittels zu gelangen, ,die Wirklichkeit der Wirbel als einer
Thatsache der Natur dem Prüfstein der Beobachtung in ent-
scheidender Weise zu unterwerfen*.
Die Lichtätherhypothese besteht die Prüfung des eng-
lischen Logikers nicht so schlecht wie Descartes' Wirbel. Die
Aetherhypothese erfüllt zwar nach seiner Meinung die Bedin-
gungen einer wissenschaftlich berechtigten Hypothese durchaus
nicht, da jene ,selbstständigen (d. h. ausserhalb der Hypothese
gelegenen) Beweismittel' auch hier fehlen und somit keine vera
causa vorliegt; aber während die Wirbel des Cartesius schon
von vornherein als einer künftigen directen Bewährung un-
fähig angesehen werden mussten, sei eine derartige Bewährung
in Betreff des Lichtäthers nicht als unmöglich zu betrachten.
Mill denkt sich, es könnte durch allmälig anwachsende Ver-
zögerung in der Bewegung der Himmelskörper (wie solche beim
Enke'schen Kometen thatsächlich beobachtet worden ist) die
Existenz eines kosmischen Mediums erwiesen werden; dadurch
aber würde die Aetherhypothese ,einen beträchtlichen Schritt
vorwärts zum Charakter einer vera causa gethan haben'; gleich-
wohl wäre noch Manches zu thun, um den Aether wirklich zu
einer vera causa zu machen, so wäre vor Allem die Identität
jenes widerstehenden Mediums mit dem Medium der Licht-
fortpflanzung zu erweisen u. dgl. m. Kurz gesagt: der Licht-
äther ist nach Mill's Ansicht keine vera causa, kann aber
vielleicht dereinst zu einer solchen werden.
Als Beispiel einer logisch durchaus correcten Hypothese
finden wir unter Anderem die Hypothese von der natürlichen
Zuchtwahl angeführt. Eine Zuchtwahl im Sinne Darwin's findet
wirklich statt, und sie ist thatsächlich im Stande, Wirkungen
von der Art der geforderten hervorzubringen, d. h. eine Ent-
wicklung im Sinne der zweckmässigen Anpassung zu veran-
lassen. Damit sind die Bedingungen einer berechtigten Hypo-
Zur Lehre yoü der Hjpofhetenbildnng. 21
these erfüllt, und es ist nur mehr ,eine Frage des Grades', ob
die Hypothese ausreicht oder nicht. Darwin hat also, wenn
wir Mill glauben dürfen, der Forderung nach einer vera causa
im strengsten Sinne Genüge geleistet.
III. Kritische Betrachtungen Aber die Lehre J. St. Hiirs.
§ 14. Vor Allem erhebt sich die Frage: was ist zu halten
von jenem allgemeinen Beweis für die Berechtigung, eine vera
causa im definirten Sinne zu fordern? Die speciellen Beispiele
wollen wir vorderhand bei Seite lassen.
Hier feilt nun beim ersten Blick auf, dass, wenn MilFs
Argumentation zutreffend ist, dasjenige, was man gemeiniglich
Hypothese nennt, strenge genommen gänzlich ausgeschlossen
werden muss. Beschränken wir uns einmal auf sogenannte cau-
sale Hypothesen; Mill hat ja vorzüglich diese im Auge, und
die Anwendung auf Hypothesen anderer Art läset sich leicht
finden. Wir wissen, will ich annehmen, dass Eines von A, B,
C, D die Ursache des beobachteten Vorganges M sein muss (ich
sehe vorläufig davon ab, woher wir diese Kenntniss nehmen).
Wenn ich nun — die Differenzmethode anwendend — nach
und nach A, B, C, D ausschliesse und erst beim Ausschluss
von D die Erscheinung M wegfallen oder sich ändern sehe,
und wenn ich nun auf Grund dessen D als die Ursache (oder
wenigstens Mitursache) von M anspreche, habe ich dann etwas
Anderes gethan als aus einer Wahrheit eine andere deducirt?
Was berechtigt uns hier noch von einer Hypothese zu reden?
Hier fehlt ja gerade dasjenige Moment, welches der Hypothese
den Charakter einer blossen Vermuthung gibt und welches
(wie p. 6 auseinandergesetzt wurde), darin besteht, dass die
erkannte Wahrheit sich nicht bloss aus einem einzigen suppo-
nirten Urtheil deduciren lasse — oder dass sie wenigstens aus
diesem bloss mit Wahrscheinlichkeit deducirt werden könne.
Ist denn der Vorgang, den Mill hier im Auge hat, ein anderer
ab derjenige, welcher uns in jeder mathematischen Ableitung,
in jedem richtigen Syllogismus vor Augen tritt? Dass es sich
hier gerade um ursächliche Verhältnisse handelt, das ist ein
Umstand, der schon in der Materie der Prämissen gelegen
So kirn
-\ --— *i:r.-re "iim als
.jtt _T~^r _l besteht
l — -T -iir — so
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i - -i. zur Bezuir
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:— »■ v-i liii 'srendet.
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_ _ - j—» - ^gst ist» nur
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— — — r- - ■* ^ md »-" ausge-
j-i _:r .— _ • . -* ^ =»e las» selbst-
— ^ir r l - - "-*XAic:%w'ii von 2)
-" .ti;- -.i- _* . . ji^ 1 » rranmelir zn
■ -JT- — z t:« ^ m * :aa .ltis« weiter:
^■*- " -T~- - —rrs ^""-^ *zr sacu^iL laa» ausser .D
-'*"■"- •*". i ~r jlj £ — 'z.'-=» "^sssL-iieii masste)
■* ■* •-*- nz-T-'ü z. ▼-rs^ioa exiätiren.
» •» seil ja, nebt um
m WTaiiBriiolBBr einer
Zar Lehre ron der Hypotheeenbildnng. 25
Habe ich nun, fortwährend nach den Vorschriften MiU's
verfahrend, nicht gerade das gethan, was Mill so sehr verpönte?
Habe ich nicht um der blossen Erklärung der Erscheinung M
willen die Existenz von Realitäten (nämlich ff4/£4y4...) suppo-
nirt, die sich auf Grund gar keiner sogenannten ,selbstständigen
Beweismittel' darthun liess? Ich glaube, man kann nicht an-
ders als beide Fragen bejahen. Die Vorschriften MiU's bergen
einen Widerspruch - in sich, so dass derjenige, welcher sie
consequent zu befolgen strebt, sie notwendigerweise über-
treten inuss.
§ 18. Aber man wird vielleicht entgegnen: jene Mit-
bedingungen a4/?4y4 . . . werden nicht blos um der Erklärung
von M willen supponirt, also blos der Hypothese zu Liebe
und ohne dass ihre Existenz durch selbstständige Beweismittel
dargethan wäre; vielmehr musste (und dies wird eben voraus-
gesetzt) die Erkenntniss vorangegangen sein, dass D nur im
Verein mit diesen Mitbedingungen eine Erscheinung von der
Art von M hervorrufen kann; indem also hier zur Erklärung
von M ausser D auch noch cr4/?4y4 . . . supponirt wird, wird
gar kein novum angenommen, sondern Etwas, dessen Existenz
schon von früher her bekannt war — und somit wäre Alles
wieder in der schönsten Uebereinstimmung mit den Vorschriften
MiU's, nur dass die Kenntniss von der Wirkungsfohigkeit sich
auflöst in die Kenntniss von der Existenz gewisser Realitäten.
Ich glaube aber nicht, dass auf diese Weise dem vorigen
Argument seine Beweiskraft genommen werden kann.
Es mag auf Grund früherer Erfahrungen feststehen, dass
D} nur wenn die Mitbedingungen a±ßAyA realisirt sind, eine
Erscheinung von der Art von M hervorruft; aber der neue
FaU (der, in welchem wir für M eine Ursache suchen) ist doch
nicht einfach identisch mit der früheren Erfahrung, sonst läge
ja gar kein Grund vor, eine Hypothese zu bilden! Ich behaupte
in diesem neuen FaU auf Grund der Differenzmethode, dass
aißiYi - - • hie et nunc vorhanden sind, nicht dass sie einmal
vorhanden waren zu einer anderen Zeit und vieUeicht auch an
einem anderen Ort; in diesem ,hic et nunc' Uegen aUein schon
zwei völlig neue Mitbedingungen, und somit ist wirklich ein
novum supponirt worden. Wenn ich blos darnach frage, ob
Etwas vöUig neu oder aber bereits empirisch constatirt ist, dann
26 VI. Attaaihnf : Hillcbraal
ist in diesem Sinne eine Substanz mit bisher anbekannten Merk-
malen gerade so gut ein novnm wie eine Substanz mit be-
kannten Merkmalen, aber an einem Orte, den sie bisher nicht
eingenommen. Warum man bei der Hypothesenbildung den
ersten Fall anders behandelt als den zweiten, das geht ans den
später zu entwickelnden wahren Principien der Hypothesen-
lehre hervor, ans denen Mill's aber keineswegs.
Es dürften übrigens Ort und Zeit gar nicht die einzigen
nova sein, mit denen eine anch den Vorschriften Mill's genü-
gende Hypothese arbeitet. Schon der Umstand, dass es erst
der Hypothese überlassen werden soll, das ^genauere Gesetz*
der Wirkungsweise ausfindig zu machen, gibt dafür Zeugnis*.
Wenn es sich blos darum handelte, einen Ursachencomplex: zu
supponiren, der uns nach allen seinen Variablen (Raum- und
Zeitlage ausgenommen) völlig bekannt ist, dann ist eben das
Wirkungsgesetz auch schon bekannt, und es könnten nur etwa
die besonderen Constanten neu sein; Constanten sind es
aber nicht, welche das Gesetz einer Wirkung bestimmen. In
diesem Punkte scheint mir Mill gegen sich selbst Zeugniss
zu geben.
Mill's Argumentation leidet an einem sehr gewöhnlichen
Fehler: an einer einseitigen Berücksichtigung gewisser Varia-
blen, derart, dass zwei Erscheinungen, welche nur diese Va-
riablen gemeinsam haben, darum auch schon fttr gleich gehalten
werden.
§ 19. Aber noch von einer anderen Seite lässt sich Mill's
Verfahren angreifen. Von dem disjunctiven Ursachencomplex
Ay B} C, D muss nicht nur bekannt sein , dass jedes einzelne
Glied die Fähigkeit hat, auf M einzuwirken (diesen Punkt
haben wir eben abgehandelt), er muss vielmehr auch die Zahl
der Möglichkeiten erschöpfen, d. h. es muss schon bekannt
sein, dass keines der übrigen Antecedentien E} F, (?, H . . .
auf die Erscheinung M Einfluss nehmen kann. Wie kommt
nun diese Erkenntniss zu Stande? Man darf (wenigstens vom
Standpunkte Mill's) nicht sagen, sie käme zugleich und durch
dieselben Mittel zu Stande, durch welche die Erkenntniss ent-
steht, dass von dem Complex -4, B} C, D gerade D die wahre
Ursache ist, also dadurch, dass gerade beim Ausschluss von D
die Erscheinung M wegfällt oder eine andere wird. Diese Me-
Zur Lehre too der Hypothesenbildang. 27
thode ist ja, wie wir gesehen haben, nur einwandfrei bei einer
beschränkten Zahl bekannter Antecedentien. Aber eben
damit diese Zahl beschränkt sei (hier auf A, B, C, D)} muss
man schon früher wissen, dass von den etwaigen weiteren
Antecedentien E> F, G, H . . . keines als Ursache in Frage
kommen kann. Die Frage, wie denn die Sonderung der Gruppen
Aj By C, D und E, Fy 6r, H . . . zu Stande kommt, fuhrt uns
schliesslich in ein Stadium der Untersuchung, in welchem die
,Wirkungsfahigkeit', die ,Möglichkeit der Einflussnahme' nicht
bereits vorher festgestanden sein kann, sondern schon um
des blossen Erklärungswerthes willen angenommen
werden muss.
Dieses letztere Bedenken lässt sich in eine Form bringen,
die das Gewicht des Argumentes noch fühlbarer macht. In
der Reihe derjenigen wissenschaftlichen Hypothesen, die auch
die Prüfung MilTs bestehen, muss doch eine die erste gewesen,
sein; genauer genommen muss es viele solcher ersten Hypo-
thesen geben, weil es wegen der Heterogeneität der Forschungs-
gebiete nicht eine, sondern viele Reihen von Hypothesen geben
muss. Können derartige erste Hypothesen im Sinne Mill's legi-
timirt werden? Mill hat die Frage gelegentlich gestreift (vgl.
Logik, Buch IH., Cap. XIV, § 4 am Ende). Er meint, solche ab-
solut neue Hypothesen seien als vorläufige Muthmassungen wohl
erlaubt, sie müssten aber zur wissenschaftlichen Berechtigung
schliesslich doch selbstständig erwiesen werden, d. h. offenbar
die von ihm aufgestellten Bedingungen erfüllen. Mir scheint
nun, dass dies gar nicht möglich ist, und zwar einfach darum,
weil, um die Differenzmethode im Sinne Mill's anzuwenden, das
supponirte Agens schon aus einer solchen Gruppe von Agenden
genommen sein muss, von denen wir bereits wissen, dass sie
die fragliche Erscheinung beeinflussen können. Immer ist also
die Möglichkeit einer Causalbeziehung schon vorausgesetzt, und
zwar ,Möglichkeit' nicht in dem Sinne, dass blos kein Grund
für die Unmöglichkeit vorliegt, sondern in dem Sinne, dass
wir einen positiven Beweis für die Möglichkeit besitzen — um
mich aristotelisch auszudrücken: Möglichkeit nicht blos im Sinne
des dwaröv, sondern im Sinne des dvvdpei bv. Eine solche
mögliche Einflussnahme ist aber (ich verweise auf früher Ge-
sagtes) nur aus einer wirklichen zu erschliessen. Mithin führen
28 TL Alhandluic: HilUbrand.
Mill's Vorschriften einerseits nothwendig zu einem regressus in
infinitum bei der Hypothesenbildung, wie sie andererseits die
Berechtigung einer ersten Hypothese anmöglich machen.
§ 20. Es wird gut sein, nunmehr an den Zusammenhang
kurz zu erinnern, der zwischen den soeben gepflogenen Er-
örterungen und der Frage nach der Berechtigung, für jede
Hypothese eine yera causa zu fordern, besteht. Mill war davon
ausgegangen, dass eine Hypothese erst dann zu einer wissen-
schaftlich berechtigten wird, wenn sich nicht blos die fragliche
Erscheinung deductiv aus ihr ergibt, sondern erst, wenn sich
zeigen lässt, dass sie sich nur aus ihr und aus keiner anderen
ergibt. Er hatte die Anwendbarkeit der Differenzmethode zum
Kriterium gemacht. Weiter hatte er geschlossen: die Differenz-
methode ist aber anwendbar, wenn ich schon weiss, dass das
angenommene ,Agens' existirt' und auf die fragliche Erscheinung
Einfluss nehmen kann (diese beiden Momente machen die vera
causa aus) und nur das genauere Wirkungsgesetz erst fest-
gestellt werden muss — oder wenn bekannt ist, dass unter
einer bestimmten Anzahl von Realitäten eine die wahre Ur-
sache sein muss. Wir haben nun gezeigt, dass diese beiden
Bedingungen in Wahrheit nicht unabhängige Glieder einer
Alternative sind, sondern dass die erste nur realisirt werden
kann mit Hilfe der zweiten, d. h. wir haben es als Vorbedingung
ftlr die Aufstellung einer vera causa erkannt, dass sie ein Glied
einer endlichen Gruppe von Antecedentien sei, von der wir
schon wissen, dass sie die wahre Ursache in sich enthalten
muss. Nun haben wir untersucht, auf welche Art diese Vor-
bedingung verwirklicht werden kann. Da sind wir denn
nun zu dem Ergebniss gelangt, dass diese vorbedingende Er-
kenntniss nicht ohne Verletzung der vera causa- Vorschrift (wie
ich sie kurz nennen will) erlangt werden kann, und daraus
dürfen wir vor Allem schliessen, dass Mill für die Berech-
tigung bei der Bildung legitimer wissenschaftlicher
Hypothesen ganz allgemein eine vera causa zu for-
dern keinen stichhältigen Beweis vorzubringen ver-
mocht hat.
§ 21. Aber noch ein weitergehender Schluss ist erlaubt.
Wenn die Forderung einer vera causa nur durch das Kriterium
der Differenzmethode bedingt ist, dann ist nicht nur MilFs
Zur Lehre Ton der Hypothesenbildung. 29
Beweis für die Berechtigung dieser Forderung widerlegt, es
ist vielmehr auch der positive Beweis erbracht, dass man diese
Forderung als allgemein giltige gar nicht stellen darf, und
zwar aus dem einfachen Grunde, weil sich unter den Vor-
bedingungen für die thatsächliche Anwendung der Differenz-
methode ein logischer Schritt vorfindet, der darin besteht, dass
man das Vorhandensein von Theilursachen (selbstständige Reali-
täten oder Variable einer Realität) annimmt blos zu Er-
klärungszwecken und ohne dass ein vorheriger selbst-
ständiger Nachweis auch nur möglich wäre.
Aber — wird man fragen — lässt sich die Forderung
einer vera causa nur in der von Mill versuchten Weise plau-
sibel machen oder lässt sich der Nachweis noch von anderen
Seiten her führen, so dass bei Mill vielleicht nur der Beweis,
nicht aber das zu Beweisende hinfällig wird?
Offenbar wird es hier auf die Beantwortung zweier
Fragen ankommen. Erstens: ist es sicher, dass eine berech-
tigte Hypothese nur nach dem Kanon der Differenzme-
thode gebildet werden darf? Und zweitens: kann man nur
auf Grund der Bejahung dieser Frage eine vera causa fordern,
oder auch dann, wenn die erste Frage sich negativ erledigen
sollte?
§ 22. Der erkenntnisstheoretische Werth der Differenz-
methode lässt sich dadurch charakterisiren, dass ihr Ergebniss
genau eben so sicher ist wie die Erfahrungen, auf welche sie
angewendet wurde; die Sicherheit des Ergebnisses ist von der-
selben Ordnung und von demselben Charakter wie die der
Prämissen, ähnlich wie beim Syllogismus. Von den (vier oder,
nach anderer Zählung, fünf) inductiven Methoden, deren er-
schöpfende Darstellung anerkanntermassen ein bleibendes Ver-
dienst Mill's bildet, hat nur die Differenzmethode diese Eigen-
schaft, und mit Recht gibt ihr Mill den Vorrang vor allen
anderen. Ich will in Kürze den hauptsächlichsten Grund dieser
Bevorzugung angeben, wobei ich die Bekanntschaft mit den
MUTschen Methoden selbstverständlich voraussetze. Diejenigen
Methoden, welche unmittelbar auf das Erfahrungsmateriale
anwendbar sind, d. h. welche nicht die vorherige Anwendung
anderer Methoden bereits voraussetzen (wie die ,Methode der
Rückstände'), reduciren sich eigentlich auf zwei: die Methode
30 YI. Abhandlung: HilUbrand.
der Uebereinstimmung and die Differenzmethode.1 Bei
der Methode der Uebereinstimmung kommt es bekanntlich darauf
an, mindestens zwei Fälle der fraglichen Erscheinung eu ge-
winnen, die von der Art sind, dass die bezüglichen Ante-
cedentiengruppen nur in Bezng auf ein einziges Antecedens über-
einstimmen, in Bezug auf alle sonstigen aber differiren. Nun
zeigt sich leicht (und Mill hat dies ganz richtig ausgeführt), dass
dieser übereinstimmende Umstand nicht nothwendig in causalem
Zusammenhang mit der fraglichen Erscheinung stehen muss,
sondern dass er ebensogut eine ständige Begleiterscheinung sein
kann, indem z. B. er sowohl wie die fragliche Erscheinung von
einem dritten, uns weiter ganz unbekannten Umstand als von
ihrer gemeinsamen Ursache abhängen oder sonst wie. ,Die
Uebereinstimmungsmethode', sagt Mill,2 ,fiihrt uns nur ... zu
Gleichförmigkeiten, die entweder nicht ursächliche Gesetze sind,
oder bei denen die Frage der Ursächlichkeit zunächst uner-
ledigt bleiben muss.'
Der Differenzmethode, und ihr allein, haftet diese Unvoll-
kommenheit nicht an. Sie allein muss als diejenige Methode
angesehen werden, welche einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen zwei Erscheinungen mit ebenderselben Sicherheit con-
statiren lässt, mit welcher die Erscheinungen selbst constatirt
worden sind.
•
Wie wir gehört haben, verlangt Mill, dass eine Hypo-
these das vollkommene Aequivalent für eine einwandfreie In-
duction bilde. Aber während uns bei der Induction die Gruppe
der Antecedentien und der zu erklärende Thatsachencomplex
beide empirisch gegeben sind und wir blos zu untersuchen
haben, welches Element des einen Complexes einem bestimmten
Elemente des anderen causal zuzuordnen ist, ist uns bei der
Hypothese Ein Element der Antecedentiengruppe zunächst nicht
empirisch gegeben, es wird blos supponirt und liefert so (zu-
1 Man sieht leicht, dass die sogenannte »Methode der Begleitveränderung-en*
nur ein Specialfall der Differenzmethode ist Denn ob ein Umstand
ausgeschlossen wird dadurch, dass man ihn ganz wegfallen lässt, oder
dadurch, dass an seine Stelle in continuirlichem Wechsel andere Um-
stände treten (d. h. dass er sich verändert), das kann an dem Princip
der Methode nichts ändern.
■ Syst. d. ded. u. ind. Logik, Buch III, Cap. VIII, § 3.
Zur Lehre ron der Hypothesenbildung. 31
•
s&mmen mit den übrigen empirischen Elementen dieser Gruppe)
lediglich die für die Differenzmethode nöthige positive Instanz;
nun ist noch die negative Instanz zn gewinnen, mit anderen
Worten: man muss zeigen, dass, wenn das Snppositum nicht
existirt, die erfahrungsmässige Wirknng ausbleiben mtlsste. Die
Thatsache, dass man neben der positiven auch eine negative In-
stanz braucht, macht es, wie wir Mill auseinandersetzen hörten,
erforderlich, dass das hypothetisch Angenommene nicht dem
directen Nachweis unzugänglich sein darf. Dies wird aus fol-
gender Ueberlegung (die ich in etwas veränderter Form, aber
durchaus im Sinne Mill's wiedergebe) klar: wenn von der sup-
ponirten complexen Ursache (ABC) alle Elemente unbekannt
sind, dann kann ich nie sicher sein, ob nicht die Supposition
einer ganz anderen Ursache (MNO) dieselben Dienste leistet;
denn der Fall, dass (ABC) später einmal durch eine Induction
nach der Differenzmethode als die wahre Ursache erwiesen wird,
kann nicht eintreten, weil die Differenzmethode zwei Instanzen
fordert, die in allen Elementen bis auf ein einziges überein-
stimmen. Die später zu erhoffende Induction muss AB schon
zu ihrem empirischen Besitz rechnen können, sonst gewinnt
sie nie die beiden Instanzen ABC und AB — Nicht C. Zu
der Zeit, wo diese Induction noch nicht vorliegt, sondern einst-
weilen erst eine Hypothese, muss wenigstens feststehen, dass
AB nicht für alle Zukunft unerweisbar und somit die Hoffnung
auf inductive Bewährung schon von vornherein gänzlich aus-
geschlossen ist. Daher musste AB eine vera causa in dem
Sinne sein, dass seine Existenz feststand, und C, welches die
Einflussnahme auf die fragliche Erscheinung bedeutet, musste
wenigstens als möglich feststehen.
Wir haben früher gezeigt, dass diese Bedingungen nicht
erfüllbar sind, wenn man nicht der vera causa- Vorschrift schon
in einem früheren Stadium der Beweisführung zuwiderhandelt.
Der tiefere Grund dieses inneren Widerspruches wird nun
ganz klar.
Hätte Mill blos verlangt, dass in dem Stadium, in welchem
die Hypothese gebildet wurde, gegen die Möglichkeit einer
späteren, nach dem Kanon der Differenzmethode vor sich ge-
henden Induction kein Gegengrund vorliege, dann hätte
ihm ein (versteckter) innerer Widerspruch nicht vorgeworfen
32 TL Abhandlung: HiU«br»nd.
werden können. Aber er verlangte mehr. Nicht das genügt
ihm, dass kein Beweis für die Unmöglichkeit einer späteren In*
duction vorliege — er fordert einen positiven Beweis für
die Möglichkeit einer späteren Induction, und dies
schon vor Bildung der Hypothese; und erst darin liegt
das Verlangen nach einer vera causa involvirt. Wer
blos verlangt, dass gegen die Möglichkeit einer späteren In-
duction nichts vorliege, der kann sich im Stadium der Hypo-
thesenbildung auch mit einem völligen novum zufrieden geben,
weil und insofern es nicht ausgeschlossen ist, dass dieses novum
einmal bekannt werde und dann für die künftige Induction
die gewünschten zwei Instanzen möglich mache. Wir brauchen
also die Frage einstweilen gar nicht zu untersuchen, ob Mill
ein Recht hatte, von einer Hypothese zu verlangen, dass sie
nicht immer Hypothese bleibe, sondern sich einmal indnctiv
bewähren lassen müsse; wir dürfen diesen Standpunkt sogar
gelten lassen und trotzdem bestreiten, dass hiezu eine vera
causa erforderlich war.
Nun ist aber folgendes argumentum a fortiori zweifellos
erlaubt: wenn der strengste Anspruch, den man überhaupt an
eine Hypothese stellen kann, dass sie nämlich die Möglichkeit
bieten müsse, in der Zukunft zu der Sicherheit eines nach der
exactesten Inductionsmethode bewährten Naturgesetzes erhoben
zu werden, ich sage, wenn dieser strengste Anspruch nicht
einmal im Stande war, die Forderung einer vera causa zu legi-
timiren, dann kann diese Forderung von gar keinem Stand-
punkte aus als allgemein berechtigt erwiesen werden.
Was allein in jenem Anspruch involvirt liegt, das ist das
Verbot, eine Realität zu supponiren, die ihrer Natur nach eines
empirischen Nachweises für alle Zeiten unfthig ist, von der
man also schon im Stadium der Hypothese sicher weiss, dass
sie nie Gegenstand eines inductiven Verfahrens werden kann.
Das allein hätte Mill von seinem Standpunkte aus ver-
langen dürfen.
§ 23. So viel zur Kritik der allgemeinen Argumente,
welche Mill für seine Hypothesenregel vorbringt. Von der
Anwendung auf specielle Fälle zu sprechen könnten wir uns
füglich ersparen, wenn hier nicht ein traditionelles und tief
eingebürgertes Missverständniss zu berichtigen wäre, welches
Zur Lehre von der Hypothesenbildung. 33
für die richtige Würdigung- sowohl unserer bisherigen kritischen
Bemerkungen, als auch der späteren positiven Aufstellungen
eine beständige Gefahr bildet. Es ist unter den Logikern
allmälig ein fester Brauch geworden, die Lehre von der Hypo-
these nicht abzuschliessen, ohne auf die ,Gravitationshypothese'
gewissennassen als auf den Typus dieser Art logischer Ver-
richtungen hinzuweisen. Namentlich pflegt man diese Hypo-
these' als ein markantes Beispiel der Erfüllung jener Vorschrift
hinzustellen, die man kurz als die Regel der vera causa be-
zeichnen kann.
Ich will nun von denjenigen Logikern ganz absehen,
welche meinen, bei der Aufstellung der allgemeinen Gravitation
handle es sich um die ,Uebertragung' eines für terrestrische
Erscheinungen gefundenen Gesetzes auf kosmische Bewegungen,
und welche die Regel der vera causa dadurch erfüllt glauben,
dass die ,Kraft', welche für die Planetenbewegungen als wir-
kend' supponirt wird, mit Hinblick auf die terrestrischen Fall-
erscheinungen, als etwas schon Bekanntes angesehen werden
müsse. Eine sachlich und historisch so verkehrte Anschauung
bedarf keiner Widerlegung; dass die Aufstellung eines Gesetzes
der Planetenbewegungen eine Sache flir sich ist und mit et-
waigen Beziehungen, die zwischen den Constanten dieser Be-
wegungen und der Schwerebeschleunigung bestehen mögen, gar
nichts zu thun hat, das sind Dinge, über die ein Logiker schon
unterrichtet sein muss, wenn er den Anspruch darauf machen
will ernst genommen zu werden. Die Entdeckerlegenden, die
sich natürlich auch an Newton's Namen geknüpft haben,
kümmern uns nicht weiter. Von J. St. Mill will ich ausdrück-
lieh hervorheben, dass er diesem (fast unbegreiflichen) Irrthum
niemals verfallen ist; er hat zwischen den zwei wissenschaft-
lichen Schritten, um die es sich hier handelt, streng unter-
schieden. Trotzdem sehen wir auch ihn die wissenschaftliche
Hauptleistung Newton's im Gebiete der Mechanik als Zeugniss
hinstellen rar die Vorschriften, denen er eine legitime Hypo-
these unterworfen glaubt. Er erblickt in Newton's Untersuchung
über die Planetenbewegungen einen Fall, in welchem es sich blos
darum handelt, ,das genaue Gesetz einer bereits ermittelten
Ursache zu bestimmen'; das Moment der vera causa liege in
der Kenntniss, ,dass Planeten durch irgend eine Kraft, die
8iUung»ber. d. phil.-hist. CI. CXXXIV. Bd. 6. Abh. 3
34 VI. Abhandluug: Hillebrmd.
gegen das Innere ihrer Bahn hinstrebt, daran verhindert
werden, sich in geraden Linien zu bewegen' (die Richtung dieser
Kraft ist zunächst unbekannt), und zweitens in der Kenntniss,
dasB die Grösse dieser Kraft in irgend einer (zunächst ebenfalls
ganz unbekannten) Weise abhängig sei von der Entfernung.
Für beide Sätze musste man selbstständige Beweisgründe be-
sessen haben, sonst ,würde Newton's Beweis nicht schluss-
kräftig gewesen sein'.
Mir scheint auch diese Ansicht gänzlich verfehlt zu sein.
Es ist nicht sehr verlockend, nun noch einmal die Ent-
deckung des Oravitationsgesetzes vom erkenntnisstheoretischen
Standpunkte aus zu beleuchten, nachdem diese Frage von den
Logikern schon usque ad nauseam behandelt worden ist. Da
es ihnen aber (wenigstens nach meiner Ueberzeugung) bisher
noch immer nicht gelungen ist, Newton's wissenschaftliche That
erkenntnisstheoretisch richtig zu charakterisiren und namentlich
ihre Beziehung zur Hypothesenlehre sachlich und historisch
einwandfrei festzustellen, so bleibt auch mir nichts übrig, als
diesen viel besprochenen Gegenstand noch einmal in Angriff zu
nehmen, umsomehr als sich dabei die Gelegenheit bieten wird,
einige für die Erkenntnisstheorie wichtige Bemerkungen über
die Principien der Mechanik zu machen und ein paar in viele
physikalische Lehrbücher eingedrungene Fundamentalirrthümer
richtigzustellen.
IV. Erkenntnisstheoretische Bemerkungen Aber die
Gravitations-,Hypothese' und den Begriff ,Kraft*
in der Mechanik.
§ 24. Wir haben die Behauptung Miü's erwähnt, es
müsse schon vor der Aufstellung des Gravitationsgesetzes be-
kannt sein, dass die Planeten durch irgend eine gegen das
Innere der Bahn strebende Kraft daran verhindert werden,
sich in geraden Linien zu bewegen, und weiter müsse ebenfalls
schon vorher feststehen, dass die Grösse dieser Kraft irgendwie
von der Entfernung abhänge. Für beide , Vorbedingungen' hat
sich Mill die Frage nicht vorgelegt, wie sie einzig und allein
auf logisch corrccte Weise erworben werden konnten.
Zur Lehre tod der Hypotheeenbildiiog. 35
In Betreff der ersten hat Mach — dort, wo er über
Huyghens' Leistungen im Gebiete der Mechanik spricht1 —
den Weg klar und deutlich angegeben:
,Hat man einmal die Galilei'sche Erkenntniss, dass die
Kraft eine Beschleunigung bestimmt, in sich aufgenommen, so
ist es unvermeidlich, jede Abänderung einer Geschwindig-
keit, und folglich auch jede Abänderung einer Bewegungs-
richtung (weil diese durch drei zu einander senkrechte
Geschwindigkeitscomponenten bestimmt ist) auf eine Kraft
zurückzuführen/
In dem so definirten Kraftbegriff liegt zweierlei: eine ter-
minologische Festsetzung und eine Erfahrung. Die termino-
logische Festsetzung besteht darin, dass man dasjenige, was
eine Bewegung bestimmt, ,Kraft' nennt; das zweite Moment,
das erfahrung8mässige und nicht Convention eile, besteht darin,
dass der bewegungsbestimmende Umstand (= die Kraft) eine
Beschleunigung bestimmt. Diese Erkenntniss ist nur em-
pirisch zu erlangen, sie läset sich keinesfalls durch blosse
Analyse des Kraftbegriffes gewinnen, nicht aus ihm ,heraus-
philosophiren*. Mach sagt darum richtig, Galilei habe diese
Definition ,erschaut', und er weist, um klar zu zeigen, dass
hier keine analytische und sozusagen selbstverständliche Wahr-
heit vorliege, mit Recht darauf hin, dass Temperaturdifferenzen,
die doch auch Veränderungen erzeugen , nicht Ausgleichs-
beschleunigungen, sondern Ausgleichsgeschwindigkeiten
bestimmen.8
Eis wird sich nun darum handeln, klar zu machen, wie
man sich dieses ,Erschauen' des Kraftbegriffes zu denken habe,
mit anderen Worten, welches die notwendigen und hinreichen-
den empirischen Bedingungen für die Bildung dieses Begriffes
sind. Darauf kommt aus folgendem Grunde sehr viel an: es
liegt die Meinung nahe, dass hier eine an bestimmten terre-
strischen Erscheinungen gemachte Erfahrung (eben die, welche
im Galilei'schen Kraftbegriff involvirt liegt) nunmehr auf die
Planetenbewegungen ,übertragen' werde; auf letzterem Gebiete
würde dieselbe dann blos als Hypothese figuriren und somit
1 »Die Mechanik in ihrer Entwickelnng.' 2. Auflage, Leipzig 1889, p. 146.
" A. a. O., p. 130.
3*
36 VI. Abhandlung: Hillebrand.
die Aufstellung einer Centralkraft ebenfalls hypothetisch sein.1
Es wird sich also fragen, wie man den Galilei'schen Kraft-
begriff gewinnen kann, und darnach wird sich entscheiden lassen,
ob es Fälle gibt, in welchen man diesen Begriff anwendet, ohne
ihn aus diesen Fällen selbst ,erschaut' zu haben, sondern indem
man den anderwärts gewonnenen Begriff erst in diese neuen
Fälle hineinträgt. Es wird sich, sage ich, entscheiden, ob
es sich so verhält, oder ob alle Fälle, in denen man den
Galilei'schen Kraftbegriff anwendet, so beschaffen sind, dass
man denselben aus ihnen selbst gewinnen konnte. Der Leser
wird schon jetzt begreifen, in welchem Zusammenhang diese
Frage mit der Hypothesenlehre steht — ich will aber späteren
Ueberlegungen nicht vorgreifen.
§ 25. Galilei geht aus von der Beobachtung fallender
Körper. Zunächst galt es diese Beobachtung richtig zu be-
schreiben, und Mach sieht es mit Recht als einen gewaltigen
Fortschritt, ja man kann sagen als den ersten Schritt zur Be-
gründung einer wissenschaftlichen Dynamik an, dass Galilei
nicht fragt: warum fallen die schweren Körper, sondern wie
fallen sie?8 Die Antwort, welche Galilei gibt, dass nämlich
die Geschwindigkeit proportional der Zeit zunehme, ist selbst-
verständlich nichts Anderes als die richtige Beschreibung
der fraglichen Erscheinung. Von einer Hypothese ist keine
Rede, wenn auch dieser richtigen Beschreibung mehrere vor-
läufige Annahmen vorausgegangen waren und sie selbst zu-
nächst die Gestalt einer vorläufigen Hypothese hatte —
wissen wir doch, dass es Galilei zuerst mit der Annahme ver-
sucht hat, dass die Geschwindigkeiten proportional mit den Fall-
räumen wachsen. Ich verweise auf das, was ich früher (p. 7)
über , vorläufige Hypothesen' gesagt habe. Dass die Erscheinung
eine terrestrische' ist, ist hier ganz gleichgiltig; würde eine
ihr gleichende Erscheinung am Himmel sich vorfinden, so
würde dieselbe ebenso beschrieben werden können — nur mit
veränderter Beobachtungstechnik.
1 Dass man demzufolge hierin ein werthvolles Beispiel für eine Hypo-
these wird sehen wollen, welche die Bedingung der vera causa erfüllt,
sieht der Leser leicht ein.
* A. a. O., p. 118.
Znr Lehre von der Hypotbeaenbildung. 37
Sind wir nun durch die so erlangte Kenntniss des Fall-
phänomens unweigerlich zu einem bestimmten Kraftbegriff
gezwungen? Offenbar nein! Wir könnten in diesem Stadium
die , Kraft' als etwas Geschwindigkeitsbestimmendes , und wir
könnten sie zweitens als etwas Beschleunigungsbestimmendes
auffassen. Vermöge der ersten Auffassung würde sich die
Kraft fortwährend ändern, vermöge der zweiten würde sie
constant sein.
Man muss sich darüber klar sein, dass in dieser Phase
der Untersuchung der eine Weg genau so viel für sich hat
wie der andere.
Die Verkennung dieses Umstandes kann unter Anderem
zu einem Irrthum führen, den Mach mit Recht verwirft indem
er sagt: ,Es wäre ein Anachronismus und gänzlich unhistorisch,
wollte man die gleichförmig beschleunigte Fallbewegung, wie
dies mitunter geschieht, aus der constanten Wirkung der Schwer-
kraft ableiten. „Die Schwere ist eine constante Kraft, folglich
erzeugt sie in jedem gleichen Zeitelement den gleichen Ge-
schwindigkeitszuwachs, und die Bewegung wird eine gleich-
formig beschleunigte." Eine solche Darstellung wäre deshalb
unhistorisch und würde die ganze Entdeckung in ein falsches
Licht stellen, weil durch Galilei erst der heutige Kraftbegriff
geschaffen worden ist/1 Das getadelte Raisonnement ist aus
eben dem Grunde, den Mach kurz angedeutet hat, nicht nur als
historisches, sondern auch als logisches Hysteron-Proteron anzu-
sehen. Wenn man hier durch die ,constante Kraft der Schwere*
den fortwährenden Geschwindigkeitszuwachs ,erklären* will, so
muss Folgendes bedacht werden: direct wissen wir nichts von
jener constanten Kraft; wenn wir sie als von constanter Grösse
und stetiger Wirkung denken, so involvirt das die Voraus-
setzung, dass die ,Kraft* nicht etwas Geschwindigkeits-, sondern
etwas Beschleunigungsbestimmendes ist. Man setzt also zur
Erklärung eine constante Kraft voraus und stattet diese Kraft
mit einem Merkmal aus, in welchem die zu erklärende Er-
scheinung identisch (wenn auch mit anderen sprachlichen Aus-
drücken) wiederholt wird: es liegt das vor, was Comte eine
^metaphysische Erklärung' genannt hat.
1 A. a. O., p. 129 f.
38 VI. Abhandlung: Hillehrind.
Die Fallerscheinungen nöthigen uns also noch keineswegs,
den Kraftbegriff im Sinne Galilei's zu definiren.1
§ 26. Anders aber steht es schon mit denjenigen Er-
scheinungen, in welchen (wie ich mich vorläufig kurz und in
bewusster Weise unlogisch ausdrücken will) die Schwerkraft
zusammen mit einer momentanen Kraft auf einen Körper wirkt,
wie dies z. B. beim verticalen Wurf nach aufwärts oder ab-
wärts oder beim schiefen Wurf der Fall ist. Um logisch cor-
rect vorzugehen, müssen wir auch diesen Erscheinungen völlig
voraussetzungslos gegenübertreten und ihnen nicht schon fertige
Begriffe entgegenbringen, die erst mit Rücksicht auf die frag-
lichen Erscheinungen selbst gebildet werden können.
Es mag vielleicht von einem gewissen didaktischen Nutzen
sein (obzwar ich auch dies bezweifle), den Wurf aus der Zu-
sammensetzung zweier Bewegungen zu ,erklären', von denen die
eine vermöge einer constant wirkenden Kraft (der Schwerkraft')
gleichförmig beschleunigt, die andere vermöge einer momen-
tanen Kraft gleichförmig ist. Der logisch correcte Weg ist damit
auf keinen Fall bezeichnet: man erkennt leicht, dass auch hier
ein Hysteron-Proteron vorliegt.8
1 Ja man kann sagen, dass es von vornherein unseren Denkgewohnheiten
mehr entsprechen würde, die Kraft als etwas Geschwindigkeitsbestim-
mendes anzusehen und eine constante Kraft, statt (wie wir es jetzt
thun) für eine gleichförmig beschleunigte, vielmehr für eine gleich-
förmige Bewegung zu supponiren. Das Trägheitsgesetz (welches im
Galilei'schen Kraftbegriff in seiner Gänze enthalten ist) hat ja ohne
Frage für den, der es zum ersten Male aussprechen hört, etwas Auf-
fallendes, d. h. seinen bisherigen Denkgewohnheiten Zuwiderlaufendes.
9 Man findet dasselbe in der Mehrzahl der physikalischen Lehrbücher.
Damit wird nur erreicht, dass sich der Lernende gleich vom Anfang' an
ganz falsche Vorstellungen von der Natur unserer physikalischen Kennt-
nisse macht. Was speciell die Mechanik anlangt, so fuhren Fehler von
der Art des bezeichneten nicht selten dahin, dass man diese Wissen-
schaft allmälig für völlig constructiv ansieht und den Umstand ganz
aus den Augen verliert, dass man es hier schliesslich auch mit nichts
Anderem als mit einer empirischen Wissenschaft zu thun hat Ich
glaube, dass die Hauptschuld an diesem Uebelstande in dem Heran-
bringen von gewissen fertigen Begriffen liegt, die sich mit einer schein-
baren Nominaldefinition einführen, während ihrer Bildung in Wahrheit
ein empirischer Thatbestand zu Grunde liegt und häufig gerade
derjenige, den sie scheinbar aus Nichts construiren helfen sollen.
Zur Lehre von der Hypothesenbildnng. 39
Wir haben gesagt, der Galilei'sche Kraftbegriff sei aus
der blossen Fallerscheinung nicht zu gewinnen, er könne aber
beispielsweise aus den Wurf bewegungen gewonnen werden. Wir
wollen das nunmehr im Einzelnen zeigen.
Folgende Erfahrung muss als bereits gemacht und also
bekannt vorausgesetzt werden: Wenn ein Körper durch irgend
einen Umstand bestimmt wird, eine Bewegung zu machen, die
ihn nach dem Orte A führt, und dann eine solche, die ihn
von A nach B führt, so gelangt dieser Körper auch dann
nach B} wenn die beiden bewegungsbestimmenden Umstände
nicht successive eintreten (sich sozusagen ablösen), sondern
wenn sie gleichzeitig vorhanden sind. Und dies gilt für jede
noch so kleine Zeit.
Diese Erfahrung kann gemacht werden, und ich setze sie
bei allen späteren Erörterungen als gemacht voraus. Ebenso
setze ich die richtige Beschreibung des Fallphänomens voraus.1
Betrachten wir nun an erster Stelle den verticalen Wurf
nach aufwärts, und zwar das ganze Phänomen, vom ersten
Moment des Steigens bis zum letzten Moment der Abwärts-
bewegung, also bis zum Eintritt der Ruhe.
Wir wollen zuerst zusehen, wie die Beschreibung ausfeilt,
wenn wir unter Kraft etwas Geschwindigkeitsbestimmen-
des verstehen, und wollen dabei Schritt für Schritt und völlig
voraussetzungslos zu Werke gehen, d. h. der Erscheinung mit
physikalischer Unwissenheit entgegentreten.2 An das Vorhanden-
sein einer einzigen Kraft, die aber mit der Zeit irgendwie
abnimmt entsprechend der abnehmenden Geschwindigkeit beim
Steigen, lässt sich — wenn man das Phänomen in toto be-
schreiben will — nicht denken, das wäre nur denkbar, wenn
der Körper an seinem höchsten Punkt in Ruhe bliebe. Wir
müssen also zwei Kräfte annehmen, die entgegengesetzte Rich-
tung haben und von denen die Grösse der einen constant ist,
die der anderen fortwährend (und zwar proportional der Zeit)
1 Wir werden Übrigens später sehen, dass die letztere unter Umständen
sogar entbehrt werden kann.
1 Angenommen sind hier und in der Folge nur die beiden obigen Er-
fahrungen: die Kenntnis» der Fallerscheinung und das früher formulirte
Unabhängigkeitsgesetz.
40 VI. Abhandln!!*: Hillebrand.
wächst. (Das ist jedenfalls die einfachste Beschreibung, sofern
die Kraft als ein geschwindigkeitsbestiminender Umstand
angesehen wird.)
Dass hier natürlich kein Trägheitsgesetz gilt, brauche
ich kaum zu erwähnen. Nun steht man aber bei dieser Art
zu beschreiben der Thatsache völlig rathlos gegenüber, dass
der Körper von einem gewissen Augenblick an geradeso fällt
wie ein anderer Körper, der, auf gleichem Niveau ruhend, seiner
Unterstützung beraubt wurde. Nicht das ist unverständlich,
dass der Körper überhaupt feilt, da ja die zunehmende Kraft*
componente schliesslich zu einer solchen Grösse anwachsen kann,
dass sie in Betreff der Bewegungsrichtung den Ausschlag gibt
gegenüber einer gegensinnigen constanten Kraft. Aber dass eine
Bewegung eintritt, die ausschliesslich von der einen der beiden
Kraftcomponenten bestimmt wird, dass also diese eine wirkt
ohne dass ihre Wirksamkeit durch eine andere Kraft modi-
ficirt (hier also verringert) wird, das ist unter der Voraus-
setzung, dass beide Kräfte geschwindigkeitsbestimmende
Umstände sind, ganz und gar unverständlich. Darum ist eine
Beschreibung dieser Erscheinung in ihrer Totalität mittels
dieses Kraftbegriffes unmöglich. Es bleibt nur übrig, die
Kraft als etwas Beschleunigungsbestimmendes zu definiren
und daher eine Kraft anzunehmen, die gewirkt hat, und eine,
die constant fortwirkt. Natürlich ist hiemit implicite das
Beharrungsgesetz eingeführt.
Interessant ist, dass die sozusagen zusammengesetzte Er-
scheinung, wie sie beim verticalen Wurf nach aufwärts ge-
geben ist, nunmehr auch auf die blosse Fallerscheinung Licht
wirft. Die Beschreibung mittels des Galilei'schen Kraftbegriffes
passt für beide Phänomene in ihrer Zusammensetzung (Wurf)
und zugleich für das eine, wenn es allein auftritt (Fall). Wir
sind also dahin gelangt, auch die Fallerscheinung mittels des
Galilei'schen Kraftbegriffes zu beschreiben, während früher, als
diese Erscheinung noch allein und für sich zu beschreiben war,
die Wahl vollkommen freistand, ob man den Galilei'schen oder
einen anderen Kraftbegriff anwenden wollte.
In dieser Phase der Ueberlegung würde übrigens jenes
früher (p. 37) verpönte Raisonnement über die Summirung von
Geschwindigkeiten kein Hysteron-Proteron mehr sein; es wäre
Zur Lehre Ton der Hjpotheeenbildung 4-1
aber — wie man sieht — nunmehr gänzlich überflüssig. Man
thnt darum gut, dasselbe ganz und für immer ausser Gebrauch
zu setzen.
§ 27. Was den schiefen Wurf anbelangt, so lässt sich
derselbe freilich am raschesten discutiren, wenn man den soeben
gefundenen Kraftbegriff als real begründet voraussetzt und ihn
nun auch auf diese Erscheinung anwendet. Man kann ferner
auch so verfahren, dass man den verticalen Wurf als Grenz-
fall des schiefen auffasst, beziehungsweise als Mittelfall zwischen
den positiven und negativen Elevationen (wenn man den ersten
Quadranten des rechtwinkligen Coordinatensystems als posi-
tiv, den zweiten als negativ bezeichnet). Man nimmt diesfalls
das Continuitätsprincip zu Hilfe und schliesst, dass, wenn im
Falle des verticalen Wurfes die Kraft als beschleunigungs-
bestimmend aufgefasst werden muss, dies nothwendig auch
beim schiefen Wurf statthaben muss.
Es handelt sich aber darum, zu zeigen, dass man hier
keinerlei ,Uebertragung' eines anderswoher gewonnenen Be-
griffes nöthig hat, sondern dass man auch ohne weitere theore-
tische Voraussetzung zu demselben Kraftbegriff gelangen kann.
Man braucht nur die Erfahrung in Anspruch zu nehmen, dass
die Endgeschwindigkeit der verticalen Bewegungscomponente,
welche der schief geworfene Körper erreicht, dieselbe ist, welche
er erlangt, wenn er auf den höchsten Punkt seiner Bahn ge-
bracht und von dort fallen gelassen wird. Es finden hier ana-
loge Ueberlegungen statt wie früher. Wenn die Kraft etwas Ge-
schwindigkeitsbestimmendes wäre, dknn ginge wieder jede
einheitliche Beschreibung, d. h. jede Beschreibung des Total-
phänomens verloren, und zwar in noch eclatanterer Weise als
beim verticalen Wurf. Man würde nämlich zu der sonderbaren
Paradoxie gelangen, dass unter dieser Voraussetzung zwar die
Gestalt der Bahn, nicht aber die Verticalgeschwindigkeit
an jedem ihrer Punkte verständlich wäre. Wenn ich die Kraft
als geschwindigkeitsbestimmend definire, so muss ich den in
der Parabel sich bewegenden Körper als unter dem Einfluss
zweier Kräfte stehend ansehen, von welchen die eine constant
ist, die andere (die ,Schwerkraft') proportional der Zeit zu-
nimmt. Dieses sind die hinreichenden und notwendigen Voraus-
setzungen, um die parabolische Bahn zu erklären oder,, wie wir
42 VI. Abhandln!»*: Hilltbrind.
besser sagen, die hinreichenden und notwendigen Begriffe zur
Beschreibung des Vorganges mit blosser Rücksicht auf die (para-
bolische) Gestalt der Bahn. Dann sind aber die thatsäch-
lichen Verticalgeschwindigkeiten unverständlich. Dass in jedem
Punkte des absteigenden Parabelastes die Geschwindigkeit der
verticalen Componente so gross ist wie die eines Körpers, der
vom Scheitelpunkt bis zum Niveau des betreffenden Parabel-
punktes frei fällt, wäre nicht zu begreifen, da sich dann die
eine Kraftcomponente als völlig wirkungslos erweisen wurde.
Nur der Galileische Kraftbegriff ist hier zur Beschreibung taug-
lich. Um diesen Begriff aus der Betrachtung des schiefen
Wurfes zu gewinnen, war also nichts Anderes noth wendig als
die Betrachtung dieses Phänomens selbst nach dessen verschie-
denen unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften (Gestalt
der Bahn und jeweilige Geschwindigkeit), ferner die Erfahrung
des freien Falles und die empirische Kenntniss des Unabhängig-
keitsgesetzes.1 Es ist für spätere Zwecke nützlich zu bemerken,
dass auch die Kenntniss der Anfangsbedingungen gänzlich
überflüssig ist. Es ist unnöthig zu wissen, dass man den (ge-
worfenen) Körper eine Zeit lang gewaltsam zu einer gewissen
Bahn und zu einer gewissen Geschwindigkeit gezwungen und
ihn dann ,sich selbst überlassen hat'; es braucht kein Wer-
fender sichtbar zu sein.
Ja wir dürfen noch um einen Schritt weiter gehen: es
wird sich zeigen, dass wir eine von den vorausgesetzten Er-
fahrungen sogar entbehren können.
Die Thatsache der parabolischen Bahn hat dazu ge
nöthigt, von den beiden Theilbewegungen, aus denen wir uns die
thatsächliche Bewegung zusammengesetzt denken, die eine als
1 Die «verticale Geschwindigkeitscomponente' ist selbstverständlich kein
aiiB einer Hypothese resultirender Begriff. Es handelt sich dabei blos
um die geometrische Projection eines Bahnstückes anf eine rerticale
Ebene. Die reale Bedeutung dieser Vorstellung wird durch das Un-
abhängigkeitsgesetz garantirt. Wenn man eine directe empirische Er-
mittlung der verticalen Geschwindigkeitscomponente wünscht, so würde
diese gegeben sein durch den Druck, den der schief fallende Körper
ausübt, wenn er auf eine horizontale Ebene auftrifft. Man müsste dies-
falls bei den zu vergleichenden Erscheinungen für die Constanx der
Masse sorgen. Indessen ist eine empirische Ermittlung unnöthig, sobald
nur das Unabhängigkeitsgesetz erfahr ungsgemass feststeht.
Zur Lehre Ton der Hypothesenbildnng. 43
gleichförmig, die andere als gleichförmig beschleunigt anzusehen
und die Richtung der gleichförmig beschleunigten Bewegungs-
componente ab vertical abwärts zu denken. Nun braucht —
wie leicht ersichtlich — nicht erst die Erfahrung gemacht
zu werden, dass die verticale Endgeschwindigkeit dieser Be-
wegungscomponente so gross ist wie die Endgeschwindigkeit eines
vom Farabelscheitel frei fallenden Körpers; denn die verticale
Bewegungscomponente ist ja identisch mit der Bewegung des
vom Scheitel frei fallenden Körpers: welche Endgeschwindigkeit
aber bei gegebener Weglänge ein Körper hat, wenn seine Ge-
schwindigkeit proportional mit der Zeit wächst, ist, insofern
man eine gewisse Constante (g) kennt, analytisch bestimmbar.
Die Grösse dieser Constanten aber kann uns hier gleichgiltig
sein, da sie der Voraussetzung nach dieselbe ist, ob die verti-
cale Bewegung isolirt (wie beim Fall) oder in Complication
(wie beim Wurf) auftritt. Somit ist die vorausgehende Be-
schreibung der Fallerscheinung für die Discussion der Wurf-
bewegung entbehrlich, nur die Parabelform der Bahn und
das Unabhängigkeitsgesetz müssen bekannt sein. Darnach aber
wird sich an allen unseren Ueberlegungen , die wir an den
schiefen Wurf geknüpft haben, insoweit sie uns dazu geführt
haben, die Kraft als etwas Beschleunigungsbestimmendes anzu-
sehen, gar nichts ändern, wenn wir die betreffende Beobachtung
nicht an einer terrestrischen Erscheinung gemacht hätten,
sondern wenn uns am Himmel eine analog verlaufende para-
bolische Bewegung unterkommen würde.
Es scheint mir sehr wichtig, das zu bemerken, damit
man endlich jenen den ganzen methodologischen Charakter der
Mechanik verkennenden Standpunkt aufgibt, als handle es
•sich bei der Beschreibung ,kosmischer' Bewegungen nothwendig
um eine ,Uebertragung* dessen, was man im Gebiete der
terrestrischen' Erfahrung kennen gelernt hat. Wer noch nicht
im Besitze des einzig der Erfahrung genügenden Kraftbegriffes
ist, der würde ihn mit derselben zwingenden logischen Not-
wendigkeit aus den kosmischen wie aus den terrestrischen Er-
fahrungen gewinnen. Principiell stehen sich beide Gebiete gleich.
Daraus aber folgt, dass man jene sozusagen blos historische
,Uebertragung' nicht als eine erkenntnisstheoretische ansehen
und die Sache nicht so darstellen darf, als bringe man etwas,
44 VI. Abhandlung: Hillebrand.
was in einem Gebiete als Thatsache feststeht, in ein anderes
als blosse Hypothese.
§ 28. Die Kreisbewegung stellt sich bekanntlich als kein
principiell neuer Fall mehr dar. Es sind nur besondere Werthe
der Constanten nöthig, damit die parabolische Wurf bewegung in
die Kreisbewegung übergeht. Daher nöthigt auch die Kreis-
bewegung zu derselben Definition des Kraftbegriffes; auch hier
liegt also keine ,Uebertragung' einer Erfahrung und somit keine
Hypothese vor.
Ich will den Leser nicht bei allzu bekannten Dingen un-
nöthig aufhalten und will daher auch nicht darauf eingehen,
wie aus einer Kreisbewegung durch blosse Aenderung der Con-
stanten eine elliptische Bewegung mit einer gegen einen Brenn-
punkt gerichteten ,Centralkraft' werden kann.1 Das aber —
meine ich — ist jetzt einleuchtend, dass der Begriff der Kraft
als eines Umstandes, der Beschleunigung bestimmt, nicht hypo-
thetisch, sondern mit zwingender Notwendigkeit auch auf diese
Fälle Anwendung findet — und weiter, dass dieser Begriff und
die in ihm eingeschlossene Erfahrung ebenso aus der Wurf-
bewegung wie aus der kreisförmigen oder aus der elliptischen
Bewegung gewonnen werden kann. Und da wir weiter ein-
gesehen haben, dass wir zu diesem Kraftbegriff auch dann
gelangen, wenn wir von den Anfangsbedingungen der betref-
fenden Bewegung nichts wissen, und auch dann, wenn das
Ausmass der Beschleunigung nicht mit dem Ausmass der Be-
schleunigung irgend einer anderen bereits bekannten Bewegung
verglichen wird, so ergibt sich, dass dieser Kraftbegriff und
die in ihm enthaltene empirische Thatsache unmittelbar aus
der Bewegung des Mondes um die Erde oder der Erde um
die Sonne, kurz aus jeder planetarischen Bewegung genommen*
werden kann.
§ 29. Die in diesem Kraftbegriff enthaltene Erfahrung
involvirt also (wie schon früher bemerkt) die Existenz einer
Centralkraft, mit anderen Worten sie charakterisirt die Bewe-
1 Die correctere Folge wäre die, von der Wurf bewegung direct iut ellip-
tischen Bewegung überiugehen und die Kreisbewegung als einen Special-
fall der elliptischen darzustellen. Für unsere Zwecke, da es sich nur
um die Art der Gewinnung des Kraftbegriffes handelte, ist diese Ordnungs-
frage irrelevant.
Zar Lehre von der Hypotbesenbildung. 45
gang als Centralbewegung. Diese Thatsache nun zusammen
mit der unmittelbar beobachtbaren Thatsache, dass die Bahn
eine Kegelschnittslinie ist, reicht vollkommen hin, um das be-
kannte Beziehungsgesetz zwischen Beschleunigung und Ent-
fernung aufzustellen. Es liegt also weder in der Richtung der
Beschleunigung, noch in der Abhängigkeit ihrer Grösse von
der Entfernung etwas Hypothetisches, vielmehr sind beide Fest-
stellungen Sache der blossen Beschreibung.1 Sind nun die
augenblicklichen Richtungen der Beschleunigung durch blosse
Beschreibung festgestellt, dann ist auf demselben Wege auch
die Einheit und der Ort des Schnittpunktes gegeben. Dass
sich in diesem Schnittpunkt ein Körper befindet, den man dem-
gemäss als Gravitationscentrum bezeichnet, ist selbstverständlich
Sache der Beobachtung.
§ 30. Wenn also die Frage aufgeworfen wird, wo denn
in der von Newton aufgestellten Beziehung zwischen Kraft und
Entfernung2 das Moment des Hypothetischen gelegen sei, so
1 Mill hat den wahren Sachverhalt gänzlich verkannt, wenn er den Weg,
auf dem wir zur Erkenntniss der Centralkraft , sowie denjenigen, auf
dem wir zur Erkenntniss der Bezeichnung zwischen Beschleunigung und
Entfernung gelangen, sozusagen in je zwei Etappen getheilt denkt, von
denen die eine in einer heiläufigen Kenntniss besteht, die andere in
der strengen Präcisirung dieser beiläufigen Kenntniss. -(Vgl. oben p. 12.)
Von einer derartigen Theilung in zwei Stufen kann aber gar keine Rede
sein. Wir gelangen nicht zuerst zur Erkenntniss einer gegen das Innere
der Bahn gerichteten Kraft, um dann deren ,genauere Richtung4 fest-
zustellen; vielmehr gelangen wir (in der angedeuteten Weise) sogleich
zur genauen Richtung der Beschleunigung. Und ebenso erkennen wir
nicht zuerst, dass irgend eine Beziehung zwischen Beschleunigung
und Entfernung besteht, um dann erst die Function zu bestimmen, sondern
wir gelangen mit einem einzigen Schritt zur Erkenntniss, dass eine
solche Beziehung besteht und zugleich von welcher Art sie ist. Damit
aber fallen alle Consequenzen , die Mill aus diesem Beispiel einer legi-
timen ,Hypothese' für die Hypothesenlehre überhaupt gezogen hat.
* Von der Beziehung zwischen Kraft und Masse wird hier absichtlich
nicht gesprochen. Die Aufstellung dieser Beziehung sagt nur, dass beim
Vorhandensein von mehr als zwei Körpern noch eine weitere Constante
in Betracht kommt — und weiter definirt sie diese Constante. Der
Name »Masse* ist eine — übrigens ganz irrelevante — Sache der Nomen-
clatur. Von einer ,quantitas materiae' u. dgl. ist bei diesem Begriff
natürlich gar keine Rede.
46 VI. Abhandlung : Hillebrand.
lautet die Antwort: Nirgends! Es liegt eine blosse Beschrei-
bung vor, und daher ist zur Bildung von Hypothesen gar kein
Anlass gegeben.
Der vielcitirte Ausspruch Newton's ,Hypotheses non fingo',
an dem die Logiker allerlei Interpretationskiinste geübt haben,
heisst ganz einfach und ohne unnöthige Künstelei: ,Ich mache
keine Hypothesen', sc. weil ich die Thatsachen blos beschreibe.
Fragen wie die, ob nicht ein anderes Gesetz das richtigere
sei — Fragen, die bei jeder wirklichen Hypothese principieU
gestattet sein müssen — haben hier überhaupt keinen ver-
nünftigen Sinn.
Mit der Thatsache, dass hier und in der Mechanik über-
haupt gar keine Hypothesen bestehen, scheint mir nun aufs
Engste jene erste regula philosophandi zusammenzuhängen, in
welcher der kritische Ausdruck ,vera causa' vorkommt. Wo
es sich blos um Beschreibungen handelt, dort liegt es in
der Natur der Sache, dass das Bedingende (= der bestimmende
Umstand) ebenso ein empirisch gegebenes Phänomen ist wie
das Bedingte: Beides muss erkenntnisstheoretisch gleich werthig
sein, d. h. es muss aus einer Quelle derselben Art stammen
und denselben Grad von Sicherheit haben, das Bedingende
muss in demselben Sinne ein , verum' sein, wie es das Bedingte
ist. Das und nichts Anderes ist offenbar gemeint, wenn man
in der Mechanik nur ,verae causae' zulassen will. Somit hat
Newton, indem er diese Forderung aufstellt, dasselbe gemeint,
was wir heute meinen, wenn wir die Beschreibung der Be-
wegungen als Aufgabe der Mechanik bezeichnen. Es ist nur
eine durch die Entwicklung der positivistischen Erkenntniss-
theorie bedingte grössere Präcision im Ausdruck, wenn wir heute
in der Mechanik den Terminus ,Ursache' ganz fallen lassen;
ein neuer Gedanke liegt gegenüber der Newton'schen Regel
(wenn sie nur richtig verstanden wird) nicht vor. Die Be-
hauptung, dass in der Mechanik nur verae causae Platz finden,
steht und fallt also mit der Berechtigung jenes anderen Aus-
spruches ,Hypotheses non fingo'. Beide Aussprüche aber dürfen
nicht aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen
werden; sie stehen in einem Werk über Mechanik und be-
ziehen sich auf mechanische Forschungen. Ob in anderen
Forschungsgebieten Hypothesen zulässig sind, oder ob es sich
Zur Lebre von der Hypothesenbüdnng. 47
überall nur um Beschreibungen handelt, darüber sagt Newton
gar nichts. Daher erscheint es mir höchst unpassend, wenn
J. St. Mi 11 in Newton'8 optischer Theorie ein ,auffaUendes Bei-
spiel von der Verletzung seiner eigenen Regel' sehen will. Und
noch unpassender ist es natürlich, jene erste regula philoso-
phandi zu einer Regel für die Hypothesenbildung zu machen,
da sie doch offenbar nur auf Gebieten gilt, wo überhaupt
keine Hypothesen vorkommen. In Newton's Principien wird
man vergebens nach Aufklärung in Sachen der Hypothesen-
lehre suchen.
Ebensowenig ist natürlich in der zweiten Leistung New-
tons, die von der ersten als völlig unabhängig gedacht werden
muss, eine Hypothese enthalten. Dass die Beschleunigung,
welche den Planeten und Satelliten zukommt, von derselben
Art ist wie die terrestrische Schwerebeschleunigung, dass z. B.
das dem Monde zukommende g demselben Gesetze genügt,
zufolge dessen auch das g an verschiedenen Punkten der Erd-
oberfläche ein verschiedenes ist, und dass die empirisch be-
stimmte Constante dieses Gesetzes für die terrestrischen Fall-
erscheinungen ebenso passt wie für die Mondbewegung, das ist
keine Hypothese und war auch nie eine; es handelt sich dabei
gar nicht mehr um ein neues Gesetz, sondern nur um die
Constatirung der quantitativen Uebereinstimmung von Con-
stanten.
Von der psychologischen Seite her kann man diese zweite
That Newton's mit Mach ganz richtig als eine ,Phantasie-
leistung' bezeichnen. Sofern man gerade die psychologische
Seite dieser Entdeckung im Auge hat, kann man ja von einer
,Uebertragung' eines auf anderem Gebiete gefundenen Ver-
haltens reden, aber nur nicht von einer Uebertragung in dem
Sinne, in welchem eine anderwärts bekannte Ursache einer
Erscheinung nun für eine neue* Erscheinung hypothetisch an-
genommen wird. Mach hat ohne Zweifel Recht, wenn er sagt:
Wahrscheinlich war es . . . das Princip der Continuität, welches
auch bei Galilei so Grosses geleistet hat, das ihn (sc. Newton)
zu dieser Entdeckung geführt hat. Er war gewohnt, und diese
Gewohnheit scheint jedem wahrhaft grossen Forscher eigen zu
sein, eine einmal gefasste Vorstellung auch Air Fälle mit modi-
iicirten Umständen soweit als möglich festzuhalten, in den
48 VI. Abhandlung: H i lieb r and
Vorstellungen dieselbe Gleichförmigkeit zu bewahren, welche
uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt/1 Naturlich
darf diesem Principe nur die Rolle eines leitenden Gedankens
zugeschrieben werden; beweisende Kraft kommt ihm nicht zu.
Es ist im strengsten Sinne ein heuristisches Princip.
§ 31. Hiemit dürfte die erkenntnisstheoretische Stellung,
welche den beiden grössten Entdeckungen Newton's zuzuweisen
ist, hinreichend charakterisirt sein. In Bezug auf die Frage,
welche Forderungen eine wissenschaftlich berechtigte Hypothese
erfüllen muss, im Besonderen, ob die Forderung einer vera
causa sich plausibel machen läset und wie diese Forderung
präcisirt werden muss — in Bezug auf alle diese Fragen hat
uns die Untersuchung der Gravitationslehre auch nicht die min-
deste Aufklärung geboten. Aber es musste im Einzelnen gezeigt
werden, in welche Gattung intellectueller Thätigkeit die Auf-
findung und der Nachweis der allgemeinen Gravitation gehört.3
Das ist in sich betrachtet schon nicht werthlos; es hat aber
erhöhte Bedeutung für denjenigen, der an eine Untersuchung
der Gesetze der Hypothesenbildung geht und dem in der
Literatur an allen Orten Regeln begegnen, welche vermeintlicher
Weise der Gravitationstheorie schlechthin auf den Leib ge-
schnitten sind, während sich zeigt, dass das, was man solcher-
gestalt geradezu als den Typus einer legitimen Hypothese an-
sieht, in Wahrheit mit Hypothesen gar nichts zu thun hat. Diese
Bemerkung gilt, wie ich leider sagen muss, auch gegenüber
Mill, der uns den Weg, welchen Newton bei seinen grossen
mechanischen Entdeckungen gegangen ist, sozusagen als den
idealen Weg des Hypothesenbildners vorführt. Man muss end-
lich einmal aufhören die Regeln der Hypothesenbildung an
solchen Beispielen studiren zu wollen, in denen sie gar nicht
verwirklicht sind.
1 A. a. O., p. 177.
3 Dass dieser Nachweis eine descriptive Leistung ist, diese Wahrheit
gehört noch immer nicht zu dem festen geistigen Besitzstand der Philo-
sophen. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass man diese Leistung
gewöhnlich nicht in ihre elementaren logischen Schritte auflöst und an
jedem einzelnen seinen lediglich descriptiven Charakter nachweist,
wie das oben versucht worden ist.
Zar Lehre tob der Hypothesenbildang. 49
Y. Ueber die wahren Quellen, aus denen die Hypo-
thesenregeln abgeleitet werden müssen, und über die
genaue Fassung dieser Regeln mit Rücksicht auf jene
Quellen.
§ 32. Mi 11 war bei seinen Ausführungen über die Be-
dingungen einer legitimen Hypothese wesentlich durch den
Gedanken geleitet, dass dieselbe an Erkenntnisswerth einer
vollständigen Induction gleichkommen müsse. Nun haben wir
aber gesehen , dass die Forderung, es müsse schon im Sta-
dium der Hypothesenbildung die Garantie für die Möglichkeit
einer künftigen inductiven Bewährung gegeben sein, in dieser
allgemeinen Fassung unmöglich erfüllt werden kann. Natar-
gemäsB erhebt sich jetzt die Frage: wenn sich dem Forschenden
mehr als eine Hypothese bietet und keine von ihnen die
Garantie für die Möglichkeit einer künftigen inductiven Be-
währung in sich trägt, muss er sich dann gegenüber allen
in gleichem Masse ablehnend verhalten oder ist auch hier
noch eine Bevorzugung , der einen vor der andern möglich
und gerechtfertigt? Nun scheint mir selbst ein Verfechter
des Mill'schen Hauptkriteriums die Möglichkeit zugeben zu
müssen, dass der Forschende jenen Schritt zur inductiven
Bewährung von der einen Hypothese eher erwarten wird
als von der anderen, und zwar muss dies ebenso der Fall
sein können, wenn beiden Hypothesen verae causae zu Grunde
liegen, als wenn dies bei keiner der beiden der Fall ist.
So wird er die complicirtere Hypothese der einfacheren vor-
ziehen; oder er wird derjenigen Hypothese den Vorrang zu-
sprechen, aus welcher die fragliche Erscheinung mit Not-
wendigkeit folgt, gegenüber derjenigen, bei welcher dies nur
wahrscheinlicher Weise der Fall ist. Kurz: wir sehen hier
Ueberlegungen über den Werth von Hypothesen platzgreifen,
welche sich gar nicht auf die Frage der späteren inductiven
Bewährung beziehen, also gar nicht auf das Fundamental-
kriterium Mill's.
Diese Ueberlegungen haben (um es noch einmal zu sagen)
mit der vera causa nichts zu thun; sie können ebensogut
statthaben, wenn von den concurrirenden Hypothesen jede die
Sttmngttar. d. phil.-htat. Cl. CXUIV. Bd. 6. Abb. 4
50 VI. Abtaodlanf: Hill«br»nd.
Bedingung der vera causa erfüllt, wie wenn man von keiner
weiss, ob sie dies thut.
§ 33. Man sieht leicht — und dies ist oft genug hervor*
gehoben worden — dass diese Ueberlegungen dem Wahr-
scheinlichkeitscalcül angehören und die daraus entspringenden
Regeln ihre Berechtigung nur diesem Calcül entnehmen.1 Die
Wahrscheinlichkeitstheoretiker haben denn auch längst die für
die Logik der Hypothese geltenden Gesetze formulirt Uns
erübrigt hier nur diejenigen unter ihnen, welche in unmittel-
barer Beziehung zum Problem der vera causa stehen, in Er-
innerung zu bringen, um dann durch Discussion derselben
gewisse Anwendungen auf die Technik der Forschung zu ge-
winnen; principiell Neues haben wir hier nicht vorzubringen.
Hier kommt nun vor Allem ein Gesetz in Betracht, welches
schon Laplace als das ,Fundamentalprincip' desjenigen Zweiges
der mathematischen Analyse des Zufalls bezeichnet hatte, der
,im Zurückgehen von den Ereignissen auf die Ursachen besteht1.
Es ist dies das sechste Princip nach der Anordnung, welche
Laplace den Grundgesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie ge-
geben hat. Er hat dasselbe in folgender Weise formulirt:2
,Jede der Ursachen , denen ein beobachtetes Ereigniss zu-
geschrieben werden kann, lässt sich mit um so mehr Wahr-
scheinlichkeit voraussetzen, je wahrscheinlicher es ist, dass
1 So nimmt beispielsweise die Regel, ceteris paribus die einfachere Hypo-
these der complicirteren vorzuziehen, ihre Berechtigung aus zwei Sitzen:
1. aus dem Satze, dass die Wahrscheinlichkeit eines aus zwei von
einander unabhängigen Ereignissen zusammengesetzten Ereignisses gleich
ist dem Producte aus den Wahrscheinlichkeiten der beiden Theil-
ereignisse, und 2. aus dem Satze, dass das Product zweier echter Brüche
kleiner ist als jeder der beiden Factoren. Die obige Regel gilt auch nur
in dem Sinne und in dem Ausmass, als sie dem ersten dieser zwei Satze ent-
spricht. Man sieht dies am deutlichsten aus Folgendem: wenn die »com*
plicirtere' Hypothese nicht die einfachere in sich schliesst, oder wenigstens
eine Hypothese iu sich schliesst, welche gleich wahrscheinlich ist wie
die »einfacheres dann ist die Regel durchaus nicht giltig. Und eben-
sowenig ist sie giltig, wenn die Complic&tion durch Theilvoraussetsuigen
entsteht, welche von den übrigen nicht unabhängig sind. Man sieht:
die Regel kann nur exact gefasst werden, wenn sie Begriffe des Wahr-
scheinlichkeitscalcüls in sich aufnimmt.
1 Vgl. »Philos. Versuche über die Wahrscheinlichkeiten*, deutsch von Nor-
bert Schwaiger, Leipzig 1886, p. 14.
Zur Lehre von der Hypothesenbildung. 51
unter Voraussetzung der Existenz dieser Ursache das Ereigniss
stattfinden wird; die Wahrscheinlichkeit der Existenz irgend
einer dieser Ursachen ist also ein Bruch , dessen Zähler die
Wahrscheinlichkeit des Ereignisses ist, wie sie sich aus dieser
Ursache ergibt, und dessen Nenner die Summe der gleichen
Wahrscheinlichkeiten bezüglich aller Ursachen ist; wenn diese
verschiedenen Ursachen, a priori betrachtet, ungleich wahr-
scheinlich sind, so muss man statt der aus jeder Ursache
sich ergebenden Wahrscheinlichkeit des Ereignisses das Pro-
duct dieser Wahrscheinlichkeit mit der Möglichkeit dieser Ur-
sache selbst verwenden/
Anmerkung. In terminologischer Beziehung ist cur Vermeidung
von Missverständnissen eine Bemerkung über den Sinn beizufügen, den das
Wort ,Ursache' in diesem Zusammenhange haben muss. An eine ,wirkende
Ursache* darf, wenn man dem obigen Principe keine unnöthige Einschränkung
geben will, keineswegs gedacht werden. Vollkommen einwandfrei scheint
mir A. Meyer1 den Begriff »Ursache4 (soweit er in der Wahrscheinlichkeits-
rechnung zur Anwendung kommt) analysirt zu haben. Er äussert sich hier-
über (p. 165) wie folgt:
,Die Umstände, welche an der Hervorbringung eines Ereignisses theil-
nehnien,* sind entweder constant oder stetig veränderlich.
,Die ersten, welche man als Chancen des Ereignisses zu bezeichnen
pflegt, können bekannt oder unbekannt sein, sie sind entweder einer genauen
Berechnung fähig oder lassen nur eine annäherungsweise Schätzung zu.
,Die Umstände der zweiten Art sind der Rechnung völlig unzugänglich.
,In der Wahrscheinlichkeitsrechnung bezeichnet man die Umstände
der ersten Art oder die Chancen als Ursachen der Ereignisse, während
man die Gesammtheit der veränderlichen Umstände Zufall nennt.'
Sonach lässt sich für die vorliegenden Zwecke das Wort »Ursache* durch
das Wort »Hypothese4 ersetzen (wie dies z. B. auch bei A. Meyer geschieht).
Von einer Einschränkung auf ,causale Hypothesen1 im engeren Sinne ist
natürlich nicht die Rede.
§ 34. Betrachten wir kurz den ersten Theil dieses Prin-
cipes. Es sei ein Ereigniss gegeben, welches die Ursachen
ulf u%, uz . . . Ui . . . un haben kann; die Wahrscheinlichkeiten,
mit welcher das Ereigniss aus jeder einzelnen Ursache folgt
1 .Vorlesungen über Wahrscheinlichkeitsrechnung*, deutsch bearbeitet von
Emanuel Czuber, Leipzig 1879.
* Wir werden (noch etwas vorsichtiger) das Wort ,Hervorbringung* ver-
meiden und sagen: ,Die Umstände, von welchen der Eintritt eines Er-
eignisses abhängt, oder durch die er bestimmt wird . . .'
4*
52 Tl. Abhiadhuig: Hilletrand.
(jede einzelne als gewiss vorausgesetzt), seien bezüglich w17 w%,
«?8 . . . wi . . . wn. Dann ist die Wahrscheinlichkeit der Existenz
einer bestimmten Ursache, z. B. der Ursache ui} die wir mit
Wi bezeichnen wollen:
Wi
TT,=
wi + w% + wi + • • • *,
Aus dieser Formel ergibt sich unmittelbar, dass, wenn
auch aus einer bestimmten Ursache (z. B. w.) das Ereigniss
mit Sicherheit folgen würde (wt = 1), die Existenz dieser
Ursache im Allgemeinen doch nicht gewiss, sondern nur wahr-
scheinlich wäre: Wt < 1.
Das ist der wahre Grund, warum man eine Hypothese
nicht blos um ihres Erklär ungswerthes willen als erwiesen an-
sehen darf. Nur in dem Falle, wo wlf w9J tv9 . . . w n mit
Ausnahme von Wi den Werth 0 annehmen, wäre Wi = 1.
Dieser Fall ist praktisch ohne Bedeutung; Hypothesen, ans
denen die Erscheinung überhaupt gar nicht folgt, werden ja
von vornherein von der Concurrenz ausgeschlossen; nur so viel
ist allerdings möglich, dass die Wahrscheinlichkeit, mit welcher
alle übrigen Ursachen die Erscheinung zur Folge haßen, ausser-
ordentlich klein wird, ja unter jeden angebbaren Werth sinkt,
oder — wie man sich nicht sehr passend ausdrückt — sich
nur um eine unendlich kleine örÖBse von der Null unter-
scheidet. Diesfalls würde sich dann Wi um eine Grösse von 1
unterscheiden, die ebenfalls unter jeden angebbaren Werth sinkt;
mit anderen Worten die Existenz von ut wäre physisch sicher.
§ 35. Wir haben noch den zweiten Theil des obigen
Principes zu besprechen; er kommt für unser Problem besonders
in Betracht.
In die vorige Formel für Wi sind nur diejenigen Wahr-
scheinlichkeiten eingegangen, mit welchen das fragliche Ereigniss
aus den einzelnen Ursachen folgen würde, die letzteren als
gewiss vorausgesetzt. Der allgemeinere Fall ist aber offen-
bar der, dass die einzelnen Ursachen abgesehen von ihrer
Beziehung zur fraglichen Erscheinung schon im Vorhinein ver-
schieden wahrscheinlich sind (verschiedene ,vorgängige Wahr-
scheinlichkeit' haben), wie es z. B. bei einer völlig unbekannten,
aber endlichen Menge von Objecten schon von vornherein wahr-
Zur Lehre von der Hypothesenbildung. 53
scheinlicher ist, dass ihre Zahl eine ungerade, als dass sie eine
gerade sei u. dgl. Für diesen allgemeineren Fall ist jedes w
noch mit der ,absoluten* (, vorgängigen') Wahrscheinlichkeit der
entsprechenden Ursache zu mtdtipliciren. Seieil diese absoluten
Wahrscheinlichkeiten bezüglich jeder einzelnen Ursache der
Reihe nach
alf at} a8 . . . a,- . . . a*,
so nimmt die obige Gleichung die Form an:
a,- Wi
Wi =
«i ^i + <** w% + a8 w9 + . . . an wn '
und man sieht, dass sie für den Specialfall:
öj = Ct j = Ct 3 = . . . &i
die frühere einfachere Form annimmt.
Auf die Frage der vera causa angewendet ergibt sich
Folgendes:
Gesetzt, es befände sich unter den angenommenen Ur-
sachen eine einzige; die entweder individuell oder blos der
Art nach bereits erfahrungsgemäss bekannt wäre,1 alle anderen
wären in jeder Hinsicht nova, dann wäre, wie klein auch die
Wahrscheinlichkeit sein mag, mit welcher das Ereigniss aus
dieser bekannten Ursache folgt (wenn sie nur eine endliche
Grösse besitzt), diese bekannte Realität mit Gewissheit als die
Ursache der Erscheinung anzusprechen (immer vorausgesetzt,
dass die Zahl der möglichen Hypothesen erschöpft ist). In
diesem Falle wäre also ihr Charakter als vera causa schlechter-
dings ausschlaggebend.
§ 36. Bedenken wir aber genauer, was dazu gehört,
damit dieser Fall verwirklicht werde. Es wird hier angenommen,
dass alle mitconeurrirenden Hypothesen die vorgängige (oder ab-
solute) Wahrscheinlichkeit 0 haben; das tritt aber nur ein, wenn
1 Diese Unterscheidung bezieht sich auf die beiden Fälle: 1. dass etwas
wirklich Existirendes als Ursache aufgestellt wird, und 2. dass etwas
einem wirklich Existireriaen in bestimmt definirter Weise Aehnliches
angenommen wird. Das Letztere ist z. B. der Fall, wenn man etwas
Bekanntes, aber quantitativ über das empirische Ausmaas Gesteigerte»,
annimmt.
54 VI. Abhandlang: Hillebrand.
ausser derjenigen Hypothese, welche eine vera causa enthält, nur
solche Hypothesen mitconcurriren, welche ein novum im streng-
sten Sinne enthalten, denn nur dann ist die vorgängige Wahr-
scheinlichkeit = 0. Das Phlogiston war eine derartige Hypothese
und ebenso der horror vacui.1 Man darf aber nicht etwa den
Lichtäther hieher rechnen; denn von den Eigenschaften, die man
ihm zut heilt, ist durchaus nicht jede ein novum. Dreidimen-
sionale Medien, die transversal schwingen und deren Schwin-
gungen jede beliebige Lage zur Fortpflanzungsrichtung haben
können, sind nichts Unbekanntes, wenn auch beim Lichtäther
das Moment des Imponderablen und die Notwendigkeit, ihn
unelastisch zu denken, neu hinzukommt (wir werden später
sehen, wie sich die Erkenntnisstheorie zu derartig neuen Va-
riablen verhält).
Sobald das Suppositum nicht etwas schlechterdings
Neues ist, sobald also seine vorgängige (oder absolute) Wahr-
scheinlichkeit auch nur irgend einen endlichen Werth hat, ist
es möglich, dass es in der Concurrenz mit einer vera causa-
Hypothese sogar den Sieg davonträgt, wovon man sich mit
Hilfe der früheren Formel leicht überzeugen kann.
§ 37. Ich will das sogleich an einem Specialfall erläutern.
Gesetzt, es concurriren nur zwei Hypothesen; die eine enthalte
eine vera causa in jeder Beziehung und habe dahta* die vor-
gängige Wahrscheinlichkeit = 1, die andere sei zwar nicht
in allen ihren Theilen, aber doch nach einigen oder sogar
nach den meisten ein novum, es sei ihre vorgängige Wahr-
scheinlichkeit also zwar nicht = 0, aber doch sehr klein —
1
wir wollen sie — nennen — sie habe aber das Phänomen mit
x
Sicherheit zur Folge, während die vera causa (deren vorgängige
1
Wahrscheinlichkeit demnach = l ist) es nur mit — Wahr-
y
1 Hierin liegt also der wahre Grand, warum man die »Erklärungen* durch
qualitates occultae, überhaupt die metaphysischen Erklärungen' im
Sinne Comte's verwerfen muss. Es ist interessant zu sehen, dass man
die eine Wahrscheinlichkeitsformel nur nAch bestimmten Richtungen hin
(d. h. durch bestimmte Specialannahmen in Betreff der Werthe w und a)
zu discutiren braucht, um alle und jede Regel zu gewinnen, die in
Betreff der Hypothesen im Allgemeinen aufgestellt werden kann.
Zar Lehre ron der Hjpotheaenbildnng. 55
scheinlichkeit zur Folge hat. (>ann ist die Wahrscheinlichkeit
der a priori viel unwahrscheinlicheren Hypothese
Li
x
l.i + i.i
x y
die der vera causa-Hypothese
ii
y
I-i + i-I
x y
Ist zufällig x = y, dann hat keine Hypothese vor der anderen
etwas voraus. Sobald aber x «< y und daher - > — , kommt
x y'
gerade die vera causa-Hypothese in Nachtheil. Concurriren mit
ihr mehr als eine Hypothese und erklären diese Mitconcurrenten
die Erscheinung mit Sicherheit, so wird sogar für x = y9 und
selbst wenn x bis^ zu einem gewissen Grade grösser ist als yf
die Wahrscheinlichkeit der vera causa-Hypothese unter den
Werth */* sinken, wie das leicht aus der Formel ersichtlich ist.
§ 38. Nehmen wir nun den Fall an, es würden nur
solche Hypothesen zugelassen, welche die Erscheinung mit Not-
wendigkeit zur Folge haben (Mill hat immer nur diesen Fall
im Auge, aber er thut Unrecht daran, alle anderen zu ignoriren),
oder es erklärten alle Hypothesen die Erscheinung mit der-
selben Wahrscheinlichkeit. Dann fällt natürlich die Wahr-
scheinlichkeit, mit welcher die Erscheinung aus den einzelnen
Hypothesen folgt (die sogenannte ,relative Wahrscheinlichkeit'),
aus der Formel weg und nur die vorgängigen Wahrscheinlich-
keiten bleiben in derselben zurück. Unsere frühere Gleichung
heisst dann
Wi = -1
at + as + a9 -f- . . . an
Ist nun a,- die vorgängige Wahrscheinlichkeit der (einzig vor-
handenen) vera causa-Hypothese, während alle übrigen a sehr
geringe Werthe haben, dann kann wieder der Fall eintreten,
dass die Wahrscheinlichkeit der vera causa-Hypothese sogar
56 VI. Abhandlung: Rillebrand.
kleiner als */* wird, sofern nur die Summe der vorgängigen
Wahrscheinlichkeiten aller anderen Hypothesen grösser als 1
wird. Man wird diesfalls die yera causa-Hypothese zwar jeder
anderen, einzeln betrachtet, vorziehen; aber man darf
die anderen eben nicht einzeln betrachten, und wird daher
der vera causa-Hypothese, weit entfernt, sie als sicher an-
zusehen, unter Umständen nicht einmal den Werth '/s zn"
sprechen können.
Wir haben uns soeben absichtlich auf den Fall beschränkt,
dass die einzelnen Hypothesen in Betreff ihres Erklärungs-
werthes einander gleichstehen, indem sie z. B. alle die Er-
scheinung mit Sicherheit erklären. Wir haben das gethan, um
den stillschweigenden Voraussetzungen MUTs möglichst nahe-
zukommen. Und trotzdem hat sich gezeigt, dass die einzige
vera causa-Hypothese unter Umständen nicht einmal zur Wahr-
scheinlichkeit 7a erhoben werden kann. Mill hatte also, ab-
gesehen von der erwähnten keineswegs gerechtfertigten Be-
schränkung, einen weiteren Umstand ganz ausser Auge gelassen:
die Anzahl der concurrirenden Hypothesen.
Wenn im vorigen Falle die vera causa-Hypothese mit einer
einzigen anderen concurrirt, dann ist an der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit der ersteren kein Zweifel (obwohl von einer
Gewissheit auch dann noch nicht die Rede ist); bei wachsender
Anzahl der Concurrenz-Hypothesen können sich aber, wie wir
gesehen haben, die Verhältnisse ganz anders gestalten.
Wie erwähnt, gelten diese Ueberlegungen nur für den
Fall, dass die mit einer vera causa-Hypothese mitconcurrirenden
Hypothesen eine endliche vorgängige Wahrscheinlichkeit be-
sitzen, dass die Ursachen also nicht völlige nova sind. Wir
haben nur davor gewarnt, eine hypothetische Ursache, die
nicht aus lauter bekannten Elementen besteht, deshalb schon
als ein novum anzusehen, und haben ausdrücklich betont, dass
z. B. die Lichtätherhypothese nicht hieher zu rechnen sei.
§ 39. Gehen wir nun aber um einen Schritt weiter. Denken
wir uns, von den in Frage kommenden Hypothesen habe jede
ein völliges novum zum Gegenstande. Falls nur eine vera
causa-Hypothese vorhanden ist, trägt sie, wie wir hörten, eben
dadurch den Sieg über alle anderen davon. Wie aber, wenn
gar keine derartige Hypothese mitconcurrirt?
Zur Lehre ron der Hypothesenbüdung. 57
Die Lösung ergibt sich von selbst: die vorgängige Wahr-
scheinlichkeit verschwindet einfach aus der Formel. Wir
erhalten den schon erwähnten Specialfall:
IT,- '
Wl + W* + ' " ' W*
(Oder, was auf dasselbe hinausläuft: der Ausdruck
di Wi
al W\ + a% W% + • • • an W>n
ergibt unter der Voraussetzung, dass
a± = aa = a>i = . . . an = 0,
nach a differenzirt, die obige Formel.)
Das heisst nun mit anderen Worten: wenn man
zur Erklärung einer Erscheinung nur über solche
Hypothesen verfügt, von denen jede ein völliges no-
vum zum Gegenstande hat, wenn also keine einzige
vera causa-Hypothese vorliegt, dann wird die Wahr-
scheinlichkeit der einzelnen Hypothese nur mehr durch
ihren Erklärungswerth bestimmt.
So wäre denn ein Fall gefunden, in welchem eine Hypo-
these durch den Mangel einer vera causa überhaupt nicht be-
einträchtigt wird.
Wie anderwärts, so müssen wir aber auch hier darauf
bedacht sein, ob der Fall, mit dem wir operiren, nicht am
Ende blos fictiver Natur ist. Es erhebt sich nämlich sofort
die Frage, ob bei der wissenschaftlichen Forschung die Be-
dingungen, unter welchen die vorgängige Wahrscheinlichkeit
aus der Betrachtung verschwindet, auch thatsächlich eintreten
können. Dass der Forschende mehrere Hypothesen bildet,
von denen keine eine vera causa zum Gegenstande hat, das
kann unmöglich genügen; es könnte ihm ja gerade unter den
möglichen Hypothesen diejenige entgangen sein, welche eine
bereits anderwärts bekannte Realität supponirt und gegenüber
welcher alle sonst erdachten Hypothesen sofort ausser Betracht
kommen müssten. Die blosse Möglichkeit, dass in der Formel
wieder ein a-Werth auftreten könnte, müsste unser Vertrauen
in die bisher bevorzugte Hypothese aufs Aeusserste erschüttern.
58 VI. Abhandlung; Hiliebrand.
Wie aber sollen wir eine Garantie erlangen, dass wir den
Kreis möglicher Hypothesen erschöpft haben? Man könnte an
die Einführung eines neuen Wahrscheinlichkeitsfactors denken.
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich ausser den von mir ge-
bildeten Hypothesen noch eine weitere Hypothese aufstellen
lässt, und zwar eine vera causa-Hypothese? Ohne Frage würde
sich auf diese Weise principiell eine Corrective finden lassen;
aber es ist ebenso unzweifelhaft, dass uns zur Bildung dieses
Factors schlechterdings gar keine Daten zu Gebote stehen.
Man muss also diesen Versuch fallen lassen.
Der wahre Ausweg bietet sich an einer anderen Stelle.
Wenn es nämlich Fälle gibt, bei welchen es schon in der
Natur des Problems liegt, dass eine vera causa nicht ge-
funden werden kann, dann sind wir wirklich in jener Lage,
in welcher die vorgängige Wahrscheinlichkeit aus der Betrach-
tung verschwindet.
§ 40. Solche Fälle gibt es aber. Wer nach der phy-
sischen Ursache einer Empfindung sucht, kann was immer für
Hypothesen bilden — es ist sicher, dass keine von ihnen eine
vera causa enthalten kann.1 Was thatsächlich gegeben ist,
das sind Empfindungen; und es wäre absurd zu glauben,
eine physische Realität, die als Ursache eines bestimmten Em-
pfindungscomplexes supponirt wird, könne irgend einmal, früher
oder später, sich als etwas Anderes denn wieder als Ursache
von Empfindungen uns kundgeben, wir könnten ihrer unmittel*
bar habhaft werden, da sie doch schon der Voraussetzung
nach nicht in den Kreis dessen gehört, was uns in unmittel-
barer Erfahrung gegeben ist. Der erste Schritt, den wir über
die Daten der inneren Wahrnehmung hinaus machen, scheint
also immer eine Hypothese zu sein, welche die Forderung
der vera causa nicht erfüllt und nicht erfüllen kann — aber
glücklicher Weise ohne Schaden für ihren Erkenntnisswerth.
1 Von dem Momente der Analogie sehe ich hier vorläufig ab. Trots
der vollständigen Heterogeneität der Gebiete des Physischen und Psy-
chischen sind nämlich Aehnlichkeiten in den Verhältnissen gleich-
wohl möglich. In Betreff der Elemente aber muss eine physische
Hypothese (im obigen Sinne) nothwendig ein novum enthalten. Es ist
nützlich, diesen Fall isolirt zu untersuchen. Dort, wo Analogien mit ins
Spiel kommen, geht in die a-Werthe noch ein besonderer Factor mit ein.
Zur Lehre von der Hrpothwenbildung. 59
In seinem System der Logik hat Mill die letzte Conse-
qnenz aus seiner Hypothesenlehre nicht gezogen, wohl aber
finden wir sie in seinem Buche über Hamilton 's Philosophie.1
Nichts Anderes — wird dort gelehrt — dürfe man ausserhalb
der eigenen psychischen Phänomene annehmen als ,groups of
permanent possibilities of sensations', Gruppen von beharrenden
Empfindungsmöglichkeiten; dies und nichts Anderes seien die
eigentlichen Realitäten (,the very realities'). Ich will hier nicht
weiter verfolgen, zu welchen höchst bedenklichen Positionen
eine derartige These führen muss, wie z. B. dass unsere Sen-
sationen , Darstellungen, Erscheinungen oder Wirkungen' (,re-
presentations, appearences or effects')* dieser Realitäten seien,
dass man also eine wirkende Möglichkeit würde zulassen
müssen — nur darauf will ich hinweisen, dass diese merk-
würdige Lehre als eine Consequenz desjenigen Standpunktes
aufgefasst werden muss, den ihr Urheber in Sachen der Hypo-
thesenbildung eingenommen hat.
§ 41. Nun wird man billig folgende Frage erheben: wenn
schon der erste Schritt, den wir über die Grenzen unserer
psychischen Phänomene hinausmachen, eine Hypothese ohne
vera causa ist, kann denn dann eine Hypothese überhaupt
jemals eine vera causa zum Gegenstande haben? Treibt uns
nicht die Consequenz dazu, diese Frage schlechtweg zu ver-
neinen?
Wir werden sogleich sehen, wie die Behauptung zu ver-
stehen ist, dass schon unsere ersten transsubjectiven Hypo-
thesen (wie man sie kurz nennen kann) sämmtlich keine vera
causa zum Gegenstände haben können.
Von dem, was man gemeiniglich Hypothese nennt;, stellt
sich, wie wir gesehen haben, Manches als blosse Beschreibung
heraus, und zwar ab Beschreibung gewisser Empfindungsthat
Sachen oder Erscheinungen im ursprünglichen Sinne des Wortes.
Ein Gesetz wie das auf die Grösse des Brechungswinkels bezüg-
liche hat auch für den strengsten Phänomenalisten einen durch-
aus guten Sinn, desgleichen das Fallgesetz und viele andere.
1 ,An Examination of Sir William Hamilton's Philosophy etc.1, ein Werk,
das — obwohl nicht minder bedeutungsvoll als des Verfassers mit Recht
hochgeschätzte Logik — bis heute noch nicht ins Deutsche übersetzt
ist Für unsere Frage vgl. namentlich das XL und XII. Capitel.
60 VI. AbbABdlnng: HilUbrand.
Wenn nun auch gar kein Element unserer Empfindungen in
die transsubjectiven Hypothesen übertragen werden kann, den
letzteren also in diesem Sinne keine verae causae sa Theil
werden können, so ist es doch ganz gut möglich, Verhältnisse
von Elementen, wie wir sie innerhalb des Kreises unserer Em-
pfindungen constatiren, auf jenes ausserhalb desselben gelegene
Gebiet zu übertragen. Auch wer einen Beweis für die Existenz
eines objectiven Raumes für unmöglich hält, wird mit Hinblick
auf die sichtbare Fallerscheinung die Annahme machen dürfen:
hier besteht ausserhalb des Empfindungsgebietes eine Variable,
welche dem Quadrate der Zeit proportional geht Was in
Betreff der Elemente gilt, gilt nicht auch in Betreff ihrer Ver-
hältnisse. Eine transsubjective Hypothese muss also zwar neoe
Elemente, sie kann aber bekannte Verhältnisse zum Gegen-
stand haben; letzterenfalls ist also das Suppositum wenigstens
zum Theile der Art nach bekannt und diesem Theile nach als
ve^a causa anzusehen.
§ 42. Wenn wir es mit dem Begriff vera causa ernst
nehmen, wenn wir ihn definiren als Etwas, dessen Existenz
uns der Species nach sicher steht, dann sind mit dem eben
erwähnten Fall die Möglichkeiten erschöpft, in welchen die
ersten transsubjectiven Hypothesen eine theilweise vera causa
enthalten können.
Man kann aber von einer vera causa noch in einem
anderen, weniger strengen und sozusagen relativen Sinne
sprechen. Ich will an einem Beispiel auseinandersetzen, was
damit gemeint ist. Wenn ich die Annahme mache, dass sich
die Erde wie ein magnetischer Körper verhält, so kann diese
Annahme auch dann gemacht werden, wenn ich in Betreff
der mir bekannten magnetischen Körper nicht weiss, worin
eigentlich die Natur des magnetischen Zustandes besteht Für
viele auf den Erdmagnetismus bezügliche Untersuchungen kann
diese letztere Frage auch ganz irrelevant sein. Nicht darauf
kommt es dann an, eine Hypothese zu bilden über die wahre
Natur des Erdmagnetismus, sondern über die Beziehungen
gewisser (der sogenannten erdmagnetischen) Erscheinungen zu
den — weiter nicht bekannten — Erscheinungen, die wir im
Laboratorium an nlagnetisirten Körpern beobachten. Wenu
man nun trotzdem die Annahme, die Erde verhalte sich
Zur Lehre tob der Hypothwenbildung. 61
Magnet, für eine vera causa hält, so ist klar, dass damit mir
eine vera causa secundärer Art gemeint sein kann. Dies
geht schon aus dem Umstände hervor, dass eine derartige
Hypothese uns in keiner Weise über die wahre Natur des
betreffenden äusseren Vorganges Aufklärung verschafft, ja dass
sie dies gar nicht einmal beabsichtigt. Das Ziel, welches dabei
angestrebt wird, ist in der That ein ganz anderes: es soll
blos eine möglichst umfassende und dabei möglichst sparsame
Beschreibung von Vorgängen erreicht werden, die unserer Er-
fahrung unmittelbar zugänglich sind. In Betreff solcher Hypo-
thesen möchte ich die Charakteristik, die Mach, sowohl was
ihre Ziele als was ihre Mittel anlangt, gegeben hat, vollinhaltlich
unterschreiben. Dem Standpunkte Mach's ist es eigen, dass
er das Ziel der Naturerforschung in der Beschreibung der un-
mittelbar sicheren Erfahrungen x und dass er das Frincip dieses
Beschreibens in der möglichsten Oekonomie erblickt.9 Es handelt
Bich also hier nur um eine innere Ordnung, welche in das
erfahrungsmässig Gegebene gebracht werden soll. Von der
Natur des Zieles hängt, wie überall, die der Mittel ab. Soll nur
ökonomisch beschrieben werden, dann kann selbstverständlich
auch das Wort ,Erklärung' nur den Sinn haben, dass eine Er-
scheinung als Specialfall eines empirisch bekannten Verhaltens
1 Es darf nicht übersehen werden, dass darunter nur Daten der inneren
Wahrnehmung gemeint sein können. Was gesehen, gehört etc. wird,
steht nur als Gesehenes, als Gehörtes etc. unmittelbar fest. Der
vorgestellte Inhalt gehört aber in das Bereich der inneren Wahr-
nehmung, wie z. B. der Sehraum, der Fühlraum Bestandteile der in-
neren Wahrnehmung sind.
* Eine Aehnlichkeit dieses Standpunktes mit dem Berkeley 's, die man in
Betreff Mach's manchmal behaupten hört, kann ich beim besten Willen
nicht finden. Aeussere Realitäten leugnet Mach ebensowenig, wie er sie
behauptet (während doch Berkeley das Erstere gethan hat, die Existenz
Gottes abgerechnet). Vielmehr hält Mach das ganze transsubjective Ge-
biet für ausserhalb jeder wissenschaftlichen Erörterung liegend. Ob mit
Recht oder nicht, das ist eine andere (sachliche) Frage; aber in Betreff
des historischen Momentes glaube ich, dass eine derartige gewaltsame
AnalogUirung nur auf Kosten der Präcision beider »Standpunkte', des
Berkeley'schen wie des Mach'schen, unternommen werden kann. Mach
hat diese vermeintliche historische Beziehung denn auch im Anhang
zur 2. Auflage seiner Geschichte der Mechanik (p. 487) ausdrücklich
abgelehnt. '
62 VI. Abhandlung: HilUbrand.
erwiesen wird; und kann dies auf directem Wege nicht ge-
schehen; dann wird der indirecte betreten in Gestalt einer
Hypothese, d. h. die Zugehörigkeit der einen Erscheinung zu
einem Kreise anderer wird vorerst supponirt und die Conse-
quenzen dieser Supposition empirisch geprüft. Dieses Ziel kann
selbstverständlich nur erreicht werden, wenn die Erklärungs-
mittel selbst empirische sind; die Aufgabe, in einen Kreis von
Erscheinungen Ordnung zu bringen, nöthigt nicht nur nicht
diesen Kreis zu überschreiten, sondern es wäre dies auch ein
ganz sinnloses Beginnen. Bei diesem Unternehmen gibt es
also — der Natur der Sache wegen — gar keine andere ab
eine vera causa; aber diese ist eine Erscheinung wie die
zu erklärende, beide sind Daten der inneren Wahrnehmung
oder in letzter Instanz aus solchen gewonnen.
Die Sache steht aber sofort anders, wenn es gilt, über
das physische Antecedens eines Empfindungsdatums eine Hypo
these zu bilden, also eine transsubjective Hypothese; sowie
die erste Hypothese dieser Art sich nicht an die Bedingung
der vera causa zu halten braucht, kann und darf eine Hypo-
these über eine zweite Erscheinung, welche sich als Special-
fall der ersten herausstellt, an jene Bedingung ebenfalls nicht
gebunden sein. Eine Hypothese über die erdmagnetischen Er-
scheinungen muss daher mindestens ebensoviel nova in sich auf-
nehmen wie die Hypothese über die Natur der Erscheinungen,
die wir aü magnetisirten Körpern im Laboratorium beobachten
(eventuell aber auch mehr).
Wenn aber Jemand sagt: du darfst überhaupt keine trans-
subjectiven Hypothesen machen; es muss dir genügen, eine
.Erscheinung als zu einer Gruppe anderer Erscheinungen zu-
gehörig zu erweisen — dann kann man nur mit dem Hinweise
auf die einschlägigen Ergebnisse des Wahrscheinlichkeitscalcüls
antworten, wodurch diese Selbstbeschränkung sich als gänzlich
willkürlich und weder durch die Gesetze der Logik, noch durch
die besondere Natur des Falles gerechtfertigt herausstellt.
Hiemit wäre unser Problem im Wesentlichen erledigt. Als
allgemeingiltige Forderung — das dürfte jetzt feststehen —
darf die einer vera causa nicht erhoben werden; in welchen
besonderen Fällen sie dennoch berechtigt ist, ist gezeigt worden.
Die Grundsätze, welche für beide Fälle massgebend gemacht
Zur Lehre von der Hypothesenbildung. 63
werden müssen, sind dargelegt und begründet worden. Nur
in Betreff ihrer Anwendung auf specielle Probleme sind noch
einige Bemerkungen am Platze.
§ 43. Sowohl für die Auffindung als auch für die Prüfung
von Hypothesen scheint mir die Regel von besonderem Nutzen,
jede Hypothese in ihre letzten Elementarhypothesen zu zer-
legen und diese zuerst getrennt zu behandeln. Unter einem
Element einer Hypothese verstehe ich aber nicht blos die An-
nahme einer Theilrealität, die auch für sich bestehen könnte,
sondern die Annahme jeder letzten, d. h. nicht weiter zer-
legbaren Variablen. So sehe ich, wenn eine Bewegung
hypothetisch behauptet wird, die Annahme einer bestimmten
Geschwindigkeit als besondere Theilhypothese an neben der An-
nahme der Bewegungsrichtung; die Annahme einer bestimmten
Beschleunigung als besondere Theilhypothese neben der An-
nahme einer gewissen Anfangsgeschwindigkeit u. dgl. m. Nun
scheint es mir von grösster Wichtigkeit für die Bildung der
Hypothese, dieselbe allmälig aus Elementarhypothesen aufzu-
bauen, für die Prüfung aber sie wieder in dieselben zu
zerlegen und jede Elementarhypothese für sich dem Calcül zu
unterwerfen.1
§ 44. Vorerst eine kurze Bemerkung über den zweiten
Punkt, die Prüfung. Es sei eine Variable der Hypothese der
Gattung nach in der Erfahrung bekannt, bei einer zweiten
Variablen sei dies nicht der Fall. Der Wahrscheinlichkeits-
werth der einen muss nun, wie aus früheren Betrachtungen
genugsam einleuchtet, nach ganz anderen Grundsätzen beurtheilt
werden als der der anderen. In Betreff der zweiten Elementar-
hypothese kann es sich vielleicht herausstellen, dass sie nur mit
solchen Hypothesen zu concurriren hat, welche ebenfalls nova
zum Gegenstande haben; in Betreff der ersten liegen vielleicht
Concurrenzhypothesen vor, die von vornherein (, vorgängig')
ganz verschieden wahrscheinlich sind. Für das eine Element
wird dann das Moment der , vorgängigen Wahrscheinlichkeit' aus
der Betrachtung verschwinden und ihre schliessliche Wahr-
scheinlichkeit (als Erklärungsmittel) von endlicher, ja vielleicht
1 Die Zusammensetzung unterliegt dann nur der Forderung, keinen inneren
Widerspruch zu enthalten.
64 VI. Abhandlung: HilUbnnd.
von sehr beträchtlicher Wahrscheinlichkeit sein. Für das zweite
Element ist dies vielleicht anch der Fall, jedenfalls aber nur mit
Errechnung seiner vorgängigen Wahrscheinlichkeit. Werden
auf diese Weise beide Elemente getrennt geprüft, so kann fftr
das Compositum unter Umständen eine sehr starke Präsumption
sich ergeben. Das ist auch die einzig richtige Art der Be-
handlung. Die zusammengesetzte Hypothese unzerlegt zu
prüfen, würde zu folgenden, logisch durchaus verwerflichen
Consequenzen führen: eine zusammengesetzte Annahme in toto
betrachtet ist schon dann ein novum, wenn auch nur eine
Variable ein novum ist. Eine vollkommen unelastische Materie
z. B. wäre unter diesem Gesichtspunkt ein novum, wenn sie
auch Eigenschaften hat (wie die dreidimensionale Ausdehnung
und die Schwere), die uns sonst hinreichend bekannt sind.
Dürfte man eine solche Hypothese in toto prüfen (was wir
jetzt annehmen wollen), so wäre ihre vorgängige Wahrschein-
lichkeit Null; sie würde also, falls sich nur irgend eine Con-
currenzhypothese findet, deren vorgängige Wahrscheinlichkeit
eine endlich grosse ist, sofort ausser Betracht zu setzen sein
— während sie bei getrennter Behandlung ihrer Elemente
eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erlangen kann. — Es
wäre von Nutzen, wenn Hypothesen wie die vom Lichtäther
nur immer unter dem Gesichtspunkte dieser methodologischen
Vorschrift beurtheilt würden.
§ 45. Aber auch für die Bildung der Hypothese, sagten
wir, sei eine derartige Sonderung wichtig, insoferne als es
sich empfehle, dieselbe Stück für Stück aus Elementarhypo-
thesen aufzubauen. Es wird nämlich auf diese Weise einem
Fehler gesteuert, der bei der Hypothesenbildung nur allzu
leicht unterläuft: ich meine den Fehler, (wenigstens in ver-
steckter Weise) mehr anzunehmen, als die Erklärung der in
Frage stehenden Erscheinung unbedingt fordert, eine Realität
anzunehmen, die mehr Eigenschaften hat, als man ihr lediglich
um des Erklärungswerthes willen beizulegen braucht. Wenn
es sich z. B. als nöthig erweist, dem Suppositum eine Variabili-
tät nach den drei Raumdimensionen zuzuschreiben, so schleicht
sich allzuleicht der Begriff ,Materie' ein und mit ihm der Be-
griff des Gravitirens nach irgend einem Centrum; und wenn
dann Gründe vorhanden sind, das Suppositum als nicht gravi-
Zu Lehre ron der HypotheaenMldung. 65
tirend zu denken, so drängt sich ebenso leicht das Bedenken
auf, man habe hier eine aller Erfahrung zuwiderlaufende An-
nahme gemacht. Aber wer heisst uns denn dort, wo nichts
Anderes als dreidimensionale Ausdehnung gefordert wird, so-
gleich an Materie im mechanischen Sinne denken, d. h. die
erforderlichen Daten um etliche nicht erforderliche willkürlich
vermehren? Wer sich die Regel beständig vor Augen hält
eine Hypothese aus wahrhaft letzten, d. h. nicht in weitere
Variable zerlegbaren Elementarhypothesen allmälig aufzubauen
und jeden neuen Zuwachs sofort darauf zu prüfen, ob er auch
wirklich nur aus einem Baustein und nicht aus mehreren
besteht, der schützt sich gegen Willkürlichkeiten, die nach-
träglich so oft zu Widersprüchen und Enttäuschungen führen.
Wer vorsichtig ist und nicht mehr supponirt als unbedingt
nöthig, der wird sich hüten, von Transversal Schwingungen
des Lichtäthers zu sprechen; er wird es bei periodischen Ver-
änderungen bewenden lassen, die ähnliche Verhältnisse wie
transversale Schwingungen haben, d. h. diesen nicht gleich,
sondern blos analog sind. Mehr kann nicht verlangt werden.
Eine Gleichgewichtslage' z. B. kann bei einer periodischen Ver-
änderung auch dann vorhanden sein, wenn dieselbe in keiner
Ortsänderung und daher in keiner ,Schwingung' besteht; nur
bekommt das Wort Gleichgewichtslage' einen viel allgemeineren
Sinn und wird dann vielleicht besser durch ein Wort wie
,Mittelzustand' ersetzt.
§ 46. Man möchte es für selbstverständlich halten, dass
eine Hypothese nicht mehr enthalten darf, als zur Erklärung
unbedingt erforderlich ist; und dennoch glaube ich, dass viel-
leicht gegen keine Regel häufiger Verstössen worden ist als
gerade gegen diese. Dafür muss ein besonderer Grund vor-
liegen, der aber unschwer anzugeben ist.
Für denjenigen, welcher eine Hypothese allmälig aus
letzten Elementarhypothesen aufbaut und keine einzige zulässt,
die sich nicht als unentbehrlich erweist, ist das, was er in
dieser Weise supponirt, nichts Anderes als ein Complex von
Eigenschaften (Merkmalen, Bestimmungen, Variablen oder
was man sonst für eine Bezeichnung wählen inag); in Folge
dessen darf es ihm gar nicht darauf ankommen, ob diese
Eigenschaften — nach Analogie unserer sonstigen Erfahrungen
Sitnuiffber. d. phiL-Wst. CL GXUIV. Bd. 6. Abb. 5
66 VI. Abhandlung: HilUbrand.
beurtheilt — zusammen eine individualisirte Realität aus-
machen, oder ob sie zur Individualisirung nicht hinreichen
und daher ein blosses Abstractnm geben. Wenn die zu er*
klärende Erscheinung es erforderlich macht, eine periodische
Veränderung in einer dreidimensionalen Mannigfaltigkeit an-
zunehmen, dann darf eben nicht mehr als dieses snpponirt
werden, und die Thatsache, dass die Art dieser Mannigfaltig-
keit völlig unbestimmt ist und daher das Suppositnm als auf
vielerlei Art realisirbar gedacht werden kann (wovon die ,Räum-
lichkeit', die ,Schwingung' u. dgl. nur ein specieller, willkürlich
gewählter Fall ist), darf keine Veranlassung geben, in Betreff
der Zahl der Elementarhypothesen weniger sparsam zu sein.
Selbstverständlich meinen wir nicht, dass man an die Existenz
nichtindividualisirter, d. h. unbestimmter Realitäten glauben
soll, was ja ein Widerspruch wäre; aber man soll sozusagen
den Raum für weitere individualisirende Bestimmungen nicht
willkürlich ausfüllen, sondern (wenigstens vorläufig) freilassen.
Nun liegt aber nichts näher und ist nichts psychologisch be-
greiflicher als eine Verletzung gerade dieser Regel. Sie kann
in bewusster und absichtlicher Weise stattfinden, wenn man
die mangelnde Kenntniss individualisirender Bestimmungen ver-
wechselt mit der Behauptung, dass thatsächlich keine Indivi-
dualisation da sei, und die Absurdität des letzteren Umstandes
auf den ersteren überträgt; sie unterläuft aber viel häufiger in
völlig unabsichtlicher Weise nach den Gesetzen der gewohnheits-
mässigen Association. Es ist ja nichts natürlicher als eine Be-
stimmung, welche sich in einer Hypothese als nothwendig
erweist, gerade so individualisirt zu denken, wie sie im Gebiet
unserer phänomenalen Erfahrungen am häufigsten auftritt. Wer
möchte sich darüber wundern, dass die abstracte Annahme
einer periodischen Veränderung sofort das viel weniger abstracte
Gewand einer räumlichen Bewegung (einer ,Schwingung*) an-
legt? Und wem wird es aufl&llig erscheinen, dass die ,Schwin-
gung', welche — wenn auch weniger abstract als die ^periodische
Veränderung* — denn doch noch immer ein Abstractnm ist,
sogleich zur Schwingung eines Stoffes wird, der alle Eigen-
schaften hat, die wir sonst der ,Materie' zuzutheilen pflegen?
Lehnt sich doch unser Geist sichtlich dagegen auf auch nur
ein Merkmal, wie z. B. die Schwere, aus jenem Complex weg-
Zur Lehre ron der Hjpotbesentildung. 67
zulassen und so von der Bahn des Gewohnten abzuweichen.
Ein psychologischer Zwang ist es, der, wie vielfach ander-
wärts, so auch hier der logischen Regel zuwiderläuft.
§ 47. Diese Ueberlegung fUbrt uns nun zu dem so
vielfach missverstandenen, weil schlecht oder gar nicht de-
finirten Begriff der Hilfsvorstellung oder des heuristischen
Principes.
Ein heuristisches Princip ist nichts Anderes als
eine über Gebühr specialisirte Hypothese. Man kann
dies auch so ausdrücken: ein heuristisches Princip ist immer
dann gegeben, wenn sich in einem Complex von Elementar-
hypothesen auch nur eine findet, die durch die Besonderheit
der zu erklärenden Erscheinung nicht unbedingt erfordert wird.
Solche Ueberschreitungen des unbedingt Erforderlichen werden
in den Naturwissenschaften am häufigsten in dem Sinne ge-
macht, dass man dort, wo lediglich Gleichheit der Verhält-
nisse, also Analogie, verlangt wird, diese Gleichheit auch auf
die Elemente selbst überträgt. Wer periodische Veränderungen
supponirt, die den aus der Erfahrung bekannten Transversal-
schwingungen analog sind, bleibt auf dem Boden der legitimen
Hypothese; wer aber geradezu von Trans Versalschwingungen
selbst spricht, der sollte sich stets gegenwärtig halten, dass er
diese Annahme nur als heuristisches Princip ansehen darf und
jeden Augenblick bereit sein muss, das Moment der Räumlich-
keit preiszugeben. Gar Vieles, was sich als Hypothese aus-
gibt, dürfte, an diesem strengen Massstab gemessen, sich als
Gleichniss herausstellen.
Ueber den Nutzen, den solche Gleichnisse gewähren, wäre
es überflüssig auch nur ein Wort zu verlieren; was hierüber
bemerkt zu werden verdient, ist längst und zu wiederholten
Malen von berufenerer Seite gesagt worden. Nur einem weit-
verbreiteten Irrthum über die erkenntnisstheoretische Stellung,
welche solche Gleichnisse einnehmen, möchte ich noch entgegen-
treten. So unrichtig es nämlich ist, ein derartiges Gleichniss,
eine derartige ,Hilfsvorstellung' oder wie man es sonst nennen
mag, für eine berechtigte Hypothese zu nehmen, so sehr hat
man sich aber auch vor dem entgegengesetzten Fehler zu hüten,
der darin besteht, dass man darin gar keinen Ausdruck für
etwas Thatsächlicbes, sondern blos eine Hilfe für die For-
6»
68 VI. Abhandlung: Hillebrand.
schling erblickt. Ein Theil eines solchen Gleichnisses ist ja
eine legitime Hypothese und bezieht sich daher auf (direct
nicht erkennbare) Thatsachen; es wäre aber ungerechtfertigt,
lediglich um jenes Plus von Annahmen willen, welche ans der
Hypothese ein blosses Bild machen, nnn auch den Grundstock
von berechtigten Elementarhypothesen auf das Niveau einer
blossen Hilfsvorstellung herabzudrücken. Eine Parabel erzählt
keine Thatsachen, aber sie gibt doch Verhältnisse wieder, die
den factischen Verhältnissen gleichen.
Auf die Gefahr hin, den Vorwurf auf mich zu ziehen,
dass ich der Metaphysik gegenüber nicht die übliche ablehnende
Haltung einnehme, muss ich somit behaupten, dass einer legi-
timen und daher nicht über Gebühr specialisirten Hypothese
selbst dann, wenn sie ihrer Natur nach bestimmt sein sollte, in
alle Zukunft Hypothese zu bleiben, deswegen nicht die blosse
Function eines heuristischen Hilfsprincipes zukommt, sondern
dass sie uns über thatsächlich Bestehendes mit Wahrscheinlich-
keit unterrichten kann, sofern sie nur im Uebrigen in lieber-
einstimmung mit den Regeln der Probabilitätslehre gebildet ist.
Verdient doch schon der Umstand Beachtung, dass alle Regeln
über die Zweckmässigkeit von solchen »Hilfsvorstelhingen'
sich decken mit Gesetzen der Wahrscheinlichkeitslehre. Die
letztere belehrt uns aber nicht über blosse heuristische Zweck-
mässigkeiten; sie lehrt uns vielmehr, das Vertrauen in Ur-
theile über Thatsächliches richtig abschätzen.
§ 48. Und noch eine Nutzanwendung bietet sich dar. Mach
hat sich mit Recht gegen die so ausserordentlich verbrettete
Ansicht gewendet, welche eine mechanische Erklärung als das
letzte Ziel jeder Naturerforschung hinstellt.1 In unseren obigen
Ueberlegungen dürfte der tieferliegende Grund zu finden sein,
warum sich jeder vorsichtige und gewissenhafte Erkenntniss-
theoretiker dieser Tagesmeinung gegenüber ablehnend verhalten
muss. Eine mechanische Hypothese im Gebiete der Wärme-
lehre z. B. ist nothwendig eine solche, die wir als ,über Gebühr
specialisirt' bezeichnet haben, sie enthält immer ein unnöthiges
Plus von Elementarhypothesen. Nun kann eine Hypothese von
1 Vgl. ,Die Mechanik in ihrer Entwickehmg*, V. Capitel: »Besiebungen
der Mechanik zu anderen Wissensgebieten'.
Zar Lehre tod der HypotitMenbildnng. 69
•
dieser Art als leitender Faden für die Forschung von grossem
Werthe sein: aber das wird doch Niemand ernstlich behaupten
wollen, dass unser letztes Forschungsziel Hypothesen sein
müssten, die überflüssige Mehrannahmen in sich enthalten.
Erfreulicher Weise macht sich gerade in dieser Richtung
wieder ein gesünderer und — ich möchte sagen — nüchtenerer
Zug geltend. Im Jahre 1872 noch konnte Du Bois-Reymond
in seiner berühmt gewordenen Rede ,Die Grenzen des Natur-
erkennens' an die Spitze seiner Betrachtungen den Satz stellen:
,Naturerkennen ... ist Zurückführen der Veränderungen in der
Körperwelt auf Bewegungen von Atomen . . . oder Auflösung
der Naturvorgänge in Mechanik der Atome/ Konnte dieser
Satz schon damals nicht auf ausnahmslose Zustimmung rechnen,
so war doch die Majorität der Naturforscher noch im Banne
der all-mechanistischen Auffassung. Heute dürfte dieser Satz
unter dem Titel eines selbstverständlichen und keines Beweises
bedürftigen vor einem Publicum von Naturforschern und Aerzten
nicht mehr ausgesprochen werden. Auf der einen Seite würden
diejenigen Protest erheben, welche nur Beschreibung von
Phänomenen zulassen wollen; auf der anderen Seite diejenigen,
welche zwar Aussagen über transcendente Realitäten gelten
lassen, aber neben der mechanischen noch mehrfache andere
coordinirte Energieformen ab letzte und irreducible aner-
kennen, d. h. als solche, die zwar in erkennbar gesetzmässige
Beziehungen zu einander treten können, nicht aber als solche,
von denen sich die eine auf die andere ,zurückführen' lässt.
Der letztere Standpunkt dürfte — sofern unsere früheren Er-
örterungen richtig waren — der vorsichtigste und darum der
richtige sein. Vielleicht gelingt es auch in dem weiten Kreise
der für Naturforschung interessirten Laien, dem mechanistischen
Chauvinismus die verdiente Würdigung zu verschaffen. Dabei
mag für die Logik das Verdienst abfallen, dass jene für die
ganze Naturforschung fundamentalen Gesichtspunkte von Pro-
blemen abhängen, welche diese wenig geachtete Disciplin stellt,
und von Lösungen, die nur sie, zu bieten im Stande ist.
VII. Abhandlung: Meyer. Albaneeieehe Studien. V.
VII.
Albanesische Studien.
Von
Gustav Meyer,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
v.
Beiträge zur Kenntniss der in Griechenland gesprochenen
albanesi sehen Mundarten.
Vorbemerkung.
Die im Folgenden mitgetheilten prosaischen und poe-
tischen Texte geben zum grössten Theile Proben des alba-
nesischen Dialektes, der auf den Inseln Porös , Hydra und
Spezzia im argolischen Meerbusen gesprochen wird. Diese
Inseln, berühmt durch den aufopfernden Antheil, den ihre
kühnen Seeleute an den griechischen Freiheitskämpfen gegen
die Türken genommen haben, stellen auch gegenwärtig noch ein
grosses Contingent zu der Bemannung der griechischen Marine,
so dass sowohl auf der Kriegsflotte wie auf den Handelsschiffen
die Sprache der Matrosen und der Officiere vielfach die alba-
nesische ist. Die Texte stammen zum grössten Theile aus dem
Kachlasse des allen Albanologen bekannten Dr. Karl Heinrich
Theodor Reinhold, der, ein geborener Göttinger, 1834 als Arzt
auf einem griechischen Schiffe nach Griechenland gieng, wo er
eine zweite Heimat finden sollte. Durch mehr als dreissig Jahre
an verschiedenen Orten des Landes als Militärarzt und Schiffs-
arzt thätig, wurde er im Jahre 1868 Oberarzt der griechischen
Marine und hat, so viel ich weiss, diese Stelle bis zu seinem
Tode bekleidet. Er war durch seinen beruflichen Verkehr mit
den Soldaten des griechischen Heeres, besonders aber seit seiner
Stellung bei der Marine theils als Schiffsarzt, theils als Sanitäts-
arzt in Porös, früh mit dem Albanesischen bekannt geworden,
Sitznngsber. d. phü.-hist. Cl. CXXX1V. Bd. 7. Abh. 1
2 VH. AbbADdlmif : H«yer.
und das Erscheinen der ,Albanesischen Studien' von dem öster-
reichischen Consul v. Hahn spornte ihn an, dieses wichtige und
grundlegende Buch nach der Seite der griechisch-albanischen
Dialekte hin zu ergänzen. Von dem, was er in langen Jahren
mit grossem Fleisse und grosser Sorgfalt gesammelt hat, ist
nur wenig der Oeffentlichkeit bekannt geworden. Ein Jahr
nach dem Erscheinen des Hahn'schen Buches Hess er (1855)
seine Noctes pelasgicae vel symbolae ad cognoscendas dialectos
Graeciae pelasgicas collatae in Athen erscheinen. Sie umfassten
den Anfang einer Grammatik (39 Seiten), einen IIpsSpcpc; Ae-
;txou (80 Seiten) und eine Anzahl poetischer Texte, 'AvQoXc-fia,
Aupa KsXcrjp'a;, T$psa$ xal 'AXtcjcr;; (28 Seiten). Im folgenden
Jahre (1856) liess er zu diesen drei Theilen autographirte Fort-
setzungen herstellen, und zwar von der Grammatik S. 41 — 79.
von dem Glossar S. 87 — 112, von den Texten S. 29 — 52,
darunter jetzt auch einiges Prosaische, Märchen und Gespräche.
Dieser Anhang ist nie in den Buchhandel gekommen, sondern
von Reinhold nur verschenkt worden; er ist daher leider sehr
unbekannt geblieben. Später hat Reinhold, so viel mir bekannt
ist, nichts Albanologisches mehr veröffentlicht.
Als ich anfieng, mich mit dem Studium des Albanesischen
zu beschäftigen, wurde mir — ich glaube durch den verstor-
benen Buchhändler Wilberg in Athen — mitgetheilt, dass der
Nachlass Reinhold's in die Hände seines Neffen übergegangen
sei, der damals Hauptmann bei der Artillerie in Posen war
und jetzt Oberstlieutenant im Fussartillerieregimente General-
Feldzeugmeister in Mainz ist. Ich wendete mich an ihn mit
der Bitte, mir eine Einsicht in den albanesischen Theil dieses
Nachlasses zu gestatten, und mit einer Liebenswürdigkeit, für
die ich ihm nicht dankbar genug sein kann, überliess er mir
das Ganze als Geschenk. Es war ein ziemlich umfangreiches
Convolut von Heften, in denen Texte, oft zwei- und dreimal
abgeschrieben, verzeichnet waren, Märchen, Fabeln, Dialoge,
Räthsel , Lieder ; ferner ein durchschossenes Exemplar des
Lexikons aus den Noctes pelasgicae mit einer Anzahl von
Nachträgen; Auszüge aus älteren albanesischen Drucken der
Propaganda; Sammlungen von Personennamen der albanesi-
schen Inseln; endlich eine Menge von Briefen der albanesischen
Freunde und Gewährsmänner Reinhold's an diesen.
Albanesische Studien. V. 3
Leider erst spät komme ich der Verpflichtung nach, die
ich damals, wenn auch nicht ausgesprochen, übernommen hatte,
und mache wenigstens einen Theil der Reinhold'schen Samm-
lungen der Wissenschaft zugänglich. Bei dem grossen Mangel,
den wir überhaupt noch an wirklich gut aufgezeichneten Texten
der albanischen Sprache haben, werden diese Mittheilungen
willkommen sein, um so mehr, als ja gegenwärtig bereits einige
jüngere Kräfte sich mit hübschem Erfolge an diesen Studien
zu betheiligen beginnen. Reinhold hat sehr genau gehört und
aufgeschrieben. Ich habe bei meinem letzten Aufenthalte in
Griechenland den grössten Theil der hier veröffentlichten Texte
mit zwei aus Hydra und einer aus Porös stammenden Per-
sönlichkeit durchgenommen und habe mit ihrer Hilfe die
Reinhold'schen Texte an einigen, aber nicht an sehr vielen
Stellen verbessert. Der eine von ihnen hatte den alten Herrn
noch gekannt und behauptete, er hätte viel besser albanesisch
sprechen können als sie alle. Reinhold's Orthographie habe
ich in die von mir sonst angewendete umgesetzt; seine Unter-
scheidung der drei Z-Laute (l, l, l, oder wie ich schreibe,
2, T, l) habe ich beibehalten, denn sie existieren im griechischen
Albanesisch wirklich. Auch das l ist mehr erweicht als unser
gewöhnliches l} aber der Unterschied von X ist bei einiger
Uebung doch nicht schwer zu erfassen.
Die im Folgenden mitgetheilten Texte sind:
1. Achtundachtzig aesopische Fabeln, etwa die Hälfte
derjenigen, welche in Reinhold's Heften stehen. Sie sind von
einem Albanesen aus Porös nach der Ausgabe von Furia über-
setzt, indessen ist der Anschluss an den griechischen Text
häufig ein sehr freier. Ich habe ihnen die Nummern der
Halm'schen Textausgabe beigefügt und sie darnach geordnet.
Der bekannte Inhalt und die einfache Sprache wird sie zum
Einlesen ins Albanesische ganz besonders geeignet machen.
2. Drei Märchen, die beiden ersten aus Porös, das dritte
aus Hydra. Das erste und das dritte habe ich bereits vor län-
gerer Zeit in deutscher Uebersetzung mitgetheilt in der Samm-
lung albanischer Märchen, die, von werth vollen Bemerkungen
Reinhold Köhler's begleitet, im XII. Bande des Archivs für
Literaturgeschichte S. 92 — 148 (1883) erschienen sind.
4 TU. Abhandlung: Meyer.
3. Zehn kurze Erzählungen und Schwanke. Die dritte
derselben stimmt im Motive mit dem mittelhochdeutschen Ge-
dichte ,Das Auge* in den ,Gesammtabenteuern' I, Nr. XII,
S. 245 ff. tiberein. Nr. 4 die Geschichte von dem Blinden, der
sich nicht heilen lassen will, aus Furcht seine Frau hässlich
zu finden, stimmt ziemlich tiberein mit der Anekdote bei Car-
donne, M&anges de litt^rature Orientale (Paris 1770) II 96, die
in der Schwanksammlung ,Neuer Bienenkorb voller ernsthaften
und lächerlichen Erzählungen* II (Cöln 1776) Nr. 38 wieder-
holt ist, und noch genauer mit Nr. 94 der letzten Sammlung.
Nr. 5, Blinder mit der Laterne, steht bei Galland, Les paroles
remarquables , les bons mots et les maximes des Orientaux
(Lyon 1695), S. 30, bei Cardonne a. a. O. II 98 und in der
Barca di Padova (Venetia 1689) S. 2. Nr. 7 ist eine bekannte
Anekdote, die z. B. auch im Passe-temps joyeux (Paris 1717)
S. 84 und in den Contes a rire (Paris 1881) S. 303 steht.
Nr. 8, Geschichte vom Lahmen und Buckligen, findet sich auch
in der Arcadia in Brenta von Vacalerio (Bologna 1693) S. 111.
so wie in dem ,Neuen Bienenkorb* II 97. Nr. 10 gehört in
den Kreis der Schwanke von Unibos, Campriano, Bertoldo
u. s. w., den zuletzt Bolte in seiner Ausgabe von Schumann's
Nachtbüchlein (Tübingen 1893) S. 387 ff. besprochen hat.
4. Uebersetzung von einigen Bruchstücken aus den Evan-
gelien, nämlich Matthäus VIII 5—13. 28—34. IX 1—7. 27—35.
Johannes I. IL III. 1 — 15. Ihnen habe ich noch das Euarf^Xiov
xvj; SsuTspa; avasracjew; (Johannes XX 19 — 25) angeschlossen in
der Uebersetzung des griechischen Albanesen Kupitoris (vgl.
mein Etymologisches Wörterbuch der alb. Sprache, Biblio-
graphie S. 520), die mir auf einem gedruckten Blatte vorliegt.
5. Lieder. Die ersten drei längeren Stücke und zwanzig
Vierzeilen sind aus Porös, elf Vierzeilen und drei Abzählreime
bei Kinderspielen aus Hydra. Angeschlossen habe ich ihnen
acht griechisch-albanische Liebeslieder, die mir der jetzt auch
verstorbene Albanese Mitkos, der Herausgeber der ,Albanischen
Biene' (Et. Wörterb. S. 521) vor längerer Zeit zur Verfügung
gestellt hat, so wie zwei Uebersetzungen in den Dialekt von
Hydra, die der eben erwähnte Kupitoris von einem gegischen
Liede und einem aus den albanischen Colonien Calabriens
angefertigt hat; sie sind ebenfalls auf einem Flugblatte ge-
Albanesische Stadien. V. 5
druckt Endlich habe ich noch einmal die Tanzliedchen aus
Athen vorgelegt, die Lord Byron in der Anmerkung zur
32. Strophe des IL Gesanges seines Childe Harold nach eigener
Aufzeichnung mitgetheilt hat, sammt drei Strophen aus dem
Reisewerke seines Begleiters Lord Broughton (Hobhouse). Ich
habe diese Tanzlieder bereits in einem in der Anglia N. F. III
1 — 8 veröffentlichten Aufsatze herzustellen gesucht; ein Her-
stellungsversuch, den ich von elf dieser Strophen in den Manu-
Scripten Reinhold's fand, hat mich veranlasst, die Sache noch
einmal vorzunehmen, und es ist mir gelungen, einige Stellen
sicherer als das erste Mal zu verbessern.
Den Texten habe ich ein Glossar angefügt. Dieses um-
fasst die Wörter der Texte, soweit sie nicht in meinem Ety-
mologischen Wörterbuche verzeichnet sind; ferner die Wörter
des Reinhold'schen Glossars sammt den autographierten und
handschriftlichen Nachträgen, die ich bei der Zusammenstellung
meines Wörterbuches nicht aufgenommen habe; endlich Bei-
träge, die mir ein handschriftliches, leider Fragment gebliebenes
Glossar des griechischen Albanesisch von Dr. Nerutsos-Bey
in Ramleh bei Alexandrien geliefert hat. Dieser, ebenfalls
Arzt wie Reinhold, und besonders durch seine topographischen
Untersuchungen über das alte Alexandrien bekannt, stellte
mir für die Abfassung meines Wörterbuches bereits 1888 ein
von ihm verfasstes Glossar des griechischen Albanesisch in
Aussicht, das ich aber bis zur Vollendung meines Buches
nicht erhielt. Nach seinem vor drei Jahren erfolgten Tode
hat mir seine Witwe auf einige Zeit zwei Hefte zur Ver-
fügung gestellt, die aus den Buchstaben A bis L (darunter, bei
der griechischen Schreibung des Verfassers, auch V = ß)
Nachträge zu v. Hahn und Reinhold enthielten, von denen viele
allerdings auch schon in den ungedruckten Aufzeichnungen
Reinhold's zu seinem Glossare stehen. Ich habe die Sammlung
von Nerutsos verwerthet und die ihr entnommenen Wörter oder
Bedeutungen mit N. bezeichnet, während R. Reinhold bedeutet.
Meine eigenen Sammlungen von albanesischen Märchen
und Liedern, die ich an verschiedenen Punkten des alba-
nesischen Sprachgebietes in Griechenland angelegt habe, werde
ich, wie ich hoffe, in nicht allzu ferner Zeit mit einer deutschen
Uebersetzung veröffentlichen.
VII. Abhandlung: Meyer.
A. Texte.
I. Fabeln.
1. SKipie ede* dilpere.
Halm 6. 'Atibg xal dktonr^.
Ne iKtpie ede* dilpsra bene pre es ba§kut ioKeri e 9am
te beine ed& foUt e tire nd arte, prs te kene tie do Kerö te
preziere; e aitü me Jute te mbdfvene fie milier ese te vertete t&t
te pa-tündure. aitü iKipiea beri folen e saj sipre nde fis driu
te larte, ede* dilpsra e beri atii afre nde tsa drizazs t übte,
er & hohe tie do pH delpera, e pual nde foU te saj. e ne hen
kii ikure delpera nga folea e saj, e vej te kuidn. iKipiea 8 las
ge te haj: u laiua nga folea e saj e u rus yfimese nde foli te
dilperese, e i muar dielmt e saj e i henger me zotet e saj, e i
niti nde foli te saj. delpera fukareia, kur u pruar nga te
kutöturit e saj e dzu ketö, ti u bene, u vrerua, jo koke pn
vdekete te dielvet saj, po vreronhei me sums tie s munt tivin
pre hakut iKipiese. e si sih pse 8 munt t i vin pre hakut htti-
piese, aitü beri ati Ue benene fukarate nde te forte ners*f
dükhete, ndini pre 8 alargut e nemei ifcipiese. aitü neke ikoi
iums koke, e u laiua iKipiea poite e rembeu ne tsope Si ih
pikhej, me te gi&e Üenyil te diegurs7 Ue piKne tsa nde ne an
atie afre; e e kieii nde fole te saj. ahera frin ede fie ers, t
zune Sengilte ziarm e zu folea e iKipiese. aitü zolet e iKipiw
iine iume te vegsl e s munt te lefteröine; u doli folea e ratu
nde de. delpera beri vrap e i henger tuti perpara de iKipiea.
plareza Ute pr ata tie iinene miUsressns nd ata müc tk
8 kane fukine, t u vinsns pre hakut: po perendia 8 i le pa
fieküare.
2. SKipie ede b rumbuh
Halm 7. 'Atzög xal xdv&UQoq.
Gahej ne here ns Tepur nga ne slcipie. u fieh nde foli
te brümbutit e i falhej brümbulit t e ruan edi t e ipetön nga
iKipiea. e brümbuli beri iume te fdltura te iKipiea prs te
mos e vrit; e e itij nde ine zot Die e i &oi: te mos veiddi nde
te fdltura t ime te vögelit, po feste te bei pre pale t ens zotit
Albanesische Stadien. T. 7
Diese. Skipiea me te ma& indt te saj i ra brümbulit me krähe
te saj e e remben T&purine e e henger. e brümbuli lefterdi baSke
me Skipiene fiere ncfe foU te saj, e tsoi vete e ikipiese e i ru-
kulisi poSte e rane nd-e de, e u dremuane. aStü Skipiea e vre-
ruare Sume, jatre here i beri vet e saj nde ne me te larte vent:
po brümbuli eii atii vate e i a beri si te parate, aStu Skipiea
z dij me tSe te ben edä ku te vej vete e saj, po vate la nde
Icielz e i vu nde preher te Diese e i falhej t i man mire. po
brümbuli beri fie bol nga pre^im e u iiit nde Icielz e i a vu
Diese nde cji. aStü Diea u ngre Stuare te Shunt pregimne nga
giri i tia, mbe ne rane vete e Skipiese poste e u tSane. e si
dzu Diea nga brümbuli pse kete e ben pre t i vifie pre hakut
Skipiese, i da lik Diea brümbulit, pse eöi de Diea Skipiea neke
besoi. e aStü Diea pre te mos birhete fara e Skipiese, i falhej
brümbulit te benene pak me Skipiene» e si z doi brümbuli t
ulhej nde te kerkuarit e Diese, urderoi Diea tS ahera Skipiea
t 6 befie vete ahera, tSe z dükhene brumbul.
plareza Sota pse z ben te Stinene done fieri, e le jete eöi
i vogel: pse s Ute done i demesuare, tSe te mos vine hohe te
gekot'te e$6 at.
3. Qeuze edipetrit.
Halm 9. Idrfluv xal Uqo£.
Qeuza rii mbe drize e kendön. e petriti e pa e e zu t e
hai. e i &ote d-euza: mos ine ha, pse jam e vögele e do mos
te frin bdrkune; po, nde do te friheS, {juai te mbeden zok. e
petriti i dvte: se do jem Sume i mafe, nde lefSa te ngrinete
tSe kam nde gote, e te §uaih tiatre te ngrene tSe s e soh fare.
mid'oa d'ots pse Ua iierez, pre te tS6hene me Sume, bdrene
edi te pdkene tSe kane nde dore.
4. Ar dp.
Halm 13. At&Coty.
Ne neriu bleu fie Ardp e i ndote pse s e lan fare zot i
pare, pra iS i zi. e zeroi ki t e lan nga dita eöi t e ferkön
pre te zbardhei. e i ziu jo pse neke zbardhei, po ede nga te
ferkuarit e Sume u semür.
pldreza d'Ote pse ajö tse ka neriu nga te lirite, viithete
üera te vdise.
8 VII. Abhandlung! M«y«r.
5. Kundf edi fiel.
Halm 14. AtXov(t<x xal dUxrqvwv.
Kunavi zu fie gel me lili pre t e haj e zu t e tan, pse $
Je Mrezete ndtene te prdhene. e {jeli i &a pse ,u e ben pre te
mite t atire e i ztfoü pre te ierbifane'. e meta kunavi e ttin
pse Ute putin e bie me Ü emme edi me motrat e tij. e geli £a:
,edi ati pune e befi meta pre te mire te nirezevety te piilene
turne ve. e kunavi i d-a pse ,ti nde ke turne te pre§igura, u
neke viethem pa te ngrsne*. e attü e henger.
pldreza &ote pse Aeriu i kelc tte veidon si te mboresfe te
bsne te liga edi pa Uli i bsn.
6*. Mi edi matte.
Halm 15. AlXovqos xal /ufas.
Nde iie ttepi itine turne mi, mdttea nga dite i pakesön,
e mitey si pane se pakesdnhetine , &ane me vitehe te tire: ,te
mos rüshemi me atji, se tuti do rbirhemi; ketu mattea nenke
hipen, e do ipetöims'. attü mattea doi t i Ket e u var de m
hu e ben te ngördurite. e te nga mite u uX e i &ote: ,o zofia
matte! edi lekure daülese te bsnhet, afre me s te viims*.
mi&oa d-ote pse nirezite e mentiim kur prspikhens me
fieres tte i tcitüene, nenke i besönens me, edi te vertäten* u
d'iftine.
7. Oela edi &eleza.
Halm 22. %AUxTQv6vtg xal ntgStf.
Ne iieri kit gela e bleu eöe m $eleze e e vu baike me
gela, po ata e tsimbisne edi e tfüaine. e kiö helmonhej tum
e &oi pse Jam e huaj e neke u glas: pranddj me gudnene.' po
me fie tsitske teh §ilate tte zihetine neri me tjdtrene. mbe iU u
ksehelmua e d-a pse: ,u ketü e pare do mos helmonhem, pse
toh edi ata tte zihensJ
plareza &ote pse iierezit e urte ndurönene te tdrete e ne-
rezevet huaj, kur i töhene tte tdnsne edi gerit e tire.
libanesische Stadien. V. 9
8. PiiUatore.
Halm 24. 'Alutg.
Tsa piikatore tfuaine e iume Kerö {juaitine e done peik
neke zune. u vrerüane iume e döine t {keine ngah atii. edi
mbe üe, ns peak i mad-, i güaiture nga tiatre peik i ma&, u
ra mmerda nde barke. e atd9 si e pane, u gezüane e ikne.
pldreza xhte pse iume here atö Ue 8 na jep mnieitria,
na e jep fati.
9. Peard eii mar i da.
Halm 28. lAlwbg xal fiaivtg.
Ne peard vu di%tne nde det e zu ne maride. ajdifalhei
t e Te, Ue ii e vögele, e i &oi pse ,kur te riihem, me ze, e do
hei me iume Uar/ e psarai &a pse ,do jem % mafe, nde lefia
Kare tie kam nde dore, e le jete eii i vogel, e te kerk&h te
ma& Uar tie nek e Höh.'
pldreza &ote pse Ute i mafe at tie Haren e vogel z do tie
ka nde dore, e kerkön te mad' tie z di ku Ute.
10. Jilpere edi fefe.
Halm 32. 'Aldmrß xal ßärog.
Ne iilpere nfiithoi nde ne frurime e ikau e do bij; e aitti
u zu te mbahei nde ne fefe. e u ngtemua nga gtembat e fifese
e gakesoi kimbene. e me te dimbure te iume i &ote fifese: u
te zura pre te me ndihne, e ti me bere me te made te keUe. e
fera i 9ote: ti bere te keKe, tie zure mua; pse u jam dzene
te ze te tiere.
mi&oa &ote tie atö pesöiiene färezite, tie kerköAene ndihme
nga neres tie fji&emön b&iene te lige nde te tiere.
11. Jilpere eii krokondil.
Halm 37. IdXwnrjZ xal xQoxödtdog.
•
Jilpera eöi krokondil büne kiil baike kui ii nga eoj. e
kroköndili $oi pre vitehe te ti edi pre print i ti te mbedd ed£
iuma te ritura, dükhete, ee ben te mbedd trimereea. e dilpera
10 TU. AbbMdlonf: Mef«r.
&oi: o! i mire ti! eii ti te mos e deje kete, te vertetene e ka-
lezdn lekura e ote.
pldreza &ote pse Mrezite tie neke kalezdüene te vertäten*,
kalezdnhene nga te binate e pünevet tire.
12. Jilpere eii londdr.
Halm 39. 'j4X<anr$ xal Xitav.
Jüpera s kiS pare kufe londdr. e heren e pars, tie pa,
vate te vdis nga frika. e pa edi heren e dite e s u tremp
koke; e pa edi te tritene e s u tremb fare, po doi ede' t i flit.
mid'oa dote se po Sume here kashemi afre nde te mbedate
prame, pasandai i dzegdime.
13. Jelpere ede maimü.
Halm 44. 'AX&nrg xal ntötjxoe.
De tie te mbeUdure te kdfSevet ketseu maimui, e koke «
pelkeu} 8a e vunne mbrätete. dilpere e Hin, e aitü e mer fse-
huraze e i deftdn fie Uopu miS nde ne kudre, e i &ote, se 9ati
täova, po nenke vaita t e mafe, pa te mos t a lefton ti, Üs je
mbritele; keitü mer e nani.' e aStü maimui u hod* t e mir, e
u zu nde kudre. aitu e §an düperene, e ajö i da: ,o zona
maimui kake maresire ke e do te benheS mbritele kdf&evet'.
mid'oa Sote pse sa Her es zenne ierbise pa ment, bierene
nde te mbedd te liga.
14. ddlpere ede* tsidp.
Halm 46. *JX&nr£ xal TQdyog.
Jüperene ed£ tsiapne i muar etja e u ruzne nde ne pus,
te piine uje. e kur piine ujete, vüddn tsxapi, si do n§ithe\
nga pusi. i &ote düpera se ti te HereS kimbete nde le& te
pusit e te ngrU lart brirete, te ikel nde kurm t ent ede nde
brire, te daV jaHe; ahera te te ze ede* ti, te te ndzier. e keStn
dual düpera e ke§. tsiapi i zi e San düperene. e pregeghete
düpera e i &ote se, nde kiie koke ment, sa kirne ke nde mie-
kreze, do hohe repara, ande daXe dot ja&te, pra te hiüe.
midoa &ote, pse iieriu i mentsim do me perpara te sioi-
Hte pünene pa-bene e jo kur benhete.
libanesische Studien. V. 11
15. dtlpera.
Halm 46. 'AlwnijZ xölovgog.
Ne dttpere u zu nde ku3re e preu btitine. e nga duna
e sai u 3a te titravet: te prisni biSterate, te Skarkönheni nga
te rendet e tire. e Ae ngah atö i 3a: o zoiie iilperel kiö, Ue
na 3ua nevet te heims, nde mos i$ e mire pre ti, nenke na e
3eji nevet
mi3oa 3ote, pse nirezite e lue nenke dtiane te mirene e
te titrevet me turne ngah te tirene.
16. Ailp er e.
Halm 47. 'Aliünrjg nQÖg (lOQfiohoxuov.
Ne dilpere hiri nde ne argastir te fieriut Ue ben mdskare
eöe krere te drtiita. e Uoi ne krie te bükure e 3a: tSe te bu-
kure krie ketti, po tru Ue s ka.
mi3oa 3ote pse 8ume fierss nde te pars jane te bukur,
po nder ment jane te mafe.
17. Mulohtö.
Halm 58. 'Avfy ip(va%.
Ne iieri fukard u semür e iS äume rende. e jatrote i
3ane pse s ka gate me. aJstü falhej perendise te ieronhej e te
3er rie leint lie. e gruaja e ti i 3oi: ,and u befSe mire, ku
do i Uo& te ne Hin IceteV e at i 3ote: ,kur te ngrihem u nga
ketu, te ndote, pse ine zot do me kerkons mua ng atö SerbiseV
pldreza 3ote pse tsa me kiite Ue 3one besönhene; po pre
te benene atö sa 3one s kane fulcine.
18. Karvuftdr ed4 lifandi.
Halm 69. 'Av&gaxtitg xal yvmpvöq.
Ne karvundr skon hohen e tia nde niut lifandi Ue zbar3
plehtirete, e i falhej te mbethej baSke me lifandine. e lifandiu
i 3a pse ,z ben ne te di te rime baSke; pse trembhem atö Ue
zbar3 uf mos m i ndzin ti.1
plareza 3ote pse ata Tieres Ue neke gldsene nde huj ebt
nde ipirt, z b&nhene mite rnüc mite baike rins.
12 VII. AbhftBdluic: Mtjtr.
19. Neri edi Ken miK.
Halm 62. "Av&Qmnoe xal m&mv.
Ne iieri ndren fat prs te fton ne mik te tia; e Keni t
ketit ftoi ne tiatrs Ken e i Soi: ,o, miku i im, ea mbrzma ii
harnt baiks.' aitu ikne. e Soi ki Keni pee ja te gszüare me
er& te pa-prime: dua koke te ha e te ndendhem, ea menaie do
moe ms mare uja fareJ ketö Soi Keni psrpara de miku i tia
e tund edi bÜtine. e majeri, ei e pa, e zu nga büti e e itie
prejaita nga paleSirea. ahera Keni iken tuke Sifurz; e U
tiirete Ken e piiine, ei hingere eontet e at u Sa: koke Sums
hingera edi piva, ea u deie, e e paSs nga dcia.
pldreza Sots pee e prepe te besöims t atd tSe me pranu
te huai pithene, te na binene te min.
20. Neri edi Inezdt i drüits.
Halm. 66. "Avfywnos xatafyafoae äyalpa.
Ns fitri kii nde $tepi ns tene zot te drüits, e i fdlhei t
i bsn te pdeure; po at nsks fjeghei. e keti e zu inati, e e zu
nga kimbete e e Hiu per de. e kur u tia e u dremua, u derS
nga kriet e tia maidm; e ki e muar e Soi: 7ms dükhete pee
je i mar* edi i pamentiim; pee nani tSs te tidita e te itiva
per de, nani me bsn te mirene.4
pldreza Sote pee, kur jep nderjs Mut te keK edi te dre-
durs neri, e te bsn te mirs; po, kur i bsn te keKe, ahera te do.
21. BrsteK.
Halm. 74. Bchfcftoi.
Di breteK kuJöins nde ne lutee. e virene u Sa lutea e e
lans ati e kerkdinz tiatrs. e tfuans ns pue te Seit, e neri
Soi tiatrit: ,rimz kstüJ e u pregiK tiatri e i Sa: ,nds u Sa-
ftete edi ki, ei do ngithemi lartV
miSoa Sote pee pa te piens neriu, e prepe te bens gz.
22. NikoKirS (zokS i ndtees).
Halm. 85. Bttalh xal rvxT<£&.
Nga ne virzzz varhej As nikokirS e ksndön. e laskurüü
e pieiti, pee ditene prahe e netten« kzndön. e at uprzgeß p*t
Albanerisebe Studien. V. 13
,neks e ben mbe te mbdrtura; pse ne here kendone ditene e u
zuhe, ka ahera vura ment'. e laskuriki i &a, pse ,preps pa
zene te rüheie; nani me s veUn §e.1
pldreza &ote pse pa-bene neriu §e te rühete, e jo kur e ben.
23. Matte.
Halm. 86. raXfj.
Matiea hiri de ne argastir Ue beine Knute, e tSoi ne
ngah atö e zu e e lepin; e tuke lepiture dzir §ak gluha e
sai, 6 t ndodei pse mit hai, e sa ferkön, 'here tte prüi tuti
glühen e sai.
Pldreza Ute pre ata Ue düane <ji&e mone te &ene kitte
e te prejeghene, e demesonene vitehen e tire.
24. Plak eöd vdikele.
Halm. 90. I¥q<ov xal davaiog.
Nde ne mal he plak prit dru e e muar ngrahe; e, si U
dromi i turne, &erü: ,vd6keVe, ea, mer me!' na, edi vdikeTa e
vate e i &ote: ,Ue me kerkönV plaku i $a: ,te &ira te me
ndihniS te ngarkonhem/
mi&oa &ote pse, kur kemi Hrenfiim, kerköime vddketene,
po, kur vien, duame me turne jfdlene.
»
25. Neri edi Jcente.
Halm. 95. rtctigydg xal xifotg.
Ne heri, pse ti dimer, rix nde kalive te ti. e perpara
henger dilete, pastai edi dite e ti, e pa sküare dimeri, &eri
ede Jcete e pünese. e, si pane Heute zone, se i henger edi atd,
&ane; tSe rime nevet kettit po zotit s i öembi zemera pre ke
te pünese, nevet do te na lere t ikeimet
mi$oa &ote, pse ng atd neres t {keime, tie demesonene
eii mik e tire.
26. Pendes me diilm te ti.
Halm. 98. rteoQyög xal natStg avrov.
Ne pendes vdis e doi te ben diüt e ti pendes te mire, e
u &ote: ,diüm te mit u vdes, e kam nde vreSte f&ihurs tsa
I
14 VII. Abhandlung: Meytr.
prame, e kerkoni t % tioni.' e kur vdik jati, atire u ndote
pse do kiS fiehure §e pari nde weite: e aitu müare ieterin
ede dikeTe e remdine vrütene pre te tiöine vione. e s tsuane fan
<)e, po vreita e u ierbii nga te remüarite e bene vere mbe diu
nga tie biine.
pldreza &ote pse te ierbierite edi te lödurite nde nert Ute
te pdsure.
27. Pen de 8.
Halm. 101. rttoQydg xal Ttyr}.
Ne pendes remdn, e atii tie remdn tioi maldm. e nga
dita falhei atit vendit tie tioi maldmite. e fati i tia mbet e i &a:
,o nert i mire! pse ndirjene i a jep vendit e s m a jep mua
tse me veFenf dij keti pse u te bera te pdsure e, nd' dritte
Herd tie te pdsurite t' end te ve nde tiatre neri, mua do me
maleköi/
pldreza &ote pse te mirene ngah at ti e tiöime, atit ede
ndirjate te jamme.
28. Plake edd jatrö.
Halm. 107. rpavg xal torp<fc.
*
Ne plake i &a jatroit tie: ,me dembene site, e, te me bt*
te ioh, do te jap kalie, e, nde mos pafia, do mos te jap gs.K
e, tie-kur zeroi jatroi e vei, i mir nga dita nga i\e prame U
itepise. tiers tie u be mire, jatroi s i la ge nde itepL aitu
jatroi kerkoi likne e ti. plaka i &ote pse yahera tie me öimbm
site, iohe iume prame nde itepi; nanif tie &ua ti, se ioh,
nenke ioh §e nde itepi*.
mi&oa &ote pse nirezite e keUi nga te mirate tie behens,
se dükhete se fiihhine, po nga te binnate e tire kalezönhene.
29. Grua eii bufe.
Halm. 108. rvvtf.
we grua kii bure bekri e doi pre t e ben te mos pij »»€.
e kur e pa te dSiture, e ngriti nde krähe te saj e e tteli e e
vu de fie var, e i mbili direne. e kur er& mbi ve'tehe nga te
diiturite, pole grüaja deren e varit e ki nga pre mberda &a:
,kui iiteP e grüaja &a: ,kam sele pre te harte te vdeTcurittJ
\
Albanesisch« Stadien. V. 15
e at i &a: ,mos me sele te ha, po te pi: pse kur me keltön te
ngrinete meretonhem, ami pre te pire gezonhem.' e ajö &a: ,o,
e ndara u! Ue rbora koposet e mi: pse ti jo Ue nek u ndreiSe,
po u beäs me Rk§.'
pldreza &ote pse ixeriu Ue nde M te lige ben vitera} me
8 ndr&chete, pse benhet e Xiga si edi t e kiS Ue kur u le.
30. Grua e ve me kopela.
Halm. 110. Tw^i xal Ötgäncuvcu.
Ne grua e ve kiä kopela e i ngrin naten e Serbeine, kur
kendön geli. aHü atö kopilate vune nder ment te tire te vrd-
8ene gele, pse zgon zonen e tire. e kur mbttene fiele, i pesuane
me te mbedd, pse zona e tire neke nih Ue ore iS, e i zifon me
nate akoma.
pldreza &ote pse neriu vete tuke kerküare te mirene, si i
&ote ment i tia, e Uon me te ligene.
31. Grua e ve e&& pula.
Halm. 111. rwT) xal öqvig.
Ne grua e ve kti ne pule, e nga dite i ben ne ve. asait
i ndote, nde i jip §ume elp, do pil di here ditene; e i jip. e
pula hai hatte, sa u mai e s munt te pH mos ne here ditene.
mid'oa Ute pr ata Ue kane te paka te mira e vihene te
Uönene te himate: bdrene ede te pdkate.
32. Grua magiStrete.
Halm. 112 b. Pvvr] fi&yog.
Ne mafiiUreh grua majeps e &oi pse ka fuki te Suafo
fatne e Xik edi te kekte tütizevet. e me ketö Ue &oi mbeli&
tsa pari, e kalezüane de (jikdtesi, e at urderoi vdekelen e sai.
e ne e pa Ue e hilne, e i &a: ,o ti, e mire grua! Ue &oje
pse ke fuMine te pe&6$ te ttärevet te kekte, si s peSön eii te
kekte e gikdtesit?'
pldreza &ote pse tsa tieres &one me kSite pse b&fiene te
mbedd prame, po ede atö te vögelate s munt t i b&fiene.
16 VIT. Abhandlung: M«y«r.
33. Dre edi weite.
Halm 127. "EXcupoc xal 8/untlos.
Ne dre iken nga tfaitörete e u fieh de ne weite e kur
iküane tfaitörete pare nga vreita, dreu &a p$e ipetoi, e zu e
haj fletet e vriiteee. aitü u pruare tfaitörete e e pane drene e
e vrane. e aitü, ei vdie, &oi: ,me te §i&e UH e pssova: pee s
prepe te demesoAs ati tie me man*.
pldreza &ote pee ea demesöAene ata ti u bifiene te mire,
do koldehene nga Perendia.
34. Londdr edi dre.
Halm 129. "EXa<pos xal li&v.
Dreu iken nga gdtörete e hiri nde Ae ipele tie u ndoS
t ii mberda Ae londdr. e ei e zu londari e pa tie do vdis,
%hi: ,o i ndari u! (keile nga Airezite e raie nde &on te londarit.'
pldreza 9ote pee iume Aeree (keAene nga tea te vögela U
liga e bidrene nde me te mbedd.
35. Te meriture.
Halm 144. *EX$Qo(.
Di Aeres te meriture takeidepene me Ae kardf e Aeri ii
perpara nde puar9 e tiatri nde prim. e aitü beri Ae furtum
e madi, ea i ngalköine diterate, e vej te birhej karavi. e at
tie fij nde prim piin nafklirine e i &oi: ,teila angone e ka-
ravit do mbithete me perpara', e i &a pee ,puarifm e at &a
pee ,u nani e trembhem vdikeüne, pee do ioh te mbithete me
perpara at tie i kam indV.
pldreza öote pee iume Aires neke zenne demn e tire pn
§e, po iöhene, tie demesönhene edi ohtröt e tire.
36. Jelfin edi peik.
Halm 167. &övvo$ xal ätX<plv.
Ne Seif in vu mbe katie Ae peik te ma&, e nga trembssira
e tire rane tfaite nde Ae niei tie te di. e aitü u pruar peihi
i
Albonesische Studien. V. 17
e vdtdon Selfine tSe i dil Spirti, e i &ote: ynenke helmonhem se
vdes, pse Soh ati Ue me ben vdäkelkne t ime, tSe vdes ede* at.1
plareza &ote pse nie leh Skönene fukarine fdrezite, kur
Söhene ata iieres, tSe i Stinene, te jene fukard.
37. Jatrö ede* i semürm.
Halm 169. 'JatQÖg xal voadtv.
»
Ne jatrö Seron iie te semürm: e i semürm vdilc. e jatröi
&oi pse ,at iieriu te moS pii vere e te mos ben ede* servitsi, do
mos vdis. e ne i &a: ,o neri i mirel nani z ben te d-eS ngah
ata kitte tSe neke benene doüe te mire; po t i &eje ahera tSe
mboretö te büne done te mire'.
pidreza d-ote pse mifcte ahera jane mik kur te b&iene te
mire nde milc te tire nde iie Strenfiim, e jo ati koke, kur z
veTen e mira e tire.
38. Ne tSe dzir zoJc ed6 neperte.
Halm 171. Vffvrfc xal AanCg.
9
Ne tSe ndzir zoll muar iie ku&re eö6 purteka pre te
güane zok. e nde ixe drize pa iie tSihle e vu dertite e tia pre
t e zij. e si kis mende nde zok, Skeli ne neperte tSe flij nde
vent tSe fij at. aStü neperta mbe iie tS e Skeli e zu. e at me
te dimbure &oi: ,vemo9 i ndarif u Ue d-oje te tiere te zere, u
zuSe nga tjatre, e kam gati te rbar jitene t ime.1
pidreza &ote pse tsa düane te demesönene te tiere, e Jces-
hene e demesönhene atd nga te tidrete.
39. Uli eii kalm.
Halm 179 b. Kdlafiog xal UaCa.
Uliri ede kalmi biine k$il pre te forte ed( pre te praga-
lidsure. e uliri San kdimine te paforte, pse tSe do ere e ben
e ülhete iiere nde de. e kalmi puSon, iiere tSe zu iie ere e
forte. aStü kalmi nd ajö era e forte uThei, e Spetoi; po uliri
rix i pa-tündure, iiere sa ts u tSa e u dremua tuti.
pidreza &ote pse me me te forte nga ti te mos e vei, pse
demesonte; po te geghei edi te Jcei bark te ma&, ande do te
roi mire.
8itsnngsb«r. d. phil.-hist. Cl. CXXXIY. Bd. 7. Abh. 2
18 VII. Abhandlung: Meyer.
40. Gamile.
Halm 180. Kd/xr^Xo;.
Te pdrene here Mrezite pane gamilens e u trembne eie
SaStisne nga kurmi i mafr tSe kiS, e (keine, e pastdi, si t pani
te butet e sai tSe kiS, zune e KdsheSine afre. e me pastui
akoma, si parte, pse s Jie fare indt, e dzegöine e i vune t&t
{jem, e i jipne nde dielm te tire t e hilKne.
pldreza $ote pse nde te mbedd prame kuS Kdshete Sums
here, pastai i dükhene te vögela.
41. Gir&ete eii ddlpere.
Halm 186. KaQxCvog xal dldmitf.
Ne g&rd'ete dual nga deti nde Ae mal. e delpera guan
pre te ngrene. aStü tsoi gir&etene e e henger. e ger&eta &a:
,mire te pesöit! pse atj4, tSe jeSe detes, doje te binheSe % deut:
pldreza &ote pse, kuS le Serbesne t§e dzu tSe pre se voge-
lit e kerkön tjatre, demesönhene me Sums.
42. Kast6r%.
Halm 189. KdortoQ.
Kiö kafSe iSte me katre kembe e kulön (fi&e mone nga
lütsate. e &one pse herdet e ketit bHene jatri. aStü kiö kafia
kur Seh t§ e <fud?iene} di pre tSe e §udnene e prirhete me
Sembe te tia hirdete e i laSön; e aStu Spetön jeten e tia.
pldreza &ote pse fi&rezit i mentSim pre te miren e Spirtit
edi kurmit, neke mbdnene te mbilura te pdsurit e tire, po kur
iSte Strengim, e dzerene.
43. Perivoldr ed£ Ken.
Halm 192. KrpzcoQÖg xal xtW.
»
Niut perivoldr i ra Keni nde pus. e perivolari u ru$ t
i ndih Kenit. Keni i trimbure mos u rus perivoldri pre t i
mbin, u pruar e e zu. perivolari nga te dhnburit e Sume n
nit e d-oi pse ,mir e pesova, pse tSe doje u t i ndihne niut
tSe vete at do vdtkeTen e tia?'
pldreza iSte pre neres tSe s nohene te mirene tSe ti u
ben, e do te binene te lige.
Albanesische Stadien. V. 19
44. Karakaske.
Halm 202. Kolotdg (pvydg.
Ne zu ne karakaske e i Ude nde kembe ne tsope galme,
e i u da dialit tia te luan. e karakdskese s i pelMu te gent-
hei me Hertz baSke: tioi kolain e sai e iku e vate nde tsa
driza. e tfahni t§ i varhei u kolis nde kertsiil te drizavet. e
astü vei pre te vdis e &oi: ,o e ndara u! tse, pre te mos rije
batike me neres t u Serbeiie, u kehe, e nani rbier jttene t ime.
pldreza d'Ote pse Ua düane te Spetöfisne nga te vögela te
liga, e keShene e biifene nde me te mbedd.
45. Pen 6k.
Halm 203. Kofinaorrjs.
Ne neri muar den e huaj, e meta u pruar nde vent te tia e
&oi pse nde Sume vende beri te mbedd trimeresa, &a pse edi
nde Rofr beri ne te karbetsiere te ma$, e tiatre iieri nek u ndo&
t i a?en, e kiS edi kalezore ata ts u ndode atii. aitü u pregeg
/ie e i öote: ,§eg u, mik! nd Ute e vertete ajö tSe &ua, neke na
dühene kalezore, po ketu Ute edi Rodi edi te karbstsierite.'
pldreza &ote pse tsili-do nek i deftön prdmete me te bene
atö Ue &ote, sa do te &ote me ksile, neke zene vent
46. Zok& i vogel.
• Halm 209. KogvSaXXös.
Ne zok& u zu nde ku&re e tuke klare, &oi: }atl{ nde
mua kakomire edi te bute&ine zok&! doiiiut voda maldm mite
rgent mite tiatre ge; po vdteme ne kölceze grure me ben te bar
jttene t imeJ
pldreza täte pre atd tSe per pak diafuar iköiiene te
ma& rizik.
47. Qrumbil.
Halm 217. Ko^Uat.
Ne diale pSndesit pik drumbit: e atd krisisne nde ziarm.
e at u &ote: ,o te kek kafSe, tSe Stepirate t uai dilchene ejuvet
kendoni.'
mi&oa d'Ote pse, sa prame nenke benhene nde koke, tuti
jane te Hitura.
2*
20 VII. Abhandlung: Mo 7 er.
48. Nerz.
Halm 221. Kvv6$j\xto$.
Ne neri e zu Iceni, e kerkdn jatrö. e fieri tiatri e dzu
e i &ote: ,ande do te SeronheS, mer ne Uitskeze büke e fix
gdlcite e lavdmese e jep i a leenit tSe te zu, t e haje.' e at Resi
e i $a: ,ande befsa u keti, e leente e hdrese t i dzene, iuti do
vinene me zene.'
pldreza &ote pse iieriut te kell, sa do te mira t i &ts,
at gi&e do te te Mine.
*
49. Ken eöi fiel.
Halm 225. Kvtov xal dktxTQvmv.
Keni ede geli bene Solceri e et seine baSlce, e hur u er,
fieli u ngit nde drize e Keni mbet nde reue te drizese tte H*
gofale. e ndai menate Icendoi geli, undre si iS dzene. t hz
dttpere, si e fiele tSe &iri, vate atje e i &ote: ,te falhem stime,
te vis poSte; tue me pelKen &irme jote} e dua te te pu9.' '
geli i &ote: ,nde do te rushem, zgo d6resine} tSe iSte nde rm
te drizese/ aStü, si kerkdn delpera dSresine , leeni e fiele e u
ngre e e henger.
mi&oa d'Ote pse neriu i tirete, kur nenke munt vete} ts
dernesone nerin e keU, e keS e e dergön nde me te mad- neri
te keK.
50. Ken ed6 ulk.
Halm 231. Kvtov xal Ivxog.
Ne Ken flu prejasta Stepise e ulku e tsoi e doi t e hm.
e Iceni i falhei e i $oi: ,se nani jam i höh ede i lik, po prit
tsa leer 6, tSe do benene zoterite e mi dasme, e do ha Sums e
do te te dukhem i Siluam.1 aStu utku besoi e e la. e me pah
dit er dt prape utku nde Stepi te leenit e e pa tSe iS de i si-
premi pat i stepise, e i &ote: ,kultd, nie ke tdksure e rusn
poSte.' e Iceni i &ote: ,o ulk! tSe sot e pare, nde me pafie, te
fle poSte, mos prit, te benhene dasme.1
mi&oa &ote pse nirezite e ürete, kur Spetdnene nga ne e
lige, ruhene, te mos bitvene nde jatre.
Albanesische Studien. Y. 21
öl. Majer ed& Ken.
Halm 232. Kvcov xal fidytiQog.
De iis majeriö hiri ne Ken, e si kis mdjeri serbes ts ti,
Jceni Uoi iis zemsrs e e rsmbeu e iku. e mdjeri kur pa Kens
t$s iksn d'a; ,o ti Ken! ku-dö te te soh, do kein gi&e mone
mende, pse zimsrs ti nsks ms more, po ms daSe zsmsrs.'
pldreza &ote pse te pssüarate nds iieri bsnhens te mbs-
suara.
52. U&pura ed6 brstsK.
Halm 237. Aaytaol xal ßdiga/ot.
U&purats u mbsTods e kTdins te gdtste e tire, pse üts
pJot friks, pse ede nga üerss edi nga Ken ede nga te tiers kafSs
birhins. e &6ins: ,ms mirs ists te vdesme iis hers, se nds tuti
Jets t sns te kemi friks.' e zsruans tuti e vin nds lutss te
mbitheSine. breteKits, t$s ihis tors büzsvet lütssss, si ge<jns t
etsurits e Tepuravet, mbs iis karbstsiens nds lutss. astü iis nga
Tepurate, m i mSntSimi, u Sote: ,rini, miKl le mos bsims ts
ligs nds vetshi t sns, pse veZdoni, tss jans ede ts tiers kafSs
me ms ts made friks nga nevet/
mi&oam &ote pse fukarats ligönhens, kur Söhsns ms te UK
nga vetshea e tire fukard.
53. Londdr ede dölpsrs.
Halm 246. Abav xal dXtoTcr)!-.
Ns londdr u mblak e s munt te guan ms. e aHü vate
e hiri nde ns ipets e &oi pse iS ssmurs. e veins kdfSsts t e
sihns, e at i zii e i hai. aHü e dzu ede ddlpsra e vate: po
nohu delpsrin e tia, e mbet prsjasta spHsss e e piin ths bsn.
e londari i &oi: ,jam kek; po hir mbsrda!' e delpsra i &a:
9nsks hin mbsrda, pse Soh ksmbs te Sumsvet kafSs t§s hins
mbsrda, po te pdksvet ksmbs Soh, Us duale.'
pldreza &ote pse nerszit e menUim prs s alargut iiöhsns
tis do i tSoiis, e ruhsns.
•
54. Londdr edi arkuds.
Halm 247. Adav xal äQxtog.
Londari ede arkuda tsuans fis vits e zihesins te di, ku§
t e mir. e nga te sumste ts zsns u lods e rans psr de. na! eäv
22 VH. Abhandlung: Meyer.
ne delpere at ore &kon atie e pa pse ketd z munt te ngriheiine,
londari edi arkuda, e viUi U atie per de i vrare nde mes U
tire. vate e ngriti Jciö e iken. ata e $ihne e pse z munt tt
ngrihesine, &ane: ,o te mh&rete nevet! pse pre delpere bem kalk
te lödura/
pldreza &ote pse 8ume iieres lödhene prs tsa Serbise, po
te tiere i gezoriene.
55. Londdr edi bretek.
Halm 248 b. Altav xal ßArga^og.
Londari geK ne bretek Ue &erit fort; e u pruar nde
male te üirmese, pse i u duk Ue iä kafse e maöe Ue teriL
e nie ne UiUke dual breteku nga lutea; e si e pa londari, vate
e e kataikeli.
mi&oa &ote pse nenke ben, te tr&mbhemi mbe ne nd ad
tSe geghemi, pa te mos e Somme.
56. Londdr ede* ulk.
Halm 265. Aiwv, Ivxog xal dhtmrfc.
U mbldkure londari e derghej de iie Speie. aJktu tuti haf-
tete vane t e Uöine, veU nga dilpera. ulku si Uoi koldj, t
htiti delperene nde londdr e i &oi pse }ajö pak nder mbretne e
tuti kdfSevet, e anddj s ka drdure te te Sohe/ e nde male te
kuvSndese afü ede* dilpera e fiele te pasanddimete JUile uTkut.
e londari u egeresua mbi male dilperese; po ajd u pregek e i
&a: ytsili nga ketd Ue erde e te pane, te beri te mire, sa te
bera u, Ue veje tuke kerküare jatrine pre ti, e e UovaV e
londari e urderoi te i &ei jatrine Ue Uoi. e ajd u pregäc:
,rip i'ie ulk te fiaie e vere lekuren e tia te ngröhete nde mah
te kurmit t ent, e do benhei mire.' a$tü londari mbe ns $eri
ülkune e atie* Ue lahtaris ulku per de si i vddkure, dilpera
tuke UiSure &oi: ,s preps te seleS zone nde indt, ulk, me te
tündurate Ü ent/
pldreza &ote pse at Ue leftön te itine tidtrene nde zot te
mad' pre te keke, prirhete do-ne here e JceJcea mbi male atit
Albaneaische Stadien. V. 23
57. Londdr, gaidür ede delpere.
Halm 260. Aitav^ Övog xal dX&nrß.
Londari, gaiduri ede* dälpera bene sokerie duale te guaine,
e zune $ume te ifuaiture. aStü i $a londari gaidurit te ndane
te guaituriU. at i ndaiti e i beri tri piese te dreita e &a:
,yi&e~kuS te zglede te mare.' e londdri kaue u ngeli, sa e
vrau gaidure. pastai i &ote dölperese: ,ndaj i tiV e deU
pera i beri tuti ne piese e aö mbaiti ne UiUke. e i &ote lon-
dari: ,o zone d&pere! kuä te mbesoi te ndanes kalce mireV aö
u pregeU: fe paprimea e gaidurit/
plareza &ote pse fterezite mbesdnene, kur Sdkete e tire
pesdnene.
58. Utk edd leilik.
Halm 276 b. Atixoq xal yfyavoq.
Niut ulk u mbet ne kokal nde grike, e i d-a leilekut pse
,po ti je kadir te me dzefeS kökaline nga grike, u do te te
paguaii.' e leileku vu kriet e sai nde gole t ulkut e me Uep
te tia i dzuar kökaline ulkut; e pastai kerkoi te paguditurite.
e ulku JceU e i &a: ,t' aren pre te paguditure t§e ndzore nga
gola e ulkut edd nga dembet e tia kriete t end e s pesove ge.'
plareza täte pre neres Ue pagüanene atd Ue u ipetönene
jetene, me ne te paguditure si atd t' ulkut.
59. Mayo.
Halm 286. Mdvng.
Ne mayo rii nde bazdr e majeps nene tidtrene, e aStü
vete ne e i &ote pse dierte edi pali&iret e Stepise s ate Une
hdpete e te vode tuti, sa üne mmerda. e mayoa mbe ne sal-
tari ede tuke pSeretiture beri vrap. aStü ne e pa Ue vej vrap,
e i &ote: ,o Aeri ti! Ue praymet e huaj majepsne, si neke dije
te rüafie edd te tuatef
plareza iSte pre atd Ue neke Sdhene ato te pa- mirate
Ue benene, po düane te mbesdnene te tidrete.
60. Milengone ede pelistdr.
Halm 296 b. MvQfirß xal ntQUJTiQä.
Ne milengone e ki§ mare dtjea e hiri nde lume te pii
uje. lumi e mir dzare e do mbithei. ne pelistdr e pa e stie
24 VII. Abhandlung: Heyer.
ne degeze drize e u mba mihngona e spetoi te gdhte. atje w
ndo& ede iie fiuaites tSe ngul nde de purteka te zii pelistere: e
mihngona e zu nde kembe nats, e nga te demberite stiu per
de purtikate e, si pa aUü pelisteri, iku.
mi&oa &ote pse} kus te ben te mire, t' i bes ede ti.
61. Te ri ede majer.
Halm 301. Ntavfaxoi xal /uäyttgog.
Di te ri dielm u ndode afre nde rf« majeriö, e mdjeri
do ben te ngrena nga mi$. e iieri nga ketü te di muar »e
tsope mi§ e i a vu nde <fi tiatrit. kur kerkon mdjeri müU
tse duhej e z munt t e tson, pregeghete fieri ngah ata, at Üb
e muar, e i ben be pse ,8 e kam u/ e at t§e kiS nde gi7 bin
be pse s e muar. mdjeri i ziu, si pa te kefc t atirevet, &a i
pse ,mua mboretd te me Jcesni, po t ene zone Ue beni be} do
mos e ke$ni.<
pldreza $ote pse iierezite me be Ue büme mboreto t i
Uesme, po t ene zone nek i ßesme.
62. VitS dreut ede dre.
Halm 303. Neßgög xal Mlatpog.
VitH i dreut &a nde dre: ,o täte! ti je i ma& ede m i
Speite nga kente} ke akoma ede brirs te mbeden pre t % lefto*:
pse koke u trembheV e dreu tuke Icesure i &a: ,o didl i im, ts
vertetene &ua: po besö, pse te gamelisurit e ßenit te geghemf
neke di sa frike me ze/
pldreza &ote pse sa jane t§e nde ts lere friketore, dohs
kxil nek u jep zemere.
63. Jatrö ede i ssmürm.
Halm 305. NooStv xal iajQdg.
§
Ne iieri u semür, e jatroi e pien si skoi. u pregeg pse
dirsi §ume. e jatroi i &a: ,e mire i$te/ e meta e pieiti si
Skoi, e u pregeg pse e zu §ume te gerditure. e jatroi i &a: fi
mire ede kiö.' edi mbe treteze e pieiti ,si §kove', e i semurmi
u pregtff, pse ,me zu dropiki.' e jatroi i &a pse ede kio t
Albanische Studien. Y. 25
mirs iSts. aStuns e pieiti ts ssmürmit: ,mik, sijeP e at u pre-
ge'g e i &a pse ,nga ts mirats tSs jatroi ms &ots pse kam,
kam gati ts birhem.'
pläreza &ots pse ata fterss tSs na d'ons sa na pstkensns,
t alargdrhemi ngah ata ede* t i Stttms.
64. Di fierss.
Halm 309. €0#oi7c6qoi.
Di vets etssins de ns drom ba§ks, e nsri ngah ata tSoi
iis sspats; e tiatri i falhei ts mos d-ei, pse e tSova, po e
tsuam. e si etsns tsa pak drom, e rbuare sspdtsns. e at tSs
kiS tsuare sspdtsns &oi: ,e rbuarm sepdtene.' e tiatri u pregeK
e i &a: ,mos &uai pse e rbuarm; pse kur e tSove, neke d-oje ,e
tsuam,* po ,e tsovaS
pldreza d'Ote pse, sa s kans piese ts bsnsns nds ts pd~
surs, mite nds dsms nsks jans mik ts vertete.
65. Arometare.
Halm 310. 'OdoinÖQoi.
Tsa drometare veine nde ne drom pr ana deitit e Sihns
tSs sil deti tsa ikarpa; e Sans pse i§ dons kardv i ma&, e
fcsndroins t e Sihne. e} si zuns ikarpaie e UdsheSins, &ans:
9xSts karafö i vogsl.' e me tsa, tss sual deti Skdrpats jasts
nde de, &ans nsri tiatrit: ,pre §e mbem ati e pam ate tse z
dojemV
plareza dots pse, po Somms pre s alargut Tieres, na dü-
khets pse jane te mbeden eöe trima; po kur Jcdshens pr ans,
nohms tSs s jane {je fare.
66. Arometdr.
Halm 315. 'Odotnögos xctl %EQfirjg.
Ne drometdr etsi Sums drom e &a de Ins zot pse nga
tSsdö te tSoiis nde drom, te jape te (fimsate pre Spirt te tia. e
aHu tSoi iis kofins plot korme ede midali, e henger ts prsjas-
msn e kormevet e ts prsmmsrmen e midalevet e fudst atirevet
26 VII. Abhandlung: Meyer.
i da pre Spirt} tuke $ene, pse, nga sa t£ova daSe te gimsati
edi nga te prejdsmete ede nga te premmirmete.4
pldreza iSte nd ata tSe jane te Streite ede mifc nde pare:
nga Streitire e tire ede t'ene zone duane ts tcistiene.
67. Londdr, yomdr edi geh
Halm 323. "Ovog, dltxTQVtav xal tewv.
§
Geli ede yomari kutöine baSke. aStü ne londdr u dtr&
mbi male yomarit. e fjeli d-iri e u tremp londari e iku (ihm
pse londari te gifjhete Firmen e gelit trimbhete e iken). yomari
8i pa tS iku londari beri zemere e i vej mbi male londarit nga
prapa e e guan. kur vane alaryu tSe z (feghej &irma e gelit,
u pruar londari mbi male yomarit e e vrau. e yomari tuke
vdekure Soi: }o i müeri edi i pamentSim u! printe t im s
üne te lüftese, u pre tSe doje te leftofieP
pldreza &ote pse po m i forti te ben vent e iken, U mo$
i UepheS; pse vien kohe tSe te ha jitene.
68. romdr edi br etile.
Halm 327. "Ovog xal ß&TQ«xot.
Ne yomdr ban dru e Skon afre nde fie lutse. e astü u
pole e ra per de, e z munt te ngrihei; pSeretin edi klai. e bn-
tekite tSe isne nde lutse, e {je§ne e &ane: ,o ti! tSe do benhest,
nde rije kalte mote, sa neve jemi ketüf e pre ne tiitSke tie ke
rare ati, kTan ede pSeretin.'
plareza $ote pse tsa fieres te vögelate te dembura 8 i
nduröfiene, nde te mbedd neke fldsene fare.
69. Kaie edi yomdr.
Halm 328. "Ovog xal Tnnog.
romari i &oi kalit pse Skon mire, e ha ede te Suma te
ngrena e i Jcerdnene edi kürmine9 e yomari nenke frihete kaSU
e ben Sume te lödura. aStü iie here u be ne lüfte: e pa mbi
male kalit üeri me arme tSe hin nde te lik iieres, kake sa edi
kali Skrihhei UkSt. yomari, si pa kete , nderoi kSitete e ligon
kdlene.
Albauesuehe 8tudien. V. 27
pldreza &ote pse nenke ben te dzegdime zoterite edi te
pdsurite, po te keltönhemi, tse peSö/iene; e nevet te fälhemi pre
te pdkene täe kemi.
70. Perivoldr edi yomdr.
Halm 329. "Ovog xal xjjncogds.
Ne yomdr Serben ne perivoldr e lodhej Sume e haj pak.
a8tü u fal de Ine zot t e laSdn nga perivolari e te hin de
tiatre zot. aStü te fdlurit e yomärit i u §e§, e perivolari e
Siti nde ne tSe ben Keramidete, tSe gi&e ditene e ngarkön balle
edi Keramiäe. e meta falhej te nderone zone, e meta u Sit e e
bleu üe tie ben leküreze. aUü ei pa yomari i kse%orizm täe
vej nga e JceJcea de e kefcea, 9a: ,o, i ndari u! ms mire te
vietheSe me te pdrete zoteriii: pee ki tSe kam nani do argasiie
ede lekürene t ime(.
pldreza &ote pee Serbetörete ahera kettönhene zoterint e
pare, kur Söhene te ditetite.
71. Öaitör.
Halm 340. 'Oqv&o&fyas xal xdqvSog.
Ne (faitör i zoKvet ngrehen i\e ku&re. e ne zok e pieiti
t§e ben ati£, e at i 9a pse dertön ne pirk. e kur iku fiaitori,
zok&i e besoi e vate te Sih, e u zu nde ku&re. e kur pa gai-
tore e vin, i &a: ,o ti! ahde dertön ti nga ketü pirge, te pake
do Uo§ pre te fine mmerdaJ
pldreza d-ote pse ahera priShene pirge ede Stepira, kur zo~
teriiit e atirevet jane te kelci.
72. Geriete edi gar per.
Halm 346. "Otpiq xal xctQxCvoq.
Gdrperi edi g£r&e£a bene Sokeri: e gir&eTa iS pa te
kelce, e fdlhei ede* gdrperit te binhei ede* at i bute, e nenke
doj. aktu gir&eTa e tioi tSe flij, e e vrau. e kur e vrau, u
nglat. girbela i &ote: ,doi me perpara te je$e koke i bute, si
je nani; pra 8 i pesoixe ketö*.
pldreza &ote pse, ku$ vüdön mikne me te keK, te ligene
e tiönene nde vitehe tire.
28 VI!. Abbtndlang: Meyer.
73. Gar per.
Halm 347. "Oiftf naTo$fiivo$.
Gar per ine e Skeltie nerezite e u Ida de Aiea. e Jiea i
&a pse: }nde zere te pdrene t«e te »kell, % diteti neke te skä\
pldreza &ote pse tsili-do nde e para e kette mbethett
trim, paetai s ka done frike.
74. Meme ede diale.
Halm 351. UaTq xA^nrij? xal fi^rriQ.
Diali vo& ne karte nga skolioi e % a jep s emese t t
rüane. e, si s e kertoi e ema didline, zeroi e vi& me te
mbedd ene, koke sa gukdtesi i vendit e zu e doi t e vrit. e e
ema rij e kTai: aetü geti t imene afre pre t i $ei nde ve*,
e, ei u kas, e. zu veSne nats e i a preu. e i &ane te tieraU:
ypse beri kete te lige s at emeP 7pse nga kiö sot u rbirhem;
pse, te nie kertön te heren e pare tse voda kdrtene, neke riife
nde vdekeTe.'
mi$oa &ote: kuii neke mbesdn dielte e t i leertone nde te
rögela puna, bierene nde me te mbedd.
75. Pelister.
Halm 357. UfQuntQÜ öiil*kra.
9
Xe pelister e muar etia e si pa de ne le& zograßsun
uje7 &af se is te certete uje, e rate me viasi te made, e nga te
speit ite e sai tSditi ptndete e ra per de, e tsa Ue Skdine, e müun.
pldreza $ote pse sa duane mbe vrap te binene punat e
tire, gi$e mone do bdrene.
76. Pelister ede sore.
Halm 358. ZTcpumpc} xctl xo£«#nj.
Xe pelister tajishei nde ne pelisterione e &oi pse ben
sume dielm. e sora e gek e i 9oi: ,o ti, i mire, pu*ö! pse. sa
me sume piel, koke farmeke ede te dimbura mbi retehe ben.'
pldreza Ute pre Skier ede pre serbetore, tie sa dielm te
benene. meta Skier jane.
i
Albanesische Studien. V. 29
77. TSopdn edi deti.
Halm 370 b. Uotfi^v xal 96Xaaaa.
9
Ne Uopdn kulön dele e skon pr ans detit: is edi bo-
natse. e i &a zemera te ben tie taksi& si prämatur, e siti
delete e bleu kormi. e nde taksid- Ue viine u ndo& tie kalce
furtune sä Mine kormets nde det e gati te bir ede jeten e tia.
e pastdj nga pak dit Uopani etsen batike me tsa te tiere nde
prs dtt U i§ meta bunatse. e SaStis i ndari sume e &a: ,me
ndiete, se deti deserdn te haje korme, pr anddj iste kaue i bute.'
pldreza &ote pse te Sküara nde tieres jane te mbesüara.
78. Tsopdn edS ulk.
Halm 374. Uoi^v xal Xtixog.
Ne Uopdn Uoi tie kuli§ ulkut e e tajis baske me Ken
te tij. e kur u rit, e vin dotie jatre ulk e mir dorn dele, at
e (Juan batike me Ken te stanit, e, kur prirheiine Kente prape,
at vei pasojet ulkut e hai ed£ at nga delea. e Sume here vrit
ede at dele e i hai baske me Ken, tiere Ue e ndieiti Uopani.
aStii e vari nde tie drize e e vrau.
mi&oa &ote pse ku§ u le , te betie te Uga, kure te
mira z ben.
79. Thopdn.
Halm 378. Uotfirjv xal ngößara.
Ne Uopdn vu dent e tia te kulöine prepds nde tie drize;
e at u tiit sipre nde drize e Shunt fdrazet e drizese, e biine
polte pre t i haine dente. e kis lene te vesurat e ti nde bi&e
te drizese. e dente atid, tse haine koket e drizese, hingere ede
robat e Uopanit. e kur Uopani pa keti, &a: ,o kafse te kefcaf
juve jipni leite t uai nde te tiere tierez e vUhene; e mua Ue
u tajis, me hingerte rdbate.'
pldreza &ote pse sume Tieres nde te huai betiene te mira,
e te tirete i demesdtiene.
80. Sege edi mole.
Halm 385. Pota xal fi-qUa xal ßdrog.
Sega ede mola bdine kSil pre te bukurit e tire. e fera
nga fhirima &oi: ,le peSdime, mdtrazet e mia, ede* te mos zihemi!'
30 VII. Abhandlung: Meyer.
pldreza d'ote pse nde Harte te te mbedenvet trazönhene eit
te vägelite pre te dükhene se jane drelc.
81. Orirazite ed4 &eleza.
Halm 392. Ziptfxtg xal nfydtxts xal yttopyög.
Orirazite edö SeUzats i kiS man itia, e kerköine frivt
pendes uje, e prs te pagüaine, i &öine &elezate te remöine
vrestate, e grirazite te ziine kursare pre te mos vide mite, t
pSndesi u &ote: ,na u ketxi kam He Ue pa t u 9em <js bb'une
atö Ue &oni juvetS
pldreza Ute pre üeres te lue Ue d-one te b&fiene üe te
mire e atd demesöfiene me 6ume.
82. Payön edi korp i ndteee.
Halm 398. Tai*; xal xoloiög.
Körbete (korikete) döine te böine iie mbret. e payoni 9oi
pse ,u jam kadir nga te bukurite t im/ e aHti tuti döine. e
korbi i ndtese i &a: ,po ti do mbreterofiei , delpera te na
tjxiafte, si do na 8petö$f
pldreza &ote pse neke ben te zgltdme zoterih pre te na
urderöiiene Ue te jene te bukur vetem, po te kene ment edi /«&'.
83. Derk i eger edi dilpere.
Halm 407. TYg äyQiog xal dlantf.
Ne derk i eger. fix prepö$ de ne drize e ehen dhnbete. *
dilpera e pa e i &a: ,pse ehen dimbete nani Ue dorn Strengim
neke keV e derku x eger x &ote: ,keti s e beii pre te bdrtun;
pse nde m u ndo&te je, te mos ri ahera t i ehefi, po t «
kern hazir.'
pldreza &ote pse {jiSemone preps te jemi hazir e jo at
ore Ue na vi6n Strengim.
84. Dose edi butSe.
Halm 409 b. rYg xal xvcvv.
Dosa ede buUa biine kUl tsila piel me leh. e %hi buUa
pse pil me mire nga tuti te tiirate kaföe. e dosa i &a: ,dij
kete, pse ti nga te Sputete te piele t' ent ben kuli§te te virben.'
Albanesische Studien. V. 31
pldreza &ote pse s preps te penezms atö sa benhene me
te Speite, po atö tSe benhene te mira ed6 te sosme.
t 85. Neri i Streite.
Halm 412 b. <PtXd(>yvQog.
Ne neri i Streite tSe-do kiS i Siti tuti e i beri fte Uope
rnaldm, e e nguli nde de; e nga dita vej e e ve£dön. e ne nga
Serbetoret e tia e pa e vate e i a muar maldmine. e kur vate
i Streiti e pa vende te remuam e maldmine te viföure, zeröi e
kTai e Skul mielcrate. di-tsili e pieiti tSe pesöi: e dl i a &a:
ymo8 u helmö, u pregik at, pse kur e kiSe maldmite, nek e
uröeroüe: vere nani ne gur nde vent tSe kiSe maldmite, e &uai
pse e ke akoma; pse kaKe veUn. pse} kur e kiSe fS4hure} pre
ge 8 te veFen/
pldreza &ote pse ede nde kemi Sume yroS e neke i jamme
nde pünera t ona, po i rüaime, Ute ei te mos kemi fare.
86. TalanduSe ede* sore.
Halm 415. XtXidüiv xal xoq(ovt\.
TalandüSea eii Sofa böine kSü tsila iS m e bükure. e
sota i &ote talandüSese pse ,te bukurite t ent iSte vetene vSrene,
po te bukurite t9 im iSte me Sume e6i dimerine.'
pldreza &ote pse Senddtea e kurmit iSte m e mire nga
bukuria.
87. BreSke ede* Skipie.
Halm 419. Xtltavrj xal dtiög.
Ne breSke i falhei SJcipiese t' e dze te fleterön. e ajö i
$oi pse ,juvet nenke u Uiti perendia te fleteroni [lefteroni].4
ajö me Sume i falhei pre keti. aStü ede ajö e zu me &oii e e
ngriti la-la e e laSoi. e bie nde ne gur e dremönhete.
mi&oa &ote pr ata tSe z §6<jene te mentSimite e aStü de-
mesönene vätehene e tire.
88. PleSt edi neri.
Halm 424. *Pvlla.
Ne pleSt ndih nde kembe iie üeriut, e ai ftoi ty ene zone
t i ndih pre t e zij. e pleSti iku ngah atii tSe rij, e neriu
32 VII. Abhandlung: Meyer.
p&eretin e &oi: ,o Perendt, de kiö e paka neke me ndihe: $i
do des te me ndihi'ies* nde m u ndofrte do/ie m e sumeV
pldreza &ote pse s preps te ftöime ty ene zone pre prayms
te vögela, po nde Hrengtm te ma9.
II. Märchen.
1. Die neidisohe Königstochter (aus Porös).
U ne here ne e ki§ tre dielm: e fieri ü me ne si, e jatri
me iiB kembe} e i trtteti me ne te vitsms si nde bah. e kur
urine tuti e ubene trima, do-iie vdize nek i doi prs bufa.
astü upriSne edi ketd e vane nde de te huau e at ts uli me
fie si i virbere, vats prei notist; e at ts uli me si nde bah,
vate anatolise; e i SkTiperi vate nde pol,
e at me fie si nde bale Skruan nde print te ti pse at
iste dieli e jep dritene nde tuti de; e at me m si Skruan ndt
print pse i$ hineza tse feks ndtene. e aitti, si gegne print t
tire ketd kZiüe te mare, uvrerüane e &ane: ,ponde, se uletu
te virbere edi te SkUpere, po jane edi pa menU
po i Skldpure, si vate nde pol, hiri Serbetör nde nt
mneStre tse Jen plehure te mendafite, e dzu edi at mne&trins.
e pastai nga tre viet undd nga mAeHH e vate afre stspist
mbretit e zu fie Stepize atii e Serbin mfieitrin e tia. po ki e
stoi miieStrine e jen %risdf me rtiaze te rgenta edi te malamta.
nstü ne dite iS vesure me roba nga kiö plehura täe ku jen
vete e ü dale iV ore nga stavrodromi; e atie e pa visure t
biTa e vezirit. e kur upreziene me te biten e mbretit, i &a:
,ini§-ini§ pa$e t'ie dite/ e aStü e bila e mbretit d'Ote pse: ,ati
mnititrene e kam fjitön} e &ane te dia: ,porsiims te na bem
nga tis foresif' e &ane: ,po, i porstime.'
aUu Jie dite e ftuane e i &ane: Me do te te jamme pre U
na beS nga ne te vesure te diavetV e at upreififc pse: ,nga
kiö phhura t$e u jeti neke ve§ do-ne grua me perpara, pa t *
vesne gruaja jime tse te mar'. — ,aUü, i &on atö, e ti i ikK-
pure iieri, tsila umdr te te mafe bufet' — e at pregeghetf e
u &ote pse: ,i skTepure jam, po me i pdsure iieri nga mua nde
de z ginthete; pse te pdsurit e mbretvet birheis, po t mite
kure neke birhete.'
AlbanesUcbe Studien. V. 33
astü, si fiegne ketö ksilet e te skleperit, hine nde te zeza
nga te pdsurit e atit. e &oi nera tidtrese: ,e marme bure
nera nga nevetV astü vaiza e mbretit i &ote asait te vezirit: ,u
z munt t e mar atk bure, edä mdlete t i ki§ maldm; pse nomet
e mbreterise nek e düane te mar bufe te hiiuam. po ti mbo-
retö t e mareS, e do SkoS jete te mire.' aHü vaiza e vezirit i
a &a 8 emese, pse täte s kiä; e, me pak khile, u-baSküane e e
Tntbar bure. edS mbe ne i beri ixe te vihire ngah ajö ple-
hura e tia.
po kur e pa e bila e mbretit viSure, i ra bi$a pre te
Jcü eii ajö. po kiö e bila e vezirit i &ote te SoJcit pse: Jatre
grua z dua te vehie keti tSe veS u nani, po pastai nga tre
mit/ keStü i soki i mbaiti veh. astü ne dite e bila e mbretit
e ftoi nde stepi e i Sote pre t i bene ede* asait fie te veäure si
e$6 te sölcese. po i d-a pse: ,neke veS do-iie grua nde pol ngah
ajö roba, po pastai nga tre viät/ aHü u-helmua e bila e
mbretit e i a dote jatit: ,inis-iniS, tate} iSte iie i SkKpere/
mbreti, si <fiek ketö, e ftoi e i d-ote pse: ,i te beS iie
forest eii s ime bile ngah ajö e grüase 8 ate, i nga mbreteria
jime tuti t ikeiieS baSke me t et Solle.' ki u-pretfeU e i &a
pse: ,mbreterine t ende e ur Seron, po mua te me <fuane$ nga
mbreteria jote, s ke kake fuki/ aHü mbreti u-ngekua e ur-
deroi tse ne nate t e zene trimat e ti e t e mbiiiene. ede aHü
u-be, si urderoi mbreti, e mbitine ixe nate e e Hine nde lume.
mite ne e rdimeze, mite ne e vertiteze.
2. Der Räuber und das Madehen (aus Porös).
Ne kursdr i vdSure Spaten ede piStölate dual nde kur-
sari; e öromit t$e vei prepölc ne lume te fiere e neke munt te
Jskon. po tei ndera pa ne vdSeze e mire bene. i d-ote: ,vd§ezo!
nde me SkofSe nga lumi te mos mbithem, do te te mar grua; e
nde mos me Skofie e skova vete, ku te ve§, ede* nde bri te kant
te hü, do te te tSofi te te pres. e silojisu mire e bsn ati Ue
te &om, e do mos bareS; pse jam plot floriii, e do SkoS jetene
t ende mire/ vdieza u-prefök e i d-a: 7ande je trim i mire
ede kursdr, iko vete9 pa te te Ikon u: e ahera mbesöft pse, nde
me marSe grua, do Skon mire/
Sitxongsber. d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. 7. Abb. 3
34 Vn. Abhandlung: Meyer.
aStü kursari beri tse beri e e kapetoi lümene e u-Jcas pr
ane vdizese e i %rote: ,undre bsra tSe bsra do te te pres, te
mos gentheS nde kiö jeta, po, nde ke gi, porsi nde print t
ende/ astü vd§eza i &ote pse: ,mo8 me pre ketü nde skreteri,
po nde je trim zemerdr, te vemi nde %ore te mar edä u ItfJa
e, nde me rafSe i pari, se me preve, e, nde te rafsa e parn
u, te mos veineS nie drmete, po t SteefieS eii ti 8% grua pa arme.
e, nde mos do kete, te dvm tiatre: te me beS tuti mua pese
tsope kurmine t im tuti me frike, e nera me tidtrene tsopa te
jene drelc nd oke, e e para tsopa e kurmit t im Ute kriete, e
tiatri kurm do benhete katre tsope. po je kadir t i bei keto,
sa te &aie, vemi nde §ik, te biime kdrtene. e nde mos nu
prefie, undre si te Som, te je$ i (fekuare nga gilcia te marto*
katre motra te ikTepera t£e kam/
aStü kursari i &ote pse: ,u kam koke trimerese pre te te
ben pese drelc tsope; po ku§ do i zijasfie tedpetet' vaiza i \hte:
}heren e pare te me preseö kriete nga kurmi, e te UoS ne reze
fikut te jete diete vi6t} e ati rizene t e presei me pridn, e tukt
prere kriete t im, e ve mbe ne nde maTe te küteurit fikut, e u
ahera do von, nere te preseS ed6 tidtrine kurm t im, e do §oh,
sa oke do daXe tsopa; e, nde mos dalsine tuti tsöpete dreK,
ahera do martöli te katre mötrate t ime. eöe te prerete e tso-
pavet kurmit t im do jete me ne te sele d-ikene, e jo me di. e,
po me ne &ike s me preve kriete, ahera je vrare, mire vrare
nga derezite t im, e te pdsurite t ent do Skotie nde print t im/
kursari i $ote: ,jo! po, po ti do te me deftöS trimerese
mua, eise te ifemi nde %ore, te mareS &ike e te leftöime; e po
me raSe e para ti, te te jap vione, e po te raSe i pari, te te
mar grua/ ,jo, i &ote vaiza, pse u kursdr bure neke dw;
po, po ti me ra§e i pari, u te te dulpekön vione t ent/
aitu kursari e geti küile e vdizese, e vane nde xor£ e
bene nde jfilc karte, e üe dite veSi vdiza friken e jatit nde
mes eöe kursari te tine7 e duale nde ne lake Ue atji u-mbefods
te mbeden, te vegel. e vaiza u-ngit sipre nde ne gur te mad e
&iri nde te gegure tütivet e #a : ,ka vate, vdsaze, sa mua
glisni nde turperi, edi juve gra te martüame, t$e z Senoni
bürate t i'iai! sot u pre t'ie nderj^ Stepise tdtese t im ede so-
Kevet t ime do rbiir jetene t ime, pre te mos ulhete jVtfr*
vdseze e genture nde skreteri, si u <jenUs u, e me tioi Ici kur-
Albanesische Studien. Y. 35
sari e doi ts ms Skel; po kstü e pars edi ndo-ns nga juvet
nds pssofsits ksti, Us u pssön sot, ms ts dets vdskslsns pse ts
äkilturit e ts hüaivet e nani, nds vdeksa, u falhem Sums Sums,
t$s kürmins t im ts tos psStili nds msrte, e t e mirni dimbs-
öiets vdSazs, §aJc i Icluam, e t e Jcali pr ans vafit tdtsss, e
siprs vafit t im ts ngrini ns kolons, e ts Skrüani imsrins t
im edi ts gsküarits USs pssdfi/ e si &a tuti Jcstd vdSsza, u-prua
e ksrkoi nga tuti ndsless, e u-rus nga guri e u-fal nds pe-
rsndi e #a: ,ti, persndi, Us bsre dunians tuti edi pimsts
tuti e bsre edi mua iisrin e vogsl, ts falhem glüfiazs ts ms
japsS fuM ts made, ts munt sot ksti ts lign e iiirszits edi ts
vitshess t ime; ts ms japsS, &om, fuki t e munt prs ts Söhsns
edi ts tiirsts Soket e ti, ts mos e bifisns/
aHü i $ots kursarit: ,tsili i pari do helles &iksns?< kur-
sari u-prsgik: ,u'. vaiza i d'Ots: ,jo, po do Stiems Skürtezsns/
e aStü Hins Skürtezsns e i ra vdizsss ts helks e para &iksns.
e aHü zu \Hksns me dors ts diä&sts e e hapi Mksns zerviät e
me ts gid-s fuki i n sual nds mes kursarit e e ndaiti si kar-
tsavits kursars. e aStü brstiti tuti iierszia atii: fi ma& imsri
i persndiss vdizsss/ aHü zjjeSns kursars e i U&hsns di mils
florin mbi mals, e i a jdpsns vdizsss tuti. aHü vaiza muar
tuti atd florifds e da nga pess kint mötravet sait e i martoi; e
ati mbs fis e ksrkoi grua iis mbretopul.
aHü, si e ksrkoi mbretöpuli prs grua, u-prsgik pse: ,u
bufs mbret nsks dua, po do dal jaHs siprs nds pess mils trima
e do zsröh* lufts me mbretns Us urdsrön vends e did&sts te
%6rsss 8 ans. e} po at ms mundi, le tos bsfis Us ts dots, e po
e munda, tuti vindets e ti edi vion e ti do e ndafi nds tuti
fukard ts mbretsris e tia edi ts %6rsss s ime/ e aHü mbslodi
pess mils trima fis nga ns , e u-hap vent prs vent, e u &oi
katundidrsvet: ,ku§ do ts nglans jetsn e ti edi ts pdsurit e ti,
e ts viithess pa ts pagüans gs mos at, mos diilt e ti mote Sums,
le vesns diksn edi ts tiera arms e le ms ndieks/ e aStü bsri
parazs; e Hers ts vei nds mbretsri t atit mbretit, mbstöd- trima
fis kint mils edi ms Sums.
e si u-kas pr ans %6rsss mbretsriss, ngeSi %6rsns trims-
ress edi palatns, e dsrgoi nde mbreti habers pse: 9nds do ts
fdlhets nde mua, ka jetsn e tia at edi fsmila e ti, ka edi ns
fein mils florin; po e mora me lufts, do i mar kriets e fsmilsn
3*
36 VII. Abhandlung: Meyor.
e tia sklef te pa-laSüare, sa te jene e te röneneS aStü mbreti,
si pa tuti ketö te strengüamete ede te Icertüarit e sai, hapi
göEene tSe ne grua u-tunt te vine niS-niS pa ndo-ne lik t i man
mbreterine. nek i gel kSiTet e grüase, pse i vin ede* dune, mh
ne te üThete nde te kerküare te grüase; po u-preg&L: ,pastai
nga Stete dit t i pregegete nde te kerküare te sai.€ e ajö i $a
pse: ,jo pre diete dit, po pse diete ore; 4 po Sküane te diete
örete e nek u-pregelc, ka tri ts tiera ore.
aStü si Sküane tuti te ngTdturat e ditevet e nek u~prej&
mbreti, zeroi lüftene gruaja. e pastai nga tri dit nga te Uf-
tüarite mbreti i kerkoi, te mbufone lüftene, pre te fldsene.
aUü gruaja mbaiti lüftene, mbufoi trimate nga lüfte e kendrony
te dzii tse do i &ei mbreti. aStü mbreti i $a pse t e lefe ndt
mbreteri te tia e t i jape te pagüaiture pre nezet viet nga pm
diete mite florin. aStü gruaja kSil i mbretit keti e diri nde
tuti trimerise te sai, ande düane atd; e atd u-pre§egne pse:
,tSe te beS ti, iste mire bene, po veStö viteme, mos mef nds
grike t ende kaJce mite Spirtera, po tsilene tieh me te mire, ati
ede* te bes, e nde do lüfte, jemi perpara; ande do, te beS paß,
ti e neh keti, e ben/ aStü gruaja, si gek ed6 kSifet e trimavet
sai, e dergöi mbretit, e mbreti u-uT nd atö sa gruaja kerkoi t
mbile pakne, e han e pin atd nere mbe sot.
3. Das Mädchen im Kasten (aus Hydra).
IS iie here ne plake fto%6 e kei üe diale. kur u-rit, i
&ote: ,biro! neve jemi te vefiel i'ieres; nani tSe u ritse edi ti}
te vestoneS te zeS üe Serbes te röime; pse u z munt te te jap
me te hau/ diali u-stan kakoziu se jema kei liije e i $ote:
,memezo! u per te pundn s jam, po t i Skrüaime nunit im tk
iSte pramatefti nde Zmirn te me mate nd ane, te foti ede «
mire, te ts dergdü edt ti te Skoües/ aStü i Skrüaitine nunit t
at me te gi&e zemere u-streks te mare didline nd ane. i bsri
jema stolite e e dergoi nde Zmirn me ne barke. si vate diali
nde nuni, e kaodeksi e e vu nde mayazi, e si iS bekdr, i jip
pareh dialit e vej e psonis e majer&ps at per te dzij te benhej
i mire neri e i mbaiSim.
ne dite, si rij diali nde dere te mayaziut. Seh {te hamdl
e mbaj ne sendük e &erit: ,Ses keti sendukne; e tsili t e maf*f
Albonesische Stadien. Y. 37
do metanoisfte, e tsili te mos e mare, meta do metanoisfie.' at
si e pa, diali ,vre, &a, tse 9ote at? tSe te kete at senduki? a!
le t e mar!' — ,sa e jep sendukne, hamdlV i &ote diali. ,pese
leint roS, birof' i pergeghet at. diali, si kej ata parete rüai-
ture nga pah e pak nga roga e tij, i da e muar sendukne, e
e vu nde ne angone te mayaziut fSdhaze nga nuni. mbe menate
iS e diele e u-ndrek diali, vate e psonisi; pastai vate nde kliSe
e &a me vetehe te tij : ,kur te dal nga kliSa, vete e ben favn&S
at sa te dil nga kliSa — pse menüane te dile — vate nde Stepi
e tSoi fätne te hdrekure e kake te mire tSe mite m i miri majir
8 e ben. ,ah, veStd, 9a, er 9 nuni e ndreki faine, e u UpsheSe.'
kur vate nuni, kenosne e ndifine te hdine. nani nuni
kur pa kake te mire fat, i 9ote Kostandiut — aStü i a 9dine
dialit — ; ,biro! sot ve guSt, pse midi vasilea s ka kalte te
mire fat. ti u-beSe m i miri majer i vendit.' diali 9a me
vetehe: ,veStd, nuni e beri fa'ine vete, e nani me dzegdn.' u-nguk
ne tsitSke e puSoi.
mbe jitrene dite meta psonisi piSki, e i la nde Stepi, e
vate nde mayazi sa te vin gati mesimeri, per te vej t i maje-
reps. kur Spetoi nga Serbisete, vate nde Stepi e i tSoi piSkite
te majeripsure e kake bukur tSe meduris tuti jitonia. ,Ah, 9a,
meta m a beri Serbesne nuni.1 vate nuni mesimir e ndiiine te
haine, e i u-duk koke e mire fa'ia tSe z dij tSe te mira te 9ej
dialit.
diali nani si pa pse nuni ben, pse z dij ge fare, hiri
nde gRmba, e vate e psonisi mbe menate e keli nde Stepi, e
andis t iken te vej nde mayazi, u-fSeh nde iie kasdn. e atie
Seh e del nga senduki ne kopile kake e bukure tSe feksi Stepia
nga te bukurtt e saj. ad tuke tSe dual, u-pervdS e zeroi e
majer &ps. nani diali sa e Sih, i keputhej zimera e z munt te
mbaj ; del dale-dale e vete, e i bie nde kembe e i 9ote: ,engil
je i neri, si je ketü mberda V — , ixeri jam, i 9ote ad, mos u-
tremptSe kur erde nde kid %ore, te paSe e t ayapisa, pse je
kake i bukur. u jam e bila e vasiUse Misirit; e iie dite, si
jeSe drdure nde Zmirn per te Skone verene, te paSe e te dua
nga fort, kur vaita nde tata nde Misir , doi te me martdn;
e u, si te doje tij, e dije pse tata kufe do mos doi te me jip
nde ti, i 9aSe pse: ,z dua te martonhem/ at ahera e zu inati
e i 9ote ne neriut e tij te me vere nde ne senduk e te me mare
38 VII. Abhandlung: Meyer.
fSeyaze te me Sese alargu nga Misiri. u i &aSe heriut te mi
sele nde Zmirn te me Sese nde tij. nani ruah te Some lata tie
do befie, pse s ka tietre dials.'
Kostandiu si pa pse kopilea iS vasilise, i ra nde kernbe.
ad e ngriti e e pud-i, e u-martuane fiehaze nga nuni i dialit
e mbe jetrene dite vate Kostandiu e tSoi he harke e i $ote
karavokirit: ,do te te jap he senduk e t e veStoheS mire mire,
8i site t sixt, t e UelheS nde mema* aStü i a da, e karavoKiri
e Keli nde jema e dialit, me karte tSe i Skruan s emess Ko-
standiu, pse mberda nde senduk ist e Sokea. jema e kaodeksi
e e doi nga fort.
he dite karsi nde Stepi te pldkese ii he tSifüt; e si e pa
väizene kalte te bukure, i hiri demoni t e mir. aStü si pa tie
dual he dite kopilea nde dere, vate me pramati per te blij; t
si e pa kopilea, hiri monotaru mberda. tSifuti Skon nga Sita
per t e Sih; ad fSihej; at vu heres per ti flisne, e ad i stros,
here sa u-barfo tSifuti e mer e ben he karte nde Kostandiu e
i &ote pse: ,e §oKea ve tuti trimate nde Stepi fSihazs nga t
ema, e iSte grua e pa-mire/ Kostandiu si e {jäc, hake e zu
inati sa iku monotaru -nga Zmirni e vete nde e ema. ad si e
pa kopilea nga paraihirea, rusete vrap te ve t i haphe direni
e t e pudnie. atid nde dere Skon he lume i ma&. e si u-hap
dera e pa Kostandiu te Sokene, halle indt kej sa s priti t t
piin, nd iSne te verteta sa i &a tSifuti; po i kepün he e e
Hie nde lume. pastai hin mberda nde e ema e e pieiti per te
Sdfcene. ad ahera i &ote pse sa beri Uifuti per te mir te So-
Kene, e ad e Haiti, ahera Kostandiu vate te vrithej. vete nde
lume, vu heres per te Hhne — u~mbit: §akunf s e pa heri.
aStü muar sit e tij e etsen si i mafe mdlevet.
nani kopilea si ra nde lume, keine Stire psarate dihtete.
e zune te gimse-vdekure e e puStrüane me gune. atie Skon ns
Turk e pieiti, nde keine piski. atd i d-ane, pse neke zune §ef
po he grua. at si e pa, i hiri nde zemere e e bleu nga psa-
rate pese diete mite roS. ad kur u zgua, pa he Turk nd ane;
ahera kuitdj tSe pesdj. i &ote Turkut: ,ti nani tSe do nga
muaf nde me marSe e te Sohe ndohe jetre m i forte nga ti,
do te me mafe; po di tSe te beimef te me japeS foresite t endt,
te viShem si bufe, tSe te mos me hohe heri, e dStü te mos me
hdhene, pse jam grua, te me kerdeshesJ at u streks, e muar
Alb&nesische Studien. V. 39
ajö föbate e Turlcut e vate nga prapa nga tsa driza te viS-
hej. nd ane atie is kali i TurkuL aStü viShete e ngalkön
nde kale e iken me te katra. Turku nani pa Ue menöj, e
vate te Sih: aö kej ikure* aStü i ndari iku edä at i zyeSure
si iS ede pa kale.
aö nani si ngalköj, etsi ora mbe ora ede mal mbe mal,
sa ariti ndtene, pa te mos e dij, nde Misir, nds vent Ue ku-
menddr jati. e si iSne dierte te mbiltura e bij zbore ed6 si,
vate e u krus nga perjaHa nga dera e kdstrose %örese. nani
nde Misir atd dit kej vdekure vasilea, e s ila ndoiie nde kembe
te tij vasilea, u mbetode ipuryote e dercjüane per te tsoine te
bilen e vasilese Ue kei rbdrture (si d-a vasilea pseftri). aStü
si kerküane tsa dit pa t e Uoine, e deu te kej %ri nga vasile,
&ane: ,ne here Ue s §enthete diali nga gak i vasilese, te mos
kalezoine ge fare, e menate pastdi nga aö nate e lige ede me
rbore e te ftöhete, Ue vdis neri te rij jaSte: tsilene te tsoine
te pare perjaHa nga dera e kdstrose, t e beine vasile/ nani
menate, pa te mos dij ge fare kopilea, viSure si is buferiSt e
gimse-vdekure nga te ftöhetite, Seh e hdphete dera edä dodekada
tSe dual, aö monotaru ngalköj e ndiii nga benda per te Skoine.
atd si e pane astü trim te bukur, rane nde kembe te tij e e
muare e e keine nde sardj e e dronisne vasile.
aö nani si iS e diture e neri s e nih pse iS grua, ku-
menddr kake mire vasiliene, Ue tuti e doine si Ine Zot, e iS e
ddsure ka laöj kake, sa i vune stör ine nde tuti vrise te %örese,
per t e Sihne tuti, sa veine e mire uje. nani kopilea d-ote nde
neres te saj fSehaze, pse kuS te Skoiie te mare uje e t e söhene
te pSerstifie, kur Seh storine e saj, t e mdrene nde sardj t e
rüaftene, iiere sa t u d'ete aö. atii Skon ttifuti rie dite — Ue kej
skruaiture kdrtene nde i Soki — , e si Stiu site e pa storine, psere-
titi. si e pane ftirezit e vasilese, e mdrene e e kele nde sardj.
mbe jätrene dite Skönene psarate: edd atd si e pane, pSere-
titine, e i müare nde sardj. pastdj nga tsa dit Skoj Turku, e
e müare ede ate si pseretiti. pastdj nga tsa dit Skon ede i
Solei, e si pa storine: ,Ah! &a, sa i gXet! ah! si te rbora!( e e
müare lote e Maiti dStü e müare ede ate nde sardj.
nani kopilea, si pa Ue u mbeCodne tuti sa doj, &a ?\e
dite te mbelidhej ipurjioa, t u &ej iie kris Ue kej te benm u
mbetode astü tuti e ndifi ajö nde mes si vasile: &a e süale
40 Vn. Abhandlung: Meyer.
edi tuti ata sa keine zene; e kumendari, iieri te mos flase, pa
te mos i &ete. e zeröj e foli vasilea: ,tiifüt! &a, pse pieretxte
kur paie ati storine nde vrisf vezdö, i d'Ote, mos &ei pseftri,
* pse te pres kriete monotaru/ ,tie te te Sem, zoti vasile, i
&ote at; e tioha ati stori se ii grua ad.' e zerdj e &a tuti te
vertitene, si ikrüaiti kdrtene, pe z doj kopilea t e mir bufe
ati. kur u nettar, i &ote: ,mire, te vertdtene &aie; fi nga
nira ane/ nani i ioKi, si gek nga goTa e tHfutit avanine tie
kej itire te iökese, u sul te mbin; po vasilea i öote: ,H nga
nira ane e mos u tunt: pse do te kakopatirüei.' aitü u hoTk
at. pastdj &ote vasilea psaravet: ,juve, tie kejete, tie pSere-
tite.' ,e, $ane, neve e zum keti grua e e Htim nde ne Turk.'
,e ti, dvte vasilea Turkut, tie kejef' ,u, &a at, u jeie tie e
bleva, e me iku e me la akoma pa pare mire pa fvba e me
muar kdlene.' ahera tuti ipurjioa u pruar e veidöj vasilene:
at u beri noime te mos tuntheiine. pastdj i dote te ioKit: ,e
ti pse pieretitet' ,ah, i ndari, &a at me lot nde si, u jeie i
Solei, e nani e rbora nga vitehea e ime.' ,jö, i $ote vasilea,
neke e rbore. rini, &a, ne tiitske e nani vifiS vete mberda e
viihete me roba grariite tie kej, kur i§ de i ioki, e del. tuke
ti e pane, tuti hapne site. ipurjioa nohu te bttene e vasilest
ede e iolii ede te tierete kopilene. i pari i ioki vate e i ra
nde kembe e i &a, t e ndeTene. ad e ngriti e e pud-i e e vu e
ndii'i nd ane nde ad. psaravet u da roi ede Turkut to idio, e
tiifune, tie z doine ipuryote te karvartsne, e ndeleu, po i $a,
nde ne zet e katre ora t iken nga vasilioj i saj. astü -friri
permeteiri, pse u tiua e biTa e vasilese tire, e bens %are te
mbedd. Kostandiu u be vasile, e hingare e pine nere mbe sot
III. Erzählungen und Schwänice (aus Porös).
i.
Nde Angli te hapsösurite kane litientse te idsene kürmerei
e tire nde jatrö tie ierön lavdmete: e parehte tie mdretie, i
han e i pine. aitü ne nga Jcetd te hapsösurite, tse kii bene in
te made te lige, ftoi ne jatrö nga te lavömevet e kerfafn te Ht
vetehen e tia. e nga te iümate te d-ena geti di lira pre kurm
te tia. e si muar parehte, zeroi te Uei, e Jcei tuti ne. jatroi
-
Albanesißche Stadien. V. 41
8i e pa Ue keS, e pieiti pse JceS. ,ke§ pse ti me bleve prs iieri
tse do varhem nde kremale, e je nde kiö i keSure: pse u do
mos varhem, po do dighem/
2.
9
Ne zot etsen mbsrda nds gar& te tia nds pis te vdpese;
e perivolari e tia flei nde tsa driza prepös. e i ngekuare zoti
psaks t e Uon, e i -frote : ,pse, paTeo-neri, ße e neke Serben f ti
astü z veFen pre te te Sohe dieli/ i pregtyhete perivolari e i
&ote tuke ferkuare site: ,anddj ed& u, zoti i im, fle nde he/
3.
Ne ngles nde Londre doi i\e vdseze me pak te Sume e doi
t i vii kurone; po aö vertetaze i &oi pse s e do. po dukhej
pse ede ajö e doi. nglezi i ziu doi te dzii ngah ajö tse is e
saja, Ue s e doi t i vii kurore. aStü vaiza e mündure nga
pale i Sume, i a kSiloi pse z do te i vere kurore; pse fte here,
di 8i u be, e u pre fiera Jcembe kesait, e Ute me i'ie kembe, e
tüitrene e ka te druite. e anddj neke doi t i vii kurore; pse,
Icur te ba§könheäine, do Sih dl e do i ftohhej zemera, e do mos
kiS palen e pare me. po nglezi i zi, i plote pale pre ati vdSeze,
ts e doi koke Sume, ede pre te gene vaizene, zeroi fie taksi& pre
Parise, e atii Ue vate, urderoi e i prene nene kembe. e si u
Serua, u pruar prape nde Londre e vete nd ajö^ vaiza e i &ote :
,ms ndote, vdSezo, nani, pse do mos jete ndoiie k$il pre te
mos baskönhemi; pse, na! ede u Ue me rie kembe jam nani} si
ed£ ti/ vaiza me, Ue te ben, po Ue ki$ edi ajö nd at paU ede
at nd ajö: vune kurore e u baSküane.
4.
Nde Veneti ne i verber e kiS ne grua e e doi nga fort; e
neri tiatri i &öine pse s i§te e bükure. e fte dite er& ne i
diture jatrö per si nga Parisete e i &oi te verberit, pse ,u te
mar nde maTe te te ben te Hohes"/ i virberi i d-ote: ,neke dua
pre te me bei te Soh; pse, po te Soh, ahera do rbar palen e
Bums Ue kam de grüaja e ime, e} si jam nani, me dükhete,
pse paki Ue kam de grüaja e ime, me ben te pdsure/
42 VII. Abhandlung: Heyer.
5.
Ne i verbere eisen nie fandr nde dore ndtene nde pri
drome nde te made er&ire, e kii n krähe ede ne stamne t ujit.
ne diale e zgüare Sume e prepdli keti te verber ine e saStUi ti
e pa nie fandr nde dore, e i &ote: ,vre9 i pa-mentHm! tse te
veten ti drita tSe ke nde doret dita edi nata pre ti 8 ist* ni
lojisiV i verber i i pregeghete pse: ,dritene neke e mbah pn
vetehene t ime, po e mbaii pre te mare iieres, ti ede ti u nglt't
atire, tie, po te me sdhene, te beiiene nga benda, te mos mi
vinene nde male te me Stiiiene e nie LsdAene edi stdmnene.
6\
Ne prift nde Roms vii loyo nde klite, e atii tie vii h>-
yone, &a pse rbuar ne ksil, ne karagds u ngre Huara e &a:
7deres, mbH derene mire, e ketü jane tuti neres nie nder, te
Some teilt nga ketd e ka tsüare k&ili tse rbuar daskali.'
7.
Nde Vienne nde gard' te mbreterise ne % verberi nga neri
ei prepdk ne menate ne d£umbd, e doi t e prekiS: ,mik7 i &ot€,
menate u ngarküase.' e d&umboi u pregelc: ,ti te ndota pse
iste menate, pse hape ne pale&ire vetene.'
Nde Berolino ne neri me ne kembe prepdk ne cütumbo e
doi t e prelies; i &ote: ,siel ge habare te mira nde tröste t*t
keP e u p reg^K d&umboi: ,ti preps te kes habare te mira, pse
gi&e-mone vete ketej-andej/
9.
Ne kale pa ne mungui prarit e u derd- mbi male e kapsol
tsa; e ei zu te pertiphej , u gTemua e e ndzuar nga goTa mbt
ne e &a: 78t iSte te koldturit e öivet t eger, jane edi dite.1 »*
di e prepoli kaleii e i &a: ypse vaite e hinger e te koldtutite t
aneP ,pse si e pase aStv te gilbere ede munguldr, $aüe pse w
elp; po me mire, te mos e ngrene keSe, pse pre ne kapSore
mungui dua tri dit te Serdi'i gdCene/
Albanesi8che Studien. Y. 43
10.
Ne neri beri ne te made te lige; aStü giki urdsroi t e
zcne t e vene nde ne &es e t e Sterene nde det. aStü e zune e
vune ede nde &es} e öesne e lide fort e e vune pr ane fie ledit
de fie vent te veteme. aStü ki nga pre mmerda d-esit} po geghej
tse Sköine Her es, &oi: ,o i ndari u, tS e ligs iSte kiö tSe me
tsua mua nani: pre mbret u neke jam. ku§ tiatre do} le te
hinef tSe me pa-hir Ute kettV aStü tuke &ene, na! e Skoi ed&
ne tSopdn e e {jefihej, \e si ulcas pr ane, e pieiti: 9tSe ke, vre,
tSe &eretP ai pregeghete: ,vre, via, tSe te te dem f. duane me
pa-hir te me bifiene ake-ku mbret, e u z dua; e aStü me vune
nde ki &esi te me Kelnene.' tSopani i &ote: ,del ti, te hin uV
at i &ote: ,dal, po ti tSe do me japeS pre keU te mire Ue te
befiV Uopani i d-ote: ,te jap te gdlate t imeS e aHu i &ote at
nga pre mmerda: ,ve£dö, mos dükhete fori, e Speit zgli& &esne,
e hire mmerda te U li&, e vebdo mos flet fare, pse te nöhene.'
e astü Uopani zglidi d-esne e hiri mmerda, e e lidi at e vate,
i muar te gdlate; e keti me te <fi&e &es e Hine nde det.
IV. Bruchstücke aus den Evangelien.
Matthäus VIII, 5 ff.
5. ati kohe er$ Jisui nde Kapernaum e i vien perpara
ne jUcdl tuke fdlture atit e i &oi:
6. ,zot ! diali i im ka rare nds Hepi si i me'kure, e Hhhete
e pikhete rende.'
7. e i &ote Jisui: ,u do vin t e Seron ati/
8. e u pregek filcali e i &a: ,zot, neke jam u kader pre
te vis ti prepoS nde te puStruam Stepise s ime; po veteme d-uai
JchiI ti, e Serönhete diali i im.
9. pse ede u neri jam tSe kam urderi e kam afre trima;
e &om ketit JaSön u', e vete, e tiatrit ,eac, e vien, e Serbetorit
t im ,ben kete', e e ben/
10. e si gek Jisui ketö, SaStisi e &a atire tS e ndikne:
,vert4t &om juvet, mos nd Isratl kalte bese Uova.
11. &om akoma de juve: pse Sume nga natolia ede nga
disi do vinene e do fine baSke me Abraamne ede Isaakne ede
Jakovne nde mbreteri te kielzvet.
44 VII. AbfatndltiBf : Meyer.
12. e dielte e eresirese do ktirhene nde eresire te Sek,
atit Ute te kfdrete ede h krisurit e öimbevet.'
13. e &a Jisui JUcalit : ,etse, e si besove, le te te binheU.'
e u serua i biri d ajö ore.
Matthaas Vm, 28 ff.
28. nd ati kohe erd- Jisui nde %ore te Gergesinevet , e e
prepokne ati di te demonisure te dale nga vdrete, Sume V eqen,
sa z munt do-ne te Skon nga at dromi.
29. e mbe ne &ire e &öine: ,t$e de neve ede de ti, Juu
i biri i Perendiset erde nani pa drdure koha te na jjekvs
neveV
30. e ü alarga ngah ata ne dorbert deravet &ume tk
kulöine.
31. e demonte fdlheSine de at e i d-öine: ,nde na dzerU
nevet, ndeTe nevet te vemi d ajö dorbert te deravet/
32. e &a atirevet: ,4tseni!' e ata, si duale, vane nde dor-
bert te diravet. ede' mbe ne u-%is dorberia e deravet pre nde
skemp nde det e vdilcne tuti nde pre uje.
33. e ata ts i rüaine ikne e, si vane nde politi, d-ane
ttttiy sa paney ede* ato te demonisurivet.
34. e na mbe ne tuti nerezite e politise duale ts prigs-
zöine Jisune; e si e pane ati, i u-fale atit pre t iken nga
sinoret e atirevet.
Matthäus IX, 1 ff.
1. nd ajö kohe hiri Jisui nde barke e Skoi e er& ncfe
%ore te tia.
2. e na, i suale atit ne kliture nde ne rantse vene. e si
pa Jisui besen e atirevet, &a te kliturit: ,mos u-tremp, dtalt!
te lasönhene mkdtete.'
3. e na, tsa nga yrammatikote &ane me vetehe te tire: ,(ä
vyastimis/
4. e pa Jisui atö sa &oin ata me vetehe te tire e u 9a:
}pse juve vini nde zimera t uai te ligaf
5. tsila Ute me e mire, te &em te laSüarite amartivet i
te &em: ngru e etsef
Altanesiflehe Studien. V. 45
6. e pre te Hhni pse urdert ka i biri üeriut nde de te
lere amartt.' ahera i $ote te lditurit: ,ngru e tner rdntsene e
haide nde Stept t ende/
7. e u-ngre e vate nde stept te tia.
Matthäus IX, 27 ff.
27. nd ajö koke 8hon Jisui e e ndoJcn ati di te v&bere;
tuke SHfure &6ins: ,Uivernis na edS nevet, i bir i Davidit!'
28. e si er# nde Stept, i erde edä te v4rberite perpara; e
<dot& atirevet Jisui: ,besoni pse kam fukt t e ben ketiV — i
xhme atzt: ,po, zoV
29. ahera zu sit e atirevet e d-a: yundre besene tSe keni
te binhete de juve.'
30. e u-hapne sit e atirevet. e tembi%iasi atd Jisui e
u &a: ,do-7ie te mos e dzefe.'
31. atd, si duale, mblüane tuti közmine nga te &inete.
32. e tuke ikure atd, na, e seltene d at ns ixeri te för-
dere edi te demonisure.
33. e, si dual demoni, foli i Sürderi. e SaStisne te mbe-
tedurit e ntrezevet tSe hure s u-duk nd Israil iie si ki.
34. e farisiote d-öine: ,de zoti i demonvet dzier demoiiteS
35. e Skoi Jisui tuti katündete edS politite e mbesön nde
te mbeßdurit e tire, e d-eHt vanjel e mbreterise, e Seron tSe-do
semunde edi te ligura te kozmit.
Johannes I.
1. heren e pare iS ksili e kSili iä nde perendi e peren-
dia iS ksili.
2. at iS tSe heren e pare nde perendi.
3. tuti ngah at u-bene, e pa ate do-fie s u-be ngah atd
sa u-bene.
4. d at gale iS; e gdlete iS drita e nerezevet.
5. e drita nd efesire feks, e efesira nek e mbaiti ate.
6. e aStü u-dergua iieri nga perendia, ömeri atit Jodn.
7. at er& pre te kalezüare, pre te kalezoile pre drite,
Ue ngah at te besdfiene tuti.
8. nek iS at drita, po pre te kalezdn pre drite.
46 VII. Abhandlung: Meyer.
9. iS drit e vertete t$e feks t§e-do neri tse vien nde kozm.
10. nde kozm is e kozmi ngah at u-be e kozmi ate se tiohu.
11. nde te ti er$, e te tite 8 e mbditine.
12. sa e mbditine ati, u da atire urderi, diilm perendm
te binhene, 8a besüane nd emer t atit.
13. Ue ata mos nga gak, mos nga te ddsure kurmit, mos
nga te ddsure burit, po nga perendia u-lene.
14. e kHli mii u-be e lcendroi de neve. e pam urderin
atit, urderi te ßlüamit birit nga täte, plot duretiTe ede ti
verteU.
15. e Joani kalezön pr ati e &ertt tuke &ene: ,at üte ti
u &ate: at tSe me vien nga prapa, perpara m u-ndo$, pst i
pari i im iS.
16. e nga te tite neve tuti muarm e duretiTe nga duretVa.
17. pse nomi pre Mo'isin u-Sa, e duretita eöi e vertete
nga Jisui XriUi u-be.
18. perendine do-ne do-iie here 8 e pa. i fiiuami i biri
ts i§ nde (ji te jatit, at e kuvendoi.
19. e atd iSte te kalezüarite e Joanit, kur dergüane Ju-
dAote ngah Jerosölimate priftera ede* daskdT pre te pieine ati:
ti tsili je?
20. e nek e Uehu e u &a: pse neke jam u XriUi.
21. e e piäitine: ,po, Ue jet Hau je tiV e &ote: ,neh
jam/ — ,po profiti je UV — u-pre§elc: ,jo/
22. e i &ane atd: ,tsili jet pre te jame te pregegure nd
atd tse na kane dergüare. tse &ua pre ve'tehe t ende?'
28. u &a: ,&irme e gemüame nde Skreteri: ndrelcni öromn
e zotit, undre si &a Isaia profiti/
24. e te dergüamite tine nga Farisiote.
25. e e pieitin ati e i &an atit : ,pse pagezön , po s je
Xrüti mos Hau mos profiti?1
26. u-pregek Joani atire e &a: ,u pagezön nds uje; e ndt
pre juve jet at t§e juve Stijete.
27. at i$t$ t$e nga prapa mua vi&i e prepara me ndoÖhete;
tse u atit s jam kadir t i zgtid- te Udurit e kepütseze.'
28. ketö u-bene nde Bi&abard ndara de Jordani, ti ü
Joani e pagezön.
29. e mbe menate Seh Joani Jisune e vien pre nd ati *■
&ote: na Uengi i perendise tSe do ngrefe mkat e kozmit.
Albanesische Studien. V. 47
30. ki iäts Us pr ati Sass: prapa mua viin burs Us
prspara mua ndödhets, pse i pari i im iSts.
31. u 8 e dije ati; po prs ts dsftönhets d Israili, prs
keti er da u nds ujs e pagszöii/
32. e kalszoi Joani e &a pse: ,pa$s Ipirtins e rushei si
pelistir nga Uidlzits e mbeti mb ati.
33. u 8 e nohs ati, po at Us ms dsrgoi ts pagszöii nd ujs,
at me &a: de tsili ts SohsS ts rüsheU Spirti ts viethets mb ati,
at ists Us do pagszons me Seilt Spirt.
34. u e paSs e kalszova pse at iSts i bir i persndiss.1
35. e mbs menate meta Joani jit edi di nga ma&itits ati;
36. e tuke vsStüars nga Jisui U etssn, &ots: na Jceng i
persndiss.
37. e gegns ts di mad'itits U e &oi e ndoJcns Jisuns.
38. e u-pruar Jisui e sih kstd U e ndilcns. &ots atire:
39. ,Us ksrkoniV e i &ans atd: ydaskdl, ku mbetheP
40. e &ots atire: eni ts Sihni. e erds e pans ku mbdthets,
e mbens m ati gi&s ati dits. ora do iS fier diets.
41. iS Ndreu i vyai Simonit Pdtross ns nga ts di Us
gegns nga Joani eSS e ndokns.
42. e Uon i pari ki ts vyans ati Simönins e i &ots atit:
,e Uuam ts dsrguamins Us ka ts d'ets XriStiJ
43. e e suaX ati psrpara de XriSti. e e veStoi ati Jisui
e $a: ,ti je Simoni i bir i Jonait, ti do frühes Kifd, Us
mp8Önhets PetroJ
44. mbs menate doi Jisui ts del nds Galili, e Uoi Fili-
pons e i &ots atit: ,ndilc ms.1
45. i§ Filipoi nga Bi&saidai, nga vendi Ndreut edd
Petross.
46. e Uon Filipoi NaSanails e i d-ots atit: ,ati Us skruan
Moisiu nds nom edd profits, e Uuam Jisuns, ts bir e Josifit
nga Nazareti/
47. e $a atit NaSanaili: ,nga Nazareti binhete ts jets
do~fis e mirsV &ote atit Filipoi: ,ea e Sih/
48. e pa Jisui Na&anails Us vien de at e $ots prs ati:
,na i vsrtets Israilit Us delpsri s ka/
49. e &ots atit Na&anaili: ,nga ms ixehV u-psrgek Jisui
e i &a atit: ,ms . prspara nga ts ts flit Filipoi 7 Us jess nds
prs fik, ts nohs ti/
48 TO. Abhandlung: Meyer.
50. e u-pregdk Nadanaili e i dote atit: ,rabbif ti je i
biri i perendise, ti je mbreti IsrailiU
51. u~pregefc Jisui e i &a atit: ,ati Ue te &a&e: te pa*e
prepos nde fik: besdnt me te mbedd nga ketd do SoheSS
52. e i &ots atit: ,vertet vertet, &om juvet: t§e nani do
sihni kieline te hdphete edä 4njelit e perendise te nithene e te
rushene de i biri i neriuV
Johannes II.
1. e diten e trete dasme benhei nde Kand te Galilese. e i*
ede jema e Jisuit atiö.
2. u-ftua edi Jisui edä ma&itit e atit nde dasme.
3. e si z genthei veref dote jema e Jisuit de at: ,vere
8 kane.'
4. e dote asait Jisui: ,tse de mua edi de ti, grual akorna
s er& ora.(
5. e d-ote jema atire Serbetdrevet: Ue do u &ote juvet?
te beni.
6. e üne atie gaste ene gurefa, e fientheHns te paitrüame
pre Judeo, e ndziine nga di} tri te mdtura nera.
7. e &ote atirevet Jisui: mbloni atö enete uje. e i mbluan
atö Hera la.
8. e &ot atirevet: dzirni nani e silni aryitriklinoiL e
i süale.
9. e ei piu arxitriklinoi e pa üjete te bene vere, e nek e
dii ngah iS bene — po Serbetdrete e diine se hoUcne üjete —
i fiit yambroit arxitriklinoi e &ote atit:
10. ,Ue-do neri veren e mire siel perpara, e kur te di-
hene, ahera siil me te pditerne; e ti rüaite te mirene vere
iiere nani/
11. kete beri te pdrene &ame Jisui nde Kand te Gali-
lise, e deftoi nderen e tia. e besüane d at ma9-itit e ti.
12. pastai nga kid u-rus nde Kapemaüm at edi jema e
ti edi vyizerit e ti edi ma&itit e ti. atie bene pak e ge dit.
13. e afre i$ edi pa&ka e Judeovet. e u-Jiit nde Jero-
sdlima Jisui.
14. e tSoi nde jerd atd tSs §isne Ue edi den ede pelistere,
ede atd Ue nderdine parete e riine.
15. a feH » ■>" .(S« * • cW_ * ' ' « „^»
*4 ***, e atire tU -W-* »•_■"■« * -' - m^'
u a prsjuar atirt «f ?**]*• f~T" „, ; «, » « ~*«
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18. tt-pr«fcr« J**** -.>«**-*«***
10. e ui>«je£ J«*" « *• ■-»'*«'• *"**"
pre tri dit t t ngrt. ^ Jrtf fa-
„am, e «» prc «ri Ä« <** * *S™* fatt"
21. . ät do» -a* ^ « ha f r ,;
prs keti toi *ttr**: « t*"<*" "* *ar^
** JUuL A. T~<*olima dt « krimpt«* « p<«fce«,
24 po Jw«» 2 ***• "• t*te** " P
Johannes m.
1. A «. *r< »** FarUeoU, NikoSim im* i atit, i V*r
Judeovet. .... rahU, dims p»«
2. «t erd de JUui nätens • »* «*«• >™ fcwrrtffi
nga Ferenaia erie Saskdl; doüe z raunt te M*
Ue ti hen, pa Perendia me ate $ tltt. e.; B<i,
3. „p^ Ji«« e*a «*«•• .«^ ^8^lw« e m»r-«.«
4. *6U de ai Nikoö^ *£** J "J* te . imB8e .
te JuanaUkettV te ftom ti; po do/te •
5. . preW Jisui: '^'^Jjl * J «*^
IAA n?a ^te eW «3« «P»^ *eÄ' Z fnUnt
tc mbretit. 4
ffiteM>g.b«. d. ,hü.-k»t. Cl. CXIXIV. Bd. 7. AM,
50 VII. Abhandln*«: Meyer.
6. i leri nga mi§ mü üte, e i leri nga Spirt ipirt Ute.
7. mos iaStis nde sa te &aie: preps te Uheni nga lart.
8. Spirti ku te dete frin e Firmen atit i a {je§he, po z
di ti nga viSn e ku vete. keitü Ute tsili lihete nga äpirti.
9. u preijeTc Nikodimi e &a atit: ,si mündriene keto te
binheneP
10. e u pre^eü Jisui e i &a atit: }ti je daskdl i IsraiUt,
e ketö neke Zieht
11. vertet, vertat, &om ti, pse ati täe dime kSilöime, e
ati tSe getjm kalezöime; e te kalezuarite nevet neke e mirni.
12. te ketit kozmit &a$e de jitve, e neke besoni, nde 9efia
de juve te Uielzvet, do besonit
13. e dofie s u ngit nde Kiel, po at täe u nie nga üieli7
i biri i fieriut, ti ü nde kiel.
14. e undre ngriti Moisiu fidrperine nde ikreteri, ke&tü
do ngrthete eie i bir i Aeriut;
15. tie teilt do te besoAe d at, te mos birhete, po te kete
jeten e pa-sösure.
Tb su«YY^tov T*S* SeuTepa; ivastiaews psiafpasöev ix
toO rcpcoTroTuroü etq Tt;v aXßavtxYjv Y^öfftfav ^wv ev 'EXXict
'AXßav&v uxb II. KourctTttpT).
E66 per te benemi t aksie te gegemi ienJcne vanjel, zoneee
perendise tene t i lutemi.
meint te dritte,
le te $e<$emi ienJcne vanjel,.
paß mbe (fifre.
Jca i ien-Janit Ute vanjeli täe do ihihete.
le veme re.
Johannes XX, 19 ff.
19. kur ii 4rture, diten ati te paren e jdvese9 e dierte
iine mbilture, atji ti iine ma&itite mbeTiiure ka trembesira e
tiifutvet, er 9* Jisui e ndifi nde mee, e u 9ote: pale me juve.
20. e kete tuke 9ene, u deftöj däarte edi brinsn e tij.
u gezuan aitu ma&itite ei pane zotne.
21. aitü u 9a Jisui prape: pak mbe juve; undre si der-
göi mua tata, ede u dergöfi juve.
Albanesische Studien. V. 51
22. e kste tuks $ens, friti mV atd e u &ots: mirni Spirt
ts Senkte.
23. nds Ufüits tsavet mbskdtste, u jans ts Uns; nd i
mbctni tsavet, u jans ts mbditurs.
24. e Qomau ne ka ts dimbsSjete, tSs &ähej biliar, nsk
i§ me atd, kur er& Jisui.
25. aStü i &oins ts tj&rsts ma&iti; kernt par s zotns. e
dt u $a: nde mos paf§a nde duar ts-tij lavomsn e gö£dsvet e
vefsa glisns tim nde vent ts göidsvet e vsföa dörsns t ime nds
brifts ts tij, do mos jap bess.
V. Lieder.
A. Lieder aus Porös.
1.
Kaie plaka bdbszo!
haide, bs ms fis &elims:
haide, be ms fis &elims,
ts ms bsS ksti ts mirs.
Plaka. T$s &elims do, vre dials,
ts t a bsfi u mono-fials:
ts t a befi u mono-fials,
ts mos dzsts tiatrs dials.
Diali. Kaie plaka bdbszo!
ts martonhem dua i ndari:
ts martonhem dua i ndari,
ts ms tSoS grua nga Frari,
ed& ts kets, bdbszo,
eM ts kets Sums mulke:
ed£ ts kets Sums mulke,
foba, yroS; ts jet e kuke.
pra ts kets, bdbszo,
pra ts kets si ts zes:
pra ts kets si ts zes,
kur t e mar, <$i&s ts keS.
4*
52 VII. Abhandlung: Meyer.
pra te jete9 bdbezo,
pra te jet e Skürtere:
pra te jet e Skürtere,
e helTcur edi e bükure.
pra te jete, bdbezo,
pra te jet e blerme, dua :
pra te jet e blerme, dua,
pra do beii ajö pre mua.
pra te kete, bdbezo,
pra te kete iume pale:
pra te kete Surrte pale,
den e 6i, de Sums male,
pra te kete, bdbezo,
pra te kete rfienteri:
pra te kete r^enteri,
pende, kafi eii itepi.
pra te kete, bdbezo,
pra te kete iume ara:
pra te kete iume ara,
driza iume, drize ara.
pra te kete, bdbezo,
pra te kete foresi:
pra te kete foresi,
tie te mos jene nde Frenyi
pra te kete, bdbezo,
pra te kete meme, täte:
pra te kete meme, täte,
koii te mos jete &ate.
pra te kete, bdbezo,
pra te kete vjezer7 motra:
pra te kete vjezer9 motra
me itepiraze te plota.
2.
Die ersten beiden Zeilen werden vor jedem neuen Zwei-
zeilenpaar wiederholt.
Albanesische Studien. V. 53
Nene, mor neue!
te vemi nde de t ene!
Katre, pese kalojere
8 munt te ngrijne fie flojere.
atjd poSte nd ajö laka
ka folene fuifuaka.
vre, täopdn, me Sarke n grahe,
sei na nestre n oka dia&e.
eni, vdSaze, e rini,
uje, vireze te pinL
te ketseni, te kendoni,
nere mbrema te vaitoni.
te na &eni kingaze,
Kaure, Turka, Frengaze.
te na &eine: vemi paref
do na dukhej koke mbare.
te na jipne buk e dia&e,
mamuzeze te na mbaÖne.
&erni, piKni, hani, pini,
po doniut te mos jipni.
d-erni, zien atd mute,
pse doniut atd s iSte.
üerni HUtezen e baröe,
pißni kkmbezen e pare.
zöfete Mini nde pru§9
le te haje gi&e-kuS.
haide, pik meUit e barda,
po nga ziarmi ndara-ndara.
haide, pik melHn e zeze:
tiatre (je s kam, kakozeze.
haide, vemi nd at kroi,
t$e ka he aö reza ftoL
54 VII. Abhandlung: Meyer
ka prepöS fie reze rap:
nd anike fldtezet i hap.
ka t%4 tor ede iie mole:
e ka mbiele dor e nonie.
•
pra ka reze midale,
atj4 Iie vaiez üt e fle.
iite vdSeze pa meme:
frik i arte edi gerne.
täte vdSeze pa täte:
§em i arte edi flake.
jane reze di, tri dar da:
tri kopiUze te barda.
Hera iUe Fanariote,
jatra Ute Kranidiote.
ajö jatra, e tr&teza:
ah, i ziu, e Skrdteza.
kalt e hiiime Ue üte7
tSe nde kozmit tiatre 8 ufte,
gote ka e kHl 8 i mer:
8\u i saj ti te &er.
d ajö vate iie me Frenga,
e i &a: ea nga bsnda.
vate Äe Amerikdn
e i taksi i\e fustdn.
vate ede Ae Frantsöe
e i &a pre t e %ria68.
vate edi fie Prueeidn,
po e beri e rij e klan.
atj6 vate edi ne Turk
e i &a: §aur kutsuk.
ajö i S-a: siktür te veS,
t&e me hin pre ti nde vesf
Albanesische Stadien. V. 50
<jel burdah! vdSsz e mirs,
ts ts bsn u kalomirs.
bar u, Turlc! kiö i fhi,
pss d-rislcia nsk e doi.
gel burdah ! le jem u Turk,
mos e kij ti kaue turp.
ti je Turk — si Ken vromJps,
pr ans te te vin, ms zeks.
gel burdah! giderum ndara,
te te ves u nde ts barda.
haide, Turk, mos ms Ssrdö!
u do mar ns tSs ms do.
vdte edi As Skodrdn;
,u nds duar ts ts mban.'
ajö i &a: je Sum i traSs,
ti ms mua 8 ke ts baäks.'
vate de fis nga Russia,
drasdo! i Sa, jam nga Vlahia.
Uups je, undrs ms Sans;
u do ts ts maf ti pr ans.
prs ts vemi nds Russi,
do ts rims nds VlahL
tS üte Urs grurste,
d&ndhens katirsts.
atje jane yro§ florin,
me lopata s i vsrvin.
atje jans Venetsidn,
tss-kur jans, ment s i mban.
nsks vin u, Vlah, po iks!
nga atö u s kam dorn friks.
vate ns nga Jermania:
mirs dite, Urania.
56 VII. Abhandlung: Meyer
ben venuto, Jermanö!
mua me &one Qeanö.
poU atje* nde Jermani
me &ane, do ÜoUeri.
dua As te diture,
nde kurm te jet i Skiture.
te me flas8 Frantsozist,
ketu ati ede ikTerÜt.
te me flase ElliniU,
§i&e mone ArberiH.
tuti glühet u i di,
po ti be me Solceri.
soyez tranquille! do bbxhete,
po dit ajö te ginthete.
nestre, dej, do beme paSke,
ahera te vemi baäke.
po te tSoiieS ne vapör,
jo kardv g ata traepör,
pee jam vaize e> zali ehern,
t$e per de paraliilxshem.
guten Morgen, Qeanö,
do te tf a #em u ti kalio.
goede nacht, &one nd Ulande,
ve&i i it iSte perlande.
ine zot te bene ere,
pre te vemi na ne here.
le te frvhe ere Sume,
sä te ngrere deti §kume.
pre te Some Jermanine,
atji ti täe ke ätepine.
le te frvhe ixe vore*,
zeme nde kavo-Male.
libanesische Studien. V. 57
le te frifte fie garbi,
vemi ne nde Jermani.
le te frifte täedo ere,
do te vemi dorie here.
sa te daXm andij nga Malta,
kuS veidön ahera prapa.
sa te Skoime THmblitane,
do te jemi fundit t' ane.
do me Ke$ ti grua mua:
pee nga fort u ti te dua.
e&6 mote Sume, diilm!
3.
71b me &eje9 pse z nie doje:
u 8 te vine ti pasoje.
po me &oje pee z me do:
pra te ndiek u ti ga-do.
po nani me &ua: ilce!
tie me hiri mua frike.
te me &eje Ue-nd-ar%i8,
pee: ,dimitri, te mos vis/
u do veje nde ne tiatre,
me kerköhene tr' a Jcatre.
Ue me jep ne miTe yro8,
pre t i H atit prepöS.
do me vefe nikoJcir:
Jca taksid at pre Misir.
u do jap e u do mar:
nga done u 8 kam habdr.
e ti mua do kefitös*,
vetehene do pengö§.
do kettös tie te Serbeva,
e ti flere nd ato Speia.
58
VII. Abhandlung: Meyer.
e u nani bsnhem zot,
pse ms duane nga fort.
do ms japsn edi grua, „
jo si ts tis man hua.
do ms &es: Jimitrs dials,
ea ti me mua pr ans.
e u ms do mos ts vhi,
de 6s tiatre vait e hin.
pse ti kurs nder z ms da$e,
po ts Sara ti ms da$e.
do ts vete nds n Obre*,
prs ts bsü de u pari;
prs ts bsn fis pends Ue,
prs ts mbiel u nds de.
grurs ed elp ede zmiyd&,
prs ts bsü sorö ts mad-.
do punön ede ts huai,
prs ts bis di a tre bunt,
tSs m atd do Skier densy
si timoni Skier dens.
e do kern Stspizs t ime,
ts ts viAe e pa-prime.
4. Vierzeilen und Verwandtes.
i. U ts Sase Sums hers,
se me mua ts mos keS
kSitsts, tis vait e &a$e:
skularifc var i nds veS.1
2. Mor e barda si pumbdk,
kas u, ts ts pu& nds bark!
kSitsts täs kemi $sns,
dubbie ede* jLurifi u bsns.
1 Variante: ot& U kuJc var e nde vei.
Altanesische 8tadien. V. 59
3. Ah, te dije te kendone,
Sume zemera do zgone:
vaiza ka sevdd me mua,
po jam demon e 8 e dua.
9gli6tet uje neke mbäne
nga undzats Ue kane;
vätulate me t u dzine,
mos u ke vene vaßnet'
,u 8 u kam vene vafine,
vet e karte bukurine/
ah, te dije te kendone,
iume zimera do zgone.
ngah vaite, zemereza imeV
4. Ah, i ziu, Ue u kanoniSe
nga ne vaize Ue u limbiSe.
u Ue jam nde de te huaj,
ei pofir sevdane t uaijf
buza m u te murendua
nga sevdd, po ti z m a %hia.
5. Ea nani, ea nani,
viteme jam, Ue 8 kam fieri.
6. Mori, Ue glani kimbete
e zini gi&e dromne,
mir &one edi trimate,
t i greme, te preSkoime.
7. Anga&aKi nga kranidi
grapi pldkene nga pidi.
8. Mor preftreSe, papandie,
Ue te ben prifti, kur biet
me Uepdn me ne fendüe,
di-Ue zdharid' me Hie,
9. Nde kltie kur beUdheni
e &oni e po &oni,
per neu eii per tiitrene,
tuaijte 8 i viZdoni.
60 VII. Abhandlung: Hey er.
10. Nd ajö vretta, nd ajö fitea,
atjd jam, po, haide, ea.
IL Tä lA&QiuxQa Tacnu£a>,
güfete i dermön,
xal vip dixfy uov iy&fttpr
kure nek e ha fön.
12. Ndei nga maldi,
ndei nga Skindi,
mbetede kokoreteeze,
mori, teulufe-drideze.
13. Dielt Me proto-del
nde ätepize t ime viSn:
po po, u er e me zu mbrsma,
e do me Kertofie mema.
14. Buti ti Ute nden avli,
8 ha vere, po ka raJci;
jeter ti Ute ndene dere,
s ka ralci, po iit me vere.
»
15. N8 me sisa te mbedd,
Uukala'it i ra damld;
e fa me didkeze lehön,
tsukalai e vu nde dron;
e ns me dJtdkeze psidi
tsukalai e §tiu per de.
16. Mori, btfezo, ku je?
Jketü jam, tie do, merit
kakoyramen, nd e ndzefte tata,
ee ndzure e na trien nga prapa.'
mori, bitezo, ku jet
Jcetti jam, tse do, merif
kakoyramen, nd e ndzefte mema,
se ndzure e vUn nga mbrema.'
mori, büezo, ku jet
,ketü jam, tSe do, merit
kakoyramen, nd e zefte vtai,
monodufeUi te vrä.'
AlbftnenBohe Studien. Y. 61
,eja, meri, eja, meri,
v6teme jam e 8 kam fori.'
17. Hai te vemi nd atö biete!
}fiaide ti, pra vvh u vete.'
haide vemi nd atö lakra!
,haide ti, pra vifi u prapa.'
18. Mori ti, mori7 ku vete?
mori ti, nde krua vetef
mori ti, Ue do nde kruaf
,te mblofi vüteene', me &ua.
19. VdSaze, kur stolüheni
e da vini nde kliäe,
kondoi te mos u Upshete
e jeni pa kemiSe.
20. Mori, tSe gXani kimbete
e zini tuti dromne,
e neke Uni mite plak
all ute trim te Skofte.
B. Lieder aus Hydra.
1. Lal Jorjdli, lal JorjdK,
bief i Jcenit me kamdJc;
lal JorjaU, lal Jorjdli,
bief i pidit me kamafc.
2. VdSeza kur krihete,
do kare te Kihete.
3. VdSeza kur Seh kosare,
do tri7 katre litre kare.
4. Atd leS me ketd leS
tSe perpiJihene 8% deS.
5. More ti, mor, Piperine!
me &ane ee ndzore line,
me &ane se ndzore Sume,
si at Suri ndai te lume.
62 VII. Abhandlung: Meyer.
6. E pime ketö vere
e dieime keti dere.
7. Ah, i ndari, te te ki&e
pa ftistdn e pa Tcemiie.
8. Kakozi, kakovramSn,
ndzer i ati t&e ke nder ment.
§
.9. Ne Jcarave prima-prima
me tri diite pese trima;
fie karavi orUaortsa
me tri dUte pese dosa.
10. Roike e kambdneee,
pi& i Annese.
11. KuS e priii lödrenef
T i Jcieime te mötrene.
Abzählreime bei Kinderspielen aas Hydra.
1. pater nezi
ka 8% sizi:
tumba tula,
petita filli :
enne mari.
kutsa valli
ma88a mari.
• 2. Vatre Sin vatre,
is tie grua plake,
plake ferlinge,
di TurliiH e Arberist,
dzengeze, po dMngeze9
paToydidaro FrenJjeze.
3. Red-i, re& i kimbeee,
phu, nde pi*} te 8 e*me8e.
G. Liebeslieder aus Griechenland.
1.
Ra kambdn e Sen-Merlse,
ngreu, vdjezo, te veU nde tti§e.
Albanesiacbe Studien. V. 63
ra kambana di tri here,
ngreu, vdjezo, te ri§ nde dere.
prifti me priftrüene
vann' te vieRn vrtätene.
erden tore tofe drise,
ukuklosen fce te dize.
2.
T a kam fene di tri here, '
sovarö te mos me mbas;
fve zot Jce kam i ndari,
ede* ati do m e ha$.
3.
Eja nani} eja nani,
vetem jam e 8 kam fori,
eja nani te pu&emi,
sä jemi dieTm e dühemi.
4.
Damianos* e traS e jfere
Uro % VoIiJcit te flere,
Damianese DamianeSe,
je putir ed£ foneäe.
5.
Mori vajz9 e bliese,
Her i vat kandilese.
mos i Here kalce iume,
se duam edi te Hüne.
6.
I biri Kolonate8,
tSe fine primn* te varkes,
at sa Ueä e sa fi!
ka kuburen me Jcendt,
ka Jciriakulen nde <ji.
64 VII. Abhandlung : Meyer.
7.
Mori bitäe Ambelalcote,
kemi vent te fleme sontet
kernt, po z gutsöfi nga mema,
8e na dzen na v%4n nga mbrema.
8.
T&dnezo, bifezo,
bit&e sevdattezo!
Hans moj, bite moj,
te kerkön yrammatikou
mua me ka &ene mema:
di fTorifi te mar nga mbrema.
mua me ka &ene tata:
te map nga di kolonata.
Tlana me Dimöputin
Sditine PirgöpuUn;
Tidneza me KitSone
Knine reetiUone.
D. Uebersetzungen von Kupitoris in den Dialekt von Hydra.
1) Ein gegisches Lied aus von Hahn, Albanesische Stadien
H 145, Nr. 7.
M u helmua milcea kalte,
sa me mua z do me te flase;
t$ i kam bene vav u i mjeri,
8e 8 e dua, kure 8 i &a$e.
po nde &oi ndo-Ae, nde me piien,
8% ixer nan me milcene hkove,
be i befie per tene zone,
se 8 i priSa zimrena kure*
2) Aas de Rada, Poesie albanesi I, Corigliano Calabro 1873,
S. 34, Nr. VI.
Pee nde det po te vene
mende, zimsra jimet
zbarde ndvete turka,
pan, altera u-f Sehne;
Arberts i er& dita.
libanesische Stadien. V. 65
kXoftel vemi nde lüfte,
vdikm mbi Strat, nde mos vdekHm
ne perpara Stepivet;
pse hafoime nde böte
vlezer, Soli eii kroje
edS vent e katundit.
nan, Ue nata e zeze,
nan, tSe Hdi i bute
halte mblon tSedö ude,
hapni direne juve,
ti u-mbelod'te kopile,
pa-kutdes e ketseni.
fort e madea vaize
me rembefte ka dora
buzekeSmene time,
e m e sefte nde vave
e le gwfie ka turpja;
mesit fdfcese äenk&i
e deftön kur te ke&tie.
pra nde si nd u-perpjekiim,
deu u-rbarte i tere.
E. Ans Athen.
Byron, Childe Harold II 32, Anmerkung.
1. Bo bo bo, bo bo bo,
na tS arura, po pu$6.
2. na tS arura, na tSe vin,
hape dtrene te hin.
3. hape deren e äkrdtene,
te vin te mar Servätene.
4. Kaliriote me surmS
ea, hap, pse dua te ve.
5. bo bo bo, bo bo bo,
fiebern, Spirt e zemero.
6. Kaliriote, vure funde
ede vete tunde-tunde.
Sitzongsber. d. phil.-hist. CT. CXXXIV. Bd. 7. Abh. 5
66 VII. Abhandlung: M«y«r.
7. Kaliriote me surme,
ti me pu& e poi me le.
8. ee te pu&a, Ue ts morat
zimerene vetem dojja.
9. vdiene hiTlc e nga dale,
tSele mori, mori tiele.
10. plühurite t trete,
pluhurön Uaprdzete.
11. nde sevdd t end u lavoSe,
veteme u prevelofSe.
12. a vaizezo, me prevelove
zimerene me lavose.
IS. u te &a$6} roba z dua,
Site e v&tulat e tua.
14. roba, 8 tin orji, 8 i dua,
kurme&ine vetem dua.
15. kürmene dua tie veKn,
föbate ziai*mi t % djekne.
16. u t' ayapisa, vdizezo, me sanieren te hapte,
e ti me bere, dpiste, ei ne Sendrö te d-ate.
17. nde vura dörene ndere tsitsate, Ue te moraf
doren e &ate hollia u e66 kaimone mora.
Das griechische Original zu der letzten Zweizeile ist ans
Chios belegt bei Kanellakis, Xtoxa 'AvocXsxto Athen 1890, S. 24:
fiv eyyiaa 'a %dv xÖQCpov aov, elwa '#>a, etwa 7tfjQa;
TcaiQvw tcc xeQia ddeiavä %al tty xaQÖia %a\iEvr\.
Lord Broughton (Hobhousb) Travels in Albania and other
provinces of Turkey in 1809 and 1810. A new edition. London
1858. II 433.
1. nde vdekSa, te me KaseS mbe gropa tf argaUse,
te te kumbisem bende, te me pu§tro§ me sise.
2. vdeüa edä me savanosne
e pastdj ms metanome.
3. vdeüa eÖe nde kliSe me Kalne,
e pastdj rijne te klane.
Albaoesische Studien. Y. 67
B. Glossar.
d9eta EW. 2: jd&ets -i m. ,Wade'. N. Entspricht dem
i ä&ets des Kav. Zu den EW. gegebenen Vergleichungen füge
man noch hinzu die altpersische Wurzel a#-, die F. Müller,
Wiener Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes VIII 181 f.
bespricht.
ayuride f. ,unreife Traube' R. = aguride EW. 4. Bul-
garisch neben arypH^a auch rype^a Sbornik VII 459.
a\U ,achl' Fab. 46. ali dass. Ngr. älloL
qj EW. 5: snds gr. auch »Gedanke, Verdacht, Sorge'
R. N.
akss .würdig, fähig' N. Aus ngr. ä£og für ä£iog.
all ute Lied S. 61, Nr. 20 = dtä oüts.
altane f., Plur. altdnete ,1) die schmalen, etwa zwei
Fuss hohen, gemauerten Blumenbeete, womit die Terrasse eines
Hauses ringsherum eingefasst ist; 2) die Terrasse selbst, der
Söller/ N. Aus ngr. dlrdva = it. altana. Vgl. Verf. Ngr.
Stud. IV 8.
atamdn EW. 8: alamin in der Redensart u beSs alamin,
die, wie u bsSe Turk, so viel bedeutet wie lYtva Sic&ßoXoq von
einem, der sehr aufgebracht ist. R. Wohl it. Alemanno.
amd% m. ,Kampf, Krieg' EW. 9. Auch gr. N.
amarti f. ,Sünde'. Aus gr. ä^ia^tia.
ami ,aber*. Ngr. iptiT]-
anadoli EW. 10: in Griechenland die gr. Form ana-
toli ,Osten'.
ans ,Gefäss' EW. 12 unter ans ,Theil'; Plur.;en«. Gr. ens
,Geftss' N.
an dm , Winde' EW. 12, auch griechisch.
anemik ,Feind' EW. 12. Gr. nach N. enemik.
anga&aJci m. ,kleiner Dorn'. Ngr. dyxa&diu.
aniks m. ,Frühling'. Ngr. Hvoi&g.
dpiste f. ,Treulose'. Gr. Umaxog.
apsi&tf. ,Wermut'. N. Aus ngr. dtyiSid von agr. ätpivd-og.
5*
68 VII. Abhuriluif: M«y«r.
araUe f., Plur. araliets , kleine Platterbsen '; arnJU t
6gers ,filzige Wickel N. Gr. äQaxwy von Sqccxoq eine Hülsen-
frucht; ngr. gewöhnlich &Qaxäg.
ardp ,Neger' EW. 14. Dazu arape ,Negerin', arapüi
,arabisch' N.
dreze EW. 14. Die geg. Form dneze ist auch gr. in der
Bedeutung ,kleine Wespe, wilde Biene'.
argatt f. EW. 15 , Webstuhl'; auch gr. in dem Liedchen
aus Broughton, S. 66, Nr. 1.
argds ,verarbeite'. Gr. doyd^a) aus iqyd^io.
argastir /Werkstatt'; gr. djfyaorrJQi aus i^yaar^Qior.
argome ,Brachfeld' EW. 15 ist auch griechisch.
arjjdnt ,Silber' EW. 15: gr. f^snt ,Silber', r§mt*ri f-
,Silbergeräth'.
arhi EW. 15: nd aryU ,von Anfang an*.
arkude f. ,Bärin'. Gr. dQ%oüda, das Augmentativ zu der
Deminutivbildung dQxovdi von ÜQxog ist. Dieses ist eine vul-
gäre, auch in der späteren Literatur auftretende Nebenform
von ÜQxrog, die dem ar- aus arh- ark- (vgl. tjer ,spinne' aus
tierh, tierk EW. 431) entspricht, welches alb. ari ,Bär' zu
Grunde liegt.
armdr ,Schrank, Kasten' N. Gr. dQfidQi aus lat. arma-
rium. Verf. Ngr. Stud. III 12.
armi f. ,Salzbrühe, Salzwasser'. Ngr. dq^iid von doutj
,Salzbrühe' = agr. 8Xpr]. Dazu auch armirt f. ,das Gesalzen-
sein', ngr. &q(ivqa von agr. AXfivQÖg.
armenis ,lande' EW. 16. Gr. ,fahre mit offenen Segeln' N.
arriB f. ,Lappen' EW. 16: gr. auch arn m. , Flicklappen',
und ebenso scut. bei Jungg. ander bei Pedersen ist aus *ands-
rdh = anerön EW. 16 gebildet.
dreze ;Nackenwirbel' EW. 17 unter ai*«. Gr. auch ,Adams-
apfel' nach N.
afkii sie. EW. 17 unter ariii ,komme an'. Auch gr. R. N.
arnls ,leugne' EW. 17. Gr. arnis. N.
askdd- ,überreife Feige' EW. 18. Gr. nach N. eine Art
schwarzer Feigen.
askuvaze ,Kröte' EW. L8 ist asktivazs zu betonen.
attü ,so' EW. 19; davon eine Deminutivbildung a$tu$ N.
vgl. Verf. Alb. Stud. I 34.
Albanesisohe Stadien. V. 69
asteng EW. 19. Gr. auch ,Schmalz' N. Das ebenda
angeführte tsunge wird nach R. auch vom Zahnfleische der
Kinder, bevor sie Zähne haben, gesagt.
B.
babs ,Tante, alte Frau' EW. 22: bdbeze Deminutiv. Hiezu
gehört auch babezi f. , Verwirrung, Lärm'; der Lautcomplex
hob dient häufig zur Bezeichnung des Schwatzens.
bagaS ,feiler Bursche, Lustknabe', N. Männliche Bildung
zu it. bagascia ,Hure'.
baige ,Kuhmist' EW. 23: baiige f. ,Kuhfladen' N. Dies
steht der südrumänischen Form des Wortes am nächsten. Ueber
die Etymologie s. Verf. Idg. Forsch. VI 116.
bqj ,mache' EW. 23: bstim /vollendeter Mann, Gentleman'.
baks , Wanst*, bakahär , Dickbauch', bakös-zi ,Dickwanst'.
N. baköS dass. R. baks ist das lat. bacca ,vas aquarium'
bei Isidor, wozu auch , bacar ,vas vinarium simile bacrioni' und
bacrio ,genus vasis longioris manubrii' Paul. Fest, gehören.
Auch wir nennen einen übermässig dicken Menschen eine
/Tonne' oder ein ,Weinfass'.
bals f. ,Ball, Kugel' N. Aus ngr. fitt&Xa = it. palla,
vgl. Verf. Ngr. Stud. IV 56.
bang-u m. , bange f. ,Bank, Schulbank'. Vgl. bango
EW. 26. Zunächst ngr. ^indynog und |U7royxa, s. Ngr. Stud. IV 56.
bar bar 6 8 EW. 26. Die von mir dort ausgesprochene
Meinung, die von v. Hahn angegebene Bedeutung beruhe auf
einer Verwechslung mit bavarfa ,Baier' ist richtig; nur kommt
diese Verwechslung wirklich im Griech. vor, wo BagßaQe^og
für BctßoQeXog gebraucht wird. Fallmerayer, Fragmente aus dem
Orient8 389.
barbün m. Fischname ,mullus barbatus, Rothbart.' N.
Gr. firtaQtifi&üvi Verf. Ngr. Stud. IV 58.
baitdrt , Bastard' EW. 29: beHard-di zunächst aus gr.
tmaoräQdog. Verf. Ngr. Stud. IV 58.
baSteke f. ,taglie, nde antenne, tSs Skonns mandilcete' R.41.
Aus it. pasteca ,pezzo di legno a mezzo cerchio che serve per
tener fermi i ganci delle scotte' Boerio 480.
bataks ,Kartoffel' EW. 29. Auch batate N.
70 VU. Abhandlung: Meyer.
bed£une Junge Taube' EW. 30: gr. bedzune N., aus
dem Plural izitoovvia.
bekri m. ^Trunkenbold/ Ngr. (tftexqijg, aus tttrk. ^yü
bekri.
beS Adj. ,losgebunden', von Thieren. R. 89.
beUdr ,ledig' EW. 34. Gr. beMr.
b 6t Säte in Hydra, b6zaze in Spezzia ,auf allen vieren' R.
biota f. pl. nautischer Ausdruck ,xa xaprco6£ia twv e^op-
-rfwv4 R. 42. Wahrscheinlich it. iiotto.
bitSele, in Hydra bizgele ,ganz voll', vom Einschenken
R. 43.
bokale f. ,grosse Flasche' N. Aus it. boccale; ngr.
finoKdli Ngr. Stud. IV 60.
6or« ,Hode' EW. 41. Gr. 6oZ ,Kugel'.
bolt§, bultS, butS ,das Aufschlagen der Steinchen beim
Spiel <£{Aflföe<;'. R. 43. Wohl lautnachahmend. Ueber das Spiel
Verf. Ngr.' Stud. IV 9.
bore ,Schnee' EW. 42. N. unterscheidet bore ,Schnee'
und böte , Sturm wetter'. Ist das richtig, so ist bore mit
seinem v von dem ebenfalls gr. alb. bofaeke aus it. burrasca,
borraeca beeinflusst. Hieher gehört auch borole ,trübe' vom
Weine. R.
borike ,Fichte' EW. 42. Diese Betonung wird die rich-
tige sein, denn auch N. gibt als gr. borige, und sie entspricht
ausserdem bulg. borika. Nach Jireäek, Bulgarien 34 ist bjala
borika ,Kiefer, pinus silvestris', 6erna borika ,Schwarzföhre'.
Allerdings weist serb. öopna ,pinus silvestris', bulg. belobörka
,Kiefer' auch auf die Betonung borika.
bot 8 EW. 43: hieher boSlce, botske f. Pflanzenname, ,sciüa
maritima, Meerzwiebel' R. 44. 108. Ihre Blätter, welche die
Kinder in den Mund nehmen, um damit zu pfeifen, heissen
kifkikive. butsete ,rundliches Mädchen', R. 45 ist = butseEs
,Tönnchen' EW. a. a. O.
brakatSe ,Krug' EW. 44. In Spezzia und Porös bra-
hatsB R., zunächst aus gr. TtayxQdrin ,Schöpfgefass' Leukas,
Syll. VIII 393.
bred-, brefi ,nage, esse' R. 46. N. Identisch mit brek
,nage' bei Jungg. Wurzel kann bhren- sein (& = h gehört
der Präsensbildung an), zu lat. fren-do ,knirsche mit den
Albanesische Stadien. V. 71
Zähnen, zermalme' an dessen Verwandtschaft mit fremo ich
nicht zu glauben vermag.
bres m. ,Gürtel' EW. 46. Gr. auch ,Holzlage in der
Mauer' N.
brese ,Cicborie' EW. 47, ist nach N. ,Endivie, Cichorium
endivia'.
bretek EW. 47, in Spezzia auch ,Spanferkel' und ,Gelb-
schnabel' R. 46. In den aesopischen Fabeln kommt auch die
Form bretek vor, vgl. rum. brätdc neben bröatec EW. a. a. O.
brenda EW. 47 , drinnen'. Gr. ausser mberda auch
mmerda. Pedersen führt mbernda an.
bri ,Horn' EW. 48. Gr. bri-dasit Pflanzenname, ,eryn-
gium viride', eine Distelart. R. Eigentlich ,Widderhorn'.
brüsk ,herb' vom Weine. Aus ngr. fi7tQOvaxog = it.
brttsco. Verf. Ngr. Stud. IV 64.
bubdr m. ,gefilllte, am Spiess gebratene Eingeweide'. N.
Nach R. 45 bumbare. Zu der EW. 53 u. bumbulit bespro-
chenen Sippe bumb:
bubui-bubuS ,mit vollen Segeln'. R. 45.
buhdr EW. 51 = tlirk. j\±> bu^dr ,Dampf, Dunst'.
Davon buharisem , schnaube', von Pferden und Ochsen. N.
R. 44.
büke EW. 51. Damit sind einige gr. Pflanzennamen
zusammengesetzt, wie buke-Tepur, buke-Uiep, buke-tsiap i malit
R. 46. 103. bükeze e kalmit ist ,Mark' R. 104.
buFber m. ,Schiesspulver' N. Aus it. pohere. Ebenso
in S. Marzano burble nach Prinz Bonapartes, burbule nach
meinen Aufzeichnungen.
bun ,schlafe' geg. v. Hahn. Dazu gr. uje te büiture
,xo[A{ju£vov, verschlagen' R. 90. bwh vielleicht aus bugnjp, zu
idg. bheugh- ,biegen', Grundbedeutung ,sich hinkauern (zum
Schlafen), vgl. lit. bükti ,sich erschrecken' (sich aus Furcht
ducken), büiture = bukture.
burse f. ,Börse'. Aus it. borsa oder frz. bourse.
burtulake f. ,Portulak', Pflanzenname. It. portulaca.
busture f. was sich im Magen der Wiederkäuer be-
findet. R. 45.
bu$ 1) ,Rohrkolben' N. Wohl identisch mit bu§ EW. 56.
2) ,Wauwau' N. R. 45.
72 VII- Abhandlung: Meyer.
but ,8chenkel' EW. 56. Gr. besonders ,Hammelkeule'.
bü&8 EW. 57. i ra bi&a ,sie bekam Lust' Märchen Nr. 1.
D.
da f ins EW. 58: dafne ist auch gr.
daldis EW. 59: dale ,toll, tollkühn, muthig' N.
dalndüüe ,Schwalbe' EW. 59: gr. talanduSe.
dameSanne f. ^Korbflasche' N. Ven. damegiana oder frz.
dame-jeanne. Die ngr. Wörter 8. Verf. Ngr. Stud. IV 25.
dano-a ironische Bezeichnung der Bewohner von Arges;
auch ,Dickschädel' R. 53.
datule f. ^Stechapfel, datura stramonium'. N. It. datura.
dege ,Zweig' EW. 62: dazu deges m. ,grosser, starker
Mann, joli brin de garcon' R. 55.
detiöj EW. 63: für geg. dqh7 gr. din , würdig, werth' N.
der s ,Thür' EW. 63: der es ,Thürhüter'.
difsTe Pflanzenname. R. 54. Zu der ,Schwein'?
devrs ,Umkreis' EW. 64. Dazu deverdA R. 53.
dsnt , mache dicht' EW. 65: ndsndhem , stopfe mich
voll'. Das Wort ist wohl lat. tendere.
derldk ^Kälteschauer' ; e zu dsrlaku dxoXuxpuwse.
dermöfi ,zermalme' EW. 65: gr. dremdfi, ,zerreibe, ver-
krümle'.
der stire ,walke' EW. 65. Gr. auch dsrstil m. N. der-
ttitdr , Walker'.
• dsHön ,abortierc' EW. 66: in derselben Bedeutung nder-
Stdn R. 92.
di ,ich weiss' EW. 66: diHm ,Gelehrter' N. R.
Die in den aesopischen Fabeln Uebersetzung von 2Zevg,
aus dem Acc. 4ia.
dite f. ,Tag' EW. 68. Dazu gr. m diteze ,einen von
diesen Tagen', gewöhnlich ,vorgestern'. dum ^ep^stoi;'. di-
täim ,einige Tage alt'.
di-teili jemand' Fab. Nr. 85.
dja&e ,Käse' EW. 69. Dafür gr. ein altes di&e noch
in der Verbindung java e (njdi&it = Tuptv^j eßSoj/ic, die dem
Albanesische Studien. V. 73
grossen Fasten vorhergehende Woche; Gegensatz ist java e
misit. R. N. dja&e nga krie ist xe^aX^atov Tup{, 5epox6pt; dja&e
te tikit oder Hrkut TouXou|x(atov xup(, Schlauchkäse.
djal /Teufel' EW. 69. Dem. djaU». N.
d/ei ,Sonne' EW. 69. Gr. Sine djeh /Affe /.upio*^' ist
die Accusativform, wie mare ,Dienstag' EW. 261. Vgl. Pedersen
135. djel'dridss ist ,Sonnenblume' fjXiOTQ&rtiov, zu dre&.
djerse , Seh weiss*. Gr. auch djers , schwitze % dersi,
dersime f. ,Schweiss'. N.
dorovate ,Brombeerstrauch' N. R. Wahrscheinlich um-
gestellt und entstellt aus ßaTÖ(iovQa, wie die Brombeeren ngr.
heissen.
dose ,Sau' EW. 72: döseze heisst in Athen der Theil des
Pfluges, der sonst söreze genannt wird, nämlich drud* tse mban
Spdtezene sipre nde stavdr R. 87.
dre& EW. 73: dredje f. ,Zaunwinde, Ackerwinde, Ranke/
N. dre&eze ebenfalls ein Pflanzenname ,TCEptxXox(8a, convol-
vulus', auch ,cynanchum' R, N. Danach berichtigt sich, was
EW. 74 unter dre$e über dre&eze gesagt ist. Hieher noch
dre&dn ,wende mich, drehe mich nach der Seite' N.
dreits EW. 74: ndren gr. = ndreJc R. 105. drite ,direkt',
dritem ,richte mich auf N. stammen aus it. dritto.
drera, Sene drera = "Ayioi 'Avip^upoi (Name der Tage
vom 1. — 13. November). R. 105.
dri&e ,Getreide' EW. 74; in Athen speziell ,Gerste'.
dri&€8 m. ,Getreide-, besonders Gerstensieb'. R. N.
dromt88 f. ,Bissen' EW. 75: gr. dromsa pl. ,Krüm-
chen'. N.
«
dru EW. 75. Zu duik ,Eiche, Gesträuch' noch gr. in
Porös duSke, in Spezzia duduSke ,dichtes Laub'; auch von
einer starken Frau gebraucht. R.
dubbie pl. ,Dublonenl. Ngr. ddftma aus it. doppio.
du de f. ,dickes Stück Brot' R.
du kern ,scheine' EW. 76. Gr. dükhete ,nämlich'.
dulpekön EW. 77: gr. auch dublikös N.
dti EW. 78 ,zwei'. Gr. dize ,zweifach'.
dzidze EW. 79: auch mit Tenuis Uiteke, UitSke ,ein
bischen', vgl. Ngr. Stud. II 89.
74 VII. Abhandlung: Meyer.
dzire: mali i dziresa wird die xoxr, axaAa bei Megara
von den athenischen Albanesen genannt, R. 92, = ,Gebirge
der Zerrissenheit', s. EW. 70 unter djet.
diube EW. 82. Nach R. 92 ist dZumbt auch ,einer, der
die d2. trägt'.
dZumbö ,bucklig', entstanden aas Contamination von it.
gibbo und gobbo.
dakös ,beisse' N. Aus ngr. dcnuhvu) = daxw, dapuxrw.
dalte EW. 83, nach N. ^geronnene süsse Milch', im Gegen-
satze zu kos ,halbsaure Milch'.
dqmp EW. 83: gr. auch derote f. ,Zahn'. dembtidt m.
(mit hat ,Karstr) heisst eine Person mit grossen und breiten
Schneidezähnen; demba%ak eine Person mit langen und vor-
stehenden Spitzzähnen, auch /Wildschwein'. %dk bedeutet nach
N. , Hakenzahn, Haken'. Mir ist das Wort sonst nicht bekannt;
das deutsche Haken mhd. hake, ist zwar ins Üechische und
Polnische entlehnt worden, scheint aber in den so. slavischen
Sprachen nicht vorzukommen, so dass eine Vermittlung für das
Albanesische fehlt.
de ,aber'. Gr. dL
demön EW. 84: demonisur , besessen', bar-demonit ein
Pflanzenname.
dendrö ,Oelbaum' in Attika, aus derÖQÖ neben devdgo.
dera-te pl. f. ,abschüssiges Gebirge', speziell das Ge-
birge gegenüber von Porös R. 23. Gr. de^- 4e<>at hiess ein
Kastell in Sikyonia: Bursian, Geographie von Griechenland
II 32; über andere Orts- und Gebirgsnamen , die hieher ge-
hören, vgl. Grasberger, Studien zu den griechischen Orts-
namen 84.
dt f. ,Ziege' EW. 85: dir* ,zur Ziege gehörig', z. B.
mii t€ dirs ,Ziegenfleisch', traste e dirs ,Brotsack aus Ziegen-
haaren'. N. R. 17. 24. Pedersen hat dirs ,von Ziegenhaaren'.
di%t m. ,Netz', aus gr. dix?v = dUwov.
öiküt EW. 85: dücet m. ,Gartenhaue' aus dtxeiUU, di-
Uefe f. dass. aus dUsXka. dikute f. ist ,Heugabel, gezähnte
Wurfschaufel zum Worfeln des ausgedroschenen Getreides*. N.
dodekads f. ,eine Zahl von zwölf (Ministern)'. Märchen.
Albaoeaische Stadien. V. 75
dokdn m. ,hölzerne Falle* N. Gr. doxdn.
dokanike EW. 87: gr. auch dekanike ,Stab der Geist-
lichen in der Kirche' N. Vgl. Verf. Ngr. Stnd. in 20 f.
dorne f. EW. 87; gr. bedeutet es /Terrasse, Dach, Dach-
stube'.
Srak m. ,böser Geist, Gespenst'. Gr. ÖQcmog.
drom EW. 87: drometdr /Wanderer'.
6 rüde f. ,Krümchen, Stückchen' R. Assimiliert im An-
laute für drude derude, s. EW. 370 unter rudo.
duetn ,ich bitte' N.
dune ,Schmach' EW. 87: dazu dendn ,beschimpfe' =
dundü a. a. O.
durön ,schenke' EW. 87 5 dem Radaschen durtU ent-
spricht gr. durstile ,Geschenk, Gunst, ydpi^.
0.
9agme ,Wunder' EW. 87. Gr. $ame; &amasem er-
staune'. Auch gr. schon ödfia, d-a^idtu).
$ambÖ8 ,blende, verblende' N. Gr. ^a^jccava).
&arte ,sauer' EW. 88: &are, ödrets ,sauer' N.
»eroke EW. 89. R. 100 hat »eroke. N. hat »roke f.
,Kehricht'. Wohl aus gr. q>QÖY,ccXov ,Kehricht, Besen', auch
q>€QOxdXi bei Legrand. Die Griechen (vgl. Korais, "A-wntTa IV 648)
leiten das Wort von cpiloyuxUa ,Liebe zum Schönen' her, und
in der That wird qtiXoxaXü für ,auskehren' gebraucht (Legrand),
schon bei Hesychios unter oaioei. Aber das ist offenbar eine
blosse Volksetymologie. Wahrscheinlich liegt *q>Qfaah>v zu
Grunde (davon zunächst cpQOvxalaj), das aus cpqvyavov ,trocknes
Reisholz' mit Anlehnung an (pQvaaw = cpQvyo) und Suffixver-
tauschung entstanden ist. In Legrand's cpSQOxdh liegt volks-
etymologische Anlehnung an (pigeo xalöv vor.
Seni ,Niss' EW. 90. Gr. 9ri N.
»jaje ,Tante' EW. 91 : gr. »jake N.
&jeite EW. 91 ist auch griechisch.
öjeitre EW. 91 ,Stiefsohn'; N. gibt die Bedeutung
,Adoptivsohn'.
&ras EW. 91: dazu örase ,strotzend, üppig grünend,
blühend, mit Früchten überladen', z. B. drizate jane &rase.
76 Vn. Abhandhuig: Mcjer.
ÖresKi EW. 91: richtiger »risKi R.
9roni8 ,setze auf den Thron*. Von &Qoritw. Vgl. EW.
unter fron.
&rumbsf. y überreife, halb getrocknete, schwarze Oliven*. N.
d'ur ,umzäune' EW. 92: Öurims f. ,Zaun'.
E.
ehen schärfe'. Zu cal. eh ,schärfe', vgl. EW. 352 unter
pref.
indayms ,Fehler' in Hydra. R. 97. Gr. ertay(ia ist mir
nicht bekannt.
en§sl ,Engel' EW. 95: engil.
er e EW. 96, gr. auch ,Benehmen; Geberde, Miene; Sang-
weise'. N.
F.
fat m. , Essen', aus gr. xö q>at (= <paystv). Pedersen hat
fat ,feines Essen*.
falido ein nautischer Ausdruck ,compositionis funis ele-
mentum proximum, = 3 spagi contorti' R. 83.
farmdk EW. 99. f ärmste pl. f. ,X6*«' Fab. 76.
fimsns , weiblich' EW. 101: &6msrs bei N.
femU ,Stachel' EW. 101: dazu öemböri ,steche, reize' N.
fenir EW. 101; gr. auch dessen Grundwort fandr m.
,Laterne'.
fers ,Dorn' EW. 101 : fers Fab. 80.
fsndüel ,Schusterahle' EW. 103: fsndüe R. 103.
fikhem von Früchten, die durch das Liegen ihren über-
flüssigen Saft verlieren und schmackhafter werden. R.
fiKdl m. ,Offizier'. Aus ngr. cpaudkig Verf. Ngr. Stud.
III 50.
filot f. ,Gespräch, Erzählung' R. 98. Scheint cpiXoloyla
zu sein.
fite f. , Anpflanzung'. Gr. cpvrsia.
floere ,Flöte' EW. 108. Hieher gehört auch gr. fulistra
pl. f. ,Flöte'.
flori EW. 109 ,Gold'; gr. fluri aus tpXovqi
forssi f. ,Kleid' aus (poqwLa.
Albanesiseho Stadien. V. 77
f ratio /tficoTes' R. 84.
freSke EW. 111. Dazu ein Fischname tmze-freSke R. 84.
friks ,Schrecken' EW. 111: friketör ,furchtsam'.
fruSkulifi , pfeife' EW. 112: gr. auch vsrSeldn N.;
neben fsrieldA a. a. 0.
ftes ,fehle' EW. 113 aus ecpraiaa, daneben gr. ftehs aus
eqrtcct£a.
fuds pl. ^Schalen und Kerne' =?= fluds aus gr. <ploddi,
cplovda ,Schale, Kern', von agr. cpl&vg neben cploidg.
fukard ,arm' EW. 114. Dazu gr. Fem. fukareSe.
funde ,Quaste': ngr. tpovvza. Vgl. EW. 114 unter fundore.
fundär-fundir ,eilig' R. 10.
futumdh m. ,unliebenswürdiger Mensch' in Porös. R.
G.
gaidür ,Esel' EW. 117; gr. yaiHr.
g ambro EW. 118 ist zu verbessern in y ambro.
gamile ,Kameel' EW. 118: gr. auch hamile. kamileze
ist eine Art Kinderspiel, R. 69.
garbi f. , Westwind'. Aus Tlirk. v^y garb ,Westen'.
gar& ,Hecke, Zaun' EW. 119. Gr. gardes m. ,Zaun' N.,
,tofe nde uli Ue mban Hjkte* R. 93.
gar gar d EW. 120: yaryare f. , Gurgelwasser' N. aus
gr. yaQy&Qa,
gas EW. 120: pergszöfi, prsgezöA ,begrüsse'.
gastare EW. 121: yastre ^Blumentopf* aus gr. y&arqa.
gat ,bereit' EW. 121: pergatarem ;schirre Pferde an' R. 62.
gtttbsra ,grün' EW. 122: <jelp-bi ,gelbc N. R., aus lat.
galbua, aus der im Alb. umgelauteten Pluralform *gelbi, vgl.
<feT— galli,dreJc = *draci. EW. 138. gelbere ,gelblich, blond' N.
gsrbß ,Buckel' EW. 123. Hieher noch grumbs ,gebogen,
höckerig'; grumbjas ,mache bucklig' N. R. grumbjasem , werde
bucklig'; grumbjdsurs ,bucklig' R. grtimbaze f. ^höckerige An-
schwellung, Skrofeln' N. grümbazE-dzümbazs R.
gsrdis EW. 123: gsrdis vom Fieberschauer. Hieher
auch gerdes ,Mädchenjäger' R. 64?
gir&ijs ,Krebs' EW. 123; das Simplex in gr. ger& m.
,Krebs' N. Die alb. Wörter können direkt auf lat. Cancer
78 VII. Abbaadluif: M«yer.
zurückgehen, zunächst auf *crancer (prov. cat cranc; *cran-
culus = it. granchio, grancio, granzo u. 8. w.), *grancer
(g- ausser im Italienischen auch im port. granquejo). Aus diesem
wurde gr§k, mit Umstellung gerk und durch die aspirierende
Kraft des r gerh; -# steht also für -h. g&r&eh ist direkt
*granculus.
gerrere f. EW. 124 ,Schere'; gr. auch ,Hafer*, wegen
seiner scherenartig gespaltenen Spelzen.
g er vis ,kratze' EW. 125: gr. gervüt ,ritze, zerkratze' R. N.
gögetei makarunde gögele ,maccheroni alla napoletana',
in Spezzia; in Porös makarunde gogelemie. R. 64. Wenn man
die Bedeutung von goge als ,plumper, ungeschickter Mensch'
(EW. 126) erwägt, wird man diese Bezeichnung der dicken
und kurzen neapolitaner Maccheroni dahin beziehen dürfen.
goge-hmie wäre ,plumper Knäuel4.
golomeS , Fledermaus'. N. Von slavisch goh ,nackt'
und mySb ,Maus'; allerdings kann ich diese Bezeichnung der
Fledermaus im Slawischen selbst nicht nachweisen (slov. speäi
miS, serb. CAenn muw, Aepo.Hutu u. a.). Vgl. franz. chauvt-
souris.
gomdr ,Esel' EW. 126: gr. yomdr.
gon m. ,grosser Ueberfluss' R. 64. Wohl zu gani ,Ueber-
fluss', das türkisch ist. EW. 119. *
grame EW. 128: gr. yrame , yramatikua. N. Auch
Pedersen hat" yrame Plur. ^gelehrte Bildung*.
graeiS-di m. ,griines Futter'. N. Aus gr.yQaaidi.
grep EW. 129: grap , fasse, fange mit der Angel*.
graps ,kneipe, schäle mit den Nägeln ab'. R. 65. 66. N.
grere EW. 129 , Wespe': gr. grere Fab. 81.
gremerate EW. 130. Bei N. grhnerate Plur. ,Klümp-
chen der beginnenden Milchsecretion, Gerinnsel der zusammen-
gelaufenen Milch'. R. hat in dem Handexemplar seines Glossars
aus dem Munde eines peloponnesischen Albanesen die Erklärung
verzeichnet gremeratene (also Sing, f.) e beime nga giza, d. h.
g. machen wir aus Topfen. Jedenfalls scheint meine EW.
a. a. O. gegebene Etymologie nicht sicher zu sein. Wenn N.
mit seinem grhnera das richtige bietet, könnte man an den
Plural von lat. glomus denken, ,Klümpchen'; (doch vgl. kmS
EW. 243). Aber es scheint, dass R. die richtige Form hat;
Albanesische Studien. V. 79
denn sie kehrt im Griechischen von Kephallenia als YQa^ieydra
wieder NeoeXX. 'AviX. II 192, was dort erklärt wird als ,das,
was in dem znr Käsebereitung dienenden Gefässe unten hängen
bleibt'. Da das Wort aus dem Griechischen sich nicht er-
klären lässt, wird es Entlehnung aus dem Alb. sein, in der
älteren Form *gremenate.
griii EW. 130. Dazu auch ngrsfi jucke' und gren&
m. ,Juckknötchen'. N. Ueber letzteres unrichtig EW. 140
unter (fendere.
griemaTe: 8 i dais griemaTe = dt*p6aaiv. R. Verhört
fitr krie-makf
groS ,Piaster' EW. 131: gr. yroS und roS. Märchen Nr. 3.
Vgl. ran und grane EW. 361 , auch da in einem viel ge-
brauchten Münznamen.
grua ,Frau' EW. 132: grariUe , weiblich'.
gründe f. ,Kleie' EW. 132; gr. auch ,lang gewachsenes
Haupthaar'. R. 66. N.
gudulis ,kitzle' EW. 133: gr. auch gedeih.
gur ,Stein' EW. 135: gürete ,steinern'.
guH /Wette' ; veme guSt , wetten wir?' R. 65; vgl.
3. Märchen. Scut. bei Jungg Jcuät , Gelübde, Versprechen',
Icu&tue ,geloben'.
<jale ,lebendig' EW. 137: gala-te ,Herde, Thiere'. Er-
zählungen 10.
gafi ,gleiche' EW. 137: gr. gfas, glet. Also ist der ur-
sprüngliche Anlaut gl- und die Vergleichung mit Kas a. a. O.
unrichtig. Wurzel ist gl-9 die Tiefstufenform von gel- = idg.
gel-, wozu ai. gdlati, gr. ßakho diXlw gehört. Bedeutung
, werfen, treffen': vgl. ,er ist auf dem Bilde sehr gut getroffen'.
^er,Hahn' EW. 148: <jel& ein Pflanzenname. R. 63.
geh EW. 138 bedeutet, wie in Calabrien, so auch in
Griechenland , Leben'; in San Marzano nach Bonaparte ,breast',
als Hauptsitz des Lebens.
§em ,Ztigel'; aus türk. ^S gem. Auch bei Pedersen.
<jei ,knete' EW. 139. Dafür auch geten.
{je EW. 139: dazu noch jjekü ,irgendwo; N.
{jeme EW. 139 ,Donner'; gr. (jemetime ,Donner' R. 63.
80 Vn. Abhandlung: M«y«r.
<jemp ,Dorn' EW. 140: glem&fi ,steche'. Die Vergleichung
mit lit. gembe, die ich noch Alb. Stud. III 9 aufrecht hielt, ist
gewiss falsch: der ursprüngliche Anlaut muss gV sein.
gindere ,Drüse' EW. 140: gr. gUndere.
Ijiri EW. 141 /Verwandtschaft: §er% R. 106.
§ize ,Käse' EW. 141, auch als Ausruf im Sinne unseres
vulgären ,Dreck!' R. 64.
$uan EW. 142: für $uhe ,Zunge' gr. gluhs] glühe e
Idpese ist ein Pflanzenname, vgl. agr.. ßovyXoMsaov.
§üK ,Gericht< EW. 142: gr. $iJc ,Richter<; ,Gericht' ist
hier der Plural giüe-te (N.) oder giki f. gikates m. »Richter4.
yeköfi ,richte*.
tfüsttk m. nautischer Ausdruck: ,brazzo i maütrese* R. 64.
H.
habdr ,Nachricht* EW. 144: auch habdr m. und habere f.
haps yGefongniss' EW. 146: davon mit griechischer En-
dung hapeös ,setze ins Gefängnisse
hardi , Weinstock' EW. 147: Sri bedeutet im gr. Alba-
nesisch auch ,Nabelschnur' R., vgl. it. tralcio ,Rebschoss' und
,Nabelschnur'.
he ,Anmut' EW. 149: he&im ,anmutig'.
holevre ,Katarrh, Schnupfen' EW. 153, ist gr. x0^Q°
,Dächrinne'.
X.
%ore EW. 156: höre R.
%ri f. ,Bedürfniss' : gr. xqeia.
%riedf m. ,Gold'. %rieÖ8 , vergolde': %(*vo&<pi xQvo&vta.
I.
idete ,bitter' EW. 157: dazu hidi .Trauer, Schmerz' R. 83.
idio, to = rd Xdio ,dasselbe'.
(i)ngU8 m. ,Engländer'; gr. 'IfflSfag.
iniS'iniS ,so und so, wie ich sagte' R. 82. Märchen
Nr. 1. Vgl. EW. 310 u. ntt-ntf.
ipuryö m. ,Minister'. ipurjio m. ,Ministerium'. Gr. inovQ-
¥&;> bnavqyelov.
Albaneeische Studien. V. 81
istori EW. 159: stori ,Bild'.
itns f. /Trüffel*. Gr. Vdvov, vulgär ifcavov.
J.
jaSts ,draussen' EW. 161: i jdStssmi ,der Satan'. N.
jdtere EW. 162 ,anderer'. Nach N. auch dtsrs, was aus
fiatsvs ,ein anderer' abstrahiert ist.
jatrö ,Arzt' EW. 162: jatrua-oi N. jatri f. ,Arzenei'.
jatr&pB ,heile' = larQsia Icltqsvw.
javs , Woche' EW. 162: javs e made ist die ,Charwoche',
die Woche vorher heisst javs e stirdsrs. R. 83.
jerddm ,Hochmut' EW. 162: in Spezzia jsrdams hoch-
mütig' R. 9. 83.
jofir m. ,Brücke': gr. yioqrtQi.
jorgads f. , Passgang der Pferde' R. 62. Aus gr. yioqy&da
dass. und dies von türk. Ae^. jorga ,cheval qui va au trot'.
K.
ka$ ,Geschwtir am Auge' EW. 165. Nach N. ist gr.
kad-i m. ,Gerstenkorn', ka&-di ,Schöpfeimer', aus gr. xddog.
Dazu auch kade f. ,Gährbottich'.
kaf , Vorgebirge' EW. 165. Gr. auch kavo.
kafkalidi EW. 165: genauer entspricht gr. xavxaX.rj&Qa
alb. kafkali&rs ,Pimpernelle, pimpinella saxifraga' N.
ka'imö m. ,Verbrennung'. Lied S. 65, Nr. 17/ Aus gr.
xa'ipög.
kako- gr. xorxo- in Zusammensetzungen, z. B. kakoyra-
m&n und kakovramen ,unglücklich' = xaxoyQafAfievog , kako-
mire (Fab. 46) ^unglücklich' = xaxöfxoiQog, kakopatir ,erleide
böses' = xcnt07rari()(x) (Ngr. Stud. IV 69); auch mit albanesi-
schen Wörtern kakozi, fem. kakozezs , unglücklich'; vgl. u-
kako-duk ixcnioqtdvrpte bei Pedersen, und kalomirs EW. 168?
kakuli f. ein Pflanzenname. R. 70. Vielleicht zu kuktit
u. s. w. EW. 211.
kalad-e f. ,Handkorb' N. Aus gr. xaX&d-i, Plur. yuxXäd-ux.
kal EW. 168: kdlturs f. ,Begräbniss' N. Zu sie. M
,bringe' gehört gr. lialsn, Ao. Kala /bringe, fllhre, trage hinein'
N., flir Uelsh.
Sitevngibtf . d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. 7. Abh. 6
82 Vn. Abhandlung: Heyer.
kaldm EW. 168: kalamdr m. auch /Tintenfisch', wie
ngr. naXaii&qi.
kalkdn EW. 169: dazu kalkans f. ,Muttermund' R.
kaloj£r EW. 169: kaloyri ist ein gr. Pflanzenname,
ebenso kaloyrit ,echinops graecus'. R. te State katoyrete sind
,die sieben Fastenwochen'.
käl ,Pferd' EW. 170: ngalkön ,steige auf (auch vom
Coitus) und zgalk&h ,steige ab'.
kalaküde f. , Dohle'. N. Aus ngr. xoXouxxotida oder
xaXoiaxovda , Augmentati v von dem Deminutivum xoloiaxovdi
zu HoXoidyu, das selbst schon Deminutivum zu agr. xolouig ist
kalkandzdr m. , Kobold' N. Aus ngr. xaliiukrtaaQOQ,
vgl. EW. 179 unter karkandzol
kamare EW. 171 : kamdr m. , Selbstgefühl', kamarot
,brÜ8te mich' R. 94. N. Aus gr. xapäQi xapaQanrw. kamdrm
ist nach R. 69 eine Art Spiel, kdmere f. ,Zimmer' aus xapaQa
= it. camera.
kambs EW. 172: kembe-sore (,Krähenfuss') ist ein Pflanzen-
name R. 73, kembs-äums (,Vielfuss') eine Bezeichnung des
Tausendfusses.
kamburjds EW. 172: hieher gehört gambe ,Krümmung*
R. 62, wenn es nicht = y&yma aus it. gamba ,Schenkel' ist
kanddr ,Wage' EW. 173, gr. auch ,Zentner'.
k an eis f. ,Zimmet'. Aus gr. xavikla = it. cannella.
kansp ,Hanf EW. 174; kanavür m. ,Hanfsamen' N.;
gr. xawaßovQi Heldreich 21.
kanön EW. 174: kanonis auch ,quäle'.
kdnule f. , Hahn am Fasse' aus xdvovla Verf. Ngr.
Stud. IH 25.
kaodeks für kalodeks ,nehme gut auf, aus gr. xc&o-
dixopai. Märchen III.
kaps EW. 175: kapote f. ,kurzer Mantel', gr. xajmfca
Verf. Ngr. Stud. UI 26.
kaperdin EW. 175: dafür gr. auch kaperdds R., wie
flir kaptön gr. kapetin ,schlucke'. Für kapstdl schreibt N.
kapstöt.
kapüdA ,beisse' EW. 176: kapHm m., kapkor e f., kap&
reze f. ,Bissen'. R.
Albaneiiuclie Studien. V. 83
kaj>uT6 f. ,Kreuzgegend der Lastthiere'. N. aus gr. xct-
novXiü Verf. Ngr. Stud. III 26.
kaputsino f. nautischer Ausdruck /palangs e laues e
bummiV R. 69.
kär m. ,pemV EW. 176: Jcars-te ,die ganzen männ-
lichen Geschlechtstheile'. N.
kara- EW. 176. Zu den Zusammensetzungen mit ttirk.
y^* kara- ,schwarz' gehört auch gr. karatfös ,Spassniacher',
eig. ,Schwarzauge', türk. jjfrj* karagöz, Name des türkischen
Hanswurst. Ferner karakakse, karakasks (bei Pedersen kara-
katSs) y Krähe ' = gr. xa^axd^a, entstellt aus ttirk. d^lsay»
karakarga ,Krähe', eig. ,schwarzer Rabe'.
kardf ,Schiff< EW. 177. Dazu karavokir ,Schiffsherr<
= gr. xaQaßoxvQiq.
karanfil EW. 177. Direkt aus KCCQvocpvlfo stammt gr.
karjofiT, das ausser der ,Gewürznelke* auch eine Pallikaren-
flinte mit langem Rohr bezeichnet; die letzte Bedeutung hat
Pedersen auch bei karafü.
karavele EW. 177 ,Soldatenbrot': gr. auch karvele N.
Vgl. Ngr. Stud. II 30.
karavide f. EW. 177. Die von v. flahn angegebene
Bedeutung ^Krebsscheren' ist gewiss falsch ; N. gibt ,Meer-
krebs' an und jetzt hat auch Jungg das Wort als scutarinisch
mit der Bedeutung ,granchio'.
karbetsefi ,springe, tanze'. Fab. 45. Vgl. ksrts&h, kar-
U&h EW. 189.
karjols f. ,Bettgestell'. Aus gr. yuxQiöhx = it. carri-
uola. Verf. Ngr. Stud. III 28.
karike f. ,Kürbissflasche zum Wasserschöpfen'. R. 68.
Vgl. xagiyu ' Teixi^iov &)P«? xoXox6v0y)£, 8i' ou ouvi-youaiv ontb vf}*;
cvAqrG toö £XatoTpcße(ou to IXaiov Leukas. Syll. VIII 391. Ebenda
393 wird xaqiia als ein Theil der Wassermühle angeführt.
In Kephallenia (und anderwärts) bedeutet xagUi * 6 qtjpav-
Oet<; Xoßb«; xoD ß<£|/ßaxo$ NsoeXX 'AvdX. II 218 = gr. alb. karike
EW. 178. xaQixia sagt man in Cerigo flir , Gemüsebeete*,
Ilavo. XIII 341. Ein anderes xccqItgi, das die in dem Stamm
der Aleppokiefer behufs Harzgewinnung eingehackten Laschen
(Kerben) bedeutet , führt Deffner ; Arch. 258 aus Aegium
und Akrata an. Endlich ist noch das von Paspatis Xiaxbv
6*
84 VII. Abhandlung: Meyer.
^Xüxiffipiov 177 genannte xaQtxi ,cine lange Stange, an deren
Ende das Netz gebunden wird' zu nennen, karifce ,Kürbiss-
flasche' = kccqitu ,Stück hohler Kürbis zum Wasserschöpfen',
,trockene Hülse der Baumwolle', vielleicht auch ,Gemüsebeet',
sind wohl auf agr. xaAv£ , Knospe , Saatkeim, Samenkelch'
zurückzuführen. Dem. xahfouov.
karnavide f. , Kohlrabi' N. = naQvafiTthi aus türk.
cu^^Jy» ltarnabit ^Blumenkohl' = gr. XQapßidiov Verf. Türk.
Stud. I 31.
kdrnaksi ,Schreihals', als Verwünschung ftir schreiende
Kinder.
karumbdl EW. 179. Lat. corymbus liegt in rum. cärimb,
carvmb ,Stengel' vor, was Miklosich, EW. 132 verkannt hat;
auch bei Körting fehlt das Wort. Dazu gehört wohl auch
der botanische Ausdruck korombiTs R. 73.
karumbe f. , Johannisbrot'. N. Aus gr. naQövpwa =
it. carruba, aus dem arabischen <— >i^-
karvunär m. ,Kohlenhändler'. Aus xaqßowaQT^. Ngr.
Stud. ni 27.
kafamuntss ,Schalmei' EW. 179: gr. karamundze ,Sack-
pfeife', karamunStzidr m. ,Sackpfeifer'.
kafe EW. 180 ,Karren': gr. auch kafo m. aus %dqqoy.
kasiS m. *, Grindkopf' EW. 180: gr. kaside Kopf-
grind' N. = xaooida. Ueber die Etymologie s. Verf. Ngr.
Stud. IH 28.
ka8tör% m. , Biber'. Aus gr. xaoTÖQXi, das eigentlich
das Bibergeil bezeichnet.
kastro m. ,Hauptstadt'. Aus %>qov. Ngr. Stud. III 28.
katare ,Fluch'. katarisem ,fluche*. N. Aus gr. xarrfga,
XaTCCQÜJfACU.
katarot ,Schnupfen'. kataroisem ,habe den Schnupfen'.
Gr. xcnayQorj, naraQQot^o^ai.
katandi f. unter katandü EW. 181: auch gr. ,xpoxo^/
(,Vortheil, Fortschritt') und scherzhaft vom cunnus.
katsdl m. = gune ,Oberkleid'. R. 70.
katsare f. ,Pantoffel' R. 70. N.
kattint EW. 183: katundidr m. ,Dorfbewohner'.
kavuke f. , grosse Mütze' R. 94. Aus gr. xaßoinu =
türk. j^ls kavuk.
Altenwitthe Stadien. V. 85
keili , schlecht ' EW. 184: ngefcöh , mache böse', nge-
Iconhem , verschlechtere mich* R. 108. Vielleicht ist ketk die
Grundform und das Wort ans lat. cadücus entstanden.
kets ,Ziege' EW. 185: gr. nach N. auch UiU.
kembons EW. 186: kambanete als nautischer Ausdruck
= xatiTtaveXXia, äg^iaSoüQa R. 69.
ksnde f. , Appetit, Gefallen', z nie ka kenda ,ich habe
keinen Appetit*. 8 ts te kets kenda ,wie es dir beliebt'. N.
Vgl. ende in derselben Bedeutung, EW. 5 unter ^jf, so dass der
Verdacht entsteht, ob es nicht aus Verschmelzung von ka
enda ,es gelüstet mich, macht mir Vergnügen' entstanden ist.
kspÜ8 EW. 187 ,reisse ab': gr. auch kspifi.
kssuts EW. 190: kaüulös , lasse die Ohren hängen'
(von Thieren; wie eine Kappe) R. 94. N. Für kaUüt m. gr.
auch kat&uTe f.
kleft m. ,Dieb', aus gr. %X£q>rr}Q.
klotUs ,gluckse, brüte'. EW. 191: kluUÜ dass. R. 77. N.
klotHs ,trete mit dem Fusse' EW. 192: klaU ,Schlag
mit* dem Fusse' N. Jedenfalls lautnachahmend.
klene Particip zu jam, == tosk. Kens. Vielleicht zu asl.
KA4A& 7 lege, stelle', das isolirt ist; klsns aus kladne ent-
spräche in der Bedeutung dem stätus, das im Romanischen
z. T. Particip Perf. von esse geworden ist.
klene ,ganz durchnässt' R. 77.
klirre f. ,Erle' N., aus xXrj&Qa.
kToistrs, f. ,Biestmilch' EW. 192: gr. auch kstoStrs und
JcToHtg.
Muts ,Schlüssel, Gelenk' EW. 193. Dazu MiUün .Knie-
kehle' R. 77. N. kTÜkazE ein Spiel, bei dem eine Kugel
oder ein Stein mit einem Schlägel in die Höhe geworfen
wird. R. 77.
kos aus koie, nautischer Ausdruck, eine Kette, welche
die Raaen trägt. R. 73.
kofss-klinda ,p61e-mele' R. 73. (,Hüften und Zwickel'?).
koinake f. in Hydra die grösste Mandel beim Spielen
mit Mandeln. In Porös heisst sie memeze (, Mutter').
kokdl ,Knochen' EW. 194: richtig betont kökal R. N.
(auch Pedersen). kökale f. dass. Griechisch %6%%aXov.
86 VII. Abhandlung: Moyer.
kokomare EW. 194, bezeichnet gr. eine Art Gurke.
Für kukumare , Erdbeerbaum' gr. auch kukumaUe N.
kolce EW. 194: kökaze ,Bonbons' in der Ammensprache.
R. 96, von koke = coccum. Für kokor4t§ (S. 195) gr. Jcoko-
retse f. mit griechischer Aussprache.
k olein ,blass, schlecht aussehend nach einer Krankheit'
R. 108. xökxivoq ist im Gegentheil ,roth'; doch ist koke auch
zur Bezeichnung des Eidotters verwendet worden (EW. 195).
kolkotSane Name eines Thieres R. 73.
kolone ,Säule' EW. 195: dazu ngo(l)one} guhone ,Art
Auster*, die auch borbotsimze genannt wird, R. 73.
kotes ,Hölle' EW. 195: bei N. kölas m. kolasem fün-
dige', kolds, kods ,strafe' Fab. 33.
kolle f. ,Stärke, Kleister; Bogen Papier', kollis ,leinie'.
kollarü ,stärke'. koTe , Kaumastix'. N. Griechisch xöila,
xolhxoi^to.
kotig m. ,Feldbaugenosse, der die Hälfte des Ertrages
geniesst' N. Griechisch xoXXrjyag, s. Verf. Ngr. Stud. HI 31.
komp ,Knopf EW. 196: kumbi m. ,Knopf. kurqbös
,knöpfe' N. Aus gr. %ov\mi, novfi7td)va),
kondö m. ,Haken', gr. xovtög.
kondurs EW. 197: gr. kundure = TtovvTOÜQa. Ueber
das Wort s. Krumbacher, Byzantinische Zeitschrift II 304 f.
konoStis EW. 197: konoSH auch ,Bekanntschaft, Um-
gang'. N.
kopö$ m. ,Mühe', aus xönog. kopjds ,bemühe mich' in
Höflichkeitsphrasen, kopjasni ,nehmen sie Platz', gr. yuumiä^ta]
xomdaTS.
kordk EW. 199: Plur. koräce-te. Fab. 82. Neben kora-
kozüh ,langlebig' auch karakozön R. 95.
kor de , Darmsaite' N. Auch scutarinisch nach Jungg. Zu
kordele EW. 199. kordös ,spanne, ziehe straff* (eig. die Saite).
kori-u m. , Wanze' N. Griechisch xoqiöq = xöqu;.
korkodit ,Krokodil' EW. 200: krokondil Fab. Nr. 11.
korkotsi m. nautischer Ausdruck: at iäs bie varese. R. 74.
kormi pl. ,Datteln'. Gr. %ovQ[ia$ aus ttirk. Uyb hurma
,Dattel'.
korone EW. 200, gr. auch ,Trauung'. kuröü ,segne die
Eheleute ein'.
Albtattiaehe 8tvdkD. V. 87
köteze EW. 201 ,Hühnerpips' ist auch gr. R. 73. fcrf-
reze N.
kor 6 EW. 201. Dem. nach N. korize betont.
koeare f. ,Münze von zwanzig Leptd': gr. (el)xoaaQiA.
kose ,Sense' EW. 201: kösere f. ,Gartenmesser' N.
kose ,Zopf* EW. 201: kotS m. ,Zopf N. kotiide ,Zopf
R. 96. N.
kostis ,koste' N.: aus yuoütS^w = it. costare.
krähe EW. 203: krahe-zi Name eines Fisches. R. 96.
kraku: i ke düarte kraku 5x«fw^vac R. 96.
kr eh EW. 204: zu kreSe das Verbum kreä yreinige mit
dem Striegel' N.
kremale f. ,Galgen': xoefiAXa.
krisele EW. 205: daneben krese und kreseli f. ,Quecke,
a-fpoxm?'. N.
kreHe EW. 205: kreSt m. ,Haarzopf; Bürste', kreäts
f. ,Mähne; Maishaare; weibliche Scham und Schamhaare' R. 78.
N. Dazu kreS m., Plur. krüiie ^Haarflechte' N.?
kriture ,vom Durste geplagt' R. 78. N.
krende ,reichlich, üppig' N. <i<pOov(a R. 78.
kris m. ,Urtheil': xqIoiq.
kroS m. ,Franse'. N. Griechisch xqoggöq.
kru8 , falte, runzle', krusem , werde runzlig; kauere
mich; reibe oder streiche mich an jemandem, um Schutz oder
eine Liebkosung zu erhalten'. W krüsure ,ich sitze zusammen-
gekauert4. R. 78. N. Dazu gehört scut. krus-a ,Reibeisen'
Jungg. krus dürfte = kerus EW. 190 sein.
kruve f. nautischer Ausdruck }tse lidet trotsa nde katdrt
tore*. R. 78.
ksanalihete ,er wird wiedergeboren', alb. Verbum mit
gr. %ava-, d. i. £e- und ävd-, zusammengesetzt. Vgl. EW. 208.
So mit £e- noch ksehelmön , gebe meine Betrübniss auf'.
Ganz griechisch ist kse%orizm m. ^Unterschied' = %e%ihqiG\ia.
kiah ,zupfe Leinwand zu Charpie' N. Aus dem Aorist
egcnra von %aivw entlehnt.
kua ,Rinde' EW. 209: kuhem ,bin wund, aufgerieben',
besonders von der Hautaffection des sogenannten Wolfes gesagt.
R. 75. N. 8kuhem ,springe auf, von überreifen Früchten. R.
88 VII. Abhandlung: Xejer.
kubure ,Pistole* EW. 209: lcumbure N.
ku&'di EW. 209, gr. auch ein ,irdenes Kochgeschirr*. X.
kuküd' EW. 210, griech. auch , Blutschwär, Drüsen-
geschwulst'. N.
kukül EW. 211: kukulle f. , Kapuze* N. = xovxovlht.
kukvXe f. ,Seidencocon* = xovxodtät (vom Plur. xovxovJÜUa).
Hieher gehört auch kukui, mit Artikel kukla f. ,Puppe* =
gr. xovxka. Vgl. Verf. Türk. Stud. I 40. Ngr. Stud. III 33 f.
Für kurkuk gibt N. kurkufo an.
kuküm m., kukumdr m., kumdr m. ,bauchiger Koch-
topf N. Aus gr. xovxovfii, xowovjuape , Verf. Ngr. Stud. III 34.
kukute ,Schierling* EW. 211: nach N. ist gr. Kikuti
,conium maculatum*, Kirkute ,thapsia garganica*.
kukuvaJB ,Eule* EW. 211: eine andere gr. Form ist
fuifuake R. 98. hukumaUe ist nach R. 76 auch eine bota-
nische Bezeichnung. Zu den a. a. O. angeführten griechischen
Eulennamen ist aus Dialekten noch manches nachzutragen,
z. B. xovxovßdda Syme, Syll. VIII 472; xovxovßähx Kastellorizo,
Syll. XXI 315, 28; xovxovyidßla Chios, Pasp. 195; xovxovftavla
Thera, Pet. 83; xovxovaa Nisyros, Mvtjji.. I 384; xovxwßu&u
Siatisti, 'Apx- I 2, 90. Bulgarisch ist kakumvjaka,
kuJc ,roth* EW. 210: nguk ,mache roth*.
kulöfi , seihe durch' EW. 212: gak i kuluam , reines
Blut, Vollblut' R. 75.
kutuvrike EW. 212: kukuvrik ,das neu ausgebrütete
Küchlein* N.
knmanddr ,beherrsche*, aus KOVfiavraQa) Ngr. Stud. IV 39.
kumbene: da ne nds bark e i derdi kumbenene R. 109. Be-
deutung? wahrscheinlich Speisekammer* im Sinne von ,Magen*,
vgl. xofirtdna ,Speisekammer auf dem Schiffe* Ngr. Stud. IV 39.
Den gr. Albanesen liegt eine solche nautische Metapher nahe.
kumute f. ,Erdhaufen* N. Griechisch xovjUoCAa u. s. w.
Verf. Ngr. Stud. III 34.
kunavje EW. 214: N. hat kundf-vi m. , Kaninchen',
aber kund&-di ,Marder, Iltis*.
kune f. ,Blumenstrauss*. N. Von gr. x&vog ,Kegel*: Dem.
xovviy davon ein Augmentati vum *xovva.
kuper m. ,Kupfer, Bronze, Messing*, küperte ,kupfern*.
N. Aus lat. cuprum. Vgl. Uipre EW. 228.
AlbftaesMche Studien. Y. 89
kurd&-di m. ,trockene Exkremente' R. 108. Ngr. xov-
Q&di ,merde'.
kurbdn m. ,Opfer' EW. 215: griechisch korbdn.
kurkofiJc m. ,die erste Milch, gekocht und dann ge-
ronnen' (klumüta te ker&i te zjere ed& te piksure' R.).
kurm , Körper' EW. 216: kurmes , schlank gebauter,
zierlicher Leib' N. kurmari f. ,dvflfonQjjia, auch von der Erektion
des Penis' R. 108: xoQfuxQid.
kurüp ,mit glatt rasiertem Kopfe' N. Griechisch %ovQOV7tt]Q
,ras4, tondu'. Türk. ^y> ist , trocken, leer, nackt'; aber das p
wüsste ich nicht zu erklären.
kurupe f. ,irdenes, bauchiges Geßlss' N. Nach R. 75
ein Ge&ss mit zerbrochenem Schnabel; der Deckel dazu kuru-
bele. Griechisch xovQOvrta, novQOvm ,pot k fleur, vase'. Vgl.
'/.OQiTZiov ,hydria' bei Ducange.* Das Wort hängt wahrscheinlich
zusammen mit dem Namen einer Schellfischart xoQvcpior, cory-
phium, Plin. N. H. XXXH 53. 27. Oribasius I 143, 2.
kusdr ,Räuber' EW. 217: gr. kursdr, kursari f. ,Räuberei\
küßpuls EW. 217: kruspul m. ,Schrumpf, durch Brennen
verkohlte und zusammengeschrumpfte Stücke von vegetabili-
schem oder animalischen Gewebe'; te benete hi e kruäpul ,das
himmlische Feuer soll ihn vernichten'. N.
kutre f. , Stirn, Kopf; Dummkopf R. 76. Aus gr.
xovTQa = xv&qcc, %in;(>a. Vgl. EW. 218 unter kutrule.
kutulishem ,nicke aus Schläfrigkeit mit dem Kopfe' R.
Gr. KOwovXL^io , von xovvovlov, novvelov, worüber man Verf.
Ngr. Stud. II 99 vergleiche.
kutss f. ,Puppe' N. Nautisch palanga e pare e pikit
R. 76. kutsur m. ,Klotz, Strunk' N. = xovtgovqov. Vgl. über
kuU- Ngr. Stud. II 97 ff.
kuts ,Hund' EW. 218: kutiuk ,Hund'. Ngr. Stud. II 101.
kuvelle f. eine Massbezeichnung, = 3 metertiU (ein m.
= 7, xoiX6 von Konstantinopel). R. 108. Zu kove EW. 203.
K.
m
kaii ,weine' EW. 220: gr. Man auch von beschnittenen
Reben oder Bäumen, von denen Saft, Gummi oder Harz aus-
schwitzt. N.
90 VII. Abhandlung: Meyer.
Icas ,nähere* EW. 220: auch gr. fcas ,nähere', also sieber
ursprünglich lees. Gr. ktas ,denke, meine, glaube, vergleiche* N.
Jce& ,schere' EW. 221 : leh te n$4%hirs, yuzwapa \iolkulx,
,frisiertes Haar' R. 94.
Kefel ,Barbe' EW. 221: gr. Uefdl
JeeTepoSe EW. 221: Uefeie auch gr. nach N.
Jeelp EW. 221 f.: ktebaUs ist auch ,Klebkraut', weil es
die ebenso genannte Krankheit der Schafe herbeiführt. N. R. 76.
Ken EW. 222: geg. Kq& auch in gr. Jcen$ ab ,Zungen-
geschwtir'; auch ein Pflanzenname. R. 71.
Kendis ,sticke' EW. 222: gr. Kendi f. »Stickerei, ein-
gelegte Arbeit*.
Ueno s , richte Speisen an', aus gr. %ev(hvw. Eig. /ich
mache die Bratpfanne leer, indem ich die Speise auf den
Teller lege'. Vgl. Korais, "Atäxt« IV 228.
Kep ,nähe' EW. 223: gr. auch fiepen N.
Kep »Schnabel' EW. 222: tteptä ,steche«.
Jcerds EW. 223, gr. auch ,schenke zu trinken ein'. N.
Kesendis EW. 224: zu türk. e&**«** feesmek auch Jcesim
,dhcoxom^ R.
Jcezer m. ,Kaiser' N., aus gr. %alaaq.
Kij ,beschlafe' EW. 226: gr. Uten, Mn N., Uihes m. ,qni
libenter coit' R. 72. Dadurch wird meine Ableitung aus lat.
inclinare widerlegt; lein ist = Icid-nö, skidnö zu Wurzel shheid-,
slchid- ,spalten' (ai. chinddmi, gr. 0%i£(o, lat. scindo, lit. slcedra).
KiK m. ,Ricinus', Pflanzenname. N. Aus griechisch xuu.
kiki&-di m. ,Gallapfel' N. Aus gr. xrpcldi.
Kimü§ m., KimuSe f. , angewebte haarige Tuchkante;
Schnitzel und Abfeile von wolligem Tuche' N. R. Aus lat.
cimu88a, wovon it. eimossa ,Saum, Sahlband'; aus dem Ii gr.
taitiovaa Verf. Ngr. Stud. IV 93.
leint m. ,Z wickel' EW. 227: gr. Jctint, gemäss dem Ur-
sprung aus slav. klin.
liipsr m. Pflanzenname, gr. xvTteiQog. N. R.
Kiri&e f. ,Bienenbrot', gr. %r)Qiv&og\ ,Wachsblume', gr.
xtfQiv&ov. N.
Kirkezs f. , Cirkassierin ; Frau von grosser Schönheit*
R. 72. Nicht aus türk. ^$y*- täerk&, sondern aus dem gr.
classicistischen xiQxäaotos.
Albaoesiscbe Studien. Y. 91
liistdr m. ,Ciströschen' N., aus yaoxdqtov von xlorog.
Kiie ,Kirche' EW. 228; gr. klüe, auch ,Kirchenfest'. R. 77.
Uitrs ,Pompelnuss, citrus decumana' N., aus gr. tutqov.
Jciu in dem Sprichwort bei R. 72 u doli pldksze nde Kiu,
pastai frin edi kosit = i%dri% ^ YPl<* e^ T^ Xü^5 ?ua? ^ T^
"Yiarpupti. Also #iu = Jeil] lat. chylus aus xvtaJg?
Kiveria EW. 228; gr. Mvernis ,helfe'.
Äowfi f. ,*pox<M, Fortschritt' R. 72. 108. Zu «os EW. 228.
Jcurkas m. Pflanzenname, ,Hirtentäschchen, capsella bursa
pastoris' N. Zu Jiurk ,Pelzwerk', wie es gr. für Jcürk EW.
230 heisst.
KuS m. Kjusche, ein Stamm vlachischer Maurer und
Salep- Verkäufer aus Mittel- Albanien; die alljährlich in Griechen-
land umherziehen; dann als Schimpfwort: ,roher, ungebildeter
Mensch'.
Uutjds ,sitze auf der Hühnerstange um zu schlafen* N.
Aus griechisch xotrcf£ojuat.
Kurs ,Rotz' EW. 230: gr. Kurs] Uuf&h ,habe Schnupfen';
Jcurdä, Jcufamdn ,Rotzbube'. N.
la Adv. ,oben, hinauf. Fab. 2 u. ö. Aus lat. illäc?
Ta M. ,Elias'.
Taft EW. 234 : gr. lavde ,Laune' N. R. 85.
lahtaris EW. 231: lahtars f. , Aufregung, Erwartung',
N. Aus griechisch hxy^aQa. Vgl. Alb. Stud. IV 76 Nr. 523.
laibi* ,irre' EW. 234: gr. Xadiii, taȆ; taM f. ,Irr-
thum'. N.
Taks EW. 235, auch gr. ,tiefe Stelle, tiefer Grund, Ver-
tiefung, Thal'. N. R.
lakur EW. 236: neben fakurik ,Fledermaus' gr. auch
laskuriU.
laldr m. ,vom Wasser bespülter und abgerundeter Kiesel-
stein'. N. Aus XaXXaQL von agr. X&ilrj ,ein vom Wasser be-
spülter Kiesel'.
langim ganger Sprung, fä\iccxa pe-faXa' N. R. 15. Dadurch
wird meine Erklärung des auch von Rada als cal. angeführten
Wortes EW. 231 hinfällig.
92 Vn. Abhuxüiiiig: Meyer
Taps EW. 237: lape , Reisspeise, dick und weich ge-
kochter Reis fllr Kranke'; auch ^Breiumschlag*. N.
lattuge f. ,Lattich'. N. Aus it. lattuga.
lavös EW. 238, sammt lavome auch griechisch.
laze: bar-tdzese Pflanzen n am e ,Salicornia'. Redensart: tiU
nde laze ,inan hat seinen Untergang vorbereitet'. R. 86, eig.
,er ist am Messer', so dass das Wort identisch ist mit dem
EW. 239 aus Camarda angeführten gr. laze.
leh EW. 240 ,belle'; gr. auch ,keuche, schnaufe'. Uhmi
f. ,Schlucken'. N.
Iek8 ,disputiere'. leksi , Wortgefecht'. R. 85. Aus Aeyw,
leUk EW. 241: leilek übersetzt Fab. 58 unrichtig das
gr. Y^pavo«;.
lemp ,Napf EW. 232: gr. lembe ,Becken, Waschbecken* N.
len ,entstehe' EW. 241: nde te lere ,von Geburt an4
Fab. 62.
lepjete EW. 241 : lapuSe ,Deckblätter der Maiskolben' N.
lepuss f. ,wei8se Seerose, nymphaea alba' N. (bei Jungg ,far-
faraccio, Huflattich', wie serb. Aenytanua (das ausserdem noch
drei andere Pflanzen bezeichnet, bulek 194).
leS ,Wolle' EW. 241 : leite (eig. ,wollen') gr. auch mit-
leidig, barmherzig'. N.
Iev6t m. ,Kessel' N. Aus ngr. Xsßeti = keßrjtiov von
teßrjg.
levi&s f. ,Spulwurm' N. Aus gr. Xißi&a von agr. ekfur^.
lerne ,Tenne' EW. 243: davon soll nach R. 85 lamntiim
,hoch und schlank gewachsen' kommen, axb tou aupoo tyjs SXw.
lende f. ,altes Kleid' R. Vgl. £svr£*Xtq ,in Lumpen ge-
kleidet' in Athen. Verf. Ngr. Stud. II 54.
Isndön EW. 244, auch gr. N. R. = ,tupfe auf eine
wunde Stelle'. Das Wort wird zu linde ,leinen' gehören: ,mit
Leinwand, Charpie betupfen'.
lenze EW. 244, nach N. ,starkes Begiessen des Hofes
oder der Strasse bis zum Schlammigwerden des Bodens'.
Is&dn EW. 244: griechisch auch Idiöii.
li& ,binde' EW. 245: lidme f. ,Carneval' N. Kdone f. ,eine
Polypenart' N.; identisch damit ist ledone ,Art Achtfuss' R. 85.
Albanerische Studien. V. 93
lifandi m. ,Weber' (nicht nvaq>eig), Fab. 18. Aus grie-
chisch wcpayTTjg = bq>arvi/}g. Verf. in den Analecta Grae-
ciensia, S. lff.
Zige f. ,Gesetz' EW. 246: K§ m. ,Recht, Gesetz' N. ZUt-fr
,Recht' R.
liyadure f. ,Art Seil' R. 85. Venez. ligadura.
Hhtid-di, Zihudjdr Feinschmecker*. Zihudi f. ,Fein-
schmeckerei'. Aus gr. Äi%otf<Jijs, hxovdidQrjg, Xl%ovöi&.
Zik ,böse' EW. 245: dazu Tige ,Geifer, Speichel, thieri-
scher Schleim'. Ugamdn ,geifrig'. Kgav6ts m. ,Schnecke'. N.
Zikorno m. 1) Einhorn; 2) ein aus dem vermeintlichen
Hörne dieses Thieres gemachtes Kreuz, durch dessen Eintauchen
das Weihwasser eingesegnet wird. N. R. 99. It. licorno.
Zikoritss f. ,Süssholz' N. Aus gr. yXvxÖQQi^a für agr.
yXvxvQQi^a.
Zikös: , schlage einen windelweich' N. e Zikosa = tfev
IXsuoca \ xb £6Xov. R. Aus yXvyuovw.
Zimbisem ,bin nach etwas lüstern, verlange heftig' N. R.
Aus gr. Xipm£o(jiai = fa(ißi£opai, XtfAfisvw.
Cime f. ,Feile' EW. 246: dazu Rmdr ,naschhaft' N.
Zimdn ,Citrone' EW. 246: gr. Zeimone f.
Zindiere EW. 246 ist nicht it. leggiadra, sondern leggiera.
Vgl. ngr. Xir^SQa, Xt^eQtg. Ngr. Stud. IV 45.
Zir EW. 247: deZsrdti ,entbinde', Pass. ,werde ent-
bunden'. N.
Zirs f. ,Leier' N., aus Xvqci.
Z%8 m. ^Beendigung einer Krankheit' N., aus Xvatg.
Zisivdk m. ,Salbei' N.; aus gr. iXsXiaqxxxov, iXiocpcnud.
lisentss, HtSentse f. ,Erlaubniss'. It. licenza.
loyo m. ,Predigt', Xöyog.
lohe f. ,trockene Hitze, heisser Luftzug vom brennenden
Ofen'. N. Aus gr. Xöx*] = Xöyxt].
loji indeclinabel, ,Art' N. Aus Xoyr).
lojisi f. ,Rechnung', aus gr. XoyiaiA. Erz. III.
londr m. ,Juli'. N. Gr. dXajvaQrjg.
Zope f. ,Kuh' EW. 248: Zop 68 ,Kuhtrift' ist häufiger
Ortsname in Griechenland.
Zot ,Thräne' EW. 249: gr. auch ,der letzte Tropfen im
Becher oder im Kruge'. N.
94 VII. Abhandlung: Meyer.
tot§7 lo$ m. ,Thiernest, Schweinestall; Behausung, Schlupf-
winkel von Tbieren' N., ist identisch mit totS ,Sunipf, Schlamm'
bei Rossi, das auch Jungg in dieser Bedeutung bestätigt.
Beide gehören zu serb. Aootca ,Lager' u. s. w. , wie EW. 232
schon angenommen wurde. Auch toitS, güitS EW. 249 werden
hieher zu stellen sein, wenn auch das i und das g nicht klar sind.
tuq ,Löwe' EW. 249. N. führt als gr. U%-uy Plur- lehrte
,Löwe' an. lex steht für lef und ist die Auslautsform für lev-,
aus asl. AkKÄ, 8lov. lev ,Löwe' ; über die Plurale auf -»i s. Verf.
Alb. Stud. I 103.
rufte ,Krieg' EW. 250: teft&fi ,bemühe mich, versuchet
titön bringe'. N.
tutdk ,Indigo' N. Diese Bedeutung gibt auch Legrand
für Xovhhu. Es ist türk. vsTvu) leilak, vgl. Miklosich Türk.
Elemente I 2, 17, und bedeutet gewöhnlich ,Flieder, syringa
vulgaris'; die ursprüngliche Bedeutung aber ist ,Indigo'. Miklo-
sich a. a. 0. II 1, 77.
tum ,glttcklich' EW. 250: e Turne ,die schwarzen Blattern'
(euphemistisch) vgl. ngr. ßXoyti = vikofa-
tum alle f. EW. 251 ist nach N. vielmehr der Knospenaus-
schlag an Bäumen und Sträuchern = ßläOTijfjta] auch Pedersen
erklärt es mit vltutdr. Ist das Wort lat. limäcem ,Schnecke',
so ist das auf die Aehnlichkeit mit solchen zu beziehen.
lumbade f, ,Art Kinderspiel, = djjwtöes'. R. 20.
luv m. ,Stange zum Abschlagen von Früchten' N. Aus
gr. Xoüqoq.
tute ,Leine' EW. 251: luride f. ,Streifen' N. = XovQida.
tutee ,Schmutz' EW. 251: als Adverb ,nass, triefend' N.,
vgl. eyeiva Xoircaa ,ich bin ganz durchnässt worden'.
luver m. ,Hopfen' N., auch R. 19. It. lupolo] ven. *lo-
volo scheint nicht nachweisbar.
luvt f. ,Hül8e' N.; aus ngr. lovßi von Xoßög.
M.
magazi EW. 253: gr. auch mayazL
mafii EW. 253: mafiistrete ,Zauberin', auch bei Pedersen,
durch Vermischung mit fjukyiarQog. mayo ,Zauberer' ist itäyog,
maj&pe ,wahrsage' fiayevw.
Albanesische Studien. V. 95
mag tri EW. 253: majeriö m. ^ayeiqelov.
maje , Spitze' EW. 255: gr. mak. mbi maXe ,gegen'
Fab. 67.
makarunde f. pl. ,maccheroni'. R. 64.
mala ms f. ,Gold' EW. 256: auch maläm m.
mamuzS f., Demin. mamuzeze ,Männerschuhe, Schuhe
überhaupt*. R. 35. Jungg hat mammuzt pl. f. für ,Männerschuhe'.
Türk. ist }>•+* mahmuz ,Sporn', in alle Balkansprachen über-
gegangen (s. Miklosich Türk. Elem. unter dem Worte); etwa
* fiaxpovtid ,Schuhe mit Sporen'?
mangari era ,der Wind hat sich gelegt' R. 35. It. mancare.
maride f. ;Art Fisch', gr. uaglöa.
maUurosem , werde unverhofft reich'. R. 36.
mbdrturs, mbe te mb. /vergeblich' Fab. 22. EW. 35
unter bie.
mber&6n EW. 265, griechisch auch vom Coitus der
Thiere. R.
mborie ,kann'. mboretö ^möglich'. Aus gr. f/finÖQeaa
f4,7lOQ€TÖg.
mbret , König' EW. 266: mbretopul , Königssohn', mit
der gr. Deminutivendung -izovko-.
mbufon EW. 267, auch iiWydfa. Märch. II.
mekem EW. 268: mikure ,halbtodt, lahm'. R.
mesimiri m ,Mittag', aus fiearj^Qi.
metani EW. 270: metanös auch griechisch in der Be-
deutung ,flir einen Todten beten'.
m et er tili m. eine Massbezeichnung, jdas halbe Constan-
tinopler xoilö. R. 37. Stellt ein griech. {AeTpYpxov dar; -Je ist alb.
.Pluralform.
meltSi ,Leber' EW. 271; gr. metSi, und zwar heisst hier
melii e bar da , weisse Leber' ,Lunge', wie türk. ak diijer,
serb. dztgerica bijela, bulg. bela drob u. s. w. EW. a. a. O.
mengön EW. 272: gr. menate, ebenso Pedersen, nicht,
wie EW. 273 geschrieben ist, menate] es ist me nate.
meni ,Zorn' EW. 273: meret&h ,mache traurig', meritur
,verfeindet, Feind'.
midi aus gr. pr^de. Ebenso mite aus gr. nrjre.
mi&o-a f. ,Fabel', aus [ivfrog.
96 VII. AbhADdlun*: Meyer.
mingo, Bezeichnung für kleine Kinder. R. 38. Aach bei
Pedersen. Vgl. venez. minga = miga, mica.
miß tri EW. 280: mistrls ,bewerfe ein Haas mit Kalk'
R. 102.
mjers ,anglücklich" EW. 283: gr. miier*.
molivis: Seh faret — sa molivis. ,siehst du etwas?'
,einen schwachen Schimmer'. R. Offenbar von fioXvßt ,Blei'.
muüce Plur. m. , Besitztümer', auch bei Pedersen. Aus
türk. t«£U mülk, milk ,Eigenthum'; gr. juovAxi.
mundze f. EW. 289: mundzure f. ,Schande' = pow-
tooüqcc a. a. O.
munustriks , schirre ein Pferd aus'; munustrikssme
kuelts, nämlich um zu sehen, welches dem andern zuvorkommt.
R. 39. Steckt fiövog und tq^xw darin?
muri ,Maulbeere' EW. 291: murendohem /werde wie eine
Maulbeere'.
murk ,dunkel' EW. 292: dazu noch murm ,grau, von
Thieren ; trüb, vom Weine'. R. 39.
muSUndß f. ,Art dicker Suppe mit Gemüse und Fleisch-
stücken'; übertragen von einem h äs suchen Gesichte. R. 39.
mutzU f. ,chicane' R. 40. Wohl zu mut EW. 294, vgl.
den Satz e beri müUlene, pra iku.
N.
nafklir m. ,Schiffsherr', gr. vavxXrjQOQ.
name't. ,Fluch' EW. 297: nsmdfi ,fluche'.
naskaris ,ordne, bereite vor' R. 33. Weist auf ein gr.
* dvaaxaQi^a) , das entweder ,auf den Rost (axdQa) legen' oder
,vom Kiele (ox<xqI) aus aufbauen (ein Schiff)' bedeuten würde.
nats Adv. ,mit den Zähnen'. R. 33. 101.
ndar ,arm, unglücklich', Partizip von ndafi ,theile, trenne'
(EW. 58 unter daj), also eig. ,ausgestossen'. In S. Marzano
ist nach Bonaparte ndare gerade umgekehrt ,schön', = ,aus-
erlesen'.
ndara de Jenseits'. Joh. I 28. Wird ebenfalls zu ndan
gehören.
nder ,Ehre' EW. 298: auch als Verbum nder. Fab. 56.
nder ja f. ,Ehre' Fab. 27.
AlbanesisclM Studien. V. 97
ndjete, ms ndjete ,mir scheint' Fab. 77. me ndihete
Porös. Vgl. di EW. 66. Daneben me ndots R. 92, vielleicht
ans ndödkete, ndo&te, zn ndo& EW. 301.
ndrok: kiö kafia eUen ndrok, ,stösst'. R.60. It. trotto ,Trab'?
neperke , Viper' EW. 303: gr. neperte.
nes EW. 203: nestre ,morgen'. So auch bei Pedersen.
netarem Märchen III, gr. y€t6qü> aus it. nettare. Ngr.
Stud. IV 65.
ngardamös ,xap8afAov ßXeicw'; u ngardamös von Menschen
und Thieren ,der Kamm ist ihnen geschwollen'; von Pflanzen
,sich nach dem Begiessen erholen'. R. 68.
ngatsrön EW. 305: dazu ngat ,krank' in Andros (R.)?
ngridem ,bin brünstig' vom Bocke, ngridurs f. ,Bocks-
gestahk'. R. 66. Kann mit slov. grd} grdeti se ,Ekel em-
pfinden', das EW. 123 unter gerdfo genannt ist, urverwandt sein:
-ri- = vocalischem r des Slavischen.
nikokir EW. 309: nikottir$ bezeichnet eine Art kleinen
Nachtvogel.
nuse EW. 312: nusszs f. ,kleiner Abscess in der Achsel-
höhle'. R. Zur Etymologie von nuse s. Pedersen, Bezzen-
berger's Beiträge XIX 295.
N.
nerk ,Stiefvater'EW.313: nerke f. auch ^kinderlose Frau' R.
nokes m., in Spezzia gokss ,Teufel' R. 34. Eigentlich
, Verfolger': iiofies ist = nnokes aus ndjokes, (fokes = (n)dokes}
djokes. Zu djek EW. 300 mit Ablaut o = idg. e.
O.
ohtrö m. ,Feind': gr. 6%TQ6g aus &%&Q6q.
ore ,Stunde' EW. 315: nore ,schnell' in Athen. R. 97.
ortse f. ,Backbord': it. orza.
ozi Name des Parnes in Attika. R. 82.
P.
pagua ,Pfau' EW. 318: paydn m. aus gr. itayövi.
pak ,Friede' EW. 318: griechisch auch ,Liebe'.
paZo-Aeri: palo- = gr. ttakiö- aus naXaiög ist ein be-
schimpfender Bestandtheil des Compositums. S. auch Pedersen.
SiUungBber. d. phü.-hiat. Cl. CXXXIV. Bd. 7. Abh. 7
98 VII. AbkaodluBf : Meyer.
pambük ,Baum wolle' EW. 320: gr. bumbdk.
paniere f. ,Tuch um den Backofen auszukehren* R.47. Von
gr. itawi aus lat. pannus; vgl. ndcvra, ti&wkjxqov ,Lappen zum
Ofenreinigen'; nawl^w , wische den Ofen aus'. Verf. Ngr. Stud.IIIöl.
papandie f. ,Frau eines nanäq1, aus gr. jzajtadiä.
para&ir m. ,Penster EW. 322: gr. auch para&ire f.
und palidir m.
parakendi überzählig' R. 90.
parafcilis y7tctQcncvM(oc.
pelietir m. /Taube' EW. 326: peUsteridn m. ,Tauben-
schlag', gr. neQtaxeqeihv.
pendle »Aufschneider' EW. 326: auch pen4k.
pende ,Peder; Paar Ochsen' EW. 326: pendes m. ,Bauer\
penie ,lobe': inalveaa.
pep&8} von Kindern gesagt: mite flet mit* pepet ,es
schläft nicht und sagt nicht papp. Ammenwort.
perivöl ,Garten' EW. 328: perivoldr m. ,Qärtner, hsqi-
ßolAgic*.
pegere ,unrein* EW. 331; dazu gehört das auf S. 332
gestellte pergone f. ,Abtritt', sowie gr. e perguame ,Skrofeln'
und pergim m. ,Mist von Menschen, Hunden und Katzen*. R. 48.
pelüm /Taube' EW. 331: aus pelvmbe gr. pumbe; pvfn-
beze Name eines Spieles. R. 50. 51.
per Präposition EW. 332: gr. pre.
perlande f. plur. ^Brillanten'. Aus türk. pirlantu Türk.
Stud. I 36.
perekdt EW. 334: perseWi, perselön /verbruhe' R. 48.
pertiphem ,kaue', vgl. pertrüp ,kaue' bei Kavalliotis
Nr. 592 (Alb. Stud. IV. 83).
perveUM m. ,Gerste mit Schweinefett', pervelore ,Schweine-
fett mit Brot'. R. 48. Zu vel (s. u.)?
peskade f. ,Fischfang', aus ven. pescada.
p% ,trinke' EW. 336: perpiix , verschlinge' R. 48.
pi& ,cunnus' EW. 336: pide-Marie eine zoologische Be-
zeichnung. R. 49. pidi-vidi in Kinderspielen = Xoa-Xoa; R. 49.
pik EW. 337: pikeluar ,bunt' R. 50.
pilura EW. 337 auch R. 104.
pip ,Sprosse der Pflanze' EW. 338: pipul ,6X£pjJivo^
R. 49. Hieher auch pipilis ,esse ganz auf R. 90 = gr. «ww-
AlUaesUche Studien. V. 99
A/£ft> ,sauge', vgl. die a. a. O. genannten Wörter für ,Pfeife,
Röhre*.
pisa ,Hölle* EW. 339: gr. pis m.
pisJcole ,Pistole* EW. 339: gr. piätoh
plaz ,berste* EW. 344: pldseh ,lästig, iwaxO^'. R. 104.
ptuhur ,Staub* EW. 346: buhtir m. ,Spreustaub' N.
pofSr ,ertrage*, aus bfcoyioio.
pol m. ,Konstantinopel*, aus itöXig.
, politi f. ,Stadt*, aus itoXirsia.
popul ,Volk* EW. 348: populi in Hydra, sonst pipuli
, Volksmenge*, populia i$te mbs ksmbe.
pragaTds vom Winde ,sich legen*. R. 51. pragaldsurs
, Weichheit, Milde* Fab. 39. Präposition prs- und äydli, über
welches man Ngr. Stud. IV 5 vergleiche.
prah ,ruhe aus, schlafe* Fab. 5. Bei Jungg me prq
,aufhören, schweigen*, praxi ,sich ruhig verhalten*. Beide sind
= prvh EW. 5 unter qj.
pramati , Handel*, auch , Waren*, pramatefti , Kauf-
mann* = 7tQafiarsvr^g. prame = rzoafia aus TtQöty^ia.
premeKür EW. 352, richtig prs- oder permelcir. Bugge
183 denkt an lat. proclamare.
pres ,erwarte* EW. 352: pa-prime ,uner wartet* Fab. 19.
pretsönezs f. »Schnauze eines Gefosses* R. 52.
pre868 eine Art Speise, in Hydra. R. 104. Vgl. pSeS
EW. 355.
prift ,Priester* EW. 353: Fem. gr. prsftr&s. '
prim m., prime f. ,Vordertheil des Schiffes*: aus TtQVfxr]
fiir TtQipvi]. Ungenau prüm EW. 355.
priön m. ,Säge*, aus noidvi.
prjer ,drehe um* EW. 354: prejiir, Aor. prejora Joh.
II, 15, meine Etymologie bestätigend.
proke f. ,öabel* EW. 354: broke ,kleiner Nagel, Schuh-
nagel* N. Vgl. imQthux, Tto&yxa Ngr. Stud. IV 64. Hieher auch
prongö ,Holz, welches die Pflugdeichsel im Ringe festhält*. R. 91.
prosmul m. ,Nabelschnur* R. 91.
psaks ,berühre*, gr. hpa^a zu tpccvto.
psard m. ,Fischer*, aus rpaoäq.
pseftri m. ,Lügner*, gr. tpevrr^g, das q vom Femininum
7*
100 VII. Abhandlung: Meyer.
pser von kleinen Kindern, die greinen, wenn sie nicht
einschlafen können. R. 91.
pside Lied 15?
psoni8 ,kaufe ein', ans ipwvvCo) y agr. dipa)viovy von Bipor
und d)v£o(xca.
pu.le ,Tupfen' EW. 356, in Porös puve.
pupeJc, pipeK m. , Milchkuchen' R. 51. Zu pupe EW. 358.
puidfi ,höre auf EW. 359: auch peSon Fab. 80.
putans ,Hure' EW*. 359: putine Fab. 5.
R.
rizikö ,Gefahr' EW. 367: auch rizilc m.
Ro&~di m. ,Rhodos'.
ruS ,Traube' EW. 371: ruS-kulc heissen die Blüthen des
Judasbaumes (cercis liquastrum), die wie Trauben gestellt
sind. R. 86.
reUed'em ,schaure vor Kälte' EW. 373: nfod- in m erde
Ua te nge%hira ja' dwarrptyjaae; m erde tsa te perJcS&ara trirpiftf.
R. 71. Vgl. ngi&ete ^Kälteschauer' Ped. Wahrscheinlich zu der
idg. Wurzel kert- ,schneiden', lit. kertü ,scharf hauen', asl.
np^kcTH, Hp&TaTH ,incidere', ai. krntdti ^schneidet, spaltet', gr.
yteQT-ofiog ,schneidend', d-%eqae'%6^ii}g ,mit unabgeschnittenen
Haaren', lat. curtus ,verstümmelt\ Alb. Ke&- = kert mit #
wegen des dann ausgefallenen r.
rem ,falsch' EW. 373: riimeze f. ,Lüge'.
S.
8 alte ,Sprung' EW. 378: saltart f. dass.
savdn .Leichentuch' EW. 380: savands , wickle in ein
Leichentuch' ; gr. aaßavüva).
servitsia f. plur. ,Arbeiten', it. servizio.
sevddteze ,verliebt' EW. 382: sevdd ,Liebe'.
s f Hat so ,Art Tau' R. 87. Ven. sfilazzo = trinelle,
Boerio 768 b.
sinastrts: avi&dd si sinastrisi, t:^ <tuv&ts<js xai ß^pi** w^N
R. 26, also ,sieh, wie es eingetroffen ist', gr. * (TwaatQiCto.
avvaüTqia ist im späten Griechisch die astrologische Conjunction
Albanische Stadien. V. 101
der Sterne ; (rvvaarqito ,habe G-lück mit etwas', navta awaorqu
,alles schlägt gut aus'.
skolids f. ,Handschuh zum Flachskrempeln' R. 27. Gr.
axovU ist ,gekrämpelter Flachs' Korais "ATaxia IV 519 f.
skularilc m. ,Ohrgehänge' , gr. axovhxqUi von ayualrj^
,Wurm'.
sUap ,Ziegenbock' EW. 387: Plur. tsdpjete ',affectation'
R. 92. Vgl. \irth.a ,Caprice, Laune' Ngr. Stud. IV 59 von it.
becco ,Bock' und frz. caprice von caper.
ßßepdr ,Handbeil' EW. 388: 8Jc€pdr& ein Vogelname,
av£|AO")fflE|xtjc ,Thurmfalke' R.
sKites m. ,Kamm'. R. 27. s- = lat. diV; Jcites flir Kid-tes
zu idg. skheid- ,spalte', s. o. unter Jcij.
8orö m. ,Haufen', aus awQÖg.
stavrodrdm m. griechische Bezeichnung des Stadttheiles
Pera in Konstantinopel, aravoodoöiu.
stolz f. ,Kleid, Schmuck' EW. 393: stolis ,schmücke', auch
bei Jungg.
strangalis, in Porös zdrangalis ,erdrossle'. R. Aus gr.
OTQayyaXlCw.
suret ,Porträt' EW. 397: sorete Plur. Joh. II 15 als Ueber-
setzung von x€Q[Aa ,Scheidemünze'.
Ä
San ^verspotte' EW. 399: Sare f. ,Spott'.
Mastis ,erstaune' EW. 400: auch SaHis, was türk. SaSmalc
genauer entspricht.
Sat ,Karst' EW. 400: Plur. Setemi.
8$JE ,Zeichen' EW. 401 : dazu noch äenk-gu ,Schecke'
(Pferd) R. 29. Segnes m. das Denkmal des Philopappos bei
Athen. R. 101. 8efia&-di für sendl ,Zeichen', Joh. II 18, aus it.
segnale.
Seröü ,heile, kastriere' EW. 405: die letzte Bedeutung
hat auch gr. Sentifc R. 88. Vgl. ausser it. sanare in diesem
Sinne auch frz. sener ,kastrieren', worüber Behrens, Zeitschrift
für romanische Philologie XIV 364 und Meyer-Lübke in Voll-
möllers Jahresbericht I 116 handeln.
102 VII. AMMDdlmig: Mayer.
iervite f. »Kopftuch der Frauen'. Athen. Aas gT. otgßha
und dies aas frz. serviette (wonach Ngr. Stud. IV 80 u. d. W.
zu verbessern ist).
Skemp m. EW. 408: mbs Skimp oder mbe ikim sagt man
vom Anfüllen eines Glases bis zum Rande, R. 31; eine Be-
deutung, die wohl von dem glatt abfallenden Felsen am Ufer
übertragen ist.1
ikendefi EW. 408: ftir ikendije ,Funke* gr. SkendOe R. 30.
Skitiare: i Sklüare neri ,ein hervorragender Mensch*
R. 31. Zu Uuan »nenne' EW. 142 unter dem Worte guafi, das
also gr. kluan lauten wird. Dies dürfte zu der idg. Wurzel
Ulu- Jcleu- gehören, die ja auch in lit. klausaä ,ich gehorche'
einen velaren Guttural zeigt.
Skrap m. ,Skorpion* EW. 409: gr. tiurk.
Skr eh, Pass. Skrihem ,wälze mich* R. 96. Zu kreh EW. 204.
Skrete ,einsam* EW. 409: Skreteri f. »Einsamkeit*.
Skrif ,hacke* R. 88. Ebenfalls zu kreh EW. 204.
Skekeza EW. 410: ganz anders erklärt R. 88 das laut-
lich damit genau übereinstimmende gr. SkWcsze als tSe prestns
nde Shop, kur Sendnene le'imana, also der Einschnitt, die Kerbe
in dem Stamme des Citronenbaumes beim Verschneiden des-
selben.
iKeper »hinkend* EW. 410: gr. iklepsr.
8 ob et m. »kunstloses, selbstgemachtes Lager* R. 29.
Sok EW. 412 »Genosse': griechisch auch SoUeri Fab. 1
neben Soksri »Genossenschaft*.
Stek »Haarscheitel* E\V. 415: StekelM ,mache (der Braut)
einen Haarscheitel*. R. 27.
Stino -a , ixTpo) jjt.a, Frühgeburt'; dann »Bezeichnung eines
hässlichen Menschen*. R. 30. Zu UM EW. 419, gr. stij (»an-
klagen*), Pedersen Stij , bei Jungg Sti in den Bedeutungen
»hineinstecken* und ,abortieren*.
Hrat EW. 417. Für , Eierstock* lies , Eiterstock'. In
Griechenland bedeutet das Wort auch »Haut auf Flüssigkeiten1
und »Hütte der Feldhüter' R. 30. 88.
Strengön EW. 418: in Spezzia ist Streite »Spinne* R. 30.
Streitire f. »Geiz*.
Strige EW. 418: in Porös bezeichnet Hrik m.» Hrige,
Strigezs f. ein Kind» das beide Eltern verloren hat. R. 30.
Albaaesisebe Studien. V. 103
ätrin , breite aus' EW. 418: stros Märchen III ist
EGTQQfOa VOn (JTQIOVW.
itrojere f. , windgeschützter Ort' R. 30. Der zweite Theil
ist efe ,Luft, Wind'.
T.
tabako ,Schnupftabak' EW. 421: tabakireze Name eines
Thieres, R. 59, wohl Deminutiv von gr. xo^iTta^iiqaL — it.
tabacchiera ,Tabaksdose'.
tajis ,nähre' EW. 422. Die dort gegebene Erklärung
von rayi£(o ist unrichtig, das Wort ist griechisch und kommt
von byz. %ayi\ (von zdooio) , Pferderation'. Vgl. Verf. Idg.
Forsch. II 442.
takko ,Schiffszwieback' R. 33 unter nom. Zu it. taeca,
tacco, ngr. uxxog, vgl. Ngr. Stud. IV 87.
taks EW. 422: taksideps ,reise' aus ra&devu).
tartakulle: Ute bene tartakulh, ,er ist stark betrunken'
R. 58.
tartshdm m. ,Schwätzer' R. 92. Der zweite Text wahr-
scheinlich zu hä ,esse'.
tavh EW. 425, gr. auch tavh ,Brett' R. 58.
temön EW. 426 ,Steuerruder': gr. timön aus %i\l6»i.
terböti EW. 429: trebeldfi, trsbulön ,trübe'. Hieher auch
ms trehpi te ftöhetite je suis transi de froid' R. 92.
tigdn m. ,Pfanne' EW. 430: tigdnezs Bezeichnung eines
Thieres R. 59.
traspör m. ,Ueberfahrt', aus frz. transport.
travaje ,Widerwärtigkeit' EW. 435: dazu travutds be-
laste' R. 60, der trabulds schreibt; indessen ist bei ihm nicht
selten v und b vertauscht.
trenguliti von dem Geräusche, das entsteht, wenn man
den Rand eines Glases mit den Fingern reibt. R. 60.
trssifo -a nautischer Ausdruck = sfilaUa ndridure.
R. 92.
trim ,tapfer' EW. 437: trimsrese f. ,Heldenthat'.
trokakie] mos ms trokaliis Mrdets ,greife (oder stosse)
mir nicht an die Hoden', d. h. ,hebe dich weg von mir'. R. 98.
Zu trokM ,trete' bei Kav. (EW. 437) ?
trumbs EW. 438: gr. auch drombets /Trompete' N.
104 VII. Abhandlung: Mey«r.
tsingu-tsingu von sparsam aufgetragenen Speisen nnd
überhaupt von allem, was nur spärlich gegeben wird. R. 67.
Vgl. taingul EW. 441.
tsipe ,Haut der Zwiebeln' EW. 441: Ute fa Uipa-vtriz
,er ist ein giftiger Kerl' R. 106.
tsope ,Stüek' EW. 442: griechisch auch ,Kanone' R. 97;
vgl. ,Stückpforte'.
tsukald m. ,Töpfer' aus raovyuzXäq.
täihur m. ein Pflanzenname, ,helminthia echioides' R
Serb. Huxopa ist Cichorium endivia' Sulek 56.
tSihle f. ,Drossel', aus ngr. %ai%Xa neben %i%hx.
t§obdn m. ,Hirt': griechisch auch Uopdn.
tSovö'i »ungebildeter , bäurischer Mensch' R. 92. Von
serb. Hoejen ,Mensch' in pejorativem Sinne?
1 8 utdks ,ducke mich', von den Küchlein unter der Henne.
R. Aus gr. xoLTd^cj.
tunt EW. 452: tunde-tunde Adv. ,hin und her schau-
kelnd'.
turäs-zi ein Pflanzenname ,61obularia alypum'. R. Iden-
tisch mit dem Mttnznamen EW. 453? oder zu tore EW. 433,
vgl. globularia ,Kugelblume'?
utroidizem ,gehe im Kreise umher, wie die Ziegen vor
dem Stalle' ; übertragen ,bin ungeduldig'. R. 6.
V.
vafi f. ,Tinktur, Farbe', aus gr. ßaqrf.
vat f. EW. 461; auch ,Palmenzweig' N., nach R. 98 ,la-
vendula stoechas'.
vanjöl m. ,Evangelium' , aus eiayyifoov* Vgl. ungil
EW. 457.
vapör m. ,Dampfschiff', aus ßcmdqi = it. vapore.
var ,begrabe'. varhem , werde begraben'. Vgl. EW. 37
unter bire. Meine etymologische Verbindung mit diesem Worte
und seiner Sippe ist unhaltbar. Vielleicht gehört var zu idg.
ver- ,umhüllen, einschliessen, schützen'.
var 4s , mache Verdruss' EW. 463 ist auch griechisch.
var gern de impotentia ex affectu deprimente. R.
AltanMuehe Studien. Y. 105
vasili m. »König' (EW. 28 unrichtig basilt): ßaoikag.
vasilise f. »Königin': ßaoifaaaa. vasili f. »Königreich': ßaoiXeia.
vasilb m. »Reich* : ßaailstov. vasileze f.- »eine Art Würfelspiel' R.
vaäe f. »Mädchen' EW. 464: gr. vaizs und va$e.
vavuVe f. ,Knospe' N. Ans gr. ßccßovh. Ngr. Stud. III 12.
vdes »sterbe' EW. 465: vddkele f. ,Tod'. Auch bei Pe-
dersen.
ve »wehe' N. vemo dass.
vehndze »Wolldecke' EW. 465: veUnze N. Zur Ety-
mologie vgl. Ngr. Stud. II 17. 102. III 81.
virbere »blind' EW. 466: griechisch auch derbere N.
verd »gelb' EW. 466: mos u ver& »flirchte dich nicht'.
as verdem as kulcem »ich kümmere mich nicht darum', verdesire
f. »Gelbsucht4. N.
veS ,Ohr' EW. 467: vüeze »orillon de charrue' N. ,druri
me tri angona, Ue nera hin nds pluar e te dia te tjSrate
mburöhene bötene'. R. 84.
vejiii »nütze» gelte' EW. 469: gr. vsfäti; vettere »kostbar'. N.
veld »Bruder' EW. 469: griechisch auch vyä, Plur. vjezer.
venir »Galle' EW. 470: wer oft »betrübe'.
vergär »unverschnitten' EW. 470: bei N. vergär.
verjjeri ,Jungfrauschaft' EW. 470: vertfer jungfräulich,
ungebraucht» rein» keusch'. N.
vertut m. EW. 471: vertut »Kraft» starker Trieb (von
Pflanzen)'; kerne vertu drizate »die Bäume wachsen stark'. N.
vefäs »schreie' EW. 471: gr. bert6e} bretäs.
vsHön »betrachte' EW. 471: griechisch auch ve&döfi.
vge »Aleppokiefer' EW. 471: vjene f. »Ceder, Cypressen-
Wachholder' N.
vi f. »Rinne' EW. 471: gr. viu m. N. R. 84.
viasi »Eile', aus ßiaaig. Bei Pedersen vjas.
vidre f. »Fischotter' N. Aus ngr. ßvdgcc = asl. Eyj^fid.
Ngr. Stud. II 20.
vih m. »Wicke** Heldreich, vik i 6§ere »Vogelwicke'. N.
Aus ngr. ßlxog, Augmentativ von ßixlov.
vio m. »Vermögen'» aus gr. ßlog.
violi f. »Violine' N.» aus gr. ßioU.
vje& »stehle' EW. 474: vjedes »diebisch' N.
vjel »speie' EW. 475: vel »verursache Uebelkeit' N.
Sitiungsber. d. phil.-biit. Cl. CXXXIT. Bd. 7. Abb. 8
106 VII. Abhandlung: lUyer. ▲lbftowtscbe Stadien. V.
vjet ,halte Weinlese' EW. 475: vjeSte f. ,Herbst' N.
vjer ,hänge auf* EW. 475: vjer ni. ,Galgenstrick' N.
vjer m. ,Schwiegervater' EW. 475: vjeheri f. ,das gegen-
seitige Verhältniss der beiderseitigen Schwiegereltern' N.
vjet ,Jahr' EW. 475: sivjem theurig' N.
vlahinike , Walachei' EW. 476: vlah m., vlahe f.
,Walache, Walachin' N.
vla8fim{8 ,lästere' EW. 476: vyastimü ist auch griechisch.
vodim von Melonen, die aussen nicht glänzen, sondern
rauh wie eine Feile sind. R. 84.
vot8 ,Kind' EW. 477; griechisch auch eine Art kleiner
Fische, R. 84.
vris m. , Quelle'; aus gr. ßqvag.
vrom(p8 ,stinke' EW. 478: vrome f. ,Gestank, Unrath?
Kehricht' = ßQwpa. vram m. ,stinkender, schmutziger Mensch1
= ßQtofxog. N.
Z.
zahar m. ,Zucker' EW. 480: Deminutiv zdhartö.
zamare f. ,Doppelflöte, Zigeunerflöte' N.
zavatdr EW. 481 : zavome auch Ungeschicklichkeit,
Albernheit'.
zbruh , verwittere'. Athen. R.
zburk m. ,cyclamen graecum*. R.
zeks ,stinke, rieche nach etwas' N. R. 32. Lied 2. Aus
ete£a filr e^soa = ü^eact zu #£a>.
zirbste ,link' EW. 483: zu lesen ist z£rvete. Dazu zer-
viU ,nach links'.
z§eS ,kleide aus', s. EW. 467 ve8.
zjeti EW. 485: prsziän ,treffe zusammen'.
zmigd&'di m. ,Mengkorn', aus gr. (T^ydöi.
zor m. ,der innere Hals, Kehle, Schlund', ms demp zori
,der Hals thut mir weh'. N. Besteht Zusammenhang mit
zverlc EW. 488?
zuber m. ,Korkeiche, Kork' N. Aus it. suvero. z- be-
fremdet.
&
iikul ,Gespenst' R. 88.
VIII. Abhandlung: Oblak. M&cedoniscbe Studien. 1
vni.
Maeedonisehe Studien.
Von
Dr. Vatroslav Oblak.
Die slavischen Dialecte des südlichen und nordwestlichen
Macedoniens.
Einleitung.
1. Das Interesse für die slavischen Dialecte Macedoniens
ist ebenso alt als die slavischen Studien. Schon Dobrovsky
und Kopitar interessirten sich lebhaft für die Sprache der
slavischen Bewohner Macedoniens. Auch auf diesem Gebiete
erwies sich Vuk Karadzic als der Mann der That. In seinem
im Jahre 1822 in Wien erschienenen ^o^aTaK k caHKTneTepöyp-
ckhm cpaBHirreJbHHM pjeiHHAHva c ocoöhthm oraeAHMa öyrapcKora
jeSHKa theilte er mehrere maeedonisehe Volkslieder mit und ver-
mittelte so den gelehrten Kreisen die nothdürftigste Eenntniss
der macedonischen Dialecte. Wenn auch seitdem durch die
Veröffentlichung von Volksliedern, Sagen und Märchen das
diabetische Material aus Macedonien bedeutend angewachsen
ist und wir insbesondere aus der allerneuesten Zeit in dem vom
bulgarischen Unterrichtsministerium herausgegebenen Sbornik
ein gewaltiges dialectisches Material von ähnlichen Sprachproben
aus verschiedenen Gegenden Macedoniens zusammengetragen
finden, unsere Eenntniss der macedonischen Dialecte ist doch
noch immer ungenügend und sehr oberflächlich. Wenn die-
selbe nicht in gleicher Weise mit dem dialectischen Material
zugenommen hat, so tragen daran hauptsächlich zwei Umstände
die Schuld. Erstens sind die veröffentlichten Sprachproben
zum grossen Theil Volkslieder, und es ist bekannt, dass sich
die Sprache, wie sie uns in den Volksliedern entgegentritt,
Sitenngsber. d. pbil.-hist Cl. CXXXIV. Bd. 8. Abb. 1
2 VIII. Abhandlung: ObUk.
öfters nicht vollkommen mit der gewöhnlichen Umgangssprache
deckt. Dies ist besonders in Macedonien der Fall, worauf
schon die einheimischen Beobachter zu wiederholtenmalen hin-
gewiesen haben; vergl. üCn. XXXIV 431. Deshalb finden wir
in den neuesten Pnblicationen der Volkslieder aus Macedonien
öfters Verweisungen auf die entsprechende Form der Umgangs-
sprache. Schon aus diesem Grunde lässt sich aus solchem dia-
betischen Material kein getreues Bild der unverfälschten Volks-
sprache gewinnen. Ein bedeutenderes Hinderniss ist zweitens
die unvollkommene und unconsequente Orthographie der älteren
Publicationen und auch vieler neueren Texte; sie lässt in vielen
Fällen die Aussprache nur errathen, manchmal auch dies nicht.
Es hat sich auch herausgestellt; dass dies in neuerer Zeit aus
Macedonien so reichhaltig zuströmende diabetische Material
nicht ganz genau aufgezeichnet ist; dass dabei manche dia-
betische Eigenthümlichkeiten und Feinheiten unberücksichtigt
gelassen, anderes unrichtig niedergeschrieben wurde. Es ist
kein Wunder, dass dieses grösstenteils von Volksschullehrern,
Popen und Kaufleuten gesammelte Material nicht allen unseren
Anforderungen; die wir bezüglich der Genauigkeit und Zu-
verlässigkeit der Aufzeichnungen stellen müssen; entspricht.
Ein grosser Theil der ehrenwerthen Männer, die, vom besten
Willen beseelt, derartige dialectische Beiträge in der Gestalt
von Volksliedern und Erzählungen lieferten, besitzen nicht die
nöthige Kenntniss dazu und wissen nicht, worauf es alles beim
Aufzeichnen diabetischer Beiträge ankommt. Wer sich mit dem
Sammeln diabetischer Sprachproben und nicht mit einzelnen
lautphysiologischen Untersuchungen abgegeben hat, weiss wie
mühsam es ist; sich beim Niederschreiben zusammenhängender
Texte von jedem Einfluss der Schriftsprache freizuhalten, und
so manche Ungenauigkeiten zu vermeiden. Nach dieser Seite
befriedigen nur die wenigsten Sammlungen folkloristischen und
dialectischen Materials aus Macedonien. Auf diesen unbewusten
Einfluss der Schriftsprache auf die dialectischen Aufzeichnungen
haben die dabei in erster Linie interessirten Bulgaren selbst
aufmerksam gemacht, vergl. C6M. X 345 ff. Selbst die Auf-
zeichnungen eines so fleissigen und bewährten Sammlers wie
Sapkarev sind nicht ganz zuverlässig und haben manche dia-
lectische Eigenthümlichkeiten verwischt, ja selbst in seinen Mit-
Macedonisohe Stadien. 3
theilungen aas seinem Ochridaer Heimatsdialect, den er gewiss
genau kennen muss, hat man einige Ungenanigkeiten entdeckt
(C6M. XI 582 f.). Viel seltener sind bewusste Aenderungen zu
Gunsten der Schriftsprache, obwohl man auch solche bemerkt
hat (DCn. XLI— XLII 863). Es ist deshalb erklärlich, dass
Professor Jagi6 noch unlängst den Wunsch nach gewissen-
haftem Studium der macedonischen Dialecte, an Ort und Stelle
unternommen, äusserte.
An einzelnen Bemerkungen über verschiedene macedo-
nische Dialecte fehlt es nicht, eine eingehendere, allen Eigen-
thümlichkeiten Rechnung tragende Studie irgend eines mace-
donischen Dialectes besitzen wir noch nicht, wenn wir von
der summarisch gehaltenen Zusammenstellung der phonetischen
Eigentümlichkeiten des Dialectes von Stip im C6M. XI. ab-
sehen. Daran sind die in Macedonien herrschenden Verhältnisse
Schuld. Einheimische Gelehrte, die vor allem zu solchen Studien
berufen wären, gab es bis in die neueste Zeit nicht, fremden
Gelehrten sind durch die dortigen Verhältnisse diabetische
Studien fast unmöglich gemacht. Wenn man sich um griechische
oder gar walachische Dialecte Macedoniens interessirt, so geht
es noch an, aber man hüte sich bei Leibe ein grösseres Inter-
esse für bulgarische Dialecte zu zeigen. Auf die slavische
Bevölkerung und ihre Regungen hat man ein wachsames Auge,
ein intensiver Verkehr mit den bulgarischen Bauern, Lehrern
und Popen ruft sofort das ärgste Misstrauen hervor und bringt
diabetische Studienreisen zum unfreiwilligen Abschluss. Die
nächste Zukunft wird uns deshalb wohl kaum slavische dia-
lectische Studien aus Macedonien bringen, wenn sich nicht ein-
heimische berufene und vollkommen objeetive Gelehrte finden,
die uns die Kenntniss der macedonischen Dialecte erschliessen.
Die slavischen Dialecte Macedoniens sind in mehrfacher
Hinsicht für die slavische Philologie von besonderem Interesse.
Vor allem sind sie ausschlaggebend bei der Frage nach der
Heimat des Altkirchen slavischen. Ohne genaue Kenntniss der
südmacedonischen Dialecte, besonders des Dialectes, der in der
Umgebung von Salonichi gesprochen wird, ist die endgiltige
Lösung der altslovenischen Frage unmöglich. In neuester Zeit
steht betreffs der macedonischen Dialecte besonders ihr Ver-
hältniss zur bulgarischen und serbokroatischen Dialectgruppe
l*
4 VIU. Abhandlung: ObUk.
im Vordergründe des Interesses. Es handelt sich um die in
letzter Zeit viel umstrittene Frage, ob die slavischen Bewohner
Macedoniens zu den Bulgaren oder Serben gehören. Vom
philologischen Standpunkt ist die Frage so zu stellen: befür-
wortet die Mehrzahl der charakteristischen Eigentümlichkeiten
der verschiedenen makedonischen Dialecte einen engeren Zu-
sammenhang derselben mit der bulgarischen oder serbokroa-
tischen Dialectgruppe? Ob sich die Bewohner als Bulgaren
oder Serben fühlen, das mögen sie selbst entscheiden, das zu
untersuchen ist nicht Sache der slavischen Philologie.
2. Während meines mehrmonatlichen Aufenthaltes zu Ende
des Jahres 1891 und zu Anfang des Jahres 1892 hatte ich
Gelegenheit einige macedonische Dialecte genauer kennen zu
lernen. Es sind dies die Dialecte von Suho, der Debradialect
von Galiönik, Kiene und Oboki und der Dialect der nördlichen
Umgebung von Salonichi und zwar der Dörfer Novo selo,
Grdabor, Bugarie vo, Vatitak und Vardarovci. Im Folgenden
theile ich die Resultate meiner Studien mit.
In Salonichi lernte ich einen jüngeren Handwerker aus
Suho kennen, der sich erst etwas über ein Jahr daselbst auf-
hielt. Vorher hatte er auf längere Zeit sein Heimatsdorf nicht
verlassen. Eine bulgarische Volksschule hatte er nicht besucht,
bulgarisch lesen und schreiben konnte er nicht, die bulgarische
Schriftsprache war ihm unbekannt. Er sprach seinen Heimats-
dialect rein und ausserdem auch den griechischen Dialect, wie
er in Suho gesprochen wird.
Auch mit dem Debradialect von Galiänik wurde ich in
Salonichi bekannt. Mein Gewährsmann war ein vermögender
Bauer und Herdenbesitzer aus Galiänik, der mit seinen Schaf-
herden in der nächsten Nähe von Salonichi zu überwintern
pflegt. Da er schon durch eine Reihe von Jahren den Winter
in Salonichi zubringt, so war es mir trotz seiner Versicherung
einigermassen fraglich, ob er den Dialect seines Heimatsdorfes
vollkommen rein und frei von fremden Elementen spreche. Ich
machte deshalb in seiner Gesellschaft einen Ausflug zu seinen
Hirten südöstlich von Salonichi und hielt mich bei denselben
einen Tag auf, um meine Aufzeichnungen zu controliren und
zu vervollständigen. Von denselben hatten allerdings einige
schon öfters den Winter fern von ihrer Heimat bei Salonichi
Macedoniscfce Studien. O
zugebracht, aber unter ihnen gab es auch zwei Burschen aus
Galicnik, die jetzt zum erstenmal ihre Heimat verlassen
hatten. Mit ihrer Hilfe konnte ich mich überzeugen, dass
mein Gewährsmann den Dialect von Galicnik noch voll-
kommen unverfälscht spreche. Meine Mittheilungen über diesen
Dialect beruhen demnach auf den Aufzeichnungen nach der
Sprache meines erwähnten Gewährsmannes und auf jenen, die
ich bei Hirten machte. Diese Aufzeichnungen wurden zum
Theil in meiner Wohnung in Salonichi, theils in der Hütte
der Hirten gemacht, wo ich in vollster Ruhe und unbehindert
meine volle Aufmerksamkeit der Sprache des Redenden zu-
wenden konnte.
In Salonichi lernte ich einen etwa 9 — 10jährigen Knaben
aus dem Debradorfe Kiene kennen. Derselbe hatte erst vor
einigen Monaten seine Heimat verlassen und besuchte in Salo-
nichi durch zwei Monate die bulgarische Volksschule. Die
Schule konnte demnach noch nicht modificirend auf seinen Dia-
lect eingewirkt haben. Man sieht es auch seiner Sprache an,
dass sie durchaus aus einem einheitlichen Gusse ist.
Die Aufzeichnungen aus dem Debradialect von Oboki
sind nach der Sprache eines etwa 55jährigen Arbeiters in Salo-
nichi gemacht. Derselbe versicherte mich zwar zu wieder-
holtenmalen hoch und theuer, dass er jetzt zum erstenmale
seine bergige Heimat verlassen und früher niemals Salonichi
gesehen habe. Doch schon am ersten Abend wurde mir seine
Sprache verdächtig und es stellte sich in der That heraus, dass
der Mann schon' durch etwa 17 Jahre auf längere Zeit seine
Heimat zu verlassen pflegte, um in verschiedenen Gegenden
Macedoniens, hauptsächlich in Salonichi seinem Erwerbe nach-
zugehen. Deshalb sind in seiner Sprache auch manche Dou-
bletten und Unconsequenzen , die sich durch den Einfluss
anderer bulgarischer Dialecte erklären. Ich habe trotzdem seine
Sprache in meine Studie aufgenommen, um an einem Beispiel
die in Macedonien so häufige Dialectmischung zu zeigen.
Ich hatte vor, meine dialectischen Aufzeichnungen der bei-
den erwähnten Dialecte von Suho und Debra in den betreffenden
Dörfern selbst zu ergänzen und zu vervollständigen. Wegen
des plötzlichen Abbruches meiner Studienreise musste ich meine
Absicht aufgeben.
5 VIII. Abhudlnn«: ObUk.
Den Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi
studirte ich an Ort und Stelle, in den Dörfern selbst Ich
hielt mich dabei möglichst an die Sprache der Frauen, und
zwar gewöhnlich etwas älterer Frauen, denn dieselben haben,
da sie im Gegensatz zu den Männern nur selten und niemals
auf längere Zeit ihr Heimatsdorf verlassen, am reinsten den
Ortsdialect bewahrt. Vorher erkundigte ich mich jedesmal
eingehend, ob die betreffende Person auch aus demselben Orte
stamme, ob sie irgend eine Schule besucht habe, des Lesens
oder Schreibens kundig wäre oder längere Zeit ausserhalb des
Ortes zugebracht hätte, und ob nicht ihr Mann aus einem
anderen Orte zugewandert wäre. Erst nachdem ich mich so
von ihrer ,Autochthonität' und unverfälschten Reinheit ihrer
Sprache überzeugt hatte, legte ich ihre Sprache meinen Auf-
zeichnungen zu Grunde.
In Novo selo waren es hauptsächlich zwei ältere und
eine jüngere Frau und ein älterer Mann, nach deren Sprache
ich meine Aufzeichnungen machte. Die junge Frau hatte aus
dem etwa eine halbe Stunde entfernten Dorfe Dudbxl nach Ns.
geheiratet. Ich habe es leider unterlassen in meinen Notizen
anzumerken, welche Aufzeichnungen auf ihrer Sprache be-
ruhen. Viele sind es nicht und auch die diabetischen Unter-
schiede sind ganz minimal. In Grdabor, wo ich mich nur
kurze Zeit aufhielt, machte ich meine Notizen nach der Sprache
einiger Männer. Im nächsten Dorfe Bugarievo studirte ich die
Mundart mit Hilfe einiger Männer und einer Frau. Die dia-
betischen Aufzeichnungen aus Vatiltk beruhen auf der Sprache
zweier Männer und einer Frau. Im letzten Dorfe Vardarovci
war es hauptsächlich ein altes Mütterchen und ihr etwa zwanzig-
jähriger Sohn, nach deren Sprache ich meine Aufzeichnungen
niederschrieb.
3. In allen diesen Dörfern mit Ausnahme von Grdabor
machte ich meine Aufzeichnungen in aller Ruhe und, ungestört
vom Lärm und Getriebe eines Han, in den Wohnhäusern und
Hütten. War mir die Aussprache eines Lautes nicht ganz klar
und sicher, so wusste ich es so einzurichten, dass ich den-
selben Laut öfters hörte. Um in zweifelhaften Fällen sicher
zu gehen, wollte ich den betreffenden Laut von verschiedenen
Leuten und zu verschiedenen Zeiten hören, denn bekannter
Mocedonische Stadien. 7
Blassen ist der akustische Eindruck desselben Lautes nicht
immer gleichartig, wie er auch vom Sprechenden nicht immer
in ganz gleicher Weise gesprochen wird. Meine besondere
Aufmerksamkeit richtete ich dabei auf die viel umstrittenen
Laute c, d — #, tj. Es kam mir vorzugsweise auf die laut-
lichen Eigentümlichkeiten der Sprache an , denn den ge-
sammten Formenbestand eines Dialectes kann ein Fremder
selbst bei längerem Aufenthalt nicht überblicken; nach dieser
Seite sind die Studien fremder Forscher lückenhaft , Voll-
ständigkeit kann darin nur von Einheimischen erwartet werden.
Wenn meine Aufzeichnungen hie und da mit jenen der ein-
heimischen Sammler nicht ganz übereinstimmen, so mag dies
theilweise auch darauf beruhen, dass wir zwar dieselben Laute
hörten, aber bei unserem etwas verschiedenartig gearteten Laut-
system denselben in ihrem Verhältniss zu anderen Lauten nicht
denselben Platz anwiesen. Manche scheinbare Unregelmässig-
keit und Unconsequenz liess ich bestehen, ich durfte nicht
unserer Theorie zu Liebe die Sprache in die Zwangsjacke
nicht vorhandener Regelmässigkeit einzwängen. Ueberall, wo
ich im Fluss der Rede zu verschiedenen Zeiten verschiedene
Formen zu hören glaubte, liess ich sie unangetastet. Dass ich
auch solche Erscheinungen, die kein besonderes Interesse bieten,
öfters durch eine grössere Zahl von Beispielen belegt habe,
glaube ich bei Dialecten, deren Studium, wie mehrere Bei-
spiele aus letzter Zeit gezeigt haben, nicht immer glatt ver-
laufen, nicht erst entschuldigen zu müssen.
4. Nun noch einige topographische Bemerkungen.
Suhö ist ein grösseres Dorf und liegt ungefähr in der
Mitte zwischen Salonichi und Serres, etwa acht Stunden von
ersterem entfernt, rechts von der Strasse im Gebirge. Auf
der österreichischen Karte ist es als Suchos (Sucha) eingetragen.
Neben Bulgaren wird* es auch von Türken bewohnt, von den
ersteren sind viele auf dem Wege gräcisirt zu werden.
Novo selo (Ns.) ist ein rein bulgarisches Dorf, zweieinhalb
Stunden nordwestlich von Salonichi. Nur eine halbe Stunde in
nordwestlicher Richtung davon entfernt ist Grdabor (Gr.), wie
den Namen die Dorfbewohner selbst aussprechen, die Bulgaren
schreiben Gradobor. In einer Entfernung von. ungefähr zwei
Stunden liegt nordwestlich davon das Dorf Bugarlevo (Bug.)
8 VIII. Abhandlung: OMak.
und in gleicher Entfernung von diesem in südwestlicher Rich-
tung Vatitak (Vat.). Drei Stunden von Vatitak in nordwest-
licher Richtung ist das Dorf Vardarovce (Var.), ausgesprochen
Vardarofcc, am linken Vardarufer.
Die Dörfer Galiönik (Gal.), Kleric (Kl.) und Oboki (Oh.\
von denen das erstere das bedeutendste ist, sind im Debra-
gebiet nördlich von Ochrida.
Der zweite Theil meiner macedonischen Studien wird die
Erklärung der bedeutendsten Lautprocesse, die Besprechung
der Stellung der hier behandelten Dialecte zu den übrigen
macedonischen Dialecten und das Verhältniss der letzteren zur
bulgarischen und serbokroatischen Dialectgruppe enthalten.
Kurze Beschreibung der Laute und Ueberslcht des
phonetischen Werthes der Buchstaben.
Vooale.
5. Die Vocale a, ey i, o, u bedürfen keiner näheren Er-
klärung. Ihre Aussprache ist die im Serbokroatischen übliche.
Nur bezüglich des e und o ist zu bemerken, dass damit ein
mittleres e und o bezeichnet wird oder geradezu alle voca-
lischen Nuancen zwischen e und i einerseits und zwischen u
und breitem o anderseits, vergl. §. 38 Anm.
e ist ein breites e} zwischen e und a liegend.
ä ist ein sehr breites e, das sich schon stark dem a
nähert.
ü bezeichnet ein etwas nach o hinneigendes u, also einen
Laut, der zwischen o und u stehend, sich bereits dem letzteren
stark nähert. Bei schneller Sprache ist ü fast nicht vom kurzen
u zu unterscheiden.
i ein gegen e verschobenes i. Es steht in demselben Ver-
hältniss zu i, wie ü zu u. Bei schneller Aussprache fiel es für
mein Ohr fast mit i zusammen.
?j — > der trübe, dumpfe Vocal, den ich gewöhnlich mit dem
Ausdruck ,Halbvocal' bezeichne. Es ist ein Mittelzungenvocal
(gemischter Vocal, mixed, vergl. Storm, Engl. Phil.8 300. 327),
über dessen Aussprache vergl. § 7 Anm. '
Macedonische 8tudien. y
p, 0, g sind einigermassen reducirte a-, e-, o-Vocale mit
etwas dumpfer und trüber Aussprache, wodurch sie sich schon
dem h nähern.
g ist ein kurzes, nicht ganz ausgeprägtes, etwas dumpf
klingendes a.
§ ist ein kurzer e-artiger dumpfer Laut, ein Halbvocal
mit offener e-Basis.
g ist ein kurzes etwas dumpfes o, das nicht bei gewöhnlicher
Lippenstellung des o gebildet wird, die Lippen sind etwas mehr
vorgeschoben, die Oeflhung ist runder und kleiner als bei o.
9 ist ein etwas reducirtes e von geringer Intensität, ähn-
lich dem deutschen e in ,Gabe'. Es unterscheidet sich von § nur
wenig und zwar dadurch, dass es weniger dumpf (trübe) klingt
und ein engerer Laut als § ist.
Kleine Buchstaben, die nur in Verbindung mit anderen
Vocalen erscheinen, bezeichnen einen sehr schwachen Eindruck
des betreffenden Lautes, der gewöhnlich sehr kurz ist. Z. B.
'«, e\ Niemals wird aber dadurch eine Modification der Aus-
sprache jenes Lautes bezeichnet, dessen Exponent der kleine
Buchstabe ist. Ein le drückt daher niemals enges e oder einen
e-Laut aus, der sich im ersten Theile stark dem i nähert. Buch-
stabenverbindungen grosser Buchstaben mit kleinen bezeichnen
demnach keine einheitlichen Laute.
Das Kürzezeichen über den Vocalen, z. B. I, m, wird ver-
wendet, um eine auffallende Kürze anzudeuten.
Consonanten.
6. Die Consonanten b, c, £, d9 f, g, ä, j} &, ly m, n, p, r,
8, s, ty v, z, £ haben die in den südslavischen Sprachen be-
kannte Aussprache.
v ist der dentolabiale Spirant.
w ist die labiolabiale (bilabiale) Abart des Spiranten. In
einigen Dialecten nähert sich die Aussprache des w schon stark
dem vocalischen u, in solchen Fällen schreibe ich: u.
I ist ein mittleres Z, wie im Slovenischen, Serbokroatischen
und Böhmischen.
/ — gutturales (hartes) Z, das besonders den russischen
und polnischen Dialecten bekannt ist.
10 Yin. Abhandlung ObUk.
Es klingt etwas weniger guttural (hart) als im Russischen.
I — ein nur im geringen Grade hartes (gutturales) l, das
sich schon dem mittleren l nähert.
I — palatales (mouillirtes) l, im Serbischen mit Jb be-
zeichnet.
fi — palatales (mouillirtes) w, serbisches h>.
6 — ungefähr serbisches Ä. Näheres über die Aussprache
dieses Lautes und des dy sowie des Jcy g, vergl. beim Reflexe
des urslav. tj, dj und im Archiv XVII 452.
d — der stimmhafte Consonant zu 6} etwa serb. ß.
K — ein Explosivlaut, der sich nur ganz unbedeutend
durch ein geringeres fricatives Element von 6 unterscheidet;
vergl. darüber bei den Reflexen des urslav. tj. dj und Archiv
XVII 452.
(] — der stimmhafte Explosivlaut zum tonlosen Je.
Je — ein palatales (mouillirtes) fc, wohl zu unterscheiden
von Je, denn Je ist ein weiches k ohne fricativen Ansatz.
$m — palatales g, das gleichfalls ein reines g und der
stimmhafte Laut zu Je ist.
Z — stimmhaftes c.
Die palatale (,weiche') Aussprache der Consonanten ist,
wie Je und § zeigen, durch einen Acut bezeichnet, z. B. f, d7 c.
Dabei ist nur zu beachten, dass c kein palatales c, sondern
ungefähr der im Serbischen bekannte Laut Ä ist. Der Grad
der Palatalität ist in den Dialecten nicht gleich.
Kleine Buchstaben z. B. * bezeichnen einen sehr schwachen
Eindruck des betreffenden Consonanten auf das Ohr. Am häu-
figsten wird i vor Vocalen im Silbenanlaut angewendet, wo es
oft schwer zu entscheiden ist, ob vor dem Vocale j vorhanden
ist oder nicht, ob z. B. igra oder Hgra gesprochen wird.
I
> sind silbenbildende, sonantische
r
l
ii
m
Oefters lässt sich im Fluss der Rede nicht bestimmen, ob
vor diesen Sonoren ein halbvocaliscb.es Element auftritt; rund
vr sind sowohl im Bulgarischen als Slovenischen schwer aus-
einander zu halten.
HacadoDiache Studien. 11
Lautlehre.
~Vo calismus.
Halbvocale.
A. Dialect von Suho.
7. Die beiden altbulg. Halbvocale t>, ^ entwickelten sich
im Dialect von Suho zu 1. e, o, 2. a, 3* q,, 4. gänzliche Ab-
sorption.
Anm. Die Klangfarbe des Halbvocals in den mace-
donischen und bulgarischen Dialecten ist ebensowenig über-
all dieselbe, wie z. B. die der Reductionsvocale in unter sich
nahe verwandten deutschen Dialecten (vergl. Kauffmann,
Gesch. der schwäb. Mundart S. 7). Für das Bulgarische
wurde dies schon von Drinov hervorgehoben (Archiv V,
370, vergl. Archiv XVI, 184 f.). Man kann in den mace-
donischen und bulgarischen Dialecten hauptsächlich drei
Klangfarben der Halbvocale unterscheiden. 1. Halbvocal
mit der a-Basis. Die Zungenarticulation ist die des a, nur
mit stärkerer Zurückziehung und Hebung der Zunge und
Senkung des Kehlkopfes. Die Lippenöffnung ist die von u
(vergl. Conev 55 f., Archiv XVI, 154, 184). Diese laut-
physiologische Natur haben die Halbvocale vorzugsweise
in den ostbulgarischen Dialecten (M. Ivanov IlCn. XLV,
S. 408 f.). 2. Halbvocal mit der o-Basis, sonst aber in
gleicher Weise gebildet wie der vorige. Diese Klang-
farbe hat der Halbvocal im Dialecte der nördlichen Um-
gebung von Salonichi. 3. Mit der e-Basis im Dialect von
Suho (vergl. eine ähnliche Aussprache der Halbvocale in
mehreren slovenischen Dialecten). Eine noch ausgeprägtere
6-Klangfarbe hat wahrscheinlich der von Vasiljov IlCn.
VI, 148 — 150 beschriebene Laut, der im Dialect von
Teteven und Umgebung flir bulg. i gesprochen wird. Es
scheint geradezu das albanesische § zu sein, und es ist
in dieser lautlichen Modification des ^ ein Einfluss des
benachbarten Albanesischen mit seinem § zu sehen, das
bis in diese Gegenden reicht (Archiv XVI, 184), wie
umgekehrt die Aussprache des A', g als <?, d im alba-
12 VIII. AMMDdluif : ObUk
nesischen Dialect von Skodra auf den Einfluss des be-
nachbarten serbischen (Montenegros) zu setzen ist. Ich
bezeichne alle drei Arten des Halbvocals mit i wegen
des geringen Unterschiedes.
8. Altbalg, b entwickelte sich im Dialect von Suho zu e:
den, nemu clhi (dvnbs-), nese (dbnbBb) , dessen auslautendes e
nach Analogie der Adverbia utre etc. neben dhfib (dbnb mit
dem Artikel) und dni, Sef (h>vt)9 äefävi, lekti, Ihka, len, fe>nkif
»vntec und darnach "sogar der Plur. svntlci, även und nach
Analogie auch ilvhii.
9. Altbulg. ^ wurde zu o, das sich dann, wie ein jeder
unbetonter o-Laut, in unbetonten Silben zu einem zwischen o
und u schwankenden, aber doch dem letzteren näher stehenden
Laute ü entwickelte. Bei schnellem Sprechen ist dies d nicht
leicht von ü zu scheiden: mbziik, mbzüci, mozükb, kugä, Ibküti,
(Nom. PL), tukufb, pentok, nos (om). — Ausserdem ic&men
mit ä für b, vergl. S. 14.
10. Beide altbulgarischen Halbvocale fielen in allen jenen
betonten Silben, wo sie sich nicht zu e, o entwickelt hatten, in i
zusammen, das, wie bereits erwähnt, in diesem Dialect mit
e-artiger Basis gebildet wird.
a) ^ für altbulg. b: llska (blitzen, Ibsk-), Itskafo, ovat,
ausserdem du'ib.
b) t> für altbulg. a: dU aber dgidi (3. Sgl.), s&nüvi, dbUifa,
dlh (Athemzug), dr>ham} ra£, m\ha} dbska.
Ebenso shdbm, bsvm, vfy?hl.
11. In jenen unbetonten Silben, wo die Halbvocale nicht
zu 6, o (ti) wurden, erscheint für beide q,: dqJtdb, vgxidhi (den
ganzen Tag), sg,s nb$. Ebenso lyn^ä (ab. Ibza) mit historisch
nicht begründetem Nasal. Doch finden wir ^ in unbetonter
Silbe: dvfib. Der Nasal hielt die Entwicklung des * zu p auf.
Wir sehen auf vielen Sprachgebieten, dass vor Nasalen und
Liquiden der Vocal stärker reducirt wird als vor anderen
Consonanten. Der Kräfteverlust ist vor den den Vocalen schon
nahestehenden Nasalen und Liquiden bedeutend grösser.
12. Absorption der Halbvocale vor m, n, wobei die
letzteren sonan tische Function erhalten: sj), (ab. svm), siuüta
neben srbnüvi, üstyna (ab. osvin-) aus üslmna.
Maeedonische Stadien. 13
Mit unorganischem Nasal: mfygia, Ifäam (ab. hgati), In^iv,
Iri^bt neben dem bereits erwähnten l$n$ä.
Anm. In den hier erwähnten Beispielen werden rp,y
n fast wie %mf tn mit dunklem a-, u-artigen Halbvocal
gesprochen.
13. In 8vätl, svätät (ab. cvbtq) ist 'ä der Reflex des tb,
das hier statt des ab. b durch Anlehnung an Bildungen mit
der stärkeren Lautstufe cv&t- erscheint.
Anm. In fönlci ist noch eine Spur des einst weichen
Halbvocals in der Erweichung des t sichtbar, f blieb
wahrscheinlich wegen des folgenden erweichten n (Jn)
bewahrt, in den ist bereits hartes d. In diesem Dialect
sind überhaupt die mittelweichen Consonanten zu weichen
(erweichten) verschoben. Ursprünglich scheint das aus
dem b hervorgegangene e im Bulgarischen ein weicherer
Laut als das etymol. e gewesen zu sein und erst später
beim allgemeinen Verhärtungsprocess im Bulgarischen mit
etymol. e im harten e zusammengefallen zu sein.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
14. Die beiden Halbvocale wurden zu: 1. e} o} 2. ^7 3. fi.
Altbulg. b wurde zu e: Ns. den, deneska, cvete, Ihn, tenuk,
zemam, ppsten, venec; Gr. len, ienkü, le&no; Bug. len, tenka,
zernam, venec; Vat. defi, denisia* Veny cveti; Var. den, cveti,
tenki, Seftina, jiden.
15. In unbetonten Silben erscheint i für dies wie auch
für das etymol. e: Ns. kubnic, desin, pp)in, ebenso nbgifi,
v%glin, vbzij,; Gr. ppnin, uogln; Bug. vbglin; Var. ubgifi, timnica,
miglä, cift\\a neben dem bereits erwähnten cveti.
Beim geringen Unterschiede zwischen I und b ist es
nicht ausgeschlossen, dass das i der drei letzten Beispiele nur
eine Modification des & ist, bedingt durch den hellen Vocal
der nächsten Silbe.
Für rekil (Ns., Var.) würde man rekbl erwarten. Es ist
wahrscheinlich aus rekel entstanden, dessen e von den Präsens-
und Aoristformen hergenommen ist, vergl. otkradet (Bug.), idel
Prilep, jyridela (spinnen) KukuS.
14 VIII. Abhandlung: OlUk.
bgefi, wz\\ haben e, I statt secund. ^ durch Anlehnung
an Worte mit den Suffixen -hm, em, eh.
o für ab. b: Ns. döS, dbZdi, dub&dif boöva, voika, fön,
sbnüta, sönlif, p'etök, to (tb); Gr. doS7 dbidi, läkot, nbkot,
iitbrtok; Bug. dbS, dbZdi, sbn, oika} bböva; Vat. doi, do&Ti
(3. Sgl.), 8on9 boöva, to; Var. dbSf 8ony vo (ovb).
Analog dem { flir unbetontes e (= ab. b) erscheinen für
unbetontes o aus b die Vocale ü, 8, u: Ns. sünlh, sunt, sünlhte
neben sbn, sübräli, jtipük, tenük, rribzük, mbzüci; Bug. pbp&k,
läkätj tentik, mbzük, üf (üb) gradina; Vat. läkät, nbküt, sunlh<
mbzük; Var. nbküt.
1% in räcfthn, bsüm (Ns.) vertritt secund. b} das sich hier
in ähnlicher Weise vor m zu ä entwickelte wie z. B. im Dialect
von Kukufi b zu u: legnum, reium etc.
In Ji£ümen (Ns.) gegenüber tbmnica dürfte sich ü aus
unbetontem e oder einem e-artigen Laute — 6b wurde zu 6m —
nach dem £ entwickelt haben, wobei auch das folgende *»
mitwirken konnte, vergl. tolb in der Sr&dna Gora IlCn. XLVI7
556, wo allerdings auch l nicht ohne Einfluss war.
16. In allen von der Entwicklung zu e, o nicht berührten
geschlossenen Silben fielen beide Halbvocale in b zusammen
ohne Rücksicht auf die Betonung.
Anm. Wie bereits erwähnt, hat der Halbvocal hier
die o-Basis, wogegen in dem nicht weit entfernten Suho
derselbe die e-ßasis besitzt.
a) b = ab. b: Ns. mbg\äy Ibskä,. tbmnica, cbklb, cbvti;
Gr. cbft, cbft\9 mlglaf tbmnica, dvrihska; Bug. m%gla, cbfti; Vat
mlyla, dbSvt; Var. Ibska.
b) b = ab. b: Ns. lb&a} Ibii, lb£l\f, mbha, bbst} bistovi,
rb$, smbkndh, IbSlca, krbtbk; Gr. #7>n, rbs, sbsy Vbika; Bug.
snbhä; Vat. Vbska, Ibhm, rbda.
Secundäres b vor Nasalen und Liquiden nach dem Ver-
stummen des auslautenden Halbvocals: Ns. 8bm} auch jagbnea
(PI. zu jagne), Gr. sedbm} ubsbm; Vat. 8bm.
Ueber b für e vor t vergl. §. 59.
17. Für den neu aufgetretenen Halbvocal erscheint ü
vor m: Ns. sfedüm, bsüm; Bug. sMümy ubsüm] Vat. sedüm
bsüm; Var. sedüm, uosüm.
Macedonische Studien. 15
i in dimiriik (Ns.) statt dimnik beruht auf der Analogie .
von dimitL
18. a in mäha (Vat.), für das in den umgebenden. Dörfern
entsprechend dem Lautcharakter dieses Dialectes sniha ge-
sprochen wird, ist vielleicht das Resultat einer Assimilation an
das a der nächsten Silbe, wie z. B. in anderen Dialecten gihb.
Der Halbvocal der o-Basis erhielt die a-Basis und entwickelte
sich dann zu vollem a.
19. Ab. vb9 Vh wurde im Anlaute nach Schwund des
Halbvocals zu v, daraus entweder u über w oder /, je nach
dem Charakter des nachfolgenden Consonanten: Ns. udovica,
fnük; Bug. Vat. Var. fnük. Dagegen wurde im Lautinnern
der Halbvocal nach dem v durch die Lautgruppe vor dem
Schwunde geschützt: cvhti, ceft\la} (Var.). Anders wurde an-
lautendes Vb in *vhShka behandelt. Da hier zwei aufeinander-
folgende Silben Halbvocale hatten, blieb das b der geschlossenen
Silbe und konnte sich dann auch zu o entwickeln, daher
mJska, voika.
20. Selbst in demselben Dialecte gibt es, wie wir ge-
sehen haben, geringe Abweichungen in der Behandlung der
Halbvocale. In Gr. spricht man *an, w>§ka, dznteka, in dem
etwa nur drei Kilometer davon entfernten Ns. aber 6<rfi, voska,
dene&ka. Ebenso in den anderen Dörfern. Es ist nicht aus-
geschlossen, dass diese von mir in Gr. beobachtete Abweichung
von dem Dialect der umliegenden Dörfer auf individueller
Aussprache beruht, da sich möglicherweise jenes Individuum,
nach dessen Aussprache ich meine Aufzeichnungen in einem
Han machte, in anderen Gegenden Macedoniens aufgehalten
hatte. — Viel geringer ist der Unterschied zwischen mig\a}
timnica in Var. und mbgla, tbmnlca in den anderen Dörfern.
C. Debradialeot.
21. Eine charakteristische Eigentümlichkeit der drei
Debramundarten von Galiönik, Kiene und Oboki ist es,
dass ihnen der Halbvocal gänzlich abgeht. Als Ersatz der
beiden Halbvocale erscheinen hier nur e, o. Ersteres nur als
Reflex des ab. b in den aus anderen macedonischen Dialecten
bekannten Fällen; o vertritt ab. b und b. Für ab. b erscheint
16 VIII. AbhADdlttOf: ObUfc.
hier o in jenen Beispielen, wo die macedonischen und bul-
garischen Dialecte dafür ^ oder das daraus entstandene a
bieten, also in allen von der Entwicklung des t zu e resti-
renden Fällen z. B. mbgla. Der Unterschied zwischen o =
ab. h und o = ab. b ist vor allem ein zeitlicher; ersteres o z. B.
in son, doi entwickelte sich bedeutend früher aus ^ als letzteres,
das erst durch die Mittelstufe i, die in sehr vielen Dialecten
erscheint, z. B. rmgla, hervorging; vgl. Archiv XVI 193, 473.
22. e für ab. b: Gal. den, denof, deneska, (Mika, Usnü,
len, Ibienü, 6es, Sesen (öbstbm), tfanno, thnnica; Kl. deh7 dbia
(Du., PL), deneska, vlzden, des, tämno, Sef, Usno; Ob. den,
dhioi, J^sno, bves, iest, Pen.
Unbetontes e (= ab. b) wurde zu 9: Gal. rütok, febn,
gnbswi; Ob. svhtec, näidt neben näSpi] gänzliche Absorption
des Halbvocals vor n: edn.
23. a) o für ab. ^: Gal. dbS, dbüt, son, sbnevi, sbnuvaf,
bböva, tenok, \äkot, pbpok, tribzok, snbva, voilca, bos, bbzovi,
cfkof, Ibla, Ibga, vo, so,' o des Artikels z. B. tbvekot; Kl. sbn,
sbnif, mof (mihi), snova, \hkot, so, tnbko etc. und o des Ar-
tikels z. B. bgnot; Ob. knok (tbnrJt), mof, snoa, vo und doH,
dfyzdit, son, pbpgci neben popok, petyk, dgh, dghoj; o des Ar-
tikels z. B. pgtot.
b) o für ab. b (mittelbulg. b): Gal. mbgla; dbiol ist an-
gelehnt an solche Formen wie rekol; Kl. mbgla, biot; Ob.
mogta, b8gl, näigt neben naidt.
Ebenso erscheint o für den secundären Halbvocal: Gral.
bgofi, sedom, bsom, vltor, jägonca; Ob. $gon.
Anm. 1. Das p meines Gewährsmannes beruht wahr-
scheinlich auf dem Einfluss des Dialectes der Umgebung
von Salonichi, da derselbe längere Zeit in derselben zu-
brachte.
Anm. 2. Das an Stelle der alten Halbvocale er-
scheinende o ist, wie ich schon erwähnt, in diesem Dia-
lect verschiedenen Alters. In jenen Beispielen, wo es
auch die anderen macedonischen Dialecte bieten, reicht
es in jene Periode zurück, wo noch die Reflexe der
alten b und & geschieden waren. Wo hingegen die mace-
donischen Dialecte für dies o den Vocal ^ oder das
Macedonische Stadien. 17
daraus entwickelte a aufweisen, gehört es ganz wie das
erwähnte a (= b) einer jüngeren Epoche an, in der ab. b
bereits mit b zusammengefallen war.
c) ü vor m für den unbetonten secundären Halbvocal:
Kl. 8edüm} bsüm. Auch in jozu\ (Gal.) ist ü aus unbetontem o
entstanden, das durch die Klangfarbe des l bedingt wurde.
d) Gänzliche Absorption des secundären Halbvocals vor
m: Ob. «fli.
24. In meinen Aufzeichnungen aus der Mundart von Ob.
ist auch b vertreten: st>, m, bw, bizoi, mfrzbk. Meine Aufzeich-
nungen dieser Mundart beruhen auf der Aussprache eines Ar-
beiters aus Oboki, der sich zu wiederholten Malen monatelang
in der Umgebung von Salonichi aufgehalten hatte, und sein b
ist wahrscheinlich aus dem Dialecte der Umgebung von Salonichi
entlehnt. Den Mundarten Debra's ist b fremd. In rv£b\ (Gal.)
steht b für unbetontes a.
25. Für ab. w> erscheint im Inlaute u, das die Mittel-
stufe w? voraussetzt: Gal. cüt} cütevi, ctitit; Ob. cüt, cütoj (Nom.
PL), cütet (3. PL), cütit (3. Sgl.). — u in u Sotun neben vo
Soiun (Ob.) setzt natürlich kein w voraus.
Anm. 1. Ob vo (vb) vorzugsweise vor Silben- mit
einstigem Halbvocal erscheint, vermag ich nicht zu sagen,
nach den wenigen mir zu Gebote stehenden Beispielen
scheint dies nicht der Fall zu sein : / kot, vo Solun (Gal.).
Anm. 2. Beim anlautenden w vocalisirte sich v nach
dem Schwunde des auslautenden b. Die Entwicklung des
inlautenden vb war eine andere. Es wurde nicht durch
die Vocalisation des v zu u, sondern es trat Metathese
ein: das aus vb entstandene Vb wurde zu w. Gerade die
Metathese, die wir schon in mittelbulgarischen Denkmälern
und heutzutage in vielen Dialecten finden, spricht gegen
die Vocalisation des v, sie zeigt, dass der Halbvocal in
dieser Silbe nicht geschwunden ist. Ohne Metathesis würde
man im Debradialect analog dem voika die Form cvot,
wohl kaum cvet erwarten, da andere Dialecte cbfti, cafti
und nur wenige cveti bieten, vergl. Archiv XVI 194. Kurzes
w mit einem stark dem u sich nähernden v (w) wurde
über uu (uw) zu u, vergl. die Entwicklung des unbetonten
Siteungsber. d. phil.-hist. Cl. CXXX1V. Bd. 8. Abb. 2
18 VIII. Abhandlung: ObUk.
ov (gesprochen ow7 o#) zu u in mehreren slovenischen
Dialecten, oder tl für 6v> bei den Adj. poss. in böhmischen
Dialecten. Ein solches dem slovenischen und kleinrassi-
schen entsprechendes w hörte ich in Gal. in tobda. Be-
kanntlich erscheint es auch im Dialect von Resen in oir
für l, und auch der im Bulgarischen weit verbreitete
Schwund des intervocalischen v beruht wahrscheinlich auf
der Aussprache des v als w. Dieser Lautprocess vollzog
sich vor der Entwicklung der secundären HaJbvocale, d. i.
des mittelbulg. ^ (= ab. a und b) zu o, denn cut- erscheint
auch in jenen Dialecten, die das secundäre h zu a ent-
wickelt haben. In cfkof (Gal.) verhinderte der Wandel
des auslautenden v zu f die Entwicklung des u.
Nasalvocalo.
A. Dialect von Suho.
26. Dieser Dialect gehört mit den von Kostur und Korea
zu jenen südmacedonischen Dialecten, die den Nasalismus im
hohen Grade bewahrt haben. Der Rhinesmus erscheint in Suho
nur im An- und Inlaute, niemals im Auslaute. Nasalvocale als
solche haben sich hier nicht erhalten, wie überhaupt nirgends
in Bulgarien, sie haben sich analog vielen polnischen Dialecten
und dem slovenischen Gailthalerdialect in ein vocalisches Ele-
ment mit folgendem m, n aufgelöst. Ab. & wurde zu tm, an,
ab. A zu em} en. zm7 an werden in betonten Silben infolge
gänzlicher Absorption des a durch den folgenden Sonant m, n
zu r$i, n9 in unbetonten Silben konnte sich uu ? entwickeln,
vergl. §.11. Auch unbetontes e vor en konnte zu I oder selbst
absorbirt werden.
Anm. Das sonantische Element von rn} n für ab. &
ist bedeutend dunkler als der Halbvocal dieses Dialectes,
der mit der e-Basis gebildet wird, es hat etwa die a- und
oft sogar die u-Basis, hie und da lautet in fast wie um.
Das dem ab. A entsprechende n ist heller, es hat ein
e-artiges Timbre.
27. Ab. X wurde 1. zu rn, n und 2. in unbetonten Silben
zu q.m, qn.
Macedonische Studien. 19
a) tp, n: ztyp, zijiBä aber zgmbd, dtyp neben dambü, gtyba,
mndrü, mM (mq£b)} m^äf ptypu (pwnpu), mfyta, rifap, rtybovi}
pörijßähy pürijibinuj, grfydä (gradb) aber granditä, rfyka, rnkdv-
nica, p$f, phtiäta aber pq,ntb7 leix p^nte, krhk, krfygo, bbr&8}
porfyöam, sikbiita, sfydam, vfyzbl (ab. qzh, vqzh)} VTfrtäk (Schiffchen
beim Weben), krjifiam, iskijtßähmi , kfyt (Platz beim Herde),
prrfika (Stange), sktypü, paj#k, paj^ani. Ob kündur (kleiner
Mensch) mit kqdrb oder mit dem ans dem Türkischen entlehnten
bulg. kadar mit secundärem Nasalismus zusammenhängt, wage
ich nicht zu entscheiden. Für letzteres spricht der Umstand,
dass man kbndar, wie es scheint in der Bedeutung von kidar,
auch im Dialect von Eostur findet (Khhähe^i I 23, Archiv
XV 74).
b) qm9 g,n ftlr unbetontes &: gtymbbk, gbtq,mp} gblq.mbi}
kampina, 6äkq,nde, zq.mb6} dymbh, grynditä, pyntb.
28. Ab. a entspricht mit bewahrtem Rhinesmus 1. em,
en, 9, 2. in.
a) em, en} n: phitok, ientva, rhidovi, narhnduvam, grenda
(Holzbalken), prendam, Zendo, öenddta, bratütendiSta, endrü,
pent (Spanne), pentä, pintä (ab. p&a), mäsnic, rfiäsnce, rfie-
sincina, rrienkü, z%ty zfytiifci, govqdäri, 8V$täc7 ugtndätü aber
glhlam, telenta aber Üle, idfäbenta neben idräbe, küöqta aber
kute, jägnenta zum Sgl. jägtie, prä^nta, pllnta und nach
Analogie dieser ^-Stämme auch imenta zum Sgl. imä} iämnta
aber 6äme, iervinta zu ilrtie, vergl. sloven. pareta (pero), uSeta
(uho) Archiv XIII 58—59.
b) im, im in ln%iky in%ici beruht i auf der Assimilation
an das einst vorhergehende j beim weichen Charakter der nach-
folgenden Silbe. Ebenso wurde unbetontes i in irimblca an-
geglichen an die beiden benachbarten i, daher t.
29. Historisch unberechtigten Nasalismus finden wir in:
a) mfygia, Ifynfam, l^iv} lq,n$äy bznöva, styglü] degunde (nir-
gends) hat durch Analogie von täkqnde sein n erhalten.
b) pntet.
Hier können die Partie, dignnt und umr*änta (*umr$m)
als eine Contamination von dignem, *umrim mit den Partie.
auf -tb hinzugefügt werden.
2*
20 VIII. Abhandlung: Oblak.
Anm. 1. C6M. IV 157 werden aus diesem Dialect
noch ausserdem angeführt: vmfe, rmndi, fa>nda7 klhmbo.
jynnt, svintec] ausserdem bvnzy breast (aber brüstt). Nach
Draganov (Pycc. «mia. b4ct. 1888, 18) wird auch ventr
gesprochen. Diese Beispiele hörte ich nicht, trotzdem
ich mich wohl nach den meisten von ihnen erkundigte;
deshalb möchte ich aber noch nicht behaupten, dass diese
Wörter dem Dialecte abgehen.
Anm. 2. Bezüglich des unorganischen Nasalismus
verweise ich auf die polnischen Dialecte, z. B. das allge-
mein poln. mfdzy, das in vielen Dialecten vorkommende
meskad, rfi£8a6, ausserdem j^dfejch (Rozprawy i spraw.
VIII 198, IX 168, XI 162) und auf einige slovenische.
So spricht man z. B. im Rosenthalerdialect buntara (Kres
I 463) neben dem organ. miesenc, und in dem gleichfalls
in diesem Dialecte geschriebenen Kolomanov Segen lesen
wir öfters venöna, obwohl nicht veno für vec gesprochen
wird. In dunha, wie man bei Völkermarkt (Velikovec in
Kärnten) statt dowha spricht, steht vielleicht n fiir tc (l).
29. Ausserdem erscheint für ab. &, wie in den meisten
bulgarischen Dialecten, in inlautenden betonten Silben * (für
unbetonte gehen mir Beispiele ab), in betonten Schlusssilben <*,
in unbetonten a.
a) * = &: giska, s&pfam, kUta.
b) a = Jk: in der 3. PL sf'ätät (cvbtqth).
c) $ = ä: in der 3. PL Aor. und Impf. z. B. dojdühn,
iskmpähq; in der 3. PL Präs. z. B. prhxdqt und im Verbalsuff.
-HA*-: püb'ägng., üpregnah.
30. Nach den Palatalen und erweichten Consonanten er-
scheint fiir & statt g, in unbetonten Silben g, wie unter gleichen
Bedingungen fiir etymol. a durch Umlaut ä erscheint: düsf,
nUftllfy bang, pbstilQ, U8täü$mf kuߧm vergl. §. 48.
31. Ab. a wurde nach Verlust der nasalen Resonanz
zu e, das sich in unbetonten Silben wie ein jedes e zu i ent-
wickelte. Daneben erscheint auch 'ä und mit Verlust der
Weichheit des vorausgehenden Consonanten ä, so dass der
Reflex des a in solchen Beispielen mit *k zusammenfiel. Ausser-
dem noch a als eine Weiterentwicklung des 'ä, ä. Ein dem
Macedonische Studien. 21
Reflex des A entsprechender Unterschied zwischen inlautenden
nnd Schlnsssilben ist beim Reflex des a nicht vorhanden.
a) A = e7 i: pet7 pitdisH, gledam, lesta, teSka} kletva,
cestä, setqm, uprhgnqh, üprügntivam, rietre (vergl. böhm. tady,
dotady onddy), dh)lt9 desit, trij'si, Htirij'si neben sijset, sedln-
dUet; im Nom. Sgl. der fJ-Stämme: tUe, Zdräbe, pile.
b) ihäsit, mä, tä9 sä (zäkalnt sä), imä.
c) malkam, sa (sa-umorXh) misäjde = mi s% jade.
In töümen wurde durch Assimilation an das vorausgehende
j und an den folgenden Palatal e zu i, vor dem später j
schwand.
32. In allen Beispielen mit bewahrtem Rhinesmus werden
die Reflexe der beiden Nasalvocale streng auseinander gehalten,
selbst das durch Absorption aus en entstandene n für ab. a
ist ein von # = x% verschiedener Laut. Auch nach den Pala-
talen erscheint en für a und in den des Nasalismus ent-
kleideten Silben e und nicht etwa der dem ab. & entsprechende
Reflex ^. In rhä, sä, maikam etc. hat sich der Vertreter des
ab. a bereits stark dem von 7k (h, a, a) genähert und ist
theilweise mit ihm zusammengefallen. Vor allgemeinem Zu-
sammenfallen wurde er zum Theil dadurch verhindert, dass
'äj ä, abweichend von den meisten ostbulgarischen Dialecten,
in unbetonten Silben nicht zu & reducirt wurde.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
33. Hier erhielt sich der Rhinesmus nur in folgenden
Beispielen: z&nba (Ns. Vat.), %vmba (Var.); Ns. enq;a (gä fatl
en%a), klen^a (ein Kinderspiel).
34. Der allgemeine Reflex des ab. & ist hier ohne Rück-
sicht auf Betonung und Lage im Worte a. Nur in Schluss-
silben erscheint neben dem gewöhnlichen ^ in der 3. PI. Präs.
auch a, das aber von den Verben V. Cl. ausgegangen sein
kann. Wo 0 allein oder neben a erscheint, ist es seeundären
Ursprungs, hervorgerufen durch die umgebenden Consonanten.
In wenigen Beispielen wird ft durch u vertreten.
a) ]k — ^: Ns. sAp, z&bi, pU, (fibi, gteka, gbsta, mltna,
mlZät, rika, mKno, slbiUa, rvp, stäp, grvbsna, stäpkum, südba,
sTfdihj Vbk, kbpina, selcbde, narböähh.
3. Plur. Aor. Impf. : tlpähh, obrnäfo, predefo, re£ekb, znähi.
22 VIII. Abhandlung: ObUk.
3. PL Präs.: krädbt7 zhnvt, reHt7 bidbt7 8h etc. neben
thpat7 predat7 dilnat etc.
Gr. rlka, gübp7 j&t, 8bdi, vUl7 gteka, znäh>; Bug. rbka,
zibe, gnima, cfaka, gwenica, 8bdba7 tbiam7 sbt (Fass und Ge-
sicht), gif&p neben gb\bbi7 8b (sqtb)7 kupuvähb etc., Vat- <fi*kay
(fbsta, gnlsnüy gülp, utepbt; Var. zbbi7 pbt7 dip, gbska7 gbdba,
(fbsta etc.
Anm. Durch seine sehr dumpfe Aussprache des b
in Var. nähert sich dieser Laut dem a stärker als in Bug.
b) Ns.: In dbbovi neben dbp7 dbbbvo7 vbzil neben vbzi7
vbglini neben vbglin, gbfop 7 <jb\bbi entwickelte sich o aus
dem mit der o-Basis gebildeten b wegen des benachbarten
Labials, in gb\bbi unter Mitwirkung des \. Der Halbvocal *
in gbfop, der an das einstige b der folgenden Silbe angeglichen
wurde, spricht fllr die späte Entwicklung des o aus b. In
anderen Dörfern wird noch gbRp gesprochen. Doch Bug.
gb\bbl neben gbfip.
c) Durch Absorption wurde im Inlaute rb (= p2k) zu /•:
Ns. gfdi neben prlöka; Bug. obfö; Vat. gfdi neben p^cka;
Var. gfdi.
In päjik, pdjci (Bug.), päjih, pajlci (Vat.) ist die Ana-
logie der mit den Suff, -bkb, beb gebildeten Substantiva mass-
gebend gewesen.
35. 1k — u. Das aus dem Serbischen eingedrungene u
erscheint nur in wenigen Beispielen statt des einheimischen »,
und zwar in betonten und unbetonten Silben: Ns. Jctica, niga,
üruiii, ilru£eni7 vrü6ina; Gr. ku6a7 orü£i; Bug. rüga, üru£eii7
vrüJcina; Vat. vrütina, güiüp7 güiübi; Var. südba, sädum7 kuca.
36. Ab. a entwickelte sich wie sonst im Bulgarischen zu e>
das dann in unbetonten Silben vielfach zu i wurde. Daneben
erscheint einigemal auch ie. Nur in wenigen Beispielen z.
a) a = e: Ns. Htva7 öedü, 2e£i (ab. z\datx)7 ktetva,
jitfva, ez\1c7 m^stca, idrhbi etc. und zajc; Gr. leSta, iedin,
£etva7 dh)et7 pht7 peda7 iitrvä7 tl; Bug. Zedo7 zit, *hlrö7 zetva,
mesÖ, ret7 se7 Utrva, järl7 zdjic und nach Analogie der Sub-
stantiva auf -ec (= beb) zdjci etc.; Vat. 6hlo7 föboa, >izUc7
Utrva, meslc aber mfoca und sogar zajc; Var. pit7 zU7 deset,
mteic, me8ca7 Uz)k9 htfva.
Macedonische Studien. 23
b) *e = A: Ns. p^ta, pleda} ztet, p*et, w^tic; Bug. p'et,
p'eda, p'eta, also in betonten Silben.
c) t = A in unbetonten Silben : Ns. Hriblca , H6ümen
vergl. §. 31 a.
d) * = a: Vat. dkvbt, dtebt; Var. *b. Ausserdem q: Vat.
nKh *$t Var. mg,.
e) Schwund des unbetonten e (= a) nach r: Hrblca Vat.
37. Von dem nur eine gute halbe Tagesreise entfernten
Dialecte von Suho unterscheidet sich demnach dieser Dialect in
der Behandlung der Nasalvocale hauptsächlich durch den Mangel
an Rhinesmus.
C. Dialect von Bebra.
38. Im Debradialect wurde bis auf die Suffixsilben ab. &
durchgehends zu o, in diesen erscheint consequent a, das
aber unbetont ist, da der Accent nach Möglichkeit auf der
drittletzten Silbe ruht. Nur sporadisch erscheint g. und das
fremde u.
Anm. In Gal. unterscheidet sich dieses o nicht vom
etymologischen, in Kiene ist es dagegen etwas breiter,
indem es sich in der zweiten Hälfte schon dem a nähert,
fast ein oa.
a) o = Jk im An- und Inlaut: Gal. zbp, dbp} rbka, pbt}
pdtgt, mb§, gtbboka, gnbsm, kot, pbrota, sbböta, prböka, kbpina,
skbpo, grbdi, jozül, \b&a} ib&it, bb£ilÖk, kode (ubi) etc.; Kl.
zop, rbbetie, gbtöp, kbpa, etc.; Ob. gtfyboJca, pppÖk, pptot, brgZe,
Jcbpina. %
b) q, = & in unbetonten Silben des An- und Inlautes:
Gal. gtyg>p, £ilq>t} tklqdi, bbrat und bbnö wegen der Liquida;
Ob. d$p, m$dr> pgrföuam.
c) Schwund des anlautenden o = ft: Gal. trbba, Ob. trlba.
u = Jk. Fttr das aus dem Serbischen eingedrungene u
habe ich mir folgende Beispiele notirt: Gal. kuda, süt, südime,
gtwka, gushnica, gu8\o, auch ne6u} das bezüglich des u von su
(ab. jesmb) getrennt werden muss, denn im letzteren wurde *
von 8bin wegen des folgenden m zu u verschoben (vergl. Archiv
XVI 195); Kl. Jcüöa, küdnik, kü6nica7 orü&ifia; Ob. nä sut,
südet, gilska, kü6a.
24 Till. Abhandlung: ObUk.
d) a — 3k in Endsilben oder ans den Endsilben durch
Formenanalogie überragen: Suff. -H&-: Gal. mlgna (2. 3. SgLt7
nämignaf, pöcnaf, krhnaf.
Vielleicht gehört auch die 1. Sgl. Präs. hieher, wenn
nicht das aus -ajq entstandene a der Verba V. Cl. verall-
gemeinert ist, wogegen aber su (ab. jestm) spricht: bda, jäda,
$e£a etc., auch mola, kupa etc.
Anm. Die nicht unbedeutende Anzahl von Bei-
spielen mit %, q. für ab. & in meinen Aufzeichnungen
der Mundart von Oboki erklären sich als Beimischung
des Dialectes der Umgebung von Salonichi und vielleicht
auch anderer macedonischer und bulgarischer Dialecte,
vgl. §. 34. Ich notirte mir: plt neben pgtot, rtfca, r*kaf,
mr&iy M>ty triba (ab. qtroba), n&tna, rip, zaribuam,
gridi, bbrbfi, S7>botaf gbhbi, TcbSbj, skhp, prbiha, kbde^
ieht neben ielqdi, gnisno, Vbfofie, ߣe, m?>ka, drig, krbpa,
zip neben zqbi. In den Beispielen mit n könnte man
schliesslich noch an eine Reduction wegen des r denken.
Ausserdem gtaselnca, eine volksetymologische oder ana-
logische Umbildung des alten gqs&niea.
39. Für ab. A erscheint bis auf drei Beispiele mit voraus-
gehendem j durchgehends e. Nach j erscheint o, also jener
Reflex wie für X, rk.
a) A = e: Gal. meso, gbvedo, gbvedar, svktec, z&t, meka,
ptda} pbtica, fo$öa, erübica, teSki, glbda, devet, devedeset, me,
8e, zgek, zgeci, gleichfalls nach S: Shta; Kl. pet, devet, «e,
teSka etc.; Ob. meso, gbedo, svMi, gleda, rrieka, p'bda, petica,
gr*eda9 me} se7 zbt, zfok, mies9c> auch nach £, 2: öedoy brätoött,
&htva, £hdrj, neben zld% vielleicht fremder Provenienz. In iedo
klingt das e etwas ö-artig.
b) o = A nach j: Gal. jbzik, jbzici, jbkmen, fotjvi.
In Ob. fizik, fizlciy fiömen, das sich mit seinem » inso-
ferne mit jozik, joümen deckt, als es auch für A den dem
ab. Jk entsprechenden Reflex zeigt. Es ist in dieser Form in
der Sprache meines Gewährsmannes aus einem anderen Dia
lect entlehnt.
c) Schwund des e = a: pgße, pg6e Kl., in Gal. noch
pbvefti.
Macedooische Studien. 25
40. Der Rhinesraus hat sich nur in gfyglif, griglivit Ob.
erhalten, wahrscheinlich aus einem Dialecte der östlichen Um-
gebung von Salonichi, wo er ja kräftig lebt, eingedrungen.
41. Durch o als Reflex des * hebt sich der Debradialect
scharf von allen Nachbardialecten ab. Auf dem ganzen Gebiet
der Balkanhalbinsel einschliesslich der östlichen Adrialänder
erscheint o neben oa nur in dem bulgarischen Rhodopedialect.
Der Zusammenfall des alten A mit dem Reflex des Ax nach j
z. B. jozik wurde auf dem südslavischen Sprachgebiet nur
in bulgarischen Dialecte n beobachtet, wo er über viele Dia-
lecte verbreitet und in den Denkmälern weit zurück verfolgt
werden kann.
A. Dialect von Suho.
42. Der Dialect von Suho gehört zur südöstlichen Gruppe
der macedonischen Dialecte, in denen die Aussprache des alten 'k
vom Charakter der nachfolgenden Silbe und vom Accente unab-
hängig ist. *k lautet in Suho wie 'ä, d. i. ein sehr breites dem
a schon nahe kommendes ä, mit Erweichung des vorausgehenden
Consonanten, oder wie eä, d. i. statt der Erweichung des vor-
ausgehenden Consonanten hebt der Vocal mit e an, das schnell
in ä übergeht. Der Unterschied zwischen 'ä und eä ist ein mini-
maler. Die Erweichung vor 'ä wurde auch bei r und c nicht
aufgegeben. Daneben erscheint auch V und e, letzteres im un-
betonten Auslaut, ersteres in unbetonten Silben des Inlautes.
Anm. Eine derartige zweifache Aussprache des rk
erscheint auch in anderen südöstlichen Dialecten Mace-
doniens. So im Dialect von Ajvatovo, Kireckjoj, Nevrokop
ea neben a.
a) *k = 'ä: fäka, Zdfäbe, 6äi (weiches 6, aber nicht
serb. h), Täp (hl£bb)9 mläkü, goTäm, sftäk, fäsna, däte, däce,
dädü, tätf, Mjka, öüväk, päiäm, päsna, fähnata, tarne, Säjym;
die Dualendung: dvä, grqdä, penfä; grqndilä; Impf. Bäh, hast,
porfyBäh, loväh, loväse, späh, 8päH, fatdh neben falesi; Imper.:
dadäte, peiäte etc.; dh'iä nach Analogie von uträ, UU, zimä,
vergl. sloven. snoti nach Analogie von jutri, davi.
b) -k = eä: b'äta, b'äli, sl'äp , sVäpa, leät&, pMva,
m'äh, gn'äzdä, ztfäzda, vfärvam, sifät, b'ägam, peana, tr*äbüva,
26 VTH Abhandlung: Oblak.
bdüpr*ät y 8tr*äha} stfähi, istr*ätoh, 8tr*äda, zdr*äta, n€asi7
nal'ävam, gbr*ä; Imper. : nal'äjti, no&äti, turn'äfö, d&kaf'äfc —
aber k&Pänü, wenn richtig aufgezeichnet.
c) *k = U: brUh, brähi, vrfäüta, sfe§, mesinfona.
d) *k = e: ütre, nitre, blize, öäkande, rtyce (Du.), £e-
lezä, mene.
c) ab. Np*k- entspricht &r- und tere-: 6'rvb, &rvä, öirese.
B. Dialect der nordlichen Umgebung von Saloniehi.
43. Hier wurde, wie in allen macedonischen Dialecten mit
Ausnahme der südöstlichen, *fc allgemein zu e. Dies e konnte
in unbetonten Silben dann zu i reducirt werden. Ns. rekata,
deUj meh, venec (Reif), lep, zvezda, ürihi, mlekü, mlhcnik,
treva, strhda, stretlh; vera neben vhri, es ist demnach in diesem
Falle vor harter Silbe e ein wenig breiter; m'hsec, tfemo; —
Gr. vera, trhva, dhca, snek, etc.; Bug. wiesic, bela, bili, ZiVezo,
creva; Vat. rn&h, streda, nedela, nedUi, crevü neben öüresa;
Var. oreh, vira.
Vor 6 entwickelte sich durch vorzeitige Engenbildung ein
schwaches j: Ns. 8vkj6a, Gr. vreJ'6a} svetta, Bug. sveJ6a.
Nach r wurde unbetontes e infolge der grösseren Kraftfiille
der Liquiden absorbirt, worauf r die silbenbildende Function
übernahm: vrtänH Ns., aber Bug. vre&nü.
C. Debradialect.
44. Gleich der grossen Mehrzahl der macedonischen Dialecte
hat auch dieser Dialect durchwegs e flir *k: Gal. siiek, cbvekot,
dete, deca, mleko, veri, verni, rüpa, bbesa, trebet, mre£a} tr&ca,
lebovi etc.; Impf.: fälef, fäle§e, bef, bl&e; doch cure$a neben
örevü; Kl. vreme, 6oek, cvece, vriöa, xveHa, d'ete, riemat, bdef
(Impf.); Ob. petet, ibek} bhto, bref, preko, treva, r^eka, mFt&c,
str'eda, mVeko, titr'e, nigde, svegdö; Impf.: pänef, pasese, bef,
be$e. Abweichend: ö^evo, c*reva und das auch sonst seine
eigenen Wege gehende öerema.
A.
A. Dialect von Suho.
45. Ucbereinstimmend mit seinen nächsten Nachbarn, den
Dialecten von Kireökjoj und Ajvatovo, bleibt im Dialect von
Macedoniache Stadien. 27
Suho unbetontes a bewahrt und wird nicht zu ^ reducirt, z. B.
nbskana, zatväfam, bblaci, sogar gradzna.
Die Absorption des a nach r in mfs ist demnach auf-
fallend, umsomehr als daneben a in bbras und selbst in kraj
unverändert bleibt.
Anm. Das Verhältniss von gradXna zu mj's ist ein
deutlicher Fingerzeig, dass in diesem Dialecte unbetontes a
nicht unmittelbar an ab. a anknüpft, sondern dass es
zu ^ reducirt wurde, das dann sowie etymol. z oder ^
als Reflex des Jk behandelt wurde: in unbetonten Silben
wurde es zu einem a-Laute. Dadurch erhalten wir auch
die erwünschte Parallele zu dem ähnlichen Wandel des
unbetonten e und o zu I und &, die gewöhnlich dort
erscheint, wo auch a zu a reducirt wurde. Die Ent-
wicklung von mras zu tnf* ist allerdings durch das r
hervorgerufen, aber dass die Mittelstufe mrts wegen des
r zu mfs wurde, im Gegensatz zu gradlnä aus gndina,
beruht auf der vom Accente abhängigen verschieden-
artigen Behandlung des Halbvocals. — Ob unbetontes a
in Suho volles a und nicht etwa a sei, vermag ich jetzt
nicht zu sagen.
46. ü (aus unbetontem o) für unbetontes a in näopükü
dürfte auf irgend einer Analogie beruhen. Das wegen des ü vor-
auszusetzende o ist wahrscheinlich erst aus ^ hervorgegangen,
wenn auch nicht auf rein phonetischem Wege, sondern an-
gelehnt an Wörter auf -ok (-ik), vergl. pik in Voda, Kostur.
47. Tautosyllabisches aj = ej. Unbetontes a wird dem fol-
genden tautosyllabischen j zu e assimilirt: igrej gegenüber
igräjti, Sltij, äitijti, vlkej, vlkejti, cäkijti gegenüber iäkaj,
maZkijtä aber mätkgj, pltaj.
Betontes tautosyllabisches aj bleibt unverändert: däj, kräj.
jajcb wurde zu ice, icä} indem unbetontes a zwischen
zwei j nicht bei I stehen blieb, sondern sich durch Assimi-
lation an das vorausgehende j zu i weiter entwickelte, vor
dem dann im Anlaut j schwand: jajcl, jtjcb, jijcb, ich
Anm. Einen ähnlichen Lautprocess können wir auch
sonst im Slavischen nachweisen. So wird z. B. im Gouv.
Archangelsk jisf gesprochen, also i für *k zwischen zwei
28 VHI. Abhandlung: Obl»k.
palaialen Lauton, während sonst hier niemals t far \
erscheint (Sachmatov 166) : im Südgrossrnss. ucrnb und
darnach auch utut (Sobolevskij im iKMITp; 1894, Nov. 28).
Aehnlich im slovenischen Jannthalerdialect ßzerb, Cirkno
jizera.
48. ä = a nach palatalen Consonanten. Nach den Pa-
latalen £, $, & und allen erweichten Consonanten lautet a zu ä
um. In betonten Silben bleibt ü, in unbetonten aber, wo die
Einwirkung der Weichheit des vorausstehenden Consonanten
stärker und auch eine lnclination zur Reduction vorhanden
ist, wird es zu §. In den umgelauteten Silben iä, iä9 zä sind
£, 8, i noch weiche Laute.
a) mhdiäj t.äkam, iäba} iabl, tu$a, v$~ilä} pqtefti.
b) ii8t(lv§m, kuppm, 8lil8§m, iiedälq, du8$ kommen hier
nur insoweit in Betracht, als sich ihr & in der 1. Sgl. Präs.
im Auslaute zuerst zu einem a-artigen Laut entwickelte, der
dann ähnlich dem n umlautete. Vielfach erscheint aber da-
neben neuerdings a, übertragen von den Formen mit harten
Consonanten vor &, z. B. kru$a9 kaiay zeiiiata, kazam, Jdanqim.
49. Nach j bleibt a, möge es urslav. a oder vorslav. e ent-
sprechen: jas, jävür, jägne, jäbtqka, jästa, jäsli, jäkü, jViin,
Stojäne. Neben de.m bereits erwähnten jam erscheint das um-
gelautete ä vor einst weichen Consonanten im Imper. jä$,
jidäte, auch jidüS (2. Sgl. Präs.). Ausserdem jere. Der Grund,
dass a nicht umlautete, ist wohl nicht darin zu suchen, als
ob j in manchen dieser Beispiele erst nach dem Aufkommen
des Umlauts von a zu ä hinzugetreten wäre, sondern der
Umlaut unterblieb, weil das ursprünglich stark palatale j einen
bedeutenden Theil seiner Palatalität verloren hatte. Deshalb
sehen wir in mehreren bulgarischen Dialecten j im Anlaute
schwinden und können bereits in den mittelbulgarischen Denk-
mälern nach j ein Schwanken zwischen & und A beobachten.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
50. Auch dieser Dialect behält, wie fast alle Macedoniens,
unbetontes a ohne Reduction desselben zu *. Wenn hie und
da dafür i erscheint, so sind immer ganz bestimmte Be-
dingungen dieser Reduction vorhanden. Ns. rabbta, gävran,
tkajäh etc.; Gr. järüta etc.; sogar stranä Ns., gradina Bug.
Macedonische Stadien. 29
»
In Vat. finden wir schon die Reduction des unbetonten a
zu h in der Lautgruppe ra und nach j: igryjäh, jb(fonca9 nach
j auch in Var. : znäjbh , stbjhh. In i\gra , Hgtq, Ns. sind in
dem a schon die ersten Ansätze dieser Reduction vorhanden.
Sogar betontes a wurde in der Nachbarschaft des m
zu i: mWa Var., wo der verdumpfende Einfluss des m im
Spiele war. In Ns. listavica.
51. Vollständiger Schwund des a ist eingetreten nachj: Ns.
pbjsovl neben pbjas7 znäjH, stbjH neben znajbh, stbfoh, wobei
die Präsensformen znajS, znajme mitwirkten. Mitwirkend war
auch der Wortumfang. Gr. pojs, pojsi.
Der Schwund des auslautenden a vor dem Artikel -ta,
was wir auch in anderen Dialecten finden, z. B. mbjta Vat.,
mbjta, tvojto Var. gegenüber nevlstata, fänata Ns. ist nicht
rein phonetischer Natur. Für das Verhältniss vom fem. mojta
zum masc. mojöt , mojbt war auch das Verhältniss von
solchen Adjectiven wie tänük, tenka und sogar solche Bil-
dungen wie rhkel, rekla mitbestimmend. In anderen Dialecten,
z. B. in Ajvatovo, ist der Schwund des a vor ta viel aus-
gebreiteter.
52. Unbetontes a wurde zu ü; die Mittelstufe ist wohl
o: nazüt Ns., Gr., Bug.
53. Tautosyllabisches aj bleibt selbst in unbetonten Silben
bewahrt, z. B. jäjce, jäjca Gr., Vat. Es ist deshalb nicht ganz
sicher, dass die Imper. üekij, igrij, gledij, pltij, fädij neben
den Plur. telcdjte, Hgrdjti, gleddjti, pitdjte, fadäUi ihr un-
betontes ij lautlich aus aj entwickelten. Es können dabei
auch andere Imper. wie vrveHi, kupe^te mitgewirkt haben.
54. Nach den Palatalen und erweichten Consonanten tritt
unter keiner Bedingung der Umlaut des a zu ä oder e ein.
Daher: Ns. df&äli, &äbi} iäba, hati; Gr. jägne, järüta, iäbi,
jäsin; Bug. dfiäli, ofcäri, järl; Vat. kä$i, jasli, jägne; Var.
6ä$i, jäsli, mUca. Darin stimmt dieser Dialect mit den mace-
donischen mit Ausnahme der südöstlichen überein.
Vom gewöhnlichen Umlaut des a zu e zu trennen ist
öetcam Gr., Bug., tekij Vat., öetom Var., das sich mit e auch
in anderen macedonischen und westbulgarischen Dialecten findet.
Auch das Serbische hat Üekati und ebenso das Böhmische neben
30 VIII. Abhandlung: Oblak.
takati, alles Beweise, dass es nicht auf gleiche Linie mit den
übrigen Beispielen des Umlautes zu stellen ist.
C. Debradialect.
55. Hier hat a bis auf vereinzelte Ausnahmen keine
nennenswerthe Veränderung durchgemacht: unbetontes a wurde
nicht zu i reducirt, nach dem Palatalen tritt kein Umlaut,
vor j nicht die Assimilation zu e ein. Z. B. Gal. decata, nä-
praviy prbdadof, pü5(atey jäsli, jägne, bföari, prijäteli, gledajte,
jäjce) Kl. rabotaf, orüzina; Ob. pbrastof, livada, jägiid, jä&li7
zat, järd, zbFa, jäjce.
Auch hier teka, öekaä Gal., gegenüber öäkaf, öäkafine
Kl. und iakam Ob. Dies Auseinandergehen der drei so nahe
verwandten Mundarten ist merkwürdig. Jedenfalls ist die Form
mit a das Auffallende, da alle N achbar dialecte, sowohl die
nördlichen, serbischen, als die südlichen, macedonischen, dafür
die Form mit e bieten.
56. Betontes a, das als Contractionsproduct einst lang war,
wurde zu sehr breitem o: znb (1. Sgl. Prfts.), zribeü} neznof;
Kl. znom; Ob. znam. In zgök Qal. wird a durch ein dumpfes
o vertreten, in Ob. bereits ztok, ausserdem näzyt.
o = a nach m: mbSöea Gal., nibmit, izmbmif Kl. In
diesen Beispielen wurde a durch das vorausgehende m zu *
verdumpft und reducirt, das dann an der secundären Ent-
wicklung des Halbvocals zu o theilnahm. Darauf weisen solche
Formen wie rmSöaa im benachbarten Dialect von Ochrida,
mihteha in KukuS, rmStea Resen, mlsca Salonichi und izmlmi
Kostur.
E.
57. Die Aussprache des e ist in allen drei Dialecten, wie
überhaupt in den macedonischen, die sonst im Südslavischen
übliche und nicht die dem Russischen und Polnischen eigen-
tümliche; e ist also ein harter Laut, der nicht die Eigen-
schaft besitzt vorausgehende Consonanten zu erweichen, '« findet
sich demnach nur in solchen Silben, deren Consonanten durch j
erweicht sind, z. B. Xe% fie, serb. M, ne: Zjf, nj wurde zu f, ta.
In den bulgarischen Dialecten schwand vor e vielfach die
Weichheit von T, /«, z. B. Ns. pble, aber püsthFa.
Maeedonische Stadien. 31
A. Dialect von Suho.
58. Während für unbetontes a nicht & erscheint, wurde
unbetontes e zu 1 reducirt, z. B. mbrt, zdrävi, grbzdi, HÜri, idnb,
idin, kbrvh, korini, ri&9 piveS, öisäiä, diÄtifa, sind, polt,
hamin, kämifii, pipil, oäti, Hihti, blH, 8ti, irimblca, piraiti.
An diesem Wandel nimmt auch das aus a entstandene e
theil, vergl. §. 31 a, 36 a.
Allgemein durchgeführt ist diese Reduction nicht, z. B.
päenlca, zeihäta. Nachbarsilben , z. B. debeli, zelena, und Ana-
logie, z. B. pecäti nach pec, daneben jedoch pi&$, haben sie
gehemmt. In daükü entwickelte sich i aus unbetontem t nach
Zurückziehung des Accentes.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
59. Auch hier wurde unbetontes e zu t reducirt. Haupt-
sächlich geschah dies in der Nachbarschaft von j oder von
erweichten Consonanten, wo dies nicht bloss als Reduction,
sondern gleichzeitig auch als eine Assimilation an den palatalen
Charakter des Consonanten aufgefasst werden kann, und vor
2, n, r, vergl. §. 11. Ns. pbli, zlli, jäjci, jägni, sfonci, Udln,
citlri, sitzte aber sechh, Ibzl, grbzdi, uoUi, tltlpüvah aber
tepäh, iesin, dhrir, doch kämen; Gr. ortiH, zdrävi, Hfortok,
iidnb, kamhie, 8trini; Bug. zdrävi, vlH&; Vat. Ibzi, kämin,
Jidnä, HVtzo, kämin, Urbica.
Nach j vor folgender Silbe mit i erscheint i: Hriblca Ns.
Vor l wurde e in einigen Suffixen zu h reducirt ohne
Rücksicht auf die Betonung, der beste Beweis, dass wir es hier
mit einer Einwirkung des l zu thun haben: petht Gr., kisfM Vat.
Nach j, n, r ist in einigen Fällen vollständige Absorption
eingetreten: Ns. biH, bV neben bijem, tkaH, ZniH, Bug. sirüa,
dbnci (donesi) donc&te; Vat. xirhe, inijS; Var. dbnsvm, dbnsi,
dbnsit neben donUhHe, brojmi, broHi neben brojln , skjme,
plujme; vergl. donsa Kireökjoj; ausserdem: pöenka Ns., Hirt Gr.
In betonten Silben erhielt in wenigen Beispielen e einen
leichten i- Vorschlag, z. B. ä'es, s^edüm Ns.
C. Debradialect.
60. Unbetontes e bleibt unverändert. Wenn in vereinzelten
Fällen dafür 9 eintritt, so sind diese Veränderungen durch
32 VIII. Abhandlung: Oblak.
die umgebenden Consonanten und die Analogie bedingt. Gral.
erebica, ezere, prtjatel, jajce9 btderne, 8]ncey täte etc.; Kl.
näSeto, cütet, edin, rbbeüe} zbirame, corven.
9 in unbetonten Suffixen vor n: Gal. kämen, kärnziie,
vM9ne, ed9n (9 = b) neben toZene.
In Ob. neben gewöhnlichem e bereits spontaner Wandel
des unbetonten e zu 9, der aber auf dem Einfluss eines anderen
bulgarischen Dialectes beruht, z. B. prijateli, Jciselo, pbmen,
erebica, kamen aber bro&d, tUfte, und ebenso in der Nachbar-
schaft von n: llö9tie, 8ir97ief känwfia, jädw'ie.
Selten ist '«; rtfeita Ob.
A. Dialeot von Suho.
61. Parallel mit der Reduction des unbetonten e zu I ging
die Entwicklung des unbetonten o zu ti, z. B. rhusü, cävah,
i&zetü neben Ibzi, fofdüvlca, timih, dänesüh, brüfii gegenüber
brbjzm, dükärvam aber dbkari, &ven} vrämetä, smbüta etc. In
derselben Weise wurde auch 0 für z behandelt, vergl. §. 9.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
62. Auch hier wurde unbetontes 0 zu ü, nur hielt sich da-
neben noch 01 Ns. Btü, rämnü, ütipüvah, ürü£ti, üreh, skükäh,
ptwteTa neben üovek, godtna, oräöi; Bug. üruäfen, vre&nü, tireh,
tfivek, gülema; Vat. dibtivi, nü6evam9 güMp, zttü; Var. dtivek,
8bnuvi, gü neben Hrbkö, zdrävö. Diesen Wandel machte auch
das aus & hervorgegangene 0 mit, z. B. nib£M, vergl. §. 15.
u in nogu (mnogo) Ns., Bug. ist angelehnt an solche Bil-
dungen wie dolUj vt/rhu.
^ für unbetontes 0 in g*lvp Gr., Bug., </aÄp Var., ffbjpp
Ns. ist nicht das Resultat einer Reduction, sondern einer Assi-
milation an das ^ der folgenden Silbe, gifip (Ns.) entstand
erst aus älterem g^fop, das auch in ostbulgarischen Dialecten
zu finden ist, vergl. Archiv XVII 174.
Der Schwund des anlautenden 0 in va (fiir alle drei
Genera), vije Ns., va Gr., va, va* Bug. wurde gefördert durch
Anlehnung an die consonantisch anlautenden Pronomina, insbe-
sondere an vije (Neubildung mit Zugrundelegung des alten vy\
Dieser auch in anderen südmacedonischen Dialecten verbreitete
Macedonisehe Studien. 33
Schwund des anlautenden o des Pronomen om» z. B. in Voden,
Kostur, Veles erinnert an die Ausgleichung des Auslautes beim
Pronomen ja (azt) mit ti.
Nach r wurde unbetontes o zu * reducirt: stärw Var.
Betontes o entwickelte sich in mehreren Fällen zu uo,
d. i. vor o erscheint ein kaum wahrnehmbares u: Ns. ubUiy
"bstrüy ubgiA, kubledi, kubnic} hubdiä und sogar puozla£torvh\ Gr.
yHornö, hubdgm, "bgifi; Vat. Jcubza; Var. ub8um, ubgin.
Der Vocal o erscheint auch in bHe Bug., ub$te Gr., ubHi
Ns., b§ und ubUe Vat., bSie Var., kein este; ebenso nur
kblkxlj tblM Ns.
C. Debradialect.
63. Unbetontes o erleidet hier, wie überhaupt in den meisten
macedonischen Dialecten mit Ausnahme der südöstlichen, keine
Aenderung, daher Gal. räbota, tiiroko, dfvoto ; Kl. näseto,
oüdoe, movoi (Nom. Plur.) etc.; Ob. klselo, Siroka , prodädoe,
ggledatOy folg.
Anm. Mein Gewährsmann aus Oboki sprach auch
in betonten Silben öfters g für o, z. B. bgon, bgnoi, gbst,
kha£i} b§to. Es ist dies entweder eine individuelle Eigen-
thümlichkeit der Aussprache oder, was mir wahrschein-
licher zu sein scheint, beruht g auf dem Einfluss anderer
bulgarischer Dialecte, die den Halbvocal besitzen. Deren
Aussprache wurde von jenem Worte, wo sie dem o für
% und 7k von Ob. gegenüberstehen, auch auf etym. o
übertragen, u = o. In mnogu Gal. beruht u auf der
Analogie anderer Adv., vergl. §. 62, in mignüvafie ist es
angelehnt an die Substantiva Verbalia von Verben VI. Gl.,
wo o durch das präsentische u verdrängt wurde. Auf-
fallend ist gü]<ap, für das man wohl gbfep oder ga\q,p
erwarten würde. Vielleicht beruht es durch die Mittel-
stufe von ^ auf der tief gutturalen Aussprache des g und
auf dem einst dunkleren £, vergl. gulab in Kißava.
Befremdend ist uUe Gal., uätv Ob. mit seinem u auch
bei vorauszusetzender älterer Unbetontheit des o, denn o ent-
wickelte sich in diesem Dialect nicht spontan zu u. Auch in
Ochrida, Bitolj, Prilep, Veles, wo überall unbetontes o unver-
8itarang8b6r. d. phiL-biat. Cl. CXiXIV. Bd. 8. Abb. 3
34 VIII. Abhandlimg: ObUk.
ändert bleibt, wird uäte gesprochen. — )Ste Kl. entwickelte
sich ans dem auf einer anderen Lautstufe stehenden jeite
durch Assimilation des e an das vorausgehende j beim weichen
Charakter der folgenden Silbe.
ktiaö neben kfyaöi Ob. ist wahrscheinlich eine individuelle,
auf der Dialectmischung bei meinem Gewährsmanne beruhende
Eigentümlichkeit.
Schwund des unbetonten o in stritva KL, was bei diesem
Verbum auch in mehreren anderen Dialecten zu finden ist
64. e = o. In izere Gal. beruht e auf der Analogie der
Substantiva auf -c (a), wie jare, vreme} die mit Zugrunde-
legung eines secundären n-Stammes den Plural auf -ina bilden,
also zu Collectiven wurden. Diese Pluralbildung wurde zu-
nächst auf die Substantiva auf -£t- (telg) und dann auf alle
Neutra, die auf -e endigen, z. B. more, pole, ausgedehnt, und
schliesslich gerieth auch ezero in diesen Kreis und es wurde
zum neuen Plur. ezhrifia der Sgl. hsere gebildet; vergl. im
slovenischen Rosenthalerdialect den Nom. pari, Cirkno perey weil
das Wort in die Declination der «-Stämme überführt wurde,
Archiv XIII 58. Auch im Böhmischen wurde nebo durch den
Einfluss der Cas. obliq. vom Stamme nebes- an more angelehnt
und zu nebe umgeformt (Gebauer, Staro&es. skl. km. -O, 40).
In analoger Weise verdrängte im Kleinrussischen das pho-
netisch aus -je (ja) entwickelte ja in betonten Silben die En-
dung -jo,je, z. B. iitovjd (IIIaxMaTOB'B, Hsca'&a. Bt ofaacTH pycc
4>0H. 67).
Betontes o wird in Ob. vielfach mit einem leichten An-
satz eines u gesprochen, z. B. nvbga, kubza9 kuorem$ vergl. •«
für e (§. 59) und * (§. 42).
I.
65. Der Vocal i ist in allen drei Dialecten, wie überhaupt
im Südslavischen, ein mittleres i, das vorausgehende Conso-
nanten nicht erweicht, und nicht das polnische und grossruss. i.
Sogar die Lautgruppen Tiy ni wurden in vielen macedonischen
und bulgarischen Dialecten zu li, ni. Vor diesem t können
abermals Gutturale erscheinen, durch die Analogie aus anderen
Formen eingedrungen.
Macedonische Studien. 35
A. Dialect von Snho.
66. Der Vocal i erlitt keine Veränderungen und bleibt in
betonten und unbetonten Silben bewahrt, z. B. riiva, baüca, raz-
biräh. Auch nach S, §, £ bleibt i unverändert: ztf, zvoa.
Nur vor r wurde i anders behandelt, indem es, wie in
mehreren südslavischen Dialecten, zu e wurde: Serbk. Einiger-
massen mag dabei auch die durch die Accentlosigkeit bewirkte
Unbestimmtheit des Vocales mitgewirkt haben.
Nur kbikä7 ibifco8 wie auch sonst in den macedonischen
und bulgarischen Dialecten.
Anm. Es schwindet zwar nach l in einigen sla-
vischen Sprachen ganz sporadisch unbetontes i, z. B.
böhm. I für li, altpoln. albo, aber die Uebereinstimmung
mehrerer slavischer Sprachen, von denen sich z. B. schon
im Altpoln. Jcielko ohne i vorfindet, macht es wahr-
scheinlich, dass kolko und das daraus umgebildete kielko
auf ein älteres kohko zurückgeht, oder an Bildungen wie
toh, kolb angelehnt ist. tolko, kolko ist nicht bloss im
Bulgarischen allgemein, wir finden auch in mährischen
Dialecten kolky, tolky, slovak. kolko , poln. kielko, im
slovenischen Dialecte der östlichen Steiermark telko etc.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
67. Auch hier bleibt im Allgemeinen i in jeder Lage un-
verändert z. B. vrüdina, tidri, siriiii, bdime Ns. Auch nach £,
&, 2: ßtü, B/Vat., BXo Var.; auch Slrok Ns. Ebenso siromah Ns.
i = i. In einigen Fällen erscheint fllr betontes i schon I, so
dass in diesem Laute zwei unbetonte Laute zusammengefallen
sind: e und i; z. B. Ns. *i, dfH; Gr. zbbi, nbsi§} kräjUta, sirbk;
Bug. Hrokü; Vat. Hrbka, Ugräm gegenüber igrij, prijatel.
Geschwunden ist i in naUe Ns. theilweise durch die
Wirkung der Analogie, vergl. §. 51.
Nur kblkü, Ü>lkü Ns., Gr.
Vor i erscheint im Anlaute hie und da ein leises j: Ns.
Arne, Hgrä} ftgia; Vat. Uman, Hgräjs.
C. Debradialect.
68. Der Vocal i bleibt betont und unbetont unverändert,
z. B. Gal. mblite, kfopina, plänina, Stroko, \g\a; Kl. näsite,
izlkgofj «tbrif; Ob. Siroka, iastbica, tririne.
3*
36 VIII. Abfondlung: ObUk.
9 = i. Unbetontes i entwickelte sich zu 9 im Suffix
iha, das zur Pluralbildung verwendet wird: Ob. mbrvüa, j*>-
htia etc. In Gal. bleibt dagegen t bewahrt: ezhriüa, jarxna;
in Kl. na$9Jot.
Geschwunden ist unbetontes i in dvojca Kl.
Tbl.
69. 'Kl war schon früh mit i in einem mittleren i zusammen-
gefallen und theilte dann das Schicksal desselben. Einen Unter-
schied zwischen dem Reflex des ab. u und i gibt es in keinem
dieser Dialecte, was ich noch ganz besonders gegenüber gegen-
teiligen Behauptungen betonen muss. Man spricht in Suho
nur sin, sinüvi, Wcy k\tkay kisqia, slt, miika, b\h9 H&ri,
airifd, pitam.
Anm. Entschieden unrichtig ist die Behauptung
einiger bulgarischer Aufzeichner folkloristischen Materials
(üCn. XVII 322, XIX— XX 258), die auch in das Werk
Kalina's I 178 Eingang fand, dass sich in Suho in dem
z eine Spur des alten tu erhalten hätte. Ich hörte in
diesem Dialect kein *%n, Hh etc., sondern nur sin, bih
(neben dem Impf. Bäh), dessen i sich in nichts von den
übrigen betonten t dieses Dialectes unterscheidet. Ebenso
endigt der Nom. pl. der ä-Stämme auf -i, z. B. gn&i.
Ebenso unbekannt ist a als Reflex des alten u im Dia-
lect der nördlichen Umgebung von Salonichi. Dagegen
mag es im Dialect von Visoko vorkommen; ich kenne
letzteren Dialect nicht (vergl. Archiv XVII 184).
70. In der nördlichen Umgebung von Salonichi er-
scheint gleichfalls nur i für *u, z. B. Ns. mltika, kteelii, ci&ri;
Gr. bik, xlrini; Bug. klsilü; Vat. kisbt; Var. &t*e£o. Ebenso im
Debradialect, z. B. b\\ Gal.
Wenn nach r ein gutturales und dumpfes i erscheint,
das sich einigermassen dem russ. m nähert, so ist darin, wie
schon die Einschränkung auf die Stellung nach r zeigt, nicht
das einstige alte tu zu sehen, sondern u wurde in der Nachbar-
schaft des r nicht zum mittleren i, vielmehr blieb es bei einem
etwas dumpferen y stehen: rjfba Suho, Ns., Gr., Bug., Vat,
Var., so auch in Ochrida.
Macedouiscbe Stadien. 37
Anm. Nach r scheint in mehreren slavischen Sprachen
Td und i in einem solchen mittleren zwischen tu und i
stehenden y zusammengefallen zu sein. Darauf deutet die
Schreibung altrussischer Denkmäler, wo gerade nach r
ein Schwanken zwischen 'kl und H bemerkbar ist (Sobolev.
.leK.2 74). Schon in altslovenischen Denkmälern finden
wir vorzugsweise ein solches Schwanken nach r, mag es
serbischer oder bulgarischer Provenienz sein (Co6o.a. ^peB.
U,epK0BH0-c^aB. a3. 30, Jag. Cod. Marian. 424, Vondrak,
Glag. Cloz. 5, Archiv XV 591). Im Altslovenischen dürfte
dies auf einer Verhärtung der Silbe ri beruhen 5 weiches
r wurde zu mittlerem r.
71. t als Reflex des tu konnte ebenso wie etvmol. i in
unbetonten Silben zu i, 9 werden: 6et9ri Gal., vor r wurde es
absorbirt, daher f für ir: öetr punte gegenüber Huri Suho.
^ in Uzbk neben Jizici Vat. beruht wahrscheinlich auf der
Analogie der Substantiva auf -a&.
U.
72. Im Dialect von Suho bleibt u in betonter und unbe-
tonter Silbe im Allgemeinen von jeder Veränderung bewahrt, daher
tum'äti, türiS. Auch nach erweichtem l bleibt u unverändert:
zatübena, klut sogar mit Verlust der Weichheit des l und nicht
etwa klif. Wie zfytiivi, zentilfci zeigen, muss es auch hier
Ansätze zum Umlaut des u gegeben haben, denn auf einem
solchen beruht die Entwicklung des unbetonten kurzen ü (aus 0)
nach dem einst weichen t in den beiden Beispielen.
Besonders muss jzfdüvlca (vbdooica) erwähnt werden. Soll
hier in der That im Anlaute Metathese des vb> w> zu w mit
später hinzugetretenem j vorliegen? Auf fovdovica beruht jav-
dovica in Demir Hissar (Dorf Kröovo). Im Anlaute haben
wir allerdings auch in Suho Metathese in u&ijpna aus usvona,
usvbn — .
Im Dialect nördlich von Salonichi ist bei u keine Ver-
änderung zu verzeichnen. Sowohl kluö Gr. als üzda, hizda
Ns. Dasselbe gilt vom Debradialecte.
38 VIII. Abhandlung: ObUk.
Halbvocale in Verbindung mit r, l.
73. Wie überhaupt auf südslavischem Sprachgebiet, so ist
auch in den macedonischen Dialecten jeder Unterschied zwischen
^ und b bei r, l, sowie zwischen ihrer ursprünglichen Lage, sei
es vor sei es nach r, l, geschwunden. Ursl. br} *r und rb, r*,
ursl. bly bl und h, h haben denselben Reflex ergeben. Selbst
in jenen bulgarischen Dialecten, wo r&, h mit vr7 -d wechselt,
ist dieser Wechsel nicht von der ursprünglichen (urslavischen)
Stellung des Halbvocals, sondern lediglich von der Gestalt der
ganzen Lautgruppe, somit von einem erst spät aufgekommenen
Princip abhängig.
A. Dialect von Suho.
74. Der gewöhnliche Reflex des ab. rt} rb, h, h ist hier
r*7 t*7 d. h. r, l mit nachfolgendem vocalischen Element, das
ähnlich dem Halbvocal, nur kürzer und reducirter als der ge-
wöhnliche Halbvocal dieses Dialectes ist. Es ist fast r, U
nur ist das vocalische Element auf der zweiten Hälfte der
Silbe concentrirt, während sonst im Südslavischen der erste
Theil der Silbe die silbenbildende Function übernimmt. Das
Verhältniss von r8, i*7 zu f, l ist ungefähr dasselbe, wie in
mehreren slovenischen Dialecten das von *r zu f. Neben r* er
scheint bereits f.
a) r5, t6: drhtäj dr9vä7 tr*n7 tr9ni7 umr'kna, mr*d&va7 pr*s.
kr*pa7 krhf} kr he. — df'k, &pt7 vt*k7 vf'cb, vl*na, vf*ni.
pf'ni, 8$*nci, bt*ha7 bf*hi7 zälct*nl.
b) r: pfvna7 driftf7 örveni.
c) fjt, fry. zäkgfni, zakg,Mäte neben zäkt'ni, jäbtgka. Ana-
log dem q für unbetontes b finden wir demnach in unbetonten
Silben bereits q,l7 Iq,: es wurde das vocalische Element bei l
so behandelt, wie der gewöhnliche Halbvocal. Das Schwanken
zwischen q,t und la kann, wie die Beispiele zeigen, nicht auf
dem urslavischen Unterschied von h7 h und bl, bl beruhen.
d) 6er. Andere Wege schlug die alte Lautgruppe ötk
6rb ein. Sie wurde wie im Böhmischen zu cer, wogegen ab.
Hb7 Hb von einer ähnlichen Entwicklung zu &el ausgeschlossen
blieb und analog den anderen Fällen zu zi* wurde. Ich ver-
zeichnete nur: öerna7 6ervb7 ö'rvä neben örveni. Diesen Bei-
r
Macedonische Studien. 39
spielen ist auch öerkva gefolgt und wir würden deshalb nicht
6arvut erwarten. — Hier sei auch tfreSe erwähnt.
Ausserdem: die in den macedonischen und bulgarischen
Dialecten seltene Form butgärin.
B. Dialeot der nordlichen Umgebung von Salonichi.
75. Bis auf vereinzelte Ausnahmen sind hier f , l conse-
quent durchgeführt.
a) f." Ns. ppsten, dfvoto, nasfduva, jitfva, vfni, obpiäh,
tfciy dj-Sam, dfzava (ein Stück bebauten Landes), kfstot, kff,
cfoiü, cfkva, ebenso fdqsa, c'rvenü; Gr. pfmna, svlkjva, Utpoa,
vfhiita neben vrth, cfkva, cfven, cpno, auch f&a; Bug. dtfät,
pfvna, pfs neben prtstfit, tj-plmi, vf%am, crv&na, cerna; Vat.
vmum, Utpoa, pf8} djva , dr&aJte; Var. vfne, pfstöt, vfba,
ffhm, cfkva, cfno, cfven.
b) |: Ns. d\boka, izd\benoy v]na, m|£i, ml%i9 jablka, sl^a,
dlföi vlc*? Plna> Hhi> fytä; Gr. vlk, plna, jäbfea, fyt\ Bug.
p\na neben phn} blha, i\t etc.; Vat. 8l%i, jäblka; Var. vlk}
sl%a9 j%b\ka etc.
c) rb, h: Ns. d\%gü, sfonci; Gr. vrlh neben vrhüta, sllncl;
Bug. prbstüt neben pH, crbkva, vrbh, dfo</, shnci; Vat. prbvna,
krbfj drbS, dfiajte; Var. shnce. — rtS (ab. rbh) Ns., Gr.,
rixtaf Bug., rlda Vat., Var. sind von den übrigen Beispielen
zu trennen, da sie nicht zum Typus trtt gehören, vergl. serb.
roi. Erst verhältnissmässig spät entwickelte sich im Süd-
slavischen unter dem Einfluss der Cas. obliq. mit geschwun
denem ^ der Nom. f£.
d) 61: Vereinzelt steht moUgm Gr., md£6t Vat., doch
Ns. mUvm.
o
e) Wie die sub a) angeführten Beispiele zeigen, ent-
wickelten sich die altbulgarischen Lautgruppen £r&, £r& durch-
gehendes zu cf. Darin stimmt dieser Dialect mit den meisten
macedonischen und den serbischen überein. — i\ (ab. £h, Hb)
blieb und wurde nicht zu Zel.
f) u: Wie in den meisten macedonischen Dialecten, die
aus dem Serbischen eingedrungene Form bugari Ns., bugärin Gr.
C. Debradialect.
76. Innerhalb der Debradialecte lassen sich nach dem Re-
flexe des ab. r&, r&, h, h zwei Gruppen unterscheiden, die auch in
40 VIII. Abhandlung: Oblak.
einigen anderen Punkten der Lautlehre auseinander gehen. Die
eine Gruppe hat f, l, die andere or, ol} ohne Rücksicht auf den
Accent. Streng durchgeführt ist dieser Unterschied nur bei r,
denn neben l erscheint auch in der ersten Gruppe, wenigstens
in den beiden mir bekannten Mundarten, schon hie und da
ol. Zu der ersten Gruppe gehören von den hier behandelten
Mundarten die von Galißnik und Oboki, zur zweiten die von
Kiene. Die erste Gruppe mit ihrem f, \ repräsentirt den
älteren Zustand, aus dem sich ory ol durch die Mittelstufen
von ^r) il entwickelten. Es wurde demnach der secund&re
Halbvocal vor r, l ebenso infolge der secundären Voc&lisa
tion zu o, wie in jeder anderen Stellung der ursprüngliche
Halbvocal, z. B. in mogta. Würde nur ol erscheinen, so wäre
es möglich anzunehmen, dass a vor l durch die Klangfarbe
des l zu o gefärbt wurde, wie dies in dem benachbarten
Dialecte von Ochrida, Prilep etc. der Fall ist, oder dass sich
o direct ohne die Mittelstufe des ^ aus dem l entwickelte.
Da aber daneben auch ganz allgemein or auftritt, dessen o
von dem vor l nicht getrennt werden kann, so ist sowohl
für or als für ol eine Mittelstufe ar, ^l anzusetzen, deren
Halbvocal dann in der üblichen Weise behandelt wurde. In
der ersten Gruppe, wo neben /•, l nur vereinzelt ol erscheint,
ist es wahrscheinlich aus den benachbarten Dörfern einge-
drungen.
Anm. I ist ein harter Laut, doch nicht in dem Grade
wie das russ. t. In der Mundart von Galiänik wird es
mit geringer Intensität gesprochen und ist nur schwach
hörbar. In einigen macedonischen Dialecten ist es bereits
geschwunden, so z. B. in Stip, Veles dtzi, kme.
77. Galiönik. a) f, \: vfnet, ietvrti, dfvo, pfvi, trny krvi,
vrf (vrh), fga, pfstof. Ausserdem er: cpten, cfno} cfkof. —
vlk, vlhÖ9, plno, klne, bhaf jäblka, slnce.
b) ol: dolga, volna.
78. Oboki. a) r, l: pfvi, prvni, prst, trn% brs, vfzanka,
cetvrtgk, vrf (vrh), kff, kppa, auch r&- Aber bereits pvrsti und
sogar vbrnit. — dlg, klrupm, vlkZena.
b) pt; sgtza, vgtk} botva, poina, jäbgtka und mit Schwund
des l: sbnee.
Macedonische Studien. 41
Hier ist demnach ol bedeutend stärker verbreitet als in
Galiönik. Da ich mir daneben auch ein Beispiel mit or ver-
zeichnete, so ist nicht daran zu zweifeln, dass dies Ueber-
wiegen des ol in Ob. ein individueller auf. der Dialectmischung
mit der anderen Gruppe beruhender Zug der Sprache meines
Gewährmannes ist. Ebenso scheint die weniger energische
Articulation und geringere Vibration des r gegenüber dem f
in Galicnik und *r eine Anbequemung an die südmacedo irischen
oder bulgarischen Dialecte zu sein.
c) cer: c*rno, c*rveno9 ctrkof. Auch er dürfte der unver-
fälschten Mundart von Oboki unbekannt sein.
79. Kletie. or,ol: vbrnit, dbrva, «drp, vbrvi, porst ebenso
brda, sogar corven, — volna, sol^a, jäbolka und sonce.
Anm. 1. o vor r, l in Kiene ist in der Regel ein
sehr breites, in seinem zweiten Theile zu a geneigtes o.
Anm. 2. Die Aussprache des f ist nicht auf dem
ganzen macedobulgarischen Sprachgebiet gleichartig. Sie
ist nicht überall so ausgeprägt wie im Serbokroatischen,
im Böhmischen und in den slovenischen Dialecten der
östlichen Steiermark. Die Articulation des r ist weniger
energisch, die Anzahl der Vibrationen scheint geringer, die
Lippenöffnung um ein Unbedeutendes grösser zu sein als im
Serbischen. So wird f auch im Dialect der nördlichen Um-
gebung von Salonichi gesprochen. Es ist dies dieselbe Aus-
sprache, die in mehreren slovenischen Dialecten erscheint.
Die bulgarischen Aufzeichner von Volksliedern etc. geben
in unbehilflicher Weise p durch ^p und ftp wieder.
Ausserdem verzeichnete ich nur aus der Mundart des
Dorfes Caredvor bei Resen (nordwestliches Macedonien) cpno,
cjwen, cfkva neben Sereva und dbwk, sbwza, Zowte, 80wnce.
Contractlon.
80. Der Dialect von Suho bietet einige beachtenswerthe
Contractionserscheinungen, die den beiden anderen Dialecten
unbekannt sind. Die Contraction tritt in Suho nicht bloss bei
den Verben V. CL ein, die das a des Infinitivstammes nicht be-
tonen, wie z. B. skäkam, skäka ebenso 8lü$$m, slütiS, sondern
in der 2. Sgl. wird auch betontes aje, uje, ije, eje zu a, u} i,
42 VUI. Abhandlung: ObUk.
ä} z. B. igräi aber igräj$m} igräj (3. Sgl.), igräjmi, 6üs neben
ctyVro, cuj (3. Sgl.), &y»»t, ctijti, iüjft, dü§ doch diljym, duj,
dujmi; pfui neben pfuj$mf 6i$, bif blmi aber bijqmy t££, tTt/ife,
vijam, iltnü, ämi/Vem, j5ö$ aber päj$m.
Die Contraction im Präsens tritt also nur dann ein, wenn
auf ein j ein heller Vocal in einer geschlossenen Schiasssilbe
folgte, da vor einem solchen das j zu schwinden pflegt In
diesem Falle scheint der Vocal nicht eine so starke Reduction
erfahren zu haben. Im Plur., wo gegenüber dem Sgl. auf die
zu contrahirende Silbe noch eine Silbe folgte, war durch die
Vertheilung der Expiration auf eine grössere Anzahl von Silben
dieser Vocal stärker reducirt und schwand gänzlich nach j,
daher lujie neben fui.
Dem Dialect der nördlichen Umgebung von Salo-
nich i ist eine derartige Construction fremd, daher z.B.pejqm,
pejiS, tujtf, plujU.
In Galidnik ist die Contraction bei den Verben V. Cl. ohne
Rücksicht auf die Betonung durchgeführt, z. B. glkda (1 . Sgl.),
gledaS, glidaty Setame, nur in der 3. Plur. erscheint die uncontra-
hirte Form auf -aet: glhdaet, porböaet. Uncontrahirte Formen
finden wir ausserdem in der 3. Plur. Aor., z. B. izlogae, pekoe, ja
sogar solche Formen wie bidee, krVee. Umso bemerkenswerter
ist es, dass gerade bei den Verben I. Cl. und einigen anderen in
der 1. Sgl. Neubildungen mit contrahirten Formen auftreten,
x. B. £nenf ftite*, tria, trie$, splja, *pVety peJQ, peJei. In
Oboki cef, celi aus ceoet nach Schwund des intervocalischen p.
Anm. Die Contraction von öujeS zu £u$ erinnert
an die Formen auf -oyoyTTk, oyoyTi, z. B. ß-kpo^oyT« im
Cod. Marian., sie erscheint aber gerade in der 2. Sgl.,
wogegen es im Cod. Marian. in dieser Person nur un-
contrahirte Formen gibt.
Oonsonaiitismus.
Allgemeines.
Hl. Der Consonantismus der macedonischen und bulgari-
gehen Dialectc nimmt eine vermittelnde Stellung zwischen dem
der südslavischen Dialectgruppen des Serbokroatischen und Slo-
lUcedoDische Studien. 43
venischen und den rassischen Dialecten ein. Im Allgemeinen
schliessen sich die macedobulgarischen Dialecte in diesem
Punkte viel enger an das Serbokroatische und Slovenische an
als an den nordöstlichen russischen Nachbar, sie zeigen auch
darin im Grossen und Ganzen den südslavischen Typus. Die
Weichheit ist in den bulgarischen und macedonischen Dia-
lecten bei weitem nicht in dem Grade entwickelt, wie im
Russischen, insbesondere im Grossrussischen. Deshalb wird
auch der Gegensatz zwischen weichen und harten Consonanten
viel weniger gefühlt als im Grossrussischen, der Unterschied
zwischen bulg. te und ta ist bedeutend geringer als zwischen
grossruss. te und ta, denn bulgarisch t vor e ist wesentlich
ein anderer Laut als das grossruss. t in gleicher Lage. In
mehreren Punkten weicht der bulgarische und macedonische
Consonantismus vom serbokroatischen und slovenischen ab und
nähert sich dem russischen. So kennt das Bulgarische noch
ein weiches r, mag die Weichheit desselben auch nicht so aus-
gebildet sein wie im Russischen, auch hartes l, jedoch weniger
guttural als das des russ. i, lebt noch in sehr vielen Dialecten,
weiches t, d sind häufiger als in westlichen Schwestersprachen,
durch die in einigen Dialecten erhaltene Weichheit des £, ä, &
übertrifft es sogar die meisten russischen Dialecte in der Be-
wahrung des alten Sprachzustandes. Innerhalb der macedo-
bulgarischen Dialecte sind es abermals die macedonischen, die
sich durch ihren härteren Charakter des Consonantismus enger
an das benachbarte Serbokroatische anschliessen. Nur die süd-
macedonischen Dialecte entfernen sich, entsprechend ihrer son-
stigen engen Berührung mit den centralen Dialecten des Bul-
garischen, von den übrigen macedonischen und gehen mit den
östlichen bulgarischen Nachbardialecten. Sie haben nämlich bei
einer grösseren Anzahl von Consonanten die Weichheit gerettet
als die anderen macedonischen Dialecte. Zu diesen gehört der
Dialect von Suho.
1, n, r.
82. Der Dialect von Suho hat ein dreifaches l: hartes t
vor dunklen Vocalen, mittleres l vor hellen Vocalen und weiches
(erweichtes) l für ab. ai: prhtü, debeli, zalubena. Hartes t ist
nicht in dem Grade guttural wie im Russischen.
44 VIII. Abhandlung: ObUk.
Zweifaches n: hartes and erweichtes, z. B. üvh%f jagte.
Hartes und erweichtes r: irimlilce, dh&tifa.
Im Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi
sind gleichfalls drei Arten des l: äruBt, beli, pbsteta. i ist nur
mittelhart, etwas gutturaler klingt es im Wortschlusse: in kaiai
ist es härter als in predefa (Ns.). Damit hängt bekanntlich die
Entwicklung des / zu u im Auslaute in einigen slavischen
Sprachen zusammen, während es im Inlaute bewahrt bleibt
oder zu mittlerem l wurde. — X ist fast ganz durch das mitt-
lere l verdrängt, ich hörte es in Vardarovci.
Zweierlei n: n und ii} letzteres vor dunklen Vocalen:
ptanina , ramifia. — Unter den aufgezeichneten Beispielen
finde ich nur ein mittleres r.
Im Debradialect sind einige geringe Unterschiede bei
diesen Consonanten bemerkbar. Der Dialect von Gal. hat ein
zweifaches l: mittleres und ein nicht stark davon verschiedenes
hartes \: ig\a} pole. Im Dialect von Kiene ist das zweite l
etwas härter (gutturaler) als in Gal.
n und 11 in Gal.: dbnesi, kon. — Unter den notirten Bei-
spielen finde ich nur mittleres r.
Kiene, i härter als in Gal., ungefähr derselbe Laut
wie im Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi, und
mittleres l: mogta, ludi. — n und tf: näSeto, ogha.
Oboki. Dreierlei l: \ wie in Gal., mittleres l und
weiches (erweichtes) l: gofop, prolet, lutje. Vielleicht beruht
dieser Unterschied gegenüber den beiden anderen Debramund-
arten mit nur zweifachem l auf diabetischer Mischung in der
Sprache meines Gewährsmannes. — n und ü: enoS, baiia. Ein
weiches r verzeichnete ich mir nicht: mbrv und nicht mbte.
t, d.
83. Im Dialect von Suho sind mittleres und weiches tf d
vorhanden: turiä, digam — pijt, rüdenü. Die Weichheit ist
besonders bei t stark bemerkbar. In djavot wird nach d
volles j gesprochen.
Auch nördlich von Salonichi findet man mittleres und
weiches t, doch ist dies sehr selten und nicht in dem Grade
Macedonische Stadien. 45
weich, wie im Dialect von Suho: bstra, brerfa. Beispiele für
weiches d gehen mir ab.
In den Debramundarten von Galiönik und Kletie habe
ich mir kein weiches t, d verzeichnet, sondern nur mittleres:
Gal. pot, Kl. piSite.
Aus der Mundart von Oboki notirte ich mir zwar cfofi,
aber es ist mir fraglich, ob weiches d in dieser Mundart exi-
stirt, sie dürfte nur mittleres t, d besitzen; d wäre dann eine
individuelle Eigentümlichkeit meines Gewährsmannes. Aus-
lautendes t wird nur schwach gehört.
p, b, v, m.
84. Die Weichheit der labialen Consonanten im Dialect von
Suho ist viel geringer als bei t, sie erscheint neben den ur-
slavischen Lautgruppen p7 6, v7 m + j von allen Vocalen nur
vor dem Reflex des *k ('ä)-} päsna, vätf. Nur für urslav.
pjy bj etc. erscheinen in den macedonischen und bulgarischen
Dialecten weiche Labiale, die Lautgruppen pe, pi, be7 bi etc.
sind hart, wenn sie nicht einem urslav. pje etc. entsprechen.
Neben dentolabialem v haben alle drei macedonischen
Dialecte noch einen in der Mitte zwischen v und / stehenden
Laut. Im Dialect von Suho erscheint er hauptsächlich nach
tonlosen Consonanten, z. B. sfirka, sfivam. Auslautendes /
statt v, z. B. Bf, ist der gewöhnliche Dentolabial. Stärker ver-
breitet ist dieser mittlere zwischen v und / stehende Laut im
Debradialect (Galiönik), wo nicht bloss v vor vielen Conso-
nanten durch Assimilation zu diesem Laut wird, sondern der-
selbe auch an Stelle des auslautenden h erscheint, z. B. sldnaf,
vff7 ftbri, sogar ofde. Ebenso in der Mundart von Oboki.
Auch im Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi
nähert sich v in ppma einigermassen dem /.
Im Anlaute vor Vocalen stehend ist v ein labiolabialer
Laut: woda.
k, g, h.
85. Weiche Gutturale sind diesen Dialecten bis auf ganz
vereinzelte Beispiele unbekannt. Weiches k hörte ich in Suho:
46 Vni. AbbAndlungr Oblak.
bratke, povVci, mustajlce und im Dialect der nördlichen Um-
gebung von Salonichi: ezilc, Jcitka Ns.
C| 8| Za
86. Diese Consonanten haben im Dialect von Suho noch
vielfach ihre Weichheit bewahrt. Hauptsächlich ist dies der
Fall vor dunklen Vocalen: cMäk, icümen, doch auch zäba,
dui$. Ebenso kann i in 2; weich sein: m#d£ä. Die Weichheit
scheint sich am stärksten bei £, etwas weniger bei £. am
schwächsten bei 8 gehalten zu haben. In einem geringeren
Grade ist 6 auch im Dialecte der nördlichen Umgebung
von Salonichi weich, z. B. se6ey f%kam} ausserdem tefezü.
Im Debradialect (GaliÖnik) ist nur £ in ganz unbedeutendem
Masse weich; viel weniger ab in Suho, so dass sich hier c
kaum von 6 unterscheidet: ibvek, ietwi.
In der Mundart von Oboki notirte ich mir auch die
weiche Aussprache dieser Laute: cest, covek, £Mhd, £at} bfcar,
täkam, doch ist es mir fraglich, ob sich mein Individuum
dieselbe nicht aus einem anderen Dialect angeeignet hat.
c, s, z, dz.
87. Nicht bloss s, z, sondern auch c, 2; sind harte Laute.
Den Laut ^ kennen alle drei Dialecte.
Bezüglich <?, d, k7 $ vergl. §. 3. 6.
Verhärtung und Erweichung der Consonanten«
88. In allen drei Dialecten ist eine Neigung zur Verhärtung
ursprünglich weicher Consonanten bemerkbar. Es ist dies eine
allen südslavischen Dialecten gemeinsame Eigentümlichkeit,
ungleichmässig in den verschiedenen Dialecten' ausgebildet Es
waren dabei verschiedene Principe bestimmend. Im Allgemeinen
haben alle drei Dialecte die Weichheit der Consonanten im
höheren Grade erhalten als die serbokroatischen Dialecte.
Insbesondere gilt dies vom Dialecte von Suho. In einigen
Punkten hat jedoch das Serbokroatische den älteren Zustand
treuer bewahrt. So wurde im Debradialect weiches l zu mitfc-
Macedoniache Studien. 47
lerem, zum grossen Theil gilt dies auch vom Dialect der nörd-
lichen Umgebung von Salonichi. Selbst der Dialect von Suho
hat vor e und i weiches l zu mittlerem entwickelt. In gleicher
Weise schwand auch bei n vor e und i im Dialect von Suho
in grösserem Umfange die Weichheit, während im Serbo-
kroatischen bekanntlich sowohl Jb als h> erhalten sind. Im Bul-
garischen bleibt gerade vor dunklen Vocalen die alte Weich-
heit der Consonanten consequenter bewahrt als vor e, i, vor
diesen Vocalen schwand sie gewöhnlich.
1, n, r.
89. A. Dialect von Suho. In diesem ist ab. X durch-
gehends als weiches X erhalten a) vor u : Xudi, zaXhbeni.
b) Vor den Pluralbildungen auf -ja bleibt X vor dem um-
gelauteten ä, z. B. pnteXä, vn?itä.
c) Durchgehends weiches X in Xä fUr ab. A*k : mXükä, Xäp
(hUbt); doch mittleres l in leä = ab. A*k, z. B. sleäp} l'ätu.
Vor e wurde X selbst dort, wo es sich erst aus hj ent-
wickelt hatte, zu l: pbll und zili.
Mittleres l erscheint auch in sol.
Gegenüber iovem mit i vor betontem o erscheint ein fast
mittleres l vor unbetontem o: low§, lotiüh.
Besser als X hat sich n gehalten. Es erscheint fllr ab. n,
nbj im Auslaute oder vor dunklen Vocalen ; vor e und i wurde
es grösstentheils verhärtet: kbri, vbgrio, vbgfii, nhSfiü, vikaiii,
bän§, bäni, düfß, kämiM, auch zemfie, jagfie, doch nlva, Jcniga,
plrarik, m'äsene, kbreni neben koren. Vor dunklen Vocalen
und im Auslaute erscheint n auch für ab. na (nicht fib): dvhb
neben den, dni, kämifi, kbriii, sogar teHxki.
Weiches r erscheint vor dunklen Vocalen als Reflex des
alten ' p k und ausserdem in der Lautgruppe rä fllr ab. p*k :
{itfäiqm, dlHifa doch düHiri, mori; — räka.
90. B. Im Dialect der nördlichen Umgebung von Sa-
lonichi ist X seltener als in Suho, auslautendes ab. X wurde
grösstentheils zu mittlerem l, das öfters auch im Inlaut selbst
vor dunklen Vocalen erscheint. Vor e, i wurde auch altes hj zu
mittlerem l. Ns. prijatel, püsieli aber pfo&Xa, nedela, pbli,
ztlly sogar kluö, lüti] Gr. prijätil, lüdi, kluS] Bug. prijateX,
48 VIII. Abhandlung: Obltk.
uüteZÜt, doch lüdi, klu£, nedela; Var. postiXa, lüdi, pbli, zbli.
Secundäre Erweichung: mofom neben molii, frfam.
Mittleres l erscheint auch in sol (Ns.).
Das nur iin geringen Grade harte l erscheint überall
dort, wo es unmittelbar vor dunklen Vocalen stand, z. B. glava,
loka. Von solchen Formen konnte es auch in die Silben li, le
mit ursprünglich mittlerem l eindringen, z. B. debety Ns. nach
debd, sübrä\i. Im Auslaute erscheint, wie bereits erwähnt, ein
härteres i als im Inlaute, so dass zwischen JcaZäl, urü&t, pekot
und planina, g\ava ein kleiner Unterschied bezüglich des l
besteht. I in prijatel etc. wurde nicht zu i, weil es die Weich-
heit erst spät aufgegeben hatte, — sol mit mittlerem l beweist,
dass einst der Unterschied zwischen mittlerem l und / bedeu-
tender sein musste als gegenwärtig.
Mittleres l entspricht ab. mittlerem (doch etwas weicherem)
l vor hellen Vocalen und auch weichem f. Im ersteren Falle
steht demselben vor dunklen Vocalen (ab. ia, to, iu) hartes l
zur Seite, z. B. bell aber be\a Bug.
n entspricht ab. n und mittlerem n vor altem auslautendem
«», vereinzelt sogar hartem n. Auch ab. nhj wurde vor Vocalen
zu n. Hauptsächlich erscheint n im Auslaute und vor dunklen
Vocalen, vor hellen Vocalen konnte es selbst dann, wenn es
altem nhj entspricht, die Weichheit einbüssen. Ns. kbn9 konot
aber kohite, viZina, ramina, ubgbh, luna, svina, dh'i, jäshi, gor-
nid, edinot neben edin, kamen, sogar kamini, jägni, nihnata,
slrini doch niva. — Gr. koren, kbrüni] Bug. kbnf ogen, bäna}
sviiia , vbglir'i, auch jägnt , aber kämini , niva und den ; Vat
kbnfti, vbgen, den, aber jagne^ Var. uogiii, kämin, sogar bajna
mit Vorausnahme der palatalen Articulation, und tenki. Daneben
gorni, jagne, niva.
Auch n wurde zu n in sbii Ns., Bug., sonlif Ns., dagegen
son Vat., Var. Es ist dies um so merkwürdiger, da man in
Bug. neben son doch den spricht.
Für r erscheint selbst vor a mittleres r: oföära Var.
91. C. Debradialect. Die Mundart von Galiönik kennt
kein weiches l, es wurde zu mittlerem: postela, pole, prijatel.
In sol *st das ^ einigermassen hart. Vor dunklen Vocalen und
im Auslaute für ab. h erscheint ein mittelhartes l, z. B. gib-
Hacedonisoh« Stadien. 49
boha9 rribgla, slde\o (Nest) sorwval. In Kiene gleichfalls kein T9
z. B. lüdi, l ist hier härter als in Gal.
Die Mundart von Oboki hat nach meinen Aufzeichnungen
auch weiches l, es ist mir nicht sicher, ob es einheimischen
Ursprungs ist: Tutje, zaTubeni, rikdeti, pbsteti, z&Tl neben pbleto.
Dagegen ist altes ü nicht bloss durchgehends ohne Rück-
sicht auf den Charakter des folgenden Vocales bewahrt, son-
dern erhielt sogar einen Zuwachs. Im Auslaute wurde nämlich
auch ab. n* (nicht nt>) zu n: Gal. kon, ezkrifia, tiereMa, jägne,
töZene, ogon, doch ognevi. — den, aber dn\7 dhwf, sogar te>nko
neben thnok. Nur 8on} sbnevi; KL rbbehe (rqb-)7 dütä9f bgoti,
bgiia; Ob. kbn7 bäna, bäni} präM, bgofi, aber bgnoi, dhn, aber
denoi, kbrvte neben kubren7 sogar glaseßnca (gasSnica). Doch
n für altes n: niva, knlga.
Es wurden demnach im Debradialect fund n verschieden-
artig behandelt.
r für /: mbr9} mbrona Ob.
t, d.
92. In Suho erscheint weiches (palatales) t für ab. mittel-
weiches t vor b (tb) im Auslaute, im Inlaute nur vor a, o, vor
i ist es verhärtet: ptyt, pantb, aber phtüta, ribff, lükiUb, auch
fankü, pent (pgdb), doch pU, dh)ity <Rsit7 zht. Ausserdem er-
scheint weiches t in der Silbe tä7 ab. T*k: (ühnite, pbnfä.
In einer Reihe von Beispielen ist die Weichheit secun-
dären Ursprungs, hervorgerufen durch die Analogie. Deshalb
tritt die Erweichung auch bei anderen Consonanten ohne Rück-
sicht auf den Charakter des folgenden Vocales auf. Es sind
dies fast ausschliesslich Conjugationsformen: püzlafenü, sfopfom,
rüdhiü, sndam.
Anm. Die Weichheit des t ist in diesem Dialecte
stark ausgebildet. In dem unweit davon entfernten Dia-
lecte von Neguvan entwickelte sich t gerade zu 6. Ich
hörte von einer Frau aus Neguvan gbspüd, ph6 (patb)7
aber pltitka, ze6 (zfib), na zävU. Einen ähnlichen Ueber-
gang des i in 16 (oder £?) kennen mehrere ostbulgarische
Dialecte z. B. Kotel, Malko Trnovo.
Sttsnngsber. d. pWl.-hist. CT. CXXXIY. Bd. 8. Abb. 4
50 VI1L Abhandlung: Oblak.
Im Dialect der nördlichen Umgebung von Saloni
wurde ab. tb zu hartem t, z. B. jnt, z*et Ns., I erscheint
altes tbj , insoweit sich dasselbe nicht zn £, 6 entwicke
brafa, svafe Bog.; ausserdem rab*olmi Vat.; d der alten Li
gruppe dbj wurde vor e verhärtet; also de statt de, dje; grc
Ns., grbzdä Bug.; d vor altem -bba ist hart: tvadba Bug.
Der Debradialect kennt kein weiches t, d; altes tb,
wurde zu t, d z. B. pbt, \äkot, devet Gal. Secund&res
(ab. tbj) wurde zu 6, Je: trelci. Hartes d in avadba (Gal.).
p, b, v, m,
93. Die Labiale sind im Dialect von Suho, mit Ausnahm
des Reflexes des urslav. p, b9 v, m + j vor dunklen Vocalen
hart und zwar vor allen Vocalen, nur in der Verbindung mi
folgendem *k sind sie weich, daher kr*ff jifdävica, aber vätf.
dvä, päsna. Selbst in der alten Lautgruppe vbj wurde v vor
hellen Vocalen verhärtet: zdrävi. Auffallend ist daher neEet&j
das wahrscheinlich als eine Neubildung *neboje aufzufassen
ist, vergl. Lavrov 125. Auch im Partie, zdtvbena wurde J
verhärtet, wie die daneben noch vorkommenden Partie, p&zla-
tenü etc. zeigen.
Der Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi
kennt gleichfalls fast nur harte Labiale, z. B. kff Ns., doch
kupeHi Bug., Vat. gegenüber küpam Bug., vergl. jadqti,
fatejti, falejti Var.
Nur harte Labiale im Dialect von Debra.
Ueber die Reflexe des urslav. p, 6, v, m -f j siehe §. 110.
k, g, h.
94. Die einigen bulgarischen Dialecten bekannte Erweichung
des k nach j besonders vor dunklen Vocalen, z. B. majlca, ist
allen drei Dialecten unbekannt, daher nur majka Suho, Ns., Bug.,
Var. Vielleicht kann hieher ezxH Ns. gerechnet werden. Den
umgekehrten Vorgang, nämlich die Entwicklung eines j vor
weichem U in der Weise, dass die zur Erweichung des £ not-
wendige Zungenstellung schon vor der Articulation des £ ein-
1. .
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* T«i «ii Ce drei Dialecte
,^-i. :<= -~- -.J.« auf jene Falle <
r riUT. ■ t» -i »ad ü bemht, bo
■ ~ -^i - ^selben Beispielen nnd
c Iy-.-, at dieier Lant Beltener
r-=r »iri auca im Debradialec* %
.xi «bon der benachbarte, in
L~_ tbereinstimmende Dialect »"
il ; iLgemem feet bielt, njii d»
Aüspracbe des z in »»•» ™
d»« alten z betrachten durfte.
.. Snho-. <»* wu- *"*•'
b) Dialect «ordlieb »"■■
m!-i, en,o, W«»?» ud1 f6 ,.
-i — *'."*/^£*..
;re»KI«, »**>* «»l"
52 YUI. Abhandlung: ObUk.
Bezüglich z in %a*tra vergleiche man %aran Samokov?
Dup. Dzumaja, zyrwtb Trojan, na%at Veles, na&de Kukul,
na^ade Samokov.
Anm. 1. ?astra7 das auch im Dialect von GevgeK
(nördlich von Salonich i), Voden, Lerin und vielleicht noch
in anderen Dialecten existirt, ist aus za utra entstanden:
zäutra, zavtra f zavstra — letztere Form im Psalt. Sinait:
3a oyrrpa — und nach Schwund des v in der Laut-
gruppe vs (vergL shkakvä, sikbde Ns.) zastra. Die Form
Zastra mit * erscheint nur in jenen Dialecten, die sr su
str, zr zu zdr entwickelten, z. B. streda, striteh, ostrami,
stribrena Voden; ustramila, str etat Lerin; stredi Gevgeli;
für den Dialect nördlich von Salonichi vergl. §.112. Die
Lautgruppe str war in diesen Dialecten so beliebt, dass
auch tr von zavtra im Wortinnern , an dieselbe angelehnt
und zu str umgebildet wurde, wie z. B. in analoger Weise
crkva zu ierkva in jenen Dialecten umgebildet wurde,
die altes tr zu ler entwickelten. Ich glaube also nicht,
dass, wie Matov C6M. V 168 annimmt, zavtra, zaftra
durch Assimilation zu zastra wurde, denn Beispiele für
eine solche Assimilation haben wir nicht. Dadurch ist
aber auch jeder Boden der Vermuthung Geitler's (Ein-
leitung zum Psalt. Sinait. S. XVIII) entzogen, dass za
ustra (rd rtquit) des Psalt. Sinait. noch das dem Litauischen
entsprechende * bewahrt habe, was noch Miklosich Et.
W. 373 veranlasste, utro mit der bei ihm selbstverständ-
lichen Reserve aus ustro zu deuten: ,utro vielleicht aus
ustro: asl. za ustra/ Dagegen gibt uns diese Form des
Psalt. Sin. einen Fingerzeig, wo wir die Heimat dieses
Denkmals zu suchen haben: nach unserer jetzigen Kennt-
niss der macedonischen Dialecte im südlichen Macedonien,
vorausgesetzt, dass sich einst die Verbreitung der Laut-
gruppe str für sr mit der gegenwärtigen deckte.
Anm. 2. Der Laut z ist keine ausschliessliche Eigen-
tümlichkeit der macedonischen Dialecte, er lebt auch in
den west- und ostbulgarischen Dialecten, wenn er auch
in den macedonischen Dialecten etwas stärker verbreitet
ist und auch über die alten Grenzen, die ihm durch
seinen etymologischen Ursprung aus g gezogen waren,
Mftoedoniscbe Studien. 53
gegriffen hat. Seltener ist % in den Rhodopedialecten
und den sich daran anschliessenden südostmacedonischen,
denn selbst im Dialect von Suho ist es, wie zv'äzda,
shza zeigen; eingeschränkt.
97. In wenigen Fällen erscheint £ neben gewöhnlichem i.
Suho: mh$ä, im Auslaut m#£ (mqJh>)} l$n£ä, tyfam, h&if (IzZa),
pajr^fani (pajqkb), also ausnahmslos nach n, aber Zeiezü; Ob.
fhlezdo.
Diese Beschränkung des % auf vorausgehendes n im Dia-
lect von Suho macht es wahrscheinlich , dass sich hier £ erst
secundär aus n£ entwickelte. Dass sich altes £ hier gehalten
hätte^ gestützt durch vorausgehendes n, ist mir weniger wahr-
scheinlich, da die Entwicklung des n aus dem Nasalvocal
(mr}$ä) nicht so weit hinaufreicht. Darauf weist schon der
secundäre Rhinesmus in lq,n$a. In dem Nasalvocale kann aber
f keine genügende Stütze gefunden haben. Die schönste Pa-
rallele finden wir in in%ik} vfyzil in Suho, wo sich gleichfalls
Z nach n erst aus z entwickelte, denn ursprünglich kann in
diesem Worte, wie das Litauische £ zeigt, der Laut $- nicht
sein. Allerdings wurde die Entwicklung des nz zu n% dadurch
unterstützt, dass die Sprache ein altes dz} z. B. nodzi, besass.
Eine gegenseitige Einwirkung des nasalen Elementes und des
darauffolgenden Dentals, allerdings in umgekehrter Richtung,
ist in vielen polnischen Dialecten bemerkbar: <j, £ + t} d ent-
wickelten sich zu ant, and.
Anm. In einigen bulgarisch-macedonischen Dialecten
hat z über seine ursprünglichen Grenzen hinaus gegriffen,
es erscheint nicht bloss als Correspondent des slav. g,
sondern auch dort, wo das Litauische £ bietet; z. B. aus
den Sprachproben notirte ich mir : Voden ^7Äa-to, zima,
Zastra, wr?uvam neben altem druqi, bla%e, no^e; Ochrida
%izdot, gveroi, zapunit und altes 8ol%i} dru^i, %oezda7 vergl.
Kaiina I 299—300, Lavrov 100, Sapkarev C6. 1 29 Anm. 5.
Uebereinstimmend erscheint im Dialect von Voden,
wo es ein neues z gibt, auch £: filezu, dbl?ila, nufiöka.
Es ist deshalb sehr fraglich, ob dies £ gegenüber dem £
anderer Dialecte einen älteren Zustand der Sprache dar-
stellt. In diesem Falle sollte es viel consequenter durch-
54 V1U. Abhandlung: OfaUk.
geführt sein. In einigen Dialecten finden wir £ haupt-
sächlich nach r (vr), z. B. Konop&i v*rfi, dvrfi, p*rfi,
Bttrfiy birfi neben gasmh; Stara Zagora dvrfi (vergl.
Kaiina I 306). Es ist nicht anzunehmen, dass in diesen
Worten urslav. f in dem r eine Stütze gefunden und
sich gehalten hätte, da es in einer älteren, für einige
macedonische Dialecte durch das Altslovenische (Altbul-
garische) repräsentirten Periode des Sprachlebens, durch
einen halbvocalischen Laut von r getrennt war. Es ent-
wickelte sich erst später die Lautgruppe rl zu rf. Wenn
ich daher auch wegen üdenq etc. slavisches i auf ein
älteres £ zurückführen möchte, so glaube ich doch mit
Potebnja (Archiv III 365), dass in vielen Fällen in dem
£ der heutigen bulgarischen und macedonischen Dialecte
kein Residuum des urslavischen Zustandes vorliege, wie
dies Miletiö, Grapofojir. TpaM. 30 und C6M. II 223 fürs
bulg. $ annimmt, sondern sehe in demselben vielmehr
eine nachträgliche Entwicklung aus £. Es hat mit Recht
Mareti6, £ivot i k6i£. rad Fr. Mikloöita 17 fürs montene-
grinische (und angrenzend dalmatische) ?ub, %ora} §asnuti}
§ak, in welchen Miklosich noch altes ?, $ sah, auf nach-
trägliche Entwicklung eines d in §amor, §ebrak verwiesen,
und ebenso sieht auch Gebauer, Histor. mluv. I 526 f. in
dem £ vielfach einen Laut späteren Ursprungs. Von diesem
£ aus & ist £ für urslav. dj der kleinrussischen Karpathen-
dialecte zu trennen, denn dies ist gegenüber dem £ der
anderen russischen Dialecte in der That das ältere, wobei
jene russischen Dialecte, die £ in solchen Formen wie
hofu zeigen, nicht in Betracht kommen; ihr f entstand
aus £ durch Anlehnung an die anderen Formen mit be-
wahrtem stammhaften d (CoßoaeB. JLeKu;.8 127, BpaEgvra
.leim. 125).
Es ist zu beachten, dass selbst in solchen Dialecten,
in denen, wie z. B. in Ochrida, % stark verbreitet ist, nur
ielezo gesprochen wird, trotzdem gerade in Ochrida für
urslav. dj gewöhnlich if (neben d, jj) erscheint, z. B.
veigi, 6u£fi. Die verschiedenen Reflexe des urslav. dj
sind entschieden jüngeren Ursprungs als der Wandel der
Gutturale zu Palatalen, daher sich d der urslavischen
Mocedonische 8tudicn. 55
Lautgrnppe dj auch fester hielt, und dies umsomehr, als
die ganze Entwicklang nur auf einer Modifikation des
erweichten d beruht.
Consonanten in Verbindung mit nachfolgendem j.
98. 1. Ij, nj, rj werden za T, 6, i, die dann verschieden-
artig behandelt werden, vgl. §. 89 — 91.
2. Urslav. tj, dj.
Zugleich mit den Reflexen der urslavischen Lautgruppen
tj, dj bespreche ich auch die Vertretung der urslavischen Laut-
combinationen stj, zdj, sk, zg vor j oder palatalen Vocalen und
die Lautverbindungen kt (= kt und gt), ht, also alle jene ur-
slavischen Lautgruppen, als deren gemeinsame Reflexe im ab.
8t, id erscheinen. Die macedonischen Dialecte gehen darin
auseinander. In den südöstlichen Dialecten Macedoniens er-
scheint für alle diese Fälle eine gemeinsame Vertretung, näm-
lich 8t, id, die übrigen macedonischen Dialecte, also die grosse
Mehrzahl, hat nicht bloss 86 für ab. 8t — 8t selbst ist nur in
sehr wenigen Dialecten zu finden — sondern neben 8t, id auch
6, d, Jt, £. Im Allgemeinen lässt sich aber auch in diesen
Dialecten ein Unterschied zwischen den beiden Reflexen der
urslavischen Lautgruppen constatiren, wobei ich 6, d, und K, <jf
wegen ihres ganz geringfügigen Unterschiedes als &nen Reflex
auffasse: 6, d und k, ff sind hauptsächlich Reflexe des urslav.
tf} &h dagegen 86 (8t), id (idi) grösstentheils Vertreter von
altem stj, zdj, sk, zg. Doch kann ein solcher Unterschied nur
im Grossen und Ganzen beobachtet werden, im einzelnen gehen
die verschiedenen Dialecte darin etwas auseinander.
A. Dialect von Suho.
99. Dieser Dialect gehört zur südöstlichen Gruppe der ma-
cedonischen Dialecte, die nur 8t, id für urslav. tj, dj, stj, zdj,
zg besitzt. Da hier im Auslaute auch t schwinden kann, z. B.
pr*8, 8es, so erscheint neben 8t, id im Auslaute auch £; ganz
vereinzelt stehen zd, kt.
a) 8t, id: vr&H8ta, sfe8, sfe8te, dtätifa, klä8te, \8tam, b8ti,
pra&ta (Bogen), le&ta, pla8tam, faStam, usno8te, prenbitim, stfa-
56 VIII. Abhudlaaf : ObUk.
da no8; grobüte. — jä$ (jaidb) ra£dat7 saidi7 paidam, izva£damf
mUdu, dU} daidi.
b) zdi nur das gleichfalls einigen anderen bulgarischen
und macedonischen Dialecten in dieser Form bekannte cüzda.
c) £ : pbvilci, das in dieser Form und sogar mit Verlust der
Weichheit des k auch in ostbulgarischen Dialecten verbreitet ist.
d) t: notnu neben dem bereits erwähnten prenbitim etc.
I in nofnü deutet darauf hin, dass das Wort einst £ oder e
hatte, also *nottnü lautete, vergl. noino nördlich von Salonichi,
wo sonst £ oder 6 erscheint, auch serbokroat. notäo, worüber
L. Masing, Zur Laut- und Accentlehre der macedonischen Dia-
lecte 30 — 33. Beispiele wie rüdenü, pfizlatenü gehören als
Analogiebildungen in die Conjugation.
100. Secundäres tj, d. i. wo sich die beiden Consonanten
erst nach dem Schwunde des zwischen ihnen stehenden Halb-
vocales berührten, wurde zu iJc: brattee, trltfcä. Secund. dj bleibt
oder wurde zu dj: djfavol und djavol.
Anm. Ein solches tU} d§ finden wir auch in dem
nur einige Stunden westlich von Suho entfernten Dialect
von Ajvotovo, wo prltki, palaiüi und daneben auch
ghbgi (aus gihbji) gesprochen wird, und in Ochrida cvetKe
C6M. IV 193, Matov nCn. XLIV, 254. Wir haben es
hier mit einer Entwicklung des j zu g zu thun, wie
schon ghbgi, djavol und trekki im Dialect von Malko
Trnovo. In diesem wurde das durch j erweichte f von
trefji wie sonst zu £, vergl. deseJc etc., während sich j zu
<j und weiter durch Assimilation zu £ entwickelte, das
schliesslich verhärtet wurde. Dadurch erinnert trekki an
kleinruss. platta (Potebnja, ^na H3CJii/V 131), obwohl dies
andern Ursprunges ist, da sich j direct dem voraus-
gehenden Consonanten assimilirt zu haben scheint. Am
klarsten spiegelt sich dieser Lautprocess im Dialect der
ungarischen Slovenen ab. Dort spricht man nicht bloss
trieilia, cvetJca, raspetkfy (aus raspetje), sondern auch im
Instr. Sgl. potkjouf (potjov, J>qto>3<i)i 9mvikjouf etc. und
daneben veselgje, zelgje, morgje, lidgje, also bei voraus-
gehendem tönenden Charakter des Consonanten gj7 bei
tonlosem kj, £. Der Entwicklungsgang ist folgender: j
Macedoniach« Stadien. 57
wurde zu einem stark palatalen g, aus dem sich ebenso
gj entwickelte wie rj aus /. Von einem Einschub eines
g oder k zwischen t, d und j kann nicht gesprochen
werden , da im Dialect der ungarischen Slovenen auch
gjarem, gjagoda, tfetra gesprochen wird. Auch im Jaun-
thalerdialect und in Windisch Graz (Steiermark) spricht
man tretki (vergl. Archiv XIV 336 ff., Miklosich im Fest-
gruss an Böhtlingkh 90). Die Entwicklung des j zu $
kennen auch einige nordmacedonische Dialecte, z. B. noixc,
mute (nCn. XXXIV, 470) und von den Nachbarsprachen
das Griechische (Hatzidakis 121). Vor primären Palatal-
vocalen erscheint g für j auch in deutschen Dialecten,
z. B. im schwäbischen (Fr. Kauffmann, Gesch. der schwäb.
Mundart 252 f.).
Nur dort, wo j die volle spirantische Aussprache
hatte und nicht zum Halbvocal \ geworden war, ent-
wickelte sich dasselbe in der Lautgruppe tj zu <f — U. Wo
es vor Vocalen in der secundären Verbindung tj zu %
wurde, wurde tj zu Ji oder 6 (Je), wie dies in den meisten
macedonischen und serbokroatischen Dialecten der Fall
ist. Dieser Lautprocess wurde in den macedonischen und
bulgarischen Dialecten durch den Schwund der Jotation
vor e und i noch mehr eingeschränkt. — Spirantisches j
konnte mit vorausgehendem t Tteine enge Verbindung ein-
gehen ; etwas ähnliches sehen wir bei m im Kleinrussischen
und Weissrussischen, z. B. mjaso mit hartem m aus rh
(Sachmatov 15) oder pjit, bjit (aus p> B) in böhmischen
Dialecten (Gebauer, Hist. ml. 1 418, 422, Archiv XVI 524).
Es blieb dabei tj oder wurde zu tJc.
Am deutlichsten ist die verschiedenartige Behand-
lung des j und \ im Dialect der ungarischen Slovenen.
In veselje, zelje wurde volles j gesprochen, wie noch heut-
zutage einige slovenische Dialecte zwischen veselje und
pole unterscheiden, daher veselgje, zelgje. Dagegen pole,
kapla aus älterem pole, kapla. Im Slovenischen wurde f
zu rj, daher auch morgje. In anderen slovenischen Dia-
lecten, wo tj voi; Vocalen zu $ geworden war, wo dem-
nach auch veseTe oder jetzt sogar vesele gesprochen wird,
erscheint auch treki, trejki, treki neben treli. Die Form
58 VIII. Abhandlung: Oblak.
trekki in Malko Trn. findet in der ausserordentlichen
Feinfuhligkeit dieses Dialectes gegen die Erweichung und
in dem hohen Grade derselben ihre Erklärung, daher
auch püc (pqtb), deveJc : trekki aus tretji, tretji ; tritkü in
Suho aus tiritjo, tritKo, ohne die Mittelstufe von trefji.
Viel unwahrscheinlicher scheint mir, dass trekki aus tretji,
tretki durch Assimilation entstanden wäre. In diesem
Falle hätten wir treki oder treki.
B. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
101. Dieser Dialect gehört bereits zu jener Gruppe macedo-
nischer Dialecte, in denen urslav. tj, dj eine doppelte Vertretung
haben: 1. 86 oder 8t, £d, 2. 6, d oder K, §. Die zweite Art
der Vertretung überwiegt hier ganz entschieden; 86, 8€ treten
gegenüber 6, d, K, § sehr stark zurück, £d ist äusserst selten.
Dabei sehe ich natürlich von jenen Fällen ab, wo 86, 8t auf
urslav. st j, skj beruhen, da in solchen Fällen, wie das Serbo-
kroatische, Slovenische, Altböhmische, Polnische etc. zeigen, 8c
auch dort vorkommt, wo tj niemals zu 86 oder U wurde. Die
Laute 6, d, K, § reichen demnach in Macedonien bis vor die
Thore Salonichis, bis zur äussersten Südgrenze des slavischen
Sprachgebietes am Vardar.
Anm. Ich fasse 6, d und K, § wegen des ganz un-
wesentlichen Unterschiedes als &nen Reflex gegenüber
bulg. 86 (8t) und id auf. Bei energischer Aussprache,
bei starkem Expirationsdruck emp&ngt man von diesen
Lauten jenen akustischen Eindruck, wie vom serb. 6, rf,
bei geringerer Energie der Aussprache hört man dagegen
U, <f. Dasselbe Wort lautet im Munde derselben Person
bald mit 6, bald mit K. Der Unterschied zwischen diesen
Lauten ist eben so gering, dass der akustische Eindruck
derselben, ob 6 oder #, von der Energie abhängig ist. Die
Laute 6, d und U, § unterscheiden sich in den von mir
beobachteten macedonischen Dialecten nur ganz minimal,
weil sie nicht das Resultat verschiedener Articulations-
stelle oder Articulationsart , sondern nur grösserer oder
geringerer Energie bei gleicher Articulation sind. Beiden
Lauten gemeinsam ist ein fricatives Element; bei 6, d ist
dies etwas kräftiger und bedeutender als bei K, $. Dies ist
Mftcedonische Studien. 59
der ganze Unterschied zwischen diesen Lauten. K, § sind,
was ich ausdrücklich bemerke, nicht bloss palatales k, g,
sondern haben hinter sich ein fricatives Element. Die
Aussprache dieser Laute mag in verschiedenen Dialecten
Macedoniens nicht ganz gleichartig sein, wie es ja in
diesem Punkte auch innerhalb des Serbokroatischen ganz
bedeutende Unterschiede gibt, und wie auch bezüglich der
Halbvocale in den macedonischen Dialecten kleine Unter-
schiede bestehen. In jenen macedonischen Dialecten, wo
ich diese Laute zu hören Gelegenheit hatte, fand ich sie
gleichartig. Es sind dies neben den beiden Dialecten der
Umgebung von Salonichi und dem Debradialect die Dia-
lecte von Ochrida, Bitolj, Resen, Prilep, Veles und Stip.
Ein geringer Unterschied zwischen serb. und maced.
d, & mag darin bestehen , dass sie im Serbischen um ein
geringes weiter vorne gebildet werden, daher ihre Ex-
plosion auch reiner ist, aber dieser Unterschied reicht
nicht einmal an den vom ätokav. 6 und fokavischen 6 heran.
Selbst #, § stehen dem serb. 6, d der Aussprache nach
gewiss so nahe wie öak. <5; vergl. Archiv XVI 314, XVII
450—453.
102. a) 86, 86 } 8(} £d: Ns: gäSti, 8no8ti9 dagegen nod, noK,
le86a; ple8ki ist wohl nicht davon als eine Analogiebildung mit
anderem Suffix zu trennen, vergl. ple86i Vat. ; Gr. gä8ti, leSta,
plbSki; Bug. gäiti, ll8ta9 saZdi; Vat. liSia, ple8ii; Var. 1186a,
m%86i7 ga86i} pleSki.
Anm. 8t in Bug. ist erweicht.
b) zd flir urslav. dj: Ns. öuzdi, 6ust; Gr. Üuzdi, 6m; Bug.
Vat. 6üzdi, 6m; Var. 6uzdi.
Ein Zd flir dj notirte ich mir nur in Ns.
Anm. Ich weiss, man könnte mir entgegenhalten,
dass es unwahrscheinlich sei, dass in der Sprache des-
selben Dorfs neben 8t auch 86 gehört werde. Mir selbst
dünkte, bevor ich Gelegenheit hatte in verschiedenen
Gegenden des südslavischen Sprachgebietes dialectische
Studien von Dorf zu Dorf zu machen, eine derartige Ge-
setzlosigkeit ungeheuerlich. Ich glaube, dass sich die
sprachlichen Thatsachen nicht nach unserer Theorie zu
60 VIII. Abhandlung: Oblalc.
modificiren haben, sondern dass letztere sich den That-
sachen anbequemen muss, mögen dieselben noch so sehr
unserer Systemisirungssucht widerstreben. Die Sprache
ist ein sociales Product, und die damit verbundene Art
der Verbreitung neuer Spracherscheinungen fördert eben
oft Thatsachen zu Tage, die nicht gerade im Einklang
mit der Ausnahmslosigkeit der sogenannten Lautgesetze
stehen. Ich verweise nur darauf, dass ich in Vardarovci
$6 im Munde der älteren, H von der jüngeren Generation
hörte. Bezüglich des Beispieles leäöa neben sonstigem H
in Ns. weiss ich allerdings nicht, ob dies nicht eine in-
dividuelle Eigenthümlichkeit der betreffenden Person war,
nach deren Sprache ich meine Aufzeichnungen machte,
und ich erinnere mich nicht mehr, ob ich diese Form
von mehreren Personen hörte. Es ist auch nicht aus-
geschlossen, dass ich sie von einer Frau in Ns. hörte, die
aus dem benachbarten Dudfrbl nach Ns. geheiratet hatte.
c) 69 d und K9 <jf für urslav. tj. dj: Ns. fa6am9 vru6ina,
nbk bei gewöhnlicher Aussprache, bei energischer, lauter Sprech-
weise nb69 pbve6i9 derkü neben leerkü, pladam, vre?6a9 svejca
immer deutlich hu6a doch nur l?a9 Jci (Hilfsverbum), hodb>Jci,
zborüvaJKi. — mbdu9 meda9 vädam, rädam, fdasa9 sä§i. Gr.
kü6a9 nb69 plä6am9 pbvede, 8ve*6a9 wV6a9 Uerka, nur Ki — mida,
mldu, fda9 rbda9 rädam9 izvädam; Bug. kü6a, dhrka9 nb6 doch
notno9 fä6am9 vreJ6a9 vrVUi und vref6i9 svV6a9 8vtfKa9 poviJce9
vräJcina9 nur J&i — tribdu, mida9 ridat9 rbda9 pädam9 izvädam]
Vat. kü6a9 nb6a9 nü&vam, £brka9 svhda, vre?6a9 vre*6i} plä6tm9
vrü6ina9 fäfom, pbvi6i9 nur Ki — mbda9 medu, r%da9 rädvm9
izvädtm; Var. kü6a9 nb69 svi6a9 pove6e9 8trl6hm9 fä£bm9 pläcqm,
vre>ca9 &rka9 nur Jci — medu9 mkda9 rodäne, rtäa9 pädhtn.
Anm. K in Jci, Ki (serb. 6e9 bulg. He) ist nicht in
dem Grade erweicht wie in den anderen Beispielen, des-
halb erscheint in diesem Dialecte auch kein 6i. An Ui
schliessen sich auch die Partie. Präs. wie hod&Jci an.
Diese von allen anderen etwas verschiedenartige Aus-
sprache des Je in Jci ist bei diesem Hilfsverbum über viele
macedonische Dialecte verbreitet. Man darf sich deshalb
nicht auf dies Ke9 das bereits Grigoroviö, OvepKB nyr. 165
Macedonische Stadien. 61
erwähnt, zum Beweise berufen, dass in den macedonischen
Dialecten Je und nicht auch 6 gesprochen werde, wie wir
dies bei Drinov, H^ckoabko caob'b o6*b asHKi S. 8 finden.
103. Auch secundäres, erst durch Schwund des Halbvocales
zusammengetroffenes tj wurde in diesem Dialect zu <?, Je, se-
cundäres dj zu d, §. Für die Beurtheilung des macedonischen
67 d sind diese Beispiele mit secundärem (jüngerem) 6, et ganz
nebensächlich, da wir ein secundäres 6 für weiches Je auch in
solchen slovenischen Dialecten finden, denen ein 6 älteren Ur-
sprunges (für urslov. tj) ganz unbekannt ist. Es ist dies, wie
das Serbokroatische schon zeigt, ein Lautprocess jüngeren Ur-
sprunges, der noch nicht überall abgeschlossen ist, und von
der alten Entwicklung des urslav. tj, dj zu 6, d gänzlich zu
trennen: zwei verschiedene Phasen des Sprachlebens. Ns.
bräda, andere sprachen brafa, svada und svafa, ubden neben
uogin] doch nur pridojden Ns., Gr. bräca; Bug. bräda und bräfa,
dedö (dete mit dem Artikel, in Ns. detto) aber PL decata, aber
ich hörte nur sväta, wate und dojden; Vat. brada, svaca und
decü, ebenso Je&hdä, dagegen Sgl. kbnut.
In ubdeii drang d aus der Form mit dem Artikel und
dem Plural, wo sich g unmittelbar mit ii berührte und durch
Assimilation zu et wurde, auch in den Nom. Sgl. ein; vergl.
in den slovenischen Dialecten, wo n zu jn wurde, ojgn. Da
hier nicht, wie in einigen macedonischen Dialecten, Je, g vor
palatalem Vocal zu £, g wurden , so ist eine solche Erklärung
auch für ubden ausgeschlossen.
Anm. Die Form detto zeigt, dass bei der Erklärung
von dedo, detdo vom verkürzten detto aus dete-to aus-
zugehen ist, wobei selbstverständlich die alte Lautgruppe
tt strenge von diesem seeundären tt auseinander zu halten
ist. Wahrscheinlich wurde detto (Ns.) zu dejto (vergl.
hojte aus hodite, sejte aus sedite, plejte aus pletite, poj
glavu für pod in Grablje auf Lesina) , woraus nach Art
des serb. nadi (vergl. bulg. devojJea, majJca, ujJia und
dafür sogar maJca, uüa in Samokov, wo also die ^'-Stellung
der Zunge erst zu Beginn der &-Articulation eingenommen
oder bis zur Bildung des Je behalten wurde), defo, deljo
und detdo wie in Ajvatovo tj zu tJe.
62 VIII. Abhandlung: ObUk.
104. Die urslavischen Verbindungen stj, skj, zdj7 zgj werden
liier nur durch 8&f 867 8c7 8f7 8t7 id und nach Schwund des
auslautenden t (d) auch durch 8 vertreten ; niemals erscheinen
dafür 69 d und #, § , wie ja dies bekanntlich auch im Serbo-
kroatischen und Slovenißchen nicht der Fall ist Dies ist ein
wesentlicher Unterschied gegenüber der Vertretung des ursl&Y.
tj> dj, für das hier neben seltenem 86f 8t gewöhnlich c, d (E7g)
erscheinen. 8i7 867 8ff 8t gehen auf älteres 86 zurück; in gleicher
Weise entwickelte sich id erst aus id.
Ns. 8t7 8ö7 id: kleUi, ub8te9 jär\8ta7 pr>ti8£a7 ribtifa aber
dvori&ta7 grüb\8ta7 ausserdem pu86am neben puStih — dbzdovi,
do87 doidi; Gr. 8t7 id: kleäti, ubSte7 järi8ta — db87 dbidi\ Bug.
8f7 id: b8fe7 kUiti7 pü&fam, grobWa — dbS7 dbidi; Vat. ic7 id:
u8ie7 b87 kleSci — doide (vergl. veidii Ochrida), db8* Var. 86:
b$6e9 kle86i7 grol08ci7 r%bi86a — doS.
Interessant ist die Beobachtung, die ich in Var. machte.
Während die alte Generation 86 sprach , kennt die junge Ge-
neration nur 8t. Sie ist sich dabei gar nicht des Unterschiedes
zwischen ihrem 8t und dem 86 der Aelteren bewusst Als ich
einen etwa zwanzigjährigen Burschen aufmerksam machte, dass
er kleSti7 seine daneben sitzende Mutter aber kle86i spreche,
konnte er keinen Unterschied herausfinden und meinte, beide
sprächen das Wort in gleicher Weise. Dieser Bauernbursche
hat keine bulgarische Schule gesehen, konnte weder lesen
noch schreiben und hatte niemals auf längere Zeit sein heimat-
liches Dorf verlassen, fremder Einfluss ist daher bei ihm aus-
geschlossen.
Anm. Es ist dies ein neuer Beweis für die Richtig-
keit der von Paul vertretenen Ansicht, dass sich die
sprachlichen Veränderungen als die Summe der haupt-
sächlich im Kindesalter bei der Spracherlernung, also
beim Act der Sprachübertragung von einer Generation
auf die andere, sich einstellenden geringen Differenzen
darstellen. Speciell in unserem Fall können wir gewiss
von keiner Veränderung der Muskel- und Nervenfunction
der Sprachorgane, die ihrerseits von der Veränderung
der Wohnsitze und Boden- und Lebensverhältnisse be-
dingt sein sollte, reden, und darin sucht Fr. Kauffmann
den Grund der Sprachveränderung. Mit welcher Zähig-
Macedooisch« Stodico. 63
keit man dagegen an bewussten Sprachunterschieden fest-
hält, davon konnte ich mich unlängst neuerdings auf
slovenischem Sprachgebiet überzeugen. Eine ältere aus
Plaöe (im Wippachthaie) gebürtige Frau, die schon durch
25 Jahre in dem davon nur eine Viertelstunde entfernten
Sv. Krii (H. Kreuz) wohnt, hat noch die Eigenthümlich-
keit der Sprache ihres Geburtsortes, nämlich Jcuhana,
rhuha etc. bewahrt, wofttr man in Sv. Krii kuhana etc.
spricht. Und doch ist im übrigen die Sprache der beiden
Dörfer identisch.
105. Für das Verhältniss von $£, St für urslav. tj zu 6, Je
ist beachtenswerth, dass bis saidi (in der speciellen Bedeutung
von Spinngewebe) es in allen fünf Dörfern dieselben Worte
sind, die So, St aufweisen. Die Beispiele So, H sind im Ver-
hältniss zu 6, d (Je, §) in verschwindender Minorität, ein Beispiel
mit id für urslav. dj habe ich mir gar nicht notirt, ich fand
dafür vor d, bis auf tuzd mit zd. Es hat demnach d stärker
um sich gegriffen als 6, K. Schon dies weist darauf hin, dass
eine der beiden Vertretungen (St oder <f) des urslav. tj, dj nicht
heimischen Ursprunges sein kann. Ebenso hörte ich hier kein
g neben d, wie neben 6 ein K existirt, was mir dafür zu sprechen
scheint, in dem 6, Je, d fremde Eindringlinge zu suchen und So
(St), id als den alten einheimischen Reflex zu betrachten.
Das ^-Gebiet reicht im südlichen Macedonien im An-
schlüsse an die thracischen Dialecte nach Westen bis zum
Flüsschen Galik (östlich von Vardar, unweit von Salonichi),
noch im ersten Dorfe jenseits desselben, in Bug. spricht man
äf, in Vat. bereits Sc7 das sich fast durch alle macedonischen
Dialecte zieht.
C. Debradialect.
106. Derselbe Dualismus in der Vertretung des urslav. tj (Jet)
wie im Dialect nördlich von Salonichi, erscheint auch im Debra-
dialect. Neben &, St und id ist auch <?, d und ß, § vorhanden.
Urslav. stjy zdj, skj, zgj werden auch hier durch S&, St, id ver-
treten. In der Wiedergabe des urslav. tj, dj gehen die Debra-
dialecte trotz ihrer gleichartigen und von den umgebenden
Dialecten sich genugsam abhebenden Structur auseinander : die
einen haben (neben 6, d, Jl, $) So, die anderen St. Zur ersten
64 VIH. Abhandlung: ObUk.
Gruppe gehört der Dialect von Gal., zur letzteren die von Kl.
und Ob.
a) So für urslav. tj: Gal. UUa, pleSöi neben pleSka, moSlea.
Anm. 6 in der Lantgruppe K wird in Gal. nnr
schwach gehört, es überwiegt ganz entschieden S. Das-
selbe wurde auch in anderen macedonischen Dialecten
beobachtet. In Resen ist die Aussprache des S von st
so scharf und stark, dass t fast nicht hörbar ist und man
ein SS zu hören vermeint (Archiv XIV 133, Ehhshh^
IV 266). Das ist der erste Schritt zum gänzlichen Schwund
des zweiten Elementes von St, So, der schon in mehreren
macedonischen Dialecten eingetreten ist. So spricht man
in Ns. So mit sehr scharfem S, und von einer ganz ähn-
lichen Aussprache des S in So in Veles, wo in anderen
Beispielen So bewahrt bleibt, berichtet Matov, C6M. VII
452. Daraus erklärt sich, dass t von St selbst in solchen
Dialecten schwindet, wo der Schwund des auslautenden t
nicht allgemein ist. Die schwache Aussprache des t von i
St führte in dieser Lautgruppe zuerst zum Schwunde
des t Im Inlaute wurde der Schwund auch durch manche
Lautgruppen, z. B. in moSno, begünstigt.
b) St, id für urslav. tj, dj: Kl. USta, svlSta, vraStaet, faSta,
plaSta, pleSti — meida, roida; Ob. IbSta, faStat, pleSti, vrfy-
Stame, moStea, pomoS — me&da, roldfofie (gewiss nicht die orts-
übliche Betonung), scßdi.
Anm. Durch die hier gegebenen Beispiele für St,
S6 aus der unverfälschten Volkssprache des Debragebietes
und der nördlichen Umgebung von Salonichi sind die
Zweifel Novakovi6's (h h 1) y iiaijeA. HapoA- AHJ&a. 32, 35),
ob diese Lautgruppen in den macedonischen Dialecten
wirklich existiren, beseitigt : ,MiuaAHHOBip[ — so schreibt
er S. 35 — HMajy EaTxaA Honrre m. Hohe, oueT 6es cyitae,
no MexaHHiKoj naBHijH npenncaia oöhohx a* nnnry 6y-
rapcKH/
c) 6, d und U, § für urslav. tj\ dj : Gal. kuda, küönik, küönica,
nb6, noU, no6a, no6no, sveöa, sve6i und sveKi, vreta, vreKi, 6Mca,
nldu, ribßeS, neKet, vräta, vraKa, fäda, dbmacin, domäcinka,
strtäava, striKava, präda, pbveKi, pbpralca, gälci, Vq, und die
Macedonisebe Stadien. 65
Partie. Präs. Act. auf — JH mit einem weniger erweichten #, Je
z. B. gledd'Ki, igrd'Ki, öekd'Ki — niedu, mhta, rriktja, tild, tüiti,
tuga, tügo, tülji, tüdina, räday fda und ?§a, fdaf und f§aff
grä&anka, sätji, patfd'Ki.
Kl. €krka} kü6af kü6i, Mcnik, Jcildnica, nbda, nb6no} pbtnoö,
vrhSa, pbKe} ppte, Uq. — rriedu, metfu, tüd7 brda7 br§9.
Ob. kü6a7 kuKata, Jcüti, kü6nik7 küdnica, ribißa, nb*Jcno}
nbcnOy nbJcivam, pbtnoß, rikc%m7 nhJceS, svelca, vVKi (v$8te)7 db-
maKin, vrhKa, pbpraßai, streißa, Khrka, vräKam, pldßam, fäKam,
gäJci, Jce — tüd aber tuji, tujina, rbtjat, fjja, fgavo, rrikgu.
Ausserdem vermeinte ich, was hervorgehoben werden muss,
auch grädanka zu hören, wo weiches d weiter vorne gebildet
wurde als d oder <jf.
Anm. 1. Die Aussprache der beiden Laute, die bald
als <5, <£, bald als Ä, § je nach dem Grade des Expirations-
druckes erscheinen, ist bei meinem Gewährsmanne aus
Oboki um ein unbedeutendes von der in Gal. und Kl.
verschieden. In der Sprache der beiden letzten Orte er-
scheint 67 d viel häufiger, während in Ob. an deren Stelle
gewöhnlich #, § zu hören ist. Das fricative Element ist
also in Ob. um ein geringes schwächer. Ob dies all-
gemein in dieser Mundart oder nur eine individuelle
Eigentümlichkeit des betreffenden Individuums ist, die
er sich vielleicht auf einem anderen Dialectgebiet an-
geeignet hat, vermag ich nicht zu sagen.
Anm. 2. In einigen Worten hörte ich in Gal. nur
6, d. Es sind dies: küda, ne6u7 nb6no7 bra6a (seeundär),
medu.
d) Auch seeundäres tj, dj entwickelte sich zu <?, H und d, <jf:
Gal. brä6a7 cvkße, trlKi, lüfje\ Kl. cvi6ef lüdi ist angelehnt an
andere Nom. auf -t; Ob. braßa7 cxfelli7 lüjfe.
jd bleibt unverändert: Ob. dbjdi, dojduam.
107. Wenn in Gal. neben trlKi auch treti und in Ob. gleich-
falls trhti gesprochen wird, so beruht dies darauf, dass in diesem
Dialecte die Jotation überhaupt schwach ist und vor e, i sogar
schwinden kann, vergl. brg£& Ob. Es wurde das aus tj ent-
standene f zum Theil früher zu t als es sich zu 6 entwickelte.
SitenngsW. d. phil.-hirt. 01. CXXXIV. Bd. 8. Abh. 5
66 VIII. Abhandlung: ObUk.
Dies war, neben der Anlehnung an andere Nom. , auch bei
ludi (Gal.) der Fall.
j für urslav. dj. Ganz besondere Beachtung verdient j fer
urslav. dj, das wir auf diesem Sprachgebiet gewiss nicht erwartet
hätten : Kl. tüja, tuju neben tud* Ob. tüji, tujina, doch tuä.
Anm. Für diese Beispiele aus Ob. ist es allerdings
nicht ausgeschlossen , dass sie mein Gewährsmann ans
serbokroatischen Dialecten hat. Wahrscheinlich ist dies
aber nicht. Für die Mundart von Kl. unterliegt es aber
nicht dem geringsten Zweifel, dass diese Formen der dor-
tigen Umgangssprache angehören. Der etwa neunjährige
Bauernknabe, von dem ich sie hörte, hatte erst vor kur-
zem sein heimatliches Dorf zum ersten Male verlassen,
eine Volksschule hatte er vorher nicht besucht, in der
bulgarischen Schule in Salonichi konnte er sich natürlich
diese Formen auch nicht aneignen. Es scheint mir nicht
wahrscheinlich, dass dies j in diesen Dialect aus dem
Serbokroatischen eingedrungen wäre, so weit nach Süden
reicht im Serbokroatischen j nicht. Ich glaube vielmehr,
dass sich j aus dem sehr weichen d (g) entwickelte. Dies
wäre ein neuer Beweis, wie nahe sich d und j berühren.
Im Öakavischen finden wir auf einigen wenigen Ge-
bieten neben j in der That sporadisch das dem £ak. c (fj
entsprechende dy d mit viel zarterer Aussprache als im
Ätodialect. Einige Aehnlichkeit mit der Entwicklung des
j in Kl. hat die neueste Palatalisation einiger slovenischer
Dialecte : g wurde vor hellen Vocalen zu j. Eine hübsche
Parallele bieten die bosnischen Urkunden. In ihnen er-
scheint im 12. — 13. Jahrhundert d , von Anfang des
14. Jahrhunderts tritt aber j auf, das sich, wie ich schon
Archiv XIV 136, XVI 450 erwähnte, aus einem älteren
sehr weichen d (d) entwickelte, wie ja auch das Caka-
vische einen solchen Entwicklungsgang voraussetzt. Das
von Kaiina I 29 1 aus Struga (Milad. 70) angeführte isvaje
hat kein j fttr dj (d)} wie izvail (Ohrida) zeigt ; £ stellte
sich erst nach dem Schwunde des d ein, vergl. oü, od,
poi, poam Prilep.
108. In der Vertretung des urslav. stj, skj zerfallen die De-
bramundarten in zwei Gruppen. Dort wo tj, dj zu &t wurde, er-
Maoedoniache Stadien. 67
scheint dies auch für urslav. stj, skj^ dort wo So erscheint, ver-
tritt es auch altes stj, skj. Beim urslav. zgj lässt sich kein
ähnlicher Dualismus beobachten, für dasselbe erscheint gleich-
massig in den Mundarten id und das daraus im Auslaute ent-
standene S. Wir sollten analog dem 86 ein Zdi erwarten, das
in der That in einigen dem Debragebiet nahegelegenen Dia-
lecten, z. B. in Ochrida gesprochen wird. Die Debramundarten
stimmen darin mit der Mehrzahl der macedonischen Dialecte
überein, die zwar ein 86 aber kein idi kennen.
a) 86, i : Gal. u86e} pu88a, kUSti, konbpüöe, pbtiSöa, gro~
b%86a9 sogar niS6o (ötio) neben So. — dbS, dbiit\ niSöo für niSto
zeigt, wie beliebt in diesem Dialecte die Lautgruppe 86 ist und
wie die Sprache St meidet.
b) St: Kl. iSte, hUsti, daher niSto] Ob. üSte, klüSti, guStl-
rica, konbpiSte, pUi$ta7 auch niStg. — d§8, dbidit.
109. Aus der Vergleichung der verschiedenen Reflexe des
urslav. tj9 dj in den drei Debramundarten ergibt sich, dass selbst
eng verwandte Mundarten desselben Dialectes auseinander-
geben: die einen haben in denselben Worten St} id} wo die
anderen 6 (Jc)} d (Jf) aufweisen. So wird in Kl. sveSta, in Gal.
und Ob. sveda (weUa); in Kl. faSta (Ob. fäStat), in Gal. fä6a\
in KL vräStaet (Ob. vrfrStame), in Gal. vrä6a; in Kl. plaSta,
Ob. pläTcam gesprochen. Dieselbe Ungleichmässigkeit ist auch
bei id bemerkbar. Kl. und Ob. meida, Gal. mhda. Kl. roida
(Ob. roidebe), Gal. räda, Ob. saidi, Gal. safii. Schon diese
Ungleichmässigkeit weist darauf hin, dass eine dieser Vertre-
tungen von aussen eingedrungen ist.
Noch grösser ist in diesem Punkt die Discrepanz zwischen
dem Debradialect und dem der nördlichen Umgebung von Salo-
nichi. Auf der einfen Seite finden wir im letzteren ein Plus
an St (So) in gaiti, gaSti, wofür die Debramundarten nur gaJci
bieten, anderseits erscheint nördlich von Salonichi 6 in fäcam,
svhta, pläcam, wo in Kl. und Ob. St gesprochen wird. Noch
bedeutender ist der Unterschied bezüglich des id. Nördlich
von Salonichi erscheint et selbst in solchen Worten (meda, roda,
sagt in Ns. neben Saldi Bug.), die in Debra id aufweisen:
meida, roida KL, saidi Ob. Dafür wird aber nördlich von
Salonichi öuzd gesprochen, gegenüber tud7 tuja in Debra.
Merkwürdigerweise stimmt also bezüglich des Gebrauches von
5*
68 VIII. Abhandlung: Oblak.
6, d (K, ij) die eine Debramundart, nämlich die von GaL, ganz
hübsch mit der auf der entgegengesetzten Seite Macedoniens
in der Umgebung von Salonichi gesprochenen überein , and
entfernt sich darin von beiden anderen, ihr in Lauten und
Formen so nahe stehenden Mundarten. Interessant wäre roZdefie
neben rbtjat Ob., wenn in der That beide Formen in der Um-
gangssprache von Ob. existiren würden. Sowohl im Dialect
von Debra wie in dem der nördlichen Umgebung von Salo-
nichi überwiegt 6, R als Reflex des alten tj ganz entschieden,
noch mehr gilt dies von d, § an Stelle des urslav. dj, in Galiönik
scheint es gar nicht und nördlich von Salonichi nur ganz aus-
nahmsweise vorhanden zu sein.
3. Urslav. pj, bj, vj, mj.
110. Für altes pj, bj, vj, mj erscheint in allen drei Dialecten,
wie überhaupt bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen im Bulgari-
schen, p, B, 6, m, ein Z-epenth. kennen demnach diese Dialecte
nicht. Z. B. Dialect von Suho: zerha, zaliibeni; Dialect nörd-
lich von Salonichi: zema Bug., Var. ; Debradialect: zerhata,
zalüBeni, zemi mit Verhärtung des m vor i Ob.
Anm. Damit stimmen die aus dem Debragebiet
mitgetheilten Sprachtexte. So zemja, sabja, sabi bei Jastr.,
zerha, saBa aus Tresanöe bei Hiev, zerha aus Radoeäca
(Sapk. III 322), zerha, zemi aus Gal. in Kolo.
Neben m finden wir auch mit flir- urslav. mj. In Suho
mlogü zemne neben zemg; im Dialect nördlich von Salonichi
zemna Ns., Vat., in zwei anderen Dörfern dieses Gebietes das
bereits erwähnte zerha.
Anm. mit als Reflex des alten mj haben auch andere
bulgarische Dialecte, besonders makedonische und westbul-
garische, z. B. Voden na zemni (vor i wurde n verhärtet),
Prilep zemha-va, Samokov und Gurmazovo (bei Sofia)
zemna. Sogar im Volksliede aus Galiönik lesen wir zemni
neben zemna (C6M. VI 53) ; Vranja zevna. Auch flir das
aus mbj — mij entstandene m erscheint mn im Worte
tbmbjam (vergl. Jagi6, Cod. Mar. 473): temnan Tresanöe
(Debra), Hiev 272, doch zerha und nicht zemna Iliev 134.
Macedonische Stadien. 69
Veränderung; der Consonanten in Consonantengruppen.
1, n, r.
111. In der Lautgruppe mn wurde anlautendes n ver-
schiedenartig behandelt: Suho mtbgü, dagegen Ns. , Bug., Vat.
nbgu7 Gal. mnbgu, aber Kl. mtogu; im Inlaute tbmnica Ns.
Ebenso sonderbar ist es, dass sich in Suho aus vn gerade
die sonst gemiedene Lautgruppe mn entwickelte: mnuk, mnuci.
— Ausserdem zemna.
ns wurde zu js in Vat.: dbjsi } dojs&te aus donsi; den
Schwund des unbetonten e finden wir in dbnci, dotierte Bug.
Zu erwähnen ist giäs&'nca Ob. wegen des ly für das wir
gbs&nca erwarten.
t, d.
112. Die Lautgruppen sr} zry ir wurden zu str, zdry zdr.
Suho: sträm} stramütaj, ztr*äda, 8tribrny 8tr*ce (srbdbce), strq,-
ceto, zdr*äia. Nördlich von Salonichi: stram Ns. Bug., streich
Ns., stretam Gr., stretüvam Bug., Var., stretehme Vat., strtda
Ns., Bug., Vat., Var., strebrü Ns., Vat., in Bug. wird in diesem
Worte t nur schwach gehört: 8trebroy natürlich auch shstra Ns.
Auffallend ist gegenüber diesen Beispielen der Schwund des t
in bsy neben bstra Var., "bsy Vat. — Zdrkbi Ns., idrebe Gr.,
Vat. — zdjmcalä Ns., natürlich auch zdraoi Ns. Debra-
dialect: Gal. 8trebroy 8treRava\ Kl. stretif; Ob. stretuam, sträm,
nä stredü, strhbro, aber syed ; idrebe auch uzdre (reifen), zdrena
(reif), ebenso zdraf.
Anm. Die Entwicklung des sry zr zu 8try zdr reicht
in einigen bulgarischen Dialecten zumindest ins 11. Jahr-
hundert hinauf, vergl. H3ji,Q&KrK\ in Cod. Marian. und
ct fiAMQMh im Ps. Sin. 146. Lavrov 111 führt aus Param.
Grigor. einige Beispiele an.
113. zdn. In diesem Punkte herrscht selbst in demselben
Dialect keine vollkommene Uebereinstimmung : in ganz nahe
nebeneinander gelegenen Dörfern wird zdn und zn gesprochen.
Nördlich von Salonichi: Nr. pbznü, praznik; Gr. pbzdnö]
Bug. pozdnoy praz?na\ Vat. prazdnüy pozdnü. Debra: prazno
70 VIII. Abhandlung: Oblak.
Gal. Es schwindet daher d in dieser Lautgruppe selbst dort,
wo sich zwischen z und r ein d entwickelte.
Auch bezüglich der Lautgruppe zdj (aus zdbj), die vor
hellen Vocalen zu zd wurde, gibt es keine Uebereinstimmung.
Nördlich von Salonichi bleibt d bewahrt: grozdi Ns., Vat.,
grbzdä Bug. ; im Ob. (Debra) dagegen gr&rie.
114. dn. Auch hierin gehen die drei Dialecte auseinander.
Vor allem ist die alte Lautgruppe dn vom secundären, erst durch
Schwund eines Halbvocals entstandenen dn auseinander zu
halten. Für die erstere finden wir n auch dort, wo secundäres
dn bewahrt bleibt, z. B. Ob. pänaf neben hdn7 ena. Doch
pädnam Ns., wo d unter Anlehnung an die Formen mit d
(päd-) neuerdings eindrang. Im allgemeinen hielt sich d im
secundären dn in allen drei Dialecten, es wurde vor dem
Schwunde durch daneben stehende Formen, wo d und n durch
einen Vocal getrennt sind, geschützt; z. B. edin : edna. Suho:
idnä neben idXn. Nördlich von Salonichi: iedmS Ns., Jidnb
Gr. etc. neben hdXn Ns.; Debra: edna Gal., ena% eno aber edn
Ob. — In neSM Suho wurde anlautendes dn zu n vereinfacht.
Anm. Viel weiter sind in der Assimilation des dn
zu n die ostbulgarischen Dialecte gegangen. Wir finden
in denselben nicht bloss ein inno Gabrovo, Razgrad (Dorf
Dikili-taä), Sumen (Vrbica), Sviätovo etc., sennala Varna
(Jahitepe), vwenm Sviätovo (Hadii Musa), glanna Stara
Zagora (Cavla kjuju), Senna ib., utkrann§ (Karag.), panne,
senm, runnim Malko Trnovo, ghnnä, poglenm etc. Loveö,
sondern es lautet sogar der Nom. PL von den : nni SviStovo
(Hadäi Musa, Ovca mogila), Malko Trnovo oder trinni
Elena, Stara Zag. (Karag.), vergl. Kaiina I 348.
1 15. tl, dl. Wie überhaupt im Slavischen metta Suho, met]a
Ns., rtfetla Ob. — Natürlich nur pretü Suho etc., sogar poslano
(steTq) Kl.
In pazva Ns., Var., pazua Ob., pazga Bug., Vat. haben
wir es nicht mit der Lautgruppe zd zu thun, denn ein pazduha
scheint es im Bulgarischen überhaupt nicht zu geben, sondern
es liegt im Bulgarischen überall pazuha zu Grunde. Dies wurde
in jenen Dialecten, wo intervocalisches h schwand, nach dem
Schwunde des h zu pazuva. Aber auch dort, wo sich inter-
Macedonische Studien. 71
vocalisches h, das ohnedies in vielen Dialecten des Bulgarischen
nicht energisch gesprochen wird, hielt, schwand es in diesem
Falle, da es in einem mehrsilbigen Worte in der zweiten Silbe
nach dem Accente stand. Unbetontes uv wurde zu v, eine
Entwicklung, die wir auch in anderen slavischen Sprachen
finden, z. B. böhm. Gen. PI. -ü aus ~6v (List. fil. XX 464 ff.),
sloven. ucä aus vocä, usä neben dem Nom. oves, weissruss.
nacuala etc. Sobol. OiepiCb pycc. fthA. III 10. So ist pazva im
Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi zu erklären.
In dem daneben vorkommenden pazga entwickelte sich v von
zv zu zg> vergl. im Sloven. zgon aus zvon, ja sogar für min aus
an die Form gun in Oberkrain (Baudouin de C. Othcth 102).
In gleicher Weise im Weissruss. g neben v vor o, u. Diese
Entwicklung des v zu g scheint mit dem labiolabialen Charakter
des v, das einem kurzen u nahe kommt, in Zusammenhang zu
stehen, daher wir sie vorzugsweise im Slovenischen (Ober-
krain, Innerkrain) und im Weiss- und Kleinrussischen antreffen.
116. t in der Lautgruppe st vor Z, n schwand, z. B. Kl.
poslano. — Inlautendes st vor Vocalen behält sein t: rästim,
rq.Btei Suho, raste Gr.
Anm. Dieser Schwund t des t ist in einigen bulgari-
schen Dialecten stark verbreitet, z. B. poramalo, rasla
neben rastel Veles, izraslo neben raste Rupcos (Bojkovo),
räsh Razlog, izräsh SviSt. 5 auch porashl neben porasla
Prövala (Lom), porasal Orhan., wo nicht unter dem Ein-
fluss der Präsens- und Aoristformen neuerdings t ein-
drang, hauptsächlich deshalb nicht, weil die Formen des
Fem. und Neutr. des Part. Prät. Act. ohne t waren. In
umgekehrter Weise ist in einigen slovenischen Dialecten
die 6-lose Form aus dem Particip auch in das Präsens
eingedrungen: rasem.
Im Anlaute bleibt die secundäre Lautgruppe tu bewahrt:
tnoko (ttmkb) Kl. oder wurde zu kn: knok} knoka Ob., vergl.
kmica für tmica im Kajkav.
117. t7 d im Auslaute. Auslautendes t ist in Ob. nur
schwach hörbar : §es*9 kfs1 etc. und in vereinzelten Fällen konnte
es nach Vocalen im Auslaute schwinden. Es ist dies hauptsächlich
dann der Fall, wenn es nach einem unbetonten Vocale im Aus-
72 Vni. Abhandlung: ObUk.
laute umfangreicher Worte steht, z. B. Suho : Htirtj'si, ses, trij'si,
aber petdiset, sijset und sogar nach unbetontem Vocal: devit,
, des iL Postvocalisches t (d) bleibt im Auslaute fast durchgehend s
erhalten: pet, bbrntot Suho; z*et Ns., pet Gr., zet, ret Bug.;
devbt Vat.
Weit verbreitet ist im Bulgarischen der Schwund des
auslautenden t von st, St und, da im Auslaute auch d zu t
wurde, des aus d entstandenen t von zd, zd: kj-s, pris aber
prtste, sfeS, dbS, jäk Suho; S*es Ns., doch tust neben öuzdi Ns.,
während in Gr., Bug., Vat. Öus gesprochen wird ; pns (pr*)
neben pnstüt Bug. ; pr s, gos neben gbstitü, stäros, Ses, glis aber
gtisti, lis, os, doS Vat. ; Ses, staris, pj-s, doS Var. ; Ses, Zes, pf8,
zis neben zizdovi Gal. ; (es aber porst, Sest Kl. ; in Ob. bleibt
das t von st : Sest, cest, prst, l**t aber lisje. Dagegen ist in
St auch hier t geschwunden: pbmoS; dass daneben noch dost
vorkommt, zeigt, dass sich das t von id fester hielt. Wenn
in tesen Gal. selbst im Inlaute t geschwunden ist, so wurde
dies nicht so sehr durch (es veranlasst (vergl. pfs trotz pystüt),
als vielmehr durch jene Formen, in denen n auf st folgte:
testna etc. wurde zu öesna und durch Verallgemeinerung
schliesslich auch öesen.
Anm. 1. Da nach den Vocalen regelmässig und
nach anderen Consonanten im Auslaute t immer erhalten
bleibt, z. B. ptyt, zht, penf (Spanne), noft Suho, noft Ns.,
nokt Ob., so ist der Grund des Schwundes von t (d) nicht
bloss in der schwachen Articulation desselben, sondern
vor allem in der Lautgruppe st, St, &d selbst zu suchen
(vergl. denselben Schwund in mehreren dalmatinischen
Dialecten oder S für st im montenegrin. dvaS, triS Archiv
XIII 631). Im Inlaute blieb t, weil * und t verschiedenen
Silben angehören.
Anm. 2. t von st ist im Bulgarischen und Serbo-
kroatischen erst in neuerer Zeit geschwunden. Lavrov 107
fUhrt die ältesten Beispiele aus dem 17. Jahrhundert an,
auch im Mihanov. Psalt. aus dem 16. Jahrhundert (Va-
ljavec, O prijevodu psal. 190) findet man Mt>3b für Mbcmt,
im Katech. Safaf. (herausgeg. von Argirov IlCn. XLIV)
wecb. Etwas weiter zurück reichen die Beispiele im
Mmcolonische Studien. 73
Serbokroatischen, z. B. svitlos im Bern. Splje6. Es wäre
falsch diesen Schwund des auslautenden t von st im Bul-
garischen und in einigen südwestlich serbokroatischen
Dialecten mit der geographischen Lage unter gleichen
Himmelsstrichen in Zusammenhang zu bringen, wir finden
ja denselben Schwund nicht bloss in einigen böhmischen
Dialecten (Gebauer I 399, DuSek, Hlask. naf. jihoces.
I 20), sondern auch in russischen (Potebnja, ^Ba H3cai^.
88. 89, Archiv III 607).
cbklo Ns. ist eine hübsche Parallele zu serbokroat. caklo
(Archiv XVI 181).
Geschwunden ist t in o$oi Ob., Metathese fand statt in
svabda (sfäbda) Ob. gegenüber svädba Gal. In tkaim Ns., tkaja
Gal. bleibt secundäres tk unverändert.
118. Besonders beachtenswerth ist in mehreren macedoni-
schen Dialecten der Schwund des inlautenden d, vorzüglich des
intervoc. d9 vergl. Archiv XVI 304. Diese Lauterscheinung ist
durchaus nicht allgemein, sondern hauptsächlich auf einige
wenige Verba beschränkt. Suho zapo§ aber zapbdam, zapodat
(zapojda) ; Dudbtl kl dorn, ki fom, im benachbarten Ns. aber
dafür noch Jci dojdam, ki hodam\ Vat. Kl dorn, döß7 dbjht,
kjom und Jci hom neben vollem hbdzm, hodis, hbdl) Var. kl
doj8$ 'Gr. jaS neben jadvm, jade) Bug. selten ja&, gewöhnlich
jadis, jadam; Gal. dae§, daet (3 Sgl. und PL), daeme neben
dada. Sonst bleibt intervoc. d hier bewahrt, z. B. bda, jada}
jademe, glldame, gledate, natürlich auch zedof, zedoe; etwas
häufiger ist dieser Schwund in Ob., denn neben dae8, daemey
da'te aber dade, prodaofme, prodaof, zeof, finden wir hier auch
ojif ke (kqdi), doch zedof, prodade, prodadoe. Der Schwund
des d in daeS etc. dürfte in diesem Dialecte nicht lautlich zu
deuten sein. Nach dem Imper. daj, dajte wurde zuerst die
3. Plur. Präs., die *dadet lautete, vergl. jadet, petet etc. um-
gebildet; dies geschah um so leichter, da bei einer Anzahl von
Verben (V. Gl.) die 3. Plur. auf -aet, bei anderen auf -et en-
digte; das Verhältniss war daj : daet = gledaj : gledaet. Von
der 3. PI. drang die Form ohne d auch in die anderen Präsens-
formen.
74 Yin. Abhandlung: OfcUk.
b, p, v, m.
119. In der Behandlung des secund. mn gehen die bulgari-
schen, wie überhaupt die südslavischen Dialecte auseinander. Im
Anlaute wurde mn selbst in jenen Dialecten zu n, die im Inlaute
eine entschiedene Vorliebe zu mn zeigen, so dass sie sogar
secund. vn zu mn umformten: Ns. nbgu neben timmca und
sogar rämnfi (aus ravno), zemna] Bug. Vat. nbgä aber ramnö]
Var. nogu doch ot damna, ramno.
In Suho finden wir im Anlaute mi für mn: miogü, im
Inlaute mn für im: uSmna doch prvna. Auffallend ist mnuk
(aus vnuk); auch zemne. — Anlautendes mn wurde demnach
früher ?u mi als sich vn zu mn entwickelte.
In den Debramundarten herrscht in diesem Punkte keine
Uebereinstimmung. In Gal. mnogü, daher auch ramno und
natürlich auch temno, in Kl. mtogü, Ob. mnbgo.
Ueber vn ist neben dem bereits Erwähnten noch zu be-
merken, dass im Gegensatz zum Dialect von Suho nördlich
von Salonichi anlautendes vn zu fn wurde : fnuk Ns.; Bug. Vat.,
Var.; im Inlaute dagegen mn. Nur in Vat. prwna mit einem
zwischen v und / stehenden Laut neben ramnd, zemtia; Gr.
auch prmna.
Vom anlautenden V8 schwand v: selcide, soti (omnes) Ns.,
8e, 8ono6 Gal.; dagegen Metathese in Kl. sve, Ob. svi-te. In
sve für 8te (je8te) Ob. haben wir ein Beispiel eines sonst un-
erhörten Lautwandels in der Conjugation. Es ist dies kein
Sprachfehler meines Gewährsmannes, wie ich anfangs annehmen
wollte, denn dieselbe Form erscheint auch in Ochrida Sapk.
C6. III 169. An eine Anlehnung an den alten Dual, wie z. B.
in umgekehrter Weise in slovenischen und anderen Dialecten
der Dual an den Plural angelehnt ist (delama) , ist nicht zu
denken.
Anm. Der Schwund des anlautenden v von vs scheint
hauptsächlich in jenen slavischen Dialecten vorzukommen,
die kein labiolabiales w oder ü besitzen. In den westlichen
Dialecten des Slovenischen spricht man üs69 in den öst-
lichen, denen w oder ä (= v) abgeht, sen saksemi (Ormui
— Friedau); im Klein- und Weissrussischen, wo anlau-
tendes v allgemein zu ü, uw wurde, üse; im Südböhmi-
Macedonisohe Studien. 75
sehen, wo v in keiner Lage zu u wurde, ist der Schwund
desselben ziemlich verbreitet, DuSek, Hlaskosl. 26. — An-
lautendes vs behält im Slavischen entweder unverändert
sein v, das dann schwinden kann, oder es wurde v zu 10,
ü, das durchgehends bewahrt bleibt.
Vor Consonanten unterlag v der Assimilation. Daher
jifdftvica Suho, fibri , oföar Ns. , ofde, föera, f kot Gr.,
föera Ob.
In der Lautgruppe sv bleibt * nicht bloss von der re-
gressiven Assimilation bewahrt, sondern es näherte sich in Suho
v dem «, indem es zu einem /-artigen Laut wurde : sfirka, sfät,
sfivam, ebenso in Ob. sfina, sfeRa, sfabda, vergl. Kaiina I 283.
Auf einer ähnlichen Assimilation beruht die im Bulgari-
schen stark verbreitete Entwicklung des hv zu /, z. B. fat\7
fäcam Ns., fäöam Bug.; fäliS, faca Gr., fasta KL, fa&tat Ob.
v in dv bleibt unverändert: dvor Suho, Ns., Gr.
v schwand in der seeundären Lautgruppe stv: stora Kl.
bc wurde im Inlaute zu mc: nemea-va Gal. — Nur buka
Ns., Gal. wie allgemein im Bulgarischen, kein bukva.
Metathese in gärvan Suho, doch gavran Gr.
120. Schwund des v. Eine sehr in die Augen fallende
Eigenthümlichkeit einiger Mundarten des Debragebietes ist der
Schwund des intervocalischen v. Diesem ging unzweifelhaft
die Aussprache des v als eines labiolabialen w voraus. Ein
solches w finden wir in Gal. im Anlaute, z. B. woda, Ob. uoda.
Die Betheiligung der Zähne und Lippen an der Bildung des v
wurde durch blosse Lippenbetheiligung ersetzt. Vorausgehendes
o, u erleichterte die Entwicklung des w, das dann gänzlich
schwand, wozu auch die Dissimilation einiges beigetragen haben
mag. Es ist zu beachten, dass in der Mehrzahl dieser Beispiele
vor v ein o steht. Von solchen Beispielen mag der Schwund
des w, u ausgegangen sein. Einigermassen befremdend ist, dass
labiodentales v auch vor hellen Vocalen e, i, zu w wurde:
im Gailthalerdialecte , wo man einen ähnlichen Wandel und
auch Schwund des v — w allgemein beobachten kann, wurde v
zu u nur vor dunklen Vocalen, vor hellen Vocalen wurde es
zu einem Laute, der fast mit b zusammenfiel, z. B. gtvda, gdwo
(aus glavo) neben gwdbi. Im Debradialect scheint der vor-
76 TTn. Abhandluff : OU»k.
ausgehende Vocal von grosserem Einflüsse gewesen zu sein
als im slovenischen Dialecte.
Kleöe: cbek, p6Ke (aus poceße) etc. und in der Endung
des Nom. Plur. auf -ort, z. B. sorpoi7 sbnoi etc. Wenn in sewi
(Sgl. $ef) ?? erhalten ist, so ist es an den Sgl. angelehnt, viel-
leicht wurde es auch einigermaßen durch das vorausgehende t
geschützt. In noga-va ist das v des Artikels durch System-
zwang bewahrt. Aus mhvoi neben den Sgl. mof (rmkb), mom
können wir schliessen, dass sich h noch nicht zu v, sondern
zu einem zwischen / und t? liegenden Laut entwickelt hatte,
als der Schwund des intervoc. v aufkam. Deshalb wurde von
demselben nur das etym. v ergriffen. Vor einer Anhäufung
von Vocalen scheuten die nördlichen macedonischen Dialecte
durchaus nicht zurück , wie wir z. B. an jaoroo (javorovo) im
Dialect von Prilep sehen.
Oboki: tbek, gbedo, goedarot, lastoica, gtaa-ta, küal,
prais, dojduam, stretuam, cl>t (tevel) etc.; Nom. PL denoi,
bgnoi etc. Für kurzes und unbetontes i hört man in dieser
Nominativendung oft j : cutoj, dbhoj. Auch praoi gehört hieher,
es ist hier nicht h geschwunden, da es in diesem Dialect im
Inlaute zwischen Vocalen zu v wird. — In den Doubletten
gtäva, cbvek, ribovi meines Gewährsmannes aus Ob. sehe ich
den Einfluss anderer bulgarischer Dialecte auf seine Sprache;
ausserdem nblcivam, vergl. dagegen prenocuat Prilep.
In Gal. ist intervoc. v erhalten: Öbvek, gbvedar, gtam,
dbbovi etc.
Aus dem Dialect von Caredvor (Resen) notirte ich mir
den Nom. PI. dbidol.
Anm. Die Debradialecte zerfallen auch durch die
Behandlung des interv. ü in zwei Gruppen. Jene, in der
v schwand, umfasst die Sprache der Dörfer Klenje, Oboki,
Drenok, Modriö, Dzepliita, Radoeäta, Lukovo gor., Luk.
dol. , Sebiäta, Jablanica und noch einige. Zur zweiten
mit bewahrtem r gehören : Galiänik, Lazaropole, Tresanle,
Osoj, Ehloveö, vergl. Matov, HCn. XXXIV 434.
v schwand im Anlaute: bSka Bug., neben i$o$ka Ns.,
vUka Vat.
I
M&codonuche Stadien. 77
k, g, h.
121. Weit verbreitet ist der Schwund des A. Am allge-
meinsten ist er im Anlaute und zwar vor Consonanten, da wir
ihn in solcher Lage auch in Dialecten antreffen, wo h im
In- und Auslaut bewahrt bleibt. Suho: Väp neben hübavi, bllhi}
trbha, präh, m'äh.
Auch im Dialect der nördlichen Umgebung von Sa-
lon ich i ging h hauptsächlich vor consonantischem Anlaut ver-
loren : Ns. llbüvi, bdimi, das an Bildungen von idq, z. B. ideä,
dojdeh angelehnt sein mag, denn daneben spricht man hodah,
hubdamy hodbJßi, hübaf, hbrü und sogar hladnü-, in mlki dürfte
sich kein h entwickelt haben. Vat. lip, aber hodvm. Im In-
und- Auslaute ist hier h durchgehends bewahrt, wenn es zwi-
schen Vocalen auch nur schwach hörbar ist: Ns. suha} meh
(Bauch), muha, prah, vj-h, Mipüvah, ütipüvato, doch sünh,
wofür ich einen alten Mann sunito sprechen hörte; Bug. muha\
Vat. müha, süho, aber i (ih).
In der Mundart des benachbarten nördlichen Dorfes Var.
ist der Schwund des h schon viel ausgebreiteter. Im Auslaute
bleibt es zwar noch, z. B. prah, strah, orhh, peöüh, aber im In-
laute ist es zwischen Vocalen geschwunden: prä"vi, strahl,
vtrüvi, orli, müa, b\a (ab. bhha), auch vjanam; natürlich auch
lebüt, bdvm mit Schwund des anlautenden h.
Charakteristisch für die Debradialecte ist unter an-
derem auch der Wandel des h zu / im Auslaute und zu v im
Inlaute zwischen Vocalen. Gal. bref, brevi, t>f/, vpoovi, sednaf,
bef, snova (smha), movi neben snoa wahrscheinlich aus einer
benachbarten Mundart des Debragebietes, java, duva, sogar
blva. Auffallend ist daher düh, dilhovi. Es scheint dies als
ein nicht volkstümliches Wort der Literatur- und Kirchen-
sprache entlehnt zu sein.
In jenen Debramundarten, wo intervocalisches v schwand,
war an diesem Process auch der Reflex des h betheiligt, snoa
in Ob. ist daher nicht direct durch Schwund des h aus snoha
hervorgegangen, sondern geht auf die Mittelstufe snova zurück.
Ob.: snoa, snoif brei und bref9 praoi und praf, straoi und
straf, mua, bif7 najdof. Mein Gewährsmann sprach auch ubavo,
78 VIII. Abhandlung: Oblak.
javam, wahrscheinlich hat er diese Form der beiden sehr ge-
wöhnlichen Worte aus einem anderen Dialecte.
In Kiene schwand v = A aus den oben angeführten
Gründen nicht, daher: snova, movoi, mof, vratif, izlegof.
122. Auch vor Consonanten finden wir /, v für A, doch ist
dies als eine Assimilationserscheinung von der isolirten Ent-
wicklung des A zu /, v verschieden. Allgemein ist dies im
Aor. und Imperf., z. B. Gal. preshkofme, prestikofte, spafme.
spafte, fälefme, fälefte, ebenso hfla (aus elha); KL iskbpif]
iskbpifme, izlbgofte; Ob. befine, hefte, porästofine. Um so auf-
fallender wäre nokt7 nokti Ob., wenn es dort wirklich so ge-
sprochen würde, denn kt wird über ht selbst in manchen Dia-
lecten, die sonst kein / für A kennen, zu ft} z. B. Suho nbfl,
Ns. noft] in Vat. noch nbhte, ebenso in Gr. nbhti (nbköt)-. —
In lakti Gal. ist k bewahrt wegen des Sgl. läkot.
Im Aor. ist das / von -fme, -fte nicht aus der 1. Sgl.
eingedrungen, wo es im Auslaute stand, sondern es muss an-
genommen werden, dass auch vor Consonanten im Inlaut A zu
/, v wurde, was ja Beispiele wie noft, efla aufs unzweideutigste
zeigen. Wir finden v für A neben den bereits angefahrten
Beispielen auch in solchen Formen, wo eine Anlehnung an das
auslautende / ganz ausgeschlossen ist, z. B. javna Prilep. Auch
die 1. PI. Aor. auf -tme, z. B. bevne, pojdovne gegenüber der
1. Sgl. pojdof Prilep spricht gegen eine solche Erklärung.
Dagegen ist in der 3. Plur. Aor. und Imperf. nicht bloss
in Ob. h geschwunden, z. B. pasee, udrie etc., sondern auch
in Gal., wo selbst altes v zwischen Vocalen bewahrt bleibt,
z. B. fälie, izlbgae, bee} vfegae. Auch in Kl., wo, wie erwähnt,
v = h bewahrt bleibt, finden wir izlegoe, zne?, rahotae etc.
Warum kein vUgove in Gal., da die Sprache ganz gut t?, sei
es alter oder neuer Provenienz, vor e, i verträgt, wie dies die
Beispiele govedar, brevi etc. zeigen ? Ich glaube, der Grund ist
in der Betonung zu suchen. Die 3. Plur. Aor. hatte fast aus-
nahmslos den Accent auf der drittletzten Silbe — fast durch-
wegs wird nämlich in den Debramundarten diese Silbe betont
— A stand demnach vor einem infolge der weiten Entfernung
von der Tonsilbe schon stark geschwächten Vocal. Dieser ist
oft kaum hörbar, z. B. ?>mre*. In solchen Fällen konnte es
Macedoniacbe Studien. 79
daher leicht schwinden. Eine Entwicklung zu v ist mir in der
3. PI. Aor. Imperf. ganz unwahrscheinlich.
123. Man wäre vielleicht versucht mit Hinweis auf serbo-
kroat. muva von einem Schwunde des h und einer späteren
Entwicklung des v zwischen beiden Vocalen zur Beseitigung des
Hiatus zu sprechen. Nun gibt es in diesen drei Mundarten
keinen so allgemeinen Schwund des h wie in vielen südlichen
Dialecten des Serbokroatischen, der Schwund ist vielmehr, wie
wir gesehen haben, nur auf gewisse nicht zahlreiche Fälle be-
schränkt. Vor allem spricht aber der Umstand, dass neben
inlautendem v = h im Auslaute / steht, mit Entschiedenheit
gegen eine solche Erklärung im Debradialecte. Im Auslaut,
der keine tönenden Consonanten duldet, wurde h unmittelbar
zu jenem zwischen / und v stehenden Consonanten, den ich
mit / bezeichne, im Inlaute zwischen Vocalen dagegen zum
tönenden v. Einige Aehnlichkeit mit diesem Lautprocess hat
das herzegovinische g für auslautendes A, das sich wahrschein-
lich erst aus </*, gr* entwickelte. — Einen Wandel des h zu /
finden wir auch auf romanischem Gebiet der Balkanhalbinsel,
z. B. in Vlaho-Meglen kifkoies, slav. kih- (Weigand, S. 20),
das vielleicht schon in dieser Form mit / aus einem südmace-
donischen Dialecte (in Gevgeli spricht man vrf} in Lerin bef)
aufgenommen wurde. Auch in einigen serbokroatischen Dialecten
finden wir / für A, wenn dies auch im Serbokroatischen selten
ist, z. B. Vrisnik auf Lesina Jcruf neben kruh, graf, grafa,
juf und jufa, fräna; im Auslaute erscheint / für ä auch in
einigen grossrussischen Dialecten, z. B. if (Sobol., JKhb. Orap.
II 2, S. 18), während im Kleinrussischen sporadisch im Anlaute
/ für h auftritt: fustka (Sobol. IV 52. 60). Den Wandel des h
in / kennen auch neugriechische Dialecte (Foy 32) und vom
Albanesischen das Gegische (Hahn, Studien II 18).
In ot ka Vat. aus ot koga haben wir ein Beispiel für den
Schwund des g zwischen Vocalen, in 8vegd% nigdte Ob. ist es
dagegen erhalten.
6, z, 6.
124. ö in der Lautgruppe 6r wurde zu c : er im Dialect nörd-
lich von Salonichi und im Debradialect, in Suho blieb 6 zwar un-
verändert, aber die ganze Lautgruppe wurde zu cer, vergl. §. 74.
80 VIII. Abhandle : ObUk.
Beispiele eines lautlichen Ersatzes des l durch c habe
ich mir in keinem der drei Dialecte verzeichnet, einen der-
artigen Process gibt es im Bulgarischen nur in äusserst ein-
geschränktem Umfange, vergl. Archiv XVII 461 f.
Die secundäre, nach Schwund des e entstandene Laut-
gruppe öt bleibt in Gr. unverändert: ötiri, Gal. cetori*
Secundäres p$ wurde selbst in nahe verwandten Dialecten
verschieden behandelt: Gal. ptenica, dagegen Ob. Ühjnca.
Für öbsk erscheint in Suho tit: tüväcka.
In Vat. izdlhme, izdeli für izehme neben jädht. Ist es eine
Anlehnung an die hier beliebte Lautgruppe zd oder ist zd aus
zg und dies aus zj entstanden? Vielleicht ist es sogar eine
Verschränkung der Participalformen izel und des Aor. izedeh.
C| S) &•
125. cv. Selbst sehr nahe verwandte Dialecte stimmen in
dem Reflexe dieser Lautgruppe nicht überein. So wird nördlich
von Salonichi in den einen Dörfern et? bewahrt, in den an-
deren tritt die bei cv im Bulgarischen stark verbreitete Meta-
these ein: cbvti Ns., cbftl, Cbfti, aber cvhti Vat., Var. In Suho
vöätl durch Assimilation. — Ueber cu = cvb im Debradialect
vergl. §. 25.
Im Imper. dbnesi wurde nach Schwund des e, ns zu ne:
dbnei Ns., Bug., donc&te Bug.
Man spricht in Ns. bez nhgü. — «in jasnü wird in Ns.
sehr scharf ausgesprochen, man vermeint fast ein s* zu hören,
vergl. So für Sto in Ns. mit einer derartigen Aussprache des &.
— Wie allgemein im Bulgarischen bleibt * in 8uiaf suha Ns.
unverändert.
Schwund des j.
126. j im An- und Inlaut bleibt vor dunklen Vocalen, vor
e, i schwindet es ohne Rücksicht auf seinen etymologischen
Ursprung. Damit stimmt auch die Behandlung der weichen
Lautgruppen Ta} fia} gegenüber &, fie überein, vergl. §. 88 — 91.
Suho: jas, jästa, jävur7 jägfie, Stojäne. Charakteristisch fiir
die Behandlung des j ist das Beispiel ick, Icä aus jajee
(jice) umgelautet. Vor dem durch Umlaut aus a hervor-
Macadonische Stadien. 81
gegangenen ä, §, die nicht zu hellen Vocalen gerechnet werden
können, bleibt j: jäS (ja&db), jere. Aber ednä, irimlbca, doch
je (ji, jertb).
Auch vorgetreten ist j: jidüvica.
Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi: Ns.
jäsli, jar} jäsin, jägfii, jäjci, prijatel, vlja (diese), Kji& (3. PL).
Auch ütri, aber ez\k, endza, doch tüji. Im Fluss der Rede
wird auch vor e, i ein kurzer ^-ähnlicher Uebergangslaut ge-
hört ohne Rücksicht darauf, ob das Wort ein anlautendes altes
oder secundäresj hatte: iedin, Jedmä9^e8in,Hrib\ca}Ugra (3. Sgl.),
*tyW- — Qt. Jas, järiSta, jäjca, jägfie, prijätil, jaham, jade
(mcth), aber Hdnb} lcräiUa und *1gra. — Bug. jägfii, igräjat
neben igraü, *ednä, H (Dat. Sgl.), Urlkca, sVi, p#i, doe (säugen),
igräi und auch jas a (ja). — Vat. jagne} jajce, jab\kay igrhjäh,
znijvm doch z"niü9 jasli, aber fidnä, Hztk, i (H)ffc) und sogar
Jlgfa. — Var. jas, järe, j-ihlka, jäsli, igrajym neben igraü,
znaat neben znae — Jiztk, ilden, i (H)fk).
Debradialect. Gal. ja, jägonca, jbzul, jbzik auch jäda,
aber erebica, gledaet] Kl. jas, jäbotko — vrastaet, zneet; Ob.
jär9, javam (h)(4Th), jagfo aber enä, erebica, e (lecTk), e (ab.
I€h), izlagaet.
Noch in einer Reihe von Beispielen können wir den
Schwund des j beobachten, und zwar vor Consonanten. Es ist
dies in den Zusammensetzungen mit ida der Fall. Man spricht
in Suho pot für pojdi, podam, zapbdam, zapbS neben pojme,
dojdi, dbjdüh.
Nicht Schwund, sondern Anticipation des j finden wir
in lojz9 Ob.
Anm. Uebereinstimmung bezüglich der Jotation im
Anlaute gibt es in den bulgarischen Dialecten nicht. Es
gibt nicht bloss Dialecte, in denen die Jotation auch vor
a geschwunden ist, sondern auch solche, in denen secun-
däres j vor o, u erscheint. Nur in der Abneigung gegen
ein ji, das fast nirgendswo im Bulgarischen existirt,
herrscht Uebereinstimmung; auch je ist selten. Haupt-
sächlich sind es ostbulgarische Dialecte, in denen j auch
vor a geschwunden ist, z. B. Sumen äfolkh, as aber jar§,
falls die Aufzeichnungen genau die Aussprache wieder-
geben, und dennoch sogar secundäres j : jutvärejti. In
Sitrasgsber. d. pbil.-birt. Cl. CXXXIT. Bd. 8. Abb. 6
82 VIII. AbbAndlung: ObUk.
Bonöev's Sbor. wird in den Volksliedern aas Bazgmd
agniy agneta (Lavrov 115) geschrieben, im G6M. aber
nicht bloss jagni, jar7 sondern sogar secundäres j vor o
(u), z. B. jogvn, jbaem, jutia\. Es scheint mir fraglich,
ob die von Bonöev gesammelten Volkslieder genau auf-
gezeichnet sind. Theilweise mag diese Verschiedenheit
darauf beruhen, dass beim Singen der Volkslieder« wie dies
M. Ivanov für den Dialect der Srfidna gora IlCn. XLVI 579
berichtet, jeder anlautende Vocal jotirt wird, während
sich in der Umgangssprache in diesem Dialect j nur vor
dunklen Vocalen hält. — Vor o, u finden wir secundäres
j sowohl in bulgarischen als macedonischen Dialecten,
von den letzteren in den südlichen, z. B. Kostur da jodi,
da jostavü, zora jobzora, grendi jod, je jugove, aber utro,
edno, ezero, % etc. ; Kukuä a Jon, me joitaviS, da joble&e,
da jumram, si juzel etc., doch edna und adna. Ein ja
gibt es in KukuS nicht, da dasselbe zu je umlautete,
woraus nach Schwund der Jotation e, z. B. ez, egne etc.;
Akbr-Cel. jostru, juzda etc. In Vrbenica (bei Sofia) nicht
bloss ja, sondern auch je und sogar ji: jide, jitny ji
(ich) etc.
Accent und Quantität.
127. Bereits Conev machte in seiner bekannten Studie über
die Betonung im Bulgarischen (3a yAapeHHCTO bt» ftMrap. esBVb
im C6M. Bd. V) S. 22 — 27 darauf aufmerksam, dass sich in
den macedonischen Dialecten verschiedene Betonungsprincipe
ausgebildet haben, vergl. auch meine Bemerkungen im Archiv
XV 75. Die erste Kenntniss vom unbeweglichen und zwar
auf der drittletzten Silbe ruhenden Accent im Debradialecte
verdanken wir Verkovi6, Oiricame 6uTa 6oat. nacea. MaKCA-,
1868, S. 226 (vergl. L. Masing, Zur Laut- und Accentlehre der
macedoslavischen Dialecte 127). Matov (Khhähii.h III 55) be-
stätigt dies hinsichtlich des Dialectes von Debra, Ochrida und
Veles, vergl. Drinov, 0 6o.arap. caoBapi A. A. ,3,10b. 15. Masing
geht in der erwähnten Schrift auch auf die eigentümliche
Betonung dieser Dialectgruppe ein. Aus jüngster Zeit besitzen
wir eine fleissige Studie über die Betonung im Dialect von
Resen, der gleichfalls zu dieser Gruppe gehört, im IlCn. XLI —
Ifocedonische Studien. 83
XLII 857—915 und über den Accent in der ganzen nordwest-
macedonischen Dialectgruppe eine übersichtliche Darstellung
von Drimkolov im C6M. IX 391— 409.
Von den drei von mir besprochenen Dialecten ist es der
Debradialect, dessen Betonung besonders hervorsticht. .In der
Mundart von Gal. und Ob. ruht der Accent ausnahmslos auf
der drittletzten Silbe, mag das Wort ein Simplex oder Com-
positum sein, bei zweisilbigen Worten natürlich auf der ersten
Silbe. Erhält ein drei- oder mehrsilbiges Wort durch eine
Endung, Stammsuffix oder Artikel einen Silbenzuwachs, so
rückt der Accent um so viel Silben gegen das Ende, als die
Zahl der neu hinzugetretenen Silben beträgt, z. B. Gal. gbvedar
aber govbdarot, sbniwaf doch sonüvale, räbotat aber rabbtaet.
Koch einige Beispiele aus Gal.: rbka, rbkaf, y,bda} kena, tbve-
koty prijatel aber prijäteli, hzerS — ezeriiia, pbrotaä — porb-
öaet, gbvedor — govldari, Zllezdo, dbvet, devhleset, Ispekof —
i&pükoe, peücava. Das nachfolgende Reflexivum se wird mit
dem Verbum als ein Wortganzes aufgefasst, daher falite se
neben fäli se, pomestovdJKi se. Von den Präpositionen gilt dies
nicht, z. B. po pöt, na gbsti, od ümot.
Ob. rbka, zfonna, gbedo — goedata, govedarot, brätoöet —
brgtütedi, prijatel — prijätdi, pbrastof — porästofme, prbdaof
— prodädoe, nigof — negbvata, bikbi-ti, rämena — ramlna-ta,
pdzua — pazüa-ta. Ist die Präposition mit dem Worte zu einem
Ganzen vereinigt, so trägt dieselbe bei ein- und zweisilbigen
Worten den Accent, z. B. nä strede, wo die ganze Fügung als
Präposition gefühlt wird, ndpred; natürlich auch in der Com-
position pbdmiika. Dasselbe gilt auch vom enclitischen rat, ti,
st, daher bratbe si, na bräta si. Sonst tritt die Präposition in
keine so innige Vereinigung mit dem Nomen, was als ein Unter-
schied von der serbokroatischen und russischen Betonung her-
vorgehoben werden muss, z. B. pari za vino7 na bro, na zemi,
od zhmi, prhko ubda aber nä gosti in der Phrase Jcä bdam na
gostij in Gal. jedoch na gbsti) dagegen dobrb utro.
Nur scheinbare Abweichungen sind dvanäjset in Gal.,
pebndjsdt, sedzmndjsdt, oshmnäjszt, dewtndjsdt, dvdjsdt in Ob.,
wo die betonte Silbe erst nach Schwund der vorletzten (de)
an die zweite Stelle rückte ; dasselbe finden wir in Resen IICii.
XLI— XLII 880.
6»
84 VHI. AbUndlnog: ObUk.
Ein Beispiel illustrirt uns recht deutlich, dass diese Be-
tonungsart auf der drittletzten Silbe gewiss nicht weit zurück
reicht. In Gal. spricht man trbba, wo das anlautende u nur
infolge seiner Accentlosigkeit schwinden konnte , vergl. russ.
utrbba, öak. utrbba, Neman, ü 41. Dieser Schwund ist ent-
schieden nicht alt.
Nicht ganz mit gleicher Strenge wird dies Betonungs-
princip in der dritten Mundart des Debragebietes , in Kleäe
eingehalten. Regelmässig erscheint auch hier die drittletzte
Silbe betont, bei zweisilbigen Worten die vorletzte, z. B. rb-
bebe, dhneska, nbgava, jäbolko, 8hvoi, bdime, otidoe, pl&ime, nä-
Seto, vräitaet. Die Sprache geht sogar so weit, dass bei enger
Verbindung des Adjectivs mit dem Substantiv beide als eine
Einheit aufgefasst werden, daher corvenä boja neben cdrven.
Um so auffallender ist daher jede Abweichung. Sie beruht
darin, dass beim Silbenzuwachs der Wortaccent nicht veniickt
wird, z. B. kbpa, kbpü etc. und daher auch islcbpif, mbmit
und darnach izmbmif. In izlbgof (hinausgehen) neben iz&gofrnt,
izlfyofle, izlhgoe haben wir es mit keiner Anlehnung des Ver-
bums an das Simplex zu thun, denn dies scheint nicht einmal
vorhanden zu sein, es war vielleicht die Mehrzahl der Aorist-
formen auch für den Singular bestimmend — vorausgesetzt, dass
sich in diesem Punkte beim Knaben, nach dessen Sprache ich
meine Aufzeichnungen machte, nicht der Einfluss der bulgari-
schen Schule bemerkbar machte. Dasselbe gilt von rabötaf,
rabbta neben rabbtae.
128. Die Betonung im Debradialect weicht demnach in
zweifacher Hinsicht von der ostbulgarischen ab. 1. ist sie unbe-
weglich und zwar ruht sie 2. auf der drittletzten Silbe. Von
der im Serbokroatischen üblichen Betonung ist also diese Accen-
tuation ganz verschiedenartig, sie hat mit derselben, wie über-
haupt mit der Betonung in allen slavischen Sprachen — aus-
genommen sind theilweise nur einige westliche Dialecte des
Slovenischen und des Öakav. — nur die Tendenz gemeinsam,
den Ton vom Wortende zurückzuziehen. Masing S. 131J, er-
klärt die Accentuation der nordwestmacedonischen Dialecte
durch den Einfluss der Sprache der Vorfahren der Macedo-
rumänen (ostromanische Mundart). Matov (Archiv XIV 135)
und ich in der Besprechung der Schrift Masings (,LjubIj. Zvon',
M&cedonische Stadien. 85
1891, 747), haben unsere Zweifel gegen einen solchen Er-
klärungsverBUch geäussert. Mag auch das lateinische Element
in den nördlichen Theilen Macedoniens und Dardaniens, also
im Gebiete von Skopje und Kumanovo, in den ersten nach-
christlichen Jahrhunderten bedeutend gewesen sein, so darf
doch nicht übersehen werden, dass für eine Beeinflussung der
später hinzugekommenen slavischen Bevölkerung nicht diese alte
Periode, sondern die späteren Jahrhunderte in Betracht kommen.
Nach den Stürmen der slavischen Occupation war es gerade
das südliche Macedonien und besonders das angrenzende Thes-
salien, \izyxkri Kkor/la des 11. Jahrhunderts, das eine starke
romanische Bevölkerung aufwies, die sich aus den nördlichen
Gegenden hieher geflüchtet hatte (vergl. Jiredek, Archiv XV 99).
Wir müssten demnach in südlichen und südwestlichen mace-
donischen Dialecten die Betonung auf der drittletzten Silbe
finden, wenn sich dieselbe unter dem Einfluss des romanischen
Elementes entwickelt hätte. Bekanntlich ist dies im Dialect
von Koröa (Umgebung), Eostur, Voden und Salonichi nicht
der Fall. Noch ein schwerwiegendes Bedenken. Eine der-
artige Beeinflussung wäre nur möglich vor der Absorption des
starken romanischen Elementes in den Gebieten des nordwest-
lichen Macedoniens. Soweit zurück reicht die Festsetzung
dieser Betonung gewiss nicht. Mag auch im Uritalischen die
Anfangssilbe die Trägerin des Accentes gewesen sein, im Ma-
cedorumänischen ist sie es gewiss nicht. In diesem ist die Be-
tonung gar nicht unbeweglich und an die drittletzte Silbe
gebunden, wie wir dies aus den von Weigand, Die Arumunen
Bd. II mitgetheilten Texten und aus dessen Vlacho-Meglen
ersehen. Warum sollten wir auf diesem Sprachgebiete die Er-
klärung der eigenartigen Betonung in dem Einflüsse eines
fremden sprachlichen Elementes suchen, wenn wir für die
polnische Betonung, die doch grosse Aehnlichkeit mit der er-
wähnten macedonischen besitzt, nicht zu einer solchen Erklärung
greifen? Wir können ja in anderen macedonischen Dialecten
eine Neigung zur Zurückziehung des Accentes und zur Heraus-
bildung einer unbeweglichen Betonung beobachten. So herrscht
im Dialecte von Kostur fast durchgehends die penultima Be-
tonung, also eine ,polnische' Betonung auf macedonischem Boden.
Ist auch diese Betonung auf einen fremden Einfluss zurückzu-
86 Vni. Abhandlung: Ot»Uk.
führen? Gewiss nicht. Es ist dies nur ein anderes Resultat
derselben Tendenz in der Betonung, die in den nordwestraace-
donischen Dialecten zur Festsetzung des Accentes auf der dritt-
letzten Silbe führte.
129. In dem Dialect der nördlichen Umgebung von Sa-
lon ich i ist die Betonung noch beweglich und nicht einmal, wie
in einigen südmacedonischen Dialecten, an die beiden letzten
Silben gebunden, z. B. Ns. tilkaäni, shkakvü, prijäteli, dbZdovni,
vrüöina, pridojdhn, siromäh. In manchen Punkten weicht sie
von der im Ostbulgarischen üblichen Betonung ab. Vor allem
macht sich auch hier ein Streben nach Zurückziehung der Be-
tonung bemerkbar, z. B. Ns. mlgla, ihxa-ta, rtka, c&klo, Var.
dtiSa, ubda. Auch in umgekehrter Weise wird der Accent
gegen das Wortende verschoben, was an einige £akavische
und südwestlich slovenische Dialecte erinnert, z. B. dimirük,
gübp. Sogar zwei Worte können durch einen Accent zu einem
Ganzen vereinigt werden, was wir schon in der nordwestmace-
donischen Dialecten gruppe in grösserem Umfange gefunden
haben , z. B. Ns. vä den, vä dete, käta den, doch Vat. vä tovtk.
130. Die Betonung im Dialect von Suho schliefst sich eng
an die ostbulgarische und thracische an, wie überhaupt dieser
Dialect in viel engeren Beziehungen zu den genannten als zu
den west- und nordmacedonischen steht. Der Accent ist dem-
nach in Suho beweglich, z. B. kä£üvam} ednb, käträ, ri&tre etc.
Doch sind manche Abweichungen von der ostbulgarischen Durch-
schnitts-Accentuation bemerkbar, die auf dem Streben nach
Zurückziehung des Accentes beruhen, z. B. kbsa, Jcbza, gbra,
zbra, shstra, snlha, rbsa, vbda, rfoka, pbstil§.
131. Im Allgemeinen haben die bulgarischen Dialecte die
Quantität verloren, sie kennen nur kurze Silben. In den
macedonischen Dialecten, besonders in den nördlichen und cen-
tralen, sind noch viele Ueberreste der Quantität erhalten. Ich
hörte lang betonte Silben nicht bloss in den Debramundarten,
sondern auch im Süden, im Dialect der nördlichen Umgebung
von Salonichi, hier allerdings seltener. Dieselbe Beobachtung
machte ich ausserdem in der Sprache von Leuten aus Prilep
und Ochrida, mit denen ich verkehrte. Gehörten die letzteren
auch ausnahmslos der Intelligenz an, so hatten sie doch nur
bulgarische Schulbildung genossen, des Serbischen waren sie
MacedoDuche Stadien. 87
nicht mächtig. Ich hatte schon bei der Besprechung der Schrift
Masings, ,Ljub. Zvon' 1891, 746 hervorgehoben und später im
Archiv XV 306 mit Nachdruck betont, dass einige macedonische
Dialecte auch betonte Längen besitzen, wenn auch zum grossen
Theile in contrahirten Silben. Für den Dialect von Veles
wurde vor einigen Jahren an einem Seminarabende von Profes-
sor Jagi6 und den Seminarmitgliedern an D. Matovs Sprache
der Accent ~ beobachtet, es war dies zumeist bei Vocalen der
Fall, die ein Contractionsproduct darstellen. Seitdem hat auch
Matov selbst im C6M. VII 452 auf vereinzelte Fälle von langen
Silben in seinem Veleser Heimatsdialect aufmerksam gemacht.
Für den Dialect von Korda (Boboäöica bei Korda) im
äussersten Südwestmacedonien haben wir Nachrichten von No-
vakovi6 (Archiv XV 44). Allerdings meint Miletiö, BtJirapcKH
üperjieÄ I 216, dass ~ und " bei Novakovi6 thatsächlich derselbe
Accent und zwar % seien. Der Unterschied zwischen -* und
ist für einen Serben so bedeutend, dass er diese beiden Accente
nicht leicht verwechseln kann. Wenn Novakovi6 ausdrücklich
bemerkt, dass ~ etwas milder und kürzer sei als im Serbischen,
so darf daraus doch nicht geschlossen werden, dass dieser
Accent geradezu kurz sei. Wir wissen ja heutzutage, dass
sowohl ~ als ' im Serbokroatischen nicht überall ganz gleich-
artige Accente sind. Besonders muss aber an das Slovenische
erinnert werden, das auch ' und ~ kennt, aber gleichfalls
nicht in dem Masse ausgeprägt wie im Serbokroatischen.
Gerade die erwähnte Bemerkung zeugt für die Feinheit der
Beobachtungen Novakovi6's. Jedenfalls müsste uns Miletiö aus-
drücklich versichern, dass er Gelegenheit hatte, den Dialect
von Bobiäöa zu hören, bevor er ein Urtheil über dessen .Be-
tonung abgeben und die Beobachtung in Zweifel ziehen kann.
Und selbst in diesem Falle ist es noch immer fraglich, ob er
derartige Accentunterschiede wahrzunehmen vermag. Bekannt-
lich vermögen viele Slovenen die verschiedenen Accente des
Serbischen nicht aus einander zu halten. Dass ' des Dialectes
von Bobidöa dem serbischen ~ ähnlich sei, davon finde ich bei
Novakovi6 nichts. Im Gegentheil, er bemerkt ausdrücklich,
dass er ' in diesem Dialect nicht wahrgenommen. Es braucht
aber deshalb ein serbisches und slovenisches ' und ~ nicht
ausschliesslich in ~ zusammengefallen zu sein, wir finden in
88 VIII. Abhandlung: Oblak.
der That an dessen Stelle auch ": Wahrscheinlich ist im Süd-
slavischen der musikalische Accent am schärfsten ausgeprägt
im Serbokroatischen und nimmt nach beiden Seiten, im Nord-
westen auf slovenischem, im Süden auf macedonischem Sprach-
gebiet, an seiner Prononcirtheit ab. Ich getraue mir zwar mit
meinem unmusikalischen Gehör nicht mit Sicherheit ' von ~ zu
unterscheiden, und bezeichne deshalb den Accent in langen
Silben überhaupt mit ', das demnach sowohl das Vuk'sche
Zeichen ' als ~ ersetzt, aber lange und kurze Silben vermag
ich doch leicht aus einander zu halten.
In der Debramundart von Gal. hörte ich pötot, mozi, ddjmx
go9 ddjte und sdti, das aber weniger in Betracht kommt
Besonders erscheint die Länge im Partie. Präs., z. B. gledd'Ki,
patj<i, igr&Uij öekd'Jci, pomestovdJlci. Dies hängt wahrschein-
lich damit zusammen, dass der darauf folgende Vocal ganz
kurz und stark reducirt gesprochen wird, und mit dem be-
tonten Vocal nur eine Silbe bildet. — Kl. zdp9 pörstöt, edixen,
vötna, sönce. — Ob. mdjka} ndpret, shrivam. Auch im Dialect
von Prilep beobachtete ich, dass öfters bei den mit dem Artikel
versehenen Formen der Stammesvocal lang ist, z. B. pdtot
gegenüber pät.
Im Dialect nördlich von Salonichi: Ns. pondpret, ku-
mdt (komad), vekot, ndzüt, dridva, zboruvdjki; Bug. zdjic7 zdjci,
ddj, dadeHe, dondite^ vä den] Vat. tekdjte, gleddjte, pitäjie,
vpium.
Suho: voddta, granditä, zdjnc, indzik, öüzda.
Ein eingehendes Studium der Betonung der macedonischen
Dialecte ist dringend nothwendig. Dasselbe darf sich nicht dar-
auf beschränken zu constatiren auf welcher Silbe der Accent
stehe, sondern muss aufs minutiöseste auf die Betonungsarten
eingehen. Natürlich kann es nur von einem Forscher mit
feinem musikalischen Gehör unternommen werden, der ausser-
dem mit dem serbischen Accente wohl vertraut sein muss.
Maoedonische Stadien. 89
Formenlehre.
Nominale Declination.
132. Im Folgenden sollen die bemerkenswerthesten Declina-
tionserscbeinungen und die Ueberreste der Declination, so weit
ich sie mir verzeichnete, erwähnt werden. Während meines
kurzen Aufenthaltes in Macedonien war es mir selbstverständlich
nicht möglich die Ueberreste der Declination in ihrem vollen
Umfange kennen zu lernen und Gebrauch und Ausdehnung
einzelner Casusformen genau abzugrenzen. Charakteristische
Casusformen in den drei Dialecten dürften mir kaum entgangen
sein. Eine eingehende und erschöpfende Darstellung der Decli-
nation kann nur von Jemandem erwartet werden, der sich
durch längeren Aufenthalt mit dem Ortsdialecte genau vertraut
machte und sich denselben aneignete oder von Jugend an kennt.
Vor allem ist zu bemerken, dass in der Umgangssprache,
in der Sprache des täglichen Verkehres, die Declinationsüber-
reste geringer sind als in der Sprache der Volkspoesie. Die
letztere ist im allgemeinen conservativer. Dafür lässt sich aber
hinsichtlich des Artikels gerade das Umgekehrte beobachten.
In der Umgangssprache finden wir denselben häufiger als in
der Volksdichtung.
133. Dialect von Suho. Hier ist die Endung des Nom.
Plur. der Monosyllaba masc. gen. fast ausnahmslos -ovi, z. B.
pijipüvi, rqibüvi, grbbüw9 &nüvif Ifefüvi, btküvi, prähüvi, krfygüvi,
sinüvi, sfätüvi, sn'äg&vi, gtäsüvi, dlhüvi, snbptivi, pbstüvi, sbküvi,
räküvi, strähüvi, vfhävi, vbt&vi, dvbrävi, bräküvi, rendüvi, zhtüvi,
sogar bratüöentävi. Auch bei Monosyllaben, die einst weichen
Stammauslaut hatten, erscheint -ovi: kluöüvi, grbSivi, nb&vi,
koäüvi.
Die Nominativendung -ovi beruht auf dem -ove der u-
Stämme, dessen unbetontes e zu i wurde. Dadurch wurde die
Endung um so leichter mit der Nominativendung -i ausgeglichen.
Nicht viel weniger verbreitet sind in diesem Dialect die
Nom. PI. auf -Uta, hauptsächlich bei den Monosyllaben. Bei vielen
einsilbigen Substantiven bestehen neben einander Nom. auf -ovi
90 VIII. AbhMdloiif : ObUk.
und -iUa ohne jeden Bedeutungsunterschied. Neben dvor hatte
die Sprache auch ein dvoriite, neben o<p>n ein ognüte, neben
grob ein grobiSte etc. Der Nom. PI. der letzteren Bildungen
lautete regelmässig dvoriUa etc., der dann als die Plnralform
zum Sgl. dvor etc. aufgefasst wurde; vergl. in einigen gross-
russischen Dialecten die Nom. PI. auf -ja, ursprünglich Nom.
Sgl. von Collectiven (IIIaxMaTOBT> 70). Die Nom. PL sind in
Suho durchaus nicht beschränkt auf Substantiva, die einen Ort
oder Kaum bezeichnen, sie erscheinen auch bei solchen, die
lebende Wesen und Personen bezeichnen. Ich notirte mir: dtb-
ri§ta, kfyti&ta, snUta, krnglUa, pfytiäta, kbli&ta, käliHa, vbliHa,
sogar bratüöendiSta.
Auch einige Nom. PI. auf -int aus -ina notirte ich mir,
z. B. korine, kamifä, grebtm, UümiM. Im C6M. IV 188 finden
wir momina.
Die alte Nominativendung -i der *- Stämme ist daher
stark eingeschränkt: rnkävi, btvüli, grbb%} vbgfii, bblaci, mbztici,
Vtäsi, govqdäri zum Sgl. gov^därbn, Butgäri zu Bulgarin,
sogar tfätiri, das an den Nom. Sgl. und an die Form mit dem
Artikel angelehnt ist. Vielleicht sind auch Mväki, brihi hieher
zu zählen, wahrscheinlicher sind es jedoch Accusativformen,
denn, wie oblaci, no%e etc. zeigen, ist hier der Sibilant nicht
durch den Guttural verdrängt.
Bei einigen Substantiven lautet der Nom. PL auf -ovei.
Es drang -ov- vom PI. ein und das Substantiv wurde dann
durch -beb weiter gebildet. Einen Sgl. auf -ovec, -ovic, -otk
hörte ich zu diesem PI. nicht. Ich verzeichnete mir: zntüfei
neben zqtüvi, strtküfei zum Sgl. strlkü (mit Artikel), üö&fci zu
tieü. Es sind also nur Verwandtschaftsnamen.
Wie in anderen bulgarischen Dialecten hat die Nominativ-
form der ff-Stämme bei den Neutren, die gleich den {^-Stämmen
auf -e auslauten, stark um sich gegriffen, daher nicht bloss
telenta, jarenta, jägnenta, sondern auch imenta, IvMia, cerventa
zum Sgl. ierve (nicht öerv).
Auch die Endung -e im Nom. PL ist beliebt: kbne neben
kojiij pünte, nbfte, dq/mb\ künce, üvhne, rhtUnce, zäJQce, aber
nur hidij das vielleicht ein ursprünglicher Acc. PL sein mag.
— dni, z. B. dva dni} miogü dni ist alter Nom. Dual., der
sich hier, wie auch sonst im Bulgarischen in Verbindung mit
Maeedoniacbe Studien. 91
den Zahlwörtern erhalten hat. In der Nominativendung -e sind
die Nora, auf -bje der i-Stämme und auf -e der consonantischen
Stämme zusammengefallen, ersteres war nach dem Schwunde
des j vor e auf lautlichem Wege zu e geworden.
Vom Nom. PI. der a-Stämme ist nichts zu bemerken, er
hat die alte Endung bewahrt, z. B. iäb\} 8tr*ähi, trbhi, d&ski,
6erkvi, jäsli (Sgl. jattd), grgndffä, sfybüti, pint\. — Der Nom.
PL der neutralen o-Stämme endigt in alter Weise auf -a, z. B.
8ela~ta} &rva~ta, icä.
Vom Nominativ Dualis notirte ich mir neben dni noch
mfydzä, u&i-te, b£i, weiters rib%e, rhce; auch dvä gtavi dürfte
Dual sein, vergl. bezüglich des Auslautes lani gegenüber
utre etc.
mtogü zijidä, pnteTä% vn%itä sind wahrscheinlich keine
Dualformen, sondern nominativische Neubildungen auf -ja.
Von den übrigen Declinationsformen sind gar spärliche
Ueberreste erhalten, ich habe mir nur folgende aufgezeichnet:
Gen. Sgl. 8*8 bbga. Der Nominativ mit dem Artikel lautet
dagegen auf -o, -oty z. B. sanb, sinot. — mtogü zemne, zum
Casus gener. zemh-ta\ hrhe.
Vocat. auf-e: Stojäne, brate, boie; oh bb&im me bolt aus
bo&e mi, weniger wahrscheinlich ist es, dass der alte Voc. bole
noch ein rn nach Analogie von redom etc. erhalten hätte: Vocat.
auf -i: gbspodi in der Wendung g. boie pümbgni mi} wahr-
scheinlich aus der Kirchensprache eingedrungen.
Loc. Sgl. in Adverbialbildungen, a) auf *k: ütre, rietre,
gbre} nach solchen Beispielen auch usnoste blize, stfada noi.
Hieher gehört wahrscheinlich auch dina, dihe als Neubildung
nach utre» — lani. b) auf u: dotu.
Vor dem i (= Tu) des Nom. PI. der a-Stämme bleiben die
Gutturale: trbhi, milhi etc. Zu erwähnen sind die Nom. Sgl.
dhStita, öerkva.
Die Endung des Cas. general. der a-Stämme ist a nach
den Palatalen und erweichten Cons. §, z. B. faka, voda-ta,
mngta, leäta, khäta — duäe, nedäle.
134. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
Vor allem unterscheidet sich dieser Dialect hinsichtlich der
Casusformen von dem von Suho dadurch, dass hier bei den
\)2 Till. Abhandlu« : Obltk.
Neutren die Nom. PI. auf ina viel stärker verbreitet sind, z. B.
Ns. vbBna, ku&na, pratina, Zdrebina, ramb'ia (Sgl. ramo); Gr.
kämiiia\ Bug. viztna, vtylifia. Diese Endung drang sogar bei
den Mascul. ein: Var. "bgina, öeßiiia. Ursprünglich war diese
Endung wohl auf die alten TA-Stämme beschränkt, von diesen
dürfte sie zuerst auf die im Nom. Sgl. gleich auslautenden
rf-Stämme übertragen sein, denn im Bulgarischen sind vielfach
n- und ft-Stämmc im Nom. PI. ausgeglichen, vergl. imeta.
Der Nom. PI. auf -ifia beruht auf dem Nom. PL der
neutr. n-Stämme: gegenüber dem Sgl. inte wurde -ena ab
Endung aufgefasst. Durch Anlehnung an die im Bulgarischen
stark verbreiteten Collectiva auf -itie, Plur. -vha wurde das e
von -ena durch i verdrängt und n durch ri ersetzt. In einigen
macedonischen Dialecten, z. B. Prilep, Moriovo, Resen (vergl.
Matov, 3a HCTOp. Ha HOBO-6x.a. rpaM. 15) hat sich noch -ina mit
hartem n erhalten.
Sehr stark um sich gegriffen haben die Nom. PL auf
-üta} besonders bei Honosyllaben, die eine Oertlichkeit be-
zeichnen. Trotzdem -i&ta ursprünglich eine Endung neutraler
Stämme ist, erscheint sie jetzt hauptsächlich bei Mascul., da
die Monosyllaba fast ausschliesslich masc. gen. sind. Ns. sbniita,
VfhlSta, dvbriUa, zldiHa, grüblHa, grädtita, jartfta, jfetiita,
ribiUa und rbbüta, ztetista, ja sogar siniHa neben sinüvi und
auch HmiHa und nicht etwa, wie wir erwarten würden Hmtna.
Gr. pltista, järiSta, kräjüta; Vat. jMüca, zldiäia, kraiica.
dhiiSia; Var. ribi§6a.
Neben dieser Endung finden wir im Nom. PL bei den
Monosyllaben auch -ovi, -ovt stark verbreitet. Manche Substan-
tiva haben in der Sprache desselben Dorfes und Individuums
-ista und -ovi im Nom. PL, Ns. dbbovi, sÖnovl, zfetüvi, Ifotüvi,
klä8Üvi7 grädovi, slnüvi, rbgovi, llbtivi; Bug. rkdüvi, vrbhovi,
zidövi* Vat. d%büvi, meküvi, brügüvi, grädtivi. Hieher gehört
auch der Nom. PL villoj-to. Var. 8bn*vi, vVtltri.
Doch finden wir bei den Monosyllaben auch die Nominativ-
endung -i der TrStämme. Hauptsächlich erscheint dieselbe aber
bei den mehrsilbigen Substantiven, vor ihr sind in der Regel
die Sibilanten bewahrt, nur * ist zum Theil schon durch h
verdrängt. Ns. diminici, mbzüci, ezici, fnuci, siromäsi, urhht,
auch dni, wahrscheinlich der alte Nom. Dual, durch den Zu-
Hatedoniiche Studien. 93
sammenfall mit dem Nom. PI. der vStämme erhalten; ludi:
Gr. mlii; Bug. pbpüci vergl. vetire; Vat. fnüci, sribpi-to.
Auch die Endung -e (= e und hje) finden wir im Nom.
PL Bug. gifibi, s&bi, kbne, rmit; Vat. &bi7 lüdi, rmZi. Nom.
PI. auf unbetontes e und i sind oft nicht aus einander zu
halten, denn unbetontes i und e sind beim schnellen Sprechen
in äinen Laut zusammengefallen.
Noch eine Eigenthümlichkeit der Nominativbildung im PI.
mu8S hervorgehoben werden. Die Substantiva auf -e, es sind
grösstenteils et-Stämme, bilden den Nom. PI. auf -ca oder d,
als ob der Nom. Sgl. auf -ec oder -ce lauten würde. Gewiss
bestanden einst neben den Substantiven auf et- Deminutiv-
bildungen auf beb und -bce. Ns. pilca, Sgl. pill; Gr. jaginca;
Var. järciy jagnlca.
Anm. An den Beispielen popüci, laküti, vetiri sehen
wir, dass mit Silbenzuwachs nicht der Reflex des Halb-
vocals schwindet, die Nominativform des Sgl. ist auch
dem PL zu Grunde gelegt, vergl. plsa etc. in slovenischen
Dialecten. — Aus den Beispielen ergibt sich auch, dass
dieselben Substantiva in ganz nahe bei einander liegenden
Dörfern den Nom. PL auf verschiedene Weise bilden können.
Nom. PL der a-Stämme lautet wie sonst auf -i, vor dem
die Gutturale unverändert bleiben, z. B. Ns. mäht, snlhi, büki]
Bug. müht; rbci Ns. ist die Dualform.
Der Dual hat sich vorzüglich in Verbindung mit Zahl-
wörtern erhalten, z. B. Ns. pbta. Auch dena Ns., Var., z. B.
dhset dena und nogä oflara Var. sind Dualformen und nicht
etwa ein aus dem Serbischen eingedrungener Gen. PL umge-
formt durch den bulg. Nom. den.
Anm. Dagegen ist devet godin dana in einem Volks-
liede aus Jarlovo bei Samokov, IUanK. III 48, 55 ein Ser-
bismus, wie schon das daneben vorkommende einheimi-
sche dena beweist, denn der Nom. Sgl. lautet hier, wie
überhaupt in allen westbulgarischen Dialecten den (vergl.
Archiv XVI 472).
Einen Instrum. Sgl. notirte ich mir in Ns. : sfopkvm (ge-
hend), wo ^ wahrscheinlich wegen des m erscheint. Vocat. Sgl.:
neve&to Ns.
94 VIII. Abhandlung: ObUk.
Der Casus generalis der a-Stämme endigt durchgehend*
auf -a, z. B. Ns. nevbsta, kaia7 h&\ca; Bug. (p>ba, 8viAa etc.
135. Debradialect. Auch hier finden wir die drei be-
reits bekannten Endungen des Nom. PL -ovi, -Uta, -tAa.
a) Am stärksten verbreitet ist die Endung -ovi, z. B. Gal.
grbbovi neben grbbücä, dbbovi neben dbbJ9, rbbovi, bbzovi, ro-
goviy vblovi, vfvovi, Itbovi, bgnovi. Daneben auch Nom. PL
auf -evi : -bgnevi, zum Sgl. ogon, sbnevi, cütevi, zhteci, also durch-
aus nicht bloss bei Substantiven, deren Stamm einst auf einen
palatalen Consonanten auslautete. — KL zweisilbiges -oi ans
-ovi: sbnoiy hh)oi, mbvoi, sorpoi. — Ob. ribovi, zdtpvi, frgnoi,
Vbzoij dr%goi} cut-oj , dphoj, svätoi, Icttoi, rhdoi, mleoi7 gbstori,
slnoi, ja sogar dhnoi.
b) -Uta (-iUa) Gal. : pbti&öa, grbbiita. — Ob. pUi§ta, jä-
riMa, kuöista. Die Nom. PL auf -iHaf -i8£a sind nach meinen
Aufzeichnungen im Debradialect auf wenige Beispiele be-
schränkt. Dies finde ich auch durch die publicirten Sprach-
proben bestätigt.
c) -ina. Dagegen sind hier die Nom. PL auf -ina ver-
hältnissmässig stark vertreten. Gal. 'zeriiia, zum Nom. Sgl.
ezere, das eine Neubildung nach dem PL ist, jarina, kän&na,
pbliiia; Kl. oru£ina] Ob. jiZina, Sgl. jfo&, pbltäa, mbr9na7
Sdrtebdfia, vlktena, aber rämena, Sgl. rämo.
Daneben endigt der Nom. PL der Mascul. auch auf -t:
Gal. moH9 brevi, gtilqbi, vlciy jbzici, zgeci, jbzli, iiladi, läkti.
In na gosti (ja go zbva n. g.) hat sich wahrscheinlich der alte
Acc. PL der i-Stämme dadurch gehalten, dass er mit dem Nom.
PL auf -i zusammenfiel. Da in Ob. neben dem gewöhnlichen
Nom. PL gostoi auch odam na gosti gesprochen wird, so durfte
diese Form in der That der alte Acc. PL sein. Kl. vbrvi9 ludi,
pbrsti, Ibkoti. — Ob. m%£i9 pilci, prijateli, ofiari, zqbi9 pUi}
nbkti.
Nom. PL auf -je notirte ich mir nur wenige. Gal. dbbj»}
lütfd; Ob. sribpje, d$bJ9. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die
Formen auf -je Collectiva sind, denn hier ist auch der Plur.
von niva durch die Collectivbildung nlyjd ersetzt. Ebenso gra-
dine Gal.
Auch hier finden wir Nom. PL auf -ca, -et von Neutr.
auf -e, z. Gal. jägonca; Ob. pilei, telci.
MactdooiBche Studien. 95
Der Nom. PI. der a-Stämme hat durchgehends die alte
Endung -t (ab. tl), z. B. Gal. plänini, güski, büki, kbzi-te etc.
Nom. Dual. Gal. rbci] Kl. dena, bgna\ Ob. dena, nodzi-te,
pleiti} üöi, dva p%ti.
Von den übrigen Declinationsformen haben sich nur we-
nige erhalten. Gen. Sgl. auf -a: Ob. na *ina} die bestimmte
Form mit dem Artikel ist dagegen, z. B. kbnot. Dat. Sgl. -ovi;
Ob. bratoe si, besonders in Volksliedern, in der Umgangs-
sprache wird der Dativ auch bei diesen Substantiven in gewöhn-
licher Weise ausgedrückt.
Anm. Die Endung -oe beruht auf -ovi7 dessen i
durch die Dativendung ~e des Femininums ersetzt wurde,
denn wir sehen auch sonst in den macedonischen Dia-
lecten, dass die Analogie selbst die Grenzen des Genus
überschreitet, vergl. Nom. PL maglove (Miletiö, GrapOTO
cbaoh. 30, Archiv XVI 491, jlaBpoB 147). In den Volks-
liedern aus Debra, in denen sich bekanntlich mehr
Declinationsüberreste erhalten haben als in der Umgangs*
spräche, finden wir in Mundarten, die v zwischen Vo-
calen noch bewahrt haben, Dative auf -ovey z. B. strikove
C6M. VII 67 und in grösserer Anzahl Dat. Sgl. der a-
Stämme auf -e, z. B. iene in Zaborje, IHanK. II 185, *ve-
korve C6M. VU 67, zolve VII 67, devojke VII 67, 74, 96,
majke VII 70.
Gen. Sgl. auf -i: Gal. kpri; Ob. od zemi. Letztere Form
dürfte ursprünglich ein Loc. Sgl. sein, der sich bei diesem
Substantiv hier in Verbindung mit Präpositionen fest gehalten
hat, z. B. na zemi.
Loc. Sgl. auf -i: Gal. na nebest] Ob. na zemi] auf -e:
Ob. nä 8tred&, ütre.
Der Cas. gener. der a-Stämme lautet durchgehends auf -a,
z. B. Gal. £ena} rbka, gfava; Kl. kü6a7 nbga] Ob. pazua, uoda,
majka, zhha, pbstela. — cfkof Gal.
Pronominale und zusammengesetzte Declinatlon.
136. Dialect von Suho. Zu erwähnen ist vor allem das Pro-
nomen nbs (Nom. Sgl. Masc), nes (Nom. PI.) neben noskana m.,
näskana f., neskana PL Auch in den im C6M. IV 188 mitge-
96 VIII. Abhandlung: Oblak.
theilten Sprachproben liest man naz (Nom. F.), nuzi (Nom.
Neutr.). Es ist dies wahrscheinlich das Pronomen o»*, in
Zusammensetzungen onzi, onazi mit Schwund des anlautenden
o und unter Anlehnung des Masc. an das hier viel gebrauchte
Pronomen tos, toxi. Weniger wahrscheinlich scheint es mir,
dass wir es hier mit einem Pronominalstamm m zu thun hätten,
den man im Böhmischen in Zusammensetzungen mit anderen
Pronominalstämmen findet, z. B. ten, onen, sen, in den Freisinger
Denkm. ton. Jedenfalls ist o für h im Masc. nos so zu beur-
theilen wie in toj, tozi. Bezüglich des Schwundes des anlauten-
den o vergl. vo öovek, va Voden, va Ns. Auch im Dialect von
Nevrokop (Dorf Gajtaninovo) existirt diese Pronominalform:
nos den Iliev 343. — tos (Masc.) aus *tlzi, tos, tüzt; im Neutr.
ausserdem tuzikana. Fragepronomen: to (kbto) und kutri,
küträ, kütrb wie in Ahur-Öel. — tähna-ta cäsd, tähni-te kMi;
niHü, siöki (omnes) ludi. In usnoste hat sich ein Ueberrest
des Pronom. si erhalten, bezüglich des auslautenden e angelehnt
an Adv. wie utre. — vqzi den (den ganzen Tag). — jas. Gen.
gü, riegü; Gen. PL gi9 dessen g vom Sgl. eingedrungen ist. Dat
Sgl. i (jej), mu. Acc. j*.
137. Dialect nördlich von Salonichi. Das Pronom. on
hat im Nom. Sgl. für alle drei Genera die Form va. Ns. vä den,
vä godina, vä dete; Gr. va 6ov$k9 vä se\o; Bug. Vat. vä tovik;
aber in Var. vo Zovek, vb dete, va iena, Bug. to öovek (hie),
riiktij; Ns. sükakvü, nihna-ta ku6a. Nom. Sgl. Masc. und Neutr.
von tb lautet in Ns. und Bug. to, dessen o gleich dem von vo
(ovh) in Var. sich aus a entwickelt hatte, vergl. serb. taj, ovaj,
sloven. ta. — Nom. PI. vija deca, vija ludi} vüje nevesti, tije
deca, 80ti; Var. vije kofie. — Gen. Sgl. negü, gä Ns., gü Vat.
— Gen. PI. U (ih) Bug.; i Vat; drugi Bug. — Dat. nim
Bug. — Acc. Sgl. Jca pitam (aus Ei ja), a (ja) Bug., Vat; fq
(= Ui ja) Var. Griechischen Ursprunges ist kata den (jeden Tag,
täglich) Ns. aus griech. xer^ €va, naö* iv und daraus xa&f£.
Personalpronom. jas jäska, Ns., jas Gr., Bug., Vat, Var.;
predmeni Ns., shtebe Gr.; nateb, namen Vat; Acc. ti Gr.,
ta Vat.; rni Vat., si Ns. Der Nom. PL lautet durchgehende
nija, nije Ns., nije Vat. etc., und ni Vat. angelehnt an die
übrigen Casus, die sämmtlich mit n anlauten. In dem nahen
Kireökjoj noch die ältere Form mie.
Macedoniscbe Studien. 97
138. Debradialect. Vor allem verdienen folgende Eigen-
tümlichkeiten, durch die sich die Debramundarten von den
meisten bulgarischen Dialecten unterscheiden, hervorgehoben
zu werden. Personalpronomen der ersten Person : ja GaL, Kl.,
Ob. (in Bitolj, Prilep, Moriovo, Eesen jas). Der Nom. PL hat
noch das alte m bewahrt: mije GaL, KL, Ob.; Acc. PL ne, ve
Gal. — Das Neutr. Sgl. von fo, om, ovb lautet teja kuöe Gal.,
bvea vino, onea Ob.; die anderen Formen sind tbj Sbvek, taja
gradina GaL ; ona öoek KL ; toj, taja, bvia coek, bvad, Zena, ofia
(Masc), ona (Fem.), bnea (Neutr.), Ob.; PL tVe, onie, ovie
Ob.; Gen. go GaL; Dat. mi GaL, tebi, mi, si, nejzi, e Ob.;
Ace. me, mene, te, j^ Ob.; Nom. PL svi-te dleca, vije Ob.; Dat.
im Ob.; Instr. 8 nimi Ob. — Ausserdem: Ob. gen. sVepago;
nejzino d'ete; Kl. vezden, sve also mit Metathese.
139. Der Dialect der nördlichen Umgebung von Salo-
nich i unterscheidet sich von den beiden anderen durch eine
syntaktische Eigentümlichkeit, die er mit seinen nächsten Nach-
barn, den Dialecten von Kireßkjoj, Ajvatovo und Kukuä,
theilt. Es wird nämlich oft jler Accusativ durch die Präpo-
sition na ausgedrückt, beim Personalpronomen wird sogar nach
der präpositionslosen Accusativform noch der Accusativ mit
der Präposition wiederholt, so dass hier die Anwendung von
na über die im Bulgarischen gebräuchlichen Grenzen hinaus-
gegriffen hat. Z. B. Vat. jas tg, vikäl na teb, va Zovek mg Jcara
na men, gü kara na kbntit, pxtam na mojta £hna; vergl. in
Kireßkjoj ne sakam na teb (MaTOBi 3a HCTop. 6), majkata biza
na djateto (Khhjkhh,h II 44), go zavode na DojSin junak IUanK.
HI 80.
Artikel.
140. Der Artikel ist in allen drei Dialecten (in der Um-
gangssprache) allgemein in Verwendung. Die beiden südlichen
Dialecte haben nur eine Form desselben, nämlich t, ta, to.
Die Debramundarten besitzen dagegen einen dreifachen Ar
tikel: neben t, ta, to auch v, va, vo und n, na, no.
Debradialect. Gal. a) -t, -ta, -to: pbtgt, govhlarot, 6b-
vekot, tvbjot, kbnot, mbjata gfäva, peticata, drvoto, mojte drva etc.
b) -«, va, vo: dbnof, prlstof, nbsof, mbjof kon, nbgava, mojava
roka, üstava mi boUt, peticava (wenn von der eigenen Ferse
Sitznngsber. d. phil.-hist Cl. CXXIIV. Bd. 8. Abb. 7
98 VIII. AMwmdlttnf : ObUk.
die Rede ist), nemcava. c) -n, -na, -no: deteno, drvono, h-
nine, decana.
Kl. a) bgnot, porstot, naSite ludi. b) nbgava.
Ob. a) J&tot, pptot, goedarot} domäkinot, goedata, mojbt,
mojata, tvojata, negovata, tedoto, nodzite, ramenata, bxkoiU,
Bvite etc. b) rrJeaa (eigene Hand), n"bgaa, grldive, nozive,
mojof, diesnavaf rnojevo. c) drvono.
Im Dialect von Suho ist das auslautende t des Artikels
gewöhnlich geschwunden, daher zq,mbö, mqdriü, ptypü, krtyu,
Jcntü, dvftb, vbg&ö, pyntb neben gtasbt, bbrqföt, vodata, trfämetu,
tüze*tä, tervata, öendata etc.
Der Dialect nördlich von Salonichi kennt gleichfalls
nur eine Form des Artikels, dessen t im Auslaute durch-
gehende bewahrt bleibt, z. B. Ns. kfstot, zldot, vekot, rajot,
kbnoty mlZüt, mbjöt, edinöt, gbrnüt — rekata, Senata, mojta
majka, ppvnata iena — drvoto, detto — miSiti, gfdite, üstata]
Bug. prbstüt, drugüt etc. ; Vat. tätüt, kofiüt, fnüküt, mojta iena,
fnucite; Var. Ibbüt, pfstüt, kbfnt, mojta iena, tvojta (Fem.).
In den nördlichen Dörfern dieses Dialectgebietes wird im
Plural für alle drei Genera die Singularform des neutralen
Artikels, also -to gebraucht. Im Bulgarischen sind Collectiv-
bildungen auf -je (-tje) stark verbreitet, manche Erscheinung,
wie z. B. die Nom. PI. auf -ifia, weist darauf hin, dass die
Sprache eine Vorliebe für die Auffassung des PI. als eines
Collectivums zeigt. Auf diesem Streben beruht auch der Ar-
tikel -to im Plural, z. B. Vat. gbstitü, snopitö, vülojtö, prsthtü
neben fnucite. Es wird -to im Plural bei dem Mascuünum
wohl zuerst bei solchen Formen wie tudetö, koneto aufgekommen
sein. Zum Nom. PL pilci (Sgl. pili) ist die bestimmte Form
pil6ü, ebenso kbn6ä zum Sgl. konüt.
Anm. Bekanntlich suchte Eopitar (Kl. Schriften 239)
und nach ihm Miklosich die Erklärung des bulgarischen
und rumänischen Artikels im thrako- illyrischen Ele-
ment; Miletiö, Kaiina und Lavrov weisen dagegen jede
Annahme eines fremden Einflusses zurück und erklären
die Entwicklung des Artikels aus dem Bulgarischen selbst.
Hasdeu (Cuvente 1879, 647—55) sieht darin den Einfluss
des Rumänischen (vergl. Weigand, Die Sprache der
Maotdonische Stadien. 99
Olympo-Wlachen 65). In formeller Beziehung finden wir
dieselbe innige Verknüpfung eines Substantivs mit dem
nachgesetzten Pronomen demonstrativum schon in den äl-
testen altslovenischen (altbulgarischen) Denkmälern z. B.
pdK'kT'k, p*A*ck, und sporadisch in den meisten heutigen
sla vischen Sprachen, serb. no6as} zimus, sloven. letos,
böhm. veöeroß, poln. dzti, russ. vesnust. Diese Verknüpfung
ist demnach allgemein slavisch. Doch dies ist noch kein
Artikel, denn bei formeller Gleichheit besteht ein functio-
n eller Unterschied, das postpositive Pronomen hat seine
ursprüngliche Bedeutung bewahrt. Das Bulgarische ging
in dieser Verknüpfung weiter als die übrigen slavischen
Sprachen, wie wir dies schon an den Beispielen in den
ältesten altslovenischen Denkmälern sehen, wo diese Zu-
sammenrückung nicht wie in den anderen slavischen
Sprachen auf das Pronomen st beschränkt, sondern wie
heutzutage schon auf das Pronomen tb ausgedehnt ist.
Pronomen und vorausgehende Substantive wurden in
solchen Verbindungen als ein Wortganzes aufgefasst, wie
die Behandlung des Stammauslautes zeigt, wo % zu o
wurde. Infolge dessen wurde die demonstrative Bedeu-
tung des Pronomen abgeschwächt und sank zur Function
des Artikels herab. Schon in den sogenannten pannoni-
schen Denkmälern des Altbulgarischen sehen wir -fo in
derartigen Verbindungen in der Function des Artikels, an
mehreren Stellen entspricht es nicht dem griech. exsTvog,
sondern ist nur die Wiedergabe des griechischen Artikels.
Dieselbe Bedeutungs- und Functionsmodification beob-
achten wir auch im Rumänischen, wo dasselbe postpositive
Pronomen zum Artikel wurde. Wie der Rhodopedialect
zeigt, wo wir noch jetzt solche Formen wie deteamo,
drugeamteam etc. finden, verlor das angehängte Pronomen
nicht bloss im Nominativ, sondern auch in den anderen
Casus für das Sprachgefühl seine Selbstständigkeit. Wenn
wir den bulgarischen Artikel in dieser Weise auffassen
und in vereinzelten Beispielen bis in die pannonischen
Denkmäler hinauf verfolgen, so ist damit zugleich die
Hauptschwierigkeit der Erklärung desselben aus dem Bul-
garischen selbst aus dem Wege geschafft. Woher — so
7*
100 Vin. Abhandlung: ObUk.
musste man sich fragen — der bewahrte Stammauslaut »
im Masculinum, wenn die Bildung des Artikels nicht in
eine alte Periode zurückreiche? Die Bildungsweise des
bulgarischen Artikels ist in formaler Beziehung urslavisch,
in functioneller Beziehung reichen ihre Anfänge wenigstens
in das 11. Jahrhundert zurück. Beispiele des Artikels
aus mittelbulgarischen Denkmälern haben Miletiä, O ölanu
u bugar. jez. 10 — 11 und Lavrov 186 — 88 zusammenge-
tragen. Besonders interessant sind jene aus dem Sestodnev
des Joh. Exarch Bulg., die dem griechischen Substantiv
mit dem Artikel entsprechen, z. B. TKapkTa i, Sr^ioup-^x
Mehr Beispiele gibt es in den wlachischen Urkunden,
z. B. wt cmata aus den Jahrgängen 1407, 1410; zuletzt
sind von Miletiö aus den in Rumänien geschriebenen
mittelbulgarischen Denkmälern und Urkunden neueren
Datums hübsche Belege für den Artikel im G6M. IX 170,
206, 275 veröffentlicht.
Der Artikel kam im Bulgarischen nicht erst mit
dem Schwunde der Declination auf, er ist viel älter. Er
ersetzt auch nicht die verlorenen Casusformen, denn die-
selben werden durch Verbindungen mit Präpositionen aus-
gedrückt. Ein gewisser Zusammenhang zwischen dem
Artikel und dem Verfalle der Declination scheint aber
doch zu bestehen. Der Artikel gewann mit dem Verluste
der Declinationsformen an Verbreitung, er wurde allge-
meiner. Deshalb finden wir mehr Beispiele desselben erst
aus dem 14. Jahrhundert, wo die Zerrüttung der Declina-
tion bereits begonnen hatte.
Fremden Ursprunges ist demnach der bulgarische
Artikel nicht, thrako-illyrisches Element ist an dessen
Bildung nicht betheiligt. Die Verbindung eines nachge-
setzten Pronomen zu einem Wortganzen finden wir ver-
einzelt in allen slavischen Sprachen. In den russischen,
insbesondere nordrussischen Dialecten sind noch viele
Ueberreste eines mit dem bulgarischen gleichartigen Ar-
tikels erhalten, z. B. dorogu-tu7 baby-te im Gub. von
Jaroslav (Co6o.a. II 7), konce-te} pofa-ta9 bogaty-te. im Dialect
von Simbirsk (Co6o*i. II 9), vergl. £onu-tuf £ony-te, cfnv-tu,
baba-ta, okno-to, hiebot, maslo-to, kaia-ta etc. in ver-
Macedonische Stadien. 101
schiedenen nordrassischen Dialecten (Co6. II 11, 20, 24).
Wir sehen, dass die in allen sla vischen Sprachen vor-
liegenden Keime (zimua, danas etc.) zur Verknüpfung auf
zwei slavischen Gebieten weiter ausgebildet wurden, im
Süden im Bulgarischen und im hohen Norden in den
nordrussischen Dialecten. Zur schnellen Verbreitung des
Artikels kann das thrako-illyrische Element auch aus dem
Grunde nicht beigetragen haben, da zu jener Zeit, als
der Artikel sich stärker zu verbreiten anfieng, schon
längst von einem solchen Einfluss keine Rede sein kann,
da das thrako-illyrische Element schon vorher im Slavi-
schen aufgegangen war. Bekanntlich hat man jetzt auch
im Rumänischen bei der Erklärung des Artikels vom frem-
den Einfluss Umgang genommen (Meyer- Lübke, Grammat.
der roman. Spr. II 123, 132, Weigand, Die Sprache der
Olympo-Wlachen 65).
Die verschiedenen Formen des Artikels sind klar
und durchsichtig. Im Mascul. Sgl., der durch den Artikel
in den Inlaut zu stehen kam, hat sich ^ erhalten: stoht. Es
wurde noch unlängst von M. Ivanov (IlCn. XLV 413 — 15)
der ganz missglückte Versuch gemacht, ^ vor t des Ar-
tikels als Einschub zu erklären. Davon könnte nur die
Rede sein, wenn die Verbindung des Pronom. tt mit dem
vorausgehenden Substantiv zu einem Wortganzen ganz
jungen Datums wäre. Die Beispiele des Altslovenischen
zeigen uns das Gegentheil. Für das im Inlaute stehende
a von rabbtb etc. kann doch nicht die Behandlung des
auslautenden ^ massgebend sein, wie auch z. B. Air *fc in
ob$d% nicht das Schicksal des anlautenden *k von mth
bestimmend ist. Inlautendes % von rabbtb wurde ganz
regelrecht in den einen Dialecten zu o, in den anderen
blieb es länger bewahrt und entwickelte sich erst später
zu einem a-Laute, daher in den Dialecten rabbt, rabot,
rabatj wo dann das t auch schwinden konnte. Auch* in
den russischen Dialecten theilt das ^ vor tb die Schicksale
des inlautenden ^) daher hlebot wie otobrati. M. Ivanov
fragt allerdings, warum, wenn in rahfo das stammaus-
lautepde ^ erhalten blieb, dies auch in radostbta nicht
der Fall sei? Er hat dabei die primitivste Regel der Ent-
102 VIII. Abhandlung: Oblak.
wickelung der Halbvocale übersehen. Wie sich $ladih
zu sladok, dagegen dadtka zu slatka entwickelte, so auch
rabitb zu rabot und radosttta zu radosta. Von ofoafe,
ovbmt sollten wir otcvt oder otcet, ovmt, ovnot erwarten.
Es erscheint aber nur otectt, ovemt, angelehnt an den
Nom. Sgl. otec, oven, wobei auch das Verhältniss von stol
zu stoht mitwirkte; vergl. denselben Ausgleich zwischen
verschiedenen Stammesfonnen im Böhm, snem, shemu
altböhm. mem, senma, poln. sejm, altpoln. sjem, $ejmuf
russ. pri&lec priileca und priidec prtielhca; auch in den
macedonischen Dialecten finden wir neben mi/rtvec ein
mirtovec, dem die Cas. obl. und vor allem der Nom. PL
zu Grunde liegen.
Conjugatlon.
Allgemeines.
141. Ein ganz anderes Schicksal als die Declination hatte
die Conjugation im Bulgarischen. Dieselbe ist durchgehends in
dem Masse erhalten wie in den übrigen slavischen Sprachen.
Die einzige Einbusse, die das Bulgarische an Conjugations-
formen gegenüber den anderen slavischen Sprachen erlitten hat,
ist der Verlust des Infinitivs und Supinums. Ja das Bulgarische
übertrifft im Kreise der südslavischen Sprachen das Slovenische
und selbst das Serbokroatische dadurch an Alterthümlichkeit,
dass es Aorist und Imperfect ganz allgemein im Sprachge-
brauche bewahrt, in der 1. Sgl. Präs. noch nicht in allen Dia-
lecten -m verallgemeinert, in einigen noch -t in der 3. Sgl. er-
halten, bei den Verben V. Cl. die Contraction von -a/e- noch
nicht durchgeführt hat. Aorist und Imperfect sind allerdings
im Serbokroatischen erhalten, doch in der Volkssprache schon
sehr stark vor den zusammengesetzten Perfectformen zurück-
getreten, in den bulgarischen Dialecten, speciell in den mace-
donischen, die ich zu kennen Gelegenheit hatte, sind beide
Formen ganz allgemein in der täglichen Umgangssprache im
Gebrauch. Dadurch steht das Bulgarische, das die Declination
fast ganz eingebüsst hat, bezüglich des Reichthums an Conju-
gationsformen an der Spitze aller slavischen Sprachen, es über-
trifft darin sogar die beiden lausitzserbischen Sprachen, denn
Macedonüche Studien. 103
auch in diesen sind die Aorist- und Imperfectformen haupt-
sächlich in der Literatursprache zu finden, in der Volkssprache
sind sie grösstenteils schon antiquirt, einigen Dialecten schon
ganz unbekannt, Mucke 607.
Von der grossen Lebenskraft der bulgarischen Conju-
gation legen zahlreiche Neu- und Analogiebildungen Zeugniss
ab. Wohl auf keinem anderen slavischen Sprachgebiet hat die
Analogie in der Conjugation derartig überwuchert, wie im
Bulgarischen.
In einigen ganz wesentlichen Punkten der Conjugation
gehen die drei macedonischen Dialecte auseinander. Im Dialect
von Suho und nördlich von Salonichi hat die 1. Sgl. Präs.
durchgehends -m, in den Debramundarten von Gal. und El.
endigt dieselbe ebenso consequent auf -a, selbst jesrnt musste sich
dem Systemzwange fügen und verlor sein -m. Der andere Unter-
schied betrifft die 3. Sgl. Präs. Alle drei Debramundarten
haben t in der 3. Sgl. gerettet, in dem Dialecte von Suho und
nördlich von Salonichi ist es, wie in der grossen Mehrzahl
der macedonischen und in allen bulgarischen und thrakischen
Dialecten, geschwunden. In den erwähnten Punkten ist also
der Debradialect alterthümlicher als die beiden südlichen. Aus-
drücklich will ich noch bemerken, dass ich in diesen drei Dia-
lecten keine Spur vom Infinitiv gefunden habe, auch im Debra-
dialect nicht, trotzdem gerade darauf meine Aufmerksamkeit
gerichtet war. In einem Volksliede bei Jastrebov 443 heisst
es zwar nemoj bigat, aber der Umgangssprache gehen solche
Formen ab. Die geringen Ueberreste des Infinitivs (vergl.
Archiv XVII 466 f.), die wir aus den Volksliedern des nörd-
lichen Macedoniens und westlichen Bulgariens, also aus Ge-
bieten, die dem serbischen Sprachgebiete benachbart sind und
einst auch dem serbischen Einfiuss ausgesetzt waren, kennen,
sind serbischer Provenienz und keine bulgarischen Archaismen,
wir finden sie in Dialecten, die auch sonst sporadisch Serbismen
zeigen.
142. Der ausgleichende Einfiuss der Analogie macht sich
bemerkbar in solchen Bildungen wie 1. Sgl. Präs. rehm, mohm
Ns., 3. PI. moht Ns., dessen ö, z aus den Präsensformen auch
in die 1. Sgl. und 3. PI. eingedrungen sind. Ebenso haben die
Imperative der Verba I 4, z. B. bseöi Suho, pomoZi Ns. ihren
104 VIII. Abhandlung: ObUk.
Palatal aus den Präsensformen bezogen. In derselben Weise
sind vletäh, vletehg, Ns. angelehnt an die Präsens- and Imper-
fectformen und an die 2. und 3. Sgl. Aor. Im Partie. Prät
Act. II bleiben noch die Gutturale bewahrt, z. B. reki} Ns.,
wofür schon in manchen macedonischen Dialecten, z. B. Prilep,
retel gesprochen wird. Dagegen sind die Partie, dojdel Ns.,
otkradel Bug. nach dem Präsens und Aorist neu geschaffen.
Das in den macedonischen Dialecten allgemein verbreitete
b\dam, bide (bqdq) hat sein i für i, a, o aus den vom Infinitiv-
stamme 6t- gebildeten Formen. Durch sein d (do-, de-) war es
genügend vom Präs. bijam Qrija) geschieden. Neben dem
neuen Präs. bidam kann es kein dem kleinruss. und bohm.
bul entsprechendes Partie. ln>l (bal} bol) in den macedonischen
Dialecten geben (vergl. Polansk^, Listy fil. 1893, 324 ff.). An
die Formen vom Infinitivstamm ist gleichfalls das Präs. päjem
Suho, pejam Bug. angelehnt, in umgekehrter Weise in einigen
slovenischen Dialecten Steiermarks pojati. Verschiedene Modi-
ficationen erfuhr £bfi$ zeti. Wir würden fria, £nam oder hiam
erwarten. Diese Form finden wir in der That in Suho: znam,
ine. Im Dialect nördlich von Salonichi wurde das Verbum
in Cl. I 7 überführt, daher inijhm, im Debradialect in die CL
16: znea; ein £»£- liegt auch dem montenegrinischen inijem
zu Grunde, im Dialect von Lastovo ist es in die III. Cl. über-
getreten: ifiejen.
Präsens.
143. 1. Sgl. Im Dialect von Suho wurde das -m der athe-
matischen Verba auf alle Verbalclassen ausgedehnt, z. B. <£>/-
dam7 pbdam, prhndam, ptetam, ttnam, zbvam, mbgam, sporn,
püram, digarn, vikam, faHam, ntitam (nolo), käZtivam, &äkam,
skäkam, IHam, ätivam, zavlvam, sfivam, kbvam, natürlich auch
j&fn} imaTn.
Bei den Verben IV. Cl. ist der Consonant vor der Endung
erweicht und es erscheint vor m der Laut §: küp§m, üstävpn,
lbti§m, hbd§m, vüfym, trbp§m7 nbspm, tüfgm.
Auch in anderen Verbalclassen erscheint nach den Pala-
talen und erweichten Consonanten nicht -am, sondern -fw:
8luS§m, cuj§m, klqfigm, päj$m, igraj§m} %'$m; bei den Verben
V. Cl. gewöhnlich -#m nicht -gm, wahrscheinlich unter dem Ein*
Macedouiacho Stadien. 105
fluss der anderen Verba dieser Classe, die -am zeigen: videfqm,
klepam (die Augen schliessen), kaiqm, titfäfam, zatväfam.
Wie schon die angeführten Beispiele zeigen, wurde bei
den Verben V. Cl. aje in a contrahirt, doch noch igräjgm,
igräj (3. Sgl.), igräj§t aber igräi. — umlvam und umijgm}
poJcrivam.
Gegen unser Erwarten lautet von jesmb die 1. Sgl. sa,
n'äsa, daneben notirte ich mir auch sim und sam, letzteres an-
gelehnt an sa oder Analogiebildung nach der grossen Anzahl
von Verben auf -am.
Bei den Verben I. und II. Cl. trat -m an a = q\ am
wurde dann mit den Verben V. Cl. ausgeglichen; die Verba
IV. Cl. entwickelten ihr q zu §, daher -gm.
144. Auch im Dialect der nördlichen Umgebung von
Salonich i ist in der 1. Sgl. -m verallgemeinert. Nur in Ns. no-
tirte ich mir zwei Beispiele ohne -m, wovon auffallenderweise das
eine ein Verbum V. CL ist, wo wir gerade -m erwarten würden:
pita, Tci vjahna. Sonst in Ns. nur -am bei Verben V. Cl. und
sogar IV. Cl., nur wenige der letzteren haben -im; -im neben
-am erscheint auch bei den Verben I. Cl.
Ns: thpam, prkdam, zhnam, bldam, mb&am, dünam, päd-
nam, obpiam, rabbtam, naredüvam, fädam, pläcam, vädam, ja-
harn, lliam, dfiam^ hodam, imam\ — no*im, smefom, mföim,
jädvm, reto/rn, bijvm und bij#my inifom, tkaj§m, *im.
Gr.: iteam, jaham, hbdam, rästam, moltam, Snipm, jadim,
nonm, pi$§m.
Bug. : zhnam und zhiam, pejam, brbjam, mljam, tiiam,
pbtüvam, Jcupüvam, sluSam, kilpam (kaufen), sejam, plujam,
jadam, dam etc. — mozzm, öufom, £nijzm} *im. Uncontrahirte
Formen igräjam, znaiS neben znam.
Vat. -im, -am: mozvm, petvm, znijvm, hodim neben Jfl
hvm, föiim, fä6vm, plä6hm9 pädvm, izväävmy igräfom, doch VI
igräm, 8hm] — df&qm, stbjnm, mfogm, jadqm} Ki dojsam, velam,
znam. Durch Contraction -um aus -uvam: stretum, aber auch
vpnüm9 u vielleicht wegen des m.
Var. Neben -im schon -um, das auch im benachbarten
Dialecte von KukuS erscheint: &£im, dbnesim, öetom, bä\m,
igräjran, mo/im, ffXvm etc. und 8üdumy pe&m7 motfrm, rabotum^
prhdPm, uikp*m und znäm. Wie ich schon im Archiv XVI 159
106 Till. Abhudlaog: ObUk.
erwähnte (vergl. jetzt MiletU, C6M. IX 58) beruht -am auf •«,
das zu ^ wurde, an das dann durch die Analogie m trat Auch
um erklärte ich Archiv XVI 195 aus älterem -*m durch den
Einfluss des m (vergl. Miletiö, C6M. IX 57).
145. Von den drei Debramundarten fehlt in Gal. und
Kl. durchgehends -m, nicht einmal die Verba V. CL haben es, ja
sogar bei den athematischen Verben wurde es durch die Ana-
logie aller übrigen Verba aufgegeben und sum zu tu. Der
Schwund des m in su ist jungen Datums, worauf die Entwick-
lung des ^ zu u vor m hinweist. Bei dam und jam half sich
die Sprache durch Neubildungen, die von der 3. PI. ausgingen,
und schuf die 1. Sgl. dada, jada statt eines zu erwartenden
da, ja.
Gal.: bda, bida (badq), shda, spüja, inea, trija, peja, zhna,
tkäja, potna, migna, znoa, gUda, porofa, praia, stbja, rUa,
Ibza, dada, jada, ima, vräta. Auch bei den Verben IV. CL
•a mit Verlust der Weichheit des vorausgehenden Consonanten,
z. B. mola, küpa, naprava, obesa. — *tt; nh6u ist betreff seines
u von su zu trennen, es ist ein Serbismus.
Ganz derselbe Bestand in KL: 8jnja, düja, stritva, fakta,
pläSta, pUa, kopa (baden), zkma, stbpa, stbra, misfa mit be-
wahrter Weichheit des Consonanten; *u. Daneben notirte ich
mir zwei Beispiele mit -m: znfrm, zndm. Auch in den aus dem
Debragebiet veröffentlichten Volksliedern findet ein Schwanken
zwischen -a und -am in der 1. Sgl. statt, darunter auch znam.
Anders in der Mundart von Oboki. Hier endigt die
1. Sgl. auf -a und -am; ich notirte mir einigemal sogar von
demselben Verbum beide Formen, am: odam, dojduam, zhmam,
p'hram, kinam, mb£am und mbgam, umiram, krenuam, sfrnuam,
stretuam, nbfcivam, baram, praSam, pbprakam, str&kam, vraKam,
fakam, heam, javam, päsam, mislam, znam, imam und ima,
jadam und jada, dam, pijvm und piJ9; süm, neöhm. a: pleta,
splja, Kbpa und die bereits erwähnten Doubletten.
Ich war zuerst geneigt dies Schwanken zwischen -am und
•a in Ob. als Dialectmischung aufzufassen, da die Sprache
meines Gewährsmannes auch sonst manche Abweichungen von
dem Ortsdialect zeigt, und nur in den Formen auf -a die reine,
ungetrübte Volkssprache von Ob. zu sehen. Jetzt bin ich
doch einigermassen schwankend geworden. Ich finde dasselbe
M*c*ioni*che Stadien. 107
Schwanken zwischen ~a and -am in den Volksliedern aas dem
Debragebiet. Allerdings deckt sich die Sprache der Volks-
poesie nicht ganz mit der Umgangssprache , insbesondere gilt
dies von den Volksliedern aas dem nördlichen Macedonien,
aber das Schwanken zwischen -am and -a kann doch nicht
allein durch diesen Gegensatz erklärt werden.
146. 2. Sgl. Diese endigt, wie überhaupt im Balgarischen,
nur auf -£. Nirgends auf bulgarischem Sprachgebiet hat sich
eine Spar von -ti erhalten. Die Endung -si rettete nur jesmb.
Suho: lovi8, pUl$, mb2e$9 hbdiS, i§tü7 kiafiU, iu$, pä§
(p&ti)j plu$, pirl$} igrää, znäti, viüi, brüflS, trapüä, türiS, zhva§,
küviif thnU, nal*äva$f dünishü, zapoi (zapojde$), niSteS (nolis),
auch jidbL Es erscheint demnach , abgesehen von rein laut-
lichen Veränderungen, in der 2. Sgl. durchaus der Schlussvocal
des Präsensstammes.
Dialect nördlich von Salonichi: Ns. prldU, rlZU,
id£§, nbsts, zhnU, huodi§, bV&, zni>S9 düni§, pitüvaS, fätaä, ra-
bbieiy si. — Gr. &ni§, si. — Bug. A£i£, IvbU, pei§f broi$, seiS,
pluiä, znäü, rabotaS, shbhß, sluSU, JcupüvaS, sogar daS,jadi$}
si. Zu erwähnen ist ne mojS; Vat. stoiS, Hgraiä, inij§} znai§,
piji} küpi§, fälU7 velU, pehS, jade§, ne inoS, und sogar vfnüS,
stretul-, Vard. igräü, znäiS, doj8, dbnsU} ll&ti.
Wenn bei den Verben I. — IV. Cl. in der 1. Sgl. -am
(~%m) gegenüber -«£ und -U erscheint, so liegt da keine Ana-
logie nach den Verben V. Cl. vor, sondern a fo) von -am ist
der Reflex der alten Form auf -a. Dagegen ist iS über die
Verba IV. CL hinaus ausgedehnt, es ist kein lautlicher Process,
wie schon M. Ivanov C6M. VIII 115 (vergl. Archiv XVII 178)
richtig erkannt hat, sondern eine Analogiebildung nach den
Verben IV. Cl., die durch die Entwicklung des unbetonten e
zu i angebahnt wurde. Interessant sind die beiden Formen
mojs und moi, die man auch in anderen Dialecten, z. B. Prilep,
Ochrida mojif findet. Schon Ljapunov (HtcKOJBKO c&OBi o
rosop. .ayKOÄHOBCK. y63A& 1894, S. 34) erklärte sie durch den
Schwund des intervocalen & und verwies auf die 1. Sgl. wio/a
im Dialect der ungarischen Bulgaren, auf moieme der Sieben-
bürger Bulgaren. Daraus mbU, mo|£, mojs und nach Schwund
des j (vergl. poam Prilep, doä Kostur) mo$. Schon im Prager
bulgarischen Katechismus aus dem 17. Jahrhundert finden wir
108 VIII. Abhandlung: ObUk.
alle drei Formen Aioiurk, mohutk, Aieurk IlCn. XLIV. Jeden-
falls muss früher der Schwand des i als der des unbetonten e
eingetreten sein, denn in Vat. wird mo&me, motte gesprochen.
Es mag der Schwund des unbetonten e in diesem Verbum ge-
radezu durch die Anlehnung an die 2. Sgl. moi gefördert
worden sein, vergl. im Slovenischen holte angelehnt an hoc.
Warum blieb der Schwund des intervocalen l auf die 2. SgL
beschränkt? Wahrscheinlich fand er eine Stütze in dem Dissi-
milirungstriebe , denn im Silbenanfang und -schluss stand ein
Palatal (t — *), vergl. den Wandel des 6u£d zu tuzd. Eine
Form moi kennen auch andere slavische Sprachen. An eine
Dissimilation von moil aus moie$ zu mojS, wofllr wir Parallelen
aus verschiedenen slavischen Sprachen hätten, zu denken, ver-
bieten die Formen moji>7 moieme. Für die Dialecte von Prilep,
Ochrida, wo der intervocale Consonant (d} v} g) vielfach schwand,
ist der Ausfall des i verständlich. Aber auch bezüglich des
Dialectes nördlich von Salonichi ist zu beachten, dass wir diese
Form gerade in der Sprache jener Dörfer finden, die auch
sonst Neigung zu Kürzungen und Consonantenschwund zeigen,
z. B. dorn, doji, hom in Vat.
Auch in den Debramundarten erscheinen in der 2. Sgl.
gegenüber der für alle Verba gleichlautenden 1. Sgl. auf -a
verschiedene Präsensvocale, also -eSy -i$, -a8. Gal. bide$,pe£e$9
vleces, seceS, 2nee8, poöneS, neKeS, jade$, fatiS7 molü, napravis,
8toU7 dava§, gledaS, imaS. — Kl. 2nee$, 8tori§. — Ob. ide$7
dojdeS, najde§ und sogar oj§} pleteS, p'ereS, pletei, pas9$9 dtfh
moli§, momi§7 praü, ima§, krenuaS, baraS.
Anm. Die 2. Sgl. auf -h lässt sich im Bulgarischen
bis in das 12. — 13. Jahrhundert hinauf verfolgen (Parimej.
Grigoroviö), wenn auch nur in vereinzelten Beispielen.
Erst in der Troj. priäa sind solche Beispiele zahlreicher
(Lavrov 192, CofioaeB. JKMnp. 1894, Juni 435). Wenn
das Bulgarische neben -H von altersher auch ein -h hatte,
so ist es auffallend, dass wir in den Denkmälern des
11., 12. Jahrhunderts nicht einzelne solche Formen
nachweisen können. Wir finden ja in den sogenannten
pannonischen Denkmälern einzelne Abweichungen in der
Conjugation zu Gunsten eines vom Altslovenischen einiger-
Macedonisehe Studien. 109
inassen abweichenden Dialectes, z. B. Schwand des -fo
in der 3. Sgl., Imper. wie da£di.
147. 3. Sgl. Im Dialect von Suho und der nördlichen Um-
gebung von Salonichi erscheint die 3. Sgl. ohne t, während
die 3. PL ihr t bewahrt hat. Suho: ine, küvl, jidk, hbdi, boü,
trgpk, leü, daidt, Uti, skäka, zh)a, igräj, düj, päj, 6äj, brüji,
cuj, je. Nördlich von Salonichi: Ns. cvlte, blde, prldl, znaj,
§V, inV, tka?, bij, tipa, dbidi, vfni, llii, &zime, nosi, prüdava^
Gr. pbmoie, raste, nbsi, Ugra-, Bug. moie, c&fti, igraji, Öuji,
peji} küpi, rabbtay rüga, je; Vat. duje, mbie, hbdi, fäll, vWl\
Vat. dojde, doi (säugen), vfne, kära.
Die Debramundarten haben t in der 3. Sgl. noch be-
wahrt, trotzdem dadurch bei der Mehrzahl der Verba (mit
Ausnahme der der V. Cl.) die 3. Sgl. und PL zusammengefallen
sind. Bei den Verben V. CL steht dem -at der 3. Sgl., -aet
in der 3. PL gegenüber. Gal. bidet, pocnet, peöet, setet, zneet,
spijet, jadet, daet, molit, db&it, tutit, bolit, stoit, imat, gledat,
begat, aber nur je, wie auch die 3. PL nur %e lautet; — Kl.
bidet, cutet, ieet, £ne% sonit, o&enit% bolit, atorit, hopit, nemat,
izlagat, zbirat ; — Ob. p*eret, jadet, pasdt, dojddt, mislit, plivat,
imat, faätat, doch e (jesth).
Die Debramundarten theilen diese Alterthümlichkeit mit
der ganzen nordwestmacedonischen Dialectgruppe. Auch in
den Dialecten von Gostivar, Kicava, Ochrida, Resen, Bitolj,
Prilep, Moriovo hat die 3. Sgl. noch -t, aber schon im Dialecte
von Veles und Lerin und weiters in allen anderen macedoni-
schen Dialecten ist -t geschwunden. Wie Cod. Suprasl. und
die wenigen Beispiele im Evang. Zograph. zeigen, wurde -tb
der 3. Sgl. auf einigen Gebieten des Bulgarischen schon im
11. Jahrhundert, wenn nicht allgemein, so wenigstens zum
Theile, aufgegeben. Vereinzelte Beispiele ziehen sich durch
die sogenannten mittelbulgarischen Denkmäler und die bulgari-
schen Urkunden (vergl. Lavrov 192). In den Formen ohne -t
wollte man die 3. Sgl. des Injunctivs mit der secundären indo-
germanischen Endung t erblicken, das schon im Urslavischen
im Auslaute schwand. Soll man nun auch für e st. jestb, dem
man nicht bloss im Cod. Suprasl., sondern auch in solchen alt-
sla vischen Denkmälern begegnet, die sonst tb in der Sgl. durch-
110 Yin. Abhandln*: ObUk.
wegs festgehalten haben and das auch in den Debramundarten
erscheint, trotzdem in denselben alle Verba -t zeigen, ein uraltes
est neben esti annehmen und nicht Schwund des auslautenden
st (stb)? Durch das Verstummen des auslautenden t in solchen
Fällen wie It* etc., kann der Schwund des t in der 3. SgL
nicht erklärt werden, ersteres ist gewiss erst in neuerer Zeit
eingetreten, und wir finden des, mlados etc. besonders in jenen
macedonischen Dialecten, wo die 3. Sgl. noch auf -t endigt.
Der Schwund des t in der Sgl. muss also davon ganz getrennt
werden.
148. 1. Plur. Die 1. PL endigt in allen drei Dialecten bei
allen Verbalclassen auf -wie. Wir finden -me sogar in Gal. und
Kl., trotzdem hier die 1. Sgl. durchwegs auf -a (aus q) endigt
Dies zeigt, dass -wie nicht auf dem Differenzierungstriebe gegen-
über dem -wi der 1. Sgl. beruht. Die 1. PI. auf -me ist uralt
und setzt nicht ein altes -rm voraus, das im Altslovenischen
erscheint. Ebenso endigt die 1. PI. Aor. und Impf, auf -me»
Suho: öüjmi, igrajmi, hbdimi, vijmi, gledami, pojmi und
8ni (jesrm), wahrscheinlich angelehnt an ni (mi).
Dialect nördlich von Salonichi: Ns. pridime, zhnime,
jademe, Hgräme, hubdime7 «wie; Gr. jadme, jähame; Bug. da-
derne, pejmi, küpime^ plujmi, mijml} mo&eme, «wie; Vat. moime;
Var. nbsimi, dbjdmi.
Debradialect. Gal. peteme, se6eme, daeme, neJceme, mo-
lime, gledame; Kl. ine'wie, odime, öakame, kopime auch kbpit,
kbpite; Ob. jäd?me7 pier9mef mislime, imame, sme.
149. 2. Plur. Die 2. PL hat ohne Unterschied der Genera
die Endung -te. Suho: iHiti, 6üjti9 igräjti, **t. — Ns. h*bdite.
predite, mo£ite\ Bug. ti£ite7 Znijte, sejti, dadte; Vat. moHe;
Var. dojte angelehnt an die 2. SgL dojS aus dojdeä. — Gal.
jodete, petete, molite, puäüate; Kl. storite, kbpite, püHte; Ob.
daete, mislite, aber sve statt ste} wie in Ochrida sfe neben sie
fflanK. III 1G9.
150. 3. Plur. Diese hat in allen drei Dialecten -t be-
wahrt. Suho: gledat, predat, Znat} jedat, \$tat, pikät und peX&j
hbdet, klänety ciijet, pä>et, brüjet, igrajet, aber 8a.
Dialect nördlich von Salonichi: Ns. krädht, rhht,
vle&bt, mbibt, jadht} Znipt, bidht, hubdht, nbsit, znajit, rabotat,
dävat, pläcat und n; Gr. jadbt, zborüvat, 8h; Bug. dadht, ßitf,
Maeedonisolie 8tadien. 111
rabbtat, skbkat, 8i; Vat. rabubtat, dopt angelehnt an dbjS und
dojte; Var. rabbtat zur l. Sgl. rabbPm, igräat zu igräjim,
znaat zu znam, aber znaii aus znajeS, utejAt.
In Var. erscheint bei den Verben V, 1. Cl. nicht -at,
sondern noch die altere Form -aat: igräat, znaat. So viel ich
aus den mir vorliegenden Sprachproben zu ersehen vermag,
ist die 3. Plur. auf -aat den südmacedonischen Dialecten un-
bekannt, besonders nicht vorhanden in dem Nachbardialect von
KukuS. Solche Formen finden wir in den centralen Dialecten
Macedoniens, z. B. Veles, Prilep, Moriovo.
In den drei Debramundarten endigt die 3. PL der Verba
V. Cl. ausnahmslos auf -aet (-ai*T*k), das wir auch im Dialecte
von Prekodrin und Ochrida neben den gewöhnlich schon assi-
milirten Formen auf -eet finden. Wir würden in der 3. PI. in
den Debramundarten um so eher -at erwarten, da in der
Mundart von Gal. der Präsensvocal auch in die 3. PL ein-
gedrungen ist, daher molit. Letztere Neubildung zeigt auch,
dass der Grund für die unterbliebene Contraction nicht in dem
Umstände zu suchen ist, dass dann die 3. Sgl. und 3. PL in
einer Form zusammengefallen wären.'! Die Form -aet beruht
auf altem -aiftT"k.
151. Noch eine andere Eigentümlichkeit bemerken wir in
der 3. PL Bei den Verben I. Cl. ist in alle drei Mundarten der
Präsensvocal e aus den übrigen Präsensformen mit Ausnahme
der 1. Sgl. eingedrungen, daher peöet. In Gal. wurde in dieser
Weise auch das i der Verba IV. CL auf die 3. PL übertragen:
molit, in EL und Ob. dagegen noch molet, das vielleicht gar
nicht direct älterem molgtb entspricht, sondern eine Analogie-
bildung nach den Verben I. CL mit gleichzeitiger Anlehnung
an das e von aet ist. Es ist demnach vielleicht auch in Kl.
und Ob. molet aus moletb zu molit umgestaltet worden. Wenig-
stens *e, für das wir sa erwarten würden, muss eine Nach-
bildung sein. Eine derartige Herübernahme der präsentischen
Vocale in die 3. PL ist auch in einigen nordmacedonischen
Dialecten nachweisbar : in Eratovo idev aus ideu (u = q), metev
wie im Sloven. nesejo molijo, vergl. Miklos. I2 369, Archiv
XVII 142. Einige Schwierigkeiten bleiben aber doch bei der
hier vorgeschlagenen Erklärung des se bestehen. Im Dialect
von Kostur, wo auch diese Form existirt, ist se verständlich,
112 VITI. Abhandlung : Oblak.
da daneben sogar rabote, aobere gesprochen wird. Dagegen
kann im Dialecte von Prilep set und se and Moriovo $et nicht
in dieser Weise erklärt werden, da hier sonst die 3. PL nur
auf -aty -aet endigt.
Die 3. Sgl. und PL sind demnach bei den Verben I. CJ.
in allen drei Debramundarten, bei den Verben IV. CL nur in
Gal. zusammengefallen.
Gal. seiet, peöet, intet, spiet , jedet, molit, sudit, tozit
gledaet, porotaet, robotaet und se; Kl. tkaet, störet (3. SgL
storit), odet, piset, se\ Ob. jadet, p{erety cutet, mislet, bglet,
imaet, dävaet, izlagaet neben se.
Vom Dual fand ich keine Spur.
Das zur Bildung des Futurums angewandte Hilfsverb
jfOUJTft hat für alle Personen und Zahlen dieselbe Form und
zwar im Dialect nördlich von Salonichi #f, in einigen Dörfern
geradezu Eif im Debradialect Jca. Ersteres ist die 3. SgL, letz-
teres die 1. Sgl. Als selbstständiges Verbum in der Bedeutung
, wollen' wird es in gewöhnlicher Weise conjugirt, nur in der
1. SgL erscheint in Gal. -w, also: ne6u, neJceä , neJcet, nekeme,
neUete, neJcet (Gal.). Im Dialect von Suho wird das Futurum
durch die Verbindung von za mit dem Präsens ausgedruckt
(vergl. §. 161). Gal. Jca si oda} ti Jca rnefatis, mije Ua toHme; Kl.
Ua stbra, Ua storiS, Ua storit, Ua störet.
Imperativ.
152. Im Dialect von Suho ist vor allem hervorzuheben,
dass bezüglich des Vocals vor der Endung noch der Unterschied
zwischen dem Singular und Plural des Imperativs festgehalten
ist: das i des Singular ist noch nicht in den Plural einge-
drungen. Dieser Unterschied wurde sogar über seine ursprüng-
lichen Grenzen ausgedehnt, denn auch bei Verben III.8 und
IV. CL erscheint im Plural der Reflex des *k nach Analogie
der Verba I., II. und V. 3 CL Diese Analogiebildung finden
wir innerhalb des Slavischen überall dort, wo zwischen dem i
des Singular und dem *k des Plural unterschieden wird, z. B.
im Kaj dialect gasete, prosete] Ro2i6 Kajkav. dijalekat 152 ff.,
Archiv XVII 288 und im Kleinrussischen. In Suho ist im
Singular unbetontes i vielfach geschwunden. Suho: zäkalni,
Makedonische Stadien. 113
zakah'iäte, pot (pojdi), podät, JcaS7 ka&äte, phc, pecäte, bseci,
üääcäte, bbleöi, nos, nofäti, tumi, turn'äte, dbkari, dükaidüti,
vhni, vefiäti, küp, kup'äti.
Diese Imperative erinnern an die altslovenischen Imper.
bijate etc., nur erscheinen sie gerade bei jenen Verben nicht,
die im Altslavischen Imperative auf -a bilden. Wären das
gleichartige Bildungen, d. h. würde asl. bijate eine Analogie-
bildung nach nesete sein, wobei *k den Lautwerth von a, 'ä
hätte, so müsste sich in den mittelbulgarischen Denkmälern
eine allmälige Zunahme und Ausbreitung dieser Imperative
nachweisen lassen. Dies ist nicht der Fall. In den mittelbul-
garischen Denkmälern sind derartige Imperative seltene Ar-
chaismen oder gar nicht vorhanden, in den heutigen Dialecten
aber stark verbreitet, doch in ganz anderer Richtung als im
Altslavischen. Deshalb möchte ich heutiges kaiäte nicht in
unmittelbaren Zusammenhang mit asl. piiate bringen.
Daneben auch pbkri, pokrijte, bmi, umijte, Vlj, fyjte, denn
bei diesen Verben gab es schon in alter Zeit kein i im Im-
perativ, deshalb konnte es auch durch *k nicht ersetzt werden.
In neuerer Zeit wurde unbetontes aj der Verben V. Cl. öfters
zu ej9 ij: iäkaj, aber iakejte, Setej, Setijte, vücij, vücijte, mäckaj,
ma&kijte9 aber pltaj, pitäjte. Diese Imperative auf -ej, ejte sind
keine Contamination von Imperativen auf -i und -rk, denn dann
müs8ten sie vücüjte lauten, man müsste dann ausserdem an-
nehmen, dass der Sgl. auf -ej nach dem PL umgeformt ist. —
tacTH hat im Sgl. den alten Imper. jä§, im PI. wurde jedoch i
durch *k verdrängt: jidäte; dam hat dagegen bereits daj neben
dadäte. Bekanntlich erscheint der nach dem Präsens neu ge-
bildete Imper. daj einigemal schon in den Denkmälern des
reinen Altslovenischen (Cod. Zogr., Mar.). Beispiele aus mittel-
bulgarischen Denkmälern vergl. bei Lavrov 208. Altes jaJtd
hielt sich dagegen so fest, dass es in manchen Dialecten sogar
in den PI. eindrang: jaite (vergl. kajk. jette).
153. Im Dialect nördlich von Salon ichi lässt sich im Im-
perativ eine Reihe von Analogiebildungen beobachten. Manche
Verba bilden die 2. PI. Imper. auf -ejte, -e>te. Es sind grössten-
teils Verba I. Cl., z. B. prede>te, Sgl. prhdi. Es scheint mir
noch am wahrscheinlichsten, dass dabei nach dem Verhältniss
der Verba V. Cl. e als zum Imperativstamme angehörig ange-
8i«sangsfa6r. d. phiL-hist. Cl. CX1XIY. Bd. 8. Abh. 8
114 VIII. Abhandlung: Oblak.
sehen wurde, pitab, pita etc.: pitajte = predei, prede etc.:
prede>te. Dann mtlssten wir annehmen, dass von den Verben
I. Cl. diese Analogiebildungen auch auf die III. 2 und IV. CL
ausgedehnt wurden, was keine Schwierigkeiten machen würde,
da, wie wir gesehen, ja auch sonst im Bulgarischen der Im-
perativ bei den Verben IV. Cl. nach Analogie der Verba I. Cl.
gebildet wurde.
Eine andere Neubildung erscheint hauptsächlich bei Verben
I, 7 und III, 2, und zwar im Plural. Derselbe lautet auf -ajte,
z. B. df£ajte. Es ist dies eine Analogiebildung nach Verben
V. Cl. unter gleichzeitiger Anlehnung an die 1. Sgl., die auf
-am endigt, und das Imperfect. Einen derartigen Unterschied
zwischen dem Sgl. und PI. des Imperativs wie in Suho gibt
es hier nicht, falls man nicht mit Miletiö C6M. X 37 predejU
als Verschränkung vom Imper. predete und anderen Imperativen
auf -ite auffasst. Imperative auf -ite sind hier sehr selten.
Bei dyzajte kann schon wegen des a nicht leicht an eine solche
Erklärung gedacht werden. Im Auslaute ist auch hier unbe-
tontes i oft geschwunden.
Ns. predig predei te9 zem, zem&te, rißt, re&>te, vlh6i, rfe-
£e>te, sbci, setete, pomo£i7 ml$i} vid, vide*ti, bij, bijVti, hubdi,
huode?ti, nbsiy nos&ti, smhj, smejäjte, dfz%} drZaJte, m££i, mUa>ti,
£nV, £na>te} £eUljte} aber rabbtite, rabbti. Kein jaid7 sondern
nur jadi, jadettl.
Gr. £n#, inaHi, peöi, pet&te, jadi, jodelte , die Form ja*
finden wir hier in der 2. Sgl. Präsens.
Bug. donci (donesi), donc&te, jrätft, peöe>te, öuj, bujetto,
kupij Jcupe>te, plußjte, daj, dad&te, jädiy jodelte, vidi, vide>tef
vfdzi, vrdzdSti, p£j, pejaJte, sijdjti.
Vat. vfviy vrvefte, küpi, kwp&ti, fäli, fatyjti, fäti, fatejti,
fä6ij} fa6b?tl, dojsl, d°J8e^te (donesi), auch räbütejti, wofür in
Ns. rabotite, zni>, zn&ti, m°l6i, m°Ua?ti} pitij, pitdjte, Igrij,
igrajajti, gtedij, gleddjte, fäMj, fafafa, *toj, st/)ja>ti, ausser
dem pomof.
Var. Auch hier rabotßte, aber igri angelehnt an das t
des Imperativs der meisten Verba, nachdem unbetontes aj zu
ej, ij geworden war, wodurch ohnedies * igrij sich schon stark
dem Imperativ auf i genähert hatte. Weiters igriajH, dbnsi,
donU&te, mole*te.
Macedonische Studien. 115
154. Die Debramundarten haben sich grösstentheils von
den im Balgarischen sonst üblichen Neubildungen im Imperativ
freigehalten. Wir finden hier nur solche Analogiebildungen, die
sich auch in den übrigen südslavischen Sprachen belegen lassen,
so peci, daj, jadi. — Gal. spi, vleöi, peti, fäli, falite se, na-
pravi, napravite, vidi, vidite, gledaj, gledajte, daj, dajte, jadi,
jadite. — KL zemi, znej, Znejte, tkaj, tkajte. — Ob. cakaj,
cakajte.
Aorist.
155. Wie überhaupt im Bulgarischen, so haben sich auch
in diesen drei Dialecten vom einfachen Aorist und alten 8-
Aorist keine Spuren erhalten. Dafür lebt aber der zusammen-
gesetzte' Aorist auf -oH und -hr> kräftig fort. Die heutigen
Formen desselben weichen von den altbulgarischen in einigen
Personen ab. Die 1. PI. endigt jetzt auf -ohme, z. B. predohme
gegenüber ab. -ohorm, sie ist angelehnt an die 1. Sgl. predoh,
und die 3. PI. predohh, es wurde predoh gewissermassen als
der Aoriststamm betrachtet. Nicht so sehr kommt dabei, wie
M. Ivanov C6M. VIII 133 meint, die 2. PI. auf -8te in Betracht, da
in dieselbe das -A erst spät eindrang, während wir die 1. PI.
ohne o, also in heutiger Form, schon aus der Trojan, prica be-
legen können, -me von -Arne ist identisch mit dem Personal-
suffix der 1. PI. Präsens.
Allgemein bulgarisch ist die 3. PI. Aorist auf -Aa (-)f*)>
z. B. predohz. Sie lässt sich schon aus dem 12. Jahrhundert
belegen, z. B. aus dem Pogodin. und Bolog. Psalter (vergl.
Lavrov 204, Kaiina II 165), aus dem Paremejnik Grigorov.,
z. B. (Dsp'k30)f& cf, im Miroslav. Evang. serb. Kedact., aus dem
Ende des 12. Jahrhunderts, das gleichfalls aus einer bulgarischen
Vorlage geflossen ist, Bk3pdA*BA)fio a Luc. XXII 5. Jenem
südmacedonischen Dialecte, in dem im 0. Jahrhundert das
kirchenslavische Schriftthum begründet wurde, war diese Form
fremd. Wenn wir berücksichtigen, dass die 3. PI. Aorist schon
in den ältesten Denkmälern aller drei westslavischen Sprachen
übereinstimmend auf -A^ lautet — chq kann jetzt aus dem
ältesten polnischen Sprachdenkmal, den Kazania Swietokrzyskie,
belegt werden — so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese
Form schon im Urslavischen bei den Vorfahren der Böhmen,
8*
116 VUI. Abhandlung: ObUk.
L. Serben and Polen bestanden habe. In der That stimmt die
3. PL auf -hq (*-hont) besser zur 1. Sgl. auf -A* und 1. PL
auf -härm als -*£ (*-hent oder *h'$t), vergl. im einfachen
Aorist in der 1. Sgl. -*, 1. PL -owi*, 3. PL -a. Das Verhält-
niss von -H zu -ha ist dasselbe wie von der 3. PL -f des
alten «-Aorists, z. B. proba8% zu dem -q des einfachen Aorists,
z. B. vbnidq. Fürs bulg. -hq ist mir der urslavische Ur-
sprung desselben einigermassen zweifelhaft. Formenüberein-
8timmung bedingt noch nicht gemeinsamen Ursprung. Das
sehen wir schon an den balgarischen Aoristen wie predeh, die
zwar mit dem Aorist in den westslawischen Sprachen überein-
stimmen, aber Neubildungen jungen Datums sind. Heutzutage
ist -Aa (aus -hq) ganz allgemein im Bulgarischen, bis auf
einige Nachbardialecte des Serbischen; asl. -lg zeigt , dass im
9. Jahrhundert die 3. PL Aor. noch nicht auf dem ge-
sammten bulgarisch-macedonischen Sprachgebiet auf -ha endigte.
Von den sogenannten pannonischen Denkmälern, die gewiss in
verschiedenen Gegenden des bulgarischen Sprachgebietes ge-
schrieben wurden , zeigen einige schon starke Einflüsse eines
vom Altslovenischen (Altbulgarischen) verschiedenen bulgari-
schen Dialectes, aber ein -hq ist in ihnen nicht vorhanden.
Zu Ende des 9. Jahrhunderts gab es demnach aller Wahr-
scheinlichkeit nach wenigstens in mehreren bulgarischen Dia-
lecten keine Aoristformen auf -ha. Sie sind angelehnt an das
-hh der 1. Sgl. und das Impf.; letzteres konnte besonders seit
der Zeit, als es -sete etc. durch -ste ersetzt hatte, einwirken.
Zuletzt drang h von den anderen Aoristformen auch in die
2. Plural.
156. Im Dialect von Suho sind keine von der bulgarischen
Durchschnittssprache abweichende Umformungen des Aorists
bemerkbar. Der Aorist wird hier viel gebraucht. Ich habe
mir aus der Umgangssprache nur eine geringe Anzahl von
Beispielen für das zusammengesetzte Perfect (Part auf, -h und
jesmb) aufgezeichnet, sondern fast nur Aorist und Imperfect
Aor. : dojdüh, dbjdi (2. und 3. Sgl), dojdühmi, dojdähfy d&nk-
8Üh7 ispWctih, rlküh, rhkühmi, pri$äküh} prÖdädüh, zhh} zkhq,
pltih, ümih, bih, 6äh, 6ä, öähg,, zdignq,h, püb'ügngJi, püfcägnq*
piWägnqhg,, naspäh, naspa, naspäha, vldih, lÖvih, lövi, lÖwhmi,
lövihti, löviha, üstävih, plsah.
Macedonische Stadien. 117
157. Im Dialect nördlich von Salonichi wurde bei den
Verben I. Cl. das vor dem A stehende o durch e verdrängt,
z. B. najdeh, najdehme, najdehte, najdekb. Bei dieser mit dem
Altböhmischen und Altpolnischen gleichartigen Neubildung
waren mehrere Einflüsse thätig. Vor allem die 2. und 3. Sgl.
mit ihrem e (najde), und das Verhältniss bei den Verben HL,
IV. und V. Cl. , wo % i, a durch alle Personen und Zahlen
des Aorists geht. Nach rabotah, pravih : rabota, pravi wurde
auch zu najde die Form najdeh etc. aus najdoh umgeformt.
In jenen Dialecten, wo *k = e ist, mag zu dieser Bildung auch
das Imperfect mit seinem -eh, -ehme, -ehz beigetragen haben.
Es erscheinen aber derartige Aoriste auch in einigen südöst-
lichen macedonischen Dialecten, in denen 'ä, ea für *k ge-
sprochen wird, z. B. im Dialect von Kireökjoj und Ajvatovo.
Diese Aoriste sind eine Eigenthümlichkeit der südmacedonischen
Dialecte, ausser im Dialecte nördlich von Salonichi und den
beiden bereits erwähnten Dialecten östlich von Salonichi,
treffen wir sie auch in dem nördlichen Nachbardialect von
KukuS, weiters im Dialect von Voden (vergl. Archiv XV 76,
XVn 470).
Ns. najdeh, streich, prüdadhh, prüdade (2., 3. Sgl.) und
nicht etwa in der 2. Sgl. prüdadeS wie z. B. in Kireökjoj doj-
de$, prüdadehme, dühte, -dfcAa, predlh, prede, predbhh, refth,
vliceh, vli&hg, 8&foh} bidbh, bidihme, narböah, -<n£ähh, obrnäh,
padnäh, -hi, süriih, s&n), sünihmi, väriihti, sunt*, ein älterer
Mann sprach sünlhi; pravih, sfbdito.
Gr. dojdbh, pe6eh, porasteh, mb£bh, dolnahme, -Aa.
Bug. prldlh, Jcradlto, najdeh, vliteh, peöhh, dadeh, zbh,
zb, zkha, izdbhme, jadüh, jadkhte, udrih, padnäh, kupih, kupi,
Ahme, -ihti, -tAa, mih, mi, mihi.
Var. pleteh, pletä.
Erwähnt zu werden verdient der Aor. bih in Ns. , von
dem die 2., 3. Sgl. biH lautet, als ob es ein Imperfect wäre.
Die übrigen Personen sind: bihme, b)hti, JiAa. Die Function
des Imperfects von diesem Verbum versieht in der 2., 3. Sgl.
die Form beSe. Noch interessanter ist das alte Impf, moiah
in Ns., Bug. in der Function des Aor. In diesem Imperfect
hat sich nach dem Palatal noch altes a erhalten, es ist nicht
durch e verdrängt. Dass es als Aorist aufgefasst wird, zeigen
118 VIII. Abhandlung: ObUk.
die 2., 3. Sgl., die in den beiden Dörfern mozä und nicht mo
iaSe lauten.
158. Im Dialect von Debra verdient vor allem die 3. PL
Aor. Beachtung. Sie endigt auf -e, z. B. presekoe, napravie. Diese
Form entspricht nicht einem alten sekoi^, in dem £ durch das
h der 1. Sgl. und 1. und 2. PI. ersetzt wäre. Auch hier ging
der heutigen Form ein älteres sekohq voraus. Wir sollten
dafür 8ekova (vergl. snova) oder unter Anlehnung an die übrigen
Aoristformen sekofa oder sekoa erwarten. Auf jeden Fall war
fUr das Sprachgefühl das auslautende a die Endung der 1. Sgl,
da die 1. Sgl. Präs. durchgehends auf -a endigt. Aus diesem
Grunde wurde das a von sekoa durch das e des PI. Präs. verdrängt
In Gal. haben ja alle Verben mit Ausnahme jener der IV. CL
in der 3. PL Präs. et, -aet, in Ob. endigen sie sogar ausnahms-
los auf -et, -aet. Dies e erscheint auch im Impf., z. B. imae.
Wir finden, wie ich schon im Archiv XVI, 491 — 92 auseinander
setzte, Aoristformen otidoe etc. nur in jenen Dialecten, wo in
der 3. PI. Präsens die Endung e ganz entschieden vorherrscht
Gal.: prlsekof, -sete, -aikofine, sikofte, -sekoe\ dojdof
izvlekof, -vlhkoe, Ispekof, -pWcoe, ümref, ümrefme, iimree7 eed*jf
(z£ti), zide, zedoe, vlegof, vlegoe, skrif, nämignaf, shdnaf, legnaf,
izlogaf, -Ibgafme, -Ibgae, zägubif, krhnaf, krinae, strHif, na-
pravif, -pravi, -prafme, -pravie, zägubif, fälif, fälifme, fälie,
kilpif, khpie, späf, spa, spafme. In poönaf ist n aus dem
Präsens eingedrungen, weshalb es wie in Verben II. CL be-
handelt wurde.
Der Aor. vidof, vidofte, vidoe statt videf erinnert an das
asl. Partie. Präs. vidqste. Es ist wahrscheinlich eine Analogie-
bildung nach den Verben I. CL zur Differenzirung vom Imper-
fect, das hier gleichfalls videf lauten würde, vergl. faleh. Da-
durch erklären sich auch in anderen Dialecten, z. B. Ochrida,
btip, Eostur, Dup. Dzumaja bei den Verben III 2 derartige
Aoristformen, z. B. ostaroh, vergl. Archiv XVII 469.
KL otidoe, izlegof, -legoe, storif, storifme, vrätif iskbpif
-kbpie.
Ob. otidoe, pbrastof, -ste, -stofme, -stoße, prodaof, -daa\\
-däofme, -dädoe, zeof und zedof (zfti), zede, zedoe, aber daneben
noch das alte zefme; klnafte, slegof, sUgoe, sekof, ümref, ümre,
hmrefme, hmrde, iidrif, opraf (erschlug).
Macedonische Studien. 119
Miletiä, C6M. II 226, sieht in dem de von zede die Par-
tikel de, die auch in hade, dede, mli£ide erscheint. Dann müsste
man annehmen, dass nach der 3. Sgl. die übrigen Formen um-
gebildet worden wären, wie z. B. zum sloven. na der PL nate
oder im Serb. hajdete zu hajde, bulg. hajdete, aus türkischem
hajde /vorwärts' und rumän. haidete geschaffen wurde (Meyer-
Lübke, Zur Gesch. des Infin. im Rumän. in den ,Roman. Ab-
handlungen' 84). Mit Recht bemerkt M. Ivanov, C6M. VIII 134,
dass an die 3. Sgl. pi, pe trotz ihrer Einsilbigkeit kein de hinzu-
getreten sei, und erklärt zedoh als Analogiebildung nach dadoh
als dem Verbuni mit entgegengesetzter Bedeutung, £r verweist
dabei auf solche Redensarten wie tokmo davam, tokmo zemam,
tokmo zede, kvso dade etc., wo beide Verba neben einander
stehen.
Imperfeot.
159. Ebenso kräftig wie der Aorist lebt in den drei mace-
donischen Dialecten das Imperfect. In den Formen hat es die-
selben Umgestaltungen erfahren wie der Aorist. In der 1. PI.
erscheint -hme für altes -horm, in der 2. PI. ist 8 durch h ver-
drängt, daher -hte. Die bedeutendste Veränderung gegenüber
dem ab. Imperfect ist der gänzliche Mangel an uncontrahirten
Formen auf -'kajf'k, -AA\'k, es gibt nur Imperfecte auf -'kx'k>
-ajfk. Ebenso sind solche Formen wie peöah den westlichen
Dialecten im allgemeinen fremd und durch peöeh ersetzt, wobei
die 2. und 3. Sgl. und die Analogie der Verba I thätig war.
Im übrigen verweise ich bezüglich der Veränderungen, die
das Imperfect in den bulgarischen Dialecten durchgemacht, auf
die übersichtliche und klare Darstellung bei M. Ivanov C6M.
VIII, 123—127.
Im Dialect von Suho hat *k in jeder Lage den Lautwerth
von a oder eä, in unbetonten Silben auch e, daher im Imper-
fect kein Schwanken zwischen -äh und -e8e, sondern -'äh, -ü&i
und -4M etc.: Bäh, Basl, Bahmi, Bahti, Bäh*?, loväh, lovaH, lo-
öahmi, lovähti, lotiähq, faCäh, falett, hbdäh, kmpähmi, kippähq,
späh, 8päH, spähg, pisäh mit Umlaut des a (Aor. pUah),
VbäkaU.
Der Dialect der nördlichen Umgebung von Salo-
nich i hat noch das alte Impf. molah, wenn auch in der Func-
120 TBL Abhandlung: Oblak.
tion des Aor., igrajäh, znäjhh sind ebensowenig die alten un-
contrahirten Formen, wie das von Florinskij JleKniH no c^anau.
JI3LIK03. 142 angeführte igraeha. Es sind Neubildungen zum
Präs. igrajam. Die 1. Sgl. Präs. lautet zwar hier schon
znam, aber znajS aus znajeS, znajme etc. zeigen, dass die Con-
traction in der 1. Sgl. erst in neuester Zeit stattgefunden hat.
Bei den Verben III. 2 und IV. CL, deren Stamm auf -t, -d en-
digt, wurde für st} id neuerdings t, d restituirt, das demnach
so zu beurtheilen ist, wie pozlaten.
Ns. hodahy tkajäh, thajUe, stbjhh, stojH, beSe, tepäh, te-
pa$e, tepähb, znäjhh, znajH, znäjihh, rabotase, igrajäh] Vat.
biie (von bijq), igrtjäh. — mo&äh, mo&ä Ns., Bug.
In der 3. PL erscheint in den Debramundarten nach h
gleichfalls -e wie im Aorist, statt des Reflexes des a, der a wäre,
also falee und nicht falea. Dies e wurde aus der 3. PL Prä«,
übertragen. Kein peöaf sondern nach Analogie der gewaltigen
Majorität petef
Gal. bef} bese, befrne, befte, bee\ petef, piteSe, phöefmej
pecefte, pelee\ se krief, kriese, kriefme, krie?, p&ef7 pfcw.
peefme, peefte, pee* (dreisilbig!), kupuvaf fälef fäleäe, falee,
— Ob. täf, bese, päsef, päseSe, pasee, spief, zhmaf zemahe,
zernag (Aor. zedof zeof), plivaf, plivae\ znaef ziiäee, cäkaee
sind Neubildungen: an den Verbalstamm trat das Imperfect-
suffix -eh] es wurde nach dem Verhältniss von pases etc., pa-
sese etc. auch zu znajeS etc., znaese gebildet. Wenig glaubhaft
scheint es mir, dass znaef auf älterem uncontrahirten znaah
beruhe, dessen letztes e durch das e der übrigen Imperfecte
ersetzt wurde.
Farticipia.
160. Von den Participen hat sich am besten das Part.
Präter. Act. II (auf -h) gehalten, nur im Dialect von Suho ist es
verhältnissmässig selten, da statt desselben gerne Aorist und
Imperfect gebraucht werden. Auch das Part. Präter. Pass. ist
noch allgemein im Gebrauch. Dafür haben die Dialecte die
anderen Participien bis auf geringe Ueberreste eingebüsst.
Das Part. Präs. Act. hat sich in erstarrten Bildungen vor-
zugsweise in den nordmacedonischen Dialecten, also auch im
Debradialect, erhalten.
Macedonische Stadien. 121
Suho. Wie bemerkt ist das Participium auf -h hier
wenig im Gebrauch, ich verzeichnete mir rlkta, narästUa. Ver-
hältnissmässig stark ist hier das Part. Prät. Pass. auf -ti ver-
breitet und ist sogar über die im Südslavischen üblichen Grenzen
gedrungen. Wir finden nicht bloss digni^t (aus dvignqti), m-
knnt, sondern auch umi*änta} üfonent, eine Verbindung von
Part. umrtm, ozevem mit den auf -fo. — t, d der VerbalV. Cl.
wurden im Part. Prät. Pass. auf -em} wie allgemein im Bul-
garischen; durch die Analogie der übrigen Präsensformen resti-
tuirt; ihre Weichheit haben sie noch zum Theil bewahrt:
rüdenüy püzlatenü.
Im Dialect nördlich von Salonichi sind beim Parti-
cipium mehrere Neubildungen zu constatiren, die sich auch
in anderen macedonischen Dialecten nachweisen lassen. So
wurde dojdel (Ns.) für doHl, pridfya Bug. nach dem Präsens
und Aorist umgebildet, denn letzterer lautet hier dojdbh. Ebenso
jyrädadelij predela Ns., porasthlo Gr., otkradel Bug., aber noch
dbShi Vat., rlkvt und nicht retel Var., izdel7 izmit Vat., zeli Bug.
Das Part. Prät. Pass. auf -em hat sich gut gehalten: Ns.
bifin, pozlafenü und sogar pridojden (angekommen, angesiedelt);
Bug. oSte nVe dojden\ Vat. bijenä, mijen, navijenü, siföni, fa-
tenü, ja sogar umren äüvek, Part. Prät. Pass. auf -fo: ras-
kinäti Bug.
Vom Part. Präs. Act. gibt es nur ganz kümmerliche
Ueberreste: Ns. hodVki, dessen auslautendes i an die bestimmte
Form angelehnt ist. stlpkum ist so zu beurtheilen, wie kodej-
Jcum in mehreren macedonischen Dialecten.
Im Debradialect hat sich das Part. Präs. Act. viel
besser gehalten als in den ostmacedonischen und in den bul-
garischen Dialecten im engeren Sinne. Ich notirte mir aus
Gal. gledd'Ri, igrd'Jci, öekd'Jci, pomestovdJki. Die Form auf
-aJJci ist aus -aeJci hervorgegangen und zwar durch die Mittel-
stufe a#Ki. Diese Participien sind nicht einheimischer Pro-
venienz, sondern aus dem Serbischen eingedrungen, und
wurden später dem Dialect angepasst. So entstand aus gleda-
juKi die Form gledaeßi oder, was noch wahrscheinlicher ist, es
wurde $6 des einheimischen Part. gledaeSH infolge des serbi-
schen Einflusses durch Je verdrängt.
122 VIII. Abhandlung: ObUk
Ausserdem notirte ich mir: Gal. pH, kopai,jat, und nicht
etwa jadel nach jada, jade\ Kl. postano (aus posttano), znet\
Ob. pänat, pbraiat, imat, jävali (jahali).
Anm. Von der Vocalisation des l zu o im Part.
Prät. Act. II, von der Draganov (H3B. CLiaB. 06m. 18ö8f
Nr. 2, !)()) im Idiom von Galtänik zu berichten weiss, habe
ich nicht die geringste Spur in der Volkssprache gefunden.
Futurum.
101. Im Debradialect wird das Futurum durch ßa und
das Präsens, im Dialect der nördlichen Umgebung von Salo-
nichi durch Kl, Jcl und die Präsensformen ausgedruckt. Es
ist dies die im Bulgarischen übliche Bildungsweise. Anders
im Dialect von Suho. Hier wird za statt Ha (sia) mit dem
Präsens zum Ausdruck des Futurums angewendet, z. B. jaz
za pbdam utre u Suhb, za ti kaiam, za küp§m, i jaz za sa tarn,
ti za pire§, jaz za dojdam. Dagegen konnte ich im Dialect von
Suho eine Futurbildung mit da und dem Präsens, z. B. da ida,
die nach Matov (3a HCTop. im OcmuS ro^. othctb 25, vergl.
C6M. II, 221) hier vorkommen soll, nicht entdecken. Auch in
den aus Suho inzwischen veröffentlichten, allerdings ganz ge-
ringen, Sprachproben (C6M. IV 188 — 189) lese ich nur za stana,
za ti gu dam, za stanü, za stora etc.
Auch der Dialect von Ob. kennt die Verbindung von za
da mit dem Präsens, verwendet sie aber nicht zur Futurbildung:
ja te tekaf, za da dojdes.
Advcrbia.
162. Im Folgenden stelle ich die Adverbien und Conjunc-
tionen, die ich mir verzeichnete, zusammen. Suho: blize, netre^
gme, ütre. Nach deren Analogie auch riese (dbUbSb), dbne und
usnoSte (gestern abends); gbr'ä säkande, angelehnt an letzteres
hat auch digunde den Rhinesmus; lani, dblu, daVÜcu, mäikü*
mlbgu; tukana, tamana, domä (domum und nicht domi), plädena
seltener pladma, pomfoa (wenig), sigä, nabpükä.
Mftcedonwche Stadien. 123
Kurze Charakteristik der Dialecte.
I. Dialect von Suho.
1. t, = e7 b = o. Letzteres fast ausschliesslich in Suffixen und
im Artikel. In allen von dieser Entwicklang der Halb-
vocale bewahrten Fällen sind b7 ^ = ^ in betonten, = #
in anbetonten Silben.
2. Rhinesmas im In- and Auslaute und zwar ist & = m (*m)
in betonten, = gm in unbetonten Silben, A = en, selten
in. In Endsilben: Jk = ^ (betont), g (unbetont).
3. ± = 'ä und <ä.
4. Umlaut des a nach den Palatalen und erweichten Con-
sonanten; unbetontes tautosyllab. aj = ej.
5. Unbetontes e = i.
6. Unbetontes o = ü.
7. Ab. rb, h — r*7 is7 selten f.
8. Für urslav. tj7 dj nur it7 id7 kein 67 d — K, g.
9. Dreifaches l: t, l, i. — £ hauptsächlich vor dunklen
Vocalen.
10. h = ab. n und mj7 vor hellen Vocalen gewöhnlich n.
11. ^ eingeschränkt; einigemal £ für f.
12. Kein Z-epenth., aber im Anlaute p£
13. «r, zr wird zu str7 zdr.
14. A im In- und Auslaute bewahrt.
15. Ab. erb = Zer, ab. Hb = 2t\
16. Verlust der Declination in dem im Bulgarischen gewöhn-
lichen Umfange.
17. Nom. PL auf -iüta bei Masc. und Neutr.
18. Nom. PL auf -ovei.
19. Nur eine Form des Artikels: -t (-o)7 -ta7 -to.
20. 1. Sgl. Präs. auf -m.
21. 3. Sgl. Präs. ohne -t
22. 1. PL Präs. aller Verba auf -me.
23. 3. PL Präs. auf -t.
24. *k im Plur. des Imperat. bei Verben I. 4 und sogar III. 2,
IV. CL
25. 3. PL Aor. auf -hg, (-Jf*).
124 VIII. Abhandlung: ObUk.
26. Verlust des Infinitivs.
27. Futurbildung mit za und dem Präs.
II. Dialect der nördlichen Umgebung von Salonichi.
1. 5 = e, 7» = o, letzteres in ausgedehnterem Umfange als im
Suho und in den ostbulgarischen Dialecten, indem es auch in
Stammsilben erscheint. In allen übrigen Fällen sind b,^ = ^.
2. j& = *, nur in einigen Beispielen u; A = e, in einigen Bei-
spielen h, a.
3. -k = e.
4. Unbetontes a bleibt bewahrt.
5. Unbetontes e = 1.
6. Unbetontes o = ü, doch nicht allgemein.
7. V, l> selten n>, fo.
8. Zwei Reflexe des urslav. tj, dj und zwar Ns. 8t, 86 und id
neben 6, d — K, y; Bug. 8t, id und (5, & — K, £; Vat. *e,
£d und (f, (f — Je, ff] Var. £<f, id neben c, d — Je, £.
9. Urslav. stj, skj, zgj = H, 86 und id Ns.; 8t, id Bug.; Sc,
id Vat.; S<5, fd Var.
10. Dreifaches l: T,l,t, doch t selten.
11. Ab. nvj = n vor hellen Vocalen.
12. z
13. Kein Z-epenth.
14. sr, zr, ir = str, zdr, idr.
15. Schwund des inlautenden A in Var. (nördlichstes Dorf).
16. Ab. &n> = cf, ab. ih = i\.
17. Verlust der Declination in dem im Bulgarischen bekannten
Umfange.
18. Nom. PL auf -iiia bei Masc. und Neutr.
19. Nom. PI. auf -i8ta bei Masc. und Neutr. (Monosyllab.)
20. Nur ein Artikel: -t, ~ta, -to.
21. 1. Sgl. Präs. auf -m.
22. 3. Sgl. Präs. ohne -t
23. 2. PL Präs. durchgehends auf -W6.
24. 3. PL Präs. auf -t.
25. 3. PL Aor. auf -Äa.
26. Aor. der Verba I, 1 — 4 auf -eh, -ehme, -ehi.
27. Verlust des Infinitivs.
28. Spuren der Quantität.
Macedonische Studien. 125
III. Debradialect.
1. h = e; in allen Lagen, wo es nicht schwand, ist a = o;
t = o in jenen Fallen, wo es nicht zu e wurde oder ge-
schwunden ist.
2. Jk = o im In- und Anlaute, a im Auslaute; selten Ax = w;
a = e, anlautendes b* =/o.
3. *k = e.
4. Unbetontes a wird nicht zu & reducirt.
5. Unbetontes 6 und o werden nicht zu t9 tL
6. r, f in Gal.; f, Z und gt in Ob.; or, oJ Kl.
7. Urslav. «/, d; = So und <5, et — K} § Gal.; = **, fd und
6,ä — K,§ Ob., KL
8. Urslav. itj, skj = So Gal. ; = tt Ob., Kl.
9. Nur zweifaches l in Gal-: 2 und t, kein f.
10. rt auch vor hellen Vocalen.
1 1. % selten.
12. Kein Z-epenth.
13. *r, ir = str, idr.
14. Schwxmd des intervocalischen v in Ob., Kl.
15. A = / im Auslaute, = v im Inlaute; Schwund des inter-
voc. v aus A in Ob.
16. Ab. ort = cf Gal., Ob., = cor Kl.
17. Betonung auf der drittletzten Silbe.
18. Verlust der Declination im bekannten Umfange.
19. Dreifacher Artikel: 1. -t, -ta, -to. 2 -ü, -va, -vo. 3. -n,
-na} -no.
20. 1. Sgl. Präs. durchgehends ohne -w Gal., Kl.; auf -m und
ohne -m Ob.
21. 3. Sgl. Präs. mit bewahrtem -t.
22. 1. PL Präs. stets auf -wie.
23. 3. PL Präs. auf -t.
24. 3. PL Präs. der Verba V. 1 Cl. auf -aet.
25. 3. PL Aor. auf -e (-[h]e).
26. Ueberreste der Quantität.
Besonders sind es folgende Eigentümlichkeiten, durch
die sich diese Dialecte von der Gruppe der macedonischen
Dialecte abheben. Im Dialect von Suho: 1. Der im hohen
Grade bewahrte Rhinesmus. 2. Der Lautwerth des *k als 'ä, rä.
126 VIII. Abhandlung: Oblak.
3. Der Umlaut des a nach weichen Consonanten zu ä. 4. Die
Entwicklung des b zu e und die starke Verbreitung des i
und q, (= ä). 5. Reduction des unbetonten e zu i, des un-
betonten o zu ä. 6. i*. 7. Nur H9 zd, kein c7 d — K9 g. 8. cer.
9. 1. Sgl. Präsens nur auf -m. 10. Im Plural des Imperativs *t
11. Futurbildung mit za und dem Präsens.
Für den Dialect nördlich von Salonichi sind am
meisten charakteristisch: 1. Ersatz des Jk durch z. 2. Be-
wahrung des & (ab. b und *) in einer ganzen Reihe von Fällen,
und Abgang des a für a. 3. Aussprache des *k als e. 4. Re-
duction des unbetonten e, o zu I, u. 5. Dualismus im Reflex
des ab. st} £d, nämlich So (St) und 6, d — £, g. 6. er. 7. Aorist
auf -eh.
Im Debradialect kommen besonders in Betracht: 1. o
als Reflex des &. 2. Entwicklung der beiden Ualbvocale zu o
in allen jenen Fällen, wo b nicht zu e wurde oder schwand.
3. Aussprache des *k als e. 4. or7 ol für ab. r&, h in Kl.
5. Dualismus: Sc (Gal.), St (Ob., Kl.) und c, d — U, g . 6. Schwund
des intervocalen v KL, Ob. 7. er Gal., cor Kl. 8. Betonung
auf der drittletzten Silbe, 9. Dreifacher Artikel. 10. 1. Sgl.
Präs. durchwegs ohne -m (Gal., Kl.). 11. 3. Sgl. Präs. mit er-
haltenem -t. 12. 3. PI. Aor. auf -e.
Verzeichnis häufigerer Abkürzungen.
ab. = altbulgarisch.
Archiv = Archiv für slavische Philologie, herausgegeben von
V. Jagi6.
Bug. = Bugarlevo.
Conev — B. JJ,OHeBi>, 3a HCTomo-ÖMrapcmui BOKajH3Mii» (C6M.
III 283 ff., IV 484 ff.).
Gal. = Galiönik.
Gr. = Grdabor.
Hiev = A. T. ILmeBi», CßopHHKt ort HapoAHH yMOTBopeHra,
oönqaH h AP- CLÖpaHH hsi pa3HH (frarapcKH nospaftHHHD.
n-LpRH (yrxbA'h. Hapo^HH nicHH. KHHra I. Co*Ha 1889.
Jastrebov = AcTpe6oBfb, OötrcaH h nicHH TypenKHXt Cejtfowb.
BTopoe Hs^ame, AOnoaneHHoe hxt» nposoio. C1I6. 1889.
Macedonisehe Studien. 127
Kaiina = A. Kaiina, Studyja nad historyjq jezyka bulgar-
skiego. I. IL Krakow. 1891.
KL = Kiene.
Khhähijh = Khhähijh sa npoHHTb cb 6ejLaeTpHCTHHecK0, Texun-
necKO, HayHHO h 3a6aBHTe.AH0 CBAtp»aHHe. ü^pBa roAHiu-
HHHa. KHHatKa I— X. CoAywb 1889—1891.
Lavrov (•laBpoBTb) = II. A. .laBpoBt, Oßsop'b SByKOBHXi»
h *>opMadBHHx,B ocoßeHHOCTeft ßoarapcicaro a3HKa. MocKBa.
1893.
Matov = ^. MaTOBt, 3a HCTopnaTa Ha HOBO-öiwirapcKaTa rpaM-
Maima (im Ocmhö roAHuieffB OTierb Ha ö'wrapcEaTa m;rjk-
csa rHMHa3Ha cbb. KnpH^.ii, h Mctoahä m> r. Coajr'l. 3a
yqeÖHaTa 1888 — 89 rcwraa).
Miletiö = dl. Mhäcthtb, CTapoTO CKjiOHeHHe b* AHemHHrk
6wrapcKH HapiqHa (C6M. II 269 ff.).
Ns. = Novo selo.
Ob. = Oboki.
II Cn. = üepHOAHqecKoe CnncanHe Ha (foarapcKOTO khhäobho
Apy»ecTBo bi Cpi^ei^'b.
C6M. = CöopHHKi» 3a napo^HH yMOTBopenna, Hayica h KHHÄHna.
03Aaßa MHHHCTepcTBOTO Ha Hapo^HOTO npocBimeHHe. I — XL
Co*hh. 1889-1895.
Sobol. (CoöojieBCKiS) = A. Coöo^eBCKift, CteepKi» pyccKofi Aia-
jeKTO^oriH (JKHBaa GrapHHa IL).
Sachmatov (IlIaxüaTOBt) = A. ffiaxMaTOBi», Haoi'BAOBaHifl B'L
oßjacTH pyccKofi <t>oneTHKH. Bapmaßa 1893.
Sapkarev (EanKap.) = K. A. UlanKapeBfc, CßopHHKi orb
ßfcjirapcKH yMOTBopeHHa I — VI. Co*hä 1891.
Vat. = Vatiltk.
Var. = Vardarovci.
128 Vin. Abhandlung: Oblsk.
Anhang.
Der Verfasser der vorausgehenden inhaltsreichen Studie
erlebte nicht die Freude, seine Abhandlung gedruckt zu sehen.
Obwohl er schon am 2. December 1895 seine Arbeit der phil.-
hist. Classe zur Aufnahme in die Sitzungsberichte vorgelegt hatte,
verzögerte sich der Beginn des Satzes derselben wegen einiger
typographischer Schwierigkeiten bis in den Monat Juli d. J.,
er selbst starb aber am 15. April 1896 in Cilli. Bei der Cor-
rectur des Druckes, die ich übernahm, vermisste ich leider
häufig seine Auskunft; denn in der Eile der Abschrift der Ab-
handlung hatten sich verschiedene Versehen eingeschlichen, die
er selbst bei der Correctur des Textes gewiss bemerkt und be-
richtigt hätte. Manches konnte ich unbedenklich in seinem
Sinne und aus dem Zusammenhang der Thatsachen richtig
stellen, so wie ich die von ihm begonnene Paragraphirung zu
Ende führte. Allein es gibt doch Stellen, zumal in der Auf-
zählung von Beispielen, die mir nicht zutreffend zu sein
scheinen, aber ich wollte und durfte an der Form des Manu-
scriptes nichts ändern. Weitere, durch diesen schönen Anfang,
angeregte Forschungen, mögen Berichtigungen liefern. Da
das auf S. 8 angekündigte Vorhaben unerfüllt bleibt, so möchte
ich zur Beleuchtung dieser Studie aus den Briefen des ver-
storbenen Verfassers an mich alles dasjenige mittheilen, was
auf den hier behandelten Gegenstand Bezug nimmt und viel-
fach unter dem frischen Eindruck der Beobachtung niederge-
schrieben, für uns einen um so grösseren Werth hat. Einige
Seitenblicke auf das Leben mögen die Mittheilung der dialecto-
logischen Beobachtungen beleben. Der Verfasser war auch in
dieser Schilderung ein feiner Beobachter.
V. Jagi6.
1.
Salonichi, 21. November 1891.
Sehr geehrter Herr Professor!
Ueberall Schmutz und Gestank, ein fürchterliches Geschrei
an allen Seiten, keine Menschen, nur brüllende Bestien, die
entweder auf zweien herumlaufen oder hockeud und schreiend
MmcedoDische Stadien. 129
auf einem Esel umherrennen. Das waren die ersten, recht
niederdrückenden Eindrücke von Salonichi. Gar nichts Euro-
päisches, keine bekannte Seele, mit der ich sprechen könnte;
hätte ich keine Verantwortung, ich wäre schon längst auf und
davon aus diesem lieben Orient. Jetzt habe ich mich bereits
ein bischen hineingefunden und lasse alles geduldig über mich
ergehen. Vor allem heisst es bulgarisch praktisch erlernen
und dann möglichst bald mit den diabetischen Studien an-
fangen. Meine Hoffnungen sind in diesem Punkt fast auf den
Gefrierpunkt gesunken. Ein Fremder hat hier auf dem Lande
mit unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen, er gilt allen
und jedem als Agent. Vom Director des bulgarischen Gym-
nasiums habe ich die Erlaubniss dem Unterrichte im Bulgari-
schen als Gast beizuwohnen; ich habe bereits eine Stunde mit-
gemacht und gefunden, dass die macedonischen Schüler im
Schriftbulgarischen noch nicht besonders fest sind, wenigstens
nicht in der Quarta. Von den bulgarischen Professoren wurde
ich schön aufgenommen und ich hoffe bei ihnen, einige sind
Macedonier, Belehrung über die hiesigen Verhältnisse zu
finden. — — — Jastr. erzählte mir viel Interessantes von
seinen Reisen im Innern Macedoniens. Es ist absolut unmöglich
nach Debra vorzudringen, man riskirt den Kopf dabei, den
möchte ich doch noch behalten. Jastr. selbst, der in diesen
Gebieten nur unter dem Schutze verschiedener Hajdukenfilhrer
gereist ist, wäre fast erschossen worden. Ein Hajduk, der
siebzehn Leute getödtet, begleitete ihn als poäten covjek! Debra
ist also bereits aus meinem Programm gestrichen. Dagegen
gibt es hier viele Leute aus Debra und Umgebung, manche
davon sind erst seit kurzem da und waren früher nur in ihrer
Heimat, sie sind also zuverlässige Forsch ungsobjeete. Sehr
erwünscht wäre es nach Meglen zu gelangen, im südlichen
Macedonien, der Dialect noch gänzlich unbekannt, doch wieder
gefährlich, da die Gegend von halbwilden Muhamedanern bul-
garischer Nationalität bewohnt wird. — Ein rechtes Elend ist
es mit den Büchern. Sbornik des bulgarischen Ministeriums ist
hier nirgends zu finden (vielleicht bei Jastr.), ebenso nicht
Period. Spis., beides ist verboten ; ich muss aber das irgendwie
erlangen.
SiUnnfiW. d. pbil.-hUt. Cl. CXXXIV. Bd. 8. Abb. 9
130 VIII. Abbtndliuif : Ob lab.
Hier ißt in den Hauptstrassen, wie sie heissen weiss ich
nicht, wahrscheinlich haben sie keine Namen, ein reges Leben,
eine zahllose Menge bewegt sich drängend auf und ab, doch
nicht still, alles schreit, kreischt, ruft und bietet die Waare
aus. Alle Geschäfte werden fast auf der Gasse in offenen
Läden und Buden besorgt. Hier wird auf der Strasse ge-
schustert, geschmiedet, gebackenes Brot aus dem Ofen aus-
gelegt, da steht ein Offizier in einem Strumpf und wartet, dass
ihm der Schuster den Schaden am Schuh ausbessert, dort
hockt ein Sattler mit untergeschlagenen Beinen in einem ganz
kleinen Räume, der ihm fast keine Bewegung erlaubt. Das
Geklapper der Geldmäkler mit dem Geld ist überall hörbar:
hier schreit ein schmutziger Türke in lang gezogenen Tönen
vo — ä, dort dreht sich mitten in der Strasse ein Evreer, rie-
chend nach allem Unmöglichen, langsam herum tragend auf dem
Kopfe auf einem Brett rohes Fleisch, das wie Fransen rings-
herum herabhängt, hier bricht sich wieder ein Albanese oder
Gott weiss was für ein Individuum mit blutendem Fleisch in der
Hand, Bahn durch die Menge. Gross ist die Zahl der rauchen-
den Nichtsthuer, die mit Phlegma auf die Vorbeiziehenden und
auf die wirbelnden Rauchwolken blicken. Morgen gehe ich
mit einem Lehrer unter die Debrer, um sie von Angesicht zu
Angesicht zu schauen, und um mich ein wenig mit ihren Ge-
wohnheiten vertraut zu machen. Heute hörte ich im Dialect
von Prilep Längen und zwar ~ : pätot, aber pät. Der Ton ist
auf der Drittletzten. Im Dialect von Ochrida gibt es eine
Mittellänge, fast serb. '.
Das Klima ist bedeutend wärmer als in Wien und sieht
noch wärmer aus, als es ist; ob es bei diesem Gestank auch
gesund ist, kann ich noch nicht wissen. Vorläufig bin ich mit
der Gesundheit noch zufrieden, nur etwas matt und schwach.
— Meine dialectischen Mittheilungen und Correspondenzen
werden noch lange, lange ausstehen, ich glaube 60gar, dass
meine Ausbeute hier viel reicher an trüben Erfahrungen als
dialectischem Material sein wird.
Maeedonische Stadien. 131
2.
Salonichi, 23. November 1891.
Ich ersuche, mir durch Stadl die beiden Abhandlungen
Tomaschek's, ,Zur Kunde der Hämus-Halbinsel I. und 11/ für
Herrn Jastrebov auf meine Rechnung unter Kreuzband zu-
kommen zu lassen. Hoffentlich wird sie Stadl noch bei Tempsky
auftreiben können. Jastrebov interessirt sich für einige geogra-
phisch-ethnographische Fragen und wusste bis jetzt von diesen
Abhandlungen Tomaschek's nichts. Da ich bei ihm so freund-
liche Aufnahme fand und er mir immer mit seinem Rathe zu
helfen bereit ist, möchte auch ich gerne ihn mit diesen Schriften
bekannt machen. — CÖopHüKi des bulgarischen Ministeriums
habe ich doch bei Jastrebov gefunden, aber nur die drei
ersten Bände, die übrigen haben den Weg hieher noch nicht
gefunden.
Es schwirren ganz entgegengesetzte Ansichten über die
macedonischen ethnographischen Verhältnisse und Dialecte um
mich: der reclamirt sie mit Entschiedenheit flir die Bulgaren,
der andere spricht von ihnen als serbischen und in einer
Weise als ob es ganz selbstverständlich wäre und nicht anders
sein könnte. Zu einer eigenen Ansicht, die natürlich ganz
unbeeinflusst von beiderseitiger Propaganda sein wird, werde
ich noch lange nicht gelangen können, aber dafür werde ich
dann umso fester an ihr halten. Einigermassen frappirt hat
es mich, dass Jastrebov auch die von NovakoviÄ publicirten
Texte (im Archiv) nicht für zuverlässig hält, er meint, dass
sich auch Novakovi6 von seinen Individuen, die hier immer
persönlichen Vortheil suchen oder die Zwecke ihrer Propaganda
im Auge haben, habe mystificiren lassen. Ich niuss sagen,
dass Novakovi6 durchaus nicht diesen Eindruck auf mich
machte, ja er rieth mir sogar zur grössten Vorsicht bei meinen
Nachforschungen, obwohl ich schon selbst gegen Täuschungen
und Schwindel gewappnet war. Ich machte schon hier die
Erfahrung bei macedonischen (= bulgarischen) Patrioten, die
mir in ihrem Dialecte vorsprachen, dass sie zuerst manches-
mal etwas anders aussprechen. Besonders hinsichtlich Je — 6
glaubte ich gehört zu haben, dass sie zuerst einen Laut sprachen,
der nicht mehr ein U war; als ich sie dann ersuchte mir noch-
9*
132 TOI. Abhandln*: ObUk.
mals das Wort auszusprechen, hörte ich schon deutlicher den
£-Laut, er war patriotischer geworden. Ich habe jetzt eine
Privat-Wohnung gefunden, fllr mein elendes Zimmer im ersten
Hotel zahle ich täglich zwei Gulden ! — Die S. A. vom Archiv
2. H. bitte mir am besten poste restante zukommen zu lassen,
da ich meine neue Adresse (Gassennamen scheint es nicht zu
geben) noch nicht weiss. Die Correcturen möchte ich auf jeden
Fall gerne noch in Salonichi besorgen, denn die Sendungen
der österreichischen Post unterliegen nicht der Censur; wenn
ich ins Innere von Macedonien reise, so wird mir alles durch
die türkische Post nachgeschickt, wenn überhaupt etwas die
Censur übrig lässt, was aber sehr wenig wahrscheinlich ist.
3.
Salonichi, 12. December 1891.
Hier ist absolute wissenschaftliche Oede. Kein Mensch,
mit dem ich wissenschaftliche Fragen, die mich interessiren,
erörtern könnte, kein wissenschaftliches Leben. Das bulgarische
Gymnasium ist ein Realgymnasium, ohne Philologen. Es ist
deshalb erklärlich, dass ich das zweite Heft des Archivs wie
ein Sanctissimum von der Post nach Hause trug. — — —
— — — In der hiesigen bulgarischen Volksschule fand ich
in der ersten Gasse einige junge Burschen aus Debra, die
erst vor einigen vierzehn Tagen ihre heimatlichen Dörfer ver-
lassen und vorher keine Schule gesehen hatten. Leider konnte
ich dieselben nur einmal ausforschen, als ich das zweitemal
zur Volksschule hinaufgeklettert war, fand ich sie wegen Diph-
teritis geschlossen. In der Mundart des Dorfes Kiene aus
diesem Gebiete sind auch lange Silben: zöap, röabam (ein-
säumen), götÖp, ja (e<jo)y säkam, pö^stötl pö^sti, cörven, aber
corvenä boja (beide Worte mit einem Accent) selbständig bojn,
voina, 8öatdza, Zisto kakb sö^ce, röaka.
Mich macht etwas stutzig der Umstand, dass die Art des
langen Accentes öfters mit dem Serbischen nicht übereinstimmt.
In einem anderen Dorfe Debra's hörte ich, wenigstens von
meinem Individuum, nur * in allen betonten Silben ohne
Unterschied. Ich Hess ihn vor der Hand aus dem Spiele. Man
lUoedonisohe Stadien. 133
kann bei solchen Aufzeichnungen niemals genug vorsichtig
vorgehen, denn wenn man der genaueren Aussprache wegen
das Wort sich einzeln vorsagen lässt, erhält man leicht eine
andere, von der gewöhnlichen abweichende Aussprache. Es
gelang mir einen Menschen aus Suho, einem grossen Dorfe
zwischen Salonichi und Seres, also aus dem südlichen Mace-
donien aufzutreiben, der nur die griechische Volksschule be-
sucht hatte. Diese Mundart ist sehr interessant wegen des
ungemein stark erhaltenen Rhinesmus. Einige Beispiele aus
derselben führte bereits Draganov an. Ich verzeichnete mir
sehr viele : zipp, miogü (ä ein kurzer, zwischen u und o schwan-
kender Laut, t ist wie im Debra'schen nicht so hart wie das
russisch-polnische), zfyBä, zambö (mit Artikel ; a ein nicht ganz
ausgeprägtes a), dtyp — dambi, gfyba — da jedime gtybi}
rn ' drüy mfö (sie ! = homo) pl. mfj,f'ä} pfypä — ptypüvi, mhta
(trübe), porfybiväm (einsäumen, mit zwei Accenten, Hauptaccent
auf a), rfyp — rrjibüvi, grfydä (Brust) — grandifä, rfyka, r&kavnbca,
p%£ (sehr weiches t) — pfytUta mit Artikel peenib, kr%k, krfygo,
bbnfi — bbr&öot9 porfyöam — pory&bha, sfybüta, pentok, shdam,
indzik (bA3rWKrk), gov&därbn, sv&Üc, zlntva, ügtqdätü, z$t —
zfctüvi und zfytiifci, mhikü, pent (Spanne), pbntä (Ferse), irim-
Üica, rent, rhidüvi, vfydzbl (Knopf), bfyttik, ktypam (bade), kht
— khtütdj säkande (tiberall), gblamp — gblambi, skfyp (theuer),
bratoöent, grenda, endrü, tendo, zdji}c, päjnk, prindam,
gtambbk] in Suffixen: imä aber imenta, tile — telenta (bei
imenta könnte man an eine Beeinflussung der alten Cas. obl.
imene, imeni etc. denken, was aber doch wenig wahrscheinlich
ist), Zditxbe — idretbenta, küöe — kutyta, weiters rhämic —
mä#Q,ce, nar&iduvam. Unorganischer Nasalismus: mfygta, tan$ä
(Lüge), ihfam, pqtei, stfygtü (Glas), bqöva. Geschwunden ist
der Rhinesmus in tä§ka, rhäm, pet, dhx>t7 desbt, leHa, gUdam,
ma, sa, ta. Mehrere Wörter mit einstigem Nasal sind in diesem
Dialecte unbekannt. Die Aussprache ist durchaus nicht die
polnische, es ist kein Vocal e, o oder a mit nasaler Resonanz,
sondern ein wirklicher Nasal mit einem solchen sonantischen
Element wie bei p, ähnlich in vielen polnischen Dialecten.
Ich könnte statt zrpp auch zvmp schreiben, es ist aber das
vocalische Element vor diesem Nasale nicht das gleiche wie
in Worten mit altem Halbvocal (b, ^)9 es ist trüber, es bewegt
134 TOI. Abhandlung j ObUk.
sich mehr in der a-u~Richtung, während der bulgarische Halb-
vocal in diesem Dialecte etwas heller (aber nicht weich) aus-
gesprochen wird, wie ein ganz unbestimmtes e — f, ich schreibe
deshalb auch b, z. B. diS — daZdl (3. Sgl.), Sbntivi (PI.)? dbHbfa,
kbäta, stbpfam, Ü8j]ina (osvbna-), dlham, aber auch e und selbst
o: täf, den, lekü, len (Ibn), lükofo (Ellenbogen), &nkü, sogar
feJnki (PL), mbz&k, neSiiu (heutig), säs, vazidhi (ganzen Tag).
Für "k haben wir ein sehr offenes und breites ä mit einem jo-
tirten Ansatz, es klingt fast wie ein a: 'ä: vätf, fäka, däte, 6äi.
Es ist ungemein schwer diesen Laut wiederzugeben, öfters
vermeinte ich ein lang gedehntes e zu hören, das mit einem
wirklichen e anhebt und allmälig in jenes sehr breite ä über-
geht, ich schrieb in diesen Fällen eä (ein einheitlicher Laut),
z. B. beäiay b'äii, s&äp, p'äna, 8tr*äha, aber Zeiezüy breh und
besonders tervö, cervdta, 6brh§e.
Keine vollkommene Einheit ist im Ersatz des alten it,
id ; das gewöhnliche ist ganz entschieden die Bewahrung dieser
Laute, nur ausnahmsweise erscheint ein f, d, das aber zum
Theil auf Analogiebildung beruht. Wir dürfen sagen U, zd
sei hier die Regel: mUdu, sfö8 — sfeSte, praSta, ra£da, leita,
vreßiHi, pa&dam, plaktam, dbHefa, auch ein — — Macc
donismus: 6uzda, daneben pbvbki, ribtnu] für secundäres tj — f
erscheint tk: bratka (-bra6a), tritku (mit hartem k). Nicht wie
in anderen macedonischen Dialecten in den bekannten Fällen
So, sondern §t: bStl} niStü.
Das ist das Interessanteste aus den bisherigen Aufzeich-
nungen dieses Dialectes, der, so viel ich hier zu sehen vermag,
bis auf einzelne Beispiele bei Draganov noch nicht erforscht
ist. Ich werde meine Aufzeichnungen fortsetzen. Insbesondere
wird es nothwendig sein oder wenigstens erwünscht, das Ver-
breitungsgebiet des Nasalismus zu erforschen; im äussersten
Südwesten — Kosturgebiet — treffen wir denselben wieder,
aber ist er auch auf dem ganzen Zwischengebiete und da
überall im gleichen Masse? Ich bezweifle es. In den Nachbar-
dörfern Suho's (Zarovo und Visoko) lebt er ganz bestimmt.
Mein Gewährsmann, ein ungebildeter Mann, ist hinsichtlich
des Rhinesmus ganz zuverlässig, er ist ja kein Slavist, aber im
übrigen will ich seine Angaben doch controliren und zwar an
Ort und Stelle, allerdings erst im Frühjahr. Die grösste Vor-
VM«donlMh« Studien. 135
sieht ist hier in Macedonien am Platze in allen solchen Dingen.
Man sieht dies schon hinsichtlich der Wiedergabe des mace*
donischen k — 6 in den publicirten Texten. In diesem Punkte
sind die sonst getreuesten Aufzeichnungen nicht verlässlich. Ich
will nicht sagen, dass die bulgarischen Aufzeichner eine ab-
sichtliche Täuschung begangen hätten, sondern ihnen ist kb die
graphische Wiedergabe aller jener Laute, die zwischen einem
harten k und dem c liegen, mögen dieselben in den verschie-
denen Dialecten auch verschieden sein. Sehr viele von ihnen
sind ja einfache Lehrer pder Gymnasiasten, die oft ein Ä gar
nicht kennen, wenigstens nicht die genaue Aussprache desselben.
Ich kann jetzt bestätigen, dass in dem Dialecte Prilep's wirklich
£, ^ ganz wie im Serbischen gesprochen wird, Novakovi6
hatte also für diesen Dialect vollkommen Recht; nur darf man
diese Aussprache nicht verallgemeinern und auf alle macedoni-
schen Dialecte übertragen, es gibt auch solche mit weichem k
und es scheint sogar mit verschiedenem Grade der Weichheit.
Eine komische Scene spielte sich in meiner Wohnung ab. Es
besuchte mich ein Gymnasialprofessor und der hiesige bulga-
rische Buchhändler, beide gute Patrioten, beide aus Macedonien,
letzterer aus Prilep gebürtig. Wir sprachen natürlich auch
von macedonischen Dialecten. Plötzlich höre ich aus dem
Munde des Prileper ein 6\ ,Wie sprechen Sie das Wort aus*,
frage ich ihn; — Jbra6a.i — ,Aber das ist ja ganz derselbe
Laut wie im Serbischen;' denn ich hörte ganz deutlich wieder
Ä. ,Aber nein, sagt plötzlich der Professor, das ist ja nur ein
weiches i, ganz verschieden vom serbischen <f/ Ich lasse jetzt
den Buchhändler mehrere Worte mit 6 vorsprechen, immer
höre ich deutlich ein 6. Aber der patriotische Professor will
das nicht zugeben, er hört nur ein weiches k} während das
spirantische Element ganz gut hörbar ist. ,Aber Du sprichst
ja heute ganz sonderbar das k aus, ganz anders als gewöhnlich/
wandte er sich an seinen Freund; abermals angestrengte Ver-
suche des Prileper ein ,inacedonisches' (= patriotisch macedo-
nisches) fc auszusprechen; vergeblich. Fast dasselbe war bei £;
lange sprach er nur ^, erst nach vieler Mühe konnte er seinem
Freunde ein y nachsprechen! Nur noch einige Declinations-
brocken und eine gute Phantasie, und es wäre im Dialect von
Suchö die Sprache Cyrills und Methods entdeckt!
136 Vin. Abhandlung: ObUk.
Flir meine dialectischen Excursionen muss ich das Früh-
jahr abwarten, ich beginne natürlich mit dem Süden. Nach
Jastrebov's Mittheilungen ist es in mehreren an die Albanesen
gränzenden and theilweise von ihnen bewohnten Gegenden gar
nicht anzurathen schriftliche Aufzeichnungen zu machen, man
läuft Gefahr als Spion sich grossen Unannehmlichkeiten auszu-
setzen; wenigstens er durfte öfters in der Gegenwart der Leute
sich nichts aufzeichnen. Nachträglich kann ich aber nach dem
Gedächtniss keine Aufzeichnungen vornehmen, es wäre fast
nothwendig mit einer Batterie von Phonographen ausgerüstet
zu sein. Ich werde trachten, nicht so sehr von möglichst vielen
Mundarten einzelne Brocken zu sammeln, sondern mich lieber
begnügen von wenigem die charakteristischen Merkmale in
ihrer Gesammtheit zu geben. Am unangenehmsten wäre es
mir, wenn ich beim Sammeln des dialectischen Materials an
Ort und Stelle wirklich so diplomatisch vorgehen müsste, wie
mir dies Jastrebov auseinandersetzte, dadurch würde ich überall
viel Zeit verlieren. Es wäre gewiss wichtig ein koüa — kota,
ki>6a nachzuweisen, aber es dürfte schwerlich vorkommen. Ein
ähnliches Wort ist ,Bugarin', die Macedonier nennen sich zum
grösstentheil in dieser Form und nicht entsprechend den ver-
schiedenen Dialecten blgar-, bolg~.
Diesen Sommer war hier in Salonichi (etwa einen Monat)
behufs dialectischer Studien Alexandrow aus Kazan und be-
suchte einige Dörfer der nächsten Umgebung; seine Resultate
sind noch nicht veröffentlicht. Wie ich höre, ist die Sammlung
bulgarisch - macedonischer Volkslieder Draganov's im Drucke,
er soll aber gezwungen worden sein, einige ,bulgarische' Cor-
recturen an denselben vorzunehmen, um sie als Dissertation
herausgeben zu können. Mir scheint eine derartige wissen-
schaftliche Pascherei ganz unglaublich; dies Märchen ist nur
ein Beweis, dass es auch im schmutzigen Salonichi nicht an
Tratsch fehlt. Wenn viele von den Liedern Draganov's von
Gymnasiasten aufgezeichnet sind, so ist es sehr fraglich, inwie-
weit man sich auf ihre Genauigkeit verlassen darf. Doch wir
werden ja sehen, zuerst das Werk, dann die Kritik; zum Glück
gibt es bis jetzt in der Wissenschaft noch keine Verläumdungen.
Nach Jastrebov's Rath gehe ich sogleich nach Ostern (am zweiten
Tage) auf Athos, wo ich die Mönche noch bei vollen Fleisch-
MMMdoniMb« Studien. 137
topfen antreffe. Im Winter ist ein Aufenthalt dort nicht möglich,
weil es keine Oefen gibt, später vor Ostern könnte ich aber
in den Fasten ausgehungert werden. Von Athos beginnen
dann sofort meine Wanderungen ins Innere. Bezüglich Athos
möchte ich mir einige Rathschläge erbitten. 1. Ist es ange-
zeigt, das ganze Evangelium Miroslav's abzuschreiben, um es
heraus zu geben? Das würde wenigstens (180 Blätter) drei
Wochen sehr angestrengter Arbeit bedürfen; steht nun dieser
Zeitaufwand im Verhältniss zur Bedeutung des Denkmales?
Für die Entwicklung der serbischen Recension (in der Sprache)
ist es nicht unwichtig, die Redaction des Textes ist noch
alterthümlich und insofern nicht von Belang, weil bereits be-
kannt. 2. Es wäre doch gut, das Typikon Sava's (in Kareia)
abzuschreiben, das ist gewiss das älteste, wenn auch nicht, wie
Duöi6 meint, Sava's Autograph. 3. Duöi6 (S. 104) spricht von
einem Chronographen mit Randanmerkungen aus der bulgari-
schen Geschichte, die er auch mittheilt. Wäre es nicht für die
Geschichte des Chronographen von Belang, von diesem eigen-
tbümlichen Chronographen doch etwas mehr zu erfahren?
Doch welche Partien sind daraus abzuschreiben, der ganze
Codex ist zu umfangreich und auch nicht so bedeutend.
Beim hiesigen serbischen Consul ist ein Pentateuch und
ich glaube noch einige folgende Bücher des alten Testamentes
aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Da diese Texte im Ganzen
doch selten sind, so wäre es nicht überflüssig diesen mit jenem
der Genadius-Bibel und der Karlowitzer Handschrift zu ver-
gleichen. Wie könnte ich zu Bruchstücken des ersteren ge-
langen? Mit Gorskij und Nevostr. ist mir doch nicht geholfen,
ich würde dann ein Paar Seiten als Textprobe abschreiben.
Beim serbischen Consul sah ich auch ein kleines Büchlein mit
cursiver Cyrillica, wahrscheinlich aus dem Anfang des vorigen
Jahrhunderts, enthaltend, wie es scheint,1 Beschwörungen gegen
Krankheiten; ich werde mir dasselbe ausleihen, um es durch-
zusehen. Im bulgarischen Gymnasium fand ich zwei Pergament-
blätter bulgarischer Redaction aus dem Ende des 13. oder Anfang
des 14. Jahrhunderts, Bruchstücke eines liturgischen Buches;
die Schrift hat manches Alte, doch das einmal am Ende 'der
Zeile vorkommende (lange) a protestirt gegen ein zu hohes Alter.
Es sind dort noch einige Handschriften, aber alles fragmentarisch,
138 VIII. Abbwidlnnf j OlUk.
zum grössten Theil die obere oder untere Hälfte abgebrannt.
Es ist darunter eine sehr schön geschriebene Pergamenthand-
schrift, serbischer Redaction; so viel ich in der Eile sehen
konnte, scheint sie alt zu sein, Ende des 13. Jahrhunderts.
Ich werde das alles mit der Zeit durchsehen. Die slavischen
Handschriften sind jetzt in Macedonien selten geworden. Im
heftigen Kirchenstreite zwischen Bulgaren und Griechen sollen
letztere massenhaft slavische Handschriften als unerwünschte
Zeugen (?) slavischer Liturgie verbrannt haben. Dagegen sollen
sich unter den Mohamedanern und Albanesen noeb slavische
Handschriften befinden, die aber als Reliquien nicht aus den
Händen gegeben, sondern höchstens aus der Entfernung den
bewundernden Blicken Fremder gezeigt werden. Man erzählte
mir soeben, dass sich in einer aus einer Kirche umgewandelten
Moschee in Albanien nicht gar weit von Durazzo unter dem
Dache ein ungeheuerer Haufe slavischer Handschriften befinden
soll. Ich werde dem Gerüchte weiter nachforschen; falls es
sich als glaubwürdig erweisen sollte, wäre ich gerne bereit
über Triest nach Durazzo zu wandern, falls das Ministerium
es für thunlich finden sollte mir einen genug fetten Bissen mit
freier Dampfschifffahrt auszuwerfen, aber ich glaube an letz-
teres nicht.
Ich habe mich schon ein Bischen in das hiesige Leben
hineingefunden. Die Leute sind zwar sonderbar; so traf ich
im Regen einen türkischen Offizier, seinen Fes in ein Sacktuch
eingewickelt, ganz wie bei uns die Hirten. Dem Gymnasial-
director begegnete ich, als er in einem ungeheueren Korb rohes
Fleisch nach Hause trug, ein praktischer Mann für Alles, gewiss
von seiner Frau hochgeschätzt. Am meisten empfinde ich
jetzt den Mangel an jedem wissenschaftlichen Verkehr, man
kann hier höchstens über die macedonische Frage streiten,
aber als Politiker, nicht als Slavist. Es war deshalb Ihr Brief
für mich ein Ereigniss. Meine Influenza habe ich glücklich
absolvirt, der Muth des Ausharrens ist mir noch nicht gesunken.
Ich hoffe, dass meine Reise doch nicht ganz zweck- und er-
folglos sein wird, weil ich dies nicht will. Nur darf mich
die Gesundheit nicht im Stiche lassen. Das hiesige Klima
muss doch ziemlich ungesund sein, jetzt haben wir Influenza
und Diphteritis. Ich schwimme jetzt mitten im macedoniseben
MaotdoniMhe Städten. 139
Streit, die sonderbarsten Ansichten höre ich. Den Leuten
macht der Name Balgarien die gTössten Schwierigkeiten, es ist
gut, dass sie nichts vom germanischen Ursprung des Rusl
wissen! Man hat mir schon jetzt recht eindringlich ans Herz
gelegt, in meiner Abhandlung über die macedonischen Dialecte
— sie denken viel weiter voraus als ich selbst — in der Vor-
rede feierlichst zu erklären, dass die wissenschaftlichen Resultate
nicht für politische Zwecke ausgebeutet werden sollen!! Es
solle weder das Wort ,serbisch' noch ,bulgarisch' genannt
werden! Da müsste man schliesslich nur mit x und y operiren!
4.
Salonichi, 24. December 1891.
Mit den Aufzeichnungen des Dialectes von Suho bin ich
nun zu Ende. Es wird dies allerdings keine derartig einge-
hende Monographie abgeben können, wie etwa die Strekelj's
über den Karstdialect, aber ich glaube doch alles Wichtige ge-
sammelt zu haben. Ich werde nochmals das Gesammelte durch-
mustern, um etwaige Lücken rechtzeitig ausfüllen zu können.
Neue Belege für den Nasalismus fand ich nicht, ich bemerkte
nur, dass fast alle Substantive auf -A (^-Stämme) sowie die
ihrer Analogie folgenden im Plural auf -enta endigen, z. B.
prasenta. Hieher sind auch die Participien u&enent (ver-
heiratet), umr*anta, dlgnrtf, niknqt zu zählen, wenn sie auch
wahrscheinlich erst Neubildungen jüngeren Datums sein dürften
(vielleicht dignen und dies nochmals angelehnt auf Part, auf
-£, ein ent ergab dann leicht #£). Wie im Schriftbulgarischen
ist £ = a in maikam. Für \ (urspr. bfal und hfo) haben wir
h und t, z. B. sfiaa, vfi>k, aber pfnoj, vfna, vik. An das Klein-
russische erinnert rpba, während sonst rhi mit i in ein mitt-
leres i zusammengefallen ist. (Man erzählte mir zwar hier die
Fabel, dass in diesem Dialect noch die alte Aussprache des
id leben soll, aber dies ist bestimmt unrichtig — überhaupt
wissen ja hier die Leute gar nicht, wie der Laut *u ungefähr
— denn genauer wissen ja auch wir es nicht — lautete.) Die
Palatale £, £, £, insbesondere ersteres, sind sehr weich, man hört
fast ein j nach denselben. Nach diesen Lauten tritt auch der
Umlaut des a ohne Rücksicht auf die folgende Silbe ein, es
140 VIII. Abhandle»«: Ollak.
erscheint dann ganz derselbe Laut wie für *k nämlich 'ä oder
eä, z. B. £'äba, oder aber ein Laut, der dem *fc sehr nahe steht
und sehr breit gesprochen wird, doch nicht ganz so wie *k:
düS'i, stüSäm, pbstble. Wenn wir (Urs altbulgarische *k den
Lantwerth von 'a — 'ü annehmen, so kann man fragen, ob
sich hinter der Schreibung wie «rkc*k noM*uuiA*kukT*k nicht
etwas mehr verbirgt als ein graphischer Usus (des GlagoL l
Die Annahme^ dass im ,Altslovenischen' *k den Lantwerth eines
a-Lautes (a*) hatte, hat jetzt nicht mehr so viel Unwahr-
scheinlichkeit für mich. Aber warum fand man sich für die
Cyrillica bemüssigt, neben 0 auch *k einzuführen und so vom
glagolitischen Vorbilde abzuweichen? Es ist vielleicht nicht
unmöglich, dass das glagolitische Schriftthum auf der Baas
eines Dialectes begründet würde, wo der Unterschied zwischen
•fc und u nur in der Weichheit des Anlautes beruhte; die
Cyrillica gehört aber dagegen in ein Gebiet, wo diese beiden
Laute in gewissen Silben wohl noch vielfache Berührungspunkte
aufwiesen, aber in der Ungeheuern Mehrzahl der Fälle von ein-
ander abwichen, indem *k mehr wie ein *a lautete; ich meine
das nordöstliche Bulgarien. Allerdings ist es misslich, so uralte
Zustände nach den heutigen Dialecten beurtheilen zu wollen,
besonders in einer Sprache, die so vielfache Revolutionen durch-
gemacht. Doch von diesem Phantasiren zurück zum Factischen.
In der Conjugation ist besonders merkwürdig die Contraction,
von der aber die 1. Sgl. immer ausgeschlossen ist, z. B. cüjem,
cü$, ciijj cüjnii, iäjtb, itijet] diljam, duä, duj, dujmt etc., ptiljam.
pfil§7 plti, ümijam, ümU, üml, umijbt, paß am (1. Sgl.) — pämt
(1. PL). Wir dürfen in diesem Gegensatz der 1. Sgl. mit ihrer
ursprünglich nicht consonantisch geschlossenen Endsilbe gegen-
über den übrigen Personen eine Bestätigung fiir das relativ
späte Aufkommen des m in der 1. Sgl. bei diesen Verben finden.
Es erinnert das lebhaft an etwas Aehnliches im Cod. Mari an.,
und es ist zu beachten, dass ja auch in den Freisinger Denk-
mälern die 1. PI. bereits am und nicht ajem hat. Die 1. Sgl.
lautet immer auf m, das sonderbarste ist, dass bei dieser Ver-
allgemeinerung des m gerade jemt in der Verbindung mit ne:
n'äsa (1. Sgl.) dieses rn aufgegeben hat. Wunderbare (Konse-
quenz der Sprache ! 3. Sgl. hat niemals t7 dafür natürlich 3. PI.
In der 1. Sgl. nimmt am Oberhand und verdrängt em, im, z. B.
Hftcedoniseha Studien. 141
säjam (2. Sgl. &h&), Vijam (blä 2. Sgl. schlagen) etc. Aorist und
Imperfect leben in voller Kraft und werden strenge geschieden,
die Partie, praet. auf -l sind selten. Dagegen ist die Decli-
nation radical getilgt, es sind von ihr kaum so viel Ueberreste
als in der Schriftsprache, ja nicht einmal. Ich konnte nur oh
bo&bm aufstöbern. Ein l epent. ist nicht zu finden. Ich forschte
auch nach den lexicalischen Pannonismen, aber alles umsonst.
Die Sprache Cyrills und Methods ist unwiederbringlich dahin ; ja
selbst das l epent. der alten Sprache macht viel Schwierig-
keiten, heutzutage ist es in den bulgarischen Dialecten so gut
wie nicht zu finden. — Nun noch einige Beiträge zur philo-
logischen Humoristik. Ich habe jetzt ein Individuum aus dem
Dorfe Oboki (Debragebiet) ; es hat mir schon zwei Audienzen
gewährt. Bezüglich 8t9 id sieht es da bunt aus, ich fange fast
an, meinen eigenen Aufzeichnungen nicht zu trauen, so einen
Wirrwarr finde ich in diesem Punkte — und da sucht man
noch Consequenz in der Sprache! Für H habe ich mir auf-
gezeichnet Jcj k} H und sogar <?, für id\ g, Zd, £ j, d. Das
gewöhnliche ist allerdings tt, g, z. B. nbilca, pbtnolci, 8vblca9
küfea, vhftci, vrika, stre^üa (begegnen), dbmakin, kü6nik7 kü6nica}
mbStea, pleUi, vr&Hamy pbmoS, ausserdem bräUa, cvtäi, doch
tritt. — mlgu, rbgat, fga} ffiavö,1 aber me&da trotz rribfiu,
dbidit; tü$, doch tüji, tüjina; in gradanka glaubte ich ein
weiches d und nicht g zu vernehmen. Diese Mundart hat
ganz entschieden auch lang betonte Silben, und zwar einige-
mal mit auffallend stark musikalischem Accent, wie im reinsten
Stokavischen, z. B. sdti (Gen. PL), ndpret, ja ich glaubte sogar
in unbetonter Silbe eine Länge zu hören: skrlväm, aber viel-
leicht nur deshalb, weil mir das Wort prononcirt vorgesprochen
wurde.
Für Av ist fast durchwegs z>, aber ein dumpferer Laut
als im Dialect von Suho, bewegt sich in der a-o-Richtung,
öfters vermeint man geradezu ein ö zu hören (so dürfte viel-
leicht im Altrussischen der ältesten Periode ^ geklungen haben),
z. B. rika, ml$, zählte, kat, pit und pötot, mltna vbda} gr%di7
1 Mit 6 bezeichne ich ein unvollkommen gebildetes und sehr dumpfes o,
fast ein i. Die Lippenstellung ist fast ganz die von «, also sehr kleine
Rundung und vorgestülpte Lippen.
142 VIII. Abhandlung: Oblat
rip, porätuam, pdpk] A = e: gbedo, gahdarot, zleda, ertbica,
p^di (PL Spanne) etc., tdriebe — idr^ebbfia (PL), sänie —
wintbna, doch da ist bn natürlich nicht = a, es sind Neu-
bildungen auf ena (auch sonst nachweisbar). Eine besondere
Stellang nehmen sqfo = se und die 3. PL Iraperf. auf -e ein,
alles Analogiebildungen, z. B. tätc<ze} päsee, xmae etc. Aber auch
u = a ist einigemal vorhanden : neben kulca, süt, südht, *üdb±,
guska. Da kurzes e vielfach als b gesprochen wird, auch zu
(= a). Anzumerken wäre noch bröib] in fiztJc, fi&men ist
doch von einem ^a aus je auszugehen. — f ist vorhanden,
doch hie und da nicht energisch ausgesprochen (mit weniger
Vibrationen), und so geradezu ^r in pvrsti; die bekannten Aus-
nahmen ctrno, cerveno, cerkof, &revo (ganz böhmisch und vene-
tianisch-slovenisch), öereSiii. Für 9k erscheint neben e auch ein
sehr geschlossenes mit einem i anfangendes e, aber ae ist ein
ganz einheitlicher Laut, z. B. str*hda, m'esbc, ütr'e. Für l haben
wir öt und f: vfg, s6tza} völk, böfoa, pötna, jäbötka, doch das
bekannte sbnce. 6 ist ein wenig weich, doch ohne Umlaut
dhsdy bfcar, jäsli, täkam, jäjca etc. Auslautendes h wird zu /
(nicht ganz reines /, es ist etwas härter zwischen f und r)
b\f} bref, inlautend schwindet es, also PL brei, mlef — nieoi,
ümrie (3. PL Aor.), zhnaf — zhnae (3. PL Imperf.), zedoe
(3. Aor.), javaf (reiten), javae ; dasselbe Schicksal hat A im An-
laut: bdam. Zwischen Vocalen schwindet v, aber es gibt da-
neben auch Formen mit erhaltenem v: Nom. PL svatoi, Veboi,
redoi und redovi, gtava (i ist bei weitem nicht so hart wie im
Russischen, sogar weniger als in Suho), doch auch gläaia —
8träm, striebro% ilzdre (reifen), Sä^ebe-, ?: no^ite, %vtedi-te sogar
fUezdol Dreifaches l: t, l, T9 — Sonderbar ist die Form sm
(jeste). Die 1. Sgl. endet gewöhnlich ohne m, aber daneben
gibt es bei demselben Verbum auch m, 3. Sgl. hat wie 3. PL f.
Die 1. PL scheint an die 1. Sgl. angelehnt zu sein, deshalb
zefme weil zef} ümrefme weil ümref. Bis jetzt konnte ich nur
einen zweifachen Artikel t und v aufbringen. Alle Versuche
einen dritten auf -n zu eruiren, waren trotz vielfachen Be-
mühens und directen Nachfragens vergebens. 1} -ta, -to wird
gebraucht wie im Bulgarischen, dagegen -t?, -t?a, -vo in der-
selben Function wie im Rhodopedialect *; also rika-ta die
bekannte Hand, rbka-va nur meine Hand, nbgava der eigene
Macedomseh« Studien. 143
Fuss. Der Accent ist auf der drittletzten Silbe, wird also bei
einem dreisilbigen Wort durch das Antreten des Artikels um
eine Silbe verrückt.
Soeben hat mich mein Oboöanin verlassen. Die #-<5-Laute
können den Menschen zur Verzweiflung bringen. Ich glaube
mir selbst nichts mehr. Heute hörte ich kuci, Icuda, no>c neben
noJlca, neben faHat spricht man auch faJcam. Ich corrigirte
also kuka in ku6a. Die Aussprache dieses Lautes ist in dem-
selben Worte bei demselben Individuum nicht immer ganz die
gleiche, sie scheint von der verschiedenen Energie abhängig.
Oefters lässt sich nicht sagen, haben wir ein 6 oder £; ganz
gewiss wird von meinem Exemplar das k nicht in allen Worten
gleich weich ausgesprochen (ganz abgesehen von den Fällen,
wo es nicht mehr^/c, sondern 6 ist). Ich sollte eigentlich ein
k1 und k* einführen, aber derartige mathematische Zeichen
schrecken ja jeden Leser ab. Mein Nachfolger muss in diese
Gegenden ausgerüstet mit ganzen Batterien von Phonographen
reisen. Die grosse Frage ist auch die, ob mein Individuum
rein seinen Dialect spricht, ob die verschiedenen Doubletten
(l. Sgl. -m und ohne, k und U) nicht auf Beimischung eines
anderen Dialectes beruhen. Die sichersten Forschungsobjecte
sind für uns hier nur alte zahnlose Weiber, und zwar an Ort
und Stelle. An die Erklärung dieser so verschiedenartigen
lautlichen Gebilde (k} 6, k9 §t) wage ich vorderhand gar nicht
zu denken. Auf kirchlichen oder literarischen Einfluss sind
die Worte mit st, £d in ihrer Gesammtheit entschieden nicht
zurückzuführen. Anderseits ist es aber auch nicht möglich, in ß
eine Vorstufe des späteren H, oder umgekehrt eine Weiter-
entwicklung desselben zu sehen. Sind aber k und St unab-
hängig von einander, so fragt es sich sofort, sind das nicht
Folgen verschiedener ethnischer Lagerungen? — doch welcher?
— Entschieden möchte ich Jastrebov gegen die zu strenge
Kritik Drinov's in Schutz nehmen (ich sehe dabei vom ver-
meintlichen Serbismus ab, derselbe ist ja Glaubenssache und
als solcher unantastbar), ob govorie oder -ije gesprochen wird,
ist' in dieser Mundart ungemein schwer zu entscheiden. Auch
in Drinov's Mittheilungen sind Ungenauigkeiten. Ich rufe mir
immer zu , Vorsicht' und bin hier unter den Ungläubigen der
Ungläubigste geworden.
144 Vm. Abhmodlung: ObUk.
Beiliegend sende den Anfang einer handschriftlichen Be-
schreibung des Falles von Constantinopel mit der Bitte nach-
zusehen oder nachsehen zu lassen, ob diese mit der bereits in
Russland herausgegebenen übereinstimmt. Interessant ist die
Sprache, die ja fast ganz national bulgarisch ist. Die Hand-
schrift — ein Papiercodex von ungefähr 60 Blättern — ist in
Stip (südöstlich von Skoplje); ich habe hier von einem Bul-
garen eine, wie er behauptet ganz getreue, Abschrift erhalten,
die allerdings nur das erste (oder zwei ersten) Blatt mnfasst:
das beigelegte schrieb ich davon ab und bitte es aufzuheben,
da ich vielleicht zu der Handschrift selbst nicht gelangen werde.
Wäre die Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, sie hätte wegen
der Sprache grossen Werth. — Handschriften sind hier sehr
selten geworden, Macedonien ist kein Kalifornien mehr, und
dabei hüten die Leute (auch die Intelligenz) jeden Papierfetzen
mit abergläubischer Ehrfurcht, als ob sie so viel Autographen
des Cyrill und Method hätten. Je schmutziger der Papier-
fetzen, desto werthvoller!
Heute erfahre ich, dass die Hajduci am Sonntag in Debra
(Stadt) den Leiter der Volksschule am »hellen Tage, als er
aus der Kirche ging, entführt hätten! Schöne Zustände! Und
doch wird es einmal nothwendig sein, das dialectische Material
an Ort und Stelle zu controliren. — — — — — —
5.
Salonichi, 2. Jänner 1892.
Das neue Jahr habe ich mit einem heftigen Wechsel-
fieber begonnen. Am peinigendsten war der Gedanke, dass
ich vielleicht plötzlich werde nach Hause zurückkehren müssen.
Der Arzt beruhigte mich jedoch in dieser Hinsicht, und heute
bin ich auch das Fieber losgeworden, doch das viele Medt-
ciniren hat mir den Magen radical verdorben. Es trifft sich
gerade glücklich, dass ich heute Correcturen von Leipzig er-
halte, denn für andere Arbeit bin ich für mehrere Tage un-
tauglich.
Mtcedoniflche Stadien. 145
Meinen Obocanin habe ich davongejagt. Es stellte sich
heraus, dass er allerdings erst vor einem Monat von Debra
hier eingetroffen, dass er aber bereits in früheren Jahren öfters
hier mehrere Monate zugebracht hatte; was er mir am ersten
Tage ableugnete. Jetzt sind also die mich so frappirenden
Doppelformen erklärlich; sie sind — doch nicht alle — eine
Beeinflussung der Salonicher Sprache. Im Allgemeinen sind
aber seine Angaben doch treu und richtig gewesen, gewisse
Doppelformen bestehen in diesen Dialecten, z. B. N. Plur. oi
neben otn. Dafür habe ich aber den Knaben aus Kleiüe weiter
ausgeforscht (in der bulgarischen Volksschule), meine Besuche
sind aber jetzt auf einige Zeit unterbrochen. In dieser Mund-
art wird fast ausschliesslich £, $ sehr deutlich ausgesprochen,
nur selten ist ein Je, g zu hören, aber selbst da ist es fraglich,
ob dieses Je, § doch nicht schon 6, $ ist. Ich hörte ein Je bei
einer leiseren und nicht erergischen Aussprache. Ich will nur
einige Beispiele anführen: &rka, Jcu6a, nbda, nböno, vri6a} ku6-
nik, kuenica, pbaJce (poveke), aber energisch ausgesprochen
pbe6e7 selbst evide — tü$, tuja, tüju, mhfju, beim schnellen
Sprechen mehr me§u} brfa (Rost) , daneben aber St7 id : leHa,
sveita, vraUaet (3. Sgl.), faHa (1. Sgl.), me£da, plaSta (1. Sgl.),
ro&da, pleüti, kleäti', — l$te (oHe), niUo. Die beiden Laute 6
und d sind ausser in diesem (und dem von Oboki) und Priliper
Dialect auch in Resen (südöstlich von Ochrida) und Stip (süd-
östlich von Skoplje) anzutreffen, also jedenfalls weit verbreitet;
ihr Verbreitungsgebiet werde ich zu eruiren versuchen. — Auch
in der Mundart von Kiene findet man von der gewöhnlichen
Regel des Ersatzes von a, ^ durch o , Ausnahmen': dhi, äef,
len, mlska (mozak) i hier wohl erst später aus e hervorge-
gangen. Liegen da nicht etwa zweierlei Phasen in der Er-
setzung des Halbvocales vor, und ist nicht o (oa), welches gleich-
massig b} ^ und A* vertritt, etwas relativ spätes, später als e in
den? vb = u: cütet.
Bei den gegebenen Verhältnissen ist es wohl besser, dass
meine kurzen brieflichen Mittheilungen über macedonische Dia-
lecte nicht flirs Archiv verwerthet werden. Ich möchte gerne
bezüglich meines diabetologischen Materiales für infallibel
gelten ; wenn nun doch in einem Falle in den schon jetzt ver-
öffentlichen Mittheilungen eine Unrichtigkeit nachgewiesen wäre,
SitzQDffsber. d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. 8. Abh. 10
146 TBL Abhandlufi ObUk.
so wäre es mit meiner Unfehlbarkeit auch bei dem Werke
selbst (wenn es je erscheint) dahin; es würden sich serbische
und balgarische (patriotische) Altgläubige finden. Dagegen
möchte ich — wenn es Ihre Zustimmung findet — im Archiv
kurze skizzenhafte Darstellungen (der wichtigsten Erscheinungen i
der makedonischen Dialecte geben, sobald ich das bereits Ge-
sammelte an Ort und Stelle controlirt oder überhaupt irgendwo
am Ort selbst Aufzeichnungen gemacht. So würde ich auch
in geschickter Weise für meine zukünftige ausführliche dia-
betologische Abhandlung Reclame machen!! Der Unterschied
wäre nur der, dass damit erst im 4. Heft des Archivs begonnen
werden könnte und nicht bereits im 3., und dass das Gebo-
tene in jeder Hinsicht zuverlässig wäre. Ich sehe auch einer
Angabe betreffs der Anzeige von Kalina's Werk entgegen.
Ich habe jetzt bei mir ungefähr 250 Seiten Predigten,
geschrieben vor 30 Jahren in griechischer Schrift (ergänzt mit
einigen mehr gezeichneten' bulgarischen [kirchenslavischen]
Buchstaben), ganz im Dialect von Visoko (unweit von Suho
und diesem sehr ähnlich). Ich werde jedenfalls Einiges davon
abschreiben und denke schon jetzt darüber nach, wo ich dies,
begleitet mit kurzen Anmerkungen (aber keiner ganzen Ab-
handlung), publiciren könnte. Es ist dies ein schönes dialecto-
logisches Material aus einem interessanten Gebiete. — — —
6.
6alonichi, 14. Jänner 1892.
Ich habe mich schon zu einem Gang in die bulgarische
Volksschule aufgerafft, aber die Mühe war umsonst, da die
Knaben erkrankt sind. Wahrscheinlich wird sich die Sache
so arrangiren lassen, dass der betreffende Knabe, sobald er
gesund wird, mich wöchentlich zwei bis dreimal besucht; in
der Schule selbst ist das Nachforschen doch unangenehm. Ich
kann also heute keine diabetologischen Mittheilungen machen;
von der Mundart von GaliÖnik (Debra) glaube ich bereits in
meinem letzten Brief berichtet zu haben. Sobald das Wetter
einigermassen warm wird, besuche ich eine Hirtencolonie (un-
gefähr zwei Stunden von hier,) ausschliesslich Leute aus Galidnik.
MftMdontolM Studios. 147
die ganz abgeschlossen und einsam den Winter hier mit ihren
Herden zubringen und daher ihre Sprache ganz rein bewahrt
haben. Ich erwarte schon mit Ungeduld den Frühlingsanfang,
dann beginnt die Arbeit. Es fehlt zwar hier nicht an Leuten
aus Debra, und auch aus anderen Gegenden Hesse sich jemand
finden, allein ihre Sprache ist schon ein Gemengsei verschie-
dener Dialecte; besser weniger, aber Sicheres! Um mich wenig-
stens einigermassen nützlich zu machen, sende hier eine kleine
Anzeige. Ich habe mich bemüht, mich kurz zu fassen und
ich sehe, dass dies nicht so leicht ist. Die erwähnte Legende
ist jene, die den Passus von der Taube mit Buchstabenbündel
enthält, und gerade diese Stelle war ja in dem von Porph.
benutzten Texte verderbt, sie kann jetzt verbessert werden.
Anzeigen ohne alle wissenschaftliche Hilfsmittel zu schreiben
ist ein schwierig Ding. Ich glaube mich zu erinnern, dass ein
telko auch den grosspolnischen Dialecten bekannt ist, es kommt,
glaube ich, auch in jenem Texte vom Jahre 1526 vor, den
KryÄski im Prace II (Erzählung von der Eupraxia?) veröffent-
lichte, aber ich wagte doch nicht aus dem Kopf zu citiren. Ein
Lied des Inhaltes, dass neun Brüder auf den Fluch der Mutter
sterben etc. habe ich noch diesen Sommer gelesen, aber wo? Ist
es nicht im 2. Band des Vuk? Ich hoffe in kurzem eine kleine
Anzeige der Abhandlung Conjefs über den ostbulgarischen
Vocalismus zu senden, wenn es mir gelingt das 1. Heft des
Period. Spisan. (Sofia) aufzutreiben. Mir ist nämlich die An-
sicht, dass der Umlaut des a zu e im Bulgarischen nur durch
die Analogie des von *k (la) zu e hervorgerufen wäre, ganz
unwahrscheinlich, aber es geht mir hier alles diabetische Ma-
terial für die ostbulgarischen Gegenden ab. — — — —
7.
Salonichi, 9. Februar 1892.
Die Frage über die Stellung der macedonischen Dialecte
ist bereits gründlich gelöst und ich könnte nach Hause zurück-
kehren ! Es erschien soeben, KapTa cpncKHX 3eif a-fca mit einer
langen ,historisch-sprachlichen' Einleitung, herausgegeben von
der serbischen ,Omladina*. In ganz Macedonien, westlichem
Bulgarien sammt Sofia, ja theilweise noch in den Rhodopen
10»
148 VIII. AMmndlwif: ObUk.
sind nur Serben! Um dieses grossserbische Gebiet besser zu
arrondiren, werden auch die östliche Hälfte Erains und die öst-
lichen Theile der Südsteiermark hinzngeschlagen ! Drinov und
die Miladinovci werden als Falsificatoren erklärt, alle von den
Bulgaren aufgezeichneten Lieder sind umgearbeitet etc.!! Ich
preise mich glücklich, dass ich diese glänzende Abhandlung
noch rechtzeitig erhielt, denn erst jetzt weiss ich, dass der
Dialect von Suho gar nicht bulgarisch ist! — — Man muss
die Serben sehr bedauern, dass sie eine solche Universitäts-
jugend haben, die nichts lernt und nichts weiss. — — —
Ich habe jetzt einen Tag unter den Schafhirten von Ga-
liönik in ihrer Strohhütte an ihrem Herdfeuer verlebt Ich
fand Alles, was ich mir bereits früher aufgezeichnet, bestätigt
Der Artikel ist dreifach: govhlarot, petlca-va (meine Ferse),
dfaieska je ubaf dhnof. Die Silben sind grösstenteils kurz,
doch auch ~ und ', z. B. nd sut, ndprava (1. Sgl.), pdönaf.
Für q steht o, einigemal auch u : gtiski, güslo Q ist ein nur im
geringen Grade hartes Z), gushnica, sut, sudtt, selten a: ielad,
bbraö und auch geradezu 6brt>6. Ob das u in den Fällen nach
g so aufzufassen ist als etwa in sut, ist mir fraglich, es scheint,
dass hier der gutturale Charakter des g mitgewirkt hat, vgl.
besonders gülabi, also u trotzdem es betont ist; hieher gehört
auch mnbgu, während sonst das neutr. o als solches bleibt oder
sich nur wenig dem u nähert, also i%. Die Lautgruppe je
wird einigemal durch jo vertreten : jozik, jotfva, joömen , liegt
hier ein Wandel des jft in jq vor oder ist es so aufzufassen
wie oste? Für ostbulg. St, id erscheint gewöhnlich 6, $, selten
Je, g, z. B. mhgu aber mefa, tufi aber tüga, veJci, daneben selten
auch So: leSöa, kleSH, puSta, wobei das 6 nur schwach gehört
wird. Doch So und nicht S6o (Sto). In den Partie, wie gle-
dd^Ki nur K, niemals <5. Die Aussprache des z ist in gewissen
Fällen sehr scharf, man vermeint fast ein % zu hören, z. B.
zet, zvezda. Für l — 61 und \, wobei aber in den Fällen, wo
nur l erscheint, dieses sehr schwach gesprochen wird: vblna,
dblga, vlk, jäblka. — öereSna, öereva. In der Conjugation fehlt
das m in der 1. Sgl. selbst bei Verben der V. Cl., ja sogar
nur su und nicht sum. Gerade dies Beispiel scheint aber da-
für zu sprechen, dass die Verben V. Cl. sich erst spät mit
den übrigen in der 1. Sgl. ausgeglichen, dass sie also in älterer
Muoedoniaohe Studien. 149
Periode wie in den meisten balgarischen Dialecten ein m hatten ;
für su muss dies angenommen werden, denn sonst bleibt das
u anerklärt, eine Anlehnung der 1. Sgl. an die 3. Sgl. liegt
hier nicht vor, da letztere se (was ist damit anzufangen, ist e
an das auslautende e der 3. PL der häufigen Aor. angelehnt?)
lautet. Diese Aufzeichnungen, die zwar für mich selbst sicher
und unzweifelhaft sind, werde ich doch trachten nochmals und
zwar an Ort und Stelle zu prüfen, um ja das Gewissen selbst
der grössten Zweifler zu beruhigen. Mit dem Resultate dieses
Eintagsausfluges bin ich ganz zufrieden, obwohl mich derselbe
zehn Gulden kostet. Mein Plan für meine erste Reise ist schon
fertig gestellt, ich warte nur warmes Wetter ab; wenn die
Jahreszeit günstig ist, so kann ich schon am 1. März auf-
brechen. Ich gehe von hier über Suho (wobei ich alle umlie-
genden Dörfer besuche) nach Seres, bleibe dort 7 — 10 Tage
um die Mundarten der Umgebung zu studiren, von dort gehe
ich bis nach Drama und dann nach Nevrokop (am Südwest-
abhänge der Rhodopen) und Melnik, von dort nach Petriö,
Strumica, Dojran, KukuS, Salonichi. Diese Tour, auf 4—6
Wochen berechnet, wird äusserst beschwerlich, oft wird kaum
ein ordentliches Pferd aufzutreiben sein. Ich denke an diese
Reise nicht gerade mit Vergnügen, aber glaube, dass sie in-
teressante diabetologische Ausbeute liefern wird. Vorher will
ich aber auf kleineren Reisen die Umgebung Salonichi's be-
reisen. Jetzt ist dies noch unmöglich, bei schönem Wetter
kann man sich in die Dörfer bei Tage leicht wagen, doch die
Nächte sind noch immer sehr kühl und im Dorfe nirgends ein
ordentliches Nachtlager. Wenn ich meine Aufgabe so lösen
will, wie ich mir dieselbe ausgedacht, und also ganz Mace-
donien bereisen will, bedarf ich einer ziemlich ausgiebigen
Unterstützung des Ministeriums, hauptsächlich muss aber die-
selbe rechtzeitig eintreffen, und doch möchte ich nicht gerne
früher um dieselbe einkommen, bis nicht die Grazer Ange-
legenheit erledigt ist. Es fragt sich nur, ob das Ministerium
auch diese Angelegenheit (der Unterstützung) in gewohnter
Langsamkeit erledigen wird, dann dürfte ich allerdings erst
in Cilli die Sendung erhalten!
Ich möchte mir Ihren Rath in der Art des diabetischen
Ausforschens erbitten. Wichtig ist, einen Modus zu finden,
150 VIII. Abhmndlonf : ObUk.
der ermöglicht solche Aufzeichnungen in gewünschter Rich-
tung möglichst schnell zu machen, und gerade über jenes
sich zu informiren, was aller Wahrscheinlichkeit nach interessant
oder wenigstens für die Classification wichtig sein könnte.
Wenn ich die Leute einfach sprechen lasse, so kann ich eine
ganze Woche oder noch länger warten bis es [der Zufall fügt,
dass ich über eine Form oder einen lautlichen Reflex etwas
erfahre. Ich verfahre jetzt so, dass ich zuerst die Leute frage,
wie sprecht ihr dies und jenes aus, wobei ich immer das Wort
in einer anderen Form ausspreche, als es wahrscheinlich in
ihrem Dialecte lautet. Erst wenn ich mich schon über alle
lautlichen Eigentümlichkeiten informirt, lasse ich mir lungere
Sätze vorsprechen. Vielleicht haben Herr Professor noch welche
specielle Wünsche, die sich etwa bei den Vorträgen über die
vergleichende slavische Grammatik ergeben haben? — — —
Beim Lesen bulgarischer Volkslieder ist mir aufgefallen,
dass einige serbische Helden selbst den Liedern aus den Rho-
dopen bekannt sind, ein kritisch -vergleichendes Studium der
serbischen und bulgarischen Volkslieder, besonders der Volks-
epik, wäre höchst interessant ; vielleicht bringt hierin die grosse
Abhandlung des dänischen (schwedischen?) Gelehrten, die ich
in zwei Hefken im Redactionsfach des Archivs sah, einiges
Licht. — — — — — — — — — — — —
P. S. Ich komme gerade vom türkischen General-Gou-
verneur, den ich zwar nicht selbst gesprochen habe, sondern
nur den Dragoman unseres Consulates. Ich bedarf für meine
Reise ins Innere unumgänglich eines offenen Empfehlungs-
schreibens ,Bajrundu' des General-Gouverneurs selbst, nur dann
machen mir die türkischen Behörden in den kleinen Orten
keine Schwierigkeiten, und meine Reise ist nur bei einem sol-
chen Geleitsbrief unverdächtig. Halten sich die kleinen Be-
hörden abseits, so bin ich den Einwohnern selbst verdächtig,
und es ist dann jeder Verkehr mit denselben unmöglich. So
wurde mir übereinstimmend von mehreren Kennern, die Mace-
donien und die Türkei bereist, berichtet. Unser Viceconsul
(einen Consul haben wir noch nicht), ist erst seit Kurzem da
und ein Neuling in allen türkischen Angelegenheiten, er
hat die Sache verkehrt angefasst. Statt selbst zum Pascha zu
gehen, schickte er mich mit dem Dragoman zu einem hoben
Vactdoiiiioha Stadien. 151
türkischen Beamten, der eigentlich in dieser Sache gar nichts
zu entscheiden hat; und wirklich ist es so geschehen, wie mir
für diesen Fall Jastrebov vorausgesagt; der Pascha will mir
ein Empfehlungsschreiben geben und kein Bajrundu. Das sind
die ersten Früchte des ,Nachthunlichkeits-Empfehlungsbriefes'.
Ich bekomme morgen dasselbe und werde sehen, ob es mit
demselben gerathen ist die Reise ins Innere anzutreten; wenn
es nur ein leerer Wisch ist, dann muss ich von der Bereisung
des ganzen südlichen Macedoniens absehen (Seres, Nevrokop,
Kostur) und nach Bitolj reisen, um dort für die dortigen Ge-
genden vom dortigen Pascha ein solches Bajrundu zu erhalten.
Ich werde mir bei Jastrebov Rath erholen und ihm das Schreiben
vorlegen. Jener hohe türkische Beamte hat mir angerathen,
durch unsere Botschaft in Constantinopel bei der Pforte ein
Empfehlungsschreiben an alle türkischen Vilajets in Macedonien
auszuwirken, was ich nur für eine Falle halte; ich glaube
aber, abgesehen von allein anderen, dass ich durch ein solches
,hohe' Empfehlungsschreiben den Behörden verdächtig er-
scheinen würde; ich werde bei Jastrebov nachfragen. Der
türkische Beamte erkundigte sich, wie, das ist, in welcher Weise
ich meine Forschungen vornehmen will, was ich eigentlich
dabei suche etc., kurz mein Zweck schien ihm etwas verdächtig.
Ein trauriges Land, wo wissenschaftliche Zwecke und Reisen
verdächtig erscheinen!
8.
Salonichi, 21. Februar 1892.
Bei unseren Lehrern — vielleicht stehen die in Deutsch-
land auf einer höheren Stufe — muss ausdrücklich betont
werden, dass sich diese Aufzeichnungen ganz von der Schrift-
sprache zu emancipiren haben; gewöhnlich wird das Wort nur
in jenem Punkt, nach dem man gerade fragt, genau aufge-
zeichnet, das Uebrige wird aber in der Form der Schriftsprache
gegeben. — — — — — — — — — — — —
In 14 Tagen hoffe ich schon meine grössere Reise ins
südöstliche Macedonien antreten zu können, ich warte schon
kaum das Ende des qualvollen Nichtsthun ab. Dieser Tage
mache ich einen grösseren Ausflug in die Umgebung Salonichi's
152 VIII. Abhandlung: ObUk.
im weiteren Sinne. Der Dialect von Galiönik ist fast voll-
endet, er ist nur lautlich interessant. Nach vielen Jahren las
ich abermals Sievers' Phonetik durch, aber ohne jeden prak-
tischen Nutzen für meine dialectischen Beobachtungen. Ich
kann doch nicht mit Kautschukschläuchen herumziehen und
die Tuschmanier anwenden, dazu gibt sich wohl niemand hier
her. Das Buch ist in der Theorie ganz vortrefflich, lässt uns
aber gerade dort im Stich, wo wir Belehrung suchen. Vom
General-Gouverneur habe ich zwei geschlossene Schreiben er-
halten, mit denen ich mich abermals in Seres und Drama
beim Pascha melden muss, um auf der Reise wieder Zeit zn
verlieren. Zum Glück kommt bald Schm. — her, der die
türkischen Verhältnisse kennt.
9.
Salonichi, 27. Februar 1892.
Da ich definitiv in 8 — 10 Tagen von hier abreise, so
möchte ich ersuchen zu urgiren, dass ich nach Möglichkeit
bis dahin die Correctur der ,Altslovenischen Bemerkungen' er-
halte. Später habe ich bis nach meiner Rückkehr aus Mace-
donien keine Gelegenheit, die Correctur zu lesen. — — —
Für die Reise ist bereits Alles vorbereitet. Ich glaube von
Seres den ersten diabetologischen Beitrag fürs Archiv senden
zu können und hoffe, dass er ungefähr am 25. März, noch nicht
zu spät für's 4. Heft, kommt.
10.
Salonichi, 4. Mari 1892.
Gestern abends um 10 Uhr bin ich vom Dorfe Vardarovce,
ungefähr 10 Stunden von da, in Begleitung von zwei Gendar-
merieoffizieren und vier Gendarmen als Spion zurückgekehrt,
nachdem zwei Gendarmen sich vorher entfernt. Die Nacht ver-
brachte ich auf dem Polizeiamte. Ich ging von hier nach Novo
selo und nach vier anderen Dörfern, und hatte gerade meine
Aufzeichnungen in Vardarovce fast vollendet, als die Katastrophe
eintrat. Ich sass beim Popen am Herdfeuer und machte ruhig
meine Notizen, plötzlich verfinstert sich das elende Zimmer,
Mocedonische Studien. 153
als ich aufblicke, sehe ich einen türkischen Offizier mit Revolver
auf mich stürmen, hinter ihm sechs Suvaris' (Gendarmen) mit
gespanntem Gewehr. Er reisst mir mit wildem Blick mein Notiz-
buch aus der Hand, packt schnell meine wenigen Schriften
zusammen, jagt die Einheimischen hinaus und durchsucht zu-
erst meinen Pferdetreiber. Dann kam die Reihe an mich.
Alles wurde mir weggenommen bis aufs Geld und die Uhr.
Wir wurden zuerst zum türkischen Dorfrichter escortirt. Ich
zeigte gleich beim Anfall dem Offizier meinen Pass und ins-
besondere das Schreiben des General-Gouverneurs, aber er griff
es nur mit Hast, um es ungesehen fn die Tasche zu stecken.
Ich protestirte, erklärte, dass ich österreichischer Unterthan bin,
alles vergebens; sie verstanden zwar nichts, ausser dass ich
ein österreichischer Unterthan bin, aber darauf nahm man keine
Rücksicht. Vom Dorfrichter wurden wir nach Salonichi es-
cortirt. Durchnässt bis auf die Haut und fast erstarrt vom
heftigen kalten Wind kamen wir dort an, nachdem ich an
diesem Tage zwölf Stunden zu Pferde war, obwohl ich das
Reiten gänzlich ungewohnt bin ! Dass ich heute fast weder gehen
noch sitzen kann, ist ganz begreiflich. Um ein Uhr nach Mitter-
nacht wurde ich verhört, aber wir konnten uns fast nicht ver-
ständigen. Heute wurde ich in Gnaden entlassen, während
der arme Teufel, mein Pferdeführer, der kein fremder Unterthan
ist, noch jetzt sitzt. Also trotz des Passes und des Empfeh-
lungsschreibens kann einem ein solcher unfreiwilliger Transport
passiren. — — — — — — — — — — — —
In den fünf Dörfern machte ich genug interessante Be-
merkungen. In zwei Dörfern fand ich, dass die alte Mutter
noch 8c sprach, während ihr daneben sitzender Sohn schon U9
und trotzdem war er fest überzeugt, dass er ganz so spreche.
In den drei ersten Dörfern fand ich noch H in Wörtern wie
Jdeäte, o&te, in den letzten zwei entfernteren von Salonichi
bereits U. Ueberall 6 , £ bis auf Üb (Futur.) ; lange Accente
sind öfters stark bemerkbar, davon hängt sogar in einigen
Dörfern der Wandel des aj in ej ab, d. h. kurz betontes aj
wird ej. Rhinesmus erhalten nur in endza gä fatl und zamba,
wenn dieses kein Fremdwort ist, sonst bis auf vereinzelte Aus-
nahmen für qj und a nur ^, aber nicht von ganz gleicher Klang-
farbe in allen fünf Dörfern. — Wenn ich nur mein Notizbuch
154 VIII. Abhandlung: ObUk.
zurück bekomme, wo alle meine bisherigen Aufzeichnungen
eingetragen sind, wenn man es nicht als verdächtig ver-
brennt! Von den vielen Beschwerden und Unannehmlich-
keiten, Schwierigkeit wegen der Nahrung etc. will ich heute
gar nicht sprechen, ich bin zu müde und muss schliessen.
Alle jene Leute, die mich auf meiner Reise gastfreundlich
aufgenommen, dürften Unannehmlichkeiten haben, eingesperrt
und zu Geldstrafen verurtheilt werden. Sie erbarmen mir wirk-
lich, aber unser Consul hat noch nicht verlangt, dass man meine
Führer los lasse, obwohl er dies leicht erlangen kann. Das
Reisen in den Dörfern ohne private Empfehlungen von Dorf
zu Dorf ist unmöglich, die Leute sind zu misstrauisch, und
sie haben vollkommen Recht. Ich kann es nicht leicht über
mich bringen, die Leute solchen Gefahren auszusetzen. Um
etwas leichter zu reisen, müsste ich mich als Antikensammler
ausgeben, aber dann könnte ich so gut wie keine sprachlichen
Aufzeichnungen machen. Der Consul sagte mir auch, dass es
sehr zweifelhaft ist, ob ich vom hiesigen General-Gouverneur
Empfehlungsschreiben in andere Gebiete erhalten kann, z. B.
nach Veles. Ohne dieselben ist das Reisen ein Unding.
11.
tialonichi, 5. Mars 1892.
Jedes weitere Reisen in Macedonien ist für mich ab-
solut unmöglich. Ich war heute abermals bei unserem Consul
und er gab mir den guten Rath, so bald als möglich aus der
Türkei fortzureisen. Ich stehe bei den Türken jetzt im Ge-
rüche eines Spions, und es ist sogar fraglich, ob sie mir einen
Pass nach Athos geben. Sie sagen, in meinen Aufzeichnungen
befinden sich nur Notizen über die Zahl der Bulgaren in Ma-
cedonien!! kü6a, nazot, de6o etc. scheinen also nichts ab eine
neue Methode der Volkszählung darzustellen, denn ausser solchen
Dingen ist absolut nichts im Notizbuch. Wenn ich den Pass
nach Athos erhalte, so gehe ich mit dem nächsten Schiff dahin
ab, nachdem ich mich vorher hier bei einigen Athosmönchen
erkundigt, ob es mir möglich ist, eine ö — 6-wöchentliche Fasten-
probe auszuhalten. Wenn mir unmöglich ist dahin zu gehen,
so reise ich nach Krk und die benachbarten Inseln nm dort
lUcedoniflch« Stadien. 155
die Dialecte zu studieren; hoffentlich sieht man dort in mir
keinen nissischen Spion. Die hiesige Polizei hat erfahren, dass
ich bei Jastrebov war, und deshalb bin ich ihr jetzt noch ver-
dachtiger, es scheint mir fast, dass auch der Consul etwas
zweifelt, ob ich nicht politische Missionen verfolge 1! In Bel-
grad halte ich mich jedenfalls einige Zeit auf, und wenn ich
in den dortigen Bibliotheken lohnende Arbeit finde, so ver-
längere ich meinen Aufenthalt. Für Krk hoffe ich mich durch
Mil£eti6 in Fiume mit einigen Empfehlungen versehen zu
können.
Für derartige genaue diabetische Studien, wie ich sie
im Auge hatte, ist in Macedonien noch lange nicht die Zeit
angebrochen. Hier kann deutsche Gründlichkeit sehr gefähr-
lich werden. Wenn ich nur von Stadt zu* Stadt reise, die
Dörfer nur gelegentlich berühre, so erregt dies, wenn man ein
Schreiben der Behörde hat, keinen Verdacht, aber von Dorf
zu Dorf, das soll jetzt noch niemand wagen und keine Uni-
versität jemanden zu solchen Zwecken hieher senden. Leicht
ist es Volkslieder zu sammeln, denn da reist man vorgeblich
als Botaniker oder Alterthumsforscher und bringt die Rede
auf die Lieder, sobald man eines hört, bewundert man es und
zeichnet es auf, aber anders ist es bei rein diabetologischen
Zwecken, wenn man aus der Quelle selbst, d. i. an Ort und
Stelle schöpfen will. — Welche Vorbereitungen hatte ich be-
reits für die Reise getroffen, und jetzt ist Alles umsonst.
Mein Schreiben berechtigte mich nach wiederholten Ver-
sicherungen J.'s auch zur Reise in die jetzt bereisten Dörfer,
dieselben liegen nicht so weit abseits, der Dialect dieser Dörfer
steht in engster Beziehung mit dem auf dem Wege von Salo-
nichi nach Seres. Ich kann ja bei derartigen Reisen, wo es
sich um die Feststellung des Verhältnisses der einzelnen Mund-
arten zu einander handelt, nicht im Voraus bestimmen, in
welche Dörfer mich die Reise führt, man kann durch diabeti-
sche Funde ganz verschlagen werden. So was ist aber hier,
wie ich jetzt sehe, ganz unmöglich. Hätte ich das früher ge-
wusst, ich hätte mich mit weniger begnügt und andere Zwecke
verfolgt. Ich tröste mich jetzt damit, dass auch Krk ein
diabetologisches Kalifornien ist.
156 VIII. Abhandlung: ObUk. KAOtdonische Studien.
Ich war beim Consul; er gibt mir keinen Pass nach Athos,
weil er fürchtet, dass ich dort abermals verhaftet werden
könnte. Er bat mich wenigstens zehnmal gleich abzureisen,
denn ich sei den Türken im hohen Grade verdächtig, und er
könne nicht mehr lange für meine Sicherheit garantiren. Ich
reise also nach Belgrad; dorthin bitte unter post restante um
Mittheilungen.
Inhaltsübersicht.
Einleitung S. 1—8. — Kurse Beschreibung der Laute und Uebersicht des
phonetischen Werthes der Buchstaben 8. 8—10.
Lautlehre. Vooalismue.
Halbvocale 8. 11—18. — Nasalvocale 8. 18—26. — T> S. 25—26. — A
8. 26-30. — E 8. 30-32. — O 8. 32—34. —7 8. 34—36. — -vi
8. 36—37. — U 8. 87. — Halbvocale in Verbindung mit r— / S. 38
bis 41. - Contraction 8. 41—42.
Consonantismus.
Allgemeines 8. 42—46. — Verhärtung und Erweichung der Consonanten
S. 46—55. — Consonanten in Verbindung mit nachfolgendem j S. 55
bis 68. — Veränderung der Consonanten und Consonantengruppen
8. 69—82. — Accent und Quantität 8. 82—88.
Formenlehre.
Nominale Declination 8. 89—95. — Pronominale und zusammengesetzte De-
clination 8. 96-97. — Artikel 8. 97— 102. - Conjugation. Allgemeines
8. 102—104. — Präsens 8. 104-112. — Imperativ S. 112— 115. -
Aorist 8. 116—119. — lmperfect 8. 119—120. — Participia 8. 120
bis 122. — Futurum 8. 122. — Adverbia 8. 122. — Kurze Charak-
teristik der Dialecte 8. 122-126. - Verzeichnis« häufigerer Abkür-
zungen S. 126—127.
Anhaue: S. 128 — 156.
IX. Abb.: Mussafia. Zor Kritik and Interpretation romanischer Texte. 1
IX.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
Ein Beitrag
ron
Adolf Mussafia,
wirkl. Mitfüede der kais. Akademie der Wissenschaften.
SOÄDEL.
I.
Car no-lli ' n valc capiros ni viseira
que de la galta no-ll* en fezes cartiers.
Der einzige Fall von epischer Cäsar läset sich dadurch
beseitigen, dass, wie in solchen Constructionen üblich, que un-
ausgedritckt bleibt.
VII.
Ben a gran tort car in' apella joglar,
18 c* ab autre vau et autre yen ab me,
e don ses penre et el pren ses donar,
20 qu' en son coro met tot quan pren per merce,
mafl eu non pren ren don anta m' eschaja,
anz met ma renda e no'n vuoill guizerdon
mae boI d' amor . . .
18 vau muss dritter Person sein und ist daher wohl zu
vai zu ändern. Denn die Antithese erscheint dreimal: ,er
(Peire Bremon) geht mit Anderen, Andere gehen mit mir; ich
gebe ohne zu nehmen, er nimmt ohne zu geben; er verwendet
für seinen Leib, was er von fremder Mildthätigkeit empfängt, ich
nehme nichts, was mir zur Schmach gereichen könnte, ver-
1 Ed. Cesare De Lollis, Halle 1896. — Wo es nicbt darauf ankommt, die
Lesung der Handschrift genau wiederzugeben, uniformiere ich leise die
Graphie. Enclitica (mit Ausnahme von an Präposition angelehntem Ar-
tikel) bezeichne ich, der Deutlichkeit halber, mittelst eines vorgesetzten
Punktes.
Sitxungsber. d. phil -hist. Ol. CXXX1V. Bd. 9. Abh. 1
& IX. Abhandlung: Mutsafia.
wende vielmehr meine Einkünfte [zu Nutzen Anderer], und
wünsche keinen anderen Lohn als Liebe*.
25 Car sol si aap peigner et afaitar . . .
28 cre que'is n' azaut tota domna de se;1
mas eu non crei que pros domna 8f atraja
vas tant vil cors per tant vil ochaison . . .
33 En luoc d' ausberc fai cami&a redar . . .
36 e per escut pren mantel e'l rete ;
e si per so a d' araor ren que'il plaja
reptar pot hom amor de tracio :
mas non o fai mas per semblansa gaja
lo fals feignens, car al res no * ill ten pro.
Die Interpretation: ma d'amore egli non s'occupa se
non per darsi 1' aria d' uomo gajo, scheint mir das Richtige
wenn auch zu streifen, doch nicht vollständig zu treffen. 33 ff.
wiederholen in ausführlicherer Art den 25 ff. enthaltenen Ge-
danken: ,ich glaube nicht, dass eine edle Dame sich zu einem
solchen Stutzer hingezogen fühlen könne'. Hier heisst es : »Sollte
Amor einem solchen Stutzer etwas gewähren, so müsste man
ihn anklagen', non o fai steht in Beziehung zu a d' amor
ren . . . ; 39 — 40 bedeuten ,Er hat aber nichts von Amor als den
leeren Schein, den er, sich freudig stellend, hervorzubringen
sich bestrebt; denn etwas Anderes hat er nicht davon'.*
vin.
12 e dizon que'l soana lo Tempi1 e lf Espitals,
quar entr' eis no cap hom volpils ni deslials.
So R; die andere Handschrift home, mit einem Flexions-
fehler, der im Texte nicht erscheinen sollte.
13 Semblan sai qu' el fara, com que'l fassa marrir;
que ren noi presara lo mal que m' auzis dir.
Besser in R : non presara, ohne proleptisches 'l , das hier
wenig passend und wegen 'l in der vorangehenden Zeile ver-
wirrend ist.
1 So mit Stimming; De L. zieht dessc vor.
* Keineswegs ausgeschlossen ist die Möglichkeit, dass per «emUan$a yaja
sich auf die Frauen beziehe, die, den Stutzer verspottend, sich stellen,
als ob sie dessen Liebeswerbungen freundlich entgegennähmen.
Zur Kritik nnd Interpretation romanischer Text«. 3
X.
1 Lai al corate mon segnor voill pregar
non li plassa qu' ab se'm men oltra mar,
quar ben sapcha qu1 eu lai non poac passar;
4 pero el iniez totz temps volri' estar,
ben volria la gent acompagnar
e Dens penses de las armas salvar.
V. 4 — 5 sind mir wohl dem Wortlaute, nicht aber dem
Znsammenhange nach vollkommen klar,1 ich halte jedoch für
zweifellos, dass 6 bedeutet: ,und Gott möge fttr Rettung der
Seelen sorgen'. De L. emendiert Dens zu Deu und gibt penses
mit ,penserei* wieder, ohne zu erklären, wie er dann die Stelle
versteht.
9 Ancar non ai de la mar tant apres,
si tot lai gen sui nuiritz, qu' eu pogues
oltra passar, per esfortz qu1 eu fezes;
12 per que'l comte voill pregar non li pes
s1 ab lui non pas, qu1 esser non dei repres,
qu' eu tem tan fort la mar, quan male temps es,
qu1 oltra non posc passar, per re zoin pes,
16 e'l coms non deu voler qu' eu mora ges.
In V. 15 soll causales per mit concessiver Bedeutung vor-
liegen. Wie solche Constructionen beschaffen sind (per pena
ch' eo patisca, per pauc qu' eu agues, por entränge estat quf il
preist] vgl., ausser Diez, Tobler in Verm. Beitr. II 23 ff.) zeigt
deutlich V. 11. Die in V. 15 angenommene Wendung lautet
doch anders. Und wie wäre sie auch zu übersetzen? Etwa
,so schwer es mir fällt, so leid es mir thut' ? aber pes ist schon
Reimwort in V. 12. Oder sollte gemeint sein: ,so sehr ich es
mir überlege'? Diess könnte höchstens durch per re que'm
pes ausgedrückt sein. Man interpungiere: . . . no posc passar
per re, zo'm pes.% ,ich kann durchaus nicht die Ueberfahrt
unternehmen, Diess denk1 ich'.
1 Heiüst es: ,ich will mich in der Mitte halten, d. h. nicht zu Hause
bleiben und uicht ius heilige Land ziehen, sondern nur eine Strecke
Weges die Kreuzfahrer begleiten1?
1 Vgl. dieselbe Füllsel XXXX, 803.
1*
IX. Abhandln«: M«i«»fi».
XV.
1 0 aissi co stai mal al pro * paupretatz,
si estai mal al croi ric la rietatz;
qu' amdui trajon greu pena e greu türmen,
e non sai dir cal a major raneura;
que " 1 pros paubres no pot viure joios,
e'l riefe] croi[s] via marritz e consiros,
abdui vivon ab gran desa Ventura . . .
21 Per so mi par que fos ben e dretura
que'l trop[s] delß ricx malvas e nuaillos
fos mes al pauc del valen sofrachos,
que'l paucs e'l trops, V uns e Y autre pejura.
V. 24 soll offenbar meinen : ,zu wenig und zu viel, Beides
schadet', so dass pejura absolut gebraucht wäre. Als Lesart der
einzigen Handschrift (T) wird lun* angegeben, wahrscheinlich
ein Druckfehler für lun. Aber selbst wenn T luns läse, würde
es sich empfehlen V un zu lesen : 2 V un e V autre sind Accu-
sative zu pejura] das Komma ist zu tilgen. Es wird hier
nämlich der VV. 14—17 ausgedrückte Gedanke wiederholt:
,wie dem tüchtigen Armen der Mangel, so schadet dem
schlechten Reichen der Ueberfluss'. Der Parallelismus würde
durch Aenderung in V. 22 zu del ric wesentlich gewinnen.
Vgl. V. 15. 28. 31.
25 Mas una reu vos voill far entendeu s
segon qu' ieu cre qu* es raisons e vertatz;
c' anc non fo rics per aver om malvatz
ni'l pros paupres per pauc aver ni argen.
1 Hschr. und Druck pn>&,
* Ich drückte mich so aus, weil mir die letzten Hefte von Mahn'» Ge-
dichten nicht zugänglich waren. Jetzt sehe ich, da/» T in der That
luns hat Wäre nicht das Komma, so milchte man Vuns des Textes al»
Druckfehler ansehen.
9 far etUenden wird als facti tives 8eitenstück zu estrt enternden angeseheu;
wie dieses »verstehen', so jenes .verstehen lassen, lehren'; die zunächst
als Gerundium aufzufassende en-Form hätte noch Verbalkraft; wie «
trastornan lo pöble = commovet populum (Dtez III, 199 — 200), so vot/atz
mtenden una ren ,ich mache euch zu einem Etwas verstehenden*. Ver-
gleicht man indessen Stellen, in denen ein Pronomen der dritten Person
oder ein Substantiv vorkommt, so erkennt man, das w» Dativ ist Da-
durch wird die ingeniöse Erklärung — die wohl nicht der von Tobler,
Verm. Beitr. I, 36 ff. entgegentreten will — hinfällig.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 5
ni erleidet nirgends Elision; es ist zweifellos aur ni argen,
die beliebte Verbindung, zu lesen, auer st. aur wird sich aus
vorangehender Zeile eingeschlichen haben.
XVI.
22 Ai, com pot esser tan desvergoignatz
nuls om gen tils, qeis an embastarden
so lignage per aur ni per argen ?
V. 22 nach I8 K* würde der einzige Fall von überschla-
gender Cäsursilbe sein. TF1 haben aber tan esser ; man wird
die metrische Besonderheit um so weniger auf Rechnung des
Dichters setzen, als PK2 in derselben Zeile fehlerhaft de uer-
goingna lesen.
In V. 23 hat keine der erwähnten vier Handschriften das
Reflexivpronomen; sie lesen que oder qez*
In V. 24 haben PK*T den Accusativ, während F sos
legnages liest. Embastardir kann Transitiv 3 oder Intransitiv sein.
Der Sinn bleibt sich in beiden Fällen gleich: ,wie kann ein
Mensch von edler Herkunft so aller Scham (oder: alles Ehr-
gefühles) baar sein, dass er des Geldes halber die Entartung
seines Geschlechtes herbeiführe?' oder ,dass sein Geschlecht
des G. halber immer mehr entarte'? Höchstens kann erstere
Ausdrucksweise, die den Menschen als thätig darstellt, wirk-
samer erscheinen.
IK weichen ab; sie lesen:
Ai,4 com poira esser desvergoignatz
nuls om gentils, que * is vai embastarden
sos5 lignages per aur ni'per argen.
Es ist schwer, diese Lesung als die ursprüngliche anzu-
sehen. Ist poira nicht Fehler für pot tan (pottä), so mag man
darin eine — metrische — Correctur der Stellung esser tan
1 F hat eigentlich "esaer "tan.
9 qez in F, nach Stengel'8 Abdruck. Nach De L., der zu qeis des Textes
nur die Variante I'K'T que verzeichnet, hätte auch F qeis.
9 l'K* haben, gegen den Reim, embastardan, wodurch das transitive Genus
deutlicher ausgedrückt wird.
4 Eigentlich Si mit irriger Initialis.
5 I so.
6 IX. Abhandlung : Mnscsfia.
sehen, die sich dadurch als ein alter Fehler erweisen würde. Das
Fehlen von tan mag die Aenderang von an zu vai ver-
anlasst haben; que ist dann relatives Adverbium, que ..$0$
,dessen'. Desverg. könnte mehr passive Bedeutung haben, ,wie
wird zu Schande kommen der Mensch (= welche Schande ffir
den Menschen), dessen Geschlecht immer mehr entartet*; re-
flexives embastardir mit gleicher Bedeutung wie intransitives.
Man wird also lesen:
Ai, com pot tan esaer desvergoignatz
nuls om gentils, ^ . an embastarden
0 ' que* 18
son lignage . „ «
.. ° ^ per aur m per argen i *
808 lignages r r °
Wenn man transitives embast. vorzieht, so nur que; wenn
intransitives, so kann zwar auch da que bleiben; es lässt sich
indessen, ohne gerade eklektisch zu verfahren , das -s von I K
benützen ; qez von F wäre Fehler fiir qes.
XIX.
In dieser Tenzone trägt Sordel den Bertran von Alamanon,
was höher zu schätzen sei: Liebe oder Waffenruhm. Bertran
entscheidet sich für letzteren. Darauf Sordel:
17 Be sai partir e vob mal prendre,2
e parra be ans que'us partatz de ini,
que ees amor luns hom non a pretz fi :
20 qu' avetz chausit gent fariatz apendre,
quar anc laissetz joi, domnei ni amor
per sofrir colps, fam e freg e calor.
Zu V. 20 die Bemerkung: que ,ciö che'; </. far. ap. ,ben
dovreste imparare'. Faire + reiner Infinitiv wird mit Hinweis
auf Appel zu Peire Rogier durch fare in modo da erklärt.
Appel hat aber diess nicht gesagt, er hat, faire blasmar mit
1 Raynouard, Lex. Rom. I, 474 liest pot tant es. d. . . . qti* vai emh. *o»
Ugnatges, was wie eine Combination von I*Kf mit IK aussieht. Ebenso
der erste Vers V, 608 pot tant e*. d.; die zwei letzten lauten II, 193
n. om g. qne an cmb. ton Ugnatge ,nul homme gentil qnt aille ab&tar-
dissant sa lignee' [nuU und que nicht richtig wiedergegeben, weil Rayn.
den Zusammenhang übersehen hat].
* Hb. penre: die Reime entmdre, atomdre, defendre u. s. w. fordern prendrt.
Zar Kritik and Interpretation romanischer Texte. 7
faire a blasmar vergleichend, hervorgehoben, dass ersteres
, bewirken, dass man tadelt*, letzteres ^handeln in solcher
Weise, bewirken, dass man zu tadeln geneigt ist'. Für die
zweite Wendung nimmt Appel drei Fälle an, von denen der
erste üblich, die zwei anderen überaus selten sind: a) Subject
von faire und Object des transitiven Infinitivs sind identisch: el
fax a blasmar ,er handelt so, dass man geneigt ist [ihn] zu
tadeln' = ,er ist tadelnswerth'. b) Subject ist ein Satz, Ob-
ject des transitiven Infinitivs ist ein Nomen: Quar no'i ausetz
anar vos fax a blasmar, ,dass ihr nicht zu gehen wagt , be-
wirkt, dass man geneigt ist euch zu tadeln' = ,ihr seid tadelns-
werth, weil', c) Das Verbum im Infinitiv ist intransitiv, sein
Subject, verschieden von dem von faire, ist unbestimmt : tal
domna fai a viwre ,eine solche Frau bewirkt, dass man [gerne]
lebt'.1 Es ergibt sich daraus, dass fariatz ap. den Sinn, den
ihm De L. zuweist, nicht haben kann. Eher liesse sich an jene
Umschreibung des Verbums mittelst facere und dem Infinitiv
denken, die sowohl im Provenzalischen als im Altfranzösischen
hie und da begegnet: fariatz aprendre = aprendriatz. Diess
ergäbe ,ihr würdet lernen was ihr gewählt habt'; diess passt
aber eben so wenig in den Zusammenhang als ,ihr müsstet
lernen was u. s. w.'.
Ich folgte bisher der Ansicht De L.'s, der in apendre (so
in allen drei Handschriften) lat. apprehendere erblickt (gibt es
aber eine solche Form neben aprendre und apenre?). Es liegt
indessen apendre vor; fariatz apendre ,ihr würdet den Galgen
verdienen'. Das Formelhafte benimmt dem Ausdrucke seine
Schärfe; gemeint ist ,ihr verdient Tadel, Strafe'; gent wäre
durch ,mit Fug und Recht' oder ,wohl' wiederzugeben; von
den zwei anderen Handschriften hat eine be, die andere ja • n.
In q\C avetz chausit könnte que relatives Adverbium sein, be-
treffs dessen, das'; man wird vorziehen, darin einen Fragesatz
zu erblicken. Von den anderen Handschriften hat M qes avez
pres, F (durch Ambr. u. Rice, vertreten) e qauez pres. Da
1 Läset sich nicht kürzer sagen: im Falle a) entspricht a blasmar dem
Neutrum des Partie. Pass. Fat.? laudandum facit = fai a lauzar, ,er
that Lobenswerthes = er ist lobenswerth'. Dann auch im übertragenen
Sinne: so. fai a desirar. Die seltenen Fälle b) nnd c) wären Nach-
ahmungen von a).
8 U> Abhandlung: Mnssafia.
Bertran in der Entgegnung, wo gern die vom Oppositor ge-
brauchten Ausdrücke wiederholt werden, sagt:
Be mi sabrai, Sordel, de vos defendre
que'l1 mielh ai pres e dirai vos: cossi *
iretz vezer lieis qu1 amatz ab cap cli?
so Hesse sich pres als die ursprüngliche Lesung ansehen.
XX.
13 enaissi es guitz
per dretz guidar sos genz cors ben aibitz
las pros en pretz, com las naus8 en mar guida
la tramontana e ' 1 fers e ' 1 caramida.
De L. bringt eine Reihe von beherzigenswerten Argu-
menten gegen diese von allen sechs4 Handschriften gebo-
tene Lesung vor (nur eine hat den Fehler sertz, eine an-
dere fer 5 alle el caramida) ; er ist überzeugt, dass zwei Ver-
gleiche vorliegen, so dass zu lesen wäre e'l fer la caramida.
Der Consensus der Ueberlieferung und der Umstand, dass hier
nur von guitz und guidar die Rede ist und der Magnet wohl
das Eisen zieht (V azimans atrai lo fer), es aber nicht führt
(oder: leitet), zwingen uns, caramida als Subject von guida
la» naus anzusehen. eml fers zu erklären wird vielleicht jenen
gelingen, die in der mittelalterlichen Naturwissenschaft bewandert
sind. Ich möchte noch fragen, ob folgende mit allem Vor-
behalte ausgesprochene Conjectur irgend welche Berechtigung
habe. Die dritte Strophe beginnt:
5
. _ guida ferin lestela luzenz Ce, R
p guidal ferme stela luzenz IK, Me
las naus qui van perillan pur la mar,
ben degra mi eil qui'l sembla guidar,
20 qu' en la mar sui per leis profondamentz
1 De L. qu' d. Eben so II, 5 *' el statt «el (tst'l).
9 So von De L. interpungiert. Vielleicht besser d. vos cossi: iretz.
8 Ce Uu natu, IK la natu, MK la nau\ De L. la nau, wogegen nichts
einzuwenden wäre, wenn nicht V. 18 entschieden für Plural spräche.
4 Eigentlich fünf, da IK nur Sine Hs. repräsentieren.
5 R mit den Fehlern E por guidar . . . baten.
6 M ferm tstda. %
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 9
tan esvaratz, destreitz et esbaitz *
que'i serai mortz, anz que u' eisca, e fenitz.2
De L. erhält durch Combination der zwei Fassungen:
E pos guid' al ferm 1' estela luzenz
und erklärt : ,und da der glänzende Stern die in Gefahr schwe-
benden Schiffe auf Festes, Sicheres (,luogo sicuro d' approdo')
leitet'. Sinnig, wenn auch deshalb bedenklich, weil gegen allen
Brauch die Cäsur al von ferm trennt. Sollte es aber gestattet
sein, von diesem Bedenken abzusehen, dann fühlte man sich
versucht, in elfers von V. 13 ein al ferm zu vermuthen.3
XXL
In IKD«;4 Bruchstücke (VV. 1, 17—24, 33—40) in D*.
Die Angabe, der Text folge Dc, betrifft also nur die in dieser
Blumenlese enthaltenen 17 Verse.
1 Atretan deu ben chantar finameu
d' invern com fatz d' estiu, segon razon,
per c' ab lo freitz voill far gaja canson,
4 que sen pascor de chantar cor mi pren
quar la rosa sembla lei de cui chan,
autresi es la netiß del sieu semblan:
1 Der Druck hat esvaitz, nach M, deren Graphie bei diesem Liede an-
genommen wird. Die von Mahn's Gedichten für IR gebotene Lesung
esbaitz wird, als bloss graphische Variante, nicht angeführt. Wie Ce
lesen, weiss ich nicht. Da esvaüz weder als selbständiges Wort noch
als lautliche Variante von esbaitz verständlich ist, so wird es sich eher
um einen Schreibfehler — u st. k — handeln.
* So nach MRe: dnrch Benützung von C o peritz, IK esperüz hätte mau
einen in Verbindung mit mar öfters vorkommenden Ausdruck und —
was schwerer ins Gewicht fällt — würde man die Wiederholung des-
selben Wortes im Reime (fenüz kommt auch V. 29 vor) vermeiden.
3 Vgl. Jetzt Appel, Chr. prov. Nr. 72, nach IKM: e po« guida • l ferm' eztela
luzenz, wo ferma die Bedeutung »zuverlässig, sicher leitend* hätte. Im
Glossare wird die Stelle nicht angegeben. Metrisch ist Anlehnung des
'l trotz der Cäsur unanfechtbar, und so mag diese Deutung der Stelle,
wenn auch nicht vollkommen, doch mehr als die oben vorgebrachten,
befriedigen.
* Dass De L. von einer Mittheilung der Lesungen von Dd absieht, ist
berechtigt, denn Dd ist nur ein Excerpt aus K (Gröber, Liedersamml.
S. 471).
10 H. Abhandlung: Xastsfi».
per qu' en andos deu per s' amor chantar,
8 tant fort mi fai la rosa e'l neu menbrar.
V. 1. Dc liest dei] eben so Dd nach Palazzi's Abdruck;1
IK dou. Es ist dei zu lesen, da eine Form deu = debeo an-
bekannt ist. Eben so V. 7, wo Dd deu liest. — V. 4 ist «en
zu *' en zu trennen; ,denn wenn ich in Frühlingszeit singe,
weil die Rose meiner Dame gleicht, so gleicht ihr nicht minder
der Schnee'. — V. 8 ist eine Aenderung der übereinstimmenden
Lesung von IKD* tan fort mi fan la rosa e*l neus membrar.
Wie diess zu verstehen sei, ist nicht leicht ersichtlich. Ist etwa
gemeint, dass die Geliebte den Dichter an Rose und Schnee
erinnert, so müsste es e la neu heissen, denn obliquer femininer
Artikel als Encliticon, überhaupt sehr selten, kommt bei Sordel
nirgends vor. Der Dichter sagt aber: ,Rose und Schnee gleichen
ihr; desshalb muss ich sie im Sommer und Winter besingen,
da Rose und Schnee mich [an sie] erinnern'. Membrar ohne
Object, welches zu ergänzen dem Hörer überlassen bleibt
Die zweite Strophe sagt:
,Meiner Herrin zu dienen, bedarf ich eines tüchtigen
Herzens, denn das Herz (der Muth, der Sinn) muss den Thaten
entsprechen, die man unternimmt; da nun der Gegenstand
meiner Liebe höher steht als alle anderen, so strebt mein Sinn
darnach, die Tüchtigsten an treuer Liebe und an edlen Thaten
zu übertreffen*.
9 Sobre totz am domna pro e valen,
don m' a mestier ric cor tota sason
en ben amar, qar me fara semon
12 c'om aja cor segon los faitz c' on pren,
e car en pris tal amor c' onqu' enan,
que de sotz mi n' an, domna«, tuit 1' aman,
cor ai que'ls fins vensa de ben amar
1 6 eis plus valenz, s' eu posc, de mielz a far.
V. 12 haben alle drei Handschriften qar me fura semon
(Dd in zwei Worten, ob auch IK, weiss ich nicht). Zu seiner
Emendation gibt De L. keine Erklärung. Was ist aber Snbject
zu fara ? Ich schlage vor : quar mesura semon. Vgl. im Ensenka-
men 879 ff.
1 In meiner Beschreibung von D hatte ich ftir Dd deu gelesen.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Text«. 1 1
qui vol emprendre noblamen
808 fate, egal d* el que empren
deu aver cor.
Auch hier ist die Rede von atempransa del sen, ohne die man
nichts unternehmen sollte.1
V. 13 ist en wohl e*n = ewn; ne auf domna bezogen.
cJ onqu' enan würde bedeuten : ,dass nie zuvor', zu ergänzen
,ich (oder irgend ein Mensch) eine gleiche Liebe fasste'. Das
que in V. 14 wäre durch ,so dass' wiederzugeben. Da aber
blosses onque (ein übrigens im Provenz. seltenes Wort) nicht
negiert und die elliptische Wendung — die etwa mit afz. que
nus plus sich vergleichen Hesse — ungewöhnlich erscheint, wäre
ich geneigt, den Nexus conquenan anders aufzulösen. Folgt
man treu der Ueberlieferung, so: c' on que n' an ,dass, wohin
immer ich gehe'; vermuthet man in der ersten Niederschrift
conquenan, so: com que'm nf an ,wie immer es mir ergehe'. In
beiden Fällen läge einer jener eingeschobenen Sätze vor, die
Sordel ungemein häufig verwendet. Mit ersterem wären zu ver-
gleichen XXII, 16 on qu' ieu an n' estia, XXIII, 25 on qu' ieu est ei,
XXIX, 16 on qu9 ilh sia; 42 on qu'ilh estia-, XXIII, 39 on que'm
vire; der zweite begegnet uns XXVI, 23 mos, com qemm n' an,
sobre tote V amarai; XXXX, 870 com que'l ri an; ib., 1277
com que an. Solche Sätze sind manchmal nichts als den Vers
ausfüllende Formeln; hier würde das Einschiebsel — möge
man die eine oder die andere Formel wählen — den Werth
der gefassten Liebe preisen, unabhängig von dem Erfolge, den
der Dichter zu erwarten habe. Bei der ersten Formel wäre que
wiederholt, nur erscheint, wenn ich nicht irre, in solchen Fällen
das que nicht gerne elidiert. Sollte meine Auflösung des Nexus
gegenüber jener von De L. Zustimmung finden, so würde ich
mich zunächst für die zweite Formel entscheiden.
V. 14 muss, wie oben erwähnt, bedeuten: ,dass mir alle
Liebenden nachstehen'; der Ausdruck aver alcuna re (od.
partitiv: de alc. re)- desotz alcu ist allerdings, gegen Sordel's
Art, ziemlich gewunden. Ist domnas Vocativ, so bezieht sich
ne auf amor ; da aber der Vocativ einigermassen befremdet, so
1 Man konnte daher auch V. 12 des Liedes qu1 empren vermnthen; doch
ist pren mit Hinblick auf pri* in V. 18 anbedenklich.
12 IX. Abhandlung: ttuisafia.
drängt sich die Frage auf, ob domnag nicht Accusativ zu an
sei; nel würde die Beziehung der zweiten Aussage zur ersten
bezeichnen.9
1 7 Quan ben m' albir e mon ric pensamen
de lei quals es, a cui m' autrei e * m don,
tan r am, quar val part las plasenz que son,
20 qu' en dreg d' amor — — — —
e quar non sai autr' el mon tan presan
de qu' ie'n preses plazer jazen baisan,
qu' eu non voill ges nul fruit asaborar,
24 per que lo dolz me 8 tornes en amar.
Das zweite Glied von V. 20 lautet IK: ... tenc chascun
en men] Dc: tenc chascunament Dd: chascun me men; De L.:
qu9 en dreg d? amor [eu] tenc chascun en men, wobei er offenbar
men wie IX, 4 als mentem auflaset.* Was bedeutet nun diess?
Ich zweifle nicht, dass men zu nien zu bessern sei. Also
a Dc6
qu' endreg6 d' amor tenc chascun1 nien ....
1 ° en I K 7
Quan kann = quando sein, dann wäre V. 21 e quar
(= que)* zu que tenc coordiniert, ,wenn ich überlege, welche
Vorzüge sie hat, da liebe ich sie so sehr, dass ich jede andere
geringschätze und keine kenne, von der u. s. w/ Wollte man
aber die zwei mit quar eingeleiteten Sätze als coordiniert an-
sehen, so Hesse sich quan als quantum auffassen, ,in dem
Maasse, als ich ihre Vorzüge überlege, liebe ich sie, denn sie
1 ne scheint übrigens in D c zu fehlen.
3 Es sei noch eine Möglichkeit verzeichnet, an die ich eiuen Augenblick
dachte :
e car eu pris tal amor que, on que u au,
que desotz mi van, domnas, tuit V amau.
Ein präeiöser Ausdruck; doch Hesse sich »wandeln4 mehr in der Be-
deutung von ,handeln' auffassen.
* So nach I> «wodurch . . .* ; I K IM no ,damit . . .*.
4 Ist es ein Zufall, dass auch hier dem Versgliede eine Silbe fehlt? Ob nicht
wieder nien statt men su lesen? Ich will diess nur angedeutet haben.
5 Ich ziehe es vor, so, in emeni Worte, zu schreiben.
6 Dc verdient auch hier den Vorzug.
7 Hätte Dd selbständigen Werth, so Hesse sich cJicurcun/aJ m e[n] nien vor-
schlagen; da aber, wie erwähnt, diese Hs. von K abhängig ist, so sind das
Fehlen von tenc und die Lesung me statt en nichts als Schreiberversehen.
8 Etwa geradezu zu que oder yu' eu zu ändern?
Zur Kritili und Interpretation romanischer Texte. 13
übertrifft an Werth die Anmnthigsten [so sehr], dass ich alle
anderen geringschätze, und ich kenne keine, von der u. s. w.'.
XXII.
31 T onors m' es guazardos d' aitan
que'l sobreplus non quier, mas be o penria.
33 Vailla'm ab vos merce, dolza enemia,
no m' auziez, s' eu vos am ses enjan :
que me suffratz que'uß serv' ab ferm talan,
36 tal don deman, ni estre non deuria.
V. 32 hat eine Silbe zu viel. C, die einzige Handschrift;
hat aber beu mit angelehntem u = o oder eher mit u = l.
In jedem Falle war beu (be • u) penria zu drucken. Zu V. 36.
Intendi: ,eppure non dovrebb* esser cosi, che io, cio&, non vi
chieda (non abbia il diritto di chiedervi) altro se non che . . .'.
Diese Auffassung könnte eine Stütze in dem Schlüsse von 32
finden; wie dort würde sich der Dichter zuerst bescheiden, um
dann doch den Wunsch auszudrücken, etwas mehr zu erlangen.
Die ungewöhnliche Form estre liesse sich ohne weiteres zu
esser ändern. Man vermisst indessen den entsprechenden Aus-
druck für den Gedanken, dass der Dichter nur diese Gabe
verlangt. Ich stelle daher die Frage, ob nicht estiers gemeint
sei, ,und andere Gabe dürfte ich nicht verlangen*.
XXIII.
Gran esfortz fai qni ama per amor
trop, e ve pauc Heiß on a son cor mes;
sa vidas trai, venha Y en mala o bes,
quar per cascu mor, languen, de dezire;
5 que'l mal[s] 1' auci per lo beu esperan
e'l ben[s] per mielz, tan lo vai deziran.
Bei solcher Interpunction in 2 und Behandlung der Di-
stinctio verborum in 3, ist der Beginn der Strophe kaum ver-
ständlich. Ich lese: Gran esfortz fai . . . a son cor mes, s' a
vida-s trai u. 8. w. ,wer heftig liebt und die Geliebte selten
sieht, der leistet viel, wenn er sich am Leben erhält'.1
1 Dieser Beleg" für »«' tewr a vida ,tenersi in vita, vivere' wäre zu dein
im Glossar aus XXXX angeführten hinzuzufügen.
14 IX. Attandhuf : fttostzfia.
Zu per lo ben esperan wird bemerkt: etperan dipendera
da per? ma che razza mai di costruziene si avrebbe? £ non
h piuttoßto da costroire esp. per lo ben ,aspettando pel bene,
in attesa del bene'? Schliesslich erkennt doch De L., dass
V. 6 zu Gunsten der ersten Constrnction spricht Diese hat in
der That nichts Auffallendes an sich. Eis genügt, auf ToUer,
Verm. Beitr. 1, 44, zu verweisen und aus der reichen Fülle der
von ihm gesammelten Stellen eine anzuführen : Mout se desfen-
dent bien por me raemant.
37 ie* m tenc d' amor per pagatz ab aitan,
savals d' aquo qu' ieu desir, qu' autr' aman
non tem; qu' ieu puosc en ma 8enh*} on quem vir«,
cridar : segur, merce, de la gensor.
De L.: ,io mi tengo appagato d'amore con cosi poco, aJ-
meno di ciö che io desidero, che non ho a temere [la concor-
renza di] altro amante; giacchfe [di questo io mi contento e
troppo poco sarebbe per un altro amante] io posso nella mia
insegna, dovunque io mi volga, implorare [gridando]: salute,
merc&, dalla piü gentile'. Eis wird hier meines Erachtens zu
viel hineingelegt. Auch glaube ich nicht, dass zwei Rufe ge-
meint sind; mir ist segur Adverbium, das den Gedanken
autr' aman non tem noch einmal zum Ausdrucke bringt: ,ich
bin damit zufrieden, dass ich keinen anderen Liebenden zu
fürchten habe, dass ich unbesorgt um Gnade flehen kann'.
41 Ges non istauc tan prea d* autre prezan
* * el mieg cilh qu* ieu am ; per que gran
esfortz no fatz s* autr1 amor non desire.1
Die Lücke wird durch no eia zu ergänzen sein; vgl.
XXXX, 1215 ff:
Bona domna non taign qu* esgart
d* oillz ni de cor vas nulla part
tan coralmen, qu' el mieg no sia
1 Diese und die folgendeu, zwei tornadai bildenden Verse finden sich nur
in einer der vier Handschriften, die das Lied enthalten. Ihr Inhalt —
der Dichter erklärt die Liebe zu jeder anderen, wenn noch so tüchtigen
Frau zu verschmähen — könnte zur Frage Anlass geben, ob in V. SS
autr aman nicht als alteram amantmn aufzufassen sei; wie wäre aber
dann die Stelle zu verstehen?
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 15
808 pretz per miraill tota via,
en que's mir.
Beide Male steht in der Mitte der Gegenstand, welcher
als Schutz gegen ungehöriges Thun dient.
XXIV.
11 Be mi dei doncx d1 amor lauzar
que'm fetz chausir la plus valen
del mon e la plus conoissen,
14 qu' ab ben dir et ab gen parlar
te tota la gen et apaya,
gardan son bon pretz que non chaya.
Per qu' ieu fatz orgueil, ben o sai,
1 8 quar 1' am ; mas, per Dieu, no ' n puesc mai,
qu' aitan be pot far fin aman
amors del petit com del gran.
V. 17. Diese Lesung findet sich in C; mit einer kleinen
Variante T: Ad fas9 R (metrisch irrig) Qui fas. Das Verbum
ist also immer in erster Person ; ,ich weiss, es ist verwegen von
mir [dem Geringfügigen], sie [die Hochstehende] zu lieben ; ich
kann aber nicht anders;1 denn Amor kann auch dem Geringen
treue Liebe einflössen4. Jede Aenderung ist da von Uebel.
De L. setzt in den Text qu1 ilh fax ein.
XXV.
9 Aital m' autrei, fis, vertadiers,
a vob qu1 etz ses par de valor,
qu' eu am . . .
Demnach wären fis und vert. als Apposition zum nicht aus-
gedrückten Subjecte eu aufzufassen; aital wäre ein Prädicat
zu me. Mir will scheinen, als ob fis und vert. mit m' autrei in
Verbindung zu setzen seien; es sind Prädicate zum reflexiven
Accusativ, die, wie üblich, in der Nominativform auftreten.
Aital , wenn in gleicher grammatischer Function verwendet,
wäre zu aitals zu ändern (das Lied ist nur in der Blumenlese
der Chigiana bewahrt), es kann aber auch als Adverbium an-
gesehen werden. Es wären demnach das erste und das dritte
Komma zu streichen. Vgl. damit1 XXXIV, 1 ff. :
1 Ital. mm ne poeso piu ist keine genaue Wiedergabe der Locution.
16 IX. Abhandlung: Maisafia.
Dompna, mieillz qu' om pot pensar
lejals e fins sea cor vaire,
m1 autrei per totz temps amar
V08 . . .
Das Komma nach V. 2 wäre zu streichen.
17 Qu1 atnar noii pot nuis cavaliers
sa domna ses cor trichador,
s' engal lei non ama sa honor;
per que'us prec, bels cors plazentiers,
que pauc ni guaire ni mija
don fassatz de re que'us dija,
qu1 esser puesca contra '1 vostr' onramen.
guardatz s' ie • us am de fin cor Halmen !
V. 20 ff. müssen bedeuten: , weshalb ich euch bitte, mir
nichts zu gewähren, was eure Ehre beeinträchtigen könnte'.
Wenn don = donum ist, so Hesse sich zur Noth die Construction
que ni guaire ni mija don fassatz halten: die an sich nicht
negativen Ausdrücke würden, weil in Verbindung mit ni und
vor dem Verbum stehend, negative Bedeutung haben; paur
aber verträgt diese Deutung nicht. Ich schlage vor non oder
vielmehr nom = no'm. Vgl. XXXIV, 21 :
E si * m fai ren desirar
amors, que non dejatz faire,
per merce vos voill pregar
que no " m faissatz pro ni guaire.
XXVII.
19 Mas de lieis no'm don temor
que de so que pus mi plai
no ' m desvede, son cors guai.
De L. construirt : De lieis nom don temor mos que de [qiu]
nom desvede so que pus mi plai und fligt hinzu: se donar t.
va construito con de: ciö spiega il de que. Die Auslassung des
que ist unmöglich: de würde in der Luft hängen. Der Dichter
ist eben in die Klemme gerathen, die sich im Romanischen
stets ergibt, wenn das zweite Glied einer Comparation ein qu*-
Satz ist; hier dadurch verschärft, dass das regierende Verbum
nach sich de fordert. Läge tem vor, so hiesse es: mais non
tem que nom desvede so que plus mi plai; que = que que ,als
Zur Kritik and Interpretation romanischer Texte. 17
dass'.1 Bei don temor müsste es heissen : mais no'm don
temor que de so, que no'm desvede so que pus mi plai, durch
Umstellung: m. no'm d. t. que de so que so que p. mi pl,
no'm desv.; gleichsam unbewusst wird statt zwei so que trotz
der verschiedenen Betonung (einmal so que} das andere Mal
so-qu£) nur eines verwendet.
31 sitot plane e plor,
quar vei pauc lieis que m' enansa
al sieu plazer, m' a legor
qu' ades remir per semblansa,
on qu' estia, son coro e sa fatz.
Wir hätten demnach eine Locution m' a legor que . . .,
etwa mit m' a mestier que zu vergleichen. Es liegt aber Prä-
sens des Verbums si alegorar vor.
XXX.
32 Ai, per que'm fai tan mal traire?
qu' ilh sap be de que m' es gen
qu' el sieu pretz dir e retraire ;
sui pluB sieus on piegz en pren.
de que soll die Verbindung des Nebensatzes vermitteln,
wofür auf Diez verwiesen wird, der diese Construction nur im
Spanischen und Portugiesischen nachweise. Diess gilt aber,
wie Diez ausdrücklich bemerkt, nur für die Fälle, in denen der
1 Ein Auskunftsmittel wäre, ao einzuschieben: mais no tem que *o, que no
me desvede [das Komma soll nur bezeichnen, dass mit so das Object zu
tem bereits ausgedrückt ist; der que-8&tz gibt dann den Inhalt von so
an]. Das andere Mittel, das zweite Glied in der Form eines «»-Satzes
(selbstverständlich mit dem Verbum im Indicativ) einzukleiden, begegnet
XXIX, 63— 58:
ieu tenc a mais valen
que saupessetz la via
del cor e totz sos pessatz
de la bella don chantatz,
que 8' ilh sap cum la cujatz
enganar.
Eben so XXXX, 1251:
cent per un deu om plus doptar
la mort d' onor, qui la te car,
que s1 om del tot mor e desvai.
Sitxnngsber. d. phil.-hist. Cl. CXXX1V. Bd. 9. Abb. 2
18 IX. Abhandlung: Mussafin.
abhängige Satz einem von de begleiteten Substantiv entspricht
(se olvida de que naciö, disculpöse de que avia entrado). üh $ap
de que m' es gen statt sap que ist nirgends möglich. Und seihst
wenn diess anginge, so bliebe die — von De L. nicht ge-
stellte — Frage nach dem Sinne von V. 34. Offenbar sieht er
el als Artikel an. Wir hätten dann m' es gen que dir lo prete,
zu vergleichen etwa mit dem von Tobler, Verm. Beitr. I, 12
angeführten c est li mieus que la wie assegier. Diese auch im
Altfranzösischen seltene Wendung ist, so weit ich es übersehe,
im Provenzalischen nicht nachweisbar. Endlich ist sui am Be-
ginne des Satzes wenig ansprechend. Ich fasse el als in illo
auf und interpungire :
qu' ilh aap be, de que m' es gen,
qu' el si eu pretz dir e retraire
sui pluB sieus on piegz en pren.1
XXXIV.
41 Ja nuills tempe2 no'm poiretz far,
pros dompna, tan de mal traire,
qu1 eu nos eial mercejar,
pos de vos no'm puosc estraire.
De L. : Ci rassegneremo a riconoscere in mercejar una
riduzione, per assorbimento dell'-i-, della forma regolare merce-
jaire. Liest man qu7 eu no's (= no • us) sV al mercejar, so ist
diese Annahme überflüssig.
XXXVIII.
qui m' en cre faire paor
conseir o que lo descreja.
Ich zweifle daran, dass hier Construction von conselhar
aleuna re ad aleu vorliege; qui müsste Dativ sein, der que-
Satz würde den Inhalt von o angeben, oder mit anderen
Worten: o wäre expletiv. Eher consel Zo;8 lo wieder qui...
1 en pren = inde prehendo ist unbedenklich ; my en pren wäre vielleicht
dem Sprachgebrauch angemessener. Das Lied ist nur in C enthalten.
9 Auch anderswo; eben so negua temps. Ist Plural zu dulden? Wohl eher
nuiü, negn.
3 Vgl. XXXX, 799 lo conseiäon.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 19
aufnehmend oder besser absolutes qui (Komma nach paor),
,wenn Einer glaubt mir Furcht einzuflössen, so rathe ich ihm,
diesen Glauben aufzugeben'. Soll, um die zwei lo zu ver-
meiden, que o d. vorgeschlagen werden?
xxxx.
23 s' en aital obr' eu fallia,
miravilla granz no seria,
25 segon que 1' ausiretz, complida
de granz razos, quan er finida,
e quar no sai divinitat,
leis ni decretz, ni m' es mostrat.
Zu V. 25 schlug Suchier st non que la veiretz complida
vor; De L. schliesst sich mit Recht dieser Aenderung nicht an.
Der Dichter meint: ,Sollte ich den Erwartungen nicht ent-
sprechen, so wäre diess aus zweifachem Grunde nicht zu ver-
wundern; die Arbeit ist schwer, und meine Gelehrsamkeit ist
gering'. Den ersten Grund konnte er so angeben: ilh (= V obra)
es complida de granz rasos, com auziretz quan er finida; er
wählt statt dessen die Wendung vos V auz. compl. de gr. r.9
quan er f. Als Conjunction gebraucht er, statt quar wie beim
zweiten Grunde, segon que ,in Folge davon, dass', ,mit Rück-
sicht auf den Umstand, dass'. Vielleicht meint De L. ungefähr
dasselbe, nur dass er complida nicht als prädicierende Ergän-
zung, sondern — was im Grunde dasselbe ist — als Apposition
zu la ansieht; daher das Komma vor complida, das ich lieber
streichen möchte.1
389 uulz om c' ab mesura's tenga
en pauc ni en trop no desrenga,
e qui pauc ni trop non faria
dieu e ' 1 segl' engen» retenria :
zo que ses mesura non es
394 res viveuz qu' om faire pogucs.
Zu V. 393—394. Suchier: Sinnlos. Vielleicht darf fol-
gender Besserungsversuch gewagt werden:
1 Auch bei Cresciui, Mau. prov., und bei Appel, Chr. prov., kein Komma.
Appel gibt segon que mit »gemäss dem, dass* wieder.
2*
20 IX. Abhuidlunff: Massafia.
zo1 qu' es ses mesura mort es;
res vivenz faire nol pognes.
Schultz: Meine Copie hat bes vivenz, das ich in be es
zerlegen möchte:
zo que ses mesura non es
be es vivenz qu' o faire pognes.
Wie er die Stelle versteht, sagt Schultz nicht. Und das Metrum?
De Lollis:
zo que es* ses mesura non es
res vivenz qu' o faire pogues.
Er erklärt: ,Di tutto ciö che e senza misura nulla v'ha
al mondo (vivenz = esistente) che uomo potesse fare*.
Ich kann mich mit keinem dieser Vorschläge befreunden.
Ich nehme mit Palazzi und De Lollis an, die Handschrift lese
Res* und halte Schultz' Besserung von quam (Vorlage oder
etwa die Handschrift selbst quo?) zu qu o für unerlässlich. Also:
zo que, ses mesura, non es
res vivenz qu1 o faire pogues.
,Maass hält, wer weder zu viel noch zu wenig thut; wer so
handelt, der gefällt Gott und der Welt, was ohne Maass Nie-
mandem gelingen könnte'. Zo que bezieht sich auf dieu eml
segle retenria; o nimmt zo que wieder auf. Ital.: cib che (oder
il che, oder cosa che) senza misura non c e uomo vivente che
fare il (oder la) potesse.
399 li altatz es pezazos
de fin pretz e de totz aibs bos:
per zo, s' ab lialtat non 1* a,
402 nulz oms bo pretz no 1' aura ja.
V. 402 würde V (wie soeben in V. 394 angenommen) den
vorangehenden Accusativ wieder aufnehmen; man wird aber
gerne mit Suchier no V zu non bessern.
649 Per zo fora drehz e razos
qu' a igal del cor lo poders fos.
1 Nicht lo wie bei De L., wohl in Folge eines Druckfehlers.
9 De L. verweist auf die zahlreichen Fälle, in denen die Handschrift -#
vor #- vernachlässigt.
8 Hat die Handschrift wirklich By so ist es zu R zu emendieren.
Zar Kritik und Interpretation roman isolier Texte. 21
Die Handschrift hat selbstverständlich quaigal; Palazzi
las qu' aigal. De L. gibt die Form aigal zu, ,sotto 1' influenza
di voci di valor comparativo quali aitan, aital, aissie, meint
aber, egal als Präposition werde nur mit dem Accusativ con-
struiert. Daher seine Lesung. Er übersieht aber, dass der
Vers um eine Silbe zu viel zählt. Man wird bei qu' aig. oder
qu9 ig. bleiben, und entweder die Construction mit de anerkennen
(ig. eher Adverbium als Präposition) oder igaU lesen. In der
oben zu XXI, 12 angeführten Stelle XXXX, 879 den aver
cor engat d' el qu' empren kann engal Adjectiv oder Indecli-
nabile sein.
783 De doas res 1' una obs auria
a tot om, qui be far volria:
785 que el agues bon sen ades
o que son bon conseill crezes.
quar, si 'n ome no es bos senz
ni es de bo conseill crezenz
ja no creirai que be li prenda
790 de negtm affar qu' el emprenda;
quar ab qui non a ni de que
V en deja penre gen ni be,
que'l plus savis deu a sazo
creire son conseill cert e bo,
795 quar es soven per fol voler
destregz, qui'l toi sen e valer,
e, quar non son sei conseiller
destreg d' aquel voler leugier,
799 lo conseillon saviamen.
De L. bemerkt zu 793: que sta qui a sostituire il quar
del v. 791, und erklärt 791 — 794 wie folgend: ,chi il piü savio
deve seguire come certo e buono il consiglio di colui che non
ha alcun interesse personale nelT esito della faccenda'. L1 ab
del v. 791 preluderebbe a una costruzione diversa da quella
che si ha; ab qui equivale a de qui, e sta ad esprimere in
anticipazione il possessivo son, che viene poi fuori al v. 794.
Es wäre also gemeint: quar lo plus savis deu a sazo creire
cert e bo lo conseill de qui non a [re] de que V en deja penre
gen ni ben und gesagt: quar, ab (= de) qui non a [re] de que . . .
ben, que (== quar) lo savis deu creire cert e bo so (= lo) con-
seill. Also que nicht, wie in den angeführten Stellen bei Diez,
als Vertreter eines zweiten coordinierten quar, sondern eines
22 IX. Abhandlung: Mnfts&fio.
wiederholten, abundierenden quar. Abgesehen von der sonder-
baren Wortstellung, ist eine solche Wiederholung von quar
unerhört. Und wo bliebe ni vor de que? Die Stelle ist anders
zu verstehen. Eis unterliegt keinem Zweifel, dass V en deja
penre in 792 sich auf dieselbe Person wie que be li prenda in 7*9
bezieht. ,Wer richtig handeln will, muss entweder selbst Verstand
haben oder fremden guten Rath befolgen; sonst glaube ich nicht,
dass es ihm in seinen Unternehmungen wohl ergehen könne; hat
er doch 1 weder einen Menschen noch ein Ding, wodurch es ihm
wohl ergehen sollte*. Bei dem strengen Parallelismus, dessen
sich Sordel in seiner Darstellung stets befleissigt, ist es sehr
wahrscheinlich, dass sich ab qui auf den in Rede stehenden,
von dem eigenen Verstände nicht geleiteten Menschen, de que
auf den nicht befolgten Rath beziehe; möglich ist indessen,
dass mit ab qui der Rathgeber gemeint sei ,hat er doch weder
Rathgeber noch Rath'. Mit 792 ist dieser Theil der Lehre zu
Ende und der Dichter könnte abbrechen; was folgt ist eine
zweite Auseinandersetzung, die das bisher Gesagte eindring-
licher beweist : ,denn selbst der Weiseste (geschweige denn der
Unverständige) muss gelegentlich (a sazo) guten Rath befolgen *
(= bedarf geleg. guten Rathes).
Daran schliesst sich folgende Stelle an:
803 Mas d' affars i a be, zo'm pes,
de qu' om non deu esperar ges
5 conseill', quar qui una proeza
fai n i un bei don d' azauteza
ses conseill, n' es trop plus prezatz
que s' agut n' er aconseillatz.
Per que las fazendas o an
10 de que taign qu' om conseill deman,
e de qu' om no'l deu demandar,
per zo*s en yuell un sen menbrar:
us dels granz senz del mon seria
qui zo que a cochar faria
1 T> non tardava, e zo qu' a tardar
fai, no volgues per re cochar;
qu' abrivatz sembla trop cochanz
1 Oder: ,gibt es doch*.
* Also auch hier wie 786, w in #o conseill mit der Geltung eine» objee-
tiveii Geuetivs ,den ihm ertheilten Rath*. Cert e ho sind attributiv.
Znr Kritik nnd Interpretation romanischer Texte. 23
e nonchalenz par trop tardanz:
per qu1 om si deu d* abrivamen
20 gardar e de nonchalemen.
Zu 809 — 812. Schultz: Ich möchte lesen per que las fa-
zendas soan ,deshalb schätze ich das Thun gering, für das man
Rath einholen muss, nnd mit Bezug auf welches man ihn nicht
einzuholen braucht, dafür will ich . . .'. De L. pflichtet ihm bei
und setzt in den Text [s]oan ein. Auch hier wird dem klar
denkenden und sich schlicht ausdrückenden Dichter etwas zu-
geschrieben, woran er gewiss nicht gedacht hat. Er sagt:
,Man soll guten Rath einholen und befolgen; doch gibt es
Fälle, in denen es rühmlicher ist, selbständig, nicht in Folge
fremden Käthes, zu handeln. Da [ich nun erwähnt habe, dass] l
die [verschiedenen] Angelegenheiten diess an sich haben (= so
beschaffen sind), dass es bald angezeigt ist Rath einzuholen,
bald nicht, so will ich eine damit zusammenhängende Lehre
vorbringen : man soll nicht zögern wenn es gilt, rasch zu han-
deln, und nicht rasch handeln, wenn es gilt bedächtig zu sein
(= — sich berathen).
De L. sieht abrivatz und nonchalenz als Subjecte, cochanz
und tardanz als prädicierend an. Dass das umgekehrte Ver-
hältniss das richtige ist, liegt auf der Hand.
860 avols es qui son menor
consen per re que sob pars sia,
ni'l pars majers.
De L. sieht son menor als Accusativ durch Attraction an,
und vergleicht damit
89 la re del mon que om deuria
faire plus volenters, seria
aquella, si be'i esgardatz,
qui a Dieu e al segle platz,
und
457 e'l major gaug, c' om puesc' aver,
es aquelz, que om trai, per ver,
de son cor per be dir e faire.
Wie man sieht, sind diese zwei Fälle anders geartet. Hier
liegt in der That jene Attraction vor, von der Tobler, Verm.
1 Ich bediene mich dieser Umschreibung, weil 8 12 ff. nicht gerade eine
Schlussfolgeruiig des in 809—811 Ausgesagten ist.
24 IX. Abhandlung: Mussafi*.
Beitr. I, 197 ff. spricht. Das Beziehungswort nimmt die Form
an, die dem Relativpronomen zukommt : Naucratem, quem con-
venire volui, in navi non erat statt Naucratet] afz. chiaus que
nou8 avons cht nomme's, li plus rike komme estoient statt chil.
Tobler führt für das Altfranzösische nur Beispiele für Demon-
strativum an; hier bietet uns das Provenzalische deren zwei
für Substantivum. Einem dritten begegnen wir 784 (sieh oben
die ganze Stelle) obs auria a tot om qui be far volria. Keine
Verletzung der Flexion, sondern om statt ome9 wegen qui.
In 860 würde es sich um etwas Anderes handeln. Be-
kannt ist die Neigung, das Subject des Nebensatzes noch vor
dem Verbum des Hauptsatzes auszudrücken: sens e prete tem
que'l sofranha, Betr. de B. ed. Stimming, XIV, 54 statt tem
que 8. e pr. li «. Zu dem von De L. angeführten VI, 11: Sa
molhers sai que se vistra de neir = sai que 8a m. se vistra
kämen noch VII, 13 om que nuill temps non fetz colp no m' es
semblan pogues far nuill fach Jon; XXXX, 1215 bona dompna
non taign qu' esqart} Stimming, S. 236 (und mit ihm De L.)
bezeichnet diesen Vorgang ebenfalls als Attraction; doch
glaube ich, dass ein solcher Ausdruck für die Fälle aufgespart
bleiben sollte, in denen die zu erwartende Form durch eine
andere, der strengen Forderung der Grammatik nicht ent-
sprechende ersetzt erscheint; in solcher Vorwegnahme des Sub-
jectes* handelt es sich eigentlich nur um eine freiere Wort-
stellung, die bestimmt ist, das Wesen, dem die Aussage gilt,
wirksamer hervortreten zu lassen.
Es fragt sich nun, ob bei Voranstellung des Subjectes des
Nebensatzes Attraction in dorn Sinne stattfinden könne, dass
1 Noch im jetzigen Italienischen häufig. Am leichtesten wenn che . . .
Subjectsatz ist: Senta, Barhera (sagte Manzoni zum bekannten Verleger)
ü procuratore sarä inutüe die venga. Queste parcle e naturale che non po-
tessero piacere . . . Che ... ist Objectsatz. In einem Briefe Barbera's: U
idee dominanti del libro vorrei che fossero ü Uworo, V energia. In einer
Becension D* Ancona's: Questa seconda dissertazione, pubbticala . . . e che
porta . . ., vediamo con piacere che sarä inserüa . . .
8 Ob Subject oder ein anderer Satztheil vorangestellt wird, ist gleichgiltig.
De L. bleibt sich demnach consequent, wenn er Attraction auch in a*»-
Uan sai que fara — sai que fara semblan erblickt; eben so in una ren
tx>s voiä far erdenden, nach seiner Auffassung (s. oben zu XV, 25 Anm.)
= vos «. far ent. una ren.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 25
es in Beziehung zn dem transitiven Verbum des Hauptsatzes
gesetzt werde und als Accusativ erscheine, dass es also (wie
De L. meint) statt qui consen que sos menre sia sos pars
heisse qui son menor consen que sos pars sia. A priori ist diess
nicht schwer denkbar; nur ist unser Fall nicht geeignet, es zu
beweisen. Dass ni'l pars [sia] majer folgt, scheint allerdings zu
Gunsten dieser Auffassung zu sprechen; es kann aber auch son
menor Dativ sein, ,der einem Geringeren gestattet, dass er sein
Gleicher sei', worauf mit veränderter Construction ,und dass ein
ihm Gleicher ihm überlegen sei' folgt.1 Es würde die Mühe
lohnen nachzusehen, ob die in Rede stehende Attraction un-
zweifelhaft zu belegen sei. Als Beitrag zur Lösung der Frage
merke ich aus unserem Dichter zwei Stellen an. In der oben
angeführten liest D sa muilliers, A aber sa moiller. Möglich,
dass es sich nur um eine Vernachlässigung der Flexion handle:
man könnte aber in molher einen Accusativ, durch sai attra-
hiert, erblicken. XX, 9 lauten in C:
Tan pens en leis e tan 1' am coralmenz
que nueit e jorn temps rai faill el pensan.
IKMe haben tem . . failla (R temi fallir); spricht man dieser
Variante irgend einen Werth zu, so würde man erwarten: que
nueite e jornz tem mi failV al p.; der Accusativ käme auf
Rechnung von tem.
Attraction wird auch angenommen in bemm plai del comte
quar li vei la renda coillir ,mi piace di vedere che il conte . . /,
in qui be'is membra del segle quy es passatz com hom lo vi.,
plazen = qui beis m. com hom vi lo segle . . ./ de domna'us
fatz saber que non pot noble cor aver = vos f. s. que d. non
pot\ selbst in ai! dels caitivs desvergoignatz com pot esser qu'estan
malvatz, wo man nach desv. besser ein Ausrufungszeichen setzt.
Diess alles nach Stiraming a. a. O. Sowohl in diesen Fällen
als in solchen wie los crosatz vauc reptan del passatge qu' an
mes en obli = v. rep. quy an mes en obli lo p. (letztere be-
1 De L. beruft sieb auf Schultz. Dieser, Palazzi's Anmerkung: ,1a concor-
danza grammaticale vorrebbe sos menre1 abiebnend, sagt bloss: menor
ist in der Ordnung und der Nomin. pars majers erklärt sich durch ein
Fallen aus der Construction, hervorgerufen durch sia. Seh. scheint
ebenfalls son menor als Dativ anzusehen.
20 IX. AMumdlun*: Mmsafi*.
sonders häufig im Altfranz.) möchte ich ebenfalls eine von der
heutigen verschiedene Art den Gedanken auszudrücken, nicht
aber Attraction in eigentlichem Sinne erblicken. Es sei noch
folgende Stelle angeführt:
XV, 29 que'l pros, quant a <T aver major fraitura,
mielz pot mostrar com es valenz e bos,
31 e'l rics malvais, can plus es poderos,
pot om provar mielz sa flaca natura.
Zu 31 wird bemerkt: ,Siamo ancor sempre nel campo
deir attrazione'. Wir haben es hier mit einer Anakoluthie zu
thun, die von Attraction genau zu unterscheiden ist (vgl. Tobler
a.a.O.); wohl aber ist zu bemerken, dass 31 — 32 für sich
diese Gestalt nicht leicht angenommen hätten; nur weil mit
e'l pros begonnen wurde, wird mit e'l rics fortgesetzt, ohne
im übrigen Theile des Satzes bei der gleichen Construction zu
bleiben.
Nicht anders in der damit verglichenen Stelle:
XXXX, 479 cel qu' es savis e sabenz
no deu esser en re faulenz,
e qui no es neguns d' amdos
melz li vengues que natz no fos.
Es Hessen sich allerdings die zwei letzten Verse auch an
und für sich gut denken; dann wäre qui = ,wenn Einer*. In
der That ist hier qui = ,wer', coordiniert zu cel que.
889 nulz om no's den laissar
890
tro que s' en tenga per pagatz
de son cor, com que razonatz
per cels, que 1' amaran, en sia,
qu' estiers be non o menaria.
V. '90 bietet die Handschrift de null fag quem pnde a
menar; Palazzi: qu1 empren , de amenar] Schultz: man muss doch
schreiben: qu' emprend' a menar; De Lollis nimmt mit Recht
den Indicativ in Schutz und liest de null fag qu1 empren de 'a
menar, mit Wiederholung der Präposition de wegen des Ein-
schubes des Relativsatzes. Für eine solche Wiederholung wird
man schwerlich irgend einen Beleg finden. Bedenkt man, dass
es sich nicht um blosses menar, sondern um be menar handelt
(vgl. 894), so wird man nicht anstehen, de zu be zu emendieren.
Zar Kritik und Interpretation romanischer Texte. 27
Zu 891 — 892 wird nichts bemerkt. Und doch lohnt es die
Mühe, hervorzuheben, dass hier nicht com-que als Einleitung
eines einräumenden Satzes, sondern com \ que vorliegt; com
vergleichend, que mit tro zu verbinden ; razonatz bedeutet ,ver-
theidigt, gebilligt, gelobt': ,bis er sowohl Selbstbefriedigung als
Billigung von Seite Derer, die ihn lieben, erlangt'. Ich wäre
geneigt, diese Bedeutung von razonar auch in folgender Stelle
zu erblicken. Von der Frau heisst es:
1219 aitan tost perdra
son pretz com faillimen fara,1
don no'ill puesca razonamenz
tener pro entre'ls conossenz.
De L. : raz. sta qui nel senso proprio di ,discorso, discus-
sione', e intendi: di cui non si possa ragionare tra i suoi cono-
scenti senza che gliene venga danno. Trotz des Hinweises auf
165 ff. wäre ich geneigt zu übersetzen: ,so bald sie eines
solchen Vergehens sich schuldig machen wird, dass keine (eigene
oder fremde) Verteidigung ihr bei den Verständigen irgendwie
nützen könne'.
907 Gardatz donc si's fai bon estraire
de fort malvasa vida faire.
De L.: estraire = ,sottrarsi', costruzione intransitiva che fu
forse qui agevolata dalT esser gia Y -s (tibi) riflessivo espresso
con fai. De L. weist nämlich noch immer faire in Locutionen
wie fai bo viure Bedeutung und Construction von esser zu ; der
Infinitiv ist ihm Subject. So z. B. in XXXI, 34 tan vos fai bei
r emirar , wo bemerkt wird: fe affatto regolare che essendo al
posto di soggetto della proposizione un infinito, a questo si
colleghi T agg. bei colle funzioni di attributo. So in XXXX, 937
bon esquivar fai lor pacha, wo es heisst, der Infinitiv könne,
weil artikellos, mit oder ohne -s auftreten. Es ist aber weder
bon esquivar s fai als bon se fai viure je gesagt worden. Dass
wir es hier mit subjectlosem fai, dessen Accusativ bo viure
(bon estraire, bei remirar) ist, hat Tobler, Verm. Beitr. I, 179
lichtvoll erörtert.
1 far soll hier Verbum vicarium sein ; wie i«t dann die Stelle zu ver-
stehen?
28 IX. Abhandlung: Mussafi».
909 Bern miravill, si Deus be'm do,
quoin od pot aver pauc e pro
ensems; que ben i a, zos die,
d' aitals; sabez quäl so?
Zu 912: S' ha qui un caso d' attrazione analogo a «a
moillers sai que se vistra de nier = sai que sa m. se vistra:
quäl soggetto di son} pur rimanendo al nomin., dipende da
saher ; perö, qui non essendo e non potendo essere quäl dislo
cato davanti a sai V aecusativo suonerebbe meglio, e non e
improbabile che 1' -8 manchi semplicemente perche la parola
seguente incomincia per #-.
Man wird sich hüten quals zu emendieren. Die zwei Con-
struetionen haben nichts mit einander gemein. In quäl so Hegt
ein indirecter Fragesatz vor 5 Verwendung des Accusativs ist
undenkbar.
1059 ergoilz non a raaa contra ergoill
null loc, qu' autres dregz non V acoill ;
e si non [de] dregz segon Dieu,
mas segon lo segle *n pari' eu.
Ergänzt man de, so ist dreg zu lesen; will man dregz
behalten, so mit Suchier [es],
1069 E de tot cavalier volpill
ni cubetos mi meravill
com bona domna ausa pregar
ni com domna lui escoltar;
qu1 el non es mas miegz ca valiers;
qu1 esser non pot negus entiers
75 en araor, si non es arditz
e larcs, qu1 estiers non es coinplitz;
e, si domna consen, aman
demieg, torna d1 aquel semblan
demiega, al laus dels conossenz.
1077 consen = aeconsente ed e notevole che sia usato
*
co8i assolutamente. II Palazzi non pone virgola tra consen e
amar, ma non e il caso di pensare a una costruzione di con-
sentir col gerundio in luogo delP infinito. De L. meint also :
,und wenn eine Frau einwilligt, indem sie einen halben [Ritter]
liebt1. Man wird Palazzi's Interpunction vorziehen; aman ist
nicht Gerundium, sondern Partie. Präsens ,wenn eine Frau
einen Liebhaber genehmigt, der nur ein halber [Ritter] ist*.
Consentir mit Accusativ ,dulden, zulassen, genehmigen*.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 29
1085 amar pot tal qu' il en perdra
Bon pretz e son cors descaira.
Se cors sta qui per ,corpo' riman dubbio se descaira stia
in senso neutro o transitivo. Wäre desc. intransitiv, so müsste
es 808 heissen. Zu einer Emendation ist aber kein Anlass. Vgl.
901 — 912 avols vida a cel qui la fai toi son pretz e son cors
deschai e'l tramet V arma ses govern a la coral dolor d! infern}
eine Stelle, die weder über die Bedeutung von cors noch über
das Genus von deschai irgend einen Zweifel zulässt.
1099 om no ama be lialmen,
si tot autretan coralmen
non ama, ses cor camjador,
de sa dompna * 1 pretz e 1' onor
quom son cors ni s' amor a prendre.
Es wird davor gewarnt die Construction amar a prendre
anzunehmen; es handle sich um Infinitiv mit de . . a, wie in
nulz om non deu gen prepauzar de nulla re cabal a far und
in nuls om nos deu laissar de null fag qu' empren be a menar.
Wir hätten demnach erstens ama de . . a prendre, eine uner-
hörte Construction; zweitens ein de statt deren zwei, da es doch
heissen müsste: si autretan non ama de a prendre lo prez e
V onor de sa domna quom son cors ni s* amor. Man wird diese
Ansicht nicht theilen. Es liegt jene Construction vor, nach
welcher was nach moderner Auffassung Object des Infinitivs
ist als Object des regierenden Verbums hingestellt wird, worauf
epexegetischer Infinitiv mit a folgt: ama lo pretz de sa dompna
a prendre.
FOLQUET l DE B0MAN&*
I.
Der Dichter ist freudig und froh; zwar
9 non a gair' enquera
qu' us orguelhs m' avia mort;
mas trobat n' ai era
ric cosselh . . .
1 Falquet?
* Ed. Rudolf Zenker, Halle 1895.
30 IX. Abhandlung: Mussafifc.
Es folgt dann:
1 7 Erguelh ni pezansa
non ai, s' aver non o dei,
quar tan luenh mi lansa
20 la bella a cu* m' autrei,
quar amistat ni semblansa
qu' ela fei
endreg mei
non es qu' al cor no * m estei.
Zenker: Als Object zu mi lansa ist erguelh ni pezansa
zu ergänzen: ,weil sie mir ihn, d. h. den Kummer, so fern
hält*. Man vermisst das hinweisende Pronomen; vielleicht ist
mi'l lansa zu lesen.
Gewiss nicht; denn wie im Altfranzösischen, so geht im
Provenzalischen das Pronomen der dritten dem der ersten oder
zweiten stets voran. Wohl aber könnte das Accusativpronomen
ohne weiteres unausgedrückt geblieben sein. Ich halte indessen
mi für Accusativ: ,dass meine Herrin mich so weit von sich
stösst*. Diess ist eben die Unbill, die ihn bis zum Tode ge-
kränkt hatte; das ric eosseih, das ihn tröstet, ist der Gedanke
an die Freundlichkeit, die sie ihm früher erwiesen hat. Erguelh
bedeutet ,schroffes Abweisen'; in 10 ist das Thun der Frau
und vielleicht auch die im Dichter dadurch erzeugte Em-
pfindsamkeit gemeint; in 17 letztere. Es empföhle sich s' on
zu c' on zu bessern (das Lied ist nur in einer manche Mängel
aufweisenden Handschrift auf uns gekommen). Ich deute die
Stelle so: ,desshalb weil meine Herrin mich von sich so weit
stösst, fühle ich keinen Kummer, und darf ihn nicht fühlen,
denn . . /
45 lai on mos cors diria
qu' a rescos
ab lieis fos
lo sieus amics fis e bos.
lai soll für zwei Silben gelten. Diess ist unter keiner Bedin-
gung zuzugeben. Vielleicht me diria ,wo ich (— mein Herz)
wünschen würde mit ihr zu sein als treuer guter Freund'.1
1 Ich meine selbstverständlich nicht, das« lo s. a. prädicierend sei. Es i>t
Subject und bedeutet ,ich'; aus Bescheidenheit wendet der Dichter die
dritte Person an.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 31
IV.
2 domna non m' er tan plaisen.
plaisen soll ,Acc. in Function des Nom/ sein. Man wird den
Dichter von diesem Declinationsfehler frei sprechen; plaisen
ist Gerundium; vgl. altital. h ingannando = inganna.
V.
Aucel no truob chantan
ni no vei flor novella,
mas ieu no ' in lais de chan
ni de joi qui'm n' apella;
qu' en joi ai tot mon cor,
qu' om no sai qu* ora's mor
e ma domna 'm te let,
qu' ab joi plagen
mon fi cor gazanhet.
Zenker: »Denn ich weiss Niemand, der augenblicklich
stürbe'. Dieser sonderbare Gedanke hat wohl nur den Zweck,
die Anbringung des Refrainwortes mor zu ermöglichen.
Sollte es dann nicht ome und mora heissen? Ich lese quora'8
und übersetze: ,denn der Mensch weiss nicht, wann er stirbt*.
Der Vers würde am besten zwischen Kommata (Klammern, Ge-
dankenstrichen) stehen. Gemeint ist: ,Ich bin von Freude er-
füllt und denke nicht ans Sterben, denn meine Herrin . . .'.
23 Tant 1' am de bon talan
que'l cor me resanceila.
Zenker: resancellar ist jedenfalls = resarcellar und dieses
eine Ableitung von im Altfranzösischen belegten resarcir ,re-
prendre de la force, de la vigueur*. Ob nicht eher mit afz.
sancier, resancier ,wieder gesund machen' zusammenhängend?
38 domna, ajatz cha'l cor,
que mieus es lai que mor
40 qu' ainch un jor no'm lonhet
vostre cors gen
ni re no desiret
tan coralmen.
Zenker: ,Herrin, nehmt hier mein Herz, denn besser ist
es, dass es dort (d. i. bei Euch) stirbt (oder: besser ist es dort,
als dass er sterbe?); denn nicht öinen Tag entfernte es mir
32 IX. Abhandlung: M assafi».
(d. i. Hess es mich vergessen) Eure schöne Gestalt und nichts
ersehnte er so herzlich*.
Ich sehe mieus als Pronomen Possessivum an (auch an-
derswo ohne Artikel; es lässt sich indessen leicht quel lesen);
es läge eine Construction wie die italienische e lä che muore.1
lonhar alcu oder alcuna re ist, wie afz. esloignier, in der Be
deutung ,sich entfernen* verwendet ; -m ist Dat. commodi, wenn
nicht non zu lesen. Nicht ganz klar ist mir V. 38; etwa: ,Herrin,
möget Ihr hier Euer Herz haben (= nähert euch mir?); denn
das meine ist dort (— bei dem euren, oder: bei Euch) zu Tod
schmachtend, denn nicht einen Tag entfernte es sich von Euch'.
64 N' Oth del Caret, lo cor
avetz on pretz no mor;
qu' ainch nulhz om no renhet
plus franchamen
ni genchere no obret
home valen,
per qu' ieu am vostra senhoria.
Zu 68 Zenker: Loos, Nominalflexion im Prov. bezweifelt
das Vorkommen des hier durch das Versmass gesicherten Nom.
Sing. ome. Loos hat meines Erachtens Recht; home valen ist
Vocativ, und da ist die oblique Form zulässig. Genehers kann
prädicierend zum Subjecte nulhz om sein; zu plus franchamen
würde besser gencheis stimmen.
xni.
71 eu non cre que negus fos natz
con tan bei glavi fos navratz
com eu so i, ni ab tan plazen.
Zenker erblickt hier Ellipse des relativen Ausdrucks nach
verneinenden Formeln wie ,es gibt Niemand', ,es gibt Nichts'.
Da aber die — überhaupt recht seltene — Präposition con ,mit*
unserem Dichter unbekannt ist und da unmittelbar ab folgt,
so wird man trotz des Consensus der drei Handschriften sich
geneigt fühlen, c' ab zu bessern. Vielleicht hatte die Vorlage
cam = c' am.
1 Vgl. über diese Constructionen jetzt Tobler in Zeitschr. f. rom. PhiL
XX, 55.
0
Zur Kritik and Interpretation romanischer Texte. 33
173 e* m diseea qu' eu era primers
amics e seria derers,
175 don vos anc fos enamorada;
ar fos la veritatz provada
ab que n' agues crebat V un huelb.
So L; die zwei anderen Handschriften haben 177 a que.
Letzterer Lesung folgt Z., er fasst a als Interjection auf nnd
druckt:
ar fos la veritaz provada !
A ! que n* agues crebat 1' un huelh ! 1
Er erklärt: , Würdet Ihr mir doch die Wahrheit (dieser
Eurer Behauptung) jetzt beweisen!' Aber kaum hat der Dichter
diesen Wunsch ausgesprochen, so überkommt ihn die Befürch-
tung, er möge zu viel gesagt haben. ,Ja', fährt er fort, ,ich
verdiente, dass man mir dafür (als Strafe für meine Kühnheit)
das eine Auge aussteche'.
Ab que ist richtig. Ab = apud bezeichnet den beglei-
tenden Umstand. Mit o farai ab que'lh plaza wird gesagt:
,Ich will es thun, bei Dim, dass . . .', ,den Umstand angenommen,
dass...', gerade so wie wenn es hiesse: ab so plazer. Stellt
man nun die Thätigkeit als unter Umständen eintretend dar,
die sie eigentlich hemmen sollten, so gesellt sich zur Aussage
des Nebensatzes der Begriff ,auch, selbst, sogar' hinzu, sie wird
concessiv; o farai ab qu' el lo9m devet ,ich will es thun, [selbst]
bei Dem, dass . . .', ,[selbst] den Umstand angenommen, dass . . .'.
In beiden Sätzen bedeutet ab que ,wenn'; im ersten ,wenn nur'
(= ,8ofern als', frz. pourvu que), im zweiten ,wenn gleich'
(= ^obgleich, obwohl' u. s. w.).a Die erste Verwendung ist die
übliche: die zweite, seltenere, ist von Appel, Provenz. Inedita
S. XXVI, belegt worden. So auch in unserer Stelle: ,Möchte
ich den Beweis Euerer Worte erhalten, selbst wenn ich dafür
ein Auge einbüssen sollte (= und sollte ich auch mein Glück
mit dem Verluste eines Auges erkaufen)!' — Da ab in anderen
Verwendungen mit a häufig abwechselt, so erklärt sich leicht
der Fehler der anderen Handschriften.
1 Ebenso NapoLski in seiner Ausgabe des Pons de Capduoill; a, que...
1 Vgl. ital. lo färb am quetto, che voi mi promettiate di . . . und lo färb
con ftutloj ctb che io tema di . . .
Sitsungsber. d. phü.-hist. Ol. CXXXIV. Bd. 9. Abb. 3
34 IX- Atbairilug: Maiiftfia.
211 eu vos dirai que m' esdeve
per V08 c'am mau qae nnlla re:
quan m* en soi intrate al moster,
si com autres pechaires quer
a Den perdon de sos pechats,
et eu vos or entre mos bratz.
Zenker: ^zwischen meinen Armen', d. h. das Haupt zwi-
schen meinen Armen; es ist hier also angezeigt die Stellung
eines in Knieen Betenden, der die Arme aufgestützt, die Hände
gefaltet und das Haupt zwischen den Armen hat, d. h. die
Stellung eines mit tiefer Inbrunst Betenden.
Es liegt hier vielmehr eine anmuthig abgekürzte Con-
struction vor. Gemeint ist: ,ich flehe zu Gott, er möge mir
gewähren, dass ich euch in meinen Armen halte'. Man wird
erinnert an: je von* croyais ä Paris] noch näher steht [U]
Heu oü je me souhaite bei Voiture, von Littre citiert.
GUIRAUT DE BORNE LH.1
VI.8
9 Lo segles es chamjatz de cortezia
e vilanatg' es et e perdizo ;
plus es lauzatz qui tot toi a bando
qae sei qui dona per sa manentia;
c' ardis lo crois sordejors e m' es clis
1' us ab T autre; tals e tals vai tapis
15 pe'l seu donar, e per ea trufardia,
gardem nos be d' aital poestaria !
Die Inhaltsangabe lautet: ,Die Schlechtigkeit greift in der
Welt immer mehr um sich, von den bösen Buben muss man
sich hüten, auch wenn sie einem Wohlthaten anbieten (?)'.
Die Strophe wird Übersetzt: ,Die Welt hat von Höflich-
keit abgelassen, in Gemeinheit ist sie und in Verderbnis»; mehr
gelobt wird, wer alles nach Belieben wegnimmt, als derjenige«
welcher gemäss seinem Reichthum gibt; denn der Gemeine
1 ed. Adolf Kolsen, Berlin 1894.
* Ob dieses nur in 8* enthaltene Lied wirklich von Girant herrühre , W
nicht vollständig sicher.
Zw Kritik und Interpretation romanischer Texte. 35
ermuthigt die Schlechteren,1 und sie unterstützen einander (?);
der und jener geht im Verborgenen (?) um seines Gebens
willen, und wegen seiner Betrügerei wollen wir uns von solchem
Besitze wohl hüten1.
Anmerkungen. Zu 13 — 14: It. Vun alV altro chini (Dante,
Purg. 14,7) bedeutet ,beide an einander geneigt, sich an einander
lehnend'. Sollte hier der Dichter beabsichtigt haben, sich der
entsprechenden Wendung zu bedienen, und zwar in übertra-
genem Sinne ,einander unterstützend'?8
Zu 14: Der Dichter scheint hier Leute im Sinne zu haben,
welche sich die Mittel für ihre Freigebigkeit auf unrecht-
mässige Weise erwarben.
Zu 16: altit. podesteria bedeutet ,Besitz'.
Die wiederholten Fragezeichen deuten an, dass diese Er-
klärungen Eolsen selbst wenig befriedigen; zumal die Ueber-
setzung des zweiten Theiles der Strophe ist kaum verständlich.
Ich versuche eine — wenigstens beiläufige — Deutung. Vor
Allem sei das hervorgehoben, was ich für unzweifelhaft halte:
1. lo crois kann nicht Nomin. Sing, sein; vgl. 23 li croi,
26 los crois 9 29 li sordejor, 33 e'lh savai croi] es gehören
demnach crois und sordejors zusammen; statt lo ist los zu lesen.
Daraus ergibt sich, dass seu donar und sa trufardia sich nicht
auf lo crois, sondern auf cel qui dona beziehen.
2. mesclis der Handschrift ist &n Wort; es ist eine Neben-
form von mesclius ,zänkisch'. V us ab V autre lässt sich als
eine erstarrte Apposition im Sinne eines Adverbiums ,gegen
einander' auffassen; wie ilh son mescliu V us ab V autre, so
etwa no am los homes mesclius V us ab V autre. Die Beschaffen-
heit der einzigen Handschrift würde indessen die leichte Aen-
derung zu V u oder V un gestatten.
Ich erblicke nun in plus es lauzatz nicht eine Klage dar-
über, dass der Nehmer mehr Lob erntet als der Schenker,
sondern glaube, dass, wie V. 19 — 20 plus es lauzatz qui dona
que cel qui pren den Spruch des heil. Paulus: Beatius est dare
quam accipere wiedergibt, so auch hier gemeint sei: ,Lobens-
werther ist noch, wer frank und frei wegnimmt, als wer so gibt,
1 MfLsste es nicht lo» mrdejors heissen?
8 Wie ist aber m' zu erklären?
3*
36 IX. Abh. : Massafia. Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
dass Schlechtes daraus folgt'. Die schlechten Folgen sind in
den W. 13 — 15 ausgedrückt; es scheint gemeint zu sein, dass
die Niedriggesinnten, Habgierigen kühn gemacht oder gegen
einander aufgehetzt werden, so dass die Leidenschaften sich
entfesseln und allerlei Uebles daraus entsteht : ^mancher erleidet
Schaden1 durch die Gaben eines solchen Schenkers; hüten wir
uns vor ähnlichen Gebietern!' Denn auch der Schenker ist
nicht frei von Schuld, niedrige Gesinnung leitet ihn bei der
Vertheilung seiner Gaben. Vielleicht Hesse sich schon in den
Ausdruck per sa manentia eine pejorative Bedeutungsnuance
hineinlegen, etwa ,aus Protzenthum' oder ,um seine Macht zu
vermehren'; trufardia kennzeichnet deutlich das unedle Gefühl,
welches den Geber beseelt.2
Nach meiner Deutung wäre die Interpunction zu modifi-
cieren; am Schlüsse von 12 Komma, in 15 das Komma vor e
zu tilgen, dafür am Schlüsse Semikolon oder Punkt. Daran
schliesst sich gut das Folgende an:
17 Donc non a Iuecß so que sol Pauls aprendre,
qui dizia e son escrit aisi;
,Pluß es lauzatz qui don* al seu vezi
20 que sei qui pren', c' ar sol franqueza vendre,
ni no coselh demandar jutjador
cals sia mels e de major lauzor,
prendre o dar; car li croi volran rendre
garen tia: no val tan dar com prendre.
,Zu unserer Zeit, da man sich geneigt fühlt, einen ehr-
lichen Wegnehmer lieber zu haben als Einen, der aus gemeinen
Gründen schurkische Leute beschenkt, zu unserer Zeit, in der
Freigebigkeit nichts wie ein niedriger Handel ist (V ar sol
franqueza vendre), da gilt nicht mehr der Satz des heil. Paulus:
Seliger ist Geben wie Nehmen. Doch (fügt nicht ohne Schalk-
heit der Dichter hinzu) möchte ich nicht Umfrage halten, was
besser sei, denn die Habgierigen würden sich ohne weiteres für
das Nehmen entscheiden'.
1 leb fasse tapi im Sinne von «geduckt, armselig' auf.
8 »Betrug* wäre kein passender Ausdruck.
® X. Abb.: Heinzel. Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 1
X.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama.
Von
Eichard Heinzel,
• ___
wirkl. Hitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
feeit längerer Zeit mit den Vorarbeiten zu einer Be*
Schreibung des geistlichen Schauspiels im deutschen Mittelalter
beschäftigt , habe ich einige Beobachtungen gemacht, welche
einerseits über das abgegrenzte Gebiet hinausgehen, sich auf
das weltliche Drama des 15. Jahrhunderts oder auf die Bühne
des 16. Jahrhunderts beziehen, andererseits wegen ihres histori-
schen Charakters nicht in die rein poetische Beschreibung passen
würden. Indem ich sie hier mittheile, habe ich zu bemerken,
dass die angeführten Beispiele nur in Bezug auf die drama-
tische Literatur Deutschlands bis zum Ende des 16. Jahr-
hunderts aus zusammenhängender Lecture hervorgegangen sind,
während was ich aus fremden Literaturen oder aus der deut-
schen jenseits dieses Zeitraumes anführe, sich nur zufallig
angeschlossen hat. — Von dramatischen Liturgien, die den
eigentlichen Gottesdienst angehören, sind nur Nürnb. Ostf. und
Wien. Ostf. berücksichtigt.
Die arabischen Ziffern beziehen sich, wo es nicht anders
angegeben ist, auf die Verse ; eine unbezeichnete römische nach
einem Dramentitel zeigt den Act, eine solche mehr einer ara-
bischen Act und Scene an. Die Verszahlen können auch auf
die vorhergehende Spielanweisung gehen.
Die nach ihrer häufigeren oder selteneren Benutzung mehr
oder minder verkürzten Titel der Dramen sind am Schlüsse
erklärt, wo auch die Fundorte der Dramen und ausführlicheren
Titel der sonst citierten Werke angegeben sind.
Wo die Aufzählung nicht durchaus alphabetisch ist, da
ist sie es innerhalb gewisser Zeiträume, so dass die Stücke,
SitznngBber. d. phil.-hist. Cl. CXXXIV. Bd. 10. Abb. 1
X. Abhandlung: Heinsei.
deren Handschriften ins 11. und 12. Jahrhundert fallen, als
eine von den anderen durch einen Strich oder sonst geschiedene
Reihe auftreten, ebenso jene, welche im 13., im 14., im 15.,
im 16. Jahrhundert aufgeschrieben sind.
I. Zu den geistlichen Schauspielen des Hittelalters
als Texte betrachtet.
Der gewöhnlichste Titel der geistlichen Dramen — nicht
der dramatischen Liturgien — des Mittelalters ist ludus. Stades
Weihnachtsspiel (ludus scenicus de nativitate Christi, wenn der
Titel alt ist). — Dor. (ludus de sancta Dorothea), Frankf. Pass.
Dir., S. Gall. Pass., Innsbr. Fronl., Innsbr. M. Himm. (ludw
de a88umptione beatae Mariae virginis), Innsbr. Ost. H. (ludus
de resurrectione domini), Kath. (ludus de beata Katerina), Trier.
Ost. (ludus de nocte pasche, de tribus Mariis et Maria Magda-
lena), Wien. Pass. (ludus paschalis), Zehn Jungfr. (ludus dt
decem virginibus). — Alsf. Pass., Cass. Weihn. (ludus de nativitate
domini), Eger. Pass. (ludus de creacione mundi), Erl. Dreik.
(ludus trium magorum. ordo et processus trium magorum), Erl.
Ost. H. (ludus Judeorum circa sepulcrum domini), Erl. Weihn.
(ludus incunabilis Christi), Frankf. Pass. (ludus de passiom
domini nostri Jhesu Christi) , Luz. Grabl. (ludus de resurref-
tione Christi, ludus depositionis Jesu), M. Magd, (hidw
Marie Magdalene in gaudio) , Sterzinger Christi Himmelfahrt
(ludus de ascensione domini), Sterz. Mkl. (ludus virginis plane-
tus cum prophetis) , Sterz. M. Lichtm. (ludus hanestus de
purificatione beatae virginis), Wolf Mkl. (ludus passianis do-
mini nostri Jhesu Christi).
Die deutsche Uebersetzung davon ist spil: Wien. Ost. H.
Ordo : Freis. 0. Räch (Ordo Racheiis), Isaac und Rebecca
(Ordo de Isaac et Rebecca et filiis eorum recitandus), — Frankf.
Pass. Dir. (ordo sive registrum de passione domini), — Erl.
Dreik. (ineipit ordo et processus trium magorum).
Registrum: Frankf. Pass. Dir. (Ordo sive registrum de fai-
sione domini), — Künzelsauer Frohnleichnamsspiel (Registrum
processionis corporis Christi).
Abbandinngen zum altdeutschen Drama. 3
Deutsch: Register: Don. Pass. (das register des lidens
Jhesu Christi zä Sprüchen gesetzt, im mass das man das —
tcoll spülen mag), Erlauer Spiele, s. Kummer S. XXVII, S. 167,
Wackerneil S. 6. — Heidelberger Passionsspiel (das Register
oder Ordenung vonn denn geschichtenn, marter vnd leyden Jhesu
Christi).
Ordenung Heidelberger Passionsspiel, s. oben.
Planctus Bord. Mkl. (planctus devotissimus beatissime
Marie virginis cum misericordissima et devotissima nota. —
planctus iste non est ludus nee ludibrium), Sterz. Mkl. s. oben.
Figur. Augsb. Ost. H. 2175 Proclamator: Nun merekt ir
allerliebsten mein, was die nächst figur werd sein. S. unten in
der Erklärung der abgekürzten Titel. Der Titel ist auffällig.
Denn sonst bedeutet Figur einen durch den Inhalt abge-
schlossenen Theil des Stückes wie Actus, Historie; R. Brand
stetter, Regenz S. 5a. 18\ 32».
Die Spielanweisungen sind bei den lateinischen Stücken
(lat.) immer, bei den gemischten und ganz deutschen über-
wiegend lateinisch.
Lateinisch. Bilsener Dreikönigsspiel (lat.), Freis. Her.
(lat.), Freis. O. Räch, (lat.), Teg. Ant. (lat.), — Ben. Pass.,
Ben. Weihn. (lat.), Himmelg. Pass., Klosterneuburger Osterspiel
(lat.). Muri. Ost. H., Nürnb. Ostf. (lat.), Stades Weihnachts-
spiel, Strassburger Dreikönigsspiel (lat.), — Dor., Frankf. Pass.
Dir., S. Gall. Pass., Jacob und Esau, Innsbr. Frohnl., Innsbr.
M. Himm., Innsbr. Ost. H., Kath., Theoph. Stockh. (deutsch:
426. 538. 542), Trier. Mkl., Trier. Ost, Wien. Pass., Zehn Jungfr.,
— Alsf. Pass., Bord. Mkl., Cass. Weihn., Docens Marienklage,
Eger. Pass., Erl. Dreik., Erl. Mkl., Erl. Ost., Erl. Ost. H., Erl.
Weihn., Eroberung Jerusalems, Frankf. Pass., Friedb. Pass. Dir.,
S. Gall. Chr. Himm., S. Galler Marienklage, Himmelg. Mkl.,
Künzelsauer Frohnleichnamsspiel , Luzerner Marienklage, Luz.
Grabl., M. Magd., Münchner Marienklage, Red. Ost. H., Ster-
zinger Christi Himmelfahrt, Sterz. M. Lichtm., Sterz. Mkl., Sterz.
Ost., Wackerneil S. 13. 40. 70. 78. 81. 103. 105. 124. 134,
Wien. Ostf. (lat.), Wolf. Mkl. (deutsch: 220 sal man spreken)
Wolf. Ost., Wolf. Sund.
4 X. Abhandlung: Heinzel.
Deutsch. S. Gall. Weihn., Mastr. Pass., Prag. Mkl., Theoph.
Heirast., Augsb. Ost. H., Augsb. Pass., Don. Pass. (lat. 2073),
heil. Georg, Jutta, heil. Kreuz, Rhein, j. Tag., Theoph. Trier.,
Wien. Ost. H. (und latein), Heidelberger Passion.
Ueber Mischung von Deutsch und Latein in derselben
Spielanweisung s. R. Haage, Dietrich Schernberg und sein
Spiel von Frau Jutten, S. 8.
Die Spielanweisung steht im Indicativ, zuweilen auch
Conjunctiv Praesentis. Bilsener Dreikönigsspiel, Freis. Her., Freis.
O. Räch., Isaac und Rebecca, Teg. Ant., — Ben. Pass., Ben.
Weihn., Klostern euburger Osterspiel, Ntirnb. Ostf., Stades Weih-
nachtsspiel, Strassburger Dreikönigsspiel, — Breslauer Marien-
klage, Dor., Frankf. Pass. Dir., S. Gall. Pass., S. Gall. Weihn.,
Jacob und Esau, Innsbr. Frohnl., Innsbr. M. Himm., Innsbr.
Ost. H., Kath., Mastr. Pass., Prag. Mkl. Theoph. Stockh..
Trier. Mkl., Trier. Ost., Wien. Pass., Zehn. Jungfr., — Alsf.
Pass., Augsb. Ost. H., Augsb. Pass., Bord. Mkl., Cass. Weihn.,
Docens Marienklage, Don. Pass., Eger Pass., Erl. Dreik., Erl.
Mkl, Erl. Ost., Erl. Ost. H., Erl. Weihn., Eroberung Jeru-
salems, Frankf. Pass., Friedb. Pass. Dir., S. Gall. Chr. Himin.,
S. Galler Mkl., heil. Georg, Jutta, heil. Kreuz, Künzelsauer
Frohnleichnamsspiel, Luz. Grabl., Luzerner Marienklage, Münch-
ner Marienklage, M. Magd., Red. Ost. H., Rhein, j. Tag, Ster-
zinger Christi Himmelfahrt, Sterz. Mkl., Sterz. M. Lichtm.,
Sterz. Ost., Theoph. Trier., Wackernell S. 13. 40. 70. 76. 78.
81. 103. 105. 124. 134, Wien. Ostf., Wien. Ost. H., Wolf.
Mkl, Wolf. Ost., Wolf. Sund., — Heidelberger Passionsspiel.
Das Futurum. Teg. Ant. 45 cantabit, — Frankf. Pass. Dir.
26*. 91 & cantabunt, 38 vocabit, 45 clamabit, Kath. S. 160
exibit, S. 165 veniet, Zehn Jungfr. S. 18 incipiet, — Frankf.
Pass. 1364 cantabunt, 4134 clamavit(?), Wien. Ostf. S. 251
canent.
Ein Praeteritum. Ben. Pass. 179 tacebat, S. Gall. Weihn.
17. 47 sprach, 377 kom, 410 sprach und lopt got, 459 fund&h
Jacob und Esau S. 426 respondit, expavit et dixit, Innsbr. H.
Himm. 1 exiit, Mastr. Pass. 1. 9. 40. 1169. 1494 sprag,
sprach, sach, vil, lief, Theoph. Heimst, immer sprak, 299 horde,
Theoph. Stockh, 119 plangebat, 426 sprak, 538. 542. 454 por-
tarnt, 538. 542, — Augsb. Pass. 75 Als ihesus war in Simonis
Abhandlungen mm altdeutschen Drama. 5
haws sprach zu dem herren ihesu Maria Magdalena, Eger.
Pass. 8243 obstupuit, Frankf. Pass. 4124 clamabat, Wien.
Ost. H. S. 303, 15 Da die ritter lagen, so sungen die engel.
Statt eines Verbums flir den Begriff inquit, canit be-
gegnet legit, legat. Alsf. Pass. 7137 Luciper videns per fenestram
legit sub accentu prophecie: Quare rubrum est u. s. w. et dicit:
deutsche Reimpaare, S. Galler Marienklage 22, Luz. Grab],
179. 8. Mone, Altdeutsche Schauspiele S. 28 Anm. und Wien.
Pass. 5 im Prolog so muget ir von göte hören singen ufl lesen.
Zuweilen ist die Spielanweisung in Versen abgefasst, doch
kaum jemals durchgehend : Bilsener Dreikönigsspiel (Hexa-
meter), Freis. Her. im Anfang, — Mastr. Pass. 1169 Du Maria
unsen here sach, du vil si ze sinen vussen ende sprach, Theoph.
Heimst. 261 Do sprak Theophilus vromichliken alsus, 285 Do
sprak Theophilus jamerliken alsus, 403, Theophilus Stockh. 538
Se gingen albedille Vor den prester unde stoegen stille, 542
Theophilus dl stille swech, Vor den prester dat he sik vlech.
S. Creizenacb I 63. Im Freis. Her. scheint sie sogar notirt
S. 56. — Metrische Spielanweisungen haben z. Th. auch die
R^surrection (13. Jahrh.), Monmerquö S. 11, — und die Digby
Mysteries, S. 180.
Für das erste Auftreten des Schauspielers auf der Bühne,
oft in Form einer Procession, werden die Ausdrücke produci,
deduci, exire, egredi, procedere gebraucht. Isaac und Rebecca
S. 177 Hoc cantu (Eingangsgesang) producendus est Ysaac
usque ad lectum. — Ben. Pass. Primitus producatwr Pilatus et
uxor sua cum militibus. — Frankf. Pass. Dir. Primo igitur per-
sone ad loca sua cum instrumentis musicalibus et clangore
tubarum deducantur. Innsbr. M. Himm. Primo exiit Jhesus.
Innsbr. Ost. H. Primo euim exiit Pylatus cum suis militibus. —
Bord. Mkl. S. 289 primo exit dominus Jhesus cum cruce cum
Johanne. Dominus Jhesus quum primo exit cum aliis quatuor
personis — . Quum exeunt et quum intrant, faciunt tria paria.
890 Nota: quum exeunt, primo cantant psalmum sequens; dem-
entsprechend nach 890 Quando intrant, cantant responsorium
sequens. Erl. Ost. H. Tunc, nach dem Silete der Engel, exit
Pilatus cum militibus. Sterz. M. Lichtm. et prius exit praecursor9
S. 100 egrediantur de loco abscondito Joseph et Maria (?).
6 X. Abhandlung: HeinzeL
Procedere: Teg. Ant. His ita ordinatis pintno procedit Genu-
lltes cum rege Babiloni, s. 45. 50, — ErL Weihn. In cunabili
Christi debent esse Maria, puer, Joseph, obstetrix et duo an-
gelt et duo cithariste et pastor et Judeorum synagoga. ß
procedunt usque ad locum, ubi Indus fieri debet. Erl. Dreik.
Primo procedant duo angeli, et postquam venerunt ad locum
stacionis, cantant. — Deutsch blos gen, Wien. Ost. H. S. 298, 30
nach dem Prolog des Präcursors: Pilatus und die Juden gen
mit im, S. 299, 1 Pilatus get uf das pallas. Im Don. Pass.
1. 21 her für gan.
Im 16. Jahrhundert wird dafür ,aufziehen' gebraucht;
R. Brandstetter, Germania XXX 325. 342.
Das gänzliche Abtreten von der Bühne kann durch rect-
dere ausgedrückt werden. Ben. Weihn. 232 Hoc conpleto detur
locus prophetis vel ut recedant vel sedeant in locis suis propter
honorem ludi, 241 Deinde recedat Elisabeth, quia amplius non
habet locum hec persona, Trier. Mkl. S. 272, 15 et sie recedunt
totaliter et Maria cantat quod sequitur, et tunc etiam recedit.
Nach Marias Gesang schliesst das Stück. — In der Bord. Mkl.
wird dies intrare genannt; s. die oben S. 5 angeführte Stelle.
Erl. Ost. 1121 Et sie recedit ortulanus, Christus als Gärtner, um
1146 in habitu sacerdotali wiederzukommen. — S. Don. Pass.
3665 Nu legend sy den Salvator in das grab und beschliessent
das — . Und in diesem schlicht der Salvator uss dem grab und
becleidet sich anders und leit sich den wider dar.
Für das Hervorkommen der Schauspieler aus dem Bühnen*
stand, dem Standort findet man exire, egredi, venire, procedert,
transire, vadere, accedere, auch disponi, actum facere, paratum
esse, dazu entsprechende deutsche Verben. Freis. O. Räch. 94
consolatrix accedens dicat. — Ben. Pass. 1 Postea, nach der
Eingangsprocession, an der Christus lycht Theil nimmt, vadat
dominica persona sola ad litus maris vocare Petrum et Andream,
58 Tunc accedat amator quem Maria salutet. Ben. Weihn. 11
Postea Daniel, der nach der Angabe 1 seinen Standort neben
Augustinus hat, procedat prophetiam suam exprimens, 38 Tercio
loco Sybilla gesticulose procedat, 237 Deinde Maria vadat casua-
liter nichil cogitans de Elisabeth vetula — et salutet eam. 242
qua (stella) visa tres reges a diversis partibus mundi veniant et
ammirentur de apparitione talis stelle. 398 Modo veniat archi-
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 7
synagogus zu Hcrodes, der ihn hatte rufen lassen. — Frankf.
Pass. Dir. 352 veniens ad paradysum (dominica persona), Innsbr.
M. Himm. 921 Et sie Maria vadit ad locum baptismatis.
Innsbr. Ost. H. 422 Tunc prima (persona) exit cantando, 434
Secunda persona exit cantando, 446 Tertia persona exit can-
tando, 1043 Tunc Jhesus venit in specie hortulani, 1081 Jhesus
venit cum vexillo. Wien. Pass. 36 Quo facto sit paratus Lu-
eifer — et ducatur per diabolum ad sedem suam, 279 Maria
Magdalena exeat in superbia cantans cum uno iuvene. — Alsf.
Pass. 620 Deinde Luciper cum suis exeunt de Inferno, 1044
Disponatur Lucifer sub silencio ad doleum cum suis, 1307 et
Interim disponitur Samaritana que venit cum vase, s. 2505
Disponatur azinus in Jherusalem, 3126 Disponatus Saihanas,
7642 Hie disponatur Uriel ut sedeat super sepulcrum domini.
Bord. Mkl. S. 289 virgo Maria quum facit actum suum vadit
ad medium et aliquando vertit se adfilium ad orientem, aliquando
ad oeeidentem, aliquando ad aquilonem, aliquando ad meridiem
— . quandocumque fecit actum tuum vadit ad locum suum et
stat a dextris (Christi), 890 Nota: quum exeunt primo cantant
psalmum sequens. Eger. Pass. 441 Et sub Mo Salvator, Gott
Vater, transit versus paradisum, 2365 Primus miles accedit ad
Herodem dicens, 2375. 2385. 2395. 7979 Et sub illo venit Sal-
vator in specie hortulani. Erl. Dreik. 167 Deinde veniant magi
equitantes. Erl. Ost. 1146 Tunc dominica persona venit in har
bitu sacerdotali. Erl. Ost. H. 1 Tunc exit Pilatus cum militi-
bus cantando, 21 Deinde Cayphas cum synagoga cantantes
(veniunt). S. Gall. Chr. Himm. 9 Deinde sint congregati disci-
puli et mater domini cum duabus Mariis, et veniens Jhesus
dicat eis. Luz. Grabl. 31 Deinde Joseph ab Arimathia cum
duobus servis accedat Mariam inclinando se. M. Magd. 298
e
Luciper: Es uril iczund her aus gen ein frau, haiszt Mag-
dalen, 370 Deinde exit Procus cantando. Sterz. Mkl. S. 121
quo finito (dem gemeinsamen Gesang des Propheten) procedit
primus propheta Jeremias, s. S. 125. 128. S. 131 Tunc venit quar-
ins propheta David, S. 134 Tunc procedit Simeon (der fünfte
Prophet), S. 136 Tunc venit Jonas, propheta sextus, S. 138 quo
finito (Propheten chor) venit seeundus iuvenis ad locum suum1
1 Was hier ad locum suum heisst, ist dunkel.
8 X. Abhandlung: Heiniel.
cum candelabro et dicit rigmum. Sterz. M. Lichtm. S. 100
post istum cantum egrediantur de loco abscondito Joseph et
Maria baiulana parvulum in manibus cum duobus angeli*
praecedentibus.
Vereinzelt ist intrare für das Hinzutreten zu dem Stand-
platz eines andern , S. Gall. Pass. 51 Tunc Judaei intrant ad
Johannem dicentes.
Für das Zurückkehren auf den Standplatz gilt recedere,
enweg gan. Alsf. Pass. 2059 et Martha et Maria Magdalena
recedunt; beide kommen noch wiederholt im Stück vor; 6839
Et sie Maria recedit cum sororibus et cum aliis ad locum eius*
nach der Grablegung Christi. Cass. Weihn. 55 Tum angelus
recedit, 75 et sie recedit (Joseph). Tunc apparet ei angelus
Gabriel; Joseph bleibt also in seinem Standort sichtbar. Don.
Pass. 3775 den gand si enweg, Christen- and Judenthum.
Erl. Dreik. 67 Et sie recedant pastores, 239 Et sie recedant, die
heil, drei Könige, 27 1 Et sie recedant, die heil. Familie. Sterz.
Mkl. S. 139 Tunc recedit Maria cantando. Sterz. M. Lichtm.
S. 109 Replicando versus donec sacerdos cum ministris, Simeon
cum servo, Anna cum ancilla recedant. S. 110 Joseph reeipit
puerum et recedit angelis praecedentibus. S. 152 Et tunc duae
personae recedunt cantando, Sterz. Ost. S. 154 Et sie hortulanus
recedit, S. 160 Tunc sälvator recedit ad tempus nach seiner
Erscheinung bei Maria Magdalena, vor seiner Erscheinung bei
den Aposteln, S. 162 Et sie recedit (Thomas oder Christus?).
Wolf. Sund. 2094 Hie recedit Moyses.
Aber es ist nicht nöthig, dass immer ein Ausdruck wie
exire, procedere, venire gebraucht wird, um das Herauskommen
auf die Bühne vom Standplatz aus zu bezeichnen; 6. Alsf. Pass.
133 Hoc facto Luciper ascendit dolium, natürlich muss er
dabei die Hölle verlassen, Sterz. M. Lichtm. S. 100 Tunc sit
altare in medio ecclesiae vel loco congruo paratum, ad qm*i
sacerdos quidem iudeus cum duobus ministris accedat cantando:
darauf post istum cantum egrediantur de loco abscondito Jo-
seph et Maria.
Auch statt recedere können andere Verba gebraucht werden:
Alsf. Pass. 400 Sic omnes currunt ad infernum.
Wie andererseits procedere und recedere, venire, rädert
ad, accedere ad, transire von andern Orten als den Standplätzen
Abhandlangen mm altdeutschen Drama. 9
aus gemeint sein können. Ben. Pass. 4 Postea vadat dominica
persona ad Zacheum, 8 Hiis f actis Jesus procedat ad Zacheum,
11 Jesus venit, nachdem Jesus schon 2 ans Meeresufer zur
Apostelwahl gegangen war. — Innsbr. M. Himm. 932 Deinde
recedit ad locum ieiunii, Maria, nachdem sie beim locus
baptismatis gewesen war, 439 Maria iterum procedit ad
locum passionis , 966 Maria iterum procedit ad locum pul-
ture, 966 Maria iterum procedit ad locum ascensionis.
Innsbr. Ost. H. 1099 Maria recedit vom Grabe Christi, und
spricht nun mit den Aposteln 1124. 1158. Trier. Mkl. S. 266, 2
et sie recedunt, Maria und Johannes, aber sie bleiben ganz in
der Nähe des Kreuzes und kehren auf Christi Ruf zurück. —
Eger. Pass. 423 Et tunc Adam accedit ad Eoam — et swmens
pomum dicit, 1857 transity T744 Et sie transeunt, die Grab-
wächter, ad parvum spacium de sepulchro ad medium circuli,
7764. 7798. 7902. 7995 et sie ulterius procedit (Maria Magda-
lena) de ortulano, 8013 Et sie Maria recedit tercio modo ab
ortulano. Frankf. Pass. 2671 Judas recedit suspendens eius
ymaginem. S. Gall. Chr. Himm. 17 Et procedat Jhesus versus
matrem eius, nachdem er schon 9 zu den Aposteln und der
Mutter gekommen war. Luz. Grabl. 51 Deinde, nach seinem
Gespräch mit Maria, vadat Joseph, von Arimathia, cum duobus
servis ad Pilatum. Sterz. Mkl. S. 121 Duae personae simul acce-
dunt tertiam et canunt, S. 130 Tandem venu Johannes, S. 133
Tunc iterum veniat Johannes, während Johannes seit S. 120
auf der Scene ist.
Die Spielanweisung, welche sich auf die Rede des Schau-
spielers bezieht, das Inquit, gibt mitunter auch den Inhalt der
Rede an. Teg. Ant. 50 Tunc Imperator dirigit nuntios suos
ad singulos reges et primo ad regem Francorum dicens:, 94 Tunc
Imperator eum suseipiens in hominem et concedens sibi regnum
cantat:. — Ben. Pass. 8 Hiisf actis Jesus procedat ad Zacheum
et vocet illum de arbore:, 131 Interim Judas veniat festinando
et querat oportunitatem tradendi dicens:, Ben. Weihn. 11 Postea
Daniel procedat prophetiam suam exprimens:, 340 Modo pro-
cedant reges usque in terram Herodis querendo de puero et
cantando. — Dor. S. 287, 27. 288, 7, S. Gall. Weihn. 410
Maria sprach und lopt got, Mastr. Pass. 17 Hie tüirt Lucifer
10 X. Abhandlung: Heimel.
virstoseny ende spricht vnse kere:9 286 Hie kumet der enget
zo Joseppe ende bevilt ome Marien in eine hude:. — Angst).
Pass. 297 Salvator zu iohanni vnd petro vnd bevilcht inen von
Bethania gen iherusalem zu gan} das aubentessen zu beraüten,
323, Don. Pass. 2991, Eger. Pass. 825. 1361. 1761. 1795. 22011,
S. Gall. Chr. Himm. 61, Rhein, j. Tag 384. 461. 687, Theoph.
Trier. 46. 262. 268. 278. 336, Wien. Ost. H. S. 300, 12, Wolf.
Mkl. 421 Johannis lenit eam (Maria):
Dass die Spielanweisung sagt, was während der folgenden
Worte agirt werden soll, ist das Gewöhnliche. Eis kommt aber
auch vor, dass sie für die Action nach der Rede Vorschriften
gibt. Dor. S. 293, 22 herum Fabricius dicit ad toriores et
facit paganos ducere ad decollandum. — Alsf. Pass. 528 et Jo-
hannes aspergit aquam super personam Salvatoris. Jhesus
venit ad locum deputatum. Maiestas quoque cantat: Hie est
filius meus dilectus et dicit rigmum: Sehet diez ist myn zarter
sone u. s. w. Erst dann kann Jesus auf seinen Standplatz
zurückkehren. 5272 Et imponatur ei corona spinea post rigmum
sequentem, Don. Pass. 2083 ff. die Juden schreien bei der Ge-
fangennehmung: Jhesum Nazarenum. Und tretten darmit hinder
sich und fallent nider} denn facht der Salvator aber an und
spricht: Jhesus Nazarenus9 der bin ich. Oder ist hier Ver-
wirrung des Textes anzunehmen? Eger. Pass. 529(?). 553
Caym et Abel transeunt de domo Ade. Caym dicit ad patrem:
er spricht die Absicht aus, das Feld zu bauen. 899 Et sub
Mo transgreditur populus mandatum ipsius Moysi corisando et
adorando mtulwm. Synagogarius dicit ad Aaron: das Tanzen
und Anbeten des noch nicht gegossenen Kalbes erfolgt erst
921. 1523. 1549 Maria respondit et summit bovem et azinum.
Maria desuper sedit. Jetzt bittet Maria aber erst um den
Esel, 2925.
So reich die Spielanweisungen oft sind, so geben sie doch
bei weitem nicht alles an, was der Schauspieler zu thun hatte.
Auch zeigt sie oft Mängel und Fehler. Ben. Pass. 213
Wer spricht das mit Noten versehene Inri? — S. Gall. Pass.
242 ff. sind die Personen falsch angegeben, Mastr. Pass. 126.
132 ist die Person der Gerechtigkeit gemeint statt der der
Wairheit, welche der Text bietet, 1266 ist Symon statt La-
zarus gesetzt. — Theoph. Heimst. 606 das Einschlafen des Helden
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 1 1
ist nicht angegeben. — Alsf. Pass. 1770 fehlt eine Spiel-
angabe über die ancilla der Magdalena, die nach 1824 an-
wesend ist. 6793 wie kommt Jacobns maior zur Grablegung
Christi? Ueber eine Wolkendecoration, welche 7876 voraus-
setzt, ist nichts angegeben. Augsb. Pass. 121 Es fehlt die
Angabe, dass Jesus in Lazarus' Haus gegangen sei. 173 Dass
Jesus Marien die Antwort auf ihre Frage durch Action während
der Judenscene gibt, muss man errathen. Cass. Weihn. 357
Dass der eine Hirt den andern mit dem Stocke stösst, ist
nur aus den Textworten zu ersehen. Ebenso Eger. Pass. 29.
37 die Weltschöpfung, 343 die Schöpfung Evas, 438, dass
Eva ihre Scham bedeckt, 1035 der Kampf Davids mit Goliath,
8013 fehlt das Weggehen Christi als Gärtner. Erl. Ost. H. 456
der Weg Medes7, Kaiphas Diener, zum Grab fehlt. S. Gall. Chr.
Himm. 23 Christi Weggehen nach der ersten Erscheinung bei
den Aposteln, 238 bei der Himmelfahrt. Sterz. M. Lichtm. vor
S. 103 fehlt die Angabe prima, secunda vice bei dem Gesang
,Anima in laudibus', s. S. 103. 1 10. Wien. Ost. H. S. 299, 23.
307, 13. 310, 11. 311, 17 sind die Namen der Redenden falsch.
Wolf. Sund. Wann Adam Eva von dem Verbote Gottes unter-
richtet, ist nur zu errathen. — Im Nicolaus, — in der Ben.
Pass. 213 bei den Worten des Inri, — Prag. Mkl. 1. 13. 17 ff.,
— Heidelberger Passion 2913. 5082 u. o. fehlen die Inquit.
Im Allgemeinen wird Reden und Singen durch die Spiel-
anweisung unterschieden; s. z. B. Mastr. Pass. 1188, aber dicit
ist nicht selten, auch wo Gesang gemeint ist, wie die Notirung
zeigt, Freis. O. Räch. 13. 16. S. Froning. S. 552, Grein, Alsf.
Pass. S. XVI.
Die Spielanweisung fehlt gänzlich im Nicolausspiel, so
dass sogar deshalb alle Namen der redenden Personen zu er-
rathen sind.
Die Latinität der Spielanweisungen ist voll grober Fehler.
Nur ein paar Beispiele Ben. Pass. 83 respondit, gleich respondet,
was sehr häufig auch sonst vorkommt, 127 Et sie tacendo
clerus cantatj d. h. während Christus schweigt, singt der
clerus. — Alsf. Pass. 1138 materna lingwagione et non rigma-
ticOj 1848 regraciando, Eger. Pass. 1549 respondit et summit
bovem et azinum, 2281 azinus, 2187 affisando, 7130 lintiga-
mina, Erl. Ost. H. 456 Et sie currunt vias, Künzelsauer Frohn-
12 X. Abhandlung: Heinsei.
leichnamsspiel temptata für tentatio, s. T. Mansholt, Das K. F.
S. 28, Wackemell S. 124 respondit, Wolf. Sund. 1020 exigü
paradisum.
Rigmus, Ricmus, Ritmus für rhythmus bedeutet in der
Regel die gesprochene , nicht gesungene deutsche Rede in
Reimpaaren. Frankf. Pass. Dir. 232* Parvo habito intervaüo
Jhe$u8 clamabit sie: Heli, Hely, la etc. Hie non sequitur
rigmus, sed clamore Jheso finito statim dicat Abraham Ju-
den*: Höret, er eishit Helyam. Wien. Pass. 110 ff., 124 ff.,
349ff., 361ff., 374ff., 440ff. — Alsf. Pass. 5926ff., 5950ff.?
6050ff., 6080ff., 6094ffv 6112ff., Erl. Mkl. 54ff., 116ff.
Augsb. Pass. 323 bedeutet reym die Rede eines Schau-
spielers, die erst an eine, dann an eine zweite Person gerichtet
wird; s. 391, also was der Schauspieler auf einmal spricht. —
Das heisst zu Luzern im 16. Jahrhundert .Sprach*. Brand-
stetter, Regenz S. 18 b, wo die sprach, die rym auch den
ganzen Text des Spieles bezeichnen, Keller, Fastnachtsspiele
in S. 1373.
Aber Trier. Ost. 104 Salvator respondet rigmatice can-
tando. Es folgen zwei deutsche Verse ohne Noten. Dann:
Deinde Maria iterum cantat rigmatice: Dolor crescit u. s. w.
Wien. Pass. 36 Pueri cantant Silete cum riemo.
Eigentümlich ist der Gebrauch von interim, interea, das
zuweilen fUr tum, tunc zu stehen scheint. Nürnb. Ostf. S. 20
Populo interim acclamante: Crist ist erstanden, nach dem Ge-
sang Johannes' und Petrus* vorhergegangen.
Ben. Pass. 125 Gerade hat Magdalena gesungen. Interea
content diseipuli: Phariseus iste fontem u. s. w. 131 Gerade
hat der Clerus gesungen. Interim Judas veniat festinando et
querat oportunitatem tradendi dicens: O pontifices u. s. w. —
Alsf. Pass. 2119 Interim Martha mittit nuntium — et dicit
servo: getruwer Unecht u. s. w. , nachdem vorhergegangen:
Sinagoga cantat, Wackernell S. 74, Wolf. Sund. 1665 Hie
portant adam in ebron, Interimque sepeliunt adam. Seth dicit
Htmum. Oder heisst hier interim /während'?
Nicht eigentliche Spielanweisungen sind Zwischenbemer-
kungen in der Handschrift des Künzelsauer Fronleichnamspiels
wie Josua cum botro, Sampson portans ianuam, Sequitur litigatio
sororum misericordiae , pacis , iustitiae et veritatis, sequitur
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 13
temptata, post temptata decollatio Johannis, post decollationem
Maria Magdalena u. s. w., T. Mansholt, Das K. F. S. 10 f. 28.
S. auch Alsf. Pass. ed. Grein S. XIV Conuersio Marie Magda-
lena u. &., Heidelberger Passionsspiel 27 Jhesus baptizatus a
Johanne, 257 Jhesus temptatus a diabulo n. s. w. Das diente
wohl nur dem Spielleiter zur Orientirung in der Handschrift.
Anders gemeint sind die Einzeichnungen in Alsf. Pass. ed.
Grein S. XIV, Froning S. 551 Fiat hie notificatio baptismatis
Christi a Johanne, Fiat hie notificatio popularis temptationis.
Das bezieht sich auf den Prediger; s. 1138.
Wieder anders sind die lateinischen meist biblischen
Stellen im Heidelberger Passionsspiel zu verstehen. Denn
Milchsack urtheilt S. 293 wohl mit Recht, dass sie nicht zum
Vortrag bestimmt waren, da bei ihrem grossen Umfang die
stark verkürzte Form dem Dirigenten und Schauspieler wenig
helfen konnte.
Personen Verzeichnisse geben Alsf. Pass. am Schluss, Erl.
Weihn. am Anfang, — wie im 16. Jahrhundert H. Sachs,
J. Ayrer, S. Wilt Passion 1566 u. a.; s. R. Brandstetter, Regenz
S. 23b. 25», Germania XXX, S. 205. 325, Zs. f. d. Ph. XVII,
S. 347. — S. Digby Mysteries S. 24. 138.
Ein Verzeichniss der dargestellten Oertlichkeiten hat Isaac
und Rebecca und Don. Pass. S. 158; s. dazu die Pläne von
Don. Pass. S. 156, Froning S. 276, Könnecke, Bilderatlas S. 55,
Alsf. Pass. S. 267. 860, Grein, Alsf. Pass. S. 258, einer Tiroler
Passion, A. Pichler, Drama des Mittelalters in Tirol S. 63.
Ein Verzeichniss der Requisiten steht in Isaac und Re-
becca, Don. Pass. S. 184, Erl. Dreik. am Schluss; — im 16. Jahr-
hundert Vsrilstungsrödel genannt, R. Brandstetter, Regenz S. 1 1 a.
33% Germania XXX, S. 205. 325, zusammen mit dem Per-
sonenverzeichniss. — S. de gereetscap in der siebenten Bliscap
van Maria S. IV.
S. die Verzeichnisse bei Jubinal n, S. IX von 1496, in
den Digby Mysteries, Ende 15. Jahrhundert, S. 24. 138, in der
York Plays S. XIX von 1415. Letztgenanntes gibt mit den Per-
sonen zugleich Inhalt und Requisiten an.
14 X. Abhandlung: Heinxel.
Vielfach zeigen die Spielanweisungen wie auch die Ein-
richtung des Textes, dass der Dichter den Schauspielern eine
gewisse Freiheit einräumte oder dass diese sie sich nahmen;
ein Ansatz zur freien Rollenerfindung in der Commedia delT arte.
So wird es öfter dem Belieben anheimgestellt , ob etwas
vorkommen solle oder nicht. Alsf. Pass. 616 Hie, si plactt*
Mors lento pede vadat post Jokannem. 2584 Chorus cantat:
Noli timere filia etc., si placet 4480 Incipit disputacio EcdesU
cum Sinagoga., si placet Bord. Mkl. 400 Maria, si potest hoc
commodose fieri, incipit seeundo cum omni devotione canticum
,We helpet clagen' u. s. w. 690 Nota: planctum sequentem heata
virgo cantat bis, quia devotissimus est, si fieri potest commo-
dose. Wackern eil S. 144 Hie potes introducere medicum cum
servo suo, si placet. Wackernell meint, die Scene sei gegebenen-
falls aus dem Gedächtniss gespielt worden. Wien. Ostf. S. 252
Et ita clerus redeat ad chorum cantando antiphonam ,Surrexit
enim'; sed, si non suffecerit, repetatur.
Oder es werden zwei Formen oder Fassungen zur Wahl
gestellt. Frankf. Pass. Dir. 251 Et notandum, quod optime con-
gruit, ne populus nimiam moram faciendo gravetur, et ut re-
surrectio domini gloriosius celebretur, ut ulterior ordo ludi in
diem alterum conservetur, quod si apud rectores deliberatum
fuerit, Augustinus cor am populo proclamet sine rigmo ut in
die crastino revertatur. Innsbr. M. Himm. 2457 das falsche
Programm für das Folgende deutet auf zwei Anordnungen. —
Alsf. Pass. 878 Disdpuli Johannis ibunt ad locum pristinum
vel ad placitum manebunt stare timidi usque ad decollacionem
Johannis. 898 et interim Judex vel dyaboli corisant. 1212 Hoc
dicto chorus cantet: ,Ad unius visionis* vel ,Ambulans Jhesus'
seeundum placitum. 4919 Hier mitten in der Disputation zwi-
schen Ecclesia und Synagoge findet sich die Bemerkung bei-
geschrieben post crueifixionem , und dort am dritten Spieltage
6838 Fiet disputatio Ecclesie et Synagoge, Grein, Alsf. Pass.
XVIII. 5178 Ecclesia subiungit vel capellanus^stans cum thuri-
bulo et dicit. 5725 Angeli canunt ,SHete* , vel chorus cantat:
Posuerunt super caput eius u. s. w. Cass. Weihn. 821 Sequitur
Sermo Luciperi , qui fieri potest post (1. per) sermonem ipsius
vel per ludi regentem disponatur. Wenn nach dem Explicit 871
noch eine Schlussrede folgt, so deutet das wohl auf die Mög-
Abbandlangen zum altdeutschen Drama. 15
lichkeit, an zwei Stellen zu schliessen. Don. Pass. 3177 Nu bru-
chent die Juden den Salvator aber untugentlich, das in demselben
Maria zwurent oder dristunt sol nider sincken. Eger. Pass.
2797 das falsche Programm für den zweiten Tag deutet auf
verschiedene Eintheilung.
Oder es wird die Ausführung einer allgemeinen Vorschrift
dem Belieben anheimgestellt. Isaac und Rebecca S. 172. Esau
soll durch Action eine Jagd darstellen et inde quod placet
faciat. Teg. Ant. 50 Postea procedunt et alii reges cum militia
sua cantantes singuli quod conveniens visum fuerit. — Wien.
Pass. 36 Pueri cantant Silete cum ricmo (?). Quo facto Lu-
cifer sit paratus in forma diaboli u. 8. w. 279 Maria Magda-
lena exeat in superbia cantans cum uno iuvene, quem interdum
amplexatur. Vadat ad medicum : Michi confer, venditor u. s. w.
— Alsf. Pass. 924 Et sie omnibus sedentibus et epulantibus
Sinagoga cantat. Finito cantu pausat. 1413 Cecus et servus
ineipiunt cantare et transire u. s. w. Post canticum servus dicit
rigmum. 1555 Sinagoga cantat cum Judeis; hoc facto dicit
rigmum ad cecum. 2059 Quo facto angeli canunt canticum
aliquod. 2333 Tunc Sinagoga cantat et dicit Lazaro demon-
stratio Jhesum. 3426 Tunc Judex dueunt Jhesum ad Annam
corizando et cantando canticum aliquod, scilicet: Jhesus, der
trogener. 5264 Hie proclamator dicit rigmum ponendo con-
clusionem seeundi diei. 5298 Hoc facto Jhesus sedens iterum
delvditur per cantica Sinagoge, qui circumdans (sie!) ipse
cum Judeis cantat. Sinagoga dicit. Augsb. Pass. 1688 Yetz
singend die iuden vnder dem creitz das iudengsang halb ausz.
Erl. Ost. 329 Hoc facto Pusterpalkch currit ad placitum suum,
681. Erl. Weihn. 1 Et cessant ludere ipsi cithariste stantes a
latere loci seeundum benepladtum. Frankf. Pass. am Schluss
nur: Conclusor concludit. Red. Ost. H. 195 Vigil cantat et uno
versu finito dicit, s. 205. 215. 227. 753, — 227 Angeli simul.
231 Iterum cantantes simul. Wien. Ost. H. S. 300, 7 die Juden
tanzen zu Pilato und singen judisch. S. 307, 13 Die engel gen nu
in das grap und singen. S. 307, 23 Die Juden tanzen und singen
zu Pilato.
Im Cass. Weihn. liegt eine grössere Stelle 618 bis 716
in zwei Fassungen vor. Doppelfassungen nimmt Kummer auch
bei den Erlauer Spielen an, S. LH. — Starke Erweiterungen
16 X. Abhandlung: Heinz et
haben von gleichzeitigen und jüngeren Händen das Alsf. Pass.,
Froning S. 551, Grein S. XI ff. , die Erl. Mkl., Kummer,
S. LXI, die Himmelg. Mkl., s. Sievers S. 396 erfahren. — Siehe
im 16. Jahrhundert die Auslassungen und Zusätze in den Lu
zerner Spielen, R. Brandstetter, Regenz S. 21 *\
Ebenso wird in der siebenten Bliscap van Maria S. V, —
und in Jubinal's Myst&res inädits sehr viel dem Belieben der
Auffuhrenden anheimgestellt, besonders in Bezug auf die Aus-
dehnung des Stückes; I S. 23, II S. 23. 38. 41. 60. 97. 167.
281. Siehe auch Ludus Coventriae S. 275.
Gleicherweise ist der Text, den der Schauspieler zu
sprechen oder zu singen hat, oft unvollständig. Ausser den
Fällen wirklicher Wiederholung, bei denen der Schreiber sich
gerne mit Verweisungen begnügt, so z. B. Alsf. Pass. 107.
464, Augsb. Ost. H. 2604, sind auch die aus dem Gottes-
dienst bekannten lateinischen und deutschen Gesänge meistens
nur durch den Anfang bezeichnet. Dazu gehört wohl auch
Alsf. Pass. 3670 Ach du armer Judas etc. Auch von dem
weltlichen Lied, das Theophilus singt, Theoph. Trier. 823 ist
blos der Anfang geschrieben.
Wo die Wahl eines Gesangstückes dem Spielleiter über-
lassen ist, fehlt natürlich der Text; s. oben S. 15.
Im Augsb. Ost. H. wird 2447 ff. auf den Text der Augsb.
Pass. 2 133 ff. verwiesen. Ebenso soll der Schluss des Augsb.
Ost. H. den Epilog des Augsb. Pass. bilden: Augsb. Ost. H.
Proclamator beschlewszt wie oben stat.
Ausser ganzen Texten wurden auch Dirigierrollen ge-
schrieben Frankf. Pass. Dir., Friedberger Dirigierrolle, Dirigier
rolle des Neidhartspiels bei Zingerle. Siehe die Inhaltsangabe
des Luzerner Fastnachtspiels von 1592, Zs. f. d. Ph. XVII S. 347.
Und Einzelrollen. Die Marienrolle zur Himmelg. Mkl.,
die Botenrolle zur Eroberung Jerusalems, die Marienrolle zur
Münchner Marienklage; s. Schönbach, Ueber die Marienklagen
S. 20, Grein, Alsf. Pass. S. XIII. — In Luzern hiess im 16. Jahr-
hundert das Manuscript einer solchen Rolle Stände-Rodel, Denck-
Bödel, Brandstätter, Regenz S. lla. 31».
Abhandlungen znm altdeutschen Drama. 17
Noten enthalten die Handschriften von Freis. Her., Freis.
O.Rach, Isaac und Rebecca, Teg. Ant., — Ben. Pass., Ben.
Weihn., Strassburger Dreikönigsspiel, — Engelberger Marien-
klage, Jacob und Esau, Trier. Mkl., Trier. Ost., Wien. Pass.,
— Alsf. Pass., Grein, Alsf. Pass. S. XVI, Don. Pass., s. Bolte,
Zs. XXXH, S. 2, Eger. Pass., s. Tucher, Anzeiger für Kunde
d. d. Ma. 1859, S. 88. 130. 168, Erl. Mkl., Erl. Ost.,
Erl. Ost. H., Himmelg. Mkl., M. Magd., Wackernell, S. 4.
69, Wolf. Mkl., Wolf. Ost. — Von den Stücken mit aus
Latein und Deutsch gemischtem Text hat die Wien. Pass.
Noten für die lateinischen, die übrigen auch für die deutschen
Texte.
Für Luzern ist im 16. Jahrhundert eine Musikrödel be-
zeugt; Brandstetter, Regenz S. lla.
Widersprüche und Unsinniges verschiedener Art kommt in
unseren Texten sehr häufig vor, so wenn Ben. Pass. 82 Magda-
lena den Kaufmann im Namen der drei Marien um Salbe für
den todten Christus anspricht, während er noch am Leben ist.
Wenn Sterz. Mkl. S. 124 Johannes Marien auf ihre Aufforderung
die Scenen unter dem Kreuz, dass Christus sie ihm, ihr sie
empfohlen habe, also was sie so gut weiss als er, erzählt, so
hat dies ein Gegenstück in Alfieri's Vita, Mailand 1874 S. 311.
Der Abate di Caluöo erzählt als Nachwort den Tod Alfieri's,
bei dem er nicht anwesend war. Er hat davon Nachricht
durch die Gräfin d'Albany, in deren Armen Alfieri gestorben
war. Die Form aber, in der der Abate di Caluso dem Publi-
cum den Tod Alfieri's erzählt, ist die eines Briefes an die
Gräfin d'Albany. — Ich handle darüber an einem anderen Ort.
Man muss sich vor Correcturen und der Annahme hüten, die
betreffende Handschrift sei nicht die bei der Aufführung ge-
brauchte gewesen; s. Wackernell S. 87.
Für das Manuscript eines Stückes oder einzelner Theile
desselben war im Mittelalter der Ausdruck registrum, register
üblich, s. oben S. 2f., für das 16. Jahrhundert ist in Luzern
Rodel bezeugt; Brandstetter, Regenz S. 11* Textrödel , Quart-
rödel, Musikrödel, Ständerödel, Denchrödel, Quartiere, Quartale,
Quarte, Viertheile, Zwölftheile. Ausserdem gab es Vsrilstungs-
SiUungsber. d. phil.-hist. Cl. CXXX1V. Bd. 10. Abh 2
18 X. Abhandlung: Heinsei.
rödel und Rodel mit Considerabilia, Denckpuncten. — In den
Digby Mysteries S. 135 heisst der Text Oreginale.
IL Ueber die Schauspieler der geistlichen Dramen im
Hittelalter.
Der gemeinsame Name für die Schauspieler ist persona*;
Frankf. Pass. Dir. la. 22\ 91*. 251\ 355, S. Gull. Pass.
1. 106 (aliqua persona abscondita), Innsbr. Frohnl. 1, AM.
Pass. 1, Bord. Mkl. 1. Christus und Gott Vater werden als
dominica persona bezeichnet, Niirnb. Ostf. S. 18, Frankf. Pass.
Dir. 251 b. 350, Innsbr. M. Himm. 1485. 2414, Kath. S. 165.
167, Wien. Pass. 1. 6. 110, Zehn Jungfr. S. 15. 22. 26, Erl.
Ost. 1146, Erl. Ost. H. 442, als prima, secunda, tertia per-
sona die drei Marien am Grabe Christi; Innsbr. Ost. H. 422.
434. 446, Eger. Pass. 5834, Erl. Ost. 1, Sterz. Mkl. S. 119,
Sterz. Ost. S. 149, Wien. Ost. H. S. 316, 22.
Der Ausdruck begegnet noch in V. Boltz, Weltspiegel
(1550) 4934 Jetz gond vsz den hilszlin alle Personen, in Th.
Stimmer's Comedia (1580) 30 nach dem Prolog: Sy ziehen
8amptlich auff, geht jeder person in sin scena; s. Creizenach I
S. 381 Anm.
Besonders fest haftet der Name personae an den drei
Marien, die zum Grab Christi gehen, d. i. Maria Salomae,
Maria Cleophae, Maria Magdalena, und jener anderen Drei-
heit, die aus der heil. Jungfrau mehr zwei dieser Marien be-
steht. Die Bezeichnung prima, secunda, tertia persona (Maria)
wechselt. Die prima persona ist Maria Cleophae Sterz. Mkl.
S. 123, Maria Magdalena Erl. Ost. 1037, die secunda Maria
ist Maria Magdalena Wolf. Mkl. 271 (secunda Maria), die tertia
persona ist die heil. Jungfrau Wolf. Mkl. 17 , Maria Magdalena
Sterz. Ost. S. 151, Wien. Ost. H. S. 325, 1, Wolf. Ost. 112.
Von diesem persona stammt das Adjectiv oder Adverbium
,persönlich' in dem Titel zu J. Ayrer's, Opus theatricum (1618)
Comedien vnd Tragedien — spielweise verfasset, das man aües
persönlich agiren kan. Ebenso in der Vorrede S. 6.
Erl. Dreik. 225 wird der Schauspieler, welcher als Engel
die heil, drei Könige zur Heimkehr auffordert, vir unus ge-
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 19
nannt: Et in medio veniat vir unus dic&ns: lr Herren, ich wil
euch pewaren, in der Sterz. Mkl. S. 118. 138 sind die iuvenes
wahrscheinlich Engel: Iuvenes antecedentes cantent: Terra tre-
muit etc. Post hoc omnes in una processione veniunt ante-
cedentibu8 duobus iwomibus albis in vestibus, qui portant can-
delabras cum luminibus. — primus iuvenis dicit: — quo finito
venit secundus iuvenis ad locum suum cum candelabro et dicit
rigmum. — S. den iuvenis als Statisten in Bord. Mkl. 1.
Deutsch heissen die Schauspieler , Gesellen', , Spieler ',
, Spielleute ', Gesellschaft', Froning S. 539. 541. 542. 544, —
im 16. Jahrhundert auch ,Spielgenossen', ,Agenten', ,Actoren',
,Comedianten', Gesellschaft', ,gemeine Gesellschaft'; B. Brand-
stetter, Regenz S. 28b, Zs. f. d. Phil. XVII, S. 349.
Die älteste Nachricht über den bürgerlichen Namen eines
Schauspielers finden wir vielleicht im Muri Ost. H. 150. 288,
wo statt Maria Magdalena Antonius steht. Dann Otteber, der
Darsteller des Boten in der Eroberung Jerusalems, Zs. XXXVIII,
S. 222. S. unten über Hilarius. — War Beckart der Name des
Statisten miles Beckart Frankf. Pass. 3695, der kein Wort redet?
Für die Frankfurter und Friedberger Passionen sind reich-
lich Personennamen bezeugt, Froning S. 540. 542. 544. 545,
Zs. VII, S. 546, ebenso für die Tiroler. Wackerneil S. 6 ff.,
74. 162 und oft, im 15. und 16. Jahrhundert fllr die Luzerner
Spiele, R. Brandstetter, Regenz S. 4b. 6». 29b. 30b, in S. Mein-
rads Leben (1576), S. 122.
In den älteren Stücken und in den dramatischen Liturgien
wie Nürnb. Ostf., Wien. Ostf. (S. 251 diaconus, presbyteri)
waren die Schauspieler ausschliesslich Geistliche, wie sie ja
öfters die Dichter der Stücke waren, Baldemar von Peterswil
des Frankf. Pass. Dir., Arnold Immessen des Wolf. Sund.,
und auch Theodorich Schernberg der Verfasser des Spiels von
Frau Jutta. Im Freis. Her. weist der Ausdruek expleto officio
S. 61 darauf. Aber auch im Ben. Pass. 130 heisst es clerus
cantet im S. Gall. Pass. 769 capellanus dicat amen, im Innsbr.
Frohnl. 661 Papa dicit, der eine poetische Predigt hält: Nu
hört, kinder, und steiget stille, im Innsbr. M. Himm. 767 Prae-
dicator surgens intimat ludum dicens, folgt eine poetische Pre-
digt. Innsbr. Ost. H. 1183 dy pristere und dy schulere alle
biten got um das ewige Leben fllr alle Menschen. Von Zehn
20 X. Abhandlung: Heintel.
Jungfr. wissen wir, dass es a clericis et a soolaribus auf-
geführt wurde, S. 4. In der Bord. Mkl. 1 wird erst nur ge-
fordert, dass die Aufführung a bonis et devotis kominibus ge-
schehe, dann aber: ille gut est Jhesus est devotus saoerdos,
Maria itwenis, Johannes ewangelista sacerdos, Maria Magda-
lena et mater Johannis ewangelistae iuvenes. Alsf. Pass. 1 138 Hijs
omnibus peractis praedicator insinuat omnia ista prescripta
populo materna lingwagione et non rigmatico, 5178 Ecclesia
8ubiungit vel capellanus stans cum ihuribolo. Künzelsauer Frohn-
leichnamsspiel, der pappa beschliesst, Mansholt, Das K. F.
S. 8. Wolf. Sund. 2151 Hie cantat sacerdos: in eternum.
Zweifelhaft ist, ob der primus, seeundus, tertius cantor
im Cass. Weihn. 221. 258. 280, oder der cantor in Luz.
Grabl. 476 — interim cantor ineipiat responsorium: sepulto
domino — auf kirchliche Sänger deuten wie in Nürnb. Ostf.
In Frankfurt kennen wir die Namen zweier Geistlichen,
welche 1467 und 1498 die Rolle Christi in Passionsspielen
gaben; Evaldus Dottenfeldt, ein Frankfurter Priester, und Bal-
thasar, Pfarrer in Obern Eschenheim, Froning, S. 540. 542.
545; flir Luzern s. R. Brandstetter, Regenz S. 4b. 5» (15. Jahr-
hundert).
Dabei ist abgesehen von Geistlichen, welche sich als
Rectoren betheiligten, Froning S. 640, Joannes Bach, vicarius
ecclesiae nostrae, 1468, S. 542 Joannes Kolmesser, vicarius, et
Petrus Dolde, 1498, S. 542 dieselben 1506, S. 545. Für
Luzern im 15. 16. Jahrhundert s. R. Brandstetter, Regenz
S. 4b. 5\ 9*. 10*.
Vielleicht ist es durch Betheiligung der Geistlichkeit an
der Aufführung zu erklären, dass im Red. Ost. H. 1906 weder
Lucifer noch Sathan dem Sacerdos etwas anhaben können. Aber
auch der Verfasser konnte so seinen eigenen Stand verherr-
lichen. S. auch Creizenach I, S. 56 Anm. 2. Wackerneil
schliesst S. 154 auf einen Geistlichen als Verfasser der Tiroler
Passion, weil kein Geistlicher unter den armen Sündern in
der Hölle vorkommt.
In Tirol betheiligte sich zu Ende des 15. Jahrhunderts
die Geistlichkeit nicht mehr an der Aufführung. Dagegen ist
ein herr Linhart als Darsteller des Judas bezeugt; Wacker-
nell S. 9.
Abhandlungen »um altdeutschen Drama. 21
Daneben Schüler. Ben. Weihn., der episcopus puero-
rum 94, und die lateinischen Verse, welche entschieden den
Charakter der Goliardenpoesie zeigen, besonders 564 ff. ; s.
unten. Innsbr. Ost. H. 1174 im Epilog: Ouch hatte ich mich
vorgessen, dy armen schuler haben nicht czü essen, den sult ir
czu tragen braten u. 8. w. Nu hört, vil liben lute alle, dy
pristere und dy schuler e alle biten got, dass er uns allen das
ewige Leben verleihe. Das Zehn Jungfr. wurde, wie gesagt,
a clericis et a scolaribus aufgeführt, S. 4. Don. Pass. 1559
beim Einzug Christi in Jerusalem fachen die schüler an singen
dis nach geschrieben gesang: Hie est, qui venturus est in sa-
lutem populi. hie est salus nostra et redemptio Israhel. Aber
es können die jüdischen Schulkinder des Stücks gemeint sein.
Eger. Pass. 7542 wird ein Schüler aus der Hölle erlöst, und
im Epilog 8303 Ich verman euch, das ir euch solt erbarmen
lieber die schuller vil armen u. s. w. M. Magd. 214 wird ein
Schüler nicht in die Hölle gelassen, allerdings 238 auch eine
Hure nicht; daselbst 601 erhält ein Schreiber den Vorzug von
dem Ritter; s. Zingerle, Venus 798. Eger. Pass. 7542 und
M. Magd. 214 könnten allerdings auch für Schüler als Ver-
fasser sprechen. — Auch in einem böhmischen Spiel weist der
Teufel die Schüler von der Hölle zurück, Creizenach I S. 354.
Im Innsbr. Frohnl. wird 1 verlangt sumentur personae
literatae et aptae; s. oben über das Personal der Bord. Mkl.
Das kann Geistliche oder Schüler anzeigen.
Dazu kommen die Nachrichten über verlorene Stücke,
die von Schülern aufgeführt wurden: aus der ersten Hälfte
des 12. Jahrhunderts, die von Gerhoch über Weihnachts-
spiele in Augsburg, Creizenach I, S. 75. 103, Vogt in Paul's
Grundriss II, 1, S. 393. Für 1264 die der Corveyer Annalen
von einem Josephus venditus, Creizenach I, S. 75, Vogt, PauPs
Grundriss II, 1, S. 396. Für 1300 s. Teuber, Geschichte des
Prager Theaters S. 4 : Schüler geben ein geistliches Spiel. Für
die spätere Zeit s. W. Wackemagel, Geschichte der deutschen
Literatur H*, S. 155 Anm. 14. Ueber ihre Mitwirkung bei
Fastnachtsspielen s. Creizenach I, S. 407.
Für Frankreich bezeugt Theilnahme der Schüler an der
Aufführung vielleicht Hilarius, der begabte Schüler Abälards,
ein echter Goliarde, der auch drei Stücke geschrieben hat,
22 X- Abhandlung: Hein sei.
Daniel , Nicolaus, Lazarus. In seinem Daniel steht S. 56. 5-S
am Rande wiederholt Hilarius, daneben auch Jordanus, Simon,
Hugo. Petit de Julleville I, S. 40 meint allerdings, damit
könne nicht etwa Hilarius als Schauspieler bezeichnet sein, da
die Rolle des Daniel sonst von Hilarius und Jordanus gegeben
worden wäre. Aber es konnte doch seine und anderer Scho-
laren bei verschiedenen Aufführungen verschiedene Theilnahme
diese sonst räthselhaften Angaben erklären. S. oben S. 19.
Im 14. Jahrhundert wurde Adam's Robin et Marion zu Angiers
von Schülern gegeben, Monmerquä et Michel, Theatre frangais
au moyen-äge S. 28. S. G. Paris, Histoire de la littärature
frangaise S. 236. 241.
In Frankreich haben ausserdem bei der Aufführung geist-
licher und weltlicher Stücke ganz junge Schüler, Schulknaben
schon in früher Zeit mitgewirkt, so beim Officium von Li-
moges, 14. Jahrhundert, Hartmann, Das altspanische Drei-
königsspiel S. 8, dann im 15. 16. Jahrhundert bei den Mora-
lins, Creizenach I, S. 471 ff., Petit de Julleville HI, S. 43.
Kinder erscheinen auf der Bühne; sprechend, singend:
Himmelg. Pass. S. 393, das zweijährige Jesuskind, Mastr. Pass.
1244 Di hindere sängen gloria, laus, Cass. Weihn. 183. 334
das neugeborne Jesuskind, Don. Pass. 465 in dem fachen an
die kleinen knaben in der Judenschül ze singen, 1559; s. oben
S. 21. Eger. Pass. 1257 Anna sumit puerum, d. i. den Dar-
steller Marias, 1269 puer Maria dicit ad parentes et petii
licenciam ad templum, 2659 Christus als zwölfjähriger puer
im Tempel, 3359 ff. Primus — sextus chorus ßliorum beim
Einzug Christi in Jerusalem, wenn es nicht erwachsene Schüler
waren, da 3359. 3365. 3371. 3383. 3389. 3397 auch unus iu-
venis spricht. 6640 unus parvus demon mittens volare albam
columbam deinde dicit. — S. im 16. Jahrhundert die Kinder
in den Susannadramen, die vier kleinen Engel in J. Rufs
Adam und Heva 287, R. Brandstetter, Regenz S. 29*. 32 b.
Wenn Kinder nicht sprechen, wie oft das Jesuskind und
die unschuldigen Kinder, sind es wohl Puppen.
Der Protagonist scheint Primarius geheissen zu haben;
s. Zehn Jungfr. S. 31 primarius, soviel als dominica persona,
Jesus Christus. S. die verschiedenen Würden der Schauspieler
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 23
in den Luzerner Stücken des 16. Jahrhunderts, R. Brand-
stetter, Regenz S. 28 b.
Ob ein Schauspieler mitunter mehrere Rollen gab oder
mehrere sich in eine theilten, ausser wenn Christus, Maria erst
als kleine Kinder, dann als erwachsene Personen zu reden
hatten, Creizenach I, S. 125. 155. 166, kann man nicht sagen. —
Im 16. Jahrhundert ist es für Luzern bezeugt, besonders oft
das erstere bei stummen Personen, aber auch bei redenden;
s. R. Brandstetter , Regenz S. 30 Ä, Zeitschrift für deutsche
Philologie XVII, S. 349, — 100 Rollen auf 70 Agenten — .
In England kann man die Sitte schon 1461 nachweisen im
Sacramentsspiel von Croxton, dann in Bale's König Johann, in
Preston's Cambises, Dodslcy-Hazlitt IV, S. 158; s.Toulmin Smith,
York plays S. XXXVII.
Ansprachen an das Publicum können von Personen des
Stückes gehalten werden, worüber an einem anderen Ort, auch
am Eingang und Schluss: daneben aber wird für den Prolog
verwendet der Proclamator Alsf. Pass. 1. 464. 2930, Augsb.
Ost. H. 1, Cass. Weihn. 1, Don. Pass. 21. 1711, M. Magd. 1,
der Praecursor Innsbr. M. Himm. 1, Eger. Pass. 1. 2797.
5710, Sterz. Mkl., S. 115, M. Lichtm. S. 99, Wien. Ost. H. S.
297, 1, der Praelocutor Wolf. Sund. 72, der Expositor ludi
Innsbr. Ost. H. 1, qui proponit ludum Dor. S. 285, 1, der
Regens Alsf. Pass. 85, der Knecht des Proclamators Don.
Pass. 1, de bode Theoph. Trier. 8, primus iuvenis Sterz.
Mkl. S. 118.
Für den Epilog der Conclusor Eger. Pass. 2775. 5670.
Red. Ost. H., Frankf. Pass., der Proclamator Alsf. Pass. 2910.
5624, Luz. Grabl. Don. Pass. 1701, der Praecursor Sterz. M.
Lichtm. — Ueber die Ansprachen der Geistlichen s. oben S. 19.
Die Schauspieler wurden von dem Spielleiter auf der
Bühne unterwiesen. Bord. Mkl. 1, in der Eingangsprocession
ultimo mater Johannis cum rectore, 889 Ultimo rector incipit
psalmum, rector auch im Künzelsauer Frohnleichnamsspiel, Ger-
mania IV 339, Cass. Weihn. 821, der Epilog könne per ludi
gereutem vorgetragen werden, Erl. Dreik. AI Et sie recedant
pastores versus Jerusalem euntes} seeundum disposicionem regi-
strantis. S. auch die Nota am Schluss. Sterz. Mkl. S. 118
quum regens quemlibet ordinet ad locum suum} nach dem Pro-
24 X. Abhmndlunf : H«i»s«l.
log des Praecursors. — In Innsbr. M. Himm. 1 ff. weist dieser
Fraecursor den Schauspielern ihre Plätze an. Das Amt des
Leiters und des Praecursors werden also öfters vereinigt ge-
wesen sein; Dor. S. 285, 1 Primus dicit rhythmum, d. i. den
Prolog, qui proponit ludum. Auch im Innsbr. Ost H. ist der
Expositor ludi, im Alsf. Pass. 85 der regen* Prologsprecher.
S. Wackernell S. 6, wo der Ausdruck Prindpator bezeugt
wird. — Ueber die Art und Weise der Einübung und Leitung
bei der Aufführung haben wir erst aus dem 16. Jahrhundert
Nachrichten. S. R. Brandstetter, Regenz S. 31bff.
Eine höhere Instanz ist vielleicht unter den Rectores zu
verstehen; Frankf. Pass. Dir. 251 si apud rectores deliberatum
fuerit, dass das Stück an zwei Tagen, nicht an einem ge-
spielt werden sollte.
In Luzern hiess im 16. Jahrhundert der Inbegriff aller
Thätigkeiten, die zur Vorbereitung und Aufführung eines Stückes
gehören, die Regenz; s. R. Brandstetter, Regenz S. 9*. Ueber
die Regenten, Rectoren, Pfleger u. s. w. daselbst.
Die Schauspieler waren, wie wir auch sonst wissen, durch-
aus Personen männlichen Geschlechts; s. den puer, der Eger.
Pass. 1257. 1269 die kleine Maria, den iuvenis, der Bord.
Mkl. 1 Maria, die ewangelistae iuvenes, welche daselbst die
Mutter Johannes7 und Maria Magdalena spielen. S. auch oben
S. 19 üb?r Antonius im Muri. Ost. H.
Das älteste Zeugniss für Schauspielerinnen bei einer öffent-
lichen Vorstellung in Deutschland verdanken wir Felix Platter,
der berichtet, dass bei der Aufführung von Heinrich Pantaleon's
Philargyrus zwischen 1540 und 1650 in Basel die Töchter des
Professors Lepusculus mitgewirkt haben, ebenso eine Merianin,
die Braut des Dichters, in Coccius' Susanna. Daneben aber
spielt doch ein Henricus Ribener die Rolle der Maria in einem
Auferstehungsspiel; Thomas Platter und Felix Platter heraus-
gegeben von Techter 1840f S. 122 f. S. Heman, F. Platter,
Erinnerungsblatt 1882, S. 31, Bahlmann, Das lateinische Drama
S. 101, Wackernagel, Geschichte der deutschen Literatur I*,
S. 392. 394, II2 S. 109. 115. — In Luzern gab es am Ende
des 16. Jahrhunderts noch keine Schauspielerinnen; R. Brand-
stetter, Regenz, S. 28 b.
Abhandlungen xum Altdeutschen Dran». 25 -
Für Frankreich ist ein kleines Mädchen als Darstellerin
der kleinen Maria 1338 bezeugt; Creizenach I, S. 155.
Das Costttm hiess im 16. Jahrhundert in Luzern ,Spiels-
kleidung', ,Standeskleidung', von ,Stand' gleich ,Rolle'; R. Brand-
stetter, Regenz S. 33*. 22 \
Waren die Schauspieler auch Dilettanten, doch 8. Creize-
nach Iy S. 217, so fühlten sie und gaben sich doch als eine Cor-
poration. Cass. Weihn. 855 Joseph zu Maria: Nu woluff, es
ist zithf Du sehest wol, das uns nymmand nicht brenget u. s. w.
Er schlägt ihr vor, die Kleider, das Costüm, zu vertrinken.
Aehnlich beschliessen am Schluss des Erl. Weihn. 52 Maria
und Joseph nach Hause zu gehen. S. oben die Stellen über
Schüler als Schauspieler S. 20 f.
Ausser den Schauspielern mögen auch Theaterdiener zu-
weilen gesehen worden, sein. Denn weder von den Schauspielern
noch von unsichtbarer Hand können die sessiones für die Berg-
predigt Alsf. Pass. 1938 aufgestellt worden sein; Hoc facto
ordinantur sessiones predicationis et Christus sedendo predicat
discipulis et Marthe et Magdalena, Im Eger. Pass. ^646 scheinen $*
sie Schwitzbuben genannt und mit einer kleinen Rolle bedacht
worden zu sein. Sie holen das Handwerkszeug zur Kreuzigung
bei Pilatus. S. die ,Platzdiener* in Luzern, R. Brandstetter,
Germania XXXI, S. 256, Aufführung S. 281. 284. 287. 290.
292. 300. 314.
III. Ueber die Bühne der geistlichen Dramen
im Mittelalter.
Der Name für den Spielplatz, auf dem die Bühne auf-
gerichtet war, ist als spilhof im 14. Jahrhundert bezeugt, Mone,
Schauspiele des Mittelalters II, S. 129.
Das hölzerne Bühnengerüst heisst machina, geruste, hutte}
pün, Froning S. 539. 542. 543. 544. 546, Wackernell S. 157.
160, Heidelberger Passionsspiel 1. Im weiteren Verlauf des
16. Jahrhunderts wird ,Brücke' vorherrschend; s. das deutsche
Wörterbuch, Wackernagel, Geschichte der deutschen Literatur
I2 393. In Luzern, Germania XXX, S. 342. 348, XXXI, S. 253.
261 hiessen so die Bühnen- wie die Zuschauergerüste, Spec-
/
26 X. Abhandlung: Heinsei.
tantenbrücken, R. Brandßtetter, Regenz S. 4*. 33*. — Ueber den
Ausdruck ,Bühne' bei H. Sachs und J. Ayrer s. J. G. Robert-
son, Zur Kritik J. Ayrer's S. 9. 11.
Eine stehende Bühne scheint zuerst 1447/48 in Brüssel
aufgestellt worden zu sein De sevenste Bliscap S. I, Verordnung
des Brüsseler Stadtraths: ende dat de stad van Bruessel daertoe
sal doen mähen een Stellinge eens, dair men tspel jairlix op
speien sal. Im 16. Jahrhundert hatte es amphitheatralische
Form ähnlich dem Colosseum, S. XIII. XXI.
Für die BühnenstÄnde, und zwar sowohl für die ange-
nommenen Wohnorte der Personen, als jene Locale, wo sie
zeitweilig zu thun hatten, wird der Ausdruck locus gebraucht
Ben. Weihn. 232 Hoc completo, d. i. nach dem Vorspiel,
in dem die Propheten und Augustinus gegen die Juden ge-
stritten haben, detur locus prophetis, vel ut recedant vel se-
deant in locis suis propter honorem ludi. 564 Rex Egipti cum
comitatu suo in locum suum producatur cum conductu. —
Frankf. Pass. Dir. 60 Item Jhesus appropinquans loco Judeo-
rum inveniat infirmum iacentem in lecto9 64 Jhesus quoque reci-
piat se in loco, donec ordo ludi eum iterum tangat, 118 Judex
quoque, qui ibi, bei der Auferstehung Lazarus', fuerant, ad loca
sua revertantur, 209 Quo facto} nach der Begrüssung zwischen
Herodes und Pilatus, Herodes ad locum redeat, 242 Cum hec
dixerat Longinus, nach seiner Bekehrung, ad locum suum re-
vertatur, 25 lb Cum igitur persone iterato, d. i. am zweiten
Spieltage in locis suis conveneriht. Innsbr. M. Himm. 665 Et
sie ponunt se ad locum, die Juden nach ihrer Berathung, 891
Maria surgens in loco suo.
Alsf. Pass. 1 Primo igitur omnibus personis ordinale in
suis locis constitutis, 491 Jhesus surgit a loco suoy vadit ad
Johannem, es ist Jesus* erstes Auftreten, 528 Jhesus venu ad
locum deputatum,1 nach der Taufe durch Johannes, 878 Disci-
pull Johannes ibunt ad locum pristinum vel ad placitum ma-
nebunt stare timidi usque ad decollationem Johannis. — Hys
omnibus hoc modo peractis Jhesus in suo loco manebit stare,
donec ordo iterum tangit eum, 6839 Et sie Maria recedü ad
1 S. Creizenach I, S. 167, d'Ancona, Origini del teatro italiano I, S. 192
luoghi depfttati.
Abhandlungen zum Altdeutschen Drama. 27
locum eiu8. Bord. Mkl. 1 Virgo Maria quum facit actum suum
vadit ad medium u. 8. w. quandocunque fecit actum suum, vadit
ad locum suum et etat a dextris, Christi nämlich. Eger. Pass.
3653 Et sie transeunt de synagoga, quilibet ad locum suum,
d. i. Cayphas, Annas und andere Juden, die in der Synagoge
über das Verderben Christi berathen haben, 4228 Et sie Sal-
vator transit ad locum orationis} 4320 Et sie transeunt cum
Juda ad medium drculi et omnes conveniunt pretter pontifices,
qui manent in locis suis, 7440 Et sie transeunt ad locum in-
ferni. Sterz. Mkl. S. 118 nach der Rede des Praecursor und
der Procession: Et interim, quum regen» quemlibet ordinet ad
locum suum.
Den jeweiligen Platz des Spieles bezeichnet locus: Innsbr.
M. Himm. 921 Et sie Maria vadit ad locum baptismatis. —
Deinde recedit ad locum ieiunii. — Maria iterum procedit ad
locum passionis, — ad locum sepulturae, — ad locum ascen-
sionis, als sie vor ihrem Tode von den Lebens- und Leidens-
stätten Christi Abschied nimmt. Das Leben und Leiden Christi
kommt in diesem Stücke nicht vor. Wien. Pass. 515 Mox
quidam diseipuli abeuntes preparent locum cenaculi. Zehn
Jungfr. S. 18 Tunc fatue corizando et cum magno gaudio va-
dunt ad alium locum. — Alsf. Pass. 1952 Interim Jhesus vadit
ad alium locum faciendo sermonem Marihe et Magdalene po-
nendo thema scilicet: Beati pauperes in spiritu, 1994 Jhesus
manet stare , nun folgt die Bekehrung Maria Magdalenas,
2059 Sed Jhesus manet in loco, 2425 Et sie manebit Jhesus
in loco, 2482 Hoc completo, nach Berathung der Juden Chri-
stus zu verderben, statim Jhesus dicit diseipulis suis: ,Ecce
ascendimus Jherosolimam1 . Et tarnen semper manent in eodem
loco, bis nach der folgenden Rede Christi und dem Gespräch
mit Andreas, 5808 Sed Petrus et Johannes parum manent in
eodem loco, donec Maria Salomae venu ad eos. Erl. Ost. 901
Rubinus ducit dominam ad locum cantando, d. h. er entführt
sie. S. Gall. Chr. Himm. 91 Et sxirgat et vadat ad locum ascen-
sionis (Christus). Red. Ost. H. 888 Tunc abeunt milites ad locum
suum, d. i. zum heil. Grab.
Unklar ist locus Sterz. Mkl. S. 138 quo finito (dem Ge-
sang des Propheten) venu seeundus iuvenis ad locum suum
cum candelabro et dicit rigmum: Ansprache an das Publicum.
28 X. Abhandlung: Heinsei.
Dieselbe Bedeutung wie locus hat castrum. Alsf. Pass.
1850 miles (Herodes', der Geliebte Maria Magdalenas) revertüur
ad castrum suum, 2425 Judex autem redeunt ad castra sua,
5298 Et sie milites recedunt et vadunt ad castrum Pilati. —
S. den Plan Froning S. 267. 860.
Während sedes vielleicht auch den Ort bezeichnet , wo
ein Schauspieler in einem gegebenen Augenblick zu sitzen hat,
wenn es auch daneben sein gewöhnlicher Aufenthalt sein kann.
Teg. Ant. 1 Templum domini et VII sedes regales primum collo-
centur in hunc modum u. s. w., 33 et sie ipsa et rex Babilonie
ascendunt in sedem suam. — Ben. Weihn. 1 Frimo ponatur
sedes Augustini. Wien. Pass. 36 Quo facto Lucifer sit paratus
— et ducatur per dyabolum ad sedem suam in medium (also
nicht in die Hölle).
Dasselbe gilt von thronus. Teg. Ant. 45 Quod et ipsa
(Synagoga) eantabit singulis in temporibus et sie ascendat tro-
num suum. Eger. Pass. 825 Moyses transit de throno (Gottes)
ad medium circuli et annuntiat populo (dem Publicum) nati-
vitatem suam.
Auch bei palatium, pallas finden wir einerseits die Be-
deutung Standplatz, Innsbr. M. Himm. 1311 Et ducit eos (Ra-
phael den Petrus und Paulus) ante palatium Mariae, 1365 Et
sie omnes intrant palatium Mariae9 da Marien doch nicht ein
wirkliches palatium zugeschrieben sein wird, wie dem Pilatus,
Prankf. Pass. Dir. 194 Pilatus ducat eum (Christum) in pala-
tium, Wien. Ost. H. S. 299, 1 Pilatus get uf das pallas. Vgl.
Pilatus* praetorium, Frankf. Pass. Dir. 209 Pylatus quoque
in pretorium ad Jhesum vadat nach seiner Begrüssung mit
Herodes.
Auch Mansio ist zweideutig. Dor. S. 288, 19 Tunc Fa-
bricius vadit ad mansionem Doroiheae, S. 288, 24 Tunc Fabricius
transit ad mansionem suam. — Ebenso habitatio. Eger. Pass. 559
Abell dicit ad fratrem et tunc ambo transeunt ad habitaciones
eorum, 1459 Maria intrat cum Elizabeth ad habitacionem, der
Elisabeth nämlich, 1475 Maria intrat habitacionem, Josephs
nämlich.
Von deutschen Ausdrücken entspricht dem locus etat Don.
Pass. 433 Nu gand die engel und der Salvator an ir stet,
nach der Versuchung Christi, 505 Nu gat ieder man wider an
Abh&ndlongen mm altdeutschen Drama. 29
sin stat, nach Heilung der Gichtbrüchigen, 807 Nu gat yeder-
man an sin stat, nach Erweckung der Jünglinge von Naim. —
Hüs und hof ist zweideutig Augsb. Ost. H. 2493 Nach dem,
nach der Auferstehung Christi, spricht Maria die mütter ihesu
in dem haws, darynn sy ist Don. Pass. S. 184 und sind dis
nach bendmpten die husser und hoff, so man dar zu haben müsz,
darunter ausser wirklichen Häusern, wie denen des Cayphas,
Herodes u. s. w. auch Der gart Marie Magdalene, Der berg,
da der tüffel got versucht. Die stat Naym} Der brunn oder
cistem, Lausarus grab, Der Olberg u. 8. w. ; s. S. 156.
Im Innsbr. M. Himm. wird im Text der Ausdruck burc
gebraucht : 8 sagt der platzanweisende Praecursor vffe der borg
sal her stany von Gott, 16 uff der bürg sal so stan, von Maria,
s. 30. 38. 44. — Im Heidelberger Passionsspiel begegnet sess,
1 itzlicher an seinen sesse gesetzt, — ort 6118 die Juddenn ghenn
an jre ort, — ende 567, nach 6125.
Im späteren 16. Jahrhundert ist der Ausdruck stand1
sehr häufig; Mone, Schauspiele des Mittelalters II, S. 123. 420 f.
Daneben platz, sitz, hof,2 ort, R. Brandstetter, Germania XXXI,
S. 255, Regenz S. 33», Zeitschr. f. d. Phil. XVH, S. 361, —
hüszlin, V. Boltz, Weltspiegel (1550) 4933 Jetz gond usz den
häszlin alle person uszgnon propheten und junkfratven , Stelln
sich für di ghilsz vff beid sytten, — Scena, S. Meinrads Leben
(1576) S. 6, Th. Stimmer, Comedia (1580) 30 Sy ziehen sampt-
lieh au ff, get Jeder person in sin scena.
Zu Luzern wurde im 16. und 17. Jahrhundert zwischen
,Ort' und ,Hof unterschieden, insofern dieses den Standplatz
im engeren Sinne, jenes die Summe von Standplätzen bezeich-
nete, die für ganze Scenen und Acte in Verwendung kamen;
R. Brandstetter, Aufführung S. 334.
Prugk im Augsb. Pass. 1316 bedeutet wohl nur Terrasse
eines Hauses. Barrabas, der bei Pilatus eingekerkert war, laufft
'Aber die prugk hinab. 1390 Darnach nempt pylatus den herren
vnd fürt in im purpur claid vnd in der dürnin krön herausz
1 Stand erhält dadurch die Bedeutung ,Rolle'; R. Brandstetter, Regenz
S. 22 b.
* Hof heüat aber auch der Ort, wo sich die Schauspieler Aufhalten, wenn
sie nicht spielen; Brandstetter, Zeitschr. f. d. Phil. XVII, S. 361.
30 X. Abhandlung: Heinz cl.
fär sein prugk und zeigt ihn den Juden. Während der Aus-
druck im 16. Jahrhundert für Bühnengerüst und Balcon ge-
braucht wird; s. oben S. 25 und unten S. 30.
Dunkel ist die Bedeutung von ,Brücke' in J. RufPs Adam
und Heva (1550) 5552 Wie bald Mathusalah ze grab ist tragen,
sol der Statthalter, trugsäss und der hofmeister des fürsten mit
einanderen härfür gon uff die brüge mit nachfolgenden beiden
dieneren. 6118 Yetz zilhend sy uff die brüge, d. i. der Haupt-
mann mit seinen Soldaten. 6366 im Epilog: uff das fromm,
vest ouch eersam herren, üch sol ich dancken aüer eeren von
wägen einer eerlichen burgerschafft üwrer demuot und grossen
triiw umb die brüge und anders gbüw, das ir erloubt uns du
spil hand üch zeeren und dem vatterland, darmit ir hand gros
kosten ghan. An der letzten Stelle ist ,Brilcke' wieder die Bühne,
anders gbüw wahrscheinlich die Gerüste für die Zuschauer.
Im 16. Jahrhundert bedeutet aber ,Briicke' neben dem
ganzen Biihnengeriist, s. oben S. 25, auch die Emporbahne, den
Balcon an der Hinterwand mit einem abgeschlossenen Räume
unter derselben, das ,Loch' bei J. Ayrer. S. J. G. Robertson,
Zur Kritik J. Ayrer's S. 10 ff. Ob ,Zinne' dasselbe bedeutet
wie ,Brlicke', ist zweifelhaft, s. Robertson S. 14. Später wird
,Hütte' für den durch einen Vorhang verschliessbaren Raum
unter der ,Brücke' gebraucht; J. Schwering, Zur Geschichte
des niederländischen und spanischen Dramas in Deutschland,
S. 89. Bei J. Rist im Friedewtinschenden Deutschland (1647),
II. Aufzug, heisst dieser Ort , Schauplatz i oder ^innerer
Schauplatz'.
Im Mittelalter hat es höchst wahrscheinlich diese Ein-
richtung auf der deutschen Bühne nicht gegeben. Sonst wäre
dahin wohl der öfters erhöhte Himmel und die Hölle verlegt
worden, was nach den erhaltenen Plänen nicht der Fall war.
In Stücken, wo es keine wirklichen Bühnenstände gab,
wie in den Marienklagen, ausser Himmelg. Mkl., bedeutet locus
den Bühnenort, wo sich der Schauspieler im Zustand der Ruhe
befindet. Bord. Mkl. S. 289 quandocuiique fecit actum suum
(die heil. Jungfrau), vadit ad locum suum et stat a dextris
(Christi sc). S. oben S. 26.
Der Ausdruck bürg, näher bestimmt durch die gemeine*
wird auch für jenen Bühnenort verwendet, der zu verschie-
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 31
denen Zwecken dient. Don. Pass. S. 184 unter dem Register
des Stücks: Und die gemeine bürg, in der man krönt , geislet,
das nachtmal und ander ding volbringt. Das Folgende: den
stock, dar die gefangen ligen, driiy crticz, die sul und anders
u. s. w. gehört nicht mehr in die Kategorie der gemeinen Burg.
Es gab also neben den Bühnenständen, die einer Person
oder sachlich zusammengehörigen Gruppe dienten, auch Locale,
die zu verschiedenen Zwecken verwendet wurden.
So ist auch im Alsf. Pass. nach dem Plan bei Froning
S. 267 dem Pater familias, bei dem das Abendmal abgehalten
wird, und dem Regulus nur ein Bühnenstand angewiesen, —
ebenso benutzen Nicodemus und Joseph von Arimathia nur
ein Local. — Im Red. Ost. H. wird das Dolium, eine Bütte,
Alsf. Pass. 144, von Lucifer, wenn er die Hölle verlässt, und
von dem Conclusor bestiegen; Creizenach I, S. 166.
Auch im 16. Jahrhundert konnten die ,Höfe' von mehreren
Schauspielern benutzt werden; so im Luzerner Osterspiel, Ger-
mania XXXI, S. 255. Bei demselben gab es auch eine ge-
meine begrebnus, für alle, die im Stücke begraben wurden,
R. Brandstetter, Aufführung S. 285.
Erst im 16. Jahrhundert scheint es bezeugt zu sein, dass
Bühnenstände weggeschafft wurden, um für neu aufzustellende
Raum zu geben. So in Luzern, Germania XXXI, S. 256 (1597)
Item es giebt auch platz, für das das wiehnachthüttlin dannen
kompt, deszglichen so man Johannis wüste dannen thut. Salat,
Verlorner Sohn (1537) Nun kompt die Rüstung der andern
Landschaft; Gen^e, Lehrjahre S. 79. J. Ayrer, Comödie Zwei
fürstliche Räthe Band IV. S. 2316, 4 schliesst die Scene bei
der Jägermeisterin, auf welche eine Scene im Apollotempel folgt:
Jetzt rieht man den tempel zu. S. Zeitschr. f. d. Phil. XVII,
S. 361.
Hie und da befanden sich in den Bühnenständen Vor-
richtungen, die es zeitweilig ermöglichten, einen Schauspieler
ungesehen oder verschwinden zu lassen, was schon im Mittel-
alter öfters anzunehmen nöthig ist; s. Froning S. 270 und was
ich an einem anderen Ort darüber zusammenstelle. Für das
16. Jahrhundert s. R. Brandstetter, Germania XXX, S. 325
ouch sol der himel grüst sin mit einem Oberdeckel vnd Vmb~
32 X. Abhaadlaag: Heime 1.
hengen, die man könne für ziehen. S. auch die Verstecke
Adams and Evas vor der Erschaffung, S. 325. 342.
De sevenste Blißcap (Mitte des 15. Jahrhunderts, Hand-
schrift aus dem 16.) Selete. Di wile sal man den hemel opdoen,
daer Ood sit. Bühnenanweisung zu 370 Gods troon toe, 492
Troon toe, 1046 de helle toe. Der Himmel musste wohl zeit-
weilig geschlossen sein, weil weder die geistige noch leibliche
Himmelfahrt Mariens dargestellt wird.
S. in Frankreich die custodes, E. Dumäril, Origines dn
theatre moderne S. 68, Creizenach I, S. 166, Thüren oder
Vorhänge, — in England im 15. 16. Jahrhundert corteyn, arras.
Pollard, Miracle plays S. XXVI, Ludus Coventriae S. 261.
270 the coumsel hous — xal sodeynly enclose, — and than
xal the place — ther Crist is in, xal sodeynely unclose, —
the corteyn drawyn as she (Pilatus' Frau) lyih in bedde, Digby,
Mysteries S. 106 Her xall hevyne opyne and Jesus xatt shew7
— Mario we, Tamburlaine II, Act II, V. 3103 the arras is
drawen, Shakespeare, Genee, Shakespeare Jahrbuch XXVI.
Ausser den Bühnenständen, die, in der Form eines Hauses
oder sonst gekennzeichnet , einem oder mehreren Zwecken
dienten, gab es noch einen grossen freien Raum in der Mitte
der Bühne, den mittleren Ort oder Kreis, s. Creizenach I,
S. 167, l dessen Function noch allgemeiner war als die der
gemeinen Burg. Wien. Pass. 36 Quo facto Lucifer sit paratus
in forma diaboli et ducatur per dyabolum ad sedem suam in
medium omni silentio, et dyaboli intrantes in infernum. Frankf.
Pass. Dir. 34 Deinde Sathanas ducat Jhesum super dolium,
quod positum sit in medio ludi, representans pinnaculum templi.
Wolf. Sund. 2665 hie Salomon equitat cum regina (von Saba)
primum spadum usque ad medium. Innsbr. Ost H. 100 Et
sie nuntius (Pilati) currit hinc et inde in circülo, und wirht
die Grabwächter.
Alsf. Pass. 1 Proclamator in medio ludi dicit, 510 Hie
Johannes (Baptista) et Jhesus sint in medio ludi, 1994 Maria
Magdalena convertitwr recedens a Christo et dicit circumeundo
circulum die folgende Selbstanklage und Reuerede, 5272 et
ponunt eum in medium ludi super sedem, die Geissler Christus,
1 S. die teena commune, d'Ancona, Origini del teatro it&liano I, S. 192.
Abhandlungen nun altdeutschen Drama. 33
5906 Deinde Maria faciendo longurn circulum cum Iohanne et
Petto et duabus sororibus plangendo cantat Marienklage.
Bord. Mkl. 1 virgo Maria quum facit actum suum, vadit ad
medium, 169 valde modicum transeunt, Maria und Johannes,
scilicet si est opus usque ad medium circuli. Don. Pass. 1. 21
der Knecht des Proclamators und dieser selbst sprechen in
mittel platzes. Eger. Pass. 825 Moyses transit de throno ad
medium circuli, annunctiat populo nativitatem suam, 1523
Nunctius (Caesaris) transiens ad medium circuli dicit dem
Volk den Befehl des Kaisers, 3557 Judas transit in circulo et
obviabit ei diabolus Sathanas, 4320 Et sie transeant, die Juden,
ad medium circuli et omnes conveniunt pretter pontifices, qui
manent in heis suis, 7744 Et sie transeunt, die Grabwächter,
ad parvum spacium de sepulchro ad medium circuli. Et sie
Judex exeunt de synagoga in obviam. Erl. Ost. 54. Theoph.
Trier. 8 Hyr kundigt de bode dat spei van Theophilo ersten
ut unde secht inmidden des kreses, 526 Hyr geit Theophilus
in den kreis her unde dar unde klaget, wo he verdrehen sy.
S. J. Ruf, Des Herrn Weingarten (1539) 3938 Jetz
zücht Vespasianus vff halben platz mit trummen vnd pfiffen.
Geräthe und Thiere1 sind fttr die mittelalterliche Bühne
reichlich durch Spielanweisnngen und durch die Requisiten-
verzeichnisse belegt; s. oben S. 13. 17.
Sie gehörten mit den Standplätzen zu dem, was man im
16. Jahrhundert Rüstung, Usrüstung nannte 5 R. Brandstetter,
Regenz S. 33», Germania XXX, S. 342. — In den Fast-
nachtsspielen wird man sich oft einfacher beholfen haben. N. 22
Von einem Kaiser und dem Abt sind nach dem Text S. 205,
29. 206, 1 die Pferde schon vor den Wagen gespannt, aber die
Spielanweisung S. 207, 1 lautet: Nu sitzt der mulner auf das
wegenlein, so ziehen in die pav/ren in die stuben für den kaiser.
1 Der oft citierte hölzerne Esel ist nur für Processionen bezeugt durch
Naogeorgs Regni papistici 1. IV, S. 144 (ed. 1553) Ligneum habent asinum
et nmulacrum equitantis in iUo Ingeina: ot vero tabula consistit asettua
Quatuor atque rotia trahUur, quem mane paratum Ante forta tenipli atatuunt.
— Post haec in templum trahitur. Aber hölzerne Widder und Lämmer
wurden in Luzern verwendet; K. Brandstetter, Germania XXX, 8. 327.
342, Aufführung 8. 284. 286. — In den ehester Plays erscheinen animaUa
depieta in corUs, S. 54.
Sitsungsber. d. poiL-hitt. CL GXXXIV. Bd. 10. Abh. 3
34 X. Abhandluf : HeinseL
Aber auch in der sevenste Bliscap 571 wird Johannes
von zwei Engeln mit einem weissen Mantel bekleidet and fort-
geführt, oft anderssinsf soet best es und 574 sagt eine Bäuerin:
Ic sacken henen varen In een wölke.
Eine Angabe über das Wegschaffen unnützen Gerftthes
kommt ein paarmal vor, Don. Pass. 764 Nu stand di junger
uff und tünd die spis neben sich, wie Mone 11, S. 161 be-
merkt hat. Sterzinger Christi Himmelfahrt S. 14 h Ibi Judcsi
cantant, at interim deportatur mensa, an der Christus gegessen
hatte, in locum personarum et tandem salvatar dicit rigmum.
Im 16. Jahrhundert wird das Herbei- und Wegachaffen
von Geräthen öfters erwähnt oder ist anzunehmen; R. Brand-
stetter, Aufführung S. 281. 284. 287. 290. 292. 300. 303. 314, ein
Katheder für Gregorius, die Säule für das goldene Kalb, für
die Schlange u. s. w. In H. Sachs' Hug Schapler (1556)
Band XIII, S. 17, 9 wird das Hinausschaffen der Todten an-
geordnet.
D' Ancona, Origini del teatro italiano I, S. 512 neu Ottor
viano: rovina subito il tempio, e la Nativita del N Signare
apparisce.
IV. Baum und Zeit auf der alten Bühne.
Der wichtigste Unterschied zwischen der mittelalterlichen
Bühne und der späteren besteht darin, dass jene einen sehr
grossen Raum der Wirklichkeit darstellt mit verschiedenen
Einzellocalen, Bühnenständen, an denen abwechselnd gespielt
wird, während diese jedesmal nur einen kleineren, dem Einzel-
local der mittelalterlichen Bühne entsprechenden Raum enthält
Doch kommen Uebergänge vor, welche das Alte mit dem
Neuen verbinden. Schon auf der mittelalterlichen Bühne gab
es mitunter einen Bühnenstand oder -ort, der entweder gleich-
zeitig zwei Orte der Wirklichkeit, oder bald den einen, bald
den anderen bedeutete; s. oben S. 30 f. Dass im letzteren
Falle die Phantasie des Publicums durch aufgestellte und weg-
genommene Versatzstücke unterstützt wurde, ist nicht über-
liefert und nicht wahrscheinlich. Im 16. Jahrhundert geschah
das allerdings, s. oben, aber nicht immer.
Abhandlungen tum altdeutschen Drama. 35
So nicht in H. Sachs' Cirus (1557) Band XIII, S. 325, 6,
wo Cirus Speise und Trank auf der Bühne, die sein Lager
vorstellt, zurücklägst and mit seinem Heere abzieht. Die fol-
gende Scene ist aber im Scythenlande bei Königin Thomiris,
S. 325, 29 gehen auch die Scythen alle ab, Und lauffen her-
wider mit geschrey, da finden sie speisz und tranck.
In J. Ayrer's Sidea (vor 1605), wenn der Baum mit der
Quelle darunter, auf dem sich Sidea verbirgt, IV. Act, 33, im
ganzen Stück oder wenigstens im vierten Act immer zu sehen
ist, also nicht nur in den Scenen, die im Walde spielen,
sondern auch bei Ludolf, Sideas Vater, IV. Act, 136, bei dem
Schuster Dietrich, IV. Act, 186, der doch in der Stadt wohnt,
die weit vom Brunnen entfernt ist, IV. Act, 41. Die Decorations-
stücke Brunnen und Quelle wurden keineswegs zwischen den
Scenen weggeschafft, vielmehr benutzt der Dichter die Bühnen-
nähe von des Schusters Wohnung und Brunnen mit Quelle
im harten Widerspruch mit IV. Act, 136 zur Ueberführung
der eitlen Schusterin, die das Spiegelbild der auf dem Baume
sitzenden Sidea für ihr eigenes gehalten hatte. Wenn er IV. Act,
186 Sidea in seine Wohnung bringt, lässt er diese eine Weile
draussen — man sieht sie nicht — ; er fragt unterdess seine
Frau um den Grund ihres Hochmuths und führt sie, als er
ihn erfahren, zur Quelle, welche ihr jetzt nur ihre eigene
Gestalt zeigt. Dann tritt Sidea ein. — Auch in der Esther
der englischen Komödianten scheint der Galgen immer sichtbar
zu sein, S. 34 f., obwohl er im Hofe gebaut wird und die fol-
gende Scene im Innern des Palastes spielt.
Ausserdem hat man sich seit dem Mittelalter bis in
die neueste Zeit über Scenenwechsel und zeitraubende Moti-
virung dadurch weggeholfen, dass man benöthigte Personen
kommen und andere abgehen Hess, mehr nach dem Be-
dürfhiss der Bühne als der betreffenden Vorgänge und Zu-
stände. So erscheint Rubin gerade, als der Krämerarzt einen
Diener braucht; Innsb. Ost. H. 460, Erl. Ost. 108, Wien.
Ost. H. S. 313, 27, Nicodemus, als Joseph von Arimathia
einen Helfer zur Bestattung Christi nöthig hat, Luz. Grabl.
107, die vier Soldaten, als die Juden Grabwächter suchen,
Luz. Grabl. 429, die Kupplerin, als der Procus ihrer bedarf,
M. Magd. 386.
3*
36 X. Abbudluf : Hein sei.
Hans Sachs, Virginia (1530) Band II, S. 4, 17, Violanta
(1645) Band VIII, S. 348, 31, Hecastus (1549) Band VI,
S. 156, 13, Fastnachtsspiel Der junge Kaufmann Nicola (1550),
N. 23, 153; Nicola wollte gerade zu seinem Freunde gehen:
da kommt dieser. Florio und Bianceffora (1551) Band VIH,
S. 305, 10. Fastnachtsspiel zwischen dem Gott Apollo und
dem Römer Fabio (1551), N. 30, 81. 249. Fastnachtsspiel
Der Teufel nahm ein altes Weib (1557), N. 76, 286. 358.
Der Arzt kommt gerade, wenn man ihn braucht und herbei-
wünscht.
B. Waldis, Verlorner Sohn (1527) 267.
J. Kollross, Fünferlei Betrachtungen (1532) 443.
Naogeorgus, Pammachius (1538) 123. 1596. Judas (1552)
II i. in 2. V 2.
S. Wild, Passionsspiel (1566) 1626.
Herzog Heinrich Julius, Von einem Weib (1593) TL 2.
Von einem Buhler und einer Buhlerin (1594) I 2. Von einem
ungerathenen Sohn (1594) I 1.
J. Ayrer (vor 1605), Phaenicia HI Act, 130. 235. Er-
bauung der Stadt Rom Band I, S. 56, 20. Machumet IL
Band II, S. 801, 15.
W. Spangenberg, Saul (1606) 1239. 2016.
C. Brülovius, Caesar (1616) II 1 kommt M. Brutus,
IV 4. 5 Cicero ganz unmotivirt. Moyses (1621) I 7. II 6.
Englische Komödianten (vor 1620) Esther S. 34 Sih,
Zimmermann, du bist gleich als toärestu gerufen. Hans: O ja,
ich bin ein solch wunderlich Kerl, ich komm, ehe man mich
ruft Der verlorne Sohn S. 54.
Niederdeutsche Bauernkomödien , Tewesken Kindelbehr
(1661), S. 276.
S. u. a. die barmherzigen Brüder in Schiller's Wilhelm TelL
Abele Speien, Esmoreit (14. 15. Jahrhundert) 158 der
Meister kommt im rechten Augenblick, um Esmoreit zu retten.
De sevenste Bliscap 206.
Gnaphaeus Acolastus (1529) 101. 110. 699.
Udall's Ralph Roister Doister (1550) Dodsley - Haslitt,
Band III, S. 122 (IV 1).
Abhandlungen mm altdeutschen Drau». 37
Jacob, Recueil de farces S. 192.
Ebenso begegnet zufälliges oder unschicklich motivirtes
Abgehen1 statt Scenenwechsel.
Hans Sachs, Fastnachtsspiel Der Doctor mit der grossen
Nase (1559) N. 83, 117. 209 Der Edelmann geht mit seinem
Gast, dem Doctor, ab, um ihm einen Bau, seine Bibliothek zu
zeigen, damit der Narr mit dem Reitknecht an demselben Orte
sprechen kann. Fastnachtsspiel Der Neidhart mit dem Veil-
chen (1561) N. 75, 372. Der Herzog geht ab Wil gen spa-
ciren in irgarteny damit die Bauern an demselben Orte über
ihre Rache an Neidhart berathen können.
J. Ayrer (vor 1605) Gründung von Bamberg Band I,
S. 663, 17 der Kaiser:
1 Davon sind jene Abgänge zu unterscheiden, welche die übrigbleibenden
oder kommenden Personen nur von einer lustigen oder unschicklichen
Gegenwart befreien sollen: Im mittelalterlichen Drama geht Joseph bei
der Gebart Christi anter irgend einem Vorwand ab — oder bei Seite,
C&8S. Weihn. 142, Eger. Pass. 1623, York plays S. 129, in einem polni-
schen Weihnachtsspiel, mitgetheilt von W. Creizenach, Festschrift für
K. Weinhold, 1896, Separatabdruck S. 5. — H. Sachs, Melusine (1556)
Band XII, S. 554, 14 die Knechte gehen ab, weil sie die sich schlagenden
Pferde beruhigen wollen. Hier sind nur die Knechte auf der Bühne.
Die folgende Scene spielt am selben Ort zwischen Goffroy, dem Sohne
Melusinens, und dem Kundtman. Fastnachtspiel Der Neidhart mit dem
Veilchen (1561) N. 75, 426 Neidhart wird für das bevorstehende Gespräch
zwischen seiner Frau und dem in sie verliebten Herzog entfernt, indem
er dem ankommenden Herzog bis ans Hausthor entgegengeht und dann,
wie man wohl annehmen darf, noch häusliche Anordnungen zu treffen
hat — Ackermann, Tobias (1539) 995. — M. Haineccius, Hans Pfriem
(1582) 1055. — J. Ayrer (vor 1605) Valentin und Ursus I, Band II,
S. 1313, 6 Meliflsus zu Rudolphus: Jetz kommet rein in die Cantzeley, Ob
nichts neues vorhanden sey. Nur die zwei sind auf der Bühne, die sie
räumen, am der Kaiserin an demselben Ort Platz zu machen. — Herzog
Heinrich Julius, Sosanna ( 1 593) III 4, die Mutter Susannas geht wegen
zu grosser Gemüthsbewegung ab. — Oder wenn in den mittelalterlichen
Osterspielen Christus als Gärtner abgeht, um in der typischen Kleidung
wiederzukommen. S. z. B. Erl. Ost. 1121. — Eine besondere Gruppe
bilden dann jene unmotivierten Abgänge, welche die Bühne für den
Schluss des Stückes oder des Actes entleeren sollen, was sich noch lange
nach der Einführung des Vorhangs erhält; K. Heinemann, Grenzboten
1890 I, 8. 465. 520. 521. 523.
38 X. Abhandlung: Heiniel.
Ehrnholt, geh du nur auch jetzt ab}
Allein ich zu verrichten hab.
Und er hält einen Monolog über die bevorstehende Heirat.
S. dasselbe Motiv in der Anmerkung.
Wieland in Clementine von Porretta, lässt wiederholt seine
Personen wegen übermässiger Gemütsbewegung abtreten, meist
in den Garten gehen und gewinnt dadurch ein Mittel, die
Zurückbleibenden sich ohne Ortsveränderung aussprechen zu
lassen 1 2, III 12, III 13, IV 12. S. in der Anmerkung Herzog
Heinrich Julius' Susanna.
Aehnlich ist das Herausrufen einer benöthigten Persön-
lichkeit.
Hans Sachs, Hecastus (1549) Band VI, S. 138, 20. 144, 19.
Schwerttanzspiel aus Lübeck Zs. XX, S. 10 ff., Zs. ftr
Völkerpsychologie XIX, S. 206. 418.
Hartmann, Volksschauspiele S. VI.
Sehr häufig war dies schon in der niederländischen Abele
Speien (14./15. Jahrhundert), die bei der grossen Anzahl von
Standplätzen diese so klein machen mussten, dass nur schwer
in ihnen zu spielen war, wie ja auch die Personen in ihnen
oft unsichtbar sind. Lanselot 290. 542. 708 ruft der Wald-
hüter seine Herrin aus dem Schloss, 838 der Knappe seinen
Herrn. — Esmoreit 904 — Winter und Sommer 436. — Ebenso
in den Sotternien. — S. auch Esmoreit 58. 747. 851, Hertog
van Bruyswijck 37. 50. 86. 725. 854. 902.
Verwandt den vorhergehenden Fällen ist der folgende.
Schon im Mittelalter begegnet es hie und da, dass, während
man erwartet, dass die Person A zu der Person B gehen
werde, die Person B vielmehr zu A kommt, wodurch ein
.Wechsel der Locale vermieden wird. So in den Scenen, in
welchen Magdalena den Aposteln von der Auferstehung be-
richtet. Innsbr. Ost. H. 1099 Maria (Magdalena) recedit (vom
Grabe) cantando: Vere vidi dominum vivere u. s. w., nach der
Begegnung mit Christus als Gärtner, 1109 Thomas venu ad
Mariam et dicit: Maria, laz diu schallen u. s. w.; 1140 Maria
(Magdalena) cantat: Victimae paschali u. s. w. Petrus et Jo-
Abhudhingan »am altdeutschen Drum. 39
Hannes veniunt clamando: Die nobis Maria, quid vidisti in
via? — Eger. Pass. 8061 Et sie salvator recedit a Maria
Magdalena in locum suum, nachdem er ihr als Gärtner er-
schienen war, donec Maria canit obviantibus duobus apostolis,
scilicet Petro et Johanne; 8103 Tunc Maria (Magdalena) pro-
cedit ulterius ad parvum »pactum, Tunc veniunt ei in obviam
Maria Jacobi et Maria Salome cantantes: Die nobis Maria
u. s. w. Erl. Ost. 1176 Magdalena singt: Vere vidi dominum
vivere u. s. w., dann 1203 Victimae paschali u. s. w. Deinde
venient Petrus et Johannes cantantes: Die nobis Maria u. s. w.,
1256 erscheint auch Thomas. Sterz. Ost. S. 160 Tunc Sal-
vator recedit ad tempvs, nachdem er Magdalena als Gärtner
erschienen war. Maria plangit et canit iterum: Ich hob war-
leich gesehenden lieben heren mein u. ß. w. Deinde venu Thomas
dicens: Maria, la dein schallen! Wie mag mir das gefallen,
Dasz ein todter man Von dem tod sol aufstan. S. 162 tunc
Maria canit: Victimae paschali u. 8. w. Tunc Petrus et Jo-
hannes vadunt ei obviam cantando: Die nobis Maria u. s. w.
So auch in späteren Dramen.
Reuchlin, Sergins (vor 1507) 70, er will zu seinen Genossen
gehen: da sieht er sie plötzlich kommen: Sed eceos commodum,
Eccos prope in medio fori.
S. Wild, Passionsspiel (1566) 1626. Der Hauptmann ist
zu den Grabwächtern gekommen, die ihm ihre Schande ge-
stehen. Er sagt, sie müssten sich gleichwohl verantworten, da
sie das Geld empfangen hätten. Aber anstatt, dass sie nun
zu Cayphas gehen, fährt der Hauptmann fort:
Da kompt Cayphas vnd Annas gleich;
Secht, wie jr auffs best verantwort euch!
Digby Mysteriös S. 11 die Mütter mit den unschuldigen
Kindern kommen zu den Mördern, S. 223 die Apostel den
drei Marien entgegen.
In diesen Fällen, den mittelalterlichen, wie in denen des
16. Jahrhunderts kann man ungeschickte Erfindung annehmen,
durch die der Dichter um die Schwierigkeit des Scenenwechsels
herumkommen will. Anders ist es in folgenden Beispielen, wo
vor den Augen des Publicums die gesehene Bühne in ihrer
40 X. Abhandlung: Heimel.
ganzen Ausdehnung oder an einem ihrer Theile sich verändert,
d. h. nun einen anderen Ort bedeutet als früher, und zwar
ohne Abgang der Personen.
H. Sachs, Die falsche Kaiserin (1B51) Band VIII, S. 118?
18, Der verurtheilte Graf bittet den Kaiser, seine Frau noch
sehen zu dürfen. Der Kaiser bewilligt es und geht ab. Der
Keyser ab. Man fürt den Grafen hin. Die Gräfin kompt xmd
spricht. — Fastnachtsspiel von der verunglückten, verschwatzten
Buhlschaft (1552) N. 39, 455. Ein Jüngling wird durch einen
Boten zu seinen Eltern, die in einer anderen Stadt wohnen,
beschieden. Spielanweisung: Sie gehen hin. Sein Vatier vnnd
Mutter kummen jm entgegen, sein Vatter spricht. — Zerstörung
Trojas (1554) Band XII, S. 298, 18. Die Leiche Hectors
war vorher auf freiem Feld gedacht, jetzt ist sie in Troja>
ohne dass sie hinaus- und wieder hereingetragen wurde. —
Sirason (1556) Band X, S. 206, 25. Delila war vorher hei
den Philistern, ist jetzt wieder zu Hause. Diese Stücke haben
keine Standplätze.
S. Wild, Passionsspiel (1566) 1508. Nachdem die drei
Marien von den Engeln am Grab Christi Aufklärung erhalten
haben, folgt die Spielanweisung: Die Frawen wenden eich vmb
vnnd die Engel gehn ab. Maria Magdalena spricht:
Ach, lieben Schwestern, das ist war,
Wie vns die Männer sagen klar.
1610 Wir wollen gehn vns sehen vmmen.
Wo wir seine Junger bekummen
Vnd jn solliches zeygen an.
Maria Salome:
Ja, so kompt her vnd laszt vns gähn!
Darauf folgt die Spielanweisung: Nun geht Petrus vnnd Jo-
hannes ein. Magdalena meldet ihnen, was geschehen.
J. Ayrer, Phaenicia (vor 1605), III. Act 131, Die vor-
hergehende Scene war im Hause Phaenicias zwischen dieser
und ihrer Kammerfrau Phillis, die den Auftrag erhält, dem
Grafen Timbor abzusagen. Phaenicia geht ab. Der kurze
Monolog der Kammerfrau ist schon halb auf der Gasse gedacht:
doch rieht ich meinen bevelch aus.
schau, dort get der graf gleich heraus,
Abhandlungen zum Altdeutochen Drama. 41
wie das folgende Gespräch zwischen der Kammerfrau and dem
Grafen Timbor ganz auf der Strasse gehalten wird. Denn am
Schluss 193 sagt sie:
ich tet mich lang bei euch verweiln;
ich musz wider zu haus heim eiln,
das es mein Jungfrau nicht erfar.
Marlowe, Tamburlaine I. Am Ende von V 1, nach 1844
(Bd. I, S. 93) Exeunt all except the Virgins, Bei Beginn der
nächsten Scene V 2 vor 1846 Enter Tamburlaine u. s. w.
Die Jungfrauen der belagerten Stadt Damascus wollten zu
Tamburlaine in sein Lager vor der Stadt gehen, 1799; statt
dessen kommt Tamburlaine zu ihnen. Das Stück hat keine
Standplätze. — Marlowe, Massacre of Paris Band II. S. 306
Exeunt Catherine and Guise\ Charles bleibt; die Scene mit
Catherine und Guise war beim König Charles. Die nächste
Scene bringt The Admiral discovered in bed. Die Mittelbilhne,
welche früher eine Wand des königlichen Zimmers dargestellt
hatte, ist nun, wohl durch Wegziehen eines Vorhangs, — s. Tam-
burlaine II, Act III, l V. 3103 the arras is drawen und die
Custodes der mittelalterlichen Bühne, — die offene Wohnung des
Admirals. Statt dass Charles zu ihm geht, ist dieser zum König
gekommen. S. 309 zeigt deutlich, dass der Admiral in einem
offenen Hause zu sehen war, da er vor den Augen der Zu-
schauer ermordet und auf die Strasse geworfen wird.1
1 8. den gleichzeitigen Stieb von der Ermordung Coligny's in O. Jäger,
Geschichte der neueren Zeit, S. 163. Er stellt eine Straßenecke dar,
die durch das Haus Coligny's gebildet ist. Ein Stück der Wand im
ersten Stockwerk ist weggenommen, so dass man sieht, wie Coligny im
Bett ermordet, dann durch ein Fenster auf die Strasse geworfen wird.
— In Marlowe's Eduard II., Band II, S. 281 spricht der Mörder Light-
born , der sich in demselben Local wie Matrevis und Gurneg , die
Wächter des Königs, befindet, plötzlich mit dem König, der in einem
unterirdischen Gefängniss verwahrt ist, das zugleich als Senkgrube dient.
— Shakespeare, Henry VI, II , HI, 2 : The folding doors of an inner Cham-
ber are thrown open and GHoster is discovered dead in his bed: Warwick
and others Handing by it. Der Bühnenraum ist das Zimmer, in dem der
König sich aufhält, das gewiss nicht in unmittelbarer Nachbarschaft mit
dem Gefängniss Gloster's gedacht ist.
42 X. Abhandlung: Hcinxel.
S. 317 Anjou knocketh at the door and enter the hing of
Navarre and the Printe of Condi with their Udo sckoolmasters.
Also statt dass Anjou zu den jungen Prinzen geht, kommen
diese zu ihm heraas. Derselbe Bühnenraum bedeutet erst die
Strasse vor dem Hause des Prinzen, dann das Innere des Hauses.
S. 346 First Murderer [withinj zu dem andern: Stand dose!
he (Guise) is Coming — — . Enter first and second Murderer
und tödten Guise.
S. D'Ancona, Origini del teatro italiano I S. 512 nelV
Ottaviano: rovina subito il tempio, e la Nativitä del N. Signore
apparisce*.
E. Rigal, Alexandre Hardy, S. 191 über Verwandlung der
Bühne ohne Abgang der Schauspieler im 17. Jahrhundert
K. Heinemann, Grenzboten 1890, 1, S. 462 und 465, wo er auf
Voltaire's Semiramis verweist, III 6 Le cabinet oü itait Sem%-
ramis (mit Arzace und Azema) faxt place ä un grand sahn
magnifiquement orn4 u. 8. w. Hier wurden also, während die
Personen der vorhergehenden Scene auf der Bühne blieben,
Versatzstücke aufgestellt.
Die andere Methode, den Zuschauer glauben zu machen,
er sehe jetzt in der ganzen sichtbaren Bühne einen anderen
Kaum als vorher, besteht in der Entleerung der Bühne am
Schluss des ersten und — was beim Mangel eines Vorhangs
nöthig war — in dem Hereinkommen zu Anfang der zweiten
Scene, wo die antike Eintheilung herrscht, auch bei Actschluss
und Anfang des nächsten.
In P. Gengenbach's Combiszt (vor 1524, nur in einer
Umarbeitung von 1540 — 1546 erhalten), gibt es zwar keine Spiel-
anweisung, aber es ist doch nicht zu bezweifeln, dass nach I 1,
Haine vnd Hanszlin, zwen bauern vnnd der pfaff, nicht nur
dieser abgeht, wie er selbst sagt 181 Es ist nun zeit, ich far
darum, sondern auch die übrigen. Dann die nächste Scene
I 2 wird von Ciuis und Pfaff gespielt. Dieser ist also abge-
gangen, kommt wieder herein und begegnet dem von anderer
Seite eintretenden Ciuis, der ihn anspricht. 185 Sihe herrlin,
wa kumpt ihr her. Am Schluss dieser Scene jagt Ciuis den
Abhandlangen mm »ttctaitochen Drama. 43
Pfaffen fort 265 Farhin wnd nim so jetzt vorgüt. Sie verlassen
also beide die Bühne. Am Anfang der nächsten Scene, I 3,
ist der Pfaff aber wieder da und hält einen Monolog. Er ist
also wieder hereingekommen. Die Scenen I 1. 2. 3 spielen an
verschiedenen Orten.
Diese Form begegnet u. A. bei H. Sachs, in Th. Gart's
Joseph (1540), H. Ackermann's Ungerathenem Sohn (1540), in
S. Wild's Passionsspiel (1566), bei J. Ayrer,' den englischen Ko-
mödianten, Brülovins, in Gnaphaeus' Acolastus, wie überhaupt
bei den Lateinern.
S. z. B. H. Ackermann, Ungerathener Sohn (1540) 206
der Vater geht ab, 246 die Matter auch: Aber itzundfalt mir
etwas ein, Das musz ich balde richten aus, Dieweil mein herr
nicht ist zu haus. Dadurch wird die Scene frei für den Nach-
bar, der in seinem Hause einen Monolog hält.
H. Sachs, Schöpfung (1548) Band I, S. 37, 22 Eva geht ab,
um den Baum des Lebens zu suchen, S. 38, 6 kommt sie wieder
und findet ihn auf der Bühne, die also jetzt einen anderen
Theil des Paradieses darstellt. — Fastnachtsspiel von der un-
glücklichen verschwatzten Buhlschaft (1552) N. 39, 78, der ab-
reisende Jüngling, den seine Eltern begleiten, verlässt die
Bühne, am Beginn der nächsten Scene tritt er wieder auf und
ist in der fremden Stadt. — Cirus (1557) Band XIII, S. 325,
19 dieselben Personen, die Scythen gehen ab, kommen gleich
wieder herein und sind nun in Cirus' Lager. S. oben S. 34.
Tirao de Molina, Der Verführer von Sevilla; Rapp, Band V,
III. Act, 22. Scene, Schluss: Don Juan und Catalinos gehen in
die Kapelle, 23. Scene, sie treten wieder auf und sind in der
Kapelle.
Dadurch entstehen aber manche Unzukömmlichkeiten, d. i.
Fehler gegen die beabsichtigte Naturwahrheit.
H. Sachs, Pallas und Venus (1530) Band III. Trotz der
dargestellten Gerichtssitzung gehen alle Personen bei den Ab-
schlüssen ab und zu Anfang des nächsten wieder ein. — Ju-
dicium Paridis (1532) Band VII. Am Schluss des ersten Actes
versammeln sich die Götter zu einem Gelage und gehen dann
ab. Am Anfange des zweiten erscheint erst Discordia allein,
44 X. Abhaodluif : H*ins«l.
die den Apfel wirft and dann abgeht. Darauf kommen die
Götter and setzen ihr Gelage fort, wobei sie den Apfel er-
blicken. — Opferung Isaacs (1533) Band X, S. 71, 19 und
Abraham (1558) Band X, S. 53, 23 Adam and Isaac sind vor-
ausgegangen, die Knechte zurückgeblieben; die Knechte werden
nun von der Bühne entfernt indem sie bemerken, dass ihr Esel
sich verlaufen hat — s. oben S. 36 Anm. das Motiv in H. Sachs'
Melusine — und Abraham tritt mit Isaac wieder ein, d. h. sie
sind unterdessen auf die Höhe des Berges gelangt, den die
Bühne jetzt darstellt. — Jacob und Esau (1550) Band I. Der
Abgang Isaacs und Esaus am Ende des III. Acts ist unmotivirt
— Fastnachtspiel von Joseph, Melissas and König Salomon
(1550) N. 26, 122. Joseph and Melissas, die beschlossen haben,
bei Salomon Rath zu suchen gehen beyde ausz. König Salomon
kumbt, setzt sich, nach einem Gespräch Salomons und Marcolfis
erscheinen Joseph und Melissas. Das Kommen Salomons ist
ganz unnatürlich. Gemeint ist, dass er auf seinem Throne sitzt,
nicht sich erst darauf setzt. — Fastnachtsspiel Der böse Rauch
(1551) N. 28, 139. Vorher war die Scene im Hause. Der Mann
ist von der Frau besiegt worden und fortgegangen, d. i. vors
Haus, 131. Sie triumphirt allein bis 138 und geht auch ab
139, sie geht ausz, der man kumbt vnd setzt rieh traurig, nach
146 auf den Stein vor seinem Hause. Er kann nicht jetzt erst
kommen, sondern sitzt seit 131 darauf. S. 163. — Fastnacht-
spiel von der unglücklichen verschwatzten Buhlschaft (1552)
N. 39, 168. Der Held und sein Freund waren 162 aas der
Werkstatt weggegangen, um die Familie Gutmans deren Tochter
wegen zu besuchen. Nachdem ihr Meister und seine Frau auch
die Werkstatt verlassen haben, heisst es 168 Outman, der Eoa
vater, vnnd Beningna, jr Mutter, kummen, er spricht. D. h. die
Scene ist jetzt in Gutmans Haus, in das natürlich die Eigen-
tümer nicht eintreten. Ebenso 219. 258. — Komödie Die
ungleichen Kinder Adams und Evas (1553) Band I. Die Exa-
mination der Kinder wird durch den Schluss von Act HI unter-
brochen, bei dem wie immer alle abgehen, um beim IV. Act
wieder hereinzukommen. — Abraham (1558) Band X, S. 36, 14.
Loths in eine Salzsäule verwandelte Frau muss auch abgehen,
weil die nächste Scene an einem andern Orte spielt. Das weih
sieht umb, wird ein sewleny bleibt stehn. Sie gehen alle ausz.
Abhandlungen mn altdeutschen Drama. 45
Abraham kommt und ist an einem andern Ort, auf dem Berge.
— Fastnachtsspiel Die junge Witwe Francisca (1560) N. 84,
165. Die vorhergehende Scene war im Hause Franciscas. Sie
schickt ihre Zofe fort und geht auch ab, Ein weil wil ich in
garten naüs, in hof. Die Bühne ist also leer und kann im
Folgenden die Strasse darstellen, auf der Rinficzo, der Lieb-
haber Franciscas, deren Zofe trifft. — Fastnachtsspiel Der Neid-
hart mit dem Veilchen (1561) N. 75, 386. Die Bauern gehen
ab, die Bühne ist leer und bedeutet in der folgenden Scene
Neidharts Haus.
Th. Gart, Joseph (1540). 1958 Joseph will seine Brüder
zu Pharao führen. Das geschieht dadurch, dass er mit ihnen
die Bühne verlässt und dann mit Pharao hereinkommt.
S. Wild, Passionsspiel (1566), 402. 552 Actschluss, 642.
732. 1566 Nachdem die drei Marien Christum gesehen haben,
beschliessen sie, es den Jüngern zu melden, und gehn darmit
ab. Andreas vnd Jacobus gehn ein, Petrus vnd Johannes gleich
hinnach. D. h. sie sind in ihrer Wohnung, wohin, 1584, die drei
Frauen kommen.
J. Ayrer (vor 1605), Pelimperia und Horatius, Band II,
S. 917, 10. Der Marschall geht ab und kommt in der nächsten
Scene mit dem König heraus; d. h. er ist zum König ge-
gangen. — Hugdietrich, Band II, S. 972, 11 Hugdietrich geht ab
und kommt mit dem Wächter; d. h. er ist zu dem Wächter auf
die Burgzinne gegangen. — Theseus, Band II, S. 1246, 11 Egeus:
So kompt nur rein in die Cantzeley!
Secht, was drinn zu verrichten sey!
Abgang Egeus' und aller. Die folgende Scene spielt an einem
ganz andern Ort: Adra geht mit Theseo ein und sagt. —
Knabenspiegel, Band V 3381, 12:
Kumbt, last vns In die Canzley gon,
Ob etwas Villeucht sey furgf allen.
Abgang. Die folgende Scene spielt auf einem neuen Locale.
Das Kanzleimotiv des Abgangs wie oben und S. 37 Anm.
Schauspiele der englischen Komödianten (vor 1620), For-
tunatus S. 121 Die zwei Grafen führen den Andalosia hinein,
um ihn zu martern, bis er bekennt, woher er seinen Schatz
habe. Darauf ist die Scene in Famagusta bei Ampedo, Anda-
46 X. Abhandlung: Hein sei.
losia's Bruder. Ampedo körnt Er hat schon die Nachricht
von dem Ueberfall auf seinen Bruder erhalten und stirbt au*
Schmerz. Nun fehlt allerdings die Bühnenanweisung, daas er
hinausgetragen wird, wie sie nach der gleich folgenden Er-
mordung Andalosia's vorkommt sammt der Angabe, dass die
Grafen mit Andalosia wieder auftreten. Aber es ist gewiss so
gemeint. Denn gleich darauf sprechen sie zu dem gemarterten
Andalosia und tödten ihn vollends.
Le Roux de Lincy, Die Farce: La Mere, la fille, le tes-
moing, l'amoureux et POfficial. Mutter und Tochter gehen ab.
Le juge entre, er hält einen Monolog, dann treten Mutter und
Tochter bei ihm ein. D. h. Mutter und Tochter sind zum
Richter gegangen, der in seinem Zimmer ist, nicht in dasselbe
einzutreten hat.
In den York Plays zeigt eine Bühnenanweisung, die
von späterer Hand der um die Mitte des 15. Jahrhunderts,
S. XXVIII, angesetzten Handschrift beigeschrieben ist, den
Uebergang von der alten Form in die neue. Das XVII. Stück,
ein Dreikönigsspiel, hatte ursprünglich einen Bühnenstand für
Herodes, einen Air die heil. Familie, die heil. dreL Könige
gehen erst zu Herodes, dann nach Bethlehem. Ein Verschwinden
der heil, drei Könige oder Herodes war ganz unnöthig. Trotz-
dem sagt die Bühnenanweisung, bevor die heil, drei Könige
nach Bethlehem zur heil. Familie kommen: the Harrod passeth,
and the iij kynges comyth agayn to make there offerynge*.
Calderon Gu&rdate de la agua mansa, Band IV, S. 351*.
Die vorige Scene war in einem Zimmer von Don Felix7 Haus,
bei dem zwei Edelleute Don Juan und Don Pedro zu Gaste
sind. Erst spricht der Hausherr mit Don Juan, bis dieser
abgeht — vase — um die Damen des Hauses am Hausthor
zu erwarten. Dann kommt Don Pedro, der dem Hausherrn
dieselbe Absicht mittheilt. Nun muss eine Verwandlung ein-
treten — Gasse vor dem Hausthor statt Zimmer — die in
der Ausgabe nicht angezeigt ist. Don Felix und Don Pedro
gehen auch ab und kommen wieder, und auch Don Juan tritt
auf — das ist angezeigt, sale — wohl von anderer Seite.
Abhandlangen mm altdeutschen Drama. 47
Aber Don Juans Auftreten ist nicht wörtlich zu verstehen:
er ist schon seit S. 350 b auf der Gasse vor dem Hausthor.
An das unschickliche, aber ohne Vorhang nicht zu ver-
meidende Eintreten von in Ruhe gedachten Personen war man
vom Mittelalter her gewöhnt, wo dies für den Anfang aller
Stücke nothwendig war.
Bei Lope de Vega, König Wamba, Rapp, Band III, III 3,
S. 72 scheint ein Auskunftsmittel getroffen worden zu sein.
König Wamba sitzt bereits zu Gericht. S. auch Die ver-
schmähte Schöne Rapp, Band II, II 1, S. 47, Beginn des
II. Acts; der Thürhtiter Arnaldo einen Besucher abweisend.
Mit dieser Form verbindet sich gern, dass die herein-
kommenden Personen ein hinter der Scene begonnenes Gespräch
fortsetzen; s. Creizenach I, S. 575. H. Sachs Hecastus (1549),
Band VI, S. 170, 27. 171, 10.
Naogeorgus, Judas (1552), II 3.
J. Ayrer (vor 1605), Fastnachtsspiel Der Eiferer, Band IV,
S. 2794, 20.
C. Brülovius, Julius Caesar (1616), I 2.
Schauspiele der englischen Komödianten (vor 1620) Esther
S. 17, Jemand und Niemand S. 127, am Anfang des Stücks,
Der verlorne Sohn S. 47, Fortunatus S. 81, im Anfang des
Stücks S. 121.
Niederdeutsche Bauernkomödien (vor 1661) S. 142.
Udall's Ralph Roister Doister (1550) Dodsley - Hazlitt,
Band III, S. 130, IV 4. — Marlowe, Massacre of Paris S. 319.
— So auch bei Shakespeare.
Lope de Vega, König Wamba II 1. 3. 4 (Rapp, Band III,
S. 279. 291. 299), Columbus I 1 (Band III, S. 205), Demetrius
II 2. in 5 (Rapp, Band IV, S. 348. 411), Die verschmähte
Schöne II. III 1. in 2. III 3 (Rapp, Band IV, S. 14. 85.
93. 99), Reichthum und Armuth II. II l (Rapp, Band IV,
S. 123. 167), Die schöne Tolederin II 1. 3. 4 (Rapp, Band IV,
S. 279. 291. 299), La esclava de su gaUn I 1. II 1. III 1. —
48 X* Abhandlung: Heiniel.
Tirso de Molina, Der Verführer von Sevilla I 1. II 1 (Kapp,
Band V, S. 35. 72).
Nicht bei allen sind die genannten Auskunftsmittel beliebt
Auch ohne Einfluss der antiken Ortseinheit ziehen es manche
vor, in recht unwahrscheinlicher Weise das häusliche Leben
auf die Gasse zu versetzen. So Herzog Heinrich Julius fast
überall. Niederdeutsche Bauernkomödien (vor 1661) S. 273. —
W. Spangenberg, Saul (1606) 1246. 1969. 2021. — Udalls
Ralph Roister Doister (1550), Dodsley-Hazlitt, Band III, S. 69. 97.
Andere bleiben lang bei der alten Bühne mit Standplätzen
und offenen Häusern.
Urner Tellenspiel (bald nach 1511) 137. 193 vn gat ein
yegklicher an sin ort heim.
V. Boltz, Weltspiegel (1550) 4934 Jete gond ufi den hüszlin
alle Personen — . Stellen sich für die ghiisz herfür vff beid
sytten.
H. Sachs, Griseldis (1546), Band H, S. 47, 5 Der Weg
vom Palast zu Griseldis Hütte wird durch Herumgehen markirt.
— Auferweckung des Lazarus (1551), Band XI, S. 247, 26
Christus geht auf der Bühne herum, um nach Bethanien zu
kommen. — Josua (1556), Band X, S. 104, 35 Das Heer geht
herum und gelangt so zum Jordan. — Cleopatra und An-
tonius (1560), Band XX, S. 218, 9. Cleopatra und Antonius
begeben sich vor den Augen des Publicums auf ihre Flotte
und kämpfen bei Actium.
T. Stimmer, Fastnachtsspiel Comedia (1580) 30 nach dem
Prolog: Sy ziehen samptlich auff, geht jeder person in sin scena.
Sogar in Italien, wo die neue, das ist die der antiken
nachgebildete Bühne, die nur einen Ort der Wirklichkeit vor-
stellt, so früh beginnt, erhält sich daneben die Bühne mit den
Standplätzen ; £. Flechsig, Die Decoration der modernen Bühne
in Italien, S. 31. 37. 43. 52. 70. 83.
Im Französischen gab es Bühnenstände, offene Häuser
nicht nur im 16. Jahrhundert, so im Passionsspiel von Valen-
ciennes von 1547, sondern auch im 17. bis auf Corneille; Ebert,
Abhandlungen tarn altdeutschen Dnuna. 49
Entwicklungsgeschichte der französischen Tragödie S. 155. 218,
E. Rigal, Hardy S. 173 f. 177 f.
CaJderon, La hija del aire I, Band II, S. 67, I. Act
Chatos Wohnung und die Wildniss, wo Semiramis haust.
Fröbel in seinem Lebenslauf I, S. 348 erzählt von einer
Aufführung in Centralamerika, wo die eine Hälfte des Pfarr-
hofs das christliche, die andere das Mohrenreich darstellt.
Nicht selten ist Mischung von Standplätzen und Ab- und
Eintreten bei Scenenschluss und -Anfang.
Th. Gart, Joseph (1540) 237 Joseph verlässt während
der Scene Jacob und kommt nach Sichern, 2072 Jacob von
Bersaba nach Gosen. — Der Kerker, wo Josef, der Bäcker
und Schenke gefangen liegen, ist offen, 888.
H. Sachs, Cleopatra Band XX, S. 218, 9, s. oben S. 48.
C. Brülovius, Julius Caesar (1616). In den Scenen III
3. 4 muss Caesars Haus, vor dem sein Abschied von Calpurnia
stattfindet, und die Curia, zu welcher ihn D. Brutus führt,
vorgestellt werden.
Gnaphaeus, Acolastus (1529). H 2 spielt im Haus, H 3
vor dem Haus. Acolastus ist in H 2. 3 fortwährend beschäftigt;
das Haus war also offen s. I 3. 4.
Die Gleichzeitigkeit zweier Vorgänge kann im geist-
lichen Drama des Mittelalters dadurch zur Anschauung ge-
bracht werden, dass an einem Bühnenort gesprochen und agirt,
an dem andern zur selben Zeit blos agirt wurde; Creizenach I,
S. 187. Die Form findet sich auch im weltlichen Drama des
Mittelalters, dem Fastnachtspiel und im 16. 17. Jahrhundert,
soweit die Bühnenstände sich erhalten haben.
Fastnachtspiel Susanna, N. 129, S. 240, 25 stumme Ge-
richtsscene — Daniel redet mit den Alten.
P. Gengenbach, Bileamsesel 357 Klage der Eselin, —
Christus, Petrus, Paulus, die herankommen. 820 der Papst —
der herankommende Ablasskrämer.
Heidelberger Passionsspiel (1514) 159. 317. 1579.
8itzungsber. d. phü.-hist. Cl. CXXUV. Bd. 10. Abh. 4
50 *• Abhandlung: Heimel.
H. Sachs, Lucretia (1527) Band XII, S. 8, 1 Monolog
der Ancilla, — während Sextus bei Lucretia in deren Schlaf-
zimmer ist. — Gideon (1556) Band X, S. 156, 23 Gideons
Rede während der Operation mit dem Fell, — indess kommen
die anderen heran.
H. Bullinger, Lucretia (1533) 1170.
G. Binder, Acolastus (1535) 765 lautes Gespräch von
Philautus und Acolastus, — stummes von Pamphagus und Pan-
tolabus an anderem Ort. 2004.
Naogeorgus, Pammachius (1538) III 6, seit 2706 Sathans
lautes Gespräch mit Planus — während des stummen Ge-
sprächs zwischen Pammachius und Porphyrio.
Th. Gart, Joseph (1540) 976 Pharao redet auf seinen
Thron, — stumme Scene Josephs und der anderen Gefangenen
im Kerker. 2073 Jacob und seine Söhne ziehen redend nach
Egypten, — Joseph kommt ihnen stumm nach Gosen entgegen.
H. R. Manuel, Fastnachtsspiel Weinspiel (1548) 875 Reb-
mans Gespräch mit dem Wein, — daneben stummes Gelag
der Gesellen.
J. Ruf, Adam und Heva (1550) 1859 Evas Gebet, —
während Adam und Kain nach Hause gehen. 2407 Gott redet
mit Kain, — während Adam und Eva der Delbora, Abels
Gattin, dessen Ermordung durch Action erzählen. 4319 Monolog
Henochs, — während Kenan begraben wird. 5552 Vorberei-
tungen zum Gelag bei dem Fürsten, dieses selbst, — während
Noe die Arche baut.
W. Schmelzl, Samuel und Saul (1551) 458 Gespräch
zwischen Jeremias und Nabal — während der Bewirthang
Sauls bei Samuel. 704 Rede der Belagerten — während der
Action der Belagerer. 800 vielleicht drei Vorgänge. Botschaft
der Belagerten an die Israeliten — während der Actionen der
Belagerer und der Belagerten.
Naogeorgus, Judas (1552) III 6, Judas, Sargannabus und
Conscientia reden — während des stummen Abendmahls Christi.
IV 3 Christus und die Apostel auf dem Oelberg, — Judas
und die Soldaten reden abwechselnd.
L. Kulman, Die Witfrau (nach 1554) IV 2, der Sohn
entlehnt redend Krüge in verschiedenen Häusern, — während
die Witwe das Oel einfüllt.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 51
J. Ayrer (vor 1605), Julius redivivus Band I, S. 540, 3.
— Theodosius Band II, S. 831, 14 Gespräch — während der
Einsiedler liest. — Pelimperia Band II, S. 894, 10. — Der
alte Buhler Band III, S. 2254, 21.
W. Spangenberg, Mammons Sold (1613) 755 Gespräch
Sathans und des Todes, — während die Weiber Karten spielen.
801 Gespräch Sathans und des Todes, — während die Weiber
trinken.
De sevenste Bliscap 165 bis 305, die Juden berathen re-
dend, — während Maria stumm ihre Andacht an den Stationen
verrichtet.
Gnaphaeus, Acolastus (1529) I. 1, V 101, Eubulus drückt
in einem Monolog seine Absicht aus zu Pelargus, dem Vater,
zu gehen, — während dieser nachsinnt, ob er den Sohn ziehen
lassen soll. II, 5, während des Gesprächs zwischen Pelargus
und Eubulus — entschliesst sich der Sohn heimzukehren und
legt die Reise zurück.
Miracles de Nostre Dame Band I, L'abbesse grosse 682
Gespräch des Bischofs mit seinem Clerus, — während die
Nonnen in ihrem Kloster beten.
S. im modernen Drama die Stücke mit wagrecht oder
senkrecht getheilter Bühne.
Eine für die moderne Anschauung weniger auffallende
Spielart ist es, wenn die zwei Vorgänge sich räumlich so nahe
liegen, dass die Personen des einen den zweiten Vorgang be-
trachten, beobachten, bespähen, behorchen können. Siehe die
Scene von der Verleugnung Petri im Hofe während des Ver-
hörs Christi in den Passionsspielen des Mittelalters.
Fastnachtsspiele N. 126, S. 162, 16; s. S. 155, 14.
H. Sachs, Sechs Kämpfer (1549) Band VIII, S. 14, 3.
— Hecastus (1549) Band VI, S. 173, 19. — Die Vertriebene
Kaiserin (1555) Band VIII, S. 182, 28. — Der hörnerne Sieg-
fried (1557) Band XIH, S. 170, 3, Hildebrand sieht redend
dem stummen Kampf Siegfrieds mit dem Berner zu.
Naogeorgus, Pammachius (1538) II 4. III 5, V. 2017. 2485.
4*
52 X. Abhandlung: Heinzel.
J. Ayrer, (vor 1605) Theodosius Band II, S. 819, 31. —
Pelimperia Band II, S. 883, 19. 893, 17. 894, 1. — Ranms
Band III, S. 1858, 19. — Zwei fürstliche Käthe Band HI,
S. 2283, 6.
Schiller, Die Bankettscene in den Piccolomini.
Anzengruber, Der Fleck auf der Ehr, Gesammelte Werke
IX, S. 46. Der Text läuft in drei Spalten, der Wirt rechnet
laut, Andrä sieht aufgeregt der stummen Scene zwischen Hüb-
mayr und Franzi zu.
Gnaphaeus, Acolastus (1529) II, 3, V. 498.
Wenn aber beide Vorgänge Rede verlangten, so konnten
die zwei gleichzeitig gedachten Scenen einander folgen: die
Zeit geht zurück. Innsbr. M. Himm. 1624. 1807, Kath. S. 168,
Wien. Pass. 337, Alsf. Pass. 2482 u. 8. w. .Ich gedenke an
einem anderen Ort darüber zu handeln.
Fastnachtsspiel von König Artus, N. 127; S. 198, 19ff.
ist gleichzeitig mit S. 199, 30 ff. Vor S. 198, 19 hatte die
Botin der Königin von Cypern das Hörn König Artus gebracht,
S. 198, 19 meldet sie ihrer Herrin die Besorgung des Auf-
trags, S. 199, 30 spricht Artus mit den Seinen über das
Hörn. Ir Herren vnd frawen, merekent mich eben! Das hören,
das man vns hat geben , Und das gmachet ist von spechem list,
Wellen hören, was doch sein tugent ist.
Naogeorgus, Pammachius (1538) I 5 und I 6 sind gleich-
zeitig. I 4 waren Pammachius und Porphyrius bei Kaiser
Julianus, haben ihn bedroht und sind fortgegangen, I 5 Mono-
log des empörten Julianus, I 6 Gespräch zwischen Pammachius
und Porphyrius über Julianus.
Porphyrius: Enimvero, pater, iratum tu Caesarem
Liquisti. Nonne vides guantum deliberet
Quam spargat huc illucque manus, quam iactitä
Caput f
H 5 und H 6 sind gleichzeitig. In II 4 waren Pam-
machius und Porphyrius bei Sathan, Pammachius hat dem
Sathan zugeschworen und von ihm die Krone empfangen. Dann
haben sich Pammachius und Porphyrius entfernt. H 5 Ge-
Abhandlungen tum altdeutschen Drama. 53
sprach Sathans mit seinen Genossen über die Besucher. II 6
Painmachius und Porphyrius reden über den Erfolg des Be-
suches bei Sathan.
III 5, V. 2678 ff. und III 6 sind gleichzeitig. III 5 von
V. 2678 ab hat Julianus, der mit Nestor bei Pammachius und
Porphyrius war, sich bei diesem, der doch sein Verderben will,
noch bedankt und sich in Gesellschaft Nestors entfernt. Dieser
klagt V. 2678 ff. heftig über die Schande, die Julianus er-
dulden muss. III 6 sprechen Porphyrius und Pammachius über
Julianus.
Porphyrius: Bellus profecto homo sum. Mihi etiam gratias
Aguntur plurimae summa cum iniuria.
H. Sachs, Fastnachtsspiel Der böse Rauch (1551) N. 28,
139. S. oben S. 44.
J. Ruf, Teilenspiel (1545) 1532—1581, Ende des IV. Acts:
es ist der Weihnachtstag, der Vogt von Samen macht sich
mit den Knechten auf den Weg zur Kirche und befiehlt seiner
Frau die Behütung des Schlosses. 1582 — 1865, Anfang des
V. Acts: das Weihnachtsfest ist nur nahe, Dxoyls Wienecht
fest bald nahen tMt 1647. W. Teil beräth mit den Verbün-
deten den Ueberfall auf Samen, sobald der Herr zur Kirche
gegangen wäre. Der Ueberfall geschieht 1892.
J. Ayrer (vor 1605) Tarquinius Priscus Band I, S. 248, 24
Streit auf der Strasse, er wird beendigt. S. 250, 23 Tarquinius
hört in seinem Palast den Lärm dieses Streites und erkundigt
sich nach der Ursache.
Passionsspiel von St. Stephan (17. Jahrhundert) S. 331a Nach-
dem Longinus die Seite des Heilands durchstochen, befiehlt
ihm der Schutzengel dies und den Tod Jesu seiner Obrigkeit
anzuzeigen. Aber Longinus gehet an seinen Ort. S. 331 b Reden
Magdalenas und des Schutzengels unter dem Kreuz. Dann:
Longinus gehet zu Pilato und meldet das Geschehene.
Grillparzer, Die Jüdin von Toledo II 1. 2, Sämmtliche
Werke (1874) Band VII, S. 177. 184; die zweite Scene Rahel
und Esther im Gartenhaus ist gleichzeitig mit der ersten. Der
König, der am Ende der ersten ins Gartenhaus eingetreten ist
S. 148, gelangt erst S. 186 zu den Mädchen.
54 X. Abhandlung: Hein sei.
Towneley Mysteries S. 156 Symeon im Tempel hört die
Ankunft der heil. Familie — Spielan Weisung: lunc pulsabunt — ,
diese fasst aber erst nachher den Entschluss Christus im Tempel
darzubringen.
Marlowe, Tamburlaine II. VI, Band I, S. 201, wird
Babylon von Tamburlaine belagert, in derselben Scene V. 4172
erobert. V 2 (S. 212) V. 4335 wird es noch belagert. V 2 ist
also gleichzeitig mit einem Theil von V 1, und geht dem fer-
neren Verlauf von V 1 zeitlich vorauf.
Mystere, La Nativite' de N. S. Jhösu Christ, Jubinal
Band II, S. 39 ff. Joseph und eine Anzahl von Jünglingen sind
im Tempel versammelt und der Stab Josephs trägt Blüthen.
Er wird also mit Maria vermählt, gestattet ihr aber im Tempel
zu bleiben. S. 41
Le premier bachelier:
Beaux seigneurs, veez cy grant pitie.
Diex a faxt ä Joseph grant gräce:
Tont maintenant en ceßte place
Sa verge porte fieur vermeille.
Le premier:
Ralon8-nous en nos pai8,
Car yey ne faisons-nous rien
De no8tre preu} je le sgay bien.
Dieses Gespräch der Jünglinge ist unmittelbar nach dem
Wunder zu denken.
Miracles de Notre Dame N. X, 268.
E. Rigal, Hardy 196.
Calderon, Guärdate de la agua* mansa, s. oben S. 46. La
Dama duende, Band I, S. 206* ff. Zimmer der Angela, von
dem aus Don Manuel mit der Zofe Isabel durch eine Seiten-
thür links in das anstossende Zimmer Don Manuels gehen.
Don Juan tritt bei Angela ein, unterredet sich mit ihr, dann
gehen beide ab. Die folgende Scene ist im Zimmer Don Manuels,
der mit Isabel eintritt.
▲bhandlaogen zum altdeutschen Drama. 55
Isabel: Aqui has de quedarte, y mira,
Que no hagas ruido; que pueden
sentirte.
Diese Worte können nur gedacht sein, während der Unter-
redung Angelas mit Don Juan in Angelas Zimmer. — S. 207 b
Zimmer Don Manuels: anwesend Don Manuel, Isabel und der
Diener Cosme. Isabel führt Cosme durch die Thlir rechts in
das anstossende Zimmer Angelas ; Monolog Don Manuels.
Zimmer der Angela: Angela redet mit Beatriz. Isabel und
Cosme treten ein, Cosme spricht mit Angela. Dieses Gespräch
muss gleichzeitig mit dem Monolog Don Manuels sein. —
S. 208 a Zimmer der Angela; anwesend Angela, Beatriz, Isabel,
Cosme. Isabel und Cosme gehen durch die Thiir links in Don
Manuels Zimmer. Gespräch Angelas mit Beatriz und dem
eintretenden Don Luis. Dieser geht auch links ab in das
Zimmer Don Manuels. Gespräch der zurückbleibenden An-
gela und Beatriz. Zimmer Don Manuels: Isabel und Cosme
treten ein: Rede Isabels und Don Manuels, Rede Don Luis,
der auch eintritt. Die Rede Isabels und Don Manuels wie
die des Don Luis sind während des letzten Gesprächs der in
Angelas Zimmer zurückgebliebenen Angela und Beatriz zu
denken.
V. Uebcr das Mcdicnsspiel und die lustige Person der
alten Bühne.
Creizenach I, S. 120 vermuthet, dass die Figur des
Wunderdoctors, wie sie die bekannten Scenen der Osterspiele
und Passionen seit 1300 zeigen, S. 90, von den deutschen Spiel-
leuten schon eher ausgebildet worden sei, bevor sie in die geist-
lichen Spiele aufgenommen wurde. S. 382 verweist er auf Rute-
beufs Dit de Therberie (1260), wo ein Quacksalber erst in Versen
dann in prosaischer Rede von seinen weiten Reisen und aben-
teuerlichen Heilmitteln erzählt. S. Kressner S. 115, Jubinals Aus-
gabe I, S. 250 und die Parallelen in den Anmerkungen I, S. 408.
475, die komischen Monologe Les Ditz de maitre Aliboron,
Watelets Maitre Hambrelin (1531), La fille basteliire, Petit de
Julleville V, S. 141. 167. 189. 266. 275. 276; eine provenza-
56 X. Abhandlung : Heinxel.
Ksche Fassung ist sogar älter als Rutebeuf, Rayinon d'Avignon,
Komania XIV, S. 496. S. auch den Maitre Aliboron in Ju-
binals Mystferes inödits II, S. 146. 287, die Aerzte in der Vcn-
geance de Notre Seigneur, Petit de Julleville II, S. 451. Vgl.
Lier, Studien zur Geschichte des Nürnberger Fastnachtsspiels
I S. 61 ff. Du Meril dachte an eine französische weltliche selbst-
ständige Quacksalbercomödie, s. Michels Studien S. 49, A. von
Weilen an eine italienische, deutsche Literaturzeitung 1891,
S. 1412.
In der That scheint manches darauf hinzuweisen, dass
die Quacksalberscenen unserer geistlichen Spiele einmal eine
selbständige Existenz geführt haben, wenn auch Kaufleute,
von welchen Magdalena die Salbe für den todten Christus
kaufte, schon den ganz lateinischen liturgischen oder halb-
liturgischen Osterfeiern bekannt waren, so der Feier von Tours
(12. Jahrhundert), Milchsack, Oster- und Passionsspiele S. 97
und von Prag (14. Jahrhundert), Lange, Osterfeiern S. 166.
Darauf führt das Schwanken zwischen Kaufmann und
Arzt. Das Ben. Pass. hat nur einen Mercator 27. $2 in der
Spielanweisung, den Magdalena als venditor, mercator und
chramer anspricht 27. 35. 82, als sie für sich und den lebenden
Christus, der bei Simon zu Qast ist, Schminke und Salbe kauft.
Das Muri. Ost. H. hat Paltenaere in Spielanweisung und
Rede 6. 10. 24. 151, Institor 39. 158. 170 in der Spielanweisung.
In Frankf. Pass. Dir. erscheinen in Spielanweisung und
Rede mercatores 270. 272. 274. 276, Koufman 273, 279, —
aber nach 276 uxor mercatoris dicat: Ey: meister — heisst
es: Medicus respondeat: Swig, habe, laz diu — . Hie percutiat
uxorem que fleat, et dicat uxor alterius medici: Achilang
leyder — .
In Innsbr. Ost. H. nennt die Spielanweisung die fragliche
Person Mercator 455 ff. Aber Rubin, sein Knecht, singt 531
hye komt meister Ypocras de gratia divina, sin mtiter eyner
meister (?) eyn slegel vras in arte medicina, s. 551, und 642 sagt
er: Ja bin ich xeorden eyns areztes Knecht. 848 fragt die eine
der drei Marien Rubin um einen Mann, der czü arztige ich
gerate kan; 880. 884.
In Wien. Pass. heisst die Person, von der Magdalena
Schminke für sich kauft, in der Spielanweisung 283. 287. 291,
Abhandlungen zum altdeutschen Drain». 07
institor, im Text venditor 279, cramer 287, — aber in der
Spielanweisung 279 medicus.
Im Alsfelder Passionsspiel mercator, Koufman in Spiel-
anweisung und Rede, 7558. 7582. 7588 mercator Ypocras,
7593. 7598. 7608, 7623. Aber 7483 Servus medici, Rubinus,
exclamat medicinam magistri sui Ypocratis: Hie est magister
Ypocras de gracia bovina, non est inventus melior in arte me-
diana; s. Spielanweisung 7545.
In Erl. Ost. reden die drei Marien 777 die Person mit
mercator an, welche sonst seit 81 in der Spielanweisung immer
medicus genannt wird, sich Meister nennt 83, und immer als
Arzt benimmt. Auch seine Frau nennt die Spielanweisung
medica7 seit. 376.
In Wien. Ost. H. hat die Spielanweisung Kaufman S. 313,
5. 314, 7. 317, 23, Mercator S. 315, 19. 317, 25. 318, 1, 9.
319, 3. 21. 31. 320, 15. 23. 25. 321, 2. 18. 28, der Kramer
S. 320, 7, für die Frau Mercatrix S. 320, 11. 19. 24. 321, 1.
8. 26, 320, 5 spricht sie von meinem kram, — aber S. 314, 13
nennt die Spielanweisung den Mann medicus, ebenso S. 314,
21. 315, 1. 315, 31, 315, 9 der arzt, die Frau die erztin
S. 321, 1, und im Text gebärdet sich der Mann immer als
Arzt, S. 313, 5 Ich bin nemlich komen von Pareis: Uf erztei
habe ich geleget meinen vleiss u. s. w.
In Wolf. Ost. nennt die Spielanweisung einen mercator
31. 39. 59; so nennen ihn auch die drei Frauen 35, oder cra-
mer 43, — aber 43 singen sie:
Sage uns, cramer, leve vrunt,
is dy van arsedige icht kunt,
edder hestu jennige salve gut,
dar na so steit uns de mutf
Ad Robin.
Wilkome, leve iungelin,
God de beter al din ding,
Westu jennigen man,
50 De uns to arsedige raden kan?
Darauf antwortet der Mercator, dass er viele Jahre auf dies
Studium verwendet habe und sie nennen ihn 55. 68 meister.
58 X. Abhandlung: He in sei.
Nur die Vorstellung von einem Apotheker findet sich
im Don. Pass. 193, als Magdalena Salbe für den lebenden
Christus, 4047 als die drei Marien sie für den todten Christus
kaufen.
Nur die von einem Arzt, der eine Apotheke hält in
Eger. Pass. 7872; s. die Spielanweisung Medicus 7864. 7866.
7892. 7898, die Frauen nennen ihn meister 7888. — 7880
heisst Rubin sie zu seinem Herrn meister Symon gehen, der
hat sein appotecken auff gestellt
Dass sich dieses Schwanken blos daraus erkläre, dass
der Arzt in der That auch das Gewerbe eines Verkäufers aus-
üben konnte, ist nicht wahrscheinlich, da so alte Spiele wie
Ben. Pass. und Muri. Ost. H. nur einen Kaufmann kennen.
Das Motiv des Streites zwischen dem Verkäufer und
seiner Frau scheint schon aus jener Epoche zu stammen, wo
der Verkäufer nur ein Mercator, kein medicus war, denn in
der Eingangsprocession von Ben. Pass. wird mercator et uxor
sua aufgeführt. Das beweist zwar nicht, wie Creizenach I,
S. 100 anzunehmen scheint, dass in dem verlorenen Schluss
des Ben. Pass. die Streitscene zwischen dem mercator und
seiner Frau vorkam, denn es wird neben Pilatus auch seine
Frau in der Procession erwähnt, die entschieden nicht mit-
spielte, da unser Stück keine Scene mit ihrem Traum und
der Intervention bei Pilatus kennt, — aber es muss ältere
Stücke als Ben. Pass. gegeben haben, die den Streit zwischen
dem Kaufmann und seiner Frau enthielten.
Bemerkenswerth ist auch, dass im Erl. Ost. 57 die Scenen,
in denen der Krämer auftritt, als ein besonderes Spiel be-
zeichnet werden. Tunc veniat Rubinus proclamando ludum:
Hie lauft Gumpolt, Rumpolt, Harolt, Marolt u. s. w.
63 Nu hört all gemain,
paide gross und chlain,
65 Main und grosz,
rauch und plosz,
arm und reich,
nu hört all geleich!
wir wellen haben spil,
des ist nicht wenig und nicht ml.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 59
dar an sol uns nimant wenkchen (1. krenken?)
ob wir an den reimen icht wenkchen.
7ji Rubinus 63 gibt eine Randbemerkung Precursor.
Dem entspricht 933 ein Epilog. Et sie medicus surgens
et recedat. Pusterbale benedicens populum:
«
Ir herrn, got müsz euch gesegen,
ir habt unser zwar wol gephlegen. \
935 habt ir von uns icht nuez gen&men,
es mag euch wol ze reun ch&men.
ir habt grosz geschafft,
mich tunkcht, wir haben euch geäfft
mit unserm groszn tant.
0
940 wir haben noch verrer in unser lant;
also ge wir von dann
und lasz wir Mar ein zann!
•
Obwohl der letzte Vers wieder an das Osterspiel an-
knüpft, erinnert doch das Ganze an die Abschiedsreden der
Schauspieler in den Fastnachtsspielen.
Dazu kommt die Erwägung, dass ein fahrender eben
angekommener Krämer oder Arzt für den Zweck des Stückes
nicht nothwendig ist, da die drei Marien ihre Salbe auch von
einem Ansässigen kaufen konnten, und dass die Dingung eines
Dieners durch den Krämerarzt, zum Theil auch durch Rubin,
so wie die Entführung der Frau durch Rubin mit der Haupt-
handlung gar nicht oder nur sehr lose zusammenhängen. Aller-
dings ist die Frau durch die Schläge, welche sie von dem
Krämerarzt wegen des Handels mit den drei Marien bekommen
hat, willig sich von Rubin entführen zu lassen. Aber das ist
möglicherweise eine späte Anknüpfung; sie konnte ihre Schläge
ursprünglich auf Anlass eines anderen Geschäfts erhalten haben.
Und in der That fehlt es der weltlichen Bühne Frank-
reichs, Englands und Deutschlands nicht an Stücken, in welchen
der komische, meist marktschreierische Arzt die erste oder
doch eine wichtige Rolle spielt. S. die oben S. 55 angeführten
französischen Stücke, — the Play of the sacrament (1461),
Transactions of the philological society 1860/61, — Fastnachts-
spiele N. 6. 48. 82. 85. 98. 101. 114. 120, O. Zingerle N. 4.
00 X. Abhandlung: Heinsei.
6. 19. 21. 22. 24; R. Brandstetter, Regenz S. 8b fahrt ein
ungedrucktes Luzerner Spiel an, das er den Wunderdoctor
nennt. Oft ist dieser Arzt von seinem auch komischen Diener
begleitet.
Aber die Handlungen der Oster- und Passionsspiele, dass
der Arzt einen Diener miethet, der Zank zwischen dem Arzt
und seiner Frau, die Entführung dieser durch den Diener,
kehrt, so viel mir bekannt, nur bei O. Zingerle N. 4 wieder,
zusammen mit dem Namen Ipocras und Rubein.
Hier läge nun ein Fastnachtsspiel vor, das blos die
Arzt-Krämersccnen ohne die in dem geistlichen Drama damit
verbundenen von den drei Marien enthält. Ist dieses Spiel,
oder, da es in der gegenwärtigen Gestalt ja dem 16. Jahr-
hundert angehört, eine ältere Form derselben Quelle fiir die
betreffenden Scenen in den Oster- und Passionsspielen? Ich
glaube nicht.
Es scheint vielmehr aus der Verbindung mit einem geist-
lichen Spiel ausgelöst worden zu sein. In der Rede des Arztes
336 heisst es:
Zbar nun pin ich gar verdorben,
den leyttn ist ain froindt gestorbn,
Dy da woltn deiner salben kaufen
vnd zu im frointen laufen.
S. auch unten 352 Arczt:
Rubein , du solt pald lauffn
vnd schrey ausz7 ob iemandt woll kauffn •
Dye vill edlen salben, dy ich den hany
355 dauon ain toter mocht auf stan
Als ain, den man mit ahn scheyt
er schlecht auf ainer haydn weyt}
Vnd haisz Sy komen frolich dar;
ich wil ins geben wolfayll zbar.
Die erste Stelle gehört von 337 an vielleicht nicht dem
Arzte, sondern einem seiner Diener, der nach einer Lücke
zwischen 336 und 337 spricht.
Jedenfalls aber enthält sie eine Beziehung auf die drei
Marien, stammt also aus einem Osterspiel. S. Innsbr. Ost. H. 82b
der Krämerarzt zu Rubin:
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. Gl
ich sehe dort in eyner awen
dry schone frawen,
sjj weynen sere und clagen,
ich werte, ir here sjf sere geschlagen.
Vgl. Erl. Ost. 710, Eger. Pass. 7866 , Wien. Ost. H.
S. 318, 5, Wirth, Die Oster- und Passionsspicle 170.
Auch die ungemeine Verworrenheit des tiroüschen Stückes,
s. V. Michels Studien über die ältesten Fastnachtsspiele S. 52, l
ist der Annahme eines selbständigen Fastnachtsspiels nicht
günstig. 41 ist Treybmschalck Diener des Arztes, 63 sucht
dieser einen Diener, 135 hat er sogar schon einen Knecht
Pusterbalg, 143 aber ist Pusterbalg nicht Diener, sondern Pa-
tient des Arztes, 195 wird dieser geheilte Patient vom Arzt
als Diener angenommen, 307 aber ist er wieder der Knecht
Rubeins.
Auch der Streit zwischen dem Arzt und seiner Frau 360 ff.
ist viel weniger motivirt als in den Osterspielen und Passionen,
wo sie den Preis bemängelt, den er den drei Marien für die
Salbe macht. Sie ist allerdings 324 mit Rubein durchgegangen
aber als sie 360 wieder erscheint, ist davon gar nicht mehr
die Rede und er schlägt sie, weil sie sich ganz im Allgemeinen
über seine Geschäftsführung geringschätzig ausgesprochen hat.
Zudem wären wir bei der Annahme eines Spiels wie
Zingerle N. 4 als Grundlage der Krämerarztepisode in den
Oster- und Passionsspielen genöthigt, die Entstehung des deut-
schen Fastnachtsspiels ins 13. Jahrhundert zu verlegen, vor
Ben. Pass., 8. oben S. 58, worauf sonst nichts führt. Denn die
Thymelici, welche nach Canon 83 des Achener Concils von 816
spectacula in scenis und in nuptiis, wahrscheinlich unanständige
Possen, aufführten, da die Geistlichen sie nicht anhören sollen,
vgl. die Warnung AIcuins, Rachd Schulkomödie S. 6, das Frauen-
turnier von Tolenstein, das Wolfram als Fastnachtsbelustigung
erwähnt, Parz. VIII 409. 8, so wie andere Fastnachtsscherze,
über die V. Michels Studien S. 94 handelt, brauchen in keinem
Zusammenhang mit dem Fastnachtsspiel des 15. Jahrhunderts
1 Diese Schrift ist mir erst zugekommen, als mein Mannscript bereits der
Druckerei übergeben war.
t
62 X. Abhandlung: HeinseL
zu stehen. Ein solcher ist vielmehr bei dem Mangel an Binde-
gliedern sehr unwahrscheinlich.
Auch F. Vogt, in PauPs Grundriss II, 1, S. 397 nimmt im
Allgemeinen an, dass die Fastnachtsspieldichter komische Scenen
aus den geistlichen Spielen herübergenommen haben, ebenso
V. Michels a. a. O. S. 52.
Was die Tiroler Spiele anbelangt, so scheint auch N. 6
Doctor Knoflach aus einem Gerichtsspiel zu einem Medicus-
spiel gemacht worden zu sein. Denn wie kommt ein Arzt
dazu eine Ehe zu scheiden?
Ebenso wenig liesse sich ein Zusammenhang zwischen der
komischen Scene von dem Blinden des Evangeliums und seinem
Diener Alsf. Pass. 1430 und dem französischen Dialog des
13. Jahrhunderts, in welchem ein Blinder von einem Diener
betrogen wird, nachweisen; s. Creizenach I 397. 267.
Immerhin aber geht aus dem Obigen hervor, dass sich in
Deutschland schon im 14. Jahrhundert, s. Frankf. Pass. Dir.,
Innsbr. Ost. H., eine komische Scene, wenn auch innerhalb des
geistlichen Schauspiels ausgebildet hatte, mit festen Charakteren
und den Namen Ipocras und Rubin. Ipocras heisst auch ein
Weiser ohne komischen Anstrich im Spiel von der heil. Ka-
tharina S. 164, Rubin wird der Diener des Arztes auch bei
Zingerle N. 21, V. 201 genannt, der Arzt selbst Fastnachts-
spiele N. 66; ebenso eine lustige Person in einem Schwerttanz-
spiel, Zeitschrift für Völkerpsychologie XIX, S. 204, V. 77. 104 ff.
148 (Ruwey) , in einem andern Schwerttanzspiel Zs. XXXIV,
S. 199 (Robent), ein Narr in der Comödie Die Narrenschule,
wie Weinhold, Gosches Jahrbuch I 39 anführt, nebst vielen an-
dern Narrennamen in demselben Stücke, ein Jude Wien. Ost
H. S. 300, 18, ein Jude Alsf. Pass. 3160 (Rupia)* ein Teufel
in Mauritius' Comoedia vom Schulwesen 1606 JRuffin), ein
Bauernknecht Fastnachtsspiele N. 55 (Rubling). Bekannt ist
der Waltherianer Rubin. Wolf. Ost. 47 ist die Form Robin,
was wohl das ursprüngliche, d. i. die französische Gestalt des
Namens sein wird. Auch kommt in einer Farce bei Leroux
de Lincy Band III ein Badin Robmet vor, ein dummer Diener,
1 S. den Juden Rewfin im Ludus Coventriae S. 262.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 63
den seine verwittwete Herrin heirathet, ein Diener Robinet,
Miracles de Nostre Dame N. XVI 712.
Wenn im Innsb. Ost. H. 481 Ipocras zu Rubin, der sich
eben genannt hat, sagt: Du sprichz gar an argen wan, ez ist
gar eyn stolczer nam9 und Rubin empfindlich antwortet: Here,
der nam ist nicht alleyn myn9 ir moget selbir eyn schalle sin,
so sieht man, dass schon im 14. Jahrhundert der Name Rubin
einen verächtlichen Sinn bekommen hatte. Ebenso wird fran-
zösisch ein Mensch geringer Herkunft, ein Bauer Bobin ge-
nannt, Petit de Julleville I, S. 235; s. Robin und Marion von
Adam de la Halle, 13. Jahrhundert, und Robin, den Natur-
burschen in den Pastourelen.
Im älteren deutschen Theater heisst die lustige Person
öfters ,Rüpel, RiepeK Aus dem 16. Jahrhundert zwar, wohin
ihn J. Grimm, Mythologie I4, S. 417 und Wackernagel, Ger-
mania V, S. 353 versetzen, vermag ich kein Beispiel anzu-
führen. Aber aus dem 17. Jahrhundert weist mir ihn A. v.
Weilen nach in dem deutschen Interludium des Wiener lateini-
schen Jesuitendramas Septennium Romano-Imperatorium 1665
(Handschrift der Wiener Hofbibliothek N. 13225), ferner in
Stranitsky's Haupt- und Staatsactionen, abgesehen von den
Erwähnungen in andern Schriften. Bolte kennt ihn aus einem
Salzburger Stück von 1749. S. Rüpel im DWB. und Devrient,
Geschichte der deutschen Schauspielkunst I, S. 137. 314. 329.
Wenn der erwähnte französische Badin nur zufällig ein-
mal Robinet heisst, so ist der Name Rubin, Robin für die
lustige Person in den Spielen des 14. Jahrhunderts vielleicht
in Deutschland aufgekommen. Die französische Form desselben
könnte sich erklären wie Ritschart im Biterolf, duc Loys für
den Baiernherzog in Albrechts Titurel, San Marte Parcival H,
S. 283, der Prior Loi, Fastnachtsspiel N. 22, S. 202, 7 und wie
die gegenwärtigen Jean und Louis.
Aber auch in England, wo der Name Robin seit dem
Sohne Wilhelm I. eingebürgert ist, s. Skeat Etymological
Dictionary, Ludus Coventriae S. 131 Robin Rede unter vielen
sehr bürgerlichen Namen, begegnet ein Robin, nämlich Robin
Hood, oder eine Mischung des berühmten Outlaw mit dem
Kobold Robin good fellow, als dramatische Person in den Mai-
spielen, allerdings erst in Zeugnissen des 16. Jahrhunderts.
64 X. Abhandlung: Hein sei.
S. Child English and scottish ballads V, S. 420 ff., Einleitung
S. XXVII. XXXVI, A. Kuhn, Zs. V, S. 481, Creizenach L
S. 455.
Da die Kobolde, wie J. Grimm, Mythologie* S. 416 Anm.
bemerkt, eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem witzigen
Hofnarren zeigen, zu den Zeugnissen bei A. Schultz, Höfisches
Leben I2 S. 207, s. auch Wolfram Parz. V 229, 4, und weiter
mit der lustigen Person des Dramas, die ja mit dem Hofnarren
die Kleidung, Weinhold über das Komische, Gosches Jahrbuch I
S. 39, Petit de Julleville III, S. 146, und den Namen fou ,Narr*
gemein hatte, Petit de Julleville I, S. 267, II, S. 482. 490, seit
es in Frankreich eine eigene lustige Person im Drama gab,
d. i. seit der Mitte des 15. Jahrhunderts — in Deutschland,
Rubin ausgenommen, nicht vor dem 16. Jahrhundert,— so wurde
man in letzter Linie auf den Knecht Ruprecht geführt ; J. Grimm,
Mythologie4, S. 417. 425. 782, zu dessen Namen Robin und
Rüpel als Deminutivbildungen gehörten.
Rubin ist sonach der ältere Name für diejenige Person
des deutschen Lustspiels, die man bei den englischen Comö-
dianten Pikelhäring, auch Bicklingshering nannte. Dass dieser
Name ganz deutschen Ursprungs sei, wie Creizenach Die eng-
lischen Comödianten S. XCIV annimmt, glaube ich nicht, trotz-
dem Pickelherinc für den Fisch als Speise mnd. bezeugt ist,
s. Schiller und Lübben WB., — weil er bei diesen fremden
Truppen zuerst erscheint, noch früher ein ähnlicher ,Stockfisch*
für den Schauspieler Spencer, und weil, wie Creizenach da-
selbst anführt, Veselovskij auf vlämische Holzschnitte des
15. Jahrhunderts verwiesen hat, die einen Narren darstellen
mit einem Häring — als Mahnung an die Fastenzeit — über
der Narrenkappe; s. J. Schwering, zur Geschichte des nieder-
ländischen und spanischen Dramas in Deutschland, S. 94.
Die ältesten Zeugnisse für die Beziehung des Narren, fou,
der doch mit der lustigen Person des Dramas so grosse Aehn-
lichkeit hat, zu Fischen, stammen aus der französischen Litte-
ratur des 13. Jahrhunderts. So in Tristan als Narr, Hs. Douce,
Tristan ed. F. Michel II, S. 103. Tristan sagt von sich:
Ma mere fu une baieine,
En mer hantat cume sereine
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 65
S.Bartsch: Romanzen und Pastourelen, Romanzen N. 28, wo
ein Mädchen in phantastischem Aufzug singt:
Le rosignox est mon pere,
qui chante sor la ramee
el plus haut boscage,
la seraine ele est ma mere,
qui chante en la mer salee
el plus haut rivage.
Tristan als Narr, Hs. von Bern, Michel I, S. 222:
Fox7 con as nonf G'e non Picous.
Qui t'engendrat Uns valerox.
De qui t'ot-ilf D'une balaine.
Wie Creizenach S. XCV nachweist, sagt Pickelhäring im Ulmer
Puppenspiel von Dr. Faust, sein Vater heisse Stockfisch, seine
Mutter Blatteisz; eben dasselbe Simplicissimus als Narr.
Man mag vermuthen, dass auch Pikel- von Pikelhäring in
dem Namen Picous des Tristangedichtes bewahrt ist, da Picous
ein Picols voraussetzt. Pecol} picoul, picouil heisst nach Gode-
froy unter anderem ,manche de faux', ,un baston ferro', picolet
,petit crampon', — könnte sich also auf die Pritsche des Narren
beziehen, die macue, wie sie in Tristan als Narr Hs. Bern,
Michel I, S. 221 genannt wird, — der cholbe in einem deutschen
Gedicht des 12. Jahrhunderts, Zeitschr. XX, S. 348. Aber es
gibt auch andere Möglichkeiten. Puck ist als Kobold in Eng-
land seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen, s. Skeat, Etymo-
logical Dictionary. In der französischen Farce Maitre Ham-
brelin (a. 1537), Petit de Julleville V, S. 275, gibt sich der
Titelheld, der Diener des maitre Aliborum, für den Vetter
Pacolets aus, eines bekannten Kobolds, J. Grimm, Mythologie III,
S. 137. 313. Auch der Teufel Puck im Redentiner Oster-
spiel 1312. 1454 hat eine komische Rolle. Doch könnte hier
wieder die Namensform Beelczebuck, Belczbugk, Belczebüg,
Cass. Weihn. 760, Alsf. Pass. 380, Zehn Jungfr. S. 25 in Be-
tracht kommen. Die Verwendung der Namen Puck, Pouke
fiir den Teufel, als helle pouke oder pouke allein ist seit dem
14. Jahrhundert zu belegen, Skeat, Zu Langlands Vision of
William XVI 164.
SitzimgBber. d. phil.-hirt. Cl. CXXUV. Bd. 10. Abh 5
66 X. Abhandlung: Heins« L
Ueber andere Beziehungen zwischen dem geistlichen Drama
und dem weltlichen, dem Fastnachtsspiel, s. Wirth, Oster- und
Passionsspiele S. 170. 173. 179. 214. Dazu kommen die Fast-
nachtsspiele N. 56. 57. 111, in denen der Teufel eine ähnlich
wichtige Rolle spielt wie in vielen geistlichen Dramen, dann
die ernsten Fastnachtsspiele, welche zum Theil dieselben Stoffe
behandeln wie die geistlichen Spiele, Wackernagel, Literatur-
geschichte II8, S. 110, die Antichristspiele N. 1. 20. 68, s. das
Tegernseer Spiel und Creizenach I, S. 232, — Salomon und
die zwei Mütter, Fastnachtsspiele N. 60, Schnorr's Archiv III,
N. III, s. Eger. Pass. 1069, Wolf. Sund. 2386, — Susanna, Fast-
nachtsspiele N. 111, — und die vielleicht als Fastnachtsspiele
gemeinten Spiele von Jutta, vom heil. Kreuz, vom heil. Georg
N. 125. 126. 129.
VI. Beziehungen zwischen dem altfranzösischen
und altdeutschen Drama.
Der Einfluss des französischen Dramas geistlich-liturgischer
Art auf das deutsche scheint sehr gering gewesen zu sein. Ist
es doch im 13. 14. Jahrhundert entschieden weniger entwickelt
als dieses. Wo sich Uebereinstimmungen zeigen, sind auch
andere Erklärungen möglich als Entlehnung von Seiten der
deutschen Dramendichter aus dem Französischen. Was Mone,
Schauspiele des Mittelalters II, S. 27. 164. 234 anfuhrt, beweist
wenig. Der Teufel Tutevillus im Red. Ost. H., M. Magd, und sonst,
Creizenach I, S. 203, Schröder, Redentiner Osterspiel S. 16 f.,
bei Wackerneil S. 99 Titinil, kommt allerdings auch in fran-
zösischen Mysterien vor, und zwar in derselben Function als
Störer der kirchlichen Andacht, als Sammler und Aufzeichner
der bei der Liturgie entfallenen Worte, — s. die Vorwürfe
eines Geistlichen an einen anderen im Mystcre de S. Gene-
vieve bei Jubinal I, S. 255, — als notaire des enfers, Petit
de Julleville II, S. 471. 530, mit der Namensform Jithinilus,
— aber auch in England als Tutivillus, Titivillus; Tutivillus
in den Towneley Mysteries S. 309: I was your (der Teufel)
chefe tollare And 8Ühen conti rollar, S. 311 Fragmina verborum
lutivillus roll ig it horum, Belzabub algorum (1. aliorum), Be-
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 67
lial bellum doliorum (?). S. Wackernagel, Geschichte der deut-
schen Litteratur I2, S. 466. S. 312 eignet er sich u. A. die
kyrkchaterars zu. Pollard, Miracle Plays führt S. XLIX Titi-
villus aus der Moralität Mankind an. Aber der Name ist dunkel.
Lautlich klingt an das im Lateinischen einmal bezeugte
titimlles ^Kleinigkeiten', Richtigkeiten', das zu dem auch sel-
tenen titivillitium derselben Bedeutung gehört. In dieser kann
man einen Bezug auf das Amt des Teufels sehen, der es ja
in der That meist mit lässlichen Sünden zu thun hat.
Die Namensbildung stimmt allerdings nicht zu der sonst
bei lateinisch-griechischen Teufelnamen angewendeten. In der
langen Liste bei Weinhold in Gosche's Jahrbuch für Literatur-
geschichte I, S. 18, wozu nun Wackerneil S. 99. 147 ff., Wacker-
nagel, Geschichte der deutschen Litteratur II2 111, Brandstetter,
Regenz S. 26 * Zeitschr. f. d. Phil. XVII, S. 348 käme,
finde ich nur Asotus, Cacodemon, Charon, Cupido, Demon,
Mendax, Pluto, Satyr und lateinische Namen für Laster, Ava-
ritia. Luxuria u. s. w. Aber manche sind allerdings auch
dunkel.
Ob der Name und die Vorstellung von der Function
dieses Teufels ausserhalb des Dramas1 deutsch oder französisch
sei, lässt sich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, obwohl die
bis jetzt beigebrachten Zeugnisse auf Frankreich weisen, Jacob
von Vitry, 13. Jahrhundert, der einen Teufel mit der genannten
Function kennt, und Petrus de Palude,8 ein Burgunder oder
Franzose aus dem 14. Jahrhundert, der auch den Namen
dazu hat.
Wenn in französischen und deutschen Dramen Knechte
und sonst Personen niederer Lebensstellung mit herren, ritter
angeredet werden, seigneur, chevalier, Jubinal II, S. 204. 282.
329, Petit de Julleville I, S. 102, schon im 13. Jahrhundert, so
kann das in Frankreich wie in Deutschland zu Gunsten der
1 S. Millstädter Sündenklage (12. Jahrhundert) Zeitschr. XX, S. 265, 330 der
leidige hellewarte, der hat gebruofet harte mlne manige missetdt. Lud/er
•i gescriben hat und wil die briefe bringen ze dinem tagedinge. Hier wäre
Anlass gewesen, wenn auch keine Nüthigung, einen andern Teufel als
Lucifer zu erwähnen.
* Nach Grässe, Litterärge schichte II, 2, 8. 302 war Petrus Paludanus Do-
minikaner und Patriarch von Jerosalom; er stirbt l."U*2.
5*
68 X. Abhandlung: Heinsei.
Schauspieler geschehen sein, die allerdings weder in Frankreich
noch in Deutschland dem Herrenstande angehörten , s. oben
S. 19ff., aber nicht gerne als wirkliche Knechte erscheinen wollten:
was die Grab Wächter anbetrifft, so mag die Auffassung von
milites in Frankreich wie in Deutschland geschwankt haben.
Matthaeus c. 27. 28 ist allerdings nur von custodes die Rede,
aber die Auffassung derselben als bewaffneter Krieger ist sehr
alt. Auch das Publicum wird zuweilen mit herren angesprochen,
was es doch nur zum geringsten Theile war, Wien. Pass. 2,
Sterz. M. Lichtm. S. 113.
Was in S. Dummois statt Thomas im Mastrichter Passions-
spiel 1112 französisch sein soll, Mone II, S. 234, ist nicht zu
begreifen.
Auch dass abgesehen von den liturgischen Stoffen die
geistlichen Dramen Deutschlands und Frankreichs oft dieselbe
Auswahl aus der christliche.! Ueberlieferung zeigen wie die
französischen wird eher auf allgemeinen Culturverhältnissen als
auf Nachahmung beruhen. S. das provenzalische Spiel von den
klugen und thörichten Jungfrauen, Gr. Paris, Litterature firan-
9aise S. 237, deutsch im thüringischen Spiel ed. Bechstein, der
Gang nach Emaus, Petit de Julleville II, S. 177, deutsch:
Wackerneil S. 88, der Tod und die Himmelfahrt Marias, Petit
de Julleville II, S. 175. 176, deutsch: Innsbr. M. Himm., die
Bekehrung Magdalenas, Petit de Julleville II, S. 176, s. das
Weltleben Magdalenas, Petit de Julleville V, S. 77, deutsch:
M. Magd., die Rache des Herrn, d. i. die Eroberung Jerusa-
lems, Petit de Julleville H, S. 175, deutsch: Zeitschr. XXXVIH,
S. 222, vgl. den Schluss von Innsbr. M. Himm., die Auffindung
des heil. Kreuzes, Petit de Julleville H, S. 177, deutsch: Fast-
nachtsspiele N. 125, 4&s jüngste Gericht, Petit de Julleville H,
S. 178, deutsch: Rhein, j. Tag, S. Nicolaus, der Patron der
Schüler, von Jean Bodel, 13. Jahrhundert, in Deutschland: der
lateinische S. Nicolaus aus Einsiedeln, 12. Jahrhundert, Katha-
rina, die Patronin der Schüler, Petit de Julleville II, S. 177,
IH, S. 5, deutsch: Kath., im 16. Jahrhundert das Luzerner
Katharinenspiel, Zeitschr. f. d. Phil. XVIH, S. 47, der heil.
Georg, Petit de Julleville H, S. 179, deutsch: Fastnachtsspiele
N. 126, Theophilus von Rutebuef, 13. Jahrhundert, deutsch:
Theoph. Heimst. Stockh. Trier.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 69
Einzelheiten. Predigten vor, in, nach dem Stück durch
einen Geistlichen, Petit de Julleville I, S. 124. 140, deutsch:
Alsf. Pass. 1138, Theoph. Heimst. Stockh. und sonst. Creize-
nach hebt I, S. 152. 234 hervor, dass der deutsche Theophilus
den französischen Marienmirakeln, wo diese Predigten ständig
sind, dadurch ähnlich ist, dass hier wie dort ein Umschwung in
der Gesinnung des Helden, also der wichtigste dramatische
Vorgang, durch diese Predigt bewirkt werde; Miracles de
Nostre Dame N. XVI 98, XVIII 282. S. dazu den Juden Bonen-
fant, Theoph. Trier. 464. Eine Bischofswahl, Petit de Julleville I,
S. 134, H, S. 234, deutsch: Theoph. Stockh. Trier. — Die halb
musikalische, opernmässige Form, weiche in den französischen,
lateinischen und deutschen Texten viele wörtliche Wieder-
holungen hat, — im Deutschen jedoch nicht in der Form des
Rondeau wie französisch.
Ueber die Aehnlichkeit des lateinischen geistlichen Dramas
der Franzosen und Deutschen im 11. 12. Jahrhundert s. E.
Schröder, Zeitschr. XXXVI, S. 239. S. Singer hat im Sonntags-
blatt des Schweizer Bundes 1895, S. 256a (Euphorion II, S. 396)
auf bemerkenswerthe Aehnlichkeiten der V. Voith'schen Esther
(1537) mit dem Mystere du viel testament hingewiesen.
Aber die Uebereinstimmungen des deutschen mit dem
englischen Drama sind keineswegs geringer.
Wichtiger scheinen mir die Aehnlichkeiten in den welt-
lichen Spielen Frankreichs und Deutschlands schon wegen des
beträchtlich höheren Alters der französischen. Klar ist die Ab-
hängigkeit eines 1592 aufgeführten Luzerner Fastnachtsspieles
von einem französischen aus dem Jahre 1507, Holthausen, Ger-
mania XXXI, S. 110. — Bekannt aber nicht klar ist die Be-
ziehung zwischen Reuchlin's Henno 1498 und der Farce von
Maltre Pathelin, die 1474 zuerst gedruckt wurde, aber schon
1470 bekannt war Petit de Julleville V, S. 191. H. Sachs'
Fastnachtsspiel N. 87, und das Luzerner Neujahrsspiel von 1560,
Fastnachtsspiele N. 107, beruhen auf Henno.
Noch nicht verzeichnet scheint zu sein, dass die deutschen
Fastnachtsspiele mit dem Stoff von Manuelas Elsli Trag den
Knaben (1530) ed. Bächtold, oder Fastnachtsspiele N. 110, dazu
die ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Fastnachtsspiele N.
70 X- Abhandlung: Heimel.
115. 130, O. Zingerle, N. 1 und 8, über die zuletzt Reuling, Die
komische Figur S. 33, und V. Michels, Studien über die ältesten
deutschen Fastnachtsspiele S. 67. 73, gehandelt haben, in einer
Farce bei Leroux de Lincy's Band I seine Entsprechung bat, und
zwar stimmt die französische Farce am nächsten zu Manuel, weil
in diesen beiden Stücken die Wahrheit, dass der Geklagte die
Klägerin unter dem Versprechen der Ehe verführt habe, durch
die Aussage eines männlichen Zeugen an den Tag kommt,
Fastnachtsspiele S. 875, 11, bei Bächtold 442, während in den
anderen deutschen Spielen eine Zeugin erscheint und der Ge-
klagte durch eine unbedachte Aeusserung im Streit mit dieser
überführt wird, Fastnachfcspiele S. 998, 16, Nachlese S. 253, 15,
O. Zingerle N. 1 V. 228, N. 8 V.417. Wann die französische
Farce entstanden ist, wissen wir allerdings nicht. Leroux de
Lincy sagt I, S. 6: von 1500 bis 1550. Aber jünger als die
Form des französischen ist jedenfalls das Stück Manuel's wegen
der viel reicheren Ausführung und der Steigerung, welche in
der Heirat des Vaters der Beklagten mit der Mutter der
Klägerin liegt.
Auf den Namen Official, den der Richter in den fran-
zösischen und deutschen Stücken trägt, lege ich kein Gewicht.
Er erscheint auch in den Fastnachtsspielen N. 42. 102, bei
O. Zingerle N. 5, ebenso französisch in der Farce des veaulx,
Leroux de Lincy Band II, Petit de Julleville I, S. 314. S.
Du Cange, Nitzsch, Deutsche Geschichte III 17, Hegel, Chro-
niken, XIV, S. 50, 3; sogar in Island begegnet der Titel, Arkiv
för nordisk filologi XII, S. 50.
Weiter ab steht eine Farce in Band II der Lcroux'schen
Sammlung, Jehan de Lagny, über den drei verführte Mädchen
mit dem Advocaten vor dem Richter klagen, der Jehan frei-
spricht, — und M. Steindorfer's Komödie von 1540; s. J. Bolte,
Zeitschr. XXXVI, S. 364.
Die französischen und deutschen Stücke, welche sonst
Novellenstoffe behandeln, haben nur diese allgemeine Achnlich-
keit, zu der Deutschland die Anregung wohl nicht von Frank-
reich bekommen hat. S. die ausgeführte Scene von Magdalena,
procvä und vetula im Erlauer M. Magd.
Ich verweise noch aaf einige den französischen wie
deutschen Spielen gemeinsamen Stoffe. Processscenen, Petit de
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 71
Julleville V, S. 25. 27. (14. Jahrhundert) 47. 134. 149. 150. 191.
234. 261; Fastnachtsspiele N. 8. 10. 18. 24. 27. 29. 34. 40.
42. 51. 52. 54. 61. 69. 72. 73. 78. 87. 88. 97. 102. 104. 108.
110. 112. 115. 123. 130.
Streit zwischen Mann und Frau, Petit de Julleville V,
S. 118. 130. 147. 149. 167. 232, zwei verschiedene Stücke,
S. 233, 8. auch S. 186; Fastnachtsspiele N. 3. 4. 5. 31. 56.
61. 114. S. im 16. Jahrhundert Hans Sachs u. a.
Klagen der Frau bei Gericht über geschlechtliche Un-
tüchtigkeit des Mannes, Petit de Julleville V, S. 134: Fastnachts-
spiele N. 27. 40. 42. 104; — Petit de Julleville V, S. 186 klagt
die Frau bei ihren Eltern.
Die bösen Frauen im Wirthshaus, Petit de Julleville V,
S. 116; Fastnachtsspiele N. 56; s. W. Spangenberg, Mammons
Sold (1613) III. IV. V. Act, Michels Studien S. 33, Bödier,
Les Fabliaux S. 310.
Der junge Ehemann, der auffallend früh Vater wird,
Petit de Julleville V, S. 152, Mittelniederländische Sotternie III,
S. 242.
Markt-, Strassenscenen, Petit de Julleville V, S. 109. 155.
161; Fastnachtsspiele N. 23. 35. 49. 50. 105. 113.
Der Bauernsohn, der Geistlicher werden will oder soll,
Petit de Julleville V, S. 173. 257 (1488); O. Zingerle N. 25.
Das Einsalzen der Frauen, Petit de Julleville V, S. 149
Ehemänner lassen ihre zu süssen Frauen salzen; Fastnachts-
spiele N. 91, s. N. 66. 77, die Jungfrauen, welche im Carneval
nicht geheiratet haben, sollen eingesalzen werden.
Die personificirte Fastnacht, Petit de Julleville V, S. 43.
243; Fastnachtsspiele N. 72. 73. Auch in niederländischen
Schauspielen des 15. Jahrhunderts, Schwering, Zur Geschichte
des niederländischen und spanischen Dramas in Deutschland
S. 94, Vasten und Vastenavont.
Kirchliche Schäden als Krankheit, Petit de Julleville V,
S. 79 (1530), 92 (1561); Manuel's Krankheit der Messe (1528).
Der Ablasskrämer, Petit de Julleville V, S. 189; Manuel
(1525).
Klagen über eine ansteckende Krankheit, la toux, Tana-
wächtel, Petit de Julleville V, S. 161 (unter Karl XL, d. i.
1380—1422, und 1557); Fastnachtsspiele N. 54 (nach 1410).
72 *• Abhandlung: Heinxel.
Ueber die Aerztespiele s. oben S. 55 ff.
So findet sich auch zwischen den allegorischen und ge-
lehrten Kampfgesprächen Frankreichs und Deutschlands manches
Uebereinstimmende.
Aach die Verbindung von Rede mit Gesang besonders
am Ende des Stückes als Abschied vom Publicum ist fran-
zösisch und deutsch, z. B. Leroux de Lincy I. III, Fastnachts-
spiele N. 111 und sehr oft.
VII. Ueber das Mantellied Magdalenens.
Ein Maria Magdalena in den Mund gelegtes Lied zeigt
Verwandtschaft mit der Dorfpoesie. Wien. Pass. 311:
Ich liez minen mantel in der auwe,
do begonde wagen min vrowe,
wo ich gewesen wer et waz wolt sie mint
8ol ich mines libes nicht gewaltig sint
M. Magd. 330:
Ja liesz ich meinen mandel in der aue,
Do wegund mich fragen meine fraue,
wo ich gewesen wäre;
des däucht ich mich so spähe;
was wil si mein, was wil si mein?
335 sol ich meines leibe» nicht gewaltig sein?
Nach der Antwort der Teufel, ja, sie solle über ihren Leib
verfügen :
343 In frduden wil ich immer leben
nach der jungen lere,
345 mein herze m&s in frduden sweben
heut und immer mere.
zürnet dann di muter mein,
das mag sein, was wil si meint
sol ich meines leibes nicht gewaltig sein?
Alsf. Pass. 1796; s. Friedb. Pass. S. 547:
Ich breitte minen mantel in die awe,
du begunde mich zu vragen min frawe,
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 73
wo ich so lange were gewestf
was wolde sie desf
sol ich mines jungen libes nicht gewaldigk sin?
Am ursprünglichsten scheint die Fassung im Wien. Pass.,
am verderbtesten im Alsf. Pass. — Obwohl die zweite Strophe
in M. Magd, ein anderes Metrum zeigt, also vielleicht von
Hause aus keinen Zusammenhang mit der ersten hat, so ist
doch gewiss meine frawe in dieser und in Wien. Pass., Alsf.
Pass. dieselbe Person, welche in der zweiten Strophe als Mutter
des redenden Mädchens bezeichnet wird. S. Wigalois 8810
min frouwe gleich ,meine Mutter' in der dritten Person, wie
Martin zur Gudrun 680 bemerkt hat. Zu den dort angeführten
Stellen kann man noch hinzufügen Neidhart S. 45, 35, wo das
Mädchen seine Mutter mit vrouwe anspricht, und wohl auch
S. 46, 24.1
Also Erzählung von einem Gespräch zwischen Mutter
und Tochter über deren Entjungferung, welches Gespräch Neid-
hart S. 17, 24 selbst Gegenstand des Gedichtes ist.8
Das Mädchen gibt in beiden Fällen zu, verführt worden
zu sein: dadurch tritt das Mantellied und das Neidhartische
Gedicht in die Gruppe der Mädchenbeichten. S. Carmina bu-
rana N. 125, a:
Eine wunnerliche stat
het er mir beschaiden;
da diu blumen und das gras
stunden grüne baide.
dar chom ih, als er mich pat:
da geschach mir leide.
Lodircundeie, lodircundeie.
Das deutsch-lateinische N. 146 Ich war ein chint so wol-
getan — mit dem sehr derb ausgeführten Stelldichein unter
der Linde. •
Walther S. 39. 11 Under der linden — . S. die Nach-
ahmungen Hadloups ed. Ettmüller N. XXXII. XXXVIII.
1 S. Bartsch, Romanzen und Pastourelen; Romanzen N. 2 nennt der
Dichter die Mutter der Heldin sa dorne, und dorne wird sie auch von
der Tochter angesprochen.
■ Bartsch, Romanzen N. 2.
74 X. Abhandlung: Ho in sei.
Bei Reimar S. 200, 25, in einem Lied, das Walther wohl
zu 31), 11 benutzt hat, ist die Beichte nur hypothetisch.
swes er phlaege,
swenne er bi mir laege,
mit so fr'ömden sacken
könder wol gemachen,
daz ich sxner sekimpke müese lachen.
In einem von Haupt-Lachmann nicht anerkannten Veldeke-
sclien Lied ein Wunsch; MSF4 S. 262 in den Anmerkungen.
Min liep mac mich zuo der linden bringen,
den ick nähe mines herzen brüst teil twingen.
er sol tou von bluomen swingen:
ich wil um ein niuwez krenzel mit im ringen.
Ich weiz wol, daz er mir niemer des entwenket tl s. w.
von uns beiden wirt bluomen vil verrenket.
Mit Ausnahme des Reimarischen und Veldeke'schen Ge-
dichtes geben sich alle als zur Dorfpoesie gehörig zu erkennen
dadurch, dass die Heldinnen Mädchen, keine verheirateten Frauen
sind, durch den Ton, die Keckheit oder Naivität der Heldin,
auch durch die Vorstellung von Liebesgenuss im Freien in der
Au, die besser zur niederen als zur hohen Minne passt.1
Auch Neidhardt S. 17, 24 ist so zu verstehen. Denn wo
sollte ein Ritter und ein Bauernmädchen sonst zusammen-
kommen? Höchstens auf der Flachsdarre, auf dem Heuboden;
s. Neidhart S. 47, 2 und Anm.
In Walther's Gedicht weist auch db wart ich emphangen
here frouwe darauf. Sie ist es also nicht. Here frouwe hat
mir zwar Singer in Bezug auf die heil. Jungfrau nachgewiesen
in Ulrichs Rennewart, Wiener Hs. 2670 fo. 291 d kere frouwe,
nu wis gemant, aber nur als Anrufung, nicht als Ausruf. Ebenso-
wenig als auf die heil. Jungfrau kann sich kere frouwe auf
die Mutter des Mädchens beziehen, wenn auch eine Tochter
ihre Mutter so anreden kann, s. oben S. 72, und Neidhart
S. 4, 26 liebiu muoter kere. Es ist unglaublich, dass ein
1 Im Französischen allerdings begegnen anch Schäferstanden von Bitter
und verheirateter Frau im Walde, auf der Wiese; Bartsch, Romanzen
N. 28(?). 36.47.49.63. 69.
Abhandlungen zam altdeutschen Drain». 75
Dichter das Mädchen ihrer Mutter in dieser Form Beichte
ablegen Hesse. — Der ehrenvolle Empfang besteht in der Zu-
richtung des Blumenbeetes.1
In dieser Sphäre bewegen sich auch die Berichte des
Mannes, Carmina burana N. 57 sub tilia, Walther S. 75, 17
in dem Gedicht Nemt, frowe, disen kränz , — Die bluomen
vielen ie von dem boume bi uns nider an daz gras, ein Traum-
bild, Neidhart S. XLVI, 3, der Dichter ist Zeuge einer Schäfer-
stunde zwischen einem Kitter und einem Bauernmädchen im
Wald. Für das Romanische s. G. Schsefer, Studien über das
Taglied S. 16. 60. 70.
Das Dietmar'sche Tagelied S. 39, 18 wird wohl nicht
hierher gehören trotz des Vögleins, ein vogellin so wol getan,
daz ist der linden an daz zwi gegdn, und der Anrede des
Ritters an die Geliebte mit Teint. Der Dichter nennt sie frouwe,
sie wird also wohl eine Dame und eine verheiratete Frau sein,
und das Paar hat nicht nur Liebe genossen, sondern die ganze
Nacht zusammen verbracht. Auch de Gruyter, Das deutsche
Taglied S. 93 und G. Schlaeger, Studien über das Tagelied
S. 19, die das Local im Freien annehmen, kennen kein anderes
Beispiel dafür in der deutschen Kunstpoesie. Wenn die Ge-
liebte sagt wan wecket uns leider schiere, so braucht sie damit
nicht das im Folgenden erwähnte Vöglein zu meinen, das in dem
von de Gruyter S. 5. 78. 106. besprochenen Volkslied bei einem
im Freien lagernden Liebespaar nur als späterer Zusatz vor-
kommt. Wie das wan hier Gegensatzpartikel sein soll, Paul, Bei-
träge II, S. 466 Anm., verstehe ich nicht: die Wortstellung wäre
unerhört. Die Dame des Dietmar'schen Liedes wird durch das
Fenster gesehen haben, dass die Vögel auf den Bäumen sich
regen, ihre Nester verlassen und erwartet nun bald den Ruf
des Wächters zu hören. S. Guiraut de Borneil, Bartsch, Chresto-
mathie provenyale8 S. 99, die Liebenden sind im Zimmer; aber
der wachende Freund verweist auf die Vögel, die schon singen ;
G. Schlaeger, Studien über das Tagelied S. 38.
Auch wenn die Situation im Freien gedacht ist, etwa in einem
Garten, wie in der provenzalischen Alba, Mahn, Gedichte der
1 S. Canticum canticorum Cap. I 15 Lectidus noster floridus, H 5 Futcite
me florifms, stipate me matis und G. Schäfer, Stadien über das Tagelied
S. 11.30.
76 X. Abhandlung: HeiozeL
Troubadours N. 132, Bartsch, Chrestomathie proven9ale3 S. 99,
kann das Gedicht der hohen Minne angehören. Nur ist dann in
Deutschland wahrscheinlich das Schlafen im Freien literarische
Tradition wie der April statt des Mai bei Heinrich von Vel-
deke. S. Scherer, Deutsche Studien8 S. 107. Doch ist der
Fall, dass Liebende die ganze Nacht im Freien bei einander
geschlafen haben sollen, auch in romanischer Literatur selten.
Bei Bartsch, Romanzen N. 31, ist es ein Mädchen, welches
die ganze Nacht im Wald bei ihrem Geliebten verbracht hat.
Auch zeigt Walthers Gedicht die Wirkung poetischer
Tradition. Dass ein Dichter es sich als Vorwurf wählt, die
Beichte des Mädchens an ihre Mutter zu schildern, oder das
Mädchen von dieser Beichte an die Mutter — Mantellied —
oder von dem Stelldichein selbst im Monolog berichten oder
vielmehr diese Vorgänge in ihrer Erinnerung wieder aufleben
zu lassen^in Form eines Monologes, der ja wie in der Epik1
nur ihre Gedanken ausdrückt, nicht eine wirklich gesprochene
oder gesungene Rede darstellt, begreift sich. Nicht aber ohne
vorhergehende litterarische Tradition, dass ein Dichter die
Heldin eine Ansprache an das Publicum über das genannte
Thema, die Verführung, halten lässt Dd mugent ir vinden, —
seht wie rot mir ist der munt, vielleicht auch kuster mich?,
und ihr am Schluss doch die Hoffnung in den Mund legt, die
Sache werde wohl nicht aufkommen, da niemand darum wisse
als er unt ich Und ein kleines vogellin.
Die Ansprache stammt aus der Beichte an die Mutter,
die Erwartung der Heimlichkeit aus dem Gedankenmonolog.
Der harte Widerspruch hat die Literarhistoriker, Aesthe-
tiker so wie das unliterarische Publicum nicht gehindert, das
Gedicht mit den höchsten Lobsprüchen zu bedenken. Es muss
also wohl trotz des Widerspruches allgemein gefallen haben.
Scherer ist meines Wissens der Einzige, der Literaturge-
schichte l 207 f. einen Tadel ausspricht wegen der conventionellen
Voraussetzung: ,denn ein Mädchen so beschaffen wie dieses,
wird ein solches Erlebniss überhaupt nicht oder nicht so er-
zählen'. Aber eine so abschliessende Vorliebe ftir erlebte
1 S. Hugos Martina S. 9, 17, Johannes* Kreuziger 9704, Passional ed. Hahn
S. 72, 76. 74, 49. 93, 20, Tristan als Mönch 763. 1138. 1966.
Abhandlangen zum altdeutschen Drama. 77
Poesie, die Scherer eine solche auch oft dort finden Hess, wo
sie nicht vorhanden war, ist nicht allgemein.
Walther hatte keine principielle Abneigung gegen die
Dorf- und Schäferpoesie — alle Gedichte der ^niederen Minne'
gehören ihr an, auch das dem Under der linden in B und C
unmittelbar vorausgehende S. 39, 1 mit den Mädchen, die an
der Strasse Ball spielen1 — nur von den wirklichen Bauern
und Bäuerinnen Neidharts wollte er nichts wissen.
Vgl. die Figur des Wächters im Tagelied, die nur durch
litterarische Tradition und Uebertragung zu erklären ist; G.
Wächter, Studien über das Tagelied S. 39.
Dass die Frau in einer Anrede an das Publicum von
ihren Liebesangelegenheiten spricht, kommt übrigens auch
sonst vor. Aber die Fälle sind nicht so auffällig. Heinrich
von Veldeke S. 57, 34 :
Ich wände dat he hovesch wcere:
des was ich ime von herzen holt,
daz segg ich üch wol offenbare:
des ist he gar äne scholt.
Heinrich von Morungen S. 142, 33:
Mirst daz herze worden sware.
seht, daz schaffet mir ein sendiu not.
ich bin worden dem unmatre,
der mir dicke svnen dienest bot.
Hartmann von Aue S. 212, 37:
Ob man mit lügen die sele nert,
so weiz ich den, der heilec ist,
der mir dicke meine swert.
mich iiberwant sin karger list,
daz ich in zeime friunde erkos.
da wände ich stcete fünde.
213, 5 min selbes sin mich da verlos,
als ich der weite künde:
1 Reimar S. 201, 8 braucht nicht so aufgefasst zu werden, da hier kein
Local für das Ballspielen vorkommt; s. A. Schultz, Das hofische Leben
I1, S. 642.
78 X. Abhandlung: Heinzel.
sin lip ist also valschelos
als daz mer der iinde.
Walther S. 119, 30:
Im wart von mir in allen gdhen
ein küssen und ein umbevähen:
seht, do schöz mir in min herze
daz mir iemer nähe lit,
unz ich getuon des er mich bat.
ich taitezy wurde mirs diu stat.1
Aber auch sonst bieten die Magdalenenscenen einige An-
klänge an die Dorfpoesie, wie schon Wirth, Die Ostern- und
Passionsspiele, gezeigt hat, S. 224, aber nur Anklänge: Maria,
die Herrin von Magdala, wird keineswegs als eine Bauern dirnc
dargestellt, zu der Ritter und Schreiber sich herablassen. Kranz.
Schleppe, Spiegel, Ballspiel kommt auch bei Damen vor. Aber
ihr Verhältniss zu Martha hat eine gewisse Aehnlichkeit mit
dem der Neidhartischen Dirnen zu ihren warnenden Müttern.
Dazu die Häufung der Bauernnamen im Prolog zum Arzt-
spiel Erl. Ost. 57 wie bei Neidhart:
Hie lauft Gumpolt, Rumpolt} Harolt7 Marolt,
Seibolt, Neidolty Hirolt, Mirolt u. s. w.
Im Sterz. Ost. S. 148 sagt einer der Grabwächter zu dem
andern: Pfui, dasz euch der Neidhart schänd.
In den weltlichen Stücken, den Fastnachtsspielen, ist die
Berührung mit der Neidhartischen Poesie inniger; s. die Neid-
hartspiele in den Fastnachtsspielen N. 21. 53, O. Zingerle N. 2ti,
H. Sachs N. 75. Hier V. 221 begegnet auch die Bedrohung Neid-
harts durch einen Bauer, er werde ihn hauen, dass die Sonne
1 Im Provenzalischen vergleicht sich das Lied Coindeta «tu, Bartsch, Chre-
stomathie3 S. 243, worin die Dame das Publicum anspricht, Queu beut
dirait e dirai vos, s. die ganze letzte Strophe, und ihm mittheilt, dass
sie ohne sich um ihren Gatten zu kümmern, dem Geliebten angehören
werde. Ich glaube, dass auch hier das Publicum an Stelle des Gatten,
der Mutter, einer Freundin getreten ist; Personen, denen in den alt-
französischen Romanzen oft solch kecke Geständnisse gemacht werden;
Bartsch, Romanzen N. 22. 25. 41. 42, 39, — 36. 47. 48. 67. N. 51 ist
reiner Gedankenmonolog desselben Inhalts, Klage über den Ehemann,
Entschluss, dem Geliebten anzugehören.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 79
durch ihn scheine, vgl. N. 74 V. 374, ähnlich Neidhart S. 158, 22
ich trenne in üf7 daz man wol einen sezzel in in setzet.
Mit der Parodie des Minnesangs, wie sie sich bei den
späteren Vertretern der Dorfpoesie findet, Steinmar, Hadloup,
Hermann von Sachsenheini, berührt sich das geistliche Drama
im Innsbr. Ost. H. 668, Erl. Ost. 384, M. Magd. 459, Wien. Ost.
H. S. 316, 7 und das Fastnachtsspiel N. 14. 15. 16 u. o.; s.
auch N. 38. 74. 103, O. Zingerle N. 7 V. 57, N. 17 V. 162.
VIII. Ueber die Goliardenrerse des altdeutschen Dramas.
Die Stellen, welche am meisten geeignet sind, die Ab-
hängigkeit deutscher Vers- und Strophenformen des Mittelalters
von lateinischen zu erweisen, sind den Parallelstrophen des
Dramas zu entnehmen, da das lateinische Drama nicht nur ent-
schieden älter ist als das deutsche, sondern dieses aus jenem
durch allmälige Verdeutschung entsteht.
I. Strophen, die aus einem Vers von 7 Silben iambischen
Ausgangs mehr 6 Silben trochäischen Ausgangs gebildet werden:
7-^+6-^; die , Vagantenstrophe'. S. W. Meyer, Der
Ludus de Antichristo S. 165.
In der folgenden Aufzeichnung dieser und der entspre-
chenden deutschen Strophen halte ich mich, abgesehen von den
Längezeichen, die ich tilge, an die Orthographie und Vers-
zählung der Herausgeber, aber nicht in der Drückeinrichtung
der ganzen und der Cäsurverse, auch nicht in der Interpunction.
Die wenigen Conjecturen sind bezeichnet. . — Ich führe zu-
nächst Stellen an, in denen auf einen lateinischen gesungenen
Text ein deutscher ähnlichen Inhalts, — meist unmittelbar,
öfter aber auch in einiger Entfernung folgt, der auch gesungen
wird, wie sich aus den darübergesetzten Noten oder der Spiel-
anweisung cantat statt dicit ergibt.
Ben. Pass. 19. Maria Magdalena cantet:
Mundi delectatio dulcis est et grata,
20 eins conversatio suavis et ornata.
Mundi sunt delicie, quibus aestuare
volo nee laseiviam eins devitare.
/
80 *• Abhandlung: Hein sei.
Pro mundano gaudio vitam terminabo,
bonis temporalibus ego militabo.
25 Nil cur ans de ceteris corpus procurabo,
variis coloribus illud perornabo.
Modo vadat Maria (Magdalena) cum puellis ad mercatorem
cantando:
27 Michi confer, venditor, species emendas
pro multa pecunia tibi tarn reddenda,
si quid habes insuper odoramentorum.
30 nam volo perungere corpus hoc decorum.
Mercator cantet:
31 Ecce merces optime! prospice nitoremf
hee tibi conveniunt ad vultus decorem.
hee sunt odorifere. quas si comparabis1
corporis fragrantiam omnem* super abis.
Maria Magdalena:
35 Chramer, gip die varwe mier, diu min wengel rotte,
da mit ich di jungen man an ir danch der minnenliebe
noete.
Item:
39 Seht mich an,
40 jungen man7
Lat mich eu gevallen.
Item:
42 Minnet9 tugentliche man, minnekliche vrauwen!
Minne tuoet eu hoech gemuet, 45 unde lat euch in hoehen
eren schautcen.
Item:
Seht mich an,
junge man,
Lat mich eu gevallen.
1 Hb. comprobari*.
1 L. fragrcmtia omnet (?).
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 8 1
Item:
47 Wol dir werlt, daz du bist also vreudenreiche !
ich wil dir sin undertan 50 durch dein liebe immer
sicherlichen.
Seht mich an,
jungen man,
Lat mich eu gevallen.
Dann nach der Erscheinung des Engels im Traume:
57 Recedat angelus et surgat Maria cantando:
Mundi delectatio d. h. wohl 19 bis 30.
Tunc accedat amator, quem Maria salutet et, cum parum lo-
cuntur, cantet Maria ad puellas:
58 Wol dan minneklicheu chint, schauwe wier chramef
60 Chauf wier di varwe da, di uns machen schoene unde
toolgetane,
er muez sein
sorgen vrei,
der da minnet mir den leip.
Iterum cantet:
64 Chramer, gip di varwe mier — d. i. wohl 35 bis 41.
Mercator respondet :
65 Ich gib eu varwe, deu ist guot, dar zuo lobeliche1
deu eu machet reht schoene unt dar zuoe vil reht wun-
neckliche.
nempt si hin,
hob ir si !
70 ir ist niht geleiche.
Alle diese lateinischen und deutschen Verse sind mit
Neumen versehen.
Inhaltlich stimmen überein die Strophen 19. 20, oder viel-
leicht besser 21. 22, Mundi sunt delicie und 47 AT. Wol dir,
werlt — , 27 bis 30 Michi confer — und 35 ff. Chramer, gip — ,
31 bis 34 Ecce merces — und 65 ff. Ich gib eu varwe — .
1 Hs. lobdich.
SitiungBber. d. pMl.-hist. Cl. CIXIIV. Bd. 10. Abb. 6
82 X. Abhaadlang; Heiniel
Ueber die Melodie kann ich nichts sagen, da sie nicht
edirt ist und ich, wenn sie es wäre, mir kein Urtheil darüber
zutrauen würde.
Metrisch zeigen die lateinischen oder deutschen Strophen
nicht Gleichheit, aber Aehnlichkeit. Den deutschen Strophen
liegt die aus zwei Langzeilen bestehende lateinische 19 ff. oder
die Hälfte der aus vier Langzeilen bestehenden Strophe 27 ff.
zu Grunde, an welche ein ganz selbstständiger Kehrreim an-
gefügt ist. Das Schema der deutschen Strophen ist:
4 stumpf x -f- 3 klingend a
4 stumpf x -f 5 klingend a
2 stumpf b
2 stumpf b
3 klingend x.
Statt 4 stumpf x kann im Cäsurvers auch 3 kl. x stehen.
58 weicht nur in der letzten Zeile des Kehrreims ab:
4 stumpf x statt 3 klingend x. Der Rhythmus ist auch im
Deutschen durchweg trochäisch. — Das gelegentliche Fehlen
von Senkungen im deutschen Text ist vielleicht nur Schuld
der Ueberlieferung.
Im Wien. Pass. erscheinen 295 bis 306 auch die Strophen
Mundi delectacio — vermehrt mit zwei anderen. Nach der
ersten des Ben. Pass.:
297 In hac tota cupio mente ioeundari,
nil enim ioeundius possum amplexari.
und nach der zweiten:
301 Blandiciis seculi placet adherere,
et concupücenciis animum replere.
Auf diese lateinische Strophenreihe folgt:
In theutonico eadem sunt:
307 Werltlich freude den ist guot, deu ist mir worden sueze
310 sie Kot gehoet mir den muot, wie och ich 8% geboeze*
Et mbiungat: Es folgt das deutsche Mantellied.
Maria cantat:
316 Der weit ich vil gedienet han mit treuwen ane maze.1
ich han gehabt vil mangen man, unt teil der noch nit lose.
1 Ha. maz.
Abhandlungen tnm altdeutschen Drama. 83
Dann wieder das Mantellied.
Jterum dicat:
321 Ich wil immer vroelich sin mit disem jungelinge.
gein dem froewet sich daz herze min, swie ich mit got
gedinge
Nach den Reden zweier Teufel Maria iterum ut prius:
333 Ich wil immer vroelich sin unt wil in wenden sterben,
want den groesse vreude min let mich nit verderben.
Nur die lateinischen Verse sind notirt, und zwar ergibt die
Composition Strophen aus zwei Langzeilen. Vor dem deutschen
Text von 321 heisst es allerdings dicat, aber vor 316 cantat,
die übrigen Stellen können auf Rede wie auf Gesang gehen.
Jedenfalls ist das deutsche Metrum dem lateinischen nicht
blos ähnlich wie Ben. Pass., sondern gleich, mit Ausnahme des
Auftacts, der oft erscheint, und der Cäsurreime, die übrigens
in der ersten lateinischen Strophe — delectacio: conversacio —
ihr Vorbild haben. Durch fehlenden Auftact und Cäsurreim
steht Ben. Pass. dem Original näher.
J. Haupt hat in den Anmerkungen seiner Ausgabe des
Wien. Pass. in Wagner's Archiv I S. 355 wiederholt auf die
Aehnlichkeit der deutschen mit den lateinischen Metren dieses
Stückes hingewiesen.
M. Magd.
Et tunc cantat (Magdalena):
318 Mundi delectacio dulcis est et grata,
eins conversacio suavis et ornata.
Et cantat rikmum:
318 Ich wil preisen meinen leib mit tanzen und mit raien —
320 wan ich pin ein schoenes weip — den phaffen und auch
den laxen,
das ist war, des muos ich gehen, das ist ane laugen,
schöner weip wart nie gepom offenwar an taugen.
Dann nach Reimpaaren und dem Mantellied Magdalenens
und einem Lied der Teufel.
Maria cantat:
343 In fraeuden wil ich immer leben nach der jungen lere,
345 mein herze muos in fraeuden sweben heut und immer
mere.
6*
84 *• Abhandlung: Hein sei.
zuernet dan di muoter mein,
das mag sein, was wil si meint
sol ich meines leibes nicht gewaltig sein!
Die hervorgehobenen lateinischen und deutschen Strophen
sind für den Gesang bestimmt, wie ans dem cantat und den
Noten hervorgeht.
Die zwei Langzeilen im Anfang der deutschen Strophen
sind wieder der lateinischen Strophe gleich mit Ausnahme des
Auftacts und des Cäsurreimes, wenn wir annehmen, dass
Magdalena 318 nicht nur die Strophe Mundi delectacio — ,
sondern auch die anderen gesungen habe, die keinen Cäsur-
reim haben. Also das Verhältniss wie in Wien. Pass. Da-
gegen fällt die Beschränkung in Beziehung auf den Auftact und
den Cäsurreim fort für den zweiten Theil der ersten deutschen
Strophe 322. 323. Es ist die genaueste Nachbildung der latei-
nischen Strophe, die man sich denken kann. Dagegen hat
die zweite deutsche Strophe einen Abgesang 347, der voll-
kommen fllr sich steht.
Ohne Anzeichen, dass die deutschen Strophen auch ge-
sungen wurden wie die vorhergehenden lateinischen.
Wien. Pass. 279 begegnen die oben aus Ben. Pass. an-
geführten lateinischen vierzeiligen Strophen Michi confer ven-
ditor — und Ecce merces optime — , mit Noten. — Darauf
ohne Noten:
Maria ad institorem:
287 Sage mir, hoebescher cramer, stolz und lobbere,
ich han silber unt golt7 phenningef die sint swere:
wiltu mir dor umbe iht geben rot vilzel unt wiz mel,
290 daz ich nu an dirre stunt schoen mache mir min t>dt
Institor respondet:
291 Vrowe, nemt der varwe war, wie sie eu gevalle.
sedf mag sie eu wesen guot, die gib ich eu alle,
wizset, das sie wol gezimet allen jungen wiben,
die mit mannen wellen ir swere zit vertriben.
Die Abweichung vom Latein besteht im Auftact und was
die Reimverse der ersten Strophe, zweite Hälfte, anbelangt in
der Ersetzung des Typus 3 kl. b durch 3 st. b.
Abhandlungen «um altdeutschen Drama. 85
Tunc Maria quasi stupefacta flebili voce dicat:
403 Heu vita preterita, vita plena malis,
luxus turpitvdinis, fons exitialis!
405 Heu quid agam misera} plena peccatorum,
Que polluta palleo sorde viciorum!
Et dicat ritmum:
407 0 we miner missetat die ich hau begangen
mit verwen an manger stat unt mit manigen mannen!
411 0 we ich han gesundet mit prise und auch mit tanzen,
ich truog geverwet risen mit mangen hohem cranze.
Der deutsche Text weicht von dem lateinischen durch
Auftact und Cäsurreim ab.
415 Hinc ornatus seculi} vestium candores!
procul a me fugite, turpes amatores!
utquit nasci volui, que sum detestanda
et ex omni genere criminum notandaf
Ibo nunc ad medicum turpiter egrota
medicinam prostulans. lacrimarum vota
huic restat ut offeram et cordis languores,
qui cunctoSy ut audio, sanat peccatores.
Et dicat ritmum:
423 0 we} wie torst ich arme sunderinne1 tuon sulche misse-
wende!
425 des muoz ich immer trurich sin gar untz an min ende,
o we} durch got helfet mir piten minen herren,
daz er die teuvel heize schiere von mir cheren!
Der Cäsurreim 423 ist vielleicht nicht beabsichtigt. Dann
besteht die Abweichung vom Lateinischen nur im Auftact.
Judas quasi indignando canat:
441 0 vos condiscipuli7 quid vobis videturf
cur hoc unguentarium gratis dispergeturf
1 L. ich sunderin.
86 *• Abhandlung: Heinscl.
Nam canveniencius illud venderetur,
ut turbis pauperibus distribueretur.1
Et dicat ritmum:
445 Ze weu ist dise grosse Verlust so rehte teuwer salben,
den so manige tugent hat hie unt allenthalben.
sie wer besser hin geben
unt mang arme getroestet an sinen cranchen leben.
Die deutschen Verse unterscheiden sich durch den Anf-
tact und in den Reimversen 447. 448 durch Ersetzung des
Typus 3 kl. b durch 3 st. 6, — oder 4 st. b9 — sowie durch
das Reimschema.
Wohl nur zufällig fehlen an den folgenden Stellen die
Noten auch beim lateinischen Text.
Cui Jhesus redarguendo respondeat:
449 Bonum opus mulier hec est operata}
450 sepulture munera sint hec adoptata*
pauperes habebitis, cum me non habetis,
hiis, cum volueritis, bene facietis!
Et dicit ritmum:
453 Daz dise vrowe hat getan, daz ist nicht ane sacke:
seu hat geworht ein guotez werch mit groessem ungemache.
455 armen leuten den tuot guot nu unt zu allen stunden,
wan ir mich schiere werdet sehen als einen diep gebunden.
Der deutsche Text ist vom lateinischen verschieden durch
den Auftact und die um eine Hebung verlängerte Schlusszeile.
Jhesus conversus ad mulier em dicat Simoni:
485 Pedes meos mulier lacrimis rigavitf
pedibus dans oscula, que multiplicavit,
caput unxit oleo. sed tu} quid fecistif
1 Vgl. bei Rustebuef in seinem Drama von Theophilos Strophen wie:
A toz ceus qui verront ceste letre commune,
faxt Sathan a savoir que ja torna fortune,
que Theophile» ot a Vevesque rancune,
ne li laUsa Vevesque eeignorie neesune.
2 1. adaptata.
Abhandlung«! mm alftdeuteohen Dituoa. 87
mihi de hiis omnibus nichil providisti.
remittuntwr igitur illius peccata.
490 vade salva1 mulier, es fide salvata.
Et dicat ritmum:
491 Ditz wip hat mit iren zeher en gewaschen mine ftieze,
unt hoet sie wol tausent stunt gechusset also sueze,
unt hat mit gueter salben daz haubt mir bestrichen,
dez unt ander guoter werch bin ich von dir beswichen.
495 do von sag ich dir nu daz} unt wil ir do mit loenen:
ir suln ir sunde vergeben sin unt haben von himel die
croene.
Der Unterschied des deutschen vom lateinischen Texte
besteht nur im Auftact.
Hoc facto Maria surgat cantando:
497 Ego, que peccamine fueram gravata,
Christi consolamine iam sum consolata.
nichil ergo proderint verba pharisey,
500 nam remisso crimine famula sum dei.
Et dicit ritmum:
501 Mit sunden waz min armer lip also sere besezzen,
daz ich sundeberez wip het mins gotez vergessen.
505 den hat mir sin goteheit also gar verlazen,
do von wil ich furbaz sunden mich erlazen.
Die deutschen Verse unterscheiden sich von den latei-
nischen nur durch den Auftakt, denn der Cäsurreim begegnet
an derselben Stelle wie im Lateinischen.
In der Sequenz Planctus ante nescia, der bekannten
Grundlage der deutschen Marienklagen, Schönbach, Marien-
klagen, S. 6, begegnet unser Metrum gleichfalls, und zwar mit
Cäsurreimen. Die deutschen Marienklagen haben gewöhnlich
keinen lateinischen Text.
So z. B. :
75 Quid stupes, gens misera, terram se movere,
Obscurari sidera, languidos luger ef
1 Hb. sola, von Haupt gebessert.
88 X. Abhandlung: Heinzel.
Solem priva8 lumine: quomedo lucerett
Aegrum medicamine: unde convalerett
In der Prag. Mkl. I entspricht nach Inhalt und Form:
177 di sunne pirget iren schein aller der weit gemaint ,
di erde pidemt, do si leit, 180 auf cliben sich die staine.
valsche diet, ir pruvet nicht, was sein gothait pringet;
alle di sein ouge sieht, nach seinem tode si ringen.
S. Münch. Mkl. S. 374, Eger. Pass. 6726.
39 0 verum eloquium iusti Simeonis!
quem promisit gladium sentio doloris.
Bord. Mkl.
690 Symeonis grymmige swert} du bist my unvorborghen.
du byst my lange vor bescherd, des mot ik sere sorgen.
oder Eger. Pass.
6494 Ein schwert , das mir geheissen wardt Von Simeonis
munde,
Jhesu Crist, do ich dein genos, Das schneidet mich
zu stunden.
S. Münch. Mkl. S. 374, Erl. Mkl. 213.
Ohne lateinisches Master.
Ben. Pass.
Cantet Joseph ab Arimathia:
274 Jesus von gotlicher art, 275 ein mensch an alle wunde,
der an schult gemartret wart, ob man den vurbaz vunde
genaglet an dem chriuze stan, daz wer niht chuneges
ere.
280 darumb solt ir mich in lan bestaten, rihter herre!
Pilatus:
282 Swer redelicher dinge gert, daz stet wol an der mau,
daz er ir werde wol gewert. 285 du betest daz ich laze
dich bestaten Jhesum Christ: daz main ich wol in
guote.
seit er dir so ze herzen ist, nim in nach dinem muote.
Die Verse sind notirt. — Die Cäsuren sind gereimt wie
oben Pen. Pass. 307. 407. — Der Satz geht von einer Strophen-
hälfte in die andere über.
Abhandlungen mm altdeutschen Drama 89
Eger. Pass.
1716 Ein Kindelein so lobigkleich Ist uns geporen heütte.
S. Hoflfmann, Kirchenlied, S. 197.
Der Cäsurreim ist im Lateinischen nicht selten durch-
geführt, so in den betreffenden Strophen der Sequenz Planctus
ante nescia. Ben. Weihn. 564. 698, Carmina burana N. XXVI.
Lxxvn.
Was den Auftact anbelangt, so findet sich auch die Va-
riante, dass der zweiten Vershälfte eine Silbe vorgeschlagen
wird, und zwar gerade in Dramen. Hilarius in seinem Drama
Daniel S. 43.
Cantabunt milites hanc prosam:
Resonent unanimes cum plausu populari
Et decantent prineipis potenciam preclari,
Cuius seeptrum maxime debemus venerari,
Nam late diffunditur in terris et in mari,
Cuius pater potuit de hoste gloriari
Vasa de dominico diripiens altari.
Strophische Gliederung ist hier nicht zu ersehen.
In beiden Vershälften: im Teg. Ant. 1, wo auch Cäsur-
reim hinzutritt.
1 Deorum immortalitas est omnibus colenda} •
2 eorum et pluralitas ubique metuenda.
9 Si enim unum credimus, qui presit universis,
10 subiectum hunc concedimus contrarie diver eis.
IL Strophen, die aus einem Vers von 4 Silben trochäischen
oder iambischen Ausgangs mehr 6 Silben iambischen Ausgangs
gebildet sind :4 o * +6 ^ _ ; W. Meyer S. 90.
Innsbr. Ost. H.
Tertia persona cantat:
1021 Cum venissem ungere mortuum,
monumentum inveni vaeuum.
90 X. Ahb«il— g; H*ias«L
heu nescio rede discernere
ubi possum magistrum quaerere.1
Item cantat:
1025 Atce der mere, awe der jemmerlichen dage,
daz grab ist lere, awe miner clage!
wo ist nue hin min trost?
1030 der mich von runden hat erlost,
der dye sunde mir vorgab,
den sack ich legen in ein grab.
Maria recedit cantando:
1099 Vere vidi dominum vivere,
1100 nee dimisit me pedes längere,
discipuli oportent credere
quod ad fairem velit scandere.
Item cantat:
1103 Ich sach werlichen minen heren lebende.
1105 er enliz mich nicht ruren dye fuesze sin.
dy jungern schütten dez gläubig syenf
daz er wil stigen czue dem vater sin.
Die Innsbrucker Handschrift hat, wie es scheint, keine
Noten. — Im ersten Beispiel sind nur die ersten zwei Lang-
zeilen der vierteiligen lateinischen Strophe nachgebildet, im
zweiten alle vier, auch mit Nachbildung der Reimfolge aaaa.
lebende ist ein Fehler; s. unten S. 90.
Trier. Ost.
Tunc procedunt, die drei Marien, et cantat prima recedem
vSrsum ,Jhesu nostra redempeio1, deinde seeunda seeundum
versum 7Qui te vicit4, deinde tertia ultimum versumf uUerius
procedendo cantando:
76 Cum venissem ungere mortuum,
monumentum . inveni vaeuum.
Heu nescio rede discernere,
ubi po88tm magistrum querere.
1 S. das französische Adamsspiel ans dem 12. Jahrhundert ed. Grass.
622 Oh paradis tont par es bd mainer/ •
Vergier de glorie, tont vtu /et bd veer!
Jetez en tut par mon pechii par voir:
Del recovrer tot ai perdu Vttpoir.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 91
80 heu, heu, heu redempcio Israel,
utquid mortem sustinuitf
82 Owe der mere, owe der jemerlychen clage!
daz graff was lere, 85 owe myner dage!
Was yst nu myn leben, synt ich syn nycht fynden mach,
den ich sueche, der in deme grabe lach.
Owe, owe myr armen, was sal ycht
90 oder were wyl nu troesten mych.
Der lateinische und deutsche Text ist mit Noten versehen.
Deinde Maria iterum cantat rigmatice ,Dolorl.
106 Dolor crescit, tremunt precordia
de magistri pii absenda,
qui 8alvavit me plenam viciis
pulsis a me Septem demoniis.
110 Heu, heu, heu redemptio Israhel!
utquid mortem sustinuitf
112 Myn leyd dat wysset, myn hercze trurych yst,
nu myn lyebe meyster ghestorben yst,
der mych van sewen duf eilen machte fry,
115 dye myr alles stedys woentten nahe by.
owe, owe, owe! myn heyl, myn troest, myn got,
warumbe lydestu den bitteren doetf
Maria cantat ut sequitur:
157 Vere vidi bis velit scandere (ascendere); s. oben S. 89.
161 Ich sach werlichen leben den heren myn:
hy lyesz mych nyet ruerren dye fuesze syn.
den jüngeren sal das werden schyn,
das hye wyl myt syme vader syn.
Alle lateinischen und deutschen Verse sind notirt.
Das Metrum Cum venissem ungere mortuum ist deutlich
nachgeahmt; — auch die Form der vierzeiligen Strophe mit 2
oder* 4 Endreimen, — mit Ausnahme des Auftacts und des Cäsur-
reims 82. Sehr frei ist der Anhang Heu heu — im Deutschen
behandelt.
Erl. Ost.
(Prima Maria.)
1040 Cum venissem bis querere. S. oben S. 89.
1041 Owe der maire, owe der jcemerchlichen clagf
92 X. Abhandlung: Hein sei.
das grab ist leere, owe der meinen tag!
1045 wo ist nu mein trostf
der so liebpleich mit mier chost,
der mier mein sunde vergab,
den sack ich legen in ein grab.
En lapis est vere depositus,
qui fuerat in Signum positus.
munierant locum militibus}
locus vacat eis absentibus.
Durch got ir frauen, 1050 ir helft ze chlagen mier
mein laid,
ich cham her schauen das grab der scelichait.
er ist mir benoemen.
ach milter got, wo pist du hin choement
1055 ich muosz sterben, ich ensehe dich,
sueszer got, nu troeste mich.
Es folgen noch zwei deutsche Strophen desselben Me-
trums. Alle lateinischen und deutschen Verse sind zum Gesang
bestimmt.
Bis auf den Auftact und Cäsurreim sind die ersten beiden
Langzeilen der lateinischen Strophe wiedergegeben, das fol-
gende in zwei Reimpaaren.
Et Maria (Magdalena) ineipit planctum:
1121 Dolor crescit bis demoniis. S. oben S. 90.
1121 Der smerz der wachset, traurig ist das he**ze mein
umb meinen herren, dem ich muos froemde sein,
der mich erloeset hat von meiner missetat
und siben teufel von mier vertriben hat.
1125 Seine smerzen sach ich an vil armes weip,
mit einem sper verwunden seinen leip,
er laid grosze not
durch meiner sele missetat,
ich muesze sterben oder ich vinde dich,
ach herre got, nuo troeste mich!
1130 Er ist entwachet, den des todes twalme pand,
als mier chund machet der enget, den ich vand.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 93
der stein ligt her ab
1135 geverret wol vom grab.
der ritter chraft macht da nicht wider,
der enget chraft sluog seu nider.
Alles Citierte ist ftir Gesang bestimmt.
Die erste Strophe, 1121 Der smerz der wachset, stimmt bis
auf den Auftakt genau zum lateinischen, nur ist in der dritten
Zeile wohl meiner vor missetat zu streichen.
Die zweite Strophe, 1125 Seine smerzen -j-, weicht ganz ab.
Die dritte, 1130 Er ist entwachet — , ist in den ersten
zwei Langzeilen wieder bis auf den Auftact, der in dem Verse
den des todes ttvalme fand sogar zweisilbig zu sein scheint,
und den Cäsurreim gleich dem lateinischen Vorbild. Das Fol-
gende in dieser Strophe weicht ab.
Maria (Magdalena) iterum cantat:
Vere vidi bis velit scandere (ascendere). S. oben S. 89.
1176 Mein hende winden sach mich der liebe herre wol,
er liesz sich vinden, do ward ich fraeuden vol.
1180 do pei behuob sich ein swaer:
er was qeleich einem qartner.
nein algen sein nicht erchanten,
um er Jesus Mariam nante.
Ich sprach: Raboni, 1185 und viel iem an di fusze
sein,
im nigen throni, er ist der enget schein.
er sprach: Maria, ruer mich nicht,
gedenkch an meines herzen Hecht,
1190 das ich vom tod erstanten sei.
do ward ich aller sorgen frei.
1176 ist liebe vor herre wohl zu streichen. — Alle diese
Verse waren Air Gesang bestimmt.
Die ersten beiden Langverse der zwei Theile, in welche
die deutsche Strophe zerfallt, sind wieder dem lateinischen
Original gleich bis auf den Auftact und die Cäsurreime. Das
Folgende weicht ab.
94 X. Abhandlung: Hftinael.
Wolf. Ost.
Tertia Maria cantat:
Cum venissem bis querere. S. oben S. 88.
115 0 we wat schal ik arme wifl
0 we, dat ik nu gewan den Uff
0 we, jo han ik den vorloren,
Den ik to tröste hadde irkoren.
Tertia Maria cantat:
120 0 we der mare, o we der jammerliken klage!
dat graf was wan} to dem ik sulven quam.
wur is nu Ken min trost,
de mik van sunden had gelost f
125 ik was arme na vorloren,
he wart dorch mine hulpe geboren.
Tertia Maria:
En lapis est vere depositus,
qui fuerat in Signum positus.
munierunt locum militibus:
locus vacat eis absentibus.
135 Der mertere smerte sach ik an om vil trovich wif,
mit so vullen herten sin vorwunde lif
liden grote not.
Ach here, lege ik vor ome dotf
de mik mine sunde vorgaff
140 den sach ik legen an ein graf.
Tertia cantat:
Dolor crescit bis demoniis. S. oben S. 90.
Tertia Maria:
Dorch gody gi vrowen, 145 helpet my alle klagen my,
ik quam irschowen Jhesum den heren min.
Nu is he my benomen.
ach heref war bistu gekomenf
150 Ik mut sterven} ik ense dy}
vil riker god, nu tröste my.
Tertia Maria cantat:
Vere vidi bis scandere (ascendere). S. oben S. 89.
Ik sach werligen minen heren levendich,
Abhandlungen «um altdeutschen Drama. 95
he enleit my nicht roren de vote sin.
190 de jüngeren schal dat werden schin,1
dat he to sineme himmelschen vader schere komen wil.
Alles Lateinische und die deutschen Strophen 120 ff. 135 ff.
144 ff. 188 ff. sind notirt mit Notenzeichen, nicht Neumen, nnd
dnrchcomponirt. — Die Melodien der lateinischen nnd der
ihnen folgenden deutschen Strophen sind sich sehr ähnlich, in
den ersten zwei Langzeilen gleich, in den folgenden variirt.
Das Metrum der deutschen Strophen bis auf die letzte
188 ff. bildet deutlich die zwei ersten Langzeilen des lateini-
schen nach, mit Ausnahme des Auftacts, der Cäsurreime in
135 ff. 144 ff. und fehlenden Senkungen. Die letzten zwei Lang-
verse des Lateinischen sind durch deutsche Reimpaare wieder-
gegeben. Die Strophe 188 ff. weicht darin ab, dass sie keine
Cäsurreime und fehlende Senkungen hat, und dass auch die
dritte und vierte Langzeile nachgebildet werden, aber was die
vierte anbelangt, mit starker Verlängerung der Cäsurzeile.
Im Wien. Ost. H. steht S. 331, 9 die deutsche Ueber-
setzung des oben citierten Vere vidi u. s. w. ohne den lateini-
schen Text:
9 Ich sach werlich leben den herren mein,
10 Er Hess mir nicht rilren die vüsse sein.
Die junger müssen des gleubig sein.
Das er uns wil vüren zu dem vater sein.
III. Strophen aus einem Vers von acht Silben mit iam-
bischem Ausgang; s. W. Meyer S. 93.
Wolf. Ost.
Prima et secunda (Maria) cantant:
Jhesu nostra redemptio,
amor et desiderium,
Dens creator omnium,
homo in fine temporum!
Quae te vicit dementia,
ut ferres nostra crimina.
1 achin fehlt in der Hs.
96 *• Abhandlung: Haimel.
crudelem mortem patiens
ut nos a morte tolleres!
Secunda Maria:
101 Goddes sone Jhesu Crist}
Du alder werlde ein lozer bist.
Du dorch alle dine gute
Vorlie uns alle ein stete gemote,
105 Dat we dy alle klagen
Unde din leid helpen dragen.
Tertia Maria cantat:
107 Vil sandeshat des meres grunt7
noch han ik mer wen dusent stunt
wedder god missedan,
110 o we dat ik nu lif gewan!
Seven duvel han bevangen my.
o we, wat schal ik arme wif!
moste ik vor sine vote komen,
de my de duvel had benomen!
Das Lateinische und die deutsche Strophe 107 ff., nicht
die vorhergehende, sind notirt und zerfallen nach der Compo-
sition in gleiche Hälften.
Das deutsche Metrum stimmt zum lateinischen. Nur fehlen
mitunter die Auftacte und die Reime sind reiner.
IV. Versus caudati.
Das Metrum ist in den Marienklagen sehr beliebt. Der
lateinische Text nach Schönbach, Marienklagen, S. 6 f.
1 Planctus ante nescia}
planctu lassor anxia,
crucior dolore.
orbat orbem radio,
5 me Judaea filio,
gaudio dulcore
Lichtenth. Mkl.
1 Awe der iemerleichen clag,
die ich muter aine trag
Abhandlungen tum altdeutschen Drama. 97
von des todes wanne!
Wainen was mir unbekant,
5 seit ich muter was genant
und doch mannes anne.
19 Proh dolor!
20 hinc color
effugit oris}
hinc ruity
hinc fluit
unda cruoris.
Lichtenth. Mkl.
31 Awe kint}
dein wengel sint
dir nu gar erplichen.
Deineu mäht
35 und auch dein kraft
ist dir gar entwichen.
Die Lichtenth. Mkl. ist nicht notirt. Die Uebereinstimmung
ist im ersten Beispiel genau, im zweiten ungenau. Anstatt 1 kl. a,
1 kl. a, 2 kl. b hat der deutsche Text 2 st. a; 2 st. a, 3 kl. b.
Bord. Mkl,
Sancta Maria Magdalena:
257 Heu quantus luctus
nobis est inductus
pre hac tristitia!
260 0 we uns armen,
got lote sik erbarmen
over unse grote leyt.
Weder die lateinischen noch die deutschen Verse haben
Noten. — Letztere unterscheiden sich durch Auftact in der
zweiten, durch zweisilbigen Auftact in der dritten Zeile.
Mater Johannis evangeliste cantat post hoc:
281 Jam auctor lucis
nunc in ligno crucis
stat in angustia.
Sitsnngsber. tl. phil.-hiat. Cl. CXXXIV. Bd. 10. Abk. 7
98 X- Abhandlung: Hei nie 1.
Nu sy wy mit sorgen
285 hüten gar vorborgen
unde in der yamercheyt.
Weder der lateinische Text noch der deutsche haben
Noten. — Der deutsche, dessen Inhalt nichts mit dem lateini-
schen zu thun hat, würde genau zum lateinischen stimmen,
wenn man wy in sorgen läse, statt wy mit sorgen.
Ohne lateinisches Muster.
Ben. Pass. 39. 46. 51 der Kehrreim, s. oben S. 80 f.:
seht mich an,
jungen man,
hat mich eu gevallen.
S. den Abgesang in Magdalenas Lied Mastr. Pass. 800 ff.
V. Andere Strophen.
Erl. Mkl.
Fleant materna viscera
Marie matris vulneraf
materne doleo,
que dici soleo
felix puerpera.
22 Wainet, vil liebe christenhait,
unser groszes herzenlaid
umb unsern herren Jhesum Christ,
25 der nu ser gemartert ist
von der posen Juden list.
Der lateinische und deutsche Text sind zum Gesang be-
stimmt. — Nur die ersten zwei Verse stimmen genau, das
Uebrige weicht in der Reimordnung und Hebungszahl ab. Doch
ist die Verszahl gleich.
Erl. Mkl.
Maria mater domini cantat:
Flete, fideles anime,
flete, sorores optime,
ut sint multiplices
doloris inndiceSy
planctus et lacrime.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 99
Maria Cleophae cantat:
1 Bainen wil ich, des get mier not,
Wainen wil ich gotes tod.
der war mein gesunder trast,
di werld er hat erlost
5 mit seinem plüt so rot
Der lateinische und deutsche Text sind für Gesang be-
stimmt. — Die Verszahl, die Reimordnung, der Bau der Verse
mit Ausnahme des Auftacts stimmen überein. 3 ist wohl sunder
statt pesunder zu lesen.
Neben diesen mehr oder minder die metrische Form des
lateinischen Originals durchscheinen lassenden Formen kommt
auch ganz freie Wiedergabe des Inhalts der lateinischen Ge-
sangstexte durch deutsche Reimpaare — auch von mehr als
vier Hebungen — vor; zum Sprechen Ben. Pass. 91, Wien.
Pass. 349. 360. 457, Bord. Mkl. 346. 734, Wolf. Ost. 7. 31. 35.
49. — Zum Singen Eger. Pass. .7956, Erl. Mkl. 27. 158. 170,
— 31 wird gesungene lateinische Prosa durch deutsche Reim-
paare wiedergegeBen, — M. Magd. 314; hier steht auffällig
der deutsche Text vor dem lateinischen.
Wenn nun in geistlichen Dramen — abgesehen von welt-
lichen Liedern , wie dem Frühlingslied im Mastr. Pass. 796,
dem Mantellied Magdalenens Wien. Pass. 311, Alsf. Pass. 1796,
M. Magd. 330, dem Hochzeitslied Erl. Weihn. 27, den Liebes-
liedern Innsbr. Ost. H. 664, Erl. Ost. 384, Red. Ost. H. 755,
Theoph. Trier. 823, die aus der weltlichen Poesie stammen und
ihrem Inhalt nach zum Theile Einschübe sein können, — sich
Strophen finden, die metrisch den besprochenen sicher dem
Latein entlehnten sehr ähnlich sind, so liegt die Vermuthung
sehr nahe, dass auch sie lateinischen nachgebildet sind, die
sich bei der zunehmenden Verdeutschung des Dramas verloren
haben.
Trier. Mkl. (die Orthographie nach Wackernagel, Kirchen-
lied).
Et sie recedunt totaliter7 et Maria cantat quod sequitur
ettunc etiam recedit. Deo gratias. S. 272, 15:
7*
1
100 X. Abhandlung: Heiniel.
Nu hebyd sych groesz weynnen unde schryen ummerme,
nu enweysz ich9 arme frauwe, we isz myr sal erghen.
Nu byn ich, arme frauwe, verweyset also gar:
mynen troest hayt mir benomen die valschen judenschar.
Die Verse sind notirt. Sie finden sich auch zum Gesang
bestimmt im Alsf. Pass. 6493.
Es ist die Nibelungenstrophe mit durchaus dreihebigen
Reimversen ohne Cäsurreime.
G. Freytag, De initiis scenicae poesis apud Germanos,
S. 53: Unicum, quod scio, exemplum veteris heroici numeri t»
scenicis ludis. Das andere Beispiel begegnet im Zehnjungfr.
S. 30 auch am Schluss des Stückes.
Post hec fatue vadant inter populum cantando planctos.
Prima cantat:
Nuo hebet sich groz schrigen vnn toeynen ummerme.
Got hat uns vorvluchet, von eme hiz er uns ge.
wy haben en erczomit, uns wirt nummir rat.
dez lazet uch liben erbarmen, wan iz uns kumirlichen gat.
Alie respondent ad quemlibet versum (Strophe):
Owe unn owet
sul wir Jhesum Cristum nummir me gese!
Secunda fatua:
Wy clagen uch liben alle was unse here tet.
ja enwalde he nicht erhöre syne muotir gebet,
die bat vor uns vil armen: daz enhalf uns leyder nicht,
he sprach: warumme solde ich mich obir suo irbarment so
getaten suo ny nicht dorch mich.
Der erste Vers der ersten Strophe ist gleich dem ersten
der betreffenden Strophe in der Trier. Mkl. und dort weniger
passend als hier, vielleicht also ist die Strophe der Marienklage
im Zehnjungfr. nachgebildet. — Im Ganzen zwölf derartige
Strophen, die sich von der Nibelungenstrophe dadurch unter-
scheiden, dass der vierte Cäsurvers meist fünf Hebungen mit
klingendem Ausgang hat, gleich dem zweiten, dritten und
vierten Reimverse der Titurelstrophe, dem vierten der Gudrun-
strophe. Es ist also genauer gesagt die Walther- und Hilde-
gundenstrophe.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 101
Schon die vierzeilige aabb reimende Vagantenstrophe
Michi confer venditor species emendas — s. oben S. 80, ist
der Nibelungenstrophe durch die Cäsur in der Langzeile sehr
ähnlich.
Ich verweise aber noch auf andere Formen mit stumpfen
Reimversen.
Mit klingender Cäsur 7 + 7^_; W. Meyer S. 97.
Im 12. Jahrhundert bei Hilarius. N. III:
Superba, nee superba nisi solo nomine,
Lege missa tibi verba tanquam meae dominae,
Tunc ego scribi tibi (?) speciosa femina,
Cui decet a me scribi, . cum sis mea domina u. s. w.
Der Vers ist gleich der gewöhnlichen Form des vierten
Langverses der Nibelungenstrophe, aller Langverse von Minne-
sangs Frühling, S. 4, 1 Diu linde ist an dem ende nu järlanc
sieht unde blbz — . S. auch Meinloh von Sevelingen, den Burg-
grafen von Regensburg; vgl. Dietmar von Eist S. 32, 1. 36, 34.
Mit stumpfer Cäsur 7 ^ _ + 7 ^ _. Ben. Weihn.
Vos qui regum habitus et insigne geritis,
nobis notum facite, 345 quare sie inceditis,
vel si noturum aliquid reserandum noscitis,
quod ad aures regis ferre queritis.
350 Nos Herodis vernule sumus et nicarii,
ad quem sepe transoolant ex diversis nuntii.
Nulla nobis clausa sunt 355 secreta palatii,
ergo scire possrimus vestri rem negotii.
In 349 quod — queritis fehlen drei Silben.
Mit Cäsurreimen:
Ecce virgo pariet sine viri semine,
per quem mundum abluet a peccati crimine.
5 de venturo gaudeat Judea numine,
et nunc (1. non) ceca fugiat ab erroris lumine.
S. 67. 110. 126, wo 0 Augustine ausserhalb des Verses
steht, 242. 390. 478. 494. 515.
Die Hälfte unserer vierzeiligen Strophe ist erhalten im
Teg. Ant.
102 *• Abhandlung: Heinxel.
418 Nos erroris penitet, ad fidem convertimur.
Quicquid nobis auferet persecutor, patimur.
Carolina Bnrana N. VIII:
Bonum est confidere % in dominorum domino,
bonum est spem ponere in spei nostrae termino.
Eine ähnliche Bildung ist durch stumpfen dreihebigen
Versausgang das oben S. 89 citierte Metrum Cum venissem
ungere mortuum — in meist vierzeiligen Strophen mit dem
Reimschema aaaa\ s. auch Hilarius N. X.
Ave splendor telluris anglice,
Decus summum et decor unice,
De te fama testatur publice,
Largitatis quam sis immodice.
N. XV S. 53 im Drama Daniel:
Andient principes qui sunt in curia
Quod iussit fieri potestas regia,
Nee debent respui regis imperia:
Est vir incognitus in Babilonia
Qui eunetis preminens mira sciencia
Predixit Baltasar regni diseidia.
J. Grimm, Kleinere Schriften III, S. 49 :
Lingua balbus, hebes ingenio
viris doctis sermonem facio.
sed quid loquor, qui loqui riesdof
necessitas est, non presumptio.
Ben. Weihn.
118 Nunc aures aperi, Judea misera!
120 Rex regum veniet veste sub altera,
qui matris virginis dum sugit ubera,
dei et hominis coniunget (1. coniungit) federa.
Ebenso 454. S. W. Mapes ed. Wright S. 1. 77. 106. 147.
187. Lauter vierzeilige Strophen, gereimt aaaa.
Durch vierhebigen Versausgang. Der trochäische Fünf-
zehnsilber 8 _ w + 7 ^ _, W. Meyer S. 79. Hilarius N. I.
Veni dator omnis boni, veni sanete Spiritus!
Et que modo sum dicturus dieta mihi primitus.
Abhandlungen mm altdeutschen Drama. 103
Veni precor et inspira servo tuo celitus.
Letos enim nisi per te non habebit exitus.
Es ist eine vierzeilige Strophe der Reimordnung aaaa.
Wackernagel, Zs. V, S. 296:
Nummus vivit, nummus regnat nummus cunctis imperat
reos solvit, iustos ligat, impedit et liberat.
Die Verse bilden eine zweizeilige Strophe. S. Trier. Ost. 1 ff,
sechszeilige Strophen.
Vergleiche die Langverse in Mastr. Pass. 796:
Alle creaturen vrauwent sich der liver zijt,
rosenblumen hure riet man springen wider strijt.
ri woren versunden,
si hant or leit vorwonden,
sie dun den sumer kunt.
susze, suverliche,
werde ich vrouden riche,
dat deit mir din roder munt
Aber selbst wenn die Nibelungenstrophen im Drama nicht
Uebersetzungen verlorner ähnlicher Strophen, sondern freie
Erfindungen des 14. Jahrhunderts in der seit dem 12. be-
kannten Kürenberger- oder Nibelungenstrophe wären, was ja
möglich ist, so sind die aufgeführten lateinischen in Lyrik und
im Drama gebrauchten Strophen der Nibelungenstrophe und
ihren Verwandten so ähnlich, durch Theilung der Langzeile
in zwei Hälften mit festem Endreim und gelegentlichem Cäsur-
reim, durch den Wechsel zwischen klingendem und stumpfem
Versausgang in Cäsur und Reim, durch die Bindung zu vier-
zeiligen Strophen, dass die Annahme, die Nibelungenstrophe
und einige Verwandte habe sich im 12. Jahrhundert durch
Uebersetzen lateinischer Lyrik ins Deutsche gebildet, mir sehr
wahrscheinlich vorkommt. Wenn man die Freiheiten erwägt,
welche sich die Dramatiker bei Wiedergabe des lateinischen
Textes durch einen deutschen in Bezug auf Metrum und Me-
lodie erlaubten, die ähnlichen zwischen den Melodien der Stro-
phen im St. Petrus- und Galluslied, Denkmäler, Scherer zu IX.
XII, zwischen der Melodie und der deutschen Uebertragung
einer lateinischen Prosa, Scherer zur Sequenz von Muri LX1I,
1
104 X. Abhandlung: Heinsei.
hat man kein Recht eine Strophe etwa wie Hilarius N. III:
Superba, nee superba nisi solo nomine — , aber mit drei
dreihebigen Reimversen, am Schluss mit einem vierhebigen ab
Vorlage ftir die deutschen Kürenberger- und Nibelungenatrophen
zu fordern.
Die Verlängerung des vierten oder die Verkürzung der
ersten drei Reimverse, ebenso wie die Ersetzung der durch
feste Silbenzahl geregelten lateinischen Verse durch deutsche
mit ihren Freiheiten der Tactfitflung, womit vielleicht das Auf-
geben des dipodischen Verscharakters in so vielen Fällen zu-
sammenhängt, die metrische Gleichwerthigkeit von klingendem
und um eine Hebung vermehrtem stumpfen Versausgang, die
anfänglich geringe, aber immer steigende Regelmässigkeit in
der Setzung klingender, nicht stumpfer, Cäsur- und stumpfer,
nicht klingender, Reimverse wird sich in der Ppaxis der
deutschen Dichter festgesetzt haben.
Wann im 12. Jahrhundert und wie der Process vor sich
ging, ist unsicher. Vielleicht, dass er schon vollzogen war, als
man einzelne Verse dieser Art, nicht Strophen, in geistlichen
Gedichten gebrauchte, deren Originale, lateinische Prosa, selbst
kein metrisches Vorbild darbieten konnten. S. Sequenz von Muri:
47 oioe kilniginne} waz gnaden got an dir begie.
60 den er leit dur die mennischeit, sehe an menniseliche not.
63 siner cristenen hantgetdt gnaedic in den sündeti si.
Mit längcrem Reimvers 36. 39. 44.
Wie ja auch ähnliche Verse mit klingendem Ausgang in
diesen Dichtungen erscheinen. Sequenz von St. Lambrecht:
15 und mit rehtem glouben ze dtnen gnaden dingent
Sequenz von Muri:
6 der dich und al die werlt geseuof, nu sich wie reine ein taz
du maget do weere.
11 daz ich den vater und den sun und den vil heren geist
gelouben mileze.
Mit ungenauen Cäsurreimen:
23 diu vil reine scam erscrac von disem rnare,
25 wie maget dne man iemer leint gebeere
29 der die helle brach} der lac in dinem libey
31 unde wurde iedoch dar under niet ze wibe.
Abhandlungen zum altdeutschen Drama. 105
Die betreffenden lateinischen Metra waren ja nicht auf
weltliche Poesie beschränkt.
Der Process konnte im 12. Jahrhundert mit Nachbildung
lateinischer strophischer Lyrik angefangen haben geistlichen
und weltlichen Charakters, und die Nibelungenstrophe mit ver-
wandten Formen, auch solchen mit constant klingendem Aus-
gang, wurde Eigenthum der deutschen Litteratur. Aber der
Process, der ja nicht die Schaffung deutscher Strophenformen
beabsichtigte, ist wohl im 13. und 14. Jahrhundert fortgesetzt
worden dadurch, dass man auch im Drama lateinische Strophen
deutsch nachbildete, um sie nach derselben Melodie wie die
lateinischen singen zu können.
S. im Englischen die Nachbildung der Vagantenzeile im
Poema Morale und bei Orm, 12. 13. Jahrhundert, der Vaganten-
strophe in den Balladen wie Chevy chase; J. Schipper, Eng-
lische Metrik I, S. 349, Pauls Grundriss II 1, S. 1046.
Die Annahme, dass die Nibelungenstrophe und Verwandte
ihren Ausgangspunkt von der lateinischen Poesie nahm, scheint
mir wahrscheinlicher, als dass sie sich aus einer französischen
Versform entwickelt habe, Lachmann, Wackernagel, da die
in Deutschland gedichtete und gesungene lateinische Lyrik
deutschen Dichtern geographisch näher stand als die franzö-
sische. Der Zehnsilber mit seiner Cäsur nach der vierten
Silbe ist dem Nibelungenvers auch bei weitem nicht so ähnlich
als die lateinischen Verse der Gestalt 7 - ^ -f- 7 ^ - und Ver-
wandte, die neben dem beliebten Wechsel von stumpf und
klingend in Cäsur und Reim die ausgesprochene Neigung haben,
die Cäsuren auf einander reimen zu lassen und sich zu vier-
zeiligen Strophen zusammenzuschliessen. Dazu die Verwandt-
schaft derselben lateinischen Verse auch mit der Gudrun- und
Titurelstrophe s. oben S. 99 und die Analogie des Dramas.
Aber auch einheimische Entwicklung aus Verlängung und
dann Theilung der lyrischen Zeile, Scherer, lässt sich nicht
wahrscheinlich machen, da für solche Zeilen von der althoch-
deutschen Periode bis zum Kürenberger alle Belege fehlen, die
nicht Einwirkung lateinischer Formen zeigen, wie die Sequenzen
von St. Lambrecht und Muri.
Denn die überlangen Verse, welche in den Reimpaaren
epischer oder didaktischer Gedichte des 11. 12. Jahrhunderts,
106 X. Abhandlung: Heinsei.
Heusler, Zur Geschichte der altdeutschen Verskunst, S. 75.
Pirig, Die jüngere Judith, S. 60 und auch im gesprochenen
Vers des Dramas begegnen, Alsf. Pass. 4388 ff., Bord. Mkl. im
Prolog, dazu 130ff. 164 ff. 271 ff. 289ff. 352f. 509. 624. 740ff.
750 ff. 831 ff. 859 ff. 874 ff., Cass. Weihn. 97, Red. Ost H. sehr
häufig, Wackernell S. 51, braucht man auch dann nicht mit
den Cäsurversen der lateinischen Poesie oder deutschen wie
den Nibelungenversen in Verbindung zu bringen, wenn sie
sich, was doch immer nur sehr vereinzelt möglich ist, mit
ähnlicher Cäsur lesen lassen.
Die überlangen Verse der älteren geistlichen Lyrik, wie
im Ezzolied und Summa theologiae lassen eine solche Theilung
nicht zu.
Ebenso wenig wahrscheinlich scheint mir die Erhaltung
des altgermanischen Langverses, die Heusler vertritt, Zur Ge
schichte der deutschen Verskunst, S. 93 ff. Es ist in der That
ein Sprung über Jahrhunderte, wie Wilmanns sagt, da die über-
langen Verse des 11. 12. Jahrhunderts durch nichts — wie
etwa durch Alliteration im Englischen — verrathen, dass sie
aus der alten Zeit stammen.
Für seine Theorie, dass der Nibelungenvers auf den
daktylisch scandirten, dann aufgelösten französischen Zehn-
silber zurückgehe, beruft sich Wilmanns in seinen Beiträgen IV,
S. 82 auf die Möglichkeit, die Form des Nibelungenverses nach
seiner Theorie der Uebertragung des Zehnsilbers ins Deutsche
aufzufassen und auf die beliebte Form der Schlusszeile, mit
fehlender Senkung nach der zweiten Hebung. Aber was den
ersten Punkt anbelangt, so zeigen die Verse unserer Strophe
keine andere Gestalt, als wir sie seit Otfried kennen, mit Aus-
nahme der Verkürzung der ersten drei Reimzeilen. Und för
den erwähnten Typus der letzten Reimzeile kann man sich auf
Wilmanns' Beiträge III, S. 35 berufen, wo er sie als einen
Lieblingsrhythmus Otfrieds nachweist. Andererseits konnte ein
vierhebiger lyrischer Vers, der sich der Theorie Wilmanns'
entsprechend aus dem romanischen Zehnsilber entwickelt hätte,
zum Theil Einfluss auf die Gestalt der letzten Reimzeile der
Nibelungenstrophe genommen haben.
Aber die Nibelungenstrophen lassen nicht nur eine an-
dere Erklärung zu als die Wilmann'sche: diese scheint mir auch
Abhandlungen tum altdeutschen Drama. 107
unwahrscheinlich. Denn warum finden sich nicht ähnliche Ge-
bilde bei den vielen Daktylikern des 12. 13. Jahrhunderts, und
warum stehen die Daktylendichter inhaltlich dem Ktirenberger
so ferne?
Auch wenn Wilmanns' Theorie über die Entstehung der
deutschen Daktylen aus dem französischen Zehn- und Elfsilber
richtig ist, könnten daneben der lateinische, rhythmische oder
quantitirende Daktylus nachgeahmt worden sein , W. Meyer
S. 147, ebenso wie die Entstehung der überschlagenden Reime
auch auf lateinisches Vorbild zurückgehen kann,. W. Meyer
S. 141. Für Tannhäusers und anderer Daktylen in den Tanz-
liedern hat Siebert, Tannhäuser S. 48, auf eine dritte Möglichkeit
hingewiesen: Zeitschrift für deutsche Philologie XXVIII, S. 387.
Bei den Carmina burana wird die an sich wahrschein-
liche Priorität der lateinischen Gedichte, Martin, Zs. XX, S. 46,
durch die Analogien des Dramas gestärkt. Im Einzelnen kann
es sich freilich auch anders verhalten.
Ich setze also noch N. 139 hieher.
Volo virum vivere viriliter.
DiligOj si diligar aequaliter.
Sic amandum censeo, non aliter.
Hac in parte fortior quam Jupiter
nescio procari
Commercio vulgari,
Amaturus forsitan
volo priv* amari.
Ich wil den sumer gruzen, so ih besten chan,
der winder hat mir hiwre laeides vil getan:
des wil ich in rufen in der vroteen ban.
Ich sih die liehte haeide, in grüner varwe 8 tan.
dar süln wir alle gahen
die sumerzit enphahen.
des tanzes ich beginnen sol} wil ez iu niht versmahen.
Die ersten vier Langzeilen der deutschen Strophe sind
eine Nibelungenstrophe wie in der Trier. Mkl, mit einem ein-
zigen Reim. Die Vergleichung mit dem Lateinischen zeigt grosse
Freiheit von Seiten des deutschen Dichters.
108 X. Abhandlang: Hftinsel.
Die dritte Zeile der Gudrunstrophe — s. Dietmar von Eist
S. 39, 10, — oder34 q|* Xx + 3 kl b ist gleich dem Vers der
Vagantenstrophe Mundi delectatio dulcis est et grata. Ueber
die vierte s. oben S. 99.
Auch bei der Moroltstrophe zweifle ich nicht an lateini-
schem Ursprung. S. Carmina burana N. 108:
Musa venu carmine,
dulci modulamine:
pariter cantemus;
ecce virent omnia,
prata ras et nemus.
Die deutsche Entsprechung ist das Gedicht von der Kö-
nigin von England.
Waere diu werlt alle min
von dem mere unz an den Rin,
des wolt ih mih darben.
daz diu chiinegin von Engellant
laege an minen armen.
Inhaltlich ahmt das deutsche Gedicht ein anderes Va-
gantenlied nach, N. 51 mit abweichendem Metrum, das wegen
placet plus Franciae regina älter sein muss als das deutsche.
Es ist nicht einmal nöthig anzunehmen, dass es eine
lateinische Strophe mit iambischem Ausgang der dritten und
fünften Zeile und mit troch&ischem in der dritten gegeben
habe. Diese Form der epischen Moroltstrophe kann deutsche
Entwicklung sein.
Anhang.
Die nahen Beziehungen zwischen dem geistlichen Drama
und der Goliardenpoesie, die sich aus den obigen Zusammen-
stellungen so wie aus vielen Stellen des Tegernseer Antichrists,
des Benedictbeurer Passions- und Weihnachtsspiels, dem Wiener
Passionsspiel deutlich ergeben, s. Koppen, Weihnachtsspiele
S. 46 , werden unter anderen durch die Thatsache beleuchtet,
dass Hilarius, der Schüler Abälards, ein begabter Vertreter
Abhandlungen tun altdeutschen Drama. 109
der Goliardenpoesie, auch Dramen von Lazarus, Daniel und
Nicolaus, dem Schülerpatron, Creizenach I, S. 104. 107. 137. 434,
geschrieben hat. Eines seiner Gedichte N. XIV handelt de
papa scholastico, das ist der episcopus püerorum im Ben.
Weihn. 94.
In den Carmina burana N. CCV. CCVI. CCVII S. 109 ff.
finden sich Gedichte auf die heil. Katharina, die zugleich
Heldin französischer, englischer und deutscher Dramen ist; s.
oben S. 68 und Ward, A history of english dramatick literature I
S. 5. 28, 12. 13. Jahrhundert. Sie war wie der heil. Nicolaus
Schulpatronin, Petit de Julleville S. 5, Creizenach I S. 103.
Miracles de Nostre Dame N. XVI 1297 werden Nicolaus und
Katharina zusammen genannt. Im Jahre 1585 wurde nach einer
Donaueschinger Handschrift ein Passionsspiel für den Katha-
rinentag gestiftet; s. Bolte, Zs. XXXII, S. 3.
S. oben S. 21 über die Betheiligung der Schüler an den
Aufführungen.
Zu S. 2. Ueber die Ausdrücke für einen Dramentext im
16. Jahrhundert s. R. Brandstetter Regenz S. 18b.
Zu S. 18. S. Miracles de Nostre Dame par personages.
Zu S. 63. Es war £. Martin, Anzeiger für deutsches Alter-
thum VIII, S. 311 zu citieren, der Rubin französische Herkunft
zuschreibt.
Zu S. 68. Ueber herren in der Anrede s. L. Wirth, Oster-
und Passionsspiele S. 167.
Erklärung der abgekürzten Titel.
Abele speien, ed. H. E. Moltzer, Dramatische poezie.
J. Ackermann, Tobias, Der ungerathene Sohn, ed. H. Holstein;
Ackermann's und Voith's Dramen. Litterarischer Verein.
Alsf. Pass., Alsfelder Passionsspiel, ed. R. Froning S. 567.
Augsb. Ost. H. , Augsburger Osterspiel mit Höllenfahrt, ed.
A. Hartmann, Das Oberammergauer Passionsspiel S. 81.1
1 Allerdings bezieht sich der Proclaraator auf das in der Handschrift vor-
hergehende Passionsspiel, — Nun merekt, ir aüerliefoten mein, was die
110 X. Abhandlung: Heinsei.
Augsb. Pass., Augsburger Passionsspiel, ed. A. Hartmann.
a. a. O. S. 3.
J. Ayrer, Dramen, ed. A. v. Keller. Litterarischer Verein. Phae-
nicia, Sidea, ed. J. Tittmann, Schauspiele ans dem 16. Jahr-
hundert. II.
Niederdeutsche Bauernkomödien, ed. H. Jellinghaus.
Ben. Pass., Benedictbeurer Passionsspiel, ed. R. Froning S. 284.
Ben. Weihn., Benedictbeurer Weihnachtsspiel, ed. R. Froning
S. 877.1
Bilsener Dreikönigsspiel, ed. Cahier et Martin, Melanges
' d'ArcWologie I (1847), S. 259.
J. Binder, Acolastus, ed. J. Bosshart, Schweizerische Schau-
spiele I.
De sevenste bliscap van Maria, ed. K. Stallaert 1887.
V. Boltz, Weltspiegel, ed. A. Gessler, Schweizerische Schau-
spiele II.
Bord. Mkl. , Bordesholmer Marienklage, ed. K. Müllenhoff,
Zs. XVII, S. 288.
R. Brandstetter, Die Aufführung eines Luzerner Osterspieles
im 16. 17. Jahrhundert, Schweizerischer Geschichtsfreund
XLVIH, S. 279.
nächste figur werd »ein, — auch der Ausdruck figur für ein selbständiges
Spiel ist kein gewöhnlicher, s. oben S. 3, — und die Spielan Weisung:
des Osterspiels verweist 2447 und am Schluas auf 2145 und den Schlu»
des Passionsspiels — der Proclamator be&chlewszt wie oben Hat: aber
andererseits steht nach Augsb. Pass. Finis% und im Augsb. Pass. geht
Christus1 Seele schon 2150 vom Grab in die Hölle, was sie im Augsb.
Ost. H. erst 2371 thut.
1 Das eigentliche Weihnachtsspiel endigt 562. Darauf folgt ein Spiel von
Christus in Egypten mit dem Titel Rex Egypti bis 669: Et omnia idoU
abiciantur. Hie est finU regia EgipU. 670 bis 697 folgt in sehr ver-
stümmelter und verwirrter Gestalt der Tegernseer Antichrist, während
698 biß zum Schluss ein Chorlied ist, das zu einem mit dem Rex Egypti
ähnlichen Stücke gehört hat, aber nicht zu diesem, da dort, im Rex
Egypti, Egypten und sein König zu Christus bekehrt wird, während hier
706 der egyptische König noch für sich göttliche Ehren beansprucht.
Keinesfalls auch gehört das Lied zum Ben. Weihn., da dort Herodee
schon todt ist 560, während ihm in dem Lied der Tod erst angedroht
wird. Vgl. G. v. Zezschwitz, Das Drama vom Ende des Kaiserthums,
S. 199.
Abhandlungen tum altdeutschen Drama. 111
R. Brandstetter, Die Luzerner Bühnenrodel, Germania XXX,
S. 205. 325. XXXI, S. 249.
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Breslauer Marienklage ed. A. Schultz, Germania XVI, S. 58.
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P. Calderon, Comedias, ed. J. G. Keil.
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W. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas.
Dietmar von Eist, ed. Lachmann-Haupt, MSF. S. 32.
Digby Mysteries, ed. F. J. Furnivall, New Shakspere So-
ciety, London 1882.
Docen's Marienklage, ed. H. Hoffmann, Fundgruben II,
S. 281.
Dodsley-Hazlitt, A select collection of old english plays.
Don. Pass., Donaueschinger Passionsspiel, ed. F. J. Mone,
Schauspiele des Mittelalters II, S. 184.
Dor., Spiel von der heil. Dorothea, ed. H. Hoffmann, Fund-
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DWB., J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch.
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leichnamsspiel), Litterarischer Verein. Auch Creizenach I,
S. 284 meint, dass es eher ein Passionsspiel sei.
Engelberger Marienklage, ed. F. J. Mone, Schauspiele des
Mittelalters I, S. 201.
Engl. Komödianten, Die Schauspiele der englischen Komö-
dianten in Deutschland, ed. J. Tittmann.
Erl. Dreik., Erlauer Dreikönigsspiel, ed. K. F. Kummer, Erlauer
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Erl. Mkl., Erlauer Marienklage, ed. K. F. Kummer a. a. O.
S. 151.
Erl. Ost., Erlauer Osterspiel, ed. K. F. Kummer a. a. O.
S. 35.
Erl. Ost. H., Erlauer Osterspiel mit Höllenfahrt, ed. K. F.
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Erl. Weihn., Erlauer Weihnachtsspiel, ed. K. F. Kummer
a. a. O. S. 5.
112 X. Abhuidliing: HeimcL
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Prankf. Pass. Dir., Dirigierrolle des Frankfurter Passions-
spiels von Baldemar von Peterweil, ed. R. Froning S. 340.
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mäler IL
P. Gengenbach, ed. K. Goedeke.
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Hartmann von Aue, Lieder, ed. Lachmann -Haupt, MSF.
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M. Hayneccius , Hans Pfriem (ed. Th. Raehse). Neudrucke
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Heidelberger Passionsspiel, ed. G. Milchsack. Litterarischer
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S. 122.
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Jacob nnd Esau, ed. K. Meyer, Zs. XXXIX, S. 425.
Innsbr. Frohnl., Innsbrucker Frohnleichnamsspiel , ed. F. J.
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Passionsspiele, S. 105.
J. Kolross, Fünferlei Betrachtnisse, ed. Th. Odinga, Schwei-
zerische Schauspiele I.
h. Kreuz, das Spiel vom heil. Kreuz, ed. A. v. Keller, Fast-
nachtsspiele N. 125.
L. Kulmann, Wittfrau, ed. J. Tittmann, Schauspiele aus dem
16. Jahrhundert I.
Künzelsauer Frohnleichnamsspiel, s. T. Mansholt, Das
K. F. 1892.
A. J. V. Leroux de Lincy et Fr. Michel, Recueil de farces.
Die einzelnen Hefte haben besondere Paginierung.
Lichtenth. Mkl., Lichtenthaler Marienklage, ed. R. Froning
S. 251.
Lope de Vega Carpio, übersetzt bei M. Rapp, La esclava e
su galan nach einem Einzeldruck o. O. und J.
Ludus Coventriae, ed. J. O. Halliwell, London 1841.
Luz. Grabl., Luzerner Grablegung von Mathias Gundelfinger,
ed. F. J. Mone, Schauspiele des Mittelalters II, S. 131.
Es ist eine Grablegung, kein Theil eines Osterspiele, wie
Siteungsber. d. pbü.-biat. Cl. CXXXIV. Bd. 10. Abh. 8
tl4l X. AWuumUwic: Heint«L
der gut erhaltene Schluss zeigt. Aber der überlieferte
Titel lautet: ludus de resurrectione Christi. Wenn es
beim Personenverzeichniss und der ProcessioneerdiroBg
S. 121 heisst: personae ad ludum depotitionem (sie} Jesu
acturae, so bezieht sich das, wie die abweichenden Roiten-
namen zeigen, auf ein anderes Stück.
Luzerner Marienklage, ed. F. J. Mone, Schauspiele des
Mittelalters I, & 202.
M. Magd.5 Maria Magdalena ed. K. F. Kummer, Erlauer Spiels,
S. 95.
H. R. Manuel, Weinspiel, s. N. Manu*!, ed. J. Bachtold & 305.
N. Manuel, ed. J. Bachtold.
Chr. Marlowe, ed. A. Dyee 1850. Tamburlaine auch ed. Brey-
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Mastr. Pass«, Mastrichter Passionsspiel, ett H. F. Massnanm
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St. Meinrads Leben, Ein geistliches Spiel voa St. Meinrads
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moyen-&ge.
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Münch. MkL, Münchener Marienklage, ed. F. Pfeiffer Alt-
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Neidhart von Reuenthal, ed. M. Haupt.
Nicolaus, ed. Gall Morel, Anzeiger für Kunde der deutschen
Vorzeit 1859, & 207. & Z». XXXVI, S. 238.
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Nürnb. Oatf., Nürnberger Osterfeter, ed. R. Frening S. 17.
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S. 327.
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stires, V Repertoire du Tk&tre eemque.
Prag. Mkl., Prager Marieöklage- I, ed. A. Schtfabaeh^. Ueber
die Ifarienklagen S. 5Ex
M. Rapp, Spanisches Theater.
Red. O&t. H., Redentiner Osterspiel mii Höllenfahrt,, ed. R.
Froning S. 12&
Burggraf van Regens barg, ed. Lagkraann-BaMpt,. MStF.
S. 16.
Reimar, ed. Lachmann-Haupt, MSF. Sv 156k
J. ReuchHn, Sergius, ed. H. Holstein, J. Rewchhn's Komödien^
Rhein, j* Tag, Rheinauer Spiel von* jüngste* Tag,* ed. F. J.
Nene, Schauspiele des. Mittelalters l> S. 973»
J. Ruff , Adam und Heva, ed. HL M. Kottinger, Bibliothek der
deutschen NatioaaHitrteratur XXVI. Das neue TeUenspiel,
ed. J. B&chtoldi, Schweizerische Schauspiele III. Von des
Herrn Weingarten, ed. B. Wyss, a. a. O. IB.
H. Sachs, ed. A. v. Keller (-öoetze). Literarischer Verein.
Fastnachtsspiele, ed. Goetze. Neudrucke», deutsch» Lit-
teraturwerke.
W. Schmelz 1, Samuel und Saul, ed. F. Spengler. Wiener Neu-
cbueke, N. 3l
Sotternien, ed. H. E. Moltzer, Dramatische Poöei&
W. Spangenfeerg, Ausgewählte Dkktaftgen (iGauskönigr,. Satrf,
MammoBB. SoH, Glüekawechsel)^ ed. E. Martin, Eteässisch*
Litteraturdenkmäler IV.
Stade 'a Weihnaehtsspiel, ed. F. v. Stade, Specunen Iftetio*
num antiqnarnm 1708r S;. 34.
Sterzinger Christi Himmelfahrt, Lndoe de aseension« de-
mini, ed. A. Piehler, Inasbrucker GymnasialprogramiH;
1852.
Sterz. Mkl. , Sterzinger Marieoklage, ed. A. Kchler, Ueber
das Drama des Mittelalters in Tirol, S. 115.
Sterz. M. Licbtm. , Sterzinger Maria Liclufcmessspiel^ ed. A.
Pichler a. a. O. S. 99.
8*
118 *• Abb.: Heins«!. Abhaadloofen tarn altdevtecben Drama.
Inhalt.
Seite
I. Zu den geistlichen Schauspielen des Mittelalters als Texte be-
trachtet 2
II. Ueber die Schauspieler der geistlichen Dramen im Mittelalter 18
III. Ueber die Bühne der geistlichen Dramen im Mittelalter .... 25
IV. Raum und Zeit auf der alten Bühne 34
V. Ueber das Medicusspiel und die lustige Person der alten Bühne 55
VI. Beziehungen zwischen dem altfranzösischen und dem altdeutschen
Drama 66
VII. Ueber das Mantellied Magdalenens 72
VIII. Ueber die Goliardenveree des altdeutschen Dramas 79
Anhang 108
Erklärung der abgekürzten Titel 109
XI. Abhi: H an ler. Eine l»t. PaUmpsestubersetsong der Didaac. aport.
XL
Eine lateinische Palimpsestübersetzung
der Didascalia apostolorum.
Von
Dr. Edmund Hauler.
Ziur Auffindung dieser vulgärlateinischen Uebersetzung
der Didascalia apostolorum, der werth vollen in den Aposto-
lischen Constitutionen uns erweitert vorliegenden Grundschrift,
gab Professor Th. Mommsen den ersten Anstoss.
Kurz vor Antritt der Ferialreise, welche ich im Auftrage
der königl. Berliner Akademie behufs Vervollständigung der
Frontocollationen W. Studemund's unternehmen sollte, sprach
der Gelehrte den Wunsch aus, ich möchte auf der Capitular-
bibliothek in Verona eine nähere Untersuchung des im Isidor-
codex LV (53, rnembr. 8° saec. VIII.)1 enthaltenen palim-
psestischen Blattes 87 vornehmen, welches mit der auf dem
nächsten Folio 88* stehenden Fastentafel äusserlich eng zu-
sammenhängt. Ueber diese hat er bereits im Hermes VII, 474 ff.
eingehend gehandelt und überzeugend dargelegt, dass das in
schöner, deutlicher Unciale geschriebene, die Jahre 439 — 486
n. Chr. umfassende Consularverzeichniss aus einer bis etwa 481
reichenden Vorlage, welche die Redaction der abendländischen
Reichshälfte zeigte, im Jahre 486 abgeschrieben und von einer
wenig späteren Hand bis zum Jahre 494 fortgeführt worden
1 Der Inhalt dieses langobardische Schrift aufweisenden unvollständigen
Codex besteht in Isidors sent. libri III (Reifferscheid, BibL patrum Latin,
Italica I, p. 98 f.).
* Abbildung beider Seiten dieses Folio in Zangemeister - Wattenbach's
Exempla codicum Latin, litt, maiusc. scriptorum, Heidelberg 1876, S. 29
und 30. Daselbst ist (besser auf p. 30, und zwar auf dem seitlich
mitvervielfaltigten Viertelblatte) eine Schriftprobe unseres Palimpsestes
zu Beten.
Sitznngsb. der phii.-hi«! Cl. CXXXIV. Bd. 11. Ab*. 1
2 XL Abhandlung: Ha vier.
ist. Das textlich noch unbekannte Fol. 87 konnte, so ver-
mnthete der Gelehrte, über dieses versprengte Fastenblatt Auf
schluss geben, wenngleich schon Reifferscheid a. O. dessen
Inhalt gleich dem der anderen des nämlichen Palimpsestes
(33, 34 und 60 — 98, nicht 61 — 99) als ecclesiastisch und später
Conte Giuliari, der vormalige Präfect der Capitularbibliothek, als
constitutiones ecclesiasticae bezeichnet hatte. Diese allgemeinen
wenig zureichenden Angaben reizten aber Mommsen nur noch
mehr, die Wahrheit zu ergründen. Sein Wunsch veranlasste
Wilh. R. von Hartel, bezeichnende Theile einer Probe
aus demselben Palimpseste, welche Professor W. Studemund
• im Jahre 1867 für das Corpus scriptorum ecclestasticorum
angefertigt hatte,1 sofort an Professor Mommsen zu senden.
Dieser übergab die offenbar kirchlichen Fragmente Professor
Ad. Harnack zu näherer Bestimmung. Der Forscher erklärte,
noch bevor ich in Verona eintraf, die Blätter als zu einer alt-
lateinischen wörtlichen Uebersetzung der Apostolischen Consti-
tutionen gehörig und betonte den kirchengeschichtlichen Werth
des Fundes. Die von mir entzifferte Rückseite des Blattes 87
(die Vorderseite, welche sich unrichtig numerirt in Stude-
mund's Probe vorfand, bedurfte nur einer Ueberprüfung) schien
dies zu bestätigen; denn der hier enthaltene Schluss des ersten
und Beginn des zweiten Buches stimmt in der Didascalia und
in den Constitutiones apostolorum fast völlig überein.
Bei diesem für Professor Mommsen negativen Ergebnisse
konnte ich mich nicht in die Lesung des Palimpsestes ver-
tiefen, da die Frontoarbeit drängte. Erst gegen Schluss der
Ferien vermochte ich einige Tage hieftir abzuzweigen, und
zwar las ich abgesehen von der schon anfangs entzifferten
Seite 87 u noch die beiden Blätter 97 und 98, welche durch
Alter, Abschürfung und Wurmstichigkeit sehr gelitten haben,
aber von der Isidorhand nicht überschrieben sind. Von ihnen
sind Fol. 97 r und 98* durch Giobertische Tinctur, Fol. 97«
und 98 r durch Galläpfeltinctur gehoben. Ausserdem verglich
ich die bereits von Studemund gelesenen Fol. 33 r, 85r und 87 r,
1 Es sind die Blätter S3r, 78 r, 81, 83«, 84°, 85% 86, 87 r gans, dann 82
lückenhaft; von Fol. 33° sind 23 Zeilen, von den Seiten 78" and 84r
19 and 16 Zeilen (auch diese nicht vollständig) entziffert. Die Zahlen
sind nach der jetzt im Codex vermerkten Numerierung gegeben.
Eine lateinische P&ümpsestftbersetznng der Didascalia aportolorwn. 3
welche er mit Galle, ferner 81r»ü und 86 r« u, die er mit Schwefel
behandelt hat. Die meisten der noch nicht entzifferten oder
revidirten Blätter hat zuerst eine weniger glückliche Hand,
vielleicht die Fr. Blume's,1 mit Giobertischer Tinctur, dann aber
die Studemund's geschickt mit verschiedenen Reagentien lesbar
zu machen sich bemüht.
Bald ergab mir die nähere Vergleichung des lateinischen
Textes mit dem griechischen Wortlaute der Constitutionen apo-
Btolorum (nach der Ausgabe von P. A. de Lagarde, Leipzig und
London 1862), dass jener eine auffällig verkürzte Form dar-
biete. Der Gedanke, dass der Palimpsest nicht die 8 Bücher
der vielfach erweiterten und interpolirten Constitutionen, sondern
die 6 Bücher der weit älteren und werthvolleren Grundschrift,
der Didascalia apostolorum, enthalte , lag nun zwar ziemlich
nahe, liess sich aber längere Zeit nicht constatiren. Denn
diese Schrift war uns bisher nur in syrischer Uebersetzung
überliefert (Edit. Lagarde's 1854), deren Inhalt jedem dieser
Sprache Unkundigen verschlossen bleibt, und P. Bötticher's
(= P. de Lagarde's) Versuch, ihren griechischen Text aus
dem Syrischen und den Constitutionen wiederherzustellen, ist
im VI. Bande eines seltenen Werkes ChrUtianity and Man-
kind, their beginnings and prospects von Bunsen, London 1854
(zugleich unter dem besonderen Titel: Analecta Ante-Nicaena
Vol. II) in der Art niedergelegt, dass auf Seite 45 bis 224
die Interpolationen von dem Texte der Grundschrift durch
Anwendung verschiedener Schriften kenntlich gemacht sind,
sodann von S. 225 bis 338 die Grundschrift selbst als Dida-
scalia purior folgt. Noch bevor ich in diesen Band Einsicht
nehmen konnte, verschafften mir die Mittheilungen des hoch-
verdienten Specialforschers Prof. Dr. Franz X. von Funk in Tü-
bingen und der Inhalt seiner gelehrten Monographie: ,Die Apo-
stolischen Konstitutionen, eine litterar-historische Untersuchung'
(Rottenburg am Neckar, Bader, 1891) darüber die erwünschte
sichere Aufklärung. Für das überaus förderliche Interesse,
welches der Genannte dem Funde entgegenbrachte, spreche
ich hiemit den verbindlichsten Dank aus. Nicht minder grossen
schulde ich meinem hochverehrten Lehrer W. R. v. Hartel,
1 Vgl. Iter Italicum I, 262.
4 XI. Abhandluf : Hill».
der unter Anderem die erste Mittheilung darüber im
der phil.-hist. Gasse der hiesigen kais. Akademie der Wissen-
schaften am 6. November 189ö gemacht hat. Zugleich kann
ich nicht umhin, den Herren Professoren Mommsen und
Harnack für ihre Anregungen sowie den hw. Herren Bibliothe-
karen in Verona für ihre grosse Zuvorkommenheit bestens zu
danken und der Manen des auch um diesen Palimpsest ver-
dienten Meisters Studemund in ehrender Weise zu gedenken.
Was nun die Abfassungszeit der Uebersetzung anlangt,
so ist der terminus ex quo die Vollendung des griechischen Ori-
ginals, das nach Prof. v. Funk's Darlegungen (a. O. S. 50 — 54)
dem ersten Viertel des 3. Jahrhunderts zuzuweisen ist Die
obere Grenze bildet die durch Mommsen festgestellte Datirung
der Niederschrift der Fastentafel (486 n. Chr.), womit auch
ungefähr die Zeit der Abschrift unserer Uebersetzung bezeichnet
wird. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein grösserer
Codex längere Zeit unvollendet gelassen worden wäre. Die
fernere Erwägung, dass die Didascalia wohl noch vor Ab-
fassung und Verbreitung der ausführlicheren Constitutionen,
die um das Jahr 400 interpolirt wurden (s. Funk a. O. S. 95),
übersetzt worden ist, engt die Wahl auf das 3. oder 4. Jahr-
hundert ein. Für dieses scheinen mir einige später zu er-
örternde sprachliche Eigentümlichkeiten zu sprechen.
Ueber den Ort der Uebersetzung läset sich aus der Sprache
kaum etwas Genaues ermitteln, da das Vulgärlatein und die inter-
lineare Art der Uebertragung ihr mit vielen unserer ältesten Bibel-
versionen gemein ist. Vielleicht geben aber die erst zu entziffern-
den Blätter auch hiefiir einen sicheren Fingerzeig. Immerhin
lässt mich der Umstand, dass die Schrift des etwas jüngeren
cod. Veron. XXXVIII (36), welcher die uita Martini und die dia-
logi des Sulpicius Seuerus enthält und ,per Ursicinum, lectorem
ecclesiae Veronentis', hergestellt ist, mit unserer Palimpsesthand
sehr grosse Aehnlichkeit besitzt, die Vermuthung aussprechen,
dass auch die Didascalieübersetzung in Verona copirt sein könnte.
Um die Beschreibung des Codex zu ergänzen,, erwähne
ich ferner, dass von seinen im ganzen 99 Blättern1 diejenigen,
1 Trotz der Numerierung des letzten Blatte« mit 98 ist diese Zahl die
richtige, weil 2 Bl&tter irrig die Nummer 46 tragen und erst nach-
Ein« lateinische Pilimpseatfiberoetiang der tHdattalia apottolorum.
welche nicht palimpsestisch sind, circa 17 cm Breite und 25 cm
Höhe besitzen, während die Palimpsestblätter (Fol. 33, 34,
60 — 98) um 1 — 2 cm schmäler sind und die Didascalie auf
einer Schriftfläche von 12*5 zu 21 cm aufweisen. Die 35 Zeilen
jeder dieser Seiten enthalten etwa ebensoviele Buchstaben (von
28 bis 40 Schriftzeichen). Den Zusammenhang der 41 Pa-
limpsestblätter macht folgendes Schema ersichtlich:
33. 34
I I
|| 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67
I I
68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75 | 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83
Li
l
LJ
84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91 'I 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. [991 »
| L—J I I I i I. " ' ■ ■
LJ I |
Hie von gehört Fol. 88, das die Fastentafel trägt, zwar nicht
zur Didascalieübersetzung, es beginnt aber deren I. Quaternio;
denn da das zusammenhängende Blatt 87 das Ende des I. und
den Anfang des II. Buches enthält, so standen nach Mass-
gabe des Textes der Didascalia purior (bei Lagarde) min-
destens 5 volle Blätter, mit Rücksicht auf das Mehrerforderniss
an Raum zu Beginn einer neuen Schrift, soviel wie sicher,
6 Folien dazwischen. Nun geht dem Inhalte des Fol. 87 der
des unten mitgetheilten Blattes 98 unmittelbar vorher; danach
fällt auch das mit diesem eine Lage bildende, aber bisher
noch nicht gelesene Fol. 93 in die Lücke. Die zwei noch er-
übrigenden Blätterpaare des I. Quaternio sind zwischen 93
und 98 einstweilen als unbekannte Grössen anzusetzen, so
dass sich dieser erste Quaternio der Didascalie graphisch fol-
gendermassen darstellen lässt:
fraglich durch Hinzufttgung der Buchstaben a and b unterschieden
worden sind.
1 Von diesem (eigentlich mit 100 zu bezeichnenden) Folio sind nur mehr
ganz unbedeutende, unbeschriebene Reste im Codex vorhanden; es
scheint von unberufener Hand herausgerissen worden zu sein.
XI. Abhaadluaf : HauUr.
88 (Fastenblatt). 93. * * * * 98. 87
I 1 l-J I I
Daraas ist auch zugleich klar, dass die Fastentafel der latei-
nischen Didascalie vorausgegangen sein muss; denn die Masse
des Stoffes, der auf den Inhalt des Fol. 87 (Ende des I. Buches)
folgt (nach Lagarde's Text etwa 50 Blätter), schliesst eine
andere Anordnung aus. Dem zweiten Quaternio der Didascalie-
Handschrift gehören Fol. 33 und 34 (aus Buch II, c. 14) an.
Aber bereits beim nächsten Fol. 97 (aus Buch II, c. 21, 22)
gestaltet sich infolge des nicht zuverlässigen Textes von La-
garde die Entscheidung, ob dasselbe noch dem II. oder bereits
dem III. Quaternio zuzuzählen ist, recht schwierig. Darüber wie
über die Vertheilung der Blätter in den weiteren Quaternionen
wird gleichfalls erst die nähere Untersuchung genau orientiren.
Da ein Textblatt in Lagarde's Didascalia purior etwa dem
Inhalt eines Folio unserer Handschrift entspricht, würden die
erhaltenen 40 Blätter des alten Codex gegenüber den 57 der
Ausgabe etwa zwei Drittel der gesammten Schrift, nach der
weit genaueren Uebersetzung der Professoren v. Funk und
Socin in Leipzig aber nur ungefähr die Hälfte repräsentiren.
Die Schrift ist eine regelmässige, schöne Halbunciale.
Die Hand ist aber nicht nur sicher von der ersten uncialen und
grösseren der Fastentafel, sondern wohl auch von der zweiten,
welche diese vom Jahre 486 bis 494 in Semiunciale weitergeführt
hat, verschieden, wenn auch ihre Formen für bf d, g} r, s im We-
sentlichen übereinstimmen. Dies erklärt sich meines Erachtens
ohneweiters aus der Gleichzeitigkeit beider Hände. Sehr grosse
Aehnlichkeit besitzen ferner die Schriftzeichen unserer Ueber-
setzung mit denen des schon erwähnten cod. Veron. XXXVIII
(36), welcher Sulpicius Seuerus enthält und im Jahre 517 l
geschrieben ist, weiter mit denen desHilariuscodex der Basi-
licana (D. 182), der im Jahre 509/10 corrigirt wurde, und des
ältesten Casinensis (Nr. 346, saec. VI.) mit der Uebersetzung
des Origenescommentars zu Paulus' Briefen. Unsere Handschrift
ist als die wohl älteste ihrer Art auch paläographisch sehr wichtig.
1 Vgl. Reifferscheid De Latinorum codicum wbtcriptionibtt* commentaricktm,
(Index schol. Vratisl. hib. 1S72/3), p. Sf.
Ein« lateinische Palimpsestftbersetzung der Didaacalia opostolorum. 7
Ihr Alphabet zeigt neben der häufigen Minuskelform
des b auch noch die Uncialform (b), besonders zu Wortbeginn.
Ferner weisen d, /, g (geschwänzt $), ry 8 und t regelmässig,
m meist die Cursiv- und Mmuskelgestalt, dagegen stets a^ m> ü
und Y, manchmal OD die Uncialform auf. Leicht zu verwechseln
sind r und *, i und t} o mit u, c und e, ti mit u oder o.
Die lange Zunge des e verbindet sich gerne mit folgendem
gf m. r, 8 und t. Am Zeilenende findet sich die Virgula
- oder -» (manchmal mit daruntergesetztem Punkte) meist
für ffi, seltener für n; auch sind daselbst bisweilen mehrere
Buchstaben kleiner geschrieben (VII,1 29 au-; IX, 21 col-,
29 nec)f die- i dagegen unter die Zeile verlängert (IV, 4
und XI, 32) oder Zeichenpaare contignirt, so ist (XII, 20),
a> (I, 6, VI, 12, VII, 26) und -f = U8 (XII, 33). Von Ab-
kürzungszeichen finden sich blos die auch sonst allgemein ge-
bräuchlichen q. (oder q>) für -que (so auch I, 7 laq.at, VIII,
25 relinq.re, XI, 23 8eq.bantur) und b. für -bus, das aber
auch ausgeschrieben wird. Ferner sind die alten kirchlichen
Abbreviaturen ds, dm, xps, ihs9 sps, scs in allen Casus üblich.
Die Buchstaben sind in der Regel von einander gleich-
weit entfernt ; doch finden sich Anzeichen , dass schon die
erste Hand die Unübersichtlichkeit der scriptura continua durch
Punkte und Spatien einigermassen zu beheben suchte. Sie hat
nicht selten an Stelle des Punktes, Strich- oder Doppelpunktes
und Kommas,8 ferner gelegentlich vor Nebenbestimmungen,3
dann nach oder vor Abkürzungen4 und zur Hervorhebung der
1 Der Kürze halber bezeichnen wir die entzifferten Seiten der Reihenfolge
nach mit den römischen Zahlzeichen, und zwar Fol. 98 und 87 mit I — IV,
Fol. 33 r mit V, Fol. 97 mit VI und VII, Fol. 81 mit VIII und IX, Fol. 85'
mit X und Fol. 86 mit XI und XII.
9 So I, 7 quae . . est'iam, 20 insipiena est • dedinet; II, 4 mulieri'nam,
6 labantur ■ mulier, 16 dies ' ora autem sit, 17 deeima • oportet enim; III, 20
condemnaueris ' sit igitur; IV, 3 regnauit ' unde, 10 f. terram'sit autem et
misericors • quoniam; VI, 33 dixit * sit; X, 14 dies ' nox • caelum u. a.
8 Z. B. I, 8 discamus igitur. Et eas, 19 dirigentes iter ■ in uiis suis; II, 25
here\ctitaris • aput dm; VII, 15 mandaui eis' secundum; X, 20 facta sunt'
ex non conslilutis.
* Vgl. I, 10 sapientiam * s~cm uerbum; II, 24 in dm ' et tu, 26 dt • blasphe-
matur; V, 19 uerbo dni di • de; VII, 27 dicit dns • ds' istrahel; XI, 7 uir-
tutem ' ict * sps • pro pecunia.
8 XI. Abhandlung: Hanler.
Eigennamen sowie Zahlwörter1 Punkte gesetzt. Hauptsächlich
bei Eigennamen finden sich auch zwischen den einzelnen Silben
(ähnlich in gewissen späteren Inschriften) Punkte, so VI, 20
matris eius • ep ' 8%' ba'; VII, 17 seruus meus • moy ses; vielleicht
erklärt sich dies aus dem beim Dictiren von Namen besonders
nöthigen Syllabiren. Auch Interiectionen wie o werden öfters
durch Punkte kenntlich gemacht, z. B. VI, 4 0 • episcope; aber
auch gleich in der nächsten Zeile an\te ' o • culos; II, 19 cowuenti'
o m nem9 ausserdem III, 8 parrodis • o • portet, was in diesen und
ähnlichen Fällen8 wohl auf eine Künstelei oder geringe Latein-
kenntniss des Abschreibers zurückzuführen sein wird. Uebrigens
findet sich auch sonst manchmal beim Zusammentreffen von
Vocalen oder vocalischen Zeichen der Punkt verwendet.3 Können
und müssen wir diese unregelmässige und vielfach störende4
Interpunction des Schreibers (theilweise vielleicht schon seiner
Vorlage) füglich bei der Wiedergabe des Textes übergehen, so
wollen wir dagegen die nach Sinnespausen, meist am Ende von
Sätzen beobachteten Zwischenräume, welche der Breite zweier
oder mehrerer Buchstaben entsprechen, möglichst wahren und
die massig grösseren Anfangsbuchstaben, welche nach solchen
Spatien stehen, wiedergeben oder anzeigen.
Der Codex ist im Allgemeinen sorgfältig geschrieben und
zeigt verhältnissmässig wenig Correcturen, die theils von erster,
theils von einer wohl gleichzeitigen zweiten Hand herrühren.
Jene (m1) tilgt gewöhnlich durch mehrere über das betreffende
1 Entweder vor und nach dem Worte oder auch nur an einer dieser Stellen
VI, 27 fteU'achab'rex; VII, 82 domus'achab; VI, 18 inperacü • quin-
quaginta arvnos u. a.
■ Auch t wird so zwischen Punkte gesetzt: 1,4 se'i'terum; ferner a:
I, 24 nescientes • | qui • a •; XI, 17 post nos'pseudo' a • | portoUu; XII, 1
pteudo ' a\postolos. Silbentrennung scheint beabsichtigt in 11,19 tupec
tum; III, 15 ignor'cmt; VI, 5 praeces • $e \ runt; XI, 29 per'a'era'uo'
lan • tem • et; XII, 24 in \ ueni ■ ebamus.
8 Vgl. I, 3 animae ' iUius , 6 ei'infamia; II, 6 ubi-uiri, 21 omnes ' prae-
terea • aduerswt; VI, 28 altaria * omni; XI, 22 eo • eranL
* So V, 15 praeeeptum non enim oportet te (freier Raum für l*/i Buchst)
0 epU\cope statt praeeeptum. Non enim oportet te, o episcope; I, 17 dom{tu
*u)ae ' sedet • super seBam; 22 suauiter • edetis; V, 22 abscidahtr • kaec «-
apicio; IX, 19 minus membrum •faeere • corpus xpi'; X, 12 resuscitauit * aar
ricuH.
Eine lateinische Palimpsestflbersetxuiig der Didascalia apoHoiortm. 9
Wort gesetzte Punkte, gelegentlich, wie es scheint, durch
links oben vor und rechts unten nach dem Worte gesetzte
Punkte; denn so dürften diese zu dem ersten beati IV, 9 ge-
setzten Zeichen zu erklären sein. Den ersten Modus wählt
auch m* zur Tilgung, so V, 29 diceietur (= dicetur).
Wie die Sprache, welche wir weiter unten behandeln
werden, ist auch die Orthographie vulgär. Sie ist im folgenden
Textabdrucke möglichst unverändert beibehalten, da sich eine
sichere Scheidung dessen, was dem Schreiber und was der
Vorlage angehört, kaum mehr durchführen lassen wird. Nur
wo die Verständlichkeit des Textes zu leiden schien, wurden
die üblichen Formen, aber mit cursiven Lettern eingesetzt.
Correcturen sind nur bei offenbaren Fehlern und Versehen
vorgenommen, jede textliche Abweichung aber gleichfalls in
dem Drucke angedeutet. Durch Conjectur ergänzte Buchstaben
oder Silben sind mit ( ) , interpolierte mit [ ] , wichtigere im
textkritischen oder sprachlichen Theile behandelte Wörter und
Stellen durch ein nachgesetztes * bezeichnet. Bei weniger sicher
lesbaren Zeichen, besonders solchen, die stärker verstümmelt oder
durch die jüngeren Schriftzeichen verdeckt sind, habe ich
Doppelhäkchen ( } unterhalb, bei sehr zweifei- und schattenhaften
Buchstaben dieselben Zeichen oberhalb angebracht. Der Kürze
halber bezeichne ich endlich weiterhin Lagarde's Ausgabe der
Apostolischen Constitutionen durch AC. und seine in Bunsen's
Analecta Ante-Nicaena enthaltene Reconstruction der Didascalie
durch AA.
Bevor ich nunmehr an die Mittheilung des Textes der
zwölf Pfobeseiten schreite, muss ich noch einige Worte vor-
ausschicken, um über den Zusammenhang zu orientieren.
Den ersten vier zusammenhängenden Seiten (I — IV, AC. I,
c. 8 ff.) geht folgender Gedanke voraus:
Die Ehefrau soll ihre häuslichen Arbeiten mit Sorgfalt
verrichten, sich nicht schmücken, um anderen Männern zu ge-
fallen, also weder Hetärenkünste spielen lassen noch Koketterie
treiben, durch die sie leicht Anlass gibt, dass einer sich aus
Begehrlichkeit herandrängt.
Die Situation für die V., grösstenteils dem 14. Capitel
des II. Buches der ( AC.) entsprechende Seite ist folgende : Der
Bischof möge bußfertigen Sündern gegenüber Liebe und Gnade
10 XL Athwdluf : Hml«r.
walten lassen; denn die heilige Schrift bestätige nicht die An-
sicht, dass man durch das Zusammensein mit solchen Leuten
befleckt werde. Vielmehr geht der Gerechte mit dem Gottlosen
nicht zugleich zugrunde, sondern ein jeder wird ft&r sich selbst
Rechenschaft ablegen müssen.
Das nächste Folio (VI, VE, AC. II, 21 f.) leitet der Ge-
danke ein: Vergebet, dass Euch vergeben werde; denn der-
jenige, welcher Unschuldige ausstösst, ist ärger als ein Mörder,
da er weder der Barmherzigkeit noch der Güte Gottes gegen
reuige Sünder eingedenk ist.
Das weitere Blatt (VIII, IX, AC. II, 57 ff.) folgt auf die
detaillierte Angabe der Sitzordnung der Presbyter, des Bischofs
und der einzelnen Theile der christlichen Gemeinde bei den
gottesdienstlichen Handlungen. Der Diakon möge hiebei die
Anweisung der Plätze vornehmen und wachen, dass keiner
schwätze, lache oder einschlafe; denn in der Kirche müsse
man sich wohlanständig betragen.
Vor Beginn der X. Seite wird (AC. V, 7) die Zuversicht
der Märtyrer und die christliche Sündhaftigkeit durch den
Glauben an die Unsterblichkeit begründet und bezüglich der
Auferstehung auf die Verjüngung des Vogels Phönix hin-
gewiesen.'
Das letzte Blatt (XI, XII, AC. VI, 7 ff.) erzählt den Be-
ginn der Häresien durch den vom Teufel besessenen Magier
Simon, der in Jerusalem den Aposteln die Gabe der Heilung
abkaufen wollte.
Es folge nunmehr der Text selbst:
«
I. Fol. 98'.
AA. p. 55, 23 (233, 17); AC. I, c 8, p. 11, 22 ff.
s^d^er^e* t(e). Si autem pe(c)lcaJueris, et ,tu pej(r)-
1d.(idiysti1 (u)itam* tuam eltJ con,o,xia* facta es p?
^ijinae illius. Et postea, si peccauerit in uno,
I« 1. (de)!sitderAr[ej (d, a, e bis auf kl. Reste zerfressen). — t« (Loch),
dann ein kleines Spatium. — pe*tc,. — ,caj and itu» theilw. zerfressen. —
tpe>*. — 2. tdi (d oder n)* ** %ti'* i tarn (am etwas zerrissen). — e(t
(t unten zerfressen). - da (o seitlich zerfressen).
Ein« lateinUcne PftlimpBOsttbenetsung der Didtuealia apostolorum. \ \
^j^spiciens se iterum ad aliud* transiet* f cu"
5 uenerit in profundum malorum, conte^pj-
^it, et ueniet ei infamia et inproperium. Q'uae'
ta(l)is autem est, iam uulnerat et laq(ue)at ani-
{mp8 insipientium. Di^camus igitur et
eas, quae tales sunt, quomodo tri^mphat
10 per ipsam Sapientiam scm uerbum.
Dicit autem ita: Sictu,t inaures in nare po^c/i),
ita mulieri maliuolae species. Et iterum:
Sicut lignum uermis exterminat, sie per^dji]-
jdji^ui^um mulier malefica. Et iterum: M^-
15 lier stulta et saeua indigens panem effiLcir
tur, quae nescit ruborem; in ianuis dom(us su-)
ae sedet super sellam adparens in plateis,
aduocans eos praetereuntes, dirigentes
iter in uiis suis*, et dixit: Quisque ex uobis in-
20 sipi^n^ est, declinet ad me, et eis, qui sine sa-
pienti^ sunt, praeeipio dicens: ,Panes abs-
^onsos in prufijna suauiter edetis et aquam
fjUjrtiuam dulcem bibetis.' Et nescien[te]s,
quia terriginae aput eam pereunt, et in p[ljettr
25 aurum* inferorum oecurrit. Sed fuge
citius et nol(i) remorari loco eius.
Et ^tejTum: Melius est habitare in ^ngulo
obscuro quam cum muliere linguosa e^ ,ri,-
x^osa*. Nolite igitur eas, quae tales sunt,
30 muliere(s i^mijtari, uos Chr^teanae! Qc^ae [fi,-
4. Prov. 18, 3. — 7. Vgl. Eccl. 7, 27. — 11. Prov. 11, 22. — 13. Prov.
12, 4. — 14. Prov. 9, 13ff. — 27. Prov. 21, 9. 19.
4. Aispiciens. — t über iet wohl von ms; ausgefallen ist etwa
<cum sensu nullo, sicut dicit in Sapientia: Inpius). — 6. (Q)'uaB1
sehr schwach sichtbar (vielleicht stand anfangs blos q.). — 7. ta*is. —
8. Nach insipientium 8 Buchst. Spatium. — (Di)« Obertheil zerfressen.
— 10. ipsum. — uerbum***** (autem von m1 rad.). — II. ita s auf
Bas., es stand wahrschl. sicut. — pof ci*. — 13. (per)di verstümmelt. —
16. dorn****. — 24. terrigine. — 25. (in p[l]eiti)aurum, bz\ Tcitaupov
LXX. — oecurrit (Spatium von 2 Buchst.) sed fuge (e viell. aus »). —
26. nol*me (e etwas verst.). — eius****** (wohl iterum rad.). — 27. titer
zerfressen. — 29. eas (# corr.). — 30. muliere** im L (mi zerfressen). —
-aar zerfressen.
12 XI. Abhandlung : Havler.
(deljis (nis ess^e,, (qu^ej* erg,o, fjid^lis nis esse u^ro, (t),U0j
,aduerj(te, ut plac^eas, illi soli, et, cum ,111, (pfyate/is)
am^ulaueris,) ca(p)ut (t^m, (uej(l)a<ns u)e,8/te; nam per)
itfis/tua pulchritudo o)rpertetur.
( obfle^ationem * mal-). Et noli ^(epingere tuum uul->
35 (t^m, (a do factum; o^rnat/us enim nihil in te eget)*
IL Fol. 98».
AA. p. 66, 20 (234, 4); AC. I, 8—10, p. 12, 18ff.
(De^orsUjm jpe^e^^p^c/i^e/is* iter tu(u)m \te mulier)^ibj(us)
occtpüu*.
,u/t)q> ^ecum cooplerJ(i)en8 Decl(i)na, ,a(d)u(erte, et)
balneum, ubi uir^ labantur, quod super^u,-
um est mn.li,eri; nam etsi non faerit in ciui-
5 täte uel in regione balneum, in eo balneo,
ubi uiri labantur, mulier fidelis non labe-
tur. Si enim uultum tuum uelas, ,ut, a^b, ali-
enis uiris non uidearis, quomodo r^u/la
cum alienis uiris in balneo* ingrederis? Si
10 autem [non]* est balneum muliebre, quod
utaris, et uis contra naturam cum uiris la-
^jari, cum disciplina et cum reuerentia, qu,~
mensura labare. In talibus enim ualneis
31. nltis* (ein gerundeter Strich richtbar) ***** & ** ia (Reste von
e). — -gtpj (go oder ge möglich). — -ädr zerfressen. — *iUO> — 32. a
(zerrissen) nduer, (zerfressen) ******** Leasj (nur theilweiae sichtbar). —
iii (nur kl. Rest) inj** »Ate. (schwach sichtbar)**. — 83. ibj (Obertheil aicht-
t
bar) ******* *ca*u (theilw.)t*uu, dann -imui (verst.) tej*a*** oa (bis 8
» p e
Buchst, fehlen). — 34. tobjUtej (es fehlen 10 — 11 Buchst.) et noli & (c 15
Buchst, ausgeflossen). Ueber der Zeile tOjitSj (c. 16 Buchst, fehlen) feiu'ietnr.
— 36. liuiou (m halbiert), c. 10 Buchst ausgeflossen, dann trnat (es fehlen
c. 19 Buchst).
fn i o f
II« 1. * *torj (untere Hälfte erh.) iSUjm ipejdtesj #pjiA*Ans (von ap und
c nur kl. Reste erh.). — tum (um auf Ras. mx), es fehlen 7—8 Buchst,
1
dann jbj. — 2. lUj (kl. Reste)*. — pierj*ens (er, e theilw. zerfressen). —
d o
-cl*naiaj*u******. — oscipiant (m* über d. Z.). — 8. -fl«». — 7. iut&ih
b
verstümmelt — 12. ^(zerrissen) ari.
Eine lateinische PtiimpBestflbersetzaDg der DUkuaUia apottolorum. 13
non freqnenter laaetar nee diu lauet^
15 nee in meridie, sed [et]*, si potest fieri, nee per
(ain)gtdo8 dies. (H)ora autem sit tibi snperflne
^ljlius ualnei deeima; oportet enim te con-
stitntam fidelem ab omni partes* ocnlor^"
aspectum et conuentionem, quae in ta^
20 balneo ^t, fugire. Ne autem eis litigios(a) atdJ ,om,-
nes, praeterea aduersus uirum ^um, trecij-
de hoc malum a te, quoniam fi^ejis es, lUjt luiirJ
tuus, si est fidelis aut gentilis, proptelrJ ttej ,nonj
cogatur blasfemare in dm, et tu uae ^ejre1-
25 ditaris* aput dm: Uae, inquid, per que^ ^[o1-
^en dl blasphematur intetr, gentes; si ai^te"
fidelis est uir tuus, cogatur dicere, ut ^/c^iejnlsj
scribturas, quod scriptum est in Sapier^tia,:
Mel^UjS est habitare in deserto quam c^/m1
30 'muUiejre linguosa et litigios(a). ^ulieres, jigi^
^ujr, {p/&r confusio(ne)m tet, [ma/n^s/uetyujdijnlem,
(religion^ejm1 ^(tendi)^ ,adj jCO^nuer^sJi^onem) 'et1
(corroboratioynejm fij(de)ri eis1, (qui foris ec-)
(clesia sunt, siue) ^ulijeri^bus siue ui^r^s.
35 (Et si paucis admonent),ej(s) Ler^(udiuimus uos,) ^orjo1*-
25. Isaias 52, 5. — 29. Prov. 21, 19.
16. ##«gulos dies'ora. — 17. tiljlius (ü viel 1. auf R&s.). — 18. ab
e«
(b aus u von m1). — 20. ostaiA. — 21. jreeij. — 27. is^ae/n1^ (fo Ober-
theil zerfressen). — 80. litigiös* (darauf Spatium für 2 Buchstaben frei)
M (verst.). — 31. ip( (zerfressen); — ~io**m (m theilweise zerfressen). —
o t • 11 nl
imaj*i8j* **ru1tdijfn1tenx. — 32. Etwa 8 Buchstaben fehlen vor & und dem
nt
folgenden Beste wohl eines (D (p, e, c), ferner iosj; dann nach Lücke von
obl 6 1 »
5—7 Buchst. tLeadcoj (4 — 5 Buchstaben fehlen), is/i1 (Lücke von 4 — 5 Buchst.)
t«
«et». — 33. Anfangs fehlen etwa 12 Buchst, (vor dem 6.-8. Zeichen Best einer
etn 1« • n
Oberhasta vorhanden), dann *ne\mj ifi**«i eis1; darauf Lücke von c. 10 Zei-
U q m
eben. — 34. Ausfall von c. 14 Buchst., hierauf Lmj (verst.) lUli/eri1; dann
0
nach Lücke von etwa 9 Zeichen Lrisj. — 35. Ungefähr 18 Buchst, wegge-
t
rissen, dann <e*erj, ferner c. 11 Zeichen ausgefallen, schliesslich isor/o1 (das
letzte o zweifelhaft).
14 XI. Abhandlung: Hau ler.
III. Fol. 87*.
AA. p. 67, 19 (234, 28); AC. I, 10. II, 1; p. 13, 16 ff.
res et filiae et membra nostra, tarnen sicut
sapientes et u^jS quae bona sunt et sine re-
praehensione quaerite oitae istius docu-
menta, nt sciatis, per quae possitia regno dl
6 nostri propinquare et bene placentes re-
pausare. Pa^sto,rj; qui con-
stituitur in nisitatione praesbyteri^ et
in ecclesiis oinnib(us) et parrociis, oportet eu~
sine quacrella esse, inreprehensibilem,
10 alienum ab omni iniquitate, uirum non
minus a^nnjOrum cinquaginta, quoniam
per quan^m tr,ationem iune^taSj ^uxu-
rias et diabolica nitia ala/agisse iam aide-
,t,ur et ab eis, quae a falsis fratribus in mal-
15 tfip iactantur, blasfemiis, qui ignorant
uerbum dl, quoldJ in euuangellJio est: Quoni-
am, inquid, qui dixerit ^erb^m, otiosum,
reddet rationem pro eo dnö in die iudicii.
De uerbis enim tuis, ait, iustifica&eris et de
20 uerbis tuis condemna6eris. Sit igitur, si
possibile est, ad omnia eruditus; et si sine lit-
teris est, sed notitiam ha,b,ens uerbi diui-
ni et stabilis aetate. Si autem in paro-
cia modica ordinanduß est episcopus
25 et non inuenitur, qui tempora aetatis
iam transisse uideatur et testimonium
habere et sapiens, est altern iuuenis eltJ tes-
timonium habet ab his*, qu^i, cum eodem
sunt, quia dignus est ad episcopatum, et
30 per iuueni^em aetatem, per mansuetudi-
nelmJ et bonam conuelr,sationem senec-
9 ff. Vgl. Tim. I, 3, 2 ff. - 16. Matth. 12, 36. 37.
III. 11. ein (m1 wollte anfangs q statt c setzen). — 12. iuuentas,
corr. Funk (oder iuuentu(ti)s?). — 19. iustificaueris. — 20. condem-
naueris. — 24. Zwischen est und episcopus unpr. Loch.
Eine lateinische Palimpseetftbersetsnng der Didaacalia apottolonm. 15
tutem ostendit, jprjObetur e^, si ab omnib(us)
tale testimonium habet, constituatur
episcopus in pace. Nam et Sa(lomon)
35 duodecim annorum constit(utus regnauit)
IV. Fol. 87«.
AA. p. 58, 20 (236, 25); AC. II, 1, p. 14, 18 ff.
in Istrahel et Iosias in iustitia octo annoru~
con^tutuSj r^g^avitj, ^imilitjer et ^ojsijas, cum
esset septem annorum, regnaait. Unde, eti-
amsi iuuenis est, tarnen ut mansuetus sit, Ltir
5 midus et quietus, quoniam dicit per Eseia"
dns'ds*: Super qu^m, 'rjespicijam, nistij sujper,
mansuetum et quietum et trementem uer-
ba mea semper? Simil^ter et in euangelio
dicit ita: [beati] Beati mansueti, quia ips^ (he-)
10 ^edi^abunt ^e^ram. Sit autem et miseri-
cors, quoniam dicit: Beati misericordes,
quia ips^Sj ^iserejbitu^ (djS'. SliJmlilitier et .pa,-
^fictts, quoniam iter^jm dicit: Beati pacifi-
ci, quoniam fili dl uocabuntur. Sit autem
15 et sine malitia et iniquitate et maligns-
te, qu^niani d^citj ^terum^ Beati mun^i, cor-
de, qLuiaj ip^i, luidebu,nlt dm. ^it, ^rgo sobr^-
us, castus, ornatus, non turbulentus, non ui-
no multo deditus, non percussor, sed in-
20 nocens, non litigiosus, non auarus; non
neofitus, ut non i^jüetur et in iudicium in-
ctdat, quoniam: Omnis, ^ui se exaltat, hu-
6. Isai. 66, 2. — 9. Matth. 5, 6. — 11. Matth. 5, 7. — 13. Matth. 5, 9.
— 16. Matth. 6, 8. — 17 ff. Vgl. Tim. I, 3, 2 ff. — 21. Vgl. Tim. I, 3, 6.
— 22. Luc. 14, 11.
34. sa, dann Riss, es fehlen etwa 5 Buchst. — 35. Köpfchen des
letzten t sichtbar; dann c. 12 Zeichen weggerissen.
IT« 9. ita* beati. (scheint durch die Punkte getilgt). — ipsLiJv die folg.
2 Zeichen ganz unsicher: (he->| red itabunt zuerst Wölfßin. — 12. <ditf'
o
(auch ac wäre möglich). — 13. (pa)(CjificiOj8. — 16. mundA. — 22. (in)cedat.
16 XI. Abhandlung: Hioler.
milia^i^u,^ Talern decet esse episcopu",
unius uxoris uirum, curam domos
25 suae bene agentem. Ita ergo pro^etur,
com manus inpositionis .acjcepit, et sie or-
dinetur in epifcopatum, si est castus, si
uxorem castam aut fidelem habuit aut
Aa&et, si filios caste edocauit (et) eradiens pro-
30 duxit, si [h]ii, qai intra domum eins sunt,
T^u^rjentur eum et ^o^o^ant eam et om-
nes [et omnes] su^iti ill^ij sunt. Si enim, qx^i,
se^updam carnem illius proprii sur^t,,
^/editio^em * faciunt aduersum eum et
35 (non pare),n,t* ei, quomodo [hjii, qui foris domu" .
V. Fol. 33 r.
AA. p. 69, 20 (242, 22); AC. II, 14, p. 26, 6 ff.
licto. Neq(ue) enim Iudas nos noeuit, cum nobis-
cum oraret, sed solus periit. Nam et in arca
Noe (et) duo filii eins saluati et benediqt; sunt;
Cham autem, filius eins, non, sed semen eins
5 maledictum est; ^stiae etiam, quae ingres-
aiei fiupt, exiernnt. Non ergo opo^t^t his*, qni
parati sunt ad motrt^mj et odtiuntJ .frat^es
et diligunt crimina et com occansionibos
mortem quaerunt, nos adtendere; alius eni"
10 pro alio non monetär. Sed uos iuuate in-
fi^mis, et (per^clitanjtibus ,et, ^ran^ibus et
liberate eos de morte, non seeundum duri-
tiam cordis et uoluntatem hominum, sed
seeundum dm dl nostri uoluntatem et
15 praeeeptum. Non enim oportet te, o epis-
0
24. Zwischen uxo und ris urspr. Loch. — 29. au et. — 31. ihonkUr
rant. — 34. Erstes Zeichen Obertheil eines «, dann Lücke von 6 Buchst
— 35. Es fehlen 7—8 Zeichen, das letxte (nach dem erhaltenen Obertheil
einer Hasta) wohl n.
V, 1. (pro suo de) I licto, vgl. AA. a. O. &w<tt<k yap icspt btutov «coXorf-
d ix
oetau — 6. freistijae. — 9. alios. — 16. te und nach Lücke von etwa
2 Buchstaben O epis.
Eine lateinische Palimpsestübersetzung der Didatcalia apoHolorw*. 17
cope; cum sis caput, caudae adtendere, id est
laico uel seditioso hornin^,, qui facile du-
citur ad alterius perditionem, sed solum
intendere uerbo dni di* de his. Qaod 'eni^m,
20 ^on, p,o,test quis pe^re p^o, ^lte^ius pecca-
tis Lautj jCOjinqu^nafi manifestum est. Ut ex-
tollatur et abscidatur ha^c suspicio et
malignorum hominum mens, per Eze-
chiel sie dicit dns ds noster: Et factum
25 est uerbum dni ad me dicens: „QjUa^e, dici-
,ti8, ^08 parabolam hanc in terra Jstrahelj:
patres manducauerunt [uju^am ace^uam
et dentes filiorum indurati sunt? Uiuo ego,
dicit Adonai dns-, si amplius dicetur pa-
30 rabola haec in Istrahel: quoniam omnes
anim(a)e meae sunt. Q.uemadmodum anima
,patrisJ? ^ta et anima fili meae sunt; Le,t an^m^
quae peccat, ipsa morietur. Homo autem,
qui erit iustus, qui facit iudicium et iustiti-
35 am, in montibus non manducauit et oculos
VI. Fol. 97 r.
AA. p. 82, 21 (261, 16); AC. II, 21, p. 41, 14 ff.
tatem eius nee obiect(a)ns eos, qui tales
sunt et in multitudine peccatorum in
penitentia aeeiperunt* remissionem
a do. Oportet autem te, o episcope, an-
5 te oculos habere et ea, quae praecesse-
runt, simul ad scientiam sanitatis ad(hibere ad)41
24. Ezech. 18, 2 ff.
16. catide. — 19. bo aus uo durch Ras. corrig. — 27. u/utujain. —
29. dicesetur (Punkte von m8). — 31. anime meae. — 32. (anim)a
f(ili) auf Ras. — 36. et oculos|<suos non extollit ad desideria do-
mus Istrahel).
Tl. 1. <benigni)|tatem AA. a. O. aya6waijvi)v. — oblecttns. —
4. Zwischen te und O* episcope kleines Spatium. — 6. ad (admonen-
dum) Funk.
. Sitznngsb. der phil.-hist Cl. CXXXIV. Bd. 11. Abb. 2
18 XI* Abhandlonf: Hau ler.
eos, qui corripiendi sunt et obtrectandi*.
Adhuc et ad iudicandu(ra), ad conparatio-
nein causae, per multam doctrinam ex-
10 quirere dl uolimtatem, sicut ,i,p8e fecit,
ita et nos oportet facere in iudiciis. [De
Manasse]* Audite, o episcopi, adhuc haec,
quae talia sunt, .i^u amen tum * similitu-
din^Sj. Scriptum est in quarto libro Reg
15 norum* et in secundo Paralipomenum,
quod est praetermissarum*, sie: In dieb(us)
filius erat duodeeim annorum Manas-
ses, cum regnasse^,, ^t, inperauit quinqua-
ginta annos in Hierusalem. Et nomen
20 matris eins Epsiba. Et fecit malignum
coram dri^ ^bominationibus gentili,-
um, quos dilsJp(erd),i,dit dn~s a facie filio-
LrjUm Istrahel. Et conuersus est et aedi-
ficauit excelsa, quae distruxit* Ezecias,
25 pater ipsius, et constituit sculptilia Ba-
halim et e^egit* altarem Bahal et fecit
co^dens,^, sicut fecit Achab, rex Istrahel,
et fecit altaria ,0,111 ni militiae [et] oaeli et
adorauit omnem uirtutem caeli et
30 aedificauit ^ltarem in d^mo dni, in qua
dixit dns: ,In domo Hierusalem ponam
nom(e)n meum.' Et seruiit altaribus Ma-
nasses et dixit: ,Sit nomen meum in ae-
terntu,m' (e)t aedificauit altari(a, omni
35 militiae caeli ^n ^trisque atri^s domus
16. Reg. IV, 21, lff. (Paral. H, 33, lff.)
7. oblectandi Funk (obttstandi, obseerandif Haider; doch s. unten).
— 8. iudicandu*. — 12. haec. — 15. paralipomenum (e aus •
corr. m1). — 22. di^p (verst.) * * * (Reste eines Querstriches) Ad it. —
30. a1, d(Qü nnten stark zerfressen. — 31. hie verst. — 32. nomtn. —
34. (n)iUj(m) stark zerfressen. — ♦ t — 36. von ii\(n) nur die Spitze erhalten.
Eine lateinische Palimpsestnbersetznng der Didatealia apoitolontm. 19
VII. Fol. 97 ■.
AA. p. 84, 2 (252, 12); AC. H, 22, p. 43, Uff.
domini ^t ipse t(r)ansponebat ^ilios suos
per ignem in Gae^Bajnaemon* fet- auguria-
batur* et maleficia faciebat et fecit sibi pti,-
tones et procantatores* et praescios et m^l-
5 tiplicauit facere malignuin in oculis diu,
ut inritaret eum. Et posuit sculptilem et
jfjUsilem condensi imaginem, quam fecit
in domo dhl, (in) qu(a)* dixit dns ad Dauid et ad
,SJolomonem) filium eins: ,In domo hac in
10 Hierusalem, (quam)* elegi ex omnib(us) trib(ubXus)
Istrahel
et ponam nomen meum in aeternum et
non adponam mouere pedem menm a
terra Istrahel, qnam dedi patribus ipso-
rum, ita tarnen, si custodierint omnia,
15 qnaecnmq(ne) mandaui eis secundum omne
praeceptum, quod mandauit eis seruns
mens Moyses/ Et non andiernnt enm et
seduxit eos Manasses, nt facerent malig-
super igjentes, quas absitjulit dns
nnm in oculis dnla a facie filiornm Istra-
20 hei. Et locutus est dns snper Manassem
et super popnlum eius i^ manus seru^,""
rum snornm profetar^m, d^c^ns: Ptr,op-
ter abominationes iniquas, quas fecit
Manasses, rex Iuda, ex omnibus, quibus
25 fecit Amorr(a)leJus coram ipso, et pecca-
re fecit Iudam in simulacris eius, haec
dicit dnä* ds* Istrahel: ,Ecce ego in^u^a"
mala super locum istum ita, ut omni-
1. t*ans. — 2. gaeLbj (6 unterh. theilw. zerfressen, scheint aus u
U u
corrig.) ad (zerrissen) aemonret>. — 3. pi (danach Riss; auch u möglich).
— 8. dni quibus dixit* ad dauid ettad (dns über der Zeile von m.1; ad
auf Ras., es stand etiam). — 19. super tgjentes quas absAulit dns von
m.1 oberh. der Zeile. — 26. amornejus. — 26. lisec.
2*
20 XL Abhmndlung: Hmler.
um audientium resonent utreque au-
30 res, et extendara mala super Hierusale-,
mensurani Samariae et ponderatione
domus Achab, et deleam Hieru^alem, si-
cut deletur alabastrus* unguent.is,; euer-
titur et eue'r'titur* in faciem (s)uam et re-
35 tribuam reliquias hereditatis meae.
VIII. Fol. 81'.
AA. p. 122, 19 (280, 7); AC. II, 67, 68, p. 86, 25 ff.
cum disciplina et sobrietate u,igilare et
intentam aurem habere ad uerbum dni.
Si qt^ißj ^utem, de ,parrocia, frater aut soror,
uelnerit, d^a^onus requjrat ,ajb ea, si adhuc
5 uirum habet, si uidua est aut fidelis et si de
ecclesia est et non in* heresi. Et ^ic, iam per-
ducens ea1mJ faciat in de1cret)o loco sede-
re. ß'f. ^Ujtem praesbyter de ecclesia jsar,-
ro^c^e uenerit, suscipite eppa. praesby-
10 ^eri con^mUjiiijterj in loco (ueftro. Et si
epi9co,puSj lad1uelnJerit, (\ufa ^jpiscojpo se-
deat eundem honorem ab eo recipiens.
Et pelte]s eum tu, episcope, ut adloqu^tur
plebem tuam, ^uoniam Pleregrinlu8j, 'cHim
15 adlo^Ujium ^t,, 'deftitiat* populum;
scriptum est ,enim,: Nujlus, ^ro^het^ ^uscej^-
tns est in patria sua. Et ^n, grattia agenda
ip^Oj dicat. Si autem, cum a^itj prudens
et honoLremj ttibij [rej lrJeselruansJ, no^n, ^elit, su-
20 per calliJcelmj d^cat,. Si ^te^, ppun tsedesJ7
alias quis ^ut alia superuenerit honora-
16. Luc. 4, 24.
82. iA (bis auf die Spitze zerstört) alem. — 33. -(t)iisj zerfressen.
34. *uam. — re vielleicht aas rie corrigirt
Till« 6. non ut heresi. — 16. fdei'ubat. — 19. itibirenes.
t
20. isedis; oder ist mit dem Syr. an sed(et)is zu denken?
Eine lateinische PalimpsestflbersetEung der Didatcalia apostolorwn. 21
bilior sae^Cjiindum sa^culum a^ut, (peregrinus aut)* de ip-
so ^ocOj ,tnoJ? epi^cop^, cum ^c^Sj ^e^bujm
dr au^ ^udis ,aut, ^egis,, nojij proper per-
25 sonarum acceptionem relinq(ue)re mi- -
nisterium uerbi tui et disponere eis se^-
ftor^a,, sed pern^ane, inqui^tus* eltJ ^oli me-
diare uerfyuiiij. FratrteSj ^u^m, ,e,os ^uscij-
pien,tr Sin jUe^ro locus non fuerit, qui
30 dilectionem fraternam hatyetj Lejt cari-
tatem et ^onorabili^ je^st, slu,r,gensJ ^once-
de,tj ei(s) locum et ijpsej tstabitr Si autem ,iu,-
uenijOjrib^s) sedentibus senior ^ut ani-
cula surgens concesserint locum, tu, dia-
35 conus, circuminsp^cej de iuuenioribus
IX. Fol. 81».
AA. p. 124, 20 (281, 3); AC. II, 68, 59, p. 89, 5 ff.
qui magis iunior est aut iuuencula, et ex-
surgere facies eam et sedere eam, quae lo-
cum co^cessit; eam uero, quae non cessit
exsurgens, facies posteriorem omnibus
5 stare, ut discant et ceteri concedere ma-
ioribus aetate. Si autem egenus aut eg,ena,
siue de loco siue peregrinus superuene-
rit et praeterea senior aetate et locus no~
fuerit, tu, episcope, talibus locum ex
10 toto corde fac, etiamsi tu ipse super humu~
sederis, ut non fiat aput homines a te per-
sonarum acceptio, sed* apt^t, döi • ministe-
rium tuum placeat. [Quoniam expedit
numquam deesse ab e^cjesia.] Docens au-
15 tem iube et hortare populum in ^desia*
frequentare et penitus numquam dees-
se, sed conuenire semper et ecclesiam
u
22. aiutj de. — 33. -ueniiQjrib. — 34. Zwischen locum und Tu Spa-
tium von 2 Buchstaben.
IX. 9. Nach fuerit Spatium von 2 Buchstaben.
22 XI. Abhandlung: II an ler.
non angustare, cum se subtrahunt, et mi-
nus membrum facere cor(pus} ^pi,. Unus-
20 quisq(ue) autem non de alio ^c cogitet, sed
de se ipso, quoniam dictum est: Qui non col-
ligit mecuin, spargit. Nolite ergo (uos)met
ipsos, cum sitis membra xpi', spargere
(a,b ecclesia„ cum non coadtu;nlaJmini, xplmJ
25 enim capr^t habentes secundum promis-
sionem ipsius praesentem et conmuni-
cantem uobis. No^ijte ,ijpsi uos neclege^e,
nee alienare slaJluatLo!rem a membr,^ suis
nee scinder^ nee spargere corpus eius nee
30 praeponere di* uerbo necessitates ,tjempo-
rariae uitae uest,r,ae. Sed die, d^minica
jOrnni^ ^ponei^tes, coneurri^e ad elccle-
si,am,. N,a,m ^ualcin, excusation(e,m da-
turus est dö, qui non conuenit in eodem di-
35 e audire salutar,e, ^e^bum et nutriri 'ab1
X. Fol. 85 r.
AA. p. 167, 10 (308, 10); AC. V, 7, p. 134, 18ff.
resurrectionis nobis ostendit, multo ma-
gis nqs, credentes resurrectioni et repro-
missioni dl, etiamsi martyrium nobis su-
peruenerit, quasi qui talein digni sumus
5 adsequi gloria.m„ u,^ coronam portem^jS
incorruptam in uita aeterna, gaudentes
ad tarn magnum hoc donum et dignita-
tem gloriae dl, id est ad martyrium, pro-
peremus et libenter illud ,cum, gaudio
10 tacc,ipiamus, c^edentes dno* dö, quia per
gloriam suam clariticatos resuscita-
21. Matth. 12, 30.
22. ergo* met. — 30. praeponere a uerbo. — 31. -rarie. —
• t
35. nutriri rab].
X* 1. (spem)|re8urrectioni8. — 2. credentia.
Eine lateinische Palimpsestftbersetsang der Didaacalia apoHolorum. 23
6it nos. Sicuti in principio ds praecipi-
ens uerbo mundum construxit dicens:
F^at lumen, dies, nox, caelum, t^rr^, mare,
15 uolatilia, n^tatilia, repentia et quadru-
pedia, arbusta et uniuersa per uerbum
cius creata sunt et deformata, sicuti et
seriptura significat, et ipsa creatura per
^boediejütia^m, ^estijinoi^iuraj ,dö„ qr^ij ea fe-
20 cit, perhibet de eo, quod facta sunt ex non
constitutis resurrectionem signifi-
cantia, sicuti ergo omnia fecit, ita et
hominem, qui et plasma eius propria est,
^u^to magis uiuificans resuscitaftit.
2f> (S,i elniim ex non constitutis mundum con-
stru^t, facilius ex constitutis hominem,
cum sit plasma eius, uiuificans resuscita-
iit, sicuti et in semine hominem defor-
mans in utero perfectum reddit.
30 Si igitur omnes homines resuscitat, ut di-
cit per Eseiam: Quoniam uidebit om-
nis caro salutarem* di, multo magis sal-
uat, uiuificat ^d^les suos. Et iterum
fide^ium ^delio^es tCjO nptitutos martyres
35 in maiori gloria fortiores suscitans.
XL Fol. 86 r.
AA. p. 196, 9 (325, 11); AC. VI, 7—9, p. 163, 9ff.
multam optulit nobis cupiens, sicuti Ada
per degustationem ligni seien tiae a ligno
uitae eum* alienauit, ita et nos per datio-
nem paeeuniae a datione dl" uoluit circu-"
12. Vgl. Gen. I, 3 ff. — 31. Isai. 40, 5 (vgl. 26, 19; 52, 10; 64, 7).
12. -uit — 22. nach -cantia Spatium von 2 Buchst. — 24. 28. re-
suscitauit. — 29. reddet, darauf unbeschriebener Raum.
XI. 1. (peeuniam) | multam.
II. Abhudlong: Hmlsr.
u.eE^e et per pecnniam m entern nostram
occupare, ut commutante^, detrahere-
mua illi uirtutem - sei - spä ■ pro peeunia. Sed
cum omnes in hoc iaoti fuisseraus, inten-
dens Petras ad propinqunm Simonis dia-
bolam dixit: Pecania tua tecum erit in inte
ritum; non e,n,lm erit tibi pa,rJticipatio
tmq^uc) Bors in hoc aerbo. Com autem di-
uidissemus* inter nos duodeeim unei-
as B&eculi et ex^uimus ad gentes, ut in om-
ni mundo praedicaremus u^rbum,,
tune inspirauit di abolas et concitauit
plebem, ut mittereut post nos pseudoa-
post.o,Io9 ad intaminationem * uerbi. Et
opt,u.lerunt de populo Cleouium quen-
dam et ,iu,nzerunt eum ,S,imoni, et ppste-
a iterum alios post illos. Simon ergo et
qui cum eo erant post uestigia mea IV
^ri, seq(ue)bautur seducentes populum.
Et cum uenisset Romaro, ualde de,p,opu-
latus est ecclesiam multos exbortans
et adoptans sibi et getttile.s, sedneebat
magicis operatioluilbus et uirtutibus.
Siuut,i, in una di,c procedens nidi illum
per aera uolantem et ferebat,nr,.
Et subsistens dixi: ,In uirtute sancti Ho-
minis ihLu ■ excido uirtutes tu&s' et sie
ruena ^emur pedis su,i fregit. Multi
quidem tunc absceslsleniut ab ,<soj al,ii an-
tem, qui digni illo fuerunt, manserunt
cum ipso et tunc prima illa nxa est
"" Act. apost. S, 20%.
;om mutante«. — 12. neiqr (j- auf Rasur, wohl an« e). —
lerbura nichts Weiteres zu sehen. — 18. -(post)tOi- scheint aus
81. s- iterum- (« corr. aus t), — 26. raulto'd (m.> corr. wohl d
ilberschr. »). — 20. nach ferebat.ur, Raum frei. — 35. Zwischen
lft uropr. Loch im Pergament.
Eine lateinische Palimpsestttberietzuag der Didatcalia apottolorum. 25
XII. Fol. 86*.
AA. p. 198, 12 (326, 6); AC. VI, 9—12, p. 166, 9ff.
haeresis illius et per ceteros pseudoa-
postolos o,perjatus est diabol,^. Et erat
quidem illis Omnibus aequaliter lex, de-
creta et ut profetas non utantu^ et ut
5 patrem ^fn, ^las/emarent et reSjUr^ec-
tionem non credant; cetera* autem
diuers[a]e per doctrinas suas insp^jT-
,gjebant. Alii enim multos docebant
non debere nubere dicentes, quia qui
10 non ^jubet ^stitjatem studeret; per ^s-
titatem sensus suos ad haeres^m, deltnJ-
lerunt. Alii iterum ex ipsis ne,qj(ue) ,Cjar-
nem sumere docebant dicentes ela], quae
animam habent, non ^ftb^rej ^an/lu-
15 carij. Alii autem diceban^ a so^a, por-
cina carne debere se abstinere, ea ue-
ro, quae in lege sunt munda, debere ma-~
ducare et secundum legem circumci-
di. Alii uero aliter ^centes jse^itiones
20 faciebant et eccle^as depraeLdajbant.
Nos autem, qui rectum catholicae eccle-
siae uerbum ante praedicaueramus, ^e,-
uertebamur iterum ad ecc^esia/s et in-
ueniebamus ill^OjS ad alias ^oluptates
25 fui8se ^jT^jeuentos.* Alius quidem
castitatem studebat, alius autem a car-
ne et uino se abstinefyat^ aliu^ ite,rumJ
a porcina, et qiuantaJ ex ui^culis secun-
dationis legis er,a,nt, obseruabat.
30 Quapropter cum uniuersa ecc^eSjia
2. diaboliQjB. — 6. uetera. — 10. tcastit,atem. — 13. que. —
0
20. -(daba)nt contign. — 22. ant(e oberhalb d. Z. von m.1). — 26.^1-^6-
i do
uentus (oder ist praeuersos zu corr.?). — 28. qaiantai. — fecun|dationis;
Funk: secund. (Syr. deuUroseos). — 29. Kaum nach obseruabat frei.
periclitaretur et haeresis facta esset,
eonucnieiite.s 11,0s, duorfeeim apoBtoli
in unum in , Hieropolyma traetauiraus,
quid deberet tieri, et placuit nohis scri-
35 Lere unuin sentientibus catolica-.
Die erste und zweite Seite ist infolge Wurmstichigkeit
siebartig durchlöchert und unten fast ganz ausgefressen. Zu
Anfang dürfte nacli dem griechischen Texte der AC. und ohne
Zweifel auch der Didascalia eig rd imfhftifaal aov weniger
wahrscheinlich (ut de)sideraret t(e) als (ad de)siderare He) (vgl.
Hü lisch, Itala und Vulgata2, p. 43U) zu ergänzen sein. In der
nächsten Zeile entspricht den Zügen des Codex pe(r)\d{idi *ti
{it)itam tuam meines Erachtens am meisten; vom griechischen
irrlr/nnclr/aag entfernt es sich dem Sinne nach nicht soweit,
dass man an das mit den entzifferten Zeichen weit weniger
verträgliche und der Construction nicht förderliche pe(r;n«
q)u(i)tiam tuam denken konnte. Schwieriger ist die Beurtheilung
der Z. 4, wo zunächst dinpimenn m (vulgär für denpicicm ml
dem griechischen iTtoyvoxaa zu entsprechen scheint. Ad aliud
tranriet setzt die Lesart &<p itsQov (so auch der Vat. 1 bei Pitr»!
voraus. Das wohl von m.s diesem Veibum überschriebene ( ist,
da tranriet (Rönseh a. a. 0. 293) dem ixTQafxfyrj) besser ent-
spricht als tramit, kaum etwas Anderes als ein Versuch der
zweiten Hand, dsn lückenhaften Text lesbar zu machen. Nach
den Worten der Didascalia bei Lagarde (p. 56, 2 ff.) djttji.pjia.ta,
xa9a (ptjotv iv ü<xpia • Srav I5.5jj äoeßfe ttg ßd&oe: xaxtov wird
der Ausfall einer Zeile infolge Homoioteleutons anzunehmen
sein, etwa {cum sensu nullo, ricut dicit in Sapientia: Inpiiu,)
cum u. s. w. Statt des Präposition alausd rucke s wäre freilich
auch insensibili», anstatt sicut unter Anderem ut möglich. —
Z. 10 ist «er tpsum Sapientiam wohl blosser Schreibfehler flu-
Saptentiam, wobei ipse mit Bezug auf das soeben
nem idem gleichkommt In der gleichen Linie bat
cipiertes Wort (hier autem) wie öfters verbessert;
11, wo auf dem Räume, auf welchem ita »- steht,
; contlgn. — 3a. Zwischen unum und sentientibua ur-
Eine lateinische Palimpsostnberseteong der Didaacdlia apottolorum. 27
früher sicut geschrieben war, ferner Z. 26, in der nach eius
wohl iterum radiert ist. — Z. 13 fg. ist Dittographie in per-
[dijdit wahrscheinlich, da das Griechische ärtdllvoiv bietet. —
Z. 23 ist nicht nur nach dem Sinne und dem Texte der LXX,
sondern auch nach dem von Prof. v. Funk mitgetheilten syrischen
Texte dieser Stelle, der auf ignorat weist, der Singular nesciens
statt ne8ciente8 vorzuziehen. — Z. 24 fg. wird statt des über-
lieferten inplet aurum nach dem Wortlaute der Septuaginta
int rthavqov wohl mit dem soeben Genannten in petaurum
zu lesen sein. — Trotz grosser Lückenhaftigkeit des Anfanges
von Z. 31 ist der Text qtiae fi\delis (uis ess)ey (qu)ae ergo
fidelis uis esse fast sichergestellt. Auch nach dem griechischen
Texte matij 6i &eXovaa elvai ergiebt sich, dass die Worte
vom erstmal gesetzten fidelis bis zu dem zweiten quae einem
Schreibfehler des Copisten entsprungen sind, der ergo aus-
gelassen hatte und dann das Nämliche nochmal schrieb. —
Z. 32 ist nach den Resten und den Worten der AC: rq> aq> ävdgl
7tq6ae%E ini ry äQiaxsiv ccörip (.i6va>, iv di raig nXazeiaig wohl
richtig ergänzt. Weniger sicher lässt sich dies für die weiteren
Zeilen behaupten, deren schwache Reste sich den (nach La-
garde's AA. p. 56, 15 ff.) durch die syrische Uebersetzung be-
zeugten Worten: axenovaa zijv xecpalrjv aov r(j) Ifiazi^. diä
yäq %f\g irtiytaXtnfJewg d7t6xXeiod,r}aeTcu %b noXv xdXXog aov. [irj
yuxTa^wyQdysi aov zd imd Ssov 7ts7toir]fiivov itqdauyrcov (nach
der genauen Uebersetzung der Professoren von Funk und Socin
lautet der syrische Text: caput tuum tege uestimento tuo, ut
uelamine tuo tegatur magna pulchritudo tua. Neque orna
fadem oculorum tuorum) etwa auf die von mir natürlich nur
vorschlagsweise gegebene Art anpassen lassen. Bei der inter-
linearen Form der Uebersetzung ist statt uela{ns) schwerlich
uela(bis) zu schreiben; eher könnte man auf uela (tua ü)este
rathen, aber der Umfang der Lücke scheint mir die in den
Text gesetzte Fassung zu begünstigen. Für depingere (Z. 34)
in dieser Bedeutung verweise ich auf Heges. IV, 25, 2 stibio
oculos depingebant (vgl. Vulg. Reg. IV, 9, 30); Hieron. epist.
108, 15 faciem purpurisso . . et stibio und 127, 3 ora purpu-
risso et cerussa d. Damit ist aber, wie das in Z. 35 erhaltene
(o)rnat(us) zeigt, der griechische Text unserer Uebersetzung
nicht erschöpft; es dürfte vor Beginn der II. Spalte noch das
28 XL Abhandlung: Hau ler.
in den AC. enthaltene, im Syrischen fehlende Sätzchen (AA.
p. 56, 18; AC. p. 12, 15 fg.) oidkv y&Q iv aol 8 xoafiJjGeag
ö&btcli übertragen gewesen sein. Meine Fassung (o)rna&u*
enim nihil in te eget) dient gleichfalls nur zur Ausfüllung
der Lücke; doch entspricht sie dem Griechischen noch mehr
als etwa (o)rnat(um enim nihil indiges), vgl. Z. 15 indigem
panem.
Der verstümmelte Beginn der II. Seite lautete, entsprechend
dem Satze der AC. 12, 18 fg.: xdrio ßtertowa ii)v bdoinogicnr
aov noiov TtsqixaXimovaa icnnip, xa&ä)g 7TQ€7tsi ywai£ir, viel-
leicht (De)orsum pedes spic(i)ens iter tv/ji)m (te muHer)ib(us)
tt(t)q(tte) aecum cooper(i)ens occipias.1 Gleich darauf scheint
mir Decl(i)naf a(d)u(erte7 et) balneum, ubi uiri labantur mög-
lich im Hinblick sowohl auf die syrische Fassung Et attend*,
ne latteris in balneis cum uiris als auch auf den Wortlaut
der AC: nsQiiaTaao xai rijv iv ßaXavsiq* perä ivdqwv . . ytvo-
fihtjv Xofkrtv. Dem Räume würde freilich auch Decl(i)na d(e)
u(ia etiaT) Genüge leisten. — Dem Sinne entsprechend scheint
mir ferner non in Z. 10 zu tilgen; denn schon im Voraus-
gehenden ist die Eventualität des Fehlens eines Frauenbades
in der Stadt oder Gegend abgethan. Auch die Adversativ-
partikel autem zeigt an, dass, wie im griechischen Texte yvrai-
xeiov de Svrog ßaXavelov, weiterhin das Gegentheil besprochen
wird. — In Z. 15 sed [et], si potest fieri, nee per (sin)gulos
dies wird et nach dem Griechischen dXX*, sl dwarör, pr^i
xa#' f}piiqav auszuscheiden sein. — Z. 31 steht textlich fast
sicher. Die folgenden vier Linien geben zwar den Gedanken
(AC. 13, 12 — 16) orl otV ywaTxeg diä %¥$ aiöovg xai nqa&njtoq
rijv Ssoaeßeiav ivdeixwo&e eig iniarqotf^v xai fCQOTQ07iijy nioxtox;
xai xoig ixtdg itaaiv eure ywat^iv sixs ävögaaiv. xai sl öi dXtywv
vov&eTJjaavreg inaideixsauev vpäg, ädeX(<pai) ohne Zweifel wieder;
ihre Fassung im Einzelnen ist aber recht unsicher. Für foris
ecclesia (extög) verweise ich auf Cassiod. Compl. 5. in Col. qui
foris ecclesia esse noseuntur. Die syrische Uebersetzung bietet
ohne wesentliche Abweichung von unserem Texte decet osten-
I
1 Wofür m.9 wohl vulgär oscipiant geschrieben hat; oder sollte suseipuu
gemeint sein? Ueber d. pedes tpicien» (das nicht völlig zweifellos ist),
s. unten.
Eine lateinische Palimpsestübersetzang der Didascalia apottolorum. 29
dere pietatem erga Deum, ut fides extraneorum conxiertatur et
augeatur, uirorum ac mulierum.
Auf der III. Seite dürfte in Z. 12 statt iuuentus luxuriös
dem griechischen rag vEioregixag ära^iag gemäss mit Professor
v. Funk iuuentas zu schreiben sein (vgl. CIL. I, 1202 aetate
iuenta = a. iuuenta und iuuentare vearvsQi&tv in Glossen);
doch liegt auch iuuentu(ti)s nahe. — Das Ende der Zeilen
34 und 35 dieser Seite und der Anfang der nämlichen auf
der IV. Seite ist weggerissen. Dem Griechischen, der Länge
der unmittelbar vorhergehenden vollen Zeilen und den vor-
handenen Resten entsprechen die von mir eingesetzten Ergän-
zungen. Für SaQomon) . . con8tit(utu8 regnauit) bietet gleich
IV, 2 einen Beleg. In der nämlichen Linie ist Iosias statt
Ioas ein leicht begreiflicher Schreibfehler (vgl. Z. 1); vielleicht
war aber -si- schon in der Handschrift gestrichen; doch lässt
sich dies nicht mehr sicher entscheiden. — Z. IV, 9. Die
Punkte zu Beginn und zu Ende des ersten beati sind wohl
auf Tilgung der Dittographie zu deuten. Eine ähnliche Wieder-
holung begegnet noch auf derselben Seite Z. 32 et omnes. —
Nach edocauit (IV, 29) scheint die Conjunction et ausgefallen
zu sein, welche nach AA. 59, 20 die syrische Didascalia voraus-
setzt: el ri%va öeoasfißg iva&Qhpag xort rcaidsvaag TtQorjyayev;
so, nur mit einem kleinen Zusatz auch AC. 15, 14.
V, 3 ist in arca Noe (et) duo filii eius geschrieben nach
dem syrischen und griechischen Texte (AA. 69, letzte Zeile,
vgl. AC. 26, 13) iv Tfj 7uß(or$ N&s xal oi (dtio) vloi atirod.
Dies ist auch sinngemäss, da in der Didascalia der Satz
7iccT€Q€g tmkq naidtav ad tl{j,ü)qovvtcu oüfve viol inkq itcnkqiav
vorhergieng.
VI, 1. Nach dem griechischen Wortlaute (AA. 82, 18 ff.,
AC. 41, 1 1 ff.) ö fiivToi ixßdkXwv (pikv ixßatäv AA.J töv ävai-
xtov 7ti%Q6xsQ0g cpovhog ö TOiofrcog, o&c ä(poQ(bv sig rd %ov deoV
elsog oödi fAvrjfxovevwv atooti xty im zolg nexavoovoiv <iya#ü)-
otorp> oidk Xanßdvwv onortobg twv toiovtcdv xobg h. rtMj&ovg
7taQa7tTü)fidT(jDv ev fisravoiqt elhjqt&vag ilcpeatv habe ich zu An-
fang (benigni)tatem eius ergänzt und statt nee oblectans unter
Annahme eines leichten Schreibfehlers obieetans vermuthet.
Schwieriger ist die Heilung der sofort folgenden verderbt tiber-
lieferten Stelle. Da uns ihr genauer Wortlaut in der von den
30
XI. Abhandlang : H a n 1 e r.
Professoren Funk and Socin angefertigten Uebersetzung ans
dem Syrischen zur Verfügung steht, wollen wir zur besseren
Beurtheilung die drei Texte nebeneinanderstellen:
Lateinische Didascalia:
VI, 4 ff. Oportet au-
tem te, o epUcope, an\te
oculos habere et ea, qitae
praecease \ runt, »imid ad
scientiam sanitatis ad\eos,
qui corripiendi sitnt et
obtrectandi.
Syrische Didascalia:
Oportet autem , epi-
scope, ante oculos te ha-
bere etiam praeterita ab
eisque exemplum sumere
et discere eurationem ani-
marum et disciplinam ae
correptionem et quaerere
eos, qui paenitentiam a-
gunt et qttaeri necesse ha-
bent.
Text der Constitution«!:
p. 41, 22ff. xei **
at, <o inürxo7itz ttqö o-
(f&ak/Liwv $xfiv ***** T*
n Qotodfvxöra xal lu-
7T£/£<u; aviols X£%Qf>-
o&at n QÖgvov&taiarrwr
axvTtt ixibv jj naoaxlrjt-
xeör dtöptvtov ioy*>t.
Ueber das Verhältniss der drei Fassungen zu einander
sprechen wir weiter unten. Der Sinn und die trotz ihrer
Breite im Wesentlichen mit dem griechischen Texte überein-
stimmende syrische Uebersetzung scheinen darauf hinzuweisen,
dass nach ad scientiam sanitatis eine Lücke auszufüllen ist. Ich
halte die Ergänzung von sanitatis ad(hibere ad) eos, qui corri-
piendi sunt et obtrectandi für paläographisch wahrscheinlicher
als ad scientiam sanitatis ad (admonendum) eos oder ad sc. sani-
tatis ad(hibere ea ad admonendos) eos oder ad sc. sanitatis (iis
uti) ad {admonendos) eos u. dgl. Ad scientiam = ifirreiQfog ent-
spricht meines Erachtens dem discere des Syrers. Das davon ab-
hängige Object eurationem animarum fehlt dem Texte der AC;
ich finde es in sanitatis1 der lateinischen Uebertragung wieder
und glaube, dass lä^aza oder ein ähnliches Nomen, welches
sowohl zu OTvmiyubv als auch zu 7taQa%Xrjvi%(av passte, statt
oder neben airvoTg in der griechischen Didascalia gestanden
hat. Ob das Verb obtrectandi in obtestandi} obsecrandi, even-
tuell mit Professor v. Funk in oblectandi zu ändern ist, scheint
mir zweifelhaft, da keines dieser Zeitwörter den griechischen
Begriff (TtagcnikrjTixög) ganz deckt. Bei den Solöcismen, die
sich unser Uebersetzer erlaubt, halte ich es nicht für ausge-
schlossen, dass er obtreetare in der an traetare, traetatus (Predigt,
1 So in der Itala, vgl. Rönsch a. a. O. S. 264 und 274; Acc auf -» wie
IV, 26.
Eine lateinische PalimpsestQbersetznng der Didascalia apostoforum. 31
z. B. Augustin.) ihre Stütze findenden Bedeutung, (Schwer-
müthige, Traurige) im entgegengesetzten Sinne bearbeiten oder
behandeln, trösten/ also ohne jeden tadelnden Sinn fasste und
transitiv gebrauchte. — In Z. 11 fg. ist De Manasse als Lemma
des Archetyps in den Text gedrungen. Der Relativsatz quod
est praetei^missarum (Z. 16) aber wird als eine vom lateinischen
Uebersetzer absichtlich hinzugefugte Erklärung anzusehen sein;
die Femininform des Particips ist nicht zu ändern, sondern
ein nach dem unmittelbar vorausgehenden h %fi devTegq r&v
naqaXuTTOidvwv erklärlicher Gräcismus. — Z. 28. Zwischen
militiae und caeli ist et zu tilgen; vgl. Z. 35 und ttj GXQCtTiq
zov otqavov im Griechischen. Die Conjunction fehlt auch im
Syrischen.
VII, 2. Eine schwierige Stelle, die wahrscheinlich schon
in der Vorlage nicht ganz heil gewesen und überdies im
Codex durch Wurmstichigkeit entstellt ist; denn die nach Gae
folgenden zwei Buchstaben (wohl ba7 aus ua verbessert) sind
theil weise zerstört. Da das nächste Wort, nach %al ixXrjdovi-
ffiro zu schliessen, ein et gewesen sein kann (doch erschien
mir te ebenso gut möglich), so wird die Silbe rnon zu dem
Eigennamen zu ziehen und zusammen in Gae-Banaemon zu
lesen sein, was dem von Coteler geforderten iv yfj Bevervöfi
ziemlich nahe kommt. Oder sollte in Gaebanae monte möglich
sein ? In der syrischen Uebcrsetzung steht nach einer gütigen Mit-
theilung Professor v. Funk's in valle Benennom. — Den Worten
dns
(Z. 8) in domo dni7 quibus dixit ad David entspricht im
griechischen Text der Didascalia (AA. 84, 8 und 252, 18) ev
oiyuf) xvqIov , iv $ eins xvQiog tvqöq daßid. Da die gleiche
Wendung VI, 30 richtig durch in qua wiedergegeben ist,
muss hier an eine Corruptel gedacht werden. Stand in der
Vorlage dni ijgua dixit, so wäre der Ausfall von l und die
gedankenlose Verschmelzung von qua mit dns zu quibus nicht
schwer begreiflich. Die erste Hand hätte dann nachträglich dns
über der Zeile nachgetragen, ohne die eigentliche Verderbniss
zu merken. — Z. 10 ist nach (In domo hac in) Hierusalem
der griechischen Passung (AA. p. 84, Anm. 5) entsprechend
das Relativ quam einzuschalten. Bei der Flüchtigkeit, mit der
diese Linien geschrieben zu sein scheinen (vgl. auch die Cor-
32 XI. Abhandlung: Basler.
rectur der m.1 oberhalb der Z. 19), möchte ich das bisher
meines Wissens unbelegte ex omnibus tribfus) statt tribubu4
eher als Haplographie des Copisten auffassen als darin eine
Vulgärform suchen, für die ab omni partes II, 18 keine Ana-
logie bilden kann. — Z. 34. euertitur et euertitur in fadem,
(s)uam wird durch den syrischen Text cadit in faciem raan
bestätigt.
VIII, 6. Diaeonus requirat, — si de ecclesia est et non
in (statt ut) heresi paläographisch leicht nach duhtorog im-
xqivkna, — el ix Ttjg ixxXtjoiag fj ix puag %<bv atqiaew iart
(AA. 123, Anm. 2). Mir scheint dies anderen naheliegenden
Conjecturen, wie de heresi oder ut(itur) h. vorzuziehen zu
sein. — Z. 22. honorabilior saecundum saeculum aut (pere-
grinus aut) de ipso loco tuo ist gleichfalls nach den grie-
chischen Worten (AA. 124, 14; AC. 88, 27) 1} £evog 1} m«W°$
einzusetzen; vgl. IX, 7.
IX, 22. Nolite ergo (uos)met ipsos .... spargere, vgL fAid
oir iavrovg .... oxoqniC.ete (AA. 125, 13). — 30. Nolite —
nee spargere corpus eius (Christi) nee praeponere di (statt a ■
uerbo necessitates temporari(a)e uitae uestrae firjdi axoQrtiCerB
%a (i^Xtj a&roü pr]d& nqoxqivsxs roß feiov Xöyov Tag ßwmxag
XQtlag (AA. 125, 17 fg.; AC. 90, 3fg.).
XI, 3. Eum ist nach dem zu Anfang des Satzes stehenden
Adam (Acc. Sing.) auffällig, aber kaum zu ändern, da die
anakoluthische Wiederaufnahme dieses Begriffes durch seine
stärkere Betonung gegenüber dem folgenden et nos, insbesondere
aber durch die Setzung der indeclinablen Form Adam veran-
lasst sein wird. Die Construction nähert sich der in Relativ-
sätzen vulgär nicht seltenen Wiederholung des Demonstrativs
im gleichen Casus. In den AC, welche hier mit der Didascalia
(nach Lag.) übereinstimmen, findet sich in minderen Codd. noch
6 diäßoXog, so dass man versucht sein könnte, auf das Fehlen
von inimicus zu rathen; aber erstens hätte der Uebersetzer
dafür, wie sonst, wohl diabolus (vgl. Z. 10) geschrieben, ferner
hat der in der Didascalia unmittelbar vorhergehende Satz mit
dem unseren das gleiche Subject; daher ist dieses Wort fiir
unsere Stelle kaum vorauszusetzen. — Z. 15, durch die geringe
Buchstabenzahl allerdings etwas auffällig (doch vgl. Z. 29 und
XII, 35), könnte nach dem Zeugniss der AC. xt]Qvaoeiv %dv löyov
Eine lateinische Palimpsestfibersetsung der DidatcaUa apoitolortm. 33
rfjg ^(ofjg zu ut . . . praedicaremus uerbum (uitae) ergänzt werden.
Wahrscheinlicher aber ist es, dass das auch im Syr. fehlende
Wort eine Zuthat in den AC. ist.
XII, 6. Aus uetera autem diuersae per doctrinas suas
inspergebant ist nach dem Zusammenhange (vgl. Z. 2 fg. erat
quidem Ulis omnibus aequaliter lex u. s. w. andererseits Z. 8 ff.
alii . . docebant — , alii iterum — , alii autem u. s. w.) und
nach dem bei Lagarde (AA. p. 326, 10) entsprechenden grie-
chischen Wortlaute iv ülloig di diacpÖQwg did&axovoi aal &oqv-
ßovat unschwer cetera autem diuerse per doctrinas suas in-
spergebant herzustellen. Ist dies richtig, so dürfte in der
ursprünglichen Didascalia unter Anderem wohl iv toiq liXXoig
gestanden sein.
Die Sprache der Uebersetzung ist in allem Wesentlichen
das Vulgärlatein, welches uns die ältesten volkstümlichen
Bibelübersetzungen vor Hieronymus zeigen. Wie bei diesen
macht sich ferner der Einfluss des ziemlich wortgetreuen Ueber-
setzens aus dem Griechischen stark geltend.
Wir wollen im Folgenden hauptsächlich die in den obigen
zwölf Spalten enthaltenen Vulgarismen und Gräcismen kurz
zusammenstellen, wobei es uns ferne liegt, alle unelastischen
Wörter und Wendungen aufzuführen. Citate von Rönsch ohne
weitere Bezeichnung des Werkes beziehen sich auf seine ,Itala
und Vulgata, 2. Ausgabe, Marburg 1875'.
Hinsichtlich der Orthographie erscheinen die meisten
der uns auch sonst aus den ältesten Handschriften geläufigen
Eigentümlichkeiten :
Das phonetische Zusammenfallen gewisser Vocale und Di-
phthonge im Volksmunde findet auch graphischen Ausdruck bei
ae und e, besonders in unbetonten Silben: saeeundum VIII, 22;
paeeuniae XI, 4 (neben pec. daselbst 5); diuersae (f. -e) XII, 7
u. a. — caude (f. -ae) V, 16; penitentia VI, 3; Amorreus VII,
25 (^fiOQQalog); que (f. quae) XII, 13 u. s. w.
i und e in dispiciens se (für desp. se) I, 4; distruxit
VI, 24; sedis (f. sedes?) VIII, 20; nos credentis (ijftstg morevov-
%eg) X, 2; in maiori gloria X, 35; terrigin(a)e I, 24; — incedat
(f. ineidat) IV, 22 (iyLnia^) ; reddet (st. reddit) X, 29; Chri-
steanae I, 30.
Sitxung»b«r. d. phil.-hkt. Gl. C1XX1V. Bd. 11. Abb. 3
34 XI. Abhandlung: Hauler.
o und u: pacificos (f. -us) IV, 13; alios (-us) V, 9; edo-
cavit IV, 29; praeuentus (f. -o«) XII, 25; vielleicht auch honu-
rant IV, 31. Bemerk enswerth ist ferner uu f. u: u.uuam
(= uvam) V, 27 (vgl. Rönsch S. 466) und euuangelio III, 16
(euang. IV, 8); umgekehrt tum f. <www II, 1.
Fälle von Prosthese von i oder e vor *, dann Zerdehnung
oder weitergehende Casusvermischung (wie praesente, excellente
f. praesens, excellens) erscheinen noch nicht. Dagegen die
älteren orthographischen Formen: fili (f. -ii) IV, 14 und V, 32;
manus inpositionis (Acc. Plur.) IV, 26 und vielleicht sanitatU
VI, 6.
Nennenswerthe Lauterscheinungen bei Consonanten sind
der Wechsel von b und v : labantur II, 3. 6 a. ; deiubat VIII, 15.
— ualneis II, 13, -t II, 17 ; auet (habet) IV, 29; aceruam V, 27;
Cleouium XI, 19; iustificaueris (-beris)9 condemnaueris (-beris)
III, 19 fg.; resuscitauit X, 12. 24. 28.
b und p: scribturas II, 28. — optulit XI, 1, vgl. 19.
d und t : inquid II, 25. — aput homines, dm IX, 1 1 fg.
c und qu: cinquaginta1 III, 11. — Sprachlich richtig:
aecum f. aequum II, 2.
Einschub von t: Istrahel IV, 1, V, 26. 30 und sonst Dies
die spmehgerechte Form des römischen Volksmundes ; ihr Vor-
kommen hält Rönsch (in Hilgenfeld's Zeitschr. für wissensch.
Theologie 1883, S. 497 ff.) für eines der wichtigsten Merkmale
sehr hohen Alters bei vorhieron. Bibelversionen. — Einschal-
tung von p: contempnit I, 5; von n: occansionibus V, 8 (vgl.
Probi app. IV, 198, 21 K. : occasio non occansio). — Parasitisches
s: ab omni partes II, 18. — Verdoppelung der Liquida: qune-
rella III, 9; parroeiis III, 8, -a VIII, 3 a. (aber paroc. III, 23).
Schwund des -m im Auslaute vielleicht IX, 15 in ecclesia j
frequentare (slg %ty ixxkrjolav) und II, 9 in balneo ingrederis
(doch vgl. Syntakt. Eigenth.).
Aspiration: hii7 qui IV, 30. 35; vgl. ab his, qui III, 28,
V, 6; ora (hora) II, 16; auet (habet) IV, 29; pi tones (wahr-
scheinlicher als pu\tones) ftv&taveg VII, 3 fg.; catolicam XII, 35.
1 Die erste Hand schwankte an dieser Stelle zwischen q und c. Uebrigens
ist von qui ■= kyi zu ki der Uebergang leicht, wie ausser der Phonetik
griechische Transcriptionen und lateinische Inschriften bezeugen, vgl.
C1NQUE und CINQUAGINTA im CIL. X, 6939, 7172 u. a.
Eine lateinischo Pulimpsestfibersetznng der Didtucalia apottolorum. 35
Es fehlen bisher Beispiele unter anderem für den Schwund
eines n oder Schluss-t (z. B. uul), für Prosthese von 8 vor c
oder für Verkürzung von ex zu 8 (wie sculpere aus exsculpere).
Es scheint daher glaublicher, dass oscipiant (f. oeeipias) der m*
(II, 2) eine Verschreibung ist als Zeichen für völlige Verdunke-
lung des auslautenden Flexions-« und -nt der Verba. Sonst wird
in der Schreibung / vor ph bevorzugt, daher blasfemare II, 24,
XII, 5 {-ph. II, 26); neoßtus IV, 21; profetarum VII, 22,
XII, 4 u. a.
In den Compositis ist Dissimilation nicht selten: adlo-
quatur VIII, 13; adparens I, 17; adponam VII, 12; conmuni-
cantem IX, 26; inreprehemilem III, 9; inritaret VII, 6; necle-
gere IX, 27.
Die Silbentrennung erfolgt, wie sonst in den alten Co-
dices, nach der Aussprache, also: Reg\ norum VI, 14 fg., malig-\
num VII, 18 fg.; suseep tus VIII, 16 fg.; te8\timonium III, 27 fg.;
cas\titatem XII, 10 fg. Ferner: abs\con808 I, 21 f.; epis\cope
V, 15 fg.; si\cut VII, 32 f.; inte\ritum XI, 10 fg.
In formeller Beziehung ist erwähnenswerth : Die hetero-
klitische latinisierte Nominalform plasma ae X, 23. 27 (auch
Commodian carm. apol. 315, Instr. I, 35, 2). Der Genustausch
bei altarem VI, 26. 30 (aber altaria VI, 28. 34, altaribus da-
selbst 32). Die Umschreibung des Comparativs durch magis
in magis iunior IX, 1 nach dem griechischen rdv näkkov vsw-
t€qov (daneben iuuenior VIII, 33 fF.).
Conjugations tausch der regelmässigen Verba: fugire II,
20 (vgl. I, 25) ; deleam (dnoleitpü)) VII, 32. — Analogismen :
eregit VI, 26; aedperunt VI, 3; diuidissemus XI, 13; absconsos
I, 22. — Anomala et defectiva: exiuimus XI, 14; odiunt V, 7.
Vertauschung der Verbalgenera: fuisse praeuentus (-o%) = prae-
ueni88e XII, 25 (oder ist praeuersos gemeint?); depraedabant
XII, 20 (wie depraedauerunt Ital. Zach. 2, 8 bei Ambr. de fide
II 4 [3], 36).
Besonderheiten der Endung, Bildung und Bedeutung.
So weit ich sehe, sind bisher unbelegt oder sehr selten:
Alabastrus (Nom.; sonst alabaster oder strum) VII, 33
(rtv&ov; Plur. alabastri Inscr. Neap. 4378, -os Plin. XXI, 14
gehören vielleicht auch zu dieser Vulgärform).
3*
36 XL Abhandlung: Hanler.
Auguriari (auguriabatur) VII, 2 (Gen. c. 44, 5. 15 ist in
der Vulg. auguriari und auguriandi recht gut bezeugt, vgl.
Rönsch, Vollmöller's Rom. Forsch. III, 335).
Conoxia (facta es animae) I, 2 (mit Genetiv wie noxiu*
bei Tacit. und evoxog im Griechischen); ähnliche Bildungen
der Volkssprache sind comparticeps, condigntts, consponsus, s.
Rönsch S. 223 fg.
Deiuuare (deiubare) höchst förderlich sein: peregrinus,
cum adloquium dat, deiubat populum VIII, 15 (TtaQcnJir/ji^
wcpsh(.iwTdTrj) . Das &Vra§ elqr^evov bei Plaut. Trin. 344 dese-
rere illum et deiuuare in rebus aduorsis pudet hat die ent-
gegengesetzte Bedeutung.
Inquietus (permane i., psve fjavxtog) VIII, 27; also = in
guiete, (plane) quietus, vgl. die positiven Begriffe inpinguis fett
Hegesipp. III, 26, 2 und die lateinische Uebersctzung der epist.
Clementis ad Corinth. (Morin) p. 3, 12; inopimus Oros.; inca-
seatus August., Ital.; incrassatus Ital., Vulg.
Intaminatio (ad -onem uerbi eig ßsßJjkwGiv tov Xdyov) XI, 18
(das Verb intimare = contaminare Mos bei Hegesipp. II, 10, 4
und in Gloss., vgl. Rönsch, Vollmöller's Rom. Forsch. I, 319).
Procantatores (ijtaoidoig) VII, 4 (vgl. praecantator August,
in psalm. 127, 11 u. a. ; probibere Gloss.; pronomen = prae-
nomen Bened. reg. II, 5, Wölffl.).
Repausare reflexiv (ävattavetT&at, se reposer) III, 5 fg. (s.
unter Graecismen).
Rixiosus I, 29 (in der Vulg. rixosa); ähnlich in der Itala
und Vulg.: alleuiare, angustiati, confortians und auguriari.
Secundatio XII, 28 fg. (vgl. Syr. deuteroseos ; überliefert
ist fecundationis).
Sonst sind noch zunächst wegen der Bildung hervorzu-
heben: I. Die Substantiva: Inproperium I, 6 (ö'veidog); iuua-
mentum similitudinis VI, 13 (totpeXi^tov 7taQadeiyfia; iuuam. auch
Veget. Mulom. III, 4 Ende); sessoria (disponere) VIII, 26%.
(auch Cael. Aur. Acut. I, 11, 84); pru[i]na (ävÖQaxux) I, 22
(Ital., Vulg.). Dann eine Reihe von Bildungen auf -io abge-
sehen von dem archaistischen conuentio II, 19 und dem auch
sonst häufigen conuersatio III. 31 und dem wahrscheinlich
ergänzten (corroboratio)nem fidei II, 33 (ftQOTQonijv Triatea/g)
u. a.: abominationibus VI, 21 (drcd x&v ßdekvyiAdrtov), con~
> i
i
Eine lateinische PalimpsestüberMtarag dar Didatcalia apottolorum. 37
fusionem (Bedeutung s. unten) II, 31; partidpatio XI, 11
(pegis; August., Vulg. a.); ponderationem VII, 31 (ara&fiöv; vgl.
Vitruv. und Vulg. Sirac. 6, 15); vielleicht auch obue(lationem)
I, 34 (vgl. coopertio, oblaqueatio und besonders reuelatio in der
Grundbedeutung bei Arnob.). Deminutiva: Ausser anicula VIII,
33 fg. noch iuuencula IX, 1 (Tert.). Substantivierte Adiec-
tiva: uolatilia, natatilia X, 15 (izezeivA, vtjxzd, vgl. italien.
uolatili, franz. uolaille); sculptilia VI, 25 (yXv7trd; Didasc.
OTJjXag) ; uidebit omnis caro salutarem di X, 32 (wohl = vijy
aanrjQiav vlvqiov, vgl. Rönsch S. 100); condensum VI, 27 (-a)}
VII, 7 (-i), üXaog, vgl. Tert. de uirg. uel. 17 (aber in anderer
Bedeutung).
IL Die Adiectiva: (cum mulier e) linguosa I, 28; litt'
giosa II, 20. 30; -us IV, 20.
III. Verba: 1. Derivata: angustare IX, 18; hereditates
II, 24 fg., IV, 9 fg.; mediare (uerbum) VIII, 28 (dia^/mxsiv) ;
clarificatos X, 11; iustificaberis (diYJXKDxHjorj Matth. 12, 37, wie
viele Italacodices und die Vulg.) III, 19; uiuificans (Cponoielv)
X, 24. 27., ~at daselbst 33. — 2. Simplicia: spiciens II, 1 (auch
archaisch). — 3. Composita: circuminspice VIII, 35; coaduna-
mini IX, 24 (avva&QOi^öpevoi , vgl. Ital. und Lucif. Cal. 4, 22
Hartel, Instit.); coinquinari V, 21 (GVfifioXvvso&ai). — 4. Inten-
siva: manducauerunt V, 27 (etpayov), daselbst 35, XII, 14 fg. u. a.
Semasiologisches: 1. Substantiva: Abgesehen von dem
häufigen uirtus = uis7 dvvafitg : per confusionem (diu rfjg aldovg)
II, 31; per bonam conuersationem (iv efaa^iq) III, 31 (guter
Lebenswandel); wahrscheinlich auch ad co(nuer)si(onem) . . fidei
(elg imatQoq^v . . moTewg) II, 32 (wie Augustin de civ. dei
VII, 33; VIII, 24, 2); maleficia faciebat (icpaQ^axeveTo) VII, 3;
(sine quaerella esse,) inreprehensibilem III, 9 {äviyxkrfcov , &v-
ertih)7tTovy vgl. Genes. 17, 1 esto sine querela, hoc est inrepre-
hensibilis Ambros. de Abr. I, 4 und Rönsch p. 321).
2. Pronomina: Quanta ex uinculis . . legis erant (=quot)
XII, 28 (cf. Tert, Lact., Lucif. Cal. p. 300, 7 ff., Bened. reg.
IX, 1 W. und Rönsch S. 336); — per ipsam Sapientiam (=
eandem, rrjv airvrjv) I, 10 * und umgekehrt qui cum eodem sunt
1 Rönsch S. 424 fg. und in Vollmöiler's Rom. Forschungen II, 287, wo
Beispiele aus der sehr alten vorhieron. Uebersetzung der Apostelgesch.
im Cod. QigoB angeführt werden.
38 XI. Abhandlung: Hau ler.
(= ipso, awdviiüv aixqi) III, 28; quisque (— quicumque) I, 19
(Rönsch 336).
3. Adiectiva: (fecit) malignum VI, 20 (%6 ttorrjQÖv), VII,
5. 18; (in parocia) modica III, 24 (iv n. f-UXQq).
4. Adverbium: praeter ea = praesertim, (cum — )tum7
{iälioia II, 21, IX, 8 (cf. Digest. XXXI, 34, 5. L. 7, 16 pr.)-
5. Verba: (martyrium) accipiamus X, 10; non adponam
mauere pedem meum VII, 12 (oi> 7tQog^fysia %öv ndda fiov aa~
Xevaai, nicht weiter; Hebraismus) ; nos — a datione di uoluit cir-
cumuenire XI, 4 (vfjg döoewg %ov deov 7t€Qiygaipai ; etwa =
intercludere) ; detraheremus Uli uirtutem XI, 7 (drtod&ftf&a
afaoj . . . dcjQedv; = deponere, tr ädere); exterminat I, 13 (zer-
stören, vernichten); facere mit acc. c. in/. (= franz. faire mit
Inf.): peccare fecit Iudam (cf. Vulg. Reg. II, 23, 15 qui p. /.
Israel) VII, 26, IX, 2 ff.; intendens Petrus ad XI, 8 fg. (äreviaa*;
]J. slg — intuens, spectans); nescit (ruborem) I, 16; non debere
(eos) nubere dicentes, quia qui non nubet XII, 9 fg. (= uxorem
ducere, yctfielv); obtrectandi, wie es scheint, in der Grund-
bedeutung ohne tadelnden Sinn VI, 7 (vgl. S. 30 fg.) ; cum . . sobrie-
täte uigilare, entsprechend dem griechischen vrtfaletDg xai ky^tj-
yoQ&itog hat Aval VIII, 1, wohl durch die Bedeutung von stare
= esse (etre) im Vulgärlatein (Rönsch 388) erklärlich, so dass
der Uebersetzer iyQ. iai, als cum uigilantia esse9 uigilem esse
fasste und daher durch uigilare ausdrückte.
6. Präpositionen: (litigiosa) ad omnes — aduersus o.
II, 20 (rtQÖg ndvcag); quae in lege sunt munda XII, 17 (xatä
vöfiovj vgl. daselbst 18 secundum L); foris domum IVf 35 (%;&
%f\g oixiag), vgl. II, 33 fg. (foris ecclesia hxög, so auch Cassiod.
Compl. 5 in Col.) und deorsum pedes II, 1 (ähnlich seorsum
mit Abi. bei Lucr. III, 564. 631 fg.).
Syntaktische Eigentümlichkeiten: 1. Casus und Prä-
positionen. Um von castitatem studere (XII, 10. 26) abzu-
sehen, ist erwähnenswerth : ipsis miserebitur ds IV, 12 (Matth.
5, 7, ebenso bei Ambros. Off. I, 16; vgl. Rönsch 413 fg.); t'ndt-
gens panem I, 15 (wie egere Rönsch 414); profetas non utantur
XII, 4; balneum . . ., quod utaris II, 10 fg. ; dirigentes iter in
uiis suis I, 19; in balneo ingrederis II, 9; in ecclesia \ fre-
quentare IX, 15 (elg rfjv ixKtyaiav ivdelsx'iCeiv ; auch Abfall
des m möglich). — per quandam rationem III, 12 (xqAmf
Eine lateinische PalimpeestttbersetEung der DitUucalia apostolorwn. 39
rivl); per dationem paecuniae XI, 3 (kfjipei, %(bv xqr^&tmv) ,
vgl. III, 30 und VI, 9.
2. Comparativ statt Positivs: fuge citius I, 26 (für cito;
vgl. Bened. reg. V, 16; LX, 4 W.); fidelium fideliores X, 34
(tovq maxobg r&v tuox&v).
3. Tempora, Consecutio temporum und Modi: Das
vollere Plusquamperfect Coni. statt Impf. Coni.: cum regnasset
VT, 18; cum . . . moti fuissemus XI, 8 (fjit&v . . . raQax&eytwv) ;
Futur wechselt mit Coni. Präs. : cogatur (ävayxao&rjaeuai) II, 27,
vielleicht durch das vorhergehende (Z. 22 ff.) ut — non co-
gatur mitbeeinflusst; sit (eatai) VI, 33; erit (el\) XI, 11 (wenn
nicht an freiere Uebersetzung zu denken). Consecutio temp.:
erat . . . lex, decreta et ut profetas non utantur et ut patrem
deum blasfemarent et resurrectionem non credant XII, 3 ff.
Unauffällig sind Beispiele wie (dicentes,) quia qui non nubet
castitatem studeret XII, 10 (üya^wg) und ea} qu(a)e animam
habentj non debere manducari (Eii\fw%a) daselbst 14. — Ut . .
non im Finalsatz: II, 22fg., IX, 11 (Iva — pr}); Indicativ
findet sich (wohl nach dem Griechischen) im indirecten Frage-
satz: requirat . . ., si adhuc uirum habet u. s. w. VIII, 5 fg. (el
VnavÖQog — iori).
4. Infinitiv, Acc. c. Inf. vertreten durch quod7 quia:
quod . . non potest quis perire — manifestum est V, 19 ff.;
testimonium habet — , quia dignus est III, 29 (iMfiaQTVQTftievog
— ug ü&og). Infinitiv statt Gerundivum wahrscheinlich in (ad
de)siderare t(e) I, 1.
Stillstisch: Die Wiederholung des Verbs nach Negier ung
des vorhergehenden positiven Begriffes unterlassen, trotzdem es,
nach dem syrischen Texte zu schliessen, im griechischen Ori-
ginal stand: filii eius saluati et benedicti sunt; Cham autem . .
non V, 4 (Xä^i de . . . oi)x tjvloyrjdT]).
Grraecismen ausser den schon erwähnten: 1. Formelle:
Pseudoapostolus XI, 17 fg., XII, 1 fg. (auch sonst, so Cypr.,
Lucif. Cal.); repausare III, 5 fg. (ävaitaveod-ai oder -oao$ai)
reflexiv: sich zur Ruhe legen, vgl. franz. se reposer; ähnlich
Ilieron. hom. Orig. in Ezech. 12, 5 und transit. Interpr. comm.
Orig. in Matth. §. 138 qui . . . quasi supra patris gremium illud
(caput) repausans exiit (Rönsch, Zeitschr. für die österr. Gymn.
40 XI. Abkudlaog: Hanler.
1887, 89). — Transcription: In quarto libro Regnorum et in
secundo Paralipomenum VI, 14 fg. (iv ttj Tetd^rt] rwv ßaoi-
Xei&v aal iv rjj devriqq x&v 7taQaX€i7to^4vwv); in Gae-Banaemon
(t) VII, 2 (iv yfj Bevewöfi). — Genus: In secundo Parali-
pomenum, quod est praetermissarum (iv t§ devxeQq %(av 7t.)
VI, 16, wohl durch das Femininum dsvtioq (nämlich ßißha)
veranlasst.
2. Syntaktische bezüglich a) der Casuslehre: petes
eum . . ., ut (i(HOT7]0EiQ abrdv) VIII, 13; iuuate infirmis etc.
V, 10 fg. (ßoq&etv TOig voooikn); no8 nocuit V, 1 (eßlaipev fjpäg);
— inperauit . . in Hierusalem VI, 19 (iv tL)y VII, 9 fg. ; in
Hierosolyma XII, 33 (aber cum uenisset Romam XI, 24). —
b) Der Pronomina: Demonstrativa statt des griechischen Ar-
tikels: aduocans eos praeter euntes I, 18; uitae istius III, 3 (tot
ßlov). — Attraction des Relative: ex omnibus, quibus fecit
VII, 24 (ind ndvrfov, &v irtoirjasv). — c) Des Infinitivs; final:
qui non conuenit . . . audire (st. ut audiat) IX, 34 fg. (6 utj
avveq%6^evoq . . . dxoveiv). — d) Des Particips: constitutum
fidelem II, 17 fg. (itiazty ofaav)] ähnlich 2oXo{itbv dtoöeiuxstrjg
. . ißaailevOBv S. duodedm annorum constit(utus regnauit) TU,
35; ferner 'Iioolag iv diyutioovvrj öktu) izwv ißaolXevcev los. in
iustitia octo annorum constitutus regnauit IV, 2 (wo vielleicht
der Nominalbegriff von regnare vorherrscht).
Der Uebersetzer Hess sich also von der Sprache des
Volkes und des griechischen Textes stark beeinflussen. Ana-
koluthien (vgl. XI, 3) und schwerere Verstösse finden sich
relativ selten. Doch möchte ich weder daraus noch aus meh-
reren Missverständnissen des griech. Textes auf die Nationalität
des Uebersetzers einen Schluss wagen. Immerhin scheint es
beachtenswerth , dass die Sprache manches mit dem soge-
nannten Hegesipp Gemeinsame aufweist.
Wie schon das Gesagte schliessen lässt, zeigt sich zu-
nächst in den vielen Bibelstellen zwar weniger geschmack-
volles Latein als in Hieronymus* Uebersetzung, dafür aber in
der Regel engerer Anschluss an den griechischen Text und
infolge dessen meist auch grössere Durchsichtigkeit des Ge-
dankens. Man wird unwillkürlich an Augustins bekannte
Worte über die Itala erinnert (de doctr. Christ. II, 16) est uer-
borum tenacior cum perspicuitate sententiae. Dies geht ans
Eine lateinische PaMmpsestÜbenetsnng der Didascalia apoHolorum.
41
dem Vergleiche des Vulgatatextes fast jeder der von uns auf
den Probeseiten citierten Bibelstellen mit unserem und dem
griechischen Wortlaute hervor. Wir glauben, dies nur kurz
an den ersten Beispielen belegen zu müssen, und stellen gleich
im Folgenden die Texte nebeneinander:
Griech. Bibeltext:
Prov. 18, 3: "Orav
n&rj äatßijS ek ß&Sog
xctxüv, xctTatpQovtT, in£(>-
Xtiai 61 avr& AxifiCa
xat bv(t4og.
Prov. 11, 22: laGntQ
tviüTlOV iv $ivl tfdff, 0$-
jtog yvvaixl xax6(pQovi
xdXXoq.
Prov. 12, 4: ßaneq
[61 om. in AC.J Iv £ttty
<rx<aXrj$ , oihtog ävÖQCt
dndXXvai fdn. ävÖQa
ACJ yvvii xaxonoiög.
Uebersetzung der Didasc&lie :
I, 4 (Inpius,) cum ue-
nerit in prq/undum ma-
lorum, contempnit, et ue-
hiet ei infamia et inpro-
perium.
I, 1 1 Sicut inaures in
nare pore(i), ita mtUieri
maliuclae species.
I, 13 Sicut lignum
uermis exterminat , sie
perfdijdit uirum mutier
malefica.
Vulgata:
Impius, cum in pro-
fundum uenerit peccato-
rum, contemnit: sed se-
quitur eum ignominia et
opprobrium.
Circulus aureus in
naribus suis, mulier pul-
chra et fatua.
(Mulier) putredo in
ossibus eius (uirij, quae
confusione res dignas ge-
rit.
Die Auslassung des Wortes doeßrjg inpius an der ersten
Stelle in unserer Uebersetzung haben wir schon oben zu er-
klären versucht. Im Uebrigen ist bis auf die Wortfolge alles
möglichst genau dem griechischen Wortlaute nachgebildet.
Hieronymus aber setzt statt xaxöv malorum freier peccatorum,
fiir i7tiQ%Bi;m ain(p ueniet ei blos sinngemäss sequitur eum, dies
wohl um die Wiederholung von uenire zu vermeiden. Weiter-
hin hat er das kräftigere infamia durch ignominia, das vul-
gäre inproperium durch das classische opprobrium ersetzt. Mit
der Fassung in der Didascalia stimmt das Citat des auet. oper.
imperf. in Matth. hom. 41 cum uenerit impius in profundum
malorum, contemnit fast wörtlich und August. Psalm. 113 pec-
cator, dum uenerit in profundum malorum, c. im Wesentlichen
überein. — Die zweite und dritte Stelle im Einzelnen zu be-
sprechen, dürfte überflüssig sein, da die Umgestaltung bei
Hieronymus ohneweiters in die Augen springt. An der zweiten
bietet der soeben erwähnte Verfasser des opus imp. in Matth.
hom. 45, in wichtigen Punkten mit unserer Fassung überein-
stimmend, sicut inaures aureae in naribus porci, ita mulieris
42 XI. Abhandlung: Hanler.
male morigeratae species, doch ist aureae hinzugesetzt und die
Genetivconstruction gewählt, welche dem Griechischen minder
genau entspricht. Hieronym. in Ezech. 27, 28 hat inauri*
(ohne Zusatz) in naribus porcae, sie mulieri male moratae
pulchritudo. Cassian Collat. XIV, 16 berührt sich in specie*
wieder mit dem Didascaliainterpreten. Unserem Uebersetzer
ist, nach der Wortstellung in dem dritten Spruche zu urtbeileD,
die uns in AC. bewahrte Textesvariante vorgelegen. Das Bild
hat er ferner plastisch wiedergegeben, während es die Vulgata
abändert. Aus den übrigen Citaten der heiligen Schrift hebe
ich noch die zweimal I, 27 und II, 29 angeführte Stelle Prov.
21, 19 hervor, weil sie Abweichungen im Wortlaute aufweist.
Den Worten in angulo obscuro und cum mutiere linguosa ei
rixiosa dort entspricht hier in deserto und cum muliere lin-
guosa et Utigio8a. Der dazu gehörige griechische Text bei
Tischendorf bietet iv tjJ iQtjfMp und (.tera yvvcuxdg itaxipav %ai
yXaxjOtodovg xal ÖQyilov, in den AC. aber steht an der ersten
Stelle (12, 8 Lag.) iv ywviq (Int ytuviag) vnai&QOv (wohl im Hin-
blick auf Prov. 21, 9 gewählt) und fi€tä yvvcuxdg yhaaa&dovg
aal fiaxitiijQ, an der zweiten (13, 11) iv i(yquto und gleichfalls
fi. y. yX. x. (ia%. Ist die griechische Lesung wtai&Qov gesichert,
so hat der Interpret das Wort in der nach unseren Wörter-
büchern sonst nicht belegten Bedeutung von iftaeQtog (Apoll.
Rh. IV, 1577 ftikayog, obscurum) gefasst. Wir ersehen hieraus,
dass ihm der uns in den AC. überlieferte griechische
Text der Bibelstellen in wesentlich gleicher Fassung vor-
gelegen ist; ferner, dass er auch einander so nahe Citate
nicht gleichgemacht noch nach dem eigentlichen Bibeltexte
verglichen, sondern sich treu an seine Vorlage gehalten
hat. Da zu II, 29 die syrische Uebersetzung nach Lagarde's
Angabe nicht auf iv iorjiMp, sondern auf inl yiovlag vnaid^ov
schliessen lässt, ausserdem den Zusatz iv fiiaip rfjg olxiag nach
ywatxdg yL x. p. aufweist, so dürften wir nicht fehlgehen, wenn
wir dem Syrer oder seiner griechischen Vorlage hier ein An-
gleichen der beiden Stellen und Erweiterung der zweiten zu-
schreiben. Schliesslich will ich noch IV, 6 ff. (Isai. 66, 2)
deshalb berühren, weil die lateinischen Worte Super quem
respiciam, nisi super mansuetum et quietum et trementem uerba
mea semperf fast ganz dieselbe Fassung zeigen wie in der
Eine lateinische PalimpscstüWsetzung der Didascalia aportolorwn. 43
von Morin jüngst herausgegebenen Uebersetzung des Clernens-
briefes an die Korinther S. 14, lff.; hier lauten sie nämlich
Super quem respiciam, nisi super humilem et mansuetum et
trementem uerba meaf Das Fehlen des semper hat in dem
gewöhnlichen griechischen Wortlaute: inl xiva i7iißXhpiü, älX
fj ini %öv xaneivdv xal tjovxiov %al xq&yLOvza %vbg Xöyovg ftov;
seinen Grund, und so hat auch Lagarde in seiner Ausgabe
der AC. 14, 21 ff. geschrieben, aber statt xcmeivdv (cod. y und
ed. princ.) das von seinen besten Handschriften (wx) bezeugte
rtQäov aufgenommen. Dies, wie der lateinische Text zeigt, mit
Recht; semper jedoch weist darauf hin, dass im Folgenden
die Ueberlieferung diä Ttavzög (in y und der ed. princ, vgl.
Pitra) auch die des Uebersetzers war, und dasselbe bestätigt
die syrische Version. Wir sehen schon daraus, dass wir mit
dem lateinischen Texte ein wichtiges Hilfsmittel für die
Kritik des Textes der Bibelstellen auch der AC. gewonnen
haben. An und für sich aber sind die vielen lateinischen Ci-
täte für die Kenntniss der vorhierony manischen Uebersetzungen
höchst wichtig, zumal da sie oft weit ausgedehnter sind als
nach dem Texte der AC. und nach Lagarde's Didascalia pu-
rior anzunehmen ist. So erstreckt sich z. B. die V, 24 be-
ginnende Anführung der Worte aus Ezech. 18 nicht nur von
§. 2 bis 5, sondern läuft von §. 1 ab ohne Unterbrechung auf
der nächsten Seite fort, und zwar höchst wahrscheinlich,
übereinstimmend mit der syrischen Uebersetzung (vgl. Funk,
Apostol. Constit. S. 30), bis §. 32, wenn auch bisher der la-
teinische Text nur sicher bis §.13 entziffert ist. In den AC.
ist dieses lange Citat auf die §§. 2 — 5, 9 — 11, 13, 19, 20,
24, 27, 28 und 30 reduciert, also um 18 Abschnitte verkürzt.
Lagarde lässt in seiner Didascalia 9purior die in den AC.
auf die Excerpierung des ursprünglich vollständigen griechi-
schen Textes hinweisenden Wendungen: xcu iltfjQ iitiUytov rag
Xomäg ÜQETccg iniaq>gayi^ezai Xiycjv, dann xai krtdywv rä i£fjg
irtayei rolg relewaioig — xai iiex* dliya (irtayst) (prpiv —
xai i£fjg einfach weg und schiebt den lückenhaften Bibeltext
zusammen.
Nicht minder werthvoll ist meines Erachtens unsere Ueber-
setzung für die Wiederherstellung des übrigen Textes der
alten Didascalia. Den bisher einzigen Versuch, ihren grie-
einsehen Text zn reconstruieren, hat Lagarde, wie erwähnt,
nach der syrischen Uebersetzung gemacht; doch hielt er sieh
zn sehr an den Wortlaut and die Anordnung der AC. und
übergieng grossere Thcile des syrischen Textes ohne gehörigen
Grand. Da diese Auslassungen öfters gar nicht bezeichnet
sind, ist ein Urthe.il über den eigentlichen Bestand für einen
des Syrischen Unkundigen kaum möglich. Gute Dienste leistet
zwar die Inhaltsangabe, welche Prof. Fr. X. v. Funk, unterstützt
von Prof. Dr. Socin in Leipzig, a. a. O. S. 29 — 40 von der
syrischen Didascalia gegeben hat, doch bezweckt dieses Argu-
mentum nur die Mittheilung des Wesentlichen und kann selbst-
verständlich nicht Über das Einzelne aufklaren. Einen voll-
kommenen Einblick in diese Schrift wurden wir erst durch die
von diesen beiden Gelehrten ausgearbeitete genaue lateinische
Uebersetzung erhalten, deren Manuscript druckfertig ist. In
besonderer Güte bat der Erstgenannte mir daraus unter An-
derem eine schwierigere Stelle VI, 4—11 abgeschrieben, von
der ich mit Erlaubnis« der Herren Verfasser einen Tbeil
schon oben mitgetheilt habe, den Rest aber unten anführen
werde. Eine weitere Schwierigkeit erwächst uns aus dem Um-
stände, dass der griechische Text der AC. noch nicht test-
kritisch gesichert vorliegt. Lagarde's Apparat ist für eine ge-
hörige Recension unzulänglich; Cardinal Pitra aber hat seine
Collationen von sieben meist sehr alten römischen Codices für
seine Ausgabe (Iuris ecclesiattici Graecorum kistoria et monu-
menta I, 111 ff.) nicht zu verwerthen gewnsst.1 So bleibt auch
für den griechischen Text Prof. v. Funks gewiss treffliche
Edition abzuwarten. Dieser Forscher hat also allein alle Mittel
in der Hand, welche eine vollkommen richtige Beurtheilung
des durch die alte lateinische Uebersetzung gebotenen Ge-
winnes für die Textesconstitntion ermöglichen. Für seine uns
:„ v.„\.v ngwdrdigster Weise gegebenen sachkundigen Winke
r ihm überaus dankbar und wünschen, dass der Fand
Textstudien die gehoffte Förderang bringe.
'ir müssen uns bei dieser Sachlage auf einige Schlüsse
nken, die aus dem uns zur Verfügung stehenden un-
snden Material sich ziehen lassen.
Fr. X. t. Funk, *. «_ O. S. 26%.
Eine lateinische Palimpsestübersetzung der Dukucalia apottolorwn. 45
Die Uebereinstimmung der lateinischen Uebersetzung der
Didascalia mit der syrischen zeigt sich besonders in gemein-
samen Auslassungen und Zusätzen gegenüber dem grie-
chischen Texte der AC. Wir wollen dies an einigen Beispielen
zeigen :
V, 1 fehlt zwischen (de)licto und Neque enim Inda» nos
nocuit das nach Lagarde's AA. p. 69, 20 (AC. 26, 5) auch im
Syrischen ausgelassene Stück von xat od pt} avvarcoliarj bis
6 d£ 7tagä g>tiaiv IrtTditevog Tteoäav avvBTqißiq. Vor dem in den
AC. (daselbst 13) folgenden xai iv rfj Hißwity Note xtA. findet
sich nach Lagarde im Syrischen die Uebersetzung der Worte
xal y&Q aidi *Iovdag eßlctipev iftiäg otidev cvvsv^dfievog fjfiTv,
dXlä fiövog ärttolero, die genau den Zeilen V, 1 und 2 ent-
sprechen. Auch der nächste in den AC. geänderte Satz V, 2
Nam et in arca bis Z. 5 maledictum est findet sich ebenso
im syrischen Texte. Aus Lagarde's Anm. 1 auf S. 70 der AA.
ist aber nicht ersichtlich, ob das im Lateinischen folgende
bestiae etiam, quae ingress(a)e sunt, exierunt auch in der sy-
rischen Uebersetzung steht. Die Naivetät des Zusatzes scheint
mir flir seine Originalität zu sprechen. Die weiteren Worte
in den AC. : 7ta%6QBg inkq r&xv<ov (naidwv) aö rinwQoftvTcu
ofce vioi VTteq nateQwv fehlen in beiden Uebersetzungen, weil
sie in der Didascalia schon vorher standen. Das darauffolgende
Stück (AA. p. 70, 3—10, AC. 26, 16—24) dfjlov &g oVze yv-
vaixeg bis dlV jj Ttjg yvu)^rjg b[i6voia ist gleichfalls hier wie
dort ausgelassen. Dagegen war oi %($ oiv nolg hoi(,io&a-
vaxoig — TCQoaixstv offenbar in der gemeinsamen Vorlage ent-
halten. Das V, 9 fg. gebotene alius (-os) enim pro alio non
morietvr entspricht dem griechischen ttzegog ydq imeq Mqov
oi*. äno&aveiTat. Das Sätzchen mangelt nach Lagarde dem
Syrischen, aber, wie mir scheint, nicht zum Vortheil des Zu-
sammenhanges. Es dürfte eine Zeile des Originals übersprungen
worden sein. Das weitere dXkä 2eiQ<xig x&v iavrov dvofiitov
(&pct(>Tiü)y) SxaüTog otpiyyszai fehlte hier in der Didascalia, weil
es bereits im Vorhergehenden verwerthet war. Der darauffolgende
Satz aal 'Idob — tzqoowtzov airuod gehört dem Ueberarbeiter
der AC. an, da er weder im Lateinischen noch im Syrischen
steht. Auch darnach stimmen die beiden Uebersetzungen in
der Auslassung von aal (igf) fiaov olöv %e rjj 7taqatviaei %ov
4(5 XI. Abhandlung: Hau ler.
k&yov vyia^siv ainovg und der drei Zeilen o$ XQeiay Y&Q — **S
t&v fUKQfiv (tovhüv) überein. Die Z. 12 — 15 im Latein non
secundum duritiam cordü et uoluntatem hominum, sed secun-
dum dni di nostri uoluntatem et praeceptum scheinen nach
Lagarde's Texte nicht in der syrischen Uebersetzung enthalten
zu sein, wohl aber entsprechen sie dem in den AC. erweitert
Vorliegenden: oi y&Q (%ty) twv GxXrjQOxaQÖiiav dv&Qwncjy (dv-
öq&v) ßoükrpiv terra* xqtj, dllä rijv roti &eov xal ftatQÖg xmv
tikwv tijv dtä 'Irflov Xqiotov ro$ xvqiov fjfn&y, $ fj dö^a elg tobg
alwvag ' dprjv. Die knappe, mit dem Vorausgehenden enger
verknüpfende und zum Folgenden gut überleitende lateinische
Fassung macht mir gegenüber dem griechischen Text der AC.t
andererseits dem syrischen den Eindruck der Ursprünglichkeit.
Der übrige Inhalt dieser V. Seite stimmt in allem Wesentlichen
(unter Anderem in der Auslassung der vier Druckzeilen Sgxeiv
ydq ae %qrj — Xatxdg imaxdnov) mit der syrischen Didascalia
überein. Nur zeigt sich auch hier wieder, dass die lateinische
Uebersetzung aus leicht begreiflichen Gründen den griechischen
Text correcter wiedergibt; es weist z. B. Z. 22 fg. haec su~
spicio et malignorum hominum mens auf das in den AC. er-
haltene rijv %dv runtOTj&wv intdvoiav hin, nicht auf %anuorjdrn
wie der Syrer nach Lagarde gelesen haben soll. Schon nach
dem Gesagten ist es wohl unzweifelhaft, dass die beiden
Uebersetzungen auf die gleiche Schrift, nämlich die Di-
dascalia, zurückgehen.
Dies zeigen auch die Seiten VI und VII, welche ver-
hältnissmässig am meisten differieren. Um Geringfügigeres zu
übergehen, so sind die Worte der AC: dtä tovto hafuareQog
bis 6 &eo<pätjg Jaßid (AA. p. 82, 23—27, AC. p. 41, 16—22)
und j) ydtQ oi%l — dqrfjxe tov iyxXrjuaTog (AA. p. 83, 5 — 10, AC.
p. 42, 4 — 10) in beiden Didascaliaübersetzungen ausgelassen;
ebenso erscheint in ihnen TtQÖg Jaßld xai nQÖg 2oXo{uova xbv
vidv airtov (von AA. p. 83, 24 fg. auf H4, 8, von AC. 43, 6 auf
44, 2) umgestellt (VII, 8 fg. ad Dauid et ad Solomonem9 filium
eius) und nach iv ' IsQOvoalrjfA (AA. 84, 9, AC. 44, 3) das Sätz-
chen fjv e^ske^dßtjv ix naaßv x&v (pvlwv ylaqartX (VII, 10 fg.
(quam) elegi ex omnibus tri(bu)bu8 Istrahel) eingefügt. Die
Abweichungen hievon in den AC. sind ohne Zweifel Aende-
rungen des Ueberarbeiters der Didascalia. Stärkere Verschie-
Eine lateinische Palimpsestübersetzung der Didascalia apoHolorum. 47
denheiten scheinen für den ersten Blick im Allfang des 22. Ca-
pitels des II. Baches der AC. zu bestehen. Doch wird durch
den gemeinsamen Text der zwei Uebersetzungen (vgl. oben
S. 30) der griechische Wortlaut von %($ k*8 /toowdsvxöra für
die Didascalia völlig gesichert. Auch das Weitere lässt trotz
des bedauerlichen Verderbnisses im lateinischen und der breiten
Paraphrasierung im syrischen Exemplare einen gleichen Unter-
grund durchblicken, der im Texte der AC, wenn auch nicht
ganz intact, vorliegt. Ad scientiam z. B. entspricht offenbar
dem discere, beides dem iurtsiowg, ferner sanitatis der Ver-
bindung curationem animarum, wofür im Griechischen tdfiaai ge-
standen haben wird. Ist auch im Folgenden durch die Corruptel
ein sicheres Urtheil über den lateinischen Text einigermassen
erschwert, so ist doch dieser dem griechischen Original ohne
Zweifel in der Kürze und hinsichtlich der Construction weit
näher gestanden als die syrische Version. Offenbar waren die
Schwierigkeiten, welche die Worte von i^iTteigiog bis jtaoavikrf
tix&v 6eo^ev(Dv X&ywv dem Uebersetzer bereiteten, nicht gering,
und sie trugen an der so breiten Wiedergabe schuld. Auch
das Weitere verdient eine genauere Prüfung.
Lateinische Didascalia: Syrische Didascalia: Text der Constitutionen:
VI, 8 ff. Adhuc et ad Et ri homines iudi- "Eti xal iv r£> xqC-
iudicandu(m), ad conpa- cas, caute ac cum multa veiv at [Sil add. cod. yz]
rationem catuae,per mul- diligentia exemplum tibi SCxaiov tu) tov &tov
tarn doctrinam exquirere aumendum est et oboe- l£axoXov&€Tv d-eX^/nan,
Dei uoluntatem, sicutip- diendum uoluntati Dei, xal fj &tög ötx&tci roi>g
ae fecit, ita et nos opor- et tricut ipse fecit, Uta uos ä/uctgrcipovrag xal Ern-
tet facere in iudiciis. decet facere in iudiciis aroiipovrag , naqanlri-
uestris. oCtag xal oi xoCvkiv.
Die Uebersetzungen stimmen mit dem griechischen Text
überein in ert bis %(j> kqivuv (denn homines des Syrers scheint
eine freiere Wendung), ferner in xq> tov S-bov i&itoXovd-eTy
&ekrjpazi , wo exquirere (in der Grundbedeutung) dem Grie-
chischen kaum ferner steht als oboediendum, endlich im Wesent-
lichen auch zum Schluss von 7iaQcc7tXt]Oiwg bis xQivetv, nur dass
statt ai im Didascaliatexte fyiäg oder bfiäg gestanden und das
Prädicat wohl mit noulv Sei (xq$) und einem Präpositional-
ausdruck gebildet war. Im Uebrigen weicht der Text der AC.
stärker von jeder der Uebertragungen ab als diese von ein-
48 XL Abhamllaog: H an ler.
ander. Denn die letzteren stimmen in der Auslassung der
Worte xal fi Sedg dindtei Tobg . . hniotQ&qtowag überein und
setzen dafür (et) sicut ipse fecit, ein Zusammentreffen, das
gegen die Originalität des Constitutionentextes mal jj &edg «Je-
no%et spricht; und im Vorhergehenden weist caute ac cum
multa diligentia, zusammengehalten mit per multam doctrinam
auf eine vom Constitutor vorgenommene Kürzung des ursprüng-
lichen Textes; vielleicht ist, entsprechend der syrischen Fassung,
ad conparationem causae asyndetisch mit per multam doctri-
nam zu verbinden und jenes gleich caute etwa für ein grie-
chisches 7iQOvot]Tixfog gesetzt zu denken. Den übrigen Tbeil
der zwei Seiten nimmt die Bibelstelle über Manasses (Reg. IV,
21, 1 ff . und Paral. II, 33, 1 ff.) ein, deren Text natürlich weniger
Abweichungen zeigt. Jedoch fehlen z. B. VI, 23 wie im Syri-
schen die Worte der AC. 43, 7 fg. bottjos Mavaaaijg ^vaiaorif
oia und VII, 4 (AC. 43, 13 fg.) xal 9eoa<pdn. Die Lesart VI, 32
seruiit altaribus stand auch in der Vorlage des Syrers (aber
in AC. 43, 8 edovl&vos tjj B&al). Hingegen wird das im Syri-
schen fehlende Sätzchen VI, 26 et eregit altarem Bahal durch
die AC. 43, 2 xal dve<TTf]<re övtxiaoTrjQLOv rfj Baal bezeugt und
VI, 28 fg. et adorauit omnem uirtutem caeli, das nach Lagarde
weder im Syrischen noch in den AC. gestanden ist, für diese
durch die Worte seines besten Codex w xal nooa&xivrfie fuxarj
Tjj dwApet, roti oioavov bestätigt.
Um auch noch von den anderen Seiten Beispiele fiir die
Uebereinstimmung der beiden Uebersetzungen beizubringen,
führe ich, von Unwesentlichem absehend, noch als gemeinsame
Auslassungen und Zusätze gegen den Text der AC. an:
I, 1 fehlen vor si autem die Worte der AC. p. 11, 22 fg.
%al pi) bis vxavddXy, 11 (AC. p. 12, 3 — 5) 'Eplvtjaa bis mal b
Üttois, 35 (p. 12, 16—18) irtel7t€Q — iwßo^ui II, 3 (p. 12, 21)
noXla yäo %ä dUrva zoti rtOYijQoC; III, 19 (p. 14, 7) mal nah*,
im Latein ist aber der Uebergang durch De uerbis enim tui$
ait passend in engerem Anschluss an den Bibelspruch (Matth.
12, 37) vermittelt. Eine kleine Erweiterung zeigt IQ, 6 fg.
Pastor , qui constituitur in uisitatione praesbyterii gegenüber
tdv not[iha %öv %ad-ia%&pLevov iitlo%onov der AC. 13, 21; dass
der Originaltext nicht diese kürzere Fassung aufwies, zeigt
der Zusatz %al itowtov iv 7tQeaßvrr^i<p , den nach Lagarde's
Eine lateinische Palimpsestübersetsong der Didatcalia apottolorum. 49
AA. 58, Anm. 2 das Syrische voraussetzt. Ebenso III, 21 ad
omnia eruditus Ttenaidsv^ivog %al didioxalog (AA. 58, Anm. 6);
AC. 14, 9 blos Jtsjtaidevfieyog. — Nach VIII, 2 fehlt ferner die
lange Partie .AC. 87, 1 — 88, 8; auch das Weitere stimmt, von
Kleinigkeiten abgesehen, in den mannigfachsten Auslassungen
und Zusätzen mit dem syrischen Didascaliatexte überein. — In
IX, 21 ist die gemeinsame Verkürzung der Bibelstelle Matth. 12,
30 um die erste Hälfte (AC. 89, 23) bemerkenswerth. — IX, 31
sind die Worte (AC. 90, 4) äXX' htdaryg fj^iQag bis (Z. 11) dva-
orrjoccviL ausgelassen ; von dem stellvertretenden Passus in beiden
Uebersetzungen findet sich in den AC. nur rfj xvQiaxfj orzov-
daiorigcog äftavTäxa wieder. Sehr bezeichnend ist ferner die
Seite X, welche dem in den AC. sehr überarbeiteten 7. Capitel
des V. Buches nur inhaltlich entspricht, dagegen wörtlich mit
dem syrischen Texte (AA. 167 und 168 in den Anmerkungen)
übereinstimmt. Der Zusatz Z. 25 — 27 in der lateinischen Ueber-
setzung steigert passend den Gedanken und dürfte in der sy-
rischen nur durch Homoioteleuton ausgefallen sein. Endlich
fehlen in dieser ebenso wie auf unseren Seiten XI und XII
folgende Zusätze des Ueberarbeiters: AC. 163, 9 Ifywv —
11 nvevfia üyiov, daselbst 18 Sri — 19 xräa&oa, 20 iv rfj
TtlüiEi — 164, 4 &v ElqrpuxrB^ daselbst 8 obvoi — 9 tfjg dgxfjg,
10 Mqiov — 165, 3 slg rijv 'ItccMccv, 165, 6 elg tö &€cctqov —
8 i7trjyyell6TO , daselbst 8 n&rtiav di — 166, 4 i§ai<nov} 12
Syvüxnov — 15 adzoyivsd'Xov, 16 xgiacv jui) elvav — 20 al&vag
dTtsiQOvg, 167, 7 maxsveiv — 12 vlol dqyfjg, 13 vfjg siaeßeUxg
— 168, 20 hei roti Öpov, daselbst 23 dvrl yäq %ov rtgodörov
— 25 X&ßoi ersQog. Texterweiterungen und Uebergänge sind
auch hier in allem Wesentlichen gleich; vgl. XI, 28 — 31 mit
AA. 197, Anm. 3—6; XII, 6—8 und AA. 198, Anm. 5; XII,
13—15 mit AA. 198, Anm. 6; XII, 19 fg. und AA. 199, Anm. 2;
XII, 21 und 35 die Hervorhebung des katholischen Momentes
wie AA. 199, Anm. 4 und 200, Anm. 2. Ebenso findet sich
die Umstellung von vd^iif %ai nqoqyfjfcaig pij %(xxo&ai (AA. 198,
17; AC. 166, 15) vor %bv (itavto*Q(hoQa) &sdv ßhxaqnjtisTv, wie
sie die lateinische Uebersetzung in XII, 4 fg. bietet, in der
anderen wieder.
Aus diesen Beispielen ergibt sich, dass die lateinische
Uebersetzung uns ein sehr wichtiges Hilfsmittel zur Kenntniss
Sitsnngsber. d. phil.-hiat. Cl. CXXXIV. Bd. 11. Abh. 4
50 XI. Abhandlung: Hau l er.
des griechischen Textes der Didascalia bietet, das um so höher
zu schätzen ist, als einerseits diese beiden Sprachen einander
weit näher stehen als Griechisch und Syrisch und der La-
teiner weit seltener paraphrasiert und erweitert. Seine Ueber-
einstimmnng mit dem Syrer in Zusätzen oder Auslassungen
gegenüber dem Texte der AC. weist notwendigerweise auf
Abweichungen der griechischen Didascalia von diesen. Dies
gilt auch von Lesarten; so III, 12 fg. iuuentas (iuuentu(ti)8f)
luxuriös et diabolica uitia %äq vswvtQutäg äraüTQOfpäg mal rdg
ircidvfiiag roü 1%&qov (dagegen AC. 14, 2 t. v. im&v/ilaQ xai
rag e^io&ey, diaßoldg). Nicht selten werden sich auch für den
Text der AC. Varianten verwerthen lassen: III, 10 uirum äv-
&QW7tov (AC. 14, 1 dv&QWTZwv)', III, 22 notitiam Habens uerbi
diuini efinstQog tov löyov (so auch cod. y und die ed. princ.
zu AC. 14, 10, wo i. t&v Xöywv im Texte steht).
Beim Auseinandergehen beider Uebersetzungen wird die
Uebereinstimmung des griechischen Wortlautes der AC. mit
einer der Fassungen sehr wichtig sein.
So werden folgende Zusätze, welche der lateinische
Text gegenüber dem syrischen (nach Lagarde) aufweist, weil
sie in dem griechischen Texte der AC. ihre Bestätigung finden,
ohne Zweifel die Originalfassung geben: I, 4 und IV, 13
iterum n&Xw (AC. p. 11, 27 und 15, 1; im Syrischen aus-
gelassen nach AA. 56, 2 und 59, 6); I, 8 ff. Diecamus igüur
— 8cm uerbum. Dicit autem ita: ,Sicut inaures — mulier
malefica1 uadwpev oiv — 6 &eio$ kfyog (pdaxcov "Qotieq irü-
%tO¥ — ywi) xaxo7toiög (AC. 12, 2 fg., 5—8; dagegen AA. 56,
6 fg., 9 fg.);1 II, lfg. (mulier)ibu8 u{t)que aecum* xadxog ngirtsi
ywaüz'tv (AC. 12, 19; AA. 56, 21); 12 fg. cum disciplina et
cum reuerentia, cum mensura la(u)are eÜT&xiwg perä aldovg
fU^€tQj]iJv(og Xovio&o) (AC. 12, 25 fg.; AA. 57, 2); 15 fg. sed
[et], ei poteet fieri, nee per (ein)gulo8 dies älV el dvyatöv
firjdi xa&y fj^iiqav AC. 13, 1; AA. 57, 4); 23 fidelis aut m-
ütöq i) AC. 13, 6, aber AA. 57, 9 Uiziaxog i? als im Syrischen
fehlend bezeichnet: IV, 8 similiter öfioitog (AC. 14, 23; AA.
1 Vielleicht auch I, 35 \o)rnat{u8 enim nihil in U ege£) oif6iv y&Q iv ao\, 8
xexs^attoi ötirai (AA. 56, 18; AC. 12, 16 fg.).
1 Das Fehlen im Syrischen bestätigt die Uebersetzung der Professoren
t. Funk und Socin.
Eine lateinische PalimpaettflberMteung der Didascalia apotiolorum. 51
59, 3); IV, 28 fg. (si uxorem . . .) habuit aut (habet) ü yu-
vaixa . . . exsi Vj ioxfai (AC. 15, 13 fg.; AA. 59, 19 nach dem
Syrischen blos exet); IX, 16 penitus %6 avvolov (AC. 89, 18;
AA. 125, 7).
Andererseits ergeben sich durch die Uebereinstimmung
der AC. mit dem syrischen Texte als in unsere Uebersetzung
eingedrungene Lemmata: VI, 11 fg. De Manasse, IX, 13 fg.
Quoniam expedit numquam deesse ab ecclesia und VI, 16 als
Erklärung des Fremdwortes Paralipamenum die Worte quod
est praetermismrum. Dagegen werden unter Anderem als Zu-
thaten des Syrers zu betrachten sein: III, 6 am Ende des
I. Buches (AC. 13, 19) nach Biaqiatwg (oder -ovaai) %ai dva-
navsa&ai die Schlussworte air$ e^yotg iya&ou; (AA. 57,
Anm. 8). Gleich darauf zu Beginn des ü. Buches scheint die
Wendung De episcopatu auditote (AA. 58, 'Anm. 1) blos des
Ueberganges halber eingeschoben zu sein, wenn auch AC. 13, 20
mit JIsqI di twv im(JxÖ7tü}v . . JjxovaafAev Aehnliches aufweist.
Dies fUhrt uns darauf, dass die Uebereinstimmung der
jüngeren AC. mit der (gleichfalls nach einem ohne Zweifel
späteren Texte der Didascalia angefertigten) syrischen Ueber-
setzung nicht allein entscheidend sein kann. Dass das griechi-
sche Manuscript, welches dieser zugrunde lag, an Alter der
lateinischen Vorlage nachstand, ergibt sich schon daraus, dass
jenes allem nach bereits die Theilung in 26 Capitel (vgl.
Funk a. a. O., S. 28) aufwies. Da diese aber ganz äusserlich
und mit offenbarer Zerreissung des inhaltlich Zusammen-
gehörigen durchgeführt ist, kann sie unmöglich vom Verfasser
selbst herstammen. Die lateinische Uebersetzung hingegen
zeigt diese Eintheilung noch nicht, ja III, 6, wo das erste
Buch der Constitutionen schliesst, wird der Uebergang zu dem
neuen Stoffe nur durch ein etwas grösseres Spatium, aber
nicht einmal durch den Beginn einer frischen Zeile hervor-
gehoben. Das griechische Exemplar unserer Didascaliaüber-
setzung kannte also weder die Capitel- noch die Bucheintbeilung;
dass auch diese nicht ursprunglich ist, zeigt schon das zu
Beginn der Bücher II. — IV. der Lagardischen Didascalia und
Constitutionen erscheinende de. Der lateinische Archetyp des
Veranensis wies nur an einigen Stellen der Uebersichtlichkeit
halber Lemmata auf, die aber, wie VI, 11 -De Manasse zeigen
4*
52 XL Abhandlung: H an ler.
kann, mit der Buch- oder Capiteleintheilung nicht oder nur zu-
fällig zusammenfielen.
Darnach wird unser Text beim Auseinandergehen aller drei
Zeugen die grösste Qlaubwürdigkeit beanspruchen können,
ja auch bei der Uebereinstimmung des syrischen Textes mit
den AC. werden Abweichungen des lateinischen Textes ge-
hörig und gewissenhaft geprüft werden müssen. So zunächst
kürzere Fassungen, wie IV, 11 ff. quoniam dicit — Similiter
et pacificus Sri n&Xtv eYotjtai — eatu) de xal slor}vo7toi6g (AA.
59, 5 fg.; AC. 14, 25 fg.); 14 ff. sit autem et sine malitia et int-
quitate et malignitate ycviadu) de xal eiavyeidtjTog, näatjg xaxtag
xal 7tovt]Qlag xal ddtxlag xexa&aQfieyog (AA. 59, 7 ff.; AC. 15,
2 fg.); 18 fehlt unter den Eigenschaften des Bischofs eüora&tjg;
22 ist vor quoniam zoG diaßölov ausgelassen (AA. 59, 14;
AC. 15, 8); IX, 13 findet sich nach ministeriutn tuum placeat
nicht der nach Lagarde auch der syrischen Didascalia angehörige
Satz (AA. 125, 3 fg.; CA. 89, 14r-16) tö d'crfrd noultw xal *<
didxovog raig iTtSQro^ivaig yvvai^l it%w%alg ijtoi 7iXovoiaig> ein
wohl späterer Zusatz, der in der Didascalia nicht gestanden
haben wird, weil in ihr dem Bischof (nicht, wie in den AC,
dem Diakon) die Fürsorge für die Platzanweisung an die Armen
beiderlei, nicht blos männlichen Geschlechtes ans Herz gelegt
wird. Aber auch solche Fassungen, welche, nach Lagarde's Text
zu urtheilen, in der lateinischen Uebersetzung etwas voller er-
scheinen, werden nicht leichthin verworfen oder als Erweiterung
angesehen werden dürfen, so II, 4 — 7 nam etsi non fuerit —
non labetur; 19 fg. (conuentionem^) quae in tali balneo sit.
VIII, 29 — 35 und IX, 1 — 4 zeigen eine etwas ausführlichere
Darstellung als AA. 124, 19 ff., doch sind von jener zum Theil
noch Reste in der Umarbeitung in den AC. 89, 5 ff. zu erkennen.
Auch manche andere Varianten, die der lateinische Text
voraussetzt, sind höchst bemerkenswerth; so weist III, 2 fg.
quae bona sunt et sine repraehensione quaerite uitae istitts
documenta auf dya9& xal dXoidöorjra toP ßiov (juk&tjfiara statt
auf dXoidÖQKjroi xoft ßiov dvapLslvcne ' h^r^relte fiad^jfiara (ymb-
axeiv x%k.) AA. 57, 20 oder &Xoid6or\xoi %ov ß., ix£. p. (y. xxX.)
AC. 13, 17. Ferner spricht IX, 24 ff. Christum enim caput
habentes . . . praesentem et conmunicantem uobis gegen die
Lesart im Syrischen (nach Lagarde AA. 125, 14 fg.) Xqunöv
Eine lateinische PalimpMBtnbeiMftsnng der Didascalia apotlolorum. 53
xeq>aXijv $xovreg . . . xoivwvovvreg fyitr, sondern flir die von dem
Genannten nicht aufgenommene Lesart der AC. 89, 26 fg. Xq.
xeq>. ü%. . . . avvdvza aal xoivwvovvra (cod. yz, ed. princ. und
Pitra) ifuv. Endlich ergibt XI, 20 ff. eine andere Construction,
als der Text der Didascalia nach Lagarde gehabt haben soll:
elra mal $v€qoi Tiäfav i% twv itSQi SifMovog faolotöow ifiol
nhQ(p duxGTQ&puv xdv löyov (AA. 197, Anm. 1).
Wahrscheinlich wird auch in manchen dieser und an-
derer Fälle der genaue Text der syrischen Uebersetzung oder
der AC. die lateinische Fassung, welche nach Lagarde isoliert
scheint, unterstützen, wie dies z. B. für die Worte XI, 12 ff. (cum
autem) diuidissemus inter nos duodecim uncias saeculi gilt,
die unser Text vor et exiuimus ad gentes (AC. 164, 4) hinzu-
fügt, geradeso wie dies Funk a. a. O. S. 70 für die syrische
Didascalia bezeugt.
Die Behandlung des Textes und die Würdigung seines
paläographischen, sprachlichen und kritischen Werthes hat uns
vielleicht schon zu weit geführt. Doch wir können nicht
schliessen, ohne auch der kirchengeschichtlichen Wichtig-
keit des Fundes wenigstens kurz Erwähnung zu thun. Man
nahm bisher allgemein an, dass nicht nur unsere Grundschrift,
sondern auch die jüngeren, verbreiteteren AC. bis ins XVI. Jahr-
hundert, als diese zuerst der Venetianer Capellius 1546 frag-
mentarisch in lateinischer Uebersetzung, dann 1563, gegen
Schluss des Concils von Trient, Turrianus vollständig griechisch,
Bovius lateinisch veröffentlichte, der abendländischen Kirche
unbekannt und fremd geblieben seien. Dass diese Ansicht
auch bezüglich der Didascalia unhaltbar ist, zeigt unser Palim-
psest am besten. Er gesellt sich als das dem Umfang nach
grösste Stück zu dem in den letzten Jahren von O. v. Gebhardt
und Funk1 ausgegrabenen kleinen latein. Bruchstücke der
Didache (Doctrina apostolorum, der Grundschrift des VII.
Buches der AC), das seinerzeit Bernhard Pez im IV. Bande
seines Thesaurus anecdotorum nouissimus aus einem Melker
1 Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur,
herausgegeben von Oscar v. Gebhardt und Adolf Harnack, Leipzig
1886, II, 275 ff. Doctrina duodecim apostolorum, ed. F. X. Funk, 1887,
8. 102 — 104, wo das Bruchstück nach dem Melker Codex neu heraus-
gegeben ist.
54 XI- Abb.: H an ler. Eins Ut. PalimpMatfltorMtxiwg 4«r JHdatc. apo*.
Codex des 9./10. Jahrhunderts veröffentlicht hatte, und zu der
von D. Germ. Morin neulich aufgefundenen und publicierten
lateinischen Uebersetzung des Clemensbriefes an die Korinther
(Anecd. Maredsol. II, 1894).
Haben sich auch bisher keine directen Spuren einer
Benützung der AC. in der abendländischen Literatur des
Mittelalters auffinden lassen , so wird es doch nach der hoffent-
lich bald möglichen Entzifferung der übrigen 68 Palimpsest-
seiten eine Aufgabe der Kenner sein, auf Grund des latei-
nischen Wortlautes nachzuprüfen, ob nicht doch aus dem dann
weit klarer gestellten Texte der Didascalia bisher verkannte
sachliche oder sprachliche Anklänge sich nachweisen lassen.
Schon nach den auf S. 41 gegebenen Bibelci taten scheint es
Herrn Prof. v. Funk und mir glaublich, dass der wohl im V.
bis VI. Jahrhundert lebende Verfasser des opus imperf. in
Matth.f welcher die Didascalia kannte (Funk, Die ApostoL
Konstit. S. 49) , unsere lateinische Uebersetzung benutzt hat,
nicht den griechischen Originaltext.
Von allen grösseren, sowohl in den Sitzungsberichten als
in den Denkschriften enthaltenen Aufsätzen befinden sich
Separatabdrücke im Buchhandel.
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WIEN, 1896.
DRUCK VON ADOLF HOLZHAU8EN
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Ausgegeben am 28. October 1896.
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