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Full text of "Sitzungsberichte der Philosophisch-Philologischen und Historischen Classe der K.B. Akademie der Wissenschaften zu München"

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U9»oc  ni7.»«.'0 


Satfiaili  CoUfge  Itbrars 


JOHN    AMORY    LOWELL, 

IOIbh  mt  laUk 

■hiül  be  ipcDt  for  bookt  uid  one  quirter 

be  added  to  thc  prlncipal. 


Sitzungsberichte 

der 

philosophisch -philologischen 

nnd  der 

historischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  JMüincheii. 


Jahrgang  1903. 


Mfinchen 

Verlag   der  K.  Akademie 
1904. 

In  KommiMioii  dM  6.  Franz'sehen  Verlags  (J.  Roth). 


M^ 


▲kademiaehe  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  Mflochen. 


Inhaltsübersicht. 


Seita 

I.  Sitzüng8l)erichte. 

3.  Januar:    Spengel;  v.  Heigel,  Traube 1 

7.  Februar:    Muncker;   Prutz 64 

7.  März:  Schlagintweit,  v.  Bechmann,  v.  Amira;  v.  Riezler, 

V.  Heigel 117 

Oeffentliche  Sitzung  am  11.  März:  Ansprache  des  Präsidenten 
V.  Zittel,  Nekrologe  (v.  Maurer,  Paris;  v.  Cornelius, 
V.  Oefele,  Lord  Acten,  v.  Ficker,  Dümmler,  Müntz), 
Festrede  von  G.  P.  Knapp 241 

2.  Mai:    Goetz,  Petzet,  Furtwängler,  Krumbacher;  Grau- 

ert,  Friedrich 257 

13.  Juni:  Furtwängler,  v.  Christ;  v.  Rockinger,  Riehl,  Rig- 

gauer 261 

4.  Juli:    Simon,  Furtwängler,  Lipps;   Brentano  264 

7.  November:    Furtwängler;  Pöhlmann 513 

Oeffentliche  Sitzung  am  25.  November:  Ansprache  des  Präsidenten 
V.  Zittel,  Statut  der  Samson- Stiftung,  Wahlen  (Crusius, 
Lenel,  Dilthey,  Mitteis,  Wolters;  Doeberl,  Meitzen, 
Gierke,  Pester,  Vischer),  Festrede  von  K.  v.  Amira  514 

5.  Dezember:   Sandberger;   v.  Riezler,  Traube         .         .  528 

IL  Abhandlungen. 

K.  V.  Amira:  Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm 

\*y  1  ai.  j       ...........    ^Lo 

W.  V.  Christ:  Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte     .     381 

J.  Friedrich:  Die  sardicensischen  Aktenstücke  der  Sammlung  des 

Theodosius  Diaconus 321 

A.  Furtwängler:    Der    Ostg^ebel    des    olympischen    Zeustempels 

(4  III.  im  Text) 421 


lY  Inhältsüberaicht. 

Seite 
A.  Furtwängler:    Zu  den  Skulpturen  des  Asklepiostempels  von 

Epidauros  (2  Taf.) 439 

G.  Goetz:  Papias  und  seine  Quellen         .        .        1        .        .        .     267 

K.  Th.  V.  Hei  gel:    Denkwürdigkeiten  des  bayerischen   Staatsrats 

Georg  Ludwig  v.  Maurer 471 

K.  Krumbacher:   Das  mittelgriechische  Pischbuch  (1  Taf.)    .        .     345 

K.  Krumbacher:  Die  Akrostichis  in  der  griechischen  Kirchen- 
poesie          551 

F.  Muncker:   Wielands  „Pervonte* 121 

£.  Petzet:  Ueber  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Titurel 

(2  Taf.) 287 

H.  Prutz:  Ueber  des  Gautier  von  Compiegne  ,Otia  de  Machomete*. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Mohammedfabeln  im  Mittel- 
alter und  zur  Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge        ...       65 

R.  Simon:   Die  Notationen  des  Somanätha  (2  Taf.)         .        .        .     447 

A.  Spengel:   Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius  ...         3 

L.  Traube:  Acta  Archelai.    V^orbemerkung  zu  einer  neuen  Ausgabe     533 

III.  Protokolle  der  Kartellversammlang  des  Verbandes  wissenschaft- 

licher Körperschaften  in  München  am  5.  und  6.  Juni  1903 
'   (darin  S.  9  f.:    Kommission   zur  Erörterung  der  Vorarbeiten 
für  eine  kritische  Ausgabe  des  Mahäbhärata)         .        .         1—13 

IV.  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Drackschriften  1*^50* 


'  /    ,- 


/  A    .     .    C,/  "  \r 


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/ 


Sitzungsberichte 


der  1  ;.-• 


philosophisch -philologlBchen 

und  der 

historisehen  Klasse 


der 


K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  M^ünchen, 


1903.    Heft  L 


Mflnchen 

Verlag   der  E.  Akademie 
1903. 


In  Kommission  des  6.  Franz'schcn  Verlags  (J.  Ruth). 


Sitzungsberichte  n^  c. 

der 

Königl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


^'  MI 


l''?"tiC. 


Sitzung  vom  3.  Januar  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Herr  Spenoel  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius, 

in  dem  die  Glaubwürdigkeit  einzelner  Ereignisse  aus  der 
Kegierungszeit  dieses  Kaisers  nach  den  Quellen  untersucht  wird, 
um  Folgendes  zu  erweisen: 

1.  Der  Befehl  zur  Ermordung  des  Agrippa  Postumus  kann 
nicht  von  Tiberius  ausgegangen  sein. 

2.  Die  Legionen  am  Rhein  haben  den  Oermanikus  nicht 
zum  Kaiser  ausgerufen. 

3.  Aus  dem  Bericht  des  Tacitus  über  die  Feldzüge  des 
Oermanikus  in  Deutschland  ist  manches  als  unhistorisch 
auszuscheiden. 

4.  Oermanikus  starb  natürlichen  Todes. 

5.  Ebenso  Drusus,  der  Sohn  des  Tiberius. 

6.  Seianus  hat  keine  Verschwörung  angestiftet. 


•M' 


190a  SitzgBb.  d.  pbil<Ni.-phUo1.  n.  d.  faiat.  Kl. 


Sitzung  «om  3.  Januar  1903, 


Historische  Klasse. 

Herr  von  Heigel  erörtert  in  einem   für  die  Denkschriften 
bestimmten  Vortrage: 

Preussen  und  die  Reichsstadt  Nürnberg  im 
Jahre  1796 

an  der  Hand  von  Wiener,  Berliner  und  Nürnberger  Archivalien 
den  Versuch  Hardenbergs,  die  Reichsstadt  Nürnberg  in  den 
Besitz  Preussens  zu  bringen  und  zum  Mittelpunkt  noch  weiterer 
Erwerbungen  in  Süddeutschland  zu  machen. 

Herr  Traube  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Nomina  sacra,   ein  Beitrag  zur  christlichen 
griechischen  und  römischen  Paläographie 

und  spricht  darin,  von  der  Ueberlieferung  des  Cyprianus  und 
anderer  früher  christlicher  römischer  Schriftsteller  ausgehend, 
über  die  Schreibung  der  Nomina  sacra  in  der  griechischen  und 
römischen  Paläographie.  Er  stützt  damit  eine  Verbesserung 
seiner  Theorie  von  der  Geschichte  der  Abkürzung. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius.^) 

Von  A.  Spengrel. 

(Vorgetragen  in  der  pbilos.-pliilol.  Klasse  am  3.  Januar  1903.) 

Dass  die  Taten  und  der  Charakter  des  Tiberius  von  den 
alten  Geschichtschreibern  nicht  ohne  Parteilichkeit  dargestellt 
sind,  wird  heutzutage  wohl  niemand  mehr  leugnen.  Gar  manches 
H  in  Programmen  und  grösseren  Schriften  behandelt,  manches 
auch  von  selbst  so  augenscheinlich,  dass  es  sich  einem  vor- 
urteilslosen Blick  schon  bei  flüchtigem  Lesen  nicht  entziehen 
kann.  Aber  abgesehen  von  einzelnen  Werken  hat  es  immer 
noch  den  Anschein,  als  ob  sich  die  Geschichtschreibung  scheute, 
den  Justizmord,  den  sie  einst  an  der  Ehre  dieses  hochbedeutenden, 
von  bestem  Streben  erfüllten  Kaisers  begangen  hat,  einzu- 
gestehen und  wieder  gut  zu  machen. 

Wir  sind  in  dem  Abscheu  aufgewachsen,  den  uns  die 
Schule  vor  dem  Namen  Tiberius  eingeflösst  hat.  Und  was  wir 
dort  gelernt  haben,  das  hat  die  Literatur  in  Prosa  und  Poesie 


')  Ich  veröffentliche  diese  Untersuchungen  so  wie  sie  aus  der 
Lektüre  der  Schriftsteller  selbständig  entstanden  sind,  ohne  mich  im 
einzelnen  um  den  Nachweis  zu  bemühen»  wo  andere  ähnliche  Ansichten 
losgesprochen  haben.  Nur  soviel  möchte  ich  beifugen,  dass  ich  mich 
i'ifrichtig  gefreut  habe  mit  der  Abhandlung  meines  unvergesslichen  Vaters 
,Ueber  das  erste  Buch  der  Annalen  des  Tacitus  von  Leonh.  Spengel, 
Abt.  d.  B.  Akad.  d.  W.  1855*,  die  ich  erst  nach  Abschluss  dieser  Arbeit 
nieder  einsah,  in  der  Auffassung  der  Feldzüge  des  Germanikus  mehrfach 
^äammengetroffen  zu  sein. 

1* 


4  A.  Spengel 

in  uns  gefestigt  und  gesteigert.  Gregorovius,  dessen  , Wander- 
jahre in  Italien*  immer  noch  mit  Genuss  gelesen  werden,  nennt 
im  ersten  Bande,  „Capri*  betitelt,  Tiberius  den  Dämon,  den 
furchtbarsten  Namen  der  Geschichte,  das  moralische  Ungeheuer. 
Tiberius,  sagt  er,  versprach  nicht,  er  schwor  nicht,  er  log 
nicht,  er  war  vielmehr  eine  fortwährende  Lüge. 

Und  die  Poesie!  Allen  voran  leider  das  meisterhafte 
Gedicht  Geibels  „Der  Tod  des  Tiberius*,  das  in  weite  Kreise 
ein  Zerrbild  getragen  hat  und  noch  trägt.  Es  schildert  die 
letzten  Augenblicke  des  greisen  Herrschers;  er  liegt  im  Fieber, 
verflucht  das  Denken  und  kann  es  doch  nicht  lassen.  Wie 
Gespenster  erscheinen  seiner  Phantasie  die  drei  grossen  Toten: 

„Dort  wälzt  sichs  wieder  schon  heran 
Wie  Rauchgewölk  und  ballt  sich  zu  Gestalten  — 
Sieh,  von  den  Wunden  heben  sie  die  Falten 
Und  starren  mich  gebrochnen  Auges  an, 
Germanikus  und  Drusus  und  Seian  — 
Wer  rief  euch  her?    Kann  euch  das  Grab  nicht  halten? 
Was  saugt  ihr  mit  dem  Leichenblick,  dem  stieren. 
An  meinem  Blut  und  dörrt  mir  das  Gebein? 
's  ist  wahr,  ich  tötet'  euch;  doch  musst'  es  sein. 
Wer  hiess  im  Würfelspiel  euch  auch  verlieren! 
Hinweg!  —  Weh  mir!   Wann  endet  diese  Pein!* 

So  ergreifend  dieses  Bild  ist,  ebenso  unwahr  ist  es.  Erstens 
hat  Tiberius  den  Seianus  nicht  gemordet,  er  liess  ihn  nur  aus 
schwerwiegenden  Gründen  verhaften.  Der  Senat  berief  aber 
noch  an  demselben  Tage  eine  zweite  Sitzung,  verurteilte  ihn 
ohne  Befehl  und  Wissen  des  Tiberius  zum  Tode  und  vollzog 
die  Hinrichtung.  Ferner  hat  Tiberius  an  dem  Tode  seines 
Neffen  und  Adoptivsohnes  Germanikus  nicht  den  geringsten 
Anteil,  und  den  leiblichen  Sohn  Drusus  zu  ermorden,  wäre 
reiner  Wahnsinn  gewesen.  Allerdings  gab  es  ein  solches  Ge- 
rücht, aber  selbst  Tacitus,  der  ungünstigste  Beurteiler  des 
Tiberius,  weist  es  ausführlich  als  falsch  und  widersinnig  nach. 
So  zerfliessen  die  drei  grossen  Mordtaten  in  nichts. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius.  5 

Durch  die  nachfolgenden  Erörterungen  ist  nicht  beab- 
sichtigt, eine  Apologie  des  Tiberius  zu  geben,  sondern  es  sollen 
nur  einzelne  Ereignisse  aus  der  Regierungszeit  dieses  Kaisers 
nach  ihrem  geschichtlichen  Wert  untersucht  und  soviel  als 
möglich  festgestellt  werden.  Dabei  wird  sich  allerdings  viel- 
fach Gelegenheit  geben,  sowohl  die  Denkungsart  des  Kaisers 
als  die  Urteile  und  Darstellungsweise  des  Tacitus  beizuziehen 
und  zu  prüfen. 

Die  Ermordung  des  Agrippa  Postnmus. 

Gleich  nach  dem  Tode  des  Augustus  wurde  sein  Enkel 
Agrippa,  der  Sohn  der  Julia,  der  auf  der  Insel  Planasia  in 
Verbannung  lebte,  ermordet.  Von  wem  der  Befehl  ausge- 
irangen,  war  schon  im  Altertum  zweifelhaft.  Die  meisten  neueren 
Geschichtschreiber  bezeichnen  den  Tiberius  als  Urheber,  einige 
wenige  die  Kaiserin-Witwe  Livia  oder  Augustus.  Dass  Tiberius 
der  Sache  Yollkommen  fern  stand,  lässt  sich  meines  Erachtens 
bei  genauer  Erwägung  der  Umstände  leicht  erweisen. 

Cassius  Dio  erzählt: 

,Den  Agrippa  liess  er  sogleich  von  Nola  aus  umbringen. 
Er  erklärte  zwar  wiederholt,  es  sei  nicht  auf  seinen  Befehl 
^^eschehen,  und  drohte  auch  dem  Täter,  strafte  ihn  aber  doch 
in  keiner  Weise,  sondern  liess  die  Leute  reden,  was  sie  wollten, 
die  einen,  Augustus  habe  ihn  unmittelbar  vor  seinem  Ende 
umbringen  lassen,  die  anderen,  der  Centurio,  der  ihn  bewachte, 
habe  ihn,  weil  er  sich  auflehnte  {xaivoxofJLovvxd  it),  aus  eigenem 
Antrieb  getötet,  wieder  andere,  Livia,  nicht  Tiberius,  habe 
seine  Ermordung  befohlen." 

Es  lag  sehr  nahe,  den  Tiberius  dafür  verantwortlich  zu 
machen,  weil  ihn  der  Tod  des  Agrippa  von  einem  Verwandten 
befreite,  der  möglicherweise  sein  Nebenbuhler  werden  konnte. 
Von  dem  Bericht  des  Dio  wollen  wir  uns  einstweilen  nur 
anmerken,  dass  der  Kaiser  wiederholt  die  Schuld  ablehnte,  und 
werden  diese  Behauptung  nur  dann  als  unwahr  bezeichnen  dürfen, 
wenn  sie  sich  durch  triftige  Gründe  als  solche  erweisen  lässt. 


6  A.  Spengel 

Genaueres  erfahren  wir  durch  Suetonius  c.  22: 
„Das  Hinscheiden  des  Augustus  machte  er  nicht  eher 
bekannt,  als  bis  der  junge  (25  jährige)  Agrippa  ermordet  war. 
Diesen  tötete  der  Kriegstribun/)  der  ihm  zur  Wache  bei- 
gegeben war,  nachdem  er  das  Schreiben,  das  den  Befehl  ent- 
hielt (codicilli),  gelesen  hatte.  Es  ist  zweifelhaft,  ob  Augustus 
dieses  Schreiben  bei  seinem  Tode  hinterliess,  um  den  Ausbruch 
von  Unruhen  nach  seinem  Ableben  zu  verhüten,  oder  Livia  im 
Namen  des  Augustus  den  Befehl  schreiben  Hess,  und  wenn 
diese,  ob  mit  oder  ohne  Wissen  des  Tiberius.  Als  der  Tribun 
dem  Tiberius  die  Meldung  brachte,  es  sei  geschehen,  was  er 
ihm  befohlen  habe,  erwiderte  dieser,  er  habe  nichts  befohlen 
und  der  Tribun  müsse  vor  dem  Senate  über  seine  Tat  Rechen- 
schaft ablegen.  Er  wollte  nämlich  nur  für  den  Augenblick 
die  Missgunst  ablenken;  später  brachte  er  die  Sache  durch 
Stillschweigen  in  Vergessenheit.* 

Das  Wichtige  an  dieser  Darstellung  des  Suetonius  ist,  dass 
er  dem  Tiberius  in  der  Angelegenheit  überhaupt  kein  selb- 
ständiges Handeln  zuschreibt.  In  erster  Linie  wird  Augustus 
als  Urheber  genannt,  dann  Livia;  nur  dass  diese  im  Ein- 
verständnis mit  Tiberius  gehandelt  haben  könnte,  wird  noch 
als  dritte  Möglichkeit  angenommen.  Ein  eigenmächtiges  Vor- 
gehen des  Centurio  (vergl.  Dio)  ist  ausgeschlossen.  Denn  der 
schriftliche  Befehl  wird  sowohl  hier  als  bei  Tacitus  ausdrück- 
lich bezeugt. 

Sehr  ausführlich  und  bedeutsam,  wenn  auch  in  ihren  Schluss- 
folgerungen nicht  zu  billigen  ist  die  Schilderung  des  Tacitus 
Annal.  I,  6.     Er  beginnt  mit  den  Worten: 

„Die  erste  Untat,  die  in  die  neue  Regierung  fiel,  war  die 
Ermordung  des  Postumus  Agrippa,  den,  wiewohl  er  ahnungs- 
los und  unbewehrt  war,  der  sehr  beherzte  Centurio  mit  harter 
Mühe  überwältigte.'* 

^)  Oder,  was  genauer  gesagt  wäre :  der  Kriegs tribun  Hess  ihn  durch 
den  Centurio  töten;  vergl.  die  obige  Stelle  des  Cassius  Dio  und  unten 
die  des  Tacitus.  Zur  Berichterstattung  werden  wohl  Tribun  und  Centurio 
zugleich  vor  Tiberius  erschienen  sein. 


Zur  Oeschichie  des  Kaisers  Tiberius,  7 

Letzterer  Umstand,  dass  nämlich  Agrippa  nur  mit  harter 
Mühe  überwältigt  wurde,  ist  wahrscheinlich  eigener  Zusatz  des 
Tacitus.  Denn  es  ist  seine  Art,  die  Ereignisse  lebhaft  zu  ver- 
anschaulichen und  die  handelnden  Personen  zu  charakterisieren. 
Da  Agrippa  ungewöhnliche  Eörperstärke  besass,  schien  es  stil- 
gerecht, wenn  der  Genturio  über  den  Kraftmenschen  kaum  Herr 
zu  werden  vermochte.  Freilich  hat  diese  Detailausschmückung 
wenig  innere  Wahrscheinlichkeit.  Der  Centurio  müsste  es  sehr 
ungeschickt  angefangen  haben,  wenn  er  den  Ahnungslosen  und 
Unbewehrten  nicht  mit  einem  wohlgezielten  Schlag  oder  Stoss 
aus  dem  Leben  befördert  hätte.  Oegen  einen  unvorhergesehenen 
Todesstoss  bot  die  Eörperstärke  keinen  Schutz. 

Es  heisst  dann  bei  Tacitus  weiter: 

«Tiberius  sprach  über  diesen  Vorfall  nichts  im  Senate, 
'^patris  ius^a  simulabat,  quibus  praescripsisset  tribuno  custo- 
diae  apposito,  ne  cunctaretur  Agrippam  morte  adficere,  quan- 
doque  ipse  supremum  diem  explevisset.'  Diese  Verordnung  des 
Augustus  hält  Tacitus  für  unglaubhaft  und  sucht  seine  An- 
sicht auf  folgende  Weise  zu  begründen: 

,  Allerdings  hat  sich  Augustus  über  die  Aufführung  des 
jungen  Mannes  offc  und  bitter  beklagt  und  hat  es  sogar  durch- 
gesetzt, dass  seine  Verbannung  durch  einen  Senatsbeschluss 
bestätigt  wurde,  aber  so  hartherzig  war  er  doch  nicht,  dass 
er  über  ein  Mitglied  seiner  Familie  den  Tod  verhängte  (in 
nullius  unquam  suorum  necem  duravit).  Auch  konnte  man 
nicht  glauben,  dass  er  das  Leben  seines  Enkels  der  Sicherheit 
seines  Stiefsohnes  opferte.** 

Aber  Augustus  war  tatsächlich  hartherzig,  wenn  er  sich 
überzeugt  hatte,  dass  das  Staatsinteresse  es  erforderte.  So 
gegen  seine  Tochter  Julia,  bezüglich  deren  Suetonius  Oktav, 
c.  65  ausdrücklich  bemerkt:  'etiam  de  necanda  deliberavit.' 
Und  doch  handelte  es  sich  hier  um  die  eigene  Tochter,  nicht 
den  Enkel,  um  ein  Weib,  nicht  einen  Mann.  Auch  ist  gerade 
die  verschiedene  Behandlung,  die  Julia  und  Agrippa  im  Ver- 
lauf ihrer  Haft  erfuhren,  für  Agrippa  belastend.  Während 
Julia  anfangs  auf  eine  Insel   verbannt,   dann   nach   5  Jahren 


8  Ä,  SpengeH 

auf  das  Festland  von  Italien  versetzt  und  ihre  Haft  gemildert 
wurde,  musste  Agrippa,  weil  er  nicht  gefdgiger  geworden  war, 
den  zuerst  angewiesenen  Aufenthalt  in  Sorrent  mit  der  ödon 
Insel  Planasia  vertauschen,  und  Augustus  liess  durch  einen 
Senatsbeschluss  festsetzen,  dass  die  Haft  für  immer  gelten  solle 
und  der  Ort  nicht  mehr  geändert  werden  dürfe  (Oktav,  c.  65). 
Gar  schlimme  Dinge  mögen  da  vorgefallen  sein,  wenn  der 
Kaiser  es  für  nötig  hielt,  so  vorzugehen  und  durch  Senats- 
beschluss die  Familienangelegenheit  zu  einer  Staatssache  zu 
machen.  Der  'iuvenis  rudis  bonarum  artium  et  robore  cor- 
poris stolide  ferox*  (Tac.  I,  3),  der  durch  den  Zwang  gereizt 
'in  dies  amentior'  geworden  war,  wird  es  an  Drohungen  nicht 
haben  fehlen  lassen  und  wird  namentlich  in  Aussicht  gestellt 
haben,  dass  er  dereinst  nach  dem  Tode  des  Augustus  als  der 
einzige  unmittelbare  Nachkomme  desselben  sein  Erbrecht  auf 
den  Thron  geltend  machen  und  seine  Gegner  vernichten  werde. 
So  konnte  tatsächlich  die  'securitas  privigni*  zugleich  'secu- 
ritas  civitatis'  sein.  Hat  sich  doch  noch  zwei  Jahre  nach 
dem  Tode  des  Agrippa  ein  ihm  ähnlich  sehender  Sklave  für 
Agrippa  ausgegeben  und  in  italischen  Städten  und  selbst  in 
Rom  Anhang  gefunden,  bis  der  Betrüger  von  Tiberius  durch 
List  unschädlich  gemacht  wurde  (Tac.  H,  39). 

Bei  solchen  Erwägungen  werden  wir  die  Urheberschaft 
des  Augustus  nicht  als  unmöglich  abweisen  dürfen,  zumal,  wenn 
wir  annehmen,  dass  der  Mordbefehl  vielleicht  nicht  bedingungs- 
los gegeben  war  und  nur  dann  ausgeführt  werden  sollte,  wenn 
Agrippa  auf  die  Nachricht  von  dem  Ableben  seines  Grossvaters 
frohlockend  erklärte,  dass  der  Thron  jetzt  ihm  gebühre. 

Hören  wir,  was  Tacitus  weiter  sagt: 

„Wahrscheinlicher  ist,  dass  Tiberius  und  Livia,  jener  aus 
Furcht,  diese  aus  stiefmütterlichem  Hass  den  verdächtigen  und 
verhassten  jungen  Mann  eilig  beseitigten.  Als  der  Centurio 
nach  Soldatenbrauch  meldete,  es  sei  geschehen,  was  er  befohlen 
habe,  antwortete  er,  er  habe  nichts  befohlen  und  jener  müsse 
seine  Tat  vor  dem  Senate  verantworten.  Nachdem  Sallustius 
Crispus,  der  in  das  Geheimnis  eingeweiht  war  —  er  hatte  das 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  TiberitM.  9 

Schreiben  an  den  Tribun  abgeschickt  —  dies  erfahren  hatte, 
fürchtete  er,  die  Schuld  möchte  ihm  zugeschoben  werden,  wobei 
es  für  ihn  gleich  gefahrlich  wäre,  ob  er  lüge  oder  die  Wahr- 
heit spreche,  und  ermahnte  die  Livia,  dafür  zu  sorgen,  dass 
nicht  die  Geheimnisse  des  Hauses,  die  Ratschläge  der  Freunde, 
die  Diensie  der  Soldaten  bekannt  würden,  und  dass  nicht 
Tiberius  das  Ansehen  des  Kaisertums  dadurch  schädige,  dass 
er  alles  yor  den  Senat  bringe;  eine  notwendige  Bedingung  der 
Alleinherrschaft  sei,  dass  nur  einem  Einzigen  Rechenschaft 
abgelegt  werde." 

Tacitus  nimmt  also  an,  dass  Tiberius  und  Livia  den  Mord 
veranlassten.  Den  Namen  des  Tiberius  setzt  er  voraus,  weil 
er  ihn  für  den  eigentlichen  Urheber  hält.  Aber  wenn  Tiberius 
die  Tat  befohlen  hätte,  wäre  sein  Verhalten  in  der  Sache 
unbegreiflich.  Vergegenwärtigen  wir  uns  den  Vorgang!  Der 
Centurio  oder  Tribun  kommt  vor  Tiberius  und  meldet,  der 
Befehl  sei  vollzogen.  „Welcher  Befehl?**  muss  Tiberius  ge- 
fragt haben.  „Dass  Agrippa  ermordet  werde.**  »Wer  hat  dies 
befohlen?"  „Ein  kaiserliches  Schreiben.**  „Ich  habe  dir  nichts 
befohlen  und  du  wirst  dich  vor  dem  Senate  verantworten.** 
Spricht  so  einer,  der  sich  schuldig  weiss?  Er  droht  mit  der 
Verhandlung  im  Senate  und  weiss  doch,  dass  er  die  Verhand- 
lung nicht  wagen  darf,  weil  sie  ihn  vor  dem  ganzen  Volke 
hiossstellen  würde!  Hat  Tiberius  in  der  langen  Zeit,  in  der 
er  gemeinschaftlich  mit  Augustus  die  Staatsgeschäfte  führte, 
so  wenig  gelernt,  dass  er  seine  Regierung  mit  einem  solchen 
Missgriff  einleitet?  Hätte  er  die  Klage  durchgeführt,  und  nach 
dem  Bericht  des  Tacitus  muss  man  annehmen,  dass  er  dazu 
entschlossen  war,  weil  erst  die  Bitten  der  Livia  ihn  davon 
abbrachten,  wie  wäre  sie  verlaufen?  Der  Tribun  wird  ange- 
klagt, den  Agrippa  eigenmächtig  getötet  zu  haben.  Er  ver- 
teidigt sich,  zeigt  das  Schreiben  vor  und  ist  dadurch  voll- 
ständig entlastet.  Der  Kaiser  stünde  als  Mörder  da  und  als 
Feigling  dazu,  weil  er  für  seine  Tat  nicht  einzustehen  wagte. 

Wäre  die  Bluttat  von  Tiberius  ausgegangen,  so  wäre  der 
Verlauf  der  Ereignisse  ein  ganz  anderer  geworden.    Entweder 


10  Ä.  Spengd 

hätte  er  dem  Tribunen  erwidert:  «Du  hast  recht  getan,  dass 
du  meinen  Auftrag  yollzogen  hast"  und  hätte  dann  im  Senate 
gesagt:  «Den  Agrippa  habe  ich  auf  Befehl  meines  Vaters 
umbringen  lassen*,  oder,  was  weit  wahrscheinlicher  ist,  er 
hätte  die  Sache  ganz  im  Stillen  abgemacht,  einer  Begegnung 
mit  dem  Vollstrecker  des  Mordes  in  Gegenwart  von  Zeugen 
hätte  er  voi^ebeugt  —  nichts  leichter  als  dies  — ,  den  Agrippa 
hätte  ein  Unglücksfall  betroffen,  eine  Krankheit  hinweggeraffb, 
und  ohne  alles  Aufsehen  wäre  er  aus  den  Reihen  der  Lebenden 
verschwunden.  Aber  zuerst  den  Mord  zu  befehlen,  dann  sich 
durch  den  Mörder  kompromittieren  zu  lassen,  ihm  öffent- 
liche Bestrafung  anzudrohen  und  sie  dann  doch  zu  unter- 
lassen, das  tut  kein  Tyrann  der  gewöhnlichsten  Sorte,  am 
wenigsten  ein  Regent  wie  Tiberius,  dessen  Regierungshand- 
lungen  alle  den  Charakter  der  reifen  Überlegung  und  Klug- 
heit an  sich  tragen. 

Nach  der  Schilderung  des  Tacitus  könnte  man  Verdacht 
gegen  Sallustius  schöpfen.  Denn  er  ist  es,  der  die  Livia  zur 
Vermittlung  bestimmt,  damit  die  Verhandlung  unterbleibt. 
Sollte  er  wirklich  den  Befehl  allein  im  Namen  des  Kaisers 
ausgestellt  haben,  sei  es  in  der  Meinung,  sich  dadurch  den 
neuen  Herrscher  zu  verpflichten  oder  aus  Privatfeindschaft 
gegen  Agrippa,  wozu  letzterer  bei  seinem  jähzornigen  Wesen 
(Tflf  de  doyfj  ngonerei  IxQ^^o  Cass.  Dio  55,  32)  in  früherer  Zeit 
Veranlassung  gegeben  haben  konnte?  Ganz  undenkbar  wäre 
es  nicht.  So  wurde  z.  B.  Messalina,  die  Gemahlin  des  Klaudius, 
als  sie  in  Ungnade  gefallen  war,  auf  Veranlassung  des  Höf- 
lings Narcissus  umgebracht,  der  vorgab,  dass  es  der  Wille  des 
Kaisers  sei  (Tac.  Annal.  XI,  37).  Dann  hätte  allerdings  Sal- 
lustius die  Senatsverhandlung  sehr  zu  fürchten  gehabt. 

Aber  mag  nun  Augustus,  um  Unruhen  nach  seinem  Tode 
zu  verhüten,  diese  Anordnung  getroffen  haben,  mag  Livia  ihrem 
Sohne  dies  Angebinde  zur  neuen  Herrschaft  gebracht  haben, 
wie  z.  B.  nach  Tac.  XHI,  1  Agrippina,  die  Mutter  des  Nero,  den 
Junius  Silanus,  weil  er  ein  Nachkomme  des  Augustus  war, 
gleich   nach   dem  Tode   des  Klaudius   ohne  Wissen   des  Nero 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius,  11 

aus  dem  Wege  räumte,  oder  mag  gar  Sallustius  die  Tat  allein 
auf  sich  genommen  haben,  in  keinem  Fall  hat  Tiberius  darum 
gewusst.  Er  wurde  vielmehr  durch  die  Meldung  des  Tribunen 
peinlich  überrascht  und  war  sogleich  fest  entschlossen,  die 
Angelegenheit  dem  Senate  zu  unterbreiten,  um  den  falschen 
Verdacht  von  sich  abzuwehren.  Als  ihm  dann  Livia  ihre 
Mitteilung  machte,  musste  er  notgedrungen  von  einer  Unter- 
suchung, die  gegenstandslos  geworden  war,  abstehen.  Anderen 
gegenüber  war  er  vollkommen  berechtigt,  die  Tat  als  'patris 
iussum*  zu  bezeichnen.  Denn  auch  wenn  Livia  oder  Sallustius 
aus  eigenem  Antrieb  gehandelt  haben,  ist  es  selbstverständlich, 
(lass  sie  sich  zu  ihrer  Rechtfertigung  auf  einen  mündlichen 
Auftrag  des  Augustus  beriefen,  an  den  er  glauben  musste,  ob 
er  wollte  oder  nicht. 

Germanikas. 
Der  Aufstand  der  Legionen  am  Bhein. 

Nach  dem  Regierungsantritt  des  Tiberius  brach  bei  zwei 
römischen  Heeren  ein  Aufstand  aus,  in  Pannonien  und  am  Rhein. 
Das  höchste  Kommando  über  die  Rheinarmee  hatte  Germanikus, 
der  Neffe  und  Adoptivsohn  des  Tiberius.  Es  wird  allgemein 
angenommen,  dass  einer  der  Gründe  für  die  Empörung  der 
Rheinarmee  war,  weil  die  Legionen  mit  der  Übernahme  der 
Regierung  durch  Tiberius  unzufrieden  waren,  indem  sie  ihren 
eigenen  Feldherrn,  den  Germanikus,  auf  den  Thron  bringen 
wollten,  und  dass  sie  diesen  auch  wirklich  zum  Kaiser  ausriefen. 
Wiewohl  dies  von  Suetonius  und  Cassius  Dio  ausdrücklich 
bezeugt  ist,  hält  die  Annahme  doch  bei  genauer  Prüfung 
nicht  stand. 

Suetonius  Tib.  c.  25  sagt: 

9 Das  Heer  in  Germanien  lehnte  auch  einen  Kaiser  ab, 
den  es  nicht  selbst  gegeben,  und  wollte  den  Germanikus,  der 
damals  an  ihrer  Spitze  stand,  mit  aller  Gewalt  zur  Über- 
nahme der  Herrschaft  drängen,  wiewohl  dieser  entschieden 
Widerstand  leistete.*     Ähnlich  Kai.  c.  1. 


12  A.  Spengel 

Cassius  Dio  57,  c.  5: 

„Sie  sahen,  dass  Germanikus  auch  dem  kaiserlichen  Hause 
angehörte  und  weit  tüchtiger  war  als  Tiberius  (noXv  tov 
TißeQiov  xgetTTco),  schmähten  den  Tiberius  und  riefen  den 
Qermanikus  als  Kaiser  aus.*' 

Glücklicherweise  haben  wir  bei  Tacitus  eine  ganz  aus- 
führliche, nicht  weniger  als  34  Kapitel  umfassende  Beschreibung 
dieser  Aufstände  (I,  16 — 49),  wovon  19  Kapitel  (31 — 49)  den 
Aufstand  der  Rheinarmee  behandeln.  Daraus  können  wir,  wenn 
auch,  wie  meistens  bei  den  rhetorisch  geerbten  Schilderungen 
des  Tacitus,  Einzelheiten  zu  beanstanden  sind,  doch  im  allge- 
meinen den  Verlauf  der  Ereignisse  feststellen. 

Des  Vergleiches  halber  müssen  wir,  ehe  wir  die  Empörung 
der  Rheinarmee  besprechen,  zuerst  die  Hauptmomente  des  Auf- 
standes in  Pannonien  vorführen.  Die  Soldaten  greifen  ihren 
Legaten  Bläsus  an,  treiben  die  Tribunen  und  den  Lagerpräfekten 
aus  dem  Lager  und  plündern  deren  Eigentum,  den  Centurio 
Lucilius  töten  sie,  die  anderen  Centurionen  retten  sich,  indem 
sie  sich  verstecken.  Zwei  Legionen  sind  nahe  daran,  über 
einander  herzufallen,  weil  sie  sich  über  die  Hinrichtung  des 
Centurio  Sirpikus  nicht  einigen  können.  Die  Frage,  ob  Tiberius 
oder  ein  anderer  Kaiser  sein  soll,  wird  nicht  berührt.  Sie 
erkennen  vielmehr  den  Tiberius  tatsächlich  als  ihren  recht- 
mässigen Herrn  an,  indem  sie  Gesandte  an  ihn  schicken.  Sie 
verlangen  nur  Abhilfe  in  Betreff  der  vorhandenen  Missstände. 
Sie  fordern,  dass  die  bisher  willkürlich  behandelte  Dienstzeit 
der  Soldaten  geregelt  werde,  dass  nach  16  jährigem  Dienst  Ent- 
lassung folge,  die  Ausgedienten  Belohnung  erhalten,  die  täg- 
liche Löhnung  auf  einen  Denar  erhöht  werde,  und  endlich, 
dass  die  Veteranen  nicht  mehr  zum  ausserordentlichen  Dienst 
zurückbehalten  werden. 

Dann  geht  Tacitus  auf  die  Empörung  der  Rheinarmee 
über,  c.  31:  'isdem  fere  diebus,  isdem  causis  Germanicae 
legiones  turbatae,  quanto  plures,  tanto  violentius.'  Die  Gründe 
sind  also  auch  hier  dieselben,  die  Missstände,  deren  Abschaffung 
sie  verlangen.     Wenn  dann  beigefügt  ist:  'et  magna  spe  fore 


Zur  Geschickte  des  Kaisers  Tiberius.  13 

ut  Germanicus  Caesar  imperium  alterius  pati  nequiret  daretque 
se  legionibus  yi  sua  cuncta  tracturis,'  so  ist  damit  nur  gesagt, 
wenn  Qermanikus  sich  an  die  Spitze  gestellt  hätte  und  als 
Gegenkaiser  aufgetreten  wäre,  so  hätte  der  Aufstand  sehr 
gefahrlich  werden  können.  Zwar  berichtet  auch  Tacitus  von 
einem  solchen  Anerbieten  der  Soldaten,  während  Germanikus 
zur  heftig  erregten  Versammlung  spricht,  aber  die  Art,  wie  er 
sich  ausdrückt,  zeigt,  dass  er  kein  planmässiges  Vorgehen  des 
Heeres  annimmt,  sondern  nur  von  Einzelnen  ausgehende  ge- 
legentliche Zwischenrufe.  Die  Stelle  lautet  I,  35:  'fuere  etiam 
qui  legatam  a  divo  Augusto  pecuniam  reposcerent  faustis  in 
Germanicum  ominibus  et,  si  vellet  imperium,  promptos  osten- 
tavere.*  Es  ist  zu  beachten,  dass  'fuere  qui'  „Einige''  dem 
Sinne  nach  auch  Subjekt  zu  ostentavere  ist,  indem  der  Satz 
et  ostentavere  die  Erklärung  zu  ''faustis  ominibus'  gibt,  so  dass 
der  Relativsatz  durch  den  selbständig  angefügten  Hauptsatz 
erweitert  wird,  somit  gleichbedeutend  mit  fuere  qui  reposcerent 
et  oetentarent.  Als  gelegentlich  hingeworfene  Aeusserungen, 
die  als  solche  keine  Beachtung  verdienen,  behandelt  auch 
Tacitus  das  Vorkommnis  in  der  ganzen  Schilderung  des  Auf- 
standes. Die  Frage  der  Regentschaft  bleibt  ganz  beiseite,  er 
lässt  die  Soldaten  nirgends  einen  Tadel  gegen  Tiberius  oder 
ein  Lob  des  Germanikus  aussprechen  oder  beide  mit  einander 
vergleichen,  wiewohl  sich  vielfach  Gelegenheit  dazu  bot  und 
er  sonst  die  Stimmung  und  Absichten  der  handelnden  Personen 
durch  die  eingefügten  Reden  zum  Ausdruck  bringt.  Die  Legaten 
und  Tribunen  können  sich  an  diesem  Anerbieten  nicht  beteiligt 
haben; ^)  denn  das  hätte  Tacitus  nicht  verschwiegen*  Aber 
auch  das  Verhalten  der  Soldaten  selbst  wäre  ihrem  Feldherrn 
gegenüber  ganz  anders  gewesen,  wenn  sie  ihn  zum  Kaiser 
haben   wollten.     Vergegenwärtigen   wir    uns    nur   die   Haupt- 

*)  Und  doch  würde  man  dies  vor  allem  erwarten,  wenn  behauptet 
wird,  das  Heer  habe  den  Germanikus  zum  Kaiser  ausgerufen.  So  heisst 
ea  z.  B.  Hist.  I,  57,  als  dasselbe  Heer  dem  Vitellius  die  Kaiserwürde 
anbietet:  'promptissimus  e  legatis  Fabius  Valens  .  .  imperatorem  Vitel- 
liiim  consalutavit/ 


14  Ä,  Spengel 

momente  des  Aufstandes!  Bei  dem  unteren  Heere  bricht  die 
Meuterei  zuerst  aus,  und  zwar  in  Abwesenheit  des  Germanikus. 
Die  Soldaten  greifen  die  Centurionen  an,  schlagen  sie  zu  Boden, 
werfen  die  einen  verstümmelt,  die  anderen  tot  über  den  Wall 
oder  in  den  Rhein,  keinem  Vorgesetzten  gehorchen  sie  mehr, 
Wachen  und  Posten  verteilen  sie  selbst  unter  sich.  Sind  das 
Handlungen  eines  Heeres,  das  seinen  Feldherm  als  Gegenkaiser 
aufstellen  will?  Nun  kehrt  Germanikus  aus  Gallien,  wo  er 
sich  censui  agendo  aufgehalten,  zurück.  Er  betritt  das  Lager, 
will  zu  ihnen  sprechen  und  verlangt,  dass  sie  sich  vorher  nach 
Manipeln  ordnen  sollen.  Sie  gehorchen  nicht.  Ihrem  künftigen 
Kaiser?  So  sollten  sich  wenigstens  die  Kohorten  zusammen- 
finden. Nur  zögernd  tun  sie  es.  Als  er  endlich  sprechen  kann, 
hören  sie  ihn  schweigend  oder  mit  leisem  Murren  an.  Wie  er 
ihnen  aber  die  Meuterei  vorwirft,  entblössen  sie  die  Brust, 
zeigen  ihre  Narben,  die  Striemen  von  den  Schlägen,  klagen 
durcheinander  schreiend  über  die  hohen  Kosten  der  Dienst- 
befreiung, die  geringe  Löhnung,  die  harten  Arbeiten.  Das 
wildeste  Geschrei  erheben  die  Veteranen,  die  30  und  mehr 
Dienstjahre  haben:  er  möge  ihnen  endlich  Erlösung  von  so 
angestrengtem  Dienste,  ein  Leben  in  Ruhe  und  ohne  Ent- 
behrung verschaffen.  —  Man  sieht,  der  Aufstand  ist  eben- 
sowenig gegen  Tiberius  gerichtet  als  der  in  Pannonien;  er 
richtet  sich  gegen  den  langjährigen  beschwerlichen  Dienst,  die 
geringe  Bezahlung,  die  harte  Behandlung  durch  ihre  Vor- 
gesetzten, ganz  wie  in  Pannonien. 

Bei  Tacitus  reiht  sich  nun  an  die  oben  besprochene  Stelle 
'fuere  qui  .  ,  et,  si  vellet  imperiuni,  promptos  Osten tavere*  die 
Erzählung  einer  beabsichtigten  Handlung  des  Geimanikus,  die 
sich,  wenn  das  angegebene  Motiv  das  richtige  wäre,  schwer 
begreifen  Hesse:  'tum  vero,  quasi  scelere  contaminaretur,  prae- 
ceps  tribunali  desiluit.  opposuerunt  abeunti  arma,  minitantes 
ni  regrederetur.  at  ille  moriturum  potius  quam  fidem  exueret 
clamitans  ferrum  a  latere  diripuit  elatumque  deferebat  in  pectus, 
ni  proximi  prensam  dextrara  vi  attinuissent.*  —  Ein  Selbst- 
mord, weil  einige  ihm  zurufen,  er  könne  selber  Kaiser  werden. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius,  15 

wenn  er  wolle?  Das  ist  unglaublich.  Tacitus  hat  hier  in 
dem  Bestreben,  seinen  Helden  möglichst  edelmütig  zu  schildern, 
den  Beweggrund  der  Tat  geändert.  Nicht  wegen  dieses  Zu- 
rufes wollte  er  sich  töten,  sondern,  weil  er  trotz  der  eifrigsten 
Bemühung  den  Aufstand  nicht  bewältigen  konnte,  weil  die 
Soldaten  auf  ihren  Forderungen  beharrten,  und  er  sah,  dass 
er  alle  Gewalt  über  sie  eingebüsst  hatte.  So  hat  sich  mancher 
römische  Feldherr  selbst  den  Tod  gegeben,  wenn  er  entweder 
eine  entscheidende  Schlacht  verloren  sah  oder  der  Empörung 
des  eigenen  Heeres  machtlos  gegenüber  stand. 

Dass  dies  der  Beweggrund  war,  geht  auch  aus  Gassius 
Dio  57,  5  hervor,  der  sagt: 

,Als  aber  Germanikus,  da  er  sie  trotz  langen  Zuredens 
nicht  beschwichtigen  konnte,  sein  Schwert  zog,  um  sich  selbst 
zu  töten,  antworteten  sie  ihm  mit  (höhnenden)  Weherufen,  und 
einer  hob  sein  Schwert  in  die  Höhe  und  rief  ihm  zu:  „Nimm 
dieses  da!  das  ist  schärfer !**  Als  er  nun  sah,  wie  weit  es 
schon  gekommen  war,  wagte  er  nicht,  sich  zu  töten,  sowohl 
aus  anderen  Gründen,  als  weil  er  voraussah,  dass  der  Aufstand 
damit  nicht  beendigt  sei  (oder,  wie  Zonaras  sagt,  Tva  fiij  ßiäX- 
kov  oraoidocoai)."^  Hier  sind  es  nicht  die  Freunde,  die  ihn  an 
der  Ausführung  des  Selbstmordes  hindern,  sondern  er  lässt 
selbst  davon  ab,  offenbar,  weil  ihn  der  Hohn,  den  er  fand, 
zur  Besinnung  brachte. 

Besonders  wichtig  für  die  Frage,  ob  das  Heer  dem  Ger- 
manikus den  Thron  anbot,  ist  eine  Stelle  des  Zeitgenossen 
Velleius  U,  125,  bei  der  es  auf  die  richtige  Erklärung  ankommt: 

«Das  Heer,  das  in  Germanien  stand  und  von  Germanikus 
persönb'ch  befehligt  wurde  (praesentisque  Germanici  imperio 
regebatur),  und  zugleich  die  Legionen  in  Illyrien  verlangten 
in  einer  Art  von  Raserei  und  in  wilder  Begierde,  alles  in  Ver- 
wirrung zu  bringen,  einen  neuen  Feldherrn,  neue  Zustände, 
eine  neue  Staatsordnung  (novum  ducem,  novum  statum,  novam 
quaerebant  rem  publicam).^)     Sie  wagten  sogar  zu  drohen,  sie 

^)  Mit  novus  statas  und  nova  res  publica  ist  wohl  die  Neugestaltung 
der  militärischen  Verhältnisse  mit  ihrer  Rückwirkung  auf  den  Staat  zu 


16  A.  Spengd 

würden  dem  Senate,  würden  dem  Kaiser  Gesetze  vorschreiben 
(daturos  principi  leges);  die  Höhe  des  Soldes,  das  Ende  des 
Kriegsdienstes  erkühnten  sie  sich  selbst  zu  bestimmen  u.  s.  w/ 

Versteht  man  unter  'novum  ducem'  einen  neuen  Kaiser, 
einen  anderen  als  Tiberius,  so  hätten  wir  die  Bestätigung,  dass 
sich  der  Aufstand  auf  die  Thronfolge  bezog.  Aber  dies  kann 
novus  dux  unmöglich  heissen.  Weder  novus  wäre  in  diesem 
Fall  richtig,  weil  Tiberius  selbst  die  Regierung  erst  angetreten 
hat,  somit  novus  ist;  der  Sprachgebrauch  würde  alius  verlangen; 
noch  kann  dux  vom  Kaiser  gesagt  werden;  es  würde  princeps 
heissen,  wie  gleich  darauf  daturos  principi  leges.  Schon  die 
unmittelbar  vorhergehenden  Worte  'exercitus  Germanici  imperio 
regebatur'  zwingen  dazu  unter  novum  ducem  einen  anderen 
Feldherm  als  ihren  bisherigen  Feldherrn  Germanikus  zu  ver- 
stehen. Somit  ist  der  Aufstand  auch  gegen  die  Person  des 
Germanikus  gerichtet,  das  gerade  Gegenteil  von  der  Über- 
tragung der  Kaiserwürde.  Damit  stimmt  auch  die  Schilderung 
bei  Tacitus  insofern  überein,  als  hier  die  Soldaten  durchweg 
feindlich  gegen  Germanikus  auftreten. 

Wir  werden  daher  annehmen  müssen,  dass  Suetonius  und 
Cassius  Dio  die  späteren  Verhältnisse,  wo  von  den  Heeren 
Soldatenkaiser  aufgestellt  werden,  irrig  auf  die  damalige  Zeit 
übertrugen.  Auch  kann  man  ein  so  verkehrtes  Urteil  wie  Peg- 
juavixov  nokv  tov  TißeQiov  xgeiriü)  ögcovieg  ovxa  den  Legionen 
in  ihrer  Gesamtheit  nicht  zutrauen.  Wir  dürfen  uns  nur  un- 
befangen fragen,  was  damals  der  28  jährige  Germanikus  und 
damals  der  55  jährige  Tiberius  war.  Ohne  dem  liebenswürdigen 
Prinzen  von  seinen  sonstigen  Vorzügen  etwas  zu  nehmen,  muss 
man  doch  sagen,  dass  er  als  Kronprätendent  in  jeder  Beziehung 
weit  hinter  Tiberius  zurückstand,  und  wenn  zwischen  ihm  und 
Tiberius  die  Wahl  war,  kein  Einsichtiger  in  seinem  Urteil 
schwanken  konnte.    Hinsichtlich  der  Kriegskunst,  die  an  einem 


verstehen.  Denn  an  den  Plan  einer  Wiederherstellung  der  Republik  zu 
denken,  verbieten  sowohl  die  Worte  daturos  principi  leges  aln  das 
Schweigen  der  übrigen  Schriftsteller. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius,  17 

Beherrscher  des  römischen  Reiches  besonders  geschätzt  wurde, 
war  äermanikus   bei    seinem  Oheim   in   die  Schule   gegangen, 
aber,  wie  seine  späteren  Kriegstaten  und  schon  sein  Auftreten 
beim  Soldatenaufstand  bewies,  verhielt  er  sich  zu  ihm  wie  der 
Schüler,  der  angehende  Schüler  zum  Meister.     Sein  Gemüt  war 
von  weicherer  Art,   noch  lange  nicht  genug  gestählt  für  die 
Wechselfalle  des  Lebens.     Wer   hätte  sich  der   zarten,   unge- 
übten Hand   eines  solchen  Lenkers  anvertrauen  wollen,   wenn 
er  statt  dessen   die   feste,  sichere  Zügelführung,  den  scharfen, 
alle  Verhältnisse  beherrschenden  Blick  des  erprobten  Fürsten 
haben  konnte?     Tiberius  hatte  sich  durch  seine  kriegerischen 
Erfolge  in  Germanien,  Pannonien  und  Dalmatien  als  der  erste 
Feldherr  seiner  Zeit  bewährt,   hatte  seine  überlegene  Einsicht 
auch  dadurch   gezeigt,   dass  er  das  kostbare  Soldatenmaterial 
zu  schonen  verstand,  hatte  ebensoviel  durch  diplomatische  Kunst 
als  durch  das  Schwert  erreicht,  war  von  Augustus  zum  Nach- 
folger  bestimmt,    hatte   sich   durch   lange   Teilnahme   an    den 
>itaaisgeschäften  für  den  Beruf  des  Herrschers  vorbereitet  und, 
was  nicht  das  Geringste  war,  er  hatte  ein  durchaus  tadelloses 
Privatleben   geführt,   da   er,   wie   Tacitus  VI,  51    sagt,   bisher 
egregius   vita  famaque*  gelebt  hatte.     Diese  Worte   aus   dem 
Munde  des  Tacitus   sind   das  grösste  Lob,   das   ihm   für  diese 
Zeit  gespendet  werden  kann.     Darum  mussten  ihm  seine  Mit- 
bürger neben  vollem  Vertrauen  auf  seine  Herrschergaben  auch 
die  höchste  pei'sönliche  Achtung  entgegenbringen,  und  deshalb 
unng  die  Regierung  von  Augustus  auf  Tiberius  ohne  jede  Störung 
über  als   eine  selbstverständliche,   längst   geordnete  Tatsache. 
Wie  Augustus  schon  durch  die  Adoption   des  Tiberius  zu  er- 
kennen gab,   dass  er  ihn   zum  Nachfolger  wünsche,  so  musste 
Tiberius  auf  Veranlassung  des  Augustus  den  Germanikus  adop- 
tieren, wodurch  ausgesprochen  war,  dass  auch  dieser  Adoptiv- 
sohn nicht  vor  dem  Adoptivvater  zur  Herrschaft  gelangen  solle. 
Es   gehört   zu    den    groben    Missverständnissen    der   alten 
^if'schichtschreiber,  dass  sie  annehmen,  Tiberius  habe  den  Ger- 
manikus als  Nebenbuhler  gefürchtet.     Tdv  de  reg/uavixdv  dfi- 
y(Os  Iffoßmo  sagt  Cassius  Dio  57,  4.     Die  Tatsachen  bezeugen, 

1%3.  SiUgsb.  d.  pliiIo8.-pbiloI.  u.  d.  liist.  C1.  2 


18  A,  Spengel 

dass  dies  nicht  der  Fall  war.  Tiberius  behandelte  seinen 
Adoptivsohn  immer  wie  ein  wohlwollender  Vater,  verschaffte 
ihm  alle  möglichen  äusseren  Ehren,  übte  Nachsicht  gegen  seine 
Misserfolge,  und  wie  ein  Vater,  dem  es  ernst  ist  mit  der  Er- 
ziehung seines  Sohnes,  ersparte  er  ihm  auch  einen  strengen 
Tadel  nicht,  wenn  er  ihn  für  nötig  hielt.  Wie  aber  6er- 
manikus,  der  allen  Grund  hatte,  seinem  Oheim  dankbar  zu  sein, 
gegen  ihn  weder  etwas  unternehmen  wollte  noch  konnte,  so 
fürchtete  Tiberius,  dem  beides  wohl  bekannt  war,  an  ihm  am 
allerwenigsten  einen  Nebenbuhler.  So  wird  denn  auch  in  der 
Unterredung,  die  Augustus  in  seiner  letzten  Lebenszeit  mit 
Tiberius  über  die  Persönlichkeiten  hatte,  die  nach  seinem  Tode 
möglicherweise  dem  Tiberius  den  Thron  streitig  machen  könnten 
und  die  entweder  wirklich  befähigt  wären,  die  Herrschaft  zu 
führen,  oder  den  Willen  dazu  hätten,  der  Name  des  Qennanikus 
unter  keinen  von  beiden  genannt  (Tac.  I,  13). 

Betrachten  wir  kurz  den  weiteren  Verlauf  des  Militär- 
aufstandes! Die  Kraft  des  Germanikus  war  gebrochen.  Er  ent- 
schloss  sich,  nachzugeben,  suchte  aber  seine  Schwäche  durch 
eine  Täuschung  zu  verbergen,  indem  er  ein  Schreiben  abfasste, 
als  ob  es  von  Tiberius  käme,  worin  den  Soldaten  nach  20  jäh- 
riger Dienstzeit  völlige  Entlassung,  nach  16  Jahren  Übertritt 
in  die  Reserve  gewährt  und  das  von  Augustus  ausgesetzte 
Legat  verdoppelt  wurde.  Dadurch  trat  einstweilen  Ruhe  ein. 
Als  aber  eine  Gesandtschaft  vom  Senate  kommt  und  sich  das 
Gerücht  verbreitet,  sie  bringe  den  Beschluss,  dass  die  Zuge- 
ständnisse zurückgenommen  werden  sollten,  da  erbrechen  sie 
in  der  Nacht  die  Türe  der  Wohnung  des  Germanikus,  reissen 
ihn  selbst  aus  dem  Bette  und  zwingen  ihn  unter  Androhung 
des  Todes,  das  vexillum  auszuliefern.  Den  Führer  der  Gesandt- 
schaft, Plancus,  wollen  sie  töten,  er  flüchtet  sich  in  das  Lager 
der  1.  Legion  und  rettet  sein  Leben  nur,  indem  er  hier  schutz- 
flehend die  Fahnen  umfasst  und  vom  Adlerträger  verteidigt  wird. 
Den  nächsten  Tag  verlässt  Plancus  das  Lager  unter  Bedeckung 
von  Reiterei  der  Bundesgenossen. 

Bei  dieser  Gelogonhoit  können  wir  einen  interessanten  Ein- 


Zur  Oesehkhie  des  Kaisers  Tiberius.  19 

blick  in  die  Werkstätte  des  Tacitus  machen.    Wir  wissen  näm- 
lich aus  Cassius  Dio  57,  5,  dass  die  Soldaten,  um  die  Zurück- 
nähme   der    Zugeständnisse   zu    verhindern,   sich   jetzt   der 
Agrippina,  der  Gemahlin  des  Germanikus,  und  seines 
zweijährigen  Sohnes  Gaius  bemächtigten,  dass  sie  dann 
zwar  seine   Gattin,   weil  sie   hochschwanger  war,    auf  seine 
Bitten  {dsti^ivri)  wieder  frei  gaben,   aber  den  Knaben   als 
Geisel  behielten.    Wie  ganz  anders  lautet  dies  bei  Tacitus! 
Er  bietet  uns  eine  weit  ausgesponnene,  mit  rhetorischem  Schmuck 
reichlich  versehene,   dramatisch   gehaltene  Szene.     Er  erzählt, 
wie  Germanikus  von  seiner  Umgebung  (ab  omnibus)  bestürmt 
wird,  er  solle,  wenn  er  auch  sein  eigenes  Leben  gering  achte, 
doch   wenigstens   seine   Gattin   und   sein   Kind    aus    dem   auf- 
rührerischen Lager   entfernen.     Aber  die  tapfere  Enkelin    des 
Augustus  kennt  keine  Furcht  und  will  ihren  Gatten  nicht  ver- 
lassen; 'postremo  uterum  eins  et  communem  filium  multo  cum 
fletu  complexus  ut  abiret  perpulit.'     Da  ziehen  sie  hin,   fahrt 
Tacitus  fort,  die  edlen  Frauen,  ein  trauriger  Zug!    Die  Gattin 
des   Feldherrn,    das    kleine   Kind    auf   den   Armen,    als    eine 
Flüchtige,   mit   ihr   die  Frauen   der  Freunde   unter  Jammern, 
und   nicht   minder    traurig    sind    die    Zurückbleibenden.     Die 
Soldaten    kommen    aus    den    Zelten.      „Was    ist    das    für   ein 
Weinen?    Wie?    Die  vornehmen  Frauen?    Keine  Centurionen, 
keine  Soldaten  als  Ehrenbegleitung?     Und  wohin  ziehen  sie? 
Zu   Auswärtigen?     Zu   den   Trevirem?**     Da   kommt   Scham- 
gefühl und  Mitleid  zugleich  über  sie,    und   nichts   kränkt  sie 
so  sehr,   als  dass  die  Trevirer  ihnen  Schutz   gewähren  sollen. 
Sie  treten  dem  Zug  entgegen,  suchen  ihn  aufzuhalten,  bitten 
<lie  Agrippina,  sie  möge  umkehren,   möge  bleiben.     Nun  hält 
Germanikus  eine  eindringliche  Rede,  deren  Wirkung  nicht  aus- 
bleibt.    Sie    gestehen,    die  Vorwürfe   verdient   zu   haben    und 
bitten  ihn  inständig,  er  möge  die  Schuldigen  strafen,  den  Ver- 
führten verzeihen,   möge  Gemahlin  und  Sohn  zurückrufen  und 
daa  Heer  gegen  den  Feind  führen.     Germanikus  lehnt  die 
Rflckkehr  der  Agrippina  ab  mit  der  Entschuldigung,  dass 
es  Winter   sei    und   ihre  Geburt   bevorstehe,    den  Sohn   aber 

0* 


20  A,  Spengel 

werde  er  kommen  lassen;  das  Uebrige  sollten  sie  selbst 
besorgen.  Darauf  schleppen  sie  die  Rädelsführer  vor  den  Legaten 
der  1.  Legion,  wo  Gericht  gehalten  wird  und  die  schuldig 
Befundenen  sofort  von  den  Soldaten  niedergehauen  werden. 
Auch  über  die  Centurionen  wird  Gericht  gehalten  und  alle  die- 
jenigen des  Dienstes  entlassen,  die  der  Habsucht  oder  Grau- 
samkeit überführt  werden. 

Schon  dieser  Auszug  wird  zeigen,  wie  hier  der  Teig  der 
Geschichte  geknetet  ist  und  trotz  aller  Kunst  doch  ein  unnatür- 
liches Bild  zum  Vorschein  kommt.  Denn  dass  die  Soldaten, 
diese  rauhen  und  rohen  Gesellen,  deren  Handwerk  das  Morden 
ist,  die  ihre  Centurionen  erschlagen,  ihren  Feldherrn  aus  dem 
Bette  gezerrt  und  mit  dem  Tode  bedroht  haben,  plötzlich  von 
einer  empfindsamen  Herzensregung  erfasst  und  umgestimmt 
werden,  weil  sie  ein  Weib  mit  ihrem  Kinde  das  Lager  ver- 
lassen sehen  —  credat  Judaeus  Apella! 

Tatsache  bleibt  das  auch  von  Dio  überlieferte  Strafgericht, 
das  schliesslich  die  Soldaten  an  den  Empörern  vollziehen.  So 
hat  also  die  Nachgiebigkeit  des  Germanikus  zuletzt  noch  einer 
strengen  Massregel  Platz  gemacht.  Denn  wenn  auch  die  Sol- 
daten die  Handelnden  sind,  so  ging  doch  der  Befehl  oder  Bat 
jedenfalls  von  Germanikus  aus,  wie  auch  Tacitus  andeutet: 
'cetera  ipsi  exsequerentur.'  Suchen  wir  nun  nach  einem  greif- 
baren Grunde  dieses  Umschlages,  so  müssen  wir  uns  nur  fragen, 
was  inzwischen  Bedeutsames  vorgefallen  ist,  das  diese  Ände- 
rung veranlassen  konnte.  Nur  Eines,  die  Gesandtschaft  der 
Senatoren  mit  Aufträgen  des  Tiberius.  Wie  diese  gelautet 
haben  mögen,  ist  nicht  schwer  zu  erraten.  Tiberius,  der  den 
Aufstand  in  Pannonien  von  seinem  Sohne  Drusus,  den  er  mit 
Prätorianern  ins  Lager  schickte,  durch  die  Hinrichtung  der 
Hauptschreier  rasch  unterdrücken  liess,  wird  auch  dem  Ger- 
manikus durch  die  Gesandtschaft  mitgeteilt  haben,  dass  weder 
sich  selbst  umzubringen  noch  alle  Forderungen  zu  bewilligen 
die  richtige  Massregel  sei,  sondern  die  Aufrührer  durch  die 
Treugebliebenen  mit  Gewalt  beseitigt  werden  müssten.  Das- 
selbe Verfahren    schlug    denn    auch    Germanikus    bald    darauf 


Zur  QeaMchte  des  Kaisera  Tibenus.  21 

gegen  die  5.  und  21.  Legion  ein,  die  in  CastraVetera  stationiert 
waren  und  sich  nicht  unterwerfen  wollten.  Nachdem  die  Auf- 
forderung, zum  Gehorsam  zurückzukehren,  fruchtlos  geblieben 
war,  werden  die  Schuldigen  nach  einem  geheimen  Befehl,  den 
Germanikus  an  den  Legaten  Gäcina  schickt,  mitten  in  der  Nacht 
in  ihren  Zelten  auf  ein  gegebenes  Zeichen  von  den  treu  ge- 
bliebenen Soldaten  niedergemacht  (Tac.  I,  48). 

Dass  Tiberius  durch  die  Zugeständnisse  des  Germanikus 
sehr  wenig  erbaut  war,  sagt  nicht  nur  Tacitus  (I,  52),  sondern 
lässt  sich  auch  aus  einer  Stelle  des  Yelleius  II,  125  schliessen, 
der  bekanntlich  nur  sagt,  was  im  Sinne  des  Kaisers  ist.  Dabei 
müssen  wir  die  handschriftliche  Überlieferung  gegen  die  Kon- 
jekturen der  neueren  Herausgeber  wiederherstellen.  Sie  lautet 
nämlich:  quo  quidem  tempore  ut  pleraque  ignave  Germanicus, 
it^  Dnisus  .  .  prisca  antiquaque  severitate  usus  .  .  obsidentes 
coercuit.  Der  tadelnde  Ausdruck  ignave,  mit  schwacher  Nach- 
giebigkeit (den  man  in  das  Gegenteil  gnave  oder  in  ignovit 
geändert  hat),  ist  ganz  in  der  Ordnung.  Denn  Velleius  will 
dem  Verfahren  des  Germanikus  die  lobenswerte  Strenge  des 
Drusus  gegenüber  stellen,  wie  er  gleich  nachher  jene  Zuge- 
ständnisse exemplo  perniciosa  nennt.  Bezeichnend  ist  auch 
pleraque:  seine  Massregeln  beim  Aufstand  waren  grössten- 
teils, namentlich  am  Anfang,  von  tadelnswerter  Schwäche,  erst 
zuletzt  entwickelte  er  die  nötige  Strenge. 

Übrigens  würde  man  dem  Germanikus  bei  Beurteilung 
seines  Charakters  unrecht  tun,  wenn  man  nicht  auch  seine 
persönliche  Tapferkeit  vor  dem  Feinde  erwähnen  wollte.  Vel- 
leius II,  116  sagt,  dass  er  im  dalmatinischen  Kriege  grosse 
Beweise  von  Tapferkeit  gegeben,  und  Suetonius  Cal.  3  rühmt 
Ton  ihm  'fortitudinem  egregiam'  und  'hostem  cominus  saepe 
percussit,*  was  sich  mit  dem  oben  besprochenen  Mangel  an 
Energie  den  eigenen  Soldaten  gegenüber  und  mit  der  An- 
wandlung von  Kleinmut  und  Verzweiflung  im  Unglück,  in 
der  er  sich  zweimal  das  Leben  nehmen  wollte,  sehr  wohl 
Tereinigen  lässt. 


22  A,  Spengel 

Die  Feldzüge  des  Germanikus  in  Deutschland. 

Mit  der  Empörung  der  Legionen  steht  der  erste  Feldzug 
nach  Germanien  im  Zusammenhang.  Die  Soldaten  wünschten 
den  Krieg,  wenn  auch  nicht,  wie  Tacitus  sagt,  weil  sie  ihn 
als  Sühne  für  den  Aufstand,  als  'piaculum  furoris'  ansahen 
(nee  aliter  posse  placari  commilitonum  manes  quam  si  pecto- 
ribus  impiis  honesta  vulnera  accepissent  I,  49);  so  feinfühlend 
war  der  römische  Soldat  nicht,  aber  Krieg  war  die  grosse  Ein- 
nahmsquelle für  ihn,  Plündern  und  Morden  seine  Lust.  Auch 
konnte  Germanikus,  der,  wie  Cassius  Dio  sagt,  neue  Unruhen 
befürchtete,  das  Heer  dadurch  von  der  Vergangenheit  ablenken 
und  mehr  an  sich  ziehen.  So  unternahm  er  noch  im  Jahre  14 
einen  Raubzug  in  das  Gebiet  der  Marsen.  Die  Expedition 
glückte.  Von  4  Kolonnen  wurde  das  Land  in  einer  Ausdeh- 
nung von  50000  Schritten  mit  Feuer  und  Schwert  verheert, 
Weiber,  Kinder,  Greise  niedergemacht.  Beute  gewonnen  und 
trotz  einiger  feindlichen  Angriflfe  beim  Rückzug  der  Rhein 
wieder  glücklich  erreicht  (Tac.  I,  50  f.).  Das  plötzliche  Er- 
scheinen im  Feindesland  und  die  Raschheit  der  ganzen  Ope- 
ration hatten  den  Erfolg  gebracht.  Obwohl  damit  kein  eigent- 
licher Sieg  über  die  Germanen  erfochten  war,  Hess  Tiberius 
dem  Germanikus  durch  den  Senat  einen  Triumph  zuerkennen 
'manente  hello,'  wie  Tacitus  I,  55  sagt.  Der  Kaiser  wollte 
damit  wahrscheinlich  andeuten,  dass  er  den  Krieg  nun  auch 
wirklich  beendigt  wünsche.  Denn  wie  er  in  jeder  Beziehung 
die  Regierungsgrundsätze  des  Augustus  zur  Richtschnur  nahm,') 
hielt  er  sich  auch  streng  an  seinen  Rat,  keine  weiteren  Er- 
oberungen zu  machen:  'coercendi  intra  terminos  imperii'  (1, 11). 
Wir  können  uns  die  Gedanken  des  Kaisers,  der  durch  seine 
eigenen  Erfahrungen  in  Germanien  die  Verhältnisse  am  besten 
beurteilen  konnte,  leicht  vergegenwärtigen.     Er  wird  sich  ge- 

^)  Tiberius  sagt  Tac.  IV,  37  von  sich  selbst:  'qui  omnia  facta  die- 
taqae  eius  (seil,  divi  Augusti)  vice  legis  observem  *  Auch  Strabo  IV,  4,  2 
a.  Ende  hebt  hervor,  dass  sich  Tiberius  in  der  Staatsverwaltung  und  in 
seinen  Verordnungen  den  Augustus  zum  Vorbilde  nahm, 


Zur  OescMehte  des  Kaisers  Tiberius.  23 

freut  haben,  dass  Gennanikus  nach  den  ersten  Missgriffen  in 
der  Behandlung  des  Soldatenaufstandes  nun  einen  wirklichen 
Erfolg  zu  verzeichnen  hatte.  »Aber**,  wird  er  gedacht  haben, 
«wenn  er  sich  dadurch  nur  nicht  zu  grösseren  Feldzügen  in 
das  Innere  Oermaniens  verleiten  lässt!  Ständige  Eroberungen 
sollen  und  können  dort  nicht  gemacht  werden,  und  nur  das 
Land  zu  durchziehen,  lohnt  die  Verluste  an  Mannschaft  nicht, 
die  auch  bei  der  vorsichtigsten  und  besten  Führung  unver- 
meidlich damit  verbunden  sind.  Dass  aber  mein  Neffe  wirk- 
fich  die  Fähigkeit  besitzt,  das  Heer  vor  grösseren  Niederlagen 
zu  bewahren,  das  wollen  wir  einstweilen  nur  hoffen.**  So  un- 
geföhr  mag  er  gedacht  haben  und  für  das  Urteil  des  Tacitus 
'bellica  quoque  Oermanici  gloria  angebatur'  hätte  er  höchstens 
ein  Lächeln  gehabt.  Ihm  mussten  Siege,  die  durch  grosse 
Verluste  erkauft  wurden,  als  Niederlagen  gelten.  Denn  die 
Legionen  zu  ergänzen,  war  schwer.  Hatte  doch  schon  Augustus 
nach  der  Niederlage  des  Varus,  weil  es  ihm  nicht  gelang,  die 
nötige  Mannschaft  aufzubringen,  zu  dem  für  den  Kriegsdienst 
sehr  wenig  geeigneten  städtischen  Pöbel  greifen  müssen. 

Aber  den  Germanikus  reizte  der  erste  Erfolg  und  das  An- 
denken an  seinen  Vater  Drusus  zu  grösseren  Unternehmungen. 
Nachdem  im  Frühjahr  ein  plötzlicher  Einfall  in  das  Land  der 
Chatten   gemacht,    der  Hauptort  Mattium   niedergebrannt,    die 
offenen  Strecken  verwüstet  worden  und  die  Rückkehr  an  den 
Rhein  ohne  eigentlichen  Kampf  erfolgt  war,  wurde   der  wohl 
vorbereitete    Feldzug  in   das  Land   der  Cherusker   ausgeführt. 
Vier  Legionen  führte  Germanikus  selbst  zu  Wasser  in  die  Mün- 
dung der  Amisia,  die  4  anderen  unter  Cäcina  zogen  zu  Lande 
und  vereinigten  sich  dann   mit  den  ersteren.     Als  man  in  die 
Nähe  des  Teutoburger  Waldes  kam,  entschloss  sich  Germanikus, 
das  Schlachtfeld  des  Varus  zu  besuchen  und  die  seit  6  Jahren 
unbestattet    liegenden   Gebeine    der   Gefallenen    zu    beerdigen. 
Tiberius  missbilligte  dies,   weil  der  Mut  der  Soldaten  dadurch 
gelähmt  werden  konnte  und  Germanikus  aus  religiösen  Rück- 
sichten  als  'auguratu    et    vetustissimis   caerimoniis    praeditus' 
keiner  Leichenbestattung  habe  anwohnen  dürfen  (T,  62).    Joden- 


24  A.  Spengel 

falls  wird  er  auch  die  Unvorsichtigkeit  und  Verwegenheit  niiss- 
billigt  haben,  mit  der  das  Heer  in  die  nämliche  ungünstige 
Lokalität  geführt  wurde,  die  schon  einmal  das  Verderben  her- 
beigeführt hatte.  Wie  leicht  hätte  eine  zweite  Niederlage  die 
Stätte  doppelt  denkwürdig  machen  können!  Denn,  wie  un- 
sicher und  gefährlich  hier  die  Wege  waren,  zeigt  die  Bemer- 
kung des  Tacitus  'praemisso  Caecina,  ut  occulta  saltuum  scruta- 
retur  pontesque  et  aggeres  umido  paludum  et  fallacibus  campis 
imponeret.'  Doch  die  Germanen  griffen  hier  nicht  an;  sie 
Hessen  die  Römer  weiter  ziehen  und  brachen  an  einer  anderen 
Stelle  aus  den  Wäldern  hervor.  Sie  bringen  die  Reiter  in 
Verwirrung,  die  Kohorten  der  Bundesgenossen  kommen  der 
Reiterei  zu  Hilfe,  werden  aber  in  die  Flucht  mit  fortgerissen. 
Nun  rücken  die  Legionen  vor  und  'manibus  aequis  abscessum.' 
Da  unmittelbar  auf  dieses  'manibus  aequis  abscessum*  folgt 
'mox  reducto  ad  Amisiam  exercitu,'  ist  damit  gesagt,  dass  das 
römische  Heer  unterlag,  d.  h.  am  weiteren  Vordringen  ge- 
hindert und  zum  Rückzug  gezwungen  wurde. 

Dieser  Rückzug  sollte  einem  Teil  des  Heeres  verhängnis- 
voll werden.  Germanikus  befahl  dem  Legaten  Caecina,  mit 
seinen  4  Legionen  den  Weg  über  die  pontes  longi  einzuschlagen 
und  diese  in  möglichster  Eile  zu  überschreiten.  Dies  war  frei- 
lich leichter  gesagt  als  getan.  Die  pontes  beschreibt  Tacitus: 
'angustus  is  trames  vastas  inter  psiludes  et  quondam  a  L.  Do- 
mitio  aggeratus.  cetera  limosa,  tenacia  gravi  caeno  aut  rivis 
incerta  erant.  circum  silvae  paulatim  acclives,  quas  tum  Ar- 
minius  impleverat.'  Schon  die  geringe  Breite  des  gangbaren 
Weges  (angustus  trames)  musste  den  Marsch  ungemein  ver- 
zögern. Dazu  stellte  sich  heraus,  dass  die  pontes  vielfach 
schadhaft  und  unpassierbar  geworden  waren.  Das  war  für  die 
Germanen  ein  Schlachtfeld,  wie  sie  es  nicht  besser  wünschen 
konnten.  Wohl  mag  da,  als  nun  von  allen  Seiten  die  Angriffe 
erfolgten,  mancher  Germane  und  auch  mancher  Römer  ge- 
sprochen oder  gedacht  haben,  was  Tacitus  dem  Arminius  in  den 
Mund  legt:  'en  Varus  eodemque  iterum  fato  vinctae  legiones!' 
Die  Wagen,   die  das  schwere  Gepäck  fuhren,   blieben  stecken, 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius.  25 

die  Reihen  gerieten  in  Verwirrung,  die  Soldaten  gehorchten 
den  Führern  nicht  mehr,  Cäcina  selbst,  dem  das  Pferd  getötet 
wurde,  wäre  verloren  gewesen,  wenn  nicht  die  Beutegier  der 
Feinde  und  die  Hilfe  der  1.  Legion  ihn  gerettet  hätte.  Wie 
gross  die  Verluste  der  Römer  waren,  ist  wie  gewöhnlich  nicht 
angegeben,  jedenfalls  waren  sie  unter  solchen  Umständen  sehr 
beträchtlich.  Dass  auch  die  Wagenladungen  und  die  Werk- 
zeuge und  andere  Habe  grossenteils  verloren  ging,  deuten  Be- 
merkungen des  Tacitus  an  wie  'iuvit  hostium  aviditas  praedam 
sectantium'  (c.  65),  ferner 'struendum  vallum,  petendus  agger 
amissa  magna  parte  per  quae  egeritur  humus  aut  exciditur 
caespes,  non  tentoria  manipulis,  non  fomenta  sauciis.'  Und 
in  welcher  Stimmung  die  Soldaten  waren,  schildern  die  Worte : 
'infectos  caeno  aut  cruore  cibos  dividentes  funestas  tenebras  et 
tot  hominum  milibus  unum  iam  reliquum  diem  lamentabantur.* 
Schliesslich  gelang  es  den  Römern  doch,  durchzukommen  und 
den  Rhein  zu  erreichen,  während  hier  das  Gerücht  verbreitet 
war,  das  ganze  Heer  sei  vernichtet  und  die  Germanen  schickten 
sich  an,  in  Gallien  einzufallen. 

Es  ist  für  den  Laien  oft  schwer,   taktische  Massregeln  in 
der  Kriegführung  der  Alten   zu  beurteilen,   zumal  die  Angabe 
der  näheren  Umstände  und  bestimmenden  Verhältnisse  bei  den 
Schriftstellern  vielfach  fehlt.    Aber  hier  werden  wir  doch  kaum 
irren,  wenn  wir  sagen,   die  4  Legionen   über  die  pontes  longi 
ziehen  zu  lassen,  war  ein  strategischer  Fehler  des  Germanikus. 
Diese   pontes   konnten   wohl   im    Frieden    oder   bei   unvorher- 
gesehenem Anmarsch,   wenn  der  Weg  frei   war,   gute  Dienste 
leisten,  aber  bei  erzwungenem  Rückzug,  wo  nach  den  voraus- 
gegangenen   Ereignissen    heftige  AngrifiFe   zu   erwarten    waren 
und  der  Feind  die  waldigen  Höhen  besetzt  hielt  (circum  silvae 
paulatim  acclives,  quas  tum  Arminius  compleverat),  waren  die 
schwersten  Verluste  vorauszusehen,  auch  wenn  der  Damm  un- 
versehrt  gewesen   wäre.     So    aber   war   dieser   vor   Dezennien 
angelegte  Holzweg   an   vielen  Stellen    abgefault  und    zerfallen 
(ruptos  vetustate   pontes),    und  während  nur   möglichst  eiliger 
Durchzug  die  Nachteile  einigermassen  hätte  ausgleichen  können, 


26  A.  Spengel 

sah  sich  das  Heer  bei  jeder  auszubessernden  Stelle  zum  Still- 
stand gezwungen.  Wir  können  nicht  glauben,  dass  Germanikus 
von  diesem  Zustand  unterrichtet  war  und  trotzdem  den  Befehl 
gab,  wohl  aber,  dass  er  es  an  der  nötigen  Aufklärung  fehlen 
liess,  wenn  nicht  etwa  Cäcina  (entgegen  der  Angabe  des  Tacitus) 
von  den  Germanen  mit  Gewalt  in  dieses  ungünstige  Terrain 
gedrängt  wurde. 

Unterdessen  war  Germanikus  mit  der  anderen  Hälfte  des 
Heeres  an  die  Mündung  der  Aroisia  gekommen.  Um  die  Schiffe 
bei  der  Meerfahrt  zu  entlasten  und  ihr  Auflaufen  zur  Zeit  der 
Ebbe  zu  verhindern,  liess  er  die  2.  und  die  14.  Legion  unter 
Vitellius  zu  Lande  der  Küste  entlang  ziehen.  Dieser  Marsch 
ging  anfangs  gut.  Als  aber  ein  starker  Nordwind  zu  wehen 
anfing,  überschwemmte  das  Meer  die  Küste  und  die  Soldaten 
befanden  sich  mitten  im  Wasser  'modo  pectore,  modo  ore  tenus 
exstantes.*  Ausser  Menschenleben  (aliquando  subtracto  solo 
disiecti  aut  obruti)  gingen,  wie  es  scheint,  alle  Wagenladungen 
und  Gerätschaften  verloren.  Denn  als  die  Truppen  endlich 
höher  gelegenes  Land  erreichten,  befanden  sie  sich  in  kläg- 
lichem Zustande:  'pernoctavere  sine  utensilibus,  sine  igni,  magna 
pars  nudo  aut  mulcato  corpore,  haud  minus  miserabiles  quam 
quos  hostis  circumsidet'  (I,  70). 

Auch  diese  Verluste  werden  wir  auf  Rechnung  der  Ober- 
leitung setzen  müssen.  Dem  Germanikus  war,  wie  es  scheint, 
nicht  bekannt,  wie  verschieden  die  Verhältnisse  der  Nordsee 
und  seiner  Küsten  von  denen  des  mittelländischen  Meeres  sind, 
und  er  versäumte  es,  bei  den  anwohnenden,  zum  Teil  befreun- 
deten Völkerschaften  die  nötigen  Erkundigungen  einzuziehen. 
Auch  von  diesen  Legionen  hatte  sich  das  Gerücht  verbreitet, 
dass  sie  vollständig  verloren  seien,  „und  nicht  eher  glaubte 
man  an  ihre  Rettung,  als  bis  man  den  Germanikus  und  sein 
Heer  zurückkehren  sah." 

Stellen  wir  das  Ergebnis  dieses  Kriegsjahres  mit  Ein- 
fügung der  im  Vorhergehenden  nicht  angeführten  Nebenereig- 
nisse zusammen!  Verwüstungszug  in  das  Land  der  Chatten. 
Infolge  einer  Gesandtschaft  des  Segestes  wird  dieser  von   der 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius.  27 

Umlagenmg  beireit  'magna  cum  propinquorum  et  clientium 
manu*  und  unter  anderen  Tornehmen  Frauen  gerät  auch  die 
Gemahlin  des  Arminius,  Tochter  des  Segestes,  in  die  Gewalt 
der  Römer.  Stertinius,  von  Oermanikus  gegen  die  Brukterer 
geschickt,  findet  den  Adler  der  21.  Legion,  der  unter  Yarus 
verloren  gegangen  war.  Die  Gegend  zwischen  Amisia  und 
Lupia  wird  verwüstet.  Besuch  des  Schlachtfeldes  im  Teuto- 
burger  Walde.  Weiteres  Vordringen  durch  die  Germanen  ge- 
hindert. Ständige  Eroberungen  nicht  gemacht.  Auf  dem  Rück- 
zug die  schwersten  Verluste  an  Material  und  Mannschaft.  'Ad 
supplenda  exercitus  damna'  (I,  74)  werden  Gallien,  Spanien  und 
Italien  beigezogen;  sie  liefern  Waflfen  und  Pferde,  während 
Oermanikus  selbst  die  pekuniären  Verluste  der  Soldaten  von 
seinem  Gelde  ersetzt.  Auch  gab  er  sich  alle  Mühe,  durch 
Trost,  den  er  den  Verwundeten  spendete,  durch  Lob  für  tapfere 
Haltung  u.  dgl.  dahin  zu  wirken  '^ut  cladis  memoriam  leniret.' 
Ja  clades,  das  ist  der  wahre  Erfolg  des  Feldzuges,  und  hinzu- 
fügen kann  man:  nicht  zum  geringsten  Teil  verschuldet  durch 
strategische  Fehler  des  Germanikus. 

Was  mag  Tiberius  von  diesen  Erfolgen  gehalten  haben? 
Tacitus  sagt  II,  5,  die  Wirren ,  die  um  diese  Zeit  im  Orient 
entstanden,  kamen  dem  Kaiser  nicht  unerwünscht,  um  den  Ger- 
manikus vom  Rhein  abberufen  zu  können.  Gewiss  werden  wir 
dieses  Urteil  billigen,  nur  müssen  wir  die  Begründung  des 
Tacitus  'ut  ea  specie  Germanicum  suetis  legionibus  abstraheret 
novisque  provinciis  impositum  dolo  simul  et  casibus  obiec- 
taret*  als  eine  hässliche  Verdächtigung  zurückweisen.  Es  ist 
dies  einer  der  vielen  Fälle,  wo  Tacitus  spätere  Ereignisse  oder 
Urteile,  die  er  sich  über  diese  Ereignisse  gebildet  hat,  grund- 
los auf  frühere  Zeiten  überträgt  und  als  Beweggrund  einer 
Handlung  des  Kaisers  hinstellt. 

Es  spricht  für  die  Kühnheit  des  Germanikus,  dass  er  sich 
durch  die  schlimmen  Erfahrungen  des  letzten  Feldzugs  nicht 
abschrecken  Hess  und  für  das  Jahr  16  den  Plan  fasste,  noch 
weiter  nach  Osten  voi-zudringen.  Wie  im  vorigen  Jahre  wurden 
die  kriegerischen  Unternehmungen  mit  kleinen  Streifzügen  be- 


28  A.  Spengel 

gönnen,  dann,  als  der  Bau  der  Flotte  von  1000  Schiffen  vollendet 
war,  das  Heer  durch  die  fossa  Drusiana  und  die  Nordsee  bis 
zur  Mündung  der  Amisia  befördert.  Zu  beachten  ist,  dass 
Tacitus,  der  sonst  nicht  leicht  etwas  Ungünstiges  über  Ger- 
manikus  berichtet,  hier  über  eine  seiner  Anordnungen  einen 
offenen  Tadel  ausspricht  'erratumque  in  eo  quod  non  subvexit.*  *) 
Dieses  Urteil,  das  Tacitus  jedenfalls  in  seiner  Quelle  vorfand, 
wahrscheinlich  in  dem  Geschichtswerk  des  I,  69  genannten 
G.  Plinius  Gernianicorum  bellorum  scriptor,  zeigt,  dass  die 
Heerführung  des  Germanikus  schon  von  Seiten  der  alten  Schrift- 
steller nicht  unbeanstandet  blieb. 

Dem  Berichte  über  diesen  Feldzug,  den  letzten,  den  Ger- 
manikus in  Deutschland  unternahm,  glaubte  Tacitus  einige 
luraina  einfügen  zu  müssen,  Episoden,  die  sich  wie  Geschichte 
ausnehmen  sollen,  aber  deutlich  den  Stempel  der  Erfindung  an 


^)  Die  Stelle  lautet  im  Zusammenhang:  .  .  'lacus  inde  et  Oceanum 
usque  ad  Amisiam  flumen  secunda  navigatione  pervehitur.  classis  Ami- 
siae  relicta  laevo  amne,  erratumque  in  eo  quod  non  subvexit.  transpo- 
suit  militem  dextras  in  terraa  iturum.  ita  plurea  dies  efficiendis  pontibus 
absumpti.*  Ich  verstehe  dies  so:  Es  war  ein  Fehler,  dass  er  mit  der 
Flotte  auf  dem  Meere  nur  bis  zur  Mündung  der  Ems  fuhr  und  nicht 
weiter  ostwärts  an  der  Wesermündung  landete,  da  doch  die  Weser  und 
Elbe  sein  Ziel  war.  Denn  jetzt  musste  er  (ausser  der  später  nötigen 
Brücke  über  die  Weser)  auch  schon  beim  Erscheinen  in  Feindesland  eine 
Brücke  über  die  Ems  schlagen,  während  er  Zeit  und  Mühe  nicht  aufzu- 
wenden brauchte,  wenn  die  Landung  weiter  östlich  erfolgt  wäre.  Inner- 
halb dieser  plures  dies  musste  sich  die  Kunde  von  seiner  Ankunft  bei 
den  Germanen  verbreiten,  konnten  sie  sich  sammeln  und  zur  Abwehr 
rüsten,  so  dass  der  Einfall  nicht  mehr  unvermutet  kam.  Ich  erkläre 
daher:  Die  Flotte  wurde  schon  in  Amisia  verlassen  und  zwar  wurde  (wie 
es  in  diesem  Fall  natürlich  und  richtig  war)  auf  der  linken  westlichen 
Seite  des  Flusses  gelandet;  es  war  ein  Fehler,  dass  er  nicht  weiter  auf 
dem  Meere  nach  Osten  fuhr,  da  die  Soldaten  nach  den  östlichen  Ländern 
ziehen  sollten.  —  Daneben  möchte  ich  noch  die  Möglichkeit  oflFen  halten, 
dass  Tacitus  die  Worte  laevo  amne  in  seiner  Quelle  nicht  vorfand  und 
sie  nur  aus  Missverständnis  beifügte,  indem  er  meinte,  die  Flotte  hätte 
auf  der  rechten  Seite  des  Flusses  landen  sollen.  —  'Transposuit'  haben 
manche  als  Erklärung  zu  'subvexit*  getilgt,  was  sehr  wahrscheinlich  ist. 
Sachlich  bleibt  übrigens  der  Sinn  derselbe,  wenn  das  Wort  beibehalten  wird. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  IHberius,  29 

sich  tragen.  Am  schlimmsten  steht  es  mit  der  Szene  Armi- 
nias und  Flavus.  Als  die  Römer  an  die  Weser  kamen,  so 
erzählt  Tacitus,  tritt  auf  dem  anderen  Ufer  Arminius  mit  den 
übrigen  Vornehmen  zum  Fluss  heran  und  fragt  —  nein,  setzen 
wir  gleich  den  richtigen  Ausdruck,  der  allein  schon  den  Mass- 
stab zur  Beurteilung  bieten  kann  —  er  schreit  hinüber  (denn 
über  einen  grossen  Strom  kann  man  nur  schreien),  ob  6er- 
manikua  gekommen  sei.  Die  Römer  schreien  ihm  zurück,  ja, 
er  sei  da.  Nun  stellt  Arminius  die  Bitte,  mit  seinem  Bruder 
Flavus,  der  auf  Seite  der  Römer  steht,  sprechen  zu  dürfen. 
(Vielleicht  hat  er  auch  gleich  hinzugefügt,  er  wolle  ihn  be- 
reden, zu  ihm  tiberzugehen.)  Germanikus  erlaubt  es.  (Höchst 
liebenswürdig!)  Flavus  reitet  an  das  Ufer,  Arminius  begrüsst 
ihn  von  der  anderen  Seite  des  Flusses,  und  nachdem  die 
romischen  Bogenschützen  etwas  zurückgetreten,  beginnt  die 
Redeschlacht.  Arminius  spricht,  nein,  schreit  herüber  von 
Freiheit,  Vaterland,  einheimischen  Göttern  und  ermahnt  seinen 
Bruder,  lieber  Führer  als  Verräter  seiner  Landsleute  zu  werden, 
Flavus  dagegen  schreit  über  die  Grösse  des  römischen  Reiches, 
die  Macht  des  Cäsar,  die  harte  Bestrafung  der  Widerspenstigen, 
die  grosse  Milde  bei  freiwilliger  Unterwerfung.  Die  Redner 
ereifern  sich  immer  mehr,  gehen  zu  Schmähungen  über  (hier 
ist  das  Schreien  am  Platz),  und  während  Flavus  wutentbrannt 
zum  Kampfe  mit  Arminius  auf  seinem  Rosse  in  den  Strom 
sprengen  will  und  nur  mit  Mühe  von  seiner  Umgebung  zurück- 
gehalten wird  —  fallt  der  Vorhang. 

Gegen  diese  Erzählung  sprechen  folgende  Gründe: 

1.  Die  Begegnung  des  Arminius  und  Flavus  ist  zwecklos. 
Denn  keiner  sagt  dem  anderen  etwas,  was  er  nicht  schon  weiss. 

2.  Das  Hinüber-  und  Herüberschreien  von  längeren  Reden 
über  einen  breiten  Fluss  ist  absurd.  Man  ruft  wohl,  indem 
man  etwa  auch  noch  die  hohlen  Hände  an  den  Mund  hält, 
»Iberfahren!*  und  dergleichen,  aber  nicht  Rede  und  Gegen- 
rede, nicht  einen  Sermon,  der  einen  Kämpfer  bestimmen  soll, 
die  Partei,  für  die  er  die  Waffen  trägt  und  der  er  seit  Jahren 
angehört,  mit  der  Gegenpartei  zu  vertauschen. 


30  A,  Spengel 

3.  Flavus,  der  sich  bei  den  Römern  befand,  hatte  keine 
freie  Wahl  seiner  Partei.  Hätte  er  wirklich  übergehen  wollen, 
so  wäre  er  von  den  Römern  niedergehauen,  von  den  Bogen- 
schützen durchbohrt  worden. 

Möglich,  dass  die  Römer,  die  die  Rhetorik  gewissermassen 
schon  mit  der  Muttermilch  einsogen,  selbst  noch  an  solchen 
ungereimten  Deklamationen  Gefallen  fanden,  wir  Deutsche  aber 
müssen  uns  dagegen  verwahren,  dass  Arminius  vor  dem  heiligen 
Kampfe  für  das  Vaterland  solches  Possenspiel  getrieben   habe. 

Was  wird  Tacitus  in  seinen  Quellen  hierüber  vorgefunden 
haben?  Gewiss  nichts  anderes  als  die  Bemerkung,  dass  sich 
Flavus,  der  Bruder  des  Arminius,  beim  römischen  Heere  befand. 
Alles  andere  ist  erfunden.  Ein  Lehrbuch  der  Geschichte  darf 
daher  meines  Erachtens  diese  Unterredung  nicht  als  Tatsache 
erwähnen,  wie  dies  neben  anderen  auch  L.  Stacke,  Römische 
Geschichten,  Oldenburg  1898,  tut,  der  sogar  den  ganzen  Inhalt 
der  Reden  wie  historisches  Material  behandelt.  Man  könnte 
ebensogut  das  Gedicht  „Hermann  und  Flavus*  zur  Geschichte 
rechnen,  zu  dem  der  Dichter  Martin  Greif  (Gesammelte 
Werke,  I,  S.  237  f.)  von  dem  Dichter  Tacitus  begeistert  wurde. 

Unmittelbar  an  diese  Beigabe  reiht  Tacitus  ein  zweites 
Intermezzo,  das  zu  Gunsten  seines  Lieblings  Germanikus  er- 
funden ist.  Nachdem  Germanikus  die  Weser  überschritten 
hatte,  erfuhr  er  nach  dem  Bericht  des  Tacitus  durch  einen 
Überläufer,  dass  Arminius  einen  Platz  zur  Schlacht  bestimmt 
habe  und  noch  in  dieser  Nacht  ein  Sturm  auf  das  Lager  aus- 
geführt werden  solle.  Um  nun  die  Gesinnung  der  Soldaten 
zu  erforschen,  sucht  er  ihre  Gespräche  während  der  Abend- 
mahlzeit zu  belauschen.  Einen  Pelz  über  die  Schultern  ge- 
worfen schleicht  er  sich  mit  nur  einem  Begleiter  an  die  ver- 
schiedenen Zelte  heran  und  hört  ungesehen,  wie  die  Soldaten 
ihn  alle  loben,  der  eine  seinen  Adel,  der  andere  seine  Schön- 
heit, die  meisten  seine  Ausdauer,  seine  Leutseligkeit,  sein  in 
Ernst  und  Scherz  immer  gleich  bleibendes  Wesen  preisen,  und 
wie  sie  sagen,  für  alles  dieses  müssten  sie  ihm  in  der  bevor- 
stehenden Schlacht  den  Dank  abstatten.  —  Die  innere  Unwahr- 


Zur  Oeschiehte  des  Kaisers  Tiberius,  31 

scheinlichkeit  liegt  wieder  auf  der  Hand.  Dass  die  Soldaten 
gerade  Ton  Germanikus  sprechen,  als  dieser  an  die  Zelte  tritt, 
ist  die  bekannte  Theatermache,  die  die  Personen  immer  gerade 
das  sagen  lässt,  was  der  Dichter  für  seine  Zwecke  braucht. 
Wenn  die  Soldaten  tapfer  kämpften,  so  taten  sie  das  sicher 
nicht  wegen  der  Schönheit  und  anderer  VorzUge  des  Germanikus, 
sondern  weil  sie  sich  hier  mitten  im  Feindesland  ihrer  Haut 
wehren  mussten.  Auch  wird  ein  Feldherr,  wenn  er  weiss,  dass 
in  derselben  Nacht  ein  Sturm  auf  das  Lager  bevorsteht,  nicht 
bei  den  Zelten  herumschleichen  und  auf  die  Gespräche  der 
Soldaten  lauschen,  sondern  seine  ganze  Aufmerksamkeit  der 
Verteidigung  des  Lagers  zuwenden.  Die  Anekdote,  die  wohl 
in  Erinnerung  an  Xenoph.  Cyrop.  3,  1,  41*)  entstanden  ist, 
hat  einerseits  den  Zweck,  die  sachlich  magere  Darstellung  dieses 
Feldzuges  etwas  zu  füllen  und  Leben  und  Abwechslung  in  die 
Erzählung  zu  bringen,  anderseits  dem  Leser  wieder  ins  Ge- 
dächtnis zu  rufen,  wie  beliebt  Germanikus  beim  Heere  war. 
Denn  der  Geschichtschreiber  wird  gefühlt  haben,  dass  die  Art, 
wie  die  Soldaten  mit  ihrem  Führer  beim  Aufstande  umgingen, 
wo  man  ihm  zurief,  er  solle  dieses  Schwert  nehmen,  um  sich 
zu  toten,  das  sei  schärfer,  wo  sie  ihn  mitten  in  der  Nacht  aus 
dem  Bette  zerrten  und  unter  Todesdrohungen  zwangen,  die 
Fahne  auszuliefern,  keine  genügende  Beweiskraft  für  seine  Be- 
liebtheit enthielt.  Darum  wird  es  hier  nachgeholt  und  durch 
ein  besonderes  Bild  illustriert. 

Der  gefttrchtete  nächtliche  Überfall  wurde,  wie  Tacitus 
weiter  berichtet,  nicht  ausgeführt.  Die  Feinde  rückten  wohl 
an  das  Lager  heran,  als  sie  aber  sahen,  dass  alle  Yerteidigungs- 
massregeln  getroffen  waren,  zogen  sie  sich  wieder  zurück. 
Nachdem  uns  Tacitus  dann  noch  einen  glückverheissenden 
Traum  des  Germanikus  als  Einleitung  zu  dem  folgenden  Sieg 
vorgeführt,  auch  den  Inhalt  der  Reden  verraten  hat  nicht  nur 
des  römischen  Feldherrn,  sondern  auch,  was  Arminius  'et  ceteri 

*)  *£jrei  S*  fjX^ov  oTxade,  iXeyoy  rov  Kvqov  6  (aev  rtg  rt^v  aorplav,  6  de 
^v  xaoTfgiaYf   6  de  Ttfv  jtQaÖTfjra,   rJ  rV  rig   xai  to   xdV.og  xal  t6  fieyedog. 


32  A,  Spengel 

Germanorum  principes'  zu  den  Ihrigen  sagten,  scliildert  er  uns 
die  Schlacht  bei  Idisiaviso,  in  die  die  Legionen  um  so  freudiger 
zogen,  als  12  Adler  siegverkündend  vor  ihnen  her  dem  Walde 
zuflogen.  An  eine  Gesellschaft  von  12  Adlern  zu  glauben,  ist 
allerdings  eine  starke  Zumutung,  da  dieser  Vogel  bekanntlich 
nur  einsam  oder  zu  zweien  fliegt.  Aber  wenn  wir  den  Tacitus 
auch  auf  die  Naturkunde  verweisen,  so  wird  er  uns  entgegnen, 
das  sei  eben  das  prodigium  gewesen,  dass  der  sonst  einsam 
fliegende  Vogel  sich  in  12  Exemplaren  zusammenfand,  um  den 
12  Legionen  den  Sieg  anzudeuten.  So  werden  wir  es  also 
gelten  lassen  und  der  Vermutung,  dass  die  Geschichte  entweder 
ganz  erfunden  ist  oder  vielleicht  einige  Raben  oder  Saatkrähen 
aufgescheucht  dem  Walde  zuflogen,  keinen  Raum  geben. 

Die  Schlacht,  die  in  einer  Ebene  zwischen  der  Weser  und 
einer  Hügelreihe  stattfand,  endete  nach  Tacitus  mit  einem  voll- 
ständigen Siege  der  Römer:  "^magna  ea  victoria  neque  cruenta 
nobis  fuit.  quinta  ab  hora  diei  ad  noctem  caesi  hostes  decem 
milia  passuum  cadaveribus  atque  armis  opplevere.' 
Das  Heer  drückte  seine  Freude  dadurch  aus,  dass  es  'Tiberium 
imperatorem  salutavit'  und  ein  Siegesdenkmal  errichtete.  Diesem 
folgte  noch  ein  zweiter  Sieg.  Die  Errichtung  des  Siegesdenk- 
mals erbitterte  nämlich  nach  Tacitus  die  Germanen  mehr  als 
Wunden  und  Verluste;  sie  greifen  jetzt  die  Römer  auf  ihrem 
weiteren  Marsche  mit  aller  Macht  an  '^plebes  primores  iuventus 
sones  agnien  Romanum  repente  incursant  turbant.'  Schliesslich 
wählen  sie  als  Kampfplatz  'locum  flumine  et  silvis  clausum 
arta  intus  planitie  et  umida.'  Die  Entscheidung  fallt  wieder 
zu  Gunsten  der  Römer  aus:  'iamque  sero  diei  subduxit  ex  acie 
legionem  faciendis  castris.  ceterae  ad  noctem  cruore  hostium 
satiatae  sunt,  equites  ambigue  certavere.'  Germanikus 
spricht  den  Legionen  seine  Anerkennung  aus,  lässt  die  Waff'en 
der  Germanen  vom  Schlachtfelde  sammeln  und  unter  das  Sieges- 
denknial  die,  wie  Tacitus  sagt,  stolze  Inschrift  setzen:  'debel- 
latis  inter  Rhenum  Albiraque  nationibus  exercitum  Tiberii 
Caesaris  ea  monimenta  Marti  et  Jovi  et  Augusto  sacravisse.' 
Darauf  wurde  der  Rückzug  angetreten. 


^ur  Geschickte  des  iCaiaers  Tiberius,  oo 

Waren   das   wirklich   zwei   so  bedeutende  Siege,   wie   sie 
der  Geschichtschreiber  hinstellt?    Wir  werden  es  glauben,  wenn 
die  darauf  folgenden   Ereignisse    damit   stimmen.     Nach    der 
ersten  Schlacht  sollen  die  Leichen   und  Waffen  der  Cherusker 
einen  Raum  von  10000  Schritten,   das  ist  4  Wegstunden,  be- 
deckt haben.     Man  sollte  denken,   nach  einer  solchen  Nieder- 
lage wäre  die  Kraft  des  Stammes  gebrochen  und  suchten  die 
wenigen  Überlebenden    ihr   Heil    in   der   Flucht.     Aber   jetzt 
setzen  sie  dem  römischen  Heere  erst  recht  zu.    Wieder  erleiden 
sie  eine  schwere  Niederlage.    Nun  wird  ihnen  wohl  jede  Krieg- 
fuhrung  auf  eine  lange  Reihe  von  Jahren  unmöglich  gemacht 
sein?   Vielmehr  führen  sie  im  nächsten  Jahre  mit  Marbod  einen 
gewaltigen  Kampf,   von    dem  Tacitus  H,  46   sagt:   'non   alias 
maiore  mole    concursum.*     Da   liegt   denn    doch   der  Gedanke 
nahe,   dass    es    sich    mit    den    zwei   grossen    Niederlagen    der 
Cherusker  nicht  ganz  so  verhielt,   wie   uns  der  römische  Qe- 
schichtschreiber  glauben  machen  will.     Die  Leichen,   die  nach 
der  ersten  Schlacht  das  Feld  in  einer  Ausdehnung  von  4  Stunden 
bedeckt  haben  sollen,  haben  wahrscheinlich  zum  grösseren  Teil 
romische   Namen    getragen,    indem    die    Legionen    auf   ihrem 
Marsch   einen   so   langen  Weg   die   Seiteuangriffe   der   Feinde 
auszuhalten    hatten.     Ln   allgemeinen    suchte    die   Taktik   der 
(jermanen  bei  diesen  Feldzügen  der  Römer  dem  marschieren- 
den Heere  durch  wiederholte  plötzliche  Überfölle  an  geeigneter 
Stelle  möglichst  grossen  Schaden  zuzufügen,  mied  aber  stationäre 
Kämpfe  und  Entscheidungsschlachten,  so  dass  grossartige  Ver- 
luste oder   gänzliche  Vernichtung   fast   ausgeschlossen   waren, 
zumal  sie  sich  auch  bei  vollem  Gesamtangriff  derart  sicherten, 
dass  ihnen   für   eine   ungünstige   Wendung   des   Kampfes   der 
ßückzug  in   die  Wälder  oder  anderweitig  geschütztes  Terrain 
^ffen  blieb.     Der  grosse  Sieg  bei  Idisiaviso  wird  sich  wohl  in 
der  Hauptsache    auf  den   glücklichen  Durchbruch    beschränkt 
liaben,   der    den    Römern    schliesslich    an    einer    vom    Feinde 
anfönglich   gesperrten   Stelle   gelang.     So   konnte   der  Marsch 
fortgesetzt  werden,  bis  sie  an  den  zweiten  Kampfplatz  kamen, 
*o  ihnen   die   Germanen   mit   Erfolg   Halt   geboten,    so    dass 

IWl  Sitegsb.  d.  phUos.-pbilol.  n.  d.  bist  KL  3 


34  Ä,  Sptngtl 

nichts  übrig  blieb,  als  den  Rückzug  anzutreten.  Denn  die 
Reiterei  konnte  ihre  Aufgabe,  den  Weg  für  die  Legionen 
frei  zu  machen,  nicht  erfiillen,  was  der  Geschichtschreiber 
euphemistisch  durch  die  Worte  'equites  ambigue  certavere' 
andeutet.  Wir  müssen  uns  erinnern,  dass  auch  auf  dem  Feld- 
zug des  vorhergehenden  Jahres  der  abgeschlagene  Angriff  der 
Reiterei  und  der  damit  in  Verbindung  stehende  Misserfolg  des 
weiteren  Kampfes,  was  in  ähnlicher  Weise  mit  'manibus  aequis 
abscessum'  bezeichnet  war,  den  Rückzug  zur  Folge  hatte.  Die 
Trophäe  aber,  die  Qerraanikus  vor  dem  Rückzug  errichtete, 
galt  nicht  einem  Siege,  sondern  sollte  für  die  Romer  als  "fxn 
Zeichen,  wie  weit  man  im  Feindesland  vorgedrungen  war,  den 
sichtbaren  Abschluss  des  Feldzuges  bilden.  Ganz  ebenso  be- 
richtet nämlich  Cassius  Dio  55,  1  von  Drusus,  dem  Vater  des 
Germanikus,  im  Jahre  9  v.  Chr.  ,Er  drang  bis  zur  Elbe  vor 
und  wollte  auch  über  diesen  Fluss  setzen;  da  es  ihm  aber 
misslang,  errichtete  er  Trophäen  und  trat  den  Rück- 
zug an." 

Übrigens  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden,  dass  solche 
Trophäen  im  Feindesland  ein  kurzes  Dasein  hatten  und  auf 
die  Kriegführung  selbst  keinen  Einfluss  übten,  obwohl  uns 
Tacitus  glauben  machen  will,  der  hartnäckige  Widerstand  der 
Germanen  sei  hauptsächlich  eine  Folge  der  Errichtung  der 
ersten  Trophäe  nach  der  Schlacht  bei  Idisiaviso  gewesen.  W^enn 
sich  die  Römer  das  Vergnügen  machten,  die  Waffen  der  Ger- 
manen vom  Kampfplatz  zu  sammeln  und  aufzuschichten,  so 
werden  sich  die  Germanen  am  nächsten  Tage,  wo  die  Römer 
abgezogen  waren,  ihrerseits  das  Vergnügen  gemacht  haben, 
das  Denkmal  verschwinden  zu  lassen  und  aus  der  congeries 
armorum  ihre  eigenen  Waffen  zu  weiterem  Gebrauche  dankbar 
entgegenzunehmen. 

Über  den  langen  Rückzug  bis  zur  Mündung  der  Ems 
finden  sich  bei  Tacitus  keine  Angaben.  Da  er  es  aber  I,  56 
als  bei  den  Germanen  üblich  bezeichnet,  dem  abziehenden 
Feinde  zuzusetzen  ('terga  abeuntium  lacessere,  quod  illi  moris, 
quotiens  astu  magis  quam  per  formidinem  cessit'),  werden  die 


Zur  Gesckichte  des  Kaisera  Tiberius,  35 

Römer  kaum  ganz  unbehelligt  geblieben  sein.^)  Während  nun 
ein  Teil  der  Legionen  zu  Land  in  ihre  Winterquartiere  zurück- 
kehrte, wählte  Germanikus  mit  der  Mehrzahl  von  Amisia  aus 
den  Seeweg,  auf  dem  ihn  schweres  Unglück  erwartete.  Ein 
heftiger  Sturm  schien  die  ganze  Flotte  vernichten  zu  wollen: 
'equi  iumenta  sarcinae,  etiam  arma  praecipitantur,  quo  leva- 
rentur  alvei,  manantes  per  latera  et  fluctu  superurgente.'  Ein 
Teil  der  Schiffe  ging  unter,  mehrere  wurden  auf  Inseln  ver- 
schlagen, selbst  bis  nach  Britannien,  nur  das  des  Germanikus 
konnte  bei  den  befreundeten  Ghauken  landen.  Da  spähte  er 
Tag  und  Nacht  nach  den  anderen  Schiffen  und  konnte  mit 
Mühe  von  seinen  Freunden  zurückgehalten  werden,  sich  ins 
Meer  zu  stürzen,  weil  er  sich  als  den  Urheber  des  Unglücks 
anklagte.  Endlich  kamen  die  Schiffe  nach  und  nach,  soweit 
sie  gerettet  waren,  arg  beschädigt,  mit  wenigen  Rudern,  viel- 
fach Decken  statt  der  Segel  aufgespannt,  die  schwächeren  im 
Schlepptau  der  stärkeren.  —  In  die  grossen  Verluste,  die  die 
Römer  durch  die  Ungunst  der  Elemente  erlitten  haben,  wird 
wohl  in  diesem  Feldzug  wie  auch  im  vorhergehenden  alles  ein- 
gerechnet sein,  was  sie  durch  Feindeshand  verloren  haben. 

Um  jedoch  zu  zeigen,  dass  der  Mut  der  Römer  durch  diese 
Unglücksfalle  nicht  gebrochen  sei,  zugleich,  um  den  Soldaten 
Gelegenheit  zur  Plünderung  zu  geben,  Hess  Germanikus  den 
Legaten  Silius  einen  Einfall  in  das  Chattenland  machen,  er 
selbst  überfiel  die  Marser  und  gewann  durch  Vermittlung  ihres 
Führers  Mallovendus  den  zweiten  der  drei  Adler,  die  unter 
Varus  verloren  gegangen  waren,  zurück. 

Die  Feldzüge  des  Germanikus  sollten  eine  allerdings  spät 
ausgeführte  Rache  für  die  Niederlage  des  Varus  sein  und  hatten 
insofern,  namentlich  auch  durch  die  Wiedergewinnung  von 
zwei  Legionsadlem  einen  gewissen  idealen  Wert.    Eroberungen 


^)  Man  vergleiche,  was  Caasius  Dio  54,  33  über  den  Rückzug  des 
l^tis  von  der  Weser  berichtet,  dasa  ihm  die  Feinde  überall  Hinterhalt 
^«irten  und  Schaden  zufügten,  und  dass  sie  einmal  in  einer  von  Bergen 
umgebenen  schmalen  Ebene  beinahe  das  Heer  vernichtet  hätten. 

3* 


36  A.  Spenget 

wurden  nicht  gemacht,^)  kein  Oebiet  dauernd  behauptet.  Man 
wird  an  des  Tacitus  Urteil  über  die  Züge  des  Paetus  im  Orient 
erinnert  Ann.  XV,  8:  'longinquis  itineribus  percursando  quae 
obtineri  nequibant.'  Denn  von  einer  vollständigen  Nieder- 
werfung der  Volksstämme  zwischen  Rhein  und  Elbe  —  bis  zur 
Elbe  kam  er  überhaupt  nicht  —  wie  der  superbus  titulus  der 
Trophäe  besagte  (debellatis  inter  Rhenum  Albimque  nationibus)-) 
konnte  keine  Rede  sein.  Wie  wenig  vor  allem  die  debellatio 
der  Cherusker  geglückt  war,  ist  bereits  oben  gezeigt  worden. 

Jetzt  drängte  Tiberius  crebris  epistulis  (II,  26),  dass  6er- 
manikus  zum  Triumphe  nach  Rom  zurückkehre.  Tacitus  teilt 
den  Inhalt  dieser  Briefe  mit.  Der  Kaiser  ist  darin  ebenso 
anerkennend  gegenüber  den  Erfolgen,  ^)  als  schonend  und  rück- 
sichtsvoll bezüglich  der  Misserfolge  seines  Neffen.  Zugleich 
spricht  seine  überlegene  Einsicht  aus  dem  Hinweis  auf  seine 
eigenen  Taten  in  Germanien:  'se  plura  consilio  quam  vi  per- 
fecisse,'  sowie  aus  seiner  Mahnung,  die  Germanen  ihrer  inneren 
Zwietracht  zu  überlassen. 

Dieses  internis  discordiis  relinqui  müssen  wir  aber  richtig 
verstehen.  Wir  würden  sehr  irren,  wenn  wir  annehmen  wollten, 
Tiberius  habe  sich  darunter  ein  ruhiges  Zusehen  und  Abwarten 

^)  Wenn  Geschichtebücher  von  den  „Eroberungen  des  kriegstüch- 
tigen Germanikua*  reden,  so  beruht  dies  auf  Irrtum. 

2)  Wenn  Gornianikus  seinen  Bericht  an  den  Kaiser  in  demselben 
grosssprecherischen  Tone  abfasste  wie  diese  Inschrift,  so  müsste  man 
auch  die  Fortsetzung  der  oben  zitierten  Tacitusstelle  über  die  Züge  des 
Paetus  auf  ihn  anwenden:  'reduxit  exercitum  coniposuitque  ad  Caesarem 
litteras  quasi  confecto  hello  verbis  magnificis,  rerum  vacuas.' 

^)  Darum  nennt  auch  Velleius  II,  1*29  den  Germanikus  'domitorem 
Germaniae*  und  sagt,  der  Glanz  des  Triumphes  habe  der  Grösse  seiner 
Taten  entsprochen.  Dies  galt  nämlich  für  die  Öffentlichkeit.  Wenn 
dagegen  Suetonius  c.  22  bemerkt:  »Dem  Germanikus  war  er  so  wenig 
günstig  gesinnt,  das»  er  seine  herrlichen  Taten  als  überflüssig  bezeichnete 
und  seine  glorreichen  Siege  als  dem  Staate  schädlich  herabsetzte,*  so 
ist  damit  das  Urteil  ausgesprochen,  das  Tiberius  im  intimen  Verkehr 
und  namentlich  dem  Germanikus  selbst  gegenüber  nicht  zurückgehalten 
haben  wird,  dass  nämlich  tatsächlich  nichts  gewonnen,  wohl  aber  sehr 
viel  Material  und  Mannschaft  verloren  worden  sei. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tibenus,  37 

gedacht,  bis  die  Germanen  ihre  Waffen  gegen  sich  selbst  kehren. 
Viehnehr   beginnt  jetzt   der   zweite  Teil   des  Feldzuges.     Der 
offene  Kampf  ist  zu  Ende,   er  hat  versagt;  jetzt  kommt  das 
consilio   perficere,   jenes   Mittel,    das    den    geföhrlichen   Feind 
unschädlich    macht,   ohne  die   Legionen    aufs  Spiel   zu  setzen. 
Das  hat  der  Markomannenfürst  Marb od  zu  seinem  Unglück 
erfahren.     Da  ich  in  keinem  der  neueren  Geschichtswerke,  die 
ich  zu  Rate   zog,   über  Marbod  etwas   anderes  finde,   als  dass 
er  von  den  Seinigen  verlassen  wurde,  zu  den  Römern  flüchtete 
(also  freiwillig)  und  bei  ihnen  Aufnahme  fand,  bringe  ich  hier 
die  Belege   bei,   dass  der  Sturz  des  Marbod  durch  die  Hinter- 
list der  Romer  und  zwar  des  Tiberius  mit  Hilfe  seines  Sohnes 
Drasus  bewerkstelligt  wurde.     Ann.  U,  62  sagt  Tacitus:  'haud 
le?e  decus  Drusus  quaesivit  inliciens  Germanos  ad  discor- 
diam  utque  fracto  iam  Marboduo  usque  in  exitium  insisteretur.' 
Im  Jahre  20    beschloss  der  Senat  dem  Drusus  einen  Triumph 
'ob  receptum  Marboduum  et  res  priore  aestate  gestas  (HI,  11).' 
Und  dass  Tiberius  auf  das  Gelingen  seiner  List  stolz  war,  zeigt 
II,  63:  'exstat   oratio   (seil.   Tiberii),    qua   magnitudinem   viri, 
violentiam  subiectarum  ei  gentium  et  quam  propinquus  Italiae 
hostis,  suaque  in  destruendo  eo  consilia  extulit.'    So  preist 
auch  Velleius  II,  129  die  Tat  als  besonderes  Verdienst  des  Tiberius : 
'qua  vi  consiliorum   suorum   ministro  et  adiutore   usus  Druso 
filio  suo  Maroboduum  inhaerentem  occupati  regni  finibus,  pace 
maiestatis  eius  dixerim,  velut  serpentem  abstrusam  terrae  salu- 
bribus  consiliorum  suorum  medicamentis  coegit  egredi!  quam 
illum  ut  honorate  sie  secure  continet!'    Hieraus  ist  ersichtlich, 
daas  zum  Verderben  des  Marbod  besondere  Hinterlist  und  Tücke 
angewendet  wurde.    Wenn  man  die  Angabe  des  Tacitus,   dass 
der  Qote  Catualda  mit  starker  Mannschaft  ins  Markomannen- 
i^eich  einfiel,    die  Vornehmen    bestach    und    durch    plötzlichen 
Iberfall  Marbod  verjagte  (II,  62),   mit  der  obigen  Bemerkung 
Drusus  inliciens   Germanos   in    discordiam*  zusammenhält,   so 
ergibt  sich  als  höchst  wahrscheinlich,  dass  nicht  nur  Catualda 
Ton  den  Römern  gegen  Marbod  aufgestachelt  wurde,   sondern 
*^r  ganze  durch  Bestechung  und  Verrat  zustande  gekommene 


38  Ä,  Spengel 

Überfall  ein  wohl  vorbereitetes  Manöver  der  Römer  gegen  den 
Markomannenfürsten  war,  mit  dem  sie  äusserlich  in  Frieden 
und  Freundschaft  lebten.  Die  bei  ihm  anwesenden  'lixae  ac 
negotlatores  nostris  e  provinciis'  werden  dazu  beigetragen  haben, 
den  Betrug  zu  erleichtern. 

Daran  reihte  sich  noch  eine  zweite  Hinterlist.  Es  ist 
nümlich  schon  an  sich  nicht  glaublich,  dass  Marbod,  wenn  er 
auch  zunächst  aus  seinem  Oebiete  weichen  musste,  sich  ganz 
hilflos  an  Tiberius  wendete  und  nur  für  seine  Person  Auftiahme 
in  Italien  erbat.  Vielmehr  muss  er  noch  an  der  Spitze  einer 
nicht  unbedeutenden  Streitmacht  der  Markomannen  gestanden 
sein^)  und  scheint  beabsichtigt  zu  haben,  mit  den  Römern, 
seinen  vermeintlichen  Freunden,  über  Wiedereroberung  seines 
früheren  Besitzes  oder  Anweisung  eines  anderen  Landstriches 
im  Grenzgebiet  der  Römer  für  sich  und  sein  Volk  zu  unter- 
handeln. Nun  lockten  sie  ihn  aber  'per  blanditias  atque  pro- 
missa,*  wahrscheinlich  auch  unter  dem  Vorwande,  er  müsse 
persönlich  mit  dem  Kaiser  verhandeln,  allein  auf  italisches 
Gebiet  und  Hessen  ihn,  nachdem  er  in  die  Falle  gegangen, 
nicht  mehr  los.  Dies  sagt  nämlich  ausdrücklich  Suetonius  Tib. 
c.  37:  'quosdam  (reges  infestos  suspectosque),  per  blanditias 
atque  promissa  extractos  ad  se,  non  remisit,  ut  Maro- 
boduum  Germanum,  Rhescuporim  Thracem,  Archelaum  Cappa- 
docem,  cuius  etiam  regnum  in  foniiam  provinciae  redegit.* 
Dass  Marbod  nicht  hilflos  war,  sondern  eine  grössere  Volks- 
menge hinter  sich  hatte,  lässt  sich  auch  aus  der  Angabe  des 
Tacitus  schliessen,  wonach  dem  Gefolge  des  Marbod  imd  dem 
des  CiituaUla  jenseits  der  Donau  zwischen  den  Flüssen  Manis 
und  Ciisus  Wohnsitze  angewiesen  und  ihnen  Vannius  aus  dem 
Stamme  der  Quaden  zum  König  gegeben  wurde,  'ne  quietas 
provincias  inuiiixti  turbarent'  (II,  63).  Dem  Tiberius  kam  es 
darauf  an,  den  Markoniannenfürsten,  den  er  fürchten  gelernt 
hatte,  von  seinem  Volke  zu  trennen.    Auch  Catualda,  der  bald 

*^  Aijoh  der  Ton  seines  Briefes  deutet  daraufhin  Tac.  II,  63:  scripsit 
Tiberio  non  ut  profui;us  tiut  ^u^>plex. 


Zur  Oeaehiehte  des  Kaisers  Tiberius,  39 

wieder  yerjagt  wurde,  sollte  nicht  bei  den  Seinigen  bleiben 
und  erhielt  Ton  den  Römern  für  seine  guten  Dienste  Aufnahme 
in  Forum  Julium  in  Gallia  Narbonensis. 

Ein  anschauliches  Seitenstück,  das  uns  zeigt,  wie  Tiberius 
mit  den  auswärtigen  Fürsten  verfuhr,  gibt  die  Beseitigung  des 
Thrakerfürsten  Rheskuporis,  die  in  dasselbe  Jahr  19  fallt.  Der 
Statthalter  Mösiens  erhielt  den  Auftrag,  Rheskuporis  zu  be- 
wegen, die  römische  Festungslinie  zu  betreten  und  —  es  ver- 
lohnt sich,  das  Folgende  im  Original  zu  lesen  (Tac.  II,  67): 
'circumdata  hinc  regi  specie  honoris  valida  manus,  tribunique 
et  centuriones  monendo  suadendo  et  quanto  longius  abscede- 
batur  apertiore  custodia,  postremo  gnarum  necessitatis  in  urbem 
traxere  .  .  Alexandriam  devectus  atque  illic  fugam  temptans 
aut  ficto  crimine  interficitur.' 

Zur  Beseitigung  des  Archelaus  von  Kappadokien  musste 
sogar  des  Kaisers  Mutter  Livia  durch  ein  Schreiben  bei  dem 
Betrüge  mithelfen  Tac.  II,  42.  Über  die  Ermordung  des  Parther- 
königs Vonones  vergl.  Suet.  c.  49. 

und  Arminius?  'Dolo  propinquorum  cecidit'  (II,  88). 
Sollten  die  Romer  dabei  nicht  auch  mitgewirkt  haben?  Meiner 
Überzeugung  nach  gewiss.  Tacitus  erzählt  in  demselben  Kapitel, 
in  dem  er  den  Tod  des  Arminius  berichtet,  ein  Chattenfürst 
habe  ein  Schreiben  an  den  Senat  gerichtet,  worin  er  versprach, 
den  Arminius  zu  töten,  wenn  man  ihm  von  Rom  aus  das  Gift 
dazu  schicke.  Er  erhielt  die  Antwort:  'non  fraude  neque 
occoltis  sed  palam  et  armatum  populum  Romanum  hostes  suos 
ulcisci.'  Ähnliche  tugendsame  Sprüche  finden  wir  öfter  bei  den 
lateinischen  Schriftstellern.  Die  Römer  hörten  sie  ofienbar  in 
der  Theorie  gerne,  ohne  darüber  zu  vergessen,  dass  sie  in  der 
praktischen  Anwendung  dem  Feinde  gegenüber  jede  Nieder- 
trächtigkeit für  erlaubt  hielten.  So  wird  auch  hier  der  Senat, 
das  heisst  in  diesem  Fall  Tiberius,  trotz  der  unschuldvollen 
Miene  dem  ChattenfÜrsten,  der  so  plump  den  Antrag  stellte, 
^  ob  dergleichen  schon  jemals  vorgekommen  wäre,  entweder 
selbst  oder  irgend  einem  anderen  insgeheim  die  richtige  Weisung 
gegeben  haben,  wie  das  zu  machen  war,  dass  die  Römer  ganz 


40  A.  Spengel 

aus  dem  Spiele  blieben  und  es  nur  hiess:  'dolo  propinquorum 
cecidit'  Nach  der  Tat  wurde  dann  zur  Erklärung  und  Be- 
schönigung der  Vorwand  erfunden,  Arminius  habe  nach  der 
Konigsherrschaft  gestrebt,  worunter  sich  die  Homer  in  Er- 
innerung an  ihre  eigenen  reges  etwas  ganz  anderes  dachten, 
als  das  germanische  Königtum  bedeutete. 

Auch  hier  brauchen  wir  nicht  lange  nach  einer  Parallele 
zu  dem  von  den  liömern  angestifteten  dolus  propinquorum  zu 
suchen.  Flavius  Josephus,  Jüd.  Altert.  18,  §  96  f.  N  (IV,  4) 
erzählt,  was  Tiberius  gegen  den  Partherkönig  Artabanus,  den 
er  für  sehr  gefährlich  hielt,  unternahm.  Der  Kaiser  schreibt 
dem  Statthalter  von  Syrien,  Vitellius,  er  solle  zunächst  mit 
demselben  Freundschaft  schliessen.  Zugleich  sucht  er  die  Fürsten 
der  Iberer  und  Albaner  jueyAkaig  ddaeoi  XQVI^^^^^  ^um  Kriege 
gegen  ihn  zu  bestimmen.  Diese  reizen  die  Skythen  zum  Ein- 
fall in  das  Partherland,  Artabanus  verliert  Armenien,  sein 
eigenes  Land  wird  verwüstet,  sein  Sohn  fallt  im  Kampfe  und 
beinahe  hätte  er  auch  selbst  das  Leben  verloren  infolge  von 
Bestechung  seiner  Verwandten  und  Freunde  durch  die 
Römer:  Ttojunfj  xQ^f^^''^^'^  ^^^  ^^  ovyyeveTg  xal  (plkovg  rovg 
ixeivov  yevo/iiev]]  iuekXrjoe  jukv  xiivvveiv  diä  tcov  xä  dcbga  eikrjq^o- 
Twv.  Aber  er  entkam  glücklich  und  eroberte  sein  Reich  wieder. 
Darauf  schloss  Tiberius  mit  ihm  Bündnis  und  Freundschaft.^) 

Germanikus  im  Orient  und  sein  Tod. 

Im  Jahre  18  übernahm  Germanikus  die  ehrenvolle  Mission, 
die  Angelegenheiten  des  Orients  im  Namen  des  Kaisers  zu  ordnen. 
Der  wissbegierige,  feingebildete  Prinz  benutzte  die  Gelegenheit 
der  Reise,  um  die  berühmten  Orte  des  Altertums  kennen  zu 


^)  Übrigens  stand  Tiberius  mit  dieser  Politik  gegen  die  auswärtigen 
Fürsten  nicht  allein.  M.  Antonius  z.  B.  nahm  den  König  von  Armenien 
Artavaades  durch  Hinterlist  gefiingen  und  Hess  ihn,  damit  seiner  Würde 
nichts  vergehen  werde,  mit  goldenen  Ketten  fesseln  (Vell.  II,  82).  Ihrer- 
seits zahlten  die  Orientalen  dann  auch  mit  gleicher  Münze.  So  wurde 
in  demselben  Armenien  Gaius  Caesar  bei  einer  Unterredung  mit  dem 
Feinde,  in  die  er  sich  unvorsichtig  einliess,  schwer  verwundet  (Vell.  II,  102). 


Zur  Oeschxchtt  des  Kaisers  Tiberius.  41 

lernen,  Athen,  Bjzanz,  Uium  u.  a.,  ging  dann  nach  Armenien 
und  entschied  den  Thronstreit  ohne  Schwertstreich.  Tiberius 
war  über  diese  friedliche  Beilegung  der  orientalischen  Wirren 
hocherfreut.  Dagegen  zog  sich  Germanikus  entschiedenen  Tadel 
seines  kaiserlichen  Oheims  zu,  als  er  im  nächsten  Jahre  ohne 
seine  besondere  Erlaubnis  Ägypten  besuchte  (II,  59).  Denn 
Augustus  hatte  verordnet,  dass  kein  vornehmer  Römer  vom 
Senatoren-  oder  Ritterstande  ohne  seine  Genehmigung  Ägypten, 
die  Kornkammer  Roms,  betreten  dürfe,  und  Tiberius  verlangte 
Ton  seinen  Familienmitgliedeiii  strenge  Beachtung  der  Gesetze, 
die  für  die  Bürger  verbindlich  waren. 

Schlimme  Verwicklungen  brachte  das  Verhältnis  des  Ger- 
manikus  zu   dem  Statthalter   von  Syrien  Cn.  Piso.     War   der 
kaiserliche   Prinz   infolge   seiner  Generalvollmacht   dem   Statt- 
halter übergeordnet,   so   lag  doch  die   eigentliche  Verwaltung 
der  Provinz  in  den  Händen  des  Piso.    Gerade  ihn  hatte  Tiberius 
an  diese  Stelle  gesetzt,   weil  er  erwartete,   der  erfahrene,  be- 
jahrte Eonsular,  der  auf  eine  45  jährige  Tätigkeit  im  Staats- 
dienst zurückblicken  konnte,  der  die  Gunst  des  Augustus  be- 
sessen hatte  und  ihm  selbst  befreundet  war  (III,  16),  werde  den 
Prinzen  mit  seinem  Rate  günstig  beeinflussen.    Wie  dem  Sohne 
des  Kaisers,  Drusus,  beim  Militäraufstande  Seianus  als  Berater 
beigegeben   worden  war  (rector   iuveni  I,  24)  oder  dem  Gaius 
Caesar   in    Armenien   Sulpicius  Quirinus  (III,  48)   und   vorher 
M.  Lollius,   mit   dem   es  Zerwürfnisse   gab  (Suet.  Tib.  13),   so 
wurde  wahrscheinlich  Piso  beauftragt,  in   unauffälliger  Weise 
eine  gewisse  Aufsicht  über  den  Prinzen   zu  führen,  der  zwar 
nicht  mehr  jung  genug  war,   einen  förmlichen  Berater  neben 
sich  zu  dulden,  aber  nach  seinen  Proben  beim  Militäraufstand 
und  bei  den  Feldzügen  in  Germanien  in  der  Wahl  der  richtigen 
Massregeln  nicht  immer  zuverlässig  schien.     Dahin  zu  wirken, 
dass   bei    politischen  Verwicklungen    unnötiges   Blutvergiessen 
vermieden  werde,  dass  keine  kostspieligen  Feierlichkeiten  beim 
Empfang  und  während  des  ganzen  Aufenthalts  die  Provinzialen 
drücke   und    den   Prinzen    hochmütig   mache,    und   Ahnliches 
konnte  den  Inhalt  der  'occulta  mandata  Tiberii'  bilden,  die  im 


42  A,  Spengel 

Interesse  der  Sache  gegeben  waren  und  später  mit  unrecht 
von  manchen  verdächtigt  wurden. 

Aber  Germanikus  war  nicht  gesonnen,  sich  beraten  zu 
lassen.  Schon  beim  Zuge  nach  Armenien  kam  es  zu  Zwistig- 
keiten,  indem  Germanikus  den  Piso  beauftragte,  einen  Teil 
seiner  Legionen  nach  Armenien  zu  führen  oder  durch  seinen 
Sohn  führen  zu  lassen,  und  dieser  keines  von  beiden  tat.  Die 
Gründe  sind  uns  nicht  bekannt  (II,  57).  Als  beim  Gastmahle 
eines  arabischen  Fürsten  dem  Germanikus  und  seiner  Gattin 
Agrippina  schwere  goldene  Kronen  und  auch  dem  Piso  und 
den  übrigen  leichtere  überreicht  wurden,  äusserte  Piso:  'prin- 
cipis  Romani,  non  Parthi  regis  filio  eas  epulas  dari,  abiecitque 
simul  coronam  et  multa  in  luxum  addidit  (II,  57).'  Auch  der 
Tadel,  den  Piso  gegen  die  Athener  über  den  Empfang  des 
Germanikus  aussprach  (II,  55),  scheint  sich  auf  zu  grosse 
Ehrenbezeugungen  und  übermässigen  Prunk  bezogen  zu  haben. 
Bekanntlich  war  keines  von  beiden  dem  Tiberius  angenehm  und 
nahm  er  oft  Veranlassung,  für  sich  und  die  Seinigen  dergleichen 
abzuweisen.  Dazu  kamen  arge  Differenzen  in  militärischen 
Dingen,  sowie  anderseits  Zwist  der  Frauen,  der  Gemahlin  des 
Piso,  Plancina,  die  mit  der  Kaiserin  Mutter  Livia  befreundet 
war,  und  der  Gattin  des  Germanikus,  Agrippina,  welch  letztere 
bei  ihrem  von  Tacitus  mehrmals  erwähnten  hochmütigen  und 
herrschsüchtigen  Wesen  wohl  hauptsächlich  dazu  Veranlassung 
gab.  Die  Folge  war,  dass  Piso  entweder  freiwillig  oder  auf 
direkten  Befehl  des  Germanikus  seine  Provinz  verliess.  Schon 
war  er  auf  der  Heimfahrt  begriffen,  als  ihn  die  Nachricht  von 
dem  Tode  des  Germanikus  bewog,  die  Fahrt  zu  unterbrechen. 
Obgleich  nun  die  Legaten  in  Syrien  und  anwesende  Senatoren 
den  Cn.  Sentius  zum  einstweiligen  Statthalter  der  Provinz 
wählten,  glaubte  Piso  doch  sein  Recht  auf  die  Provinz  geltend 
machen  zu  können  und  wagte  in  verhängnisvoller  Verblendung 
den  offenen  Kampf.  Er  besetzte  ein  Kastell  in  Kilikien,  dieses 
wurde  von  den  Truppen  des  Sentius  erobert,  und  Piso  erhielt 
freien  Abzug,  um  sich  in  Rom  zur  Verantwortung  zu  stellen. 

Die  Teilnahme  an  dem  frühen  Tode  des  in  Jugend  und 


Zur  Oesehiehte  des  Kaisers  Tiberius.  43 

Macht  prangenden  Prinzen  war  begreiflicherweise  gross  und 
bei  seinem  offenen  Zerwürfnis  mit  Piso  konnte  leicht  die  Ver- 
mutung entstehen,  er  sei  seinen  Feinden  zum  Opfer  gefallen. 
In  der  Tat  benutzten  die  Gegner  des  Piso  bei  der  nun  folgenden 
unvermeidlichen  Anklage  auch  diesen  Umstand,  Gemianikus 
sei  von  Piso  und  Plancina  vergiftet  worden.  Böse  Zungen 
behaupteten  sogar,  dass  der  Kaiser  am  Morde  mitschuldig  sei. 
Sehen  wir,  wie  sich  die  Geschichtschreiber  dazu  verhalten! 

Suetonius  Tib.  52:  'Tiberius  etiam  causa  mortis  fuisse 
ei  per  Cn.  Pisonem  legatum  Syriae  creditur.'  Ebenso  im  Cali- 
gula  c.  2  mit  dem  Beisatz  ^ut  opinio  fuifc.'  Obwohl  an  ersterer 
Stelle  noch  beigefügt  ist,  die  harte  Behandlung,  die  Tiberius 
später  der  Gattin  und  den  Kindern  des  Germanikus  zuteil 
werden  liess,  habe  diesen  Verdacht  bestärkt,  ist  doch  zu  be- 
achten, dass  durch  die  Wahl  des  Ausdrucks  "creditur'  und 
opinio  fuit'  diese  Annahme  von  dem  rein  geschichtlichen 
Material  geschieden  ist. 

Cassius  Dio  57,  18  weiss  nichts  von  einer  Mitwissenschaft 
des  Kaisers  und  erzählt:  „Germanikus  starb  in  Antiochia  durch 
die  Hinterlist  des  Piso  und  seiner  Gemahlin  Plancina.*  Er  setzt 
den  Kaiser  in  einen  gewissen  Gegensatz  zu  Piso  durch  die 
weitere  Angabe,  Tiberius  selbst  habe  den  Piso  dem  Senate  zur 
Aburteilung  übergeben. 

Flavius  Josephus  Jüd.  Alt.  18,  §  54:  ävt]Q€&rj  (pagjudxcp 
vjto  Ueioiovog. 

Ausführlich  und  zugleich  äusserst  kunstvoll,  aber  leider 
nicht  ganz  ehrlich,  hat  Tacitus  die  Sacbe  behandelt.  Dem 
Leser  wird  sofort  klar,  dass  der  Geschichtschreiber  von  dem 
Vorhandensein  des  Verbrechens  und  der  Mitschuld  des  Tiberius 
überzeugt  ist,  was  auch  ganz  mit  der  Art  übereinstimmt,  wie 
Tacitus  sonst  über  Tiberius  urteilt.  Allerdings  stellt  er  es 
nirgends  als  historisches  Faktum  hin,  aber  alle  einschlägigen 
Verhältnisse  sind  von  diesem  Standpunkt  aus  betrachtet.  Er 
läast  nicht  nur  den  Germanikus  selbst  an  Vergiftung  glauben, 
sondern  sorgt  auch  durch  gelegentlich  eingestreute  Bemerkungen 
dafür,  dass  man  aus  diesen  Gedanken  nicht  herauskommt  und 


44  A,  Spengel 

beständig  in  Spannung  erhalten  wird.  Anerkennung  würde 
das  Zugeständnis  verdienen,  das  er  bei  dem  Bericht  über  die 
gerichtliche  Verhandlung  macht.  »Von  den  verschiedenen 
Klagen  gegen  Piso  habe  nur  der  Giftmord  als  widerlegt 
betrachtet  werden  können,  den  die  Ankläger  selbst 
nicht  mit  Bestimmtheit  vertraten,  weil  die  Beschuldigung, 
Piso  habe  in  Anwesenheit  so  vieler  Zeugen  während  des  Mahles 
die  Speisen  des  Germanikus,  der  neben  ihm  sass,  vergiftet, 
allzu  unwahrscheinlich  war  (III,  14)",  wenn  er  nicht  am  Schluss 
(c.  19)  doch  wieder  von  der  Unsicherheit  der  geschichtlichen 
Ereignisse  mit  ausdrücklicher  Beziehung  auf  den  Tod  des  Ger- 
manikus spräche,  wodurch  er  zeigt,  dass  er  nach  wie  vor  an 
das  Verbrechen  glaubt  und  glauben  lassen  will.  Wie  ein 
unparteiischer  Richter  sollte  der  Geschichtschreiber  vor  allem 
keinen  Beweis  verschweigen,  wenn  er  ihm  auch  noch  so  un- 
erwünscht ist.  Tacitus  aber  unterschlägt  zwei  der  wichtigsten 
Momente,  erstens,  dass  die  Krankheit  eine  langwierige  war 
(Suet.  Cal.  1:  diutino  morbo  Antiochiae  obiit),  was  den  Ge- 
danken an  einen  Giftmord  ohnehin  nicht  leicht  aufkommen 
lässt,  zweitens,  dass  die  Krankheitserscheinungen  andere  waren. 
Plinius  führt  nämlich  XI,  §  187  bei  Erwähnung  des  Prozesses 
des  Piso  aus  der  Rede  des  Anklägers  Vitellius  eine  Behauptung 
an,  der  er  die  bedeutsamen  Worte  gegenüber  stellt:  'contra 
genere  morbi  defensus  est  Piso.'  Es  versteht  sich,  dass  sich 
die  Verteidigung  in  dieser  medizinischen  Frage  auf  das  Zeugnis 
der  Sachverständigen  stützte,  und  diese  konnten  im  gegebenen 
Fall  nur  die  Arzte  sein,  die  den  Germanikus  behandelt  hatten. 
Wenn  aber  diese  erklärten,  die  Art  der  Krankheit,  d.  h.  die 
Krankheitserscheinungen  seien  andere  gewesen  als  bei  Ver- 
giftungen zu  Tage  treten,  so  war  die  Sache  damit  ein  für 
allemal  abgetan,  und  so  gut  sich  die  Richter  damit  begnügt 
hätten  (veneni  crimen  visus  est  diluisse)  und  den  Piso  wenig- 
stens von  dieser  Schuld  freigesprochen  hätten,  wenn  er  nicht 
der  Verurteilung  wegen  des  Bürgerkrieges  durch  Selbstmord 
zuvorgekommen  wäre,  ebensogut  musste  sich  auch  der  Geschicht- 
schreiber damit  begnügen  und  die  unangenehme  Wahrheit  ein- 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  THberius.  45 

gestehen.     Aber  freilich,   das  hätte   die  ganze  so  schön  aus- 
gearbeitete Geschichte  ihres  sensationellen  romanhaften  Charak- 
ters entkleidet  und  der  Leser  hätte  mit  Bedauern  bemerkt,  dass 
er  Zorn  und  Mitleid  an  ein  leeres  Nichts  verschwendet  hatte. 
Auch  die  in  einem  modernen  Geschichtswerke  vertretene 
Auffassung,    wenn  Germanikus  vielleicht  auch   nicht  vergiftet 
wurde,   so    habe  er  doch   jedenfalls  selbst  daran   geglaubt,  ist 
nicht  haltbar.    Denn  sie  stützt  sich  auf  die  bei  Tacitus  II,  71  f. 
vorgeführten  Reden,  die  Germanikus  kurz  vor  seinem  Tode  an 
seine  Freunde   und   an   seine  Gattin    gehalten   haben   soll,   in 
denen   er   sich   als  'insidiis  circumventus'  und  'scelere  Pisonis 
et  Plancinae  interceptus'  u.   dergl.   bezeichnet.     Solche  Reden 
haben   keinen    historischen   Wert.     Sie   sind,    besondere   Fälle 
ausgenommen,  Erfindungen  der  Geschichtschreiber,  die  sich  in 
die  Lage   der  sprechenden  Personen  versetzen,   und  es  ist  aus 
ihnen    nur    ersichtlich,    wie    sie    nach    den   vom  Verfasser 
gegebenen  Voraussetzungen   gelautet  haben    könnten. 
Keinem  Römer  fiel  es  ein,  dergleichen  für  bare  Münze  zu  nehmen. 
Was  man  im  allgemeinen  von  den  Reden  der  alten  Historiker 
zu  halten  hat,   das  zeigt  wohl  am  besten  die  Abhandlung  des 
Lukian   »Wie  man  Geschichte  schreiben  muss*.    Wiewohl  näm- 
lich Lukian   in  allem  die  Forderung  der  strengsten  Wahrheit 
verficht  und    sagt,    die  Geschichte  vertrage   nicht  einen  Gran 
Lüge,  nicht  mehr  als  die  Luftröhre  es  duldet,  wenn  etwas  beim 
Schlucken  hineinkommt,  der  Geschichtschreiber  solle  ein  Spiegel 
sein,  der  die  Bilder  der  Gegenstände  so  zurückgibt,  wie  er  sie 
aafgefasst  hat,  ohne  das  Geringste  an  ihrer  Farbe  oder  Gestalt 
zu  ändern,    so  erlaubt  er  doch   bei   den  Reden,  wenn  sie   nur 
der  Person  und  Sache  entsprechend  erfunden  seien,   die  ganze 
Starke  der  Redekunst  walten  zu  lassen.    So  sind  auch  hier  die 
Reden  des  Germanikus,  wenn  man  nach  Geschichte  fragt,  von 
Anfang  bis  zu  Ende  zu  streichen.     Denn  sie  sind  zwar  kon- 
sequent nach  den  Voraussetzungen  des  Tacitus,  aber  im  Wider- 
spruch mit  den  Tatsachen  erfunden.    Es  ist  ja  unmöglich,  dass 
sich  Germanikus  für  vergiftet  hielt.     So  wenig  heutzutage  je- 
mand, der  z.  B.  an  einer  Lungenkrankheit  oder  einem  typhösen 


46  A.  Spengel 

Fieber  lange  Zeit  damiederliegt,  an  Vergiftung  glauben  wird, 
ebensowenig  ist  es  bei  Germanikus  anzunehmen.  Und  wenn 
die  Arzte  vor  Gericht  die  Krankheit  konstatierten,  so  werden 
sie  doch  vor  allem  den  Kranken  selbst  während  der  Behandlung 
über  seinen  Zustand  nicht  im  Unklaren  gelassen  haben. 

Fassen  wir  also  zusammen,  was  wir  über  den  Tod  des 
Germanikus  wissen!  Er  starb  an  einer  langwierigen  Krank- 
heit; an  welcher,  ist  nicht  bekannt.  Sichergestellt  ist  nur 
eines,  dass  es  nicht  Vergiftung  war,  und  zwar  sichergestellt 
durch  das  beste  aller  Zeugnisse,  das  'genus  morbi.' 

Die  Verschwörung  des  Seianus. 

Hat  es  eine  solche  wirklich  gegeben?  Fast  könnte  es 
vermessen  scheinen,  daran  zu  zweifeln,  wenn  man  liest,  was 
Flavius  Josephus  Jüd.  Alt.  18,  §  181,  N.  (VI,  6)  sagt: 

„Eine  gi'osse  Verschwörung  wurde  von  seinem  Freunde 
angestiftet,  der  damals  die  grösste  Macht  besass,  weil  er  an 
der  Spitze  der  Solduten  stand.  Die  meisten  Senatoren  und 
Freigelassenen  hielten  zu  ihm  und  das  Heer  wurde  gewonnen. 
Schon  war  das  Vorhaben  weit  gediehen  und  Seianus  hätte  es 
ausgeitihrt,  wenn  nicht  Antonia  klug  und  kühn  die  Schlech- 
tigkeit des  Seianus  zu  nichte  gemacht  hätte.  Denn  als  sie 
den  Anschlag  gegen  Tiberius  erfuhr,  schrieb  sie  ihm  alles 
genau,  übergab  den  Brief  ihrem  treue>ten  Sklaven  Pallas  und 
schickte  ihn  zu  Tiberius  nach  Caprea.  Als  es  dieser  erfahren, 
Hess  er  Avn  Soiunus  und  seine  Mit  verschworenen   hinrichten.* 

Suetonius  Tib.  G5  gebraucht  die  Worte  'Seianum  res 
novas  niolieuteur  und  ^'oppressa  seditione  Seiani.*  Bei  Tacitus 
i^t  dieser  Absclmitt  leider  nicht  erhalten.  Doch  bezeichnet  er 
VI,  47  den  Satrius  Socundus  als  coniurationis  index,  erwähnt 
VI,  14  coniurationis  crimen   und   ähnliches  V,  8,  V,  11,  VI,  3. 

Von  BoiKutung  wird  vor  allem  sein,  ob  Tiberius  selbst 
in  dvüi  ScluvÜK'n  an  den  Senat,  in  dem  er  die  Verhaftung 
des  St'iamis  anordnete,  Verschwörunjx  und  Hochverrat  als 
Grund    anijt^ijrben    hat.      Dies    ist    entschieden    zu    verneinen. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius»  47 

Da  Suetonius  die  Sache  nur  kui*z  erwähnt,^)  ist  der  Bericht 
des  Cassius  Dio  zu  Grunde  zu  legen,  der  den  Sturz  des 
Seianus  mit  den  damit  unmittelbar  zusammenhängenden  Be- 
gebenheiten der  Wichtigkeit  der  Sache  entsprechend  eingehend 
schildert  —  in  der  Teubnerschen  Textausgabe  nicht  weniger 
als  9  Seiten.  —  Trotz  dieser  Ausführlichkeit  ist  kein  Wort 
über  eine  Verschwörung  gesagt.  Von  dem  Schreiben  des 
Kaisers  berichtet  er  58,  10:  „Nun  wurde  der  Brief  vorgelesen. 
Er  war  lang  und  enthielt  nicht  zusammenhängende  Vorwürfe 
gegen  Seianus,  sondern  zuerst  etwas  anderes,  dann  einen  kurzen 
Tadel  gegen  ihn,  dann  wieder  etwas  anderes  und  wieder  eine 
Bemerkung  gegen  ihn;  am  Schluss  den  Auftrag,  zwei  Sena- 
toren, die  vertraute  Freunde  von  ihm  waren,  zu  bestrafen  und 
ihn  selbst  zu  verhaften  {h  (pQovga  yeveo&ai),^'^)  Unter  einem 
kurzen  Tadel  und  wieder  einer  Bemerkung  gegen  ihn  kann 
man  doch  unmöglich  HochveiTat  verstehen.  Wenn  es  sich  um 
eine  Verschwörung  handelt,  drängen  sich  unwillkürlich  die 
Fragen  auf:  Mit  wem  hat  er  sich  verschworen?  Welchen  Plan 
hatten  die  Verschwörer?  Bei  welcher  Gelegenheit  wollten  sie 
ihn  ausführen?  u.  dergl.  Nichts  von  all  dem  weiss  der  Ge- 
scfaichtschreiber  zu  erzählen.  Er  erzählt  darum  nichts,  weil 
er  in  seinen  Quellen  nichts  fand,   und  diese  enthielten  nichts. 


')  Tib.  65:  * inopinantem  eriminatus  est  pudenda  miserandaque 
oratione,  eum  inter  alia  patres  conscriptos  precaretur,  mitterent  alterum 
e  consulibus  qui  se  senem  et  solum  in  conspectum  eorum  cum  aliquo 
militari  praesidio  perduceret.' 

2)  Ausdrücklich  fügt  Cassius  Dio  bei,  daas  der  Kaiser  nicht  seine 
Hinrichtung  befahl  und  zwar,  wie  er  meint,  weil  ein  Aufstand  zu  be- 
f&rchten  war.  Es  entspricht  vielmehr  der  Gepflogenheit  des  Tiberius, 
übereilte  Todesurteile  zu  verhindern  und  der  regelmässigen  gerichtlichen 
Verhandlung  ihren  Lauf  zu  lassen.  Vergl.  z.  B.  den  Prozess  des  Piso 
bei  Tacitas.  —  Hiernach  sind  Wendungen  wie:  «Tiberius  Hess  den 
Seianua  durch  den  Senat  zum  Tode  verurteilen",  Pütz,  Grundr.  d.  Geogr. 
B.  Gesch.,  I,  1897,  S.  268,  nicht  zu  billigen.  —  Ungesetzlich  w^ar  auch 
die  Eile,  mit  der  das  Urteil  an  Seianus  vollstreckt  wurde.  Denn  der 
Senat  hatte  sich  auf  Veranlassung  des  Tiberius  selbst  verpflichtet,  keinen 
Verurteilten  vor  dem  10.  Tage  hinrichten  zu  lassen. 


48  A,  Spengel 

weil  nichts  Tatsächliches  vorlag.  Daher  schliesst  auch  Cassius 
Dio  seine  Erzählung  mit  einer  allgemeinen  Betrachtung  üher 
die  Unbeständigkeit  des  GlUckes,  in  der  deutlich  ein  ge- 
wisses Mitleid  mit  dem  Gefallenen  zu  erkennen  ist.  Wäre 
Hochverrat  vorgelegen,  so  hätte  er  wohl  eine  andere  Nutz- 
anwendung gemacht,  er  hätte  den  Fall  als  Beispiel  gerechter 
Strafe  für  ein  nichtswürdiges  Verbrechen  hingestellt. 

Den  nämlichen  Standpunkt  nimmt  Juvenalis  Sat.  10  ein. 
Zum  Beweis  des  Satzes,  dass  mancher  gerade  durch  die  Macht 
und  die  Ehren,  mit  denen  er  überhäuft  wird,  infolge  des 
Neides  zu  Fall  gebracht  wird  (Vers  56  f.),  erzählt  er  den 
Sturz  des  Seianus.  Bezeichnend  ist  besonders  die  Stelle,  wo 
die  Bürger  zuerst  die  Nachricht  erfahren  und  der  eine  zum 
anderen  sagt: 

'sed  quo  cecidit  sub  crimine?  quisnam 
Delator?  quibus  indiciis,  quo  teste  probavit?'  — 
'Nil  horum.    verbosa  et  grandis  epistula  venit 
A  Capreis.*  —  'Bene  habet,    nil  plus  interrogo.  .' 

Also  nil  horum,  er  ist  eben  in  Ungnade  gefallen.  Für  ent- 
scheidend aber  halte  ich  folgenden  Umstand.  Suetonius  Tib.  66 
erwähnt  eine  Stelle  aus  der  Selbstbiographie  des  Kaisers,  die 
dieser  jedenfalls  in  seinen  letzten  Lebensjahren  verfasst  hat: 
'Seianura  se  punis.se,  quod  comperisset  furere  adversus  liberos 
üermanici  filii  sui.'  Somit  nicht  Verschwörung,  nicht  der  Plan, 
selbst  Kaiser  zu  werden,  sondern  seine  schonungslose  Agitation 
gegen  die  Söhne  des  Germanikus!  Die  Wahrheit  dieser  Be- 
hauptung zu  bezweifeln,  ist  durchaus  kein  Grund.  Denn  oflFen- 
bar  wollte  Tiberius  damit  sein  Vorgehen  gegen  den  verdienten, 
früher  so  hoch  geschätzten  Minister  vor  der  Nachwelt  recht- 
fertigen. Diese  Rechtfertigung  wäre  aber  ungleich  wirksamer 
gewesen,  wenn  er  hätte  sagen  können,  er  habe  ihn  darum 
gestürzt,  weil  er  eine  Verschwörung  gegen  ihn  anstiftete. 
Wenn  er  es  nicht  sao^te,  so  ist  dies  ein  sicherer  Beweis  dafür, 
dass  er  es  nicht  sagen  konnte,  weil  es  der  Wahrheit  nicht 
entsprach. 


jiur  QeschichU  des  kaUera  tiJberiua.  49 

Gegen  das  Vorhandensein  einer  Verschwörung  spricht  auch 
das  Verhalten  der  Prätorianer  im  entscheidenden  Momente. 
Da  es  ganz  natürlich  ist,  dass  Seianus,  wenn  er  einen  Umsturz 
beabsichtigte,  sich  vor  allem  seiner  Prätorianer  versicherte, 
wird  berichtet,  die  Prätorianer  seien  von  ihm  bestochen  worden 
und  seines  Winkes  gewärtig  gewesen.  Ja  Tacitus  weiss  schon 
bei  der  Vereinigung  der  Prätorianer  in  einem  Lager  im  Jahre  23, 
also  8  Jahre  vor  der  Katastrophe,  auf  das  künftige  Ereignis 
voizubereiten,  indem  er  schreibt  IV,  2 :  'ut  perfecta  sunt  castra, 
irrepere  paulatim  militares  animos  adeundo  appellando."*  Aber 
das  sind  Hirngespinste,  falsche  Schlüsse,  die  aus  der  irrigen 
Voraussetzung  entstanden  sind,  dass  Seianus  nach  der  Kaiser- 
würde strebte.  Bei  der  Verhaftung  und  Hinrichtung  desselben 
rübrt  kein  Prätorianer  eine  Hand  für  ihn.  Sie  nehmen  die 
Mitteilung  des  Makro,  dass  Seianus  nicht  mehr  ihr  Befehls- 
haber sei,  ruhig  hin,  weil  sie  sich  als  Soldaten  des  Kaisers, 
nicht  des  Seianus  fühlen.  Ja,  sie  fassen  es  sogar  als  belei- 
digendes Misstrauen  auf,  dass  bei  der  verhängnisvollen  Senats- 
sitzung ihre  Wache  vor  der  Kurie  durch  eine  Abteilung  der 
Nachtwache  ersetzt  wurde  (Cass.  Dio  58,  12). 

Noch  ein  weiterer  Beweis!  Im  Jahre  26  speiste  Tiberius 
mit  seinem  Oefolge  in  der  Grotte  einer  Villa  bei  Neapel. 
Plötzlich  fallen  grosse  Steine,  wahrscheinlich  infolge  eines  leichten 
Erdstosses,  herab  und  erschlagen  viele  Gäste  und  Diener.  Alles 
flüchtet,  um  sich  zu  retten,  Seianus  bleibt  und  deckt  den  alten 
Kaiser  mit  seinem  eigenen  Leibe.  Ist  es  nicht  widersinnig,  zu 
behaupten,  Seianus  habe  schon  3  Jahre  vorher  seinen  Umsturz- 
plan  gegen  den  Kaiser  vorbereitet  und  ihn  trotzdem  mit  eigener 
Lebensgefahr  beschützt?  Wenn  er  Kaiser  werden  wollte,  so 
var  damals  der  geeignetste  Zeitpunkt.  Denn  Drusus,  der  Sohn 
äes  Tiberius,  war  tot,  dessen  Sohn,  sowie  die  drei  Söhne  des 
Germanikus  noch  nicht  in  dem  Alter,  um  die  Regierung  über- 
nehmen zu  können,  so  dass  er  sich  nur  mit  Claudius,  dem 
Bruder  des  Germanikus,  hätte  abfin«len  müssen,  der  selbst 
nicht  nach  der  Herrschaft  strebte.  Die  wahre  Gesinnung  des 
Seianus  hat  dieses  unvorhergesehene  Ereignis  in  der  Grotte  an 

IMl  Sitzgsb.  d.  pbU(M.-pliiloL  n.  d.  hist.  Kl.  4 


50  A,  Spenget 

den  Tag  gebracht.  Wer  so  handelte,  der  war  kein  Verräter, 
er  war  ein  treuer  Diener  seines  Herrn  und  rechnete  sich  zur 
Ehre,  fUr  ihn  zu  sterben. 

Die  Schuld  und  der  Sturz  des  Seianus  hängen  mit  der 
ihm  gestellten  Aufgabe  eng  zusammen.  Er  hatte  als  Oberst 
der  Leibgarde  vor  allem  über  die  Sicherheit  des  Kaisers  zu 
wachen.  Es  kam  ihm  zu,  Verschwörungen  aufzuspüren  und 
dem  Kaiser  anzuzeigen.  Da  nun  innerhalb  des  kaiserlichen 
Hauses  selbst  eine  feindliche  Strömung  herrschte,  die  von 
Agrippina  ausging,  ist  es  natürlich,  dass  sich  seine  Aufsicht 
auch  auf  Agrippina  und  ihre  drei  Söhne,  nämlich  Nero,  Drusus 
und  Oaius  (Caligula)  bezog.  Die  Sorge  für  die  Sicherheit  seiner 
eigenen  Stellung  fiel  damit  zusammen.  Denn,  wie  er  sich  in 
einem  Briefe  an  Tiberius  beschwert,  hatte  er  von  Agrippina 
heftige  Anfeindungen  zu  dulden  (Tac.  IV,  39:  'firmari  domum 
adversum  iniquas  Agrippinae  ofiPensiones'),  was  der  Kaiser  in 
seinem  Antwortschreiben  (c.  40)  nicht  widerspricht,  also  an- 
erkennt. Wenn  nun  die  Darstellung  des  Suetonius  (Tib.  55) 
und  Tacitus  (IV,  60,  67,  70,  V,  3  f.)  richtig  ist,  wurden  gegen 
die  Prinzen  heimtückische  Mittel  angewendet,  um  sie  zu  trotzigen 
Äusserungen  und  zu  Schmähungen  des  Kaisers  zu  verleiten, 
die  dann  sofort  diesem  hinterbracht  wurden.  Suetonius  meint, 
diese  Tücke  sei  von  Tiberius  ausgegangen,  was  aber  ganz 
unwahrscheinlich  ist,  da  dieser  seinen  Enkeln  anfanglich  auf- 
richtig zugetan  war  und  sie  nach  dem  Tode  ihres  Vaters 
Germanikus  mit  den  wärmsten  Worten  dem  Senat  empfohlen 
hatte.  ^)  Tacitus  bezeichnet  jedenfalls  mit  Recht  den  Seianus 
wiederholt  als  Urheber.  Es  kam  so  weit,  dass  sowohl  Agrip- 
pina als  Nero  in  die  Verbannung  geschickt  wurden,  in  der 
Nero,  später  auch  Agrippina,  starb.     Auch  den  zweiten  Enkel 


^)  Die  Vermutung  des  Suetonius  c.  55,  dass  Tiberius  es  darauf 
abgesehen  hatte,  die  Söhne  des  Germanikus  zu  vernichten,  um  seinem 
Enkel  Tiberius  Gemellus  die  Thronfolge  zu  sichern,  wird  schlagend 
durch  den  Umstand  widerlegt,  dass  der  Kaiser  vor  seinem  Tode  den 
Caligula,  den  Sohn  des  Germanikus,  nicht  den  Tiberius,  zum  Nachfolger 
bestimmte. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  fibertus.  51 

Drusus  klagte  Seianus  beim  Kaiser  an  und  als  dieser  den  Drusus 
nach  Born  zurückschickte,  bewog  Seianus  den  Cassius,  im  Senate 
als  Ankläger  gegen  ihn  aufzutreten  (Cass.  Dio  58,  3).  Dass 
Tiberius  seinen  dritten  Enkel  Gaius  im  Jahre  30  zu  sich  nach 
Capri  nahm  (Suet.  Cal.  10),  wird  seinen  Grund  hauptsächlich 
darin  gehabt  haben,  dass  er  ihn  gegen  die  Nachstellungen 
des  damals  in  Rom  anwesenden  Seianus  schützen  wollte.  Bei 
Tacitus  VI,  3  heisst  es  auch,  der  gewesene  Prätor  Sextius 
Paconianus  sei  yon  Seianus  vor  seinem  Sturze  dazu  ausersehen 
gewesen  'cuius  ope  dolus  Gaio  Caesari  pararetur.' 

Wenn  auch  Nero  und  Drusus,  wie  es  scheint,  nicht  ohne 
Schuld  waren  —  unter  den  Vorwürfen,  die  Tiberius  dem  Drusus 
macht,  ist  auch  'infestus  rei  publicae  animus'  Tac.  VI,  24  — 
so  sind  sie  doch  Verbrecher,  die  durch  das  Spioniersystem 
and  Denunziantentum  des  Seianus  künstlich  gezüchtet  wurden. 
So  hat  dieser  durch  sein  'furere  adversus  liberos  Germanici' 
schweres  Unglück  über  das  Kaiserhaus  gebracht,  und  Tiberius 
sah  sich  gezwungen,  ihn  fallen  zu  lassen,  um  nicht  auch  noch 
den  Qaius,  den  letzten  der  Söhne  des  Germanikus,  zu  verlieren. 

Gefehlt  hat  Seianus  ferner  dadurch,  dass  er  sich  in  seiner 
Eitelkeit  nicht  entschliessen  konnte,  die  ausserordentlichen 
Ehrungen  abzuweisen.  Er  duldete  z.  B.,  dass  ihm  allenthalben 
Standbilder  errichtet  und  vor  diesen  Opfer  dargebracht  wurden, 
wiewohl  er  das  Gebot  des  Kaisers  kannte,  dass  keinem  Sterb- 
lichen geopfert  werden  solle.  Er  liess  sein  Brustbild  an  den 
hegionsadlem  anbringen,  jedenfalls  ohne  Wissen  und  Willen 
des  Kaisers;  denn  die  syrischen  Legionen  erhielten  von  Tiberius 
nach  dem  Tode  des  Seianus  ein  Geldgeschenk,  weil  sie  allein 
von  allen  Legionen  dieses  Bild  nicht  angenommen  hatten. 
Das  Übermass  der  Ehren  wird  von  den  Schriftstellern  überein- 
stimmend hervorgehoben*)  und  Cassius  Dio  lässt  58,  3  die 
Möglichkeit  offen,  dass  Asinius  Gallus,  der  die  meisten  und 
grössten  Ehrenbezeugungen  im  Senate   beantragte,   dieses  nur 


*)  z.  B.  CassiuB  Dio  68,  18:  taie  xe  vJiegßolaTg  xai  raig  Haivottjai  xwv 
"/luw'  :io6g  tov  oXe&QOv  nQoiqyayov. 

4» 


52  A,  Spengel 

zu  dem  Zweck  tat,  um  ihn  zu  verdächtigen  und  zu  stürzen. 
Als  nun  seine  Verhaftung  ausgesprochen  war,  da  fielen  alle 
die  Kreaturen  über  ihn  her,  die  ihm  nicht  verzeihen  konnten, 
dass  sie  bisher  vor  ihm  gekrochen  waren.  Wie  er  früher 
manchen  Adeligen  als  staatsgefahrlich  dem  Henker  zugeführt 
hatte,  manchen  seiner  Feinde  gewiss  nicht  immer  mit  den  ehr- 
lichsten Mitteln  zu  Fall  gebracht  hatte,  so  kehrte  man  jetzt 
den  Stiel  um  und  erhob  gegen  ihn  das  crimen  coniurationis, 
wozu  sich  Scheingründe  leicht  finden  Hessen.  Da  man  ihn 
verurteilen  wollte,  war  er  verurteilt,  ehe  der  Prozess  begann. 
So  kam  es,  dass  die  Angelegenheit  offiziell  als  seditio  Seiani 
galt,  während  Seianus  keinen  Umsturz  herbeiführen  wollte, 
sondern  sich  nur  in  seiner  Stellung  zu  behaupten  suchte.^) 

Übrigens  darf  man  sich  die  Macht  des  Seianus  nicht  über- 
trieben vorstellen.  Es  würde  der  Wirklichkeit  nicht  entsprechen, 
wenn  wir  annehmen  wollten,  er  habe  während  der  Abwesen- 
heit des  Tiberius  den  Staat  geleitet.  Vielmehr  besorgte  der 
Senat  seine  Angelegenheiten  in  gesetzmässiger  Weise  alle  selbst. 
Seianus  hatte  nur  insofern  Einfluss,  als  ein  grosser  Teil  der 
Senatoren  und  Beamten  ihn  bei  wichtigen  Dingen  um  Rat 
fragte,  bei  der  Abstimmung  sich  nach  seinen  Wünschen  richtete 
und  bei  gerichtlichen  Verhandlungen  verurteilte  und  freisprach, 
wie  er  es  wollte.  Daneben  fehlte  es  auch  nicht  an  Gegnern. 
So  war  von  den  beiden  Konsuln  des  für  Seianus  verhängnis- 
vollen Jahres  31  der  eine,  Trio,  sein  Freund,  der  andere,  Regulus, 
sein  Gegner.  Die  Mehrzahl  fand  es  allerdings  am  bequemsten, 
mit  dem  Günstling  des  Kaisers  zu  halten.  Aber  auch  nur 
dem  Günstling   galt   diese  Unterwürfigkeit,   nicht   der  Person. 

')  Ähnlich  wurde  unter  Nero  der  Gardeoberst  Burrus  f&lschlich  einer 
Verschwörung  angeklagt.  Aber  den  Ankläger  traf  die  Verbannung.  Tac. 
Ann.  13,  23.  —  Wie  leichtfertig  die  Klage  wegen  einea  Anschlage  auf 
das  Leben  des  Kaisers  erhoben  wurde,  zeigt  ana  besten  das  Beispiel  des 
hochbetagten  Senators  Lentulus,  eines  Mannes  von  sehr  sanfter  Gemütsart, 
der  angeklagt  wurde,  dass  er  dem  Tiberius  nach  dem  Leben  strebe. 
Lentulus  lachte  laut  auf  und  Tiberius  sagte:  «Ich  bin  nicht  wert,  zu 
leben,  wenn  auch  Lentulus  mich  hasst.*  Cassius  Dio  57,  24.  Dies  war 
bereits  6  Jahre  vor  dem  Sturz  des  Seianus. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius,  .  53 

Sobald  die  Sonne  der  kaiserlichen  Gunst  erblichen  war,  war 
auch  seine  ganze  Herrlichkeit  zerstoben.  Das  wusste  Seianus 
wohl  und  darum  üel  es  ihm  nicht  ein,  nach  der  Kaiserwürde 
zu  streben.  Als  Kaiser  hätten  ihn  die  altadeligen  Familien 
nie  geduldet;  sie  hätten  sich  wie  ein  Mann  erhoben  gegen 
den  Provinzialen ,  den  Tusker,  dessen  Vater  nur  römischer 
Ritter  gewesen  war.  Schon  als  eine  Tochter  desselben  mit 
einem  Sohne  des  Claudius  verlobt  wurde,  empfand  man  es, 
wie  Tacitus  (III,  29)  sagt,  als  eine  Befleckung  des  kaiserlichen 
Adels,  und  derselbe  Geschichtschreiber  nennt  es  (IV,  27)  ein 
betrübendes  Ereignis,  dass  eine  Tochter  des  Drusus  sich  als 
Witwe  später  mit  Rubellius  Blandus  verheiratete,  dessen  Gross- 
Tater  aus  Tibur  stammte  und  von  gar  manchen  noch  gesehen 
worfen  war,  wie  er  als  römischer  Ritter  einher  ging.  Dass 
Seianus  auch  auf  dem  Gipfel  seiner  Macht  von  den  altadeligen 
Familien  als  unebenbürtig  betrachtet  wurde,  sieht  man  am 
besten  aus  dem  Lobe  seines  Zeitgenossen  Velleius  (II,  127  f.), 
der  ausführlich  die  historischen  Beispiele  aufzählt,  wie  unadelige 
Männer  durch  eigenes  Verdienst  empor  gekommen  sind.  Das 
hätte  er  nicht  getan,  hätte  es  vor  allem  vermieden,  länger 
dabei  zu  verweilen,  wenn  er  es  nicht  für  nötig  gehalten  hätte, 
die  Wahl  des  Kaisers  zu  rechtfertigen  und  sich  des  Ministers 
gegen  die  aristokratische  Geringschätzung  anzunehmen. 

Auch  dürfen  wir  nicht  glauben,  dass  der  Kaiser  von  seinem 
Minister  vollkommen  abhängig  wurde.  ^)  Tiberius  gebrauchte 
seine  Dienste,  so  lange  sie  ihm  erspriesslich  schienen,  handelte 
aber  in  allen  wichtigen  Angelegenheiten  nach  eigenem  Ermessen. 
Ausdrücklich  sagt  Gassius  Dio  59,  5 :    Tißegiog  /.ikv   yäg   amög 


')  Ganz  haltlos  ist  die  Ansicht  des  Tacitus,  der  am  Schluss  der 
Lebensbeschreibung  IV,  51  zum  Teil  im  Widerspruch  mit  seiner  eigenen 
Darstellmij?  verschiedene  Zeitabschnitte  annimmt,  während  deren  der 
Kaiser  durch  Rücksichtnahme  auf  die  betreffenden  Personen  sein  Ver- 
dien bestimmt  hätte,  und  zwar  nicht  nur  einen  Abschnitt  bis  zum 
Tode  des  Seianus,  sondern  auch  einen  bis  zum  Tode  des  Germanikus, 
<i«i  Dnisus  und  seiner  Mutter  Livia.  Keine  dieser  Persönlichkeiten  hat 
einen  bestimmenden  Einfluss  auf  den  Kaiser  ausgeübt. 


54  .  A.  Spevijel 

JE  fiQxt  xal  vTteghatg  roTg  äkXoig  nqog  ye  to  aviov  ßovlrjpia 
iXQ^^o,  ^)  Eine  Beeinflussung  kann  nur  für  solche  Fälle  ange- 
nommen werden,  wenn,  wie  in  der  Klage  gegen  die  Prinzen 
Nero  und  Drusus,  die  Grundlagen  des  Urteils  ron  Seianus  so 
vorbereitet  waren,  dass  der  Kaiser  nicht  umhin  konnte,  eine 
bestimmte  Entscheidung  zu  treflfen.  Im  allgemeinen  war  der 
grosse  Unterschied  zwischen  Seianus  und  den  Günstlingen  der 
späteren  Kaiser  der,  dass  Seianus  dem  Tiberius,  wie  er  oft  Ton 
ihm  genannt  wurde,  socius  laborum  war,  jene  dagegen  ihren 
Kaisem  socii  voluptatum. 

Die  Entfernung  von  Rom  und  den  Aufenthalt  in  Capri 
soll  Seianus  veranlasst  haben!  In  einer  so  wichtigen  Sache, 
die  vor  allem  sein  körperliches  Wohlsein  betraf,  soll  Tiberius 
nach  der  Ansicht  eines  anderen  gehandelt  haben,  er,  der  schon 
durch  den  Ausspruch,  wer  30  Jahre  alt  geworden  sei,  brauche 
keinen  fremden  Rat,  um  zu  wissen,  was  seiner  Gesundheit 
nützlich  oder  schädlich  sei,  die  Selbständigkeit  seines  Urteils 
in  solchen  Dingen  an  den  Tag  gelegt  hatte.  Nachdem  uns 
Tacitus  ganz  genau  die  Gründe  angegeben  hat,  die  Seianus 
beim  Kaiser  vorbrachte,  um  ihn  zu  diesem  Entschluss  zu  be- 
wegen (IV,  41),  sagt  er  selbst  noch  in  dem  nämlichen  Buche 
(IV,  57),  es  sei  doch  wahrscheinlicher,  däss  es  des  Kaisers 
eigener  Entschluss  gewesen  sei,  weil  er  auch  nach  dem  Tode 
des  Seianus  noch  6  Jahre  auf  Capri  verweilte.  Verschiedene 
andere  Ursachen  bringt  der  Geschichtschreiber  dann  vor,  die 
die  Entfernung  von  Rom  veranlasst  haben  könnten,  indem  er 
den  nahe  liegenden  Gründen  absichtlich  aus  dem  Wege  geht. 
Tiberius,  der  im  67.  Lebensjahre  stand,  und  in  seiner  Familie 
von  schweren  Unglücksfällen  betroffen  worden  war,  auch  sonst 
manche  trübe  Lebenserfahrungen  gemacht  hatte,  sehnte  sich 
nach  Ruhe;   zwar  sollte  es  keine  untätige  Ruhe  sein,  aber  so, 


*)  Auch  in  der  Kriegführung  pflegte  er  durchaus  selbständig  zu 
handeln  und  Suetonius  c.  18  erwähnt  es  als  eine  besondere  Ausnahme, 
dass  er  bei  einem  Feldzug  nach  Germanien  einen  Eriegsrat  berief: 
'semper  alias  sui  arbitrii  contentusque  se  uno  tunc  praeter  consuetudinem 
cum  pluribus  de  ratione  belli  communieavit.' 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius.  55 

dass  er  sich  auf  die  wichtigen  Geschäfte  beschränken  konnte, 
fem  von  den  vielen  lästigen  Verpflichtungen  des  Hoflebens, 
fern  auch  von  der  Speichelleckerei,  die  ihm  beim  Austritt  aus 
dem  Senate  oft  in  griechischer  Sprache  die  Worte  auf  die 
Lippen  lockte:  '0  homines  ad  servitutem  paratos!'  (III,  65). 
Dazu  der  Umgang  mit  wenigen  ausgezeichneten  Männern,  die 
ihn  begleiteten,  die  Schönheit  der  Natur  auf  dem  reizenden 
Capri,  mitten  in  der  nervenstärkenden  Meeresluft,  hier  konnte 
Geist  und  Körper  noch  gesunden! 

An  dem  Tage,  an  dem  er  12  Jahre  vorher  im  Senate  nach 
längerem  Zögern  die  Regierung  zu  übernehmen  erklärte,  'mise- 
ram  et  onerosam  servitutem,*  wie  er  sie  nannte,  fügte  er  die 
Worte  bei:  'dum  veniam  ad  id  tempus,  quo  vobis  aequum 
possit  videri  dare  vos  aliquam  senectuti  meae  requiem' 
(Säet.  24).  Dass  diese  Zeit  jetzt  gekommen  war,  dass  er  ali- 
quam senectuti  requiem  jetzt  bedurfte,  konnte  nur  er  fühlen; 
was  Seianus  dazu  dachte,  war  gleichgültig. 

Der  Tod  des  Drusus,  des  Sohnes  des  Tiberius. 

Die  Zeit  krankte  am  Yergiftungswahn.  Augustus  starb 
im  hohen  Greisenalter,  nachdem  er  immer  mit  seiner  Gattin 
Liria  im  besten  Einvernehmen  gelebt  hatte,  'et  quidam  scelus 
uioris  suspectabant'  (Tac.  I,  5),  eine  der  unsinnigsten  Aus- 
geburten der  Phantasie.  Sein  Enkel  Gaius,  Sohn  der  Julia, 
wurde  in  Armenien  schwer  verwundet  und  starb  auf  der  Rück- 
reise 'morbo'  Vell.  II,  102,  wohl  an  den  Folgen  dieser  Ver- 
wundung, was  den  Tacitus  nicht  hindert,  sowohl  von  ihm  als 
von  seinem  Bruder  Lucius  zu  bemerken:  'mors  fato  propera 
Tel  novercae  Liviae  dolus  abstulit'  (c.  3).  Für  Tiberius,  der 
wie  Augustus  im  hohen  Greisenalter  natürlichen  Todes  stirbt, 
stehen  bei  Suetonius  drei  gewaltsame  Todesarten  zur  Auswahl, 
darunter  eine  der  Vergiftung.  ^)    Und  erst  Germanikus!    Welch 

*)  Nor  der  Bericht  des  Seneca  (bei  Suet.  Tib.  c.  73),  dass  beim  Tode 
<1^  Kaisers  niemand  zugegen  war  und  man  ihn  neben  seinem  Bette  tot 
^^gen  £EUid,  hat  Anspruch  auf  Glaubwürdigkeit ;  das  Übrige  sind  Fabeln. 


56  A.  Spengel 

grossartiger  Yergiftungsskandal !  All  dies  erweist  sich  als  hin- 
fällig.^) Wird  es  vielleicht  bei  Drusus  ebenso  sein?  Hören  wir 
die  Nachrichten  der  Überlieferung! 

Acht  Jahre  nach  dem  Tode  des  Drusus,  unmittelbar  nach 
dem  Sturze  des  Seianus,  machte  die  frühere  Gemahlin  des 
letzteren,  Apicata,  als  sie  sah,  dass  die  Kinder,  die  sie  dem 
Seianus  geboren  hatte,  tot  auf  der  Gemonischen  Treppe  lagen, 
dem  Tiberius,  ehe  sie  sich  selbst  entleibte,  die  schriftliche  Mit- 
teilung, sein  Sohn  Drusus  sei  nicht  natürlichen  Todes  gestorben, 
sondern  von  seiner  Gemahlin  Livilla  und  Seianus  vergiftet 
worden.  Das  Gift  habe  ihm  der  Verschnittene  Lygdus  gereicht 
und  der  Arzt  Eudemus  bereitet.  Beide  legten  dann  auf  der 
Folter  das  Geständnis  ab  (Tac.  IV,  8  und  11).  Aus  Cassius  Dio 
kommt  dazu,  dass  Tiberius  Livilla  und  die  anderen  Schuldigen 
töten  Hess.  „Doch  habe  ich  auch  gehört',  fügt  Dio  bei,  «dass 
Tiberius  die  Livilla  ihrer  Mutter  Antonia  zu  lieb  verschonte 
und  Antonia  später  aus  eigenem  Antrieb  ihre  Tochter  den 
Hungertod  sterben  Hess.* 

Schon  bei  dieser  letzteren  Variante  beginnen  die  Zweifel. 
Bei  Suetonius  Claud.  c.  3  ist  nämlich  überliefert:  'Soror  (seil. 
Claudii)  Livilla  quum  audisset  quandoque  imperaturum  (seil. 
Claudium),  tam  iniquam  et  tam  indignam  sortem  popuH  Romani 
palam  et  clare  detestata  est.*  Da  Claudius  bei  Lebzeiten  des 
Tiberius  Gemellus,  des  Sohnes  des  Drusus,  keine  Aussicht  auf 
den  Kaiserthron  hatte,  sollte  man  denken,  dass  diese  Äusserung 
der  Livilla  erst  nach  dem  Tode  dieses  Prinzen,  also  unter  der 


Tacitiia  hat  die  für  seinen  Tiberius  passende  Erzählung  mit  Unter- 
drückung aller  übrijjen  Nachrichten  anj^enomnien  und  dramatisch  auf- 
geputzt. 

*)  Ein  Sohn  des  Claudius,  mit  Namen  Drusus,  erstickte  in  sehr 
jusrondlichera  Alter,  indem  er  eine  Birne,  die  er  spielend  in  die  Luft 
warf,  mit  offenem  Munde  auffing.  Da  er  wenige  Tage  vorher  mit  einer 
Tochter  des  Seianus  verlobt  worden  war  und  dies  dem  Seianus  zur 
höchsten  Ehre  gereichte,  8ollte  man  es  für  unmöglich  halten,  dass  jemand 
auf  den  Oedaiiken  kam,  Seianus  habe  den  jungen  Mann  umgebracht. 
Und  doch  wunle  es  von  manchen  behauptet,  'Quo  magis  miror,'  s»^ 
Suetonius  Claud.  27.  'fuisse  qui  traderent  fraude  a  Seiano  necatnm/ 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberitis,  57 

Kegierung  des  Caligula  gemacbt  worden  sei.    Ist  dies  der  Fall, 
so   hat   Livilla   unter   Caligula   noch   gelebt,    ist   von   Kaiser 
Tiberius  nicht  hingerichtet  worden  und  kann  auch  nicht  von 
ihrer  Mutter  Antonia  mit  dem  Hungertode  bestraft  worden  sein. 
Denn   welchen  Sinn   hätte  es   gehabt,  sechs  Jahre   nach  Ent- 
deckung  des  Verbrechens,   vierzehn   Jahre   nach   seiner   Aus- 
fuhrung sie  nachti*äglich  noch  Hungers  sterben  zu  lassen?    Man 
müsste  sich  bei  obiger  Stelle  des  Suetonius  mit  der  Erklärung 
helfen,   dass  jemand  früher  einmal  bei  Lebzeiten   des  Kaisers 
Tiberius  vor  dem  Jahre  31   zu  Livilla  sagte,   Claudius  könne, 
wenn  auch  jetzt  keine  Aussicht  sei,  doch  noch  einmal  auf  den 
Thron   kommen,    und   sie   daraufhin  jene   Ausseruni?  machte. 
Freilich,  die  ganze  Fassung  der  WorL  spricht  meh"  für  den 
Ernstfall  als  fOr  eine  femliegende  Eventualität.     Dass  Livilla 
nach  dem  Sturz  des  Seianus  wirklich  bestraft  wurde,  muss  man 
aus  Tac.  VI,  2  schliessen:  'at  Romae  principio  anni  (das  Jahr  32), 
quasi  recens  cognitis  Livillae  flagitiis  ac  non  pridem  etiam 
punitis,   atroces  sententiae  dicebantur   in   effigies   quoque   ac 
memoriam  eins.'    Entweder  muss  das  Todesurteil  über  sie  ver- 
hängt worden  sein  oder,   wie  es  bei  anderen  weiblichen  Mit- 
gliedern des  Kaiserhauses  der  Fall  gewesen  war,  die  Verbannung. 
Letztere  konnte,  wenn  sich  der  Zorn  gegen  die  Anhänger  des 
Seianus  gelegt  hatte  oder  ihre  Schuld  an  dem  Tode  des  Drusus 
nicht  mehr   geglaubt  wurde,   später  aufgehoben  worden  sein, 
so  dass  sie  unter  Caligula  wieder  in  Rom  gelebt  haben  konnte. 
Zwei  Jahre  nach  dem  Tode  des  Drusus  wünschte  sich  Seianus 
mit  dessen  Witwe  Livilla  zu  verheiraten,  nachdem  er  sich  von 
seiner  früheren  Gattin  Apicata  getrennt  hatte.     Der  Plan  kam 
nicht  zur  Ausführung,  weil  Tiberius  ihn  widerriet.     Nach  dem 
Sturz   des   Seianus  wäre   dies  der  Livilla   auch   ohne   weitere 
Anklage  als  Verbrechen  angerechnet  worden,  da  fast  alle,  die 
mit  Seianus  irgendwie  in  Freundschaft  gestanden  waren,  sein 
Schicksal  teilen  mussten.    Wenn  sie  aber  auch  wegen  Gatten- 
mord verurteilt  wurde,  so  bleibt  ihre  Schuld  trotzdem  zweifelhaft. 
I         Denn  die  Tat   ist,   wie   man  sie  auch   betrachten  mag,   unbe- 
greiflich.   'Hanc  (Seianus)  ad  coniugii  spem,  consortium  regni 


I 


58  A.  Spengel 

et  necem  mariti  impulit*  sagt  Tacitus  IV,  3.  Also  die  Ehe 
mit  Seianus  war  ihr  Ziel  und  durch  diese  die  Herrschaft,  die 
gebietende  Stellung.  Letztere  besass  sie  bereits.  Als  die 
Gattin  des  Prinzen,  der  im  besten  Einrernehmen  mit  seinem 
Vater  stand,  bereits  dreimal  das  Konsulat  bekleidet  hatte,  zum 
Mitregenten  und  Nachfolger  bestimmt  war,  nahm  sie  die  viel- 
beneidete erste  Stelle  unter  allen  Frauen  des  römischen  Reiches 
ein.  Und  was  tauschte  sie  dagegen  ein?  Den  tief  darunter 
stehenden  Rang  der  Gattin  des  praefectus  praetorio.  Eine 
solche  Stellung  konnte  sie  sich  allenfalls  spater,  als  sie  Witwe 
geworden  war,  gefallen  lassen,  um  einen  kleinen  Ersatz  für 
den  Verlust  des  Höchsten  zu  finden,  aber  nicht  anstreben  durch 
die  Ermordung  ihres  Gatten.  Auf  die  Kaiserwürde  konnte  sich 
Seianus  keine  Hoffnung  machen  und  er  war  klug  genug,  es 
nicht  zu  tun.  Das  hat  er  bewiesen,  wie  wir  gesehen  haben, 
indem  er  in  der  Grotte  bei  Neapel  das  gefährdete  Leben  des 
Kaisers  mit  dem  eigenen  Leibe  schützte.  Also  das  Streben 
nach  Herrschaft  müssen  wir  von  den  Beweggründen  zur  Mordtat 
ausschliessen.  Es  bleibt  noch  'coniugii  spes.'  Vielleicht  schien 
ihr  die  neue  Ehe  und  die  Lösung  der  vorhandenen  an  sich  des 
Verbrechens  wert,  wenn  sie  auch  ihren  Rang  dabei  einbüsste? 
Dies  Hesse  sich  namentlich  dann  begreifen,  wenn  ihre  Ehe  mit 
Drusus  eine  unglückliche,  lieblose  war.  Als  im  Senate  der 
Antrag  gestellt  wurde,  dass  die  Statthalter  ihre  Frauen  nicht 
mehr  in  die  Provinzen  mitnehmen  sollten,  sprach  Drusus  dagegen 
und  sagte:  'se  quoque  in  lUyricum  profectum  et,  si  ita  con- 
duceret,  ad  alias  gentes  iturum  haud  semper  aequo  animo,  si 
ab  uxore  carissima  et  tot  communium  liberorum  parente 
divelleretur'  (Tac.  lU,  34).  Gewiss  ein  Zeichen  von  ein- 
trächtigem Zusammenleben!  Oder  suchte  sie  einen  jüngeren 
Gatten  einzutauschen?  Drusus  starb  in  der  Blüte  der  Jugend 
mit  33  Jahren,  Seianus  war  wenigstens  um  10,  wahrscheinlich 
mehr  Jahre  älter.  Den  33  jährigen  Prinzen  ermordet  sie,  um 
dem  zwischen  40  und  50  stehenden  Gardeoberst  die  Hand  zu 
reichen?  So  ist  die  Mordtat  in  jeder  Beziehung  psychologisch 
unerklärlich. 


Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiherius,  59 

Acht  Jahre  blieb  das  Verbrechen  verborgen.  Das  ist  noch 
nicht  so  befremdend  als  die  Sorglosigkeit  und  Einfalt  des  Ver- 
brechers, der  die  zwei  Sklaven,  die  einzigen  Mitwisser  seiner 
Tat,  in  diesem  Zeitraum  nicht  längst  von  der  Erde  verschwinden 
Hess  oder  wenigstens  weit  vom  Schauplatz  entfernte.  Wie  leicht 
konnte  irgend  ein  Verdacht  entstehen,  konnte  sich  einer  von 
ihnen  in  der  Trunkenheit  verraten  und  ihm  den  sicheren  Tod 
bringen ! 

Diese  Gründe  lassen  vermuten,  dass  Apicata  die  Anklage 
aus  Rachsucht  erfunden  hat,  um  einerseits  ihren  treulosen 
Gemahl  blosszustellen,  anderseits  und  hauptsächlich,  um  ihre 
verhasste  Nebenbuhlerin  zu  vernichten.  Warum  sollte  in  einer 
Zeit,  in  der  falsche  Anklage  und  erlogene  Zeugschaft  geschäfts- 
massig betrieben  wurden,^)  nicht  auch  ein  Weib  dieselben 
Waffen  geführt  haben?  Sie  hat  dann  nichts  anderes  getan, 
als  diejenigen  Angeklagten  oder  Verurteilten,  die,  ehe  sie  sich 
töteten,  durch  schriftliche  oder  mündliche  Schmähungen  gegen 
den  Kaiser  oder  andere  wirkliche  oder  vermeintliche  Urheber 
ihres  Unglücks  ihre  Rache  befriedigten  (z.  B.  Tac.  VI,  38, 
Suei  c.  66). 

Von  dem  Geständnis  der  beiden  Sklaven  werden  wir  dann 
dasselbe  annehmen,  was  Tacitus  bei  anderen  Gelegenheiten  sagt, 
dass  auf  der  Folter  erzwungene  Aussagen  kein  sicheres  Zeugnis 
für  die  Wahrheit  sind.  *)  Wir  werden  uns  erinnern,  dass  auch 
in  unseren  Ländern  früher  eine  barbarische  Justiz  den  Ange- 
klagten alle  möglichen  Geständnisse  erpresste,  die  der  Henker 
wollte,  wenn  sie  auch  noch  so  sehr  der  Wahrheit  und  selbst 
dem  gesunden  Menschenverstand  widersprachen. 

Tacitus  IV,  10  f.  und  Cassius  Dio  57,  22  erwähnen  daneben 
noch  ein  anderes  Gerücht,  dass  nämlich  Tiberius  selbst  den 
Drusus  vergiftet  habe.     Man  traut  seinen  Augen  kaum,  wenn 


*)  Vergl.  z.  B.  Tac.  VI,  48 :  Laeliua  Balbua  truci  eloquentia,  promptua 
adTersua  inaontes. 

*)  So  Hessen  sich  z.  B.,  als  Nero  seiner  Gattin  Oktavia  eine  Lieb- 
»chaft  mit  einem  Sklaven  andichten  lieas,  mehrere  Sklavinnen  durch  die 
Folter  unwahi'e  Zugeständnisse  erzwingen.   Tac.  Hiat.  XIV,  60, 


60  A,  Spengel 

man  es  liest.  Drusus,  der  sich  bei  der  Unterdrückung  des 
Militäraufstandes  in  Pannonien,  bei  der  Beseitigung  des  Marbod 
und  ebenso  bei  der  Verwaltung  der  Staatsämter  die  Zufrieden- 
heit und  das  Vertrauen  seines  kaiserlichen  Vaters  in  yoUem 
Masse  erworben  hatte,  der  dem  ruhebedürftigen  Greise  die  Last 
der  Regierung  abnehmen  sollte,  auf  dessen  Leben  damals  zu- 
nächst die  Hoffnung  auf  ungestörte  Fortsetzung  des  Kaisertums 
in  der  Julisch-Claudischen  Familie  beruhte,  von  seinem  Vater 
vergiftet!  So  albern  das  Gerücht  ist  —  sowohl  Tacitus  aLs 
Cassius  Dio  weisen  es  mit  Entschiedenheit  zurück,  letzterer 
mit  der  ausdrücklichen  Bemerkung,  dass  Drusus  von  seinem 
Vater  aufrichtig  geliebt  wurde  ^)  —  so  zeigt  es  doch,  da  es 
sich  bis  auf  die  Zeit  des  Tacitus,  wie  dieser  bemerkt,  erhalten 
hat,  dass  das  Verbrechen  der  Li  via  und  des  Seianus  nicht 
allgemein  oder  nicht  mehr  geglaubt  wurde. 

Flavius  Josephus,  Jüd.  Alt.  18,  §  206  (IV,  8),  der  erzählt, 
dass  Tiberius  vor  seinem  Tode  die  Seinigen  zu  sich  kommen 
liess,  gebraucht  die  Worte:  fjaav  S^  avxco  naideg  yvi^oioi  fiiv 
ovxhr  Agovoog  yag  di]  6  /lovog  avrcß  ysyovcog  Irvyxovev  le&vedk. 
Er  hätte  gewiss  statt  hvyxcivev  redveojg  einen  anderen  Aus- 
druck gewählt,  der  das  nichtswürdige  Verbrechen  andeutete, 
wenn  er  es  gekannt  oder  geglaubt  kätte. 

Nach  Suetonius  Tib.  62  war  Tiberius  bis  zur  Anzeige  der 
Apicata  der  Ansicht,  sein  Sohn  sei  'morbo  et  intemperantia' 
gestorben.  Bei  Regenten  und  ihrer  Familie  darf  man  immer 
annehmen,  dass  die  bekannt  gegebene  Krankheit  auf  der  Diagnose 
der  behandelnden  Arzte  beruht.  Da  Drusus  bereits  andert- 
halb Jahre  vorher  schwer  krank  und  dem  Tode  nahe  war 
—  ein  römischer  Ritter  hatte  bereits  ein  Gedicht  auf  seinen 
Tod  in  Bereitschaft  (Tac.  III,  49)  —  erlitt  er  wahrscheinlich 
einen  Rückfall  in  dieselbe  Krankheit,  wobei  er  sich  durch 
'intemperantia,'  durch  arge  Diätfehler,  den  Tod  zuzog. 


*)  Flavius  Jo8ephii8,  Jüd.  Altert.  18,  §  146  (VI,  1)  sagt,  dass  Tiberius 
nach  dem  Tode  seines  Sohnes  den  Freunden  desselben  verbot,  vor  ihm 
zu  erscheinen,  damit  nicht  ihr  Anblick  seinen  Schmerz  erneuere. 


Zur  GesekicfUe  des  Kaisers  Tiberius,  61 

Noch  ein  Wort  über  die  Lektüre  des  Tacitus  in  der 
Schule!  Wiewohl  die  alten  Geschichtschreiber  im  allgemeinen 
den  Kaiser  Tiberius  ungünstiger  beurteilen,  als  er  verdient,  so 
ist  dies  doch  in  ganz  besonderem  Grade  bei  Tacitus  der  Fall, 
der  die  Gelegenheit  zum  Tadeln  sozusagen  mit  den  Haaren 
herbeizieht  und  in  seinem  Urteil  nicht  immer  unsere  Billigung 
finden  kann.  Femer  ist  gerade  die  erste  Hälfte  der  Annalen, 
die  am  häufigsten  in  der  Schule  gelesen  wird,  am  wenigsten 
streng  historisch  gehalten.  Wo  dem  Autor  die  Ereignisse  zu 
trocken,  die  Bilder  zu  kahl  scheinen,  greift  er  selbst  zum 
Pinsel  und  hilft  nach.  Soll  nun  der  Lehrer  darauf  keine  Bück- 
sicht nehmen  und  nur  das  Verständnis  des  Textes  anstreben? 
Dann  würde  sich  der  Schüler  manches  Unrichtige  einprägen, 
manches  schiefe  Urteil  zu  eigen  machen.  Oder  soll  überall 
Halt  gemacht  werden,  wo  sich  ein  Anstoss  ergibt?  Lbjrall 
wohl  nicht.  Aber  an  Stellen,  die  zur  Kritik  herausfordern, 
auch  Kritik  zu  üben  oder  den  Schüler  darauf  hinzuleiten,  dass 
er  sie  selbst  übt,  dürfte  sehr  zu  empfehlen  sein.  Denn  ge- 
sundes unparteiisches  Urteil  braucht  der  Mann  in  jeder  Lage 
des  Lebens  und  schon  in  der  Schule  auf  Beispiele  aufmerksam 
zu  werden,  dass  selbst  hochbegabte  Männer,  wenn  sie  sich  von 
Torgefassten  Meinungen  nicht  fern  halten  und  alles  vom  Partei- 
standpunkt aus  betrachten,  in  ihren  Urteilen  fehlgreifen,  kann 
manchem  ein  Gewinn  fttr  das  Leben  werden. 

Ich  wähle  einige  Stellen  heraus,  an  denen  meines  Erachtens 
eine  Erörterung  wohl  angebracht  ist. 

1.  Zu  den  wichtigsten  Bestandteilen  eines  geordneten  Staats- 
wesens gehört  eine  unparteiische  Rechtspflege.  Das  antike 
Gerichtswesen  hielt  sich  an  den  Grundsatz,  dass  neben  der 
Gerechtigkeit  der  Sache  auch  die  Fürsprache  anderer,  also 
Protektion,  auf  das  Urteil  Einfluss  haben  dürfe.  Um  solche 
Fälschung  der  richterlichen  Urteile  zu  verhindern,  nahm  Tiberius 
oft  an  den  Gerichtsverhandlungen  auf  dem  Forum  teil.  Seine 
Anwesenheit  hatte  gute  Wirkung.  Denn  Tacitus  sagt  I,  75 
'multaque  eo  coram  adversus  ambitum  et  potentium  preces 
constituta.'      Aber    die    Anerkennung    des    Geschichtschreibers 


62  A,  Spengel 

bleibt  aus.  Vielmehr  lautet  sein  Urteil,  wiewohl  dies  im  Interesse 
der  Wahrheit  geschah,  sei  doch  die  freie  Entschliessung  der 
Richter  dadurch  beeinträchtigt  worden.  —  Man  sieht,  der  Kaiser 
urteilt  einsichtsvoll  und  selbständig,  er  vertritt  den  modernen 
Standpunkt,  der  Blick  des  Tacitus  ist  beschränkt  und  durch 
das  Herkommen  getrübt. 

2.  Im  Jahre  15  trat  der  Tiberfluss  aus  seinen  Ufern  und 
richtete  grossen  Schaden  an.  Daraufhin  beantragte  Apinius 
Gallus  im  Senate,  man  solle  die  Sibyllinischen  Bücher  einsehen 
lassen.  In  diesen  hofifte  man  nämlich  zu  finden,  durch  welche 
Opfer  und  Zeremonien  der  Zorn  der  Götter  abgewendet  und 
einer  Wiederholung  des  Unglücks  vorgebeugt  werden  könne. 
Tiberius  hielt  dies  nicht  für  angezeigt,  weshalb  ihm  Tacitus  I,  76 
vorwirft,  dass  er  Göttliches  und  Menschliches  in  gleicher  Weise 
verachtete.  Und  was  tat  der  Kaiser  in  seiner  Gottlosigkeit? 
Er  erteilte  dem  Ateius  Capito  und  L.  Arruntius  den  Auftrag, 
statt  dessen  eine  Korrektur  des  Flussufers  vorzunehmen.  Während 
also  dem  Tacitus,  der  nach  Ann.  XI,  11  im  Jahre  88  selbst 
dem  Kollegium  der  15  Männer  angehörte,  dem  die  Einsicht  der 
Sibyllinischen  Bücher  übertragen  war,  die  Angelegenheit  in 
das  Kapitel  „Religiöse  Sühnungen '^  zu  fallen  schien,  registrierte 
sie  Tiberius  unter  der  Rubrik  „ Flussbauamt '^.  Auf  wessen  Seite 
werden  wir  treten? 

3.  Tiberius  pflegte  in  der  Öffentlichkeit  langsam  und  ge- 
messen zu  sprechen,  gewissermassen  mit  dem  Worte  ringend 
'compositus  et  velut  eluctantium  verborum*  (Tac.  IV,  31).  Daran 
tat  er  recht.  Er  wusste,  dass  die  Worte  eines  Herrschers 
bedeutsam  sind  und  dass  bei  flüchtiger  Rede  leicht  ein  und 
das  andere  Wort  mit  unterläuft,  das  der  Redner  später  gerne 
nicht  gesagt  hätte  und  nun  doch  nicht  mehr  zurücknehmen 
kann.  Darum  ist  auch  alles,  was  von  seinen  Reden  erhalten 
ist,  ebenso  trefl^end  im  Ausdruck  wie  in  den  Gedanken.  *)  Nur 
in  dem  einen  Fall  pflegte  er  freier  und  rascher  zu  sprechen, 

*)  Ein  eh reiui 09  Urteil  über  Tiberius  als  Redner  fallt  auch  Tacitus 
Ann.  XllI,  3. 


Zur  Oeschichte  des  Kaisers  Tiberius.  63 

wenn  er  verteidigte:  'solutius  promptiusque  eloquebatur  quo- 
tiens  subveniret.'  Wir  sind  dem  Tacitus  dankbar,  dass  er  diese 
Worte  beifügte.  Er  hätte  es  yielleicht  nicht  getan,  wenn  er 
ihre  Bedeutung  erkannt  hätte.  Sie  widerlegen  nämlich  seine 
wiederholte  Behauptung,  dass  Tiberius  von  Natur  aus  grau- 
sam gewesen  sei.  Wenn  jemand  nur  in  dem  einen  Fall,  dass 
er  einem  Unschuldigen  helfen  kann,  die  gewohnte  Vorsicht 
vergisst  und  warm  wird,  so  dass  ihm  die  Worte  mächtig  aus 
dem  Herzen  und  dem  Munde  quellen,  so  werden  wir  seine 
Naturanlage  nicht  als  grausam  bezeichnen,  sondern  als 
edelmütig  und  gutherzig,  mögen  die  Geschichtschreiber  sagen, 
was  sie  wollen. 

Dies  sind  einige  der  Stellen,  an  denen  man  in  der  Schule 
meines  Erachtens  nicht  ohne  aufklärende  Bemerkung  vorüber- 
gehen sollte,  und  ich  meine,  wenn  anderseits  auch  die  unleug- 
baren grossen  Vorzüge  der  Geschichtschreibung  des  Tacitus 
dargelegt  werden,  wenn  darauf  hingewiesen  wird,  dass  die 
Anforderungen,  die  an  ein  Geschichtswerk  gestellt  werden, 
nicht  fiberall  und  zu  allen  Zeiten  die  gleichen  sind,  wenn  ferner 
gezeigt  wird,  wie  Tacitus  zu  solchen  Urteilen  kam  und  teil- 
weise kommen  musste,  so  wird  sein  Ansehen  nicht  besonders 
Schaden  leiden.  Wenn  aber  auch,  —  amicus  Tacitus,  magis 
amica  ventas. 


64 


Sitzung  vom  7.  Pebraar  1903. 

Pbilosophisch-philologiBche  KlaBBe. 

Herr  Muncker  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 

Vortrag: 

Wielands  Pervonte. 

Gleich  Beinen  Zeitgenossen  sonst  ohne  Sinn  für  das  richtige 
Yolksmärchen  hat  Wieland  nnr  einmal  im  ^ Pervonte^  ein  solches 
nach  dem  in  Deutschland  damals  fast  unbekannten  ^Pentameron'^  von 
Basile  neu  gedichtet.  Eingehende  Yergleichung  seines  ^PerTonte* 
mit  dem  Texte  Basiles  und  dem  einer  französischen  Nacherzählung 
in  der  ^Biblioth^que  universelle  des  romans*^  zeigt,  dass  Wieland 
höchst  wahrscheinlich  nur  die  letztere  benützte  und  die  ursprüng- 
liche Fassung  des  Märchens  in  neapolitanischer  Mundart  überhaupt 
nicht  kannte.  Den  letzten  Teil  seiner  Dichtung  yerfasste  er  viel 
später  ohne  fremde  Vorlage,  doch  mit  Verwertung  verschiedener 
Märchenmotive,  in  moralisierender  Tendenz;  auf  die  endgültige 
Ausgestaltung  gewann  Herder  bedeutsamen  Einfluss. 

Historische  Klasse. 

Herr  Prutz  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Über  desGautier  vonCompiegne  „Otia  de  Machomete*. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Mohammedfabeln  im  Mittel- 
alter und  zur  Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge. 

Als  Verfasser  des  in  einer  Pariser  Handschrift  erhaltenen,  bis- 
her unedierten  Gedichtes  wird  der  auch  durch  andere  literarische 
Arbeiten  bekannte  Gautier  von  Compi^gne  nachgewiesen.  Was  er 
darin  von  Mohammeds  Anfängen  erzählt,  geht  zurück  auf  die  Mit- 
teilungen eines  ehemaligen  Genossen  im  Kloster  Marmoutier  za 
Tours  namens  Garnier,  welcher  als  Abt  des  letzteren  im  Jahre  1155 
gestorben  ist.  Derselbe  verdankte  seine  Kenntnis  den  Erzählungen 
des  Paganus,  der  1119  und  1125  als  Abt  von  ]^tampes  in  der  Erz- 
diözese Sens  urkundlich  vorkommt  und  längere  Zeit  einen  jungen 
bekehrten  Sarazenen  als  Zögling  bei  sich  gehabt  hat.  Daraus 
erklärt  sich  die  verhältnismässige  Unbefangenheit  des  Gedichtes, 
welches  dann  dem  1258  entstandenen  „Roman  de  Mahomet^  des 
Alexandre  du  Pont  als  Vorlage  gedient  hat. 


65 


»» 

über  des  Gantier  von  Gompiögne  „Otia  de  HachoIIlete'^ 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Mohammedfabeln  im  Mittelalter 
und   zur  Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge. 

Von   H.  Fratz. 

(Vorgetragen  in  der  historischen  Klasse  am  7.  Februar  1903.) 

Wenn  die  hohe  Klasse,  als  sie  mich  durch  die  Berufung 
zur  Teilnahme  an  ihren  Arbeiten  den  ordentlichen  Mitgliedern 
'lieser  als  Hüterin  der  höchsten  wissenschaftlichen  Interessen 
Stellten  und  um  ihre  Pflege  hochverdienten  Genossenschaft 
zugesellte  und  mir  so  eine  Ehre  zuerkannte,  in  welcher  ein 
der  Wissenschaft  geweihtes  Leben  den  schönsten  Lohn  findet, 
^ich  dabei  namentlich  hat  leiten  lassen  von  einer  wohlwollenden 
Würdigung  dessen,  was  ich  in  nahezu  vier  Jahrzehnten  histo- 
rischer Studien,  die  sich  unter  dem  Einfluss  wechselnder  äusserer 
Verhältnisse  auf  sehr  verschiedene  Gebiete  erstreckten,  für  die 
deutsche  Geschichte  und  für  die  Geschichte  der  Kreuzzüge  etwa 
)?eleistet  habe:  so  darf  ich  aus  diesem  Umstände  wohl  den 
Antrieb  dazu  entnehmen,  was  mir  an  Kraft  zur  Förderung  der 
historischen  Wissenschaft  noch  geblieben  ist,  auch  in  diesem 
Kreise  Torzugs weise  dem  Anbau  jener  beiden  Gebiete  dienstbar 
zu  machen.  Ich  gebe  demselben  um  so  lieber  nach,  als  ich 
nur  bewusst  bin,  mich,  indem  ich  das  tue,  in  einer  Richtung 
zu  bewegen,  welche  in  unseren  Tagen  nicht  die  herrschende  ist. 
Wird  sich  doch  niemand  darüber  täuschen  können,  dass  die 
^j«ichichte  des  Mittelalters  zur  Zeit  nicht  blos  in  den  weiteren 
Kreisen  der  Gebildeten  wenig  Teilnahme  und  Verständnis  findet, 

1«4  Sifczgsb.  d.  philoB.-philol.  a.  d.  hiist.  KI.  5 


66  //.  Prutx 

sondern  auch  bei  den  Fachgenossen  sich  nicht  mehr  entfernt 
der  Gunst  erfreut,  welche  ihr  ehemals  in  so  reichem  Masse 
beschieden  gewesen  ist. 

Gewiss  liegen  die  Ursachen  dieses  Wandels,  welchen  die 
Richtung  des  geschichtlichen  Interesses  bei  uns  erfahren  hat, 
nicht  in  dem  historischen  Stoff.  Denn  man  wird  nicht  be- 
haupten können,  dass  dieser  auch  nur  fUr  die  am  häufigsten 
behandelten  Abschnitte  des  Mittelalters  erschöpft  sei.  Überall 
wird  er  da  auch  heute  noch  durch  neue  Funde  bereichert, 
welche  das  bisher  gewonnene  Bild  der  Vergangenheit  teils 
wesentlich  umgestalten,  teils  im  einzelnen  berichtigen,  teils 
ergänzen,  teils  in  ein  anderes  Licht  rücken.  Bezeichnender- 
weise macht  sich  dabei  im  Gegensatz  zu  der  zeitweilig  viel- 
leicht allzustark  betonten  und  gelegentlich  mit  übertriebener 
Schärfe  geübten  Kritik  nicht  selten  eine  sozusagen  konservative 
Neigung  geltend,  welche  in  einem  eigentümlichen  Kreislauf 
der  Entwickelung  früher  als  unhaltbar  aufgegebene  oder  doch 
stark  angefochtene  Anschauungen  als  die  historisch  besser  be- 
gründeten wieder  in  ihr  Recht  einsetzt.  Anderseits  ist  ja  zu 
einer  erschöpfenden  Durchdringung  der  so  vielgestaltigen  Ver- 
hältnisse des  späteren  Mittelalters,  obgleich  sie  vielfach  un- 
mittelbar auf  die  Probleme  hinführen,  an  deren  Lösung  die 
neuere  Zeit  und  selbst  noch  die  Gegenwart  arbeitet,  doch 
immer  erst  nur  ein  Anfang,  wenn  auch  ein  viel  versprechender, 
gemacht  worden. 

Entscheidender  für  das  Schwinden  des  Interesses  am  Mittel- 
alter dürfte  die  Anziehungskraft  geworden  sein,  welche  die 
grossen  Ereignisse  des  letzten  Menschenalters  auf  alle  Kreise 
des  deutschen  Volkes  ausüben  mussten:  unter  ihrem  Eindruck 
erschienen  auch  die  sie  vorbereitenden  und  anbahnenden  Epochen 
eingehender  Erforschung  und  ausführlicher  Darstellung  ganz 
besonders  wert.  Andererseits  aber  wird  man  die  unverkenn- 
bare Vorliebe,  mit  der  sich  die  jüngeren  Generationen  unserer 
Historiker  der  neueren  Geschichte  zuwenden,  zu  einem  Teile 
doch  auch  darauf  zurückführen  dürfen,  dass  die  Quellen  für 
diese  besonders  reich  fiiessen  und  verhältnissmässig  leicht  neue 


tlber  des  Qauixer  von  Oompiigne  Otia  de  Machomeie,  67 

Ergebnisse  gewinnen   lassen.     Zudem  liegen   diese  Stoffe   der 
leicht  beweglichen  Betrachtungsweise  des  modernen  Menschen, 
bei  dem  sich  unausgesetzt  der  Einfluss  der  verschiedenartigsten 
und  selbst  ihm  scheinbar  ganz  fremder  Verhältnisse  unruhig 
reflektiert,  im  allgemeinen  näher  als  die  Probleme  der  mittel- 
alterlichen Entwickelung,   zumal  wir  für  diese  nur  eine  sehr 
unvollständige  oder  zum  mindesten  sehr  ungleiche  Überlieferung 
besitzen,    bei   deren    ursprünglicher   Gestaltung   obenein   ganz 
andere  Gesichtspunkte  massgebend  gewesen  sind,  als  unter  ähn- 
lichen Umstanden  heute  irgend  geltend  gemacht  werden  würden. 
Will  man   diese   dennoch  darauf  anwenden   oder  gar  als   die 
allein  berechtigten  zur  Anerkennung  bringen,  so  führt  das  leicht 
zu  einer  Art  Ton  Vergewaltigung  des  in  dieser  Hinsicht  doch 
eigentlich    meist  unergiebigen   Quellenmaterials  oder   verleitet 
zu  dem  Versuche,  die  dem  modernen  Denken  geläufigen  Kate- 
gorieen  der  historischen  Betrachtungsweise  auf  das  Mittelalter 
anzuwenden,    obgleich   sie   diesem    selbst   fremd   waren.     Von 
diesem  Fehler  wird  man,   so  glücklich  ihr  einzelnes  gelungen 
sein  mag,   doch  die  so  zuversichtlich  aufstrebende  wirtschafts- 
geschichtliche Richtung  ebenso  wenig  freisprechen  können  wie 
diejenige,  welche  sich  anspruchsvoll  als  die  sozialpsychologische 
bezeichnet  und  das  eigentliche  historische  Problem   erst  recht 
erfasst  und  richtig  formuliert  haben  will.    Von  einem  solchen 
^  erfahren  kann  die  historische  Methode,  wie  sie  Ranke  ent- 
wickelte und  seine  Nachfolger  in  strenger  Schule  zur  höchsten 
Leistangsfahigkeit  ausbildeten,  schliesslich  nur  nachteilig  be- 
einflusst  werden.     Gern  würde  ich  mich  des  Irrtums  überführt 
sehen,  wenn  ich  beobachtet  zu  haben  glaube,  dass  ein  Rück- 
gang in  der  Übung   der   historischen  Methode,    die   sich   der 
Grenzen  ihres  Könnens  allezeit  bewusst  bleiben  und  daher  auch 
den  Mut  haben  wird,  ihr  Nichtwissenkönnen  offen  einzugestehen, 
bei  uns  nicht  blos  bereits  begonnen   hat,  sondern  gelegentlich 
»U  schon  bedenklich  weit  gediehen  zu  Tage  tritt.     Zu  einem 
Teile  dürfte  diese  Erscheinung  —  trifft  sie,   wie   ich  fürchte, 
w  —  der  Änderung  zuzuschreiben  sein,   die  in   dem  Betrieb 
4«T  hirtorischen  Studien  während  des  letzten  Vierteljahrhunderts 


5* 


68  H.  PrutM 

insofern  eingetreten  ist,  als  unsere  angehenden  Historiker  sel- 
tener, als  das  sonst  üblich  war,  die  eigene  Forschung  in  dem 
Gebiete  des  Mittelalters  beginnen,  wo  die  Natur  des  Stoffes 
und  die  Art  seiner  Überlieferung  zu  möglichst  nüchterner 
Prüfung,  peinlicher  Genauigkeit  auch  im  Nebensächlichen  and 
vorsichtiger  Selbstbeherrschung  in  der  Kombination  mahnen. 
Die  Zeit,  so  scheint  es,  ist  fürs  Erste  demnach  vorbei,  wo 
die  deutsche  Geschichtschreibung  wegen  der  Strenge  ihrer  kri- 
tischen Methode  als  massgebendes  Beispiel  und  nicht  leicht 
erreichbares  Vorbild  für  die  der  übrigen  Kulturvölker  gelten 
durfte.  Wenn  sie  sich  gerade  im  Gebiet  des  Mittelalters  seit 
längerer  Zeit  namentlich  von  der  französischen  Geschieht- 
Schreibung  in  manchen  Stücken  überholt  sieht,  so  darf  dabei 
freilich  nicht  ausser  acht  gelassen  werden,  dass  der  moderne 
Franzose  der  mittelalterlichen  Geschichte  seines  Volkes  doch 
wesentlich  anders  gegenüber  steht  als  der  Deutsche  der  ent- 
sprechenden Epoche  der  seinen.  Bringt  er  ihr  doch  ein  viel 
unmittelbareres  Interesse  entgegen,  weil  er  für  sie  ein  in  der 
Sphäre  lebhaften  nationalen  Gefühls  wurzelndes  leichteres  Ver- 
ständnis besitzt.  Während  man  bei  uns,  nicht  unbeeinflusst 
durch  die  politischen  Kontroversen  der  Gegenwart,  heftig  dar- 
über gestritten  hat,  ob  dem  Kaisertum  der  Sachsen,  Salier  und 
Staufer  um  die  nationale  Entwickelung  Deutschlands  ein  Ver- 
dienst zuzuerkennen  sei  oder  ob  es  als  Träger  der  Idee  einer 
Universalherrschaft,  die  an  nationale  Grenzen  nicht  gebunden 
sein  sollte,  im  Gegenteil  nicht  vielmehr  nachteilig  darauf  ein- 
gewirkt habe  und  für  die  spätere  politische  Zerrüttung  Deutsch- 
lands verantwortlich  gemacht  werden  müsse,  sah  und  sieht  der 
Franzose  in  dem  französischen  Königtum  des  Mittelalters  be- 
reits die  Verkörperung  seines  Volkstums:  in  seiner  an  Wechsel- 
fallen so  reichen  Geschichte  verfolgt  er  mit  lebhafter  Teilnahme 
die  vielfach  behinderte  und  oft  schwer  bedrohte  Entwickelung 
seines  eigenen  Volkes,  die  trotz  aller  Wechselfalle  und  lebens- 
gefährlichen Krisen  frühzeitig  zur  Bildung  einer  festgeschlos- 
senen und  sich  ihrer  Einheit  mit  Stolz  bewussten  Nation  ge- 
führt hat.     Der  Deutsche   dagegen   steht   heutigen  Tages  der 


über  des  GaiUier  von  Compihgne  Otia  de  Machomete,  69 

grossen  Zeit  der  mittelalterlichen  Kaiser  gewissermassen  fremd 
gegenüber  und  entbehrt  für  sie  jener  gemütlichen  Teilnahme, 
ohne  die  ein  volles  Verständnis  dafür  nicht  zu  gewinnen  ist. 
Im  Gegensatz  dazu  sieht  das  französische  Volk  in  den  Taten 
und  Leiden  seiner  nationalen  Könige  im  Mittelalter  auch  heute 
noch  ein  Stück  nationaler  Heroenzeit,  an  dessen  fesselnder 
Farbenpracht  es  sich  freut,  unbeirrt  durch  kirchliche  und 
politische  Gegensatze  späteren  Ursprungs. 

Ganz  besonders  gilt  dies  nun  von  der  Geschichte  der  Kreuz- 
zflge,  so  fremdartig  die  geistigen  und  sittlichen  Kräfte,  die  sich 
darin  vornehmlich  betätigten,  den  modernen  Menschen  anmuten 
mögen.    Durch   die   hervorragende  Rolle,   zu  der  sie  vrährend 
der  zwei  Jahrhunderte,   welche  die  grosse  Bewegung  dauerte, 
und  dann  auch  noch  während  ihres  Nachspiels  im   14.  Jahr- 
hundert und   bis  hinein  in  das  15.   berufen  waren,   haben  die 
Franzosen  für  die  allgemeine  Entwickelung  der  abendländischen 
Kultur  eine  ähnlich  zentrale  Stellung  erlangt,  wie  für  die  poli- 
tische das  römisch-deutsche  Kaisertum   während   seiner  Blüte 
eingenommen  hat.    Denn  an  dem  Austausch  zwischen  Morgen- 
und  Abendland,  den  die  Kreuzzüge  herbeiführten  und  der  für 
die  Entwickelung  der  Kultur  neue  Grundlagen  und  neue  Formen 
schuf,  haben  die  Franzosen  weitaus  den  grössten  Anteil  gehabt. 
Von  den  vielen  ritterlichen  Fahrten,  aus  denen  die  Kreuzzüge 
<ich  zusammensetzen,  erscheinen  die  meisten  geradezu  als  fran- 
zösische Unternehmungen.     Dem  französischen   Adel   und   den 
ungeheuren  Opfern,  die  er,  wenn  auch  immer  in  der  Hoffnung 
auf  endlichen  reich  lohnenden  Gewinn,  Generationen  hindurch 
jenseits  des  Meeres  brachte,  war  es  zu  danken,   wenn  das  nie 
lebenskräftige   christliche  Königreich  im  heiligen  Lande   seine 
taglich  bedrohte   Existenz   wider  Erwarten   so   lange   fristete. 
In  viel  höherem  Masse  als  die  seefahrenden  Italiener,  für  die 
immer  nur  merkantile  Interessen   massgebend  waren,   sind  die 
Franzosen  die  Träger  des  Einflusses   geworden,   den   die  fort- 
^hreitende  Bekanntschaft  mit  dem  Morgenlande,   seinen  Pro- 
dukten, Gebräuchen   und   Einrichtungen    auf   die  Völker    des 
bestens  ausgeübt   hat   und   der   doch  schliesslich   dafür   ent- 


70  H.  Prutz 

scheidend  geworden  ist,  dass  bei  ihnen  die  engen  Schranken 
der  kirchlich  gebundenen  Kultur  durchbrochen  und  fQr  eine 
ganz  neue,  unendlich  mannigfaltige  und  erstaunlich  fruchtbare 
neue  Kultur  Licht  und  Luft  gewonnen  wurden  —  ein  Vor- 
gang, der  auch  darin  seinen  Ausdruck  fand,  dass  das  Fran- 
zösische damals  als  eine  Art  von  Weltsprache  das  bevorzugte 
Organ  wurde  für  die  Vermittelung  des  internationalen  Verkehrs 
in  den  Kolonien  jenseits  des  Meeres.  Diese  Tatsachen  erklären 
vollauf  die  unverkennbare  Vorliebe,  welche  wir  in  Frankreich 
nicht  blos  in  dem  romantisch  denkenden  Zeitalter  der  Restau- 
ration, sondern  auch  heute  noch  für  die  Geschichte  der  Kreuz- 
zQge  herrschend  finden.  Trotz  aller  Wandelungen,  die  im 
Denken  und  Fühlen  vor  sich  gegangen  sind,  betrachtet  man 
dieselben  auch  heute  noch  gewissermassen  von  dem  Standpunkte 
der  Gesta  Dei  per  Francos,  besonders  seitdem  Frankreich  durch 
sein  entschlossenes  Eingreifen  zur  Rettung  der  durch  die  Mas- 
sakres  von  1862  mit  dem  Untergänge  bedrohten  syrischen 
Christen  von  Neuem  die  Rolle  einer  Schutzmacht  des  christ- 
lichen Glaubens  im  Osten  übernommen  hatte.  Auch  fUr  die 
Erforschung  der  Denkmäler  aus  dem  Zeitalter  der  Kreuzzüge 
hat  die  damalige  französische  Expedition  nach  der  syrischen 
Küste  reichen  Gewinn  ergeben.  Das  alles  macht  es  begreif- 
lich, dass  gerade  die  Geschichte  der  Kreuzzüge  in  Frankreich 
alle  Zeit  besonders  gepflegt  worden  ist  und  von  Michaud  und 
Beugnot  bis  herab  auf  Mas  Latrie  und  Riant  hochverdiente 
und  opferfreudige  Bearbeiter  gefunden  hat. 

Doch  ist  gerade  da  wieder  eine  gewisse  Einseitigkeit  nicht 
zu  verkennen.  Weil  man  in  Frankreich  die  Kreuzzüge  auch 
heute  noch  als  einen  integrierenden  Bestandteil  der  französischen 
Geschichte  betrachtet  und  wie  ein  Stück  nationalen  Heldentums 
im  Herzen  trägt,  wird  man  dort  ihrem  sozusagen  internationalen 
Charakter  weniger  gerecht  als  anderwärts,  obgleich  doch  ge- 
rade er  der  grossen  Bewegung  der  abendländischen  Völker  ihr 
eigentümliches  Gepräge  gibt  und  ihre  welthistorische  Bedeu- 
tung begründet.  Nach  dieser  Seite  hatte  schon  im  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  Heeren  ergänzend  eingegriffen,  indem  er 


über  des  Gautier  von  Compibgne  Otia  de  Machomete.  71 

die  Folgen  der  Ereuzzüge  fUr  Europa  zu  entwickeln  versuchte.^) 
Dass  er,  und  wer  sich  weiterhin  mit  diesem  grossen  kultur- 
geschichtlichen Problem  beschäftigte,  über  allgemeine  Betrach« 
tungen,  welche  der  sicheren  Begründung  in  der  Fülle  be- 
glaubigter Einzeltatsachen  entbehrten,  nicht  hinaus  kam,  war 
unTermeidlich  zu  einer  Zeit,  wo  die  Spezialforschung  von  den 
dafür  in  Betracht  kommenden  verschiedenen  Gebieten  kaum  eines 
recht  in  Angriff  genommen  hatte.  Erst  im  Laufe  der  folgen- 
den Jahrzehnte  sind  die  Voraussetzungen  allmählich  geschaffen 
worden,  ohne  die  kulturhistorische  Arbeiten  der  Art  immer 
sozusagen  in  der  Luft  schweben  werden.  Denn  nur  durch  eine 
Zusammenfassung  der  kritisch  gesichteten  Ergebnisse,  welche 
zunächst  unabhängig  von  einander  neben  der  eigentlichen 
Geschichtsforschung  die  Sprachforschung,  namentlich  die  roma- 
oische,  dann  das  Studium  des  Schauplatzes  der  Ereignisse  und 
besonders  der  Denkmäler,  weiterhin  aber  auch  die  Tergleichende 
Rechtswissenschaft  und  die  Erforschung  der  Literatur  und  der 
Sagen  und  endlich  namentlich  die  fortschreitende  Erschliessung 
der  morgenländischen  Quellen  zu  Tage  gefordert  haben,  wird 
man  unter  steter  Berücksichtigung  der  allgemeinen  geschicht- 
lichen Verhältnisse  und  der  wechselnden  geistigen  Strömungen 
Ton  den  hierher  gehörigen  Vorgängen  ein  einigermassen  ein- 
heitliches und  wahrheitsgetreues  Bild  gewinnen  können. 

Seit  ich  in  meiner  „Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge* 
(BerHn  1883)  die  eben  skizzierte  Aufgabe  nach  dem  damaligen 
Stand  unserer  Kenntnis  zu  lösen  versucht  habe,  sind  die  Be- 
dingungen für  das  völlig  befriedigende  Gelingen  eines  solchen 
Intemehmens  einerseits  bessere,  andererseits  weniger  günstige 
geworden.  Das  Letztere  ist  namentlich  insofern  der  Fall,  als 
eine  planmässige  Erforschung  und  vollständige  Inventarisierung 
der  im  Osten  erhaltenen  Denkmäler  der  „fränkischen"  Misch- 
kultur, wozu  die  Franzosen  einen  vielversprechenden  Anfang 
gemacht  hatten,*)  nicht  durchgeführt  worden  ist  —  eine  Unter- 

*)  Versuch    einer   Entwickelung    der   Folgen    der    Kreuzzüge    für 
EöTopa.   1807. 

')  E.  G.  Rey,  £tade  sur  les  monuments  de  l'architecture  inilitaire 


72  H,  Prutz 

lassung,  die  bedauerlich  ist,  weil  die  fortschreitende  Zerstörung 
der  betreflFenden  Bauwerke,  die  nicht  blos  von  den  Umwohnern, 
sondern  auch  von  den  türkischen  Behörden  häufig  einfach  als 
Steinbrüche  benutzt  werden,  ein  Nachholen  des  Versäumten 
inzwischen  fast  unmöglich  gemacht  hat.  Günstiger  geworden 
sind  sie  insofern,  als  sowohl  die  abend-  wie  die  morgenlän- 
dischen Quellen  heute  in  beträchtlich  grösserer  Zahl  und  in 
wesentlich  brauchbarerer  Gestalt  vorliegen,  das  urkundliche 
Material  sehr  bedeutend  vermehrt  worden  ist  und  die  bessere 
Einsicht  in  die  Entwicklung  des  Kunstgewerbes  und  der  Technik 
eine  Reihe  von  neuen  und  sehr  fruchtbaren  Gesichtspunkten 
für  die  Beurteilung  gewisser  kulturhistorischer  Vorgänge  er- 
geben hat.  Am  schwierigsten  bleibt  die  zu  lösende  Aufgabe 
auch  heute  noch  überall  da,  wo  es  sich  um  ausschliesslich 
geistige  Beziehungen  handelt  und  der  Versuch  gewagt  werden 
muss,  aus  den  Ergebnissen,  die  uns  späterhin  hie  und  da  ent- 
gegentreten, auf  den  Verlauf  und  die  Natur  des  Prozesses  zu 
schliessen,  der  sie  hervorgebracht  hat.  Einen  bescheidenen 
Beitrag  zur  Lösung  einer  der  hierher  gehörigen  Fragen  ver- 
suche ich  im  Nachfolgenden  zu  geben. 

Vollzog  sich  der  Tauschverkehr  zwischen  Ost  und  West, 
der  den  Boden  bereitet  hat  für  die  grossartigen  kulturgeschicht- 
lichen Wirkungen  der  Kreuzzüge,  in  der  Hauptsache  und  am 
unmittelbarsten  natürlich  in  den  Kreuzfahrerstaaten  selbst  und 
den  ihnen  nächstbenachbarten  mohammedanischen  Gebieten,  so 
ist  es  doch  auch  vereinzelt  vorgekommen,  dass  Träger  der 
morgenländischen  Kultur  infolge  der  über  ihre  Heimat  herein- 
gebrochenen Ereignisse  nach  dem  Westen  verschlagen  wurden 
und,  dort  heimisch  geworden,  für  einen  kleinen  Kreis  die  viel- 
fach angestaunten  Vertreter  der  Wunderwelt  von  jenseits  des 
Meeres  blieben.  Den  Spuren  solcher  Vorgänge  begegnen  wir 
gelegentlich  in  Sage  und  Dichtung.  Die  kulturgeschichtliclien 
Wirkungen  freilich,  die  davon  ausgingen,  blieben  naturgeraäss 


des  Croises  en  Syrie.    Paris  1871  und  de  Vogä(^,  Les  figlisee  de  la  Terre 
Sainte.   Paris  1857. 


über  des  Gautier  va^i  Compihgne  Otia  de  Machomete,  73 

sunächst  auf  eiuen  sehr  engen  Ereis  beschränkt  und  können 
nicht  entfernt  mit  denen  verglichen  werden,  welche  die  zahl- 
reichen Mohammedaner  ausübten,  die  wir  im  Dienste  der  nor- 
mannischen und  staufischen  Könige  von  Sizilien  finden  und 
um  derentwillen  noch  die  Anjous  von  Neapel  Gesetze  und  Er- 
lasse auch  arabisch  veröflFentlichten.  Ganz  vereinzelt  aber  sind 
die  Fälle,  wo  von  der  Anwesenheit  eines  solchen  versprengten 
Orientalen  im  Westen  später  sogar  noch  gewisse  geistige  Spuren 
Zeugnis  ablegen.  Von  einem  solchen  will  ich  berichten,  zumal 
die  genauere  zeitliche  und  örtliche  Feststellung,  die  dabei  mög- 
lich ist,  auch  noch  nach  anderen  Seiten  hin  Anknüpfungen 
ergibt  und  bisher  vereinzelt  liegende  Stücke  der  Überlieferung 
als  zusammengehörig  zu  erweisen  erlaubt. 

Da.ss  die  Kreuzzüge  nicht  hervorgerufen  wurden  durch  den 
religiösen  Gegensatz  zwischen  Christentum  und  Islam,  der  die 
Bekenner  beider  mit  einer  Art  von  Naturnotwendigkeit  zum 
Kampfe  wider  einander  getrieben  hätte,  darf  heute  wohl  als 
allgemein  zugestanden  gelten.  Die  Unhaltbarkeit  einer  solchen 
Annahme  erweist  namentlich  auch  die  Entwickelung,  die  das 
Verhältnis  der  beiden  Religionen  während  des  200  jährigen 
Kampfes  erfahren  hat.  War  anfangs  die  Möglichkeit  gütlicher 
Verständigung  und  friedlichen  Nebeneinanders  gegeben,  wie 
sie  bisher  sowohl  in  christlichen  wie  in  mohammedanischen 
Staaten  vielfach  bestanden  hatte,  so  schwand  sie  allmählich 
vollkommen  durch  die  Entfesselung  eines  religiösen  Fanatismus, 
wie  er  ursprünglich  nur  in  vereinzelten  Fällen  sich  offenbart 
hatte,  und  durch  die  Anhäufung  eines  tötlichen  Hasses,  wie 
sie  ein  Menschen  alter  hindurch  von  beiden  Seiten  mit  steigender 
Grausamkeit  geführter  Vernichtungskampf  zur  Folge  haben 
musste:  erst  durch  die  Kreuzzüge  sind  Christen  und  Moham- 
medaner unversöhnliche  Gegner  geworden.  Dem  entspricht 
namentlich  auch  die  Entwickelung  des  Bildes,  welches  sich 
die  Ersteren  von  dem  Stifter  des  Islam  machten,  und  die  Art, 
wie  sie  den  Inhalt  seiner  Lehre  geflissentlich  entstellten,  indem 
sie  sich  durch  absichtliche,  möglichst  schmähliche  Erdich- 
tangen immer  weiter  von  dem  Wenigen  entfernten,  was  ihnen 


74  if.  PruU 

ganz  schattenhaft  von  der  historischen   Wahrheit  bekannt  ge- 
worden war. 

Bereits  der  älteste  christliche  Bericht  über  Mohammed  und 
seine  Religionsstiftung,  der  des  Byzantiners  Theophanes  (gest. 
817/18),  welcher  in  der  Bearbeitung  des  römischen  Bibliothe- 
kars Anastasius  (gest.  ca.  886)  mit  dessen  Kirchengeschichte ^) 
durch  die  ganze  mittelalterliche  Literatur  Verbreitung  gefunden 
hat,  ist  voll  grober  Missverständnisse  und  tendenziöser  Ent- 
stellungen und  enthält  dem  Keime  nach  bereits  fast  all  die 
Züge,  welche  späterhin  für  die  Mohammedfabeln  des  christ- 
lichen Mittelalters  charakteristisch  geworden  sind.  Planmässig 
ausgesponnen  erscheint  dieses  gehässige  Lügengewebe  dann  zu- 
erst bezeichnenderweise  zu  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  in  der 
Kreuzzugsgeschichte  des  Guibert  von  Nogent,  welcher  aus- 
gesprochenermassen  bestrebt  war,  den  Hass  der  Christen  gegen 
die  Mohammedaner  möglichst  zu  entflammen,  um  neue  Scharen 
zum  Zuge  nach  dem  Osten  zu  veranlassen.  Da  kann  es  denn 
freilich  kaum  Wunder  nehmen,  wenn  wir  ziemlich  um  dieselbe 
Zeit  selbst  einen  Mann  von  der  gelehrten  Bildung  Hildeberts, 
des  Bischofs  von  Le  Mans  und  1125—1133  Erzbischofs  von 
Tours,  die  Zierde  der  französischen  Kirche,  eine  an  klassischen 
Reminiszenzen  reiche  Geschichte  des  Propheten  in  tadellosen 
Distichen  abfassen  sehen,  in  welcher  ohne  jede  Ahnung  von 
dem  geschichtlichen  Verlaufe  die  unsinnigsten  Lügen  zusammen- 
phantasiert werden,  um  Mohammed  nicht  blos  als  Zauberer 
und  Betrüger,  sondern  sogar  als  Räuber  und  Mörder  darzu- 
stellen, und  derselbe  auch  ein  dem  entsprechendes  Ende  findet, 
indem  er  von  Schweinen  gefressen  wird.  Dem  gegenüber  muss 
es  auf  den  ersten  Blick  einigermassen  befremden,  wenn  wir 
in  eben  dem  Kreise,  dessen  geistliches  Oberhaupt  und  geistiger 
Mittelpunkt  Hildebert  gewesen  war,  nur  wenig  später  eine 
ähnliche  Arbeit  entstehen  sehen,  welche  sich  zwar  nicht  frei 
hält  von  den  zur  Verunehrung  des  Propheten   in  Umlauf  ge- 

1)  Anastasü  Hist.  ecclesiastica  ex  Theophane  II,  511  ff.  (Corpus  hist. 
Byzant.  ed.  Bonn.) 


über  des  Oautier  von  Compiegne  Otia  de  Machomete.  75 

setzten  LügenmärclieD,  auf  der  anderen  Seite  aber  sofort  eigen- 
tümlich gekennzeichnet  wird  und  auf  einen  besonderen  Ursprung 
hinweist  durch  das  ungewöhnlich  günstige  Bild,  das  sie  im 
übrigen  von  dem  Menschen  Mohammed  und  seiner  Stellung 
zu  seinen  Volksgenossen  entwirft. 

Im  Jahre  1831   veröffentlichten  Reinaud   und  Michel   den 
«Roman  de  Mahomet*^/)  die  Dichtung  des  Jongleurs  Alexandre 
du  Pont,  welche  dieser  nach  einem  Vermerk  am  Schluss*)  im 
Jahre  1258  auf  dem  «Berge  bei  Laon*  verfasst  hat.    Als  Vor- 
Iji^e   benutzte   er  dabei,   wie   er   im  Eingang   ausführlich   be- 
richtet,   ein   lateinisches  Gedicht,   welches   ein   Mönch  Gautier 
auf  Grund  der  Mitteilungen  des  Abtes  Gravier  —  es  ist  zweifel- 
los Qranier  oder  Garnier  zu  lesen  —  angefertigt  hatte.     Des 
Letzteren  Kenntnis  von  Mohammed  ging  darnach  zurück  auf 
die   Erzählungen    eines   Geistlichen    der   Kirche   von   Sens   in 
Burgund,  der  sarazenischer  Abkunft  gewesen  und  als  Moham- 
medaner  geboren   sein   soll.^)    Diese   von  Alexandre   du  Pont 
benutzte  Vorlage  ist,  wie  schon  ein  oberflächlicher  Vergleich 
zeigt,  erhalten  in  der  Handschrift  der  Pariser  Nationalbibliothek 
Fonds  latin  N.  11332.    Alexandre  du  Pont  folgt  ihr  nicht  blos 
genau  in  der  Anordnung  des  Stoffes,  sondern  schliesst  sich  ihr 
vielfach  fast  wörtlich  an,  so  dass  sein  Werk  zu  einem  grossen 
Teile   nur   als   eine  Übersetzung   des   älteren   lateinischen  Ge- 
dichtes erscheint.    Wo  er  davon  abweicht,  geschieht  das  wohl 
im  Hinblick  auf  die  anders  gearteten  Ansprüche  seines  Publi- 
kums:  er  führt  dies  und  jenes  weiter  aus  oder  fügt  Zutaten 
hinzu,  welche  dadurch  interessieren  sollen,  dass  sie  den  Gegen- 
stand zu  seiner  Umgebung  in  Laon  in  lokale  Beziehungen  setzt. 
So  meint   er   die   ebenfalls    aus   seiner  Vorlage    übernommene 
angebliche  aussergewöhnliche  geometrische  Begabung  Moham- 


^)  Roman  de  Mahomet  et  Livre  de  la  Loi  au  Sarrazin.   Publies  par 
Reinaud  et  Michel.   Paris  1831. 
«)  S.  84. 
•)  S.  1:    Uns  clers  avoecques  j.  chanoigne, 

Ki  Sarrasins  avoit  est^, 

Mais  prise  avoit  crestiente. 


76  H.  Prutz 

meds,  der  bei  ihm  ebenfalls  als  ein  Mann  von  hoher  Bildung 
und  vertraut  mit  den  sieben  freien  Künsten  dargestellt  wird, 
anschaulicher  zu  machen  durch  die  Bemerkung,  derselbe  würde 
die  Entfernung  von  Montaigu  nach  le  Sauvoire  (Salvatorium), 
einem  seit  1246  auf  befestigter  Höhe  bei  Laon  gelegenen 
Frauenkloster,  ^)  auf  den  ersten  Blick  richtig  geschätzt  haben 
und  als  ausgezeichneter  Arithmetiker  im  stände  gewesen  sein, 
alsbald  zu  sagen,  wie  viel  Steine  in  einem  Turm  oder  einer 
Mauer  verbaut  seien.  Auch  greift  er,  während  seine  Vorlage 
in  solchen  Fällen  gern  die  ihrem  Verfasser  von  der  Kloster- 
schule her  geläufigen  klassischen  Reminiszenzen  verwertet,  bei 
der  Schilderung  von  Festlichkeiten  u.  s.  w.  für  die  Ausmalung 
des  Einzelnen  zu  dem,  was  da  in  seiner  Zeit  und  in  seiner 
Heimat  üblich  war.  Wenn  er  aber  gleich  im  Eingang  aus 
dem  Gewährsmann,  dem  Abt  Gravier  oder  vielmehr  Garnier 
die  in  dem  Werke  Gautiers  benutzten  Angaben  über  Moham- 
med verdankt,  einen  als  Heide  geborenen,  d.  h.  ursprünglich 
sich  zum  Islam  bekennenden  Mann  macht,  welcher  in  der  Taufe 
Dieu-donn(^  genannt,  nachmals  Geistlicher  geworden  und  zum 
Kanonikus  in  Sens  aufgestiegen  sein  soll,  so  ist  ihm  da  ein 
Irrtum  begegnet,  indem  er,  mit  dem  Lateinischen  offenbar  nicht 
allzu  vertraut,  seine  Vorlage  missverstand  und  den  Namen 
Paganus  als  Heide  deutete.*^) 

Die  Handschrift,  welche  das  von  Alexandre  du  Pont  be- 
arbeitete lateinische  Gedicht  enthält,  zählt  28  auf  beiden  Seiten 
beschriebene  Blätter  und  gehört  dem  13.  Jahrhundert  an.  Die 
Fehler,    die   sich   in    ihr   finden   —  Schreibfehler  (V.  48,  138, 


*)  Labbe,   Bibl.  nova  manuscr.  I,  135   und  Galiia  Christ.  IX,  640,  E. 
*)  S.  1:    II  fu  clera  quant  il  fut  paiens, 

Et  clera  apries  fu  crestiens. 

A  8on  signour  conta  la  guile 

Ki  ä  .j.  abe  de  la  vile, 

Lequel  on  apieloit  Gravier, 

Le  conta,  et  chil  ä  Gautier, 

Ki  moignes  estoit  de  s'abbie. 

Li  moignes  lues  en  versifie, 

J.  livret  en  latin  en  fist. 


über  des  Gautier  van  CompUgne  OHa  de  Machomete,  77 

149,  168,  540,  782,  892,  955,  1034),  irrige  Wiederholungen 
und  die  Auslassung  eines  Pentameters  (V.  190)  —  kenn- 
zeichnen sie  als  Abschrift.  Obgleich  sie  bereits  von  den  Be- 
arbeitern der  Histoire  littäraire  de  la  France^)  gekannt  war 
und  ihr  Inhalt  als  Werk  eines  Mönches  Wautier  besprochen 
wurde  unter  Mitteilung  der  Verse  1  —  6  und  11 — 26,  hat  sie 
bisher  doch  keine  weitere  Beachtung  gefunden.  Einen  Titel 
trägt  sie  nicht:  dass  er  Waltheri  Otia  de  Machomete  gelautet 
hat,  beweist  gleich  der  Eingang  des  Gedichts: 

Quisquis  nosse  cupis  patriam  Machometis  et  acta, 
Otia  Waltheri  de  Machomete  lege. 

Das  Missverständnis,  welches  dem  französischen  Bearbeiter  in 
Betreff  der  Herkunft  des  von  Walther,  französisch  Gautier, 
bearbeiteten  Stoffes  begegnet  ist,  erklären  die  Verse  5  und  6 
und  11—19: 

5        Nam  si  vera  mihi  dixit  Warnerius  abbas, 

Me  quoque  vera  loqui  de  Machomete  puta. 
11       Abbas  jam  dictus  monachus  monacho  mihi  dixit, 

Immo  testatus  est  mihi  multociens, 
Quod  quidam,  cui  nomen  erat  Paganus,  honestus 

Clericus  et  Seuonum  magnus  in  ecclesia, 
Secum  detinuit  aliquanto  tempore  quendara, 

Qui  Machomis  patriam  gestaque  dixit  ei, 
Qui  de  progenie  gentili  natus  et  altus 

Christi  baptismum  ceperat  atque  fidem. 
Ergo  se  puerum  didicisse  legend  o  professus, 

Quicquid  scripture  de  Machomete  sonant. 

Walther  verdankte  also  seine  Kenntnis  von  Mohammeds  An- 
fingen den  Mitteilungen  eines  Abtes  Warnerius  oder  Garnerius, 
französisch  Garnier  oder  Granier,  der,  ehe  er  Abt  wurde,  mit 
ihm  als  Mönch  demselben  Kloster  angehörte.  Was  er  ihm 
erzählte,  beruhte  auf  den  Mitteilungen  des  Paganus,  eines 
sehrenwerten   Geistlichen^,    der    in    der  Erzdiözese   Sens   eine 


M  Band  XII,  S.  516. 


78  Ä  Prutt 

hervorragende  Stellung  einnahm  und  einen  zum  Christentum 
übergetretenen  Mohammedaner,  der  fttglich  doch  nur  mit  einem 
heimkehrenden  Kreuzfahrer  nach  Frankreich  gekommen  sein 
konnte,  längere  Zeit  als  Zögling  bei  sich  gehabt  hatte.  Durch 
ein  glückliches  Zusammentreffen  können  wir  nun  die  drei  hier 
genannten  Persönlichkeiten  nach  Zeit  und  Ort  ihres  Lebens 
und  Wirkens  genau  bestimmen  und  erhalten  dadurch  auch  über 
die  Herkunft  der  Otia  de  Machomete  sicheren  Aufschluss. 

In  dem  der  Kirche  von  Sens  als  hochangesehene  Persön- 
lichkeit angehörigen  Paganus  haben  wir  ohne  Zweifel  den 
gleichnamigen  Abt  des  Marienklosters  zu  Etampes^)  zu  sehen, 
dem  Papst  Calixtus  IL  auf  Fürbitte  König  Ludwigs  VI.  von 
Frankreich  am  4.  Dezember  1119  in  Sens  för  sein  Kloster  das 
Recht  bewilligte,  dass  ohne  Zustimmung  der  Mönche  dessen 
Pfarrkinder,  Kitterbürtige  und  andere,  von  niemand  sollten  be- 
graben werden  dürfen,*)  und  der  1125  in  einer  Verleihung 
desselben  Königs  an  die  Kirche  von  S.  Victor  als  Zeuge  vor- 
kommt.^) Sind  wir  auch  über  das  Wesen  jenes  Marienklosters 
—  es  wird  auch  als  monasterium  im  Sinn  von  Münster  be- 
zeichnet und  ist  als  wirklich  mit  Mönchen  besetzt  nicht  sicher 
nachweisbar*)  —  nicht  ganz  im  Klaren,  so  wissen  wir  doch, 
dass  seine  Vorsteher,  vielleicht  als  Laienäbte,  im  Range  sehr 
hoch  standen.  Nach  dem  Tode  des  Paganus,  dessen  Zeitpunkt 
nicht  bekannt  ist,  haben  nacheinander  zwei  Söhne  König  Lud- 
wigs VL,  Heinrich  (1146)  und  Philipp  (1155),^)  diese  Würde 
bekleidet. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  wie  im  Eingang  der  Otia  de 
Machomete  finden  wir  ferner  einen  Mönch  Walther,  Qalterius 
oder  Gautier  und  einen  Abt  Warnerius  oder  Garnier  anderwärts 
mit  einander  verbunden.  Von  dem  Traktate  „De  miraculis 
beatae  Virginis   Mariae**^)    haben    bereits    die    Bearbeiter    der 

»)  Gallia  chrisliana  XII,  128. 

2)  Jaffe-Löwenfeld,  Reg.  pontif.  N.  6790. 

'•*)  Gallia  Christ,  a.  a.  0. 

*)  Ebend.  5)  Ebend. 

^)  Labbe,  Bibliotheca  nova  manuscr.  I,  650  —  66. 


Vber  des  Gautier  von  Compihgne  Otia  de  Maehomete.  79 

Histoire  Uttäraire  de  la  France')  nachgewiesen,  dass  er  nicht, 
wie  die  Handschrift  will,  von  einem  Cluniacenser  Qautier  her- 
rOhrt,  sondern  von  öautier  von  Gompiegne  (öauterus  Compen- 
diensis),  einem  Insassen  des  Klosters  Marmoutier  (Maius  mona- 
sterium)  zu  Tours,  der  später  dem  von  dort  aus  gegründeten 
Kloster  des  heiligen  Martin  im  Tal  (en  Yalläe)  zu  Chartres  als 
erster  Prior  vorstand.  Denn  der  Traktat  ist  von  dem  Autor, 
der  nach  1141  ~  (diesem  Jahre  gehört  eine  der  von  ihm 
erzählten  Wundergeschichten  an)  —  in  Chartres  schrieb,  einem 
Mönche  des  heiligen  Yenantius  in  Tours  gewidmet.  Auch  sollen 
mit  Ausnahme  des  letzten,  das  dem  heiligen  Martin  zuge- 
schrieben wird,  die  berichteten  Wunder  alle  in  Chartres  vor- 
gekommen sein  nach  mündlicher  Mitteilung  des  Bischofs  Geof- 
froi  II.  von  Chartres  (24.  Januar  1116  —  24.  Januar  1149),  bei 
dem  sich  Gautier  in  einer  Urkunde  vom  Jahre  1131  als  Zeuge 
findet.  Von  demselben  Gautier  von  Compiegne  gab  es  auch 
eine  Geschichte  von  Marmoutier,  von  der  bisher  nur  ein  Frag- 
ment bekannt  geworden  ist.^)  In  diesem  findet  sich  ausser- 
dem eine  Erzählung  von  einer  Vision  des  Grafen  Fulco  von 
Anjou,  die  derselbe  vor  seinem  Aufbruch  nach  dem  heiligen 
Lande  in  Marmoutier  gehabt  haben  soll.  Sie  kehrt  wörtlich 
wieder  in  den  Gestis  consulum  Andegavensium,^)  deren  Autor 
in  der  Widmung  an  König  Heinrich  11.  von  England  Gautier 
von  Compiegne  ausdrücklich  unter  seinen  Quellen  nennt.  ^) 
Demnach  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  der  Abt  Garnerius 
und  der  Mönch  Gautier,  welche  in  dem  Traktate  des  Letzteren 
über  die  Wunder  der  heiligen  Jungfrau  zu  Chartres  als  ver- 
banden erscheinen,  identisch  sind  mit  den  gleichnamigen  und 
in  gleicher  Stellung  befindlichen  Personen,  die  im  Eingang  der 
Otia  de  Maehomete  erwähnt  werden.  Dieses  Gedicht  ist  dem- 
nach ein  Werk  des  Gautier  von  Compiegne,  der  vor  1131 
Mönch  in   Marmoutier   war.     Einer  seiner  Genossen   daselbst 


»)  XII,  491,  92. 

«)  AA.  SS.  0.  S.  Ben.  IX,  392-402. 
3)  d'Acbery,  Spicileg.  X,  606. 
«)  Ebend.  399. 


80  K  Prute 

war  Garnerius  oder  Garnier,  der  dann  erst  als  Prior  zwei 
Tochterklöstern  von  Marmoutier  vorstand*)  und  1137  als  Abt  an 
die  Spitze  des  Mutterklosters  zurückkehrte.  Auch  er  erscheint 
als  eine  bedeutende  Persönlichkeit:  dem  am  31.  Dezember  1137 
von  ihm  gehaltenen  Kapitel  wohnten  drei  aus  derselben  Ge- 
nossenschaft hervorgegangene  Bischöfe,  Geoffroi  IL  von  Chartres, 
Donoald  von  St.  Malo  und  Evenus  von  Vannes  bei.*)  Femer 
erscheint  er  mehrfach  als  Vermittler  und  Schiedsrichter  in 
Streitigkeiten  geistlicher  Stifter.  Er  starb  am  23.  Mai  1155. 
Daraus  ergibt  sich,  dass  Qautier  von  Compiegne  die  Otia  de 
Machomete  jedenfalls  nach  der  Erhebung  seines  Freundes  zum 
Abt  von  Marmoutier,  also  nach  1137  geschrieben  hat,  während 
er  den  darin  verarbeiteten  Stoff,  den  ihm  jener  auf  Grund  der 
Erzählungen  des  Paganus  von  Etampes  übermittelte,  bereits 
vor  1131,  wo  er  schon  in  Chartres  heimisch  ist,  erhalten  haben 
muss.  Seine  Übermittelung  kann  also  spätestens  im  dritten 
Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  stattgefunden  haben.  Dazu 
stimmt  es,  dass  in  den  der  erhaltenen  Abschrift  des  Gedichtes 
angehängten  Versen,  die  offenbar  aus  der  von  dem  Kopisten 
benutzten  Vorlage  mit  übernommen  sind,  wohl  der  Eroberung 
Jerusalems  durch  die  Kreuzfahrer,  aber  keines  späteren  Ereig- 
nisses und  namentlich  nicht  des  zweiten  Kreuzzuges  gedacht 
wird.  Wir  werden  demnach  des  Paganus  Bericht  ungefähr  um 
das  Jahr  1115  ansetzen  dürfen.  Er  gibt  also  eine  ältere  Fas- 
sung der  Mohammedfabel  als  die  übrigen  während  der  Kreuz- 
züge in  Umlauf  gekommenen  Werke  ähnlicher  Art  und  erhält 
dadurch  für  die  Kenntnis  der  Entwickelung  der  hierher  ge- 
hörigen mittelalterlichen  Vorstellungen  eine  besondere  Bedeutung. 

Für  den  Versuch,  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  mit  den  drei 
in  den  Otia  de  Machomete  genannten  geistlichen  Personen 
möglich  war,  auch  den  Zögling  des  Abtes  von  Etampes,  ver- 
mutlich den  Sprössling  eines  vornehmen  arabischen  Hauses  in 
Palästina,  ausfindig  zu  machen,  fehlt  jeder  Anhalt.    Doch  darf 


^)  Prior  Raraeruci  et  Spanionis. 
2)  Gall.  Christ.  XIV,  218,  19. 


ijber  des  Gautier  wm  Oompihgne  Otia  de  Maehomeie,  81 

wohl,  freilich  ohne  dass  bestimmte  Folgerungen  daraus  gezogen 
werden  sollen,  darauf  hingewiesen  werden,  dass  in  dem  Sprengel 
TOD  Troyes,  also  innerhalb  der  Erzdiözese  Sens,  noch  um  das 
Jahr  1300  eine  Familie  mit  dem  Beinamen  Sarrazin  urkund- 
lich vorkommt.  ^)  Wie  dieser  Name  zu  deuten  sein  wird,  dürfte 
sich  aus  der  Parallele  dazu  ergeben,  dass  in  Palästina  in  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  eine  Familie  den  Namen 
Baptizatus  führt,  welcher  dem  Orte,  wo  sie  begütert  ist  und 
nach  dem  sie  sich  nennt,  vorangesetzt  wird.^) 

Wenden  wir  uns  schliesslich  zu  dem  Werke  des  Gautier 
von  Compiegne  oder  Marmoutier  selbst,  so  kann  dasselbe  zu- 
nächst in  formaler  Hinsicht  als  ein  neuer  Beweis  gelten  für 
die  gute  klassische  Schulung,  die  in  den  Kreisen  der  franzö- 
sischen Geistlichkeit  damals  herrschte.  Ist  es  auch  nicht  frei 
Ton  sprachlichen  Härten  und  metrischen  Verstössen,  so  zeigt 
es  doch  ansprechende  Gewandtheit  und  Rundung  des  Ausdrucks. 
Mehr  noch  fesselt  den  Leser  die  frische  Lebendigkeit  der  Dar- 
stellung, welche  durch  die  häufige  Auflösung  der  Erzählung 
in  Wechselreden  der  beteiligten  Personen  stellenweise  etwas 
geradezu  Dramatisches  bekommt,  hier  und  da  auch  eines 
gewissen  anmutenden  Humors  nicht  entbehrt.  Vornehmlich 
aber  wird  diese  Bearbeitung  der  Mohammedfabel,  die  mit  dem 
schwülstigen  und  schmähsüchtigen  Gedicht  Hildeberts  von  Le 
Mans  und  dem  gehässigen  Lügengewebe  des  Guibert  von 
Xogent  derselben  Zeit  angehört,  vorteilhaft  gekennzeichnet 
durch  das  Fehlen  jedes  fanatischen  Zuges  und  den  Verzicht 
auf  die  Entfesselung  des  christlichen  Glaubenshasses.  Gibt 
natürlich  auch  Gautier  auf  des  Warnerius  und  des  Paganus 
Autorität  hin,  da  des  Letzteren  Zögling  nach  Lage  der  Dinge 
Schriften  über  den  Propheten  doch  wohl  kaum  gelesen  haben 

*)  La  Lore,  Inventaire  des  cartulaires  du  diocese  de  Troyes  II,  327: 
'jaülemin,  Sohn  des  Herbert  de  Pougy,  escuyer,  verkauft  ein  Grundstück 
ui  Jean  dit  Sarrazin  am  20.  August  1299,  und  Jean  Sarrazin  de  Chamagnil 
am  23.  November  1308. 

*)  Delaville  Le  Roulx,  Cartulaire  de  TOrdre  de  St.  Jean  I,  no.  537 
pag.  366):  1178  Willelmus  Baptizatus  de  Blancaguarda. 

190SL  Sitzgsb.  d.  pbno£.-pbilol.  u.  d.  hist  Kl.  0 


82  H,  Prutz 

dürfte,^)  nur  das  wieder,  was  in  mündlicher  Überlieferung 
damals  bei  den  Christen  des  Abendlandes  über  Mohammed 
umlief,  und  teilt  er  infolge  dessen  die  da  eingebürgerten 
falschen  Vorstellungen,  die  zum  Teil  bereits  auf  Theophanes 
und  seinen  Bearbeiter  Anastasius  zurückgingen,  so  fasst  er 
doch  den  Stifter  des  Islam,  dessen  unheilvollste  Tat  er  in  der 
Einführung  der  Vielweiberei  sieht,  mehr  von  einem  sozusagen 
unbefangen  menschlichen  Standpunkte  aus  auf  und  steht  nicht 
an,  seine  guten  Eigenschaften  und  die  verdienstlichen  Seiten 
seines  Wirkens  hervorzuheben.  Ihm  ist  Mohammed  nicht  ein 
dem  Bösen  oder  seinen  Werkzeugen  verbundener  Betrüger,  nicht 
ein  von  den  Juden  verhetzter  oder  von  einem  Apostaten  ange- 
stifteter Todfeind  des  Christentums,  der  von  Anfang  an  nur 
auf  dessen  Vernichtung  und  den  Umsturz  der  bisher  geltenden 
Weltordnung  ausgegangen  sein  soll,  sondern  er  wird  bei  ihm 
zu  seiner  Keligionsstiftung  zunächst  zwar  veranlasst  durch  das 
Bemühen,  sein  ei)ileptisches  Leiden  vor  der  entsetzten  Gattin 
zu  beschönigen,  dann  aber  weiterhin  dabei  geleitet  durch  die 
Einsicht,  das  christliche  Glaubensgesetz  stelle  an  den  unvoll- 
kommenen Menschen  unerfüllbare  Anforderungen.  Daher  wird 
seiner  Lehre  denn  auch  ein  gewisses  moralisches  Verdienst  und 
eine  unter  Umständen  gute  Einwirkung  auf  ihre  Bekenner 
nicht  abgesprochen.  Freilich  denkt  sich  Gautier  den  Propheten 
ebenfalls  als  im  Christentum  geboren,  ja  er  rühmt  ihm  trotz 
seiner  Unfreiheit  eine  hohe  Bildung  nach.'^)  Jedenfalls  schlägt 
er,  indem  er  von  den  in  der  umlaufenden  Mohammedfabel 
gebotenen  Motiven  die  einen  unbenutzt  lässt  und  die  anderen 
eigenartig  verwertet,  einen  ganz  anderen,  unbefangeneren  und 
duldsameren  Ton  an,  als  er  sich  sonst  bei  irgend  einem  der 
Bearbeiter  dieses  Stoffes  damals  und  während  der  nächsten 
Menschenalter  findet.  Man  niuss  schon  bis  zu  dem  Prediger- 
mönche Wilhelm  von  Tripolis  gehen,  welcher  1273  eine  Dar- 
stellung des  Islam  schrieb,  um  den  Gegenstand  wieder  mit 
einiger  Sachkenntnis  und   namentlich  mit  einer  gewissen  Vor- 


1)  V.  17.         2)  V.  23,  24. 


über  des  Gatttier  von  Compihgne  Otia  de  Machomete.  8ä 

Urteilslosigkeit  behandelt  zu  finden,  welche  ohne  Vertrautheit 
mit  Land  und  Leuten  unmöglich  ist.  Auch  in  dem  Berichte, 
den  Gautier  von  diesen  Dingen  gibt,  möchte  man  noch  einen 
leisen  Nachklang  spüren  von  dem  nicht  ganz  geschwundenen 
Respekt,  den  des  Paganus  Zögling  und  Gewährsmann  sich 
selbst  als  Christ  vor  dem  Glauben  bewahrt  hatte,  in  dem  er 
geboren  war. 

Obgleich  Geistlicher,  lässt  Gautier  doch  von  einem  solchen 
in  seiner  Dichtung  überhaupt  wenig  erkennen.  Frei  von  dem 
seinem  Stande  sonst  eigenen  Eifer,  der  sich  gerade  in  der 
Behandlung  solcher  Stoffe  besonders  kräftig  und  selbstgefällig 
zu  betätigen  liebte,  vermeidet  er,  von  den  poetischen  Zügen 
seines  Stoffes  gefesselt,  fast  ganz  das  übliche  theologische  Bei- 
werk: selbst  biblische  Anklänge  finden  sich  bei  ihm  nur  ganz 
vereinzelt.  Auch  bringt  er  über  manche  Dinge  eigenartige 
Anschauungen  vor,  wie  z.  B.  Vers  359  ff.  über  die  Erbsünde 
und  die  dadurch  in  die  Welt  gekommene  Unfreiheit.  Vers  843,  4 
heisst  es  geradezu: 

Principio  nuUus  servili  conditioni 

Subditus  est:  omnis  tunc  homo  liber  erat 

—  ein  Satz,  der,  obgleich  einem  Araber  in  den  Mund  gelegt, 
doch  auch  eine  weitere  Deutung  zuliess,  zumal  Gautier  nachher 
den  Propheten  sagen  lässt,  erst  durch  den  von  Noah  über 
Cham  ausgesprochenen  Fluch  sei  nicht  blos  dessen  Geschlecht 
zur  Unfreiheit  verurteilt  worden,  sondern  überhaupt  die  Herr- 
schaft eines  Menschen  über  den  anderen  eingeführt: 

Ex  hoc  cepit  homo  causas  homini  dominandi, 
Ex  hoc  servile  sumpsit  habere  caput  (V.  367,  8). 

Mit  einem  Wortspiel,  das  in  der  doppelten  Bedeutung  von 
fidelis  beruht,  heisst  es  dann  V.  378:  Liber  erit  merito  quis- 
quis  fidelis  homo,  d.  h.  jeder  Gläubige  oder  auch  jeder  treue 
Diener  soll  der  Freiheit  teilhaftig  werden. 

Unwillkürlich   erinnern  derartige  Ausdrücke   und   die  sich 
in  ihnen  möglicherweise  offenbarenden  Anschauungen,    wie  sie 

G* 


84  n.  Prutz 

hier  im  Zusammenhange  einer  doch  immerhin  noch  stark  phan- 
tastischen Dichtung  vorkommen,  daran,  dass  nicht  ganz  zwei  Jahr- 
hunderte später  das  französische  Königtum  im  Fortgang  einer 
von  ihm  gelegentlich  begünstigten,  dann  aber  selbständig  weiter 
entwickelten  sozialen  Bewegung  in  der  französischen  Bauern- 
schaft, die  es  sich,  sie  aufzuhalten  unfähig,  wenigstens  ander- 
weitig nutzbar  machen  wollte,  selbst  den  Satz  verkündigen 
Hess,  alle  Menschen  seien  frei  geboren  und  es  widerstreite  dem 
Naturrechte,  dass  einer  dem  andern  gehören,  einer  des  andern 
Herr  sein  solle. 

Im  Nachfolgenden  bringe  ich  nunmehr  des  Qautier  von 
Compiegne  Otia  de  Machomete  nach  der  Pariser  Handschrift 
Fonds  lat.  11332  zum  Abdruck,  indem  ich  die  als  solche 
erkennbaren  leichteren  Irrtümer  des  Abschreibers  berichtige, 
grössere  Versehen  aber,  zu  deren  Verbesserung  die  Vergleichung 
einer  zweiten  Handschrift  nötig  wäre,  bei  dem  Mangel  an  einer 
solchen  unverändert  wiedergebe. 


[Otia  Waltheri  de  Machomete.] 

Quisquis  nosse  cupis  patriam  Machometis  et  acta, 

Otia  Waltberi  de  Machomete  lege. 
Sic  tarnen  otia  sunt,  ut  et  negotia  credas: 

Ne  spernas,  quotiens  otia  fronte  legis. 
5       Nam  si  vera  mihi  dixit  Warnerius  abbas, 

Me  quoque  vera  loqui  de  Machomete  puta. 
Si  tarnen  addidero  vel  dempsero,  sicut  et  ille 

Addidit  aut  dempsit  forsan,  ut  esse  solet: 
Spinam  devita,  botrum  decerpere  cura. 
10  Botrus  enim  reficit,  vulnera  spina  facit. 

Abbas  iara  dictus  mouachus  monacho  mihi  dixit, 

Immo  testatus  est  mihi  multociens, 
Quod  quidam,  cui  nomen  erat  Paganus,  honestus 

Clericus  et  Senonum  raagnus  in  ecclesia, 
15       Secum  detiuuit  aliquanto  tempore  quendam. 


Ober  des  Gautier  von  Campügne  OHa  de  Machomete.  85 

Qui  Machomis  patriam  gestaque  dixit  ei, 
Qui  de  progenie  gentili  natus  et  altus 

Christi  baptismum  ceperat  atque  fidem, 
Ergo  se  puerum  didicisse  legendo  professus, 

Quicquid  scripturae  de  Machomete  sonant.  20 

Dixit  eum  genitum  genitoribus  ex  Ydumeis 

Et  Christi  doctum  legibus  atque  fide. 
Rhetor,  arithmeticus,  dialecticus  et  geometer, 

Musicus,  astrologus  grammaticusque  fuit. 
Qui  licet  ut  liber  excelleret  artibus  istis,  25 

Ex  servis  servus  ortus  et  altus  erat. 
Servus  erat  domini  cuiusdam  nobilis  atque 

Castellis,  opibus  divitis  et  populo. 
Qui  licet  omnibus  hiis  et  pluribus  esset  habundans, 

More  tarnen  gentis  illius  et  patrie  30 

Merces  mutandas,  species  quoque  pro  speciebus 

Longe  per  servos  mittere  suetus  erat. 
Sed  magis  arbitrio  Machometis  queque  fiebant: 

Utilior  reliquis  plusque  fidelis  erat. 
Ulis  temporibus  et  in  illis  partibus  unus  35 

Vir  fuit  egregius  nominis  et  meriti, 
Conversans  solus  inter  montana  rogansque 

Pro  se,  pro  populo  nocte  dieque  Deum, 
More  prophetarura  gnarus  praenosse  futura, 

Totus  mente  polo,  carne  retentus  horao.  40    fol.  2. 

Yicinis  igitur  de  partibus  atque  remotis 

Multi  gaudebant  eins  adire  locum, 
Consilio  cuius,  prece,  dogmate  quisque  refectus 

Regrediebatur  letior  ad  propria. 
Sic  etiam  Machomes  devotus  venit  ad  illum,  45 

Recte  vivendi  discere  dogma  volens. 
Quo  viso  sanctus  admoto  lumine  mentis 

Intus  possessum  demone  novit  eum 
Et  cruce  se  signans:   „Possessio  demonis,  inquit, 

,Vis  immundicie,  fraudis  amice,  fuge!  50 

,Quid  luci  tenebre  vel  que  conventio  Christi 


86  H.  Prutz 

„Ad  Belial?^)  Tecum  portio  nuUa  mihi!* 
His  Macbomes  motus  et  scrutans  intima  cordis 
Et  manuum,  talem  se  reperire  nequit. 
55       Unde  satis  humilis  supplexque  requirit  ab  illo, 
Quare  tarn  gravi ter  corripuisset  eum. 
Sanctus  ei:  ^Vere  possessio  denionis  es  tu: 

„Lex  Sacra,  sacra  fides  te  tribulante  ruet. 
„Coniugium  solves,  corrumpes  virgiiiitatem 
Go  „Judicioque  tue  castus  adulter  erit 

„Et  lex  legitimum  dampnabit,  iniquus  aroicum 

„Justicie,  pietas  inipietate  cadet. 
„Tu  facies,  mentis  ut  circumcisio *'*)  non  sit, 
„Ut  redeat  carnis,  ut  sacra  cesset  aqua, 
65        „ütque  loquar  brevius,  Adam  veterem^)  renovabis 
„Atque  novas  leges  ad  nihilum  rediges." 
Tunc  Macbomes  constanter  ait  se  malle  cremari 

Quam  per  se  leges  ad  nihilum  redigi. 
Tunc  vir  ille  celi  nihilominus  increpat  illum 
70  Eque  sua  facie  iam  procul  ire  iubet. 

Abscedens  Macbomes  et  sancti  dicta  revolvens 

Innumeras  animo  fertque  refertque  vices. 
Nam  de  se  sancto  quam  se  sibi  credere  cepit, 
Et  sicut  mentem,  sie  variat  faciem, 
75       Jamque  satis  posset  advertere  quilibet,  illum 
Non  propra  iuris  esse,  sed  alterius. 
Deraon  enim  ducebat  eum,  quocunque  volebat, 

Permissoque  Dei  prospera  cuncta  dabat. 
Qui  proprium  tunc  ad  dominum  de  more  reversus 
80  Exequitur  solitum  sedulus  obsequium. 

fol.  3  Conservos  ad  se  vocat:  adsunt.    Imperat  ille: 

Illius  imperiis  accelerando  favent. 
Serica  cum  Tiriis  et  murice  pallia  tincta, 
Plurima  preterea,  que  preciosa  putant, 

1)  2.  Korinth.  6,  75. 

2)  Vgl.  circumciaio  cordis  Rom.  2,  29. 

3)  Vgl.  vetus  homo  noster  Rom.  6,  6. 


Ober  des  Gawtier  von  Gompiegne  Otia  de  Machomete,  87 

De  domini  sumunt  thesauris  atque  camelos  85 

Ex  ipsis  honerant.    Sic  iter  arripiunt. 
Ethiopas  igitur,  Persas  Indosque  petentes 

Merces  inutandas  mercibus  instituunt. 
Non  sie  ad  votum  Machometis  cesserat  umquam 

Nee  tantum  domino  proderat  ante  suo.  90 

Nam  rediens  commissa  sibi  duplicata  reportat, 

Quedam  multo  magis  quam  triplicata  refert. 
0,  divinorum  scrutator  iudiciorum 

Quis  queat  esse?    Malis  plus  sua  vota  favent. 
Sed  si  credamus  rationi  christicolarum,  95 

Quam  Sacra  lex  firmat,  quam  tenet  alma  fides: 
Retribuit  Deus  ista  malis  propter  bona  quedam, 

Qua,  quamquam  mali,   parva  licet  faciunt. 
Econtra  nemo  tarn  sancte  vivit  ad  unum, 

Quin  aliquando  manu,  mente  vel  ore  cadat.  100 

Hie  igitur  premitur,  ut  et  hie  deponat  amuream, 

Quam  de  peecato  eontrahit  exul  bomo. 
Sic  Job,  sie  Maehomes,  bonus  hie,  malus  ille,  fecerunt: 

Nunc  habet  hie  requiem,  sustinet  ille  erucem. 
Taliter  Antiochus,  Maehabei  taliter:  hü  nunc  105 

Felices  gaudent,  nunc  miser  ille  dolet. 
Pressuras  sancti  sie  omnes  pene  tulerunt, 

Ut  dolor  iste  brevis  gaudia  plena  daret. 
Jam  non  turberis,  Domino  si  iudice  iustis 

His  mala  proveniunt  vel  bona  sepe  malis.  110 

Divitis  esse  memor,  quem  Lazarus  ille  rogubat, 

Cuius  lingebat  uleera  lingua  canum: 
Dives  inhumanus  modo  tormentatur  in  igne, 

Nunc  Abrahe  gaudet  Lazarus  in  gremio. 
Sic  Nero,  sie  Deeius,  Daeianus,  Maximianus  115 

Presserunt  Christi  tempore  membra  suo, 
Et  Caput  ipsorum,  Christum  loquor,   in  cruce  misit 

Gens,  cui  promissus  et  eui  missus  erat. 
Ille  resurrexit,  aseendit,  regnat  et  illue 

Membra  trahit  seeum  iugiter  ipsa  sua.  120 


88  H.  PruU 

fol.  4  Sic  antichristos  vermis,  que  non  morietur,*) 

Rodet  et  inferni  flamma  Yorabit  eos. 
Talibus  exemplis  stes  firmus,  cum  mala  iustis 
Vel  bona  non  iustis  sepe  venire  vides. 
125     Nam  quod  de  Domino  testatur  lectio  sacra, 
ludicium  iustis  exeret  hie  patiens. 
Quod  quia  tangendum  visum  fuit  utile,  noster 
Est  intermissus  ad  medium  Macfaomes. 

His  intermissis  redeuntes  ad  Macbometem 
130  Texere  propositum  iam  satagemus  opus. 

Tempus  adest,  quo  mortuus  est  dominus  Machometis 

Et  sine  prole  mähet  uxor  et  absque  viro. 
Sed  sicut  domino  Machomes  fuit  ante  fidelis, 
Sic  etiam  domine  subditur  imperio. 
135      Servit  ei,  dat  consilium,  procurat  agendum: 
Plus  solito  domine  multiplicantur  opes. 
Postquam  post  domini  decessum  transiit  annus, 

Disponit  iuveni  nubere  iam  domina,^) 
Secretoque  vocaus  Machometem  tempore  dixit: 
140  „Sum  iuvenis,  sexu  femina,  res  fragilis, 

„Possideo  servos,  ancillas,  predia,  villas, 

„Sunt  castella  mihi,  sunt  etiam  proceres. 
,Suni  viduata  viro,  natis  et  utroque  parente: 
,Ignoro  prorsus,  qualiter  ista  geram. 
145      »Ergo  tu,  qui  consilio  callere  probaris, 

„Premeditare  mihi,  que  facienda  probes. 
„Utile  consilium,  rogo,  provideas  et  honestum: 

„Numquam  laude  carent  hec  duo  iuncta  simul. 
„Sit  persona  decens,  sapiens  et  strenua  sitque, 
150  »Non  minuat  nostrum  nobilitate  genus. 

„Deuique  ut^)  sit  talis,  ut  esse  per  omnia  dignum 
„lUum  me  nemo  iure  negare  queat". 

*)  Vgl.  Jesaias  66,  24  et  vermis  eorum  non  morietur. 
')  Ms.  domine. 
3)  Ms.  ubi.   . 


über  des  Gautier  von  Cmnpi^ne  Otia  de  Machaniete.  89 

Respondet  Machomes:  «Operam  dabo  nocte  dieque. 

^Forsitan  inyeniam,  qui  deceat  dominam. 
,Sed  quia  tIx  talis  in  multis  invenietur,  155 

,Quod  queris,  longi  temporis  esse  reor. 
,Non  diffido  tarnen:  nam  si  Deus  ista  futura 

«Providit,  non  est,  cur  remanere  queanf*. 
His  dictis  Machomes  discedens  pervigil  instat, 

Si  quo  forte  modo  ducere  posset  eam.  160    fol.  5 

Transierant  vix  octo  dies,  cum  subdolus  ille 

Veracem  simulans  premeditatus  adest. 
Yultum  dimittit,  oculos  gravat,  afficit  ora, 

Mentitur  facie  religionis  opus. 
Pallidus  apparet,  ut  quilibet  hunc  hereroitam  165 

Aut  anachoretam  iudicet  aut  monachum. 
Talern  se  simulat,  ut  dicere  vera  putetur, 

Cum  dominam  fallit  falsa  loquendo  suam 
Rhetoricosque  suis  yerbis  miscendo  colores 

Cum  domina  tamquam  TuUius  alter  agit:  170 

gSi  iuyeni  nubas,  quem  nobilis  ordo  parentum, 

.Quem  decus  atque  decor  strenuitasque  levet, 
,Depopulator  erit  rerum  fortasse  tuarum, 

«Yastabit  villas,  predia  destituet, 
«Omnia  consumet  yivendo  luxuriöse:  175 

»Que  modo  dives  eras,  ad  breve  pauper  eris, 
«Quodque  puto  gravius,  te  spemens  fiet  adulter, 

,Unde  timens  capiti  non  eris  ausa  loqui. 
„Quare  consilium  domine  me  iudice  non  est 

«Nobilis  et  iuvenis  quaerere  coniugium.  180 

aSed  iam  de  senibus  tecum,  puto,  mente  revolvas: 

„Ille  yel  ille  senex  est  bonus  et  sapiens. 
«Congruit  ille  mihi,  bene  me  reget  et  sapienter 

„Omnia  disponet:  nubere  quero  seni. 
,Sed  non  hoc  queres,  quia  non  sibi  convenienter         185 

«lunguntur  iuvenis  femina  virque  senex. 
^Illa  calore  viget,  nitida  cute,  corpore  reeta: 

,  Pallidus,  incurvus,  sordidus  ille  tremit. 


90  U.  Prule 

^lUa  iuventutis  amplexus  factaque  querit: 

190  ^) 

„nie  dolet,  tussit,  emungitur,  execrat  ille; 
ffSanior  et  iuyenis  pene  nihil  patitur: 
„Auditus,  gustus,  olfatus,  visio,  tactus, 
„Integritas  mentis  in  sene  deficiunt. 
195      „Sed  nisi  turbatur  casu  natura,  iuyentus 
„Sensibus  bis  sanis  leta  vigere  solet. 
„Cum  sibi  dissimiles  ita  sint  iuvenesque  senesque, 

„Cum  sene  quo  pacto  copula  stat  iuvenis? 
„Non  igitur  iuveni,  qualem  prediximus  ante, 
200  i,Nec  cuiquam  vetulo  conveniat  domina. 

„Ut  vulgare  loquar:  presurao  docere  Minervam, 
fol.  6  «Non  presumo  tarnen,  actito  iussa  mihi, 

^Et  solet  hoc  multis  contingere,  res  alienas 
„Multociens  melius  quam  proprias  agere, 
205      „Et  quod  non  fallat  haec  in  me  regula,  nosti. 
„Namque  tuis  semper  postposui  propria. 
„Dum  tibi  vir  vixit,  me  nemo  fidelior  illi. 

„Nemo  tibi  vidue  me  fuit  utilior, 
„Cumque  tibi  maneam  tam  commodus  atque  fidelis, 
210  „Cur  dubites  nostro  credere  consilio? 

„Quodque  loquar,  doraine  non  mentem,  non  gravet  aures, 

„Cum  cupiam  tibi  plus  quam  mihi  proficere.* 
lUa  refert:  „Constat,  Machomes,  te  vera  locutum, 
„Et  debere  tibi  credere  me  fateor. 
215      „Die  igitur  quodconque  placet,  quodconque  videtur 
„Consilium:  credo,  credere  non  nequeam.* 
Tunc  Machomes  solito  factus  securior,  illi 
Jam  reserare  parans  abdita  cordis  ait: 
„Que  modo  sunt  domine  dominique  fuisse  probantur, 
220  „Ancille,  servi,  predia,  prata,  domus, 

„Villarum  reditus,  terrarum  commoda,  cuncta 
„A  puero  semper  nota  fuere  mihi. 

')  Es  fehlt  im  Ms.  ein  Pentameter. 


über  des  Gautier  von  Compibgne  Otia  de  Mackomete.  91 

«NuIIus  de  servis  domine  sie  omnia  novit, 

«Nullus  in  tantum  commodus  esse  potest, 
,Et  nisi  servili  sub  conditione  teuerer,  225 

,,Nobilium  nulli  nuberet  utilius''. 
Talibus  auditis  ut  prudens  atque  modesta 

Responsum  tali  temperat  illa  modo: 
«Consiliuro,  quod  das,  nee  prorsus  dico  probanduiu, 

,Nec  prorsus  dico,  quod  reprobare  velim.  230 

,Nani  quod  de  iuvenum  dixisti  nobilitate, 

,üt  patet  in  factis,  nemo  negare  potest. 
,Yix  etenim  videas  cum  nobilitate  iuventam, 

„Quin  sit  contemptrix,  prodiga,  vana,  loquax. 
«Sic  etiam  constat,  te  vera  fuisse  locutum,  235 

«Quod  senis  et  iuvenis  copula  non  deceat, 
«Et  bene  monstrasti  disconvenientia,  quare 

«Jungi  non  debeant:  id  placet  idque  probo. 
«Sed  quod  me  dicis  tibi  nubere,  convenienter 

«Nulla  mihi  ratio  persu  ädere  potest.  240 

«Si  domine  servus  iungatur,  nemo  tacebit: 

«Ridendi  causas  omnibus  ipsa  dabo.  fol.  7 

«Clamabunt  omnes,  simul  omnes  improperabunt 

«Et  dicent  omnes,  femina  virque  simul: 
«Que  solet  esse  super,  nunc  subiacet,  et  dominari        245 

«Que  solet,  ancille  nunc  gerit  officium. 
.,Quod  magis  timeo,  quantum  magis  pudibundum, 

«Dicent  me  quondam  succubuisse  tibi. 
«Quod  si  vel  leviter  submurmuret  unus  ad  unum, 

«Id  quoque  si  sciero,  me  puto  malle  mori.  25ü 

«Est  etiam  procerum  mihi  copia,  qui  mihi  debent 

«Certis  temporibus  reddere  servicia, 
«Quos  pudeat  servire  mihi,  si  nupsero  servo. 

«Sic  bonos  et  nostre  sie  minuentur  opes. 
«Quin  etiam  servi  conservum  despicientes  255 

«Nee  tua  curabunt  nee  mea  iussa  sequi. 
«Sic  et,  quae  spondes  ex  te  mihi,  commoda  perdam, 

«Queque  putas  per  te  damna  cavere,  feram,*^ 


92  U,  PruU 

Cautus  ad  hoc  Machomes  aurem  patienter  habebat, 
260  Cordis  in  arcano  singula  verba  locans, 

Oreque  corapresso  modicum  silet,  ut  videatur 

Responsura  magni  ponderis  esse  suum. 
Inde  levans  oculos,  sed  et  oris  claustra  resolvens: 
^Crede  mihi,  dixit,  non  nisi  vera  loquar. 
265      ,,Si  libertati  me  te  donare  placebit, 

„Que  metuis,  poterunt  nulla  nocere  tibi. 
„Nobilis  aut  servus  tibi  vel  mihi  nemo  resistet, 

„Aut  timor  hos  subdet  aut  sociabit  amor, 
„Atque  tuam  nemo  presumet  ledere  famam. 
270  „Sic  benedicetur  nomen  ubique  tuum, 

,,Divitiae  crescent,  augmentabuntur  honores 

„Et  procerum  subito  maior  erit  numerus, 
„Multiplicabuntur  reditus,  augebitur  omne, 
„Quod  minus  esse  solet,  yillula,  vicus,  ager, 
275      „Et  quod  promitto,  si  non  erit,  excute  dentes 
„Aut  fodias  oculos  aut  mihi  tolle  capuf 
Tarn  magnis  igitur  promissis  illa  ligata, 

Si  proceres  laudent,  nubere  spondet  ei. 
Tunc  Machomes  gaudens  festinus  exit  ab  illa, 
280  Ad  proceres  abit,  munera  magna  parat. 

Hunc  trahit  in  partem,  secreto  postulat  illum, 
fol.  8  Hunc  sibi  promissis  allicit,  hunc  precibus: 

Aurum  proraitit,  argentum,  pallia,  vestes, 

Quicquid  amat  mundus,  quicquid  habere  potest. 
285      Rem  tarnen  occultat,  nisi  qui  firmaverit  ante, 
Quod  ferat  ex  toto  corde  iuvamen  ei. 
Postquam  per  partes  Machomes  sie  quemque  ligavit, 

Ut  nuUi  retro  cedere  iam  liceat, 
Consilio  prudens  omnes  conduxit  in  unum, 
290  Et  quo  res  tendat,  omnibus  innotuit, 

Scilicet  ut  liber  fiat  laudantibus  illis 

Et  per  eos  domine  possit  habere  thorum. 
Jamque  manumisso  sibi  reddere  non  gravet  illos, 
Antea  que  domino  debita  reddiderant, 


über  de8  Gautier  von  Compikgne  Otia  de  Machomete,  93 

0  cecum  Tirus,  quo  turget  iniqua  cupido,  295 

Quo  semel  imbutus  se  quoque  nescit  homo! 
Hos  ita  cecavit  nunimi  species,  rubor  auri, 

Quod  faciunt,  dominam  duceret  ille  suam. 
Cuius  erant  domini,  fiunt  ob  munera  servi, 

Libera  supponunt  colla  manusque  iugo.  300 

Ad  dominam  properant  et  quod  Machometis  ab  ore 

Audierant,  illi  persuadere  student. 
,Si  dominus  noster,  dicunt,  tuus  ille  maritus 

«Nobilis  et  sapiens,  non  moreretur  adhuc, 
«Non  tibi  ricinus  presumeret  uUus  obesse,  305 

«Externos  etiam  subderet  ille  tibi, 
,Omnia  curaret,  disponeret  omnia,  nulla 

„Morderet  mentem  soUicitudo  tuani. 
„Sed  quia  mortuus  est  et  te  sine  prole  reliquit 

yAtque  remanserunt  multa  gerenda  tibi,  310 

»Est  opus,  ut  nubas,  quia  non  potes  absque  marito 

,Pondera  curarum  femina  ferre  diu. 
«Sed  vivente  yiro  constat,  quod  casta  fuisti, 

«Post  obitum  cuius  hec  quoque  fama  man  et. 
,TJnde  timebamus,  ne  forte  tibi  statuisses  315 

«Sic  semper  vitam  ducere  velle  tuam. 
,Hac  igitur  causa  convenimus,  ut  verearis 

«Tot  vel  tantorum  spemere  consilium. 
«Nube  viro,  quia  si  de  te  non  venerit  heres, 

«Qui  teneat  terram  te  moriente  tuam,  320 

«Omnia,  qua  tua  sunt,  miserabiliter  rapientur 

«Particulamque  yolet  quisque  tenere  suani.  fol.  9 

«Immo  si  fuerit  quis  fortior,  omnia  tollet, 

«Si  quis  ei  contradixerit,  ense  cadet, 
«Et  nos  aut  penis  aut  morte  peribimus  omnes,  325 

«Si  non  ut  servi  subiiciemur  ei. 
«Que  mala  iure  tibi  vertentur  ad  impietatem, 

«Si  nos  contempnens  nubere  nolueris.'' 
Illa  refert:   «Etsi  non  nubere  proposuissem, 

«Propositum  pietas  vinceret  et  ratio,  330 


/ 


94  n.  Prutz 

„Sei  constat  mecum  me  nil  proponere  magnum, 

nQuod  non  ex  vestro  pendeat  arbitrio. 
„Ergo  personam  mihi  querite  convenientem, 
„Que  mihif  que  vobis  utilis  esse  queat. 
335      „Si  tarnen  ille  mihi  fuerit  minus  utilis,  opto 

„Consilium  vestrum  non  minus  omne  sequi.* 
Hoc  verbum  statim  rapuere  loquentis  ab  ore, 

Quod  procerum  placitum  spondeat  illa  sequi. 
Tunc  quidam  fortasse  senex,  cui  credere  dignum 
340  Monstrabat  gravitas  canaque  cesaries, 

Antiquos  annos  memorans  et  gesta  priorum, 
Alloquiis  dominam  talibus  aggreditur: 
Principio  nullus  servili  conditioni 

ffSubditus  est:  oninis  tunc  homo  über  erat. 
345      „Sed  quia  primus  homo  peccavit  transgrediendo, 
„Pene  peccati  subditur  omnis  homo. 
^Inde  recens  natus  si  vivat  nocte  vel  una, 

„Primi  peccati  sorde  nee  ille  caret, 
„Et  nisi  mundetur  sacri  baptismatis  unda, 
350  „Semper  ei  celi  ianua  clausa  manet. 

„Huc  quoque  mandati  transgresio  contulit  illa, 

„Quod  peccare,  mori  nemo  carere  potest. 
„Qui  nisi  peccasset,  potuisset  utroque  carere 
„Et  modo  sub  neutro  posteritas  gemeret. 
355      „Sed  sub  utroque  gemit  et  Cham  contraxit  ab  illo, 
„Quod  legitur  .  .  .  non  tacuisse  patrem. 
„Sed  quia  fortasse  domine  non  venit  ad  aures, 

„Non  reor  indignum,  si  referatur  ei. 
„Cum  gen  US  humanum  Dens  ob  peccata  sub  undis 
360  „Delesset  solis  octo  superstitibus, 

„Obdormisse  Noe  legitur,  detecta  pudenda 
fol.  10  „Cuius  erant.    Videt  Cham  sine  veste  patrem. 

„Detulit  ad  fratres.    Fratres  doluere,  pudorem 
„Patris  texerunt.    Nota  fuere  patri. 
365      „Qui  contristatus  Cham  subposuit  maledicto 
„Et  servum  semper  fratribus  instituit. 


über  des  Gautier  van  Compihgne  Otia  de  Machomete.  95 

,Ex  hoc  cepit  homo  causas  homini  dominandi, 

,Ez  hoc  servile  sumpsit  habere  caput. 
,Sed  quia  peccavit  Cham  et  Chanaan  modo  servit, 

,Quod  sequitur,  Japhet,  Sem  quoque  über  erit.        370 
,Nam  si  quis  peccat,  peccati  seiTus  habetur, 

,Eque  Deo  natus  crimina  cuncta  fugit. 
«Non  peccando  Dei  iam  filius  es^se  docetur 

,Nec  servus  dici  iure  nee  esse  potest. 
„Hoc  Jesus  dicit  et  apostolus  ille  Johannes.    .  375 

^Uuic  evangelio  non  mihi  quero  iidem. 
«Hos  quoniam  constat  testes  non  posse  refelli, 

,Liber  erit  merito  quisquis  fidelis  homo. 
«Est  autem  domine  servorum  copia  multa, 

«Inter  quos  unus  omnibus  est  melior,  380 

,Qui  bonus  et  sapiens,  qui  strenuus  atque  fidelis, 

«Qui  validus  membris,  qui  specie  nitidus. 
^Digno  rex  posset  vel  princeps  quilibet  esse, 

,Si  non  ex  servis  eius  origo  foret". 
Tunc  velut  ignorans,  quod  de  Machomete  loquantur,      385 

Callida  responsum  dissimulando  dedit. 
„Quem  mihi  laudatis,  ignoro,  sed  exhibeatur 

,Et  fiat  über:  sim  sua  sitque  mens'' 
Presentant  proceres  Machometem.    Suscipit  illa. 

De  servo  liber  protinus  efficitur.  390 

Tractatur  de  coniugio,  consentit  uterque 

Et  modico  lapso  tempore  conveniunt. 
Grandia  prandia,  fercula,  vasa,  ministros^) 

,^)  cytharas,  cimbala,  sistra,  liras, 

Pallia,  cortinaa,  aurum,  lapides  preciosos,  395 

Omamenta  domus  quis  numerare  potest? 
Auceps,  venator  non  deficit:  ardea,  cignus, 

Grux,  pavo,  mergus  adest,  ursus,  aper,  caprea. 
FestiTos  egere  dies,  dum  festa  fuere. 

Sed  dolor  infestat  festa  repente  gravis.  400 

M  Unvollständiger  Vers. 
')  Unleserlich. 


96  Ä  Pruii 

Nam  Machomes  morbo,  qui  dicitur  esse  caducus, 
fol.  11  Arreptus  domine  corruit  ante  pedes. 

Membra  voluptat  humi,  decurrunt  ore  salive: 
Jam  quasi  defunctum  flet  domus  et  domina 
405      Peneque  deficiens,  immo  confecta  dolore, 

Quod  spes,  que  fuerat  de  Machomete,  perit. 
Ad  thalamum  properat  et  claudens  ostia  post  se, 

Ut  dare  solamen  nemo  yaleret  ei, 
Ingeminat  luctus,  yestes  a  pectore  scindit, 
410  Abrumpit  crines,  unguibus  ora  secat. 

Interea  Macbomes  animo  äatuque  resumpto 

Tristicie  causas  querit  et  audit  eas 

Et  doroinam  querit:  thalamos  intrare  docetur. 

Precipit,  ut  veniat:  hostia  clausa  vetant. 

415      Tunc  per  se  Machomes  accedit  et  ostia  pulsat, 

Que  pulsata  diu  vix  reserantur  ei. 

Ingressus  dominam  solari  temptat,  at  illa 

NuUum  solamen  ex  ratione  capit. 
Blandiri  Machomes  domine  molitur,  at  illa 
420  Pro  blandimentis  evomit  opprobria. 

Commendat  Machomes  illius  nobilitatem: 

Uli  de  servis  exprobrat  illa  genus. 
At  Machomes,  quamquam  sibi  sit  patiencia  falsa, 
Parte  tarnen  domine  sustinet  opprobria, 
425      Scilicet  ut  longo  tandem  saciata  furore, 
Vel  sie  suscipiat,  que  rationis  erunt. 
Res  ita  provenit:  domine  deferbuit  ira, 

Unde  fit  in  Machomem  iam  minus  ipsa  gravis. 
Letatur  Machomes:  supplex  accedit  ad  illam 
430  Atque  salutantem  taliter  alloquitur. 

„Si  servum  velles  audire  tuum  pacienter  — 

„Nam  Machomes  domine  non  nisi  servus  erit 
„Si  velles,  inquit,  mihi  credere,  protinus  oranis 
„Ira  dolorque  tuo  cederet  ex  animo/ 
435      „Sic,  inquit,  patiar,  tantum  si  vera  loquaris, 
„Si  me  non  temptes  fallere  more  tuo.*" 


über  des  Gautier  von  Compihgne  Otia  de  Maehomete.  97 

Respondit:  «Nisi  vera  loquar,  si  fallere  queram, 

^Linguam  fallacem  gutture  yelle  suo.'' 
Post  posite  prebens  assensum  conditioni 

Annuit  ore,  manu.    Protinus  ille  refert:  440 

,Quod  me  spexisti  nuper  tormenta  tulisse, 

«NuUa  fuit  morbi  passio,  crede  mihi.  fol.  12 

,De  celo  virtus  in  me  descendit  et  illam 

^Immensam  fragilis  ferre  nequivit  homo. 
«Propterea  cecidi  spumans  et  membra  yoluptans,         445 

»Non  quia  passio  me  leserat  uUa  mali. 
«Sed  nunc  mandatis  prebe  celestibus  aurem, 

«Que  mihi  de  celo  nuncius  explicuit. 
,Sicut  enim  Gabriel  archangelus  ille  Marie 

^Adventus  Christi  nuncius  ante  fuit,  450 

«Sic  Ventura  Deus  reserat  mihi  nunc  per  eundem 

,Et  pietate  prius  et  pietate  modo. 
»Naturalis  enim  primos  transgressio  legis 

,Infecit  patres  et  genus  omne  suum. 
,Postea  scripta  Dei  digito  Moysi  data  lex  est,  455 

»Quam  mandante  Deo  detulit  ad  populum. 
,Promisit  populus  domini  se  iussa  teuere, 

«Sed  cito  desiluit  transgrediendo  viam. 
,His  igitur  causis  moriendi  lege  tenemur, 

«Exilium  patimur  tartareasque  cruces.  460 

sSed  Deus  has  hominum  penas  miserando  recepit 

«Naturam  nostram  virgine  matre  satus, 
,In  cunis  positus  intra  presepe  locatus, 

,Contectus  pannis  vilibus  et  modicis, 
.Esuriens  panis,  siciens  fons,  dives  egenus,  4G5 

»Preter  peccatum  cuncta  gerens  hominis, 
„Ex  infante  puer,  set  ex  puero  iuvenescens, 

»Denique  vir  factus  discipulos  habuit. 
«Vitandum  vitium,  virtutem  dixit  amandam, 

«Respuit  erectos  suscipiens  humiles.  470 

,Coniugio  docuit  preferri  virginitatem, 

,De  qua  preceptum  non  tarnen  ipse  dedit 

19Q3.  Sitzgsb.  d.  phfloa.-pb{Io1.  n.  d.  bist.  Kl.  7 


98  K  Pruie 

„Goniugium  castum  mandavit,  ut  unus  cum  una 
.GoDsociarentur  federe  legitimo. 
475      „Nam  reliquo  quocunque  modo  se  quisque  fedaret, 
„Turpis  eum  dixit  criminis  esse  reum. 
,  Omnibus  impendi  sincerum  iussit  amorem, 

^Omnibus  ut  cupiat,  quod  sibi  quisque  cupit. 
„Hunc  circoncidi  carnem  vetuit  genitalem, 
480  „Usque  modo  dicens:  Ista  figura  fuit. 

„Re  presente  figura  yacet:  baptismatis  unda 
fol.  13  lyTsti  succedat:  hec  stet  et  iila  cadat. 

»Agnus,  Ovis,  vitulus  et  cetera  signa  recedant: 
9  Quo  sol  resplendet,  non  habet  umbra  locum. 
485      ^Jam  Phariseorum  procul  absint  tradiciones. 
»Lex  vetus  impletur  lege  vigente  nova 
»Talia  dum  mandat,  constant  homo  et  Deus  idem, 

»Servit  Judeus  et  Phariseus  ad  hec: 
»Insidiantur  ei,  verborum  retia  tendunt, 
490  „Se  verbo  verbum  fallere  posse  putant. 

»Quod  quia  non  possunt,  intendunt  crimina  falsa: 

»Sed  nisi  cum  voluit,  fraus  nihil  illa  fuit. 
»Nam  contra  Dominum  non  est  sapiencia,  non  est 
»Consilium,  virtus,  sermo  vel  ingenium. 
495      »Ergo  cum  voluit,  tentus  fuit,  aspera  lenis 

»Sustinuit,  clavos,  verbera,  probra,  crucem. 
»In  cruce  defunctus,  terre  mandatus  adivit 
»Tartara,  confregit,  cum  spoliis  rediit, 
»Discipulis  Visus  est  quadraginta  diebus, 
500  »Thome  palpandum  prebuit  ipse  latus 

»Corporeumque  cibum  sumpsit  cernentibus  illis, 

»Ut  monstraretur  vivere  vera  caro. 
ȟenique  iussit  eos  totum  transire  per  orbera 
»Et  veram  populis  insinuare  fidem, 
505      »Ut  credant,  ut  agant,  ut  sacro  fönte  laventur 
»Et  salvi  fiant:  sin  alias,  pereant. 
»Uis  dictis  benedicit  eis  celoque  receptus 
»Promissoque  patris  munere  firmat  eos. 


über  des  Gautier  von  Compiegne  Otia  de  Machomete,  99 

,  Spiritus  inter  eos  in  unguis  venit  et  igni, 

«Ut  per  verba  fluant,  quos  sacer  urit  amor.  510 

«Ergo  muniti  Unguis  et  amore  calentes 

„Securi  Christi  nomen  ubique  ferunt. 
,ünde  flagella,  cruces,  ignes,  gladios  paciuntur, 

,Sed  penis  illos  yincere  nemo  potest, 
«Quin  sibi  magnarum  yirtutum  munere  reges  515 

9  Et  populos  Christi  supposuere  iugo. 
,0  nova  res!   Morum  mutatio  tanta  fiebat, 

«üt  qui  maior  erat,  gaudeat  esse  minor, 
,Qui  fuerat  quondam  nutritus  deliciose, 

«Cum  modico  modicam  pane  requirit  aquam,  520 

«Qui  prius  ornari  preciosa  veste  solebat, 

«Nunc  vili  sacco  rigida  membra  tegit.  fol.  14 

«Hie  cibus,  hie  vestis,  ita  strinxerat  ille  pudenda, 

«Quod  vix  inter  eos  quis  nisi  castus  erat. 
«Virginis  hec  Votum  sibi  fecerat,  ille  maritus  525 

«Servabat  facti  federa  coniugii. 
«Tantam  cbristicole  tenuerunt  religionem, 

«Dum  data  lex  noviter,  dum  novus  ordo  fuit. 
«Sed  quod  habere  solet  noviter  novus  ordo  statutus, 

«Ut  primo  vigeat,  inde  tependo  ruat:  530 

«Sic  quoque  religio  decrevit  christicolarum, 

«Ut  que  summa  fuit,  postea  corruerit. 
«Invidie  surgunt,  sibi  quisque  requirit  honorem 

«Et  f rater  fratrem  ledere  non  metuit. 
«Ebrius  efficitur,  qui  sobrius  esse  solebat,  535 

«Et  parcus  venter  solvitur  ingluvie. 
«Fedantur  mentes  et  corpora  commaculantur, 

«Virgo  ruit  vicio,  castus  adulterio, 
,Nemo  fidem  Christo  nee  fidum  servat  amorem, 

«Nemo  castum  se,  ruit  omnis  homo,^)  540 

«Et  quem  iam  Christus  cruce,  sanguine,  morte  redemit, 

«Ut  redimat  rursus,  non  morietur  item. 

^)  So  im  Ms. 


100  m  Prutz 

,Sed  tarnen  ex  ipsa,  qua  preditus  est,  pietate 
,,Gonsilium  statuit,  ne  penitus  pereant. 
545      «Legis  onus  minuet,  tollet  baptLsma  decemque 
»Uxores  unus  dulcere  vir  poterit. 
,,Scibere  mandavit  Deus  hoc  me  per  Gabrielem, 

,  Cetera  iussurus  tempore  queque  suo. 
„His  mihi  de  causis  Gabriele  superveniente, 
550  «Sicut  vidistif  concido,  spumo,  tremo. 

,,Qui  simul  abscedit,  ego  mox  virtute  resumpta 

,,Gratulor  archani  conscius  angelici. 
«Tu  quoque  congaude,  quia  femina  sola  mereris 
„Divinum  mecum  noscere  consilium.* 
555      His  Machomes  dominam  se  decepisse  putabat, 
Ut  quicquid  dicat,  credere  non  dubitet. 
Sed  nihil  illa  putans  verbis  fallacius  istis 

Conviciis  illum  talibus  aggreditur: 
«Mendax,  plene  dolo,  te  sustinui  pacienter, 
560  „Expectando  diu  te  mihi  vera  loqui. 

„Sed  quia  nunc  video  non  nisi  falsa  locutum 
fol.  15  „Contra  promissum,  quo  mihi  vinctus  eras, 

„Me  vix  abstineo,  quin  excutiam  tibi  dentes, 
„Quin  oculos  fodiam,  quin  caput  ense  cadat.' 
5G5     liespondit  Machomes:  „üt  credas,  profero  testem, 
„De  cuius  dictis  sit  dubitare  nefas. 
„Nos  omnes  scimus,  quod  in  certo  monte  propinquo 

„Est  quidam  magni  nominis  et  meriti, 
„A  quo  si  quisquaro,  que  sunt  Ventura,  requirat, 
570  „Quicquid  respondit,  indubitanter  erit. 

„Non  prece,  non  precio  nuUove  timore  moveri 

„A  vero  poterit:  firma  columpna  manet. 
„Hie  tibi,  que  dixi,  si  denegat,  omnia  membra 
„Per  minimas  partes,  annuo,  tolle  mihi.* 
575      Illa  rapit  verbum,  sanctum  commendat  et:  „Illum 
„Cras,  inquit,  dicta  conditione  petam." 
Laudat  et  hoc  Machomes  et  eum  de  nocte  requireus 
Cuucta  refert  et  post  talia  comniemorat: 


über  des  Gauiier  von  Compihgne  Otia  de  Maehomete.         101 

,Praeteriere,  puto,  iam  tres  aut  quatuor  anni, 

«Ex  quo  sancta  domus  hec  mihi  nota  fuit.  580 

,Tunc  mihi  dizisti,  quod  me  faciente  peribunt 

9 Lex  nova,  sacra  fides,  coniugium,  lavacrum. 
gHis  adiunzisti  quam  plurima  more  prophete, 

vAntequam  veniant,  notificata  tibi, 
,Et  si  previdit  per  me  Deus  ista  fiitura,  585 

,üt  predizisti,  res  ita  perveniet. 
,Sic  igitur  Christi  destructa  lege  fideque 

9  In  baratri  penas  corruet  omnis  homo. 
,Nam  nisi  quis  fuerit  baptismi  fönte  renatus, 

,Ad  Christi  regnum  nuUum  habebit  iter.  590 

„Attamen  hec  aliter  fieri  fortasse  valerent, 

«Si  nostris  velles  credere  consiliis: 
«Christicolis  aliis  destructis,  tu  superesses 

«Et  templum  tecum  discipulique  tui 
«Et  miserante  Deo  modico  de  semine  posset  595 

«Christicolarum  surgere  magna  seges/ 
Sanctus  ad  hec:  «Jura  te  non  evertere  templum 

«Quodque  mihi  parcas  discipulisque  meis, 
«Et  faciam  quecunque  Yoles,  tantummodo  non  sint 

«Adversus  Domini  iussa  sacramque  fidem/  600 

Et  Machomes:  «Christo  contraria  multa  videntur, 

«Que  dispensantur,  sepe  licet  fieri.  *^  fol.  16 

Sanctus  ait:  «Sic  est.  Die,  quod  placet:  impleo.  Tantum 

«Servetur  semen  christicole  populi.^ 
Juravit  Machomes  et  subdidit:  «Est  mihi  coniunz       605 

Ezcellens  forma,  divitiis,  genere. 
Qua  nubente  mihi  venerunt  prospera  cuncta, 

Sed  cito  turbavit  gaudia  nostra  dolor. 
Improvisus  enim  morbus  mihi  contigit  et  nie 

Seminecem  stravit  ante  pedes  domine.  610 

lila  repentino  casu  turbata  simulque 

Tota  domus  flentes  unguibus  ora  secant. 
«Sic  iacui  similis  defuncto  pene  per  horam 

«Et  rursus  sumpto  flamine  convalui, 


102  H,  PrutB 

615      „Et  satagens  mestos  solari  dissumulabam, 
«Affirmans  passum  me  nihil  esse  mali, 
,Sed  secreta  Deus  mittit  mihi  per  Gabrielem, 

«Guius  virtutem  ferre  nequiret  homo. 
„His  iUa  non  dante  fidem,  te  nomino  testem: 
620  «Laudat  et  idcirco  cras  tua  tecta  petet. 

„Hec  tibi  confiteor,  hec  antea  dicere  veni 

i^Quam  veniat,  ne  tu  dicta  negare  queas. 
„Hec  et  in  occulto  teneas,  cum  venerit  illa, 
„Que  si  testaris,  tuque  tuique  vivent, 
625      „Et,  quod  iam  dixi,  sie  christicole  perimentur, 
„Ut  iam  non  valeat  surgere  vestra  fides.* 
Tunc  sanctus  Christi  plus  quam  sua  commoda  pensans 

Dicere  promittit,  que  Machomes  monuit. 
Regrediens  Machomes  aurore  prevenit  ortum, 
630  Ne  quis  eum  videat  et  referat  domine. 

Jamque  die  facto  montem  petit  illa  prophete, 

Nescia,  quod  Machomes  nocte  fuisset  ibi. 
Omnia  narrat  ei.    Querit,  cur  veniat.    lUe 
Que  fuerat  doctus  a  Machomete  refert. 
685      Illa  redit  gaudens  tanto  nupsisse  marito, 
Qui  mundi  mutat  iura  iubente  Deo. 
Jam  yeniam  poscit,  iam  se  peccasse  fratetur, 

Quod  iussis  eius  improba  restiterit. 
Jam  veneratur  eum,  iam  prorsus  subditur  eius 
640  Imperiis,  cum  se  non  reputet  dominam. 

Letatur  Machomes  ita  se  vicisse  prophetam, 
fol.  17  Ut  per  eum  dominam  sie  sibi  subdiderit, 

Et  dixit  „Nosti,  tibi  me  non  falsa  locutum, 
„Certam  me  fecit  ille  futura  videns. 
645      „Nunc  igitur  quid  agas  te  doctam  convenit  esse, 
„Quando  superveniet  angelus  ille  mihi. 
„Sicut  iam  dixi,  virtutem  ferre  nequibo, 

^Sed  tremulus,  spumans  protinus  ipse  cadam. 
„Tu  vero  statim  me  veste  tegas  preciosa, 
650  „Donec  item  redeat  angelus  ad  superos. 


über  des  Gautier  von  Compihgne  OUa  de  Machomete,         103 

,Si  quis  enim  yideat  me  talem,  nescius  alti 

«Consilii  morbo  me  cecidisse  putet/ 
lila  refert:  .Pro  posse  geram,  quecunque  iubebis. 

„Intendent  in  te  mens,  manus,  os,  oculi. 
,Gontrastare  tibi  presumet  nemo  meorum  655 

,Nam  tua  sunt  melius  quam  ea,  que  mea  sunt/ 
Hie  simulat  Machomes  vultum  solito  graviorem 

Et  velut  e  celo  venerit,  alta  sonat. 
Sic  risum  vitat  et  verba  moventia  risum, 

üt  stupeat,  quisquis  antea  nosset  eum.  660 

Sub  terra  Machomes  cameram  fieri  sibi  fecit, 

In  quam  preter  eum  nuUus  haberet  iter, 
Quam  Machomem  coniunx  ideo  fecisse  putabat, 

Ut  Domino  posset  vivere  liberius. 
Sed  yitulum  iuvenem  Machomes  absconderat  intus,      665 

Cuius  erat  potus  Bachus  et  esca  Ceres. 
Qui  sie  doctus  erat  studio  Machometis,  ut  eins 

Se  genibus  flexis  stemeret  ante  pedes. 
Et  persistebat  in  terra  sicut  adorans, 

Donec  surgendi  signa  daret  Machomes.  670 

Contigit,  ut  fierent  illinc  sollemnia  quedam, 

Atque  convenit  patria  tota  fere. 
Per  se  magnates,  per  se  plebs  et  muliebris 

A  maribus  sexus  dissociatus  erat. 
Femineus  sexus  in  yerbis  semper  habundat:  675 

Dixeris  archanum,  yix  reticere  potest. 
Sic  uxor  Machomis  conyentu  dixit  in  illo, 

Que  celanda  sibi  crediderat  Machomes. 
Namque  sui  dum  queque  yiri  laudes  memoraret, 

Omnibus  ipsa  suum  preposuit  Machomem,  680 

Dicens:   „In  yestris  quicquid  laudabile  constat, 

„Longe  precellit  in  Machomete  meo.  fol.  18 

„Quin  etiam  noya  si  qua  Dens  proponit  agenda, 

„Angelus  illa  meo  nunciat  ante  yiro, 
„Et  quia  coniugii  nos  castus  amor  facit  unum,  685 


104  H,  PrutM 


n 


,Nulla  putat  Machomes  non  retegenda  mihi. 
,Unde  fidem  mihi  facitis  secreta  tenere, 

«Que  vobis  dicam,  mira  futura  loquar/ 
AffirmaDt  omnes  se  nuUa  prodere  causa, 
690  Donec  eis  Maohomes  ipsave  precipiat. 

TuDc  quicquid  Machomes  secretum  dixerat  illi, 

Ipsa  revelat  eis  ordine  queque  suo. 
Omnes  mirantur,  omnes  hanc  esse  beatam 
Dicunt,  quod  tanto  sit  sociata  viro. 
696     Finito  festo  redeunt  ad  propria  quique 

Atque  domi  referunt  dicta  vel  acta  foris, 
Cumque  referretur  quorundam  plurima  virtus, 

Yirtutis  Machomis  mentio  maior  erat. 
Nee  tamen  uUus  adhuc  procerum  secreta  sciebat, 
700  Que  dominabus  erant  tradita  de  Machome. 

Que  licet  illarum  fidei  mandata  fuisent, 
Una  nocte  tamen  non  tacuere  viris, 
Scilicet  archanis  Machomem  celestibus  uti 
Et  Ventura  prius  noscere  quam  veniant, 
705     Quod  lex  a  Christo  data  dura  nimis  moderanda 
Per  Machomem  Domino  precipiente  foret, 
Multaque  preterea,  que  supra  diximus  atque 

Sunt  retegenda  suo  tempore  sive  loco. 
Mirantur  proceres  super  his  secumque  revolvunt, 
710  Quidnam  portenti  talia  significent. 

Hü  dubitant  fieri  tot  tantaque  per  Machometem, 

Hi  dubitare  putant  de  Machomete  nefas. 
Nam  dum  respiciunt  virtutes  anteriores, 

Coguntur  per  eas  his  quoque  ferre  fidem. 
715      Ne  vero  quisquam  remaneret  pendulus  ultra, 
De  se  dicturus  ille  vocatus  adest. 
Excipiens  illum  summo  conventus  honore 
Äuget  et  in  primo  dat  residere  loco. 
Tunc  Machomes  causam  conventus  querit  et  unus, 
720  Quem  commendabat  lingua,  genus,  probitas, 

Cignea  canicies  —  quis  enim  presumeret  alter 


über  des  GauHer  von  Comjpiegne  OHa  de  Machomete,         105 

Aut  scire  aut  tanto  reddere  verba  viro?  —  fol.  19 

Hie  igitur  talis  ac  tantus  supplice  voce, 

Vultu  demisso  sie  reverenter  ait: 
,0  patrie  custos,  o  spes  et  gloria  nostra!  725 

«Nos  omnes  servos  noveris  esse  tuos, 
,Nec  servos,  durum  qui  te  dominum  patiamur, 

«Sed  quos  more  patris  corripiendo  foves. 
.Propterea  quotiens  audivimus  grandia  de  te, 

,Quisque  velut  proprio  gaudet  honore  tuo.  730 

«Que  yero  de  te  miranda  modo  referuntur, 

„ExtoUunt  celi  nomen  ad  alta  tuum. 
,Nam  si  consiliis  celestibus  partieiparis 

«Et  Deus  arbitrio  tractat  agenda  tuo, 
„Angelus  aut  deus  es  humano  corpore  tectus:  735 

,Jam  tibi  diyinus  exhibeatur  honor, 
,Jam  tibi  donentur  thumiamata,  tura  crementur, 

,üt  te  pacatum  mundus  habere  queat.*^ 
Respondit  Machomes:  «Ne  me  iactare  viderer, 

«Propositum  fuerat  ista  silere  mihi.  740 

vSed  que  vult  fieri  per  me  divina  potestas, 

«Per  me  non  fieri  criminis  esse  reor. 
«Ergo  locus  certus  et  terminus  instituatur, 

,In  quo  conveniant  cum  populo  proccres, 
«üt  referamus  eis,  que  sit  divina  voluntas,  745 

«Qualiter  infirmis  parcere  provideat. 
yLonginquas  igitur  percurrat  epistola  partes 

„Nuncia  conventus  temporis  atque  loci/ 
Dictum  laudatur,  edictum  mittitur.    Omnes 

Tam  Machomis  nomen  quam  nova  fama  movet.      750 
Conventu  facto  Machomis  facundia  captat 

Aures  et  mentes  gestibus,  ore,  manu. 
Inde  satis  miror,  si  vel  fuit  unus  in  illis, 

Qui  Machomis  verbis  noUet  habere  ßdem. 
Dixit,  que  supra  iam  me  dixisse  recorder,^)  755 

^)  V,  455  ff. 


106  H,  Pruts 

Propter  quod  breviter  sunt  memoranda  mihi: 
Quod  Moyses  redeat  Christo  cedente  vetusque 

Ritus  agatur  item,  lege  cadente  nova; 
Quod  sacramentum  cesset  baptismatis  et  quod 
760  Circumcidendi  mos  iterum  redeat; 

Quod  licite  denas  uxores  ducere  posit 
fol.  20  Unus  et  una  decem  possit  habere  viros. 

Hec  postquam  dixit  Machomes  et  cetera,  que  se 
Dicere  dicebat  precipiente  Deo: 
765      „Ascendamus,  ait,  montem,  quem  cemitis  illic: 
9  Fortassis  nobis  celica  verba  sonant. 
,Sic  etenim  quondam  Moyses  de  monte  refertur 

„In  tabulis  legem  dante  tulisse  Deo.* 
Ilec  pretendebat  Machomes  verissima,  verum 
770  Sub  specie  veri  decipiebat  eos. 

Nam  prius  occulte  montem  conscenderat  ipsum. 

In  quo  mel  multum  lacque  recondiderat. 
Montis  enim  culmen  qua  nescio  foderat  arte, 
XJt  tecto  liquidum  quid  retinere  queat. 
775     Mel  igitur  Machomes  foyeae  commiserat  uni, 
Altera  lac  tenuit,  dum  Machomes  voluit. 
Sic  quoque  cespitibus  fovearum  texerat  ora, 

Ui  nuUus  fosse  posset  habere  notam. 
Preterea  taurus,  quem  me  meminisse  recordor, 
760  Cuius  erat  potus  Bachus  et  esca  Ceres/) 

Haud  procul  a  foveis  lactis  mellisque  latebat, 

Leges  confectas  a  Machomete  ferens. 
Huc  igitur  postquam  Machomes,  proceres  populusque 
Venerunt,  Machomes  quemque  silere  iubot. 
785      Quo  facto  quasi  consilium  domini  manifestat, 
Quid  de  mutandis  legibus  instituat. 
Sed  cum  nonnuUos  super  his  dubitare  yideret, 

Inimo  perpaucos  his  exhibere  fidem, 
Sic  ait:  „A  domino  devote  signa  petamus, 

»)  V.  661  ff. 


über  des  GattHer  txm  Compiegne  Otia  de  Machomete,         107 

Que  yaleant  servos  certificare  suos/  790 

Tirnc  genibus  fiezis  stementes  corpora  terre 

Ex  desiderio  cordis  ad  astra  volant, 
Cumque  rogata  diu  pietas  divina  fuisset, 

Surgens  surgendum  significat  Machomes. 
Post  hec  assumptis  secum  senioribus,  illuc  795 

Ducit  eos,  quo  mel  lacque  recondiderat. 
Erectis  igitur  oculis  manibusque  refertur 

Ad  dominum  tales  exhibuisse  preces: 
,0  pater  omnipotens,  qui  verbo  cuncta  creasti 

»Quique  creata  regis  cuncta,  manens  stabilis,         800 
9  Qui  de  te  genitum  fecisti  sumere  carnem, 

«Qui  mundo  yitam  mortuus  ipse  dedit,  fol.  21 

«Quique  noye  legis  per  eum  mandata  dedisti, 

,Que  si  quis  serret,  vivere  semper  habet! 
«Sed  quia  iam  senuit  mundus,  yix  illa  teuere  805 

«Quis  yalet,  unde  prope  iam  perit  omnis  homo. 
,Si  placet  ergo  tibi  legis  moUire  rigorem, 

,Quod  te  facturum  me  docuit  Gabriel, 
«Digneris  preter  solitum  mundo  dare  signum, 

„Per  quod  noscat  in  hac  te  sibi  parte  pium/        810 
Sic  prece  finita  Machomes  inquirere  cepit 

Nunc  hunc,  nunc  illum  dissimulando  locum, 
Post  tamquam  casu  fossas  diyertit  ad  illas, 

Mel  ubi  lacque  prius  ipse  recondiderat. 
Porro  cespitibus  nunc  hinc,  nunc  inde  remotis,  815 

Altera  fossarum  mel  dedit,  altera  lac. 
Quo  magis  indicio  pietas  diyina  placeret, 

Dulcia  mel  superat,  lacte  quid  altius  est? 
Attamen  ut  dubius  Machomes  probat  ore  saporem, 

Post  illum  gustant,  ordine  quisque  sua.  820 

Tunc  extoUentes  yoces  et  corda  manusque 

Grates  diyinis  laudibus  accumulant, 
Et  Machomes  lacrimis  ficta  pietate  profusis 

Atque  diu  tenso  pectore  sie  loquitur: 
,Ecce  yidetis,  ait,  quanta  dulcedine  mundus  825 


108  H.  PnUz 

„Et  mundi  leges  conditor  orbis  agat. 
„Melle  figuratur,  quod  legis  amara  recedant, 

„Laote,  quod  ut  genitos  nos  alet  ipse  sugs.*" 
His  dictis  rursus  ita  flesse  refertur,  ut  omnes 
830  Illius  ezemplum  moverit  ad  lacrimas. 

Tunc  ait:  „Oremus,  ut  sicut  montis  in  alto 
„Chnstum  discipulis  iura  dedisse  liquet 
„Et  sicut  legem  Moyses  in  monte  recepit, 
„Que  fertur  digito  scripta  fuisse  Dei, 
835      „Sic  quoque  nos  scripto  dignetur  certificare, 
„Qua  genus  humanuni  vivere  lege  velit/ 
Quo  facto  Machomes  tanto  clamore  replevit 

Aera,  quod  celos  contremuisse  putes. 
Tunc  taurus,  quem  nutrierat,  quod  iam  memoravi^ 
840  Qui  iuxta  gracili  fune  ligatus  erat, 

Exilit  ad  vocem  Machometis,  vincula  rumpit 
fol.  22  Et  domini  pedibus  stratus  adorat  eum. 

Hie  igitur  leges  cornu  gestabat  utroque 
Fictas  et  scriptas  arte  manu  Machomis. 
845      Quo  viso  Machomes  cepit  simulare  stuporem, 
Acsi  non  alio  tempore  nosset  eum. 
Tunc  propius  plebs  et  proceres  accedere  iussi 

SoUerte  yitulum  scriptaque  perspiciunt. 
Inveniunt  illic  ea,  que  confixerat  ille 
850  Astutus  Machomes  mente,  dolo,  manibus, 

Ut  sacramentum  baptismi  destituatur, 
Circunicidendi  lege  levante  caput, 
Ut  Christi  carnis  et  sanguinis  occidat  usus 
Et  redeant  aries,  hircus,  ovis,  vitulus, 
855      Ut  ducat  denas  uxores  masculus  unus, 
Ut  pereant  casti  federa  coniugii. 
Plurima^^preterea  Machomes  scripsisse  refertur, 
Que  mihi  certa  minus*duco  tacenda  magis, 
Multaque  multociens^non  est  replicare  necesse, 
8G0  Que  scio  sepe  suis  me  meminisse  locis. 

Verum  quis  poterit  exponere  suf&cienter, 


über  des  Oautier  von  Gompügne  OHa  de  Machomete.         109 

Quas  laudes  dederint  plebs  proceresque  DeoP 
Virtutes  etiam  Machometis  ad  astra  leyabanty 

Quod  sibi  par  hominum  nuUus  in  orbe  foret, 
Et  satis  atque  super  tauri  mirando  decorem,  8G5 

De  celo  missum  quisque  putabat  eum. 
Hinc  quae  detulerat  legis  mandata  probantes 

Obsequium  spondent  nutibus  ore,  manu. 
Exactis  igitur  solenniter  octo  diebus 

Letus  et  admirans  ad  sua  quisque  redit.  870 

Taurus  cum  solo  solus  Machomete  remansit, 

At  Macbomes  illum  clausit,  ut  ante  iuit, 
Et  pascebat  eum,  dum  yixit,  ut  ante  solebat, 

Se  tarnen  ezeepto  nemo  videbat  eum, 
Cumque  rogaretur  Macbomes,  quo  taurus  abisset,         875 

Per  quem  de  celo  lex  nova  missa  foret, 
Ad  superos  illum  Macbomes  dicebat  abisse, 

Unde  petisse  prius  una  docebat  eum. 
Credebant  quicquid  Machometis  ab  ore  sonabat, 

Ac  si  celestis  numinis  ille  foret.  880 

Credebant  igitur,  quia  taurus  ad  astra  regressus 

Yirtutum  numero  consociatus  erat.  fol.  23 

Credebant  Machomem  terris  ideo  superesse, 

üt  presit  mundo,  cum  Deus  astra  regat. 

His  ita  transactis  modico  post  tempore,  cum  iam        885 

Gens  sua  tuta  satis  sub  Machomete  foret, 
Insurrexerunt  in  eos  gens  effera  Perse, 

Omnia  vastantes  igne,  fame,  gladio. 
Namque  querebantur  Idumeos  fraude  teuere 

Juris  Persarum  predia,  castra,  domos,  890 

Que  nisi  restituant,  possessa  minantur  eorum 

Subiicienda  modis  omnibus  exicio. 
Talibus  auditis  turbatur  gens  Idumea, 

Et  contra  Persas  bella  movere  parant. 
Attamen  inter  eos  qui  consilio  meliores  895 

Esse  videbantur,  corde  vel  ore  graves, 


fol.  24 


110  H.  PnUz 

Ante  requireadum  persuadent  a  Machomete, 

Quam  contra  Persas  tale  quid  suscipiant. 
Qui  respondit  eos  non  posse  resistere  Persis, 
900  Cedendum  potius,  quod  sibi  iure  petunt. 

Tunc  quidam  iuvenes  ingenti  corde,  lacertis 

Foiiibus,  instructi  spicula  dirigere, 
Muniri  clipeis,  etiam  fugiendo  sagittis 

Hostes  Partorum  more  ferire  suos, 
905     Sic  aiunt  Macbomi:  ,Si  sie  dimittimus  ista, 

„Que  repetunt  Perse,  tollere  cuncta  valent. 
„Nam  velut  infirmos  nos  et  pavidos  reputantes 

„A  modicis  tendent  ad  potiora  man  um, 
,,Nostraque  libertas  periet:  sie  nostra  manebunt 
910  «Kegis  Persarum  subdita  coUa  iugo. 

„Sed  Deus  avertat,  ut  vi  vi  sie  pereamus 

„Et  nostre  gentis  vivat  ad  opprobrium. 
«Nam  cur  portamus  pharetras?    Cur  tela  tenemus? 

»Cur  clipeis  tegimur?   Spicula  cur  gerimus, 
915      „Si  sie  uxores,  si  sie  sine  sanguine  terras, 

,,Si  sie  servitio  pignora  nostra  damus? 
,,Per  gladios  veniant!    Sit  eis  transire  per  hastas! 

„Mors  gentem  nostram  vincere  sola  potest. 
„Si  vinci  tarnen  est,  ubi  non  animus  superatur, 
920  „Sed  caro  sola  iacet,  dum  caput  ense  cadit.** 

Omnes  collaudant  dictum  Machomemque  precantur, 

üt  contra  Persas  dux  sit  et  auctor  eis. 
Opponit  Machomes  etatis  tempora  longa, 

Vires  consuraptas  corpore  iam  vetulo: 
925      Se  bello  modicum  vel  nuUum  ferre  iuvamen 

Quin  magis  ut  senior  ipse  iuvandus  erit. 
Preterea  celi  dicebat  abesse  favorem, 

Quo  sine  nil  vires,  nil  valet  ars  hominum. 
Ilas  propter  causas  dixit  se  bella  cavere, 
930  Ne,  quibus  esse  velit  utilis,  bis  noceat. 

Ad  quod  dum  victi  tamquam  ratione  silerent, 

Sic  Machomi  quendam  verba  dedisse  ferunt: 


L'ber  des  Oautier  von  Compiegne  Otia  de  Machamete.         111 

,Quod  dominus  noster  Machomes  excusat  inire 

yPrelia,  ne  iuvenes  impediat  senior! 
«Dicimus  contra  iuvenum  minus  acta  valere,  935 

,Si  non  consilium  dirigit  iUa  senum. 
,Unum  necesse  reor,  ut  sis  quoque  corpore  presens, 

sUt  gens  nostra  tuum  currat  ad  arbitrium. 
^Preterea  scimus  te  tot  non  esse  dierum, 

«Quin  bene,  si  sit  opus,  arma  movere  queas.  940 

«Scimus  et  audacem,  melior  te  nemo  fuisse 

«Creditur:  hec  semper  fama  tui  maneat. 
^Quodque  negas  celum  nobis  ad  bella  movere, 

„Ut  culpam  nostri  criminis  esse  reor. 
,Sed  constat  quoniam,  Dens  est  summe  pietatis,  945 

«Parcens  peccanti,  si  bene  peniteat. 
,Sic  de  flente  Petro,  sie  de  latrone  beato, 

«Sic  de  Matheo  pagina  sancta  docet. 
«Hi  peccaverunt  graviter»  sed  poenituerunt, 

«ünde  Dei  pietas  cuncta  remisit  eis.  950 

«Sic  et  nos  culpas  nostras  punire  parati 

«Omnia  spondemus,  quae  facienda  doces: 
^Camem  torraentis  quantislibet  afßciemus 

«Extensis  sursum  mentibus  et  manibus. 
9  Sic  Niniyitarum  non  deprecamur  ad  instar,  955 

«Placanda  nobis  si  qua  sit  ira  Dei 
«Si  magis  hircorum,  taurorum  vel  vitulorum 

«Yictima  delectat,  sacrificemus  et  hec. 
«Quod  cum  fecerimus,  qua  te  ratione  retardes 

«A  servis  dominus,  a  genitis  genitor?  9G0 

«Si  placet,  uxores,  infantes,  tota  supellex 

«Sit  commissa  tibi!    Cum  pueris  sedeas:  fol.  25 

«Des  modo  consilium,  nos  prelia  sustineamus! 

«Nos  feriant  faostes,  nos  feriamus  eos! 
«Si  superemus  eos,  laus  sit  tua;  si  superemur,  9(>5 

«Stulticie  nostre  deputet  omnis  homo.'* 
Hoc  laudant  omnes:  Machomes  plorasse  refertur, 

Quod  sie  quisque  suum  tendit  ad  meritum. 


112  H.  PruiM 

Attamen  assensum  faciens,  se  spondet  iturum, 
970  Sicque  datur  pugne  terminus  atque  locus. 

Dicitur  hoc  Persis:  verum  nihilominus  ipsi 
Insistunt,  rapiunt,  excutiunt,  perimunt. 
Terminus  advenit:  locus  insinuatur.    Adesse 
Perse  non  metuunt.    Hostis  uterque  mit. 
975    Pugnant,  oppugnant  telis,  mucronibus,  hastis: 
Sed  socios  Macfaomis  bella  premunt  gravius. 
Porro  cernentes  Idumei  se  superari 

A  Persis  hello  viribus  et  numero, 
Dimittunt  Machomen  loculos  aurumque  ferentem, 
980  Que  natis  reddat  coniugibusque  suis, 

Ne  si  forte  patres  perimantur  sive  mariti, 
Paupertas  matres  opprimat  et  pueros. 
Dumque  sedit  Machomes,  quorundam  templa  deorum 
Temporis  antiqui  cemit  et  intrat  ea, 
985    In  quibus  argentum,  loculos  aurumque  reponens, 
Que  sibi  servanda  gens  sua  tradiderat, 
Exiit  accludens  et  signans  hostia  post  se 

Et  sie  ad  dominas  tendit  et  ad  pueros, 
Tendit  et  ad  reliquum  vulgus,  quod  inutile  hello 
990  Dimissum  fuerat  haud  procul  in  casulis. 

Eius  enim  gentis  mos  dicitur  iste  fuisse, 
Et  fortassis  adhuc  istud  idem  faciunt, 
üt  si  quando  procul  vadant  ad  bella  gerenda, 
Ducant  et  portent  mobile  quicquid  hahent. 
995    Ergo  dum  Machomes  et  vulgus  inutile  hello 
Stat  procul,  eventum  nosse  rei  cupiens, 
Astute  Machomes  cunctis  hlanditur,  ut  etas, 

Ut  genus,  ut  sensus  huius  et  huius  erant, 
üicens:  ,0  comites,  vestri  mihi  cura  relicta 
1000  „Et  iuyenum  pietas  debilitasque  senum, 

„Et  fragilis  sexus  monet  et  movet  intima  cordis, 
„Usibus  ut  vestris  commoda  provideam. 
fol.  26  „Scitis,  quod  nostris  ad  bellum  volentibus  ire 

„Adversus  Persas,  ut  facerent,  vetui. 


über  des  GatUier  von  Compiegne  Otia  de  Machomete.  113 

„Quod  non  fecissem,  ai  noo  divimtus  illud  1005 

gPrescisseiQ  vetitum  preeipiente  Deo, 
,Et  quaniam  Yetitum  divinum  preterierunt» 

«Omnes,  ut  tinyso,  destruet  ira  Pei. 
,Sed  Yoa  insontes  quid  peoe  promenüstisy 

^Infans^  mater,  aau9,  TÜrga,  p«eUa,  seaez?  1010 

,Ergo  Deus  Yobis  paroat  Yestreque  puelle 

,Et  pueri  talami  federe  conYeQiant 
»Taliter,  ut  dena3  sibi  oopulet  unus  et  una, 

,Si  libeat,  denos  eopulet  ipsa  sibi. 
,Nec  tarnen  iUe  Deo  mandante  putetur  adulter»         1015 

,Nec  putetur  ob  hoo  criminis  iU%  rea. 
gCultor  euim  terre  si  multos  seminat  agros^ 

^Messibus  e  xaultis  horrea  multa  repjet» 
,Sic  et  ager  quoniam  multis  Yersatur  aratris, 

«Si  fuerat  sterilis,  fertilia  effioitur.  1020 

«Sic  geminet  multos  multis  e  matribus  ille, 

«lila  Yel  ex  uuo  semioe  eouoipiet. 
,Xam  si  de  tot  erit  natura  £rigidus  unus, 

«Alter  erit  calidus  et  sobolem  faeiet, 
ffSicque  Yolente  Deo  sine  fructu  nuUa  manebit  1095 

«Nee  sterilis  metuet  arboris  ulla  ix)gum/ 
Dum  sie  sermonem  Machomes  pretendit  ad  omnes, 

Nuncius  unus  adest  solua  et  ipse  malus: 
Omnibus  oooisis  se  olamat  ab  hostibus  unum 

Esse  resenratum  tanta  referre  mala,  1030 

Exoritur  luctus,  damor  tentoria  replet. 

Plorant,  ad  celos  tollitur  usque  sonus. 
Vir,  matrona  sonat,  pater,  infana,  sponsa,  marite, 

Flet  genitor  genitum,  aervula  flet  dominum. 
Tunc  Machomes  inquit:  «Deua  hoc  preYiderat  esse:      1035 

Non  aliter  decuit!   Pareite  iam  laorimis! 
qQuin  magis  oremus  omnes  domini  pietatem, 

«IJt  nos  et  nostros  cunctaque  nostra  regat, 
«Et  quibus  abstraxit  solacia  tanta  virorum« 

«Vobis  Yel  loeulos  reddere  sustineat«*  ^040 

t^  Sftzgsb.  d.  pbfloc-philol.  n.  d.  hist.  Kl.  B 


114  H.  Pruie 

His  dictis  precedit  eos  ad  templa  deorum, 
fol.  27  In  quibus  ipse  prius  abdiderat  loculos. 

Tunc  velut  ignorans  girabat,  denique  tamquam 
Munere  divino  repperit  introitum. 
1045    Ingrediens  reperit  loculos,  et  signa  quibusque 
In  loculis  monstrant,  singula  cuius  erant. 
Femina  queque  sui  cognoscit  signa  mariti 
Et  recipit,  iuris  quod  potest  esse  sui. 
Inde  maritantur  iuxta  legem  Machometis 
1050  Et  vivunt  omnes  eius  ad  arbitrium. 

Plurima  pax  illis  viguit  Machomete  vigente, 

Pacatis  cunctis  faostibus  arte  sua. 
Unde  deum  Machomem  putabant  atque  per  illas 
Partes  illius  nomen  erat  celebre. 

1055    Transactis  igitur  in  tanta  pace  diebus, 

Qui  spacium  yite  Machomis  extiterant, 
Mortuus  est  Machomes  et  premia  digna  recepit 

Infemi  penas,  ut  tenet  alma  fides. 
At  sua  gens  credens,  quod  Spiritus  eius  ad  astra 
1060  Transisset,  metuit  subdere  corpus  humo. 

Instituens  igitur  operis  mirabilis  archam, 
Intus  eum  posuit  melius  quam  potuit. 
Nam  sicut  fertur,  ita  vas  pendere  videtur, 

Inter  quod  Machomis  merabra  sepulta  iacent, 
1065    Ut  sine  supposito  videatur  in  aere  pendens, 
Sed  nee  idem  rapiat  uUa  cathena  super. 
Ergo  si  queras  ab  eis,  qua  non  cadat  arte, 

Fallentis  Machomis  viribus  hoc  reputant. 
Sed  vas  revera  circumdatur  undique  feri'O 
1070  Quadrateque  domus  sistitur  in  medio 

Et  lapis  et  adamas  per  partes  quatuor  edis 

Mensura  distans  inde  vel  inde  pari, 
Qui  vi  nature  feretrum  sibi  sie  trahit  eque, 
XJt  vas  ex  nuUa  cadere  parte  queat. 
1075    Sic  igitur  Machomem  divo  venerantur  honore 


über  des  GatUier  von  Compiegne  Otia  de  Machomete.  115 

Et  yenerabuntur,  dum  Deus  ista  sinat. 
Urbs,  ubi  dicuntur  Machometis  membra  sepulta, 

Non  sine  portento  Mecha  vocata  fiiit. 
Nam  Macbomes  immundicie  tocius  amator 

Mechiam  docuit,  mechus  et  ipse  fuit.  1080 

Sic  ob  preteritos  actus  vel  signa  futura 

Multis  imponi  nomina  sepe  solent.  fol.  28 

Sic  est  dicta  Babel,  quod  eam  qui  constituebant, 

Dum  per  eam  yellent  scandere  summa  poli, 
His  Deus  indignans  linguas  confundit  eorum,  1085 

Ut  linguam  nemo  nosceret  alterius. 
Sic  reor  Egiptus  tenebre  sonat  ob  tenebrata 

Et  ducis  et  populi  corda,  futura  docens. 
Plenius  hoc  dieit  Moyses:  ego  tedia  vito, 

Tu  Moysen,  si  vis  cetera  nosse,  lege.^)  1090 


1)  In  dem  Ms.  folgt,  als  ob  sie  noch  zu  dem  Gedichte  Gautiers 
gehörte,  diese  Reihe  von  Versen: 

Litera  nona  datur,  partim  si  prima  rimatar, 

Ostendit  numerum,  sapiens  quo  reperit  unum. 

Altera  virgineum  designat  nomine  fructum: 

Tot  fuerant  anni  per  tempora  pene  peracti, 

Ex  quo  conceptum  verhum  fuit  et  caro  factum,  1005 

Jerusalem  cum  capta  fuit  sub  preside  Christo. 

Idus  adhuc  Julii  renovantur  signa  triumphi, 

Post  bis  quingentos  et  centum  circiter  annos, 

£x  quo  virgineus  de  neumate  floruit  alvus: 

Anno  centeno  Julii  quinto  duodeno  1100 

Jerusalem  nostris  cesserunt  menia  Francis.  1101 


Inhalt. 


Seite 

Sitzung  der  phüosophisdh^üologischen  und  der  historieeken  Klasse 

vom  3,  Januar  1903         ....  1 

A.  Spengel:    Zur  Geschichte  des  Kaisers  Tiberius          ...  3 

Sitzung  der  phüosophischrphilologischen  und  der  historischen  Klasse 

vom  7.  Februar  1903         ....  64 

H.  Prutz:  Über  des  Gautier  von  Compiegne  «Otia  de  Machomete*  65 


Die  Abhandlungen  sind  auch  in  Separatabzügen  hergestellt  imd 
erscheinen  einzeln  unter  den  Publikationen  des  akademischen  Verlags 
in  Kommission  der  Franz'schen  Yerlagshandlung  (J.  Roth). 


Akademische  Bacbdruckerei  von  F.  BtrAub  in  HUnebeo. 


^^'^llk.liS'-io 


•  I 


1      - 

SitÄungsherichte 


der 


philosophisch- philologischen 

und  der 

historischen  Klasse 


der 


K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  Jid!üiichen. 


1903.    Heft  IL 


Mttnehen 

Verlag  der  E.  Akademie 
1903. 

In  KommiMiOD  dep  G.  Franz'scben  Verlage  (J.  Roth). 


^  - 


•  '/.''>^ 


■/ 


Sitzungsberichte 

der 

Königl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften, 


Sitzung  vom  7.  März  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Der  Klassensekretär  legt  vor  eine   Abhandlung  des  kor- 
respondierenden Mitgliedes  Dr.  E.  Schlagintweit  in  Zweibrücken : 

Die  Lebensbeschreibung  von  Padma  Sambhava 
dem  Begründer  des  Lamaismus.  IL  Teil.  Leben 
und  Wirken  in  Indien.    Aus  dem  Tibetischen  übersetzt. 

Dieselbe  wird  als  Fortsetzung  des  1899  veröflPentlichten 
I- Teils  in  den  Denkschriften  erscheinen. 

Herr  von  Bechmann  hält  einen  Vortrag: 

Das  geschichtliche  Verhältnis  der  condictio  fur- 
tiva  zu  den  Eigentumsklagen  des  römischen 
Rechtes. 

Der  Vortrag,  welcher  das  Verhältnis  sowohl  nach  der 
irozessualen  als  nach  der  materialen  Seite  sowie  in  chrono- 
•  gischer  Beziehung  erörterte  und  zur  Vergleichung  auch  die 
•^10  rerum  amotarum  heranzog,  ist  ein  Bruchstück  aus  umfassen- 
deren Studien  über  die  Geschichte  der  römischen  Eigentums- 
^en  und  zu  selbständiger  Veröffenthchung  nicht  bestimmt. 

^«tt.  Slticsb.  d.  phücc-philol.  a.  d.  hiat.  KI.  0 


118  Süeung  vom  7.  März  1903. 

Herr    von    Axira    hält    einen    fUr    die    Sitzungsbericht 
bestimmten  Vortrag: 

Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs 
Willehalm. 

In  verschiedenen  Pergamentblättern  zu  Heidelberg  um! 
München  werden  Überbleibsel  einer  zerstörten  Handschrift  vom 
Willehalm  des  Wolfram  von  Eschenbach  nachgewiesen,  dk 
genau  so  wie  die  grossen  Bilderhandschriften  des  Sachsen- 
spiegels den  Text  in  Parallelkolumnen  mit  einer  ununter- 
brochenen Reihe  kolorierter  Federzeichnungen,  etwa  1380  an 
der  Zahl,  begleitete.  Sie  wurde  um  1250  in  Ostmitteldeutsch- 
land gefertigt  und  stellt  sich  sonach  als  das  Mittelglied  zwischen 
den  Werken  der  älteren  Buchillustration  und  der  Illustration 
des  Sachsenspiegels  dar. 


Historische  Kla.8Be. 

Herr   von  Riezleä   hält   einen    für   die   Denkschriften  be- 
stimmten Vortrag: 

Kriegstagebücher  aus  dem   ligistischen   Haupt- 
quartier 1620. 

Herzog  Maximilian  I.  von  Bayern  betraute  seinen  Sekretär 
Mandl  während  des  österreichisch -böhmischen  Feldzugs  von 
1620  mit  der  Führung  eines  genauen  Tagebuchs.  Nach  Mandls 
Erkrankung  von  einem  oder  zweien  Beamten  des  Hauptquartiers 
fortgesetzt,  wurden  diese  Aufzeichnungen  die  Grundlage  des 
offiziellen  bayerischen  Berichtes  über  den  Feldzug,  der  unter 
dem  Titel:  Böhemisch  Journal  in  München  im  Druck  erschien. 
Es  verlohnt  sich  aber,  auch  die  Abweichungen  der  ursprüng- 
lichen Rezension  kennen  zu  lernen,  die,  unter  den  ersten  Ein- 
drücken im  Feldlager  selbst  entstanden,  noch  nicht  gleich  dem 
Journal  durch  politische  Rücksichten  beeinflusst  ist.  Ausser 
diesen  Varianten  gedenkt  der  Vortragende  drei  weitere,  bisher 
unbekannte  Tagebücher  aus  demselben  Feldzuge  und  dem  ligi- 


Sitzung  vom  7.  März  1903.  119 

stiscilen  Hauptquartier   zu   veröffentlichen    und    zu    erläutern, 
verfasst  von   Maximilians  Beichtvater  Buslidius,    seinem   Hof- 
prediger Drexel,   beide  S.  J.,   und   von   einem  Karmeliter    aus 
Siena,  Pietro  von  der  Muttergottes,  dem  Begleiter  des  bekannten 
R  Dominikus.     Der  Vortragende  hebt  einiges  hervor,  was  sich 
aus  diesen  neuen  Quellen   für  Maximilians  Charakterbild   und 
für  die   Rolle    des   P.  Dominikus    ergibt.     Weitere    Ausbeute 
bezieht  sich  auf  die  Stärke  des  ligistischen  Heeres  und  seines 
Trosses,  die   ausserordentliche   Sterblichkeit,    die   eine   Lager- 
seoche.  das  sogenannte   „ungarische  Fieber",  verursachte,    das 
&af  diesem  Feldzuge   zum   erstenmale   organisierte  Feldspital, 
las  Verpflegungswesen ,    endlich   die   Plünderungen ,    die   trotz 
Miiimilians    und    Tillys    strenger    Abwehr    auch    seitens    des 
ligbtiscben  Heeres  einen  grossen  Umfang  annahmen. 

Herr  von  Heiqel  macht  Mitteilungen  über: 

Handschriftliche  Memoiren  aus  dem  Nachlass 
des  bayerischen  Staatsrats  Oeorg  Ludwig 
von  Maurer. 

Die  eigenhändigen  Aufzeichnungen  zerfallen  in  drei  Teile, 
t^er  erste  bezieht  sich  auf  die  Geschichte  der  Bildung  der 
jnechischen  Regentschaft  im  Jahre  1832  und  die  Geschichte 
iiirer  Auflösung  im  Jahre  1834;  der  zweite  erzählt  von  Maurers 
N^üdung  nach  Griechenland,  1854  beabsichtigt,  1858  ausge- 
füllt zur  Feststellung  der  Thronfolge  des  Prinzen  Adalbert  von 
ßayern;  der  dritte  Teil  berichtet  über  das  Ende  der  bayerischen 
l^ynastie  in  Griechenland  1862  und  seine  Ursachen. 

Das  Manuskript  wird  später  der  Egl.  Hof-  und  Staats- 
»ikliothek  in  München  überlassen  werden.  Der  Vortrag  —  mit 
iöTxen  Auszügen  aus  den  Memoiren  —  wird  in  den  Sitzungs- 
^■^richten  erscheinen. 


9' 


121 


Wielands  „Pervonte". 

Von  Franz  Mancker. 

(Vorgetragen  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  7.  Februar  1903.) 

Unter  den  kleineren  Erzählungen  in  Versen,  die  Wieland 
ZOT  Zeit  seiner  vollen  künstlerischen  Reife  im  ersten  Jahrzehnt 
seines  Lebens  in  Weimar  verfasste,  nimmt  „Pervonte"  einen 
eigenartigen  Platz  ein.  Während  die  vorausgehenden  Dichtungen 
t-fils  morgenländischen  Märchen,  teils  mittelalterlichen  Ritter- 
geschichten der  französischen  Literatur  nachgebildet  sind,  wandte 
sich  Wieland  mit  , Pervonte*,  dem  unmittelbaren  Vorläufer  seines 
Meisterwerks,  des  ,Oberon*,  wieder  zur  italienischen  Poesie,  von 
Äer  er  schon  oft  fruchtbarste  Anregung  empfangen  hatte,  und 
trug  zugleich  hier  zum  ersten  und  einzigen  Male  während  seiner 
ganzen,  reichen  dichterischen  Tätigkeit  seinen  Lesern  ein  richtiges 
Volksmärchen  vor. 

Der  Stoff  seiner  neuen  Geschichte,  die  zuerst  unvollendet, 
^e  sie  im  März  und  zu  Anfang  Aprils  1778  entstanden  war,^) 
in  drei  aufeinander  folgenden  Heften  des  „Teutschen  Merkur" 
'"m  November  1778  bis  zum  Januar  1779  unter  der  Überschrift 
»Die  Wünsche  oder  Pervonte*  erschien,  stammte  aus  dem 
»Pentamerone"  des  Neapolitaners  Giambattista  Basile,  eines 
211  seiner  Zeit    nicht   unberühmten  Dichters    aus    dem  Kreise 


^)  Vgl.  Wielands  Briefe  an  Merck  vom  12.  April  und  vom  Oktober 
l'^Sund  vom  22.  Februar  1779  (Briefe  an  Johann  Heinrich  Merck,  heraus- 
^ben  von  Karl  Wagner,  Darmstadt  1835,  S.  U7  und  156;  Briefe  an 
^  TOD  Merck,  Darmatadt  1838,  S.  130). 


122  Frang  Muneker 

Marinis,    der  von  1608  an  bis  in  sein  Todesjahr  1632  allerlei 
lyrische  und  epische  Versuche  veröfiFentlichte,  meist  Gelegenheits- 
dichtungen   im   schlimmsten   Modegeschmack   voll  künstlicher 
Spielereien   und   Tüfteleien,   ohne  eigenartige  Bedeutung  oder 
künstlerischen  Wert,    die   längst  der  verdienten  Vergessenheit 
anheim   fielen.     Wirklich   lebendig   erhielten   sich   von  seinen 
literarischen  Erzeugnissen  nur  die  derber  und  possenhafter  ge- 
arteten, die  er  neben  den  anscheinend  wichtigeren,  in  der  gemein- 
italienischen Schriftsprache  verfassten  Leistungen   als  nächster 
Nachfolger   seines   Freundes   Cortese,    des   Neubegründers  der 
neapolitanischen  Dialektdichtung,  unter  dem  Namen  Gian  Alesio 
Abbattutis   in    der  Mundart   seiner  Heimat   geschrieben  hatte. 
Unter   ihnen    aber   steht    weitaus   am  höchsten  die  Sammlung 
von   fünfzig   Märchen,    die   nach  Basiles  Tod   ein  sonst  unbe- 
kannter  Herausgeber   Salvatore   Scarano   in   den  Jahren  1634 
bis  1636  zu  Neapel  nach  und  nach  erscheinen  liess,   ,Lo  Cunto 
de   li   Cunti   overo   Lo   trattenemiento  de'  Peccerille",   in  eine 
Rahmenerzählung  nach  dem  Muster  des  auch  sonst  mannigfach 
nachgebildeten  Boccaccio  eingefasst,  in  fünf  „jomate'^,  jede  zu 
zehn  Geschichten,  eingeteilt  und  schon  vom  ersten  Herausgeber 
(wenn  auch  nicht  auf  dem  Titelblatte)  mit  dem  bequemen  und 
daher  auch   später   beibehaltenen   Namen    ,Pentamerone"   be- 
zeichnet.    Es   war   nicht   der    erste   Versuch   in   Italien,    alte 
Märchen,    die  vorher  nur  mündlich  im  Volke    erzählt   worden 
waren,    in  der  Literatur  auch  für  die  gebildeten  Leser  festzu- 
halten;   aber   es   war    die   reichhaltigste  und  urwüchsigste,  in 
ihren  Stoffen   wie  in  der  Vortragsweise   echteste   und  treueste 
Sammlung  von  Volksmärchen,  die  —  nach  dem  massgebenden 
Urteil   der  Brüder   Grimm    —    nicht  nur  Italien,  sondern  auf 
manches  Jahrhundert  hinaus  überhaupt  irgend  ein  europäisches 
Land  hervorgebracht  hat. 

In  der  Heimat  hochberühmt,  oft  gedruckt,  in  andere  Mund- 
arten wie  in  die  gemeinitalienische  Sprache  übersetzt,  von 
Pompeo  Samelli  in  neapolitanischen  Dialektgeschichten,  aber 
auch  von  Lorenzo  Lippi  in  seinem  „Malmantile  riacquistato", 
von  Gozzi  stellenweise  in  den  dramatischen  Märchen  „L- Amore 


Widanda  „Pervonte",  123 

dclle  tre  melarance'^  und  »II  Corvo*  nachgeahmt,^)  wirkte  der 
«PenUmerone'*  doch  bis  zum  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
nur  wenig  über  die  Grenzen  Italiens  hinaus.  In  Deutschland  ins- 
besondere scheint  vor  Wieland  kein  Schriftsteller  aus  diesen 
Kirclien  Anregung  zu  eignem  dichterischem  Schaffen  gewonnen 
zu  haben.  Auch  in  den  nächsten  Jahren,  nachdem  er  von 
Penrontes  wunderbaren  Schicksalen  berichtet  hatte,  traf  der  ihm 
persönlich  nahe  stehende  und  künstlerisch  durch  ihn  mannig- 
fach bestimmte  weimarische  Märchenerzähler  Musäus  nur  ver- 
tinzelt  einmal  mit  Basile  im  Inhalt  einer  Geschichte  zusammen; 
fe  3ücher  der  Chronica  der  drei  Schwestern*  im  ersten  Teil 
seiner  „Volksmärchen  der  Deutschen*  (1782)  wiederholen  in 
der  Hauptsache  die  dritte  Erzählung  des  vierten  Tags  aus  dem 
»Pentamerone*.*)  Doch  bleibt  es  trotz  aller  Ähnlichkeit  noch 
^  fraglich,  ob  Musäus  unmittelbar  aus  dem  Märchen  Basiles 
jfhöpfte.  Bekannter  wurde  in  Deutschland  der  „Cunto  de  li 
iQDti'  erst  im  Zeitalter  der  ausgehenden  Romantik.  Clemens 
Brentano,  der  das  Buch  als  eine  besondere,  seinen  Freunden 
noch  ganz  ft'emde  Seltenheit  besass,  begann  schon  um  Weih- 
nachten 1805  mehrere  Geschichten  daraus  frei  nachzudichten, 
>chob  ihre  Veröffentlichung  dann  aber  immer  weiter  hinaus 
nnd  änderte  noch  nach  Jahrzehnten  mancherlei  an  seiner  Arbeit, 
Ü£  in  der  Hauptsache  erst  1846,  mehrere  Jahre  nach  seinem 
Tode,  den  deutschen  Lesern  mitgeteilt  wurde.')  Inzwischen 
iiatten,  durch  ihn  zuerst  über  Basile  unterrichtet,  die  Brüder 
firimm  1812  im  ersten  und  wieder  1822  im  dritten  Bande  der 


^)  Vgl.  die  inhaltsreiche  Einleitung  von  Benedetto  Groce  zu  seinem 
Nf'jdruck  des  „Cunto  de  li  Cunti",  Neapel  1891,  in  der  „Biblioteca 
^ipioletana  di  Storia  e  Letteratura",  Nr.  II,  Bd.  1. 

*)  Vgl.  Brüder  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen,  2.  Aufl.,  Bd.  III, 
^^9  (Berlin  1822);  auch  Richard  Andrae,  Studien  zu  den  Volksmärchen 
'^^  Deutschen  von  J.  K.  A.  Musäus  (Marburg  1897),  S.  13,  und  Erich 
ß'äcb,  Die  Märchen  de«  Musäus,  im  Archiv  für  das  Studium  der  neueren 
^^hen  und  Literaturen,  Bd.  CVIII,  8.  283  ff.  (1902). 

')  Vgl.  die  gründliche,  aber  im  Urteil  gegen  Basile  nicht  immer 
treckte  Untersuchung  von  H.  Gardauns,  Die  Märchen  Clemens  Brentanos, 
^•l»  1895  (dritte  Vereinsschrift  der  Görresgesellschaft  für  1895). 


124  Frans  Muncker 

„Einder-  und  Hausmärchen^  mit  nachdrücklichem  Lob  auf  die 
neapolitanische  Sammlung  hingewiesen  und  zugleich  einen  guten 
Auszug  aus  allen  Märchen  derselben  gegeben.^)  und  nun  be- 
mühte  sich  um  ihre  Einbürgerung  bei  uns  neben  andern  Über- 
setzern und  Bearbeitern^)  besondei*s  auch  Julius  Mosen  durch 
seine  dichterisch  freieren  Nacherzählungen  von  mehreren  dieser 
Geschichten  im  „Gesellschafter"  (seit  1827),')  bis  endlich  Felix 
Liebrecht  1846  den  ganzen  „Pentamerone'^  mit  ausserordent- 
lichem stilistischem  Geschick  treu  im  Inhalt  wie  im  Ton  ins 
Deutsche  übertrug. 

Aber  nicht  nur  für  Basile,  sondern  überhaupt  für  das 
Volksmärchen  zeigte  die  deutsche  Literatur  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  recht  wenig  Liebe  und  Verständnis.  So  wollte  denn 
auch  Wieland  von  ihm  im  allgemeinen  nichts  wissen,  so  leb- 
haft ihn  auch  jederzeit  kunstvoll  ausgestaltete  Feenmärchen 
anzogen,  in  denen  das  geistreiche  Spiel  einer  zügellos  kühnen 
Phantasie  schliesslich  einem  moralischen  oder  satirischen  Zwecke 
diente,  so  mannigfach  er  auch  solche  Feenmärchen,  die  ihm 
meist  aus  der  französischen  Literatur  zukamen,  letzten  Endes 
aber  ofb  in  das  Morgenland  zurückwiesen,  in  seinen  verschieden- 
sten Dichtungen  bald  genauer,  bald  freier  nachbildete.*)  „Ammen- 
märchen, im  Ammenton  erzählt,"  wollte  er,  wie  er  1786  in  der 
Vorrede  zu  „Dschinnistan"  erklärte,  nur  durch  mündliche  Über- 
lieferung fortgepflanzt,  aber  nicht  durch  den  Druck  literarisch 
festgehalten  wissen.  Mochte  sich  daher  auch  vereinzelt  das 
eine  oder  andere  Mal  ein  wirkliches  VolksmärchenmotiV  in 
seinen  Dichtungen  einstellen,  so  stammte  es  doch  nicht  un- 
mittelbar aus  einem  echten  Volksmärchen,   sondern    aus  jenen 


1)  Bd.  I,  S.  XVII  f.;  Bd.  III,  S.  276-371. 

2)  Die  wichtigsten  von  ihnen  nennt  Liebrecht  im  zweiten  Bande 
seiner  Übersetzung,  S.  336  f. 

^)  Vgl.  Philipp  Henss,  Beiträge  zur  Kenntnis  von  Julius  Mosen  s 
Jugendentwicklung,  München  1903,  S.  46  ff. 

*)  Vgl.  darüber  besonders  K.  Otto  Mayer,  Die  Feenmärchen  bei 
Wieland,  in  Bernhard  Seufferts  Vierteljahrschrift  für  Literaturgeschichte, 
Bd.  V  (Weimar  1892). 


Wielanda  „Pervante*',  125 

kunstvollen  Feengeschichten  orientalischen  oder  französischen 
Ursprungs.  Einer  einheimischen  yolkstümlichen  Überlieferung 
Terdankte  er  nur  einmal  den  gesamten  Stoff  einer  Erzählung 
in  Versen,  bei  dem  Gedicht  «Sizt  und  Elärchen  oder  der  Mönch 
und  die  Nonne  auf  dem  Mädelstein '^v  das  er  zuerst  im  März 
und  April  1775  im  ,pTeutschen  Merkur^,  dann  noch  einige 
Haie  mit  unwesentlichen  Veränderungen  in  seinen  poetischen 
Werken  yeröffentlichte.  Aber  das  war  nicht  sowohl  ein  Volks- 
märchen als  vielmehr  eine  an  einer  bestimmten  Örtlichkeit  haf- 
tende volkstümliche  Sage.  Dagegen  lag  dem  «Pervonte^  in  der 
Tat  ein  echtes  Volksmärchen  zu  Grunde  aus  der  bunten  Gruppe 
jener  Geschichten  von  einem  dummen  Burschen,  dem  unver- 
mutet ein  grosses  Glück  zuteil  wird,^)  ein  bei  verschiedenen 
Völkern  verbreitetes  Märchen,  dessen  eigentümliche  Ausge- 
staltung, wie  sie  Wieland  für  seine  Nachdichtung  verwertete, 
aus  der  italienischen  Literatur  stammte. 

Mit  wenigen  Worten  deutete  Wieland  selbst  im  „Teutschen 
Merkur*  (November  1778,  S.  99)  auf  die  Herkunft  seines  „Per- 
Yonte*    hin:     »Wer   gern    aus   der    Quelle   schöpft,    kann   das 
Original  dieses  Gedichts,  welches  eigentlich  ein  uraltes  Neapo- 
litanisches Ammen-Mährchen  ist,  finden  in  dem  Pentamerone  del 
Cavalier  Giovan  Battista  Basile,    overo,   lo   Cunto   delli    Cunti, 
trattenemiento  de  li  Peccerille,  di  Gian  Alesio  Abbatutis.  Napoli 
1674.    (conf.  Biblioth.  Univ.  des  Romans.   Juin.  et  Septembre. 
1777.)*    Damach  sollte  man  wohl  meinen,  Wieland  habe  sich 
aus  Basile  selbst  den  Stoff  seiner  Geschichte  geholt.   Das  wäre 
an  sich  schon  auffallend;  denn  vor  dem  „Pervonte*  hat  Wieland 
niemals  den  Inhalt   einer  grösseren  Dichtung  im   ganzen   un- 
mittelbar aus  dem  Italienischen  genommen,  sondern  hielt  sich 
immer  zuerst  an  deutsche  und  englische,  dann  vornehmlich  an 
antike  und    französische  Vorlagen.     Auch   nachher  wurde  das 
nicht  anders.     Zwar  berief  er  sich  1783  bei  «Clelia  und  Sini- 


^)  Fügten  68  doch  auch  die  Brüder  Grimm  unter  der  Aufschrift 
-Hans  Dumm"  ihren  deutschen  „Kinder-  und  Hauamärchen"  ein  (Bd.  I, 
5-  250  ff.,  Nr.  54  der  ersten  Ausgabe  von  1812). 


126  Frwus  Mundier 

bald''  nur  auf  Gaviceo  als  seinen  Oewährsmann  fttr  den  wunder- 
baren Traum,  auf  dem  sich  diese  Novelle  zum  guten  Teile 
aufbaut;  aber,  wie  schon  verschiedene  sprachliche  Anmerkungen 
zu  derselben  Dichtung  vermuten  lassen,  hatte  er  Giacopo  Cavieeos 
1508  erschienenen  Roman  „II  Peregrino*,  aus  dem  er  den  Stoff  zu 
der  ironisch-satirischen  Legende  gewann,  nur  in  der  verkürzten 
französischen  Bearbeitung  im  zehnten  Bande  der  „M^langes 
tirds  d'une  grande  bibliotheque^  (Paris  1780)  benutzt. 

Desto  fleissiger  spielte  er  dafür  in  seinen  Werken  auf 
einzelne  Charaktere  und  Begebenheiten  der  italienischen  Literatur 
an,  zitierte  Verse  und  Gedanken  italienischer  Dichter,  bildete 
gewisse  Motive  von  ihnen  nach,  suchte  sich  den  Ton  und  Stil 
ihrer  Poesie  anzueignen.  Fast  bis  auf  die  Anfange  seiner 
literarischen  Entwicklung  reicht  dieses  Bestreben  zurück. 
Während  das  Schulheft  aus  dem  Sommer  1748,  das  uns  von 
dem  damals  noch  nicht  fünfzehnjährigen  Zögling  des  Klosters 
Bergen  erhalten  ist,  noch  keine  Spur  von  Kenntnissen  in  der 
italienischen  Dichtung  zeigt,  weist  das  im  Anfang  des  Jahres 
1751  ausgearbeitete  Erstlingswerk  der  Wielandischen  Muse, 
das  Lehrgedicht  „Die  Natur  der  Dinge*,  schon  einige  Male 
deutlich  auf  Ariosts  und  Tassos  grosse  Epen  hin.  An  den 
Abschied  Rinalds  von  Armida  im  sechzehnten  Gesänge  des  « Be- 
freiten Jerusalem"  und  die  Verwandlung  des  Wunderreichs  der 
Zauberin  nach  der  Flucht  des  Geliebten  (ebenda  Stanze  69  f.) 
erinnern  die  Verse  im  zweiten  Buche  des  Lehrgedichts,  die  das 
Erwachen  des  Menschen,  den  die  Wollust  in  ihren  Bann  ge- 
zogen hatte,  aus  seinem  Wahne  schildern:*) 

„Wo  lauter  Anmuth  war,  sieht  er  erstarrte  Klippen 
Und  gelben  Sand  gehäuft;  Armidens  süsse  Lippen, 
Und  was  er  kaum  genoss,    ist  mit  dem  leichten  Schwärm 
Der  Liebesgötter  fort;  er  sieht  vom  dürren  Arm 
Des  Ekels,  von  der  Reu  begleitet,  sich  umfangen." 


*)  S.  46  f.  des  eraten  Druckes  (Halle  1752),  in  den   späteren  Aus- 
gaben nur  wenig  verändert. 


Wieland8  „Pervawte".  127 

Im  dritten  Buch  aber  (S.  61  der  ersten  Ausgabe)  nennt 
der  junge  Dichter  „Ariostens  Mond*  neben  « Piatons  Staat*', 
um  das  Reich  des  unwirklichen  zu  bezeichnen.  Beim  späteren 
Abdruck  der  , Natur  der  Dinge*  im  ersten  Band  seiner  , Poe- 
tischen Schriften*  1762  und  wieder  1770  fügte  Wieland  hier 
eine  erläuternde  Anmerkung  über  die  phantastische  Erdichtung 
des  .eben  so  anmuthigen  als  abentheurlichen  Italiänischen 
Poeten*  bei  und  mehrte  auch  noch  durch  eine  weitere  An- 
merkung zum  zweiten  Buch  die  Anspielungen  auf  Tassos 
Rinald.^)  Jene  älteren,  bereits  aus  dem  Jahr  1751  stammenden 
Anspielungen  setzen  freilich  noch  keine  Vertrautheit  mit  dem 
italienischen  Text  der  Dichtungen  voraus,  denen  sie  galten: 
Wieland  mochte  sich  an  deutsche  Übertragungen  halten,  deren 
ja  seit  Dietrich  von  denl  Werders  Versuchen  einige  vorlagen 
—  das  ^Befreite  Jerusalem*  hatte  erst  1744  wieder  Johann 
Friedrich  Kopp  (in  paarweise  gereimten  Alexandrinern)  über- 
setzt — ;  ja  den  kurzen  Hinweis  auf  Ariost  konnte  er  am  Ende 
auch  aus  zweiter  Hand  haben  und  brauchte  dazu  den  „Rasenden 
Roland*  nicht  einmal  in  deutscher  Nachbildung  gelesen  zu  haben. 

Auch  in  den  wenige  Monate  nach  dem  Lehrgedicht  ver- 
fassten  , Moralischen  Briefen*  verwertete  Wieland  seine  Lektüre 
Tassos.  Wieder  spielte  er  auf  den  sechzehnten  Gesang  des 
italienischen  Epos  an,  auf  den  er  diesmal  in  der  Anmerkung 
ausdrücklich  verwies,  und  wieder  zwingen  uns  seine  Verse 
durch  nichts  zu  der  Annahme,  dass  er  die  „Gerusalemme*  da- 
mals schon  italienisch  gelesen  haben  müsse.  In  dem  später 
Tollig  gestrichenen  neunten  Briefe  der  ersten  Ausgabe  von  1752 
(S.  118)  versicherte  er  der  schwesterlich  mit  reinster  Liebe  ge- 
liebten Freundin  Doris,  dass  die  Vereinigung  mit  ihr  ihm  auch 
eine  Wüste  zum  Paradiese  machen  würde: 

«Mich  darf  das  Schicksal  nicht  in  Paradiese  setzen. 
Mit  dir  soll  mich  der  Sand  Numidiens  ergötzen. 
Ich  darf  der  Insel  nicht  worein  mit  Zauberkraft 
Den  Reitz  der  gantzen  Welt  Armid  herbey  geschaft, 


^)  1762:  Bd.  I,  S.  72;  1770:  Bd.  I,  S.  101. 


128  Franä  Muneker 

Wo  jugendlich  die  Flur  in  stetem  Morgen  lachet, 
Ein  zauberischer  West  die  Blumen  ewig  machet, 
Wo  ein  nectarscher  Duft  aus  allen  Krautern  raucht, 
Und  alles  lebt  und  fühlt  und  matte  Wollust  haucht/ 

Im  elften  Brief  aber  (der  in  den  späteren  Ausgaben  als 
zehnter  gezählt  ist)  nahm  der  achtzehnjährige  Dichter,  um  die 
entsetzliche  Angst  des  Gottesleugners  yor  dem  Tode  zu  malen, 
seine  Zuflucht  gar  schon  zu  Dante  :^) 

„In  welchen  Schauem  starrt  sein  nie  erschüttert  Hertz, 
Wenn  sich  der  Tod  ihm  naht?  Wie  marternd  ist  sein  Schmertz? 
Mein  Geist  erliegt  bestürtzt  den  jammervollen  Bildern, 
Ihr  Schatten  schrekt  ihn  schon;  sie  mag  ein  Dantes  schildern!' 

Die  erst  1770  beseitigte  Anmerkung  zu  dem  Namen  des 
damals  in  Deutschland  noch  sehr  wenig  bekannten  Florentiners 
„Ein  berühmter  Italiänischer  Dichter  des  14.  Jahrhunderts,  der 
in  einem  Epischen  Gedichte  Himmel,  Fegefeuer  und  Hölle  ge- 
schildert hat*  bewe^^t  in  ihrer  Dürftigkeit,  Farblosigkeit  und 
verkehrten  Reihenfolge  bei  der  Nennung  der  drei  Teile  der 
„Divina  Commedia"  nahezu  sicher,  dass  Wieland  das  ewige 
Gedicht  damals  nur  vom  Hörensagen  oder  etwa  aus  einer  kurzen 
Angabe  darüber  in  einem  Gelehrtenlexikon  oder  einer  Zeitschrift 
kannte.^) 

Derartige  Anspielungen,  in  diesen  ersten  Versuchen  Wie- 
lands noch  selten  und  besonders  in  den  grösseren  Jugend- 
dichtungen, in  denen  er  sich  als  unmittelbaren  Nacheiferer 
Klopstocks  verriet,  fast  gar  nicht  anzutreffen,  mehrten  sich 
nach  einigen  Jahren,  als  er  auch  in  der  Erlernung  der  italie- 
nischen Sprache  weit  genug  fortgeschritten  war,  um  Ariost 
und  Tasso  und  ihre  Landsgenossen  im  Original  zu  lesen.  Wie 
wir  aus  dem  kurzen  Abriss  seiner  Lebensgeschichte  schliessen 


*)  S.  149  der  Ausgabe  von  1752;  in  den  .»Poetischen  Schriften"  von 
1762  Bd.  II.  S.  98;  1770  Bd.  II,  S.  91,  stets  mit  unverändertem  Wortlaut. 

*)  Vgl.  Emil  Sulgor-Gebing,  Dante  in  der  deutschen  Literatur: 
Zeitschrift  für  vergleichende  Literaturgeschichte,  Neue  Folge,  Bd.  VllI, 
S.  475  ff.  und  Bd.  IX,  S.  453  ff. 


Wielands  „Perwmte".  129 

dürfen,  den  er  am  28.  Dezember  1787  für  den  Schweizer  Ästhe- 
tiker Leonhard  Meister  niederschrieb,  war  das  schon  in  Zürich 
der  Fall ;  bei  Bodmer,  dem  reich  belesenen  Kenner  ausländi- 
schen Schrifttums,  war  auch  er,  wie  mit  der  französischen  und 
englischen,  so  mit  der  italienischen  Literatur  „sehr  bekannt' 
geworden.  Das  zeigten  sogleich  italienische  Verse  über  oder 
unter  einigen  Oden,  die  er  bereits  im  ersten  Jahre  seines 
Züricher  Aufenthaltes  im  engsten  Anschluss  an  Klopstockische 
Vorbilder  seiner  Sehnsucht  nach  der  fernen  Geliebten  widmete. 
Nicht  minder  gaben  davon  die  Neubearbeitungen  der  grösseren 
Jugendwerke  fÖr  die  Sammlung  der  „Poetischen  Schriften« 
Ton  1762  und  wieder  von  1770  Zeugnis.  Die  Anspielungen 
auf  italienische  Literatur  wurden  in  den  Jugenddichtungen 
selbst  wie  in  gelegentlichen  Anmerkungen  zu  ihnen  etwas 
zaUreicher;  hie  und  da  stellte  sich  jetzt  sogar  ein  italienisches 
Zitat  als' Motto  ein  (so  z.  B.  seit  1762  hinter  dem  „Lobgesang 
auf  die  Liebe*  drei  Verse  über  die  Allmacht  der  Liebe). 

Seit  dem  Entwurf  des  unvollendeten  „Cyrus**  (1759)  be- 
mühte sich  Wieland  auch,  wie  er  in  den  Vorberichten  zu  diesem 
Heldengedichte  selbst  und  zu  der  eng  damit  verbundenen  dialo- 
gischen Geschichte    „Araspes   und  Panthea**  (1760)   bekannte, 
Grandeigenschaften  der  Hauptcharaktere  aus  den  Epen  Ariosts 
und  Tassos    auf  den   Helden   seiner   Phantasie   zu  übertragen 
und  überhaupt  die  künstlerischen  Vorzüge  dieser  italienischen 
Dichter  in  dem  eignen  Werke  zu  vereinigen.   Cyrus  sollte  die 
Tugenden  des  kühnen  Achill,  des  klugen  Odysseus,  des  weisen 
Gottfried  von  Bouillon,   des   hochherzigen  Leonidas   in  seinem 
Wesen  verbunden  zeigen,   sollte  grösser  imd  besser  erscheinen 
als  Achill,  Aeneas,  König  Artus  und  der  rasende  Roland;  der 
Dichter  wünschte  in  diesem  Epos,  je  nachdem  es  sein  Gegen- 
stand oder  seine  künstlerische  Absicht  forderte,   sich  bald  der 
feinfaltigen  Grösse  und  der  wilden  Schönheit  Homers  und  Ariosts, 
Wd  des  blühenden  Kolorits    und    des  sanften  Feuers   Virgils 
und  Tassos,  bald  wieder  der  Mischung  von  Stärke  und  Lieblich- 
keit bei  Thomson    und   der   nervichten  Schönheit  Qlovers   zu 
^«meigtem. 


130  ^yanM  Muncker 

Ein  neues,  gründlicheres  Studium  italienisclier  Dichtungen 
begann  Wieland  in  Biberach,  als  er  in  seiner  eigpien  Poesie 
Bahnen  einschlug,  die  ihn  in  Nachbargebiete  des  romantischen, 
ungebunden  aus  Phantasie  und  scherzhafter  Laune  entsprunge- 
nen Epos  der  Hochrenaissance  führten.  Am  4.  Mai  1764  erbat 
er  sich  von  Oessner  neben  einer  guten  Ausgabe  des  Petrarcii 
auch  9  eine  artige  kleine  Edition  vom  Ariost^,  den  er  dem 
Freund  als  einen  der  angenehmsten  Dichter  rühmte.  Vier 
Jahre  später  bekannte  er  in  der  Vorrede  zum  ^Idris',  dass 
Ariost  um  seiner  eigentümlichen  Schönheit  willen  schon  lange 
sein  gewöhnliches  Taschenbuch  sei.  In  dem  Ton  eines  leicht 
und  übermütig  hervorsprudelnden  Geplauders,  den  kein  früherer 
Epiker  so  meisterhaft  wie  Ariost  anzuschlagen  wusste,  verfasste 
Wieland  zunächst,  doch  ohne  unmittelbare  Anlehnung  an  den 
Sänger  des  „Orlando  furioso*,  die  «Komischen  Erzählungen' 
und  andere  Dichtungen  verwandten  Charakters.  Bald  bildete 
er  auch,  wenn  schon  mit  allerhand  Freiheiten,  den  Ariostischen 
Strophenbau  der  ottave  rime  in  seinem  „Idris"  nach.  Ja,  er 
wollte  geradezu,  wie  er  am  3.  Dezember  1767  an  Zimmermann 
schrieb,  mit  diesem  Werke  einen  Versuch  machen,  „ob  man 
in  unserer  Sprache  nicht  auch  Ariost  seyn  könne,  wenn  man 
wolle'',  freilich  nur  „in  Absicht  der  Laune,  des  Stjls,  der 
Lebhaftigkeit  und  der  Versification*',  nicht  auch,  was  die  aben- 
teuerliche Verwicklung  und  Ausdehnung  der  Handlung  durch 
zahllose  Gesänge  betreffe.  Aber  selbst  nach  dieser  Seite  hin 
lockte  ihn  Ariosts  Muster  schon  im  „Idris"  und  noch  mehr 
einige  Jahre  später  im  „Neuen  Amadis'^  zur  Nachfolge:  auch 
Wieland  erprobte  sich  gern  als  Meister  in  der  Kunst,  zahl- 
reiche Fäden  der  Handlung  in  der  mannigfaltigsten  Weise 
durcheinander  zu  schlingen  und  untereinander  zu  verknüpfen 
und  als  Erzähler  mit  grösster  Leichtigkeit  und  zugleich  mit 
drastischer  Wirkung  von  einem  Abenteuer  seiner  Geschichte 
auf  das  andere  überzuspringen,  die  Schicksale  des  einen  Helden 
im  spannendsten  Augenblick  durch  die  Taten  und  Erfahrungen 
anderer  Helden  und  Heldinnen  humoristisch  zu  unterbrechen. 
Die    Handlung    selbst    in    ihrem  hauptsächlichen  Gange   wies 


Wtdands  „Pervonte'',  131 

zwar  mehr  auf  französische  Feenmärchen  als  auf  das  roman* 
tische  Epos  der  Italiener  zurück;  einzelne  Nebenmotive  aber, 
wie  z.  B.  gelegentlich  einmal  die  Ausmalung  eines  Kampfes 
oder  Liebesabenteuers,  stammten  doch  aus  der  Nachahmung 
des  .Rasenden  Roland",  und  so  spielte  denn  Wieland  auch  im 
Text  wie  in  den  Anmerkungen  des  «Idris*  und  des  ,  Neuen 
Ämadis*  mehrfach  in  aller  Kürze  auf  Personen  und  Vorgänge 
aus  den  Dichtungen  Ariosts,  Tassos,  Marinis  oder  anderer 
Italiener  an.  Mit  manchen  unter  diesen  Dichtern  gab  er  sich 
freilich  nur  flüchtig  ab;  so  bekannte  er  z.  B.  ausdrücklich 
1771  in  der  Vorrede  zu  seinem  ,Amadis*,  dass  er  von  dem 
gleichnamigen  Epos  des  Bernardo  Tasso  auch  nicht  einmal 
den  zehnten  Teil  zu  durchlesen  vermocht  habe.  Dass  ihm 
aber  andere,  durch  eigenartigen  Reiz  lebhafter  anziehende 
Dichtungen  der  italienischen  Literatur  in  jenen  Jahren  genauer 
vertraut  wurden,  zeigen  auch  seine  Briefe,  in  denen  sich  von 
da  an  die  Anklänge  an  derartige  Lektüre  mehren  und  nament- 
lich seit  etwa  1767  die  Einflechtung  italienischer  Worte  in 
seine  ohnedies  schon  buntfarbig  genug  aus  französischer,  deut- 
scher, lateinischer  und  englischer  Sprache  zusammengewobene 
Bede  häufiger  wird. 

Auch  als  Wieland   nach  dem  , Neuen  Amadis"   die  Ario- 
stische  Laune    und   Erzählungstechnik   in   seinen   Dichtungen 
wieder  weniger  nachbildete,   blieb   er  sich  doch  in  der  Liebe 
zu  den  italienischen  Meistern,  deren  Epen  ihn  entzückt  hatten, 
getreu   und   las   diese   und   verwandte  Werke   bei  Gelegenheit 
noch  öfter  im  Wortlaut  der  Originale.    So  hätte  ihm  denn  auch 
höchst   wahrscheinlich   das  Verständnis   des    «Pentamerone* 
im  italienischen  Gewände  keine  Schwierigkeit  bereitet,   wenig- 
stens nicht,  wenn  ihm  die  —  freilich  sehr  schlecht  geratene  — 
Bearbeitung    dieser   Märchensammlung    in    gemeinitalienischer 
Sprache  von  1754  oder  1769  in  die  Hand  gefallen  wäre.    Aber 
CT  selbst  führte  in  der  oben  erwähnten  Anmerkung  im  »Teut- 
acben  Merkur'  ausdrücklich  eine  Ausgabe  des  ursprünglichen, 
mundarthchen  Textes  an,  die  wegen  ihrer  sprachlichen  Korrek- 
turen philologisch  merkwürdige,  auch  wegen  ihrer  massgebenden 


132  Frang  Muncker 

Bedeutung  für  die  folgenden  Drucke  geschichtlich  wichtige, 
Yon  Pompeo  Sarnelli  besorgte  Ausgabe  von  1674,  die  erste, 
die  den  Namen  .11  Pentamerone*  schon  auf  dem  Titelblatte 
trug.  Dass  nun  aber  Wieland  imstande  gewesen  wäre,  die 
Märchen  Basiles  im  neapolitanischen  Dialekt  ohne  Beihilfe 
einer  Übersetzung  zu  lesen,  und  namentlich,  dass  bei  einer 
derartigen,  mit  allerlei  Schwierigkeiten  verbundenen  Lektüre 
diese  Märchen  ihm  einen  so  mächtigen  künstlerischen  Eindruck 
hätten  machen  können,  dass  er  sich  dadurch  zu  eigner  dichte- 
rischer Tätigkeit  getrieben  fühlte,  ist  an  sich  schon  im  höchsten 
Grade  unwahrscheinlich. 

Zwar,  dass  Wieland  sich  von  den  füni^ig  Geschichten 
Basiles  gerade  nur  die  von  Peruonto  zur  Nachbildung  ausge- 
sucht hat,  dürfte  auch  in  einem  solchen  Falle  nicht  befremden. 
Denn  die  übrigen  Erzählungen  des  Neapolitaners  passten  in 
der  Tat  fast  alle  nicht  für  den  gesellschaftlich  und  künstlerisch 
gerade  in  den  letzten  Jahren  strenger  geläuterten  Geschmack 
des  Weimarer  Dichters.  Die  meisten  waren  zu  urwüchsig  derb, 
ihre  Grundmotive  oft  von  einer  plumpen  Unanständigkeit,  mit 
der  selbst  die  nichts  weniger  als  schüchterne  Kunst  Wielands 
kaum  etwas  anzufangen  gewusst  hätte.  In  andern  wieder  war 
die  märchenhafte  Erfindung  so  kindlich  naiv,  so  verstandes- 
widrig wunderbar,  dass  der  aufgeklärte  Dichter  des  achtzehnten 
Jahrhunderts,  der  in  seinen  tollsten  Feenmärchen  stets  eine 
philosophische  Wahrheit  oder  sittliche  Lehre  zu  veranschau- 
lichen trachtete,  keinen  nutzbaren  Sinn  in  ihnen  zu  entdecken 
vermochte  und  darum  auch  keinen  Sinn  für  sie  hatte.  Schon 
auffallender  könnte  es  aber  scheinen,  dass  Wieland  in  seinen 
Briefen  oder  sonstigen  Schriften  nie  etwas  von  einer  unmittel- 
baren Bekanntschaft  mit  dem  „Cunto  de  li  Cunti*,  besonders 
wenn  sich  diese  auf  die  ganze  Märchensammlung  erstreckt 
haben  sollte,  verraten  hätte,  dass  er  vornehmlich  1805  in  der 
Einleitung  zum  „Hexameron  von  Rosenhain*,  wo  doch  die 
ähnliche  Benennung  seines  Buchs  einen  Hinweis  auf  Basiles 
Werk  nahe  legen  musste,  zwar  den  „Decamerone*  des  Boccaccio 
und  den  ,Heptameron"    der  Königin   von  Navarra,  nicht  aber 


Wielands  „Pervante''.  133 

den «Pentamerone*  erwähnte:  hätte  er  ihn  einst  mühsam  und 
vollständig  im  Original  gelesen,  so  würde  er  damals  wohl  nicht 
vergessen  haben,  ihn  mit  anzuführen. 

Aber  schon  1778  im  »Teutschen  Merkur*  nannte  Wieland 
neben  der  italienischen  Ausgabe   der  Märchen  Basiles,  freilich 
nur  nebenher  und  nicht  eigentlich  als  Quelle  seiner  Dichtung, 
den  franzosischen  Auszug   daraus  in  der  vom  Grafen  Tressan 
herausgegebenen  gBibliotheque  universelle  des  romans*' 
Tom  Juni  und  September  1777.    Das  reichhaltige,  vielfach  von 
Wieland   benutzte  französische  Sammelwerk   brachte  zunächst 
im  Juni  1777    einige  kurze,    nicht   eben   tief  gründende   Be- 
merkungen über  Basile  sowie  über  den  literarischen  Wert  und 
ib  schwierige   Verständnis  seines    »Pentamerone*,    der    auch 
nicht  eine  vernünftige,    tragische    oder  interessante   Novelle, 
miem  nur  tolle  Ammenmärchen  enthalte,  an  denen  höchstens 
kleine  Kinder  Spass   finden  könnten.     Daran  schloss  sich  eine 
^ie,  im  einzelnen  mehrfach  verändernde  und  selbständig  aus- 
<$chn)ückende  Nacherzählung  der  die  neapolitanischen  Märchen 
als  Einleitung  und  Schluss  umrahmenden  Geschichte.   Im  Sep- 
tember darauf  bot  die  .Bibliotheque*  ihren  Lesern  ausführliche 
Bearbeitungen  der  Märchen  von  Peruonto  (Tag  1,  Geschichte  3), 
^oa  Sapia  Liccarda   und   der  Puppe    aus  Zuckerteig   (Tag  3, 
^^escbichte  4)  und  von  Bosella  (Tag  3,  Geschichte  9),  um  dann 
ausdrücklich   auf  weitere   Mitteilungen   aus   den   lustigen   und 
narrischen  Einfallen    der    süditalienischen  Sammlung   zu   ver- 
öcbten.   Von  diesen  Nacherzählungen  gab  die  des  , Peruonto* 
(S.  162— 180  der  »Bibliotheque*)  den  Inhalt  des  neapolitanischen 
ilärchens  noch  verhältnismässig  am  getreuesten  wieder,  obwohl 
3«b  der  französische  Bearbeiter  auch  hier  manche  Abweichungen 
^om  Original   erlaubte.     Überall   aber,   wo  er  dies  tat,   finden 
^irnemlich  dieselben  Abweichungen  auch  bei  Wieland.  Es  steht 
^ber  ausser  allem  Zweifel,  dass  der  deutsche  Dichter  den  fran- 
zösischen Auszug  aus  dem  „Pentamerone"  als  Vorlage  für  seine 
Arbeit  benutzte.    Fraglich  könnte  nur  sein,  ob  er  daneben  auch 
aoch  gelegentlich  einen  Blick  in  den  italienischen  Grundtext  tat. 
Wt  wenig  spricht  für  eine  solche  Annahme,    viel   dagegen. 

l«tt.  Stttpb.  d.  pUloSL-phUol.  Q.  d.  hist  Kl.  1 0 


134  Frang  Muneker 

Den  Titel  der  neapolitanischen  Märchensammlung  zunächst 
schrieb  Wieland  wortgetreu^)  aus  der  ^Bibliotheque"  (Juni  1777, 
S.  207)  ab,  die  sich  gleichfalls  nur  auf  die  Ausgabe  von  1674 
berufen  hatte.  Auch  der  Doppeltitel  der  deutschen  Dichtung 
wies  auf  den  französischen  Auszug  zurück,  wo  die  Geschichte 
„Pervonte,  ou  les  Dons  des  F^es*  tiberschrieben  war.  Nur  aus 
dem  Französischen  ferner  lassen  sich  die  gegen  das  Italienische 
mannigfach  veränderten  Namensformen  der  Hauptpersonen 
bei  Wieland  erklären.  Aus  Basiles  »Peruonto*  hatte  schon 
der  französische  Bearbeiter  „Pervonte*  gemacht;  genau  so 
nannte  Wieland  den  Helden  seines  Märchens.  Dessen  Partnerin 
in  der  drollig-wunderbaren  Geschichte,  die  Königstochter,  hiess 
im  Italienischen  VastoUa.  Der  Franzose  hatte  den  Namen  im 
Grunde  unangetastet  gelassen,  aber  in  einer  Kleinigkeit,  die 
überdies  für  die  französische  Aussprache  gleichgültig  Trar, 
anders  geschrieben:  ,Vastole".  Aus  dieser  Form  bildete  nun 
Wieland  mit  veränderter  Betonung,  so  dass  der  Hauptton  jetzt 
auf  die  erste  Silbe  fiel,  ^Vastola**.  Peruontos  Mutter,  im  Grund- 
text Ceccarella  geheissen  (wohl  nach  einer  Figur  aus  der  alten 
neapolitanischen  Posse),  blieb  ebenso  wie  der  schon  im  Ita- 
lienischen unbenannte  König  im  Französischen  namenlos;  dem- 
gemäss  wusste  auch  Wieland  die  beiden  nicht  zu  benennen 
und  machte  sich  über  diesen  Mangel  gleich  zu  Anfang  seiner 
Dichtung  im  Übermut  seiner  Laune  selbst  lustig.  Im  italienischen 
Märchen  wohnt  Peruontos  Mutter  zu  Casoria,  einem  kleinen, 
etwa  zwei  Stunden  von  Neapel  entfernten  Orte;  der  König 
residiert  natürlich  zu  Neapel  selbst.  Der  französische  Bearbeiter 
machte  die  wackere  Mutter  des  Tölpels  in  einem  Häuschen  auf 
dem  Lande,  nicht  weit  von  der  Stadt  Salem,  heimisch;  den 
königlichen  Palast  verlegte  er  dem  entsprechend  nach  Salem 
und  machte  aus  dem  Herrscher  selbst  einen  ,Prince  de  Salerne% 


*)  Nur  schrieb  er  ^lo  Cunto  delli  Cunti*,  während  die  .Biblio- 
thociue*  im  Juni  ,de  li  cunte"  zitierte.  Im  September  (S.  162)  ab^r 
brachte  sie  dafür  ^delle  Cunte*.  Daraus  konnte  Wieland  leicht  seine 
Lesart  gewinnen,  wenn  er,  was  nicht  unwahrscheinlich  wäre,  da«  e  in 
den  Maskulinformen  für  einen  blossen  Druckfehler  hielt. 


dem  er  doch  auch  wieder  oft  genug  den  königlichen  Titel  gab, 
und  Ton  dessen  Keich  er  an  manchen  Stellen  sprach,  wie  wenn 
es  sich  um  das  Königreich  Neapel  handle.  Gleich  ihm  be- 
richiete  Wieland  nur  von  einem  König  von  Salern,  doch  ohne 
sich  auch  jene  unbestimmten  Hinweise  auf  Neapel  anzueignen, 
und  dachte  sich  Fervonte  in  der  nächsten  Umgegend  Salems 
wohnhaft;  der  Name  Casoria  begegnet  bei  ihm  so  wenig  wie 
bei  dem  Franzosen. 

Ebenso  wie  die  Namen  ist  die  Charakteristik  der  Per- 
sonen in  Wielands  Dichtung  fast  durchweg  von  der  fran- 
xosischen  Darstellung  abhängig.  Basile  hatte,  wie  es  sich  fiir 
den  Erzähler  eines  richtigen  Volksmärchens  gebührt,  nur  mit 
wenigen  kräftigen  Strichen  seine  Figuren  gezeichnet.  Beinahe 
ganz  ohne  charakterisierende  Züge  Hess  er  Peruontos  Mutter: 
sie  war  ihm  nur  «na  magna  femmena  de  Casoria"  und  im 
Hinblick  auf  ihren  tölpelhaften,  faulen  Sohn  eine  „scura 
mamma*,  eine  »sfortunata*.  Der  französische  Bearbeiter  wusste 
schon  viel  mehr  von  ihr  zu  berichten.  Er  machte  sie  zu  einer 
kniYen  Frau,  die  von  ihrem  kleinen  Vermögen  in  einem  Häuschen 
anf  dem  Lande  lebt;  sie  ist  keine  grosse  Dame,  hat  aber,  was 
i^ie  mit  ihrem  Sohn  und  einer  Dienerin  zum  Leben  braucht, 
^d  wäre  bei  ihren  bescheidenen  Ansprüchen  glücklich  und 
^frieden,  wenn  ihr  dieser  Sohn  nicht  so  schweren  Kummer 
^eniTsaehte.  Wieland  fand  mit  Recht  diese  Schilderung  etwas 
ni  vornehm;  er  eignete  sich  aus  ihr  hauptsächlich  den  ersten 
Satz  an  ,elle  n'^toit  point  grande  dame"  und  malte  demnach 
iübsch  die  kleinen  Verhältnisse  der  »guten  Frau*  aus, 

»die  manchen  Winter  schon 
im  Wittibstande  sich  und  ihrem  Sohn  das  Leben 
mit  Spinnen  fristete  —  ein  braves  flinckes  Weib, 
das  früh  und  spat  sich  Müh  zu  geben 
gewohnt  ist,  keinen  Zeitvertreib 
als  ihres  Haspels  Knarren  kennet, 
und  sehr  zufrieden  ist,  wenn  auf  dem  kleinen  Hcerd 
ein  wenig  dürres  Reiss  zur  Mittagssuppe  brennet, 

10* 


1 36  Fram  Muncktr 

wirthschaftlicli  dann  den  Rest  zusammenkehrt 
und  in  den  Ofen  trägt,  der  in  der  engen  Hütte 
dem  scharfen  Frost  nur  sparsam  wehrt.*  ^) 

Die  Dienerin,  die  der  Franzose  ganz  unnötiger  Weise  dem 
kleinen  Haushalt  beigesellt  hatte,  verabschiedete  Wieland  mit 
gutem  Grunde  wieder.  Sicherlich  kam  auch  seine  Auffassung 
der  Vorstellung  näher,  die  Basile  sich  von  der  wackem  Frau 
zu  Casoria  gemacht  hatte;  aber  diese  Auffassung  ergab  sieh 
für  den  deutschen  Dichter  ohne  weiteres  aus  der  Geschichte 
selber,  aus  der  Arbeit  etwa,  zu  der  Pervonte  von  der  Mutter 
in  den  Wald  geschickt  wird,  aus  den  bescheidenen  Wünschen, 
die  er  nachher  beim  Besuch  des  Volksfestes  in  Salem  yerfolgt: 
eine  Bekanntschaft  mit  dem  italienischen  Text  ist  daraus  in 
keiner  Weise  zu  schliessen.  Dass  die  Sorge  um  den  blöden, 
zu  nichts  zu  brauchenden  Sohn  die  .einzige  Plage''  der  Mutter 
war,  hob  Wieland  übrigens  auch  wieder  im  Einklang  mit  dem 
französischen  Bearbeiter  hervor. 

Enger  schloss  er  sich  an  ihn  in  der  Schilderung  dieses 
Sohnes  selber  an.  Kurz  genug  hatte  Basile  ihn  bezeichnet 
als  ,lo  chiü  scuro  cuorpo,  lo  chiü  granne  sarchiopio,  e  lo 
chiü  soUenne  sarchiapone,  c^avesse  crejato  la  natura  ...  che 
no  era  buono  pe  no  quaglio  de  cane*.  Des  weiteren  malte 
der  Italiener  die  Trägheit,  Kohheit  und  Dummheit  Peruontos 
nicht  in  ruhiger  Schilderung  aus,  sondern  zeigte  sie  vielmehr 
in  der  bewegten  Handlung  selbst.  Auf  eine  genauere  Be- 
schreibung der  Hässlichkeit  seines  Helden  wollte  er  zwar  nicht 
verzichten;  sehr  geschickt  vei*schob  er  diese  aber  auf  eine 
spätere  Gelegenheit,  wenn  der  König  den  missgestaltet'en 
Burschen  zum  ersten  Mal  erblickt  und  voll  Entsetzen  in  ihm 
den  Vater  seiner  Enkel  erkennt.  Da  zählt  uns  der  Dichter 
alles  der  Reihe  nach  auf,  wodurch  schon  die  blosse  Erscheinung 
Peruontos  Ekel  erregen  muss:  „otra  che  aveva  lo  capo  de 
velluto,  Tuocchie  de  cefescola,  lo  naso  de  pappagallo,  la  vocca 
de  cernia,  era  scauzo  e  vrenzoluso,  che,  senza  leggere  lo  Fio- 
ravante,   potive   pigliarete   na   vista  de  li  secrete.*     Auch  der 

1)  Teutacher  Merkur,  November  1778,  S.  103. 


Wielands  „Pervonte",  137 

franzosische  Bearbeiter  hielt  sich  bei  den  abstossenden  Gemüts- 
und Geisteseigenschaften   des  Märchenhelden   nicht  lange  auf, 
desto  mehr  jedoch  bei  seiner  äusseren  Missgestalt ;   aber   auch 
diese  schilderte   er   schon   am  Anfang   der  Geschichte,   gleich 
bei  der  ersten  Erwähnung  Pervontes.   Wieland  folgte  ihm  darin. 
Die  Aufgabe   selbst,   um  die  es  sich  dabei  handelte,    war  für 
ihn  weder  neu  noch  schwer;    hatte  er  doch  seit  dem  Gemälde 
der  Donna   Mergelina  im    «Don   Sylvio"   (Buch  U,  Kapitel  2) 
schon  manche   Probe   von   seiner  Kunst  gegeben,   körperliche 
Hässlichkeit    drastisch  zu  beschreiben.     So  hielt  er  sich  denn 
auch  jetzt   im    einzelnen  nicht  allzu  streng  an  das  Bild,    das 
m  nächster  Vorgänger    von   dem   widerlichen  Ausseren   des 
Barschen  entworfen  und  selbst  völlig  frei  gegenüber  der  Zeich- 
Dimg  des  Italieners  ausgeführt  hatte.    Um  Augen,  Lippen  und 
Zähne  kümmerte  er  sich  weniger  als  der  Franzose;    auch   die 
Ungleichheit  der  Schultern  und  Beine  ersetzte  er  durch  andere 
rnscfaönheiten    derselben    Körperteile.     Immerhin   blieb   mehr 
als  ein  Zug  von  Hässlichkeit,  den  er  unmittelbar  der  ^Biblio- 
theque'  verdankte.    Hier  hatte  es  von  Pervonte  geheissen:   ,11 
aToit  le  teint  fort  noir  et  les  cheveux  tres-roux,  un  oeil  petit 
^t  verd,  Fautre    plus  grand  et  bleu;    son   nez   etoit  gros,    ses 
Inres  4toient  tres-^paisses,  et  deux  longues  dents  jaunes  comme 
ieui  d^enses    de   sanglier,    sortoient  de  sa  bouche,  d^ailleurs 
nial  gamie:   il   avoit  une  ^paule  plus  haute  que  Tautre,  et  la 
.smbe  plus  courte  du  cöt^  oppos^."     Wieland    stellt   uns  den 
Jungen  Kerl*  vor,  wie  er  sich  im  Kopf  kratzt, 
•im  dicksten  Kopf,  den  je  der  weite  Sund 
von  einem  Ochsenmaul  in  zwoo  Halbkugeln  trennte, 
mit  rothem  Haar  garniert,  das  borstenweise  stund, 
und  um  die  schmale  Stirne  rund 
wie  angezündte  Stoppeln  brennte, 
die  Ohren  ellenlang,  die  Nase  kurz  und  dick 
wie  Hals  und  Leib,  die  Schultern  breit,  die  Beine 
wie  Pfosten  —  kurz,  der  Kruditäten  eine 
des  alten  Mütterchens  .  .  ."^) 

^)  Teutscher  Merkur,  November  1778,  S.  102  f. 


138  Frang  Muncker 

Aber  auch  die  Dummheit  und  die  gegen  alles  gleichgültige 
Trägheit   Pervontes,    der   wie   ein   Tier   nur   den   Trieb  nach 
Nahrung  in  sich  ftühlt,  schilderte  Wieland  mit  ausführlicheren 
Worten.  Dabei  klang  namentlich  ein  Satz  seines  französischen 
Vorgängers  in   seiner  Darstellung  nach:    «Ignorant  en  toui, 
b^te  jusqu'ä  ne  rien  comprendre:   si  c'est  ^tre  bon  garjon  que 
de  n'  avoir  aucune  volonte  ä  sei,  et  de  ne  former  aucune  espece 
de  desirs,   il  avoit  cette  qualite.*     Nur   umständlicher  spracli 
Wieland  ungefähr  den  gleichen  Gedanken    aus  und  yerbramte 
ihn  überdies  mit  ironischen  Einfallen   und   Anspielungen,  auf 
die  weder  Basile  noch  der  Verfasser  des  französischen  Auszugs 
gekommen  wären: 

„Da  war  auch  keine  Spur  von  Neugier  noch  Verstand; 

nichts  gieng  in  seinen  Kopf,  nichts  gieng  ihm  von  der 

Hand  .  .  . 
...  im  TJebrigen  ein  gutes  Vieh, 

den  nie  der  Kitzel  stach,  nach  wann,  warum,  und  wie, 

bey  irgend  einem  Ding  zu  fragen, 

und  den,  ist  nur  sein  Wanst,  womit  es  sey,  gefüllt, 

nichts  weiter  in  der  Welt  bekümmert; 

das  wahre  Seitenstück  zum  Bild 

des   Wdsen  beym  Horae,  dem's  mächtig  gleichviel  gilt 

wozu  die  Oötter  wohl  diess  schöne  Rund  gezimmert, 

dem  Sonne,  Mond  und  Stern  stets  unbewundert  schimmert, 

kurz,  der  fein  warm  und  dicht  in  —  Dummheit  eingehüllt, 

nichts  liebt  noch  hasst,  nichts  billigt  und  nichts  schilt/  ^) 

Noch  freier  verfuhr  Wieland  mit  seiner  Vorlage  in  def 
Charakteristik  der  fürstlichen  Personen.  Das  Wesen  des  Königs 
hatte  ßasile  überhaupt  nirgends  mit  besondem  Worten  ange- 
deutet,  sondern  liess  es  nur  aus  seinen  Reden  und  Handlungen 
erkennen;  ganz  ebenso  der  Franzose.  Wieland  dagegen  zeich- 
nete mit  manchem  Wortaufwand  den  König  als  einen  ausser- 
ordentlich schönen  Mann,  der  jedoch  allmählich  zu  altern  be- 
ginnt.    Von    seinen    Charaktereigenschaften   erfahren   wir  zu- 


')  Ebenda  S.  104. 


Wielands  „Pervante".  139 

nächst  auch  im  deutschen  Gedichte  nichts;  nur  hören  wir, 
dass  er  sich  eben  nicht  sehr  beeilt,  seine  Tochter,  die  in  ihrer 
Schönheit  ihm  täuschend  ähnlich  ist,  zu  vermählen.  In  Wie- 
laads  Vorlagen  stand  kein  Wort  von  dieser  Ähnlichkeit;  ja 
Basile  erwähnt  nicht  einmal  die  Schönheit  VastoUas  ausdrück- 
lich: sie  versteht  sich  für  ihn  wohl  von  selber.  Er  erzählt 
ans  nur,  dass  die  Prinzessin  „pe  naturale  malenconia*^  noch 
niemals  gelacht  hatte,  bevor  sie  Peruonto  erblickte.  Diesen 
angeborenen  Trübsinn  verwandelte  schon  der  französische  Be- 
arbeiter in  masslosen  Stolz,  dem  er  nun  auch  verschiedene 
rühmlichere  Eigenschaften  entgegenzustellen  sich  verpflichtet 
fühlte.  So  schilderte  er  die  Fürsten tochter  als  , belle,  char- 
cante,  qui  avoit  de  Tesprit  et  des  talens,  mais  de  la  hauteur, 
de  la  fiert^,  et  d^daignoit  tous  les  amans  qui  se  pr^entoient 
tn  foule  pour  lui  faire  la  cour.*  Wieland  entwarf  das  näm- 
liche Charakterbild  von  seiner  Vastola;  nur  malte  er  sowohl 
die  Schwärme  ihrer  Anbeter  wie  auch  neben  der  Schönheit 
der  Prinzessin,  des  „Abgotts  von  Salem",  die  Koketterie  der 
stets  «Eiskalten*'  und  ^ Kieselharten**  gegen  ihre  Werber  breiter 
aus,  ihr  «Zauberlächeln'',  das  die  Freier  „zum  Nichtermüden 
trischt*,  zugleich  aber  ihren  Trotz  und  ihre  Verachtung,  wo- 
mit sie  die  eben  Ermutigten  wieder  von  sich  stösst  und  jeder 
Hoffnung  beraubt.  Dazu  fügte  er  etwas  später,  bei  der  Er- 
zählung nämlich,  wie  Vastola  zum  ersten  Male  den  Pervonte 
sieht,  noch  einen  weiteren  Charakterzug,  mürrische  Launen- 
liäftigkeit,  die  ihr  den  Gegenstand  des  allgemeinen  Spasses 
nur  zum  Verdruss  und  Ekel  gereichen  lässt. 

Nicht  so  bedeutsam  wie  die  Charakteristik  der  wichtigeren 
Personen  bildete  Wieland  die  überlieferte  Handlung  des 
Xärcbens  um,  auch  hierin  seinem  französischen  Vorgänger 
«blich.  Nur  breiter  machte  zuerst  dieser  und  dann  noch  ein- 
ßial  der  deutsche  Dichter  alles,  Einzelheiten  schoben  sie  beide 
'^m.  auch  die  Anordnung  der  Teile  der  Geschichte,  die  Reihen- 
tolge  der  erzählten  Vorgänge  änderten  sie  hie  und  da  ein  wenig. 

Basile  hatte  seinem  Märchen  einige  kurze  moralische  Be- 
^rkungen  vorausgeschickt,  wonach  es  zeigen  sollte,  wie  keine 


140  Frone  Muneker 

gute  Tat  in  der  Welt  unbelohnt  bleibt.    In  der  «Bibliotheque" 
war  diese  Erörterung  gestrichen  worden ;  der  Bearbeiter  begann 
hier  sofort  mit  dem   ,11  y  avoit  une  fois*.     Wieland,  der  ge- 
rade den  kürzeren  epischen  Gedichten  aus  dem  ersten  Weimarer 
Jahrzehnt   eine   philosophierende  oder  moralisierende  Betrach- 
tung  vorauszusetzen    liebte,    deutete    in    dreissig    einleitenden 
Versen   so    ziemlich    auf  dasselbe    «Nil  admirari'^    des  Horaz, 
auf  das   er  einige  Seiten   später   bei   der  Charakterzeichnung 
Pervontes  wieder  anspielte,^)  um  den  Gedanken  des  alten  Lehr- 
meisters in  der  Lebenskunst    ganz   ähnlich   fortzuspinnen  wie 
dort:  Wie  der  Weise,  zufrieden  mit  den  Gaben  des  Geschicks, 
in    seiner   Weisheit    nichts    wünscht,    so    wünscht    auch   der 
Dümmste  nichts,    aus  Dummheit;   so  gleicht  sich  in  der  Welt 
alles   gegenseitig   aus,    und  darum  mögen  Weise   und  Narren 
in  brüderlicher  Liebe  nebeneinander  als  Kinder  Einer  Mutter 
friedlich  leben.    Mit  unbedingt  zwingender  Gewalt  ergibt  sich 
diese  Lehre  nicht  aus  dem  folgenden  Märchen ;  es  wäre  darum 
doppelt  befremdlich,  dass  Wieland  sie,  ohne  auch  nur  mit  einer 
Silbe  der  Moral  Basiles  zu  gedenken,    an   deren  Stelle  gesetzt 
hätte,  wenn  er  eben  diese  Moral  in  dem  neapolitanischen  Druck 
gelesen  haben  sollte. 

Die  eigentliche  Geschichte  beginnt  im  Italienischen  wie 
im  Französischen  mit  der  Schilderung  Peruontos  und  seiner 
Mutter;  Wieland  schiebt  die  Charakteristik  des  Köni^  und 
seiner  Tochter  voraus  und  springt  dann  ziemlich  unvermittelt 
zu  der  Beschreibung  des  bäuerlichen  Paares  über.  An  sich 
bedeutete  diese  Umstellung  keinen  Vorzug  des  deutschen  Dich- 
ters; bei  der  Umständlichkeit  aber,  womit  er  seine  Figuren 
auszumalen  pflegte,  konnte  er  sich  nicht  wohl  anders  helfen. 
Er  vermied  es  so,  seine  Erzählung  gerade  da,  wo  die  Hand- 
lung ohne  grossen  Schaden  unmöglich  stillstehen  durfte,  durch 
die  Schilderung  des  Fürsten  und  der  Prinzessin  ungebührlich 
lang  zu  unterbrechen.  Für  seine  sehr  viel  kürzer  charakterisie- 
renden Vorgänger  bestand  diese  Gefahr  überhaupt  nicht. 


^)  Vgl.  oben  S.  138. 


Widands  „Pervante''.  141 

Eine  unwesentlichere  Verschiebung   in   den   ersten  Vor- 
gängen der  Geschichte  selbst  hatte  schon  der  französische  Be- 
arbeiter Yorgenommen,    dem   Wieland   hier  getreulich  folgte. 
WieBasile  erzählte  er  den  Auftrag  der  Mutter  an  ihren  müssigen 
SohOf  aus  dem  Walde  Holz  für  die  Küche  zu  holen,  und  dessen 
Vollzug  durch  Penronte.    Das  im  Italienischen  anschaulich  und 
breit  dargestellte  langsame  Einhertrödeln  des  faulen  Schlingels 
beachtete  er  zunächst  nicht,   liess   ihn   nach  zwei  Worten  im 
Wald   angekommen    sein,     sein   Reisigbündel    zusammenlesen 
mi  nun   erst    ,en  niaisant  et  en  dandinanf    sich    auf  den 
Heimweg  machen.     Wieland  fühlte  hier,   wie  sonst  öfters,  die 
Last  und  die  Pflicht,  den  Vorgang  in  seine  einzelnen  Teile  zu 
zergliedern,  so  dass  wir  Schritt  vor  Schritt  die  Handlung  sich 
eotwickeln  sehen,  gleich  als  ob  er  die  Abschnitte  des  «Laokoon*^, 
welche  dieses  Verfahren  bei  Homer  rühmen,  neuerdings  gelesen 
Iiatte,  vielleicht  aber  auch  nur  in  unbewusster  Ausübung  der 
einst  den  Fabeln   La  Fontaines   und  ähnlichen  Mustern  abge- 
lernten Technik.     So  hatte  er  schon  vorher  Pervontes  Mutter 
sagen  lassen:    ,Nimm  deinen  Hut,  lauff  in  den  Wald!*^     Nun 
erzahlte  er  Zug  für  Zug,  wie  der  Bursche  sich  aufrafft,  in  den 
Wald  .schlendert'',   hier   zuerst  stehen   bleibt  und   nach  den 
Bäumen  herumgafft,  dann  ans  Werk  geht,  in  die  Hände  spuckt, 
unter  den  Bäumen  herumkriecht  und  sein  Bündel  dürres  Holz 
sammelt,    sich  vergebens  nach   Hause    getragen  wünscht  und 
endlich   sich   das  Bündel   auflädt   und   den   Heimweg   antritt. 
Wenn  sich  Wieland  bei  dieser  epischen  Ausführlichkeit  seines 
Vortrags  auch  in  gewissem  Sinne  der  Darstellung  des  italieni- 
^hen  Textes    näherte,   so   bedurfte   er   dazu  doch  keineswegs 
einer  unmittelbaren  Kenntnis  dieses  Textes.    Gegen  eine  solche 
Annahme  scheint  es  vielmehr  zu  sprechen,  dass  er  gleich  dem 
französischen   Bearbeiter   Pervonte    erst    nach   getaner  Arbeit 
4ie  Feen  erblicken  liess,  wie  er  aus  dem  Wald  wieder  auf  das 
*reie  Feld   heraustritt.     Bei   Basile   begegnet  er  den  drei  mit 
Wunderkraft  begabten  Wesen  bereits  auf  dem  Wege  zum  Wald. 
Hier  sind  es  aber  Jünglinge,    Söhne  einer  Fee,    die  da  mitten 
31  der  heissesten  Sonne  schlafen.    Nur  die  der  neapolitanischen 


^ ( 


142  Frane  Muneker 

Mundart  eigene  Bildung  des  männlichen  Plurals  auf  e  (.tre 
guagnune",  ,ste  poverielle*,  «chille  giovane*  und  in  einigen 
Ausgaben  auch  »figlie  de  na  fata"  u.  s.  w.)  führte  den  fran- 
zösischen Bearbeiter  irre,  so  dass  er  die  Schlafenden  für  Mäd- 
chen nahm.  Wieland  schloss  sich  um  so  unbedenklicher  an 
ihn  an,  als  ihm  Feen  zweifellos  geläufiger  waren  als  zauber- 
kräftige Söhne  von  Feen. 

Auch  die  Art,  wie  Pervonte  die  der  Sonnenglut  ange- 
setzten Frauen,  deren  Schönheit  ihn  rührt,  durch  ein  Laub- 
dach schützt  und  endlich  erweckt,  nahm  er  in  der  Hauptsache 
aus  dem  Französischen,  das  hier  durch  manche  kleine  Züge 
die  italienische  Vorlage  erweitert  hatte.  Schon  in  der  »Biblio- 
theque*  breitet  der  mitleidige  Bursche  über  die  drei  Laub- 
dächer, die  er  hier  errichtet,  seine  Schürze,  seinen  Rock  und 
sein  Schnupftuch.  Bei  Wieland  nimmt  er  zum  selben  Zwecke 
sein  Wamms  und  Halstuch.  Dann  lacht  er  herzlich  über  seinen 
guten  Einfall  und  «yahnt  aus  vollem  Rachen 

so  laut  als  eine  Eselin, 
bis  unsre  Nymfen  dran  erwachen." 

Sein  Gelächter,  hatte  es  im  Französischen  geheissen,  „etoit 
eclatant,  et  ressembloit  beaucoup  au  braiement  d'un  äne".  Im 
Italienischen  fehlte  das  Lachen  überhaupt  und  somit  auch  der 
drastische  Vergleich.  Die  drei  Jünglinge  erwachen  hier  von 
selbst,  sehen,  wie  gefällig  sich  ihnen  der  Bauembursche  er- 
wiesen hat,  und  sagen  ihm  ohne  weitere  Zwischenreden  sogleich, 
dass  ihm  alles  zuteil  werden  solle,  was  er  wünsche.  Im  Fran- 
zösischen fragen  ihn  die  Feen  zuerst,  ob  sie  ihm  für  die  liebens- 
würdige Aufmerksamkeit  verpflichtet  seien,  und  Pervonte  ant- 
wortet auf  diese  Frage  wie  hernach  auf  die  Mitteilung  der 
Dankbaren,  dass  sie  ihm  ein  Geschenk  machen  wollen,  mit 
Reden,  die  trotz  der  Unbeholfenheit  und  Plumpheit  des  Aus- 
drucks zu  viel  Zartgefühl  verraten,  auch  zu  verständig  und 
besonders  zu  wortreich  sind,  als  dass  wir  sie  dem  Tölpel  zu- 
trauen sollten.  Viel  richtiger  schweigt  er  bei  Wieland  mit 
gesenktem  Blick  und  schmunzelt  bloss  und  dreht  den  Hut. 
In  den  Reden    der   Feen    klingt   übrigens  auch  hier  mehrfach 


Widcmds  „PenotUe",  143 

das  Französische  nach.  Ebenso  in  den  Versen,  in  denen  beim 
Vetschwinden  der  drei  Wunderfrauen  Pervonte,  der  von  allem 
oiclits  begriffen  hat,  sein  Befremden  ausspricht,  dass  sie  ihn 
trotz  aller  guten  Worte  nicht  mit  klingender  Münze  belohnt 
lütten;  auch  davon  steht  bei  Basile  nichts. 

Wieder  genau  nach  dem  Französischen  auch  in  jenen 
die  Handlung  Schritt  vor  Schritt  uns  vorführenden  Einzel- 
zQgen,  über  die  der  italienische  Verfasser  achtlos  hinwegge- 
gangen war,  erzählt  Wieland  den  Ausruf  des  heimkehrenden 
Perronte,  dass  das  Reisigbündel,  das  er  tragen  soll,  lieber  ihn 
tragen  möchte,  die  augenblickliche  Erfüllung  dieses  Wunsches 
und  den  Ritt  des  bald  von  einer  johlenden  Menge  begleiteten 
Barschen  auf  dem  Bündel  am  königlichen  Schlosse  zu  Salem 
vorbei.  Vor  dem  Schlosse  macht  das  Bündel,  wie  Basile  in 
l^ungenster  Kürze  sagt,  Volten  und  Kurbetten  zum  Er- 
staunen (,fece  rote  e  crovette  da  stordire*).  Der  französische 
Bearbeiter  hatte  es  schon  auf  dem  Wege  zum  Schloss  die  ver- 
schiedenartigsten Sprünge  machen  lassen  («le  fagot . . .  se  met 
ägambader,  ä  pirouetter,  et  ä  caracoUer"),  die  Wieland  gar  nicht 
alle  nachbilden  konnte.  Vor  den  Fenstern  des  Fürsten  aber 
machen  in  der  «Bibliotheque*  Pervonte  und  das  Bündel  gleich- 
falls absichtlich  Halt  und  zeigen  alle  ihre  Künste:  «le  cavalier 
et  le  fagot  m6me  jugerent  ä  propros  de  s'arr^ter  quelque 
temps  dans  cet  endroit,  et  d'  y  faire  tous  leurs  exercices." 
Diese  Übertreibung,  die  überdies  für  den  gedankenlosen,  auch 
jetzt  den  Zusammenhang  der  Dinge  noch  nicht  begreifenden 
Pervonte  in  keiner  Weise  passte,  liess  Wieland  mit  Fug  und 
Recht  beiseite.  Ebensowenig  eignete  er  sich  die  ungeschickte 
Zutat  des  Franzosen  an,  dass  vom  Schloss  aus  die  Prinzessin 
in  Gesellschaft  ihres  Vaters  dem  lächerlichen  Schauspiele  zu- 
sah. Nur  ihre  Damen  befinden  sich  bei  ihr,  im  Deutschen 
^e  un  Italienischen,  das  aber  durch  diese  Übereinstimmung 
«ieder  nicht  als  notwendige  Vorlage  Wielands  zu  erweisen  ist: 
sein  eigner  künstlerischer  Sinn  konnte  ihm  schon  sagen,  dass 
<ler  König  vor  dem  Volksfest  Pervonte  nicht  zu  Gesicht  be- 
kommen darf. 


144  Frans  Muneker 

Bei  Basile  lacht  die  trübsinnige  Fürstentocliter  beim 
Anblick  des  seltsam  springenden  Bündels  mit  seinem  Beiter 
zum  ersten  Mal  in  ihrem  Leben  laut  auf,  und  der  Bursche, 
ärgerlich  über  diese  Verhöhnung,  ruft  ihr  alsbald  zu:  ,0  Va- 
stoUa,  ya,  che  puozze  deventare  prena  de  sto  fusto!"  Der  fran- 
zösische Bearbeiter  führt  die  Szene  weiter  aus:  die  Königs- 
tochter lacht  zuerst  tüchtig,  dann  ruft  sie  laut,  dass  Pervonte 
es  hören  muss:  «Assuräment  le  cheval  n^est  pas  beau;  mais 
le  cavalier  est  encore  plus  vilain,  plus  mausade,  et  plus  ridi- 
cule.*  Nun  erst,  durch  diese  Worte  gereizt,  schreit  der 
Bursche  ihr  seinen  groben  Wunsch  zurück,  auch  wieder  um- 
ständlicher und  im  einzelnen  genauer  bestimmt  als  im  Italie- 
nischen: ,Ah,  ah,  Mameselle  la  Princesse,  vous  ne  me  trouvez 
donc  pas  ä  votre  gr^?  Eh  bien,  je  souhaite  que  vous  soyez 
grosse  de  moi  de  deux  enfans,  afin  de  Yoir,  apres  cela,  comment 
vous  me  trouverez/  Wieland  hält  sich  durchaus,  manchmal 
fast  wörtlich,  an  den  Franzosen,  erweitert  und  verstärkt  ihn 
aber  überall  und  strebt  nach  genauerer  Begründung  des  Ein- 
zelnen. Die  Prinzessin  ist  gerade  schlechter  Laune  und  lacht 
deshalb  überhaupt  nicht  über  Pervonte,  der  ja  so,  wie  ihn 
Wieland  zeichnet,  ein  herzhaftes  Lachen  nicht  leicht  übel 
nehmen  würde;  sondern 

Sie  rümpft  die  Nase,  wirft  sich  in  die  Brust, 

und  ruft:   „Seht  doch  den  Bärenhäuter, 

„den  Vogelschreck!  —  Sein  Pferd  ist  freylich  schlecht, 

„und  doch  ists  noch  zu  schön  für  einen  solchen  Knecht.) 

„Das  missgeschafne  Thier!" 

Pervontens  lange  Ohren, 

wiewohl  sein  Witz  so  dick  war  als  sein  Fell, 

verlohren 

kein  Wort  von  diesem  Lobe  —  „So?  Mamsell 

Princessin,  ruft  er,  bin  ich  nicht  nach  ihrem  Schnabel? 

Gut!  War'  ich  auch  der  grosse  Bei  zu  Babel, 

so  wünsch  ich,  dass  sie  auf  der  Stell 

mit  Zwillingen,  versteht  sie,  schwanger  gienge, 

und  das  von  mir! 


Wielanäs  „Pervanie*'.  145 

Dann  wollten  wir  doch  sehn,  eh  sie  von  Thür  zu  Thür 

mit  ihren  Krabben  betteln  gienge, 

ob  sie  dem  missgeschafnen  Thier 

mit  Freuden  nicht  sich  an  den  Gürtel  hiengel^^) 

Nach  diesem  Zomesausbruch  reitet  er  stracks  nach  Hause. 
Iber  seine  Ankunft  daselbst  berichtet  Basile  nur,  dass  die 
Mutter  vor  den  nachfolgenden  Gassenjungen  schleunigst  die 
Türe  zusperrt.  Ob  sie  auch  ihren  Sohn  über  seinen  seltsamen 
Ritt  befragt,  wird  uns  nicht  verraten ;  das  Märchen  kehrt  sofort 
zum  Schicksal  der  Prinzessin  zurück.  Erst  der  französische 
Bearbeiter,  und  in  engem  Anschluss  an  ihn  Wieland,  erzählt 
Ton  den  Fragen  der  erstaunten  Mutter,  von  Pervontes  ver- 
worrenen Antworten,  aus  denen  niemand  klug  wird,  und  von 
meinem  ferneren  müssigen  Leben,  während  man  das  ganze 
Abenteuer  allmählich  vergisst:  ohne  Zweck  und  Plan,  lebt  der 
trage  Tölpel  auch  ohne  Wunsch  weiter,  so  dass  er  Jahre  lang 
nicht  dazu  kommt,  die  —  unbewusst  ihm  eigene  —  Feengabe 
zu  erproben. 

Etwas  rascher  ging  die  „Bibliotheque"  über  die  im  Italieni- 
schen mit  naiver  Derbheit  geschilderte  wunderbare  Schwanger- 
schaft und  schliessliche  Niederkunft  der  Prinzessin  hinweg: 
nur  betonte  sie,  dass  Vastole  beständig  ihre  Unschuld  ver- 
sichert und  in  diesem  Gefühle  gerade  jetzt  doppelt  spröde 
gegen  alle  Bewerber  ist.  Wieland  folgte  seinem  französischen 
Vorgänger  hier  in  allem  und  jedem;  doch  malte  er  selbständig 
in  grösster  Breite  das  Gerede  am  Hofe  und  in  der  Stadt  über 
den  unerklärlichen  Vorgang  aus.  Den  Zorn  des  Königs,  der 
•Tor  Gift  und  Galle  gelber  als  eine  Quitte  wird*,  deutete  er 
dagegen  ebenso  wie  der  Franzose  nur  mit  wenigen  Worten 
»n.  während  sich  bei  Basile  der  Wütende  in  langen  Reden 
^oll  der  spitzfindigsten  Wortspiele  ergeht,  den  Tod  seiner 
Tochter  schon  vor  ihrer  Entbindung  und  ebenso  unmittelbar 
^mach  verlangt  und  sich  nur  durch  die  gleichfalls  wort-  und 
'Ortspielreichen  Vorstellungen  seiner  Räte  bestimmen  lässt  zu 


*)  TeatBcher  Merkur,  November  1778,  S.  109  f. 


146  t)ran$  Muncker 

warten,  bis  er  mit  der  Verführten  auch  ihren  jetzt  noch  un- 
entdeckten  Verführer  bestrafen  kann.  So  wachsen  die  Kinder 
der  Prinzessin  inzwischen  unbehelligt  heran.  Basile  bezeichnete 
sie  ausdrücklich  als  „dui  mascolune,  comme  a  dui  pomme 
d^oro^;  der  Franzose  machte  daraus  „deux  petites  fiUes'*,  und  so 
erzählte  auch  Wieland  von  zwei  , holden  Töchterchen*,  über 
deren  —  im  Französischen  als  selbstverständlich  nicht  besonders 
erwähnte  —  Schönheit  er  ein  paar  allgemeine  Worte  beifügte. 

Auf  das  erneute  Drängen  des  Königs  nach  sieben  Jahren 
schlägt  im  Italienischen  ein  Ratgeber  vor,  ein  grosses  Festmahl 
zu  veranstalten,  zu  dem  ^ogne  tetolato  e  gentelommo  de  sta 
cetate*  oder,  wie  es  hernach  heisst,  „tutte  le  perzune  de  ciappa 
e  de  cunto^  zu  erscheinen  haben;  aber  die  herbeigeholten 
Zwillinge  verraten  zu  keinem  der  Anwesenden  die  geringste 
Zuneigung.  Aus  dem  einfachen  Ratgeber  machte  der  fran- 
zösische Bearbeiter  ^un  sage  Ministre  du  Roi'^,  Wieland,  der 
nur  bis  zum  sechsten  Jahre  der  beiden  Kinder  wartete,  einen 
Seneschall,  den  er  ironisch  als  «Mann  von  grossem  Kopf* 
bezeichnete.  Die  ausführliche  direkte  Rede  des  Ratgebers  bei 
Basile  hatte  der  Franzose  in  einen  kurzen  Satz  zusammen- 
gedrängt und  sich  dazu  der  Form  der  oratio  obliqua  bedient. 
Wieland  griff  wieder  auf  die  direkte  Rede  zurück,  legte  aber 
seinem  Seneschall  Worte  in  den  Mund,  die  nicht  die  geringste 
Ähnlichkeit  mit  dem  Italienischen  aufweisen.  Die  Gesamtheit 
des  Adels,  die  der  Franzose  ungefähr  ebenso  wie  Basile  aus- 
gedrückt hatte  („toute  la  Noblesse'^,  «tous  les  grands  Seig- 
neurs  du  Royaurae,  jeunes  et  vieux"),  umschrieb  er  eigen- 
artig: „vom  Hübnerstopfer  an  bis  zu  den ^)  Herrn  mit  Stäben, 
was  königlich  sich  schreibt.  Erst  die  späteren  Ausgaben 
seiner  Dichtung  (seit  1785)  brachten  dafür:  „Vom  kleinsten 
Junker  an  bis  zu   den   Herrn   mit  Stäben,  Was  Ahnen  hat*. 

Nun  lässt  bei  Basile  der  König  auf  den  Vorschlag  seiner 
Räte  sogleich  ein  zweites  Gastmahl,  an  einer  langen  langen 
Tafel,   für   die   niedrigen   Leute   und   alles  Gesindel   der  Stadt 

1)  Im  „Merkur"  (Dezember  1778,  S.  190)  steht  verdruckt:  dem. 


Wieländs  ,,Perv<mte'',  147 

geben  (das  im  Italienischen  weitläufig  aufgezählt  wird),  um 
hier  Tielleicht  den  Vater  der  Zwillinge  zu  entdecken,  „perche 
la  femmena  s'attacca  sempre  a  lo  peo*'.  Zu  diesem  Gastmahl 
begibt  sich  auf  Zureden  seiner  Mutter  auch  Peruonto,  und 
hum  erscheint  er,  so  laufen  die  beiden  Kinder  auf  ihn  zu  und 
Qberbäufen  ihn  mit  Liebkosungen.  Der  französische  Bearbeiter 
setzte  an  die  Stelle  eines  regelrechten  Gastmahls  „une  cocagne' 
für  das  Volk  von  Salem  und  schilderte  nach  Berichten  solcher, 
die  Süditalien  bereist  hatten,  einzelne  Einrichtungen  eines  der- 
artigen Volksfestes,  besonders  die  „Pyramide**,  die  man  dabei 
dem  Pöbel  zur  Plünderung  überlässt,  einen  auf  offnem  Platze 
iioch  aufgerichteten,  mit  allerlei  Esswaren  umsteckten  Mastbaum. 
Wieland  folgte  wieder  dem  Franzosen,  schob  aber  vor  der 
-  genau  nach  seiner  Vorlage,  nur  etwas  breiter  geschilderten  — 
.Cöcagne",  deren  Namen  er  sogar  beibehielt,  noch  einen  zweiten, 
erfolglosen  Versuch,  einen  Ball  für  die  Bürger  von  Salem, 
selbständig  ein  und  leitete  sowohl  zu  diesem  zweiten  wie  dann 
zu  dem  dritten  Versuche  durch  lebhafte  Reden  zwischen  dem 
König  und  seinem  Seneschall  hinüber. 

Zu  dem  Volksfest  treibt  in  der  „Bibliotheque"  die  Mutter 
itn  Pervonte:  ,Vas-y  ...  tu  m'en  rapporteras  du  moins  un 
cervelas*.    Fast  die  nämlichen  Worte  spricht  sie  bei  Wieland: 

,.  .  .  geh,  du  auch;  du  wirst  doch  eine  Wurst 
zum  wenigsten  von  diesem  Spass  erhaschen; 
lauf  was  du  kannst!'' 

Die  letzte  Ermahnung,  die  den  bei  der  Trägheit  Pervontes 
nicht  recht  wahrscheinlichen  Erfolg  hat,  dass  der  „Rothkopf 
beuchend  angelauffen"  kommt,  stammt  aus  der  kurzen,  auch 
^oU  nicht  so  buchstäblich  zu  nehmenden  Bemerkung  des  fran- 
zösischen Bearbeiters  „et  le  ben6t  y  court".  Wie  im  Italie- 
nischen und  Französischen,  eilen  auch  bei  Wieland  die  Kinder 
.mit  offnen  Armen*  (»les  bras  ouverts")  auf  Pervonte  zu.  Das 
Jnder  »Bibliotbeque*  nur  ganz  allgemein  angedeutete  Erstaunen 
i»  Hofes  und  den  Zorn  des  Fürsten  drückte  aber  Wieland 
j*hr  glücklich  mit  humoristischer  Wirkung  durch  ein   kurzes 


148  Frans  Muneker 

Gespräch  zwischen  dem  über  den  Erfolg  seines  Vorschlags 
erfreuten  Seneschall  und  dem  wütenden  König  aus.  Damit 
näherte  er  sich  wieder  der  Darstellungsweise  Basiles,  der  hier 
gleichfalls  zur  direkten  Rede  gegriffen  hatte.  Auch  aus  der 
im  Italienischen  hier  erst  eingefügten  Schilderung  der  äusser- 
lichen  Hässlichkeit  des  Burschen,  die  Wieland  gleich  dem 
Franzosen  ja  schon  viel  früher  gebracht  hatte,  scheint  doch 
noch  ein  Zug  hier  in  das  deutsche  Gedicht  herüberzuwirken 
und  zwar  ohne  Vermittlung  der  französischen  Nacherzählung. 
Barfuss  und  zerlumpt  (^scauzo  e  vrenzoluso*')  kommt  Basiles 
Peruonto  zu  dem  Gastmahl;  und  Wieland  beschreibt  ihn 

„.  .  .  .  so  schmutzig  als  er  da 

in  seiner  Jacke  steht,  mit  ungekämmten  Haar 

und  ohne  Schuh*. 

Doch  beschränkt  sich  auch  hier  die  Ähnlichkeit  auf  einen  ein- 
zigen, nebensächlichen  Zug,  auf  den  der  deutsche  Dichter  sehr 
leicht  von  selbst  ohne  jede  fremde  Anregung  kommen  konnte. 
Die  Worte  aber,  die  er  dem  König  in  den  Mund  legte,  unter- 
scheiden sich  so  sehr  von  den  italienischen,  dass  man  auch 
hier  kaum  auf  eine  unmittelbare  Benutzung  des  neapolitanischen 
Textes  wird  schliessen  dürfen. 

Ein  weiterer,  gleichfalls  selbständig  ausmalender  Zug  Wie- 
lands ist  es,  dass  der  erzürnte  Fürst,  sobald  die  arme,  sich 
keiner  Schuld  bewusste  Vastola  anfangen  will,  sich  zu  ver- 
teidigen, „ihr  Arm  und  Bein  zu  brechen"  droht.  Die  Strafe, 
zu  der  er  die  Prinzessin  samt  dem  Burschen  und  den  beiden 
Kindern  verurteilt,  dass  sie  zusammen  in  ein  Fass  gesteckt  und 
ins  Meer  geworfen  werden  sollen,  und  der  sofortige  Vollzug 
dieser  Strafe  wird  im  Italienischen,  Französischen  und  Deutschen 
ziemlich  gleichmässig  dargestellt.  Nur  fallen  bei  Basile  die 
Räte,  bei  dem  Franzosen  und  bei  Wieland,  der  sich  auch  hier 
wieder  der  direkten  Rede  bedient,  der  König  selbst  in  seiner 
Leidenschaft  den  Spruch,  und  bei  ihnen  steht  auch  schon  das 
Fass  bereit  von  dem  Volksfest  her,  wo  man  es,  mit  Wein 
gefüllt  —  Wieland  nimmt  an,  mit  „ziemlich  saurem  Wein*  — 


WuHanda  „Pervonte".  149 

dem  Pöbel  preisgeben  woUte.  Dagegen  fiel  schon  in  der 
.Bibliotheque'  die  Bemerkung  Basiles  weg,  dass  einige  jam- 
mernde Hofdamen  der  Prinzessin  in  das  Fass  noch  ein  kleines 
Fi^Iein  voll  Rosinen  und  getrockneten  Feigen  werfen,  damit 
ihiv  unglückliche  Herrin  wenigstens  für  eine  kurze  Zeit  zu 
leben  habe.     Der  Satz  fehlte  demgemäss  auch  bei  Wieland. 

Im  Zusammenhange  damit  entwickelte  sich  denn  auch  die 
nächste  Szene  formal  verschieden  im  neapolitanischen  Märchen 
und  in  seinen  beiden  Bearbeitungen.     In  jenem  fragt  die  ver- 
zweiflungsvoll weinende  YastoUa,  die  vorläufig  an  kein  Wunder 
denkt,  nach  dem  eben  Erlebten  aber  an  der  Vaterschaft  Peruon- 
t')s  nicht  mehr  zweifelt,   diesen    in    der    naiv -unanständigsten 
^^eise,  wie  er  es  angestellt  habe,  sie  in  diese  entsetzliche  Lage 
K  bringen.    Der   Tölpel    antwortet    auf   diese    wie    auf  jede 
folgende  Frage    und    Bitte    regelmässig:    „Si   vuoie  che  te  lo 
<üco,  tu  dämme  passe  e  fico'',  und  als  seine  Esslust  befriedigt 
i<  erzählt  er  die  ganze  Geschichte.    Der  französische  Bearbeiter 
des  achtzehnten  Jahrhunderts   konnte    die   urwüchsigen  Derb- 
leiten des  Italienischen  seinen  Lesern  unmöglich  zumuten.    So 
hielt  er  die  Frage  nach  dem  Wie,  auf  die  sein  Pervonte  keine 
Antwort   weiss,    ganz   allgemein,    doch   so,    dass   sie   zugleich 
ien   vollen    Unglauben    zeigte,    mit    dem    die   Königstochter 
ä:e  Losung    des  langjährigen ,  Rätsels  aufnimmt,    und  Hess  un- 
fliittelbar  darauf  die  Versicherung  der  Prinzessin  folgen,    dass 
sie  den  mit  ihr  verurteilten  Burschen  überhaupt  noch  nie  ge- 
lben habe,    wofern    er   nicht   etwa  jener  Geselle  sei,  der  vor 
^twa  acht  Jahren  auf  dem  Reisigbündel  am  königlichen  Schlosse 
Y^jrbeiritt.     „Eh!    mais   vraiment   c'etoit  moi-mßme**,    erwidert 
'ia  Pervonte,   ,a  telles  enseignes  que  vous  me  trouvates  vilain, 
^^-  que,  piqu^  de  cela,   je  souhaitai  que  vous  fussiez  grosse  de 
W  de  deux  enfans  tout  d'un  coup.     Oh  Dame!   Tout  ce  que 
]^  i^uhaitois  dans  ce  temps-lä,    arrivoit  sans  faute;    parce  que 
jüTois  rendu    service    ä  trois  Fees   qui   m'avoient   dit   que   je 
^avois  qu'ä  desirer.*    Das  in  seiner  regelmässigen  Wiederkehr 
^r  das  echte  Volksmärchen  so  bezeichnende  gereimte  Sprücli- 
>in  mit  dem  Verlangen  nach  Rosinen  und  Feigen  konnte  bei 

l'«a.  3itigBb.  d.  phUot.-phi]ol.  n.  d.  bist  Kl.  1 1 


150  Fron»  iiunelur 

einer  derartigen  lebhafteren   Gestaltung  des   GeBprächs  keine 
Stelle  mehr  finden;  darum  strich  der  Bearbeiter  das  ganze  Motiv. 

Wieland  folgte  hier  durchweg  in  freier  Weise  der  ,Biblio- 
theque".    Hatte  diese  das  Entsetzen  und  die  VerzweifloDg  der 
Prinzessin  eben  auch  nur  genannt,  so  malte  er  die  fürchterliche 
Lage  der  mit  Pervonte  zusammengesperrten,   dem  Tode  preis- 
gegebenen Fürstentochter  mit  kräftigen  Stricheln   genauer  aus 
und  legte  dabei  den  Nachdruck   besonders  auf  das  Widerliche 
und  Schmachvolle  der  Situation  fClr  die  spröde,  stolze  Yastola. 
So  zeugen  denn  auch  ihre  Reden   von   einem  Ekel   und  einer 
Verachtung    ihres    Schicksalsgenossen,    die    im    Französiseheu 
nicht  wahrzunehmen  sind.    Mit  Abscheu  und  unbedingtem  Un- 
glauben weist  sie  den  Gedanken   an  seine  Vaterschaft  zurück. 
Breiter   und    derber  als  in  der  ganz  abgeblassten  Darstellung 
der  „Bibliotheque*,  zugleich  jedoch  noch  lebendiger  und  natür- 
licher in  Rede  und  Gegenrede  gegliedert,   entwickelt  sich  hier 
ihr  Gespräch  mit  dem  plumpen  Burschen.     Auf  ihren  Ausruf 
„Ich,  die  dich  nie  in  meinem  Leben  sah!'  unterbricht  sie  dieser: 

,Was  das  betrift  Frau  Donna  Vastola, 

da  möchtet  ihr  die  Wahrheit  ziemlich  sparen.* 

Und  nun  entspinnt  sich  zwanglos  mit  dramatischer  Munterkeit 
der  Dialog: 

Ach!  nun  besinn  ich  michs  —  an  deinen  rothen  Haaren 

und  an  dem  weitgespaltnen  Maul  — 

Bist  du  vielleicht  der  Schuft,  der  auf  dem  Steckengaul 

hey  unserm  ScMoss  vor  siAen  Jahren 

vorbeyyeritten  ham? 

„Ey  freylich,  bin  ich  der! 
Ich  weiss  es  noch  als  wärs  von  gestern  her; 
besinne  mich  gar  wohl,  wie  ihr  das  Naschen  rümpftet, 
und  wie  ein  Sperling  auf  mich  schimpftet, 
und  hiesst  mich  Vogelschreck  und  Zeidelbär, 
und  was  vors  Maul  euch  kam  —  Es  kroch  mir  übern  Magen, 
das  läugn^  ich  nicht;  und,  mit  Respect  zu  sagen, 
da  wünscht^  ich  euch,  ihr  möchtet  straks  von  mir 


WUüandM  „Pervonte''.  151 

mit  Zwillingen  ein  wenig  schwanger  gehen: 

Ihr  solltet,  dacht  ich,  Spass  verstehen; 

Wie  ihr  Ernst  draus  gemacht  und  zu  den  Püppchen  hier 

gekommen  seyd,  da  möcht  ihr  selber  sehen. 

Ich,  wie  ihr  wisst,  weiss  weder  Gicks  noch  Gacks 

davon.    Das  weiss  ich  nur:  ich  hatt^  es  Ton  den  Feen 

dass  damals,  was  ich  wünschte,  stracks 

geschehen  musste.* 

Wie?  das  hattest  du  von  Feen? 
.Nieht  anders!  Meine  Keuterey 
auf  einem  Bündel  Reis  bey  euerm  Schloss  vorbey 
kam  bloss  daher. '^) 

Daran  schliesst  sich  dann  im  Deutschen  wie  im  Fran- 
»«schen  ganz  von  selbst,  und  zwar  mit  beinahe  wörtlicher 
Uereinstimmung,  die  Frage,  ob  Pervonte  diese  Feengabe  noch 
inimer  habe,  und  seine  Antwort,  dass  er  dies  nicht  wisse,  da 
&  bei  seiner  Mutter  immer  genug  zu  essen,  also  nichts  zu 
wünschen  gehabt  habe.  Im  Italienischen  fehlt  auch  diese  Er- 
wägung; VastoUa  hat  hier  kaum  vernommen,  wie  vor  acht 
lahren  alles  vor  sich  ging,  so  bittet  sie  den  noch  eben  Ge- 
scbmahten  mit  den  freundlichsten  Worten  —  sie  nennt  ihn 
.Frate  mio*  und  ,Bello  giovane  mio**  — ,  dass  er  das  Fass 
in  ein  schönes  SchiflF  und,  als  es  Abend  wird,  das  SchifiF  in 
^  herrliches  Schloss,  endlich  sich  selbst  in  einen  schönen, 
Unen  jungen  Mann  verwandelt  wünsche.  Und  Peruonto  ver- 
engt jedes  Mal  seine  Handvoll  Feigen  und  Rosinen;  dann 
sj'richt  er  den  Wunsch  aus,  der  sich  alsbald  erfüllt.  Die  über- 
^'Mihende  Vollkommenheit  dieser  Erfüllung,  das  geschäftige 
Tmben  auf  dem  Schifife,  die  prächtige  Einrichtung  des  Pa- 
1^,  die  nunmehrige  Schönheit  Peruontos,  schildert  Basile 
2iit  wenigen,  aber  bezeichnenden  und  durchaus  genügenden 
Strichen. 

Der  französische  Bearbeiter  wandte  schon  beträchtlich 
c^ehr  Worte  auf,  obgleich  bei  ihm  Pervonte  ohne  jede  Gegen- 

')  Teutscher  Merkur,  Janaar  1779,  S.  5  f. 

11* 


152  Dräne  Muncker 

forderung  sogleich  den  Bitten  der  Prinzessin  Gehör  schenkt. 
Zuerst  wünscht  er  hier  nur  Lebensrettung  überhaupt,  worauf 
das  Fass  flott  und  sicher  auf  den  Wogen  dahinschwimmt, 
dann  erst  ein  schönes,  mit  allem  Nötigen  bequem  ausgestattetes 
Schiff,  hernach  in  einem  anmutigen,  aber  unbewohnten  Tal 
am  Ufer  ein  prächtiges  Schloss  mit  Park,  Obstgarten,  Weide- 
plätzen, allerlei  Tieren,  dazu  Diener,  Dienerinnen  und  sonstiges 
Gefolge.  Die  beiden  letztem  Wünsche  spricht  ihm  die  Prin- 
zessin Wort  für  Wort  vor.  Im  Schlosse  setzen  sich  die  Ge- 
retteten zu  Tisch,  begeben  sich  dann,  müde  von  den  Auf- 
regungen des  Tages,  bald  zur  Ruhe,  und  erst  beim  nächsten 
Mittagsmahl  wünscht  sich  Pervonte  der  Prinzessin  zuliebe 
persönliche  Schönheit. 

Obgleich  fast  doppelt  so  umfangreich  wie  das  Italienische, 
verhält  sich  doch  die  Erzählung  in  der  „Bibliotheque*  zu 
Wielands  Darstellung  dieser  nämlichen  Vorgänge  wie  eine 
knapp  andeutende  Skizze  zur  breitesten  Ausführung.  „Mon 
eher  Pervonte*,  hatte  auch  im  Französischen  die  Prinzessin 
sogleich  begonnen,  als  sie  von  der  Feengabe  hört,  die  ihr  sonst 
nur  Abscheu  erweckender  Geföhrte  besitzt.  Wieland  lässt  sie 
zuerst  noch  grob  auf  seine  Dummheit  schimpfen,  die  ihn  die 
ganzen  Jahre  her  nie  zu  einem  Wunsch  hat  kommen  lassen; 
dann  sucht  sie  ihn  —  nicht  ohne  Ironie  —  zum  Wünschen 
zu  bewegen.  Und  nun  weigert  sich  der  durch  ihre  Schmähungen 
gekränkte  Pervonte  und  gibt  ihren  Bitten  erst  nach,  als  sie 
ihm  „einen  derben  Schmatz*  gewährt,  dessen  Widerlichkeit 
für  die  stolze  Vastola  Wieland  nachdrücklich  hervorhebt.  Also 
auch  hier  lässt  sich  der  Tölpel  seine  Bereitwilligkeit  zu  wün- 
schen durch  eine  Gegengabe  abkaufen  wie  bei  Basile,  im  Gegen- 
satze zur  französischen  Fassung.  Doch  scheint  auch  dieses 
Motiv  nicht  aus  dem  italienischen  Texte  zu  stammen:  der  Ver- 
fiisser  der  „Komischen  Erzählungen*  und  der  folgenden,  geistig 
verwandten  Dichtungen  brauchte  keinen  fremden  Lehrmeister, 
um  zu  schildern,  wie  eine  spröde  Schöne  sich  in  der  Not  gegen 
den,  der  sie  retten  kann,  nachgiebig  erweist. 

Die  beiden  ersten  Wünsche  der  französischen  Bearbeitung 


Wi^ands  „PervofUe".  153 

drängte  Wieland  in  einen  zusammen :  sein  Pervonte  muss  sich 
sogleich  «die  schönste  kleine  Barke*  wünschen,  wohl  versehen 
mit  allem  Nötigen  und  bemannt  mit  rüstigen  Matrosen.   Auch 
liier  kehrte  der  deutsche  Dichter  doch  wohl  unbewusst  zu  der 
Fassung  des   italienischen  Originals    zurück.     Sie   ergab   sich 
üun  ganz  natürlich  von  selber:   wenn   die   Prinzessin   die  £r- 
liorung  ihrer  Bitte  so  teuer,  durch  einen  Euss,  bei  dem  wider- 
lichen Gesellen   erkaufen   muss,   kann  sie  sich  auch  nicht  mit 
der  Kleinigkeit  begnügen,  zu  wünschen,  dass  sie  in  dem  Fasse 
nicht  ertrinken    möchten,    sondern    darf  sogleich    mehr,    ein 
^hunes  Schiff,  begehren.    In  der  Ausmalung  des  «Feenwerks^, 
üas  auf  den  kaum  ausgesprochnen  Wunsch  erscheint,    verfuhr 
Wieland  ganz  selbständig,    mit   behaglichster  Breite   und   mit 
Aufwand  aller  möglichen  Anspielungen  auf  geschichtliche  Vor- 
güige  und  philosophische  Lehrsätze.    Wenn  die  Matrosen  bei 
üim  «belebten  Bildern  gleich*  unermüdlich  ihre  Arbeit  «nach 
dem  Takt  in  tiefster  Stille''  tun,  so  ist  dies  das  gerade  Gegen- 
teil von   der    lärmenden   Geschäftigkeit    der    Schiffsleute    bei 
Ba.vile,   die   freilich  auch  dem  süditalienischen  Yolkscharakter 
hesser  entsprach:    hätte  Wieland    den    neapolitanischen    Text 
g'-bnnt,   so    hätte    er   wohl    auch  das  Leben   auf  der  Barke 
soehr  im  Einklänge    mit   ihm   geschildert.     Sicherlich    unab- 
^gig  von  Basile,    bei  dem  auch  nach  der  Verwandlung  des 
Uvses  in    ein    Schiff   und    in    einen  Palast   die  getrockneten 
feigen  und    Rosinen   ihre  Rolle  weiter  spielten,    obgleich  sie 
ioch  nur  in  dem  sonst  an  Vorräten  leeren  Fass  eine  Bedeutung 
hatten,   kam   Wieland    auf   den   Einfall,    dass   Pervonte    sich 
^cptsachlich    an   die    .Mundprovisionen"    hält,    die   natürlich 
•-  dem  wohl  ausgerüsteten  Schiffe   nicht  fehlen  und  ihm,   der 
ja  in  der    deutschen    Erzählung   bisher   nichts   zu   essen   be- 
■^"inmen  hat,    erwünschter   als   alles   andre   sind.     Die  Frage, 
^*  verschieden  das  Wunder  auf  ihn  und  auf  Vastola  wirken 
^lle,  musste  den  Dichter  naturgemäss  auf  diesen  Charakterzug 
"•^ines  plumpen  Helden  biingen. 

Auch  im  folgenden  führte  Wieland  den  Gegensatz  zwischen 
•  ▼as  Pervonte  und  die  Prinzessin  empfinden  und  wünschen, 


154  Frans  Muneker 

wirksam  fort.  Im  wörtlichen  Anschluss  an  den  französischen 
Text  schilderte  er  zunächst,  wie  die  Barke  ein  Vorgebirge 
.dubliert"  (»eile  doubla  ensuite  heureusement  un  petit  cap*^) 
und  »vor  Abend  noch  am  schönsten  Ufer*  anlangt.  Noch 
bevor  aber  Yastola  hier  ihren  neuen  Wunsch  formulieren  kann, 
fällt  ihr  Pervonte,  dem  der  Sinn  nur  nach  Essen  steht,  mit 
dem  drolligen  Ausdruck  seiner  Begierde  ins  Wort.  Ärgerlich 
unterbricht  sie  ihn  und  spricht  ihm  ihr  Verlangen  nach  dem 
9  schönsten  Schloss*,  dessen  Einrichtung  und  Umgebung  sie 
nach  allen  Einzelheiten  beschreibt,  so  langatmig  vor,  dass  Per- 
Yonte  in  der  Tat  mit  einem  gewissen  Recht  ihr  Einhalt  gebietet: 

»He!  ists  noch  nicht  vorbey? 
die  Feen  können's  ja  nicht  all  im  Eopf  behalten: 
Ihr  wollt  auch  gar  zuviel  auf  einmal!* 

unmittelbar  an  die  Erfüllung  dieses  Wunsches  schliesst 
sich  auch  bei  Wieland  das  Abendessen  in  dem  durch  seine 
Herrlichkeit  immer  neues  Staunen  erregenden  Schlosse  an. 
Aber  statt,  wie  im  Französischen,  müde  die  Ruhe  zu  suchen, 
bringt  im  deutschen  Gedichte  Pervonte  schon  beim  Nachtisch 
durch  seine  plumpe  Zärtlichkeit  Yastola  zur  Einsicht,  dass 
ihr,  wie  die  Dinge  einmal  liegen,  nur  die  Vermählung  mit 
ihm  übrig  bleibt,  und  so  bestimmt  sie  ihn  auch  sogleich  dazu, 
sich  Schönheit  zu  wünschen.  Bei  Basile  hatte  das  Eine  Wort 
„Narciso*  die  Schönheit  des  Verwandelten  ausgedrückt.  Schon 
im  Französischen  aber  hatte  es  geheissen,  die  Erfüllung  dieses 
letzten  Begehrens  habe  Pervontes  eigne  Wünsche  übertroffen, 
sich  aber  vollkommen  im  Einklang  mit  denen  der  Prinzessin 
gehalten.  So  veränderte  denn  Wieland  schon  das  Wort  Per- 
vontes ,Je  veux  bien  fetre  beau*  in  den  Ausruf:  „Lasst,  vom 
Ballen  zum  Schopf,  mich  seyn  wie  ihr  mich  haben  möcht!'' 
Zugleich  entwickelte  er  sorgfaltig  die  Gedanken  Vastolas,  die 
den  hässlichen  Burschen  zwar  zu  einem  Adonis  umgeschaffen, 
aber  mit  der  Muskelkraft  eines  Milon  von  Eroton  ausgestattet 
sehen  möchte,  und  schilderte  mit  lebendigen  Zügen,  wie  sie 
alsbald  errötend  sich  in  ihren  geheimsten  Wünschen   von  den 


Wiaandi  „Ferwmte*'.  155 

Feen  ertappt  und  Pervonte  in  ,ein  Ideal,  yoUkommem  in  der 
Mitten  vom  Herkules  und  rom  Antinous'*  verwandelt  erblickt. 

Mit  der  Schönheit  des  Jünglings  sind  bei  Basile  alle 
Wunsche  der  Königstochter  befriedigt:  vor  Freude  ausser  sich 
scbüesst  sie  den  Verwandelten  in  ihre  Arme.  Auch  der  fran- 
ztlsische  Bearbeiter  berichtete,  wie  verliebt  sich  nunmehr  die 
Prinzessin  gegen  den  erweist,  den  sie  vorher  als  verächtliches 
Scheusal  behandelt  hat.  Ausdrücklich  fügte  er  aber  noch 
hinzu:  «Elle  ne  se  presaa  pas  de  lui  faire  desirer  de  Tesprit". 
Wohl  aber  beeilt  sie  sich,  von  einem  durch  Feenkunst  in  das 
Schloss  geführten  Priester  sich  mit  Pervonte  rechtmässig  trauen 
zu  lassen.  Erst  nach  einigen  Tagen  weist  sie  ihren  Gatten 
u.  sich  auch  Verstand  zu  wünschen,  aber  genau  so  viel  davon, 
ak  er  brauche,  um  glücklich  zu  werden  und  seine  Frau  glück- 
lich zu  machen,  und  kaum  ist  auch  dieser  Wunsch  erfüllt, 
so  erklärt  ihr  Pervonte,  dass  sie  nun  zufrieden  sein  und  die 
Feen  künftig  nicht  mehr  beunruhigen  wollen.  Und  so  leben 
sie,  mit  sich  selbst  und  der  Erziehung  ihrer  Kinder  beschäf- 
tigt, glücklich  und  wunschlos  in  ihrem  Schlosse  weiter. 

Auch  Wieland  machte  sich  den  Zusatz  der  aBibliotheque* 
^ohl  zu  Nutze.  Nur  die  kirchliche  Trauung,  die  zu  dem  ganzen 
^.liarakter  des  Märchens  wenig  passte  und  nur  wie  eine  äusser- 
liche  Formalität  erschien,  liess  er  mit  Recht  beiseite.  Aus- 
führlich schilderte  er  die  Verliebtheit  der  Prinzessin  in  ihren 
verwandelten  Geföhrten,  über  dessen  Schönheit  sie  volle  acht 
Tage  lang  seine  angebome  Dummheit  ganz  und  gar  vergisst. 
Efst  wie  der  einförmige  Oenuss  sie  zu  langweilen  beginnt, 
^•ittet  sie  ihren  Freund,  sich  auch  Verstand  von  den  Feen  zu 
wünschen.  Aber  erst  nach  längerem  Widerstreben,  durch  das 
gerade  die  Albernheit  Pervontes  noch  einmal  hell  beleuchtet 
^,  entschliesst  er  sich,  ihre  Bitte  zu  erfüllen;  er  ruft: 

„Nun  wohlan, 
so  gebt  mir  dann  Verstand,  ihr  lieben  Feen, 
und  zwar  vom  guten!  Denn  es  heisst, 
es  sey  nicht  alles  Gold,  was  gleisst.**  ^) 

*)  Teutscher  Merkur,  Januar  1779,  8.  18. 


156  Fron»  Muneker 

Wie  sehr  ihn  auch  diesmal  die  Feen  erhören,  beweist  er  gleich 
seinem  französischen  Vorbilde  sofort  durch  den  Entschluss, 
nun  keine  neuen  Gaben  von  seinen  Wohltäterinnen  mehr  zu 
erpressen: 

yLass  durch  Oenuss  uns  nun  verdienen,  was  wir  haben! 

uns  lieben,  Yastola,  und  alles  um  uns  her 

mit  unserm  Glück  erfreuen  und  beleben, 

sey  unser  Loos!  Was  könnten  wir  noch  mehr 

uns  wünschen,  oder  was  die  Feen  mehr  uns  geben?* 

Mit  diesen  Versen  bricht  Wielands  »Pervonte*  im  ,Teut- 
schen  Merkur*  1779  ab,  und  stünden  darunter  nicht  ausdrück- 
lich die  Worte  .Die  Fortsetzung  künftig",  die  wenigstens  die 
Absicht  des  Dichters  bekunden,  sein  Märchen  noch  weiter  zu 
führen,^)  so  könnte  die  Rede  des  glücklichen  und  zufriedenen 
Titelhelden  recht  gut  als  Schluss  des  Ganzen  gelten.  Jedenfalls 
war  für  den  dichterischen  Eindruck  der  Ausgang  des  Märchens 
entbehrlich,  wie  ihn  Basile  und  breiter,  aber  sonst  nichts  weniger 
als  glücklich  der  französische  Bearbeiter  erzählte,  die  Einkehr 
des  in  der  Nachbarschaft  jagenden  Königs  im  Schlosse  seiner 
Tochter,  seine  Begegnung  zuerst  nur  mit  seinen  Enkelchen, 
dann  mit  ihren  Eltern  und  endlich  die  fröhliche  Versöhnung 
aller.  So  fehlte  denn  auch  beim  Wiederabdruck  des  ,Per- 
vonte*  im  fünften  Bande  von  Wielands  ,  Auserlesenen  Ge- 
dichten* 1785  (und  wohl  ebenso  in  der  mir  nicht  zugänglichen 
neuen  Auflage  von  1791)  jede  Andeutung  einer  beabsichtigten 
Fortsetzung:  die  Verse,  in  die  1779  die  Dichtung  nur  vor- 
läuiig  ausgeklungen  war,  erschienen  jetzt  als  der  volle,  end- 
gültige Abschluss  des  Ganzen. 


^)  Vgl.  auch  Wielands  Brief  an  Merck  vom  22.  Februar  1779 
(Briefe  an  Merck,  Darmstadt  1835,  S.  156f.):  ^Fervonte  ist,  soweit  er 
fertig  ist,  im  März  und  den  ersten  8  Tagen  des  Aprilfl  1778  gemacht 
worden.  Die  hernach  plötzlich  eingetretene  Kälte  unterbrach  die  Voll- 
endung, und  seit  dieser  Zeit  ist  es  mir  unmöglich  gewesen,  das  Ding 
fertig  zu  machen.  Denn  das  Denouement  fehlt  noch,  wiewohl  es  rur 
Noth  auch  da,  wo  ichs  abgebrochen  habe,  aufhören  könnte.* 


Widohds  ,^ervonte",  157 

Der  Hinweis  auf  die  italiemsche  Quelle  lautete  übrigens 
iu  diesem  spätem  Abdruck  noch  bestimmter  als  früher  im 
deutschen  Merkur":  «Das  Sujet  ist  aus  dem  Pentamerone 
oder  CufUo  ddli  Cunti  di  Gian  Alesio  Abbatutis  genommen, 
woroQ  sich  in  der  Biblioth.  ünivers.  des  Romans  vom  Jun. 
nni  Septemb.  1777  ein  Auszug  befindet/  Dass  trotzdem  Wieland 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  diesen  französischen  Auszug, 
jedoch  nicht  den  italienischen  Orundtext  zur  Vorlage  hatte, 
lässt  sich  nun  aber  auch  noch  durch  gewisse  Unterschiede 
zwischen  seiner  Dichtung  und  dem  neapolitanischen  Märchen 
in  der  stilistischen  Form  beweisen. 

Bei  aller  Treue  gegen  den  alten  Inhalt  der  Märchen  und 
gegen  die  derbe  Ausdrucksweise  der  untersten  Klasse  unter 
den  Einwohnern  Neapels  war  doch  Basile  kein  volkstümlicher 
Erzähler  im  strengsten  Sinn,  der  nur  die  einfache,  unver- 
künstelte  Sprache  des  Volkes  redete.  Vielmehr  verrät  seine 
Darstellung  mit  ihren  vielen  Anspielungen  auf  Geschichte 
und  Literatur  schliesslich  immer  den  gelehrt  gebildeten  Schrift- 
steller. Besonders  aber  weist  sie  eine  bestimmte  stilistische 
Manier  auf,  die  Basile  der  italienischen  Kunstliteratur  seiner 
Zeit  abgelernt  und  für  den  drastisch-witzigen  Vortrag  seiner 
Märchen  in  eigner  Weise  ausgebildet  hatte.  Gleich  allen 
Schülern  Marinis  hebte  auch  er  Antithesen  und  Wortspiele, 
überhaupt  eine  bildhche,  künstliche,  uneigentliche  Ausdrucks- 
weise. Prächtige  Beispiele  dafür  bieten  in  unserm  Märchen 
vor  allem  die  Reden  des  erzürnten  Königs:  die  Gesuchtheit 
der  Einfalle  und  Redewendungen  verschwindet  hier  stellen^ 
weise  fast  völlig  hinter  der  urwüchsigen  Derbheit  und  un- 
mittelbaren Wirksamkeit  des  muntern  Witzes.  So,  wenn  der 
^onig,  nachdem  er  in  einigen  recht  gezwungenen  Bildern 
^inen  Räten  den  Zustand  VastoUas  angedeutet,  auch  in  die 
ärgerliche  Klage  ausbricht:  »Giä  sapite,  ca  pe  carrecareme  la 
fronte,  s'ha  fatto  carrecare  lo  ventre",  oder  wenn  er  bei  dem 
abschreckenden  Anblick  Peruontos  wütend  seiner  Tochter  zu- 
nift:  ,Ah,  nfamma,  cecata  fauza,  che  metamorfose  so  eheste? 
ifttentare   vacca  pe  no  puorco,  azzö  ch'io    tomasse  piecoro?* 


158  Frang  Muneker 

An  solchen  Stellen  müsste  Wieland  seine  helle  Freude 
gehabt  haben;  wären  sie  ihm  bekannt  geworden,  so  hätte  er 
sie  sich  für  seine  Nachbildung  gewiss  nicht  entgehen  lassen. 
Denn  während  der  nüchterne,  wenig  naire  franzosische  Be- 
arbeiter derartige  Spuren  eines  kräftigen,  wenn  auch  nicht 
eben  sehr  feinen  Witzes  erbarmungslos  beseitigte,  liebte  Wie- 
land sie  ebenso  sehr,  wie  er  andrerseits  die  Freude  Basiles  an 
gelehrten  Anspielungen  teilte,  die  der  Franzose  gleichfalls 
samt  und  sonders  unterdrückte.  Wob  doch  Wieland  deren 
noch  ungleich  mehr  als  der  italienische  Erzähler  in  seine 
Dichtung  ein,  von  der  Schilderung  der  Schönheit  Vastolas  an 
gleich  am  Anfang  der  Geschichte  bis  zu  den  verschiednen 
Wünschen  Pervontes,  mit  deren  wunderbarer  Erfüllung  sie 
schliesst,  Anspielungen  auf  antike  Sage  und  Geschichte,  Lite- 
ratur und  Kunst,  auf  alte  und  neue  Philosophie,  ja  selbst  auf 
abgelegene  geographische  Namen  (z.  B.  auf  die  Marianeninsel 
Tinian),  Anspielungen,  die  hauptsächlich  zur  sinnlichen  Ver- 
deutlichung und  zum  rednerischen  Schmucke  dienen  sollten, 
mit  denen  Wieland  aber  auch  bisweilen  ironische  oder  humo- 
ristische Absichten  verfolgte.  Doch  gerade  die  Anspielungen, 
die  sich  bei  Basile  finden,  sucht  man  bei  Wieland  vergebens, 
und  ebenso  wenig  triifft  man  bei  ihm  die  für  den  Italiener 
bezeichnenden  Derbheiten  und  volkstümlich -niedrigen  Wen- 
dungen an,  soweit  sich  nicht  etwa  ein  schwacher  Rest  davon 
in  die  französische  Bearbeitung  hinüber  gerettet  hatte.  Auch 
jene  derb -witzigen  Wortspiele  und  Antithesen,  die  ja  im 
Deutschen  leicht  genug  nachzubilden  gewesen  wären,  begegnen 
uns  nicht  bei  Wieland;  an  die  bildlich-uneigentliche  Ausdrucks- 
weise Basiles  erinnert  bei  ihm  so  gut  wie  nichts. 

Dagegen  traf  er  unbewusst  mit  glücklichem  Takte  den 
von  dem  Italiener  angeschlagenen  und  von  dem  Franzosen  fast 
durchweg  verfehlten  humoristischen  Ton.  Er  brauchte  ja  nur 
im  grossen  und  ganzen  wieder  die  Sprache  zu  reden,  die  er 
erst  vor  wenigen  Monaten  mit  grosser  Geläufigkeit  im  , Schach 
Lolo*  und  viel  früher  schon  nicht  ganz  so  fliessend  in  ein- 
zelnen   Abschnitten    seines    „Urteils    des  Paris*    und   anderer 


WMamäs  „Pirwnte*'.  159 

Gedichte,  desgleichen  hie  und  da  in  den  komischen  Kapiteln 
seiner  Prosaromane  gesprochen  hatte.  So  würzte  er  denn  auch 
jetzt  seinen  dichterischen  Vortrag  überall  mit  derbem,  yolks- 
tümlichem  Witz,  wählte  gern  niedrige  und  plumpe  Ausdrücke, 
gelegentlich  sogar  mundartliche  oder  yeraltete,  nur  noch  land* 
schaftlich  hie  und  da  im  Gebrauch  erhaltene  Worte  und 
Formen,^)  sparte  auch  charakteristische  Schimpfwörter,  Wen- 
dungen des  Unmuts,  des  Zorns,  der  Geringschätzung  nicht, 
trug  bei  Schilderungen  die  Farben  etwas  dick  auf  und  gab 
den  Reden  seiner  Personen  mit  Vorliebe  etwas  Polterndes, 
Dummdreistes  oder  Hochfahrendes.  Ja  selbst,  wo  eine  gut- 
mQtige  Regung  Perrontes  Seele  beschleicht,  wie  beim  Anblick 
der  schlafenden  Feen,  drückt  er  sein  Gefühl  äusserlich  plump  aus: 

,^s  ist  Schade  doch  für  diese  Dirnen  da, 
so  in  der  Sonne,  wie  die  Kälber, 
zu  liegen,  unbeschirmt  !'^) 

Um  aber  seine  Hässlichkeit  und  Trägheit  zu  beschreiben,  ver- 
wendet Wieland  gleich  im  Anfang  des  Märchens  neben  allerlei 
karikaturenhaften  Zügen  auch  mehrere  zweifelhafte  Ehren- 
namen wie  9 Lümmel",  »Faultier",  »gutes  Vieh*  und  dergleichen, 
und  diese  Liste  erfahrt  im  weiteren  Verlauf  der  Geschichte, 
so  oft  von  dem  Titelhelden  die  Rede  ist,  eine  ganz  beträcht- 
liche Vermehrung. 

Wo  etwa  schon  der  französische  Bearbeiter  einen  derberen 
Ausdruck  braucht,  vergröbert  ihn  Wieland  oder  malt  den 
Sinn  anschaulicher,  wirksamer,  nur  freilich  mit  nichts  weniger 
als  zarten  Farben,  aus.  »On  s^apperfoit  que  son  ventre  grossit", 
heisst  es  in  der  »Bibliotheque*  von  der  Prinzessin,  nachdem 
Pervonte  im  Arger  ihr  Zwillinge  gewünscht  hat.  Stellenweise 
mit  wörtlichem  Anschluss  an  diesen  Ausdruck  und  doch  breiter, 
deutlicher  und  derber  schreibt  Wieland: 


1)  Teutscher  Merkur  1778,  Bd.  IV,  S.  110  mein  Laur,  flacken;  1779, 
Bd.  I,  S.  7  bis  80  gut,  S.  10  durchniatem,  lüstern  (als  Zeitwort),  u.  s.  w. 

*)  Teutscher  Merkur,  November  1778,  S.  106. 


160  FranM  Muneker 

,Fünf  Monden  waren  kaum 
Yorbey,  so  muss  bereits  der  Kammerschneider 
der  schönen  Vastola  ganz  ingeheim  mehr  Raum 
für  Ihrer  Hoheit  Weichen  machen  .  .  . 
.   .   .  Bej  allem  dem  schwillt  ihr  der  jungferliche  Bauch/ ^) 

Nach  der  Geburt  der  Kinder  berichtet  der  Franzose  farblos 
genug:  ,Le  Prince  est  dans  la  plus  grande  colere".  Viel  an- 
schaulicher nnd  volkstümlich-lebendiger  schildert  Wieland  die 
hilflose  Wut  des  Fürsten: 

«...  und  dass  der  Grosspapa  vor  Gift  und  Galle  gelber 

als  eine  Quitte  wird,  und  sich  nicht  trösten  kann, 

von  einem  ungenannten  Mann 

so  grob  vexiert  zu  seyn    —   versteht  sich  von  sich  selber.*^) 

Ahnliche  Beispiele  bietet  der  Druck  der  Dichtung  im  „Teut- 
schen  Merkur"  nahezu  auf  jeder  Seite  dar,  und  die  späteren 
Ausgaben  haben  gerade  in  dieser  Beziehung  nichts  Wesent- 
liches geändert,  wenn  auch  etwa  in  ihnen  der  eine  oder  andere 
mundartliche  Ausdruck  einem  hochdeutschen  den  Platz  räumen 
musste. 

Sonst  aber  wies  die  Dichtung  schon  1785  eine  im  ein- 
zelnen sorgfaltig  durchgefeilte  und  umgebildete  Gestalt  auf. 
Zunächst  wurde  die  lange  und  nicht  sehr  geschickt  philosophie- 
rende Einleitung  gestrichen,  so  dass  nunmehr  das  Ganze  richtig 
mit  dem  üblichen  ,Es  war  einmal"  begann.  Auch  auf  den 
unmittelbar  folgenden  Seiten  kürzte  Wieland  viel,  besonders 
bei  der  Charakteristik  des  Königs  von  Salem.  Was  ihm  nun 
ein  blosses  Spiel  nichtigen  Witzes  und  leeres  Geplauder  schien, 
fiel  weg;  inhaltlich  und  künstlerisch  war  dabei  nichts  verloren. 
So  gründlich  übrigens  wie  auf  den  ersten  zwei  bis  drei  Seiten 
ging  er  im  weitern  Verlauf  der  Dichtung  nicht  mehr  mit 
seinen  Änderungen  und  Strichen  vor.  Noch  immer  feilte  er 
fleissig    und   fast   ausnahmslos   mit  Einsicht   und    Geschmack; 


M  Teutscher  Merkur,  Dezember  1778,  S.  193. 
2)  Ebenda  S.  195. 


Widandf  „Perwmte".  161 

aber  seine  Verbesserungen  bezogen  sich  von  nun  an  meistens 
nur  auf  einzelne  Worte  und  Formen.  Änderungen,  die  eine, 
wenn  auch  nur  kleine,  Wörtergruppe,  einen  ganzen  Vers  und 
dergleichen  betrafen,  wurden,  je  weiter  die  Dichtung  vorrückte, 
desto  seltener. 

Wieland  ersetzte  1785  mehrfach  landschaftliche  und  ver- 
altete Wort-  und  Flexionsformen  durch  die  gemeinüblichen 
hochdeutschen  Formen.  Statt  den  Mehrheitsbildungen  „Daume*, 
.Stangen*  schrieb  er  ^ Daumen*,  .Stangen';  «Pflaum*  ver- 
tauschte er  mit  »Flaum*,  , gelüstig*  mit  »lüstern*,  »zwo*  mit 
jZwei*,  »so  hättens  wohl*  mit  »so  hätten  sie*  u.  s.  w. ;  für 
.mein  Laur*  setzte  er,  wohl  hauptsächlich,  weil  er  das  Wort 
doch  nicht  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  gebraucht  hatte, 
das  viel  weniger  sagende  »mein  Krauskopf*.  Überflüssige 
Worte,  besonders  Eigenschaftsworte,  die  nicht  viel  bedeuteten, 
doch  auch  sonst  kleine,  entbehrliche  Flickwörter,  strich  er 
öfters,  nicht  immer.  Auch  aus  Pervontes  ungefüger  Anrede 
an  die  Prinzessin  »Frau  Donna  Vastola*  (Merkur  1779,  I,  5) 
musste  das  mittlere  Wort  entfallen.  Von  etwas  grösseren 
Satzgliedern  wurde  nur  eines  vollständig  getilgt,  bei  dem 
Garten,  den  Vastola  sich  rings  um  ihr  Schloss  wünscht,  die 
Worte  »noch  schöner  als  der  beste  im  Homer*  (ebenda  I,  11); 
ganz  unmöglich  wäre  es  übrigens  nicht,  dass  dieser  Vers  1785 
nur  übersehen  worden  wäre.  Auch  von  den  reichlich  in  den 
Text  eingestreuten  Fremdwörtern  beseitigte  Wieland  nach  und 
nach  wenigstens  die,  die  unverändert  in  ihrer  fremdsprachUchen 
Gestalt  geblieben  waren.  Nur  selten  konnte  er  sie  einfach 
wegstreichen^)  oder  bequem  mit  deutschen  Worten  vertau- 
schen;^) meistens  musste  er  den  ganzen  Satz  anders  wenden. 
Hatte    es   von    dem   Lächeln,    mit   dem  Vastola  am  Hof  ihres 


1)  So  im  Merkur  1779,  I,  8  ,Che  gusto!" 

^  So  z.  B.  ebenda  I,  13,  wo  er  aus  der  , präsumtiven  Braut"  ohne 
^dc  Mühe  eine  , künftige*  machte,  oder  I,  10.  wo  er  ,to  be  or  not 
tf)  be*  vortrefflich  dem  Sinn  der  Stelle  gemäss  mit  dem  Wort  „die 
Möglichkeit*  übersetzte. 


162  Fram  Muneker 

Vaters   zahllose    Verelirer   an    sieh    kettefc,    früher    geheissen 
(Merkur  1778,  IV,  101): 

«Doch  immer  war  in  dieses  Zauberlächeln, 
in  diesen  Blick,  der  sie  zum  Nichtermüden  frischt, 
ein  Trotz,  der  freylich  ihr  gar  schön  Hess,  eingemischt, 
mit  zwey,  drey  Gran  Verachtung,  quantum  satis, 
versetzt,  womit  sie  euch  ganz  sachte  von  sich  stiess, 
und,  jemab  anders  ihr  als  gratis 
zu  dienen,  wenig  Hofnung  liess* 

so  wurde  nun  die  ganze  weitschweifige   Beschreibung   in   vier 
Verse  zusammengezogen  (Auserlesene  Gedichte,  Bd.  V,  S.  216): 

.doch  immer  war  darein  ich  weiss  nicht  was  gemischt, 
das  ihm  die  krafb,  die  anmuth,  kurz,  was  lächeln 
zum  lächeln  macht,  auf  einmal  wieder  nahm, 
so  dass  den  Herren  nicht  viel  davon  zu  gute  kam.* 

Namentlich  strebte  Wieland  1785  nach  grösserer  Präg- 
nanz des  Ausdrucks;  viele  Änderungen,  die  sich  nur  auf  ein 
Wort  oder  auf  ein  paar  Silben  erstreckten,  dienten  dem 
Zwecke,  die  oder  jene  Kleinigkeit  bezeichnender  auszumalen. 
Pervontes  Stirne  biess  nun  nicht  mehr  , schmal''  (Merkur  1778, 
IV,  102),  sondern  „  platt  *';  das  Reisig,  das  der  Bursche  seiner 
Mutter  holen  soll,  lag  jetzt  nicht  bloss  „schon  abgebrochen' 
(ebenda  IV,  105)  im  Wald,  sondern  »vom  Sturm  gebrochen*; 
bei  dem  Volksfest  sollte,  statt  »an  Zierlichkeit  und  Pracht' 
(ebenda  IV,  198),  nunmehr  »an  Überfiuss  und  Pracht'  nichts 
fehlen;  bei  der  letzten  Bitte  Pervontes  an  die  Feen,  ihm  Ver- 
stand zu  geben 

»und  zwar  vom  guten!  Denn  es  heisst, 
es  sey  nicht  alles  Gold,  was  gleisst* 

wurde  nun  ausdrücklich  hervorgehoben: 

»Ihr  seht,  beym  ersten  wort,  erhörten  ihn  die  Feen,* 

während   früher  viel   allgemeiner  dafür  nur  gesagt  war,    dass 
sie  ihn  »auch  diesesmal*"  erhörten.     Durch  das  ganze  Gedicht 


WiOandi  „Pervonte".  163 

hindun^h  begegnen  immer  wieder  Verbesserungen  dieser  Art. 
Auch  dem  Wohllaut  zuliebe,  um  die  rasche  Wiederkehr  des 
nämlichen  Wortes  zu  yermeiden,  änderte  Wieland  hie  und  da. 
Das  Reisigbündel  trug  1778  (IV,  108)  seinen  Reiter  «so 
schnell  als  einen  kaum  der  schnellste  Klepper  tragen  konnte'^ ; 
1785  wurde,  um  mehr  Wechsel  in  den  Ausdruck  zu  bringen, 
das  ei^  , schnell'^  mit  «hurtig'  vertauscht. 

Auch  Ton  den  derben  Worten  und  Wendungen  des  ersten 
Druckes  mussten  1785  einige  weichen.  Aus  der  höhnenden 
Rede  der  Prinzessin  Ober  den  auf  dem  Reisigbündel  reitenden 
Penronte,  die  überhaupt  etwas  verändert  wurde,  strich  Wieland 
die  Schimpf  Worte  ,  Vogelschreck "  und  «das  missgesqhaffne  Tier*' 
und  setzte  dafür  die  zahmeren  Ausdrücke  «Wechselbalg''  und 
»Unhold*.  Die  gleiche  Milderung  des  Wortlauts  musste  dann 
natürlich  auch  in  der  Antwort  des  gekränkten  Burschen  durch- 
geführt werden.  So  schwoll  denn  auch  hernach  der  verwünschten 
Prinzessin  nicht  mehr  «der  jungferliche  Bauch*  (vgl.  oben 
S.  160),  sondern  bloss  «zusehends  ihr  Gontour^.  Wenn  da- 
gegen Pervonte  die  mit  ihm  dem  Tode  preisgegebene  Vastola 
an  jenes  erste  Zusammentreffen  erinnert,  wari^  er  ihr  1785 
derber  als  1779  vor,  dass  sie  damals  auf  ihn  «wie  ein  Rohr- 
spatz', nicht  bloss  «wie  ein  Sperling",  geschimpft  habe. 

Ein  paar  Male  feilte  Wieland  prosaische  Redewendungen 
recht  glücklich  weg.  Der  schlecht  gelaunten  Prinzessin  macht 
1778  sder  Gegenstand  der  allgemeinen  Lust*  Verdruss  und 
Ekel;  1785  verdriesst  sie  «die  allgemeine  Lust*  selber.  Als 
Pervonte  nach  ihrem  Wunsch  Schönheit  von  den  Feen  erhält, 
erscheint  er  ihr  1779  als  «ein  Ideal,  vollkommen  in  der  Mitten 
Tom  Herkules  und  vom  Änünom*.  Viel  kunstreicher  und  edler 
leisst  es  dafür  1785: 

«ein  Ideal,  worin  Antinous 

und  Hercules  so  um  den  Vorzug  stritten, 

dass  jeder  siegt  und  keiner  weichen  muss.* 

Wie  hier,  so  wandte  auch  sonst  noch  ein  und  das  andere 
Mal  Wieland   1785    geringfügige   Zusätze   auf,   um  eine  Rede 


164  JFVafMr  Muncker 

oder  Handlung  lebhafter  auszumalen.  Verlegen  schmunzelt 
Pervonte  1778  vor  den  erwachten  Feen  und  ,, dreht  den  Hut*; 
nun  lässt  er  viel  anschaulicher  .den  abgegrifnen  hut  im 
kreis  um  seinen  daumen  treiben*'.  Der  Seneschall,  dessen  Rat 
den  König  zur  Veranstaltung  des  Volksfests  bestimmt,  tragt 
1778,  nachdem  er  sich  zu  Anfange  seiner  Rede  öfters  unter- 
brochen hat,    die  Hauptsache  ziemlich  fliessend  vor  (IV,  196): 

,es  sey  so  ein  —  Instinchts  von  Doctoren 
„genannt,  den  Kindern  angebohren''  .  .  . 

Viel  besser  wird  1785  das  Zögernde,  Stammelnde,  aber  zu- 
gleich mit  falscher  Gelehrsamkeit  Prahlende  seiner  Rede,  wie 
in  den  vorausgehenden  Versen,  so  auch  hier  gemalt: 

,es  sey  —  wie  hiessen's  doch  auf  griechisch  die  Doctoren 
so  ein  —  so  ein  —   insünct  den  kindern  angebohren". 

Einen  etwas  grösseren  Zusatz  brachte  1785  nur  die  das 
Gedicht  beschliessende  Rede  Pervontes,  in  die  vor  den  letzten 
fünf  Zeilen  die  lehrhaften  Verse  neu  eingeschoben  wurden: 

„Nichts  ist  nunmehr  uns  noth  als  die  begnügsamkeit; 
allein  mit  dieser  muss  der  meusch  sich  selbst  begaben*. 

Verhältnismässig  viele  Änderungen  erfolgten  endlich  aus 
metrischen  Gründen.  Wieland  hatte  den  „Pervonte*  wie  seine 
meisten  kürzeren  Erzählungen  in  sogenannten  vers  irreguliers 
geschrieben,  in  Jamben  von  verschiedener  Länge  und  will- 
kürlicher Reimstellung.  Er  war  dabei  über  die  sonst  meistens 
üblichen  Freiheiten  noch  um  einen  Schritt  hinausgegangen 
und  hatte  nicht  nur  zwei-  bis  sechsfüssige  Verse  bunt  mit- 
einander wechseln  lassen,  sondern  zweimal  sogar  einen  Ein- 
füssler  eingeschmuggelt  (Merkur  1778,  IV,  98  und  109),  gern 
auch  denselben  Reim  über  drei  und  mehr  Verse  erstreckt, 
während  nur  äusserst  selten  eine  Zeile  reimlos  geblieben  war. 
Jetzt  ging  er  augenscheinlich  darauf  aus,  die  grosse  Anzahl 
der  kurzen  Jamben  zu  beschränken,  namentlich  die  häufige 
Wiederkehr  solcher  kurzer  Verse  unmittelbar  hintereinander 
zu   beseitigen.     Die    beiden    Einfüssler   und   mit  ganz  ausser- 


Wielanda  „Pervonte**.  165 

ordentlich  wenigen  Ausnahmen  auch  die  zahlreichen  Zwei- 
und  Dreifüssler  wurden  entfernt,  die  Vierfüssler  oft  um  zwei 
oder  vier  Silben  vergrössert  und,  wo  sie  blieben,  wenigstens 
mehrfach  durch  längere  Jamben  unterbrochen,  so  dass  ein 
bunterer  Wechsel  von  verschieden  langen  Versen  eintrat  und, 
wo  dieser  Wechsel  nicht  völlig  durchzuführen  war,  doch  lieber 
längere  als  kürzere  Verse,  namentlich  Fünf-  und  Sechsfüssler 
(auch  die  letzteren  gegen  die  erste  Ausgabe  sichtlich  vermehrt), 
nebeneinander  standen.  Ein  Beispiel  unter  vielen!  Nachdem 
Pervonte  Schönheit  erlangt  hat,  war  im  „Merkur"  (1779,  I,  15) 
die  Schilderung  von  Vastolas  dankbarer  Freude  über  das  Feen- 
geschenk mit  den  vier  Versen  eingeleitet  worden: 

»Wir  wollens  nur  gestehn, 

(bedungen,  dass  ihr  guter  Nähme 

nicht  drunter  leiden  soll)  die  liebe  Dame 

schien  in  der  Dankbarkeit  beynah  zu  weit  zu  gehn/ 

Bei  der  verschiedenen  Länge  der  vier  Zeilen  war  von  seiten 
des  Wohllautes  an  ihnen  schwerlich  etwas  auszusetzen;  dass 
die  Jamben  in  regelmässigem  Fortschritt  von  Vers  zu  Vers 
um  je  einen  Fuss  zunahmen,  dürfte  auch  ein  empfindliches 
Ohr  kaum  verletzen.  Aber  Wieland  wollte  1785  die  Drei- 
fiissler,  wo  es  nur  irgend  anging,  ausmerzen  und  überhaupt 
die  Verse  breiter,  voller  gestalten  und  änderte  daher  ohne 
Rücksicht  selbst  darauf,  dass  seine  Jamben  jetzt  an  Länge 
gleichförmiger  wurden: 

„Wir  wollen 's  nur  geradezu  gestehn 

(bedungen,  dass  ihr  guter  nähme 

nicht  drunter  leiden  soll)  die  liebe  junge  Dame 

schien  in  der  dankbarkeit  beynah  zu  weit  zu  gehn/ 

Zugleich  mit  den  kurzen  Versen  suchte  Wieland  nun  aber 
auch  die  allzu  häufige  Wiederkehr  des  gleichen  Reimes  zu  be- 
^bränken.  Manchmal  ging  das  sehr  leicht  Hand  in  Hand 
und  machte  sich  wie  von  selbst:  die  Zeilen  brauchten  bloss 
^usserlich    anders   abgeteilt  zu    werden,   ohne   dass   auch   nur 

1908.  Sitsgsb.  d.  pbiloa.-phUoI.  u.  d.  bist  El.  12 


166  Prang  Muneker 

ein  Wort   Terändert  werden   musste,     Hatte   er    1779   (I,  11) 

geschrieben: 

.  Begnüge  dich 

mir  nachzubeten'', 

so  schrieb  er  die  vier  Worte  1785  einfach  in  Einer  Zeile  und 
hatte  damit  zwei  Verse  kürzester  Art  und  von  vier  gleich- 
klingenden Reimen  wenigstens  einen  weggeschafft.  In  andern 
Fällen  musste  er  freilich  auf  ein  neues  Reim  wort  sinneD. 
Dann  und  wann  fielen  aber  beim  Entfernen  der  kurzen  Verse 
auch  Reime  weg,  die  keineswegs  über  mehr  als  zwei  Zeilen 
sich  erstreckten  und  nichts  weniger  als  Gleichförmigkeit  des 
Klangs  bewirkt  hatten;  so,  als  1785  von  den  folgenden  Versen 
des  ersten  Drucks  (Merkur  1778,  IV,  105)  der  zweite  und 
dritte  und  wieder  der  fUnfte  und  sechste  in  je  Eine  Zeile  zu- 
sammengezogen wurden: 

„ ....  so  wenig  Lieb*  und  Lust 

er  auch  zur  Arbeit  hat,  —  so  raft 

er  doch  am  Ende 

sich  auf,  und  schlendert  in  den  Wald; 

steht  da  und  gaft, 

als  ob  er  gar  besonders  fände  ..." 

Wurde  auf  solche  Weise  die  Dichtung  1785  um  mehrere 
Reime  ärmer,  so  tilgte  Wieland  andrerseits  damals  doch  auch 
die  wenigen  Verse,  die  in  der  ersten  Fassung  ohne  Reim  ge- 
blieben waren.  Nur  eine  reimlose  Zeile  ^)  blieb,  vielleicht  bloss 
durch  ein  Versehen,  unverändert,  und  wohl  durch  weiteres 
Versehen  schlichen  sich  nun  neuerdings  zwei  solche  Verse 
ohne  Reim  ein,  der  eine  gleich  zu  Anfang  in  die  Charakte- 
ristik Vastolas,'^)  der  andere  in  die  Schilderung  von  Pervontes 
Rückkehr  zu  seiner  Mutter.^) 


^)  Merkur  1779,  I,  17  »Izt  endlich  merckt  die  Dame,  wo  es  fehlt'. 
2)  Auserlesene   Gedichte,    V,   216    .stand   ihnen   frey;    mit  unter 
wurden  sie*. 

*)  Ebenda  V,  226  „auf  seinem  bündel  reis  in  ihre  hütte  ein*. 


Wielands  „Pervonte'*,  167 

Als  Wieland  1796  den  sPervonte'  in  den  achtzehnten 
Band  seiner  «Sämmtlichen  Werke"  aufnahm,^)  stattete  er  weder 
die»  drei  Verse  nachträglich  mit  Reimen  aus  noch  brachte 
er  jetzt  überhaupt  an  Vers  und  Reim  nennenswerte  Verbesse- 
raogen  an.  Nur  sehr  selten  wurde  durch  Ausfall  oder  Ein- 
Ogung  eines  Versfusses  die  Länge  einer  Zeile  verändert.  Er- 
wähnung verdient  fast  nur,  dass  in  dem  einzigen  Falle,  wo 
Wieland  auch  1785  noch  zwei  besonders  kurze  Verse  hinter- 
einander hatte  stehen  lassen,  er  nunmehr  wenigstens  einem 
Ton  ihnen  eine  grössere  Länge  gab.  Als  Perron te  keuchend 
zum  Volksfest  nach  Salem  gelaufen  kommt,  hatte  es  1785 
genau  wie  1778  geheissen  (Auserlesene  Gedichte,  V,  235): 

.Kaum  werden  sein,  so  schmuzig  als  er  da 

in  seiner  jacke  steht,  mit  ungekämmtem  här 

und  ohne  schuh, 

die  kinderchen  gewahr, 

so  laufen  sie  zu  aller  weit  erstaunen 

mit  ofnen  armen  auf  ihn  zu." 

Bei  der  letzten  Ausgestaltung  seines   Werks   wiederholte   der 

Dichter  im  vierten  Vers  die  Anfangs worte   des  Satzes    „Kaum 

werden   sein   die  Kinderchen   gewahr*    und   erweiterte   so  den 

•IreifÜssigen  Vers   zu   einem  Fünffiissler  von  tadelloser  Länge. 

Die  Änderungen,    die  der  Text   des  „Pervonte**   in   dieser 

Ausgabe  letzter  Hand   erfuhr,   waren  überhaupt   spärlich  und 

beschränkten  sich  durchweg  auf  Kleinigkeiten.   Dann  und  wann 

wurde  ein  entbehrliches  Wort  gestrichen,   einmal  freilich  auch 

ein  Adjektivum  eingefügt,  das  gleichfalls  als  entbehrlich  gelten 

^änn,  um  so  mehr,  als  genau  an  derselben  Stelle  die  Ausgabe 

T^m  1785    ein   früher   hier  bereits  stehendes  Eigenschaftswort 

getilgt   hatte.     Für   die   Barke   nämlich,   in    die  sich  die  alte 

Tonne  verwandeln   soll,    wünschte   sich  Vastola  im  „Merkur" 

1779  (I,  8)  , zwanzig  junge  starke  Matrosen",    1785  (V,  244) 

Dw  „zwanzig   starke   Matrosen",    1796   (Bd.  XVIII,   S.  153) 

M  In  wie  weit  die  neue  Auflage  der  auaerleaenen  Gedichte  von 
l^^l  Textänderungen  enthielt,  muss  ich  dahin  gestellt  sein  lassen,  da 
nur  diese  Ausgabe  nicht  vorliegt. 

12* 


168  Franz  Muncker 

wieder  „zwanzig  tüchtige  starke  Matrosen*'.  Sonst  beseitigte 
Wieland  nunmehr  einige  Fremdwörter  sowie  etliche  ältere  oder 
mundartliche  Formen,  die  1785  noch  Gnade  vor  seinen  Augen 
gefunden  hatten.  So  wurde  z.  B.  einmal  (Auserlesene  Gedichte, 
V,  243)  «aut  aut'  einfach  gestrichen,  ein  andermal  (ebenda 
V,  229)  , vexiert*  durch  „gefoppt"  ersetzt,  wieder  an  einer 
andern  Stelle  (V,  219)  das  Wort  „  Apathie  **  durch  eine  andere 
Wendung  des  Satzes  vermieden.  Aus  „ Wittibstand •  wurde 
„Wittwenstand**,  „früh  und  spat''  in  „früh  und  spät',  , Rei- 
sich t**  in  „Reisig",  „bis  so  gfut"  in  „sey  so  gut"  verwandelt. 
Wieder  mussten  auch  ein  paar  volkstümlich-niedrige  Ausdrücke 
weichen  (z.  B.  V,  240  „Ich  .  .  .  weiss  weder  giks  noch  gaks 
davon");  auch  „spie"  jetzt  Pervonte  bei  der  Arbeit  im  Walde 
nicht  mehr  in  die  Hände,  sondern  durfte  nur  noch  darein 
„spucken".  Hie  und  da  wurde  der  Ausdruck  prägnanter,  be- 
deutender, so  wenn  Y,  214  das  nichtssagende  „allenfalls"  in 
dem  Satze 

„Was  mancher  allenfalls  vor  seinem  Spiegel  dachte 
gieng  zoUfrey  durch" 

in  das  sinnreichere  „in  geheim"  verbessert  oder  kaum  vierzig 
Verse  später  von  der  stolzen  Sprödigkeit  der  Prinzessin  gesagt 
wurde,  keiner  ihrer  höfischen  Bewerber  sei  schön  genug  ge- 
wesen, um  als  Gemahl  „zur  Rechten"  (statt  nur  „zur  Seite") 
ihr  zu  stehn.  Weniger  glücklich  freilich  berief  sich  der  rat- 
gebende Seneschall  jetzt  nicht  mehr  beide  Male  (wie  früher 
V,  230  und  232)  auf  Terenz,  sondern  an  der  zweiten  Stelle 
auf  Ovid.  Auch  den  Wohllaut  endlich  sollte  es  vermutlich 
befördern,  wenn  es  nunmehr  gleich  im  Anfange  von  Vastola 
hiess,  sie  schien  dem  Vater  „aus  den  Augen  ausgeschnitten" 
(statt  „aus  dem  aug'  herausgeschnitten"). 

Doch  alle  diese  und  andere  Verbesserungen  der  Ausgabe 
von  1796  waren  an  sich  geringfügig  und  verloren  vollends 
jede  Bedeutung  gegenüber  der  einschneidenden  Veränderung, 
die  hier  der  Schluss  des  , Pervonte"  aufwies.  Den  beiden 
Teilen,   aus  denen   die  Dichtung   bisher  bestanden  hatte,   war 


Wielands  „Pervonte".  169 

nun  ein  dritter  angehängt,   der  an  Umfang   den  zwei  voraus- 
gehenden beinahe  gleichkam. 

Schon  1779  hatte  Wieland  ja  im  , Merkur*  eine  Fort- 
setzung seines  Märchens  für  künftig  versprochen.  Hätte  er 
damals  gleich  sein  Wort  eingelöst,  so  wäre  er  wohl,  wie  in 
dem  bisherigen  Qang  der  Geschichte,  so  auch  in  ihrem  Schluss 
inhaltlich  genau  der  Erzählung  in  der  .Bibliotheque''  gefolgt. 
Hier  war  nun  freilich  gerade  das  Ende  des  Märchens,  das 
Wiedersehen  Vastolas  und  ihres  Vaters,  recht  unlebendig  ge- 
mildert, und  die  breiten,  gekünstelten  Reden  der  Kinder,  die 
naiy  sein  sollten,  es  aber  durchaus  nicht  waren,  konnten  einem 
Qatürlich  gearteten  und  wahrhaft  künstlerisch  gebildeten  Ge- 
sehmacke nicht  zusagen.  Sollten  diese  Mängel  seiner  Vorlage 
Wieland  abgestossen  haben,  so  dass  er  die  versprochne  Fort- 
setzung damals  nicht  lieferte?  Oder,  was  beinahe  wahrschein- 
licher ist,  drängte  ihn  nur  die  Arbeit  am  ^Oberon",  für  die 
er  alle  Kraft  anspannte,  von  der  geplanten  Vollendung  der 
kleineren  Dichtung  ab?  Als  er  fünfzehn  Jahre  später  zu  dieser 
zurOckkehrte,  hielt  er  sich  von  der  französischen  Bearbeitung 
des  Märchens  vöUig  frei  und  erfand  einen  ganz  neuen,  weder 
hier  noch  bei  Basile  irgendwie  vorgebildeten  Schluss  zu  seinem 
jPerronte*.  In  gewissem  Sinne  war  es  eine  novellistische  Ver- 
anschaulichung der  Lehre,  die  in  den  letzten  Worten  der  bis- 
berigen  Dichtung  lag,  dass  Genügsamkeit  und  gegenseitige 
Liebe  das  durch  Feengunst  geschenkte  Glück  erst  zum  wahren, 
dauernden  Glücke  mache.  Pervonte  war  nach  seiner  ganzen 
Charakteranlage  geeignet,  ein  Beispiel  solcher  Genügsamkeit 
larzubieten ,  während  Vastola,  ,die  alles  gleich  verliert,  so 
Wld  sie's  hat*  (wie  Wieland  sie  schon  früher  gekennzeichnet 
l^tte),  ihm  gegenüber  zeigen  konnte,  wie  ihre  stets  nach 
Reuen  Wünschen  lüsterne  Unzufriedenheit  ihren  Gatten  und 
schliessüch  sie  selbst  um  alles  Glück  bringt. 

So  schilderte  denn  Wieland,  wie  die  Königstochter,  des 
idyllischen  Landlebens  bald  überdrüssig,  nach  rauschenderen 
•ö»d  prunkreicheren  Vergnügungen  begehrt  und  Pervonte,  der 
ü»  der  glücklichen  Weltabgeschiedenheit  und  seiner  Liebe  die 


170  Fran$  Muncker 

höchste  Befriedigung  gefunden  hätte,  wider  Willen  ihretwegen 
neue  und  immer  unbescheidnere  Wünsche  an  die  Feen  richten 
muss.  Unerkannt  in  prächtigster  Verkleidung  besucht  er  mit 
ihr  ein  Hoffest  in  Salem;  dann  entfalten  sie  während  eines 
längeren  Aufenthaltes  in  Neapel  und  Venedig  einen  alles  blen- 
denden yerschwenderischen  Olanz.  Und  kaum  sind  sie  in  ilir 
paradiesisches  einsames  Tal  zurückgekehrt,  so  lädt  Vastola 
Herren  und  Damen  aus  Neapel  in  ihr  Schloss,  um  mit  ihnen 
in  beständigem  Wechsel  und  unnatürlicher  Steigerung  wieder 
alle  Genüsse  der  Stadt  durchzukosten.  Während  Pervonte  sieb 
mehr  und  mehr  von  diesem  tollen  Jagen  nach  Vergnügungen, 
die  ihm  widerwärtig  sind,  zurückzieht,  gewinnt  einer  der 
lebensfrohen  Gäste  Vastolas  Gunst.  So  verzichtet  sie  gern  bei 
neuen  Lustfahrten,  die  sie  nach  verschiednen  Städten  Italiens 
plant,  auf  die  Begleitung  ihres  von  solchen  Absichten  schlecht 
erbauten  Gemahls  und  erbittet  sich  als  letzte  Feengabe  durch 
ihn  nur  noch  ein  Beutelchen,  das  sich  von  selbst  immer  wieder 
mit  Goldstücken  füllt.  Allein  zurückgelassen  aber  fleht  Per- 
Yonte  inbrünstig  zu  den  Feen,  deren  Güte  er  nun  so  oft  hatte 
missbrauchen  müssen,  ihm  alles  wieder  zu  nehmen,  was  sie 
ihm  bescherten,  und  ihn  in  seinen  alten  Stand  zurückzuversetzen, 
worin  er  vor  allen  Wünschen  war.  Wieder  erscheinen  ihm 
die  drei  Feen  und  gewähren  ihm  diesen  letzten,  besten  aller 
seiner  Wünsche:  arm  und  hässlich  steht  er  wieder  in  der 
Hütte  seiner  Mutter,  wie  ein  wunderlicher  Traum  liegt  das 
im  Feenzauber  verlebte  Jahr  hinter  ihm,  und  von  allen  Gaben, 
die  es  ihm  gebracht  hatte,  ist  ihm  nur  der  Verstand  geblieben. 
Vastola  aber,  durch  seinen  letzten  Wunsch  natürlich  auch  mit 
einem  Schlage  aller  Feengaben  beraubt,  ist  wieder  die  jung- 
fräuliche Tochter  des  Königs  von  Salem  —  denn  auch  die 
Zwillinge  verschwinden  wieder  — ;  nur  eine  schmerzliche  Er- 
innerung an  das  Zauberglück,  das  sie  durch  eigne  Schuld  ver- 
loren hat,  lassen  die  Feen  ihr  zur  Strafe. 

Mit  dem  Schluss  des  »Pervonte*  in  der  »Bibliotheque* 
hatte  dieser  letzte  Teil  des  Wielandischen  Märchens  höchstens 
ein  Motiv    gemeinsam,    die  Pracht,    in   der  Vastola  und  ihr 


Widands  „PerwMe".  171 

Gemahl  mit  dem  König  von  Salem  wieder  zusammentreffen, 
und  das  ungläubige  Staunen  des  Königs  über  diese  Herrlich- 
keit. Aber  jenes  Wiedersehen  von  Vater  und  Tochter  ist  im 
Denischen  ganz  anders  geschildert  als  im  Französischen  und 
zudem  ziemlich  nebensächlich  behandelt.  Dass  Wieland  zu 
dieser  Episode  durch  die  Darstellung  in  der  «Biblioth^que" 
angeregt  worden  sei,  ist  daher  zum  mindesten  sehr  zweifelhaft. 
Das  plötzliche  Erscheinen  und  Wiederverschwinden  der  beiden 
Feengünstlinge  am  Hofe  zu  Salem  stammt  wohl  ebenso  wie 
das  sich  stets  neu  füllende  öeldbeutelchen  aus  der  Fortunatus- 
sage.  Die  im  schönsten  Glück  unbefriedigte  Begierde  der  Frau, 
die  endlich  sie  samt  ihrem  Gemahl  aus  dem  Wunderreiche 
treibt,  kann  vielleicht  auf  die  biblische  Erzählung  vom  Sünden- 
fall  zurückgeleitet  werden,  und  Wieland  selbst  scheint  sogar 
gleich  auf  den  ersten  Seiten  ein  wenig  daran  erinnern  zu 
wollen,  wenn  er  die  Frage  aufwirft,  wie  Yastola  allein  mit 
einem  Gatten  zufrieden  sein  könnte,  „wär^s  auch  im  Paradies*. 
ÜDTerhaltnismässig  näher  ist  aber  die  yei*wandtschaft  zwischen 
Wielands  Erzählung  und  dem  plattdeutschen  Märchen  «Von 
den  Fischer  und  sine  Fru''  (in  den  , Kinder-  und  Hausmärchen* 
der  Brüder  Ghimm  Nr.  19).  Auch  hier  wünscht  die  Frau 
immer  neue  und  höhere  Dinge  zum  Yerdruss  des  Mannes,  der 
gleichwohl  ihre  Wünsche  dem  wunderwirkenden  Wesen  vor- 
tragt, und  auch  hier  ist  diese  Masslosigkeit  des  Begehrens 
zuletzt  schuld,  dass  der  Zauber  aufhört,  'der  unbegreifliches 
ausserUches  Glück  gebracht  hatte,  dass  die,  die  ihn  erfuhren, 
plötzlich  aus  dem  höchsten  Glanz  und  Reichtum  in  ihre  ur- 
sprüngliche Armut  und  Niedrigkeit  zurückversetzt  werden  und 
überhaupt  das  Geschehene  am  Ende  ungeschehen  gemacht 
*ird.  Freilich  ist  der  Inhalt  der  einzelnen  Wünsche,  der 
aossere  Verlauf  der  ganzen  Geschichte  und  so  besonders  auch 
die  Art,  wie  die  Katastrophe  herbeigeführt  wird,  durchaus 
Tersehieden  in  den  beiden  Märchen.  Nur  das  Grundmotiv 
Wielands  scheint  aus  dem  plattdeutschen  Volksmärchen  zu 
stammen,  das  er  irgendwie  durch  mündliche  Überlieferung 
l^ennen  gelernt  haben  muss   —   denn  gedruckt  lag  es  damals 


172  Frans  Muneker 

noch  nirgends  vor  — ;  die  Ausführung  im  einzelnen  war  ganz 
und  gar  sein  Werk.  Auch  aus  den  vielen  sonstigen  Märchen 
und  Erzählungen,  die  er  zu  andern  Zeiten  fleissig  genutzt 
hatte,  entlehnte  er  hier  nichts.  Fttr  die  Schilderung  von 
Neapel  und  Venedig  begnügte  er  sich  mit  dem  Allgemeinsten, 
und  so  brauchte  er  auch  hiefbr  aus  keinen  besonders  reichen 
Quellen  zu  schöpfen.  Auch  nur  etwa  auf  eine  erneute  Lektöre 
der  Anfangsseiten  von  Heinses  .Ardinghello*  deuten  die  paar 
Zeilen  über  das  Vermählungsfest  des  Dogen  von  Venedig  nicht. 

Vielleicht  hätte  durch  eine  emsigere  Ausnutzung  der 
älteren  Märchen-  und  Erzählungsliteratur  der  letzte  Teil  des 
yPervonte"  an  Leben  und  bunter  Fülle  gewinnen  können. 
Denn  Wielands  Erfindung  ist  nicht  sonderlich  reich  und  mannig- 
faltig. Das  nämliche  Motiv  kehrt  zu  wiederholten  Malen  wieder 
und  zwar  ohne  wirksame  Steigerung.  Daraus  erfolgt  eine  ge- 
wisse Gleichförmigkeit  der  Handlung,  ja  sogar  auch  der  ziemlich 
häufigen  Beschreibungen.  Es  fehlt  inneres  Leben,  wechselnde 
Bewegung,  sichtbarer  Fortschritt  der  Entwicklung. 

Dazu  kommt  nun  noch  der  gegen  die  früheren  Teile  der 
Dichtung  merklich,  aber  nicht  glücklich  veränderte  Ton  der 
Darstellung.  Zwar,  wie  sich  Wieland  einmal  den  Grundgedanken 
dieses  Schlusses  zurecht  gelegt  hatte,  konnte  er  den  derb- 
volkstümlichen Ton  nicht  mehr  so  keck  und  unbedingt  an- 
schlagen wie  ehedem.  Denn  seitdem  Pervonte  mit  Verstand 
begabt  ist,  steht  er  geistig  wie  gesellschaftlich  auf  einer  zu 
hohen  Stufe,  um  in  seinem  Reden  und  Tun  noch  etwas  von 
dem  früheren  ungehobelten  Lümmel  zu  verraten.  Der  Gegen- 
satz zwischen  seiner  Ausdrucksweise  und  der  der  Prinzessin 
musste  nunmehr  aufgehoben  sein;  die  Darstellung  wurde  da- 
durch notwendig  feiner,  aber  auch  wieder  einförmiger.  Gleich- 
wohl hätte  Wieland  noch  immer  Gelegenheit  genug  gehabt, 
durch  den  frischen,  derben  Humor  der  älteren  Gesänge  auch 
den  letzten  Teil  des  Werkes  zu  beleben.  Aber  dem  alternden 
Dichter  scheint  dazu  die  Fähigkeit  noch  mehr  als  die  Lust 
gemangelt  zu  haben.  Denn  hie  und  da  sieht  es  doch  so  aus, 
als   ob   er  wenigstens  vereinzelt  den  ehemaligen  Stil  nachzu- 


Wielanda  „Pervonie",  173 

bilden  gesucht  hätte.     Da  flocht  er  drastische  Ausdrücke  und 
Wendungen   wie    .Lümmel*,    «Mund  und  Augen  aufsperren ''^ 
,den  Kragen  sich  abschneiden*    und   ähnliche,   auch   ein  ver- 
altetes Wort   wie  »zwier*  in  seine  Sprache  ein  und  schraubte 
einmal  eine   kurze   Bede   des  Fürsten  von  Salem  beinahe  — 
freilich  doch  nur  beinahe  —  auf  den  früheren  niedrig-plumpen 
Ton  zurück.     In  der  Hauptsache  jedoch  bediente  er  sich  jetzt 
einer  gesellschaftlich  feineren,  aber  auch  gleichmässig  ruhigeren, 
konventionelleren ,    weniger    frischen    und    charakteristischen 
Sprache;   alles   klang  buchmässiger  und   näherte  sich  nun  im 
Stil  und  Ton   so  ziemlich  jener  französischen  Nacherzählung 
Basiles  in    der    ^Biblioth^que   des   romans*,   von   deren   Dar- 
Mungsweise  sich  Wieland  vordem  so  glücklich  entfernt  hatte. 
Zugleich  wurde  sein  Vortrag  nun  immer  breiter  und  lehr- 
Iiifter.  Je  ärmer  an  unmittelbar  treffendem  Witz  sich  der  Er- 
zähler fand,    desto  eifriger  jagte  er  jetzt  der  Moral   nach,   an 
die  er  trotz  aller  subjektiven  Betrachtungen  in   den   früheren 
Teilen  der  Dichtung  doch  kaum  recht  gedacht  hatte.     Auch 
Satire  stellte  sich  nun  reichlich  ein,  auf  launenhaft  begehrende, 
mit  kluger  Berechnung  heuchelnde  und  schmeichelnde  Frauen, 
auf  junge,   in    der   Yerführungskunst  erfahrene  Stutzer,   auf 
vergnügungssüchtige  Toren,  die  auch  auf  dem  Lande  nur  die 
Freuden  der  Stadt  wiederfinden  wollen,  und  dergleichen.    Aber 
diese  Satire    war   in  den  meisten  Fällen  gerade  herausgesagt, 
nicht  künstlerisch  verkleidet  und  in  Handlung  eingeschlossen. 
Mit  allem  dem  kam  Wieland   wieder   weit   ab   von   dem 
Charakter    des   echten  Volksmärchens,    zu    dem    er   immerhin 
einst  mit  dem  »Pervonte'*  einen  erfreulichen  Anlauf  genommen 
Wte.    Aber   vielleicht  traf  er  gerade   damit  den  Geschmack 
^iner  Zeitgenossen,    deren  Mehrzahl  eben  gleich  ihm  für  das 
richtige  Volksmärchen  noch  nicht  reif  war. 

Für  die  frühere  Fassung  seines  Gedichts  hatte  er  neben 
dem  Beifall  anderer  Freunde  das  warme  Lob  von  Goethes  Mutter 
geemtet,  die  ihm  am  12. März  1779  schrieb:  »Gestern  Abend . . . 
W  ich  Pervonte  oder  die  Wünsche,  hatte  darob  eine  solche 
Freude,  fühlte  so  ganz,   was  Ihr  vor  ein  herrlicher  Mensch, 


174  Framt  Muncker 

Yor  ein  lieber  Wieland  sejd,  und  dass  keiner  vor  Euch  und 
schwerlich  einer  nach  Euch  seyn  wird,  der  in  solcher  Art  von 
Oedichten  und  Erzählungen  den  Orad  erreichen  wird,  den  Ihr 
von  Gottes  Gnaden  und  der  Mutter  Natur  empfangen  habt."^^) 
Jetzt  sprach  dem  Dichter  des  «Peryonte**  vomehndicli 
Herder  seine  freudige  Anerkennung  aus  in  einem  —  bisher 
ungedruckten  —  Briefe,  der  auch  noch  von  einer  andern  Seite 
her  ein  helleres  Licht  auf  die  späte  Fortsetzung  unsers  Mär- 
chens wirft.  Er  befindet  sich  in  einem  Sammelband  yod 
«Damenbriefen  an  Wieland ^  unter  den  Handschriften  der 
königlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden^),  in  den  er 
wohl  wegen  einer  kurzen  Nachschrift  von  Herders  Gattin  ge- 
raten ist.  Er  füllt  die  beiden  Seiten  eines  grossen  Quartblattes 
weissen  Papiers  und  ist  mit  säubern,  hübschen,  deutlichen 
Zügen  geschrieben.  Das  Datum  fehlt;  doch  stammt  der  Brief, 
wie  sich  aus  einem  Schreiben  Wielands  ergibt,  das  ziemlich 
bestimmt  als  seine  Antwort  darauf  gelten  muss,  vom  9.  Januar 
1795  oder  aus  den  unmittelbar  vorhergehenden  Tagen.  Er  lautet: 

Empfangen  Sie  meinen  besten  Dank,  lieber  holder 
Jugend -Dichter  für  Ihr  vollendetes  Mährchen.  Es  ist 
mit  so  reifer  Weisheit,  so  angenehm-täuschend  vollendet, 
dass  man  in  ihm  die  ganze  Geschichte  des  menschlichen 
Herzens,  des  Charakters  beider  Geschlechter,  insonderheit 
die  ganze  Fabrik  des  prinzesslichen  Herzens  zu  sehen 
und  zu  lesen  glaubt.^)  Die  Begebenheiten  sind  im  letzten 
Gesänge  etwas  gedrängter,  aber  sehr  natürlich  herbei- 
geführt. Ist  es  eine  Täuschung  gewesen?  oder  es  stockt 
etwas  im  Gange  der  Begebenheiten  ohngefahr  um  die 
Gegend  des  Nachtbesuchs  auf  dem  Schloss  zu  Salem; 
vielleicht  würden  sich  da  einige  Züge  wegbringen  lassen, 
die  den  sonst  durchaus  raschen  Gang  aufzuhalten  scheinen. 
Doch   kann   dies   auch   der  Irrthum   des  Moments  seyn, 

*)  Cotta'sches  Morgenblatt  1855,  S.  759  f. 

*)  Genaueres  über  diesen  Sammelband  s.  nnten  S.  184  ff.  im  Anhang. 

^)  Diu  Wort  ist  in  der  Handschrift  nachträglich  eingefügt. 


Wi€land9  „Penonte".  175 

im  Hören  und  Lesen.  Das  Qleichniss  vom  Gähnen  und 
der  Hyäne  will  mir  auch  nicht  recht  ein;  das  Gähnen 
in  solchen  Augenblicken  ist  nicht  tröstlich;  aber  doch 
der  Rachen  der  Hyäne?  — 

Nun  aber  hätte  ich  eine  Hauptbitte  für  den  braven 
Pervonte.  Er  kann  unmöglich  hinter  diesen  Erfahrungen, 
auch  nur  im  Feentraum  durchlebt,  uns '  als  der  alte 
Lümmel  dargestellt  werden.  Verstand,  noch  dazu  vom 
bessten,  den  er  vor  unsem  Augen  so  oft  und  lange  er- 
wiesen hat,  der  ihm  also,  wenn  auch  nur  im  Traum, 
eigen  geworden  ist,  ist  eine  zu  edle  und  innige  Gabe, 
als  dass  sie  sich  mit  der  Zauberruthe  einem  braven,  noch 
dazu  durchquälten  braven  Menschen  nehmen  liesse.  Auch 
im  philosophischen  Mährchen,  mein  lieber  H.  und  Freund, 
muss  Becht  und  Billigkeit  herrschen.  Die  Princessin  muss 
von  den  Narrheiten  der  durchträumten  Nacht  Eindrücke 
behalten,  die  ihr  ausgewünschtes  und  ausgebrauchtes 
Herz  in  ihrem  neu-alten  Zustande  sich^)  und^)  andern*) 
noch  unerträglicher  machen;  und  Pervonte  kann  vor 
seiner  Mutter  durchaus  nicht  als  der  alte  Lümmel  dar- 
stehn,  oder  Sie  arbeiten  selbst  Ihrer  Kunst  entgegen. 
Wenigstens  müssten  Sie  im  Anfange  des  Gedichts  einige 
Züge  an^)  ihm*)  mildem:  oder  wenn  es  auf  diese  zu  erst 
angelegt  war.  Dichter  des  Feenlandes,  so  müssen  Sie  ihn 
hinten  nach  mit  etwas  entschädigen.  Er  muss  gewinnen, 
und  Yastola  die  Kosten  bezahlen;  Compensation  findet 
hier  nicht  statt. 

Guten  Morgen,  lieber.  Machen  Sie  uns  noch  mehr 
solcher  Mährchen;  es  ist  in  ihnen  die  Summe  der  Philo- 
sophie und  Lebensweisheit.  H. 

Ich  darf  nur  noch  hinzusetzen,   dass   wir  das  Gedicht 
mit  einer  eigenen,  lange  nichtgenossenen  Freude  gelessen 
haben   und  dass  Sie   uns  aufs  neue  theuer  und  lieb  ge- 
worden sind,  freundlicher,  wohlthätiger  Genius! 
Ihre  C.  H. 

*)  Das  Wort  ist  in  der  Handi>)cbrlft  nachträglich  eingefügt. 


176  .    Frang  Muncker 

Da  Herder  den  letzten  Gesang  des  ^Pervonte"  zu  Anfang 
des  Jahres  1795   zu   lesen  bekam,   so  wird  ihn  Wieland  ver- 
mutlich unmittelbar  vorher  im  Herbst  oder  Winter  1794  ge- 
dichtet haben.     Dieser  Gesang  muss  aber  in  der  Handschrift, 
aus  der  ihn  Herder  kennen  lernte,  noch  nicht  ganz  die  Fassung 
gehabt  haben,  in  der  er  hernach  veröffentlicht  wurde.    Denn 
was  Herder  in  seinem  Briefe  über  eine  Stockung  im  Gang  der 
Begebenheiten    ,um   die   Gegend    des   Nachtbesuchs    auf  dem 
Schloss  zu  Salem"  schreibt,   trifft  auf  das  gedruckte  Gedicht 
nicht  mehr  zu.     Wieland  scheint  also  in  der  Tat  hier  einige 
hemmende  Nebenzüge  weggebracht  zu  haben.    Vielleicht  war 
gerade   in  ihnen  auch  das  Nächtliche  des  ganzen  Abenteuers 
stärker  betont:   jetzt  findet  der  Besuch  in  Salem  zwar  auch 
noch  zur  Nachtzeit  statt;  aber  mit  ausdrücklichen  Worten  ist 
das  nirgends   gesagt,   und   der  Leser  denkt  demgemäas  auch 
kaum  daran,  dass  er  es  mit  einem  « Nachtbesuch "  zu  tun  hat. 

Auch  das  Gleichnis  vom  Gähnen  und  dem  Rachen  einer 
Hyäne,  das  Herder  tadelt,  sucht  man  in  dem  gedmckten 
»Pervonte"  vergebens.  Wo  es,  wahrscheinlich  nicht  ganz 
ohne  Schuld  des  Reims,  früher  gestanden  haben  mag,  lässt 
sich  nicht  einmal  bestimmt  behaupten.  In  dem  gedruckten 
Schlussgesang  ist  zweimal  vom  Gähnen  die  Rede,  gleich  auf 
den  ersten  Seiten  dicht  hinter  dem  Selbstgespräch,  in  welchem 
Yastola  ihre  Unzuiriedenheit  mit  dem  zärtlichen  Schäferleben 
zuerst  verrät,  und  wieder  später,  als  Pervontes  Unbehagen  bei 
dem  Besuch  der  Gaste  aus  Neapel  auf  seinem  Landgute  ge- 
schildert wird.  Der  Rachen  der  Hyäne  kann  natürlich  aber 
auch  an  einem  andern  Orte  erwähnt  gewesen  sein,  da  Wieland 
möglicherweise  mit  dem  Gleichnis  auch  das  Gähnen  selber  weg- 
gelassen hat. 

Deutlicher  lässt  sich  aus  Herders  Worten  der  ursprüng- 
liche Ausgang  des  Märchens  erkennen:  Pervonte  kehrte  nicht 
bloss  arm  und  hässlich,  sondern  auch  plump  und  dumm  wie 
früher  in  die  Hütte  seiner  Mutter  zurück,  und  Yastola  blieb 
ohne  quälende  Erinnerung  an  das  verscherzte  Glück.  Es  fehlten 
also   in   der  Handschrift,   auf  die  sich  Herders  Brief  bezieht, 


Wielanda  „Penmte''.  177 

sicher  die  letzten  neunzehn  Verse  des  Druckes;  das  Gedicht 
schloss  hier  höchst  wahrscheinlich  mit  den  Worten :  «Kurz  alles 
setzet  sich  in  seinen  alten  Stand.  *'•  Ebenso  fehlten  zwei  oder 
drei  Seiten  vorher  die  Verse,  in  denen  es  ausgesprochen  war, 
(iass  Pervontes  Verstand  nicht  mit  den  übrigen  Feengaben  ver- 
schwinden sollte,  also  das  die  Bede  der  Feen  abschliessende 
Reimpaar : 

,Nur  den  Verstand,  den  du  gehörig  zu  verwalten 
Gelernt  hast,  sollst  du,  uns  zu  Ehren,  noch  behalten  I'^ 

und  femer  die  letzten  vier  oder  auch  fünf  Zeilen  in  den  Worten, 
mit  denen  der  heimkehrende  Pervonte  die  erstaunte  Mutter 
begrQsst.  Alle  diese  Verse  lassen  sich  ohne  jegliche  Störung 
i^  Reimgefttges  und  ohne  eine  auffallige  Lücke  im  Sinn  oder 
im  Fluss  der  Darstellung  aus  dem  gedruckten  Texte  weg- 
streichen, so  dass  wir  am  Ende  nur  ihr  Fehlen  anzunehmen 
brauchen,  um  die  ursprüngliche  Gestalt  des  Schlusses  unsrer 
Dichtung  aus  der  spätem  Fassung  herauszuschälen.  Doch 
dürfte  damit  bloss  bei  den  auf  Vastola  bezüglichen  Sätzen  das 
Richtige  getroffen  sein.  Dagegen  möchte  man  nach  Herders 
Brief  vermuten,  dass  in  den  dem  Pervonte  selbst  gewidmeten 
Schlusszeilen  dieser  ausdrücklich  wieder  als  der  alte  Lümmel 
geschildert,  ja  wohl  auch  wörtlich  so  bezeichnet  war;  Wieland 
hätte  demnach  hier,  als  er  dem  Rate  des  Freundes  folgte,  nicht 
nur  einige  neue  Verse  einzusetzen,  sondern  auch  ein  paar  über- 
flüssig gewordene  ältere  zu  streichen  gehabt. 

Augenscheinlich  auf  Herders  Brief  über  den  , Pervonte** 
antwortet  Wielands  Schreiben  vom  9.  Januar  1795,  das  im 
vierten  Band  seiner  ,  Ausgewählten  Briefe*  (Zürich  1816,  S.  34  f.) 
üngst  gedruckt  vorliegt:  «Aus  vollem  Herzen  danke  ich  Ihnen, 
Diein  innigstverehrter  Freund,  für  Ihren  aufmunternden  Beyfall, 
^nd  noch  mehr  für  die  Erinnerungen,  deren  Richtigkeit  ich 
so  ganz  fühle,  und  die  ich  gewiss  nicht  auf  die  Erde  fallen 
lassen  werde.  Mündlich  nächstens  das  Mehrere  hierüber.  Jetzt 
DiBss  ich  Ihnen  nur  mit  zwei  Worten  sagen,  wie  glücklich  mich 
üeser  Beweis  Ihrer  Liebe   macht.     Ich   fühle  unbeschreiblich 


178  Frans  Muncker 

mehr  hierbey,  als  ich  sagen  kann  und  will.  Möchten  Sie  in 
meine  innerste  Seele  blicken  können !  Doch  gewiss  Sie  können^s 
und  sonach  kein  Wort  weiter  von  einem  G^fQhl,  das  zu  rein 
ist,  um  ausgesprochen  zu  werden.  Ich  möchte  Ihnen  meine 
Dankbarkeit  gern  sichtbar  darstellen  können,  und  weiss  mir 
nicht  anders  zu  helfen,  als  dass  ich  Ihnen  und  meinen  nach- 
sichtsToUen  Freunden  nun  auch  die  Wasserkufe  vorlege.* 

Dass  dieser  Dank  ehrlich  gemeint  war,  bewies  der  Dichter 
am   besten   dadurch,   dass  er  die  kritischen  Bemerkungen  des 
feinsinnigen  Beurteilers  samt  und  sonders  sich  zu  Herzen  nahm 
und   bei   den  Verbesserungen,   an   die  er  sich  alsbald  gemacht 
haben   dürfte,   sich   durch   die  Winke    des  Freundes   auch  im 
einzelnen  geradezu  leiten   Hess.     Auffallend   bleibt  an  Herders 
Brief  nur,  dass  er  die  Begebenheiten  im  letzten  Gesang  , etwas 
gedrängter"  herbeigeführt  fand;  wir  empfangen  heute  vielmehr 
fast   den   entgegengesetzten   Eindruck,    dass,   wenn    auch  ein 
grösserer  Zeitraum  in  diesen  dritten  Teil  eingeschlossen  ist  als 
etwa  in  den  zweiten,  doch  die  Begebenheiten  nicht  so  gedrängt 
aufeinander  folgen  wie  dort,  wenigstens  nicht  so  wie  dort  einen 
ununterbrochenen   Fortschritt   der   eigentlichen   Handlung  be- 
wirken.    Schade,   dass  kein  Wort   Herders  diese   zunehmende 
Breite  der  Darstellung  im  Schlussgesange  rügte ;  vielleicht  hätte 
ein  solcher  freundschaftlicher  Tadel  den  Verfasser  angespornt, 
bei  der  letzten  Durchfeilung  des  Gedichts  zum  Besten  der  künst- 
lerischen Gesamtwirkung  noch  an  verschiednen  Stellen  gewisse 
Züge  «wegzubringen*,    die  den  raschen  Gang  allzu  sehr  auf- 
zuhalten scheinen. 

In  das  Lob  Herders  stimmten  die  übrigen  Weimarer 
Freunde  ein.  Johannes  Falk  rühmte  den  „Pervonte*  als  Wielands 
,  genialischestes  Product**,  in  welchem  er  „unvermuthet  selbst 
schaflFend  geworden*  sei.*)  Er  hat  uns  auch  die  schönen  Worte 
aufbewahrt,  mit  denen  Goethe  am  Begräbnistage  des  befreun- 
deten Dichters  (25.  Januar  1813)   an    die  Vorzüge   des    .Per- 


')  Karl  August  ßöttiger,   Literarische  Zustände  und  Zeitgenossen, 
Leipzig  1838,  Bd.  I,  S.  257. 


Widanäa  „Perwmte''.  179 

Tonie'  erinnerte.^)    Gbethe  hatte,    um   sich   von  den  trüben 
Gedanken  der  letzten  Tage  zu  befreien,  gerade  zu  dieser  Dich-» 
tong  des  Verstorbenen    seine   Zuflucht  genommen   und  pries 
nno  sie  und,  von  ihr  ausgehend,  Wielands  poetische  Eigenart 
ai)eriianpt  mit  warmer  Begeisterung:  „Die  Plastik,  der  Muth^ 
wille  dieses  Gedichtes   sind   einzig,   musterhaft,  ja  yöUig  un- 
schätzbar.   In   diesem   und   ähnlichen  Producten   ist  es  seine 
eigentliche  Natur,   ich  möchte   sogar  sagen,   au&   allerbeste, 
was  uns  Vergnügen  macht.     Der  unvergleichliche  Humor,  den 
er  b€sass,   war,   sobald  er  über  ihn  kam,    von  einer  solchen 
Ausgelassenheit,  dass  er  mit  seinem  Herrn  und  Gebieter  hin- 
ging, wohin  er  nur  wollte  ....     Ich  möchte  Sie  wohl  auf- 
Dontern,  dergleichen  Gedichte  wie  'Pervonte'  und  andere  öfters 
in  Gesellschaft   vorzulesen.     Es  fodert  indessen  einige  Vorbe- 
reitung. Wieland's  Verse  wollen  mit  einer  prächtigen  Lebendig- 
keit vorgetragen   seyn,    wenn  man  sich  einer  augenblicklichen 
Wirkung  davon   versichern  will.     Es  ist  ein  unvergleichliches 
Natural,   was  in  ihm   vorherrscht.     Alles  Fluss,   Alles  Geist, 
Alles  Geschmack!    Eine  heitere  Ebene  ohne  den  geringsten 
Anstoss,   wodurch  sich  die  Ader  eines  komischen  Witzes  nach 
allen  Richtungen  ergiesst  und,  je  nachdem  die  Capricen  sind, 
^OTon  sein  Genius   befallen   wird,   auch  sogar  seinen  eigenen 
Urheber   nicht  verschont.     Keine,   auch  nicht  die  entfernteste 
Spur  von  jener  bedachtsam  mühseligen  Technik,  die  Einem  die 
(testen  Ideen    und  Gefühle   durch  einen  verkünstelten  Vortrag 
^Qwidermacht,  oder  wol  gar  auf  immer  verleidet  .  .  .■ 

Übrigens  war  Wieland  selbst  mit  seiner  Arbeit  wohl- 
zofrieden.  Seinem  Schwiegersohn  Karl  Leonhard  Reinhold  he- 
chtete er  in  einem  langen  Briefe  vom  25.  und  26.  Dezember 
nSi  mit  stolzer  Freude,  wie  fleissig  er  im  letzten  Jahre  ge- 
^^nsei:  ,Auch  hab'  ich  zum  Pervante,  einem  meiner  besten 
^■(^hen,  das  aber  mit  dem  2.  Theil  noch  nicht  vollendet 
^ar,  den  dritten  Theil  hinzugefügt,  wodurch  er  nun  ein  Ganzes, 


^  Johannes  Falk,   Goethe  ans  nähertn  persönlichen  Umgänge  dar- 
?^^llt,  Leipzig  1832,  S.  156  f. 


180  Franjf  Muneket 

und  (wenn  ich  selbst  eine  Stimme  dabej  hätte)  eines  meiner 
besten  Machwerke  geworden  ist.  Ich  habe  bej  dieser  Gelegen- 
heit  die  Entdeckung  gemacht,  dass  ich  noch  Verse  machen 
kann,  und  ich  stehe  nicht  daftir,  dass  mich  dieser  wenigstens 
eingebildete  Success  nicht  noch  zu  einigen  Thorheiten  in  diesem 
genre  verleiten  könnte.**  ^) 

Auch  in  den  weiteren  Kreisen  der  Leser  scheint  «Pervonte'' 
den   verdienten  Beifall  gefunden  zu  haben.     Ein  jüngerer,  in 
gelehrter   und   schöner  Literatur  gleichmässig  tätiger  Schrift- 
steUer,  Oeorg  Gustav  Fülleborn  in  Breslau,  verfasste  sogar 
im  letzten  Jahre  seines  kurzen  Lebens  (1802),  nachdem  er  eben 
Wielands   morgenländische  Erzählung   «Hann  und  Gulpenhee' 
zu  einem  komischen  Nachspiel  umgearbeitet  hatte,  eine  komische 
Oper  in  drei  Aufzügen   «Pervonte  oder  die  Wünsche*.    Über 
ihren  Inhalt  berichtete  ausführlich  Johann  Gottlieb  Schummel 
in   der  kleinen  Schrift  ,Qarve  und  FüUebom*  (Breslau  1804, 
S.  33 — 51)  und  teilte  bei  dieser  Gelegenheit  zahlreiche  Bruch- 
stücke  daraus   im  Wortlaut  mit;   später  wurde  noch  fast  der 
ganze  erste  Aufzug   in  dem  von  Kotzebue  und  August  Kuhn 
herausgegebenen   Unterhaltungsblatt    „Der  Freimüthige'   vom 
30.  Juni  und  1.  Juli  1808  abgedruckt. 

Fülleborn  musste  aus  Rücksicht  auf  die  Bühne  und  auf 
die  musikalischen  Erfordernisse  eines  regelrechten  Opemtextes 
von  der  Wielandischen  Dichtung,  die  er  seiner  Arbeit  durch- 
weg zu  Grunde  legte,  mehrfach  abweichen.  Um  den  Szenen- 
wechsel möglichst  zu  beschränken,  setzte  er  erst  mit  der 
«Cocagne"  ein  und  schob  der  eigentlichen  Darstellung  des 
Volksfestes  nur  eine  Szene  im  Königsschlosse  voraus,  die  uns 
über  den  Grund  dieser  Veranstaltung,  über  die  unerklärliche 
Geburt  der  Zwillinge  vor  mehr  als  sieben  Jahren,  unterrichtet, 
in  der  zugleich  die  Prinzessin  dem  ungläubigen  Vater  ihre 
Unschuld  versichert.    Dabei  machte  er  es  sich  freilich  in  jeder 


*)  Vgl.  die  Dresdener  Abendzeitung  vom  29.  Dezember  1825,  Nr.  311, 
S.  1242;  dazu  Alexander  Meyer  Cohn,  Katalog  einer  Autographen  Samm- 
lung zur  Geschichte  der  deutschen  Literatur,  Berlin  1886,  S.  18, 


Wielands  „Pervonte*',  181 

Beziehung  sehr  bequem.    Er  lieas  einen  von  Yastolas  höfischen 
Bewerbern,  einen  Grafen  Imperiali,  der  seinen  Namen  vermut- 
licli  nur  dem  .Fiesco'  Schillers  verdankte,   von  einer  langen 
Reise  gerade  zurückkehren,   und  ihm,    der  in  seiner  Liebe  zu 
der  spröden  Königstochter  schon  fürchtet,  das  Volksfest  möchte 
die  Feier  ihrer  Vermählung  bedeuten,  setzt  nun  der  Seneschall, 
meist  mit  Wielands  eignen  Worten  (und  zwar  nach  den  Les- 
arten der  späteren  Ausgaben   des  Gedichts),    das  Geschehene 
auseinander.     So  wiederholt  er  z.  B.  ziemlich  silbengetreu  die 
Verse,  in  denen  Wieland  die  Bemühungen  der  Gelehrten  von 
Salem  verspottete,   die   unbegreifliche  Herkunft  der  Zwillinge 
n  erklären,  und  namentlich  die  Schilderung  Wielands  von  den 
"wden  dem  Volksfest    vorausgehenden  Versuchen,    den  Vater 
k  Kleinen    unter   den    Herren    des    Hofes    oder   unter   den 
fiS^m  der  Stadt  zu  entdecken.   Wenn  die  Szene  von  Anfang 
^  für  die  musikalische  Komposition  berechnet  war,   sind  die 
wurtlich  von  Wieland  herübergenommenen  Versgruppen  nicht 
immer  glücklich   ausgelesen;    mehr   Beifall   verdient    dagegen 
üreWahl,  wenn  FüUebom,  was  auch  in  der  Tat  wahrschein- 
licher ist,  sich  die  Szene  nur  gesprochen  dachte.    Die  von  ihm 
bleibst  hinzugefügten  Partien  des  Dialogs  jedoch  und  besonders 
<lie  Arie  der  Prinzessin  und  die  des  Seneschalls  über  die  Kraft 
•les  Instinkts  fielen  recht  schwach  aus;   jene  ist  ganz  konven- 
tionell gehalten,  dichterisch  ohne  jeden  Wert,  und  diese  wirkt 
laicht  komisch,  wie  sie  nach  der  Meinung  des  Verfassers  sollte, 
andern  nur  äusserst  läppisch.    Auch  die  Ghorgesänge  bei  dem 
Volksfest  zeichnen  sich  weder  durch  Geist  noch  durch  Humor 
^'>is.    Dagegen   ist  das  Erscheinen  Pervontes,   den  die  Kinder 
i^bkosend  begrüssen,  das  Entsetzen  aller  über  seine  Hässlich- 
-^it.  der  Urteilsspruch  des  Königs,  ebenso  das  von  Fülle  born 
I^^agedichtete  allgemeine  Flehen   für  Vastola  und  Imperialis 
*^rgebliches  Anerbieten,  ihr  seine  Hand  zu  reichen,  endlich  der 
Wllzug  des  Urteils  zwar  in  konventionellen,  poesielosen  Versen 
ie  übrigens  im  Wortlaut  nur  ganz  selten  an  Wielands  Dichtung 
iaklingen)  und  ohne  jede  schärfere  Charakterisierung  im  ein- 
zJnen,  aber  theatralisch  nicht  ungeschickt  und  namentlich  im 

lyjl  SitzgBb.  cL  pbUo8.-pbUoI.  n.  d.  bist.  KL  1 3 


182  Pranz  Muncker 

Hinblick  auf  die  musikalische  Behandlung  einer  bewegten,  perso- 
nenreichen Ensembleszene   äusserlich  wirkungsvoll  ausgeführt. 

Der  zweite  Akt  beginnt  mit  der  Landung  der  Tonne,  in 
der  die  Verurteilten  staken,  an  einem  öden  Pelsenstrande.  Hier 
erst  klärt  Pervonte  die  Prinzessin  über  die  Herkunft  der  Kinder 
auf  und  bewirkt  alsbald,  nachdem  sie  seine  Willfährigkeit  durch 
einen  Kuss  erkauft  hat,  die  Verwandlung  der  wüsten  Gegend 
in  ein  herrlich  ausgestattetes  Schloss  mit  Garten,  Meierei  und 
allem  Zubehör.  Um  aber  dem  Musiker  Gelegenheit  zu  mehr- 
stimmigen. Gesängen  zu  verschaffen,  lässt  sich  Vastola  gleich 
nachher  auch  zwei  Zofen  und  den  Grafen  Imperiali  herbei- 
wünschen. Dann  dringt  sie  mit  einer  grossen  Arie,  die  sich 
in  den  banalsten  Gedanken  und  Versen  bewegt,  in  den  heftig 
und  angeblich  komisch  widerstrebenden  Pervonte,  dass  er  sich 
Schönheit  wünsche.  Er  gibt  endlich  nach,  bedingt  sich  aber 
—  augenscheinlich  aus  bühnentechnischen  Gründen  — ,  dass 
die  Metamorphose  erst  in  der  Nacht,  das  heisst  in  der  Pause 
zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Aufzug,  erfolge. 

Diesen  dritten  Aufzug  eröffnet  eine  erneute,  leidenschaft- 
liche Werbung  Imperialis  um  die  Liebe  der  Prinzessin.  Sie 
aber  fühlt  sich  durch  „heil'ge  Bande**  an  Pervonte  gefesselt 
und  umaimt  voll  Entzücken  den  zum  Adonis  Verwandelten, 
der  zum  frohen  Erstaunen  aller  jetzt  hereintritt.  Seine  albernen 
Reden,  mit  denen  nur  leider  Fülleborn  keine  witzige  Wirkung 
zu  verbinden  wusste,  bestimmen  Vastola  gar  bald.  Verstand  für 
ihren  Gatten  von  den  Feen  zu  erbitten.  Sobald  ihm  auch  diese 
Gabe  zuteil  geworden,  wünscht  er  sich  mit  den  Seinigen  an 
den  Hof  von  Salem  zurück,  wo  der  trauernde  König  sie  mit 
„namenlosem  Entzücken"  begrüsst,  ohne  dass  diese  plötzliche 
Wandlung  seines  Herzens  auch  nur  mit  einem  Worte  begründet 
würde.  Er  erhebt  Pervonte  zu  sich  auf  den  Tron,  ernennt 
Imperiali  zum  Herzog,  und  alle  stimmen  moralisch-lehrhafte 
Gesänge,  denen  nur  die  Poesie  fehlt,  über  das  weise  und 
gnädige  Walten  der  Vorsehung  an.  Da  erleuchtet  plötzlich 
ein  Zauberglanz  den  Saal,  und  in  ihm  lassen  sich  von  weitem 
die  Stimmen  der  Feen  hören,  die,  weil  nun  Pervonte  glücklich 


Wielanäs  „Pervante**.  163 

am  Ziele  ist,  die  Gabe  des  Wünschens  ihm  wieder  nehmen, 
and  jubekd  fallen  alle  in  die  Verse  des  Feengesanges  ein. 

Während  Füllebom  für  den  zweiten  Akt  seiner  Oper  noch 
einige  Male  Wielands  Dichtung  wörtlich  benutzte,  scheint  er 
im  dritten  Aufzug  dazu  fast  keine  Gelegenheit  mehr  gefunden 
zu  haben.  Mehr  und  mehr  suchte  er  selbständig  seinem  Vor- 
bilde gegenüber  zu  treten ;  zuletzt  erfand  er  für  die  märchen- 
hafte Handlung  einen  neuen  Schluss,  der  beinahe  wie  eine 
Veischmelzung  des  Ausgangs  im  ursprüngb'chen  Märchen  (auch 
in  der  ,6ibliotheque  des  romans'')  und  des  flüchtigen  Besuchs 
im  Schloss  zu  Salem  bei  Wieland  aussieht.  Von  Wieland 
)Ummt  dabei  auch  die  erneute  Erscheinung  der  Feen,  die 
jejoch  nach  FüUeboms  Meinung  nicht  auf  die  Bühne  selbst 
leraustreten  sollten.  Aber  wie  diese  Stimmen  der  Feen  bei 
'iun  ohne  rechten  Grund  und  tieferen  Sinn  ertönen,  so  ver- 
misst  man  auch  vorher  in  dem,  was  nicht  unmittelbar  aus 
^Welands  Dichtung  herübergenommen  ist,  und  oft  auch  in  der 
Art,  wie  das  wortgetreu  Entlehnte  theatralisch  verwertet  wird, 
jede  wirklich  künstlerische  Begabung.  Die  allerbescheidensten 
Forderungen  psychologischer  Wahrheit  und  lebendiger  Charak- 
teristik bleiben  unerfüllt;  von  einer  auch  nur  notdürftig  drama- 
ti^hen  Gestaltung  des  Stoffes  und  dichterischen  Ausführung 
fe  Einzelnen  in  Vers  und  Sprache  kann  nicht  die  Rede  sein, 
bas  ernste  Pathos  missglückt  dem  Verfasser  ebenso  sehr  wie 
der  komische  Witz ;  selbst  die  äusserliche  theatralische  Wirkung 
iiätte  er  mit  Leichtigkeit  viel  höher  steigern  können.  Aber 
liDter  den  trivialen  Opemtexten,  mit  denen  sich  die  deutschen 
Toosetzer  um  jene  Zeit  fast  ohne  Ausnahme  behelfen  mussten, 
^te  sich  Fülleborns  Arbeit  immerhin  als  ein  besserer  Ver- 
«ch  ausnehmen;  das  überschwängliche  Freundeslob  freilich, 
^  ihr  der  Herausgeber  Schummel  spendete,  verdiente  sie  in 
keiner  Weise. 

Schummel  komponierte  auch  in  seiner  Begeisterung,  ob- 
wohl er  sich  nur  als  Dilettanten  fühlte,  sogleich  probeweise 
-mige  Verse  des  ersten  Aktes  und  teilte  den  nicht  übel  ge- 
lungeneD,  nur  recht  unselbständigen  Versuch  1804  im  Anhang 

18* 


184  FranM  Muncker 

zu  seiner  Schrift  über  FüUebom  mit.  Die  ganze  Oper  setzte 
kurze  Zeit  darauf  —  vor  dem  Abdruck  des  ersten  Aufzugs  im 
»Freimtithigen"  von  1808  —  ein  Mitglied  des  Breslauer  Theaters, 
J.  Miller,  in  Musik.  Ob  sie  hernach  auch  zur  Aufführung  ge- 
langte und  mit  welchem  Erfolge,  darüber  ist  nichts  bekannt. 
Auch  von  späteren  musikalischen  oder  sonstigen  drama- 
tischen Bearbeitungen  des  Wielandischen  Märchens  verlautet 
nichts.  Ein  Jahr  nach  dem  Druck  des  vollendeten  «Pervonte* 
traten  Tiecks  Volksmärchen  ans  Licht;  damit  kam  die  neue 
Gattung  des  romantischen  Märchens  auf,  dessen  unvergleicbhch 
kühnere,  oft  dazu  mit  Satire  und  Ironie  gewürzte  Phantastik 
mit  den  andern  einfacheren  Märchen  der  Aufklärungszeit  auch 
Wielands  anmutige,  aber  in  ihrem  letzten  Teile  gleichfalls  einer 
aufklärerischen  Moral  dienende  Feengeschichte  für  die  nächsten 
Jahrzehnte  aus  der  Gunst  des  deutschen  Publikums  verdrängte. 


Anhang. 

Unter  den  Handschriften  der  königlichen  öffentlichen 
Bibliothek  zu  Dresden  befindet  sich  ein  Sammelband  von  205, 
zum  grössten  Teile  beschriebenen  Blättern  mit  der  Aufschrift 
, Damenbriefe  an  Wieland,  besonders  von  S.  La  Roche*. 
Er  enthält  im  ganzen  97  Briefe  von  12  Verfasserinnen  und 
3  Verfassern,  die  meistens  aus  irgend  einem  äusserlichen  Grunde 
in  die  weibliche  Gesellschaft  geraten  sind:  neben  Herder,  dessen 
Schreiben  ich  oben  S.  174  f.  mitgeteilt  habe,  sind  nämlich  auch 
Georg  Michael  Frank  von  La  Roche,  Sophiens  Gatte,  mit  zwei 
Briefen  und  der  Dechant  Damian  Friedrich  Dumeiz  in  Frank- 
furt a.  M.  mit  einer  kurzen  Nachschrift  zu  einem  Briefe  So- 
phiens vertreten.  Dazu  kommt  ein  mittelmässiges  Gedicht  des 
Prinzen  August  von  Sachsen-Gotha  an  Thümmel  (»An  den 
Verfasser  der  Reise  in  die  mittäglichen  Provinzen  von  Frank- 
reich, im  Jahr  1785  bis  1786*'),  ein  grösserer  Abschnitt  aus 
Sophiens  Roman  „Rosaliens  Briefe*  (Bd.  ü,  S.  1  ff.,  Brief  64, 
aber  mit  mehrfachen,  grösseren  Abweichungen  vom  gedruckten 


Wielands  „Pervonte^*.  185 

Texte),  eme  schwärmerische  Betrachtung  Sophiens  über  Joseph  IL 
(wohl  in  der  Hauptsache  identisch  mit  dem  mir  nicht  zugäng- 
lichen Schriftchen  ,  Joseph  IL  nahe  bei  Speier  im  Jahre  1781"), 
endlich  eine  dürftige  Probe  aus  den  Gedichten  Julie  von  Bech- 
iohheims. 

Für  die  literargeschichtliche  Forschung  sind  diese  Hand- 
schriften bisher  nur  wenig  benutzt  und  nur  selten  einmal  das 
eloe  oder  andre  Blatt  daraus  abgedruckt  worden.  Und  doch 
bieten  sie  nicht  nur  für  die  Geschichte  von  Wielands  Leben 
und  Werken  manchen  beachtenswerten  Aufschluss,  sondern  ge- 
währen uns  auch  mehrfach  einen  belehrenden  Einblick  in  das 
Treiben  seiner  Freunde  und  namentlich  in  die  Weimarer  Ver- 
idltnisse.  Nicht  alle  Briefschreiberinnen  zwar  vermögen  noch 
leute  unsere  Aufmerksamkeit  zu  fesseln.  Verschiedne  sprechen 
Dar  ihre  Verehrung  für  den  Dichter  und  Menschen  in  begei- 
sterten Worten  aus  oder  berichten  über  eigne  literarische 
Versuche,  für  die  sie  Wielands  Rat  und  Urteil,  gelegentlich 
auch  die  Aufiiahme  in  den  ,Teutschen  Merkur*  oder  eine 
Äusserung  des  berühmten  Mannes  als  Vorwort  erbitten;  so 
Julie  von  Bechtolsheim,  Susanne  von  Bandemer,  geb.  von 
Franklin,  Gräfin  Tina  Brühl,  Madame  de  la  Fite  und  andere. 
Auch  ein  langes,  um  Unterstützung  in  bitterster  Not  flehen- 
des Schreiben  von  Julie  Penz,  die  später  einen  Sprach- 
lehrer de  Roquette  heiratete,  sich  übrigens  auch  gelegentlich 
in  Gedichten  versuchte,  befindet  sich  unter  den  weniger  an- 
ziehenden Stücken  des  Sammelbandes.  Dagegen  lohnen  einige 
andere  Briefe  aus  Wielands  Weimarer  Zeit  eher  eine  genauere 
Betrachtung.  Sie  rühren  von  Damen  der  Weimarer  Hofgesell- 
^haft,  von  der  Herzogin  Anna  Amalia  selbst  und  von  der 
Sarschin  her.  VeröflFentlicht  wurde  bisher  darunter  nur  das 
zeitlich  erste  Schriftstück,  der  lange,  französische  Brief  der 
Herzogin  vom  29.  März  1772,  den  Karl  Freiherr  von  Beaulieu- 
Marconnay  1874  in  seinem  Buche  „Anna  Amalia,  Karl  August 
iüd  der  Minister  von  Fritsch*  (S.  242  ff.)  mitteilte.  Die  übrigen 
Jnogen  hier  teilweise  oder  vollständig,  je  nachdem  sie  des  Ab- 
irucks  würdig    erscheinen,    genau    nach   dem   Wortlaute    der 


186  Franz  Muncker 

Handschriften  folgen,^)  mit  allen  Verstössen  gegen  Grammati1[ 
und  Rechtschreibung,  an  denen  mehrere  von  ihnen  nur  allzu 
reich  sind. 

Bei  chronologischer  Anordnung  machen  zwei  Briefe  ohne 
Unterschrift  den  Anfang,  aus  ^Steden'^  datiert,  worunter 
Stedten  bei  Erfurt  oder  der  gleichnamige,  von  Weimar  ziemlicb 
gleich  weit  entfernte  Ort  bei  Kranichfeld  verstanden  sein  kanL 
Nach  einer  bibliothekarischen  Bemerkung  aus  neuerer  Zeit, 
die  freilich  durch  keine  Angabe  genauerer  Gründe  gestützt 
ist,  wäre  als  Verfasserin  vielleicht  eine  Gräfin  Hatzfeld  zu 
vermuten,  die  selbstverständlich  nicht  dieselbe  Person  wie  die 
in  den  Briefen  Wielands  an  Frau  von  La  Roche  erwähnte 
Gräfin  Luise  von  Hatzfeld  sein  könnte.  Ich  glaube  jedoch  die 
beiden  Briefe  vielmehr  der  Freifrau  von  Keller,  Gemahlin 
des  gothaischen  Staatsministers  von  Keller,  zuweisen  zu  sollen, 
die  auch  im  Subskribentenverzeichnis  zum  ,Agathon*  von  1773 
als  „Frau  Geheime  Räthin  von  Keller,  geb.  von  Bechtolsheim. 
zu  Stedten"  —  Stedten  bei  Erfurt  ist  hier  gemeint  —  und 
zwar  als  Bestellerin  von  vier  Exemplaren  erscheint.  Ihre 
Tochter  Julie,  von  Wieland  als  Psyche  besungen,  war  mit  dem 
Bruder  ihrer  Mutter,  dem  gothaischen  Oberamtmann  Johann 
Ludwig  Freiherrn  von  Bechtolsheim,  der  dann  als  Vizekanzler 
der  weimarischen  Landesregierung  nach  Eisenach  kam,  ver- 
mählt —  im  zweiten  der  folgenden  Briefe  ist  mehrfach  darauf 
angespielt  —  und  ist  dieselbe  Dame,  die  in  einigen  viel  spä- 
teren Briefen  unsers  Sammelbandes  (vgl.  oben  S.  185)  Wieland 
um  Rat  über  ihre  eignen  dichterischen  Versuche  bittet. 

Der  erste  Brief  der  Freifrau  von  Keller,  auf  die  beiden  ersten 
Seiten  eines  in  8^  gebrochenen  Quartblattes  mit  flüchtigen, 
nicht  immer  ganz  deutlichen  Zügen  geschrieben,  redet  von 
einer   unmittelbar  bevorstehenden,   schweren   Operation,   deren 


^)  Für  die  bereitwilligst  gewährte   Erlaubnis,  diese  Handschriften 
längere  Zeit  in  München  zu  benutzen  und  nach  Belieben  Briefe  daraof 
mitzuteilen,  sei  dem  Direktor  der  königlichen  öffentlichen  Bibliothek  in| 
Dresden,  Herrn  Geheimen  Hofrat  Dr.  Franz  Schnorr  von  Carolsfeld,  auch 
hier  der  ergebenste  Dank  ausgesprochen. 


Widands  „Pervonte".  187 

zweifelhaftem  Ausgange  die  Dame  mit  ruhiger  Ergebung  ent- 
gegcDsieht,  nur  von  Sorgen  für  das  Olück  ihrer  Kinder  erfüllt. 
Diesen  Gedanken  fügt  sie  erst  am  Schluss  des  Briefes  einige 
literarische  Bemerkungen  bei,  die  sich  auf  Gotters  ,,  Epistel 
über  die  Starkgeisterey''  im  ,,Teutschen  Merkur"  vom  Juli  1773 
(S.  3 — 38),  auf  Mendelssohns  „Phädon*  und  auf  die  letzten 
Kapitel  des  soeben  in  zweiter  Auflage  erschienenen  „Agathon" 
beziehen.  Ich  beschränke  mich  auf  die  Mitteilung  dieser 
Sehlusssatze: 

a  St.  ce  27.  d'Oct.  1773. 

Je  me  ferai  lire  demain  l'admirable  Epitre  de  Gotter,  et 
je  reviendrai  apres  a  mon  Cher  Phaedon,  pourquoi  h^las 
cette  Philosophie  d'Argitas  dont  nous  avons  tant  parl^  ne 
se  trouve-t  eile  pas  en  Agathon,  ou  plutot  pourquoi  n'etes 
?ous  pas  a  meme  de  venir  en  nourir  mon  ame. 

Der  zweite  Brief  (ebenfalls  ein  in  8®  gebrochenes  Quart- 

biatt,  das  auf  allen  vier  Seiten  mit  flüchtigen,  aber  deutlichen 

Zügen  beschrieben  ist)  knüpft  an  den  Weimarer  Schlossbrand 

Tom  6.  Mai  1774  an,  spricht  mit  grösster  Verehrung  von  dem 

Grafen  Johann  Eustach  von  Görtz,  dem  Erzieher  Karl  Augusts, 

uiit  schwärmerischer  Begeisterung  von  dem  Prinzen  selbst  und 

haudelt  in    seiner  zweiten  Hälfte,   von   der  ich  im   folgenden 

nur  die  Schlusssätze  mitteile,  von  Familienangelegenheiten  der 

Schreiberin,  bei  denen  sie  gelegentlich  Wielands  Rat  und  Hilfe 

in  Anspruch  nimmt. 

a  Steden  ce  7.  Juin  1774. 

11  y  a  un  Mois  d'ecoule,  Cher  Ami,  depuis  le  malheur 
arrive  a  notre  Cher  Weimar,  trop  discrette  pour  vous  ecrire 
dans  les  premiers  jours  de  cette  Calaniite,  je  me  suis  contentee 
des  peu  de  mots  que  mon  Gendre  a  pris  sur  lui,  de  vous 
dire  de  ma  part.  Vous  saves  ce  que  je  pense  pour  vous,  pour 
notre  Ami  le  C^,  et  pour  votre  jeune  Maitre  c'est  vous  dire, 
ce  que  je  dois  avoir  senti  a  cette  affreuse  nouvelle.  Je 
knis  Dieu  de  ce  que  la  Sant^  de  tout  ce  qui  nous  est 
eher,   n'a   pas   souffert    de    cette    cruelle   Catastrophe,    et 


188  Frane  Muncker 

penetree  d^admiration  de  tout  ce  que  j^ai  oui  dire  de  Totre 
jeune    Heros,    je    me    suis   ecriö,    avec    Tenthousiasme  du 
Sentiment  (lorsqu^un  me  racontoit  une  ancienne  prediction. 
que  Weimar  trouveroit  un  immense  tresor  quand  son  Chateau 
seroit  consumc^  par  les  flammes)  Le  tresor  est  tout  trouvt^. 
c'est    son    Prince.^)     Que    Dieu    vous    conserve    ce    tresor 
inestimable  dont  Pexistence  fait  les  delices  de  son  Peuple. 
et  dont  Sa  vie,   fera   la  Gloire  et  le  bonheur.     Heros  pai 
le  Sang  qui  coule  dans  ses  veines,  Sage  par  principe,  Prim 
Ami  de  VhumanitCt  Pere  de  ses  Sujets  et  Legislateur  PUlo- 
saplie,  il  etonnera  son  Siecle,  et  les  suivants  citerons^)  ses 
vertus   comme  un   exemple   a  suivre   par   les  Dieux  de  la 
terre.     Je   vous  felicite  Cher  Wieland   d'avoir  6t6  elu  Da- 
nischmende  de  cet  imcomparable  jeune  Souverain,  etj'admire, 
et  je  benis  le  Comte,  d'avoir  porte*)  a  ce  degres  de  perfec- 
tion   TEducation    d'un  Prince    Hereditaire  au  milieu  de  sa 
Cour.     C'est  bien  lui  qui  est  cet  Architecte  Athenien,  auqiiel 
vous  m'aväs  fait  l'honneur  de  me  comparer,  lorsqu'a  votrt 
Satisfaction  j'avois  fini  un  Ouvrage  d'une  bien  moindre  im- 
portance   que   celle   que   notre  Comte   vient   de  finir  aussi 
glorieusement.     Dites  lui  si  vous  en  trouv6s  le  moment  que 
je  le  nomme  notre  Comte,    parceque  je  le  crois  mon  Ami, 
et  parceque  je  compte')   gouter  les  fruits   de  ses  traveaux 
en  partageant  avec  mes  Enfants,  s'ils  vont  s'etablir  a  Eisenach 
le  bonheur  de  vivre  sous  les  douces  et  Sages  Loix  du  Lycur- 
gue  Son  Eleve.       —     —     —     —     —     —     —     —    — 

Pardon   de  la  peine  que  je  Vous  donne,    mais  vous  etes 
mon  Ami,  ce  titre,  cette  qualit^  precieuse,  est  mon  excuse, 

^)  Vgl.  dazu  auch  Wielands  Brief  an  Zimmermann  vom  3.  Jnni 
1774:  „Wünschen  Sie  mir  zu  meinem  Prinzen  Glück.  Er  hat  rieh  am 
sechsten  May  und  in  den  folgenden  Tagen  wie  ein  Held  und  wie  ein 
Menschenfreund  aufgeführt.  Was  ist  ein  halb  abgebranntes  Schloss 
gegen  die  herzliche  Liebe  seines  Volkes,  die  er  durch  sein  ganzes  Be- 
tragen in  diesem  Unfall  gewonnen  hat." 

2)  So  in  der  Handschrift. 

^)  In  der  Handschrift  ist  das  Wort  verschrieben:  compter. 


Widanda  „Pervonte".  189 

Qu^elle  soit  mon  egide  contre  tous  mes  Ennemis,  et  pour 
tous  les  tems  de  ma  vie  la  Consolation  de  mes  jours,  comme 
eile  a  fait  la  felicite  d'une  des  plus  heureuses  ann^es  de 
mon  existence. 

Aus  den  folgenden  Jahren  enthält  der  Dresdener  Sammel- 
band zwei  zum  grössten  Teile  gereimte  Briefe  von  Anna 
Luisa  Karschin,  die  vielleicht  auch  wegen  der  wiederholten 
Bezugnahme  auf  Goethe  Beachtung  verdienen;  dem  ersten 
dieser  Briefe  war  ja  auch  die  Antwort  der  Dichterin  auf  Goethes 
Schreiben  vom  17.  und  28.  August  1775  beigeschlossen.  Im 
übrigen  klärt  uns  dieser  nämliche  Brief  der  Karschin  noch 
etwas  genauer  über  die  Gründe  auf,  aus  denen  Wieland  seit 
'lern  Beginn  des  Jahres  1776  keine  Theaterberichte  mehr  in 
seinem  ,  Merkur  **  brachte,  als  dies  bisher  aus  seiner  eignen 
Erklärung  im  Januarheft  seiner  Monatsschrift  von  diesem  Jahre 
(S.  92  f.)  zu  ersehen  war.  Er  rechtfertigte  hier  seinen  Ent- 
schluss  durch  die  Beschwerden  und  Klagen,  die  ihm  die  früheren 
Berichte  zugezogen  hatten,  und  durch  die  eigne,  beständige 
Furcht  vor  ungerechten  Urteilen,  zu  denen  ihn  etwa  die  unzu- 
verlässigen Mitteilungen  seiner  Korrespondenten  veranlassen 
könnten,  und  führte  als  Probe  für  diese  ünzuverlässigkeit  das 
—  allerdings  grausame  —  Verdikt  an,  das  er  auf  Grund  solcher 
Mitteilungen  im  September  1775  (S.  280)  über  die  Schauspielerin 
Frau  Henisch  bei  der  Döbbelinschen  Truppe  in  Berlin  gefallt 
hatte:  , Madam  Henisch,  die  in  Berlin  wegen  —  wegen  ich 
^eiss  selbst  nicht  was  —  gefallen ;  vielleicht  wegen  ihrer  Figur 
und  Jugend.  Sie  hat  noch  den  schleppenden  langweiligen  Ton, 
'^nd  das  nichts  sagende  Gesicht,  das  sie  als  Demoiselle  Gieranek 
hatte.*  Nun,  im  Januar  1776,  berief  er  sich  auf  das  ganz 
ungemeine  Lob,  das  in  einem  Privatbriefe  an  ihn  derselben 
Frau  Henisch  wegen  ihrer  alles  bezaubernden  Kunst  wie  wegen 
ihres  sittlichen  Charakters  gespendet  werde,  und  erkannte  dieses 
Lob  als  ein  .ganz  vollgültiges  Zeugnis **  vor  allem  deshalb  an, 
veil  es  ,von  einer  Frau*  herrühre,  ,die,  in  Sachen  worüber 
Genie  und  Gefühl  zu  erkennen  haben,  unter  den  Männern  eine 


190  Franz  Muncker 

Stimme  hat*.     Wir  erfahren  jetzt,   dass  dieser  Brief,  aus  dem 
das  Januarheft  des  ,  Merkur '^    einen  grösseren  Abschnitt  mit- 
geteilt  hatte,    von    der  Karschin   verfasst  war.     In  demselben 
Aufsatz    über   das  Berliner  Theater   aus   dem  September  1775 
(S.  279)  hatte  es  nun  aber  auch  geheissen:   «Demoiselle  Huher 
ist   der    Abgott   des  Berlinischen   Publikums,   und  ist   es  mit 
Recht.     Besonders  glaub  ich,  dass  sie  in  den  lebhaften  KoUen. 
und  in  der  Operrette  uns  die  ehemalige  Demoiselle  Steinbrecher 
ersetzen  wird.  *     Auch  dagegen  verwahrt  sich  in  unserem  Briefe 
die   durch  Wielands  Nachgiebigkeit  gerührte   und   durch  sein 
Lob  geschmeichelte  Dichterin,  doch  wohl  in  der  Meinung,  dass 
er  jetzt  auch  dieses  Urteil  in  seiner  Zeitschrift  widerrufen  solle. 
Doch  erwies   ihr  Wieland  diesen  Liebesdienst  nicht;   vielleicht 
vermutete   er  als  letzten  Beweggrund   zu  ihren   absprechenden 
Worten  über  die  Huberin  doch  ihre  einseitig-persönliche  Vor- 
liebe für  deren  Nebenbuhlerin,  die  auch  in  unserm  Briefe  mehr- 
mals  erwähnte   Madame   Henisch.     Auch   das   Lied   auf  diese 
Freundin,   von  dem  am  Schlüsse   des  Schreibens   die  Rede  ist, 
druckte  er  im  , Merkur"  nicht  ab. 

Welchen  , edlen  Basler  Mann*  der  zweite  Brief  der  Karschin 
bei  Wieland  einführen  sollte,  vermag  ich  nicht  mit  Bestimmt- 
heit zu  sagen. 

Beide  Briefe  sind  mit  deutlichen  (der  zweite  auch  mit 
ziemlich  grossen)  Zügen,  die  stets  alle  vier  Seiten  füllen,  ge- 
schrieben, der  erste  auf  ein  in  8^  gebrochenes  Quartblatt,  der 
zweite  auf  einen  halben  Bogen  in  4^.  Mit  der  Orthographie  und 
oft  auch  mit  der  Grammatik  nimmt  es  die  Verfasserin  sehr  wenig 
genau;  besonders  verwechselt  sie  gern  Dativ-  und  Akkusativ- 
Endungen.  Ich  gebe  im  folgenden  beide  Briefe  möglichst 
genau  wieder;  Majuskel  und  Minuskel  las.sen  sich  aber  manchmal 
in    der  Handschrift   der  Karschin   kaum   sicher   unterscheiden. 

1. 

Lass  dich  den  Stolz  nicht  übermeistern 

inn  der  entzükung  die  du  hast 

Ja  lieber  Wieland  ja  der  Schönste  vonu  den  Geistern 


Wielands  „Pervonte".  191 

die  Schöngeschaffen  sind  ist  dieser  Theure  Gast 

den  Weymahr  froher  auffgenommen 

als  Syracus  den  weisen  Mann 

der  aus  Athen  dahin  gekommen  — 

0  dass  Ihm^)  doch  dein  Arm  nicht  zu  uns  bringen  kann 

Versuche  deine  Macht  imm  Überredungszwange 

und  komme  mitt  Ihm  ann  die  Spree 

und  wenn  du  kommen  willst  dann  bleibe  mir  nicht  lannge 

Beginne  deinem^)  flug  so  bald  der  frische  Klee 

dass  Junge  Veilchen  will  versteken 

Bring  auch  dein  Süsses  Weib  und  deine  Kinnder  mitt 

Die  Musen  sollen  Euch  hier  Ihre  Taffei  deken 

und  Flora  soll  vor  Eurem  Tritt 

auss  unssrem  feuerheissen  Sannde 

mitt  nie  gesehner  wunder  Krafft 

so  schöne  Blumen  ziehn  als  gingt  Ihr  in  demm  lannde 

wo  Sulzem  die  natur  zwoo  neue  lungen  schafft, 

Dass  wäre  doch  Ein  Götterfest  für  mich,   und  für  viele, 

bester  Wieland,  machen  Sies  möglich.  Gleim  kömmt  gewis 

nach  Berlin  imm  May  Mond,   und  ich  würde  wieder  jung 

wenn    Er,    und   Wieland    und   Göthe   mitt   mir   im   Hayn 

gingen,   geben  Sie   doch   Ihrem    Gastfreunde   mein   beyge- 

schlossnes  schuldopfer  ab,  ich  binn  Ihm  anntwort  schuldig 

seit   den   ersten   Tagen   des   Traubenreichen    Herbstes,    Er 

wird  die  Verhinndrungsuhrsache   finnden   im   Brieffe,    und 

sehn  dass  mein  Schweigen  nicht  Einmahl   zu   den    untter- 

lassungs Sünden  gehört,  Ihr  Jüngsterhaltnes  Brieffchen  hatt 

mir  viel  freude  gemacht,  lies  michs  vergessen  dass  Sie  mir 

so  lannge  nicht  schrieben,   ich  habs  abgeschrieben  meiner 

Cloee  geschikt,  dass  wird  Ihr  gut  gethan  haben,   Sie  wird 

Ihren  Sohn  oder  Ihre  Tochter  nun  mitt  leichtteren  ^)  schmerz 

bringen,  ich  hoffe  davon  alle  Tage  nachricht,  Sie  war  schon 

vorher  entzükt,  über  Einem  ^)  Kopf  der  Calliste,  den  mir  Co- 

dowieky  so  leicht,  so  meisterhafft,  und  so  getroffen  auff  milch- 

weissen ')  Dafftband  hinnwarff,  dass  michs  staunen  machtte, 

^)  So  in  der  Handschrift. 


192  Franz  Muneker 

ich  Mahlt  Ihm  in  drey  oder  vier  Zügen  den  Kopf  meiner 
Cloee  vor,  und  der  Treffliche  Künstler  behielt  die  Idee, 
machtte  keinen  fehler,  als  Einern^)  worann  ich  selbst  schuld 
war,  ich  hatte  vergessen,  ich  hatt  Ihm  nicht  gesagt  dass 
mein  original  etwas  schmalwanngicht  wäre,  dass  gesiebt 
ward  ein  wenig  zu  voll,  aber  dass  äuge,  der  Mund,  die 
gannze  Seele  in  die^)  Miene,  imm  Blik  ausgegossen,  alles  war 
da,  war  so  lebhafft  hinngetuscht  dass  mann  die  Henischin 
erkantte,  Sie  mein  liebster  Wieland  verdienen  noch  Ein 
halbes  Duzend  Brieffchen,  und  zwannzig  lieder  wenn  ich 
Sie  Sinngen  könntte  wegen  der  Güthe  des  herzens  die  aus 
Jeder  Zeile  Ihres  Brieffchens  hervorleuchttet,  Dank  Tausend 
Dank  davor,  ich  hätte  nicht  verlangt  dass  Ihr  mercur 
dem^)  Theaterarttikel  künffttig  weglassen  soltte,  aber  dieser 
geflügeltte  Bohtte  müsstte  Wahrheitsliebhaber  wählen  die 
weder  zu  viel  noch  zu  wenig  sagtten,  die  unparteisch 
wären,  und  selbst  die  fehler  Ihrer  lieblinge,  selbst  die  vol- 
kommenheitten  Ihrer  wiederwärttigen  annzeigtten,  ich  habe 
den  arttikel  über  unssere  bühne  nicht  gelesen,  find  aber 
dass  man  Ihnen  die  Huberrin  als  die  volkommenste  Ac- 
trice  vorgemahlet,  ich  habe  mirs  sagen  lassen,  man  log 
Ihnen,  Sie  ist  lebhafft  im  comischen,  aber  Sie  heult  im 
hohen  Tragischen  Spiel,  und  ward  seit  der  Zeitt  schlechtter 
dass  mann  Sie  zu  sehr  lobtte,  Ihre  Figur  hatt  nichts  ann- 
ziehendes für  die  Kenner  des  feinen,  für  den  Lieber  der 
schönen  natur,  doch  genug  hiervon,  ich  wiederhohle  meine 
erkäntliche  aussruffung,  haben  Sie  Dank  Tausend  Dank 
liebe  gutte  männliche  Seele,  behaltten  Sie  mich  im  freundes- 
anndenken,  grüssen  Sie  alles  was  Ihnen  anngehört  von 
mir,  ob  ich  gleich  allen  cörperlich  unbekant  binn,  leben 
Sie  schäfferfrölich,  geben  Sie  der  wellt  bald  wieder  Eine 
neue  Geistgebuhrt,  und  denken  Sie  sehr  herzlich  auff  die 
reise  nach  Berlin  wegen  Ihrer  herzlichsten  freundin 

Berlin  den  17  feb.  1776. 
meine  Tochtter  grüsst  Sie  Ehrbiettig,  A.  L.  Karscbin 


^)  So  iu  der  Handschrift. 


Wielands  ,,Perwmte".  193 

und  ich  bitte,  wenns  noch  Zeit  ist: 
im  liede  auff  Madam  Henisch  an  stat 
Gärtner  Mädchen  rosen  Mädchen  zu 
sezen,  doch  ists  erste  auch  gut. 

2. 

Dir  lieber  Wieland  muss  mein  Herz  noch  Grüsse  sagen 

durch  Einem  ^)  Edlen  Basler  Mann 

der  sich  bey  uns  ergözt  inn  schönen  Blumentagen 

und  es  nicht  möglich  machen  kann 

noch  lännger  hier  zu  sein  wo  Er  mannch  Herz  gewan  — 

Er  ist  Ein  liebenswehrt  Geschöpfe 

aus  Jenem  lannde  bergverschannzt 

wo  sich  die  dennkart  freyer  Köpfe 

Ton  Sohn  zu  Sohne  fortgepflannzt 

Du  kennst  diss  lannd,  bist  da  gewesen 

Kennst  Seine  Bürger,  hast  alda 

dir  mannchen  ireund  von  Herzen  ausserlesen 

dem*)  dein  verstand  des  Wahlrechts  würdig  sah  — 

must  auch  gewis  den  Schweizer  lieben 

sonnst  würd  Er  nicht  nach  Weymar  hinn 

mitt  so  viel  schneligkeit  getrieben 

Er  kömmt  und  saget  dir  dass  ich  offb  kränklich  bin 

amm  cörper,  aber  nicht  am  Geiste 

Ich  aber  sage  dir  durch  Ihn 

dass  ich  schon  monndenlanng  mich  mitt  der  hoffhung  Speisstte 

du  kämst  ann  Götens  Hand  von  Weymar  nach  Berlin 

Ihr  kommt  nicht,  lasse  mich  doch  wissen 

ob  Gleim  den  rosen  Monnd  bey  Euch  genoss 

ich  hab  auff  Briefe  lauren  müssen 

und  dennke  dass  Er  sich  entschloss 

auff  Eures  fürsten  flur  Sich  rosen  abzubrechen 

Die  Süsser  dufftten,  und  vielleicht 

nicht  so  wie  anndre  rosen  stechen 


^)  So  in  der  Handschrift. 


194  Franz  Muneker 

weill  Ihr  durch  Süsgesang  die  Flora  habt  erweicht 

Sie  ohne  Dom  herrorzubrinngen 

Ich  möchtte  gern  für  Eurem  ohr 

mein  unnharmonisch  liedchen  sinngen 

vielleicht  käms  Euch  doch  lieblich  vor 

denn  selbst  die  Grasemüke  reizet 

Zum  horchen  nächst  der  nachttigall  gesanng 

Ich  käme  mitt  den^)  Mann  der  sehr  nach  liedern  geizet 

und  bliebe  bey  Euch  wochenlanng 

Ich  käme  warrlich  —  aber  frage 

nur  nicht  was  mich  zurük  kann  ziehn 

was  hülst  es  dass  ich  dirs  erst  sage 

Genug  mich  lässt  ein  Gott  nicht  von  der  Stelle  fliehn 

ich  binn  gefesselt  ann  Berlin 

und  hoffe  dennoch  eh  mich  Cahron  überkahnet 

Euch  und  die  schöne  Schweiz  zu  sehn 

mir  ward  schon  manncher  weg  gebahnet 

den  ich  vorher  nicht  sah,  mir  ist  schon  viel  geschehn 

was  ich  mir  nicht  geträumt  imm  Schlummer 

und  nicht  imm  wachen  mir  gedacht. 

Die  Götter  ordnetten  des  Mennschen  lust  und  kummer 

Sie  haben  Ihren  Plan  gemacht 

und  schlagen  Einem  ^)  auff  die  finnger 

wenn  mann  zu  naseweiss  Ihn  selber  künnsteln  will 

und  davor  fürchttete  mein  Herz  sich  als  ich  Jünnger 

und  grambeladner  war,  ich  schwieg  geduldig  Still 

und  sähe  weitter  nicht  als  wie  Ein  wanndrer  Siehet 

der  grades  weges  geht,  nie  auss  dem  gleise  weicht 

und  wenn  Er  über  Berg  und  Thäler  sich  bemühet 

Die  Herberge  zulezt  erreicht  — 

Berlin  den  27  Juny  1777 

A.  L.  Earschin. 

Aus  der  ersten  Woche  des  Jahres  1781  stammt  ein  kurzer, 
undatierter  Brief  der  Herzogin  Anna  Amalia   an  Wieland, 

*)  So  in  der  Handschrift. 


Wielands  „Pervonte".  195 

auf  die  erste  Seite  eines  in  8^  gebrochenen  Quartblattes  mit 
deutlichen  und  sauberen  Zügen  ganz  eigenhändig  geschrieben. 
Er  bildet  die  dankende  Antwort  auf  die  Verse  ,An  Olympia. 
üeber  eine  Handzeichnung  von  Oesern,  die  H.  Marie  Magdalene 
Dach  Cignani  vorstellend',  die  nach  Seufferts  Angabe')  vom 
4.  Januar  1781  stammten,  übrigens  auch  im  Januarheft  des 
»Merkur*  von  1781  (S.  41  f.)  veröffentlicht  wurden.  In  der 
Oeserschen  Zeichnung,  die  die  Herzogin  besass,  wollte  Wieland 
keine  fromme  Büsserin  mehr  erkennen,  sondern  vielmehr  ein 
.Xjmfchen*,  ein  »Griechsches  Mädel",  ja  »Amors  Schwester* 
selbst,  ,die  lieblichste  der  Charitinnen*,  welche  die  , Grazien 
Apells*  dem  von  ihnen  stets  umschwebten,  begeistert  seinem 
Wügen  Urbild  nachzeichnenden  Künstler  neckisch  unterge- 
schoben hätten.  Darauf  erwiderte  Anna  AmaUa,  doch  wohl 
^gleich  nach  dem  Empfang  der  anmutigen  Verse: 

Ich  solte  zwar  hübsch  höflich  und  Galant  seyn  und  auf 
so  schönen*)  Reimelein,  durch  die  schöne  Magdalene,  Ihnen 
lieber  Wieland  und  den  Grazien  ein  Opfer  bringen;  wenn 
meine  Fantasie,  die  mir  leider  nur  zu  öfters  dume  Streiche 
spielet,  nicht  auch  jetz*)  den  Possen  thät  und  nichts  in 
dem  Bilde  des  Freund  Oesers  zeigte  als  eine  anne  Sünderin . 
der*)  ich  änhlich*)  werden  möchte  und  sie  darum  in  meinen*) 
Cabinet  hängen  habe. 

Solte  aber  jemals  meine  Fantasie  das  in  dem  Bilde  sehn, 
was  Ihnen  die  Musen  so  schön  sagen  lassen;  so  werd  ich 
nichts  eiliger  zu  thun  haben  als  es  von  meinen  Augen 
weg  unter  Ihre  Obhut  zu  geben. 

Bis  dahin  hoffe  ich  der  Schönen  Sünderin  desto  öffters*) 
Ihre  Gegenwart  zu  verdancken,  wodurch  sie  mir  nur  um  so 
lieber  wird. 

Amelic. 


*)  Wielands  höfische  Dichtungen,  im  Euphorien,  Bd.  I,  S.  G98  (1894). 

*)  So  in  der  Handschrift. 

')  In  der  Handschrift  verbessert  aus:  die. 

*)  In  der  Handschrift  verbessert  aus:  öffterer. 


196  Franjs  Muneker 

Fast  anderthalb  Jahrzehnte  später,  in  den  Spätsommer 
oder  Herbst  1795,  fallt  ein  gleichfalls  undatierter  Brief  von 
Frau  Caroline  Herder,  auf  die  beiden  ersten  Seiten  eines 
in  8^  gebrochenen  Quartblattes  mit  grossen,  deutlichen  Zügen 
geschrieben.  Das  Datum  ergibt  sich  aus  dem  Abdrucke  des 
in  dem  Briefe  genannten  Gedichts  von  Friedrich  von  Eöpken 
,  An  Teutschlands  Horaz  des  vorigen  Jahrhunderts",  dem  Wieland 
eine  grössere,  mit  wärmstem  Lob  auf  Herders  ^Terpsichore* 
verweisende  Anmerkung  beigab,  im  Oktoberheft  des  ,  Merkur^ 
von  1795  (S.  202  ff.).     Karoline  Herder  schreibt: 

Theuerster  Freund.  Da  mein  Mann  eigentlich  nicht 
selbst  Ihnen  eine  Ode  zusenden  kann,  worinnen  seiner  in 
Ehren  gedacht  wird,  so  nehme  ichs  auf  mich  und  übersende 
sie  Ihnen  zutrauensvoll,  mit  unsrer  beider  Bitte,  sie  gefällig 
in  den  Merkur  einzurücken,  wenn  Sie  nichts  dagegen  haben. 
Ein  H.  7on  Köpken  aus  Magdeburg,  den  Sie  vielleicht 
kennen,  ist  der  Verfasser;  er  wünscht  dass  Sie  sie  auf- 
nehmen möchten. 

Vielleicht  finden  Sie  es  auch,  dass  diese  Ode  ihrem  Ver- 
fasser nicht  zur  Unehre  gereicht  und  nicht  unwerth  sey, 
auf  den  patriotischen  Altar  gelegt  zu  werden.  Vielleicht 
gefallt  es  Ihnen,  in  einer  Note,  zur  Verständlichkeit  des 
Gedichts,  mit  wenigen  Reihen,  das  Daseyn  der  Terpsichore 
zu  bemerken,  das  denn  flir  Ihren  Freund  sehr  erfreuend 
seyn  würde.  Wir  wünschen  Ihnen  alles  Gute,  Glückliche, 
was  Sie    erfreuen   kann.     Meine  liebe  Freundin    küsse  ich 

herzlich. 

Ihre 

C.  H. 

Endlich  findet  sich  auf  einem  kleinen  Quartblatte,  djis 
nur  auf  einer  Seite  mit  säubern,  deutlichen  Zügen  beschrieben 
ist,  folgender  undatierte,  wolil  dem  Jahre  1799  angehörige  Brief 
von  Henriette  von  Knebel: 

Sie  haben  mir,  mein  verehrungswerthester  Freund,  durch 
die  gütige  Mittheilung  Ihres  Agathodämon  ein  ganz  unbe- 


Wielands  „Pervante^*.  1Ö7 

schreibliches  Yergnügen  gemacht  und  ieh  weiss  kaum  wofür 
ich  Ihiien  zuerst  dancken  soll:  vor  diese  süssen  Früchte  Ihres 
Geistes  selbst,  welche,  wie  unter  einem  griechischen  Himmel 
erzogen,  den  schönsten  und  unvergänglichen  Samen  in  sich 
tragen  —  oder  vor  die  liebreiche  und  gefallige  Art  womit 
Sie  solche  meinen  Händen  anvertraut  haben. 

Jedes  Opfer  des  Dancks  und  der  Verehrung,  das  ich  Ihnen 
bringe,  wird  mir  so  leicht,  weil  es  zugleich  aus  dem  Herzen 
kommt;  daher  hoffe  ich  auch,  dass  Sie,  mein  vortrefflicher 
Freund,  dieses  mit  Güte  und  Wohlwollen  annehmen  werden ! 

Ihre 

ergebenste  Freundinn 
Henriette   von   Knebel. 

Den  Hauptbestand  der  Dresdener  Sammelhandschrift  bilden 
aber  Briefe  von  Wielands  Cousine  und  Jugendgeliebten  Sophie 
von  La  Koche.  Nicht  weniger  als  76  Briefe,  darunter  zwei 
an  Johann  Georg  Jacobi,  rühren  von  ihrer  Hand  her.  Sie 
beginnen  mit  den  Jahren  1759 — 1761,  setzen  nach  längerer 
Pause  dann  wieder  1767  ein,  werden  überaus  zahlreich  in  den 
Jahren  1769 — 1772,  besonders  solange  Sophiens  Sohn  Fritz  in 
Wielands  Hause  zu  Erfurt  weilte,  und  stellen  sich  endlich 
nach  einer  neuen  Unterbrechung  wieder,  doch  nicht  so  häufig 
ne  zuvor,  von  1777  bis  1784  ein.  Zwei  Briefe  ihres  Gatten 
und  eine  kurze  Nachschrift  von  Dumeiz  sind,  wie  bereits  be- 
nierkt  wurde,  zwischen  Sophiens  meist  umfangreiche  Episteln 
angeschoben. 

Diese  letzteren  sind  zum  grossen  Teil  Antworten  auf  längst 
'♦kannte  Briefe  Wielands;  mehrere  von  ihnen  lassen  sich  aber 
äiich  in  den  Zusammenhang  der  bisherigen  Yeröfifentlichungen 
dieser  Art  nicht  eingliedern,  so  z.  B.  gleich  die  beiden  ersten, 
ergebnisreichen  Briefe  unsers  Sanmielbandes,  die  zusammen  mit 
^mem  verlorenen  Schreiben  vom  12.  Juni  1759,  das  herbe  Vor- 
würfe gegen  Wielands  Mutter  enthalten  zu  haben  scheint,  die 
durch  Sophiens  Vermählung  1754  abgerissene  Verbindung  mit 
^Vieland   wieder  anknüpfen  sollten   und  Sophie   liebevoll  ent- 

IWtt.  Sitcgsl».  d.  p]iUo8.-phUoI.  n.  d.  bist  CI.  14 


198  FranB  Muiuiker 

gegenkommend,  Wieland  dagegen  zunächst  in  verletzender 
Zurückhaltung  zeigen.  Ob  an  dieser  etwa  nur  äussere  Zufällig- 
keiten, die  mit  seiner  fast  gleichzeitigen  Übersiedelung  nach 
Bern  zusammenhingen,  schuld  waren,  lässt  sich  vorläufig  nicht 
erkennen.  Jedenfalls  aber  löste  sich  die  Spannung  zwischen 
ihm  und  der  einstigen  Geliebten  bald  wieder,  wie  die  folgenden 
Briefe  unseres  Bandes,  übrigens  auch  schon  früher  veröffent- 
lichte Briefe  Wielands  aus  jener  Zeit  beweisen. 

Auch  in  den  späteren  Blättern  der  Dresdener  Handschrift 
ist   noch   mehrmals   von    vorübergehenden    Missverständnissen 
und   Zerwürfnissen   zwischen  Wieland    und   Sophie    die   Rede. 
Fast  immer  aber  fleht  sie  dann  leidenschaftlich-innig  den  ver- 
stimmten Freund   um  Versöhnung   an.     Überhaupt    zeigt  fast 
jedes  Schreiben  von  ihrer  Hand,  wie  warm  und  treu  ihr  Gefühl 
für  Wieland   ist.     Ihre   wiederholte   Versicherung,    dass  seine 
Briefe  vornehmlich  das  Glück  ihres  Lebens  ausmachen,  ist  keine 
leere  Redensart.     Beständig  beschäftigt  sie  die  Sorge  um  seine 
Gesundheit,   um  sein  geistiges  und  gemütliches  Wohlbefinden, 
um  sein  äusseres  wie  um  sein  seelisches  Glück,  und  dann  und 
wann  mischt  sich  in  die  Beteurungen  aufrichtigster  Freundschaft 
auch  eine  elegische  Erinnerung  an  die  ehemalige  schwärmerische 
Liebe  ein.     Offen   spricht  sie  von    ihren  eignen  Verhältnissen 
und  Familiensorgen  mit  dem  alten  Freunde.     Ebenso   handeln 
die  späteren  Briefe  mehrfach  von  Sophiens  schriftstellerisclien 
Arbeiten   und  enthalten    lobende  Urteile    über  Wielands  neuer 
von  ihr  stets  mit  freudigster  Teilnahme  aufgenommene  Werke. 
Auch  seine  Freunde  und  literarischen  Beziehungen  kommen  ge- 
legentlich zur  Sprache.     So  sucht  z.  B.  1771  Sophie  vermittelnd 
in  einen  Zwist  zwischen  Wieland  und  den  Brüdern  Jacobi  ein- 
zugreifen, und  tief  erschüttert  schreibt  sie  ihm  1778  nach  dem 
Tode  Julie  von  Bondelis. 

Diese  Briefe  Sophiens  verdienten  aus  mehr  als  einem 
Grunde  eine  nahezu  vollständige  Veröffentlichung.  Da  mir 
eine  solche  vor  der  Hand  nicht  möglich  ist,  teile  ich  hier 
wenigstens  die  beiden  ersten  Briefe  ganz  und  von  den  folgenden 
einige  —  vorwiegend  literargeschichtlich  ergiebige  —  Proben 


Wietanäs  ,>P«iTon«e".  199 

mit,  natürlich  genau  in  der  regellosen  Schreibung  der  Originale, 
die  zudem  zwischen  Minuskel  und  Majuskel,  Acutus  und  Gravis 
Ott  kaum  unterscheiden  lässt.  In  den  Anmerkungen  beschränke 
ich  mich  auf  das  Allemotwendigste. 

Mayence  ce  26  Juin  1759. 
n  y  ä  quince  jour,  que  je  vous  ai*)  ecrit;  il  faut  que  la 
letire  vous  soit  parvenüe,  et  il  faut  aussi,  que  vous  en  soyes 
indign^,  parceque  vous  ne  me  repondes  pas  malgr^  les  instantes, 
que  je  vous  en  fit.  Soit,  cest  un  coup  que  je  me  suis  porte, 
nioi  meme,  ma  triste  ma  cruelle  maladie,  etoit  donc  destin^, 
le  me  montrer,  non  seulement,  toutes  les  malignit^s  Cachees 
•le  raon  sang,  mais  aussi  Celles  de  mon  coeur,  j'en  profiterai, 
jiour  Fun,  et  pour  L^auttre,  j'en  rens  grace  a  Dieu,  en  le 
(iemandant,  une  guerison  aussi  parfaite,  pour  mon  Coeur,  et 
Esprit,  quil  a  don^  ä  mon  corps;  je  ne  seroit  donc  plus 
^aine,  ni  presomtueuse,  sur  une  lettre,  ou  j'aurois  montr^  mon 
coeur,  avec  ses  merites,  et  ses  desflfauts,  je  ne  dementirai  plus, 
mon  Caractere,  qui  apres  Cinq  ans  et  plus,  d^  soufiranfe  coura- 
gease,  et  suportable  (parceque  j'avois  bien  d^  Tinocence  devant 
nioi)  fait  une  demarche,  qui  detruit  le  fruit,  de  tout  cela,  enfin 
Jen  suis  punie,  par  votre  silence,  peutetre  encore  par  un  nou- 
^eau')  sacrifice,  a  faire  de  ma  reputation,  ä  Mad:  votre  Mere. 
Si  vous  lui  comuniques  ma  lettre,  je  ne  m'en  plaindrai  pas,  et 
si  je  le  faisois,  ce  seroit  injustement,  j'ai  trop  dit  d'elle,  pour 
ne  vous  pas  faire  souhaiter,  quelle  soit  justifide,  et  que  j'aye 
M;  ah  pourquoi,  ma  pauvre  raison,  a  feile  tant  souffert  de 
cette  Couche  douloureuse  avant  terme,  pourquoi  mon  Imagination 
Hf»it  eile  trop  vive,  trop  agisante.  Dieu  ä  permis  tout  cela, 
iw  me  humüier,  il  me  faloit  encore  perdre,  les  restes  de  votre 
amitie  que  la  piti^,  et  Tincertude,*)  si  j'etois  aussi  coupable  qu'on 

')  Ein  Foliobogen,   auf  den  drei  ersten  Seiten  mit  säubern,  deut- 
<i(lieQ,  etwas  verblassten  Zügen  beschrieben. 

^  ai  (nachträglich  in  der  Handschrift  eingefügt). 
')  Verbessert  aus:  nouvelle. 
*)  So  in  der  Handschrift. 


200  FroHM  Muneker 

me  faisoit/)  m'avoit  conservö,*)  je  me  soumet,  toujour  destine 
ä  souffi'ir,  dans  la  partie,  la  plus  sensible  de  mon  Coeur,  desonuais 
je  me  defierai  des  agremens,  que  je  croirai  pouvoir  me  procurer, 
par  ma  droiture,  par  un  epanchement  de  Coeur,  je  n^ai  d^auttre 
consolation,  que  de  ne  vous  avoir  ecrit,  aucun  mensonge,  Mad: 
votre  Mere,  dusse  t^elle  m^en  donner  le  defi  milles  fois.  mon 
coeur  ne  sera  plus  donn^,  ä  juger  ä  aucun  homme  au  monde, 
Dieu,  Dieu  seul,  le  verra  et  le  jugera  ä  l'avenir  et  de  Tautrt 
Cot^  du  tombeau,  come  dit  mon  eher  Joung.  je  vouloit  avoir 
le  plaisir,  de  vous  voir  justifie,  dans  FEsprit  de  la  Roche, 
qui  me  croyoit  prevenüe,  pour  vous,  et  contre  votre  Mere,  je 
ne  vouloit  pas  me  venger,  mais  rentrer  dans  votre  Estime,  en 
vous  laissant  le  juge  de  mes  actions  de  Tannee  1753,  depuis 
le  Juin  jus  qu^a  mon  mariage.  il  est  bon,  il  est  salutaire 
que  je  reconoisse,  tous  les  plis,  et  replis  de  mon  coeur,  je  me 
renfermerai  en  moi  meme,  et  mes  devoirs,  de  mere,  et  d^Epouse, 
rien  pour  ceux,  dont  j^ambitionai  TEstime,  et  les  auttres 
n'etant  rien  pour  moi  —  adieu  Wieland,  dans  l'auttre  monde, 
vous  me  reveres,  vous  ne')  me  meconoitres  plus,  vous  nie 
rendres  plus  de  justice,  et  je  ne  ferai  plus  de  fautes,  car  gpra^e, 
ä  Dieu,  je  n^ai  pas^)  comis  des  crimes.  Faites  de  ma  lettre 
du  12,  et  de  celleci,  tout  ce  qui  bon  vous  semblera  —  je  ne 
contredirai  pas  ä  rien. 

Dieu  vous  Benisse,  Dieu  recompense  votre  vertu,  je  lis, 
vos  Empfindungen  des  Christen,  come  on  les  doit  lire;  oublies 
moi,  ne  vous  faites  au  moins  point  d^image,  de  ma  Conduite, 
de  mes  sentiments  vous  etes  si  loing,  de  me  prendre  au  juste 
que  je  vous  prie,  de  me  laisser;  ne  me  voyes  plus,  que  come 
je  suis,  en  ce  moment,  j^ai  ma  petite  Louise  sur  mes  genoux, 
Frizle,  mon  charmant  beau  Frizle  est  ä  mes  pieds,  et  joue,  la 
Max   est  ä  deux  pas,   de^)   moi  pres   de   la  Cousine   et  court 

*)  Verbessert  aus:  m'avoit  fait. 

2)  Verbessert  aus:  garde. 

^)  ne  (nachträglich  eingefügt). 

*)  Verbessert  aus:  je  ne. 

^)  Vorher  ,ches*  durchstrichen. 


Wielands  „Pervante",  201 

pour  sa  poup^e,  et  me  demande,  mama  pourquoi  pleures  vous? 
je  prie  Dieu,  de  tous  donner  un  Coeur  vertueux,  et  une 
destinäe,  plus  heureuse  que  la  miene.  cest  le  seul  Goupd'oeil 
que  je  vous  permet;  je  suis  sur,  que  plusieurs  moments  de  ma 
rie,  plusieurs  sentiments,  de  mon  coeur,  qui  vous  regardent, 
seront  consery^,  et  que  vous  les  verräs  dans  Tauttre  monde, 
et  les  aprouveres  pour  me  recompenser,  de  tout  les  maux,  que 
les  Totres  m'ont  fait  soufirir.  adieu! 

Sophie  La  Roche. 

2.») 

Mayence  ce  18  Juillet  1759. 
Monsieur,  et  tres  Estime  Cousin. 

Yoici  une  lettre,   que  je  voulois  envoyer  a  Zürich  je  n'en 

ferai  rien,  je  suis  resign^e    sur  vous,  ainsi  ne  craignes  rien  de 

L'avenir,    car  c'est   la  demiere  fois,    que  vous  verres   de  mon 

odieuse   ecriture;   je  ne  vous    demande    plus  reponse,   ä  mes 

lettres  precedentes,    mais  seulement   la  Complaisance  de   faire 

dire  par  Mad:    votre  Mere,    ä  ma  soeur  de  Hillern,   que  vous 

les  aves  recües.     Souvenes   vous   s'il  vous   plait,    qu'un  jour, 

vous  m'aves   dit  bien  de  ChosBS  au  desavantage  de  mon  Pere, 

^ans  quil  me  soit  venu  dan  L'Esprit,  d'en  faire  la  mine,  encore 

moins  aurois   je   et^   capable,    de   marquer   une   haine,    et  un 

mepris  aussi  complet,  dont  vous  venes  de  me  traitter,  mais  il 

faut,   que  vous  ne  soyes  plus,   ce  meme  Wieland  d'auttrefois, 

vous  n'aures  Jamais  sü  en  agir  de  cette  facon  sur  ma  premiere 

lettre,  encore*)   moins  sur   la   seconde.  enfin   c'est   le   dernier 

trait,  de  mon  sort,  je  suis  sur,  de  n'en  plus  eprouver  de  pareil. 

Soyes  heureux  mon  Cousin,  autant  qu'on  le  peut  etre,  tranquilises 

vous,  en  oubliant  la  facon,  dont  vous  venes  de  me  traitter  bien 

Jnjustement. 

Sophie  La  Roche. 


*)  Ein  Foliobogen,  nur  auf  der  ersten  Seite  mit  säubern,  deutlichen 
Zügen  beschrieben. 

*)  Das  Wort  ist  verschrieben:  encorce. 


202  FranM  Muneker 

3.») 

Ifayenoe  ce  7  8br:  1760. 
Monsieur  et  tres  Estim^  Frere. 

Toujours  nion  Frere  n^oublies  pas,  que  je  n^ai  plus  ases  de 
vaniy,  pour  faire  des  pretensions,  et  que  je  regarderai,  tout 
ce  qui  me  viendra  de  vous,  come  des  preseos  genereux. 

je  vous  ai  ecrit  au  mois  d^aout,  que  notre  TOjage  poui 
Warthause,  etoit  recul^  jusque  au  printems  prochain,  je  tous  ai 
marquä  le  deplaisir,  que  cela  me  Causoit;  la  datte  du  mois 
d^apresent  m^a  don^  un  rajon  de  plaisir  en  me  montrant,  que 
nous  somes  deja  avauc^  d^un  mois  vers  le  terme  de  mon  depart. 
et  de  la  satisfaction  de  me  retrouver  ches  moi,  de  corps  et 
d^Esprit.  vous  qui  ne  conoisses  que  trop,  le  sauvage  de  mon 
imagination,  representes  tous*)  les  douceurs  quelle  me  fait 
envisager,  du  voisinage  d'un  frere  et  d^une  soeur,  come  j'ai 
a  Biberac.  Dieu  vous  Consenre,  et  laisse  ä  ma  soeur  la  Con- 
solation,  de  votre  amitiä,  et  de  votre  Comerfe.  on  m^ä  mande 
toutes  les  bonnes  intentions,  que  vous  aves  pour  mon  pauvre 
frere  Cadet,  je  yous  en  remereie  millions  de  fois.  ajes  toujour 
ce  Coeur  unique  dans  son  Espefe,  ce  Coeur  auquel  je  doit  iant 
et  tant.  nourisses  y  toujour  quelque  sentiment  d^amiti^  pour 
moi.  adieu  penses  quil  n'est  pas  possible  de  Considerer,  et 
d'Estimer  quelqun  plus  parfaitement  que  tous  L^etes,  de') 

4.*) 

Majence  ce  10  Novembre  1760 
quelle  Lettre  m'ecriTcs  tous  mon  Frere.  Sans  L^anglois  quil 
y  a  au   bout,  je    ne   croyrais  jamais,    que  tous  L'aTes   ecrite. 

M  Ein  Foliobogen,  auf  den  ersten  drei  Seiten  mit  säubern,  deut- 
lichen Zügen  besehrieben;  vom  zweiten  Blatt  ist  ein  Stück  mit  der 
Unterschrift  weggeschnitten.  Im  Anfang  des  Briefes  bittet  Sophie  um  Aus- 
kunft über  die  Gesundheit  ihrer  Schwester  Cateau  von  üillem  in  Biberach. 

2)  vous  (nachträglich  eingefügt). 

*)  Hier  fehlt  die  Unterschrift. 

*)  Ein  kleiner  Foliobogen,  auf  2^/2  Seiten  mit  säubern,  deutlicben. 
nur   etwas   verblassten   Zügen    beschrieben.    Im   weiteren   Verlauf  des 


Wielanda  „PervotUe''.  203 

TOus  etes  donc  persuades,  quil  y  a  des  moments  ou  la  Philo- 
sophie s'en  ya,  au  Nües  pour  nous  laisser  faire,  tout  ä  notre 
aise,  un  petit  tour  terestre,  materielle,  tout  ä  fait;  et  vous 
en  parles  meme,  dans  un  ton  liaturel,  satisfait  de  cette  de- 
converte.  j^en  suis  bien  aise,  et  meme  j^en  suis  Charm^e  plus 
que  vous  ne  penses  peutetre;  je  vous  verrai  plus  souvent,  car 
je  ne  doute  point,  que  cette  jolie  humeur,  dans  laquelle  vous 
m^ecrivies  cette  Lettre,  ne  vous  reprenne  de  tems,  en  tems  et 
dans  ces  moments  la,  vous  aimeres,  L'Esprit,  de  Warthause, 
on  osera  vous  prier  ches  nous,  ou  on  vous  Estime,  et  ou  on 
craignoit  seulement,  votre  austerit^,  mais  nous  parlerons  de 
iVla  au  mois  de  Mars  plus  amplement     —     —     —     —     — 


5.0 

ce  16.  Juillet  1761. 

je  suis  bien  charm^e  de  L^impression  que  La  Roche  ä  fait 
sur  vous,  croyes  toujour  mon  Frere,  que  L'agrement  de  sa  Figure, 
et  de  sa  conversation,  sont  ses  moindres  merites,  vous  le  dires 
avec  moi,  quand  un  jour  vous  le  conoittres  mieux  du  cot6  du 
caractere. 

vous  ne  reves  pas  si  juste  que  moi,  car  Mos.  le  Gomte 
Taut  vous  voir,  et  pense  meme  vous  voir  souvent,  mais  je 
derine  qu^on  veut  avoir  la  Biblioteque  arangcS  pour  etre  sous 
les  Armes,  a  votre  premiere  aparition.     —     —     —     —     — 


Briefes,  der  auf  Wielands  Schreiben  vom  25.  Oktober  1770  (bei  Robert 
H&ssencamp,  Neue  Briefe  Wielands,  Stattgart  1894,  S.  9  ff.)  antwortet, 
brakterisiert  Sophie  unter  anderm  ihr  eignes,  in  seiner  Schönheit  nun- 
^hi  verblichenea  Aussehen,  von  dem  ihr  ehemaliger  Liebhaber  nichts 
aiehr  zu  furchten  habe. 

^)  Ein  kleiner  Foliobogen,  auf  allen  vier  Seiten  mit  säubern,  deut- 
lichen Zügen  beschrieben.  In  demselben  Briefe  bittet  Sophie  unter 
uiderm  dringend,  Wieland  möge  ihr  sein  Lustspiel  (die  Übersetzung 
'1^  •Sommemachtstraums'*)  zum  Lesen  geben.  La  Roche  pflege  niemals 
ihre  Briefe  neugierig  zu  durchstöbern;  Wieland  könne  ihr  also  ganz 
gut  etwas  anvertrauen,  was  nur  für  ihre  Augen  bestimmt  sei. 


204  Frang  Muncker 

6.') 

Warthause  11  fevrier  1770 

Diogene  atiendu  come  le  Messie,  est  arive  vendredi.  vous 
auries  du  voir,  avec  quelle  yitesse  je  dechirai  les  envelloppes 
et  parcourait  les  vignettes.  mais  avec  quel  regrett,  je  pensois 
a  mes  yieux  qui  ne  me  permirent  pas  de  lire.  La  Roche  qui 
attendait  ces  plaintes,  me  dit  quil  m^en  ferait  la  lecture,  et  se 
mit  ä  rinstant  a  Cot^  de  ma  petite  table,  a  la  plafe  que  tous 
occupies  du  tems  de  mon  heureux  voisinage  avec  vous;  et  juges 
si  Diogene  nous  plait.  La  Roche  en  ä  continu^  la  lecture  jus 
qu^aujourdui  ou  nous  sommes  rest^  a  la  Republique.  Tout  est 
bon  tout  nous  plait.  mais  N™  33  jus  qu'ä  la  Republique*) 
nous  enchantait  preferablement,  parceque  nous  y  croyons  voir 
Wieland  avec  son  Genie  et  son  Coeur,  L'histoire  de  Lamon;') 
la  preface,  et  cent  traits  dans  les  N^*'  32.  qui  precedent,  nous 
charmaient,  et  nous  delectaient,  mais  le  detail  est  impossible 
a  rheure  quil  est,  ou  nous  devorons  le  tout  avec  avidite.  la 
Comtesse  vous  fais  milles  remerciements,  eile  est  toucb^  de 
rhoneur  que  vous  lui  aves  fait,  eile  vous  ecrira  eile  meine, 
chaque  feuille  L^enchante.  il  y  ä  un  seul  mot  quelle  n^aimait 
point,  et  dont  L.  R.  ä  pris  la  defense  en  disant  quil  falait  que 
Diogene  parle  sans  macher  les  expressions.  le  mot  est  dans 
l'article  des  diferentes  facons  d'aquerir  des  richesses.*) 

Lamon  m^a  touchee.  Clicerion  m^ä  rapellä  un  tems  que 
vous  passies  heureusement,  eloign^  de  tout  le  monde,  ou  votre 
maison  etait  l'univers  pour  vous.  me  suis  je  trompöe?  je  crois 
que  non.  vos  tableaux  du  bonheur  d'une  Ame  sensible  pour  les 
beauti^s  de  la  nature.  j'aurais  voulu  m'y  trouver  ä  cot^  de 
vous.     —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     — 


1)  Ein  kleiner  Foliobogen,  auf  drei  Seiten  mit  deutlichen,  säubern 
Zügen  beschrieben ;  auf  S.  4  die  Adresse.  Die  zweite  Hälfte  des  Briefes 
enthält  verschiedne  persönliche  Mitteilungen  von  geringerer  Bedeutung. 
Wielands  Antwort  auf  diesen  Brief  ist  schon  von  Franz  Hörn  (Wielands 
Briefe  an  Sophie  von  La  Roche,  Berlin  1820,  S.  116  ff.)  veröffentlicht. 

2)  In  der  Handschrift  verschrieben:  Replublique. 
^)  Kapitel  7—9  des  , Diogenes*. 

*)  Wohl  im  28.  Kapitel. 


Wielands  „Perwmte''.  205 

adieu  Wieland  je  vous  remercie  de  votre  ecriture  dans  Dio- 
gene,  je  vous  remercie  que  vous  y  ayies  mis  mon  nom  Sophie. 
ah  si  les  riens  ne  faisaient,  le  bonheur  des  ames  sensibles  — 
toates  les  richesses  de  mots  et  de  biens  ne  le  feroient  pas. 
vous  me  conoisses  —  vous  voyes  mon  coeur  dans  cette  Pha- 
tasie.')   —     —     —      —     —     —     —     —     —     —     —     — 

Warthausen  d.  25.  Februar  1770 
Sie  wollen   in  Zukunft   lautter   teutsche  Briefe   von   mir 
baben;  und  Sie  sagen   mir  so  gute  Ursachen  dazu,   dass  ich 
diesen  Vorschlag,  um  mein  selbstvrillen  annehmen  muss.        — 

Ar  Diogenes  mein  Freund,  Gefält  der  Geistlichkeit  nicht  und 
bn  den  meisten  nach  dem  ,  Esprit  de  leur  Corps  **  nicht  ganz 
gefallen,  ich  bin  froh  das  Wieland  als  Wieland  nicht  so  von 
der  Liebe,  und  andren  Bewegungen  unsrer  Seele  denkt,  als  er, 
als  Diogenes  davon  spricht.  Die  Gräfin  und  ich  v^aren  ein 
paarmahl  böss  über  Sie,  da  Sie  uns  bey  dem  vorlessen  erröthen 
machten,  weil  wir  nicht  so  geschwind  waren  als  La  Roche  es 
gewessen,  Wieland  und  Diogenem  zu  unterscheiden.  Eine  Be- 
trachtung kam  mir  dabey,  die  zu  einer  Frage  wurde,  ich  war 
sicher  dass  die  rothmachende  Züge  in  Ihrem  Diogenes,  eben 
so  viel  mühe  und  Überwindung  gekostet  hätten,  als  mich  der 
Character  meines  Bössewichts:  Woher  konit  aber  dass  eben 
«liese  stellen  in  Ihrem  Buch,  und  diesse  Briefe  in  meinem  die 
Lebhafteste  sind,  und  stärkere  eindrüke,  als  die  übrige 
Diachen.  —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     — 


^)  So  in  der  Handschrift. 

^)  Ein  kleiner  Foliobogen,  auf  allen  vier  Seiten  mit  säubern,  deut- 
'ichen  Zügen  beschrieben.  Die  hier  nicht  mitgeteilten  Abschnitte  des 
Briefes  handeln  anter  anderm  von  der  .Geschichte  des  Fräuleins  von 
^ternbeim*,  an  der  Sophie  gerade  arbeitete;  auch  Wieland  hatte  Mehre- 
^  davon  schon  gelesen  und  wahrscheinlich  der  Freundin  nur  darum 
Sttaten,  ihre  Briefe  deutsch  zu  schreiben,  damit  sie  so  für  ihren  Roman 
»•me  grössere  Leichtigkeit  im  deutschen  Stil  gewinne. 


206  Franz  Muneker 

Warthausen  d.  18  Merz  1770 
Sie  plagen  mich  Wieland,  mit  Ihren  deutschen  Briefen. 
ohngeachtet  ich  fühle  dass  Sie  recht  haben,  aber  es  dünkt 
mich,  alles  was  ich  Ihnen  zu  sagen  habe,  und  für  Sie  empfinde 
liegt  in  dem  gefach  meiner  francösischen  Wörter,  und,  dass  ich 
es  erst  übersezen  muss,  daher  finden  Sie  auch  meine  Briefe 
troken  und  kalt.  —     —     —     —     —     —     —     —     —    — 

(Von  Georg  Michael  Frank  von  La  Koche.) 

Warthatuen  ce  4  Join  1770. 
Tlantlaquacapatli,  Aboulfaouaris  etc.  et  Gombabus  sont  ar- 
riv^s  sains  et  saufs.  Je  les  ai  devor^.  Voulez  vous  que  je 
vous  dise  la  Veritä?  Je  prefere  ces  geheime  Beyträge  mftme 
ä  Diogene.  II  y  a  bien  long  temps  que  je  n'ai  rien  lu  qui 
fut  plus  ä  mon  Gout.  Et  il  n'y  a  que  vous  qui  soyez  en 
etat  de  parier  Nature.  il  semble  que  vous  Fayez  pris  sur 
le  fait,  et  que  vous  Payez  forc^  a  vous  decouvrir  le  fort  et 
le  foible  de  ses  Ressorts.  Enfin  c'est  une  production  qui  doit 
vous  faire  honneur  parmi  tous  les  Etres  pensants.  Nargue  a 
Bavus,  KoUbomius  *),  et  autres  vermisseaux,  qui  ne  manqueront 


^)  Ein  kleiner  Foliobogen,  auf  drei  Seiten  mit  säubern,  deutlichen 
Zügen  beschrieben;  auf  S.  4  die  Adresse.  Meist  handelt  es  sich  in  dem 
sehr  herzlich  gehaltenen,  halb  deutsch,  halb  französisch  abgefassten  Briefe 
um  weniger  bedeutende  persönliche  Mitteilungen.  Derselbe  bunte  Wechsel 
der  Sprache  findet  sich  auch  noch  oft  in  den  folgenden  Briefen;  ja  selbst 
ganze  Briefe  schreibt  Sophie  später  noch  französisch,  besonders  wenn 
ein  leidenschaftliches  Empfinden  in  ihr  nach  Ausdruck  verlangt. 

'^)  Ein  kleiner  Foliobogen,  nur  auf  den  beiden  ersten  Seiten  mit 
säubern,  deutlichen  Zügen  beschrieben.  Da  Sophie  mit  der  Gräfin 
Maximiliane  Stadion  gerade  einen  Ausflug  gemacht  hatte,  schrieb  dies- 
mal statt  ihrer  ihr  Gatte,  obgleich  auch  er  nur  wenig  Zeit  hatte,  da  er 
den  Umzug  nach  Schloss  Bönnigheim  vorbereitete. 

*)  Abbe  Kolborn,  Kanonikus  von  Mainz,  Erzieher  de«  Grafen  Philipp 
Stadion. 


Wielanda  „Pervonte".  207 

point  d'y  trouver  ä  redire,   parceque    ce   n'est   pas   le  ton  du 

Schulzen-Stofel.    —     —     —     —     —     —     —     —     —     — 

Je  suis  de  Coeur  et  d^ame 

Votre  Amy  Cousin  et  tres 

humble  serviteur 

La  Roche. 

10.^) 

UXbr  1770 

vous  saves  que  je  possede  vos  gracieuses  fiUes  de  genie,  je  les 
ai  lu  deux  fois,  elles  sont  charmantes,  et  je  me  loue,  d^avoir 
devine  votre  Danae*).  Phillis  la  simple  et  modeste  Phillis^), 
ne  tient  eile  pas  les  graces,  de  sa  naivet^,  des  doutes  de  son 
ambilit^,  du  Caractere  de  votre  Epouse,  Ces  yieuz  rempli  de 
lanDes  de  joye  ce  sentiment  de  vous*),  qui  lui  tient  lieu  de 
toat,  la  sincerite  avec  laquelle,  eile  loue  les  Charmes  de  ses 
Compagnes,  tout  est  tire  de  Tarne  de  mon  Amie  Wieland,  dites 
lui,  que  si  en  lisant  les  Graces,  j^eusse  et^  ches  vous,  je  me 
serait  leve,  et  L^aurais  pressä  contre  mon  Coeur,  et  la  eile 
aurait  vu  aussi  des  larmes  de  tendresse,  dans  mes  yieux  ä  demie 
eteint.    —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     —     — 

11.*) 

Ehrenbreitstein  28  Juin  1771 

Wissen   Sie   das   meine  Sternheim  dem  Herder  gefält,    diesses 
hätte  ich  mir  nicht  vermuthet,  und  es  freut  mich  nicht  wenig. 


M  Ein  kleiner  Pojioboj^en,  auf  allen  vier  Seiten  mit  grossen,  deut- 
-fhen  Zügen  beschrieben.  Wie  Sophie  in  den  vorausgehenden  Briefen 
^brfach  mit  gespannter  Erwartung  von  den  „Grazien''  spricht,  so  lobt 
d«  das  Werk  auch  nochmals  kürzer  in  dem  folgenden  Schreiben  vom 
18.  Dezember  1770. 

')  Die  ganze  Erzählung  in  Wielands  „Grazien"  ist  an  Danae  gerichtet. 

^  Die  schönste  der  arkadischen  Hirtinnen  in  den  „Grazien*. 

*)  In  der  Handschrift  verbessert  aus:  de  votre  Mere. 

^)  Ein  halber  Bogen  4^,  auf  allen  vier  Seiten  mit  säubern,  deut- 
üehen  Zügen  beschrieben. 


208  FranM  Muncker 

12.^ 


18  Juillet  1771 


j^ai  recü  une  lettre  de  Merk,  et  de  la  petite  Flachsland  Amie 
de  Herder,  qui  me  comunique  toutes  les  Poesies  du  dernier,  et 
les  louanges  quil  donne  au  ton  Melancholique  de  ma  Sternheim, 
et  a  la  verite  morale  quil  y  trouve,  Taprobation  de  cet  homme 
me  fait  plaisir.     —     —     —     —     —     —     —     —     —     — 

13.«) 
(Von  Damian  Friedrich  Dumeiz.) 

[27.  September  1771.] 

je  pense  m'arreter  encore  vne  huitaine  de  jours  ici,')  et  puls 
aller  retirer  votre  Agathon  des  mains  dVn  moine  ä  qui  je  Tai 
pret^,  et  qui  en  fait  des  extraits  pour  precher  votre  evangile 
au  peuple,  jugez  par  lä  de  Texcellence  de  votre  ouvrages,*) 
puisque  le  gros  sens  monacal  le*)  sent. 

14.*) 

(l.  16  Juny  1772 

aber  den  golden*)  Spiegel  habe  ich  doch  schon  durchblättert, 
und  mit  trähnen  dess  danks,  mit  überfliesenden  Thränen  der 
besten  empfindung  habe  ich  Sie  meinen  Wieland  geseegiiet. 
0  wie   schön   werden    Ihre   Männliche   Jahre   —   mein  Lieber 

^)  Ein  in  8*^  gebrochenes  Quartblatt,  auf  allen  vier  Seiten  mit 
flüchtigen,  mitunter  nicht  recht  deutlichen  Zügen  beschrieben.  Der 
Brief  enthält  noch  weitere  Mitteilungen  über  die  freundliche  Aufnahme 
der  , Geschichte  des  Fräuleins  von  Sternheim". 

2)  Ein  halber  Bogen  4^,  auf  allen  vier  Seiten  beschrieben,  grossen- 
teils  von  Sophie;  am  Schluss  fügte  Dumeiz  eine  kurze  Nachschrift  bei, 
aus  der  ich  hier  nur  die  auf  den  „Agathon"  bezüglichen  Sätze  mitteile 
Die  Unterschrift  von  Dumeiz'  Namen  fehlt  in  dem  Briefe. 

^)  Nämlich  bei  Sophie  in  Ehrenbrei tstein. 

*)  So  in  der  Handschrift. 

^)  Ein  in  8°  gebrochenes  Quartblatt,  auf  allen  vier  Seiten  mit 
grossen,  deutlichen  Zügen  beschrieben. 


Widands  „Pervonte''.  209 

theurer  Wieland  —  Gott  belohne  Ihre  mühe,  durch  den  eindruk 
den  es,  auf  Fürsten,  und  rathgeber  Seelen  machen  soll,  dass 
schöne  f&rtrefliche  Meisterbuch   —     —     —     —     —     —    — 

—  —  —  —  La  Roche  ist  über  Ihre  Scheschianische  6e- 
mählde  entzükt,  Sie  wissen  das  ers  nicht  oft  ist    —     —     — 

Ihre  Sophie 
15.») 

Goblenz  d.  6  aprill  1780.. 

Ihr  Oberon,  Lieber  Wieland  ist  gekommen  etlichen  recht 
guten  Menschen  freude  zu  geben  —  La  Roche  war  just  an 
einem  bössen  hässlichen  geschwür  im  Naken  sehr  krank,  und 
wmuthig,  seine  beste  freunde  wussten  ihm  nichts  zerstreuendes 
mehr  zu  sagen  —  seine  Bücher,  und  sein  Naturalien  Gabinet 
latten  auch  ihre  reize  für  ihn  verlohren  —  da  kam  Oheron  — 
^ilig  bring  ich  ihn  hinauf,  la  Roche  lächelt  ihn  mit  Hofiiung 
eines  Vergnügens  an,  lässt  mich  gleich  wieder  gehen  —  und 
liesst  —  biss  kein  Buchstabe  mehr  zu  lessen  ist  —  den  Abend 
komt  unsser   minister  von   Hohenfeldt^)  dem   sucht   er    diese 

—  jene  stelle  nach  —  und  erzählt  auch  mir  —  und  den 
zwejten  tag  liesst  er  nochmals  ganz  —  so  dass  ich  ihn  erst  den 
vierten  bekam  —  und  noch  dem  minister  lassen  musste.  Nun 
soll  ich  Ihnen  für  das  vergnügen  danken,  das  beyde  durch 
Oberen  genossen.  Ihre  Jahre  sollen  so  viel,  und  so  glüklich 
seyn  als  die  minuten  die  Oheron  ihnen  beyden  gaab.  nur  eine 
trage  entstund  —  warum  machen  die  Protestanten  so  oft  spot- 
tende anspielungen  auf  Theile  der  Catolischen  Religion  — 

Oberon  gefiel  Ihnen  doch? 
Sein  Bau  —  der   Geist  der   in  ihm  lebt,   wie   soll   das  nicht 
9-fallen?  und  ich  helfe  doch  auch  Souscripenten  für  die  schöne 
aiissgaabe  samlen,   zu   deren  betrieb  ich  Sie  aufmuntren  solle, 


*)  Ein  halber  Bogen  4^,  auf  allen  vier  Seiten  mit  deutlichen,  meist 
?o»eii  Zügen  beschrieben. 

^  Christoph  Philipp  Wilibald  Freiherr  v.  Hohenfeld,  Generalvikar 
m  FürBtbiachofs  zu  Speyer,  1777 — 1780  auch  Konferenzminister  und  wirk- 
iicbcr  geheimer  Staatsrat  des  Kurfürsten  Clemens  Wenzeslaua  von  Trier, 
gestorben  1822. 


210  Franz  Muncker 

da  die  frage  mehr  aass  besorgnis  entstanden  sey  es  möchten, 
die  religions  artikel  Ihrem  Buch  schaden  weil  das  CatoHsche 
Teutschland  doch  auch  viele  menschen  zählte  —  aber  ich 
weiss  viele  Catoliken,  die  im  Ernst  ärgerliche  Sachen  sagen  und 
schreiben  —  das  ist  wahr  —  man  erlaubt  sich  selbst  aber 
mehr  als  einem  Fremden  —  Oberon  hat  jede  vorspräche  in 
sich  —  und  in  guten  köpfen  —  so  weit  zwey  Männer. 

Mich  —  lieber  Wieland!  freut,  der  reich  tum  und  die 
heiterkeit  Ihres  Geists  —  der  Himmel  lass  Sie  diese  guter 
lange  gemessen,  und  möchte  ich  die  hofnung  haben  &e  und 
Ihre  Famillie  beysamen  zu  sehen  —  ich  wäre  sehr  glüklich  — 
wenn  ich  Sie  die  liebe  würdige  Mutter  Ihrer  Kinder  die  Gross- 
mutter  davon,  und  das  rührende  gewühl  von  Wielands  Kinder 
um  mich  her  sähe,  in  Weimar  wo  ich  doch  die  nähste  ver- 
wandtin  von  Ihnen  allen  wäre,  und  also  auch  antheil  an  Hen 
und  Blut  fühlte  —  es  freute  mich  mehr  als  ich  sagen  kan  — 
aber  die  beste  freuden,  sind  erscheinungen  eines  ideals  —  er- 
heben den  Geist,  machen  dass  Herz  wallen  und  entfliehen,  ic 
die  Welt  dess  vollkommenen  auss  der  sie  herunter  steigen,  uns 
einige  stunden  recht  süss  —  recht  schön  zu  machen  — 

die  herrliche  —  zerreissende  Bilder  dess  9.  und  10  gesangs, 
die  Sie  meinem  Herzen  gönten  —  habe  ich  auch  —  ich 
kan  sagen  geherzt  —  ein  Geist  voll  obermacht  —  hat  Sie 
dass  schmerzliche  und  süsse  der  liebe  malen  machen,  dank 
Wieland!  tausend  dank,  dass  Sie  mir  es  gönten  und  eigneten  — 

Göthens  Billet^)  —  ist  seiner  und  Ihrer  würdig  —  er  hat 
alles  in  sich  —  was  durchdringende  einsieht  fodert  —  der 
Zufall  mag  ihn,  allem  ansehen  nach  gegen  mich  böss  gemacht 
haben  —  ich  bin  nur  Weib  —  aber  ich  werde  nie  ungerecht  — 
und  nie  klein  seyn  —  aber  wenn  verstunden  Sie  unter  pro- 
pJianen  Menschen?  —  und  wo  liegts?  das  Klopstok  —  und 
die   Stolberge    —    und   Göthe    die    alle   so   glühend  zusamen 


^)  Es  ist  wohl  das  Briefchen  vom  Grünen  Donnerstag  (23.  März) 
1780  gemeint,  das  Goethe  mit  einem  Lorbeerkranz  für  den  « Oberen' 
an  Wieland  sandte. 


Wielands  „'Perwnte",  211 

waren  nun  kalt  sind  und  die  Jacobis  —  Ach  Wieland  wo 
liegt  das  —  in  Männern  voll  kentnissen  —  voll  Seele  — 
sagen  Sie  mirs  ich  bitte  Sie  lieber  Theurrer  Wieland!  wo 
iiegts.  Lessen  Sie  doch,  es  liegt  meinem  Herzen  daran  Lessen 
^  meine  Rosalie  —  Widand  soll  meine  Rosalie  lessen,  und 
die  gute  haben  —  (üte  und  neue  gute  mir  was  darüber  zu 
sagen,  ich  bitte  bitte  —  Herder  war  meiner  Sternheim  gut  — 
ich  weite  er  war  es  auch  Bosalien  —  seiner  Frau  die  ich  so 
liebte  —  der  ich  anders  dargestelt  wurde  —  0  Wieland!  was 
uoterschied  zwischen  Feinheit  des  gefühls  der  Seele  —  die  zu 
Terwunden  fürchtet  —  und  Feinheit  dess  geists  —  der  nur 
dolche  schleift  —  adieu  Sie  alle  *)  —  mein  Friz  —  ist  Lieute- 
liant,  im  Francösischen  Reg*.  Zweibrüken  und  schift  nach 
amerika  —  vogue  la  galere  —  sagte  der  alte  Graf. 


^)  Das  Folgende  ist  am  obem  Rand  der  letzten  Seite  des  Briefes 
nachträglich  noch  beigefugt. 


< 


ü.  Amira,    Willehalm-Ha. 


Tafel  I. 


1903.  Sitzb.  d.  pbilos.-philol.  u.  d.  histor.  El. 


0.  Amira,    WUlehalm-Hs. 


Tajel  III. 


a. 


r 


9.  SItzb.  d.  philoL-plilIol.  n.  d ,  biilor.  Kl. 


213 


Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm. 

Von  Karl  r.  Anitra. 

(Mit  3  Tafeln.) 

(Vorgetragen  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  7.  März  1903.) 

In  der  kürzlich  veröflFentlichten  Einleitung  zu  meiner 
Ausgabe  der  Dresdener  Bilderhandschrift  des  Sachsenspiegels 
iabe  ich  als  eine  der  nächsten  Vorläuferinnen  der  Sachsen- 
fcpiegelillustration  eine  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs 
Willehalm  genannt,  die  zwar  nicht  mehr  vollständig,  doch 
in  Bruchstücken  zu  Heidelberg  und  München  erhalten  sei. 
Nach  diesen  Bruchstücken  habe  ich  a.  a.  0.  auch  in  aller 
Kurze  eine  Beurteilung  der  Willehalm -Illustration  gegeben. 
E<  konnten  jedoch  dort  nur  Behauptungen  aufgestellt  werden. 
Ibre  Begründung  nebst  Ergänzungen  und  einer  genaueren 
'  liarakteristik  des  bedeutenden  Werkes  sollen  jetzt  nachfolgen. 

Keines  jener  Bruchstücke  war  bisher  unbekannt.  Das  zu 
Heidelberg  besprachen  schon  F.  J.  Mone  in  dessen  ^Anzeiger 
/''r  Kunde  der  teutschen  Vorzeit'  V  1836  Sp.  177  ff.  und 
Fr.  Kugler  in  seinen  ^Kleinen  Schriften  und  Studien  zur 
^mtgescJüchte'  I  1853  S.  6.  Beide  begleiteten  ihre  Mit- 
telungen mit  Proben  der  Bilder  in  Umrissen.  Mone  bot  auch 
•willen,  allerdings  sehr  ungenauen,  Abdruck  des  Textes.  Ohne 
'lie Monesche  Veröffentlichung  zu  kennen  gab  1872  K.  Bartsch 
^'^lige  Notizen  über  das  Fragment  in  Pfeiffers  Germania 
-^VlI  434  (recte  443),  und  in  seinen  ^Altdeutschen  Hand- 
^'hriften  der  UniversitätsbibliotheJc  zu  Heidelberg*  verzeichnet  er 

1901  Bitxgsb.  d.  philoa-philol.  n.  d.  htst.  Kl.  15 


214r  Karl  V.  Äwira 

es  unter  Nr.  443.^  Die  Münchener  Bruchstücke  sind  zuerst  von 
B.  J.  Docen  in  der  Oberdeutschen  allgem.  lAteraturzeitung  ISlo 
Nr.  127  Sp.  1021  erwähnt,  dann  in  der  Willehalni-Ausgak 
von  Lach  mann  benützt  und  dort  mit  w  bezeichnet.  Ausser- 
dem hat  Fr.  Pfeiffer  in  seinem  .QueUenmaterial'  11  186^ 
S.  83  f.  einen  Teil  des  Textes  abgedruckt. 

Nirgends  jedoch  war  von  Beziehungen  zwischen  den  Heidel- 
berger und  den  Münchener  Bruchstücken  die  Rede.  Nirgend* 
auch  waren  diese  so  beschrieben,  dass  sich  ohne  weiteres  Be- 
ziehungen hätten  erkennen  lassen.  Eine  genaue  Beschreibung 
ist  aber  schon  darum  nötig,  weil  sich  vielleicht  mit  ihrer  Hilfe 
noch  andere  zugehörige  Bruchstücke   auffinden  lassen. 

Das  Bruchstück  auf  der  Heidelberger  Universitätsbibliothek 
—  Cod.  Häd,  362a,  86  {2%  hier  mit  H  bezeichnet,  —  besteht 
aus  einem  ursprünglich  in  zwei  Blätter  gefalzten  vollständigen 
Pergamentbogen,  der  nach  Auflösung  des  Codex  zum  Überzug 
eines  Buchdeckels  von  21,5  x  31,5  cm  verwendet  wurde.  Xm 
1820  hat  Mone  den  Bogen  abgelöst.  Er  berichtet  aber  nicht, 
was  das  Buch  enthielt  oder  woher  es  stammte.  Nach  niug- 
liebster  Glättung  der  durch  das  Überziehen  entstandenen  Falten 
ergibt  sich  ein  Umfang  der  beiden  Blätter  von  30 — 30,4  cm 
Höhe  und  20,8  —  22,4  cm  Breite.  Die  grösste  Breite  des  ganzen 
Bogens  misst  43  cm.  Die  Bruchstücke  auf  der  Hof-  und  Staats- 
bibliothek zu  München  —  Cgm,  193  [e  13],  hier  mit  M  bt- 
zeichnet,  —  bestehen  aus  zwei  stark  zugeschnittenen  Blättern 
eines  Pergamentbogens,  der  ebenfalls  als  Überzug  eines  Buchen 
dienen  musste.  Letzteres  war  ungefähr  6  cm  dick  und  hatte 
eine  Decke  von  ca.  15  x  20  cm  Umfang.  Auch  von  diesem 
Bogen  lässt  sich  die  Herkunft  nicht  über  das  1 9.  Jahrhundert 
zurück  verfolgen.  Docen  gibt  a.  a.  0.  an,  er  habe  ihn  von 
Reinwald  in  Meiningen  erhalten.*)    Gemeint  ist  W.  Fr.  Rein- 


M  Als  Ms.  .Bartsch*  figuriert  es  in  dem  Verzeichnis  der  Willehalm- Hss. 
bei  P.  Piper  Wolfram  v.  Eschenhach  I  (1890)  S.  196. 

')  Auf  diese  Angabe  geht  wohl  die  Bemerkung  von  Schmeller  in 
seinem  Fragmentenverzeichnis  S.  17  zurück,  daas  der  Bogen  ,aus  Bein- 
walds Besitz*  stamme. 


Die  grosse  Büderhandschrift  von  Wolframs  Wülehalm.         215 

wald,  Schillers  Schwager,  Bibliothekar  zu  Meiningen,  f  1815. 
Aus  Docens  Besitz  ist  dann  das  Bruchstück  in  die  Staats- 
bibliothek gekommen.  Bis  1809  scheint  es  übrigens  Docen 
Doch  unbekannt  gewesen  zu  sein,  da  er  es  unter  den  Wolfram- 
fragmenten seiner  ^Miscdlaneen^  II  114  ff.  nebst  Anhang  (1809) 
nicht  erwähnt.  Nur  schwache  Spuren  führen  weiter  zurück, 
bis  etwa  ins  16.  Jahrhundert.  Auf  dem  vorderen  Deckel 
(=foI.  2a)  stehen  rechts^)  oben  in  der  Ecke  mit  schwarzer 
Tinte  von  fester  Hand  geschrieben  die  Worte: 

nOIKIAQN 
AEKTQN 

Vol.  n 

Ein  griechisches  Buch  unter  einem  solchem  Titel  ist  auch  den 
Waten  Kennern  der  spätgriechischen  Literatur  unbekannt.  Ver- 
mutlich deckte  der  Einband  überhaupt  kein  griechisches  Werk, 
sondern  die  ,bunten  Aufnahmswürdigkeifcen'  oder  m.  a.  W.  das 
Notizbuch  eines  Humanisten,   der  es  nicht  in  seine  Bibliothek 
einstellte,  sondern  beständig  vor  sich  auf  dem  Pult  oder  Schreib- 
tisch liegen  hatte.    Hierauf  deuten  auch  die  vielen  Klexe,   die 
mit  derselben    schwarzen  Tinte,   womit   der   griechische  Titel 
geschrieben  ist,  auf  die  Titelseite  gespritzt  wurden.    Durch  die 
Ablösung  von  dem  Buchdeckel  haben  die  Münchener  Pergament- 
Wätter  im  Gegensatz  zu  denen  von  Heidelberg  neue  und  zum 
Teil  sehr   schwere  Verletzungen    erlitten,    so    dass    sich    ihre 
Masse  nur   annähernd  bestimmen  lassen:    Höhe   etwa  24  und 
-0,7,  Breite  ungeföhr  18  und  22  cm,  wobei  aber  zu  bemerken, 
iass  der  untere  Rand  und  von  fol.  1  auch  der  äussere  Seiten- 
r^nd  weggeschnitten  ist.  Die  grösste  Breite  des  wieder  zusammen- 
setzten Bogens  misst  jetzt  noch  41  cm.    Dass  die  Münchener 
Walter  einst  das  nämliche  Format  wie  die  zu  Heidelberg  hatten, 
^ird  sich  alsbald  im  Zusammenhang  mit  der  Lineatur  ergeben. 
Die  Einteilung   ist   in  H   und  M   im   wesentlichen   die 
Ähe.  Eine  Vertikallinie  spaltet  jede  Seite  in  zwei  Kolumnen, 

^)  Rechts    und    links    sind    in    dieser   Abhandlung   heraldisch    zu 
nehmen. 

15* 


216  Karl  V.  Amira 

wovon  stets  die  innere  und  die  schmalere  von  der  Schrift,  die 
äussere   und   fast   doppelt   so  breite  von  der  Illustration   ein- 
genommen wird.    Eine  zweite  Vertikallinie  grenzt  die  Schrift- 
kolumne   gegen   den   inneren  Seitenrand   hin   ab.     Die   Breite 
der  so  begrenzten  Schriftkolumne  beträgt  in  H  7 — 7,2  cm,  in 
M  7 — 7,5  cm,  die  Breite  des  inneren  Randes  zwischen  Schrift- 
kolumne und  Falz  in  H   1,2—2  cm,  in  M  ungefähr    1,8  cm 
Horizontallinien    hat    nur    die   Schriffckolumne.     Es    war    aU» 
jede  Seite  von  vornherein  dazu  angelegt,  neben  dem  Text  fort- 
laufende Illustrationen  aufzunehmen.    Die  Zahl  der  Horizontal- 
linien in  den  Schriftkolumnen  beträgt  stets  30  mit  einem  gegen- 
seitigen Abstand  von  8 — 9  mm.    Die  gesamte  Lineatur  ist  mit 
brauner   Tinte   hergestellt.     Die  Breite   des  Randes  über    und 
unter  den  Schriftlinien  lässt  sich  nur  für  H  feststellen,    da  in 
M  diese  Ränder  teils  weggeschnitten,  teils  abgerissen  sind.    Der 
obere  Rand  misst  in  H   1,5 — 2  cm,   der  untere  4,8 — 5,4  cm. 
Ergänzt    man    den   Fuss   der  Münchener  Blätter    mit    diesem 
unteren  Rand  von  H,  so  erhält  man  eine  Blatthöhe  von  unge- 
fähr 29,4  —  30,5  cm,  woraus  die  ursprüngliche  Übereinstimmung 
der  Formate  von  H  und  M  erhellt. 

Die  Bogenlagen  des  Codex,  wozu  H  gehörte,  waren  signiert. 
H  selbst  war  zufolge  der  am  Fuss  von  fol.  2  b  erhaltenen  Sig- 
natur der  äussere  Bogen  von  Lage  XIH. 

Die  Schrift  steht  über  den  Linien,,  rührt  von  kräftiger 
Hand  und  ist  mit  derselben  braunen  Tinte  wie  die  Lineatur 
mit  Sorgfalt  ausgeführt.  Die  Buchstaben  sind  gotisch,  sehr 
deutlich  und  gleichmässig  und  innerhalb  der  Verszeilen  etwa 
4  mm  hoch.  Höhere  Buchstaben  eröflFnen  die  Verszeilen, 
Abwechselnd  rote  und  blaue  Initialen  stehen  am  Beginn  der 
einzelnen  Abschnitte,  zu  denen  Bilder  gehören.  Der  Schreiber 
hat  sie  dem  Miniator  in  feiner  und  kleiner  Schrift  angegeben. 
Eine  Verschiedenheit  der  Scbreiberhand  zwischen  H  und  W 
vermag  ich  nicht  zu  erkennen  und  ebensowenig  einen  Unter- 
schied unter  den  Initialen.  Auch  die  Schreibregeln,  die  in 
H  und  M  beobachtet  wurden,  sind,  soweit  feststellbar,  die 
nämlichen.     Über  i   steht  gewöhnlich    der  Strich,    doch   nicht 


Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs  WilleTuUm,         217 

Tor  langen  Buchstaben  und  nicht  vor  c.  Rundes  r  folgt  auf 
0,  d,  6.  Langes  f  im  Wortauslaut  findet  sich  selten,  wohl  zu- 
fällig nur  in  H  (tcaf,  dinf,  tmf).  Bogen  verbin  düng  pflegt  ein- 
zutreten zwischen  d  oder  h  und  folgendem  e  oder  o,  zwischen 
p  und  folgendem  p  oder  o;  zuweilen  kommt  sie  auch  vor 
zwischen  t;  oder  w  und  folgendem  o  oder  e.  u^)  steht  häufig 
and  zwar  nicht  nur  vor  oder  nach  m  oder  n,  sondern  auch 
zwischen  v  und  r,  w  und  r,  r  und  r,  h  und  r,  i  und  r,  5  und  jst, 
vs  und  5,  2  und  er,  Z  und  i,  X;  und  r,  r  und  e2,  v  und  2,  2  und  t^ 
( und  ^.  Anderseits  kommt  aber  sogar  vor  oder  nach  m  und  n 
4Qch  blosses  u  vor.  i;  =s  u  gebraucht  der  Schreiber  oft  neben 
K  Utets  in  tmd^)  oder  m  oder  z  und  nach  i,  v  =  u  in  A:vm, 
^,  5WI,  genvCf  aber  auch  in  xriJ,  nw,  ^.  m  =  v  setzt  er  zwi- 
schen y  und  y  (fyuyansf),  abwechselnd  mit  v  vor  a  (uater  und 
öJ^,  96tiaren  und  gevam^  varen,  vant,  vanen)^  vor  o  (uor, 
fwfc/en,  geiiOchUcken,  aber  auch  wr,  wn,  t;ö^cy,  vor  e  (uelt, 
^mt,  uestCf  aber  auch  veste,  veder,  vetter,  und  regelmässig  ver), 
Tor  i  (iiü,  virgufU),  femer  gewöhnlich  vor  r  und  Z.  y  oder  y 
liebt  der  Schreiber  in  Fremdwörtern  und  im  Diphthongen  cy. 
Die  häufigsten  Abbreviaturen  sind  s  =  er  (so  regelmässig  in 
ff  v\  femer  in  Ä*,  m6*,  a«ef ,  tveff,  hesuncP,  tocht^,  itslich^, 
framere)  und  —  über  n  in  tm  (=  vnde).  Ausserdem  findet  sich 
Q<>ch  übergeschriebenes  a  =^  ra  in  spch.  Ein  Punkt  pflegt 
il^n  Schluss  eines  Verses  zu  bezeichnen.  Selten  dagegen  dient 
"r  zur  syntaktischen  Interpunktion. 

Der  Textinhalt  von  H  und  M  besteht  ausschliesslich  aus 
Stücken  von  Wolframs  Willehalm  und  zwar  stehen,  verglichen 
wit  Lachmanns  Text,  auf  H  fol.  1  die  Verse  220,  24-222, 
-^.  auf  H  fol.  2  die  Verse  235,  15—237,  15,  auf  M  fol.  1  die 
W  388,  21—390,  21,  auf  M  fol.  2  die  Verse  403,  13— 
^^h  14.  In  der  Kegel  beginnt  mit  jedem  Vers  eine  neue 
Ärile.  Nicht  selten  jedoch,  in  H  fünfmal,  schliesst  sich  ein 
'^R  an  den  vorausgehenden  noch  in  derselben  Zeile  an.  Unter 
ß^rücksichtigung  dieses  Umstandes  berechnet  sich  aus  den 
zwischen  den  beiden  Heidelberger  Blättern  fehlenden  377  Versen 

^)  Woraus  Mona  immer  uo  gemacht  hat. 


218  Karl  V.  Amira 

und  aus  den  382,  die  zwischen  den  Münchener  Blättern  fehlen. 
der  Ausfall  von  je  drei  Bogen.  Wahrscheinlich  haben  wir  es 
also  auch  in  M  mit  dem  äusseren  Bogen  eines  Quatemio  zu  tun. 

Die  18986  Verse  des  ganzen  Gedichtes  würden,  das  Blatt 
nur  zu  60  Versen  gerechnet,  rund  233  Blätter  erfordert  haben. 
Bringt  man  die  Zeilen  mit  Doppelversen  in  Anschlag,  so  er- 
mässigt  sich  die  Zahl  der  erforderlichen  Blätter,  womit  dk 
Bemerkung  ,230  hlletter*  übereinstimmt,  die  mit  einer  Cursiv^ 
von  alter  Hand  in  H  fol.  la  den  inneren  Rand  entlang  hin- 
geschrieben ist.  Sie  scheint  den  Umfang  des  Codex  anzugeben, 
dem  H  entstammt. 

Eingeteilt  ist  der  Text  in  bald  längere,  bald  kürzere  Ab- 
schnitte, die  ausschliesslich  durch  das  Bedürfnis  der  Illustration 
gegeben  sind  und  mit  den  dreissigzeiligen  Abschnitten  des 
Lachmannschen  Textes  nichts  zu  schaffen  haben. 

Die  Sprache  ist  sowohl  in  H  als  in  M  mittelhochdeutsch, 
aber  dort  wie  hier  durchsetzt  mit  mitteldeutschen,  ja  nieder- 
deutschen Einsprengungen.  Sowohl  M  als  H  bieten  i  =  c  in 
ir-  (irhabcn,  irwarj),  irgienc,  erhis,  teils)  und  gewöhnlich  tm-n 
=  itian,  se  nel)en  siu,  sie,  de  neben  diu,  sowie  regelmässig  an- 
lautendes sc  (scon,  scar,  scartc,  scaltc,  scaffe,  -scaft),  ausserdem  H 
regelmässig  licr  =  er,  ferner  tcl  neben  teil,  warf  =  xvurf,  vor 
=  filr,  truwe,  wunde  neben  sonst  regelmässigem  iu  (stiure), 
verterhen,  durc,  sie,  niarhrahe,  itslich,  itswa,  we  =  iver,  we,  swf 
=  wie,  sivie,  dazu  dann  M  i^  =  es,  ode  =  oede,  hokgeniut,  nach 
=  nacht,  und  das  niederdeutsche  dat. 

Die  Abschrift  enthält  verschiedene  Fehler.     So  steht   in 

■ 

222,  1  irtvarp  anstatt  der  uarp,  in  222,  10  se  für  siz,  in  236,  9 
de  kandcn  für  die  kumenden,  in  236,  19  der  kvninc  marroch, 
anstatt  der  Jcvninc  von  marroch,  in  236,  21  anders  statt  ander, 
in  237,10  den  zeme  oth  diu  seihe  spräche  für  den  zeme  ein  tin- 
schin  spräche,  in  338,  26  men  anders  gicht  statt  man  dort  ähf, 
389,  10  heret  statt  erret,  in  389,  11  der  kuninc  statt  rois,  in 
390, 1  siner  thioste  statt  sinen  tjost-en,  in  390,  6  wenet  für  wan 
Jat,  in  403,  22  aJäsanz  für  alitschanz,  in  404,  27,  28  Um- 
stellung  der  beiden  Verse,   404,  30  des  endes  statt  den  mdes. 


Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs  WillehaJm.         219 

Bis  hieher  ergibt  sich  Übereinstimmung  zwischen  M  und 
H  in  Bezug  auf  Material,  Raumein teiluug,  Anordnung  des 
TeiteSf  Schrift  und  Sprache.  Dieses  Zusammenpassen  wieder- 
holt sich  im  illustrativen  Teil. 

Sowohl  in  M  wie  in  H  stehen  regelmässig  drei  Bilder  in 
einer  Kolumne  übereinander.  Nur  wo,  wie  in  M  fol.  2,  figuren- 
reiche Kampfschilderungen  einen  grösseren  Raum  beanspruchen, 
«ird  die  Kolumne  von  zwei  Darstellungen  ausgefiillt.  Zuweilen 
(M  fol.  la)  zieht  sich  zwischen  zwei  Bildern  eine  wagrechte 
sdiwarze  Trennungslinie  hin.  Die  Beziehungen  des  einzelnen 
Bildes  oder  auch  einer  Bildergruppe  zum  illustrierten  Text- 
abaclmitt  zeigt  die  Initiale  des  letzteren  an,  die  in  gleicher 
6estalt  und  Farbe  innerhalb  der  Bildfläche  wiederkehrt. 

Die  lUustrationen  bestehen  aus  schwarzen  Federzeich- 
noDgen,  die  teils  mit  Lasur-  teils  mit  Deckfarben  koloriert 
^iod.  Sie  wurden  nach  Vollendung  der  Schrift  angelegt,  da 
2>ie  mehrmals  (in  M),  diese  umgehend,  in  die  Textkolumne  über- 
greifen. Anderseits  reichen  sie,  wo  vollständig  erhalten,  bis 
zum  äussersten  Blattrand  und  erstrecken  sich  nötigenfalls  auch 
noch  über  den  Band  unter  dem  Text. 

Dargestellt  sind  auf  H  1  a  in  3  Bildern  die  Unterredungen 

ier  zu  Orange  eingeschlossenen  Gyburg  mit  ihrem  Vater  Ter- 

wner  (Beispiele  bei  Kugler  Kleine  Schriften  und  Studien  S.  4 

Jöd  Taf.  I  zu  gegenwärtiger  Abhandlung),  auf  1  b  zunächst  ein 

^Jtspräch  zwischen  ihr  und  ihrem  früheren  Gatten  Tybald,  dann 

&  Belagerung  von  Orange  (bei  Mone  a.  a.  0.  Taf.  III)  und  der 

^iriegsrat  Terramers,  auf  H  2  a,  b  das  Heranrücken  der  franzö- 

^•j^hen  Entsatztruppen   und   deren   Lager   vor   der  Stadt,    auf 

^^.2  verschiedene  Szenen  aus  der  zweiten  Schlacht  auf  Ali- 

^W,  insbesondere  die  Taten  des  starken  Rennewart  und  das 

*«ranstünnen  der  Heidenkönige  vor  dem  Wagen   der  Götzen 

Taf.  n  und  HI  zu  gegenwärtiger  Abhandlung).*) 

^)  Von  photomechaniacher  Reproduktion  des  OriginalB  war  wogen 
^'f  Falten  und  der  vielen  Flecken  im  Pergament  Abstand  zu  nehmen. 
' '  nju^'jte  mich  daher  auf  Strichntzungen  nach  meinon  Bansen  bo- 
-^i.-iiiken. 


220  Karl  t\  Amira 

Die  Zeichnung  beschränkt  sich  meist  auf  die  umrisse. 
Den  Erdboden  lässt  sie  grundsätzlich  unangedeutet.   Auf  Ein- 
zelnheiten  an  den  Figuren  wie  das  Gefölte  der  Gewänder,  Zier- 
raten der  Kronen  geht  sie  nur  mit  Zurückhaltung  ein.    Doch 
vergisst  sie  nie  das  Geflecht  der  Kettenpanzer  durch  jene  kunen 
Striche  zu  charakterisieren,  die  auch  sonst  in  der  Malerei  des 
13.   und  14.  Jahrhunderts    diesem   Zweck   zu   dienen  pflegte 
Was  Kugler  an  den  figuralen  Partien  von  H  herrorhob,  d« 
derbe  Zug,    die   kurzen,    schweren  Verhältnisse,    der  Mangel 
feineren  Lebensgefühls,   das  alles  trifft  auch  bei  M  zu.    Dort 
wie  hier  auch   die  gleiche  schematisch  steife  Seitenansicht  der 
Rosse,  die  in  der  Regel  vorspringende  Schädel,  gerade  Kaseo, 
zurückliegende  Augen,  dicke  Beine  mit  heraldisch  zugespitzten 
Gelenkknochen  haben  und  selbst  im  Kampfgetümmel  im  Trab 
oder  gar  nur  im  Schritt  gehen,  sowie  der  Reiter,   die  kerzen- 
gerad   sitzen   bleiben,    auch   wenn    sie   zum  wuchtigsten  Hieb 
ausholen,   und  denen  fast  immer  der  Steigbügel  fehlt,  in  dec 
sie  die  weit  vorgestreckten  Beine  stemmen  könnten.    Dort  wie 
hier  die  stereotypen  Gewandmotive  an  den  Schössen  derWaffen- 
rocke,  die  mit  einer  vorderen  und  einer  hinteren  Falte  an  den 
Seiten  des  Pferdes  herabhängen,  die  gleiche  Bildung  der  breiten 
menschlichen  Gesichter  mit  überragenden  Stirnen,  starken  und 
meist    steilen    Nasen,    grossen    und    weitaufgerissenen   Augen 
unter  normal  wagrechten  Brauen.    Dort  wie  hier  die  fast  gänz- 
liche   Gleichgültigkeit    des    Zeichners    gegen    das    Minenspiel 
das    sich   höchstens   im   veränderten    Zug   eben  jener  Augen- 
brauen  kundgibt. 

Die  Farben,  deren  sich  die  Illumination  bedient,  sind 
soweit  bei  dem  schlimmen  Zustand  von  M  noch  erkennbar, 
Mennige,  Zinnober,  Krapprosa,  Smalte,  Okergelb,  Permanent- 
grün, Schwarz,  Gold.  Gewöhnlich  sind  sie  flächig  und  stark 
deckend  aufgetragen.  Der  Hintergrund  bleibt  stets  weiss.  Aus 
den  weissen  Gesichtern  sind  Lippen,  Wangen  und  Stirnen, 
öfters  auch  die  Nasenbeine  mittels  leichter  mennigroter  Tupfen 
und  Linien  hervorgehoben.  Die  Haare  wurden  gelb  angetuscht. 
Modellierung  kommt  nur   bei    den   Eisenteilen   der  Rüstungen 


Die  grosse  Büderhandachrift  von  Wolframs  Willehalm.         221 

Tor,  deren  Glanzlichier  man  freigebig  aus  dem  Blau  der  Schatten 
aufsparte.  Über  der  deckenden  Farbe  der  Kleider  zog  man  die 
Trarisse  in  kräftigen  tiefechwarzen  Linien  nach.  Die  Topfhelme 
erscheinen  allemal  gelb,  ebenso  die  Parierstangen  und  Knäufe 
der  Schwerter,  das  Zaumzeug,  die  Sattelgurten,  die  Sattelbogen 
und  alles  sonstige  Holzwerk.  Die  Pferde  sind  bald  rot,  bald 
blau,  bald  grau  geapfelt,  Gebäude  und  Zelte  rot  oder  grün, 
Gold  zeichnet  nur  (in  H)  den  Nimbus  um  das  Haupt  Christi 
und  den  Stern  auf  Schild  und  Brust  Willehalms  aus. 

Alle  unsere  bisherigen  Beobachtungen  führen  uns  zu  dem 
Schluss,  dass  H  und  M  einem  und  demselben  Codex  des 
Wolframschen  Gedichtes  angehört  haben.  Nicht  dagegen 
sprechen  gewisse  Unterschiede,  die  zwischen  H  und  M  hin- 
sichtlich der  Zeichnungen  obwalten.  Allerdings  nämlich  haben 
in  M  die  Pferde  meist  kürzere  Beine  als  in  H,  mitunter  sogar 
bis  ins  Abbreviaturmässige  verkürzte,  laufen  femer  die  Striche, 
welche  das  Panzergeflecht  charakterisieren,  in  H  nach  der  Längs-, 
in  M  nach  der  Querrichtung,  haben  endlich  die  Schilde  dort  noch 
durchgängig  die  sogenannte  normannische  Form  ohne  Wappen, 
hier  dagegen  stets  die  Dreiecksform  mit  heraldischer  Bemalung 
und  sind  auch  die  Topfhelme  dort  anscheinend  etwas  anders 
konstruiert  als  hier.  Diese  Unterschiede  würden  jedoch  bei 
der  sonstigen  Übereinstimmung  in  den  Zeichnungsmanieren 
Ton  M  und  H  nicht  einmal  dazu  ausreichen,  um  die  Annahme 
zu  sichern,  dass  am  nämlichen  Codex  zwei  verschiedene 
Zeichner  beteiligt  gewesen  seien,  wenn  auch  freilich  diese 
Möglichkeit  nicht  bestritten  werden  kann.  Denn  ebensogut 
liesse  sich  denken,  dass  ein  und  derselbe  Zeichner  beim  Fort- 
schreiten seiner  Arbeit  von  H  bis  zu  M  in  nebensächlichen 
Dingen  gewisse  Abänderungen  seiner  Gewohnheiten  sich  ge- 
stattet habe. 

Die  Blätter  H  und  M  sind  nicht  die  einzigen  Überbleibsel 
jener  illustrierten  Willehalm-Handschrift,  von  denen  wir  Kunde 
haben.  Zuerst  im  Jahre  1839  gab  Karl  Roth  in  der  Vorrede 
zu  seiner  Ausgabe  ,Deutscher  Predigten'  S.  XXI  Nachricht 
von  zwei  Pergamentblättern  mit  andern  Stücken  aus  dem  Text 


222  Karl  V,  Amira 

von  Wolframs  Willehalm   und   mit   zugehörigen   Bildern.    Er 
glaubte  auch  zu  erkennen,  dass  diese  Blätter  mit  M  einem  und 
demselben  Codex  entstammten.    Nun  sind  sie  freilich  seit  ge- 
raumer Zeit  wieder  verschwunden.   Wenigstens  war  es  mir  trotz 
vieler  Bemühungen  ^)  unmöglich,    die  Schicksale  zu  ermitteln, 
die  ihnen  seit  etwa  1850  beschieden   waren.^)    Immerhin  be- 
sitzen  wir  eine,   wenn  auch  knappe  Beschreibung  von  ihnen, 
die  Karl  Roth  a.  a.  0.  und  in  seinen  DenkmäKlem  der  deutschen 
Sprache  (1840)  S.  XIV  gegeben  hat,  femer  einen  Abdruck  ihres 
Textes   in   eben   diesen   BenkmäMern  S.  73  —  76.     Seine  Mit- 
teilungen   reichen   aus,   um   den   Schluss   auf  die   Zusammen- 
gehörigkeit  der   Rothschen   Blätter   mit  M   und  H   zu   recht- 
fertigen.    Das    Format    war    ,EleinfolioS    die    Einteilung   die 
gleiche  wie  in  H  und  M,   insbesondere  wie  hier  der  Text  auf 
30  Zeilen  der  inneren  Kolumne  und  zwar  teilweise  in  Doppel- 
versen,   die   «ausgemalten   Figuren*   auf  der  breiteren   äusseren 
Kolumne  jeder  Seite  und  zwar  wiederum  in  ,drei  Reihen'  über- 
einander untergebracht.    Die  Schrift  war  ,8tark'  und  ,deutlich' 
und  wurde  von  Roth  in   die  ,Mitte  des  13.  Jahrhunderts'  ge- 
setzt.    Die  Initialen   der  einzelnen  Abschnitte  waren  ,abwech- 
selnd  rot  und  blau'.    Die  Textstücke  entsprechen  den  Stücken 
161,20-163,26  und  210,9—212,14  von  Lachmanns  Aus- 
gabe.   Demnach  entstammten  die  beiden  Blätter  verschiedenen 
Bogenlagen   des   Codex.     Die  Mundart   war   nicht,   wie  Roth 
meinte,  ,thüringisch',  sondern  genau  so  wie  in  H  und  M  mittel- 
hochdeutsch mit  Beimischung  mitteldeutscher  und  niederdeutscher 
Elemente,   wovon  hier  anzuführen  sind:   i  =  e  (iz,  ailiz,  lihiz, 
ir-Jy  sc  =  siy  de  =  die,  vor  =  ver-  (unvorlom,  vordroz),  vorstcn 
=  vilrsten,    anlautend   sc  (gescach,  scur,  marscalc,  ^scaft),  her 


^)  Neuerdings  (April  1903)  auch  einer  öffentlichen  Anfrage  im 
Lüeraturhiatt  für  germ.  u.  rom.  Phihl  XXIV  Sp.  141  f.  und  im  Ceniral- 
hlatt  für  Bibliothekswesen  XX  S.  208. 

2)  Die  Angabe  von  Piper  Wolfr.  v.  E,  I  193,  wonach  die  Roth- 
schen Bruchstücke  mit  den  von  Lachmann  mit  w  bezeichneten  in 
München  seiu  sollen,  beruht  auf  einem  Irrtum. 


Die  grosse  BilderlMndsehrift  von  Wolframs  Willehiilm.        223 

=  er,  uch,  tmer,  truwe  neben  sonst  regelmässigem  iu,  ferner 
dttrCj  nakdmr,  marJcrabe,  prubet,  die  Schreibweisen  inä^ery  impfen. 

An  Fehlern  der  Abschrift  sind  zu  vermerken :  der  Mangel 
der  Verse  27,  28  in  161,  femer  vraivede  anstatt  helfe  in  162,  5, 
:'d  anstatt  sjnl  in  162,  23,  alle  de  sint  für  die  halt  sint  in 
162,  28,  makliisin  für  malvesin  in  163,  16,  ich  ne  er  statt  ja 
möcht  ich  in  163,  22,  der  Mangel  von  mit  in  210,  13. 

Über  die  Herkunft  seiner  Fragmente  macht  Roth  keine 
genaueren  Angaben.  Er  bemerkt  nur,  sie  stammten  ,aus 
Sachsen^  und  seien  ihm  1838  von  Freundeshand  aus  weiter 
Ferne  zugesandt  worden.  Wahrscheinlich  hatten  auch  sie  so 
wie  H,  M  und  N  als  Bucheinband  gedient.  Denn  die  Hälfte 
der  Gemälde  des  zweiten  Blattes  war  der  Länge  nach  weg- 
^hnitten.  Die  Schrift  war  an  mehreren  Stellen  unleserlich 
xler  abgerieben. 

Teils  besser  teils  schlechter  als  mit  den  Rothschen  Frag- 
menten steht  es  mit  zwei  Pergamentblättern,  von  denen 
A.  Essen  wein  in  einem  Aufsatz  über  mittelalterliches  Waffen- 
wesen im  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1882 
Sp.  117 — 120  Mitteilungen  machte  und  Zeichnungsproben  ver- 
öffentlichte.*) Besser,  —  denn  diese  Blätter,  die  ich  mit  N 
bezeichne,  liegen  noch  heute  vor  im  Germanischen  Museum 
zu  Nürnberg  unter  Hz  1104,  1105.^)  Schlechter,  —  denn 
sie  ermangeln  alles  und  jeden  Textes.  Sie  befanden  sich  früher 
in  der  Sammlung  des  Grafen  Botho  v.  Stolberg  und  sind, 
wie  die  durch  beide  Blätter   laufenden   Längsfalten   beweisen. 


^)  Letztere  wiederholte  er  teilweise  in  seinem  Kulturhistorischen 
^üderatlas  Taf.  XXXXIII. 

*)  Mit  Unrecht  habe  ich  also  in  meiner  zitierten  Einleitung  S.  22 
'^ie  Angabe  von  Essenweins  Bilderatlas  über  den  Fundort  für  falsch 
^rWärt.  Ich  kannte  damals  nur  diese,  wendete  mich  mit  einer  Aufrage 
*^gen  der  Handschrift  ans  Germanische  Museum  und  erhielt  von  dort 
•iie  Antwort,  das  Museum  besitze  keine  derartige  »Handschrift'.  Erst 
ils  ich  mich  auf  Essenweins  Aufsatz  im  Änzeifjer  berufen  konnte,  wurden 
lüir  die  beiden  Blätter  nach  München  überschickt,  wofür  ich  hier  meinen 
^ank  abstatte.  In  der  Tat  stellen  sie  sich  heute  nicht  mehr  als  ,Hand- 
=ichriff  dar. 


224  Karl  y.  Amira 

von    Buchdeckeln    abgelöst.     Über   ihre   weitere    Herkunft  ist 
nichts  bekannt.     Jedes  der  beiden  Blätter  ist  der  Länge  nach 
wohl   schon   vom   Buchbinder   so  durchschnitten  worden,  dass 
selbst   ein   Teil   der  Bilder   verloren  ging.     Es  lässt  sich  also 
ihre  ursprüngliche  Breite  nicht  mehr  bestimmen;   die  heutige 
beträgt   bei  N  1   (=  Nr.  1104)  11,5,    bei   N2  (=  Nr.  1105) 
11,7  cm.     Die  Höhe   misst  bei  beiden  Blättern  jetzt  30,1  cm, 
was  der  ursprünglichen  Höhe  nahe  kommen  mag,  da  eine  Ver- 
kürzung nur  durch  Zusammenschrumpfen  des  Pergaments  ein- 
getreten   sein   kann.     Der   Grösse   nach   würde   also  N  zu  H 
passen.     Die   Blätter   sind   auf  beiden  Seiten  mit  leidlich  gut 
erhaltenen,  kolorierten  Federzeichnungen  bedeckt.    Von  irgend 
einer  Lineatur  ist  nichts  zu  bemerken.     Dass  einst  neben  den 
Bildern  ein  Text  stand,   ist  schon  darum  wahrscheinlich,  weil 
von  den  Bildern    nur   sehr  kleine   Stücke   fehlen,    die  Blätter 
aber  sehr  viel  breiter  gewesen  sein  dürften  als  ca.   12 — 13  cm. 
Lief  nun   ein    Text   nebenher,   so   kann   er   wie  in  H  und  M 
nur  die  innere  Kolumne  eingenommen  haben.    Wie  in  H  und 
auf  den    Rothschen  Fragmenten,   wie   ferner   der  Regel  nach 
auch  in  M,  so  stehen  auf  jeder  in  N  vorliegenden  Illustrations- 
kolumne  drei   Bilder   übereinander,    und  zwar,   wie  in  H  und 
teilweise  auch  M,  ohne  durch  Querlinien  voneinander  getrennt 
zu  sein.    Zeichnung  und  Kolorit  verraten  auf  den  ersten  Blick 
die  allerengste  Verwandtschaft  mit  M  und  insbesondere  mit  H. 
Die  kurzen  menschlichen  Leiber   von  knapp  fünf  Kopflängen 
und  mit  den  weit  aufgerissenen  Augen  in  den  breiten  Gesichtern, 
die  kräftigen  schwarzen  Umrisse,  die  Beschränkung  des  Farben- 
vorrats auf  Mennige,  Snialte,  Permanentgrün  und  Gold  ist  die 
gleiche    wie    dort.     Wie   dort,    so    sind   auch  hier  die  Farben 
flächig  und  stark  deckend  aufgetragen,   die  Umrisse  über  den 
Farben    der   Kleider    schwarz    nachgezogen,    aus    den    weissen 
Gesichtern  Lippen,  Wangen,   Stirnen   und  Nasenbeine  mittelst 
mennigroter  Linien    hervorgehoben,^)   die   Eisenteile   der  Rü- 

*)  Dieselbe  rote  Modellierung  ist  auch  auf  allen  andern  nackten 

Körperteilen  durchj^eführt. 


Die  grosse  BUderhandschrift  von  Wolframs  Wülehalm,        225 

stuDgen  blau  modelliert,  die  Hintergründe  weiss  gelassen.  Der 
Boden,  worauf  die  Figuren  stehen,  ist  bloss  auf  N  2  a^)  an- 
g^eben.  Die  Bilder  auf  N  1  gehören,  wie  schon  Essen- 
wein  bemerkte,  zu  der  gleichen  Szene  wie  die  von  von  H  1  a. 
Sie  zeigen  denn  auch  genau  das  gleiche  Kompositionsschema, 
die  gleichen  Kostüme,  die  nämliche  Zeichnung  der  Gesichter, 
der  Pferde,  der  Gebäude,  die  nämliche  Charakterisierung  des 
Panzergeflechts.  Wahrscheinlich  aus  diesen  Übereinstimmungs- 
merkmalen hat  denn  auch  Essenwein  auf  die  Zusammen- 
gehörigkeit von  N  und  H  geschlossen,  ein  Schluss,  worin  er 
»ch  nur  bestärkt  gesehen  hätte,  wenn  er  M  gekannt  hätte. 
Denn  die  aus  M  bekannte  Figur  des  Rennewart  tritt  genau 
äo  in  N  2  a  auf,  während  hier  ausser  dem  allgemeinen  Cha- 
rakter von  Zeichnung  und  Malerei  weitere  Vergleichungspunkte 
fehlen.  Jedenfalls  beziehen  sich  die  Dlustrationen  auf  Szenen 
aus  Wolframs  Willehalm.  Die  sechs  Bilder  auf  N  1  (un- 
vollständige Beispiele  bei  Essenwein  a.  a.  0.)  schildern  die 
oben  S.  219  erwähnte  Disputation  zwischen  Gyburg  und  Ter- 
ramer  etwa  von  216,6 — 219,16,  so  dass  sich  an  N  1  un- 
mittelbar H  1  anschliesst.  Auf  N  2  dagegen  sind  die 
letzten  Begebenheiten  zu  Orange  vor  dem  Ausrücken  Wille- 
halms und  seiner  Gäste  zur  Schlacht  von  Alischanz  dar- 
gestellt, wie  sie  die  Verse  311,  10 — 312,28  beschreiben.  Man 
sieht,  wie  der  alte  Heimrich  den  Tischgenossen  ihre  Plätze 
anweist,  wie  Willehalm  allein  es  fertig  bringt,  Rennewarts 
Stange  wenigstens  bis  über  seine  Knie  aufzuheben,  wie  aber 
dann  Rennewart  die  Stange  mit  einer  Hand  über  sein  Haupt 
schwingt  »wie  eine  Sommerlatte".  Man  sieht  ferner  in  zwei 
bunten  Reihen  die  Tischgenossen  an  den  Tafeln,  an  der  ersten 
i^n  Rennewart  neben  der  Gyburg,  nur  stückweise  erhalten, 
aber  kenntlich  gerade  noch  an  dem  erhaltenen  Stück  seines 
Eisenhutes,  —  man  sieht  endlich,  wie  die  Fürsten  unter  Heim- 


^)  Sowohl  Nr.  1104  als  Nr.  1105  sind  Jetzt  auf  den  Untersatzkartons 
verkehrt  aufgeheftet,  so  dass  die  Rektoseiten,  die  ich  mit  a  bezeichne, 
^ie  Rückseiten  bilden. 


226  Karl  V.  Amira 

richs  Führung  Urlaub  nehmen.  N2  ist  also  nach  H2  zu 
setzen.  Was  nach  all  dem  vielleicht  noch  einen  Zweifel 
daran  wecken  könnte,  dass  wir  es  in  N  wirklich  mit  Bruch- 
stücken desselben  Codex  zu  tun  haben,  von  dem  H  und  M 
herrühren,  das  ist  das  Fehlen  von  Buchstaben  in  den  Bildern. 
Auch  auf  den  weggeschnittenen  Innenrändern  der  letzteren 
können  Buchstaben  kaum  gestanden  sein,  weil  diese  Ränder 
zu  schmal  waren.  Man  wird  aber  auf  diesen  Mangel  kein 
Gewicht  legen  dürfen.  Denn  die  Anfange  der  einschlägigen 
Abschnitte  des  Gedichtes  können  auf  verlorenen  Blättern  illu- 
striert gewesen  und  dort  mögen  auch  ihre  Initialen  gestanden 
sein.  Man  wird  vielmehr  ruhig  annehmen  dürfen,  dass  uns 
in  N  1  das  letzte  Blatt  von  Lage  XII  erhalten  ist,  während 
N  2  etwa  der  XVIII.  Lage  angehörte. 

Damit  ist  nun  aber  der  Vorrat  an  Bruchstücken  des  zer- 
störten Buches,  die  bis  jetzt  ermittelt  werden  konnten,  auch 
erschöpft.  Er  ist  kümmerlich  genug,  reicht  aber  doch  aus. 
um  uns  wenigstens  eine  deutliche  Gesamtvorstellung  von 
dem  Codex  zu  verschaffen.  Es  war  ein  Band  von  ungefähr 
30,4  cm  Höhe  und  22,4  cm  Breite,  zusammengesetzt  aus  2S 
bis  29  Lagen  zu  je  4  Pergamentbogen.  Den  einspaltig  und 
wahrscheinlich  ganz  von  einer  und  derselben  Hand  geschrie- 
benen Text  zu  regelmässig  30  Zeilen  abgesetzter  Verse  be- 
gleiteten ohne  Unterbrechung  breite  Kolumnen  mit  kolorierten 
Federzeichnungen,  gemeiniglich  je  3  auf  einer  Kolumne.  Die 
Wiederkehr  der  abwechselnd  roten  und  blauen  Initialen  der 
Textabschnitte  erhielt  die  Verbindung  der  letzteren  mit  den 
zugehörigen  Bildern  oder  Bildergruppen  aufrecht.  Die  Illumi- 
nation hat  wahrscheinlich  nicht  der  Zeichner  selbst  ausgeführt. 
Denn  in  N  finden  sich  Korrekturen  der  Zeichnung,  die  von 
des  Malers  Hand  herrühren.  Dreimal  hat  er  auf  1  b  fehlen- 
des Zaumzeug  ergänzt.  Auf  2  a  hat  er  die  Stellung  eines 
Fusses  verbessert.  Die  Zahl  der  Bilder  muss  sich  auf  rund 
1380  belaufen  haben,  wenn  der  Kodex,  wie  wir  annehmen 
müssen,  aus  230  Blättern  bestand.  Es  war  wohl  die  reich- 
haltigste   Bilderhandschrift,    von    der   wir   zwischen   1200  und 


Die  grosse  Büderhandschrift  von  Wolframs  WÜlehcdm,        227 

1350  Kunde  haben,  —  reichhaltiger  insbesondere  als  selbst 
die  grossen  Bilderhandschriften  des  Sachsenspiegels,  deren  Dar- 
stellungen an  Zahl  um  mehrere  Hunderte  hinter  denen  der 
Willehalm-Handschrift  zurückblieben.  Wir  dürfen  daher  den 
zerstörten  Kodex  ohne  weiteres  als  die  ,grosse*  Bilderhand- 
schrift des  Willehalm  bezeichnen. 

Zu  einem  Vergleich  mit  den  eben  genannten  Sachsen- 
spiegel-Handschriften fordert  aber  unsere  Willehalm- 
Handschrift  auch  noch  in  mehreren  andern  Beziehungen  auf. 
Xur  mit  ihnen  hat  sie  die  ununterbrochene  inhaltliche  wie 
räumliche  Parallele  zwischen  Text  und  Illustration  gemein, 
insbesondere  die  Aufreihung  der  Bilder  in  Kolumnen  Seite  für 
Seite,^)  wobei  durch  die  ausschliessliche  Anordnung  der  Bilder 
in  der  äusseren  Kolumne  der  Oldenburger  Sachsenspiegel- 
codex die  nächste  Verwandtschaft  zum  Willehalm-Codex  zeigt. 
Durch  diesen  Parallelismus  von  Wort  und  Bild  unterscheidet 
sich  unsere  Willehalm-Handschrift  von  andern  illustrierten 
Handschriften  desselben  Gedichtes  ebenso  wie  die  Codices  pic- 
torati  des  Sachsenspiegels  von  den  sonstigen  mit  Bildern  ge- 
zierten Handschriften  dieses  Rechtsbuches.  Gemeinsam  ist 
femer  allen  jenen  Handschriften  und  nur  ihnen  die  Verbindung 
der  Illustrationen  mit  dem  Texte  durch  die  Initialen.  Gemein- 
schaftliche Charakterzüge  zeigen  sich  aber  auch  im  Stil  der 
Illustration.  Schlachtschilderungen  freilich  mit  einem  solchen 
Menschengedränge  wie  in  M  (z.  B.  Taf.  II,  III),  werden  wir 
unter  den  Sachsenspiegelbildern  vergeblich  suchen.  Abküi*zende 
Darstellungen  femer,  wie  sie  H  2  vom  Herannahen  der  frän- 
kischen Heerscharen  entwirft,  auch  das  lebhafte  Geberdenspiel 
der  Hände,  wie  wir  es  in  N  und  H  antreffen.  Hegen  durchaus 
im  Geiste  der  Malerei  des  hohen  Mittelalters  überhaupt.  Anders 
verhält  es  sich  jedoch  mit  der  vorwaltend  symbolisierenden 
Richtung  dieser  Illustrationen.    So  summarisch  zeichenhaft  wie 


^)  In  dieser  Beziehung  hatte  schon  Mono  H  mit  der  Heidelberger 
Bilderhs.  des  Sachsenspiegels  verglichen,  Teutsche  Denkmäler  I  1820 
^p.  XII  und  ÄmeUjer  f.  Kunde  d.  deut.  Vorzeit  1836  Sp.  178. 


228  Rad  V.  Ämra 

hier  ist  die  menschliche  Gestalt  und  insbesondere  das  mensch- 
liche  Antlitz    nicht   nur   nicht   in   den  Bildern   zu  Werinhers 
Marienleben,   sondern   auch   nicht   in   solchen  Zyklen  wie  der 
Berliner  Eneidt  oder  dem  Münchener  Tristan,  dagegen  durch- 
aus in  den  Bildern  zum  Sachsenspiegel  behandelt.    Gemütsbe- 
wegungen  finden   lediglich  in  Handgeberden   ihren  Ausdruck, 
die,    wenn    man    aus   N   weitergehende   Schlüsse  ziehen  darf, 
ziemlich  mannigfaltig  waren.     Es  kommen   dort   vor:   der  be- 
kannte Trauergestus   (bei  Essenwein  Sp.  119),  das  Pingerauf- 
strecken als  Gestus  der  Aufmerksamkeit  und  des  Befehls,  das 
Übereinanderlegen  der  gesenkten  Hände  an  den  Gelenken  zum 
Zeichen  der  Bescheidenheit.   Tieferem  Eingehen  ins  Individuelle, 
wie  es  doch  bei  den  Grössenverhältnissen  der  Figuren  möglich 
gewesen  wäre,   war  wohl  die  Massenhaftigkeit  der  Produktion 
hier  ebenso  hinderlich,  wie  bei  den  Zeichnungen  zum  Sachsen- 
spiegel.    Eine  Ausnahme  macht  der  Zeichner  nur  bei  Renne- 
wart,  dem   er   wenigstens   in  M   riesenhaften  Wuchs  verleiht. 
Aber  bei  dieser  Gestalt  symbolisiert  eben  die  individuelle  Grösse 
die  riesenhafte  Leibeskraft,  womit  das  Gedicht  den  Rennewart 
ausstattete.    So  symbolisiert  in  M  und  N  der  Bart  das  Alter  von 
Terramer  und  Heimrich,  ein  Symbol,  das  genau  die  gleiche  Be- 
deutung auch  in  den  Sachsenspiegelbildern  hat.  *)  So  symbolisiert 
ferner  den  Gegensatz  von  Heiden  und  Christen  die  Form  des  Kopf- 
schutzes.   Die  Heiden  tragen  den  altmodischen  eisernen  Spitz- 
helm über  der  Halsberge,  die  das  Gesicht  frei  lässt,  die  Christen 
den   modernen   Topfhelm.     Eine    gekrönte   Frauengestalt   be- 
deutet Gyburg,  diu  kiiner/inne,  ein  alter  Mann  mit  der  Grafen- 
mütze auf  dem  Kopf  den  Grafen  Heimrich  von  Narbonne.    Be- 
sondere Beachtung  aber  verdient  ein  symbolisches  Stück  der  Tracht, 
das  wir  genau  in  der  nämlichen  Form   und   in   der  nämlichen 
Bedeutung  wie  in  N  2  auch  in  den  Zeichnungen  zum  Sachsen- 
spiegel der  Y- Gruppe   wiederfinden,   —   die  Bundmütze,  über 
deren  hinteren  Teil    ein    schwarzer  Reif  mit  drei  lilienartigen 


^)  S.  die  Einleitung  zur  Dresdener  Büderhandschrift  des  Sachsen- 

Spiegels  S.  25. 


Die  growt  SUderhandtehrift  mm  Wotfranu  WOlAalm.         229 

Blumen  oder  BlätterD  gelegt  ist  Man  vergleiche  mit  dem  unten 
gegebenen  Beispiel  aus  N  2  Taf.  XXV  Nr.  1,  IV  Nr.  2-5, 
V  Nr.  8  der  Teutsehm  Lenkm^er  und  Taf.  62  a  Nr.  2—4, 
fi?»Nr.  4,  68b  Nr.  2,  74a  Nr.  3,  85a  Nr.  3,  86  a  Nr.  2—4, 
SH  Nr.  2,  91b  Nr.  1 — 5  meiner  Ausgabe  der  Dresdener 
Bäderkmdsehrift.^)  Dort  wie  hier  charakterisiert  die  mit  einem 
solchen  Schapel  gezierte  Bundmtltze  den  .Fürsten',  und  von 
J'Disten'  redet  denn  auch  im  Gedichte  der  zu  N  2  gehö- 
rige Text 


Dem  symbolisierenden  Grundzug  der  bildnerischen  Erfin- 
iwg  entspricht  nun  durchaus  jene  naive  Wortinterprotation, 
'\k  alle  kom  Position  eilen  KUcksichten  beiseite  setzt  und  gleich 
"eit  eigentlich  nur  wieder  in  den  Zeichnungen  zum  Sachsen- 
spiegel getrieben  ist.^)  Es  ist  als  besonderer  Glücksfall  zu 
Wtrachten,  dass  uns  hierüber  N  1  und  H  1  mit  einer  Reihe 
^^bster  Beispiele  belehren,  zunächst  in  den  Bildern  zur  Dispu- 
tation zwischen  Gjburg  und  ihrem  Vater  Terramer.  Oben 
ins  dem  rundbogigen  Fenster  eines  Turms  beugt  sich  in  Hals- 
«tge   und  Waffenrock    eine   gekrönte   Frau,   Gyburg,   die    in 

')  An  den  vielen  andern  Stellen  der  Dresdener  Ha.  ist  die  Zeichnung 
^  Sduipel  durch  übermalnnfr  unkennttich  geworden. 
')  8.  hierllber  die  dtierte  Einieitung  8.  23  ff. 

'NL  Utitib.  d.  rbUsK-ldillaL  n.  d.  hM.  KL  16 


230  Karl  V.  Ämira 

Abwesenheit  ihres  Mannes  die  Verteidigung  von  Orange  gegen 
Terramer  leitend  selbe  dicke  wäpen  truc.   Unten  hält  ein  Reiter, 
ebenfalls  in  voller  Rüstung  und  so  gross,  dass  sein  Kopf  sich 
auf  gleicher  Höhe  wie  Oyburgs  Fenster  befindet.    Eine  Krone 
um  seinen  Helm  will  ihn  uns  als  den  König  Terramer  zu  er- 
kennen  geben.     So   neunmal.     Das  erste  Mal  (bei    Essenwein 
Sp.  117)   deuten   beide  mit  Fingern  auf  einen  zwischen  ihnei 
schwebenden    grossen   Stern.      Er    ist    der   Repräsentant   de: 
Sterne,    denen   nach    den  Worten   Gyburgs   ,Äliissinius*  seinen 
Lauf  gab.     Unten   am   Fuss   der  Feste   wälzt   ein  Fluss  seine 
Wogen,  weil  Ojburg  von  ,Altissimus*  sagt,  dass  er  (d  ^n  dinc 
so  sprehet,  mit  fluzze  ursprinc  der  brunnen.     Auf  dem  zweiten 
Bilde    deuten    die    Beiden   auf  das   in  Oold   nimbierte   Haupt 
Gottes,   das   innerhalb  eines  grösseren  roten  Nimbus   zwischen 
ihnen  erscheint.     Der  Beschauer  soll  sehen,  auf  wen  sich  6y- 
burg  beruft  und  wessen  Kräfte  Terramer  anzweifelt.  Das  dritte 
Bild   zeigt  uns   nur   Vater   und  Tochter  in   leidenschaftlicher 
Gestikulation.   Auf  dem  vierten  dagegen  deutet  Terramer  rück- 
wärts  auf   ein  Götzenbild,   unterhalb    dessen    noch    ein  Stück 
von  einer  auf  ihn  zeigenden  Hand   erhalten  ist.     Das  Götzen- 
bild stellt  ,Mahumet*    vor,    auf  den  sich  in  seiner  Erwiderung 
Terramer   beruft.     Die    Hand   gehörte   entweder  dem   Tybald 
oder  dem  fiäruc\   auf  die  Terramer   die  Schuld   an  der  Heer- 
fahrt   schiebt.     Auf    dem   fttnften    Bilde    deuten    Vater    und 
Tochter  wieder  auf  das  in  Gold  nimbierte  Haupt  Gottes,   Gy- 
burg   zugleich   auf  die   unten    am    Fusse    der  Feste    stehende 
nackte    Gestalt    der   Eva,    die   sich   mit   der   Rechten,    wie  in 
mittelalterlichen  Darstellungen   allgemein  üblich,   einen  Laub- 
büschel  vor   die   Scham,    die  Linke  aber   vor  die  Brust   hiilt 
Damit  will  der  Zeichner  den  Vorwurf  der  Gyburg  veranschau- 
lichen, daz  du  mich  scheiden  wUt  von  dem,  der  frouwen  Eva] 
gap  die  schem  daz  si  alrerst  verdact  ir  brust.   Das  nächste  Bild 
zeigt    die    gleiche    Gestikulation    von   Gyburg    und   Terramer. 
Aber  diesmal  deuten  beide  auf  eine  gelbe  Scheibe,   worin  eng 
beieinander  drei  Häupter,  das  mittlere  mit  Goldnimbus,  sieht« 
bar   werden.     Das   ist  die  tnnitat  von  der  Gyburg   behauptet, 


Die  grosse  Büderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm,        231 

Terramer  bestreitet,   dass   sie  Adam  und   sein  Qeschlecht  auB 
Hollenbanden  erlöst  habe.    Eben  darum  deutet  Gyburg  gleich- 
zeitig noch  auf  eine  Szene  am  Fusse  ihrer  Burg,  wo  ein  Teufel 
einen  Menschen  in  den  Höllenrachen  hinabstösst,  die  hdlediche 
mrt,  die  Adams  geslöMe  fuor  um  Evas  Schuld.   Die  unmittelbar 
folgende  Bildergruppe  (H  1  a)  führt  sich  zwar  mit  der  Initiale 
Ton  221, 1  {Mines  taufes  scone  ich  gerne)   ein.     Doch  gehört 
das  erste  Bild  noch  zum  Vorausgehenden  von  219, 18  an.   Die 
Geberden  von   Gyburg   und   Terramer  sind    die   gleichen  wie 
zuTor.   Aber  beide  zeigen  jetzt  auf  das  in  Goldnimbus  zwischen 
ihnen  schwebende   Haupt  Christi,    weil   Terramer  bezweifelt, 
iier  am  Kreuz  gestorbene  Jesus  von  Nazareth  habe  die  Höllen- 
pforte gebrochen,    und   weil   Gyburg   erwidert,    während  Jesu 
Menschheit   am   Kreuze  den  Tod   erlitten,   sei  sein  Leben  aus 
der  göttlichen    Stärke    erblüht    und    habe    die    Gottheit    der 
Menschheit   das  Leben   erworben.     Am  Fusse  der  Burg  aber 
Imt  der  Zeichner  den  Schild  Willehalms   angebracht,    weil 
Cjbarg  erklärt,   dem  treu  bis  in  den  Tod  bleiben  zu  wollen, 
den  man     ^dienestUchen   sach   under   schiitlichem   dache   hl 
si'ihem  ungemache  da  man  den  lip  durch  wirde  sierV.  Man  sieht 
ferner  dort   ein    mächtiges   Schliesseisen   mit  Kette,   weil 
Gyburg   sich  rühmt:    ;von  pogen  (Fesseln)  unde  von  andrem 
i'ersmiden  (geschmiedeten   Banden)  machete  ich  in  ledkh  an 
öffe»  Uden.'     Wie  in  der  vorigen  Szene  auf  Christi  Haupt,  so 
zeigen  in  der  nächsten  (bei  Kugler  a.  a.  0.)  Vater  und  Tochter 
auf  eine    zwischen    ihnen    schwebende   Krone,    weil    Gyburg 
g^z  beiläufig  einfliessen  lässt,  in  Todjerne  habe  Terramer  sie 
gebönt.     Auf   dem    dritten    Bilde    derselben    Kolumne,    dem 
beteten  dieser  Gruppe  (Taf.  I)  deuten  die  beiden  auf  ein  zwischen 
iWn  hingezeichnetes  Oval,  worin  man  ein  befestigtes  Gebäude 
eri)lickt;  es  ist  das  Land  Todjerne,  Gyburgs  Heimsteuer,  worauf 
sie  zu  Gunsten  ihres  früheren  Gemahls  Tybald  verzichten  will, 
öder  aber  überhaupt  eines  der  verschiedenen  Länder,  auf  die  nach 
ilifer  Aussage  Tybald  Anspruch  erhebt.    Auf  der  nächsten  Ko- 
lumne (bei  Mone  a.  a.  0.)  macht  die  Unterredung  zwischen  Gyburg 
ind  Tybald  den  Anfang.   Wieder  schaut  Gyburg,  diesmal  jedoch 

16* 


232  Karl  v.  Ämira 

ungerttstet,   aus    dem  Turmfenster  berab.     unten  halten  zwei 
gewaffhete   Reiter,   deren   Helme   von   Kronen   umgeben  sind. 
Wir   sollen   in   ihnen   Tybald  und  seinen  und  Ojburgs  Sok 
Echmereiz  erkennen.     Beide  reichen  wieder  mit  ihren  Köpfen 
bis    zum   Burgfenster  hinauf.     Tybald   hält  der  Gyborg  eine 
starke  Schlinge   hin,   die  ,mde%   womit  er  ihr  nach  dem  Text 
drohte,   während   Echmereiz    ihn   beschwichtigend  am  link» 
Arm   packt.     Auch   auf  den  beiden  andern  Bildern  derselben 
Kolumne   erscheint  Oyburg   im   Turmfenster.     Das    zweitemal 
liegen   am   Fusse   des   Burgberges   zwei  Krieger,    die   Toten, 
deren    snuic   da   grojs   tvas.     Auf   der   linken  Hälfte  desselben 
Bildes,    wo  Terramer  Kriegsrat   hält,    erblickt  man  hinter  d^r 
Szene,    auf  dem  Rande   unter  dem  Text,    die  Zeichnung  eines 
Schiffes,   weil   das  her  in  cd  gemeine  bat,  er  scite  Iceren  gm 
der  habe.    Bis  ins  einzelne  stimmt  also  in  der  symbolisierenden 
Interpretation   des  Wortes   die  Willehalm-Blustration   mit  der 
Sachsenspiegel-Illustration   überein.     Dort   wie   hier   die  bild- 
liche Darstellung   von   nur  gedachten  Oegenständen;  dort  wie 
hier   die  Handgeberden,   womit  die  Menschen  ihre  Brede  nicht 
begleiten,    sondern   dem   Beschauer   des   Bildes   symbolisieren; 
unter  den  Symbolen  des  Redeinhalts  endlich  eines,    wozu  sich 
Seitenstücke   gerade   nur  wieder  in  den  Bildern  zum  Sachsen- 
spiegel  finden,    das    Zeichen    für   ein  bestimmtes   Land   oder 
Gundstück.1) 

Diese  Belege  subjektiver  Symbolik  des  Künstlers  liefern 
zugleich  wieder  den  Beweis  dafür,  wie  wenig  auf  derartige 
Illustrationswerke  die  Bilderschrifttheorie  zutrifft.*)  Weit  ent- 
fernt, auf  lesensunkundige  Beschauer  zu  rechnen,  setzen  die 
Bilderreihen  zum  Willehalm  gerade  so  wie  die  zum  Sachsen- 
spiegel die  Lesung  des  Textes  voraus,  ohne  den  sie  gar  nicht 
verstanden  werden  können  und  auf  den  die  Bildbuchstaben 
verweisen.  Sie  beleuchten  aber  auch  die  ganze  Haltlosigkeit  der- 
jenigen Theorie,  wonach  die  Möglichkeit  der  deutschen  Ulustra- 


1)  Vgl.  die  angeführte  Einleitung  S.  23. 

2)  Vgl.  die  angeführte  Einleitung  S.  20  f. 


Die  grosse  BÜderhandschrift  von  Wolframs  Wälehälm.        233 

tionstechnik   des  späteren   Mittelalters   auf  dem  Reichtum  der 

überlieferten   nationalen  Bechtssymbolik  beruhe  und  erst  auf 

der  Grundlage  der  Bechtssymbolik  ein  Verständnis  der  Eigen* 

tflmlichkeiten    dieser   Technik    erwachse.^)    Nichts    deutlicher 

n'elmehr  als  die  Leichtigkeit,  womit  noch  am  Ende  des  Hoch- 

mittdalters  die  Phantasie  naiver   Zeichner   sich   ihre  eigenen 

Symbole  erfindet,   sobald   sie  im  Dienst  des  obersten  Zweckes 

der  Illustration,   des  Yeranschaulichens,  symbolisierender  Dar- 

steliungsmittel  zu  bedürfen  glaubt. 

Bei  der  nahen  Verwandtschafb,  die  sowohl  hinsichtlich  des 
Zwecks  und  Stils  der  Zeichnungen  als  auch  in  Bezug  auf  die 
äussere  Anlage  zwischen  den  grossen  Bilderhandschriften  des 
Sachsenspiegels  einer-  und  jener  des  Willehalm  andererseits 
obwidtete,  muss  der  Versuch,  Zeit  und  Heimat  der  letzteren 
gaiauer  zu  ermitteln,  ein  besonderes  Interesse  gewinnen.  Wir 
seilen  uns  da  allein  auf  Schlussfolgerungen  aus  dem  Inhalt 
der  Bruchstücke  angewiesen.  Vorweg  sei  darum  bemerkt,  dass 
in  diesen  nicht  etwa  eine  Kopie,  sondern  das  Original  der 
lUostrution  vorliegt,  was  sich  zweifelsfrei  aus  der  Art  ergibt, 
wie  in  M  die  figurenreichen  Schlachtenbilder  grossenteils  in 
den  Yon  den  Schrifbzeilen  freigelassenen  Raum  hineinkompo- 
niert sind. 

Zur  Begrenzung  der  Heimat  haben  wir  Anhaltspunkte 
nur  in  den  mundartlichen  Eigenheiten  des  Textes.  Diese  sind, 
^e  schon  erwähnt,  überwiegend  mitteldeutsch.  Eine  sorg- 
Slügere  Sichtung  ergibt,  dass  es  sich  nur  um  ostmitteldeutsch 
Wdeln  kann.  Die  Substitution  von  vor  für  ver  und  für,  von 
wrsten,  warf  für  vursten,  wurf,  von  ia,  ir-  für  es,  er-  der  Ab- 
fall von  t  in  nackt  ^  die  Schreibungen  ndkebur,  hockgemut, 
^krabe,  frühen,  dann  aber  auch  durc,  sie  sprechen  mit  Ent- 
^luedenheit  dafür.  Gleichwohl  dürfte  die  Annahme,  der  Schreiber 
sei  ein  Ostmitteldeutscher  gewesen,  ausgeschlossen  sein,  dat 
und  swe  =  swie,  femer  auch  de,  se,  men,   die  anlautenden  sc 


^)  So  E.  Lamprecbt  im  Bepertorium  für  Kunstwissenschaft  VIT 
1Ö84  Seite  i08. 


234  Karl  v,  Amira 

erklären   sich   weit  eher  in  der  Feder   eines   Niederdeutschen, 
der    im    übrigen   dazu   neigte,    gewissen   Schreibgewohnheiten 
seines    ostmitteldeutschen    Aufenthaltsortes    zu    folgen.    Dann 
aber   dürfen   wir   um   so   sicherer    auf   ostmitteldeutschen 
Entstehungsort  schliessen,    eine  Annahme,    der  das  wenige, 
was  wir  von  der  Herkunft   der  einzelnen  Bruchstücke  wissen, 
nur  zustatten  kommen  kann.    Die  münchener  Blätter  befandet: 
sich,   bevor  sie   an   ihren  jetzigen  Verwahrungsort  gelangten, 
in  Meiningen.  Die  Rothschen  Fragmente  stammten  ,aus  Sachsen'. 
Was   das   Alter   betrifft,    so   behauptet  Mone,   H  gehöre 
dem  , Anfang  des  13.  Jahrhunderts'  an,  ebenso  wie  vermeintlich 
die  heidelberger  Bilderhandschrift  des  Sachsenspiegels,   und  er 
glaubte,    sie  sei  für  den  Landgrafen  Hermann   von  Thüringen 
gefertigt,  der  den  Dichter  des  Willehalm   mit  seiner  französi- 
Quelle  bekannt  gemacht  hat.    Essenwein  wäre  sogar  geneigt, 
wegen  gewisser  Waffenformen   in   N   und    H   die  Handschrift 
noch  ins  12.  Jahrhundert  hinaufzurücken   und  eine  Bemerkung 
auf  den  Untersatzkartons  zu  N  gibt  denn  auch  an :  ,12. — 13.  Jhrh/ 
Bartsch   dagegen    nennt,   ohne   Gründe   anzuführen,    als  Zeit 
von  H  das  ,XIV.  Jahrhundert'.    Gegen  eine  so  späte  Datierung 
würde  nun  freilich  schon  der  Schriftcharakter  sprechen:  offenes 
a,  z  ohne  den  mitten  durchgehenden  Querstrich,  der  noch  ziemlich 
gerade  Unterscheidungsstrich  über  dem  i,   langes  s  am  Wort- 
ende, alle  diese  Merkmale  kommen  miteinander  schwerlich  noch 
in  einer  mitteldeutschen  Schrift  nach  1300  vor.  Andererseits  er- 
weisen sich  die  Mone-Essenweinschen  Zeitbestimmungen  als  ver- 
früht. Sie  lassen  ausser  acht,  dass  das  Gedicht  nicht  vor  dem  Tode 
des  Landgrafen  Hermann^)  (April  1217),  ja  kaum  vor  1220*) 


*)  Lachmann,  D.  Oedichte  Wältkera  v.  d,  Vogelw.^  S.  139  (zu 
17,  11  f.).  San  Marte  in  Ersch  t*.  Qruber  I  Bd.  38  S.  32.  P.  Piper 
Wolfram  v.  E,  I  S.  30.   Vofft  in  Paula  QrundriBs^  II  S.  197. 

2)  In  240,  241  erzählt  Wolfram,  seine  Vorlage  umdichtend,  es  hätteu 
Heimrich  le  chOtif  und  Giselbert  sich  im  Dienst  des  Patriarchen  von 
A<,'lei  an  einem  Krie^  pregen  Venedig  beteiligt.  Ein  solcher  Krieg  lässt 
sich  zu  Wolframs  Zeit  in  den  Jahren  1220  und  1221  nachweisen.  Auf 
der    einen   Seite  standen  der  Patriarch  Berthold    von  Aquileja  und  die 


Die  grosse  Büderhandechrift  Don  Wolframs  Wiüehalm,        235 

yollendet  wurde.  Die  Verwandtschaft  der  heidelberger  Bilder- 
handschrift  des  Sachsenspiegels  aber,  wenn  sie  überhaupt  einen 
sicheren  Schluss  zuliesse,  würde  auf  eine  sehr  yiel  spätere  Ent- 
stehuDgszeit  des  Willehalm-Codex  führen,  seitdem  wir  wissen, 
dass  jene  frühestens  dem  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  an- 
gehört ^)  Jedenfalls  müssen  wir  mit  der  Zeitbestimmung  tiefer 
herabgehen.  Dazu  nötigt  schon  die  Fehlerhaftigkeit  des  Textes. 
Eine  so  grosse  Menge  von  Verderbnissen  ~  neben  einer  nicht 
minder  grossen  Menge  von  z.  Z.  nicht  näher  zu  beurteilenden 
Varianten  --,  wie  sie  die  wenigen  Bruchstücke  aufweisen,  yer- 
tragt  sich  nicht  nur  nicht  mit  einer  Art  von  offizieller  Ab- 
schrift, sondern  auch  schwer  mit  einer  Abschrift,  die  der  Ab- 
fassungszeit sehr  nahe  stehen  würde.  Auch  die  nicht  mehr 
sehr  festen  Schreibregeln  deuten  auf  eine  spätere  Zeit  als  die 
ersten  Jahrzehnte  nach  1200. 

Etwas  genauere  Schlüsse  gestatten  die  Bilder.  Unter  den 
Werken  der  thüringisch -sächsischen  Malerei  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  wie  wir  sie  jetzt  aus  Haseloffs 
Darlegungen  kennen,  und  ebenso  unter  denjenigen  vom  Schlag 
der  Hamerslebener  Bibel  im  Domgymnasium  zu  Halberstadt 
oder  der  illuminierten  Federzeichnungen  im  Cod.  Heimst.  425 
2u  Wolfenbüttel  würde  die  Willehalm-IUustration  fast  ebenso 
isoliert  dastehen  wie  die  heidelberger  Bilderhandschrift  des 
Sachsenspiegels.  Höchstens  die  Zeichnung  der  Haare  in  Parallel- 
linien und  der  überwiegende  Gebrauch  deckender  Farben  er- 
innert an  jene  ältere  Eunstweise.  Dazu  stimmen  nun  auch 
kostümliche  Beobachtungen.  Unter  den  verschiedenen  Formen 
des  flachen  Dreieckschildes,  die  in  M  vorkommen,  herrscht 
diejenige  vor,  die  an  den  geradlinigen  Oberrand  die  rein 
sphärischen  Seitenränder  rechtwinkelig  ansetzt.  Diese  Form 
findet  sich  zwar  schon  auf  einem  Hennebergischen  Siegel  von 


^tadt  Padoa,  aaf  der  andern  Venedig  im  Bunde  mit  Treviso.  Die  Feind- 
'cligkeiten  waren  so  heftig,  dass  im  September  1221  der  Patriarch  als 
ineendiarius  bezeichnet  werden  konnte.  Rolandinus  Patav.  Chrofi.  II  1 
l^on.  Oerm.  SS.  XIX  47  f.),  Winkelmann  Jahrh,  Friedrichs  II.  1  S.  176, 
^)  S.  die  dtierte  Emleitung  S.  17. 


236  Karl  o.  Amra 

1212,^)  hat  aber  weitere  Verbreitung  erst  im  zweiten  Drittel 
des  13.  Jahrhunderts   erlangt.     In   der  grossen  Sammlung  der 
^Westfälischen  &egd*,   die   eine  ausreichende  Menge  von  Yer- 
gleichsobjekten  aus  einem  geschlossenen  Oebiet   enthält,  trifil 
man  sie  nicht  vor  1241')  und  auch  yon  da  an  bis  zum  dritten 
Drittel    des   Jahrhunderts   nur   selten.')    Sogar   die   wahrend 
dieser  Zeit  herrschende  Form,  bei  der  die  sphärischen  Seiten- 
ränder  in  spitzem  Winkel  ansetzen,  reicht  unter  jenen  Siegeln 
nicht  über  1240  zurück.^)     Bis  dahin  und  noch  später  waren 
vorzugsweise  der  verkürzte  normannische  Schild  mit  sphärischem 
Oberrand   und   abgerundeten  Oberecken,')  wie   man  ihn  auch 
in   der   Berliner   Eneidt-Handschrifb  sieht,   und   der   Dreieck- 
schild') mit  geradlinigen  Rändern  in  Gebrauch.  Zum  nämUchen 
Ergebnis  gelangt  man  aber  auch,    wenn  man  die  Beispiele  in 
Seylers    Geschichte  der  Siegel  durchmustert.     Abgesehen  von 
dem  oben  genannten  Hennebergischen  ist  dort  das  älteste  Siegel, 
das  einen  Dreieckschild   mit  rechtwinklig  ansetzenden  Seiten- 
rändem   zeigt,    von  1233,   die  nächsten  von  1242 — 1254  und 

M  Bei  A.  Seyler  Gesch.  der  Siegel  Nr.  237. 

«)  Westfäl.  Siegel  IV  1  Taf.  167  Nr.  1. 

•)  Westfäl  Siegel  IV  2  Taf.  205  Nr.  1  (1264),  II  1  Taf.  45  Nr.  9 
(a.  1261).  —  S.  dagegen  IV  3  Taf.  263  Nr.  4  (a.  1274),  IV  2  Taf.  195 
Nr.  1  (a.  1275),  IV  3  Taf.  263  Nr.  1  (a.  1280),  247  Nr.  3  (a.  1284).  24i 
Nr.  1  (a.  1286),  262  Nr.  1  (a.  1287)  u.  8.  w. 

*)  Westfäl.  Siegel  I  2  Taf.  XXIX  Nr.  2  (a.  1240).  IV  2  Taf.  184 
Nr.  8  (a.  1240)  I  2  Taf.  XXVI  Nr.  6  (a.  1250),  XXXII  Nr.  10.  11  (a.  1251), 
IV  3  Taf.  263  Nr.  3  (a.  1251),  I  2  Taf.  XXXII  Nr.  9  (a.  1254).  XXIV 
Nr.  11  (a.  1254),  IV  2  Taf.  217  Nr.  1  (a.  1256),  IV  3  Taf.  231  Nr.  1,  2 
(a.  1258,  1259),  222  Nr.  1  (a.  1259),  IV  1  Taf.  149  Nr.  1  (a.  1260,  1 2 
Taf.  XXIX  Nr.  3  (a.  1260),  I  2  Taf.  XXXIV  Nr.  3  (a.  1261).  XXXII  Nr.  8 
(a.  1261)  u.  8.  w. 

^)  Westfäl  Siegel  I  2  Taf.  XXXV  Nr.  2  (a.  1217),  XXXI  Nr.  1 
(a.  1218),  XL  Nr.  1  (a.  1220),  XXXV  Nr.  5  (a.  1229),  XXXIX  Nr.  1 
(a.  1240),  IV  2  Taf.  220  Nr.  1  (a.  1244),  I  2  Taf.  XXIV  Nr.  10  (a.  1247). 
XXVI  Nr.  5  (a.  1250),  IV  2  Taf  220  Nr.  8  (a.  1251),  IV  1  Taf.  142  Nr.  1 
(a.  1270). 

6)  Westfäl  Siegel  1  1  Taf.  X  Nr.  1  (a.  1213),  I  2  Taf.  XXXV  8 
(a.  1221),  XXXVII  Nr.  7  (a.  1229),  10  (a.  1238),  Taf.  XXX  Nr.  8  (a.  1246), 
IV  3  Taf.  236  Nr.  1  (a.  1250),  2  Taf.  184  Nr.  1  (a.  1263)  u.  s.  w. 


Die  grosse  Büderhandschrift  von  Wolframs  Wülekalm.        237 

1250.^)   Auf  Siegeln  kommt  der  Dreieckschild  mit  rechtwink- 
ligen Oberecken   seit   1225   vor,^)   doch   im   13.  Jahrhundert 
seltener  als   die  Form   mit  spitzwinkligem  Ansatz  der  Seiten- 
ränder.')    Die   Siegel    der    thüringischen   Landgrafen    kennen 
iräiireDd  derselben  Zeit  neben  dem  verkürzten  normannischen 
Schild  und  seinen  Varianten  nur  den  Dreieckschild  mit  spitz- 
winkligen Oberecken/)  wogegen  allerdings  der  noch  erhaltene 
Schild  des  Landgrafen  Eonrad  (f  1241)  in  der  Elisabethkirche 
zu  Marburg   rechtwinklige   Oberecken   hat.*)     Wie   die  Form 
ies  Dreieckschildes,   so  führt   uns  auch  die  des  Topfhelmes 
in  die  Nähe    des  Jahres  1250.     Er  reicht  fast  ebenso  tief  im 
Gaiick  wie  unter  das  Kinn  herab   und  hat  die   Barbier,   wie 
^  sie  noch  in  der  Berliner  Eneidt-Handschrifb  sehen  und  wie 
sie  nach  Ausweis  der  Siegel  noch  gegen  1250  hin  in  Deutsch- 
land getragen  wurde,^)  yöUig  verdrängt.    In  Mitteldeutschland 
iut  er  sich  in  dieser  Gestalt  erst  während  des  zweiten  Viertels 
des  13.  Jahrhunderts  verbreitet.'^   Eben  die  Gestalt  des  Topf- 
helms in    H  und   M  verbietet  uns   nun  aber  auch,   dass  wir 
mit  unserer   Zeitbestimmung   um   ein    erhebliches   über   1275 
herabgehen.  Der  Helm  steigt  hinten  ganz  geradlinig  und  vom 
^  geradlinig  auf  und   schliesst   mit  völlig  flacher  Scheitel- 
platte ab,  ist  also  nahezu  zylindrisch  gestaltet,   entbehrt  auch 

^)  Sejler  a.  a.  0.  Nr.  206,  304,  204  a,  198. 

2)  Posse  Die  Siegel  der  Wettiner  Taf.  III  4  (a.  1225),  6  (a.  1231), 
IV  i  (a.  1256),  X  6  (a.  1285). 

')  Posse  a.  a.  0.  Taf.  XII  3,  4  (a.  1224,  1233),  X  1  (a.  1242),  V 
4-6  (a.  1261,  1268,  1267),  IV  6  (a.  1268),  X  4  (a.  1269),  XVI  5  (a.  1269, 
1271),  VI  4  (a.  1279). 

*)  Posse  a.  a.  0.  Taf.  XIII  3,  4  (a.  1233,  1234);  —  ferner  Taf.  XI 5 
a^  1216),  XII  3,  4  (a.  1224,  1233),  XIII  3  (a.  1233),  XII  5  (a.  1241). 

^)  F.  Warn  ecke,  Die  wittelälterh  heraldischen  Kampfschüde  in 
^  Bisabethkirche  su  Marburg  Taf.  1. 

^  z.  B.  nach  einem  Anhaltischen  Siegel  von  1243  bei  Posse 
»•  a.  0.  Taf.  XXVII  3. 

^  Posse  a.  a.  0.  Taf.  XII  3(?)  — 5  (a.  1224?  — 1241),  III  6  (a.  1231), 
Xni  3  (a.  1233),  X  1  (a.  1242),  V  4—6  (a.  1261—68),  IV  4,  5  (a.  1266, 
^m,  X  3  {a.  1267).  —  Nach  Philippi  Westfäl,  Siegel  I  1  S.  7  kommt 
*ier  Topf  heim  in  der  westfälischen  Sphragiatik  erst  gegen  1250  auf. 


238  Karl  v.  Ämira 

der  Decke.     Die  Verjüngung  des  Topfhelms   in  seiner  oben 
Hälfte  soll  um  1267  begonnen  haben.^)   Die  Helmdecke  kommt 
in   Mitteldeutschland    ungefähr    um    ein   Jahrzehnt   später  in 
Gebrauch.*)     Freilich   wurden   damit  der  zylindrische  und  der 
deckenlose  Topfhelm  nicht  sogleich  ganz  und  gar  yerdräogt. 
Aber  der  Zeichner  des  Willehalm-Codex  beabsichtigt  doch,  die 
Franzosen   mit  dem   mcrdemsten  Kopfschutz  auszurüsten,  k 
er  kennt.     Auch   die   schwarzen   Beinlinge,   wie  sie  in  N2i 
zur  Haustracht  des  Marquis  gehören,  sind  in  der  zweiten  Hüfte 
des  Jahrhunderts    als  Kleidungsstück    der   Vornehmen   abge- 
kommen.    In   der  Mode   waren   sie  zur  Lebenszeit  Neidharts 
von  Reuen thal  (f  um  1240)  und  zur  Abfassungszeit  yon  Ulriclis 
von  Lichtenstein  Frauendienst  (um  1255).')    Die  älteste  unserer 
Bilderhandschriften    des    Sachsenspiegels,    die    zu    Heidelberg, 
kennt  diese  schwarzen  Beinlinge  nicht  mehr.    Dem  Allen  nacb 
empfiehlt  sich   die   Zeitgrenze   1250  — 1275.     Hiezu  stimmt 
auch   die  noch  etwas  altei*tümliche  Heraldik,   die  ausser  dem 
Stern  im  Wappen  Willehalras,  soweit  wir  zu  sehen  vermögen,  nur 
sehr  einfache  Heroldsfiguren  verwendet  (Schrägbalken,  Kreui, 
Pfahl,    Sparren),   die  Einfarbigkeit   der  WaffenrDcke,  während 
doch  schon  die  Berliner  Eneidt-Bilder  den  heraldisierten  Waffea* 
rock   zeigen,   der   dann   in   der   zweiten    Hälfte    des  13.  Jahr- 
hunderts  allgemein    üblich    wird,    insbesondere    aber  das  Vor- 
kommen des  rein  normannischen  Schildes   als   einer  nicht  nur 
,heidnischenS    sondern    sogar   noch  französischen  Waffe  in  H. 
Die  letzten  Siegel  wettinischer  Fürsten  mit  diesem  Schild  sind 
von  1200  und  1205,  das  letzte  derartige  Siegel  eines  thüringi- 
schen Landgrafen  von  1216,  das  letzte  anhaltische  von  1243.*) 
An  westfälischen  lassen  sich  einige  wenige  noch  bis  1251  an- 


1)  A.  Schultz  D,  höfische  Leben^  II  67. 

2)  Sie<7ol  von  1279  bei  Posse  a,  a.  0.  Taf.  VI  4. 

»)  S.  die  Stellen  bei  M.  Heyne  Fünf  Bücher  deuticher  Hausaltef 
tümer  III  283  Note  126,  ferner  Hottenroth  Handbudt  d.  detUsfhen 
Tracht  203  f. 

*)  Posse  a.  a.  0.  II  5,  6,  XI  5,  XXVII  3. 


Die  grosse  Büderhandsckrift  von  Wolframs  Wülehdlm,        239 

fuhren,^)  wobei  wir  berücksichtigen  müssen,  dass  eine  Schild- 
form  sich  noch  im  Siegeltypus  erhalten  konnte,  nachdem  sie 
im  Waffenwesen  ausser  Gebrauch  gekommen  war. 

FäUt  nun  die  grosse  Büderhandschrift  des  WiUehalm  ins 
dritte  Viertel   des   13.  Jahrhunderts,   vielleicht   eher  noch  um 
1250,  so  ist  damit  das  Mittelglied  gefunden,  das  die  grosse 
Sachsenspiegel-Illustration  (1291 — 1295)  mit  der  älteren  pro- 
fanen Buch-Illustration  verbindet.   Die  Beziehungen  zur  kirch- 
lichen,   wovon   ich   in    der   citierten   Einleitung  S.  30  sprach, 
brauchen   wir   darum  nicht  in  Abrede  zu   stellen.     Dass  aber 
in  der   Gesamtanlage  wie   in   Einzelheiten,    namentlich    auch 
solchen    der  subjektiven  Symbolik,    die  Willehalm-Handschrift 
dem  ersten  Dlustrator  des  Sachsenspiegels  zum  Muster  diente, 
werden   wir  jetzt  um  so  weniger  bezweifeln,    als  wir  wissen, 
da&s  auch  er  in  Ostmitteldeutschland  arbeitete. 

An  kunstgeschichtlichem  Ruhm    allerdings  erleidet  damit 
die  Illustration   des  Rechtsbuches  einigen  Abbruch.     Betrach- 
tangen darüber,  warum  ,die  neue  Illustrationstechnik  sich  sofort 
dem   anscheinend   schwierigsten   Gegenstand,    den    sie   wählen 
konnte,  der  Erläuterung  von  Rechtsbüchern,  zuwendetS^)  werden 
iregenstandslos,  und  auch  der  ,Eroberungszug  in  die  Welt  der 
Wirklichkeit^  worin  man*)  die  Bedeutung  der  Sachsenspiegel- 
Illustration  für  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malerei  finden 
voUte,  verliert  einigermassen  an  der  ihm  nachgerühmten  Kühn- 
heit, wenn  wir  auch  zugeben  werden,  dass  den  Illustrator  des 
it^^htsbuches  im  Vergleich  zu  seinem  Vorgänger  die  Vielseitig- 
keit begünstigte,  wodurch  sein  Stoff  den  des  ritterlichen  Epos 
übertraf,  und  dass  sie  den  Zeichner  zu  entschlossenem  Weiter- 
fahren der  subjektiven  Symbolik  antrieb.  Dafür  aber  gewinnt  die 
^leschichte  der  Malerei  selbst,  insonderheit  der  mitteldeutschen, 
an  Reichtum    des   Inhalts.     Wir   sehen,    wie    schon    um    ein 


M  Westfäl.  Siegel  I  1  Taf.  X  Nr.  2  (a.  1226),   XIII   Nr.  1  (a.  1233), 
IV  -2  Taf.  220  Nr.  1  (a.  1244),  220  Nr.  8  (a.  1251). 

^  So  K.  Lamprecht  im  Repertorium  f.  Kunstwissenschaft  VII  407. 
')  Janitschek  Gesch,  d.  deut.  Malerei  S.  118. 


240     Karl  v.  Ämira,  Die  gr.  Büderhdsehr.  v.  Wolfram  WQlMin, 

Menschenalter    yor    dem   grossen  juristischen   Bilderwerk  m 
ganz  ähnliches,  aber  viel  umfangreicheres  Unternehmen  inner- 
halb der  nämlichen  Oesellschaftskreise  zur  Ausführung  gelangt 
ist,    —   ähnlich   nicht  nur  in    äusserer  Anlage  und  Technik, 
sondern   auch   durchaus  in  der  künstlerischen  Denkweise,  das 
uns    obendrein   auch   zu   einer   deutlicheren   Vorstellung  tod 
der  Eunstweise   des  verlorenen   ürcodez    der  Sachsenspieg»- 
Illustration    verhilft,    wenn   wir   die   von   diesem   abgeleiteta 
Handschriften  zur  Yergleichung  heranziehen.     Um  1250  keb^ 
mit  der  grossen  Bilderhandschrift   des   Willehalm    eine  zweit« 
sächsisch -thüringische   Illustratorenschule    an,    deren   jüngste 
Arbeiten  nach  anderthalb  Jahrhunderten  die  BilderhandschrifieB 
des  Sachsenspiegels  zu  Dresden  und  Wolfenbüttel  sind. 

Wann  die  grosse  Bilderhandschrift  des  Willehalm  zerstört 
wurde,   lässt  sich  nur  mutmassen.     Wahrscheinlich  befand  sie 
sich  im  16.  Jahrhundert  in  den  Händen  eines  Humanisten,  der 
in  ihr  nur  den  verabscheuungswürdigen  Nachlass  eines  barba- 
rischen Zeitalters  erblickte   und  nichts  besseres  mit  ihr  anzu- 
fangen  wusste,   als  sie  zum  Einbinden  seiner  Bibliothek  uM 
seiner  Notizbücher  zu  verwenden,  —  ein  anschauliches  Beispiel 
dafür,  wie  selbst  umfangreiche  und  kostbare  Bilderhandschrifi;en 
während  der  Neuzeit  fast  spurlos  verschwinden  konnten.    Hier- 
nach lässt  sich  aber  auch  hoffen,  dass  beim  Ablösen  von  Über- 
zügen   alter  Einbände    noch   andere  Bruchstücke    des    merk- 
würdigen Denkmals  zutage  kommen  werden. 


241 


öffentliche  Sitzung 

zur  Feier  des  144.  Stiftungstages 
am  11.  März  1908. 


Die  Sitzung  eröffnete  der  Präsident  der  Akademie,  Oeheimrat 
Dr.  K.  A.  y.  Zittel,  mit  folgender  Ansprache: 

Die  Kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  begeht  heute  ein 
Doppelfest.  Wir  feiern  zunächst  den  144  jährigen  Bestand 
unserer  Korporation  und  sodann  die  100  jährige  Wiederkehr 
des  Geburtstags  von  Justus  von  Liebig.  Aus  berufenstem  Munde 
werden  Sie  durch  unser  korrespondierendes  Mitglied  Professor 
Dr.  Knapp  aus  Strassburg  ein  Lebensbild  des  grossen  Mannes 
erhalten,  welcher  mehrere  Jahrzehnte  unserer  Akademie  als 
Mitglied  und  Präsident  angehörte  und  ihr  Ansehen  durch  den 
61anz  seines  weltberühmten  Namens  vermehrte. 

Dank  der  unveränderten  Huld  unseres  hohen  Protektors 
und  der  wohlwollenden  Unterstützung  durch  die  Kgl.  Staats- 
i^erung  und  den  Landtag  kann  die  Akademie  mit  Befriedigung 
nieder  auf  ein  Jahr  fruchtbarer  Tätigkeit  zurückblicken.  Wie 
»^  dem  Umfang  und  dem  Inhalt  unserer  Druckschriften  her- 
Toigeht,  herrscht  ein  reges  wissenschaftliches  Leben  in  den 
i^i  Klassen  und  auch  die  der  Akademie  angeschlossene  histo- 
rische Kommission,  die  Bearbeiter  des  Thesaurus  linguae  latinae 
^d  die  Kommission  für  die  Erforschung  der  Urgeschichte 
Bayerns  haben  im  verflossenen  Jahre  eine  Fülle  verdienstlicher 
Arbeit  geleistet. 


242  V.  Zittel 

Aus  unseren  Stiftungen  konnten  eine  Anzahl  wissenscliaft- 
licher  Unternehmungen  unterstützt  und  angeregt  werden. 

So  wurden  aus  den  Renten  der  Münchener  Bürger- 
und Cramer-Klett-Stiftung  bewilligt: 

1.  3000  M.  für  eine  Sammel-  und  Informationsreise  d» 
Garteninspektors  Bernhard  Othmer  in  die  Tropen,  femer 

2.  1500  M.  zur  Erforschung  des  Kretinismus  in  Frank 
an  den  Privatdozenten  der  Kgl.  Universität  Würzburg  Dr. 
Wilhelm  Weygandt. 

Aus  der  Eönigs-Stiftung  für  chemische  Forschungen 
wurden  verliehen: 

Herrn  Professor  Karl  Hof  mann  330  M.  für  Untersuchung 
radioaktiver  Stoffe  und  470  M.  Herrn  Professor  Piloty  für 
Untersuchungen  über  Murexit. 

Aus  den  Renten  der  Savigny-Stiftung,  welche  für  da^ 
Jahr  1903  unserer  Akademie  zur  Verfügung  stehen,  wurde  ad 
Vorschlag  der  Savigny-Kommission  bewilligt: 

1.  600  M.  zur  Unteratützung  des  Honorarfonds  der  Savigny- 
Zeitschrift, 

2.  eine  Summe  bis  zu  2500  M.  für  einen  zweiten  Band 
der  von  unserer  Akademie  angeregten  Magdeburger  Schöffen- 
sprüche, welche  die  Herren  Liesegang  und  Friese  herausgeben, 

3.  300  M.  an  Herrn  Oberlehrer  Knod  in  Strassburg  i.  E. 
zur  Unterstützung  und  Herausgabe  seines  Werkes  »Die  deui^n-he 
Nation  zu  Orleans*. 

Aus  dem  Thereianos-Fond  wurde  zunächst  ein  Preis  von 
800  M.  verliehen  an  Herrn  Dr.  Boll,  Sekretär  der  Kgl.  Hof-  und 
Staatsbibliothek,  für  dessen  jüngst  erschienenes  Werk  »Sphaera*. 

Ferner  wurden  genehmigt: 

1200  M.  an  Professor  Spyridion  Lambros  in  Athen  für 
seine  Arbeiten  über  Theodoros  von  Kyzikos,  über  das  soge- 
nannte Chronicon  breve  und  über  die  Geschichte  des  Deepotats 
der  Palaeologen  im  Peloponnes, 


Ansprache,  243 

1500  M.  zur  Unterstützung  der  Byzantinischen  Zeitschrift, 

1000  M.  als  zweite  und  letzte  Rate  für  den  Index  der 
ersten  zwölf  Bände  der  Byzantinischen  Zeitschrift, 

200  M.  fUr  die  Ausarbeitung  eines  Programms  zur  Heraus- 
gabe eines  Corpus  der  griechischen  Urkunden  des  Mittelalters 
und  der  neueren  Zeit,  welches  der  Internationalen  Association 
der  Akademien  im  Jahre  1904  vorgelegt  werden  soll,  femer 

2300  M.  zur  Fortsetzung  des  von  den  Herren  Furtwängler 
und  Reichold  herausgegebenen  Werkes  über  „Oriechische 
Yaseninalerei*. 

Leider  hat  im  vergangenen  Jahre  der  Tod  eine  reiche 
£rnte  unter  unseren  einheimischen  und  auswärtigen  Mitgliedern 
g^iialten  und  uns  einige  der  angesehensten  und  berühmtesten 
Forscher  entrissen.  Über  diese  Verluste  bitte  ich  nunmehr 
die  Herren  Klassensekretäre  des  Näheren  zu  berichten. 


Darauf  gedachten  die  Elassensekretäre  der  seit  März  1902 
verstorbenen  Mitglieder. 

Die  philosophisch-philologische  Klasse  verlor  das  ordentliche 
Mitglied  Eonrad  von  Maurer  (gest.  am  16.  September  1902), 
welchem  in  der  öffentlichen  Sitzung  im  November  1903  eine 
besondere  Gedächtnisrede  wird  gewidmet  werden,  und  das  aus- 
wärtige Mitglied  Gaston  Paris,  Professor  der  romanischen  Philo- 
logie am  College  de  France,  den  hervorragendsten  und  viel- 
artigsten Vertreter  dieser  vaterländischen  Wissenschaft  in  Frank- 
reieh  (gest.  am  6.  März  1903). 


244  J.  Friedridi 


Die  historische  Klasse  rerlor  am  10.  Februar  1903  ihren 
Senior,  Ka&l  Adolf  von  Cornelius,  auf  den  in  einer  späieFeii 
Sitzung  eine  Gedächtnisrede  gehalten  werden  wird. 

Am  24.  November  1902  starb  das  ausserordentliche  % 
glied  der  historischen  Klasse  Edmund  FBEmEBR  yon  Öfele. 

Öfele,  der  Urenkel  des  berühmten  Herausgebers  der  Scrip- 
tores  rerum  Boicarum,  wurde  am  6.  Dezember  1843  geboren, 
besuchte  das  Gymnasium  zu  Regensburg  und  studierte  an  der 
Universität  München  Jurisprudenz  und  Geschichte.  Trotz  seiner 
inneren  Neigung  zur  geschichtlichen  Forschung  ergriff  er  die 
juristische  Laufbahn,  verliess  sie  aber  nach  bestandenem  Staais- 
konkurs  und  trat  1870  als  Praktikant  in  das  E.  ReichsarcUr 
ein.  Seit  1874  Ereisarchivsekretär  in  Würzburg,  Bamberg  \d. 
München,  stieg  er  dann  rasch  zum  Assessor  und  Rat,  189^ 
zum  Direktor  des  E.  Reichsarchivs  empor. 

Öfele  erweckte  schon  als  Studierender  grosse  Ho£fhungeiL 
Denn  bereits  als  solcher  gab  er  im  26.  Band  des  Oberbaye- 
rischen Archivs  (1865 — 6)  das  im  Nachlass  seines  Urgross?aters 
gefundene  ,  Rechnungsbuch  des  oberen  Yizedomamtes  Herzog 
Ludwigs  des  Strengen  1291 — 1294*,  d.  h.  Oberbajems  südlich 
der  Donau  mit  dem  Hauptsitze  München,  heraus.  Die  Ver- 
öffentlichung nach  den  neueren  Editionsgrundsätzen  und  mit 
trefflichen  Erläuterungen  bedeutete  in  mancher  Hinsicht  eine 
willkommene  Erweiterung  unserer  historischen  Erkenntnis.  Im 
nächsten  (27.)  Bande  des  Oberbayerischen  Archivs  (1866—7) 
folgte  „Otto  von  Erondorf.    Ein  Beitrag  zur  Eritik  Aventins.' 

Grosses  Aufsehen  erregte  Ofele,  als  er  1867  in  dem  urgross- 
väterlichen  Nachlass  Aventins  Abschrift  der  Annales  Altahen^ 
maiores  fand.  Seit  Aventin  verschwunden,  hatte  Giesebrecht 
im  Jahre  1841  sie  aus  späteren  Zitaten  grossen  teils  wieder 
herzustellen  versucht,  und  begreiflich  war  die  Spannung  gross, 
wie  sich  diese  Restitution  zu  den  wirklichen  Annalen  verhalte. 


Nekrolog  auf  Edmund  Freiherr  von  Öfele,  245 

Der  Fund  wurde  aber  nicht  blos  eine  glänzende  Bestätigung 
^on  Siesebrechts  scharfsinniger  Arbeit,  er  trug  Ofele  auch 
die  Ehre  ein,  mit  seinem  Lehrer  die  Annales  für  den  1868 
erschienenen  XX.  Band  der  Monumenta  Germaniae  historica 
^arbeiten  und  edieren  zu  dürfen. 

Daneben  löste  Öfele  zugleich  die  1867  von  der  hiesigen 
philosophischen  Fakultät  gestellte  Preisaufgabe  ,,Die  Geschichte 
der  Grafen  von  Andechs.  urkundliche  Feststellung  der  Genealogie 
und  ihrer  Besitzungen  sowie  Aufhellung  ihrer  Tätigkeit  im 
Beiche.  * 

Man    darf  sagen,   dass  nicht  oft  eine  Universität   in  der 
läge  sein   wird,   einen  Schüler  zu  entlassen,   der  sich  bereits 
em«Q  wissenschaftlichen  Namen  gemacht  hat,   wie  Ofele.     Er 
blieb  aber  auch  später  der  historischen  Forschung  treu,  obwolil 
er  alles   den  kargen,   vom  Amte  freigelassenen  Stunden  und 
eioein  schwächlichen  und  kränklichen  Körper  abringen  musste. 
Zunächst  arbeitete  er  mit  einem  Bienenfleiss  seine  Preis- 
sclirift  zu  einer  erschöpfenden  Geschichte  des  einst  so  mäch- 
tigen und  einflussreichen  Geschlechtes  der  Andechser  aus  (1877). 
Ein  Jahr  darauf  veröffentlichte  er  „Leonhard  Widmanns  Chronik 
ron  Itegensburg^   in   den   „Chroniken   der   deutschen   Städte *" 
^Bd.  15,  1878),  welche  die  Historische  Kommission  bei  unsei-er 
Akademie  herausgibt. 

Als  eine  wahre  Festgabe  zum  Witteisbacher  Jubiläum  darf 

lun  Ofeles  Ausgabe  der  bis  dahin  ungedruckten  „Topographie 

T<m  Bayern  •  Philipp  Apians,  des  ausgezeichneten  Lehrers  der 

Mathematik  an  der  Universität  Ingolstadt  in  der  zweiten  Hälfte 

its  16.  Jahrhunderts,    bezeichnen.     Sie   ist   ein    ausführlicher 

"^läuternder  Text,   den  Apian,   nachdem  er  längst  Bayern  aus 

^'ogiösen  Gründen  hatte  verlassen  müssen,  zu  der  von  ihm  im 

Auftrag  Herzog   Albrechts  V.    aufgenommenen,   485  Quadrat- 

schühe  grossen,  künstlerisch   ausgestatteten  Karte  von  Bayern 

»om  Jahre  1563  schrieb,  und  der,  in  sämtliche  hiesige  Archive 

zerstreut,  gänzlich  unbekannt  war,  wie  auch  diese  Karte  selbst, 

«ach  mancherlei  seltsamen  Schicksalen  gegen  Ende  des  18.  Jahr- 

iiunderts  zu  Grunde  gegangen,  nicht  zur  Kenntnis  der  Geographen 

l«t.  Sitigib.  d.  philo«.-philoL  ü.  d.  bist.  Kl.  17 


246  /.  Friedriek 

gelangt  zu  sein  scheint.    Kein  Land  war  im  16.  Jahrhundert  so 
getreu  kartographisch  dargestellt  und  wohl  auch  topograpliiscli 
beschrieben,  als  Bayern  durch  Philipp  Apians  Karte  und  Topo- 
graphie.   Nunmehr  hat  die  Topographie  nur  noch  einen  histo- 
rischen Wert,  indem  sie  uns  die  damalige  Gerichtsbarkeit  vieler 
Orte  erst  kennen  lehrt  und  insbesondere  die  Übergangsfonoa 
der  Ortsnamen  aus  dem  Mittelalter  in  die  Neuzeit  zeigt.   Damf 
wandte  sich  Öfele   hauptsächlich  dem   berühmten   bayerischn 
Geschichtschreiber   Aventin    zu    und   wurde,    nachdem  er  k 
Kloster   St.  Peter   in   Salzburg   neues   Material    entdeckt  un4 
einiges  daraus  in  seinen  Aventiniana  (Oberb.  Arch.  XLIV,  1887) 
veröflFentlicht  hatte,  von  der  Aventin-Kommission  unserer  Aka- 
demie mit  der  Bearbeitung  eines  Ergänzungsbandes  zu  den  von 
ihr  herausgegebenen  Werken  Aventins  betraut.     Leider  konnte 
er  unter  dem  Drucke  des  Dienstes  und  bei  dem  zunehmenden 
körperlichen  Übelbefinden  die  Aufgabe  nicht  mehr  lösen.   Und 
ähnlich  ging  es  mit  der  von  ihm  übernommenen  HerausgaW 
der  Monumenta  boica.    Nachdem  er  einen  Band  (46)  bearbeitet 
hatte,  musste  er  den  beinahe  vollendeten  zweiten  Band  andereii 
Händen  überlassen.  | 

Öfele,  der  sich  in  seinen  Schriften  und  zahlreichen  Ab- 
handlungen und  Mitteilungen  als  einen  überaus  sorgfältigen 
und  zuverlässigen  Arbeiter  bewährt  hat,  wird  stets  eine  ehren- 
volle Stelle  unter  den  Forschern  auf  dem  Gebiete  der  baye- 
rischen Geschichte  behaupten. 

Es  sind  ferner  gestorben  die  auswärtigen  Mitglieder  Lord 
Acton  in  Cambridge,  Julius  von  Picker  in  Innsbruck,  Ernst 
Dümmler  in  Berlin  und  das  korrespondierende  Mitglied  Eugen 
Müntz  in  Paris. 

Am  19.  Juni  1902  starb  auf  der  gräflich  Arcoschen  Villa 
am  Tegemsee  Lorp  Acton,  früher  Sir  John  Dalberg  Acton» 
von  mütterlicher  Seite  Sprössling  und  Erbe  des  Hauses  Dal- 
berg, Rheinischer  Linie. 


Nekrolog  auf  Lord  Äcton.  247 

Seboren  am  10.  Januar  1834  in  Neapel,  wo  mehrere  Actons 
in  hohen  Staatsämtern  gestanden,  erhielt  er  seine  erste  Bildung 
in  dem   katholischen  College  St.  Mary  Oscott  und  kam  1850 
nach  München,  um  unter  der  Leitung  DöUingers,   bei  dem  er 
auch  wohnte,  die  üniyersität  zu  besuchen.    Mit  ungewöhnlichen 
Geistesgaben  ausgestattet   und  von   mächtigem  Wissensdrange 
getrieben  machte  er  glänzende  Fortschritte,   und  kaum  nach 
England  zurückgekehrt  verrät  er  in  seinen  fortlaufenden  Briefen 
an  Döllinger   eine  Weite   des  Blickes  und   Reife   des  Urteils, 
Terbunden   mit  einem  Umfange   des  Wissens,   die   man   in   so 
jungen    Jahren   selten   finden    wird.     Sein   Wissensdurst   war 
damit  aber  keineswegs  gestillt;  er  drängte  ihn   immer  weiter, 
und  bald  bestand  sein  Verhältnis  zu  Döllinger  in  einem  gegen«- 
seitigen  Geben  und  Empfangen,  wie  dann  meistens  die  Ergeb- 
nisse seiner  unermüdlichen  Forschungen  in  Bibliotheken   und 
irchiven  erst  durch  die  Hände  DöUingers  gingen,  ehe  sie  in 
ildenham  niedergelegt  wurden. 

Im   Görreskreise,   soweit   er  damals  noch   bestand,   hoffte 

man  zwar,    dass   „die  katholische  Partei   in  England  an  ihm 

dereinst  eine  hervorragende  Stütze  finden  könnte*;  es  kam  aber 

flicht  so.    Durch  DöUingers  Einfluss  hauptsächlich  der  kirchen- 

kistorischen  Forschung  zugewandt,  wollte  Acton  mit  einigen 

engUachen  Freunden  im  Rambler  auch  seine  kirchengeschicht* 

liehen  Anschauungen  zur  Geltung  bringen.     Es  dauerte  jedoch 

nur  kurze  2jeit,  und  der  englische  Klerus,  der  das  „bei  seinem 

Mangel  an  aller  historischen  Bildung   und   folglich  an  allem 

historischen  Urteil  überhaupt'  nicht  begriff,  stand  gegen  ihn 

und  seine  Mitarbeiter  auf.    An  Sambiers  Stelle  trat  1862  Home 

ud  Foreign  Review,  das  der  gleiche  Hass  verfolgte,  weil  man 

äoeh  in  ihm  «die  germanisierende  Schule  unter  den  jüngeren 

Katholiken  in  England'   tätig  sah   und   „die  Germanisierung 

'l^r  Kirche  als  ihre  tötlichste  Gefahr'  betrachtete.    Auch  dieses 

lienew  ging  nach  wenigen  Jahren  wieder  ein.     In  dieser  Be- 

^rin^is  mochte  Acton  wohl   klagen:   ,,Sie  (Döllinger)  sehen, 

2an    ist  nicht  impune  Ihr  Schüler',   aber  niederbeugen  liess 

ach  der  Mann   nicht.     Er  zog  wie  viele  andere  während  des 


248  J,  Friedrkh 

Konzils  1869/70   nach  Rom,   und,   nachdem   es  offen  ausg^ 
sprochen,    kann    ich    es    bestätigen,    dass    der    Hauptteil  des 
Materials,  aus  dem  Döllinger  die  „Briefe  Tom  Konzil'  für  die 
Augsburger  Allgemeine  Zeitung  redigierte,   von  ihm  stammte. 
Nach    dem   Konzil    schrieb    er    ein    „  Sendschreiben   an  einen 
deutschen  Bischof  des   ratikanischen  Konzils*"  (1870)  und  iio 
North  British  Review  in  gedrängter  Übersicht  eine  «Geschick 
des  vatikanischen  Konzils"  (1870,  auch  ins  Deutsche  übersetzt 
von   der  jedoch    ein    deutscher   Beurteiler   nicht   mit  Unrecht 
bemerkt  hat,  „dass  er  an  Stelle  des  diplomatischen  Silbersüfts, 
dessen  sich  Lord  Acton  bei  seinen  Au&eichnungen  bedient  hat, 
durchweg  eine  dunklere  Farbe  und  einen  härteren  Griffel  ge- 
wünscht hätte  *".     Lord  Acton  liebte  es  überhaupt,   manchmal 
wie   Döllinger  in   einem   Briefe   an   Gladstone   es   bezeichnet 
^otxovofitxcbg  zu  schreiben*. 

Als  Hauptverdienst  Actons   in  jenen  Jahren   bezeichnete 
Döllinger,  als  er  ihn  1876  zum  auswärtigen  Mitglied  unserer 
Akademie   vorschlug,   dass    „er   in   den  Zeitschriften   Rambk 
—  Home  and  Foreign  Review  —  North  British  Review  m 
anderen  die  nicht-englische  historische  Literatur  und  mit  b^  . 
sonderer   Vorliebe    und    ebenso    gründlich    als    umfassend  die 
deutsche    dem    britischen    Publikum    bekannt    gemacht    habe. 
Die   kritisch   referierenden  Artikel   von   seiner   Hand   dürften, 
gesammelt,   wohl   zwei  Bände  füllen,   und   man   könne   sagen, 
Acton    habe    mehr   als    irgend    ein    lebender   Engländer  oder 
Amerikaner  für  Bekanntwerdung  und  gerechte  Würdigung  der 
deutschen  Geschichtsliteratur  im  Bereiche  der  englisch  lesender. 
Nationen  geleistet ''.    Er  befähigte  sich  dadurch  zu  dem  Artikel 
German  Schools  of  History  (deutsch  von  Imelmann  1887),  der 
das  von  ihm,  Stubbs,  Freeman,  Döllinger  u.  a.  1886  gegründete 
English  Historical  Review  eröffnete  und  in  Deutschland  grosses 
und  berechtigtes  Aufsehen  erregte. 

Acton  gehört  zu  den  Männern,  denen  es  in  erster  lAvix^ 
um  die  Förderung  ihrer  eigenen  Erkenntnis  zu  tun  ist,  und 
die  meistens  nur  durch  äussere  Umstände  veranlasst  werden, 
Mitteilungen  aus  dem  Schatze  ihres  Wissens  an  andere  zu  machen. 


Nekrolog  auf  Lord  Äeton  und  Julius  von  Ficker,  249 

Was  er  aber  schrieb  —  eine  kritische  Geschichte  der  Bartho- 
lomäusnacht (meist  nach  handschriftlichen  Quellen)  —  der  Krieg 
7on  1870  —  Geschichte  der  Freiheit  im  Altertum  und  das 
Christentum  —  George  Elliot  —  der  Kardinal  Wolsey  u.  s.  w.  — 
rollt  auf  den  gründlichsten  und  umfassendsten  Studien,  ist 
stets  tief  durchdacht  und  hat  nur  den  Fehler,  dass  es  für  uns 
Deutsche  oft  schwer  verständlich  ist,  was  Döllinger,  der  es 
ebenfalls  fand,  dem  umstände  zuschrieb,  dass  «es  nicht  das 
gewöhnliche  Englisch  ist,  sondern  unter  deutschem  Einfluss 
zu  stehen  scheint". 

Den  Lehrstuhl  der  Geschichte,  den  Acton  seit  1895  als 
Regius  Professor  an  der  Universität  Cambridge  inne  hatte,  und 
um  den  er,  wie  mir  vor  einigen  Jahren  von  dort  gemeldet 
vsrde,  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  Zuhörer  sammelte,  konnte  er 
Tegen  Kränklichkeit  schon  einige  Zeit  nicht  mehr  besteigen, 
irad  auch  die  Veröffentlichung  der  auf  zwölf  Bände  berechneten 
Allgemeinen  Geschichte  der  modernen  Zeit,  die  er  im  Verein 
mit  hervorragenden  Historikern  unternommen,  sah  er  nicht  mehr. 

Acton  galt  zuletzt  als  der  erste  Gelehrte  in  England,  was 
Geschichte,  Nationalökonomie  und  dergleichen  betrifft,  —  ein 
Ruhm,  den  sich  meines  Wissens  noch  keiner  seiner  Standes- 
genossen erworben  hat. 

Am  10.  Juli  1902  schied  Julius  von  Ficker,  einer  der  ersten 
deutschen  Geschichtsforscher,  zu  Innsbruck  aus  dem  Leben. 

Von  Geburt  Westfale  und  wie  viele  seiner  engeren  Landsleute 
mit  dem  preussischen  Wesen  unversöhnt,  wurde  Ficker  (geb. 
30.  April  1826)  nach  Annahme  eines  Rufes  an  die  damals  noch 
^ToUständige  Universität  Innsbruck  (1852),  wie  ich  aus  meinem 
läufigen  Verkehr  mit  ihm  weiss,  fast  österreichischer  als  die 
leisten  Österreicher,  ohne  dass  dieser  Umstand  auf  die  Objek- 
tivität seiner  Forschungen  einen  besonderen  Einfluss  gewonnen 
iiätte.  Ficker  ist  aus  keiner  historischen  Schule  hervorgegangen, 
»her  schon  nach  seinen  ersten  Schriften:  De  Henrici  VI. 
imperatoris  conatu  electiciam  regum  in  imperio  Romano  6er- 
ffianico  successionem   in   haereditariam   mutandi  (1850),   einer 


250  /.  Friedrieh 

Promotions-   und   Habilitationsschrift   zugleich,    , Rainald  toh 
Dassel,  Reichskanzler  und  Erzbischof  yon  Köln  1156—1167' 
(1850),  „Engelbert  der  Heilige,  Erzbischof  von  Köln  und  Reicb- 
yerweser''  (1853)  und  „Die  Münsterischen  Chroniken  des  Mittel* 
alters*  in  den  „Geschichtsquellen  des  Bistums  Münster',  I.  Bi. 
(1851)  nannte  Döllinger  ihn  bei  seiner  Wahl  in  unsere  Aka- 
demie (1855)  „einen  der  tätigsten  und  hoffhungsToUsten  unte 
den  jüngeren  Geschichtsforschern  in  Deutschland*^  und  „einen 
gründlichen    Quellenforscher''.     Die   Beschäftigung   mit  einer 
Geschichte  Ludwigs  des  Bayern  fahrte  ihn,  ab  er  den  dabei 
zu   lösenden   verfassungsgeschichtlichen   Fragen   nachging,  in 
ganz  andere  Bahnen  und  zu  den  wichtigsten,  oft  grundlegenden 
Ergebnissen,   die   er  in  seinen  Schriften   „Über  einen  Spiegel 
deutscher  Leute''  (1857),  „Über  die  Entstehungszeit  des  Sachsen- 
spiegels   und    die    Ableitung   des   Schwabenspiegels    aus  dem 
deutschen  Spiegel"  (1859),    „Vom  ReichsfUrstenstande'  (1861) 
und  „Vom  Heerschilde''  (1862)  niederlegte.     Man  kann  über- 
haupt sagen:   wo  Ficker  die  Hand  anlegte,   förderte  er  neue 
Erkenntnisse  zu  Tage.     So  auch  in  seinem  Zusammenstoss  mit 
H.  V.  Sybel,   der  1859  in  seiner  Festrede  „Über  die  neueren 
Darstellungen  der  deutschen  Kaiserzeit "  andere  Anschauungen 
ausgesprochen   hatte,   als  Ficker   in   seiner   aus  Vorträgen  im 
Ferdinandeum  in  Innsbruck  entstandenen  Schrift  „Das  deutsche 
Kaisertum  in  seinen  universalen  und  nationalen  Beziehungen' 
(1861).     Dem  Angriff  Sjbels   „Die  deutsche  Nation   und  das 
KaiseiTeich*^  (1861)  setzte  Ficker  entgegen  „Deutsches  König- 
tum  und   Kaisertum.     Zur   Entgegnung   auf  die    Abhandlung 
H.  V.  Sybels:  Die  deutsche  Nation  und  das  Kaisertum  •  (1862)» 
und  so  heiss  der  Kami)f  und  so  gross  die  daraus  hervorgegangene 
Spannung  damals  war,  die  Historiker  auf  beiden  Seiten  haben 
aus  dem  Streite  gelernt. 

Mit  seinem  Übertritt  in  die  juristische  Fakultät  und  der 
Übernahme  der  Reichs*  und  Rechtsgeschichte  (1863)  nahmen 
Fickers  Forschungen  wieder  eine  neue  Wendung.  Die  Er- 
scheinung, dass  unter  den  staufischen  Königen  in  Itidien  in 
oberster  Instanz  nach   den  römisch-kanonischen  Kechtsformen 


Nekrolog  auf  Julius  wn  Fieker.  251 

Teifahren  wurde,  nahm  sein  Interesse  in  Anspruch,  und  seine 
eindringenden  Untersuchungen  fährten   zu  vier  Bänden  « For- 
schungen zur  italienischen  Reichs-  und  Rechtsgeschichte''  (1868 
—1874),  der  ersten  Geschichte  der  Reichsverfassung  Italiens  von 
der  Karolingerzeit  bis  ins  14.  Jahrhundert  und  einer  ganz  neuen 
Grundlage  für   die  Geschichte   der  Stauferzeit.     Daneben   be- 
schäftigte ihn  das   literarische  Vermächtnis  Johann  Friedrich 
Böhmers,  unter  dessen  Einfluss  er  bei  einem  längeren  Aufent- 
halt in  Frankfurt  im  Jahre  1848  gekommen  war,  und  der  ihn 
zugleich  mit  W.  Arnold  und  J.  Janssen  zu  seinem  Testaments- 
ToUstrecker  eingesetzt  hat.    Während  er  einen  Teil  der  Arbeiten 
seinen   Schülern   überliess,    bearbeitete    er    selbst    ein    drittes 
Erganzungsheft  zu  den  Regesten  Ludwigs  des  Bayern  (1865), 
die  Acta  imperii  selecta  (1866 — 1870)  und  die  «Regesten  des 
Kaiserreichs   von   1198—1272-   (1880-1883),   in   deren  Ein- 
leitung er  eine  wesentlich  neue,  von  der  Darstellung  Böhmers 
Jarchaus    abweichende    Auffassung   Kaiser   Friedrichs  II.    be- 
gr&ndete,  —  eine  Leistung,  auf  die  er  stolz  sein  konnte  und 
aach  stolz  war,  wie  ich  selbst  wahrnahm,  als  er  mir  die  Ein- 
leitung überreichte. 

Bei  diesen  Arbeiten  stiess  er  nach  zwei  Richtungen  auf 
Schmerigkeiten,  einmal  in  Bezug  auf  die  Behandlung  und 
Wertbeurteilung  der  Urkunden,  dann  in  Bezug  auf  das  ger- 
Qianische  Eherecht,  die  ihn  zu  den  scharfsinnigsten  Unter- 
aichungen  fortführten,  und  das  Ergebnis  hinsichtlich  des  ersten 
Punktes,  das  er  in  zwei  Bänden  „Beiträge  zur  Urkundenlehre '^ 
(1877/8)  veröffentlichte,  war  so  durchschlagend,  dass  man  ihn 
^tdem  auch  zu  den  ersten  Diplomatikem  zählte.  Aus  den 
Forschungen  über  das  germanische  Eherecht,  die  seine  letzten 
Jahre  ausfüllten,  gingen  aber  die  fünf  Bände  „Untersuchungen 
^  Erbenfolge  der  ostgermanischen  Rechte''  (1891  —  1902) 
iterror.  Mit  Begeisterung  sprach  er  mir  oft  davon,  und  die 
ToIIstäudig  neuen  Ergebnisse,  die  er  gewonnen  zu  haben  über- 
^gt  war,  schienen  seine  Arbeitskraft  zu  verjüngen.  Doch 
^  er  voraus,  dass  er  .auch  auf  vielfachen  Widerspruch  stossen 
^erde.    Es  ist  aber  dennoch   vieles  davon   schon   bleibendes 


252  J,  If\Uäriek 

Gut,  und  auch  die  von  ihm  angeregte  Diskussion  wird  zur 
Förderung  der  Wissenschaft  dienen. 

Ein  anderes  unschätzbares  Verdienst  erwarb  sich  Ficker 
durch  sein  1854  eröffnetes  historisches  Seminar.  Hier  brauche 
ich  aber  statt  aller  Worte  nur  an  die  Namen  seiner  hen^or- 
ragenderen  Schüler,  der  Reichsdeutschen  v.  Druffel,  Scheffer- 
Boichorst,  Stieve,  Busson,  und  der  Österreicher  Alf.  Huber 
Mühlbacher,  Jung,  v.  Ottenthai,  Redlich,  Hirn,  v.  Zallinger, 
Wiesinger,  zu  erinnern,  und  jedem  ist  sofort  klar,  was  das 
bedeutet,  und  wie  viel  die  Oeschichtswissenschaft  Ficker  auch 
wegen  der  Ausbildung  dieser  Männer  verdankt. 

Ein  rastloses,  aber  auch  mit  seltenem  Erfolge  gekröntes 
Leben  im  Dienste  der  Wissenschaft  ist  mit  ihm  erloschen. 

Einen  gleich  schmerzlichen  Verlust  erlitt  die  Geschichtswissen- 
schaft durch  den  Tod  Ebnst  Domjclebs  am  11.  September  1902. 

In  Berlin  am  2.  Januar  1830  geboren  und  wissenschafÜicli 
gebildet,  bekleidete  Dümmler  lange  Jahre  die  Professur  der 
Geschichte  in  Halle,  bis  er  im  Jahre  1888  als  Waitz^  Nach' 
folger  in  der  Leitung  der  Zentraldirektion  der  Monumenta  Ger 
maniae  historica  in  seine  Vaterstadt  zurückkehrte. 

Von  Rankes  Schülern  war  Dümmler  vielleicht  derjenige, 
der  die  methodischen  Grundsätze  seines  Lehrei*s  am  strengsten 
durchführte.  Das  Arbeitsfeld  aber,  das  er  sich  wählte,  war 
das  ostfränkische  Reich  unter  den  Karolingern,  und  schon  seine 
ersten  Arbeiten  darüber:  De  Arnulfo  Francorum  rege.  Com- 
mentatio  historica  (1852),  ^Uber  die  südöstlichen  Marken  des 
fränkischen  Reichs  unter  den  Karolingern  795 — 907"  (Archiv 
für  Kunde  österr.  Geschichte,  Bd.  X,  1853),  waren  muster- 
gültige Leistungen.  In  dem  Buche  „Piligrim  von  Passau  und 
das  Erzbistum  Lorch*  (1854)  zerstörte  er  für  immer  den  Spuk, 
welchen  das  angebliche  Erzbistum  Lorch  in  der  Passauer  und 
Salzburger  Geschichte  bis  dahin  getrieben  hatte.  Dieses  Werk 
und  »Das  Formelbuch  des  Bischofs  Salomo  III.  von  Konstanz' 
(1857)  sind  die  Vorbilder  geworden  für  die  Behandlung  ähn- 
licher Aufgaben.     Daran  reihen  sich  „Beiträge  zur  Geschichte 


Nekrolog  auf  Ernst  Dümnäer,  253 

des  Erzbistums  Salzburg  im  9.  bis  12.  Jahrhundert"  (Archiv 
für  Kunde  österr.  Geschichte,  Bd.  XXII,  1859)  und  ,St.  Gal- 
Ksche  Denkmale  aus  der  Karolingischen  Zeit*  (1859).  Es  ist 
daher  begreiflich,  dass  die  damals  neu  begründete  Historische 
Kommission  bei  unserer  Akademie  Dümmler  als  den  geeignetsten 
Mann  erachtete,  fQr  die  von  ihr  unternommenen  „Jahrbücher  der 
deutschen  Geschichte"  eine  „ Geschichte  des  ostfränkischen  Reichs 
unter  den  Karolingern"  zu  schreiben.  Sie  hatte  sich  in  ihm  nicht 
getauscht;  denn  die  Leistung  Dümmlers,  zuerst  in  zwei  Bänden 
1862  erschienen,  1887  auf  drei  Bände  erweitert,  war  auch  nach 
iem  Urteile  von  Männern,  wie  Giesebrecht,  „ ausserordentlich". 
In  den  tiefen  Verfall  der  römischen  Kirche  und  die  schmäh- 
licbn  Vorgänge  nach  dem  Tode  des  P.  Formosus  führt  die 
atijgezeichnete  Schrift  „Auxilius  und  Vulgarius.  Quellen  und 
Forschungen  zur  Geschichte  des  Papsttums  im  Anfange  des 
10.  Jahrhunderts"  mit  ungedruckten  Schriften  beider  (1866). 
In  die  italienische  Geschichte  gehören  auch  die  verdienstlichen 
Schriften  .Gesta  Berengarii  imperatoris.  Beiträge  zur  Geschichte 
Italiens  im  Anfange  des  10.  Jahrhunderts"  (1871)  und  „Anselm 
der  Peripatetiker  nebst  Beiträgen  zur  Literaturgeschichte  Italiens 
ün  11.  Jahrhundert«  (1872). 

Nachdem  Dünunler  noch  für   die  „Jahrbücher"  den   von 
Köpke  begonnenen  „Kaiser  Otto  der  Grosse"  vollendet  hatte, 
^dmete  er   seine  Kraft  fast   ausschliesslich   den   Monumenta 
8ermaniae   historica,   für  die   er  1881 — 84   die  Poetae  latini 
aevi  Carolin!  I.  11  und  1892—1899  die  Epistolae  Merovingici 
et  Carolini  aevi  1.  II.  III  mit  seiner   gewohnten  Sorgfalt  und 
Exaktheit  bearbeitete.     Als  Vorstand  der  Zentraldirektion  der 
Monumenta  Germaniae  wird  ihm  nachgerühmt,  dass  er  leitend 
'Ji4  anregend  im  Verkehr  mit  seinen  Mitarbeitern  die  Gesamt- 
ajögabe  der  Quellen   in  fruchtbarer  Weise   zu  fordern  wusste, 
Jind  wenn  nach  seinem  Tode  ein  Streit  über  die  Art  der  Leitung 
'^nd  den  Umfang  des  grossen  Nationalwerks   entbrannte,   so 
werden  wir  uns,   soweit  Dümmler   dabei  überhaupt   in  Frage 
Itonmien  kann,  die  Freude  an  dem  vortrefflichen  und  gründ- 
lichen Forscher  nicht  vergrämen  lassen. 


254  J.  Friedrich 

Am  30.  Oktober  1902  verschied  in  Paris  das  Mitglied  des 
Institut  de  France  Eugen  Müntz. 

Müntz,  einem  geachteten  Hause  im  Elsass  angehörig,  wurde 
1845  in  Sulz  geboren  und  bezog,  mütterlicheraeits  mit  dem 
berühmten  Romanisten  Hugo  verwandt,   das  von  diesem  p- 
stiftete  Familienstipendium  in  Karlsruhe.    Nachdem  er  in  Fhs 
die  Rechte  studiert  und  den  Orad  eines  Lizentiaten  erworb«i 
widmete   er  sich,   einer   entschiedenen  Neigung   folgend,  in 
Kunstgeschichte,  reiste  in  Deutschland  und  England  und  wurde 
1878  Mitglied  der  Ecole  fran^aise  d'Athenes  et  de  Rome.  NacIi 
dreijährigem  Aufenthalt  in  Rom  kehrte  er  1876   nach  Paris 
zurück  und  wurde  der  Ecole  nationale  des  Beaux  Arts  suge- 
wiesen,    an   der  er  später  Konservator  und  Substitut  Taines 
wurde  und  auch  Vorlesungen  über  Kunstgeschichte  hielt. 

Sein  dreibändiges  Werk  Les  Arts  ä  la  cour  des  Papes 
(1878—1882)  ergänzte  und  berichtigte  durch  genaueste  archi- 
valische  Forschungen  nicht  nur  die  Angaben  Yasaris  und  seiner 
Nachfolger,  sondern  zog  auch  viele  Urkunden  ans  Licht,  weldu 
die  Wiederbelebung  der  Künste  unter  den  Päpsten,  die  Tätig- 
keit von  Künstlern  jeder  Art  und  die  Entstehungsgeschichte: 
von  Monumenten  und  Kunstwerken  während  des  wichtigen 
kulturgeschichtlichen  Jahrhunderts  von  Martin  V.  bis  Leo  X. 
neu  beleuchten.  Raphael,  sa  vie,  son  oeuvre  et  son  temps 
(1881)  kann  zwar  nach  Passavant  keine  grundlegende  Bedeutung 
mehr  beanspruchen,  aber  das  Werk  nimmt  gleichwohl  durch 
erschöpfende  Kenntnis  des  Stoffs  und  das  künstlerisch  gebildete 
Urteil  des  Kenners  eine  ehrenvolle  Stellung  neben  neueren 
Biographieon  Raphaels  ein.  Auch  in  Les  Pr^curseurs  de  la 
Renaissance  (1882)  mit  dem  Katalog  der  im  Museum,  in  der 
Bibliothek  und  dem  Palast  der  Medici  enthaltenen  Kunstobjektf 
und  Bücher  des  15.  Jahrhunderts  zeigt  sich  der  Verfasser  sk 
vorzüglichen  Kenner  der  Renaissance.  Dazu  kommen  zahl- 
reiche andere  wissenschaftliche  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Künste,  von  denen  ich  erwähne :  Histoire  g^n^rale  de  la  tapi^ 
Serie,  Fresques  in^dites  aus  dem  Schlosse  der  Päpste  in  Avignon 


Nekrolog  auf  Eugen  Müntz,  255 

u.  5.  w.,  La  bibliotheque  du  Yatican  au  XY®  siede,  Les  anti- 
quit^  de  la  ville  de  Rome  au  XIV«,  XV«  et  XVP  siecles. 

Müntz  wird  mir  nicht  nur  als  einer  der  tätigsten,  sondern 
der  geschätztesten  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte 
der  künstlerischen  Renaissance  bezeichnet. 


Zum  Schluss  hielt  Professor  Dr.  G.  F.  Knapp  aus  Strass- 
Wrg,  korrespondierendes  Mitglied  der  historischen  Klasse,  die 
inzvnschen  im  Verlag  der  Akademie  erschienene  Festrede: 

Justus  Ton  Liebig  nach  dem  Leben  gezeichnet. 


n-" 


Inhalt 


Sitzung  der  pküosophiseh-phUologischen  und  der  historiseken  Klasse 

vom  7.  März  1903  .       .    IK 

F.  Muncker:  Wielands  .Pervonte* 121 

K.  V.  Amira:    Die  grosse  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Wille- 
halm  (mit  3  Tafeln) 213 

Oeffentliche  Sitzung  zur  Feier  des  lH.  Stiftungstages 

am  11.  März  1903 241 

Einsendung  von  Druckschriften 1' 


Die  Abhandlungen  sind  auch  in  Separatabzttgen  hergeetellt  and 
erscheinen  einzeln  nnter  den  Publikationen  des  akademisclien  Verlags 
in  Kommission  der  Franz'schen  Yerlagshandlung  (J.  Roth). 


Akademische  Bachdruckerei  tod  F.  Straab  in  Xünehaa. 


/v&TL  //^  7.  ^^  ''■■ 


Sitzungsberichte 

der 

philosophisch -philologisßhen 

und  der 

historischen  Klasse 


der 


K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  JVtünchen. 


1903.    Heft  IIL 


Mfinehen 

Verlag    der   E.   Akademie 
1903. 

In  Kommission  des  G.  Franz'achen  Verlags  (J.  Roth). 


1        *       '  ^ 


Sitzungsberichte    '   'A^  1^^ 


der  ^^^^'•■'^'''(A^L^ 


Königl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Sitzung  vom  2.  Mai  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Der  Klassensekretär  legt  vor  eine  Abhandlung  des 
»rrespondierenden  Mitgliedes  Professor  Dr.  G.  Goetz  in  Jena: 

Papias  und  seine  Quellen. 

Das  in  zahlreichen  Handschriften  und  vier  Drucken  vor- 
i^ende,  früher  in  der  Regel  überschätzte,  aber  auch  heute 
ttht  immer  richtig  beurteilte  elementarium  doctrinae  erudimen- 
des  Papias  wird  auf  seine  Quellen  hin  untersucht  und  der 
icbweis  erbracht,  dass  die  meisten  Quellen  uns  noch  heute 
weniger  getrübter  und  nicht  kontaminierter  Form  erhalten 
Der  Wert  des  Lexikons  ist  also  ein  rein  historischer. 
)ias  ist  eine  Durchgangsstelle  zahlreicher  Überlieferungen, 
alsdann  in  der  bei  ihm  gegebenen  Form  auf  spätere  Werke 
pnfluss  geübt  haben. 

Herr  Munckeb  legt  vor  eine  Abhandlung  des  Sekretärs  an 
•^K.  Hof-  und  Staatsbibliothek  Dr.  E.  Petzet: 

Über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  ^Jüngeren 
Titurel«. 

Das  1835  nach  einer  älteren  Abschrift  von  Sulpice  Bois- 
*ree  in  den  Abhandlungen  der  Münchener  Akademie  veröffent- 
Wite,  damals  aber  schon  wieder  spurlos  verschwundene  Bruch- 

IMI  BHxgsb.  d.  p]ino8.-philoL  o.  d.  bist  Kl.  18 


258  SiUung  vom  2.  Mai  1903. 

stück,  dessen  —  in  keiner  andern  Handschrift  wiederkehrende  - 
Verse  eigenartige  Aufschlüsse  über  den  Dichter  des  ,Titurel' 
gewähren,   wurde   vor   kurzem   von   Professor  Dr.  Franz  M 
wieder  aufgefunden  und  wird  nun  genauer  als  1835  in  seinem 
Wortlaut   mitgeteilt   und   vielfach    neu    im   einzelnen  erkläii 
Dabei   wird   gegenüber   der   Anschauung  Lachmanns,  an  k 
auch   spätere  Forscher   festhielten,    die  Vermutung  Simmb 
dass  der  Titureldichter,  der  unter  der  Maske  Wolframs  sprick 
und   der,   welcher   sich  Albrecht  nennt,   nur   eine  Person  stL 
nunmehr  zur  Gewissheit  erhoben,  das  Heidelberger  Fragment  akr 
als  Bruchstück  einer  im  Spätsommer  1273  verfassten  Widmung 
des  damals  aber  nur  zum  grössten  Teil  vollendeten  Werkes  au 
Herzog  Ludwig  den  Strengen  von  Bayern  nachgewiesen. 

Beide    Abhandlungen    werden    in    den    Sitzungsberichten 
erscheinen. 

Herr  Furtwängleb  gibt  einen   kurzen  vorläufigen  Bericlit 

Über  die  unter  seiner  Leitung  mit  den  Mittel; 
der  Stiftung  des  Herrn  Bassermann-Jordanic 
Orchomenos  ausgeführten  Ausgrabungen. 

Dieselben  setzten  sich  die  Aufgabe,  über  die  Eigenart  der 
Kultur  der  Minyer,  die  in  der  Frühzeit  der  hellenischen  Ge- 
schichte eine  so  hervorragende  Rolle  spielen,  Aufschlüsse  zu 
gewinnen.  Diese  Aufgabe  wurde  durch  die  Ausgrabungen  iß 
der  befriedigendsten  Weise  erfüllt.  Es  wurde  der  Königspalist 
derjenigen  Epoche  entdeckt,  welcher  auch  das  schon  langt 
bekannte  Kuppelgrab,  das  sog.  Schutzhaus  des  Minyas  ang^ 
hörte,  d.  h.  der  sog.  mykenischen  Zeit,  in  welcher  auch  ic 
Orchomenos  die  sog.  mykenische,  besser  kretisch  zu  nennende 
Kultur  herrschte.  Es  fanden  sich  Reste  der  Wandmalereien 
des  Palastes,  darunter  besonders  interessant  ist  ein  Stück  mit 
zwei  in  lebhaftester  springender  Bewegung  befindlichen  niann- 
liehen  Figuren,  welche  in  ihrer  Haltung  völlig  übereinstimmen 
mit  einer  im  vorigen  »Tahre  in  Knossos  auf  Kreta  entdeckten 
Elfenbeinfigur.  Die  Malereien  in  Orchomenos  sind  sehr  wahr- 
scheinlich von  kretischen  Meistern  ausgeführt.    Auf  einer  Vase 


SUsung  vom  ^.  Mai  1903,  25d 

fand  sich  in  grossen  aufgemalten  Buchstaben  eine  Inschrift 
derselben  noch  nicht  entzifferten  Schriftart,  die  auf  den  kre- 
tischen Funden  erscheint.  Die  Vase  ist  wahrscheinlich  aus 
Kreia  importiert.  Unter  der  sog.  mykenischen  Schicht  fand 
sicli  in  Orchomenos  eine  überaus  mächtige  und  tiefe  Schutt- 
ablagerung Yormykenischer  Epochen  mit  merkwürdigen  Bund- 
bauten aus  Lehmziegeln  und  sog.  Hockergräbern  und  mit  einer 
Menge  interessanter  Tonvasen  und  Geräte.  Von  besonderer 
historischer  Bedeutung  ist  die  Tatsache,  dass  die  Funde  dieser 
Tormykenischen  Schichten  mit  denen  der  Niederlassungen  neoU- 
thlscher  Epoche  in  Thessalien  die  allernächsten  Beziehungen 
aufweisen.  Unter  den  Funden  späterer  Zeiten  in  Orchomenos 
^Q<I  die  reich  ausgestatteten  Qräber  sog.  geometrischer  Epoche 
(9.-8.  Jahrh.  vor  Chr.)  und  eine  grössere  Bronzeinschrift  aus 
Rassischer  Zeit  hervorzuheben. 

Herr  Krümbachee  berichtet  über  das  Programm  des  von 
der  Bayerischen  Akademie  angeregten  und  bei  der  ersten  Sitzung 
i^r  internationalen  Assoziation  der  Akademien  in  Paris  1901 
uuter  die  gemeinsam  auszuführenden  Untersuchungen  aufge- 
nommenen Planes  eines 

Corpus  der  griechischen  Urkunden   des  Mittel- 
alters und  der  neueren  Zeit. 

Dieses  Programm  wird  mit  einem  Verzeichnis  des  bisher 
^kannten  Urkundenmaterials  besonders  gedruckt  werden  und 
^11  bei  der  für  das  Jahr  1904  festgesetzten  zweiten  Sitzung 
i^r  Assoziation  als  Basis  der  Verhandlungen  dienen. 

Herr  Kbukbacher  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte 
^^timmten  Vortrag: 

Das  mittelgriechische  Fischbuck 

Es  handelt  sich  um  ein  in  einer  Escurialhandschrift  erhal- 
^nes  vulgärgriechisches  Prosastück,  in  welchem  eine  von  Fischen 
Qöter  dem  Vorsitz  des  Königs  Walfisch  abgehaltene  Gerichts- 
verhandlung erzählt  wird.    Die  seltsame  Geschichte,  deren  Text 

18* 


260  SUiung  vom  2.  Mai  1903. 

leider  sehr  verdorben  ist,  erscheint  als  eine  Parodie  des  byzan- 
tinischen Hof-  und  Beamtenwesens  und  ist  eng  verwandt  mit 
zwei  anderen  eine  ähnliche  satirische  Tendenz  yerraiendeo 
byzantinischen  Werkchen,  dem  Yogelbuch  (Pulologos)  und  des 
Obstbuch  (Porikologos).  Eine  entfernte  Analogie  bietet  ^ 
lateinische  «Testamentum  porcelli*'. 


Historische  Klasse. 

Herr  Qbauebt  hält  einen  fUr  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Aus  römischen  Bibliotheken  und  Archiven. 

Der  Vortragende    geht    aus    von    einer    Besprechung  des 
Cod.  739  der  Bibliotheca  Angelica  in  Rom  und  stellt  fest,  da.^s 
in    dem    neuen    Handschriften -Katalog    von    Enrico   Narducci 
Schriften  des  Engelbert  von  Admont,  Johannes  von  Paris  b;J 
Johannes  Gerson  mit  Unrecht  dem  bekannten  Augustiner-&r- 
miten  Augustinus  Triumphus  von  Ancona   zugeschrieben  isl 
Er  bespricht  sodann  die  im  Vatikanischen  Archiv  verwahrte"- 
Aktenstücke  zur  Geschichte  des  von  Ludwig  XIV.  im  Jahre  V""^^ 
am  Rhein  geführten  Feldzuges  und  schliesst  mit  einem  Hinweis 
auf  einen   in   der  Vatikanischen  Bibliothek   vorhandenen,  bis- 
her  ungedruckten,    wichtigen   kirchenpolitischen    Traktat  z^r 
Geschichte  Ludwig  des  Bayern. 

Herr  Friedrich   weist   in   einem   für   die   Sitzungsbericht 
bestimmten  Vortrag: 

Die  sardicensischen  Aktenstücke  der  Sammlung 
des  Theodosius  Diaconus 

die  Behauptung,  Cyrillus  von  Alexandrien   habe  diese  Akte»' 
stücke  419  nach  Carthago  gesandt,  als  irrig  zurück. 


261 


Sitzung  vom  13.  Juni  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Herr  FuBTwÄNaLEB   macht    eine    für    die    Sitzungsberichte 
bestimmte  Mitteilung: 

Der  Ostgiebel  des  olympischen  Zeustempels, 

in  welcher  eine  neue  Aufstellung  der  bezüglichen  Giebelgruppe 
in  Vorschlag  gebracht  wird. 


Herr    von    Christ    hält    einen     für    die    Sitzungsberichte 
(«stimmten  Vortrag: 

Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte. 

Ausgehend  von  der  alten  Annahme,  dass  uns  von  jenem 
Liebling  der  alexandrinischen  Dichter  nur  eine  Auswahl  der 
Wliebtesten  Gedichte  erhalten  sei,  wird  zu  ermitteln  gesucht, 
^^i  welche  Weise  diese  Anthologie  entstanden  und  allmählich 
2u  dem  Umfang  von  dreissig  Gedichten  angewachsen  sei. 
^D  einer  Heptas  von  sieben  Kapiteln  werden  auf  Grund  der 
verschiedenen  Äste  der  handschriftlichen  Überlieferung  mehrere 
wichtige  Fragen  über  die  Teile  der  Sammlung  und  die  fremden 
Elemente  derselben  besprochen  und  gelöst. 


262  Sitzung  vom  13.  Juni  1903. 


Historische  Klasse. 

Der  Elassensekretär  legt  vor  eine  Abhandlung  des  Herrn 
VON  Rockingeb: 

Deutschenspiegel,  sogenannter  Schwabenspiegel. 
Bertolds  von  Regensburg  deutsche  Predigten 
in  ihrem  Verhältnisse  zu  einander. 

Die  gewöhnliche  Meinung  hierüber  neigt  dahin,  dass  Ber- 
told   den   Deutschenspiegel    benützt    hat,    dass   dagegen  seine 
Predigten  im  Schwabenspiegel  verwertet  sind.    Gegen  das  letztere 
hatte    der    Verfasser    in    der    Sitzung    vom    9.   Februar  18S9 
Bedenken    geäussert.     Die   nähere   Untersuchung   hierüber  ist 
nicht   veröffentlicht  worden,   da  sie   nur   als  Vorarbeit  zu  je 
entsprechender  Verwendung  da  oder  dort  in  der  Einleitung  zur 
Ausgabe  des  Kaiserlichen  Land-  und  Lehenrechts  dienen  sollte 
Diese  Zerstückelung  führt  aber  mehrfache  Nachteile  mit  sic^. 
so  dass  die  Erörterung  nun  doch  als  Oanzes  erscheint.    ^ 
Verhältnis  zwischen  dem  Deutschenspiegel  und  den  Predigwi^ 
hat  sich  bestätigt.     Bezüglich  des  Schwabenspiegels  aber  stelk 
sich,  soweit  es  sich  um  das  Recht  handelt,  als  Ergebnis  heraus 
dass  Bertold,   wie  in   den  früheren  Predigten  den  Deutschen- 
spiegel,  so  später  den  Schwabenspiegel  benützt  hat.    Daraus 
folgt   von    selbst,   dass   dieser,    da   der  gefeierte   Minorit  an: 
14.  Dezember  1272  gestorben,  vorher  verfasst  worden  ist 

Die  Abhandlung  wird  in  zwei  Abteilungen  in  den  Denk- 
schriften gedruckt  werden. 

Herr  Riehl  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Nationale  und  internationale  Züge  in  der  Ent" 
Wicklung  der  deutschen  Kunst. 

Der  gleiche  Stil  der  Kulturvölker  Westeuropas  beweist 
festen  Zusammenhang  ihrer  künstlerischen  Entwicklung,  deren 
nationale  Eigenart  dagegen  selbständiges  Vorgehen  der  einzelnen 


SUgung  vom  13.  Juni  1903.  268 

Völker  und  Gh-uppen.     Die  Untersuchung  über  Art  und  Ver- 
lauf internationaler  Bewegungen,  sowie  über  die  Gründe  der 
Sonderentwicklung  der  Gruppen  führt  zu  der  Erkenntnis,  dass 
bei  den  massgebenden  Völkern  eine  selbständige  Entwicklung 
vorliegt,   die  sich  jedoch   mit  jener  der  anderen  Nationen   in 
parallelen  Bahnen   bewegt  hauptsächlich  wegen   der  gleichen 
Kirche,  desselben  künstlerischen  Stoffes  und  verwandter  Tra- 
ditionen.   Daraus  erklären  sich   auch  die  oft  überraschenden 
Ähnlichkeiten  annähernd  gleichzeitiger  Werke,  zwischen  denen 
sicher  kein  direkter  Zusammenhang  besteht,   andererseits  aber 
gewinnt  auch   gerade,   weil   die  Völker  neben  einander  nach 
Terwandten  Zielen  streben,  das  vorauseilende  oft  wesentlichen, 
fordernden  Einfluss  auf  die  übrigen.     Speziell  für  die  deutsche 
Kunstgeschichte  erscheint  wichtig,  dass  ihr  selbständiger  Ent- 
wicidungsgang  mehr  betont   und  festgehalten   wird,    dass   die 
italienischen,  französischen,  niederländischen  Einflüsse  auf  den- 
st'Iben  zwar  fordernd  und  anregend  wirken,   aber  keineswegs, 
wie  man  so  oft  glaubt,  die  grossen  Stilwandlungen  begründen. 

HerrRiGOAUEB  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Über  den  sogenannten  Vierschlag  auf  den  bai- 
rischen  Pfenningen  des  Mittelalters 

und  erklärt  auf  Grund  einer  genauen  Untersuchung  von  vielen 
Hunderten  dieser  Münzen  diese  technische  Eigentümlichkeit 
durch  einen  Walzvorgang,  der  zum  Zweck  hatte,  den  Schröt- 
üug  runder  und  für  die  Prägung  widerstandsfähiger  zu  machen. 
Tiiter  dem  Welleisen,  das  in  einer  Ordnung  für  die  Grazer  Münze 
aus  dem  14.  Jahrhundert  erwähnt  wird,  haben  wir  ein  solches 
^alzeisen  zu  verstehen.  Derselbe  gibt  dann  ein  Richtstück 
i  h.  Probiergewicht  Ottos  I.  von  Pfalz -Mosbach  für  seine 
Münzen  aus  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  bekannt. 


264 


Sitzung  Yom  4.  Juli  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Der  Klassensekretär  legt  vor  eine  Abhandlung  des  Herrn 
Dr.  K.  Simon  in  München: 

Die  Notationen  des  Somanätha. 

Mit  Hülfe  der  in  der  Bombayer  und  Oxforder  Handscbiift 
des  Somanätha  enthaltenen  Angaben  wird  zuerst  sein  Alt^^ 
das  bisher  gewaltig  überschätzt  wurde,  endgültig  festgelegt, 
sodann  die  Notationen,  die  er  in  seinen  fUr  die  indische  Laute 
komponierten  Stücken  zur  Anwendung  bringt,  im  Einzeineo 
behandelt  und  versucht,  die  ihnen  entsprechende  Technik  aul 
der  Laute  zu  bestimmen.  Der  Kommentar,  den  Somanätha 
selbst  zu  seinem  Text  verfasst  hat,  wird  einer  genauen  Be- 
sprechung unterzogen  und  schliesslich  dargelegt,  dass  sowohl 
die  Kompositionen  des  Somanätha  nichts  mit  dem  Gltagovinda 
des  Jayadeva  zu  tun  haben,  als  auch  überhaupt  die  Art  der 
indischen  Musikpraxis  den  Begriff  von  , Original* -Melodien  zu 
den  Gedichten  des  Jayadeva  ausschUesst. 

Die  Abhandlung  wird  in  den  Sitzungsberichten  erscheinen. 


SiUung  wm  4.  Jtdt  1903,  265 

Herr   Fubtwanoleb   macht   eine    für    die    Sitzungsberichte 
bestimmte  Mitteilung: 

Zu  den  Skulpturen   des  Asklepios-Tempels  von 
Epidauros, 

in  welcher  er  eine  bisher  nicht  beachtete  zu  den  Giebel- 
skulpturen dieses  Tempels  gehörende  Statue  eines  liegenden 
Jünglings  nachweist  und  femer  die  Beste  der  Akroterienfiguren 
einer  Besprechung  unterzieht. 

Herr  Lipps  hält  einen  für  die  Sitzungsberichte  bestimmten 
Vortrag: 

Psychische  Vorgänge,  Bewusstseinsinhalte  und 
Gegenstände.    Psychologie  und  Logik. 

Für  die  Zukunft  der  Psychologie  wie  der  Logik  ist  ent- 
scheidend  die  sichere  Unterscheidung  der  Bewusstseinsinhalte 
und  der  in  ihnen  gedachten,  dem  Bewusstsein  transcendenten 
Gegenstände.   Die  Gegenstände  sind  das  Anerkennung  Fordernde. 
Das  Bewusstsein  der  Notwendigkeit  der  Anerkennung  ist  das 
ßeltungsbewusstsein.     Alle   Wissenschaften    ausser   der   Logik 
untersuchen,  was  die  Gegenstände  fordern.     Die  Logik  befasst 
sich  mit  der  Tatsache  des  Forderns.     Ihr  einziges  Thema  ist 
das  Geltungsbewusstsein.     Von  ihr  streng  zu  scheiden  ist  die 
Psychologie  des  Denkens  und  Erkennens.     Die  Psychologie  hat 
eine  doppelte  Aufgabe.  *  Sie  ist  Phänomenologie  der  Bewusst- 
seinserlebnisse,   und   sie  erklärt  d.  h.   fasst  die  Bewusstseins- 
erlebnisse    unter    das   Kausalgesetz.      Dies    Letztere    schliesst 
üe  Betrachtung  der  Bewusstseinserlebnisse  als  Erscheinungen 
^ines  in  ihnen  gedachten  psychisch  Realen,  insbesondere  real- 
psychischer  Vorgänge,    notwendig   in    sich.      Der    psychische 
Lebenszusammenhang  ist  fttr  die  Psychologie   ein  Zusammen- 
klang solcher  realer  Vorgänge,  die  nur  da  und  dort  in  Bewusst- 
seinserlebnissen    erscheinen.     Wie    dies   psychisch  lieale   zum 
Gehirn  und  den  Gehimprozessen  sich  verhalte,  ist  eine  ausser- 


266  SUßung  wm  4.  JuU  1903. 

psychologische  Frage.  Sofern  auch  das  Geltungsbewussisein  | 
in  die  Sphäre  der  Bewnsstseinserlebnisse  gehört,  ist  die  Logik  j 
ein  abgegrenzter  Teil  der  psychologischen  Phänomenologie.  | 

Historische  Klasse. 

Herr  Bbentano  berichtet  über  eine  von  ihm  unternommene 
grössere  Arbeit: 

Über  die  Entwicklung  des  englischen  Fidei- 
kommissrechts  im  Zusammenhang  mit  der  Ent- 
Wicklung  der  politischen  und  wirtschaftlichen 
Verhältnisse 

und  erläutert  die  Auflösung  des  Unterschieds  in  der  fidei- 
kommissarischen  Vererbung  von  Grundbesitz  und  beweglichem 
Gute  im  Zusammenhang  mit  dem  steigenden  Bedarf  an  Betriebs- 
kapital zu  intensiverer  Bewirtschaftung  des  Bodens,  mit  der 
foi*tschreitenden  Demokratisierung  der  englischen  Verfassung 
und  dem  Sinken  der  Getreidepreise. 


267 


Papias  und  seine  Quellen. 

Von  Oeorg  Goets. 

(Vorgelegt  in  der  pbilos.-philol.  Klasse  am  2.  Mai  1903.) 

Das  Lexikon  des  Papias  hat  in  der  Literatur  eine  höhere 
Schätzung  gefunden,  als  ihm  seiner  Bedeutung  nach  zukommt. 
Hat  doch  Du  Gange  in  seinem  Glossarium  zahlreiche  Notizen 
aus  ihm  entnommen,  teils  aus  dem  gedruckten  Exemplar,  teils 
aus  Handschriften,  und  noch   der  Bearbeiter  der   lateinischen 
Lexikographie   im    MüUerschen   Handbuche    hat    S.  498    eine 
Charakteristik   gegeben,   die   der  wirklichen  Bedeutung  nicht 
entspricht.    Die  im  Nachstehenden  gegebene  Analyse  des  Werkes 
hat  die  Aufgabe,   die  Forschung  zu  entlasten,   d.  h.  die  Ver- 
pflichtung, auf  Papias  Bücksicht  zu  nehmen,  auf  ein  Minimum 
zu  beschränken.     Seit  dem  Bekanntwerden  des  liber  glossarum 
hört  dieser  Eompilator  auf,  eine  Fundgrube  älterer  Gelehrsam- 
keit zu  sein,  und  selbst  die  mittelalterlichen  Zutaten  sind  zu 
unerheblich,   um   sein  Ansehen   zu   retten.     Im   Ganzen   und 
Grossen  wird  nur  d  e  r  Veranlassung  haben,  Papias  einzusehen, 
der  die  Geschichte  einzebier  Überlieferungen  verfolgt:  für  ihn 
ist  er  eine   Durchgangsstelle,    die  mitunter   auf  spätere   Fas- 
sangen Einflufls  geübt  hat. 

L 

Drucke.  Gedruckt  wurde  dieses  Lexikon  zum  ersten  Male 
im  Jahre  1476  in  Mailand  (per  Dominicum  de  Ves/polate  Anno 
domini  MCCCCLXXVI  die  XIL/mensis  decembris).  Die  beiden 
Exemplare   dieses  Dinickes,   die  mir  bekannt  geworden   sind, 


268  Georg  Goetz 

weichen   nur  in  einigen   unwesentlichen  Änderungen  ab,  die 
Yor    dem   Abzug   weiterer   Exemplare    Torgenommen   wurden. 
Aus   der  Mailänder  Ausgabe  stanmien   die   drei   übrigen,  die 
vorhanden  sind:    1.  die  Yenediger  von  1485  (per  Andream  de 
Bonetis  de  Papia.    Anno  domini  MGCGGLXXXY.    Die  ultimo 
lunii.    loanne  mocenico  inclyto  Venetiarum  principe  regnante); 
2.  die  von  1491  (per  Theodorum  de  regazionibus  de  asula  die 
XV  mensis  Martii);   3.  die  von  1496  (per  Philippu   de  pincis 
Mantuanum  •  Anno  •  domini  •  MCCCCXCYI  •  die  XIX  Aprilis. 
Regnante  Serenissimo   Augustino   Barbadico  Venetiarum  duc« 
felicissimo).     Auf  dem  ersten  Blatte  steht  der  Titel:   PAPIAS 
VOCABVLISTA.    Dass  alle  diese  Drucke  trotz  der  Differenzen 
im  Einzelnen  —  von  dem  Mailänder  Drucke   wie   unter  ein- 
ander  unterscheiden   sie   sich    nur   durch   abweichende  Inter- 
punktion,  kleine  Auslassungen,   Zusätze   und  Verbesserungen 
sowie   durch   orthographische  Eigentümlichkeiten  —  von  der 
editio    princeps    abhängen,    beweist    die    gemeinsame    Lücke 
zwischen  pecuosus  und  placikim^   die  durch   den  Ausfall  von 
acht  in  der  princeps  noch  vorhandenen  Blättern  entstanden  ist. 
Damit  ist  zugleich  die  Minderwertigkeit  der  späteren  Drucke 
der  princeps  gegenüber  dargetan.    Ich  werde  im  weiteren  Ver- 
laufe dem  Mailänder  Drucke  folgen,   ausser  wo  ich  direkt  die 
handschriftliche  Lesart  zu  Grunde  lege. 

Handschriften.  Die  Zahl  der  Papiashandschriften  ist 
eine  sehr  beträchtliche,  wenn  sie  auch  nicht  so  bedeutend  ist, 
wie  es  nach  Loewes  Angabe  (Prodr.  S.  235:  HnnumeraMlibus 
paene  codidbus  servatum^)  der  Fall  zu  sein  scheint.  Altere 
Zusammenstellungen  finden  sich  bei  Montfaucon  Bibl.  mss. 
S.  751,  754,  760;  Loewe  a.  a.  0.  S.  235  Anm.  4;  Berger  de 
gloss.  et  compend.  exeg.  p.  12.  Im  nachstehenden  notiere  ich 
die  mir  bekannt  gewordenen  Exemplare,  ohne  aber  den  An- 
spruch auf  absolute  Vollständigkeit  zu  erheben.  Die  grössere 
Anzahl  gehört  dem  13.  und  14.  Jahrhundert  an;  das  15.  Jahr- 
hundert ist  nur  schwach  vertreten,  schwächer  jedenfalls  als 
das  12.  Aus  dem  12.  Jahrhundert  stammen  folgende  Hand- 
schriften:   1.   cod.   Paris,   lat.  No.  9341    (suppL  lat.  22,  mit 


Papias  und  seine  Quellen.  269 

Grammatik);  2.  in  Douai  No.  751  (mit  Grammatik);  3.  in 
Trojes  No.  539  (Zeitangabe  nach  dem  Katalog);  4.  in  Mont- 
pellier No.  107  (nach  dem  Katalog);  5.  ebenda  No.  108  A — P, 
nach  dem  Katalog);  6.  in  Laon  No.  427  (P — Schluss,  mit 
Srammatik);  7.  in  Darmstadt  No.  909  (ohne  Grammatik);  8.  in 
Florenz  cod.  Ashbumh.  No.  63  (mit  Granunatik);  9.  in  Madrid 
cod.  bibl.  Nat.  Y  191  (nach  Loewe-Hartel  p.  447);  10.  in  Rom 
cod.  Casanat.  464  (A.  I.  22,  Zeitbestimmung  nach  Gundermann; 
cf.  Loewe  Prodr.  235;  mit  Grammatik);  11.  cod.  Yat.  Ottobon. 
lat.  2231  (Zeit  nach  Loewe,  anders  Prodr.  p.  235);  12.  in  La 
Cava  cod.  No.  14  (Zeit  nach  W.  Meyer);  13.  in  Lucca,  Kapitels- 
bibUothek  (Zeit  nach  Ewald);  14.  in  Gand  (nach  Katalog  p.  238, 
ohne  Granunatik).  —  Aus  dem  12./ 13.  Jahrhundert  habe  ich 
notiert  15.  in  Montpellier  No.  38;  16.  in  Auxerre  No.  70  (mit 
Grammatik).  —  Aus  dem  13.  Jahrhundert:  17.  in  Paris  cod. 
lat.  No.  17162  (mit  Grammatik);  18.  No.  7609  (ohne  Gram- 
matik);  19.  No.  7610  (mit  Grammatik);  20.  No.  7611  (mit 
Grammatik);  21.  No. 7612 (ohne Grammatik);  22.  No. 8844  (ohne 
Grammatik);  23.  No.  11531  (mit  Grammatik);  24.  No.  10296 
(A— 0  Mitte,  ohne  Grammatik);  25.  No.  13030  (ohne  Gram- 
matik);  26.  No.  14744  (mit  Grammatik);  27.  No.  17878  (ohne 
Grammatik);  28.  No.  17879  (N-Z,ohneGrammatik);  29.  No. 7642 
(A— M,  ohne  Grammatik);  30.  No.  7645  (0— Z,  ohne  Gram- 
matik); 31.  No.  7622  A  (ohne  Granamatik,  nicht  Hugucio); 
32.  No.  12400  (ohne  Grammatik,  A— D  Mitte);  33.  im  Arsenal 
No.  1225  (mit  Grammatik,  Zeit  nach  Gundermann,  Katalog: 
12.  Jahrhundert);  34.  cod.  Mazar.  No.  3790  (453),  Sammelhand- 
schrift, unyoUständig;  35.  in  Montpellier  No.  109;  35  a.  Rouen 
Xo.  1020—1021  (ohne  Grammatik);  36.  ebenda  No.  1022  (mit 
Grammatik);  37.  in  Douai  No.  752  (mit  Grammatik);  38.  in 
Arras  No.  345  (mit  Grammatik);  39.  in  Boulogne-sur-mer 
No.  182  (mit  Grammatik);  40.  ebenda  No.  183  (mit  Grammatik); 
41.  in  St.Omer  No.  193  (mit Grammatik);  42.  in  Troyes  No.  160; 
43.  in  Valenciennes  No.  396,  397  (in  397  ein  Stück  im  15.  Jahr- 
Hundert  ergänzt);  44. — 46.  in  Alcoba^a  (nach  Haenel  p.  1027); 
47.  in    London    cod.   Harlei.  2355  (Epitome);    48.   in   Monza 


270  Georg  Ooeit 

cod.  229  (vgl.  Memorie  storiche  di  Monza  e  la  sua  corte  rac- 
colte  ed  esaminate  da  A.  F.  Frisi  t.  III  p.  233  sq.);  49.  in  Flo- 
renz cod.  Laur.  27,  3;  50.  in  Madrid  Bibl.  Nat.  B  b  126  (Loewe- 
Hartel  S.389);  51.  ebenda  K.  Privatbibliothek  2D5  (Loewe- 
Hartel    S.  466;    ohne    Grammatik);    52.   in   Bern  No.  1  (mit 
Grammatik);   53.   ebenda  No.  2   (mit  Grammatik;    über  beide 
vgl.   Hagen,    Anecd.    Helv.  CLXXIX);     54.    ebenda   No.  27C 
(Loewe   Prodr.   S.  235;    Anecd.  Helv.  CLXXX;   nach  Hagen 
13. — 14.  Jahrhundei-t).    Aus  dem  13./ 14.  Jahrhundert  stammen 
55.   in  Rom  der  cod.  Chisianus  LVII   244   (olim   2065;   ohne 
Grammatik);   56.   in  London   cod.   Harl.    Addit.  No.  8244  (in 
mehrfach    veränderter   Fassung).     Handschriften  des  14.  Jahr- 
hunderts sind  57.   in   Paris   cod.  7613  (A— I);   58.  No.  7614 
(ohne  Grammatik);  59.  No. 7615  (ohne  Grammatik);  60.  No. 7616 
(A— P);  61.  No.  7617  (A— P);  62.  No.  7618  (F— Schluss;  ohne 
Grammatik);  63.  No.  7619  (N— Z;  mit  Grammatik);  64.  No.  7598 
(ohne    Grammatik);    65.   in  Douai  No.  753  (ohne  Grammatik): 

66.  ebenda    No.  753    (^elementarium    Papiae    abbreviatum'): 

67.  in  London  Harl.  2610  (Fragment);  68.  ebenda  Harl.  48W 
(ohne   Grammatik);    69.    ebenda  Addit.   No.  14806   (mutilus); 

70.  in   Cambridge   (Univ.   Bibl.  K  k  IV  1   (ohne  Grammatik); 

71.  in  Cheltenham  cod.  Phillipps.  No.  212  (A— I);  72.  in 
Leiden  bibl.  publ.  No.  17  (mit  Grammatik);  73.  ebenda  No.  120 
(abgekürzt);  74.  in  Neapel  5  C  31  (a.  1338,  ohne  Grammatik): 

75.  in   Rom   cod.   Chisianus   L  VIH  288   (ohne   Grammatik); 

76.  ebenda  cod.  Vatic.  Reg.  Christ.  No.  1482  (Loewe  Prodr. 
235;    Wilmanns    Rh.    M.    XXIV   S.  379,    ohne    Grammatik): 

77.  ebenda  cod.  Vatic.  Ottobon.  No.  2331 ;  78.  ebenda  Vatic. 
Ottobon.  No.  1757;  79.  in  Madrid  bibl  Nat.  B  b  125  (Loewe- 
Hartel  S.  389,  ohne  Grammatik);  80.  in  Erfurt  No.  28  (Papias, 
novus  Comutus).  Dazu  kommen  endlich  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert noch  hinzu:  81.  in  Paris  No.  7620  (ohne  Grammatik); 

82.  in  Valenciennes   No.  379—380  (vgl.   auch  oben  No.  43): 

83.  in  London  cod.  Harl.  Addit.  No.  14807  (ohne  Grammatik): 

84.  in  Rom  Vatic.  No.  1465  (vgl.  Loewe  Prodr.  235;  Wil- 
manns Rh.  Mus.  XXIV  p.  379,   aus  einem  Original  von  1264); 


Papiaa  und  seine  Quellen.  271 

85.  ebenda   No.  1466    (Loewe   a.  a.  0.,   Wilmanns  a.  a.  0.); 

86.  ebenda  ürb.  No.  304  (Loewe  a.  a.  0.,  Wilmanns  S.  380); 

87.  ebenda  Vat.  No.  5228  (Loewe  a.  a.  0.,  Wilmanns  S.  379). 
Zam  Schluss  erwähne  ich  noch  einige  Handschriften,  über  die 
ich  nichts  näheres  weiss:  nach  Hänel  p.  405  aus  Reims 
Xo.  714;  nach  Thurot  Notices  et  extr.  XXII  p.  45  eine  Pariser 
Handschrift. 

Die  mir  zu  Gebote  stehenden  Notizen  über  diese  Hand- 
schriften sowie  aus  einigen  darunter  zeigen,  dass  die  einzelnen 
£iemp}are  sich  von  andern  zuweilen  ganz  erheblich  unter- 
scheiden; es  finden  sich  Zusätze  und  Auslassungen,  Yeibesse- 
ruDgen  und  Verschlechterungen,  kurz  Änderungen  mannig- 
faltiger Art.  Hätte  das  Glossar  des  Papias  eine  Bedeutung 
als  originale  Quelle,  so  würde  ich  es  für  nötig  gehalten  haben, 
die  Erforschung  dieser  Varianten  bis  zu  dem  Punkte  fortzu- 
fuhren, von  dem  aus  eine  Klassifikation  möglich  wäre.  Allein 
da  Papias  fast  ausschliesslich  nur  für  die  Geschichte  der 
Glossographie  in  Betracht  kommt,  würde  ich  es  für  eine  Zeit- 
verschwendung halten,  darauf  dieselbe  Mühe  zu  verwenden 
wie  etwa  auf  den  liber  glossarum.  Zu  einer  Analyse  des 
Werkes  reichen  meine  Notizen  sowie  der  durchgängig  heran- 
gezogene cod.  Darmstad.  völlig  aus,  um  so  mehr  als  der  älteste 
Druck,  von  einer  Anzahl  von  Zusätzen  abgesehen,  eine  durch- 
aus befriedigende  Grundlage  zu  bilden  geeignet  ist. 

H. 

Persönliches  und  Chronologisches.  Dass  Papias  ein 
Lombarde  sei,  ist  eine  alte  Tradition,  die  über  Trithemius 
zurückreicht  (vgl.  Berger  S.  11).  So  viel  ich  sehe,  hindert 
Qns  nichts,  diese  Tradition  festzuhalten.  Wenn  man  zu  ihrer 
Bekräftigung  auf  einen  möglichen  Zusammenhang  seines  Namens 
mit  der  Stadt  Pavia  hinweist,  so  liegt  nichts  vor,  was  einen 
solchen  Zusammenhang  auch  nur  wahrscheinlich  machte.  Im 
übrigen  wissen  wir  über  seine  Zeit  und  persönlichen  Verhält- 
oisse  nichts,    als   was  sich   aus  dem  Werke  selber  entnehmen 


272  Otorg  QoeU 

lässt.  Das  wichtigste  finden  wir  in  dem  Briefe,  der  an  seine 
Söhne  gerichtet  und  dem  ganzen  Werke  vorausgeschickt  ist 
Er  beginnt  nach  der  editio  princeps,  die  ich  an  einigen 
wenigen  Stellen  nach  einer  Pariser  Handschrift  (vgl.  No.  33) 
und  dem  cod.  Darmstad.  berichtigt  habe,  folgendermassen: 

Fili  uterque  carissime,^)  debui  si  potuissem,  potui  si  meae 
voluntati   Christus  suae  gratiae  pondus  adhibuisset,  earundes 
quas  novi  litterarum  disciplinas^)   in   praesentia  vos  edocuisse. 
At  quia  aut  nostri  causa  peccati  aut  melius  providentis  divinae 
dispositionis  gratia   ad   praesens  sumus  remoti,  ne  noi;  videa* 
mini   filii,    si   non   viva  voce   ut  debui,  saltem  eiusdem  signi- 
ficatione  ut   potui,   Interim  quaedam  disciplinae')  elementa  ad 
vestra  erudimenta   invenire   disposui:     nee   vobis   solum  filiis, 
sed,  si  arrogantiae  non  detur,  patribus  vel  fratribus  quibosdam 
iam   satis   olim   a  me  petentibus,    quibusdam  autem,  etsi  non 
petentibus,   tamen  cupientibus,   omnibus  vero  quibus  proficere 
debeat,  talentum  non  occultandum,  sed  usuris  erogandum  sus- 
cepi.  Opus   quidem   a  multis   aliis   iam   pridem  elaboratum,  a 
me   quoque  nuper   per  spatium  circiter  decem  annorum  proiil 
potui  adauctum  et  accumulatum:  ad  confertum  igitur  et  coagi- 
tatum  eiusdem  exornationis   et   perfectionis  cumulum  quantum 
deus  donaverit  adhuc  superaddere  pertentabo.     Erit  enim  qui- 
busdam perspatiosum  ac  mare  magnum  innumerabilibus  et  di- 
versis  plenum   reptilibus  naufragantibus   et   in  tranquillitatem 
tutissimi   ecclesiae   portus  redire   et  quiescere  volentibus  firraa 
stabilisque   receptio   et  a  violentissimis  ventorum  flatibus  ?era 
defensio.     Qui   si  malivoli  non  fuerint,  leni  suavissimoque  do- 
cente  magistro  per  hanc  ad  veram  poterunt  provehi  sapientiam 
dognmtizante*)    spiritu    sancto.     Nolentes    igitur   nuUo    modo 
cogo,  volentes  vero  per  Christum  obnixius  *)  omnes  rogo,  immo 


1)  Filii  utique  carissimi  ed.  princ. 

*)  disdplinis  cod.  Paris. 

')  Fehlt  im  cod.  Paris. 

*)  So  der  Darmstad.  u.  Paris.:  docevte  ed.  princ. 

^)  obnoxius  cod.  Paris. 


Papias  und  seine  Quellen,  273 

adiurando  per  eundem  cogo,  [et]')  ut,  quoniam  ad  utramque 
TiaiD,  arrogantiae  scilicet  vanam  philosophiam  et  Christi  veram 
omnibusque  communem  sapientiam,  hoc  quidem  ex  omnibus 
quas  myenimus  scripturis  electum  atque  compositum  opus  de- 
spicere*)  approbatur,  aut  ad  idem  pertractandum  ne  aspirent 
aut  in  Christo  id  habere  nitantur,  posteaquam*)  susceperint. 
Contra  id  vero  qui  fecerit  aut  alteri  faciendi  occasionem 
dederit,  ipse  quidem  exterior  homo  ad  praesens  sit  ana- 
ihema,  ut  interior  ne  pereat  in  die  iudicii.  Insuper  autem  id 
solum  ab  omnibus  peto  remunerationis,  ut  cum  ad  legendum 
knc  librum  susceperint,  nostri  quoque  cum  caritate  memine- 
rint  et  pro  me  PAPIA  multiplicibus  .obsito  peccatis  ad  huma- 
natampro  nobis  deum  exorent,  ut  perfecta  omnium  meorum*) 
delictorum  Tenia  percepta  divini  spiritus  gratia  purificatus  et 
eiosdem  ardentissimo  amori  inseparabiliter  copulatus  deum 
(leorum  in  Syon  videre  et  in  Hierusalem  perpetuo  laudare  uno 
k  corpore  cum  ipsis  omnibusque  orthodoxis  coniunctis  valeam. 
Amen.' 

Nach  dieser  Widmung  besass  Papias  zwei  Söhne,  war 
aber  ?on  ihnen  getrennt.  Er  lebte  unter  Klerikern;  das  be- 
weisen einmal  die  Worte  patribus  vd  frcUribus  quHmsdam  iam 
«/w  ciim  a  me  peientibus,  sodann  folgender  Passus  im  Nach- 
wort: qucUenus  vestris  oraüombus  et  elemosynis  ceterisque 
'hrUuaiibus  auxUiis  perpetuo  adiutus  onmiumque  meorum  per- 
«pfei  venia  peccatorum  vobiscum  ad  aetema  valeam  pervenire 
9^udia\  Etwas  weiteres  wissen  wir  über  seine  Persönlich- 
keit nicht. 

Die  Zeit  der  Entstehung  des  Lexikons  ist  bereits  vor 
TttW  Jahrhunderten  festgegestellt  worden.  Schon  im  chron. 
Wbrici  (Pertz  Mon.  Germ.  Script.  XXIII  p.  790)  heisst  es  zu 
^^'^'3:  'Anno  1053,  13  imperaioris  Henrici  ßii  Conradi,  Papias 
'^TKm  suum,  seilicet  Elementarium  doctrinae  rudimentum,  edidit, 

^)  om.  codd.  Parii.  et  Darmstad. 
*)  inspieere  ed.  Venet.:  an  respieere? 
1  poitquam  cod.  Paris. 
*)  Fehlt  im  Paris. 

1»».  Sitzgsb.  d.  pbUoa.-pbUol.  n.  d.  Usi.  KL  1 9 


274  Oeorg  Ooett 

quod  pröbatur  per   numerutn  annorum,   uU  agit  de  aädäm 
scieculi  in  prima  littera  et  enumerando  perüngit  usgue  ad  hnc 
annum\     Die  Stelle,   die   der  Verfasser  im  Auge  hat,  findet 
sich  unter  Aet(xs  und  lautet  nach  dem  cod.  Darmstad.  folgender- 
massen:   Otto  minor  •  XXII  •  Otto  puer  •  sex  •  Henricus  mm 
'  XXIII •  Conradus  •  XVI - Henricus minor  •  XIII'  Das  13.Jilr 
der  Begierung  Heinrich  lU.  war  also  bereits  zurückgelegt  ik 
diese  Worte   geschrieben   wurden.     Dass  sie  nicht  von  Pap 
stammen,  sondern  von  einem  Fortsetzer,  ist  kaum  anzunebmeii.   ! 
Wenn  wir  nun  mit  Loewe  Prodr.  S.  235  berücksichtigen,  das> 
jene  Worte  gleich   im   Anfang  des  Werkes  stehen  sowie  dass 
Papias   nach   dem  Widmyngsbriefe    10  Jahre   mit  der  Arkit 
zubrachte,   so  kämen  wir  auf  das  Jahr  1068.     Doch  hätte  ja 
Papias  die  Zahl  leicht  abändern  können.    Halten  wir  also  zq- 
nächst  an  der  Zahl  1053  fest. 

Die  älteste  Spur   des   Papias,   auf  die   ich  gestossen  bii. 
weist  auf  das  Jahr  1173.     In  seinem  commentarius  de  Script 
eccies.  II  p.  621  erwähnt  C.  Oudin   ein   Gedicht,    das  aus  d^'  • 
Papiaseiemplar   von   Aquicinctum  (=  Anchin)  stammt,  w«  ^^  i 
unter  anderem  heisst:  1 

■ 

Instar  apis  mella  coUecta  labore  decenni 
Cunctis  Papias  ista  legenda  dedit. 
At  eibus  ut  noster  de  diuite  ditior  esset, 
Apposuit  nobis  has  Rainaldus  opes. 
Ne  tali  nostra  dulcedine  mensa  careret, 
Exstitit  eins  in  hoc  ofßciosa  manus. 

Dann  weiter  unten: 

Scripti  tempus  habet,  qui  Jhesu  copulat  annis 
TJndecies  centum  septuaginta  tribus. 

Daraus  ergibt  sich,  dass  der  Schreiber  dieses  Exempltfs 
Rainaldus  hiess  und  dass  er  den  Papias  im  Jahre  1173  abge- 
schrieben hat.  Einige  Daten  aus  späterer  Zeit  gibt  Wilmanns 
im  Rhein.  Mus.  XXIV  S.  379.  Über  die  Benutzung  des  Papias 
in  jüngeren  Glossaren  wird  anderwärts  zu  handeln  sein. 


/ 

/ 


Papias  und  seine  QueÜen.  275 

Nach    dem   'elementarium    doctrinae    erudimentum'    hat' 

Papias    noch   ein  zweites  Werk   yerfasst,   eine   aus   Priscian 

kompilierte  ärammatik,  aus  der  Hagen  Anecd.  Helv.  p.  CLXXIX 

sqq.    einige   Ezcerpte    gegeben   hat.     Auch   diese   Grammatik 

ist  in  zahlreichen  Exemplaren  überliefert;  ich  habe  oben  darauf 

hingewiesen:  doch  lassen  mich  meine  Notizen  bei  nicht  wenigen 

Haadschrifben  im  Stich.    Dass  das  ganze  Elaborat  aus  Priscian 

zusammengestöppelt   ist,   beweist   das  Nachwort  des  Lexikons, 

das    Hagen   p.  GLXXX   in    verbesserter  Form   mitgeteilt  hat. 

Die    Grammatik   beginnt   mit  den  Worten:    Petistis  a  me,  Ica- 

rlssimif    ex  arte  grammaüca  vobis  competentes  regulas  dari  aut 

componL     Das  Werk   ist,   wie  diese  Worte  beweisen,  ebenfalls 

ien    Söhnen   gewidmet.     Für   uns   hat  es   keinen   andern    als 

historischen  Wert. 

Nach  Eckstein  in  der  AUgem.  Encyklop.  sollen  auch 
Briefe  des  Papias  yorhanden  sein.  Indessen  weisen  die  Hand* 
Schriften  keine  Spur  von  Briefen  auf.  Ich  vermute,  dass  diese 
Annahme  lediglich  auf  den  Abschnitt  'formatae  epistolae*  im 
Glossar  zurückgeht,  der,  wie  ich  noch  genauer  dartun  werde, 
aus  der  Schrift  des  Albericus  de  dictamine  entlehnt  ist. 

m. 

Die  hauptsächlichsten  Quellen  des  Glossars.     Wie 
Papias  selber  hervorhebt,  ist  sein  '(^ms  a  multis  aüis  iam  pridem 
^ahoratum^  a  me  quoque  nuper  per  spaüum  drciter  decem  anno- 
rum  prout  potui  adauctum  et  accumulatunC.   Über  die  Quellen, 
die   er   bei   seiner  Arbeit  benutzt  hat,  macht  er   in   der  Ein- 
leitung  Mitteilung  in   den  Worten,    die  ich  nach   dem  cod. 
l>'<innstad.  mit  leichten  Besserungen  wiedergebe :  At  uero  quorun- 
d^m  etiam   auctorum   nomina  ad  eonmdem  verborum  aucten- 
ticum  primis  quibusdam  litteris  quorum  quosdam  subnotabimus 
praescribentur:    Isidorus   Is.,    Augustinus    Aug.,    Hieronymus 
Hieron.,  Ambrosius  Amb.,   Gregorius   Gre.,   Priscianus   Pris., 
Bfietius  Boet.  —  quicquid  autem  in  omnibus  paene  libris  Pris- 
ciani  Boetii  aliorumque  invenimus  iisdem  notatur  apicibus  — , 

commentum  super  Boetium  com.  Boet.,   Bemigius  Rem.,   Beda 

19* 


276  Georg  OoeU 

Be.,   Origenes  Orig.,   Horatius  Hör.,   Cicero  Cic,  Hippocrfties 
Hip.  etc.,  de  gestis  Longobardoruiu,    Romanonim,  de  lusioria 
Eusebii    ecclesiastica,    Orosius,    Galienus,    Placidus,  Eucberius, 
Virgilius,    commenta   Virgilii,   Horatii,    lurenalis,  Hartiani  et 
ceierorum  quos  supersedemus.  Aimo.  Plato.  Fulgentius.   In  der 
Tat  tragen  noch  verschiedene  Papiashandschriften  die  Quelleo- 
notizen  am  Rande.    Bei  genauerem  Zusehen  jedoch  verschwiniit 
der  Schein  umfassender  Gelehrsamkeit,   mit  dem   unser  Aaüs 
sich  zu  umgeben  gewusst  hat.     Weitaus   der  grösste  Teil  des 
Materials  sowohl  als  der  Quellenangaben  ist  ein  und  demselben 
Fimdamentalwerk    entnommen,    dem   über   glossarum,  wie 
bereits   Hildebrand   Muetzells   Zeitschr.  YU  (1853)  S.  113  fi. 
gesehen   hat.     Vgl.    Usener  Rh.   Mus.   XXIV   S.  390,  Loewe 
Prodr.  S.  236,  meine  Schrift  über  den  liber  glossarum  S.  24>. 
woselbst  ich  nachgewiesen  habe,  dass  nicht  sowohl  die  Parisinos- 
klasse  dieser  Encyklopaedie   als  vielmehr  die  Elasse  des  Vati- 
canus  Yon  Papias  zu  Grunde  gelegt  worden  ist.     Nach  Loewes 
Ansicht   hat    Papias    ein    verkürztes   Exemplar   benutzt;    ici 
glaube  indessen  kaum,   dass   sich   der  Beweis   dafür  erbringe 
lässt.     Denn   wenn   auf  die  zahlreichen  Fälle   von  Zusanuneo- 
Ziehung  und  Kontamination  hingewiesen   wird,   so   kann  recbt 
gut  Papias  selber  der  Urheber   sein;    denn  er  ist  nachweisbar 
sehr  frei  mit  seinen  Vorlagen   umgesprungen.     Dass   er  dabei 
nicht   selten   die   Glossen,    die   er  korrupt  vorfand,    erst  recht 
verballhornt  hat,  so  dass  er  für  die  Kritik  des  liber  glossarum 
einfach   wertlos   ist,   darin   stimme  ich  mit  Loewe    voHständig 
überein.     Vgl.  Usener  a.  a.  0.   S.  391.    Zur  Illustrierung  der 
Sachlage  führe   ich   wenigstens   ein  Beispiel   an.    In  A  bietet 
Papias  folgende  Reihe: 

Actolera  urbs  argirippa  quam  Diomedes  et  Olus 

in  Appulia  condidit. 
Actor  defensor,  patronus,  causidicus,  aduocatus. 
Actualia  nomina  ab  actu  dicta,  ut  dux,  rex,  Cursor. 
Actuariae  naues  remis  et  uelis  actae. 
Actualis  scientia  tres  habet  partes,  moralem,  dispen- 

sativam  et  ciuilem. 


T 


Fapiaa  und  seine  Quellen.  277 

Actuarius  scriptor  publicus,  qui  facit  acta. 
Actum  interuicinale  quattuor  pedes  latum, 
puo  iumenta  agi  possunt. 

Sämtliche  Glossen  hat  der  über  glossarum  fast  in  der 
j^leichen  Anordnung.  Die  erste  gehört  zu  Virgil  und  ist  von 
Papias  verkürzt;  die  zweite  ist  aus  den' Synonyma  Giceronis',  die 
dritte  aus  Isidor,  ebendaher  die  vierte  und  fünfte;  die  sechste 
bat  im  über  glossarum  das  Vorzeichen  ''de  glossis'  (Actuarius 
aäa  qui  facit  imd  Actuarius  scriptor  publicus  hat  Papias  zu- 
sammengezogen); die  letzte  endlich  stammt  aus  Placidus. 
Diese  sieben  von  dem  Verfasser  des  liber  glossanmi  aus  fünf 
verschiedenen  Quellen  entlehnten  Glossen  kann  unmöglich  der 
Zafall  ein  zweites  Mal  genau  in  derselben  Weise  zusammen- 
geiährt  haben.  Da  nun  aber  hunderte  von  solchen  Reihen 
Torliegen,  ist  jeder  Zweifel  ausgeschlossen.  Man  kann  getrost 
sagen,  dass  das  Material  zu  zwei  Dritteilen  aus  dem  liber 
g/r)ssarum  entlehnt  ist,  teils  wörtlich,  teils  in  zusammenge- 
zogener, verkürzter  oder  auch  sonst  veränderter  Fassung.  In 
allen  diesen  Fällen  ist  Papias  für  die  Glossographie  wertlos, 
es  sei  denn,  dass  jüngere  Überlieferungen  bei  Hugucio,  Johannes 
deJanua,  Brito  und  andern  Sammlungen  durch  ihn  aufgehellt 
ond  des  Scheines  entkleidet  werden  als  enthielten  sie  altes, 
wertvolles  Material. 

Mit  der  Klarstellung  dieses  Zusammenhanges  fallt  auch 
laicht  auf  die  Quellenangaben  des  Papias,  von  denen  oben  die 
Kede  war.  Wer  meine  Analyse  des  liber  glossarum  S.  256  ff. 
vergleicht,  wird  finden,  dass  der  weitaus  grösste  Teil  der  bei 
Papias  genannten  Autoren  auch  dort  benutzt  ist,  so  Isidor, 
Augustinus,  Ambrosius,  Hieronymus,  Gregorius,  Eucherius, 
Fulgentius,  Origenes,  Orosius,  Hippocrates,  Virgilius,  Galenus, 
i^Jacidus,  Cicero  (d.  h.  die  Synonyma).  In  andern  Fällen  ist 
es  auch  wohl  nur  ein  einziges  Zitat,  dessen  Quelle  im  Index 
figuriert.  Über  die  meisten  habe  ich  deshalb  nichts  weiteres 
zu  bemerken. 

Die  zweite  Hauptquelle  neben  dem  liber  glossarum 
i4  das  grammatische  Lehrbuch  desPriscian,  das  Papias 


278  Georg  Ooetz 

auch  in  einer  besonderen  Schrift  ausgebeutet  hat.  Oft  wird 
Priscian  ausdrücklich  als  Quelle  genannt;  so  z.  6.  Bdlantur 
passivum  pro  activo  hellant  profertur,  Priscianus  (vgl.  6Ii.  L.  II 
p.  393, 16);  Buxtis  arbar  est  apicibtis  i.  lUteris  apta:  haechum 
arbor,  hoc  btixum  liffnum:  buacuspro  nv^og  Priscianus  (öR.  L.II 
20, 19);  Campester  in  campo  se  Habens:  Priscianus  hie  canifeslfr 
vel  Jiaec  campestris  et  hoc  campestre  (GR.  L.  II  230,  22).  Xicit 
selten  ist  Priscian  nicht  einfach  ausgeschrieben,  sondern  m\ 
fremdartigen  Bestandteilen  aus  dem  liber  glossarum  kontaminiert. 
In  allen  solchen  und  ähnlichen  Fällen  ist  die  Oberlieferune 
des  Papias  wertlos. 

Neben    der    Grammatik    des    Priscian    scheinen   auch  die 
Scholien   zu    Priscian   herangezogen   zu  sein,    über  die  ich 
an    anderer    Stelle    das    nötige    gesagt    habe.     So   findet  sich 
folgende  Glosse:  Scaena  axrjvi^  theatri  locus,  nunc  arbonm  ca- 
cumina  vel  densitas   ordinata,   locus  qua^  lobia.     Prise,  pro »; 
longa  graeca  ae  ponitur  s.  q.  s.     Die  Stelle  geht  auf  GR.  L.  II 
p.  38,  4  zurück:  ponitur  pro  e  longa,  ut  scaena  pro  axi]vi],   D« 
Zusatz  (quasi  lobia)  ist  aus  einer  erklärenden  RandbemerkuBS 
genommen :   so  haben  die  Leidener   Glossen  (Voss.  37)  fol.  3  ^ 
folgendes:   scena   umbra   interpretatur  et  in  ampMteatro  fidml 
quae  barbare  louba  dicitur.     In  qua  ludi  ea:crccbantur  et  pnm 
ramis,    deinde   tabulis,   postrcmo   etiam   lapidibus  a^dificabafur. 
Vgl.   thes.    gloss.    S.  630.     Aus    gleicher    Quelle    stammt  die 
Glosse  sflata  genus  navigii  latum  et  a  latitudine  dictum:  inih 
Purpura  stlataria  dicitur,  •  i  •  marina  vel  nams  piratica.     Denn 
das  Leidener  Glossar  hat  zu  stlattaria  (GR.  L.  II  p.  74,  24)  das 
Scholion:   stlatta  genus  navigii  latum  magis  quam  altum  et  a 
latitudine  sie  appellatum,   sed  ea  consuetudine  qua  stlocum  pro 
locum   et  stlitem  pro  litem  dicd^ant.     Inde  dicuntur  stlattarin 
instrumenta  navium  (vgl.  Festus  Pauli  p.  312  b),  woraus  sHatta . . 
dicebant  herstammen.   Die  deutschen  Glossen  dieser  Handschrift 
finden    sich   grösstenteils  bei   Steinmeyer  AHD.  GL.  II  p.  37S. 

Eine  dritte  Quelle  ist  nach  den  Worten  des  Papias 
Boethius  und  ein  commentum  super  Boetium.  Aus  dem 
letzteren  stammt  z.  B.  der  Abschnitt  über  die  'carminum  varie- 


Papiaa  und  seine  Quellen,  279 

tates*,  wie  schon  Peiper  Vorrede  S.  XXIII  bemerkt  hat.  Der 
unmittelbar  darauf  folgende  Tractat  über  die  Metra  des  Horaz 
stimmt  im  wesentlichen  mit  Keil  OR.  L.  IV  468  ff.  überein. 
Der  Urheber  des  Gommentum  super  Boetium  ist  nach  Peiper 
Serratus  Lupus,  der  im  Jahre  861  gestorben  ist.  So  ist  der 
grosse  Tractat  über  subsistentia  und  substantia  aus  der  Schrift 
contra  Eulychen  et  Nestorium,  um  wenigstens  ein  Beispiel 
hervorzuheben.  Auch  dieser  Teil  des  Lexikons  hat  für  uns 
keine  Bedeutung  mehr. 

Unter  den  Quellen,  deren  Papias  selber  in  der  Einleitung 
gedenkt,  ist  auch  Remigius  Autissiodorensis,  der  im  liber 
glossarum  nicht  benutzt  sein  kann.  Ich  habe  das  Gommentum 
in  Artem  Donati,  das  Fox  herausgegeben  hat,  verglichen  und 
gefunden,  dass  in  der  Tat  gar  manche  Notiz  aus  dieser  Quelle 
geflossen  ist.  So  z.  B.  die  Erklärung  der  Gasusnamen.  Ein 
vreiteres  Beispiel  möge  zum  Beweis  wörtlich  angeführt  werden. 
Persona  wird  bei  Remigius  p.  33,  10  ff.  ausführlich  erklärt; 
an  Stelle  dieser  Erklärung  findet  sich  bei  Papias  ein  offenbares 
Excerpt  aus  Remigius  mit  folgendem  Wortlaut:  Persona  did- 
tur  qtaa  per  se  sonat,  id  est  per  se  sonando  se  ipsum  denum- 
sirat:  ^uae  graece  prosopon  ngöacDnov  cUcUur  •  Ituäa  d^niüonem 
soni  dkta  est  a  concavUaie  larvarum,  quibus  comoedi  utdnintur: 
ex  qua  prolixiar  prolixiari  redd^KUur  sonus.  Secundum  vero 
sttb^ntiam  persona  est  individua  rei  repraesentatio.  Bei  Papias 
folgt  darauf  noch:  Persona  est  naturae  rationaiis  idividua  sub- 
stantia. Die  Worte  stammen  aus  Boeth.  contra  Eut.  et  Nest.  UI 
(p.  193, 4  Peiper).  Wenn  P  bei  Fox,  d.  h.  die  Ausgabe  des 
Kollegiums  in  Feldkirch,  dieselben  Worte  hat,  so  ist  sie  offen- 
W  aus  Papias  interpoliert.  Die  Rezension,  die  Fox  mit  x 
bezeichnet,  scheint  basonders  enge  Beziehungen  zu  Papias  zu 
Weten. 

Auch  Fulgentius  ist  von  Papias  herangezogen  worden. 
Auf  Beispiele  einzugehen  kann  ich  mir  erlassen,  da  die  Be- 
ziehungen zwischen  Papias  und  Fulgentius  durch  Wessner 
Comment.  Jen-  VI  2  S.  107  ff.  unter  den  einzelnen  Artikeln 
gewissenhaft  und  gründlich  erörtert  worden  sind. 


280  Georg  Qoetn 

Aus  Beda  sind  eine  Anzahl  Differenzien  geflossen,  während 
andere  aus  Isidor  genommen  sind. 

Über  die  wie  es  scheint  nicht  gerade  zahlreichen  Ent- 
lehnungen aus  Martianus  Gapella  habe  ich  nichts  zu  be- 
merken. 

Eine  weitere  Hauptquelle,  die  Papias  in  der  praefaiio 
nicht  genannt  hat,  muss  ein  liber  derivationum  sein,  uf 
den  bereits  Loewe  S.  237  hingewiesen  hat.  Dem  Beispiel,  ^ 
Loewe  abgedruckt  hat,  füge  ich  noch  ein  zweites  hinzu: 

Facere   est  neutrum,   sed   tamen  vim   habet   actiTam,  ut 
facio  te  et  calefacio  te.     Sed  in  compositis  cum  paene  omnibus 
praepositionibus    est   activum,   ut  officio,  or,  perficio,  or,  con- 
ficio,   or,    reficio,   or,    afficio,  or,    efficio,  or,    praeter  praeficio, 
deficio,  sufficio.     Nam  calefacio,    tepefacio  et  similia  calefio  et 
tepefio  loco  passivorum  habent.    Sic  quoque  'defio'.    Componi- 
tur  etiam  inde  gratificor,  aris,  ludificor,  aris.    Excamifico  vero 
et  yilifico  et  amplifico  activa  sunt,    quae  omnia  coniugaüonein 
mutant.   Facio  facis,  unde  facesso  desiderativurn  et  factito  fre 
quentatiTum.     Facesso,  is,  factum,  factura;  factor  autem  cois- 
ponitur  omnifactor,  superficies,  facinus,  orosus,  facilis,  facilitas; 
facultas  componitur  difficultas;  difiicilis,  factio,  factiosus.   Com- 
ponitur   conficio,    of.  inter.  de.  ef.  per.    prae.    inficio.    sufScio, 
reficio,    mansuefacio,    consue.    pingue.    calef.    made.    tepe.  are. 
dissuefacio,  floccifacio,  commonefacio.  perfectus.  perfectio,  offi- 
cium.   Componitur    officiperdi.    affectus.    affectio    ctum.    profi- 
ciscor.  inficior.  refectorium.  pacificus  co  cas.  aedifico  cas.  bene- 
fico  cas.  aedifico  cas  aedificium.  fructifico.  gratifico  aris.  factum 
et  fictum  et  similia  e  coniungunt  sequenti  syllabae. 

Man  sieht  aus  diesem  Beispiel,  dass  die  Derivationen  des 
Papias  sich  noch  in  leidlich  vernünftigen  Grenzen  halten, 
wenn  man  sie  beispielsweise  mit  Osbern  und  Hugucio  ver- 
gleicht. Sie  haben  zum  Teil  ihre  Wurzel  in  dem  grammati- 
schen Lehrbuch  des  Priscian,  sind  aber  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte immer  weiter  ausgesponnen  worden.  Offenbar  war 
diese  Seite  der  Grammatik  samt  all  ihren  Wunderlichkeiten 
im  Mittelalter  sehr  beliebt.    Es  finden  sich  heute  noch  in  den 


Papi<u  und  seine  Quellen,  281 

yerschiedensten  Bibliotheken  Derivationssammlungen,  die  oft 
unter  sich  eng  verwandt  sind.  Ein  Beispiel  besserer  Art  bietet 
dasMOnchener  Qlossar,  das  durch  drei  eng  verwandte  Codices 
repräsentiert  wird:  Clm  17151,  17153,  17194  (ähnlich  ist  der 
Laurent.  XVI 5  saec.  XII),  worüber  sich  einige  Mitteilungen 
finden  in  Aretins  Beitr.  7,  288  ff.  von  B.  J.  Docen.  Genauer 
erforscht  ist  diese  Literatur  noch  nicht.  Ich  werde  bei  Be- 
sprechung von  Osbern  und  Hugucio  darauf  zurückkommen. 

IV. 

Gelegentliche  Quellen.  Ausser  den  Hauptquellen,  die 
ich  im  vorausgehenden  Abschnitte  behandelt  habe,  sind  bei 
Papias  allerlei  Traktate  herangezogen,  deren  Verfasser  ihm 
zum  teil  ebensowenig  bekannt  waren  wie  sie  es  heute  sind. 
Za  diesen  anonymen  Traktaten  gehört  z.  B.  der  über  Ab- 
kürzungen, der  sich  zu  dem  Artikel  Notatio  an  den  aus 
Isidor  entlehnten  Abschnitt  über  kritische  Zeichen  anschliesst 
(Isid.  I  19 — 25,  doch  ist  die  Reihenfolge  mehrfach  verändert). 
Diese  Notae  sind  bei  Lindenbrog  (S.  152—175)  und  Put- 
schius  (S.  1639 — 1666)  herausgegeben,  genauer  und  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  übrigen  Material  von  Mommsen  bei 
Keil  GR.  L.  IV  S.  315  ff.  (in  Verbindung  mit  den  eng  ver- 
wandten Notae  Einsidlenses).  Eine  weitere  Handschrifk  dieser 
Notae  ist  der  cod.  Paris.  4481  (Colb.  3603.  Reg.  5960.  5)  aus 
dem  X.  Jahrhundert  (auf  S.  27  " ,  31 "  ).  Der  Verlust  am  Schlüsse 
(es  fehlt  das  Ende  von  Quatemio  lAT)  muss  schon  sehr  früh 
erfolgt  sein  (saec.  XI — XII?),  da  die  jetzige  Lage  und  deren 
Bezeichnungen  in  Ordnung  sind.  Mit  dem  jetzigen  fol.  32 
liat  wohl  ursprünglich  eine  selbständige  Handschrift  begonnen ; 
denn  32^  ist  leer  gelassen  als  Deckel.  Erst  eine  manus 
saec.  XI/XII  schrieb  darauf  A  auris  B  brachium  ....  V  uenter. 
Mit  fol.  32^  folgen  Gedichte.  Ich  gebe  im  nachstehenden 
einige  Varianten,  die  einen  besonderen  Wert  beanspruchen 
können:  317,  7:  CS,  credimus;  318,  2:  dare  responsum;  318, 17  : 
^ohue    male;    318,18:    opera;   318,35:  postestcUem;   318,47: 


282  Georg  CheU 

BGM.;  319,26:  exigitur;  319,3:  faü  munus  infievU;  319,9: 
esse  dicetar;  319,21:  recundis  (h.  e.  rcffundis);  321, 13  sq.:  in 
dominio  in  possesmne;  322,  20:  KD  cajnte  damnatus.  KD  ea- 
pite  diminutus;  322,32:  alius  maximus  uel  numtius;  322,4: 
romatü;  323,39:  locus  imperialis.  LIÄDF.  locus  itUer  adfines; 
323,2:  ud  miites;  324,38:  mihi  dan  oportet;  324,44:  nüi- 
tum  ager;  324,  47:  morte  punii;  324,  53:  mons;  325,  24:  osik 
fenestra;  326,  78:  pupiüus  pupiUe. 

Von  andern  Traktaten  beansprucht  der  über  die  Formatae 
epistolae  ein  besonderes  Interesse,  wie  bereits  von  Loewe 
Prodr.  S.  287  Anm.  2  bemerkt  worden  ist.  Ich  gebe  den 
ersten  Teil  nach  dem  cod.  Darmstad.  (mit  Auflösung  der  Ab- 
kürzungen und  Übergehen  yon  Kleinigkeiten)  hier  wieder: 

Formate  epistola  GGGXVIII  patribus  inniceno  consilio  in- 
stitute  feruntur.  ne  uidelicet  quicumque  clericorum  in  trans- 
ferendo  se  qualescumque  litteras  confingeret  aproprio  episcopo 
comeandi  licentia  (!)  accepisse.-  Oportebit  igitur  in  epistolis  que 
formate  habebuntur  litteras  has  et  earum  subputationem  ex- 
primi.  Primas  litteras  grecas  patris  et  filii  et  spritus  sancti. 
que  uidelicet  sunt  r.  j.  a.  Pater  enim  grece  patros  filius  yos 
Spiritus  sanctus  agios  pneumatos  dicunt.  quarum  subputatio 
est  CCGGLXXXI.  addenda  erit  preterea  Prima  littera  nominis 
petri  apostoli  cum  subputatione  sua  sicut  aliorum  que  sequun- 
tur  hec  est  T.  que  littera  significat  LXXX.  Nominis  quoque 
episcopi  qui  relegat  epistolam  prima  ponenda  erit.  clerici  cui 
licentia  data  secunda  episcopi  ad  quem  dirigitur  tercia  ciui- 
tatis  de  qua  raittitur.  quarta  et  earum  subputatio  erit  addenda 
subputatio  indictionis  eiusdem  anni.  horum  igitur  elementorum 
subputatio  erit  describenda  u.  s.  w. 

Der  Abschnitt,  der  in  den  Drucken  auf  die  Lücke  folgt 
fehlt  im  cod.  Darmstad.,  nach  Berger  a.  a.  0.  S.  12  überhaupt 
in  den  älteren  Handschriften;  er  findet  sich  aber  in  jüngeren 
Handschriften,  so  z.  B.  im  cod.  Paris.  7598  (oben  Nr.  64),  im 
Madr.  Bb  125  (oben  Nr.  79),  im  cod.  Gavensis  (oben  Nr.  12, 
nach  Meyer  allerdings  saec.  XII).  Der  ganze  Abschnitt  über 
formatae  epistolae  findet  sich  bei  Albericus  de  dictamine  (vgl. 


Papias  und  seine  Quellen,  283 

fiber  ihn  Bresslaa,  Handbuch  der  ürkundenlehre  I  S.  625), 
wo  freilich  der  Text  in  Einzelheiten  abweicht.  Aus  andern 
Handschriften  wird  der  Text  mitgeteilt  bei  Rockinger,  Quellen 
und  Erört.  IX  S.  29  ff.  Die  Fassung  des  cod.  Gay.  scheint  mit 
der  des  cod.  Darmstad.  enger  übereinzustimmen.  Die  yoU- 
ständige  Fassung  scheint  erst  später  in  das  Lexikon  hinein* 
gebracht  worden  zu  sein. 

Auch  sonst  finden  sich  einige  grössere  Traktate  heran- 
gezogen, Yon  denen  ich  nur  wenige  erwähnen  will.  In  I 
findet  sich  ein  Abschnitt  über  die  Provinzen  Italiens  aus  der 
historia  Langobardorum  des  Paulus  Diaconus  (11  cap.  14  sqq.): 
die  gesta  Langobardorum  werden  neben  den  gesta  Bomanorum 
ausdrücklich  als  Quelle  bezeichnet.  Die  regulae  Tichonii 
unter  R  sind  in  verkürzter  Fassung  gegeben.  So  wird  sich  in 
den  allermeisten  Fällen  die  Herkunft  der  grösseren  Stücke  er- 
mitteln lassen:  ich  halte  es  aber  für  zwecklos,  hier  weiter 
darauf  einzugehen. 

Einzelglossen.  Die  Mehrzahl  der  wirklichen  Glossen 
iät4#m  liber  glossarum  entlehnt.  Doch  sind  zweifellos  auch 
andeni^uellen  herangezogen,  weshalb  im  thesaurus  glossarum 
allerleiExcerpte  aus  Papias  Aufnahme  gefunden  haben.  Glossen, 
die  ein  rein  mittelalterlictfs  Ansehen  haben,  sind  dabei  in 
der  Regel  absichtlich  übergangen  worden.  Gar  manche  Glosse, 
die  Papias  allein  oder  doch  als  ältester  Gewährsmann  überliefert, 
erweist  sieb  durch  die  Vergleichung  mit  der  Quelle  als  purer 
Schwindel;  andere  sind  mehr  oder  minder  willkürlich  verändert 
oder  kontaminiert;  statt  der  casus  obliqui  steht  nicht  selten 
der  Nominativ,  statt  irgend  einer  Verbalform  die  der  ersten 
Person  Praesentis.  Ein  paar  Beispiele  mögen  als  Beweis  dienen. 
Der  liber  glossarum  hat :  Stefadium  ab  stibus  (=  mlßog)  dictum 
quasi  süpadiuin  (=  stibadium):  sie  enim  prius  scriptum  {ceptum 
codd.)  erat  Dafür  hat  Papias  zwei  Glossen:  l.  Stephadium 
dktum  quasi  Stipendium:  sie  enim  prius  caeptum  est;  2.  Stipha- 
dium,  a  stipitibus  qtuisi  stipiadium  prandium.    Der  liber  glossa- 


284  Georg  GoeU 

rum    hat    ferner:    Lydae   sortes   AppoUinis  respansa;   Papias: 
Liciatores  Apoilinis  rcsponsa.     Der  über  glossarum  hat:   iSuper 
sua  de  saa;  daraus  macht  Papias  supersuadere  dissuadere.  Der- 
gleichen hat  dann  Du  Gange   getreulich  übernommen.    Unter 
solchen  Umständen   wird  es  im  allgemeinen  geraten  sein,  den 
Sonderglossen  des  Papias  gegenüber,  deren  Quellen  nicht  mehr 
auffindbar  sind,   recht  vorsichtig  zu  sein.     Nichtsdestoweniger 
wird  manche  Überlieferung  zu  beachten  sein,  wie  ich  im  the- 
saurus    glossarum   öfter    auf  Papias  Bezug   genommen   habe. 
Ich  gebe  hier  einige  Nachträge,   die  sich  mir  bei  Gelegenheit 
der    abermaligen    Durcharbeitung    darboten,    darunter    auch 
einige,    die   bloss   der  Kuriosität  wegen  erwähnt  werden.    Sie 
finden  sich  sämtlich  im  cod.  Darmstadiensis. 

ÄÜimeter  quo  meüuniur  altUudineSf  quoddam  instrunwntum. 

Äntelucare  ante  lucem  mrgere. 

Carptare  saticiare,  ferire  (wahrscheinlich  aus  corparare  ver- 
dorben). 

Canßnitis  urhanus  (auch  Mai  VU  556). 

Cavistercus  vacttum  et  inane  vd  ülud  intestinum  quod  sterais 
capU  (die  Quelle  ist  Vulg.  4  lieg.  6.  25 :  danec  quarta  jKirs 
cabi  stercaris  colunibarum  venundaretur  quinque  argenteis: 
daraus  Cabi  stercus,  was  zusammengenommen  und  ent- 
weder mit  cavus  oder  mit  cajm  in  Verbindung  gebracht 
wurde). 

Dextraridae  armilla^. 

Dividiosum  molestum. 

Docticanus  qui  docte  canit. 

Exefnplare  assunilare. 

Freda  id  est  bannum. 

Landula  alauda  genus  avis. 

lAnitepia  lineus  pannus  tegcns  pedes,  hoc  ünitepium  (so  der  cod. 
Darmstad.).  Hierin  steckt  wohl  ümpedium,  was  Johannes 
de  Janua  hat. 

Marca  dicitur  pondus  argenä  minus  libra. 

Jßscitare  frcquenter  miscere. 


Papias  und  seine  Quellen,  285 

Mutaioriae   vesks   mutanda,   ut  camisiae  hrctcae  (so  nach  dem 

cod.  Dannstad.). 
ifisare  impUcare  (nexare?). 

Naupreda  genus  fisds  (=  lampraedaP).    Cf.  Anthimus  47. 
Obuncare  obiurgare, 
Petaso  bafOf  petasunculus. 
Fiüssare  polare  (sputare?  Vgl.  jedoch  De- Vit). 
Papare  (und  Pupare)  crescere, 
Eegister  über  qm  rerum  gestarum  memoriam  continet,   unde  et 

dicUur  quasi  rei  gestae  statutio. 
Scdenhdus  iam  sine  dentibus  (cf.  edentuhis), 
Sopa  siipa. 

Squüla  genus  piscis  ddicaü.  haec  mdgo  Iota  dicitur. 
Tendmcari  tenabras  facere  vd  pati. 
Thescua   loca  in  quibus  pecora  castrantur,   unde  et  castratores 

thescuatores  dicuntur. 
Tostatum  siccatum. 
Tostant  siccant 

Triscurrium  multiplex  scurrüitas. 
Truncarius  devorator, 
Veditis  Pluto  vd  Orchus,  id  est  malus  divus. 

Unter  den  Einzelstellen,  die  Interesse  erregen  können, 
ist  noch  die  Glosse  über  Lateranum  hervorzuheben,  in  der 
eines  der  ältesten  Zeugnisse  über  die  beispielsweise  in  der 
Kaiserchronik  4151  (Monum.  Germ.  Deutsche  Chroniken  I 
S.  157)  behandelte  übel  berüchtigte  Mutterschaft  des  Nero 
vorliegt  (fast  ebenso  wie  der  Druck  hat  der  cod.  Darmstad.): 
Lateranum  palatium  fuit  Neronis,  quod  dictum  est  vd  a  latere 
septenlrioncUis  plagae  qua  situm  est  vd  a  lata  rana  quam  Nero 
dicUur  peperisse,  cum  tradidit  se  viro,  in  quo  pcUlatio  nunc 
magna  est  ecclesia  Bomae.  Vgl.  H.  F.  Massmann,  Eaiser- 
chronik  DI  689 — 691;  A.  Graf,  Roma  nella  memoria  e  nelle 
imaginazioni  del  Medio  Evo,  Turin  1882  I  338,  auf  den  mich 
£.  Y.  Dobschütz  hingewiesen  hat. 

Dass  freilich  auch  manche  Interpolation  ihren  Weg  in 
die  Papiasausgabe  gefunden  hat,  darf  nicht  übersehen  werden. 


286  Oeorg  Ooetz,  Papias  und  seine  Quellen. 

Sa  bietet  die  editio  priuceps  unter  Bidena  ein  längeres  Exc^rpt 
aus  Qellius  ('de  bidente  apud  Au.  Gel.  IIb.  XV  ca.  VI');  diese 
Worte    fehlen    aber    in    der    handschriftlichen    Überlieferung. 
Dass  bei   dem   Artikel   Decrevit   das   nämliche  der  Fall  ist, 
hat  Sabbadini   Stud.   Ital.  V   S.  300   hervorgehoben.     Hinzu- 
fügen ist  der  Passus  unter  Charites  mit  der  Hesiodstelle,   wo- 
rüber Loewe  Prodr.  S.  238  gehandelt  hat.    Sollte  deshalb  ein- 
mal eine  Stelle  für  irgend  eine  Untersuchung  besonderen  Wert 
haben,    so    würde    es    sich    empfehlen,    eines    der   zahlreichen 
älteren    Exemplare    einzusehen.     Doch    dürfte    die    Zahl   der 
Fälle,    bei   denen  sich  eine  solche  Notwendigkeit   ergibt,    eine 
sehr    beschränkte    sein.     Im   allgemeinen   wird   man    mit  dem 
Text  der  Incunabel  ausreichen. 


Petzet,  Titurel-Bmckstück. 


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1903.    Slligib.  d.  philoi.-philo 


Petzet,  Tilarel-BmchstBck. 


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*  S-g-g'?  feg  l^lü"  SsiC' 

llpili       'llls,  ,  sil>- 


287 


Ober  das 

Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  TitureL 

Von  Ericil  Petzet« 

(Mit  2  Tafeln.) 

(Vorgelegt  von  F.  Muncker  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  2.  Mai  1903.) 


I. 

Seitdem  der  Glaube  ins  Wanken  gekommen  war,  dass 
Wolfram  von  Eschenbach  der  Dichter  des  ganzen  Jahrhunderte 
lang  unter  seinem  Namen  gepriesenen  Titurel  sei,  stand  die 
Bedeutung  des  Heidelberger  Fragmentes  fest,  das  über  den 
wirklichen  Verfasser  einige  Aufklärung  zu  geben  versprach. 
Ein  seltsames  Schicksal  aber  hat  es  gefügt,  dass  dieses  Bruch- 
stück  gerade  in  dem  Augenblicke  spurlos  verschwand,  als  die 
Wissenschaft  daraus  Belehrung  zu  schöpfen  suchte:  die  erste 
literarische  Erwähnung  davon,  die  wir  finden,  ist  die  Fest- 
steUung  seines  Verlustes  in  Lachmanns  Wolfram -Ausgabe 
(1833  S.  XXXI):  ,|Ich  habe  gehört,  auf  einem  Vorsetzblatte 
des  Heidelbergischen  Titurel  n.  141  habe  ehemals  eine  Notiz 
über  Albrecht  von  Scharfenberg  gestanden:  aber  als  ich  im 
Herbst  1819  die  Handschrift;  abschrieb,  war  nichts  der  Art 
darin/  Um  so  wichtiger  war  die  Mitteilung,  die  Sulpiz 
Boisseree  noch  in  demselben  Jahre  in  der  Münchener  Aka- 
demie der  Wissenschaften  machte,  dass  er  im  Jahre  1817  von 
dem  nun  verschollenen  Stück  eine  Abschrift  genommen  habe, 
die  dann  im  Jahre  1835^)  als  Beilage  zu  seiner  Arbeit  „Über 

^)  Im  L  Bande   der  Abhandlungen  der  philos.-philol.  Klasse  der 
K.  B.  Akademie,  S.  384—392. 


288  Erich  PeUet 

die  Beschreibung  des  Tempels  des  heiligen  Grales  in  dem 
Heldengedichte  Titurel  Kap.  III'  abgedruckt  wurde.  Mass- 
mann machte  noch  vor  dem  Drucke  in  Mones  «Anzeiger  für 
Kunde  des  deutschen  Mittelalters''  (1834,  Sp.  43  f.)  auf  den 
hohen  Wert  des  Fragmentes  aufmerksam;  San  Marte  wieder- 
holte den  Abdruck  der  Strophen  in  seinem  ,  Leben  und  Dichten 
Wolframs*  (1841;  Bd.  H,  S.  277— 290)  mit  Einfahrung  von 
Interpunktion  und  Hinzufttgung  von  Untersuchungen,  die  im 
wesentlichen  die  Resultate  Boisser^es  bestätigten.  In  dieser 
Gestalt  ist  dann  der  Text  bis  heute  in  Giltigkeit  geblieben. 

Nicht  aber  die  Interpretation.  Karl  Simrock  hat  in  den 
Erläuterungen  zu  seiner  Übersetzung  von  Parzival  und  Titurel*) 
bei  der  Verwertung  des  Fragmentes  eine  ganz  andere  Erklärung 
gegeben,  der  sich  Wilhelm  Wackemagel  in  seiner  Literatur- 
geschichte^) vollständig  anschloss,  und  seine  Darlegungen 
bilden  die  Grundlage  für  alle  späteren,  die  des  umstrittenen 
Bruchstücks  Erwähnung  tun,  wenn  sie  auch  nur  zum  Teil  als 
gesichert,  zum  andern  Teile  aber  als  mehr  oder  minder  an- 
sprechende Hypothese  Annahme  gefunden  haben.  Neue  Bei- 
träge zur  richtigen  Würdigung  der  schwierigen  Strophen  finden 
wir  nicht  mehr,  so  oft  auch  das  Heidelberger  Fragment  bei 
Besprechung  des  jüngeren  Titurel  herangezogen  wurde,  weder 
bei  Hyazinth  Holland,')  noch  bei  Franz  Pfeiffer,*)  Goe- 
deke,*)  Gervinus,*)  Koberstein'')  oder  Karl  Bartsch.')  Auch 
Reinhold  Spiller  und  Conrad  Borchling  sind  in  ihren  ergebnis- 
reichen  Dissertationen  (1883  und  1897)   in   eine   neue   Kritik 


1)  1842 ;  2.  Aufl.  1849  I,  499-504. 

«)  1848—1865,  S.  196. 

3)  Geschichte  der  Dichtkunst  in  Bayern.     1862;    S.  231,  238  f. 

*)  Germania  VI,  246  f.  Anm. 

ö)  Deutsche  Dichtung  im  M.  A.  1854,  S.  760. 

«)  Geschichte  der  deutschen  Dichtung.  5.  Aufl.  1871.  Bd.  IT,  S.  160. 

^)  Grundriss  der  Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur.  4.  Aufl. 
1847.  Bd.  I,  S.  213  Anm. 

®)  In  der  6.  Aufl.  von  Kobersteins  Grundriss  1884.  Bd.  I,  184, 
Anm.  97;  vergl.  auch  Die  altdeutschen  Hss.  der  Univ.-Bibl.  in  Heidel- 
berg.   1887.    S.  35. 


über  cUu  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Titurel.       289 

des  Bruchstückes  nicht  eingetreten,  obwohl  sie  beide  den  Text 
benutzen.    Nur   Friedrich   Zamcke   hat   bei  seinem  Versuche, 
eine  klare  Übersicht  und  Gruppierung  in  die  Fülle  der  Titurel- 
handschriften   zu  bringen,    die   ersten  Zweifel   an   der  Zuver- 
lässigkeit  Boisser^es   geäussert.^)     Indem    er    die    eigenartige 
Stellung  der  Heidelberger  Handschrift  141,    die  er  als  H  be- 
zeichnet, charakterisiert,  spricht  er  auch  von  „jenen  berühmten, 
jetzt  verschwundenen  Blättern,  die  allein  eine  sichere  Auskunft 
über  die  Entstehungszeit  des  Gedichtes  gewähren,  und  die  nach 
Boisser^e   von  derselben  Hand  geschrieben  waren,    der  unsere 
Handschrift   verdankt  wird/      „Es  ist  sehr  zu  bedauern,*  be- 
merkt er  dazu  in  der  Anmerkung,    «dass  sich  Boisser^e  nicht 
genauer  über  diese  Blätter  ausgesprochen  hat.    Denn  in  man- 
cher Beziehung  müssen  sie  von  dem  Aussehen  der  Handschrift 
sehr    abgewichen    sein.     Sie    waren    zweispaltig    geschrieben, 
während  die  Handschrift  H  einspaltig  ist;  auch  muss  die  Schrift 
m\  kleiner  oder  das  Format  viel  grösser  gewesen  sein  als  bei 
H,  denn  in  H  pflegen  8^/4  bis  8^/4  Strophen   auf  die  Seite  zu 
gehen,   die  aufgeklebten  Blätter   aber  enthielten  resp.  11  und 
12  Strophen    auf   der    Seite."     So    war    ein    Gedächtnisfehler 
Boisser^s   bezüglich   der   äusseren   Beschaffenheit   der  vielge- 
nannten  Blätter   sehr   wahrscheinlich   gemacht.     Da  lag  aber 
auch  der  Gedanke   nahe,   dass  der  Text,    den   er  geboten,    aus 
dem  Original  manche  Berichtigung  erfahren  könnte. 

Beide  Vermutungen  erhalten  unerwartet  ihre  Bestätigung 
durch  einen  glücklichen  Fund  meines  Freundes  Prof.  Dr. 
Franz  BoU,  der  in  einem  mittelhochdeutschen  Fragmente,  um 
dessen  Bestimmung  er  von  Herrn  von  Rozycki  in  Pasing  bei 
München  gebeten  wurde,  das  verschollene  Bruchstück  er- 
kannte. Prof.  BoU  veranlasste  den  Besitzer,  das  wertvolle 
Stück  seinem  ursprünglichen  Eigentümer,  der  grossherzogl. 
Universitätsbibliothek  Heidelberg,  anzubieten,  die  es  dann  auch 
erwarb   und   dem  Wunsche   des  Finders  entsprechend  in   ent- 


M  Der  Graltempel.   Leipzig  1876.    S.  378  fif.  in   den  Abhandlungen 
<ier  phUo8.-philol.  Erlasse  der  K.  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

IMl  BHigib.  d.  pbil<M.-pbUol.  a.  d.  bist.  KI.  20 


290  Erich  Petzet 

gegenkommender  Weise  mir  zur  näheren  Untersuchung  zur 
Verfügung  stellte.  So  verdanke  ich  ihm  und  der  Direktion 
der  Universitätsbibliothek  Heidelberg  die  Möglichkeit,  im  fol- 
genden von  dem  wichtigen  Blatte  in  München,  wo  es  zuerst 
gedruckt  und  nun  nach  85  Jahren  des  Yerschollenseins  wieder 
entdeckt  worden  ist,  nähere  Kunde  zu  geben.^) 

Es  ist  nur  ein  Blatt,  nicht  zwei,  wie  Boisseree  berichtet; 
so  erfahrt  sein  Text  auch  keine  Vermehrung  durch  Ent- 
zifferung der  nach  seiner  Angabe  aufgeklebten  Rückseiten, 
sondern  nur  durch  wenige  Worte,  die  sich,  wiewohl  halb  durch- 
schnitten, noch  lesen  Hessen.  Das  Blatt  ist  nicht  «oben  und 
unten  durch  Beschneiden  verstümmelt,*  hat  vielmehr  oben  und 
an  beiden  Seiten  seinen  stattlichen  Rand,  während  der  untere 
Teil  —  da  Folio-Format  als  wahrscheinlich  anzunehmen  ist, 
wohl  die  grössere  Hälfte  —  glatt  abgeschnitten  ist.  In  der 
Mitte,  des  breiten  Randes  wegen  etwas  in  die  rechte  Spalte 
der  Vorderseite  eingerückt,  geht  von  oben  nach  unten  ein 
7 — 8  mm  breiter  Bruch  durch  das  Blatt,  der  deutlich  seine 
Verwendung  als  angehefteter  Umschlag,  aber  nicht  als  fest- 
geklebtes Vor-  und  Nachsetzblatt  verrät.  Hält  man  die  Heidel- 
berger Handschrift  141  daneben,  so  ergibt  sich  sofort,  dass 
beide  Stücke  sicher  nie  etwas  mit  einander  zu  tun  gehabt 
haben.  Die  Papier  -  Handschrift  141  hat  ein  Format  von 
29,5:19,3  cm  und  eine  einspaltige  Schrift  aus  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts;  das  Pergamentfragment  misst  34:21  (bis 
21,3)  cm  und  zeigt  zweispaltig  eine  schöne  Minuskel  Tom 
Ende  des  13.,  spätestens  Anfang  des  14.  Jahrhunderts.  Voii 
derselben  Hand  bei  beiden  kann  nicht  die  Rede  sein.  Dieser 
Irrtum  Boisserdes  erklärt  sich  nur  daraus,  dass  er  offenbar  den 
Cod.  Palat.  141  mit  der  zweiten  Heidelberger  Titurelhandschnft, 
dem  Cod.  Palat.  883  in  der  Erinnerung   verwechselte.     Dieser 


M  Des  weiteren  habe  ich  vor  allem  Herrn  Dr.  Friedrich  Wilhelm 
in  München  für  seine  scharfsinnigen  Bemerkungen  zum  Texte,  sowie  der 
K.  Landesbibliothek  in  Düsseldorf,  der  K.  K.  Hofbibliothek  und  Herrn 
Dr.  A.  L.  Jellinek  in  Wien  für  gefällige  Auskünfte  meinen  besten 
Dank  auszusprechen. 


Ober  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Titurel.       291 

letztere  besitzt  tatsächlich  in  der  Schrift  Ähnlichkeit  mit  dem 
Bruchstück;  doch  auch  hier  stellt  ein  genauerer  Vergleich  die 
Verschiedenheit  ausser  allen  Zweifel.  Die  Schrift  des  Frag- 
mentes ist  älter,  kleiner  und  hat  breitere  Spalten;  die  des 
schonen  Pergamentfolianten,  dessen  schlechten  Text  K.  A.  Hahn 
leider  so  kritiklos  abgedruckt  hat,^)  braucht  für  eine  Strophe 
meist  7  Zeilen,  das  Fragment  nur  6  oder  5.  Die  Initialen  der 
Strophen  sind  in  dem  Fragmente  gleichmässig  rot,  in  dem  Codex 
regelmässig  abwechselnd  rot  und  blau.  Die  Linierung,  die  in 
dem  Codex  mit  Sorgfalt  durchgeführt  ist,  fehlt  in  dem  Frag- 
mente gänzlich.  Charakteristisch  ist  bei  dem  Fragment  auch,  dass 
die  Versenden  durch  verschiedene  Zeichen  und  nicht  blos  den 
gewohnlichen  Punkt  kenntlich  gemacht  sind  und  zwar  regel- 
mässig 1  und  3  durch  ! ,  V.  2  und  4  durch  •,  5  und  7  durch  :, 
während  die  sechste,  reimlose  Zeile  ohne  Kennzeichen  bleibt. 
Ich  habe  diese  Eigentümlichkeit,  durch  welche  die  yon  Franz 
Pfeiffer^)  vorgeschlagene  sechszeilige  Schreibung  der  Titurel- 
Strophe  eine  Stütze  erhält,  in  keiner  anderen  Handschrift  ge- 
funden. Im  Format  passt  das  Fragment  in  den  Cod.  Palat.  383, 
der  45:30  cna  misst,  so  wenig  wie  in  141.  Eine  etwa  aus 
dem  16/17.  Jahrhundert  herrührende  Inschrift  am  Rande  der 
Vorderseite  bietet  über  die  Herkunft  des  Blattes  ebenfalls  keine 
Auskunft.  So  muss  es  dahingestellt  bleiben,  aus  welchem  Codex 
das  Fragment  wirklich  stammt,  und  nur  das  Eine  können  wir 
TOD  Boisser^es  Angaben  als  sicher  annehmen,  dass  es  Heidel- 
berg gewesen  sein  muss,  wo  er  die  Abschrift  gemacht  hat. 

Da  es  aber  von  jeher  dem  Heidelberger  Cod.  Palat.  141 
eine  besondere  Bedeutung  verliehen  hat,  dass  ihm  jene  be- 
rühmten Bruchstücke  als  zugehörig  zugeschrieben  wurden,  so 
war  nun  die  Frage  naheliegend,  ob  keine  andere  Titurel- 
Handschrift  mit  dem  wieder  gefundenen  Fragmente  zusammen 
gehöre  und  somit  für  die  Textkritik  des  ganzen  Epos  diese 
besondere    Wichtigkeit    beanspruchen    könne.      Zarncke    gibt 

1)  1842  als  Bd.  24  der  Bibliothek  der  gea,  dt.  Nat.-Lit.  Quedlinburg 
und  Leipzig. 

^  Der  Dichter  des  Nibelungenliedes.    Wien  1862.    S.  16. 

20* 


292  Erich  Petzet 

a.  a.  0.  S.  379^383  ein  übersichtliches  Verzeichnis  der 
dahin  (1876)  bekannt  gewordenen  35  Handschriften  und  der 
ihnen  gewidmeten  Besprechungen;  Piper  konnte  dem*)  noch 
weitere  5  hinzufügen.  Keine  von  ihnen  allen  aber  stimmt  mit 
dem  Heidelberger  Fragmente  zusammen,  wie  mich  bei  8  der 
Augenschein,  bei  den  übrigen  die  vorliegenden  genauen  Be- 
schreibungen oder  direkte  Auskunft  der  befragten  Bibliotheken 
überzeugten.  Es  liegt  uns  also  in  dem  Fragmente  der  einzige 
bekannte  Rest  einer  verlorenen  Handschrift  vor,  die  ihrem 
Alter  nach  dem  Originale  des  Dichters  sehr  nahe  gestanden 
und  einen  ganzen  Abschnitt  sonst  nirgends  überlieferter  Verse 
enthalten  haben  muss. 

Ein  Vergleich  des  Textes  mit  dem  Abdruck  von  Boisscree 
zeigt,  dass  auch  hierin  die  Unmöglichkeit,  die  erste  Abschrift 
nochmals  genau  zu  revidieren,  eine  Reihe  von  Irrtümern  ver- 
ursacht hat,  die  für  die  Erklärung  des  Inhalts  schwer  ins 
Gewicht  fallen.  Hat  doch  z.  B.  Boisser^e,  ganz  abgesehen 
von  anderen  Lesefehlem,  die  Zeichen  an  den  Versenden  ab 
Interpunktion  aufgefasst!  Ich  gebe  daher  im  folgenden  den 
Text  mit  allen  Eigentümlichkeiten  des  Originals,  nur  mit  Auf- 
lösung der  Abkürzungen  und  Einführung  der  mir  richtig 
scheinenden  Interpunktion.  Die  beigegebenen  Facsimiles  beider 
Seiten  des  Fragments  im  Masstabe  von  1 : 2,  für  deren  Bewilli- 
gung ich  der  K.  Akademie  noch  besonderen  Dank  auszusprechen 
habe,  ermöglichen  im  übrigen  jede  weitere  erwünschte  Nach- 
vergleichung. 

1.  Spalte  der  Vorderseite. 


1. 


.  .  .  .  enborte 

Titurel  dem  wisen, 

di  tschionatvlander  angehorte 

vnd  sigvne.  owe  daz  er  niht  lebende 

was,  vntz  er  werdeclichen 

wer  der  aventivre  ein  ende  gebende! 


»)  Höfische  Epik  II,   460  in   Kürschners  dt,  Nat.-Lit.  1893  und  im 
Nachtrag  dazu  1898. 


Ober  das  Heidelberger  Bruehetück  des  Jüngeren  Titurel,      293 

2.  Yenezzer  vil  riebe 

ein  tempel  hant  erbowen. 

Yon  den,  di  meisterlicbe 

gestein  kmden  graben  vnd  erbowen, 

der  nam  den  ende  vil  vnd  mvsten  sterben: 

ir  wercb  daz  edel  tivre 

liezzen  si  dar  ymb  nibt  verterbn. 

3.  Ander  si  da  namen 

ze  meister  disem  tempel, 

di  mvsten  eben  ramen, 

ir  wage  mez  gabn  si  ezempel 

?f  elliv  ort  vnd  worbten  sam  di  erren. 

ist  witze,  swer  daz  ninner 

lobt,  swenne  er  hat  gebrechen  an  dem  merren. 

4.  Sol  des  div  werlt  engelten 
vnd  kvnst  sin  verdorben, 
daz  der  von  plivelden 

her  Wolfram  nv  lang  lit  erstorben? 
ich  wen  des  wol,  daz  mvter  ie  getruge 
den  lip  vf  tevscher  erde, 
der  mit  getiht  an  Worten  wer  so  chlvge. 

5.  Und  wer  aber  iemen  lebende 
so  chlvg  an  richer  witze, 
dem  wer  doch  niemen  gebende 

daz  zehende  lop.  sin  was  solher  spitze, 
daz  er  div  wort  ergrup  so  wnder  wehe, 
daz  ez  noch  gebe  stivre, 
swer  sinniclicb  vf  sin  forme  sehe. 

6.  Durch  daz  bin  ich  im  iehende 
von  erste  hin  der  mere, 

si  sin  von  im  geschehende, 

wan  ez  mir  immer  fromde  vnd  tivre  were 

danne  siner  zvngen  witze  .... 

div  wazzer  baz  .... 


294  Erich  Petut 

2.  Spalte  der  Vorderseite. 


.  .  m  .  .  durch  mich  lazze 

der  auentivre  niht  w[e]rdicheit  al  gebende 

vnd  wü  di  sliht  an  allen  orten  chrvmben, 

so  ker  ich  ze  den  wisen; 

waz  solt  al  solhiv  rede  bi  den  tvmben? 

8.  Mille  artifez 

get  in  al  solhes  chrigen, 

der  yipper  nater  lex, 

di  sus  mit  yppicheit  sich  selben  trigen, 

daz  si  durc  valsch  di  blenche  wellent  trüben 

vnd  mit  ir  tarant  varbe 

ie  daz  chrvmbe  gen  dem  siebten  vben. 

9.  Swer  chvppher  gar  ze  golde 
mit  kvnste  machen  chvnde, 
den  beten  si  vil  holde, 

swaz  halt  er  ynselden  dran  erfvnde, 
ir  golt  si  chvppher  chesselbere. 
getihte  niemen  brvfen 
solt  wan  der  getihtes  meister  were. 

10.  Dvrchlevhtich  guter  merche 
ist  melden  wol  erlovbt 

mit  witzzericher  sterche. 

di  aber  solher  chvnst  sin  berovbet, 

wi  man  diy  wort  zerfuret  vnd  samiliert, 

blumet  vnd  roselt, 

di  lazzen  meister  vngeparatiert. 

11.  Bleich  rosen  vnd  ir  trehen 
ist  edel  vnd  wunnebere. 
swer  di  wolt  versmehen 

durch  daz  ir  vater  ein  linde  breit  niht  were, 
der  dovht  mich  der  witzze  in  chranchem  rvme, 
wan  cheiser  vnd  keiserinne, 
den  ist  div  rose  ein  edel  werdiv  blvme. 


12. 


Über  das  Heidelberger  BruehHüek  des  Jüngeren  Titurel.      295 

1.  Spalte  der  Rückseite. 


mohtz  aber  phant  erlosen 

ynd  hetz  ein  wolf,  ez  devht  gut  vnde  reine. 

13.  Ich  Albrecht  niemen  swache, 
daz  ist  mir  immer  wilde, 
wer  der  yon  eschenbache 

von  himel  chomen  her  in  engeis  bilde 
mit  fingen,  smnen  var  von  got  bechront, 
sin  edel  höh  getihte 
kynd  ich  mit  lob  niht  richer  han  bedonet. 

14.  Er  was  in  menschen  modele 
ynd  niht  ein  engel  hilich. 
gotes  gebe  ze  mangem  rodele 

ist  noch  yil  richer  chvnst  mit  witzen  teilich. 

alle  edliy  chynst  sich  bezzert,  vnd  niht  bosert,  vnd  wehet: 

chvnst  diy  edel  hohste, 

dast  rein  getihte,  wi  wer  diy  so  yersmehet! 

15.  Ez  wart  nie  baz  gesprochen 
yon  deheins  leien  mynde, 
daz  lob  im  niht  zebrochen 

wirt  yon  mir  albrehte  ze  keiner  stynde. 
ob  immer  bezzer  rede  werde  gehorte 
in  teysch  yon  einem  leien, 
swvr  ich  da  fur^  so  wer  min  sin  betorte. 

16.  Swer  einer  frowen  schone 
niht  wan  ein  wengel  sehe, 
ynd  man  ir  lobes  chrone 

an  werdicheit  in  allen  riehen  iehe, 

ynd  wer  si  furbaz  nimmer  mer  gesehende: 

ein  mytich  mannes  hertze, 

ich  wen,  dem  wer  niht  lip  daran  geschehende. 


296  Erich  FeUet 

17.  Dise  auetivr  geliehen 

sol  man  der  werden  frowen 
gar  vil  der  tugende  riehen 


•   •  •  • 


2.  Spalte  der  Rückseite. 
18 


hat  in 

phlege  der  phalntzgraye  ordenliche. 

19.  Sin  sloz  die  rigel  grosten 
sol  dar  vnd  danne  slizzen. 
nv  wil  ich  mich  des  trösten, 

man  giht,  ich  svlz  von  reht  wider  in  genizzen, 
daz  ich  so  mange  wirde  von  im  gebende 
bin  der  werlte  ze  chvnde, 
des  er  vnd  al  sin  frvht  in  wird  ist  lebende. 

20.  Got  werdeclichez  grvzzen, 
gen  seiden  höh  geplvmet, 
mit  diner  milt  der  svzzen 

dem  fursten  gip,  der  christentvm  wol  tvmet! 

sin  salvte  der  paier  prinz  in  nennet, 

duc  loys  et  palatinus; 

min  lop  im  zehen  fursten  er  bechennet. 

21.  Hat  Romisch  phaht  ir  mere, 
dem  fursten  lobe  von  adele? 
di  haben  gein  frvhte  chere, 

so  daz  vro  selde  mit  ir  grozzem  wadele 
vf  geluches  rade  im  wer  vor  aller  smehe! 
swaz  hi  vnd  dort  kan  prisen, 
der  höhst  im  daz  vnd  sinen  liebsten  nehe! 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  TUureL      297 

22.  Er,  ädlar  hob  gedelt, 
er  cleidet  Tiid  spiset, 

sin  gevider  witen  wedelt, 

da  mit  er  valchen,  spaerber,  hebche  priset 

vnd  ander  TOgel  in  swaben,  paiern,  franchen : 

von  osteriche  biz  flandem 

siht  man  siniy  chleider  herlicb  swanchen. 

23.  Dem  adlar  cban  icb  ho  wen 
lop  zweier  ere  bemde, 

so  daz  in  ritter  vnd  frowen 

dest  Werder  babent,  di  wile  div  werlde  ist  werende 


Anmerkungen  zu  Strophe: 

2.  *der:  dieser  Genitiv  nimmt  das  vorangehende  ^von  den 
wieder  auf,  das  Boisser^e  waren  verlesen  hat. 

3.  'eben  ramen:  Boisser^e  und  San  Marte  erklären  dies  als 
«glatt,  fertig  machen,  richten',  ramen  ohne  Objekt  heisst 
aber  nach  Lexer  11,  337  zielen,  trachten,  streben,  hier  also 
mit  eben  verbunden:  gleichmässig  auf  das  Ziel  hinstreben. 
—  ^/s  übersetzt  San  Marte  nach  Boisser^es  Vorgang:  Sie 
gaben  an  allen  Ecken  (ort)  Beweise  von  ihrer  Wage  und 
ihrem  Mass.  Ist  aber  mea  nach  Herrn.  Pauls  mhd.  Gram- 
matik §  264  Anm.  2  als  flexionslose  Form  aufzufassen,  die 
einen  Genitiv  vertreten  kann,  wenn  ein  anderer  Genitiv  von 
ihr  abhängig  ist,  so  heisst  es:  Von  dem  Mass  ihrer  Wage 
u.  s.  w.  —  ^ninner:  Schreibfehler  für  minner. 

4.  ^des:  Boisser^e  hatte  den  verlesen. 

5.  ^sin:  Herr  Professor  Paul  empfiehlt  die  einleuchtende  Kon- 
jektur 5Yn  sin  fiir  das  einfache  sin:  Dadurch  entfallt  die  ge- 
zwungene Erklärung  von  s^pize  als  Grabstichel,  die  Boisserce 
und  San  Marte  vorschlugen,  und  ergibt  sich  die  einfache 
Übersetzung:  Sein  Geist  war  von  solcher  Schärfe.  —  ''forme: 
Vorbild;  vergl.  Benecke-Müller-Zarncke  Hl,  387. 


298  Eridi  PeUet 

6.  Boisser^s  Lesefehler  TAnder  maere  hat  die  richtige  Über- 
setzung dieser  entscheidenden  Strophe  bisher  unmöglicli 
gemacht;  ebenso  macht  es  das  Fehlen  eines  Teiles  Ton 
Zeile  5  und  6  und  des  ganzen  Verses  7  unmöglich,  den 
Rest  der  Strophe  mit  Sicherheit  zu  konstruieren.  Herr 
Dr.  Fr.  Wilhelm  schlägt  die  Konjektur  vor  üurre  für 
üure  und  übersetzt  demgemäss:  weil  es  mir  immer  fremd- 
artig und  seltsamer,  schwieriger  wäre  als  der  Weisheit 
seiner  Zunge. 

8.  ^  Mille  artifex  *lez:  Beides  hat  bereits  Boisser^  auf  Grund 
von  Du  Fresnes  Glossarium  richtig  erklärt  als  den  tausend- 
fach listigen  bösen  Feind  und  als  die  leza,  lexia,  franz. 
laisse,  die  Koppel,  die  Schar.  —  ^vppicheit:  wohl  kaum, 
wie  San  Harte  will,  Übermut,  sondern  vielmehr  Eitelkeit, 
Nichtigkeit;  vergl.  Lexer  11,  199.  —  *durc  =  durchs  nicht 
dirre,  wie  Boisser^e  las.  —  ^erklärt  San  Marte:  das  Krumme 
gerade  machen  wollen.  Der  Sinn  ist  aber  dem  entgegen- 
gesetzt: gegenüber  dem  Schlichten,  Geraden,  Redlichen 
bedienen  sie  sich  immer  krummer,  unredlicher  Mittel. 

9.  'chesselbere:  zu  Kesseln  tauglich,  wie  es  zu  Kesseln  ver- 
wendet wird;  das  Wort  habe  ich  sonst  nicht  belegt  gefunden. 

10.  ''vngeparatiert:  San  Marte  übersetzt  ungetäuscht  und  leitet 
das  Wort  von  altfranzösisch  barat,  barate  Trug,  Täuschung  ab. 
Als  weitere  Bedeutung  dieses  Wortes  belegt  Lexer  11,  206 
und  das  Grimmsche  Wörterbuch  (VII,  1459)  Kunststück, 
Posse,  Kurzweil,  und  hievon  abgeleitet  muss  paraiierm  im 
Titurel  Str.  887  einen  Spass  machen,  zum  besten  haben 
heissen.  ungeparaMert  lässt  sich  daher  am  besten  etwa 
mit  „unbehelligt  durch  nicht  ernst  zu  nehmende  Yorspiege- 
lungen*  übersetzen. 

11.  ^trehen:  =  draehen  duften;  vergl.  Schmeller,  Bayer.  Wörter- 
buch, 2.  Aufl.,  I,  560.  —  *Für  San  Martes  unglückliche 
Konjektur  schoten  für  vater  ist  kein  stichhaltiger  Grand 
einzusehen.  —  *rvme  =  mome^  Ruhm,  Ansehen,  Geprange, 
schon  des  Reimes  wegen  nicht,  wie  San  Marte  will,  r&me 
Raum. 


über  das  Heidelberger  Brmchstück  des  Jangeren  Titurel       299 

12.  Für  fnoMs  hatte  Boisser^e  molUe,  für  hetz  —  here  gelesen. 

13.  'flugen:  nicht  fugen^  wie  Boisser^e  verlesen  hatte. 

14.  ^Er  steht  in  der  Handschrift,  nicht  Da,  wie  Boisser^e  ab- 
geschrieben, noch  Der,  wie  er  als  richtig  vermutet  hatte. 
—  modele:  Form,  Oestalt.  —  'rodele:  wohl  mit  Boisser^e 
mid  Lezer  von  rotulus  Rolle,  Buch  abzuleiten,  kaum,  wie 
San  Marte  will,  von  rotte.  —  ^ wehet:  verstärkt  nochmals 
das  vorangegangene  hezjsert^  verherrlicht,  vervollkommnet 
sich.  —  'dast  =  äas  ist,   wi  wer  =  uAe  toaer\ 

15.  ''swfir  ich  da  für:  wollte  ich  darauf  schwören  liest,  wohl 
unzweifelhaft  richtig,  Herr  Dr.  Wilhelm,  nicht  so  wer,  wie 
Boisseräe  las. 

19.  ^Sin:  Boisser^  hatte  Ein  gedruckt. 

21.  Boisseräe  sagt:  «Die  zwei  ersten  Verse  sind  wieder  (wie 
Str.  20)  sehr  dunkel';  San  Marte:  «^  und  ^  scheinen  fehler- 
haft. Der  Sinn  ist  wohl:  Gibt  es  im  römischen  Reich  mehr 
Fürsten  von  solchem  Lob  und  Adel,  die  mögen  für  Nach- 
kommenschaff sorgen,  so  dass  Frau  saelde  (Heil)  auf  dem 
ßlücksrade  mit  ihrem  grossen  Wedel  sie  schütze  vor  aller 
Schmach*.  Indem  ich  es  nun  unentschieden  lasse,  ob  Y.  1/2 
richtiger  als  Fragesatz  oder  als  Konditionalsatz  zu  erklären 
ist,  fasse  ich  jedenfalls  in  Y.  2  lobe  als  gen.  plur.,  der 
appositionell  das  ir  in  Y.  1  erklärt  und  in  Y.  3  durch  di, 
wie  so  oft  im  jüngeren  Titurel  (vergl.  z.  B.  oben  Str.  2, 
V.  5;  Str.  11,  Y.  7;  Str.  16,  Y.  7)  nochmals  aufgenommen 
wird,  also:  Hat  das  römische  Recht  (d.  i.  Reich)  für  den 
Fürsten  ihrer  noch  mehr,  nämlich  Lobpreisungen,  Aus- 
zeichnungen von  hoher  Art,  [oder?]  die  sollen  (haben  ist 
optativischer  Konjunktiv)  auf  Früchte  die  Richtung  nehmen 
d.  h.  sich  vermehren,  Frucht  bringen,  so  dass  Frau  Saide 
ihn  beschütze  vor  aller  Schmähung  mit  ir  grozisem  wadele 
vf  gduches  rade. 

Wieso  nun  die  Glücksgöttin  zu  einem  grossen  Wedel 
kommen  soll,  wie  Boisser^e  und  San  Marte  übersetzen,  ist 
schwer  erklärlich.  Karl  Weinhold  weist  in  seiner  Abhand- 
lung  über  Glücksrad   und  Lebensrad  (Philosophische  und 


300  Erich  Fettet 

historische  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  der  Wissen- 
schaften 1892)  nichts  der  Art  nach,  wohl  aber  (S.  12),  dass 
sie   den   am  Olücksrade  hinaufklimmenden  hilft,  während 
sie  neben  dem  Glücksrade  steht,  oder  aber,  häufiger,  dass 
sie  das  Rad  in  irgend  einer  Weise  umtreibt  (S.  13,  14,  18). 
Was  bedeutet  aber  voadd?    Hier  führt  vielleicht  ein  Sprucli 
auf  die  richtige  Erklärung,  den  Weinhold  (S.  19)  aus  einer 
Darstellung  des  Glücksrades  in  dem  Berliner  Ms.  germ.  4^ 
284  (letztes  Blatt)  mitteilt:  Est  rota  fortunae  variabilis  ut 
rota  lunae.     Denselben  Gedanken  finden  wir,  noch  reicher 
ausgeführt,  auch  in  den  Carmina  burana,  deren  erstes  Blatt 
zu   einem  Bilde  der  Frau  Saide   mit  dem  Glücksrade  er- 
klärend ein  Gedicht  bringt,  das  mit  den  Worten  beginnt: 
0  fortuna  velut  luna  statu  variabilis,  semper  crescis  aut 
decrescis  etc.     Wir   ersehen  daraus,   dass   diese  Ideenver- 
bindung  dem  Mittelalter  geläufig  war,  und  so  dürfen  wir 
wohl   mit  gutem  Rechte   zur  Erklärung   des  wadel   oder 
wedel    beim   Glücksrade   seine   Bedeutung   für   den    Mond 
heranziehen.    Nach  J.  Grimms  Deutscher  Mythologie  (4.  Aus- 
gabe  von  Elard  Hugo  Meyer,  U,  593)  ist  der  wedel  ,ein 
weit  verbreiteter  und  vermutlich  alter  Ausdruck,  der  schwan- 
kend für  die  wechselnden  Phasen  des  Mondlichts,  meistens 
für  plenilunium,   zuweilen  aber  auch  für  interlunium   ge- 
braucht  wird*.     Da   nun   weiter  von  R.  v.  Liliencron   in 
Haupts  Zeitschrift   für   deutsches  Altertum,  Bd.  6,   S.  368 
(1848)  der  gute  wedel  als  der  zunehmende,    der   böse    als 
der  abnehmende  Mond  nachgewiesen  wurde,  so  ergibt  sich 
zwanglos  für  den  grozzen  wedel  der  bestimmte  Begriff  des 
Vollmondes,  und  übertragen  auf  den  Gang  des  Glücksrades, 
der  Stand   desselben,   wo  der   aufsteigende  Mensch   seinen 
Höhepunkt  erreicht  hat.    Somit  soll  also  in  den  vorliegen- 
den Versen  Frau  Saide  den  gepriesenen  Fürsten   auf  dem 
Höhepunkte  des  Glücksrades  vor  jeder  Anfeindung  schützen. 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  l^urel,      301 

n. 

Um  eine  zutreffende  Erklärung  und  Wertung  des  Heidel- 
berger Fragmentes  zu  gewinnen,  dürfte  es  zweckmässig  sein, 
sich  die  Entwicklung  der  ganzen  Kontroverse  über  den  jüngeren 
Titurel  kurz  zu  vergegenwärtigen. 

Docen  gebührt  das  Verdienst,  die  schwierigen  Fragen  nach 
der  Entstehung  des  Titurel  in  seinem  » Ersten  Sendschreiben* 
(1810)  zuerst  aufgeworfen  zu  haben,  wenn  er  auch  in  ihrer 
Beantwortung  völlig  in  dem  alten  Irrtum  von  der  Verfasser- 
schaft Wolframs  befangen  blieb.  Seine  Schrift  gab  den  Anlass 
zu  August  Wilhelm  Schlegels  glänzendem  Nachweis  (in  den 
Heidelbergischen  Jahrbüchern  1811),  dass  die  alten  Fragmente 
dem  Wolfram,  das  jüngere  Epos  einem  späteren  Bearbeiter 
Albrecht  angehöre.  Dabei  blieb  freilich  die  Annahme  bestehen, 
die  auch  Jakob  Grimm  noch  1812  teilt,  dass  das  alte  Lied 
kein  blosses  Fragment,  sondern  ein  Ganzes  gewesen  sei,  dessen 
Anfang  und  Ende  verloren  gegangen.^)  Demgegenüber  räumte 
Karl  Lachmann  die  bisherige  Hochschätzung  des  grossen  Epos, 
das  er  , langweilig  und  albern"  nennt,  gründlich  hinweg  und 
entwickelte  seine  Auffassung  von  der  Entstehung  des  jüngeren 
Titurel  1829  in  seiner  Besprechung  von  Rosenkranz,  Titurel 
und  Dante*)  folgen dermassen :  »Der  Dichter  (Wolfram)  selbst 
hatte  angefangen,  die  Vorgeschichte  des  Parzivals  in  einer  vier- 
reimigen  Strophe  zu  behandeln;  erst  in  seinen  letzten  Jahren, 
nach  1215,  wenn  eine  Stelle  des  jüngeren  Titurels  (7,  61)  wie 
Docen  meinte  .  .  .  von  Eschenbach  ist  und  nicht  dem  Verfasser 
des  Titurels.  Der  Verfasser  dieses  Gedichts  (, Titurel"  wird  es 
15,  32  genannt)  hatte  von  Eschenbach  eben  nicht  mehr  als 
auch  uns  erhalten  ist,  zwei  unverbundene  Abschnitte,  wenig 
mehr  als  170  Strophen.  Er  nahm  in  sein  neues  Werk,  das 
er  nach  demselben  französischen  Buche  dichtete,  die  beiden 
Bruchstücke  Eschenbachs  auf,   und   zwar  unverändert:   seinen 

')  Vergl.  J.  GrinniiB  Besprecbnng  des   Docenschen   Sendschreibens 
in  seinen  Kleineren  Schriften  Bd.  Vi,  S.  118  ff. 
*)  Kleinere  Schriften  1,  351-357. 


302  Erich  PeUet 

eigenen  Strophen  gab   er  eine  künstlichere  Form,  indem  er 
den   Einschnitt    der    ersten   zwei  Zeilen    ohne   Ausnahme  mit 
Reimen  versah.     Über  sich  selbst  und  seine  persönlichen  Ver- 
hältnisse lässt  er  uns  nichts  wissen,   weil  er  durchaus  in  der 
Person  Wolframs  spricht.     Er   liess  aber  das  Werk  ebenfalb 
unToUendet:    ein  Albrecht   dichtete  den  Schluss  und  arbeitete 
Wolframs  Strophen  um.     Albrecht  hielt  nicht  allein  diese,  die 
ihm  nur  von  den  Abschreibern  entstellt  zu  sein  schienen  (4, 61), 
sondern    das   Ganze   für   ein  Werk  Wolframs,   wie   nach  ihm 
Ottokar  von  Horneck,  Ulrich  Füterer  und  Püterich  von  Reicherz- 
hausen.   Er  dichtete  fünfzig  Jahre  nach  Wolframs  Tode  (10, 2) 
d.  h.  um  1270,  zu  einer  Zeit,  da  (40,  143)  Wolframs  heiliger 
Wilhelm,    den   Ulrich    von   Türheim   längst   fortgesetzt  hatte 
(nach  1247),  nicht  mehr  für  unbeendigt  galt,  aber  für  unvoll- 
ständig am  Anfang,   d.  h.   ehe  die  Vorgeschichte,   von  TJlricli 
von   dem  Türlein   gedichtet   und  König  Ottokar   von  Böhmen 
(st.  1278)  zugeeignet,  bekannt  geworden  war*. 

Auch  in  seiner  Vorrede  zu  Wolfram  (1833,  S.  XXX  f.) 
unterscheidet  Lachmann  den  Dichter,  der  in  Wolframs  Namen 
spricht,  und  Albrecht,  der  sich  zum  ersten  Male  in  Strophe  5883 
nennt,  als  zwei  verschiedene  Personen:  „denn  dass  der  Dichter 
des  ganzen  Werks,  der  sich  bisher  so  oft  Wolfram  genannt 
hat,  nun  auf  einmal  ohne  Veranlassung  vor  dem  Schluss  seinen 
wahren  Namen  entdecken  sollte,  scheint  mir  geradezu  unmög- 
lich". Diese  Anschauungen  hat  auch  Haupt*)  mit  solcher  Über- 
zeugung festgehalten,  dass  er  es  nicht  für  nötig  erachtete,  in 
den  späteren,  von  ihm  besorgten  Auflagen  der  Wolfram-Aus- 
gabe Lachmanns  auch  nur  ein  Wort  hinzuzufügen.  Da  ausser- 
dem Jakob  Grimm  ausgesprochen  hatte  (a.  a.  0  S.  119),  dass 
„noch  kein  Beisi)iel  vorhanden  ist,  dass  ein  späterer  Meister 
sich  so  gering  achtete,  dass  er  seinem  Werk  nur  durch  Vor- 
schiebung eines  berühmten  Namens  allein  Ansehen  zu  geben 
vermeint  hätte*,  so  blieb  bis  in  die  neueste  Zeit  die  Ansicht 
bestehen,  dass  zwischen  Wolfram  und  Albrecht  noch  ein  dritter 


*)  Vergl.  Beiger,  Moriz  Haupt  als  akademischer  Lehrer.    S.  293. 


über  das  Heidelberger  Bruehstüek  des  Jüngeren  Tiiurel,      303 

nnbekannter  Dichter  am  Werke  gewesen  sei  —  freilich  gar 
vielfach  angezweifelt  und  bestritten.  Im  Sinne  Lachmanns  ent- 
schieden blieb  aber  die  Frage  nach  Wolframs  Anteil  an  dem 
Epos,  und  hierüber  ist  nach  den  Abgrenzungen  Albert  Leitz- 
manns^)  ein  Streit  kaum  noch  möglich. 

Auch  Lachmanns  Datierung  des  Jüngeren  Titurel  wurde  durch 
die  spätere  Forschung  und  besonders  den  Nachweis  Simrocks  be- 
stätigt, dass  sich  schon  bei  Berthold  von  Regensburg  Strophen 
daraus  (528/529)  einer  Predigt^)  zugrunde  gelegt  finden,  und  dass 
ferner  in  dem  Epos  von  Richard  von  Comwallis  als  einem  Leben- 
den gesprochen  wird  (St.  2946);  somit  war  die  Richtigkeit  der 
Zeitangabe  der  bei  Hahn  fehlenden  Strophe,  die  in  dem  alten 
Druck  (10,  2)  dem  zweiten  Wolframschen  Bruchstück  vorangeht 
und  „die  lenge  wol  von  fünfzic  iären'  von  Wolframs  Tode 
bis  zu  der  neuen  Bearbeitung  verflossen  sein  lässt,  ganz  ausser 
Zweifel  gestellt.  Dagegen  wurde  Lachmanns  Ansicht  von  der 
Benützung  des  Eiot  durch  den  Titurel-Dichter  und  der  Zwei- 
heit  der  Fortsetzer  Wolframs  von  Simrock  entschieden  be- 
stritten; er  formulierte  sein  Ergebnis:  ^der  jüngere  Titurel  ist 
spätestens  in  den  ersten  siebziger  Jahren  des  13.  Jahrhunderts, 
mit  Einschaltung  und  Überarbeitung  der  Wolframschen  Bruch- 
stücke von  Albrecht  von  Scharffenberg  gedichtet,  der  nicht 
um  zu  betrügen,  sondern  um  den  Eindruck  des  Werks  zu  ver- 
starken, den  Namen  Wolframs  annahm,  dessen  Quelle  aber,  den 
Kiot,  nicht  kannte,  daher  er  bei  Untersuchungen  über  die  Orals- 
sage  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen  isf*. 

Diese  Ausschliessung  des  Kiot  als  Quelle  hat  durch  Konrad 
Borchling  in  seiner  Göttinger  Preisschrift  über  »den  jüngeren 
Titurel  und  sein  Verhältnis  zu  Wolfram  von  Eschenbach*  (1897) 
einen  zwingenden  Beweis  erhalten,  wie  er  für  die  Behauptung 
der  Einheit  der  Fortsetzer  Wolframs  bisher  fehlt.  Die  weitere, 
bis  dahin  allgemein  angenommene  Meinung  aber,  dass  Albrecht 


')  In  Panlfl  nnd  Braunes  Beiträgen  zur  Geschichte  der  deutschen 
Spnurhe  (1900  Bd.  XXVI,  S.  93-166). 

')  Der  XL  in  Franz  Pfeiffers  Ausgabe:  von  dem  wagen. 


304  Erich  PeUei 

von  Scharffenberg  der  Verfasser  des  Jüngeren  Titurel  sei,  stiess 
Reinhold  Spiller  in  seiner  Inauguraldissertation^)  völlig  um 
durch  den  Nachweis,  dass  der  Albrecht  des  jüngeren  Titurel 
mit  dem  von  Ulrich  Füterer  so  hoch  gepriesenen  Albrecht  von 
Scharffenberg  unmöglich  identisch  sein  kann.  Wir  besitzen 
keine  nähere  Kunde  von  jenem  Albrecht,  ausser  dass  er  seine 
Dichtung  einem  Herzog  Ludwig  von  Bayern  widmen  wollte 
mit  eben  jenen  Strophen,  von  denen  uns  das  Heidelberger 
Fragnient  einen  so  wichtigen  Teil  erhalten  hat. 

Welche  Kolle  hat  nun  das  verschollene  Heidelberger  Frag- 
ment bei  diesen  ganzen  vielverschlungenen  Untersuchungen  ge- 
s))ielt?  Welche  Folgerungen,  Berichtigungen  und  Bestätigungen 
bietet  uns  der  wiedergefundene  gesicherte  Text?  Den  ersten 
Finder  und  seine  Nachfolger  hat  es  zunächst  völlig  in  die  Irre 
geführt,  und  von  ihren  Ausführungen  hat  fast  nichts  der  bis- 
herigen Kritik  Stand  gehalten.  Boisser^e  betrachtete  die  ge- 
retteten Strophen  als  einen  Teil  der  Einleitung  und  gelangt« 
bei  seinem  Versuche,  sie  mit  den  anderen  einschlägigen  Stellen 
des  Titurel  in  Einklang  zu  bringen,  zu  der  Anschauung,  der 
als  Oönner  des  Dichters  genannte  Ludwig  von  Bayern  sei  Kaiser 
Ludwig  der  Bayer;  die  Fürsten,  über  deren  Kargheit  der  Dichter 
(St.  5767/r)8)  klagt,  seien  Kaiser  Ludwigs  Söhne;  der  Verfasser 
Albrecht  sei  Albrecht  von  Scharffenberg;  die  Zeit  der  Vollen- 
dung des  Gedichtes  erst  nach  Ludwigs  Tode,  also  erst  nach 
1347.  San  Harte  glaubte  auch  den  Beginn  der  Dichtung  aus 
dem  Fragment  erschliessen  zu  können  imd  setzte  ihn  zwischen 
1322  und  1329.  Diese  Erklärungen  legte  dann  1860  Hyazinth 
Holland  einer  Schrift  über  „Kaiser  Ludwig  und  sein  Stift  zu 
Ettal"  zu  Grunde,  in  der  er  die  Ettaler  Kirche  als  das  Vorbild 
des  Gnilstempels  zu  erweisen  suchte.  Freilich  berichtigte  er 
bald,  von  Franz  Pfeiffer  in  der  Germania  VI,  246  f.  Anm.  (1861) 
belehrt,  seine  Hypothese^)  dahin,  dass  nicht  der  Dichter  nach 


1)  1883;  auch  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Altertum,  Bd.  27. 

2)  In  seiner  .Geschichte   der  Dichtkunst  in  Bayern*   (1862;  S.  23K 
238  f.). 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Tüurel,       305 

dem  Vorbilde  der  Ettaler  Kirche,  sondern  Kaiser  Ludwig  nach 
dem  Muster  des  Gralstempels  in  dem  Epos  sein  heiliges  Stift 
in  der  Wildnis  geschaffen  habe.  Das  wirkliche  Vorbild  des 
Dichters  f&r  seinen  berühmten  Wunderbau,  soweit  er  überhaupt 
ein  solches  vor  Augen  hatte,  dürfte  wohl  in  der  Liebfrauen- 
kirche zu  Trier,  der  ältesten  deutschen  Kirche  gotischen  Stils 
(erbaut  1227—1243),  richtig  erkannt  sein.*) 

Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  Lachmann  es  nicht  fdr  not- 
wendig gehalten  hat,  sich  mit  den  Ausführungen  Boisser^es 
und  San  Martes  auseinander  zu  setzen.  Simrock  verdankt  die 
neuen  Resultate,  die  er  über  Lachmann  hinaus  gewann,  sehr 
wesentlich  mit  seiner  kritischen  Untersuchung  des  Heidelberger 
Fragmentes.  An  die  Stelle  des  Kaisers  Ludwig  des  Bayern 
setzte  er  mit  überzeugender  Begründung  Ludwig  den  Strengen. 
Die  Schwierigkeit  aber,  die  sich  daraus  ergab,  dass  derselbe 
Dichter,  der  dann  durch  fast  6000  Strophen  unter  der  Maske 
VVolframs  spricht,  sich  schon  am  Anfang  genannt  haben  sollte, 
beseitigte  er  scharfsinnig  dadurch,  dass  er  in  dem  Fragmente 
nicht  mit  Boisser^e  und  San  Marte  einen  Teil  der  Einleitung 
erblickte,  die  den  Beginn  der  Dichtung  bildet,  sondern  viel- 
mehr eine  Widmung,  die  nach  Beendigung  des  Werkes  ver- 
fasst  sein  muss.  Der  berichtigte  Text  und  seine  richtige  Erklä- 
rung gibt  Simrocks  Ausführungen,  mit  geringer  Einschränkung, 
eine  glänzende  Bestätigung. 

Der  Dichter  beginnt  mit  der  Klage,  dass  Wolfram  sein 
begonnenes  Epos,  das  mit  Titurel  dem  Weisen  anhob,  in  seinem 
Kerne  aber  Tschionatulander  und  Sigune  gewidmet  war,  nicht 
hat  zu  Ende  führen  können,  und  rechtfertigt  sich  dann  (2 — 6), 
dass  er  das  unvollendete  Werk  fortführe,  unter  Berufung  auf 
die  Markuskirche  in  Venedig,  bei  deren  Bau  auch  viele  Meister 
wegstarben  und  durch  andere  ersetzt  wurden,  die  gleichmässig 
weiter  arbeiteten  wie  ihre  Vorgänger  nach  dem  gegebenen  Vor- 
bilde.   Wenn  man  das  Bessere  nicht  haben  kann,  ist  es  immer 


*)  Vergl.  E.  Drojsen,  Der  Tempel  des  hl.  Grals  nach  Albrecht  von 
^charffenberg.    Bromberg  1872. 

IMS.  SitxgBb.  d.  pba<M.-pbilol.  o.  cL  bial  KI.  ^1 


306  Erich  PeiMtt 

noch  klüger,  das  minder  Gute  zu  nehmen  anstatt  gar  nichts  (3). 
Soll  das  begonnene  Kunstwerk  deswegen  ganz  verderben,  weil 
Wolfram  darüber  gestorben  ist?  Freilich  ein  Mensch,  der 
so  geschickt  im  Dichten  wäre  wie  er,  wird  wohl  nie  wieder 
geboren  (4). 

Und  sollte  wirklich  ein  solcher  Dichter  wieder  erscheiDen, 
dem  würde  doch  bei  dem  überragenden  Ansehen  Wolframs 
niemand  auch  nur  den  zehnten  Teil  von  der  Anerkennung 
zukommen  lassen  wie  jenem.  Er  besass  eben  solchen  Scharf- 
sinn und  prägte  so  wunderbar  charakteristisch  und  tiefsmnig 
die  Worte,  dass  sein  Vorbild  und  seine  Art  noch  jetzt  einem  ver- 
ständnisTollen  Nachahmer  Stütze  und  Bichtung  geben  können  (5). 

Deshalb  d.  h.  also  seines  unerreichbaren  Ansehens  wegen 
und  weil  er  mir  ständig  Vorbild  ist,  deshalb,  gesteht  der  Dichter 
offen  ein  (6),  spreche  ich  ihm  von  Anfang  an  die  Mähren  (des 
Titurelepos)  zu,  sie  seien  von  ihm  , geschehende '^  d.  h.  also 
verfasst.  Albrecht  sagt  nicht,  wie  Boisser^  Text  glauben 
liess,  seine  ersten  Kindermähreu  hätten  Wolfram  zum  Gegen- 
stande gehabt;  wir  haben  hier  vielmehr  das  direkte  offene  Ein- 
geständnis des  von  Lachmann  für  « geradezu  unmöglich*  er- 
klärten Vorganges,  den  auch  Haupt  nicht  glauben  wollte,  und 
dem  J.  Grimm  kein  anderes  Beispiel  an  die  Seite  zu  setzen 
wusste.  Durch  diese  Strophe  6  wird  jetzt  die  Annahme  Sim- 
rocks,  dass  der  Dichter,  der  unter  der  Maske  Wolframs  spricht« 
und  Albrecht  nur  eine  Person  seien,  aus  dem  Gebiet  der 
Hypothese  zur  Gewissheit  erhoben.  Nun  ist  es  aber  dem 
Dichter  um  Anerkennung  und  Belohnung  für  seine  eigene  Per- 
son sehr  zu  tun  und  so  spricht  er  sich  auch  in  den  folgenden 
Strophen  noch  eingehender  über  sein  Verhältnis  zu  Wolfram 
aus.  Mit  grossem  Selbstgefühl  weist  er  unberufene  Kritiker  ab. 
Wenn  man  seinetwegen  d.  h.  wohl,  weil  er  nun  seinen  Namen 
genannt  hat  und  nicht  mehr  durch  Wolframs  Autorität  ge- 
deckt wird,  wenn  man  deshalb  seiner  Dichtung  nicht  ihr  Recht 
werden  lasse,  so  wende  er  sich  von  den  törichten  Leuten  zu 
den  Kennern  (7).  Die  Schlechtigkeit  seiner  etwaigen  Wider- 
sacher  und   Verkleinerer   kann   er   nicht   übel   genug   charak- 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  TitureL       307 

terisieren  (8);  nicht  blos  Schlangen,  sondern  der  Teufel  selbst 
muss  zum  Vergleich  mit  diesen  falschen  Kritikern  herhalten. 
Freilich,   meint  er  (9),   wer  minderwertiges  Zeug  wie  Kupfer 
kunstvoll  zu  Gold  machen  könnte,   dem  würden  sie  gar  schön 
ton,  wenn  er  auch  Unheil  darin  finden  würde,  dass  ihr  Oold 
im  Grunde  nur  Kupfer  ist,  zu  Kesseln  tauglich.    Gedichte  sollte 
niemand  prüfen  als  wer  selbst  Meister   darin  ist.     Nur  wirk- 
licher Kennerschaft   ist  Kritik   erlaubt;    wer   aber   das   Hand- 
werkszeug des  Dichters  nicht  beherrscht,  der  soll  auch  Meister 
der  Dichtkunst  unbehelligt  lassen  (10).     Wenn  San  Marte   in 
diesen  Versen  10*"''   einen  Ausfall   auf  die   allzu   kunstreiche 
Manier  Gottfrieds   von  Strassburg   und   seiner  Nachahmer   er- 
blickt, so  übersieht  er  dabei  völlig,  dass  Albrecht  sich  gerade 
gegen  diejenigen  wendet,  welche  „solcher  Kunst  beraubt'',  also 
ohne  solche  Kunstfertigkeit  sind.     Es  spricht  sich  hier  selbst- 
bewusst  der  Stolz  des  Dichters  auf  seine  Kunst  aus,  ganz  im 
Sinne   der  Meistersänger:   diejenigen,    welche   nicht  die  Kunst 
verstehen,    wie    man    die   Worte    auseinander    und    zusammen 
gruppiert  und  mit  rosigen  Redeblumen  ausschmückt,  die  sollen 
ihre  trügerische  Scheinweisheit  echten  Meistern  gegenüber  für 
sich  behalten. 

Dies  Selbstbewusstsein  spricht  auch  im  folgenden  klar 
genug  zu  uns.  Albrecht  vergleicht  sein  Epos  (11)  mit  duf- 
tenden hellen  Rosen,  die  von  jedermann,  selbst  den  Vornehmsten, 
hoch  geschätzt  würden.  Wer  die  verschmähen  wollte,  weil 
sie  nicht  von  einem  stattlichen  Lindenbaum,  sondern  nur  einem 
bescheidenen  Stämmchen  herrühren,  der  däucht  ihm  an  Klug- 
heit mit  unberechtigter,  übel  angebrachter  Anmassung  aufzu- 
treten. Er  will  das  Verdienst  seiner  eigenen  Dichtung  durch 
den  grossen  Vorgänger  nicht  verdunkeln  lassen,  und  so  bewegt 
er  sich  in  den  folgenden  Strophen  —  mit  dem  Reste  von  12 
ist  nicht  viel  anzufangen  —  hin  und  her  zwischen  der  Ver- 
teidigung der  eigenen  Leistung  und  dem  Lobe  Wolframs. 
Feierlich  verwahrt  er  sich  dagegen  (13),  irgendwie  Wolframs 
Verdienst  schmalem  zu  wollen,  er  könne  ihn  gar  nicht  höher 
verherrlichen;  aber  daneben  betont  er  doch  (14),  dass  er  eben 

21* 


308  Erich  Petzet 

auch    nur  ein   Mensch    gewesen    sei   und   kein  vollkominener 
Engel,     und  wieder  wird  der  meistersangerliche  Stolz  auf  die 
«Kunst*   yemehmbar.     Albrecht   erblickt  in  der  Entwicklung 
der  Poesie  nach  den  Meistern  der  Blütezeit  keine  Verbreiterung 
und  Yerflachung,  sondern  wie  in  allen  anderen  Künsten  Fort- 
schritte  zum   besseren.     Wenn   wir  erkennen   wollen,  was  er 
dabei   unter   den  Yervollkommnungen   seines  Epos   verstanden 
hat,  so  gibt  uns  die  treffliche  Schrift  Borchlings  darüber  den 
besten   Aufschluss:    gerade   in  dem  Übertreiben  Wolframscher 
Eigenheiten    ist    Albrecht    gross,    und   sicher  hat  er  auch  die 
Verkünstelung   der  Wolframschen   Strophenform    durch   Ein- 
ftihrung  des  dritten  Keimes  zu  den  verdienstlichen  Fortschritten 
gerechnet. 

Nach  dieser  Betonung  der  Entwicklungsfähigkeit  der  Poesie, 
wie  er  sie  verstand,  kehrt  aber  der  Dichter  noch  einmal  zum 
Lobe  Wolframs  zurück  (15)  mit  dem  aus  dem  Wigalois  des 
Wirnt  von  Gravenberg  (V.  6346)  stammenden  geflügelten 
Wort:  Laien  munt  nie  baz  gesprach,  dessen  unbedingte  Geltung 
er  nicht  antasten  will.  Aber  nun  knüpft  er  wieder  an  das 
Fragmentarische  des  Wolframschen  Titurel  an:  der  Vergleich 
mit  der  schönen  Frau  (16),  von  der  man  nur  ein  Wänglein 
gesehen,  soll  wieder  zu  der  Aventiure  leiten,  von  der  Wolfram 
nur  ein  so  kleines  Stückchen  gezeigt,  während  er,  Albrecht, 
sie  nun  in  ihrer  ganzen  Herrlichkeit  wieder  heraufbeschworen 
habe  (17). 

Die  Tendenz  dieses  Teiles  des  Widmungsgedichtes  ist  also 
eine  Rechtfertigung  des  Dichters,  dass  er  sich  das  Ansehen 
Wolframs  hat  zu  nutze  machen  wollen,  und  sein  Wunsch, 
daneben  nun  auch  sein  eigenes  Verdienst  ins  rechte  Licht  zu 
rücken.  Wie  verhält  sichs  damit  aber  in  dem  Gedichte  selber? 
Hier  finden  wir  wohl  auch  wiederholt  ein  selbstbewusstes 
Rühmen  der  eignen  Leistung,  aber  diese  geht  immer  bis 
zur  Strophe  5883  auf  Rechnung  Wolframs,  der  allein  die 
Verantwortung  und  den  Ruhm  der  Dichtung  trägt.  Der 
innere  Gegensatz,  die  Rivalität,  die  sich  in  dem  Heidelberger 
Fragment  ausspricht,    tritt  nur  an  zwei  Stellen  zu  Tage   und 


über  das  HeidMerger  Brud^atilck  des  Jüngeren  Titureh      309 

zwar  dicht  vor  den  echten  Wolframschen  Bruchstücken.  Vor 
dem  ersten  der  beiden,  als  Strophe  476,  ist  die  bei  Hahn  als 
Xr.  885  abgedruckte  Strophe  einzureihen,  welche  lautet: 

Mit  rlmen  schön  zwlgenge 

sint  dise  lieder  worden 

gemezzen  rehter  lenge 

gar  in  ir  dön  nach  meistersanges  orden: 

ze  vil,  ze  klein,  des  werdent  liet  yerswachet. 

her  Wolfram  sl  unschuldec, 

ein  schrlber  dicke  reht  unrihtec  machet. 

Dies  ist  die  einzige  Stelle  vor  Str.  5883,  wo  Albrecht  aus 
seiner  Rolle  als  Wolfram  fällt  ^)  und  die  anschliessenden 
Strophen  bringen  ganz  ähnliche  Gedanken,  teilweise  sogar  mit 
denselben  Worten,  wie  das  Widmungsgedicht: 

Hie  mit  so  sint  yers&chet 

die  wlsen  und  die  tumben. 

vil  manger  sieht  unr&chet 

und  habt  sich  gar  mit  alle  zu  dem  krumben: 

ist  ieman  solch  geticht  als  ungemezzen 

ze  rehter  kttnste  lobende, 

der  ist  an  spehender  merke  der  versezzen. 

Swer  edel  riebe  borten 

mit  baste  vil  fiirrieren, 

der  wil  zu  allen  orten 

mutwillec  durch  gespötte  pärätieren: 

waz  solden  mir  bl  rösen  genseblfimen? 

für  ziser  und  visöle 

nim  ich  muscät  vnd  edel  kardam&men. 

Ean  ich  die  slihte  riuhen, 

daz  ist  hie  niht  erzeiget. 

künd  ich  die  lösen  diuhen, 

daz  ir  unrehte  höchfart  würd  geneiget, 

unreht  gewalt,  der  müest  ouch  sin  verdrücket, 

')  Vergl.  Borchling  a.  a.  0.  S.  183  Anm.  2. 


310  Erich  Petzet 

als  ich  daz  ungerihte 

an  disen  Heden  hän  ze  reht  gerücket. 

Niht  wan  durch  die  l6sen, 

die  sich  der  merke  rüement 

und  dabi  reht  verb6sen 

künnen  gar  und  swache  tihte  blüement. 

daz  wirt  an  den  gehofden  dick  erfunden: 

her  Nithart  waerz  der  klagende, 

und  lieten  sichs  geboren  underwunden. 

Diese  Verse  konnte  Albrecht  unmöglich  schreiben,  so 
lange  er  beabsichtigte,  Wolframs  Autorschaft  glauben  zu 
machen.  Sowie  ihm  aber  darauf  ankam,  selber  hervorzutreten, 
lag  es  sehr  nahe,  die  beiden  Wolfraraschen  Bruchstücke  klar 
kenntlich  zu  machon,  und  so  finden  wir  auch  vor  dem  zweiten 
Wolfranischen  Fragmente  in  der  Gruppe  II  der  Titurel-Hand- 
schriften  die  weitere  Strophe: 

Rime  die  zwivalten 

dem  brackenseil  hie  wären 

vil  verre  dan  gespalten: 

dar  nach,  die  lenge  wol  von  fttnfzic  jären, 

zwivalter  rede  was  diz  maere  gesümet. 

ein  meister  ist  üfnemende, 

swenn  es  mit  töde  ein  ander  hie  gerümet. 

In  der  L  berlieferung  der  Handschriften  sind  diese  Verse 
an  ganz  falsche  Stellen  geraten,  und  Zarncke,  der  sie*)  ein- 
leuchtend zurecht  gerückt,  weiss  keine  Erklärung  dafür,  son- 
dern rechnet  das  „zu  jenen  verwickelten  Vorgängen,  die  bei 
schwieriger  Überlieferung  sich  öfter  zeigen  uud  die  den,  der 
gerne  von  allem  eine  klare  Vorstellung  gewinnen  möchte,  in 
gelinde  Verzweiflung  versetzen  können."  Immerhin  wäre  eine 
Ursache  für  die  Verwirrung  der  Handschriften  gefunden, 
wenn  wir  annehmen  dürfen,  dass  diese  Strophen  von  dem 
Dichter   selbst  erst  nachträglich  eingeschoben  worden  sind  zu 


n  In  Tauls  und  Braunes  .Beiträgen"   18Ö0  VII,  606-609. 


über  das  Heideiberger  Bruehatüek  des  Jüngeren  TUurel,      311 

der  Zeit,  als   er   die  Widmung  zu  seinem  Epos   dichtete  und 
seine  Pseudonymität  aufgeben  wollte.     Dann  haben  wir  einen 
einleuchtenden  Grund  für  das  auffallende  Aus-der-Rolle-fallen, 
das  aus  Unachtsamkeit   des  sonst  so  peinlichen  Dichters  nicht 
überzeugend  erklärt  werden  kann;   dann  haben  wir  auch  eine 
Erklärung   flir    das    völlige   Fehlen    in    rielen   Handschriften, 
denn  das  Epos  ist  sicher  nicht  erst  als  abgeschlossenes  Werk, 
sondern  schon  vorher  bruchstückweise  bekannt  geworden,  und 
so  haben  die  ersten  Niederschriften  und  die  Abschriften  davon 
die  besprochenen  Strophen   noch  nicht  enthalten.     Dass  dann 
der  nachträgliche   Einschub    sich   im   weiteren   Fortgang    der 
['berlieferung   leichter   an   falsche  Stellen   verirren  konnte  als 
andere  Strophen,  ist  wohl  einleuchtend.    Ein  zwingender  Beweis 
dafür  ist  ja   nicht   möglich;   doch  gewinnen   wir  mit  unserer 
Annahme  die  ununterbrochene  Einheitlichkeit  des  Grundtones 
der  Erzählung  bis  Str.  5883  oder  wenigstens  5767/68,  wo  sich 
das  Bedürfnis  nach  einer  einträglichen  Förderung  durch  einen 
hohen    Protektor    geltend    zu    machen    beginnt.     Auf   wessen 
Protektion    dabei    der    Dichter    rechnete,    als    er    mit    seinem 
Namen    hervortrat,    das   sprechen    die    Strophen   18  —  23    des 
Heidelberger  Fragmentes  mit  all  der  Deutlichkeit  aus,  die  bei 
den  mittelalterlichen  Sängern  in  solchen  Anliegen  immer  üblich 
war.    Nur  hat  wie  bei  dem  vorhergehenden  Teile  falsche  Text- 
überlieferung,   so  bei  dem  folgenden   irrtümliche   Übersetzung 
bisher  die  volle  Ausnutzung  des  Fragmentes  verhindert. 

Die  fehlenden  Verse  zwischen  Str.  17  und  18  müssen  von 
dem  dichterischen  zu  dem  fürstlichen  Beschützer  der  Dichtung 
übergeleitet  haben:  Str.  18  spricht  bereits  von  dem  Pfalzgrafen, 
der  ordnungsgemäss  in  seiner  Obhut  hat  etwas,  das  in  den 
vorangegangenen,  jetzt  verlorenen  Worten  genannt  gewesen 
sein  muss.  Und  von  dem  Pfalzgrafen  sagt  nun  die  Strophe  19 
weiter:  Sein  Schloss  soll  die  grössten  Riegel  hin  und  her 
schliessen.  Das  kann  kaum  etwas  anderes  heissen  als:  er 
kann  die  grössten  Hindemisse  beheben  und  in  den  Weg  legen, 
er  hat  die  grösste  Macht  in  Händen.  San  Marte  will  darin 
nach  Boisseräes  Vorgang  den  Sinn  des  Sprichwortes:  Wie  Du 


312  Endi  PeUet 

mir,  so  ich  Dir  finden  —  eine  Erklärung,  die  ohne  die  falsche 
Lesung  Ein   statt  Sin  wohl  unmöglich  ist.     Von  ihm,  diesem 
mächtigsten  Fürsten,   fahrt  nun  der  Dichter  fort,  gebe  er  der 
Welt   so  manche  Würde,  Auszeichnung  kund,   wovon   er  und 
alle  seine  Nachkommen  in  hohem  Ansehen  leben.     Und  dann 
wünscht  er  ihm  noch  weitere  Ehren.     Boisseree    übersetzt  die 
Strophe  20:    „Oott,  Dir  sei  ein  würdigliches  Grüssen,   der  Du 
in    der   Seligkeit    hoch    verherrlicht    bist,    mit   Deiner  süssen 
Milde  gib  sein  Heil  dem  Fürsten,   der   das   Christentum  wohl 
befestigt. '^    San  Marte:    ,Gott,  gib  würdiglichen,  zur  Seligkeit 
hochgeschmückten  Qruss  in  Deiner  süssen  Gnade  dem  Fürstei., 
der  Christenheit  wohl  ordnet.   Der  Bayer  nennt  ihn  im  Gross: 
,duc  Louis  et  Palatinus*.   Simrock  spricht  von  einem  Fürster, 
„den  der  Bayern  Prinz  sin  salute  nenne,  und  den  der  Dichter 
selbst   als  Duc   Loys  et  Palatinus   und   wiederum  Str.  18  ah 
phalatzgrave  bezeichnet."   Richtig  ist  offenbar  im  wesentlicher. 
San   Martes   Übersetzung  von  V.  1 — 4.     Sin  solide   aber,  was 
anderweitig   nicht   belegt   ist,    übersetze   ich    im  Hinblick   auf 
salvieren,   später   salutieren  =  grüssen    mit  seine  Begrüssung, 
Anrede,   Titulatur,   fasse   es   also   einfach   als  eine  andere  Be- 
zeichnung  desselben   Begriffs,    den   der  Dichter   in   V.  1   mit 
grtizzen  bezeichnet  hat.     Somit  heisst  V.  5/7:    seine  Titulatur 
nennt  ihn  der  Bayern  Fürst,    Herzog   Ludwig   und  Pfalzgraf; 
mein  Lob  erkennt  ihm  die  Ehre  von  zehn  Fürsten  zu. 

Sinngemäss  schliesst  sich  dieser  Lobpreisung  der  weitere 
Wunsch  an  (21):  wenn  das  römische  Reich  noch  mehr  Aus- 
zeichnungen hoher  Art  hat,  so  mögen  sie  für  den  Fürsten 
Frucht  bringen,  dass  er  im  Zenith  des  Glückes  vor  jeder  Ver- 
kleinerung bewahrt  bleibe!  Alles  ersinnliche  Gute  wünscht 
der  Dichter  von  dem  Höchsten  dem  Herrscher,  der,  wie  ein 
Adler  (22)  alle  anderen  edlen  Beizvögel,  die  übrigen  Fürsten 
und  Herren  hinter  sich  lässt  und  als  edler  Beschützer  kleidet 
speist  und  auszeichnet  in  Schwaben,  Bayern  und  Franken ;  von 
Osterreich  bis  Flandern  sieht  man  Leute,  die  seine  Kleider 
tragen,  die  ihm  Untertan  sind.  Und  diesem  weitgebietenden 
Herrn  will  nun  Albrecht  noch  zweifache  Auszeichnung  zurüsten 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  TUurel,      313 

(23),  so  dass  ihn  Ritter  und  Frauen  desto  werter  halten,   die- 
weil  die  Welt  gewährt  —  hier  bricht  das  Fragment  ab. 

Dass  dieses  Lob  für  Herzog  Ludwig  den  Strengen  von 
Bayern  nicht  zu  hoch  gegriffen  ist,  erhellt  aus  der  Tatsache, 
dass  er  neben  Ottokar  von  Böhmen  der  mächtigste  BeichsfÜrst 
seiner  Zeit  war  und  vom  Inn  bis  an  den  unteren  Rhein  Terri- 
torien sein  eigen  nennen  konnte.  Wie  kam  da  aber  der  Dichter 
dazu,  diesem  Fürsten  werdecliches  gruzzen  zu  wünschen?  Welche 
höheren  Ehren  noch  konnte  das  römische  Reich  ihm  bieten? 
Ich  meine,  diese  Formulierung  seiner  Huldigung  gibt  uns  ziem- 
lich genauen  Aufschluss  darüber,  wann  der  Dichter  diese  Verse 
Yerfasst  hat.  In  der  Titulatur  des  Fürsten  kam  seine  über- 
ragende Stellung  nicht  zum  Ausdruck,  so  lange  sie  ihn  nur 
als  «Herzog  Ludwig,  Fürsten  der  Bayern  und  Pfalzgrafen ^ 
bezeichnete.  Eine  höhere  Würde  war  nur  die  des  deutschen 
Königs  und  römischen  Kaisers  —  sie  also  wünscht  der 
Dichter  seinem  Fürsten.  Das  konnte  er  aber  nur  nach 
dem  Tode  Richards  von  Cornwallis  (2.  April  1272)  und  Yor 
der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg  (1.  Oktober  1273).  In  dieser 
Zeit  hatte  Ludwig  der  Strenge  als  Pfalzgraf  ordnungsmässig 
die  Verwesung  des  Reiches  in  Händen  —  so  erklärt  sich  also 
die  fragmentarische  Strophe  18.  Seine  Anwartschaft  auf  die 
erledigte  Königswürde  war  allgemein  anerkannt  oder  gefürchtet 
und  hat  in  Eventualverträgen  mit  dem  Kurfürsten  von  Mainz 
urkundlichen  Ausdruck  gefunden.^)  Und  wenn  auch  die  Eifer- 
sucht der  Fürsten  auf  den  allzu  Mächtigen  die  Wahl  Ludwigs 
schliesslich  unmöglich  machte,  so  kam  doch  in  der  Form  der 
Frankfurter  Königswahl  sein  Ansehen  glänzend  zum  Ausdruck, 
indem  er  als  gemeinsamer  Stimmführer  aller  Kurfürsten  Rudolf 
von  Habsburg  als  den  neuen  König  nominierte.  Wer  ihm  also 
ergeben  war,  der  konnte  und  musste  in  diesem  letzten  Jahre 
des  Interregnums,  noch  bis  in  den  September  1273,  wünschen 
und  hoffen,  dass  ihm  als  dem  Berufensten  auch  die  äussere 
Würde    zu   teil  werde,   die   später  seinem  Sohne   wirklich   be- 

')  VergL    S.    Riezlers    Bayrische  Geschichte  II,    137    ff.;     Oswald 
Redlich,  Rudolf  von  Habsburg  8.  133— 1C9. 


314  Erich  Petget 

schieden  sein  sollte,  und  in  dieser  Zeit  muss  also  das  Widmungs- 
gedicht des  Titurelepos  entstanden  sein,  wahrscheinlich  in  den 
Monaten,  in  denen  seine  Aussichten  am  besten  standen,  alsbald 
nach  Ludwigs  Lösung  vom  Banne  (Juli  1273). 

Durch  diese  Bestimmung  gewinnen  yerschiedene  Aufstel- 
lungen grössere  Sicherheit,  verschiedene  Dunkelheiten  einige 
Klarheit;  doch  ergeben  sich  auch  wieder  neue  Fragen.  Als 
völlig  gesichert  erscheint  nun  die  Vermutung  Simrocks,  dass 
das  Heidelberger  Fragment  erst  nachträglich  dem  Gedichte 
selbständig  als  Widmung  vorgesetzt  wurde  und  nicht  irgend- 
wie einen  Bestandteil  der  Einleitung  bildete;  wir  brauchen  blos 
an  die  Erwähnung  Richards  von  Gomwallis  und  das  Zitat  bei 
Berthold  von  Regensburg  zu  erinnern.  Dies  Zitat  Bertholds 
beweist  aber  auch  ziemlich  bestimmt,  dass  Teile  des  Epos  schon 
vor  dem  Abschluss  der  ganzen  Dichtung  bekannt  geworden 
sind.  Denn  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  wir  hier  gerade 
die  letzte  Predigt  des  am  13./14.  Dezember  1272  gestorbenen 
grossen  Franziskaners  vor  uns  haben;  vor  Ende  1272  kann 
aber  nach  dem  oben  gesagten  das  Epos  gar  nicht  vollendet 
worden  sein  —  wenn  es  überhaupt  schon  bei  Abfassung  der 
Widmung  fertig  war.  Aber  auch  das  ist  keineswegs  sicher; 
wir  müssen  vielmehr  mit  der  Wahrscheinlichkeit  rechnen,  dass 
zu  diesem  Zeitpunkte  nur  der  grosse  Teil  bis  gegen  Str.  5883 
fertig  vorlag,  den  Lachmann  dem  „ersten  Bearbeiter''  Wolframs 
zugeschrieben  hat.  Denn  der  letzte  Teil  des  Epos,  in  dem 
sich  also  Albrecht  nennt,  bietet  der  Erklärung  sonst  manche 
Schwierigkeiten . 

In  den  Strophen  5767/68  wird  zum  ersten  Male  die  Klage 
des  Dichters  über  mangelnde  Förderung  laut: 

Wie  Parzival  nu  werbe 

und  Ekunat,  si  beide, 

ob  daz  allhie  verderbe, 

daran  geschehe  den  edelen  fürsten  leide, 

die  sich  da  lazent  kosten  disiu  maere 

gein  mir  als  rehte  kleine. 

ein  esel  davon  trüege  distel  swaere. 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Titurel.      315 

Wer  die  fÜrsten  waeren, 

daz  wil  ich  gerne  swigen. 

si  länt  sich  nicht  vermaeren, 

wan  ich  ir  gäbe  nimmer  darf  genigen. 

si  sint  der  mitte  wol  üf  tiutscher  terre, 

si  sint  den  bergen  nähen. 

diu  milte  hat  aber  in  gehüset  verre. 

Wer  die  knauserigen  Fürsten  dieser  Strophen  sein  mögen, 
wissen  wir  nicht,  und  ich  konnte  keinen  Anhalt  für  die  An- 
gabe von  der  Hagens  finden,  dass  hier  kärntische  Herren 
gemeint  sind.')  Jedenfalls  aber  müssen  es,  da  sie  im  Plural 
stehen,  andere  sein  als  der  Fürst,  von  dem  der  Dichter  in 
Str.  5883  spricht : 

Die  aventiure  habende 

bin  ich  Albrecht  vil  ganze. 

Von  dem  wal  al  drabende 

bin  ich,  Sit  mir  zebrach  der  helfe  lanze 

an  einem  fürsten,  den  ich  wol  kund  nennen 

in  allen  riehen  verre; 

in  diuschen  landen  möht  man  in  erkennen. 

Albrecht  lüftet  hier  also  sein  Inkognito,  in  dem  er  bisher 
unter  der  Maske  Wolframs  gesprochen,  in  dem  Augenblick, 
wo  er  seine  Dichtung  aufgeben  will,  da  er  die  Unterstützung 
eines  Fürsten  verloren  hat,  den  er  nicht  näher  kenntlich  macht, 
weil  es  ein  ansehnlicher,  in  allen  deutschen  Landen  bekannter 
Herr  ist.  Lange  kann  sich  der  Dichter  dieser  Unterstützung, 
wenn  er  sie  überhaupt  genossen  und  nicht  blos  erhofft  hat, 
nicht  erfreut  haben;  denn  sonst  könnte  nicht  kaum  120  Stro- 
phen vorher  die  vorhin  angeführte  Klage  stehen.  Der  Tod  des 
Fürsten  kann  nicht  gut  die  Ursache  des  ^Zerbrechens  von  der 
Hilfe  Lanze*  sein;  denn  da  würde  Albrecht  sicher  offen  um 
den  Verlust  trauern,  wie  Wolfram  um  den  Landgrafen  Her- 
mann von  Thüringen,  und  nicht  nötig  haben,  den  Namen  zu 
verschweigen.     Wer   also   ist    dieser   Fürst,    der   an  die  Stelle 

*)  Vergl.  Von  der  Hagens  Germania  II,  268.    Berlin  1837. 


316  Eridi  PeUet 

der  früheren  unzureichenden  Beschützer  des  Dichters  getreten 
war,  um  nach  so  kurzer  Zeit  schon  dessen  Erwartungen  so 
gründlich  zu  enttäuschen? 

Es  ist  vielleicht  nicht  zu  kühn,  ihn  auf  Grund  des  Heidel- 
berger Fragments  mit  Ludwig  dem  Strengen  zu  identifizieren; 
wenigstens  erklären   sich   dann  zwanglos  alle  Schwierigkeiten. 
Der  Wunsch  für  den  Fürsten,  den  der  Dichter  in  seiner  Wid- 
mung mit  so  viel  Siegesgewissheit  vorträgt,   ist  nicht  in  Er- 
füllung gegangen :  Ludwig  wurde  nicht  König.   Ist  es  da  nicht 
naheliegend,   dass  bei  diesem  politischen  Fehlschlag   auch  der 
Lohn  für  den  Dichter  ausblieb   und  dieser  es  in  seiner  ersten 
Enttäuschung  mutlos  aufgab,   sein  Epos   zu  Ende  zu  ftlhren? 
Der  Verpflichtung,   weiter   als  Wolfram   zu   sprechen,    war  er 
überhoben,  nachdem  er  sein  Verhältnis  zu  diesem  offen  in  der 
Widmung  dargelegt  hatte ;  den  Fürsten  aber  durfte  er  in  seinem 
bitteren  Abschiedsworte  nicht  allzu  kenntlich  machen,  um  sich 
nicht  ausser  seiner  Abweisung   auch   noch  seinen  Groll    zuzu- 
ziehen.  Ludwig  jedoch,  der  selbst  schliesslich  die  Wahl  Rudolfs 
vollzogen  hatte  und  dafür  sein  Schwiegersohn  geworden  war, 
konnte  bei  der  so  veränderten  politischen  Lage  unmöglich  den 
Dichter   auszeichnen,   der   so  rückhaltlos  seine  von  ihm  selbst 
klug   aufgegebene  Kandidatur   vertreten   hatte.     Es   war   also 
nur  eine  kurze  Zeit,  in  der  Albrecht  auf  die  Gunst  des  baye- 
rischen Herzogs   sich   Hoffnung  machen  konnte,   wie  ja  auch 
der    Fortschritt    des    Epos    von   der  Absage    an   die  früheren 
Gönner   zu    der   Klage    über  den  Verlust   des  neuen   Mäcens 
nur  gering  ist.     Auch  dieser  Umstand   spricht  dafür,  dass  die 
Widmung   erst    1273    und   nicht   schon    1272   verfasst   wurde 
und  die  Enttäuschung  sehr  bald  darauf  folgte.  Die  Strophe  5883 
ist  nach   dieser   Erklärung   bald   nach  der  Wahl   Rudolfs  am 
1.  Oktober  1273  verfasst  worden. 

Bei  dieser  Annahme  bleibt  freilich  die  Frage  unbeant- 
wortet, was  Albrecht  dann  veranlasst  hat,  das  so  feierlich 
aufgegebene  Gedicht  doch  noch  zu  Ende  zu  führen.  Wenig- 
stens ein  äusserer  Anlass  ist  nicht  nachweisbar.  Die  inneren 
Gründe   dafür   sind   aber   doch  wohl  ausreichend,   um  die  De- 


über  das  Heidelberger  Bruchstück  des  Jüngeren  Titurel.      317 

pression  des  Dichters  als  rasch  yorübergegangen  erscheinen 
zu  lassen.  Albrechts  Selbstgefühl  und  künstlerischer  Stolz 
spricht  sich  an  vielen  Stellen  so  kräftig  aus,  dass  der  Reiz, 
den  grossen  Wolfram  zu  verroUständigen  und  zu  übertreflfen, 
ftlr  ihn  unmöglich  damit  aufhören  konnte,  dass  der  klingende 
Lohn  der  Mühe  wieder  ins  Ungewisse  entrückt  war.  Es  klingt 
wie  ein  Nachhall  des  Grolls  über  die  betrogene,  auf  den 
Königskandidaten  gesetzte  Hoffnung,  wenn  bei  Wiederaufnahme 
der  Dichtung  alsbald  die  Macht  und  das  Glück  der  Templeisen 
gerühmt  wird  (5890/91): 

Hie  tüsent  kunige  riebe 

ir  einem  dort  an  6ren  niht  geltchet. 

Und  wird  da  niht  betrüebet 

der  alte  noch  der  tumbe. 

Urliuge  da  nieman  üebet, 

mit  trügeheit  fürt  keiner  den  andern  umbe. 

So  flüchtet  der  enttäuschte  Dichter  aus  der  verstimmenden 
realen  Welt  in  das  ideale  Reich  seiner  Dichtung,  jetzt  nur 
darein  seinen  Ehrgeiz  setzend,  dass  sie  zu  einem  voll  befriedi- 
genden Ende  geführt  werde  (5887): 

Sei  dise  aventiure 

ein  ende  han  mit  rewe? 

nein!  sie  ist  so  ungehiure; 

ez  waz  ein  tugent,  die  hohste  heizzet  trewe, 

damit  sich  dise  aventiure  sol  enden. 

wan  alle  die  trewe  darben, 

die  wil  der  hohste  an  allen  saelden  phenden. 

In  dieser  Absicht  wird  er  auch  von  den  wohlgesinnten 
Kritikern  bestärkt,  die  er  so  oft  gegen  die  übelgesinnten  aus- 
gespielt hat   und  die  nun  den  unharmonischen  Schluss  tadeln 

(5884): 

Die  werden  mich  hie  v^hen, 

ob  ich  klagende  läze 

dirre  aventiure  flöhen. 

so  wil  ich  iuch  bescheiden  dirre  mäze. 


318  EriOi  PeUct 

Und  auch  der  Tadel  der  Krittler,  die  an  Wolframs  Werken 
wegen  ihrer  ünvoUständigkeit  zu  nörgeln  fanden,  spornte 
Albrecht  an  (5910/11): 

Ez  jehent  die  merkerlchen, 

daz  mich  an  freuden  phendet, 

ez  si  unendelichen 

ein  buoch  ganvenget  und  daz  ander  gendet, 

also  daz  sante  Wilhalm  an  dem  houbet, 

Parzival  an  dem  ende, 

sin  beide  an  ir  werdecheit  beroubet. 

Daz  uns  an  disem  buoche 

alsam  hie  nicht  gelinge, 

daz  uns  dehein  unruoche 

unendelich  von  endikeit  iht  bringe, 

altissimus  der  geb  uns  rehten  ende 

unib  daz  vor  allen  dingen 

sol  cristenheit  ze  gote  valden  hende. 

Schliesslich  muss  aber  neben  diesen  ästhetischen  Erwä- 
gungen und  dem  begreiflichen  Wunsche,  sich  selbst  zu  ge- 
nügen, auch  der  Gedanke  dem  Dichter  nahe  getreten  sein, 
dass  sein  Werk  vollendet  ihm  immer  noch  mehr  Aussicht  auf 
Lohn  bieten  konnte  als  so  kurz  vor  dem  Ende  jäh  abgebrochen. 
Hat  er  auch  keinen  bestimmten  Gönner  mehr  vor  sich,  der 
ihn  begaben  soll,  so  bleibt  doch  seine  Sehnsucht,  aus  der 
Armut  herauszukommen,  bestehen,  wie  sie  noch  die  vorletzte 
Strophe  des  ganzen  grossen  Werkes  (nach  dem  Druck  von 
1477)  ausspricht: 

Kyote  Flegetanise, 

der  was  hern  Wolfram  gebende 

dise  aventiure  ze  prise: 

die  bin  ich  Albrecht  hie  nach  im  üfhebende 

darumbe,  daz  drier  dinge  minder  waere, 

der  Sünden  und  der  schänden: 

daz  drite,   mich  drücket  armuot  diu  swaere. 


über  das  Heidelberger  Brudistück  des  Jüngeren  IKturel,      319 

Alle  einschlägigen  Stellen  erklären  sich  also  ohne  Wider- 
spruch, wenn  wir  uns  die  Entstehung  des  Gedichtes  so  yor- 
stellen:  während  des  Interregnums  begonnen  und  bruchstück- 
weise, wie  so  manches  andere  mittelhochdeutsche  Epos,  yer- 
uifentlicht,  war  es  zur  Zeit  von  Richards  von  Comwallis  Tode 
(1272)  schon  sehr  weit  (bis  über  5700  Strophen)  vorgeschritten; 
da  sah  sich  der  Dichter  Albrecht,  von  seinen  bisherigen  Oönnern 
Dur  mangelhaft  unterstützt,  nach  einem  neuen  Mäcen  um  und 
setzte  seine  Hoffnung  auf  Ludwig  den  Strengen  in  der  Er- 
wartung, dieser  werde  zum  deutschen  Könige  gewählt  werden. 
Diese  Hoffnung  trog  ihn  infolge  der  politischen  Ereignisse, 
und  nun  gab  er  Ende  1273  zuerst  sein  Epos  ganz  auf  in 
Str.  5883,  fährte  es  dann  aber  doch  noch  ohne  besondere 
Gönner  etwa  in  den  Jahren  1274/75,  jedenfalls  noch  vor 
1278,^)  zu  Ende.  Wollten  wir  annehmen,  das  ganze  Gedicht 
sei  vollendet  im  Jahre  1273  dem  Pfalzgrafen  mit  dem  Wid- 
niungsgedichte  überreicht  worden,  so  befänden  wir  uns  anstatt 
einmal  (Str.  5767/68)  zweimal  (auch  bei  Str.  5883)  völlig  im 
unklaren  über  die  Personen  der  ungenannten  Fürsten;  auch 
ist  die  Allgemeinheit  der  Klage  über  die  Armut  am  Ende  ganz 
gegen  die  Art  des  Dichters,  wenn  er  dabei  die  bestimmte 
Person  Ludwigs  vor  sich  gehabt  hätte,  und  ebenso  ist  in  dem 
Schlussteile  der  Dichtung  nichts  zu  entdecken,  was  den  be- 
stimmten Lobpreisungen  der  Widmung  irgend  entspräche. 
Wir  haben  nicht  den  mindesten  Anhalt  für  die  Annahme,  der 
Schluss  sei  im  Hinblick  auf  die  neue  Hilfe  hinzugefügt  worden ; 
noch  weniger  aber  kann  man  sich  doch  vorstellen,  dass  das 
Epos  schon  fertig  gewesen  sein  soll,  ehe  Albrecht  auf  die 
Idee  verfiel,  es  Ludwig  zu  widmen,  und  dass  ein  irgend  grösserer 
Zeitraum  zwischen  dem  Abschluss  der  Dichtung  und  ihrer 
Widmung  verflossen  sein  könnte.  Es  bleibt  also  wohl  dabei, 
dass  die  Verse  des  Heidelberger  Fragments  vor  der  Strophe  5883 
gedichtet  worden  sind,  und  die  Erfolglosigkeit  der  Widmung 
erklärt  es  auch  einleuchtend,  warum  diese  Verse  in  allen 
anderen  Handschriften  fehlen:  sie  haben  ihr  Ziel  verfehlt  und 

*)  Vergl.  Lachmanns  Ausführungen  oben  S.  302. 


320  Erich  Petzet,  Über  das  Heidelberger  Bruchsiüeh  etc, 

durften  daher  mit  dem  Epos  nicht  verbunden  bleiben.  Trotz- 
dem können  sie  manchmal  einen  Anhalt  in  den  Wirrnissen 
der  Textüberlieferung  bieten,  indem  sie  uns  die  Ursache  ent- 
hüllen, die  schon  den  Dichter  selbst  zu  einzelnen  Schwankungen 
und  Änderungen  veranlassen  musste. 

Über   die   Person   des   Dichters   aber   gibt   uns  auch  das 
Heidelberger  Fragment  keine  genügende  Auskunft.   Die  breite 
Linde,  unter  deren  Schutz  er  sich  begeben,  beschattete  ihn  so 
vollständig,  dass  er  Jahrhunderte  lang  gar  nicht  mehr  gesehen 
wurde,  und  ist  auch  das  Ansehen  seines  Gedichtes  dadurch  in 
blindem  Autoritätsglauben    höher  gewertet  worden  als  es  ver- 
dient,   so   war  dann   auch   die  Verurteilung   um   so   schärfer. 
Auch  jetzt,   wo    eine   gerechtere  Schätzung  des  verkünstelten 
und    überladenen,    aber   doch   neben   einem  Reichtum   kultur- 
geschichtlichen   Gehaltes    auch    manche    wirkliche    poetische 
Schönheit  bergenden  Gedichtes   angebahnt  ist,    bleibt  uns  der 
Verfasser   nicht   viel   mehr  als  ein  Name.     Wir  wissen  nichts 
von  einem  Dichter  Albrecht  aus  jener  Zeit  ausser  dem  Meister 
Albrecht   von  Schwaben,    den  Heinrich  von  der  Wiener  Neu- 
stadt  in   seinem    AppoUonius  *)   als   vom    König   Rudolf  reich 
beschenkt   erwähnt.     Mit  diesem  den  Albrecht  des  Titurel   zu 
identifizieren,  ist  nicht  möglich,   da  alle  Anhaltspunkte  fehlen 
ausser    der   Stammeszugehörigkeit,    die    für    den    Dichter   des 
Titurel    sicher    nicht    nach    Schwaben,    sondern   nach    Bayern 
weist.     Dem    Schöpfer    des    „Messias*    des    Mittelalters,    wie 
Zamcke  ihn  (a.  a.  0.  S.  377)   nennt,   war  offenbar  das  Glück 
des  Messiassängers  des  18.  Jahrhunderts  nicht  beschieden:  wie 
der   persönliche   Ruhm    ist   auch    wirksame  Fürstengunst  ihm 
versagt   geblieben   —    doch   nicht   ohne  eigene  Schuld.    Und 
dass   es   wenigstens    darüber   einige   Klarheit   schafft,   verleiht 
dem   Heidelberger   Bruchstück   seinen   hohen  Wert;   es  bietet 
bis  jetzt  fast  den  wichtigsten  Anhalt,  um  die  mannigfach  ver- 
schlungenen   Fragen    der    vielbesprochenen     Dichtung    ihrer 
Lösung  näher  zu  bringen. 

*)  V.  1B687  flF.  der  Ausg.  von  Jos.  Strobl.   Wien  1876. 


321 


Die  sardicensisclieiL  Aktenstücke  der  Sammlung 

des  Theodosius  Diaconns. 

Von  J.  Friedrich. 

(Vorgetragen  in  der  historischen  Klasse  am  2.  Mai  1903.) 

Im  Jahre  418  sandte  Papst  Zosimus  den  Bischöfen  Afrikas 
zwei,  wie  er  sagte,  nicänische,  in  Wirklichkeit  bis  dahin  unbe- 
kannte, später  sardicensisch  genannte  Canones,  von  denen  einer 
das  Recht  der  Appellation  von  den  afrikanischen  Bischofs- 
gerichten an  den  römischen  Bischof  begründen  sollte.  Die 
Äirikaner,  welche  diese  Canones  weder  kannten  noch  unter  den 
nicänischen  fanden,  beschlossen  auf  einer  Synode  im  Jahre  419, 
die  Bischöfe  von  Konstantinopel,  Antiochien  und  Alexandrien 
durch  Gesandtschaften  bitten  zu  lassen,  sie  möchten  aus  ihren 
authentischen  Exemplaren  der  nicänischen  Canones  erheben, 
ob  die  von  Zosimus  gesandten  nicänische  seien.  Das  geschah, 
wie  man  bis  jetzt  allgemein  annahm,  von  Seite  der  Bischöfe 
Atticus  von  Eonstantinopel  und  Cyrillus  von  Alexandrien  da- 
durch, dass  jeder  von  ihnen  eine  lateinische  Übersetzung  der 
in  ihren  Eirchenarchiven  vorhandenen  griechischen  Canones 
von  Nicäa  nach  Carthago  schickte.  Nun  plötzlich  lässt  man 
aber  Cyrillus  von  Alexandrien  noch  weiter  gegangen  sein  und 
den  Afrikanern  eine  ganze  Sammlung  nicänischer  und  sardi- 
censischer  Aktenstücke  zur  Beantwortung  ihrer  Frage  gesandt 
haben,  —  eine  Annahme,  die  H.  Duchesne  in  Rom  im  Bessa- 
rione  (Rivista  di  studl  orientali  vol.  III  fasc.  68)  folgender- 
massen  zu  begründen  sucht: 

1903.  Sitzgsb.  d.  phil08.-phJlol.  n.  d.  hist.  Kl.  22 


322  J.  Friedrieh 

Qu'advint-il    des    v^rifications    pr^crites    par    le    concile 
de  Cartbage?    Nous  n^avons   aucune  nouvelle  d^une  enquöfce  ä 
Antioche.     De   Gonstaotinople,    T^v^ue   Atticus    se   borna  a 
envoyer  aux  Africains  un  texte  des  canons  de  Nic^,  qui  r^pre- 
sentait  une  coUation  de  leur  Version  ä  eux,  celle  que  Cecilien, 
^vfeque  de  Cartbage  et  Tun  des  peres  de  Nic^e,  avait  rapporte 
de  cette  assembl^e,  avec  le  texte  grec  dont  on  se  servait  dans 
la  capitale  de   Tempire  d'Orient    II  est  du  reste  peu  probable 
que  les  ^glises  d'Antiocbe  et  de  Constantinople,  dont  les  ev^- 
ques  ^taient,  en  343,  au  plus  mal  avec  le  concile  de  Sardique, 
eussent  conserv^  des  documents  de  cette  assembl^e.    A  Alexan- 
drie  il  en  devait  ötre  autrement.    Athanase  avait  du  y  envojer 
ou  j   porter   lui-nidme  un   dossier  tres   complet,   et,    si   nous 
Favions,    nous   serions   en   droit  d^y   cbercber    les   canons   de 
Sardique.    Or  il  se  trouve  que  ce  dossier  s'est  conserv^  et  que 
tres  probablement  il  nous  est  parvenu  par  la  voie  de  Cartbage. 
M.  C.  H.  Turner  .  .  .  a  consacr^  a  la  collection  canonique  dite 
du   diacre  The^odose   une   interessante   ötude,^)  d'oü   il    r^^ulte 
que  dans  ce  recueil   s'est  conserv^   toute  une  s^rie  de    pieces 
alexandrines  de  provenance,  envoy^es  par  s.  Cyrille  a  T^v^que 
de  Cartbage,  en  r^ponse  ä  la  celebre  consultation.    Au  nombre 
de  ces  pieces  figurent  les  canons  de  Sardique,  indiqu^  comme 
tels.    Tout  le  recueil  alexandrin  nous  est  donn^  dans  une  Ver- 
sion  latine.     Aussi   le   texte  des  canons   n'est-il   pas    le  texte 
latin  de  nos  coUections  occidentales,  mais  une  traduction  latine 
du  texte  grec  que  nous  connaissons  par  les  recueils  byzantins. 
Ainsi,  dans  les  deux  grandes  ^glises  de  Rome  et  d'AIexandne, 
oü  nous  pouvions  nous  attendre  ä  trouver  les  canons  de  Sar- 
dique,  nous  les  trouvons  en  eflFet,   en  des  r^dactions  indepen- 
dantes   l'une  de   Pautre  au  commencement  du  V*  siecle  (p.  4). 

Diese  überrascbende  kategoriscbe  Bebauptung,  die  noch 
Niemand  aufgestellt  bat,  verdient  eine  näbere  Prüfung.  Da 
aber  H.  Duchesne  sieb  auf  H.  Turner  stützt,  als  ob  dieser  die 


M  The  Verona  Manuscripts  of  canons:  The  Theodosian  MS.  and  its 
connection  with  St.  Cyrill.     The  Guardian,  Dec.  11  (1895),  p,  1921  sq. 


Die  sardieensisehen  uäktenstüeke  des  Theodosius  Diaconus,      323 

Behauptung  unumstösslich  bewiesen  hätte,  so  muss  vor  allem 
die  «Hypothese*  des  letzteren,  die  ich  nicht  ohne  Mühe  erst 
jetzt  aus  England  erlangen  konnte,  untersucht  werden. 

Der  Ausgangspunkt  und  die  Grundlage  der  Hypothese  ist 
die  Beobachtung,  dass  der  Kern  der  Sammlung  des  Theodosius 
von  einem  alezandrinischen  Gesichtspunkt  aus  angelegt  sei  (from 
an  Alexandrine  point  of  view),  —  eine  Beobachtung,  die  nicht 
einmal  neu  ist.  Denn  auch  Maassen,  um  bei  diesem  stehen 
zu  bleiben,  sagt:  ,dass  eine  der  Quellen  des  Theodosius  eine 
lateinische  Übersetzung  einer  in  der  Diözese  Ägyptus  entstan- 
denen Sammlung  war.  In  dieser  Sammlung  fanden  sich  auch 
die  Canonen  von  Nicäa.  .  .  .  Die  Übersetzung  der  Canonen  ist 
aber  nicht,  wie  die  Ballerini  noch  annehmen  konnten,  von  dem 
Interpreten  der  übrigen  Stücke  verfasst.  Es  liegt  vielmehr 
bier  dieselbe  Version  vor,  welche  Caecilian  [von  Carthago]  nach 
Afrika  gebracht  hat.  Es  ist  nicht  notwendig,  deshalb  auf 
den  afrikanischen  Urspining  der  Version  dieser  griechischen 
Sammlung  zu  schliessen.  .  .  .  Auch  das  bleibt  möglich,  dass 
der  Übersetzer  der  alezandrinischen  Sammlung  die  Version  der 
nicänischen  Canonen  den  Akten  des  carthagischen  Konzils  vom 
Jahre  419,  die  früh  ausserhalb  Afrikas  verbreitet  wurden,  ent- 
lehnt hat*  (Quellen,  S.  10).  Bei  der  Beschreibung  der  Hand- 
schrift setzt  er  aber  auseinander:  «Die  Überschrift  und  die 
Einleitung  des  Konzils  von  Nicäa  weisen  unmittelbar  auf 
Alexandrien.  Dahin  gehören  ferner  folgende  Stücke:  das  nicä- 
nische  Synodalschreiben  an  die  ägyptischen  Bischöfe,  die  beiden 
Schreiben  des  h.  Atbanasius  [an  die  Priester  und  Diakone  der 
Kirche  von  Alexandrien,  sowie  das  an  Priester,  Diakone  und 
Volk  von  Mareotis],  das  Schreiben  des  Konzils  von  Sardica  an 
die  Kirchen  von  Mareotis,  die  Notizen  zur  Biographie  des 
h.  Athanasius,  das  Schreiben  Konstantins  d.  Gr.  an  die  Kirche 
von  Alexandrien,  endlich  die  beiden  Schreiben,  welche  auf  das 
meletianische  Schisma  Bezug  haben.  Es  liegt  eben  nicht  fern, 
anzunehmen,  dass  die  Sammlung,  in  welcher  diese  Stücke  zuerst 
vereinigt  waren,  in  der  Diözese  Alexandrien  selbst  entstanden 
sei'.    Er  vermeidet  aber  vorsichtig  die  Behauptung,  dass  diese 

22* 


324  /.  Friedrieh 

Sammlung  in  der  Stadt  Alexandrien  selbst  entstanden  sei,  und 
wagt  es  auch  nicht,  bestinmit  zu  ihr  die  sardicensischen  Ganones 
zu   reebnen.     , Wahrscheinlich   hat   er  [Theodosius]    derselben 
Sammlung   auch   die  Version   der  Canonen   von  Sardica   nebst 
den  übrigen  auf  das  Konzil  von  Sardica  bezüglichen  Stücken, 
die  sonst  in  Sammlungen  nicht  yorkommen,  femer  Konstantins 
Edikt   gegen   den   Arianismus,    das   Symbol   des   Konzils   von 
Konstantinopel   [unter   dem   falschen  Titel:   Symbolus   sanctae 
synodi   Sardici],   die   eigentümliche  Version   der  Canonen    und 
einiger   andern   Aktenstücke   des   Konzils   von  Chalcedon    ent- 
lehnt.    Auch  für  die  beiden  afrikanischen  Stücke,  das  Brevia- 
rium  Hipponense  und  das  Konzil  von  Carthago  vom  Jahre  421. 
hat  ihm  eine  von  andern  Sammlern  nicht  benutzte  Quelle  zn 
Gebote   gestanden,   da   er   das  erstere   ohne  die   zwei  Canonen 
des  carthagischen  Konzils  Tom  Jahre  397   und  den  Canon  des 
carthagischen   Konzils   vom   Jahre  401    bringt,   die   in    keiner 
andern  Sammlung   am  Schlüsse   fehlen,   und  das  Konzil    Tom 
Jahre  421  nur  in  dieser  Sammlung  yorkommt*.     Die  Zeit  der 
Entstehung    der   ganzen    griechischen   Sammlung   fallt    wahr- 
scheinlich nach  dem  Konzil  yon  Chalcedon,  weil  ,die  jüngsten 
Stücke  derselben  die  Canonen  yon  Chalcedon  und  die  mit  diesen 
verbundenen   Aktenstücke  desselben  Konzils   gewesen   zu    sein 
scheinen.    Wann  aber  die  yon  dem  Diakon  Theodosius  benutzte 
Version    dieser   Sammlung   yerfasst  sei,    lässt    sich    nicht    be- 
stimmen" (S.  549  flF.).    Von  einer  Beziehung  der  Sammlung  zu 
Cyrillus  yon  Alexandrien  weiss  er  nichts. 

Anders  die  Hypothese  des  H.  Turner.  Nach  Ausstossung 
der  offenbar  nicht  zu  der  ursprünglichen  (alexandrinischen) 
Sammlung  gehörigen  Stücke  (after  the  extrusion  of  certain 
apparently  adventitious  matter)  bleiben  die  auf  die  Konzilien 
yon  Nicäa  und  Sardica  bezüglichen  übrig.  Dieser  Kern  der 
Sammlung  des  Theodosius  weist  aber  nicht  blos  auf  alexan- 
drinischen Ursprung  hin,  sondern  Cyrillus  yon  Alexandrien 
hat,  wie  er  es  in  seinem  Begleitschreiben  an  die  Afrikaner 
selbst  ausspricht,  gerade  diese  Sammlung  nicänischer  und  sardi- 
censischer  Aktenstücke  als  Antwort  auf  ihre  Anfrage  geschickt. 


Die  sardicensischen  Äktengtücke  des  Theodosius  Diaconus,      325 

Xothing  could  be  conceived  better  fitted  than  this  coUection 
to  clear  up  the  issue  between  the  Roman  and  African  Ghurches. 
We  niay  well  assume  that  the  delegates  sent  from  Carthago 
to  the  East  were  provided  with  copies  of  the  Nicene  canons, 
both  as  the  Africans  knew  them  in  the  version  of  Gaecilian 
and  as  the  Romans  claimed  them  in  the  tezts  which  included 
Sardica.  At  Constantinople  the  decisions  of  Sardica  would  pro- 
bablj  be  as  little  known  as  in  Africa,  for  Constantinople  had 
been  as  entirely  as  Carthago  unrepresented  in  that  Western 
and  Alexandrian  sjnod.  Atticus,  therefore,  confined  himself  to 
bringing  the  translation  of  Caecilian  into  more  exact  accor- 
dance  with  bis  Grec  text.  At  Alexandria,  on  the  other  band, 
the  Council  of  Sardica  would  be,  through  Athanasius^  parti- 
cipation  in  it,  less  unfamiliar  and  its  canons  would  doubless 
be  preserved  in  the  archives  of  the  church.  There,  then,  the 
texts  put  forward  by  Rome  would  be  identified,  and  Cyril  or 
bis  commissarj  would  see  that  the  most  satisfactorj  settlement 
of  the  point  in  dispute  would  be  to  lay  before  the  Africans 
as  complete  a  set  of  documents  conceming  the  two  Councils 
as  the  library  of  the  Alexandrine  see  could  fournish,  material 
which  would  naturally  group  itself  round  the  life  and  writings 
of  St.  Athanasius. 

Die  Hypothese  ist  zweifellos  schön  ausgedacht.  Es  erhebt 
sieb  nur  sogleich  die  Frage,  ob  irgendwelche  Gründe  für  sie 
sprechen.  Da  finde  ich  aber  nur  eine  einzige  Stelle  angeführt, 
die  sich  wirklich  auf  Cyrillus  bezieht.  Die  Hypothese  fährt 
nämlich  nach  den  oben  angeführten  Worten  fort:  Some  confir- 
mation  for  this  theory  may  be  found  in  Cyril's  own  words,  for 
be  speaks  of  fidelissima  exemplaria  ex  authentica  synodo 
(wbile  Atticus  confines  his  statement  to  the  canons  only)  and 
he  appeals  to  the  testimony  of  history,  quod  et  in  eccle- 
siastica  historia  requirentes  invenietis,  words  which 
acquire  additional  point  if  we  suppose  that  specimens  of  the 
bistorical  material  into  which  he  invited  them  to  inquire 
actually  accompanied  the  letter.  Aber  diese  Supposition  em- 
pfängt nur  dadurch   einen  Schein   von   Zulässigkeit,   dass  aus 


326  J,  Friedri€h 

dem  Schreiben  Cyrills  blos  einige  Worte  hervorgehoben  sind. 
Und  auch  angenommen,  die  auffallenderweise  nur  halb  ange- 
führten Worte  Cyrills  hätten  den  ihnen  von  der  Hypothese 
untergelegten  Sinn,  so  wäre  damit  noch  keineswegs  bewiesen« 
dass  sie  sich  auch  notwendig  auf  die  sardicensischen  Akten- 
stücke der  Theodosianischen  Sammlung  beziehen. 

Wir  wenden  uns  daher  besser  an  die  Worte  Cyrills  selbst, 
um  zu  sehen,  was  er  sagt.     Es  zeigt  sich  dann  aber  auf  den 
ersten  Blick,  dass  die  in  der  Hypothese  versuchte  Interpretation 
derselben  auf  Bestand  keinen  Anspruch  erheben  kann.    Cyrillus 
schreibt:   Scripta  uenerationis  uestrae  multam  habentia  queri- 
moniam   cum   omni    laetitia    per   filium    nostrum   Innocentium 
presbyterum  suscepimus,  quibus  a  nobis  speratis,  ut  de  scrinio 
nostrae    ecclesiae    uerissima    exemplaria    ex    authentica 
synodo    apud   Nicaeam    ciuitatem    metropolim   Bithyuiae  a 
sanctis  patribus  constituta  atque  firmata  sub  nostrae  fidei  pro- 
fessione  uestrae  dilectioni  porrigamus.     Unde,  domini   honora- 
biles  fratres,  salute  praeeunte  necesse  habui  per  hunc  latorem 
filium    nostrum    Innocentium    fidelissima    exemplaria    ex 
authentica    synodo    in    Nicaea    ciuitate    Bithyniae    habita 
uestrae  caritati  dirigere:  quod  et  in  ecclesiastica  historia  requi- 
rentes  inuenietis.     Um  was  also  die  Afrikaner  gebeten   hatten 
(uerissima  exemplaria  ex  authentica  synodo  apud  Nicaeam),*) 


^)  Die  Worte  stammen  eigentlich  aus  dem  Beschluss  der  Synode 
von  Carthago,  durch  den  Bischof  Autelius  beauftragt  wird,  sich  an  die 
Bischöfe  von  Konstantinopel,  Antiochien  und  Alexandrien  zu  weoden: 
scribere  uestra  beatitudo  dignetur,  ut  exemplaria  uerissima  concilii 
Nicaeni  sub  adstipulatione  literarum  suarum  dirigat,  Mansi  III,  707.  834. 
Ebenda  sagt  auch  die  Synode,  was  sie  unter  exemplaria  concilii  Nicaeni 
versteht:  Omne  concilium  dixit:  Exemplaria  fidei  et  statuta  Nicaenae 
synodi,  quae  ad  nostrum  concilium  per  b.  rec.  olim  praedecessorem  tiiae 
sanctitatis,  qui  interfuit,  Caecilianum  episcopum  allata  sunt,  sed  et  quae 
patres  ea  exemplaria  sequentes  hie  constituerunt. .  .  .  Daniel  notarius 
Nicaeni  concilii  professionem  fidei  uel  eins  statuta  recitauit  in  condlio 
Africano  . . .,  worauf  Bischof  Aurelius  schloss:  Haec  ita  apud  nos  habentur 
exemplaria  statutorum,  quae  tunc  patres  nostri  de  concilio  Nicaeno  secnm 
detulerunt .  .  .,  Mansi  III,  710. 


Die  sardicensischen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus.      327 

das  schickt  er  (fidelissima  exemplaria  ex  authentica  synodo  in 
Kicaea),  —  weiter  nichts.  Wie  kann  da  nur  der  leiseste  Ge- 
danke daran  aufkommen,  dass  Cyrillus  gar  die  sardicensischen 
Aktenstücke  der  Theodosianischen  Sammlung  geschickt  habe? 

Cyrillus  hat  also  nicht  mehr  getan,  als  Atticus  von  Eon- 
siantinopel,  in  dessen  Schreiben  ganz  so  wie  in  dem  Gyrills 
das  Ersuchen  der  Afrikaner  angeführt  und  die  Erfüllung  des- 
selben bezeugt  wird:  Scribitis  sane,  ut  uerissimos  canones 
apud  Nicaeam  ciuitatem  metropolim  Bithyniae  a  patribus 
constitutos  sub  fidei  adstipulatione  dirigam:  et  quis  est  qui 
communem  fidem  uel  statuta  a  patribus  firmata  suis  fratribus 
deneget?  Qua  de  re  per  eundem  filium  meum  Marcellum  sub- 
diaconum  uestrum  nimium  festinantem,  sicut  statuti  sunt  in 
Nicaea  ciuitate  a  patribus,  canones  integros,  ut  iussistis, 
direxi.  .  .  .  Denn  dass  uerissimos  canones  apud  Nicaeam  oder 
canones  integros  das  nämliche  bedeutet  wie  fidelissima  exem- 
plaria bei  Cyrillus,  wird  sich  sogleich  herausstellen. 

Wir  haben  nämlich  nicht  blos  diese  Schreiben,  sondern 
auch  die  eingeschickten  exemplaria:  Incipiunt  exemplaria 
concilii  Nicaeni  directa  sub  die  VI.  kal.  Dec.  post  consu- 
latum  gloriosissimorum  imperatorum,  Honorii  XII.  et  Theo- 
dosü  Vni.  augustorum,  Bonifacio  urbis  Romae  episcopo.  Es 
folgt  das  nicänische  Glaubensbekenntnis,  worauf  fortgefahren 
wird:  Cui  symbolo  fidei  etiam  exemplaria  statutorum^) 
eiusdem  annexa  sunt  quae  in  magna  et  sancta  synodo  apud 
Nicaeam  ciuitatem  metropolim  Bithyniae  constituta  sunt  et 
de  Graeco  translata  sunt^'a  Philone  et  Euaristo  Constantino- 
politano;  den  Schluss  bilden  die  nicänischen  Canones.  Da  diese 
exemplaria  aber  die  Schriftstücke  sind,  die  Atticus  von  Kon- 
stantinopel gesandt  hatte,  so  geht  daraus  hervor,  dass  die  Afri- 
kaner selbst  uerissimos  canones  apud  Nicaeam  constitutos  oder 
canones  integros  bei  Atticus  mit  uerissima  exemplaria  ex  authen- 
tica synodo  apud  Nicaeam  bei  Cyrillus  identisch  nahmen. 

*)  Exemplaria  statutorum  sind  die  Worte  des  Bischofs  Aurelius  für 
die  nicSniBchen  Canoned,  8.  den  Schluss  der  vorausgehenden  Anmerkung. 


328  /.  Fnedrich 

Dass  man  von  Gjrillus  nicht  mehr  als  Yon  Atticus  erhalten 
hatte,    bezeugt   auch    die   Überschrift   vor   seinem   Schreiben: 
Incipiunt  rescripta  ad  concilium  Africanum  Cjrilli  Alexandrini 
episcopi,  ubi  authenticaNicaeni  concilii  translata  de  Graeco 
per  Innocentium  presb.  transmiserit,  quae  et  epistolae  cum 
eodem  concilio  Niceno  per  memoratum  presb.  Innocentium 
et  Marcellum  subdiaconum  ecclesiae  Carthaginensis  sancio  Boni- 
facio  episcopo   Romanae   ecclesiae,    die   sezta   kal.    Dec.    sunt 
directe   (Hinschius,   Decret.    ps.-isid.   p.  311 — 314;    Mansi  HI, 
835 — 838).    Doch  auch  in  denjenigen  Sammlungen,  welche  die 
nicänischen   Canones   hier   nicht   wiederholen,    heisst   es,    dass 
Cyrillus  die  nämlichen  Schriftstücke  wie  Atticus  geschickt  hat: 
Huic  symbolo  fidei  etiam  exemplaria  statutorum  eiusdem 
concilii  Nicaeni  a  memoratis  pontificibus  annexa  sunt^ 
sicut   superius    per   omnia   continentur,    quae    nos   hie   iterum 
conscribi    necessarium    non    esse    credidimus    (Mansi  III,  839). 
Deutlicher  könnte  in  der  Tat  nicht  gesagt  sein,  was  die  Afri- 
kaner von  Cyrillus  verlangten,   dieser   ihnen  sandte,   und  jene 
von  ihm  wirklich  erhielten. 

Mit  der  Sendung  der  aus  Konstantinopel  und  Alexandrien 
erhaltenen  authentischen  nicänischen  Canones  nach  Rom  war 
der  Streit  zwischen  diesem  und  Afrika  keineswegs  erledigt. 
Im  Jahre  424  kam  der  nämliche  Bischof  Faustinus,  der  einst 
im  Auftrage  des  Papstes  Zosimus  die  angeblich  nicänischen 
Canones  überbracht  hatte,  als  päpstlicher  Gesandter  nach  Car- 
thago  und  forderte  in  sehr  barscher  Weise,  dass  der  Priester 
Apiarius,  der  neuerdings  nach  Rom  appelliert  hatte  imd  von 
dem  Papst  in  die  Kirchengemeinschaft  aufgenommen  worden 
war,  auch  von  den  afrikanischen  Bischöfen  in  die  ihrige  auf- 
genommen werde.  Das  gab  diesen  Gelegenheit,  auf  die  von 
Papst  Zosimus  gesandten  Canones  zurückzukommen  und  in 
ihrem  Schreiben  an  Papst  Coelestin  wiederholt  Protest  gegen 
die  Anwendung  derselben  auf  Afrika  zu  erheben.  Aus  ihm 
erfahren  wir  aber  auch,  dass  sie  noch  immer  von  den  sardi- 
censischen  Canones  nichts  wissen,  und  dass  auch  Cyrillus  ihnen 
nichts  anderes  als  die  nicänischen  Canones  geschickt  habe:  Nam 


Die  sardieensisehen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus.      329 

ui  aliqui  tamquam  a  tuae  sanctitatis  latere  mittantur  [c.  5Sardic.], 
in  Dulla  inuenimus  patrum  sjnodo  constitutum:  quia  illud 
quod  pridem  per  eundem  coepiscopum  nostrum  Faustinum  tam- 
quam ex  parte  Nicaeni  concilii  exinde  transmisistis,  in  con- 
ciliis  uerioribus  quae  accipiuntur  Nicaeni  a  s.  Gyrillo 
coepiscopo  nostro  Alexandrinae  ecclesiae  et  a  uenerabili  Attico 
Constantinopolitano  antistite  ex  authentico  missis,  quae  etiam 
ante  hoc  per  Innocentium  presb.  et  Marcellum  subd.,  per  quos 
ad  nos  ab  eis  directa  sunt,  uen.  mem.  Bonifacio  episcopo  deces- 
sori  uestro  a  nobis  transmissa  sunt,  in  quibus  tale  aliquid 
non  potuimus  reperire  (Coust.  1061).  Denn  wenn  sie  sagen: 
in  keiner  Synode  der  Väter  haben  sie  den  ihnen  von  Papst 
Zosimus  gesandten  Canon  (5  von  Sardica)  gefunden,  und  auch 
die  ihnen  von  Cyrillus  und  Atticus  mitgeteilten  authentischen 
nicänischen  Ganones  enthalten  ihn  nicht,  so  ist  es  klar,  dass 
sie  die  sardieensisehen  Ganones  immer  noch  nicht  kennen,  auch 
Cyrillus  sie  ihnen  nicht  zugeschickt  hat.  Oder  soll  man  etwa 
annehmen,  Cyrillus  habe  zwar  —  entgegen  den  Worten  seines 
Schreibens  —  den  Afrikanern  die  sardieensisehen  Ganones  als 
sardicensische  geschickt,  diese  aber  hätten  sie  verleugnet?^) 
Nein !  Das  Einzige,  das  wir  aus  diesem  Schreiben  der  Afrikaner 
an  P.  Coelestin,  ohne  ihm  Gewalt  anzutun,  noch  folgern  können, 
ist:  nicht  blos  Atticus  von  Konstantinopel,  sondern  auch  Cyrillus 
wusste  über  die  ihnen  vorgelegten  Ganones  des  Zosimus  keine 
Auskunft  zu  geben  und  kannte  also  die  sardieensisehen  Ganones 
nicht.  *) 

Es  ergibt  sich  daraus  zugleich,  dass  auch  die  Worte,  auf 
welche  die  Hypothese  sich  femer  stützt:    quod  et  in  ecclesia- 

*)  In  der  Begründung  der  Hypothese  heisst  es  wirklich  einmal:  The 
Africans  were,  orpretendedtobe,  ignorant  of  the  origin  of  the  Roman 
texts  propounded  to  them:  the  Alexandrians  could  help  them  only  by 
translating  the  Sardican  canons  from  the  Greek  form  in  which  they 
knew  them  into  Latin. 

')  Anch  Langen  I,  798  schliesst  ans  diesem  Schreiben  an  Coelestin: 
,Die  Ganones  von  Sardica  waren  ihnen  unbekannt.  Da  die  Bestimmungen 
dieses  Konadls  in  dem  ächten  nicänischen  Texte  sich  nicht  fanden,  wurden 
sie  von  den  Afrikanern  als  apokryph  und  ungültig  behandelt*. 


330  J,  Friedrick 

stica  hisioria  requirentes  inuenietis,  nicht  heissen  können:  in 
den  von  mir  beigelegten  nicänischen  und  sardicensischen  Schrift- 
stücken werdet  ihr  die  notwendige  Aufklärung  über  euren  Streit 
mit  Rom  finden.  Doch  auch  abgesehen  von  der  vorausgehenden 
Beweisführung,  es  können  die  Worte  in  Verbindung  mit  den 
unmittelbar  vorhergehenden  nur  sagen:  was  ich  euch  aus  dem 
authentischen  Exemplar  der  Synode  von  Kicäa  gesandt  habe, 
das  werdet  ihr  auch  bestätigt  finden,  wenn  ihr  die  Kirchen- 
geschichte nachschlagt.  Zudem  hat  historia  ecclesiastica,  dem 
die  Hypothese  den  Sinn  unterschiebt:  specimens  of  the  histo- 
rical  material  •  .  .  actually  accompanied  the  letter  oder  a  set 
of  documents  concerning  the  two  Councils,  419  bereits  seine 
spezifische  Bedeutung,  von  der  ohne  zwingenden  Grund  nicht 
abgegangen  werden  darf.  Was  man  aber  speziell  419  darunter 
verstand,  das  erfahren  wir  aus  der  gleichzeitigen  Sendung  des 
Atticus  von  Konstantinopel,  dessen  Übersetzer  der  nicänischen 
Ganones  aus  dem  Griechischen  ins  Lateinische,  Philo  und  Eva- 
ristus,  ihrer  Arbeit  die  Worte  hinzufugten:  Haec  de  ecclesia- 
stica historia  necessario  credimus  inserenda.  Igitur  cum  de  bis — 
Das  was  sie  hinzufügten,  ist  aber  der  Kirchengeschichte  des 
Rufinus  entnommen,^)  so  dass  sie  also  mit  Ejrchengeschichte 
schlechthin  die  des  Rufinus  bezeichneten,^)  und  eine  andere  kann 

1)  Maassen  S.  46.  Uefele,  der  Maassens  Quellen  etc«  in  seiner  später 
erschienenen  zweiten  Auflage  nirgends  benützt,  lasst  diese  Stelle  die 
afrikanischen  Bischöfe  hinzufügen,  I,  358. 

^)  Aus  Rufinus  scheint  auch  sollicitudinem  statt  potestatem  im 
6.  nicänischen  Canon  der  Übersetzung  des  Atticus  zu  stammen.  Rufinus 
can.  6:  Et  ut  apud  Alexandriam,  et  in  urbe  Roma,  uetusta  consuetudo 
senietur,  ut  uel  ille  Aegypti,  uel  hie  suburbicariarum  ecclesiamm  solli- 
citudinem gerat.  Atticus  can.  6:  Antiqui  mores  obtineant,  qui  apud 
Aegvptum  sunt,  Libjam  et  Pentapolim,  ut  Alexandrinus  episcopus  homm 
omnium  habeat  sollicitudinem,  quia  et  urbis  Romae  episcopo  similis 
mos  est.  Wenn  man  aber  von  Alexandrien  und  Konstantinopel  aus  anf 
Rufinus  hinwies,  von  Alexandrien  aus  sogar  mit  dem  Zusatz,  die  Afri- 
kaner könnten  auch  in  der  Kirchengeschichte  (des  Rufinus)  die  ächten 
nicänischen  Canones,  die  man  ihnen  schicke,  finden,  so  lag  es  nahe,  ans 
Rufinus  auch  seinen  Zusatz  von  den  suburbicanae  ecclesiae  aufzunehmen. 
Caecilianus  can.  6:  Antiqua  per  Aegyptum  adque  Pentapolim  consuetudo 


Die  sardieensischen  Aktenstücke  des  Tkeodosius  Diaconus.      331 

auch  Cjrillus  nicht  im  Auge  gehabt  haben,   weil  419  nur  die 
des  Rufinus  die  nicänischen  Canones  anführte. 

Alle  anderen  Bemerkungen,  die  sonst  für  die  Begründung 
der  Hypothese  geltend  gemacht  werden,  können  schon  aus  dem 
Grunde  übergangen  werden,  weil  sie  mit  Cyrillus  von  Alexan- 
drien  nichts  zu  tun  haben  und  weder  beweisen,  dass  die  sardi- 
censischen  Aktenstücke  in  der  Theodosianischen  Sammlung  von 
Cyrillus  nach  Carthago  gesandt  wurden,  noch  die  Annahme 
unmöglich  machen,  dass  wir  eine  nach  419  liegende  Sammlung 
vor  uns  haben.  Eine  Bemerkung  will  ich  aber  doch  hervor- 
heben, weil  in  ihr  selbst  auf  die  Schwierigkeit  hingewiesen 
wird,  die  sardicensischen  Aktenstücke  des  Theodosius  mit  Cyrillus 
in  Verbindung  zu  bringen.  Dieselbe  lautet:  The  next  point  at 
which  the  contents  of  the  MS.  are  such  as  to  test  the  hypo- 
thesis  I  am  putting  forward  is  at  the  documents  connected 
with  the  Council  of  Sardica.  Of  these  the  first  is  the  Arian 
Creed  of  the  secession  synod;  and  it  might  be  urged  that 
Alexandria  was  the  last  place,  and  Gyril  the  last  person,  to 
put  forward  an  Arian  composition  as  emanating  from  sancta 
synodus  congregata  Sardicae.  That  Creed  was,  in  fact, 
directed  against  Athanasius^  assertion  that  the  Father  begat 
the  Son  qwoeiy  not  simply  ßovli^aei,  of  His  Nature,  and  not 
only  of  His  Will;  non  sententia  nee  uoluntate  Deum 
patrem  genuisse  filium,  quod  neque  consilio  neque 
uoluntate  pater  genuerit  filium,  are  the  forms  in  which 
St.  Hilary  renders  the  doctrine  they  anathematised  in  this  Creed. 
But  on  examination  it  appears  that  the  Theodosian  text,  by 
simply    omitting   the   negative,    anathematises   those  who   say 


servetor,  ut  Alexandrinus  episcopus  horum  habeat  sollicitudinem, 
quoniatn  et  urbis  Romae  episcopo  similis  mos  est,  ut  in  suburbicaria 
loca  sollicitudinem  gerat  (Maassen  S.  905).  Man  schloss  damit  Rom 
aus  Afrika  am  einfachsten  aus.  Aus  der  Caecilianischen  Version  scheint 
auch  der  Znsatz  in  c.  6  der  Prisca  zu  stammen:  ut  suburbicaria  loca 
et  omnem  prouinciam  sua  sollicitudine  gubemet.  Über  die  subur- 
bicariae  eccleaiae  vgl.  übrigens  auch  Löning,  Geschichte  des  Deutschen 
Eirchenrechts  I,  448  ff. 


332  /.  Fricdridi 

that  aut  uoluntate  uel  arbitrio  pater  genait  filium, 
and  thus  removes  the  one  single  stumblingblock  to  Atha- 
nasian  orthodoxy.  It  is  not,  I  think,  werj  difficult  to  see 
how,  in  the  course  of  a  couple  of  generations,  the  tme  historr 
of  a  Creed  which  claimed  the  august  title  of  Sardican  had  been 
forgotten  even  in  Alexandria,  so  that  what  was  supposed  to 
emanate  from  the  orthodox  Council  was  naturally  assimilated 
(whether  in  the  original  or  in  the  translation  onlj)  tho  orthodox 
methods  of  expression. 

Das  ist  denn  doch  eine  gar  zu  grosse  Zumutung,  einer 
Hypothese  zulieb  annehmen  zu  sollen,  Gyrillus  habe,  wozu  er 
nicht  die  geringste  Veranlassung  hatte  und  nach  seinem  eigenen 
Schreiben  sich  auch  nicht  veranlasst  gesehen  hatte,  den  Afri- 
kanern auch  das  Glaubensbekenntnis  der  von  Sardica  nach 
Philippopolis  entwichenen  Arianer  als  acht  sardicensisches  ge- 
schickt unter  dem  feierlichen  Titel  «Sancta  Synodus  congre- 
gata  est  Sardicae  .  .  .  hanc  exposuerunt  fidem*'.  Eine  solche 
Gedankenlosigkeit,  ein  arianisches  Bekenntnis  der  orthodoxen 
sardiceusischen  Synode  zuzuschreiben,  kann  man  wohl  einem 
späteren  Sammler  zutrauen,  nicht  aber  Gyrillus,  dem  Nachfolger 
des  Athanasius,  der  noch  362  mit  einer  Synode  in  Alexandrien 
feierlich  bezeugt  hatte,  es  gebe  kein  sardicensisches  Glaubens- 
bekenntnis. Dazu  hätte  Gyrillus,  wenn  man  ihm  nach  der 
Hypothese  die  sardicensischen  Aktenstücke  bei  Theodosius  nach 
Garthago  schicken  Hesse,  noch  ein  zweites,  sogleich  zu  be- 
sprechendes, unächtes  Glaubensbekenntnis  von  Sardica  gesandt, 
ja  sogar  ein  drittes,  falls  man  das  sogenannte  Eonstantino- 
politanische  unter  dem  Titel:  Symbolus  sanctae  synodi  Sardici 
ebenfalls  zu  diesen  Aktenstücken  rechnet!^)  Ich  bestreite  aber 
auch,  dass  man  durch  eine  absichtliche  Streichung  der  Ver- 
neinung (non)  die  arianische  Glaubensformel  der  athanasia- 
nischen  Orthodoxie  anpassen  wollte.     Denn  da  die  Formel  des 

^)  Und  nach  der  Hypothese  müsste  man  dies  in  der  Tat  tun,  da 
nach  diesem  angeblich  sardicensischen  Symbol  noch  einige,  auf  das  Konzil 
von  Nicäa  sich  beziehende  Aktenstücke  Konstantins  d.  Gr.  folgen,  Maasaen 
S.  549;  Reifferacheidt  I,  39. 


Die  sardicenaUchen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus.      333 

Bekenntnisses  bei  Theodosius  in  den  übrigen  Teilen,  einzelne 
unbedeutende  Varianten  abgerechnet,  mit  der  von  Hilarius 
zweimal  gegebenen  Formel  desselben  übereinstimmt,  so  muss 
man  doch  zunächst  daran  denken,  dass  „non*^  aus  Nachlässig- 
keit eines  Schreibei-s  ausgefallen  sein  könnte.  Es  fordert  aber 
auch  die  eigentümliche  Erweiterung  der  Formel  gegenüber  der 
Hilarianischen  (aut  non  sententia  neque  uoluntate  Deum  Patrem 
genuisse  Filium:  hos  omnes  ,  ,  .):  aut  uoluntate  uel  arbitrio 
Pater  genuit  Filium,  fecit,  siue  creauit,  uel  demonstrauit, 
sed  secundum  intellectum  omnia  scientem  Yerbum  Dei, 
hos  omnes  anathematizat  sancta  catholica  ecclesia  —  ohne 
Zweifel  die  Verneinung:  aut  non  uoluntate.  .  .  .  Jedenfalls 
bliebe  aber,  wenn  man  auch  mit  der  Hypothese  eine  absicht- 
liche Korrektur  zugunsten  der  athanasianischen  Orthodoxie  an- 
nähme, die  Tatsache  bestehen,  dass  das  Glaubensbekenntnis  den 
Ton  Sardica  nach  Philippopolis  entwichenen  Eusebianem  ange- 
hört, und  bewiese  die  Korrektur  nicht,  dass  sie  vor  oder  im 
Jahre  419  gemacht  worden  sein  müsse. 

Die  der  Behauptung  im  Bessarione  zu  Grund  gelegte  Hypo- 
these ist  also  nicht  stichhaltig,  woraus  folgt,  dass  es  auch  die 
Behauptung  im  Bessarione  nicht  sein  kann.  Ich  will  aber  jetzt 
noch  von  einer  anderen  Seite  her  zeigen,  dass  die  Behauptung 
hinföUig  ist. 

Die  Hypothese  im  Guardian  geht  nicht  auf  die  sardicen- 
sischen  Stücke  ein,  die  in  der  Theodosianischen  Sammlung  nach 
Keifferscheidt  und  Maassen  unter  dem  Titel  „Definitiones  aput 
Sardicam**  folgen:  Das  Schreiben  des  Osius  und  Protogenes  an 
Papst  Julius,  das  Rundschreiben  des  Konzils  von  Sardica  an 
alle  Bischöfe  mit  dem  Zusatz  derselben  Glaubensformel,  die 
sich  auch  bei  Theodoret  H,  6  mit  diesem  Schreiben  verbunden 
findet,  unmittelbar  darauf  die  Canones  von  Sardica,  nach  einem 
Einschiebsel  von  zweiter  Hand  f.  94^  bis  99^  das  Schreiben  des 
Athanasius  an  die  Priester  und  Diakone  der  Kirche  von  Ale- 
xandrien  und  Parembole,  das  Schreiben  des  Konzils  von  Sardica 
an  die  Kirchen  der  Mareotis,  das  Schreiben  des  Athanasius  an 
Priester,   Diakone   und  Volk   von  Mareotis  u.  s.   w.   (Reiffer- 


334  /.  IMeärieh 

scheidt  I,  39;  Maassen  S.  548).  Gerade  diese  Schriftstücke  bilden 
aber  nach  dem  Bessarione  den  «sehr  kompletten  Dossier*,  den 
Athanasius  gesammelt  und  nach  Alexandrien  entweder  geschickt 
oder  persönlich  gebracht  haben  soll. 

Diese  Aufstellung   muss   schon    auf  sehr  ernste  Bedenken 
stossen,  wenn  man  nur  rein  äusserlich  den  Dossier  betrachtet. 
Denn  einmal  ist  er  gar  nicht  „sehr  komplett*,  da  er,  yon  den 
sardicensischen    Canones    abgesehen,     nur   ein   einziges,  auch 
anderswoher  bekanntes  sardicensisches  Schriftstück,  das  Schreiben 
an    alle   Bischöfe,   bringt,   das   aber   verstümmelt   wurde,  um 
ein  unächtes  daranzufOgen.    Es  fehlt  ferner  das  Schreiben  der 
Synode  von  Sardica  an  die  Kirche  von  Alexandrien,  das  Atha- 
nasius wohl  bekannt  und  nur  durch  ihn  erhalten  ist,  und  wird 
durch  ein  besonderes  Schreiben    des   Athanasius   selbst  an  die 
Priester    und   Diakone    der  Kirche    von   Alexandrien    ersetzt. 
Endlich  findet  sich  auch  nicht  das  vom  Bessarione  doch  als  acht 
in  Anspruch  genommene  Schreiben  der  Synode  an  Papst  Julius, 
woran   ich   aber   keinen  Anstoss   nehme,    weil  es  unächt  ist.') 
Dagegen  sind  die  Schreiben  der  Bischöfe  Osius  und  Protogenes 
an  Papst  Julius,    des   Athanasius   an  die  Kirche  von  Alexan- 
drien, der  Synode  von  Sardica  an  die  Kirchen  in  der  Mareotis 
und  des  Athanasius   an   die  gleiche  Adresse   ausser  der  Theo- 
dosianischen   Sammlung   nirgends   bekannt.     Sie  scheinen  also 
schon  aus  diesem  Grunde  da  entstanden  zu  sein,   wo  auch  die 
Sammlung  entstanden  ist,  in  der  Diözese  Aegyptus. 

Prüfen  wir  aber  die  einzelnen  Stücke,  die  nur  die  Theo- 
dosianische  Sammlung  bringt,  so  zeigt  sich,  dass  sie  sämtlich 
unächt  sind. 

Ich  beginne  mit  den  drei  letzten  Schreiben,  weil  sie  bereits 
von  anderer  Seite  für  unächt  erklärt  worden  sind,  und  ich 
dadurch  einer  besonderen  Beweisführung  überhoben  werde. 
Da  fällt  nämlich  vor  allem  auf,  dass  der  angebliche  Athanasius 
in  seinem  Schreiben    an   die  Priester  und  Diakone  der  Kirche 

1)  Langen,  Geschichte  der  römischen  Kirche  I,  448;  Friedrich,  Die 
Unächtheit  der  Canones  von  Sardica  IT,  S.  424. 


Die  sardieensischen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaeonus,      335 

fon  Alexandrien  die  eusebianischen  Gegner  Theodorus,  Nar- 
cissus  und  ürsacius  sagen  lässt:  Omitte:  quid  nobis  et  uobis 
hominibus  Christi?  Kouimus,  quod  ueri  estis,  et  timemus 
conuinci;  ueremur  in  personam  recognoscere  calumnias.  Nihil 
est  nobis  et  uobis:  Christiani  enim  uos  estis,  nos  uero  Christo 
repugnantes  (Baller.  III,  613),^)  —  eine  Naivität,  welche  Hefele 
ausrufen  lässt:  „Wo  in  aller  Welt  werden  die  Eusebianer  von 
sich  selbst  gesagt  haben:  (wir  sind  Feinde  Christi P)**  Dann 
macht  er  darauf  aufmerksam,  dass  der  Schluss  in  jedem  der 
drei  Briefe  beinahe  gleichlautend  sei  und  sich  wie  die  Kopie 
des  einen  von  dem  anderen  ausnehme,^)  und  schliesst  er  seine 
Untersuchung  mit  den  Worten:  «Der  ganze  Inhalt  dieser  drei 
Briefe  ist  matt  und  lahm,  die  beständige  Wiederholung  der 
gleichen  Worte  unerträglich,  die  ganze  Art  und  Weise  geist- 
los und  trivial.  Dazu  kommt,  dass  das  ganze  christliche  Alter- 
ihum  von  diesen  drei  Aktenstücken  nichts  wusste,  und  sie 
nirgends   anders   als  in  jenem  veronesischen  Codex   existieren, 

^)  Die  ganze  Stelle  ist,  wie  ausdrücklich  in  dem  Schreiben  gesagt 
wird  (quemadmodum  tunc  daemones  de  sepulcns),  Math.  8,  28  f.  nach- 
gebildet. —  Im  Widerspruch  mit  dieser  Stelle  heisst  es  in  dem  unftchten, 
dem  Schreiben  der  Synode  an  alle  Bischöfe  angehängten  Glaubens- 
bekenntnis von  ürsacins  (und  Valens):  qui  gloriantur  et  non  dubitant 
dicere  se  christianos,  Baller.  III,  605. 

*)  Nam  Gregorii  mentionem  facere  noluerunt,  qui  enim  penitus 
episcopi  nomen  non  habuit,  hunc  nominare  superfluum  putauerunt.  Sed 
tarnen  propter  deceptos  ab  eo  eius  nominis  mentionem  fecerunt,  non  quia 
dignum  erat  eius  nomen  memorare,  sed  ut  ab  eo  decepti  cognoscant  eius 
infamiam,  et  erubescant,  quod  tali  communicauerunt . . .,  Baller.  III,  614. 
In  dem  ächten  Schreiben  der  Sjnode  an  die  Kirche  von  Alexandrien 
beisst  es  von  Gregorius:  Gregorium  quidem,  qui  illegitime  ab  haereticis 
epiacopus  constitutus  est  et  in  uestram  ciuitatem  ab  illis  deductus,  ab 
uniuersa  sacra  synodo  de  episcopatu  (tametsi  reuera  numquam  pro  epis- 
copo  habitus  fuerit)  depositum  esse,  uestram  unanimitatem  scire  uolumus. 
Valete  igitur,  et  recipite  uestrum  episcopum  Athanasium,  quem  ob 
idipsum  cum  pace  dimisimus.  Unde  admonemus  omnes,  qui  uel  per 
metum,  uel  per  dolum  circumuenti,  cum  Gregorio  communicarunt,  ut 
nunc  nostra  admonitione,  hortatu  et  suasu  resipiscentes  deinceps  ab  illius 
nefaria  communione  abstineant  et  sese  ecclesiae  catholicae  agglutinent, 
Mansi  III,  55. 


336  /.  Friedridi 

so  dass  wir  sie  nicht  fUr  acht  anzuerkennen  yermögen*  (Kon- 
ziliengeschichte  I,  612  ff.). 

Es  steht  mit  dem  Glaubensbekenntnisse  nicht  besser,  das 
nach  Streichung  der  Schlussklausel  des  Schreibens  der  Synode 
an  alle  Bischöfe  diesem  angehängt  ist.  Denn  es  muss  schon 
bedenklich  erscheinen,  dass  Athanasius  und  Hilarius  von  Poi- 
tiers,  die  das  Schreiben  der  Sjnode  mit  der  Schlussklausel 
reproduzieren,  die  Glaubensformel  nicht  kennen,  und  dass  diese 
erst  bei  Theodoret  auftaucht.  Dazu  erklärt  die  alexandriniscbe 
Synode  unter  Athanasius  362  kategorisch,  die  Synode  Yon 
Sardica  habe  sich  entschieden  geweigert,  eine  neue  Glaubeos- 
formel aufzustellen.  Diese  Tatsache  sowie  andere  Gründe  haben 
denn  Baronius  einst  auch  bewogen,  die  in  Frage  stehende 
Glaubensformel  für  unächt  und  der  Synode  yon  Sardica  fremd 
zu  erklären.  Indessen  haben  gerade  die  später  aufgefundenen 
Aktenstücke  in  dem  angeblichen  Dossier  des  Athanasius  die 
Ballerini,  dann  Hefele  und  mit  ihm  Maassen  veranlasst,  sich 
eine  neue  Hypothese  zu  bilden,  die  von  Hefele  folgender- 
massen  auseinandergesetzt  wird:  , Athanasius  berichtet,  dass 
Einige  die  Synode  von  Sardica  zur  Aufstellung  eines 
neuen  Symbolums  durch  das  Vorgeben,  das  nicänische  sei 
nicht  hinreichend,  zu  bewegen  gesucht  hätten;  die  Synode 
sei  jedoch  nicht  darauf  eingegangen.  .  .  .  Dessungeachtet  kam 
bald  eine  angebliche  sardicensische  Glaubensformel  in  Umlauf, 
welche  jedoch  Athanasius  und  die  mit  ihm  im  Jahre  362  zu 
Alexandrien  versammelten  Bischöfe  für  falsch  erklärten  und 
davor  warnten.  .  .  .  Eine  Kopie  dieser  sogenannten  sardicen- 
sischen  Formel  gibt  Theodoret*)  am  Schlüsse  des  encyklischen 
Synodalschreibens  von  Sardica."  Doch  erst  durch  die  Vero- 
neser  Sammlung  des  Theodosius  Diaconus  sei  die  Sache  in 
klareres  Licht  gestellt  worden.  „Darin  findet  sich  [nach  dem 
Druck  der  Ballerini]  gleich  hinter  den  sardicensischen  Canones 
ein   kurzer  Brief  von  Osius   und  Protogenes   an   Papst  Julius^ 

1  Daas  die  Formel  Theodorets  mit  der  362  der  alexandrinischen 
Synode  vorliegenden  identisch  sei,  ist  nicht  ausgemacht,  wie  schon 
Fuchs,  Bibl.  der  Kin^henvers.  II,  144  bemerkt  hat;  es  ist  aber  wahrscheinlich. 


Die  sardieenaisciien  AJUenstüehe  des  Theodosius  Diaconus,    337 

und  es  ist  dies  sichtlich  derselbe,   von  dem  auch  Sozomenus 
(in,  12)   mit   ziemlicher    Ausführlichkeit    redet.  .  .  .     Diesem 
kurzen  Briefe  folgt  die  lateinische  Übersetzung  der  encyklischen 
Synodalepistel   von   Sardica,  und   dieser   selbst  ist  eine  Über- 
setzung der  fraglichen  sardicensischen  Formel  angehängt.  .  .  . 
Wir  können  jetzt  nach  diesem  Funde  ohne  Bedenken  der  Ver- 
mutung der  Ballerini  beitreten,  dass  wahrscheinlich  Osius  und 
Protogenes  der  Meinung  waren,   man   sollte   zu  Sardica  eine 
weitläufigere  Exposition  der  nicänischen  Formel  aufstellen.    In 
dieser  Absicht   hatten  sie   eine   solche   und   auch   einen   hiezu 
passenden  Brief  an  Papst  Julius  bereits  entworfen.     Aber  die 
Sjnode  ging    auf   ihren   Plan    nicht   ein.     Ihr  Entwurf  kam 
jedoch   unter    die  Akten   und   wurde   so   von   Manchen   schon 
frühzeitig  fBr   eine   ächte  Synodalurkunde   gehalten,   so  z.  B. 
von  der   vierten   allgemeinen   Synode    zu   Chalcedon    in   ihrer 
AUokution  an  Kaiser  Marcian  (I,  554  ff. ;  Maassen  S.  64).  ^) 

Diese  ganze  Argumentation  beruht  auf  einer  unrichtigen 
Interpretation  des  Schreibens  der  alexandrinischen  Synode  vom 
Jahre  362,  das  sich  über  die  Frage  ausspricht,  ob  die  Synode 
von  Sardica  eine  neue  Glaubensformel  aufgestellt  habe.  Sie 
verneint  das  aber  und  fordert  zum  Festhalten  am  Nicänum  auf: 
hortamur  uos,  ut  istis  conditionibus  ineatur  concordia,  ita  ut 
nihil  alterius,    quam  dictum  est,    ab   illis  qui   in  ueteri  urbe 

^)  Dass  die  Synode  von  Chalcedon  mit  den  Worten:  Uli  qui  apud 
Sardicam  contra  reliquias  Arii  conuenerunt,  Orientalibus  direxerunt  sui 
constitata  iudicii,  wenn  de  diese  constituta  auch  kurz  vorher  decretum 
de  fide  nennt  (Baller.  III,  p.  XXXIX),  schon  diese  unächte  Glaubensformel 
bezeichnen  wollte,  kann  man  bezweifeln.  Sui  constituta  iudicii  verträgt 
flch  ganz  gut  mit  der  Aufgabe,  welche  die  sardicensische  Synode  sich 
selbst  zuschreibt:  ut  s.  synodua  in  Sardorum  ciuitatem  conueniret,  quo 
omnia  controuersia  praecideretur,  et  eiecto  quidquid  prauae  fidei  esset, 
aola  in  Christum  pietas  ab  onmibus  retineretur,  Mansi  III,  58;  Baller.  III,  599. 
Daa  was  die  sardicensische  Synode  in  dieser  Sache  beschloss,  konnte  die 
( balcedonische  aber  auch  decretum  de  fide  nennen,  ohne  dabei  an  ein 
Glaabensbekenntnis  zu  denken.  Sagt  doch  Hefele  selbst  (I,  556),  dadurch 
«laärt  die  Synode  von  Sardica  sich  weigerte,  eine  neue  Glaubensformel 
aufzustellen  «und  die  nicänische  für  genügend*  bezeichnete,  »hatte  sie 
sich  über  den  rechten  Glauben  erklärt''. 

190S.  Sitzgsb.  d.  phüo8.-philoL  n.  d.  hlat.  Kl.  23 


338  J.  Friedrieh 

conueniunt,  ezigatis:  uel  illi  qui  cum  Paulino  sunt,  aliud  praeter- 
quam  quod  inter  Nicaeni  concilii  decreta  reperitur,  proponant. 
Tabellam  igitur  quam  uonnuUi  iactant,  quasi  ex  Sardicensi  de 
fide   conscriptam,  ne   legi    quidem   semel   aut   proferri   sinaiis. 
Nihil  enim  tale  sjnodus  definiuit.    Quamuis  enim  certi  homines 
nonnulla,   quasi  quae  deessent,   Nicaeno  concilio  ascribere  uel- 
lent,   idque  acriter  contenderent,   sancta  tarnen  synodus,  quae 
Sardicae  conuenit,  indigne  id  tulit  decretoque  sanciuit,  ne  quid 
alterius  de  fide  scriberetur,  et  sese  contentos  esse  Nicaena  fide, 
dcciarauerunt,  ut  cui  nihil  deesset,  et  quae  plena  pietatis  esset: 
neque   edendam    esse    aliam   professionem   fidei,    ne    illa    quae 
Nicaeae  sci'i})ta  est,    imperfecta   crederetur,   neue   illis    occasio 
huiusmodi  suppeditaretur,  qui  saepenumero  uolunt  de  fide  defi- 
nire  et  scribere.     Quapropter  si  quis  haec  aut  aliud  quippiam 
cauillabitur  compescite   illum,   et   ad   Studium    pacis   inducit^: 
nihil  enim  est  quod  in  his  agnoscere  possumus,  nisi  solum  con- 
tendendi  studium  (Mansi  III,  347).     Hier  ist  mit  keiner  Silbe 
gesagt,   dass  auf  der  sardicensischen  Synode   einige  die 
Aufstellung  einer  neuen  Glaubensformel  verlangt  hätten,   was 
die  Synode  verweigert  habe.     Vielmehr  haben   wir  darin  eine 
historische  Reminiszenz  an    die  Vorgänge  vor  der  Synode  von 
Sardica,  z.  B.  341  auf  der  Synode  in  encaeniis  zu  Antiochien, 
wogegen  einzuschreiten  ja  Hefele  selbst  anderwärts  als  eine  der 
Aufgaben  der  sardicensischen  Synode  bezeichnet:  »Da  aber  die 
beständige  Machination    der   Eusebianer,    und   namentlich   der 
grosse  Leichtsinn,  womit  sie  innerhalb  weniger  Monate  viererlei 
Symbole  aufgestellt,   alle  Sicherheit  und  Festigkeit  des  kirch- 
lichen Bekenntnisses  erschüttert  hatte  und  den  Glauben  so  ver- 
änderlich wie  die  Mode  erscheinen  Hess,  so  war  jetzt  dringendes 
Bedürfnis,    dass    auf  einer   grossen   Synode   auch   über   diesen 
Punkt   wieder   ein   festes  Resultat   gewonnen   werde*  (I,  538). 
Dieses  feste  Resultat  hat  die  sardicensische  Synode  in  der  Tat 
gewonnen  und  gibt  die  alexandrinische  von  362  mit  den  Worten 
an :  Die  grosse  Synode  aber,  die  in  Sardica  zusammentrat,  habe, 
indigniert   über   dieses  Treiben,   beschlossen,   dass   keine  neue 
Glaubensformel  aufzustellen  sei. 


Die  sardieensischen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus.      339 

Damit  falli;  auch  die  Annahme  hinweg,  dass  gar  Osius  und 
Protogenes,  „die  Häupter**  der  orthodoxen  Bischöfe,   die  Auf- 
stellung eines   neuen    Qlaubensbekenntnisses   yon    der   Synode 
»mit  Schärfe*  (acriter)  yerlangt  und  dadurch  die  „Indignation" 
der  Synode  herausgefordert  hätten,  oder  dass  sie  auch  nur  auf 
die  Forderungen  anderer  eingegangen  wären.     Liegt  aber  die 
Sache  so,  dann  hatten  beide  auch  keinen  Brief  an  Papst  Julius 
und  kein  Glaubensbekenntnis  vorbereitet,^)  sind  beide  Schrift- 
stücke erst  später  erdichtet*)  und  mit  Unrecht  diesen  Männern 
zugeschrieben   worden  —  vielleicht   zu   der  gleichen  Zeit,    als 
man  das  sardicensische  Schreiben  an  alle  Bischöfe  verstümmelte 
und  ihm  das   in  Frage   stehende  Glaubensbekenntnis  anfügte, 
um  letzteres  durch  den  Brief  zu  beglaubigen. 

Es  folgt  weiter  daraus,  dass  Athan&sius  die  der  Synode 
von  Alexandrien  vorliegende  Glaubensformel,  die  sich  in  seinem 
angeblich  von  Cyrillus  419  nach  Carthago  gesandten  Dossier 
befunden  haben  soll,  nicht  blos  nicht  als  sardicensische,  sondern 
überhaupt  in  früheren  Jahren  nicht  kannte,  und  dass  er  auch 
von  einer  anderen  mit  Sardica  in  Verbindung  zu  bringenden 
nichts  wuaste. 

Und  sollen  sich  wirklich,  um  auch  davon  noch  ein  Wort 
zu  sagen,  in  dem  angeblichen  Dossier  des  Athanasius  die  sardi- 
censischen  Ganones  befunden  haben?  Es  ist  dann  nur  auf- 
fallend, dass  der  Alexandriner,  der  doch  in  seinen  Schriften 
öfter  auf  die  Synode  von  Sardica  zu  sprechen  kommt,  nie  auch 
der  ihr  später  zugeschriebenen  Ganones  gedenkt,  bei  seiner 
Verteidigung,  wie  Langen  gezeigt  hat  (I,  450),  noch  nach  der 
Synode  von  ganz  anderen  Grundsätzen  ausgegangen  ist,  als 
den  in  den  sardicensischen  Appellationsartikeln  fixierten. 

Es  hat  sich  also  gezeigt,  dass  der  Inhalt  des  angeblichen 

^)  Der  Brief  an  Julius  gibt  sich  den  Anschein,  als  ob  er  nach  den 
Verbandlungen  der  Synode  über  den  Glauben  geschrieben  sei,  und  er- 
zählt die  Vorgänge  in  der  Synode  ganz  im  Gegensatz  zu  der  Synode 
Ton  Alexandrien  362. 

')  Auch  Langen,  Geschichte  der  römischen  Kirche  I,  448,  nennt  den 
Brief  der  Bischöfe  Osius  und  Protogenes  an  Papst  Julius  „erdichtet*. 

23» 


340  J.  Friedrieh 

Dossier  des  Athanasius  mit  Ausnahme  des  absichtlicli  ver- 
stümmelten Schreibens  der  Synode  an  alle  Bischöfe  lauter 
unächte  Schriftstücke  enthält.  Und  gerade  diese  soll  Atha- 
nasius gesammelt  und  in  seiner  Kirche  hinterlegt  haben!  Ja, 
darunter  sogar  das  eben  besprochene,  unächte  sardicensische 
Glaubensbekenntnis,  obwohl  er  362  noch  beteuerte,  es  gebe 
überhaupt  kein  Glaubensbekenntnis  der  Synode  Ton  Sardica! 
Und  dann  die  Behauptung,  Cyrillus  habe  419  diesen  Dossier 
aus  dem  alexandrinischen  Kirchenarchiv  heiTorgeholt  und  nach 
Carthago  mit  einem  Begleitschreiben  geschickt,  worin  er  diese 
Sammlung  unächter  Schriftstücke  als  ächte  beglaubigt  hätte! 
Zum  Glück  sind  wir  über  diese  Vorgänge  so  gut  authentisch 
unterrichtet,  dass  alle  diese  Hypothesen  und  Behauptungen  im 
Lichte  der  Geschichte  sich  in  nichts  auflösen. 

Es  findet  sich  darum  auch  bei  den  Afrikanern  keine  Spur 
davon,  dass  sie  durch  den  ihnen  angeblich  419  aus  Alexandrien 
zugegangenen  Dossier  die  sardicensischen  Canones  kennen  ge- 
lernt hätten,  dagegen  die  Behauptung  noch  im  Jahre  425,  dass 
sie  den  ihnen  von  Papst  Zosimus  zugesandten  5.  sardicensischen 
Canon  in  keiner  Synode,  auch  nicht  in  der  Sendung  des  Cyrillus, 
gefunden  haben  (oben  S.  329). 

Es  bedeutet  daher  schon  aus  allen  vorausgehenden  Gründen 
nichts,  wenn  im  Bessarione  mit  besonderem  Nachdruck  gesagt 
wird:  Au  nombre  de  ces  pieces  figurent  les  canons  de  Sardique, 
indiqu^s  comme  tels,  da  diese  Behauptung  nur  dann  einen  Wert 
hätte,  wenn  der  Dossier  wirklich  von  Athanasius  gesammelt 
und  von  Cyrillus  419  nach  Carthago  geschickt  worden  wäre. 
Die  Überschrift  „Definitiones  aput  Sardicam"  ist  aber  zweifel- 
los erst  von  dem  nämlichen  Sammler  hinzugefügt  worden,  der 
auch  nach  Maassen  wahrscheinlich  schon  „die  eigentümliche 
Version  der  Canonen  und  einiger  andern  Aktenstücke  des 
Konzils  von  Chalcedon"  aufgenommen  und  ganz  parallel  zu 
dieser  Überschrift  die  beim  Konzil  von  Chalcedon  geschrieben 
hat:  Definitiones  ecclesiasticae  pronuntiatae  a  sancta  et  uni- 
uersali  synodo,  quae  Chalcedone  congregata  est,  —  dem  näm- 
lichen, welcher  auch  dem  sogenannten  konstantinopolitanischen 


Die  aardieensischen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus,      341 

Sjmbolum  die  Worte:  Item  symbolus  sanctae  synodi  Sardici 
Torgesetzt  hat  und  damit  seine  Unwissenheit  und  Unbeholfen- 
heit bezeugt. 

Zu  dem  gleichen  Resultat  kommt  man  von  einer  dritten 
Seite.    Ich  habe  in  meiner  zweiten  Abhandlung  ^Die  Unächt- 
heit  derCanones  von  Sardica**  (Sitzungsber.  1902)  nachgewiesen, 
dass  der  4.  sardicensische  Canon   erst   nach   dem  Konzil   von 
Chalcedon  (451)   entstanden   sein  kann.     Da  nun  aber  dieser 
Canon  sich  auch  unter  den  sardicensischen  Canones  bei  Theo- 
dosius Diaconus  findet,  so  ist  klar,  dass  diese  Redaktion  weder 
Ton  Athanasius  nach  Alexandrien  geschickt  oder  gebracht  noch 
von  Cyrillus   419   nach  Carthago  gesandt   worden   sein   kann. 
Ja,  die  Redaktion  der  Canones  bei  Theodosius  liegt  sogar  noch 
nach  der  endgültigen  Fixierung  des  griechischen  Yulgattextes, 
mit  dem  sie,  auch  hinsichtlich  der  später  in  der  Obermetropolie 
Thessalonich   gemachten   Zusätze,   vollständig,   einen   einzigen 
Punkt  ausgenommen,  tibereinstimmt.     Der  griechische  Vulgat- 
text  bringt  nämlich  den  c.  18  der  Lateiner  (oder  den  Januarius- 
Canon)   noch   nicht,   während    die   Redaktion    des    Theodosius 
ihn  hat.     Diese   muss  daher   nach  der  endgültigen  Fixierung 
des  griechischen  Yulgattextes  entstanden  sein.    Wenn  dem  aber 
so  ist,  so  können  die  sardicensischen  Canones  bei  Theodosius 
auch  von  diesem  Gesichtspunkt  aus   nicht  von  Athanasius   in 
Alexandrien  niedergelegt  und  von  Cyrillus  nach  Carthago  ge- 
sandt worden  sein. 

Ich  darf  hier  vielleicht  noch  die  Frage  stellen:  woher 
stammt  in  der  ägyptischen  Sammlung  des  Theodosius  dieser 
18.  oder  Januarius-Canon?  Denn  bekanntlich  haben  die  Bal- 
lerini gerade  aus  dem  Vorhandensein  dieses  Canon  in  der 
Sammlung  des  Theodosius  geschlossen,  es  müsse  ausser  der 
griechischen  Vulgatversion  noch  eine  zweite  griechische  Version 
der  Canones  existiert  haben,  in  der  dieser  Januarius-Canon  sieb 
fand.  In  vulgato  Oraeco  tres  canones  desunt,  qui  leguntur  in 
fjuovis  textu  Latino,  uti  sunt  apud  Isidorum  canones  X.  XII, 
et  XVIII.:  et  e  contra  duo  canones  absunt  a  quovis  Latino 
textu,  qui  in  Graeco  inveniuntur  can.  XVIII.  et  XIX.    Quod  si 


342  J,  Friedrich 

unus  e  tribus  canonibus  in  vulgato  Graeco  deficientibus,  nimi- 
rum  canon  apud  Isidorum  XVIII.,  qui  incipit  Januarius. 
exstabat  in  eo  Graeco  exemplo,  ex  quo  sumpta  fuit  antiquis- 
sima  eorunidem  canonum  versio  hoc  tomo  edenda,  nobisque 
conservata  in  memorato  MS.  55  Gapituli  Veronensis  .  .  .  (IQ, 
p.  XXXI).  Und  später  schreiben  sie:  Porro  in  laudato  MS. 
Veronensi  post  praedictam  Sjnodicam  sine  alio  titulo  sub- 
jiciuntur  canones  Sardicenses  eodem  ordine  ac  in  vulgato  Graeco, 
sed  ex  diversae  originis  Graeco  exemplo  ignota  hactenus  ver- 
sione  traducti:  inter  quos  enim  canones  unus  exhibetur,  qui 
etsi  exstet  in  omnibus  exemplaribus  originalis  Latini  cum  initio 
Januarius,  in  Graeco  tarnen  vulgato  nequaquam  legitur 
(III,  p.  XXXIX). 

Mir  scheint  diese  Folgerung  der  Ballerini  nicht  richtig 
zu  sein.  Denn  ebenso  gut  könnte  man  sagen,  dass  der  Januarius- 
Canon  aus  einer  lateinischen  Version  in  die  des  Theodosius 
eingeschoben  wurde,  eine  Annahme,  die  sich  durch  die  folgenden 
Jlrwägungen  in  der  Tat  nahezulegen  scheint.  Die  sardicen- 
sischen  Canones  bei  Theodosius  sind  aus  dem  Griechischen  ins 
Lateinische  übersetzt  und  stimmen  deshalb  sprachlich  mit  keiner 
anderen  lateinischen  Version.  Nicht  so  ist  es  bei  dem  Januarius- 
Canon.  Denn  wenn  er  auch  einige  Besonderheiten  hat,  so  stimmt 
er  sonst  sprachlich  so  sehr  mit  den  lateinischen  Versionen 
überein,  dass  an  eine  Übersetzung  desselben  aus  dem  Griechischen 
kaum  gedacht  werden  kann.  ^) 

*)  Es  ist  ähnlich  wie  mit  der  Caecilian -Version  der  nicäniscfaen 
Canones  bei  Theodosius.  ,Sie  ist  von  den  andern  Handschriften  unab- 
hiinprr  und  entbillt  zahlreiche  kleine  Abweichungen  von  ihnen«  die  ihr 
allein  eifi^entümlich  sind,  die  jedoch  die  Tatsache,  dass  überall  die  gleiche 
Übersetzung  vorliegt,  nicht  berühren",  Löning  I,  450. 


Die  aardicenaiachen  Aktenstücke  des  Theodosius  Diaconus,      343 


Isid.  Yeron. 
Baller.  UI,  525,  n.78. 

Januarius  episco- 
pus  dixit:  Illud  quo- 
que  sanctitas  uestra 
statuat,  ut  nulli  epis- 
copo  liceat  alterius 
ciuitatis  ecclesiasti- 
cum  sollicitare  et  in 
sua  dioecesi^)  ordi- 
näre,*) quia  ex  bis 
contentionibus  solent 
nasci  discordiae,  et 
ideoprohibetomnium 
sententia,  ne  quis  hoc 
facere  audeat. 


Theodos.   diac. 
Baller.  III,  595. 

Januarius  episopus 
dixit:  Et  hoc  dilectio 
uestra  constituat,  ne 
uUi  liceat  episcopo 
alterius  ecclesiae  ec- 
clesiasticum  sollici- 
tare uel  in  parochia 
sua  ordinäre.  Omnes 
dixerunt:  Maxime  ex 
huiusmodi  contentio- 
nibus consueuerunt 
nasci  discordiae  (et 
concupiscentiae)  et  ob 
hanc  rem  (ad  desti- 
natas  sibi  clerici  non 
pergunt  ecclesias)  om- 
nium  sententia  hoc 
prohibet  fieri. 


Dionys. 
Baller.  III,  74. 

Januarius  episco- 
pus  dixit:  Illud  quo- 
que  statuat  sanctitas 
uestra,  ut  nulli  epis- 
copo liceat  alterius 
ciuitatis  episcopi  ec- 
clesiasticum  sollici- 
tare ministrum,  et  in 
suis  parochiis  ordi- 
näre. Uniuersi  di- 
xerunt: Placet,  quia 
ex  bis  contentionibus 
solent  nasci  discor- 
diae, et  ideo  prohibet 
omnium  sententia,  ne 
quis  hoc  facere  au- 
deat. 


Es  hätte  demnach  der  Übersetzer  der  griechischen  Samm- 
lung ins  Lateinische  wahrscheinlich  diesen  Januarius-Canon  aus 
einer  lateinischen  Version  in  die  seinige  eingefügt,  wie  er  nach 
Maassen  ja  auch  die  nicänischen  Canones  nicht  neu  aus  dem 
Griechischen  übersetzte,  sondern  die  Version  des  Caecilian  von 
Carthago  »mit  einzelnen  Abweichungen"  in  die  Sammlung  auf- 
nahm (oben  S.  323). 


^)  In  parochiis  suis  die  anderen  Codices. 

*)  Uniuersi  dixerunt,  das  die  anderen  Codices  haben,  hier  ausgefallen. 


Zar  Abkandliig  toi  änDbarker  ^Dai  mittflgr*  Ffsfbkach^   Vgl.  S.  861. 


^'y*AfLmk*'^.4'i^!^J^^);^ 


AM  /  'T"  '  ff 


Codex  Escor,  y^— lV-22,  fol.  194^. 

1908.  Sitzgsb.  d.  pliilos.-philol.  n.  d.  liist.  KL  Rcprod.  ron  J.  B.  Ob«ra«ftor.  K«iieh«n. 


345 


Das  mittelgriechische  Fischbnch« 

Von  K«  Kmmbacher. 

(Mit  siner  T§UL) 
(Vorgetragen  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  2.  Mai  1903.) 


I. 

Die  Überlieferung  und  literarhistorische  Stellung 

des  Fischbuches. 

Aus  E.  Millers  Catalogue  des  Mss  grecs  de  la  bibliotheque 
de  TEscurial,  Paris  1848,  S.  450,  war  ersichtlich,  dass  der  Cod. 
Escor.  !P — IV — 22  vulgärgriechische  Poesien  enthält.  Die  längst 
erwünschte  Gelegenheit,  Näheres  über  ihren  Inhalt  zu  erfahren, 
bot  sich  mir,  als  im  Jahre  1896  Herr  R.  Wünsch,  Qiessen, 
nach  Spanien  reiste.  Auf  mein  Ersuchen  sandte  er  mir  eine 
genaue  Beschreibung  des  vulgärgriechischen  Inhalts  der  Hs, 
die  bald  darauf  unter  dem  Titel  »Zur  Escorial-Handschrift  W 
-IV— 22«  in  der  Byz.  Zeitschr.  6  (1897)  158—163  veröffent- 
licht wurde.  Es  zeigte  sich,  dass  die  Hs  ausser  mehreren 
bekannten  Stücken  ein  literarisches  Unikum,  ein  mittel- 
griechisches Fischbuch,  bewahrt.  Nachdem  ich  auf  diesen 
seltenen  Fund  in  der  Geschichte  der  byzantinischen  Literatur* 
S.  884  Anm.  4  vorläufig  hingewiesen  hatte,  war  Herr  C.  de  Boor, 
Breslau,  so  freundlich,  im  Frühjahr  1899  den  kleinen  Text  für 
mich  zu  kopieren.  Da  jedoch,  namentlich  wegen  der  dunkeln 
und  zum  Teil  verdorbenen  Fischnamen,  einige  Zweifel  übrig 
blieben,  liess  ich  mir  später  durch  Herrn  C.  Faulhaber, 
Wurzburg,  noch  eine  Photographie  des  Textes  besorgen.    Allen 


346  X".  Krumbacher 

drei  Herren,  die  auf  solche  Weise  zur  Erreichung  des  Textes 
zusammengewirkt  haben,  sei  fUr  ihr  liebenswürdiges  Entgegen- 
kommen auch  an  dieser  Stelle  herzlich  gedankt. 

Der  Cod.  Escor.  !?— IV-^22,  Papier,  228  Blätter,  nach 
E.  Miller  saec.  XV,  in  Wahrheit  wohl  saec.  XVI,  enthält  eine 
von  Demetrios  Kydones  verfasste  Übersetzung  der  Schrift 
des  hl.  Thomas  von  Aquino  über  den  Leib  und  das  Blut 
unseres  Herrn  Jesu  Christi,  dann  Auszüge  aus  Aristoteles, 
Augustin,  Piaton  u.  s.  w.  (fol.  1 — 21).  Mit  fol.  22  beginnen 
die  vulgärgriechischen  Texte: 

1.  Eine  von  dem  gedruckten  Texte  abweichende  Redaktion 
des  umfangreichen  Romans  Ljbistros  und  Rhodamne 
(fol.  22—193). 

2.  In  diesen  Roman  scheint  durch  Blattversetzung  ein 
anderes  Stück  eingeschoben  zu  sein,  das  ich  leider  nach  den 
kleinen  von  Wünsch  a.  a.  0.  S.  161  gegebenen  Proben  nicht  zu 
identifizieren  vermag. 

3.  Bruchstücke  eines  Prosatextes,  einer  ungedruckten  Redak- 
tion des  Porikologos  (fol.  194);  der  Anfang  des  Stückes  steht 
fol.  201^;  es  scheinen  fol.  194  —  195  versetzt  zu  sein. 

4.  Ein  zweites  Prosastück,  der  Opsarologos  (fol.  194^* 
—195^). 

5.  Der  Pulologos  (fol.  196^—201^).  Auf  fol.  20r  folgt 
der  Anfang  des  Porikologos,  dessen  Schlussteil  fol.  194''""^  steht. 
Ursprünglich  scheint  also  der  Pulologos  an  erster  Stelle  ge- 
standen zu  haben,  an  zweiter  der  Porikologos,  an  dritter  der 
Opsarologos. 

6.  Über  den  Rest  sagt  Wünsch  (a.  a.  0.  S.  163):  ,Es 
folgen  lauter  Vogelerzählungen;  inwieweit  diese  noch  zu  dem 
bereits  bekannten  Porikologos  (soll  heissen:  Pulologos)  gehören 
und  inwieweit  sie  Neues  bringen,  kann  ich  nach  meinen  kärg- 
lichen Stichproben  nicht  mehr  feststellen.  Der  Schluss  ist 
fol.  213^  Z.  7:  ejjiavaav  rag  vßgeig  xal  ueräg  x^Q^^  ^^*  juezdg 
rißidg  inXrjQoyoav  tov  yäfxov  xal  ev(pQav&ivxa  nai  iyeQ&ivra  xai 
i7if](p7]iLirjoavTa  tov  ßaodeav  eincov  6jüio(p6v(og'  elg  nokXd  rä  errj 


Das  mütelgriecfUsche  Fischhuch,  847 

dionoxa  xal  oXxade  ijiavteoav.  Es  folgt  ein  freier  Raum  von 
drei  Zeilen,  der  Rest  des  Blattes  ist  weggeschnitten,  die  Rück- 
seite frei/  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  bisher  unbekannte 
Prosaredaktion  des  Pulologos. 

Nach  den  vulgärgriechischen  Sachen  folgen  (fol.  214 — 228) 
noch  einige  religiöse  Texte,  ein  ^E^ddiog  v^vog  elg  rbv  Xqiotov 
und  ein  Fragment  der  Passion.  Vielleicht  sind  diese  Stücke, 
wie  auch  der  Anfangteil  (fol.  1—21),  erst  später  dem  Codex 
beigebunden  worden.^) 

Wie  sich  aus  dieser  kurzen  Analyse  ergiebt,  knüpfen  sich 
an  den  yulgärgriechischen  Inhalt  der  Hs  noch  manche  Fragen. 
Xo.  2  und  6  müssten  noch  näher  beschrieben  bezw.  identifiziert 
werden,  Xo.  1,  3,  5  wären  zu  vergleichen  und  ihr  Verhältnis 
zu  den  edierten  Texten  bezw.  ihr  Wert  für  die  Texteskonsti- 
tution näher  zu  bestimmen.  Hoffentlich  finde  ich  bald  Gelegen- 
heit, die  Hs  selbst  zu  studieren,  um  diese  für  die  Geschichte 
der  vulgärgriechischen  Literatur  nicht  unwichtigen  Fragen  auf- 
zuklären. Heute  muss  ich  mich  auf  das  unter  No.  4  ange- 
fahrte Stück  beschränken. 


Das  Titel  wort  'O  S^faQoXoyoQt  wofür  natürlich  'O  ^Chpago- 
loyog  zu  schreiben  ist,  ist  von  dem  spätgriechischen  oy^dgiov 
(ngr.  V'^^O  „Fisch"*)  und  Xoyog  nach  Analogie  von  ^vmoXoyog 
.Naturbuch,  Naturgelehrter",  IlovXoXoyog  „Vogelbuch",  IIoyQi- 
xoloyog  „Obstbuch"  gebildet  und  bedeutet  also  „Fischhuch". 
Den  Inhalt  des  Werkchens  bildet  eine  von  Fischen  und  anderen 
Seetieren    unter    dem  Vorsitze    des   Königs  Wal    veranstaltete 

1)  Die  obige  Inhaltsangabe  beruht  auf  E.  Millers  Katalog  und  der 
oben  zitierten  Abhandlung  von  Wünsch. 

^  Zur  Bedeutungsgeschichte  von  oi/'ov  vgl.  die  interessanten  Belege 
bei  Athenaeus  VII  4  ff.  Aus  dymQiov  wurde  auch  ein  Familienname  'Oyanäg 
(, Fischer*)  gebildet.  Kedrenos  ed.  Bonn.  II  621,  5.  Georgios  Akropolites 
ed.  Bonn.  188,  21.  Vgl.  ed.  Heisenberg  (Bibl.  Teubneriana  1903)  I  S.  178 
Variante  unter  dem  Texte.  Zur  Bildung  vgl.  H.  Moritz,  Die  Zunamen 
bei  den  byzantinischen  Historikern  und  Chronisten,  I.  Teil,  Landsbut  1897, 
S.  16;  TT.  Teil,  Landshut  189»,  S.  27. 


348  E,  Kruwibadker 

Gerichtsverhandlung.  Die  magere  Makrele  wird  einer  Ver- 
schwörung gegen  Seine  Majestät  angeklagt.  Nach  kurzer 
Untersuchung  lässt  sich  König  Wal  von  ihrer  Schuld  über- 
zeugen und  schneidet  ihr  (im  Griechischen  ist  sie  männlichen 
Geschlechtes)  den  Bart  ab  und  verflucht  sie.  Mit  einer  echt 
byzantinischen  Akklamation  der  Fische  an  den  König  schliesst 
das  Protokoll. 

Wenn  man  die  Absicht  und  die  literarhistorische  Stellung 
des  Werkchens  näher  bestimmen  will,  so  ist  zunächst  klar, 
dass  es  in  die  grosse  Gruppe  der  mittelalterlichen  Tier-,  Pflanzen- 
und  Steinbücher  gehört.  ^)  Allerdings  mit  dem  Hauptvertreter 
dieser  Gruppe,  dem  Physiologus,  hat  es  keine  nähere  Verwandt- 
schaft; denn  sein  wesentliches  Kennzeichen,  die  religiös-sym- 
bolische Ausdeutung,  fehlt.  Auch  mit  den  anderen  mittel- 
griechischen Tierbüchern,  wie  den  Erzählungen  vom  ehrsamen 
Esel,  die  sich  als  Bearbeitungen  der  Geschichte  vom  Keineke 
Fuchs  erwiesen  haben,  zeigt  das  Fischbuch  keinen  engeren 
Zusammenhang.  Dagegen  haben  wir  drei  andere  mittelgrie- 
chische Texte,  die  nach  Inhalt,  Absicht  und  Einkleidung  mit 
dem  Fisch  buch  die  engste  Verwandtschaft  aufweisen.  Das  sind 
die  Kindergeschichte  von  den  Vierfüsslern  {Aiijyt]oig  nai- 
di6(pQaoTog  rwv  TergaTTÖdcov  ^coodv)^  das  Vogelbuch  ('O  Hov- 
koXoyog)  und  das  Obstbuch  ('O  II(OQi>coX6yog),^) 

Das  Vierfüsslerbuch,  ein  aus  1082  politischen  Versen 
bestehendes  Gedicht,  gleicht  einer  vorausgreifenden  Parodie  der 

^)  In  einer  Zeit,  in  der  die  literarhistorisclien  Querschnitte  so  beliebt 
sind,  sollte,  nachdem  der  Roman,  der  Dialog,  der  Mimus,  die  Biographie 
u.  s.  w.  dargestellt  sind,  nun  auch  einmal  das  interessante,  freilich  unge- 
heuer ausgedehnte  und  zerklüftete  Gebiet  der  allegorischen  und  satirischen 
Naturbücher  in  ihren  Zusammenhängen  mit  der  wissenschaftlichen  Natur- 
kunde, der  Kuriositätenliteratur,  der  Fabel,  dem  Sprichworte  und  in  ihrer 
Wirkung  auf  die  übrige  Literatur  und  die  bildende  Kunst  zusammen- 
gefasst  werden.  Ein  hübsches  Beispiel  aus  der  lateinischen  Literatur  ist 
das  »Testamentum  Porcelli  *  (Petronii  Satirae  ed.  Fr.  Bücheier,  Berlin 
1895,  S.  241  f.). 

2)  Über  die  Hss  und  Ausgaben  dieser  Werke  vgl.  meine  Gesch.  d. 
byz.  Lit.2  S.  877  ff.,  883  f. 


Das  mütelgrieekisehe  Fisehbueh.  349 

modernsten  Weltfriedensidee.  König  Löwe,  von  seinem  Hof- 
staat umgeben,  yersammelt  seine  Untertanen  und  beschliesst, 
unter  ihnen  ewigen  Frieden  herzustellen.  Der  Plan  scheitert 
aber  an  der  unversöhnlichen  Feindseligkeit  der  Tiere,  die  43ich 
in  langen  Reden  gegenseitig  ihre  Sünden  vorwerfen;  statt  des 
ersehnten  Friedens  folgt  eine  blutige  Schlacht  der  Fleisch- 
fresser gegen  die  übrigen  Tiere.  Das  Gedicht  stammt  wahr- 
scheinlich aus  dem  Jahre  1356. 

Das  Vogelbuch,  ebenfalls  ein  Gedicht  in  (650)  reimlosen 
politischen  Versen,  enthält,  wie  die  Vierfüsslergeschichte,  eine 
Art  Parodie  der  menschlichen  Streitsucht.  König  Adler  ver- 
sammelt alle  Vögel  zur  Hochzeit  seines  Sohnes.  Auf  dem 
Freudenfest  entspinnt  sich  ein  heftiger  Streit;  er  wird  aber 
auf  unblutige  Weise  durch  heftige  Schmähreden  der  feind- 
lichen Vögel  ausgefochten;  zuletzt  gebeut  der  König  Ruhe,  und 
das  Fest  wird  fröhlich  zu  Ende  gebracht.  Über  eine  Prosa- 
redaktion des  Vogelbuches  (s.  o.  S.  347)  ist  noch  nichts 
Näheres  bekannt. 

Das  Obstbuch  unterscheidet  sich  von  den  zwei  genannten 
Werken  durch  die  prosaische  Form.  Wie  jene  an  den  modernen 
„Pacifismus"  erinnern,  so  könnte  man  das  Obstbuch  zur  neuesten 
Antialkoholbewegung  in  Beziehung  bringen.  Unter  dem  König 
Quitte  versammeln  sich  verschiedene  Früchte.  Vor  ihnen  er- 
hebt die  Traube  gegen  mehrere  Beamte  des  Obstreiches  die 
Anklage  auf  Hochverrat.  Zeugenschaft  leisten  die  Äbtissin 
Olive,  die  Hausverwalterin  Linse,  die  Nonne  Korinthe  u.  a. 
Herr  Zwiebling  dagegen  schwört,  die  Anklage  der  Traube  sei 
erlogen.  Nun  werden  die  Archonten  und  Hegemonen  berufen; 
die  Traube  wird  in  der  Tat  der  Lüge  überführt  und  verurteilt, 
an  ein  krummes  Holz  gehängt,  mit  Messern  geschnitten  und 
von  Männern  getreten  zu  werden.  Ihr  Blut  sollen  die  Menschen 
trinken,  um  ihren  Sinn  zu  verlieren.  Die  Archonten  klatschen 
Beifall  und  begrüssen  den  König  mit  der  byzantinischen  Akkla- 
mation: „Auf  viele  Jahre*.  Ausser  dem  griechischen  Texte 
ist  eine  serbisqh-slovenische  Übersetzung  und  sogar  eine  tür- 
kische Bearbeitung  des  weinfeindlichen  Stückes  überliefert. 


350  K,  Krumhaeher 

In  allen  drei  Werkchen  ist  deutlich  die  satirische,  paro- 
distische  Tendenz  bemerkbar.  Gegenstand  der  Satire  sind  das 
vielgestaltige  byzantinische  Hof-,  Beamten-  und  Titel wesen, 
fremde  Völkerachaften,  vereinzelt  auch  die  römische  Kirche  und 
die  Juden.  Die  obige  knappe  Analyse  der  drei  Stücke  genügt, 
um  zu  zeigen,  dass  das  Fischbuch  mit  ihnen  nahe  verwandt  ist. 
Der  engste  Zusammenhang  nach  Form  und  Inhalt  besteht 
zwischen  dem  Fischbuch  und  dem  Obstbuch.  Beide  Werkchen 
sind  in  Prosa  abgefasst.  Beide  schildern  eine  hochnotpeinliche 
Verhandlung.  In  beiden  handelt  es  sich  um  eine  Verschwörung 
gegen  den  König.  Nur  der  Ausgang  des  Prozesses  ist  ver- 
schieden. Im  Obstbuch  wird  die  Anklägerin  Traube  der  Lüge 
überführt  und  mit  schweren  Leibesstrafen  belegt;  im  Fisch- 
buch behalten  die  Ankläger  liecht,  und  die  Makrele  wird 
wegen  Hochverrats  zu  körperlicher  Verstümmelung  und  Ehren- 
verlust verurteilt. 

Die  enge  Zusammengehörigkeit  der  vier  Parodien  wird  auch 
durch  ihre  Überlieferung  bestätigt.  Der  berühmte  Codex 
Vindob.  theol.  244  bewahrt,  neben  vielen  anderen  Texten, 
die  Vierfüsslergeschichte  zusammen  mit  dem  Pulologos 
und  dem  Porikologos  und  zwar  den  Pulologos  und  die 
Vierfüsslergeschichte  unmittelbar  aufeinander  folgend 
(fol.  84 — 89;  90 — 98),  den  Porikologos  durch  einige  andere 
Texte  von  ihnen  getrennt  (fol.  116 — 118).  Im  Codex  Escor.  V 
— IV — 22  fehlt  die  Vierfüsslergeschichte;  dafür  stehen  hier 
die  drei  anderen  Stücke  (der  Pulologos  in  einer  doppelten  Kedak- 
tion)  und  zwar  unmittelbar  neben  einander.  Die  durch  Blatt- 
vcrsetzung  getrübte  ursprüngliche  Keihenfolge  war  offenbar: 
1.  Pulologos,  2.  Porikologos,  3.  Opsarologos,  eine  Folge, 
die  der  Bedeutung  und  dem  Umfange  der  drei  Werkchen  ent- 
spricht. An  vierter  Stelle  scheint  die  Prosaredaktion  des  Pulo- 
logos gefolgt  zu  sein. 

Innerhalb  der  aus  den  vier  Texten  gebildeten  Gruppe  ge- 
hören, wie  erwähnt,  die  zwei  metrischen  Stücke,  das  VierfÜssler- 
und  das  Vogelbuch,  auch  nach  Inhalt  und  Charakter  enger 
zusammen,  ebenso  die  zwei  Prosastücke,  das  Obst-  und  Fischbuqh. 


Das  mittelgrieckisehe  Fischbuch,  351 

Die  Prosaredaktion  des  Pulologos  bildete  vielleicht  eine  Art 
Mittelstufe  zwischen  den  beiden  Gruppen.  Das  Verhältnis  des 
Obst-  und  Fischbuches  bedarf  einer  näheren  Prüfung.  Schon 
eine  oberflächliche  Yergleichung  zeigt,  dass  das  Obstbuch  im 
logiseben  Aufbau  der  Handlung,  an  Reichtum  und  Güte  der 
Motive  und  vor  allem  in  der  Schlusspointe  dem  Fischbuch 
überlegen  ist.  Von  störenden  Unebenheiten  des  Fischbuches 
sei  nur  einiges  hervorgehoben:  Zuerst  wird  der  Befehl  ver- 
langt, dass  die  Archonten  und  Hegemonen  erscheinen  sollen; 
in  Wirklichkeit  kommen  nur  die  ersteren.  Nach  Einberufung 
der  Qerichtsversaramlung  tritt  neben  Makrele  und  Sardine  plötz- 
lich der  noch  gar  nicht  genannte  Prätor  Kabeljau  als  Mit- 
schuldiger auf.  Der  König  fragt,  ob  Makrele  wahr  gesprochen 
habe,  obschon  sie  noch  gar  nicht  zum  Worte  gekommen  ist. 
Recht  unpassend  ist  auch,  dass  Graf  Sardine,  obschon  er  die 
Makrele  durch  sein  Zeugnis  ins  Unglück  gebracht  hat,  von 
dieser  noch  weiter  freundschaftlich  behandelt  wird  und  ihr 
dann  sein  Mitgeflihl  bezeugt.  Dass  das  Fischbuch  dürftiger 
ist  als  das  Obstbuch,  ist  schon  aus  der  Zahl  der  auftretenden 
Personen  ersichtlich,  die  im  ersteren  nur  43,  im  letzteren  79 
beträgt.  Wie  eng  aber  beide  Texte  verwandt  sind,  beweist 
nicht  nur  die  grosse  Ähnlichkeit  des  allgemeinen  Ganges  der 
Handlung,  von  der  man  sich  durch  Vergleichung  der  unten 
folgenden  deutschen  Übersetzung  des  Fischbuches  mit  der  obigen 
Analyse  des  Obstbuches  leicht  überzeugen  kann,  sondern  auch 
eine  stattliche  Reihe  einzelner  Motive  und  Ausdrücke,  die  beiden 
Texten  gemeinsam  sind.    Vgl.  die  folgende  Zusammenstellung: 

Obstbnch  Fisohbueh 

(ed.  Wagner,  Carmina  graeca       (s.  die  unten  folgende  Ausgabe), 
medii  aevi  S.  199  ff.). 

199, 1  ff.    BaoilevovTOQ   tov  Baadevovrog  tov  TtavevdoSo- 

navevdo^oxdxov  Kvdcoviov   9cal  rdrov  Kyjxov  xal  SLv&vnaxevov- 

^lyeiwyevovTog  tov  Tiegißkemov  rog  xov  negißXinxov  AeXfplvov, 

Kagov,  ovvedQtdCovxog  dk  'Pco^  ovvedQidCovxog    .  .  .    KefpdXov 

dlav  xov  Inixigyrj,  .  .  .  xov  iTzixiQVTj.  .  .  . 


352 


K,  Krumhatker 


3  MyjXov  tov  loyo^hov.  .  .  . 

4  'Podaxlvov  xov  Jigayroord- 
jOQog,  .  .  . 

5  ITioraxlov  tov  xalaagog — 

10  Ttagiorrj  xal  r}  Zxdq?vXog 
ävayyiXovaa  xavia.  .  .  . 

20  xazä  rfjg  ßaadelag  aov 
uTOJia  l7ntt]devovaiv.  .  .  . 

31  f.  €v&vg  dh  i^ejirjöriae  xal 
6  xvQig  KQOjXfxvdiog  fiexä  xox- 
xivrjg  oxoX^g.  .  .  . 

33  xovg  Xoyovg  xovxovg  Jigog 
xov  ßaaiXea  äTiexQtvaxo.  .  .  . 

35  fid  xdv  ddeXtpov  fiovSxdg- 
dov  .  .  .  xal  äveyfidv  fxov  xbv 
'Pejidvtjv  xal  ov^iTiidegdv  fiov 
Ilgdöov,  .  .  . 

44:  o  de  ßaoiXevg  Kvdwviog 
tq^t]  ngbg  xovg  nageoxonag ' 
„  Zeßaoxe  MagovXte  . . .  xal  M v- 
xidiE  nganoxa'&riinevE  xov  ßioxa- 
giov  xal  enag^ov  (enag^c?) 
XgvooXdxavov.  .  .  . 

48  Ol  xal  xäg  ß  iß  Xovg  xga- 
xEize,  xgivaxe  Jigög  iavxoifg, 
xa&cog  6  xvgiog  (1.  xvgig)  Kgojn- 
juvdiog  djiECf&ey^axo  xö  xäxivog 
yfEvdfj  (verdorben)*, 

ol  dk  eItiov  „d)  ÖEOTioxa  ßa- 
oiXev  KvdcüviEf  xijv  dixaiav  xgi- 
oiv  i^iXojüiEv,  IxexEvofiEv  ae  xov 
jigoaxd^ai  iXi^Eiv  xovg  ugxovxag 
xal  {jyE/iovag.'^ 


rXaviov  TOV  loyo^hov,  . . . 

St<pl0V      TOV     7igO}TOOTdTOg(K 

(Hs:  XoTogdTogog),  .  .  . 

Aaßgaxlov  tov  xaiaagog, . . . 

xal  ^X^ev  ^  Svvaygida  xal 
fl  Aaßgaxoxovgva  xal  dvrjyyEi- 
Xav  Tigbg  xbv  ßaoiXiav.  .  .  . 

IßovXevoavxo  xaxd  xrjg  ßaoi- 
XEvag  oov.  .  .  . 

evd^vg  yovv  iiejitjdtjaev  xcu 
6  xvgig  *OfJLvdiog  fietd  /Aavgt^g 
axoX^g 

Tovg   Xöyovg  änoxQiVOfjLtvog. 

Md  xbv  dÖEXifov  fxov  xbv 
KaXafxdgiov  xal  xbv  dvetptov 
fxov  xbv  Kxhiov  xal  xbv  avpuiE- 
&eg6v  fiov  Tbv  Fldyyovgov.  . .  . 

6  dk  ßaoiXsvg  Kijxog  ngbg 
xovg  TiagEoxcoxag  lq)ri'  2eßaoxi 
2xdxe  .  .  .  xal  Booxave  ngo- 
xa&iifiEVE  xov  ßsaxiagiov  .  .  . 
xal  ^jiagxE  Tovgva. 

ot  xal  xdg  ßißXovg  xgaxeixe, 
xgivaxe  jigbg  avxovg,  xa&vDg  6 
xvgig  *Ofivdiog  Itf^iy^axo  xoi 
iiexdaexe  Tb  dXrj&ig, 

ol  dk  ehiov*  *HfJLetg,  (o  dio- 
jioTa,  del  TT]v  dixalav  xgiair 
'^eXovTEg  Xoinbv  IxtievofJLh  aoi 
TOV  TcgooTa^ai  xal  iX&eiv  TOvg 
ägxovrag  xal  fjyefjiovag. 


Das  mUielgriechiache  Fischinuih. 


353 


Umg  xai  eioeX^övtcov  icav  ig- 
XOVTCDv  nagloravtai  xal  oL  .  .  . 

80  TÖxe  6  ßaoiXevg  Kvdwviog 
ojitHQlvaio  fik  ßiavlav  fjteydXvjv 
xal  fd  'dvfAov  ixaxrjQa^  fieyd- 
IvDg  TTjv  Zxdtpvlov.  .  .  . 

89  xal  äjiö  roTxov  elg  toTxov 
vi  fitjdh  inoßyalvovv,  xal  äjid 
(pdxvrjy  elg  (päxvtjv  vSl  naqa- 
diovovv  .  .  .  xal  xwlo&iag  vä 
ygovow  ek  xa  ndXfiaxa.  .  .  . 

100  ev'&vQ  ovv  ehiov  ol  äg- 
yoneg  ^elg  noXXä  exrj,  dlonoxa 
ßaadev    Kvdcovie,    elg    noXXä 

^rj.  ,  ,  . 


TiQoaxdSavtog  ovv  xov  ßaai^ 
Xicog  xal  eloeX'&6vxa>v  t&v  &q^ 
xdvxwv  nagloxavxo  yovv  oL  . . . 

äxovaag  dk  6  ßaoiXevg  Krjxog 
xal  ÖQloag  fietä  &vßiov  fxeyd- 
Xov   .  .  .  t6x€   xaxfjQaaaxo  xov 

TX^QOV,  .  .  . 

xal  äjzd  xXox^dxcov  xal  (bg 
xXox^dxo  xal  äjid  ßqüifjuaglag 
fit]  iyXvofjg.  ,  .  . 


xal  ev^vg  xgd^avxeg  ol  l^- 
'&veg  äna^  änavxeg  elnav'  Eig 
noXXä  exrj,  deonoxa! 


In  der  ersten  Hälfte  der  Erzählung  stimmt  der  Porikologos 
mit  dem  Opsarologos  mithin  mehrfach  auf  längere  Strecken 
fast  wörtlich  überein.  Erst  mit  dem  Beginn  der  feierlichen 
OerichtsTerhandlung  gehen  die  zwei  Texte  völlig  auseinander, 
um  dann  nur  noch  an  drei  Stellen  (des  Porikologos  Z.  80,  89, 
100)  schwach  aneinander  anzuklingen.  Dass  ein  genetisches 
Verhältnis  zwischen  den  zwei  Werkchen  besteht,  ist  über  allen 
Zweifel  erhaben.  Die  Frage  ist  nur,  welcher  Text  als  das 
Original  zu  gelten  hat.  Wenn  man  die  Stellen,  wo  P(oriko> 
logos)  reicher  ausgearbeitet  ist  als  0(psarologos)  genauer  ver- 
gleicht, so  erkennt  man,  dass  der  Autor  des  0  die  etwas 
reicheren  und  langwierigen  Ausführungen  des  P  mit  Absicht 
verkürzte  und  dabei  weniger  bekannte  oder  wenigstens  zu  seiner 
Zeit  nicht  mehr  landläufige  Titel  und  Würden  unterdrückte. 
Dieser  Modernisierung  sind  z.  B.  die  charakteristischen  Wa- 
rangen (56)  zum  Opfer  gefallen  und  durch  die  farblosen 
Sekretäre  und  Leibwächter  ersetzt  worden.  Die  Aufzählung 
der  Verwandten  beim  Schwüre  (36  flf.)  ist  im  0  auf  drei  Per- 
sonen (BrudeV,  Neflfe,  Schwager)   reduziert   worden.     Ein   für 

19Qa.  Sltigsb.  d.  pbUoc-pliiloL  a.  d.  hiai.  Kl.  24 


354  K,  Krunibacher 

eine  richtige  Oerichtsverhandlung  unentbehrliches  Element,  die 
Zeugen,  die  im  P  ganz  feierlich  nach  Name  und  Stand  ein- 
geführt werden,  erscheinen  im  0  ganz  unvermittelt  beim 
Schlüsse  der  Verhandlung,  ohne  dass  sie  vorher  auch  nur 
erwähnt  worden  waren.  £ine  so  ungeschickte  Verkürzung  und 
Vergroberung  eines  gegebenen  Planes  kann  man  dem  Verfasser 
des  Originals  selbst  nicht  zutrauen.  Für  0  ist  sicher  ein 
zweiter  Autor  verantwortlich,  der  den  Grundgedanken  des  P» 
die  Gerichtsverhandlung  und  Verurteilung  unter  dem  Vorsitze 
des  Königs,  aus  dem  Reiche  der  Früchte  auf  das  der  Fische 
übertrug.  Die  Annahme  von  zwei  Autoren  wird  auch  durch 
sprachliche  Differenzen  unterstützt:  P  gebraucht  die  vulgäre 
Form  tfcrdfot'v  (Z.  65),  0  die  regelmässige  i^haoe  (Z.  22), 
P  sagt  ixarrjQdfh]  (Z.  81;  97),  0  iHaxrjQdoaTo  (Z.  47). 

Wenn  sich  der  Autor  0  im  allgemeinen  Aufbau  wie  in 
vielen  Einzelheiten  eng  an  sein  Vorbild  anschloss,  so  hat  er 
doch  manches  selbständig  ei'funden.  Fast  ganz  gehört  ihm 
der  zweite  Teil  des  Berichtes,  die  Verurteilung  der  Makrele. 
Ziemlich  erhebliche  Abweichungen  zeigen  PO  in  ihrem  wich- 
tigsten Elemente,  in  der  Parodie  des  Beamten-  und  Titelwesens. 

Gemeinsam  sind  PO  folgende  Amter,  Titel,  Funktionen 
u.  s.  w.:  Baoikevg  (ßaoilevcav)  Ttavevdo^özttTog,  ßaoileia  (in  P 
auch  tj  äyia  ßaodeia),  negißlemog  (in  P  Beiwort  des  {lyt^io- 
vevcDv,  in  0  des  äv&vnaxevcov)^  owedgid^cov,  imxiQvrjg,  loyo- 
{^ET}]g,  7io(OTooTdT(OQ  (iu  0  durch  Konjektur  hergestellt),  xäioaot 
x6/ir]g,  fiuQTVQFgt  xvgig,  deonoxrjg  (vom  König),  naQ€Ot(buc, 
OFßaoi6gt  ngoxa^/j/nevog  (in  P  7TQ(OToxa9rjßi€Vog)  rov  ßsaxiaglov  (in 
P  ßioingtox^)^  eTiagj^og,  oi  xal  rag  ßißXovg  xQaxtixe,  ägxoyv,  ^ye/idv- 

Nur  in  P  kommen  vor:  fjyefJLOvevcov,  TtQCoxovoxdQiog,  noo}- 
xoßeaxidgiogf  71  gcüroßeXXiaijuog  (lies  (?) :  ng(oxov(üßeUioifiog\  fäycig 
dgovyydgiog,  fieyag  ägx(ov,  ygajußjiaxixol  (=  Sekretare),  ngcDto- 
oißaoTogf  jigMxooTiaddgiog,  jigaxovxxcog  (wohl  verdorben  aus 
7igoTfxxü)ü\  dri^/uvtjxeoi  (ob  als  Epithet  gedacht?),  xvgd  ^yof- 
ßiht]f  xvgd  otxovojniaaa,  xvgd  xaXoygata,  xovgojialdxtjg,  xono- 
oxavlog,  ßdgayyoi,  6  xou  q^ovadxov  xgixrjg,  aaxeXXdgiog,  al^div- 
T?/c  (vom  Kfinig),  ol  xgixai,  fvyevtxog  (vom  König). 


Das  mittelgrieehisehe  Fischbuch,  355 

Nur  in  0  finden  wir:  ävdvjiaTevcov ,  fxeyag  do/iiariHog, 
AoyaQäg,  Tiagaxoi/iKAßAevog,  xaotQoqwXa^,  ol  vordgioi  (durch  Kon- 
jektur), ol  Ttagdjuovai,  jiQalrwQ. 

Es  sind  also  19  Titel  u.  s.  w.  PO  gemeinsam,  22  auf  P,  8  auf 
0  beschränkt.  Der  Autor  von  0  hat  mithin  auch  hier  seine  Vor- 
lage P  nicht  bloss  verkürzt,  sondern  einiges  Neue  selbst  erdacht. 


Es  bedarf  keines  weiteren  Beweises  mehr,  dass  0  als  eine 
von  einem  zweiten  Autor  stammende,   wohl  erheblich  spätere 
Imitation  von  P  betrachtet  werden  muss.    Weniger  sicher  lässt 
sich  die  Entstehungszeit  der  beiden  Werkchen  bestimmen.    Die 
durch  das  Alter  der  Hss  gegebene  Spätgrenze  (16.  Jahrh.)  ist 
ohne  Belang;   denn  erheblich   älter  sind  PO  sicher.     In  jener 
letzten  Zeit    des   byzantinischen  Reiches,   in    der   die  Landes- 
grenzen   auf    das   Weichbild    von    Konstantin opel    und    einige 
Splitter  in  den  Provinzen  zusammengeschrumpft  und  damit  die 
Kenntnis  der  Hof-  und  Staatsämter  und  das  Interesse  für  sie 
dem   allergrössten    Teile    des    griechisch    sprechenden    Orients 
verloren    gegangen   war,    sind   unsere   Parodien    gewiss   nicht 
geschrieben   worden;   sie  setzen   eine  Zeit  voraus,   in   der  das 
oströmische  Reich  noch  in  einer  erheblichen  Ausdehnung  und 
MachtfQlle  bestand  und  sein  komplizierter  Beamtenapparat  noch 
eine  weitbekannte  Tatsache   war.     Höher    als   in    den  Anfang 
des  13.  Jahrhunderts  dürfen  wir  aber  nicht  gehen  wegen  der 
allgemeinen   Tatsachen   der  Geschichte   der   vulgärgriechischen 
Literatur.      So    gelangen    wir    ins    13. — 14.  Jahrhundert.     Zu 
beachten    ist,   dass   im   14.  Jahrhundert  (1356)  wahrscheinlich 
auch  eines  der  zwei  verwandten  metrischen  Werke,   der  Pula- 
l^gos,    entstanden    ist.      Die    sprachlichen    Eigentümlichkeiten 
ergeben    keine    sichere    Basis;    denn    bekanntlich    wurden    die 
vulgärgriechischen  Werke,   wie   man  aus  der  Vergleichung  der 
in    mehreren    Redaktionen    erhaltenen    Stücke    sieht,    vielfach, 
wenn    auch   nicht   mit   Konsequenz,   modernisiert.     Ausserdem 
hindert   der   geringe  Umfang   der  zwei  Werkchen   und   dei    in 
beiden    sichtbare   Einfluss   der   Schule    an    sicheren    Schlüssen. 

24* 


356  K.  Krumbacher 

Kurz,  die  sprachlichen  Kriterien  haben  kaum  mehr  als  eine 
negative  Bedeutung:  sie  hindern  uns  nicht,  die  Originale  von 
PO  ins  13. — 14.  Jahrhundert  zu  setzen.  Da  nun  P,  wie  oben 
gezeigt  wurde,  älter  ist  als  0,  dürfen  wir  wohl  P  noch 
dem  13.,  0  dem  14.  Jahrhundert  zuteilen. 

Der  im  Escurialcodex  überlieferte  Text  ist  vielfach  schwer 
verständlich,  an  einigen  Stellen  auch  offenbar  verdorben. 
Besondere  Schwierigkeiten  bereitete  die  Herstellung  und  Er- 
klärung der  zahlreichen  Namen  von  Fischen  und  anderen  See- 
tieren. Da  sie  teils  dem  alten,  teils  dem  mittelalterlichen  und 
neuen  Wörterbuch  angehören,  habe  ich  alle  Hilfsmittel  bei- 
gezogen, die  wir  für  die  griechische  Nomenclatur  des  Seegetiers 
vom  Altertum  bis  auf  die  Gegenwart  besitzen.  Die  durch  ihre 
genauen  Beschreibungen  wertvollste  Quelle  für  die  Fischnamen 
und  ihre  Identifizierung  ist  des  Aristoteles  Tiergeschichte. 
Dazu  der  Index  der  Aristotelesausgabe  der  Berh'ner  Akademie, 
dessen  zoologischer  Teil  von  Jürgen  Bona  Meyer  und 
B.  Langkavel  bearbeitet  ist.  Für  die  Bestimmungsmethode 
der  Fischnamen  schöpfte  ich  reiche  Belehrung  aus  der  deutschen 
Übersetzung  von  »Aristoteles  Tierkunde"  von  H.  Aubert  und 
Fr.  Wimmer,  2  Bände,  Leipzig  1868,  und  aus  der  unten 
genannten  Abhandlung  in  den  Proceedings  von  Philadelphia. 
Dazu  kommen  Aelians  Werk  IleQl  ^c^mv  Ididtr^Tog  und  als 
Spezialschriften  das  7.  und  8.  Buch  der  Deipnosophisten  des 
Athenaeus  und  das  öde  Lehrgedicht  Halieutika  des  Oppianos. 
Viel  Nutzen  brachten  des  Xenokrates  und  Oalenos  Schriften 
über  die  Wassertiere  als  Nahrungsmittel  und  besonders  der 
ebenso  durch  umfassende  Gelehrsamkeit  als  durch  die  schlichte 
Klarheit  der  Darstellung  ausgezeichnete  Kommentar  zu  diesen 
zwei  Schriften,  den  wir  dem  grossen  Chioten  Ad.  Koraes  ver- 
danken: EevoxQOLXovq  xal  FaXrivov  IIeqI  xrjg  änb  x(bv  hvÖQ(ov 
TQoq)rjg,  Paris  1814.  Seltsamer  Weise  ist  dieses  Buch,  das  in 
der  auf  die  griechischen  Fischnamen  bezüglichen  Literatur  wohl 
die  erste  Stelle  behauptet,  von  den  neueren  Bearbeitern  des 
Gegenstandes,  z.  B.  von  Aubert -Wimmer,  von  den  Autoren 
des  Berliner  Aristotelesindex,   von  Heldreich,   Hoffman-Jordan 


Das  mUtelgrieehisehe  Fiadibuch,  357 

(s.  u.)  ignoriert  worden;  nur  Bikelas  (s.  u.)  hat  das  Werk 
seines  Landsmannes  benutzt.^)  Auch  andere  Mediziner  sind 
zu  beachten,  z.  B.  das  Fragment  des  Markellos  Sidites 
Ilegl  ix9v<ov  (bei  Ideler,  Physici  et  medici  graeci  minores,  vol.  I). 
Endlich  bringt  manches  Material  zu  den  Namensformen  und 
den  volkstümlichen  Vorstellungen  über  die  Seetiere  die  noch 
sowenig  gesichtete  und  verwertete  Weisheit  der  Kyraniden.^) 

Für  die  byzantinische  Zeit  finden  wir  einige,  zum  Teil 
neue  Namen  in  den  leider  zur  Identifizierung  wenig  brauch- 
baren Notizen  über  die  hygienischen  und  culinarischen  Eigen- 
schaften der  Seetiere  in  des  Symeon  Seth  Büchlein  ITegl 
xQo<p&y  iwä/uecov, ')  Auch  in  metrischer  Form  hat  ein  Byzan- 
tiner die  Tiere  beschrieben,  Manuel  Philes,  in  seinem  über 
2000  Verse  umfassenden  Lehrgedicht  ITegl  Ccofov  IdiÖTrjxog, 
Während  Oppian  das  heroische  Versmass  gewählt  hatte,  gab 
Philes  dem  bequemen  byzantinischen  Zwölfsilber  den  Vorzug.^) 
Als  eine  ganz  unerwartete  Quelle  erwies  sich  das  Klagegedicht 
des  Theodoros  Prodromos  gegen  die  Abte.*)  Wir  erfahren 
aus  ihm  die  im  12.  Jahrhundert  in  einem  byzantinischen  Kloster 
meist  beliebten  Fische  mit  den  damaligen  volkstümlichen  Namen. 

Leider  ergaben  die  aufgeführten  Schriften  wenig  Namen- 
material, das  nicht  auch  schon  unsere  Lexika  wenigstens  ver- 
zeichneten, und  leider  gar  nichts  für  die  Herstellung  der  völlig 
dunkeln  oder  verdorbenen  Fischnamen  im  Opsarologos.  Ausser 
dem  Thesaurus   und   den  Wörterbüchern   von    Passow,   Pape, 

^)  Auch  die  Prolegomena  der  Ausgabe  von  Eoraes  enthalten  manche 
wichtige  tmd  namentlich  in  Anbetracht  der  Zeit  der  Publikation  (1814) 
interessante  Bemerkungen,  z.  B.  über  das  dringende  Bedürfnis  eines  guten 
Dgr.  Wörterbuches  (o«A.  xa),  Ober  den  literarischen  Philhellenismus  {X&')  u.  s.  w. 

*)  Ich  verweise  auf  die  bei  uns,  wie  es  scheint,  noch  recht  wenig 
bekannt  gewordene  Publikation  griechischer  Texte  der  Kyraniden  mit 
französischer  Obersetzung:  F.  de  Melj,  Les  lapidaires  de  Tantiquite  et 
da  moyen  äge.  Tome  II,  fasc.  1— 2,  et  tomelll:  Les  lapidaires  grees 
(avec  coUaboration  de  M.  Ch.-Em.  Ruelle).  Paris,  E.Leroux  1898, 1899, 1902. 

«)  Vgl.  meine  Gesch.  d.  byz.  Lit.«  S.  615,  617. 

*)  Vgl.  ebenda  S.  775,  779. 

*)  Vgl.  ebenda  8.  805  f. 


358  K.  Krumbadur 

Jacobitz  und  Seiler  habe  ich  für  einige  Vulgärnamen  das  Glos- 
sarium von  Du  Gange  mit  Nutzen  beigezogen.     Manche  Auf- 
klärung,  namentlich   ftir  die  Identifizierung  der  Vulgämamen, 
brachten  die  neugriechischen  Wörterbücher,  besonders  des  Skar- 
latos  Byzantios  Ae(ix6v  zijf  xa&^  fjfAäi;  iJiXijvixfjg  diaüxrov, 
3.  Aufl.,   Athen  1874,    und   des  A.  Vlachos   Ae^ocov  'EkXr^vO' 
yaXkixov,  Athen  1897.    Einiges  auch  in  den  Lexika  von  Legrand 
und    llhousopulos.     Recht    arm    an    Fischnamen    sind    die 
kleinen    Lexika   von    Kind    und    Petrares.      Zum    Zwecke    der 
Identifizierung  konsultierte  ich  auch  wiederholt  das  „Deutsch- 
Neugriechische  Handwörterbuch  von  A.  Jannarakis*,  Hannover 
1S83,   leider   meist   mit   negativem  Erfolg.     Ein  Beispiel:    Ich 
wollte  sehen,  ob  ror^^ra  wirklich  , Hecht"  bedeutet,  und  schlug 
in  diesem  „unter  besonderer  Berücksichtigung  der  neu- 
griechischenVolkssprache'^  bearbeiteten  Lexikon  das  Lemma 
„Hecht*  auf.     Ich  fand  6  kvxog,  6  ioo$.     Aber   auf  welchem 
neugriechischen  Fischmarkte   oder   in  welcher  neugriechischen 
Haushaltung  ist  jemals  der  Hecht  kvxog  genannt  oder  gar  der 
lateinische   zoologische   Terminus   esox    vernommen    worden? 
Vom  Verstehen  gar  nicht  zu  reden. 

Weit  mehr  Nutzen  als  die  erwähnten  alten  zoologischen 
Werke  und  die  griechischen  Lexika  brachten  einige  wissen- 
schaftliche Abhandlungen  über  die  griechischen  Seetiere: 

Eine  nützliche  auf  eigenen  Beobachtungen  beruhende  Zu- 
sammenstellung gab  schon  Dr.  Erhard  in  seiner  anregenden 
Schrift:  Fauna  der  Cykladen.  Erster  Teil.  Die  W^irbeltiere  der 
Cykladen.  Nebst  einem  Anhange  über  deren  Pflanzendecke. 
Leipzig,  Voigt  und  Günther  1858. 

Ebenfalls  auf  die  Wirbeltiere  beschränkt  sich  Th.  de  Held- 
reich, La  faune  de  Grece.  Premiere  partie.  Animaux  vertebres. 
Athen  1878.  Leider  ist  dem  Verfasser  die  oben  genannte  deutsche 
Übersetzung  der  Tiergeschichte  des  Aristoteles  entgangen. 

Etymologische  und  dialektologische  Beiträge  zu  der  Schrifl 
von  Heldreich  gab  D.  Bikelas,  Sur  la  noraenclature  moderne 
de  la  faune  grec(|ue,  Annuaire  de  T Association  pour  Tencou- 
ragement  des  etudes  grecques  12  (1878)  208 — 237. 


Dm  mütdgrieehisehe  Fisehbu^h,  359 

Die  reichste  Ausbeute  gewährte  eine  Abhandlung,  die  an 
einem  Orte  versteckt  ist,  wo  gewiss  noch  niemand  Beiträge 
zur  neugriechischen  Lexikographie  gesucht  hat:  Horace  Ad- 
dison Hoffman  and  David  Starr  Jordan,  A  catalogue  of 
the  fishes  of  Greece,  with  notes  on  the  names  now  in  use  and 
those  employed  by  classical  authors,  Proceedings  of  the  Aca- 
demy  of  natural  sciences  of  Philadelphia  1892,  S.  230— 285.^ 
Die  Vorarbeiten  von  Aubert- Wimmer  und  Heldreich  sind  den 
Verfassern  unbekannt  geblieben. 

Unzugänglich  blieben  mir:  Jo.  Büros,  Ilegl  tqiöjv  Ix'&vodv 
mv  ägxauov  ovyyQatpicov,  Athen  1840;  Ed.  deBetta,  J  rettili 
ed  anfibi  del  regno  della  Grecia,  Venedig  1868;  Apostolides, 
La  p^che  en  Grece,  Athen  1883.  Doch  dürfte  der  daraus 
erwachsene  Schaden  nicht  gross  sein,  da  Bur&s  und  Betta  von 
Heldreich,  Apostolides  von  Hoffman -Jordan  für  ihre  Listen 
benützt  worden  sind.^) 

Mit  Hilfe  der  angeführten  alten  und  neuen  Hilfsmittel 
habe  ich  die  meisten  Namen  des  Opsarologos  wenigstens  an- 
nähernd zu  identifizieren  und  deutsch  zu  übersetzen  vermocht. 
Eine  vöUig  sichere  und  genaue  zoologische  Bestimmung  liess 
sich  freilich  nicht  für  alle  Namen  finden.  Hiezu  müsste  ein 
naturwissenschaftlich  geschulter  Philologe  oder  ein  Philologe 
zusammen  mit  einem  Zoologen  die  griechischen  Fischnamen  auf 
den  Fischmärkten  der  wichtigsten  Städte  feststellen  und  ausser- 
dem die  Fischsammlung  im  naturwissenschaftlichen  Museum  zu 
Athen  mit  Rücksicht  auf  die  heutige  Nomenclatur  studieren.^) 

^)  Ich  verdanke  die  Kenntnis  dieser  wichtigen  Arbeit  dem  unschätz- 
baren , Versuch  einer  Bibliographie  der  neugriech.  Mundartenforschung* 
von  G.  Meyer,  Wiener  Sitzungsber.  Band  130  (1894)  IV  S.  39. 

^)  Weitere  naturwissenschaftliche  Literatur  ist  im  Berliner  Aristo- 
telesindex S.  VIII  aufgeführt. 

1  Mit  Freude  vernahm  ich  vor  kurzem,  dass  der  hochverdiente 
^echische  Mftcen  Maraslis  in  Odessa  zu  seinen  vielen  patriotischen 
Werken  die  Gründung  eines  wissenschaftlichen  Aquariums  (es  soll  auf 
^echisch  hvÖQgiov  genannt  werden)  in  Phaleron  zu  fügen  beabsichtigt. 
Kommt  dieser  schöne  Plan  zur  Ausführung,  dann  wird  auch  das  Studium 
der  Fischnamen  systematischer  betrieben  werden  können. 


360  K.  Kfwkbaeker 

Da  die  Fische  zu  den  im  Volke  am  besten  bekannten  Tieren 
gehören  und  wohl  infolge  dessen  ihre  alten  Namen  in  weitem 
Umfange  erhalten   haben,  so  wäre  eine  derartige  um&ssende 
Studie  auch  für  die  genauere  Bestimmung  der  zahlreichen  nocli 
dunkeln  alten  Namen  von  grösster  Bedeutung.^)    Dann  müssten 
aus  den  Wörterbüchern  (z.  B.  Passow,  Pape,  Jacobitz  und  Seiler) 
endlich  Erklärungen  verschwinden  wie  ^avvayglg  ein  Meerfisch S 
„xeqyalog  Meerfisch  mit  grossem  Kopf'  u.  s.  w.   Junge  griechische 
Philologen  könnten  sich  durch  solche  Studien  ein  höheres  Ver- 
dienst erwerben  als  durch  die  übliche  Anhäufung  neuer  Konjek- 
turen zu  alten  Autoren.    Vor  allem  sind  derartige  spezielle  Vor- 
arbeiten unerlässlich,  damit  ein  wissenschaftliches  neugrie- 
chisches Wörterbuch,  eine  Aufgabe  von  grösster  nationaler 
Bedeutung,  endlich  einmal  in  Angriff  genommen  werden  kann.') 
Manchem  Leser  wäre  vielleicht   auch  ein  Kommentar  zu 
den  im  Fischbuch  vorkommenden  Ämtern  und  Titeln  erwünscht 
Darauf  musste   ich   verzichten.     Das   zum  Verständnis  Nötige 
findet  man  im  Glossar  von  Du  Gange,  in  Zachariae  von  Lingen- 
thals  Geschichte  des  griechisch-römischen  Rechts  und  anderen 
Werken,    die   ich   nicht   ausschreiben   wollte,     um    über   den 
gegenwärtigen  Stand  unserer  Kenntnisse  hinauszukommen,  wäre 
eine  völlig  neue,  tiefgreifende  Untersuchung  nötig;  sie  könnte 
aber  nicht   mit  Beschränkung  auf  die  in   unserem  Texte  ge- 
nannten Termini,  sondern  nur  im  grossen  Zusammenhange  des 
gesamten  römisch-byzantinischen  Amter-  und  Titelwesens  geführt 
werden.^)    Für  eine  solche  Arbeit  habe  ich  jetzt  nicht  Zeit  und 
für  sie  wäre  in  dieser  bescheidenen  Ausgabe  auch  kein  Platz. 

*)  Vgl.  Heldreich  a.  a.  0.  S.  78,  und  Aristoteles  Tierkunde,  deutsch 
von  Aubert  und  Wimmer,  Bd.  I,  S.  57.  Welche  Vorsicht  jedoch  bei  der 
Benützung  der  heutigen  Namen  für  die  Identifizierung  der  alten  geboten 
ist,  lehrt  das  Beispiel  von  ßeXövtf.   Vgl.  Aubert  und  Wimmer  a.  a.  0.  S.  125. 

*)  Ich  wiederhole  mich  hier.  Vgl.  Das  Problem  der  ngr.  SchrifV- 
Bprache,  München  1902,  S.  126.  Aber  an  diese  grosse  nationale  Pflicht 
können  die  Griechen  gar  nicht  oft  genug  gemahnt  werden. 

^)  Wie  untunlich  es  ist,  sich  hier  auf  einen  beliebig  gewählten  zeit- 
lichen öder  sachlichen  Ausschnitt  zu  beschränken,  zeigt  deutlich  das 
letzte  Wort  auf  diesem  Gebiete,  die  Dissertation  von  Paul  Koch,  Die 
byzantinischen  Beamtentitel  von  400-  700.   Jena  1903. 


Das  mittelgriechisehe  Msehbuch,  361 


U. 

1.  Text  der  Escarialhandschrift. 

'O  'Oy^agoloyos»  foL  194^ 

BaoiXevovTog  tov  naverdo^oxäTOV  Ki^tov  xal  äv&VTtarevoviog 
tov  7i€QißXijnov  Aei.q)ivov,  awedgid^ovrog  de  'Ogxvvov  tov  fjieydXov 
öouEoxixov,  Eicplov  tov  TiQCOToardxoQog,  KetpdXov  tov  inixegvrj, 
^r]oaiov  tov  Xoyagäf  Aaßgaxiov  tov  xalaagog,  Flaviov  tov 
Xoyo&eTov,  2vaxlov  tov  naQaxoifxwfiivov  xal  'OoTgeidiov  tov  5 
xaargoqwXaxvg 

xal  ^X^ev  i5  2vvaygida   j  xal  fj  AaßgaxoTOvgva  xal  dvYiy-  fol.  195»^ 
yeiXav  ngbg  tov  ßaoiXiav,   Sti  6  TXijgog   6  Xeixpa^ovyyiog  fiexä 
Tgi^iov    TOV    xojurjTog    ißovXevoavTO    xaTct    Ttjg    ßaaiXelag    oov, 
äxovoag  Ös  6  ßaaiXevg  KfJTog  ehze  ngbg  tr/v  Svvayglöa'   Wevöibg    lo 
ävfiyyeiXeg,  JSvvaygida,  ngbg  Tfjv  ßaaiXelav  /Jiov. 

euMg  yovv  i^em^dtjoev  xal  6  xvgig  *Ofivdiog  fJLerd  juavgrjg 
oxoXrjg  Tovg  Xöyovg  änoxgivöfievog'    Mä,    tov  ädeXg)6v  fJLov  tov 
KaXafxdgiov  xal  Tbv  ävetpiöv  fxov  tov  Ktbviov  xal  Tbv  av/me- 
&€g6v   fjtov   Tbv   Tldyyovgov ,   äXrjd'CÖg   E(p7j   fj   2vvaygida  xal  fj    15 
AaßgaxÖTOvgva  ngbg  ttjv  ßaoiXeiav  oov. 

6  di  ßaoiXevg  KfJTog  ngbg  Tovg  nageoTonag  ecprj'  Zeßaaxe 
ZTdxe  xal  Ovwa  xal  f  BSoxave,  ngoxa&ijfjLeve  xov  ßeoxiagiov, 
t  Bagoafiixov[ivB  xal  Inag^e  Tovgva,  "Yoxa  xal  ^iXö/jirjXa, 
*A&egTva  xal  Tgvyöva,  *Plva  xal  Bdxe,   ot  xal  xdg  ßißXovg  xga-    20 

Abweichende  Lesung  der  Handschrift  (von  itazistischen  Fehlem  und 
falschen  Akzenten  ist  nur  notiert,  was  in  irgend  einer  Beziehung  von 
Bedeutung  sein  könnte):  Titel  '0  oxpaQoXoyog  \\  2  TxsX<plvov  \  ogxivov  |, 
3  :iQ(OTootdtoQog]  XoTogatagog  |  4  yfijaiov  \  xeoaagos  \\  5  otaxiov  ;  ootqo- 
iiw  II  7  XavQ<v<6xovQva  ||  12  dfAldiog  Ü  16  XavQanoxovQva  |!  19  iiax^  |  (pM- 
fwla  \    20  XQiyatva   \\ 


362  K.  Krumbaeher 

Jette,  HQlvare  jiQog  ainovg,  xad(bg  6  xvgtg  *0/jtvdiog  iq^ey^oxo, 
xai  l^exdoere  x6  äXrj^ig, 

ol   dk   ehiov'   'Hjueig,   (b   dionoxa,    iel   rt^v   dixalav  x^iv 
^eXovreg  Xoinov  Ixerevofih  ooi  tov  ngoaxd^ai  xal  iX&eXv  toiv 
25    ägxovrag  xal  fjyefiövag, 

TiQoard^avxog  ovv  rov  ßaoiXi(og  xal  elaeX^ovxmv  rcbv  igxov- 

T(ov  naQioxavxo  yovv  ol  roxägioi  xal  ol  nagdßiovai,  6  Kovßldig 

xe  xal  FaXea,   ^   Zagydva  xal  ^  TExyagig,  ij  "EyQaifXtj   xal  ^ 

fol.  195^  Kovx^ovgTva,  fj  Äaxigxa  xal  6  Av^vog,   '  xö  Sxognidtv,  6  *Ayta' 

30    xöaxvXog,  xd  Zavgtdiv,  x6  *AxiXi  xal  fj  *Oafiag(da. 

xal  Tigooxd^ag  6  ßaoiXevg  Kfjxog  S<pegav  xbv  T^fjgov  fietä 
xXoxCdxcov  xal  f  xv/ijiavioxgicüv,  äXXä  dt]  xal  xov  ngaixoga  Ma^bv 
xal  Tgi^eov  xov  xd^rixa  xal  axa&evxeg  elg  xd  fieaov  o  xe  Tgix^og 
xal  6  MaCog  ehiav  xd  dXtj&hg,  öxi  6  TXfjgog  nagib^vvev   fifiäg. 
35  eine  de   ngog  avxovg  6  ßaoiXeug  Kfjxog'   *AXri&a>g  ehuv  6 

T^YJgog  ö  Xeitpa^ovyyiog,  8xi  fj  Zvvayglda  {xal)  fj  Aaßgaxoxovgva 
y>evdcbg  ävijyyeiXav  xrjv  ßaoiXelav  aov; 

exga^av  xal  ebiav  ol  judgxvgeg,  öxi  fxäXXov  xpevdibg  ivfiy- 
yeiXev  6  TCfjgog  xfj  ßaoiXelq,  oov. 
iO  äxovoag    de    6    ßaaiXevg    Kijxog    xal    dgioag    ßAexä    t^vjtwv 

jtieydXov  ijcpeQav  tpaXidiov  xal  exoxpe  xd  yeveiov  xov  T^ijgov  xal 
eßaXe  (pojvi]v  fieydXrjv  fiexd  xXav&fxov  6  TXijgog  xal  ehiey' 
\AvdüefJLd  ae,  Zvvaygida,  xal  dvd'^efxav  xd  yevog  oov,  xal  ijidgag 
xd  yeveiov  avxov  ijirjyev  xal  Idei^ev  xo  xdv  ädeX(p6v  xov  xov 
45  Tgixiov,  Kai  Idibv  avxdv  exXavoev  Tiixg&g  xal  ddvvrjgibg  xal 
eljie'   0ev  xd  xl  ejia^ev  6  ädeXq)6g  fiov  6  T^rjgog, 

xöxe  ixaxrjgdoaxo  xdv  T^fjgov  6  ßaoiXevg  xal  elnev'   'Ajid 
xov   TiTcoxov   xd   oxojLia  ßii]  iyXvaijg,  T^fjge,   xal  ^  re/ijj   oov   vd 
erat  avxd,  xd  Xeyovv  (pöXiv,  xal  ojid  xXoxCdxayv  xal  cog  xXoxCdxo 
50    xal  äjid  ßgcofÄiageag  jlit]  lyXvof^ig,  TCfjge,  T^rjge! 

xal   ev&vg   xgd^avxeg   ol  Ix&veg   äna^   änavxeg   ehiaV    Elg 
noXXd  exTj,  deonoxa! 


21  Sfiidiog  22  i^haoe  |  23  ei  Sk  ehiov  \\  24  f.  zovg  ägz(ov  !  27  oi 
rovoLQioi  \  29  ftovrCovQi^va  |  dvtaxoaxv^^  I  30  oatpQtdrfv  ',  oafiagida  33  tqi- 
XaiMV  I  XQiHEoyg  34  fidl^og  i|  36  nal  habe  ich  erfifänzt  \\  45  xQtxoXov  \  66vvi}' 
Qog      48  eyXvoig       49  xXox!^diov  xai  d>g  xXorCcLTco    ,   50  iyXi/jatg. 


Das  miitelgrieehisehe  Fiachhuch,  363 

2.  Deutsche  Übersetzung. 
Das  Fischbuch. 

unter  der  Regierung  des  allerdurchlauchtigsten  Walfijsches 
und  unter  dem  Prokonsulat  des  hochansehnlichen  Delphins, 
unter  dem  Beisitze  des  Grossdomestikos  Thunfisch,  des  Proto- 
stators  Schwertfisch,  des  Mundschenken  Meeräsche,  des  Schatz- 
meisters Scholle,  des  Eaesars  Meerwolf,  des  Logotheten  Wels, 
des  Kammerherrn  Steinbutte  und  des  Schlosshauptmanns  Auster 

da  kamen  der  Zahnfisch  und  der  Wolfhecht  (?)  und  ver- 
meldeten dem  König:  ^ Makrele,  die  fettlose,  und  Graf  Sardine 
haben  sich  gegen  Deine  Majestät  verschworen."  Als  König  Wal 
das  vernommen  hatte,  sprach  er  zum  Zahnfisch:  „Falsch  hast 
Du,  o  Zahnfisch,  meiner  Majestät  vermeldet  **. 

Da  sprang  sogleich  Herr  Miesmuschel  im  schwarzen  Wams 
hervor  und  erwiederte  also:  „Bei  meinem  Bruder,  dem  Tinten-* 
fisch  und  meinem  Neffen  Kammmuschel  und  meinem  Schwager 
Krabbe,  wahrheitsgemäss  hat  der  Zahnfisch  und  der  Wolfhecht 
zu  Deiner  Majestät  gesprochen**. 

Nun  sprach  König  Wal  zu  der  Versammlung:  „Sebastos 
(Erlauchter)  Hummer  und  Thunfisch  und  Du,  Obergarderobier 
t  Boskanos,  Du  f  Barsamos-chumnos  und  Du,  Gerichtspräsident 
Hecht,  Du  Stör  und  Seebarbe,  Aehrenfisch  und  Stachelroche, 
Meerengel  und  Punktroche,  die  Ihr  auch  die  Gesetzbücher 
bewahret,  erwäget  bei  Euch,  wie  Herr  Miesmuschel  gesprochen 
hat,  und  untersuchet  die  Wahrheit**. 

Sie  nun  sprachen:  „Wir,  o  Herr,  wollen  stets  ein  gerechtes 
Urteil  und  flehen  Dich  also  an,  zu  befehlen,  dass  die  Mag- 
naten und  Oberrichter  kommen!** 

Als  nun  der  König  befohlen  hatte  und  die  Magnaten  ein- 
getreten waren,  stellten  sich  zur  Seite  die  Sekretäre  und  die 
Leibwächter,  Gründling  und  Neunauge,  Meernadel  und  Squillen- 
krebs,  Sardelle  und  Stumpfroche,  Stöcker  und  Himraelschauer, 
Drachenkopf,  Hundsstör,  Stachelmakrele,  Aal  und  Stint. 

Und  auf  Befehl  des  Königs  brachte  man  die  Makrele  mit 
Fusstritten  und  KnüttelschLägen,  dazu  auch  den  Prätor  Kabeljau 


364  JL  Krumba^Aer 

und  den  Grafen  Sardine,  und  nun  traten  Sardine  und  Kabeljau 
vor  und  bekannten  die  Wahrheit:  ,» Makrele  hat  uns  aufgewiegelt*. 

Nun  sprach  zu  ihnen  König  Wal:  «Hat  Makrele,  die 
fettlose,  mit  Recht  behauptet:  ,Zahnfi8ch  und  Wolfhecht  haben 
Deiner  Majestät  falsch  vermeldet?^  "^ 

Da  riefen  die  Zeugen  laut:  „Vielmehr  hat  Makrele  Deiner 
Majestät  falsch  yermeldet*. 

Da  König  Wal  das  hörte,  befahl  er  in  grossem  Zorne, 
eine  Schere  zu  bringen  und  schnitt  Makrele  den  Bart  ab. 
Und  Makrele  erhob  unter  Wehklagen  ein  grosses  Geschrei  und 
sprach:  «Fluch  Dir,  o  Zahnfisch,  und  Fluch  Deinem  Geschlecht*. 
Und  sie  hob  ihren  Bart  auf  und  ging  und  zeigte  ihn  ihrem  Bruder 
Sardine.  Und  da  er  ihn  sah,  weinte  er  bitterlich  und  schmerzlich 
und  sprach:   «Wehe,  was  ist  meinem  Bruder  Makrele  begegnet!' 

Darauf  verfluchte  der  König  die  Makrele  und  sprach:  «Des 
Armen  Munde  sollst  Du  nicht  entgehen,  Makrele,  und  Deine 
Ehre  (auch  =  Dein  Preis)  soll  sein,  was  man  einen  FoUis 
nennt,  und  den  Fusstritten  auf  Fusstritte  und  dem  Gestank 
sollst  Du  nicht  entgehen,  Makrele,  Makrele'. 

Und  sogleich  riefen  alle  Fische  zusammen:  «Auf  viele 
Jahre,  o  Herr!* 

Mit  Absicht  folgt  die  Übersetzung,  die  eine  aiisführlichere 
Erklärung  ersetzen  soll,  dem  Original  ganz  wörtlich.  Daher 
habe  ich  auch  das  unbeholfene  Gestammel  des  Griechen  ohne 
Ketouche  wiedergegeben  und  darauf  verzichtet,  durch  künst- 
liche Mittel  den  durch  die  Verschiedenheit  des  Genus  der  Fisch- 
namen  im  Deutschen  entstehenden  Widerspruch  zu  beseitigen, 
öo  mag  man  den  «Herrn«  Miesmuschel  und  die  mit  einem 
l*art  ausgestattete  Makrele  entschuldigen.  Der  Grieche  hat 
sicli  einigemal  geholfen,  indem  er  Neutra  ganz  frei  zu  Mas- 
aürrV^'''''^'^^''*^  CO/^^'^^«^»  KaXa^Ädgio^,  Kxivio^,  Kovßidi,); 
'.nZr.yir^^^^'''  ^'^^^'^)  is*  als  Masculinum  gedacht.  Bei 
nur  ?m  a  T  '"^  ^''  ^""^^^  ^^^^''^^  vermieden,  dass  sie 
Aber    die  r    vorkommen   (Wfjooiov,    AaßQaxiov   u.   s.   w.). 

ihrer  PorniT  1  ^"^    Feminina    und    Neutra    hat    der    Autor  in 
Männern  besteh^rd^'gel'actt^^         Gerichtsversammlung  als  aus 


Ba8  nnUelgrieehMehe  Fischhuch.  365 


m. 

Bemerknngen  zum  Texte. 

Hier  werden  folf^ende  Abkürzungen  gebraucht: 

Apostolides  —  Apostolides,  La  pßche  en  Grece,  Athen  1883  (nur  durch 
Vermittelung  von  HoflFman- Jordan  benützt). 

Aristotelesindex  =  Aristotelis  opera  edidit  Academia  regia  Borussica. 
Vol.  V.  Index  Aristotelicus.  Berlin  1870.  Auf  die  schon  bei  Hoff- 
man- Jordan  verwerteten  Stellen  des  Aristotelesindex  habe  ich  nicht 
mehr  verwiesen. 

Aubert-Wimmer  —  Aristoteles  Tierkunde.  Kritisch  berichtigter  Text 
mit  deutscher  Übersetzung,  sachlicher  und  sprachlicher  Erklärung  und 
vollständigem  Index.  Von  H.  Aubert  und  Fr.  Wimmer.  Zwei  Bände. 
Leipzig,  W.  Engelmann  1868.    Die  Zitate  beziehen  sich  auf  Bd.  I. 

Bikelas  —  Sur  la  nomenclature  moderne  de  la  faune  grecque  par 
D.  Bikelas.  Annuaire  de  TAssociation  pour  Tencouragement  des 
^tudes  grecques  12  (1878)  208^237. 

Erhard  —  Fauna  der  Cykladen.  Von  Dr.  Erhard.  Erster  Teil.  Die 
Wirbeltiere  der  Cykladen.    Leipzig  1858. 

Heldreich  —  La  faune  de  Gr6ce  par  Th.  de  Heldreich.  Premiere  partie, 
Animaux  vert^br^.   Athenes  1878. 

Hoffm  an -Jordan  —  A  catalogue  of  the  fishes  of  Greece,  with  notes 
on  the  names  now  in  use  and  those  employed  by  classical  authors. 
By  Horace  Addison  Hoffman  and  David  Starr  Jordan.  Proceedings  of 
the  Academy  of  natural  sciences  of  Philadelphia  1892,  S.  230—285. 

Ideler  —  Physici  et  Medici  Graeci  minores  ed.  J.  L.  Ideler.  2  voll., 
BcrUn  1841-1842. 

KoraesXenokr.  —  SevoxgdTovs  xai  raXrjvov  TIsqI  trjg  cbio  tc5v  evvSqcov 
xQotpij^.   Ed.  A.  Koraes.   Paris  1814. 

Kyraniden  —  F.  de  M^ly,  Las  lapidaires  de  Tantiquitt^  et  du  moyen-ä-ge. 
Tome  IL   Paris  1898-1899  (s.  oben  S.  357). 


366  K.  Krumhacher 

Legrand  —  E.  Legrand«  Dictionaire  grec  moderne  fran9ais,  Paria  1^. 

0  =  Opsarologoa  (vgl.  S.  361). 

P  --  Porikologos  (vgl.  S.  348). 

Prodromos  —  Theodoros  Prodromoa  Gedicht  gegen  die  Äbte  ed.  Legrand, 
Bibl.  grecque  vulg.,  vol.  I  (Paris  1880)  52-76. 

Rhousopulos  —  Rhousos  A.  Rhousopulos ,   Wörterbuch    der   neugrie- 
chischen und  deutschen  Sprache,  Leipzig  IdOO. 

Seth  —  Simeonis  Sethi  Syntagma  de  alimentonim  facultatibua  edidit 
BernharduB  Langkavel.    Bibliotheca  Teubneriana.   Leipzig  1868. 

Vlachos  —  Angelos  Vlachos,  Ae^inov  'ElXijvoyaXXixöv,  Athen  1897. 

Zeile  1.  KrjTov,  Bei  der  Wahl  der  vulgären  Genetivendung 
'Ov  spielte  wohl  auch  die  Absicht  mit,  das  Krjxog  als  Masculin 
zu  personifizieren.  Noch  im  vulgärgriechischen  Physiologus 
(ed.  Legrand,  Annuaire  de  TAssociation  pour  Tencouragement 
des  et.  gr.  7  S.  251  f.)  ist  xfjzog  nach  der  alten  Weise  dekliniert 
{IIfqI  xov  xi]Tovg).  Zu  6  yivog,  6  'däggog  u.  s.  w.  vgl.  Hatzi- 
dakis,  Einleitung  in  die  neugr.  Gr.  S.  354  ff. 

Z.  2.  'Oq}{i'vov.  Aubert- Wimmer  137  halten  des  Aristo- 
teles oQHvveg,  über  deren  Identität  mit  oqxvvoi  (Nom.  6  ÖQxtn'Os, 
z.  B.  Aelian  I  40,  Athenaeus  VII  98,  Koraes  Xenokr.  Index  s.  v.) 
kein  Zweifel  zu  sein  scheint,  für  unbestimmbar.  Meine  Über- 
setzung „Thunfisch"  beruht  auf  Sostratos  bei  Athenaeus  VII  66 
und  Hoffman-Jordan  S.  256.  Nach  Apostolides  besteht  der 
Name  noch  heute  in  der  Form  oQKvvog,  In  den  neugriechischen 
Wörterbüchern  und  bei  Erhard  und  Heldreich  fehlt  der  Name. 

Z.  3.  jiQcoToordroQog  statt  des  ganz  unsinnigen  überlieferten 
XoxoQinaQog  wird  durch  P  Z.  4,  wo  der  7iQ(DTooTdToyQ  ebenfalls  in 
der  Eröffnungsformel  vorkommt,  sicher  gestellt.  Die  ursprüng- 
liche Form  ist  das  in  den  byzantinischen  Geschichtsquellen 
übliche  jigonooTodKoo  (wie  orgaTcoo);  aus  ihr  hat  sich,  wobei 
wahrscheinlich  sowohl  dissimilatorische  Neigung  als  Anlehnung 
an  'OTUTijg  u.  s.  w.  mitwirkten,  die  bequemere  Form  jtqwto^ 
OTUTWQ  gebildet.  Einen  steinernen  Beleg  der  Form  bietet  die 
neulich  von  G.  Soteriades,  *EjiETf]oig  rov  UaQvaaoou  7  (1903) 
211,  edierte  metrische  Inschrift  des  Michael  Zorianos  (um  das 


Das  miUelgrieehische  Fisckbuch.  367 

Jahr  1300).  Über  die  Bedeutung  des  Wortes  vgl.  Du  Gange 
s.  T.  üiQixiOQ^  der  jedoch  die  sichere  Nebenform  TtQoyxoaxdxioQ 
nicht  erwähnt.  Die  Verderbnis  unserer  Hs  ist  vielleicht  durch 
Falschlesung  der  abgekürzten  Schreibung  aardroQog  entstanden. 

Z.  3.  Ks<pdXov.  Vgl.  Seth  59,  15  ff.  Manuel  Philes,  De 
anim.  proprietate  edd.  Lehrs  et  Dübner  V.  1623  ff.  Heldreich  82. 
Hoffinan-Jordan  250  ff.   Vlachos  s.  v. 

Z.  3.  Tov  biLxeQvr},  Durch  Anschluss  an  inl-'xeQdvvvjLLi 
(vgl.  6  btl  TOV  xegdofiaxog)  volksetymologisch  gräzisierte  Form 
des  älteren  niyxeQvrjg  (aus  lat.  pincema).  Vgl.  Du  Gange  s.  v. 
myxiQyrjg. 

Z.  4.  WTjaoiov,  Bei  Seth  123, 15  ff.  und  anderen  Späteren 
die  nur  orthographische  Variante  y^tjoiov.  Daher  auch  ngr. 
besser  mit  Vlachos  yjtjooi,  nicht  mit  Legrand  xprjol  zu  schreiben. 
Vgl.Aubert-Wimmerl44f.  AthenaeusVII139.  KoraesXenokr.48 
u.  ö.  (s.  den  Index  s.  v.).  Prodromos  V.  99,  163,  236,  426, 
433,  573.    Hoffman-Jordan,  Index  s.  v.  iprjxxa, 

Z.  4.  Xoyagä,  Das  nirgends  bezeugte  Wort  ist  offenbar 
unmittelbar  von  koydgiv  (Geld)  nach  Analogie  von  C^vagäg 
(zu  CfovaQiv)  u.  s.  w.  gebildet,  eine  vulgäre  Kurzform  des 
offiziellen  byzantinischen  Xoyagiaaxi^g  (xfjg  avkfjg)  mit  gleicher 
Bedeutung. 

Z.  4.  Aaßgaxlov,  Ngr.  xo  Xaßgdxi,  Vgl.  Aubert- Wimmer 
134.  Aelian  ed.  Hercher  I  30.  Athenaeus  Vü  86.  Seth  63,  5  ff. 
Prodromos  V,  87.  Manuel  Philes  a.  a.  0.  V.  1813  ff.  Erhard  87. 
Heldreich  80.    Hoffiuan-Jordan  259. 

Z.  4.  rXaviov.  Die  Form  setzt  den  sonst  nur  noch  in 
den  Kyraniden  S.  106,  10  belegten  Nominativ  yXdveog  voraus. 
Die  alten  Formen  sind  yXdvig,  -idog  -log  -ecog.  Als  neugriechische 
Formen  werden  ykdvog,  yXavög,  yovXiavög,  yXavldi  notiert.  Vgl. 
Aubert- Wimmer  126.  Aelian  XII  14.  Koraes  Xenokr.  78;  210. 
Heldreich  89.  Bikelas  227.  Byzantios  s.  v.  yovXiavog,  Über  die 
I)eutung  als  Wels  (franz.  silure)  vgl.  Aubert- Wimmer  126 
und  Hoffman-Jordan  241.  Legrand  übersetzt,  ich  weiss  nicht 
warum,  yXdvog  mit  „carpillon  aux  yeux  rouges". 


i 


368  JT.  Krumbather 

Z.  5.  Zvaxiov.  Agr.  ava^.  Das  Deminutiv  avAxiov  z.  B. 
bei  Seih  100,  5  fiPl  Ngr.  avdxi.  Nach  Ylachos,  Legrand,  Rhou- 
sopulos  =  Steinbutte.  Die  Gleichung  ovdxi  =  oeXaxi  (Roche) 
bei  Bikelas  229  ist  demnach  unrichtig.  Bei  Heldreich  und 
Hoffman-Jordan  fehlt  das  Wort. 

Z.  5.  *OaTQ£idiov.    Vgl.  Aristotelesindex  s.  v.  öatgeov.  So 
sehr   bei  der  Herstellung    vulgärgriechischer  Texte,  wo  nicht 
selten  wohlberechtigte  Formen  korrigiert  werden,  strenger  Kon- 
servatismus geboten  ist,   so   kann  doch    mit  Sicherheit  gesagt 
werden,  dass  das  überlieferte  ootQodlov  unmöglich  richtig  sein 
kann.    Es  handelt  sich  um  ein  in  alter  wie  neuer  Zeit  gemein-       « 
griechisches  Wort,  in  dessen  Formen  das  -o-  unerklärlich  wäre. 
In  den  Beispielen  bei  Hatzidakis,  Einleitung  S.  340,  handelt  es 
sich    durchwegs    um   Komposita.      Die   Brücke   zwischen   agr. 
ooxQEiov,  SoTQEov  Und  ngr.  axgeidi  kann  nur  ootgeidiov  sein. 

Z.  7.  Hvvaygida.  Die  ovvaygk,  die  in  unseren  Wörter- 
büchern noch  immer  in  unverdienter  Anonymität  fortlebt  (im 
Thesaurus  „piscis  nomen",  darnach  bei  Passow,  Pape,  Jacobitz 
und  Seiler  u.  a.  „ein  Meerfisch*),  lässt  sich  so  gut  wie  vöUig 
sicher  bestimmen.  Es  ist  der  dentex  vulgaris,  Zahnfisch,  dente. 
Vgl.  Aubert- Wimmer  140. .  Heldreich  185.  Hoffman-Jordan  267. 
Vlachos  s.  V. 

Z.  7.  AaßQaxorovQva.  Klar  sind  die  Elemente  {lAßga^ 
Meerwolf  —  xovQva  Hecht),  nicht  aber  die  Bedeutung  des 
sonst  nirgends  belegten  Wortes. 

Z.  8.  TCfJQog.  Das  schon  bei  Prodromos  V.  199  vor- 
kommende Wort  (xal  xCiQovg  dexanivxe)  bedeutet  heute  die 
kleine  getrocknete  Makrele.  Koraes  Xenokr.  82,  210  erklärt 
das  Wort  aus  agr.  xriglg  oder  xiQig,  Vgl.  Koraes,  "Atanra  I  74 
(über  TOiQog  =  siero  del  latte,  aus  xiggog),  Dr.  Amantos  ver- 
mutet Zusammenhang  mit  itjgog  (Zurückziehung  des  Tones 
durch  Substantivierung  und  f  >  ra  wie  in  k^dxpXoiov  >  raanphy 
Mir  nicht  wahrscheinlich.  Heute  ist  die  Schreibung  xoi}goQ 
üblich.    Vgl.  Byzantios  s.  v. 

Z.  8.  keiii^a^ovyyiog.  Das  mittel-  und  neugriechische  Wort 
für  „Fett*  entstammt  der  latein.  > Wagenschmiere*,  «axungia*. 


Das  mitUlgrieckische  Fischhuch,  369 

Vgl.  Du  Gange  s.  v.  ä^ovyyiov.  Die  ngr.  Form  ist  ^vyyi. 
Unser  Kompositum  ist  Hapaxeiremenon,  hübsch  gebildet  nach 
Wörtern  wie  keixpoaiXtjvov,  Xeiy^d'^gti,  Xelxpavdqog.  Über  das 
von  solchen  Wörtern  neugebildete  Adjektiv  Xeitpög  =  iilEiJiTJg 
?gl.  Hatzidakis,  BZ.  2  (1893)  253. 

Z.  9.  Tgixiov,  Dem  alten  tQtxlag  steht  ngr.  tgtxidg  ähnlich 
gegenüber  wie  xoxXtag  zu  xoxXiögj  xoXlag  zu  xoXiög  (Amantos). 
Unser  Gknetiy  jgtxiov  setzt  eine  Zwischenform  6  tgixiog  voraus, 
die  in  0  selbst  Z.  33  (xQixicog  geschrieben)  und  in  den  Eyra- 
niden  S.  272  belegt  ist  {TPIXE02,  im  Index  wohl  unrichtig 
^iieog  statt  xQixiog  akzentuiert).  Ylachos  bietet  als  ngr.  Formen 
ij  TQixla,  6  TQixiag»  6  tgixiog,  Legrand  nur  6  tqix^^\  ^i©  wahre 
volkstümliche  Form  ist  aber  wohl  nur  TQixiog.  Zur  Bestimmung 
vgl.  Aubert-Winmier  141.    Hoffman- Jordan  243. 

Z.  12.  'Ofivdiog.  Dem  agr.  fAvg  ,, Miesmuschel*'  (vgl.  Aristo- 
telesindez  s.  v.)  steht  ngr.  rd  javöi  (in  der  gleichen  Bedeutung) 
gegenüber.  Als  mgr.  Form  zitiert  Du  Gange  aus  £ustathios 
Od.  J  89  oßivdiov,  offenbar  nur  falsche  Schreibung  für  djuvdiov, 
das  bei  Seth  81, 11  (rd  dk  Xeydfisva  dfAvdia)  richtig  steht.  Das 
Wort  steckt  auch  im  Kompositum  iaxQeidofivdijl^ia  bei  Prodro- 
mos  V.  344.  Zum  prothetischen  o-  vgl.  Hatzidakis,  Einleitung 
S.  329.  Im  Fischbuch  ist  öfiiöiov  zur  Verdeutlichung  der  Personi- 
fizierung masculinisiert  wie  6  KaXafidqiog,  6  Kteviog,  6  Kovßidig, 
Z.  14.  Kreviov.  Vgl.  Aubert-Wimmer  178.  Seth  81,  8. 
Prodromos  V.  345.  Heldreich  84.  Bikelas  226.  Hoffman- Jor- 
dan 271.  Es  ist  nicht  klar,  ob  das  Wort  im  0  die  Eammmuschel 
oder  xyrichthys  bedeutet.  Vlachos,  Legrand,  Rhousopulos 
notieren  für  xxivi  (sehr.  ;uT€rt)  nur  die  erstere  Bedeutung. 

Z.  15.  ndyyovQov.  Nasalierte  Form  des  Wortes,  das  so- 
wohl agr.  als  ngr.  gewöhnlich  ndyovQog  lautet.  Eine  strenge 
zoologische  Bestimmung  kann  ich  nicht  geben.  Aelian  VI  31 
betrachtet  die  ndyovQot  als  Seetiere;  vgl.  IX  43.  Nichts  hilft 
zur  Bestimmung  Athenaeus  VU  108.  Seth  83,  15  betitelt  ein 
Kapitel  flegl  nayoiQuov^  beginnt  UayovQia  ijzoi  xagxivot  und 
unterscheidet  dann  sowohl  See-  als  Yluss-xagxivoi,  Dagegen 
unterscheidet  Galen  (s.  den  Thesaurus  s.  v.)  die  ndyovgoi  von 

1M8.  aiUgsb.  d.  philos.-philo].  o.  d.  hist  Kl.  25 


370  JT.  Krumbaeher 

den  xaQxiroi.  Prodromos  V.  342  stellt  sie  mit  den  doraxoi 
zusammen:  ^oraxobg  xal  cüqdo.  nayovgia.  Im  Aristotelesindei 
wird  ,p  Cancer  pagurus*  übersetzt.  Für  die  entsprechenden  ngr. 
Wörter  werden  verschiedene  Bedeutungen  angegeben:  niyovgo; 
heisst  heute  nach  Ylachos  pagure,  poupart  (Taschenkrebs),  nach 
Legrand  aber  homard;  nayovgi  nach  Ylachos  [crabe]  tourteau 
(Taschenkrabbe),  nach  Legrand  ecrevisse  de  mer,  nach  Rhou- 
sopulos  Seekrebs,  nach  Byzantios  cancre,  poupart,  pagurus. 
Eine  übertragene  Bedeutung  von  nayovgi  ist  Feldflasche. 

Z.  18.   2!t(ixe.    Die   genaue  Bedeutung  des   alten  doroxoc 
scheint  nicht  völlig  sicher  zu  stehen.    Der  Thesaurus  übersetzt 
„homard*.      Ebenso   Aubert-Wimmer   152.      Aristotelesindex: 
homarus  sive  astacus  marinus.    Vgl.  Seth  25,  3  ff.    Kyraniden 
S.  104   und   267.      Das    ngr.    oiaxdg   bedeutet    nach   Vlachos 
eigentlich  die  langouste,   wird  aber  gewöhnlich  falschlich  Yom 
Hummer  gebraucht.     Legrand  notiert  nur  die  letztere  Bedeu- 
tung,  Byzantios:  homard,  ecrevisse  de  mer  (la  grande).    Ganz 
falsch  ist  die  Erklärung  von  Du  Gange  „piscis  ex  aspratilibus', 
wie  schon  der  Zusammenhang  zeigt,   in  dem  das  Wort  in  der 
von  Du  Gange  angeführten  Stelle  des  Prodromos  (V.  342  ed. 
Legrand)  steht:   6^  ßÄt]  tpcofxitCiv  xal  xgaoCv,  araxohc  xal  (bgtjä 
nayovQia.     Die  überlieferte  Akzentuierung  ZxdxB  beruht  wohl 
auf  dem  Bestreben,  das  Wort  zum  Eigennamen  zu  stempeln  und 
htängt  mit  der  bekannten  Zurückziehung  des  Akzents  bei  der 
Substantivierung  von  oxytonen  Adjektiven  zusammen.    Freilich 
ist  in  0  Z.  84  auch  jndCog  (dagegen  Z.  32  juaCdv)  akzentuiert. 

Z.  18.  evvva.  Vgl.  Aubert- Wimmer  128.  AelianXV3-6. 
Athenaeus  VII  63  ff.  Hoffman- Jordan  254  ff.  Bezüglich  der 
wahren  ngr.  Bezeichnung  des  Thunfisches  herrscht  in  der  Lite- 
ratur einige  Verwirrung.  Nach  Heldreich  81,  Bikelas  226, 
Hoffman-Jordan  a.  a.  0.  ist  sie  xovviva  oder  roviva;  dagegen 
notieren  Vlachos  und  Legrand  S  &vvvog,  Vlachos  ausserdem 
Torroc,  Logrand  rj  'dvvvrj  und  xovira.  Da  aber  Jannarakis 
s.  V.  Thunfisch  als  Vulgärformen  nur  xovvvog,  xovvviva  notiert 
wird  man  fhvvvoc:,  {^vvv}]  im  Ngr.  wohl  als  reine  mots  savant^ 
ansehen  dürfen. 


Das  mittelgrieehische  Fischbuch.  871 

Z.  18.  f  B6axav€.  Weder  die  zoologische  Literatur  noch 
die  Lexika  brachten  mir  eine  befriedigende  Lösung  des  Rätsels. 
Anastasieviö  zog  einen  angeblichen  ngr.  Fischnanien  ^fwaxdgi' 
9 Meerkalb'*  bei,  den  ich  nicht  kenne  und  in  den  Lexika  nicht 
finde.  AmantoB  und  Salomon  verglichen  agr.  ßooxdq^  nach 
Dioskorides  (s.  den  Thesaurus)  ein  klebriger  Fisch. 

Z.  19.  f  Bagoa/xixov/i^vs.  Mir  völlig  dunkel.  Nach  dem 
Zusammenhang  scheint  in  BdQoafie  ein  Amt  zu  stecken.  Xovfivog 
ist  ein  byzantinischer  Familienname,  und  man  könnte  vermuten, 
dass  er  von  einem  seltenen  Fischnamen  genommen  sei.  Amantos 
meint,  vielleicht  stecke  im  zweiten  Wortteile  der  agr.  Fisch- 
name x&wog  (auch  x6yvv\^  ;|rdvva;  s.  den  Thesaurus). 

Z.  19.  inaQxe.  Über  die  Stellung  des  Eparchen  als  Gerichts- 
beamten vgl.  Zachariae  von  Lingenthal,  Geschichte  des  griechisch- 
römischen  Rechts*  (1892)  S.  365  ff. 

Z.  19.  TovQva,  „Hecht*.  Fehlt  auffallender  Weise  bei 
Erhard,  Heldreich,  Hoffman- Jordan.  Bikelas  230  zitiert  das 
Wort  aus  einer  alten  Reisebeschreibung  von  Belon.  Dagegen 
wird  TovQva  mit  der  Bedeutung  „Hecht**  (brochet)  überein- 
stimmend von  Ylachos,  Legrand,  Rhousopulos  gebucht.  S.  die 
Notiz  zu  Z.  7. 

Z.  19.  ''Yaxa.  „Stör*  (?).  An  das  Wort  knüpfen  sich  ver- 
schiedene  Fragen.  Ln  Thesaurus  wie  auch  bei  Du  Gange  er- 
scheint voxa  mit  der  doppelten  Bedeutung  „Zunder**  und  „ein 
Fisch",  der  bei  Du  Gange  nach  Martinus  Bogdanus  als  „Stör** 
definiert  wird,  ich  weiss  nicht,  aus  welchem  Grunde;  denn  die 
Hauptstelle,  das  Kapitel  Ilegl  voxaq  bei  Seth  111,  10  ff.,  ge- 
währt  keinen  genügenden  Anhalt  für  diese  Übersetzung,  deren 
Richtigkeit  auch  Eoraes  Xenokr.  205  bezweifelt.  Bei  Erhard, 
Heldreich,  Bikelas,  Hoffman -Jordan  fehlt  das  Wort.  Eine 
weitere  Frage  ist,  wie  sich  voxa  „Zunder"  zu  vaxa  „Stör" 
Terhält.  Da  auch  lat.  „esca"  im  Sinne  von  „Zunder"  belegt 
ist,  kann  man  vermuten,  dass  das  griechische  Wort  in  der 
Bedeutung  „Zunder"  aus  dem  Lateinischen  genommen  und  also 
(mit  Vlachos)  ^oxa  zu  schreiben  sei.  Darnach  ist  bei  Pro- 
dromos  V.  99  und  426  voxag  st.  To;^«^  zu  schreiben,  wie  schon 

25* 


372  K,  Kfumbadker 

Koraes  a.  a.  0.  andeutet  Das  ox  in  dieser  Schreibung  wie 
in  der  des  0  (Escor.)  (^o^a)  beruht  auf  derselben  Inversion 
wie  vax<i  in  einem  Codex  des  Seth  a.  a.  0. 

Z.  19.  0ii.6fxriXa.  Nach  dem  Thesaurus  ist  (pdofii^ia  = 
xoxxv^  (piscis).  Seth  118,  6  ff.  hat  die  Form  ipikofiißti,  £me 
grosse  Rolle  spielen  als  leckere  Klosterkost  die  tpdofirila  und 
(fikofAfiXitlia  im  Gredicht  des  Prodromos  (V.  87,  168,  236,  433, 
574).  Byzantios  notiert  <pdofirila  espece  de  rouget.  In  den 
anderen  ngr.  Wörterbüchern  und  bei  Heldreich  u.  s.  w.  fehlt  das 
Wort.    Den  abweichenden  Akzent  in  0  wollte  ich  nicht  ändern. 

Z.  20.  ^A^EQlva,  Agr.  A&eQiva  und  ä^egivj].  Nach  den 
Wörterbüchern  ein  „schlechter,  grätiger  Fisch*,  Aubert-Wim- 
mer  124  übei-setzen:  atherina  hepsetus.  Ebenso  der  Aristoteles- 
index. Das  Wort  ä^egiva  scheint  noch  heute  volkstümUch  zu 
sein.  Vlachos  notiert  als  Bedeutung  ^perlan,  Legrand  halvet, 
ej)!,  Khousopulos  Ahrenfisch.  Heldreich  82  bietet  nur  die 
Formen  ä^^egirög  und  ä&egvog  =  atherina  hepsetus.  Hoffinan- 
Jordan  252  f.  nur  ä^egha  mit  derselben  Erklärung  wie  Held- 
reich.   Prodromos  V.  176  erwähnt  ßieydXaig  äd-egiraig, 

Z.  20.  Tgvyova.  Agr.  rgvyciv,  6vog  Turteltaube;  Stachel- 
roclie.  Vgl.  Markellos  Sidites  Ilegl  rgvyovog  etc.  (Ideler  I 
135  ff.).  Manuel  Philes  IIeqI  rgvyövcov  'äalaoolcov,  De  anim. 
propr.  V.  1832  ff.  Kyraniden  S.  119.  Hoffman-Jordan  235  ff. 
240.  In  den  ngr.  Lexika  fehlt  TQvydvi  in  der  Bedeutung  , Fisch'; 
nur  Byzantios  notiert  (eldog  xpagiov)  lie  Agaxovi  und  s.  v. 
dgaxövi:  dragon  de  mer,  Tgvyaw  (17  ^alaoala)  CÖky  y^evoco, 
äVf  xa&üjg  Xeyei  6  raCfjg,  övofidCstai  xal  tjyv  arjjuegov  äxo/itrf 
Igvyovi)  raie  (la  venimeuse).  Damach  wäre  also  xgvydvi  in 
der  Bedeutung  , Fisch*  wohl  volksetymologisch  zu  dgaxon 
geworden.  Dass  aber  die  Form  jgvyova  noch  heute  von  einem 
Fisch  gebraucht  wird,  bestätigt,  worauf  mich  Amantos  hin- 
weist, Protodikos,  ^Ad/jvaiov  8,  285:  ^xgvydva,  ovtü}  xaX^tai  ir 
IJugcp  xal  ^LjuvQvtj  elöog  xi  oekaxiov'*^  (also  eine  Rochenart). 
Auch  Apostolides  (bei  Hoffman-Jordan  240)  führt  aus  Faros 
diesen  Fischnamen  an,  doch  in  der  schriftsprachlichen  Form 
xgvyihv. 


Das  mittelgriechische  Fischbuch.  373 

Z.  20.  'Piva.  Aubert- Wimmer  147.  Athenaeus  VE  112. 
Koraes  Xenokr.  Index  s.  v.  Bikelas228:  §lva  (ngr.)  raja  flos- 
sada.  Ho£fman -Jordan  236:  §lva  (ngr.)  squatina  squatina. 
Bjzantios:  §iva  .  .  .  raie  (boucl^e),  ange,  angelot.  Ylachos, 
Legrand,  Rhousopulos  geben  nur  ^ivrf  (§ivi)  =  Feile. 

Z.  20.  Bäte.  Vgl.  Aubert- Wimmer  145  f.  und  147.  Athe- 
naeus VII  26.  Koraes  Xenokr.  196  ff.  Ngr.  6  ßdxog  und  t6  ßaxL 
Bjzantios  s.  y.  ßdxog:  raie,  ronce  (Stachelroche).  Hoffman- 
Jordan  237  f. 

Z.  21.    7iQ6g  avxovg   ist  wohl  reflexiv  =  ngög  iavxovg  zu 

fassen,  ähnlich  wie  Z.  44  atfxov  im  reflexiven  Sinne  gebraucht  ist. 

Z.  24  f.    Tovg  ägxovxag  xal  fiyefiovag.    Vgl.  Du  Gange  s.  v. 

Zu  den   äQxovxeg  auch  Zachariae   von  Lingenthal,    Qesch.   d. 

griechisch-römischen  RecTits'  S.  265,  267. 

Z.  27.  voxaQioi.  Zur  Not  könnte  man  das  überlieferte 
xovdotoi  als  eine  volksetymologische  Metathese  von  voxdgioi 
betrachten.    Über  voxdgiog  =  ygafAfjiaxevg  vgl.  Du  Gange. 

Z.  27.  ol  nagdfiovai.  Scheint  eine  volkstümliche  Mascu- 
linisierung  statt  al  nagafxoval  (Leibwache).  Vielleicht  hat  der 
Autor  ol  jiagdßAovoi  geschrieben. 

Z.  27.  Kovßidig.  Agr.  xcoßiog  mit  dem  Demin.  xwßldiov 
Gründling.  Vgl.  Aubert-Wimmer  134.  Athenaeus  VII  83. 
Seth  59,  21  ff.  Prodromos  V,  574  (xcoßidia).  Eine  sonst  unbe- 
kannte Form  in  den  Kyraniden  S.  112,  7:  Ilegl  KQBIQN  fjxoi 
KOBENQN  (daraus  im  Index  fälschlich  ein  Nominativ  xoßEvg  ou 
'^oßiog),  Heldreich  86.  Hoffman-Jordan  274  f.  Als  ngr.  Form 
geben  Vlachos  und  Legrand  yovßldi,  Heldreich  ycoßiög  und 
y^oxoßtdg^  Apostolides  (bei  Hofiinan-Jordan)  xcoßiog  und  ycoßiog. 
Zur  Form  6  xovßidig  vgl.  die  Notiz  zu  Z.  12. 

Z.  28.  FaXia,  Agr.  6  yaleog  und  t)  yaUrj.  Aubert-Wim- 
mer 146.  Koraes  Xenokr.  Index  s.  v.  yakeög  und  yaXea.  Pro- 
dromos V.  574.  Ngr.  ij  yaXeid  Neunauge.  Heldreich  91. 
Bikelaa  228.    Hofiman-Jordan  234. 

Z.  28.  Zagydva.  Agr.  CcLoydvrj  angeblich  gleich  oagydvrj. 
Thesaurus.  Vgl.  auch  Du  Gange  s.  v.  Cf^gydvrj^  und  Koraes 
Xenokr.  S.  206.    Ngr.  ^  C^igydva  Meeraadel.  Vlachos.    Legrand. 


374  R,  Krumbacher 

Vgl.   Hoffinan*Jordan  249.     Das  Verhältnis   zu   oagylvog  und 
aagydg  ist  unklar. 

Z.  28.  ^ExyaQiq.  Zur  Deutung  des  Wortes  hilft  agr.  xaw; 
Squillenkrebs.  Vgl.  Auberi^ Wimmer  152  f.  Seth  60, 6  ff.  Koraes 
Xenokr.  191;  193.  Kyraniden  S.  112;  306.  Hoffman-Jor- 
dan  269  übersetzt  xaglde^  richtig  mit  »shrimps".  Ngr.  yaoida 
crevette,  ^crevisse,  Krabbe,  Flohkrebs  (Vlachos,  Legrand,  Rhou- 
sopulos).    Unklar  bleibt  nur  die  Vorschlagsilbe  ix. 

Z.  28.  ^Bygavlt},  Offenbar  =  agr.  SyyQavXig,  ecog.  Suidas: 
äq'vr].  ^  Ttagd  tüjv  jioXXdyv  Xeyo^hvi  iyygavXig.  Koraes  Xenokr. 
168  f.  Prodromos  V.  98:  fyygavXonaoxoqxiyov.  Amantos  ver- 
mutet Zusammenhang  mit  yavgog^  was  in  Kephallenia  ,eine 
kleine  Sardelle*  bedeutet.    NeoeXX.  ^AvdXexra  2,  186. 

Z.  29.  KovT^ovgiva.  Wohl  komponiert  aus  xourCoc  (xov- 
raog)  =  stumpf,  verstümmelt  und  dem  Fischnamen  giva  (s.  c), 
nicht  etwa  aus  x,  -f-  gig,  giv6g;  also  etwa  Stumpfroche.  Das 
Wort  fehlt  aber  in  den  Wörterbüchern  und  der  Hilfsliteratur 
und  ist  also  zoologisch  nicht  bestimmbar.  Ein  altes  Kompo- 
situm von  giva  ist  givoßaxog. 

Z.  29.  Aaxegia.  Ein  offenbar  nur  zufallig  früher  nicht 
belegtes  (wenigstens  im  Thesaurus,  bei  Kumanudes,  Sophocles, 
Du  Gange  fehlendes)  lateinisches  Lehnwort.  Lacerta  heisst  ausser 
Eidechse  auch  ein  der  Makrele  ähnlicher  Seefisch,  Stöcker. 
Ngr.  Xaxigda  thon  sal(S.  Vlachos.  Xaxigda  et  Xaxiidga  thon 
marinö.    Legrand.   Vgl.  Koraes  Xenokr.  S.  60. 

Z.  29.  Avxvog.  Agr.  und  ngr.  in  derselben  Form.  Held- 
reich 81  erklärt:  Uranoscopus  scaber.  Näheres  bei  Hoffman- 
Jordan  272,  wo  das  Wort,  wohl  ohne  Grund,  Xixvog  geschrieben 
ist.  Vgl.  Koraes  Xenokr.  S.  69.  Vlachos  erklärt  Xvxvog  rat 
de  mer. 

Z.  29.  2!xogmdiv,  Schon  agr.  oxognlog  und  axognk  be- 
deuten ausser  „Skorpion*  auch  einen  Fisch  (vgl.  Aubert- Wim- 
mer 140),  ebenso  ngr.  axogmog,  axognlva  und  axögnaiva  = 
scorpaena  scrofa.  Heldreich  86.  Hoffman-Jordan  274.  Vlachos 
s.  V.  oxöpTiaiva. 


Das  müiehjriechisclie  Fisciibuch,  375 

Z.  29.  'AvtaxooxvXos.  Nirgends  zu  belegen  und  zoologisch 
nicht  bestimmbar.  Das  Wort  ist  offenbar  Kompositum  aus 
ävraxmog  (sturionum  maxima  species,  acipenser  huso.  Thesaurus) 
und  axvlog.  Zur  Schreibung  -axtilog  vgl.  die  Notiz  S.  372  oben. 
Zum  Begriff  «Hund**  in  Fischnamen  vgl.  ngr.  oxvlörpaQov 
chien-marin  (Hundshai).  Heldreich  91.  Hoffman- Jordan  233  f. 
Z.  30.  ZavQldiv.  Zu  agr.  aavqog^  über  den  Athenaeus  YU 
120  handelt;  auch  oavglg,  tdog,  nach  Suidas  sldog  Ix^dtoif, 
aavQog  de  6  lx;dvg.  Die  Deminutivform  schon  bei  Prodromos 
V.  222:  yu^  vavgio  xäv  aavglöiv.  Ngr.  aavgldi  saurel,  Vlachos, 
Legrand;  Stachelmakrele,  Khousopulos;  Trachurus  trachurus, 
Hoffman-Jordan  257. 

Z.  30.  'Axeit.  Ngr.  gewöhnlich  t6  xiXi  (agr.  iyxii'Biov). 
Zur  Erklärung  des  prothetischen  a-  vgl.  Karl  Foy,  Griechische 
Vokalstudien,  Bezzenbergers  Beiträge  12  (1886)  38  ff.;  Hatzi- 
dakis,  Einleitung  S.  325  ff.    Vgl.  Hoffman-Jordan  244  f. 

Z.  30.  *OajiAaQida,  Agr.  ij  ofxaQig,  löog  „pusillus  quidam 
piscis*  etc.  Thesaurus.  Auch  Aubert- Wimmer  140  geben  keine 
sichere  Bestimmung.  Spätere  Form  fiagig  z.  B.  Kyraniden 
S.  115;  270.  Im  Ngr.  besteht  die  Form  ajuagida  neben  /ixagida, 
Vlachos  übersetzt  picarel  (=  Stint),  Legrand  fretin,  petit  poisson, 
Khousopulos  Stint.  „Smaris  vulgaris  C.  Sfiagida  ou  Magida 
(collectif  pour  toutes  les  especes)".  Heldreich  85.  Aehnlich 
Hoffman-Jordan  267.  Vgl.  Aubert-Wimmer  140.  Zum  pro- 
thetischen o-  vgl.  die  Notiz  zu  Z.  12. 

Z.  32.  xXorCdTcov.  S.  Du  Gange  s.  v.  xkoT^äv,  Die  Ety- 
mologie ist,  m.  W.,  nicht  gefunden.  Vielleicht  besteht  irgend 
ein  Zusammenhang  mit  it.  calce,  calza,  wozu  die  Bedeutung 
(«calcibus  ferire*)  gut  passen  würde.  Orthographische  Vari- 
anten sind  xlan^cb,  xXanacb.  Dagegen  beruht  die  Schreibung 
mit  -öT-  bei  Prodromos  V.  385  (ed.  Legrand  S.  66):  nojg  xorg- 
toi/fovv  ißjLvoara  xal  xqovoiv  xal  xkiooTara  (Hs:  xkomdra) 
wohl  auf  einem  Versehen  des  Schreibers  und  es  ist  xloTodia 
in  den  Text  zu  setzen. 

Z.  32.  TVfjmavioTQiayv,  Diese  Form  als  Gen.  PL  von  tv/u- 
navirngia  , Paukenschlägerin''  zu  fassen,  verbietet  der  Zusammen- 


376  K,  Krumbacher 

hang.    Zur   Not   könnte   die   Form   als  Gen.  Plur.   (mit  Yer- 
schleifung)   eines  Substantivs   *  rvßmavlarQiov  (etwa  =  rvfimi' 
via  flog)   erklärt  werden;   doch   ist   eine  solche   Bildung  oline 
rechte   Analogie   und    wenig   wahrscheinlich.     So   wenig  nun 
auch   die  überlieferte   Form  befriedigt,   so  bedenklich  ist  es« 
tiefer  eingreifend  zu  ändern  und  etwa  xvßiTidvayv,  rv/jmavuffim 
oder  Tvfjuiaviofxdxoiv  zu  schreiben.     Leichter  ist  über  die  Be- 
deutung des  Wortes  ins  Klare  zu  kommen.    Wie  die  ursprüng- 
liche Form  auch   gelautet   haben   mag,   das  Stammwort  xipi' 
navov  ist  hier  offenbar  nicht  als  Musikinstrument,   sondern  in 
jener  schmerzlichen  Bedeutung  zu  verstehen,  die  z.  B.  Lukian 
im  Sinne  hat,   wenn  er  {Kaxanlovg  fj  TvQawog  Eap.  6)  xok 
ix  tvßÄTzdvov  nennt.     Dass  der  Begriff  , Prügeln*  auch  später 
noch   mit  Tvjümavov  und  tvjLmavlCü)   verbunden   wurde,   zeigen 
die  bei  Du  Gange  angeführten  Stellen. 

Z.  32.  MaCöv.  Ein  lehrreiches  Beispiel  dafür,  welche 
Raritäten  im  ngr.  Wortschatze  verborgen  liegen.  In  der  alten 
Literatur  konnte  ich  trotz  allem  Suchen  keinen  anderen  Beleg 
finden  als  die  schon  im  Thesaurus  verzeichnete  Stelle  des  E pi- 
charm (bei  Athenaeus  VII  119):  ovvaygldag  fia^ovg  re  m^v- 
ödoj'idg  t'  ^Qv^QOTioixUovg. 

Bei  Kumanudes,  Sophocles,  Du  Gange  und  in  den  von 
mir  benützten  ngr.  Wörterbüchern  fehlt  das  Wort,  und  so 
stellte  ich  schon  Betrachtungen  über  die  Quelle  an,  aus  der 
0  das  Epicharmische  Wort  geschöpft  habe.  Da  stiess  ich  in 
der  unerschöpflichen  Fundstätte  der  alt-  und  neugriechischen 
Ichthyologie,  im  Xenokrates  des  Koraes  (S.  86)  auf  den  Nach- 
weis, dass  fia^ög  in  der  ngr.  Volkssprache  wenigstens  noch  zur 
Zeit  des  Somavera^)  (also  um  1700)  als  Fischname  gebräuchlich 
war.    Vielleicht  besteht  er  dialektisch   noch   heute.     Das  alte 


^)  Die  ungeheuere  Seltenheit  des  unentbehrlichen  Wörterbuchea  von 
Somavera,  das  z.  B.  ich  trotz  zwanzigjähriger  Bemühung  mir  nicht  ver- 
schaffen konnte,  trägt  die  Schuld,  dass  das  in  ihm  gesammelte  Sprach- 
material in  der  Foiachung  viel  zu  wenig  benützt  wird.  Leider  kann 
ich  es  gegenwiirtipf  auch  nicht  einsehen,  weil  es  durch  einen  tückischen 
Zufall  iu  unserer  Staatsbibliothek  nicht  zu  finden  ist. 


Das  mittelgriechisehe  Fischbuch,  377 

fiaCdg  wird,   wohl  ohne   genügende  Gewähr,   mit  /mCtvtjg  und 
fjiaCiag  identifiziert  und  darnach  „eine  Art  Kabeljau'  übersetzt. 

Z.  48.  iyXvofjg.  ^EyXvco  wird  im  späteren  Mittelalter  in 
demselben  Sinne  , entrinnen*  gebraucht  wie  heute  (und  auch 
schon  damals)  tyXvrcivco,  yXvr(ov(o,  Das  letztere  Wort  kommt 
aber  auch  in  transitiver  Bedeutung  „erretten*  vor,  z.  B.  im 
Spruche:  'Av  fxe  yXvxcborjg,  vd,  ßdXco  rd  Ifxdxidv  aov,  Krum- 
bacher, Mittelgr.  Sprichwörter,  München  1893,  S.  83.  Einige 
Beispiele  für  yXvoj  zitiert  Du  Gange  unter  dem  in  yXvco  zu 
korrigierenden  Lemma  yXvCco.  Ebenso  ist  dortselbst  das  Lemma 
ylncovo)  in  yXvx<&v(o  zu  bessern.  Zur  Erklärung  der  Formen 
Ygl.  Koraes,  "Araxra  1  (1828)  294  f.;  2  (1829)  92  f.  Chatzi- 
dakis,  Uegl  qy&oyyoXoyMwv  vö/bicov,  Athen  1883,  S.  6.  Über  seine 
gegenwärtige  Ansicht  schreibt  mir  Ghatzidakis:  /H  yvcö/urj  fiov 
eirat,  Sri  yXvr(6v(o  nQorjX'&ev  Ix  rov  jüteoaicovixov  evXvröco 
xnl  Tov  ägxalov  iyXvo),  o  xal  arffAtgov  hi  Xeyexai  SyXvaa, 
vä  yXvaco,  ijxoi  evXxndct)  —  (l)ßXvxcov(o  +  yXvco  =  yXvxcovco 
xaxä  ovjUfptyQoiv'* . 

Z.  49.  g?6Xiv.  Sowohl  die  Schreibung  <p6Xig  als  die  dem 
lateinischen  foUis  folgende  g?6XXig  ist  berechtigt.  Über  diese 
und  andere  Formen  des  Wortes  vgl.  Du  Gange  und  Sophocles. 
Der  (oder  die)  FoUis  ist  in  der  ganzen  byzantinischen  Zeit  als 
kleinster  Münztypus  (Heller)  sprichwörtlich.  So  sagt  Prodro- 
mos  V.  555:  xal  negnaxib  xal  TiQoaaixcb  xal  cpöXiv  ov  Xajußävco. 
^gL  ebenda  V.  272.  Ein  mgr.  Sprichwort  lautet:  Olxovojutij&r] 
fj  'Ayla  2oq)ia  fxk  xfjg  (poXiov  x6  Xddiv,  Krumbacher,  Mgr. 
Sprichwörter  S.  123;  192. 

Z.  50.  ßgcofiiagsag.  Auffalliger  Weise  wird  hier  ^  ßgco- 
fiiaoia  wie  ngr.  ^  ßq&fAa  als  Subst.  =  „Gestank'*  gebraucht. 
Bei  Prodromos  steht  die  Form  zweimal  adjektivisch  und  zwar 
wie  im  0  vom  Übeln  Fischgeruch: 

xal  t6  TtaXafitddxofifAav  xal  ff  iWi^a  fj  ßgcofiiagea  (V.  102). 
fj  TiaXa/budav  fj  axav/umglr  i}  ^vvvav  ßgco/niageav  (V.  223). 

Dazu  noch  als  Masc.-Neutrum  ßQcojLudgrjv,  was   aber  richtiger 
ßqiüiudgiv    geschrieben    würde:    äonaoxgov,    ä^voxov,    oaxXov, 


378  K,  Krumbacher 

ävdXarov,   ßgcojuudQfjv  (sc.   ^wydHOfifwv)   (V.  225).     Das  ngr. 
Substantiv   fi  ßgeoßjia  ist  Postverbalbildung  von  ßgc^fub  (TgL 
Hatzidakis,   Einleitung   S.  95).     Andere   ngr.  Bildungen  sind 
ßgco/ilCo),  ßQWfuajuivog  (schon   bei  Prodromos  V.  321   iWmiy 
rriv  ßQcoßiiaßiivrjv)^  ßgoo/xegdg  u.  s.  w.     Nirgends  ist,  soweit  ich 
sehe,  die  schwankende  Orthographie  des  Wortes  näher  geprüft 
worden.   In  der  ältesten  Hauptstelle,  Aristoteles  Tiergeschichte  6, 
173   wird   das  Wort   mit  a>  geschrieben  (es  heisst   dort  Tom 
brünstigen  Hirsche:  xal  ßgoy^äxai  äoneg  ol  rgäyoi).    Dagegen 
bieten   die  Ausgaben   an   den   zwei  Stellen   der  LXX  ßgoßio; 
(Job  VI  7  ßgS^ov  ycLQ  ögci  rd  aiid  fiov  djaneg  doßiijv  Xiovxo; 
und  Joel  U  20  xal  ävaßijoeTai  ^  oangta  amov  xal  ävaß^aexai, 
6  ßgößiog  airrov).     Bei  den  Späteren  aber  herrscht  wieder  die 
Schreibung  mit  a>.    Vgl.  den  Thesaurus,  Sophocles,  Du  Gange, 
Bjzantios.     Da  es  sich   zweifellos   um  dasselbe  Wort  handelt, 
ist  die  Durchführung  einer  einheitlichen  Schreibung  geboten. 
Zunächst  wäre  zu  untersuchen,  wie  es  sich  an  den  Stellen  bei 
Aristoteles  und  in  der  LXX   mit  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung  verhält.      Auf  grund    der   Etymologie   scheint   eine 
Entscheidung  nicht  möglich. 


Berichtigung. 
S.  355  Z.  8  ▼.  u.  ist  statt:  der  Pulologos  zu  lesen:  das  Vierfusfilerbuch. 


Das  miUelgTieehMche  FisMmeh, 


379 


Register. 

Dio  Zalilon  bexiefaen  sich  anf  dio  Seitoo. 


Ämter,  byzantinische  854  f.,  860. 

Akzent  870. 

Fuche,  Autoren  über  856  ff. 

Koraes  856  f. 

Kydones  Demetrios  846. 

Kjraniden  357. 

Lexika,  griecbische  857  ff. 

Lexikographie,  neugriechische  3G0. 

Ljbistros  und  Rhodamne  846. 

Maraslis  359,  Anm.  8. 

Phjsiologus  848. 

Porikologos  846,  848  ff. 

Pulologos  346  f.,  348  f. 

Thomas  von  Aquino  346. 

Titel,  byzantinische  354  f.,  860. 

Vierfösslerbuch  848  f. 

Warangen  358. 

a-  prothetisch  875. 

aOegtra,  d^egirog  u.  s.  w.   372. 

arxcLx6oxvXog  875. 

aQxorxts  373. 

aoxoHdi  370. 

hi^  875. 

t  ßagoafiexovfive  871. 

ßdxog  873. 

t  ßooHarog  371. 

ßQ<o/i&  u.  8.  w.  =  ßgofAKo  877. 

yalia,  yaX€<k  u.  8.  w.  873. 


Y^dvsog,  yXdvog  u.  s.  w.  867. 

yXvo},  y^vrcüvco  877. 

yovXiavög  s.  ylaveog. 

dganovi  872. 

eykvfo,  iyXvr(ov(o  877. 

eygavXrj  374. 

exyagtg  374. 

exagxog  371. 

InixsQVTjg  867. 

^aQydva  873. 

fjaxa  871  f. 

^wa  370. 

taxa  371. 

xaglg  374. 

xEtpaXog  367. 

xfjtog,  6  366. 

xXox^dxov  375. 

xXmaxdxa  emendiert  375. 

xoßevdg  (?)  373. 

xovßidig,  xcoßidg  u.  s.  w.  873. 

xovx^ovQiva  374. 

xxivtov  869. 

Xaßgdxtoy  867. 

XaßgaxoxovQva  368. 

Xaxigxa,  Xaxegda  u.  s.  w.  874. 

Xeitpa^ovyyiog  868  f. 

XoyaQäg  367. 

Xvxvog  874. 

ixa^og  376. 


380 


K,  KrumhaekeTf  Da»  miUelgrieMMhe  Fischbueh. 


/iagig,  fiaglda  375. 

fivdi  369. 

voxdgioi  373. 

o-  prothetisch  369,  375. 

dfivdiov  369. 

Sgxvvog,  dgxvvoq  366. 

60/iaßida  375. 

dcTQEldiov  368. 

'OyfaQäs  347,  Anm.  2. 

^yfov  347,  Anm.  2. 

Jidyyovpoff  =  jidyovQog  369  f. 

nagdfiovai  373. 

jr^eoToordra)^  U.  ;r^a)ro0T^dr€o^  366  f. 

Qiva  373. 

oavQidiv  375. 


axoQxi^iv  374. 
ofjiaßlQ  375. 
OToxdff  370. 
avaxiov  368. 
awayßida  368. 
rf^^of  368. 
toviva,  xowlva  370. 
rov^va  371. 
TQtxeog  =  TQixidg  369. 
T^vydva  372. 
TVfixaviaxßtov  (?)  376. 
vaxo  371  f. 
qtMfAtfla  372. 
^d>le;,  ^pojliliff  377. 
xfnjaoioVf  yftfooi  367. 


Inhalt. 


Seite 

1.  Die  Überlieferung  und  literarhistorische  Stellung  des  Fisch- 
buches         845 

II.   1.  Text  der  Escurialhandschrift 361 

2.  Deutsche  Übersetzung 363 

III.  Bemerkungen  zum  Texte 365 

Register 379 


381 


Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte. 

Von  W,  Christ. 

(Vorgetragen  in  der  phiIo8.-pliilol.  Klasse  am  13.  Juni  1903.) 

Die  Reihenfolge,  in  der  wir  heutzutage  die  Gedichte  des 
Theokrit  lesen,  war  nicht  die  gleiche  in  den  älteren  Ausgaben 
und  noch  weniger  in  den  Handschriften.  Auch  die  Zahl  der 
Gredichte  war,  selbst  abgesehen  von  dem  erst  neuerdings  durch 
Chr.  Ziegler  aus  dem  Cod.  Ambrosianus  75  (c)  ans  Tageslicht 
gezogenen  30.  Qedicht,  nicht  zu  allen  Zeiten  die  gleiche.  Die 
Zahl  von  30  Gedichten  und  die  jetzt  in  den  Drucken  befolgte 
Ordnung  rühren  von  der  Ausgabe  des  Henr.  Stephanus,  1566, 
her;  in  den  vorausgehenden  Ausgaben  las  man  teils  mehr,  teils 
weniger  Gedichte:  die  älteste  zu  Mailand  1480  erschienene  Aus- 
gabe hatte  18  Nummern,  die  Aldina  30,  36  die  von  dem  Griechen 
Kalliergos  besorgte  römische  Ausgabe  von  1516.  Es  kommt 
mir  nicht  in  den  Sinn,  an  der  jetzigen  Ordnung  etwas  zu 
ändern,  so  ungeschickt  sie  auch  zum  Teil  ist.  Derartige 
Änderungen  erhöhen  nur  die  Unordnung  und  erschweren  die 
Benützung;  aber  es  lohnt  sich  doch  Einblick  in  den  Ui*sprung 
der  Ordnung  und  die  dabei  befolgten  Gesichtspunkte  zu  erhalten. 
Dieses  um  so  mehr,  als  mit  der  Ordnung  und  Zahl  der  Gedichte 
auch  die  schwierigen  und  verwickelten  Fragen  über  die  Echt- 
heit der  einzelnen  Gedichte  zusammenhängen.  Zur  Losung 
dieser  Fragen,  deren  Schwierigkeit  in  unserer  Zeit  durch  die 
zunehmende  Kühnheit  und  Willkür  der  Kritiker  erheblich  ge- 
wachsen ist,  müssen  freilich  in  erster  Linie  andere  Dinge,  die 


382  W.  Chnst 

Eigentümlichkeiten  der  Sprache,  die  Besonderheiten  der  metrischen 
Kunst,  die  Anzeichen  der  Nachahmung,  herangezogen  werden, 
aber  eine  Rolle  und  eine  nicht  unbedeutende  spielt  dabei  auch 
die  Stellung  und  Reihenfolge  der  Gedichte  in  den  verschiedenen 
Ilandschriftenklassen.     Dabei    lässt   es   mir   die   Schwierigkeit 
der  Sache  erwünscht  erscheinen,  nicht  im  Zusammenhang  und 
gewissermassen   abschliessend   von   der   überlieferten    Ordnung 
der  Gedichte  Theokrits  und  seiner  Nachfolger  zu  handeln.    Ich 
ziehe  es  vor,  die  Hauptfrage  in  mehrere  Einzelfragen  aufeu- 
lösen  und  so  erst  nach  und  nach  festeren  Fuss  zu  fassen.    Der 
Heptas  antiquarisch-philologischer  Miszellen,  die   ich  vor  ein 
paar  Jahren  in  diesen  Blättern  geliefert  habe,  lasse   ich  hier 
eine  zweite  nachfolgen,  die  sich  aber  ausschliesslich  um  eine 
Sache  und  einen  Autor  dreht.     Möge  es  mir  glücken,  in  der 
Theokritphilologie,  die  in  unserer  Zeit  durch  leichthin  geglaubte 
Hypothesen  stark  ins  Schwanken  geraten  ist,  wenigstens  einige 
Punkte  sicher  zu  stellen. 

1. 
Die  Preisgedichte  auf  Ptolemaios  und  Hieron. 

Ist  der  Lobpreis  auf  Ptolemaios  (iyxcS/Luov  elg  TlroXtfxdioYy 
ecl.  17)  vor  der  Anfrage  an  Hieron  (XdQixEg,  ecl.  16)  gedichtet 
oder  umgekehrt,  ist  eine  Kardinalfrage  für  die  Geschichte  des 
Lebens  und  der  Poesie  Theokrits.  Ihre  Beantwortung  hängt 
wesentlich  von  historischen  Erwägungen  ab,  die  vorzüglich  die 
Agyptologen  zu  lösen  haben.*)  Aber  auch  die  Aufeinander- 
folge der  beiden  Gedichte  ist  von  einiger,  wenn  auch  nicht 
entscheidender  Bedeutung.  Hatte  also  ursprünglich  das  Gedicht 
an  Hieron  seine  Stelle  vor  dem  an  Ptolemaios  oder  umgekehrt? 
Zur  Beantwortung  dieser  Frage  sind  die  Ausgaben,  in  denen 
durchweg  der  Hieron  vor  dem  Ptolemaios  steht,  bedeutungslos; 
in  Betracht  kommen  nur  die  Handschriften;  diese  aber  weichen 


')  Aus  neuester  Zeit  Prott,  Jas  Enkomion  «V  nrolrfiaToy,  Rh.  M.  53, 
460  ff.;  Cholmeley,  Ausgrabe  1901,  p.  3. 


Die  überlieferte  Auswahl  iheokritiscker  Gedichte.  383 

in  diesem  Punkte  stark  von  einander  ab.     Es  steht,   um  nur 
die  massgebenden  Handschriften  anzugeben,^) 

Hieron  vor  Ptolemaios  in  a  s, 
Ptolemaios  vor  Hieron  in  k  L. 

Getrennt  von  einander  durch  Zwischenglieder  sind  unsere 
beiden  Gedichte  in 

28  M  c:  16,  25,  Mosch  4,  Th  17, 
9:  17,  1—14,  2,  Mosch  3,  Th  16, 

D:  16,  29,  epigr 17,  18,  15, 

P:  17,  Mosch  3,  Th  16. 

Es  fehlen  16  und  17  ganz  in  6  und  G,  blos  17  in  11. 
Es  gehen  also  in  der  Folge  der  Gedichte  16  und  17  unsere 
Uss  in  zwei  Hauptklassen  auseinander,  indem  in  der  einen  16 
vor  17,  in  der  andern  17  vor  16  steht.  Für  die  Frage,  welches 
der  beiden  Gedichte  ursprünglich  den  ersten  Platz  gehabt  habe, 
führt  die  Berücksichtigung  der  Majorität  nicht  zum  Ziel,  da 

^)  Zum  leichteren  Verständnis  {^ebe  ich  hier  fiir  die  ganze  Abhand- 
lung eine  Deutung  der  angewandten  Siglen,  indem  ich  mich  ganz  an 
die  Ausgaben  von  Ahrens  und  Ziegler  halte: 

k  =  Ambros.  222,  saec.  XIII,  Kl.  II, 
a  =  Ambros.  32,  saec.  XII I,  Kl.  I, 
c  =  Ambros.  75,  saec.  XV,  Kl.  IV  a, 
p  =  Laurent.  32,  37,  saec.  XIV,  Kl.  la, 
s  =  Laurent.  32,  16,  saec.  XIV,  Kl.  la, 
6  (h)  =--  Vat.  913,  saec.  XIII  =  h  Ziegl.,  Kl.  III  a, 
9  (m)  =  Vat.  915,  saec.  XIII  =  m  Ziegl.,  Kl.  IV a, 
11  =  Vat.  1311,  saec.  XV,  Kl.  IVa, 
23  =  Vat:  1825  und  1826,  saec.  XIV,  Kl.  IV, 
D  =  Paris.  1726,  saec.  XIV,  Kl.  III, 
L  =  Paris.  2831,  saec.  XIV,  Kl.  la, 
M  =  Paris.  2832,  saec.  XIV,  Kl.  IV, 
P  =  Paris.  2835,  saec.  XIV,  Kl.  Ja, 

Q  =  Paris.  2884  und  1298  unvollständig,  zu  Kl.  la  oder  IV. 
lo  der  Nummerierung  der  Gedichte  des  Theokrit  und  ebenso  des  Moschoa 
und  Bion  folge  ich  gerade  so  wie  vor  mir  Hiller  der  Vulgata,  da  die 
Abweichungen  von  Ahrens  nur  geeignet  sind,  Verwirrung  zu  stiften.  Die 
Bedeutung  der  Klassen  I— IV,  denen  die  einzelnen  Hss  zugezählt  sind, 
wird  aus  Kapitel  6  und  7  erhellen. 


384  W,  Christ 

zwar  etwas  öfter  16  vor  17  als  17  vor  16  steht,  aber  für  die 
zweite  Stellung  das  Gewicht  des  besten  Codex,  des  Mediol.  k 
in  die  Wagschale  fallt.    Wollen  wir  daher  sehen,  ob  zur  Klärung 
nicht  noch   ein  anderes  Moment  herangezogen   werden  kann. 
Dieses   andei*e   Moment  finde  ich   in   dem   nachfolgenden 
Gedicht  ecl.  18,  'Ekhrjg  ini&ald/uog.     Die  Anthologie  theokri- 
tischer Gedichte  war  nämlich  ursprünglich,  wie  sich  das  gleich 
nachher   noch   klarer   zeigen  wird,   von   kleinem  Umfang;  sie 
wurde  im  Laufe  der  Zeit  grösser  und  immer  grosser,  bis  gegen 
Ende  des  Mittelalters  der  Umfang  wieder  abnahm,  so  dass  wir 
im  15.  und  16.  Jahrhundert  den  vielen  Handschriften  mit  nur 
10  oder  8  Gedichten  begegnen.     Das  Anwachsen  nun  geschah 
auf  doppelte  Weise.     Die   einfachste   war,    dass   Freunde   der 
theokritischen  Muse  noch  ein  und  das  andere  Gedicht,  das  ihnen 
besonders  gefiel,  am  Schlüsse  ansetzten.     Es  konnte  aber  auch 
einer  mit  Kücksicht  auf  den  Inhalt  das  neue  Gedicht,  statt  es 
hinten  anzufügen,  in  der  Mitte,  an  der  Stelle,  wo  es  am  besten 
hinpa&ste,    einlegen.     Unsere   beiden  Gedichte  16  und  17   nun 
sind   gewiss   erst   sputer  hinzugefügt  worden;    sie    gehören  ja 
nicht   zu  den  Hirtenliedem,   die  den  Theokrit   zu  seinem  An- 
sehen bei  Mit-  und  Nachwelt  brachten.     Sind  dieselben  nun, 
fragen  wir,  hinten  zugesetzt,  oder  mitten  eingeschoben  worden? 
Ich  habe  schon  gesagt,  das  hänge  von  dem  18.  Gedichte,  dem 
Epithalamius  auf  die  Hochzeit  der  Helena,   ab.     Dasselbe  ist 
hübsch,    aber   keineswegs   so    hervorragend,    dass   es    für  sich 
einen  Ehrenplatz   verlangen   konnte,    wie   wir  dieses    von   den 
Adoniazusen    etwa    begi'eifen    würden.      OflPenbar    hat    es    mit 
andern    zusammen   einen  Platz   in   dem  Halsband   der  theokri- 
tischen Muse  erhalten.     An   nachfolgende  Gedichte   hatte  aber 
das   achtzehnte   keinen   Anschluss,    aus   dem   einfachen  Grund, 
weil  die  alte  Sammlung  nur  18  Gedichte  umfasste,  und  es  so- 
mit selbst  ehedem  am  Schluss  der  Sammlung  stand.    Auch  das 
wird  sich  weiter  unten  noch  klarer  zeigen,  es  möge  aber  jetzt 
schon  darauf  hingewiesen  werden,  dass  eine  Anzahl  von  Hand- 
schriften und  nicht  die  schlechtesten  nur  die  ersten  18  Gedichte 
enthalten.    Aber  auch  nachdem  die  Auswahl  von  18  Gedichten 


Die  iU>erliefefie  Atuwakl  theokrüischer  Gedichte,  385 

erweitert  worden   war,    schlug    sich    keine   Brücke    von    dem 
18.  Oedicht  zu  dem  neuen  Ansatz.    Der  älteste  Ansatz  bestand 
nämlich   aus    Liedern    (jiiXrj)^    die    nach    den    Inhaltsangaben 
{vnoMoeiq)  ehedem   unmittelbar   auf  das   18.  Gedicht   folgten 
und  in  den  jetzigen  Ausgaben  die  Nummern  28 — 30  führen. 
Diese  Lieder  sind  aber,   entsprechend  ihrer  Anlehnung  an  die 
Poesie  des  lesbischen  Dichterpaares,   in  äolischem  Dialekt  ge- 
schrieben, während  der  Dialekt  des  18.  Gedichtes  der  dorische  ist. 
Also  jedenfalls  hatte   das  18.  Gedicht   weder  im  Anfang 
noch  später  einen  Anschluss  an  nachfolgende  Gedichte.    Kam 
also  dasselbe  auch  nicht  als  ein  fiir  sich  stehendes  Gedicht  in 
die  Sammlung  theokritischer  Gedichte,   so  muss  es  einen  An- 
schluss  an    vorausgehende   Gedichte    gehabt    haben.     Mit   den 
aber  jetzt   unmittelbar  vorausgehenden   Gedichten  16   und  17 
hat  es  ganz  und  gar  keine  Berührung;  denn  was  hat  ein  Hoch- 
zeitsUed  auf  die  Helena  des  Mythus  mit  Preisliedem  auf  Könige 
der  Gegenwart,  Hieron  und  Ptolemaios,  zu  tun?     Wohl  aber 
reiht  sich  das  18.  Gedicht,  wenn  auch  nicht  eng,  so  doch  ganz 
leidlich  an  die  jenen  Preisliedern  vorausgehenden  Gedichte  der 
Sammlung  an.     Denn  die  Erotik  spielt  auch   in   den  Adonia- 
zusen  (15),  der  Kyniska  (14)  und  noch  mehr  in  dem  Hylas  (18), 
dem  Aites  (12)  und  dem  Kyklops  (11)  eine  Rolle.     Ganz  ver- 
ständlich also  ist  die  Reihenfolge  11,  12,  13,  14,  15,  18.     Ist 
dieses  aber   richtig,   dann  sind   die  Gedichte  16  und  17   so   in 
die  ältere  Sammlung  gekommen,   dass  sie  nicht  hinten  ange- 
f&gt,  sondern  mitten  eingeschoben  wurden  zwischen  15  und  18. 
Dafür  haben  wir  nun  sogar  noch  ein  handschriftliches  Zeugnis. 
In  dem  alten  Yatikaner  Cod.  6   stehen   nämlich   folgende  Ge- 
dichte in  folgender  Ordnung:  1—15,  18,  Mosch  1,  Th  28,  29. 
Hier  fehlen  also  die  Gedichte  16  und  17  ganz^)  und  ich  wage 
diesen  Bestand  auf  eine  Zeit  zurückzuführen,  in  der  die  beiden 
Preislieder  noch   keine  Aufnahme   in  die  Sammlung  gefunden 
hatten.    Ich  sehe  zweifelnde  Gesichter  und  muss  selbst  zugeben, 

*)  Ebenso  fehlt  16  und  17  in  dem  jüngeren  Par.  G.  Dass  in  p  die 
Schollen  zu  16  und  17  fehlen,  bemerkt  Ahrens  II,  p.  XIV  sq.,  was  viel- 
leicht auch  damit  in  Zusammenbang  steht. 

IMS.  Bitsgsb.  d.  philo8.-phUoL  iL  d.  bist.  Kl.  26 


386  W.  Christ 

dass  der  bezeichnete  Tatbestand  auch  durch  absichtliche  Aus- 
scheidung der  beiden  Preisgedichte  herbeigeführt  werden  konnte. 
Aber  wenn  auch  nicht  alle  meinen  Glauben  teilen,  so  bleibt 
doch  in  der  Hauptsache  meine  Argumentation  unerschQttert; 
wir  entbehren  dann  bloss  eines  äusseren  Zeugnisses  der  Über- 
lieferung. 

Nun  erst  können  wir  zu  dem  Punkt   zurückkehren,  Yon 
dem  wir   ausgegangen  sind.     Sind   nämlich   die   Gedichte  16 
und  17   zwischen   15   und   18   eingeschoben   worden,   so  stellt 
sich   von  selbst   die  Frage,    was   war   denn   der  Grund  dazu? 
In  der  Bitte  an  Hieron  (16)  wird  auch  ein  Argusauge  keinen 
Grund  erspähen  können,  aber  hell  zutage  liegt  ein  solcher  in 
dem  Preislied   auf  Ptolemaios.     Das   14.  und  15.  Gedicht  be- 
ziehen sich  auf  ägyptische  Verhältnisse  und  dienen   der  Ver- 
herrlichung des  Hofes  von  Alexandrien.     Was  lag  also  näher 
als   dass   ein  Grammatiker   die   Leser   auch   mit   dem   Gedicht 
bekannt   machen  wollte,   durch   das   der  Dichter   sich  Zugang 
zu  dem  Herrscher  Ägyptens  verschaffte?     Er  erweiterte  also 
die  Sammlung,    indem   er   das   iyxwjLuov   ek   Utolefialov  (17) 
nach  den  Gedichten  14  und  15  einlegte.     Dieses  Preislied  auf 
Ptolemaios   hat   dann   erst   das  Gedicht  an  Hieron    nach  sich 
gezogen.     Auch  das  ist   leicht  verständlich.     Das  Wirken  des 
Dichters  spielte  sich  an  den  Höfen  des  Ptolemaios  und  Hieron 
ab;   Sizilien  war  sogar  das  Land,   von  dem  der  Hirtengesang 
ausgegangen   war   und   in  dem   er  sich  auch  nach   dem  Tode 
des  Theokrit  noch   forterhielt.     Was  war   da   natürlicher  als 
dass  ein  Redaktor  das  Gedicht  an  Ptolemaios  nicht  vereinsamt 
stehen  liess,  sondern  ihm  noch  das  an  Hieron  zugesellte?    Und 
da  nun  einmal  Sizilien  der  Hauptort  der  Hirtenpoesie  war,  so 
ist  es  auch  nicht  zu  verwundeiii,  dass  einige  Abschreiber  sogar 
dem  Gedicht  an  Hieron,  den  König  von  Syrakus,  den  Vorzucj 
gaben    und   es   vor   das  Preislied   auf  Ptolemaios   setzten,   im 
weiteren    Fortgang   sogar    das   letztere   ganz    fallen    liessen.^) 

^)  Das  war  der  Fall  im  alten  Teile  von  p  und  wahrscheinlich  aucb 
in  der  Vorlage  von  9  und  P. 


Die  Überlieferte  Auswahl  iheokritischer  Gedichte.  387 

Wir  wundem  uns  darüber  um  so  weniger,  da  wir  auch  den 
dichterischen  Preis  dem  16.  Gedicht  vor  dem  17.  geben:  dort 
beim  Preis  des  schönen  Heimatlandes  pulsiert  frisches  Leben 
in  dem  Herzen  des  Dichters,  hier  im  Lobe  des  Königlichen 
Herrn  fDhlt  man  aus  den  geschraubten  Versen  den  Zwang 
heraus,  den  sich  der  Dichter  um  der  Hofgunst  willen  antun  musste. 

2. 

Die  Hymnen  des  Theokrit  nnd  die  anechten 

Heraklesgedichte. 

Das  Enkoraion  auf  Ptolemaios  schliesst  mit  den  Versen 

XäiQ£  ayaf  IIxokEfiaie'  oi&ev  S*  iyo)  loa  xal  äXlcov 
ßivdaojLiai  y/jii&icDV,  doxiü)  S*  enog  ovx  äjiößXrjrov 
q)&ey^ofxai  looofievoig'  äQexijv  ye  fiev  Ix  Aiog  aixiaj. 

Die  Ausleger  erklären  dieselben  als  eine  Reminiszenz  an  den 
häufigen  Schluss  homerischer  Hymnen,  insbesondere  an  den 
des  Hymnus  auf  den  pythischen  ApoU 

xal  ov  fxkv  ovtco  x^^Q^*  ^'^^  '^^^  Arjrdog  vli, 
avTCLQ  iyä}  xal  oelo  xal  äXXi]g  /nvTJoojbi*  äotdijg. 

Die  Reminiszenzen  und  nicht  bloss  an  Homer  sondern  auch 
an  Pindar  und  Simonides  nehmen  allerdings  einen  breiten  Platz 
in  der  theokritischen  Poesie  ein,^)  aber  die  im  Anklang  an 
ältere  Dichtung  eingelegten  Worte  und  Sätze  sind  doch  keine 
blossen  Zierstücke,  panni  purpurei  late  qui  splendeant,  sie 
müssen  auch  an  der  Stelle,  wo  sie  stehen,  Sinn  und  Bedeutung 
haben.  Lä&st  sich  dieses  nun  auch  für  die  Schlussverse  unseres 
Gedichtes  nachweisen?  Ich  sage  ja,  muss  aber,  um  dieses  zu 
begründen,  weiter  ausgreifen. 

Unser  Gedicht  heisst  in  der  tiberlieferten  Aufschrift  ey- 
xiofiiov.  Wie  die  meisten  Aufschriften  so  wird  vermutlich  auch 
diese   von   den  Grammatikern   herrühren.     Der   Dichter   selbst 

*)  Zn  ihnen  gehört  auch,  was  noch  nicht  bemerkt,  VII  111  —  4,  eine 
Nachbildung  von  Pindar  Ja.  II  41-  2. 

26* 


388  W.  Christ 

würde  unser  Gedicht  eher  als  einen  Hymnus  bezeichnet  haben; 
wenigstens  gebraucht  er  dieses  Wort  V.  8 

avraQ  iyo)  nroke/iiaiov  iniotd/jievog  xakd  EbieTv 
vfxvr]oaiju\  v/uvoi  de  xal  A'^avaTiov  yegag  avjcbv. 

Die  Schlussverse  würden  also  einen  ganz  passenden  Sinn  haben, 
wenn  sich  nachweisen  liesse,  dass  Theokrit  mehrere  Hymnen 
gedichtet  und  den  auf  Ptolemaios  an  die  Spitze  derselben  ge- 
stellt habe.  Für  das  zweite,  oder  wenigstens  für  eine  bevor- 
zugte Stellung  des  Preisliedes  auf  Ptolemaios  spricht  gleich 
der  Eingang  des  Hymnus 

*Ex  Aidg  ägxci/jLso'&a  xal  lg  Ala  ki^yezs  MoToai, 
ä&avdrcüv  rbv  ägiorov  ijiyjv  adojfisv  äotdaig' 
ävögcov  d^  av  ITcoXeixalog  M  Jigcoroiai  keyia&o), 

Dass  aber  auch  Theokrit  mehrere  Hymnen  gedichtet,  dafür 
haben  wir  vor  allem  das  Zeugnis  des  Suidas  in  dem  Artikel 
über  Theokrit.  Ich  setze  die  Stelle  gleich  ganz  her,  da  wir 
auf  dieselbe  noch  öfters  im  Verlaufe  der  Abhandlung  zurück- 
kommen werden.  Bei  Suidas  also  heisst  es:  omog  iyoayye  rä 
xaXov^ieva  ßovxoXixd  Ititj  AcoQidi  ÖiaXexTco'  xivhg  de  dt*a<p€Qoiwtr 
elg  avTov  xal  xavza'  Ugoiridag,  iXnidag,  vjuvovg,  tjgcoivagf  im- 
xjjdeia,  ßÄcXt],  IXeyEiag,  Idjußovg,  iTnygdjujuara.  Theokrit  hat  also 
mehrere  Hymnen,  sagen  wir  nach  unserer  Weise,  ein  Bändchen 
Hymnen  gedichtet,  unter  denen  der  auf  seinen  Hauptgönner, 
den  Heros  Ptolemaios,*)  voranstand,  und  mehrere  andere, 
worauf  eben  der  Schluss  des  ersten  Gedichtes  der  Sammlung 
hinweist,  nachfolgten.  Ist  nun  vielleicht  auch  von  den  anderen 
Hymnen  noch  einer  und  der  andere  in  unsere  Sammlung  auf- 
genommen worden? 

Zunächst  fällt  da  unser  Blick  auf  das  Gedicht  an  Hieron 
(ecl.  16).  Dasselbe  ist  zwar  Xdgixeg  ^  'legcov  überschrieben 
und  enthält  zunächst  eine  Bitte  oder  Aufrage  der  Musen  an 
Hieron,    den  Herrscher  von  Syrakus;   aber  das   ist    mehr    nur 


*)  Vergleiche  auch  den  fär  einen  Hymnus  besonders  passenden  Aas- 
druck tjijcoeg  V.  5. 


Dte  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte.  389 

eine  geschickte  Einkleidung,  tatsächlich  ist  es  ein  Preislied, 
ein  Hymnus  auf  den  neu  aufgehenden  Stern  des  freigebigen 
Dichtergönners  im  westlichen  Griechenland.  Es  gebraucht  auch 
der  Autor  von  dem  Gedichte  den  Ausdruck  vfivog  und  vfjLveiv 
wie  gleich  im  Eingang 

Ahl  rovTo  Aiog  xovqaig  fxeXei,   atev  äoidoigt 
vfivelv  ä&avdrovg,  v/uvelv  äya'&ü)v  xXea  dvdQcbv 

und  ähnlich  V.  50  und  103.  Und  auch  den  Gepriesenen  be- 
zeichnet er  mit  dem  für  den  Helden  eines  Hymnus  speziell 
geeigneten  Namen  tJQOog  V.  80 

iv  S*  avtoTg  'ligcov  Jigorigoig  Toog  ^Qioeaaiv, 

um  Yon  dem  Vergleich  des  Hieron  mit  den  Heroen  des  alten 
Mythus,  Aias  und  Achill,  in  V.  74  gar  nicht  zu  reden. 

Ekloge  16  war  also  auch  ein  Hymnus  und  hatte  in  der 
alten  Gesamtausgabe  des  Theokrit  in  der  Abteilung  *T//vo« 
seinen  Platz.  Ebenso  aber  auch  das  AidoxovQot  überschriebene 
22.  Gedicht  unserer  Sammlung.  Auch  hierfür  haben  wir,  wie 
schon  von  Früheren  erkannt  wurde,  deutliche  Anzeichen  in 
dem  Gedicht  selbst,  vor  allem  in  dem  Worte  v/nveTv,  Gleich 
im  Eingang  lesen  wir 

'Yfxveo/iev  Arjdag  je  xai  afyioxov  Aiog  via>, 
Kdaxoga  xai  (poßeQov  üolvdevxea  Jiuf  iQe&iCeiv 

welche  Verse  wir  um  so  mehr  auf  den  Hymnuscharakter  des 
Gedichtes  deuten,  als  auch  Kallimachos  den  dritten  seiner 
Hymnen  beginnt  mit 

^Agre/niv,  ov  yd.Q  iXaq)Qbv  äeidSvteaoi  la&eo&ai, 
vfJLVBOfiev,  rfj  j6^a  XaycoßoXiai  re  juiXovrai. 

Auch  am  Schluss  des  Preisgedichtes  auf  die  Dioskuren 
kehrt  das  Wort  v/nvog  wieder  V.  214 

Xdigeze  Ai^dag  rixva  xal  i'jjuereooig  xXiog  vjiivoig 
io9Xdv  äel  nifjLTioiTe^) 

^)  Ausserdem  steht  das  Yerbum  vfiveTv  in  V.  4,  26,  135. 


390  W.  Christ 

und  wiederholt,  V.  22,  78,  92,  163,  216  werden  die  Dioskuren 
mit  dem  speziell  für  Hymnen  geprägten  Worte  ffgcDe?  bezeichnet 
Übrigens  brauchen  wir  uns  in  unserem  Fall  nicht  auf  blosse 
Anzeichen  des  Wortgebrauchs  zu  berufen;  ausdrücklich  wird 
unser  Gedicht  unter  dem  Titel  Hymnus  angeführt  in  den 
Scholien  zu  Aristophanes  Plut.  210:  OeöxQirog  h  reo  ek  ^wö- 
xovQovg  v^vcp. 

Nun  kommt  aber  noch  eine  zweifelhafte  Frage;  gehörte 
zu  den  Hymnen  auch  das  25.  Gedicht  'HgaxXrjg  Xeovrofdvog? 
An  und  fttr  sich  kann  man  das  grosse  Gedicht  seinem  Inhalt 
nach  für  eine  Verherrlichung  des  Halbgottes  Herakles  ausgeben. 
Auch  kann  man  dafür,  dass  sich  Theokrit  gern  mit  der  Ver-  f 
herrlichung  des  dorischen  Helden  abgegeben  haben  wird,  sein 
Epigramm  (Nr.  20)  auf  den  Dichter  Peisandros  anführen,  da 
dieser  das  erste  grosse,  damals  vielleicht  schon  antiquierte  Epos 
auf  die  Taten  des  Herakles  gedichtet  hatte  und  dem  alexan- 
drinischen  Dichter  eine  Wiederbelebung  des  alten  schonen 
Sagenstoffes  in  einer  neuen,  dem  veränderten  Geschmack  mehr 
zusagenden  Form  besonders  zeitgemäss  scheinen  konnte.  Auch 
daran,  dass  in  dem  Gedicht  25  nicht  alle  Taten  des  Herakles 
besungen,  sondern  nur  zwei,  der  Besuch  bei  Augeas  und  die 
Löwenbezwingung,  herausgegriffen  sind,  darf  man  keinen  An- 
stoss  nehmen.  Denn  Theokrit  war,  wie  er  7,  47  bestimmt 
ausspricht,  ein  Feind  der  grossen  langatmigen  Epen  und  stimmte 
mit  Kallimachos  in  der  Hinneigung  zu  kleineren  balladen- 
artigen Erzählungen  überein.  In  der  Auswahl  aber,  die  unter 
den  Taten  des  Herakles  in  dem  25.  Gedicht  getroffen  ist, 
erkennt  man  sehr  leicht  den  Gesichtspunkt  des  bukolischen 
Dichtei*s.  Die  Begegnung  des  Herakles  mit  Augeas  gab  dem 
Freunde  des  Landlebens  und  der  Hirtenpoesie  willkommenste 
Gelegenheit,  den  Herdenreichtum,  die  prächtigen  Stiere  und 
die  grossartige  Landwirtschaft  des  alten  Königs  von  Elis  zu 
besingen.  Aber  das  reicht  alles  noch  nicht  aus,  um  die  Autor- 
schaft des  Theokrit  sicher  zu  stellen.  Jedenfalls  gehörte  der 
löwenwürgende  Herakles  nicht  zu  den  Hymnen  des  Theokrit. 
Vergebens  suchen   wir  im  Anfang  oder  Schluss  oder  auch    in 


Die  überlieferte  Äustcahl  theokritischer  Gedichte.  391 

der  Mitte  des  Gedichtes  nach  dem  Worte  vfÄvog,  dem  wir  doch 
in  den  drei  anerkannten  Hymnen  des  Theokrit  öfters  und  be- 
sonders im  Anfang  und  Schluss  begegneten.     Was  aber  noch 
mehr  bedeutet,  das  ganze  Gedicht  hat  den  Charakter  einer  aus 
mehreren  Teilen  (1—84,   85  —  152,   153—281)   bestehenden 
Rhapsodie,  die  einmal  mit  anderen  ähnlichen  Gesängen  zu  einem 
grossen  Epos  zusammengewoben  werden  sollte,  tatsächlich  aber 
Bruchstück  geblieben  ist.     Gegen  die  Einreihung  des  'HgaHXijg 
hovTotpovog  unter  die  Hymnen  des  Theokrit  spricht  aber  auch 
ein  äusserer  Moment.     Der  Dialekt   des  Gedichtes   ist  ebenso 
wie  der  des  inhaltlich  verwandten  Gedichtes  Meydga^  mit  dem 
es  in   den   Handschriften   yerbunden    ist   und   neuestens   auch 
wieder  von  Cholmeley   in   seiner  Ausgabe   des   Theokrit   ver- 
bunden wurde,  der  episch-ionische  Dialekt,   während  die  drei 
anerkannten   Hymnen   des   Theokrit  (17,  16,  22)   alle    in   der 
milderen  Doris  gedichtet  sind.^)     Ich  weiss   zwar   wohl,   dass 
in  unseren  Handschriften,   auch  den  guten,    die  Dialektformen 
schwanken  und  sich  hi/j,r]aav  neben  hlßiaoav,  vfjag  neben  vang 
findet,   aber   das  ändert  an   der  Hauptsache   nichts:   es  bleibt 
unbestreitbar,    dass    der   Dialekt    der    Hymnen    des    Theokrit 
dorisch,  der  des  Epyllion  'Hgaxlifjg  Xeovrocpovog  ionisch  ist. 

3. 
Die  Heroinen  des  Theokrit. 

Auf  die  Heraklessage  beziehen  sich  in  unserer  Sammlung 
ausser  dem  Hylas  (13)  die  Gedichte  24  und  25  und  zwar  steht 
der  Sache  entsprechend  der  'HgaxXloxog  (24)  vor  dem  'HgaxXfjg 
hovxo(p6vog  (25),  das  Kind  Herakles  vor  dem  Manne  Herakles. 
Aber  diese  Anordnung  ist,  so  sachgemäss  sie  auch  scheinen 
mag,  nicht  urkundlich.  In  den  Handschriften  sind  die  beiden 
Gedichte  von  einander  getrennt.    In  der  Klasse  ^^)  oder  in  dem 

')  In  dem  Hymnus  auf  die  Dioskuren  schwankt  allerdings  sehr  der 
Dialekt,  so  dass  es  in  der  Überschrift  der  Aldina  heisst  Hoivfj  'Iddi^  worüber 
Hiller,  Beitr.  p.  77  f. 

*)  Diese  Zusammenfassung  verwandter  Theokrithandschriften  unter 


392  W.  Christ 

Paris.  M^)  und  Yat.  23  steht  wohl  das  Gedicht  25,  aber  nicht 
auch   24;   im  Paris.  D   folgen   aufeinander:    Th  24  22  26  28 
Mosch  4  Th  25;  in  der  Klasse  U,  die  yomehmlich  durch  Ambr.k 
repräsentiert  wird,   fehlen  beide  Gedichte;   in  dem  Cod.  c,  der 
zu  den  Sammelhandschriften  gehört   und  aus  der  ergänzenden 
Vereinigung   von  Handschriften   mehrerer  Klassen   entstanden 
ist,   stehen   hinter   den  Epigrammen,   offenbar   also   im  Nach- 
trag, die  Gedichte  24  26  27^)  und  dann  erst  aus  einer  Hand- 
schrift der  Klasse  *:   9—13   11   14— 16  25   Mosch  4  Th  17. 
Also  24  kam  nicht  zugleich  mit  25  in  unsere  Anthologie,  und 
die  Geschicke  beider  Gedichte  sind  von  einander  zu  trennen. 
Zusammen  standen  in   dem  Archetypus,  aus  dem  D  und  der 
Nachtrag  von  c  abgezweigt  sind,   die  Gedichte  24  22  26  oder 
22   24   26.     Von  diesen  drei  Gedichten  gehörte  das  22.,  wie 
wir  oben  in  Kap.  2  gesehen  haben,  zu  den  Hymnen;   das  26. 
mit   dem  Titel  Arjvai  fj   Bdxxai  erzählt   die  grause  Tat  der 
Kadmostöchter  Ino,  Autonea  und  Agaua,  also  der  drei  Frauen 
der   thebanischen  Heroensage,   und  wird  deshalb   um  so  eher 
zu  den  Gedichten,  welche  Suidas  unter  dem  Titel  ^qqhvoi  auf- 
führt, gehören,  als  der  Dichter  selbst  in  dem  V.  36 

Xnlgoi  S*  eveidrjg  Hs^eka  xal  ädeX(peal  avräg 
KadfjLEiat  nokkaig  jueßxeXfj/iivai  '^ganvai^) 

auf  den  Namen  der  Dichtung  anspielt.  Denn  gerade  das 
Zusammentreffen  des  Yersausgangs  fjQonvai  mit  dem  von  Suidas 
überlieferten  Buchtitel  fiQajiivai  lässt  uns  das  Gedicht  lieber  zu 
dieser  Abteilung  der  Werke  Theokrits  stellen  als  mit  Maa^ 
Herm.  26  (1891)  178  zu  den  Hymnen,  wiewohl  ich  deshalb 
nicht  der  Vermutung  des  guten  Kenners  der  alexandrinischen 

dem  Zeichen  0  rührt  von  Hiller,  Beiträge  zur  Textgeschichte  der 
griechischen  Bukoliker,  her  und  ist  von  uns  beibehalten  worden. 

')  Der  Cod.  M  rührt  von  dem  byzantinischen  Grammatiker  Triklinios 
her  und  hat  drei  unechte  Gedichte  weniger  als  Vat.  23. 

2)  Ahnlich  steht  in  dem  Vat.  11,  der  auf  gleiche  Weise  aus  mehreren 
Hs8  zusammengefügt  oder  ergänzt  ist,  das  Gedicht  24  ganz  am  Schlüsse. 

^)  Die  Hss  haben  TJgcoivai^,  aber  es  ist  unzweifelhaft  mit  Ahrens 
i/oonyai  zu  lesen. 


Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Oedichte.  393 

Poesie  entgegentreten  möchte,  dass  das  Gedicht  von  Theokrit 
zu  einem  koischen  Fest  des  Gottes  Dionysos  bestimmt  war. 

Gehorten  nun  die  mit  dem  Herakliskos  in  den  Hss  ver- 
bondenen  Gedichte  teils  zu  den  Hymnen  teils  zu  den  Heroinen, 
so  wird  man  von  vornherein  geneigt  sein,  dort  auch  den   ur- 
sprünglichen Sitz  des  Herakliskos  zu  suchen.    Denn  ein  Preis- 
gedicht ist  derselbe  ja  jedenfalls.     Stellt   man  sich   aber  die 
Frage,  ob    unser  24.  Gedicht  zu  den  Preisliedem   auf  Heroen 
oder  auf  Heroinen  gehöre,  so  lasse  man  sich  nicht  durch  die 
Aufschrift  'HgaxXioxog  auf  falsche  oder  doch  zweifelhafte  Wege 
führen.    Denn  schon  im  Allgemeinen  ist  die  Echtheit  der  Auf- 
schriften Zweifeln  unterworfen;  sie  rühren  öfter  von  den  Gram- 
matikern als  von  den  Dichtem  her;  hier  aber  fehlt  obendrein 
die  Aufschrift  in  Cod.  11  ganz.    Sehen  wir  aber  von  der  Auf- 
schrift ab  und  halten  wir  uns  lediglich  an  den  Inhalt,  so  ist 
Amphitruo  ganz  zur  Seite  geschoben;  er  erwacht  zuletzt  und 
geht  alsbald  wieder  zu  Bett.     Hingegen  steht  im  Vordergrund 
vom  Anfang   bis   zum  Schluss   die  Mutter  Alkmena:   sie  wird 
uns  gleich  in  den  ersten  Versen  des  Eingangs  vorgeführt,  wie 
sie  die  beiden  Kinder  in  der  neuartigen  Wiege,   dem  Schilde 
des  Pterelaos,  einschläfert;  sie  hört  dann   zuerst  auf  das  Ge- 
schrei der  von  den  Schlangen  bedrohten  Knaben;  sie  ruht  auch 
nicht,  nachdem  die  Gefahr  vorüber  ist,  sondern  fragt  nun  den 
Seher  Teiresias  nach  einer  Deutung  des  Wunders;   sie  bleibt 
dann  auf  der  Bühne  bis  zum  Schluss,  wo  von  ihr  mit  den  Worten 

Code  fikv  'HQaxXfja  q)lXa  naidevoazo  fidrtjQ 

eine  Aufgabe  gerühmt  wird,  die  sonst  mehr  dem  Vater  als  der 
Mutter  zukommt.  Freilich  mehr  Bewunderung  als  das  Be- 
mühen der  Mutter  erregt  der  Heldenmut  des  kleinen  Herakles, 
der  unerschrocken  die  Schlangen  packt  und  ihnen  die  Kehle 
zuschnürt.  Aber  Herakles  ist  noch  ein  kleines  Kind,  das  erst 
ein  Held  werden  sollte;  zur  Heldin  des  Gedichtes  ward  daher, 
so  scheint  es,  die  Heroine  Alkmena  von  dem  Dichter  auserkoren. 
Ich  wage  also  die  Annahme,  dass  ausser  dem  26.  Gedicht  auch 
das  24.  ehedem  unter  den  'Hgonvat  des  Theokrit  stund.     Die 


394  TT.  Christ 

Konsequenz  ist  dann,  dass  von  den  beiden  Abfolgen  24  22  26 
und  22  24  26  die  letztere  die  richtigere  ist,  wenn  sie  auch 
durch  die  geringere  Handschrift  c  vertreten  wird. 

Es  fragt  sich   nun  weiter   auch   hier,   ob   ausser  diesen 
zwei  Gedichten  sich  noch  Spuren  von  anderen  Heroinenliedem 
des  Theokrit  nachweisen  lassen.    Nahe  liegt  es,  an  die  Berenike 
zu  denken,  von  der  Athenaios  VII,  p.  284  A  einige  Verse  er- 
halten  hat.     Denn   so  gut  Theokrit   den  Ptolemaios  II  unter 
die  Heroen  zahlen  und  ihm  einen  Hymnus  weihen  konnte,  so 
gut  konnte  er  auch  die  vergötterte  Frau  des  Ptolemaios  I  unter 
den   Heroinen   besingen.     Allerdings  zitiert  Athenaios   einfach 
mit  Iv  rfj  imygaipoßxivf)  Begevlxfj  und  ist  in  den  beigegebenen 
Versen  nichts  hymnenartiges  enthalten,  aber  bei  der  Kleinheit 
des  Fragmentes  kann  daraus  kein  entscheidender  Einwand  abge- 
leitet   werden.     Ausserdem  freilich   macht   auch   der   Dialekt* 
Schwierigkeit;  denn  in  den  6  Versen  steht  fünfmal  ionisches  i) 
statt  dorischem  ä.     Aber  auch   das  will   nicht  viel   bedeuten, 
zumal  uns  die  Verse  nicht  direkt,  sondern  durch  einen  Gram- 
matiker überliefert  sind,  der  leicht  in  einem  kurzen  Zitat  die 
Farbe  des  Dialektes  verwischen  konnte. 

Von  den  vollständig  erhaltenen  Gedichten  Theokrits  hat 
noch  in  diese  Klasse  Ahrens  Philol.  33,  582  das  Hochzeitslied 
der  Helena  ('Ekevrjg  hii^akdfAiog^  ecl.  18)  stellen  wollen.  Das 
Gedicht  preist  allerdings  auch  die  Schönheit  und  Geschicklich- 
keit der  Helena,  aber  es  entbehrt  doch  ganz  und  gar  des 
Charakters  eines  Hymnus;  es  ist  ein  Lied  der  Gespielinnen, 
die  am  Hochzeitstag  ihrer  Freundin  ein  Ständchen  in  der  Art 
der  Sappho  bringen.  Wenn  Ahrens  sich  darauf  beruft,  dass 
das  Gedicht  im  Cod.  M  iyxw/Mov  'Elivrjg  überschrieben  sei,  so 
ist  dieser  Überschrift  des  byzantinischen  Grammatikers  Tri- 
klinios,  von  dem  die  recensio  des  Cod.  M  herrührt,  die  rich- 
tigere Überschrift  im&ald/uiog  'Ekivtjg  der  älteren  Handschriften 
und  der  Hypothesis  entgegen  zu  halten. 

Ganz  die  Eigenschaften  eines  Preisliedes  auf  Heroinen  der 
Sage  hat  das  unter  den  Werken  des  Theokrit  zusammen  mit 
dem  'IlQaxXfjg  keovroipovog  auf  uns  gekommene  Gedicht  MeyaQa. 


Die  Überlieferte  ÄtMwM  tkeokritischer  Gedichte.  395 

Dasselbe  ist  benannt  nach  der  unglücklichen  Frau  des  Herakles 
und  enthält  die  Jammerreden   der  Frau  und   der  Mutter  des 
Herakles,  Megara  und  Alkmena.     Dass  dasselbe  demnach  in 
die  Ton  uns  hier  behandelte  Klasse  von  Gedichten  gehöre  und 
auch  Tom  Autor  als  solches  gedacht  war,  kann  nicht  zweifel- 
haft sein,   aber  ob   es  auch   von  Theokrit  herrühre,   ist  eine 
andere,  schwer  zu  bejahende  Frage.     Denn  es  ist  nur  in  den 
mit  Unechtem  schwer  beladenen  Handschriftenklassen  IH  und  IV 
überliefert  und  steht  an  künstlerischem  Wert  hinter  dem  löwen- 
erwürgenden Herakles  weit  zurück.     Denn  abgesehen  von  den 
vielen   aus   Homer  entlehnten  und  ungeschickt  zusammenge- 
flickten Fetzen,  war  es  auch  von  vornherein  ein  unglücklicher 
Gedanke,   die  Megara,   die  selbst  das  Schwerste   erduldet,   ge- 
wissermassen  als  Trösterin   einzuführen   und  ihre  Schwieger- 
mutter, nicht  die  eigene  Mutter,  mit  /ifjxeQ  Ifirj  xlxpd^  äyde  <piXov 
xaiä  dv/iov  Idnxeig  anreden  zu  lassen.    Da  überdies  der  ionische 
Dialekt  ebenso  wie  bei  dem  'Hgaxlfjg  Xeovrotpövog  gegen  eine 
Verbindung  mit  den  dorischen  Gedichten  Theokrits  spricht,  so 
denke  ich  nicht  daran,  die  Megara  zu  den  echten  Heroinen- 
liedem   Theokrits   zu   stellen,    sondern   glaube    nur,   dass   ein 
Nachahmer   im  Geiste   seines  Vorbildes   versuchen   wollte,    der 
Alkmena   eine  Megara   zur  Seite  zu  stellen.     Vielleicht  darf 
man  Moschos  für  den  Verfasser  der  Megara  halten,  da  in  dem 
guten  Cod.  s  hinter  den  Gedichten  des  Theokrit  und  von  den- 
selben durch  ApoUonius  Rhod.,  Hesiod,  Oppian  getrennt  ein 
kleiner  Nachtrag  jüngerer  bukolischer  Gedichte  steht,  nämlich 
EvgdpTifj,  ^Egiog  dQanhrjg,  Meydga,  von  denen  die  beiden  ersten 
ausdrücklich  als  Werke  des  Moschos  bezeichnet  sind. 

4. 
Die  Ordnung  der  Bukolika. 

Die  Hypothesis  des  ersten  Idylls  beschäftigt  sich  mit  der 
Frage,  warum  dieses  Idyll  die  erste  Stelle  in  der  Sammlung 
einnehme,  und  findet  den  Grund  in  der  Schönheit  des  Gedichtes: 
avTTf  ^  vndd'eoig  elg  /ddrpviv  yiyQanxai,  bg  diä  juev  lovxov  xov 


396  W.  Christ 

elövXiiov  li&vrixe,  öiä  de  xoyy  iitjg  wg  l^dfVTog  avxov  jmvrj^orevei' 
8ßA(og   TOVTO   TiQorhaxrai   diä   to    ;|fapi^aT€^av  xai  TExvuemxEQov 
tcüv  äklayv  fiälXov  ovvtetdx^Qi-  IlivdaQog  yäg  ägxoßievov  S*  igYov 
qjTjai  ngoacoTiov  XQV  ^if^^f^i  Trjiavyig.    Auch  dio  neueren  Heraus- 
geber haben  sich,   wenn   sie   überhaupt   die  Frage   berührten, 
dieser   Auffassung   angeschlossen.     Und   wer  möchte   leugnen, 
dass  das  erste  Idyll,  wenn  auch  vielleicht  mancher,  was  Anmut 
und  Zartheit  anbelangt,  dem  Idyll  Amaryllis  den  Vorzug  geben 
möchte,   vollauf  seinen  Ehrenplatz  verdient?   es  ist  eben  nicht 
bloss  ein  schönes  Gedicht,  es  ist  auch  ein  grosses  Gedicht  und 
feiert  den  ersten  Helden  der  Hirtenpoesie  Daphnis.    Es  kommt 
aber  doch  zu  diesen  Vorzügen  noch  etwas  anderes  hinzu,  was 
ihm  die  Stellung  an   der  Spitze   der  Idyllen   anweist.     Dieses 
andere  liegt  in  den  Schlussversen  144  f. 

<5  ;|ja/|geTe  noXXdxig  Möioai, 
X(ilQe^\  iyo)  S*  fj/ujuiv  xai  lg  voregov  ädiov  ^oa>. 

Denn  hiermit  wird  ganz  ähnlich,  wie  wir  dieses  oben  an  den 
Schlussversen  des  Hymnus  auf  Ptolemaios  sahen,  unser  erstes 
Idyll  als  einleitendes  Idyll  bezeichnet,  auf  das  eine  Serie  ähn- 
licher Dichtungen  folgen  solle. 

Damit  sind  wir  aber  schon  in  die  Diskussion  einer  anderen 
Frage  eingetreten,  die  man  erst  in  unserer  Zeit  bei  der  Kritik 
der  Anlage  eines  aus  mehreren  selbständigen  Einzeldichtuogen 
bestehenden  Buches  zu  beachten  und  zu  würdigen  begonnen  hat. 
Es  macht  nämlich  einen  grossen  Unterschied,  ob  der  Dichter 
selbst  seine  einzelnen  Gedichte  zu  einem  Band  oder  Bändchen 
zusammengefasst  hat  oder  ob  die  Vereinigung  von  einem  späteren 
Herausgeber  oder  Grammatiker  ausgegangen  ist.  Ein  blosser 
Herausgeber  wird  die  Gedichte  aufs  Geratewohl,  wie  sie  ihm 
eben  unter  die  Hand  kamen,  zusammengelegt  oder  doch  nur 
nach  äusseren  Motiven  und  Kennzeichen  geordnet  haben;  vom 
Dichter  wird  man  erwarten  dürfen,  dass  er  auch  in  der  An- 
ordnung seiner  Erzeugnisse  höhere  Gesichtspunkte  befolgt  und 
eine  gewisse  Kunst  beobachtet  hat,  so  dass  es  auch  für  uns 
eine  der  höheren  Aufgaben  der  Interpretation  ist,  die  leitenden 


Die  überlieferte  Austßähl  theokritiseker  Gedichte,  397 

Gesichtspunkte    des    Dichters    wieder    aufzudecken.      Der    be- 
zeichnete Unterschied   hat  sich   so   besonders   offenkundig  bei 
Pindar  und  Horaz  herausgestellt.     Die  Epinikien  Pindars  sind 
nicht  Ton  dem  Dichter  selbst  zu  den  vier  überlieferten  Büchern 
zusammengeordnet   worden.     Daraus  erklären  sich   die  offen- 
baren Irrtümer,   wie   wenn   ein   von   einem   sizilischen  Lokal- 
dichter herrührendes  Siegeslied  0.  Y  Aufnahme  gefunden   hat, 
oder  unter  den  pjthischen  Siegesliedern  eines  P.  II  steht,    das 
sich  gar  nicht  auf  einen  pythischen  Sieg  bezieht.    Horaz  hin- 
gegen  hat   seine   Lieder   (carmina)   selbst   herausgegeben   und 
dabei  allerlei  feine  Gesichtspunkte  beobachtet,  wie  dass  er  die 
Sammlung  mit  einem  Widmungsgedicht  einleitet  (I  1)  und  mit 
dem  Preis   des  errungenen  Lorbeers  schliesst  (III  30);   dass  er 
den  Virgil    allen   anderen  Freunden   yoranstellt  (I  3)   und   nur 
der  Etikette  halber  hinter  den  Kaiser  Augustus  und  den  mäch- 
tigen Oönner  Maecenas  zurücktreten  lässt;  dass  er  zu  den  neun 
ersten  Gedichten  nur  solche  auswählt,  von  denen  jedes  in  einem 
anderen  Yersmass  verfasst  ist,  damit  sogleich  im  Anfang  der 
ganze  Reichtum  seiner  metrischen  Foimen  hervortrete. 

Wenn  nun  bei  Theokrit  das  Lied  auf  Daphnis  voransteht, 
weil  mit  demselben  das  Bändchen  Hirtenlieder  eingeleitet  wer- 
den sollte,  so  weist  das  darauf  hin,  dass  auch  Theokrit  seine 
Gedichte,  wenigstens  die  Bukolika,  selbst  herausgegeben  hat, 
so  dass  auch  uns  die  Aufgabe  erwächst,  nachzuforschen,  ob 
nicht  auch  in  der  Anordnung  der  übrigen  Hirtenlieder  be- 
stimmte künstlerische  Gesichtspunkte  zutage  treten.  Dabei 
dürfen  wir  aber  nicht  bloss,  sondern  müssen  geradezu  von  dem 
2.  Gedicht  auf  die  Zauberinnen  (cpaQfÄaxevTQiai)  absehen,  da 
dasselbe  nicht  zu  den  Hirtenliedern  gehört  und  erst  später, 
wie  wir  in  dem  nächsten  Abschnitt  bestimmter  nachweisen 
werden,  unter  die  Bukolika  geraten  ist.  Im  übrigen  aber  wird 
es,  trotz  der  Abweichungen  einiger  Hss,  in  die  eine  nicht  leicht 
erklärbare  Unordnung  eingerissen   ist,^)   erlaubt   sein,    die   in 


^)  Am   meisten  Beachtung   verdient  k  mit  der  Folge   17   3-6 
8-13  2. 


398  W.  ChriH 

unseren  Ausgaben   verbreitete  Ordnung   als    die  authentische 
anzusehen. 

Steht  in  der  Sammlung  ein  Einleitungsgedicht,  wie  wir 
vorhin  nachgewiesen  haben,  voran,  so  dürfen  wir  auch  ein 
Schlusslied  erwarten.  Ein  solches  ist  das  9.  Idyll;  dasselbe  ist 
zwar  ohne  hohen  dichterischen  Wert,  so  dass  es  sogar  neuere 
Kritiker  für  unecht  erklären  und  aus  der  Sammlung  theokri- 
tischer Dichtungen  ausscheiden  wollten;  aber  ganz  klar  schUesst 
jedenfalls  sein  letzter  Absatz 

Bovxohxal  Moioai,  jnäXa  xalQexe,  q)alvcie  S^  cSddg,  *) 
rag  nox*  iyco  xeivoioi  jiqqmv  äeioa  vofievoi  x.  r.  A. 

die  Sammlung  der  eigentlichen  Hirtenlieder  (ßovxohxä  elövl- 
Xia)  ab.  Der  Dichter  gibt  damit  seine  Idyllen  dem  Lese- 
publikum hinaus  (ixdid(ooi)  und  widmet  sie  den  Hirten,  denen 
er  sie  einst  auf  den  Weiden  und  Triften  gesungen.  Das  Ge- 
dicht ist  also  in  einer  Stadt,  wahrscheinlich  in  Alezandria« 
gedichtet,  als  der  Dichter  zu  anderen  Dichtungsarten  über- 
gegangen war  und  seine  früheren  Gedichte,  das  waren  eben 
seine  Hirtenlieder,  abschloss  und  herausgab.  Dem  steht  nicht 
entgegen,  dass  noch  ein  Gedicht,  die  Schnitter  (10),  nachfolgt, 
das  man  seit  Alters  nach  seinem  ganzen  Tenor  auch  noch  zu 
den  Idyllen  zu  rechnen  pflegt.  Ich  will  mich  gegen  diesen 
Einwand  nicht  dadurch  schützen,  dass  ich  das  10.  Gedicht  als 
Hirtenidyll  preisgebe;  denn  Theokrit  hat  selbst  VII  29 

Avxlda  q)il€,  tpavxi  rv  ndvreg 
Sjiißiev  avQixrav  fiey^  vneiQOXOV  Sv  re  vo/ievoiv 
Iv  t'  äfirjXYjQBoai 

die  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Dichtungsarten  anerkannt. 
Aber  ein  Schlusslied,  mit  dem  der  Dichter  von  den  Hirten  der 
Weide  Abschied  nimmt,  konnte  nicht  auf  ein  Schnitterlied 
folgen,   so  dass  Theokrit,   wenn  er  auch  das  Schnitterlied  mit 


^)  Von  den  Varianten  ^6dv  und  cfi^dg,  beide  durch  die  Scholien 
bezeugt,  verdient  entschieden  die  letztere  den  Vorzug,  wenn  sie  auch  in 
dem  minderwertigen  Codex  p  steht. 


Die  überlieferte  Auswahl  iheohritischer  Gedichte.  399 

den  Hirtenliedem  zu  einer  Rolle  verbunden  herausgab,  das 
9.  Idyll  nicht  anders  als  vor  das  10.  stellen  konnte.  Indes 
wem  diese  Entschuldigung  zu  fadenscheinig  zu  sein  scheint, 
der  mag  immerhin  das  10.  Gedicht  abschneiden  und  annehmen, 
dass  die  von  Theokrit  besorgte  Ausgabe  der  Bukolika  nur  8 
statt  9  Idyllen  umfasst  habe. 

Gehen  wir  nim   zu   den  übrigen  Idyllen   über,   so  haben 

bereits  die  alten  Scholiasten   den  Grund  durchschaut,  weshalb 

das  4.  Idyll  dem   3.   nachfolgt.     Es   wird   nämlich  IV  39   c5 

XdQkaa^  'Afiagvill,  ix6vag  oi&ev  ovdk  ^avolaag  XaotvfjLeoda  die 

schöne  Amaryllis  als  tot  gedacht.     Daraus  wagt  der  Verfasser 

der  4.  Hypothesis   den  Schluss   zu   ziehen,    dass  der  verliebte 

Hirte  des  3.  Idyll  Battos   geheissen  habe,  weil  Battos  in  dem 

4.  Idyll  der  Name  des  Hirten  ist,  der  jene  Worte  spricht.    Das 

ist  vielleicht  zu  subtil  geschlossen,  und  jedenfalls  verlieren  wir 

nichts,  wenn  uns  der  Dichter  den  Namen  des  zur  Grotte  der 

spröden  Amaryllis  wallenden  Schäfers  vorenthält.    Aber  richtig 

ist,  dass  Amaryllis  in  dem  3.  Idyll  lebend  und  in  dem  4.  tot 

gedacht  ist  und  dass  demnach  3  vor  4  gedichtet  und  von  dem 

Dichter  auch  bei  Herausgabe  seiner  Hirtenlieder  gestellt  wurde. 

Eine  ähnliche,  wenn  auch  minder   bedeutsame  Beziehung 

lässt  sich   zwischen  4   und   5   nachweisen.     In  5,   6  sagt   von 

den  zwei  Hirten  Komatas  höhnend  zu  Lakon 

t/  S^  ovxeri  ovv  KoQvdcovi 
aQKEi  TOI  xaXd/Liag  avkov  nonnvodev  exovii; 

Wer  der  Korydon  sei,  erfahren  wir  aus  5  nicht;  aber  in  dem 
4.  Idyll  ist  der  beschränkte  Korydon  der  Hauptunterredner. 
Das  wird  wieder  der  Grund  gewesen  sein,  weshalb  der  Dichter 
das  5.  Idyll  auf  das  4.  folgen  Hess. 

Wichtiger  ist  die  Person  des  Aratos,  durch  die  das  6.  Idyll 
mit  dem  7.  verknüpft  ist.  Das  6.  Idyll,  dessen  Echtheit  ich 
ebensowenig  wie  die  eines  anderen  Gedichtes  der  alten  Samm- 
lung zu  bezweifeln  wage,  ist  durch  die  Anrede  im  Eingang 

AafAokag  x^  Adqjvig  S  ßovxoXog  elg  iva  j(a)Qov 
Tuv  äyiXav  7iox\  ^Agare,  avvdyayov 


400  W.  Chrigt 

dem  Aratos  gewidmet  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  das  11. 
dem  Nikias.  Dem  Aratos  gilt  auch  das  hübsche  Liedchen, 
welches  Theokrit  im  7.  Idyll  unter  der  Maske  des  Simichidas 
im  Wettkampf  mit  Lykidas  zum  besten  gibt.  Der  Arat  ist 
hier  V.  98 

digaros  S*  6  rd  ndvra  (piXaixazog  Avigt  rtjvq) 

mit  dem  Artikel  eingeführt,  wohl  zum  Zeichen,  dass  hier  der- 
selbe Arat  zu  verstehen  ist,   der  uns  schon  aus  dem  Eingang 
des  vorausgehenden  6.  Idylls  bekannt  ist.     Und  da  man  doch 
ein  Gedicht  nicht  einem  beliebigen  Mann  aus  dem  Volke,  son- 
dern einem  hochstehenden  Gönner  oder  berühmten  Freunde  zu 
widmen   pflegt,  so  haben  bisher  die  Ausleger  unter  dem  Arat 
den  berühmten  zeitgenössischen  Dichter  der  Phaenomena  ver- 
standen, wie  dieses  auch   bereits,  wenn  auch  in  sehr  vorsich- 
tiger Weise,  ^)   der   Scholiast   zu  VI  1    und   der  Verfasser  der 
Hypothesis  des  6.  Idyll  getan  haben.    Diese  alte  Annahme  hat 
aber  in   unserer  Zeit  Wilamowitz  in  dem  Aufsatz  Aratos  von 
Kos  (Göttingische  Nachrichten  1895)  umzustossen  gesucht,  in- 
dem er  an  der  Hand  von  Paton^s  Inscriptions  of  Cos   auf  die 
weite  Verbreitung  des  Namens  Aratos  auf  der  Insel  Kos,  wo 
das  7.  Idyll  gedichtet  wurde,  hinweist  und  den  Anhängern  der 
alten   Meinung    den    Nachweis    der  Identität    des   Aratos   des 
7.   Idylls    mit    dem    bekannten    Dichter    zuschiebt    (adfirmanti 
incumbit   probatio).      Das    ist   nun    eigentlich   nicht    das   her- 
kömmliche Verfahren,  da  sonst  vielmehr  der  Vorkämpfer  einer 
neuen  Theorie  die  Unzukömmlichkeit   der  alten   nachzuweisen 
pflegt.    Aber  ich  greife  den  Handschuh  auf  und  gebe  in  Kürze 
die  Gründe,  weshalb  ich  an  der  alten  Meinung  festhalte.    Der 
erste  Grund  ist  die  Widmung,   da  wie   Theokrit  das    11.  Idyll 
dem  als  Arzt  und  Dichter  berühmten  Freunde  Nikias  widmet, 
so   auch   das   6.   nicht   einem   obskuren  Bauer   der  Insel  Kos, 
sondern  dem  berühmtesten  Arat  seiner  Zeit,  dem  Dichter  Arat, 


*)  Hypoth.  6  nach  Anführung  der  beiden  Stellen:  Sirvarai  de  orro^ 
elvai  6  tcov  ^aivofievcov  jzoirjii^i.  SchoL  zu  VI  1:  «ixo»  tov  dargoroftov 
^Agmov  elvat,  f<5  ovyyF/oovlxet  6  Se6xQtxog, 


Die  Überlieferte  ÄuawM  theokrüiseher  Gedichte,  401 

gewidmet  haben  wird.    Ob  dieses  6.  Idyll  dem  11.  auf  Kyklops 

nachgebildet  sei,   weiss  ich  nicht;  darauf  kommt  es  auch   in 

unserer  Frage   nicht  an.     Aber  auch   aus  dem   7.  Idyll  selbst 

lässt  sich  die  Identität  des  Aratos  mit  dem  berühmten  Dichter 

wenn  nicht  beweisen,   so   doch   sehr  wahrscheinlich   machen. 

Theokrit  nennt  hier  Y.  98  den  Aratos  6  rä  ndvxa  (piXcuxaTog 

ävigi  xrjvq),  das  lässt  uns  doch  nur  an  einen  dem  Dichter  sehr 

nahestehenden,  auch  dem  weiteren  Kreis  der  Leser  bekannten 

Mann  denken,    am   ehesten   an   einen  Dichter,   dessen   Liebes-» 

lieder  auf  den  schönen  Philinos  den  Freunden  nicht  unbekannt 

waren.   Sodann  lässt  sich  Theokrit  durch  den  Eitharöden  Aristis 

Kunde  von  der  verzehrenden  Liebe  des  Aratos  zukommen.    Das 

wird  keine  Fiktion,  sondern  Wirklichkeit  sein;  dann  war  aber 

der  Arat  kein  Eoer;  denn  um  die  Liebelei  und  das  Feusterln 

eines  Eoers  zu  erfahren,  dazu  hätte  Theokrit  keines  Vermittlers 

bedurft.    Wohl  aber  konnte  Aristis,   wenn   Arat  ein  Fremder 

war  und  damals  in  Athen  oder  Pella  weilte,  auf  seinen  Eunst- 

reisen  Eunde  von  der  unglücklichen  Liebe  des  Dichters  erhalten 

und  nach  Eos  bringen.    Ich  bleibe  also  bei  der  alten  Meinung 

und  finde  eine  fein  berechnete  Eunst  des  Theokrit  darin,  dass 

er,  bevor  er  in  dem  7.  Idyll  von  dem  Liebesgram  seines  Arat 

sang,  denselben  im  6.  als  seinen  lieben  Freund  einführte. 

Ein  anderer  Gesichtspunkt,  den  Theokrit  in  der  Anord- 
nung seiner  Idyllen  befolgte,  war  der  geographische.  Das 
1.  Idyll  spielt  auf  Sizilien,  der  alten  Heimat  des  Hirtenliedes, 
das  3.  und  4.  in  Eroton  in  Unteritalien,  das  5.  in  Sybaris 
und  Thurii  weiter  östlich  in  Unteritalien,  das  7.,  wahrschein- 
lich das  6.  und  7.  auf  der  Insel  Eos.  Das  geht  also  von 
Westen  nach  Osten.  Nun  bin  ich  nicht  so  beschränkt,  zu 
glauben,  dass  der  Dichter  Theokrit  in  der  Anordnung  seiner 
Gedichte  gewissermassen  eine  Probe  seines  geographischen 
Wissens  habe  geben  wollen.  Aber  die  geographische  Ordnung 
gab  sich  ihm  von  selbst  und  deckte  sich  mit  der  Entstehungs- 
zeit seiner  Oedichte,  wenn  wir  uns  von  der  neumodischen 
Hypothese,  die  Heimat  des  Theokrit  nach  Osten,  nach  Eos 
oder  Alexandria   zu  verlegen,   losmachen    und   denselben  nach 

1W8.  SHxgsb.  d.  pbilo«.-phiIol.  n.  d.  bist.  Kl.  27 


402  W.  Christ 

der  alten,  durchaus  nicht  widerlegten  Anschauung  von  Sizilien 
und  Syrakus,  der  dorischen  Heimat  des  Mimus  und  Idylls, 
nach  Osten,  zuerst  nach  Kos  und  dann  nach  Alexandria,  ge- 
langen lassen. 

Es  bleibt  noch  das  8.  Idyll,  der  Wettgesang  des  Daphnis 
und  Menalkas,  übrig.  Dasselbe  hat  einen  ganz  eigenen  Charakter. 
An  die  Stelle  der  natürlichen,  vor  groben  Zoten  nicht  zurück- 
scheuenden Derbheit  der  Hirten  tritt  hier  zarte  Unschuld,  die 
aber  hübsch  durch  das  jugendliche  Alter  der  beiden  Hirten- 
knaben motiviert  wird.  Neu  auch  ist  die  Form  der  Elegie, 
in  welche  die  Wettgesänge  der  beiden  Knaben  gekleidet  sind. 
Als  erster  Meister  der  Elegie  galt  nach  dem  Tode  des  Philetas 
Kallimachos,  der  die  Berufung  des  Theokrit  an  den  Hof  des 
Ptolemaios  Philadelphos  vermittelte,  und  wir  werden  kaum 
irren,  wenn  wir  in  der  neuen  Form  des  Hirtenliedes  ein  An- 
bequemen, vielleicht  geradezu  ein  Kompliment  an  den  mäch- 
tigen Gönner  und  Freund  in  Ägypten  erblicken.  Jedenfalls 
war  es  in  der  Sonderstellung  unseres  Idylls  sattsam  begründet, 
dass  der  Dichter  es  zwar  nicht  an  den  Schluss  —  denn  ein 
Schlussgedicht  war  es  ja  nicht  —  wohl  aber  hinter  die  anderen 
verschiedenartigen  Hirtenlieder  setzte. 

Blicken  wir  zurück,  so  werden  wir  in  der  Abfolge  der 
9  Idyllen  des  Theokrit  nicht  das  Spiel  launenhaften  Zufalls 
oder  gar  die  Plumpheit  prosaischer  Grammatiker  finden,  son- 
dern die  feine  planmässige  Kunst,  die  man  am  ehesten  von 
dem  Dichter  selbst  erwarten  durfte. 

5. 
Die  Zehnzahl  der  Idyllen. 

Theokrit  hat,  wie  wir  im  vorhergehenden  Kapitel  zeigten, 
9  bukolische  Idyllen  gedichtet  und  wahrscheinlich  auch  zu 
einer  Holle  gesammelt  herausgegeben.  Die  Zahl  der  Idyllen 
wuchs  bald  nach  dem  Tode  des  Dichters  auf  10,  wahrschein- 
lich durch  den  Einfluss  2)ergamenischer  Rhetoren,  die  die  Zehn- 
zahl   liebten    und    auch    für   die    attischen    Redner    die    runde 


Die  überlieferte  AuswaKL  (heokritischer  Gedichte,  403 

Zahl  10  in  Rom  aufbrachten.  Die  Zahl  von  10  theokritischen 
Idyllen  war  voll  zur  Zeit  Vergils.  Denn  dass  Vergil  auch  in 
diesem  Punkt  seinem  griechischen  Vorbild  Theokrit  folgte,  kann 
an  und  für  sich  nicht  zweifelhaft  sein  und  wird  obendrein 
auch  von  dem  Vergilerklärer  Servius  überliefert,  der  in  der 
Einleitung  seines  Kommentars  zu  Vergils  Bucolica  bemerkt: 
sane  sciendum  septem  esse  meras  rusticas,  quas  Theocritus 
decem  habet. 

Fragen  wir  nun  aber,  welches  Gedicht  neu  zu  den  alten 
9  Idjllen  hinzutrat,  so  wird  unser  Blick  zunächst  auf  das 
2.  Gedicht  der  jetzigen  Ausgaben  gerichtet.  Aber  diese  Stelle 
hatte  dasselbe  nicht  immer  und  nie  in  unbestrittenem  Besitz. 
In  den  meisten  Hss  folgt  es  allerdings  unmittelbar  nach  dem 
ersten,  aber  in  mehreren  und  dazu  in  den  besten  hat  es  eine 
andere  Stelle:  in  k  M  23  10  und  in  ed.  lunt.  steht  es  nach 
dem  13.,  in  p  C  nach  dem  14.  Gedicht  der  heutigen  Sammlung. 
Welche  von  diesen  Stellungen  die  ältere  war,  kann  nicht 
zweifelhaft  sein.  Das  Gedicht  von  den  Zauberinnen  spielt 
nicht  auf  dem  Lande,  hat  keine  Hirten,  ist  kein  Bukolikon; 
es  ist  mit  den  Hirtenliedern  verwandt,  insofern  diese  selbst 
zur  Gattung  der  Mimen  oder  nachahmenden  Dichtungen  ge- 
hörten, wie  dieses  neuerdings  so  hübsch  Reich  in  seinem  Buch 
über  den  Mimus  ausgeführt  hat;  aber  es  hat  seine  Stelle  unter 
den  mimetischen  Gedichten  im  allgemeinen,  nicht  unter  den 
bukolischen  im  besondem.  Es  wurde  nur  an  die  2.  Stelle, 
hinter  das  1 .  Idyll  gesetzt,  weil  es  mit  demselben  in  der  Form, 
insbesondere  in  dem  wiederkehrenden  Refrain,  die  grösste  Ver- 
wandtschaft hat,*)  wohl  auch  weil  es  besonders  gefiel  und 
nach  dem  Idyll  von  Daphnis  die  meisten  Leser  fand. 

Wann  wurde  es  nun  aus  seiner  ursprünglichen  Umgebung 
vor  den  städtischen  Mimen  Kyniska  (14)  und  Adoniazusen  (15) 
unter  die  Hirtenlieder  versetzt?  Darauf  gibt  eine  sichere  Ant- 
wort Vergil.    Vergil   zählte   die   Zauberinnen    bereits   zu   den 


*)  Ausser  in  dem  Refrain  zeigt  sich  die  Ähnlichkeit  in  der  Häufig- 
keit der  bukolischen  Cäsur,  wie  nachgewiesen  von  Ahrens,  Philol.  33,  387. 

27* 


404  W.  Christ 

bukolischen  Gedichten;  denn  er  gab  von  ihnen  in  der  achten 
seiner  Eklogen  eine  an  eine  Übersetzung  anstreifende  Nachahmiing. 
In  seinem  Exemplar  der  Bukolika  Theokrits  werden  also  die 
Pharmakeutriai  schon  an  zweiter  Stelle  gestanden  haben.  Aber 
diese  Versetzung  ist  nicht  allgemein  durchgedrungen;  wäre  sie 
das,  so  hätte  sich  nicht  in  mehreren  unserer  Handschriften  die 
ältere  Stellung  erhalten.  Es  gab  also  andere  Gelehrte,  welche 
die  Einreihung  der  Zauberinnen  unter  die  Hirtenlieder  miss- 
billigten und  indem  sie  doch  auch  an  der  beliebten  Zehnzahl 
festhielten,  ein  anderes  Gedicht  an  die  alten  9  Idyllen  angliederteo. 
Welches  dieses  war  und  wann  die  Angliederung  geschah,  darQber 
geben  uns  die  Hypotheseis  Aufschluss.  Um  das  zu  yerstehen. 
dürfen  wir  einen  kleinen  Umweg  nicht'  scheuen. 

Der  Hypothesis  des  12.  Gedichtes  iTiiygäfperai  jtiev  x6  eldvl- 
Xiov  Mittag,  yeyQanxai  dk  *Iddi  diakixrq}  ist  der  Vermerk  voraus- 
geschickt: vTto&eoig  ^Egazoa&ivovg.  Eratosthenes  war  ein  dich- 
tender Grammatiker  des  ausgehenden  Altertums  um  400  nach 
Ahrens  PhiloL  33,  584,  und  wird  mit  jenem  Vermerk  als  Ver- 
fasser zunächst  der  12.  Hypothesis,  aber  gewiss  nicht  nur  dieser 
Hypothesis  allein,  sondern,  wie  Ahrens  t.  II  p.  XXXHI  richtig 
sah,  entweder  von  allen,  oder  doch  von  allen  folgenden  Hypo- 
theseis bezeichnet.  Aber  wie  kommt  es,  dass  der  Name  des 
Verfassers  gerade  an  dieser  Stelle  angemerkt  wurde?  Das 
12.  Idyll  und  die  Hypothesis  dazu  haben  nichts,  was  eine 
Sonderstellung  rechtfertigte.  Denn  dass  es  in  ionischem  statt 
dorischem  Dialekt  geschrieben  war,  hat  doch  nicht  viel  ver- 
schlagen und  war  für  die  Inhaltsangabe  bedeutungslos.  Eher 
könnte  man  daran  denken,  dass  die  Hypotheseis  der  11  ersten 
Idyllen  aus  der  guten  Zeit  der  älteren  Grammatik  stammten 
und  dass  erst  unter  Justinian  sich  ein  Grammatiker,  eben  unser 
Eratosthenes,  fand,  der  auch  zu  den  später  angefügten  Gedichten 
Hypotheseis  verfasste.  Aber  auch  diese  Erklärung  kann  nicht 
aufrecht  gehalten  werden.  Manche  der  Hypothesen  zu  den 
späteren  Gedichten  sind  allerdings  dürftig  und  scheinen  mehr 
die  Armseligkeit  der  Grammatik  der  Byzantinerzeit  zu  ver- 
raten.    Aber  es   finden   sich   doch  darin   auch  einige   vorzüg- 


Die  überlieferte  Auswahl  theohritischer  Gedichte.  405 

liehe  Bemerkungen,   die   nicht   auf  dem   mageren   Boden   der 
spätgriechischen  Grammatik  gewachsen  sind,  sondern  auf  eine 
Zeit  zurückgehen,  wo  man  noch  die  alte  Literatur  in  weiterem 
Umfang  las  und  zur  Erklärung  heranzog,  wie  hyp.  15:  Tiags- 
nlaae  to  TzoiTj/idxiov  ix  tqVv  nagd  2!co(pQOvi  ^a/iivcov  rä  "la&^ia^ 
hyp.  18  Tivä  EiXrjTiTai  ix  xov  7iQ(oxov  SxriaixdQOv  ''EXivrjg  ini^ 
^alafxlov.     Dazu   kommt,   dass   auch   in   den   späteren  Hypo- 
tbeseis,  wie  hyp.  17,  gerade  so  wie  in  den  früheren  (hyp.  3  7) 
gegen  einen  Vorgänger,   einen  gewissen  Munatius,  polemisiert 
wird.    Es  hat  daher  keine  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Hypo- 
theseis zu   12—18    von   einem   anderen   verfasst   sind   als   die 
zu  1 — 11.     Zu   allen  Idyllen   lagen   aus   guter   alter  Zeit   ge- 
lehrte Hypotheseis  vor,  und  es  scheint  derselbe  Eratosthenes 
alle  in  der  Zeit  Justinians  umredigiert  und  der  Neuredaktion 
seinen  Namen  vorgesetzt  zu  haben. 

Aber  dann  kehrt  die  Frage  wieder,  wie  kommt  es,  dass 
der  Verfassername  gerade  bei  der  12.  Hypothesis  angemerkt  ist? 
Ich  weiss  dafür  keinen  anderen  Grund  auszuiinden  als  den, 
dass  mit  dem  12.  Qedicht  ein  neuer  Abschnitt,  ursprünglich 
eine  neue  Bolle  begann.  Dann  umfasste  das  erste  Bändchen 
die  Gedichte  1 — 11  oder  wenn  wir  das  2.  Gedicht  an  seiner 
ursprünglichen  Stelle  belassen  denken,  eine  Dekas,  bestehend 
aus  1  3 — 11.  Eine  solche  Dekas  lässt  sich  aber  auch  recht 
wohl  begreifen.  Das  11.  Gedicht  KvxXcotp  enthält  allerdings 
keinen  Dialog  und  ist  kein  Hirtengedicht  im  strengen  Sinne 
des  Wortes;  aber  es  steht  doch  nahe  an  der  Grenzscheide. 
Der  Kyklop  ist  kein  menschlicher  Hirt,  aber  ein  Hirt  ist  er 
doch,  so  dass  auch  das  nach  ihm  benannte  11.  Gedicht  zu 
den  bukolischen  Gedichten  zählen  konnte.  Wir  werden  daher 
nicht  den  Vorwurf  phantastischer  Kombinationen  uns  zuziehen, 
wenn  wir  die  Vermutung  aufstellen,  es  sei  die  alte  Theokrit- 
ausgabe  von  9  bukolischen  Gedichten  auf  doppelte  Weise  zu 
einer  Ausgabe  von  10  Gedichten  ergänzt  worden,  indem  die 
einen  zwischen  dem  1.  und  3.  Idyll  die  Pharmakeutriai  ein- 
schoben, die  andern  am  Schluss  den  Kyklops  zusetzten. 


406  W.  Christ 

6. 
Die  Erweiterung  der  alten  Sammlang. 

Es  ist  allseits  anerkannt  und  liegt  auf  platter  Hand,  dass 
unsere  Sammlung  theokritischer  Gedichte  eine  Anthologie  ist, 
so  entstanden,  dass  an  einen  alten  Kern  bukolischer  Gedichte 
von  Freunden  der  theokritischen  Muse  nach  und  nach  aus  den 
anderen    Dichtungen    des    Meisters    weitere    Perlen    angereiht 
wurden.     Dieser   Prozess    des  Werdens    fand    im   Anfang  des 
6.  Jahrhunderts  seinen  Abschluss;  das  erhellt  aus  dem  Artikel 
des  Suidas  über  Marianos,  wonach  dieser  Yerseschmied  aus  der 
Zeit   des  Kaisers  Anastasius  (491 — 518)   eine  Metaphrase  des 
Theokrit  in   3150  lamben   schrieb,   welche  Zahl  so   ungefähr 
den  3262  Versen  unserer  Theokritsammlung  entspricht.*)    So 
alt   ist   nun   zwar   keine   unserer  Handschriften,  aber  da  diese 
verschiedene,  in  weit  ältere  Zeit  zurückreichende  Stämme  der 
Überlieferung  repräsentieren,  so  lässt  sich  aus  ihrer  Vergleichung 
doch  noch  ein  Einblick  in   das  allmähliche  Wachsen  und  die 
verschiedenen  Stadien  des  Wachstums  unserer  Anthologie  ge- 
winnen.    Das  Beste  in  der  Aufhellung  dieses  Verhältnisses  ist 
bereits  geleistet  in  dem  Aufsatz  von  Ahrens,  Theokrits  Ge- 
dichte,   Philol.  33  (1834),   und   Hiller,   Beiträge   zur  Text- 
geschichte  der   griechischen   Bukoliker,    1886,   doch   so,  dass 
noch  manches  teils  nachzutragen,  teils  richtiger  zu  stellen  ist. 

Den  Kern  unserer  Anthologie  bildet  die  anfangs  aus  9,  später 
aus  10  Idyllen  bestehende  Sammlung  bukolischer  Gedichte  (a). 
In  ihnen  beruhte  der  Ruhm  unseres  Dichters,  und  von  ihnen  ist 
also  auch  die  Auswahl  seiner  Gedichte  ausgegangen.  Zu  ihnen 
kamen  zunächst  einige  nahe  verwandte  Gedichte  erotischen  und 
mimetischen  Charakters,  nämlich  10— 13  18,  2  14—15.*)    Da  für 

*)  Ganz  entsprechen  sich  die  beiden  Zahlen  nicht,  und  es  hat  viel- 
leicht in  dem  Exemplar  des  Marianos  noch  die  besonders  verdächtige 
'OaQiarvg  (Th  27)  gefehlt  oder  es  hat  Marianos,  wie  Ahrens  586  vermutet, 
die  fiFArj  nicht  in  lamben  umgesetzt.   Vgl.  Birt,  Antikes  Buchwesen  S.  400. 

'^)  Möglicher  Weise  sind  diese  Gedichte  nicht  alle  auf  einmal,  son- 
dern  in   verschiedenen  Nachschüben   (zuerst  11—13,   dann  1-4  — 15  18, 


Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte,  407 

diese  in  dem  Katalog  der  Werke  Tbeokrits  bei  Suidas  kein  Platz 
gelassen  ist,  so  vermute  ich,  dass  dieselben  zur  Zeit,  als  jener 
Katalog  aufgestellt  wurde,   keine  Sonderexistenz  mehr  hatten, 
.sondern  schon  mit  dem  alten  Kern  der  Sammlung  unter  dem 
gemeinsamen  Titel  ßovxoXtxd  zusammen gefasst  waren.    In  diese 
erweiterte  Sammlung  wurden  sodann  aus  Gründen,  die  ich  oben 
im  ersten  Kapitel  dargetan  habe,  die  Enkomien  auf  Ptolemaios  (17) 
und  Hieron  (16)  eingeschoben.    Die  Sammlung  von  18  Gedichten 
(1—18)  repräsentiert  das  zweite  Hauptstadium  in  der  Geschichte 
der  Auswahl   theokritischer  Poesie;  in  derselben  befindet  sich 
schwerlich  etwas,  was  nicht  aus  der  Feder  des  Theokrit  her- 
Torgegangen  wäre.     Wii-  bezeichnen   den  Komplex   der  Dich- 
tungen dieses   zweiten  Stadiums   mit  a  ß,  weil  er  ausser  dem 
ältesten  Bestandteil,   den   eigentlichen  Hirtenliedem  (a),   auch 
noch  den  aus  verwandten,  erotischen  und  mimetischen  Gedichten 
bestehenden  ältesten  Zusatz  (ß)  enthält.    Handschriftlich  ist  er 
vertreten  durch  Kl.  I  oder  die  Codd.  a  g  1  x  4  5  12  14  16  F  N  0. 
Von  diesen  Hss  stammt  a  aus  dem  13.  Jahrhundert,  die  übrigen 
sind  jung,  so  dass  man  auch  vermuten  kann,  sie  seien  erst  durch 
Verkürzung  der  stärker  angewachsenen  Anthologie  entstanden.^) 


dann  17  16)  hinzugekommen,  wie  dieses  Ahrens,  Philol.  33,  395  annimmt. 
Aber  wenn  ich  auch  oben  in  dem  Verzeichnis  der  Handschriften,  haupt- 
sächlich auf  die  Hss  p  und  Q  gestützt,  die  Klassen  1  und  la  unter- 
schieden habe,  so  halte  ich  doch,  von  den  beiden  Preisliedern  abgesehen, 
den  Ursprung  des  verschiedenen  Umfangs  der  Hss  ans  allmählichen  Nach- 
schöben für  sehr  problematisch.  Es  konnte  auch  eine  vollständige  Samm- 
lung 11  12  13  2  14  15  18  später  durch  Weglassung  einer  (18)  oder 
mehrerer  (14  15  18)  Nummern  verkürzt  werden. 

*)  Die  Form  aß  liegt  auch  den  Hss  s  saec.  XIII,  16  saec.  XIV, 
P  saec.  XIV,  Y  saec.  XIV  zugrund,  so  dass  nur  in  die  18  theokritischen 
<iedichte  noch  der  unechte  ejitraq^ios  Bicovog  (Mosch  3)  eingeschoben  ist. 
Ahnlich  verhält  es  sich  mit  dem  zu  den  besten  Hss  zählenden  Laur.  p, 
in  welchem  sich  folgen:  15  6  4  7  3  8—13  15  14  2  Mosch  3  Th  16 
and  davon  durch  Zwischenlage  getrennt  Th  22  17,  so  dass  ebenfalls 
zu  den  alten  Gedichten  Theokrits  der  unechte  imr.  Bi(ovog  gelegt  ist. 
^♦^achtenswert  für  Erkenntnis  eines  älteren  kleineren  ürafangs  der  theo- 
tritiachen  Anthologie  sind  auch  die  Hypotheseis  im  Cod.  p,  die  nach 
2iegler  ed.  III  p.  192—197  nur  umfas.sen  1  3-16. 


408  W.  Christ 

Zu    dieser   erweiterten    Sammlung  (a  ß)   fügte   ein   feiner 
Kenner   noch   dasjenige,    was   unter   den  anderen  Werken  des 
Theokrit  den  bukolischen  und  mimischen  Gedichten  am  nächsten 
kam,  die  im  Geiste  und  im  Stil  der  Sappho  gedichteten  Lieder, 
jiiekrj,  oder  die  Gedichte  28 — 30  (y)  unserer  heutigen  Ausgaben. 
Man   kann    diese   Stufe   der   Auswahl   theokritischer   Gedichte 
die    eratosthenische   nennen,    weil    zu    ihr   allein   Hjpotheseis 
unter    dem   Namen    des   Grammatikers   Eratosthenes   erhalten 
sind.    Sie  ist  repräsentiert  durch  die  Klasse  II  unserer  Hand- 
schriften, deren  bester  Vertreter  der  Mediolanus  k  ist,^)  wenn 
auch,  wie  es  scheint,  infolge  eines  zufalligen  Ausfalls  die  Ge- 
dichte 28  30  nicht  mehr  in  k,  sondern  nur  noch  in  jüngeren 
suppletorischen  Hss  D  und  c  uns  erhalten  sind.    Wir  bezeichnen 
diese  Klasse,  die  die  Partien  a  ß  y  enthält,  als  die  U.,  weil  ihr 
eine  ältere,  welche  nur  a  ß  enthielt,  Yorausgegangen  sein  muss; 
an  innerem  Wert  für  die  Textkritik  und  auch  nach  dem  Alter 
der  zu  ihr  gehörigen  Handschriften  nimmt  sie  die  erste  Stelle 
ein.     In    den  Handschriften   dieser  Klasse  sind  ebenso  wie  in 
Klasse  III  hinter  den  Mele  auch  noch  die  Epigramme  hinzu- 
gefügt, aber  dieser  Anhang  stammt  nicht  mehr  aus  alter  Zeit, 
sondern    ist   auf  einen    byzantinischen  Grammatiker    zurückzu- 
führen, der  mit  grossem  Ungeschick  und  mit  starken  Irrtümern 
aus  der  Anthologie  des  Konstantinos  Kephalas  diejenigen  Epi- 
gramme auszog,  die  unter  dem  Namen  des  Theokrit  liefen  oder 
zu  laufen  schienen. 

Die  nächste  Stufe  der  Erweiterung  liegt  uns  in  der  Klasse  III 
unserer  Handschriften  vor,  die  vorzüglich  vertreten  ist  durch 
den  Paris.  D  und  zu  der  der  verlorene  Cod.  Patarinus,  aus 
dem  durch  Vermittelung  der  Abschrift  des  Griechen  Musurus 
die  Edit.  luntina  und  teilweise  auch  die  Callergiana  geflossen 
sind,    gehörte.*)     Der   Paris.  D   saec.  XIV   ist   aus   vier,   sich 


^)  Daneben  kommt  hauptsächlich  in  Betracht  der  alte  Vat.  6  saec.  XIll^ 
in  dem  nur  16  fehlt  und  dafür  nach  18  der  imid<ptog  Bi<ovoc  (Mosch  3) 
eingeschoben  ist. 

2)  Über  den  verwandten,  aber  weniger  vollständigen  Codex  9  werde 
ich  erst  unten  handeln. 


Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte,  409 

gegenseitig  ergänzenden   und  aus  verschiedenen  Vorlagen  ent- 
Dommenen  Teilen  zusammengesetzt  und  enthält  folgende  Gedichte : 

D;:  1—3  8—13  4—7»)  14  16  29  epigr. 
D^:  17  18  15 

D«:  24  22  26  28  Mosch  4  Th  25 
D^:  Mosch  3  Th  27. 

Von  dem  Schreiber  oder  richtiger  den  Schreibern  der  Hand- 
schrift wollte  offenbar  D^  die  Gedichte  17  und  18  an  16  an- 
schliessen  und  hat  denselben  dann  noch  nachträglich  das  in 
D'  zwischen  14  und  16  durch  Zufall  oder  Nachlässigkeit  aus- 
gefallene Gedicht  15  zugefügt.  Bis  dahin  nahm  der  Schreiber 
von  D  nur  Gedichte  auf,  die  in  der  alten  Sammlung  bereits 
stunden  und  uns  sämtlich  aus  Klasse  I  und  II  der  Hss  bekannt 
sind.  Neu  kamen  durch  D*  zunächst  hinzu:  24  22  26.  Wir 
haben  diese  bereits  oben  als  echte  Gedichte  des  Theokrit  kennen 
gelernt  und  als  solche,  die  aus  den  Abteilungen  vjuvoi  und 
fJQOHvai  der  Gesamtwerke  des  Theokrit  stammten.  Es  folgt 
sodann  das  Gedicht  28  oder  das  erste  der  Abteilung  juekrj(y). 
Daraus  dürfen  wir  mit  Zuversicht  schliessen,  dass  die  Gedichte  24 
22  26  (d)  bestimmt  waren  zwischen  die  alte  mit  Gedicht  18 
abschliessende  Sammlung  a  ß  und  die  in  der  Handschriften- 
klasse n  hinzugekommenen  ßiilrj  eingeschoben  zu  werden.  Auch 
heutzutage  noch  stehen  dieselben,  wenn  auch  mit  anderen 
Stücken  vermehrt,  vor  den  Liedern  (jÄiXrj)  oder  zwischen  ß 
und  y.  Woher  diese  Stellung?  Das  lässt  sich  mit  Sicherheit 
aus  dem  durch  Suidas  uns  erhaltenen  Katalog  der  Werke 
Theokrits  beantworten.  Dort  folgen  sich  ßovxohxä  flgoindeg 
ihiideg  vfAvoi  ^Qwitvai  Inixrjdeia  ^eXrj,  stehen  also  die  vfjLvoL 
und  YiQwivai^  aus  denen  die  Gedichte  22  24  26  genommen  sind. 


*)  Die  anffällige  Unordnung  der  Gedichte  des  ersten  Teils  der 
Sammlung,  der  wir  eine  ähnliche  in  El.  IV  zur  Seite  stellen,  scheint  aus 
einer  VerateUnng  der  mehrere  Gedichte  (4—7  8 — 13)  umfassenden  Lagen 
(ob  kleinen  Rollen?)  entstanden  zu  sein,  so  dass  die  dritte  Lage  vor  die 
zweite  gestellt  wurde.  Ein  ästhetischer  Grund,  der  in  Kl.  II  zur  Ver- 
letzung von  Idyll  7  nach  Idyll  1  geführt  zu  haben  scheint,  ist  hier  nicht 
ersichtlich. 


410  W.  Christ 

vor  den  /xikr].     Es  hat  demnach  der  Urheber  der  erweiterten 
Sammlung  a/?  dy,   als   er  die  Gedichte  22    24   26   der  älteren 
Sammlung  aßy  hinzufügte,   die   neuen  Gedichte  nicht  an  das 
Ende   nach  y  gesetzt,   sondern    dorthin,    wohin   sie   nach  dem 
Katalog  der  Gesamtwerke  gehörten,  zwischen  ß  und  y.   Wann 
dieses  geschah,  darüber  erlaube  ich  mir  keine  Vermutung,  wohl 
aber  lässt  sich  das  Interesse  erraten,   das  zu  dieser  neuen  Er- 
weiterung führte.     Durch  den  epischen  Kyklos  oder  die  Hypo- 
thoseis   des  epischen  Kyklos,    die   unter  Proklos   im    5.  Jahr- 
hundert  eine  Neuausgabe   erfahren   hatten,   war   die  Kenntnis 
der  alten  Mythen  des  troischen  und  thebanischen  Sagenkreises 
allgemein  verbreitet  worden;   die  Argonautensage  kannte  man 
aus  dem  Epos  des  ApoUonios,  das  obendrein  der  oben  genannte 
Marianos  in  byzantinische  lamben  umsetzte.    Für  die  Herakles- 
sagc   und  den  Mythus  der  Dioskuren  und   der  Kadmostochter 
hatte  man  kein  gleich  geläufiges  Hilfsmittel.    Ein  Grammatiker 
half  diesem  Bedürfnis  ab,   indem   er  der  beliebten  Anthologie 
des  Lyrikers  Theokrit  aus  dessen  Gesamtwerken    die  epischen 
Gedichte  diöoxovgoi  (22),   'Hgoxkioxog  (24),   Bdxym  (26)  hin- 
zufügte. 

Nun  wird  sich  auch  eine  Erklärung  der  in  D  zunächst 
folgenden  Gedichte  Meyäga  (Mosch  4)  und  'Hgaxlrjg  keovTO(p6voQ 
(Th  25)  aufstellen  lassen:  sie  dienten  dem  gleichen  stofflichen 
Zweck.  Die  Herakleiai  des  Peisandros  und  Panyasis  waren  längst 
veraltet,  wahrscheinlich  kaum  mehr  in  einer  Bibliothek  aufzu- 
treiben; ein  Grammatiker  ersetzte  sie,  indem  er  in  einem  Nach- 
trag (e)  zu  den  epischen  Gedichten  des  Theokrit  auch  noch 
die  aus  dessen  Schule  stammenden  Erzählungen  von  dem  löwen- 
erwürgenden Herakles  und  der  unglücklichen  Mutter  der  Herakles- 
kinder Megara  fügte.  Jetzt  wird  es  auch  klar,  warum  in  den 
Handschriften  unseres  Theokrit  die  Heraklesgedichte  nicht  zu- 
sammenstehen:  sie  stammen  nicht  aus  gleicher  Quelle  und 
sind  nicht  zu  gleicher  Zeit  in  die  Theokritanthologie  aufge- 
nommen worden.  Der  Hylas  (13)  mit  den  den  schönen  Jüng- 
ling in  den  Quell  hinabziehenden  Nymphen  bewegt  sich  in 
dem  Gedankenkreis  der  ländlichen  und  erotischen  Gedichte  (a  ß); 


Die  überlieferte  Auswahl  theokritischer  Gedichte.  411 

der  Herakliskos  (24)  gehört  zur  Schicht  <3  und  ist  wie  der 
Hylas  aus  den  echten  Werken  Theokrits  ausgezogen;  der  Hera- 
kles leontophonos  (25)  bildet  zusammen  mit  der  Megara 
(Mosch  4)  einen  Nachtrag  (c)  und  rührt  nicht  von  Theokrit 
selber  her. 

Am  Ende  der  Handschriftenklasse  HI  stehen  noch  der 
biad(piog  Bicovog  und  die  ^Oagioivg.  Beide  sind  entschieden 
unecht  und  stehen  daher  passend  in  D  am  Ende,  wo  man 
nach  verbreitetem  Brauch  dem  Echten  nach  das  unechte,  aus 
anderen  Quellen  Entnommene  anzuhängen  pflegte.  Das  Liebes- 
geplauder (27),  in  dessen  Unechtheitserklärung  ich  ebenso  wie 
andere  ganz  mit  Ahrens  Philol.  33,  588  übereinstimme,  be- 
rücksichtige ich  weiter  nicht,  da  es  nicht  bloss  in  EI.  II, 
sondern  auch  in  Kl.  IV  fehlt  und  kaum  vor  der  Kaiserzeit 
entstanden  ist.  Dagegen  muss  ich  noch,  wenigstens  mit  einigen 
Worten  von  dem  Epitaphios  auf  Bion  handeln.  In  D  stellt 
derselbe  passend,  weil  anderwärtsher,  wahrscheinlich  nach  Ahrens 
aus  Cod.  I  entnommen,  am  Ende  im  Nachtrag;  in  Kl.  IV  steht 
er  nach  dem  Enkomion  des  Ptolemaios  oder  nach  Ekloge  17.^) 
Doch  scheint  er  auch  hier  durch  die  Stellung  als  unecht  be- 
zeichnet zu  sein,  indem  mit  Ekloge  17  die  alte  Sammlung  ab- 
schloss  und  nur  dieser  Abteilung  (a  ß)  statt  der  ganzen  Samm- 
lung das  unechte  Gedicht  angehängt  wurde.  Dass  dasselbe 
nicht  von  Theokrit  herrührt,  bedarf  keiner  neuen  Begründung; 
dass  es  aber  auch  infelicissima  coniectura,  wie  Bücheier,  Rh. 
M.  30,  40  sich  ausdrückt,  unter  die  Werke  des  Moschos  ge- 
setzt worden  sei,  kann  als  ausgemacht  gelten.  Denn  der  Ver- 
fasser desselben  gibt  sich  am  Schlüsse  mit  unzweideutigen 
Worten  als  Schüler  des  Bion  kund,  Moschos  aber  war  kein 
Schüler  des  Bion,  sondern  lebte,  wenigstens  nach  den  Zeug- 
nissen des  Altertums,  vor  Bion.    Auch  spricht  die  Verstechnik 


')  Diese  Stellung  wird  er  auch  in  der  Vorlage  des  mit  Klasse  I 
nahe  verwandten  Cod.  p  gehabt  haben,  wo  auf  17  nach  einem  leeren 
Zwischenraum  folgen:  1  6  6  4  7  3  8-13  15  14  2  Mosch  3  Th  IG. 
ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  alten  Cod.  6  saec.  XIII,  wo  sich  folgen 
1-15   18  Mosch  3  Th  28   29. 


412  W.  Christ 

des  Epitaphios,   in  dem   mit   erkenntlicher  Absicht   trotz  des 
Zuges  wehmütiger  Trauer  jeder  Spondeus  im  5.  Fuss  yennieden 
ist,  gegen  die  Autorschaft  des  Theokrit  wie  Moschos,  da  diese 
in   den   epischen   Gedichten   den   Spondeiazon   ohne  Bedenken 
anwandten.    Aber  wie  kam  dieser  Epitaphios  auf  Bion  in  die 
Anthologie  des  Theokrit?    Ich  wage  darüber  eine  Vermutung, 
die  aber  auch  nichts  weiter  als  Vermutung   sein   will.    Nach 
dem  Katalog  bei   Suidas  schrieb  Theokrit  auch  Trauerlieder 
(ijiiHi^dEia\  ein  solches  Imxrjdeiov  ist   auch  der  intxdiptog  auf 
Bion.     Als   man    nun    gegen    Ende    der   römischen    Republik 
die  Werke  der  Bukoliker  sammelte,    um  die  vereinzelten  Ge- 
dichte  vor  dem  Untergänge  zu  schützen,   da  mochte  ein  Be- 
wunderer des  rhetorisch  aufgeputzten  Trauergesangs  auf  Bion 
auch  diesem  Spätling  der  bukolischen  Muse  die  Erhaltung  sichern, 
indem  er  ihn  den  Trauergesängen  des  Theokrit  anschloss.   War 
er  aber  einmal  unter  die  Werke  des  Theokrit  aufgenommen, 
dann  ist  es   bei   der  Richtung   der  Zeit   nicht   mehr   zu   ver- 
wundern, wenn  er  gegen  Schluss  des  Altertums  auch  Aufnahme 
in  die  Anthologie  theokritischer  Gedichte  fand. 

7. 
Die  unechten  Zusätze  der  Sammlung. 

Die  grösste  Zahl  von  Gedichten  enthält  die  Klasse  IV  der 
Theokrithandschriften,  die  von  Hiller  in  seinen  für  dieses 
Gebiet  bahnbrechenden  Untersuchungen  mit  dem  Buchstaben  $ 
zusammengefasst  wurden.  Hauptvertreter  dieser  Klasse  sind 
der  Paris.  M,  der  die  Rezension  des  byzantinischen  Grammatikers 
Triklinios  enthält,  und  der  Vatic.  23,  der  jetzt  in  2  Teile  aus- 
einandergerissen ist  und  zu  verschiedenen  Zeiten  zwei  Blätter- 
verluste erlitten  hat,  so  dass  er  durch  die  2  ältesten  Apo* 
giaphaVat.il  undLaur.  w  ergänzt  werden  muss.^)  Von  diesen 
Hauptvertretern  der  Klasse  IV  enthält  M: 


^)  Der  älteste  Vertreter  der  Klasse  IV  ist  der  Paris.  Q,  (geschrieben 
1298,  aber  derselbe  ist  unvollständig  und  enthält  nur  den  Anf&ng:  1  5 
6  4  7   3  8-13. 


Die  Überlieferte  ÄuswM  theohntiseher  Gedickte.  413 

15  6  4  7  3  8—13  2  14—16  25  Mosch  4  Th  17 
Mosch  3  Th  22  18  20  21  Bi  1  Th  23  Bi  2  avg.  ßcofi. 

23  nach  der  Rekonstruktion  von  Hiller: 

15  6  4  7  3  8—13  2  14—16  25  Mosch  4  Th  17  Mosch  3 
Th  22  18  20  21  Mosch  1  Th  19  Bi  1  ek  vehq6v  'Ad.  Th  23  Bi  2. 

Cod.  23  enthält  also,  wenn  wir  wie  billig  von  dem  Anhange 
IvQiyS  und  Bco/idg  absehen,  3  Stücke  mehr  wie  M,  nämlich 
Mosch  1  oder  ^Egcog  öganEirig^  Th  19  oder  KriQioxlejnrjg  und 
Ek  vexQÖv  "AöcDviv.  Man  kann  zweifeln,  ob  dieselben  von 
Triklinios,  dem  Redaktor  von  M,  weggelassen  oder  von  dem 
Schreiber  des  Cod.  23  neu  hinzugefügt  worden  seien.  Ahrens 
p.  596  und  Hiller  p.  58  entscheiden  sich  für  die  erstere  An- 
nahme, und  in  der  Tat  hat  dieselbe  die  grössere  Wahrschein- 
lichkeit für  sich,  da  Triklinios  schon  so  urteilsföhig  war,  um 
diese  Ausscheidung  des  unzweifelhaft  Unechten  treffen  zu 
können.  Jedenfalls  werde  ich  im  folgenden  von  der  vollstän- 
digen Reihe  in  Cod.  23  ausgehen.  0  also  hat  von  den  Gruppen 
der  Gedichte  Theokrits,  die  wir  bereits  aus  den  Klassen  I,  II 
und  lU  der  Handschriften  kennen  gelernt  haben,  a  ß  e  und 
von  der  Gruppe  d  das  Gedicht  22;  es  fehlen  ihr  die  Gruppe  y 
und  von  der  Gruppe  d  die  Gedichte  24  und  26.  Man  könnte 
vermuten,  dass  diese  fehlenden  Gedichte  ursprünglich  auch  in 
dem  Archetypus  von  (P  enthalten  gewesen  seien,  da  sie  sich 
in  den  mit  M  imd  23  verwandten  Codd.  c  und  11  finden. 
Aber  diese  Vermutung  ist  sofort  wieder  aufzugeben.  Denn 
diese  beiden  Hss,  die  man  als  lYa- Klasse  bezeichnen  kann, 
sind  aus  verschiedenen,  zur  gegenseitigen  Ergänzug  dienenden 
Teilen  zusammengesetzt,  und  diejenigen  Teile,  welche  die  frag- 
lichen Gedichte  enthalten,  haben  zu  $  keine  Beziehung.^) 

^)  Zur  Verdeutlichung  gebe  ich  hier  eine  Analyse  der  beiden  Hs8; 
es  besteht  c  saec.  XV  aus: 
c*:  Th  epigr.,  24  26  27 
c*»:  Th  1—3  5  4  6—13 
c*:  11  iterum   14-16  25  Mosch  4  Th  17  Moach  3  Th  22  18  20  21 

Bi  1  Th  23  Bi  2.  avg. 
c*:  Th  28  29  30 
c*:  «V  rexQorZid.  Mosch  1  Th  19. 


414  W.  Christ 

Bleiben  wir  also  vorerst,  bis  wir  eines  Besseren  belehrt 
werden,  dabei  stehen,  dass  in  der  Klasse  IV  einige  Gedichte 
fehlen,  die  uns  durch  die  beiden  Klassen  II  und  III  erhalten 
sind,  und  wenden  wir  uns  lieber  zu  den  neu  hinzugekommenen 
Gedichten.    Neu  also  sind  durch  ^  oder  Cod.  23  hinzugekommen: 


Von  diesen  Teilen,  die  aber  in  der  Ha  nicht  gesondert  sind,  decken  sicli 
c^  und  c*"  wesentlich  mit  M,  c*  enthält  eine  Ergänzung  aus  Cod.  23, 
c*  und  c"*  aus  D,  als  das  Original  noch  vollständiger  war;  denn  Th30 
ist  uns  nur  durch  unser  c  erhalten.  Von  den  gemischten  Ergänzungs- 
handschriften, wie  auch  c  eine  ist,  sollte  man  erwarten,  dass  der  erst« 
Teil  den  Grundstock  enthalte  und  dann  erst  die  Ergänzungen  aus  einer 
oder  mehreren  Hss  folgen.  Hier  ist  dieses  nicht  der  Fall ;  denn  mit  den 
Epigrammen  Theokrits  hat  sicher  nie  eine  Theokrithandschrift  begonnen; 
aber  in  der  Vorlage  von  c  wird  auch  sicher  nicht  c*  vorangestanden  haben. 

Cod.  11  saec.  XV  besteht  aus: 

!!•:  Th  1—15  18  Mosch  3  Th  28  29. 

n^i  Th  16  25   Mosch  4  Th  22  18  20  21   Mosch  1   Th  19   Bi  1,  tU 
vexQov  "Ad.  Th  23  Bi  2. 

11«:  Th24  avQ, 
Von  diesen  Teilen  gehört  11»»  oflFenbar  zu  Kl.  III,  11»  zu  Kl.  II  ähnlich 
wie  s  und  Y,  nachdem  in  derselben  bereits  der  unechte  httzdtpiog  Biwrog 
angeschlossen  war,  wie  dieses  tatsächlich  in  Cod.  6  geschehen  ist;  11 'ist 
eine  teilweise  Ergänzung  aus  Kl.  III. 

In  Cod.  18  saec.  15  ist  nur  die  Sylloge  ^  ohne  die  vorausgehenden 
Gedichte  enthalten,  nämlich  Th  25  Mosch  4  Th  22  20  21  Bi  1  Th  23 
Bi  2  Mosch  3. 

Cod.  9  (m)  saec.  XII,  wohl  der  älteste  Codex  des  Theokrit,  enthält 
nur  2,5—3,6  5,59-13,65  1^,71-17  22  25.  Da  er  unvollständig  ist,  so 
lässt  sich  seine  Einreihung  nicht  mit  voller  Sicherheit  bestimmen:  er 
könnte  dem  Inhalt  nach  zu  Kl.  III  oder  IV  gehören.  Durch  Vergleichung 
seiner  Lesarten  hat  Hiller  S.  44  f.  und  73  f.  erwiesen,  dass  er  eher  zu 
Kl.  IV  als  zu  Kl.  III  zu  stellen  ist. 

Die  Evgcjjttj  oder  Mosch  2  ist  in  der  Aldina  und  in  dem  daraus 
geflossenen  (s.  Hiller  Beitr.  9)  Cod.  r  durch  Cod.  m  saec.  XII  und  Cod.  s 
saec.  XIV  in  unsere  Sammlung  gekommen.  In  s  stehen  in  einem  Nach- 
trag jüngerer  bukolischer  Gedichte,  getrennt  von  den  Gedichten  des 
Theokrit,  Mosch  1  2  4,  die  beiden  ersten  ausdrücklich  unter  dem  Namen 
Mooxov.  Ähnlich  ist  die  Sachlage  in  dem  alten  Cod.  9  (m),  wo  von  den 
Gedichten  des  Theokrit  getrennt  steht  Mooxov  EvQioxi].  Mit  Recht  ist 
daher  seit  Stephanus  die  Europe  wieder  aus  den  Ausgaben  des  Theokrit 
verschwunden  und  in  die  Ausgabe  des  Moschos  verwiesen. 


tHe  überlief erie  AuswM  theokritischer  Gedichte,  415 

Th  20  oder  BovxoJiiaxog  ^  Th  21  oder  'Alieig,  Mosch  1  oder 
"Egayg  dQajthi]g,  Th  19  oder  Kfigioxkenxfjg^  Bi  1  oder  i7iird<piog 
'Adcovidog,  Elg  vexgov  ^Adcoviv,  Th  23  oder  ^Egaarijg,  Bi  2  oder 
tn&aidfiiog  ^AxdXecog  xal  Atjtda/Lielag.  Von  diesen  neuen  Ge- 
dichten sind  entschieden  mehrere  nicht  theokritisch,  wie  der 
"EgcDg  dQa7ihi]g,  der  in  Anth.  Pal  IX  440  dem  Moschos  beigelegt 
wird,  und  der  inizdipiog  *Ad(6ndog,  der  nach  der  Andeutung 
im  bindtfiog  Bicovog  V.  70  von  Bion  herrührt.  Unter  diesen 
Umständen  drängt  sich  jedem  von  selbst  die  Frage  auf,  sind 
auch  die  übrigen  6  Qedichte  unecht,  und  wenn,  rühren  sie  auch 
Ton  Bion  mid  Moschos  her  und  welche  von  dem  einen  und 
welche  von  dem  andern?  Ehe  wir  aber  an  die  Besprechung 
dieser  schwierigen  Frage  gehen,  müssen  wir  zuvor  die  An- 
gaben über  die  alten  Ausgaben  des  Theokrit  und  der  Bukoliker 
erörtern. 

Wir  haben  in  den  Prolegomena  der  Scholien  des  Theokrit 
ein  Epigramm 

'Aqts/hScjqov   ygafjifiaTixov 
hil  xfj  d.'&Qoioei  xlbv  ßovxoXixcbv  7ioif]judT(ov' 
BovxoXixal  MoToai  anoQdÖeg  jzoxd,  vvv  S*  äjua  näaai 

evtI  fxiäg  fxdvögag,  ivxl  jxLäg  äyiXag, 

wonach  der  Grammatiker  Artemidoros  im  I.Jahrhundert  v.  Chr. 
eine  Sammelausgabe  der  Bukoliker,  zunächst  wohl  der  drei 
berühmten  Bukoliker  Theokrit  Moschos  Bion,  vielleicht  aber 
auch  noch  anderer  weniger  berühmten  Dichter  aus  der  Schule 
jener  Meister  veranstaltete.  Jenem  Epigramm  steht  ein  anderes 
gegenüber 

'AUog  6  Xiog'  iyä)  de  OeSxgixog  og  xdd^  eyQaipa^) 

elg  änd  xtbv  noXX&v  el/il  2vQaxooia>v, 
vii>g  UgaSayogao  JieQixXeixrjg  xe  ^iXivrjg, 

ßxovoav  d'  d^eirjv  oixiv^  IfpeXxvod/tirjv 

')  Den  ersten  Vers,  dem  man  den  Artikel  des  Suidas  ,^ßs6HQtzog 

Xiog  oriKOQ  ixa^XT}^  MrjxQodutQov  tov  'looxQaxixov foxi   xai  etfqoc; 

SioxQtxog  IJga^ayoQOV  xai  ^tXirrjq*  zur  Seite  stellen  niusH,  führe  ich  auf 
üen  unter  Cicero  lebenden  Literarhistoriker  Demetrius  M.aorneM   zurück, 


416  HT,  Christ 

das  ich   am  liebsten   im  Gegensatze   zu   dem  Yorausgehenden 
auf  eine  Spezialausgabe  des  Theokrit  deute,  in  der  jedes  fremde 
Element,  insbesondere  jedes  nicht  in  syrakusanischem  Dialekt 
geschriebene  Gedicht  ausgeschlossen  war.^)    Von  der  Sammel- 
ausgabe sollte  man  nach  dem  Wortlaut  des  Epigramms  allerdings 
erwarten,  dass  sie  lediglich  bukolische  Gedichte  enthielt    Aber 
da  schon  Yergil  über  diesen  engen  Rahmen  hinausging  und  da 
auch  in  der  Sammlung  aß  des  Theokrit  mit  den  eigentlichen 
Hirtenidyllen  verwandte  Gedichte,  Mimen  und  Erotika,  verbun- 
den waren,  so  darf  man  wohl  die  Vermutung  wagen,  dass  auch 
in  jener  Sammelausgabe  der  Bukoliker  nicht  blos   bukolische 
Gedichte  im  strengen  Sinne  des  Wortes  standen,  sondern  auch 
verwandte   Gedichte    entweder    gleich    von   vornherein    aufge- 
nommen  waren   oder  doch  später  zu  den  eigentlichen  Hirten- 
liedern hinzukamen.     In  jedem  Fall  konnte  leicht  jemand  am 
Ende  des  Altertums   oder  im  beginnenden  Mittelalter  auf  den 
Gedanken  kommen,  an  die  erweiterte  theokritische  Anthologie 
am  Schlüsse  noch  hübsche  Gedichte    ähnlicher   Art    aus   Bion 
und  Moschos  oder  anderen  Bukolikern  zu  fügen.*)     Für  diese 
Annahme   haben   wir   einen   festen    Anhalt   in    der    Tatsache, 
dass  in  der  Handschriftenklasse  lY  mehrere  nichttheokritische 
Gedichte   gerade   am   Ende   der  Sammlung  hinter  den  echten 
Gedichten  des  Theokrits  stehen. 

Aber  wo  beginnen  die  unechten?  Ehe  wir  diese  schwierigste 
Frage  zu  lösen  versuchen,  wollen  wir  zuvor  mehrere  leichtere 
erledigen.     Fanden  in  jenen  Anhang  bloss  Gedichte   des  Bion 

der  ein  Buch  tisqi  Sficovvfieov  jtoiijr&v  xai  avyygaipeayv  geschrieben  hakte, 
in  dem  recht  wohl  die  beiden  gleichnamigen  Autoren,  der  Historiker  und 
der  Dichter  Theokrit,  unterschieden  werden  konnten. 

i)  Alfr.  Croiset,  Histoire  de  la  litt.  gr.  V  184  deotet  die  Worte 
Moiaav  vOveitjv  auf  die  Nachahmer,  schwerlich  mit  Recht,  da  d^eitj  viel 
eher  auf  ein  zu  einem  anderen  Genre  gehöriges  oder  in  einem  anderen 
Dialekt  geschriebenes  Gedicht  geht.  Ahrens  Philol.  33,  391  will  beide 
Epigramme,  weil  nie  in  k  ohne  Zwischenraum  aufeinander  folgen,  dem- 
selben Artemidor  beilegen.  Aber  ein  Zusammenhang  ist  gar  nicht 
ersirhtlich. 

^)  Tatsiuhlich  steht  in  s  und  9  Moschos  nach  Theokrit. 


DU  Überlieferte  Auswahl  iheohritiseher  Gedichte.  417 

und  Moschos  Aufnahme?  Man  möchte  dies  glauben,  aber  an 
aß  schon  war  ein  von  keinem  der  3  Bukoliker  verfasstes  Ge- 
dicht, der  ijiird<piog  Bicovog^  angeschlossen  worden,  und  das  in 
anakreontischen  Versen  verfasste  Oedicht  Elg  vexgdv  ^AdcDvir 
kann  doch  schon  des  Yersmasses  wegen,  das  erst  in  der  Kaiser- 
zeit beliebt  wurde,  nicht  bis  in  die  Zeit  der  drei  berühmten 
Bukoliker  zurückdatiert  werden.  Es  heisst  also  vorsichtig  sein, 
aber  trotzdem  bleibt  es  in  jedem  einzelnen  Falle,  wo  man 
keinen  Grund  dagegen  anführen  kann,  das  wahrscheinlichste, 
dass  entweder  Bion  oder  Moschos  der  Verfasser  des  nichts 
theokritischen  Gedichtes  sei. 

Auch  das  andere  ist  wahrscheinlich,  dass  in  dem  Anhange 
die  Gedichte  des  Moschos  und  Bion  nicht  bunt  durcheinander 
gewürfelt  sind,  sondern  die  eines  jeden  derselben  zusammen 
stehen.  Ich  wage  daher  unbedenklich  den  Schluss,  dass  das 
Gedicht  KriQioxkenxrig  (Th  19),  weil  es  hinter  einem  Gedichte 
des  Moschos,  dem  ^Egwg  dganirrig,  steht,  gleichfalls  von  Moschos 
herrührt,  und  dass  der  ^Egami^g  (Th  23),  weil  ihm  ein  Gedicht 
des  Bion  vorausgeht  und  ein  solches  wahrscheinlich  auch  nach- 
folgt,^) ebenfalls  dem  Bion  beigelegt  werden  darf.  Meine  Zuver- 
sicht wird  dabei  dadurch  gesteigert,  dass  die  Kritiker  schon, 
ehe  sie  das  Verhältnis  der  Anordnung  durchschauten,  den 
KrjQioxXejtrT]g  wegen  der  Gleichheit  des  Tones  neckischer  Schel- 
merei demselben  Dichter  wie  den  ^Egcog  dQonhrjg  zuschrieben. 
Bemerkt  sei  nur  noch,  dass  in  diesem  Anhang  geradeso  wie 
in  dem  Kanon  der  bukolischen  Dichter  Moschos  vor  Bion  ge- 
setzt und  somit  die  von  Bücheier  wieder  zu  ihrem  Rechte  ge- 
brachte Ordnung  Theokrit,  Moschos,  Bion  bestätigt  wird. 
Aber  nun  komme  ich  wieder  auf  die  Frage  zurück,  wo  be- 
ginnt die  Reihe  der  unechten  Gedichte?  Bei  näherem  Zusehen 
werden   alsbald   der   Antwort    engere   Grenzen    gezogen.     An 


^)  Ich  halte  mit  den  Meisten  es  für  wahrscheinlich,  dass  der  'Em- 
^aXdfuog  *Axi^^io}s  >cai  AfjtÖafieiaSf  eine  Nachahmung?  des  theokritischen 
'Eievijg  sjti&aXdfiios,  von  Bion  herrühre,  und  dass  das  anakreontische  Ge- 
dichtcfaen  Eis  vexQov'Adtoviv  des  ähnlichen  Inhaltes  wegen  dem  imjdqpiog 
'Adüfptdoe  angehängt  worden  sei. 

1908L  Sitsgsb.  d.  pbUo«.-phUol.  n.  d.  bist.  Kl.  28 


418  W.  Christ 

sechstletzter  Stelle  steht  der  *^Qayg  dgaTthrjg,  dessen  Verfasser 
nicht   Theokrit    sondern   Moschos   ist;    an   neuntletzter  Stelle 
steht  'Elivtjg  im&aXd^iog^   ein    Gedicht,    das  zu  den  18  ersten 
Gedichten    der   theokritischen   Anthologie   gehört,   also  sicher 
echt   ist.     Die  Grenze   des  unechten  Anhanges   muss  demnacli 
nach   dem   achtletzten   und  vor  dem  sechstletzten  Gedicht  ge- 
zogen  werden;   es   handelt  sich   also  nur  darum,  sind  die  an 
siebent-  und  achtletzter  Stelle  stehenden  Gedichte,   der  Buko- 
liskos  (Th  20)  und  die  'AXieig  (Th  21)  theokritisch  oder  nicht? 
Eine  Entscheidung  aus  inneren  Gründen  ist  sehr  schwer,  wenn 
man  auch  von  vornherein  bezüglich  der  Fischer  den  Eindruck 
hat,   dass   ihre   feine   Detailmalerei   und  ihre  harte,   weil  die 
leichte  Ware  der  gewöhnlichen  Phrase  meidende  Sprache  ganz 
zur   Art   des    Theokrit   passt.     Aber    da   hilft   uns   ein  hand- 
schriftliches, zuerst  von  Hiller,  Beitr.  59,  herangezogenes  Zeug- 
nis.   Es  ist  nämlich  in  Cod.  23  der  Sylloge  0  den  Überschriften 
der    einzelnen   Gedichte   eine   Notiz    über  den   Autor,    ob  er 
Theokrit  sei  oder  nicht,  beigesetzt.    Die  Note  Seoxglxov  fehlt 
bei  'Hqaxkrig   AeovTo<p6vog ,    hitxdcpiog   Bloovog,   *Adwvidog  bii- 
Tdq)iog,  ^EgaoTrjg,    ijii&aXdjLUog  *AxtXXi(og    xal   AfjidafJieiag,   sie 
steht  vor  BovxoXlaxog  und  'AXuTg.    Nach  diesem  Zeugnis,  gegen 
das    die    äjia^   Xeyö/ieva    und    die    minimalen   Versbauobsenra- 
tionen  nicht  aufkommen  können,  lasse  ich  also  den  Kuhhirten 
und  die  Fischer   als  echt  und  theokritisch  gelten.^)     Ich  füge 
nur  dafür,  dass  Moschos  nicht  der  Verfasser  sei,  eine  Kleinig- 
keit bei.     Im  Bukoliskos  V.  19 

Tioifiiveg,  eXnaxe  jJLOi  x6  xgi^yvov  ov  xaXog  ififu\ 

steht  xQfjYvov  im  Sinne  von  dXtjdig.  Das  konnte  sich  ein 
Schüler  des  Aristarch,  als  welcher  Moschos  im  Artikel  des 
Suidas  aufgeführt  wird,  nicht  erlauben,  nachdem  der  Meister 
in  der  Note  zu  Hom.  II.  I  106  im  Gegensatze  zu  den  Früheren 


^)  Hiller  selbnt  Hess  sich  durch  jenea  Zeugnis  nicht  bestimmen,  son- 
dern bekennt  nich  p.  70  zur  Überzeugung,  dass  beide  Gedichte  von  theo- 
kritischer Manier  weit  entfernt  nind. 


Die  Überlieferte  Ätuwahl  theokrüischer  Gedichte,  41  d 

aufgestellt  hatte:  äna^  slgt^rai  x6  xqrjyvov  hoX  ovx  {ottv  älrj&ig 
äXr  iya^6v. 

Aus  welchem  Teile  der  Werke  des  Theokrit  stammten 
aber  die  beiden  Gedichte?  Um  hierauf  antworten  zu  können, 
hat  uns  Birt,  Antikes  Buchwesen  S.  399  und  507  den  Weg 
gezeigt.  Unter  den  Schriften  des  Theokrit  werden  von  Suidas 
auch  *Eljiideg  genannt;  unter  diesen  standen  die  'AXieig  und 
wahrscheinlich  auch  der  BovxoXloxog,  Wie  in  den  Hymnen 
und  Heroinen,  so  hat  auch  in  den  Fischern,  Y.  66 

£l  jiikv  äg'  ov  xviboawv  rv  id  x^Q^  TQvra  fiaxeveig, 
iJbilg  rcbv  vnvoyy'  ^dxei  xbv  odgxivoy  Ix'Ovv 

der  Dichter  mit  ihiig  auf  den  Namen  der  Dichtgattung  an- 
gespielt. Wir  werden  denselben  im  Deutschen  mit  ,Luft- 
scUosser'  wiedergeben,  oder  lieber,  wenn  auch  der  Bukoliskos 
dazu  gehorte,  mit  ,Einbildungen'. 

Wir  haben  auf  Grund  der  verschiedenen  Handschriften- 
klassen die  Entstehung  und  das  Wachsen  unserer  theokritischen 
Anthologie  verfolgt.  Wir  bleiben  vorläufig  dabei  stehen;  be- 
wahrheiten sich  die  Resultate  unserer  Analyse,  so  werden  die- 
selben auch  für  die  Textkritik  und  die  Wertschätzung  der 
einzelnen  Handschriften  von  Bedeutung  sein.  Dazu  wird  es 
aber  einer  eigenen,  spinösen  Untersuchung  bedürfen,  die  ich 
Jüngeren  überlasse. 


Zum  Lückefüllen  eine  Konjektur  und  eine  Deutung! 
Id.  XXUI,  142  ist  überliefert: 

Tfl  de  x^^^-  ^^  ngdoconov  äjueißero,  (pevye  d^  äjio  XQ^^ 
vßgiv  xäg  ögyäg  neQixel/bievog, 

Dass  im  zweiten  Satz  das  Partizip  nicht  zu  XQ^^  gehören 
kann,  hat  Wakefield  mit  seinem  klaren  Scharfsinn  erkannt 
und  demnach  ntqixeifAevog  in  neQixei/JLevov  —  man  könnte  auch 
^iQixeifiivcp  setzen  —  gebessert.  Aber  jiegixeto&ai  kann  keinen 
Akkusativ    bei   sich  haben.     Vollende  daher  die  Verbesserung 

28* 


420      TT.  Christ,  Die  überlieferte  ÄugwaM  Üheohitiseker  Gedichte. 

durch  die  leichte  Änderung  jieQieljüievov  nach  der  Analogie  des 
homerischen  dvaidelriv  inieijuivos  I  372. 

Id.  IV  26  klagt  der  Hirte  Battos  über  den  Weggang  des 
nach  dem  Lorbeer  eines  olympischen  Sieges  lüsternen  Herrn 
Aigon 

(pev  q>€v  ßaoevnai  xal  ral  ßöeg  c5  rdlav  Atycov 
elg  'Atdav,  8xa  xal  tv  xaxäg  fjQdooao  vixag. 

Der  Witz  der  Stelle  erhält  erst  seine  Pointe,  wenn  man 
zu  *Atdav^  in  den  die  armen  Rinder  ziehen  müssen,  den  Ort 
der  Landschaft,  wo  die  olympischen  Siege  gefeiert  werden, 
stellt  und  zwar  in  der  heimischen  Mundart  'Akida.  Der  Dichter 
liebt  das  Wortspiel  und  hat  es  hübsch  auch  in  Id.  VII  100 
angewandt  oldev  *AQiaTig,  io&Xog  än^Q,  juiey''  ägioxog. 


421 


Der  Ostgiebel  des  olympischen  Zeustempels. 

Von  A«  Fartw&ngrler. 

(Vorgetragen  in  der  philoe.-philol.  Klasse  am  13.  Juni  1903.) 

Seit  einem  Vierteljahrhundert  bildet  die  Aufstellung  der 
Statuen  des  Ostgiebels  von  Olympia  ein  Problem,  an  dessen 
Lösung  Ton  den  verschiedensten  Seiten  und  mit  der  grössten 
Anstrengung  fast  unablässig  gearbeitet  worden  ist.  Gross  ist 
die  Zahl  der  Gelehrten,  die  mutig  in  die  Arena  gestiegen  sind 
und  den  Kampf  mit  dem  dunkeln  Rätsel  aufgenommen  haben. 
Ich  selbst  habe  zu  yerschiedenen  Malen  mich  unter  die  Streiter 
gemischt.  *) 

Die  monumentale  Publikation  der  Ergebnisse  der  Aus- 
grabungen von  Olympia,  der  1897  erschienene  dritte  Band 
«Olympia*  schloss  mit  einer  Dissonanz,  mit  dem  Gegensatze 
der  zwei  Aufstellungen  von  Ernst  Curtius  und  Georg  Treu, 
die  beide  ihre  von  Anfang  an  eingenommenen  gegensätzlichen 
Stellungen  unverrückt  festhielten.  Kurz  darauf  erschien  die 
ausführliche  Begründung  einer  neuen  Anordnung  von  K.  W er- 
nicke im  Jahrbuch  des  Archäolog.  Institutes  Bd.  XII,  1897, 
S.  169 — 194,  die  in  Gomparetti  einen  Anhänger  fand  (Strena 

^)  Ich  habe  zuerst  in  den  Preussiseben  Jabrbücbern  Bd.  61  (1882), 
S.  372  ff.  die  Aufstellung  von  £.  Curtius  n&her  zu  begründen  und  zu  ver- 
teidigen gesucht.  Später  habe  ich  im  Jahrbuch  d.  Inst.  Bd.  VI,  1891, 
S.  77—87  eine  eigene  neue  Anordnung  versucht  und  im  Arch.  Anzeiger  1891, 
S.  93  f.  sowie  in  der  Berliner  Philol.  Wochenschrift  1892,  Sp.  1281  ff.  und 
13  U  f.  gegen  Einwürfe  verteidigt. 


422  A,  Furttoängler 

Helbigiana  S.  44  fip.).  In  dem  1901  erschienenen  dritten  Bande 
der  grossen  kommentierten  Ausgabe  des  Pausanias  von  Hitzig 
und  BlUmner  findet  man  die  verschiedenen  Aufstellungen  und 
Deutungen  am  übersichtlichsten  zusammengestellt  (S.  322  ff., 
Taf.  3,  4);  die  beigegebenen  Tafeln  sind  aus  dem  Jahrbuch  1897 
wiederholt,  aber  die  Figuren  sind  hier  in  einheitlicher  Weise 
mit  Buchstaben  bezeichnet,  was  die  Benutzbarkeit  erhöht.  Wir 
gebrauchen  im  Folgenden  der  Kürze  halber  dieselben  Buch- 
staben für  die  Figuren  und  wiederholen  auf  S.  424  die  Ab- 
bildungen der  drei  letzten  und  wichtigsten  Aufstellungen  von 
Treu,  Curtius  und  Wernicke. 

Sicher  ist  bis  jetzt  nur  Eines,  nämlich  dass  alle  bisherigen 
Anordnungen  des  Giebels  nicht  befriedigen.  Darum  dürfen  wir 
das  Suchen  nach  dem  Richtigen  nicht  aufgeben.  Am  wenigsten 
darf  es  derjenige,  der  selbst  eine  Anordnung  Torgeschlagen  hat 
und  die  Unzulänglichkeit  eben  dieser  nun  lebhaft  empfindet 
Und  dies  ist  mein  Fall;  ich  fühle  die  Pflicht,  an  der  Frage 
weiter  zu  arbeiten. 

Meine  frühere  Aufstellung  war  die,  wie  ich  jetzt  glaube, 
falsch  gezogene  Konsequenz  eines  an  sich  gewiss  zweifellos 
richtigen  Grundsatzes,  von  dem  wir  durchaus  nicht  abgehen 
dürfen,  der  aber  bei  allen  anderen  Aufstellungen  mehr  oder 
weniger  verletzt  wird,  des  Grundsatzes,  dass  diejenigen  Figuren 
sich  auf  den  beiden  Seiten  des  Giebels  entsprechen  müssen^ 
welche  die  gleiche  oder  die  nächst  gleiche  Höhe  haben.  Die 
Richtigkeit  dieser  Forderung  liegt  in  der  Natur  der  symme- 
trischen Komposition  der  Giebelfelder  und  wird  insbesondere 
erhärtet  durch  die  genaue  Befolgung  derselben,  die  wir  an 
den  Agineten  nicht  nur,  sondern  vor  allem  am  westlichen 
Giebelfelde  des  Zeustempels  selbst  konstatieren  können. 

Ich  muss  daher  an  den  in  meiner  früheren  Abhandlung 
geforderten  Paaren  im  Ostgiebel  festhalten,  da  sie  allein  der 
genannten  Bedingung  genügen,  dass  die  sich  entsprechenden 
Figuren  der  beiden  Seiten  die  gleiche  oder  die  möglichst  an- 
nähernd gleiche  Höhe  haben  müssen.  Indess  jene  Paare  habe 
ich  damals  falsch  verteilt. 


Der  Ostgiebel  des  olympisehen  Zeustempels,  423 

Erinnern  wir  uns  zunächst  der  jener  Grundforderung  allein 
entsprechenden  Paare  unter  den  Figuren,  deren  Anordnung  am 
meisten  strittig  ist.     Wie  ich  im  Jahrb.  d.  Inst.  1891,  S.  80 
hervorgehoben   habe,    sind   der    hockende   Knabe  E    und   das 
knieende  Mädchen  0  von  gleicher  Grösse.    Diese  beiden  Figuren 
müssen  einst  sich  entsprochen  haben.     Sobald  man  einer  der- 
selben ein  anderes  Gegenstück  geben  will,  verstösst  man  gegen 
jene  Grundforderung;   man  muss  dann  Gegenstücke  bilden  aus 
Figuren  von  wesentlich  verschiedener  Höhe,  wie  Treu,  der  den 
hockenden  Mann  L  als  Gegenstück  zu  E  und   den   knieenden 
Jüngling  B  als  solches  zu  0  ansetzt,   oder  wie  Wernicke,  der 
umgekehrt  B  und  E  sowie  L  und  0  zusammenordnet.    Während 
ein  Paar  van  in  der  Höhe  völlig  übereinstimmenden  und  über- 
dies noch  in  Altersstufe  und  Bewegung  vortrefflich  zu  einander 
passenden   Figuren   vorhanden    ist,    reisst   man   dieses   evident 
gegebene  Paar  auseinander  und  verbindet  die  einzelnen  Glieder 
mit  Figuren,  die  wesentlich  andere  Grösse  haben. 

Auch  an  dem  zweiten  Paare  strittiger  Figuren,  das  ich 
damals  aufstellte,  muss  ich  durchaus  festhalten:  durch  die  über- 
einstimmende Grösse  werden  der  hockende  Mann  L  und  der 
knieende  Jüngling  B  als  Gegenstücke  erwiesen  (vgl.  Jahrbuch 
1891,  S.  81).  Jede  andere  Zusammenstellung,  wie  die  von  L 
und  N  bei  Curtius,  von  L  und  E  bei  Treu,  von  L  und  0  bei 
Wernicke,  sowie  femer  die  von  B  mit  C  bei  Curtius,  B  mit 
0  bei  Treu  und  B  mit  E  bei  Wernicke  vereinigt  Figuren  von 
wesentlich  verschiedener  Höhe.*) 

')  Treu  gibt  im  Olympiawerke  die  vermutlichen  ursprünglichen 
Höhen  der  Figuren  an.  Danach  differieren  die  von  Curtius,  Treu  und 
Wernicke  als  Gegenstücke  angenommenen  Figuren  um  10,  15,  20  und 
25  cm  in  der  Höhe  (nur  L  und  N  bei  Curtius  differieren  etwas  weniger, 
nach  Treu  um  8  cm).  Dagegen  differieren  die  von  mir  aufgestellten 
Gegenstücke  nach  Treus  Massen  nur  um  je  5  cm,  und  auch  diese  5  cm 
fielen  vermutlich  noch  weg;  denn  bei  B  hat  Treu  offenbar  eine  zu  ge- 
senkte Kopfhaltung  angenommen,  so  dass  die  ursprüngliche  Höhe  der 
von  L  (130  cm)  noch  näher  stand;  und  der  fehlende  Kopf  von  E  mag 
ein  wenig  zu  niedrig  veranschlagt  sein,  so  dass  auch  die  Höhe  von  £ 
Jer  von  0  noch  genauer  entsprochen  haben  wird.    Aber  auch  wenn  wir 


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Der  Ottgiebel  des  ciympiadun  etc. 


425 


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Also  die  Oegenstücke,  die  ich  da- 
mals aufstellte,  müssen  bleiben.  Allein 
ihre  Anordnung  muss  eine  andere  werden. 
Der  sitzende  Mann  L  kann  nicht,  wie 
ich  damals  vorschlug,  rechts  neben  N 
gestellt  werden;  schon  deshalb  nicht, 
wefl  die  starre  gerade  Linie  des  von 
der  linken  Schulter  herabfallenden  Man- 
tels abscheulich  und  unmöglich  wirkt, 
wenn  sie  nicht  durch  andere  anschlies- 
sende parallele  Linien  gedeckt  wird. 
Auch  die  Gründe,  die  Treu,  Olympia  III, 
S.  123  anführt,  sind  durchaus  zutreffend. 
Die  Zuspitzung  des  Grundrisses  der  Statue 
nach  ihrer  rechten  Seite  sowie  die  ge- 
drehte Körperhaltung  wären  an  jener 
Stelle  unverständlich;  auch  ist  es  rich- 
tig, dass  die  Figur  dort  „den  ümriss 
des  Gh'eises  daneben  in  störender  Weise 
wiederholte*;  nur  durfte  Treu  diesen 
Ghiind  eigentlich  nicht  anführen,  weil 
er  selbst,  worin  ich  ihm  früher  irriger 
Weise  gefolgt  bin,  durch  das  Hinter- 
einandersetzen  der  zwei  knieenden  Fi- 
guren B  und  G  in  der  linken  Giebelecke 
eben  den  Fehler  wiederholt  hat,  den 
er  an  meiner  früheren  Aufstellung  der 
rechten  Ecke  mit  Recht  tadelte. 

Ein  ganz  untrügliches  Mittel,  um 
die  Stellung  der  Figuren  im  Giebel  zu 
bestimmen,  gibt  uns  der  Grad  der  Aus- 


\ 


die  5  cm  Differenz,  die  Treue  Berechnungen 
geben,  beibehalten,  bleibt  immer  ein  starker 
Unterschied  dieser  von  den  10—25  cm,  um 
welche  die  von  den  Anderen  angenommenen 
Gegenstücke  differieren. 


426  A.  Furttcängler 

fÜhrung  ihrer  einzelnen  Teile:   in  der  Arbeit   yemachlässigte, 
unausgeführte  Partien  können  unmöglich  der  Hauptansicht  der 
Figuren   ausgesetzt  gewesen  sein.     Aus  diesem  Grunde  ist  die 
Möglichkeit,   den  sitzenden  Mann  L   in   die   linke  Giebelhälfte 
zu   stellen,    einfach    ausgeschlossen,    da   er   hier   gerade  seine 
unausgeführte  linke  Kopfseite  dem  Beschauer  zu  und  die  sorg- 
faltig vollendete  rechte  von  ihm  abkehren  würde.     Man  hat 
dagegen  sagen  wollen,  bei  der  Höhe  der  Aufstellung  würde  dies 
dem   unbewaffneten  Auge   von   unten   kaum   aufgefallen  sein. 
Allein  darüber  zu  streiten  ist  unnütz.    Die  gesamte  Arbeit  der 
beiden  Giebelgruppen  lehrt  es  als  unumstössliche  Tatsache,  dass 
die  Künstler  in   der  sorgfaltigen  Ausführung  Überall  eben  so 
weit  gingen   wie  die  Figuren  von  unten   gut  sichtbar  waren, 
dagegen  die  Ausführung  sich  ersparten  wo  immer  sie  annehmen 
durften,   dass   dies  nicht   der  Fall  sei.     Danach   muss  es  als 
einer  der  sichersten   Punkte   der   Ostgiebelau&tellung  gelten, 
dass  L  nicht  links  hinter  dem  Wagen  gesessen  haben  kann,  wo 
er  das  unbearbeitete  Ohr   und  die  vernachlässigten   hässlicben 
Falten  unter  dem  linken  Arme  dem  Beschauer  zu,  die  fein  aus- 
gefiihrten  Teile  aber  abwendet  (vgl.  auch  Treu,  Ol.  III,  S.  122). 

Da  L  nun  nicht  hinter  dem  Greis  N  gesessen  haben  kann, 
so  bleibt  für  ihn  nur  der  ihm  von  Treu  angewiesene  Platz  vor 
den  Rossen  der  rechten  Hälfte.  Und  hier  passt  er  in  der  Tat 
vortrefflich  her.  Nur  hier  findet  seine  verdrehte  auffallende 
Haltung  eine  befriedigende  Erklärung:  er  sitzt  vor  den  Pferden, 
die  Beine  von  ihnen  abgekehrt,  und  dreht  nun  den  Oberkörper 
nach  ihnen  um.  Hier  findet  ferner  jene  jgerade  Linie  seines 
herabfallenden  Mantels  an  den  parallel  daneben  stehenden 
Pferdebeinen  jenen  Hintergrund,  dessen  sie  notwendig  bedarf. 
Dass  die  Figur  ganz  vorne  an  den  Geisonrand  herangerückt 
war,  wie  sie  es  eben  an  jenem  Platze  sein  musste,  hat  Treu 
(Ol.  in,  S.  123)  aus  der  Abmeisselung  der  Unterseite  und  der 
geradlinig  abgeschnittenen  Yorderfläche  des  linken  Oberschenkels 
mit  Recht  geschlossen. 

Da  nun  das  Gegenstück  von  L  der  Grösse  nach,  wie  wir 
sahen,   B  gewesen  ist,  so   muss  der   knieende  Jüngling  B  vor 


Der  Otstgiebel  des  olympischen  Zeustempels,  427 

die  Pferde  links.  Doch  bevor  wir  zu  dieser  Figur  übergehen, 
beenden  wir  die  Betrachtung  der  rechten  Oiebelhälfte. 

£s  gibt  noch  einen  festen  untrüglichen  Halt  für  die  Auf- 
stellung der  Giebelgruppe:  das  ist  der  Fundort  der  Figuren 
der  rechten  Ecke. 

Seit  in  der  PubUkation  des  grossen  Olympiawerkes  mit 
der  ihm  beig^ebenen  Fundkarte  der  Giebelfiguren  alles  Material 
zur  Beurteilung  vorliegt,  kann  meines  Erachtens  kein  Zweifel 
mehr  sein,  dass  zwischen  der  Auffindung  der  Figuren  N  E  P 
vor  der  Nordostecke  und  der  Auffindung  der  übrigen  Stücke 
ein  fundamentaler  Unterschied  besteht.  Jene  Figuren  lagen 
unverbaut  unmittelbar  unterhalb  der  Nordostecke;  alle  anderen 
Stücke  sind  weit  entfernt  und  nicht  in  der  Falllage,  sondern 
verschleppt  und  in  Hüttenmauern  verbaut  gefunden  worden. 
Von  jenen  drei  unterhalb  der  Nordostecke  liegenden  Figuren 
gehörten  zwei,  N  und  P,  zweifellos  in  die  Giebelecke  darüber, 
und  zwar  in  derselben  Reihenfolge,  wie  sie  unten  lagen,  P 
rechts  und  N  weiter  links.  Der  Schluss  aus  diesen  Tatsachen 
ist  ganz  unab weislich:  die  zwischen  N  und  P  in  zwei  Stücke 
gebrochen  gefundene  Figur  des  hockenden  Knaben  E  muss 
auch  im  Giebel  oben  zwischen  N  und  P  gesessen  haben. 

Das  durch  die  Grösse  gegebene  Gegenstück  von  E  ist  aber, 
wie  wir  sahen,  das  knieende  Mädchen  0;  also  wird  nun  auch 
dessen  Platz  bestimmt:  es  muss  an  die  zweite  Stelle  der  süd- 
heben  Giebelhälfte  von  links  rücken,  da  wo  bereits  E.  Gurtius 
es  eingeordnet  hat. 

Ausser  den  stehenden  Mittel-  und  den  liegenden  Eckfiguren 
bleiben  jetzt  nur  noch  der  sitzende  Greis  N  und  der  knieende 
Mann  C  übrig;  ihre  Plätze  können  nur  die  einzig  noch  freien 
hinter  den  Rossen  sein.  Sie  differieren  etwas  in  der  Höhe 
(N:  138;  0  wird  von  Treu  auf  150  berechnet);  allein  dies  ist 
hier  notwendig  motiviert  dadurch,  dass  bei  der  Haltung  mit  nach 
der  Giebelmitte  hin  ausgestreckten  Beinen  der  Kopf  von  N  wesent- 
lich näher  der  Giebelecke  rückt,  also  niedriger  sein  musste  als  der 
Kopf  des  Mannes  C,  der  bei  seiner  nicht  am  Boden  sitzenden,  son- 
dern knieenden  Stellung  näher  nach  der  Giebelmitte  zu  fiel.   Hier- 


428  A,  Furtwängler 

durch  ward  die  Höhendifferenz  der  beiden  entsprechenden  Figuren 
und  damit  eine  kleine  Abweichung  von  der  Regel  notwendig. 

Während  die  Differenz  von  G  und  N  in  der  Haltung  be- 
gründet ist,  so  wäre  die  von  L  und  N  ganz  unerklärlich,  wenn 
diese  Figuren  Gegenstücke  wären ;  L  würde  ja  dann  die  Beine 
von  der  Mitte  Wegstrecken,  während  N  sie  der  Mitte  zustreckt, 
also  könnte  die  Figurenhöhe  von  L,  da  der  Kopf  der  Giebel- 
mitte näher  gerückt  wäre,  doch  nur  höher  sein,  nicht  aber, 
wie  es  tatsächlich  der  Fall  ist,  niedriger  als  N,  und  die  nach- 
trägliche Abmeisselung  der  ünterfläche  von  L,  welche  die  Figur 
niedriger  machte,  wäre  ganz  unerklärlich,  während  sie  leicht 
verständlich  ist,  wenn  L  und  B  die  Gegenstücke  sind. 

Endlich  sei  noch  hervorgehoben,  dass  an  G  der  Bücken 
unausgearbeitet,  an  0  aber  sorgfaltig  ausgeführt  ist,  was  sich 
bei  unserer  Aufstellung  durch  die  Rücksicht  auf  den  unten  vor 
der  Mitte  stehenden  Beschauer  erklärt  und  sie  bestätigt. 

So  ist  denn  die  Aufstellung  der  strittigen  Figuren  fixiert. 
Auf  der  S.  425  gegebenen  Skizze,  die  ich  G.  Reichhold  verdanke, 
ist  das  Resultat  deutlich  gemacht.  Zu  derselben  sei  bemerkt,  dass 
die  Figuren  der  beiden  Giebelhälfken  streng  symmetrisch  ange- 
ordnet sind,  d.  h.  dass  alle  sich  entsprechenden  Hauptpunkte 
der  beiden  Seiten  in  gleicher  Distanz  von  der  Mitte  liegen. 
Dies  scheint  uns  eine  notwendige  künstlerische  Forderung,  gegen 
die  Treu  verstösst,  indem  er  in  der  rechten  GiebelhälFte  alles 
mehr  nach  der  Ecke,  in  der  linken  alles  mehr  nach  der  Mitte 
zu  schiebt.  Die  Punkte,  deren  Symmetrie  so  augenfällig  ist 
wie  die  stehenden  Gestalten  neben  Zeus,  die  Gespanne  und 
Wagen,  die  Eckiiguren  müssen  unter  allen  Umständen  beider- 
seits in  genau  gleichem  Abstände  von  der  Mitte  angeordnet 
werden.  Allerdings  erscheint  die  linke  Hälfte  etwas  lockerer 
und  leerer  als  die  vollere  rechte;  allein  dies  macht  man  nicht 
besser  dadurch,  dass  man  die  Figuren  links  aus  ihren  durch 
die  Symmetrie  gegebenen  Plätzen,  wie  Treu  tut,  mehr  nach 
der  Mitte  schiebt.  Der  Unterschied  der  beiden  Seiten  ist,  wie 
wir  sehen  werden,  die  notwendige  Folge  der  verschiedenen 
Charakteristik  der  beiden  Helden  und  ihres  Gefolges. 


Der  OstgUhel  des  otympischen  ZeusUmpeU.  429 

fievor  wir  unser  Resultat  näher  betrachten,  müssen  wir 
über  die  Fragen  klar  werden,  welche  die  Aufstellung  der  Mittel- 
gnippe  betreffen.  Diese  hat  Wemicke  von  neuem  angeregt, 
indem  er  die  beiden  Gruppen  zu  den  Seiten  des  Zeus  umstellte. 
£r  glaubte  dies  auf  Grund  des  Textes  des  Pausanias  tun  zu  müssen. 

Mit  unrecht.  Wemicke  meint,  h  de^iq,  xov  Aiog  bedeute 
nicht  , rechts  Tom  Zeus*  vom  Beschauer  aus,  sondern  «zur 
rechten  Hand  des  Zeus**;  Oinomaos  müsse  also  zur  Rechten 
von  Zeus,  links  vom  Beschauer  aufgestellt  werden.  Wir  wollen 
nun  den  Nachweis  von  Michaelis  (Arch.  Zeitg.  1876,  S.  162  f.), 
dass  Pausanias  rechts  und  links  regelmässig  vom  Beschauer 
gebrauche,  nicht  benützen,  indem  Wemicke  —  obwohl  mit 
Unrecht  —  ihn  anzuzweifeln  versucht.  Allein  das  folgende 
id  ik  ig  ägiategä  änd  xov  Aidg  spricht  durch  das  änd  doch 
deutlich  gegen  Wemicke:  „zur  Linken  von  der  Figur  des  Zeus 
ab'  setzt  zweifellos  den  Beschauer  als  bestimmenden  voraus: 
der  Beschauer  betrachtet  von  der  Figur  des  Zeus  aus  die  Figuren 
nach  rechts  und  nach  links.  Wenn  nach  des  Zeus  eigener 
Rechten  oder  Linken  orientiert  würde,  dürfte  nicht  dno  stehen. 
Den  endgiltigen  Entscheid  in  der  Frage  aber  geben  die  Namen, 
welche  Pausanias  den  liegenden  Jünglingen  der  beiden  Giebel- 
ecken gibt.  Er  bezeichnet  den  auf  der  Seite  iv  de(iq  xov  äiog 
als  Kladeos,  den  ig  ägiategä  änd  xov  Aidg  aber  als  Alpheios. 
Wer  je  vor  der  Front  des  olympischen  Tempels  gestanden  hat 
oder  sich  die  Situation  durch  einen  Lageplan  vergegenwärtigt, 
weiss,  wie  völlig  unmöglich  es  ist,  die  Figur  links,  da  wo 
wenige  Schritte  vom  Beschauer  der  Alpheios  in  breitem  Bette 
dahinrollt,  für  eine  Personifikation  des  Kladeos,  die  der  ent- 
gegengesetzten Seite  rechts  aber  für  Alpheios  zu  erklären. 
Das  ist  einfach  undenkbar,  weil  absolut  unsinnig.  Damit  aber 
ist  entschieden,  dass  man,  wie  man  es  bisher  auch  fast  allge- 
mein getan  hat,  den  Oinomaos  vom  Beschauer  rechts  neben 
Zeus,  den  Pelops  links  neben  ihn  aufzustellen  hat. 

Alle  anderen  Umstände  aber  passen  vorzüglich  zu  diesem 
Resultat.  Vor  allem  die  künstlerischen  Forderungen.  Die  ge- 
hobenen  Arme   des  Pelops  und  Oinomaos   mit  ihren   Lanzen 


430  A,  FwriwängUr 

wären  unmittelbar  neben  Zeus  schwer  ertraglich.    Die  ganze 
Wirkung   der  majestätischen  Ruhe   in   der  Haltung  des  Zeus 
würde  verloren  gehen.     Femer  würden  zwar  die  drei  Männer 
zusammen  eine  Gruppe  bilden;  aber  die  Frauen  würden  dann 
in  unerträglicher  Weise  isoliert  stehen;  ja  Pelops  und  Hippo- 
dameia  würden  sich  direkt  von  einander  abwenden.    Nun  ist 
es  aber  offenbar  sachlich  notwendig,  dass  Pelops  und  Oinomaos 
mit  den  zu  ihnen  gehörigen  Frauen  Gruppe  bilden,  nicht  aber 
mit  Zeus,    der   nichts  direkt  mit  beiden   zu  tun   hat,  sondern 
offenbar,  den  Sterblichen  unsichtbar,  nur  in  ihrer  Mitte  weilt 
Bei  der  Aufstellung  von  Treu  gewinnen  wir  künstlerisch  ab- 
gerundete Gruppen  für  Pelops  mit  Hippodameia  (F  G)  sowie 
für  Oinomaos  mit  Sterope  (I E);   Zeus  steht  dann  isoliert  in 
der  Mitte,   rechts  und   links  von   ihm   bildet  sich  eine  Lücke. 
Die  lässige  Ruhe  seiner  Haltung  wirkt  erst  jetzt  majestätisch. 
Man  empfindet,  er  ist  der  Gott,  der,  den  Sterblichen  unsicht- 
bar, hier  in  ihre  Mitte  getreten  und  deshalb  von  ihnen  isoliert  ist. 

Die  beiden  Helden  sind  ganz  vom  Gedanken  an  die  bevor- 
stehende Wettfahrt  erfüllt.  Acht  polygnotisches  Ethos  spricht 
aus  ihren  Stellungen:  ruhig  und  völlig  handlungslos,  sprechen 
sie  in  der  Art  der  Haltung  ihren  inneren  Charakter  aus:  be- 
scheiden und  gottergeben  ist  Pelops  —  trotzig,  auf  die  eigene 
Kraft  bauend  Oinomaos.  Doch  Zeus  wendet  sich  leise,  von 
den  Sterblichen  unbemerkt,  dem  Pelops  zu;  denn  nach  dem 
göttlichen  Ratschlüsse  soll  dieser  der  Sieger  bleiben.  Die  von 
mehreren  Gelehrten,  zuletzt  von  Wemicke,  wieder  versuchte 
Einführung  einer  Opferhandlung  und  eines  Altares  neben  Zeus 
würde  die  ganze  Absicht  des  Künstlers,  wie  wir  sie  fEissen, 
zerstören. 

Auch  die  Frauen  sind  den  Helden  entsprechend  charak- 
terisiert: die  Haltung  der  Hippodameia  (F)  ist  ganz  Bescheiden- 
heit, ebenso  wie  die  von  Sterope  (K)  ganz  Stolz. 

Doch  der  Unterschied  erstreckt  sich  noch  weiter  auf  die 
beiden  Giebelhälften:  „auf  Seiten  des  Pelops  bescheidene  Festig- 
keit und  Freude,  dort  bei  Oinomaos  trotzige  Unruhe  und  trübes 
Sinnen*.     Diese  von   mir  früher  (Preuss.  Jahrb.  1882,  Bd.  51, 


Der  Ostgiehel  des  olympischen  ZeustempeU.  431 

S.  373)  gegebene  Charakteristik  passt  bei  der  neuen  Aufstellung 
erst  recht.     Der  vor  den  Rossen  sitzende  Mann  L   mit  seiner 
gewaltsamen   Bewegung   drückt  ünrube,    der   Greis  E   hinter 
den  Rossen  trübes  Ahnen  aus.     Beide  Gestalten,  L  wie  N  sind 
bärtige   bejahrtere  Männer,    entsprechend   ihrem   Herrn,    dem 
bärtigen  Oinomaos.     Dagegen   auf  Pelops  Seite   zwei  jugend- 
liche Gestalten  erscheinen,   von  denen  die  eine  (B)  sicher,  die 
andere  (C)  wahrscheinlich  unbärtig  war, ')  wie  ihr  Herr.    Beide 
Figuren   sind   ganz   schlicht   und   einfach    mit  ihrer   nächsten 
Aufgabe,   der  Wartung  der   Pferde  beschäftigt:    „bescheidene 
Festigkeit*',   ruhige  frohe  Tätigkeit  charakterisiert  die  Beiden. 
Der  hinter  dem  Wagen  knieende  jugendliche  Mann   hält,   wie 
die  erhaltenen  Reste   der  Arme   beweisen  (vgl.  Treu,   Ol.  III, 
S.  122),   die    nach   hinten   geführten  Zügel   der   angeschirrten 
Rosse.     Sein  jüngerer  Genosse,  der  vor  den  Rossen   knieende 
Jüngling  B  ist,  wie  sein  Gegenüber  L,  mit  der  Aufsicht  über 
die  Pferde  beschäftigt.    Wie  die  Vernachlässigung  seiner  linken 
Kopf-  und  Gesässseite  beweist,  waren  diese  Teile  dem  Beschauer 
ab-,  die  Figur  also  nach  rechts  gewandt.    Doch  ist  der  Rücken 
vollständig   ausgeführt;   die  Figur  war   also   nicht   wie  C,   an 
welcher    der   Rücken    zur   grösseren   Hälfte    unausgeführt    ist 
(Olympia  Text  HI,  S.  62),  in  scharfem  Profil  nach  rechts  ge- 
stellt,   sondern   schräg,    so   dass   der   Rücken   sichtbar   war.^) 
Auch  schliesst  Treu  (Olympia  lU,  S.  63)  mit  Recht,   dass   die 
Figur  9  weiter  von  der  Rückwand  des  Giebels   abgerückt  war 
als  die  meisten  übrigen*,  was  eben  ^u  unserer  Ansetzung  nahe 
dem  Geisonrande  vor  den  Rossen  passt.    Wie  ihr  Gegenüber  L 
so  wird   auch   B  einen  Stab,   ein  Kentron    aufgestützt    haben, 
woför  die  erhaltenen  Reste  der  Arme  sehr  gut  passen.    Was 
den  Kopf   betrifft,   so   nehmen   wir  natürlich    nicht  die   stark 


^)  Der  Bart,  den  Treu  C  gibt,  ist  durch  nichts  indiziert;  Gartins 
und  Grüttner  restaurierten  ihn  unb&rtig. 

*)  Die  Aufstellung  bei  Curtius,  wo  die  unbearbeitete  linke  Kopf- 
seite sich  präsentiert,  ist  natürlich  falsch  und  wirkt  durch  die  verkürzte 
Ansicht  der  Glieder  auch  künstlerisch  sehr  ungünstig.  Richtiger  ist  die 
▼OD  Six  und  Sauer  der  Figur  gegebene  Stellung. 


432  A.  Furtwängter 

geduckte  Haltung  desselben  an,  die  Treu  (Olympia,  Bd.  III, 
S.  62),  wegen  der  von  ihm  der  Figur  im  Giebel  angewiesenen 
Stelle,  ihr  gegeben  hat,  sondern  wenigstens  die  aufrechtere, 
die  Treu  selbst  früher  (Athen.  Mitt.,  Bd.  XIV,  1889,  S.  297) 
mit  Benutzung  der  vorhandenen  Dübelspuren  dem  Kopfe  anwies. 
Das  ruhige  Yorsichhinblicken,  in  stiller  Tätigkeit,  wie  dies  die 
Figur  nun  zeigt,  ist  so  recht  in  Übereinstimmung  mit  der  Art 
des  Pelops,  wie  sie  uns  der  Künstler  schildert. 

Die  Rosse  sind  beiderseits  an  die  Wagen  schon  fertig  an- 
geschirrt, wie  aus  den  erhaltenen  Resten  bewiesen  worden  ist. 
Die  Zügel  liefen  nach  hinten.  Ein  Mann,  der  die  Rosse  wirksam 
von  vorne  beaufsichtigen  sollte,  müsste  vor  ihnen  stehen.  Dies 
ging  hier  aus  künstlerischen  Gründen  nicht;  denn  neben  den 
stehenden  Hauptfiguren  war  kein  Raum  mehr  für  eine  stehende 
Nebenfigur.  Hier  vor  den  Pferden  konnte  der  Künstler  nur 
am  Boden  sitzende  oder  kniende  Gestalten  brauchen.  Diese 
konnten  aber  immerhin  auch  in  dieser  Stellung  die  Pferde  be- 
aufsichtigend gedacht  werden.  Beide  Figuren  stützten,  wie 
bemerkt,  einen  Stab  auf,  der  zum  Regieren  der  Pferde  gehörte; 
vermutlich  hielten  sie  aber  ferner  auch  die  herabhängenden 
Leitseile  von  einem  oder  mehreren  Pferden  in  den  Händen. 
Wie  der  Leitriemen  häufig  an  fertig  aufgezäumten  Reitpferden 
zur  Führung  an  der  Hand  vorkommt  (vergl.  Arch.-Ztg.  1880, 
S.  124,  1),  so  mochte  er  hier  den  angeschirrten  Wagenpferden 
zum  Teil  belassen  sein,  weil  der  Künstler  ihn  hier  brauchte. 
Man  hat  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dass  das  linke  Bei- 
pferd das  vornehmste  und  wichtigste  beim  Rennen  war.  Es 
wäre  gewiss  ganz  passend,  wenn  der  Künstler  eben  das  linke 
Beipferd  jederseits  dadurch  ausgezeichnet  hätte,  dass  es  beson- 
ders am  Leitseil  gehalten  würde.  G.  Körte  hat  dies  schon 
vermutet  und  zwar  bei  Gelegenheit  einer  Verteidigung  der 
der  Aufstellung  von  E.  Curtius  (Berl.  Phil.  Wochenschr.  1892, 
Sp.  988).  Diese  Vermutung  erscheint  aber  ganz  anders  passend, 
ja  sie  erscheint  als  evidente  Erklärung  der  eigentümlichen 
Haltung  der  Figuren  bei  unserer  neuen  Aufstellung!  Jetzt  erst 
wird   die    verschiedene    Bewegung   der   beiden   Figuren    klar: 


Der  Ostgiebel  des  ötympisehen  Zeustempels,  433 

L  wendet  sich  herum  zu  seinem  linken  Beipferd,  unter  dessen 
Kopf  gerade  seine  Hände  zu  stehen  kommen  und  dessen  Leit- 
seil er  hält;  B  kniet  deshalb  so  schräg  nach  der  Giebelwand 
bin  und  zeigt  einen  Teil  seines  Rückens,  weil  er  eben  das 
Leitseil  seines  linken  Beipferdes,  welches  das  hinterste  an  der 
Giebelwand  ist,  hält. 

Die  Ton  Tansanias  wiedergegebene  Erklärung  der  ojmpi- 
schen  Exegeten  sah  in  dem  sitzenden  Manne  L  den  Wagen- 
lenker des  Oinomaos  Myrtilos.  Dass  Pausanias  Worte  xd^rjjai 
Ttgd  xwv  Xjukov  so  genau  auf  L  passen,  und  nur  auf  diese 
Figur  —  denn  bei  keiner  anderen  Aufstellung  kommt  ein 
sitzender  Mann  an  dieser  Stelle  vor  die  Rosse  —  ist  eine  ge- 
wichtige Bestätigung  der  Richtigkeit  dieser  Aufstellung.  In 
seinem  Gegenüber  sah  die  olympische  Exegese  Eillas  den 
Lenker  des  Pelops.  Ob  diese  Namen  der  Absicht  des  Künstlers 
entsprachen,  lassen  wir  am  besten  dahingestellt;  sicher  ist, 
dass  der  Künstler  auf  beiden  Seiten  die  gewichtigere  ältere 
Figur  an  den  vornehmeren  Platz  hinter  den  Wagen,  die  weniger 
bedeutende  vor  die  Rosse  gestellt  hat. 

Hinter  den  zu  den  Wagen  gehörigen  Gestalten  C  und  N 
folgt  beiderseits  ein  Abschnitt  in  der  Komposition.  Es  kommen 
Figuren,  die  mit  der  Szene  in  der  Mitte  nichts  direkt  zu  tun 
haben.  Auch  hier  wirkt  aber  noch  der  unterschied  der  beiden 
Giebelhälften  nach:  rechts  stärkere  Bewegung  und  gebrochene 
Linien,  links  Ruhe  und  einfache  Schlichtheit.  Der  Jüngling 
in  der  Ecke  links  (A)  stützt  ruhig  den  Kopf  in  die  Hand  und  lässt 
den  anderen  Arm  auf  dem  Körper  ruhen.  Ihm  ist  ein  Mäd- 
chen (0)  zugewandt,  das  die  Hände  gehalten  haben  muss,  als 
ob  es  an  seinem  Fusse  spiele ;  der  Künstler  liess  dies  wohl  ab- 
sichtlich unbestimmt.  Der  Rücken  der  Figur  ist  besonders 
sorgfaltig  ausgeführt,  viel  mehr  als  die  Brustseite,  was  zur  Be- 
stätigung unserer  Aufstellung  dient,  weil  bei  dieser  der  Be- 
schauer  von  der   Mitte   her  eben  den  Rücken    der  Figur   sah. 

Bei  dem  Gegenstücke,  dem  hockenden  Knaben  E,  ist  die 
vom  Künstler  wieder  absichtlich  unbestimmt  gehaltene  be- 
deutungslose, wie  spielende  Geberde  der  an  den  Fuss  greifenden 

1903.  SiUgsb.  d.  phUoB.-pbUoL  n.  d.  hisL  Kl.  29 


434  A,  Furttoängler 

einen  Hand  vollkommen   erhalten.     Es  ist  eine  Haltung  toq 
der  Art  wie  die  der  Rechten  des  Zeus.   Etwas  Analoges  haben 
wir  bei  dem  Mädchen  0  vorauszusetzen.     Der  Knabe  E  bildet 
durch  sein  Motiv   einen  vorzüglichen   Übergang   zu  der  £ck- 
iigur,    wie   oft   mit   Recht   hervorgehoben    worden  ist.    Seine 
vordere,  rechte  und  linke  Körperseite  sind  vollkommen  gleich- 
massig   ausgearbeitet;    dagegen  ist  sein  Rücken  ganz  roh  ge- 
lassen, ja  es  ist  ein  Teil  des  unteren  Rückens  und  des  Qesässes 
einfach  weggelassen  (vgl.  die  Abbildungen  Olympia  UI,  S.  59). 
indem   der   aufs   äusserste  ausgenutzte,   aber   zu   knappe  Mar- 
morblock diese  Teile  nicht   mehr   hergab.     Aus  der  Vernach- 
lässigung des  Rückens  geht  mit  Sicherheit  hervor,  dass  iiese 
Seite  parallel  der  Giebelrückwand  gestanden  hat.    Dann  zeigte 
sich   der  Körper    der  Figur  gerade   von  vorne;   der  Kopf  war 
etwas    nach    der    linken    Schulter    gewendet.      Nur   in  dieser 
Stellung  des  Körpers  in  voller  Vorderansicht  wirkt  die  Fipir 
auch   künstlerisch  richtig;  sie  ist  ganz  offenbar  für  diese  An- 
sicht angelegt;   ihre  Wirkung   ist  dagegen  eine  schlechte  und 
verkehrte,   sobald   man   sie  schräg  aufstellt,   wie  es  Treu  tut, 
der   sie   vor   die  Rosse   setzt.    Wie   bemerkt,   sind   die  rechte 
wie  die  linke   Körperseite  voll  ausgeführt,   weil   sie  beide  zu 
sehen  waren;    nur  der  ganze  Rücken  ist  roh,   weil  er  parallel 
der  Rückwand  aufgestellt  war.    Treu  —  und  ihm  folgend  ich 
selbst  fi'üher  —  hatte  sich  täuschen  lassen  dadurch,   dass  der 
unbearbeitete  Rücken   vor  die  Pferde  links  su  passen  schien.^) 
Die  beiden  Figuren,   der  Knabe  E   und   das  Mädchen  0, 


^)  Die  Einwendungen  von  6.  Körte  dagegen  in  Berl.  Philolog. 
Wochenachr.  1892,  Sp.  1046  waren  durchaus  richtig.  —  Nicht  die  .rechte 
Seite",  wie  Treu  (Olympia  IH,  S.  122)  sagt,  sondern  nur  der  Rücken  ist 
V ern ach  1  blasig t;  wäre  es  jene,  so  würde  dies  ja  bei  der  Treu'schen  schrägen 
Aufstellung,  wo  die  rechte  Körperseite  vorgedreht  ist,  erst  recht  sichtbar 
geworden  sein.  Aus  der  Art  der  Bearbeitung  der  Statue  ist  hier  nicht, 
wie  Treu  will,  auf  Stellung  in  rechter  oder  linker  Giebelhälfte,  sondern 
nur  auf  die  Art  der  Stellung  vor  der  Giebelrück  wand  ein  zwingender 
Schluss  zu  ziehen.  —  Die  Facestellung  der  Figur  habe  ich  übrigens  be- 
reits in  dem  Aufsatze  in  den  Preuss.  Jahrb.,  Bd.  61,  188Ü,  S.  375  Anm. 
verlangt. 


Der  Ostgiehel  des  olympischen  ZeustempeU,  435 

bilden  je  eine  lebendige  Gruppe  mit  den  Jünglingen  in  den 
Ecken.  Es  ist  einleuchtend,  wie  sehr  die  Komposition  dadurch 
kflnstlerisch  gewinnt,  ja  wie  sie  allein  bei  dieser  Anordnung 
Rhythmus  und  Leben  erhält  und  nur  bei  ihr  die  Linien  sich 
gefallig  aneinanderschliessen ;  während  die  Rückenlinie  von  B 
neben  A  unerträglich  wirkt,  ebenso  wie  die  starre  Wiederholung 
des  Motives,  wenn  B  und  C  hintereinander  knieen,  uner- 
träglich ist. 

Es  ist  klar,  dass  es  ein  überaus  feiner  Zug  der  Kompo* 
sition  ist,  dass  die  drei  Figuren  der  Ecken  nicht  gleichmässig 
alle  nach  der  Mitte  schauen,  was  gar  einförmig  wirkt,  wie 
man  bei  Treus  Anordnung  sehen  kann;^)  sondern  dass  hier 
ein  Knick,  eine  Unterbrechung  in  der  Mitte  der  drei  ange- 
bracht ist.  Die  langgestreckten  symmetrischen  Linien  der  liegen- 
den Eckfiguren  A  und  P  wirken  um  so  kräftiger  die  Kompo- 
sition zusammenfassend  und  einschliessend,  wenn  die  nächst 
folgende  Figur  jederseits  nicht  die  gleiche  Richtung  hat.  Der 
künstlerische  Gewinn,  das  reiche  rhythmische  Leben,  das  die 
Komposition  durch  die  zunächst  nur  aus  äusseren  Tatsachen 
(Fundstelle  und  Figurenhöhe)  erschlossene  Aufstellung  gewinnt, 
ist  ohne  Zweifel  eine  schöne  Bestätigung  derselben. 

Ich  habe  den  Gedanken  erwogen,  ob  A  und  0  sowie  E 
und  P  nicht  durch  irgend  eine  gemeinsame  Handlung  (etwa 
eine  Art  Ton  Loose-  oder  Würfelwerfen  oder  dergl.)  ver- 
bunden gewesen  sein  könnten;  allein  nähere  Überlegung  zeigte 
mir,  dass  dies  nicht  angeht.  Der  erhaltene  Kopf  von  P  blickt 
zweifellos  nach  der  Mitte  zu,  und  dasselbe  ist  für  A  voraus- 
zusetzen. Auch  ist  dies  nach  der  Mitte  blicken  für  die  Kom- 
position notwendig;  Hesse  man  A  mit  0,  P  mit  E  sich  be- 
schäftigen, so  fielen  die  Figuren  aus  dem  geschlossenen  Ganzen 
als  selbständig  sich  abtrennende  Gruppen  heraus.  Ferner  ist 
E  seinen  vollständig  erhaltenen  Gliedern  nach  unbeschäftigt, 
und  das  gleiche  ist  für  das  Gegenstück  anzunehmen. 


')  Bei  Wernicke*8  Aufstellung  ist  der  Widerspruch  der  beiden  Seiten 
aofßlllig:  linka  Richtung  nach  der  Mitte  wie  bei  Treu,  rechts  Knick. 

29* 


436  A,  Furtwängler 

Was  nun  die  Bedeutung  der  Figuren  anlangt,  so  gingen 
die  olympischen  Exegeten,  denen  Pausanias  folgte,  entsprechend 
dem   gemeinen   Laieninteresse,    in    ihrer   Erklärung   nur  auf 
Namen   aus.     Diesem  Streben   verdanken  die  Eckfiguren  ihre, 
wie  jetzt  wohl  allgemein  anerkannt  wird,  falschen  Benennungen, 
wodurch  sie  zu  Naturpersoniiikationen  wurden,  dergleichen  das 
fünfte  Jahrhundert  ja  überhaupt  noch  gar  nicht  kannte.  Wir 
deuteten  ferner  oben  an,    dass   die   Deutung   der  Figuren  Tor 
den  Rossen   als  Hauptwagenlenker  bei  Pausanias   wahrschein- 
lich irrig  ist,   indem  die  zu  dem  Wagen   gehörige  Hauptfigur 
jederseits   hinter    demselben    angeordnet  ist.     Die  olympischen 
Exegeten,  die  Pausanias  Quelle  waren,   fuhren  in  der  Namen- 
gebung  von  der  Mitte  aus  einfach  fort:  nach  den  Haupthelden 
mussten  ihre  Wagenlenker  kommen;  für  diese  wussten  sie  noch 
Namen  anzugeben;  dann  aber  stockten  sie;  für  die  zwei  Figuren, 
die  jederseits  folgten,    fiel  ihnen  nichts  ein;    nur  für  die  Eck- 
figuren hatten  sie  ihre  schlechte  Erklärung  als  Alpbeios  und 
Kladeos  parat,  die  ihrem  an  liegende  Flussgötter  allüberall  ge- 
wöhnten Publikum  gar  sehr  einleuchten  mochte.    Die  Figuren 
aber,  die  sie  nicht  benennen  konnten,  waren  ihnen  ganz  gleich- 
gültig;  sie   werden   bei  Pausanias  beiderseits  zusammengefasst 
als  ovo  ävdgeg,   und   es   heisst   von  ihnen  einfach,    sie  werden 
eben  Innoxofxoi  gewesen  sein.    Bei  dieser  gleichgültigen  nach- 
lässigen  Behandlung   jener    zwei   Figuren   jederseits   kann  es 
nicht   auffallen,    dass   sich   grobe   Irrtümer   in   ihr  verbergen: 
das  Mädchen   ward   als  Mann,   und  der  Knabe   mit  dem  Greis 
als  ävögeg  ovo  bezeichnet,  und  es  sind  beiderseits  zwei  Figuren 
zusammengenommen,  die  gar  nichts  miteinander  zu  tun  haben. 
Das    war    die    natürliche   Folge    einer  Exegese,    die   nur  auf 
Namen  ausging.    —    Doch    schlimmer  und  willkürlicher  noch 
haben  die  modernen  Exegeten  gehaust,   die  jenen  Figuren  die 
abenteuerlichsten    Namen    verliehen    haben.     Sah    man    doch 
allzulange  geradezu  eine  Hauptaufgabe  der  Archäologie  darin, 
eben    denjenigen    Figuren   gelehrte   Namen    zu   geben,    welche 
die  alten  Künstler   ofi'enbar   selbst   unbenannt  sehen  wollten.*) 

')  Vgl.  Furtwängler-Reichhold,  Griechische  Vasenmalerei,  S.  117. 184. 


Der  Ostgiebel  des  olympischen  Zeustempels.  437 

Zu  diesen  letzteren  gehörten,  wie  wir  glauben,  auch  die 
vier  Eckfiguren  des  olympischen  Ostgiebels.  Sie  sind  zu  beur- 
teilen wie  die  vier  Eckfiguren  des  Westgiebels.  Diese  aber 
sind  begleitendes  Gesinde  der  Helden,  nichts  weiter;  es  sind 
greise  Schaffnerinnen  und  lose  Mägde,^)  namenlose  Gestalten, 
bestimmt  als  füllender  Rahmen  für  die  Haupthandlung  zu 
dienen.  Gleicher  Art  sind  die  entsprechenden,  nur  viel  schöner 
komponierten  Eckgruppen  des  Ostgiebels.  Es  ist  Gesinde, 
Gefolge  der  Herren,  die  in  der  Mitte  dargestellt  sind. 

Wie  wir  oben  schon  andeuteten,  hat  der  Künstler  den 
verschiedenen  Grundton  im  Charakter  der  beiden  Haupthelden 
je  auf  ihrer  ganzen  Giebelseite  weiter  klingen  lassen.  Wir 
Temehmen  ihn  noch  leise  darin,  wenn  links,  auf  Pelops  Seite, 
ein  Mädchen  erscheint,  voll  schlichter  bescheidener  Anmut  und 
in  gefasster  Haltung;  während  rechts  ein  Bursche  hockt,  in 
unbekümmert  derb  sich  gehen  lassendem  Gebahren.  und  selbst 
Ton  den  Jünglingen  in  der  Ecke  ist  der  rechts  (P)  lebhaft 
unruhig,  der  linke  (A)  gehalten  still. 

Eine  Folge  der  durchgeführten  Charakteristik  in  den 
Figuren  und  ihren  Haltungen  auf  beiden  Giebelseiten  war 
allerdings,  wie  wir  oben  schon  andeuteten  (S.  428)  eine  ge- 
wisse Ungleichheit,  indem  die  linke  Seite  lockerer,  die  rechte 
voller  wurde,  eine  Ungleichheit,  die  sich  der  Künstler  aber 
bei  der  sonst  festgehaltenen  strengen  Symmetrie  und  den  gleichen 
Abständen,  die  alle  Hauptpunkte  von  der  Mitte  zeigten,  wohl 
gestatten  durfte. 

Die  gleichzeitigen  Vasenbilder  geben  uns  Hunderte  von 
Beispielen  davon,  dass  namenlose,  wesentlich  künstlerischem 
Bedürfnis  entsprungene  Figuren  als  Bahmen  um  die  durch  die 
Sage    gegebenen    Helden-    und    Göttergestalten    herum    ange- 


*)  Vgl.  meine  Ausführungen  im  Jahrbuch  d.  Inst.  VI,  1891,  S.  87, 
und  Arcb.  Anz.  1891,  S.  94.  Treu  ist  neuerdings,  Olympia  III,  S.  136 
dieser  meiner  Auffassung  beigetreten;  nur  zieht  er  für  die  jungen  Mädchen 
den  Ausdruck  ,Lapithenfrauen'  vor,  der  mir  weniger  passend  erscheint; 
doch  ist  dies  unwesentlich. 


438     A.  Furlträngler,  Der  Ostyiehel  de$  clyntpischen  ZeusUmpeh. 

ordnet  werden.  Es  war  eine  falsche  Richtung  unserer  Wissen- 
schaft, wenn  man  auch  da  früher  überall  nach  individuellen 
Namen  gesucht  hat. 

Ich  scheide  von  der  Betrachtung  des  östlichen  Giebels 
in  Olympia  mit  dem  Gefühle  der  Erleichterung  und  der  Be- 
friedigung, Endlich,  glaube  ich,  ist  die  Anordnung  gefunden, 
bei  der  man  sich  wird  beruhigen  dürfen,  bei  der  alle  inneren 
wie  äusseren  Momente,  alle  Grundlagen  berücksichtigt  sind, 
welche  durch  äussere  Indizien  wie  durch  innere  künstlerische 
Forderungen  gegeben  werden.  Endlich  eine  Anordnung,  die 
dem  Meister  des  Giebels,  mag  er  geheissen  haben  wie  er  wolle. 
alle  Ehre  macht  und  uns  reine  Freude  an  seinem  Werke 
gestattet. 


A.  Furtwängler,   Epidauros.  Taf.  I. 


■03.  SltlEsb.d.  ptilloB.-pbilol.  u.  d.  bisl.  Rl. 


A.  Fuftwängler,    Epidauros.  ■    Jaf,  //. 


1, 


|i 


I0C3.  Ri».^8b.  d.  philo 


439 


Zu  den  Skulpturen  des  Asklepiostempels  von  Epidauros 

Von  A.  Furtw&ngrler. 

(Mit  2  TftfelD.) 

(Vorgetragen  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  4.  Juli  1903.) 

Bei  einem  Besuche  des  wohlgeordneten  Museums,  das  auf 
der  Stätte  des  Hieron  bei  Epidauros  errichtet  worden  ist,  um 
die  Funde  zu  bergen,  die  den  so  überaus  ergebnisreichen  Aus- 
grabungen von  P.  Kabbadias  verdankt  werden,  fiel  mir  im 
Herbste  1901  eine  liegende  Jünglingsstatue  auf,  eine  offenbar 
aus  den  Giebeln  des  Asklepiostempels  stammende  Figur,  die  in 
den  bisherigen  Publikationen  und  Besprechungen  noch  nirgends 
berücksichtigt  worden  war.  Die  besser  erhaltenen  Stücke  der 
Giebelskulpturen  waren  schon  seit  langem  in  das  Museum  zu 
Athen  verbracht  worden.  Jene  Jünglingsfigur  war  später  ge- 
funden worden  und  verblieb  im  Lokalmuseum.  Doch  wird  sie 
auch  in  der  grossen  Publikation  von  Defrasse  und  Lechat, 
obwohl  da  auf  p.  72  allerlei  im  Lokalmuseum  gebliebene 
kleinere  Fragmente  der  Giebelskulpturen  abgebildet  werden, 
mit  keinem  Worte  erwähnt. 

Ich  verdanke  es  der  vielbewährten  Liberalität  des  Herrn 
F.  Kabbadias,  wenn  ich  hier  (Taf.I)  eine  mir  von  demselben  zur 
Verfügung  gestellte  Photographie  der  Figur  wiedergeben  lassen 
kann.  Da  die  Statue  die  einzige  vollständige  unter  den  Resten 
der  Giebelgruppen  ist,  die  einzige,  an  welcher  Kopf  und  Körper 


440  Ä.  Furtfcängler 

erhalten  sind,  so  kommt  ihr  eine  besondere  Bedeutung  zu  und 
sie  verdiente  schon  eine  bessere  Publikation,  als  sie  unsere 
Abbildung  bietet.  Doch  soll  diese  nur  erst  einmal  auf  die 
Figur  hinweisen.  Wenn  sie,  wie  ich  hoffe,  in  das  Museum  nacl 
Athen  gebracht  werden  wird,  so  wird  sie  dort  besserer  Publi- 
kation und  allgemeinerem  Studium  zugänglich  sein. 

Die  Figur,    ein  gefallener   toter  Jüngling,   trägt  jetzt  ii 
dem   Epidaurischen   Lokalmuseum   Nr.  42.     Sie   hat  dieselben 
Grössenverhältnisse   wie   die   übrigen   Reste  der  Tempelgiebel. 
Die  Distanz  der  Brustwarzen  beträgt  0,13;  die  Gesichtslänge  0,11. 
Dies  sind  dieselben  Masse  wie  an  den  Figuren  in  Athen.  Auch 
der  Marmor  ist  derselbe  wie  an  jenen.     Besonders  ähnlich  ist 
unter  den  Fragmenten   in  Athen  Nr.  152  (Kabbadias,  ylvma 
xov  Idv.  fiova,  S.  133,  Nr.  152),  das  Stück  einer  ebenfalls  auf 
dem   Boden   mit   den   Füssen    nach    rechts   liegenden  nackten 
männlichen  Gestalt;   es  ist  nur  der  Teil  vom  Unterleib  bisza 
den  Knieen  erhalten.     Die  Schenkel  liegen  ebenso  übereinander 
in  einer  Fläche  wie  an  unserer  neuen  Figur.     Diese  Stellung 
erklärt  sich  natürlich  aus  der  Aufgabe  des  Künstlers,  der  die 
beiden  Beine   der   liegenden  Figur   dem   unten   stehenden  Be- 
schauer sichtbar  machen  musste.    Er  strebte  danach,  möglichst 
viel  von  der  Figur  in  eine  Fläche  mit  der  Rückwand  des  Giebels 
zu  bringen.     Aus  demselben  Grunde  fanden  wir  dieselbe  Stel- 
lung der  Schenkel  an  der  griechischen  Giebelfigur,   die  ich  iu 
Sammlung  Jacobsen   zu  Kopenhagen   nachgewiesen   habe  und 
die    in   diesen   Sitzungsberichten  1899,    II,    S.  280  und  1902, 
Taf.  2   zu  S.  443  ff.    abgebildet   ist.     Wenn   es   dagegen  noch 
eines  Beweises  bedürfte,   dass  die  Florentiner  Niobidengruppe 
niemals   in   einen  Giebel   gehörte,   so  würde   die  von  der  eben 
beschriebenen    so  ganz   verschiedene  Lage  des  toten  Niobiden 
dazu  genügen;   denn   dieser   liegt  gerade  auf  dem  Rücken,  so 
dass  in  der  Ansicht  von  unten  nur  ein  Schenkel  sichtbar  wäre; 
er  ist  eben  so  deutlich  für  die  Betrachtung  von  oben  gearbeitet 
(vgl.    meine  Beschreibung   der  Glyptothek    in  München  1900, 
Nr.  269)    wie    die    erwähnten    Giebelfiguren    für   die  Ansicht 
von  unten. 


Zu  den  Skulfduren  des  Aahlepioatempeh  von  Epidauros.       441 

Betrachten  wir  den  epidaurischen  Jttngling  näher.  Er  ist 
tot.  Der  Kopf  ist  zurückgesunken,  das  Auge  ist  gebrochen. 
Leider  ist  das  Gesicht  zum  Teil  zerstört.  Die  Stime  zeigt 
eine  starke  horizontale  Falte.  Das  kurze  Haar  föllt  zurück. 
Ein  Mantel  ist  um  sein  rechtes  Bein  geschlungen  und  zieht 
sich  den  ganzen  Rücken  entlang  hinauf.  Der  linke  Arm  ist 
erhoben  und  greift  an  den  Kopf;  die  Lücken  hier  herum  sind 
geschickt  durch  den  Mantel  gefQlIt.  Der  rechte  Arm  ist  ge- 
senkt, die  Hand  liegt  am  rechten  Schenkel.  Die  beiden  Hände 
sind  leer.  Das  linke  Bein  greift  über  das  rechte  vor.  Um- 
gekehrt tritt  am  Oberkörper  die  rechte  Schulter  vor,  die  linke 
zurück.  Der  Oberkörper  liegt  auf  dem  Rücken,  der  Unter- 
körper auf  der  Seite.  Dadurch  entsteht  eine  starke  Drehung 
über  dem  Unterleib,  die  der  Künstler  meisterhaft  wiederge- 
geben hat;  die  weichen  Teile  des  Leibes  mit  der  Hautfalte 
über  dem  Nabel  sind  mit  grösster  Sicherheit  und  Lebendigkeit 
gebildet. 

Es  ist  ein  leidenschaftlicher  Zug  in  der  Lage  der  Figur 
und  viel  mehr  Unmittelbarkeit  und  Frische  als  in  der  Haltung 
des  toten  Niobiden  der  Florentiner  Gruppe  und  unendlich  viel 
mehr  Freiheit  und  gelöste  Leidenschaft  als*  in  dem  noch  etwas 
ängstlich  befangenen  älteren  Niobiden  in  Kopenhagen.  In- 
teressant ist  zu  vergleichen,  worin  die  drei  Figuren  abweichen 
und  worin  sie  übereinstimmen.  Bei  allen  drei  ist  das  bei  Ge- 
fallenen so  häufige  und  alte  Motiv  des  über  den  Kopf  erhobe- 
nen einen  Armes  verwendet.  Der  Kopenhagener  Niobide  ist 
indes  noch  nicht  tot,  sondern  nur  tötlich  getroffen  wie  die 
analogen  Figuren  der  Äginetischen  Giebel ;  er  stützt  den  Ober- 
körper noch  auf  den  einen  Arm;  sein  nach  der  einen  Seite 
ansteigender  Umriss  ist  mit  Rücksicht  auf  den  Platz  in  der 
Giebelecke  gewählt.  Die  epidaurische  Figur  bietet  keinen  Anlass, 
in  die  Giebelecke  gesetzt  zu  werden;  gewiss  gehörte  sie  nicht 
in  die  linke,  eher  in  die  rechte  Giebelecke.  Im  Motive  steht 
sie  dem  Florentiner  Niobiden,  wenn  man  davon  absieht,  dass 
sie,  wie  wir  schon  bemerkten,  für  einen  Giebel  und  Unter- 
ansicht, jener  aber  für  Oberansicht  komponiert  ist,   näher  als 


442  A,  Furtwängler 

dem  Kopenhagener.  Allein  der  Rhythmus  in  der  verscbraDkieB 
Haltung  des  epidaurischen  Jünglings  hat  viel  mehr  Reicbtum 
und  Schwung,  als  der  milderen  Schönheit  des  Florentiner  liio- 
biden  eigen  ist. 

Das  Oewand  der  neuen  epidaurischen  Fig^r  ist  besondeis 
verwandt  in  der  Arbeit  dem  Fragment  Nr.  146  des  Athenischen 
Museums,  einer  bekleideten  knieenden  Frau  aus  dem  osÜicken 
Giebelfelde,  und  ebenso  der  Nr.  138,  dem  Unterteil  einer  Ama- 
zone des  westlichen  Giebels.  Die  tief  eingeschnittenen  und  scharf 
gebrochenen  Furchen  und  die  etwas  rundlichen  nicht  scharfeB 
Faltenrücken  sind  diesem  Künstler  eigentümlich.  Die  Giebel- 
figuren wurden,  wie  die  bekannte  Inschrift  angibt,  nach  den 
Modellen  des  Timotheos,  von  verschiedenen  Händen  ausgeführt, 
was  auch  die  erhaltenen  Reste  noch  erkennen  lassen. 

Wir  haben  noch  eines  wichtigen  TTmstandes  zu  gedenken, 
der  definitiv  bestätigt,  dass  die  neue  Statue  zu  dem  Giebel- 
schmuck des  Asklepiostempels  gehörte.  Die  Giebelfiguren  dieses 
Tempels  haben  keine  angearbeiteten  Plinthen;  sie  waren  dirett 
auf  den  Giebelboden  gestellt.  An  unserer  neuen  Figur  isi 
aber  noch  etwas  weiteres  zu  beobachten:  der  vordere  ßwA 
derselben  ist  auch  an  der  Unterseite  skulpiert;  er  muss  also 
über  den  Rand  der  Platte,  auf  welcher  die  Statue  ruhte,  heraus- 
geragt haben.  Dies  weist  wiederum  mit  Bestimmtheit  auf  die 
Aufstellung  in  der  Höhe,  indem  jene  Ausarbeitung  an  der 
Unterseite  der  über  ihre  Basis  herausgreifenden  Figur  eben 
für  die  Ansicht  von  unten  bestimmt  war. 

Dass  die  Giebelfiguren  des  Asklepiostempels  von  Epidauros 
aber  wirklich  ganz  vorne  am  Rande  des  Geisons  ohne  Plinthe 
aufgestellt  waren  und  der  vordere  Figurenrand  leicht  auch 
über  den  Geisonrand  etwas  herausgreifen  konnte,  wie  dies  an 
der  neuen  Statue  tatsächlich  der  Fall  ist,  dafQr  liefert  eine 
Geisonplatte  den  beweis,  die  ich  1901  im  Hieron  des  Asklepios 
westlich  vom  Tempel  liegend  fand,  und  die  mein  Reisegefährte, 
der  Architekt  Herr  Ernst  R.  Fiechter,  aufgenommen  hat« 
Er  hat  die  Aufnahme  (s.  umstehend)  mir  zur  Veröffentlichung 
freundlichst   überlassen.     Man  sieht  hier,  wie  das  Qeison  her- 


Zu  den  SktUpturen  des  Äsklepiostempels  von  Epidauros.       443 

gerichtet  ist  zur  Aufnahme  von  Figuren,  die  nicht  eine  ein- 
zulassende Plinthe  hatten,  sondern  die  einen  skulpierten  vor* 
deren  Rand  haben  mussten,  der  auch  etwas  über  das  Geison 
übergreifen  konnte. 

Unter  den  öiebelskulpturen  im  Museum  in  Athen  steht 
auch  eine  kleine  sitzende  weibliche  Gewandfigur,  die  von  Kabba- 
dias  im  Kataloge  Nr.  158  vermutungsweise  den  Giebeln  zuge- 
rechnet worden  ist,   obwohl  sie  nicht  beim  Tempel    gefunden 


••• 


• 


Sil. 


GELSEN  BRUM^TÜCK 
AUJEPIDAURoj  voA\ 

AJKLtPPfTE.'VNPtL. 


wurde.  Sie  kann  indes,  wie  wir  jetzt  sicher  sagen  können, 
schon  deshalb  nicht  zu  den  Giebeln  gehören,  weil  sie  eine 
dicke  Plinthe  hat,  die  zum  Einlassen  bestimmt  war.  Indes 
stimmt  sie  auch  weder  in  den  Proportionen  noch  im  Stile  und 
der  Arbeit  mit  den  Giebelfiguren  überein. ^) 


')  Sie  ist  viel  zu  klein.  Die  Arbeit  ist  gröber;  die  Raspelstriche 
sind  stehen  gelassen,  was  an  den  Giebeln  nicht  der  Fall  ist.  —  Auch 
Lechat  (Defrasse-Lechat  p.  73  Anm.)  hat  die  Figur  ausgeschieden. 


444  A,  Furtwängler 

Unter  den  Resten  der  Giebel  nimmt  nunmehr  die  neue 
Figur  durch  Motiv,  Ausführung  und  Erhaltung  einen  hervor- 
ragenden Platz  ein. 

Feiner  aber  als  alle  Stücke  der  Giebel  sind  die  uns  er- 
haltenen Akroterien  des  Tempels.  Sie  sind  in  der  Ausführung 
durchaus  schärfer  und  noch  sorgfältiger  in  allem  einzelnen  als 
die  Giebelfiguren.  Unter  den  Akroterienstücken  aber  ist  wieder 
Abs  beste  Nr.  162  (früher  Nr.  97;  s.  Taf.  II  rechts),  der  Torso 
der  Nike  vom  Firste  des  einen  Giebels.  Dass  diese  Nike  von 
dem  einen  Mittelakroter  des  Tempels  stammt,  habe  ich  bereits 
in  der  Berliner  Philol.  Wochenschrift  1888,  Sp.  1484 
bemerkt,  und  dies  hat  sich  mir  bei  nachfolgenden  Unter- 
suchungen nur  immer  mehr  bestätigt.  Dass  der  andere  Torso 
einer  Nike,  die  einen  Vogel  auf  der  Hand  trägt,  Nr.  155 
(früher  Nr.  89)  vom  einen  Firste,  und  zwar  nach  dem  Fund- 
orte von  dem  westlichen  stammt,  wie  ich  ebendort  bemerkt 
hatte,  wird  jetzt,  nachdem  auch  der  untere  Teil  der  Figur  ge- 
funden ist  (siehe  Tafel  II  links),  auch  von  Eabbadias  (tö 
Ieqöv  tov  ^Aoxki]mov  S.  42,  Anm.)  zugestanden  und  ist  von 
Lechat  (Defrasse-Lechat  S.  76)  näher  begründet  worden.^)  Doch 
jener  erstere  Torso  Nr.  162  wird  auffallenderweise  bisher  all- 
gemein nicht  zum  Tempel  gerechnet  und  späterer,  sog.  alexan- 
drinischer  Zeit  zugeschrieben*)  —  evident  unrichtig;  nach 
Stil,  Arbeit,  Material,  Art  der  Anstückung  der  Flügel,  Ver- 
witterung kann   an  der  Zugehörigkeit   gar  kein  Zweifel  sein. 


*)  Ich  füge  aus  meinen  Aufzeichnungen  hinzu,  dass  am  rechten  wie 
am  linken  Flügel  von  Nr.  155  sich  der  Rest  je  eines  grossen  Zapfen- 
loches befindet  zur  Befestigung  der  oberen  Fortsetzung  von  Flügel  und 
Gewand.  An  Nr.  162  aber  war  der  Oberteil  des  rechten  Flügels  mit 
einem  Zapfen  in  der  gleichen  Weise  angesetzt  wie  es  an  den  beiden 
Flügeln  von  Nr.  155  ersichtlich  ist.  Femer  ist  noch  hervorzuheben,  wie 
ich  schon  in  der  Berl.  Phil.  Wochenschr.  a.  a.  0.  bemerkte,  dass  hinten 
und  oben  zwischen  den  Flügeln  Regenverwitterung  deutlich  ist,  die  auf 
die  Aufstellung  auf  dem  Firste  weist. 

*)  Kabbadias  im  Kataloge  und  Fouilles  d'Epidaure;  Defrasse-Lechat 
p.  188  f.;  Overbeck,  Gesch.  d.  Plastik  II*,  S.  128  f.;  Gollignon,  griech. 
Plastik,  deutsche  Ausg.  II,  S.  214. 


Zu  den  Skulpturen  des  Äaklepiostempels  von  Epidauros,       445 

Timotheos  hat  nach  der  Bauinschrift  die  Akroterien  des  einen 
Giebels  selbst  ausgeführt.  Es  ist  aber  an  und  für  sich  gewiss 
wahrscheinlich,  dass  er  als  der  erste  leitende  Künstler  nicht 
die  Akroterien  der  Rückseite,  sondern  die  der  Vorderseite  als 
die  über  dem  Eingang  des  Tempels  im  Osten  gearbeitet  haben 
wird.  Da  die  Nike  mit  dem  Vogel  Nr.  155  auf  die  Westseite 
gehört,  ebenso  wie  die  beiden  sog.  Nereiden,  welche  die  Eck- 
akroterien  bildeten,  so  gehörte  Nr.  162  auf  den  First  der  Ost- 
seite. Leider  sind  die  Eckakroterien  der  Ostseite  nicht  ge- 
funden worden.  In  dem  Torso  Nr.  162,  aber  nur  in  diesem 
einen  Stücke,  dürfen  wir  also  mit  aller  Zuversicht  die  Arbeit 
der  Hand  des  Timotheos  erkennen.  Es  ist  überaus  zu  be- 
klagen, dass  gerade  von  diesem  Stücke  so  wenig  erhalten  ist; 
denn  es  ragt  durch  Frische  und  Schärfe  der  Arbeit  ebenso 
wie  durch  die  Kühnheit  der  Konzeption  über  die  anderen 
empor.  Das  Motiv,  dass  der  Wind  von  unten  hinauf  weht 
und  sich  im  Gewände  über  der  Brust  fängt,  ist  hier  in  gross- 
artiger, mächtiger  Weise  durchgeführt;  an  der  Nike  der  West- 
seite Nr.  155  und  an  der  Nereide  von  derselben  Seite  Nr.  157 
tritt  dasselbe  Motiv,    aber  nur  in   schwacher  Andeutung    auf. 

Beide  Niken  schweben  wie  die  des  Paionios  von  oben  durch 
die  Luft  herab;  an  beiden  muss  unten  unterhalb  der  Füsse 
noch  etwas  gewesen  sein,  analog  wie  bei  Paionios,  aber  wohl 
höher;  der  abscheuliche  plumpe  Untersatz  mit  Palmetten,  den 
Defrasse  hier  ergänzt,  ist  natürlich  gänzlich  verfehlt. 

Zu  beachten  ist  noch  an  der  Nike  des  Timotheos  Nr.  162 
die  auffallend  schwache,  unentwickelte  Brust,  durch  welche 
sie  zunächst  kleiner  erscheint  als  die  andere,  was  sie  aber 
nicht  ist.  Der  Künstler  fasste  die  Göttin  als  ein  ganz  jugend- 
liches und  noch  nicht  reifes  Mädchen  auf.  Sehr  ähnlich  ist 
die  in  vielen  Kopien  erhaltene  sog.  Leda,  die  man  mit  Recht 
wohl  auf  Timotheos  zurückgeführt  hat  (Athen.  Mitteil.  1894, 
Taf.  VI);  und  auch  die  jugendliche  Athena  mit  der  ganz 
flachen  Brust  des  Typus  Rospigliosi  möchte  ich  jetzt  lieber 
dem  Timotheos  als  dem  Skopas  (Meisterwerke  S.  527)  zu- 
weisen. 


446     A.  Furttcängler,  Zu  den  Skulpturen  des  AshUpiostempeU  ete. 

Wir  besitzen  also  wenigstens  einen  Teil  des  von  Timoiheos 
selbst  ausgeführten  einen  —  östlichen  —  Akroterions,  und 
wir  besitzen  grössere  Teile  aus  den  nach  seinen  Modellen  Ton  . 
anderen  Künstlern  ausgeführten  Oiebelskulpturen.  Als  eines 
der  erheblichsten  Stücke,  ja  als  das  einzige  mit  Kopf  und 
Körper  erhaltene  haben  wir  die  Figur  des  gefallenen  Wen 
Jünglings  im  Museum  zu  Epidauros  erkannt. 


K.  Simon,  8om€u>3tlm. 


Taf.  I. 


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V's  d.  nat.  Gr. 


Reprod.  Ton  J.  B.  Obcnialter,  Mflaehcii. 


H8.  B  foll.  1261»  127» 
(V,  115) 


1903.  Sitzgsb.  d.  philos.-pbilol.  u.  d.  List.  Kl. 


R,  Simon,  SomanStha. 


Taf.  IL 


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1/9  d.  nat.  Gr. 


Reprod.  von  J.  B.  Obcmattsr,  lUnchen. 


IIs.  B   folL  127b  i2Sa 
(V,  117  ff.) 


1903.  Bitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  List.  Kl. 


447 


Die  Notationen  des  Somanätha. 

Von  B.  Simon. 

(Mit  2  Tafeln.) 

(Vorgelegt  von  E.  Kuhn  in  der  philos.-philol.  Klasse  am  4.  Juli  1903.) 

Durch   die  Liberalität   der  K.  B.  Akademie   der  Wissen- 
schaften,  welche  mir  die  Mittel  zu  einer  Reise  nach  England 
gewährte,    wofür   ich    sie    hier    meinen    ehrerbietigsten   Dank 
entgegen   zu   nehmen   bitte,   war   es   mir   möglich,  in  Oxford 
ausser   anderen  Handschriften   besonders   die  Handschrift   von 
Somanäthas  Rägavibodha^)  einer  genauen  Prüfung  zu  unterziehen. 
Diese  Handschrift  (=  0)  darf  schon  deswegen  ein  gewisses 
Interesse   beanspruchen,   weil   sie   bereits   im   Jahre  1784   von 
W.  Jones  für  seine  im  3.  Bande  der  Asiatic  ßesearches  ver- 
öffentlichte Abhandlung  On  the  musical  modes  of  the  Hindus^) 
benutzt  worden   ist.     Zwar   nicht  die  Handschrift  selbst,   die 
sich  damals,   wie   in   dieser  Abhandlung   berichtet  wird,   noch 
im   Besitz  des  Colonels  Polier   in  Indien   befand,  sondern  eine 
Abschrift  davon,  welche  mit  Erlaubnis  des  Besitzers  von  einem 
seiner  Schreiber  angefertigt  und  von  Jones  selbst  sowohl  als 
auch   von   seinem  Pandit   sorgfaltigst   mit   dem  Original   ver- 
g^lichen  wurde.    Diese  Abschrift  ist  nun  zwar  verloren  gegangen, 
dafür  befindet  sich  aber  das  Original  in  Oxford.    Wie  und  auf 
welchem  Wege  es  von  Indien  dorthin  gelangt  ist,  wissen  wir 


1)  Th.  Aufrecht,  Catal.  Oxon.  1864,  S.  200,  No.  475. 
^  Asiatic  Researches  or  Transactions  of  the  society  instituted  in 
Bengal,  Calcutta  1792,  vol.  III,  S.  55-87. 


448  n.  Simon 

mit  annähernder  Bestimmtheit.  Bevor  Polier  Indien  yerliess,  ^) 
yerkaufte  er,  wie  ein  von  ihm  an  Wahl  gerichteter  und  von 
Wahl  zitierter  Brief  bezeugt,  seine  ganze  Bibliothek  mit  Aus- 
nahme weniger  seltener  Handschriften  einem  Engländer.*)  Eine 
unserer  Oxforder  Handschrift  vorgedruckte  Mitteilung,  welche 
diese  Tatsachen  erwähnt,,  stellt  daher  die  Vermutung  auf,  dass 
zugleich  mit  der  Bibliothek  des  Polier  auch  der  Rägavibodha 
seinen  Weg  nach  England  gefunden  habe. 

Jones  schätzte  den  Wert  sowohl  wie  das  Alter  des  Rägavi- 
bodha sehr  hoch  ein.  Er  erklärte  dies  Werk  „für  das  wert- 
vollste, das  er  je  gesehen,  vielleicht  das  wertvollste  im  Be- 
sonderen, das  uns  über  die  Musik  der  Inder  erhalten  sei;  es 
scheine  von  sehr  hohem  Alter,  wenn  auch  jünger  als  der 
Sarngitaratnäkara  zu  sein;  kein  Pandit,  weder  in  Bengalen, 
noch  in  Eääi  und  Kaämir  habe  von  seiner  Existenz  bisher 
eine  Ahnung  gehabt**.*)  Wenn  sich  auch  heute  noch  an  der 
schönen  und  edlen  Begeisterung,  mit  der  Jones*)  wie  alle  lite- 
rarischen Dinge  des  Ostens,  so  auch  das  Thema  der  indischen 

1)  Im  Jahre  1788,  nach  einem  meist  im  Dienste  der  ostindischen 
Kompagnie  verbrachten,  30jährigen  Aufenthalt  in  Indien.  Ihm  ver- 
danken die  Pariser  Bibliothek  und  das  British  Museum  eine  Anzahl  wert- 
voller arabischer,  persischer  und  Sanskrit -Handschriften.  Siehe  auch 
C.  Bendall,  Catalogue  of  the  Sanskrit  Manuscripts  in  the  British  Museum, 
London  1902,  S.  1,  Anm.  1. 

*)  S.  F.  Günther  Wahl,  Altes  und  Neues  Vorder-  und  Mittel-Asien, 
Leipzig  1795,  I,  S.  149.  In  diesem  Brief  verspricht  der  Engländer  aller- 
dings, die  von  Polier  erworbenen  Schätze  der  Universität  Cambridge 
anzuvertrauen. 

^)  1.  c.  S.  66.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  diese  Ansichten  von 
den  vielen  Musikgeschichten  älteren  und  neueren  Datums  ungeprüft  über- 
nommen worden  sind.  E.  David  et  M.  Lussy,  histoire  de  la  notation 
musicale  depuis  ses  origines,  Paris  1882  meinen,  S.  7,  sogar,  dass  «Soma 
fait  partie  de  la  grande  collection  des  Vedas*. 

*)  Eine  treffliche  und  sehr  lesenswerte  Charakteristik  von  Jones 
verdanken  wir  H.  Oldenberg,  Aus  Indien  und  Iran,  Berlin  1899,  S.  2  ff. 
Ob  das  hier  entworfene  Bild  seiner  Persönlichkeit  jedoch  durch  eine 
stärkere  Betonung  des  Geistes  und  Geschmackes  der  englischen  Gesell- 
schaft des  ausgehenden  18.  Jahrhunderts  an  Richtigkeit  nicht  noch  ge- 
winnen könnte,  möge  allerdings  eine  offene  Frage  bleiben. 


Die  Notationen  des  SomanätHa,  449 

Musik  ergriff,  jeder  empfangliche  Mensch  wird  erwärmen  können, 
so  wird  man  doch  im  Besonderen  seinen  Ausführungen  über 
den  Rägayibodha  nur  mit  grossen  Einschränkungen  beistimmen 
dürfen.  Auf  den  Wert  der  Oxforder  Handschrift  sowie  die 
Zeit  des  Somanatha  fällt  nämlich  erst  volles  Licht  durch  die 
Handschrift,  welche  sich  im  Deccan  College,  Bombay  (=  B) 
befindet^)  und  deren  Benutzung  E.  M.  Chatfield  Esq.,  director 
of  public  instruction  Bombay,  mir  gütigst  gestattete.  Eine 
Yergleichung  Beider  zeigt  nun,  dass  die  Poliersche  Handschrift 
nicht  nur  unvollständig  ist  —  das  hatte  ja  schon  Aufrecht 
bemerkt^)  —  und  ihr  als  Schluss  die  Verse  V,  168 — 225  fehlen, 
sondern  auch  dass  sie  nur  ein  Auszug  des  Textes  aus  einer  anderen 
Handschrift  ist,  welche,  wie  B,  diesen  Text  zusammen  mit 
einem  von  Somanatha  selbst  dazu  verfassten  Kommentar  enthält. 
Femer  ist  aber  auch  in  den  bei  0  fehlenden  Versen  V,  224 — 5 
angegeben,  wann  Somanatha  sein  Werk  geschrieben  hat:  Da- 
nach ist  der  Rägavibodha  weder  das  älteste  der  erhaltenen 
Werke  über  Musik,  noch,  mit  David  und  Lussy,  ein  Bestand- 
teil der  vedasamhitäs,  sondern  im  Jahre  1609^)  abgefasst.^) 

Eine  weitere,  angeblich  undatierte  Handschrift  wird  in 
dem  Catalogue  of  Sanskrit  Manuscripts  in  the  library  of  bis 
Highness  the  Maharäja  of  Bikäner  (Calcutta  1880)  von  Räjen- 
draläla  Mitra  auf  S.  518  als  No.  1105  aufgeführt.  Ob  sie  Text 
und  Kommentar  enthält,  lässt  sich  aus  dem  dort  mitgeteilten 
Anfang  und  Schluss  nicht  ersehen. 

Nach  Angabe  der  Orientalischen  Bibliographie  *)  sollen  die 
5  vivekas,  in  die  der  Rägavibodha  zerfällt,  im  Jahre  1895  von 
Purushottam  Ganesh  Ghärpure  in  Poona,  in  5  besonderen  Heften 
gedruckt,  herausgegeben  worden  sein.     Die  vier  ersten  Hefte 


^)  Shridhar  R.  Bhandarkar,  a  Catalogue  of  the  collections  of  manu- 
scripts depodted  in  the  Deccan  College,  Bombay  1888,  S.  480,  XIX,  No.  276. 
«)  1.  c.  S.  200. 
•)  kudahanatithiga^itasake.  Komm. :  ku^i  prthivi  dahanäh  vahnayah 

tithajas  ca  tadgapitadake  1531. 

*)  Bhandarkar  führt  1.  c.  diese  Handschrift  ohne  Jahreszahl  auf. 
^)  Heransgegeben  von  L.  Scherman,  IX,  S.  261,  No.  4658. 

1908L  SiUgsb.  d.  phUoa.-pbUoL  u.  d.  hiBt.  KL  SO 


450  R.  Simon 

davon   konnte  ich   mir  aus  Indien   yerschaffen,  während  das 
5.  Hefb,  welches  den  5.  viveka  enthält,  schon  bald  nach  seinem 
angeblichen  Erscheinen,  trotz  vieler  Bemühungen  meinerseits 
beim  Drucker  und  Verleger,   auf  keine  Weise  mehr  erhiltlici 
war.     Dies   Heft  findet   sich   auch   auf  keiner   der  grosseren 
Bibliotheken   in  England,   allerdings   ebensowenig  das  2.  und 
4.  Heft.^)     Es  ist  dies  um  so  mehr  zu  bedauern,  als  gende 
der  5.  viveka  von  besonderer  Wichtigkeit  ist.    Er  enthält  näm- 
lich,  unter  anderem,   zu  Kompositionen  des  Somanätba  dessen 
eigene  Notationen,  die  den  Gegenstand  der  folgenden  Betrachtung 
bilden  sollen.    Ihr  liegt  danach  zu  Grunde  der  Text  von  0  (ohne 
Schluss)  und  B,   sowie  der  zu  B  verfasste  Kommentar  (=  C). 
Die  Natur   der  indischen  weltlichen   Musikübung,  welche 
zwar  die  grossen,  allgemeinen  charakteristischen  Umrisse  eines 
Musikstückes   in   fester   Tradition   und   Lehre   übernimmt,  die 
feineren  Einzelzüge    und   Schattierungen    aber   durchaus  dem 
individuellen  Talent  und   der  musikalischen   Produktivität  des 
Vortragenden  überlässt,  bringt  es  mit  sich,  dass  man  zunächst 
auch  erwarten  wird,  nur  jene  g^röberen  Umrisse  durch  Notation 
festgehalten  zu  finden,  während  diese  feineren  Linien,  welche, 
nicht   minder  fUr   den   Inder   wie   für  uns,    als  Ausdruck  der 
Persönlichkeit  dem  allgemein  Gegebenen  erst  die  künstlerische 
Weihe    verleihen,    einer    schriftlichen    Fixierung    ermangeln. 
Dieser  Erwartung   entsprechen   denn   auch   die   Tatsachen  im 
Ganzen  durchaus.     Um  so  mehr  wird  daher  der  Zufall  über- 
raschen, welcher  uns  zugleich  mit  Kompositionen  des  Soma- 
nätba auch  eine  dazu  gehörige  Notation  aufbewahrt  hat,  durch 
die  der  individuelle  musikalische  Vortrag  eines  Künstlers,  und 
eines    kenntnisreichen    Künstlers    obendrein,    festgehalten  ist 
Hierauf  beruht   die   einzigartige  Bedeutung  des   5.  viveka  des 
Rägavibodha.    Und  wenn  Somanätba  (V,  31)  sagt,  seine  Nota- 
tionen seien  ,pürvair  anuktäni,  mayä  uktani^  so  ist  das  daher 
wörtlich   zu  verstehen.     Von   ihm  wurden   die  Notationen  zu 

^)  In  Anbetracht  der  Schwierigkeiten,  mit  denen  der  Druck  gerade 
des  5.  viveka  verknüpft  ist,  wäre  es  nicht  erstaunlich,  wenn  davon  über- 
haupt Abstand  genommen  worden  wäre. 


Die  IfoiiUianen  des  Somanätha.  451 

bezeichnen  versucht,  die  früher  eben  überhaupt  nicht,  wenig- 
stens,  wie   wir  hinzufügen   müssen,    in   dem  umfange   nicht, 
notiert  wurden,  wenn  auch  die  Technik,  auf  die  sich  dieselben 
beziehen,    selbstverständlich    lange    vorher    bestand.     Und   so 
hatte  uns  vielleicht  schon  dieser  Versuch  des  Somanätha  allein 
dazu  berechtigen  dürfen,  ihn  einer  späten  Zeit  zuzuweisen,  einer 
Zeit  jedoch,  der  die  Traditionen  noch  nicht  ganz  verloren  ge- 
gangen sind.    Denn  es  lassen  sich  einige,  wenn  auch  nur  zarte 
Faden,  weniger  zwar  in  Bezug  auf  die  Notationen  selbst  als 
in  Bezug  auf  deren  technische  Namen,  aufweisen,  welche  ihn 
mit    einer    näheren    und    ferneren   Vergangenheit    verbinden. 
Diesen  soll  jedoch  hier  nicht  weiter  nachgegangen  werden. 

Die  Kompositionen  des  Somanätha,  die  uns  im  5.  viveka 
Vers  37 — 166  überliefert  vorliegen,  sind  ausschliesslich  Kom- 
positionen für  die  viuä.  Es  sind  im  Ganzen  50  Stücke,  deren 
jedes  zu  einem  besonderen  räga  in  Beziehung  gesetzt  ist,  in 
einem  besonderen  räga  komponiert  ist.  Ihre  Bestimmung  für 
die  Yi^ä  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Notationen,  mit  denen 
sie  versehen  sind,  sich  in  ihrem  weit  überwiegenden  Teil  auf 
den  Vortrag  der  vi^ä  beziehen  und  besondere  Eigen-  und  Fein- 
heiten beim  Spiel  derselben  —  vädanavise§äh  —  bezeichnen. 
Es  liegt  daher  auf  der  Hand,  dass,  so  sehr  es  auch  undenkbar 
scheint,^)  den  Text  —  wenn  es  gestattet  ist,  die  Stücke  nebst 
Notationen  so  zu  nennen  —  des  Somanätha  ohne  Hülfe  des 
begleitenden  Konmientars  richtig  aufzufassen  und  zu  deuten, 
zum  vollen  Verständnis  Beider  doch  die  Kenntnis  der  Kon- 
struktion und  Verwendung  einer  vi^ä  die  Voraussetzung  bildet. 
Alle  Vortragszeichen,  deren  Besprechung  im  Einzelnen  wir  uns 
jetzt  zuwenden,  habe  ich  auf  einer  indischen  Laute*)  praktisch 


^)  Jones,  dem  der  Kommentar  ja  nicht  bekannt  war,  ist  allerdings 
anderer  Ansicht.  Er  sagt  1.  c.  S.  67:  the  strains  are  noted  in  figures 
wfaich  it  may  not  be  impossible  to  decypher.  David  und  Lussy  dagegen 
L  c  S.  7:  On  ne  tronverait  pas  a^jourd*liui  de  musicien  hindou  capable 
de  d^chifErer  la  notation  antique,  ni  de  jouer  quoique  ce  soit  d'apres 
les  ügnes. 

^)  Aus  dem  Mnsenm  für  Völkerkunde  in  Berlin.    Eine  Abbildung 

30* 


452  n.  Simon 

erprobt.  Aber  auch  ohne  eine  solche  kann  ein  Jeder  leicht 
das  Gleiche  tun,  wenn  man  bei  einer  {gewöhnlichen  Guitarre 
die  Saiten  durch  zwei  am  Halsende  und  vor  dem  Saitenlialier 
angebrachte  Stützen  hochlegt  und  darunter  auf  dem  Griffbrett 
an  Stelle  der  eingelassenen  Bünde  eben  so  yiele  hohe  Holz- 
stege, mit  abnehmender  Höhe  nach  dem  Schallloch  n,  an- 
bringt. ^)  Die  nun  bei  Somanatha  zur  Anwendung  kommenden, 
samketa  genannten  Notationen,  die  von  ihm  in  den  im  Aryä- 
Metrum  abgefassten  Versen  V,  14 — 29  kurz  behandelt  werden, 
sind  die  folgenden: 

1.  pratihuH^)  (Gegenschlag):  ,Ein  gedämpfter  Ton  bei 
zwei  Anschlägen,  in  deren  Mitte  sehr  rasch  ein  Aufheben 
stattfindet*.')  C:*)  Bei  zweimaligem  Anreissen  der  Saite  mit 
der  Nagelspitze  entsteht  ein  gedämpfter,  hum-ähnUcher  Laut, 
wenn  nach  dem  ersten  Anreissen  sehr  rasch,  durch  ein  geringes 
Aufheben  des  Fingers,  der  Torhergehende  Ton  erscheint,  immitteJ- 
bar  darauf  aber  das  zweite  Anreissen  erfolgt.    Notation:  w) 

Die  Technik,  die  hier  gemeint  ist,  ist  durchaus  klar:  Mit 
dem  Mittelfinger  der  linken  Hand  wird  die  Saite  auf  einem 
beliebigen  Ton  niedergedrückt,  zugleich  der  Zeigefinger  der- 
selben Hand  auf  den  diesem  in  der  Leiter  vorhergehenden 
Ton  niedergesetzt.  Darauf  wird  die  Saite  mit  einem  Finger 
der  rechten  Hand  angerissen.  •)  Die  hierdurch  entstandene 
Schwingung  der  Saite  wird  benutzt,  um  durch  Aufheben  des 
Mittelfingers  der  linken  Hand,  ohne  nochmaliges  Anreissen  nnt 

siehe  bei  F.  Fowke,  an  extract  of  a  letter  (on  the  vl^ä)  Asiat.  Researche«, 
Calcutta  1788,  I,  S.  295. 

1)  Es  ist  selbstverständlich,  dass  dann  die  Guitarre  von  dem  Spie- 
lenden ebenso  wie  die  vlnä  —  der  höchste  Steg  an  der  linken  Schulter  — 
gehalten  werden  miiss. 

2)  In  den  alle  samketas  aufzählenden  Eingangsversen  V,  U  - 16 
werden  die  ersten  vier  zusammengefasst  mit:  pratyänvapQrvahatayah. 

^)  antar  drutam  uechalanavato  hatiyugäd  gabhiraravah. 
*)  Der  meistens  wortreichere  Kommentar  wird  in  jedem  einielnö* 
Fall  in  sinnf^emüsser  Verkürzung  von  mir  wiedergegeben. 

^}  bindü  (valayäkärau  dvau)  adhah  (äryälikhitasarigädlnäm  adbastatl. 
^)  Über  das  Niedersetzen  und  das  Anreissen  siehe  S.  462. 


Die  Notationen  des  Somanätha.  453 

dem  Finger  der  rechten  Hand,  den  yorhergehenden  Ton  erklingen 
zu  lassen.  Hierauf  erfolgt  zugleich  mit  dem  Niedersetzen  des 
Mittelfingers  wieder  auf  den  ersten  Ton  ein  zweites  Anreissen. 
Wir  würden  diese  Technik  mit  ^Schleifung  oder  Bindung  nach 
abwärts*  bezeichnen.  Ob  sie  auch  sinngemässe  Anwendung 
auf  den  Fall  findet,  wo  dem  zuerst  angerissenen  Ton  eine  leere 
Saite  vorhergeht,  darüber  schweigt  Somanätha. 

2.  ähaä  (Anschlag):  ,6eim  Erklingeulassen  eines  Tones 
das  Hörenlassen  eines  anderen  Tones  ohne  Anschlagt ^) 
C:  Nachdem  ein  Ton  angegeben  ist,  lässt  man  ohne  (noch- 
maliges) Anreissen  mit  dem  Nagel  durch  eben  dies  Erklingen 
einen  anderen  Ton  hören,  und  zwar  kann  beliebig  beim 
Angeben  eines  Tones  ohne  neues  Anreissen  entweder  der  höher 
gelegene  —  sei  dieser  nun  vorgeschrieben  oder  nicht  —  oder 
der  tiefer  gelegene  Ton  —  sei  dieser  nun  vorgeschrieben  oder 

nicht  —  hörbar  gemacht  werden.    Notation:  ^*). 

o 

Es  ist  bedauerlich,  dass  sich  der  Kommentator  hier  nicht 
deutlicher  ausgesprochen  hat.  Doch  werden  wir  auf  Grund 
seiner  Bemerkungen  einerseits  zu  dem  weiter  unten  erwähnten 
sparsa,  andrerseits  zu  ahati  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  unter 
dem  ähati-Ton  den  Ton  verstehen,  welcher  dadurch  entsteht, 
dass,  nach  einem  vorher  angerissenen  Ton,  der  Finger  der 
linken  Hand  erst  hammerähnlich  auf  den  in  der  Leiter  ent- 
weder vorhergehenden  oder  folgenden  Ton  niederfällt  und  dann 
wieder  aufgehoben  wird.  Hierdurch  wird  als  Hauptton  nicht 
nur  der  Ton  hörbar,  auf  den  der  Finger  niederfällt,  sondern 
als  Nachklang,  durch  das  Aufheben  des  Fingers,  auch  die  leere 
Saite  bezw.  der,  im  Verhältnis  zu  dem  hammerähnlich  ange- 
schlagenen Ton,  tiefere  Ton.^)  Hierauf  kehrt  man  zu  dem 
zuerst  angerissenen  Ton  zurück.^) 

')  anyadhvanane  hatii;!  vinänyasvaräärävah. 

^)  bindor  (eko  valayäkärah)  adha^  (södinäm). 

•)  Über  das  Erklingenlassen  der  leeren  Saite  siehe  auch  F.  Fowke, 
1.  c.  8.  299. 

*)  Ob  dieser  dann  nochmals  hörbar  zu  machen  ist,  darüber  schweigt 
Somanätha  ebenso  hier  wie  in  seiner  Erläuterung  zu  sparsa. 


454  B.  Simon 

3.  anuhati  (Nachschlag):  «Wie  pratihati,  nur  nach  einem 
einzigen  Anschlag^^)  G:  Ein  gedämpfter,  hum-ähnlicher  Ton 
entsteht  dadurch,  dass  man  nach  einmaligem  Anreissen  der 
Saite  rasch  den  vorhergehenden  Finger  etwas  in  die  Höhe 
hebt   und   dadurch    den    vorhergehenden   Ton    hörbar   macht. 

Notation:  ^.*) 

Ich  kann  mich  hier  kurz  fassen,  da  die  anuhati  der  Art 
nach  nicht  von  der  pratihati  verschieden  ist.  Vielmehr  stellt 
sich  die  pratihati  nur  als  einen  besonderen  Fall  der  anuhati, 
nämlich  als  den  Fall  dar,  wo  einem  anuhati-Ton  derselbe  wie 
der  ihm  vorhergehende  folgt.  Siehe  ferner  die  weiter  unten 
erwähnte  mudrä. 

4.  ahaü  (Ohne -Schlag):  ,Wie  anuhati,  aber  ohne  einen 
einzigen  Anschlag*.  •)  C:  Hier  entsteht  ein  gedämpfter  Ton 
auch  ohne  Anreissen  der  Saite  mit  dem  Nagel.  Derselbe  erscheint 
jedesmal  so,  d.  h.  ohne  besonderes  Anreissen,  schwach  nach- 
klingend als  Rest  der  ähati  oder  des  gharsa^a.    Notation:  ^.*) 

Der  Kommentator  will  sagen,  dass  hier  ein  gedämpfter 
Ton  hörbar  wird,  ohne  dass  ein  Anreissen  der  Saite,  wie  es 
bei  der  anuhati  der  Fall  ist,  vorhergeht.  Der  Ton  entsteht 
durch  Aufheben  eines  Fingers  der  linken  Hand  und  bildet  so 
eine  Art  Übergangslaut  zu  oder  Vorschlag  vor  dem  nächsten 
Ton  und  zwar  nach  allen  Tönen,  die,  wie  die  ähati  und  das 
gharsapa  (siehe  weiter  unten),  ohne  Anreissen  der  Saite  hervor- 
gebracht werden.  Einerseits  beruht  hierauf  der  Unterschied 
der  ahati  von  der  pratihati  und  anuhati.  Andrerseits  bildet 
so  die  ähati  nur  einen  besonderen  Fall  der  ahati,  wie  die 
anuhati  nur  einen  besonderen  Fall  der  pratihati  darstellt. 

5.  jn4ä  (Druck):  ,Ein  Loslassen  nach  einem  Druck*.*) 
C:   pi(}ä   besteht  darin,  dass  man  einen  Ton  sehr  fest  drückt, 

^)  ekahateh  pratihativat. 

*)  binduh  sarekhayä  (rekhopalaksitah)  adhah  (sädinäm). 
')  saiva  (anuhatir  eva)  tv  aghatät  syat. 

*)  dvigui?ah  (upari  punar  ävrttah)  so  (bindur  valayäkärah)  'dhah 
(sädinäm). 

^)  äpT4ya  vimuktih. 


Die  Notationen  des  Somanätha.  455 

dann  rasch  loslässt  und  dadurch  den  (in  der  Leiter)  vorher- 
gehenden Ton  hörbar  macht.    Notation:  ^o.^) 

Durch  den  plötzlich  in  die  Höhe  schnellenden  Finger  der 
linken  Hand  nach  vorhergegangenem  starken  Druck  wird  die 
Saite,  gleichsam  wie  durch  ein  mit  der  linken  Hand  ausge- 
führtes pizzicato,  in  Schwingung  versetzt  und  gibt  den  vorher- 
gehenden Ton  an,  auf  den  der  Finger  natürlich  schon  vorher 
niedergesetzt  gewesen  sein  muss. 

6.  dcHana  (ßcha,uke\n):  ,Ein  Anziehen  und  wieder  Zurück- 
kehren'.^) C:  Bei  einem  einzigen  Anreissen  nimmt  man  erst 
ein  Anziehen  vor,  bis  der  (in  der  Leiter)  folgende  Ton  um 
eine  äruti  vermindert   ist   und   kehrt  sodann   langsam   in   den 

früheren  Zustand  zurück.    Notation:  ^.^) 

Gleich  nach  dem  Anreissen  der  Saite  drückt  man  den 
Finger  der  linken  Hand  auf  dem  soeben  angegebenen  Ton 
etwas  stärker  nieder,  so  dass  die  Saite  starker  angezogen  bezw. 
verkürzt  wird,  und  zwar  um  eine  sruti  des  in  der  Leiter  nächst- 
folgenden Tones.  Darauf  lässt  man  mit  dem  Druck  nach, 
wodurch  die  Saite  wieder  verlängert  wird  und  der  zuerst  ange- 
gebene Ton  wieder  erscheint.  Es  liegt  hier,  in  der  Wirkung, 
eine  Art  unseres  Doppelschlages  vor,  wobei  nicht  vergessen 
werden  darf,  dass  die  Stege  der  vipä  ziemlich  hoch  sind,  so 
dass  der  Ausführung  des  dolana  (vikarsa,  gamaka)  einerseits, 
der  weiter  unten  erwähnten  paratä  (uccatä)  andrerseits,  nicht 
die  geringsten  Schwierigkeiten  im  Wege  stehen. 

7.  vikarsa  (Anziehen):  ,Ein  Anziehen*.*)  C:  Hierunter  ver- 
steht man  das  dolana,   aber  ohne  Rückkehr.    Notation:  ^.^) 

Es  ist  hier  das  eben  besprochene  Anziehen  der  Saite  bis 
zu  einer  Sruti  des  folgenden  Tones  gemeint,  ohne  dass  man, 

^)  80  (bindnh)  'gre  (sädlnäiii  parastat)  öuddhah. 

*)  äkar^a^ägamane. 

8)  Qrdhvo  (na  tu  tirjrak)  gumr  (dvivakrä  rekhä)  npari  (sädinäm  sirasi). 

^)  äkarsa^am. 

^)  sa  (gumh)  tirjag  (tiradcinah)  urdhyam  (sädinäm  upary  eva). 


456  R,  Simon 

wie  beim  dolana,  darauf  mit  dem  Druck  wieder  nacUässt  und 
zum  ersten  Ton  zurückkehrt. 

8.  ganuika  (Trillern):  ,Em  wiederholtes  dolana\^)  C:  Nach 
einem  einzigen  Anreissen  führt  man  drei-  oder  viermal  lang- 
sam das  dolana  aus.    Notation:  ^S-^) 

9.  hampa  (Zittern):  .Berührt*.*)  C:  kampa  besteht,  vie 
das  Wort  schon  ausdrückt,  in  Zittern  und  zwar  in  zwei-  oler 
dreimaligem  raschen  Zittern,   bei  einmaligem  Anreissen,  nni 

ist  (zeitlich)  gleich   dem   4.  Teil  des   dolana.    Notation:  ^.*) 

Aus  dem  Hinweis  auf  dolana  erhellt,  dass,  nach  ein- 
maligem Anreissen,  diese  Bebung  in  einem  zwei-  bis  dreimal 
rasch  hinter  einander  erfolgenden  Druck  besteht,  welcher 
mit  einem  Finger  der  linken  Hand  auf  die  Saite,  diese  jedes- 
mal um  eine  6ruti  verkürzend,  ausgeübt  wird. 

10.  gharsana  (Reiben):  ,Ein  Anreissen,  welches  in  rascher 
Folge  andere  Töne  hervorbringt*.*)  C:  Unmittelbar  nach  einem 
Anreissen  werden  rasch,  vorgeschriebene  oder  nicht  vorge- 
schriebene, folgende  oder  vorhergehende,  Töne  durch  Beiben 
hervorgebracht.    Notation:   *.•) 

Das  Reiben  erfolgt  mit  einem  Finger  der  linken  Hand  und 
gleicht,  in  der  Wirkung,  einem  schwachen,  mit  der  linken  Hand 
ausgefiihrton  pizzicato.  Bei  jedem  der  so  durch  ghar^a^a  in 
beliebiger  Anzahl  und  in  beliebiger,  kadenzartiger  Folge  er- 
zeugten Töne  klingt  dann  entweder  die  leere  Saite  oder  der 
jeweils  tiefere  Ton,  gleichsam  als  ,Rest*,  schwach  nach.  Siehe 
oben  ähati. 

11.  mudrä  (Siegel)'):  ,Nach  einmaligem  Anreissen  des 
einen  Tones  macht  man  den  vorhergehenden  Ton  erst  hörbar 


dolanam  eva  hi  punah  punah. 

sa  (gunih)  ürdhvo  'gi-e  (sädinäni  purastät). 

sprstali. 

rekhordhvä  (saralä  rekha)  ürdhvam  (sädlnäm  upari). 

ekahatir  dräk  svaräntarakrt. 

tiryak  »ä  (rekhä)  äirasi  (sädinäm  upari). 

So  genannt  wegen  der  hierbei  erforderlichen  mudra-Fingerstellong- 


Die  Notationen  des  Somanätha,  457 

und  yerHüllt  ih&  dann  wieder.^)  G:  Nachdem  man  den  einen 
Ton  (mit  einem  Finger  der  rechten  Hand)  angerissen  hat,  hebt 
man  den  soeben  gebrauchten  (Mittel-)  Finger  (der  linken  Hand)  in 
die  Höhe.  Dadurch  wird  der  (in  der  Leiter)  vorhergehende 
Ton  hörbar,  auf  den  sich  vorher  der  (Zeige-)  Finger  nieder- 
gesetzt hat.  Hierauf  verhüllt  man  gleichsam  diesen  Ton  wieder, 
indem  man  den  (Mittel-)Finger  (der  linken  Hand)  wieder  an 
seinen  soeben  verlassenen  Platz  setzt.  Der  Unterschied  von 
der  anuhati  besteht  darin,  dass  hier  der  (Mittel-) Finger  lang- 
sam in  die  Höhe  gehoben  wird,  während  das  bei  der  anuhati 
rasch  geschieht  und  dadurch  nur  ein  gedämpfter  Ton  ent- 
steht.   Notation:  S.^) 

12.  sparia  (Berührung):  ,Wie  ähati,  nur  rasch  losge- 
lassen") C:  Hier  ist  das  rasche  Loslassen  eines  ähati-Tones 
gemeint.  Nachdem  man  einen  Ton  angeschlagen  und  den  fol- 
genden berührt  hat,  kehrt  man  rasch  zum  ersten  Ton  zurück. 

Notation:  ^.*) 

Nachdem  ein  Ton  angerissen  ist,  wird  der  in  der  Leiter 
höher  oder  tiefer  liegende  Ton  durch  hammerähnliches  Nieder- 
fallen des  Fingers  der  linken  Hand  angegeben,  dieser  Finger 
darauf  rasch  wieder  gehoben,  so  dass  der  Nachklang  nur  ganz 
schwach  hörbar  wird,  und  schliesslich  zum  ersten  Ton  zurück- 
gekehrt. •)  Wie  gesagt,  besteht  der  Unterschied  des  sparsa  von 
der  ähati  nur  in  der  Schnelligkeit,  mit  der  der  Finger  nieder- 
fallt und  wieder  aufgehoben  wird. 

13.  naimwya  (Vertiefung):  ,Starkes  Anreissen*.*)  C:  Wenn 
man  die  Saite  sehr  stark  mit  dem  Nagel  (eines  Fingers  der 
rechten  Hand)  anreisst,  so  biegt  diese  nach  unten  aus  und 
bildet  so  eine  Vertiefung.    Notation:  ^.'') 

KJ 

^)  paraikahananät  pradaräya  pürvam  punas  tadächädah. 

')  saiva  (tiiyakrekhaiva)  adhah  (sädlnäm). 

')  ähatir  eva  dmtam  muktä. 

*)  ardhacandra  (ardhavalayäkärah)  ürdhvam  (sädinäm)  syät. 

&)  Siehe  S.  463,  Anm.  4. 

^  drtjhahati^. 

'^)  80  (ardhacandrah)  'dhah  (sädlnäm). 


458  JB.  Simon 

Es  ist  dies  der  einzige  Fall,  wo  sich  einer  der  samketas 
auf  eine  Besonderheit  der  rechten  Hand  bezieht. 

14.  pluä  (Auseinanderziehen):  «Reiben  von  acht  Tönen'. ^) 
C:  Dies  besteht  darin,  dass  durch  ein  einziges  Anreissen  auf 
die  eben  besprochene  Art  des  ghar^pa  acht  Töne  hinterein- 
ander hervorgebracht  werden.    Notation:  ^u«*) 

Die  pluti  ist  mit  einer  Kadenz  Ton  acht  Tönen  zu  ler- 
gleichen,  im  Übrigen  ganz  wie  ghar^aaa. 

15.  druH  (Schnelle):  »Rasches  Spielen*.*)  C:  Die  so  be- 
zeichneten Töne  werden  rascher  gespielt  als  andere,  nicht  so 

bezeichnete.    Notation:  ^l<.*) 

16.  paratä  (folgende  Lage):  ,Auf  dem  einen  Ton  das  An- 
ziehen bis  zum  folgenden*.*)  C:  Durch  Anziehen  (der  Saite) 
auf  dem  Steg  des  einen  Tones  bringt  man  den  (in  der  Leiter) 
folgenden  Ton  hervor,   also  ri  u.  s.  w.  auf  dem  Steg  von  sa 

u.  s.  w.    Notation:  ^.•) 

Technisch  ist  dies  nur  möglich  in  Anbetracht  der  hohen 
Stege  der  vToä,  welche  es  erlauben,  durch  starken  Druck  auf 
die  Saite,  ausgeübt  mit  einem  Finger  der  linken  Hand  in  der 
Richtung  auf  das  Griffbrett,  die  Saite  so  zu  verkürzen,  dass  auf 
der  Stelle  des  einen  Tones  der  folgende  hörbar  zu  machen  ist. 
Siehe  auch  oben  dolana. 

17.  uccatä  (hohe  Lage):  ,Dasselbe  bis  zum  dritten*.') 
C:  Durch  Anziehen  (der  Saite)  auf  dem  Steg  des  einen  Tones 
bringt  man  den   drittfolgenden  Ton  hervor,   also  ga  u.  s.  w. 

auf  dem  Steg  von  sa  u.  s.  w.    Notation:  «.*) 

y\ 

^)  astasvaragharsah. 

^)  so  (ardhacandrah)  'gre  (sädlnäm). 

^)  tvarävädanam. 

^)  svaraärnkhalä  (svarayoh  BvaräQaqi  vä  adhoniga4anain)« 

^)  pürve  'gryasjäkarsavam. 

®)  gurur  adhahsthäyl  tirjak. 

')  tat  tftlyaeya. 

^)  sa  (tiryagguruh)  ürdhvädha^  (apary  adhaä  ca). 


Die  Noiatianen  des  Samanätha,  459 

18. 19.  nijaie  (die  beiden  eignen  Lagen):  ^Yon  diesen  Beiden 
die  zwei  früheren  Zustände,  manchmal  mit  nochmaligem  An- 
rei88en\^)  G:  Von  diesen  Beiden  —  dem  durch  Anziehen  auf 
sa  hervorgebrachten  ri,  sowie  dem  durch  Anziehen  auf  sa 
herrorgebrachten  ga  —  kehrt  man,  die  Saite  wieder  lockernd, 
in  je  den  früheren  Zustand  (der  Saite)  zurück.  Dies  (Anziehen 
und  Wiederloslassen,  also  die  Verbindung  von  nijatä  mit  paratä 
oder  uceata)  geschieht  mit  einem  einzigen  Anreissen.  Manch- 
mal jedoch  erfolgt  in  der  Mitte,  d.  h.  nach  dem  Anziehen  der 
Saite  und  dem  darauf  angerissenen  ersten  Ton  (also  nach  der 
parata,  bezw.  uccata)  ein  nochmaliges  Anreissen,  welches  dann 
den  zweiten  Ton  (also  den  Ton,   zu  dem  die  Saite,  gelockert, 

zurückkehrt)  hörbar  macht.    Notation:  X{^)  und  Ji*) 

Der  Kommentar  ist  so  ausführlich,  dass  die  hier  gemeinte 
Technik  im  Zusammenhang  mit  den  Ausführungen  zu  paratä 
und  uccata  ohne  Weiteres  verständlich  sein  dürfte.  Es  sind 
demnach  vier  Fälle  zu  unterscheiden:  1.  paratä,  2.  uccata, 
3.  paratäyä  nijatä,  4.  uccatäyä  nijatä. 

20.  iama  (Kühe):  «Verweilen'.^)  C:  Nachdem  ein  Ton 
angegeben  ist,  besteht  der  sama  in  dem  ruhigen  Verharren 
auf  diesem  Ton.    Notation:  ^q.*) 

Der  Ton  soll  also,  ohne  aufs  Neue  angegeben  zu  werden, 
ruhig  ausgehalten  und  so  sein  Wert  beliebig  verlängert  werden. 
Wir  gebrauchen  hierfür  das  Zeichen  Fermate  oder  Halter. 

21.  m^du  (zart):  ,Hier  die  mandra-Lage'.*)  C:  Hier  wird 
mrdu  das  genannt,  was  sonst  mit  mandra,  der  tiefen  Lage, 

bezeichnet  wird.    Notation:  5^.'') 

1)  tajo^  paarvye  kväpi  saghäte. 

*)  paratäjää  cihnam  (adhaatät  tirjaggururupam)  lamba  (avartula1;)L 
lan)  IfrdhTO  (atiradcino)  binduh  (yasmin  tat). 

')  nccatajää  cihnam  (ürdhvädha^tliitatirjagganinlpam)  lambordh- 
Tabindu  (adha  eveti  jnejam). 

^)  yilambah  syät. 

^)  lambabindub  puratah  (sädinam  agre). 

^  iha  mandram  stbänam. 

^)  upari  (Bädlnäm)  sa  (lambabinduh)  türdhvah  (atinuäcTnal^). 


460  B,  Simon 

Oemeint  ist  von  den  drei  Oktaven  —  oder,  wie  sie  der 
Inder  vielleicht  mit  schärferer  Logik  nennt,  von  den  drei  sap- 
takas  —  in  denen  sich  jedes  Spiel  bewegen  kann,  die  im  Ver- 
hältnis zur  mittleren  Oktave,  dem  madhyasthäna,  tiefer  liegende, 
gewöhnlich  mandra  genannte  Oktave. 

22.  kathina  (scharf):    ,tära-Lage*.*)     C:    Hier   wird   mit 

kathina  die  tära-Lage  bezeichnet.    Notation:  ^.^) 

Die  tära-Lage  ist  die  im  Verhältnis  zur  mittleren  Oktave 
höher  liegende  Oktave. 

23.  padma  (Lotus):  ,Am  Schluss  eines  angefangenen 
Stückes*.*)  C:  Zur  Bezeichnung  der  Beendigung  eines  ange- 
fangenen Stückes  dient  eine  vier-  oder  mehrblättrige  Lotusblüte. 

Notation:    F^^.*) 

Dies  Zeichen  wird  nicht  nur  dort  angewendet,  wo  ein 
wirklicher,  authentischer  Schluss  vorliegt,  sondern  auch  bei 
allen  Halbschlüssen  u.  s.  w. 

Zu  diesen  23  samketas  kommen  dann  noch  die  sieben 
seit  Alters  her  gebrauchten  Notationen  sa,  ri,  ga,  ma,  pa, 
dha,  ni  zur  Bezeichnung  der  7  Töne  der  Leiter  hinzu  (V,  30). 
Überblicken  wir  die  Reihe  der  besprochenen  23  Notationen  im 
Ganzen,  so  sehen  wir,  dass  sich  nur  19  derselben  auf  Besonder- 
heiten der  Tonerzeugung  beziehen.  Aber  auch  diese  Zahl 
Hesse  sich,  bei  streng  logischer  Einteilung,  noch  verringern. 
So  ist  pratihati  und  mudrä  nur  je  ein  besonderer  Fall  der 
anuhati,  sparsa  ein  besonderer  Fall  der  ähati,  pluti  ein  be- 
sonderer Fall  des  gharsapa,  paratä  ein  besonderer  Fall  der 
uccatä.  Neben  den  19  besonderen  Notationen  bleiben  noch 
4  Notationen  allgemeiner  Art  bestehen :  Die  druti  zur  Bezeich- 
nung des  Tempos,  kathina  und  mrdu  zur  Bezeichnung  der 
höheren   und   tieferen   Oktave   —   die   mittlere   Oktave   bleibt 


^)  täram. 

2)  tiryak  (tirascinah  san)  sa  (lambabinduh)  ürdhvam.  (sädinam  upari). 

•)  prärabdharupapürtau. 

*)  caturädidalakamaläkärah. 


Die  Notationen  des  Somanätha.  461 

nnbezeiciiiiet  (Y,  29)  —  und  das  padma  zur  Bezeichnung  der 
Schlüsse.  Viele  der  samketas  können  bei  einem  Ton  nicht 
nur  einmal,  sondern  zwei-  oder  noch  mehrmal  zur  Anwendung 
kommen :  In  diesem  Fall  wird  das  betreffende  Zeichen  eben  so 
oft  gesetzt,  als  es  gebraucht  werden  soll  (Y,  28).  Durch  den 
öfters  wiederholten  Gebrauch  einer  Notation  bei  einem  und 
demselben  Ton  und  durch  die  dementsprechende  Ausführung 
auf  der  vlpä  wird,  wie  aus  der  Anmerkung  des  Somanätha  zu 
y,  55.  101  zu  ersehen  ist,  der  rasa  des  betreffenden  Stückes 
?erstärkt.  Es  können  sich  aber  auch  auf  einem  Ton  ver- 
schiedene, nach  einander  auszuführende  Notationen  vereinigen. 
Eine  solche  Häufung  derselben  oder  verschiedener  Notationen 
auf  einem  Ton  bereitet  nun  allerdings  einer  richtigen  Deutung 
oft  erhebliche  Schwierigkeiten.  Im  Besonderen  möge  in  gra- 
phischer Hinsicht  hier  erwähnt  werden,  dass  die  Notationen 
fär  paratä  -f*  p^ratä  nicht  neben-,  sondern  untereinander  ge- 
setzt, die  für  ähati  4"  ahati  unter-  oder  nebeneinander  gesetzt 
werden.  Die  Notation  für  paratäjä  nijatä  ist  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  denen  einerseits  für  ähati  +  paratä,  andrerseits 
för  ähati  -|~  paratäyä  nijatä.  Bemerkenswert  ist  die  Notationen- 
Ligatur  \y,  welche  plutih  ka^hinäntä  d.  h.  eine  pluti  bedeutet, 
deren  letzter  Ton  sich  in  der  hohen  Oktave  befinden  soll,  im 
Gegensatz  zu  der  plutir  madhyamäntä,  deren  letzter  Ton  der 
Mittellage  angehören  soll.  Dann  ist  noch  zu  erwähnen,  dass 
ghar^^a  und  druti,  sobald  sie  sich  über  mehr  als  einen  Ton 
ergtrecken,  in  einer  zusammenhängenden,  graden  bezw.  ge- 
schlängelten Linie  notiert  werden,  die  nur  durch  die  i-Haken 
von  ri  und  ni  unterbrochen  wird.  Weiteres  siehe  S.  463—4. 
Wie  schon  gesagt,  bleibt  die  mittlere  Oktave  unbezeichnet. 
Ebenso  werden  die  Erhöhungen  und  Verminderungen  der  ein- 
zelnen Töne  von  Somanätha  nicht  notiert,  mit  der  Begründung, 
dass  die  Natur  der  einzelnen  rägas  ja  allgemein  bekannt  und 
es  daher  Sache  des  vortragenden  Künstlers  sei,  dieselbe  richtig 
zum  Ausdruck  zu  bringen  (Y,  81).  Ebenso  vermissen  wir 
irgendwelche  Angaben  über  den  täla,  den  Takt.  Dafür  folgen 
den  eben  erwähnten  Bemerkungen  (V,  28 — 31)  noch  Andeutungen 


462  B.  Simon 

über  den  Gebrauch  der  linken  und  rechten  Hand  beim  yi^a- 
Spiel,  die  aber  aus  der  ja  hinlänglich  bekannten,  sich  zumeist 
grade  bei  den  weiterer  Ausführungen  besonders  bedürftigen 
Fragen  einstellenden  »Furcht  vor  Weitschweifigkeit*  (V,  34)  nur 
ganz  ausserordentlich  knapp  gehalten  sind.  Danach  kann  mit 
den  Fingern  der  rechten  Hand  das  Anreissen  nach  Belieben 
erfolgen.  Nur  für  die  sthäja-prabandhas  und  den  kartari- 
Anschlag  bestehen  besondere  Vorschriften  (V,  33).  Und  zwar 
sind  im  ersteren  Fall  die  obere  —  das  ist  nach  U,  12  die  vierte, 
der  rechten  Seite  des  Spielers  zunächst  liegende  —  Saite  erst 
mit  der  Unterseite  des  Mittelfingernagels,  dann  mit  Unter-  und 
Oberseite  des  Zeigefingernagels  anzureissen  und  unmittelbar 
darauf  drei  ärutis^)  mit  dem  Nagelrücken  des  kleinen  Fingers 
(V,  32).  Der  kartari- Anschlag  aber,  welcher  V,  138  zur  An- 
wendung kommt,  besteht  in  viermaligem,  rasch  hinter  ein- 
ander erfolgendem  Anreissen  der  Saite,  die  beiden  ersten  Male 
mit  der  Unterseite,  die  beiden  letzten  Male  mit  dem  Rücken 
je  nach  einander  des  Mittelfinger-  und  des  Zeigefingernagels 
aiisgeführt.  Was  den  Gebrauch  der  linken  Hand  anbetrifPt,  so 
beschränken  sich  die  Vorschriften  darauf,  dass  von  den  drei 
beim  Spielen  gebrauchten  Fingern  —  dem  Zeige-,  Mittel-  und 
vierten  Finger  —  die  ersten  zwei  nur  in  der  hohen  und 
mittleren  Lage  gebraucht  werden  sollen  (V,  36),  femer,  dass 
das  Hinaufsteigen  am  GrijBfbrett  mit  dem  Mittelfinger  zu  er- 
folgen hat,  wobei  jedesmal  der  Zeigefinger  ruhig  auf  den 
vorhergehenden  Ton  niederzusetzen  ist.  Nur  um  ähati,  sparsa 
u.  dergl.  besonders  gut  ausführen  zu  können,  ist  hierbei  auch 
der  Zeigefinger  gestattet  (V,  35).  Das  Hinabsteigen  soll  meist 
immer  mit  dem  Zeigefinger  erfolgen. 

Diesen  Vorbemerkungen  und  Erklärungen  schliessen  sich 
dann  von  Vers  37 — 166  die  Kompositionen  des  Somanätha  für 
die  viQä  nach  50  verschiedenen  rägas  an,  deren  kritische  und 
mit   den    oben    besprochenen    Notationen    versehene    Ausgabe 


*)  Ob  hier  drei  beliebige  oder  vorgeschriebene  srutis  gemeint  sind, 
geht  weder  aus  dem  Text  noch  aus  dem  Kommentar  hervor. 


Die  Notationen  des  SomaniUha.  463 

demnächst  erscheinen  wird.  Wäre  der  Text,  den  uns  die 
Handschriften  B  und  0  hierfür  geliefert  haben,  auch  noch  um 
Vieles  besser,  als  er  es  tatsächlich  ist,  wären  selbst  die  Nota- 
tionen noch  um  Vieles  lesbarer  und  deutlicher,  als  es  sich 
ihrer  Eigenart  nach  überhaupt  erwarten  lässt,  so  würde  doch 
auch  so  eine  Ausgabe  nicht  mögb'ch  sein  ohne  den  Kommentar, 
den  Somanätha  selbst  yerfasst  und  zu  B  hinzugefügt  hat.  Er 
bedient  sich  dabei,  mit  Ausnahme  ganz  weniger  FäUe,  in  denen 
er  die  jeweilige  Notation  mit  ihrem  ganzen  Namen  umschreibt, 
folgender  Abkürzungen:  pra""  =  pratihati,  ä*"  =s  ähati,  anu""  =s 
anuhati,  a**  oder  aha*"  =  ahati,  pr  =  pi4ä,  do""  =s  dolana, 
Ti'syikari^,  ga*  =  gamaka,  ka**  oder  kam''  oder  kamp*"  =s 
kampa,  gha**  =  ghar^apa,  mu°  =  mudrä,  spa**  =s  sparsa,  nai*" 
=  naimnya,  plu**  =  pluti,  dru*  ==  druti,  pa"  =  parata,  u"  oder 
ucca*  =  uccatä,  pa'ni"  =  paratäya  nijatä,  u**ni"  oder  ucca**ni" 
^  uccatäyä  nijatä,  ka!"  =^  öama,  mr"  =  mrdu,  ka*"  oder  ka^hi"* 
=:  ka^hina.  Die  Notation  padma  wird  nie  abgekürzt.  Für  die 
7  Töne  der  Leiter  treten  im  Kommentar  der  Reihe  nach  die 
Zahlen  Ton  1 — 7  ein.  Danach  lautet  der  Kommentar  z.  B. 
toY,  122: 

1  •  2  do"  6a*  •  5  6a"  dva**»)  •  5  •  6  do"  sa'  •  5  •  6  ä"  •  5  anu"  • 
5  ßa*  dva"  3  dru"  •  2  dm**  •  1  dru"  padmam  •  1  •  2  do"  sa*  •  5  sa  • 
4  do'  Sa*  .  3  gha"  •  2  gha«»  •  3  •  4  äMo**  •  3  sa**  •  2  6a"  1  padmam 

•  2 .  7  rar"  vi"  •  1  ä"  •  6  mr"  •  5  mi"  pa"  6a"  dva"  •  1  6a"  •  2  •  3  ä" 

•  4  .  3  ä"  gha"  •  2  gha"  •  3  ä"  gha"  •  2  gha"  •  1  6a"  •  2  •  7  mr"  vi" 

•  1  ä" .  6  mr**  •  5  mr"  pa"  6a"  dva"  •  1  sa"  •  2  •  3  ä"  •  4  •  3  ä"  gha" 

•  2  gha"  6a"  •  1  6a"  •  2  •  7  mr"  vi"  •  1  ä"  •  6  mr"  •  5  mr"  pa"  6a" 
dva*  •  1  padmam  II  122  II 

So  wertvoll,  ja  so  unersetzlich  ein  solcher  Kommentar  ist, 
so  liegt  doch  auf  der  Hand,  dass  dieser  allein  ebensowenig  die 
Richtigkeit  des  Textes  und  der  Notationen  verbürgt  als  B  und 
0  allein.  Wenn  auch  nicht  in  Abrede  gestellt  werden  soll, 
dass  in  manchen  Teilen  0  besser  ist  als  B,  so  sind  doch  im 
Orossen  und  Ganzen  B,  0  und  C  als  gleichwertig  für  die  Text- 

^)  Abkürzung  für  dvajam. 


4r>4  B.  Simon 

gestalt  zu  betrachten,  und  eine  Entscheidung  fUr  Einen  gegen 
die  beiden  Anderen  oder  umgekehrt  kann  nur  von  FaU  zu  FaU 
getroffen  werden.  Im  Besonderen  muss  man  sich  stets  die 
Möglichkeiten  folgender  Verwechslungen  und  ündeuÜichkeiteD 
vor  Augen  halten: 

1.  BO  können,  teils  auf  Grund  äusserer  Formähnlichkeii, 
teils  als  Folge  der  Nichtbeachtung  der  fftr  die  einzelnen  Zeickn 
an  und  für  sich  als  auch  im  Verhältnis  zu  den  einzelnen  Tönen 
charakteristischen  Stellungen  und  Lagen  verwechseln:  kampa- 
dvaya  mit  spar^,  mrdu  mit  ka^hina,  pi(}ä  mit  sama  oder  ähati, 
dolana  mit  vikar^a  oder  garoaka  oder  paratä.  Hier  war  selbst- 
verständlich C  entscheidend,  ebenso  wie  für  die  Länge  der 
ghar^aua-  und  druti-Linie,  die  die  Schreiber  von  B  und  0  mit 
grösster  Nachlässigkeit  hinzugefügt  haben. 

2.  C  verwechselt:  mr"  (=  mrdu)  mit  mu"  (=  mudrä),  dru" 
(=  druti)  mit  dva**  (=  dvaya).  ka*  (=  kathina)  ist  bei  ihm 
identisch  mit  ka  (==  kampa).^)  In  diesen  Fällen  war  BO 
massgebend. 

Neben  der  Hülfe,  die  sich  so  B  0  G  wechselseitig  zu  liefern 
im  Stande  sind,  bringt  ein  weiteres  kritisches  Hülfenüitel  det 
Umstand,  dass  die  50  Kompositionen  des  Somanätha  im  Aryä- 
Metrum  (12  +17,  12  +  14  Moren)  abgefasst  sind.  Ist  die 
metrische  Bearbeitung  einer  solchen  Materie  hier  eigentlich 
nur  eine  äusserliche  Spielerei,  da  es  sich,  mit  Ausnahme  der 
räga-Namen,  durchweg  ja  um  nur  kurze  Silben,  nämlich  san- 
gamapadhani,  handelt,  so  bietet  doch  die  so  feststehende  Silben- 
anzahl  im  Zusammenhang  mit  der  in  B  und  0,  natürlich  mit 
mehr  oder  minderer  Genauigkeit,  durchgeführten  Bezeichnung 
der  jeweiligen  Cäsuren  durch  senkrechte  Striche  der  Kritik  ein 
dankenswertes  Mittel,  die  Fälle  feststellen  und  verbessern  zu 
können,  wo  sich  in  der  einen  Handschrift  gegen  die  andere 
zu  viel  oder  zu  wenig  Töne  zeigen. 

1)  Wichtig  zu  bemerken  ist,  dass  ka^dva*,  falls  hierfür  nicht  ka^dru* 
zu  leHen  ist,  nur  =  kampadvaya  sein  kann,  ebenso  wie  ka"  ka"  nnt 
kathina  +  kampa  bedeuten  kann,  da,  in  beiden  Fällen,  eine  doppelt« 
Notierung  derselben  Oktave  sinnlos  sein. würde. 


Die  Not<xUonen  des  Somanatha,  465 

Des  Weiteren  Hess  ich,  unter  BeihOlfe  meines  Freundes 
PatdMarc,  eine  photographische  Au&ahme  der  Verse  37 — 166 
der  Handschrift  B  samt  dem  dazu  gehörigen  Kommentar  an- 
fertigen, die  mir  hei  der  Feststellung  des  Textes  die  wert- 
Tollsten  Dienste  geleistet  hat  und  die  ich  Fachgenossen  gern 
zur  Verfügung  stelle.^)  Eine  lithographierte  Nachbildung  der 
Verse  46—48  (im  rasanta-  und  hindola-räga)  findet  sich  bei 
Jones,  1.  c.  zu  S.  87,  ebenso  bei  David  und  Lussj,  1.  c.  S.  8, 
welche  nach  der  yon  Jones  gefertigten  Abschrift  der  Polierschen 
Handschrift  hergestellt  sein  muss. 

Der  Text  des  Somanatha  liess  sich  nun   in  verschiedener 
Weise  anordnen.     Am  klarsten  für  den  Aufbau  der  Kompo- 
sition wäre  wohl  zweifellos  die  Anordnung  nach  den  jedesmal 
durch   das  padma  gekennzeichneten  Schlüssen  gewesen.     Jede 
Reihe  hätte  dann  mit  einem  padma  abschliessen  müssen.    Dies 
verbot  sich  jedoch  schon  von  selbst  durch  den  Raum,  den  eine 
solche   Anordnung   beanspruchen   würde.      Femer   hätte   man 
ausschliesslich  die  metrische  Einteilung  zu  Grunde  legen  und 
nach  je   4  Reihen  einen   neuen  Vers   beginnen  können:   Hier- 
dxixch  würde  jedoch,   da  die  Namen  der  rägas  metrisch  mit- 
g'ezählt  werden,  die  Übersicht  über  die  einzelnen  rägas  voll- 
ständig verloren  gegangen   sein.     Ich  werde   den   Text  nach 
den  rägas  anordnen,   dabei  aber  zur  Erleichterung  der  Über- 
sicht   in    metrischer   Beziehung    die   Cäsui-striche    beibehalten. 
Eine  Einsicht  in  den  Aufbau  der  Komposition,   die  doch  nur 
durch    eingehende    Beschäftigung    mit    dem    Gegenstande    ge- 
wonnen wird,  wird  hierdurch,  wenn  auch  nicht  erleichtert,  so 
doch  jedenfalls  nicht  verhindert. 

Wie  schon  mehrfach  bemerkt,  besteht  der  Text  des  Soma- 
natha in  Kompositionen  zu  50  rägas,  welche  für  die  vTi?ä  be- 
stimmt sind.  Schon  hieraus  folgt,  dass  diese  Kompositionen 
f&r  die  Laute  nicht  Gesangsmelodien  zu  den  Gedichten  des 
Jajadeva  sein   können,   welche  dieser   in  seinem  Gitagovinda 


»)  Eine  lithographische  Nachbildung  von  foll.  126»»— 128*,  angefertigt 
nach  dieser  Photographie,  siehe  am  Schlass  dieser  Abhandlung. 

1903.  Sitzg8b.d.pbilo8.-pUloLn.d.hi8tKL  31 


466  n.  Simon 

zu  24  prabandhas  vereinigt  hat.  Dieser  Punkt  ist  deshalb 
hier  noch  zu  berühren,  weil  Jones  in  seiner  erwähnten  Ab- 
handlung zwar  nirgends  die  Behauptung  aufstellt,  dass  die 
Kompositionen  des  Somanätha  die  Melodien  zum  ßitagoTioda 
seien.  Davon  hat  ihn  sicherlich  allein  schon  der  Grund  abge- 
halten, dass  es  von  den  12  bezw.  15  ri^as,^)  zu  denen  Jaya- 
deva  seine  Gedichte  verfasst  hat,  nur  5  bezw.  7  sind,  die  äch 
auch  unter  den  50  rägas  des  Somanätha  wiederfinden.  WoU 
aber  äussert  er  die  Vermutung  —  und  hat  diese  Yermutang 
ja  auch  in  Noten  umgesetzt  —  dass  dem  nach  dem  vasanta- 
räga  komponierten  Stücke  des  Somanätha  (V,  46)  die  Worte 
des  zu  demselben  räga  gedichteten  3.  prabandha  desJayadeva 
untergelegt  werden  könnten  und  von  dem  Musiker  auch  unter- 
gelegt würden.^)  Dies  ergäbe  ein  Vergleich  Beider.  Abgesehen 
davon,  dass  man  sich  doch  vergebens  fragen  müsste,  wie 
Somanätha  dazu  gekommen  wäre,  unter  50  rägas  gerade  eioeoi 
einzigen  derselben  Worte  eines  der  24,  sonst  in  gar  keiner 
Beziehung  zu  ihm  stehenden  prabandhas  des  Jayadeva  unter- 
zulegen,   so    ergibt   ein   Vergleich   jenes   Stückes   mit  diesem 


*)  Die  Anzahl  der  rägas  bei  Jayadeva  schwankt,  da  die  Angaben. 
nach  welchen  rägas  die  einzelnen  prabandhas  vorzutragen  seien,  teil- 
weise auseinandergehen.  Die  von  Lassen  für  seine  Ausgabe  des  Gita- 
govinda  (Bonn  1836)  benutzten  Handschriften  (siehe  daselbst  S.  68)  und 
die  verschiedenen  Ausgaben  (Calcutta  1808,  besonders  fol.  35*;  mit  der 
Padadyotini  des  Näräya^a,  Bombay  1884;  mit  der  Rasikapriyä  de^ 
Kunibhakari^aräja  und  der  RasamafijarT  des  Sankaramisra,  Bombay  1899; 
mit  der  Bälabodbini  des  Caitanyadäsa  Calcutta  s.  a.)  stimmen  nur  in 
14  prabandhas  mit  einander  überein.  und  zwar  geben  sie  übereinstim- 
mend an  für:  2,  5,  7,  15:  gurjarl;  3,  14,  20:  vasanta;  4,  24:  rämakari; 
8:  karniltii;  12:  g»niakarl  bezw.  goodakarl;  17:  bhairava  bezw.  bhsiran: 
22:  varädl;  2:J:  vibhä.sa.  Für  die  übrigen  10  prabandhas  wechseln  die 
Angaben.  Und  zwar  für:  1,  6,  13:  mälava  mit  mälavagauija;  9,  16: 
desäkhya  (ho  richtig)  mit  desavaräji;  10,  21:  varä<jli  mit  desavarädi; 
11:  kedära  mit  gurjarl;  18:  gurjarl  mit  rämakari  und  mit  patamanjari; 
19 :  desavaräiJT  mit  asävarl  (so  richtig,  statt  des  verschriebenen  oder  ver- 
lesenen asäturi  der  Hs.  A  bei  Lassen). 

*^)  Siehe  auch  R.  Pischel,  Die  Hofdichter  des  Lak^^^magasena  S.  22 
(39.  Band  der  Abb.  K.  Ges.  d.  W.  Göttingen  1893). 


Die  Notationen  des  Somanalha,  467 

prabandha  aber  in  Wirklichkeit  folgendes:   Der  erste  Vers  des 
3.  prabandha,    um   den    es   sich    bei   Jones   zunächst   handelt, 
enthält  zweimal  28  Moren  zu  je  22  Silben,   dazu   als  Refrain 
44  Moren  mit  36  Silben,  im  Ganzen  also  110  Moren  mit  80  Silben. 
Das  in  Frage   kommende  Stück   des  Somanätha   enthält   nun 
76  Töne.    Um   die  Zahl   der  Silben   in  Übereinstimmung   mit 
der  Zahl  der  Töne  zu  bringen,  fügt  Jones  einfach  4  Töne  hinzu. 
Jetzt  kann  der  1.  Vers   im  vasanta-räga,   wie  er  meint,   nach 
dem  Stück  des  Somanätha  im  vasanta-räga  gesungen  werden. 
Aber  Jayadeva   hat  seinen    14.   und   20.  prabandha   ebenfalls 
im  yasanta-räga  vorgetragen   wissen  wollen.     Der  1.  Vers  des 
14.  prabandha  enthält  in  58  Moren  49  Silben,  der  1.  Vers  des 
20.  prabandha  in  76  Moren  61  Silben.    Wie   viel  Töne   hätte 
Jones  da  auslassen   oder  wie  viel  Silben  gar  hätte  er  hinzu- 
setzen müssen,  um  hier  Text  und  Melodie  in  Übereinstimmung 
zu   bringen!      Zu    solch    willkürlichen    , Verbesserungen^    der 
Melodie»  wie   in  unserem  Fall,   wäre  Jones  aber  wohl  schwer- 
lich gekommen,  wenn  er  mehr  Material  zur  Verfügung  gehabt 
hätte,  aus  dem  er  hätte  ersehen  können,   dass  die  Anzahl  der 
Silben  mit  der  der  Töne  sich  nicht  nur  nicht  zu  decken  braucht, 
sondern  sich    auch   nur   in   seltenen   Fällen   wirklich   deckt.  ^) 
Abgesehen  aber  selbst  hiervon  ist  ein  Vergleich,   wie  der  von 
Jones  unternommene,   hier   überhaupt   und   unter   allen  Um- 
standen ausgeschlossen:   Das  eine  sind  Kompositionen,  für  die 
Laute  bestimmt,  und  gehören  zur  Klasse  der  vädya-prabandhas, 
das  andere   sind  Dichtungen,   für  den  Gesang  bestimmt,   und 
gehören  zu  der  Gattung  der  gita-prabandhas.    Beide  haben  ganz 
und  gar  nichts  mit  einander  zu  tun.   Wenn  aber  Jones  schliesslich 
meint,  ebenso  wie  für  den  vasanta-räga  seien  auch  für  den  von 
Somanätha  ebenfalls  komponierten  hindola-räga  (V,  47 — 8)  »die 
entsprechenden  Worte  bei  Jayadeva  mit  Leichtigkeit  zu  finden*, 
so  wird  diese  Behauptung  schon  allein  dadurch  gegenstandslos, 
dass  Jayadeva  den  hindola-räga  überhaupt  nicht  angewendet  hat. 

^)  Ebenso  willkürlich  ist  die  Annahme,  dass  sich  die  metrisch  langen 
Silben  mit  den  musikalisch  langen  Tönen  unter  allen  Umständen  zu 
decken  haben. 


468  R,  Simon 

Mit  der  Zurückweisung  dieser  Yermutungen  von  Jones  soll 
aber  nun  keineswegs  die  Möglichkeit  in  Abrede  gestellt  werden, 
dass,  wie  uns  der  Zufall  bei  Somanätha  eine  Anzahl  von  für 
die  Laute  bestimmten  Kompositionen  erhalten  hat,  der  Zufall 
uns  nicht  auch  gelegentlich  Melodien  in  die  Hand  spielen  könnte, 
nach  denen  die  Gedichte  des  Jayadeva  auch  einmal  gesungen 
worden  wären.  In  solchen  Melodien  hätten  wir  dann  ein 
Beispiel,  zuföUig  vor  delen  anderen,  ebenso  berechtigten  Mög- 
lichkeiten ans  Licht  gekommen,  zu  erblicken.  Aber,  wie  Jones, 
„die*  Melodien^)  zu  suchen  oder  gar  zu  glauben,  „die'  Melodien 
gefunden  zu  haben,  bedeutet  eine  Yerkennung  dessen,  was  die 
indische  Musikpraxis  leistete  und  zu  leisten  hatte.  Jayadeva 
war  ein  Dichter  und  wahrscheinlich  ein  Kenner  der  Musik- 
theorie, aber  kein  ausübender  Künstler.  Darüber  schweigt 
sowohl  sein  Werk  selbst  als  auch  die  Tradition,  die  sich  ja 
sonst  ausführlich  genug  mit  seiner  Person  und  jedem  einzelnen 
seiner  Vorzüge  beschäftigt.*)  Er  dichtete  seine  prabandhas') 
und  bestimmte  für  einen  jeden  derselben,  je  nach  dem  darin 
vorherrschenden  rasa  und  je  in  Übereinstimmung  mit  der 
Situation,  den  dazu  gehörigen  r^ga  und  in  Entsprechung  mit 
diesem  den  täla.  Damit  war  seine  Aufgabe  erfüllt.  Den 
Musikern  blieb  dann  zugleich  mit  dem  Vortrag  auch  die  Kom- 
position seiner  Gedichte  überlassen.  Beides  mag,  wenn  auch 
durch   den   jedesmal   vorgeschriebenen   räga   gewisse   Grenzen 

^)  Jones,  1.  c.  S.  84:  ,the  original  mnsic*. 

2)  Pisctel,  1.  c.  S.  19.  23. 

')  Nach  einem  Original  in  irgend  einer  Volkssprache,  wie  Pischel, 
1.  c.  S.  22,  wohl  mit  Recht  meint.  Darauf  weisen  auch  die  teilweise 
dialektisch  gefärbten  räga-Namen  hin.  In  Bezug  auf  die  Strophenanzahl 
des  1.,  2.  und  10.  prabandha  sei  hier  zugleich  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  sich  im  Adi  Granth,  der  ja  auch  ein  von  Jayadeva  verfasstes  Gedicht 
enthält  (E.  Trumpp,  Die  ältesten  HinduT-Gedichte,  Sitzungsber.  der  K. 
B.  Akad.  d.  Wiss.  1879,  S.  8),  zahlreiche,  astapadi  genannte  prabandhas 
finden,  die  durchaus  nicht  notwendig  gerade  8  Strophen  zu  enthalten 
brauchen,  sondern  deren  ebenso  oft  weniger  als  mehr  aufweisen.  Siehe 
The  Adi  Granth  translated  by  E.  Trumpp,  London  1877,  S.  74,  Anm.  3, 
S.  75  ff.,  Einl.  S.  132. 


Die  Notationen  des  Somanätha.  469 

eiozulialten  waren,  doch  je  nach  der  Individualität  des  Künstlers 
verschieden  genug  ausgefallen  sein.^)  Indien  kennt,  was  schon 
oben  auch  nur  angedeutet  werden  konnte,  in  gewisser  Hin- 
sicht eben  nur  schaffende,  produktive  Künstler  und  nicht  das, 
was  wir  in  unserem  Sinne  reproduzierende  Künstler  nennen. 
Und  so  erregt  es  nur  das  aufrichtigste  Bedauern  über  so  viel 
vergeblich  aufgewandte  Mühe,  wenn  wir  Jones  selbst  erzählen 
hören, ^)  wie  er  auf  der  Suche  nach  der  Originalmusik  zum 
Gitagovinda  von  den  klugen  Brahmanen,  die  es  doch  eigent- 
lich besser  wussten  oder  jedenfalls  besser  hätten  wissen  können, 
im  Süden  zu  den  Brahmanen  im  Westen,  von  diesen  zu  den 
Brahmanen  von  Nepal  und  Kasmir,  von  diesen  wieder  zu  den 
Brahmanen  im  Süden  als  zu  der  angeblich  einzig  möglichen 
Quelle  der  Erkenntnis  gewiesen  wird,  und  ihn,  den  verdienst- 
vollen Forscher,  so  auf  der  Jagd  nach  etwas  sehen,  was  es  nie 
gegeben  hat  und  der  Natur  der  Sache  nach  nicht  geben  kann. 


^)  Deutlich  genug  spricht  in  dieser  Hinsicht  die  Bemerkung  Soma- 
nätha« (V,  40,  103)  zu  uns:  santy  aparä^i  (anyäni)  rüpä^i! 
^  Jones,  1.  0.  S.  84. 


Inhalt 


Sitzungen  der  philosojihisvh- fjhihlogischen  und  der  historischen  Klasse 

vom  3.  Mai,  13.  Juni,  4.  Juli  liK)3  257.  201. 2b; 


^   •  G.  (Joetz,   l*ii]Ma.s  und  sf ine  Quollen 

E.  Pct/et:  Ut'b»»r  «la^  Hi'idelberf^er  Briirhstück  des  Jüngeren  Titurel 
(mit  2  TiitVln) 


'h\ 


i( 


2^ 


J.  Frieilrich:    Die  siinlicensisohen  Aktenstücke  der  Sammluni? -les 

TheoilosiiiM  Diaconus  .         .         .         .         .         .       .      •    '-^ 

K.  K  riimbaclier:    Das   mittelgriecbische  Fischbuch    (mit  1  Tafel'    f^- 

W.  Christ:    Die  überli<^f«'rte  Auswabl  theokritischer  Gedichte        '^'"^ 

A.  Furt  Wandler,    Der  Ostgiebel   des  olympischen  Zeu'^tenipeis  •  ^-^ 

A.  Furt  wäncjler.    Zu   den  fSkulpturen    des  Asklepiostemi^ls  ^'^''' 

Epidanros   (mit  2  Tafeln) '^■''* 

R.  Simon:   Die  Notati«>nen  des  Somanätha  (mit  2  Tafeln)    .      •  ^' 


Die  Abhandlungen  sind  auch  in  Separatabzügen  hergestellt  c: 
erscheinen  einzeln  unter  den  Publikationen  des  akademischen  \tt^' 
in  Kommission  der  Franz'schen  Verlagshandlung  (J.  Roth). 


Akadeniiache  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  MQocheo. 


Sitzungsberichte 

COLLEüf 
der  .'>'^-  -"-1,/ 

.   JUN  841904 

philosophisch -philolöl^$jBhe»!^ 

und  der 

historischen  Klasse 


der 


K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  jyCünchen. 


1903.    Heft  IV. 


Mflnchen 

Verlag   der  E.  Akademie 
1904. 

In  KommissioD  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth). 


'^^^  JUN  241904!'' 
Sitzungsberichtö\£:  wsr.dge,  mk^^ 

der 

Königl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Denkwürdigkeiten  des  bayerischen  Staatsrats 
Oeorg  Ludwig  von  Maurer. 

Von  K.  Th.  Ton  Heigrel. 

(Vorgetragen  in  der  historischen  Klasse  am  7.  März  1903.) 

Durch  eine  letztwillige  Verfügung  unseres  verewigten 
Kollegen  Konrad  von  Maurer  wurde  ich  zur  VeröflFentlichung 
der  handschriftlichen  Memoiren  seines  Vaters,  so  weit  sie  sich 
auf  die  griechische  Episode  beziehen  —  andere  Teile  be- 
liaodeln  Maurers  Verhältnis  zu  Lola  Montez  und  andere  Vor- 
gänge in  Bayern,  —  ermächtigt.  Es  liess  sich  jedoch,  obwohl 
ich  an  viele  Türen  pochte,  kein  Verleger  bereitwillig  finden. 
Ich  war  darüber,  offen  gestanden,  nicht  ungehalten,  denn  nach 
meiner  Ansicht  empfiehlt  es  sich  noch  nicht,  das  Ganze  zu 
veröffentlichen,  sind  doch  mehrere  Persönlichkeiten,  von  denen 
in  den  Memoiren  nicht  gerade  in  glimpflicher  Weise  die  Rede 
ist,  heute  noch  am  Leben.  Die  Handschrift  soll  nunmehr  nach 
Beschluss  der  Familie  der  E.  Hof-  und  Staatsbibliothek  über- 
lassen werden,  jedoch  mit  dem  Vorbehalt,  dass  sie  erst  nach 
Ablauf  eines  bestimmten  Zeitraumes  der  Benützung  zugänglich 
gemacht  werden  darf.  Nur  ein  kurzer  Bericht  über  Inhalt 
und  Bedeutung  der  Denkwürdigkeiten  sei  der  historischen  Klasse, 
welche  den  Verfasser  43  Jahre  lang  zu  ihren  eifrigsten  Mit- 
gliedern gezählt  hat,  erstattet. 

IMS.  SlUgab.  d.  pbfloa..philoL  n.  d.  hist  KL  32 


472  K.  Th,  r.  Heigel 

Georg  Ludwig  von  Maurer,  der  Sohn  eines  reformierten 
Pfarrers,  ist  geboren  ara  2.  November  1790  in  Erpolzheim  bei 
Dürkheim.  Nach  Beendigung  des  juristischen  Studiums  in 
Heidelberg  ging  er  nach  Paris.  Er  war,  wie  er  selbst  seinem 
Freunde  und  Kollegen  Brinz,  dem  Verfasser  des  trefflichen 
Artikels  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie,^)  erzählte, 
gerade  in  die  Schätze  der  Bibliothek  des  Eassationsgerichts- 
hofes  vertieft,  als  die  Verbündeten  auf  dem  Montmartre  ihre 
Kanonen  lösten.  Nach  der  Heimkehr  trat  er  in  den  bayerischen 
Staatsdienst,  wurde  1816  Substitut  des  Generalprokurators  in 
Zweibrücken,  1818  Appellations-  und  Revisionsrat.  Obwohl 
mit  Berufsgeschäften  überhäuft,  versuchte  er  die  Lösung  einer 
1821  von  der  Kgl.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
gestellten  Preisaufgabe:  Wie  war  nach  der  altdeutschen  und 
altbayerischen  Rechtspflege  das  öffentliche  Gerichtsverfahren 
sowohl  in  bürgerlichen  als  peinlichen  Rechtsvorfallenheiten 
beschaffen?  Maurers  Bearbeitung  wurde  mit  dem  ersten  Preise 
gekrönt.  Die  1824  erschienene,  heute  freilich  veraltete,  für 
ihre  Zeit  epochemachende  „Geschichte  des  altgermanischen  und 
namentlich  altbayerischen  öffentlich  -  mündlichen  Verfahrens* 
lenkte  die  Aufmerksamkeit  weiter  Kreise  auf  den  jungen  pfal- 
zischen Staatsprokurator,  und  so  erhielt  er  schon  1826  einen 
Ruf  auf  den  Lehrstuhl  für  deutsches  Privatrecht  und  deutsche 
Rechtsgeschichte  an  der  von  Landshut  nach  München  verlegten 
Ludwig-Maximilians-Universität.  Als  ihn  drei  Jahre  später 
der  Begründer  der  neueren  Reichs-  und  Rechtsgeschichte,  Karl 
Georg  Friedrich  Eichhorn,  zu  seinem  Nachfolger  an  der  Georgia 
Augusta  vorschlug,  ernannte  ihn  König  Ludwig  L,  um  ihn  für 
Bayern  zu  erhalten,  zum  Staatsrat  im  ordentlichen  Dienste. 
Damit  trat  Maurer  in  eine  Periode  staatsmännischer  Wirksam- 
keit, die  ihn  jedoch  von  wissenschaftlicher  Arbeit  niemals  gänz- 
lich abzog.  Als  die  Londoner  Konferenz  im  Mai  1832  den 
Beschluss  fasste,  dem  Zweitältesten  Sohne  König  Ludwigs,  Otto, 

4  Allj^em.  d.  Biographie,  20.  Bd,,  699.  Im  Wesentlichen  Wieder- 
abdruck des  Nekrologs  in  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung,  Jahr- 
gang 1872,  Nr.  180. 


Denkwürdigkeiten  des  hayer,  Staatsrats  G,  L.  v,  Maurer,       473 

die  Krone   des   neu   zu  bildenden   griechischen   Staates   zuzu- 
wenden, wurde  festgesetzt,   dass  während  der  Minderjährigkeit 
des  Prinzen  eine  aus  bayerischen  Beamten  gebildete  Kegent- 
schaft den  Staat   verwalten   sollte.     König  Ludwig,   dem   die 
Wahl   überlassen   war,    berief  den   ehemaligen  Minister  Josef 
Ludwig  Grafen   von   Armannsperg,    der   auf  dem   Gebiet   der 
Staatsfinanzen  als  Autorität  galt,  den  Generalmajor  Karl  Wil- 
helm von  Hejdeck,  der  am  griechischen  Befreiungskampf  teil- 
genommen und  dabei  Beschaffenheit  und  Bedürfhisse  des  Heeres 
kennen  gelernt  hatte,  und  unseren  M.,  dem  insbesondere  die 
Neuordnimg  der  Rechtsverhältnisse  anvertraut  sein  sollte.    Am 
6.  Februar  1833   hielt  Otto,   seit   den   mythischen   Zeiten   des 
Deukalion    der   erste  König  Gesamtgriechenlands,    in   Nauplia 
festlichen  Einzug;  die  Szene  ist  von  Meister  Peter  Hess  im  Bild 
verewigt    worden.     Stürmischer   Jubel   empfing   den   Jüngling 
und  seine  Begleiter,   doch  schon  bald  trat  zu  Tage,   dass  der 
Spott  einer  Flugschrift,  welche  die  Lage  der  neuen  Monarchie 
mit  Lazarus  verglich,  dem  die  europäischen  Mächte  gebieterisch 
zuriefen:    «Hebe  dich   auf!    nimm   dein  Bett  und  geh!*^    nicht 
unbegründet   war.     Es   war   keine   leichte   Aufgabe,    aus   ver- 
schiedenartigen, durch  den  verzweifelten  Befreiungskampf  ver- 
wilderten Yolkselementen  einen  Staat  zu  bilden  und  die  Wüstenei 
von  Arta   bis  Volo   in  Kulturland   umzuwandeln.     Längst   ist 
denn  auch  der  Spott  über  die  ,  neuen  dreissig  Tyrannen  **  ver- 
stummt,  und  es  wird  auch  in  Griechenland  bereitwillig  aner- 
kannt, wie  viel  Gutes  in  jenen  Jahren  für  Ordnung  und  Hebung 
des  jungen  Reiches  gewirkt  wurde.     Leider  wurde  aber  diese 
schöpferische  Kulturarbeit  durch  die  Umtriebe  der  Diplomatie 
der  Grossmächte  und  die  damit  zusammenhängenden  Zwistig- 
keiten  im  Schosse  der  Regentschaft  gestört.     Gegen  Armann- 
^perg,    der    sich    der    russischen    Partei    angeschlossen    hatte, 
erhoben    Maurer    und    Karl   Abel,    der   Kabinettssekretär    des 
Königs,  die  Beschuldigung,  dass  er  selbstsüchtige  Politik  treibe 
und  die  Diktatur  anstrebe,  während  Armannsperg  die  Kollegen 
als   Vertreter   ultraliberaler   Grundsätze,    sich    selbst    als   den 
einzig  getreuen  Anwalt  des  monarchischen  Prinzips  hinzustellen 

32* 


474  K.  Th,  V.  Heigel 

suchte.  Beide  Teile  appellierten  an  König  Ludwigs  Entscheidung. 
Da  der  Kurier  Armannspergs  früher  nach  Schloss  Berg  ge- 
langte, als  der  von  Maurer  entsandte  Vertrauensmann,  ^)  glaubte 
der  König  den  vom  englischen  Kabinett  unterstützten  Vor- 
stellungen des  Grafen;  im  Juli  1834  wurden  Maurer  und  Abel 
abberufen  und  durch  die  Staatsräte  Kobell  und  Grüner  ersetzt. 

Anstatt  den  Griechen  ein  Lykurg  oder  Solon    zu   werden, 
sollte   Maurer   fortan   im   Appellgericht   der   Oberpfalz    sitzen, 
doch  lehnte  er,  auf  seine  Vorbehalte  bei  Übernahme  der  grie- 
chischen Mission  sich  stützend,  den  Amberger  Posten  ab,  blieb 
als  Mitglied   des  Staatsrats   in   München   und   verwendete   die 
Müsse  zu  schriftstellerischer  Arbeit.     1834  erschien  aus  seiner 
Feder  ein  dreibändiges  Werk  «Das  griechische  Volk  in  öffent- 
licher,   kirchlicher   und    privatrechtlicher   Beziehung    vor    und 
nach  dem  Freiheitskampfe  bis  zum  31.  Juli  1834*.     Die  Ab- 
sicht des  Verfassers  ging  in  erster  Reihe  dahin,  durch  Recht- 
fertigung seiner  eigenen  Tätigkeit  in  Griechenland  dem  Urteil 
der  Mit-  und  Nachwelt  an  die  Hand  zu  gehen,  doch  begnügte 
er  sich  glücklicher  Weise  damit  nicht,  sondern  gab  auf  Grund 
der  in  Griechenland  gesammelten  Erfahrungen  eine  Geschichte 
des  Befreiungskampfes  und  der  Gründung  des  neuen  Hellenen- 
staates und  im  Anschluss  daran  eine  Charakteristik  der  Schöpf- 
ungen und  Pläne  des  Regentschaftsrates  im  Allgemeinen   und 
der  einzelnen  Mitglieder  im  Besonderen.    Wertvoll  sind  nament- 
lich die  Erörterungen  über  das  bürgerliche  Recht  der  Griechen. 
Auf  Anregung  Maurers  war  von  gebildeten  Griechen  aus  ver- 
schiedenen Landesteilen   aufgezeichnet  worden,   was  ihnen   als 
geltendes  Recht   bekannt  war;   Maurer  selbst   hatte   in  dieser 
Richtung  insbesondere  in  der  Maina  nachgeforscht;   auch  Ge- 
richte  und  Demogeronten    waren   in   zweifelhaften  Fällen   zur 
Beantwortung  von  Fragen   aufgefordert  worden.     Auf  Grund- 
lage des  auf  solche  Weise  gewonnenen  Materials  wollte  Maurer 
ein  neues  bürgerliches  Gesetzbuch   für  Griechenland  schaffen. 


0  Dieser  Ansicht  wird  in   einem  Briefe   Abels  an  Heydeck  vom 
18.  Oktober  1834  Ausdruck  gegeben. 


Denhoürdigkeiten  des  bayer.  Staatsrats  G.  L.  v,  Maurer.       475 

was  aber  durch  die  unerwartete  Abberufung  vereitelt  wurde. 
Maurer  spricht  darüber  in  einem  Briefe  an  den  Griechen 
Karatzas,  der  ihm  1871  ein  juristisches  Werk  gewidmet  hatte.^) 
«Wenn  im  Allgemeinen  jede  Widmung  eine  angenehme  Hul- 
digung ist,  so  muss  die  Ihrige,  die  aus  Griechenland  kommt, 
mir  doppelt  angenehm  sein,  weil  auch  ich  im  Geist  mit  Griechen- 
land lebe  und  an  Allem,  was  in  diesem  schönen  Lande  vor- 
geht, innigsten  Anteil  nehme.  Ich  freue  mich  deshalb,  dass 
man  auch  dort  fortwährend  meiner  gedenkt.  Ja,  ich  habe  viel 
für  Griechenland  getan,  wurde  aber  verhindert,  mehr  zu  tun, 
insbesondere  den  bürgerlichen  Kodex  zu  verabfassen,  wie  ich 
beabsichtigte. . .  .*  Der  Brief  wurde  in  der  griechischen  Zeitung 
Eklektike  vom  16.  März  1871  veröffentlicht  mit  einem  Begleit- 
wort von  Karatzas:  «Unter  den  Griechenfreunden  sind  es  unseres 
Erachtens  drei,  welche  die  erste  Stelle  in  der  Dankbarkeit  aller 
Griechen  einzunehmen  haben:  der  erste  Platz  gebührt  dem 
grossen  George  Ganning,  der  zweite  dem  König  Ludwig  von 
Bayern,  der  dritte  dem  Verfasser  unserer  Gesetzgebung,  Herrn 
Maurer,  dem  geachtetsten  von  den  drei  Mitgliedern  der  Regent- 
schaft unter  König  Otto.  Diesen  selbst  lassen  wir  als  Griechen- 
freund  beiseite,  weil  er  mit  Leib  und  Seele  Grieche  war,  der 
Kekrops  der  neuen  Ära  des  griechischen  Volkes*^.  .  .  .  Zur 
Vollendung  gediehen  dagegen  das  von  Maurer  verfasste  Straf- 
gesetzbuch, das  am  1.  Mai  1834  veröffentlicht  wurde,  sowie  die 
ebenfalls  von  ihm  stammenden  Gesetze  auf  den  Gebieten  des 
Kriminal-  und  Zivilprozesses.  Auch  an  der  Organisation  der 
Gerichte,  der  Schulgesetzgebung  und  der  Neuordnung  des 
Klosterwesens  hatte  er  hervorragenden  Anteil. 

«Abel  ist  über  die  griechische  Sache  ganz  degoutiert'', 
schrieb  Maurer  nach  seiner  Abberufung  an  Heydeck,  «und  nach 
seiner  bekannten  Manier  will  er  gar  nichts  mehr  davon  wissen. 
Nun  muss  ich  ja  auch  gestehen,   dass,   wenn  man  an  öffent- 

^)  Die  von  mir  benützten  Briefe  stammen  grösstenteils  aus  dem 
Nachlass  des  Generals  v.  Heydeck;  einige  wurden  mir  vor  34  Jahren, 
als  ich  an  der  Biographie  Ludwigs  I.  arbeitete,  von  Staatsrat  v.  Maurer 
selbst  zur  Yerfagung  gestellt. 


476  K,  Th,  V.  Heigel 

liehen  Geschäften  Ekel  bekommen  könnte,  dazu  die  griechischen 
Angelegenheiten  sehr  geeignet  erscheinen.  Dennoch  verliere 
ich  nicht  den  Mut  und  hoffe  immer  noch  auf  Rettung  unseres 
trefflichen  jungen  Königs,  wiewohl  sich  hier  sehr  schlimme 
Nachrichten  über  die  Lage  Griechenlands  verbreitet  haben  und 
grossen  Stürmen  daselbst,  wie  die  Griechen  sagen,  entgegen- 
zusehen ist.  Ob  diese  Furcht  gegründet  ist,  kann  ich  nicht 
beurteilen,  da  ich  keine  Nachrichten  mehr  aus  Griechenland 
erhalte  und  die  Allgemeine  Zeitung  nur  Lob,  aber  keinen  Tadel 
und  keine  Klage  mehr  aufnehmen  darf.  .  .  .  Seyen  Sie  also 
doch  so  gut  und  schreiben  Sie  mir  recht  bald,  denn  ich  habe 
eine  ganz  andere  Natur,  wie  unser  Freund  Abel,  der  gar  nichts 
mehr  von  Griechenland  wissen  will.  Ich  nehme  mehr  als  je 
Anteil  an  dem  mir  lieb  gewordenen  griechischen  Volke  und 
dessen  mir  noch  lieber  gewordenem  jungen  König.  Und  je 
üblere  Nachrichten  ich  vernehme,  desto  mehr  wächst  mein 
Anteil,  weil  ich  stets  glaube,  dass  nur  einige  dumme  Streiche 
diesen   unglückseligen  Stand  der  Dinge   herbeigeführt  haben.' 

In  den  Briefen  an  die  in  Griechenland  zurückgebliebenen 
Freunde  ist  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen,  dass  Maurer  seine 
Rolle  in  Griechenland  noch  nicht  für  ausgespielt  ansah  und 
dass  er  in  sich  selbst  den  Arzt  erblickte,  der  imstande  wäre, 
den  jungen  Staat  gesund  zu  machen.  Noch  war  aber  Armann- 
spergs  Einfluss  in  Athen  allzu  mächtig,  und  König  Ludwig 
verkehrte  zwar  mit  Maurer  in  gnädiger  Weise,  liess  ihm  aber 
durch  Herrn  v.  Giese  eröffnen,  dass  das  Gespräch  niemals  auf 
griechische  Angelegenheiten  gelenkt  werden  dürfe. 

1839  gab  Maurer  das  im  Jahre  1328  von  einem  Für- 
sprech Ruprecht  bearbeitete  Rechtsbuch  für  die  Stadt  Frei- 
sing und  das  angeblich  ebenfalls  von  Ruprecht  herrührende 
Landrechtsbuch  für  das  Freisinger  Land  heraus.  Auch  die 
wichtigsten  Vorarbeiten  für  die  rechtsgeschichtlichen  Werke  der 
fünfziger  und  sechziger  Jahre  fallen  in  diese  Zeit.  Plötzlich 
wurde  er  jedoch  wieder  auf  das  Feld  politischer  Tätigkeit  gerufen. 

Als  unter  dem  Ministerium  Abel  die  Klagen  über  Beein- 
trächtigung  der  Rechte   der  evangelischen  Kirche,    über  eng- 


Denkwürdigheüen  des  hayer.  Staatsrats  G.  L.  v.  Maurer,       477 

herzige  Beyormundung  der  wissenscbaftlichen  Tätigkeit  und 
einseitige  Bevorzugung  der  altbayerisch-katholischen  Faktion 
sich  häuften,  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  Maurer  als  Pro- 
testant, als  Pfalzer  und  als  Mann  der  Wissenschaft  in  eine 
frondierende  Stellung  gegen  den  ehemaligen  Kollegen  geriet. 
Wiederholt  nahm  er  im  Reichsrat  Gelegenheit,  gegen  die  kirch- 
lich-politische Reaktion  und  die  ministeriellen  Übergriffe  seine 
Stimme  zu  erheben.  Als  König  Ludwig  selbst  seit  den  ärger- 
lichen YorßLllen  nach  dem  Tode  seiner  Stiefmutter,  der  prote- 
stantischen Königin  Karoline,  gegen  die  herrschende  Richtung 
Misstrauen  fasste,  besprach  er  sich  wiederholt  mit  Maurer 
über  die  Notwendigkeit  eines  Systemwechsels.  Der  Bruch  mit 
Abel  lag  also  sozusagen  schon  in  der  Luft,  und  es  war  durch- 
aus nicht  bloss  dem  Einfluss  der  ob  der  feindseligen  Haltung 
der  ministeriellen  Partei  grollenden  Lola  Montez  zuzuschreiben, 
dass  im  Februar  1847  das  Ministerium  Abel  aufgelöst  wurde. 
In  den  neuen  Kronrat  wurde  mit  Zu  Rhein,  Zenetti  und  Hohen- 
hausen  auch  Maurer  berufen,  der  ebenso  wie  Zu  Rhein  eine 
Erklärung  abgab,  « entschiedener  Gegner  jeden  hierarchischen 
Übergriffes'*  zu  sein.  Ausserhalb  Bayerns  wurde  das  «Mini- 
sterium der  Morgenröte*  von  den  Gegnern  der  Reaktion  mit 
Genugtuung  begrüsst,  im  eigenen  Lande  aber  wurde  es,  weil 
der  politische  Umschwung  nur  auf  Rechnung  der  Spanierin 
zu  kommen  schien,  von  Yorneherein  von  Vielen  mit  Misstrauen 
betrachtet;  dass  dem  Systemwechsel  in  Wirklichkeit  politische 
Erwägungen  des  Königs  zu  Grunde  lagen,  entzog  sich  der 
aligemeinen  Kenntnis  ebenso,  wie  die  Bemühungen  der  neuen 
Minister,  den  Monarchen  von  der  Ursache  des  offen tUchen 
Ärgernisses  abzuziehen.  Die  Tatsache,  dass  sich  Maurer  zur 
Gegenzeichnung  der  Standeserhöhung  der  Tänzerin  herbeiliess, 
wird  Ton  Brinz  wohl  mit  Recht  auf  den  schon  für  manchen 
Staatsmann  verhängnisvollen  hrtum  zurückgeführt,  dass  man, 
um  dem  guten  Prinzip  zum  Siege  zu  verhelfen,  auch  einen 
nicht  einwandfreien  Bundesgenossen  nicht  verschmähen  dürfe. 
Auch  war  die  Gunst  des  Königs  nicht  von  langer  Dauer.  Als 
€s  den  Ministem  nicht  gelang,  den  nur  zur  Genehmigung  der 


478  K.  Th,  V.  Heigel 

Erhöhung  des  gesetzlichen  Zinsfusses  für  Eisenbahnaktien  ein- 
berufenen Landtag  nach  dem  Wunsche  des  Königs  auf  den 
Standpunkt  eines  einfachen  Postulatenlandtags  zurückzudrängen, 
und  als  Maurer  und  Zu  Rhein  Miene  machten,  in  den  liberalen 
Elementen  der  Ständeversammlung  eine  Stütze  zu  suchen,  wurden 
sie  schon  im  Dezember  1847  wieder  entlassen.  Ausschlaggebend 
für  den  Entschluss  des  Königs  war  die  Weigerung  der  Minister, 
der  Gräfin  Landsfeld  ihre  Aufwartung  zu  machen.  Ja,  als 
immer  neue  Streiche  der  Ounstdame  den  Münchnern  Ärgernis 
gaben,  wagte  Maurer  in  Gegenwart  des  Königs  die  Äusserung, 
er  werde  die  Frau  Gräfin,  wenn  sie  ihr  Treiben  nicht  aufgebe, 
in  die  Frohnveste  abführen  lassen,  worauf  der  König  sich  auf 
die  Erwiderung  beschränkte:  „Ja,  wozu  wäre  denn  ich  da?' 
Das  freimütige  Wort  beweist  zur  Genüge,  dass  Maurers  Be- 
ziehungen zu  Lola  Montez  durchaus  nicht  so  geartet  waren,  wie 
es  seine  „moralisch  entrüsteten '^  Gegner  damals  hinstellten. 
Die  in  geschichtlichen  Darstellungen  des  leidigen  Skandals 
immer  wieder  auftauchende  Angabe,  dass  die  1847  erschienene 
Schrift  „Lola  Montez  und  die  Jesuiten^,  eine  freche  Apologie 
der  Tänzerin,  aus  Maurers  Feder  stamme,  ist  eine  Lüge.  Ich 
glaube  den  Manen  eines  Ehrenmannes  die  Mitteilung  zu  schulden, 
dass  mir  Maurer  selbst  auf  Ehrenwort  versicherte,  weder  an 
Abfassung,  noch  an  Herausgabe  der  fraglichen  Schrift  Anteil 
gehabt  zu  haben. 

Nach  dem  Ausscheiden  aus  dem  aktiven  Staatsdienst  widmete 
sich  Maurer  wieder  wissenschaftlichen  Studien.  Von  seinen 
Arbeiten  sei  nur  eine  erwähnt,  ein  auf  die  gesamte  deutsche 
Markenverfassung  und  das  gemeindliche  Leben  in  Hof-,  Dorf- 
und  Stadt  Verfassung  sich  erstreckendes  zwölfbändiges  Werk, 
das  in  den  Jahren  1854  bis  1871  erschienen  ist.  Die  Ge- 
schichte der  öffentlichen  Gewalt  in  Deutschland  sollte  den 
Schluss  bilden,  doch  wurde  die  Vollendung  durch  das  Ableben 
des  Verfassers  vereitelt.  „Man  wird  getrost  aussprechen  können* 
—  so  urteilt  ein  von  Brinz  angeführter,  leider  nicht  genannter 
„sachverständiger  und  unparteiischer  Jurist*  —  „dass  das  Erst- 
lingswerk Maurers,  wenn  auch  durch  spätere  Arbeiten  vielfach 


Denkwürdigkeiten  des  bayer,  Staatirats  G.  L.  v.  Maurer,       479 

überholt  und  antiquiert,  zu  den  grundlegenden  Arbeiten  der 
deutschen  Rechtsgeschichte  gehört,  und  dass  das  Schlusswerk, 
wenn  auch  im  Einzelnen  vielfacher  Berichtigung  bedürftig  und 
vielleicht  auch  in  der  Grundanlage  einseitig  gehalten,  doch 
noch  immer  als  eine  unerschöpfke  Fundgrube  reichen  Stoffes 
nicht  nur,  sondern  auch  selbständiger  und  fruchtbringender 
Ideen  vor  uns  liegt.* 

Mit  der  Wiederkehr  zur  gelehrten  Forschung  hatte  Maurer 
keineswegs  das  Interesse  an  der  Politik  verloren;  insbesondere 
die  Entwicklung  des  hellenischen  Staates  verfolgte  er  mit  warmer 
Teilnahme.  König  Maximilian  II.  zog  den  Freund  und  Kenner 
Griechenlands  in  eyischlägigen  Fragen  gern  zu  Rate.  Als  es 
sich  im  Jahre  1858  darum  handelte,  dem  für  den  griechischen 
Thron  bestimmten  jüngeren  Bruder  des  Königs,  Prinz  Adalbert, 
bei  der  ersten  Reise  nach  Griechenland  einen  welterfahrenen 
Begleiter  mitzugeben,  wurde  Maurer  dazu  ausersehen.  Es  war 
für  ihn  eine  tröstliche  Genugtuung,  dass  er  auf  dem  alten 
Schauplatz  seiner  Wirksamkeit  mit  hohen  Ehren  aufgenommen 
und  von  den  Griechen  als  ihr  „erster  Gesetzgeber*  dankbar 
gefeiert  wurde.  Um  so  schmerzlicher  musste  ihn  wenige  Jahre 
später  (1862)  der  Zusammensturz  der  Schöpfung  von  1832 
berühren.  Als  die  ün  glücksbotschaft  in  München  eingetroffen 
war,  liess  König  Ludwig  seinen  alten  Diener  wieder  zu  sich 
rufen.  Maurer  wurde  —  er  selbst  hat  mir  die  Episode  er- 
zählt^) —  zur  Tafel  geladen  mit  dem  Beifügen,  er  möge  schon 
eine  halbe  Stunde  vor  Tischzeit  sich  einfinden.  Sobald  er  in 
das  Gemach  eingetreten  war,  fuhr  der  König  auf  ihn  los  und 
ergoss  sich,  indem  er  einen  Knopf  am  Frack  seines  Gastes 
hin-  und  herzerrte,  in  einer  Flut  von  Vorwürfen  gegen  diesen 
und  jenen,  aber  auch  von  bittersten  Selbstanklagen.  Als  Maurer 
etwas  Tröstliches  sagen  wollte,  liess  der  König  den  Knopf  los 
und  eilte  wehklagend  im  Zimmer  umher;  dann  kehrte  er  wieder 
zu  seinem  Gast  zurück  und  begann  mit  neuen  Vorwürfen.    Das 


*)  Ich  gebe  die  Erzählung  wieder,  wie  sie  schon  in  meiner  Biographie 
König  Ludwigs  I.  8.  362  mitgeteilt  ist. 


480  K.  Th.  V.  Heigel 

Spiel  wiederholte  sich  noch  ein  paarmal,  bis  zur  Tafel  gerufen 
wurde.  Während  der  König  sonst  bei  Tisch  froh  gelaunt  die 
Unterhaltung  beherrschte  und  allerlei  Spässe  und  Schwanke 
zum  Besten  gab,  sass  er  diesmal  ganz  still  und  schweigsam. 
Plötzlich  sprang  er  auf  und  wollte  sich  entfernen.  Da  sich 
ihm  aber  ein  Diener  näherte  und  mit  verlegener  Miene  heraus- 
stotterte, es  sei  ja  noch  gar  nicht  der  Braten  serviert,  musste 
der  König  trotz  aller  Niedergeschlagenheit  lachen,  setzte  sich 
wieder  und  gewann  allmählich  seine  heitere  Gelassenheit. 

Maurer  erlebte  noch  den  Tod  König  Ludwigs,  der  von 
ihm  so  bitter  beurteilt  und  trotzdem  mit  einer  ganz  persön- 
lichen Treue  geliebt  und  verehrt  wurde.  Höfisches  Wesen 
blieb  dem  echten  PfUlzer  sein  Leben  lang  fremd.  Auch  im 
Verkehr  mit  Seinesgleichen  hielt  er  an  rücksichtsloser  Offenheit 
fest,  wodurch  freilich  die  Zahl  seiner  Freunde  nicht  gerade 
vermehrt  wurde.  Es  war  ein  Geist  der  Freiheit,  der  in  Maurers 
reizender  Behausung  in  der  Gartenstrasse  lebte,  ein  Geist  echt 
wissenschaftlichen  Strebens  und  nicht  minder  lebendiger  Teil- 
nahme an  Allem,  was  die  Welt  bewegte.  Eine  stattliche,  hohe 
Gestalt  mit  hoch  gewölbter  Stirn,  hellen,  scharf  blickenden 
Augen,  vollem,  weissem  Haupthaar,  um  den  Mund  einen  spöt- 
tischen Zug,  trotz  seiner  siebzig  Jahre  ein  Bild  der  Kraft  und 
Gesundheit,  so  steht  er  mir  noch  vor  Augen.  Wenige  Wochen 
vor  seinem  Tode  entschloss  er  sich  zum  erstenmal  seit  40  Jahren, 
von  einer  ßeichsratssitzung  wegzubleiben.  Er  verschied  ohne 
schweren  Todeskampf  am  9.  Mai  1872.  — 

Die  von  ihm  hinterlassenen  Aufzeichnungen  über  seine 
Beziehungen  zu  Griechenland  zerfallen  in  drei  Teile.  Der 
erste,  dem  die  Erklärung  vorangesetzt  ist:  „Ich  wünsche,  dass 
dieser  Nachtrag  zu  meinem  Buche  »Das  griechische  Volk  etc.* 
nach  meinem  Tode  nebst  den  Beilagen  gedruckt  werden  möge. 
V.  Maurer*  enthält  die  Geschichte  der  Regentschaft  von  1832 
bis  1834;  der  zweite  erzählt  von  Maurers  zweiter  Sendung  nach 
Griechenland  im  Jahre  1858;  der  dritte  behandelt  das  Ende 
der  bayerischen  Dynastie  in  Griechenland. 

Der  erzählende  Text  ist  nicht  besonders  umfangreich;  da- 


Denkwürdigkeiten  du  hayer.  Staatarats  G,  L,  v.  Maurer,       481 

gegen  liegen  als  Belege  zahlreiche  und  teilweise  umfangreiche 
Aktenstücke  bei,  Dekrete,  Instruktionen  und  andere  diploma- 
tische Urkunden,  auch  Privatbriefe,  Zeitungsausschnitte  u.  s.  w. 
Einzelne  von  diesen  Beilagen  werden  für  die  Geschichte  yiel- 
leicht  wertvoller  sein,  als  der  Text. 

In  der  Einleitung  zum  ersten  Teil  «Die  Witteisbacher  in 
Griechenland'*  erklärt  der  Verfasser,  er  habe  in  seinem  Werke 
über  das  griechische  Volk  Vieles,  zumal  das  Skandalöse,  nur 
leise  berührt,  teils  weil  er  selbst,  um  nicht  Ärgernis  zu  geben, 
nur  das  zur  eigenen  Verteidigung  Notwendigste  anführen,  teils 
weil  er  sein  Pulver  nicht  vor  der  Zeit  verschiessen  wollte;  er 
habe  ja  doch  erwarten  müssen,  dass  der  so  heftig  angegriffene 
Kollege  eine  Abwehr  versuchen  werde.  Da  aber  Armannsperg 
geschwiegen  habe,  sei  kein  Anlass  mehr  geboten,  auf  die  an- 
stössigen  Vorgänge  zurückzukommen.  „Sanft  ruhe  daher  seine 
Asche,  insofern  ein  Mann  zur  ewigen  Ruhe  gelangen  kann,  auf 
dem  die  schwere  Schuld  lastet,  durch  sein  Benehmen  in  Griechen- 
land den  Hass  gegen  die  Fremden  und  durch  seine  Mitteilungen 
an  England  den  Hass  gegen  den  König  Otto  selbst  hervor- 
gerufen und  dadurch  vielleicht  den  Grund  zum  Untergang  der 
Dynastie  der  Wittelsbacber  in  Griechenland  gelegt  zu  haben.  ** 

Da  aber  der  Verfasser  des  Glaubens  ist,  dass  er  der  bisher 
schlecht  unterrichteten  Nachwelt  zwei  Dinge  schuldig  sei,  die 
wahre  Geschichte  der  Berufung,  sowie  der  Auflösung  der  grie- 
chischen Regentschaft,  will  er  das  Nötigste  kui-z  erzählen  und 
die  aktenmässigen  Belege  zu  seinem  Bericht  an  die  Hand  geben. 

Doch  trotz  der  bündigen  Versicherung,  dass  es  ihm  fem 
liege,  den  alten  Streit  mit  seinem  Gegner  wieder  aufzurühren, 
liest  sich  das  Ganze  wie  eine  fortgesetzte  Anklage  gegen 
Armannsperg.  Durch  diesen  Ränkeschmied  soll  König  Otto 
systematisch  zu  würdevollem  Nichtstun  verführt  und  König 
Ludwig  über  die  wahren  Freunde  und  Förderer  der  griechischen 
Sache  getäuscht  worden  sein.  Sehr  umständlich  werden  die 
Vorbereitungen  zur  Bildung  der  Regentschaft,  die  widerwär- 
tigen Streitigkeiten  über  Rang,  Gehalt,  Kompetenz  etc.  der 
einzelnen  Mitglieder  dargelegt.     Man  gewinnt  beim  Lesen  den 


482  K.  Tk.  V.  Heigel 

Eindruck,  dass  die  Eifersucht  und  die  Unverträglichkeit  der  zur 
Leitung  Griechenlands  berufenen  bayerischen  Beamten  von  vorne- 
herein  das  Ansehen  der  neuen  Dynastie  schädigten.  Schon 
während  der  Überfahrt  an  Bord  des  „Madagaskar*^  kam  es 
zwischen  Armannsperg  und  Maurer  zu  Zwistigkeiten.  Nach 
Maurers  tendenziöser  Darstellung  träfe  alle  Schuld  den  herrsch- 
süchtigen ,,  Herrn  Orafen*',  der  den  obskuren  Emporkömmling 
nicht  als  gleichberechtigt  dulden  wollte.  Ohne  Zweifel  verteilt 
sich  die  Schuld  auf  beide  Seiten.  Denn  auch  Maurer  besass,  wie 
es  gerade  bei  Persönlichkeiten  von  staatsmännischer  Begabung 
nicht  selten  anzutreffen  ist,  stark  ausgeprägten  Eigenwillen; 
er  war  empfindlich  in  Bezug  auf  Anerkennung  seiner  Ver- 
dienste und  nicht  frei  von  Härte  in  Beurteilung  Anderer.  So 
erklären  sich  die  überraschend  bitteren  Ausfalle  gegen  viele 
Persönlichkeiten,  mit  denen  er  als  Mitglied  der  Regentschaft 
in  Berührung  trat,  und  die  prickelnden  Scherze,  die  er  über 
Auftreten  und  Verhalten  der  Bayern  in  Griechenland  zum 
Besten  gibt.  An  König  Ludwig  wird  gerügt,  dass  er  jederzeit 
Vergnügen  daran  fand,  den  einen  von  seinen  Dienern  gegen 
den  andern  auszuspielen  und  alle  unter  einander  zu  verhetzen. 
Für  König  Otto  verrät  der  Verfasser  warme  Neigung,  womit 
freilich  die  offene  Geringschätzung  der  Begabung  des  hohen 
königlichen  Herrn  schwer  vereinbar  ist.  Höheres  Interesse  bietet 
die  Darstellung  der  Streitigkeiten  mit  dem  englischen  Gesandten 
Dawkins  und  anderen  Vertretern  der  Londoner  Vertragsmächte; 
das  Hauptsächliche  ist  freilich  schon  aus  Maurers  Buch  bekannt. 
In  der  Verfassungsfrage  musste  die  Regentschaft  nach  Maurers 
Versicherung  von  vorneherein  in  eine  falsche  Stellung  geraten, 
weil  sich  die  bayerische  Regierung  eine  unverzeihliche  Täuschung 
erlaubte.  Die  von  König  Ludwig  den  Regenten  mitgegebene, 
am  23.  Juli  1832  unterzeichnete  Instruktion  enthält  die  Be- 
stimmung: „Da  es  der  Regierung  des  Königreichs  Griechenland 
ohnehin  nach  dem  Begriff  einer  Regentschaft  nicht  zustehen 
kann,  während  der  Minderjährigkeit  des  Königs  dem  König- 
reiche eine  Verfassung  zu  erteilen,  so  wird  sie  sich  hauptsäch- 
lich damit  zu  beschäftigen  haben,  dass  die  Rechte  des  Königs 


DenkwürdigkeUen  des  hayer,  StcuUnrata  O.  L,  v,  Maurer»       483 

gewahrt  und  Ihm  keines  derselben  vergeben  werde/  Die 
Regenten  mussten  sogar  vor  der  Abreise  dem  König  die  eid- 
liche Versicherung  geben,  dass  sie  sich  auf  konstitutionelle 
Experimente  nicht  einlassen  würden.  Um  so  peinlicher  wirkte 
eine  Überraschung,  die  ihnen  nach  der  Ankunft  in  Nauplia  zu 
teil  wurde.  »Hier  präsentierte  sich  die  griechische  Regierung, 
welche  wir  vorfanden,  mit  einem  Originalschreiben  des  Frei- 
herm  v.  Giese  vom  31.  Juli  1832  und  begehrte  von  uns  die 
von  dem  König  von  Bayern  versprochene  Berufung  der  National- 
versammlung zum  Zweck  der  Abfassung  einer  Konstitution. 
Man  bemerke,  dass  unsere  Instruktion  vom  23.  Juli,  das  Schreiben 
Gieses  aber  vom  31.  Juli  datiert  ist.  Und  da  wir  natürlich 
von  diesem  in  direktem  Widerspruch  mit  unsrer  Instruktion 
stehenden  Schreiben  Gieses  nichts  wussten,  so  kann  man  sich 
unsere  grosse  Verlegenheit  denken.  Das  Schreiben  Gieses  ist 
in  einem  von  dem  griechischen  Ministerium  offiziell  heraus- 
gegebenen Werke  wortgetreu  abgedruckt,  im  Uecueil  des  traitäs, 
actes  et  pi^ces  concernans  la  fondation  de  la  Royaut^  en  Grece 
(Nauplie,  imprimerie  Royale,  1833,  pag.  62  und  63).* 

Noch  entschiedener  als  in  seinem  älteren  Werke  vertritt 
Maurer  in  den  Memoiren  die  Ansicht,  dass  die  englische  Diplo- 
matie, um  nicht  eine  neue  Handelsmacht  im  Mittelmeergebiet 
aufkommen  zu  lassen,  absichtlich  das  ohnehin  ohnmächtige 
Staatswesen  mit  einem  Netz  von  Intriguen  umsponnen  habe. 
Ais  es  den  Vorstellungen  des  bayerischen  Ministerialrats  v.  Flad 
in  London  endlich  gelang,  die  Abberufung  des  hinterlistigen 
englischen  Gesandten  Dawkins  durchzusetzen,  kam  an  dessen 
Stelle  Lord  Lyons,  ^um  sodann  für  Griechenland  und  für  Bayern 
noch  weit  lästiger  zu  werden,  als  dieses  selbst  Dawkins  ge- 
wesen ist.** 

Noch  am  1.  Mai  1834  schrieb  König  Ludwig,  er  sei  vom 
festen  Vertrauen  beseelt,  dass  besonders  Maurer  Alles  tun  werde, 
lim  den  griechischen  Thron  zu  befestigen.  Durch  die  Vor- 
stellungen Armannspergs  wurde  aber  erreicht,  dass  sich  der 
König  überraschend  schnell  zur  Entfernung  Maurers  aus  Griechen- 
land entschloss.     Am  31.  Juli  1834  trafen  Staatsrat  v.  Kobell 


486  K.  Th.  V.  Heigel 

König  selbst  die  Schriflstücke  mit  den  Anträgen  herausge- 
nommen und  nicht  wieder  zurückgegeben  hatte.  Zwar  wurde 
Maurer  durch  Königliches  Signat  vom  26.  August  1835  «wegen 
Herausgabe  einer  Schrift  über  Griechenland'  von  seinem  Amte 
als  Staatsrat  suspendiert.  Als  er  aber  geltend  machte,  dass  die 
Strafe  der  Entfernung  aus  dem  Staatsratskollegium,  das  auch 
richterliche  Funktionen  habe,  nicht  ohne  vorausgegangene 
Untersuchung  verhängt  werden  könne,  wurde  die  Suspension 
wieder  aufgehoben.  Am  10.  Oktober  früh  Morgens  erhielt 
Maurer  ein  Handschreiben  des  Inhalts,  dass  der  König,  wie 
missvergnügt  er  auch  über  die  Herausgabe  des  bewussten  Buches 
sein  müsse,  Gnade  für  Recht  ergehen  lassen  wolle  und  das 
Verbot  der  Teilnahme  an  den  Staatsratssitzungen  zurücknehme. 
Gleichzeitig  wurde  Maurer  eingeladen,  noch  am  nämlichen  Tage 
der  Enthüllung  des  Denkmals  König  Max  Josephs  beizuwohnen; 
—  deshalb  war  die  Zustellung  des  Signats  am  frühesten  Morgen 
erfolgt.  Maurer  glaubte  sich  jedoch  mit  dieser  Genugtuung 
nicht  begnügen  zu  dürfen  und  blieb  der  Feier  fern. 

Als  im  nächsten  Jahre  König  Otto  nach  München  kam, 
erbat  sich  Maurer  eine  förmliche  Anweisung,  wie  er  sich  seinem 
früheren  Landesherrn  gegenüber  zu  verhalten  hätte.  Es  wurde 
ihm  befohlen,  nur  gleichzeitig  mit  den  übrigen  Staatsräten  seine 
Aufwartung  zu  machen  und  sich  jeder  Besprechung  über  grie- 
chische Verhältnisse  zu  enthalten.  So  geschah  es  auch.  Abel 
und  Maurer  waren  auch  die  einzigen  höheren  Staatsbeamten, 
die  bei  der  Massenverteilung  griechischer  Orden  leer  ausgingen. 
„Von  dem  Jahre  1833  bis  1839  befand  ich  mich  daher  in  der 
einzigen,  gewiss  noch  niemals  vorgekommenen  Lage,  einen 
Orden  selbst  gestiftet  zu  haben,  ihn  aber  dennoch  nicht  zu 
besitzen. '^  Ein  Umschwung  erfolgte  aber,  als  der  bis  dahin 
allmächtige  Staatskanzler  Armannsperg  hauptsächlich  wegen 
des  Misserfolgs  seiner  Finanzpolitik  entlassen  wurde  und  auch 
bei  König  Ludwig  in  Ungnade  fiel.  Bald  darauf  gelangte 
an  Maurer  aus  Athen  das  Grosskreuz  des  Erlöserordens, 
nach  Erklärung  des  Begleitschreibens  in  Anbetracht  der  Ver- 
dienste, die  sich  das  ehemalige  Mitglied  der  Regentschaft  durch 


Denhoürdigkeiten  des  bayer,  Staatsrats  O,  L,  v,  Maurer.        487 

seine  rege  Teilnahme  an  den  ßegierungsgeschäflen  und  ins- 
besondere bei  Abfassung  der  Gesetzbücher  erworben  habe. 
Dagegen  liess  der  Münchner  Hof  den  gestürzten  Armannsperg, 
wie  in  den  Memoiren  nur  allzu  ausführlich  geschildert  wird, 
in  drastischer  Weise  fühlen,  dass  er  das  Vertrauen  der  beiden 
Monarchen  verloren  habe.  Max  U.,  so  erzählt  Maurer,  sei 
einmal  nahe  daran  gewesen,  Armannsperg  wieder  auf  einen 
leitenden  Posten  zu  berufen,  doch  habe  er  verlangt,  dass  der 
Exkanzler  vorher  die  im  Buche  ^Das  griechische  Volk*  gegen 
ihn  erhobenen  Anklagen  widerlegen  müsse.  „Allein  der  Graf 
wusste  zu  wohl,  dass  dieses  nicht  möglich  sei,  weil  auch  er 
mich  sehr  gut  kannte.  Der  Graf  starb  daher,  ohne  dieses  Ziel 
erreicht  zu  haben.  Und  ich  will  nichts  tun,  ihm  die  Erde,  die 
ihn  bedeckt,  weiter  zu  beschweren.  Sanft  ruhe  daher  seine  Asche. 
München  aber  ist  nach  wie  vor  der  alte  Ort.  Erscheinungen 
wie  Armannsperg  sind  darum  auch  künftig  noch  möglich.  Sie 
werden  sich  sogar  noch  öfters  wiederholen,  solange  wenigstens 
die  Geschichte  von  Bayern  eine  fortwährende  Geschichte  der 
versäumten  Gelegenheiten  ist.** 

Wenn  Maurer,  wie  man  sieht,  nicht  ohne  Schadenfreude 
die  Demütigung  seines  Gegners  mit  ansehen  durfte,  wurde  ihm 
zwanzig  Jahre  später  eine  edlere  Genugtuung  zu  teil. 

Schon  1854  gaben  die  griechischen  Majestäten,  durch  die 
wachsende  Verwirrung  im  Lande  beunruhigt,  dem  Wunsche 
Ausdruck,  Maurer  als  bayerischen  Gesandten  in  ihrer  Umgebung 
zu  haben,  , wiewohl  sie  mich  fürchteten*.  Im  zweiten  Teil  der 
Denkwürdigkeiten  mit  dem  wunderlichen  Titel:  „Meine  Sendung 
nach  Griechenland  in  den  Jahren  1854  und  1858,  im  Jahre  1854 
beabsichtigt,  im  Jahre  1858  aber  ausgeführt **,  wird  über  die 
auf  jene  Berufung  bezüglichen  Verhandlungen  mit  Pfistermeister, 
von   der   Pfordten    und   König   Max   ausführlich    berichtet.^) 

^)  Der  zweite  Teil  ist  unmittelbar  nach  der  Heimkehr  nieder- 
geschrieben. Der  Schiusa  lautet:  ,Am  27.  April  (1858)  feierten  wir  den 
Geburtstag  meines  Heben  Lottchens,  am  28.  den  Namenstag  meiner 
Valerie  und  am  29.  April  den  Geburtstag  meines  lieben  Konrada.  Wahr- 
acheittlich  landete  Konrad  an  diesem  seinem  Geburtstage  in  Island»  dem 

IMft.  SHigBb.  d.  phaoa.-phl]ol.  n.  d.  hiiit.  Kl.  33 


488  K.  Th.  V.  Heigel 

Maurer  stellte  zur  Bedingung,  dass  er  zum  erblichen  Keichsrat 
ernannt  und  mit  einer  stattlichen  Dotation  begabt  werde. 
Darauf  ging  die  Regierung  nicht  ein,  ^und  der  König,  der 
mich  bisher  für  unentbehrlich  in  Oriechenland  gehalten  hatte, 
hielt  mich  Yon  nun  an  für  entbehrlich  und  ernannte  den  Oberst 
Feder  in  ausserordentlicher  Mission/  Als  jedoch  für  den 
6.  Februar  1858  das  Jubiläum  der  25  jährigen  Regierung  König 
Ottos  in  Aussicht  stand,  ersah  König  Max  trotz  seiner  Miss- 
stimmung den  „verdientesten  Griechenfreund"  zum  Begleiter 
des  Prinzen  Adalbert  nach  Athen.  Der  präsumtive  Nachfolger 
des  kinderlosen  Otto  sollte  gewissermassen  dem  griechischen 
Volke  vorgestellt  werden,  und  nach  Maurers  Versicherung  ent- 
ledigte sich  der  Prinz  dieser  Aufgabe  mit  Klugheit  und  VJTürde. 
Maurer  bestand  auch  darauf,  dass  der  Prinz  dem  Sultan  seine 
Aufwartung  mache.  Die  Schilderung  der  Reise  nach  Konstan- 
tinopel ist,  um  von  der  Erzählung  wenigstens  eine  kleine  Probe 
zu  bieten,  im  Anhang  mitgeteilt. 

Einsichtsvollere  Politiker  billigten  den  Besuch  in  Stambul, 
während  er  von  manchen  stolzen  Palikaren  als  ungebührliche 
Demütigung  des  Hellenenthrones  getadelt  wurde.  Im  Allge- 
meinen aber  glich  die  griechische  Reise  des  bayerischen  Prinzen 
und  seines  Begleiters  einem  Triumphzug.  In  den  Denkwürdig- 
keiten wird  geschildert,  wie  häufig  der  ehemalige  , Regent* 
Gelegenheit  hatte,  sich  zu  überzeugen,  dass  seine  Arbeit  in 
Griechenland  eine  glückliche  Aussaat  gewesen  war.  Die  von  ihm 
ausgearbeitete  Gerichtsorganisation,  wie  seine  Gesetzgebung  hatten 
feste  Wurzeln  gefasst;  auf  vielen  Gebieten  des  materiellen  wie 
des  geistigen  Lebens  war  erfreulicher  Fortschritt  zu  beobachten. 
Die  von  Maurer  zwischen  den  Zuständen  von  1833  und  1858 
gezogene  Parallele  leidet  kaum  an  Übertreibung.  Interessant  ist 
auch,  was  Maurer  über  die  Zukunft  der  orientalischen  Frage 
sagt,  wenn  er  sich  auch  nicht  gerade  als  Prophet  bewährt  hat. 

Maurer  lässt  als  seine  Ansicht  durchblicken,  dass  Königin 

Lande  seiner  Sehnsucht.  Möge  er  glücklich  wiederkehren  und  stets 
glücklich  sein  und  aeine  Valerie  ihm  Glück  und  Segen  biingen.  München, 
den  29.  April  1858.    v.  Maurer." 


Denkwürdigkeiten  des  hayer.  StcMtsrats  O.  L,  v.  Maurer.       489 

Amalie  unheilvolle  Umtriebe  angezettelt  habe,  um  ihrem  jüngeren 
Bruder,  dem  Prinzen  Ton  Oldenburg,  die  griechische  Thronfolge 
zuzuwenden;  sie  selbst  stellte  solche  Absicht,  als  Maurer  im 
Gespräch  darauf  anspielte,  entschieden  in  Abrede.  Schädlich 
wirkte  jedenfalls  auch  der  Streit  um  die  griechische  Thron- 
folge innerhalb  der  königlichen  Familie,  worüber  Maurer  ein- 
gehende, freilich  nicht  ganz  unbefangene  Mitteilungen  macht. 
Der  zweite  Teil  schliesst  mit  Aufführung  der  Ehren  und  Aus- 
zeichnungen, die  dem  Verfasser  aus  Anlass  der  glücklich  er- 
ledigten Mission  zu  Teil  wurden.  Die  grösste  Freude  bereitete 
ihm  ein  Handschreiben  König  Ottos  Yom  24.  April  1858,  das 
in  warmen  Worten  der  ,  ebenso  einsichtsvollen  wie  rastlosen 
Bemühungen*  Maurers  um  das  Wohl  Griechenlands  gedachte. 
«Mit  Freude  und  gerechtem  Stolze  muss  es  Sie  erfüllt  haben, 
zu  sehen,  wie  die  Gesetze,  die  Sie  für  Griechenland  verfasst 
haben,  sich  durch  eine  fast  25jährige  Anwendung  bewährt 
haben  und  deren  Anerkennung  sich  befestigt  hat."  «Dieses 
Handschreiben*',  sagt  Maurer,  „gereicht  nicht  nur  mir,  sondern 
dem  König  Otto  selbst  zur  grossen  Ehre,  denn  nur  ein  edler 
Monarch  weiss  in  dieser  gemütlichen  und  herzlichen  Weise 
geleistete  Dienste  zu  ehren  und  für  sie  zu  danken. '^ 

unmittelbar  vor  der  Abreise  von  Athen  hatte  Maurer  noch 
eine  Unterredung  mit  Königin  Amalie.  Er  war  nicht  wenig 
überrascht,  als  die  hohe  Frau  mit  aller  Entschiedenheit  der 
Überzeugung  Ausdruck  gab,  dass  es  in  kurzer  Zeit  in  Griechen- 
land zum  Aufstand  kommen  werde.  Maurer  suchte  ihr  vergeb- 
lich diese  Besorgnis  auszureden. 

Die  Unruhen  im  September  1861,  das  Attentat  auf  die 
Königin,  der  Aufstand  in  Athen  im  Oktober  1862,  der  Abfall 
der  Truppen,  die  Absetzung  König  Ottos  lieferten  den  uner- 
freulichen Beweis,  dass  die  Königin  schärfer  gesehen  hatte. 
Maurer  sah  sich  durch  die  unerwartete  Wende  genötigt,  seinen 
Aufzeichnungen  noch  einen  dritten  Teil  zu  geben:  „Das  Ende 
der  bayerischen  Dynastie  in  Griechenland".  Er  sieht  die  Haupt- 
ursachen des  Zusammensturzes  in  der  Unbeliebtheit  der  Königin 
und  in  der  auf  ihre  Umtriebe  zurückzuführenden  Unsicherheit 

33* 


490  K,  Th.  V,  Heigel 

in  Bezug  auf  die  Thronfolge;  um  die  Sukzession  bayerischer 
Prinzen  zu  hintertreiben,  sei  die  Königin  sogar  mit  den  in 
russischem  Sold  stehenden  Napisten  in  Einvernehmen  getreten. 
Maurer  erzählt  sodann,  welche  Anstrengungen  von  bayerischer 
Seite  zur  Befestigung  des  griechischen  Thrones  in  den  Jahren  1859 
bis  1862  gemacht  wurden,  und  der  Wert  seines  Berichts  wird 
erhöht  durch  Beifttgung  wichtiger  Aktenstücke,  von  welchen 
er,  vielfach  von  König  Max  zu  Rat  gezogen,  Abschrift  nehmen 
konnte.  Zur  Katastrophe  von  1862,  meint  er,  wäre  es  wohl 
kaum  gekommen,  wenn  man  den  von  ihm  im  März  1860  er- 
teilten Kat,  den  Prinzen  Adalbert  mit  einem  englisch-franzö- 
sischen Geschwader  nach  Athen  ziehen  und  dort  die  Erbfolge 
ein  für  allemal  endgiltig  regeln  zu  lassen,  befolgt  hätte.  Da 
gegen  diesen  Vorschlag  nicht  bloss  „die  kleine  Katharina", 
Königin  Amalie,  sondern  auch  König  Otto,  der  nicht  in  ,  Aus- 
trag **  geschoben  sein  wollte,  Verwahrung  einlegten,  stand  König 
Max  davon  ab  und  Hess  in  Paris  und  London  erklären,  mit 
der  griechischen  Expedition  habe  es  keine  Eile.  ,  Damit  war 
aber  der  günstigste  Moment  zur  Erhaltung  der  bayerischen 
Dynastie  in  Griechenland  versäumt."  Nach  der  Vertreibung 
Ottos  wurde  Maurer  wiederholt  von  König  Max  zu  gutacht- 
lieber  Äusserung  aufgefordert,  was  zur  Rettung  des  Werkes 
Ludwigs  I.  noch  geschehen  könnte  und  welche  Bedeutung  dem 
griechischen  Staat  für  die  europäische  Politik  und  das  baye- 
rische Interesse  zukomme.  Aus  den  Antworten  Maurers  er- 
hellt, dass  er  die  Erwartung  König  Ottos,  den  verlorenen  Thron 
wieder  zu  gewinnen,  nicht  teilte.  „Die  Türkei",  schrieb  er 
am  20.  Januar  1863  an  Pfistermeister,  „ist  immer  noch  ein 
kranker  Mann,  der  seit  dem  Kriege  mit  Russland  und  seit  der 
intimeren  Verbindung  Frankreichs  mit  Russland  noch  kranker 
geworden  ist,  als  zuvor,  aber  noch  nicht  krank  genug  ist,  um 
mit  Tod  abzugehen.  Daher  wird  der  kranke  Mann  noch  immer 
von  England  und  Osterreich  gehegt  und  gepflegt,  bis  dereinst 
seine  letzte  Stunde  schlagen  wird.  Wann  dieser  welthistorische 
Moment  eintreten  wird,  hängt  nach  der  jetzigen  Lage  der  Dinge 
im  Orient  hauptsächlich  von  England  ab.     Denn  England  ist 


Detikufürdigkeiten  des  hayer,  Staatsrats  G,  L  v.  Maurer,       491 

in   diesem   Augenblick    im   Orient    der   vorherrschende   Staat. 
Russland   ist  in  diesem  Augenblick   im  Orient  ziemlich  ohn- 
mächtig.   Ebenso,  seit  der  verunglückten  Expedition  in  Syrien, 
Frankreich.     Daher  haben  sich  Russland  und  Frankreich  ver- 
einigt, um  gemeinschaftlich  gegen  England  zu  operieren.    Sie 
waren  aber  bisher  nicht  sehr  glücklich  in  ihren  Operationen. 
Russland  und  Frankreich   versuchten   ihre  gemeinschaftlichen 
Operationen  zuerst  in  der  Walachei,   dann  in  Montenegro  und 
zuletzt  in  Griechenland.    Aber  an  allen  drei  Punkten  endigten 
sie  mit  einer  gewaltigen  Niederlage.     In  der  Walachei  und  in 
Montenegro  waren  England  und  das  mit  ihm  verbündete  Oster- 
reich siegreich,   in  der  Art  sogar,  dass  Frankreich,   als  es  zur 
endlichen  Entscheidung  kam,  Russland  im  Stich  Hess  und  mit 
England   stimmte.     Noch   weit   grösser   aber  war  die  Nieder- 
lage in  Griechenland.     Die  Revolution   in  Griechenland  wurde 
bekanntlich   von  Russland  und  Frankreich  gemacht,   um  den 
Prinzen  von  Leuchtenberg  auf  den  griechischen  Thron  zu  setzen. 
Darum  rieten  bei  der  Katastrophe  zu  Salamis  im  vorigen  Jahre 
der  französische  Admiral  und  der  französische  Gesandte  Seiner 
Majestät   dem  König  Otto,    nicht   nach  Athen  zu  gehen,  sich 
yielmehr  ein  Asyl   zu   suchen.     Und  König  Otto  ging  in   die 
Falle  und  verliess  sein  Reich.    Die  Folge  davon  war,  dass  nun 
das  2ientrum   für   die   zahlreichen  Anhänger   des  Königs  Otto 
fehlt,  um  welches  diese  sich  scharen  könnten,   und  dass  daher 
von  den  Griechen  selbst  und  von  ihnen  allein  für  die  Erhaltung 
des  Thrones  in  der  bayerischen  Dynastie  nicht  viel  zu  erwarten 
ist.    Dagegen    nahm    nun   England    die   Sache    in    die   Hand. 
England  proponierte  bekanntlich  den  Schutzmächten  Griechen- 
lands Anfangs  November,  einen   bayerischen  Prinzen   auf  den 
griechischen  Thron   zu   setzen,   und  Frankreich   und  Russland 
stimmten  ihm  bei.  Später  änderte  aber  England  seinen  Operations- 
plan.  Prinz  Alfred  ward  der  Thronkandidat  und  nachdem  Russ- 
land  auf  den  Prinzen  Leuchtenberg  verzichtet  hatte,  der  König 
Ferdinand  u.  a.  m.     England  hat  nun  das  Heft  in  der  Hand, 
▼on  einem   russischen  oder  französischen  Thronkandidaten   ist 
gar  nicht  mehr  die  Rede.     Russland   und  Frankreich  sind  in 


492  X.  Th  V.  Heigd 

diesem  Augenblick  ohne  allen  Einfluss  in  Oriechenland  und  in 
der  griechischen  Sache.  England  wird  über  den  griechischen 
Thron  verfügen.  Wer  demnach  auf  jenen  Thron  Ansprüche 
macht,  niuss  sich  mit  England  verständigen.  Griechenland  ist 
aber  der  Schlüssel  zum  türkischen  Reiche.  Daher  die  Wichtig- 
keit des  griechischen  Thrones  und  dessen  so  sehr  bestrittener 
und  beneideter  Besitz.  Griechenland  in  Besitz  einer  Gross- 
macht ist  Herr  der  Türkei.  Darum  die  Unmöglichkeit,  den 
griechischen  Thron  einer  Grossmacht  zu  überlassen.  Ohne  einen 
europäischen  Krieg  wird  dieses  auch  niemals  geschehen.  Allein 
auch  jeder  andere  Besitzer  jenes  Thrones,  der  das  Land  mit 
kräftiger  Hand  zu  regieren  vermag  und  die  letzte  Stunde  der 
Türkei  ruhig  abzuwarten  die  Geduld  hat,  wird  Herr  von  Kon- 
stantinopel werden.  Selbst  erobern  kann  er  aber  die  Türkei 
nicht.  Er  wird  zu  dem  Ende  immer  die  Unterstützung  Eng- 
lands notwendig  haben.  Das  Schicksal  des  griechischen  Thrones 
wird  daher  auch  später  noch  mehr  oder  weniger  in  den  Händen 
Englands  liegen.  Auf  die  jetzige  Aktive  Englands  wird  zwar 
nach  dem  gewöhnlichen  Gang  der  Dinge  wieder  eine  Reaktion 
folgen.  Allein  es  wird  jedenfalls  lange  Zeit  dauern,  bis  Russ- 
land und  Frankreich  sich  wieder  von  ihrer  völligen  Niederlage 
im  Orient  erholen.  Es  ist  dieser  Umschwung  der  Dinge  eine 
Frage  der  Macht.  Und  bis  jetzt  hat  es  nicht  den  Anschein, 
als  werde  sich  im  Orient  die  Macht  so  bald  auf  die  Seite  von 
Russland  oder  Frankreich  neigen.     Die  Zukunft  Griechenlands 

liegt   demnach    in    den   Händen   Englands In   London, 

nicht  in  Griechenland  wird  über  den  griechischen  Thron  ent- 
schieden, worauf  ich  schon  im  November  vorigen  Jahres  Seine 
Majestät  den  König  aufmerksam  gemacht  und  damals  gemeint 
habe,  dass  jemand  nach  London  gesendet  werden  wolle.  In 
diesem  Augenblick  ist  eine  Sendung  nach  London  zu  spät  und 
auf  der  anderen  Seite  auch  wieder  zu  früh.  Zu  früh,  weil 
jetzt  der  in  Paris  stattgehabte  Umschwung  und  seine  Rück- 
wirkung auf  London  abgewartet  werden  muss,  der  vielleicht 
eine  Sendung  nach  London  unnötig  macht.  Da  es  aber  dennoch 
gut  wäre,   wenn  man  wüsste,   was  man  in  London  jetzt   will, 


DenkwÜrdigheüen  des  hayer,  Staatsrats  G.  L,  v.  Maurer,       493 

so  rate  ich  Seiner  Kgl.  Majestät,  bei  der  hiesigen  englischen 
Gesandtschaft  sondieren  zu  lassen,  in  wie  weit  England  die 
bayerische  Dynastie  in  Griechenland  zu  unterstützen  gedenkt. 
Die  Grenze,  welche  Ausgaben  für  die  griechische  Sache  noch 
gemacht  werden  sollen,  ist  durch  den  neulichen  Beschluss  Seiner 
Majestät  des  Königs  bereits  gefunden.  Seine  Kgl.  Majestät 
geruhten  zu  erklären,  dass  eine  Erhebung  der  Griechen  und 
eine  Sendung  der  Griechen  an  den  Kgl.  Hof  abzuwarten  sei. 
Beides  ist  nicht  erfolgt,  —  ergo!!!  Man  sprach  früher  von 
der  Wahl  Rigas  Palamides  zum  Präsidenten  der  National- 
Tersammlung,  von  der  Erhebung  der  Mainotten,  vom  Los- 
schlagen anderer  Primaten  binnen  10  Tagen,  von  einer  provi- 
sorischen Regierung  in  Tripolitza,  von  dem  Nichtausschluss  der 
bayerischen  Dynastie  von  der  griechischen  Thronfolge  u.  s.  w. 
Von  dem  Allen  ist  aber  nichts  oder  das  Gegenteil  geschehen. 
Dadurch  werden  aber  auch  die  weiteren  Versprechungen  ver- 
dächtig, und  unter  diesen  Umständen  begehrt  der  griechische 
Konsul  neue  150,000  Fr.  Wenn  Seine  Majestät  der  König 
auch  diese  Summe  noch  bewilligen  wollen,  so  ist  dies  natürlich 
Sache  der  Allerhöchsten  Gnade.  Ich  meines  Orts  kann  aber 
nach  Lage  der  Sache  nur  für  höchstens  50  bis  100,000  Drachmen 
raten.  Die  dritte  Frage,  wie  weit  Seine  Majestät  mit  Rück- 
sicht auf  die  bereits  ausgegebenen  Summen  im  Gesamtopfer 
noch  gehen  soll,  kann  erst  dann  beantwortet  werden,  wenn 
man  der  Unterstützung  Englands  sicher  ist.  Sichert  England 
nicht  klar  und  deutlich  seine  Unterstützung  zu,  so  rate  ich 
von  jedem  weiteren  Opfer  ab.  Denn  von  England  hängt  in 
diesem  Augenblick  die  Zukunft  Griechenlands  ab!* 

Maurer  war  noch  längere  Zeit  für  die  Wiedereinsetzung 
der  bayerischen  Dynastie  in  ihre  von  den  Schutzmächten  ge- 
währleisteten Rechte  tätig,  doch  ohne  Erfolg.  Die  einschlägigen 
Aktenstücke  liegen  bei. 

Mit  einer  nochmaligen  Erörterung  seiner  Verdienste  um 
den  hellenischen  Staat  vom  Augenblick  seiner  Berufung  in  das 
soeben  erst  dem  Türken,  aber  noch  nicht  der  Barbarei  abge- 
rungene Land   bis   zu   dem   traurigen  Tage,    da   er   am  Grabe 


494  JL  Tk.  V.  Heiga 

der  bayerischen  Dynastie  stand,  beschlieast  der  Verfasser  seine 
Denkwürdigkeiten.  ,  Wenn  dereinst  Griechenland,  wie  ich  hoffe 
und  auch  glaube,  grösser  und  blühender  geworden  ist,  wird  man 
auch  dann  noch  seines  alten  Freundes  und  Wohltaters  gedenken'. 


Beilage. 

Reise  von  Athen  nach  Eonstantinopel  im  Februar  1858. 

Mein  häufiger  Verkehr  mit  den  Griechen  hatte  fflr  mich 
den  grossen  Vorteil,  dass  ich  bald  vollständig  wieder  orientiert, 
sogar  besser  orientiert  war,  als  die  hellenischen  Majestäten 
selbst.  Ausser  der  im  Jahre  1840  erhaltenen,  sehr  mangel- 
haften Konstitution  war  seit  meiner  Abreise,  also  seit  24  Jahren, 
keine  neue  Einrichtung  gemacht  worden,  war  fast  gar  nichts 
geschehen.  Meine  zahlreichen  alten  Freunde  knüpften  daher 
bei  ihren  Gesprächen  und  bei  ihren  zahlreichen  Desiderien  an 
die  alten  Zeiten  vor  24  Jahren  an.  Die  in  Mitte  liegenden 
24  Jahre  waren  ihnen  wie  gar  nicht  vorhanden.  Denn  va.^ 
nicht  vor  24  Jahren  geschehen  war,  war  heute  noch  zu  tun. 
Manches  ist  sogar  rückwärts  gegangen,  so  die  von  der  Regent^ 
Schaft  gebildete,  ganz  vortreffliche  Gendarmerie  soll  durch  ibrtu 
Gebrauch  zum  Spionieren  bedeutend  schlechter,  ja  sogar  be- 
stechlich geworden  sein.  Auch  sollen  einige  Wege,  welche  die 
Kegentscbaft  hatte  herstellen  lassen,  wieder  eingegangen  und 
keine  neuen  Wege  gemacht  worden  sein.  Was  man  bereits 
vor  24  Jahren  veimisst  und  verlangt  hatte,  das  verlangt  man 
heute  noch,  das  verlangte  man  nun  von  mir.  Ich  aber  konnte 
nicht  helfen.  Ich  versprach  zwar,  mit  den  Majestäten  reden 
zu  wollen,  und  tat  dieses  auch.  Dabei  ist  es  aber  allzeit  ge- 
blieben. Weiter  konnte  und  durfte  ich  jedoch  nichts  tun.  Denn 
die  Majestäten  durfte  ich  doch  nicht  kompromittieren.  Dieses, 
—  verbunden  mit  dem  Umstände,  dass  auch  die  Feier  des 
6.  Februar  wieder  vorübergegangen  war,  ohne  dass  etwas  für 
das  Land    selbst   geschehen    ist,   —   führte    zuletzt   zu  einer 


Denkwürdigkeiten  des  hayer»  Stcuiterats  O.  L,  v.  Maurer.       495 

bemerkbaren  Verstimmung  gegen  die  beiden  Majestäten.  All- 
gemein hatte  man  nämlich  erwartet,  dass  wenigstens  bei  dieser 
Gelegenheit  irgend  etwas  geschehen  werde,  was  dem  Lande 
angenehm  und  nützlich  sein  werde.  Es  geschah  indessen  auch 
jetzt  wieder  nichts.  Die  Verstimmung  war  daher  begreiflich. 
Aber  eben  deshalb  war  es  hohe  Zeit,  dass  wir  an  unsere  Ab- 
reise dachten.  Ich  machte  den  Prinzen  darauf  aufmerksam. 
Da  jedoch  der  König  die  Festlichkeiten  in  Nauplia  beendigen 
wollte,  zum  Reisen  aber  noch  nicht  wohl  genug  war,  so  konnte 
noch  nicht  abgereist  werden,  unter  diesen  Umständen  tauchte 
denn  die  Idee  einer  Reise  nach  Eonstantinopel  auf. 

Der  türkische  Gesandte,  Chounil  Bey,  hatte  mich  bereits 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  es  den  Sultan  sehr  freuen 
werde,  wenn  der  Prinz,  der  als  griechischer  Thronfolger  gelte, 
auch  ihn  besuchen  wollte.  Später  sagte  er  mir  sogar,  dass 
es  der  Sultan  übel  nehmen  werde,  wenn  der  Prinz,  der  nun 
so  nahe  bei  Konstantinopel  sei,  ihn  nicht  besuche.  Er  bot 
sogar  sein  im  Piräus  liegendes  türkisches  Kriegsschiff  zur  Über- 
fahrt an.  Da  nun  der  weitere  Aufenthalt  in  Athen  aus  den 
angegebenen  Gründen  unangenehm  zu  werden  drohte,  der  König 
Otto  aber  noch  nicht  wohl  genug  war,  um  nach  Nauplia  zu 
reisen,  wo  er  die  Festlichkeiten  zu  beendigen  gedachte,  so  kam 
jetzt  die  Idee,  die  Zwischenzeit  mit  einer  Reise  nach  Konstan- 
tinopel auszufüllen,  wie  von  selbst.  Der  türkische  Gesandte 
schrieb  deshalb  nach  Konstantinopel.  Auch  der  österreichische 
Geschäftsträger  y.  Heimerle  schrieb  dahin.  Der  Sultan  selbst 
wünschte  den  Besuch.  Da  jedoch  der  Prinz  nicht  mit  einem 
gewöhnlichen  Dampfboot,  yielmehr  nur  mit  der  österreichischen 
Fregatte,  welche  Ihm  zur  Disposition  gestellt  war,  reisen  wollte, 
so  stand  der  Pariser  Staatsvertrag  entgegen,  nach  welchem 
kein  grösseres  Kriegsschiff,  selbst  nicht  mit  Zustimmung  des 
Sultans  die  Dardanellen  passieren  darf.  Indessen  der  Sultan 
wünschte  den  Besuch.  Er  benahm  sich  daher  mit  den  fremden 
Botschaftern  und  Gesandten.  Und  so  ward  denn  zu  Gunsten 
des  Prinzen  eine  Ausnahme  von  dem  Staatsvertrag  gemacht 
und  der  Ferman  zur  Durchfahrt  erteilt. 


496  JT.  Th.  V.  Heigel 

Die  Wichtigkeit  dieser  Reise  ward  von  JedermaDn,  ron 
den  Griechen  wie  von  den  Diplomaten  begriffen.  Nur  die 
Königin  und  die  ihr  allzeit  sekundierende  Frau  Obersthof- 
meisterin (Frau  Y.  Pluskow)  war  ganz  entschieden  dagegen. 
Anfangs  meinte  die  Königin,  es  sei  unklug  und  sogar  eine 
Schande,  wenn  wir  von  Athen  nach  Konstantinopel  gehen 
wollten.  Es  schicke  sich  nicht,  dem  kranken  Mann  einen  Be- 
such abzustatten.  Die  Königin  fragte  mich  sogar  einmal,  wie 
lange  ich  glaube,  dass  es  noch  dauern  könne  bis  zum  Ein- 
zuge  der  griechischen  Majestäten  in  Konstantinopel.  Und  die 
Königin  ward  sehr  ungehalten,  als  ich  meinte,  dass  dieses 
noch  einige  Zeit  anstehen  könne.  —  Da  wir  die  vermeintliche 
Unklugheit  und  Schande  nicht  begreifen  wollten,  so  sollten 
wir  durch  Schrecken  von  der  Heise  abgehalten  werden.  Man 
erzählte  uns  (das  heisst  die  Königin  und  die  Oberhofmeisterin 
erzählten  uns)  den  einen  Tag,  es  sei  eine  solche  Kälte  in 
Konstantinopel  eingetreten,  dass  Alles  am  Erfrieren  sei;  am 
anderen  Tage  wusste  man,  der  Schnee  liege  drei  Fuss  hoch 
in  den  Strassen,  so  dass  alle  Kommunikation  unterbrochen, 
sogar  der  Zugang  zu  den  Bäckern  und  Metzgern  gesperrt  und 
infolge  dessen  eine  Hungei*snot  ausgebrochen  sei;  an  wieder 
einem  anderen  Tage  hatte  man  erfahren,  dass  die  Wölfe  in 
Konstantinopel  eingefallen  seien  und  die  Menschen  aus  ihren 
Wohnungen  herausholten,  so  dass  wir  demnach  die  Aussicht 
hatten,  in  Konstantinopel  zu  erfrieren,  zu  verhungern  und  von 
den  Wölfen  gefressen  zu  werden.  Wir  liessen  uns  jedoch 
nicht  irre  machen.  Denn  bange  machen,  meinten  wir,  gelte 
ja  nicht.  Und  der  Erfolg  hat  gelehrt,  dass  wir  richtig  gesehen 
hatten.    Unsere  Erwartungen   wurden  sogar  noch  übertroffen. 

Am  21.  Februar  morgens  10  Uhr  verliessen  wir  nach 
einem  Aufenthalt  von  3  Wochen  Athen,  und  um  11  Uhr  be- 
fanden wir  uns,  begleitet  von  dem  König  Otto,  auf  der  öster- 
reichischen Fregatte  im  Piräus.  Ich  mache  auf  diese  Zeit  und 
auf  diesen  Umstand  deshalb  aufmerksam,  weil  in  demselben 
Momente  jener  heftige  Erdstoss  erfolgte,  welcher  die  Stadt 
Korinth  in  einen  Schutthaufen  verwandelte.    Wir  selbst  fühlten 


DetikwürdigkeUen  des  bayer.  Staatsrats  O,  L,  v.  Maurer,        497 

deshalb  nichts,  weil   bereits  die  Anker  gelichtet   waren.     Im 
übrigen  Hafen    und   selbst   in  Athen   hat  man   aber,    wie  wir 
später  erfuhren,  den  Erdstoss  verspürt.     Die  Abfahrt  aus  dem 
Piräus  ging   sehr   gut   von  statten.     Noch   ehe   wir  aber  das 
Kap    Colonna    mit    seinen    herrlichen    Tempelruinen    erreicht 
hatten,   bekamen  wir  Qegenwind,   der  sehr  bald  in  einen  hef- 
tigen Sturm  ausartete.    Wir  waren  bereits  über  Ipsara  hinaus, 
als  uns  ein   heftiger  Windstoss  wieder  sehr   weit   zurücktrieb 
und  unseren   trefflichen  Schiffskapitän   nötigte,   einen   anderen 
Weg,    einen   weiten  Umweg   einzuschlagen.     Der  Gegenwind 
dauerte   jedoch   fort.     Wir  waren  daher   genötigt,   am  Abend 
an   der   asiatischen   Küste,   am   Kap   blanc,   hinter  Tschesme, 
60  Seemeilen   von  Smjrna,   Anker  zu   werfen   und   hier   drei 
Tolle  Tage  angesichts  einer  nackten  Küste  zu  verweilen,  in  der 
Nähe  von  Chios,  dessen  Berge  mit  Schnee'  bedeckt  waren.    Erst 
am  25.  Februar  (an  demselben  Tage,  an  welchem  ;ich  40  Jahre 
vorher   meine   unvergessliche  Mutter  verloren   hatte)   konnten 
die  Anker  gelichtet  werden.    Wir  fuhren  an  Mytilene  (Lesbos) 
vorüber  und  sahen  in  der  Feme  Lemnos.     Die  Berge  beider 
Inseln  waren   mit  Schnee  bedeckt.     Am  Kap  Baba  sieht  man 
den  Berg  Ida   hoch   über   den  Wolken.     Auch   sieht   man   im 
Vorüberfahren  die  vermeintlichen  Grabhügel  bei  Troja.    Nach 
Troja  selbst  konnten  vnr  nicht  gehen.     Es  würde  uns  dieser 
Abstecher  mehr  als  einen  Tag  gekostet  haben.     Dazu  hatten 
wir  aber   keine  Zeit.     In  der  Nacht  kamen  wir  noch  an  das 
zweite  Fort  in  den  Dardanellen.     Dort  musste  Anker  geworfen 
werden.    Denn  in  der  Nacht  darf  kein  Schiff  in  den  Dardanellen 
einlaufen.     Die  Dardanellen   sind    durch   6  Forts  (8  auf  jeder 
Seite)   und    ausserdem    noch    durch    Strandbatterien    befestigt. 
Die  Forts  befinden  sich  an  Stellen,  an  denen  die  Dardanellen 
nicht  breiter  sind,  als  der  Rhein  bei  Mainz.     Es  kann  daher 
jedes  Schiff,  welches  die  Durchfahrt  erzwingen  will,  in  Grund 
gebohrt  werden.     Die  Durchfahrt  zwischen  den   sich  so  nahe 
stehenden   Küsten   ist   äusserst   interessant.     Der   Anblick   hat 
jedoch  sehr  viel  dadurch  verloren,   dass  die  Berge   auf  beiden 
Seiten,  auf  der  europäischen  wie  auf  der  asiatischen  Seite,  dicht 


498  K.  Th.  V.  Heiga 

mit  Schnee  bedeckt  waren.  Wir  hatten  bei  unserer  Durchfahrt 
durch  die  Dardanellen  nur  einen  Grad  über  Null.  Für  diese 
Jahreszeit  etwas  Unerhörtes  in  jenen  Gegenden. 

Den  27.  Februar  des  Morgens  zwischen  10  und  11  Uhr 
kamen  wir  in  Eonstantinopel  an.  Es  hatte  noch  am  Morgen 
etwas  durcheinander  geregnet  und  geschneit.  Als  wir  aber  an 
die  Spitze  des  alten  Serails  an  den  Punkt  kamen,  an  welchem 
man  in  das  goldene  Hom  hineinfahrt,  kam  ein  Sonnenblick, 
der  uns  gestattete,  einen  Blick  über  die  ganze  herrliche  Stadt 
zu  tun.  Und  derselbe  Sonnenschein  blieb  nicht  bloss  an  dem 
Tage  unserer  Ankunft,  sondern  auch  noch  an  den  folgenden 
Tagen,  so  dass  wir  bei  dem  schönsten  Sonnenschein  diese 
schönste  und  merkwürdigste  Stadt  in  Europa  wahrhaft  ge- 
niessen  konnten.  Der  Anblick  von  Eonstantinopel  von  der 
See  aus  gesehen  ist  ganz  unbeschreiblich  schön.  Keine  andere 
Stadt  in  Europa,  selbst  nicht  Neapel,  hält  auch  nicht  entfernt 
einen  Vergleich  mit  ihr  aus.  Konstantinopel  besteht  eigent^ 
lieh  aus  5  Städten,  aus  dem  alten  Byzanz  mit  seinen  noch 
ziemlich  gut  erhaltenen  alten  Stadtmauern,  dann  aus  der  Vor- 
stadt Eyoub  mit  seinen  türkischen  Gräbern  mitten  in  der 
Stadt,  sodann  aus  Pera  mit  seiner  griechischen  und  euro- 
päischen Bevölkerung,  aus  Galata  mit  seiner  aus  Türken, 
Griechen  und  Europäern  gemischten  Bevölkerung,  und  aus 
Scutari,  einer  ganz  türkischen  Stadt.  Alle  diese  Städte  liegen 
um  die  See  und  um  das  goldene  Hom  (über  welches  seit  einigen 
Jahren  zwei  Brücken  führen)  herum.  Und  sie  können  von  der 
See  aus  mit  einem  Blick  übersehen  werden.  Vergegenwärtigt 
man  sich  nun  diese  fünf  auf  Hügeln  um  die  See  und  um  das 
goldene  Hom  herum  liegenden  Städte  mit  ihren  zahllosen 
Moscheen  und  schlanken  Minarets,  mit  den  zum  Teile  pracht- 
vollen Palästen,  unter  denen  zumal  der  Palast  der  russischen 
Gesandtschaft  hervorragt,  mit  den  schönen  Gärten  des  alten 
Serails  und  mit  den  Zypressen- Waldungen  auf  den  türkischen 
Gräbern,  so  wird  man  nicht  umhin  können,  dieser  von  fast 
einer  Million  Menschen  bewohnten  Stadt  den  ersten  Rang  unter 
den   schönsten  Städten  Europas  —  vielleicht  in   der  Welt  — 


Denktoürdigkeiten  des  hayer,  SlCLatsrats  G.  L.  v.  Maurer,        499 

einzuräumen.  Was  aber  Eonstantinopel  weit  über  die  übrigen 
Städte  erhebt,  das  ist  der  Bosporus,  der  bis  zum  schwarzen 
Meere  mit  den  schönsten  Palästen,  Dörfern  und  Städtchen,  von 
denen  sich  Eines  an  das  Andere  anreiht,  wie  übersäet  ist,  und 
so  gewissermassen  eine  grossartige  Vorstadt  von  Eonstantinopel 
bildet,  und  im  Sommer  als  Aufenthalt  für  die  reichen  Eon- 
stantinopolitaner,  für  die  ersten  Würdeträger  und  für  die  Ge- 
sandten dient.  Diese  prachtvolle  Vorstadt  von  Eonstantinopel 
reicht  allein  schon  hin,  Eonstantinopel  zur  schönsten  Stadt 
wenigstens  in  Europa  zu  erheben. 

Unsere  Fregatte  warf  dicht  bei  Topkhana,  dem  türkischen 
Arsenale,  Anker.  Wir  wurden  daher  alsbald  von  dort  her  mit 
31  Eanonenschüssen  begrüsst,  und  dieser  Gruss  wurde  von 
unserer  Fregatte  auf  der  Stelle  beantwortet.  Dadurch  erfuhr 
die  ganze  kolossale  Stadt  die  Ankunft  des  Prinzen.  Das  Ufer 
war  daher  sogleich  mit  einer  zahllosen  Menge  von  Griechen 
bedeckt.  Eine  Menge  Barken  setzten  sich  in  Bewegung.  Auf 
einer  befand  sich  eine  griechische  Musikbande.  Auch  der  Sultan 
selbst  fuhr  inkognito  auf  seiner  schönen  Barke  an  uns  vorüber. 
Abgeordnete  des  Sultans,  der  türkische  Hafenkapitän,  die 
Kapitäne  der  im  Hafen  liegenden  Eriegsschiffe  u.  a.  m.  fanden 
sich  ein,  insbesondere  auch  die  griechische,  sehr  zahlreiche 
Gesandtschaft  mit  Herrn  Conduriottis  selbst  an  ihrer  Spitze. 
Der  Eönig  Otto  hatte  gewünscht,  dass  der  Prinz  Adalbert  bei 
dem  griechischen  Gesandten  absteigen  möge.  Auch  die  öster- 
reichische Gesandtschaft  hatte  ihren  Palast  dem  Prinzen  ange- 
boten. Nach  dem  Wunsche  des  Eönigs  Otto  ward  aber  der 
griechischen  Gesandtschaft  der  Vorzug  gegeben.  Und  wir  haben 
sieben  volle  Tage  bei  dieser  liebenswürdigen  Familie  zuge- 
bracht, bei  dem  sehr  gebildeten  Herrn  Conduriottis  und  bei 
seiner  liebenswürdigen  Frau  Gemahlin,  einer  Tochter  des 
griechischen  Generals  Ealergis. 

Der  Empfang  des  Prinzen  von  Seiten  der  Griechen  in 
Konstantinopel  war  brillant.  Die  am  Ufer  versammelte  Menge 
begleitete  uns  durch  die  ganze  Stadt  hindurch  bis  zur  Wohnung 
des  griechischen  Gesandten  in  Pera.     Und  jeden  Tag  war  die 


500  K.  Th.  V.  Heigel 

Wohnung  wie  belagert,  indem  alle  Griechen  herbeiströmten, 
um  den  Prinzen  zu  sehen.  Auch  ich  selbst  ward  in  Konstan- 
tinopel von  Seiten  der  Griechen  ebenso  herzlich  empfangen 
und  begrüsst,  wie  es  in  Griechenland  geschehen  war.  Die  in 
Konstantinopel  ansässigen  Griechen  gaben  uns  ein  Festmahl, 
welches  nicht  prächtiger  sein  konnte.  Für  etwa  60  Couverts 
wurden  20000  Franken  verausgabt  (der  Speisezettel  in  der 
Anlage  Nr.  11).  Die  ganz  gewaltigen  Vorbereitungen  zu  diesem 
Festessen  machten  mich  anfangs  stutzig,  weil  ich  nicht  wünschen 
konnte,  dass  die  Angelegenheit  des  Prinzen  den  Griechen  grosse 
Unkosten  verursachen,  ihnen  zur  Last  fallen  möchte.  Ich 
zog  deshalb  Erkundigungen  ein  und  erfuhr  zu  meiner  grossen 
Beruhigung,  dass  die  Festgeber  sämtlich  reiche  Leute,  einige 
sogar  Millionäre  seien,  denen  daher  diese  Ausgabe  nichts  weniger 
als  eine  Last  sein  werde,  um  jedoch  jeden  Schein  einer 
Demonstration  zu  vermeiden,  wurde  dafür  gesorgt,  dass  nur 
solche  Griechen,  welche  Untertanen  des  Königs  Otto  waren, 
Anteil  an  dem  Festmahle  nahmen.  Aber  nicht  bloss  bei  den 
Griechen,  auch  bei  den  Türken  ward  der  Prinz  auf  das  alier- 
zuvorkommendste  empfangen.  Durch  zum  Voraus  erteilte  Fer- 
mane  war  dafür  gesorgt,  dass  alle  Moscheen  und  die  übrigen 
Sehenswürdigkeiten  für  unseren  Zutritt  offen  waren.  Ein 
Oberst,  ein  Adjutant  des  Sultans,  der  sehr  gut  französisch 
sprach,  war  dem  Prinzen  zugeteilt,  um  den  Prinzen  zu  führen 
und  für  den  Vollzug  seiner  Wünsche  zu  sorgen.  Die  zahl- 
reichen, durch  die  ganze  Stadt  verteilten  Wachen  standen,  so 
oft  man  vorüberging,  unter  dem  Gewehr,  das  heisst,  sie  präsen- 
tierten das  Gewehr  und  griffen  zu  gleicher  Zeit  mit  der  einen 
Hand  an  ihre  Mütze.  Ein  Tochtermann  des  Sultans  selbst 
erschien  in  der  Wohnung  des  griechischen  Gesandten,  um  den 
Prinzen  namens  des  Sultans  zu  begrüssen.  Doch  die  grösste 
Auszeichnung  ward  dem  Prinzen  von  dem  Sultan  selbst  zu  teil, 
als  wir  unsere  Audienz  bei  ihm  hatten  und  bei  ihm  zu  Mittag 
speisten.  Denn  er  änderte  sogar  seine  bis  dahin  beobachtete 
strenge  Etikette  ab  zu  Gunsten  des  Prinzen. 

Am   2.  März   mittags   1  Uhr  hatten   wir  unsere  Audienz 


Denktcürdigkeiten  des  bayer,  SttuUsrats  O.  X.  v.  Maurer,        501 

beim  Sultan.  Um  uns  abzuholen,  schickte  der  Sultan  mehrere 
Wagen.  Für  den  Prinzen  kam  ein  geschlossener  ganz  ver- 
goldeter Wagen,  mit  vier  herrlichen  Schimmeln  bespannt,  in 
welchem  der  Prinz  mit  dem  griechischen  Gesandten  Platz  nahm. 
Einige  türkische  Yorreiter  eröffneten  den  Zug  und  vier  prächtig 
gekleidete  Diener  gingen  zu  Fuss  neben  dem  Wagen  her.  Im 
zweiten  Wagen  sass  ich  und  hatte  den  griechischen  Dolmetscher, 
Herrn  Barozzi  zur  Seite.  Mir  hatte  der  Sultan  einen  offenen 
Wagen  geschickt,  der  zwar  ebenfalls  vergoldet  und  mit  zwei 
grossen  prächtigen  Braunen  bespannt  war,  in  welchem  ich  aber 
bei  dem  in  den  Strassen  liegenden  Schmutz  über  und  über  mit 
Kot  bespritzt  ward,  und  daher  nicht  ganz  rein  bei  dem  Sultan 
ankam,  wiewohl  ich  mich,  soviel  es  bei  einer  grossen  Uniform, 
die  ich  anhatte,  möglich  war,  in  meinen  Mantel  gehüllt  hatte. 
Im  dritten  und  vierten  Wagen  sass  das  übrige  Gefolge  des 
Prinzen  und  das  Personal  der  griechischen  Gesandtschaft.  Unser 
Zug  ging  fast  eine  halbe  Stunde  durch  einen  grossen  Teil  der 
Stadt  bis  zum  herrlichen  Palast,  welchen  der  Sultan  am  Ein- 
gang in  den  Bosporus  bewohnt.  Als  wir  am  ersten  Tor  seines 
Palastes  ankamen,  fanden  wir  ein  ganzes  Bataillon  zu  unserer 
Begrüssung  aufgestellt.  Im  Innern  des  Hofes  stand  ein  treff- 
liches Musikchor,  welches  europäische  Opemstücke  ausführte. 
An  der  Treppe  zum  Palaste  selbst  wurden  wir  von  Fuad 
Pascha  (dem  Minister  des  Äussern)  und  von  vielen  Hof  beamten 
empfangen  und  von  ihnen  die  innere  Treppe  hinauf  durch 
mehrere  Gänge  und  Säle  hindurch  bis  zum  Sultan  geführt. 
Im  Innern  des  Ganges  stand  die  eigentliche  Leibwache  des 
Sultans  in  mit  Gold  gestickten  prachtvollen,  roten  Uniformen 
und  mit  weissen  Federbüschen  auf  der  übrigens  europäischen 
Kopfbedeckung,  einer  Art  Tschako,  welche  nach  dem  Aus- 
spruche von  Sachverständigen  aus  den  seltensten  Federn  be- 
standen. Die  Treppen,  die  Gänge  und  die  ersten  Säle,  durch 
welche  wir  geführt  wurden,  waren  rot  beleuchtet,  so  dass  alles 
—  was  auf  uns  Europäer  einen  sonderbaren  Eindruck  machte  — 
uns  etwas  barbarisch  und  wie  eine  Spielerei  vorkam.  Der 
Sultan  kam  dem  Prinzen  bis  auf  den  oberen  Gang  entgegen, 


502  K.  Tk,  V.  Heigel 

eine  Abänderung  seiner  früheren  Etikette,  nach  welcher  er 
niemals  entgegen  gegangen  war,  die  fremden  Prinzen  vielmehr 
in  seinem  Empfangssaale  erwartet  hatte.  Nach  der  ersten 
Begrüssung  wurde  der  Prinz  von  dem  Sultan  in  das  eigent- 
liche Empfangszimmer  geführt,  während  wir  Anderen  in  dem 
Vorsaale  warten  mussten.  Erst  nach  einiger  Zeit  wurden  auch 
wir  Anderen  eingeführt.  Wir  fanden  den  Prinzen  neben  dem 
Sultan  sitzend.  Wir  Anderen  stellten  uns  um  sie  herum. 
Auch  in  unserer  Gegenwart  fuhr  der  Sultan  fort,  sich  mit  dem 
Prinzen  zu  unterhalten,  der  sichtbar  einen  tiefen  Eindruck  auf 
den  Sultan  gemacht  hat.  Der  Sultan  richtete  auch  an  mich 
einige  freundliche  Worte  (er  fragte  mich,  ob  ich  zum  erstenmal 
in  Konstantinopel  sei),  was  von  allen  anwesenden  Türken  und 
Griechen  als  eine  grosse  Auszeichnung  betrachtet  worden  ist, 
indem  der  Sultan  nur  äusserst  selten  einen  Fremden,  der  nicht 
Prinz  oder  Botschafter  sei,  anzureden  pflege.  Später  ward  ich 
von  den  anwesenden  Türken  und  Griechen  wegen  dieser  ganz 
besonderen  Auszeichnung  sogar  förmlich  bekomplimentiert  und 
von  manchen,  wie  man  mir  sagte,  geradezu  beneidet.  Der 
Sultan  selbst  sprach  immer  türkisch,  der  Prinz  und  meine 
Wenigkeit  sprachen  französisch.  Und  der  Minister  des  Äussern 
(Fuad  Pascha)  machte  den  Dragoman.  Der  Sultan  verstand 
jedoch  das  Französische  und  konnte  demnach,  ehe  der  Dragoman 
geendet  hatte,  seine  weiteren  Fragen  und  Antworten  einstweilen 
vorbereiten.  Ehe  Fuad  Pascha  die  Fragen  und  Antworten 
übersetzte,  griff  er  jedesmal  an  sein  rotes  Fess,  das  er  trug, 
und  bückte  sich  in  dieser  Stellung  bis  auf  den  Boden.  Und 
diese  demütige  Verbeugung  nahm  er  nicht  bloss  vor  dem  Sultan 
vor,  wenn  dieser  etwas  sprach,  sondern  auch  vor  dem  Prinzen 
und  vor  mir,  wenn  der  Prinz  oder  ich  gesprochen  hatte,  das 
von  uns  Gesprochene  also  zu  übersetzen  war.  Der  Sultan  trug 
eine  mit  Brillanten  gestickte  Uniform.  Und  auch  auf  dem 
Kopf  hatte  er  ein  kleines,  mit  Diamanten  besetztes  Fess.  Die 
Uniform  war  (wie  die  heutigen  Uniformen  der  Türken  über- 
haupt) eine  Art  Waffenrock,  der  jedoch  auch  unten  nicht  ganz 
schloss,  vielmehr  wie  bei  unseren  Fracks  etwas  auseinanderging. 


DenkwürdigkeUen  des  hayer,  StacUsrats  (r.  L,  v,  Maurer.       50S 

Der  Sultan  selbst  machte  einen  guten  Eindruck  auf  uns.  Er 
hat  ein  sanftes,  jedoch  bereits  abgelebtes  Gesicht,  wiewohl  er 
erst  31  bis  32  Jahre  alt  ist.  Er  hat  schon  in  seinem  16.  Jahre 
den  Harem  seines  Vaters  übernommen  und  wurde  mehr,  als  es 
gerade  wünschenswert  war,  in  demselben  beschäftigt.  —  Nach 
beendigter  Audienz  begleitete  der  Sultan  den  Prinzen  wieder 
bis  auf  den  Gang,  gegen  die  frühere  Etikette,  nach  welcher 
er  sein  Zimmer  nicht  zu  verlassen  pflegte.  Und  wir  kehrten 
nun  durch  die  Gänge  und  Säle  und  durch  die  Höfe  des  Palastes 
und  durch  die  Strassen  wieder  ebenso  zurück,  wie  wir  gekommen 
waren,  also  in  denselben  Wagen  des  Sultans  und  in  derselben 
Begleitung  und  unter  denselben  militärischen  Ehrenbezeugungen. 
—  Ehe  ich  weiter  erzähle,  muss  ich  noch  eines  mich  selbst 
betreffenden  Scherzes  erwähnen.  Als  ich  nämlich  in  Konstan- 
tinopel ankam,  sagten  mir  die  Griechen,  dass  ich  grosse'  Ähn- 
lichkeit mit  Lord  Canning  (Lord  Redclive),  dem  damals  ab- 
wesenden englischen  Gesandten  habe.  Man  lachte  darüber  und 
Hess  die  Sache  fallen.  Als  wir  jedoch  zur  Audienz  bei  dem 
Sultan  ankamen,  machte  mein  Erscheinen  bei  den  anwesenden 
Türken  einiges  Aufsehen.  Und  Fuad  Pascha  meinte  sogar, 
der  Sultan  werde,  wenn  er  mich  sehe,  erschrecken,  denn  er 
werde  meinen,  dass  der  von  ihm  so  gefürchtete  englische  Ge- 
sandte wieder  da  sei.  Lord  Kedclive  war  nämlich  30  Jahre 
lang  in  Konstantinopel  allmächtig,  —  sehr  gefürchtet,  —  aber 
nicht  beliebt.  Mir  selbst  hat  übrigens  diese  Ähnlichkeit  mit 
dem  gefürchteten  Mann  keinen  Nachteil  gebracht. 

Noch  ausgezeichneter  als  bei  der  ersten  Audienz  war 
jedoch  der  Empfang  bei  der  Tafel  im  Palaste  des  Sultans. 
Der  Sultan  liess  uns  auf  den  6.  März  auf  10^/»  Uhr  türkisch 
schriftlich  zur  Tafel  einladen  (Anlage  Nr.  12)  und  sich  dabei 
entschuldigen,  dass  er  nicht  auf  einen  früheren  Tag  einladen 
könne,  denn,  um  den  Prinzen  würdig  bedienen  zu  können, 
seien  wenigstens  fünf  Tage  zur  Vorbereitung  notwendig.  Bei 
der  Tafel  selbst  machte  man  uns  auch  auf  ein  türkisches  Ge- 
richt aufmerksam,  an  welchem  vier  Tage  lang  gekocht  worden 
war.    Die  Stunde  10^ /a  türkisch  entsprach  nach  unserer  Tagesr 

1903.  StUgsb.  d.  pbilo8.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  31 


504  K.  Th,  V.  Beigel 

rechnung  der  Stunde  4^/%  gegen  Abend.  Die  Türken  rechnen 
nämlich  ihre  Stunden  wie  die  Italiener  vom  Anfang  des  Tages. 
Sie  rechnen  jedoch  nur  von  12  zu  12  Stunden,  während  die 
Italiener  bis  zu  24  Stunden  zählen.  Zur  Tafel  selbst  wurden 
wir  in  denselben  Wagen  des  Sultans  wie  bei  der  ersten  Audienz 
abgeholt.  Die  Dienerschaft  war  nun  nur  noch  weit  zahlreicher 
und  reicher  gekleidet.  Zumal  die  Dienerschaft  zu  Pferd  war 
viel  zahlreicher.  Auch  sprengten  einige  Adjutanten  des  Sultans 
hin  und  her,  denn  der  Sultan  verlangte  fortwährend  Rapport, 
wie  weit  bereits  unser  Zug  gekommen  sei.  Nach  Verlauf  von 
etwa  einer  halben  Stunde  kam  der  Zug  unter  fortwährender 
Begleitung  einer  Menge  Griechen  in  der  Nähe  des  Palastes  an. 
Dort  waren  Posten  zu  Pferd  aufgestellt,  eine  bedeutende 
Truppenmasse  unter  den  WaflFen,  im  inneren  Hofe  war  wieder  die 
Militärmusik  aufgestellt.  Am  Fusse  der  äusseren  Treppe  des 
Palastes  stand  der  Minister  des  Äussern  zum  Empfange  des 
Prinzen.  Oben  auf  der  Treppe  stand  das  gesamte  türkische 
Ministerium  mit  allen  hohen  Würdenträgern  und  ihrem  Gefolge, 
und  etwas  weiter  zurück  alle  fremden  Botschafter,  Gesandten 
und  Geschäftsträger.  Sie  waren  samt  und  sonders  zum  Empfange 
des  Prinzen  und  nachher  zur  Tafel  geladen.  Dieser  kolossale 
Zug  wälzte  sich  nun  die  innere  Treppe  hinauf  durch  die  Qänge 
und  Säle  hindurch  bis  zum  Sultan,  welcher  auch  diesmal  wieder 
(gegen  die  frühere  Etikette)  dem  Prinzen  bis  auf  den  Gang 
entgegengekommen  war.  Der  Sultan  zog  sich  mit  dem  Prinzen 
auf  einige  Minuten  in  sein  Empfangszimmer  zurück,  erschien 
aber  sodann  wieder  in  dem  Vorsaale,  wo  wir  Anderen  ver- 
sammelt waren  und  im  Kreise  herum  standen,  um  sich  längere 
Zeit  mit  den  Botschaftern  und  Gesandten  zu  unterhalten,  was 
in  dieser  Weise  ebenfalls  wieder  eine  Neuerung  war.  Der 
Minister  des  Äussern  (Fuad  Pascha)  machte  auch  hiebei  wieder 
den  Dolmetscher  mit  seinen  submissen  Verbeugungen.  Nachdem 
dieser  Cercle  vorüber  war,  führte  der  Sultan  den  Prinzen  zur 
Tafel.  Wir  Anderen  folgten.  An  dem  Saale,  in  welchem  die 
Tafel  stand,  verliess  uns  der  Sultan.  Denn  ihm  gestattet  die 
Etikette  nicht,  mitessen  zu  dürfen.     Er  hat  vielmehr,  wie  der 


I)enkwürdig1ceiten  des  bayer,  Staatsrats  G,  X.  v,  Maurer,        505 

heib'ge  Vater  in  Rom,  das  traurige  Privilegium,  allein  essen 
zu  müssen.  Der  Speisesaal  ist  einer  der  grössten  und  schönsten, 
die  es  gibt.  Der  Prinz  und  wir  Anderen,  sein  Gefolge,  hatten 
Doch  keinen  schöneren  und  glänzenderen  gesehen.  Der  Saal 
ist  unendlich  hoch  und  in  der  Mitte  mit  einer  moscheeartigen 
Kuppel  überwölbt,  welche  nach  innen  vergoldet  ist.  Um  den 
Saal  herum  stehen  hohe  und  sehr  schlanke  Säulen,  welche 
gleichfalls  vergoldet  sind.  In  der  Mitte  des  Saales  unter  der 
Kuppel  war  eine  lange  Tafel  ftlr  60  Couverts  aufgestellt.  Die 
Tafel  verschwand  fast  in  den  unendlichen  Räumen.  In  der 
Mitte  der  Tafel  standen  schön  gearbeitete,  hohe  Aufsätze,  be- 
stehend in  Blumenvasen  und  Figuren,  welche  samt  und  sonders 
vergoldet  waren.  Diese  Aufsätze  wie  das  ganze  übrige  Service 
waren  Pariser  Arbeit  und  das  Porzellan  von  Sevre.  Für  jeden 
Gast  war  zur  Bezeichnung  seines  Platzes  ein  Zettel  und  neben 
diesen  der  Speisezettel  gelegt  (Anlage  13,  14  und  15).  Der 
Prinz  nahm  den  Ehrenplatz  ein.  Neben  ihm  sass  rechts  der 
französische  Botschafter  (Thouvenel),  links  der  preussische  Ge- 
sandte (Wildenbruch).  Neben  Thouvenel  sass  der  türkische 
Grossmeister  der  Artillerie  (eine  sehr  vornehme  Person),  welcher 
der  Titel  Hoheit  gebührt,  dann  sass  ich  und  neben  mir  der  tür- 
kische Eriegsminister,  neben  diesem  wieder  ein  Gesandter  u.  s.  w. 
Dem  Prinzen  gegenüber  sass  der  Grossvezier,  welcher  gleich- 
falls den  Titel  Hoheit  führt,  neben  ihm  zwei  Gesandte  u.  s.  w. 
Von  meinen  beiden  türkischen  Nachbarn  sprach  nur  der  Eine, 
der  Grossmeister  der  Artillerie,  französisch,  der  Andere  nicht. 
Die  Unterhaltung  war  demnach  nicht  sehr  lebhaft.  Um  so 
mehr  hatte  ich  Zeit,  mich  umzusehen  und  zu  beobachten. 
Der  Grossmeister  der  Artillerie  hat  einen  sehr  interessanten 
Kopf  mit  kräftigen  und  geistvollen  Gesichtszügen.  Desto 
plumper  sah  aber  mein  anderer  Tischnachbar,  der  Kriegs- 
minister,  aus.  Beide  Herren  zeichneten  sich  indessen  durch 
ihre  Fertigkeit  im  Essen  und  Trinken  aus.  Zumal  der  Wein 
schmeckte  ihnen  sehr  gut.  Jeder  von  ihnen  hatte  stets  6  volle 
Weingläser  vor  sich,  mehrere  französische  Weine,  dann  Rhein- 
wein (echten  Johannisberger)   und  Champagner.     Sie   tranken 

31* 


506  K,  Th.  V.  Heigel 

bald  von  dem  einen  bald  von  dem  andern  und  immer  ex  pleno. 
Zur  Abwechslung  wurde  wohl  auch  ein  Olas  Bier  (englisches 
Bier)  getrunken.  In  meinem  ganzen  langen  Leben  habe  ich 
noch  keine  durstigeren  Leute,  wie  diese  Türken  waren,  gesehen. 
Als  Rheinländer  habe  ich  doch  auch  schon  manchem  Trunk 
beigewohnt  und  weiss  daher,  was  der  Mann  vertragen  kann. 
Eine  kolossalere  Leistung  dieser  Art  ist  mir  aber  noch  nicht 
vorgekommen.  Auch  dem  Essen  setzten  meine  beiden  Tisch- 
nachbam  ganz  gewaltig  zu.  Ich  habe  nicht  bemerkt,  dass  sie 
auch  nur  eine  einzige  Schüssel  an  sich  vorbeigehen  liessen. 
Die  Bedienung  war  mittelmässig,  wiewohl  jeder  Gast  einen 
Bedienten  in  reicher  Uniform  hinter  sich  stehen  hatte.  Ich 
hörte  öfters  den  französischen  Botschafter  ganz  laut  über  die 
schlechte  Bedienung  räsonnieren.  Er  sagte  zu  wiederholten 
Malen  ganz  laut  zu  dem  Prinzen:  Sehen  Sie,  die  Türken  sind 
eben  zu  gar  nichts  zu  gebrauchen!  Der  Prinz  trank  auf  das 
Wohl  des  Sultans,  der  Qrossvezier  auf  das  Wohl  des  Prinzen. 
Der  preussische  Gesandte  trank  mit  dem  Prinzen  auf  mein 
Wohl.  Nach  aufgehobener  Tafel  gingen  die  Gäste  wieder  in 
den  Empfangssaal  des  Sultans  zurück,  wo  Pfeifen  und  Kaffee 
gereicht  wurden  und  wo  —  zum  Erstaunen  Aller  —  auch  der 
Sultan  wieder  erschien  und  sich  eine  Zeit  lang  mit  dem  Prinzen 
und  mit  den  übrigen  Anwesenden  unterhielt,  was  ebenfalls 
wieder  eine  Abweichung  von  der  früheren  Etikette  zu  Gunsten 
des  Prinzen  gewesen  ist.  Welchen  strengen  Regeln  übrigens 
diese  Etikette  unterworfen  ist,  beweist  unter  anderem  folgender 
Vorfall.  Während  wir  nach  der  Tafel  noch  bei  dem  Sultan 
waren  und  in  dessen  Gegenwart  unsere  Pfeifen  rauchten,  kam 
von  Athen  eine  telegraphische  Depesche  an  den  Prinzen.  Der 
Baron  v.  Malsen,  sein  Adjutant,  eröffnete  sie  und  teilte  sie 
sodann,  während  der  Sultan  sich  mit  den  Diplomaten  unter- 
hielt, dem  Prinzen  selbst  mit.  Als  dieses  der  Oberzeremonien- 
meister des  Sultans  (Ali  Bey)  bemerkte,  stürzte  er  sich  wie 
rasend  auf  den  Baron  v.  Malsen,  um  diese  Mitteilung  um  jeden 
Preis  zu  verhindern,  indem  es  gegen  die  Etikette  sei,  in  Gegen- 
wart des  Sultans  etwas  zu  lesen.    Der  Prinz  kehrte  sich  natür- 


Denkumrdigkeiten  des  hayer,  Staatsrats  G.  L,  v.  Maurer,        507 

lieh  nicht  an  diese  Etikette.  Die  blosse  Existenz  einer  solchen 
Etikette  ist  aber  schon  merkwürdig.  Hier  nach  der  Tafel  war 
es  auch,  wo  der  Minister  des  Äussern  (Fuad  Pascha)  zu  mir 
kam,  um  mir  im  Namen  des  Sultans  den  türkischen  Orden 
anzukündigen.  Der  Sultan  wünsche,  dass  ich  ihn  als  einen 
Beweis  seiner  Hochachtung  betrachten  wolle.  Er  bedauere 
nur,  dass  kein  Orden  vorrätig  sei,  um  ihn  mir  alsbald  zustellen 
zu  können.  Der  Prinz  hatte  diesen  Orden  schon  einige  Tage 
früher  durch  eine  feierliche  Deputation  überreicht  erhalten. 
Er  hat  ihn  an  der  Tafel  des  Sultans  zum  erstenmal  getragen. 
Auch  war  dem  Prinzen  angekündigt  worden,  dass  der  Sultan 
ihm  auch  noch  einen  Säbel  in  Brillanten  zu  verehren  gedenke, 
dass  dieser  aber  erst  verfertigt  werden  müsse  und  daher  eben- 
falls nachgesendet  werden  solle. 

Unmittelbar  nach  der  Tafel,  etwa  um  9  Uhr  des  Abends, 
schifften  wir  uns  ein,  um  Konstantinopel  wieder  zu  verlassen, 
und  auch  dieses  machte  einen  sichtbaren  Eindruck  auf  den 
Sultan,  der  sich  dadurch  gar  sehr  geschmeichelt  fühlte.  Der 
Zug  ging  nun  mit  Flambeaux  in  derselben  Weise  und  in  der- 
selben Ordnung  an  den  Einschiffungsplatz,  in  welcher  wir  zu 
dem  Sultan  gezogen  waren. 

Die  türkische  Regierung  war  demnach   sichtbar  bestrebt, 

dem  Prinzen  in  jeder  Weise  entgegen  zu   kommen   und   ihm 

einen  brillanten  Empfang  zu  bereiten.     Die  Persönlichkeit  des 

Prinzen  imponierte  den  Türken,  insbesondere  dem  Sultan  selbst. 

Die  geistige  Überlegenheit  ermangelte  nicht,   ihre  Wirkungen 

zu  äussern.    Der  tiefere  Grund  jenes  ausgezeichneten  Empfangs 

lag  jedoch  hauptsächlich,  wie  mir  dieses  erst  in  Konstantinopel 

selbst  recht   klar   wurde,   in   der  Furcht  der  Türken  vor  den 

Slaven,   auf  welche   die  Russen   mehr  und   mehr  wirken   und 

dadurch   auf   die   Türkei   drücken.     Die    türkische   Regierung 

wünscht  daher  mit  der  griechischen  Regierung  gut  zu  stehen, 

um  gemeinschaftlich  mit  ihr  gegen  das  slavische  Element  zu 

wirken  und  zu   operieren.     Daher   das  zuvorkommende  Wesen 

des  türkischen  Gesandten  in  Athen  und  der  türkischen  Regierung 

in  Konstantinopel   selbst,     Dass   dieses   Entgegenkommen   der 


508  K,  Th.  V.  Heigel 

Türken,  nachdem  dessen  tieferer  Grund  erkannt  worden  war, 
im  Interesse  Griechenlands  von  uns  gehörig  benützt  und  aus* 
gebeutet  worden  ist,  versteht  sich  von  selbst.  Daher  wird  auch 
unsere  Anwesenheit  in  der  türkischen  Hauptstadt  nicht  ohne 
politische  Folgen  für  das  junge  Königreich  bleiben^  wenn  anders 
der  in  Konstantinopel  gemachte  Eindruck  in  Athen  gehörig 
gevfürdigt  und  benutzt  wird.  Griechenland  ist  der  natürliche 
Erbe  eines  grossen  Teils  der  europäischen  Türkei.  Bis  aber 
die  letzte  Stunde  des  kranken  Mannes  schlägt,  ist  es  im  Interesse 
des  Erben  selbst,  in  Ruhe  und  Frieden  mit  seinem  Erblasser 
zu  leben.  Mit  Gewalt  der  Waffen  kann  Griechenland  keine 
Eroberungen  machen.  Die  Verbreitung  europäischer  Zivilisation 
und  Kultur  ist  die  Hauptwaffe  des  aufstrebenden  Landes.  Zu 
dem  Ende  ist  aber  Ruhe  und  Friede  notwendig.  Und  dann 
wird  ihm  dereinst  die  grosse  Erbschafb  von  selbst  zufallen. 
Darum  ist  es  auch  im  Interesse  Griechenlands,  einstweilen  in 
gutem  Vernehmen  mit  der  Türkei  zu  stehen,  bei  welchem  auch 
jetzt  schon  der  Handel,  insbesondere  auch  der  Grenzverkehr 
nur  gewinnen  kann.  Dass  aber  die  Türkei  krank  und  ohne 
alle  Rettung  verloren  ist,  gibt  nun  jeder  Diplomat  in  Kon- 
stantinopel zu.  Auch  die  Botschafter  und  Gesandten  derjenigen 
Mächte,  welche  die  Türkei  erhalten  wollen  und  daher  stützen, 
erklärten  mir  in  Konstantinopel  samt  und  sonders,  dass  die 
türkische  Regierung  innerlich  faul  und  daher  nicht  mehr  zu 
retten  sei.  Das  Hinscheiden  des  kranken  Mannes  ist  demnach 
nur  noch  eine  Frage  der  Zeit.  Die  Zeit,  wann  seine  letzte 
Stunde  schlagen  wird,  hängt  aber  von  einem  äusseren  Anstoss 
ab  und  ruht  daher  im  Schoss  der  Zukunft.  Auf  mich  selbst 
hat  jedoch  die  türkische  Wirtschaft  den  Eindruck  gemacht,  als 
wenn  die  Zeit  des  Hinscheidens  noch  nicht  so  nahe  sei,  wie 
man  insgemein  glaubt.  Die  gemeinen  Türken,  auch  die  ge- 
meinen Soldaten,  sind  noch  sehr  kräftige  Leute.  Nur  die 
Regierung  ist  faul  und  das  Offizierkorps  taugt  nichts.  Daher 
das  willkürliche  Pascharegiment  in  den  Provinzen,  wodurch 
die  Provinzen  zuerst,  noch  vor  dem  völligen  Hinscheiden  des 
kranken  Mannes,  von  dem  türkischen  Regiment  losgelöst  werden 


Denkwürdigkeiten  des  bayer,  Staatsrats  G.  L.  v.  Maurer.       509 

dürften.    Daher  die  Korruption  und  die  Intrigue  in  Konstan- 
tinopel selbst,   die  jedem  regelmässigen  Oang   der  Regierung 
im  Weg  steht.     Der  französische  Botschafter  (Thouvenel),  der 
in  diesem  Augenblick  seit  der  Abreise  des  Lord  Redclive  das 
Faktotum  in  Eonstantinopel  ist,  sagte   mir,  dass   er   auf  der 
Stelle  (wenn  es  möglich  wäre)  seinen  Botschafterposten  wieder 
mit  dem  Oesandtschaftsposten  in  München  (wo  er  früher  war) 
vertauschen  würde,  weil  in  Konstantinopel  kein  Geschäft  auf 
geradem    Wege    gemacht   werden    könne,    die    fortwährenden 
Intriguen  und  Korruptionen,  ohne  welche  kein  Geschäft  mög- 
lich sei,  ihn  aber  f&rmlich  anekeln.     Reformen  des  türkischen 
Regiments  sind  aber  nicht  möglich,  weü  ihnen  der  Koran  ent- 
gegensteht.   Wollte  man  daher  wirklich  reformieren,  so  müsste 
mit  dem  Koran  selbst  begonnen  werden.     Dann   hörten   aber 
die  Türken  auf  Türken  zu  sein,  was  sie  indessen  nicht  wollen. 
Die  bereits  beschlossenen  Reformen  berührten  daher  meisten- 
teils nur  die  Oberfläche,   oder  sie  blieben   ganz   unvollzogen. 
So  wurde  unter  Anderem  den  Griechen  Anteil  an  der  Justiz 
zugesichert  bei  ihren  Streitigkeiten  mit  Türken.     Es  wurde  zu 
dem  Ende  auch  ein  sogenannter  hoher  Rat  niedergesetzt,  dessen 
Sitzungssaal  ich  selbst  in  der  hohen  Pforte  gesehen  habe.    Der 
Anteil  der  griechischen  Beisitzer  besteht  jedoch  nur   in  dem 
Beisitzen,  denn  mitreden  lässt  man  sie  nicht.    Die  Sache  wird 
vielmehr  von  den  anwesenden  Türken  entschieden.    Bei  mehreren 
Unterredungen  mit  dem  Grossvezier  und  mit  Fuad  Pascha  über 
die  gemachten   und  noch   zu  machenden  Reformen   hatte  ich 
stets  die  Gelegenheit  zu  bemerken,  dass  sie  alles  in  der  Form 
suchen,  das  Wesen  selbst  gar  nicht  begreifen.    Und  doch  sind 
beide  sehr  gebildete  Männer,   welche,   da  sie  beide  bereits  den 
Botschaften   in  London,   in  Paris  und   in  Wien   vorgestanden 
hatten,    auch    einen    Blick    in    die    europäischen   Verhältnisse 
getan  haben.     Allein  der  Türke  begreift  nur  die  Aussenseite. 
Wie  er  spuckt  und   wie   er  räuspert,   hat  er   ihm   glücklich 
abgeguckt!    Den  Kern  der  Sache  begreift  er  nicht,  der  bleibt 
ibm  ganz  fremd.     Der  Koran  ist  die  Klippe,   an  welcher  jede 
ßefonn  scheitert.     Und  wenn  sich  auch  ein  Türke  über  den 


510  K.  Th.  V.  Heigel 

Koran  hinwegsetzt,  so  tut  er  dieses  nur  bei  Ausserlichkeiten, 
beim  Weintrinken,  bei  einer  europäischen  Tracht  u.  dergl.  m. 
Daher  erklärt  es  sich,  auch,  warum  der  Türkei  nicht  mehr 
zu  helfen  ist. 

Was  mir  den  Einblick  in  die  türkischen  Verhältnisse  ^r 
sehr  erleichtert  hat,   das  ist  die  Zuvorkommenheit  des  diplo- 
matischen Korps  gewesen.    Es  gibt  wohl  nirgends  ein  interes- 
santeres  diplomatisches  Korps,   als   in   Konstantinopel.     Denn 
hier  stehen  neben  den  europäischen  Botschaftern  und  Gesandten 
auch  noch  orientalische  Gesandte   und  Konsuln,   unter  denen 
uns  besonders  der  persische  Gesandte,   ein  freundlicher  Mann 
mit  einer  hohen,  schwarzen,  persischen  Mütze,  auffiel.    Da  der 
Prinz  die  Herren  Diplomaten  empfing,  so  hatte  ich  die   beste 
Gelegenheit,  näher  mit  ihnen  bekannt  zu  werden.    Thouvenel 
und  Prokesch  kannte  ich  schon  von  früheren  Zeiten  her.    Die 
übrigen  lernte  ich  erst  in  Konstantinopel  kennen.    Unter  ihnen 
ragen   zumal   der   russische   Gesandte   von   Bouteneff  und   der 
preussische  Gesandte  von  Wildenbruch   hervor.     Bouteneff  ist 
ein  sehr  ausgezeichneter  Diplomat,   der  schon  seit  40  Jahren 
mit   kurzen   Unterbrechungen   in   Konstantinopel   gewirkt   hat 
und  zu  vei*schiedenen  Zeiten  zu  den  wichtigsten  Missionen  ge- 
braucht worden  ist.     Um  so  merkwürdiger  war  mir  daher,  zu 
erfahren,  dass  er  jetzt  gar  keinen  Einfluss  mehr  habe,  während 
er  früher,  wie  die  russische  Botschaft  überhaupt,  allmächtig  war 
und  bei  seinem  Auftreten  jedermann  zitterte.    Das  Verschwinden 
des  russischen  Einflusses  in  Konstantinopel  ist  eine  Folge  des 
Feldzuges  in  der  Krim.    Im  Orient  noch  mehr  als  im  Occident 
ist  die  Gewalt  Alles,  wird  nur  die  Gewalt  geachtet  und  gefürchtet. 
Mit   dem  russischen  Heere   und   mit  seiner  Gewalt  ist  darum 
auch  der  russische  Einfluss  in  der  türkischen  Hauptstadt  ge- 
brochen   und   so    gut   wie   vernichtet    worden.     Man   schickte 
daher   gerade   den   früher   so   einflussreichen   Bouteneff  wieder 
nach  Konstantinopel.     Es   ist   ihm   aber  bis  jetzt   noch   nicht 
gelungen,   wieder  festen  Boden    zu   gewinnen,   und  man  sieht 
es   dem   alten  Herrn   an,    dass  es   ihn   schmerzt.    Wildenbruch 
ist  ein  sehr  gebildeter,  in  den  orientalischen  Angelegenheiten 


Denkwürdigkeiten  des  hayer.  Staatsrats  G,  L.  v.  Maurer.       511 

sehr  unterrichteter  Mann.  Einfluss  auf  die  türkische  Regierung 
hat  er  aber  keinen.  Auch  Prokesch  scheint  keine  besonders 
gute  Stellung  zu  haben.  Auch  klagt  er  sehr  über  seine  Yer* 
einsamung  und  wünscht  sich  einen  anderen  Posten.  Er  ist  für 
die  Türken  zu  oratorisch.  Diese  scherzen  sogar  über  sein  vieles 
Reden.  Den  meisten  Einfluss  bei  der  türkischen  Regierung  hat 
in  diesem  Augenblick  (seit  der  Abreise  des  englischen  Gesandten, 
des  Lord  Redclive)  der  französische  Botschafter  Thouvenel. 
Auch  die  griechische  Gesandtschaft  hat  jetzt  eine  recht  gute 
Stellung  gegenüber  der  türkischen  Regierung.  Der  Gesandte 
selbst  (Gonduriottis)  ist  ein  sehr  sanfter  Mann,  der  allenthalben 
beliebt  ist.  Von  grossem  Einfluss  ist  aber  besonders  der  Dol- 
metscher bei  der  griechischen  Gesandtschaft,  Herr  Barozzi,  ein 
Grieche  aus  Naxos,  der  früher  griechischer  Konsul  in  Adria- 
nopel war.  Er  ist  ein  sehr  munterer,  geistreicher  Mann,  der 
Alles,  was  vorgeht,  weiss  und  das  Talent  hat,  in  der  Form 
eines  Scherzes  den  Türken  die  herbsten  Wahrheiten  zu  sagen. 
Die  griechische  Gesandtschaft  in  Konstantinopel  war  nie  in 
einer  besseren  Lage.  Sie  kann  jetzt  direkt  mit  der  türkischen 
Regierung  verhandeln,  während  früher  zu  dem  Ende  die  Inter- 
zession einer  anderen  europäischen  Gesandtschaft  notwendig  war. 
Und  unsere  Anwesenheit  in  Konstantinopel  wird  dazu  beitragen, 
ihre  Lage  und  ihre  Stellung  noch  mehr  zu  verbessern.  Am 
zuvorkommendsten  gegen  uns  waren  nach  der  griechischen 
Gesandtschaft,  bei  der  wir  logierten,  die  Herren  v.  Thouvenel 
und  der  Freiherr  v.  Prokesch.  Sie  luden  uns  beide  zur  Tafel, 
und  Thouvenel  veranstaltete  auch  noch  eine  Abendgesellschaft, 
bei  welcher  wir  auch  die  Peroten  und  Perotinnen  kennen 
lernten.  Peroten  nennt  man  nämlich  die  zahlreichen,  in  Pera 
angesiedelten  fränkischen,  das  heisst,  christlichen  Familien, 
welche  eigentlich  gar  keine  Heimat  haben,  die  vielmehr  in  Kon- 
stantinopel geboren,  aber  keine  türkischen  Untertanen  sind  und 
unter  dem  Schutze  irgend  einer  europäischen  Macht  stehen. 
Diese  schutzhörigen  Konstantinopolitaner  und  Konstantinopoli- 
tanerinnen  bilden  eine  ganz  eigentümliche  Klasse  von  Bewohnern 
der  türkischen  Hauptstadt.     Sie  tragen   europäische  Kleidung, 


512      K,  Th,  V.  Heigel,  Denktcürdigheüen  des  hayer.  StacUsraia  ete, 

sprechen  eine  europäische  Sprache,  meistenteils  französisch  oder 
italienisch,  und  haben  europäische  Manieren.  Man  sieht  ihnen 
jedoch  die  Heimatlosigkeit  an.  Auch  verkehren  sie  meisten- 
teUs  nur  unter  sich  und  sind  gegen  Fremde  nicht  besonders 
höflich.  Da  ich  bei  Tafel  meistenteils  entweder  neben  dem 
Grossvezier  oder  neben  Fuad  Pascha  sass,  so  hatte  ich  auch 
bei  Tafel  die  Gelegenheit,  mich  über  die  türkischen  Angelegen- 
heiten zu  unterrichten.  Ganz  vorzüglich  war  dazu  aber  die 
Unterhaltung  nach  aufgehobener  Tafel  geeignet.  Denn  sowohl 
bei  Thouvenel  als  bei  Prokesch  wurde  man  nach  der  Tafel  in 
das  Rauchzimmer  zum  Kaffee  geführt,  und  dort  hatte  man 
denn  die  allerangenehmste  und  beste  Gelegenheit,  sich  rauchend 
auf  einem  Sopha  an  der  Seite  eines  türkischen  Würdenträgers 
bestens  zu  unterhalten  und  zu  unterrichten. 

Dem  Herrn  von  Thouvenel  haben  wir  auch  die  nähere 
Kenntnis  des  Bosporus  bis  zum  schwarzen  Meer  zu  verdanken. 
Er  stellte  dem  Prinzen  zu  dem  Ende  sein  Dampfboot  zur 
Disposition,  begleitete  uns  selbst  und  gab  uns  ein  brillantes 
Frühstück  auf  dem  Schiff.  So  fuhren  wir  denn  auf  der 
europäischen  Seite  bis  zum  schwarzen  Meere  hin  und  auf  der 
asiatischen  Seite  wieder  zurück.  Wir  waren  entzückt  von  dem 
herrlichen  Anblick  und  von  den  prachtvollen  Palästen,  welche 
sich  dicht  aneinander  reihen  und  nur  eine  Fortsetzung  von 
Konstantinopel  selbst  zu  sein  scheinen.  Wir  hatten  dabei  den 
grossen  Vorteil,  von  Thouvenel  auf  die  interessantesten  Punkte 
und  auf  die  merkwürdigen  Gebäude  aufmerksam  gemacht  zu 
werden,  die  zum  Teile  von  historischer  Bedeutung  sind  wegen  der 
daselbst  abgeschlossenen  Verträge  und  Friedensschlüsse  u.  a.  m. 
Auch  der  Palast,  in  welchem  die  Unabhängigkeit  Griechenlands 
unterzeichnet  worden  ist,  wurde  uns  gezeigt.  Er  steht  seitdem 
ganz  leer,  und  weder  der  Sultan  noch  ein  anderer  Türke  hat 
ihn  seitdem  wieder  betreten. 


513 


Sitzung  vom  7.  November  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Herr    FürtwXngler    hält    einen    für     die    Denkschriften 
bestimmten  Vortrag: 

Augusteische  Kunst  in  Südfrankreich, 

in  welchem  er  die  Werke  augusteischer  Epoche,  welche  in 
Südfrankreich  in  beträchtlicher  Anzahl  erhalten  sind,  bestimmter 
zu  charakterisieren  sucht  und  daraus  auf  andere  Denkmäler, 
insbesondere  das  Tropaion  von  Adamklissi,  Schlüsse  zieht; 
dabei  werden  neue  Tatsachen  hervorgehoben,  welche  die  These 
des  Vortragenden  über  dieses  Denkmal  bestätigen. 

Historische  Klasse. 

Herr  Pöhlicann  hält  einen  Vortrag: 

Zur  Greschichte  der  antiken  Publicistik.    Erster  Teil. 

Die  Abhandlung  sucht  nachzuweisen,  dass  die  übliche 
Methode  der  sprachlichen  und  literarischen  Beurteilung  der 
unter  dem  Namen  Sallusts  überlieferten  politischen  Denk- 
schriften für  Cäsar  denselben  in  keiner  Weise  gerecht  wird  und 
vielfach  zu  falschen  Ergebnissen  in  Bezug  auf  Herkunft  und 
geschichtlichen  Wert  der  Schriftstücke  geführt  hat.  Es  wird 
gezeigt,  dass  nichts  der  Annahme  im  Wege  steht,  dass  der 
Verfasser  insbesondere  des  zweiten  Pamphlets  entweder  selbst 
der  Zeit  Cäsars  und  Sallusts  sehr  nahe  stand  oder  wenigstens 
aus  guter  —  sei  es  nun  zeitgenössischer  oder  auf  zeitgenös- 
sische Quellen  zurückgehender  —  Überlieferung  geschöpft  hat. 

Der  zweite  Teil  wird  im  Januar  1904  nachfolgen  und  die 
ganze  Abhandlung  dann  in  den  Sitzungsberichten  erscheinen. 


514 


öflFentlicho  Sitzung 

zu  Ehren  Seiner  Königlichen  Hoheit  des 

Prinz-Regenten 

am  25.  November  1903. 


Der  Präsident  der  Akademie,  Herr  K.  A.  v.  Zittel,  erofinet 
die  Festsitzung  mit  der  folgenden  Rede: 

Königliche  Hoheit! 
Hohe  Festversammlung! 

Wenn  sich  die  Mitglieder  der  K.  B.  Akademie  der  Wissen- 
schaften heute  zu  Ehren  ihres  Allerhöchsten  Protektors,  des 
Prinzregenten  Luitpold  von  Bayern  in  festlicher  Sitzung  ver- 
einigen, so  haben  wir  bei  einem  Rückblick  auf  das  verflossene 
Jahr  besondere  Veranlassung  zur  Dankbarkeit.  Zahlreiche  Be- 
weise der  Huld  unseres  hohen  Protektors  haben  uns  gezeigt,  dass 
sein  Interesse  an  dem  Gedeihen  und  Blühen  unserer  Akademie 
unverändert  fortdauert  und  auch  von  seiten  der  K.  Staats- 
regierung und  der  hohen  Kammern  des  Landtags  hatten  wir 
uns  einer  besonders  wohlwollenden  Berücksichtigung  mancher 
langjähriger  Wünsche  zu  erfreuen. 

In  erster  Linie  verdanken  wir  es  der  Initiative  des  früheren 
Herrn  Kultus-Ministers  von  Landmann,  dass  heute  das  Wil- 
helminische Gebäude  zum  grössten  Teil  mit  Zentralheizung 
versehen  ist,  die  es  nunmehr  gestattet,  auch  in  den  Winter- 
monaten in  den  Museumsräumen  zu  arbeiten  und  die  Samm- 
lungen dem  öffentlichen  Besuche  zugänglich  zu  machen.    Soweit 


Hede  515 

sich  bis  jetzt  übersehen  lässt,  fungiert  die  Zentralheizung  be- 
friedigend und  da  bei  dieser  Gelegenheit  auch  eine  gründliche 
Renovierung  der  inneren  Räume  unseres  Gebäudes  stattgefunden 
hat,   so  besitzen  dieselben  nunmehr  ein  würdigeres  Aussehen. 

Der  von  Sr.  Exzellenz  Herrn  von  Landmann  projektierte 
umbau  des  Wilhelminums  konnte  leider  noch  nicht  in  Angriff 
genommen  werden,  weil  die  Justizbehörden  die  von  ihnen  ein- 
genommenen Lokalitäten  voraussichtlich  erst  Ende  nächsten 
Jahres  verlassen  werden  und  weil  sich  der  Verlegung  des  Münz- 
kabinetts unerwartete  Schwierigeiten  in  den  Weg  stellten.  Auch 
der  geplante  Neubau  eines  Museums  für  Abgüsse  antiker  Bild- 
werke ist  leider  nicht  zustande  gekommen. 

So  dauert  der  fast  unerträgliche  Platzmangel  in  unseren 
Museen  noch  unverändert  fort  und  mit  Sehnsucht  sehen  wir 
der  Zeit  entgegen,  wo  es  die  Finanzlage  Bayerns  gestattet, 
diesem  beklagenswerten  Zustand  ein  Ende  zu  machen. 

Mittlerweile  wachsen  unsere  Sammlungen  in  einem  früher 
unerhörten  Massstabe.  Durch  die  Fürsorge  der  K.  Staats- 
regierung sind  die  Dotationen  des  Antiquariums,  Münzkabinetts, 
der  zoologischen,  prähistorischen  und  ethnographischen  Samm- 
lungen nicht  unerheblich  vermehrt  und  auch  die  Verhältnisse 
des  Personals  in  vielfacher  Hinsicht  verbessert  worden.  Aber 
auch  durch  namhafte  Geschenke  wurden  unsere  Museen  fort- 
dauernd bereichert. 

Von  den  Erwerbungen  des  Jahres  1902  seien  folgende 
hervorgehoben : 

Antiquarium:  A.Terrakotten:  1.  archaisch:  Gefass 
in  Form  eines  toienden  Mannes,  ein  grotesker,  sitzender  Poly- 
phem;  2.  aus  der  Zeit  des  grossen  Stiles:  ein  Silen  und 
Dionys;  3.  aus  der  hellenistischen  Periode:  ein  Büchsen- 
deckel (Nachbildung  nach  einem  in  Silber  getriebenen  Original) 
mit  sich  küssenden  Köpfen;  femer  ein  griechisches  Kohlenbecken 
und  eine  etruskische  Totenkiste.  B.  Bronzen:  Statuette  eines 
Qottes  mit  Wolfsfell  (halbbarbarisch) ;  jugendlicher  Kopf  mit  phry- 
gischer  Mütze;  ein  altionisches  Flachrelief;  ein  sich  bäumendes 


516  V,  Zütel 

Pferd;  zwei  etruskische  Qreifenköpfe.  G.  Gold:  Ein  altpersisches 
Gehängsei.  D.  Ein  etruskischer  Bernsteinkopf  als  Amulett. 
E.  Mehrere  graziöse,  antike  Gläser. 

Ägyptische  Abteilung:  5  Bronzen,  darunter  eine  Götter- 
gruppe (Osiris  mit  Isis  und  Horus)  imd  ein  kniender  Priester, 
Skarabäen,  drei  altbabylonische  Ton täf eichen  aus  den  Ausgra- 
bungen von  Nippur. 

Botanisches  Museum:  Durch  Kauf  und  Tausch  wurden 
760  Arten  aus  Kamerun,  Spanien,  Australien,  Nordamerika, 
Südafrika  und  Brasilien  erworben;  durch  Geschenk  4626  Arten, 
darunter  3000,  welche  das  Herbarium  des  K.  russischen  Leib- 
arztes Dr.  Seb.  Fischer  enthielt,  hierunter  solche  aus  Arabien, 
Madeira,  übergeben  von  dem  Sohne  des  Sammlers  Landgerichts- 
rat Anton  Fischer;  900  Arten  stammen  aus  der  Schenkung  des 
Professors  Dr.  Fr.  W.  Neger,  hauptsächlich  solche  aus  Chile 
und  Patagonien. 

Botanischer  Garten:  Durch  Tausch  ging  aus  den 
botanischen  Gärten  in  Göttingen  uud  Würzburg  eine  Anzahl 
wertvoller  Pflanzen  zu,  so  namentlich  ein  grosses  Exemplar  von 
Abotium  Schiedei  und  Asplenium  marginatum.  Die  Demonstra- 
tionssammlung des  Pflanzenphysiologischen  Instituts 
wurde  besonders  bereichert  durch  ausgezeichnete  Exemplare  der 
merkwürdigen,  parasitisch  lebenden  RaiFeniaceen  Javas,  welche 
Dr.  Xaver  Lang  dem  Institut  übei*sendete.  Das  Kryptogamen- 
Herbarium  bestrebte  sich  hauptsächlich,  durch  Erwerbungen 
von  zahlreichen  Moosen  die  Lücken  der  sonst  sehr  reichen 
Sammlung  auszufüllen.  Im  Alpengarten  auf  dem  Schachen 
wurde  infolge  einer  Zuwendung  von  1400  M.  aus  der  Münchner 
Bürgei-stiftung  und  900  M.  von  dem  Verein  zum  Schutz  und 
zur  Pflege  des  Alpen gartens  damit  begonnen,  die  Pflanzen  in 
Gruppen  nach  den  natürlichen  Familien  anzupflanzen,  während 
vorher  nur  eine  Anzahl  biologischer  Gruppen  vorhanden  war. 

Ethnographisches  Museum:  Von  den  250  Nummern 
Zugänge  werden  hervorgehoben  als  Geschenk  Sr.  Majestät  des 
Deutschen  Kaisers  aus  den  Darbietungen  des  Prinzen  Chun 
zwei  grosse  prunkvolle  Halbvasen  chinesisches   Cloisonn^  und 


Uede,  517 

die  Faksimilereproduktion  einer  altsiamesischen  Bilderschrift  des 
sogenannten  cod.  Nutall,  ein  Geschenk  des  Peabodymuseums  der 
ümyersitat  Cambridge-Boston. 

Mineralogische  Sammlung:  1.  für  die  Mineralien- 
sammlung wurden  sehr  seltene  Mineralien  aus  Australien, 
Neu-Meziko,  Dakota,  Missouri,  Japan  und  Grönland  sowie  eine 
alte  Prachtstufe  Rotgiltigerz  aus  der  Grube  Kurprinz  in  Frei- 
berg i.  S.  erworben.  Hervorragend  sind  die  nicht  im  Handel 
befindlichen  grönländischen  Mineralien,  welche  Professor  E.  V. 
Ussing  in  Kopenhagen  schenkte.  2.  Von  den  Erwerbungen 
der  Gesteins-  und  Lagerstättensammlung  sind  zu  nennen: 
eine  vollständige  Kollektion  der  Gesteine  des  Mont  Blanc,  eine 
Sammlung  Schwarzwaldgesteine,  eine  volle  Erz-  und  Gesteins- 
serie aus  den  Gruben  der  „Mitterberger  Kupfergewerkschaft* 
bei  Bischofehofen ;  femer  Gesteins-  und  Erzproben  aus  der 
neuen  Goldzeche  ^Fundkogel**  am  Zwickenberg  bei  Oberdrau- 
burg  in  Kärnten,  dem  neuen  Kiesbergbau  Panzendorf  im  vor- 
deren Yilgrattental;  eine  vollständige  Lokalsuite  vom  HUtten- 
berger  Erzberg,  ein  Profil  des  Franz  Joseph -Erbstollens  zu 
Nagyag,  eine  Serie  Erze  und  Gesteine  des  grossen  Zinkblende- 
ganges am  Schneeberg  bei  St.  Martin  im  Passejr;  ein  Stück 
Dolomit  mit  eingesprengten  Korundkristallen  aus  dem  Lozzach- 
tal,  das  erste,  bekannt  gewordene  Vorkommen  dieses  Minerals 
in  den  Ostalpen.  Eine  Serie  von  Marmoren,  Kalken,  Dolomiten, 
Nebengesteinen  und  Einschlüssen  von  den  Fundorten  Storzing, 
Laas,  Garrara,  Massa,  Ornavasso  und  Crevola.  Ein  wertvoller 
Zuwachs  wurde  erworben  aus  Amberg,  wo  ein  Hochofen  nach 
15 jähriger  Tätigkeit  abgebrochen  wurde,  dessen  Gestellsteine 
und  Wände  mit  Mineralneubildungen  erfüllt  waren,  darunter 
besonders  Graphit,  kristallisiertes  Zink,  Ferrocyantitan  etc. 

Münzkabinett:  Ein  Tetradrachmon  von  Syrakus  schönen 
Stiles,  ein  Goldstater  von  Pantikapaeum,  ein  Aureus  des  Septi- 
mius  Severus  aus  dem  Fund  von  Karnak,  ein  sehr  seltener 
und  kostümlich  interessanter  Schautaler  der  Anna  Maria  von 
Brandenburg-Bayreuth,  eine  sehr  seltene  Medaille  auf  Boccaccio. 
Unter   den   mittelalterlichen  Erwerbungen   beansprucht  beson- 


518  V,  Zittel 

deren  Wert  der  Tumosenfund  von  Altkaterbach,  unter  jenen 
für  die  Gemmensammlung  mehrere  kostbare  und  archäo- 
logisch interessante,  altorientalische  und  griechische  Stücke. 

Museum  für  Abgüsse  antiker  Bildwerke:  Neufor- 
mungen durch  den  Präparator  des  Museums  nach  Originalen 
in  den  Museen  von  München,  Kopenhagen,  Neapel  und  der 
Villa  Borghese,  darunter  etwa  120  geschnittene  Steine.  Käuf- 
lich erworben  10  Stück  aus  Venedig,  Kopenhagen,  Berlin, 
Dresden;  als  Geschenk  erhalten  12  Stück  aus  Venedig,  Corneto, 
Neapel,  Würzburg,  Rom  und  Cypem.  Die  Photographien- 
sammlung  wurde  um  567  Stück  vermehrt. 

Paläontologisches  Museum:  a)  Geschenke:  Ein  voll- 
ständiger Schädel  des  kleinen,  diluvialen  Flusspferdes  nebst 
Skeletteilen  aus  Madagaskar  von  Eugen  Wolf;  eine  grosse 
Anzahl  Säugetierreste  aus  der  Pampasformation,  darunter  To- 
xodon,  Panochthus  und  Glyptodon  von  Otto  Günther  in  Fray- 
Bentos,  aus  Ägypten  ein  prachtvoller  Schädel  von  Zeuglodon 
Osiris  und  zahlreiche  andere  Reste  aus  dem  Eozän  des  Fayüm 
von  Dr.  Stromer  von  Reichenbach,  b)  Ankäufe:  Von  Florentino 
Ameghino  wurde  eine  interessante  Sammlung  aus  den  ältesten 
Tertiärablagerungen  Patagoniens  erworben;  sie  enthält  die 
wichtigsten  Gattungen  aus  den  Pyrotherium- ,  Colpodon-  und 
Notostylopsschichten  und  gibt  einen  trefflichen  Einblick  in 
diese  vor  vier  bis  fünf  Jahren  noch  völlig  unbekannte  Fauna, 
die  die  Vorfahren  der  jetzt  in  Südamerika  verbreiteten  Eden- 
taten, Marsupialier,  Raub-,  Huftiere,  Nager  u.  s.  w.  enthält  und 
ausserdem  durch  eine  Fülle  höchst  fremdartiger,  in  anderen 
Kontinenten  absolut  unbekannter  Säugetiertypen  ausgezeichnet 
ist.  Aus  den  Mitteln  des  von  Herrn  A.  Sedlniayr  zusammen- 
gebrachten Fonds  konnte  Herr  Albert  Hentschel  eine  zweite 
Sammelreise  nach  Samos  unternehmen,  welche  von  grossem 
Erfolg  begleitet  war.  Aus  den  sonstigen  Erwerbungen  seien 
genannt:  eine  stattliche  Sammlung  von  fossilen  Fischen  und  das 
Originalexemplar  des  von  Kramberger  beschriebenen  Aigialo- 
saurus  dalmatinus,  ferner  nordische  Diluvialgeschiebe  mit  wohl- 
erhaltenen Versteinerungen  aus  Preussisch-HoUand,  eine  Samm- 


Bede.  519 

lung  Eohlenkalkversteinerungen  aus  Irland,  Grinoideen  und 
Ästenden  aus  dem  rheinischen  Devon  und  Säugetierreste  aus 
dem  Miozän  von  Qeorgensgmünd  und  Tutzing. 

Anthropologisch-prähistorische  Sammlung:  a)Ge- 
schenke:  Eine  Eleihe  ausserbayerischer  Yergleichsgegenstände 
aus  der  Steinzeit  vom  römisch-germanischen  Zentralmuseum 
in  Mainz;  von  Dr.  P.  Rein  ecke  Feuersteine  und  Scherben  von 
einer  Feuersteinwerkstätte  auf  dem  Heideberg  unweit  Biesenthal 
(bei  Berlin);  von  Otto  v.  Ktihlmann  Steinbeile  und  Netzsenker 
aus  Eatiköi  an  der  anatolischen  Eisenbahn;  von  Freiherrn 
V.  Stromer  Feuersteinmesser  aus  der  Umgebung  des  Fayüm 
(Ägypten);  von  Hofrat  Schliz  (Heilbronn)  eine  Serie  neolithischer 
Oefassscherben  aus  Grossgartbach;  von  Maurer  (Reichenhall) 
Gefassscherben  und  Tierknochen  sowie  Abguss  eines  bronze- 
zeitlichen Gefasses  von  den  Wohnstätten  am  Karlstein,  b)  Unter 
den  Erwerbungen  aus  den  mit  Zuschüssen  der  Kommission 
für  Erforschung  der  Urgeschichte  Bayerns  erfolgten  Ausgra- 
bungen ragen  hervor  die  Funde  des  Bezirksarztes  Dr.  Thenn 
in  Beilngries,  die  des  Assistenten  Dr.  B irkner  südlich  von 
Mettendorf  (zwei  Bronzearmringe  mit  Tonkem,  eiserne  Pfeil- 
spitzen aus  der  Hallstattperiode),  c)  Aus  den  Ankäufen: 
Bronze-  und  Hallstattzeitliche  Funde  aus  der  Höhle  bei  „Dürr- 
loch* im  Schweighauser  Forst,  steinzeitliche  aus  der  Gegend 
von  Halle  a.  S.,  ferner  Bronzesicheln,  gefunden  am  Schaf hof 
bei  Nürnberg.  Die  La  Tene-Sammlung  wurde  bereichert  durch 
Funde  des  Lehrers  Strehle  aus  dem  Gräberfeld  bei  Manching, 
die  zum  Teil  unter  Leitung  des  technischen  Beirates  der  Kom- 
mission für  Urgeschichte,  Oberamtsrichter  a.  D.  Franz  Weber, 
ausgegraben  wurden. 

Zoologische  Sammlung:  Infolge  einer  durchgreifenden 
Neu-Organisation  konnten  nur  wenige  erhebliche  Objekte  er- 
worben werden.  Den  Hauptzuwachs  bildeten  mehrere  bedeutende 
Schenkungen:  von  Herrn  Klumbeck  aus  München  eine  Samm- 
lung Hexaktinelliden  aus  Japan  und  eine  Kollektion  Kamerun- 
scher  Säugetiiere  und  Skelette;  aus  dem  Nachlass  des  Herrn 
Hofsattlermeisters  Gmelch  eine  Sammlung  heimischer  Spinnen; 

190S.  Bitigib.  d.  pliUoa.-phfloL  iL  d.  bist  KL  36 


520  V.  Zitta 

Yoa  Herrn  Kunstmaler  Hans  Beatus  Wieland  zwei  seltene 
Paradiesvögel;  Ton  der  Witwe  des  Herrn  Dr.  Funk  in  Bam- 
berg eine  Insektensammlung  in  etwa  100  Kästen;  Ton  Herm 
Geheimrat  Exzellenz  y.  KöUiker  Octocorallien. 

Von  Oescbenken  des  Jahres  1903  seien  als  besonders  her- 
vorragende vorläufig  erwähnt:  Von  I.  K.  Hoheit,  Prinzessin 
Therese  von  Bayern,  unserm  hochverehrten  Ehrenmitglied« 
ging  dem  botanischen  Oarten  eine  Anzahl  wertvoller  Orchideen 
aus  Kolumbien  zu. 

Der  anthropologisch -prähistorischen  Sammlung  schenkte 
Herr  Eugen  Wolf  5  Schädel  von  madagassischen  Eingeborenen 
und  das  Skelett  eines  vornehmen  Madagassen,  deren  Erwer- 
bung mit  erheblichen  Schwierigkeiten  und  Gefahren  verknüpft 
war.  Dieselbe  Sammlung  besitzt  femer  als  höchst  interessantes 
und  einzigartiges  Geschenk  von  dem  Marinestabsarzt  Herrn 
Dr.  Mixius  in  Tsingtau  die  mit  allen  Fleisch-  und  Gehim- 
teilen  wohlkonservierten  Köpfe  von  6  hingerichteten  chinesischen 
Räubern. 

Herr  Fabrikant  Reimer  in  Augsburg  übergab  der  zoo- 
logischen Sammlung  3000  M.  zum  Ankauf  einer  Variantenserie 
von  Tierarten  der  Galapagos-Inseln,  an  denen  Darwin  seine 
berühmten  Studien  gemacht  hat. 

Die  paläontologische  Staatssammlung  erhielt  von  Herrn 
Eugen  Wolf  einen  Schädel  und  viele  Skeletteile  des  kleinen 
füsbilen  Flusspferdes  (Uippopotamus  Lemerlei)  aus  Madagaskar 
nebst  einer  Auswahl  von  Skelettknochen  des  madagassischen 
fossilen  Riesenvogels  Aepyornis. 

Die  Akademie  sah  sich  ferner  veranlasst,  an  folgende  Herren 
die  silberne  Medaille  Bene  merenti  zu  verleihen: 

1.  Herrn  Bezirksarzt  Dr.  Thenn,  der  wichtige  prähisto- 
rische Ausgrabungen  in  Beilngries  mit  Umsicht  und  wissen- 
schaftlichem Eifer  geleitet  und  die  wertvollen  Funde  der  prä- 
historischen Sammlung  überlassen  hat, 

2.  an  Herrn  Zeiske,  welcher  der  mineralogischen  Samm- 
lung zahlreiche  Dienste  durch  Geschenke  grösserer  Serien  aus 


Bede.  521 

dem  Oebiet  von  Mansfeld  und  den  Salzlagerstätten  bei  Stassfiirt 
und  Leopoldshall  erwiesen  hat, 

3.  an  Herrn  Professor  Dr.  Fr.  W.  Neger  in  Eisenach,  der  eine 
Sammlung  von  900  selbstgesammelten  Pflanzen  aus  Chile  und 
Patagonien  und 

4.  an  Herrn  Apotheker  August  Loher  in  Manila,  welcher 
die  Doubletten  einer  reichen  Kollektion  von  Pflanzen  der  Phi- 
lippinen dem  botanischem  Museum  zugewendet  hat. 

5.  Die  silberne  Medaille  wurde  ausserdem  zuerkannt  dem 
Professor  an  der  Industrieschule  in  Nürnberg  Herrn  Johann 
Kaspar  Rudel  für  seine  mit  grösster  Aufopferung  ausge- 
führten Beobachtungen  über  die  meteorologischen  Verhältnisse 
Nürnbergs. 

Die  Akademie  selbst  hat  ihre  wissenschaftliche  Tätigkeit 
in  gewohnter  Weise  fortgesetzt.  In  den  monatlichen  Sitzungen 
wurden  eine  grosse  Anzahl  von  Mitteilungen  gemacht,  die  meist 
in  den  Sitzungsberichten  und  Denkschriften  Veröffentlichung 
fanden.  Durch  die  Erhöhung  unseres  Druckkostenetats  ist  es 
möglich  geworden,  hinsichtlich  der  Ausstattung  unserer  Publi- 
kationen mit  anderen  Akademien  Schritt  zu  halten  und  deren 
Wert  durch  reichlichere  Zugabe  von  Abbildungen  zu  erhöhen. 
So  veröffentlicht  z.  B.  die  I.  Klasse  eine  mit  120  Tafeln  aus- 
gestattete prachtvolle  Monographie  über  die  von  Herrn  Professor 
Furtwängler  geleiteten  äginetischen  Ausgrabungen  und  in  den 
Denkschriften  der  H.  Klasse  finden  sich  verschiedene  mit  zahl- 
reichen und  schön  ausgeführten  Tafeln  versehene  Abhandlungen. 

Überblicken  wir  die  Fülle  von  Arbeit,  welche  im  Jahre 
1902  teils  in  den  Schriften  der  Akademie  zur  Veröffentlichung 
gelangte,  teils  in  den  verschiedenen  Attributen  des  General- 
konservatoriums geleistet  wurde,  so  dürfen  wir  mit  Befriedigung 
auf  unser  Tagwerk  zurückblicken.  Von  weiteren  Kreisen  wird 
es  freilich  kaum  nach  seinem  vollen  Werte  gewürdigt  werden, 
denn  häufig  liegen  die  Ergebnisse  mühsamer  Arbeit  eines 
Forschers  in  Schubladen  oder  Fächern  eines  Museums  begraben, 
die  nur  von  Spezialisten  benützt   und  richtig  beurteilt  werden 

85* 


522  V.  Zütel 

können.     Auch  viele   der  gelehrten  Abhandlungen  in  unseren 
Akademieschriften    gewinnen    nur   Interesse   und   Bedeutung, 
wenn  sie  mit  der  oft  unendlich  weitschichtigen,  einschlägigen 
Literatur  in  Zusammenhang  gebracht  werden.    Aber  es  ist  das 
alles   Material,   das   zur  Oewinnung  wissenschaftlicher  Wahr- 
heiten führt.     Vieles  davon   erscheint  dem  Laien   unnütz    und 
Manches  sogar  verlorene  Mühe.    Er  wundert  sich,  warum  man 
statt  solcher  Detailarbeit  sich  nicht  mit  den  höchsten  Problemen 
der  Wissenschaft  beschäftigt.     Er  vergisst  dabei,  dass  der  Weg 
zu  jenen  luftigen  Höhen  mit  unendlicher  Mühe  gebahnt  werden 
muss  und  dass  es  nur  wenigen  Auserwählten  überhaupt  gelingt, 
sie   zu  erreichen.     Und  auch  die  wissenschaftliche  Kleinarbeit 
kann  zu  den  herrlichsten  Resultaten  führen;  sie  ist  es,  welche 
uns  die  Naturkräfte  Untertan  macht  und  unsere  irdischen  Da- 
seinsbedingungen verbessert.    Aber  auch  die  auf  rein  geistigem 
Gebiet   errungenen  Werte  üben  einen   massgebenden   Einfluss 
auf  die  Entwicklung  der  ethischen  und  materiellen  Kultur  der 
Menschheit  aus. 

Solche  Erwägungen  sind  es  wohl,  welche  die  Bestrebungen 
und  Arbeiten  der  Akademien  dem  Volksbewusstsein  wieder 
näher  gebracht  haben,  und  welche  in  den  letzten  Jahren  auch 
unserer  Akademie  eine  Anzahl  Stiftungen  zuführten. 

Heute  bin  ich  in  der  glücklichen  Lage,  Ihnen  von  einer 
in  Aussicht  stehenden  Stiftung  berichten  zu  dürfen,  welche  zu 
den  bedeutendsten  zählen  wird,  über  die  unserer  Akademie  das 
Verfügungsrecht  zustehen  soll. 

Der  Urheber  dieser  Stiftung,  Herr  Albert  Samson,  lebt 
gegenwärtig  als  Rentner  in  Brüssel.  Er  ist  deutscher  Staats- 
angehöriger und  wurde  im  November  1837  zu  Braunschweig 
geboren.  Im  Hause  eines  Pastors  zu  Braunschweig  erzogen, 
absolvierte  er  daselbst  das  Gymnasium  und  widmete  sich  sodann 
dem  kaufmännischen  Berufe  des  Vaters,  der  ihn  alsbald  der 
Filiale  seines  Bankhauses  in  New  York  zuteilte.  Schon  nach 
einem  Jahre  gab  er  indes  diese  Tätigkeit  auf  und  unternahm 
längere  Reisen  durch  England,  Deutschland,  die  Schweiz  und 
Italien,   begleitete  u.  a.  General  Lamoriciere   auf  seinem  Zuge 


Bede.  523 

über  die  Apenninen  nach  dem  belagerten  Ancona,  und  war 
Zeuge  der  Schlachten  von  GastelfidardOf  Santa  Maria  di  Capua 
und  am  Yoltumo.  Sodann  liess  er  sich  in  Turin  nieder  und 
unternahm  von  dort  aus  Reisen  durch  alle  Küstenländer  des 
Mittelmeeres.  Später  verlegte  er  seinen  Wohnsitz  nach  London 
und  unterrichtete  sich  durch  mehrfache  wissenschaftliche  Reisen 
über  die  sozialen  Zustände  in  Nordeuropa  und  Nordamerika. 

Im  Jahre  1869  errichtete  er  unter  seinem  Namen  ein 
Bankhaus  in  Berlin,  trat  jedoch  im  Jahre  1874  die  Leitung 
desselben  ab.  Nunmehr  87  Jahre  alt  geworden,  begann  Herr 
Samson  sich  ganz  dem  ihm  angeborenen,  wissenschaftlichen 
Triebe  hinzugeben,  aus  dem  bereits  seine  planmässig  angelegten 
Reisen  hervorgegangen  waren.  Von  dem  idealen  Drange  be- 
seelt, sich  selbst  und  die  Welt  kennen  zu  lernen,  warf  er  sich 
mit  jugendlichem  Enthusiasmus  nacheinander  auf  das  Studium 
der  Medizin,  der  Naturwissenschaften,  der  Nationalökonomie, 
der  Geschichte,  der  Völkerkunde  und  der  Philosophie.  Es  gibt 
kaum  einen  berühmten  Lehrer  dieser  Fächer  in  Berlin,  den 
Herr  Samson  damals  nicht  gehört  hätte.  Mit  vielen  stand  er 
in  persönlichem  Verhältnis.  Sogar  mit  femer  liegenden  Fächern, 
mit  der  Ägyptologie  und  Assyriologie,  machte  er  sich  bekannt. 
Die  Pflege  dieser  allzeit  mit  grossem  Ernst  betriebenen  Studien 
nahm  nicht  weniger  als  12  Jahre  in  Anspruch.  Endlich  hat 
er  nach  dem  Spruche:  „Homini  nobili  jura  sua  ignorare  non 
licet"  noch  vier  Jahre  den  juristischen  Fächern  zugewendet. 

Auf  dem  Orunde  einer  ebenso  allseitigen  als  tiefen  Bildung 
erhob  sich  in  ihm  mit  der  Macht  einer  Lebensaufgabe  der 
heisse  Wunsch,  mit  kräftiger  Hand  am  moralischen  Fortschritt 
der  Menschheit  mitzuwirken.  Es  schien  ihm,  als  ob  in  dem 
grossen  Kreis  der  menschlichen  Wissenschaft  die  Erforschung 
der  Moral  nicht  den  Platz  einnehme,  den  sie  nach  ihrer  Be- 
deutung zu  beanspruchen  berechtigt  ist.  Und  in  der  Tat  kann 
es  nicht  geleugnet  werden,  dass  hierin  Grosses  geschaffen  und 
eine  umfassende  Tätigkeit  zum  Wohle  der  Wissenschaft  und  der 
Zivilisation  entwickelt  werden  kann.  Freilich  hat  die  Durch- 
führung einer  so  grossen  und  umfassenden  Aufgabe  zur  Voraus- 


524  V.  zma 

Setzung,    dass   die   zur    Verfügung   stehenden   Mittel    ausser- 
ordentlich bedeutend  sind. 

Unter  Beobachtung  aller  Erfordernisse  des  internationalen 
Privatrechtes  hat  Herr  Samson  unserer  Akademie  durch  sein 
hier  hinterlegtes  Testament  einen  Zufluss  zu  ihrem  Vermögen 
zugewendet. 

Das  dieser  Stiftung  zu  Grunde  gelegte  Programm  wurde 
nach  langen  Verhandlungen,  bei  welchen  sich  Herr  Bechts- 
anwalt  Professor  Dr.  Loewenfeld  als  der  Vertreter  des  Herrn 
Samson  und  der  Sekretär  unserer  Akademie,  Herr  Dr.  Karl 
Mayr,  die  grössten  Verdienste  erworben  haben,  von  den  beiden 
Herren  in  stetem  Einvernehmen  mit  dem  Präsidenten  der  Aka- 
demie vereinbart  und  hat  bereits  durch  Ministerial-Entschliessung 
vom  14.  April  1903  die  Billigung  des  E.  Staatsministeriums  des 
Innern  füi'  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  gefunden.  Es 
lautet : 

Statut  der  Samsonstiftung. 

L   Zweck   der  Stiftung. 

Der  Zweck  der  Stiftung  besteht  in  der  wissenschaftlichen 
Erforschung  und  Begründung  der  Moral  des  Einzelmenschen 
und  der  gesellschaftlichen  Moral  an  der  Hand  der  Ergebnisse 
der  Natur-  und  Geschichtsforschung,  und  besonders  der  empi- 
rischen Psychologie,  ferner  in  der  Feststellung  der  Folgerungen 
aus  den  Ergebnissen  dieser  Forschung  für  das  Leben  des  Einzel- 
menschen und  ftlr  das  Qesellschaftsleben. 

Die  Mittel  der  Stiftung  sollen  insbesondere  gewidmet  sein: 

1.  Der  Erforschung  des  Ursprungs,  der  urgeschichtlichen 
und  weiteren  geschichtlichen  Entwickelung  der  Moral  und  der 
einzelnen  Moralgesetze ; 

2.  der  Erforschung  des  Einflusses  der  körperlichen  und 
geistigen  Veranlagung  des  Menschen,  besonders  der  Rasse, 
weiter  des  Einflusses  der  Bodenbeschafienheit,  der  topographi- 
schen, geographischen  und  meteorologischen  Verhältnisse,  ferner 
der  Erforschung  des  Einflusses  der  Kultur,  der  Erziehung,  der 
Arbeit,  der  wirtschaftlichen,  vorzüglich  der  gewerblichen  Be- 
dingungen derselben,  der  Ernährung  und  ähnlicher  Verhältnisse; 


.  Bede.  525 

3.  der  Feststellung  und  Unterstützung  der  Folgerungen 
aus  den  Ergebnissen  der  zu  1  und  2  bezeichneten  Forschungen 
für  die  physische  und  sittliche  Lebenshaltung  des  Einzel- 
menschen, sowie  für  das  Gemeinschaftsleben.  —  Dogmatische, 
speziell  dogmatisch-philosophische  oder  theologische  Moral- 
begründungen sind  —  in  Gemässheit  der  Satzungen  der  Aka- 
demie —  yon  dem  Stiftungszwecke  ausgeschlossen  und  können 
nur  als  Gegenstand  der  Geschichtsforschung  (Ziffer  1)  in  Be- 
tracht kommen. 

n.  Stiftungsyerwaltung. 

1.  Die  Stiftung,  die  von  der  K.  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  München  zu  organisieren  ist,  wird  durch  einen 
eigenen  mehrgliederigen  Vorstand  mit  dem  Sitze  in  München 
verwaltet.  Die  Mitglieder  des  Vorstandes  bestimmt  die  K.  Aka- 
demie der  Wissenschaften.  Der  Vorsitzende  des  Vorstandes 
soll  ein  Vertreter  der  Naturwissenschaft  sein.  In  den  Vorstand 
sollen  Gelehrte  aller  Länder  aufgenommen  werden  können. 
Unter  allen  Umständen  sind  der  jeweilige  Präsident  der  Aka- 
demie und  die  Elassensekretäre  Mitglieder  des  Vorstandes; 

2.  die  Mitglieder  des  Vorstandes  und  die  Verwaltung  sollen 
aus  Stiftungsmitteln  honoriert  werden. 

HL  Verfolgung  des  Stiftungszweckes. 

Der  Stiftungszweck  soll  verfolgt  werden: 

1.  Durch  Bestellung  einer  ständigen,  wissenschaftlichen 
Leitung,  bestehend  aus  Gelehrten  der  in  Betracht  kommenden, 
hauptsächlichen  Disziplinen. 

Bezüglich  dieser  ständigen  wissenschaftlichen  Leitung  sollen 
die  Bestimmungen  zu  II,  Ziffer  1,  Satz  2  bis  5,  sowie  Ziffer  2  gelten ; 

2.  durch  Bestellung  der  erforderlichen  wissenschaftlichen 
Kräfte  für  die  Ausführung  der  jeweils  als  veranlasst  erschei- 
nenden Forschungsarbeiten  und  Veröffentlichungen; 

3.  durch  Unterstützung  verwandter  Institute  und  wissen- 
schaftlicher Unternehmungen. 


526  WakUn. 

Falls  die  Mittel  durch  das  Arbeitspn^ramm  eines  Jahres 
nicht  aufgebraucht  werden,  können  sie  fBr  verwandte  Zwecke, 
insbesondere  aus  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften  und 
Geschichte  verwendet  werden. 

lY.  Namen  der  Stiftung. 
Die  Stiftung  soll  den  Namen  «Samson-Stiftung*   fiiliren. 


Die  für  diesen  Zweck  testamentarisch  vermachte  Summe 
beträgt  eine  halbe  Million  Mark. 

Als  ein  Zeichen  ihrer  Dankbarkeit  für  diese  hochherzige 
Stiftung  hat  die  Akademie  Herrn  Albert  Samson  ihre  höchste 
Auszeichnung,  die 

goldene  Plato-Medaille  Bene  Merenti 

mit  Zustimmung  der  K.  Staatsregierung  verliehen. 

Möge  es  uns  und  unseren  Nachfolgern  gelingen,  den  Er- 
wartungen, welche  der  edle  Stifter  in  die  E.  Bayer.  Akademie 
setzt,  allezeit  gerecht  zu  werden. 


Dann  verkündigten  die  Elassensekretäre  die  Wahlen. 

Es  wurden  gewählt  und  von  Seiner  Königlichen  Hoheit 
dem  Prinz-Regenten  bestätigt: 

I.  In  der  philosophisch-philologischen  Klasse: 
als  ausserordentliches  Mitglied: 

Dr.  OttoCrusius,  Grossherz.  Badischer  Geh.  Hof  rat,  Professor 
der  klassischen  Philologie  an  der  Universität  zu  MüncheD; 

als  korrespondierende  Mitglieder: 

Dr.  Otto  Lenel,   Professor   des   römischen   und    bürgerlichen 
Rechts  an  der  Universität  zu  Strassburg; 

Dr.  Wilhelm   Dilthey,    Geh.   Regierungsrat,    Professor  der 
Philosophie  an  der  Universität  zu  Berlin; 


WäKUn.  527 

Dr.  Ludwig  Mitteis,  Oeh.  Hofrat,  Professor  des  römischen 
Rechts  an  der  Universität  zu  Leipzig; 

Dr.  Paul  Wolters,  Professor  der  Archäologie  an  der  Univer- 
sität zu  Würzburg. 

n.  Li  der  historischen  Klasse: 

als  ausserordentliches  Mitglied: 

Dr.  Michael  Doeberl,  Gymnasialprofessor  am  Kadettenkorps 
und  Privatdozent  der  Geschichte  an  der  Universität  zu 
München; 

als  korrespondierende  Mitglieder: 

Dr.  August  Meitzen,  Geh.  Regierungsrat,  Professor  der  Staats- 
wissenschaft an  der  Universität  zu  Berlin; 

Dr.  Otto  Gierke,  Geh.  Justizrat,  Professor  des  deutschen  Privat- 
und  Staatsrechts  an  der  Universität  zu  Berlin; 

Dr.  Richard  Fester,  Professor  der  Geschichte  an  der  Univer- 
sität zu  Erlangen; 

Dr.  Robert  Yischer,  Professor  der  Kunstgeschichte  an  der 
Universität  zu  Göttingen. 

Darauf  hielt  das  ordentliche  Mitglied  der  philosophisch- 
philologischen Klasse,  Herr  K.  v.  Amira,  die  besonders  ver- 
öffentlichte Gedächtnisrede  auf  Konrad  v.  Maurer. 


528 


Sitzung  vom  5.  Dezember  1903. 

Philosophisch-philologische  Klasse. 

Herr  Sakdbergeb  spricht 

Über  die  im  XII.,  XIY.  und  XVI.  Band  der  Lasso- 
ausgabe zum  Neudruck  gelangenden  vier-  bis 
achtstimmigen  Kompositionen  mit  französi- 
schen Texten. 

Die  Vorlagen  sind  aus  deutschen,  französischen,  helgischeo, 
englischen ,  schwedischen ,  österreichischen  imd  italienischen 
Bibliotheken  gesammelt.  Auf  die  Sorglosigkeit  Lassos,  auf 
Nachdrucke  des  16.  Jahrhunderts,  den  gänzlichen  oder  teil- 
weisen Untergang  von  Erstdrucken,  auf  massenhafte  Unter- 
schiebungen fremder  Texte  ist  es  zurückzufahren,  wenn  die 
Quellen  Verhältnisse  hier  verworrenere  waren,  als  hei  irgend 
einer  anderen  Gattung  Lassoscher  Tonwerke. 

Nach   Klärung   des   Materials   bleiben    an   originalen,   in 
zuverlässigen  Vorlagen  (darunter  einige  Autographe)  erhaltenen 
Stücken   145    nachweislich;    ihnen   stehen    240  Nummern   mit 
geändertem  Text  gegenüber.     An  Hand  von  Dokumenten  aus 
Münchener  Archiven,  den  Archives  de  France  u.  s.  w.  berichtet 
der  Vortragende   sodann   über   die   französischen   Beziehungen 
Lassos  im  Allgemeinen,  seine  Freundschaft  mit  Adrien  le  Roj, 
seine  Pariser  Reise  im  Jahre  1571,  sein  Verhältnis  zum  fran- 
zösischen Hofe,  die  Beteiligung  an  der  Komposition  eines  1573 
aufgeführten  ballet  de  la  cour,  seine  Berufung  nach  Frankreich 
und  die   hierauf  bezüglichen   irrigen  Angaben  de  Thous  etc.; 
femer   über   die   Beziehungen   des  Meisters   zur   französischen 
Literatur,   welche  mit  Alain  Chartier  beginnen,   mit  Guy  du 


SHiMung  vom  6.  Daember  1903.  529 

Faur  de  Pibrac  enden.    Von  Dichtem  der  Yorrenaissance  sind 
vertreten  Villon,   Octavien  de  Saint-Gelais,  Bouchet,  Melin  de 
Saint-Gelais  und  besonders  Marot.     Marot  ist  der  von  Lasso 
bevorzugte  französische  Poet,  im  Allgemeinen  aber  nimmt  der 
Komponist   tieferes   Interesse    an    der   italienischen   Literatur. 
Von    Dichtem    der   Plejade    erscheinen   Du   Bellay,   Ronsard, 
Belleau,   de  Baif,   de  Magny.     Wegen   der  Wahl  anstössiger 
Gedichte  erfuhr  Orlando  Angriffe  von  Seiten  der  Hugenotten, 
welche  auch  jene  Editionen  der  Chansons  veranlassten,  in  denen 
unter  grotesker  Fälschung  des  musikalischen  Ausdrucks  religiöse 
Texte    unterschoben    sind.     Der  Vortragende    erörtert    sodann 
die  für   die  geschichtliche   und  ästhetische  Würdigung  mass- 
gebenden Merkmale   des   Lassoschen  Chansons.     Als   Orlando 
dies  Gebiet  zu   bebauen   begann,   gab  es  daselbst  zwei  künst- 
lerische Richtungen.    Er  versenkt  sich  gerne  in  das  dichterische 
Detail,  wie  die  französischen  Chansonkomponisten  tun,  charak- 
terisiert auch  vielfach  mit  den  gleichen  Mitteln.    Hiebei  über- 
trifft er  seine  Vorgänger  an  Prägnanz  jener  kleinen  Motive, 
mit  deren  jeweiliger  imitatorischer  Ausbreitung  auch  er  einen 
dichterischen  Gedanken  stärker  oder  schwächer  hervorhebt  und 
ciseliert    solche   Stellen    auf  Grund   einer   in    höherem   Grade 
meisterlichen  Technik  zu  intimen  Episoden  kontrapunktischer 
Kleinkunst.    Er  handhabt  souverain  die  schon  seit  Jannequin 
u.  A.  in  Frankreich  bekannten  italienisch-medrigalischen  Mittel 
häufiger  Wort-  und  Begriffsmalerei,  markiert  oder  verschleiert 
wie  im  Madrigal  die  metrischen  und  gedanklichen  Abschnitte 
der  Dichtung  durch  Kadenzen  in  allen  oder  einzelnen  Stimmen. 
Durch  sjUabische  Deklamation  auf  kurzen  Notenwerten  erzielt 
er,  wo  er  will,  die  Leichtigkeit  des  gallischen  Konversationstons. 
Heiterkeit,  Grazie  und  Esprit,  Anmut  und  Witz  stehen  ihm 
wie  den  Franzosen  zur  Verfügung,  an  Innigkeit  und  Wärme 
—  daran  erkennt  man  den  Orlando  der  Motette  u.  s.  f.  wieder  — 
ist  er  ihnen  überlegen,  ebenso  an  der  gelegentlich  vom  Dichter 
geforderten  kontemplativen  Kühe.     Einigen  petrarchisierenden 
Sonetten   hat  Lasso  feinfühlig  auch  die  entsprechende  madri- 
galisch-spirituelle Note   beigegeben.     Aber   auch    auf   nieder- 


530  Sügung  wm  6.  DeMmber  1903, 

ländischen  Pfaden  der  Ghansonkomposition  bewegt  sich  Lasso; 
hier  beschränkt  er  sich  der  Hauptsache  nach  mehr  auf  Wieder- 
gabe der  Grundstimmung  und  verwendet  schwereres  Rüstzeug 
imitatorischer  Künste.  An  fremdem,  von  ihm  benutzten  musi- 
kalischem Stoff  lassen  sich  volkstümliche  Lieder  (Susanne  un 
jour;  Dessus  le  march^  d'Arras  u.  a.)  namhaft  machen.  Eine 
Kuriosität  ist  die  gelegentliche  Persiflierung  kirchlicher  Weisen 
zu  profanem  Zweck. 

Historische  Klasse. 

Herr  Riezler  vollendet  seine   in   der  Märzsitzung   dieses 
Jahres  begonnenen  Mitteilungen 

Über    Kriegstagebücher    aus    dem    ligistischen 
Hauptquartier  1620, 

indem  er  die  Tagebücher  der  Münchener  Jesuiten  Buslidius  und 
Drexel  und  die  in  italienischer  Sprache  geschriebene  Feldzugs- 
geschichte des  unbeschuhten  Karmeliters  P.  Pietro  von  der 
Muttergottes  besprach.  Buslidius  weilte  im  ligistischen  Haupt- 
quartier als  Beichtvater  Herzog  Maximilians  von  Bayern,  Drexel 
als  dessen  Hofprediger.  P.  Pietro  aus  Siena,  der  vor  seinem 
Eintritt  in  den  Karmeliterorden  Dr.  Annibale  Angelini  hiess, 
kam  im  Gefolge  seines  spanischen  Ordensbruders,  des  auf 
Maximilians  Wunsch  vom  Papste  entsandten  P.  Dominicus  a 
Jesu  Maria.  Sein  Werk  erweist  sich  trotz  seines  anspruchs- 
vollen Auftretens  zum  grösseren  Teil  als  eine  Kompilation  aus 
bekannten  Quellen,  vornehmlich  dem  „Journal''  und  Tillys 
Dicchiaratione.  Es  liegt  in  einer  Stuttgarter  Handschrift  vor, 
während  das  Münchener  Reichsarchiv  die  Tagebücher  der  beiden 
Jesuiten  bewahrt.  In  allen  diesen  Darstellungen  geistlicher 
Autoren  tritt,  wie  sich  erwarten  lässt,  der  Charakter  des  Religions- 
krieges besonders  nachdrücklich  hervor.  Ihre  Hauptbedeutung 
haben  sie  für  den  künftigen  Verfasser  einer  Kulturgeschichte  des 
dreissigjährigen  Krieges,  ohne  dass  die  politische  und  militärische 
Geschichte  des  Feldzuges  von  1620  gänzlich  leer  ausginge. 


Sitzung  vom  5,  Dezember  1903.  531 

Herr  Traube  spricht 

Über  die  Überlieferung  der  für  die  Geschichte 
und  Erkenntnis  des  Manichäismus  auch  neben 
den  neu  erschlossenen  orientalischen  Quellen 
sehr  wichtigen  Acta  Archelai  des  Hegemonios. 

Der  Schluss  des  Werkes,  der  in  der  Handschrift  von  Monte- 
cassino  fehlt  und  bisher  vermisst  wurde,  hat  sich  in  einer 
andern  italienischen  Handschrift  erhalten  und  gibt  u.  A.  für 
den  Namen  des  Verfassers  die  urkundliche  Bestätigung  und  für 
die  Zeit  des  Übersetzers  einen  festeren  Anhalt. 

Derselbe  berichtet  femer 

Über  eine  von  ihm  und  Herrn  Dr.  Max  Fastlihger 
unternommene  zeitliche  und  örtliche  Bestim- 
mung des  in  Fulda  liegenden  Codex  Bonifa- 
tianus  2  und  eines  mit  ihm  paläographisch 
übereinstimmenden  St.  Emmeramer  Fragmentes 
der  Münchener  Hof-  und  Staats-Bibliothek  aus 
dem  achten  Jahrhundert. 

Die  Fulder  Handschrift  ist  wichtig  durch  die  in  ihr 
erhaltene  Sammlung  patristischer  Schriften,  von  denen  nur  die 
Titelangaben  in  einer  Handschrift  aus  Nonantola  in  gleicher 
Folge  wiederkehren,  und  ehrwürdig  durch  die  wahrscheinlich 
berechtigte  Tradition,  die  sie  mit  dem  heiligen  Bonifatius  selbst 
in  nächsten  Zusammenhang  bringt. 


533 


Acta  Archelai. 

Yorbemerkang  zu  einer  neuen  Aasgabe. 
Von  Ludwig  Traube. 

(Vorgetragen  in  der  historischen  Klasse  am  5.  Dezember  1903.) 


L   Eittftlhraiig. 

Für  die  Geschichte  des  Manichäismus  sind,  wenn  auch  nicht 
so  wichtig  wie  die  neu  erschlossenen  orientalischen  Quellen,  doch 
von  hoher  Bedeutung  die  Acta  Archdai,  von  denen  früher  die 
Forschung  ausging. 

Der  unter  diesem  Namen  bekannte  Bericht  über  z  weiBeligions- 
gespräche,  die  Mani,  der  Stifter  der  neuen  persischen  Lehre, 
mit  Archelaus,  einem  Bischof  von  Mesopotamien,  geführt  haben 
soll,  —  ein  glücklicherweise  sehr  unordentlicher  Bericht,  in  den 
vieles  hineingesteckt  ist,  was  nicht  zur  Sache  gehört  und  ihr  doch 
erst  den  Wert  verleiht  —  war  ursprünglich  griechisch  geschrieben. 
Ziemlich  umfangreiche  Stücke  hat  Epiphanius  im  Panarium  teils 
ausgehoben,  teils  umschrieben.  Doch  beruht  unsere  Kenntnis 
im  Wesentlichen  auf  der  alten  lateinischen  Übersetzung. 

Als  Verfasser  des  griechischen  Originals  gilt  'Hyejbiöviog 
nach  dem  von  Photius  angeführten  Zeugnis  des  Heraclianus 
von  Chalcedon.  Von  Hegemonius  weiss  man  nichts  weiter  als 
eben  diesen  Namen.  Als  Abfassungszeit  wird  im  Allgemeinen 
die  erste  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts  angenommen.  Doch 
setzt  Adolf  Hamack  eine  engere  Grenze,  indem  er  Bedenken 
trägt,  das  Werk  noch  als  yornicänisch  zu  bezeichnen.  Bekannt 
war  es  jedenfalls  schon  dem  Epiphanius  (374 — 377)  und  dem 
Hieronymus  (392). 


584  Ludwig  Traube 

Mit  dem  Alter  der  Übersetzung  hat  man  sich  weniger 
beschäftigt.  Hamack  nennt  sie  nachhieronjmianisch  und  vor 
der  Einbürgerung  der  Yulgata  erfolgt. 

Vielleicht  würden  wir  vom  Original  und  von  der  Übersetzung 
mehr  wissen,  wenn  wir  den  Schluss  der  Übersetzung  hätten. 
Allein,  was  einst  Zacagni  unter  seinen  Text  setzen  musste: 
nonnulla  fortasse  desuntj  das  steht  auch  noch  unter  der  letzten, 
von  Routh  besorgten  Ausgabe,  und  wäre  nicht  als  Vermutung, 
sondern  als  Tatsache  ausgesprochen  worden,  wenn  man  die 
Anführung  aus  den  Exegetica  des  Basilides,  in  welcher  das 
letzte  Kapitel  der  Acta,  mitten  im  Satz,  abbricht,  genauer 
erwogen  hätte. 

Ich  bin  nun  in  der  glücklichen  Lage,  der  lateinischen  Über- 
setzung den  bisher  fehlenden  Schluss  zurückgeben  zu  können. 
Es  ergibt  sich  aus  ihm,  dass  der  Verfasser  des  Originals  wirk- 
lich der  Hegemonius  ist,  den  Heraclianus  erwähnt;  wir  ent- 
nehmen ferner  einem  der  Übersetzung  angehängten  Ketzer- 
kataloge genaueres  über  die  Zeitumstände  des  Übersetzers;  wir 
erhalten  einen  recht  umfangreichen  und  bedeutsamen  Nachtrag 
zu  den  Fragmenten  des  Basilides;  und  schliesslich,  die  Hand- 
schrift, die  den  Schluss  bietet  und  zugleich  für  die  ganze  Schrift 
einen  unabhängigen  und  vielfach  reineren  Text,  ermöglicht  es 
erst,  eine  kritische  Ausgabe  der  Acta  Archelai  herzustellen. 
Es  geht  damit  der  Wunsch  des  Zacagni,  freilich  sehr  postum, 
in  Erfüllung:  Fortasse  hoc  opus  deo  dante  correcäus  recudere 
fas  erit,  si  aliquod  aliud  exemplar  inter  lustrandum  bibliothecarum 
nostrarum  loculos  occurrat, 

II.  Die  früher  bekannten  Handschriften  (A,  T,  C,  F). 

1.  {A)  Mailand,  Ambros.  0.  210  Sup.  aus  Böbbio, 
geschrieben  im  sechsten  Jahrhundert  in  Halb-Unciale,  enthält 
auf  fol.  33^^ — 45  Auszüge  aus  den  Acta,  und  zwar  capp.  IV — 'X'TT 
(=  Reliquiae  sacrae  rec.  Routh,  ed.  II,  vol.  V,  pag.  41 — 72)  und 
capp.  XLI— XLV  (==  ib.  pag.  146—165).  Vgl.  Beiflferscheid, 
Bibliotheca  patrum  latinor.  italica  U   94 — 96  und  Chatelain, 


Acta  Archelai,  585 

Scriptura  uncialis  tab.  LXYIII.  Die  Überschrift  ist:  Ine  doc- 
trina  iniqui  et  perßdi  Mamchei.  In  qua  dodrina  dedpet  (!) 
aninuzs  infirmorum,  unde  tu,  Christiane  catholiee  (ccUhdicae  k), 
qidsqids  es,  lege  et  cave,  ne  seducaris  verUs  eius  et  cadas  in 
laqueos  ipsius.  Am  Schlüsse  der  AuszUge  steht:  Expiidt.  lege 
cum  pace.  Diese  Form  der  Subscriptio  (lege  cum  pace,  wovon 
lege  in  pace  verschieden  ist)  wird  vielleicht,  wenn  man  auf 
derartige  Kleinheiten  länger  und  besser  geachtet  hat,  dazu  bei- 
tragen können,  die  Herkunft  der  Handschrift  oder  doch  der 
Überlieferung  näher  zu  bestimmen.  Sie  findet  sich  im  Vere- 
cundus  (Leiden  Voss.  lat.  F.  58,  wo  aber  cum  pace  amen  steht) 
im  Lyoner  Heptateuch,  in  der  grossen  Bibel  Paris  lat.  11553, 
im  Hilarius  de  trinitate  (z.  B.  Cambrai  541).  Das  spricht  wohl 
für  afrikanische  Tradition,  die  sich  über  Spanien  und  Süd- 
frankreich verbreitet,  die  aber  auch  unmittelbar  nach  Italien 
überspringen  kann.  Der  Ambrosianus  enthält  in  seinem  ersten 
gleichartigen  Bestandteile  (fol.  1 — 45)  noch  einen  Brief  des 
Augustinus  an  Hieronymus  (Hier.  epp.  CXXXI)  und  dessen 
Antwort  (epp.  CXXXIV),  Anatheme  gegen  die  Manichäer  (vgl. 
unten  S.  549)  und  den  sog.  Vigilius  de  trinitate  in  der  kürzeren 
Fassung.  Es  ist  diese  Handschrift  die  erste,  aus  der  Stücke  der 
Acta  bekannt  wurden:  Henricus  Valesius  veröffentlichte  aus  ihr 
die  oben  bezeichneten  Auszüge  hinter  seiner  Ausgabe  der  Kirchen- 
geschichten des  Sokrates  und  Sozomenus  (Paris  1668). 

2.  (T)  Turin,  Bibliothek  des  Hofarchivs  L  b.  VL  28 
aus  Bobbio,  geschrieben  im  sechsten  oder  siebenten  Jahrhundert 
in  Unciale,  bietet  hinter  der  Epitome  des  Lactantius  und  vor 
dem  wahrscheinlich  afrikanischen  lAber  genealogus  auf  fol.  61 
eine  kurze  Geschichte  des  Mani  mit  Sätzen,  die  aus  den 
capp.  LH— LV  der  Acta  (=  ßouth  pag.  187 — 197)  zusammen- 
gesetzt sind.  Sie  beginnt:  Sciti^inus  quidam  fuit  ex  genere 
Sarraeenorum  und  schliesst  mit  der  Aufforderung,  Weiteres  in 
den  Acta  selbst  nachzulesen:  haec  ita  esse  melius  nasse  cupientes 
Archdaum  legant  Vgl.  die  Beschreibung  der  Handschrift  bei 
Keifferscheid  1.  c.  pag.  140  sq.  und  Mommsen  in  der  Ausgabe  der 
Chronica  minora  I  156;  ein  Bild  u.  A.  bei  CipoUa,  Monumenta 

1908.  Stti«sb.  d.  phUo8.-phüol.  n.  d.  bist  KL  36 


536  Ludwig  Tratte 

palaeogr.  sacra  tav.  7.  Qednickt  wurde  das  Stück  von  Fabricius  ^) 
am  Schlüsse  seiner  Ausgabe  des  Hippolytus  (Hambui^  1718) 
und  ohne  Kenntnis  davon  noch  einmal  von  Reifferscheid. 

3.  ((7)  Montecassino  871,  in  beneventanischer  Schrift 
des  elften  Jahrhunderts,  überliefert  hinter  dem  Kommentar  des 
Presbyter  Philippus  zum  Hiob  auf  fol.  66  —  113^  den  einzigen 
bisher  bekannten  vollständigen  Text  der  Acta.  Diese  Hand- 
schrift zog  der  Bibliothekar  der  Vaticana  Lorenzo  Zacagni  in 
seinen  Collectanea  monumentorum  veterum  (a.  1698)  zur  ersten 
Gesamtausgabe  der  Acta  heran,  oder,  um  es  genauer  zu  sagen, 
er  benutzte  eine  aus  ihr  in  Rom  für  ihn  genommene  Abschrift. 
Man  hat  bisher  nicht  beachtet,  dass  der  Gasinensis  am  Schlüsse 
der  Acta,  welcher  zugleich  der  Sohluss  der  ganzen  Handschrift 
ist,  eine  äussere  Verletzung  erlitten  haben  muss.  Aus  Reiffer- 
scheids  Beschreibung  (1.  c.  pag.  422)  wird  das  völlig  klar. 
Hierdurch  erklärt  sich,  dass  seit  Zacagni  wohl  der  vollständige 
Text  der  Acta  im  Umlauf  ist,  aber  ohne  seinen  richtigen  Ab- 
schluss.    Dem  Anscheine  nach  fehlt  im  Gasinensis  das  letzte  Blatt. 

4.  (F)  Auszüge  aus  capp.  LI — LV  der  Acta,  die  nicht 
identisch  sind  mit  den  oben  angeführten  von  T,  kommen  in 
mehreren  Handschriften  im  Anschluss  an  das  Augustinische 
Commonitorium  vor.  Ihre  Überschrift  ist:  Qtu)d  iste  Manes  non 
Sit  auctor  huius  heresis,  $ed  potius  qiddam  StuHanus  (!);  der 
Beginn :  quidam  Stutianm  nomine.  Für  eine  Ausgabe  der  Acta 
müsste  diese  Sonderüberlieferung  erst  hergestellt  werden,  und 
nur  die  hergestellte  Form  dürfte  im  Apparate  erscheinen.  Die 
folgenden  Handschriften  scheinen  dafür  in  Betracht  zu  kommen. 

Rom  Reg.  lat.  562,  ein  Sammelband  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts mit  vielen  Abschriften  aus  älteren  Godices.  Vgl.  Mont- 
faueon,  Bibliotheca  bibliothecar.  I,  44  (unter  n.  1335);  Beth- 
mann  im  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichts- 
kunde XII,  292 ;  Nürnberger  im  Neuen  Archiv  derselben  Gesell- 
schaft Vni,  315.  Diese  Handschrift  wurde,  wie  es  scheint,  von  den 
Maurinern  für  ihre  Ausgabe  des  Commonitorium  im  achten  Bande 

^)  Darnach  wiederholt  bei  Routh  p&g.  33 — 34. 


Ada  ÄrchelaL  537 

der  Werke  des  Augustin  herangezogen  (=  MigneVIII,  1153), 
und  sicher  hat  aus  ihr  Zacagni  zehn  Jahre  später  die  Aus* 
Züge  der  Acta  kennen  gelernt  und  benutzt  (vgl.  bei  Routh  pag.  22 
und  186).  Die  Abschrift  war  nach  einem  Codex  S.  Salmi  gemacht. 
Da  auch  sonst  französische  Handschriften  im  Reginensis  benutzt 
sind,  so  mag,  wie  Zacagni  meinte,  das  Original  dem  Kloster 
Saint-Saulve  in  der  Diözese  Amiens  angehört  haben.  Doch  gibt 
es  Klöster  desselben  Namens  wie  ausserhalb  Frankreichs,  so  in 
Frankreich  auch  ausserhalb  der  Diözese  von  Amiens. 

Paris  lat.  1908  und  Paris  lat.  1918,  beide  aus  dem 
dreizehnten  Jahrhundert.  Sie  haben  nach  Zjcha  (Corpus  scriptor. 
ecclesiasticor.  Vindob.  vol.  XXV,  pag.  LXXVII)  hinter  dem  Com- 
mmUorium  die  eben  mitgeteilte  Überschrift.  Ob  nun  die  Aus- 
züge selbst  in  ihnen  überliefert  sind,  ist  mit  meinen  augen- 
blicklichen Hül&mitteln  nicht  festzustellen,  scheint  aber  sehr 
wahrscheinlich,  obgleich  Zycha  die  Überschrift  der  Auszüge 
für  die  Unterschrift  des  Commonitarium  hält.  Fehlen  die  Aus- 
züge und  findet  sich  nur  ihre  Überschrift,  so  standen  sie 
doch  sicher  im  Original. 

in.  Die  neue  Handschrift  (M), 

Im  April  1902  erwarb  ich  von  dem  hiesigen  Antiquar 
Herrn  von  Ro^ycki  einen  schönen,  sehr  sorgßLltig  geschriebenen 
Folianten:  106  Pergamentblätter  im  Formate  von  27  x  35, 
jede  Seite  zu  2  Kolumnen  von  41  bis  44  Zeilen.  Sein  Inhalt 
ist  folgender: 

fol.  1  IncijAt  liber  prinms  sancü  Augustini  de  consensu 
emngdistarum  bis  fol.  46  Exjpiicit  liber  sancü  Augustini  epi- 
scopi  de  consensu  euangelistarum, 

fol.  46  IndpU  cUtercaüo  sancti  Archday  episcopi  Mesopotamie 
ctim  maledicto  Manicheo  heretico,  ubi  dicUur  et  de  condiciane  et 
de  doctrina  et  de  ßne  ipsius  maledicti  Manichd  bis  fol.  63  Explicit 
oltercatio  sancü  Archdai  episcopi  contra  Manen  heresiarchnm. 

fol.  63  Indpit  liber  sancti  Augusüni  episcopi  ad  FauUnum 
ej^scopum  de  cura  pro  mortuis  agenda  bis  fol.  67^  JtJxplicit  liber 

36  • 


538  Ludwig  Traube 

sancü  Ättgtisäni  ad  heaässimum  Paulinum  qdscapum  de  cum 
pro  mortuis» 

fol.  67^  IndpU  über  eiusdem  sancü  Äugtisäm  de  inmor- 
talUate  animae  bis  fol.  70^  ExplieU  dialecüca  saneä  Augu^ni 
episcopi  de  immartalUate  anime. 

fol.  70^  Inäpit  Über  eiusdem  de  presentia  dei  ad  Dardanm 
bis  fol.  74^  Expliät  liber  sancü  Äugusüni  epscapi  de  presenüa  dd, 

fol.  74^  Incipiunt  libri  äusdem  Äurdii  Äugusüni  de  bab- 
üsmo  niimero  Septem  bis  fol.  105^  Amen.  Explidt  Aurdü  Äugu- 
süni episcopi  de  bapüsmo  contra  Donaüstas  liber  sepümus, 

fol.  105^  IncipU  sermo  eiusdem  sancü  Äugusüni  contra  venena 
serpenium  Manicheorum  bis  fol.  106^  Explidt  sermo  sancü  Äugu- 
süni episco^  contra  venena  serpentum  Manicheorum,  Hiennit 
schliesst  die  Handschrift;  der  grössere  Teil  der  ersten  Kolumne 
und  die  ganze  zweite  Kolumne  der  letzten  Seite  blieb  frei;  nur 
hat  eine  spätere  Hand  ein  nicht  ganz  vollständiges  Inhalts- 
verzeichnis hierher  geschrieben. 

Obgleich  Herr  v.  Roiycki  gleichzeitig  auch  die  Hand- 
schriften aus  dem  Nachlasse  Joseph  von  Görres'  zum  Kaufe 
ausbot,  so  spricht  schon  die  äussere  Erhaltung  dafür,  dass  mein 
Band,  den  ich  im  Folgenden  als  M(onacensis)  bezeichne,  kein 
Goerresianus  ist,  dass  er  nicht  Trierer,  sondern  italienischen 
Ursprung  hat.  Freilich  fehlt  jeder  Eintrag,  der  hier  weiter 
führen  könnte.  Der  Einband  ist  aus  Leder  und  trägt  auf  dem 
Rücken  nichts  als  den  Titel  DIVI  AUGUSTIN  DE  CONSE 
EVANGEL;  er  mag  aus  dem  18.  Jahrhundert  sein.  Im  Innern 
des  Deckels  findet  sich  nicht  der  mindeste  Anhalt.  Was  mich 
beweg,  die  Handschrift  zu  kaufen,  war  neben  dem  grossen 
paläographischen  Interesse,  das  sie  mir  trotz  verhältnismässiger 
Jugend  bot  —  ich  denke  sie  um  1200  in  Süditahen  ent- 
standen — ,  gerade  der  Umstand,  dass  sie  die  Acta  Archdai 
enthält.  Mir  war  von  meinen  überlieferungsgeschichtlichen 
Arbeiten  her  bekannt,  wie  selten  dieses  Werk  in  Handschriften 
vorkommt.  Trotzdem  ich  nun  einen  solchen  Schatz  besass, 
oder  vielleicht  gerade  deshalb,  ging  ich  nicht  sofort  daran, 
ihn  genau  zu  untersuchen  und  auszubeuten.    Sondern  erst  vor 


Ada  Ärehelai.  539 

kurzem,  als  ein  junger  Historiker,  Herr  Ludwig  Bertalot,  zu 
mir  kam  und  um  paläographische  Förderung  bat,  lieh  ich  ihm 
zugleich  das  Manuskript  und  die  gangbare  Ausgabe  von  Kouth 
und  forderte  ihn  auf,  mir  über  die  Stellung  der  Handschrift 
zum  Druck  und  zu  den  im  Drucke  herangezogenen  Handschriften 
zu  berichten.  Er  tat  dies  nach  einigen  Wochen  mit  gutem 
Verständnis,  und  er  ist  es,  der  zuerst  auf  den  unbekannten 
Abschnitt  am  Schlüsse  aufmerksam  machte.  Ich  forderte  ihn 
auf,  dem  merkwürdigen  Stoffe  weiter  nachzugehen.  Aber  er 
wollte  seine  noch  nicht  lange  begonnenen  Studien  nicht  diesem 
entlegenen  Gebiete  zuwenden,  und  so  musste  ich  für  ihn  ein- 
treten. Ich  war  mir  dabei  bewusst,  dass  ich  eine  schnelle 
Anzeige  des  Fundes  den  Bearbeitern  der  älteren  christlichen 
Literatur  zu  geben  ebenso  verpflichtet,  wie  eine  zugleich  be- 
friedigende zu  geben  nicht  befähigt  war.  Die  Entsagung,  die 
somit  zu  üben  war,  hofft  entsprechender  Nachsicht  zu  begegnen. 
Die  erste  Frage,  die  sich  angesichts  der  neuen  Handschrift 
erhob,  war  diese.  M  hat  den  Schluss,  der  in  C  fehlt;  in  G 
ist  der  Schluss  durch  einen  äusseren  Schaden  verloren  gegangen. 
Ist  M  eine  Abschrift  von  (7,  die  genommen  wurde,  als  diese 
Handschrift  noch  vollständig  war?  Doch  diese  Frage  ist  zu 
verneinen,  und  damit  wächst  die  Bedeutung  von  M  um  ein 
Beträchtliches.  Mag  auch  Zacagni  oder  der  Mann,  der  C  in 
Rom  für  ihn  abschrieb,  oft  flüchtig  gearbeitet  haben,  in  vielen 
Fällen,  wo  M  deutlich  zu  Ä  und  gegen  C  steht,  können  die 
Sonderlesarten  von  C  als  blosse  Flüchtigkeit  der  modernen 
Abschreiber  nicht  aufgefasst  werden.  Doch  wird  eine  Gegen- 
überstellung von  C  und  M  und  der  kontrollierenden  Lesarten 
aus  Epiphanius  und  A  erst  dann  einen  rechten  Sinn  haben 
und  die  Veröffentlichung  verdienen,  wenn  Ä  und  M  noch  ein- 
mal verglichen  sind.  Nur  eine  sehr  richtige  und  merkwürdige 
neue  Lesart  hier  schon  anzuführen,  kann  ich  mir  nicht  ver- 
sagen. In  cap.  LH  (Routh  pag.  188,7)  druckt  Zacagni:  iOe 
vero  disdpuliis  qui  cum  eo  fuerat  conversatus  in  fugam  versus 
est;  F  oder  wenigstens  die  Auszüge  in  Reg.  lat.  562  geben: 
ilJr  vero  discfpulus  omnifp^is  quaecnnque  eins  ftterant  congregatis 


540  Ludwig  Traube 

in  fugam  versus  est  Hier  hat  M:  üle  vero  disciptdus  omnibus 
quecumque  fuerant  magistri  convdsatis  in  fugam  versus  est.  Die 
Prägnanz  des  Wortes  convasare  spricht  für  sich  selbst. 

IV.  Herstellaog  des  SchluBses. 

Den  Schluss  der  Acta  hatte  uns  bisher  ein  Zufall  vorent- 
halten ;  ihr  Archetypen  besass  ihn  noch.  In  der  Editto  princeps^ 
die  ich  heute  aus  M  veranstalten  kann,  verfahre  ich  so,  dass 
ich  das  Stück  hinzu  nehme,  das  dem  Schluss  unmittelbar  vor- 
hergeht und  eng  mit  ihm  verbunden  ist.  Die  Lesarten  von  C 
müssen  dabei  freilich  der  Ausgabe  Zacagnis  entlehnt  werden, 
während  M  beim  Schreiben  und  Drucken  neben  mir  liegt. 
Wo  C  aufhört,  habe  ich  im  Text  zwei  senkrechte  Striche  gesetzt. 

Man  hat  nun  also  im  Folgenden  zum  ersten  Male  die 
gesamte  Darstellung  der  Lehre  des  Qnostikers  Basilides,  soweit 
sie  vom  Verfasser  der  Acta  in  die  letzte  bedeutsame  Rede  des 
Archelaus  eingeflochten  war.  Archelaus  hält  diese,  nachdem 
Mani  selbst  sich  längst  aus  dem  Staube  gemacht,  um  die 
Unursprünglichkeit  der  Lehre  seines  Gegnere  darzutun.  Der 
Dualismus,  den  er  vertrete,  beruhe  ganz  auf  der  Lehre  und  den 
Schriften  des  persischen  praedicator  BasUides.  Gemeint  ist, 
wie  man  sah,  der  Gnostiker,  und  zum  Teil  wörtlich  angeführt 
werden  dessen  Exegetica.  Wenn  Archelaus  dabei  öfters  darauf 
hinweist,  dass  Basilides  seinerseits  von  Scythianus  abhänge,  so 
geschieht  das  offenbar  nur  um  zwei  völlig  getrennte  Über- 
lieferungen, die  nebst  vielen  andern  einzelnen  Stücken  und 
Stückchen  dem  Verfasser  vorlagen,  mit  einander  auszugleichen 
und  neben  einander  bestehen  lassen  zu  können.  Andere,  so  bricht 
Archelaus  diese  Auseinandersetzung  ziemlich  kurz  ab,  werden 
gegen  die  Schriften  des  Mani  mehr  und  besseres  schreiben 
können.  Und  so  segnet  er  die  Versammlung  und  entlässt  sie. 
Es  folgen  noch  die  mehrdeutigen  Worte,  mit  denen  Hege- 
monius  sich  leibhaftig  dem  Leser  vorstellt.  Der  Name  ist  darin 
mit  grossem  Anfangsbuchstaben  und  Mennig  geschrieben,  wie 
auch  sonst  die  Namen  der  Redner  und  auch  längere  Zwischen- 
bemerkungen, was   das  Suchen   in   der  Handschrift  ungemein 


Acta  Arehdm.  541 

erleichtert.  Die  einzelnen  Sätze,  um  das  nachzuholen,  sondern 
sich  dadurch  von  einander,  dass  ihr  erster,  gross  geschriebener 
Buchstabe  mit  grüner  und  brauner  Farbe  ausgetuscht  ist. 
Stärker  hervorgehobene  Abschnitte  begpnnen  mit  reicher  ver- 
zierten Buchstaben.  Hegemonius  also  unterschreibt  so:  Ego 
Egemanius  scripsi  dispiUaüanem  istam  exceptam  ad  describendum 
vclenübus.  Dass  er  damit  sich  als  den  Tachygraphen  bezeichnen 
will,  der  den  Streitgesprächen  selbst  beigewohnt  hat,  geht  aus 
einer  anderen  Stelle  hervor  (cap.  XXXIX  ed.  Routh  pag.  141), 
an  der  es  gleichfalls  in  erster  Person  heisst:  quoniam  vero 
ptaeuU  MarcäU)  disputaüonem  hanc  excipi  atque  describi^  contra^ 
äicere  tum  potui  confisus  de  benignitate  legenüum,  quod  veniam 
dabunt,  si  quid  imperitum  atä  rtisticum  sonabit  oratio;  hoc  enim 
tantum  est,  quod  studemus,  ut  rd  gestae  cognitio  studiosum  quem- 
que  nan  hUeat,  Doch  hier  und  an  einer  dritten  Stelle  (cap.  L^ 
ed.  Bouth  pag.  195):  quibus  posiea  agnitis  Ärchdaus  adiecU  ea 
priori  disceptationi^  ut  omntbus  innotesceret,  sicut  ego,  qui  haec 
scripsi  (qfd  inscripd  C),  in  prioribus  exposuiy  spricht  der  angeb- 
liche Stenograph  zugleich  von  den  redaktionellen  Änderungen, 
die  er  vorgenommen,  und  bittet  mit  ganz  geläufiger  Koketterie 
um  Nachsicht  wegen  seiner  bäurischen  Sprache,  bekennt  sich 
also  deutlich  als  das,  was  er  ist:  nicht  den  Aufzeichner,  sondern 
den  Bearbeiter,  den  Verfasser. 

Addidit  etiam  hoc  Archelaus  dicens:  Viri  fratres,  ne  quis 
vestrum  incredulus  sit  bis,  quae  a  me  dicta  sunt,  id  est:  quod 
non  ipse  primus  auctor  scelerati  huius  dogmatis  extiterit  Manes, 
sed  tantum,  quod  per  ipsum  aliquibus  terrae  partibus  mani- 
festatum  sit.  Sed  non  statim  is,  qui  aliquid  quocumque  porta-  5 
verit,  auctor  eins  putandus  est,  sed  qui  invenerit.  Sicut  enim 
gubemator  acceptam  navem,  quam  alius  fecit,  ad  quaecumque 
loca  voluerit  perducere  potest,  alienus  est  tarnen  omni  genere 
a  constructione  eins,  ita  intellegendus  est  et  iste.  Non  enim 
ex  initio  huic  rei  ipse  originem  dedit,  sed  tantum,  quae  ab  alio    10 


4  tentum  M        5  hi8  qui  M        8  iu>luerU]o  vielleicht  auf  Rasur  M 
potest  fehlt  C        10  sed  etiam  tantum^  wie  es  scheint,  C 


542  Ludtoig  Tra/uhe 

fuerant  inventa,  per  se  detulit  hominibus,  sicut  ceiiis  testimoniis 
notum  est,  quibus  propositum  est  nobis  ostendere:  non  ex 
Mane  originem  mali  huius  manasse,  sed  ab  alio,  et  ante  mul- 
tum  temporis  a  barbaro  quodam  exorta  in  silentio  habita,  ab 
5  isto  vero  ignota  et  latentia,  veluti  propria  eins,  esse  prolata 
deleto  conscriptoris  titulo,  sicut  superius  exposui.  Fuit  prae- 
dicator  apud  Persas  etiam  Basilides  quidam  antiquior  non 
longo  post  nostrorum  apostolorum  tempora.  Qui  et  ipse  cum 
esset  versutus  et  vidisset,   quod  eo  tempore  iam  essent  omnia 

10  praeoccupata,  dualitatem  istam  voluit  affirmare,  quae  etiam  apud 
Scythianum  erat.  Denique  cum  nihil  haberet  quod  assereret 
proprium,  aliis  dictis  proposuit  adversariis.  Et  omnes  eins  libri 
difGcilia  quaedam  et  asperrima  continent.  Extat  tarnen  tertius 
decimus  liber  tractatuum  eins,  cuius  initium  tale  est:  ^Tertium 

15  ^decimum  nobis  tractatuum  scribentibus  librum  necessarium  ser- 
,,monem  uberemque  salutaris  sermo  praestabit:  per  parabulam 
„divitis  et  pauperis  naturam  sine  radice  et  sine  loco  rebus 
,,superyenientem  unde  puUulaverit  indicat*^.  Hoc  autem  solum 
Caput   liber   continet?     Nonne   continet   et  alium   sermonem? 

20  At,  sicut  opinati  sunt  quidam,  nonne  omnes  ofiPendamini  ipso 
libro,  cuius  initium  erat  hoc?  Sed  ad  rem  rediens  Basilides 
interiectis  plus  minusve  quingentis  yersibus  ait:  „Desinamus 
„ab  inani  et  curiosa  varietate;  requiramus  autem  magis,  quae 
„de  bonis  et  malis  etiam  barbari  inquisierunt  et  in  quas  opi- 

25  „niones  de  bis  omnibus  pervenerunt.  Quidam  enim  horum  dixe- 
„runt  initia  omnium  duo  esse,  quibus  bona  et  mala  associaye- 
„runt,  ipsa  dicentes  initia  sine  initio  esse  et  ingenita,  id  est:  in 
„principiis  lucem  fuisse  ac  tenebras,  quae  ex  semet  ipsis  erant, 

2    uohis   C  4   exhorta   M  5   ignote   latentia   G      uelut   M 

8  longe  C  tempore  M  11  excutianum  hat,  wie  gewöhnlich,  M;  in  C 
wechseln  scutianus  und  excutianu8\  in  F  weist  8tut\anu8  auf  scutiamis; 
T  hat  8citianu8  12  der  Hauptsatz  ist  verdorben;  etwa:  alÜB  dictis 
proipemodum  eadem  op)po8uit  adversarii8j  dem  vielleicht  als  Beginn  des 
nächsten  Satzes  quare  folgte  15  tractatum  M  16  prae8tauit  C, 
perstatuit   M  16   paruulam   CM,    von    Routh    verb.  20   et   CM, 

verb.  von  Plenkers  ne  omnes  offendam  in  ipso  M  offendemini  C 
22  minus  uel  C      desine  C 


Acta  Ärehelai,  543 

^Don  quae  esse  (genitae)  dicebantur.  Haec  cum  apud  seroet 
„ipsa  essent,  proprium  unumquodque  eorum  vitam  agebant 
«quam  vellent  et  quale  sibi  competeret;  omnibus  enim  amicum 
«est,  quod  est  proprium,  et  nihil  sibi  ipsum  malum  videtur. 
«Postquam  autem  ad  alterutrum  agnitionem  uterque  perrenit  5 
«et  tenebrae  contemplatae  sunt  lucem,  tanquam  melioris  rei 
«sumpta  concupiscentia  insectabantur  ea  et  coammisceri  ||  ac 
«participari  de  ea  cupiebant.  Et  tenebrae  quidem  haec  agebant, 
«lux  yero  nequaquam  ex  tenebris  quicquam  recipiebat  in  sese, 
«nee  in  earum  desiderium  veniebat,  tantummodo  quod  etiam  lo 
«ipsa  spectandi  libidinem  passa  est.  Et  quidem  et  respexit  eas 
«velut  per  speculum.  Enfasis  igitur,  id  est  color  quidam  lucis 
«ad  tenebras  factus  est  solus,  sed  lux  ipsa  respexit  tantum- 
«modo  et  abscessit,  nuUa  scilicet  parte  sumpta  de  tenebris.  Tene- 
«brae  vero  ex  luce  sumpserunt  intuitum  et  yles  enfasin  yel  15 
«colorem,  in  quo  ei  displicuerant.  Cum  ergo  nequiores  de 
«meliore  sumpsissent  non  reram  lucem,  sed  speciem  quandam 
«lucis  atque  enfasin,  .  . .  boni  raptiva  mutatione  traxerunt.  IJnde 
«nee  perfectum  bonum  est  in  hoc  mundo,  et  quod  est  valde 
«est  exigpium,  quia  parum  fait  etiam  illud,  quod  initio  con-  20 
«ceptum  est,  Verum  tamen  per  hoc  ipsum  exiguum  lucis,  immo 
«potius  per  speciem  quandam  lucis,  creaturae  valuerunt  gene- 
«rare  similitudinem  perferentem  ad  illam,  quam  de  luce  con- 
«ceperant,  permixtionem.  Et  haec  est  ista,  quam  cemimus, 
«creatura."  Sed  et  reliqua  eorum  similia  in  consequentibus  25 
executus  est.  Haec  autem  sufficere  aestimavi*  ad  ostendendam 
eius  in  hac  parte  sententiam.  In  bis  enim  de  mundi  conditione 
conscripsit  secundum  quod  Scythianus  senserat.  Hie  vero 
assumptis  eius  litteris  adiecit  etiam  nomina  daemonum  et  com- 
motiones  inquietas  atque  elementorum  cursus  non  secundum  80 
illum  ordinem,  qui  a  veteribus  scriptus  est,  sed  ut  sarcinam 

1  genitae  oder  faetae  eingeschoben  von  Routh  2  propriam  C 
2.  3  agebat  und  uellet  G  6  meliores  M  7  et  coammisceri  letzte 
Worte  in  G  10  eorum  M  11  expectanti  M  15  ylem  M  17. 18  quan- 
dam lis  atque  M  18  lückenlos  M,  es  fehlt  etwa  speciem  quoque  tantum- 
modo 20  initium  M  28  hie  ist  Mani,  wie  544, 15  und  ipse  544,  5  u.  11 
und  üle  544, 20        31  a  veteribus,  nämlich  von  Scythianus  und  Basilides 


544  Ludwig  Traube 

quandam  yerborum  multorum  et  inutilium  congregaret  et  per- 
mixtiones  immensas  ac  confüsiones  legentibus  generaret.  Quia 
vero  omnis  eius  dogma  et  inscientia  Basilide  illi  obTersanie 
conscripta  in  dualitate  suspensa  sunt,  null!  dubium  est.    Si  quis 

5  ergo  subvertere  potuerit  ingenitam  dualitatem,  quam  ipse 
asserit,  dico:  universam  eius  yerborum  silvam  pariter  abscideret. 
Sicut  enim  quis  draconis  caput  esecans  reliqua  corporis  eius 
inutilia  atque  inania  derelinquet,  ita  et  nos,  si  dispositam  non 
recte   creaturam  et  commixtionem  duorum   ingenitorum,    lucis 

10  ac  tenebrae,  sicut  Basilides  praesumit,  ostenderimus,  sine  dubio 
omnia  reliqua,  quae  ipse  scribit,  inania  et,  quae  nos  scrip- 
simus,  Vera  esse  signabimus.  Hoc  autem  deprecor  eos,  qui  bis 
exemplis  uti  voluerint,  ut  subtilius  intueantur  unumquemque 
sermonem,  quoniam  quidem  argute  et  breviter  Basilides  locutus 

15  est  ea,  quae  apud  Scytbianum  reppererat  definita;  quae  hie 
translata  subtilius  argumentis  quoque  yiolentioribus  communivit, 
uti  yerborum  noyitate  propria  sua  esse  putarentur.  Haec,  ut 
potuimus,  a  nobis  dicta  sunt.  Poterunt  autem  hi,  qui  nos  sensu 
sublimiori  praecellunt,   plura  horum  ac  meliora  proferre  atque 

20  conscribere  adyersum  eos  libros,  qui  ab  illo  editi  sunt.  Finita 
ergo  disputatione  ista  Arcbelaus  turbas  cum  pace  dimisit  ad 
propria.  Qui  benedicentes  eum  yoce,  qua  dignum  est,  cum  omni 
laetitia  discesserunt. 

Ego   Egemonius   scripsi   disputationem   istam   exceptam 

26    ad  describendum  yolentibus. 

V.  Der  Nachtrag  des  Übersetzers. 

Mit  der  Nennung  des  Hegern onius  ist  in  meiner  Hand- 
schrift der  Text  der  Acta  nicht  erschöpft.  Auf  volentibus,  das 
letzte  Wort  des  Hegemonius,  folgt  yielmehr  unmittelbar  und 
fortlaufend  ein  längerer  Ketzerkatalog,  und  erst  hinter  diesem 
steht  das  technische  Explicit.  Ich  befördere  zunächst  dieses 
zweite  neue,  nicht  unwichtige  Stück  zum  Drucke. 

3.  4  dogma  et  inscientiae  nam  Uli  aversante  conscripta  M  4  sus- 
pensits  est  M        9  commotionem  M        12  signauimus  M 


Acta  Ärehelai,  545 

Yeteres  heretici  propeinodum  omnes  divinitatem  duplicem 
simularunt,  ut  alium  bonum  deum,  alium  iustum  esse  confinge- 
rent  et  dicerent  boni  dei  subvenitoris  atque  melioris  iilium 
dominum  lesum  Christum  venisse  in  hunc  mundum,  ut  de  iusti 
dei,  quem  tantum  severum  putant  dominum,  animas  ad  pristinas  5 
reduceret  sedes,  quae  creatoris  praecepto  corporibus  fuissent 
ligatae.  Ex  quibus  est  Gerdon  atque  Marcion  et  ceteri  qui 
eorum  sequuntur  errorem.  Valentinus  vero  et  ipse  duplicem 
esse  simulavit  divinitatem;  is  simul  et  aeonum  numerum  novum 
visus  est  introferre,  quod  triginta  aeonas  visus  est  dicere.  lo 
Basilides  quoque  de  hac  impietate  descendit,  qui  tot  deos 
simulat  esse,  quot  dies  in  anno  sunt,  et  de  bis  quasi  minutalibus 
unam  summam  divinitatis  efßcit  et  appellat  Mithram,  siqui- 
dem  iuxta  computationem  Qraecorum  litterarum  Mithras  anni 
numerum  habet.  Hi  non  multum  a  gentilitate  distant  et  eis-  15 
dem  paene  mysteriis  imbuuntur,  quibus  a  gentilibus  initiatur« 
Hoc  defuncto  aliae  rursum  multae  diversae  hereses  ebullierunt, 
quae  divinitatem  Christi  negantes  tantummodo  confitentur  humani- 
tatem  eius  ex  Maria.  Ex  quibus  est  Gerinthus,  Ebion  et  nunc 
Fotinus,  qui  eorum  heresim  instauravit.  Erupit  et  alia  heresis,  20 
quae  Gatafrigae  appellatur  ex  promis3ione  spiritus  sancti,  quam 
dominus  salvator  noster  poUicitus  est  dicens:  vadam  et  alium 
paraclitum  mittam  vobis,^)  asserens  non  in  apostolis,  sed  in 
Montanum,  Priscillam  et  Maximillam.  Post  has  erupit  Mani* 
cheus,  post  dormitionem  sancti  martjris  Cypriani,  modicum  25 
ante  Diocietianum,  qui  alium  deum  bonum,  alium  malum 
indicant  et  omnium  universa  quae  a  corpore  sunt  dicunt  esse 
Satanae.    Huius  heresis  de  Pythagorae  fönte  libatur  et  com- 


7  Mawn  M  8.  9  duplicem  esse  simularunt  Ita  diuinitatem  ihi 
simulet  conum  numerum  nouum  M  11  descendit]  das  erste  e  viel- 
leicht auf  Rasur  M  14  mytram,  wie  immer,  M  15  hahent.  HU  M 
19  cherintus  M  26  dioditianum  M  27  der  Plural  steht  hier  und 
im  folgenden  öfter,  wo  statt  des  Häresiarchen  die  ihm  folgenden 
Häretiker  als  Subjekt  Torschweben         28  pytagore,  wie  gewöhnlich,  M 


*)  Vgl.  Acta  Archelai  cap.  XXVII  (ed.  Routh  pag.  107). 


546  Ludwig  Traute 

roixta  magicis  artibus  astrologia  quoque  utuntur,  sicut  et  ipse 
Pjthagoras  de  bis  exordium  sumit.  Et  uti  infinita  praeteream, 
nunc  de  novis  beresibus  breviter  increpandum  est.  Super  funere 
Constantini  erupit  heresis  Arriana  apud  Alexandriam,  quae  unum 

6  patrem  deum  esse,  filium  vero  eiusdem  dominum  nostrum  lesum 
Cbristum  et  spiritum  sanctum  adoptione  esse  filium  non  natura 
et  quantum  distare  dicit  filium  a  patre  tantum  rursus  dicit 
a  filio  spiritum  separari.  Haec  in  tria  scinditur.  Eunoznius 
quippe,  a  quo  vocantur  Eunomiani,   audaciter  proclamant   et 

10  libere,  quod  quorum  diversa  natura  est,  similes  eos  esse  non 
posse,  itaque  filium  et  patrem,  quoniam  alterius  substantiae 
essent,  dissimiles  esse.  Macedonius  vero,  a  quo  vocantur  Mace- 
doniani,  qui  etiam  Arriani  nuncupantur,  sub  impietate  pietatem 
videntur  inferre,  ut  dicant  similem  esse  filium  patri;  et  in  eo 

15  differunt  ab  Arrianis,  quod  Arriani  filium  similem  patri  dicunt, 
Macedoniani  vero,  ut  plus  ei  donare  videantur,  similem  dicunt 
esse  per  omnia.  Sed  et  eos  dolus  et  lapsa  quasi  pietas  detegit, 
cum  etiam  homo  ad  imaginem  et  similitudinem  dei  conditus  sit. 
Extrema  est  heresis  ApoUinaris,   quaequot  homines  habent  tot 

20  paene  sententias.  Necdum  enim  inter  eos  decretum  est,  in  quae 
quasi  pro  certo  et  statuto  blaspfaemabunt.  Alii  dicunt  nee 
sensum  nee  animam  humanam  habuisse  dominum  nostrum  lesum 
Christum.  Qui  vero  audaciores  sunt,  etiam  corpus  illius  sie  de 
Maria   confitentur,    ut    nihilominus    etiam    hoc   de   caelestibus 

25  vindicent.  !Nonnulli  animam  et  corpus  tantummodo  profitentes, 
sensum,  id  est  mentem,  negant.  Sed  istos  si  discusseris,  et 
animam  et  corpus  incipiunt  denegare  et  dicunt  pro  anima 
inhabitatorem  fuisse  verbum  deum;  et  dum  volunt  humanitatem 
in  Christo  negare,  id  est:  quod  et  cogitationibus  humanis  non 

30  subiectus  fuerit,  omnes  passiones  eins  ad  deitatem  referunt,  si 
animam  non  habuit  nee  mentem.  Flevit  autem  et  contristatus 
est  et  ceteros   passus  est  affectus.    Haec  enim   per  se  corpus 

1  astrohgiae  M,  verb.  von  Plenkers;  oder  astrologia  ei  quoque 
6  spiritum  suum  M,  welche  Worte  Plenkers  tilgen  möchte  8  exdditur  M, 
verb.  von  Beeson  13  statt  Arriani  wird  Pneumatomachi  erwartet; 
doch  liegt  wohl  keine  Verderbnis  vor        21  pro  ccrtum  et  statu  M 


Acta  Ärdielai.  547 

pati  non  potest.  Superest,  ut  deitas  in  illo  haec  passa  fuerit. 
Inter  Novatianos  et  Montenses  hoc  interest,  quod  Novatiani 
maiorum  criminum  poenitentiam  non  accipiunt,  id  est  negationis, 
adulterii,  homicidii,  fomicationis  et  ceterorum  bis  similium; 
Montenses  vero  dicunt  nos  scripturas  sanctas  exurendas  tra-  5 
didisse,  simulantes  suos  episcopos  ecclesiam  gubemasse  et  quod 
faciunt  Luciferiani  monentibus  sacerdotibus,  hoc  iUi  faciunt  in 
Omnibus  ecclesiis,  dicentes  eorum  sacerdotes  esse  non  posse, 
qui  scripturas  tradiderunt,  et  super  hoc  addunt,  quia  nostram 
ecclesiam  traditurum  infamant  quemcumque  a  nobis  invenerint.    10 

7  luciferianis  M  10  traditorum  M  nach  invenerint  hat  M: 
Explidt  alterccUio  sancti  ÄreMai  episcopi  contra  Manen  heresiareham. 

Kann  dies  Hegemonius  geschrieben  haben?  —  Es  ist  nur 
dann  möglich,  wenn  er  die  vorgenommene  Maske  sich  selbst 
herabziehen  wollte.  Hegemonius  will  zur  Zeit  des  Kaisers 
Probus  gelebt  haben  ^)  und  hat  damit  auch  den  EUeronjrmus 
hinter  das  Licht  geführt.*)  Wenn  er  von  Ketzern  spricht,*) 
so  sind  es  Basilides,  Marcion,  Valentinus,  Tatianus  und  noch 
Sabellius.  Aber  von  Fotinus,  Lucifer  und  Apollinaris,  von 
denen  hier  die  Rede  ist,  durfte  er  nichts  wissen,  wobei  dahin- 
gestellt bleiben  kann,  ob  er  von  ihnen  in  Wirklichkeit  hätte 
wissen  können,  und  da  nun  der  Ketzerkatalog  auch  an  einer 
sonderbaren  Stelle  in  der  Überlieferung  erscheint  und  dann 
erst  beginnt,  als  Hegemonius  sich  eben  unterzeichnet  hat,  so 
werden  wir  ihn  für  einen  ursprünglichen  Bestandteil  der  Acta 
nicht  halten  dürfen,  obgleich  an  sich  ein  solcher  Fetzen,  wäre 
er  nur  wirklich  eingeflickt  und  nicht  bloss  daneben  gelegt, 
mit  der  Eigenart  dieser  Acta  gar  wohl  sich  vertragen  würde. 
Betrachtet  man  den  Katalog  allein  und  ohne  Rücksicht  auf 
die  Acta^  so  springen  seine  klaren,  in  sich  geschlossenen  Zeit- 

^)  Vgl.  cap.  XXVII  sq.  ed.  Routh  pag.  107  8q. 

^  De  yiris  illustrib.  cap.  LXXII. 

•)  Vgl.  capp.  XXXVII  aq.  fed.  Routh  pag.  136  u.  138).  Statt  VaUn- 
iif\u8  haben  die  Handschriften  hier  VaJenthnanus;  im  Ketzerkatalog  giSt 
M  richtig  Valentinus. 


548  Ludt€ig  Traube 

Verhältnisse  sofort  in  die  Augen.  Nach  den  Häresien  des 
ApoUinaris,  Lucifer  und  Fotinus  zu  urteilen,  die  er  schon 
erwähnt,  kann  er  nicht  vor  dem  Ausgange  des  vierten  Jahr- 
hunderts geschrieben  sein;  nach  der  Häresie  des  Nestorius  zu 
urteilen,  die  er  noch  nicht  erwähnt,  muss  er  vor  die  Mitte 
des  fünften  Jahrhunderts  fallen. 

Nun   haben  wir  auf  der  einen  Seite  den  Übersetzer  der 
Acta,  den  wir  genauer,  als  es  bisher  geschehen  ist,  nach  dem 
Jahre  392,  in  dem  Hieronymus  seine  Literaturgeschichte  zum 
ersten  Male  herausgab,  und  vor  dem  sechsten  Jahrhundert,  aus 
dem  der  Codex  Bobiensis  (Ä)  stammt,  ansetzen   können,   und 
haben   auf  der  andern  Seite   den   mit   der  Übersetzung   yer- 
bundenen    und   im    gleichen   Stile   abgefassten    Ketzerkatalog, 
dessen  Verfasser  zwischen  dem  Ausgange  des  vierten  und  der 
Mitte   des   fünften  Jahrhunderts  geschrieben  haben  muss:   ist 
es  da  nicht  überzeugend,  dass  der  Übersetzer  und   der  Häre- 
seolog  einer  und  derselbe  war,  und  dass  also  nach  392  und  vor 
c.  450  die  Acta  tibersetzt  und  mit  einem  Nachtrage  versehen 
wurden,  durch  welchen  der  Übersetzer  die  Streitschrift  gleich- 
sam auf  dem  Laufenden  erhielt? 

VI.  Textgeschichte. 

Denn  eine  Streitschrift  waren  die  Acta  und  sind  es  in 
allen  Phasen  ihrer  Überlieferung  geblieben.  Nicht  ihr  litera- 
rischer Wert  erhielt  und  schützte  sie,  nicht  der  Name  eines 
berühmten  Verfassers.  Wenn  sie  auftauchen  und  verschwinden 
und  wiederum  auftauchen,  so  hebt  und  verdrängt  sie  nicht 
die  literarische  Mode.  Sie  wurden  verfasst,  übersetzt,  abge- 
schrieben und  neuerdings  hervorgesucht  in  dem  langen  Kampf 
gegen  Manichäer  und  Neumanichäer.  Der  Inhalt  der  Acta  war 
es,  der  von  Zeit  zu  Zeit  die  Frage  des  Tages  wurde. 

Wo  und  wann  Hegemonius  seine  Stimme  gegen  die  Manichäer 
erhob,  ist  am  wenigsten  ausgemacht.  Auch  steht  nicht  fest, 
wo  man  das  Bedürfnis  fühlte,  seine  Acta  ins  Lateinische  zu 
übertragen;  nur  mit  leiser  Vermutung  durfte  oben  auf  Afrika 


Ada  Arehelai.  549 

gewiesen  werden.^)  Die  Zeit  aber  dieser  Übersetzung  darf 
jetzt  als  gesichert  gelten:  392 — 450,  und  das  sind  freilich 
Jahre,  während  deren  besonders  in  Afrika  der  Manichäismus 
gross  war  und  heftig  befehdet  wurde.  Im  sechsten  Jahrhundert 
lagen  in  Italien^)  Auszüge  (Ä  und  T)  und  vielleicht  auch  eine 
vollständige  Handschrift  (x).  Es  ist  die  Zeit,  in  der  Gelasius  I. 
und  Gregor  der  Grosse  gegen  die  italienischen  Manichäer  eifern.^) 
Später  gerieten  die  Acta  in  Vergessenheit,  und  erst  im  elften 
Jahrhundert  wurde  x  wieder  hervorgeholt  und  vervielfältigt 
{(■  und  M).     Es  galt,  die  Katharer  zu  bekämpfen. 


1)  Vgl.  oben  S.  535. 

2)  A,  T  und  X  sind  vielleicht  unabhängig  von  einander  nach  Italien 
gekommen;  auch  der  Stammvater  von  F  hat  vielleicht  seine  eigene 
Geschichte. 

')  Anathematismen  gegen  die  Manichäer,  die  in  A  vor  den  Acta 
stehen,  hat  Muratori  herausgegeben  (Anecdota  II,  Mailand  1698,  pag.  112). 
Reifferscheid  (Bibliotheca  patrum  italica  II  96)  zeigt,  dass  sie  akephal  sind, 
weil  vor  ihrem  jetzigen  Beginn  in  der  Hs.  ein  Quaternio  und  drei  Blätter 
fehlen.  Es  folgen  auf  die  Acta  in  A  erstens  Gebete  (vgl.  Chatelain,  Intro- 
duction  h  la  lecture  des  notes  tironiennes,  Paris  1900,  pag.  117)  und  dann 
ein  Stuck  aus  einem  Schreiben  des  Papstes  Gelasius.  Aber  dieses  beides 
gehört  nicht  zum  ursprünglichen  Bestände  der  Hs. 


551 


Die  Akrostichis  in  der  griecMschen  Eirchenpoesie. 

Von  K«  Kmmbacher. 

(Yorgetragen  in  der  pbilos.-philol.  Klasse  am  6.  Juli  1902.) 


Vorbemerkung. 

Die  Bedeutung  der  Akrosticha  in  der  Geschichte  der 
])oetischen  und  auch  der  prosaischen  Kunstformen  ist  heute 
bekannt.  Wollte  man  ihre  Verbreitung  klar  machen,  so  müsste 
man  eher  nach  dem  Volke  fragen,  in  dessen  Literatur  sie  fehlt, 
als  nach  den  Völkern,  bei  denen  sie  yorkommt.  Wenn  einmal 
die  Zeit  gekommen  sein  wird,  eine  allgemeine  Geschichte  der 
literarischen  Eunstformen  und  Spielereien  in  ihrer  grossen 
internationalen  Ausbreitung,  ihren  genetischen  Zusammenhängen 
und  ihren  mannigfaltigen  Erscheinungsformen  zu  wagen,  so 
wird  die  Akrostichis  ein  ansehnliches  Kapitel  beanspruchen. 
Heute  ist  dieses  Kapitel  noch  nicht  einmal  für  die  griechische 
und  lateinische  Literatur  geschrieben.  Wir  sind  vorerst  auf 
eine  Reihe  von  Einzeluntersuchungen  angewiesen:  W.  Meyer, 
Anfang  und  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen  ryth- 
mischen  Dichtung,  Abhandlungen  der  Bayer.  Akademie,  17.  Bd., 
2.  AbteU.,  München  1885,  S.  370  f.  H.  Diels,  Sibyllinische 
Blätter,  Berlin  1890,  S.  25  ff.  (dortselbst  S.  36  weitere  Literatur- 
angaben). Kurze  Übersicht  in  meiner  Geschichte  der  byzan- 
tinischen Literatur*  S.  697  ff.  Eine  reichhaltige  Zusammen- 
stellung des  Materials  aus  der  christlichen,  besonders  der  latei- 
nischen Poesie,  gibt,  ohne  auf  die  historischen  Zusammenhänge 

1908.  Bitagsb.  d.  plaU<w.-pliUol.  iL  d.  hiBt  KL  37 


552  K.  Krumhacher 

einzugehen,  H.  Leclercq  in  Gabrols  Dictionnaire  d'Arch^logie 
chretienne  et  de  liturgie,  fasc.  II  (Paris  1903)  S.  356  fiF. 

Zum  Werke  der  Zukunft,  einer  kritischen  Geschichte  der 
Akrostichis  in  der  griechisch-lateinischen  und  in  der  Welt- 
literatur, sollen  die  folgenden  Blätter  einen  Beitrag  liefern. 
Doch  ist  es  keineswegs  der  Hinblick  auf  ein  so  hohes  Ziel, 
dem  sie  ihre  Entstehung  verdanken.  Sie  sind,  wie  Ahnliches 
oft  in  der  Wissenschaft  geschieht,  aus  einem  kleinen  zufälligen 
Anlass  hervorgegangen.  Bei  der  Lektüre  und  Bearbeitung  der 
griechischen  Kirchenlieder  stiess  ich  in  den  Akrosticha  wieder- 
holt auf  gewisse  auffallende  Wortformen,  auf  Buchstaben- 
verdoppelungen, Lücken,  Umstellungen  und  sonstige  Unregel- 
mässigkeiten. Mehrfach  sind  in  der  Ausgabe  von  Pitra,  dem 
Hauptwerk  für  unsere  Kenntnis  der  Hymnenpoesie,  solche 
Unebenheiten  durch  einschneidende  Korrekturen  beseitigt  oder 
durch  gewagte  Hypothesen  erklärt  worden.  Dazu  kamen  weitere 
Beunruhigungen.  Sogar  die  Glaubwürdigkeit  der  in  den  Akro- 
sticha enthaltenen  Autornamen  wurde  wiederholt  angezweifelt. 

Kurz,  im  Laufe  meiner  langjährigen  Beschäftigung  mit 
dem  griechischen  Kirchenliede  ergab  sich  immer  unausweich- 
licher die  Notwendigkeit,  alle  auf  das  Gebiet  der  Akrostichis 
bezüglichen  Tatsachen  mit  zuverlässiger  Genauigkeit  zusammen- 
zustellen, zu  sichten  und  zu  prüfen,  um  für  die.  Beurteilung 
jedes  einzelnen  Falles  und  der  allgemeinen  Fragen  eine  sichere 
Basis  zu  gewinnen.  Grosse  Schwierigkeiten  bereitete  hier,  wie 
bei  aller  Arbeit  auf  diesem  unwirtlichen  Gebiete,  die  Schwer- 
zugänglichkeit  und  Zerstreutheit  des  Materials.  Ein  verschwin- 
dend kleiner  Teil  der  Lieder  liegt  in  Ausgaben  vor,  die  auf  alle 
Fragen  der  Kritik  Antwort  erteilen.  Die  grosse  Ausgabe  von 
Pitra  bietet  wegen  der  beispiellosen  Flüchtigkeit  des  Apparats 
und  der  ebenso  beispiellosen  Willkür  tiefgreifender  Korrekturen 
für  die  Untersuchung  eine  äusserst  mangelhafte  Stütze.  Der 
grösste  Teil  der  mit  vollständigen  oder  annähernd  vollständigen 
Akrostichen  ausgestatteten  Texte  ruht  noch  im  Staube  der 
alten  Pergamenthandschriften.  Aber  auch  für  die  meisten  der 
gedruckten   Lieder   kann   erst   durch    Beiziehung   früher   nicht 


tHe  Äkrostichis  in  der  griechischen  Kvrchenpoesie,  553 

benutzter  Handschriften  bezüglich  der  Akrostichis  wie  bezüg- 
lich anderer  Dinge  genügende  Sicherheit  erzielt  werden. 

Ich  entschloss  mich  daher,  als  Hauptbasis  der  Unter- 
suchung das  gesamte  mir  bis  jetzt  zugängliche  Handschriften- 
material  zu  wählen  und  den  bei  Pitra  gedruckten  Texten  nur 
insoweit  zu  vertrauen,  als  sie  durch  die  Handschriften  bestätigt 
werden.  Da  ich  von  den  reichhaltigsten  Codices  vollständige 
Abschriften  bezw.  Kollationen,  von  den  ärmeren  wenigstens 
Beschreibungen  oder  Proben  besitze,  so  dürften  wenige  bemerkens- 
werte Nachträge  aus  Hss  zu  erwarten  sein.  Das  in  den  er- 
wähnten Hss  gebotene  Material  habe  ich  ziemlich  vollständig 
beigezogen;  nur  von  den  Texten,  deren  Akrostichis  nichts  als 
ein  wertloses  Fragment  (z.  B.  alv,  rov,  aßy)  oder  ein  kurzes 
leeres  Wort  (z.  B.  cidiy)  enthält,  habe  ich,  um  die  Materialien- 
sammlung nicht  allzu  sehr  anzuschwellen,  eine  beträchtliche 
Anzahl  weggelassen. 

Aus  dem  dargelegten  Sachverhalt  ergab  sich  auch  die 
Notwendigkeit,  das  Beweismaterial  umständlicher  vorzulegen, 
als  es  bei  Untersuchungen  üblich  ist,  die  mit  gedruckten  Texten 
operieren.  Es  ist  für  jedes  Akrostichon  sowohl  die  Form  des 
Vermerks  in  der  Liedüberschrift  als  auch  die  vom  Texte  selbst 
gewährleistete  Form  mit  Angabe  der  Hss  und  der  Varianten 
notiert,  und  so  eine  kritische  Gesamtausgabe  der  Hymnenakro- 
sticha hergestellt  worden.  Nur  auf  solche  Weise  konnten  alle 
Einzelheiten  der  im  zweiten  Kapitel  folgenden  Untersuchung 
verständlich  gemacht  und  dem  Leser  die  Möglichkeit  zur  Kon- 
trolle und  zur  selbständigen  Beobachtung  geboten  werden. 

Ausser  den  für  die  Aufklärung  der  Akrostichonfragen 
unumgänglich  notwendigen  Notizen  habe  ich  im  ersten  Kapitel 
auch  einiges  aufgenommen,  was  für  das  Programm  in  seiner 
engsten  Begrenzung  vielleicht  vermisst  werden  konnte:  die  An- 
gabe des  Tages,  zu  dem  jedes  Lied  in  den  Hss  steht,  die  Initien 
der  Prooemien  und  der  ersten  Strophe  und  einige  Exkurse 
zur  Überlieferung  einzelner  Lieder.  Diese  Zusätze,  die  sich 
bequem  an  das  Gerippe  der  auf  die  Akrostichis  bezüglichen 
Notizen  anfügen  liessen,  sind  zwar  auch  für  die  schärfere  Be- 

37* 


554  K,  Krumhacher 

leuchtung  und  Kennzeichnung  des  fQr  die  Spezialuntersuchung 
dienenden  Materials  von  nutzen,  verfolgen  aber  doch  noch  mehr 
den  Zweck,  ein  vorläufiges  Bild  des  Gesamtbestandes  der  Hymnen- 
poesie und  ihrer  komplizierten  Überlieferung  zu  gewähren  und 
dadurch  den  Fachgenossen  das  Auffinden  neuer  Hss  und  die 
Identifizierung  einzelner  Lieder  oder  Fragmente  zu  erleichtem. 
Wie  wichtig  ein  solches  summarisches  Inventar  der  bis  jetzt 
bekannten  grösseren  Stücke  der  Hymnenpoesie  für  alle  weitere 
Forschung  ist,  habe  ich  an  den  Beschreibungen  von  Hss  ver- 
spürt, die  von  Papadopulos-Kerameus,  Vasiljev  u.  a.  ohne  eine 
derartige  Grundlage  gemacht  wurden. 

Eine  gewisse  Ungleichmässigkeit  in  der  Vorführung  des 
Materials  rührt  davon  her,  dass  ich  für  einen  Teil  der  Hss 
auf  Analysen  und  Auszüge  angewiesen  war,  die  von  Fachge- 
nossen ohne  Rücksicht  auf  den  besonderen  Zweck  der  vor- 
liegenden Untersuchung  und  ohne  Streben  nach  Konsequenz 
und  Vollständigkeit  hergestellt  worden  sind.  So  mag  ent- 
schuldigt werden,  dass  die  Folienangaben  bei  manchen  Liedern 
fehlen  und  dass  einzelne  Notizen  mit  störenden  Fragezeichen 
begleitet  werden  mussten. 

Dem  Materialienkapitel  und  der  Untersuchung  habe  ich 
die  kritische  Ausgabe  eines  Liedes  beigefügt,  um  die  hinsicht- 
lich der  Akrostichis  vorkommenden  Verwirrungen  und  die 
eminente  Wichtigkeit  einer  umfassenden  Betrachtung  der  Akro- 
sticha an  einem  konkreten  Beispiel  zu  veranschaulichen. 

Die  Akrosticha  der  Hymnen  stehen  durch  ihr  Alter,  ihre 
Mannigfaltigkeit  und  die  mit  ihnen  verbundenen  kritischen 
Fragen  im  Vordergrund  des  wissenschaftlichen  Interesses.  Zur 
Ergänzung  mUssten  auch  die  Kanones  und  die  übrigen  Lied- 
arten beigezogen  werden.  Dass  ich  diese  Ergänzung  nicht 
geben  konnte,  ist  durch  unüberwindliche  materielle  Schwierig- 
keiten verschuldet.  Wir  besitzen  für  die  Überlieferungsge- 
schichte dieser  späteren  Werke  so  gut  wie  keine  Vorarbeit; 
um  sie  in  ähnlicher  Weise  zu  behandeln  wie  die  Hymnen, 
bedürfte  es  vieljähriger  Sammelarbeit  in  den  Bibliotheken 
Europas   und   des  griechischen  Orients.     Ich  muss  mich  daher 


Die  Akrostichia  in  der  gnectUschen  Kirchenpoesie,  555 

begnügen,  bezüglich  der  Kanones  und  sonstigen  Eirchen- 
dichtungen  auf  die  allgemeinen  Tatsachen  zu  verweisen,  die 
aus  den  Texten  bei  Christ-Paranikas,  Anthologia  graeca  car- 
minum  christianoruni,  ersichtlich  und  in  meiner  Geschichte  der 
byzantinischen  Literatur^  S.  697  skizziert  sind.  Aus  dem  Ge- 
sagten erhellt  auch,  dass  der  Titel  der  Abhandlung  genau 
genommen  lauten  müsste:  „Die  Akrostichis  in  der  kirchlichen 
Hjmnenpoesie  der  Griechen*  oder  noch  genauer:  „Die  Akro-* 
stichis  in  den  sogenannten  Hymnen  der  griechischen  Kirche*. 
Doch  hat  mich  Fanatismus  für  Kürze  und  leichte  Zitierbar- 
keit  die  knappere  Fassung  wählen  lassen. 

Es  ist  mir  eine  willkommene  Pflicht,  auch  an  dieser  Stelle 
den  Herren  Alexander  Eumorphopulos,  Athos,  P.  N.  Papa- 
georgiu,  Saloniki,  A.  A.Vasiljev,  Petersburg,  und  J.  Sicken- 
b erger,  München,  zu  danken, "die  durch  freundliche  Herstellung 
Ton  Beschreibungen  von  Hss,  Exzerpten  und  Kollationen  die 
vorliegende  Arbeit  gefordert  haben.  Herrn  Sickenberger 
danke  ich  auch  für  den  freundlichen  Nachweis  der  Bibelstellen 
zum  Texte  im  dritten  Kapitel. 


556  JT.  Krumbacher 


Verzeichnis  der  Abkürzungen. 

I.  Codices. 

1.  Haupthandschriften  d.h.  sogenannte  Eondakarien  (das 
Tropologion  und  Triodion  oder  eines  der  zwei  BQcher  enthaltend). 

A  —  AthousBatopediu  (Signatur  unbekannt),  saec.  X— XI.  285Bl&tter. 
Mir  nur  bekannt  durch  die  Analyse  von  A.  Papadopulos-Kerameus, 
B.  Z.  6  (1897)  375-380. 

B  —  Athous  Laurae  r"27,  saec.  X  ex.  (nach  Papadopulos;  saec.  XI 
nach  Papageorgiu)  102  Blätter.  Mir  nur  bekannt  durch  die  knappe 
Analyse  von  A.  Papadopulos-Kerameus,  B.  Z.  6  (1897)  380-383,  und 
durch  eine  sehr  ausführliche  ungedruckte  Beschreibung,  die  P.  N. 
Papageorgiu,  Saloniki,  im  Jahre  1900  für  mich  angefertigt  hat. 

G  —  Corsinianus  366,  saec.  XI,  163  Blätter.  In  Grotta  Ferrata  ge- 
schrieben. Vgl.  Pitra,  An.  Sacra  I  S.  663  ff.  Von  mir  vollständig 
kollationiert  bezw.  abgeschrieben. 

D  —  Athous  Laurae  /*'  28,  saec.  XI,  230  Blätter.  Mir  nur  bekannt 
durch  eine  ausführliche  Beschreibung,  die  der  Lauramönch  Alexander 
Eumorphopulos  im  Jahre  1902  für  mich  angefertigt  hat.  Ober  die 
zwei  Laura-hss  vgl.  auch  'ExxXrjotaauxrf  'AX^^eta  12  (1892)  No.  32  f., 
und  B.  Z.  2  (1893)  604  f. 

F  —  Sinaiticus  698,  saec.  XIV,  316  Blätter.  Enthält  u.  a.  ein  sehr 
stark  verkürztes  Tropologion  und  Triodion. 

G  —  Sinaiticus  925,  saec.  X,  118  Blätter. 
H  —  Sinaiticus  926,  saec.  XI,  115  Blätter. 
J  —  Sinaiticus  927,  saec.  XIV,  335  Blätter. 

K  -  Sinaiticus  928,  saec.  XIV,  95  Blätter.  F,  G,  H,  J,  K  sind  mir 
nur  bekannt  durch  eine  teils  ausführliche,  teils  summarische  Be- 
schreibung, die  A.  A.  Vasiljev,  Petersburg,  im  Jahre  1902  für  mich 
hergestellt  hat.  Die  Altersbestimmungen  stammen  aus  dem  Katalog 
der  Sinai-hss  von  Gardthausen. 

M  —  Mosquensis  Synod.  437,  saec.  XII,  328  Blätter  (aus  dem  Athos- 
kloster  Batopedi  stammend).  Teilweise  ediert  und  facsimiliert  von 
AmfilochiJ  (s.  u.).  Das  übrige  von  mir  kollationiert  bezw.  abge- 
schrieben. 

N  —  Messinen sis  157,  saec.  XII  ex.,  126  Blätter.  Stark  verkürztes 
Tropologion.     Von  mir  teilweise  verglichen. 


Die  Äkrostichis  in  der  grieehiaehen  Kirchenpoesie,  557 

P  —  Patmiacus  212,  saec.  XI,   288  Blätter.    Von  mir  in  Patmos  im 

Jahre  1885  vollständig  abgeschrieben  bezw.  verglichen. 
Q  —  Patmiacus  213,  saec.  XI,   153  Blätter.     Von  mir  in   Patmos   im 

Jahre  1885  vollständig  abgeschrieben  'bezw.  verglichen. 
;r  —  Taurinensis  B.  IV.  34,  saec.  XI,  194  Blätter.    Von  mir  i.  J.  1886 
'"         vollständig  verglichen  bezw.  abgeschrieben.   Nun  vermutlich  durch 

den  Brand  in  der  Turin  er  Universitätsbibliothek  am  26.  Januar  1904 

vernichtet. 

V  —  Vindobonensis  suppl.  gr.  96,  saec. XII,  wahrscheinlich  in  Grotta- 
/         ferrata  geschrieben,  173  Blätter.    Von  mir  im  Winter  1898/99  ver- 

""       glichen  bezw.  abgeschrieben. 

2.  Sekundärhandschriften  d.h.  Hss,  die  nicht  das  alte  Tropo- 
logion  oder  Triodion,  sondern  nur  einzelne  Hymnen  oder  Fragmente  im 
Zusammenhange  späterer  liturgischer  Bücher  bewahren. 

a  —  Crypt.  A.  6,  6.    Enthält  das  Lied  Hypapante,  Pitra  S.  28  ff. 

b  —  Crypt.  A.  a.  1.   Geburt  Mariae  und  Symeon  Stylites,  Pitra  8. 198  ff., 

210  ff. 
c  —  Crypt.  J.  a.  6.   Theophanie  und  Taufe  Christi,  Pitra  S.  16 ff.,  23  ff. 
d  —  Crypt.  A.  a.  III.    Kosmas  und  Damian,  Pitra  S.  218  ff. 
e  —  Crypt.  J.  d.  ITI  (neue  Signatur:  T.  a.  25).    Totenlied,  Pitra  S.  44ff. 
f  —  Crypt.  A.  d.  ^  (neue  Signatur:  E.  d,  A).     Totenlied,   Pitra  S.  44ff. 
g  —  Crypt.  XVIII  (?).     Stichera,  Pitra  S.  222  ff. 
'k  —  Mosqu.  153.    Hypapante,  Pitra  S.  28ff. 
1  —  Vallicell.  E.  54.     Stichera,  Pitra  S.  222  ff. 
m  —  Vatic.  1212.    Theophanie  und  Stichera,  Pitra  S.  16  ff.,  222  ff. 
n  —  Vatic.  1515  (?).     Stichera,  Pitra  S.  222  ff. 
o  —  Vatic.  1531.     Stichera,  Pitra  S.  222  ff. 
p  —  Vatic.  1829.     Geburt  Mariae,  Pitra  S.  198  ff. 
q  —  Vatic.  1836.    Totenlied,  Pitra  S.  44 ff. 
r  -  Vatic.  1969.     Totenlied,  Piti-a  S.  44 ff. 
^s  —  Vatic.  2008.    Theophanie  und  Hypapante,  Pitra  S.  16  ff.,  28  ff. 
t  —  Vatic.  2072.     Orestes,  Sabas  der  Jüngere,  Pitra  S.  300  ff. 
t*  -  Vatic.  reg.  54(?).     Stichera,  Pitra  S.  222  ff. 
u  —  Vatic.  reg.  II  68.    Theophanie,  Pitra  S.  16  ff. 

V  —  Venet.  553.     Totenlied,  Pitra  S.  44  ff. 
w  —  Venet.  II  138.     Totenlied,  Pitra  S.  44 ff. 

X  -   Vindob.  theol.  33.     Der  hl.  Johannes  der  Täufer,  Pitra  S.  178  ff. 

Bezüglich  der  wahren  Signatur  einiger  Cryptenses  und  Vaticani, 
die  ich  nach  Pitra  angeführt  habe,  herrschen  Zweifel,  die  ich  demnächst 
durch  neue  Nachforschungen  an  Ort  und  Stelle  zu  lösen  hoffe.  Einige 
Stücke  der  Cryptenses  und  Vaticani  hat  Professor  J.  Sickenberger, 
München,  für  mich  verglichen. 


558  K.  Krumbaeher 

IL  Druckwerke. 

Amfilochij,  Facsimileband  —  Archimandrit  Amfiloch^,  Snimki  iz 
kondakarija  XII—XIII  .yjeka,  Moskau  1879. 

Amfilochij^Teztband—  Arcbimandrit  Amfilochij,  Kondakarij  t  greces- 
kom  podlinnikje  XLl— XIII  v.  po  rukopisi  Moskovskoj  sjnodaljnoj 
biblioteki  No.  437,  Moskau  1879. 

Krumbacher,  Romanos  und  Kjriakos  —  E.  Kr.,  R.  u.  K.,  Sitzungs- 
berichte der  philos.-philol.  und  der  bist.  Glasse  d.  K.  Bayer.  Akad. 
d.  Wiss.  1901  S.  693  ff. 

Krumbacher,  Studien  —  K.  Kr.,  Studien  zu  Romanos,  Ebenda  1896, 
Band  II  S.  69  ff. 

Krumbacher,  Umarb.  —  K.  Kr.,  Umarbeitungen  bei  Romanos, 
Ebenda  1899,  Band  II  S.  1  ff. 

Nilles  —  Nie.  Nilles,  Kalendarium  Manuale,  2  tomi,  Oenipontae  1896 
—1897. 

Papadopulos-Kerameus  —  Papadopulos-Kerameus,  'A^a^vtxa  xor- 
daxaglcov  dvx{ygaq>a,  Byz.  Zeitschr.  6  (1897)  S.  375  ff. 

Pitra  —  J.  B.  Pitra,  Analecta  Sacra  spicilegio  Solesmensi  parata,  Tom.  I, 
Parisiis  1876. 

Pitra,  Jubiläum 8 gäbe  —  J.  B.  Pitra,  Sanctus  Romanus  yetenim  melo- 
dorum  princeps.  Cantica  sacra  etc.  edidit  J.  B.  cardinalis  Pitra. 
Anno  Jubilaei  Pontificii  (1888). 

Sergij  -  nOJIHLIÜ  M'LCaUECJIOB'L  BOCTTOKA.  APXIIMAH,JIPHTA 
CEPrifl.    2  T.    Moskau  1875-1876. 


Die  Ahrostichui  in  der  grieehischen  Kirchenpoesie.  559 


Erstes  Kapitel;  Material. 
L  Die  Akrostichis  bei  Romanos. 


A.  Edierte  Lieder  des  Romanos.        ^   r.  ..  >n  \    ^ 


Ol  O 


1.  Die  hl.  Nacht.   L  Lied.    Pitra  S.  1—11.       ^  "  -^.^  .'::,)(X^^ 
Überschrift:  q)eQov  äxQoaxixiio.  ri^vde  (rrjvde  fehlt  C  VJ)' 

Tov  raTieivov  ^cofxavov  6  (d  fehlt  BCVD)  v/iro?  PBCVDJJtfT. 
Text:  ebenso  d.  h.  die  Strophe  für  6  fehlt  in  BCVD. 
Prooemion:  'H  Ttag'&ivog. 
Strophe  a:  Triv  *Edkfi, 

Die  in  BCVD  fehlende  Strophe  für  6  enthält  die  wichtige 
Mitteilung  der  Magier  über  den  Stern  und  die  Hoffnung,  die 
ihnen  als  Führer  gedient  haben,  und  ist  um  so  unentbehrlicher, 
als  ohne  sie  der  aufklärende  Bericht  der  Magier  an  die  vor- 
nehmen Juden  ganz  dürftig  (auf  eine  halbe  Strophe  beschränkt) 
wäre.  Es  ist  also  wohl  sicher  Ausfall  der  durch  die  Akro- 
stichis nicht  genügend  geschützten  Strophe  in  B  D  und  in  der 
italischen  Redaktion  anzunehmen.  Keine  nähere  Angabe  be- 
sitze ich  über  G  fol.  48^—51'. 

2.  Der  hl.  Stephan.  27.  Dezember.  I.  Lied.  Pitra 
S.  12-16. 

Überschrift:  nolrj/ia  ^oyfxavov  C  (fehlt  V). 
Text:  TovxaovoQoyfA  CV. 
Prooemion:  7V/v  t&v  &v6fjL(ov, 
Strophe  a':  Tov  jiQOixofidQTVQoq. 

Der  Vermerk  in  der  Überschrift,  der  in  V  fehlt,  ist  auch 
in  C  nicht  in  der  üblichen  Weise  (durch  q^igov  dxQoarixtda) 


560  Ä.  Krumbadter 

eingeführt;  der  Schreiber  wollte  nur  notieren,  dass  das  Lied 
dem  Romanos  gehöre,  gab  aber  die  Akrostichis  nicht  an,  da 
er  nur  ein  Bruchstück  vor  sich  hatte.  Woher  er  den  Dichter- 
namen kannte,  wissen  wir  nicht;  vielleicht  erschloss  er  ihn 
einfach  aus  dem  fragmentarischen  Akrostichon  selbst,  obschon 
auch  denkbar  ist,  dass  die  Notiz  aus  einer  Hs  stammt,  in  der 
das  Gedicht  noch  vollständig  war.  Das  erhaltene  Akrostichon 
nun  passt  in  keine  der  üblichen  Formeln;  auch  ist  bei  der  in 
CV  gebotenen  Anordnung  der  Strophen  der  inhaltliche  Zu- 
sammenhang gestört;  die  Episode  über  Saulus-Paulus  ist  aus- 
einander gerissen.  Pitra  hat  die  Strophen  über  Saulus-Paulus 
mit  Recht  vereinigt  und  die  Strophe  über  den  Tod  des  hl.  Ste- 
phanus  an  den  Schluss  gesetzt,  so  dass  er  die  Buchstabenfolge 
TovTOQOj^aov  erhält.  In  Wahrheit  wird  aber  die  Strophe 
''Ayiog^  die  er  nach  der  Gruppe  gcofi  setzte,  den  Schluss  des 
Liedes  gebildet  haben ;  denn  sie  enthält  eines  der  persönlichen 
Gebete,  wie  sie  in  den  Epilogen  des  Romanos  häufig  sind. 
Mithin  wird  Pitras  Vermutung,  die  Akrostichis  habe  Tov 
Tajieivov  'PcDjuavov  gelautet,  nicht  das  Richtige  treffen.  Sie 
hiess  wohl:  Tovxo  'Pü}/jL{av)ov  {xö  7ioirjjii)a.  Es  sind  also  von 
20  Strophen  9  verloren  gegangen.  Die  Hoffnung,  diese  Lücken 
durch  die  Athos-  oder  Sinai-hss  ergänzen  zu  können,  hat  sich 
leider  nicht  erfüllt.  Das  Lied  fehlt  auch  in  ABDFGHJK. 
Man  sieht  an  diesem  Beispiele,  welche  Raritäten  bei  allen  ihren 
sonstigen  Mängeln  die  italische  Redaktion  birgt. 

^         3.   Der  hl.   Stephan.    II.  Lied.    Pitra  S.  332  f.   edierte 
drei  Strophen   mit   dem  Prooemion   aus   T   unter   dem  Autor- 
naraen  Cuculus.     Ein  Dichter   dieses   Namens   existiert    aber 
nicht;    was  Pitra   in  T   als    „xö  KovxovXov  IdidjbieXov*  gelesen 
hat,  heisst  vielmehr:  xd  xovxovliov  IdiöfieJiov.    In  P  fehlt  diese 
Notiz.    Zwei  andere  Beispiele  des  seltenen  Ausdrucks  xovxovltor: 
In  P  fol.  127^  steht   am  Rande  zum  zweiten  Prooemion  eines 
anonymen  Liedes  Eig  xijv  ovva^iv  xfjg  OeoxSxov  die  Notiz:  äkXo 
xovxovliov.     In   D    ist    in   der   Überschrift   eines   Liedes  zum 
26.  September   bemerkt:    to   xoifxovXiov   lÖto^iskov.   —  Später 
edierte  Pitra,   Jubiläumsgabe  S.  1 — 10   das  ganze  Lied  aus  P 


Die  Akrostichis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  561 

fol.  129''— 132';  nur  das  Prooeraion,  das  sowohl  in  T  als  in  P 
steht,  ist  hier,  wohl  durch  ein  Versehen,  weggeblieben. 

Überschrift:  q)iQOV  äxQooxixida  rrfvÖB,  xov  xaneivov 
§Q>fiavov  P. 

Text:  ebenso  {xanEivov^^  P. 

Prooemion:  ÜQ&xog  iandQrjg. 

Strophe  a:  Tov  JtaQadeioov, 

4.  Theophanie.    6.  Januar.    Pitra  S.  16 — 23. 
Überschrift:  (pigov  (q>igei?  D)  äxgoaxixida  xrjvdB  {xyjv&e 

fehlt  C).  xov  xaneivov  ^(Oßiavov  PACDGJMT:  t)  äxgooxixk- 
xov  TOJUivov  (so)  QWßJiavov  B:  der  Anfang  des  Liedes  fehlt  V. 

Text:  ebenso  (xaneivov)  PBCDQJMT  (vermutlich  auch  A). 

Prooemion:  'Ene(pävrjg. 

Strophe  a:  Tfj  Faldalq^, 

5.  Adam  (Christi  Taufe).  7.  Jan.  I.Lied.   Pitra  S.  23— 27. 
Überschrift:   <pigov  äxgoaxixida  xrjvde  {xrivie  fehlt  CV). 

xov  xaneivov  gcoßiavov  PCV:  ij  äxgoaxixig  xov  xaneivov  ^co- 
fxavov  (so)  B. 

Text:  ebenso  {xaneivov\)  PB  V:  nur  Strophe  1 — 3,  18  C* 

Prooemion:  Triv  ocojuaxixrjv  aov, 

Strophe  a:  Tcß  xvcpkoy^hxi, 

6.  Mariae  Lichtmess.  2.  Februar.  Pitra  S.  28 — 35. 
Krumbacher,  Studien  S.  184—201. 

Überschrift:  q>£gov  {<pegei  D)  äxgoaxixida  xi^vde  (xi^vde 
fehlt  ACV).  rovTo  gwfAavov  x6  Snog  PACVDGJ:  cpegcov  äxgo- 
axixida xrjvde  (fi  äxgooxixk  B).  xov  xaneivov  ga}fiavov  xd  inog 
BM:  (pigov  äxgoaxixida  xi^vde.  xov  goyfiavov  x6  Snog  T. 

Text:  Toöro  §(o/jiavov  x6  inog  PBCVDMT  (wohl  auch 
AG):  keine  Angabe  über  J. 

Hier  bieten  also  BMT  eine  mit  dem  Texte  nicht  über- 
einstimmende Überschrift. 

Prooemion  I:  Xogog  äyyeXixög, 

Prooemion  II:  'O  odgxa  dC  fjfAäg, 

Prooemion  III:  'O  fujxgav. 

Strophe  a:  Tfj  deoxoxqy. 


'^ 


562  K.  Krumbadter 


/ 


7.  Der  jüngste  Tag.  Kvgiaxrj  rijg  'Ajiöxqeco,  Pitra 
S.  35—43.    Krumbacher,  Studien  S.  163—183. 

Überschrift:  (pigov  AxQoaTixlf^CL  ti^vde  (rijvde  fehlt  CV) 
Tov  xcLTiEivov  Q(Ofiavov  TO  Sjiog  CVDM:  ij  äxQoauxk'  tov  ra- 
neivov  Q.  r.  1*.  B :  in  Q  ist  der  Anfang  des  Liedes  ausgefallen : 
in  GJT  fehlt  der  Vermerk,  der  keinen  Sinn  hätte,  da  hier 
nur  wenige  Strophen  des  Liedes  stehen. 

Text:  ebenso  Q  (doch  erst  von  -jaavov  an)  ABC  (doch 
fehlen  in  C  die  zwei  letzten  Strophen  -og)  VDM:  rov  rajisi 
6:  ov  zajiei  J:  rov  ran  T.  Die  Strophe  E  vor  -ivov  ist  also, 
von  den  Lücken  in  QT  abgesehen,  einstimmig  überliefert;  sie 
fügt  sich  ausserdem  nicht  bloss  trefflich  in  den  Zusammenhang, 
sondern  beruht  auch,  wie  die  meisten  übrigen  Teile  des  Liedes, 
auf  Ephrems  Homilie  Elg  ttjv  devrigav  naqovolav.  Das  hat 
uns  der  mitten  aus  einer  vielversprechenden  Tätigkeit  ent- 
rissene Dr.  Th.  Wehofer  in  seiner  als  Manuskript  gedruckten 
Studie  „Untersuchungen  über  die  Apokalypse  des  Romanos** 
S.  75  ff.  nachgewiesen.  Unbenutzt  ist  für  den  Text  noch  A 
fol.  206^-211^  B  fol.  67'-7P,  D,  G  fol.  74^-76^ 

Prooemion:  ^Oxav  eX^g, 

Strophe  a:  Td  (poßegöv  oov, 

8.  Requiemlied.  Z&ßßarov  xrlg  Tvgoq>äyov.  Pitra  S.  44 
bis  52  (nach  5  Hss).  Ohne  Kenntnis  dieser  Ausgabe  und  des 
Druckes  in  griechischen  Euchologien  (vgl.  Papadopulos-Kera- 
meus  B.  Z.  II  605)  ed.  das  Lied,  wohl  aus  Codex  B,  Alex. 
Eumorphopulos,  'ExxXrjo.  'AXij^eia  12  (1892)  Nr.  32  S.  262 
bis  264.  Die  Überlieferungsverhältnisse  dieses  später  vielfach 
umgearbeiteten  Liedes  sind  ungemein  verwickelt.  Ich  notiere 
nur  das  für  unseren  Zweck  wichtige  Material  aus  einigen  Hss: 

Überschrift:  ^  äxgoorixk  {(pigov  äxgoaxixtda  q:  Sxovra 
[sc.  xovrdxia]  äxgooiixida  r)  xov  xaneivov  ^(Ojnavov  6  (6  fehlt 
q  r)  yjakjüLÖg  ovxog  Q  q  r:  (pigov  dxgoaxixlSa.  xov  xaTieivov  ^co- 
juavov  (aus  Platzmangel  nicht  vollständig)  V:  c&v  ^  äxgooxixig 
{xovddxiov  €xo)v  dxgoaxixida  f)  tov  xaneivov  §ojfiavov  y^ak/Liog 
y     fvw:   (pegov  dxgoaxixida  xi/jvöe.    xov  xaneivov  gco/navoi}  y^aX/iog 


Die  Ährastkhis  in  der  griechischen  Kirchenpoeeie,  563 

oßiov  xd'    (=  zusammen   24  Strophen)   M:   Überschrift   felilt 
B(?)ke:  keine  Angabe  über  A. 

Text:  Tov  xcuieivov  §(o/iavov  6  (6  fehlt  q)  ipaXfxbg  ovros 
Q  q:  TOV  TOTtivov  (für  E  vor  -ivov  leerer  Kaum  von  5  Zeilen  V) 
^u)/jtavov  (nach  gcojuavov  ein  0  und  2  leere  Zeilen  am  Seiten- 
schluss  V)  rpaXjAbq  ovrog  Vkr:  tov  Taneirov  (xanivov  Mwf 
[in  f  ist  das  Fehlen  der  Strophe  E  am  oberen  Rande  durch 
die  Notiz  it'*  e  bemerkt]:  xanvov  B)  Qoyfxavov  ipaXfidg  ABM 
vwf:  TOV  Tantvov  ^co/i  e. 

Die  Hss  zerfallen  in  eine  Klasse  mit  dem  Worte  ovTog 
am  Schlüsse,  also  mit  29  bezw.  28  Strophen  (in  Q  30  durch 
den  Artikel  6  vor  tpaXjudg)  und  eine  verkürzte  ohne  das  Wort 
oi^Toc  mit  24  bezw.  23  Strophen.  Die  Form  Taneivov  ist  in 
beiden  Klassen  vertreten,  in  der  ersten  durch  Q  q,  in  der 
zweiten  durch  Av,  die  Form  Tamvov  in  der  ersten  durch  Vkr, 
in  der  zweiten  durch  Mwf,  ausserdem  durch  den  verstümmelten 
e;  in  B  fehlt  die  ganze  Gruppe  EI.  Über  sonstige  Abwei- 
chungen der  Hss  (Umarbeitung  und  Umstellung  ganzer  Strophen 
u.  s.  w.)  könnte  nur  auf  Grund  einer  neuen  kritischen  Ausgabe 
des  Liedes  gehandelt  werden. 

Prooemion:  'Qg  äyanr^Ta, 

(Statt  dessen  in  Q  die  zwei  Prooemien: 

Ol  ix  TOV  ßiov 
'iig  evaeßelag), 

Strophe  a:  Tolg  tov  ßiov  TeQnvoTg. 

9.   Triumph  des  Kreuzes.   Charfreitag.   Pitra  S.  53— 60. 

Überschrift  :  tfigov  äxQoaTixlda  Trjvde.  tov  Tajieivov 
Qco/navov  Q :  Jioirjßjia  Qcojuavov  C :  tov  Taneivov  Qcojuavov  V :  rj 
äxQoaTixig'  tov  Toneivov  QWfxavov  M. 

Text:  TOV  Tajieivov  ^cojuavov  (18  Str.)  QCVM. 

Prooemion  I:   Ovxeri  (ploylvrj, 
Prooemion  II :  'Qg  äXtj§a)g. 
Prooemion  ni :  Tä  ovQavia. 
Strophe  a\  TQsig  oTavgovg. 


564  K,  Krumbacher 

10.   Palmsonntag.    Pitra  S.  61 — 67. 

Überschrift:  (psQov  äxQoaxixlda  ii^vde  (xi^vde  fehlt  ACVD) 
etg  td  ßd'Ca  §a>fiavov  {gco/uLdvov  C)  QACVD:  ^  dxQoorixk  eh 
xd  ßd'ia  Qcofiavov  G:  qpegov  dxgoOTtxida  Jijvde.  elg  xd  ßdXa  M: 
Vermerk  fehlt  T. 

Text:  elg  xd  ßdia  ^wfiavov  QACV:  Strophe  13  (a)  fehlt 
M:  Strophen  10-15  fehlen  DT:  Str.  6—16  fehlen  G. 

Prooemion  I :  Merd  xXd6(üv, 
Prooemion  II:  T(p  ^görcp, 
Strophe  a:  ^Eneid^  ^Aidrjv. 

^11.    Der    keusche   Joseph.     Montag    der    Osterwoche. 
IL  Lied.    Pitra  S.  67—77.    VgL  Krumbacher,  Studien  S.217f. 

Überschrift:  ov  ^  dxgoaxixk-  etg  xdv  i(oai](p  ^(Oßavov 
&iog  Q:  xovddxiov  elg  xdv  oaxpgova  Icoorjip.  nXdyiog  d\  ^a>/i** 
(also  ohne  eigentlichen  Akrostichon  vermerk)  C:  (pegov  äxgo- 
axiyjda.  elg  xdv  Icoorjq)  ^cojuavov  V. 

Text:  elg  xov  icoo7](p  ^cojuavov  Inog  (inog  fehlt  CV)QCV. 

Es  ist  also  in  CV  das  Lied  um  das  letzte  Wort  der 
Akrostichis  verkürzt,    ähnlich    wie   in   einigen  Hss  bei   Nr.  8. 

Prooemion  I:  'AxoXaoia, 
Prooemion  II:    Ol  x6  oxddiov. 
Prooemion  III:  Tovg  xd  nd&og, 
Strophe  a:  ''Exovxeg  ßaadia. 

/  yl2.    Der  keusche  Joseph.    UI.  Lied.    Pitra,  Jubiläums- 
galbe  S.  11—30.    Krumbacher,  Studien  S.  105-162. 

Überschrift:  (pegov  dxgooxixida  xrjvde.  dXq>dßrjxov  g(o- 
fiavov  Q. 

Text:  a  ßy  öel^ri'&ixXnv^OTigaxv  (p%y)  (D  dXq)dßr]xov 
gcDjLiavov  (40  Strophen)  Q. 

Der  Begriff  Alphabet  ist  also  auffalligerweise  ■  im  Texte 
zweimal  akrostichisch  ausgedrückt. 

Prooemion:  'O  'Icoaxcoß  xcp  xixibvi. 
Strophe  a\  ^AvxXrjocofJiev. 


Die  Äkrostichia  in  der  ffrieehischen  Kirchenpoesie,  565 

>    13.   Die   zehn  Jungfrauen.    Dienstag  der  Osfcerwoche. 
IL  Lied.    Pitra  S.  77-85.    Krumbacher,  ümarb.  S.  45—70. 

Überschrift:  (pigov  äxQoorix^da  Trjvde'  rov  xaneivov  ^o)- 
fiavov  xovjo  10  no(f]fia  Q:  tpeQov  äxgooTixlda,  rov  raneivov 
gojjuavov  (bdrj  V :  der  Vermerk  fehlt  in  C  (Pitras  Notiz  beruht 
auf  Irrtum),  ebenso  in  MT,  die  nur  einen  kleinen  Teil  des 
Liedes  bewahren. 

Text:  Tov  xaneivov  ^co/iiavov  tovro  to  Tioirifia  Q:  rov 
xaneivov  ^co/iiavov  (bdij  a  (wohl  =  a  d.  h.  ngcbirj)  CV:  nur 
einige  Strophen  sind  erhalten  in  MT.  Pitra,  dessen  Ausgabe 
auf  C  beruht,  hat  in  der  8.  Strophe  des  Codex,  die  das  E  (in 
TOTieivov)  vertritt,  das  erste  Wort  Etde  in  13«  geändert  und 
die  Strophe  an  den  Schluss  des  Liedes  verwiesen;  so  erhält 
sein  Text  die  Akrostichis:  tov  xamvov  Q<ofiavov  (bdrj  ai,  wo- 
bei das  i  unerklärlich  ist.  Näheres  über  die  ausserordentlich 
verwickelte  Überlieferung  dieses  Liedes  bei  Krumbacher,  ümarb. 
S.  13  ff.,  über  die  Gruppe  ei  in  xojieivov  S.  29. 

Prooemion  I:  T6v  wjAcpiov. 

Prooemion  II:  'O  vv/Kplog. 

Strophe  a:  Trjg  Ugäg. 

14.  Die  zehn  Jungfrauen.  I.  Lied.  Pitra,  Jubiläums- 
gabe S.  31—41.     Krumbacher,  TJmarb.  S.  99—111. 

Überschrift:   ov  ^  äxQOoxixk-  xov  xaneivov  ^cüjnavov  Q. 
Text:  ebenso  (18  Str.)  Q. 
Prooemion:  Aa/urndda. 
Strophe  a:  Ti  ^a^vfxeig. 

15.  Die  Buhlerin.  Mittwoch  der  Osterwoche.  Pitra 
S.  85-92. 

Überschrift:  q^egov  dxQOOxixi^o.  xi^vde  (xijvde  fehlt  CV). 
rov  xaneivov  ^wjnavov  QCV. 

Text:  ebenso  (18  Str.)  QCV. 
Prooemion  I:  '0  nÖQvrjv. 
Prooemion  II:  Kaxi^ovoa, 
Strophe  a:  Tä  ^rj/iaxa. 


566  K,  Krumbacher 

^^16.  Judas.  Gründonnerstag.  Pitra  S.  92—100,  Krum- 
bacher,  Romanos  und  Kyriakos  S.  736 — 752. 

Überschrift:  tpeQov  äxQooiixlda  x^vde  (rrjvde  fehlt  C:  q^sQov 
äxQooxijiiid  xrjvde  fehlt  V)  xov  taneivov  ^cojuavov  Jioirjßw.  QCV. 

Text:  xov  rantvov  §(Ofiavov  Ttoirffia  (23  Str.)  QCV.  Doch 
sind  in  C  7,  in  y  5  Zeilen  für  die  vermisste  Strophe  mit  E 
freigelassen ;  in  Q  schliesst  sich  die  Strophe  mit  /  ohne  Zwischen- 
raum an  die  mit  77  an. 

Prooemion  I:  Iläxeg  inovQdvie. 

Prooemion  II:  Aeanöxov  ;|^e^ai. 

Strophe  a  :   Tig  dxovoag, 

17.  Maria  beim  Kreuze.  Gharfreitag.  Pitra  S.  101 — 107. 
Neue  Ausgabe  im  dritten  Kapitel  dieser  Abhandlung. 

Überschrift:  (pegov  {(peg^  T)  dxgooxixlda  xi^vde  (xT^vde 
fehlt  ACVT)  (rj  äxQoaxixlg  Ö)  xov  xaTzeivov  Qcojbiavov  QAC 
VGMT:  fehlt  B. 

Text:  xov  xaneivov  Qcofxavov  (18  Str.)  QM:  xov  xamvov 
QOifxavov  (17  Str.)  BC  VT:  xov  xajiei  G:  keine  Angabe  über  A. 
In  C  sind  7,  in  V  6  Zeilen  für  die  Strophe  mit  E  freigelassen ; 
in  BT  ist  keine  Lücke  angedeutet. 

Prooemion :  Tor  dt*  fifxäg. 

Strophe  a  :  Tbv  Xdiov  ägva. 

//  18.  Petri  Verleugnung.  Gründonnerstag.  Pitra  S.  107 
—116.    Krumbacher,  Studien  S.  114—134. 

Überschrift:  (pagov  äxgooxixida  xrjvde  (xi^vöe  fehlt  C  V) 
xov  xoTieivov  Qü)/iiavou  alvog  QCV. 

Text:  xov  xamvov  QOjfxavov  alvog  g  (so)  Q  (die  zweite 
Strophe  für  H  dient  für  den  bestimmten  Zweck  einer  Tauf- 
feier): xov  xamvov  Qojjuavov  alvog  CV,  wo  also  die  zweite 
Strophe  mit  H  fehlt.  In  allen  drei  Hss  xamvov  und  zwar 
ohne  Andeutung  einer  Lücke. 

Prooemion  I:  '0  noifxriv. 

Prooemion  II:  Tcjv  (poßsQOJv. 

Prooemion  III:  ^'AXXog  ßv&dg. 

Strophe  a:  Tbv  vovv  ävvxpcoocoixev. 


Die  ÄhrosUekia  in  der  griecfUschen  Kirchenpoesie.  567 

19.  Die  Passion.    Gharfreitag.    Pitra  S.  116—124. 

Überschrift:  q)iQav  ängoorixlda  ttjvde  (ri^vde  fehlt  C). 
elg  z6  nd&og  yfaXfibg  §(OfJiavov  {j^wfxdvov  C)  QC:  etg  x6  nd&og 
ipaijudg  Q''  y  (aus  Mangel  an  Raum  in  der  Zeile  verkürzt). 

Text:   eis  t6  nd&og  tpaXfidg   ^(Ofiavov   QCY  (in  Q  sind 
einige  Initialen  durch  Zerstörung  des  Blattrandes  ausgefallen). 
Prooemion  I:  ZrifUQov  hagdtrero  (nur  in  Q). 
Prooemion  11:  Tfjg  ?;u^^oc. 
Strophe  a:  "Exaxrj&i. 

20.  Ostersonntag.    Pitra  S.  124—140. 

Überschrift:  <peQov  {npigei  (?)  B)  äxQoouxida  QpiQ^ 

[zerstörter  Blattrand]  Q)  Ji^vde  {ri^vde  fehlt  BOY)  tov  joneivov 
^(OfAavov  {qcofidvov  B)  6  {6  fehlt  QABMT)  xpakfAÖg  Q  ABC  V 
MT:  fehlt  GJ. 

Text:  TOV  xaneivov  ^(Ofiavov  y)aXjiwg  QBCVJMT  (wohl 
auch  A):  rov  xajieivov  G. 

Der  Zusatz  des  Artikels  6  in  der  Überschrift  CY  beruht 
auf  einem  Yersehen  des  italischen  Archetypus. 

Prooemion  I:  El  xal  h  jd<pq), 

Prooemion  11:  KaxaXaßovoai  (nur  in  CY). 

Strophe  a:  Tdv  nqb  ^Uov. 

21.  Der  hl.  Thomas.  Weisser  Sonntag.   Pitra  S.  140— 147. 

Überschrift:  tpigov  ixQoatixtda  rijvde  {ri^vös  fehlt  Y). 
TOV  TOTieivov  §a}fw.vov  QY:  notrifxa  ^cojLiavov  C:  fehlt  M. 

Text:  TOV  Toneivov  ^co/iawov  (so)  Q:  tov  Taneivov  ^co- 
fjiavov  CY:  tov  TOJieivov  M  (die  letzten  7  Strophen  fehlen): 
nur  6  Strophen  in  GJ:  keine  nähere  Angabe  über  A. 

Also  durchwegs  tojisivov.  Neu  ist  die  Schreibung  §o)/iawov 
in  Q.  Die  zweite  Strophe  mit  N  ist  identisch  mit  der  in  CY 
{Nai,  <pddv&Q(on€);  die  erste,  in  CY  fehlende,  beginnt  mit: 
Nvv  olv  dioTtoTü  und  enthält  Worte  des  Thomas.  Yermutlich 
haben  wir  in  der  Doppelung  des  N  die  Spur  einer  Umarbeitung 
des  Liedes  zu  erblicken,  bei  der  durch  Yersehen  des  Kopisten 
auch  die  unterdrückte  Strophe  in  den  Text  kam.    Auch  sonst 

1908.  SiUgsb.  d.  pbUoa..phUo].  n.  d.  hiit  KL  38 


568  £.  Krumhaeher 

ist  der  Text  des  Liedes,  besonders  gegen  den  Schluss,  in  Q 
sehr  verschieden  von  der  Fassung  GY. 

Prooemion:  T^  q)dojiQdyjuovi  (in  CV  noch  2  andere  Pro- 
oemien). 

Strophe  a:  Tlg  iqwka^e. 

22.  Christi  Himmelfahrt.    Pitra  S.  148—157. 
Überschrift:  (pigov  äxQoorixl^  xr^vde  (x^vde  fehlt  ACV). 

Tov  rajieivov  ^cojmxvov  QACVM:  17  (^  fehlt  T)  äxQOorixk' 
Tov  xaneivov  QCOjLiavov  BGT:  fehlt  J. 

Text:  TOV  xaneivov  gw/uarov  (18  Str.)  QBCVMT  (wohl 
auch  A):  tov  xanei  J:  xov  xojze  G. 

Prooemion:  Tijv  vtieq  fifi&v. 

Prooemion  11:  lEr  tcJ  oqei  (nur  CV). 

Strophe  a':  Tä  xrjg  yrjg. 

23.  Pfingsten.    Pitra  S.  157—164. 

Überschrift:  (peqov  {(pSgei  M)  ängooTixldcL  xrjvde  (xrivde 
fehlt  C  VT)  {fi  äxQooTixk  G).  xov  xaneivov  §(ojbiavov  QAC  VGMT. 

Text:  xov  xaneivov  §a}jLiavov  CVM  (wohl  auch  A):  xov 
xaneefivov  ^wavov  T:  xov  xaneivov  ^  GJ:  xov  xaneiv  (der  Rest 
fehlt  durch  Verstümmelung  der  Hs)  Q. 

In  QCVM  beginnt  Strophe  8  mit  'loxi^xeioav  d.  h.  die 
Form  ElaxY}xeioav  ist  nach  dem  Prinzip  der  Antistoechie  für 
Littora  /  gebraucht  und  demgemäss  auch  geschrieben;  ausser- 
dem ist  in  T  die  Strophe  M  durch  irgend  ein  Versehen  von 
der  14.  an  die  9.  Stelle  geraten.  Also  durchwegs  xaneivov^ 
aber  mit  Vertretung  von  /  durch  antistoechisch  behandeltes  EL 

Prooemion:  "Oxe  xaxaßäg, 

Strophe  a':  Taxeiav, 

24.  Allerheiligenfest.    Pitra  S.  165—169; 
Überschrift:  (pigov  äxQoaxixida.  6  alvog  §(ojuavov  ACV: 

oi  fi  äxQooxixig-  6  alvog  ^oyfiavov  M. 

Text:  ö  alvog  ^co/luxvov  ACVM:  6  alv  GJ^ 
Prooemion  I:  *iig  änagxdg, 
Prooemion  11:  'üg  Hei^jucov. 
Strophe  a:  Ol  Iv  ndaij. 


Die  Äkrostidhis  in  äer  griechischen  Kirchenpoesie.  569 

25.  Die  heiligen  Apostel.   29.  Juni.   Pitra  S.  169—178. 
Überschrift:    (piQOV   {(pegsi  ?  D)  äxQOüxtxlda  rrfvöe,   xov 

xajieivov  ^coßjiavov  6  ipak/nög  PÄD:  ^  äxQooxixiS'  tov  xaneivov 
^(Ofjiavov  M:  kein  Vermerk  CVT. 

Text:  xov  xanivov  ^cojüiavov  6  y/aX/iög  PCVD  (in  V  ist 
nach  Strophe  II  die  Initiale  E  gesetzt  und  zwei  leere  Zeilen 
am  Seitenschluss):  xov  xojiivov  ^m/io  (die  Strophe  mit  O  ist 
=  Strophe  18  des  YoUständigen  Textes)  M:  xov  xojiivov  ^(jo)fA  T. 
Also  durchwegs  xanivov  ohne  Andeutung  einer  Lücke;  denn 
die  zwei  freien  Zeilen  in  V  rühren  vom  Schreiber  V,  nicht 
Yom  italischen  Redaktor  her.  In  A  lautet  die  Überschrift  wie 
in  P;  über  den  Text  von  A  habe  ich  keine  Angabe. 

Prooemion  I:  'O  oo(ploag, 

Prooemion  II:  Tovg  äocpakeig, 

Strophe  a:  Tqdvoyaov. 

26.  Der  hl.  Johannes  der  Täufer.  29.  August.  Pitra 
S.  178—185.    Unbenutzt  A  fol.  186^—190^. 

Überschrift:  (pigov  dxQoaxixida,  xov  xaneivov  ^(lavov 
C:  fehlt  M. 

Text:  xov  xaneivov  ^coßiavov  AC:  xov  M. 
Prooemion  I:  Ilgmei  ool 
Prooemion  11:  'H  xov  nqoÖQOfxov. 
Strophe  a\  Tä  yeviaia. 

27.  Die  drei  Knaben  im  Feuerofen.  17.  Dezember. 
Pitra  S.  185-198. 

Überschrift:  qfigov  äxQooxixlda  xi^vde  {xrjvde  fehlt  ACV). 
xov  xaneivov  ^fiavov  6  tpaXfjidg  ovxog  PACVD:  (pigov  äxgo- 
axixlda  xov  xaneivov  §ü>fJiavov  M:  fehlt  T. 

Text:  Tov  xaneivov  ^aj/iiavov  6  tpak/iog  ovxog  PA(?)CV: 
xov  xajieivov  ^oy/navov  M:  xov  xaneivo  D:  xoxvan  (nur  6  Strophen 
in  verwirrter  Ordnung)  T.  Keine  nähere  Angabe  über  G  fol.  45^ 
— 48^.    Also  durchwegs  xaneivov. 

Prooemion  I:  XeiQ6yQa(pov  elxöva. 

Prooemion  EL:  Ol  xQeig. 

Strophe  a:  Tdxvvov. 

38* 


570  K.  Krumbacher 

28.  Mariae  Geburt.    8.  September.    Pitra  S,  198—201. 
Überschrift:    (pigov  dxQocrix^^  xiqvde  {xrivde  fehlt  Ab). 

fl  (bdfj  ^ODjLiavov  AGb:    ofi  ^   dxgooxixk-    ^   (bdi^   ^oyfmvov   p. 
Text:  ebenso  AGbp. 
Prooemion:  ^loyanxelfi  xal  "Awa. 
Strophe  a:  'H  jiQoaevxij- 

29.  Der  hl.  Nikolaos  von  Myra.  6. Dezember.  I.Lied. 
Pitra  S.  202—209. 

Überschrift:  q>£Qoy  äxQoarixlio,  rijvde.  alvog  xal  6  tpaX- 
fji6g  Tov  §(üfiavov  P:  &xQoanxk*  alvog  x,  6,  tp.  t.  ^.  T:  fehlt  CVM. 

Text:  alvog  xal  6  yjaXfibg  tov  QOifiavov  PT:  nur  Pro- 
oemion und  die  ersten  zwei  Strophen  und  zwar  stark  umge- 
arbeitet CV:  nur  Prooemion  und  die  ersten  drei  Strophen  M. 

Prooemion:  *Ev  xoXg  fxvqoig. 

Strophe  ai  *Awiuvi^acoßji€v. 

30.  Der  hl.  Symeon  Stylites.  1.  September.  Pitra 
S.  210—217. 

Überschrift:  ravxrj  (avxtj  b)  ^  <b<ii]  xov  iXaxloxov  ^cojua- 
vov  Ab:  fehlt  M. 

Text:  xavxf]  (so)  ^  ibitj  xov  llaxtox  {o  fehlt)  v  ^jnavov  b: 
vermutlich  ebenso  A:  xav  M. 

Prooemion:  Tä  ävü>  Cv^wv, 

Strophe  a':  Tov  üv/iiecjv. 

31.  Die  hll.  Eosmas  und  Damian.  I.November.  I.Lied. 
Pitra  S.  218-222. 

Überschrift:  (pegov  äxgoaxixida  xijvde  (xi^vde  fehlt  Cd) 
noirjfia  gcofiavov  PCd  (in  V  ist  das  ganze  Lied  ausser  der 
letzten  Strophe  durch  Ausfall  der  ersten  Blätter  der  Hs  ver- 
loren gegangen). 

Text:  7ioi7]fxa  §(Ofiavov  PCd. 

Pitra  hält  das  Lied  trotz  des  Automamens  in  der  Akro- 
stichis  wegen  des  leeren  Wortschwalles  und  der  poetischen 
Minderwertigkeit  für  untergeschoben. 

Prooemion:   Ol  xrjv  ;^d^tv. 

Strophe  a:  Ildorjg  ovvioecog. 


Die  ÄkrogHehis  in  der  grieefUachen  Kirehenpoeme.  571 

-*    32.  Stichera  auf  Christi  Geburt.    Pitra  S.  222-228. 

Überschrift:  (pigovra  (sc.  aiixfjQd)  ixQoorix(i<i'  ahog 
toTieivov  ^fjLavov  elg  xä  yeyi^ha  o  (in  Im  fehlt  die  Über- 
schrift). 

Text:  alvog  raneivov  ^fjuxvov  elg  xä  yevi^Xia  lo;  nur 
die  ersten  7  Strophen  m. 

In  einigen  der  Ton  Pitra  notierten  Hss  (Yatic.  1515, 
Yatic.  Reg.  54,  Ciypt.  XVIII)  hat  Sickenberger,  der  die  Stichera 
f&r  mich  vei^leichen  wollte,  den  Text  vergeblich  gesucht. 

Strophe  a:  AI  äYyeXixal 

B.  ünedierte  Lieder  des  Romanos. 

33.  Der  hl.  Demetrios.    26.  Oktober.    P  fol.  17'— 19'. 
Überschrift:  q>£Qov  äxQoarixlda  xi^vde,  xov  xamivov  ^a>- 

fiavov  alvog  P. 

Text:  xov  xaneivov  ^copiavov  alvog  (23  Str.)  P. 
Prooemion:  Nixi]q>6Qov. 
Strophe  a:  Tl  xwv  ocbv  vfxv^om. 

34.  Die  hll.  Eosmas  und  Damian.  1.  November, 
n.  Lied  (ganz  verschieden  von  Nr.  31).    P  fol.  21'— 24\ 

Überschrift:  q)iQov  äxgooxixlda  xi^vde,  xov  xaneivov  ^co- 
fjuxvov  6  vfivog  ovxog  P. 

Text:  ebenso  {xaneivov \)  P. 
Prooemion:  *Ex  xtjg  dgg'qxov, 
Strophe  a:  Tcß  ^Ucp  xd  q>a}xlCeiv. 

35.  Die  hll.  Akepsimas,  Joseph  und  Aeithalas. 
3.  November.   P  fol.  27^—29^. 

Überschrift:  q>iQov  äxQoaxixida  xijvde.  xov  xdXa  ^- 
fiavov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  0(oxl  xdß  voififp. 

Strophe  a:  T^v  ;ife^o€o^etoav  xagdlav  fxov  P. 

36.  Der  hl.  Menas.    11.  November.    P  fol.  39^—42^ 


Überschrift:   ij  ixQoaxixlg^   xov  xaneivov  ^oyfiavov  Inog 
(am  Rande  nachgetragen)  P. 


572  K,  Krmmbadier 

Text:  ebenso  (tanetvovl)  P.  Es  ist  aber  von  der  mit  / 
i^Innwv)  beginnenden  Strophe  (i;')  nur  der  Anfang  (16  Wörter) 
geschrieben;  dann  folgt  noch  ein  leerer  Raum  von  5  Zeilen. 
Man  erhält  also  den  Eindruck,  ab  habe  der  Schreiber  bezw. 
Redaktor  den  Versuch  gemacht,  die  in  seiner  Vorlage  fehlende 
Strophe  mit  /  selbst  zu  ergänzen,  dann  aber  die  Vollendung 
auf  eine  spätere  Zeit  verschoben  oder  die  Ergänzung  der  Lücke 
von  einer  anderen  Hs  erwartet.  Die  vorhergehende  Strophe  (£1 
beginnt  mit  ^Enexekeixo^  konnte  also  nicht  etwa  antistoechisch 
das  /  ^  EI  vertreten. 

Prooemion  I:  T^g  rguidog. 

Prooemion  11:  'O  t^c  Mfi;c. 

Strophe  a:  Tov  ä&Xo<p6Qov  xißA&oa  xaXQ}g, 

37.  Der  hl.  Johannes  Chrysostomos.  13.  November. 
P  fol.  47^— 50^ 

Überschrift:  (pegov  ixgoaTixlda  n^vde.  tov  tojieiyov  §q>' 
fiavov  P. 

Text:  ebenso  (TOTieivov)  P. 
Prooemion:  *Ex  zöry  ovqavayv, 
Strophe  a:  Tco  tcov  dlcov  noirfxjj, 

38.  Der  hl.  Apostel  Philipp.   14.  Nov.  P  fol.  57>^-58\ 
Überschrift:   (pegov  äxgooxixüd  "xrivöt.  ^(Ofiavov  6  y'oi- 

f^og  P. 

Text:  ebenso  (14  Str.)  P. 
Prooemion:  '0  fia^rjxijg  xal  (ptXog  oov. 
Strophe  a:  'PeT&ga  X6yov  nagdoxov  f^oi,  xvgie. 

39.  Die  hll.  Gurias,  Samonas  und  Abibas.    15.  Kot. 

p  fol.  58^— eo«-. 

Überschrift:  (pegov  äxgooxixlda  xijvde,  xov  xdXa  ^wjdavov 
{j  (hd/j  P. 

Text:  TOV  xdXa  gcoßiavov  (hörj  i;  (18  Str.)  P. 

Es  ist  also  im  Texte  scheinbar  der  Artikel  ff  nach  wbi] 
gestellt  und  diese  Stellung  wird  durch  den  Inhalt  gefordert; 
denn  die  zweite  Strophe  mit  H  enthält  ein  Schlussgebet  an 
die  drei  Heiligen.    Darnach  ist  zu  vermuten,  dass  wir  es  hier 


Die  AkrosHeKis  in  der  griechischen  Kirehenpoesie,  573 

nicht  mit  dem  Artikel,  sondern  mit  der  Wiederholung  der 
letzten  Littera  der  Akrostichis  zu  tun  haben.  Das  ^  in  der 
Überschrift  ist  also  zu  streichen. 

Prooemion:  'JEf  Sy^ovg,  oo(poL 

Strophe  a:  Tflq  tov  Ix^qov  dovkelaq, 

40.  Der  hl.  Nikolaos  von  Mjrra.  11.  Lied  (vgl.  Nr.  29). 
P  fol.  94»^— 95'. 

Überschrift:  (pSgov  äxQooxixlda  xi^vde,  (hüi  ^(Ofiavov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  'O  inivbciog  avldg. 

Strophe  a:  'Qq  xfjg  ootplag  ägxfiydg, 

41.  Der  hl.  Ignatios.  20.  Dezember.  P  fol.  108^— 109\ 
Überschrift:  q>iQoy  ixQoaxtxlda  xrivdB,  alvog  ^(Ofiavov  P. 
Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  Tcov  lafjmqcbv  äycovcov  aov. 
Strophe  a:  *Aßgaä/uL  juikv  noxL 

42.  Die  hl.  Nacht.  11.  Lied  (vgl.  Nr.  1).  Prooemion 
und  3  Strophen  bei  Amfilochij,  Textband,  Dopoln.  S.  63.  Voll- 
ständig in  P  fol.  123^—126'  und  A  fol.  89—93. 

Überschrift:  q)iQov  äxQoaxixida  xijvde.  xov  xcuieivov  qo)- 
fiavav  P. 

Text:  xov  xantivov  §o}fiavov  (18  Str.)  P. 
Prooemion:  *0  ngd  iwa(p6Qov, 
Strophe  a':  Tdv  äyec&Qyrjxov  ßöxgvv. 

43.  Nachfest  von  Christi  Geburt  {Kovxdxiov  (xe^ioQ- 
xov  xfjg  Xgioxov  yewi^aecog),    P  fol.  128'" — 129'  und  D. 

Überschrift:  <pigov  äxgoaxixlda  xrjvde.  6  Cjuvog  ^cü- 
fiavov  PD. 

Text:  ebenso  (13  Str.)  P:  d  «>  D. 

Prooemion:  KarenXdyi]  'loDoijcp, 

Strophe  a:  "Oneg  ögd),  votjoat  ov  xwgcb. 

44.  Die  unschuldigen  Kinder.  29.  Dezember.  P 
fol.  132'- 135'. 

Überschrift:  q>igov  äxgoaxixiS<^  xrjvde.  xov  xanetvov  gco- 
fiavov  PD. 


574  £.  Kri$mbadier 

Text:  ebenso  (xaneivovl)  P:  xav  D. 
Prooemion:  *Ev  xfj  Bti^iek/A. 
Strophe  a:  Tdyv  ävco  xal  x&v  x6x(o. 

45.  Der  hl.  Basilios.    1.  Januar.    P  fol.  139^— 140^ 
Überschrift:  <piQov  Axgoarixlda  xrjvde.  xov  xojuivov  dm- 

ßiavov  P. 

Text:  xovvxa  (5  Str.)  P. 

Es  sind  also,  obschon  in  der  Überschrift  noch  die  rolle 
Akrostichis  genannt  wird,  in  der  Vorlage  von  P  13  Strophen 
ausgefallen,  und  die  Ordnung  der  übriggebliebenen  ist  verwirrt 
worden. 

Prooemion:  ^ü<p^g  ßdaig. 

Strophe  a':  T17C  ooxpQooim]^  6  xgaxfjg. 

46.  Adam   (Christi  Taufe).    H.  Lied  (vgl  No.  5).   P  fol. 

Überschrift:  fpigov  äxgoaxixi^  xi^vde,  xov  xaneivov  §<i>- 
ßjiavov  alvog  P. 

Text:  xov  xamvov  ^co/xavov  ahog  (22  Strophen)  P.    Die 
Strophe  E  fehlt,  ohne  dass  in  der  Hs  eine  Lücke  angedeutet  ist. 
Prooemion:  Tfjg  xoXv/ißrj&gag. 
Strophe  a:  Ttg  ebifj,  xlg  delif]. 

47.   Der  hl.  Tryphon.    1.  Februar.    P  fol.  184^-187^ 

Überschrift:  <pigov  ixgoaxixlda  xi^vde.  xov  xojuivov  ga)- 
fxavov  P. 

Text:  xov  xamvov  ^wßiavov  P  (keine  Lücke  für  E). 

Prooemion :  'ExdajtavTjoag. 

Strophe  a:  Trjv  xcbv  dv&g(07to}v  yevedv. 

"  48.  Die  vierzig  Märtyrer.  9.  M&rz.  L  Lied.  P  fol.  200^ 
bis  203^ 

Überschrift:  (pigov  äxgooxixlda  njvi«.  xov  xvgov  (so) 
^(Ofiavov  inr)  P. 

Text:  ebenso  (18  Str.)  P. 

Prooemion:  T6  ^lq)og  xd  vyg&v. 

Strophe  a':  Tov  'Itjaov  xä  jta^i^fiaxa. 


Die  Äkrostiehia  in  der  grieMsehen  Kirehenpoeeie.  575 

49.  Die  vierzig  Märtyrer.  11.  Lied.  Das  Prooemion 
und  5  Strophen  ed.  aus  T  fol.  93^—95'  Pitra  S.  599—603. 
Prooemion  und  11  Strophen  bewahrt  V  fol.  81'— 83^  Der 
vollständige  Text  in  P  fol.  203'— 206^  A  fol.  119'-124',  D. 

Überschrift:  (pigov  äxQooxixtda  xrjvdE,  xov  raneivov  ^o)- 
fjtavov  vjULvog  P:  (pigov  &xQO(nix^da  xov  xaneivov  V:  fehlt  DT: 
keine  Angabe  über  A. 

Text:  Tov  xamvov  §(o/iavov  v  (keine  Lücke  für  -Ein  xam^ 
vov)  PÄD:  xov  xamvov  v  (und  zwar  so,  dass  die  zwei  letzten 
Strophen   den    2   letzten    Strophen    des    P    entsprechen,    also 

eigentlich    rot;   xantva v    v)    V:    r . . .    (Lücke    durch 

Blattausfall)  aniv  (ursprünglich  xov  xaniv,  wobei  das  Schluss-v 
durch  die  vorletzte  Strophe  von  P  vertreten  wird)  T. 

Also  durchweg  xanivod  erhalten  oder  aus  den  Resten  zu 
erschliessen.  Sehr  auffallig  ist,  dass  die  in  P  angekündigte 
Akrostichis  weder  in  P  noch  in  AD  zu  Ende  geführt  wird. 
Da  nun  die  letzte  Littera  der  Akrostichis  im  Texte  zuweilen 
zweimal  gesetzt  wird  (vgl.  Nr.  18,  39,  49,  55,  64,  68  u.  ö.), 
so  ist  zu  vermuten,  dass  die  Akrostichis  des  Liedes  in  Wahr- 
heit ^xov  xanivov  ^coßiavov  v*  lautete  und  dass  der  Redaktor 
oder  Schreiber  von  P  das  zweite  Schluss-  Y  irrtümlich  für  den 
Anfang  des  Wortes  S{/ivog)  hielt  und  in  der  Überschrift  dieses 
Wort  hinzufügte.  Der  Lihalt  der  zwei  Schlussstrophen  spricht 
nicht  gegen  diese  Annahme.  Die  vorletzte  Strophe  (17)  enthält 
noch  ein  Stück  der  Erzählung  von  den  40  Märtyrern;  sie  wird 
erst  in  den  ersten  Versen  der  letzten  Strophe  (18)  zu  Ende 
geführt.  Dann  kommt,  allerdings  etwas  unvermittelt  und  nur 
die  zweite  Hälfte  der  Strophe  18  füllend,  das  Scblussgebet. 
Für  diese  Erklärung  der  inkongruenten  Überschrifb  spricht 
auch  die  Überlieferung.  Denn  die  zwei  Schlussstrophen  von 
P  bilden  auch  den  Schluss  des  Liedes  in  AD  und  in  der  im 
übrigen  stark  verstümmelten  italischen  Redaktion  (Y). 

Prooemion:  Iläaav  axgaxelav, 

Strophe  a':  T(p  Iv  ^Q6vcp. 


576  K.  Krumbtuher 

50.  Mariae  Verkündigung.  25.Mär2.  P  fol.  212'-2U\ 
Überschrift:  tpiqov  ((pig'^)  ixQomixiAo.  xYjv&e.  xov  tcüki- 

yov  ^(üßiarov  P. 

Text:  ebenso  (raneirov)  P. 

Prooemion:  "Ozt  ovx  Eaxiv, 

Strophe  a':  Tcß  ^QX^YY^^V  raßgiifl. 

51.  Der  hl.  Märtyrer  Oeorg.  23.  April.  L  Liei 
P  fol.  219^— 221\ 

Überschrift:  <piQov  äxQoouxidcL  rtjvde.  xov  xdia  qo)- 
fiavov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  'H  (pwxotpoQog. 

Strophe  ai  xov  xov  Jiagddeiaoy  nnxk, 

52.  Der  hl.  Märtyrer  Georg.  II.  Lied.  P  fol.  221^ 
bis  223\  -'        .   ' 

Überschrift:  (pigov  (ipiq'^)  ixQoaxixldo.  xrivde.  xov  xaiui- 
vov  §o>fAavov  nolrjßjia  P. 

Text:  ebenso  (24  Strophen)  P. 
Prooemion:  Tg  dvvdfiei  xov  axavgov. 
Strophe  a:  Ti]v  ägexrjv  xijv  Sv^eov  äel. 

53.  Der  hl.  Athanasios  von  Alexandria.  2.  Mai. 
P  fol.  230^^— 231\ 

Überschrift:  (pigov  äxgoaxixlda  xtjvde.  alvog  ^fiarov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  ^Og^odoilag  qwxeioag. 

Strophe  a':  *A^avaolag  xkiog  vndQxcov. 

54.  Der  hl.  Apostel  Johannes.  S.Mai.  P  fol.  235' 
bis  238^ 

Fünf  Strophen  (ohne  das  Prooemion)  edierte,  ohne  die 
Autorschaft  des  Romanos  zu  kennen,  aus  C  und  M  Pitra 
S.  LXIf.;  vgl.  S.  LXV;  663.  Das  Prooemion  und  die  fönf 
Strophen  des  M  auch  bei  Amfilochij,  Facsimileband  S.  9— 11; 
vgl.  Textband  S.  60. 

Überschrift:  q)iQoy  {(pfo"")  äxQOonxlda  x/]vd£.  vf^rog  «V 
xov  '&€oX6yov  ^(Ofiavov  P:  fehlt  CM. 


Die  Akrastichis  in  der  griethisd^n  Kirehenpoene.  577 

Text:  ebenso  (27  Strophen)  P:  v^vog  ootj  C  (vgl.  Pitra 
S.  LXV):  fifAvog  M. 

Prooemion:  Tä  fuyaXBii  aov, 
Strophe  a:  ITyfti  oigdvia. 

55.  Der  hl.  Johannes  der  Täufer.  24.  Juni.  Pitra 
S.  320 — 327  (aus  G  unter  dem  Namen  des  Domitius).  P 
fol.  252^—255'  (als  Lied  des  Romanos).  A  fol.  149«^— 152' 
(unvollständig  ohne  Automamen).  Vgl.  Krumbacher,  Umarb. 
S.  42  S. 

Überschrift:  fpigov  {(pig'*)  äxQoaiixida  r^vde.  elg  t6v 
Tzgödgoßiov  §(Ofjuxvov  P:  tpigov  ängoatixlda  elg  rdv  ngddgofwv 
doßierlov  (dofurlov  V)  CV:  fehlt  MT. 

Text:  dg  tdv  ngdögoßiov  §(Ofiavov  v  P:  ttg  x6y  ngöögo- 
fioy  iofintov  CV:  elg  täv  Ttgddgojnov  a  A:  elg  rdv  n  M: 
Ek  TÄV  T. 

Prooemion:  *H  oxeiga  oijfiegov. 

Strophe  a:  Evq^Tjßnjocojbiev  vvv. 

Die  vorletzte  Strophe  (v  in  P,  o  in  CV)  enthält  den 
Schluss  der  Erzählung  über  den  hl.  Johannes  den  Täufer,  die 
letzte  Strophe  (in  beiden  Überlieferungen  mit  v  beginnend) 
bringt  ein  Schlussgebet  an  den  Heiland. 

56.  Der  hl.  Prophet  Elias.  ^iTjuli.  P  fol.  270' 
bis  273'.  Das  Prooemion  und  die  3  ersten  Strophen  ed.  aus 
C  4"  T  Pitra  S.  296  f.  Vgl.  Krumbacher,  Romanos  und  Kyriakos 
S.  761  f. 

Überschrift:  tpigov  {(fig'^)  äxgoonxida  xrjvÖB,  x&v  ngoipr}- 
Ttjy  fjXtav  6  gcDfiavdg  v/nvco  P. 

Text:  ebenso  (25  Strophen)  P:  rdv  T:  t  CV. 

Prooemion:  ügoqnjra  xal  ngoönra. 

Strophe  a:  Tfjv  noXXfjv  x(bv  äv&g(6ncov  äyo/niav. 

In  A  fol.  163"^ — 170'  steht  ein  Lied  des  Romanos  auf  den 
Propheten  Elias  mit  der  Überschrift:  rdv  ngotptjzrjv  *Hilav  6 
'PcDfiavog  EvqnifieT.  Da  die  Akrostichis  mit  der  obigen  mit 
Ausnahme  des  Schlusswortes  übereinstimmt,  handelt  es  sich 
wohl  um  eine  am  Schlüsse  abweichende  Redaktion  des  obigen 


580  K.  KrmmhaAer 

63.  Noe.  Dritter  Fasienflonntag.  Qfol.29''32^  Strophe 
a' — y  mit  einem  von  dem  des  Q  yerschiedenen  Prooemion  ed. 
unter  den  Anepigrapha  aus  T  Pitra  S.  451 — 453. 

Überschrift:  ov  ^  äxgoanxi^  ?*c-  curog  xal  oviog  §€0- 
fiavov  Q:  fehlt  T. 

Text:  civog  xai  ovxog  Qoafuxrov  Q:  cuv  T. 

Prooemion:  *Enl  N<be  t^v  äfiagtiav  Q:  Tcäv  ä/MLQtidn^  ro 
niXayog  T. 

Strophe  a:  *A<poQOüv  Ttjv  djieiXijv, 

64.  Die  Kreuzanbetung.  Mittfastenfreitag.  Q  fol.  35' 
bis  38^ 

Überschrift:  (pigov  ixqoaxixida  xi^vde,  xovxo  ro  inog 
laxiv  ^CD/iavov  Q. 

Text:   Toyro  x6  enog  ioxlv  ^(o/iavov  v   (24  Strophen)    Q. 

Es  ist  also  der  letzte  Buchstabe  zweimal  gesetzt.  Der 
Grund  ist  nicht  klar.  Schon  Strophe  xy  enthält  ein  Schluss- 
gebet; Strophe  xd'  beginnt  mit  Ylög  Magiag  iyevov  und  bringt 
dann  ebenfalls  ein  Schlussgebet.  Vielleicht  sollte  die  in  den 
früheren  Strophen  gänzlich  fehlende  Erwähnung  der  Mutter 
Gottes  hier  nachgeholt  werden. 

Prooemion :  T6  oeßdofuov  ^vXov  JtQooxvvovvxeg. 

Strophe  ai  Td  xQtojnaxdQiaxov  SvXov, 

65.  Das  Opfer  Abrahams.  Vierter  Fastensonntag. 
Q  fol.  38^—41'. 

Überschrift:  cpegov  äxQooxixlda  xrjvde,  eig  xdv  äßqaäfi 
^(Ofiavov  v/uvog  Q. 

Text:  ebenso  (24  Strophen)  Q. 
Prooemion:  'Qg  xadagäv  ^volav. 
Strophe  a:  Elg  oQog  ävaßaivovxa. 

66.  Bussgebet.  Mittwoch  der  fUnften  Fastenwoche. 
Q  fol.  41«-— 42\ 

Überschrift:  (pegov  äxgoaxixida  ii]vd€.  Ttgoaevxfj  ^cojutavov  Q . 
Text:  ebenso  (15  Strophen)  Q. 
Prooemion:  Tov  q^oßegov  dixaoxov, 
Strophe  a:  Flokkoi  dtä  /uezavoiag. 


Die  Akrastiehis  in  der  grieMsehen  Kirchenpoesie.  581 

67.  Busslied.  Donnerstag  der  fünften  Fasten woche. 
Q  fol.  42^— 44^     Vgl.  meine  Gesch.  d.  byz.  Lit.»  S.  667. 

Überschrift:  q)iQov  äKQoazix^da  ji^vde.  xov  taneivov  gco- 
/.lavov  alvog  Q. 

Text:  ebenso  {xcuieivov?^  Q. 

Prooemion:   ^vx^i  fJ^ov,  tpvx^j  f^ov,  ävdara, 

Strophe  a:  T6  xov  Xqiotov  laxqeiov, 

68.  Der  hl.  Isaak.  Freitag  der  fünften  Fasten  woche. 
Q  fol.  44^~47\ 

Überschrift:  (pigov  äxQoouxlda  xi^vde.  xov  xcmeivov  ^(o- 
uavov  Q. 

Text:  xov  xaneirov  ^(ojuavov  v  (19  Strophen)  Q. 

Der  Grund  der  Verdoppelung  der  letzten  Littera  ist  nicht 
ganz  klar.  Strophe  irj'  enthält  den  Schluss  der  Erzählung 
von  Esau  und  Jakob,  Strophe  it^'  bringt  als  Abschluss  des 
Ganzen  die  Deutung  des  Jakob  und  der  Rebekka  auf  die 
Christen  und  die  Kirche.  (Inc.  ^YjLieTg  oiv  xavxa  Axgißwg. 
xcnavorioaxe  <piXoL  xä  ndvxa  yäg  iv  xvncp  TiQOBQQe&fj  xal  lyQdq)t), 
6  ^Haav  fxiv  xvnog  x&v  'Iovdalo)v.)  Man  erhält  den  Eindruck, 
als  habe  sich  der  Dichter  bei  der  Disposition  des  Stoffes  ver- 
rechnet und  zuletzt,  um  nicht  allzu  schroff  abzubrechen,  noch 
eine  Strophe  über  das  akrostichische  Schema  hinaus  hinzugefügt. 

Prooemion:  T6v  ^Haav  /zioijoag. 

Strophe  a':  T6v  iid  xijg  vjiaxofjg. 

69.  Der  Reiche  und  Lazarus.  Mittwoch  der  sechsten 
Fastenwoche.    Q  fol.  47^—50^. 

Überschrift :  ov  ^  äxgoaxixlg  avxrj.  nolrjjLia  ^co/xavov 
xoTieivov  Q. 

Text:  ebenso  (xaneivovl  Bei  Strophe  la'  ist  durch  Ver- 
sehen Mifxoyv  statt  Ne/xcov  geschrieben)  Q. 

Prooemion :  El  xal  xcbv  l/bicov. 

Strophe  a:  Ilvevjuaxixfj  vfÄVCoölq, 

70.  Die  Auferweckung  des  hl.  Lazarus.  Samstag 
der  sechsten  Fastenwoche.    L  Lied.    Q  fol.  50^ — 53'. 

Überschrift:  (pigov  äxgoaxixida  Tfjvde.  xov  xajieivov  ^w- 
fmvov  Q. 


582  K.  KrmmbaiAer 

Text:  ebenso  (rajieivovl)  Q. 
Prooemion :  'Enianjg  h  t<S  rd^xp. 
Strophe  a  :   Tl^v  taq)riv  ßXinovres. 

Ein  anderes  Lied  auf  den  hl.  Lazarus  verfasste  Kyriakos. 
Vgl.  Nr.  91. 

71.   Die  Auferweckung   des   hl.   Lazarus.     TL  Lied. 
Q  fol.  53«--55^ 

Überschrift:  (pigov  äxQoanxüo-  tijvd«.  xov  xamtvov  ^a>- 
fiavov  Q. 

Text:  ebenso  {xaneivov))  Q. 
Prooemion  I:  *H  ndvxwy  x^Q^- 
Prooemion  11:  'O  (1.  TO)  ndvtcov  XqioxL 
Strophe  a:  T6v  6dvQ/i6v, 

Sehr  lehrreich  ist  ein  Blick  auf  die  sonstige  Überlieferung 
des  Liedes,   unter  den  Anepigrapha  ed.  Pitra  S.  473 — 475  aus 
T  fol.  I6b' — 166^  ein  Fragment,  das  teils  aus  Strophen  unseres 
Liedes,  teils  aus  neuen,  wohl  einem  anderen  Liede  entstammenden 
Strophen   besteht.    Das  Verhältnis  ist  also:   Pitra   Prooemion 
(nach   seiner   Zählung   Strophe  a)  =  Prooemion  IQ;    Pitra 
Strophe )S'=-(J'Q;  y=-ß'Q;  «'  =  /Q;  e=aQ;  ^' fehlt  in  Q; 
^=t?'Q  (aber  ganz   frei  umgearbeitet);   i^'=ijy'Q.    Ausser 
T  kommen  noch  V  und  M  in  Betracht.     Und  zwar  bewahrt 
V  fol.  88>-— 88^  Prooemion  I  und  Pitras  Strophe  g\  die  in  Q 
fehlt.    Ganz  eigenartig  ist  der  Redaktor  verfahren,  auf  den  M 
zurückgeht.    Auch  er  hat  den  grössten  Teil  der  Strophen  des 
Liedes,  wie  es  in  Q  überliefert  ist,  über  Bord  geworfen;  aus 
den    übrigen    aber    hat   er   gar    zwei   Lieder    hergestellt.    Sie 
stehen  in  M  fol.  262''— 262^.    Das  erste  besteht  aus  Prooemion  I, 
Strophe  ß'  bei  Pitra  (=  d'  Q)  und  einer  Strophe  {^HX^e  Xgiaiog\ 
die  eine  ganz  freie  Umarbeitung  von  Strophe  g'Q  {Ildvxeg  ofiov) 
darstellt.     Das   zweite  Lied,   als   heqov   xovtdxiov   eingeftikrti 
besteht   aus   Prooemion  II Q,   aus   Strophe  e    Pitra   (=  aQ% 
Strophe  g   Pitra,  die  in  Q  fehlt,  und  Strophe  d'  Pitra  (=/ Q). 
Man  sieht  aus  diesen  drei  Beispielen,    in   welchem   Grade  die 
alten   vollständigen   Lieder   in   den    verkürzten  Bearbeitungen, 


Die  Äkrostichis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  583 

wie  sie  in  zahlreichen  Hss  vorkommen,  zerrüttet  sind  und 
welche  Vorsicht  bei  der  Benützung  der  fragmentarischen  Über- 
lieferung geboten  ist.    Vgl.  Erumbacher,  Umarb.  S.  6  ß. 

72.  Christi  Auferstehung.  I.Lied.  Q  fol.  104'— 106'. 
Überschrift:    {(peQo)v  äxQooxixidoi  r^/vd«.    tov  xvqov  (so) 

^iojuavov  alvog  Q. 

Text:  ebenso  (20  Strophen)  Q. 

Prooemion:  {'Ei>ava?>Tc6t?i/  ö  dävarog  elg  vhcog. 

Strophe  a:  {Tijv)  fco^v  ifj  xa<pfj, 

73.  Christi  Auferstehung.  II.  Lied.  Q  fol.  108'— 110^ 
Überschrift:     tpeqov    äxQooTixida    xi^vde.    tov    Toneivov 

^ßÄavov  alvog  Q. 

Text:  TOV  Tamvov  ^oifAavov  alvog  (22  Strophen)  Q. 
Prooemion:  Tov  oxavQOv  oov  tzqooxvvco, 
Strophe  a:  {T)r]v  ödöv  oov,  ocbiiq  fxov, 

74.  Christi  Auferstehung.  lU.  Lied.  Q  fol.  110^— 115'. 
Überschrift:     (pegov    äxQooxixiici    xi^vde,    xov    xaneivov 

^ojjLiavov  alvog  elg  xo  nd&og  Q. 

Text:  ebenso  {xanei.vov\  33  Strophen)  Q. 
Prooemion:  Tov  oov  ixovotov  •9dvaxov. 
Strophe  a':  Td  /hvoxtjqiov  xfjg  ofjg  olxovo/iiag. 

75.  Christi  Auferstehung.  IV.Lied.  Q  fol.  115^— 117'. 
Überschrift:  (psQov  äxgooxixlda  xrjvde,  (bdij  &(o/iavov  Q. 
Text:   (bot]  ^co/iavov  v  Q. 

Prooemion:  Tcp  nd'&ei  oov,  acoxrjQ  ^jucbv. 

Strophe  a:  "QoneQ  ovgavov  verov. 

Der  Grund  der  Doppelung  des  Y  ist  unklar.  Strophe  i 
('Yyfi]Xf}v)  enthält  eine  als  Abschluss  genügende  triumphierende 
Anrede  an  den  Hades,  die  in  Strophe  la  ("Ytpcoai  jue)  ohne 
Not  fortgeführt  wird.    Vgl.  Nr.  68. 

76.  Die  Heilung  des  Lahmen.  Mittwoch  der  weissen 
Woche  (rfjg  diaxaivi^oifiov,  wofür  in  Q  konsequent:  xijg  dia- 
xivfjai/iov).    Q  fol.  118^— 12r. 

Überschrift:  q)BQOv  dxgooxixida  xtivde,  xov  xaneivov 
^yfjiavov  xd  inog  Q. 

190&  Sitxgsb.  d.  phUos.-phtlol.  a.  d.  hiat  Kl.  89 


584  K,  Knmibadier 

Text:  ebenao  (xaneivovl  24  Strophen)  Q. 
Prooemion:  XQtardv  doidowjitev. 
Strophe  a'i  T6  diep^ai  üvvex<bQ, 

77.  Die  Hochzeit  in  Kana.  Mittwoch  der  zweiten 
Woche  (nach  Ostern).    Q  fol.  125^—128«-. 

Überschrift:  (plQOv  äxQoatixiia  xiljvde.  rö  Mnog  ^/lawf 
laneivov  Q. 

Text:  ebenso  {xaneivovl  21  Strophen)  Q. 
Prooemion:  *0  t6  vdiog  ek  olrov. 
Strophe  a:  It]v  nag^eviav  xifirjoag  i^edg, 

78.  Die  Heilung  des  Aussätzigen.  Zweiter  Sonntag 
{uov  ßivQo<f6Qü)v).    Q  fol.  128^—130^. 

Überschrift:  tpigov  äxQooxixida  ri^yde.  Toii  joTittvov 
^(Oßiavov  Q. 

Text:  ebenso  (xaneirovl  18  Strophen)  Q. 

Prooemion:  'üg  tov  Xstiqov  ixd^agag. 

Strophe  a:  Tov  rov  yivovg  ^ebv  xai  evegyirtjv. 

79.  Christi  Auferstehung  und  die  zehn  Drachmen. 
Dritter  Sonntag  (nach  Ostern).    Q  fol.  130^—133^. 

Überschrift:  q?EQov  äxQoouxlda  xi^vde.  tovto  ramivov 
QCüjLiavov  Q. 

Text:  ebenso  (xajieivovl  20  Str.)  Q. 

Prooemion:  Ol  { )ivxeg  Kgimcp. 

Strophe  a:  {Trjg  x)ov  Xgiaxov  naQaßoXfjg, 

80.  Die  Samariterin.  Vierter  Sonntag  (nach  Ostern). 
Q  fol.  136'— 188\ 

Überschrift:  tpigov  äxQaaxtxüci  xrivde.  xov  xcuuivov 
^(Dfiavov  alvog  Q. 

Text:  xov  xajiivov  ^oDjbiavov  dlvog  Q  (ohne  Andeutung 
einer  Lücke  für  £"). 

Prooemion:  *Em  x6  (pgeaq  <bg  ^X&ev. 

Strophe  a:  T6  xdXavxov  xb  öo&ev  aoi. 

81.  Die  Heilung  des  Besessenen.  Mittwoch  der  fönften 
Woche  (nach  Ostern).     Q  fol.  139'— 141^ 


Die  Akrostichis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  585 

Überschrift:  (pigov  äxQoouxtdci  rrjvde.  6  tpaljLidg  oviog 
toTiv  ^(ofÄavov  Q. 

Text:  6  tpal/udg  ovzog  ioxlv  ^jnavov  v  (25  Strophen)  Q. 
*  Prooemion :  Td)v  ^ayfidrcov  oov, 

Strophe  a':  'O  kabg  ö  moTÖg. 

Die  Doppelung  der  Schlussinitiale  Y  war  hier  unvermeid- 
lich, weil  die  erste  Strophe  mit  Y  (xd'  'Yog)  noch  ganz  zur 
Erklärung  des  Verhältnisses  der  Dämonen  zu  den  Tieren  ver- 
braucht war ;  so  ward  für  das  Schlussgebet  eine  weitere  Strophe 
{xe  'YjifjQixai)  nötig. 

82.  Die  Heilung  der  Blutflüssigen.  Mittwoch  der 
sechsten  Woche  (nach  Ostern).    Q  fol.  142''— 143^. 

Überschrift:  (pigov  äxgooxtxlda  rrjvde,  tpal/tiög  tov  xvgov 
(so)  ^fiavov  Q. 

Text:  ebenso  (21  Str.)  Q. 
Prooemion :  'Qg  t)  aljuöggovg. 
Strophe  a:   WdlXco  ooi  iv  <pdaTg, 

83.  Das  Brotwunder.  Mittwoch  der  siebenten  Woche. 
Q  fol.  149'— 152^ 

Überschrift:  (pegov  dxgoarixiia  rrjvde,  noitj/uia  ^jLiavov 
tov  rajieivov  Q. 

Text:  noirjjLia  ^co/uavov  tov  xanivov  (23  Strophen)  Q. 
Prooemion:  Tovg  ix  xr\g  ofjg, 
Strophe  a:  Ildvxeg  äyyeXoi, 

G.  Zweifelhaftes. 

84.  (Romanos?)  Ninive.  Mittwoch  der  ersten  Fasten- 
woche.   Q  fol.  6«-— S'. 

Überschrift:  xovxdxiov  xaxawxxixov  ov  fi  äxgoaxixk-  tdv 
ngo<pifXf]v  xvglov.     Am  Rande :  $a>'* :  —  ^;uoc  a    Q. 

Text:  x6v  ngoqnjxriv  xvgiov  Q. 

Prooemion :  ^AneyvcoofJLevriv, 

Strophe  a':  T6  laxgeiov  x'^g  fiExavoiag. 

Ob  die  Randnotiz  {^(o^avov)  die  Autorschaft  des  Romanos 
genügend  verbürgt,  ist  mir  vorerst  unsicher.    Um  die  inneren 

89* 


586  K,  Krumhtuher 

Gründe  diskutieren  zu  können,  mQsste  der  Text  ediert  werden. 
Vgl.  Nr.  117. 

^^\  85.  (Romanos?)  Der  hl.  Theodoros  (?).  Samstag  der 
ersten  Fasten woche.    A  fol.  217'— 21 9^ 

Überschrift? 

Text:  'O  vfivoQ  'Pcoßjuzvov  A. 

Zu  dem  Liede  ist  derselbe  Ton  (^;tOs  nldytog  rhaoTo^) 
notiert  wie  in  Q  zu  dem  (f&r  denselben  Tag  bestimmten)  Liede 
Nr.  59.  Damach  könnte  man  vermuten,  dass  Nr.  85  ein  Frag- 
ment von  Nr.  59  sei.  Dagegen  spricht  aber,  dass  Papadopulos- 
Kerameus  (S.  378)  nichts  davon  erwähnt,  dass  der  Anfang  de» 
Liedes  bei  Pitra  ediert  ist. 

X  86.  (Romanos?)  Die  Buhlerin.  Mittwoch  t^c  fuoo- 
TievxYixooiiiq.    A  fol.  220'— 224«'. 

Überschrift:  q?ioov  äxQocTixi^.  xov  xaneivov 'Pco^vov  Ä. 

Text:  wohl  ebenso  A. 

Ein  Rätsel,  das  ich  nicht  lösen  kann.  Papadopulos  notiert 
(S.  378)  die  obige  Akrostichis,  dazu  den  Ton  (^x^  ßagig)  und 
bemerkt,  dass  4  Strophen  des  Liedes  ohne  Autornamen  bei 
Pitra  S.  491 — 493  ediert  seien.  Allein  diese  4  Strophen  sind 
das  Prooemion  und  die  ersten  3  Strophen  von  Nr.  194,  dessen 
erhaltene  Akrostichis   lautet:   xov  /jtdvov  rdXa.     Auch   der  su 

diesem  Liede  in  Q  angegebene  Ton  (^x^^  ^')  ^^^  ^^^  ^^^  ^° 
A  verschieden. 

87.  (Romanos?)  Der  verlorene  Sohn.  Zweiter  Fasten- 
sonntag. Bei  Pitra  S.  460 — 462  das  Prooemion  Trjg  TiaxQcoas 
und  Strophe  a —  y  aus  T.  In  D  steht  zuerst  ein  anderes  Pro- 
oemion i^AyxdXag)  und  Strophe  a  {Tov  acozijgogX  dann,  unter 
der  Überschrift:  xovddxiov  Sxbqov  xov  *Aaojxov  das  Prooemion 
Tr/g  jiargojag  und  Strophe  a'  —  /,  genau  wie  in  T.  Neu  ist 
aber  die  Überschrift  zum  ersten  Kontakion  in  D. 

Überschrift:  (peQei(?)  äxgoaxixida  xtjvÖe.  xov  xaneivov 
^(Ofxavov  D:  fehlt  T. 

Text  (1.  Kontakion):  t  D. 

(2.  Kontakion):  xve  DT. 


Die  ÄkrosticfUs  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  587 

Prooemion  (1.  Kont.):  ^Ayxdkag  D. 

(2.  Kont.):  Trig  naxQciag  DT. 

Strophe  a':  Tov  ocoxfJQog  ij/uayv. 

Die  Überschrift  in  D  verdient  deshalb  Beachtung,  weil 
alle  anderen  Akrostichonvermerke  des  D,  denen  dortselbst  nur 
noch  einige  Strophen  Text  zur  Seite  stehen,  sich  durch  die 
vollständigeren  Hss  als  richtig  erweisen.  Ausserdem  ist  aus 
der  Akrostichis  des  Liedes  Nr.  61  ersichtlich,  dass  Romanos  tat- 
sächlich mehrere  Lieder  über  den  verlorenen  Sohn  verfasst  hat. 


n.  Die  Akrostichis  bei  den  übrigen  Hymnendichtem. 

Nach  den  Liedern,  die  durch  die  Akrostichis  als  Werke 
des  Romanos  bezeichnet  werden,  mögen  Hymnen  anderer 
Dichter  folgen,  deren  Akrostichis  vollständig  oder  annähernd 
vollständig  erhalten  ist.  Auch  hier  verzeichne  ich  zuerst  das 
bei  Pitra  gebotene  Material  mit  den  aus  meinen  Kollationen 
und  Abschriften  gewonnenen  Zusätzen  und  Berichtigungen, 
dann  die  unedierten  Lieder,  soweit  ich  über  sie  handschrift- 
liche Notizen  besitze. 

A.  Edierte  Lieder. 

88.  Anastasios.  Totenlied.  Sdßßarov  xfjg^AnoxQeo},  £d. 
Pitra  S.  242-249  aus  CT. 

Überschrift:  (pegov  äxQoonxida  rijvde  {ri^vde  fehlt  C). 
Avamaolov  rov  laneivov  alvog  CM:  (pegov  äxQoaxixida  ävaoxaoiov 
xanetvov  voar}eag  T:  ol  olxoi  (pigovxeg  äxgooxij(i6a  xrjvde.  äva^ 
oxaoiov  xov  xanetvov  voarjiag  A:  ij  äHgooxixtg-  ävaoxaoiov  xov 
xaneivov  vooi  B:  fehlt  J. 

Text:  ävaoxaoiov  xov  xaneivov  alvog  g  (g  fehlt  B)  (26  bezw. 
27  Strophen)  BC:  ävaoxaoiov  xov  xanevaivog  (23  Strophen)  M: 
ävaoxaoiov  xov  xanevov  voorjeag  (27  Strophen)  T:  ävaoxaoiov 
xov  xaneivov  voorjeag  n  J:  keine  Angabe  über  A. 

Prooemion:  Ol  xr\g  C^rjg  xcov  äv&gd>nü)v  C:  Merä  xd>v 
äylwv  ävdnavoov  MT. 

Strophe  a:  Avxog  juovog. 


588  K.  Srmmbadier 

Bezuglich  der  Doppelung  der  letzten  Litteni  (2)  in  C 
yermuiet  Pitra  (S.  248),  die  Torletzte  Strophe,  die  stellenweise 
an  Strophe  i^  erinnert,  sei  ein  durch  diese  angeregtes  späteres 
Machwerk.  Allein  so  leise  Anklänge,  wie  sie  hier  vorliegen, 
kommen  innerhalb  derselben  Gedichte  häufig  Yor  und  beweisen 
nichts  gegen  die  Echtheit,  und  Tor  allem  durfte  der  Fall  nicht 
isoliert  behandelt  werden.  Der  Grund  der  Doppelung  scheint 
hier  ähnlich  zu  sein  wie  in  Nr.  81.  In  Strophe  xC  wird  die 
in  Strophe  xg  begonnene  Betrachtung  fiber  das  Begräbnis  des 
Vornehmen  mit  einigen  guten  Gedanken  weitergeführt.  Erst 
in  der  überzähligen  Strophe  xrj'  wird  Platz  für  das  Schluss- 
gebet. Ein  zweites  Schlussgebet  mit  der  Initiale  77,  das  sich 
speziell  an  die  hL  Jungfrau  wendet,  hat  Pitra  aus  der  Aus- 
gabe von  Goar  übernommen  und  als  Strophe  xd^  angefügt. 
Von  den  mir  bekannten  Hss  bietet  dieses  11  nur  J.  Hier 
haben  wir  es,  wie  schon  die  Initiale  IJ  beweist,  mit  einem 
späteren  Zusätze  zu  tun,  der  durch  das  Fehlen  einer  Erwäh- 
nung der  hl.  Maria  im  Liede  veranlasst  worden  ist.  In  M 
sind  nicht  nur  einige  Strophen  ausgefallen,  sondern  auch 
mehrere  Strophen  durch  neue  Strophen  ersetzt  worden. 

Zu  der  au^lligen  akrostichischen  Form  in  T  ist  zunächst  zu 
bemerken,  dass  die  das  E  darstellende  Strophe  <r  (=  Strophe  irj* 
bei  Pitra)  mit  El  beginnt,  wo  El  wohl  antistöchisch  für  / 
steht  (also  tamvov).  Das  von  C  völlig  abweichende  Schluss- 
wort voofieag,  das  auch  die  Überschrift  von  T  bietet,  ist  schein- 
bar grösstenteils  durch  Umstellung  der  auch  in  BG  über- 
lieferten Strophen  zu  stände  gebracht.  Die  mit  H  beginnende 
Strophe  xe  ist  identisch  mit  Strophe  t#'  bei  Pitra,  nur  dass 
das  Wort  'Havxdaaie  an  den  Anfang  der  Strophe  gestellt  ist. 
Auch  die  zwei  Strophen  mit  -2*,  bei  Pitra  xf  und  xiy',  sind 
als  Strophen  xd'  und  xrf  vorhanden.  Nun  steht  aber  T  mit 
der  eigentümlichen  Form  des  Schlusses  der  Akrostichis  durch- 
aus nicht  allein.  Ganz  ähnlich  ist  die  Akrostichis  in  der  Über- 
schrift von  A  formuliert,  über  dessen  Text  ich  leider  keine 
Angabe  habe.  Ahnlich  die  Überschrift  in  B,  dessen  Text  aber 
mit    C    tibereinstimmt.     Der    Text    von    J    ergibt   vootieag  n. 


Die  Äkrostiekis  in  der  griedwtchen  Kirchenpoesie.  589 

Ausserdem  notiert  Pitra  S.  248  f.:  «In  nonnuUis  codd.  ultima 
troparia  ita  inter  se  connectuntur,  ut  alia  sit  obscura  acro- 
stichis:  'Avaotaolov  tov  xaneivov  voolag  (sie),  quae  morosius 
extricare  me  piget''.  Die  «nonnulli  codd/  sind  wohl  unter 
den  von  Qoar  genannten  Barberini  und  Gryptoferratenses  zu 
suchen  (vgl.  Pitra  S.  242).  Es  ist  daher  wohl  zu  vermuten, 
dass  in  dem  rätselhaften  vootjeag  oder  voaiag  oder  voat  der 
Oenetiv  eines  zu  *Avaoxaolov  gehörenden  Ortsnamens  stecke, 
und  erst  später  die  Umarbeitung  des  dunkeln  Wortes  in  ahog 
vorgenommen  wurde. 

89.  Qregorios.  Der  hl.  Markianos.  80.  Oktober, 
(fehlt  bei  NiDes).   Pitra  S.  273  f.  (aus  C).    Dazu  P  fol.  19^-20^ 

Überschrift:  fehlt. 

Text:  rgt], 

Prooemion :  'H  (pmravyijg. 

Strophe  a:  Fvibaiv  rtjv  äQQrjxov. 

90.  Georgios.  Mariae  Aufnahme  in  den  Tempel. 
21.  November.  Pitra  S.  275-283  (aus  CT).  Dazu  jetzt  P 
fol.  66^-69^ 

Überschrift:  (pegov  äxQoaxixi^o.  x^vdß.  tov  Taneivov  ye- 
(ogylov  vfivog  PT.  (Pitras  Angabe,  T  habe  nur  die  kurze 
Lberschrift  Elg  etaodov  xfjg  navaylag  Oeoxdxov  beruht  auf  Irr- 
tum ;  die  Akrostichonnotiz  steht  vielmehr  in  T  und  fehlt  in  C, 
aus  dem  sie  Pitra  falschlich  anführt.) 

Text:  xov  xanetvov  (so)  yccogyiov  vfivog  {v/nv  T)  PT:  nur 
Prooemion  und  3  Strophen  C. 

Prooemion:  'O  xa^agioxaxog  vaog, 

Strophe  a:  Töjv  äTzoQQT^xwv  xov  ^eov, 

91.  Kyriakos.  Die  Auferweckung  des  hl.  Lazarus. 
Samstag  der  sechsten  Fastenwoche.  Verstümmelter  Text  nach  C 
bei  Pitra  S.  284—288.  Vollständige  Ausgabe  mit  Hilfe  von  V 
bei  Krumbacher,  Romanos  und  Kyriakos  S.  726 — 735. 

Überschrift:  (psgov  dxgooxixiicL'  Tzolrjjua  xvQiaxov  V. 

Text:  ebenso  V. 

Prooemion:  Ad^agov  xov  <püov  oov. 

Strophe  a:  ücog  vßivi^aa),  dxaxdXrjTixe. 


590  K 

d2.  Theodoros  (?)  Stadites.  Der  hL  Paulos  ron 
Konstantinopel.    6.  XoTember.    Pitia  &  336—338. 

Cberschrift:  ^foor  dxoofni^ida.  rov  otovihov  CV. 
Text:  Tov  öo  C:  rov  aro  V. 
Prooemion:  IIiaTtf'&el;  i^eia  yi/foy. 
Strophe  ai  Tov  iau:nrjoa  yrojgiO&incL 

Dass  der  Autor  Theodoros  Studites  sei,  vermutet  Pitra. 
weil  der  das  Lied  Qberliefemde  Codex  C  eine  besondere  Vor- 
liebe für  Theodoros  Studites  zeige (?). 

93.  Theodoros  Studites  (?).  Der  hl.  Euthymios. 
20.  Januar.     Pitra  S.  338—340. 

Lberschrift:   q^egov  äxooarixiSa.   i(oaff6gco   C:   fehlt  V- 
Text:  eoyofpoQü)  CV. 
Prooemion:  T(ö  ^eco  äjib  ^TJxgag, 
Strophe  a:  Ev&vßieho}  q:tQ(Dvvfiwg. 

Die  Autorschaft  des  Theodoros  Studites  vermutet  Pitra, 
weil  dieser  eine  besondere  Vorliebe  fttr  den  Hirmus  T<^  dfö> 
(inb  /jttjrgag  habe  und  ihn  demnach  wohl  selbst  verfasst  habe(?). 

94.  Theodoros(?)  Studites.  Der  hl.  Basilios.  I.Jan. 
Pitra  S.  346—348. 

Lberschrift:  rov  arovdirov  (als  Autorangabe)  C. 
Text:   rov   oTova  C.      Es   sind   also   wohl   die   Strophen 
—  dixov  riö/i  —  ausgefallen. 
Prooemion:  Td  ^eoßgvra. 
Strophe  a:  Tignexai  oijjueQov. 
Theodoros  ist  Vermutung  Pitras. 

95.  Theodoros  (?)  Studites.  Der  hl.  Nikolaos.  6.  No- 
vember.     Pitra  S.  355-358  (nach  C).     Dazu  P  fol.  95'- -96'-. 

Überschrift:  q?eQOv  axQoouxi^o.  irivde  (rijvejß  fehlt  C). 
rov  OTOvdirov  PC. 

Text:  ebenso  PC. 
Prooemion :  Tm  (paeivco  aov  ßio). 
Strophe  a:  Ttp  delcp  fivgcp  ;fßeöd«Ta. 
Theodoros  ist  Vermutung  Pitras. 


Die  AkrostiefM  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  591 

96.  TheodorosStudites.  Totenlied.  PitraS.373— 377. 

Überschrift:  q?€QOv  äxQoouxiSa.  <p(ovi}  ^eodcigov  C. 
Text:  ebenso  G. 
Prooemion:  Tov  fiBjaaxdvxa, 
Strophe  a':  ^qixtöv  ßkinoi. 

97.  Josephus  Hymnographus.  Vorabend  von  Weih- 
nachten.   Pitra  S.  381—383  (aus  T).    Dazu  P  fol.  120»^— 121'. 

Überschrift:  Kein  Vermerk  PT. 
Text:  "liooYifp  PT. 
Prooemion :  'H  nag'&ivog. 
Strophe  a\  'legal  7tQoq)rjT(bv. 

Die  von  Pitra  am  Schluss  beigefügte  am  Anfang  ver- 
stümmelte Strophe  C  steht  in  T  fol.  38''— 39^  als  Schlussstrophe 
des  Liedes  auf  den  hl.  Ignatios  (Pitra  S.  388  —  390;  in  P 
fol.  109^ — HO*"  nur  Prooemion  und  3  Strophen),  in  dessen  Zu- 
sammenhang es  allerdings  nicht  passt.  Dort  (fol.  38^)  steht 
aber  auch,  was  Pitra  übersehen  hat,  der  Anfang  der  Strophe: 
0i.oy€Q(öv  lenovQyicbv  nagioTa/LiS  — .  Sie  dient  dort  zur  Vol- 
lendung der  Akrostichis:  d){d)i^  Ucooi^cp.  In  P  fehlt  diese 
Strophe.  Um  Klarheit  zu  schaffen,  müssten  beide  Lieder  mit 
genauer  Beschreibung  des  handschriftlichen  Tatbestandes  vor- 
gelegt werden.  Ich  muss  mich  heute  damit  begnügen,  auf 
die  Aporie  hingewiesen  zu  haben. 

98.  Josephus  Hymnographus.  Nachfest  von  Epiphanie. 
7.  Januar.    Pitra  S.  400-404. 

Überschrift:  fehlt(?)  Vat.  reg.  H  46. 

Text:  Mt&EOQxta  zq)v  q)(oxov  (so)  ^dei  e  («  =  t)(üoriq). 

Strophe  a\  Movog  xa^agög. 

99.  Kosmas.  Mariae  Himmelfahrt.  15.  Aug.  Ediert 
im  «Anthologium  Romanum'  (mir  unzugänglich).  Analyse  und 
Proben  bei  Pitra  S.  527—529. 

Überschrift:  q)£QOv  äxQoarixlda  {xrivde  K)  (fj  äxQooxtxk 
BM)  ToU  xam^vov  xoofxa  {6  H)  v/ivo?  BCVHJKMT: 
fehlt  D. 


592  K.  Krumbad^ 

Text:  rov  raneivov  (so)  xoöfxä  vßAvog  BCVM:  zov  j<mn- 
vov  xo  E:  rov  rajuivod  D:  keine  Kotiz  über  HJT. 
Prooetnion:   Ttfv  iv  ngeoßelaig, 
Strophe  a:  Telxioöv  jiiov, 

100.  Anonymus.  Akathistos.  25.  März.  Pitra  S.  250 
— 262.  Aus  M  ed.  den  Text  ganz  unglaublich  fehlerhaft 
Amfilochij,  Textband  S.  106  — 111.  Bei  Pitra  leider  keine 
Angabe  über  die  Überschrift.  Ich  benütze  für  sie  folgende 
Codices:  Pfol.  209"^- 212^  M  fol.  154^-1 62^  T  fol.96'-10r; 
V  fol.  83^— 88^ 

Lberschrift:  xat'  älqxißtjxov  P:  ^  äxQoonxk-  äJapaßi]- 
xog  M:  E^ov  {&)  dxQoauxlda  xard  älipdßtjxov  T:  q^tQOv  äxQo- 
arixida  zov  äl(pdßr)tov  V. 

Text:  aßy.,.(o  (24  Strophen)  PMTV. 

Prooemion:  Tfi  inegfidxcp  oxQarrjytp  PMTV.  In  V  steht 
vor  dieser  berühmten  Strophe  noch  der  kleine  Prolog:  Ov  (nav)- 
6fie9a  xaxd  XQ^^^  dvvjjLvovvxig  ot,  ^eoxdxe,  xal  keyovxeq'  Xätot 
tj  xexQQixcojuevT}. 

Strophe  a:  ^Ayyekog  ngcoxooxdxrjg. 

Die  Zuteilung  an  Sergios  (z.  B.  bei  Pitra)  ist  falsch,  die 
an  Photios  (von  Papadopulos-Kerameus)  unsicher.  Vgl.  Papa- 
dopulos-Kerameus  BZ.  VI  (1897)  377  und  sein  Buch:  '0  '^xd- 
^loxog  "l>voc,  Athen  1903  {Bißho^xti  Magaaltj  dg,  2U). 
Dazu  meine  Bemerkungen  BZ.  XIII  252  ff.  Zur  Onentierung 
s.  auch  Nilles  II  154  ff. 

101.  Anonymus.    Grablied.    Pitra  S.  466 — 471. 
Überschrift:    (pigov   dxQoaxixidci'   hitxv^ßiov   fiiXog  xov 

xQioa^Xiov  C. 

Text:  *Emxvfißiov  fiikog  xoa  C. 
Prooemion:  Avvdfiei  &€ixfj  oov, 
Strophe  a:  *Ew6f]aov  (p6ßq), 

102.  Anonymus.  Verklärung  Christi.  6.  August. 
Pitra  S.  501-506  (aus  CT).  Dazu  noch  A  fol.  174'— 177% 
B  fol.  2'— 5%  D,  M  fol.  218»--222'  (s.  Amfilochij,  Pacsimile- 
band),  V  fol.  165^— 168% 


Die  Äkrostichis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  593 

Überschrift:  ij  äxQoanx^g,  elg  jtjv  fJieiafAOQfpaioiv  M:  elg 
rr]v  juerafiogcpcooiv  V:  fehlt  A(?)BCDT. 

Text:    Elg  rrjv  fiexafjLOQtpoyaiv  ABCVMT:    Elg  xijv  fiea- 
juogqpcooiv  D. 

Prooemion:  'Eni  tov  Sgovg, 
Strophe  a:  *EyiQ&f]Te  ol  vcu&eig, 

103.  Anonymus.    Mariae  Himmelfahrt.    15.  August. 
Pitra  S.  516-527  (aus  C).    Dazu  noch  V  fol.  172^— 173^ 

Überschrift:  (pigov  äxgoaxixlda.  rov  ä/Ltagrcokov  t6  nolriixa 
C:  (pigov  äxgooTixlda.  rov  äjiiagx  (Schluss  unleserlich)  V. 

Text:  ebenso  C:  lov  äfiagxoy  (Schluss  fehlt  durch  Blatt- 
ausfall) V. 

Prooemion  I :  *A(p^  ov  jLLerioxtjg, 

Prooemion  II:  'Qg  nolvxi/urjxov. 

Prooemion  III:  Tlßiiog  havxtov, 

Strophe  a  :  Tfj  Magiä/i, 

Haltlose  Vermutungen  über  den  Autor  bei  Pitra  S.  516;  527. 

104.  Anonymus.    Krankengebet.    Pitra  S.  532-535 
(aus  C). 

Überschrift:  <pegov  äxgoaxixida,  xov  IXeeivov  C. 
Text:  ebenso  C. 
Prooemion :  'H  h  ävdyxacg, 
Strophe  a:  Ti  do&eitj. 

Pitra  vermutet  (S.  532),  dass  sich  unter  der  bescheidenen 
Äkrostichis  Theodoros  Studites  berge. 

105.  Anonymus.    Die  hll.  Engel.    8.  November.    Pitra 
S.  538-540  (aus  C;.    Dazu  V  fol.  3^-4\ 

Überschrift:  (pigov  äxgoaxixida.  xov  äi,(pdßTjxov  CV. 
Text:  aeßyde  (so)  C:  aßyde  V. 
Prooemion:  'Agx^oxgdxtjye  '&eov, 
Strophe  a':  ^Avagx^,  dianoxa. 

Dero  gleichen  Prooemion  folgt  ein  anderes  Lied  auf  das- 
selbe Fest  in  P  fol.  Se*"— 38'.    Vgl.  Nr.  117. 


594  K.  KrMmbaAer 

B.  ünedierte  Lieder. 

Auch  hier,  wie  bei  der  Aufzählung  der  nicht  oder  Dur 
fragmentarisch  veröffentlichten  Lieder  des  Romanos  (S.  571  ff.), 
gebe  ich  zuerst  das  Material  aus  P,  dann  das  aus  Q,  dann  das 
der  übrigen  Hss,  soweit  ich  aus  ihnen  genügende  Notizen  besitze. 

106.  Joseph.  Die  hll.  Nazarios,  Gerbasios,  Prota- 
sios  und  Kelsios.    14.  Oktober.    P  fol.  4' — 5"". 

Überschrift:  (pigov  äxQoazixida  rtjvde,  &6ii  icoarjq)  F. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  Aa/iTtrfjQeg  (patdQoi 

Strophe  a:  'Qg  qxojavyeig, 

107.  Anonymus.  Der  hl.  Apostel  Lukas.  18.  Oktober. 
P  fol.  5^— 6\ 

Überschrift:  (pigov  AxQoonxida  xrjvde.  Adij  rdia  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  Ma&r^xijg  yevo/nevos. 

Strophe  a:  'Qg  iatgdg, 

108.  Leon.  Der  selige  Hilarion.  21.  Okt.  Pfol.7^-9'. 
Überschrift:  (pegov  äxgoouxlici  xijvde,  inog  Xiovtog  P. 
Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  *iig  qpcoaxfjga, 

Strophe  a:  *Egao&elg  xov  Xgtaxov, 

109.  Anonymus.  Der  hl.  ApostelJakob.  23.  Oktober. 
P  fol.  9^-1  K 

Überschrift:  (pegov  äxgooxixlda  xi^vde.  xov  fxivov  xdXa  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  'O  xov  naxgdg  /aovoyevtjg. 

Strophe  a:  Tdv  yovov  ae  xov  Icooijfp, 

110.  Joseph.  Der  hl.  Ignatios  Patr.  23.  Oktober. 
P  fol.  ir-12^ 

Überschrift:  (pigov  äxgooxixldct  xi^vde.  d)d^  Icooi^tp  P. 

Text:   ebenso  P. 

Prooemion:   ^coxoßöXotg  XdfAyfeoi, 

Strophe  a:  'üg  x(ß  (pcoxL 


Die  Äkrostichis  in  der  griechiachen  Kirchenpoeeie,  595 

111.  Paulos.  Der  hl.  Arethas  und  seine  Genossen. 
24.  Oktober.    P  fol.  12^-U^ 

Überschrift:  q>iQov  äxQoorixiAa  ii^vde.  xov  xdXa  navXov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  EvtpQoavvrjg  ngo^evog, 

Strophe  a:  Tbv  vovv  juov. 

112.  Stephanos.  Der  hl.  Demetrios.  26.  Oktober. 
Prooemion  und  7  Strophen  in  C.  Daraus  ed.  Pitra  S.  651  —  653. 
Prooem.  und  5  Strophen  in  D.  Vollständig  nur  in  P  fol.  15^ — 17^ 

Überschrift:  tpegov  äHQoajixido^  jrjvde.  tov  (rov  fehlt  D) 
areipdvov  6  dlvog  PD:  (pigov  AxQoarixida,  oietpog  C. 

Text:  Tov  öTecpdvov  S  dlvog  (17  Strophen)  P:  Toritpog 
C:  (jTeq>a  D. 

In  der  italischen  Redaktion  (C)  ist  aus  der  ursprüng- 
lichen Äkrostichis  durch  Auslassung  der  mittleren  Litterae  das 
Wort  axitpog  gebildet  worden,  wobei  freilich  das  T  der  ersten 
Strophe  in  der  Luft  schwebt.  In  D  ist  zwar  die  Überschrift 
annähernd  vollständig,  vom  Texte  sind  aber  nur  Prooem.  und 
5  Strophen  aus  dem  Anfange  des  Liedes  übrig  geblieben. 

Prooemion:  Toig  x(bv  al[jLdi(ov. 

Strophe  a':  Tovxov  xöv  fxeyav. 

113.  Anonymus.  Die  hll.  Zenobios  und  Zenobia. 
31.  Oktober  (bei  Nüles  I  311  am  30.  Okt.).    P  fol.  20'— 2P. 

Überschrift:  (pegov  äxQooxixida  xrjvde.  xö  enog  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  ügog  evoeßeiag, 
Strophe  d:  Tov  avaQyvgov, 

114.  Anonymus.  Der  hl.  Akindynos  und  seine  Ge- 
nossen. 2.  November.  P  fol.  25^— 27^  Prooemion  und  drei 
Strophen  auch  in  D. 

Überschrift:  cpigov  äxQooxixida  xijvde,  xov  xdXa  &rocPD. 
Text:  ebenso  P:  xov  D. 
Prooemion:  'Qg  äoxga, 
Strophe  d:  Tov  h  nekdyei. 


596  K.  Krumbather 

115.  Joannikios.     Der   selige  Joannikios.    4.  No- 
vember.   P  30^—34'. 

Überschrift:  (pigov  dxQoaiixl^  xj^vöe.  v/avog  xov  xami- 
vov  IcDawixiov  P. 

Text:  ebenso  (rcuietvot» !)  P. 
Prooemion :  *Ev  r/y  f^vtffJLfi, 
Strophe  a':  ^YntQovQdviE  ^ek. 

116.  Anonymus.  Der  hl.  Paulos  von  EonstantinopeL 
6.  November.    P  fol.  34^—35^. 

Überschrift:   <piQov  dxQoouxlda,  Ji^vde,   6  (Jvog  xala  P. 
Text:  6  alvog  TäkXa{so)  P. 
Prooemion:  ^Aorgätpag  Iv  yfj. 
Strophe  a:  'O^ioloylag  aivlog. 

117.  Anonymus  (Romanos?).  Die  hll.  Engel.  8.  Not. 
P  fol.  36^ — 38'.  Prooemion  und  die  ersten  8  Strophen  auch  in  D. 

tiberschrift:  tpigov  AxQoaxtxl^  xi^vde.  eig  xdv  ägxufrgd' 
xrjyov  P:  ^wjnavov  Tioitjßia.  q^igoor  ixgoaxixida  xrjvds.  dg  xov 
ägxioxgdxi]yov  D. 

Text:    elg  xov  ägxtaxgdrtjyov  (19  Str.)    P:   elg  xov  dg  D. 

Prooemion :  *Agxioxgdxi]ye  (vgl.  Nr.  105). 

Strophe  a:  '"Etprjg,  cpiXdv^gcoTie. 

Die  Zuteilung  des  Liedes  an  Romanos  durch  die  Autor- 
notiz in  D  bietet  für  die  Autorschaft  wohl  keine  genügende 
Gewähr.    Vgl.  Nr.  84. 

118.  Anonymus.  Die  hll.  Engel.  11.  Lied.  8.  'Sor. 
P  fol.  38'— 38\ 

Überschrift :  tpigov  dxgoaxixlda  xi^vde.  elg  xavg  doü)- 
judxovg  P. 

Text:  elg  P. 

Prooemion:  Tijg  xgrjmdog. 

Strophe  a:  *Ev  dvol^ei,  oa>xi)g. 

119.  Anonymus.  Der  selige  Theodoros  Studites. 
11.  November.    P  fol.  42^-43\ 

Überschrift:  fehlt  P. 


Die  ÄhrosHehia  in  der  griechischen  Rirchenpoesie.  597 

Text:  Tov  xaneivo  (10  Strophen)  P. 
Prooemion:  T6v  äaxrjuxdv, 
Strophe  a':  7a>v  äoxfjT(bv. 

120.  Anonymus.  Der  hl.  Johannes  der  Barm- 
herzige.   12.  November.    P  fol.  43^—45'". 

Überschrift:  (pegov  äxQoortxida  xi^vde.  eig  xdv  iXeij- 
fxova  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  T6v  nkovxov  xbv  aöv. 

Strophe  a:  *Em  xb  eleog. 

121.  Anonymus.  Der  hl.  Johannes  Chrysostomos. 
13.  November.    P  fol.  45'— 47\ 

Überschrift:    (pigov    äxQoaxixida    xi^vde.    ek    täv    xQ^' 

OOOXOfJtOV   P. 

Text:  elg  xbv  ;if;|f ^^vvaaooaoTTo/ioy  P. 
Prooemion:  *Ex  x(bv  oigavcbv. 
Strophe  a:  *Ex  xijg  nayxQvoov, 

Durch  die  seltsame  Verdoppelung  der  Litterae  X — T  wächst 
die  Zahl  der  Strophen  auf  24.  In  der  Marginalzählung  der  Hs 
sind  aber  die  Doppelstrophen  mit  der  gleichen  Nummer  be- 
zeichnet, so  dass  sich  nur  i^  Nummern  ergeben. 

122.  Oeorgios.  Der  hl.  Johannes  Chrysostomos. 
13.  November.    P  fol.  50^— 53\ 

Überschrift:  r;  ixQoaxixig»  xov  xaneivov  yecogylov.  Am 
Rande:  Uoltj/ia  yecoQyiov  P. 

Text:  xov  xaneivov  yeiogylov  (19  Strophen)  P. 
Prooemion:  fehlt. 
Strophe  a:  Tbv  xrjv  yrjv. 

128.  Studites.  Der  hl.  Johannes  Chrysostomos. 
13.  November.    P  fol.  53^— 55^ 

Überschrift:  (peQov  äxgoaxixtda  xrjvde.  vovv  7iaixq)arj  ncbg 
aiviaeig  &  axovdixa  P. 

Text:  Novv  na/LKpatj  ndvix  (15  Strophen)  P. 

Prooemion:  7a  ;|rßvo({TaTa. 

Strophe  a':  Nvv  xQ^^oaxdXiaxog. 


598  K,  Krumbad^ 

124.  Anonymus.    Der  hl.  Apostel  Philipp.    14.  Not. 
P  fol.  56^-57^ 

Überschrift:   (pigov  äxgcnjuxida  xfjvde.    jioifjßia  xdla  P. 
Text:  ebenso  (10  Strophen)  P. 
Prooemion:  "Ov  ol  nQoqnjjai, 
Strophe  ai  IleQKpeQÖfievog. 

125.  Anonymus.   Der  hl.  Apostel  Matthaeos.  16.  No- 
vember.   P  fol.  60^-61\ 

Überschrift:    (pigov  äxQoarixlSa  xtjvdB,   jJ  wdij  rdia  P. 
Text:  ebenso  (8  Str.)  P. 
Prooemion:  Tov  relovlov, 
Strophe  a  :  'H  tov  Ix&qov. 

126.  Anonymus.    Der  hl.  Oregor  der  Wundertäter. 
17.  Nov.    P  fol.  62''-64\ 

Überschrift:    (pigov   ängoaTixi^  rtjvde.    Jioifjfta   elg  rov 
^avfiaxovgyov  P. 

Text:  ebenso  (24  Str.)  P. 
Prooemion :  Oav/ndxcDv  TtoXX&v. 
Strophe  a:  Ilö&ev  änägSo/nai, 

127.  Anonymus.     Der   hl.   Piaton.      18.   November. 
P  fol.  64^—65'. 

Überschrift:  xavit]  ^  <hdi}  xdJ,a  P. 
Text:  Tai'  P. 

Prooemion:  'H  äyia  fivfujLti  oov, 
Strophe  a\  7a>v  'EiX7]V(ov  linwv. 

128.  Joseph.  Der  hl.  Gregorios  Dekapolites.  20.  No- 
vember.   P  fol.  öö*" — 66\ 

tiberschrift:  (pegov  äxQoaxixida  xi^vde.  Icoat'jfp  P. 

Text:  lojotjcp  P. 

Prooemion :  ^coxavyiag  ^liov. 

Strophe  a:  'hgoig  ol  nioxol. 

129.  Anonymus.    Die    hl.   Katharina.    24.  November 
(dieses  Datum  in  P!).    P  fol.7K-73^ 

Überschrift:  (pegov  dxgoaxixidn  xtjvÖe,  xov  fAOvov  rar«- 
vov  i)  (bdtj  P. 


Die  Akrostickia  in  der  grieMä<Aen  Kirchenpoesie,  599 

Text:  ebenso  {xaneirov)  P. 
Prooemion:  Xogelav  oejtrrjv. 
Strophe  a:  Tfjv  ix  ^eov, 

130.  Anonymus.     Der  hl.  Petros   yon   Alexandria. 
25.  November  (dieses  Datum  in  P!).    P  fol.  73'— 75^ 

Überschrift:   q>iQOv  äxQoauxiSa  xi^vde,   Snog  xov  fidvov 
joneivov  P. 

Text:  ebenso  {laTieivov})  P. 
Prooemion:  ^Og^odöSoig  döy/naot, 
Strophe  a  :  'Eni  Tr]v  ^avjLLaarfjv. 

131.  Anonymus.     Der   hl.  Alypios.     26.  November. 
P  fol.  76^—77'. 

Überschrift:   (pigov  äxQoarixi^oL  ri^vde.  äXvjiUo  dlvog  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  'Ayyelixrjv, 
Strophe  a:  'Avaxga&elg, 

132.  Anonymus.   Der  hl.  Jakob  der  Perser.    27.  Nov. 
P  fol.  77^-79'". 

Überschrift:    (pigov  äxQoarix^da  ii^vde,    alvog  olxTQÖg  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  Ueio'&elg  xfj  xaXfj, 
Strophe  a  :  ^Anb  tpvx^g- 

133.  Abbas.     Der    hl.  Stephanos    der    Jüngere. 
28.  November.    P  fol.  79^- 80^ 

Überschrift:  (pigov  äxQoarixlda  xijvde.  üfAvog  äßßd  P. 
Text:  ebenso  (9  Str.)  P. 
Prooemion:  'O/icowjuog  ooq)L 
Strophe  a':  'Yno  x^g  arjg, 

134.  Anonymus.    Der  hl.  Apostel  Andreas.   30.  Nov. 
P  fol.  81'-83\ 

Überschrift:  fj  äxQOoxtx^  xaid  äXq>dßr}TOv  P. 
Text:  aßyd,,,(o  (24  Str.)  P. 
Prooemion:   Tdv  xrjg  ävögelag. 
Strophe  a:  ^vod'^ev  jukv, 

1908.  Sitagsb.  d.  phUoB.-philoL  a.  d.  hiBt.  KL  40 


600  K.  Krumbacher 

135.  Anonymus.  Der  hl.  Apostel  Andreas.  11.  Lied. 
P  fol.  83^-84\ 

Überschrift:  eregoi  ohcoii  -rjxoQ  6  avxogx  -ngog  tö  Tgä- 
vcooov  jLLov:  -9?*  (also  wohl:  (pigovreg  oder  (pegovoi  zu  lesen) 
äxQooTixida»  6  alvog  xäkla  P. 

Text:  ebenso  (11  Str.)  P. 

Prooemion:  fehlt. 

Strophe  a:  ^Oooi  ^iW/icwff. 

136.  Anonymus.  Der  hl.  Apostel  Andreas.  IIl.  Lied. 
P  fol.  85^-86^ 

Überschrift:  q^egov  äHQoarixida  Ttjvds.  xov  ä/MXQTCokov  P. 
Text:  ebenso  (12  Str.)  P. 
Prooemion:   Trjg  vorjT^g. 
Strophe  a:  T6v  y)t](pcp  ^eiq. 

137.  Anonymus.  Die  hl.  Barbara.  4.  Dezember. 
P  fol.  87^ -89^ 

Überschrift:  q)iQOv  äxQoanxi^oL  tyjvöe,  Tavxfj  ^  (hdij  rdla  P. 

Text:  tavtt]  rj  (leerer  Raum  ohne  Text)  codtjTa  (leerer 
Raum  ohne  Text)  ka  (leerer  Raum  ohne  Text)  P.  Es  sind 
also  von  den  13  zu  erwartenden  Strophen,  deren  Nummern 
auch  am  Rande  vollzählig  notiert  sind,  die  6.,  11.  und  13.  in 
der  Vorlage  von  P  verloren  gegangen. 

Prooemion:  Tco  vv/Kplq)  aov, 

Strophe  a:  Ttjv  vv^uptv^eloav. 

138.  Symeon.  Der  hl.  Sabas.  5.  Dez.  P  fol.  89^— 90^ 
Überschrift:  (peQov  äxQoauxdci  rijvde,  av/ueä^v  ^  (hdi^  P. 
Text:  ebenso  (10  Str.)  P. 

Prooemion:   Tdv  ßiov  evoeßcög. 
Strophe  a:  Zotplag  ijidQxcov, 

189.  Anonymus.  Der  hl.  Ambrosius.  7.  Dezember. 
P  fol.  96^-97^ 

Überschrift:  (pigov  dxQoarixlda  Ttjvde,  alvog  P. 
Text:  ahogg  (6  Str.)  P. 
Prooemion:  "QoneQ  äoiiga, 
Strophe  a\  Avyaoov  fxov. 


Die  ÄkrosHehis  in  der  grieehisehen  Kirehenpoesie,  601 

Die  erste  Strophe  mit  2  (5)  bringt  das  bilderreiche  Lob 
des  Heiligen  aas  Strophe  2 — 4  zum  Abschluss«  Erst  die 
zweite  Strophe  mit  2*  (6)  enthält  den  üblichen  Abschluss:  ein 
Gebet  an  den  Heiligen  um  Fürbitte  für  das  Seelenheil  aller 
seiner  Verehrer,  und  bildet  so  das  rechte  Gegenstück  zu  Strophe  1, 
in  der  der  Dichter  den  Heiligen  um  Erleuchtung  anruft. 

140.  Anonymus.  Der  hl.  Patapios.  8.  Dezember. 
P  fol.  97^— 98\ 

Überschrift:  (pigov  äxQOouxlda  xi^vde.  ij  (bdrj  xdla  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  Tbv  va6v  oov, 
Strophe  a:  'H  oogög  aov, 

141.  Anonymus.  Die  Empfängnis  der  hl.  Anna. 
9.  Dezember.    P  fol.  99^-100'. 

Überschrift:  äxQoaTixig*  ädco  (als  Randnotiz)  P. 
Text:  äd(o  P. 
Prooemion:  'iig  nXaivxiQa, 
Strophe  a\  ^Aqqtjxov  ßXinmv. 

142.  Anonymus.  Der  hl.  Daniel  Stylites.  11.  Dez. 
P  fol.  100^-1  Ol \  In  T  nur  Prooemion  und  Strophe  a—y. 
Vgl.  Pitra  S.  564  f. 

Überschrift:  q^igov  äxQoarixida  rijvde,  ^  (hdfj  xdka  fxdvov  P. 

Text:  fj  (bdfj  xdka  fiövov  v  (14  Strophen)  P:  ij  (hd  T. 

Prooemion:  "ßoneg  äoxi^Q. 

Strophe  a:  'H  cßörj  ^nagä. 

Mit  der  Doppelung  des  Schlussbuchstaben  verhält  es  sich 
ähnlich  wie  in  Nr.  139.  Die  mit  dem  Vorhergehenden  nur  lose 
verknüpfte  Schlussstrophe  (zweites  Y)  enthält  eine  Bitte  an  den 
Heiligen  um  Schutz  für  das  Kaiserhaus  (xovg  maxohg  ßaoileig 
ilfi&v  qwXaxxe;  vgl.  Erumbacher,  Studien  S.  254  Anm.),  Er- 
haltung des  Patriarchen,  Stärkung  des  Heeres  u.  s.  w. 

143.  Anonymus.  Der  hl.  Eustratios  und  seine  Ge- 
nossen.   13.  Dezember.    P  fol.  103'— 105^ 

Überschrift:  tpigov  äxgoaxixlda  xi^vde.  xd  vq>og  /uovov 
vmewcv  P. 

40* 


602  JL  Krunibadur 

Text:  ebenso  (janeivovl  19  Str.)  P. 
Prooemion:  Ilgög  rovg  äv6fiovg, 
Strophe  a':  Tb  Coipegdv. 

Das  Prooemion  ist,  trotz  der  gleichen  Anfangsworte,  nicht 
identisch  mit  dem  bei  Pitra  S.  370. 

144.  Anonymus.  Die  hl.  Anastasia.  22.  Dezember. 
P  fol.  110^—112«'. 

Überschrift:  (peqov äxQoaxixlda  Trjvde.  tovto t6  &iog xdXa  P. 
Text:  Tovxo  xd  inos  xdXXa  (16  Str.)  P. 
Prooemion:  Ol  iv  jteiQaaßioTg. 
Strophe  a':  Tfjg  ävaaxdaecDg. 

145.  Anonymus.  Die  hll.  zehn  Märtyrer  auf  Kreta. 
23.  Dezember.    P  fol.  112'*— 113^ 

Überschrift:  q>£Qov  äxQoaxixlda  xi^vde.  ^nog  elg  xovg  dexa 
äyiovg  P. 

Text:  enog  P. 
Prooemion:  'O/nöifvxoi. 
Strophe  a':  "Elaßixpev, 

146.  Anonymus.  Vorfeier  von  Weihnachten.  P 
fol.  118'— 119\    In  D  Prooemion  und  Strophe  a— 3'. 

Überschrift:  (pEQOv  äxQoaxixUcL  xijvde.  xavxt]  y  Adi] 
xdXa  PD. 

Text:  ebenso  (13  Str.)  P:  xavx  D. 

Prooemion:  Evtpgalvov,  Brj'&lei/i, 

Strophe  a:  Trjg  aijg,  Ttag^ive. 

Das  Prooemion  und  Strophe  a — /  stehen,  wie  in  P  zur 
Vorfeier  von  Weihnachten,  auch  in  T  fol.  40b'^ — 41^ 
Pitra  (S.  455  ff.)  hat  das  Prooemion  und  Strophe  a  unterdrückt 
und  mit  Strophe  ß'  y  ein  Prooemion  und  drei  andere  Strophen, 
die  in  T  fol.  51**"^  zum  Sonntag  nach  Weihnachten  stehen 
(=  Prooemion  und  Strophe  d — /  von  Nr.  148),  verbunden  und 
die  Strophen  so  gestellt,  dass  die  Akrostichis  vaa/ia  entsteht. 
Dieses  Verfahren  rechtfertigt  er  also:  „Extat  in  taur.  f.  51,  in 
quo  inter  duas  dominicas  ante  Natalia  sie  dividuntur  trop. 
promiscue,  ut  nulla  acrostichis  maneat*.    Weiter  kann  man  in 


Die  ÄhrosHMa  in  der  griechitühen  Kird^enpoeeie.  603 

der  wildesten  Willkür  nicht  mehr  gehen.     Natürlich  sind  die 
zwei  Liedfragmente  in  T  an  ihren  Stellen  zu  belassen. 

147.  Anonymus.    Nachfeier   von  Weihnachten. 
26.   Dezember.    P  fol.  126'— 127S  D. 

Überschrift:   (pegov  äxQoonxlda  rijvde,   rcbv  Ijidoxlcjv  i} 

(hd^  P:  (pigcDv  äxQoozixlda.  icbv (Rasur)  (hdij  D. 

Text:  Twv  ind  P  (es  fehlen  also  9  Strophen):  rwv  In  D. 
Prooemion:  *Ev  xfj  BtjMeißj.. 
Strophe  a:  Tdv  tov  #£ov. 

148.  Anonymus.      Sonntag    nach     Weihnachten. 
P  fol.  135'— 136',  D. 

Überschrift:   tpigov  AxqootixI^o,  trjvde.   äojLia  lAXa  PD. 
Text:  ebenso  (8  Str.)  P:  aopi  D. 
Prooemion:  Xogog  x(ov  7iQo<pi]T(bv. 
Strophe  a':  ''Anav  vexQCjoavxeg. 
Vgl.  die  Notiz  zu  Nr.  146. 

149.  Anonymus.    Der  hl.  Basilios.    1.  Januar.    P  fol. 
137'— 139\ 

Überschrift:   (pigov  äxQooTixida  xijvde,  nolrifia  eis  ßaoU 
leiov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion :  7a  ßd'&rj  x^g  aotpiag. 

Strophe  a:  Iläaa  fj  ohcov^hr], 

150.  Anonymus.   Die  siebzig  Jünger.   5.  Januar  (bei 
Xilles  am  4.  Jan.).     P  fol.  141^—143'. 

Überschrift:  (pegov  äxQoaxix^da  xijvde.  äofxa  xAla  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  ^Aoxigag  (paetvovg. 

Strophe  a':  *And  na^&v. 

151.  Gabriel.    Vorfeier  der  Theophanie.    5.  Januar. 
P  fol.  143'— 143\ 

Überschrift:    <peQov  äxgooxixlda  xi^vde.    Adrj  yaßQiTJl  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  0a)g  voegdv. 
Strophe  a:  ^Q  ä<pdxov. 


604  x:  Erumbaeher 

152.  Anonymus.  Vorfeier  der  Theophanie.  P 
fol.  143^— U4\ 

Überschrift:  ipigov  äxQoanxl^  ttiv&b,  äo/ia  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  'O  Tfj  '&eü(fj. 
Strophe  a:  *Axaxdli]7ZTog, 

153.  Anonymus.  Der  hl.  Polyeuktos.  9.  Januar. 
P  fol.  152^— 153\  Pitra  S.  594  f.  ed.  das  Prooemion  und 
Strophe  a — /  aus  T. 

Überschrift:  g^igov  äxQoaiixida  ti^vde.  enog  rdia  P. 
Text:  ebenso  (8  Str.)  P:  eno  T. 
Prooemion:  Tov  acox^Q<K, 
Strophe  a:  *Ev  'loQddvfi  noxaiAtp. 

154.  Anonymus.  Der  hl.  Gregor  von  Nyssa.  10.  Jan. 
P  fol.  153^—155'. 

Überschrift:  q)SQOv  (fpeg*^)  äxgomixlda  ti^vde,  ek  tov 
vvorjg  (so)  P. 

Text:  ebenso  (11  Str.)  P. 
Prooemion:  Td  S/ix/na  xrjg  y^xti^- 
Strophe  a':  *E^  äfieXeiag. 

155.  Anonymus.  Der  hl.  Theodosios.  11.  Januar. 
P  fol.  155^^—156^  Prooemion  und  Strophe  a— d'  auch  in  T, 
woraus  Pitra  S.  612  f.  das  Prooemion  und  Strophe  a—y 
edierte  (<J'  blieb  aus  Versehen  weg).  Prooemion  und  Strophe 
a — y  auch  in  M.  Den  ganzen  in  P  erhaltenen  Text  ed. 
Erumbacher,  Studien  zu  den  Legenden  des  hl.  Theodosios, 
Sitzungsber.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  El.  d.  Bayer.  Akad.  1892 
S.  325—332. 

Überschrift:  fehlt  PMT. 

Text:  aßydsCti»  P:   aßyd   T:   aßy  M. 

Prooemion :  Ileipvxevfjievog, 

Strophe  a':  ^Av&QOinog  fjikv. 

156.  Anonymus.  Die  hll.  Äbte.  14.  Januar.  P  foL 
157^ — 158^.  Prooemion  und  Strophe  a  auch  in  T  und  im 
Vatic.  1510.     Daraus  ed.  von  Pitra  S.  605. 


Die  ÄhrosHekis  in  der  ffriethisd^en  Kirchenpoesie.  605 

Überschrift:   (pegov  {(pig*^)   äxQoarixlda  xtjvde.    xo  Snog 
läXa  P. 

Text:  ebenso  (10  Str.)  P. 
Prooemion :  *Ex  t^c  xoojLuxfjg. 
Strophe  a:  Tä  inl  yfjg. 

157.  Anonymus.    Der  hl.  Paul  von  Theben.    15.  Jan. 
P  fol.  159'-160\ 

Überschrift:   (piQOv  äxQoanxldcL  z^vde.   S  alvog  idla  P. 
Text:  ebenso  (10  Str.)  P. 
Prooemion:  T6v  qxoaxrJQa, 
Strophe  a:  'O  Iv  vyjtoxoig. 

158.  Anonymus.  Die  Zurückführung  des  hl.  Petros. 
16.  Januar.    P  fol.  161^"^ 

Überschrift:  q)iQov  äxQoaxixi^  ovv  xov  xovxaxlov  (ab- 
gekürzt),   äo/m  P. 

Text:  äa/LLa  (mit  dem  Prooemion  beginnend!)  P. 
Prooemion:  *Avaßdg  cbg  ^kiog. 
Strophe  a:  Hxi^krj  Sfznvovg. 

159.  Anonymus.  Der  hl.  Antonios.  17.  Januar. 
P  fol.  161^— 163\ 

Überschrift:  (pigov  äxgooxiyjda  xtjvds,  xovxo  x6  ijcpog 
T(üa  äjtav  P. 

Text:  ebenso  (19  Str.)  P. 
Prooemion:  Tovg  ßicoxixovg. 
Strophe  a:  T^g  xov  Xqioxov, 

160.Theodoros(?)Studites.  Derhl.  Antonios.  17.  Jan. 
P  fol.  163^-164'  (Prooemion  und  4  Strophen).  C  fol.  46'  -  47^ 
(Prooemion  und  1 1  Strophen).  V  fol.  48'— 49^  (wie  C).  Ed. 
Pitra  S.  377—380  (aus  C). 

Überschrift:  (pigov  äxQooxixida  xrivde.  xov  axovdlxov 
niwfAvog  elg  ävxthviov  P:  fehlt  C:  Tiolrijuia  axovdlxov  V. 

Text:  xovv  P:  xov  axovölov  CV. 

Prooemion:  *Ev  oagxl 

Strophe  a:  Tbv  tpcoaxrJQa, 


606  2C  Knmbadier 

Das  Lied,  das  ich  unter  den  Inedita  einreihe,  weil  die 
Hauptsache,  die  Akrostichis,  neu  ist,  bietet  ein  höchst  lehr- 
reiches Beispiel  der  ungeheueren  Verluste,  welche  die  Hymnen- 
dichtung  schon  in  früher  Zeit  erlitten  hat.  Durch  einen  Zufall 
ist  in  P  die  yoUständige  Akrostichis  erhalten,  nach  der  das 
Lied  ursprünglich  nicht  weniger  als  31  Strophen  umfasste, 
also  an  Umfang  den  grössten  Hymnen  des  Romanos  gleich- 
kam. Hievon  sind  in  der  italischen  Redaktion  GY  die  ersten 
11  Strophen  erhalten,  die  das  Akrostichon  rov  axovdiov  (so^i 
ergeben;  es  ist  also  das  t  ausgefallen;  denn  man  darf  wohl 
kaum  annehmen,  dass  etwa  das  Kloster  Studion  als  Autor 
bezeichnet  und  so  eine  Art  EoUektiTarbeit  angedeutet  war. 
Li  P,  der  sonst  den  anderen  Hss  gegenüber  so  häufig  voll- 
ständige Texte  bewahrt,  ist  das  grosse  Lied  auf  4  Strophen 
reduziert,  und  zwar  stehen  Strophe  a — /,  die  den  ersten 
drei  Strophen  in  CV  entsprechen,  an  der  richtigen  Stelle; 
Strophe  d'  aber  (JV)  stellt  offenbar  die  ursprüngliche  Schluss- 
strophe dar,  die  wegen  des  Schlussgebetes  beibehalten  wurde, 
um  das  kleine  Fragment  wenigstens  äusserlich  abzurunden. 
Vgl.  Krumbacher,  Studien  zu  den  Legenden  des  hl.  Theodosios 
(vgl.  oben  Nr.  155)  S.  333  f. 

161.  Abbas.  DerhLKyrillos  von  Alezandria.  18.  Jan. 
P  fol.  164'-\ 

Überschrift:  cpigov  äxQOorixiSa  ti^vde.    äßßä  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  Tag  töjv  algiaecov. 

Strophe  a:  *A7ioxa'9<iQag, 

162.  Anonymus.    Der  hl.  Kyrillos  von  Alexandria. 
P  foL  164^— 165^ 

Überschrift:  fehlt  P. 
Text:  taivog  P. 
Prooemion:  ^Aßvaaov  fifuv, 
Strophe  a\  TeQnvdg. 

Das  Beispiel  ist  bemerkenswert,  weil  hier  offenbar,  gegen 
die  Gewohnheit,   nicht  einige  Strophen  vom  Anfang  mit  der 


Die  ÄkrosHchis  in  der  grieehisehen  Kirehenpoesie.  607 

Schlussstropbe  (vgl.  Nr.  160),  sondern  die  erste  Strophe  und 
die  fünf  Schlussstrophen  gerettet  sind.  Die  vollständige  Akro- 
stichis  lautete  etwa  r{ov  axovditov)  alvog. 

163.  Abbas.  Der  hl.  Makarios  yon  Ägypten.  19.  Jan. 
P  fol.  165^— 166^ 

Überschrift:  q)€Qov  (tpig'^)  äxQoarixldci  Ti^vde.  rov  äßßdF. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  Tgoi^elg  xcß  tivqI. 
Strophe  a:  Twv  xov  xvqIov. 

164.  Anonymus.  Der  hl.  Euthymios.  20.  Januar. 
P  fol.  166^-169'. 

Überschrift:  (pigov  äxQooTixlda  xrjvdt.  elg  rdv  Soiov  eö- 
{^vjuiov  6  vfivog  ovrog  P. 

Text:  ebenso  (30  Str.)  P. 
Prooemion:  'Ev  xfj  osTvifj, 
Strophe  a:  *Ex  ^&vfiov. 

Das  lange  Gedicht  ist  schlecht  versifizierte  langweilige 
Prosa.  Dass  der  Redaktor  von  P  (bezw.  seiner  Vorlage)  das 
öde  Machwerk  der  unverkürzten  Aufnahme  würdigte,  ist  bei 
seinem  sonst  recht  guten  Geschmack  unbegreiflich.  Der  Ver- 
fasser, der  in  weiser  Bescheidenheit  sich  in  völlige  Anonymität 
hüllte,  ist  wohl  unter  den  Männern  von  Studion  zu  suchen. 

165.  Anonymus.  Der  hl.  Apostel  Timotheos  und 
der  hl.  Anastasios.    22.  Januar.    P  fol.  170'— 171\ 

Überschrift:  q)€Qov  äxQoaxixida  xtjvde,  tj  (hdf]  elg  xovg 
üo  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  T6v  &eTov  fxa^xijv. 

Strophe  a:  'HUov  jiXiov. 

166.  Johannes.  Die  hll.  Riemens  und  Agathangelos. 
23.  Januar.  P  fol.  172''— 173"^.  Prooemion  und  Strophe  a — / 
auch  in  T.    Daraus  ed.  Pitra  S.  575  f. 

Überschrift:  (pigov  äxQOoxix^da  xrivdt,  äojna  loydwov  P: 
fehlt  T. 

Text:  äo/ia  Icodvvov  v  (12  Str.)  P:  aofi  T. 


608  J^  Krumbaeher 

Prooemion:  4^r^y  eMaJtkg, 
Strophe  ai  *AiOßiauHÖK» 

Die  zweite  Schlussstrophe  (zweites  Y)  enthält  ein  Schluss- 
gebet.   Vgl.  Nr.  142. 

167.  Anonymus.  Der  hl.  Gregor  von  Nazianz. 
25.  Januar.    P  fol.  173^— 175^ 

L  berschrift:  q^igov  äxQoari^lda  rtjvSe.  elg  tov  ^eoloyov  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  OeoXöyq)  yld>oojj  oov, 

Strophe  a':  *Ex  jfjg  ^eoXoyixijg. 

168.  Anonymus.  Der  hl.  Johannes  Chrysostomos. 
27.  Januar.  P  fol.  176^— 178^  Das  Prooemion  und  Strophe  a. 
ß",  6'  auch  in  C.    Daraus  ed.  Pitra  S.  566  f. 

Überschrift:  (pigov  äxQoouxi^  xi^vde.  ^  (bdij  devriQa  P. 
Text:  ^  (hdi]  deviega  a  P. 
Prooemion:  Evq)Qäv&rj, 
Strophe  a:  'H  Xa/njidg. 

Die  zweite  Schlussstrophe  (zweites  A)  enthält,  wie  üblich, 
ein  Gebet  an  den  Heiligen.  Nicht  gerade  poetisch,  aber  lehr- 
reich für  die  Beurteilung  der  Doppelung  ist  es,  dass  die  Strophe 
hier  ausdrücklich  als  Ephymnion  bezeichnet  wird.  Sie  be- 
ginnt mit  den  Versen  (ich  behalte  die  Versinterpunktion  der 
Hs  bei):  ^Ano  ipvxrjg  nQOOipegößievov.  xb  Itpvfiviov.  ovfuta&iütmt 
TiQoode^aL  xal  xov  Öeivov  xoa/aoxQdxoQog.  ^oai  fAS  Xixaig  oov. 

169.  Anonymus.  Der  hl.  Ephraem.  28.  Januar. 
P  fol.  178'— 180^ 

Liberschrift:  tpegov  ixQooxixl^  xrfvdB.  elg  x6v  ovgor 
iq?galfJL  P. 

Text:  elg  xov  avgov  iq}gaißiig  (19  Str.)  P. 
Prooemion:  Trjv  aigav  Ael. 
Stro})he  a:  *Ex  xcbv  va/idxcoy. 

Die  zwei  nach  der  akrostichischen  Reihe  noch  folgenden 
Schlussstroi)hen  (ig)  werden  am  Rande  als  olxoi  ixegoi  bezeichnet. 
Was  für  eine  Bewandtnis  es   mit   ihnen   hat,  ist   mir  dunkel. 


Die  Äkrostithia  in  der  griediüehen  Kird^enpoeeie.  609 

Nach  ihrem  Inhalt  wäre  es  denkbar,  dass  sie  ursprünglich  für 
die  Buchstaben  H  und  /  innerhalb  der  Akrostichis  (Strophe  7 
und  16)  dienten,  dann  durch  andere  Strophen  ersetzt  wurden, 
aber  im  ursprünglichen  Ms  irgendwie  stehen  blieben. 

170.  Anonymus.  Der  hl.  Ignatios.  29.  Januar.  P 
fol.  180'— 181\  Prooemion  und  Strophen  a — /  in  T;  daraus 
ed.  Pitra  S.  573  f. 

Überschrift:   (pigov  äxgootixlicL  xrjvde.  lyvaxlov  äcßia  P. 

Text:  ebenso  P. 

Prooemion:  *Ex  xfjs  ^(ojbirjg  P:  *ES  icpag  T. 

Strophe  a:  'lege/ilav. 

171.  Anonymus  (Talas).  Die  hll.  Kyros  und  Johannes. 
31.  Januar.    P  fol.  181^—188^. 

Überschrift:  ta-urrj  fj  (hdfj  rdXa  P. 
Text:  ebenso  (18  Str.)  P. 
Prooemion:  T6  fiiya  iaiQeioy. 
Strophe  a  :  Tb  oigdviov  vyfog, 

172.  Gabriel.  Der  hl.  Theopemptos  und  die  1003 
Märtyrer.    7.  Februar.    P  fol.  191'— 192^ 

Überschrift:    (pigov  äxQoaxixida  TrjvÖe.   rov   yaßQirjl   P. 
Text:  ebenso  (10  Str.)  P. 
Prooemion:  Tag  rcov  eIöcüXcov. 
Strophe  a:  T6  ^eiov  o&ivog. 

Eine  Rarität.  Bei  Nilles  ist  der  hl.  Theopemptos  (ohne 
die  1003  Märtyrer)  nur  zum  5.  Januar  verzeichnet,  dagegen 
bei  Sergij  sowohl  Theopemptos  als  die  1003  Märtyrer  zum 
7.  Februar.  In  der  Bibliotheca  Hagiographica  fehlt  er.  Ebenso, 
soweit  ich  sehe,  in  den  übrigen  Hymnen-hss.  Es  scheint*  übrigens, 
dass  das  Fest  der  hll.  1003  Märtyrer  auch  am  12.  Februar  ge- 
feiert wurde;  denn  in  P  steht  fol.  194'  am  oberen  Rande  die 
Notiz  (von  einer  zweiten  Hand):  firjvl  rcß  avxcß  elg  tag  e/f. 
x(bv  äykov  ;|fdia>v  tqiqjv  fiagnigcov,  ^iJtc*  avzd  elg  tag  f  tov 
avrov  /Jtrjvdg. 

173.  Anonymus.  Die  Auffindung  des  ehrwürdigen 
Hauptes  des  Vorläufers.    24.  Febr.    P  fol.  196^— 197\ 


*". 


I 


»7  y.*-»  f, 

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J<r''o</'  ;*  i'^^ir  i,  h.  zi.T.  Kl-r^tii-r  aif  i^rn*  Brrz»:^  Lame  z^L^rrc. 
17r,,    O^'ofiel.    Der   hL   Thecphrlaktos  't  ca.  S4o . 

Text:  e''>*T*-yj  P. 
Pr^y/err. ion  :  7/ f/to'/r^  z- 
.Strophe  a':  rnß.r^rr^^. 

n^K    AnonjmuM.    Der  hL  Theophanes  ron  Sigriane. 
1 2,  Marx,    P  foL  207^— 20S'. 

I,  berÄchrift:  ixooGxiyt^.  ädm  F. 
Text:  5^tt>  P. 

Strophe  «':  *A7iooorfT oj  ffo/xi. 

177.  Gabriel.  Nachfeier  Ton  MariaeVerkündigQng. 
20.  M^ir/.    P  fol.  214^— 216^ 

Lber Schrift:   fffoov  dxooariyjda  rijvde.   yaßgtijl  xdde   F. 
Text:  ebenso  F. 
Prooeniion :  7I7C  vntoqxfnov. 
Strophe  a':  Fevog  ädaßjiicuov. 


Die  Äkrosikhia  in  der  grieehisehen  KWehenpoesie.  611 

178.  Anonymus.  Der  hl.  öeorgios.  23.  April.  P  fol. 
223^— 226\ 

Überschrift:  (pigov  äxQoonxlda  Ttjvde.  dg  xbv  äyiov 
yeiogyiov  6  alvog  P. 

Text:  ebenso  (25  Str,)  P. 
Prooemion:  recogyrj&elg. 
Strophe  a:  *Ev  ohcTq). 

179.  Anonymus  (Talas).  Der  hl.  Apostel  Markos. 
25.  April.    P  fol.  226^— 227^ 

Überschrift:  fehlt  P. 
Text:  xov  fidvov  T<i{Xa)  P. 
Prooemion:  'E^  vyjovg. 
Strophe  a:  Tov  xogvipaiov. 

180.  Anonymus.  Der  hl.  Apostel  Johannes.  8.  Mai. 
P  fol.  233^-  235^ 

Überschrift:  (pigiov (so)  äxQoanxlda  ri^yde.  elg  t6v  ^eo- 
löyov  P. 

Text:  ebenso  (14  Str.)  P.     ' 
Prooemion:  *Aji6oxoX£. 
Strophe  a:  Elg  äXrj^cbg. 

181.  Sfcephanos.  Der  hl.  Theodor  Stratelates. 
8.  Juni.    P  fol.  245'— 246\ 

Überschrift:  tpigov  äxQoorixida  rtjvde,  tov  xaneivov  are- 
(pdvov  P. 

Text:  xov  xcmet]  (^axvvagl)  vov  o  (12  Str.)  P. 
Prooemion:  'Avögelq  y^vx'fjg' 
Strophe  a:  Tgävcocöv  fjLOv. 

Neu  ist  die  antistoechische  Vertretung  von  i  durch  t]  in 
xanetjvov.  Selten  und  hier  wohl  durch  einen  mechanischen 
Verlust  in  der  Vorlage  veranlasst  ist  die  Verstümmelung  des 
Namens  am  Schluss  der  sonst  vollständigen  Akrostichis.  In 
der  Regel  sind  die  Hymnen  entweder  ganz  bewahrt  oder  auf 
3 — 4  Strophen  reduziert.  Das  Prooemion  des  Liedes  ist  iden- 
tisch mit  dem  Prooemion  des  im  übrigen  ganz  verschiedenen 
Liedes  des  Studites  bei  Pitra  S.  361  ff. 


612  BL  EfuaUHtAer 

182.  Joseph«  Der  hL  Apostel  Bartholomaeus. 
11.  JunL  P  foL  247'— 248\  Einige  Strophen  auch  bei  Amfi- 
lochij.  Textband  S.  185  ond  228. 

Überschrift:  q:£gor  dxQOGtixiia  rt^rde.  ibdij  ieomjqf  P. 
Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  *Ü<fOt]g. 
Strophe  a:  'Q^  ovgardg, 

183.  Gabriel.  Die  hl.  Febronia.  25.  Juni.  P  foL 
255^—257'. 

Lberschrift:  (fioov  ((pig*")  äxQoortx^icL  xjljrde,  yaßQifjl 
ibdri  P. 

Text:  ebenso  (10  Str.)  P. 
Prooemion:  ^Eooixi  Xoiaiov. 
Strophe  a:  Pri'^oovvayg, 

184.  Arsenios.  Die  hll.  Apostel  Petros  und  Paulos. 
29.  Juni.    P  fol.  260'— 261\ 

Überschrift:  fehlt  P. 
Text:  aQatov  P. 
Prooemion:  Ol  rov  acoTfjoog, 
Strophe  a:  ^Avagxog  ägy/i- 

Die  Ergänzung  äQae{vi)ov  ist  wohl  sicher.  Die  letzte 
Strophe  {Y)  stellt  offenbar  die  wirkliche  Schlussstrophe  dar, 
denn  sie  enthält  das  übliche  Schlussgebet. 

185.  Stephanos.  Der  hl.  Prokopios.  8.  JuH.  P  fol. 
262^— 263^  Prooemion  und  Strophe  d—d\  g  ed.  Pitra  (aus 
CT)  S.  328f. 

Überschrift:  (pegov  (tpeg^)  äxQoarixida  Ttjvde.  attipdvov  P. 
Text:  ebenso  (8  Str.)  P. 
Prooemion:  Tcp  '^eUo  C^Aq>. 
Strophe  a':  2x6 fia  ovvioeiog, 

186.  Anonymus.  Die  hl.  Euphemia.  11.  Juli.  P  foL 
264^—266'.  Prooemion  und  Strophe  a—y  ed. Pitra S. 646—648 
(aus  MT). 

Überschrift:  cpigov  (tpeg^)  äxgoaxixi^  x'qvde,  xrjg  Jiayev 
(pri^ov  P. 


Die  Äkrastichia  in  der  griedUachen  Kirehenpoeeie.  613 

Text:  ebenso  (13  Str.)  P. 

Prooemion:  *Ayü}vag, 

Strophe  a:  Ti  xiov  o<bv  ä&Xruxixmv. 

187.  Gabriel.  Der  hl.  Symeon  (Salos).  21.  Juli. 
P  foL  273^—278'. 

Überschrift :  (pegov  Angoorixida  Tijvde.  xov  xaneivov 
yaßgi^l,  6  vfivog  ovtog  äfirjv  ä/n/jv  P. 

Text:  TTov  tcuieivov  yaßgiifX  6  vjLivog  ovrog  äßiijv  äfifi/jv  P. 
Prooemion:  Töv  rov  xvqIov. 
Strophe  a:  Tfjv  äYa^xrjxa. 

Neu  ist  die  Doppelung  des  Anfangsbuchstaben  und  ebenso 
neu,  dass  am  Schluss  statt  der  öfter  vorkommenden  Doppelung 
eines  Buchstaben  ein  ganzes  Wort  doppelt  gesetzt  wird.  Zu 
allem  Überfluss  ist  im  letzten  'Ajußitjv  das  M  gedoppelt.  So 
kamen  39  Strophen  zu  stände.  Das  lange,  recht  wunderliche 
Machwerk  ist  eines  der  stärksten  Beispiele  der  naiven  Yersi- 
fizierung  eines  gegebenen  Legendenstoffes,  der  seltsamen  Taten 
und  Abenteuer  des  , Narren  um  Christi  Willen". 

188.  Arsenios.  Die  hll.  Makkabäer.  1.  August. 
P  fol.  285'— 286^ 

Überschrift:  fehlt  P. 
Text:  agaevico  P. 
Prooemion:  2o(pvag  t?£oi5. 
Strophe  a  \  AXvet  ^eQjUfbg, 

Auffallig  und  mir  unerklärlich  ist  das  — (o  statt  — ov  am 
Schlüsse.  Die  Vermutung,  dass  etwa  *AQoevl{ov)  <b{drj)  zu  er- 
gänzen sei,  ist  nicht  wahrscheinlich,  weil  die  Strophe  Q  mit 
einem  Gebet  endet. 

189.  Gabriel.  Vorfeier  der  Verklärung  Christi. 
5.  August.    P  fol.  286'-\ 

Überschrift:  (pigov  (q>eQ'**)  äxQomixt^d  ty]vde,  yaßgnjX  P. 

Text:  ebenso  P. 
Prooemion:  *Ev  x<p  Sgei. 
Strophe  a:  Fecodeis  ykmooai. 


614  Z.  Krumbad^ 

190.  Anonymus.  Sonntag  der  ersten  Fastenwoche. 
Q  fol.  14^—17'. 

Überschrift:  (pigov  {ffiQ*^)  äxQoaxixl^  xfjvde.  rok  «- 
xovoxiaarais  ovai  Q. 

Text:  ebenso  (22  Str.)  Q. 
Prooemion:  'O  äTiegiygoTtrog. 
Strophe  a:  Tovxo  ro  rtjg  olxovojuUag, 

191.  Anonymus.  Sonntag  der  ersten  Fastenwoche. 
Q  fol.  18^— 19^ 

Überschrift:  tpigov  äxQootixl^  älq)dßf]Tov  Q. 
Text:  aßy...io  (24  Str.)  Q. 
Prooemion:  Tofe  x^QoL 
Strophe  di  ^Avagxog, 

192.  Anonymus.  Der  keusche  Joseph.  I.  Lied.  Montag 
der  Osterwoche.  Q  fol.  66^ — 69^.  Prooemion  und  Strophe  a — ^ 
ed.  Pitra  S.  477  f.  (aus  T). 

Überschrift:  (piqov  diXQoajixlio,  Ttjvde  (rijyde  fehlt  A). 
elg  xdv  ndyxalov  l(oai]<p  6  ^gtjvog  ovrog   (pvrog  fehlt  A)   QA. 

Text :  elg  rdv  ndyxaXXov  (so)  lo)oi}(p  6  ^Qfjvog  ovrog  (32 Str.) 
Q:  keine  genauere  Angabe  über  A. 
Prooemion :  'O  'laxdyß  d>dvQ€TO. 
Strophe  a:  *Em  töv  ödvQfiov, 

Pitra  vermutet  S.  477,  dass  das  Lied  dem  Romanos  ge- 
höre, und  auch  ich  hatte  es  aus  inhaltlichen  Gründen  früher 
(Studien  S.  217  f.)  dem  Romanos  zugeteilt.  Da  aber  der  Autor 
weder  in  der  Akrostichis  noch  sonst  genannt  wird,  muss  die 
Frage  vorerst  unentschieden  bleiben. 

193.  Anonymus.  Die  zehn  Jungfrauen.  Lied  III. 
Dienstag  der  Osterwoche.  Q  fol.  76^— 77\  Ed.  K.  Krumbacher, 
ümarb.  S.  112  —  119.  Über  das  Verhältnis  zu  den  Liedern  des 
Romanos  (Nr.  13  und  14)  vgl.  ebenda  S.  93  fiF.  Auch  in  A 
fol.  232^-235\ 

Überschrift:  ov  ij  äxQoaxixlg  avrri  {(piqov  dxQoarixtda  A). 
Tov  xaTieivov  iv  ßlco  QA. 


Die  Akrostichia  in  der  griechischen  Kirchenpoeaie,  615 

Text:  ebenso  {xaneivovl)  QA. 
Prooemion:  Tifv  digav,  y^xti. 
Strophe  a':  Tl  Qq^jueTs- 

194.  Anonymus.  Die  Buhlerin.  IL  Lied  (vgL  Nr.  15). 
Mittwoch  der  Osterwoche.  Q  foL  SO""— 82«'.  A  foL  235^— 237^ 
Prooemion  und  Strophe  a'—/  ed.  Pitra  S.  478—480  (aus  T). 

Überschrift:    rj   äpcgootixk-   fi  (hdij   elg  t^v  nÖQyrjv  QA. 

T  e  X  t :  1^  (hör}  elg  Trjv  jioqvtjv  v  Q  :  keine  genauere  Angabe  über  A. 

Prooemion:  *YnkQ  xrjv  tzoqvtjv, 

Strophe  a:  *H  7iQd>r]v  äocorog. 

Die  zweite  Schlussstrophe  mit  N  enthält  ein  Gebet.  Pitra 
denkt  (S.  478)  auf  grund  des  kleinen  ihm  bekannten  Fragments 
an  Romanos  oder  einen  Geistesverwandten  als  Autor  („Aut 
enim  magister  adest  aut  argutus  ejus  aemulator**).  Die  Lek- 
türe des  vollständigen  Textes,  den  nur  QA  bewahren,  muss  in 
dieser  Annahme  bestärken.  Doch  bin  ich,  wie  bei  Nr.  192, 
dem  Prinzipe  gefolgt,  Lieder  ohne  Autorennamen  unter  die 
Anonyma  einzureihen. 

195.  Anonymus.  Die  Buhlerin.  lU.Lied.  Qfol.82'— 84'. 
Überschrift:  ^  äHgoarixlg-  6  äXqxißr^xog  Q. 

Text:  aßy  .  .  coco  (25  Strophen)  Q. 
Prooemion:  Kaxixovoa, 
Strophe  a:  ^Aqxtjv  xrjg  fjtexavolag. 

Die  zweite  Schlussstrophe  (ü),  die  am  Rande  als  äXXo 
bezeichnet  ist,  enthält  das  Schlussgebet. 

196.  Anonymus.  Judas.  II.  Lied  (vgl.  Nr.  16).  Grün- 
donnerstag. Q  fol.  87'-— 89^  A  foL  237»^— 240^  Bei  Pitra  S.  480 
nur  Prooemion  und  Strophe  d—ß  aus  T. 

Überschrift:  ov  rj  äxQoaxixig-  r^g  ngodoolag  6  &Q^vog  Q: 
keine  Angabe  über  A. 

Text:  ebenso  (19  Str.)  QA. 

Prooemion:  Tdv  ägxov  Xaßibv. 

Strophe  a':  Tf]  fivoxixfj. 

Das  Lied  zeigt  auf  eine  längere  Strecke  (Strophe  /  ff.) 
grosse,   zum   teil   sogar   wörtliche  Übereinstimmung  mit   dem 

1908.  SiUgab.  d.  phUos.-pliUol.  o.  d.  hist  KL  41 


616  K,  Kruwhaeker 

Liede  des  Romanos  auf  Petri  Verleugnung  (Nr.  18).  Sowohl 
diese  Anklänge  als  allgemeine  stilistische  Gründe  sprechen  für 
die  Annahme,  dass  Romanos  auch  dieses  Judaslied  verfasst  hat. 

197.  Arsenios.  O^ier mojiiskg  {xij  ß^xtjg  dtaxiyrioifuw  {sojl 
Q  fol.  117«^-^ 

Überschrift:  fehlt  Q. 

Text:  aQoet  Q.    Etwa  zu  ergänzen  &Qoe{vlov)  t<6  £70^). 

Prooemion:  XQtaxov  x6  Jidaxci* 

Strophe  a:  ^Aiooifxev  ^aßia, 

198.  Anonymus.  Der  hl.  Geist.  Pfingstmontag.  Q 
fol.  124^—125^ 

Überschrift:  tpigov  ixQoarixlda  xrjvÖE.  tvxh  ^^*'^V  Q- 
Text:   Evx^  av  Q  (der  Schluss  fehlt  durch  Blattausfall). 
Prooemion:  Tfj  nagovotq, 
Strophe  ai  *Ex  ttjg  olxelag, 

199.  Anonymus  (Talas).  Mittwoch  t^c  fxeaontvxtixomTj;. 
Q  fol.  134^—136'-.  Prooemion  und  Strophe  a-y  ed.  Pitra 
S.  491—493  (aus  CT).    Wohl  auch  in  A  fol.  260'-^. 

Überschrift:  cpegov  äxQooTixUa  trjyde,  tov  jhovov  tdXa  Q. 
Text:  ebenso  (12  Str.)  Q. 
Prooemion:  Tfjg  fogi^g. 
Strophe  a:   Tijv  ;|j£^ocüdcraav. 

200.  Anonymus.  Die  hll.  Väter  von  Nikaea.  Sonn- 
tag vor  Pfingsten.  Q  fol.  147'" — 149''.  Das  Prooemion  und 
Strophe  1-5,  16  in  CV;  Pr.  und  Strophe  1—7,  16  in  T: 
Pr.  und  Strophe  1 — 10*,  16  in  M.  Prooemion  und  Strophe  1 — 7. 
16  ed.  Pitra  S.  493-498  (aus  CT). 

Überschrift:  gFQov iHQoaxixlda  xrivdt.  e\g rovg {rovg  fehlt Q) 
äylovg  naxegag  AQ:  (pfgov  äxgoaxixlda.  elg  iyiovg  CV:  fehlt  MT. 

Text:  elg  dyiovg  juiaxegag  Q:  elg  äyg  (Strophe  mit  -g  = 
16  Q)  CV:  elg  ayiovg  n  (=  zweite  /Z-Strophe  Q)  a  (=  15  Q)  M: 
elg  äyiog  (Strophe  mit  -^  =  16  Q)  T:  keine  genauere  Angabe 
über  A. 

Prooemion:  T&v  djtoaxökcov. 

Strophe  a:  *Ev  vy^tjkcp. 


Die  AkrosHchia  in  der  griechiscKen  Kirehenpoesie.  617 

Ein  typisches  Beispiel   der  grenzenlosen  Willkür,   die  in 

der   Überlieferung  der   Hymnen    herrscht.     Den   vollständigen 

Text  bewahrt  nur  Q.    Die  Littera  II  ist  hier  durch  2  Strophen 

vertreten;    die  zweite,   am  Rande   durch   äkko  bezeichnet,    ist 

gegen  die  Regel  in  der  Randnummerierung  der  Strophen  nicht 

mitgezählt,   so  dass  sich  als  letzte  Randzahl  ig    ergibt.    Beide 

Strophen   beginnen   mit  Ildvrcov   oiv  tovtcov  h^exe,  sind   aber 

im  übrigen  ganz  verschieden:  die  erste  handelt  eingehend  von 

dem    Häretiker  Severus,    die   zweite    nur   ganz    allgemein   von 

den   Irrlehren.     Codex  T  hat   die   ersten  7  Strophen   und   die 

Schlussstrophe    gerettet;    die    italische    Redaktion    die    ersten 

5  Strophen  und  die  Schlussstrophe.     Der  Mosquensis   bewahrt 

die  ersten  9  Strophen  in  der  gleichen  Folge  wie  Q;  dann  folgt 

Strophe  10*  d.  h.  die  zweite  Strophe  für  77;  die  noch  folgende 

(letzte)  Strophe  mit  A  ist  aber  nicht,   wie  man   nun  erwarten 

sollte,    identisch   mit   Strophe  la'  in    Q,    die  ja   auch    mit   A 

beginnt,  sondern  =  Strophe  e^'  Q.    Also  ist  bei  der  Verkürzung 

weder,  wie  oft,  bei  einer  bestimmten  Stelle  der  fortlaufenden 

Reihe  abgebrochen,  noch,  wie  häufig  (z.  B.  bei  unserem  Liede 

in  CVT),  die  Schlussstrophe  des  Originals  beibehalten  worden. 

Dass  der  Verfasser  des  Liedes  Romanos  sein  müsse,  begründet 

ein  ungenannter  Freund  Pitras  (S.  493)  ausführlich,  und  Pitra 

stimmt   ihm   bei.     Ich   muss   gestehen,    dass    die   Darstellung 

tatsächlich  an  Romanos  gemahnt. 

201.  Gabriel.    Totenlied  für  Mönche.    Q  fol.  153^\ 
Überschrift:  (peqov  dxQoouxida  ri^vde.  yaßQirik  Q. 

Text:  ebenso  Q. 
Prooemion :  EvonXayxvlag, 
Strophe  a:  {ri^9?)oiLiai  Jicbg, 

(Aus  den  übrigen  Codices): 

202.  Anonymus.   Pharisäer  und  Zöllner.   Sonntag  roi; 
TeX(üvov  xal  rov  ^agiaalov,    A  fol.  191^ — 196^. 

Überschrift:  ? 

Text:  Elg  rov  ^agioaiov  xal  Tekdnnjv  A. 

41» 


618  K.  Krumb(U^er 

203.  Anonymus.  Der  hl.  Demetrios.  26.  Oktober.  D. 
Überschrift:  (pigov  AxqocxixU^  xfjvde.  noirifia  Silo  D. 
Text:  not  D. 

Prooemion:  'Eogti^v  fie^edgriov. 
Strophe  a:  navrjyvQlaavres. 

204.  Anonymus.  Der  hl.  Stephan.  27.  Dezember.  Bei 
Pitra  S.  386-388  Prooemion  und  6  Strophen  aus  T.  In  P 
fül.  129''"^  und  in  D  nur  Prooemion  und  3  Strophen;  in  D 
aber  in  der  Lberschrift  die  volle  Akrostichis,  die  Glauben  ver- 
dient, weil  alle  durch  andere  Hss  kontrollierbaren  Akrostichon- 
vermerke  des  D  sich  als  richtig  erweisen.    Vgl.  Nr.  87. 

Überschrift:  q^igtov  &xQoaiixida  ri^vde.  c^üi  xw  axeqxirq) 
D:  fehlt  PT. 

Text:  (hd^  (oaz  T:  <bd^  PD. 
Prooemion:  *0  dean6xi]s. 
Strophe  a:  *Qg  äax^g  q)aeiv6g. 


Die  Akrostiehis  in  der  griechisehen  Kirchenpoene,  619 


Zweites  Kapitel:  üntersuclinngen. 
I.  Die  Akrostichisnotizen  in  den  Liedüberschriften. 

Die  Lieder  werden  in  den  Hss  durch  kurze  fttr  den  litur- 
gischen Gebrauch  orientierende  Überschriften  eingeführt.  Im 
Normaltypus  einer  solchen  Überschrift  werden  folgende  Punkte 
notiert : 

1.  Monat  und  Tag. 

2.  Der  Vorwurf  des    Liedes    d.  h.    der   Heilige    bezw.    die 
Heiligen,  äas  Fest  oder  auch  der  allgemeine  Inhalt. 

3.  Die  Akrostiehis. 

4.  Der  Musikton. 

5.  Die  Melodie  des  Prooemions  (durch  Angabe   des  Muster- 
liedes bezeichnet:  Ilgdg  rd). 

6.  Die  Melodie  des  Liedes  selbst  (meist  erst  nach  dem  Texte 
des  Prooemions  verzeichnet). 

Ein  Beispiel  (P  fol.  230')  möge  das  Schema  veranschau- 
lichen: 

(1)  Mrjvl  T(p  avxcü  (sc.  Matcp)  f( . 

(2)  xovx&Mov  Tov  iv  äyloig  naxqbg  fifJL&v  ^A&avaolov,  biiaxd- 
Tiov  'Ake^avögetag, 

(3)  q^igov  äxQooxixlda  ri^vde,  AJvog  'PcDjuavov. 

(4)  fjxos  $. 

(5)  nqbq  xb,  ToTg  x&v  aljudxcov  aov  ^el^^goig, 

(6)  Nach  dem  Prooemion:  ngbg  xb,  Tgdvcoaöv  fiov. 

Dieser  Orundtypus  kann  allerlei  Modifikationen  und  Re- 
duktionen erleiden:  (1)  Statt  der  ausdrücklichen  Bezeichnung 
des  Tages  steht,  wenn  schon  ein  Lied  auf  denselben  Tag  voran- 


620  K.  Knmbadher 

gegangen  ist:  Tfj  avxfj  fifJi^Qq.  oder  ''Eregov  xovzdxtov  tlg  toy 
u.  s.  w.  Häufig  ist  das  Datum  nicht  im  Rahmen  der  Lied- 
überschrift, sondern  am  oberen  Blattrande  notiert.  Von  einer 
ausdrücklichen  Angabe  des  Datums  wird  abgesehen,  wenn  dieses 
schon  in  der  Notiz  über  den  Vorwurf  des  Liedes  ausgesprochen 
liegt  z.  B.  Kovjdxiov  fit&iogxov  x^gXQiaxov  yevri^oemg  (P  fol.  12S^\ 
(2)  Die  Angabe  des  Heiligen  oder  des  Festes  wird  teils  durch 
die  Präposition  eig  (xovxdxiov  elg  täv  äyiov  u.  s.  w.),  teils  durch 
den  Qenitiv  {xorrdxtov  rov  äylov  u.  s.  w.)  eingeführt.  Eine  be- 
stimmte Regel  hierüber  giebt  es  nicht.  (3 — 5)  Die  Angabe 
des  Tones  und  der  Melodie  ist  häufig,  die  der  Akrostichis  zu- 
weilen am  Rande  nachgetragen.  Die  Angabe  der  Melodie  fehlt 
leider  ziemlich  häufig,  nur  selten  die  des  Tones.  Die  Stellung 
der  einzelnen  Teile  ist  in  der  Regel  die  oben  angegebene ;  doch 
steht  in  einigen  Hss  (z.  B.  in  B)  die  Notiz  über  Ton  und 
Melodie  vor  dem  Akrostichonvermerk. 

Für  das  Ziel  der  vorliegenden  Arbeit  kommt  nur  der  Akro- 
stichonvermerk näher  in  Betracht.  Er  zeigt  verschiedene 
Fassungen,  deren  vergleichende  Prüfung  für  die  Klassifizierung 
der  Hss  und  auch  für  andere  Fragen  von  Wichtigkeit  ist: 

Die  weitaus  häufigste  Form  der  Einführung  der  Akro- 
stichis ist:  (pigov  äxQoaxixiia  rtjvde  oder  kürzer:  (pigor  dxoo- 
orixida.  An  das  erste  Wort  knüpft  sich  eine  palaeographische 
Frage:  Die  Hss  bieten  in  der  Regel  die  Abkürzung  97*,  selten 
(p^Q  (M).  In  den  Ausgaben,  leider  auch  dreimal  in  meinen 
eigenen*)  und  wohl  auch  in  Abschriften  und  Kollationen,  die 
ich  von  Fachgenossen  erhalten  habe,  ist  diese  Abkürzung 
wiederholt  durch  (pigei  aufgelöst  worden.*)  Dass  sie  in  Wahr- 
heit nicht  q^tgei,  wie  man  allerdings  zunächst  vermutet,  sondern 
(figov  bedeutet,  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  dass  ziemlich 
häufig  in  denselben  Hss,  wo  9?'  steht,  und  im  völlig  gleichen 
Zusammenhange  tpig'^  (seltsamer  Weise  wenigstens  in  den  Hss, 

M  Studien  S.  163,  Umarb.  S.  45,  Rom.  u.  Kjriakos  S.  726. 

^)  Regelmässig  steht  (psgei  in  den  Beschreibungen  der  Codices  B 
und  D  (s.  oben  S.  556).  Hier  bin  ich  über  die  Lesung  der  Hb  in  Zweifel 
und  habe  daher  in  Kapitel  I  Öfter  (pigei  mit  ?  notiert. 


Die  Äkrostiehis  in  der  grieehiachen  Kirchenpoesie.  621 

die  ich  selbst  gesehen  habe,  niemals  (pig**)  geschrieben  ist.^) 
So  viel  ich  sehe,  ist  tpeget  nur  da  bezeugt,  wo  der  Akrostichon« 
vermerk  von  dem  Worte  Kovrdxiov  durch  die  Angabe  des  Tones 
oder  der  Melodie  oder  beider  getrennt  ist.  So  verhält  es  sich 
bei  Nr.  23  M,  dem  einzigen  sicheren  Beispiele  für  (pegei,  das 
die  Hss  PQC  VMT  bieten.  Die  Abkürzung  (p'  ist  also  überall, 
wo  der  Akrostichonvermerk  an  der  dritten  Stelle  steht  und 
Kovrdxiov  vorhergeht,  durch  tpigov  aufzulösen.  Ausgenommen 
sind  natürlich  die  seltenen  Fälle,  wo  die  Lesung  (pigov  syn- 
taktisch unmöglich  ist:  In  Nr.  135  steht  in  P  die  übliche  Ab- 
kürzung <p%  obschon,  allerdings  durch  die  Angabe  des  Tones 
und  der  Melodie  getrennt,  exegot  olxoi  vorhergeht.  Hier  ist 
also  die  Abkürzung,  die  der  Schreiber  gewohnheitsmässig  setzte, 
gegen  alle  palaeographische  Regel  wohl  (pigovoi  zu  lesen.  In 
Nr.  32  scheinen  die  Hss  das  syntaktisch  erforderliche  (pegovxa 
(sc.  tnixrjga)  zu  bieten.  Ebenso  steht  bei  Nr.  88  in  A  die  Form : 
Ol  olxoi  (pigovxBQ. 

Ganz  vereinzelt  wird  ^;^ov  bezw.  t^ovxa  statt  cpigov  bezw. 
(pigovra  gebraucht.  Ich  kenne  nur  die  drei  Beispiele  Nr.  8fr 
und  Nr.  89  T. 

Eine  stärkere  Abweichung,  aber  auch  eine  ungemein  rein- 
liche Scheidung  zeigen  die  Hss  bezüglich  des  Demonstrativs 
nach  äxgooxix'da.  Der  Zusatz  Jijvde  fehlt  in  der  italischen 
Gruppe  CV  vollständig,  in  A  häufig,  in  BDHJMT  selten,  in 
P  Q  nur  in  ganz  wenigen,  meist  besonders  motivierten  Fällen : 
in  P  nur  bei  Nr.  158,  wo  die  ganz  singulare  Form  steht: 
q)igov  äxgooxixlda  ovv  xov  xovxaxLov  äofia,  in  Q  bei  Nr.  58, 
wo  vielleicht  der  Zeilenschluss  den  Ausfall  des  xrivde  veran- 
lasste, bei  Nr.  59  und  Nr.  191,  wo  die  Akrostichis  als  Objekt 
zu  (pegov  gezogen  ist  {(pigov  äxgoaxixlda  äX(pdßrjxov).  Es  ist 
also  in  P  Q  unter  etwa  200  Vermerken  nur  1  Fall  (Nr.  59), 
wo  xi^vde  ohne  ersichtlichen  Grund  gegen  die  Kegel  fehlt. 

Neben  der  Form  q)egov  u.  s.  w.   findet  man  zuweilen  die 

^)  In  Kapitel  1  habe  ich  diese  Schreibung  öfter  ausdrücklich  notiert. 
In  T  steht  nur  einmal  (peg*^  (Nr.  17).  In  D  anfänglich  tpigcov^  spftter 
^fQii  (nach  der  Beschreibung  von  Alexander  Lauriotes). 


622  JSC  Krumbaeher 

Einführung  durch  ov  ^  äxQoaxtxk  oder  einfach  fj  dxQoaxixi^ 
oder  äxQoouxk'  Auch  hier  unterscheiden  sich  die  Hss,  wenn 
auch  keine  so  scharfe  Gruppierung  hervortritt  wie  bezüglich 
des  Pronomens  rijvde.  Die  relatirische  Anknüpfung:  ov  ^ 
äxQootixis  steht  4  mal  in  Q,  1  mal  in  M,  1  mal  in  p ;  die  Form : 
(bv  ^  äxQoarixk  Imal  in  fvw  (Nr.  8).  Ausserdem  in  Q  2 mal: 
ov  ^  AxQoaxixlg  avirj  und  Imal:  ov  i}  äxgooxixk  ^^c  Die 
Form :  ^  ängooTixk  wird  bevorzugt,  wenn  der  Akrostichonver- 
merk erst  am  Schluss  der  Überschrift  angefügt  wird ;  sie  findet 
sich  7  mal  in  B,  5  mal  in  M,  4  mal  in  Q,  3  mal  in  G,  2  mal 
in  P  (am  Rande  nachgetragen),  1  mal  in  T  und  vereinzelt  auch 
sonst.  Die  Form  äxQoatixk  (ohne  ^)  steht  4  mal  in  T,  2  mal 
in  P  (Imal  als  Randnotiz)  und  sonst. 

Die  Feststellung  dieser  formalen  Details  ist  nicht  über- 
flüssig. Findet  man  z.  B.  eine  neue  Hs,  in  deren  Überschriften 
das  Pronomen  ri^vde  regelmässig  fehlt,  so  ist  ohne  weiteres 
wahrscheinlich,  dass  man  es  mit  einer  Verwandten  der  italischen 
Gruppe  zu  tun  hat,  während  umgekehrt  regelmässiges  ri^vde 
auf  ostbjzantinischen  Ursprung  hinweist.  Eine  Hs  oder  ein 
Hs-fragment,  wo  man  regelmässig  das  sonst  seltene  ov  ^  äxQo- 
üxtxk  oder  fj  Angoorixk  oder  äxQooxixk  triflPb,  muss  als  für  sich 
stehend  betrachtet  werden.  Auch  sonstige  Abweichungen  in 
der  Überschrift  (z.  B.  bezüglich  der  Vollständigkeit  und  der 
Reihenfolge  der  Teile  3—5)  kommen  für  die  Beurteilung  der 
Stellung  und  des  Alters  der  Hss  in  Betracht. 

Ausser  den  oben  aufgezählten  6  Teilen,  die  den  eisernen 
Bestand  der  Überschriften  bilden,  findet  man  zuweilen  in  der 
Überschrift  oder  als  Randbemerkung  zu  ihr  noch  ein  7.  Stück, 
eine  Notiz  über  den  Verfasser  des  Liedes.  Sie  hat  mit 
der  liturgischen  Anweisung  nichts  zu  tun  und  hat  zweifellos 
niemals  zum  festen  Schema  der  Überschrift  gehört ;  in  ihr  wird 
der  Name  des  Verfassers  nur  insoweit  genannt,  als  er  in  der 
Akrostichis  selbst  enthalten  ist.  Die  Notizen  über  den  Ver- 
fasser ausserhalb  des  üblichen  Rahmens  der  Überschrift  — 
ich  nenne  sie  „einfache  Autorangabe*  —  zerfallen  in  zwei 
Gruppen.     In  einer  Reihe  von  Fällen   erscheint  die   „einfache 


DU  AkrostieMs  in  der  ffriecMsthen  Kirchenpoeaie.  623 

Autorangabe*  als  ein  kurzer,  raumsparender  Ersatz  ffir  den 
vollen  AkrostichisTermerk,  so  mehrfach  in  G  (Nr.  9,  11,  21) 
und  in  Y  (Nr.  160).  Da  hier  die  volle  Akrostichis  durch  den 
Text  gegeben  wird,  ist  die  Kürzung  in  der  Überschrift  ohne 
Belang.  Ähnlich  liegen  einige  Fälle,  wo  der  Automame  in 
der  Akrostichis  durch  Verstümmelung  des  Textes  Schaden  ge- 
litten hat.  Bei  Nr.  2  z.  B.  bietet  G  in  der  Überschrift  die 
Notiz :  Ttoifjßia  ^(Ofxavov  als  eine  willkonunene  Bestätigung  der 
arg  mitgenommenen  Akrostichis  des  Textes.  Bei  Nr.  94  steht 
in  G  in  der  Überschrift  xov  arovdhovy  während  der  Text  nur 
das  Fragment  xov  arova  enthalten  hat.  Ganz  überflüssig  er- 
scheint die  Randnotiz  Jiolrj/xa  yecoQylov  bei  Nr.  122  in  P,  wo 
der  Name  des  Dichters  sowohl  im  Akrostichisvermerk  als  im 
Texte  geboten  wird. 

Eine  ganz  andere  Bedeutung  erhält  die  ,  einfache  Autor- 
angabe **,  wenn  in  der  Akrostichis  der  Autorname  fehlt.  Der 
Text  des  nur  in  Q  überlieferten  Liedes  Nr.  84  ergibt  die  Akro- 
stichis tov  nQO(priztiv  xvqIov.  Am  Bande  steht  aber  neben  der 
Überschrift:  ^co*^  d.  h.  ^cofÄOvov,  Schwerlich  ist  hier  die  Autor- 
angabe aus  der  einst  vollständigen  Akrostichis  gerettet  oder 
aus  früher  noch  grösseren  Resten  der  Akrostichis  erschlossen 
wie  bei  Nr.  2  und  94  in  G.  Man  könnte  zur  Not  annehmen, 
das  Akrostichon  habe  ursprünglich  (ähnlich  wie  bei  Nr.  56) 
gelautet:  rdv  Jigotpi^xriv  xvglov  {6  QCOfiavög  vjülvcö).  Dagegen 
spricht  aber  der  in  Q  erhaltene  Text,  der  ein  abgerundetes 
Ganzes  bildet  und  in  der  Schlussstrophe  das  übliche  Gebet  ent- 
hält. Ganz  ähnlich  liegt  die  Sache  bei  Nr.  117,  wo  D,  gegen 
alle  Regel,  vor  dem  Akrostichisvermerk  die  einfache  Autor- 
notiz: Qcofiavov  nolrifia  bietet.  Auch  hier  ist  in  der  Akro- 
stichis keine  Spur  des  Autornamens,  und  die  Annahme,  dass 
sie  etwa  ursprünglich  gelautet  habe:  eig  xov  dQxiaxQdxtjyov 
{^wfiavov  €7iog)  (wie  z.  B.  Nr.  11)  schwebt  ebenfalls  vollständig 
in  der  Luft.  Ein  verstümmeltes  Lied  bei  Pitra  S.  334  f.  trägt 
in  der  Überschrift  den  Vermerk :  Tioirjßia  Tagaalov  naxQiaQxov, 
ein  anderes,  Pitra  S.  342,  den  Vermerk:  nolrifxa  xov  Sxovdlxov^ 
ein  drittes,  Pitra  S.  343,  die  Randnotiz:  Zxovdixov  u.  s.  w. 


624  £.  Krumhadier 

Worauf  nun  diese  merkwürdigen  Notizen  berulien,  können 
wir  mit  unseren  gegenwärtigen  Mitteln  nicht  feststellen.  Viel- 
leicht waren  in  einer  alten  Hs  Lieder  ohne  Automamen  in  der 
Akrostichis  mit  Automamen  versehen  wie  Texte  in  Profanhss. 
Die  Frage,  ob  in  den  angeführten  Fällen,  besonders  in  den 
zwei  des  Romanos  (84,  117)  die  Automamen  aus  inneren 
Gründen  Qlauben  verdienen,  kann  erst  untersucht  werden,  wenn 
einmal  die  Texte  vollständig  veröffentlicht  sein  werden. 

Ohne  nennenswerte  Bedeutung  für  die  Kritik  sind  einige 
Sonderheiten,  die  im  Folgenden  kurz  aufgezählt  werden  mögen : 
Zuweilen  wird  in  der  Überschrift  die  Akrostichis  ohne  irgend 
ein  einführendes  Wort  verzeichnet  z.  B.  bei  Nr.  9,  19,  102 
in  V,  bei  Nr.  171  in  P  u.  ö.  Nicht  selten,  namentlich  bei 
kurzen  Akrosticha,  fehlt  der  Vermerk  in  der  Überschrift  voll- 
ständig, z.  B.  bei  Nr.  8  und  17  in  B,  Nr.  25  in  CVT,  Nr.  97 
in  PT,  Nr.  119  und  179  in  P  u.  ö.  Einige  Modifikationen 
erleidet  die  Formulierung  der  Überschrift  bei  der  alphabetischen 
Akrostichis.  Wir  finden  hier  entweder  einfach  die  Notiz  xar' 
dXcpdßrjrov  (Nr.  100  P)  oder  ^  äxgoaTixk,  &k<pdßi]Tog  (Nr.  100  M) 
oder  i}  ängooTixlg  Tcarä  Aktpdßfirov  (Nr.  134  P)  oder  (pegov 
äxQoonxlda  älcpdßtjzov  (Nr.  191  Q)  oder  (pegov  ixgoaxixtda 
Ti/jvde.  AXq)dßr]Tov  ^(Ofxavov  (Nr.  12  Q)  und  ähnlich. 

Zuletzt  möge  eine  Eigentümlichkeit  besprochen  werden, 
die  uns  zum  Hauptthema,  den  akrostichischen  Formen  selbst, 
überleitet:  die  Inkongruenzen  zwischen  Überschrift  und 
Text.  In  der  Regel  wohl  ohne  jede  Bedeutung  sind  die  Fälle, 
wo  durch  Unaufmerksamkeit  des  Schreibers  oder  Redaktors  in 
der  Überschrift  kleine  Varianten  des  wirklichen  Wortlauts  der 
Akrostichis  vorkommen  wie  bei  Nr.  6,  10  (M),  20,  39,  59,  61, 
62,  112  (G)  u.  ö.  Ebensowenig  hat  es  zu  sagen,  dass  gewisse 
Eigentümlichkeiten  der  Schreibung  vrie  die  Doppelung  von 
Buchstaben  (s.  u.),  die  antistoechische  Schreibung  lanivov  u.  a. 
in  den  Überschriften  nicht  berücksichtigt  werden.  Die  höchste 
Beachtung  dagegen  verdienen  die  Überschriften,  in  denen  eine 
vollständige  Akrostichis  angegeben  wird,  während  die 
Initialen  der  Textstrophen  selbst  nur  noch  ein  Frag- 


Die  AkrosHchis  in  der  grieeMethen  Kirchenpoesie,  625 

ment  ergeben.  Ich  notiere  im  Folgenden  die  bemerkens- 
werten Beispiele  aus  meinem  Material.  Ausser  Betracht  bleiben 
die  Fälle,  wo  die  Akrostichis  des  Textes  durch  Blattausfall 
verstammelt  ist  (z.  B.  Nr.  23  Q) ») : 

Nr.  2  Üb.:  noltjfjia  ^cdjluxvov  C.  Text:  rovxaovoQcofi  CV. 
Hier  handelt  es  sich  nicht  um  eine  erhaltene  Akrostichis,  son- 
dern um  eine  „einfache  Autorangabe'',  die  aber  vielleicht  auf 
Kenntnis  der  vollen  Akrostichis  zurückgeht.    Vgl.  S.  623. 

5  Üb.  in  C:  roi;  tajteivov  goyfiavov,  Text  in  C  nur:  tovv. 
Bestätigt  durch  PBY.  Der  Fall  ist  besonders  bemerkenswert, 
weil  V,  der  Vetter  von  C,  noch  den  vollständigen  Text  von 
18  Strophen  bewahrt,  die  starke  Reduktion  also  erst  in  G  (oder 
seiner  direkten  Vorlage)  erfolgt  ist. 

10  Üb.  in  DG:  elg  id  ßd'Ca  ^cojAavov.  Text  in  D  nur:  eis 
xä  ßdia,  in  G  nur:  elg  rd.    Best,  durch  QACVM. 

17  Üb.  in  G:  rov  xaneivov  ^cofiavov,  Text  in  6  nur:  xov 
xojiei.    Best,  durch  QBCVMT. 

22  Üb.  in  G:  xqv  xaneivov  ^cojtiavov.  Text  in  G:  xov  xane. 
Best,  durch  QBCVMT. 

23  Üb.  in  G:  xov  xaneivov  ^co/iavov.  Text  in  G:  xov 
xaneivov  q  .    Best,  durch  die  übrigen  Hss. 

25  Üb.  in  M:  xov  xaneivov  ^cojuavov,  Text  in  M:  xov 
xamvav  QWfio.  Der  letzte  Buchstabe  in  M  (o)  entspricht  dem 
0  der  vollständigen  Akrostichis:  xov  xanivov  ^co/xavov  6  xpal- 
/iög  (PCVD). 

27  Üb.  in  D:  xov  xaneivov  gcojbiavov  6  yjaXfxbq  ovxog  (best, 
durch  andere  Hss).    Text  in  D:  xov  xaneivo. 

43  Üb.  in  D:  ^  vjuvog  §wfiavov  (best,  durch  P).  Text  in 
D  nur:  5  vfi, 

44  Üb.  in  D:  roi;  xaneivov  ^oifxavov  (best,  durch  P). 
Text  in  D:  xov. 


^)  In  der  folgenden  Zusammenstellung  gebrauche  ich  die  Abkürzungen : 
Üb.  =  Überschrift;  best,  (bestätigt)  =  die  Richtigkeit  der  Überschrift 
wird  bestätigt.  Die  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Nummerierung  in 
Kapitel  I. 


626  K.  Knmbacher 

45  Üb.  in  P:  tov  tanurov  ^ßMvov  (durch  keine  Hs  best). 
Text  in  P:  rowia. 

49  Üb.  in  P:  tov  raneivov  ^ßiovov  v/ivog.  Text  in  PÄD 
nur:  tov  totuvov  ^fjuxvov  v.  Hier  aber  scheint  der  Fehler 
ausnahmsweise  in  der  Überschrift  zu  liegen.    Vgl.  S.  575. 

57  Üb.  in  A:  tov  TOJUivov  ^fjtavov.  Text  in  A:  tov 
Tomvov.  Wie  P  zeigt,  ist  die  Lberschrift  Ton  A  richtig  (abge- 
sehen Ton  TOTietvov  statt  Tonivov),  bildet  aber  nur  den  Anfang 
einer  längeren  Akrostichis. 

87  Üb.  in  D:  tov  Tonetvov  ^wßjuiyov.  Text  in  D  nur: 
T  und  dann  nach  einem  neuen  Prooemiou:  tve.  Keine  voll- 
ständige  Hs  (wie  auch  bei  92,  94,  99  u.  s.  w.). 

92  Üb.  in  CV:   tov  otovöItov,    Text  in  C:   tov  oo,  in  V: 

TOV    OTO. 

94  Üb.  in  C:  tov  otovöItov,  Text  in  C:  tov  orova.  Ur- 
sprünglich wohl:  TOV  aTov{6lTov  ^ofx)a, 

101  Üb.  in  C:  innvfißiov  /liXog  tov  TQUja^Uov.  Text  in  C: 
imTv/ußiov  ßjtiJiog  Toa. 

105  Üb.  in  CV:  töv  Al<pdßffTov.  Text  in  C:  aeßyde^ 
in  V:  aßyde. 

112  Üb.  in  D:  oTscpdvov  6  alvog  (best,  durch  P,  der  aber 
TOV  oieq)dvov  ö  alvog  bietet).    Text  in  D:  aretpa, 

114  Üb.  in  D:  tov  Tdla  Inog  (best,  durch  P).  Text 
in  D:  tov. 

117  Üb.  in  D:  cfc  täv  äQXiOTQdTtiyoy  (best,  durch  P). 
Text  in  D:  elg  t6v  äg. 

118  Üb.  in  P:  elg  Tovg  äacojiAdTovg.  Text:  elg.  Keine 
andere  Hs. 

123  Üb.  in  P:  vovv  nafjLtparj  nmg  alviotig  &  oToviha. 
Text:  vovv  nafKparj  növiT,    Keine  andere  Hs. 

127  Üb.  in  P:  tovtj;  fi  d)drj  Tdla.  Text:  tov.  Keine 
andere  Hs. 

145  Üb.  in  P:  ^Jiog  elg  Tovg  dexa  äyiovg.  Text:  &Tog. 
Keine  andere  Hs. 

146  Üb.  in  D:  rarTj;  t)  ihdrj  TdXa  (best,  durch  P).  Text 
in  D:  Tarr. 


Die  AkrasHehia  m  der  griechieehen  Kirchenpoesie.  627 

147  Üb.  in  P :   r&y  bidoxlwv  ^  «&<J^,  in  D :  j&v 

(Rasur)  &dri.  Text  in  P :  xd)v  ind,  in  D :  tcDv  In.  Ein  durch 
die  sowohl  in  der  Überschrift  als  im  Texte  sichtbare  annähernde 
Übereinstimmung  der  sonst  so  weit  auseinandergehenden  Hss 
P  und  D  besonders  merkwürdiger  Fall. 

148  Üb.  in  D :  äajua  rdka  (best,  durch  P).  Text  in  D :  aajbi. 
160  Üb.:  rov  axovdhov  ndvvfxvog  elg  ävidiviov  P,   jzolrj/ia 

oxovdirov  V.  Text:  rovv  P,  rov  oxovdiov  CV.  Also  wird  die 
volle  Überschrift  von  P  wenigstens  teilweise  bestätigt  durch 
die  italische  Redaktion. 

181  Üb.  in  P:  rov  xaneivov  oxetpdvov.  Text:  xov  xanetj- 
vov  o  .     Keine  andere  Hs. 

200  Üb.  in  CV:  elg  äyiovg  (ursprünglich,  wie  Q  lehrt: 
elg  dylovg  naxigag).    Text  in  CV:  elg  äyg. 

203  Üb.  in  D:  nolrjfia  äXlo.  Text  in  D:  noi.  Keine 
andere  Hs. 

204  Üb.  in  D :  cßdrj  xtp  oxetpdvcp.  Text  in  D :  c&<5i),  in  T : 
d}dj]  (oor. 

Das  Ergebnis  dieser  Zusammenstellung  ist  in  mehr  als 
einer  Hinsicht  lehrreich.  Zunächst  ergibt  sich  die  grosse  Ver- 
schiedenheit der  Hss  bezüglich  der  Inkongruenz  zwischen  Über- 
schrift und  Text,  eine  Verschiedenheit,  die  noch  schärfer  hervor- 
tritt, wenn  man  die  Frequenz  der  Fälle  im  Verhältnis  zu  der 
in  jeder  Hs  enthaltenen  Gesamtzahl  von  Liedern  betrachtet. 

Weitaus  die  meisten  und  schwersten  Fälle  bietet  der 
Athoscodex  D.  Hier  ist  die  „Vorspiegelung  falscher  Tatsachen* 
durch  die  Überschrift  häufiger  als  die  Kongruenz  zwischen  Titel 
und  Text.  In  nicht  weniger  als  13  Fällen  wird  die  im  Akro- 
stichonvermerk erweckte  Hoffnung  im  Texte  getäuscht,  nur 
6  mal  decken  sich  Überschrift  und  Text  und  3  Lieder  bieten 
ohne  Überschrift  die  vollständige  Akrostichis  im  Texte.  Be- 
achtenswert ist,  dass  11  unter  den  erwähnten  13  Fällen  von 
Inkongruenz  im  Anfang  der  Hs  (vom  Oktober  bis  Weihnachten) 
zusammengehäuft  sind,  während  im  Triodion  nur  noch  2  Fälle 
vorkommen.    Es  scheint  also,  dass  der  Schreiber  sich  im  Ver- 


628  R.  Erumhacher 

lauf  seine  Arbeit  allmählich  bewusst  geworden  ist,  dass  die 
Notierung  der  Akrostichis  ohne  vollständigen  Text  ungereimt 
ist.  Die  Hs,  aus  der  D  seine  Überschriften  entnahm,  war  zum 
Teil  noch  vollständiger  als  P;  das  beweist  Nr.  204,  wo  P 
keinen  Vermerk  in  der  Überschrift  und  im  Texte  genau  wie  D 
nur  (hdri  bietet. 

Ahnlich  steht  es  mit  der  kleinen  Sinai-hs  G.  Sie  birg^, 
soweit  ich  aus  der  mir  vorliegenden  Beschreibung  ersehe,  nur 
5  vollständige  Lieder  des  Romanos,  dagegen  nicht  weniger  als 
4  Lieder  des  Dichters  mit  vollständiger  Akrostichis  in  der 
Überschrift  und  stark  verkürztem  Texte. 

Im  patmischen  Doppelcodex  P  Q  finden  sich  8  Fälle  (Nr.  45, 
118,  123,  127,  145,  147,  160,  181)  und  zwar—  ähnlich  wie 
in  D  —  ausschliesslich  im  ersten  Teile  des  liturgischen  Doppel- 
buches, im  Tropologion  (also  in  P).  Im  Verhältnis  zu  der 
ungewöhnlich  grossen  Zahl  vollständiger  Lieder  (gegen  200), 
die  PQ  bewahren,  erscheint  die  Zahl  der  Inkongruenzen  recht 
geringfügig.  In  der  italischen  Redaktion  finden  wir  nur  6  Fälle 
(Nr.  5,  92,  94,  101,  105,  200),  von  denen  einer  (Nr.  5)  auf  C 
beschränkt  ist.  Nr.  101  fehlt  in  V  durch  Blattausfall.  Je  einen 
Fall  bieten  A  (57)  und  M  (25).  Völlig  frei  sind,  soweit  ich 
sehe,  QBJT. 

Nun  lässt  sich  die  auffallige  Erscheinung  mit  Sicherheit 
beurteilen.  Der  Grund  der  Inkongruenz  kann  nur  in  der  Ge- 
dankenlosigkeit der  Schreiber  neuer  Exemplare  gesucht  werden, 
die,  etwa  im  Auftrage  eines  Redaktors,  die  Texte  durch  Weg- 
lassung einer  grossen  Zahl  von  Strophen  auf  ein  bequemes 
Mass  reduzierten,  trotzdem  aber  den  Titelkopf  mit  dem  vollen 
Akrostichisvermerk  unverändert  herübernahmen.  Am  klarsten 
liegt  das  Verhältnis  bei  D.  Hier  haben  wir  es  offenbar  mit 
einer  Redaktion  zu  tun,  die  unmittelbar  aus  einer  noch  zahl- 
reiche vollständige  Lieder  (ähnlich  wie  PQ)  bewahrenden  Hs 
mit  dem  Prinzipe  der  gewaltsamen  Verkürzung  abgeleitet  ist. 
Lägen  Zwischenglieder  zwischen  dem  noch  vollständigen  Arche- 
typus und  dem  Exzerpte  D,  so  wären  sicher  die  überflüssigen 
Vermerke  allmählich  verschwunden.   Auch  die  Sinai-hs  G  scheint 


Die  ÄkrasHehis  in  der  griedUschen  Kirchenpoesie,  629 

von  dem  vollständigen  Archetypus  durch  keine  oder  höchstens 
eine  Mittelstufe  getrennt  zu  sein.  Bemerkenswert  ist  aber, 
dass  in  der  mit  G  eng  verwandten  Sinai-hs  J  die  inkongruenten 
L  berschriften  schon  verschwunden  sind.  Für  die  Beurteilung 
der  allgemeinen  Stellung  der  Hjmnen-hss  zu  den  ältesten 
Fassungen  des  Tropologion  und  Triodion  ist  mithin,  neben  den 
sonstigen  Eigenschaften,  auch  das  Vorkommen  inkongruenter 
Überschriften  in  Betracht  zu  ziehen. 

Aus  dem  geschilderten  Sachverhalte  ergibt  sich  auch,  dass 
die  in  manchen  Hss  durch  den  Text  selbst  nicht  bestätigten 
Akrostichonnotizen  in  der  Überschrift  in  der  Regel  vollen 
Glauben  verdienen,  auch  da,  wo  keine  den  vollständigen  oder 
annähernd  vollständigen  Text  bewahrende  Hs  zu  Hilfe  konunt. 

n.  Die  Formen  der  Hymnenakrostichis. 

A.  Die  regelmässigen  Formen. 

Wie  in  der  Aufführung  des  Materials  in  Kapitel  I  be- 
schränke ich  mich  auch  hier  auf  die  Gattung  der  Hynmen. 
Die  Kanones  stehen,  wie  in  ihrer  Komposition,  so  auch  hin- 
sichtlich der  Akrostichis  für  sich.  Wie  sie  in  ihrem  Bau  weit 
mehr  gekünstelt  sind  als  die  Hymnen,  so  ist  auch  ihre  Akro- 
stichis anspruchsvoller  und  besteht  oft  aus  einem  oder  mehreren 
Versen.  Dagegen  kann  für  die  Hymnen  die  Akrostichonfrage 
im  grossen  und  ganzen  erledigt  werden.  Das  oben  zusammen- 
gestellte Material  ist  so  reichhaltig,  dass  erhebliche  Modifi- 
kationen des  Tatbestandes  und  der  aus  ihm  gewonnenen  all- 
gemeinen Ergebnisse  nicht  mehr  zu  erwarten  sind. 

Als  allgemeiner  Satz  gilt  für  alle  Hymnen,  dass  die  Akro- 
stichis nur  die  auch  durch  den  gleichen  metrischen  Bau  zu- 
sammengehaltenen Strophen  des  Liedkörpers  selbst  umfasst. 
Das  Prooemion  oder  die  Prooemien  stehen  ausserhalb  der  Akro- 
stichis. Die  einzige  Ausnahme  von  dieser  Kegel  bildet  das 
kleine  Lied  auf  den  hl.  Petros  (Nr.  158),  wohl  ein  spätes  Mach- 
werk,  dessen  Akrostichon    äofia   schon   mit   dem  Prooemion 


630  K.  Efumhaeker 

anhebt,  obschon  dieses  Prooemion  wie  immer  nach  einem 
anderen  Schema  gebaut  ist  als  die  Liedstrophen.  Wie  auf- 
fallig diese  Sonderheit  aber  war,  zeigt  die  Tatsache,  dass  der 
Bearbeiter  der  patmischen  Sammlung  sie  in  der  Überschrift 
ausdrücklich  hervorheben  zu  müssen  glaubte:  (pigov  äxQ€Hmx^ 
avv  Tov  xovxaxlov.  äoßMxl  Nach  ihrer  Beschaffenheit  können 
die  Hjmnenakrosticha  mit  Rücksicht  auf  das  wichtigste  Ele- 
ment, den  Autornamen,  in  drei  Gruppen  geteilt  werden: 
Akrosticha  mit  einem  bestimmten  Automamen,  Akrosticha  mit 
pseudonymer  Andeutung  des  Verfassers,  Akrosticha  ohne  jede 
Erwähnung  des  Autors.  Jede  dieser  drei  Gruppen  zerfallt  in 
zwei  Abteilungen:  Akrosticha  mit  Angabe  des  Inhalts  und 
Akrosticha,  die  nichts  über  das  Thema  des  Liedes  berichten. 
Mit  dieser  allgemeinen  Gruppierung  ist  die  Mannigfaltigkeit 
der  akrostichischen  Formen  nicht  erschöpft.  Es  gibt  eine 
Reibe  von  Spielarten  in  jeder  Gruppe.  Die  Akrostichis  schwankt 
von  der  ausführlichsten  Form  der  vollen  Bezeichnung  des  Ver- 
fassers und  des  Liedthemas  bis  zur  einfachen  und  nichtssagenden 
Notiz,  dass  es  sich  um  ein  Lied  handle.  In  der  folgenden 
Übersicht  der  Hauptformen  sind  die  einem  eigenen  Kapitel 
vorbehaltenen  orthographischen  und  sonstigen  Sonderheiten  noch 
ausser  acht  gelassen. 

I.   Akrosticka  mit  Aatomamen. 

1.  Automame  +  Inhaltsangabe. 

Diese  idealste  Form  der  Akrostichis  habe  ich  14  (13?)  mal 
gefunden,  12  (11?)  mal  bei  Romanos,  2  mal  bei  anderen  Dich- 
tern. Die  folgende  Liste  ist  nach  dem  Schlagwoi*t  des  Inhalts 
alphabetisch  geordnet. 

elg  xdv  'Aßgaä/x  'PcDjj^avav  vfivog  65 
^Tov  rajieivov  'Pwfiavov  zcß  *AvaQyvgq>  6  yxzXßJidg  57 

elg  tä  ßdta  'PcofJiavov  10 
^aivog  Tajieivov  'Pü)fuxvov  elg  xä  yevi&ha  32 

xbv  jtgoqpijrriv  *HXlav  6  'Poifiavdg  dfivcb  56 

xov  7iQoq)i]Xf]v  *HkUxv  6  *Pü}fiav6g  eixpti^i  56  (vgl.  o.  S.  577) 


Die  ÄkrosHchis  in  der  griecMechen  Kirckenpoeaie,  631 

S  v/ivog  'Pwßiavov  ek  töv  äyiov  OeödcDQov  59 

vfivog  elg  t6v  OeoXdyov  PoDjLiavov  54 

eig  lov  ^Icoarjtp  'Pco/biavov  Snog  11 

xov  rojteivov  'P(o/biavov  dlvog  elg  to  Ttd&og  74 

eig  rd  nd'&og  tpaX/xög  'Poofiavov  19 

eig  Tov  Jigöögofiov  'PoD/jiavov  (bezw.  Ao/tiixlov)  55 

jue&eÖQTta  tcov  tpdnov  (so)  ^bu  ^I(oo'fi(p  98 

TOV  jSxovdhov  näwfivog  elg  'Avt(oviov  160 


2.  Aaiomame  ohne  Inhaltsangabe. 
Die  wichtigsten  Spielarten  dieser  Ghruppe  sind: 

A.   Autorname  im  Genetiv  mit  einem  Epithet  und  Bezeich- 
nung des  Liedes  im  Nominativ  mit  oder  ohne  Artikel. 

Ich  ordne  die  Beispiele  aus  Romanos  alphabetisch  nach  der 
Liedbezeichnung,  die  übrigen  alphabetisch  nach  dem  Autor: 

TOV  xaneivov  'PoijMZvov  alvog  18,  33,  46,  67,  73,  80 
TOV  xajieivov  'Püifiavov  x6  Snog  7,  76 
TOV  raneivov  'Pco/navov  Knog  36 
TO  enog  ^P(Ofxavov  xaneivov  77 
^  xov  xaneivov  ^Pwfxavov  Ttolrjjua  16,  52 
^.^■^noirifw,  ^Poifxavov  xov  xaneivov  83 
nolrifia  'Pwfiavov  xaneivov  69 
xov  xaneivov  ^Poifiavov  6  vfivog  1,  60 
xov  xaneivov  'Pcofiavov  6  xpaXfiög  25,  62 
xov  xaneivov  *P(Dfxavov  \paXfi6g  20 
xov  xdXa  'Poifiavov  (hdrj  39 

ävaoxaoiov    xov    xaneivov    alvog    (oder    voarjeag;    vgl.    oben 
S.  589)  88 
'  xov  xaneivov  raßgirjX  6  v/nvog  ovxog  ä/itjv  äfiriv  187. 
^    xov  xaneivov  Fecogylov  vjuvog  90 
-   vjÄVog  xov  xaneivov  *I(oavvixlov  115 
xov  xaneivov  Koo/uä  vfxvog  99 


1906.  Sitigsb.  d.  philoB.-philo1.  n.  d.  hist  KL  42 


632  K.  KfHmbad^ 

B.  Wie  Form  A,  aber  Aatorname  ohne  Epithet 

6  alvog  'Pcofiavov  24 

alvog  'PcDfJMvov  41,  53 

alvog  xal  6  yaX/idg  rov  'PcDjuavov  29 

TiolrjfÄa  'Pcüfiavov  31 

TiQoaevxfj  'P(ojMivov  66 

6  v/Ävog  *Po}fiavov  43,  85  (ygl.  aber  die  Notiz  S.  586) 

*P(Ofxavov  6  xpakfiög  38 

i;  (höi]  'PüJßiavov  28 

d}dtj  'Püifiavov  40,  75 

ctßy — o)  dkipdßrjTov  'Poifiavov  12. 

v^ivog  'Aßßä  133 

*AQoe{viov)  t{6  ijiog?)  197 

raßQiTjX  (bÖTJ  183 

wdfj  Faßgiril  151 

(füivri   SeodojQov  96 

'lyvarlov  nofia  170 

(iojna  'Icoavvov  166 

(Ä(5^  '/foov^^  106,   110,  182 

noiTjpia  KvQiaxov  91 

eTtog  AiovTog  108 

TOI»  2!T€(pdvov  6  alvog  112 

t(oD  2!rovdirov?)  alvog  162 

ToO  Zzov&ixov  äojna{?)  94 

üvjueayv  7)  (hdtj   138 

C.  Ahnlich  wie  Form  A  und  B,   aber  durch  ein  Demon- 

stratiTproDomen  bezeichnet. 

alvog  xal  ovrog  'Po)fAavov  63 

TET(dQiYi?)  dhjotg  xal  ravtr]  'Poi^avov  61 

detjoig  xal  ravTt]  7)  'Pcjjuavov  61 

TOVTO  'Pco/tavov  ro  enog  6 

TOI»  raneivov  'Pcofiavov  xovxo  x6  noitiina  13  (anders  CV) 

Tovxo  ^Pmjiiavov  x6  Ttotrjjua  2  (durch  Konjektur  gewonnen) 

rov  xaTinvov  'Pcof^iarov  6  v/iivog  ovxog  34 


Die  ÄkrostiefUs  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  683 

Tov  rajieivov  'Pcofiavov  6  tpakfiog  ovrog  8  (in  einer  Redaktion 

fehlt  <5,  in  einer  andern  ovxog),  27,  58 
xavxri  fj  d)drj  xov  Haxiorov  'Pcofiavov  30 
Tovxo  TOTteivov  'Pcojuavov  79 
raßgiijX  xdde  177 

D.  Wie  Form  B,   aber   mit  Einführung  des  Autornamens 

durch  xvQOv, 

xov  XVQOV  'Pwfxavov  alvog  72 
xov  XVQOV  'Pco/jiavov  Ijtfj  48 
tpaX/iog  xov  xvqov  'Pcojuavov  82 

E.  Ein  Satz  mit  iaxL 

xovxo  x6  inog  laxlv  'Pcoßiavov  64 
6  ipaXfAog  ohxog  laxlv  'PcojüLavov  81 

F.  Autorname  im  Genetiv  mit  einem  Epithet. 

xov  xojieivov  Tcofiavov  3,  4,  5,  9,  14,  15,  17,  21,  22,  23,  26, 
37,  42,  44,  45(?),  47,  49,  50,  68,  70,  71,  78,  86(?),  87(?) 
xov  xdka  Pco/Liavov  35,  51 
xov  xajieivov  PecoQylov  122 
TOV  xdXa  TlavXov  111 
xov  xaneivov  2xe(pävov  181 

Gh.  Blosser  Autorname  mit  oder  ohne  Artikel. 

'Aßßä  161  ToD  FaßQiifiX  172 

TOV  'Aßßä  163  rQfjiyoQiov)  89 

'ÄQoevlovi?)  184  'Icoo^cp  97,  128 

'AQoevlo}{?)  188  2x€(pdvov  185 

FaßQi^k  175,  189,  201  rov  Zxovdlxov  92  (?),  95 

H.   Ganz  vereinzelt  steht  die  Form  mit  dem  Autornamen 
im  Yokatiy  als  Abschluss  einer  Frage. 

vovv  JzafA<pa^  nög  alvioeigf  d>  2xovdka\  123 

42» 


634  K.  ErumhaiAer 

n.  Akrogtieha  mit  pgemdonymer  ▲ndemtnng  des  Anton  dvch 

ein  Eplthet. 

1.  Epithet  +  InhaltBangabe. 
ijitrvßÄßiov  fieXog  rov  rgioa^Uov  101 

2.  Epithet  ohne  InhaltBangabe. 
A.  Ähnlich  wie  Form  A  und  B  in  Gruppe  I  2. 

Tov  äfiaQTCoiov  t6  nolriiAa  103 

6  aJvog  rdlXa  116,  135,  157  (rdXa) 

iofia  xdXa  148,  150 

TOV  xdXa  SnoQ  114 

t6  inog  xdXa  156 

¥nog  xdXa  153 

7to(t]jüLa  xdXa  124 

fl  (bdrj  rdXa  fiovov  142 

fl  <bd^  xdXa  125,  140 

(bdi]  xdXa  107 

ijiog  xov  jüLovov  xaneivov  130 

x6  v<pog  judvov  xajieivov  143 

xov  juövov  xaneivov  ^  (hÖ^  129 

B.  Wie  Form  C  in  Gruppe  I  2  (mit  Demonstratiypronomen). 

TovTo  x6  inog  xdXXa  144 

TovTO  xö  v<pog  xdXa  änav  159 

xavxri  fl  (bdi)  xdXa  127,  137,  146,  171 

C.  Blosses  Pseudonym  im  Genetiy  mit  oder  ohne  Artikel 
und  Beiwort  (entsprechend  der  Form  I  2  G). 

xov  äjuagxcoXov  136 

xov  iXeEivov  104 

xov  fidvov  xdXa  109,  179,  199 

TOV  xaneivov  h  ßCco  193 

xov  xaneivov  119  (vielleicht  nicht  vollständig) 


Die  Äkrostichis  in  der  griechischen  Kirehenpoesie,  635 

HI.  Akrosticha  ohne  Erw&hnang  des  Antors« 

1.  Andentniig  des  Inhalts  (nach  den  Schlagwörtern  alphabetisch 

geordnet) : 

'AüvTiup  alvog  131 

etg  TÖv  äQxiorQdrrjyov  117 

eig  Tovg  AoiOfidxovg  118 

TiolrjßAa  elg  Baaüetov  149 

elg  röv  äyiov  Fecogyiov  6  dlvog  178 

^  (birj  elg  TOvg  dvo  165 

xöig  eixovoxXdaraig  oval  190 

elg  TOT  *EXerifiova  120 

T(bv  indoxloyy  ^  d>^  147 

elg  xbv  daiov  Ev'&v/üiiov  6  v/ivog  ovxog  164 

elg  T7IV  evgeaiv  173 

elg  %öv  ZvQov  *E(pQalfx  169 

elg  TÖV  OeoXöyov   167   (Gregor   von   Nazianz),    180  (Apostel 

Johannes) 
elg  TÖV  ndyxaiXov  *I(oai]q>  6  ^Qtjvog  ovrog  192 
elg  T^v  fJLeiaiAOQqxDoiv  102 
elg  rdv  Nvatjg  154 
T^ff  navevqyflfxov  186 
elg  äylovg  naxiqag  200 
fl  (hdij  elg  xrjv  JiÖQvrjv  194 
jfjg  TiQodoolag  6  ^Q^vog  196 
Tov  nQoq>rixriv  xvqIov  84  (vielleicht  von  Romanos) 
miri  x(b  2xeq)dv(o  204 
eig  x6v  ^agiaäiov  xal  Tel(bvr}v  202 
elg  xdv  XqvodoxofAov  121 

2.  liedbezeichnong  ohne  Inhaltsangabe. 

A.  Notiz  mit  Epithet. 

olvoff  otxxQÖg  132 
evxrj  avxri  198 
noltifia  äXJio  203 
fj  d)iri  deuxiga  168 


686  K.  Knmbad^ 

B.  Notiz  ohne  Epithet. 
äd(o  141,  176 
alvog  139 

äajua  152,  158  (inklus.  Prooemion),  174 
t6  inog  113 
Inog  145 


aßy  —  m   100,  105  (Text  unvollständig),    134,  155  (unToU- 
ständig),  191,  195 


Nicht  mit  Sicherheit  einzureihen  (vielleicht  Fragment)  ist: 
füJotpoQü)  93 

Die  vorstehende  Zusammenstellung  der  verschiedenen  For- 
men der  Akrostichis  und  ihrer  Frequenz  bei  den  einzelnen 
Dichtem  wirft  in  mehrfacher  Hinsicht  neues  Licht  auf  die 
Geschichte  der  griechischen  Hymnenpoesie,  und  es  ist  nicht 
ohne  Nutzen,  die  Gattung  einmal  ausschliesslich  in  dieser  Be- 
leuchtung zu  studieren.  Das  soll  im  Anschluss  an  die  obig«^ 
Gruppeneinteilung  geschehen. 

Gruppe  I  1:  Die  idealste  Form  der  Akrostichis  (Autor- 
name +  Inhaltsangabe)  kommt  bei  Romanos  12  (11?)  mal 
vor,  in  der  übrigen  Hjmnenpoesie  nur  2  mal,  eine  Tatsache, 
die  allein  schon  das  mächtige  Übergewicht  des  Romanos  illu- 
striert. Bemerkenswert  ist  auch  die  grosse  Mannigfaltigkeit 
in  der  Bildung  dieser  Form.  Nur  einmal  wiederholt  sich  bei 
Romanos  eine  Fassung  {eig  rä  ßdia  *P(Ofxavov  =  elg  rör  Jigo- 
ÖQOfJLov  'Pcojiiavov) ;  alle  übrigen  Beispiele  sind  verschieden 
formuliert.  Die  zwei  Beispiele  ausser  Romanos  stehen  ganz 
für  sich.  In  dem  einen  (Joseph)  ist  der  in  keiner  anderen 
Hymnenakrostichis  vorkommende  Ausdruck  ädet  gebraucht,  in 
dem  anderen  das  wohl  von  einem  Studiten  neugebildete  Wort 
TidwjüLvog. 

Gruppe  I  2:  Etwas  grössere  Gleichförmigkeit  herrscht 
natürlich  in  den  Abteilungen  I  2  A — F,  wo  durch  das  Fehlen 
der  Inhaltsangabe  ein  manche  Abwechselung  bedingendes  £le- 


Die  ÄhrostiehM  in  der  grieehiechen  Kirchenpoesie.  687 

ment  wegfallt.  Trotzdem  bringt  es  Romanos  durch  den  Ge- 
brauch yerschiedener  Ausdrücke  für  den  Begriff  „Lied',  durch 
allerlei  Umstellungen  und  besonders  durch  Freiheit  in  der  An- 
wendung des  Artikels  und  anderer  Zusätze  (Adjektiva,  Demon- 
strativa,  den  Titel  ^Herr*^)  auf  38  Formen,  denen  nur  19  Formen 
in  der  ganzen  übrigen  Hymnenpoesie  gegenüberstehen.  Also 
auch  hier  unter  wesentlich  ungünstigeren  Verhältnissen  eine 
ähnliche  Überlegenheit  des  Romanos  wie  in  Gruppe  I  1.  Über 
die  Unterabteilungen  der  Gruppe  I  2  ist  Folgendes  zu  bemerken : 

Gruppe  I  2  A:  Romanos  bietet  11  Formen,  und  zwar 
gehören  sie  ihm  ausschliesslich;  nur  die  Form  tov  xqjieivov 
'PcD/iiavov  6  vfAvog  findet  sich  ähnlich,  aber  ohne  den  Artikel  o, 
je  einmal  bei  Georgios  und  bei  Kosmas.  Ebenfalls  isoliert 
stehen  die  drei  Formen  des  Anastasios,  des  Gabriel  und  des 
Joannikios.  Also  sind  innerhalb  der  ganzen  Abteilung  nur  2 
in  der  Fassung  völlig  identische  Beispiele. 

In  der  Abteilung  I  2  B,  wo  wegen  der  kleinen  Zahl  der 
konstituierenden  Elemente  (meist  2,  zuweilen  mit  Artikel  3 
oder  höchstens  4)  weniger  Gelegenheit  zu  Variationen  geboten 
ist,  bleiben  dem  Romanos  8  Formen  eigentümlich;  1  hat  er 
gemeinsam  mit  Kyriakos,  1  mit  Gabriel  und  Joseph.  Der  Typus 
'0  vfjLvog  'Pcofiavov  kehrt  ähnlich,  aber  ohne  Artikel,  bei  Abbas 
wieder.  Für  sich  stehen  die  eine  Form  des  Gabriel  (FaßgiriX 
fW^),  die  Formen  des  Theodoros,  Ignatios,  Johannes,  Leon, 
Stephanos,  die  zwei  zweifelhaften  desStudites  und  die  desSymeon. 

Die  Abteilung  I  2  C  ist  bei  Romanos  durch  10  verschiedene 
Formen  vertreten.  In  der  übrigen  Hymnenpoesie  kommt  sie 
nur  einmal  (bei  Gabriel)  vor  und  auch  hier  nur  in  der  abge- 
schwächten Form:  Autorname  -i-  Demonstrativ.  •  Die  Gruppe 
kann  also  geradezu  als  eine  Eigentümlichkeit  des  Romanos 
bezeichnet  werden. 

Ausschliesslich  dem  Romanos  eigen  ist  der  Typus  I  2  D. 
Freilich  knüpft;  sich  an  die  Einführung  mit  xvqov  eine  Echt- 
heitsfrage, auf  die  ich  unten  zurückkommen  werde. 

Ebenfalls  auf  Romanos  beschränkt  ist  die  Form  I  2  E. 


638  K,  Kruwhaeher 

Die  Oruppe  I  2  F  umfasst  nur  die  zwei  Typen:  xov 
TOJteivov  {'Pcofiavov)  und  tov  rdka  ('Pcofiavov).  Den  erste« 
verwendet  Romanos  als  Lieblingsform,  etwa  24  mal;  den 
zweiten  nur  2  mal.  Beide  Typen  werden  auch  von  anderen 
Dichtern  gebraucht,  der  erste  je  l  mal  von  Georgios  und 
Stephanos,  der  zweite  1  mal  von  Paulos.  Es  stehen  also  inner- 
halb der  ganzen  Qruppe  den  26  Beispielen  des  Romanos  nur 
3  Beispiele  aus  der  übrigen  Hymnendichtung  gegenüber. 

Die  Abteilung  I  2  G  fehlt  bei  Romanos  ganz,  offenbar 
aus  dem  einfachen  Grunde,  dass  der  blosse  Name  mit  dem 
Artikel  auch  für  den  Minimalumfang  seiner  Lieder  nicht  aus- 
reichte. Bei  den  übrigen  Dichtern  kommt  dieser  Typus  10  mal 
vor,   worunter  allerdings  manches  Fragmentarische   sein   ma^. 

Die  Abteilung  I  2  H  endlich  repräsentiert  eine  früher  nicht 
übliche,  wohl  durch  die  Künsteleien  in  den  Akrosticha  der 
Kanones  beeinflusste  Neuerung  der  Studiten. 

Der  wichtigste  Gewinn  der  zur  Gruppe  I  1 — 2  gehörenden 
Akrosticha  ist  die  Feststellung  der  Autorschaft  der  durch 
sie  bezeichneten  Lieder.  Dass  die  Angabe  des  Automamens 
in  der  Akrostichis  absolute  Gewähr  biete,  ist  bisher  nicht 
bloss  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  sondern  auch  bei  allen 
sonstigen  Beispielen  aus  der  griechischen,  lateinischen  und 
anderen  Literaturen  angenommen  worden,  und  der  Glaube  an 
die  Zuverlässigkeit  der  Namenakrostichis  wird  in  seiner  All- 
gemeinheit gewiss  niemals  erschüttert  werden.  Gerade  in  der 
griechischen  Hymnenpoesie  aber  haben  sich  einige  Bedenken 
erhoben.  Auf  einen  höchst  merkwürdigen  Fall  habe  ich  schon 
vor  mehreren  Jahren  hingewiesen.^)  Es  handelt  sich  um  das 
Lied  auf  Jobannes  den  Vorläufer  (zum  24.  Juni),  das  im  pat- 
mischen  Codex  212  (P)  unter  dem  Namen  des  Romanos,  in 
der  italischen  Redaktion  (CV)  aber  unter  dem  des  Domitios 
überliefert  ist.  Ich  habe  früher  (a.  a.  0.)  angenommen,  dass 
die  äusseren  Verhältnisse  der  Überlieferung  auf  Domitios  als 
Plagiator   hinweisen,    dagegen   die   Doppelsetzung   des   Buch- 


1)  Umarb.  S.  42  fL 


Die  Akrostichia  in  der  grieehiaehen  Kirchenpoesie,  639 

staben  Y  am  Schlüsse  des  Liedes  zu  Ungunsten  des  Romanos 
spreche.   Damals  war  mir,  obschon  ich  (S.  44  Anm.)  auf  son- 
stige Doppelsetzung  des  Schlussbuchstaben  hinwies,  hiefür  doch 
nicht  so   reiches   Material    zur   Hand    wie   heute.     Die   zahl- 
reichen  Fälle   der  Doppelung    der  Schlusslittera   (vgl.   unten 
S.  645  ff.)  beweisen,  dass  meine  damals  gegebene  Erklärung  der 
Doppelung  des  P  im  Liede   auf  den   hl.  Johannes   auf  einem 
Irrtum   beruht,    und  mithin  nicht  Romanos,   sondern  Domitios 
als  der  Fälscher  betrachtet  werden  muss.     Da  die  mit  seinem 
Namen   ausgestattete   Bearbeitung   nur  in  CV  steht,   während 
die  fragmentarischen  MT  zur  Redaktion  P  gehören,    ist   wohl 
anzunehmen,   dass  dieser  sonst  ganz  unbekannte  Domitios  ein 
Italograeke   war,    der  sich  durch  Änderung   der  Initialen   der 
Schlussstrophen    eines    älteren   Liedes   auf   billige   Weise   den 
Dichterlorbeer  verschaffen  wollte.    Dieser  Fall  steht  aber,  soweit 
ich  sehe,  in  der  gesamten  Überlieferung  völlig  vereinzelt  und 
bildet  eine  Ausnahme,   die  zunächst  nur  die  Regel  bestätigen 
mag,  dass  der  Name  in  der  Akrostichis  die  Autorschaft  sichert. 
Einige  Bedenken   erweckt  die  erst  durch   die  patmischen 
Hss  bekannt  gewordene  und  nur  durch  sie  bezeugte  Gruppe  1 2  D 
(Einfahrung   des  Namens   mit  xvqov).     Man  fragt  sich  billig, 
ob  wohl  der  Dichter  selbst  sich  als  „Herrn*  bezeichnet  haben 
könne,  und  vermutet  yielleicht,    dass  etwa  Schüler  des  Roma- 
nos die  Hymnendichtung,  ähnlich  wie  die  altindische  Priester- 
schaft, zunftmässig  ausübten  und  ihre  Werke  durch  die  Formel 
tov  xvQOv  'P(o/Mxvov  als  Erzeugnisse  seiner  Schule,  also  indirekt 
als  Werke  seines  eigenen  Geistes  zu  empfehlen  suchten.    Allein 
diese    gekünstelte   Annahme   hat   wenig   für   sich;    von   einer 
engeren  Schule   des  Romanos  ist  bis  jetzt  so  gut  wie  nichts 
bekannt,   wenn  er  auch  sowohl  bezüglich  der  Hirmen  als  des 
Wortlautes  später  viel  imitiert  wurde.  Wäre  tatsächlich  die  Be- 
zeichnung 9 Herr  Romanos*^  nachmals  als  Etikette  für  Dichtungen 
in  seinem  Geiste  verwandt  worden,  so  müssten  wir  eine  grössere 
Anzahl    solcher   Schulprodukte    erwarten.     Ausserdem    spricht 
kein  ernstlicher  Grund  gegen  die  Annahme,  dass  der  Dichter, 
vielleicht   im  höheren   Alter,   sich  im  Akrostichon  selbst  den 


640  K.  Krumbadier 

Titel  HVQov  beigelegt  habe.^)  Wir  dürfen  nicht  yergessen, 
dass  wir  über  die  Anwendung  des  Titels  und  seine  äeschichte 
noch  recht  wenig  Sicheres  wissen.  Eine  erneute  und  vertiefte 
Prüfung  der  diese  drei  Gedichte  betreffenden  Autorfrage  auf 
grund  innerer  Kriterien  kann  erst  gegeben  werden,  wenn  sie 
einmal  gedruckt  vorliegen. 

Ohne  Rücksicht  auf  den  Fall  Romanos  -  Domitios  und 
die  Akrosticha  mit  xvqov  hat  Papadopulos-Eerameus  vor 
kurzem  die  Ansicht  geäussert,  dass  der  Name  in  der  Akro- 
stichis  nichts  für  die  Autorschaft  beweise.^)    Da  jedoch 

^)  In  allen  drei  Oberschriften  steht  die  Form  xvqov;  nur  bei  Nr.  72 
ist  xvQoVf  wohl  von  späterer  Hand,  in  xvqov  korrigiert.  In  Titeln  von 
Schriftwerken  wird  sonst,  soweit  ich  sehe,  durchwegs  die  Form  xvqov 
gebraucht  und  sie  herrscht  bis  etwa  zum  15.— 16.  Jahrhundert.  Erst  um 
diese  Zeit  beginnen  die  Schreiber,  denen  der  lebendige  Zusammenhang 
mit  dem  byzantinischen  Titelwesen  verloren  gegangen  war,  wieder  das 
schulmässige  xvqIov  zu  setzen.  In  echt  byzantinischen  Hss  wird  zwischen 
xvQiog,  xvQia  und  xvQog,  xvqoL  ähnlich  unterschieden  wie  bei  den  Lateinern 
zwischen  dominus,  domina  und  domnus,  domna  d.  h.  die  Kurz- 
formen werden  nur  als  Titel  vor  Eigennamen  gebraucht.  Die  Abkürzung  für 
xvQoxi  ist  in  der  neueren  philologischen  Literatur  unzählige  mal  in  xvQiov 
aufgelöst  worden;  vermutlich,  um  ein  mir  gerade  begegnendes  Beispiel 
zu  zitieren,  auch  noch  in  dem  Titel  'Ex  t^g  eig  xa  xov  ^ÄQaxov  ^air6/Aeva 
ßi(t)vog  i^tjy^oecog  ixXoyai  dtoQ&oti^elaai  jtaQa  tov  oo(p(OTdtov  /lovaxov  xvQiov 
Ma^i/Ltov  TOV  nXavovdri,  den  E.  Maass,  Commentariorum  in  Aratum  reli- 
quiae,  Berlin  1898,  S.  LXIII  aus  Cod.  Medic.  XXVIII  44,  saec.  XV,  anfuhrt. 
Auch  in  Gardthausens  Griechischer  Paläographie  S.  263  ist  die  (ungenau 
wiedergegebene)  Abkürzung  xvqov  irrtümlich  durch  xvqiov  erklärt.  Eine 
Untersuchung  über  die  Geschichte  dieser  Form  und  ihrer  Schreibung, 
die  passend  mit  einer  Forschung  über  die  Geschichte  des  Titels  selbst 
(Zusatz  zum  eigenen  oder  zu  fremden  Namen,  Gebrauch  in  Überschriften, 
Subskriptionen  u.  s.  w.)  verbunden  würde,  ist  ein  Bedürfnis. 

*)  In  seinem  Artikel  ,'0  vfxvoyQd(pog  KvQiaxdg"" ,  Nia  'H/iiQa  vom 
27./11.  Jan.  1902  (aQ.  1418):  ,av  Sk  avfißaivei,  va  vndQXfoai  xai  heQa  ovx 
SXfya  xatd  u  yevofxeva  jzqotvjiov,  xois  x6  nQoxvnov  xovxo  rj  avxov  xov 
*Po}fMavo^  elvai,  §  äXXov  xirog  fiexayevsaxiQov  avxov  noirjxov,  fih  xrfv 
dtatpoQav  Sfjimg  8xi  h  xotavxji  neQuix(oaei  E^ofiev  M  ötpet  ij  ovjf*  yvijoiov 
xov  'Payfiavov  nolrj^ia  (ioxm  xai  äv  diä  xfjg  dxQoaxixiSog  avxo  xov 
*Po)ftavov  iu(pavit^f>xai  xo  ovofia  [ich  sperre])  rj  Ttoivjfia  xov  avxov 
davrTj^eg  u.  s.  w. 


Die  Akrostichis  in  der  grieddsehen  Kirchenpoesie,  641 

der  griechische  Gelehrte  nicht  den  mindesten  Beweis  für  seinen 
reyolutionären  Skeptizismus  beibringt,  so  moss  ich  mich  be* 
gnügen,  seine  Aufstellung  lediglich  zu  registrieren.  Auch  der 
von  Pitra  bezüglich  des  Autornamens  im  Liede  Nr.  31  (s.  oben 
S.  570)  ausgesprochene  Zweifel  muss  vorerst  auf  sich  beruhen. 
Dagegen  kann  umgekehrt  nicht  genug  betont  werden,  dass 
viele  der  von  Pitra  auf  grund  fragmentarischer  oder  viel- 
deutiger Angaben  in  der  Akrostichis  getroffenen  Autorbestim- 
mungen höchst  zweifelhaft  sind.  Das  gilt  z.  B.  von  manchen 
seiner  Zuteilungen  an  Theodoros  Studites  (vgl.  Pitra  S.  336  ff.). 
Recht  unsicher  ist  auch  die  S.  432  gegebene  Identifizierung 
der  Akrostichis  JSv/n  mit  Symeon  Metaphrastes. 

Gruppe  II:  unter  den  Pseudonymen  Andeutungen^)  des 
Autors  spielen  nur  die  Epithete  idlag  und  xcuieivdg  eine  be- 
merkenswerte Bolle.  Das  erste  findet  sich  22  mal  in  13  ver- 
schiedenen Formen,  das  zweite  nur  5  mal  in  5  verschiedenen 
Formen.  Vielleicht  müssen  aber  die  Beispiele  der  zwei  Epithete 
noch  weiter  geschieden  werden:  Das  erste  Epithet  kommt  19 mal 
in  der  regelmässigen  Schreibung  xäXag^  3  mal  in  der  seltsamen 
Form  xdXXaq  vor.  Da  aber  sogar  innerhalb  derselben  Form 
{6  cävog  xdla)  zwischen  xdla  und  xdiXa  gewechselt  wird,  so 
ist  wohl  anzunehmen,  dass  die  orthographische  Schwankung 
nichts  mit  einer  Verschiedenheit  des  Autors  zu  tun  hat.  Hätte 
ein  neuer  Autor  sich  von  dem  Pseudonym  xdXag  wirklich  unter- 
scheiden wollen,  so  hätte  er  andere  Mittel  gefunden  als  die 
inkorrekte  Schreibung  des  Wortes,  mit  der  die  Schreibung 
ndyxaXlog  (Nr.  192)  zu  vergleichen  ist.  Eher  könnte  man 
daran  denken,  dass  zwischen  dem  einfachen  xdkag  und  xdXag 
fiovog  oder  fidvog  xdkag  zu  scheiden  sei.  Wer  sich  unter  dem 
bescheidenen  Pseudonym  verbirgt,  wissen  wir  nicht.  Unter 
den  Akrosticha  mit  Autornamen  kommt  xdkag  4  mal  vor  und 
zwar  3  mal  mit  dem  Namen  des  Romanos,  1  mal  mit  dem  des 

^)  Ich  gebrauche  das  Wort  pseudonym  in  Ermangelung  eines 
besser  passenden  Ausdrucks.  In  Wahrheit  handelt  es  sich  nicht  um 
Pseudonymik  im  modernen  Sinne,  sondern  nm  das  Verbergen  des  Namens 
aus  christlicher  Demut. 


642  JSr.  Rrumbad^ 

Paulos.    Das  berechtigt  aber  nicht,  das  Pseudonym  einem  dieser 
beiden  Dichter  zuzuteilen. 

Das  Pseudonym  taneivög  findet  sich  3  mal  in  Verbindung 
mit  fi6vog  (jxovov  oder  tov  fiövov  TOTteivov),  1  mal  in  der  Form : 
Tov  xaneivov  h  ßlq),  1  mal  (119)  ohne  Zusatz,  doch  hier  handelt 
es  sich  vielleicht  um  ein  verstümmeltes  Lied.  Die  Frage,  ob 
zwischen  den  verschiedenen  Fassungen  der  Akrosticha  mit  dem 
Epithet  taneivög  geschieden  werden  muss,  lässt  sich  gegen- 
wärtig nicht  beantworten;  jedenfalls  verdient  diese  Differenz 
eine  höhere  Beachtung  als  die  orthographische  Schwankung 
bei  rdXag.  Das  Epithet  raneivdg  erfreut  sich  in  den  mit  Autor- 
namen versehenen  Akrosticha  der  grössten  Beliebtheit;  ausser 
Romanos,  dessen  Namen  nicht  weniger  als  52  mal  mit  dem 
demütigen  Zusatz  geschmückt  ist,  bezeichnen  sich  noch  6  andere 
Dichter  mit  rajieivog:  Anastasios,  Gabriel,  Oeorgios, 
Joannikios,  Eosmas,  Stephanos.  Bei  dieser  Sachlage 
müssen  wir  uns  dem  Pseudonym  Taneivög  gegenüber  völlig 
hilflos  fühlen,  um  so  mehr,  als  von  den  Dichtem,  die  ihrem 
Namen  das  Wort  xaneivog  zufügen,  —  von  Romanos  abge- 
sehen —  nur  je  ein  bis  zwei  Lieder  erhalten  sind,  viel  zu 
wenig,  um  als  Grundlage  einer  sprachlich -stilistischen  Yer- 
gleichung  zu  dienen.  Dass  das  Epithet  noch  spät  gebraucht 
wurde,  beweist  Nr.  119,  für  dessen  Abfassungszeit  das  Todes- 
jahr des  Theodoros  Studites  (826)  den  terminus  post  quem  bildet. 

Ganz  isoliert  stehen  die  drei  Pseudonyme  xov  xgioa^XCov 
(101),  xov  &fiaQxa)Xov  (103;  136)  und  xov  iXeeivov  (104).  Da 
sie  nirgends  mit  einem  Automamen  verbunden  vorkommen, 
lässt  sich  über  ihre  Bedeutung  nicht  einmal  eine  Vermutung 
aufstellen.  Das  einzige  Pseudonym,  dessen  Autor  sicher  zu 
stehen  scheint,  ist  äooxog.  Denn  das  bei  Pitra  S.  343  ff.  gedruckte 
Lied,  dessen  Akrostichis  xov  äocbxa  —  wohl  zu  ergänzen  xov 
äoa>x{ov  äafi)a  —  lautet,  trägt  in  C  die  Randnotiz:  Sxovdlxov}) 


^)  Übrigens  ist  zn  bemerken,  dass  die  von  Pitra  als  Teil  der  Über- 
schrift notierten  Worte:  tpsgov  dxQoouxiSa,  Tov  dowxov  nicht  im  Codex 
stehen. 


Die  AhrosticMa  in  der  griet^istken  Kirehenpoesie,  643 

£in   zweites  Lied   mit  der  Akrostichis   Tov  äocotov  äofxa   bei 
Pitra  S.  358  ff. 

Das  betrübende  Endergebnis  der  Betrachtung  ist,  dass  die 
Autoren,  die  sich  unter  einem  der  demütigen  Epithete  yer- 
bargen,  —  den  Autor  äacorog  ausgenommen  —  ihre  Person 
so  gründlich  verborgen  haben,  dass  sie  uns  beim  gegenwärtigen 
Stande  der  Forschung  und  vermutlich  für  immer  unerkennbar 
bleiben.  Selbst  die  Frage,  ob  sich  unter  den  Bezeichnungen 
rdXa,  TOTieivov  u.  s.  w.  verschiedene  Autoren  bergen,  kann 
gegenwärtig  noch  nicht  mit  Sicherheit  entschieden  werden, 
wenn  es  auch  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass  wenigstens  die 
zwei  häufiger  vorkommenden  Beiwörter  idlag  und  Taneivög 
zwei  verschiedenen  Autoren  angehören.  Erst  nach  Publikation 
aller  Texte  wird  man  mit  einiger  Aussicht  auf  Erfolg  daran- 
gehen können,  durch  eine  eingehende  Untersuchung  ihrer  sprach- 
lichen und  metrischen  Beschaffenheit  und  der  Überlieferungs- 
verhältnisse etwas  Genaueres  über  die  Autorfrage,  die  Ent- 
stebungszeit  und  das  Verhältnis  der  Pseudonymen  Gedichte  zu 
den  Werken  bekannter  Autoren  zu  ermitteln.  Die  im  Obigen 
gegebene  Feststellung  des  Tatbestandes  bildet  die  erste  Basis 
für  alle  weitere  Forschung  auf  diesem  dunkeln  Felde. 

Gruppe  IQ:  Bei  den  Liedern  dieser  Gruppe  lässt  sich 
in  der  Regel  nicht  einmal  die  Entstehungszeit  näher  be- 
stimmen. Die  durch  die  Themen  bedingte  Frühgrenze  bringt 
wenig  Nutzen,  da  es  sich  in  den  meisten  FäUen  um  die  der 
Ausbildung  der  Uymnenpoesie  voraufgehenden  ersten  Jahr- 
hunderte n.  Chr.  handelt.  Eine  Ausnahme  bildet  das  Lied 
gegen  die  Bilderstürmer  (190).  Zuweilen  ermangelt  die  Be- 
zeichnung des  Themas  der  nötigen  Deutlichkeit:  elg  tiv  Ssoloyov 
geht  einmal  (167)  auf  Gregor  von  Nazianz,  zweimal  (54  und 
180)  auf  den  Apostel  Johannes. 


Fa&sen  wir  die  Ergebnisse  der  vergleichenden  Betrachtung 
der  Hymnenakrosticha  zusammen.  An  der  Spitze  steht  die  in 
den  allgemeinen  Zügen  schon  früher  bekannte  Tatsache,   dass 


644  R.  Erumbather 

die  Akrosticha  unsere  fast  einzige  Quelle  ffir  die  Kenntnis  der 
Verfasser  der  Lieder  sind.  Durch  das  oben  zusammengestellte 
Material  lernen  wir  die  Autoren  von  etwa  130  Liedern  kennen. 

Völlig  neu  und  literarhistorisch  sehr  wertvoll  ist  ^ 
zweites  Ergebnis:  die  Erkenntnis  des  ungeheueren  Überge» 
wichtes,  auch  im  rein  quantitativen  Sinne,  das  Romanos  in 
der  Hymnenpoesie  behauptet.  In  der  Gruppe  I  1  entfallen 
auf  Romanos  12  (IIP)  Formen,  auf  die  übrige  Hymnenpoesie 
nur  2,  in  der  Gruppe  I  2  A — F  auf  Romanos  38,  auf  die 
übrigen  Dichter  19.  Mithin  bietet  Romanos  in  den  überhaupt 
zur  Vergleich ung  geeigneten  Gruppen  50  (49?)  Formen,  alle 
übrigen  Dichter  zusammen  nur  21. 

Ein  weiteres  Ergebnis  ist  die  Einsicht  in  die  grosse 
Mannigfaltigkeit,  deren  sich  die  Dichter  bei  der  Bildung  der 
Akrostichis  befleissigten.  Es  herrschte  offenbar  das  Bestreben, 
durch  allerlei,  wenn  auch  noch  so  kleine  Änderungen  immer 
wieder  neue  Formen  zu  schaffen.  Der  Individualismus  geht 
so  weit,  dass  ein  grosser  Teil  der  Akrosticha,  auch  wenn  die 
den  Autornamen  umfassenden  Strophen  zufallig  verloren  ge- 
gangen wären,  schon  durch  ihre  übrige  Form  verraten  würden, 
ob  sie  dem  Romanos  oder  einem  anderen  Dichter  gehören. 
Der  Typus  I  1  ist,  von  zwei  in  der  Fassung  ganz  abweichen- 
den Beispielen  abgesehen,  ausschliesslich  Eigentum  des  Ro- 
manos. Aus  der  Gruppe  I  2  sind  mehrere  Formen,  die  Romanos 
wiederholt  bietet,  von  den  übrigen  Dichtem  verschmäht  worden: 
vollständig  die  Formen  mit  xvgov  und  ioxi  (I  2  DE),  nahezu 
vollständig  die  Form  mit  dem  Demonstrativpronomen  (I  2  C). 
Dagegen  ist  umgekehrt  der  Typus  12  6  (blosser  Automame), 
der  10  mal  vorkommt,  von  Romanos  nie  gebraucht  worden. 
Neben  dem  Individualismus  in  der  Bildung  der  Akrostichis 
geht,  deutlich  sichtbar  freilich  nur  bei  Romanos,  der  Gebrauch 
einiger  Lieblingsformen. 

Welche  Bedeutung  die  Feststellung  dieser  Tatsachen  für 
die  Untersuchung  von  Autorfragen,  für  die  Zuteilung  anonym 
überlieferter  Stücke  und  namentlich  für  die  Kritik  und  Er- 
gänzung fragmentarischer  oder  durch  Umstellungen  verdorbener 


Die  Äkrostiekis  in  der  grieehiachen  Kirchenpoesie.  645 

Akrosticha  besitzt,   wird  sich  im  Laufe   der  späteren  Einzel- 
foTschung  ergeben. 

Wichtig  fQr  die  kritische  Arbeit  ist  auch  die  Einsicht  in 
manche  Kontaminationen,  Verrenkungen,  Verkürzungen  und 
sonstige  Misshandlungen,  die  in  der  Überlieferung  vorkommen 
und  zuweilen  sogar  unter  einer  scheinbar  unversehrten  Akro- 
stichis  verborgen  sind.  Einige  hierher  gehörige  Fälle  habe 
ich  früher  („Umarb/)  ausführlich  nachgewiesen,  andere  sind 
oben  in  Kapitel  I  kurz  berührt  worden;  vgl.  Nr.  2,  8,  13,  30, 
49,  55,  61,  71,  88,  97,  112,  160,  162,  200.  Das  ärgste  Bei- 
spiel bietet  wohl  die  spätere  Überlieferung  des  Totenliedes 
(Nr.  8).  Ohne  eine  neue  Ausgabe  des  Textes  lässt  sich  aber 
von  dem  Wirrwarr,  der  hier  in  den  Hss  herrscht,  keine  klare 
Vorstellung  geben.  Ich  muss  mich  begnügen,  auf  das  Vor- 
kommen merkwürdiger  Umstellungen  und  Kontaminationen 
hinzuweisen  und  zu  einiger  Vorsicht  im  Vertrauen  auf  die 
Akrostichis  zu  mahnen.  Mehr  als  die  allgemeinen  Gesichts- 
punkte und  Richtlinien  lassen  sich  hierüber  wie  überhaupt 
für  die  Verwertung  des  obigen  Materials  nicht  geben.  Die 
Hauptsache  ist,  dass  nunmehr  für  die  Behandlung  der  ein- 
zelnen Fälle  eine  Basis  und  ein  Ausgangspunkt  geschaffen  ist. 

Endlich  ist  das  in  der  Geschichte  der  Akrostichis  und 
ihrer  Überlieferung  sichtbare  Vorwalten  persönlicher  Eigen- 
heiten von  erheblicher  Bedeutung  für  die  allgemeine  literar- 
historische und  ästhetische  Beurteilung  der  Hymnenpoesie,  die 
dem  oberflächlichen  Beobachter  nur  zu  leicht  als  eine  gleich- 
förmige, nach  fester  Zunftregel  ausgeübte  Produktion  erscheint. 

B.  Unregelmässigkeiten  in  den  Akrosticha. 

I.  DoppeUetzniig  von  Buchstaben  and  Wörtern. 

Pitra  hat  ein  Lied  des  Anastasios  ediert,  in  dessen  Text 
in  einer  Hs  (C)  der  letzte  Buchstabe  der  Akrostichis  (2)  durch 
zwei  Strophen  vertreten  ist,  und  hält  die  erste  der  beiden 
^'-Strophen  wegen  einiger  Anklänge  an  eine  frühere  Strophe 
des  Liedes  für  ein  späteres  Einschiebsel.    Ich  habe  schon  oben 


646  K.  Krumbacker 

(S.  588)  auf  die  Schwäche  seiner  Argumente  hingewiesen  und 
hervorgehoben,  dass  der  Fall  nicht  isoliert  behandelt  werden 
darf.  In  der  Tat  bietet  das  in  Kapitel  I  gesammelte  Material 
eine  ganze  Reihe  ähnlicher  Doppelungen,  und  es  ist  unerläss- 
lich,  alle  Beispiele  im  Zusammenhange  zu  betrachten,  um  f&r 
die  Kritik  der  auffallenden  Erscheinung  eine  verlässige  Grund- 
lage zu  gewinnen.  Die  Beispiele  zerfallen  in  zwei  nach  ihrer 
Frequenz  und  ihrer  Beschaffenheit  deutlich  geschiedene  Gruppen : 

1.  Verdoppelnng  der  SchluBslittera. 

Nr.  18  schliesst  in  Q  mit  alvogg.  In  CV  fehlt  die  zweite 
Strophe  mit  c.  Inhalt  der  zweiten  -S'-Strophe  —  ich  nenne  sie  im 
folgenden  kurz  »Überstrophe**  — :  Anrede  an  die  Neugetauften. 

Nr.  39  (nur  in  P  erhalten)  schliesst  mit  (hdi^fj.  Grund  der 
Überstrophe:  Schlussgebet. 

Nr.  49  schliesst  (in  PÄD V;  s.  oben  S.  575)  mit^ßmvovv, 
Inhalt  der  Überstrophe:  Schluss  der  Liederzählung  und  Schluss- 
gebet. 

Nr.  55  schliesst  in  P  mit  ^cojuavovv  (in  CV  mit  dofuriov; 
s.  oben  S.  577  u.  638  f.).    Grund:  Schlussgebet. 

Nr.  64  (nur  in  Q)  schliesst  mit  gco/xavovv,  Grund:  zweites 
Schlussgebet  mit  Nachholung  der  Erwähnung  der  Mutter  Gottes. 

Nr.  68  (nur  in  Q)  schliesst  mit  ^cojnavovv,  Grund:  Alle- 
gorische Ausdeutung  des  Themas. 

Nr.  75  (nur  in  Q)  schliesst  mit  ^odjmxvovv.  Grund  unklar 
(Fortführung  der  Anrede  an  den  Hades  aus  der  vorletzten 
Strophe). 

Nr.  81  (nur  in  Q)  schliesst  mit  Qcofiavovv,  Grund:  Schluss- 
gebet. 

Nr.  88  (Anastasios)  schliesst  in  C  mit  alvogq.  Grund: 
Schlussgebet.  Der  ganze  Schluss  alvogg  beruht  wohl  auf  einer 
späteren  Umarbeitung. 

Nr.  139  (anonym;  nur  in  P)  schliesst  mit  alvogg.  Grund: 
Schlussgebet  (Gegenstück  zu  Strophe  1  des  Liedes;  s.  oben  S.  601). 

Nr.  142  (anonym;  vollständig  nur  in  P)  schliesst  mit 
jnovovv.    Grund:  Schlussgebet. 


Die  Äkroatichia  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  647 

Nr.  166  (Johannes;  vollständig  nur  in  P)  scUiesst  mit 
lioawovv,    örund:  Schlussgebet. 

Nr.  168  (anonym;  vollständig  nur  in  P)  schliesst  mit 
devrigaa.    Grund:  Schlussgebet. 

Nr.  194  (anonym)  schliesst  in  Q  mit  nögvi^w.  Grund: 
Schlussgebet. 

Nr.  195  (anonym;  nur  in  Q)  schliesst  die  alphabetische 
Akrostichis  mit  .  .  x^too},    Grund:  Schlussgebet. 

2.  Sonstige  Doppelungen. 

Zuweilen  wird  gegen  die  Orthographie  ein  Buchstabe  in 
der  Mitte  des  Wortes  verdoppelt.     So  bietet  in  Nr.  21  Q  die 
Schreibung  ^fmwov^  wobei  das  überschüssige  v  wohl  die  Spur 
einer  Umarbeitung  darstellt  (vgl.  oben  S.  567)  und  in  Nr.  192 
ebenfalls  Q  die  Schreibung  ndyxalkov.    Dazu  kommt  die  schon 
oben  (S.  641)  besprochene  Schreibung  xdUa  statt  tdla  in  Nr.  116, 
135,  144.    In  Nr.  200  ist  der  Buchstabe  77  (^zj^aTc^ag)  doppelt 
vertreten,    aber    beide   77- Strophen    beginnen    mit    denselben 
Worten,  am  Rande  steht  älko  und  die  zweite  Strophe  ist  in 
der   Marginalzählung   nicht    mitgerechnet,    deutliche   Beweise, 
dass   wir   die   Spur   einer  Umarbeitung   vor   uns   haben.     In 
Nr.  121  ist   durch  Doppelsetzung  der  Buchstaben  ;^^i;ooaT  die 
in    der  Überschrift   angekündigte    kurze   Akrostichis    Elg   rdv 
Ägvodaro/iiov  auf  24  Strophen  angewachsen.    In  der  Marginal- 
zählung sind  wie  bei  Nr.  200  die  doppelt  gesetzten  Strophen 
nicht  mitgerechnet.     Man  muss  vermuten,  dass  auch  hier,  wie 
bei  Nr.  200,  nach  einer  Umarbeitung  die  alten  Strophen  neben 
den  neuen  stehen  geblieben  seien.     Eine  nähere  Betrachtung 
des  Textes  bestätigt  diese  Ansicht:   die  überlieferten  Strophen 
machen   durchaus   den  Eindruck   von  Skizzen   zu  einem   noch 
nicht  abgeschlossenen  Werke.    Nicht  eigentlich  hierher  gehörig 
ist  Nr.  12,  wo  der  Begriff  Alphabet  zweifach,  zuerst  durch 
die  24  Buchstaben  des  Alphabets  (a~a>),  dann  durch  das  Wort 
älq)dßi]tov  (^Pcofjtavov)   ausgedrückt   ist.     Ein   Gegenstück   der 
Doppelung  bietet  Nr.  154,  wo  statt  Nvaorjg  in  der  Akrostichis 
(wie  auch  in  der  Überschrift)  Nvorjg  gesetzt  ist. 

IMSw  SitEgab.  d.  phUoB.-pliUoL  n.  d.  hiat.  KL  43 


648  it  Krumbaeher 

Wenn  wir  nun  zur  Beurteilung  der  Doppelung  fibergeken, 
so  ist  Yorerst  zu  konstatieren,  dass  sie  sich  in  allen  Fällen  auf 
den  Text  beschrankt,  in  der  Akrostichonnotiz  der  Überschrift 
aber  niemals  berücksichtigt  wird.  Für  die  Kritik  kommt  aber 
diese  Tatsache  gewiss  nicht  in  Betracht.  Ohne  Weiteres  ist 
klar,  dass  die  zwei  Oruppen,  in  die  ich  das  Material  geteilt 
habe,  nichts  mit  einander  zu  tun  haben.  Die  unter  2.  auf- 
geführten Fälle  stehen  in  der  Überlieferung  ganz  vereinzelt 
und  spielen  keine  erhebliche  Rolle  för  die  allgemeinen  Fragen 
der  Textkritik.  Mehrfach  handelt  es  sich,  wie  gezeigt  worden 
ist,  um  Reste  einer  Umarbeitung  (Nr.  121  und  200),  und  hier 
bleibt  nur  die  Frage,  ob  diese  Reste  durch  einen  Irrtum  des 
Schreibers  oder  mit  Absicht,  gleichsam  zur  Auswahl  für  den 
Sänger  oder  Leser,  stehen  gelassen  wurden.  Die  bei  Nr.  20O 
bemerkte  Randnotiz  äXko  scheint  für  die  zweite  AufEassung  zu 
sprechen.  Vielleicht  ist  so  auch  das  doppelte  v  des  Namens 
'PcDjMiwov  in  Nr.  21  zu  erklären.  Dagegen  scheint  die  3  mal 
Yorkonmiende  Schreibung  rdXla  auf  einer  mit  den  Schwankungen 
der  Antistoechie  vergleichbaren  orthographischen  Schrulle  zu 
beruhen.  Die  Doppelsetzung  des  Begriffes  Alphabet  endlich  in 
Nr.  12  ist  offenbar  eine  vom  Dichter  selbst  gewollte  pleona- 
stische  Spielerei. 

Eine  ernstere  Beachtung  verdienen  die  in  der  ersten  Rubrik 
zusammengefassten  Fälle.  Hier  handelt  es  sich  um  eine  Er- 
scheinung, die  mit  relativer  Häufigkeit  und  stets  in  derselben 
Form  auftritt.  Unter  den  204  Liedern,  deren  Akrosticha  in 
Kapitel  I  beschrieben  sind,  sind  nicht  weniger  als  15,  bei 
denen  der  Schlussbuchstabe  durch  zwei  Strophen  vertreten  ist. 
13  dieser  Doppelungen  sind  nur  in  den  patmischen  Hss  PQ 
überliefert;  von  den  2  übrigen  ist  eine  durch  eine  grössere 
Zahl  von  Hss  bezeugt  (Nr.  49  durch  PADV),  die  zweite 
(Nr.  88)  nur  durch  C.  Unter  den  erwähnten  13  Fällen,  die 
nur  PQ  bietet,  sind  aber  12  Lieder,  die  überhaupt  nur  in  P 
oder  Q  vollständig  erhalten  sind,  wenn  man  von  der  besonders 
gelagerten  Nr.  55  absieht.  Eine  regelrechte  handschriftliche 
Differenz    bietet  in   dieser   Gruppe   nur   Nr.  18,   wo  die  in  Q 


Die  Äkrostiehis  in  der  fftiediischen  Kirchenpoesie,  649 

überlieferte    Doppelung    in    GY  fehlt.    Die   Spur   einer   Ab- 
weichung findet  sich  in  Nr.  49,  wo  T  vielleicht  auf  eine  Vor- 
lage  zurückweist,    in   der   die  in  PADV  vorhandene  Über- 
strophe noch  fehlte  (vgl.  S.  575).     Nach  der  Überlieferung 
lässt    sich    mithin    die    Erscheinung    nicht    sicher    beurteilen. 
Dass   die  grosse   Mehrzahl   der  Fälle  auf  PQ  entfallt,  beruht 
auf  der  prominenten   Stellung  dieser  2  Hss  in   der  Gesamt- 
überlieferung.    Nr.  49   und  88  beweisen,  dass  die  Doppelung 
auch  in  anderen  Hss  vorkommt  und  dass  sie  also  nicht  etwa 
eine  Eigentümlichkeit  der  patmischen  Redaktion  ist.    Die  inhalt- 
liche Betrachtung  der  15  überschüssigen  Schlussstrophen  ergibt, 
dass  sie  meistens  ein  mit  dem  Liede  selbst  nicht  zusammen- 
hangendes oder  doch  nur  ganz  lose  verbundenes  Schlussgebet, 
eine  Anrufung  an   den   Heiligen    oder   eine  Anwendung    des 
Liedthemas  auf  einen  besonderen  Anlass  enthalten.    Völlig  klar 
ist  diese  Eigenschaft  der  Überstrophe  bei  Nr.  18,  39,  55,  64, 
81,  88,  139,  142,  166,  168,  194,  195.     In  Nr.  168  wird  sie 
ausdrücklich   als  Ephymnion   bezeichnet.     Ein  Schlussgebet 
enthält    die   Strophe    auch    in    Nr.  49;    hier   aber    wird    der 
Zusammenhang    mit   dem    Liede    dadurch    gewahrt,    dass    im 
ersten  Teil   der  Strophe  noch   die  Erzählung   zum  Abschluss 
gebracht  und  erst  dann  ein  kurzes  Schlussgebet  angefügt  wird. 
Wenn   wir   nun   noch   beachten,    dass   gerade   dieses   Beispiel 
besser  als  alle  übrigen   (durch  drei  ostbyzantinische   Hss  und 
die  italische  Redaktion)  gesichert  ist,  so  dürfen  wir  wohl  schon 
jetzt  (trotz  der  oben  erwähnten  DifiFerenz  des  Fri^ments  in  T) 
annehmen,    dass   hier   die   Überstrophe    ursprünglich    ist.     In 
Nr.  68  enthält  die  Überstrophe  eine,  wie  die  oben  S.  581  ge- 
gebene Probe  zeigt,   ganz  für  sich  stehende  allegorische  Aus-» 
deutuDg  des  Themas.    Auffällig  ist  hier,  dass  die  vorhergehende 
Strophe  mitten  in  der  Erzählung  von  Esau  und  Jakob  stecken 
bleibt;  darnach  ist  zu  vermuten,  dass  der  Schlussteil  des  Liedes 
weggelassen  wurde  und  die  vollständige  Äkrostiehis  etwa  lautete: 
Toü  xaneivov  'Pcofiavov  {mog).     Die   Überstrophe    mit  v  wäre 
dann  nachträglich  angefügt  und  mit  der  Initiale  des  Schlusses 
der  noch  vorhandenen  Äkrostiehis  versehen  worden.    Ohne  den 

48* 


650  K.  Krumbathtr 

Text  des  ganzen  Liedes  yorzulegen,  kann  ich  freilich  diese 
Auffassung  nicht  näher  begründen.  Auch  bei  Nr.  75  könnte 
die  Überstrophe  entbehrt  werden;  denn  schon  in  der  ersten 
Strophe  der  Schlusslittera  wird  mit  der  triumphierenden  An- 
rede  an  den  Hades  ein  für  das  kurze  Lied  genügender  Ab- 
schluss  gegeben.     Völlig  klar  li^  der  Fall  nicht. 

Wenn  mithin  die  Überstrophe  meistens  ein  mit  dem  Liede 
selbst  nicht  enger  verbundenes  Schlussgebet  enthält,  so  erhebt 
sich  die  Frage,  in  welcher  Weise  die  ohne  akrostichischen 
Überschuss  überlieferten  Hymnen,  besonders  die  des  Romanos, 
in  der  Regel  abgeschlossen  werden,  um  die  Kontrolle  zu  er- 
möglichen, berücksichtige  ich  nur  die  grösstenteils  publizierten 
Lieder  Nr.  1 — 31.  Wenn  wir  von  Nr.  2  wegen  der  unvoll- 
ständigen Überlieferung  und  von  Nr.  18  wegen  des  Schwankens 
der  Überlieferung  absehen,  so  ergibt  sich  folgendes:  Unter 
29  Liedern  sind  17,  in  denen  die  ganze  letzte  Strophe  durch 
ein  meist  mit  dem  Liede  selbst  nur  locker  verbundenes  Schluss- 
gebet ausgefüllt  wird ;  in  6  Liedern  beginnt  das  Schlussgebet 
erst  innerhalb  der  letzten  Strophe;  6  Lieder  endlich  sind  ohne 
Schlussgebet.  Die  Abrundung  des  Liedes  durch  ein  die  ganze 
letzte  Strophe  umfassendes  Schlussgebet  ist  also  bei  Romanos 
zwar  häufig,  aber  durchaus  nicht  regelmässig  durchgeführt, 
und  ein  brauchbarer  Anhaltspunkt  für  die  Beurteilung  der 
Echtheit  der  das  Schlussgebet  enthaltenden  Überstrophen  ist 
also  hier  nicht  gegeben. 

Mehr  lehren  uns  einige  einzelne  Fälle.  Zunächst  Nr.  18, 
wo  die  für  eine  Tauffeier  bestimmte  Überstrophe  nur  in  Q 
geboten  wird,  in  der  italischen  Redaktion  dagegen  fehlt. 
Dann  Nr.  64,  wo  das  Schlussgebet  schon  in  der  letzten  Strophe 
der  regelmässigen  Akrosticfais  gegeben,  dazu  aber,  offenbar 
(ähnlich  wie  in  Nr.  18)  für  einen  bestimmten  Zweck,  die  Er- 
wähnung der  Mutter  Gottes,  noch  ein  zweites  Schlussgebet 
mit  Wiederholung  der  Schlussinitiale  der  Akrostichis  angefügt 
wird.  Dazu  kommt  die  Beobachtung,  dass  in  den  Hss  zuweilen 
sogar  Schlussgebete  mit  einer  in  keiner  Weise  zur  Akrostichis 
des   Liedes   passenden  Initiale  (z.  B.  77)  vorkommen,   die   sich 


Die  Äkroatichia  in  der  griedMchen  Kirehenpoesie,  651 

mit  Sicherheit  als  späterer  Zusatz  verraten ;  Tgl.  Nr.  88  (S.  588). 
Mit  diesen  einzelnen  Fällen,  die  zweifellos  gegen  die  TJrsprüng- 
lichkeit  der  Überstrophe  sprechen,  verbindet  sich  die  allgemeine 
Beobachtung,  dass  die  Überstrophe  aus  der  regelrechten  Akro- 
stichis  herausfällt,  dass  sie  relativ  selten  vorkommt  und  dass 
das  in  ihr  enthaltene  Schlussgebet  meistens  ohne  jede  engere 
Verbindung  mit  dem  Liede  steht. 

Damach  ist   wohl   mit   Sicherheit   anzunehmen,   dass  die 
Überstrophe  nicht  als  integrierender  Bestandteil  des  Liedkörpers 
betrachtet  wurde,  sondern  als  Zusatz,  der  ausserhalb  der  Akro- 
stichis  stehen   durfte,    aber  doch  durch  die  Wiederholung  der 
Schlusslittera    als  zum  Liede    gehörig  gekennzeichnet   wurde. 
Ganz    vereinzelt    wurde    die    Schlussinitiale    wohl    schon    ur- 
sprünglich doppelt  gesetzt;  wahrscheinlich  gilt  das  für  Nr.  49, 
wo  in  der  Überstrophe   die  Erzählung   des  Liedes  selbst  zum 
Abschluss  gebracht  und  erst  dann  ein  kleines  Schlussgebet  an- 
gefügt wird.   Später  wurde  von  dieser  Freiheit  öfter  Gebrauch 
gemacht,  um  Liedern,  die  zu  schroff  abschlössen,  einen  passen- 
den Epilog  zu  geben  oder  auch,  um  sie  für  einen  bestimmten 
Zweck  (Tauffeier,  Marienverehrung)  zu  akkommodieren.  Damit 
ist   freilich    noch    nicht    sicher   bewiesen,    dass   diese   Zusätze 
durchwegs  von  späteren   Dichtem    bezw.    Redaktoren    vorge- 
nommen worden  seien.     Es  ist  denkbar,  wenn  auch  nicht  ge- 
rade   wahrscheinlich,    dass    ein    Dichter    selbst   seinem    Liede 
nachträglich   ein    solches    überzähliges    Schlussstück    beifügte. 
Mit  grösserer  Sicherheit   wird   sich  urteilen  lassen,   wenn  ein- 
mal alle  Texte  der  mit  Überstrophen  belasteten  Lieder  ediert 
und  dadurch  die  Möglichkeit  einer  sprachlichen  und  metrischen 
Vergleichung  aller  Strophen    geboten   sein   wird;    aber    auch 
dann  wird  die  Entscheidung  vermutlich  von  Fall  zu  Fall  ge- 
troffen werden  müssen.     Für  die  praktische  Frage   der  Publi- 
kation muss  natürlich  das  Prinzip   befolgt   werden,    dass  auch 
die  Überstrophen   inmitten   oder  am  Schlüsse  der  Akrostichis, 
wenn   auch    nur   im   Apparate    oder   Kommentar,    mitgeteilt 
werden,  um  dem  Leser  ein  selbständiges  urteil  zu  ermöglichen. 


652  K.  Krumbadier 

II.  AntistoechUche  Elemente  in  den  Akrosticha. 

Die  Eigentümlichkeit  der  Antistoeckie  d.  h.  der  Gleich- 
stellung oder  Verbindung  von  Buchstaben  und  Buchstaben- 
gruppen  gleichen  Lautes  (z.  B.  cu  und  e)  ist  in  der  philologi- 
schen Literatur  vor  allem  durch  das  nach  diesem  Prinzip  ge- 
ordnete Lexikon  des  Suidas  bekannt;  sie  hat  aber  schon  längst 
vor  ihm  bestanden. 

In  der  Hymnenpoesie  spielt  die  Antistoechie  eine  doppelte 
Rolle.  Einmal  wird  sie  schon  in  der  Bildung  der  akrostichi- 
scben  Formel  selbst  angewendet,  indem  ei  durch  <,  also  nur 
durch  eine  Strophe,  ausgedrückt  wird;  dann  konunen  akro- 
stichische Vertretungen  vor,  ohne  dass  die  Strophenzahl  be- 
einflusst  wird,  indem  z.  B.  eine  Strophe  für  i  in  Wahrheit 
mit  einem  Worte  wie  elde  beginnt.  Die  kritische  Edition  der 
Texte  hat  sich  mit  beiden  Erscheinungen  abzufinden;  daher 
ist  eine  genaue  Feststellung  der  Tatsachen  und  besonders  eine 
Prüfung  der  Überlieferung  nötig. 

Wie  die  Doppelung  von  Buchstaben  (s.  oben  S.  648)  be- 
schränkt sich  auch  die  Antistoechie  auf  den  Text;  in  den 
Akrostichonvermerken  der  Überschriften  ist  sie  nicht  be- 
rücksichtigt d.  h.  hier  sind  die  in  Betracht  kommenden  Wörter 
stets  korrekt  geschrieben.^)  Für  die  Frage  der  Echtheit  des 
€1  bezw.  I  föllt  diese  Beobachtung  aber  wohl  ebensowenig  ins 
Gewicht  wie  die  analoge  Feststellung  bezüglich  der  Buch- 
stabendoppelung. Die  Kopisten  begnügten  sich  damit,  den 
groben  Wortlaut  der  Akrostichis  zu  notieren,  ohne  feinere 
Details  wie  eine  Doppelung  oder  eine  antistoechische  Vertre- 
tung eigens  anzumerken,  und  sogar  der  Wortlaut  wird  in  der 

^)  Daher  ist  es  ein  Fehlscfaluss,  wenn  Fapadopulos-Keramens,  6.Z.VI 
382,  aus  der  vollen  Überschrift  Tov  Ta:i€ivoO  'Pa>fianw  in  A  folgert 
dass  der  Text,  von  dem  A  nur  die  Strophen  Tov  xasitrov  bewahrt  bat, 
ursprünglich  Tov  la.-ceivov  'Piofiavov  geboten  haben  müsse.  Auch  P. 
der  das  Lied  vollständig  bewahrt,  bietet  in  der  Überschrift  ToCJ  xantxrov 
*Pa)fAavov  etc.,  im  Texte  nur  Tot}  rajfivoO  'Pwftavov  n.  s.  w.  Vgl.  ohec 
S.  578  Nr.  57. 


Die  AfcrosHchis  in  der  griechisthen  Kirchenpoesie.  653 

Überschrift  öfter  ungenau  angegeben,  wie  oben  (S.  624  ff.)  gezeigt 
worden  ist.  Wir  sehen  uns  also  für  die  Untersuchung  der 
antistoechischen  Schwankungen  ausschliesslich  auf  die  Texte 
selbst  angewiesen. 

1.  Antistoechische  Schreibung  ramvov. 

Unser  Material  (Kapitel  I)  enthält  im  ganzen  64  Akro- 
sticha mit  dem  Epithet  xtmeivov  (mit  oder  ohne  Namen). 
Unter  diesen  64  Nummern,  von  denen  52  auf  Romanos,  12 
auf  die  übrigen  Dichter  entfallen,  sind  14,  wo  der  Text  die 
antistoechische  Form  xamvov  ergibt,  und  zwar  ist  die  Eigen- 
tümlichkeit so  gut  wie  ganz  auf  Romanos  beschränkt;  der 
einzige  Fall  ausserhalb  des  Romanos  ist  das  Lied  des  Ana- 
stasios  (Nr.  88);  aber  hier  ist  die  Schreibung  xamvov  nur 
durch  die  Hs  T  bezeugt.  Die  Beispiele  bei  Romanos  sind 
Nr.  8,  13(?),  16,  17,  18,  25,  46,  47,  49,  57,  73,  80,  83.  Von 
diesen  13  Liedern  sind  5  (46,  47,  73,  80,  83)  nur  in  einer 
der  zwei  patmischen  Hss  überliefert;  5  stehen  in  mehreren  Hss, 
die  aber  alle  in  der  Schreibung  xamvov  übereinstimmen  (16, 
18,  25,  49,  57);  in  2  Fällen  (8,  17)  schwanken  die  Hss,  doch 
spricht  in  beiden  Fällen  die  anscheinend  ältere  Überlieferung  (Q) 
fOr  die  Form  xa7iEivov\  in  einem  Falle  (13)  ist  die  Ursprung* 
Uche  Schreibung  unsicher;  vgl.  Umarb.  S.  28  ff.  Es  bleiben 
mithin  10  Beispiele,  in  denen  die  Schreibung  mit  i  ohne 
Widerspruch  überliefert  ist.  Nur  wird  in  den  italischen  Hss 
wiederholt  durch  einen  leeren  Raum  mit  der  Initiale  £,  einmal 
durch  eine  Randbemerkung  (Nr.  8  Codex  f)  angedeutet,  dass 
die  Strophe  für  E  fehle.  Nun  ist  zwar  leicht  denkbar,  dass 
bei  späteren  Bearbeitungen  die  vermeintlich  ausgefallene  Strophe 
für  E  ergänzt  wurde  —  als  Ansätze  dazu  erscheinen  die  leeren 
Säume  in  GV,  und  die  Spuren  einer  Ergänzung  bemerken  wir 
bei  Nr.  13  — ;  es  ist  aber  sehr  unwahrscheinlich,  dass  eine 
im  Archetypus  stehende  Strophe  für  E  von  einem  späteren 
Bearbeiter  oder  Kopisten  zur  Erzielung  der  Kurzform  xanivov 
weggelassen  wurde. 

Kurz,  sowohl  die  äusseren  Tatsachen   der  Überlieferung, 


654  BL  Krumbaeher 

als  auch  innere  Erwägungen  beweisen,  dass  Romanos  das  demütige 
Epithet  in  einer  Reihe  von  Gedichten  (wenigstens  10  unter  52) 
tatsachlich  in  der  Form  totuvov  angewandt  hat.  Ebenso 
sicher  lehrt  unser  Material,  dass  Romanos  mit  dieser  Schrei- 
bung allein  steht;  denn  das  einzige  Beispiel  in  der  übrigen 
Dichtung,  das  des  Anastasios,  ist  nur  durch  eine  Hs  bezeug 
und  hat  um  so  weniger  Gewähr,  als  in  der  Überlieferung  des 
Liedes  auch  sonst  vielfacher  Wirrwarr  herrscht  (s.  oben  S.  588  f.)- 
So  erklärt  sich  auch,  dass  die  Kenntnis  der  Eigentümlichkeit 
später  verloren  ging  und  die  Bearbeiter  bezw.  Kopisten  wieder- 
holt am  Fehlen  der  Strophe  fOr  E  Anstoss  nahmen. 

Zweifel  bleiben  mithin  zunächst  nur  bei  den  Liedern  8, 
13,  17  übrig.  Die  bezüglich  der  Gruppe  ei  wie  auch  im 
übrigen  äusserst  verwickelten  Überlieferungsverhältnisse  des 
Liedes  13  habe  ich  früher  auseinander  gelegt;  vgL  Umarb. 
S.  13  ff.  Wie  es  sich  mit  der  Echtheit  der  Schreibung  ei 
bezw.  i  im  Liede  8  verhält,  kann  nur  im  Zusammenhang  einer 
erschöpfenden  Untersuchung  der  über  alle  Massen  verworre- 
nen Überlieferung  dieses  durch  den  langen  liturgischen  Ge- 
brauch schwer  geschädigten  und  unaufhörlich  umgearbeiteten 
Textes  festgestellt  werden.  Über  das  Lied  17  endlich  wird 
auf  grund  einer  kritischen  Ausgabe  des  Textes  im  Kapitel  III 
gehandelt  und  gezeigt  werden,  dass  die  Strophe  mit  E  hier 
interpoliert  ist. 

Vielleicht  ist  auch  noch  in  dem  einen  oder  anderen  Liede, 
in  dessen  Überlieferung  keinerlei  Spuren  einer  Ergänzung 
oder  Umarbeitung  vorliegen,  die  Strophe  E  eine  spätere  Zutat. 
Jedenfalls  muss  künftighin  bei  der  Publikation  und  Kritik 
der  Lieder  des  Romanos  die  Strophe  E  in  der  Reihe  taneivov 
immer  besonders  ins  Auge  gefasst  und  namentlich  ihr  inhalt- 
licher Zusammenhang  mit  den  vorhergehenden  und  folgenden 
Strophen,  wie  auch  ihre  sprachliche  und  metrische  Beschaffen- 
heit genau  geprüft  werden.  Dagegen  ist  die  Annahme  einer 
zu  irgend  einer  Zeit  vorgenommenen  systematischen  Ergänzung 
ursprünglich  fehlender  Strophen  für  E  wohl  völlig  ausge- 
schlossen; hätte  eine  solche  stattgefunden,   so  wären  auch  die 


Die  Akrostkhis  in  der  grieehiedien  Kirchenpoeeie.  655 

oben  nachgewiesenen  10  völlig  gesicherten  Beispiele  der  Kurz- 
form der  Regulierung  nicht  entgangen.  Die  auffällige  Tat- 
sache, dass  Romanos  in  der  Schreibung  seines  Lieblingsepithets 
schwankte,  ist  vielleicht  durch  die  Annahme  zu  erklären,  dasa 
er  die  Schreibung  mit  t  in  einer  gewissen  Periode  seines 
Lebens,  wohl  in  seiner  Jugend,  angewandt  und  später  die 
antistoechische  Schrulle  aufgegeben  habe. 

2.  Sonstige  Antistoechien. 

Das  Schwanken  der  Schreibung  des  Wortes  xaneivov  be- 
dingt ein  Schwanken  der  Strophenzahl  und  kommt  in  der 
Gestaltung  des  Liedtextes  scharf  zum  Ausdruck.  Die  übrigen 
in  den  Akrosticha  vorkommenden  Antistoechien  haben  nur 
orthographische  Bedeutung:  der  Buchstabe  E  wird  durch  un- 
orthographisches El  wiedergegeben  in  Nr.  13  {Eldeiv  Q,  Eide 
=  'Idi  CV;  s.  Umarb.  S.  29).  Der  Buchstabe  /  ist  durch  EI 
vertreten  in  Nr.  23  (Eloti^xeioav),  in  Nr.  88  {El  in  T)  und  in 
Nr.  98  {Eide).  Ganz  isoliert  steht  die  Vertretung  von  ei  durch 
etj  in  Nr.  181  {'Ex  —  ''Hiaxwag).  Den  Buchstaben  Q  endlich 
ersetzt  O  in  Nr.  98  ('O).  Die  Zahl  dieser  Beispiele  wird  sich 
durch  systematische  Durchprüfung  aller  Hss  noch  etwas  ver- 
mehren lassen;  für  die  Kritik  wird  dadurch  nichts  Neues  ge- 
wonnen werden. 

III.  Die  Form  ravirj  In  der  Akrosilcliis« 

Die  alten  Unregelmässigkeiten  der  Deklination  des  Demon- 
strativs ovTog  sind  im  Neugriechischen  beseitigt.  Von  den 
vier  alten  Stämmen  ovt-,  avr-,  tovt-,  ravr-  ist  der  häufigste, 
TovT-,  völlig  durchgedrungen,  also:  rovrog,  lovitj,  tovto,  xov- 
Tov,  tovtrjg,  rovxov  u.  s.  w.  (auch  hovrog  u.  s.  w.  und  deiktische 
Weiterbildungen  wie  xovtovvov  u.  s.  w.). 

Wie  früh  diese  assoziative  Bewegung  begonnen  hat,  zeigen 
die  Beispiele  von  xovxji,  xovxrjv,  xovxog,  xovxoi,  xovxa  bei 
K.  Dieterich,  Untersuchungen  (Byz.  Archiv  I)  S.  197  und 
A.  N.  Jannaris,  An  historical  greek  grammar,  London  1897, 
§  567^     Auf   die    von    Dieterich    berührte    Frage,    ob   nicht 


* 
« 


656  K,  Krumbaeher 

zwischen  altem,  ursprünglichem  (dorischem)  tovioi,  raihat 
(vgl.  G.  Meyer,  Gr.  Gr.^  §  433)  und  den  offenbaren  späteren 
Analogiebildungen  wie  jovitig,  xovjfi  scharf  zu  unterscheiden 
sei,  will  ich  nicht  eingehen.  In  der  für  uns  in  Betracht 
kommenden  Zeit  ist  es  jedenfalls  das  Streben  nach  Ausglei- 
chung,  das  die   verschiedenen  Stamme   zusammengfeffihrt  hat 

Neben  der  Bewegung  auf  den  Stamm  tovt-  hin  ist  ein 
zweiter  Versuch  der  Ausgleichung  zu  bemerken,  den  Dieterich 
a.  a.  0.  übersehen  hat,  die  Regulierung  des  Nom.  Sing.  Fem. 
nach  dem  obliquen  Kasus  des  Fem.,  also  tqvti].  Jannaris 
a.  a.  0.  §  567**  zitiert  zwei  Belege  dieses  neuen  Nominativs: 
eine  Inschrift  Ober  die  Wiederherstellung  der  Stadt  Selymbria 
aus  der  Zeit  zwischen  842 — 857  n .  Chr. :  *Av€V€a>^  \^lx  ßd^g]  co  [r] 
jiokig  lavtT]  Ijil  MixoLrjX,  Oeod\^co]Qag  xal  OeHXrjg  (CIG  IV 
8683),  und  eine  undatierte,  wohl  spätbyzantinische  Stelle  aus 
einem  Rezepte  zur  Herstellung  von  Zinnober:  Aet  yivdaxeiv, 
Sxi  fi  ßiayvrjala  fj  vsXovgyixr}  ravrtj  iortv  ^  rfjg'Aoiag.  M.  Ber- 
thelot et  Ch.-Em.  Ruelle,  CoUection  des  anciens  alchimistes 
grecs,  Vol.  II  (Paris  1888)  S.  38,  10  f. 

Zu  diesen  zwei  Belegen  kommen  nun  eine  ganze  Reihe 
neuer  Beispiele,    die  durch  Hymnen akrosticha   gesichert   sind: 

Nr.  30:  Tavrrj  ij  <^^^  '^ov  ikaxioxov  'PcDfiavov  b  (wohl 
auch  A).  In  der  Überschrift  bietet  b  die  Form  auiiy,  A  da- 
gegen richtig  javxrj,  Pitra,  der  offenbar  an  der  Form  Tavxt] 
Anstoss  nahm,  vermutet  (S.  210),  der  Text  sei  aus  den  Frag- 
menten zweier  Lieder  zusammengeschweisst,  derart,  dass  das 
T  den  dürftigen  Rest  einer  Akrostichis  T{ov  xaneivov  'Pco/Aavov) 
darstelle  und  die  folgenden  Buchstaben  aus  einem  anderen 
Liede  stammen.  Auch  Papadop ulos-Eerameus,  B.  Z.  VI  376, 
hält  Tavxrj  für  unmöglich  und  korrigiert  Avxrj,  ohne  ein  Wort 
der  Begründung  und  ohne  zu  notieren,  wie  es  sich  in  A  mit 
dem  Texte  verhält. 

Nr.  61:  Airjaig  xal  xavxri  i}  'PcjjLiavov  Q:  Tex{dQxi])  dhjatg 
xal  xavxrj  'PcojuLavov  A.  Die  Frage,  wie  sich  die  zwei  Texte 
zueinander   verhalten,    kann   ich  jetzt  nicht  beantworten  (ygl. 


Die  Akrostichis  in  der  griechis^n  Kirchenpoesie,  657 

oben    S.  579);    aber  jedenfalls   ist   in   beiden    Hss   die   Form 
Tavxri  bezeugt. 

Nr.  127,  137,  146,  171:  Taixri  ^  cbdi]  rdXa  P  (146  PD). 

Sowohl  die  komplizierte  und  auch  aus  anderen  Gründen 
ganz  unwahrscheinliche  Hypothese  Pitras  über  das  Lied  Nr.  30 
als  auch  die  als  selbstverständlich  vorgetragene  Korrektur 
von  Papadop ulos-Kerameus  erweisen  sich  mithin  als  grundlos. 
Dass  die  Beispiele  der  Form  xavtri  in  den  Akrosticha  des  Ro- 
manos so  gering  an  Zahl  sind,  spricht  nicht  gegen  die  Echt- 
heit der  Lieder,  die  sie  bieten;  denn  Akrosticha  mit  einem 
Demonstrativ  sind  überhaupt  sehr  selten  (im  ganzen  nur 
17  Formen;  s.  S.  631  AT.).  Die  einzigen  Demonstrativformen,  die 
in  den  Akrosticha  des  Romanos  vorkommen,  sind  omog,  tovto, 
TOüTi/;  die  Form  avirj  fehlt  ganz.  Ebenso  fehlt  sie  bei  dem 
Anonymus  Talas,  der  ausser  zavxrj  nur  noch  das  Neutrum 
TouTo  anwendet.  Vielleicht  wird  man  nun  auch  versuchen, 
diese  „barbarische"  Neubildung  in  der  Frage  über  das  Zeit- 
alter des  Romanos  als  Beweis  für  die  Datierung  ins  8.  Jahr- 
hundert zu  verwerten;  ich  glaube  aber  nicht,  dass  bei  den 
wenigen  Beispielen  der  Form,  die  ausserhalb  der  Hymnen- 
dichtung bekannt  sind,  irgend  ein  chronologischer  Schluss 
möglich  ist. 


658  K.  Kfumbadier 


Drittes  Kapitel:  Text 
I.  Das  Lied  ,,Maria  beim  Kreuze''. 

Kovxdxiov  iregov  xfj  fieyalfj  nagaateerff  eis  to  3td&og  tov  xvouw  x<u 
eh  TOV  ^Qrjvov  rrfc  ^eotSxov,  tpigov  AxQoattx^Sa  ri^vSe.  Tov  xa^etrov 
*P<ofiavov,    *Hxo€  fieooQ  d\ 

Tbv  dl*  fiiiiäg  aravQCD&ivta 

devre  ndvreg  vfivtiocofitv' 
avTOv  yäg  xaxeide  Magla 
ijtl  $idov  xal  iXeyev' 
5  El  xal  oxavQov  vTiojiSvetg, 

Überlieferung:  Q  fol.  96^— 98«". 

A  fol.  240^— 244r  (keine  Notiz  über  den  Text) 
B  fol.  82r-85r  (Strophe  ?'»  fehlt), 
C  fol.  89'— 91^  (Strophe  c'»  fehlt), 
V  fol.  109'^~112r  (Strophe  ?'»  fehlt), 
G  fol.  lOO^— 102^  (Strophe  *'  —  Schluss  fehlt) 
M  fol.  272^— 276^. 

T  fol.  172r-175^  (Strophe  ?'»  fehlt). 
Die  Hss  des  Athos  und  Sinai  (ABG)  sind  im  Apparat  nicht  berück- 
sichtigt, da  ich  von  ihnen  keine  Kollation  besitze. 

Ausgaben:  Im  Triodion  (Venedig  1 538)  zum Charfreitag Prooemion 
und  Strophe  a\   Pitra,  An.  Sacra  1 101  -  107,  ed.  den  ganzen  Hymnus  nach 
CT.    Amfilochij  ed.  im  Textband  S.  146  das  Prooemion  und  Strophe  a 
nach  M,  im  Facsimileband  S.  179«- 187  den  ganzen  Hymnus  nach  M. 

Die  obige  Überschrift  stammt  aus  Q:  Trj  dyia  naQoaxevrj  xorSdxtor 
elg  trjv  aTavgcoaiv  qpegov  dxgooxixlda»  xov  xaneivo^  gwftavoi}'  stldyiog  6' 
{axavgcoatv  fjxos  ytldyiog  d'  xov  xotibivo^  g^  V)  CV:  Korddxiov  t^  dyia  xal 
fieydXrj  Jtagaaxevrj,  rjxos  Jikdytos  d'.  ipigov  dxgoaxixi^<t  x^vde  xov  xajxetvov 
gofiavov  M:  Kovddxiov  xif  dyia  xal  fieydlt]  jxagaoxevij  eis  x6  xd^og  xov 
xvgiov  ^fifbv  lijaov  /gtaroO  xal  eis  xovs  ^givovg  xrjs  &eox6xov  ipegtov  OMgo-- 
oxtxi^a  xov  xajtetvov  ^o)  ijxos  TrXdytos  6\  IdtdfieXov  T  '!  3  ydg  streicht 
W.  Meyer  |  xaxidsv  CV:  xa&eldev  T   ü   4  enl  xov  ^vXov  Triodion 

Biblische  Grundlage:  Joh.  19,25  ,,  5  Hebr.  12,2 


Die  Äkrostichis  in  der  gnechischen  Kirehenpoeaie,  659 

6  vldg  xal  i^eög  fAov, 

a    Tdv  Tdiov  ägva 

fj  Afxväg  '&B(OQovoa 
ngdg  ocpayrjv  iXxdjuevov  10 

flxoXoi^Bi  {fj)  MagCa 

Tgvxo/Ltevrj 
fjLeff^  higcov  yvvaix&v 

rama  ßocöoa* 
IJov  nogevf],  lixvov;  15 

t/voc  ;c<i^cv  rbv  raxvv 

igöfAOv  reXioeig; 
/Uli]  hegog  ydfjLog 

ndhv  ?ortv  Iv  Kavä 
xäxel  vvvl  onevdeig,  20 

Xv*  i^  vdarog  avxoTg 

olvov  noii^afjg; 
ovveX'&a}  aoi,  tixvov, 

i)  ßjelvco  06  fiäilov; 
d6g  fxoi  Xöyov,  Aoye,  25 

fii]  oiywv  JiageX&fjg  fie, 
S  äyvrjv  rrjgijaag  jue, 

6  vlog  xal  &e6g  juov. 


Vorbemerkung:  In  Q  sind  von  V.  20— 110,  176—232,  270-301, 
359—363  durch  Zerstörung  des  Blattrandes  in  jeder  Zeile  1—12  Buch- 
staben verloren  gegangen.  Ich  habe  diese  Locken  nach  den  übrigen  Hss 
erg&nzt  und  notiere  sie  nur  dann  ausdrücklich,  wenn  die  geretteten  Buch- 
staben darauf  hindeuten,  dass  an  der  zerstörten  Stelle  eine  abweichende 
Lesart  stand. 

9  j}  dfiyas  QCVMT:  ^  streicht  Pitra  ]  10  Jtgog  <payetv  M  !  11  jj 
habe  ich  ergänzt  ||  16  x6v  taxv  (raxv  T)  MT  ||  17  Sgofiov  zeXeig  (ohne 
vvv)  QCVMT  Triodion:  vvv  teXeig  Sgofiov  Pitra:  dgofiov  teXeoeig  scripsi 
19  Bouv  QT  (C  V?):  iatlv  M  Pitra,  Triodion  20  vvv  T  Triodion  ;  22  Jioi- 
riaag  M  |,  24  aot  M  Triodion  .  26  naQeX&ti  fioi  M  H  28  ai>  yog  vJtdgxeis  6 
vlog  xai  &e6g  fiov  Triodion 


10  Is.  53,  7;  Apg.  8,  32   ;   13  vgl.  Joh.  19,  25  ]   17  vgl.  Apg.  20,  24; 
2.  Tim.  4,  7  :  18  ff.  Joh.  2, 1  ff.  |;  25  Joh.  1, 1. 


660  K,  Krumbadher 

fl  Ovx  fjlniCov,  xixvov, 
SO  h  xovjoii  IöbXv  ob 

ovS'  inloTevov  nori, 

to}Q  TOVTov  Tovg  ävofiovg 
IxjLiav^vai 
xal  ixteivai  ini  ak 
35  x^^Q^^  ädlx(og' 

fti  yäg  tä  ßQi(pf} 

Tovrcov  xgdCoval  ooi  rö 
EtfXoyrjjLLivog' 
äxfiijv  dk  ßatcov 
40  nenXrjajaivt}  ^  ödog 

/HTjvvei  töig  näai 

T(bv  ä^ia/Liiov  rag  jtQog  oi 

Tiavevqprjfilag, 
xal  vvv,  rlvog  X^Q^^ 
45  Ingdx^t]  t6  x^^^'^t 

yva)vai  '&eka),  olßioi, 

n(bg  To  q>wg  fiov  oßevwrai, 
Ticbg  aravQQ)  jiQoanTJyvvrat 
6  vlbg  xal  ^eög  fxov, 

60        /  'Yndyeig,  c5  xixvov, 

Tigdg  ädixov  (p6vov, 
xal  ovdelg  aoi  owalyei' 

ov  GvviQxeral  aot  lUtgog 

31  ov^e  QCVMT    "    32 xov   zovg  dvofiovg  Q:   mg  fSor  (ti6or 

Pitra)  tovg  dvojnovg  CV  Pitra:  ecog  Sie  rovg  dvo^ovs  MT  33-34  ixfia- 
vrjvai  xai  exiElvai  sjii  ok  {aoi  T)  QMT:  ix/tavirzag  xai  txxeivavtag  tli 
ak  CV  Pitra  37  iovicdv  {tovto  T)  xßd(ovai  {xQdCovaiv  M:  xQdCcaaiv  T) 
aoi  TO  QMT:  tovtwv  xgd^ei  waavvd  C  Pitra:  zovio)  xgdCovatv  (ohne  oot 
z6)  V  .  3d  de  QMT:  yog  CV  41  Jidaiv  V  ||  42-43  oben  Lesung  Q: 
T(ov  dxdx(x)v  zag  Jioog  os  :iavev(ft)iAeiag  M:  zcjv  d^eofieov  zijv  sigog  oh  aarn'- 
<f.tlfiiar  C  VT  ,1  44  xai  vvr  zirog  QM:  xai  zivog  ovvCYT  H  45  xa  x^^9^^  T 
4G  yviüvai  Oiko}  QCV:  &t).oi  yv(ovai  MT  |  otfjtoi  Q:  otfi/jiot  CV:  olfiai  M: 
oi'fioi  T  ,  50  zixvov  QM:  ojtldyxvov  CVT  ||  53  ...  .  vegiezai  (ohne  ow) 
Q:  ov  ovvigx^zai  C  Pitra:  ov  ovrig^ezai  aoi  VMT 

34  f.  Luk.  22,  53   1  36  ff.  vgl.  Matth.  21,  8  und  Parall.   '  48  Apg.  2.25 


Die  Äkrostiehis  in  der  ffriedusdien  Kirehenpoesie.  661 

6  elndv  ooi' 
Ovx  ägvovßial  ae  noti,  56 

xäv  dno-9vija)c(jD, 
^iluie  OB  0ö>/4&— 

6  ßorjoag'  J/ct'  amov 

^dvoDfiev  ndvreg' 
ol  äkXoi  dk  ndliv,  60 

ol  oIheToi  xai  yviooTol 
xal  fxiXXovreg  xQiveiv 

xäg  (pvläg  Tov  *IoQai}X 

nov  eloiv  ägu; 
ovdelg  ix  töjv  Jidvrcov,  65 

äXX''  elg  vjikg  Jidvxcov 
^tjoxEig,  rixvov,  ^övog, 

äv&^  d)v  ndvxag  eowoag, 
dvi?'  ü)v  jiäoLv  rjgeoag, 

6  vlög  xal  '^eog  fjiov,  70 

i'  "Totavxa  Maglag 

Ix  XvTttjg  ßagelag 
xal  ix  ^Xixpetog  noXXfjg 

xgavyaCovotjg  xal  xXatovarjg 
djiBXQi^ri  75 

ngbg  avxriv  ö  IS  ovx'^g 
ovxojg  ßorioag* 
Tl  daxQveig,  /j,ijxrig; 


bß  xSy  QUT:  dXX'  CV  \\  57  iXmi  (^ktjisv  V)  ae  xal  ^mfxäg  QV: 
^ütfiäf  iXuti  oe  G  Pitra:  iltjii  ae  ^wf^ag  (so)  M:  iktnev  ae  ^toßäg  T  ', 
58  fiexavtov  QMT:  (Aeja  aoC  CV  <  59  ^avw  .  .  .  Q:  ^avoCfJiev  MGV: 
^arfüfiev  T  ,  60  älXot  de  .^dliv  Q:  oi  äXXoi  Sk  ndXtr  MT:  o/  SXXot  6e 
^idvxeg  CV  |i  61  ol  fehlt  V  |  yrowiroi  QM:  v[ol  CVT  62  xal  fäXXov  .  .  . 
XQiveiv  Q:  ol  fAeXXovxeg  xgivai  {xgive  M)  CVM:  ol  /neXXovres  xglvetv  T  |' 
63  tag  öwSexa  tpvXdg  QGVT:  rag  tpvXdg  tov  iagaffX  M  ||  71  fiagla  MT  {| 
74  xal  xXaiovarfg  QG  VMT:  xai  streicht  Pitra  ;|  75  dnexgl^  Q:  ineaigd(prj 
CVMT  il  77  wraiff  QM;  oCfrco  GVT  |!  78  firJQ  QMT:  füg  GV 


55  f.    Matth.  26,  35        58  f.  Joh.  II,  16    ||    62  f.   Matth.  19,  28    l 
66  f.  2.  Kor.  5.  14 


662  JL  KnmdHtd^ 

u  läig  iXXatg  yvvm(i 
80  ovranoq>iQfi; 

nd>^  ovv  a<ooQ}  rar  *Addfi; 
ßii]  rdipor  oixijoco; 

nwg  ilxvoo}  ngos  Co>ijr 
85  rovg  h  J(ß  4^^ 

xal  fif^y,  xa&OK  cUag, 

ädtxcog  atavgavßiot' 
xl  oiv  xlaieiQ,  ßjitfnjg; 

ßjtäXlor  ovTQ}  xgavyaaov, 
90  Sil  ^iXtüv  ina^or, 

6  vlog  xal  ^e6g  oov. 

€   *An6&ov,  d)  jurjreQ, 

i:i69ov  ti}v  Xvnfjv 
ov  yäg  TiQEJitt  ooi  ^grjveiv, 
95  5x1  xsxoiQtxcoßiivf] 

(bvoßida&i]g' 
x{]v  ovv  xXf]oiif  x<p  xlav^fjicß 
jurj  avyxalvxpffg' 
jui]  xaig  äavvexoig 
100  6/ÄOt<oof]g  iavxr^v, 

ndvo(Hpt  x6qi]' 

79  Y^'^'^^^'^^  M  80  avvolofpvQff  M  "  81—83  oben  Lesung  Q:  n  ftrf 
nd^cj  fl  ^lij  ^dvco  {^at'm  M).  ytcJs  (:ra>(  otV  MT)  oummd  xav  d6dfi..  el  ft»; 
rdffov  olxi)ooi  CVMT:  -To5i  xov  *A6afi  o(oa(o,  •  el  ftif  xa^w  ^dwa>  w;  •  n 
ftrj  oixwv  xdtfov  Pitra  86  xal  fiffv  QCV:  xtu  rvv  MT  87  adiMOK  <rror- 
Qovfiat  QMT:  oxavgovfiai  xai  ^i^axca  CV  i  88  ^7  ovv  xkavarig  T  |  fir^q 
Q  T :  fÜQ  C  V  M  ,89  fiäXXov  ovxo}  QCV:  ovxm  ftäXXov  M :  fiälXov  rovxo  T 
90 — 91  oxi  ^iXo>v  e:ta&oy  {e.xaOev  M)  6  v/off  «a«  ^e<fc  oov  {ßiov  M)  QM: 
.idO(o  TfdOoi  dizexai  6  vio^  xai  ^eog  fiov  CVT  92  <Ä  Q:  otV  CVMT 
j  fttjrrjQ  T  93  d:tdOov  rijv  XvjrrfY  QCV:  xifp  Xvjtfjr  dxoi^ov  T:  Moar 
Xv.T7jv  ojto  oov  JA  ji  95  or<  QCVMT:  f}  Pitra  |  xex^&V^^^QV  (^  ^ 
97  xrjv  ovv  yCVT:  xai  xtfv  M  |  rw  xXadfifo  M:  xov  xXav^fior  T  ,  99  fuj^f 
dövrhois  M  100  otwicjotjg  eavxijv  (.  .  .  vxifv  Q:  ütatfxifv  T)  QMT:  0«'«- 
fiexQrjarjg  iavxtjv  CV 


95  Luk.  1,  28. 


Die  Ähroaiiehis  in  der  grieMstken  Kirchenpoesie.  663 

iv  ßiiaq)  'öndgxeig 

Tov  wfjifpwvog  Tov  ijbiav. 

fltj    oiv    &07ltQ    £f CO 

loxafiivri  xijv  ywxf}y  105 

xata/uiaQdvfjg, 
rovg  h  t(p  wfxq)(bvi 

(bg  dovXovg  oov  tpcover 
nag  yäq  rgi^^v  tqü/ho) 

vjiaxovoei  oov,  oeuvi^,  110 

Stav  etnijg'  IIov  ioriv 

6  vlog  xal  ^eög  fxov. 

g    IJixgäv  ri)v  ^juegav 

TOV  Jid^ovg  ßjirj  dei^fjg' 
dC  avxTjv  yäg  6  ykvxvg  115 

ovQavd^ev  vvv  xaxfjX'^ov 

(bg  xb  fidvva, 
oifx  iv  Sgei  xcp  2ivq., 

&XV  iv  yaoxqi  oov, 
ivdo&ev  ydg  xavxr]g  120 

ixvQW&rjv,  d>g  Aavld 

7iQoav€(p(ovei' 
xd  xervQoyjuevov 

ÖQog,  vorjoov,  oe/uvT^, 
iyo)  vvv  vndgxco,  126 

5x1  ISyog  S>v  iv  ool 

odgS  iyevdfAYjV 
iv  xavxji  ovv  Jidoxco, 


102  i/ifiioQ)  CV       106  xajafiaQatvrja  M  ,    108  der  Vers  fehlt  M 
109    TQo/iot    QMT:    ^qo^co   CV    |,    110   vjtaxovoei    Q:    {fjiaxovei    CVMT 

114  dei^fjg  QM:  Sö^rig  CVT    |   115 yaß  Q:  di'  avxrjv  yag  CV:  8ia 

ok  yf'^Q  M:    dta  oov  yaQ  T    ||    116  f.  veToc  vvv  xaxtjX&ov  mg  x6  fidvva,  aber 
am  Rande  yQ  ovgavö^ev  vvv  xa    Q:  ovgavo&sv  xaTTjX^ov  (hg  x6  fidvva  CV: 
ovoav6dev  mg  x6  fidvva  vvv   xaxrjX&ov  MT     \    118  ovxevdgeoiv  mojxQiv  M 
120  xavxrjg]  avxfjg  M  ,    123  ro  QCVMT:   Ti' Pitra  i|  125  vvv  Q,-.  yapCVMT 


117  Ex.  16,  4  flp.    i   119  Matth.  1,  18  u.  a.  |i   123  f.  Ps.  67  (68),  16 
126  f.  Job.  1,  14      128  1.  Petr.  4, 1 

1908.  Sitzgsb.  d.  phUo8.-pliUol.  n.  d.  hiat.  Kl.  44 


664  K.  Krmmbather 

h  javvfi  xcu  oi&Co}' 
130  ßÄT]  oiv  xlau,  jü^reQ' 

fiällov  Tovro  ß6f}oov' 
ßeXojv  TtA&og  Sixeiai 

6  vldg  xai  &e6g  ßiov. 

^  *Idov,  q>rjoi,  rixvov, 
135  ix  TQ)v  dif^al/icbv  fiov 

tÖv  xlav&fibv  äjioooß(b' 

Ttjv  xagdiav  jnov  ovvjQtßco 
bü  nXeXoV 
äkV  ov  dvvarai  aiyäv 
140  6  XoyiajuiSg  fiov. 

ri  jiioi  liyeig,  OJiXdyxyov' 

El  fiii  Mvü),  6  'Adäfi 

xal  firiv  ävev  nd^ovg 
145  l^egänevoag  noXXovg' 

Xejigdv  yäg  xa&^gag 

xal  oifx  ijXyrjoag  oidev, 
dXV  fißovX^»Yig' 
jiagdXvtov  oq)ly^ag 
150  ov  xareTion^^f^g' 


129 — 131  iv  raviij  ocoCoj xXaie  ptfiftQ,  fuüUor  tovzo  ßot^oorQ: 

ev  tavTrj   xal  ^fjoxco  fitj  ovv  xXwat^e  f*^^^9  ^äkXov  ovito  ßofjaov  CV:  ^ 
xavxri  xal  aw^co   ftfj  ovv  xXieig  fÄf^tt^Q.    dXXa  xga^ov  iv  x^Q^  ^*    o^^  ^ 
TavTtj  xal  oojCo).  ri  ovv  xXaUig  ftrjxtQ.  fjiäkXov  xgd^ov  iv  x^ß^  T  |!  132  ^fiö'^ 
QCV:  .to&oyUT  ;,  134  (prjalv  MT  |   135-136  ix]  djio  Q  \  cLtooo^ä  QCV: 
ojioooßüjv  T  Pitra:  ^iXoiv  sx  xmv  6q>&aXfji<bv  fiov  xov  xXav^fiov  äxoatoßilfVL 
137  xfjv  xagdiav  Q  Pitra:  xr^v  xagSiav  fiov  CVMT  |  owxQißw  Q:  ovyioI- 
ßeig  (avvxQißrjg  T)  MT:  xagdxxeie  CV        138  LiurXiov  T    ;    139  dXT  ov  Q: 
ov  yäg  CVT:  xal  ov  M  |  dvvafiai  M  \\  141  ojiXdyxyoy  QCV :  xixvov  MT 
142    {^dvco    Q:    jtd{>T}g    CVM:    Jtd&co    T   Pitra    '     143    ovx' vyiaivti    MT 
146  XeJiQovg  M  !  yng  fehlt  M  |  xa^fgag  {xa&i^gag  MT)  QMT:  xa^gag  CV 
Pitra  l|  147  xal  ovx  QMT:  ovx  CV:  av  ovx  Pitra  ,i  148  ^ßovXtj^g  QMT : 
ißovXtiütig  CV 


146  Matth.  8, 1  fif.  u.  Parall.   "    149  Matth.  9,  2  ff.  u.  ParalL 


Die  Äkroaiichis  in  der  grki^chen  Kirchenpoesie,  665 

niJQOv  ndXtv  I6yq> 

ößxfuntoaac,  äya^i, 
äTta^rjg  jtießjiivrfHag, 

6  vl6g  xal  &€6g  fiov. 

7]    NexQOvg  ävaoxi^oag  155 

vexQog  ovx  iyivov 
ovd^  he&rjg  iv  Ta(pfj, 

vis  /MOV  {xal)  C(or]  pLov 

ncog  ovv  Xeyeig' 
El  firi  nd&(0,  S  ^AdäfA  160 

ovx  vyiaivei; 
xiXevaov,  oioti^q  /jlov, 

xal  lyelgezai  evMg 

xXivi]v  ßaard^Mv, 
et  dh  xal  h  xdq)cp  •  165 

xaTexcood^rj  6  'Add/x, 
cbg  AdCaQOV  xdcpov 

diavioTfjoag  q)ü)vfj, 

ovTCog  xal  xovxov. 
dovXevei  ooi  ndvxa  170 

(hg  TiXdoxjfi  x(bv  ndvxcov. 


151  nfjQov  (so)  Q:  ntjQov  GV  Pitra:  nrjQovg  M:  Jtrjgov  aus  netgov 
corr.  T  |;  152  dy^^^  QCVM:  dvvajs  T  i,  153  fiefiivrjxag  QT:  öUfieivag 
CVM  II  156  n<bg  ovx  iyivov  M  ||  157 — 161  xäv  iv  tdqxa  iii^g.  vli  fAOV 
Co>4  l*ov.  3t&g  o^v  Xeyeig  ei  firj  na^m.  6  xaXa(jt<OQog  ädäfi  ovx  vyialvei  Q: 
ovdk  ^yig^fjg  {ovo'  ^yig^g  Pitra)  ix  xa(pfjg  n&g  ovv  iq>ijg  ((pfjg  Pitra)  ei 
fjiTi  nd'&<o  et  fATi  davco  6  xaXalmoQog  ddaf*  ovx  vyiaivei  C  V  Pitra :  ovo*  ixeikrjg 
iv  %dq>ü>.  n&g  o^  i<pijg  ägxi,  äv  firj  nd^m.  äv  fiff  ^dvoo  6  dddfj.  ovx*  vyrj- 
cJrrj  M:  0^3*  iti^g  iv  xdq>Q},  st&g  ovv  Xiyeig  el  fitf  Jtddo)  6  xaXaixtoQog 
dda/A  oiitx  (ryiaivei  T  |{  162  OioxrjQ  fAOv  Q:  xai  tjdri  GVT:  xai  tSe  M  || 
163  xai  iytiQtxat  ev^g  Q:  iyeigsxai  GY:  iyeigexai  {iy^yegxat  M)  xal  axeg- 
gcjg  MT  l|  164  xXivfjv  ßaaxd^tov  Q:  xal  xtfv  xXivtjv  ßaaxdCei  GV:  xXivrjv 
ßaaxd^ti  MT  II  165—166  el  Se  xai  iv  xdfpca  xaxexcoo^ri  6  dSaf*  QMT:  el 
dk  xaxvxi^fj  iv  t(o  xdtpoj  6  dddfi  GV  ||  167  xd<pov  QMT:  ngwrjv  GV  | 
168  diavioxtiaag  Q:  i^aviox^oag  GVMT  169  ovxo}g  QT:  ovxay  GVM 
171  xXdairi  QMT:  xtioxtf  GV  i  x<av]  tö  T  |  dndvxeov  M 


151  Job.  9, 1  ff.  II   163  f.  Matth.  9,  6  f.  ||   167  f.  Job.  11,  38  ff. 

44* 


666  IT.  Krumbad^er 

xt  otfv  XQixEiQ,  Tixvov; 

fifl  hitlyov  ngdg  aq>ayrjv' 
pifj  q^ilfjg  rov  ^dvaxor, 
175  6  vldg  xal  ^eög  fiov, 

d'  Ovx  oUag,  w  fitjxeg, 

oifx  ol/hg,  S  Xiyoi' 
di6  ävoi^ov  xbv  vovv 

xal  elaoixtoov  x6  Qfjf^ui, 
180  S  Axovsig, 

xal  avx^  xad^  lavxfjv 
vdei,  ä  keyu}' 
Ovxog,  8y  ngoeuiov, 

6  xaXaincoQOQ  M3d/i, 
186  6  䧧<oaxtjoag 

ov  fiovov  x6  a&fxa, 

äXXä  yäg  xal  xijv  rpvxtjy 
Marjoe  ^Hcov 

ov  yäg  ijxovosv  Ifxov 
190  xal  xivdvvevei. 

yvcjgi^eig,  3  Xiyoi' 

ßit]  xXavofjg  ovv,  jutjxeq' 
^äkkov  xovxo  li^ov 

Tbv  *Adäfx  Ikirjoov 
195  xal  xrjv  Evav  oTxxeiQov, 

S  vlog  xal  "^edg  /jlov. 

172  xQix^i  T  I,  174  /i^  q)iXilg  jov  Q:  fAri  tpdiaffs  {(pdi^öig  M)  MT:  »^ 
M.f)orig  CV  ,  179  rofjaov  M  |  x6  g^fia  QCVMT:  ro  «treicht  Pitra 
182  a  Xiyco  voet  Q:  vofi  S  (fi  T)  Xiyfo  CVT:  ola  oot  leyco  M  ,  183-184  ofroc 
ov  jtooEijtov,  6  TaXaijio)  ....  da/*  Q:  ovxok  ovv  xQotidiog.  dSafi  6  raxeir^ 
CV:  ovzog  .leoiov  7igoet:icov,  6  ddä/*  6  rcuteivog  M:  oifroc  0¥  xgorixuyr.  o 
lalaLifngog  dda/i  T  187  dlXä  ydg  .  .  .  .  ^v  V^th^  Q'  ^Xkd  xai  {xkf  Vi 
Tfjv  yfvxffy  CV:  dXXa  yap  xal  tr^v  y^vxfjv  MT:  dXXd  fiäAZor  lifv  yvzh^ 
Pitra  188  Moiaev  T  ,  189  rjxovoev  ifioü  QT:  tjxovai  ftav  CV:  i^xorarf 
ouov  M  191  yrcoQiCeii  o  Xeyco  QCVM:  ijtfyvios  o  Xiy(a  T  ||  192  oi'v  Q: 
ro  C  VMT  193  fiäXXov  ....  Xe^ov  Q:  ftäXXov  ovua  [xovto  T)  xgd^ov  CVT: 
/iäXXor  xga^ov  :i60w  M  \\  195  oixreiQov  QT:  XvrQO}oat  CVM 


Die  Äkrostiehis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  667 

i    'Ynd  äöODilag, 

vä'  ädtjqf>aylag 
d§$(oorijaag  6  *Adäfi 

xarrjvix^V  ^^^  ^iov  200 

xax(ox6xov 
xal  ixet  xöv  xrjg  tpvx^g 
7i6vov  daXQVSL 

Eva  de  ^  xovxov 

Ixdiöd^aaa  noxk  205 

xrjv  dxaSlav 
avv  xovrq)  oxevdCei' 

avv  avxcö  ydg  d^^axei, 
vä  ßid&(oaiv  äjna 

xov  (pvXdxxeiv  laxQOv  210 

naQayyeUav. 
avvijxag  xäv  ägxi; 

l7iiyv(og,  ä  elnov; 
ndliv,  f^tjxTjQ,  xqd^ov 

T(p  *Addfi  el  avyxcoQeig,  215 

xal  xfi  Evq.  avyyvü}'9i, 

6  vlog  xal  ^eög  fiov, 

id  'Pi]fidxa)v  de  xovxoyv 

d>g  rjxovoe  xöxe 


197  'Yjfd  (.  .  .  Q)  doiotiag  QMT:  'Yno  dxgaolas  CV  Ij  198  vjzo  dötj- 
(payiae  Q:  xai  ddtjqfayias  GVT:  xal  i^adi<paytag  M  ||  200  . . .  <V  xaxtjvex&rf 
(oflfenbax  stand  noalv  x.)  Q  \  scof  QCYUT:  eig  Pitra  ,  202  xaxeX  T 
204—206  oben  Lesung  QMT  (doch  ^  eva  M):  eva  de  rj  rovvov.  ötöd^aaa 
T^v  djioxa^lav  CV:  'H  rdXatva  Eva,  *  rovtov  exStSd^aoa  *  rrfv  dxa^lav 
Pitra  ;;  209  tva  fid^woiv  äfta  QMT:  tva  fid^oyaiv  {ptd^coat  C)  CV:  tva  xai 
avfifid&j)  Pitra  ||  210  rov  vor  (pvkdTjeiy  fehlt  C  V  i  xov  laxgov  Q  ,j  212  avvi}' 
xag  xäv  ägxi  QCVMT:  avvijxag  o  Xsyw  Pitra  \\  213  ijieyvo>g  a  (5  M) 
euioy  QM:  ijisyrmg  CV:  yvmgiCeig  &  Xsyoi  T:  xai  ägxi  ijziyvcog  Pitra  , 
2U— 216  sxdliv  lArjxriQ  (.  .  .  ß  Q)  xgd^ov  tü>  (xov  T)  dddfx  el  avyxojgeTg 
iovyxdfQTfaov  ohne  si  M)  xai  xfj  eva  [xtjv  evav  T)  avyyvcu&i  QMT:  x(  ovv 
xkaieig  fifjxeg  fiälXov  ovxo>  xgavyaaov,  Sxi  ^iXmv  ista'&ev  CV  Pitra  ,j 
219  fjxovoe  QCV:  tjxovoev  MT  |  xoxe]  ^  df4vdg  M 


204  ff.  Gen.  3, 6. 


668  K.  Krumhadker 

220  •      ^  &^ü}fifixoq  äßivdg, 

djiexQl&t}  ngdg  täv  Sgra' 
KvQii  fiov, 
hl  &7ia(  äv  ebi&, 

225  Xi^oi  001,  S  ix^f 

tva  ßiä^Q}  Ttagd  oov 
ndvrayg,  8  ^iXo}' 
äv  nd^g,  äv  &dvffg, 

dvaXvoeig  jigdg  Ißii; 

230  äv  TitQiodevofig 

ovv  xfj  Eiq  xbv  ^Add/iA, 
ßXhpto  oe  ndXiv; 
avro  ydg  <poßov/MXt, 

lATjnoyg  Ix  xo^  xdtpov 
235  äv(0  dgdßjifig,  xhcvov, 

xal  C^xovoa  ok  Ideiv 
xXavoco,  xgd^o),  nov  iaxtv 
S  vldg  xal  fiedg  ßiov, 

iß'  'Qg  fjxovoe  xavxa 
240  6  Tidvxa  yivcocxiov 

tiqIv  ytvioeoig  avx&y, 

djiexQi^rj  ngdg  Magiav 
Odgaei,  fJitjxBQ, 

220  xal   TravdfACOfÄO^   &yvfi   M   ||    221  n^   top  &Qva   QMT:   *e«f  wr 
Aovov  CV:  JiQOi  ägva  Pitra   ,'   223  ^ri  &raf  kav  (<5v  T)  bXsko  {iSv  ..»«Q^ 
QCVT:  ^dv  ä.ia^  eT^cco  aot  M:   ht  &jfaS  et  ^aXo)  Pitra    i    224  av  fit}  T 
225  U^co  QM:   Xi^e  T:   Xfyco  CV   '    227  Jtdvrojg  5  QCV:  Sttok  ä  MT 
229  &vaXva£ig  Q:  araA tVi?  CVMT   '  2^  ytggtodevoijg  Q^ILT :  xsgtoSevrfg C^ 

231  Td>  ddafi  M  i;  232  ßX^co  QM:  ßXijta>  CVT  ''  233  a{>r6  QMT:  mtö/CV 
234—237  fiTjmog  ix  xod  td<pov  {t€Öv  td^tov  M:  tor  td<pov  T)  Svca  ^gdur}; 
rexvov  xai  ^tjroCod  os  ISsTv.  xXavoco  xgd^m  Jtof}  iouv  {^v  M)  QMT:  fij^^ 
xXavao)  xal  xgdSco  jtov  laxlv  (fehlt  also  Mitte  V.  234-236)  CV  |1  240  w 
ndvxa  QM:  ndvta  CVT  1'  241  Jtqiv  am&v  yeviaecog  Pitra  I'  242  &xtMgi^ 
ngk  {jtQos  x^y  CV)  fiagCav  QCVMT:  MagiäfA  dnBxgi^  Pitra  1  243  f«?«? 
QCVM:  f^i^xriQ  T 

240  f.  vgl.  Sir.  23,  29. 


Die  AkrosHchis  in  der  grieehiechen  Kirchenpoesie,  669 

&ti  ngiori]  fxe  ÖQq.g 

dato  xov  xdipov,  246 

^QXOfjtal  ooi  det^ai, 

Ttöacov  nivtüv  xbv  ^Adäfi 

iXvTQCoodßjirjv 
xal  nöoovg  Idgcbtag 

ioxov  evexev  avxov.  250 

dfjXcoocD  Tolg  q?lXoiQ 

rd  xexfi'fiQia  detxvvg 

xal  xöxe  '^edofi 

x^v  Eiav,  &  jut^xeg,  255 

Cöjaav  &07i£Q  ngcorjv 

xal  ßotjoeiQ  ly  x^9' 
Tovg  yoveig  fwv  io(ooev 
6  vldg  xal  ^edc  ß^ov. 

iy    MixQÖv  olv,  &  ßifjxeQ,  260 

ävdaxov  xal  ßlineig, 
7i(bg  xa'&dneg  laxgdg 

änodiofAUi  xal  (p^dvo), 
Snov  xeTvxai, 
xal  IxelvcDv  xAg  7iii]ydg  265 

TtegiodevQ}, 
xijbiviüv  iv  xfj  Xoyxil 

xä  7t(OQU>fiaxa  avxdiv 


245  Toß  xdtpov  Q:  töw  rdipcov  CVM:  tov  zdtpov  T  "  246  EQxofiai.ooi. 
deXiai  Q:  igxofuxi  yag  6eT(ai  CV:  egxofiai  yoQ  rov  det^ai  M:  igxofAai  ydg 
aoi  dei^ai  T  ||  247  noatov  jidvcov  QM:  nooov  oxotov  CV:  Jioaoig  siovoig  T  , 
250  hsxa  M  {|  254  xal  Jidxt  M  ;;  255  xal  xrjv  T  ;,  256  ao>{^riaav  M  |  ^otisq 
QT:  c5c  CVM  i  257  ßo^aei  M  ;.  258  eowaev  QMT:  oeoioxag  C:  lacoaaff  V  H 
261  dvdax<^  QCVT:  dvdoxov  fiot  M:  dvexov  Pitra  .i  263  xal  (pMvoy  QC 
VMT:  tp^dvfüv  Pitra  !|  265  xaü  exeivfov  Q:  xaxeivmv  CV:  xal  xovxcov  MT  | 
xag  sxlrjydc,  aber  am  Rande  yg  xag  v'Vj^aff  Q:  xag  Xf^vxds  CV:  xds  nXrjyag 
MT  ;;  266  Jiegiodevwv  M:  negtodevaco  T  ]  267  xifivcDV  QT:  xifivo)  CV: 
^xw;«<5  M  I  Iv  r^  A<;y;fi7  QMT:  xrj  Xdyxt]  CV 


260  ff.  Tgl.  Joh.  20,  27    ,   267  Job.  19,  34. 


670  JL  Krumbaeher 

xal  xijv  oxXf)Qlav' 
270  Xafißdvoi  xal  Siog, 

InunvKpm  xriv  nXtiytjv 

Xfl    OfAÜifl    X(bv    fjXcDV 

ävevQvvag  t^v  ro/i^y 
xXcLlvfj  ßjtot(üoa}, 
275  xal  di]  rov  oravQOv  fiov 

Tovxtp  xQ^f*^^f  f^^^^Q» 

tva  \p6Xkfig  awerdVc' 
Ildoxcov  nd^oq  Ikvoev, 
280  6  vldg  xal  ^tdg  fiov. 

xifv  Xvnrjv  änd&ov 
xal  jioQevov  iv  x^Q9' 

iyä)  ycLQ  dt*  8  xax^l&ov, 
286  ijdrf  oTievöco 

IxxeXioai  xtjv  ßovXiiv 

xov  TiBfAy^avxdg  /Jte. 
xovxo  yäg  ix  ngwxfjg 

öeöoyfAevov  i]v  ißiol 
290  xal  xcp  naxgi  fiov, 

xal  xcp  nvevfxaxl  fiov 

271  i:t T^v  Q:    xai  oivqxo   r^v  CVT:    xal  exotvfpm   rijv  M: 

xal  avuov  oivffoy  Pitra       272  xal  xtf  OfiiXri  (ofi^Xti  T:   fäXfi  CV)  QCYT: 

xi)  be  afiiXrj  M:  Ttj  firjXu  Pitra      273  dvgvgv rofiffv  Q:  igevri^aag  tiff 

rofiijv  CVM:  egfvrrjoag  rijv  jtkrjyrjv  T  -j  274  xXalvri  fuoxwam  {fioxrovor  Ti 
QCVT:  a.Toj7«  xa&aTgo)  M  275  xai  6rj  QU:  xal  fifjr  CV:  xai  T 
277  xovzü)  QM:  xoviov  CV:  xovtodv  T  1  fi^i^fjg  M  .  279  .  .  .  .  Q:  :xaaxwr 
CVT:  Jid&tj  M:  ^sXtov  Pitra  281  'Ajxö^ov  olv  f^fjxeg  QCV:  'Ajt6^v  i^r 
Xvjirjv  MT  II  282  ir)v  Xvjiyjv  ojto&ov  Q:  äno^ov  xrjr  Xvsrtjv  CV  Pitra:  « 
fi^xeg  xal  nagOevs  M:  (5  i^^Tfß  ouio&ov  T  284  iyw  yag  dio  (Sior  T) 
xaifjXx^ov  QCVT:  eyoi  yag  diwv  ^X&ov  M:  iy(o  di''  o  xaxijX^or  Pitia 
285  tjörj  onevdm  QMT:  Sei  fie  CV:  tjÖTj  ansvötov  Pitra  ,1  288  Ix  jf^i^' 
QMT:  h  ngioxoig  CV  |  289  SeöoyfÄero)  tlvai  fjtov  M  !|  290  töi  ^f  xaxgi 
ftov  M 

270  Matth.  27,  48  u.  Parall.     272  vgl.  Job.  20, 25  il  286  f.  Job.  6»  3S. 


Die  Äkrostiehia  in  der  griechischen  Kirehenpaesie,  671 

ovx  dmi^Qeoe  notk 
rd  Ivav^QcoTifjam 

xal  Tia'&dv  fxs  6ia  xov 

naQomodvxa.  295 

dgaßAovoa  ovv,  /u^fjteQ, 

dvdyyeiXov  näoiv, 
5x1  TtdoxcDV  nkrixxei 

Tov  fjuaovvxa  xbv  'AdafM 
xal  vixrjoag  ig^exai  300 

6  vlög  xal  '9e6g  jnov. 

iE    NixwßAai,  (b  xixvov, 

vixcbfiai  x(p  Ji6&q} 
xal  ov  axiyco  äkfj'&a>g, 

fy'  iyä}  fikv  h  '&akdfxq>,  305 

ov  S*  h  SvXcp, 
xal  Iyä)  jLikv  iv  olxi^, 

ov  d^  h  fAVfifidq^, 
ä<peg  oiv  ovvik&o)' 

^eganevei  yäg  Ißjik  310 

xd  &eü}QeTv  oe' 
xaxido)  xT]v  xdXfxav 

xcüv  xifi(hvx(ov  xov  Mayorjv' 
avxov  ycLQ  (bg  dfj'&ev 


292  djirjgeas  [djii^Qfjaev  T)  ytoxs  QMT:  cbi^geaev  ov^ev  CV  ü  293  to 
QMT:  TOV  CV  \  ivav^Qconfjoat  Q:  havdgcamaai  CVMT  Pitra  ,|  294  f^e 
fehlt  CV  I  diä  TOV  (StavTov  T)  jiagcuteoovTa  QCVT:  diddafi  tov  jie.ttco- 
9€(oia  M      296  ovv  firjxeQ  Q:  ovv  xögt]  CV:  e5  fiffieg  MT   '  297  dsidyYeiXov  C V  ". 

298 T«  Q:  JtXiiTTei  CV:  nXriaoti  (:;iXfjaei  M)  MT  |    302  ü5  Tixvov  QM 

T:  T<b  nö^rn  CV  l|  303  rw  nofkoy  QT:  oov  tw  no^m  M:  (5  xixvov  CV  ! 
304  areya  QCVM:  axigro)  T  i|  305  Tv'  (tva  T)  iyw  fikv  iv  ^aXdfxo)  (■»aXd- 
(Jioii  CV)  QCVT:  iy<o  fiev  h  ^aXäfiü)  M:  eivai  fih  iv  ^aXdfJiois  Pitra 
306  ov  de  iv  $vX(o  QCV:  ov  de  elvai  iv  tco  ^vXco  M:  ov  de  iv  ^vX(o  etvai 
T:  ak  iv  ^vXq}  Pitra  l|  307  xai  iyoy  fikv  iv  oi  .  .  Q:  Tv'  iyo)  iv  olxia  C  V: 
Hai  iyd)  iv  xij  olxeXa  M:  iyoi  /lev  ivotxia  T:  iv  olxig,  elvai  fik  Pitra  { 
308  ov  div  {ov  de  iv  T)  fivtjfieio)  QT:  ov  de  iv  Td(pa>  CVM:  oe  de  iv 
rafpip  Pitra  ||  309  ovv  ^«  M  |t  311  to  QMT:  tov  CV  ||  312  xaTldco  QMT: 
xov  Wö>  CV  Pitra  |i  314  ovtov  y^Q  (og  drj^ev  QMT:  ixeivov  ydg  dij^ev 
CV:  ixeivoi  yag  dfj^ev  Pitra 


672  K.  Krumhad^ 

315  Ixdixavvteg  öl  xvfplol 

XTttval  OE  ffk&ov, 
Mcovo^g  dh  TOUTO 

5x1  juiiXeig  ßXineiv 
320  Inl  (vXov  rijv  fcö^v 

^  Ccoij  dh  jlg  ioTtv; 

6  vl6g  xal  ^e6g  fiov. 

ig    Ovxovv  et  ovvigxt), 

jmrj  xXavoijg,  c5  fiffreg, 
325  /ufjdi  JtdXiv  nxori&jjg, 

läv  fdfiQ  oaXev^ivta 
rä  aroixf^la' 
t6  yäg  töXjutjßia  öovtX 
näoav  rijv  xxlaiv, 
330  TidXog  ixxvfpXovxat 

xal  oifx  Avolyei  Ö<p^aXfi6v, 
?cog  äv  etncD' 
fj  yrj  ovv  9aXdaofi 

x6x€  anevacoai  (pvyeTv 
335  vadg  xov  ;|^iTö>ra 

^$ei  x6xe  xaxä  xcbv 

XaVXa   XoXjLKOVXCDV 

815  ixSiyotfvreg  fehlt  CV  ||  816  fi/Toöo«  Q:  ^X&wCYU:  ^iovoirT 
317  ftcoarjg  QCVT:  /Ämvorjg  M  1  Sk  toOto  (tovtcö  T)  QMT:  ds  nal  roOfo  CV 

323  OifK  ovv  eiaigxtj  Q:   Ovxovv  et  avvigxv  CVM:   Ovxovv  ov  owSqxV  T 

324  fifj  dSvvov  M  I  (5  f*Tfteg  QMT:  c5ff  fiijrrfg  CV  i^  326-827  iSp  (Srav  CV) 
tdrjg  oaXev^rvza  xa  axoixeta  QCVMT:  Srav  tdijg  atotxela  ♦  otüiEv&em 
Pitra  328  dovet  QCV:  ßageiUT  i  330  i}  noXog  M  h  331  xai  fehlt  QM 
d(p{^al/Ä6v  QMT:  Stp^aXftovs  CV  333—337  i}  yif  avv  ^aXdami  («««  ^ 
{^alaaoa  M:  xal  ^dXaaoa  T)  rore  oneifomoi  {ojtevöovat  M:  xsvaoxu  T)  qptrytXv. 
vaog  Tov  jpirÄva  diaggi^^et  arevaCcov  (ß/f*i  tSre  MT)  Kord  TÖy  (xatavr&v  M) 
roXfio}VT€ov  {toCto  ToXfi&vra  M:  roUto  roXfidvTcav  T)  QMT:  «loc  (^oc  V) 
Toy  ;|f£Ta)va  niq^ag  xga^ei  xaxa  xmv  xafira  toXfimvxojv.  ij  y^  avv  &edaaorf 
x6x8  ojttsvaofot  fpevyetv  {tpvyeVv  V)  CV 


317ff.Num.21,8:  Joh.3,16  i  321f.Joh.  11,26;  14,6  I!  830Matth.27,46 
u.  Parall.       333  ff.  Matth.  27,  51  f.  a.  Parall. 


Die  Ährostiehia  in  der  griedUeeken  KirchenpoeHe.  673 

rd  dgi]  dovodvzai, 

ol  xdfpoi  xevovvtar 
Sxav  fifig  tavxa,  840 

^dv  TtrijSfig  &Q  yvvifi, 
xQÖL^ov  ngög  ßie'  ^tuaal  fiov, 

6  v16q  xal  ^e6g  /aov. 

iC  Ylk  t^g  nag&ivov, 

&eh  xijg  nag&ivov  345 

xal  xov  xdojuov  noirjxdl 

odv  xd  nd'&og,  abv  x6  ßd'^og 
x^g  aoq)lag. 
oi)  inlüxaaai,  8  ^g 

xal  8  fySvov,  350 

ov  Jta&eTv  '9eXrjoag 

xaxi]SUooag  IX'deiv 
äv^gionov  o(boai' 
av  xäg  &fw.Qxlag 

fjfx&v  fiQag  d>g  ä/nvög*  355 

ov  xavxag  vexQCooag 

xfj  oq>ayfj  oov,  6  ocDxrjQ, 
eawaag  ndvxag. 
av  el  iv  xcß  ndoxeiv 


839  xgrovrrcu  QM:  Htrovrtat  CV:  Hoivovvzai  T  |!  340'-342  Stäv  iStjc 
ravja.  x6it  Xi^eig  jtov  iaxir,  aber  am  Rande:  yg  iäv  ntTJStfs  <5c  yvy^. 
xga^ov  3iQ6g  fie  tpetaai  fiov  Q:  Stav  Btjtrfs  jkov  iaiiv  CV  (wo  alao  2 V*  Verse 
fehlen):  St&v  tdtjg  ravza  iav  nrrf^rjg  d>g  ywrj  ifiol  {ofyot  M)  xga^ov  <petaai 
fAOV  MT  '!  345  ^el  tfjg  navafi&fdov  M  347  oov  (ooff  MT)  to  jrd^og  oov 
(oov]  xai  M)  x6  ßd^og  QCVMT:  2ov  to  nd^og,  oov  x6  ßd^og  Pitra 
349  oov  M  351  ^ek^oag  Q:  &iX(ov  CV:  v^eltjoag  M:  al^elijoag  T: 
ideXcDV Fitn  ..  d62— B6d  xaxtj^ioHfag  iX^tiv dv&Q(OJtovg  owoai  Q:  xaxtj^icjoag 
iX^sZv  ^iXmv  xov  otooai  CVififj  XiJiojv  xovg  ovgavovg  ^X^sg  tv  xdofiO)  MT 
355  i}geg  T    '"    357  6  ooyx^g  Q:   cl^g  ooaxriQ  CV:   dyooixrjQ  M:  &  o&xeg  T 

858  ioa>oag    ndvxag    Q:    otaoov    xovg    ndvxag    CV:    iooyoag    ^fiäg   MT    , 

859  öv  «/  /r] Q:    ov  rjg  h  CV:    ov  r^g  iv  M:    ov  el  iv  T:   2'v  eig 

h  Pitra 


347  f.  Rtai.  11, 83  il  854  f.  Job.  1, 29. 


674  K.  Krumbadker 

360  xal  h  xcß  /ii^  ndaxBiV 

ov  el  ^n^oxcDv,  od>^ü>v' 

ob  nagiaxes  ^fj  oe^iv^ 
Tia^^riölav  xQdCetv  ooi' 

'O  vtög  xal  &e6g  fiov. 

360  9eai  h  xio  fifi  ndoxsiv  steht  am  Rande  in  Q:   fehlt  M  :i  361  » 
QT:  ei  6  CV:  bU  M:  eU  Pitra  |  om^cav  QM:  nai  o<aC<ow  CV:  o^öoor  T 
302  f*6ve  rt'f^yffra.  ar  nagiox^i  tfj  osf^rtf  M. 

In  Q  ist  die  dialogische  Form  des  Liedes  noch  besonders  dadurch 
hervorgehoben,  dass  am  Rande  bei  den  Stropheninitialen,  ich  weiss 
nicht,  ob  von  erster  Hand,  die  Personenbezeichnungen  ^  &eot6xog  bezw. 
6  deanoxrjz  beigesetzt  sind.  Ein  Teil  dieser  Randnotizen  ist  durch  den 
Verlust  der  Blattränder  verloren  gegangen.  Erhalten  sind:  ^  ^toxoxo^ 
bei  Strophe  o',  C',  fi\  ^',  k';  ^  deojtötfje  bei  Strophe  «'',  ie\  iC  (nach  der 
Strophenzählung  von  Q). 


n.  Kommentar. 

A.  Die  Metrik  des  Liedes. 

Der   Hirmus    Tdv   Tdiov   ägva. 

Der  Hirmus  ist  uns  bis  jetzt  nur  aus  dem  Liede  des 
Romanos  auf  Maria  beim  Kreuze  bekannt.  Keine  Hs  bietet 
eine  Hirmusnotiz.  Wir  müssen  ihn  also  nach  den  Anfangs- 
worten des  genannten  Liedes  bezeichnen  und  nach  dem  Texte 
desselben  konstituieren. 

In  der  Hauptsache  hat  Pitra  den  Bau  der  Strophe  richtig 
erkannt.  Nur  in  V.  4  hat  er,  durch  einen  Fehler  in  der 
ersten  Strophe  verleitet,  ein  falsches  Schema  aufgestellt  und 
ihm  dann  den  Vers  in  sämtlichen  Strophen  durch  willkürliche 
und  oft  sprach-  und  sinnwidrige  Korrekturen  gewaltsam  an- 
gepasst.     Der  Vers  lautet  in  Strophe  a   in  allen  Hss: 

rjxoXoi&ei  Magla 


0 


Dasselbe   siebensilbige   Schema  bieten    ausserdem   QC    in 
Strophe  y\  Q  (nicht  aber  Q®)  CV  in  Strophe  q\  Q  in  Strophe  Ti 


Die  Äkrostichis  in  der  grieehisehen  Kirehenpoesie,  675 

QM  in  Strophe  tj',  M  in  Strophe  id\  M  in  Strophe  ic'.  Da 
aber  die  vereinzelte  Stimme  des  auch  in  diesem  Liede  wie 
meistens  arg  verdorbenen  M  kein  Gehör  verdient,  so  redu- 
zieren sich  die  Zeugnisse  für  das  siebensilbige  Schema  auf 
eine  so  geringe  Zahl,  dass  sie  der  übereinstimmenden  Über- 
lieferung des  achtsilbigen  Schemas  gegenüber  nicht  in  Betracht 
kommen.  Auch  sprachliche  Gründe  sprechen  gegen  den  Sieben- 
silber, besonders  in  Strophe  y\  wo  das  in  QC  fehlende  aoi 
unentbehrlich  ist.  In  Strophe  17'  bietet  Q  an  der  Stelle  einen 
ganz  anderen  Text  als  CVMT.  Es  ist  also  nicht  einmal  sicher, 
ob  die  siebensilbige  Form  an  den  angeführten  Stellen  durch 
Anlehnung  an  den  vorhergehenden  Siebensilber  oder .  durch 
zufallige  Korruptel  veranlasst  worden  ist.  Jedenfalls  kann 
kein  Zweifel  übrig  bleiben,  dass  die  ursprüngliche  Form  des 
Verses  durch  das  achtsilbige  Schema 


dargestellt  wird  und  dass  in  Strophe  a,  wo  alle  Hss  wider- 
streben, durch  Einsetzung  des  Artikels  ^  der  nach  fixokov9€i 
leicht  ausfallen  konnte,  geholfen  werden  muss. 

Eine    kleine    Schwankung    ist    in   Y.   19    zu    bemerken. 
Im   Anfange   des   Liedes  (Strophe  a,  ß',  y',  d\  g\  ^')   hat   er 
die  Form  — w_i.w-i.ww    7b*;   dagegen  ist  der  Dichter  weiter- 
hin  (Strophe  e,  C',  v\  «>   *«'*  ^ß"»  </>  ^^f  «**>  ^^\  «C)   zu    der 
Form    — w_iw  —  w_L    7b    zurückgekehrt ,     offenbar    weil    der 
folgende  V.  20   die   Form  7  b*   mit  daktylischem  Schluss  hat 
und  er  Wert  darauf  legte,  in  den  vorhergehenden,  sonst  gleich 
gebauten    Vers    eine    kleine    Variante     (durch     anapästischen 
Schluss)  zu  bringen.    Der  Fall  ist  äusserst  lehrreich,  weil  wir 
hier  formlich  in  die  Werkstätte  des  Dichters  hineinsehen  und 
beobachten  können,   wie  er  bei  der  Abfassung  des  Liedes  das 
gewählte  Strophenschema   in   feinen  Details   noch   weiter  aus- 
arbeitete.  Man  kann  aus  dieser  Tatsache  wohl  auch  schliessen, 
dass  der  Dichter  sich  hier  nicht  an  einen  älteren  Hirmus  an- 
scbloss   und    mithin    die   Strophe   des   Liedes  als  'Idiö/iekov  zu 
betrachten  ist.    Vgl.  die  Überschrift  in  T  (S.  658). 


676 


K,  Krumboiker 


Die  arekitektonisohe  Struktur  des  Hirmue  ist  aua^rge- 
wöhnlicli  scharf  ausgeprägt  Syntaktisch  wie  metrisch  ergAea. 
sich  deutlich  drei  Abschnitte  von  7,  8,  6  Versen.  Jeder  Ab- 
schnitt zerfällt  wiederum  in  drei  Absätze,  und  zwar  wird  im 
ersten  Abschnitt  ein  grosseres  Mittelstück  von  zwei  kleineren 
Stücken  flankiert,  im  zweiten  umgekehrt  ein  kleines  Mittel- 
stück durch  zwei  grössere,  im  dritten  stehen  drei  Absätze  von 
je  zwei  Versen  nebeneinander.  Abschnitt  I  schliesst  mit  5e; 
derselbe  Schluss  wiederholt  sich  Abschnitt  II  Absatz  1  and 
Absatz  3.  Abschnitt  I  und  III  beginnen  gleichmassig  mit 
6  a  H-  6  a,  Abschnitt  I  Absatz  2  und  3  mit  7  b  (und  der  Refrain 
mit  7b0t  Abschnitt  II  Absatz  2  und  3  mit  6a  >f- 7  b.  Es 
ergibt  sich  das  folgende  Schema: 

Tdv  tdtov  ägva. 


1  « 

w    w  —  w 

6a 

\ 

2 

V  -«.  V    w  S^  w 

6a 

/ 

8 
4 
5 

w  — .  w  —   w  .^_ 

/                                          0 
W    —  W    W   ^_  V 

0 

7b 

'  8c 

4d 

1 

1    aa-l-bcd-i-be 

*   12  -♦-  19  -H  12  =  43 

6 

0                            0 

7b 

) 

1 

7 

MW  .^  w 

5e 

8- 

w  ^—  w  —  w 

6f 

} 

9 

0                            0 

7b 

10 

^_    W      W    —1.  \J 

5e 

11 
12 

6a 
7b 

} 

■ifbe  -f-ab  -H  abe 
**    18  -f-  13  -♦-  18  =  49 

13 

W   ...  W     W  — «  w 

6a 

X 

14 

\0  —  w  w  —^ 

7b 

• 

15 

0 
SJ     w  —  w 

5e 

j 
d 

16  - 

_—  w    w  — —  w 

6a 

) 

17 

6a 

18 
19 

0                              0 

w  -^  w  -^  w    w 

f  — >    W    W    W    ..^ 

0                     0 
W  W     w  — .  w 

6f 
7b^ 

7  b) 
7b' 

7g 

i 

■iiaa  +  fb    H-  b*g 

*"    12  -♦-  13   -♦-  14  =  89 

20 
21 

131  Silben. 

Die  Akroatu^is  in  der  qriechiechen  Kirchenpoesie.  677 

Der  Hirmus  T6v  dC  ^/^äg  oxavQco^ivxa, 

Der  Bau  des  kleinen  Prooemions  ist  sehr  durchsichtig. 
Es  besteht  aus  zwei  gleichgebauten  Gliedern  ab  ab  und  einem 
wiederum  mit  a  beginnenden  Schlussglied  acd: 


Tbv  6C  fifJLäg  atavQ(ü'9ivTa. 


ab  -+-  ab  H-  acd 

16  -f-  16  -1-  19  =  61  Silben. 


1     ^    ^  ww-l-w  3  a 

2  —  ^  —  ww-I-wvQl) 

3  —  «**  —  vw_Lw  8  a) 

4  —  ^  —  ^«  —  ^^8bj 

5  ^    ^  —  wv-lw  Qu 

6  -^  4c 


B.  Die  Überlieferung  und  die  Akrostichis. 

Das  Lied  steht  in  den  ostbyzantinischen  Hss  QABGMT 
und  in  den  zwei  italischen  CY.  Da  ich  von  ABG  keine 
Kollation  habe,  muss  ich  mich  auf  die  Betrachtung  der  üb- 
rigen beschränken.  Ihr  gegenseitiges  Verhältnis  und  ihre 
Qualität  zeigen  nichts  Auffalliges.  CV  gehen  wie  immer  in 
allen  Hauptpunkten  enge  zusammen  und  stammen  auch  hier 
direkt  aus  einer  verlorenen  italischen  Hs,  die  eine  mehrfach 
umgearbeitete  Redaktion  enthielt.  So  erklärt  sich  die  Sonder- 
steUung  von  CV  gegenüber  QMT  in  V.  32  flf.,  116  f.,  157  flF., 
165  f.,  183  f.,  204  flF.,  214  flF.,  288,  314,  333  ff.,  351,  352  f. 
Zwei  grössere  Lücken  von  etwa  2^1%  Versen  klafften  in  der 
italischen  Vorlage  von  CV  in  V.  234  ff.  und  V.  340  ff., 
eine  kleine  in  V.  315.  Auch  die  ostbyzantinischen  Hss 
QMT  zeigen,  obschon  sie  an  vielen  markanten  Stellen  gegen 
CV  zusammengehen,  doch  wiederholt  deutliche  Spuren  redak- 
tioneller Überarbeitungen,  und  man  erkennt,  dass  die  Hss 
auch  in  diesem  Liede  durch  eine  ganz  unbestimmbare  Reihe 
von  Mittelgliedern  getrennt  sind  und  daher  zur  Aufstellung 
eines  Stammbaumes  nicht  einmal  der  Versuch  gemacht  werden 
kann.  Jede  der  drei  ostbyzantinischen  Hss  geht  in  mehreren 
Fällen  mit  der  italischen  Gruppe  zusammen,  und  jede  steht  in 


678  K.  Krumbacher 

mehreren  Fällen  auch  ganz  isoliert.  So  treffen  wir  Q  zu- 
saiumen  mit  CV  in  V.  46,  89,  93,  141,  227,  306;  M  mit 
CV  in  V.  59,  62,  142,  153,  195,  273,  308,  316;  T  mit  CV 
in  V.  61,  90  f.,  114,  139.  Am  nächsten  scheint  der  ost- 
byzantinischen Vorlage  von  CV  die  Hs  M  gestanden  za  haben. 
Völlig  isoliert  ist  Q  z.  B.  in  V.  42  f.,  75,  81  ff.,  92,  125, 
142,  157  ff.,  168,  247,  273  u.  s.  w.  Recht  instruktiv  ist  V.  81  ff., 
wo  allein  Q  den  Rest  der  echten  Lesung  (doch  schon  mit 
einem  Ansatz  zur  Korruptel)  bewahrt  hat.  Auf  Zufall  scheint 
die  merkwürdige  Konstellation  in  V.  57  zu  beruhen,  wo  Q 
mit  V  gegen  C  und  die  übrigen  Hss  zusammengeht.  M  steht 
vereinsamt  z.  B.  in  V.  80,  93,  97,  118,  129  ff.,  135  f.,  156  ff., 
179,  267,  274,  282,  290,  294  u.  s.  w.  Im  allgemeinen  steht 
M  an  Korrektheit  auch  hier  tief  unter  QT  und  CV;  doch 
darf  er  nicht  beiseite  geschoben  werden  und  in  zwei  Fällen 
(V.  63  und  317)  hat  er  sogar  allein  die  richtige  Lesart  er- 
halten. Irgend  eine  nähere  Beziehung  der  Vorlage  von  M  zu 
der  von  Q  wird  wahrscheinlich  durch  V.  360,  der  in  M  ganz 
fehlt  und  in  Q  erst  am  Rande  nachgetragen  ist.  T  zeigt  die 
Spur  einer  Sonderbearbeitung  z.  B.  in  V.  129  ff.,  157  ff.,  213, 
273,  282,  316  u.  s.  w.  Mehrere  Versehen  in  T  erklären  sich 
durch  Hörfehler  und  verstärken  die  schon  früher*)  ausge- 
sprochene Behauptung,  dass  diese  Hs  diktiert  worden  ist  z.  B. 
V.  16  töv  ra^v  st.  raxvvj  V.  37  xgdCcooiv  st.  xgdCovoiVj  V.  45 
rä  ;ff/^ö)v  st.  ro  ;fer^ov,  V.  171  Td>  st.  tö>v,  V.  225  ke^e  st^ 
ki^cOj  V.  234  ix  xiv  rdipov,  V.  245  x6v  xd(pov  st.  xibv  xdq^covj 
V.  294  diavxdv  st.  did  xdv,  V.  334  nevomoi  st.  onevocooi  u.  s.  w. 

Dem  Texte  ist,  wie  in  den  früheren  Ausgaben,  Q  zu 
gründe  gelegt  und  seine  Lesung  nur,  teils  mit  Hilfe  der  üb- 
rigen Hss,  teils  durch  Konjektur,  soweit  korrigiert,  als  der 
Sinn  und  das  Metrum  es  unbedingt  forderten. 

In  Q  sind  4  Randkorrekturen,  von  denen  3  das  richtige 
treffen:  In  V.  116  ist  die  Schreibung  oigavö^sv,  die  durch 
CVMT  empfohlen  wird,  auch  metrisch  gefordert.    In  V.  340  ff. 


«)  Studien  S.  202  zu  V.  278. 


Die  Äkrostiehia  in  der  griediischen  Kirchenpoesie,  679 

füllt  die  Korrektur  eine  Lücke  und  stimmt  in  der  Haupt- 
sache mit  MT  überein.  Ebenso  wird  in  Y.  360  durch  die 
Korrektur  eine  Lücke  richtig  ausgefüllt.  Nur  Y.  265  xag 
x^'vxäg  Q®  ist  flach,  und  hier  wird  trotz  der  Hilfe  von  CY 
mit  QMT  rag  nXrjyäg  zu  halten  sein.  Man  sieht  mithin  auch 
aus  diesem  Liede,  dass  Q^  die  grösste  Beachtung  verdient, 
wenn  er  auch  zuweilen,  wie  ich  früher^)  nachgewiesen  habe, 
in  der  Irre  schweift. 

Weit  bedeutender  als  alle  diese  Yarianten  ist  die  Differenz 
der  Hss  hinsichtlich  der  Bildung  der  Akrostichis.  In  den 
drei  ostbyzantinischen  Hss  QGM  bietet  der  Text  die  Form 
janeivov,  in  den  zwei  ostbyzantinischen  BT  und  den  zwei 
italischen  CY  dagegen  die  Kurzform  xanivov.  Zwar  sind  in 
C  V  einige  Zeilen  für  die  Strophe  E  freigelassen  (s.  oben  S.  566); 
doch  hat  das  nichts  zu  bedeuten,  wie  ich  oben  (S.  653)  gezeigt 
habe.     In  BT  ist  keine  Lücke  angedeutet. 

Auf  grund  der  Überlieferung  allein  lässt  sich  mithin  die 
Frage,  welche  der  zwei  Gruppen  die  ursprüngliche  Fassung 
biete,  nicht  entscheiden;  doch  spricht  zu  gunsten  der  zweiten 
Gruppe  die  schon  oben  (S.  653)  angeführte  allgemeine  Er- 
wägung, dass  viel  leichter  eine  nachträgliche  Ergänzung  der 
Littera  E  als  eine  Reduktion  der  Schreibung  EI  auf  das  anti- 
stoechische  /  denkbar  ist. 

Dass  der  Usus  des  Romanos  beide  Formen  kennt,  ist  oben 
(S.  653  ff.)  nachgewiesen  worden,  und  was  speziell  die  in  unserem 
Liede  gegebene  Formel  Tov  zaneivov  'Pwfiavov  betrifft,  so 
findet  sich  bei  Romanos  unter  etwa  24  Fällen  (s.  S.  633)  zwei- 
mal —  von  unserem  Liede  abgesehen  —  die  Kurzform  (Nr.  47 
und  49).  Die  Zulässigkeit  der  Antistoechie  ist  mithin  für 
das  Lied  Nr.  17  durch  andere  Beispiele  nicht  bloss  im  allge- 
meinen, sondern  auch  für  die  in  Rede  stehende  Formel  selbst 
festgestellt. 

Die  Entscheidung  bringt  eine  genauere  Prüfung  des  Textes 
der  Strophe  E  (c  "*),   die  ich  zu  diesem  Zwecke  hier  mitteile: 

^)  Romanos  tmd  Kyriakos  S.  765  ff. 

1908.  SItsgBb.  d.  philos..p]ülo].  a.  d.  hiat  KI.  45 


680  K.  Erumbadker 

C  *  *Ev  JomoiQ  xdlq  Xdyoig 

^  ndvayvog  ft^^tjQ 
TCO  äffgäaiCDg  iS  avr^c 

oagxco&ivzi  xal  xtx&ivxi 
5  ini  nltiov 

rgvxco&eioa  Ttjv  yroxt^y 
oCxcag  lß6a' 
Tl  fxoi  iiyeig,  xexvov* 

Mfj  Toig  äXiaig  yvvatSi 

10  ovva7io<p€Qjj ; 

xal  ydg  Saneg  avxai 

h  xoiUq,  vXov 
0€  ioxov  iv  fir)xQq, 

xal  fiaoToTg  oe  zoTg  ißiolg 
15  ydXa  jiagioxov. 

Jicbg  ovv  OeXeig  ägzi 

fii}  xlavoal  oe,  xexvov, 
{^dvarov  ddbccog 

vjioaifjvai  oTievdovxa, 
20  TÖv  vexQOvg  iyeiQavxa, 

6  vlög  xal  ^eog  (aov. 

Strophe  c'  nur  in  Q6  M.  Oben  Lesung  von  Q,  hier  die  Abweichnngen 
von  M ;  von  G  habe  ich  keine  Kollation.  Einige  in  Q  durch  Beschädigung 
des  Blattrandes  entstandene  Liicken  sind  oben  aus  M  ergänzt  3  f.  f-t 
.  .  .  .  oaoxioi^evxog  xai  rexOeviO';  M        9  yt'vai^iv  M    ,     10  opioito^nu  M 

11  — 13  0171  Mo:xtQ  avtat  evxoiXia  (ba  vv  ovveaxov  fitJTQa  M         16  xai  :tCs 

ovv  Oihji  ägzi  M. 

Durch  diese  Strophe,  die  in  QGM  zwischen  den  Stro- 
phen s'  und  C  des  obigen  Textes  steht,  wird  die  harmonische 
ßesponsion  der  Kede  und  Gegenrede  Mariae  und  Christi  (s.  unten) 
unterbrochen,  indem  durch  sie  die  erste  Antwort  Mariae  eine  Ober- 
zählige  Strophe  (3  statt  2)  erhält.  Im  einzelnen  verrät  sich  der 
Interpohitor  durch  plumpe  Entlehnungen  aus  anderen  Strophen 
und  sonstige  Ungeschicklichkeit.  V.  5  f.  ijii  nkeiov  t^i^w- 
iJeJoa  T)jr  Y^'X^I^'  stammt  aus  V.  4  f.  der  folgenden  Strophe 
(V.  137)  Ti/r  xao()iav  jlwv  ovvtQtßm  Ini  nkelov.    Der  Ausdruck 


Die  Äkrostiehis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie.  681 

rgvxo)^eToa  ist  aus  V.  12  xQvxofxevri  entnommen.  Die  offenbar 
beabsichtigte  Beziehung  von  V.  9  f.  Mi]  xdig  äXXaig  yvvai^l 
ovvanoKpeQfi  zu  V.  79  f.  xi  xatg  äXkaig  yvvai^l  avyajiocpeQij 
ist  nicht  bloss  plump,  sondern  auch  undeutlich,  weil  die  Verse 
zu  weit  voneinander  entfernt  sind.  Der  Redaktor  M  hat  das 
wohl  gefühlt  und  daher  V.  10  öfioKjD&fjvm  geschrieben,  mit 
Beziehung  auf  den  näher  stehenden  V.  99  f.  yt*^  xaXg  dLovvexoig 
öfiotiüofjg  iavTijv.  Aber  viel  ist  dadurch  nicht  gebessert. 
Andere  Unebenheiten  wie  das  unmögliche  oe  V.  14  und  die 
Verletzung  des  Metrums  V.  16  will  ich  nicht  betonen,  weil 
sie  vielleicht  der  Überlieferung  zur  Last  fallen.  Wenn  man 
diese  inneren  Argumente  mit  den  oben  dargelegten  Tatsachen 
der  Überlieferung  und  den  allgemeinen  Erwägungen  verbindet, 
so  kann  kein  Zweifel  übrig  bleiben,  dass  die  Strophe  g'"  von 
einem  späteren  Bearbeiter  stammt,  der  an  der  Schreibung 
tamvov  Anstoss  nahm. 

G.  Bemerkungen  zum  Texte. 

Das  Lied  ist  ausgezeichnet  durch  die  haarscharf  ausge- 
arbeitete Metrik  (vgl.  oben  S.  674  ff.).  Eine  Besonderheit  bilden 
Anaphern  und  sonstige  rhetorische  Kunstmittel  im  Anfange 
der  Strophen;  vgl.  Strophe  e\  rj\  ^\  id\  ie\  iC-  Im  Innern 
der  Strophen  sind  dagegen  rhetorische  Mittel,  bes.  Wortspiele 
und  Assonanzen  nicht  häufiger  als  in  vielen  anderen  Liedern 
und  jedenfalls  nicht  so  häufig  wie  z.  B.  im  Liede  „Judas** 
(s.  Romanos  und  Kyriakos  S.  702).  Die  augenfälligsten  Bei- 
spiele sind:  V.  25  X6yov  —  Xöye.  V.  44  f.  x^Q^'^  —  ;C^«ioov. 
V.  65  f.  xcbv  ndvxcov  —  vtieq  ndvxoov.  V.  107  f.  ndvxa  —  Jtdvxcov. 
V.  347  7id&og  —  ßd&og.  V.  359  f.  iv  xco  ndoxBiv  —  xal  iv  xco 
,urj  Tidoxeiv.  Mehrmals  sind  die  rhetorischen  Lichter  durch 
Bearbeiter  verwischt  worden  z.  B.  V.  345  durch  M. 

Ungewöhnlich  stark  tritt  in  dem  Liede  der  dramatische 
Charakter  hervor,  und  er  ist  auch,  was  sonst  nicht  üblich, 
in  der  Hs  Q  durch  am  Rande  beigefügte  Personenbezeich- 
nungen  (vgl.   oben  S.  674)   hervorgehoben  worden.     Von  den 


682  K,  Krumhacker 

17  Strophen  des  Liedes  steht  nur  die  letzte,  ein  Yom  Dichter 
gesprochener  Epilog,  ausserhalb  des  Zwiegespräches.  Die  üb- 
rigen 16  Strophen  werden  durch  einen  Dialog  zwischen  der 
hl.  Jungfrau  und   ihrem  Sohne   eingenommen  und  zwar  also: 

Maria  spricht  die  Strophen  1 — 3,  7 — 8,  11,   15. 
Jesus  spricht  die  Strophen  4 — 6,  9 — 10,  12 — 14,  16. 

Die  Verteilung  der  Strophen  ist  also  bis  Strophe  10 
gleichmässig  d.  h.  Maria  gehören  3  4*  2,  ebenso  Jesus  3  +  2 
Strophen.  Von  da  ab  überwiegt  die  Rede  Jesu:  Auf  die  kurze 
Rede  Mariae  in  Strophe  11  erwiedert  Jesus  in  Strophe  12— U 
und  auf  die  letzten  Einwendungen  Mariae  in  Strophe  15  behält 
Jesus  in  Strophe  16  das  letzte  Wort.  Die  Widerlegung  der 
innigen  Klagen  der  Mutter  durch  die  schriftmässigen  Aus- 
führungen Jesu  wirkt  unpoetisch  und  drückt  dem  ganzen 
Werkchen  einen  frostigen  Charakter  auf.  Mit  dem  Stabat 
mater  hält  es  keinen  Vergleich  aus. 

Überschrift:  Höchst  auffallig  ist  die  handschriftliche 
Differenz  bezüglich  des  Tonvermerkes.  BCVMT  nennen 
übereinstimmend  den  vierten  Querton  {J]XO?  TiXdyiog  d'\  A  den 
vierten  Ton  ohne  Zusatz  (ji^oq  &'\  Q  aber  den  vierten  Mittel- 
ton {fjxo^  fiEoog  d').  In  G  scheint  die  Angabe  des  Tones  zu 
fehlen.  Da  in  der  byzantinischen  Musik  nur  8  Töne  linter- 
schieden  werden,  nämlich  4  Töne  schlechthin  —  Prodromos') 
nennt  sie  jiQOfjYovjusvoi  —  und  4  Quertöne  (7iMyioi\  so  bleibt 
die  Bezeichnung  fxFoog  dunkel.  Vielleicht  hängt  sie  zusammen 
mit  der  aus  Manuel  Brjennios  bekannten  Differenzierung,  bei  der 
der  4.  Ton  als  JiaQVJidxrj  /xiooiv  —  vrjTrj  dieCevyjLiivcovy  der  4.  Quer- 
ton als  7iQookafißav6ßA€vog  —  jueot)  bezeichnet  wird.*) 

Vers  3.  Um  die  nach  dem  Bau  der  Strophe  wohl  sicher 
anzunehmende  Gleichheit  des  Verses  3  mit  Vers  1  zu  erhalten, 
ist  es  wohl  geratener,  avrdv  einsilbig  zu  lesen  (vgl.  W.  Mejer, 

^)  Theodor!  Prodromi  commentarioa  in  carmina  sacra  melodorum 
Cosmae  Hierosol.  et  Jo.  Dam.  ed.  H.  M.  Stevenson.     Romae  1888  S.  31  f- 

^)  Vgl.  W.  Christ,  Anthologia  Graeca  carminum  christianonim 
S.  CXX  f. 


Die  ÄkrostiMs  in  der  griechisehen  Kirchenpoesie,  683 

Anfang  und  Ursprung  S.  846)  als  das  einstimmig  überlieferte 
und  nicht  leicht  entbehrliche  yäg  zu  streichen. 

32  ff.  Die  Zahl  der  in  Q  verlorenen  Buchstaben  spricht 
mehr  für  (licoc  iov)tov  als  für  das  etwa  nach  MT  zu  erwartende 
{ecog  S)iov.  Die  Lesung  CV  zeigt  sehr  instruktiv,  wie  der 
Text  stufenweise  verdorben  wurde. 

57  Die  Verletzung  des  Metrums  wird  offenbar  durch  den 
Eigennamen  0a>/iac,  der  hier  einen  — «  darstellt,  entschuldigt. 
Die  Umstellung  in  C,  die  seltsamer  Weise  V  nicht  mitmacht, 
ist  offenbar  ein  Versuch  des  Redaktors,  den  anstössigen  Jambus 
wenigstens  vom  Versschluss  zu  entfernen.  Über  die  Entschul- 
digung metrischer  Freiheiten  durch  Bibelzitate  und  vielsilbige 
Wörter   vgl.  Studien  S.  248;   Romanos  und  Kyriakos  S.  714. 

78  Der  Vokativ  ^t)xriQ  ist  durch  QMT  bezeugt,  während 
CV,  die,  wie  schon  oft  gezeigt  wurde,  nach  der  attischen 
Grammatik  durchkorrigiert  worden  sind,  das  korrekte  fifireQ 
haben  (beide  Formen  natürlich  stets  in  der  abgekürzten  Form 
firJQ^  /hsq).  Dieselbe  Vokativform  /bn^Ttjg  wird  noch  an  anderen 
Stellen  des  Liedes  handschriftlich  bestätigt.  Des  Näheren  ver- 
hält es  sich  mit  der  Überlieferung  der  zwei  Formen  in  unserem 
Liede  also: 

V.  88  /irjtrjQ  QT:  ßif-jieQ  CVM 

V.  92  d)  fATiTeg  Q:  ovv  /xfjxeg  CVM:  ovv  /^i]ti]Q  T 

V.  130  ^fJT€Q  QCVT:  /h^t^q  M 

V.  176  c5  fifjreQ  QCVMT 

V.  192  oiv  ßXTJreg  Q:  (b  fiTJjeg  CVMT 

V.  214  ..  .g  Q:  fi/jrrjg  MT:  firjieg  CV      , 

V.  243  /i^ieg  QCVM:  ^^ztjg  T 

V.  255  c5  MV^^Q  QCVMT 

V.  260  d)  jufJTEg  QCVMT 

V.  281  f.  ovv  ßxijzeg  QCV:  (5  ßiiJTEg  MT 

V.  296  olv  fjLTjxeg  Q:  c5  fAtj-teg  MT,  (ovv  xögt)  CV) 

V.  324  (5  fifJTeg  QMT:  cbg  ßi^rtig  CV. 

Völlig  sicher  erscheint  mithin  der  alte  Vokativ  ßitjieg  da, 
wo  er  durch   vorhergehendes   o)   geschützt   ist.     Ohne   diesen 


684  K.  Krumbaeher 

Halt  besteht  aber  offenbar  die  Neigung,  den  Vokativ  nach 
dem  Nominativ  zu  regulieren,  eine  Neigung,  die  im  späteren 
Griechisch  vielfach  hervortritt.^)  Merkwürdig  und  auch  för 
die  Textkritik  beachtenswert  ist  die  Tatsache,  dass  an  einigen 
Stellen  d>  mit  oiv  streitet.  Die  Frage,  in  wie  weit  schon  der 
Dichter  selbst  in  der  Bildung  dieses  Vokativs  geschwankt  hat, 
Hesse  sich  nur  auf  grund  eines  reicheren  Stellenmaterials  ent- 
scheiden. Vorerst  habe  ich  von  der  konsequenten  Durchfüh- 
rung der  alten  Form  abgesehen  und  mich  auch  in  diesem 
Punkte  der  Überlieferung  Q  angeschlossen. 

80  Die  Lesung  avva7ioq)igfi  QC  VT  »du  lässt  dich  mit  (den 
anderen  Frauen)  hinreissen"  ist  nach  Sinn  und  Form  tadellos, 
und  daher  sowohl  die  alte  annehmbare  Konjektur  M  ovvoXo(pvgfj 
als  Pitras  schlechte  Vermutung  avvaJiodvQfj  überflüssig. 

81  ff.  Die  ursprüngliche  Lesung  hat  offenbar  Q  bewahrt; 
nur  ist  in  V.  83  vermutlich  /atj  für  7i(bg  zu  schreiben.  Das 
nur  bei  lebhaftem  Vortrage  zu  verstehende  Fragespiel  hat  aber 
schon  ein  alter  Redaktor,  auf  dessen  Exemplar  unsere  ganze 
Überlieferung  ausser  Q  zurückgeht,  nicht  verstanden  und,  viel- 
leicht auch  verleitet  durch  die  in  Konditionalsätzen  formulierte 
Beziehung  der  Gottesmutter  auf  die  Worte  ihres  Sohnes  in 
V.  142  und  160,  statt  der  Frage  zwei  Konditionalsätze  gesetzt, 
wodurch  das  Metrum  zwei  schwere  Schädigungen  erlitt. 

123  Pitras  Änderung  t/  für  t6  ist  ganz  überflüssig.  Der 
Sinn  ist:  »Der  gestaltete  Berg,  verstehe  das,  o  Edle,  bin  jetzt 
ich."  Dagegen  hat  der  Redaktor,  auf  den  CVMT  zurück- 
gehen, schlecht  interpretiert:  »Den  gestalteten  Berg  verstehe, 
o  Edle;  denn  (das)  bin  ich"  und  daher  yäg  für  vvv  geschrieben. 

131  Vielleicht  beruht  die  Lesung  [xäXXov  xgd^ov  iv  x^Q9^  T, 
die  dem  gegen  Schluss  des  Gedichtes  bevorzugten  Schema  7  b 
entspricht,  auf  einer  nachträglichen  Änderung  des  Dichters  selbst. 

^)  Beispiele  der  Annäherung  des  Vokativs  an  den  Nominativ  bezw. 
Akkusativ  bei  Hatzidakis,  Einleitung  in  die  neugriechische  Grammatik 
S.  77,  82.  Im  Neugriechischen  haben  die  Maskuline  auf  -og  die  alte 
Vokativeudung  {-s)  erhalten,  während  der  Vokativ  sonst  gleich  dem 
Akk.  (ohne  -v)  ist. 


Die  Akroistiehis  in  der  grieehiaehen  Kirchenpoesie,  685 

136  f.  Die  zweite  Person  in  V.  137  geht  wohl  auf  den- 
selben alten  Redaktor  zurück,  dem  die  Schlimmbesserung  in 
V.  81  S.  zu  danken  ist.  Nach  der  von  Q  erhaltenen  ursprüng- 
lichen Lesung  ovvTQißa)  sagt  Maria  mit  Beziehung  auf  die  in 
V.  130  ausgesprochene  Mahnung,  nicht  zu  weinen:  ,Ich  ver- 
scheuche meine  Tränen  und  quäle  (bezwinge)  mein  Herz 
noch  mehr;  aber  meine  Überlegung  will  nicht  schweigen/ 
Dann  folgt  das,  was  die  Überlegung  ihr  einflüstert.  Das  ver- 
stand ein  alter  Redaktor  nicht  und  setzte  dafür  den  unpassenden 
und  inkonzinnen  Satz:  ,Ich  verscheuche  meine  Tränen;  du 
quälst  mein  Herz  noch  mehr''.  Noch  weiter  ging  dann  der 
italische  Redaktor  und  setzte  für  das  Yerbum  avvxQißeig^  das 
ihm  mit  Beziehung  auf  eine  andere  Person  nicht  zu  passen 
schien,  Tagdtjeig  ein.  Da  nun  auch  das  ursprüngliche  äX^  ov 
unverständlich  geworden  war,  so  änderte  eine  Vorlage  von 
CVT  ov  yoLQ,  eine  andere,  auf  die  M  zurückgeht,  xal  ov. 

146  Der  italische  Redaktor  hielt  den  Indikativ  Aoristi 
xa&^gag  für  ein  Partizip,  korrigierte  xa&dgag  und  strich  dann, 
ohne  Rücksicht  auf  das  Metrum  das  überflüssig  gewordene  xal. 
Die  Form  xa&fjgag^  die  auch  in  der  neugriechischen  Schrift- 
sprache vorkommt,  ist  wohl  durch  xarrjQay  inrjQa  veranlasst. 

151  Da  das  durch  den  Sinn  zunächst  geforderte  ivcpXov 
nicht  in  den  trochäischen  Vers  passte,  wählte  der  Dichter  das 
allgemeinere  Epithet  nrjQog  und  zwar  in  der  Form  Jirjgög. 
Seine  gute  Absicht  wurde  aber  durch  spätere  Redaktoren 
(CVMT),  welche  die  gewöhnliche  Betonung  des  Wortes  wieder- 
herstellten, vereitelt.  Zur  Akzentverschiebung  im  späteren 
Griechisch  überhaupt  vgl.  Krumbacher,  K.  Z.  27  (1884)  521  flF.; 
Hatzidakis,  Einleitung  S.  418  ff. 

157  fiF.  Hier  ist  eine  alte  grössere  Korruptel,  die  ich  in 
möglichst  genauem  Anschluss  an  Q  zu  heilen  versuchte. 

209  Pitras  Konjektur  ist  ganz  willkürlich.  Die  einstimmige 
Überlieferung  Tva  jud^^cooiv  lässt  keinen  Ausweg  übrig  als  die 
Annahme,  dass  iva  hier  nicht  bloss  durch  Proklise  den  Akzent, 
sondern  auch  schon  das  i  verloren  habe,  also  geradezu  vä  zu 
schreiben  sei. 


686  K.  Krumhaeher 

210  Zu  Tov  vor  dem  Infinitiv,  das  der  italische  Korrektor 
ohne  Rücksicht  auf  das  Metrum  und  den  späteren  Sprach- 
gebrauch gestrichen  hat,  während  in  Y.  293  und  353  gerade 
die  italische  Redaktion  tov  für  t6  QMT  bezw.  für  den  blossen 
Infinitiv  Q  aufweist,  vgl.  St.  zu  Romanos  S.  233,  261. 

223  Das  Schema  des  Verses  würde  durch  M  zur  Not 
ausgefüllt;  doch  führen  die  übrigen  Hss  zu  der  aufgenomme- 
nen Lesung.  Die  vulgäre  Betonung  elncb  darf  in  einem  Texte, 
wo  va  (V.  209)  vorkommt,  wohl  als  zulässig  erscheinen. 

273  In  der  verstümmelten  Lesung  von  Q  kann  wohl  nur 
ävevQv{vag  rrjv)  rofirjv  stecken,  also:  „Nachdem  ich  mit  dem 
Messer  meiner  Nägel  (d.  h.  mit  meinen  Nägeln  als  Messer) 
die  Schnittwunde  erweitert  (d.  h.  wohl  untersucht  und  ge- 
reinigt) habe,  werde  ich  sie  mit  Charpie  lindern."  Die  Un- 
deutlichkeit  des  Ausdrucks  mag  einen  alten  Redaktor  veran- 
lasst haben,  igevvYjoag  zu  schreiben.  Ausserdem  ist  tofii^v  in 
der  Vorlage  von  CVM  ganz  unsinnig  zu  vo^rjv  verderbt 
worden,  während  T  ohne  Beachtung  des  eben  vorhergegangenen 
nXtjyip'  noch  einmal  jiXrjyijv  setzte. 

294  und  336  Zu  tov  und  tcöv  am  Versschluss  vgl.  Studien 
S.  203;  Romanos  und  Ky riakos  S.  716. 

307  Zur  Betonung  oixia  vgl.  Romanos  und  Ejriakos 
S.  710  ff. 


Berichtigangen. 

Seite  566  Nr.  17  ist  zu  achreiben:  Überschrift:  <psQov  (qpeg'^  T) 
dxgoöTixiSa  tt'jvöe  (trjvöe  fehlt  ACT)  (^  dxQoauj^ig  G)  tov  zojteiyov  gmfiavov 
QACGMT:  tov  zansirov  q"  V:  fehlt  B. 

Seite  577  Nr.  54  ist  statt  , ebenso*  zu  schreiben:  r^voff  tlg  xov 
{^eoXoyov  Qcojj,ftarov  (so),  und  dieses  Beispiel  ist  S.  647  nachzutragen. 

Seite  590  Nr.  95  schreibe:  6.  Dezember. 

Seite  631  unten:  Nr.  187  gehört  nach  Seite  632  zur  Rubrik  C. 


Die  Ahrostiehia  in  der  grieehiseKen  Kirchenpoesie. 


687 


Register. 


Die  Zühlen  beziehen  sich  auf  die  Seiten.    Das  Attribut  .^1-*  ist  bei  den  Namen  der 

KQne  halber  weggelassen  worden. 


Abbas,  Dichter  599,  606,  607 
Abibag  572 
Abrahams  Opfer  580 
Adam  561,  574,  579 
Äbte,  die  hll.  604 
Aeithala»  571 
Aga^^angelos  607 
Akakios  610 
AkatbiatoB  592 
Akepsiraas  571 
Akindynos  595 
Allerheiligenfest  668 
Alypios  599 
Ambrosius  600 
Anaphern  681 
Anastaaia  602 
Anastasios  607 
AnastasioB,  Dichter  587 
Andreas,  Apostel  599,  600 
Anna,  Empfängnis  der  601 
Anonymus  592  ff. 
Antistoechie  652  ff.,  679  f. 
Antonios  605 

Apokalypse,  des  Romanos  562 
Apostel,  die  569;   s.  auch   die  ein- 
zelnen Namen 
Architektur  der  Lieder  676 
Arethas  595 


Arsenios,  Dichter  612,  613,  616 

Artikel  am  Versschluss  686 

Assonanzen  681 

Athanasios  von  Alexandria  576 

Aussätzigen,  Heilung  des  584 

Autorangabe,  in  Liedüberschriften 
622  f. 

Automame,  in  Akrosticha  680  ff. 

Barbara  600 

Bartholomaeus,  Apostel  612 

Basilios  574,  590,  603 

Besessenen,  Heilung  des  584 

Bilderstürmer  614  (Nr.  190) 

Blutflüssigen,  Heilung  der  585 

Brot  wunder  585 

Buhlerin  565,  586,  615 

Bussgebet  580 

Busslied  581 

Christi  Auferstehung  583 

Christi  Auferstehung  und  die  zehn 
Drachmen  584 

Christi  Geburt  571;  s.  auch  Weih- 
nachten 

Christi  Geburt,  Nachfest  von  673 

Christi  Himmelfahrt  568 

Christi  Taufe  561 

Christi  Verklarung  592 

Christi  Verklärung,  Vorfeier  von  613 


688 


K,  Krunibacher 


GhrjBOstomoB  s.  Jobannes 
Clemens  s.  Elemens 
Guculus  560 
Daniel  Styliies  601 
Demetrios  571,  595,  618 
Dialog  im  Hymnus  674,  682 
Domitios,  Dichter  638  f. 
Doppelung    von    Buchstaben    und 

Wörtern  645  ff. 
Drachmen,  zehn,  und  Christus  584 
Dramatischer  Charakter  der  Hymnen 

681  f. 
Eigennamenentschuldigen  metrische 

Freiheiten  683 
Elias  577 

Engel,  die  hll.  593,  596 
Ephrem  562,  608 
Ephymnion  =  Überstrophe  649 
Epiphanie,  Nachfest  von  591 
Erdbeben,  Lied  bei  579 
Euphemia  612 
Eustratios  601 
Euthymios  590,  607 
Febronia  612 

Feuersbrunst,  Lied  bei  579 
Gabriel,  Dichter  603,  609,  610,  612. 

613,  617 
Geist,  der  hl.  616 
Georgios  576,  611 
Georgios,  Dichter  589,  597 
Gerbaaios  594 
Grablied  592 

Gregorios  Dekapolites  598 
Gregorios,  Dichter  589 
Gregorios  von  Nazianz  608 
Gregorios  von  Nyssa  604 
Gregorios,  Wundertäter  598 
Gurias  572 

Heilung  des  Aussätzigen  584 
Heilung  des  Besessenen  584 
Heilung  der  Blutflüssigen  585 
Heilung  des  Lahmen  583 
Hilarion  594 


Himmelfahrt  Christi  568 

Himmelfahrt  Mariae  591,  593 

Hirmen  674  ff. 

Hochzeit  in  Eana  584 

Hörfehler  678 

Jakob,  Apostel  594 

Jakob  der  Perser  599 

Ignatios  573,  609 

Ignatios,  Patr.  594 

Infinitiv  mit  rot;  686 

Inkongruenz  (bez.  der  Akrostichis) 

zwischen  Überschrift   und  Text 

624  ff. 
Joannikios  596 
Joannikios,  Dichter  596 
Johannes,  Apostel  576,  611 
Johannes  der  Barmherzige  597 
Johannes  .Chrysostomos  572, 597, 608 
Johannes,  Dichter  607 
Johannes  (und  Kyros)  609 
Johannes  der  Täufer  569,  577,  609 
Joseph  (mit  Akepsimas)  571 
Joseph,   Dichter  591,  594,  598.  612 
Joseph,  der  keusche  564,  614 
Isaak  581 
Judas  566,  615 
Jünger,  die  siebzig  603 
Jüngster  Tag  562 
Jungfrauen,  die  zehn  565,  614 
Eana,  Hochzeit  in  584 
Katharina  598 
Eelsios  594 

Kinder,  die  unschuldigen  573 
Elemens  607 

Knaben  im  Feuerofen  669 
Kosmas  und  Damian  570,  571 
Kosmas,  Dichter  591 
Krankengebet  593 
Kreuzanbetung  580 
Kreuz(e3),  Triumph  des  563 
Kyriakos,  Dichter  589 
Kyrillos  von  Alexandria  606 
Kyros  (und  Johannes)  609 


Die  AkrosHchis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie. 


689 


Lahmen,  Heilung  des  583 

Latros  610 

Lazarus,    Anferweckung    des    581, 

582,  589 
Lazarus  und  der  Reiche  581 
Leon,  Dichter  594 
Lukas,  Apostel  594 
M&rtjrer,  die  zehn,  auf  Kreta  602 
Märtyrer,  die  vierzig  574,  575 
M&rtyrer,  die  1003  609 
Makarios  von  Ägypten  607 
Makkabäer,  die  613 
Mariae  Aufnahme  in  den  Tempel  589 
Maria,  Gebet  an  588 
Mariae  Geburt  570 
Mariae  Himmelfahrt  591,  593 
Maria  beim  Kreuze  566 
Mariae  Lichtmess  561 
Mariae  Verkündigung  576 
Mariae    Verkündigung ,    Nachfeier 

von  610 
Markianos  589 
Markos,  Apostel  611 
Matthaeos,  Apostel  598 
Melodie,  der  Lieder  619 
Menas  571 
Mittelton  682 
Nacht  8.  Weihnachten 
Nazarios  594 

Nikaea,  die  Väter  von  616 
Nikolaos  von  Myra  570,  573,  590 
Ninive  585 
Noe  580 

Noseea  (Nosia)  589 
Ostersonntag  567 
Panteleemon  578 
Passion  567 
Patapios  601 
Paulos,  Apostel  612 
Paulos,  Dichter  595 
Paulos  von  Kpel  590,  696 
Paulos  von  Theben  605 
Petros  von  Alezandria  599 


Petros  und  Paulos  612 

Petri  Verleugnung  566 

Petros,  ZurückfÜhrung  des  605 

Pfingsten  568 

Pharisäer  und  Zöllner  617 

Philippos,  Apostel  572,  598 

Photios  592 

Piaton  598 

Polyeuktos  604 

Prokopios  612 

Protasios  594 

Psalmsonntag  564 

Pseudonyma  634,  641  ff. 

Randkorrekturen  in  Q  678 

Reiche  und  Lazarus  581 

Requiemlied  562 

Responsion,  in  Hymnen  680  ff. 

Rhetorische  Mittel  681 

Romanos,  Dichter  559  ff.,  596,  614, 

615,  617,  623,  630  f. 
Sabas  600 
Samariterin  584 
Samonas  572 

Schlussgebet  in  den  Hymnen  649  ff. 
Sergios,  Patriarch  592 
Severus,  Häretiker  617 
Siebzig  Jünger  603 
Sohn,  der  verlorene  579,  586 
Stephanos  559,  560,  618 
Stephanos,  Dichter  595,  611,  612 
Stephanos  der  Jüngere  599 
Studites,  Dichter  590,   597,  605  f., 

623,  642 
Sünderin  s.  Buhlerin 
Symeon,  Dichter  600 
Symeon  Salos  613 
Symeon  Stylites  570 
Tarasios,  Dichter  623 
Theodoros  578,  586 
Theodoros  Stratelates  611 
Theodoros  Studites  590, 591, 596, 605 
Theodosios  604 
Theopemptos  609 


690 


K,  Krumbttdier 


Theophanes  von  Sigriane  610 

Theophanie  561 

Theophanie,  Vorfeier  der  603,  604 

Theophylaktos  610 

Thomas  567 

TimotheoB,  Apostel  607 

Ton  der  Lieder  GI9 

Tonvermerke  682 

Totenlied  587 

Totenlied  für  Mönche  617 

Tryphon  574 

dfiaQxo)X(k  642 

äawTos  042 

ßaaiXeig  =  Kaiserhaus  601 

fi.icD  =  fTjTco  686 

iXreivös  642 

fxov,  in  Akrostichon  vermerken  621 

xaOijQag  als  Ind.  Aor.  685 

xovxovXiov  560 

xvQov  vor  dem  Autornamen  689  f. 

XVQOV    st.    XVQtOV    640 

firiftjQ  =  firlieQ  683 

vd  =  iva  685 

Nvorjg  =  Nvaotjg  647 


Überlieferung  d.  Kirchenlieder  677  ff. 
Überstrophen  646  ff. 
Umarbeitungen  645,  647  ff. 
Verklärung  Christi  592,  593,  613 
Vokativ  =  Nom.  683  f, 
Weihnachten  559,  573 
Weihnachten,  Nachfeier  von  573. 603 
Weihnachten,  Vorfeier  von  591,  602 
Zenobia  595 
Zenobios  595 
Zöllner  und  Pharisäer  617 

olxtq  686 

Jt^eos  =  :ii)Q6g  685 

avv  mit  Gen.  621 

rdXas  641  f. 

TdXXag  st.  ToXas  641,  647 

tajteivdg  641  f. 

TOJtivog  =s  Tojttivoq  653  ff.,  679  f. 

xavTfi  655  ff. 

xrivde    in     Akrostichon  vermerken 

621  f. 
TQiad^XioQ  642 
<piQov  ((p')  620  f. 
9?'  =  (ffQsi  620  f. 


Die  Akrostichis  in  der  griechischen  Kirchenpoesie,  691 


Inhalt. 


Seite 

Vorbemerkung 651 

V^erzeichnis  der  Abkürzungen 556 

Erstes  Kapitel:   Material. 

I.  Die  Akrostichis  bei  Romanos. 

A.  Edierte  Lieder  des  Romanos 559 

B.  Unedierte  Lieder  des  Romanos 571 

C.  Zweifelhaftes 585 

II.  Die  Akrostichis  bei  den  übrigen  Hjmnendichtern. 

A.  Edierte  Lieder 587 

B.  Unedierte  Lieder 594 

Zweites  Kapitel:  Untersuchungen. 

I.  Die  Akrostichisnotizen  in  den  Liedüberschrifben    .                .  619 
II.  Die  Formen  der  Hymnenakrostichis. 

A.  Die  regelmässigen  Formen 629 

I.  Akrosticha  mit  Automamen 630 

ir.  Akrosticha  mit  pseudonymer  Andeutung  des  Autors  634 

III.  Akrosticha  ohne  Erwähnung  des  Autors       .        .        .  635 

B.  Unregelmässigkeiten  in  den  Akrosticha. 

I.  Doppelsetzung  von  Buchstaben  und  Wörtern      .        .  645 

II.  Antistoechische  Elemente 652 

III.  Die  Form  xavxTi 655 

Drittes  Kapitel:   Text. 

I.  Das  Lied  «Maria  beim  Kreuze*^ 658 

IL  Kommentar. 

A.  Die  Metrik  des  Liedes 674 

B.  Die  Überlieferung  und  die  Akrostichis       ....  677 

C.  Bemerkungen  zum  Texte 681 

Berichtigungen 686 

Register 687 


«♦ 


Protokolle 


der 


Kartellversammlung 


des 


Verbandes  wissenschaftliclier  Körperschaften 


in  München 


am  5.  und  6.  Juni  1903. 


Protokolle 

der  Kartellversammlung  des 

Verbandes  wissenschaftlicher  Körperschaften 

in  München. 


I. 
Gesamtsitznng 

am  5.  Juni  um  9  Uhr  im  Sitzungszimmer  der  mathematisch- 
physikalischen  Klasse. 

Anwesend  als  Delegierte: 

aus  Göttingen  die  Herren  Kielhorn, 

Riecke, 

Wiechert, 
aus  Leipsig  Herr      Wiadisch, 

aus  Wien  die  Herren  v.  Schröder, 

Exner, 

Tschermak. 

Geladen  zur  Teilnahme  an  den  Beratungen: 

a)  über  die  luftelektriichen  Forschungen 

die  Herren  v.  Bezold  aus  Berlin, 

Ad.  Schmidt  ans  Potsdam; 

b)  über  die  kritische  Ausgabe  des  Mahäbhärata 

die  Herren  Jacobi  aus  Bonn, 

Lüders  aus  Rostock, 
Winternitz  aus  Prag. 

Ausserdem  nimmt  im  Auftrage  der  K.  Preuss.  Akademie  in  Berlin 
noch  Teil  Herr  Pischel. 

Aus  München  die  Herren   v.  Yoit, 

Kuhn, 
Ebert, 
y.  Groth. 


4  ProtokoUe  der  Kartdlvenammlung. 

Herr  ▼.  Voit  eröffnet  in  Vertretung  des  yerlundeiten 
Präsidenten  y.  Zittel  die  Sitzung  und  begrüsst  die  Erschienenen. 
Von  den  zur  Teilnahme  an  den  Beratungen  Eingeladenen 
konnten  die  Herren  Elster  und  Geitel  aus  WolfenbQttel  nicht 
erscheinen. 

Zum  Zweck  der  Beratungen  werden  folgende  EomnussioneD 
gebildet : 

1.  Kommission  Ar  laftelektrische  Forsohungen:  die  Herrec 

Riecke,  Wiechert,  Exner,   y.  Bezold,   Schmidt,  Ebert 

2.  Kommission  f&r  ohemisohe  KrystaHographie:  die  Herren 
Tschermak,  y.  Oroth. 

3.  Kommission  sar  Erörterung  dar  Vorarbeiten  for  eine 
kritische  Ausgabe  des  Mahäbhärata:  die  Herren  Kielhoro, 
Windisch,  y.Schröder,  Kuhn,  Jacobi,Lüders,Winternit2. 

Die  Frage,  ob  allgemeine  Angelegenheiten  erörtert  werden 
sollen,  wird  einstimmig  yemeint. 

n. 

Kommission  für  Heraasgabe  einer  chemischen 

KrjstaUographie. 

Freitag,  den  5.  Juni,  Beginn  9'/«  Uhr. 

Anwesend : 

Herr  v.  Groth  (München), 
Riecke  (Göttingen), 
Tschermak  (Wien), 
Windisch  (Göttingen). 

Da«  Protokoll  führt  Herr  ▼.  Groth. 

Den  Gegenstand  der  Beratung  bildet  der  Antrag  i^^ 
K.  Akademie  in  Wien,  vertreten  durch  Herrn  Tschermak. 

Antrag  der  E.  Akademie  in  Wien. 

Die  Kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  bat 
auf  der  vorjährigen  Eartellversammlung  zu  Oöttingen  in  der 
Generalversammlung  am  15.  Mai  durch  ihren  Delegierten  Prof. 


PratolMe  der  Kartellversammlung.  5 

F.  Beck 6  den  Antrag  gestellt,  dass  die  kartellierten  Akademien 
und  gelehrten  Oesellschaften  sowie  die  K.  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Berlin  eingeladen  werden,  durch  Oewährung  der 
Mittel  zur  Honorierung  einer  Hilfskraft  die  wünschenswerte 
rasche  Vollendung  des  von  Herrn  Prof.  P.  Groth  in  München 
herauszugebenden  Werkes:  « Chemische  Erystallographie''  zu 
fordern,  welcher  Antrag  die  Zustimmung  der  anwesenden  Dele- 
gierten fand.  Die  Wiener  Akademie  hatte  schon  im  Jahre  1902 
eine  Unterstützung  des  genannten  Unternehmens  durch  Ent- 
sendung eines  jüngeren  Mineralogen  Dr.  Glawatsch  zu  Prof. 
Groth  bewirkt,  auch  die  Geneigtheit  zur  weiteren  Förderung 
des  Werkes  zu  erkennen  gegeben ;  auch  hat  die  Akademie  zu 
München  zur  Bestellung  einer  ferneren  Hilfskraft  für  das  Jahr  1 902 
den  entsprechenden  Beitrag  bewilligt,  ferner  die  Akademie  zu 
Berlin  den  Betrag  von  1800  M.  für  das  Jahr  1903  dem  Unter- 
nehmen gewidmet.  So  war  für  die  Jahre  1902  und  1903  vor- 
gesorgt. Bei  der  Eartellversammlung  in  Göttingen  wurde  auch 
speziell  der  Antrag  gestellt,  die  Akademie  in  München,  ferner 
die  Gesellschaften  der  Wissenschaften  in  Göttingen  und  Leipzig 
einzuladen,  die  Subventionierung  des  gedachten  Unternehmens 
im  Jahre  1904  durch  Bewilligung  der  Remuneration  einer  Hilfs- 
kraft in  der  Person  des  Herrn  Dr.  Gossner  mit  dem  Betrage 
von  1800  M.  zu  betätigen.  Der  Delegierte  für  München  (Ebert) 
erklärte  sich  mit  diesem  Antrage  einverstanden,  der  Delegierte 
für  Leipzig  (His)  fand  sich  bereit,  den  Antrag  bei  der  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  in  Leipzig  zu  befürworten,  und  die 
Delegierten  für  Göttingen  gaben  die  gleiche  Erklärung  bezüg- 
lich der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen  ab. 

Die  Wiener  Akademie  beehrt  sich  nun,  den  letzteren  An- 
trag bei  der  gegenwärtig  tagenden  Kartellversammlung  zur 
nochmaligen  Behandlung  zu  bringen.  Bezüglich  der  Motivierung 
bedarf  es  wohl  nur  des  Hinweises  auf  den  im  Vorjahre  zu 
Gföttingen  gestellten  Antrag,  in  dem  das  Unternehmen  als  ein 
fQr  die  Physik,  Mineralogie  und  Chemie  gleich  wichtiges  dar- 
gestellt wurde,  dessen  rascher  Abschluss  als  im  hohen  Grade 
wünschenswert  erscheint.    Das  Ziel  der  diesjährigen  Besprechung 


6  BrotokoUe  d$r  KarieUvenammimiig, 

wäre  demnach  die  endgültige  Erklärung  seitens  der  genanntec 
wissenschaftlichen  Korporationen  zu  Odttingen,  Leipzig  und 
München,  die  Subvention  per  1800  M.  für  das  Jahr  1904  zur 
Bestreitung  zu  übernehmen. 

Beriolit  der  Kommission. 

Im  Auftrage  der  E.  Akademie  in  Wien  hat  Dr.  GlawatscL 
sich  an  den  Vorarbeiten  für  das  genannte  Werk  in  der  Wei>t 
beteiligt,  dass  er  die  ausserordentlich  zerstreuten,  krystallo- 
graphischen  Angaben  in  der  älteren  metallurgischen  Literatur. 
sowie  diejenigen  in  den  Werken  über  mikroskopisch-chemisclie 
Analyse  auszog,  sammelte  und  nach  dem  für  die  chemische 
Krystallographie  adoptierten  Programm  zusammenstellte.  Die^«^ 
umfangreiche,  für  die  Ausarbeitung  der  letzteren  sehr  förder- 
liche Arbeit  hat  Dr.  Glawatsch  teils  im  Sommer  1902  in 
München,  teils  seitdem  in  Wien  ausgeführt  und  soeben  in 
München  zum  Abschlüsse  gebracht. 

Der  durch  die  Subvention  der  Akademie  in  München  für  1902 
und  der  K.  Preuss.  Akademie  zu  Berlin  für  1903  zur  Hilfi»arbeit 
an  dem  Werke  berufene  Dr.  Gossner  hat  eine  Beihe  von 
Ex{)erimental-Unter8uchungen  solcher  Gruppen  krjstallisierter 
Körper  ausgeführt,  für  welche  noch  wesentliche  Lücken  und 
Widersprüche  in  den  bisherigen  Angaben  vorlagen,  und  eine 
Reihe  anderer  derartiger  Untersuchungen  begonnen.  Ausserdeiu 
hat  derselbe  eine  Anzahl  älterer,  krjstallographischer  Unter- 
suchungen in  die  jetzt  übliche  Art  der  Darstellung  umgearbeitet 
Wenn  Dr.  Gossner  auch  im  Jahre  1904  in  gleicher  Weise  für  da^ 
Werk  beschäftigt  werden  könnte,  so  würde  voraussichtlich  dei 
allgemeine  Teil  und  die  spezielle  Bearbeitung  der  unorganischeii 
Verbindungen  Anfang  des  Jahres  1905  soweit  vollendet  sein,  das; 
beides  im  Laufe  der  Jahre  1904  und  1905  erscheinen   könnte 

Die  Kommission  erlaubt  sich  nun  den  Vorschlag  zu  machen 
die  Delegierten- Versammlung  möge  bei  den  Akademien  zu  Wien 
Leipzig  und  Göttingen  den  Antrag  stellen,  dass  die  Remuneration 
des  Dr.  Gossncr  für  1904  im  Betrage  von  1800  M.  von  den 
drei  genannten  Akademien  zu  gleichen  Teilen  bewilligt  werden 


ProUj^ooUe  der  Kcuriellveraammlung.  7 

m. 

Kommissioii  fOr  Inftelektrische  Forschangen. 

L  Sitzung. 
Freitag,  den  5.  Juni  9'/«  Uhr  in  dem  Akademiegebäude. 

Anwesend : 

Herr  ▼.  Bezold  (Berlin), 
Ebert  (München), 
Einer  (Wien), 
Riecke  (Göttingen), 
Schmidt  (Potsdam), 
Wiechert  (Göttingen). 

Herr  Ebert  begrüsst  die  anwesenden  Herren  der  Kom- 
mission und  teilt  mit,  dass  die  Herren  Elster  und  G eitel  an 
der  Teilnahme  der  diesjährigen  Besprechungen  leider  behindert 
sind,  was  lebhaft  bedauert  wird.  Herr  Günther  hat  sich  für 
die  Vonnittagssitzung  entschuldigt. 

Herr  Ebert  legt  die  den  Beratungen  zu  Grunde  zu  legende 
Denkschrift  ^)  vor  und  dankt  den  an  ihrer  Abfassung  beteiligten 
Herren. 

Die  Kommission  wählt  Herrn  Riecke  zu  ihrem  Vor* 
sitzenden  und  Herrn  Ebert  zum  ProtokoUfQhrer. 

Es  wird  unmittelbar  in  die  Besprechung  des  vorläufigen 
Entwurfs  des  an  die  internationale  Association  zu  richtenden 
Antrages  eingetreten,  welcher  Punkt  für  Punkt  durchberaten 
wird.  Dabei  werden  die  an  den  verschiedenen  Observatorien 
und  Institute  bezüglich  der  Apparate  und  Messmethoden  weiter- 
hin gemachten  Erfahrungen  mitgeteilt;  femer  wird  über  die 
Tätigkeit  der  einzelnen  luftelektrischen  Stationen  berichtet; 
diese  Berichte  sollen  in  den  Sitzungsberichten  der  Münchener 
Akademie  veröffentlicht  werden. 

Schluss  der  Sitzung  12  Uhr. 


*)  Sie  ist  in  den  Sitzungsberichten  der  mathematisch-physikalischen 
Klasse  der  K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften  Jahrgang  1903  gedmokL 


8  ProtokoUe  der  KarUUveraammluMg, 

TL  SitEong. 

Freitag,  den  5.  Juni  nachmittags  '/«i  ühr  im  physikalischen 

Institute  der  Technischen  Hochschule. 


Anwesend  die  Herren: 

▼.  Bezold, 

Ebert, 

Exner, 

Qünther, 

Riecke, 

Schmidt, 

Wiechert, 

Windisch, 

letzterer  als  Vertreter  der  Sächsischen  Akademie. 

Zunächst  werden  die  im  Institute  aufgestellten  luftelek- 
trischen Messinstrumente  eingehend  besichtigt  und  besprochen. 
Hierauf  werden  die  Beratungen  über  das  Programm  fortgesetzt 
und  abgeschlossen.  Sodann  wird  zur  Besprechung  der  Organi- 
sation der  luftelektrischen  Beobachtungsstationen  übergegangen. 
Die  Herren  Riecke  und  Ebert  werden  beauftragt,  die  einzelnen 
zur  Sprache  gebrachten  Punkte  zusammen  zu  stellen  und  zu 
einem  U.  Teile  der  Antragsbegründung,  deren  L  Teil  das 
Programm  der  vorgeschlagenen  Einzelprobleme  darsteUt,  zn 
verarbeiten,  sowie  den  Wortlaut  des  Antrages  selbst  zu  formulieren. 
Die  Genannten  stellen  die  Abfassung  des  betreffenden  Schrift- 
stückes für  anderen  Tages  11  ühr  in  Aussicht,  auf  welchen 
Zeitpunkt  der  Beginn  der  3.  Sitzung  festgesetzt  wird. 

Schluss  der  Sitzung  6  ühr. 

nL  SitEung. 

Samstag,  den  6.  Juni  vormittags  IV 1%  ühr  in  der  Akademie. 


Anwesend  die  Herren: 

V.  Bezold, 

Ebert, 

Exner, 

Günther, 

Riecke, 

Schmidt, 

Wiechert. 

Die  Herren  Riecke  und  Ebert  legen  den  Entwurf  der 
ihnen  zur  Ausarbeitung  übertragenen  Denkschrift  sowie  d^ 
Antrages  an  die  Association  vor.     Beide  Entwürfe  werden  ein- 


PraiokoUe  der  Kartdlversammlung,  9 

gehend  durchberaten  und  im  Wortlaute,  bis  auf  redaktionelle 
Änderungen,  die  den  genannten  beiden  Herren  überlassen 
werden,  festgestellt. 

Die  Protokolle  über  die  drei  von  der  Kommission  abge- 
haltenen Sitzungen  werden  verlesen  und  genehmigt. 

Schluss  der  Sitzung  12*/4  Uhr. 

IV. 

Kommission  zar  Erörterung  der  Torarbeiten  ffir  eine 
kritische  Ausgabe  des  Hahäbharata. 

Anwesend: 

Herr  v.  Christ  (München), 
Jacobi  (Bonn), 
Eielhorn  (Göttingen), 
Kuhn  (München), 
Lud  er  8  (Rostock), 
Fische  1  (Berlin), 
V.  Schröder  (Wien), 
Windisch  (Leipzig), 
Winternitz  (Prag). 

Die  Kommission  einigte  sich  über  folgende  Beschlüsse: 

1.  In  der  Sitzung  der  Association  Pfingsten  1904  soll 
mitgeteilt  werden,  dass  mit  den  Mitteln  des  Kartells  die 
Katalogisierung  und  Klassifizierung  der  in  Europa  befindlichen 
Handschriften  des  Mahäbhärata  und  einige  andere  unerläss- 
liehe  Vorarbeiten,  wie  die  Kollationierung  südindischer  Hand- 
schriften und  eine  Inhaltsübersicht  des  Mahäbhärata  in  Angriff 
genommen  oder  teilweise  ausgeführt  sind. 

2.  Die  im  Kartell  vereinigten  Akademien  mögen  bean- 
tragen, dass  die  kritische  Ausgabe  des  Mahäbhärata  zur  Sache 
der  Association  gemacht  werde,  und  werden  derselben  ein 
Promemoria  vorlegen,  wie  eventuell  die  Arbeiten  einzuleiten 
und  zu  organisieren  sind. 

3.  Mit  der  Abfassung  dieses  Promemoria,  dessen  Ghnind- 
züge  eingehend   erörtert   wurden,   sollen    die   Herren  Jacobi, 


10  ProtokoUe  der  KarUavemmwdtmff. 

Lüders  und  Winternitz  beauftragt,  und  soll  dasselbe  bis  zum 
1.  Oktober  1903  den  kartellierten  Akademien  zur  Genebmigung 
vorgelegt   werden.     Als   Hauptgrundsatze   wurden   festgestellt: 

a)  Die  indische  Regierung  möge  von  der  Association  er- 
sucht werden,  die  in  ihrem  Besitz  befindlichen  Manuskripte 
nach  Europa  zu  senden  und  beim  Search  of  Sanskrit  MSS. 
ihre  besondere  Aufmerksamkeit  auf  den  Ankauf  alter  Hand- 
schriften des  Mahäbhärata  zu  richten. 

b)  Eventuell  soll  einem  Beschlüsse  des  Orientalisten-EoD- 
gresses  zu  Hamburg  entsprechend  Prof.  Lüders  zu  bezüglicheD 
Untersuchungen  nach  Indien  entsendet  werden. 

c)  Die  Gesamtkosten  werden  auf  120000  M.  veranschlagt. 
die  sich  auf  12  Jahre  verteilen  würden.  Dabei  würden  sich 
nach  ungefährer  Berechnung  die  Druckkosten  auf  60000  M.. 
die  Honorare  auf  40000  M.  und  die  einmaligen  Kosten  der 
event.  Reise  nach  Indien  auf  20000  Mk.  belaufen. 

4.  Als  Mitglieder  des  von  der  Association  event.  einzu- 
setzenden internationalen  Komitees  sollen  seitens  der  kartel- 
lierten Akademien  die  Herren  Jacobi,  Lüders  und  Winter- 
nitz in  Vorschlag  gebracht  werden. 


V. 

Gesamtsltsung. 

Anwesend  die  Herren: 

V.  Bezold, 

Ebert, 

Kxner, 

V.  Groth, 

Günther, 

Jacobi, 

Kielhorn, 

Kuhn, 

Lüders, 

Pischel, 

Riecke, 

Schmidt, 

V.  Schröder, 

Tschermak, 

V.  Voit, 

Wiechert, 

Windisch. 

Winternitz. 

Herr  v.  Voit  eröfihet  die  Sitzung  und  bittet  die  Berichte 
und  Protokolle  der  Kommissionen  zu  verlesen. 


ProiokoUt  der  Kartelheraammlung.  11 

Herr  y.  6roth  verliest  das  Protokoll  der  Kommission  für 
Herausgabe  einer  chemischen  Erystallographie. 

Herr  Ebert  gibt  von  dem  vereinbarten  Protokoll  Kenntnis. 
Der  Antrag  der  kartellierten  deutschen  Akademien  bezüglich 
der  luftelektrischen  Forschungen  soll  lauten: 

«Die  internationale  Association  der  Akademien  möge 
die  Erforschung  der  luftelektrischen  Erschei- 
nungen in  die  Zahl  der  von  ihr  verfolgten  Aufgaben 
aufnehmen  und  für  einen  Zeitraum  von  zweiJahren 
luftelektrische  Beobachtungen  an  einer  grösseren  Zahl 
von  Stationen,  die  in  angemessener  Weise  über  die  Erd- 
oberfläche verteilt  sind,  ausführen  lassen*. 

Die  Begründung  dieses  Antrages  und  ein  vorläufiges  Pro- 
gramm für  die  Ausführung  der  Beobachtungen  und  die  Ein- 
richtung von  luftelektrischen  Stationen  ist  in  der  angefügten 
Denkschrift^)  enthalten,  aus  der  die  wichtigsten  Punkte  ver- 
lesen werden. 

Herr  Kuhn  verliest  das  Protokoll  der  Mahäbhärata- 
Konmiission. 

Der  Antrag  der  luftelektrischen  Kommission,  ebenso  der 
Vorschlag  der  Mahäbhärata-Kommission  und  der  Antrag  der 
Kommission  für  chemische  Krystallographie  werden  ange- 
nommen. 

Hierauf  berichtete  Herr  v.  Dyck  über  den  Fortgang  der 
Encyklopädie  der  mathematischen  Wissenschaften. 

Der  augenblickliche  Stand  der  erfolgten  Publikationen 
stellt  sich  folgendermassen: 

Es  sind  im  Ganzen  18  Hefte  (darunter  6  im  verflossenen 
Jahre)  erschienen  in  der  folgenden  Reihe,  in  welcher  die  zuletzt 
erschienenen  Hefte  gesperrt  gedruckt  sind: 


^)  Diese  Denkschrift  zur  Begründung  des  Antrages  ist  in  den  Sitzungs- 
berichten der  mathematisch-physikalischen  Klasse  Jahrgang  1903  gedruckt. 


12 


PntokoUe  der  KeuiMvertammiiuiff. 


Band 


I:  Heft  1  erschienen  am     7.  November  189$. 


1f 

2 

,     26.  Januar  1899. 

9 

3 

,     15.  September  1899. 

9 

•t 

,     17.  Oktober  1899. 

9 

5 

,     29.  Mai  1900. 

9 

6 

,     30.  Mai  1901. 

9 

7 

,     11.  September  1902. 

Band  II,  1 : 

9 

1 

,     10.  August  1899. 

» 

2/3 

.     10.  April  1900. 

9 

■1 

,     31.  Juli  1900. 

Band  11,2: 

9 

1 

,     27.  Dezember  1901. 

Band  III,  2 

a 

1 

9.  März  1903. 

111,3; 

9 

1 

,     30.  Oktober  1902. 

Band  IV,  1 ; 

J» 

1 

13.  September  1901. 

* 

2 

,       8.  Juli  1902. 

Band  IV,  2; 

t 

• 

1 

,       6.  Juni  1901. 

n 

2 

,     23.  April  1903. 

Band   V,  1: 

» 

1 

,     23.  April  1903. 

Bezüglich  der  in  Vorbereitung  befindlichen  Hefte  ist  das 
nachfolgende  zu  bemerken: 

Das  Register  zu  Band  I  (Arithmetik  und  Algebra),  für 
dessen  sämtliche  Artikel  zunächst  Einzelregister  herzustellen 
sind,  ist  in  Vorbereitung. 

In  Band  11  (Analysis)  wird  der  Fortgang  des  Druckes 
augenblicklich  durch  eine  grössere  vorbereitende  Arbeit  verzögert. 

Von  Band  III  (Geometrie)  ist  das  Heft  2  der  3.  Abteilung 
nahezu  vollendet,  zwei  weitere  Hefte  der  1.  und  2.  Abteilung 
werden  im  kommenden  Winter  zur  Ausgabe  gelangen. 

In  Band  IV  (Mechanik)  ist  das  dritte  Heft  der  I.  Abteilung 
zur  demnächstigen  Veröffentlichung  bereit.  Im  übrigen  ist  der 
Fortgang  der  Arbeit  ein  stetiger,  nimmt  aber  allerdings  eine 
sehr  viel  grössere  Zeit  in  Anspruch,  als  man  zu  Anfang  in 
Aussicht  genommen  hatte.  Erschwerend  wirkt  besonders,  da>s 
Band  IV  vielfach  in  Nachbargebiete  der  Technik  eingreift,  deren 
mathematische  Behandlungsweise  noch   keine  endgültige  Form 


Protokolle  der  Kartellversammlung,  13 

angenommen  hat,  so  dass  eine  für  unsere  Encyklopädie  passende 
Berichterstattung  die  kritischen  Grundlagen  vielfach  erst  selbst 
schaffen  muss. 

Von  Band  V  (Physik)  wird  ein  weiteres  Heft  im  Herbste 
zur  Ausgabe  bereit  sein. 

Für  die  1.  Abteilung  (Geodäsie  und  Geophysik)  des 
Bandes  VI  sind  noch  mannigfache  Vorarbeiten  bis  zum  Er- 
scheinen eines  Heftes  zu  erledigen.  Auch  von  der  2.  Abteilung 
(Astronomie)  liegen  erst  einzelne  Artikel  in  erster  Fassung 
vor  und  werden  noch  Änderungen  in  der  Disposition  der 
einzelnen  Abschnitte  zu  treffen  sein. 

Die  Ausarbeitung  der  französischen  Ausgabe  ist  in 
stetigem  Fortschreiten  begriffen,  auch  die  nicht  ganz  leichte 
Titelfrage  dieser  Ausgabe,  sowie  die  Feststellung  der  Rechte 
der  deutschen  Herausgeber  und  Autoren  gegenüber  den  fran- 
zösischen Bearbeitern  hat  eine  befriedigende  Lösung  gefunden. 

Für  den  Herbst  ist  eine  Konferenz  der  Mitglieder  der  aka- 
demischen Kommission  mit  den  Redakteuren  und  dem  Vertreter 
der  Verlagsbuchhandlung  in  Göttingen  in  Aussicht  genommen, 
in  welcher  ganz  besonders  die  Frage  der  Gestaltung  der  Register, 
die  erforderliche  Neudisposition  des  Bandes  VI,  sowie  die  Frage 
der  Herausgabe  des  Bandes  VII  (historische,  philosophische  und 
didaktische  Fragen  behandelnd)  in  Beratung  gezogen  werden  soll. 

Herr  v.  Voit  schliesst  hierauf  die  Gesamtsitzung  und 
damit  die  Pfingstversammlung  des  Verbandes  der  deutschen 
wissenschaftlichen  Körperschaften.  Herr  Windisch  spricht 
den  Dank  der  auswärtigen  Delegierten  und  der  übrigen  Fach- 
gelehrten aus,  welche  an  den  Beratungen  teilgenommen  haben. 
Herr  v.  Voit  erwidert  den  Dank  im  Namen  der  Bayer.  Akademie. 


1* 


Yerzeichnls  der  elngelanfenen  Druckschrlfteii 

Januar  hw  Juni  1908. 


Dl«  TertthrUdiai  OteHtehaftwi  nad  Instüoto,  mit  wdohMi  summ  Akudcmto  In 
TanaehTe^ehr  steh^  werden  gebeten,  neehetehendee  Yenelehnli  mgleleh  nie  ImpAinge' 
beetttigimg  n  betnehten. 


Von  folgvnden  ChMellsohaften  und  Institateii: 

GeschicMsverein  in  Aachen: 
Zeitickrift   Bd.  XXIV.    1902.   8^ 

Historische  Oesellsehaft  des  Kantons  Äargau  in  Äarau: 
Taichenbach  fOr  dai  Jahr  1902.   Bf^. 

Boy  dl  Society  of  SotUh-Äustraiia  in  Adelaide: 

Memoin.   Vol.  IT,  pari  1.    1902.   iP. 
Transactioni.   Vol.  26,  part.  1.  2.    1902.   8<>. 

Observatory  in  Adelaide: 
Meteorological  Observations  made  1899.    1902.   fol. 

SOdslamsehe  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

Bad.  Vol.  160.  151.   1902.   8^. 
Zbornik.     Bd.  VII,  2.   1902.  e9. 
Starine.    Bd.  80.    1902.  80. 
Bje6nik.   Heft  22.   1902    40. 

IT.  hro<xt,'tiavonrdalmatinisches  Landesarehiv  in  Agram: 
Vjestnik.   Jahrg.  6,  No.  1—3,    1908.   4P. 

Meteoroiogisehes  Observatorium  in  Agram: 
Jahrbuch  ftr  das  Jahr  1901.    1902.   fol. 

Aüegheny  Observatory  in  AUegheny: 
Miicellaneons  scientific  Papers  No.  10.    1908.   8®. 

StcuU  Antwerpen: 
Paedologisch  Jaarboek.  Jaargang  8  en  4^«-    1902—08.   1908.   BP. 

Bedaktion  der  Zeitschrift  „Athena": 
Aihena.  Tom.  14,  fasc.  4;  Tom.  16,  faM.  1.   1902/03.   %\ 

1 


3^  VerMekhnis  der  eing^ufenen  Drueksekriften. 

Johng  HophinM  ünivertUy  in  BaIHwu>re: 

Stadies  in  historical  and  poliiical  acience.    Seriei  XX,  No.  2—12  ud 

Extra  Namber  1902.   8^. 
Celebntion  of  the  25^  Universary.   1902.   8*. 
Circulars.   Vol.  22,  No.  161.  162.   1908.   4^ 
American  Chemical  Journal  of  Maihematics.   Vol.  24,  No.  2—4;  Vol  lä, 

No.  1.   1902.   40. 
The  American  Jonmal  of  Philology.   Yol.  24,  No.  4;  Vol.  26,  No.  l-i 

1901-02.   8». 
American  ChemiealJonmal.  Vol.  27,  No.4— 6;  Vol.  28,  No.  1— 6;  V0I.2S, 

No.  1    2.    1902 03.   8®. 

BolletinoftheJofant  Hopkins  Hospifcal.  Vol.  14,  No.  142. 144-146.  1903.  4« 
The  Johnt  Hopkins  Hospital  Reports.   Vol.  10,  No.  8—9.    1902.  4^ 

Peapody  Institute  in  Baltimore: 
Second  Catalogne  of  the  Libraij.   Part  6.  6.    1901—02.   4*. 

Maryland  Geciogical  Survey  in  Baltimore: 

Maryland  Geological  Sorrey.   a)  Cecil  Goonty,   b)  Garret  Connty  (mit  je 
1  Atlas).   1902.  40. 

Naturforsehende  GeeeUachaft  in  Basel  i 
Verhandlungen.   Bd.  16,  1;  Bd.  16.    1903.   8<*. 

HistorisehraWtiquarisdke  GtseUsdkaft  in  Basel: 

Basler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertumskunde.    Bd.  II,  Heft  2. 
1908.   8<>. 

SocUtS  des  ecienees  in  Bastia: 

Bulletin.   21.  ann^e  1901,  22.  ann^e  1902,  Janviei>-Juillet.    8®. 
Bataviaasch  Oenootschap  van  Künsten  en  Wetensehappen  in  Bataria: 

Tijdscbrift.   Deel  46,  afl.  6.  6;  Deel  46,  afl.  1.   1902-03.  8®. 
Notulen.   Deel  40,  afl.  2.  3    1902.   80. 

Verhandelingen.   Deel  62,  stuk  8 ;  Deel  64,  stuk  2.   1908.   gr.  8^. 
Anno  1648—1644  and  Anno  1676.    1902.  49. 

Hisioriseher  Verein  in  Bayreuth: 
Archiv.   Bd.  21,  3;  Bd.  22,  1.    1901—02.   99. 

K,  Serbische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Belgrad: 
Atlas  der  Seen  Macedoniens.    1902.   fol. 

Museum  in  Bergen  (Norwegen): 

G.  0.  Sars,  An  Account  on  the  Crustacea  of  Norway.   Vol.  4,  part  11- li 

1902-03.   40. 
Aarbog  fOr  1902.   Eed  8.   1908.   8®. 
Aarsberetning  for  1902.    1908.   8^. 

ünicersity  of  California  in  Berkeley: 
Publikations  of  the  year  1902. 

K.  preu88.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

Abhandlungen  aus  dem  Jahre  1902.   49, 
Sitzungsberichte.    1902,  No.  41— 53;  1903,  No.  1—24.   gr.  8®. 
Corpus  inscriptionum  latinorum.   Vol.  VI,  pars  4,  fasc.  2.    1902.   4^. 
Politische  Korrespondenz  Friedrichs  des  Grossen.   Bd.  28.    1903.  8^. 


VerMekhnis  der  eingelaufenen  Dmcheehrifün.  3* 

K,  geollog,  Landeeamtalt  und  Bergakademie  in  Berlin: 
Abhandlungen.   Nene  Folge,  Heft  24  und  87  mit  Atlu.   1902.  8^  (resp.  foL). 

Zenträlbureau  der  intematumaien  JSrdmessung  in  Berlin: 

Resultate  des  internationalen  Breitendienetea.   Bd.  1.   1903.  4^ 
Veröffentlichungen.   N.  F.,  No.  7.   1909.   49. 

Deutsehe  chemische  GeseÜsehaft  in  Berlin: 

Berichte.   89.  Jahrg.,  No.  1 — 9  und  Mitgliederverzeichnis  vom  1.  Januar 
1908.    1908.   ^. 

Deutsche  gedogische  Gesellschaft  in  Berlin: 
ZeiUchrift   Bd.  64,  Heft  8  und  4.    1902.   8^. 

Medieinisehe  Qesdlsehaft  in  Berlin: 
Verhandlungen.  Bd.  88.   1908.  8^. 

Deutsehe  Physikalisehe  GeseÜsehaft  in  Berlin: 

Namenregieter  zu  den  Fortschritten  der  Physik.    Bd.  44—68.    Braun- 

Bchweig  1908.   8^. 
Verhandlungen.  Jahrg.  6,  No.  2— 11.   Bräunschweig  1908.  8^. 

Physiologische  GeseÜsehaft  in  Berlin: 

Zentralblatt  fllr  Physiologie.  Bd.  16,  No.  21— 26;  Bd.  17,  No.  1-6.  1902.  ^. 
Verhandlungen.   Jahrg.  1902—08,  No.  8—9.   1908.  8^. 

Kaiserlich  deutsches  archädogisches  Institut  in  Berlin: 
Jahrbuch.   Bd.  17,  4;  18,  1.   1908.   4^. 

K,  preuss,  geodätisches  Institut  in  Berlin: 
Veröffentlichung.   N.  F.,  No.  11.  12.   1908.   49, 

K.  preuss.  meteorohgisehes  Institut  in  Berlin: 

Regenkarte  der  Provinz  Westfalen.    1908.   8®. 

Ergebnisse  der  meteorolog.  Beobachtungen  in  Potsdam  im  Jahre  1900. 
1902.   40. 

Verein  zur  Beförderung  des  Gartenbaues  in  den  preuss.  Staaten 

in  Berlin: 

Oartenflora.   Jahrg.  1908,  Heft  1*-12  und  Register  zu  Band  41—60.   8^. 

Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  in  Berlin: 

Forschungen  zur  Brandenburgischen  und  Preussisohen  Geschichte.  Bd.  16, 1. 
Leipzig  1903.  S^. 

Zeitschrift  für  Instrumentenkunde  in  Berlin: 
Zeitschrift.   28.  Jahrg.,  1908,  Heft  1-6.   40. 

Schweizerische  naturforsehende  GeseÜsehaft  in  Bern: 

Verhandlungen  in  der  Versammlung  zu  Zofingen  1901  und  Genf  1902. 
1902.   8^. 

Historischer  Verein  in  Bern: 

Archiv.   Bd.  16,  3.    1902.   80. 

SoeiSte  d'^mülation  du  Doubs  in  BesanQon: 
M^moires.   VII«  S^rie.   Vol.  6.  1901.    1902.   8« 

1* 


4*  VerseidimB  dtr  eingelaufenen  Druekeduriften, 


B.  Äceademia  ddle  Seiense  delVIeHluto  du  Bohgna: 

Memorie.  Serie  6,  VoL  8.   1899—1900.  49. 
Renticonto.   N.  8er.,  Vol.  4,   1899—1900.    1900.   B^. 

B.  DeptUajrione  di  etoria  patria  per  le  Provinde  di  Bamagna 

in  Bologna: 

Atti   e  Memorie.     Serie  III,   Vol.  20,   fasc.  4—6;  Vol.  21,  fiuc.  1-1 
1902—03.   8«. 

Niederrheimache  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heükunde  in  Bom: 
SitznoflTsberichte  1902.   2.  Hftlfte.    1908.   8^. 

Naturhistorischer  Verein  der  preussischen  Bheinlande  in  Bonn: 
Verhandlungen.   59.  Jahrg.  1902,  2.  Hftlfte.    1908.  BP. 

SoeiUi  de  ghographie  commercicile  in  Bordeaux: 
Bnlletin.   29«  annäe  1908,  No.  1—11.  16.  8^. 

American  Äcademy  of  Arte  and  Sciences  in  Boston: 
Proeeeding«.   Vol.  38,  No.  1—19.   1902—03.  8«. 

American  PhHölogiccd  Association  in  Boston: 
Transactions  and  Proceedings.   Vol.  38.    1902.   Q^. 

Naturtcissenschaftlicher  Verein  in  Bremen: 
Abhandlungen.  Bd.  17,  2.   1903.  8^. 

Sternwarte  in  Breslau: 
Mitteilangen.   Bd.  2.   1903.   4P. 

Institute  of  Arts  and  Sciences  in  Brooklyn: 
Science  Bulletin.   Vol.  1,  No.  3.   New-Tork  1902.   8^ 

Deutscher  Verein  für  die  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens 

in  Brunn: 

Zeitschrift.   Jahrg.  7,  1.  2.    1903.   8®. 

Naturforsehender  Verein  in  Brunn: 

Verhandlungen.   Bd.  40.  1901.   1902.  8^. 

20.  Bericht  der  meteorolog.  Kommission.   1902.   8^. 

Acadimie  Boyaie  de  nUdeeine  in  Brüssel: 

Bulletin.   IV.  S^rie,  Tome  16,  No.  10.  11;  Tome  17,  No.  1—4;  Tome  18, 
No.  1.  2.    1902—03.   8«. 

Acadimie  Boyäle  des  sciences  in  Brüssel: 

M^moires   couronnäs  in  4^.   Tome  69,  fasc.  4;   Tome  60,  62,  fasc  1.  2. 

1902—03. 
M^moires  couronn^  in  &^.  Tome  62,  fasc.  4;  Tome  63,  fase.  1—3.  1903.  8^. 
Biographie  nationale.    Tome  17,  fasc.  1.    1902.   8®. 
Annuaire  1903.   69«  ann^e.   8<^. 

Bulletin,    a)  Classe  des  lettres  1902.  No.  9—12;  1903,  No.  1-4.  8*. 
b)  Classe  des  sciences  1902,  No.  9— 12;  1903,  No.  1—4.  BP. 
Chartes  de  TAbbaye  de  Saint-Hubert  en  Ardenne  publ.  par  G.  Kortb. 

Tomel.    1903.   4P. 


Verseickms  der  eingelaufenen  Druckadiriften.  b* 

SoeUte  des  Bdlandietes  in  Brüead: 
Analecta  BoUandiana.   Tom.  22,  fasc.  1.  2.   1903.  8^. 

SocUtS  entamologique  de  Belgique  in  Brüssel: 

Anales.   Tom.  46.   1902.  80. 
Mämoires.  Tom.  IX.   1902.  8<^. 

SociHi  beige  de  giologie  in  Brüssel: 

NoaTeaox  M^moires.  Sdrie  in  4®,  faac,  I.   1903. 

Bulletin.   Tom.  XIII,  4;   XVI,  4.  5;   XVII,  1.  2.   1903.   8». 

SociHi  Boy  (de  malacologique  de  Belgique  in  Brüssel: 
Annales.  Tom.  36;   annöe  1901.  1902.  8^. 

K,  Ungar,  geologische  Anstalt  in  Budapest: 

Földiani  EözlGny   Bd.  32,  Heft  10-12;  Bd.  33,  Heft  1—4.  1902—08.  8<^. 
Jahresbericht  für  1900.    1902.   8<>. 

5.  Nachtrag  z.  Katalog  der  Bibliothek  der  ungar.  geolog.  Landesanstalt. 
1908.   4». 

Museo  nadoncd  in  Buenos  Aires: 

Anales.   Tom.  VII.  VIII.    1902.   4». 

Botanischer  Oarten  in  Buitenzoorg  (Java): 
Mededeelingen.   No.  59,  60,  62,  63.    1902-08.   4». 

Botanisches  Institut  in  Bukarest: 
Balletin  de  FHerbier.  No.  2  (Janrier-Ayril).   1902.   8^. 

Socüti  Linnienne  de  Normandie  in  Caen: 
Balletin.    5«  Särie.   Vol.  5.  Ann^  1901.   1902.  S^. 

Institut  igyptien  in  Cairo, 

Balletin.    IV*  S^rie.    Tom.  2,  fasc.  1—8;   Tom.  3,  fksc.  1—4.   1901  bis 
1902.  80. 

Metearciogicai  Department  of  the  Government  of  India  in  Calcutta: 

Monthly  Weather  Review.   July— December  1902.    1902—03.   foL 
Instractions    to    obiervers   of   the    Indian   Meteorological    Department. 

By.  I.  Eliot.   1902,  8«. 
Rainfall  Da  ta  of  India.  XI.  year  1901.   1902.  fol. 

Geological  Survey  of  India  in  Calcutta: 

General-Report  1900—01.  8®. 

Memoirs.    Vol.  XXXII,  3;  XXXIV,  2;  XXXV,  1.   1902.  8®. 

Paläontologia  Indica.  N.  S.  Vol.  U,  1.    1902.   fol. 

Asiatic  Society  of  Bengoi  in  Calcutta: 

Bibliotheea  Indica.   New  Ser.   No.  983,  1016—1086.    1901—08.  8^^. 
Joamal.   No.  400.  401.  403—405.    1902.   8^. 
Proceedings.    1902.   No.  VI— X;   8^. 

Museum  of  comparative  Zoology  at  Harvard  College  in  Cambridge^  Mass, : 

Balletin.   Vol.  38,  No.  8;  Vol.  40,  No.  4—6;  Vol.  42,  No.  1.   1908.  80. 
Memoirs.   Vol.  26,  No.  4;   Vol.  28  Text  und  3  Bände  Atlas.   1908.   4». 


der  eingelaufenen  Drudtedmfien. 

AstnmomieiA  Obiervaiorf  of  Harvard  CoUege  in  Cambridge,  Mau.: 

67^  annual  Report  Sept  80.  1902.    1902.   6^. 
Annali.   Vol.  44,  pari  2;  Vol.  48,  pari  2. 

A  Plan  for  the  EBdoooment  of  Aatronomieal  Reteareli  hj  £dw.  C.  Picb> 
ring.    1908.   80. 

Phih$ophical  Society  in  Cawibridge: 

Proceedingt.   Yol.  XI,  7;  XII,  1.  2.    1902.   8». 

Äecademia  Qioenia  di  »denae  natwraii  in  Catania: 

Atii.   Serie  lY.  Vol.  16.    1902.   4*. 

Bollettino  mensile.   Naoya  Ser.,  faac.  74—76.   1902—08.    8^. 

K.  tedknieehe  Hoehsehule  in  Ghorlottenburg. 

Kämmerer.   Ist  die  Unfreiheit  nnserer  Knltor  eine  Folge  der  Ingenieur- 
knntt?   Berlin  1908.   4P. 

Sodtti  des  seieneee  naturelles  in  CKerbourg: 
Mämoiret.   Tom.  88,  fatc.  1.   Parii  1902.   gr.  BP. 

John  Crerar  Library  in  Chicago: 
8*^  annnal  Report  for  the  year  1902.    1908.   8^. 

Field  Cdumhian  Museum  in  Chicago: 
Pnblications.   No.  66-68   1902.   8^. 

Yerkes  Observatory  of  the  üniversUy  of  Chicago: 
Bulletin.   No.  18.  19.   1908.   8^. 

Zeitschrift  ^Ästrophysicäl  Journal^  in  Chicago: 
Vol.  XVII,  No.  1-6.    1908.   gr.  8^. 

Norsk  Folkemuseum  in  Christiania: 
VIII.  Aaraberetning   1902.    1908.   8». 

üniversity  of  Missouri  in  CduwUßus: 
Studies.   Vol.  I,  No.  1—6;  Vol.  II,  No.  1.    1902-08.   8^. 

Äcademia  nadonail  de  eiendas  in  Cordoba  (Bepublic  Argentinien): 
Boletin.   Tom.  XVII,  2.   Baenoa  Aires  1902.   8^. 

Naturforsehende  Oesellsdhaft  in  Danng: 

Schriften.   Neue  Folgen.  Bd.  X,  Heft  4.    1902.  8^. 

Westpreussischer  Geschiehtsverein  in  Danaig: 

Zeitecbrift.    Heft  46.    1908.   gr.  Bfi, 
Mitteilangen.   Jahrg.  2.    No.  1.  2.    1908.   8^. 

Kaiserl.  Gouvernement  von  Deutseh^Ostafrica  in  Dar-es-Salam: 

Berichte  über  Land-  nnd  Forstwirtichafk  in  Dentsch-Ostafrika.    Bd.  1, 
Heft  8-6.   Heidelberg  1908.  8». 

Historischer  Verein  für  das  Grosshereogtum  Hessen  in  Darmstadt: 

Archiv   fdr  Hessische   Geschichte.    Nene  Folge.    Bd.  8,  Heft  2  nnd  Er 

gftnsnngsband  1,  Heft  8.    1902.   8^. 
Quartbl&tter  1902.   4  Hefte.   8^. 


Verzeiehnia  der  eingdaufenen  Drueksehrißen.  7* 

Colorado  Seientifiß  Society  in  Denver,  Colorado: 
ProceedingB.   Vol.  7.   p.  66—84.   1902—08.   8<>. 

Verein  für  Änhältische  Geschichte  in  Dessau: 
Mitteilungen.   Bd.  IX,  6.   1902.   S®. 

Historischer  Verein  in  Dülingen: 
Jahrbach.    16.  Jahrg.    1902.   8^ 

Acadimie  des  Sciences  in  Dijon: 
IVS^rie.   Tom.  8.    1901—02.   8°. 

Union  giographique  du  Nord  de  la  France  in  Douai: 
Bulletin.    Vol.  24,  trimestre  8.    1902.  6^. 

Boyal  Iriah  Academy  in  Dublin: 
TransacÜons.    Vol.  82,  Section  B,  part  2.   1908.   4P, 

Boyal  Society  in  Dublin: 

The  economic  ProceedingB.   Vol.  I»  part  8.    1902.   8®. 

The  scientific  Proceedin^s.    N.  S.,  Vol.  IX,  part  6.    1908.   8^ 

Transactiona.   Vol.  Vll,  No,  14—16;  Vol.  VIII.  No.  1.    1902.   4^. 

Boyäl  College  of  Physicians  in  Edinburgh: 
Reports  from  the  Lahoratory.   Vol.  8.    1908.  S^. 

Boyai  Society  in  Edinburgh: 

ProceedingB.   Vol.  24,  No.  4.   1908.   8^. 

Transactions.   Vol.  40,  part  1.  2;  Vol.  41.    1901—02.   4«. 

Scottish  Microscopical  Society  in  Edinburgh: 
ProceedingB.   Vol.  8,  No.  8.    1902.  8^. 

Karl  Friedrichs'Gymncisium  tu  Eisenach: 
Jahresbericht  ftir  das  Jahr  1902/08.    1908.   4<>. 

Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vaterländische  Altertümer  in  Emden: 
Jahrbuch.   Bd.  14,  Heft  1.  2.    1902.   80. 

K,  Akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften  in  Erfurt: 
Jahrbücher.   N.  F.,  Heft  29.    1908.   8^. 

Beäle  Accademia  dei  Oeorgoßi  in  Florenz: 

Atü.  IV.  Serie,  Vol.  26,  disp.  8. 4  u.  Suppl.  Vol.  26,  disp.  1.  2.  1902-08.  8<». 

Senehenbergische  naturforschende  Gesellschaft  in  Frankfurt  a/M, : 

Die  Periodischen  Schriften  der  Senckenberg'schen  Bibliothek.   1908.   4^. 
Abhandlungen.   Bd.  20,  Heft  4;  Bd.  25,  Heft  4.    1908.   4^. 

Physikalische  Gesellschaft  in  Frankfurt  alM,: 
Jahresbericht  für  1901—1902.    1908.   8^. 

Breisgau-  Yerein  Schau-ins-Land  in  Freibu/rg  t.  Br,: 
Schau-ins-Land..   29.  Jahrg.  1902.   I.  Halbband.   fol. 

Kirehengesckiehüicher  Verein  in  Freiburg  i.  Br.: 
Freiburger  DiOzesan- Archiv.   N.  F.,  Bd.  8.   1902.  BP. 


8*  VerMeiekmi  der  emgeUtufenen  Drweksehnften, 

Obtervaiaire  in  Genf: 

Retom^  mtft^rologiqoe  de  rann^  1901.    1902.  8*. 
Obeerrationt  mät^rologiqaes  faitei  aax  foiiificatioiu  de  Saint  Mauke 
pendant  Tannäe  1901.    1909.  8*. 

SoeUU  ^hMtoire  et  tParchMogie  in  Genfs 

M^moires  et  Docomeots.   N.  8^.,  Tom.  YIII,  livr.  1.    1902.   8®. 
Bnlletm.   Tome  II,  livr.  6.  7.    1902.  89. 

SocOU  de  pfufstque  et  d^hieUrire  naturale  in  Genf: 
Mdmoim.   Vol.  84,  fiwc.  8.    1908.  4P. 

ObeHo/utUsieehe  GeseUeduift  der  Wisaemduiften  tn  GMOi: 

Neues  Lanaitsischet  Magaiin.  Bd.  78.   1902.   8*. 

Codex  diplomatiouB  Latatiae  raperiorie.   Bd.  2,  Heft  8.    1902.   8^. 

E.  GesdUthaft  der  Wieeemd^aften  m  G^iUi$%gen: 

Göttingische  gelehrte  Anieigen.   166.  Jahrg.  1908,  No.  1—8.   Berlin  19(B 

gr.  8«. 
Abhandlangen.   N.  F. 

Math.-ph78ikal.  Klasse.   N.  F.,  Bd.  2,  No.  1.  Berlin  1903.  4«. 
Nachrichten,   a)  PhUoL-hist.  Klasse.   1902,  Heft  5;  1908,  Heft  1—3.  gr.  8*. 

b)  Math.-ph78.  Klasse.   1902,  Heft  6;  1908,  Heft  1—3.  gr.8«. 

c)  Geschäftliche  Mitteilongen.   1902,  Heft  2.    1902.  gr.  8*. 

Scientific  Laboratoriee  of  Denekm  ümveraüy  in  GranmUe,  Ohio: 
Balletin.  Vol.  12,  1—4.   1902.  8<>. 

ünivereität  in  Grai: 
Verzeichnis  der  akademischen  Behörden  etc.  1902/08.    1908.   4P. 


Rilgisch'Pommeredier  Geechiehteverein  in  Greifewaid: 
Pommerische  Jahrbfloher.   Bd.  4.    1908.   8^. 

NcUurwiseenschafUid^er  Verein  fikr  NeurVarpommem  in  Greif swM: 
Mitteilungen.   84.  Jahrg.  1902.   Berlin  1908.  8«. 

Kgl.  Sachs.  Fürsten-  und  Landesschüle  in  Grimma: 
Jahresbericht  Ton  1902-08.   1908.   4P. 

Universität  Graningen: 
Middendorp,  Ätiologie  de  la  Tnberculose.   Paris  1902.  BP. 

K.  Instituut  voor  de  Taal-^  Land-  en  VMenkunde  van  Nederiandsdk  Inäu 

im  Haag: 

Bvjdragen.   VII.  Beeks,  Deel  I,  aflcT.  1—8.   1908.  8^. 

Teyler's  Genootschap  in  Haarlem: 
Archives  du  Mos^e  Tejler.   S^r.  II,  Vol.  8,  partie  2.    1902.   4<*. 

SoeUU  Hoüandaise  des  Sciences  in  Haarlem: 

Archives  N^erlandaises  des  sdences  exactes.   84irie  ü,  Tom.  8,  ütt.  1. 3. 
1908.  BP. 

Nova  Sootian  Institute  of  Science  in  Halifax: 
The  Proceedings  and  Transactions.   Vol.  X,  8.  4.    1901—08.  BP. 


VerMekhms  der  eingelaufenen  Druekethriften,  9* 

Kadseri,  Leopoildinieef^Carolinisehe  Deutsche  Akadem^  der  Naturforaeher 

in  HdUe: 

Leopoldina.   Heft  88,  No.  12;  Heft  81,  No.  1—6.   1902—08.  49. 

DeuUehe  morgenUindische  QeeeUsehaft  in  Hcdle: 

Zeitschrift.   Bd.  66,  Heft  4;  Bd.  67,  Heft  1  a.  2.   Leipsig  1902-08.   8^. 
Abhandlongen  für  die  Kunde  des  Morgenlande«.   Band  12,  1.    Leipzig 
1903.   8*. 

NcUurwiesenschaftlicher  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle: 
Zeitschrift  für  Naturwiaienachaften.  Bd.  76,  Heft  1—3.  Stattgart  1908.  8^. 

MathenMtische  GeselUehaft  in  Hamburg: 
Mitteilungen.   Bd.  4,  Heft  8.    Leipzig  1908.  8<». 

Deuteehe  Seewarte  in  Hamburg: 
Ans  dem  Archiv  der  deutschen  Seewarte.  26.  Jahrg.  1902.   4fi. 

Verein  für  Hamburgiache  Geschichte  in  Hamburg: 
Mitteilnngen.   22.  Jahrg.  1902.   1908.  S®. 

Naturtoissenschaßlicher  Verein  in  Hamburg: 
Verhandlungen.   Dritte  Folge.   X.   1903.   8<>. 

Wetterauische  Gesellschaft  für  die  gesamte  Naturkunde  in  Hanau: 
I.  Nachtrag  zum  Katalog  der  Bibliothek.   1902.   8®. 

Geschichtsverein  in  Hanau: 

Festschrift   zum  600  jährigen  Jubiläum   der   Erhebung  Alt-Hanaus   zur 
Stadt.   1908.  8». 

Historischer  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.  Jahrg.  1902,  Heft  8  u.  4;  1903,  Heft  1.   80. 

Badische  historische  Kommission  in  Heidelberg: 
Zeitschrift  fttr  die  Geschichte  des  Oberrheins.   N.  F.,  Bd.  18,  1.   1908.   8^. 

Ästroph^sikalisches  Observatorium  in  Königstühl  bei  Heidelberg: 
Publikationen.   Bd.  L   Karlsruhe  1902.   4^ 

Universität  Heidelberg: 

H.  Buhl,  Zur  Geschichte  der  Universität   Heidelberg  unter  Grossherzog 

Friedrich.   Festrede.   1902.   49. 
H.  Buhl,  Römisches  Recht  und  Bürgerliches  Gesetzbuch.    Akad.  Rede. 

1902.   4«. 

Historisch-philosophischer  Verein  in  Heidelberg: 
Neue  Heidelberger  Jahrbficher.  Jahrg.  12,  Heft  1.   1908.  6*. 

Geschäftsführender  Äusschuss  der  Beichslimeskommission  in  Heidelberg: 

Limesblatt  No.  36.   Trier  1903.   89. 

Der  Obergermanisch-Raetische  Limes  des  Römerreiches.     Liefg.  XVIII. 
1908.   49. 

Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde  in  Hermannstadt: 
Archiv.   N.  F.,  Bd.  80,  3;  Bd.  81,  1.    1902—08.   89. 


10*  Veneichms  der  eingOaufenen  DruekeOiriften. 


Laade$kansU*arium  der  evang.  Landeekinhe  etc  m  Hermanntiadt: 

Qaellen  sar  Geiehichte  der  Stadt  Kronitadt.  Bd.  1  and  2.  Kronstadt 
1886—89.  80. 

Verein  für  SachsenrMeiningiBehe  OeachiekU  in  ESldburghausen: 
Schriften.  48.  a.  44.  Heft.   1908.  8<». 

VaigÜändiedter  Mtertumsforadkender  Verein  in  BdhefdoMbenz 
72.  und  78.  Jahresbericht.    1908.   8^. 

Journal  of  Phyeicai  Chemietry  in  Ithaea,  N.T.: 
The  Journal.   Vol.  7,  No.  1—4.    1903.  gr.  8*. 

American  Chemical  Society  in  Ithaea: 
The  Journal.    Vol.  26,  No.  1—6.   1908.   8«. 

ünivenUi  de  Jasey: 
Annales  seientifiques.   Tom.  II,  fitse.  2.   1903.   8^. 

Medieiniefh'naiturwieBenedMftiHthe  Qeeeüechafl  in  Jena: 

Zoologische   Forschungsreisen   in  Australien   yon   Rieh.  Semon.     Bd.  6, 

Liefg.  6.   Text  und  Atlas.   1908.   fol. 
Nenrobiologische  Arbeiten   von  Oskar  Vogt.   II.  Serie,  Bd.  I,    Liefg.  1. 

1908.  fol. 
Jenaische   Zeitschrift  fBr  Naturwissenschaft.   Bd.  87  {=^  N.  F.,   Bd.  30), 

Heft  2— 4.    1902—03.   8^. 

Verein  für  Thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde  in  Jena: 
Zeitschrift.   N.  F.,  Bd.  18,  Heft  1.  2.   1902-08.   8<». 

Naturforschende  Gesellschaft  bei  der  UnioersUät  Jurjew  (Dcrpai): 

Archiv  fttr  Naturkunde.  II.  Serie,  B^.  XII,  2.   1902.  8^^. 
Sitsungsberichte.   Bd.  XIII,  1.   1902.   8^. 

Schriften  aus  dem  Jahre  1901/02  in  4^  u.  8^^. 

Badische  Historisehe  Kommission  in  Karlsruhe: 

Siegel  der  Badischen  Städte.   Heft  2.   Heidelberg  1903.   S^. 

Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins.  N.  F.,  Bd.  18,  2.  Heidel- 
berg 1903.   80. 

Topographisches  Wörterbuch  des  Grossherz.  Baden.  1.  Bd.,  1.  Halbband. 
Heidelberg  1908.   8^. 

SocUti  physieo-mathimatique  in  Kasan: 
Bulletin.  II«  S^rie,  Tome  XU,  8.    1902.  8^. 

Universität  K<uan: 
ütschenia  Sapiski.   Bd.  69,  No.  12;  Bd.  70,  No.  1—4.   1902—08.   8<>. 

Verein  für  hessische  Geschichte  und  Jjandeskunde  in  Kasset: 

Zeitschrift.   N.  F.,  Bd.  26.   1903.   8^. 
Mitteilungen.   Jahrg.  1901.    1903.   B^. 

SocUti  des  sciences  physico^chimique  d  VüniversiU  de  Kharhov: 
Travaux.   Tom.  25,  Supplements,  fasc.  8— 11.    1901.   8®. 

üniversUi  ImpSridle  in  Kharkow: 
Annales  1908.   Heft  1.   8®. 


Verzeushims  der  eingelaufenen  Druekeehriften,  11* 

ünhemtä^  in  Kiew: 
laweetija.   Bd.  42  (1902),  No.  11.  12;  Bd.  48  (1903),  No.  1-4.  8^^. 

Naturkistorisehea  Landeemueeum  in  Elagenfuri: 
Carinthia  II.    1908.   No.  1.2.   8^. 

Mathemat.-naturwieaenaehafll,  FaJcuität  der  ünivereiUU  Klausenburg: 
Joannis  Bolyai  in  Memoriam.    1902.  4®. 

Medig.'uaturtoissensehaftl.  Sektion  des  Muaeumevereins  in  Klausenburg: 
Sitzungsberichte.   8  Hefte.    1903.  8^. 

K,  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 
Ovenigt.    1902,  No.  6;  1903,  No.  1.    1908.   ^. 

Akctdemie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

Anseiger.   Philolog.  Klane  1902,  No.  8—10;  1908,  No.  1—4. 

Mathem.-naturwis8.  Klasse  1902,  No.  8—10;  1908,  No.  1—4.   8°. 
Rozprawy  filolog.   Ser.  II,  Tom.  XX,  1.    1902.   8^. 
Rocznik.   Rok  1901/02.    1902.   ^. 

Sprawozdanie  komisyi  flzyografiezny.   Tom.  86.   1902.   8^. 
Katalog  literatury.   Bd.  II,  Heft  8.   1903.   8^. 

Archiv  der  Stadt  Kronstadt: 
Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Brasso.  Band  IV.   Brasso  1908.   gr.  8^. 

Sociiti  Vaudoise  des  sdences  naturelles  in  Lausanne: 
Balletin.   4«  S^rie,  Vol.  88,  No.  146  (1902);  Vol.  39,  No.  146  (1908).   8<^. 

Kansas  University  in  Lawrence,  Kansas: 
Bulletin.   Yol.  8,  No.  6.    1901.  6^. 

Sternwarte  in  Leiden: 
Yerslag.   Sept.  1900  —  Sept.  1902.   1902.   8P. 

K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

Berichte  der  philol.-hist.  Klasse.    Bd.  20,   No.  6;   Bd.  21,   No.  4;  Bd.  20, 

No.  1.    1902-08.   4<». 
Abbandlongen  der  math.-phys.  Klasse.    Bd.  28,  No.  1—3.   1902—08.   4<>. 
Berichte  der  philol.-histor.  Klasse.   Bd.  65,  Heft  1—3.    1908.   8®. 
Berichte  der  math.-physik.  Klasse.   Bd.  64,  Heft  6.  7;  Bd.  56,  Heft  1.  2. 

1900—08.   8P. 

Fü/rstlich  Jäblonowski'sche  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Jahresbericht.   M&rz  1908.  8^^. 

Journal  für  praktische  Chemie  in  Leipzig: 
Journal.   N.  F.,  Bd,  66,  Heft  11.  12;  Bd.  67,  Heft  1—10.    1902-08.   8^. 
K.  Sächsische  Kommission  für  Geschichte  in  Leipzig: 

Die  Dresdener  Bilderbandschrift  des  Sachsenspiegels  yon  Karl  y.  Amira. 
(Facsimile-Band),  II.  Hälfte,   gr.  fol. 

Cuerpo  de  Ingenieros  de  Mixas  dei  Peru  in  Lima: 

Boletin  No.  1.   1902.  8^. 

Soeiedade  de  geographia  in  Lissabon: 

Boletim.   21.  Serie,  1903,  No.  1-8.   8^. 


12*  Verzeidmis  der  eingelaufenen  Druekeahrißen. 

Literary  and  phüoaophieai  Society  in  Liverpool: 
Proceedingri.   91.  Session,  1901—02,  No.  66.   London  1902.  8^. 

ünivereiti  Catholique  in  Loewen: 
Schriften  der  Universität  aas  dem  Jahre  1902 — 08. 

Zeitschrift  „La  CelltUe^  in  Loevotn: 
La  Cellule.   Tome  XIX,  2;  XX,  1.    1902.   i». 

The  English  HistoriccU  Beview  in  London: 
Historical  Review.   Vol.  XVIII,  No.  69.  70.   1903.   8*. 

Boyäl  Society  in  London: 

Year-Book  1908.   df^. 

Proceedings.  Vol.  71,  No.  470—476.    1908.   S». 

The  Sob-Mechanics  of  the  üniverse   bj  Osbome  Reynolds.    Cambrid^ 
1908.   gr-  80. 

22.  Ästronomical  Society  in  London: 
Monthly  Notices.   VoL  68,  No.  1—7.    1902—03.   8«. 

Chemical  Society  in  London: 

JoomaL   No.  488—487  und  Supplementary  Namber  1903.  S^'. 
Proceedings.   VoL  18,  No.  258-268.   1908.  S». 

Oeölogical  Society  in  London: 
The  quarterly  Journal   Vol.  68,  part  1—4.   1902.  &^. 

Linnean  Society  in  London: 

The  Journal,    a)  BoUny.   Vol.  36,  No.  249.  260.    b)  Zoology.   Vol  28, 

No.  186.    1903.   8«. 
The  Transactions.    a)  Zoology.   Vol.  8,  part  9.  10.    b)  Botany.  Vol.  6, 

part  4.  5.    1902.   4^ 
List  of  the  Linnean  Society  1902-08.  8^*. 

Mediccd  and  chiruryicäl  Society  in  London: 
Medico-chimrgical  Transactions.   Vol.  85.    1902.  8^. 

E.  Microscopicäl  Society  in  London: 
Journal  1908,  part  1—8.  S^, 

Zoological  Society  in  London: 

Proceedings.   1902,  Vol.  II,  part  2.    1908.   8<>. 
Transactions.   Vol.  XVI,  part  5.    1902.   4^. 
Catalogue  of  the  Library,   b^  edit.    1902.   Bf^. 

Zeitschrift  „Nature'^  in  London: 
Nature.   No.  1731— 1767.   1908.   4». 

üniversiti  in  Lyon: 
Annales.   I.  fasc.  10;  IL  fasc.  9.  10.    1902.  99. 

Washbum  Observatory  in  Madison: 
Publicationa.   Vol.  XL   1902.   4«. 

Chvemment  Museum  in  Madras: 
Bulletin.   Vol.  IV,  No.  8.    1903.  8^. 


Versekhnü  der  eingelaufenen  Druekeduriften.  13* 

Kodcnkdndl  and  Madras  Oheervatories  in  Madras: 
Annnal  Beport  for  1902.   1908.  foL 

22.  Äeademia  de  la  hieUiria  in  Madrid: 
Boletin.  Tom.  42,  onad.  1—6.   1908.  gr.  &^, 

R,  letHiUo  Lombarde  di  eciense  in  Mailand: 

Rendioonii.   Ser.  II,  Vol.  85  und  Vol.  86,  fiuc  1—8.   1908.  8^^. 
Memorie.   Classe  di  «cienze  storiche.     Vol.  21,  &8C.  4.    1908.   49. 
Indice  generale  dei  lavori  dal  1889  al  1900.   1902.   8^. 

Sodetä  Itaiiana  di  eciense  naturali  in  Maüand: 
Ati.    Vol.  41,  fasc.  4;  Vol.  42,  fasc.  1.    1908.   8<>. 

Societä  Siorica  Lombarda  in  Maüand: 

Archiyio  Storico  Lombardo.    Serie  III,  Anno  XXIX,  fasc.  86,  1902;  XXX, 
&8C.  87.    1903.  80. 

Literary  and  phHoeophicäl  Society  in  Manchester: 
Memoin  and  Proceedings.   Vol.  47,  pari  2—4.    1903.   8^. 

Ältertumsverein  in  Mannheim: 

Fonchnngen  ZOT  Oeachichte Mannheims.  Bd.I— m.  Leipzig  1898 — 1900.  8^. 
Mannheimer  GeaohichUbl&tter.  Jahrg.  I.  U.  III.  1900— 02u.IVNo.  1.  2.  49. 
Kloster  Limburg  an  der  Haardt  yon  W.  Manchot.   1892.   4^. 
Die   Siegeleammlung   des  Mannheimer  Altertumavereins   von  Friedrich 

Walter.   1897.  fol. 
Römische  Denksteine  und  Inschriften  Ton  Karl  Baumann.   1890.   4^. 
Studien  zur  Geschichte  der  bildenden  Künste  in  Mannheim  von  L.  Malhy. 

1894.  40. 
Frankenthaler  Gruppen  und  Figuren  von  Emil  Heuser.   Speier  1899.  8®. 
Frankenthaler  Porzellan  von  Emil  Heuser.    1899.  8®. 
Katalog  der  Bibliothek  von  Wilh.  Caspari.   1894.   S<^. 
Verzeichnis  der  Pfälzischen  und  Badischen  Münzen  und  Medaillen   von 

Seubert.    1900.   8^. 
Bericht  über  das  Vereinsarchiv  von  Paul  Die£fenbacher.    1898.   8^. 

Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Meissen  in  Meissen: 
Mitteilungen.   Bd.  VI,  2.    1902.   8<>. 

Boyal  Society  of  Victoria  in  Melbourne: 
Proceedings.  Vol.  XV,  part  2.    1908.  8®. 

Acadimie  in  Metz: 
M^moires.   Ann^e  29.   1899-1900.    1902.   B9. 

Instituto  geolögico  in  Mexico: 
Boletfn.   No.  16.    1902.   4P. 

Observatorio  meteoroUdgico-magnitieo  central  in  Mexico: 
Boletin  mensual.   Noviembre,  Diciembre  1901,  Euere  1902.  4^. 

Sociedad  dentifica  „Antonio  Älzate"  in  Mexico: 

Memorias  y  revista.   Tomo  17,  No.  1—6;  Tomo  18,  No.  1.  2;  Tomo  19, 
No.  1.    1902.  89. 


14*  F«rfM)Mf  der  emgdaufenen  Druekiduißtn. 

Sodedad  de  geografia  y  estadistica  in  Mexico: 
Boletin.   5«  epoca,  Tom.  I,  No.  1.  2.   1902.   8^. 

Regia  Äeeademia  di  seienjge  lettere  ed  arH  in  Modena: 
Memorie.   Serie  II,  Vol.  XU;  Serie  HI,  Vol.  HI,  parte  2.    1901—02.  4*. 

ÄcadSmie  de  eäeneee  et  leWes  in  M&ntpeüier: 
M^moiree.   Seetion  det  tciences.  2*  S^rie,  Tom.  III«  No.  2.    1902.  8^. 

Soeiiti  ImpMaU  des  Naturdlietes  in  Moskau: 
BuUetiD.   Ann^  1902,  No.  8;  1908,  No.  1.   1908.   ^. 

Lieh  Observatory  in  Mount  Hamüton,  California: 
Bolletm.   No.27— 86,  88-40.    1902.   49. 

Deutseke  GeselUchaß  für  Anthropoilogie  in  Berlin  und  Mündun: 
CorrespondeniblAtt   88.  Jahrg.  1902,  No.  4—12.   i^. 

Hydrotechnisches  Bureau  in  München: 
Jahrbach.   IV.  Jahrg.,  Heft  IV,  Teil  1;  V.  Jahrg.,  Heft  1.   1902-08.  4«. 

Oeneraldirekiion  der  k.  6.  Posten  und  Tdegrafhen  in  München: 
Nean  Nachträge  sa  den  ZeitaDgepreiereneichiiineii.  föL 

JT  hayer.  technisehe  Hochschule  in  München: 

Personalltand.   Winter- Semester  1902/08.    1902.   8^. 
Bericht  für  das  Jahr  1901—02. 
Programm  Wintersemester  1902—08. 

Metropolitan'KafUel  München^Freising  in  München: 

Schematismus  der  Geistlichkeit  fdr  das  Jahr  1908.   8^. 

Amtsblatt  der  ErzdiOseae  Mfinchen  und  Freising.   1908,  No.  1 — 16.  8*. 

Universität  in  München: 
Schriften  atts  dem  Jahre  1902  in  49  n.  B9, 

Kaufmännischer  Verein  in  München: 
29.  Jahresberiaht.    1908.   B9. 

Verlag  der  Hochschul-Nachriehten  in  München: 
Hochscbul-Nachrichten.   1908,  No.  148—160.  162.  168.   e9. 

Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  Westfalens  in  Münster: 
ZeiUchrifb.   Bd.  60  nnd  Register  so  Bd.  1—60,  Liefg.  1.    1902-08.  S9. 

Acadimie  de  Stanislas  in  Nancy: 
Mdmoires.  V.  Sdrie,  Tome  19  und  Table  alphab^tiqae  1760—1900.  1902.  SP. 

SociHS  des  scienees  in  Nancy: 
Bulletin.   S^rie  III,  tom.  8,  fuc.  2.  8.   Paris  1902.  8*. 

Accademia  delle  sciense  fisiche  e  matematiche  in  Neapel: 

Rendiconto.   Sdr.  III,  Vol.  9,  ftwc.  1—4.   1903.  99. 
Atti.   86t.  II,  Vol.  11.    1902.   49. 

Zoologische  StaHon  in  Neapel: 

Mitteilungen.   Bd.  XV,  4.   Beriin  1902.   09. 


VerMeUknia  der  eingelaufenen  Drttckschrißen.  15* 

GeeelhdMft  Phüomaihie  in  Neisae: 
81.  Bericht.    1900-02.   ^. 

InetUute  of  Engineere  in  New-CaeUe  (uponrTyne): 

TransactionB.  Vol.  60,  pari  7;  Vol.  51,  part6;  Vol.  62,  part  2— 4;  Vol.  58, 
partl.   1902—08.   %\ 

Connectiewt  Äcademy  of  Ärta  and  Sciences  in  New-Haven: 
Transactions.   Vol.  XI,  1.  2.   1901—08.   80. 

The  American  Journal  of  Science  in  New-Haven: 
Journal.   IV.  Ser.   Vol.  15,  No.  88—90.    1908.   4". 

Obaervatory  of  the  Yäle  üniversity  in  New-Haven: 
Transactions.   Vol.  I,  6.   1903.   4^. 

American  Orient al  Society  in  New-Haven: 
Journal.    Vol.  82,  2^  half.   1902.   80. 

American  Jticieh  Historicäl  Society  in  New- York: 
Publications.   Ko.  10.   1902.   8^. 

American  Museum  of  Naiturdl  Hietoty  in  New -York: 

Bulletin.  Vol.  XVT;  Vol.  XVIII,  1.   1902.   8« 

List  of  Papers  published  in  the  Bulletin  and  Memoire.   Vol.  I — XVI. 
1902.  80. 

American  Oeographicäl  Society  in  New -York: 
Bnlletin.   Vol.  34,  No.  5;  Vol.  36,  No.  1.  2.   1902-08.   8<>. 

Archaeological  Institut  of  America  in  Norwood,  Mass.: 
American  Journal  of  Archaeology.  II.  Series,  Vol.  VII,  1.   1908.   8^. 

OedlogicaJ  Survey  of  Canada  in  Ottawa: 
Contributions  to  Canadian  Palaeontology.   Vol.  III.   1902.  4^. 

Bodleian  Library  in  Oxford: 
Tercentenary  of  the  Bodleian  Library,  October  1902.   4^. 

22.  Aceademia  di  sdense  in  Padua: 
Atti  e  Memorie.   Nuova  Serie.   Vol.  18.   1902.   8^. 

Bedaction  der  Zeitschrift  „Rivista  di  storiea  antica"  in  Padua: 
N.  8.   Anno  VII,  1—8.    1908.   8«. 

Societä  Veneto-Trentina  di  sciense  naturali  ifi  Padua: 
Atti.   Serie  II,  Vol.  IV,  2.   1902.  S». 

CircoU)  matematico  in  Palermo: 
Rendiconti.   Tomo  XVJI,  1-^8.   1908.  09. 

Acadimie  de  midecine  in  Paris: 
BaUetin  1908,  No.  1—26.  8^. 

Academie  des  sciences  in  Paris: 
Comptes  rendus.   Tome  186,  No.  1—26.    1908.   4^, 


16*  VerMeiekm$  der  emgdaufenen  Drudctckriften. 


Omiti  itUemaitumal  de$  poidi  et  meemree  m 
Proc^TerUux  de«  s^anoes  1879.   1880.  8^. 

DitreetUm  de  la  Chromque  de  Framce  •»  Pans: 

La  Chroniqae  de  Frmnce.  8«  annte  1902.  8^. 
Carnet  bibiiographiqQe.   1903.   8^. 

ManiUwr  ScienHfique  tu  Paria: 
Moniteor.   Lirr.  738—788  (JanTier-Join  1908).    1908.   4*. 

Muüe  Qumet  in 


Annalet.   Biblioth^ue  d'^tadea.   Tome  14.   1902.  ^. 

Kerne  de  rhistoire  des  r^ligions.   Tome  46,  No.  1.  2.   1902.   8^. 

Muüum  d^kistoire  natwreUe  in  Paris: 
Balletin.   Ann^e  1902,  No.  6—8.    1902.  9f^. 

SociHi  d'anthropölogie  in  Paris: 

Balletiiu.   V«  S^rie,  Tome  8,  fa«c.  8.  4.    1902.  8<^. 
Memoire!.   Tome  2,  fasc.  8.    1902.  ^. 

SoeOU  de  gSographie  in  Paris: 
La  Q^graphie.  Tome  VI,  2—6;  VU,  1.    1902—08.  4^ 

Sodttl  maüihnatitpu  de  France  m  Paris: 
Balletin.   Tom.  80,  faic.  4;  Tom.  81,  £mc.  1.   1902—08.  &^. 

SoeiiU  soologigue  de  France  in  Paris: 

Balletin.   Tome  27.   1902.  &^. 
Mt^moires.   Tome  XV.    1902.   8®. 

ÄeadSmie  Imperiale  des  seienees  in  8i,  Petersburg: 
Annnaire  du  Mos^  loologiqae.   1902.   Tome  VII,  No.  3.  4.    1902.  8*. 

Comiti  gMogique  in  St.  Petersburg: 

Ezplorations  f^dolofl^ques  dana  lea  r^ont  anrif^ret  de  la  Sib^rie 

a)  Region  anrif^re  d^JdniMei,  livr.  8. 

b)  ,  9        de  TAmonr,  livr.  8.   1902.  8®. 

Kaiserl,  Botaniseher  Garten  in  8t.  Petertburg: 
Acta.   Vol.  XXI,  1.   1908.   8«. 

Kaiserl.  mineralogische  GeseUsdiaft  in  8t.  Petersburg: 

Materialien  zur  Geologie  Rusilands.   Bd.  XXI,  1.    1908.   8^. 
Verhandlungen.   II.  Serie,  Bd.  40,  Liefjg.  1.    1902.   8^. 

PhysikcU.'Chemische  Gesellschaft  an  der  kais.  Universität  8t.  Petenbi»rg: 
Schumal.   Tom.  84,  Liefg.  9;  Tom.  85,  Liefg.  1—6.   1902.  8^. 

Section  gtologiqne  du  cabinet  de  La  Majesti  in  8t.  Petersburg- 
Travaux.   Tome  6.    1902.   S^. 

Academy  of  natural  8cienees  in  Philadelphia: 

Journal.   II.  Serie,  Vol.  XII,  1.  2.    1902.   gr.  4« 
Proceedinga.   Vol.  64,  part  2.  3.    1902—03.   4». 


VerMeiehnia  der  eingelaufenen  Druekaehriften.  17* 

Historieal  Society  of  Penneylvania  in  Phüadeli^ua: 

The  Pennsylvania  Magaiine  of  History.   Vol.  26,  No.  104  (1902);  VoL  27, 
No.  106.  106,  (1903).   8<>. 

^^tttfim  Aseoeiaiion  of  the  College  of  Pharmacy  in  Philadelphia: 
Alumni  Report   Vol.  89,  No.  1—6.    1903.   89. 

American  Phäoeophical  Society  in  Philadelphia: 

ProceedingB.   VoL  41,  No.  170.  171.    1902.   8^ 
Transactiona.   New  Series.   Vol.  XX,  8.   1902.  49. 

B.  Scuola  normale  auperiore  di  Pisa: 
Annali.   Filosofia  e  filologia.   Vol.  XVI.   1902.  Q^. 

Sodetä  Toscana  di  ecienze  naturcdi  in  Pisa: 
Atti.    Processi  verbali.   Vol.  XIII,  p.  41-188.   1908.   49. 

Soeietä  Itaiiana  di  fisica  in  Pisa: 

II  nuoYO  Cimento.   Serie  V,  Tomo  4,  Dicembre  1902;  Tomo  6,  Qennajo- 
Mar«>1908.   8<>. 

K.  Ch/mnasium  in  Plauen: 
Jahresbericht  für  1902/08.    1908.    4^. 

Historische  Oesellsehaft  in  Posen: 

Zeitschrift.    17.  Jahrg.,  2.  Halbband.    1902.   S9. 
Historische  Monatsblätter.   8.  Jahrg.,  No.  7—12.    1902.   d9. 

Ästrophysikalisches  Observatorium  in  Potsdam: 

Publikationen.   Bd.  14  und  Photographische  Himmelskarte. 
Katalog.    Bd.  III.    1908.   49. 

Physikalisch'technische  Beichsanstalt  in  Potsdam: 
Die  Tätigkeit  d.ph78ik..techn.Beichsanatalt  im  Jahre  1902.  Berlin  1908.  4^ 

Böhmische  Kaiser  Franz  Josef-Akademie  in  Prag: 

Almanach.   Ro£.  XIIL    1908.   8^ 

Rozprawy.    TMda  I,  Ro6.  X;  THda  II,  Roö.  XI;  TKda  III,  Ro6.  XI,  1. 

1^02 08.    8^. 

Vestnfk.   Ro6nfk  XI.    1902.   89. 

Zfbrt,  Bibliografie.    Bd.  II.    1902.   89. 

Kol4^,  Heraldika  I.    1902.   8^. 

Spisy  Komenskäho.    Cfslo  6.  6.    1902.   b^. 

Bibliot^ka  klassiku.    Cfslo  6.  7.    1902.   89. 

Spfrka  pramenäy  Skupina  I,  rada  1,  8.  4,  rada  II,  4.  6;  Sknpina  II, 

cfslo  6.    1902.   89 

Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur 

in  Prag: 

Beiträge  zur  deutseh-böhm.  Volkskunde.  Bd.  1, 2 ;  Bd.  IV,  2.   1902—08.  89. 
Rechenschaftsbericht  fOr  das  Jahr  1902.    1908.   8^. 

K.  Böhmische  Oesellsehaft  der  Wissenschaften  in  Prag: 

Christian  Doppler,  Über  das  farbige  Licht  der  Doppelsteme.    1903.   8^. 
Jahresbericht  fQr  das  Jahr  1902.    1908.   8^. 
Sitzungsberichte  1902.   a)  Klasse  fQr  Philosophie. 

b)  Mathem.-naturw.  Klasse.   1908.  8^. 

2 


18*^  VerMeidmia  der  angeUmfenen  Druektdmften, 

Mathematiech-phyHkalittke  Gt$emdMft  in  Prag: 
ÖMopit.   Bd.  82,  No.  1.  2.    1902.   6^. 

Lese*  und  Bedehaile  der  deutschen  Studenten  in  Prag: 
64.  Bericht  ftber  dM  Jahr  1902.    1908.   8^ 

Museum  des  Königreiche  Böhmen  in  Prag: 
ÖMopis.   Bd.  76,  Heft  6;  Bd.  77,  Heft  1.  2.    1902-08.   8<>. 

K,  K,  Sternwarte  in  Prag: 

Definitive  Resultate  ans  den  Prager  Po] Höhen-Messungen  Ton  L.  WeineL 
1908.   4P. 

Deutsche  Karl  Ferdinands- Universität  in  Prag: 

Die  feierliche  Installation  des  Rektort  f&r  1902/08.    1908.   8^. 

Personalstand  f&r  1902/08.   Sfi, 

Ordnung  der  Vorlesungen  im  Sommer-Semester  1908.   8^. 

Verein  böhmischer  Mathematiker  in  Prag: 

Sbomik.   Bd.  VI.  VII.    1902.   8». 
Casopis.   Bd.  XXXII,  8.  4.    1908.   Bfi. 

Verein  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Presaburg: 
Verhandlungen.   Bd.  XXIII.    1908.   8*. 

HisUmsdher  Verein  in  Begensburg: 
Verhandlungen.   Bd.  64.    1902.   8^. 

B3>liotheca  nacional  in  Bio  de  Janeiro: 

Annaes  da  Bibliotheca  Nacional.   Vols  XV— XXII.   1892— I90O.   8^. 
Catalogo  da  exposicfto  permanente  dos  Cimelios.    1685.   8^. 
Montoya,  Arte  de  la  lengua  tupi  ö  gnarani.   Paris  1876.   8®. 
Recenseamento  do  districto  föderal  em  1890.   1895.  4^ 
A  Exposi9ao  de  Obras  Publicas  em  1875.    1876.  8^. 

Observatario  in  Bio  de  Janeiro: 
Boletim  mensal.   Julho— Setembro  1902.   1902.   4^. 

Geohgical  Society  of  America  in  Bochester: 
Bulletin.   Vol.  18.    1902.   8^. 

Becde  Accademia  dei  Idneei  in  Bom: 

Annuario  1903.   8^. 

Atti.    Serie  V.   Classe  di  sciense   morali.   Vol.  X,  parte  2,    Notisie  degli 

scavi,  fasc.  10—12  und  Indice,  Vol.  XI,  parte  1,  fasc.  1.  2.    1902.  4^. 
Atti.   Serie  V,  Rendiconti.   Classe  di  scienze  fisiche.   Vol.  11,  semestre2, 

fasc.  12;  Vol.  12,  semestre  1,  fasc  1—11.    1902.   4^. 

B.  Comitato  geohgico  d^Italia  in  Bom: 
Bollettino.   Anno  1902,  No.  4.  8^. 

Kaiserl,  deutsches  archäologisches  Institut  (röm.  Abt.)  in  Bom: 
Mitteilungen.   Bd.  XVII,  üeisc.  3.  4.   1908.  8^. 

Societä  Italiana  deüe  scienxe  in  Bom: 
Memorie.   Serie  III,  Tome  12.   1902.   4<>. 


Vereeiehnia  der  eingelaufenen  Drueksehriflen,  19* 

22.  Soeietä  Bomana  di  staria  ptUria  in  Born: 
Archivio.   Vol.  26,  faic  8.  4;  e  Indice  pei  tom.  11—25.   1902—08.   8^. 

B.  Äccademia  di  aciense  degli  AgiaJbi  in  Booereto: 
AtU.    Serie  III,  Vol.  8.  9,  fasc.  1.    1902—08.  8^. 

jScole  frangaise  dP Extreme-Orient  in  Saigon: 

Inventaire  descriptif  des  Monnments   du  Gambodge    par  E.  Lanet   de 

Lajonqai^re.    Paris  1902.  4®. 
Bulletin.   Tom.  II,  No.  4;  Tom.  III,  No.  1.   Hanoi  1902-08.   4«. 

NcUunoiaeeneehafiliche  Oeeellachaft  in  St  GaUen: 
Bericht  1900-01.   1902.   8^. 

Academy  of  Sciences  of  St.  Louis: 
Traneactions.   Vol.  XI,  No.6-11;  Vol.  XII,  No.  1-8.    1901-02.   8®. 

Instituto  y  Observatorio  de  marina  de  San  Fernando  (Cadiz): 
Anales.    Observationes  meteorolög.  para  1900.   1901.  fol. 

MtAseu  Paülista  in  S,  Paulo: 
Revista.   Vol.  6.   1902.   8<>. 

Universita  di  Sassari: 
Stadi  Sassareri.   Anno  11,  Sez  II,  fasc.  2.    1902.  8^. 

Verein  für  mecklenburgische  Oeschichte  in  Schwerin: 
Mecklenbnrgisches  Urkundenbach.   Bd.  XXI.    1908.   4^. 

B,  Äccademia  dei  fisiocritici  in  Siena: 
Atti.   Serie  IV,  Vol.  14,  No.  1—10  e  an  Supplemente  1902.   4P. 

K.  K.  archäologisches  Museum  in  Spalato: 

Bullettino  di  Archeologia.   Anno  XXV,  No.  12;  XXVI,  No.  1.  2  e  Indice 
generale  1878-1900.    1902—08.   8^. 

K.  Vitterhets  Historie  och  Antiquitets  Akademie  in  Stockholm: 
Antiqaarisk  Tidskrift.   Deel  XVII,  1.   1902.  8^. 

K  Akademie  der  Wissenschaften  in  Stockholm: 

Asironomiska  Jakttagelser.   Bd.  VI,  2.  4;   Bd.  VII.    1898—1908.   40. 
Meieorologiska  Jakttagelser.    Bd.  40.  41  (1878—1899).    1902.   4P. 
Handlingar.    N.  F.    Vol.  69  (1902).    1902—08.   8°. 

Oeologiska  Förening  in  Stockholm: 
FQrhandlingar.   Bd.  24,  Heft  7;  Bd.  26,  Heft  1—4.   1903.   8». 

Gesellschaft  sur  Förderung  der  Wissenschaften  in  Strassburg: 
Monatsbericht.   Bd.  86,  Heft  10;   Bd.  87,  Heft  1—4.    1908.  8^. 

Kaiserl.  Universität  Strassburg: 
Das  Stiftungsfest  am  1.  Mai  1908.  S^. 

K.  württemb.  statistisches  Landesamt  in  Stuttgart: 

Beschreibung  des  Oberamts  Heilbronn.    1906.   8®. 
WQrttembergiBche  Jahrbücher  für  Statistik.   Jahrg.  1902.    1908.   4^. 


20*  VefMeidmii  der  eingdaufenen  Druektdunften, 

Department  of  Minea  amd  Agrieuliure  of  NeuhSoulthrWäle»  in  Sydntif: 
Annaal  Report  for  the  year  1902.   1908.  fol. 

Linnean  Society  of  NeW'SoiUhrWaiee  in  Sydney: 

Proceedings.   Vol.  XXVI,  partS  mad  Sapplement  zu  pari  3;  V0I.XXVII 
partl.    1902.   6<». 

ObaervcUorio  (utronömieo  naeionäl  in  Tacubaya: 
Aiio  XXIII.  Mexico  1902.   99. 

Kaukasisches  Museum  in  Tiflis: 
Die  SunmluDgen  des  Kaukasiechen  Museoms  in  Tiflis.    Bd.  V.    1902.  4f 

EarthquaJce  Investigatüm  Committee  in  Tokyo: 
Pablicationi.    No.  7.  10—15.    1902—03.   4«. 

Deutsche  Oesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens  in  Tokyo: 
Mitteilanf^en.   Bd.  IX,  Teil  2.   1903.   8^. 

Kaiserl.  Universität  in  Tokyo  (Japan): 

The  Journal  of  the  College  of  Science.    Vol.  XVl,  15;   Vol.  XVIII,  1. 
1903.   40. 

Canadian  InstUuJte  in  Toronto: 

ProceedingB.    Vol.  II,  5.    1902.   8<^. 
Transactiont.  Vol.  VII,  2.    1902.   80. 

üniversiiy  in  ToronU): 

a)  Biolog.  Seriea  No.  3;   b)  Psycholog.  Serie«   Vol.  2,  No.  1;   c)  Geolog- 
Series  No.  2.   1901.   4». 

Universiti  in  Toulouse: 

Annales  du  Midi.   No.  65—57.    1902—03.   S^. 

Annales  de  la  faculte  des  sciencei.   II*  S^rie.  Tom.  4,  fasc.  3.  4.   1902.  4^. 

Bibliothbque  mt^ridionale.    Sörie  II,  Tom.  8.    1903.    8^. 

Biblioieca  e  Museo  comunaU  in  Trisni: 
ArchiYio  Trentino.   Anno  XVII,  fasc.  2.   1903.  6^. 

Aesoeiazione  wtedica  Triestina  in  Triest: 
Bollettino.   1901—02.   Annala  5.   1902.   8®. 

B.  Äccadetnia  deUe  scieme  in  Turin: 

Oaseirazioni  meteorologicbe  fatte  nell*  anno  1902.    1903.   8^. 
Atti.    Vol.  38,  disp.  1—7.    1903.   8^. 
Memorie.    Serie  II,  Tom.  52.   1903.   4^. 

R,  Aecademia  d'agrieultura  in  Turin: 
Annali.    Vol.  44.  45.    1902-03.    8«. 

Verein  für  Kunst  und  Altertum  in  Ulm: 

Mitteilungen.   Heft  10.    1902.   4». 

Führer  durch  die  Sammlungen  des  Gewerbemuseums.   1903.   8^. 

Humanistika  Vetenkapssamfund  in  Upsala: 
Skrifter.    Bd.  VU.    1901—02.   8«. 


Verzeiehfda  der  eingelaufenen  Druchsthriften.  21* 

Meteorolog,  Ob$ervatmium  der  ünwersUät  üpecda: 

Rapport  anr  les  obserrations  internationalei  dei  nuages  par  Hildebrand 
Hildebrandsson  1903.   8^ 

K,  Universität  in  Upsala: 
Angermanälfens  flodomr&de.   Af  Karl  Ableniüs.    1903.   8^. 

Historisch  Genaotschap  in  Utrecht: 

Bijdragen  en  Mededeelingen.   Deel  XXIII.   Amsterdam.    1902.   8^. 
Werken.   III.  Serie,  Nr.  16.   Amsterdam.   1901.   8^ 

Institut  Boy  cd  Meteorologique  des  Pays-Bas  in  Utrecht: 
Anniiaire  Mdtdorologique  poar  1900  et  1901.    1902.   4P. 

Äteneo  Veneto  in  Venedig: 

UAteneo  Veneto.   Anno  28,  Vol.  1,  2;  Anno  24,  Vol.  1.  2;  Anno  25,  Vol.  1 
und  Jadice  zu  1812—1890.    1900-1902.   8«. 

B.  Istituto  Veneto  di  scienze  in  Venedig: 

Atti.   Tom.  69,  No.  3—10;  Tom.  60,  No.  1—10;  Tom.  61,  No.  1—9;  1900 

bis  1902.   8«. 
Memorie.   Vol.  26,  No.  6—8.    1901—02.   4«. 

Accademia  di  Scienze  in  Verona: 
Atti  e  Memorie.   Indice  dei  volumi  I— LXXV.    1903.   SP. 

Bureau  of  American  Ethnology  in  Washington: 
Bulletin.    No.  27 :  Tsimsbian  Texts.  1902.    4<). 

Bureau  of  Education  in  Washington: 
Annual  Report  1900-01.    Vol.  2.   1902.   8«. 

Departement  of  the  Interior  in  Washington: 

Report  of  the  Commissioner  of  Education  for  the  jear  1900—01.   Vol.  I. 
1902.   8®. 

Smithsonian  Institution  in  WaMngUm: 

Annual  Report  1900—01.    1902.   8^. 

U,  8,  Naval  Ohservatory  in  Washington: 
Report  of  the  Superin tondent.  June  80,  1902.   8^. 

Phihsophicai  Society  in  Washington: 
Bulletin.   Vol.  14,  p.  206—232.    1903.   8^. 

U.  S,  Coast  and  Geodetic  Survey  in  Washington: 
Lift  and  Catalogue  of  the  Fublications.    1816—1902.    1902.   4^. 

United  States  Oeological  Survey  in  Washington: 

Monographs.    Vol.  41.    1902.   49. 

XXI.  Annual  Report  1899/1900.  Part.  III. 

XXII.  ,  ,        1900/01.  Part.  I.  II.  IV. 

XXIII.  ,  ,        1901/02.  1901—02.   4*. 

Harzverein  fO^r  Geschichte  in  Wernigerode: 
Zeitschrift.  Jahrg.  85,  Heft  2.    1902.  8^ 


22*  VerMeidmia  der  erngdaufenen  Druekmikr^ien* 

KaUerl.  Akademie  der  Wmenschaflen  in  Wien: 

Sitnmgiberiohte.   Phüot.-hiBt.  Klasse.  Bd.  144.  1902.  8®. 
Abt  I,     Bd.  110,  No.  8—10;  Bd.  111,  No.  1-3. 

,    IIa.     ,    111,     ,    1—4. 

.   IIb,    .    110,    ,     10;  Bd.  111,  No.  1—8.    1901-02.  8*. 
Denkschriften.   Philoa.-hist  Klasse.   Bd.  48.   1902.   49. 
Almanach.  61.  Jabrg.    1901.   8®. 

JC  K,  geologisehe  EeicheanetaU  in  Wien: 

Jahrbnch.   Jahrg.  1901.   Bd.  61,  Heft  8. 
Verhandlangen  1902:   No.  11—18;    1903:  No.  1—8.   4^ 
Mitteilnngen  der  Erdbebeokommission.   N.  F.   No.  TX.    1902.    8^. 
Sfldarabische  Expedition.   Bd.  6.   Teil  1.    1908.  l^. 

K.  K,  Oradmeseunge-Kommission  in  Wien: 
Astronomische  Arbeiten.   Bd.  XII.    1900.  4P, 

K.  K.  Oeeeüsehaft  der  Äergte  in  Wien: 
Wiener  klinische  Wochenschrift.   1908,  No.  1—26.   4<^. 

ZooHogisch-botanische  OeedMutft  in  Wien: 

Verhandlungen.   Bd.  62,  Heft  10;    Bd.  68,  Heft  l-'4.   1902— <».   8>. 
Abhandlangen.   Bd.  II,  Heft  2.    1908.   4*. 

K.  JT.  müüär-geographiechee  Instüut  in  Wien: 
Die  astronomisch-geodfttische  Arbeiten.   Bd.  XIX.    1902.  49. 

K.  K.  naJturhietoriechee  Eofmuseum  in  Wien: 
Annalen.   Bd.  XVII,  No.  3.  4;   Bd.  XVm,  No.  1.   1902-03.    4^. 

Verein  für  Naesauische  Altertumskunde  etc.  in  Wieebaden: 

Annalen.   33.  Bd.,  Heft  1  1902.    1903.   gr.  8^. 

Mitteilungen  1902/08,  No.  1—4.   gr.  8^. 

6.  Jahresbericht  der  historischen  Kommission  für  Nassau.    1902.    8^. 

Historischer  Verein  von  ünterfranken  in  Würgburg: 

Archiv.   Bd.  44.    1902.   ^. 
Jahresbericht  fOr  1901.   1902.   8^. 

Antiquarische  Gesellschaft  in  Zürich: 
Mitteilungen.   Bd.  XXVI,  Heft  1.    1903.  49. 

Naturforschende  GeseHsdhaft  in  Zikrith: 

Nei^ahrsblatt  auf  das  Jahr  1908.  4®. 
Vierteljahrsschrift.   47.  Jahrg.,  Heft  8.  4.    1908.  8^. 

Schweizerische  geologische  Kommission  in  Zürich: 

Beiträge  cur  geologischen  Karte  der  Schweis. 
Karte:  RoUier  Ennrons  de  Montier, 

,   Belle  lay 
Mahlberg,  Layem  mit  Erl&uterungen.  Bern  1902. 

Schweizerisches  Landeemuseum  in  Zürich: 

Anzeiger    Hlr  Schweiserische   Altertumsknnde.    N.  F.    Bd.  IV,   No.  4. 
1903.   4». 


z 


Verzeichnia  der  eingelaufenen  Druckschriften,  23* 


Von  folgenden  Privatpersonen: 

Le  Prince  Albert  de  Monaco: 
R^ultate  des  campagnes  acientifiqnes.   Faic.  XXII.  Monaco  1902.  gr.  4^ 

Chraf  8.  S.  Ahamelek-Laxarew  in  Moskau: 

30  Jahre  der  Spezi  alklassen  des  Lazarewski  Institut  für  Orientalische 
Sprachen.   Moskau  1903.   8^  (in  russ.  Sprache). 

Buchhandlung  Joh,  Atnbrositu  Barth  in  Leipsig: 

Oskar  Bau  in  Prag:  Yersnche  über  die  Verwendung  pflanzlicher  Stoffe. 

Jena  1902.  8<>. 
Beiblatter  zu  den  Annalen  der  Physik.  Bd.  27,  Heft  1—6.  Leipzig  1903.  8^ 

Carl  de  Boor  in  Berlin: 
Excerpta  de  Legationibus.   2  Bde.   Berolini  1903.   ^, 

Walther  Nie,  Clemm  in  Darmstadt: 

Die  Gallensteinkrankheit.  Berlin  1908.  8^. 

F,  Czapek  in  Prag: 

Unternehmungen  tlber  die  Stickstoffgewinnung  und  Eiweissbildung  der 
Schimmelpilze.   No.  II.  III.  Braunschweig  1902.   8^. 

Arthur  J.  Evans  in  Oxford: 
The  Palace  of  Enossos.   Athen  1902.   4®. 

Verlagsbuchhandiung  Cfustav  Fischer  in  Jena: 
Naturwissenschaftliche  Wochenschrift.  Bd.  18,  No.  14—40.  Jena  1903.  4^. 

Bichard  Forster  in  Wien: 
Die  dritte  Bewegung  unserer  Erde.   Wien  1903.   8^ 

0.  Franke  in  Berlin: 
Die  Rechtsyerhältnisse  am  Grundeigentum  in  China.   Leipzig  1903.   8^. 

Albert  Oaudry  in  Paris: 
Contribution  &  Thistoire  des  hommes  fossiles.   Paris  1908.   8^. 

P.  J.  Qeorgievskij  in  Petersburg: 

Bibliographie  der  russischen  ökonomischen  Literatur  (in  russ.  Sprache). 
Heft  1.   Petersburg  1903.   B^. 

3fm#  Tw  Godin  in  Ouise  (Aisne): 
Le  Devoir.   Tom.  27   Janvier— Juin.  1903.   Guise.  8®. 

Ernst  Haeckel  in  Jena: 
Kunstformen  der  Natur.   Liefg.  8.    Leipzig  1903.   fol. 

Carl  Justi  in  Bonn: 
Diego  Yelazquez  und  sein  Jahrhundert.   2  Bde.   Bonn  1908.   8^. 

H,  Kern  in  Utrecht: 

Rämayana  oudjavansch  Heldendicht  üitgegeven  door  H.  Kern.   s*Gra?en- 
hage  1900.   4^. 


24^  yerMe%€hni»  der  dng€kmfen€H  DruckB^rifien. 

R,  Kraus  in  Wien: 

Cber  die  Bildung  von  Immunsabstanzen  gegen  dai  LjasaTimi.   Leipzig 

1902.   80. 
Über  den  Nachweis  Ton  Schatutoffen  gegen  Hundswut  beim  Measchei. 

Jena  1902.  8^. 

Karl  Krumhaeher  in  München: 
Byxantiniscbe  ZeiUchrift.   Bd.  XII,  1.  2.   Leipzig  1908.   8^. 

Eduard  Loetoenthai  in  Berlin: 

Organische  Neabildang   und  Regeneration  oder  die  Biologie  im  LicbU 
der  Falgoro-Qeneeis.   Berlin  1903.   8^. 

E,  von  Meyer  in  Dresden: 
Aas  Justos  Liebigs  Lehr-  und  Wanderjahren.   Leipsig  1903.   8^. 

Middendorp  in  Groningen: 
Ätiologie  de  la  Tnberkalose.    Paris  1902.  dP, 

Gabriel  Monod  in  Versailles: 
Kerne  historiqne.   Ann^e  XXVIII,  No.  1. 

Frederiek  Morgan  Padelford  in  Washington: 

EssajB  on  the  Stndy  and  Use  of  Poetry  bj  Platarch  and  Basil  ihe  Grea. 
New-Tork  1902.   80. 

Verlagsbuchhandlung  Dietrich  Beimer  in  Beriin: 

Zeitschrift  fflr  afrikanische,  oseanische  und  ostasiatische  Sprachen.  6.  Jahr- 
gang, 4.  Heft   Berlin  1902.  8^. 

K.  Schumann  in  Berlin: 
Monatsschrift  für  Kakteenkunde.   Bd.  XL  XIL   Nendamm  1901—02.  8*. 

Verlag  von  Seitz  dt  Schauer  in  München: 
Deutsche  Praxis.    1903,  No.  2—12.   München.  80. 

B.  Q.  Teubner  in  Leipzig: 

Archiv    der   Mathematik   und  Physik.   III.  Reihe,  4.  Bd.,  3.  and  i  Heft; 

6.  Bd.,  1.  bis  4.  Heft.   Leipsig  und  Berlin  1903.  8^. 
Encyklop&die   der   mathematischen  Wissenschaften.    Bd.  III,  2,    Heft  1; 

Bd.  IV,  2,  Heft  2;   Bd.  V,  1,  Heft  1.   Leipzig  1903.   8«. 
Thesaurus  linguae  latinae.   Vol.  2,  fasc.  6.    Lipsiae  1903.   4^. 

Otto  Wälkhoff  in  München: 
Menschenaffen.   Liefrg.  IV.   Wiesbaden  190S.   4^. 

E,  V.  Wölfflin  in  München: 
Archiv  für  lateinische  Lexikographie.   Bd.  XIII,  2.   Leipsig  1903.  Bf^. 


25* 


Verzeiehnis  der  eingelaufenen  Dracksehriflen 

Juli  biB  Dezember  1908. 


Die  T6r«hrUeh6ii  Ctoaellseluiften  und  Institut«,  mit  welchen  unsere  Akademie  in 
Tauaehrerkebr  etekt,  werden  gebeten,  nAebetehendes  Yeneicbttis  sugleich  ela  Empiknga- 
bestltignng  so  betrsebten. 


Von  folgenden  Oesellsehafton  und  Instf taten: 

üniveraity  of  Aberdeen: 
Stodies.    No.  6.  7.    1902.   40. 

Boyai  Society  of  South- ÄustraUa  in  Adelaide: 
Transactions.   Vol.  27,  part  1.    1903.   8<^. 

Sadslavische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

Ljetopia.  1902.  190?.  8^ 
Rad.  Vol.  152.  1908.  8<^. 
Zbornik.   Bd.  Vm,  1.   1908.   80. 

K.  kroat.'Slavon.'daimatinisches  Landesarchiv  in  Agram: 
VjestDik.   Bd.  V,  Heft  4.    1903.   4^ 

Aeadimie  des  Sciences  in  Aix: 
M^moires.   Tom.  18.    1902.   S^. 

AÜegheny  Observatory  in  Allegheny: 
Miflcellaneous  scientific  Papers.   N.  8.   No.  11—14.    1908.   8^. 

Sociiti  des  Antiquaires  de  Picardie  in  Amiens: 

Bolletin.   Ann^e  1901,  No.  4;  1902,  No.  1-4;  1908,  No.  1.    1902-03.   80. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Amsterdam: 

Verhandelingen.  Afd.  Nataurkande.  Deel  VIII,  No.  8—5,  Deal  IX,  No.  4—9. 

1908.   4^. 
Verhandelingen.  Afd.  Letterkunde.  N.Reeks,  DeellV,  1;  V,l— 8.  1903.  4^. 
Zittingsverslagen.   Afd.  Natnurkunde.    Teil  XI,  1.  2.    1902—03.   8^. 
Verslagen  en  Mededeelingen.    Afd.  Letterkunde.   4«  Reeks,  Deel  V. 
Jaarboek  voor  1902.    1908.  S^, 
Feriae  aestivae.   Carmen.    1908.   8^. 

Historischer  Verein  für  Schwaben  und  Neuburg  in  Augsburg: 
Zeiteehrift.   29.  Jahrgang.    1908.   8<^. 

8 


26"^  Veneidmia  der  eingdaufen^n  Druekithriften. 

Johna  Hophins  Universüy  in  Baltimare: 

Circalars.   Vol.  22,  No.  168.  164.   1908.   49, 

Bulletin  of  the  Johna  Hopkint  Hospital.  Vol.  14,  No.  147—152.  1903.  4^ 

Peapody  Institute  in  Baltimore: 
86^  annaal  Report,  Jane  1.    1908.   &^. 

Kgl,  Bibliotheh  in  Bamberg: 
Katalog  der  Handichriften.   Bd.  1,  Abt.  1,  Lief.  8.    1903.   8®. 

Historischer  Verein  in  Bamberg: 
61.  Bericht  f.  d.  Jahr  1902.    1908.   8<>. 

Historisch-antiquarische  Gesellschaft  in  Basel: 
Basler  Zeitschrift  für  Geschichte.   Bd.  III,  Heft  1.   1908.   €fi. 

Üniversitätsbibliotheh  in  Basel: 
Schriften  der  Universität  aas  dem  Jahre  1902 — 8  in  4^  a.  8^. 

Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Wetensdiappen  in  Batavia: 

Tijdschrift.    Deel  46,  aH.  2  -5.    1903.   S^. 

totalen.    Deel  40,  afl.  4;  Deel  41,  afl.  1.    1908.   S^. 

Dagh-Register  gehoaden  int  Gast  eel  Batavia.    Anno  1644—45,  1676. 

1903.    40. 
Proeve  eener  Ned.-Indische  Bibliographie  1659— 1870.   Suppl.II.   1903.  4^. 

Observatory  in  Batavia: 
Observation!.   Vol.  XXIV,  1901.    1903.   fol. 

Kgl,  natuurkundige  Vereeniging  in  Nederlandsch  Indie  zu  Batavia: 
Natuurkundig  Tijdschrift.   Deel  62.   Weltevreden  1903.   8^. 

K  Serhiscfie  Akademie  der  Wissenschaften  in  Belgrad: 

Glas.    No.  65.  66.    1903.   S^. 

Spomenik.   No.  XXXIX.  XL.    1903.   4fi, 

Godiscbniak.    XV,  1901;  XVI,  1902.   80. 

Sbornik.    Bd.  2.    1903.   8*. 

Srpske  etnografski  Sbornik.   Bd.  V  mit  einem  Atlas.   1908  in  09  (resp.  4^). 

Mtiseum  in  Bergen  (Norwegen): 
Aarbog  far  1902,  Heft  1  a.  2.    1908.   8^. 

üniversity  of  California  in  Berkeley: 
Schriften  aas  d.  Jahre  1902—08. 

K.  preuss.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

Sitzangsberichte.    1903,  No.  XXV— XL.   gr.  8®. 
Inscriptiones  graecae.   Vol.  XII,  fasc.  V,  pars  1.    1903.   fol. 

K,  geolog,  Landesanstalt  und  Bergakademie  in  Berlin: 

Abhandlungen.    N.  F.,  Heft  18,  No.  38  nebst  Atlas  »u  No.  88.    1908.  4« 
Abbildungen  und  Beschreibungen  fossiler  Pflanzen.    Liefg.  1.    1908.  4*. 

Deutsche  chemische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Berichte.    36.  Jahrg,,  No.  10—17.    1908.   8*. 

Deutsche  geologische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.    Bd.  55,  Heft  1.  2.    1908.   8». 


Vereeichnis  der  eingelaufenen  Druchsehriften.  27* 

Deutsche  physikcHiscke  Oesellsehaft  in  Berlin: 

Die  Fortschritte  der  Physik  im  Jahre  1902.  8  Teile.  Brannschweig  1903.  8<^. 
Verhandlangen.  Jahrg.  Y,  No.  12-28.    1908.  8^. 

Phyeiölogisciu  Qeselhehaft  in  Berlin: 

Zentralblatt  för  Physiologie.   Vol.  XVII,  No.  7—10.  12—19.    1908.   S^. 
Verhandlungen.   Jahrg.  1902/03,  No.  10— U.    1903.   8®. 

Kaiserlich  deiUsches  arehäohgisehes  Institut  in  Berlin: 
Jahrhuch.   Bd.  XVIII,  Heft  2  u.  8.   1908.   4«. 

K,  preuss,  geodätisches  Institut  in  Berlin: 
Veröffentlichnng.   N.  F.,  No.  18.   Potsdam  1903.   8^. 

K.  preuss.  meteorologisches  Institut  in  Berlin: 

Denteches  meteorologisches  Jahrbach  für  1902.    Heft  1.    Preaisen  und 

benachbarte  Staaten.    1903.   4^. 
Regenkarte  der  Provinzen  Hessen-Nassaa  and  Rheinland.    1908.   8®. 
Bericht  Ober  das  Jahr  1902.    1903.    8^. 
Ergebnisse  der  Gewitterbeobachtungen  im  Jahre  1898—1900  von  R.  Süring. 

1908.   40. 
Ergebnisse  der  Niederschlagsbeobachtungen  in  den  Jahren  1899  a.  1900. 

1908.   40. 
Ergebnisse  der  Beobachtungen  an  den  Stationen.   II,  u.  III.  Ordnung  im 

Jahre  1898.    1908.    4^ 
Bericht  des  Internationalen  meteorologischen  Komitees.   Versammlung  zu 

St  Petersburg  1899.   1900. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  in  Berlin: 
Jahrbach.   Bd.  82,  Heft  1  a.  2.    1908.   8^ 

Physikalrtechn,  BeicJhsanstait  in  Berlin: 
Wissenschaftliche  Abhandlungen.   Bd.  IV,  Heft  1.   1904.   4^. 

Verein  eur  Beförderung  des  Gartenbaues  in  den  preuss,  Staaten 

in  Berlin: 

Gartenflora;   Jahrg.  1908,  Heft  13—24.    1903.   gr.  8«. 

Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  in  Berlin: 

Forschungen  zar  Brandenburgischen  und  Preussischen  Geschichte.  Bd.  XVI, 
2.  Hälfte.   Leipzig  1903.   8^. 

Zeitschrift  für  Instrumentenkunde  in  Berlin: 
Zeitschrift.   23.  Jahrg.,  1908,  Heft  7-11.   4«. 

Allgemeine  gesehichts forschende  Gesellschaft  der  Schweiz  in  Bern: 
Jahrbach  für  Schweizerische  Geschichte.   28.  Bd.   Zürich  1908.   8^. 

Historischer  Verein  in  Bern: 
Archiv.   Bd.  XVII,  Heft  1.    1903.   8«. 

Natural  History  and  PhÜosophicdl  Society  in  Birmingham: 
Proceedings.   Vol.  XI,  part  2.    1902.   8<'. 

Foreign  Parcel  Department  in  Bombay: 
Tibetan  English  Dictionary  by  Sarat  Chandra  Da?.   Calcaita  1002.   4<^. 

3* 


28*  VerMeUhma  der  eingdaufenen  Druekädiriften, 

UmoerMH  in  Botm: 
Sohriften  ans  dem  Jahre  1902/08  in  4^  a.  8<^. 

Verein  von  Ältertumsfreunden  im  Bheifäande  in  Bonn: 
Bonner  Jahrbflcher.   Heft  HO.    1908.   4^ 

SodiU  des  sciences  physiques  et  naturelles  in  Bordeaux: 

Proc^-yerbaax  des  Sdances.    Annde  1901—02.   Parii  1902.   8^. 
M^moiret.   6*  S^rie,  Tom  II,  cahier  1.   Paris  1903.  8°. 
Obaervationa  pluTiom^triques  1902.   8^. 

SoeOti  Linnienne  in  Bordeaux: 
Actes.   No.  57.    1902.  &^. 

SocOti  de  giographie  eommerciale  in  Bordeaux: 
Bulletin.    1908,  No.  18—24.   8<^. 

American  Äeademg  of  Arte  and  Sciences  in  Boston: 
Proceedings.   Vol.  88,  No.  26—80;  Vol.  89,  No.  1—8.    1903.   69. 

Boston  Society  of  natural  History  in  Boston: 

Proceedings.   Vol.  80,  No.  8— 7;  Vol.  31,  No.  1.    1902—08.   8*. 
Memoirs.   Vol.  5,  No.  8.  9. 

Meteorologisches  Observatorium  in  Bremen: 

Deutsches  meteorolof^isches  Jahrbuch  fQr  1902.   Freie  Hansestadt  BremeiL 
Jahrg.  XIII.    1903.   40. 

ScMesische  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur  in  Breslau: 
80.  Jahresbericht  für  1902.    1908.   8^. 

Deutscher  Verein  für  die  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens 

in  Brunft: 
ZeiUchrift   VII.  Jahrg.,  Heft  8.  4.    1908.   gr.  8^. 

Mährisches  Landesmuseum  in  Brunn: 
Zeitschrift.   Bd.  111,  1.  2.    1908.   8<>. 
Casopis.   Vol.  III,  1.  2.    1908,   8*. 

Acadimie  Boyäle  de  nUdeeine  in  Brüssel: 

M^moires  couronnäs.   Tom.  18,  fasc.  8 — 6.    1908.   8®. 
Bulletin.   IV.  S^rie,  Tom.  17,  No.  6—10.   1908.   8^. 

Acadlmie  Boyale  des  sciences  in  Brüssel: 

Mdmoires  couronnds  in  4^.   Tom.  61,  Tom.  62,  fasc.  3.  4. 
MtSraoires  couronn^ä  in  8^    Tom.  63,  fasc.  4—7.    1908.   8®. 
Bulletin,    a)  Clasie  des  lettres  1908,  No.  6—10.   8®. 

b)  Classe  des  sciences  1908,  No.  6—10.   8®. 
Chartas  du  Chapitre  de  Sainte-Wandru  de  Mons.   Tom.  2.    1908.  4®- 

Jardin  botanique  de  Vitat  in  Brikssel: 
Bulletin.   Vol.  I,  fasc.  4.    1903.   8**. 

Societe  beige  d'asironomie  in  Brüssd: 
Bulletin.   VIII«  ann^e,  No.  9-11.    1903.   8«. 

Sodäi  des  Bollandistes  in  Brüssel: 
AnalecU  Bollandiana.    Tom.  XXII,  fasc.  8.  4.    1903.  8^. 


Vergeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften,  29* 

SociitS  beige  de  gMogie  in  Brüssel: 
BoUetin.   XVII«  ann^e,  Tom.  17,  fasc.  8.  4.   1908.   e9. 

Sociiti  Boyäle  malacdlogique  de  Belgique  in  Brüssel: 
Annales.  Tom.  37,  annöe  1902.    1903.   8<^. 

K,  ungarische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Budapest: 

Almanach.    1908.   ^, 

Njelytudomänji   EGzlem^nyek.    (Sprachwissenschaftliche   Mitteilangen.) 

Tom.  XXII,  2—4;  XXIII,  1.    1902—03.   89. 
Öorpns  statutomm  Hungariae  Municipalium.    Vol.  V,  1.    1902.    8®. 
Archaeologiai  ^rtekez^sek.  (Archftolog.  Anzeiger.)  Nene  Folge.   Bd.  XXII, 

4.  6;  Bd.  XXIII,  1.  2.    1902—08.   4P. 
Tanadalmi  Ertekezäsek.   (Staatswissenschaftl.   Abhandinngen.)    Bd.  XII, 

8.  9.    1903.   8*. 
Nyelvtndom&nyi  ^rtekez^sek.    (Sprachwissenschaftliche   Abhandinngen.) 

Tom.  XVIII,  No.  1—5.    1902-03.   8«. 
Magyarorszagi  tanulök  külfbldön.   (ungarische  Studierende  im  Aasland.) 

1902.   80. 
Monumenta  Hnngariae  historica,   Sectio  I,  Vol.  31.   1903.   8®. 
Mathematikai  Ertesitö.    (Mathemat.   Anzeiger.)    XX,   3—6;  XXI,    1.  2. 

1902—03.   80. 
Mathematische   and  natnrwissenscbaftl.   Berichte  ans  Ungarn.    Bd.  18. 

Leipzig  1903.   8«. 
Rapport.    1902.    8^. 

Munkäcsi  B.,  Vognl  ndpköltesi  giijtem^nj.   1902.   8^. 
Goldziher  J.,  baddhismas  hat&sa.    1908.   8®. 

K.  Ungar,  geologische  Anstalt  in  Budapest: 

Földtani  Közlöny.    Bd.  XXIII,  Heft  6—9.    1903.   gr.  8^ 
Alezander  ▼.  Kalecsinssky,  Die  Mineralkohlen.   1903.   gr.  8^. 

Statistisches  Bureau  der  Haupt-  und  Besidemstadt  Budapest: 
Publikationen.  Vol.  XXXII;  XXXIII,  I,  1;  XXXVI.    1902-03.  4». 

Ministerio  de  agricultura  in  Buenos  Aires: 
Glima  de  la  Republica  Argentina.    1902.   fol. 

Museo  nadonaA  in  Buenos  Aires: 
Anales.   III.  Serie,  Tom.  I,  2.    1902.   4^. 

Deutsche  akademische  Vereinigung  in  Buenos  Aires: 
Veröffentlichungen.   Bd.  I,  Heft  7.    1903.   80. 

Botanischer  Garten  in  Buitenzoorg  (Java): 

Mededeelingen.   No.  LXI,  LXIV,  LXV.   Batavia  1903.   4«. 
Bulletin.   No.  17.    1903.   4». 

Academia  Bomana  in  Bukarest: 

Analele.   Ser.  II,  Tom.  24.    1901—02  sectiunii  istorice. 

«     ,        9      26.    1902—08  sectiunii  Literare. 

.     ,       ,      24.25.  1901— 03  sectiunii  scintifice.   1902-03.  4». 
Istoriile  lu6  Erodot,  traducere  romänä  de  Dimitrie  Jon  Ghica.   Vol.  4, 

1902.   80. 
Discursuri  de  receptiune.   XXV.    1908.    40. 


30*  Verzeichnis  der  eingelaufenen  BruckschrifUn. 

Bumänischea  meteorohgischea  Institut  in  Bukarest: 

Analele.   Tom.  XVI,  anal  1900.    1903.   4^. 

Index  des  publications  de  Tlnstitut  m^tdorologiqne  de  Romanie.    1903.  8®. 

Sociiti  Linnienne  de  Normandie  in  Caen: 
Bulletin.    5*  S^rie,  Vol.  5,  ann^e  1902.    1903.  8^. 

Meteorologiccd  Department  of  the  Government  of  India  in  Caleutta: 

Monthly  Weather  Re?iew  1903.   Januray — June  und  Summary    Report 

zu  1902.    1903.   fol. 
Indian  Meteorolofifical  Memoire.  Vol.  XIV;  XV,  1.2;  XVI.  1.  1902—03.  fol. 
Report  on  tbe  Administration  in  1902/03.    1903.   fol. 
Memorandum  on  the  meteorological  Gonditions  prevailing  in  the  Indian 

Monsoon  Region.    1903.   Simla  1903.   fol. 

Äsiatic  Society  of  Bengdl  in  CdlctUta: 

Bibliotheca  Indica.   New.  Ser.,  No.  1036—1048.    1903.   8®. 
Journal.    No.  402.  407—09.    Hertford  1902-03.   8®. 
Proceedings.    1902,  No.  XI;  1903,  No.  I— V.    1903.   8^ 

Harvard  College  in  Cambridge,  Mass,: 
Harvard  Oriental  Series.   Vol.  IV.    1901.    8®. 

Museum  of  comparative  Zoology  at  Harvard  College  in  Cambridge,  Mass.: 
Bulletin.    Vol.  39,  No.  6.  7;  Vol.  40,  No.  7  und  Vol.  42,  No.  2—4.    1903.  6« 

Astronomical  Ohservatory  of  Harvard  College  in  Cambridge,  Mass.: 

Annais.   Vol.  48,  No.  3.  4.    1903.   4^. 
Circulars.   No.  51— 71.    1900—03.   4». 

PhilosophicoLl  Society  in  Cambridge: 

List  of  Fellows.    August  1903.   8°. 
Proceedings.   Vol.  12,  part  1.    1903.    8<>. 

Geological  Commission,  Colony  of  the  Cape  of  Good  Hope  in  Cape  Town: 
Annual  Report  for  1901.  1902.    1902—08.   4«. 

Äccademia  Gioenia  di  scienze  naturcdi  in  Catania: 
Bollettino  mensile.   Nuova  Ser.,  iasc.  77.  78.    1908.   8^. 

K,  sächsisches  meteorologisches  Institut  in  Chemnitz: 

Dekaden-Monatsberichte.    Jahrg.  V,  1902.    1903.   4P. 
Das  Klima  des  Königreiches  Sachsen.   Heft  VII.    1903.   4^. 
Jahrbuch.   Jahrg.  XVII,  1899,  IL  Abteilung.    1902.   4». 
Abhandlungen.  Kritische  Bearbeitung  der  Luftdruckmessungen  im  König- 
reich Sachsen  1866—1900.    1903.    4^. 

Field  Columbian  Museum  in  Chicago: 
Publications.   No.  69— 74.  76.    1903.   8». 

Zeitschrift  y,AstrophysicaJ>  Journal''  in  Chicago: 
Vol.  18,  No.  1—6.    1903.    gr.  8^. 

Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Christiania: 

Forhandlingar  for  1902.    8<>. 

Skrifter.  I.  Mathem.-naturwiss.  Klasse  1902. 

II.  Histor.-filos.  Klasse  1902.    1908.  4^. 


Vereekhnis  der  eingelaufenen  Druekeehriften,  31* 

K,  Nonoegieeke  UniverHtät  in  Christiania: 

J.  Fr.  Schroeter,  üntersuchaDg  Aber  die  Eigenbewegung  von  Sternen. 
1908.   gr.  40. 

ümversity  of  Gincinnati  in  Cincinnati: 
BuUetin.   No.  1.  8.  7.  14.   1900—02.   8». 

Ärchaeological  Inatitute  of  America  in  Cleveland,  Ohio: 
American  Journal  ofArcbaeology.  II.  Ser.,  Vol.  VII,  No.  2.  Norwoodl908.  8^. 

Äcademia  naeional  de  ciencias  in  Cordoba  (BepMic  Argentinien): 
Boletin.   Tom.  XVII,  8.    Baenoa  Aires  1908.   8^. 

Westpreuasischer  GesehidfUsverein  in  Danzig: 
Mitteüongen.   Jahrg.  II,  No.  8.  4.    1908.   8^. 

Kaiserl.  Gouvernement  von  Deutseh-Oetafrika  in  Dar^eS'Sälam: 

Berichte  über  Land-  und  Forstwirtschaft  in  Deutsch-Ostafrika.    Bd.  1, 
Heft  6.   Heidelberg  1908.   8^. 

Colorado  Scientific  Society  in  Denver ^  Colorado: 
Proceedings.   Vol.  7,  p.  85—188.    1908.   8®. 

Verein  für  Änhaltische  Geschichte  in  Dessau: 
Mitteilungen.   Bd.  IX,  6.    1908.   8^. 

Union  giographique  du  N&rd  de  la  JFVance  in  Douai: 
Bulletin.   Tom.  XXIV,  1;  Tom.  XXV,  2.  4.    1908.   S^. 

K.  sächsischer  Ältertumsverein  in  Dresden: 
Neues  Archiv  für  sächsische  Geschichte.    Bd.  XXIV.    1903.   8^. 

Boy  dl  Irish  Äcademy  in  Dublin: 

Proceedings.   Ser.  III,  Vol.  24,   Sect.  A,  part  2;  Vol.  24,  Sect.  B,   part8; 

Vol.  24,  Sect.  C,  part  8.    1908.    8«. 
Transactions.    Vol.  XXXII,  parte,  Sect.  A;  part  1,  Sect.  G.   1908.   4^. 

American  Chemical  Society  in  Easton,  Pa,: 
The  Journal.   Vol.  XXV,  No.  6— H  u.  Suppl.  zu  No.  9.    1903.   8®. 

Boy  cd  Society  in  Edinburgh: 
Proceedings.   Vol.  XXIV,  No.  6.    1908.   8<>. 

Geologicäl  Society  in  Edinburgh: 
Transactions.   Vol.  VIII,  part  II  u.  Spezial-Part.    1908.   8^. 

Boyal  Physicäl  Society  in  Edinburgh: 
Proceedings.   Session  1901—02.    1908.   8«. 

Verein  für  Geschichte  der  Chrafschaft  Mansfeld  in  Eisleben: 
Mansfelder  Blätter.   Jahrg.  VIL   1903.   8». 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Emden: 
87.  Jahresbericht  für  1901/02.    1903.   8^. 

K,  Universitätsbibliothek  in  Erlangen: 
Schriften  aus  d.  J.  1902/08  in  4*  u.  8^ 


32*  VergeidmU  der  eim^daufenen  Druckickriftem. 


Beate  Äeeademia  dei  Choffoßi  in  Hörens: 
Atii.   8er.  iV,  VoL  XXYI,  disp.  8.    1908.  8^. 

R,  Isiituto  di  studi  superiori  in  Florens: 

Theodori  Ducae  Lascari«  Epistnlae  CCXVII  ed.  Nie  Festa.    1898.   4* 
Ferd.  Livini,  Intorno  alla  strattiira  della  trachaea.    1897.   4®. 
Oreste  Maitirolo,  Cenni  cronologici  engli  orti  botanici  di  Firenie.   1899.  4^ 
Q.  Galeotti  e  0.  PolTerini,  8ai  primi  176  caii  de  pesie  bubonica  in  Bom- 
bay 1898.   40. 

Societä  Asiatica  Italiana  in  Flarens: 
Giornale.   Vol.  XVI,  1.   RomaFirense  1908.  8<^. 

Verein  für  GeeehieKte  und  Altertumskunde  in  Frankfurt  a/M.: 
FesUchrift  zar  Feier  de«  25  jährigen  hiatorischen  Mntenms.    19(fö.  4*. 

Naturwissensehaftlieher  Verein  in  Frankfurt  a.  O,: 
Helios.   20.  Bd.   Berlin  1908.   B^. 

Naturforschende  OeseUschaft  in  Freiburg  t.  Br,: 
Berichte.   Bd.  18.    1908.   8«. 

Universität  in  Freiburg  i.  Br,: 
Schriften  aus  d.  J.  1902—03  in  A^  o.  8<>. 

Universität  Freiburg  in  der  Schweiz: 
G.  Michaut,  Sainte-Beuve  avant  les  «Lündis*.   1908.   8^. 

Comiti  der  Graebe-Feier  in  Genf: 
Graebe-Feier,  Kassel  20.  Sept.  1908.  8^ 

Universität  in  Genf: 
Schriften  ans  d.  J.  1902-03  in  4"  u.  8^. 

Sociiti  d'histoire  et  ^arehMogie  in  Genf: 
Bulletin.   Tom.  II,  a    1908.  8^. 

Universität  in  Giessen: 
Schriften  aus  d.  J.  1902—08  in  4^  n.  8<>. 

K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 

Göttingische  gelehrte  Anzeigen.   1908,  No.7— 12  (Jnli-Dez.).  Berlin  gr.  8^. 
Abhandlungen.    N.  F. 

a)  PhiloI.-hiit.  Klasse.   Bd.  VII,  No.  1—3.   Berlin  1908.   4^ 

b)  Mathem.-phys.  Klasse.    Bd.  II.  No.  4.   Berlin  1903.    4* 
Nachrichten,   a)  Philol.-hist.  Klasse.    1903.  Heft  4.  5.   4^ 

b)  Math.-physikal.  Klasse.   Heft  3-6.   4». 

c)  Geschäftliche  Mitteilungen.    1903,  Heil  1.   49. 
Karl  Friedrich  Gauss*  Werke.   Bd.  IX.   Leipzig  1903.   4<^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Steiermark  in  Chras: 
Mitteilungen.   Jahrg.  1902,  Heft  89.    1903.   8®. 

K,  Instituut  voor  de  Taal-,  Land-  en  VoHkenkunde  van  Nederiandsch  Indie 

im  Haag: 

Bijdragen.   X.  Reeks,  Deel  I,  afl.  4.   1903.  ^. 


VerMekJmis  der  eingdaufenen  Druekat^iriften,  33* 

Teyler'a  OenooUekap  in  Haarlem: 
Archives  dn  Mua^e  Teyler.   S^r.  II,  Vol.  VUI,  No.  8.   1908.  4P. 

SocUU  HüUandaise  des  Sciences  in  Haarlem: 

Archivea  N^erlandaiaea  des  Bciencei  ezacte«.  S^iie  II,  Tom.  8,  livr.  8.  4 

et  5.   La  Haje  1903.  B®. 
Natarknndige  Verhandelingen.  III^«  Venameling.  Deel  V,  atnk  3.  1903.  4<'. 

Historischer  Verein  f.  Württemb.  Franken  in  Schwabisch-Hatt: 
Wtirttembergisch  Franken.   Neue  Folge,  VIII.    1903.   8^. 

Kaiserl.  Leopoldiniseh'Carolinische  DetUsche  Akademie  der  Naturforscher 

in  Halle: 

Leopoldina.  Heft  89,  No.  6— 11.   1908.   4^. 

Deutsche  morgenländische  Gesellschaft  in  Halle: 
Zeitschrift.   Bd.  67,  Heft  8.   Leipzig  1903.  8^. 

Universität  Halle: 
Schriften  ans  d.  J.  1902/08  in  4<^  n.  8®. 

Naturwissenschaftilieher  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle: 

Zeitschrift  ftlr  Natnrwissenschaften.   76.  Bd.,  Heft  4—6;  76.  Bd.,  Heft  1.  2. 
Stattgart  1908.   BP. 

Thüringisch-sächsischer  Verein  eur  Erforschung  des  vaterländischen 

Altertums  in  Halle: 

Nene  Mitteilungen.   Bd.  XXI,  3.   1908.   8^. 

Deutsche  Seewarte  in  Hamburg: 
26.  Jahresbericht  f.  d.  J.  1902.   8^^. 

Verein  für  Hamburgische  Geschichte  in  Hamburg: 
Zeitschrift.   Bd.  XI,  8.    1908.   8«. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Hamburg: 
Abhandlangen.   Bd.  XVIIL   1903.   4^. 

Historiseher  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
ZeitMhrift.  Jahr  1908,  Heft  1—8.   1903.   8^. 

Ghrossherzogl,  Sternwarte  in  Heidelberg: 

Mitteilungen.  II.   Karlsruhe  1903.   8^. 
Veröffentlichungen.   Bd.  IL   1908.   4». 

Universität  Heidelberg: 
Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1902—08  in  4^  u.  8^. 

Historischrphüosophischer  Verein  in  Heidelberg: 

Die  deutschen  Pfälser  Handschriften  des  XVI.  u.  XVU.  Jahrhunderts  von 
Jakob  Wille.   1908.   4^. 

Geschäftsführender  Ausschuss  der  Eeichslimeskommission  in  Heidelberg: 
Der  Obergeimanisch-Raetische  Limes  des  R^Smerreiohes.  Lief.  19.  1908.  4^« 

Universität  HeUingfors: 
Schriften  ans  dem  Jahre  1902/03  in  4^  u.  8^. 


34*  Vergeidmis  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde  in  Hermannstctdt : 
Jahresbericht  für  daa  Jahr  1902.    1908.   8^. 

Verein  für  Sachsen- Meiningisehe  GeschiehU  in  HÜdburghausen: 
Schriften.   46  Heft.   1908.  8». 

Ungarischer  Karpathen- Verein  in  Iglö: 
Jahrbach.   80.  Jahrg.    1903.   8^. 

Ferdinandeum  in  Innsbmck: 
Zeitschrift.   8.  Folge,  Heft  47.    1903.  S^. 

Journal  of  Physical  Chemistry  in  Ithaca,  N,Y,: 
The  Journal.   Vol.  7,  No.  6-8.    1903.  8». 

üniversitS  de  Jassy: 
Annales  scientifiques.   Tom.  II,  fasc.  8.  4.    1903.   8^. 

Medizinisch-naturwissenschaftliche  Gesellschaft  in  Jena: 
Jenaische  Zeitschrift  für  Naturwissenschaft.   Bd.  88,  Heft  1.  2.    1903.  8*^. 

Gelehrte  Estnische  Gesellschaft  in  Jurjew  (Dorpai): 
Sitzungsberichte  1902.  Jurjew  1908.  8^. 

Badische  historische  Kommission  in  Karlsruhe: 

Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins.   N.  F.,  Bd.  18,  Heft  8.  4. 

Heidelberg  1908.   80. 
Neujahrsblätter  1904.   Heidelberg  1904.   8^. 

Zenträlhureau  für  Meteorologie  etc,  in  Karlsruhe: 
Jahresbericht  für  das  Jahr  1902.    1908.   4». 

Grossherzoglich  technische  Hochschule  in  Karlsruhe: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1901—02. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Karlsruhe: 
Verhandlungen.    16.  Bd.,  1902—03.   1908.   S^'. 

SocietS  physico-mathimatique  in  Kasan: 
Bulletin.  IL  S^rie,  Tom.  XH,  No.  2.  4;  Tom.  XIII,  No.  1.  2.    1902.   80. 

Universität  Kasan: 

Utschenia  Sapiski.   Bd.  70,  No.  6—11.    1908.   8«. 
Drei  Dissertationen.    1902.   8^. 

Universiti  Imperiale  in  Kharkow: 
Annales  1908,  fasc.  2.  8.   8^. 

Kommission  zur  wissenschaftl.  Untersuchung  der  deutschen  Meere  in  Kiel: 

Wissenschaftliche  Meeresuntersuchungen.   N.  F.   Bd.  VH,   Abteiig.  Kiel; 
Bd.  VIII,  Ergänz.-Heft,  Abteiig.  Kiel.    1908.   4«. 

Universität  in  Kiew: 
Iswestija.   Bd.  48,  No.  6—9.   1903.   8». 

Naturhistorisches  LandesmMeum  in  Klagenfurt: 
Carinthia  II.   93.  Jahrg.,  No.  8—6.   8^. 


Verßeichnia  der  eingelaufenen  Druckeehriften.  35"** 

PhysikdUseh-öhonomische  OeseUsehaft  in  Königsberg: 
Schriften.   48.  Jahrgang.   1902.   4^. 

ünwereität  in  Königeberg: 
Schriften  ans  dem  Jahre  1901—02  in  4^  a.  8^. 

K,  Umversitäte-Stemwarte  in  Königeberg: 
Astronomische  Beobachtungen.   41.  Abteilang.   1903.   4^. 

K.  Akademie  der  Wieeeneehaften  in  Kopenhagen: 
Oversigt.    1903,  No.  2—6.    1908.   8«. 
M^moires.   Section  des  sciences.   Serie  VI,  Tom.  XI,  No.  6  n.  6,  Tom.  XII, 

No.  3.    1908.   4«. 
Dansk  Staaisforvaltning  of  William  Christensen.   1908.   8P. 

OeseUsehaft  für  nordische  Ältertutnskunde  in  Kopenhagen: 

Nordiske  Fortidsminder.    Heft  6  a.  6.    1908.   4^ 
Aarböger.   II.  Raekke,  Bd.  XVII.    1902.   99, 
M^moires.   Nonv.  S^r.    1902.   S^, 

Conseü  permanent  international  potir  Vexploration  de  la  mer 

in  Kopenhagen: 

Bulletin.    Annde  1902—03,  No.  1—4.   1908.   4«. 
Pablications  de  circonstance.   No.  1 — 7.    1903.   8^. 
R-apports  et  Proc^verbaux  des  reunions.   Vol.  I.    1908.   4^. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Kräkau: 

Katalog  literatury  nankowej  polskiej.    Tom.  2,  Heft  4,   1902;  Tom.  8, 

Heft  1.  1908.    1908.   8«. 
Anzeiger.   Mai- Juli. 
Rozprawy  historjczne.   Tom.  44  (=  II.  Serie,  Tom.  19).   1908.   d9, 

,  filologizne.    Tom.  84,  No.  87.    1902—03. 

,.  matemat-przyrod.    Tora.  42  A  n.  B.    1902.   8®. 

Biblioteka  pisarzow  polskich.    No.  42—46.    1908.   8®. 
Materyaly  antropolog.-archeolog.    Tom.  VI.    1903.   8**. 
Atlas  geologiczny  Galicyi.    Zeszut  XIV  mit  Karten.    1903.   8®  bezw.  fol. 
Sprawozdanie  komisyi  bist,  sztaki.   Tom.  VII,  3.   1908.    4^. 
Federowski,  Lud  bialoruski.    Vol.  3.    1903.   8^. 
Prace  komisyi  jezyk.   Tom.  I,  2;  II,  1.    1903.   ^. 
Archiwum  komisyi  histor.   Tom.  IX.    1902.   8^. 

Historischer  Verein  in  Landshttt: 
Verhandlungen.   89.  Bd.    1903.   8^. 

Soditi  Vaudoise  des  sciences  naturelles  in  Lausanne: 
Bulletin.   IV.  S^rie,  Vol.  89,  No.  147.    1903.   8^ 

KansM  University  in  Lawrence,  Kansas: 
Bulletin  (Science).   Vol.  I,  No.  6—12.    1902.   8^. 

K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

Abhandlungen  der  philol. -bist.  Klasse.   Bd.  XXI,  8 ;  XXII,  2.  3.    1908.   4^ 

,    math.-physik.  Klasse.    Bd.  XXVIII,  4.  5.    1908.   4«. 
Berichte  der  math.-physik.  Klasse.   Bd.  66,  No.  3—6.   1908.   8^. 

Verein  für  Erdkunde  in  Leipgig: 
Mitteilungen  1902.   1903.   S''. 


>i 


36'*'  Vergeithnii  der  eingdaurfenen  Druekschrißen, 

UnivergiU  de  lARe: 
Tableanx  des  conrs  de  Tann^e  1908—04.    1908.   8^. 

Museum  Frandeeo-Garolinum  in  Lins: 
61.  Jahresbericht    1908.  8^. 

Soeiedade  de  geograpfna  in  Lissabon: 
Boletim.   20.  Särie  1902,  No.  1—6;  21.  S^rie  1908,  No.  4—7.   8«. 

ZeUsehfift  „La  Cell%Ue"  in  Loewen: 
La  Gellnle.   Tome  XX,  2.    1908.   4^. 

Royal  Institution  of  Chreat  Britain  in  London: 
Proceedings.   Vol.  XVII,  1.   1908.  8^. 

Nationai  Physieai  Laboraiory  in  London: 
Report  for  the  yeart  1901  and  1902.    1902—08.   6<>. 

The  English  Historieal  Beview  in  London: 
Historical  Reriew.   Vol.  XVIII,  No.  71  Jnly,  No.  72  October.    1903.  8*. 

Boydl  Society  in  London: 

Proceeding«.  Vol.  72.  No.  477—486.    1908.   8». 

Reports  of  the  sleeping  aickneaa  Commission.   No.  I — IV.    1908.   8®. 

Report  to  the  Goyernment  of  Ceylon  on  the  Pearl  Oyster  Fiacheries  of 

the  Gulf  of  Manaar.   By  W.  A.  Herdman.   1908.   4t^. 
Philoaophical  Transactions.   Series  A,  Vol.  201.   1908.   40. 
Report  to  the  Malaria  Committee.   VIII^  Series. 

J{.  Ästronomieal  Society  in  London: 

Monthly  Noticee.   Vol.  68,  No.  8,  No.  9  (Sapplementary  No.};  Vol.  64, 
No.  1.    1908.   8». 

Chemical  Society  in  London: 

Jonmal.   No.  488— 494.    1908.   8<>. 
Proceedingi.  Vol.  19,  No.  269—278.    1908.  8^. 

Linnean  Society  in  London: 

Proceedings.    116*^  Session,  Not.  1902  to  Jone  1908.   8^ 

The  Jonmal.    a)  Botany.   Vol.  85,  No.  246.  247;  Vol.  86,  No.  251.  252. 

b)  Zoology.   Vol.  29,  No.  187.  188.    1908.   8«. 
The  Transactions.   II.  Ser.  Botany,  Vol.  VI,  part  6;  Zoology,  Vol.  VIII, 

part  II.  12,  Vol.  IX,  part  1.  2.    1908.   8<>. 
List  of  Fellows.    1908—04.    1908.    BP. 

Medical  and  chirurgical  Society  in  London: 
Medico-chirargical  Transactions.    Vol.  86.    1908.   8®. 

E.  Microscopieäl  Society  in  London: 
Journal  1903,  part  4—6.   8®. 

Zoologicäl  Society  in  London: 

Proceedingfl.    1908,  Vol.  I,  part  1.  2.   8®. 

Transactions.   Vol.  XVI,  part  8;  Vol.  XVII,  part  1.  2.    1908.   4«. 

Zeitschrift  „Nature''  in  London: 
Nature.   No.  1768—1784.   4^. 


VerMeidmis  der  eingelaufenen  Drueksthriflen.  37* 

SociSii  giohgique  de  Belgique  in  LiUtieh: 

Aonalea.   Tom.  XXV  bis  livr.  2;  Tom.  XXIX,  livr.  4;  Tom.  XXX,  lifr.  1. 
1901—08.   80. 

Historischer  Verein  der  fünf  Orte  wt  Liuiern: 
Der  Oeschichtafreond.   Bd.  68.   Stana  1903.   8^. 

Universiti  in  Lyon: 

Annales.   Nony.  S^r.,  l.  Sciences,  fasc.  11.   1903.   8^. 
Catalogue  sommaire  du  Mus^e  de  Moulages.   1908.  8^. 

Wisconsin  Geologicdl  and  Natural  History  Survey  in  Madison: 
Bulletin.   No.  VIII.    1902.   80. 

B.  Äcademia  de  deneias  exaetas  in  Madrid: 

Memorias.   Tom.  X VIII,  parte  1;  Tom.  XX,  XXI.    1897—1908.   40 
Anuario.    1908.   8^. 

B,  Äcademia  de  la  historia  in  Madrid: 
Boletin.   Tom.  48,  cnad.  1—6.   1908.  8^. 

B,  Istituto  Lomhardo  di  seiente  in  Mailand: 

Rendiconti.   Ser.  II,  Vol.  86,  fasc.  9—16.   1903.   8^. 

Memorie.   Classe  di  scienze  matematiche.  Vol.  19,  fasc.  9;  Vol.  20,  fasc.  1. 

1908.   40. 
Atti  della  fondazione  Ca^^ola.   Vol.  18.    1908.   8®. 

B.  Osservaiorio  di  Brera  in  Mailand: 
Pablicazioni.   No.  XLII.   1902.   fol. 

Societa  Italiana  di  scienze  naturali  in  Mailand: 
Atti.    Vol.  42,  fasc.  2.  3.    1903.   8^. 

Societa  Storica  Lombarda  in  Mailand: 
Archivio  Storico  Lombardo.    Ser.  III,  Anno  30,  fasc.  38.  89.   190      8^. 

Böm,-german,  Zenträlmuseum  in  Mainz: 
Festschrift  zur  Feier  des  50jährigen  Bestehens.    1902.   4^. 

Liter ary  and  phHosophicai  Society  in  Manchester: 
Memoirs  and  Proceedings.   Vol.  47,  pari  6.  6.    1903.   8^. 

Altertumsverein  in  Mannheim: 

Mannheimer  Geschichtsblätter.   4.  Jahrg.  1903,  No.  2—12;  5.  Jahrg.  1904, 

No.  1.   49, 
Forschungen  zurGeschichte  Mannheims  und  der  Pfalz.  IV.  Leipzig  1903.  8®. 

Universität  in  Marburg: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1901—02  in  4^  u.  8^. 

Faculti  des  sciences  in  Marseille: 
Annalea.   Tom.  XIII.   Paria  1903.   40 

Hennebergischer  altertumsforschender  Verein  in  Meiningen: 
Neue  Beiträge  zur  Geschichte  deutachen  Altertums.   Heft  18.   1903.   4^, 

Fürsten-  und  Landesschule  St.  Afra  in  Meissen: 
Jahresbericht  für  das  Jahr  1902/03.    1903.   4^. 


38* 


Ver£€idmi$  der  eingelaufene  Dmekedmflen. 


Boyal  Society  of  Victoria  in  Mdboume: 
ProceedingB.   N.  Sar.,  VoL  XVI,  part  1.    1908.   8» 

GeseUsehaft  für  lothringische  Geschichte  in  Metz: 
Jahrbuch.   XIV.  Jahrg.  1902.   49. 

Observatorio  meteorotögico-magnitico  central  in  Mexico: 
Boletin  menraal.   Met  de  Febraro  1902.    fol. 

Begia  Äccademia  di  seienee  lettere  ed  arti  in  Modena: 
Memorie.  Serie  m,  Vol.  4.   1902.  i^. 

Museum  ocianographique  de  Monaco: 

R^altats  des  campagnes  •cieniifiqnea,  fasc.  XIII.  XIV  et  Carte  bathr- 
mätriqoe.    1908.  gr.  8^. 

Museo  nadonal  in  Montevideo: 
Annales.   Tom.  IV.   1908.   4^ 
Flora  ürugaaya.   Tomo  2  (pag.  I— XLVIII  1  - 160).   1903.   4«. 

Aeadhnie  de  seiences  et  lettres  in  Montpellier: 
Memoire«.   Section  de  m^decine.  2«  S^rie,  Tom.  2,  Ko.  1.    1903.   09. 

Ohservatoire  nUtiorologique  et  magnitique  de  V  Universite  Imp.  in  Moskau: 
Observation!  faites  Man— D^.  1901.   1908.    4^^. 

Lazarevsehes  Institut  für  Orientalisehe  Sprachen  in  Moskau: 
Tnidy.   Heft  18.    1902.   B«. 

SocUti  ImpMale  des  Naturcdistes  in  Moskau: 
Balletin.   Ann^  1902,  No.  4.    1903.   8^. 

Mathematische  Gesellschaft  in  Moskau: 
Matematitacheskij  Sbomik.   Bd.  XXIV,  1.   1908.   ^. 

Lick  Ohscrcatory  in  Mount  Hamilton,  California: 
Bulletin.    1908,  No.  37.  41—46,  47-49.   4«. 

Statistisches  Amt  der  Stadt  München: 

Münchener  statistische  Jahresübersichten  für  1902.    1908.   4^. 
Verzeichnis  der  Flächeninhalte  der  Bach- n.  FloMgebiete.  Heft  2.  1903.  4®. 
Atlas  der  bayerischen  Flusagebiete.   2  Karten.    1902—03. 

Hydrotechnisches  Bureau  in  München: 

Jahrbuch.   IV.  Jahtg.,  Heft  IV,  Teil  2  (1902);  V.  Jahrg.,  Heft  II  u.  III 
(1903).   40. 

Generaldirektion  der  K,  S,  Posten  und  Telegraphen  in  München: 

Verzeichnis    der    in    und    ausserhalb    Bayern    erscheinenden    Zeitungen. 
Abteil.  I  u.  II.   Nachträge  zu  den  Zeitungspreisverseichninen.  M. 

Metropolitan- Kapitel  München-Freising  in  München: 
Amtsblatt  der  Erzdiözese  München  und  Freising.   No.  16—29.   8^. 

K,  Oherbergamt  in  München: 
Geognostische  Jahreshefte.   XV.  Jahrgang  1902.   4^ 


Vergeiehnia  der  eingelaufenen  Druekeehriften,  39'*' 

UniversUät  in  München: 

Schriften  ans  dem  Jahre  1902/03  in  4^  u.  &^, 

Amtliches  Verzeichnis  des  Personals.   Wintersemester  1908/04. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  im  Wintersemester  1908/04. 

Historischer  Verein  in  München: 
Altbayerische  Monatsschrift.   Jahrg.  IV,  Heft  1—8.    1903.   4<>. 

Ornithologiseher  Verein  in  München: 
III.  Jahresbericht.    1903.   8^. 

Verlag  der  HoehschuL-Nachrichten  in  München: 
Hochschul-Nachrichten.   No.  164.  157—169.   4^. 

Äcadimie  de  Stanialas  in  Nancy: 
Memoires.   Ann^  168,  6«  S^rie,  Tom.  20.    1903.   &^. 

SociSte  des  sciences  in  Nancy: 
Bulletin.   S^r.  III,  Tom.  8,  fasc.  4;  Tom.  4,  fasc.  1.  2.   Paris  1902.  8». 

Beale  Äccademia  di  scienze  morali  et  poiitiehe  in  Neapel: 

Atti.    Vol.  84.    1903.   8«. 

Rendiconto.    Anno  40  (1901)  e  41  (1902).    1901—03.   6^. 

Äccademia  delle  scienze  fisiche  e  matematiche  in  Neapel: 
Rendiconto.   Serie  3,  Vol.  9,  fasc.  6—7.   1908.   gr.  8<>. 

Zoologische  Station  in  Neapel: 
Mitteilungen.    16.  Bd.,  Heft  1.  2.    Beriin  1903.   8<>. 

Institute  of  Engineers  in  New-Castle  (upon-Tyne): 

Transactions.   Vol.  61,  part6;  Vol.  62,  part  5.  6  und  Report  of  the  Com- 
mittee  upon  mechanical  Goal  Meutting  part  1 ;  Vol.  64,  part  1.   1903.  8^. 
Annual  Report  for  the  year  1902—03.    1903.   Q^. 
Almanaqne  nautico  para  el  ano  1905.   San  Fernando  1908.   gr.  8^. 

The  American  Journal  of  Science  in  New-Haven: 
Journal.   IV.  Ser.,  Vol.  16,  No.  91—96.    1903.   8^. 

American  Oriental  Society  in  New-Haven: 
Journal.    Vol.  XXIV  first  half.    1908.  8«. 

American  Museum  of  Natural  History  in  New -York: 
Annual  Report  for  the  year  1902.    1903.   8^. 

American  Geographical  Society  in  New -York: 
Bulletin.   Vol.  35,  No.  8.  4.    1903.   8^. 

Nederlandsehe  botanische  Vereeniging  in  Nijmegen: 
Nederlandsch  kruidkundig  Archief.   III.  Serie,  2«  Deel,  4«  stuk.    1903.   8*^. 

Arehaeological  Institut  of  America  in  Norwood,  Mass.: 
American  Journal  of  Archaeology.   11*  Series,  Vol.  VII,  No.  fi.   1903.   8<>. 

Naturhistorische  Gesellschaft  in  Nürnberg: 
Abhandlungen.   Bd.  XV,  Heft  1.    1903.   S^. 


40*  KerfAcfcnaf  der  eimgetaufenen  Dnuktcknften. 

OermamitkeB  Naiionalmuseum  in  Nwnd^erg: 
Anzeiger  1903,  Heft  1—4.   40. 

Verein  für  OtethAdde  und  Landeskunde  in  Oenahrüdc: 
MiiteanngeiL  27.  B<L   1902.  8*. 

Oeoiogieal  Suroey  of  Canada  in  OttiMwa: 

Catalogne  of  Canadian  Birdi.   Part  IL   Bj  John  Macoan.   1903.   8<*. 
Annnal  Report   New  Seriea.   Vol.  XII  with  Maps.   1902.  8*. 

Boyal  Society  of  Canada  in  Ottawa: 
Proceedingi  and  Tranaactions.    II.  Seriea,  Vol.  6.    1902.   8*. 

Redaetion  der  Zeüechrift  „Bivista  di  etoriea  antiea"  in  Padua: 
N.  S.   Anno  YU.  fiuc  4.   1908.   8^. 

Cireolo  luatematieo  in  Palermo: 
Rendiconii.   Tom.  17,  fiMe.  4—6.   1908.  4<». 

CoUegio  degli  Ingegneri  in  Palermo: 
Atti.   1902,  Agosto-Dioembre.  4^. 

Acadimie  de  midedne  in  Parie: 
BoUetin.   1908,  No.  26-42.  S®. 

Aeadhnie  des  seienees  in  Paris: 
Compiet  rendoa.   Tome  186,  No.  26;  Tom.  187,  No.  1—25.    1908.   4^. 

£cole  pdytechnique  in  Paris: 

Journal.   II«  S^rie,  cabier  YUI.   1908.   49. 
Proc^s-yerbaoz  dee  i^ancet.    S^rie  II,  Tom.  2.   1908.  8*. 

Moniteur  Seientifique  in  Paris: 
Moniteur.   Livr.  788-744.   4*. 

Mus^  Ouimet  in  Paris: 

Annales  in  4^   Tom.  XXX,  8«  partie.   1908.  8<^. 
Annales.   Bibliotb^ne  d'dtndes.   Tom.  XI  et  XV.   1908.   8«. 
Revue  de  Thiatoire  des  räligions.   Tom.  46,  No.  8;  Tom.  47,   No.  1— S. 
1902—03.   8»>. 

Musium  d'histoire  natureUe  in  Paris: 

Balletin.   Annee  1908,  No.  3.  4.   99. 

Nouvelles  Arcbivea.   IV«  Serie.  Tom.  IV,  fasc.  2.   1902.   4«. 

Sociäi  d'anthropoihgie  in  Paris: 
Bulletins.   1902,  fasc.  6.  6.   8®. 

SociiU  de  giograpfne  in  Paris: 
La  Geographie.   Annäe  VII,  No.  2-6;  ann^  VUI,  No.  1.    1902—08.   4P. 

SocUtS  mathimatique  de  France  in  Paris: 
Bulletin.   Tom.  81,  fesc.  2.  8.    1903.   8«. 

AcadSmie  Imperiale  des  seienees  in  St,  Petersburg: 
Comptes  rendos  des  s^ances  de  la  commission  eismiqoe.   Tom.  I,  Liyr.  2. 
1903.  40. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  thrueksthriften.  41^^ 

Byzantina  Ghronika.   Bd.  YIII,  1—4;  Bd.  IX,  1.  2.   1901—02.   8P. 

Mtooires.    a)  Classe  historico-philologique.  Vol.  IV,  9;  V,  1—6;  VI,  1—4. 

1900—02.  40.  b)  Classe  phyBico-mathömat.  Vol.  XI,  1—11;  XII,  1-11; 

XIII,  1—6  u.  7.    1900-02.   40. 
Bulletin.   6«  Sörie,  Tom.  XVI,  4.  6;  Tom.  XVU,  1-4.    1902.   4«. 

Comiti  giologique  in  St,  Petersburg: 

Bulletins.   XXI,  No.  6—10.    1902.   4®. 

Mämoirea.  Vol.  XVI,  No.  2,  Texte  et  Atlas;  Vol.  XVII,  3 ;  XX,  1.  Nouy.  S^r., 

Livre  1.  2.  4.    1902.   4«. 
Explorations  g^lo^iques  dans  las  rägions  anrif^res  de  la  Sib^rie 

a)  Region  aurif^re  d'J^nissei,  livr.  4. 

b)  ,  .de  L^na,  livr.  2.    1908.   S^. 

Kaiserl.  Botanischer  Garten  in  St,  Petersburg: 
Acta  horti  Petropolitani.    Tom.  21,  fasc.  2.   1908.   8<>. 

Kaiserl,  mineralogische  Gesellschaft  in  St.  Petersburg: 
Verhandlungen.   II.  Serie,  Bd.  40,  Liefg.  2.    1908.   8^. 

Phystkalisch-chemische  Gesellschaft  an  der  Kaiserl,  Universität 

St,  Petersburg: 

Schumal.   Tom.  86,  No.  6—8.    1908.   8^ 

Physikalisches  Zentral-Observatarium  Nicolas  in  St.  Petersburg: 

Publications.    Vol.  IX,  1.  2;  X;  XII;  XIII;  XVII,  1;  XVIII,  1.    1908.    fol. 
Annales.   Annäe  1901,  partie  I.  II.   1908.   4^. 

Kaiserl,  Universität  in  St,  Petersburg: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1902—08  in  4<>  u.  Q^, 

Äcademy  of  natural  Sciences  in  Philadelphia: 
Proceedings.   Vol.  66,  part  1.    1908.   40. 

Historicäl  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 
The  Pennsylvania  Magazine  of  History.   Vol.  27,  No.  107.  108.   1908.   8^. 

Alumni  Association  of  the  CoUege  of  Pharmacy  in  Philadelphia: 
Alumni  Report.  Vol.  89,  No.  6—11.    1908.   8«. 

American  PhHosophical  Society  in  Phüadelphia: 
Proceedings.   Vol.  42,  No.  172.  178.    1908.   8®. 

B,  Scuola  normale  supetiore  di  Pisa: 
Annali.   Filosofia  e  filologia.  Vol.  XVII.    1908.   8^. 

Societä  Toscana  di  scienze  naturali  in  Pisa: 

Atti.    Processi  verbali.   Vol.  XIII,  p.  168—192.   1908.   4». 
Atti.    Memorie.   Vol.  XIX.   1908.   gr.  8». 

Societä  Italiana  di  fisica  in  Pisa: 
II  nuovo  Cimento.   Serie  V,  Tom.  6.    1908,  Aprile-Agosto.   B9, 

Böhmische  Kaiser  Franz  Josef-Akademie  in  Prag: 

Pam4tky  archaeologickä.   Tom.  XX,  No.  2—6.    1902—08.   4®. 
Staroiitnosti  zem^  6eskä.   Dil  II,  syaaek  2.    1908.   4^. 

4 


42*  VerseidMiB  der  eingdamfetien  J>ruck9dkrifUn. 

Gesellschaft  Mur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunsi  und  Idleratur 

in  Prag: 

Vorläufiger  Bericht  über  eine  archäol.  Expedition  nach  Klein&rien.  190S.  4^. 
Beiträge  inr  deatflch-böhmischen  Volkskunde.   Bd.  V,  Heft  1.    1908.  ^. 

Museum  des  Känigreichs  Böhmen  in  Prag: 

Bericht  Ar  das  Jahr  1902.    1908.   S^. 
Casopis.   Bd.  77,  Heft  8.  4.    1908.   8^. 

K,  K,  Sternwarte  in  Prag: 
Magnet,  u.  meteorolog.  Beobachtungen  im  Jahre  1902.  63.  Jahrg.  1903.  4®. 

Verein  hlSlhmiseher  Mathematiker  in  Prag: 
Casopis.   Bd.  82,  Heft  8—6.    1908.   ^. 

Verein  fär  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  in  Prag: 
Mitteilungen.   41.  Jahrg.,  No.  1—4.    1902.   SP. 

• 

Deutscher  natuncissensehaftlrmedizin.  Verein  für  Böhmen  „Loios"  in  Prag: 
Sitzungsberichte.   Jahrg.  1902,  Bd.  60.   8*. 

Naturtoissenschaftlicüier  Verein  in  Begem^narg: 
Berichte.   IX.  Heft  1901  n.  1902.    1903.  ^. 

Naturforscher 'Verein  in  Biga: 
Korrespondenzblatt  No.  XL  VI.    1908.   8®. 

Bibliotheque  Nationale  de  Bio  de  Janeiro: 

Relatorio  apresentado  ao  Presidente  da  Republica  por  Sabino  Barroso 
Jundor.    1902.   80. 

Observatorio  in  Bio  de  Janeiro: 
Annuario.   Anno  XIX  1908.   8^. 
Boletim  mensal.   Outubro-Dezembro  1902;  Janeiro-Mar90  1908.   1908.   8^. 

Beate  Äccademia  dei  Lincei  in  Born: 

Atti.    Serie  V.   Clasae  di  sciense  morali.   Vol.  XI,  parte  2.   Notizie  degli 

scavi,  fasc.  4—8.    1908.   4P. 
Atti.   Serie  V.   Classe  di  sciense  fisiche.   Vol.  XII,  semeste  1,  fiwe.  12; 

semestre  2,  fasc.  1—11.    1903.   4^ 
Bendiconti.    Classe  di  scienze  morali  e  filologiche.    Serie  V,  Vo).  XH, 

fasc.  8— 10.    1908.   8». 
Atti.    Rendiconto  deir  adunanza  solenne  del  7  Giugno  1908.   4^. 

Äccademia  Pontifieia  d£  Nuovi  Lincei  in  Born: 

Atti.    Anno  56  (1902-08),  Sewione  l-VII.    1908.   4«. 

B.  Comitato  gedogieo  d'ItaUa  in  Born: 

Bollettino.    Anno  1908,  No.  1  u.  2.   1908.  8^. 

Kaiserl,  deutsches  archäologisches  Institut  (röm,  ÄhtJ  in  Born: 

Mitteilungen.   Bd.  XVIII,  Heft  1.  2.   1908.  8^. 

B.  Ministero  deUa  Istrusione  publica  in  Born: 

Le  opere  di  QalUeo  Galilei.   Vol.  XIIL   Firenie  1903.   49. 

Historischer  Verein  in  Bosenheim: 

Das  bayerische  Oberland  am  Inn.    8.  Jahrg.  1908.   8^. 


VerMeiehnia  der  eingelaufenen  Druckschriften.  43* 

UnivereiUU  Boetock: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1902/08  in  4P  a.  8^. 

Acadhnie  des  sciences  in  Bouen: 
Prdcis  analytiqne  des  traranx.    Ann^e  1901 — 02.   1908.    8^. 

E.  Äccademia  di  sciense  degli  Ägiati  in  Sovereto: 
Atti.   Serie  III,  Vol.  9,  fasc.  2.    1908.   8^. 

^cole  frangatse  d^ Extreme-Orient  in  Saigon: 
Balletin.   Tom.  III,  No.  2.  3.   Hanoi  1908.   4P, 

Gesellschaft  für  Sälzhurger  Landeskunde  in  Salzburg: 
Mitieilnngen.   48.  Yereinsjahr  1908.   8^ 

Historischer  Verein  in  St.  Gallen: 

Mitteilnnj^en  zur  vaterländischen  Geschichte.   XXIX.    1908.   8®. 
Jahresbericht  tiber  die  Sammlangen  des  hiator.  Vereins  1901/02.   1902.  4^. 
Neujahrsblatt  1908.   4^. 

Institute  y  Observatorio  de  marina  de  San  Fernando^  (Cadie) : 

Anales.   Secciön  11.   ASo  1901.    1902.   fol. 
Almanaqne  nantico  para  el  ano  1906.    1908.   gr.  8^. 

Bosniseh-Hersegovinische  Landesregierung  in  Sarajevo: 
Ergebnisse  der  meteorol.  Beobachtungen  im  Jahre  1899.   Wien  1902.   4^. 

Verein  für  mecklenburgische  Geschichte  in  Schwerin: 
Jahrbflcher  und  Jahresberichte.   68.  Jahrg.  1908.   8^^. 

Comiti  international  des  poids  et  mesures  in  Shvres  prhs  Paris: 
Procös-yerbanx.   S^rie  II,  Tom.  2.   Paris  1908.   BP. 

China  Branch  of  the  B.  Asiatic  Society  in  Shanghai: 
Jonmal.   N.  S^r.,  Vol.  88.   1899—1900.   8«. 

B,  Äccademia  dei  fisiocritici  in  Siena: 
Atti.   Serie  IV,  Vol.  XV,  No.  1-6.   1908.  8®. 

K.  E.  archäologisches  Museum  in  Spaiato: 
Bnllettino  di  Archeologia.   Anno  XXVI,  No.  8~11.   1903.   S^. 

Historischer  Verein  der  Pfaie  in  Speyer: 
liitteilangen.   XXVI.    1908.  BP. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Stockholm: 

Lefnadsteckningar.   Bd.  4,  Heft  8.   1903.   B^. 
Astronomiska  Jakttagelsen.   Vol.  6,  No.  5.   1903.   4^. 
Bihang.   Vol.  28,  Section  1-4.    1908.   8^. 
Meteorologiska  Jakttagelser  i  Sverige.    Bd.  42,  1900.    1903.   4^. 
Handlingar.    N.  F..  Bd.  36.  87,  No.  1.  2.    1902-08.    4^. 
Arki?  f5r  matematik.   Bd.  I,  1.  2.    1908.   80. 
.        ,    kemi.   Bd.  I,  1.    1908.   BP. 

,    botanik.   Bd.  I,  1—8.    1903.   BP. 
.  ,        ,    Booloffi.   Bd.  I,  1.  2.    1908.   80. 
Arsbok  1908.   €?. 
Berzelius,  Reseanteckninger.    1908.   S®. 


44*  Verseiehnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Oedogiska  FÖrening  in  Stockholm: 
Förhandlingar.   Bd.  26,  Heft  6.  6.   190S.   8^. 

InstittU  Royal  giologique  in  Stockholm: 

Sven'i^eR  geologiska  andersOkning.  Series  Aa,  No.  116.  118.  122;  Ac,No.7: 
C,  No.  198.  194;  Ca,  No.  3.    1908  in  4®  u.  8^. 

Nordieka  Museet  in  Stockholm: 

Meddelanden  1902.    1908.   Bf^. 

Samfondet  1900  och  1901.    1902.    8<>. 

Vinterbilder  n.  Sommarbilder  Fran  Skannen.    1901.   4^. 

Minnen  Frän  Nordiska  Museet.   Bd.  II,  Heft  8-12.    1902.    4^ 

Oesellschaft  zur  Förderung  der  Wissenschiiften  in  Strassburg. 
Monatsbericht   Bd.  87,  No.  6-7.    1908.   Sfi. 

Kaiserl.  Universität  Strassburg: 
SchrifteD  aui  dem  Jahre  1902/08  in  4<»  a.  99. 

K.  LandesbibJiothek  in  Stuttgart: 
Wirtemberfl^isches  Urkandenbuch.   Bd.  8.    1908.   4^. 

Württemhergische  Kommission  für  LandesgeschidUe  in  Stuttgart: 

Vierte Ijahre»hefte  fSr  Landesg^eschichte.    N.  F.,  XII.  Jahr^.,   Heft  1—4. 

1908.   8^. 
Mitteilungen.    12.  Sitzang,  1.  Mai  1903.   8^. 

K.  Kürttemb.  statistisches  Landesamt  in  Stuttgart: 
Die  erdmagnet.  Elemente  von  Württemberg  n.  HohenzoUern.    1903.   4^. 

Physikalisches  Institut  der  K,  Technischen  Hochschule  in  Stuttgart: 
Relative  Schweremessungen  III.,  ▼.  K.  R.  Koch.    1903.   8^. 

Department  of  Mines  in  Sydney: 
Records  of  the  geological  Survey.   Vol.  VH.  8.    1908.    4<>. 

Boyal  Society  of  New -South -Wales  in  Sydney: 
Journal  and  Proeeedings.    Vol.  36.    1902.   8^ 

Linnean  Society  of  New  -South- Wales  in  Sydney: 

Proceedingg.    Vol.  23,  part  1—4;    Vol.  24,  part  1—4;  Vol.  27,   part  2' 
Vol.  28,  part  1.  2.    1898—1903.   8«. 

Earthquake  Investigation  Gommittee  in  Tokyo: 
Publications  No.  14.    1903.    4». 

Deutsche  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens  in  Tokyo: 
Mitteilungen.    Bd.  IX,  Teil  8.    1903.    6^. 

Kaiserl.  Universität  in  Tokio  (Japan): 

The  Journal  of  tbe  College  of  Science.   Vol.  17,  article  11.  12;  VoL  18, 
ürticle  2-4;  Vol.  19,  article  1.  6—10.    1903.   4^ 


Verseichnis  der  eingelaufenen  Druekschriften,  ib* 

Mitteilungen  aus  der  medizinischen  Fakultät.   Bd.  VI,  No.  1.   1908.   4^. 
The  Bulletin  of  the  College  of  Agriculture.   Vol.  5,  No.  8.  4.    1908.   4<>. 

Kansas  Äcademy  of  Sciences  in  Topeka,  Kansas: 
Transactiona.    Vol.  XVIII.   1903.   8«. 

Ältertumsverein  zu  Targau: 
Veröffentlichungen.   Heft  16  u.  16.    1908.   S^. 

üniversiti  in  Toulouse: 

Annales  du  Midi.    16«  ann^e,  No.  68.  69.    1908.   8<>. 

Annales  de  la  facultä  des  sciences.  II*  Sdr.,  Tom.  6.   Ännde  1903.  Paris.  4^. 

Biblioth^ue  märidionale.   I.  S^rie,  Tom.  8.    1903.    80. 

Biblioteea  e  Museo  comunale  in  Trient: 
Archivio  Trentino.   Anno  18,  fasc.  1.   1908.  8^. 

Museo  dvico  di  storia  naturale  in  Triest: 
Atti.    Vol.  10.   1908.   8«. 

Universität  Tübingen: 

Georg  ▼.  Below.  Zur  Geschichte  der  konstitutionellen  Partei.    1903.   4^. 
Ludolf  Krehl,  Über  die  Entstehung  der  Diagnose.    1903.   4^. 

B.  Accademia  delle  scienze  in  Turin: 

Atti.    Vol.  38,  disp.  8-16.    1903.   B^. 
Memorie.   Serie  II,  Tom.  63.    1908.   4P, 

Meteorolog,  Observatorium  der  Universität  Upsala: 
Bulletin  mensuel.    Vol.  34,  Annde  1902.   1902—08.   4^. 

K,  Universität  in  Upsala: 

Hermann  Lundborg,  Die  progressive  Mjoklonus-Epilepsie.    1908.   8^. 
Eranoa.    Acta  philologica.    Vol.  6,  fasc.  1.  2.    1908.   8^. 
Schriften  ans  dem  Jahre  1902-H)3  in  4^  u.  8^. 
Svariges  Karta  af  Sven  Lönborg.    1903.    8^. 

Physiologisch  Laboratorium  der  Hoogeschool  in  Utrecht: 
Ondenoekingen.   V.  Reeks;  IV,  2.   1908.    8». 

Accademia  di  Scieme  in  Verona: 
Atti  e  Memorie.   Ser.  IV,  Vol.  8.    1902-03.   8« 

Mathematisch-physikalische  Oesellschaft  in  Warschau: 
Prace  matematyczno-fizjcsne.    Tom.  14.    1908.   8^. 

National  Äcademy  of  Sciences  in  Washington: 
Memoirs.   Vol.  VIII,  7.    1902.   49, 

Bureau  of  American  Ethnology  in  Washington: 
Bulletin.   No.  26 :  Trunzbull  Natick  Dictionary .    1903.   4^. 

Smithsonian  Institution  in  Washington: 

Smithsonian  Contributions  to  Knowledge.    No.  1378.    1908.   4^. 
Smithsonian  Miscellaneous  CoUections.   No.  1872.  1876.    1902—03.   8^. 


46"*^  Verseiehnia  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

ü,  S.  Nationcd-Mueeum  in  Washington: 

Bnlletin.   No.  60,  pari  I.  II;  No.  51.  62.    1902.  BP. 
Proceedings.   Vol.  XXIV-XXVI.   1902-08.  8«. 

U.  8,  Naval  Observatory  in  WaMngton: 
Pnblications.   11^  Series,  Vol.  8.    1908.   4P. 

The  Ästronomicai  and  Ästrophysieal  Society  of  America 

in  Washington: 

Second,  third  and  foorth  Meeting:  1900--02.    1901—03.   8^. 

Ü,  S,  Coast  and  Geodetic  Survey  in  Washington: 

Report  of  the  Superintendent  for  the  jear  1901—02.    1903.   4^. 
List  and  Catalogne  of  the  Publications  1816—1902.   1902.   40. 
A  Bibliography  of  Qeodesy  bj  James  Howard  Gore.    1908.   4^. 

United  States  Oeologiecd  Survey  in  WaMngton: 

Bulletins.   No.  191.  196—207.    1902.   80. 
Monographs.   No.  XLII.  XLIIl.    1903.   4» 
Mineral  Reiources,  year  1901.    1902.   BP. 
Professional  Paper  No.  1—8.    1902.   4®. 
Water-Supply  Papers  No.  66—79.   1902-08.   8®. 

Library  of  Congress  in  Washington: 

A  List  of  Books  on  mercantile  marine  aubsidies.    1908.   4®. 

SelectList  of  Books,  8  Vols;  Select  List  of  References,  eVols.    1903.   4P. 

Harzverein  für  Geschichte  in  Wernigerode: 
ZeiUchrift.   86.  Jahrg.,  Heft  1.    1908.   80. 

Kaiserl,  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

Sitzungsberichte.   Philos.-hist.  Klasse.   Bd.  146. 

Mathem.-naturwissenschafbl.  Klasse.  Abi.  I,  Bd.  111,  No.  4—9; 
Abt,  IIa,  Bd.  111,  No.  6-10;  Abt.  IIb,  Bd.  111.  No.  4—10;  Abt,  HI, 
Bd.  111,  No.  1-10  und  Register  zu  den  Banden  106—110.    1902.   8«. 

Denkschriften.   Mathem.-naturwissenschaftl.  Klasse.   Bd.  72. 

Schriften  der  Balkankommission.  Linguistische  Abteilung  II.  III.   1903.  4^. 

Archiv  für  Osterreichische  Oeschichte.   Bd.  91,  2;  Bd.  92,  1.    1902.   BP. 

Fontes  rerum  Austriacarum.   II.  Abtlg.,  Bd.  66.    1902.   8^. 

Almanach.    1902.    S^. 

K.  K.  geologische  Beichsanstalt  in  Wien: 

Jahrbuch.   Jahrg.  1902,  62.  Bd.,  Heft  2—4;  Jahrg.  1908,  68.  Bd.,  Heft  1. 

1903.    4®. 
Abhandlungen.   Bd.  XX,  Heft  1.    1903.   foL 

Mitteilungen  der  Erdbebenkommission.   N.  F.,  No.  X,  XI,  XIIL    1902.   8^. 
Verhandlungen  1903,  No.  9—16.    4^. 

Geologische  Karte  der  österr.-ungar.  Monarchie.   Lief.  IV.  V.   1903. 
Mitteilungen  der  prähistor.  Kommission.   Bd.  I,  No.  6.   1908.   4^. 

K.  K.  Zentralanstält  für  Meteorologie  in  Wien: 
Jahrbücher.   Jahrg.  1901  in  2  Bänden.    1902.   4". 


Verteichnis  der  eingelaufenen  Drucksckriflen.  47« 

K.  K.  GeselUehaft  der  Aerste  in  Wien: 
Wiener  kliniBche  Wochenschrift.   16.  Jahrg.  1908,  No.  27—58.   40. 

Zocloffiach-hotanische  Oesellsckaft  in  Wien: 
Verhandlungen.   Bd.  58,  Heft  5—9.   1908.  df^. 

K,  K,  naturhistorischea  Hofmueeum  in  Wien: 
Annalen.    Bd.  18,  Hefb  2.  8.    1908.   4^. 

iC.  K,  Universität  in  Wien: 
Schriften  ans  dem  Jahre  1902/03.   1908.   B9. 

K,  K,  Ünivereitäta-Stemwarte  in  Wien: 
Annalen.   Bd.  XYI.    1902.   4P. 

Verein  eur  Verbreitung  naturtoiseensehaftlicher  Kenntnisse  in  Wien: 
Schriften.   Bd.  42.  48.    1902—08.   S^. 

Nassauischer  Verein  für  Naturkunde  in  Wiesbaden: 
JahrbQcher.   Jahrg.  56.   1903.   ^. 

Geschichtsverein  für  das  Hersogtum  Braunschweig  in  Woifehbüttel: 

Jahrbach.   Bd.  I.    1902.   8^. 

Brannschweigisches  Magazin.   8.  Jahrg.  1902.   4^ 

Physikalisch-medizinische  Gesellschaft  in  Würzburg: 

Verhandlungen.   N.  F.,  Bd.  85,  No.  6.  7.    1903.   S^. 
Sitzungsberichte.   Jahrg.  1902,  No.  5.  6.   8^. 

Naturforschende  Gesellschaß  in  Zürich: 
VierteUahrsschrift.   1908,  Heft  1.  2.   1908.   B^. 

Physikalische  (Gesellschaft  in  Zürich: 
Mitteilungen  1908,  No.  5.   B». 

Schweizerische  geologische  Kommission  in  Zürich: 

Beiträge   zur  Geologie  der  Schweiz.    Qeotechnische  Serie,  Lieferang  II. 
Bern  1908.   4^. 

Schweizerisches  Landesmuseum  in  Zürich: 

Anzeiger  fQr  Schweizer.  Altertamskande.   N.  F.,  Bd.  V,  No.  1.    1903.   4^. 
XI.  Jahresbericht  1902.    1903.   B». 

Sternwarte  in  Zürich: 
Astronomische  Mitteilungen.   No.  XCIV.    1903.   B^'. 

Universität  in  Zürich: 
Schrillen  1902/03  in  4«  u.  B». 


48*^  Vereeiihnis  der  eingelmtfenen  Drueksehriften, 


Von  folgendoi  Privatpenonen: 

Verlag  von  Johann  Ämhrosius  Barth  in  Leiptig: 

Beiblätter  su  den  Annalen  der  Physik.  Bd.  27,  Heft  7—1 2.  Leipä«r  1903.  ^ 
Journal  för  prakt.  Chemie.   N.  F.,  Bd.  67,  Heft  11.  12;  B.  68,  Heft  3-10- 
Leipzig  1908.   8P. 

Frande  BcuÜiforth  in  Cambridge: 

A  historical  Sketch  of  the  experimental  Determination  of  tfae  ßesiitaiic« 
of  the  Air  to  the  Motion  of  Projectilei.   Cambridge  1903.    8^. 

Hermann  BMau's  Nachfolger  in  Weimar: 

Zeitachrift  der  Savigny- Stiftung  ffir  Rechtsgeachichte,  Bd.  XXIV  (roma- 
nistische  und  germanistische  Abteilung).   Weimar  1903.   8^. 

^müe  Bouianger  in  Paris: 
Germination  de  Tascospore  de  la  truffe.   Paris  1908.   4P. 

Charles  Combes  in  Paris: 
Sur  les  tentatiyes  de  reproduction  du  diamant.   Paris  1903.   4^. 

JR.  Fick  in  Leipsig: 
Gesammelte  Schriften  von  Adolf  Fick.   Bd.  L   Wflrsburg  1903.   8®. 

Verlag  von  Chutav  Fischer  in  Leiptig: 

Naturwissenschaftliche  Wochenschrift  1908,   Bd.  18,  No.  40—62;   Bd.  19, 

No.  1—18.   Jena.   4». 
Ernst  Abbe,  Gesammelte  Abhandlungen.   Bd.  I.   Jena  1904.    6^. 

H,  Fritsche  in  Eiga: 
Atlas  des  Erdmagnetismus.   Biga  1908.   fol. 

Albert  Oatidry  in  Paris: 
Discours  prononc^  le  21  d^cembre  1903.   Paris  1908.   4®. 

JJf  ««  F»»  Godin  in  Ouise  (Äisne) : 
Le  Devoir.   Tom.  27,  Juillet— Döcembre  1903.   Guise.   8«. 

JEmü  Ä.  Ooeldi  in  Pard,  Brcuüien: 
Album  de  Aves  Amazonicas.   Par4  1903.  4^. 

Ernst  Haeckel  in  Jena: 

Anthropogenie.   6.  Auflage.    Leipzig  1908.    2  Bde.   8®. 
Kunstformen  der  Natur.   Liefg.  9.    Leipzig  1903.   fol. 

H,  van  Herwerden  in  Utrecht: 
Collectanea  critica,  epicritica,  exegetica.   Lugd.-Bat.  1903.   8^. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  49* 

Eduardo  Higginson  in  Sauthampton: 
Karte  yon  Peru.   Lima  1908. 

Johannes  Jaeger  in  Amherg: 
Die  Klosterkirche  bq  Ebrach.   Würzburg  1908.   4^. 

A.  KÖlliker  in  Würzburg: 
Die  Entwicklung  und  Bedeutung  des  Glaskörperi.   Leipzig  1904.   8^. 

J,  J.  Kossonogoff  in  Kiew: 

Optinche  Resonanz  als  Ursache  der  selektiven  Reflexion  und  Absorption 
des  Lichtes.   Kiew  1908.  6^.   (In  rasa.  Spr.) 

Karl  Krumhacher  in  München: 
Byzantinische  Zeitschrift.   Bd.  XII,  8.  4.   Leipzig  1908.   80. 

J.  V,  Kuil  in  München: 
Repertorium  zur  Münzkunde  Bayerns.  11.  Fortsetzung.  Mflnchen  1903.  8^. 

F,  Liehermann  in  Berlin: 
Die  Gesetze  der  Angelsachsen.   Bd.  I.   Halle  1908.   4^. 

C.  Mehlis  in  Neustadt  a.  H,: 

Neolithische  u.  spfttzeitliche  Silex-  u.  Kieselware.   1908.  4^   (Ausschnitt.) 
Das  Grabhügelfeld  an  der  Heidenmauer  bei  Dflrkheim  a,  H. 
Die  Grabhügel  im  Ordenswalde  und  Hasslocher  Walde.    Braunschweig 
1908.  40. 

Gabriel  Monod  in  Versailles: 
RcYue  historique.   Tom.  82,  No.  II ;  Tom.  88,  No.  I.  II.    Paris  1908.   8<>. 

Friedrich  OMenschlager  in  München: 
Römische  Überreste  in  Bayern.   Heft  2.   München  1908.   8^. 

Qerasimus  B.  Pignatarre  in  Athen: 
De  festi  corporis  domini  apud  Catinos  institutione.   Athenis  1908.    8**. 

Gustav  Badde  in  Tiflis: 
Die  Sammlungen  des  Kaukasischen  Museums.   Bd.  III.   Tiflis  1901.   4. 

Verlag  von  Dietrich  Beimer  in  Berlin: 

Zeitschrift  für  afrikanische,  ozeanische  und  ostasiatische  Sprachen.   Jahr- 
gang VII.   Heft  1.   Berlin  1908.   8^ 

K,  Budel  in  Nürnberg: 
Grundlagen  der  Klimatologie  Nürnbergs.    Teil  I.   Nürnberg  1908.   4^ 

Verlag  von  Seitz  &  Schauer  in  München: 
Deutsche  Praxis  1908,  No.  18—28.   München.   8^. 

Lucian  Scherman  in  München: 
OrienUlische  Bibliographie.    16.  Bd.  (8  Hefte).   Berlin  1908.   8«. 


50*  Verteichnia  der  eingelaufenen  DrucksdirifUn. 

Henry  Simonifeld  in  München: 

Itinerario   di  Germania  dell*  anno    1492   edito  da  Enrioo  Simomüeld. 
Venesia  1908.  8<>. 

Verlag  von  B.  O.  Teubner  in  Leipsig: 

TbesauruB  lin^nae  latinae.    Vol.  I,  fasc.  6    Liptiae  1903.   Af^. 

Archiv   der   Mathematik   nnd   Physik.     III.  Reihe,    Bd.  6,   Heft  1-4. 

Leipsig  1903.   8^ 
Encjklopildie  der  mathematischen  Wissenschaften.    Bd.  Illa,  Heft  2/S; 

Bd.  IVl.  Hefts.   Leipzig?  1908.    8«. 

A,  Thieuüen  in  Parie: 
Le  Mammon th  et  le  Renne  k  Paris.  Paris  1908.  fol. 

L.  Wittmaek  in  Berlin: 
Die  in  Pompeji  gefundenen  pflanslichen  Stoffe.   Sep.-Abdr.   1908. 


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Inhalt. 


S«ts 

K.  Th.  V.  Hei  gel:    Denkwürdigkeiten   des   bayerischen    Staatsrat* 

Georg  Ludwig  von  Maurer       .        .         .         .         .        .       .    47. 

Sitzung  der  philosophisch-philologischen  und  der  historischen  Kloise 

vom  7,  November  1903         .         .         .513 

Oeff entliche  Sitzung 
zu  Ehren  Seiner  Königlichen  Hoheit  des  Prinz- Begenten 

am  25.  November  1903       .         .         .       .    514 

Sitzung  der  philosophisch-philologischen  und  der  historischen  Klasse 

vom  6,  Dezember  1903        ....    5:r 

L.  Traube:    Acta  Archelai dCc. 

K.  Krumbacher:  Die  Akrostichis  in  der  griechischen  Kii-chenpoesie    5'1 

Eiu8endung  von  Druckschriften 25*— j'/ 


Die  Abhandlungen  sind  auch  in  Sepaxatabzügen  hergestellt  and 
erscheinen  einzeln  unter  den  Publikationen  des  akademiechen  Verlans 
in  Kommission  der  Franz'schen  Yerlagshandlnng  (J.  Roth). 


Akademisch«  Bachdruckerei  von  F.  Straub  in  HQDeh«ii. 


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