Google
This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing tliis resource, we liave taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each file is essential for in forming people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can't offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
at |http: //books .google .com/I
Google
IJber dieses Buch
Dies ist cm digitalcs Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den R^alen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mil dem die Biicher dieser Welt online verfugbar gemacht weiden sollen, sorgFaltig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht uberdauert und kann nun offentlich zuganglich gemacht werden. Bin offentlich zugangliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch offentlich zuganglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Offentlich zugangliche Biicher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kultuielles
und wissenschaftliches Vermogen dar, das haufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randl>emerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Dmen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mil Bibliofheken in parfnerschafflicher Zusammenarbeif offenflich zugangliches Material zu digifalisieren und einer breifen Masse
zuganglich zu machen. Offentlich zugangliche Biicher gehiiren der OfTentlichkeit, und wir sind nur ihre Hiiter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfiigung stellen zu konnen, haben wir Schritte untemommen, urn den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehiiren technische Einschrankungen fiir automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sic um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nuizung derDateien zu nickikommemellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tiir Endanwender konzipiert und mochten. dass Sie diese
Dateien nur fur personliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisienen Abfragen Senden Siekeine automatisierten Abfragen iigendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
iiber maschinelle Ubersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche duichfuhren, in denen der Zugang zu Text in groBen Mengen
niitzlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fordem die Nutzung des offentlich zuganglichen Materials fiirdieseZwecke und konnen Ihnen
unter Umstanden helfen.
+ Beihehallung von Google-MarkenelemenlenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei fmden, ist wichtig zur Information iiber
dieses Projekt und hilft den Anwendem weiteres Material iiber Google Buchsuche zu fmden. Bitte entfemen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalitdt Unabhangig von Direm Ver wend ungsz week mussen Sie sich Direr Verantwortung bewusst sein,
sicherzu stellen, dass Dire Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafurhalten fur Nutzer in den USA
offentlich zuganglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Landem offentlich zuganglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir kiinnen keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulassig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und iiberall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
tJber Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin. die weltweiten In form at ion en zu organisieren und allgemein nutzbar und zuganglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesem dabei, die Biicher dieser We lt zu entdecken, und unterstiitzt Au toren und Verleger dabci. neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext kiinnen Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen.
INHALT.
•
Seit«
Veraeichniss der Mitglieder am I. Januar 1887 I
Hofmann: Uber das Chinolinroth 3
Landolt: Uber die Zeitdauer der Reaction zwischen Jods&ure und schwefliger Saure 21
MiLCHHOEFER : Uber Standpunkt und Methode der attischen Demenforschung 41
E. Du Bois-Reymond: Festrede zur Feier des Geburtstages Friedrich's II 57
Waldeyer: Uber den Placentarjtreislauf des Menschen 83
FucHs: Uber die Unikehrung von Functionen zweier Veranderlichen 99
A. Kirchhoff: Beinerkungen zu dem Bruehstiiek einer Basis /on der Burg zu Athen Ill
EuTiNo: Zwei bilingue Inschriften aus Tamassos (hierzu Taf. I und II) . . 115
Westermaikr : Neue Beitrage zup Renntniss der physiologischen Bedeutung des Gerbstoftes in den
Pflanzengeweben (hierzu Taf. Ill) 127
CuRTius: Die Volksgrusse der Neugriechen in ihrer Beziehung zum Alterthum 147 ^
FucHs: Uber einen Satz aus der Theorie der algebraischen Functionen, und uber eine Anwendung
desselben auf die Differentialgleichungen zweiter Ordnung 159
Adresse an Hni. Otto Struve zur Feier seines funfzigjahrigen Astronomenjubilaums und fiinfiindzwanzig-
jSlhrigen Directorjubil&ums am 20. Februar 1887 1()7
Boettoer: Vei*zeichniss der von Hrn. Dr. Heinr. Simroth aus Portugal und von den Azoren mitge-
brachten Reptilien und Batrachier 175
Zellsr: Cber die Unterscheidung einer doppelten Gestalt der Ideenlehre in den platonischen Schriften 197
VON Helmholtz : Zur Geschichte des Princips der kieinsten Action 225
Heoel: Uber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters 237
VON Bezold: Experimentaiuntersuchungen fiber rotirende Flussigkeiten (hierzu Taf. IV) 2HI
Grunmach: Uber die Beziehung der Dehnungscurve elastischer Rohren zur Pulsgeschwindigkeit (hierzu
Taf. V) 275
AuwERs: Ansprache in der Festsitzung zur Feier des Geburtsfestes Sr. Majest&t des Kaisers und
Konigs 285
A. Kirchhoff: Bericht uber die Sanimlung der griechischen Inschriften 289
Mommsen: Bericht uber die Sammlung der lateinischen Inschriften 290
Mommsen: Bericht uber die romische Prosopographie 292
Zbller: Bericht fiber die Herausgabe der Aristoteles - Commentatoren 293
VON Sybel: Bericht fiber die poiitische Correspondenz Friedrich's II 293
Bericht fiber die Herausgabe der Werke Jacobi's 303
E. DU Bois-Reymond: Jahresbericht des Curatoriums der Humboldt -Stiftung .*i03
Jahresbericht der Bopp- Stiftung ffir 1886 304
Bericht der Commission fur die Saviony - Stiftung 304
Wattenbach: Bericht fiber die Monuiuenta Gemianiae historica 305
Conze: Jahresbericht des Archaeologischen Instituts 308-
KoNio: Uber Newton's Gesetz der Farbenmisehung imd darauf bezugliche Versuche des Hrn. Euoen
. Brodhun 311
Adresse an Hrn. Ernst Beyrioh zur Feier seines funfzigjahrigen Doctorjubilaums am 12. April 1887. 325
Inhalt.
Sche
Wilsing: Mittheilujig uber die Resultate von Pendelbeobachmiigen zur Bestimmuiig der mittleren
DichUgkeit der Erde 327
Dillmann: Uber die apokryphen Marty rergeschichten des Cyriacus mit Julitta und des Georgius . . 339
Mommsen: Uber eineii neu aufgefundeneii Reisebericht iiach dem gelobten Lande 357
Sprung : Uber aussergewohiiliche Storuiigeii ini Gauge des Luftdruckes am 3. uiid 4. Mai 1887 . . 367
(V»nze: Jahresbericht uber die ThStigkeit des Kaiserlich deutschen archaeologischeii Institute . . . 369
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron 375
EuTiNo: Epigraphische Miscellen (hierzu Taf. VI bis X) 407
Hofmanh: Zur Renntniss des Amidophenylmereaptans und der entsprechenden Naphtylverbindmigen , 427
1887.
I.
SITZUNGSBERICHTE
kOniglicii preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN
6. Januar. Gesammtsitzung.
Voi-sitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. HoFMANN las die umstehend folgende Mittheilung ul)er
das Chinolinroth.
2. Die folgenden Werke wurden vorgelegt: Band II Th. I
des von der Akademie herausgegebenen Supplementuni Aristotelioum
(Alexandri Aphrodlsiensis scripta minora ed. I. Bkuns), und da.s mit
Unterstfttzung der Akademie von Hrn. Buttnee herausgegebene Worter-
buch des Otji-Herero von H. Brincker.
3
Uber das CMnolinroth.
Von A. W. HOFMANN.
U nter obigeni Namen ist sclion seit einigen Jahren ein schoner rotlier
FarbstoflFbekannt, welcher, von Hrn. Dr. Emil Jacobsen entdeckt, in den
Werkstatten der Gesellschaft fiir Anilinfabrikatioji in Berlin technisch
gewonnen wird. Aus diesen Werkstatten stamnit auch da>s Material,
welches fiir die nachstehend beschriebenen Versuche zur Veiwendung
gekommen ist. Ich verdanke dasselbe meinem Freunde Hm. Dr. Martius,
welcher ebenso wie Hr. Jacobsen, der Entdecker des interessanten
Farbstoffes, schon vor langerer Zeit den Wunsch ausgesproclien hat,
dass ich die Zusammensetzung des Chinolinroths feststellen moge.
Die Entdeckung des Chinolinroths lasst sich ungezwungen auf
die sch5ne Arbeit 0. Doebner's* uber das Malachitgriin zui^uckfuhren.
Das Malachitgiiin entsteht durch die Einwirkung des Benzotrichlorids
auf Dimethylanilin in Gegenwart von Chlorzink. Indem E. Jacobsen^
in dieser Reaction dem Dimethylanilin das Chinolin substituirte , erhielt
er das Chinolinroth. In beiden Fallen ist es ein tertiares aromatisches
Monamin, welches mit Benzotrichlorid condensirt wird.
Die vortheilhafteste Darstellung des Chinolinroths ist Gegenstand
zahlreicher Versuche gewesen, welche Hr. Dr. Georg Zierold in den
oben genannten Werkstatten angestellt hat. Derselbe hat die Gute
gehabt, mh' die Methode mitzutheilen , bei welcher er schliesslich
stehen geblieben ist, wofiir ich demselben an dieser Stelle meinen
besten Dank ausspreche.
Darstellung des Chinolinroths, loo^ Steinkohlentheerchinolin, zwi-
schen 235 und 240° siedend, werden mit 25^ moglichst trockenem Chlor-
zink gemischt. In die auf dem Wasserbade erwarmte Mischung lasst
man alsdann 40^ Benzotrichlorid aus einem Tropftrichter langsam ein-
fliessen, indem man uberdies durch rasche Vertheilung desselben in
der sich alsbald stark rothenden Fliissigkeit Sorge tragt, dass die
Temperatur in Folge der ziemlich heftigen Reactionswarme uiclit uber
' DoEBNBR, Ber. chem. Ges. XI, 2222.
' Jacobsen, D. P. Nr. 19306, 12. Febr. 1882 11. Ber. chem. Ges. XV [R] 2646.
1*
4 Gesammtsitzung vein 6. Januar.
120 bis 130^ steige. Bei Anwendung der erwahnten Gewichtsmengen
nimmt die Arbeit etwa 3 bis 4 Stunden in Anspruch. Nach Verlauf
dieser Zeit ubergiesst man das harzige, an den Wanden des Gefesses
haftende Reactionsproduct mit einer dunnen Kalkmilch (100* reinen
Ealks auf i Liter Wasser), welche durch einen Wasserdampfstrahl
zum Sieden erhitzt wird. Der Farbstoff ist in salzsaurehaltigem Wasser
viel weniger loslich als in reinem: der zugesetzte Kalk sattigt die in
der Reaction entstandene Saure, zerlegt aber auch das vorhandene
Chlorzink, mit welchem der Farbstoff eine imlosliche Verbindung ein-
geht. Gleichzeitig werden sehr betrachtliche Mengen von Chinolin,
welche nicht in Reaction getreten sind, durch den Kalk in Freiheit
gesetzt, mit den Wasserdampfen verfluchtigt und wieder gewonnen.
Um den Farbstoff moglichst voUstandig in Losung zu bringen, wird die
Fliissigkeit langere Zeit im Sieden erhalten und dann auf ein Heiss-
wasserfilter geworfen. Das klare carmoisinrothe Filtrat mit Salzsaure ver-
mischt, setzt nach dem Erkalten eine nicht unerhebliche Menge kleiner
rother Krystalle von mehr oder weniger reiner Farbe ab. Diese Kry-
stalle stellen den neuen Farbstoff dar. Zur weiteren Reinigung ist es
zweckmassig, denselben noch mehrmals aus siedendem Wasser durch
Salzsaure auszuscheiden ; aber selbst auf diese Weise gereinigt, enthalt
die im Ubrigen den Eindruck der Reinheit machende Substanz immer
noch Spuren von Kalk- und Zinksalzen, welche sich beim Veraschen
unzweideutig zu erkennen geben. Nur dui'ch mehrfaches Auskochen
mit Salzsaure und schliessliches Umkrystallisiren aus Alkohol gelang
es, ein Product zu erhalten, welches bei dem Verbrennen keine Asche
hinterliess.
Die Umstandlichkeit dieses Reinigungsverfahrens hat mich ver-
anlasst, den reinen Farbstoff ohne Mitwirkung von Chlorzink darzu-
stellen. Dies gelingt in der That, wie schon Jacobsen gezeigt hat,
ohne besondere Schwierigkeit, indem man im Ubrigen genau so ver-
fahrt, wie oben angegeben worden ist. Nur muss man etwas langer
und starker — bis auf etwa 150° — erhitzen. Fiir die Darstellung
gi'osserer Mengen Farbstoff ist dieses Verfahren indessen nicht zu em-
pfehlen, wohl aber ftr die Gewinnung einer reinen Substanz fiir die Ana-
lyse. Fur einige weiter unten anzufiihrende Bestimmungen ist der Farb-
stoff in der That ohne Mitwirkimg von Chlorzink gewonnen worden.
Die Ausbeute an Chinolinroth , welche man nach dem oben be-
schriebenen fabrikatorischen Verfehren erhalt, ist eine in hohem Grade
unbi^friedigende. Bei seinen zalilreichen Versuchen hat Dr. Zierold
im Mittel nicht mehr als 5 Procent des in Arbeit genommenen Clii-
nolins in Farbstoff zu verwandeln vermocht; da man indessen bei-
laufig 50 Procent des Chinolins wiedergewinnt, so kann man sagen,
Hofmann: Uber das Chinolinroth. 5
dass die Ausbeute in runder Zahl i o Procent des in Reaction tre ten-
den Chinolins betragt. Mit diesen Ergebnissen stimmen Versuche, die
im hiesigen Laboratorium angestellt worden sind, im grossen Ganzen
iiberein. Die geringe Ausbeute, mehr noch vielleicht als die Unbestan-
digkeit des FarbstoflFs, ist wohl die Ursache gewesen, dass das Chi-
nolinroth bisher nur wenig in Aufiiahme gekommen ist.
Da man bei der Darstellung des Roths eine so grosse Menge
Chinolin zuruckerhalt, so lag es nahe, dasselbe bei neuen Darstellungen
wieder zu verwenden. Bei diesen Versuclien gelangte man alsbald zu
dem bemerkenswerthen Ergebnisse, dass das wiedergewonnene Chino-
lin, die ecJuippees des Processes, noch viel weniger FarbstoflF lieferte
als das direct aus dem Theer erhaltene. Das bei der zweiten Farb-
stoffbildung ausser Reaction bleibende Chinolin endlich gab bei der
Behandlung mit Benzotrichlorid kein Chinolinroth mehr.
Im Hinblick auf diese Thatsache war der Schluss gerechtfertigt,
dass der rothe Farbstoff entweder von einer in dem Rohchinolin
vorhandenen anderen Basis abstamme, oder dass, gemde so wie bei
der Fuchsinbildung, zwei homologe Basen an der Farbstoflfbildung
betheiligt seien.
Die hier angedeutete Fragc sollte bald von E. Jaoobsen selbst
in Gemeinschaft mit C. L. Reimer* der L5sung nSher gefiihrt werden,
indem dieselben durch ihre schonen Versuche iiber das Chinaldingelb
die Anwesenheit des von Doebner und von Miller^ aus Anilin und
Acetaldehyd dargestellten Chinaldins in dem Rohchinolin nachwiesen.
Diese Beobachtung hat die genannten Forscher denn auch begreiflicher-
weise veranlasst, alsbald einige Versuche liber die Chinolinrothbildung
nnzustellen, uber welche sie sich in folgenden Worten aussprechen:
«In Nr. 5 dieser Berichte bemerkt 0. Fischer^, dass sorgfaltig ge-
reinigtes Theerchinolin den FarbstoflF nicht mehr liefert. Diese That-
sache war uns schon lange bekannt, da Hr. Prof. Hofmann, welcher
sich seit langerer Zeit mit der Untersuchung dieses FarbstoflTes beschaf-
tigt, uns bereits im vorigen Jahre dieselbc* mittheilte. Wir haben
uns alsdann ebenfalls uberzeugt, dass das durch zweimalige Behand-
lung mit Phtalsaure oder durch Erhitzen mit uberschiissigem Benz-
aldehyd imd Zinkcldorid von Chiiialdin vollig befreite Theerchinolin
kein Chinolinroth mehr liefert. Andererseits giebt das reine Chin-
aldin mit Benzotrichlorid auch keinen FarbstoflF, sondem eine farblose
krystallisirende Verbindung. Da wir nmi ausser Chinolin imd Chin-
aldin keine anderen Basen in dem bei 235 bis 240° siedenden Theer-
* Jacobsen und Reimer, Ber. chem. Ges. XVI, 1086.
' Doebner und von Miller, ebendas. XVI, 2465.
• O. Fischer, ebendas., XVI, 721.
o GesammtsitzuDg vom 6. Januar.
chinolin nachzuweisen vermochten, so ergab sich der Schluss, dass
zur Bildung des Chinolinroths die gleichzeitige Anwesenheit von
Chinolin iind Chinaldin erforderlich ist. In der That haben wir durch
Behandlung eines Gemenges von kunstlichem Chinolin und kflnstlichem
Chinaldin mit Benzotrichloiid einen Farbstoff erhalten , der nach seinen
Eigenschaften identisch mit dem aus Theerchinolin dargestellten Chi-
noiinroth zu sein scheint.«
Die Frage nach den Componenten des Chinolinroths kSnnte man,
angesichts dieser Ergebnisse, versucht sein, als gel5st zu betrachten.
Eine gewis^e Znriickhaltung in der Ausdrucksweise dey genannten
Forscher ist gleichwohl nicht zu verkennen. Andererseits aber tauchten
auch bei Wiederholung der beschriebenen Versuche einige Zweifel
auf , denn bei der Einwirkung von Benzotrichloiid auf eine Mischxmg
von reinem Chinolin (nach der Methode von Skraup dargestellt imd
bei 238° siedend) und reinem Chinaldin (aus dem mehrfach umkrystal-
lisirten Chromat gewonnen und den Siedepunkt 243^ zeigend), wurde
allerdings jedesmal ein rother Farbstoff, aber stets in §.usserst mini-
maler Menge erhalten. Wahrend aus dem Steinkohlentheerdl , wie
oben bemerkt, im Durchschnitt 5 Procent Farbstoff gewonnen werden,
entstanden aus einer Mischung von i Mol. Chinolin imd i Mol. Chi-
naldin, unter im Ubrigen ganz gleichen Versuchsbedingungen, nicht
mehr als i — 1.5, also durchschnittlich 1.25 Procent. Auch die Eigen-
schaften, ja selbst die Nuancen beider Farbstoffe, schienen, obschon
einander sehr ahnlich, gleichwohl vei'schieden zu sein.
In diesem Stadium ist die Untersuchung fiber Jahr und Tag liegen
geblieben. Erst neuerdings ist meine Aufmerksamkeit diesem Gegen-
stande wieder zugelenkt worden, einerseits durch die hochst inter-
essanten Mittheilungen des Hm. Prof. H. W. Vogel*, fiber die Ver-
werthung des Chinolinroths zur Erzeugimg farbenempfindlicher Platten,
andererseits durch den Nachweis der Existenz eines isomeren Chinolins,
welches Hoogewerff und van Dorp^ in dem Steinkohlentheerchinolin
aufgefunden haben.
SoUte am Ende, diese Frage schien nicht unberechtigt, das Iso*
chinolin bei der Bildung des Chinolinroths betheiligt sein?
Die Beantwortung dieser Frage wurde durch den glficklichen
Umstand erleichtert, dass Hrn. Prof. Gabriel^ eben die schSne Synthese
des Isochinolins aus Phtalsaure gelungen war, wodurch Hoogewerff
und VAN Dorp's ausserst pracise Angaben fiber Eigenschaften und Con-
' Vergl. H. W. Vogel, die Photographic farbiger Gegenstande in den richtigen
Tonverhaltnissen. Berlin 1885, und Sitzimgsber. d. Berl. Akadeniie d. W. 1886, 1206.
' Hoogewerff und van Dorp, Ber. chem. Ges. XVIII [R] 384. XIX [R] 27.
* Gabriel, Ber. chem. Ges. XIX, 1653; 2354.
Hopmann: Uber das Chinolinroth. /
stitution der isomeren Base iin voUsten Umfange Bestatigung fanden.
Die Verarbeitung einer Probe von Isochinolin, welche von Hm. Stud.
A. G. Manns nach Gabriel's Verfahren dargestellt worden war, hat denn
auch in der That alsbald Ergebnisse geliefert, welche mich bestimmen
mussten, in der angedeuteten Richtung weiter zu arbeit»^n. Die Reihen-
folge von Reactionen, welche von der Phtalsaure zu dem Isochinolin
fiihrt, — Phtalsaure, Phtalid, Benzylcyanid-o- carbon s^ure, Homo-
o- phtalsaure, Homo-o-phtalimid, Dichlorisochinolin , Isochinolin —
belehrend wie sie ist, eignet sich gleichwohl kaum zur Darstellung
grSsserer Mengen der Isobase. Ich war daher sehr erfreut, dass sich
Hr. Dr. Gustav Kramer in dankenswerther Liebenswiirdigkeit bereit fin-
den liess, die Hillfsmittel des grossen Etablissements in Erkner fiir die
Grewinnung erheblicher Mengen von Isochinolin ziu' Verfiigung zu
stellen. Das von ihm im Wesentlichen nach den Angaben der hol-
l&ndischen Chemiker dargestellte Isochinolin war nahezu chemisch rein;
es schmolz bei 21^ und siedete bei 235 bis 236^; die von den Ent-
deckern angegebenen Zahlen sind 18 bis 23° und 236 bis 2 3 7? 5.
Man erkannte alsbald, dass das Isochinolin fiir sich mit Benzo-
trichlorid behandelt ebenso wenig einen rothen FarbstoflF Uefert, wie
das gewOhnliche. Erhitzt man aber eine Mischung von i Mol. Iso-
cliinolin und i Mol. Chinaldin in Gegenwart von Chlorzink mit Benzo-
trichlorid, so erfolgt starke Farbstoflfbildung schon bei einer Tempe-
ratur (120^), bei welcher eine ahnliche Mischung von gewohnlichem
Chinolin mit Chinaldin kaum eine Ffirbung zeigt. Das Isochinolin
liefert aber den Farbstoff nicht nur wesentlich leichter, sondern auch
in weit grSsserer Menge als das Chinolin. In Versuchen, welche theil-
weise wieder in den Werkstatten der Gesellschaft fiir Anilinfabrikation,
theilweise im hiesigen Laboratoriiun angesteUt wurden, betrug die Aus-
beute an FarbstoflF 9 bis 12, also im Durchschnitt lo'/j Pi'ocent der
in Arbeit genommenen Mischung von Isochinolin und Chinaldin. Das
Isochinolin liefert also im Durcl.schnitt 8\/.^ mal so viel FarbstoflF als
man aus einer Mischimg von Cliinolin und Chinaldin , und noch immer
etwas mehr als doppelt so vi(»l als man aus dem Rohchinolin des
Steinkohlentheerols gewinnt.
Wenn es hiemach kaum zweifelhaft; erscheint, dass das Isochinolin
als ein wesentlicher Bestandtheil des Chinolinroths betrachtet werden
muss, so ist doch die Ausbeute auch jetzt noch eine nicht« weniger als
befi-iedigende. Indessen darf hier daran erinnert werden, dass man in
der Fuchsinschmelze, welche seit mehr als zwanzig Jahren in der Tech-
nik ausgefiihrt wird , auch heute noch selten mehr als 3 o Procent Roth
erh&It. Es braucht kaum erwfthnt zu werden , dass es angesichts der
schlechten Ausbeute nicht an Vei^suchen gefehlt hat, das Chinolinroth
8 Gesammtsitzung vom 6. Januar*
auf anderem Wege zu gewinnen, doch haben dieselben bis jetzt nicht
den gewiinschten Erfolg gehabt. Namentlich lag es nahe, den zweiten
fnr die Erzeugung des Malacliitgiiins iiblichen Weg auch in diesem
Falle einzuschlagen , d. h. statt des Benzotrichlorids Bittermandel5l
in Anwendung zu bringen. Beim Erhitzen einer Mischung von Iso-
chinolin, Chinaldin und Bittermandelol in Gegenwart von Chlorzink
wurde nichts anderes als das bekannte Benzylidenchinolin erhalten.
Eigenschaften. Was die Eigenschaften des mit Hiilfe des Iso-
chinolins erzeugten Farbstofifes angelit, so stimmen dieselben mit denen
des aus Rohchinolin bereiteten in jeder Beziehung uberein. Derselbe
ist ausgezeiehnet durch seine KrystellisationsfShigkeit. Wie bereits bei
der Besclireibnng der Darstellungsweise bemerkt worden ist, wird er aus
dem Kalkmileliauszug der Schmelze durch Salzsaure alsbald krystal-
linisch gefiillt. Die Krystalle sind in kaltem Wasser wenig, in heissem
Wasser viel leichter loslich. Eine siedend gesattigte L5s\mg setzt
beim Erkalten ziemlich gut ausgebildete Krystalle ab. Am sch5nsten
kiystallisii't gewinnt man den Farbstoff, wenn man eine heisse ver-
diinnte, wasserige Losung mit SalzsSure, bis li6chstens zur beginnen-
den Triibung, vermischt imd dann langsam erkalten lasst; auf diese
Weise erlialt(^n, krystallisirt der Farbstoff in zwar kleinen, aber deut-
liclien sohr diinnen quadratischen Blattchen oder etwas dickeren vier-
soitigen Prismeii. Aus Alkoliol, welclier den K6i"per reichlich aufiiimmt,
sclieidet er sicli beim freiwilligen Verdunsten in wohlausgebildeten
vierseitigen Piismen mit pyramidal zugespitzten Enden aus* Die
Krystalle werden oft *//"' lang und erinnern dann an die Eupitton-
saure. Im durchfallenden Lichte zeigen die Krystalle, ob aus w&s-
seriger oder alkoholischer Losung erhalten, je nach ihrer Dicke ein
mehr oder weniger tiefes Carmoisin; im reflectirten Lieht<^ erscheinen
sie rothbraim mit griinlichgelber Metallspiegelung. Die wasserige sowohl
wie die alkoholische Losung des Farbstoffs ist im durchfallenden Lichte
carmoisinroth und zeigt im reflectirten Lichte eine starke gelbrothe
Fluorescenz. Die LSsungen filrben Wolle und Seide leuchtend rosa
mit einer bestimmten Andeutung von gelber Fluorescenz. Die Farbe
ist leider nicht sehr dauerhaft.
Ausser in Alkohol ist der Farbstoff auch in Eisessig und Phenol
loslich; von Ather, Schwefelkolilenstoff und Benzol wird er nicht auf-
genoDMnen.
Der mit Hulfe von gewohnlichem Chinolin gewonnene Farbstoff
zeigt im grossen Ganzen dieselben Eigenschaften. Er besitzt aber
entschieden geringere KrystallisationsfUhigkeit. Der aus dem Kalk^
milchauszug des Rohproducts durch Salzsaure gefUUte Korper ist kaum
krystallinisch zu nennen; durch Auflosen in heissem Wasser und
Hofmann: Uber das Chinolinroth. 9
Zusatz von etwas Salzs&ure werden indessen ebenfalls Krystalle er-
halten. Es sind aber stets feine Nadeln; die charakteristischen vier-
seitigen Tafeln und Prismen, in denen sich der aus Isochinolin ge-
wonnene Farbstoff so leicht erhalten iSlsst, sind niemals beobachtet
worden. Diese Modification unterscheidet sich von der vorher be-
scliriebenen auch durch ihre Farbe, welche ein reines Roth, aber ohne
jeden metallischen Reflex ist; die LOsnngen sind carmoisinroth mit
einem Stich in's Violette, und dieselbe violette Nuance zeigt sich aueh,
wenn der Farbstoff auf Wolle oder Seide fixirt wird. Gegen L5sungs-
mittel verhait sich die in Rede stehende Modification ahnlich wie die
zuerst erwfthnte; in Wasser I6st sie sich indessen entscliieden leichtor auf.
Fur die folgenden Bestimmungen ist, mit einer einzigen Aus-
nahme, der aus Theerchinolin oder aus reinem Isochinolin gewonnene
Farbstoff in Anwendung gekommen.
Zusammemetzung des Farbstoffs. Das Chinolinroth ist, wie man als-
bald aus der Darstellungsweise erschliessen durfte, und wie liberdies
die reichliche Salzsaureentwickelung beim Ubergiessen mit concentrirter
Schwefelsam*e nachweist, ein Chlorid. Die Substanz ist ausserst schwer
verbrennlich. Die Verbrennung gelingt indessen mit einer Mischung von
Bleichromat und etwas Kaliumbichromat , auch selbst mit Bleichromat
alleiri. Der Farbstoff zieht mit Begierde Wasser aus der Luft an und
halt es mit grosser Hai'tnackigkeit zuriick. Fiir die Analysen I, IT, VII
imd Vm ist der aus Theerchinolin ohne Zusatz von Chlorzink dargestellte
Farbstoff bei i 50° getrocknet worden. Fur die Auealysen III, IV, V und
VI wurde die vacuumtrockene Substanz zuerst mehrere Stunden auf 1 2 o''
und endlich noch eine Stunde auf 130 bis 140^ erwaniit. Die fiir III
und rV verwendete Substanz war das, wie oben angegeben, mehrfaeh
mit Salzsaure ausgekochte, ausgewaschene und sehliesslich aus heisser
wftsseriger LSsung durch Salzsaure niedergeschlagene Fabrikproduct.
Fur V und VI war die Substanz aus Chinaldin und Isochinolin gewonnen
und nach der eben beschriebenen Behandlung sehliesslich noch aus Al-
kohol imikrystallisirt worden. Die Verbrennungen I und II wurden im
Sauerstoffstrom , HI , I V und V mit Bleichromat , dem Kaliumbichromat
zugesetzt worden war, VI mit Bleichromat allein ausgefiihrt. Fiir die
Stickstoffbestimmung ist die Methode von Dumas, fiir die Chlorbestim-
mung die Methode von Carius in Anwendung gekommen.
Bei der Analyse wurden folgende Zahlen gefimden:
I II m IV V VI VII VIII
Kohlenstoff 78.22 78.07 79.04 79.20 78.89 79.05 — —
Wasserstoff 5.13 4.91 5.08 5.23 4.92 5.18 — —
Stickstoff — — — — — — 7.34 —
Chlor — — — — — — — 9.08
1 Geaammtaitzuiig vom 6. Januar.
Das Mittel dieser Zahlen entspricht der Fonnel
wie sich aus folgender Zusammenstelliing ergiebt:
Theorie Mittel der Versuche
C26 3'2 79-09 78.75
H,9 19 4.81 5.07
N, 28 7.10 7.34
CI 35.5 9.00 9.08
394.5 100.00
Es ist dies aber genau die Formel, welche man ffir das Chinolin-
roth unter der Voraussetznng erwarten durfte, dass sich bei seiner
Bildung I Mol. Chinolin , i Mol. Chinaldin nnd i Mol. Benzotrichlorid
unter Abspaltnng von 2 Mol. SalzsS,ure eondensiren, dem Vorgange
entsprecbend, welchen man bei der Entstehimg des Malachitgruns
beobachtet :
C«H„N + CgHnN + C7H3CI3 = C,3H^N,Cl + 2HCI
Dimethylaniliii Ditnethylauilin Benzotrichlorid MalachitgrQu
C^H^N + C,„H5N + C7H5CIJ = C,6H,5N,CH- 2HCI
Chinolin Chinaldin Chinolinroth
Die hier fnr das Chinolinroth entMdckelte Formel findet in der Ana-
lyse des Platinaalzes unzweideutige BestS^tigung. Versetzt man die heisse,
w&sserige oder alkoholische Ldsung des FarbstofiFs mit Platmchlorid,
so filllt alsbald ein schOn carminrotber, kaum krystallinischer Nieder-
schlag, welcher in Wasser, Alkohol und in Salzs&ure ganz unl6slich
ist. £r l&sst sich, ohne irgend welche VerSiiderung zu erleiden, mit
Salzs&ure kochen, und man kann daher zur Diu*$tellung des Platin-
salzes auch den noch nicht vOllig aschefreien Farbstoff verwenden,
da Spuren von Verunreinigungen in der Salzs&ure bleiben. Die zu
den folgenden Analysen verwendeten Salze, welche aus drei verschie-
denen Darstellimgen stammten, wurden bei 100^ getrocknet.
Der Formel
2(C^H„N,Cl)PtCl,
ent«prechen folgende Werthe:
Tlieorie Versueh
I II in IV V
54.84 55.13 55.15 —
3-41 3-83 3-55 — —
^'52
624
5544
H38
38
3.38
N4
56
4.97
Pt
194.6
17.29
Cl6
213
18.92
1 125.6
100.00
17.28 17.36
Hofmann: Uber das Chinolinroth. 11
Die charakteristischen Eigenschaften der hier beschriebenen Ver-
bindung waren Veranlassung, dass auch das Platinsalz des aus ge-
w5hnlichem Chinolin gewonnenen Farbstoffs untersucht wurde. Man
erhalt es anf dieselbe Weise, wie das erstere, als einen Niederschlag
von fthnlichen Eigenschaften. Es zeigt indessen statt der reinen
Caimin- eine violettrothe Farbe. Die Analyse des bei loo^ getrock-
neten Salzes ergab einen Gehalt von 17.20 Procent Platin, woraus
orhellt, dass, wie nicht anders zu ei'warten war, das Salz dieselbe
Zusammensetznng besitzt, wie dasjenige, dessen aus^hrliche Unter-
suehung oben mitgetheilt wurde. Man darf dalier wohl auch schliessen,
dass der ans dem gewShnlichen Chinolin entstehende Farbstoff
dieselbe Zusammensetzung besitzt, wie der von dem Isochinolin ab-
stammende.
Reduction des Farbstoffs, Weitere Anhaltspunkte fiir die Feijt-
stellung der Zusammensetzung des Chinolinroths sind bei Versuchen,
dasselbe zu redueiren, erhalten worden. Die wSsserige L5simg des-
selben wird in der That durch Behandlung mit Zink imd Salzsllure
schnell entfUrbt; die LOsung enthSlt eine Leukobase, die jedoch noch
nicht naher untersucht worden ist. Anders gestaltete sich die Reaction,
als man einen Uberschuss coneentrirten alkoholischen Schwefelammoniums
im Einschlussrohr 8 bis 10 Stunden lang bei einer Temperatur von 200^
auf den Farbstoff einwirken liess. Der erkaltete RShreninhalt bestand
aus einer reichliehen Krystallmasse und einer dunkelrothen Flussigkeit.
Die Krystalle wurden abgesaugt und mit kaltem Alkohol gewaschen.
in dem sie kaum Idslich sind. Nach zweimaligem Umkrystallisiren
aus siedendem Alkohol wurde der K6rper in sch5nen goldgl&nzenden
Blattchen erhalten, welche an das Chloranil erinnern. Die Ausbeutc
betrug etwa 15 Procent. Die Krystalle schmelzen constant bei 231^,
bei st&rkerem ErwSrmen sublimiren sie ohne Zersetzung. Der neue
KOrper ist unlSslich in Wasser, schwer iSslich in Ather und Benzol,
leichter in Schwefelkohlenstoff, leicht in Phenol. Er besitzt schwacli
basische Eigenschaften imd I6st sich daher in S&uren leicht auf. Die
L5sung in verdunnter Salzs&ure ist gelbroth, beim Eindampfen derselben
scheidet sich das Chlorhydrat in farblosen Nftdelchen ab, welche sich
auf Wasserzusatz mit gelbrother Farbe wieder auflosen. Dieses Ver-
halten scheint auf die Existenz zweier Reihen von Salzen hinzuweisen,
wofur audi das Misslingen der Darstellung eines einheitlichen Platin-
salzes spricht.
Die Analyse der bei 1 00^ getrockneten Substanz fiihrte zu Werthen,
welche der Formel
entsprechen, wie aus folgender Zusammenstellung erhellt:
1 2 Gesammtsitzung vom 6. Januar.
Theorie Versuch
I U m IV V
C.9 228 84.44 84.51 84.55 84.33 84.45 —
H.4 14 5-^9 5-4J 5-23 5-39 5-35 —
N, 28 10.37 — — — — >o.34
270 100.00
Behxifs naheren Einblicks in die Bildungsweise der neuen Base
wurde die rotlie Flussigkeit untersucht, welehe von den Krystallen
abgesogen worden war. Nach demVerdampfen des Schwefelammoniums
hlieb ein fliissiger Rucks tand von hochst penetrantem Geruch, welcher
alsbald an d^n des Phenylmercaptans erinnerte. Da das fliissige Phenyl-
mereaptan nur sebr schwer zu fassen ist, so liess man die betreffende
Flussigkeit in Gegenwart von alkohollschem Ammoniak an der Luft
stehen, um etwa vorhandenes Mercaptan in der Form des cliarakte-
ristischen krj^stallinisehen Disulfids zu erhalten. Es entstand auch
ein krystallinisclies, schwefelhaltiges Product, welches aber bei 70? 5
schmolz, wahrend das Phenyldisulfid den Schmelzpunkt 61^ zeigt.
Auch die fiir letzteres charakteristische , beim Erwaimen mit concen-
trirter Schwefelsaure auftretende violette Farbung, welcbe beim Er-
kalten in Blau iibergeht, konnte mit dem entstandenen krystallinischen
Producte nicht hervorgebracht werden.
Eine dem Phenylmercaptan nahe stehende Verbindung ist aber
das Benzybnercaptan , dessen Bildung bei der gleichzeitigen Entstehuug
einer Base von der oben angegebenen Zusammensetzung aus dem ('hi-
nolinroth eigentlich noch naher lag. War das complementare Product
der genannten Base in der That Benzylmercaptan , so musste der
durch Oxydation an der Luft entstandene K6rper Benzyldisulfid sein.
AUerdings giebt Marcher^ den Schmelzpunkt des von ihm zuerst dar-
gestellten Benzyldisulfids etwas niedriger, nUmlich bei 66 bis 67° an,
indessen stimmte ein nach Marcker's Verfahren — Einwirkung von
alkoholischem Kaliumsulfhydrat auf Benzylchlorid und subsequente
Oxydation des in erster Linie entstandenen Benzylmercaptans — dar-
gestelltes Praparat nicht nur in Loslichkeit und Krystallform mit dem
erhaltenen Schwefelkorper liberein, sondern zeigte audi nahezu den-
selben Schmelzpunkt (71 bis 72^).
Das Auftreten von Benzylmercaptan neben der mehrfach erwahnten
Base kann hiemach wohl als erwiesen gelten imd die Umbildung des
Chinollnroths IRsst sich daher durch die Gleichung
C,6H,,N,C1 + H,S + HH = C,,H.,N, + C^H^S + HCl
veranschaulichen.
' Marcker, Lieb. Ann. CXXXVI 86. u. CXL S6.
Hofmann: Uber das Chinulinroth. 13
Weiin die vorstehend mitgetheilten analytischen Ergebnisse, so-
wie die Bildung des Chinolinroths und seine Spaltimg unter dem Ein-
flusse des Schwefelammoniums die Formel der Verhindung unzweifel-
haft festgestellt haben , so muss die Frage nach der Anordnung der
Elemente in dem Moleenl des Farbstoffs vor der Hand noch eine
oflfene bleiben. Es sind aUerdings bereits mehrfache Versuche gemacht
worden, einen Anlialtpunkt fiir die Beantwortung dieser Frage zu ge-
winnen, dieselben sind jedoch noch nieht zu einem befriedigenden
Abschlusse gelangt, was theilweise wenigstens dem Umstande ziizu-
schreiben ist, dass, obwohl Hr. Dr. Martius mit einer Liberalitat,
fiir die ich ihm nicht dankbar genug sein kann, eine ganz erhebliche
Menge des immer noch sehr kostbaren Materials gespendet hat, gleich-
wohl verschiedene Reactionen bis jetzt nicht weiter verfolgt worden
sind, weil sie nicht in hinreichend grossem Maassstabe ausgefiihrt
werden konnten. Obwohl nun die definitive Feststellung der Con-
stitution des Farbstoffs einer spateren Arbeit vorbehalten bleiben muss,
so soil hier gleichwohl noch einiger Ergebnisse gedacht werden, welche
Streiflichter auf die Natur des Chinolinroths zu werfen scheinen.
Mit Salzsaure auf 220^ erhitzt, lieferte das Chinolinroth neben
basischen Producten,' welche theilweise aus chinoUnartigen Fliissig-
keiten , theilweise aus festen K6rpern bestanden , Benzaldehyd , welcher
in der Form von Benzoesaure identificirt wurde. Bei der Oxydation
des Chinolinroths mittels Kaliumpermanganat oder einer Chromsaui'e-
mischung wurde ebenfalls das Auftreten von Bittermandelol beobachtet;
im ersteren Falle konnte als eines der Endproducte der Oxydation
Benzoesaure nachgewiesen werden. Aus diesen Versuchen erhellt ge-
rade so, wie aus dem Verhalten des Farbstofifs bei Behandlung mit
Schwefelammonium , dass die in der Form von Benzotrichlorid ein*
gefiihrte Gruppe unter den angegebenen Bedingungen wieder ausge-
I5st wird.
Bei der Destination des Farbstoffs fiir sich oder mit Kalk wurden
flussige basische Pro^ucte erhalten , aber in so geringer Menge — die
Ausbeute betrug im besten Falle i o Procent — dass die Untersuchung
derselben nicht lohnend erschien.
Besseren Erfolg hatte die Destination des Farbstoffs mit Zink-
staub. Als man den Farbstoff mit der sechsfachen Gewichtsmenge
Zinkstaub destillirt^, ging ein dickfliissiges gelbes 01 iiber, welches,
wenn der Versuch mit nicht mehr als 1 5* der Mischung angestellt
wurde, etwa 40 Procent des angewendeten Chinolinroths betrug. Dieses
Product I6ste sich nahezu voUstandig in Salzsaure; aus der filtrirten
Losung wurden durch Ather nur noch minimale Quantitaten eines
neutralen Oles ausgezogen. Das durch Alkali aus der salzsauren Losung
14 C^esammtsitzung vom 6. Januar.
wieder ausgeschiedene basische 01 wurde liber Atzkali getrocknet und
destillirt. Man erkannte alsbald, dass hier eine complexe Mischung
vorlag, denn die Flussigkeit begann bei 240^ zu sieden und war selbst
bei einer Temperatur, welche jenseits des Siedepunktes des Queck-
silbers lag, nocli nicht voUstandig ubergegangen. Die uber 300° ge-
sondert aufgefangene Fraction setzte nach ein bis zwei Tagen schSne
KrysteUe ab, welche nach Absaugen, Waschen mit wenig Alkohol
und einmaligem Umkrystallisiren aus wasserigem Alkohol den constant
bleibenden Schmelzpimkt 86 bis 86? 5 zeigten. Das salzsaure Salz der
Base lieferte mit Platinchlorid ein schwer losliches krystallinisches
Platinsalz. Bei der Analyse der Base im Sauerstoffstrome wurden
Werthe erhalten, welche zu der Formel
C^H.jN
ftlhrten.
1
Theorie
Versuch
%
204
87-55
87.23 87.08
H.3
15
6.44
6.97 d.^jt
N
14
6.01
2^^
100.00
Diese Formel fand willkommene Bestatigung in der Untersuchung
des Platinsalzes. Der Formel
2(C.7H,5N.HCl)PtCl^
entsprechen 22.22 Procent Platin, wahrend 22.26 und 22.12 Procent
gefimden wurden.
Versucht man ein Bild von der Constitution des Chinolinroths
zu gewinnen. so k5nnte man angesichts seiner Bildungsweise versucht
sein, in demselben ein Analogon des Malachitgruns zu erblicken.
AUein beide Substanzen zeigen doch sehr erhebliche Unterschiede.
Zunadist werden die Salze der Malachitgi-unbase durch Alkalien mit
Leichtigkeit zerlegt, wahrend das Chinolinrothchlorid aus alkalischen
Flussigkeiten unverandert axiskrystallisirt. Aber auch in dem Verhalten
gegen Reductionsmittel beobachtet man wesentliche Verschiedenheiten.
Es ist niclit gelungen, aus dem Malachitgrun eine Base zu gewinnen,
welche dem von dem Chinolinroth sich ableitenden goldglanzenden Re-
ductionsproducte entsprache. Als man einerseits Malachitgrun, anderer-
seits Chinolim*oth mit alkoholischem Schwefelammonium in Einschluss-
rohren langere Zeit einer Temperatur von 200^ ausgesetzt hatte, war
ers teres einfach in den entsprechenden Leukokorper verwandelt, welch er
durch Oxydationsmittel wieder in Grun iiberging, wahrend aus letzterem
die oben beschriebene Base entstanden war, aus welcher sich durch
Hophann: Ober das Chinolinroth. 15
Sauerstoffzufuhr kein Roth mehr zur&ckbilden liess. Audi darf hier
daran erinnert weWen, dass es in keiner Weise gelungen ist (vergl.
S. 8), mit Hulfe des BittermandelSls zu dem Chinolinroth zu geiangen.
Darf man sonach wohl davon absehen, dem Chinolinroth eine
dem Malachitgnin fthnliche Constitution zuzuschreiben , so ergiebt sich
fav ersteren KOrper als einfachster Ausdruck der Versuche die Formel
/C^HeN
CaH,C<;
CI N^^oHgN
welche die Thatsache veranschaulicht , dass bei der Rothbildung das
Benzotrichlorid 2 At. Chlor, die basischen Componenten je i At. Wasser-
stoff verloren haben. Diese Formel gestattet — wenn man vor der
Hand SteUimgsisomerien imberucksichtigt Iftsst — wesentlich zwei
Deutungen, je nachdem man die Benzenylgruppe mit dem Kem oder
der Methylgruppe des Chinaldins verkettet annimmt, d. h. das Chi-
nolinroth ist entweder
a. Cell^C<^ Oder b. C^JI^C<^
a "H^^n,^ CI H^H^C^HfiN
CH3
Von einer dritten mSglichen Formel, in weleher zwei Methenyl-
gruppen figuriren wQrden, soil, da man hier zu erhebliehen Atom-
verschiebungen seine Zuflucht nehmen miisste, zimSchst Abstand ge-
nOmmen werden.
Fur die zweite Formel liesse sich die Thatsache geltend machen,
dass das Benzotrichlorid weder mit dem gew5hnlichen Chinolin, noch
mit dem Lsochinolin allein einen Farbstoff herrorbringt, dass vielmehr
fur die FarbstoflFbildung die Gegenwart von Chinaldin erforderlich ist.
Auch darf hier daran erinnert werden, dass mehrfache Reactionen des
Chinaldins, welche in letzterer Zeit studirt worden sind — wie die
Bildung des Chinaldingelbs ^ imd des Benzylidenchinaldins^, ferner die
Condensation des Chinaldins mit Chinaldinaldehyd* und mit Chloral*
— die Angreifbarkeit des Wasserstoffs in der Methylgruppe des Chinal-
dins dargethan haben.
Im tJbrigen lassen sich die Umbildimgen des Chinolinroths , so-
weit dieselben studirt worden sind, mit Hulfe beider Formeln gleich
gut veranschaulichen.
' Jacobsen und Reimer, Ber. chem. Ges. XVI. 2605.
.' Wallace und Wusten, Ber. chem. Ges. XVI. 2008. Jacobsen und Reimer,
a. a. O.
• VON Miller und Kinkelin, Ber. chem. Ges. XVIII. 3238.
* VON Miller und SpadT) Ber. chem. Ges. XVIII. 3402. Einhorn, ebendas. 3465.
16 Gesammtsitzung vom 6. Janiiar.
Was zunachst die Spaltuiig des Roth» xinter dem Einflusse des
Schwefelammoniums anlangt, so wurde sich dieselbe unter Annahme
der Fonnel a nach der Gleicliung
C6H5C< + H,S + HH = CgHjCH^SH + j + HCl ,
CI NDgHjN C5H5N
CH3 CH3
unter Annahme der Fonnel b nach der Gleicliung
C^HgN
CgHjC^ + H,S + HH = CfiHjCH^SH + CH, + HCl
Cr^CH.CgHeN !
C^HgN
vollziehen.
In ahnUcher Weise wurde, je naehdem man der einen oder der
anderen Fonnel den Vorzug giebt, die Bildmig der bei der Destilla-
tion des Roths mit Zinkstaub auftretenden Base in der Gleichung
/CpHfiN
C6H5C< + 2HH = C^HsCH,- -CgfisN + C^H^N + HCl
a "^CgHjN CH3
CHj
oder
C6H3C< + 2HH = C6H3CH,- -CH^C^HeN + C^H^N + HCl
CI V^H^C^H^N
ihren Ausdruck finden.
Man darf sich wohl der HoflBnung hingeben, dass eine genauere
Untersuchung der beiden diu'cli Reductionsinittel aus dem Chinolin-
roth entstandenen Baseii nahere Aufschliisse fiber die Constitution des
Farbstoffs liefem werde. Bis jetzt ist in dieser Richtung wenig ge-
schehen. Es soil indessen nicht unerwahnt bleiben, dass Versuche
die im AUgemeinen wahrscheinlichere Formel
/C9H6N
CH,<
durcli eine Synthese zu stutzen, fehlgeschlagen sind: Chinolin und
Isochinolin mit Metbylenjodid langere Zeit auf i8o^ erhitzt, haben die
gesuchte Base nicht geliefert.
Einige Bemerkungen fiber fragmentarische VersucTie bezfiglich
des Verhaltens des Farbstoffchlorids zu anderen Korpem mogen hier
noch Platz finden. Pie kaltgesattigte L5sung desselben wird von
Hofmann: Uber das Chinolinroth. 17
Natronlauge gefallt; der Niederschlag I6st sich aber auf Zusatz von
Wasser sofort wieder auf. Ganz ahnliche Erscheinungen werden durch
L6sungen von Kochsalz und Salmiak hervorgebracht ; aber auch Salz-
saure, Schwefelsaure , Salpetersaure und selbst Oxalsaure erzeugen
solche in reinem Wasser sich wieder I5sende Niederschlage. In den
meisten Fallen diirfte es das unveranderte Chlorid sein, welches aus-
geschieden wird. Ein anderes Verhalten zeigen die Fallungen, welche
durch die Chloride schwerer Metalle — Que>cksilber-, Zinn-, Cadmium-
und vor AUem Zinkchlorid — erzeugt werden, insofern sie sich in
einem Uberschusse von Wasser nicht wieder I6sen.
Andere Salze als das Cldorid sind bis jetzt kaum dargestellt
worden. Es ist bereits oben (S. 9) erwahnt worden, dass das Chlorid
durch concentrirte Schwefelsaure unter Salzsaure-Entwickelung zerlegt
wird. Die Schwefelsaurelosung ist farblos, rothet sich aber an der
Luft durch Wasseranziehung. Wird die L5sung durch Wasser gefellt,
so entsteht ein flockiger rother Niederschlag, der in siedendem Wasser
gel6st, auf Zusatz einiger Tropfen Schwefelsaure gefallt wird. Der-
selbe I5st sich in Alkohol mit derselben gelbrothen Fluorescenz , welche
dem Chlorid eigen ist. Das Sulfat ist bis jetzt nicht analysirt worden ;
auch die Farbbase selber, sowie die Leukobase bediirfen noch einer
naheren Untersuehung.
Noch will ich hier einige Versuche anfuhren, welche zur Er-
zeugung von Homologen des Chinolinroths angestellt worden sind.
Ich verdanke der Giite des Hrn. Dr. Gustav Schultz Proben von Ortho-
und Paratoluchinolin, sowie von Dimethylchinaldin. Die beiden ersteren
Basen lieferten, mit Chlorzink, Benzotrichlorid und Isochinolin erhitzt,
keine Farbstoflfe; allein auch Ersatz des Isochinolins durch Chinaldin
bewirkte keine Rothbildung. Ebenso sind Versuche, aus Gemengen
von Dimethylchinaldin mit Isochinolin bezw. Chinaldin Farbstoffe zu
gewinnen, erfolglos geblieben.
Schliesslich ist es mir eine angenehme Pflicht der trefflichen Hulfe
zu gedenken, welche mir schon firuher von den HH. Dr. F. Mylhts
und Dr. E. A. Wulfing, neuerdings aber bei dem Abschlusse der Ar-
beit namentlich auch von Hrn. Dr. K. Auwers geleistet worden ist.
Den genannten jungen Chemikem gehort mein bester Dank fur ihre
selbstlose Theilnahme an den hiey beschriebenen Versuchen.
Ausgegeben am 13. Januar.
Berlin, gedrurkt in der Reiclisdruckerei.
Sitzuiigsberichte 1887, ^
1887.
u.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
13. Januar. Sitzung der physikalisch-matheinatischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
Hr. Landolt las die umstehend folgende vierte Mittheilung uber
die Zeitdauer der Reaction zwischen JodsJlure und schwef-
liger Saure.
Sitzungsberichte 1887.
21
ni>er die Zeitdaner der Reaction zwischen Jodsanre
und schwefliger Same.
Von H. Landolt.
Yierte Mittheilung.
(Erste Mittheilung s. Sitzungsber. Jahrg. 1885. S. 249, zweite: Jahrg. 1886.
S. 193, dritte: Jahrg. 1886. S. 1007.)
Einjluss der Temperatur.
In den friiheren Mittheilungen war die Abhangigkeit der Reactions-
dauer von den Mengen der beiden activen Substanzen behandelt worden.
Es hatte sich ergeben, dass, wenn Cs und Cj die Concentrationen,
d. h. die in i*'^"' Mischung enthaltene Anzahl Gramm - Molekule SO,
und HJO3 bedeuten, die von dem Momente des Zusammengiessens
der zwei L5sungen bis zum Eintritt der Jodabscheidung verlaufende
Zeit t durch die Formel:
_ K
*
darstellbar ist, worin die Constante K fiir die Temperatur 20°, bei
welcher alle bisherigen Vei*suche ausgefiihrt worden waren, den Werth
524.35 annimmt. Zur VervoUstandigung der Untersuchimg lag nun
noch die Aufgabe vor, die Reactionszeit bei einer Anzahl anderer
Warmegrade zu ermitteln.
Die Ausfiihrung dieser Versuche bot bei Temperaturen , welche
von den gewohnlichen abweichen, durch den Umstand Schwierigkeiten,
dass wegen der Veranderlichkeit des Gehaltes der schwefllgen SSure
stets nur wenig Zeit darauf verwandt werden kann , um die Reactions-
fliissigkeiten vor ihrer Vermischung auf einen gegebenen Thermometer-
stand zu bringen. Um dies zu erleiohtern, wurde das ganze Zimmer
mit den Vorrathsflaschen ftir schweflige S&ui'e und Jodsaure nebst den
Messgerathsehaften erst nahezu auf den verlangten Wannegrad ge-
bracht, und dami die Titrirung der SO^ sowie die Abmessuugen vor-
genommen. Hierdurch war auch die Reduction betreffs Auadehnung
3*
22 Sitzung der physikalisch-matheniatischen Classe vom 13. Januar.
der Flussigkeitsvolume umgangen, und es drucken die spHter mitge-
theilten Concentrationen stets den Gehalt in der Volumeinheit Mischung
von derjenigen Temperatur aus, bei welcher die Reaction vor sich
ging. Vor dem Zusammengiessen der beiden Losungen ertheilte man
jeder durch eine leichte Ei-warmung den verlangten Thermometerstand,
was moglichst genau geschehen musste, da durchsclmittlich der Tem-
peraturerhShung von i° eine Abnahme der Reactionsdauer urn 2.8 Pro-
cent ihres Werthes entspricht, somit eine Unsicherheit von o?2, welche
vorkommen kann, bei den zwischen 10 bis 60 Sec. liegenden Zeiten
einen Fehler von 0.06 bez. 0.34 Sec. verursacht. Im Ubrigen wurde
in der namlichen Weise verfahren, wie in Mittlieilnng I. S. 256 bis
263 beschrieben ist. Die angewandten T^mperaturen betrugen 5°,
10°, 15°, 25°, 30°, 35° und 39?5, bei den zwei letzten war nur die
Piiifiing einer einzigen Mischung moglich. Wie viele der fruheren
Beobachtungen verdanke ich auch die vorliegenden der geschickten
Beihulfe des Hrn. Dr. Antrick.
Nachdem man bei einer gegebenen Temperatur T die Reactions-
dauer t einer Anzahl verschiedener Mischungen bestimmt hatte , wurde
for jede der letzteren die Constante:
rr ^ //-»o.904^ 1.642.
/Lj — 1>T\^8 W )
berechnet, und aus den Werthen das Mittel genommen.
I. Tempei'atur 5°.
Mischung Nr. i.
Mol. Verhaltniss: 3SO2 : 3HJO3 : 60000 H,0.
Concentrationen: Cg = 2.781. Cj = 2.781.
Angewandt: o.i i27^S02 + 0.3095^ HJO3 + 633.70^1120.
Beobacht. Zeit: 59.30 — 60.1 1 — 59.41 — 59.14. Mittel: 59.49 Sec.
Die Blauung erfolgte nicht momentan.
Mischung Nr.2.
Mol. VerhaltnLss: 3SO2 : 3HJO3 : 45000 H^O.
Concentrationen: Cg = 3.708. Cj = 3.708.
Angewandt: o.i4O78'S02 + o.3863*^HJ03 + 593.2 i^^HjO.
Beobacht. Zeit: 28.73 — 28.86. Mittel: 28.80 Sec.
Mischung Nr.3.
Mol. Verhaltniss: 3SO2 : 6HJO3 : 60000 11,0.
Concentrationen: Cg = 2.781. Cj = 5.562.
Angewandt: o.i i67S'S02 + o.6407«'HJ03 + 655.98«'H,0,
Beobacht. Zeit; 18.91 — 18.85. Mittel; 18.88 Sec.
Landolt: Zeitdaaer der Reaction zwischen Jodsaure und schwefliger Saure. 23
Mischung Nr.4.
Mol. Verhaltniss: sSOj : 4.5HJO3 : 45000 HjO.
Concentrationen : Cg = 3.708. Cj = 5.562.
Angewandt: o.isos^'^SOa + o.53658'HJ03 + 549.3 i^'H^O.
Beobaclit. Zeit: 14.20 — 14.43 — ^4-30' Mittel: 14.3 i Sec.
Mischung Nr.5.
Mol. Verhaltniss : 3SO2 : 6HJO3 : 45000 HjO.
Ck)neentrationen : Cs = 3.708. Cj = 7.416.
Angewandt: 0.131 i^'SO, + o.7i97«'HJ03 + 552.6o«'HaO.
Beobacht Zeit: 8.97 — 8.92. Mittel: 8.95 Sec. •
Ans diesen Beobachtungen ergeben sich fiir die Constante K^
folgende Werthe:
Mischung
Nr.
(^8
^/
^a904^i.(ip
'5
*5
I
2
3
4
5
2.781
3.708
2.781
3.708
3.708
2.781
3.708
5.562
5.562
7.416
n.519
28.121
42.191
54-723
87.765
59-49
28.80
18.88
14.31
8.95
Mittel:
8O4.2C
809.88
796.57
783.09
785.50
795.86
II. Temperatur 10^
Mischung Nr. i.
Mol. Verhaltniss: 3SOJ : 3HJO3 : 60000 H,0.
Ck)ncentrationen : Cg = 2.78 1 . Cj = 2.78 1 .
Versuch a.
Angewandt: o.i i98«'SO, + o.3290«'HJ03 + 673.638'HaO.
Beobacht. Zeit: 51.13 — 51.28. (Blauung nicht momentan.)
Versuch b.
Angewandt: o.i 1858'SOj 4- o.3254«'HJ03 + 666.35«'H,0.
Beobacht. Zeit: 52. 1 3 — - 5 1 .9 1 — 5 1 .98.
Mittel aller Bestimmungen: 5 1.69 Sec.
Mischung Nr.2.
Mol. Verhaltniss : 3SO2 : 1.5HJO3 : 30000 HjO.
Concentrationen: Cg = 5.562. Cj == 2.781.
Angewandt: 0.1744^802 : o.23945^HJ03 : 490.31^1130.
Beobacht. Zeit: 27.97 — 27.89 — 27.75. Mittel: 27.87 Sec.
Mischung Nr. 3.
Mol. Verhaltniss : 380, : 4.5HJO3 : 60000 H^O.
Concentrationen: 05=2.781. Cj = 4.172.
Angewandt: o.i i lo^'SO, + o.45728'HJ03 + 624.1 1'^H^O.
Beobacht. Zeit: 26.30 — 26.25. Mittel: 26.28 Sec.
24 Sit/iing der physiknliftch-mathemadschen Classe vom 13. Janiiar.
Mischung Nr.4.
Mol. Verh§ltniss : 3SOJ : 3HJO3 : 45000 H^O.
Concentrationen : Cg = 3.708. Cj = 3.708.
Angewandt: o.i407«'S03 + o.3863«'HJ03 + 593.2 i^^H^O.
Beobacht. Zeit: 24.77 — 24.72 — 24.77 "~ 24.70. Mittel: 24.74 Sec.
Mischung Nr. 5.
Mol. Verhaltniss: 3SO, : 6HJO3 : 60000 H,0.
Concentrationen: Cs = 2.781. Cj = 5.562.
Angewandt: o.ii2i«'S03 + o.6i55P'HJ03 + 63o.i7«'H20.
Beobacht. Zeit: 16.36 — 16.28 — 16.34. Mittel: 16.33 Sec.
Mischung Nr. 6.
Mol. Verhaltniss: 3SO2 : 4.5HJO3 : 45000 HjO.
Concentrationen: Cg = 3.708. Cj = 5.562.
Angewandt: o.i 3038^802 + o.5365^HJ03 + 549.3 i^^H^O.
Beobacht. Zeit: 1 2.41 — 1 2.50 — 1 2.46. Mittel: 1 2.46 Sec.
Mischung Nr. 7.
Mol. Verhaltniss : 3S02:7.5HJ03: 60000 H^O.
Concentrationen: Cg = 2.781 . Cj = 6.950.
Angewandt: 0.1340^80, + o.9i988'HJ03 + 753.37^H,0.
Beobacht. Zeit : 11.16— 11.20. Mittel : 11.18 Sec.
Mischung Nr.8.
Mol. Verhaltniss: 3 SO, : 3 H JO3 : 30000 H^O.
Concentrationen: Cs= 5.562. Cj= 5.562.
Angewandt: ' o.i72i«'S02 + o.4725«'HJ03 + 483.75^H'0.
Beobacht. Zeit: 8.74 - 8.81 — 8.79. Mittel: 8.78 Sec.
Mischung Nr.9.
Mol. Verhaltniss: 3 SO, : 6 H JO3 : 45000 H,0.
Concentrationen: Cs = 3.708. Cj = 7.416.
Versuch a.
Angewandt: 0.13898'SO, + 0.7625^1^03 + 585.47«'H,0.
Beobacht. Zeit: 7.86.
Versuch b.
Angewandt: 0.131 i«'SO, + 0.71965^1^03 + 552.6o^HjO.
Beobacht. Zeit: 7.74 — 7.72.
Mittel aller Bestimmungen : 7.77 Sec.
Mischung Nr. 10.
Mol. Verhaltniss: 3 SO, : 7.2 H JO3 : 45000 HLjO.
Concentrationen: Cs = 3.708. Cj = 8.896.
Angewandt: o.i355«'S02 + 0.8925*^1^03 + 571.1 1'^Il.O.
Beobacht. Zeit: 5.88 - 6.04 — 5.93. Mittel: 5.95 See.
Landolt : Zeit'daiier der Reaction zwischen Jodsaure und sch'weiliger Saiire. 25
Fur die Constante K,^ erh<
uLxv/ vyv»*xs
3UCbAl.(A_- a>.
IQ \.XA.JIC»«.V
JXIC»X& •
Mischung
Nr.
Cs
Oj
0.904 1.61a
'.0
^,0
I
2.781
X78I
13.519
51.69
698.80
2
5.562
2.781
25.297
27.87
705.03
3
2.781
4.172
26.312
26.28
69148
4
3.708
3.708
28.121
24.74
695.71
5
Z.78I
5.562
42.191
16.33
688.98
6
3.708
5-562
54-7^3
1246
681.85
7
2.781
6.950
60.826
II. 18
680.03
8
5.562
5.562
78.952
8.78
693.20
9
3.708
7416
87.765
7-77
681.93
lO
3.708
8.896
1 18.328
5-95
Mittel:
704.19
692.12
III. Temperatur 15°.
Mischung Nr. i.
Mol. Verhaltniss : 3SO, : 3HJO3 : 60000 H^O.
Concentrationen : Cg = 2.781. Cj = 2,781.
Angewandt: o.i 198'^SOa + o.329o8'HJ03 + 673.638'H,0.
Beobacht. Zeit: 44.70 — 44.63. Mittel: 44.67 See.
Mischung Nr.2.
Mol. Verhaltniss: 380, : i .5HJO3 : 30000 H^O.
Concentrationen: Cg = 5.562. Cj = 2.781.
AngeAvandt: 0.1744^80^ + o.23945^HJ03 + 490.31^11,0.
Beobacht. Zdt: 23.54 — 23.50. Mittel: 23.52 Sec.
Mischung Nr. 3.
Mol. Verhaltniss: 3SO2 : 4.5HJO3 : 60000 H,0.
Concentrationen: Cs= 2.781. Cj== 4.172.
Angewandt: o.i uo'^'SO, + o.4572«'HJ03 + 624.1 i^^H^O.
Beobacht. Zeit: 22.70 — 22.79 """ 22.90. Mittel: 22.79 Sec.
Mischung Nr.4.
Mol. Verhaltniss: 3SO3 : 6HJO3 • 60000 H,0.
Concentrationen : Cs= 2.781. Cj= 5.562.
Versuch a.
Angewandt: o.i 1 96*^80, + o.6565«'HJ03 + 672.i58'H,0.
Beob.acht. Zeit: 13.99 — i4-^5-
Versuch b.
Angewandt: o.i i04'^S02 + 0.606 i*^HJ03 + 620.5o^H,0.
Boobacht. Zeit: 13.92 — 13.83 — 13.91.
Mittel aller Bestimmungen : 13.94 Sec.
26 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 13. Janiiar.
Mischung Nr. 5.
Mol. VerhaJtniss : 3SO2 : 7.5HJO3 : 60000 HjO.
Concentrationen : Cs = 2.781. Cj = 6.950.
Angewandt: 0.1340^803 + o.gigS^HJOg + yss-SV^HjO.
Beobacht. Zeit: 9.80-9.64 — 9.66. Mittel: 9.70 Sec.
Mischung Nr.6.
Mol. VerhSltniss : sSO^ : 3HJO3 : 30000 H^O.
Concentrationen: Cs = 5.562. Cj = 5.562.
Angewandt: 0.17218'SOj + 0.472 58'HJ03 + 483.758'H,0.
Beobacht. Zeit: 7.67 — 7.59 — 7.64. Mittel: 7.63 Sec.
Mischung Nr. 7.
Mol. Verhaitniss: 3SO, : 6H JO3 : 45000 H,T).
Concentrationen: Cg = 3.708. Cj = 7.416.
Angewandt: 0.137858'SOj + o.75698'HJ03 + 58i.i8'^H20.
Beobacht. Zeit: 6.93 — 6.99 — • 6.96. Mittel: 6.96 Sec.
Mischung Nr. 8.
Mol. Verhaitniss : 3SO2 : 7.2HJO3 : 45000 HjO.
Concentrationen: Cg == 3.708. Cj = 8.896.
Angewandt: 0.13558'SOa + o.89258'HJ03 + 571.118'HjO.
Beobacht. Zeit: 4.98 — 4.96. Mittel: 4.97 Sec.
Die fiir die Konstante K^^ resultirenden Werthe sind in nach-
folgender Tabelle zusammengestellt :
Mischung
^8
(^j
^904^1.642
^5
^.5
I
2.781
2.781
"3-5I9
44.67
603.89
2
5.562
2.781
25.297
23.52
594-99
3
2.781
4.172
26.312
22.79
599.65
4
2.781
5.562
42.191
1394
588.14
5
2.781
6.950
60.826
9.70
590.01
6
5-562
5.562
78.952
7.63
60240
7
3.708
7.416
87.765
6.96
610.80
8
3.708
8.896
118.328
4.97
Mittel:
588.10
597-25
IV. Temperatur 20°-
Wie in Mittheilung 11 erortert, ergaben sich aus den firuheren
sammtlich bei 2 o^ angestellten Versuchen bei Anwendung verschiedener
Berechnungsweisen far die Constante K^ Werthe, welche zwischen
518 und 530 schwanken. Als Mittel war gewShlt worden:
^20= 524-35 »
welche Zahl aus 65 Beobachtiingen abgeleitet ist.
Landolt: Zeitdauer der Reaction zwischen Jodsaure und schwefliger Saure. 27
V, Temperatur 25**.
Mischung Nr.i.
Mol. Verhaitniss: sSO, : 3HJO3 : 60000 H,0.
Concentrationen : Cs = 2.781. Cj = 2.781.
Angewandt: o.i i97«'SOj + o.3285«'HJ03 + 672.67P"H,0.
Beobacht. Zeit: 32.80 — 32.84 — 32.90. Mittel: 32.85 Sec.
Mischung Nr. 2.
Mol. Verhaitniss: 380, : 6HJO3 • 60000 H,0.
(Concentrationen: Cs == 2.781. Cj = 5.562.
Angewandt: o.i io78'S02 + o.6o788'HJ03 + 622.29^11,0.
Beobacht. Zeit: 10.41 — 10.55 — 10.50. Mittel: 10.49 Sec.
Aus den beiden Beobachtungen folgt:
Mischung
Nr.
^S
^/
^0-904 ^1.642
'»5
^as
I
2
2.781
2.781
2.781
5.562
13.519
42.191
32.85
1049
Mittel:
444.10
4^2.58
443-34
VI. Temperatur 30^
Mischung Nr.i.
Mol. Verhaitniss : 3SOJ : 3HJO3 : 60000 H^O.
Concentrationen: Cs = 2.781. Cj = 2.781.
Versuch a.
Angewandt: o.i 1978'SO, + o.3285»'HJ03 + 672.67«'H20.
Beobacht. Zeit: 28.83 "" 28.96.
Versuch b.
Angewandt: o.i i2o«'SO, + o.3O758'HJ03 + 629.668'H,0.
Beobacht. Zeit: 29.01 — 29.06 — 28.92.
Versuch c.
Angewandt: o.i i43«'SO, + o.3i3858'HJ03 + 642.67«'H,0,
Beobacht. Zeit: 26.98 — 27.02 — 27.08.
Mittel aller Bestimmungen : 28.33 Sec.
Mischung Nr. 2.
Mol. Verhaitniss: 3 SO^ : 6 HJO3 : 60000 H^O.
Concentrationen: Cs = 2.781. Cj = 5.562.
Angewandt: o.i io7«'SO, + o.6o78«'HJ03 + 622.298'H,0.
Beobacht. Zeit: 8.93 — 9.00 — 9.02. Mittel: 8.98 Sec.
28' SitziiDg der physikalisch-mathematischen Classe vom 13. Janaar.
Hieraus ergiebt sich:
Mischung
Nr.
Cs
^/
^o-SKH ^1.642
So
^50
I
2
2.781
2.781
2.781
2.562
13.519
42.191
28.33
8.98
Mittel:
382.99
378.88
380.94
VII. Temperahir 35^
Mol. Verhaltniss: 3 SO^ : 3 HJO3 : 60000 H,0.
Concentrationen : Cg = 278 1 . Cj = 2.78 1 .
Versuch a.
Angewandt: 0.1197^80, + o.3285«^HJ03 + 6^2,6^^H^O.
Beobacht. Zeit: 25.32 — 25.34.
Versuch b.
Angewandt: o.i i2o»'S02 + o.iO'j^«'T[J0^ + 62g.66^I[^0.
Beobacht. Zeit: 25.55 "" 25.43.
Versuch c.
Angewandt: 0.1304^803 + o. 3579*^1! JO3 + 732.77^1120.
Beobacht. Zeit: 25.45 ~ 25.52 -- 25.55.
Mittel aller Bestimmungen : 25.45 8ec.
Daraus folgt:
Cg^\ Cj^= 13.519 und K^^ = 344-o6.
VIII. Tomperatup 39?5.
Mol. Verhaltniss: 3 80^ : 3 H JO3 : 60.000 H^O.
Concentrationen: Cs'= 2.781. Cj= 2.781.
Angewandt: o.i i97«'802 + o.3285'^HJ03 + 672.67'^H20.
Beobacht. Zeit: 22.68 — 22.45 ~ 22.25. Mittel: 22.35 Sec.
Diese Beobachtung liefert:
Cs'^*Cj'^=ii,S^9 und ^^39.3= 303.64.
8tellt man die erhaltenen Werthe fiir K zusammen, so findet
sich, dass die Vermindening, welche dieselben bei steigender Tempe-
ratur (T) erfahren, fiir die Zunahme von 5° immer kleiner wird,
abor die Differenzen zeigen erhebliche Unregelmassigkeiten. Man erhalt
bei Anwendung abgerundeter Zahlen:
J
Landolt: Zeitdaii^r der Reaction zwischen JodsRure nnd schwefliger Saiire. 29
T 5° 10° 15° 2o° 25° 30° 35° 39?5
Kt 796 69? 597 524 443 381 344 304
Diff. 104 95 73 81 62 37 40
In Folge dieser unregelmassigen Abnahme, welche davon her-
rulirt, dass die einzelnen Werthe aus einer selir ungleichen Anzahl
von Beobachtungen abgeleitet worden sind, ist die Grewinnung einer
gut sich anschliessenden Interpolationsformel nicht zu erwarten. Indem
die Fonn : K= a + hT + cT^ ge wShlt wnrde , ergab sich unter Be-
rucksichtigung der verschiedenen Versuchsgewichte:
Kt= 906.05 — 23.017+ 0.1888 ^^
welcher Ausdruck folgende Abweichimgen von den beobachteten Zahlen
liefei*t :
T
K^
Rech. — Beob.
Rechnung
Beobachtung
5°
10
15
20
25
30
35
39-5
795.72
694.83
603.38
521.37
448.80
385.67
331.98
291.68
■
795.86
692.12
597-25
524-35
443-34
380.^
344-06
303.64
— 0.14
+ 2.71
+ 6.13
— 2.98
+ 5-46
+ 4-73
— 12.08
— 1 1.96
Bei Einsetzung der obigen Gleichnng in die Formel, welche die
Abhangigkeit der Reactionsdauer / von den Concentrationen Cs und Cy,
d. h. der in der Volumeinheit-Mischung enthaltenen Anzahl Molekiile
schwefliger SSure und Jodsaure darstellt, erhalt man endlich den
allgemeinen Ausdruck:
906.05 — 23.oir+ o.i888r»
t.
•^0.904
c;
1.642
Derselbe gilt fur Temperaturen zwischen 5° und 40°, und ferner,
wie aus den Mittheilungen I und 11 hervorgeht , unter der Bedingung,
(lass Cg nicht grSsser als 3C/ ist, indem beim TJberschreiten dieser
Grenze keine Jodabscheidung mehr eintritt. Endlich wird er nach
dem friiher in Abth. 11 S. 2 1 2 Gesagten nm* zur Berechnimg solcher
Reactionszeiten anwendbar sein, welche unter 60 Sec. liegen.
Obgleich der den Einfluss der Temperatur ausdriickende Theil
der obigen Formel mit einiger Unsicherheit behaftet ist, so schliessen
sich doch die mittels derselben berechneten Werthe den gefimdenen
Reactionszeiten in befiiedigender Weise an. Es iibeiTagen zwar die
Abweichungen mehrfach die Beobachtimgsfehler, aber dieselben bleiben
doch stets unter i Sec., und dcsshalb wunlo dnvon abgeschen, dm*ch
30
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 13. Januar.
weitere Vermehrung der Versuche eine etwas grSssere Genauigkeit
der Constanten zu erzielen. Die folgende Tabelle, in welche bezug-
lich der Temperatur 20° eine Anzahl Zeitbestimmungen aus den Ab-
handlungen I und 11 aufgenommen wiirden, lasst die Leistungen der
Foimel erkennen.
'8
S J
Rechnung
Beobachtung
Rech. — Beob.
2.781
3.708
2.781
3.708
3.708
2.781
5.562
2.781
3.708
2.781
3.708
2.781
5.562
3.708
3.708
2.781
5.562
2.781
2.781
2.781
5.562
3.708
3.708
1.855
2.385
1.964
2.087
3.708
2.781
3.708
2.385
2.781
3.338
2.781
2.781
3034
2.781
2.781
3.708
5.562
5.562
7416
2.781
2.781
4.172
3.708
5.562
5.562
6.950
5.562
7416
8.896
2.781
2.781
4.172
5.562
6.950
5.562
7416
8.896
2.597
2.385
2.750
2.921
2.226
2.781
2.473
3-338
3.338
3.338
3894
4.172
4.248
5.006
Temperatur 5*
13.519 58.86
28.121 28.29
18.86
42.191
54723
87.765
14.54
9.07
Temperatur 10**
51.40
2747
26.41
24.71
1647
13.519
25.297
26.312
28.121
42.191
54.723
60.826
78.952
87.765
118.330
12.70
1142
8.80
7.92
5.87
Temperatur 15**
44.63
23.85
22.93
14.30
9.92
13.519
25.297
26.312
42.191
60.826
78.952
87.765
118.330
7.64
6.87
5.10
Temperatur 20*
8.378
9.143
9.691
11.304
12.166
13-519
14406
15-879
18.245
21.518
23496
26.312
29.324
35-49»
62.23
57.00
53.80
46.12
42.85
38.57
36.19
32.83
28.58
24.23
22.19
19.81
17.78
14.69
59.49
28.80
18.88
14.31
8.95
51.69
27-87
26.28
24.74
16.33
12.46
11.18
8.78
7-77
5-95
44.67
23.52
22.79
13.94
9.70
7.63
6.96
4-97
62.35
57-75
53.90
46.07
43.10
38.28
36.26
32.62
28.26
24.29
22.23
20.04
17.69
14.67
— 0.63
— 0.51
— 0.02
+ 0.23
+ 0.12
— 0.29
— 040
+ 0.13
— 0.03
+ 0.14
+ 0.24
+ 0.24
+ 0.02
+ 0.15
— 0.08
— 0.04
+ 0-33
+ 0.14
+ 0.36
+ 0.22
+ 0.01
— 0.09
+ 0.13
— 0.13
— 0.75
— o.io
4- 0.05
— 0.25
+ 0.29
— 0.07
+ 0.21
+ 0.32
— 0.06
— 0.04
— 0.23
-+-0.09
+ 0.02
Landolt: Zeitdatier der Reaction zwischen Jodsaure und schwefliger Saure. 31
^s
Cj
^904 1.642
t
t
Rech. — Beob.
o
^S '^J
Rechnung
Beobachtuiig
2.781
5.562
42.191
12.36
12.24
+ 0.12
3.708
5.191
48.859
10.67
11.03
— 0.36
3.708
5.562
54.723
9-53
9.82
— 029
2.781
6.950
60.826
8.57
8.35
-h 0.22
2.781
7.783
73253
7.12
7.07
+ 0.05
3.708
7.416
87.765
5-94
6.16
— 0.22
2.781
9.448
100.708
5.18
5.08
+ O.IO
5.558
7.781
136.930
3.81
3.91
— O.IO
2.781
2.781
2.781
2.781
2.781
5.562
2.781
5.562
2.781 I 2.781 I
2.781 I 2.781 I
Temperatur 25*
13-5 <9 I 33.20
42.191 I 10.64
Temperatur 30*
13.519 I 28.53
42.191 I 9.14
Te mperatur 35'
13.519 I 24.56
Temperatur 3975
13.519 I 21.58 I
Von der Mittheilung weiterer Formeln , die noch gepruft wurden,
sehe ich ab und erwahne nur, dass eine Beziehung zwischen dem
Drucke des gesattigten Wasserdampfes und der Reactionszeit bei ver-
schiedenen Temperaturen , wie sie Hr. Winkelmann^ bezGglich meiner
fruheren Versuche fiber die Zersetzung der Thioschwefelsaure^ nach-
gewiesen hat, in dem hier vorliegenden Falle nicht aufzutreten scheint.
32.85
10.38
28.33
8.98
25.45
22.35
f 0.35
+ 0.26
+ 0.20
+ 0.16
— 0.89
0.77
Einflms inactiver Substanzen.
Die Reaetionsdauer einer gegebenen Mischung von JodsS-ure imd
schwefliger Saure kann, wie sich gezeigt hat, durch die Gregenwart
chemisch indifferenter Stoffe in erheblicher Weise verandert werden. So
beschleunigen die Sauren, femer die Chloride der Alkalimetalle , so wie
Alkohol die Geschwindigkeit des Processes; andererseits scheinen auch
Verlangsamungen desselben mSglich zu sein. XJber solche Einwir-
kungen habe ich nur einige vorlaufige Versuche angestellt, welche
sich auf folgende Korper erstrecken.
I. Schwefelsfture. Je 50*^° wasseriger schwefliger Saure (ent-
haltend 0.079435^802) und 50*'*'*'" Jodsaurelosung (enthaltend 0.1500^
HJO3) wurden einzebi mit zunehmenden Mengen verdunnter Schwefel-
^ A. WiNKELMANN , BcF. d. D. cheiii. Ges. Jahrg. 1885. I. 406.
' Diese Berichte, Jahrg. 1883. S. 1223.
32
Sitziing der physikaliscli-mathematischeii Classe vom 13. Januar.
saure uud so viel Wasser incl. Starkel5sung versetzt. dass das Volum
jeder Flftssigkeit 250**'*''°* betxug, somit nach dem Zusammengiessen
stets 500*'^*'°* Mischung entstanden. Die angewandte Schwefelsaure
enthielt im Liter 3.397^H2SO^. Als Versuchstemperatur wurde 18°
festgehalten , und die Reactionsdauer mit Hiilfe einer 0.2 Sec. gebenden
Uhr bestimmt. Um eines gleichbleibenden Gehaltes der schwefligen
Saure sicher zu sein, war es nothig, die Beobachtungen rasch hinter
einander auszuiuhren, und es konnten daber die meisten Mischungen
nur einmal hergestellt werden.
Den obigen Zahlen zufolge sind die constant gehaltenen Concen-
trationen fur schweflige Saure und Jodsaure, d. h. die in im^ Mischung
vorkommende Anzahl Gramm - Molekiile :
^S0^= ^-485 (^HJO^= ^'7^0.
Die angewandte Anzahl Cubikcentimeter Schwefelsaure und die
denselben entsprechenden Concentrationen Cjj gg in i m^ Mischung
2 4
finden sich in der nachstehenden Tabelle angegeben.
I II
UI
IV
V
Mischung
Nr.
Angewandte
Anzahl
Cubikcentimeter
Schwefelsaure
Concentration
Beobachtete
Reactionsdauer
t
Constaute
^eob. ^ch.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
5
10
»5
20
30
40
50
75
100
200
300
0-3473
0.6945
1. 042
1.389
2.084
2.778
3-473
5.209
6.945
13.89
20.84
100.5 Sec.
89.2
78.5
71.8
65.0
54-4
47.2
414
32.0
26.6
»5-3
10.9
243.1
246.7
244.3
2484
2475
244.9
245-3
243.9
24^.1
249.0
249.5
^53-5
-h I.I Sec.
— 04
-f 04
— 0.8
0.5
-h 0.2
-h 0.1
-1-0.3
-H 0.2
-04
— 0.2
0.3
Wie ersichtlich vermindern schon kleine Mengen von Schwefel-
saure die Reactionsdauer in erheblichem Grade, aber ihre Wirkung
wird bei steigender Menge inimer schwacher. Die Curve, welche die
Abhangigkeit der Zeiten t von den Concentrationen CjjgQ ausdrftckt,
3 4
bildet den Ast einer gleichseitigen Hyperbel, und sie entspricht der
Formel :
^(Ch,so^ + ^) = ^
Die durch Combination von je 2 Beobachtungen abgeleitete Con-
stante a ergab sich im Mittel = 2.418, und far die Constante b resul-
Landolt: Zeitdauer der Reaction xwischen Jodsaure und scliweiliger Saiire. 33
tii'ten die in Col. IV angegebenen Zahlen, welche nahe mit einander
ubereinstimmen. Wird mit Weglassimg der Versuche Nr. 1 1 und 1 2 im
Mittel 6=245,6 gesetzt, so weichen die berechneten Reactionszeiten
von den beobachteten um die in Col. V angegebenen Grossen ab.
In Folge dieses Einflusses der Schwefelsaure wird, da dieselbe
wahrend der Umsetzung zwischen schwefliger Sfture und Jodsaure in
zunehmender Menge sich bildet, der zeitliclie Verlauf der Vorgftnge
noch mehr complicirt. Auf die sehliesslich beobachtete Reactionsdauer
haben namlich eingewirkt: I. Besehleunigungen, und zwar a) durch
die bei der fortsehreitenden Zersetzung entstehende I'elative Vermeh-
rimg der Molekiile HJO, gegenuber den Molekulen SO^ , indem gemass
den Processen:
1 5 SO, + 5 HJO3 = 1 5 SO3 + 5 HJ
5 H J + HJO3 = 3 H,0 + 6 J
6J+ 3 SO, + 3 H3 O = 3 SO3 + 6 HJ
18 SO, + 6 HJO3 = i8 SO3 + 6 HJ"
Oder 3SO, + HJ03=: 3 SO3 + H J
auf je 3 Mol. SO, immer bloss 1 Mol. HJO3 verschwindet. Die Ver-
HJO
gr5sserung des Verhaltnisses -^^ hat aber, wie friiher gezeigt, einen
raschem Verlauf der Vorgange zur Folge; es wirkt die iibersehussige
Jods&ure an und fiir sich ebenso beschleunigend ein, wie die Schwefel-
saure und die anderen SSluren. — b) durch die allmalige Vermehrung
der Schwefelsaure; — c) durch das ebenfalls zunehmende Auftreten
von Jodwasserstoffsiure ; auch diese wird den gleichen oder ahnlich
der Chlorwasserstoflfsaure sogar noch einen stftrkern Einfluss besitzen,
als die Schwefelsftiu'e. — Anderseits findet nach und nach: 11. eine
Verzogerung der Zersetzung statt, und zwar in Folge d,er fort-
sehreitenden Abnahme der Molekiile SO, und HJO3 in der Fliissigkeit.
Dem in Abhandlung I. S. 254 mitgetheilten Versuche zufolge
scheinen die Besehleunigungen zu iiberwiegen, indem derselbe zeigte,
dass bei einer Mischung, welche bis zur Jodabscheidung eine Reactions-
dauer von 70 Secunden besass, von der ui'spninglichen Menge SO,
nach Verfluss:
von: o 20 40 60 Sec.
oxydii-t waren: o 17 42 74 Procent
somit in je 20 aufeinan- 1
der folgenden Secunden: j 7 5 3
Diese complicirten Verhaltnisse machen es erklai'lich, weshalb
mehrfache frflhere Versuche, eine den Beobachtungen entsprechende
theoretische Formel bezflgllch der Zeitdauer der Reaction zwischen
JodsSure und schwefliger Saure aufzufinden , zu keinem Erfolge fiihrten.
34
Sitzung der physikalisch-iiiatheniatiseheu Classe vom 13. Januar.
Die Wirkung der Schwefelsaure , welche mir fruher unbekannt
war, hatte leicht verursachen k5nnen, dass die gesammten in den
Abhandlnngen I und 11 beschriebenen Versuche resultatlos geblieben
waren. Da die wSsserige schweflige Saure gewohnlich schon an und
ffir sich einen kleinen Gehalt an Schwefelsaure besitzt, so wurde bei
einer etwaigen Verschiedenheit desselben eine voUstandige XJnordnung
in den Beobachtungen eingetreten sein. Dass dies nicht der Fall
war, ist dem Umstande zu verdanken, dass das zur Herstellung der
verdiinnten schwefligen Saure dienende concentrirtere Praeparat stets
aus der n8.mlichen Vorrathsflasche entnommen wurde und femer,
wie sich nachtrSglich prufen liess, der H^SO^ Gehalt desselben ein
sehr geringer war. Derselbe konnte auch wShrend der Dauer der
ganzen XJntersuchung keine wesentliche Zunahme erlitten haben, was
daraus herA^orgeht, dass zu verschiedenen Zeiten ausgefiihrte Bestim-
mungen der Reactionsdauer des namlichen Mischungsverhaltnisses stets
ubereinstimmende Zahlen lieferten. Die Versuche ordneten sich daher
alle der gleichen Formel unter. Immerhin ware es aber m5glich,
dass die Constanten derselben sich bei Anwendung einer ganzlich
HjSO^ freien schwefligen Saure um geringe Grossen verschieben.
2. Chlorwasserstoffsaure, Salpeters&ure, Oxalsaure und
Essigsaure. Es wurde die Wirkung aequivalenter Mengen derselben,
sowie auch von Schwefelsaure, auf die Reactionsdauer einer gleichen
Mischung von SOj und HJO3 gepruft, und dazu verdiinnte SSuren von
fdlgendem Gehalt im Liter angewandt: 2.524^' HCl — 4.375*' HNO3
cbcm
- 3.397'' H,SO,~ 3.ii8«' C,H,0,- 4.1575^ C,H,0,. Zu je 50
schwefliger saure (0.076 2 g*' SO^) und 50"^''°* Jodsaure (o.i5oo«'HJ03)
setzte man bei einer ersten Versuchsreihe 5 o"****^ der Sfiuren nebst so viel
Wasser, dass nachher das Gesammtvolum der Mischung 500*'***'" betrug;
bei einer zweiten wurden 100*'^*'°" Saure angewandt. Die entsprechenden
molekularen Concentrationen, sowie die bei der Temperatur i6° beob-
achteten Reactionszeiten , sind in nachstehender Tabelle enthalten.
^SO^
2.388
^HJO^
- ^-7^
[O.
I
11
III
IV
Versuchsreihe I
Versuchsreihe II
Abnahme
Abnahme
Con-
Beob.
Con-
Beob.
<07-3 - ^Slure
HCl — 100
centration
Zeit t
Sec.
centi-ation
Zeit t
Sec.
I
U
I
U
Ohiie SHure
107-3
107.3
—
—
—
HCl
6.945
36.6
13.890
194
70.7
87.9
100
100
HNO
6.945
39.0
13.890
23.2
68.3
84.1
96.6
95-7
3473
43.8
6.945
27.9
635
794
89.8
90.3
C,H,0^
3473
61.0
6.945
42.4
46.3
64.9
65.5
73.8
<^2H4^2
6.945
105.4
13.890^
105.0
1.9
2-3
2.69
2.62
Landolt: Zeitdauer der ReacUon zwischen Jodsaure nnd schwetHger SSiire. 35
In Col. Ill sind die Verminderungen aiigegeben, welche die ur-
sprungliche Reactionszeit 107.3 Sec. durch den Zusatz der ver»chie-
denen Sauren erfiihrt, und reclinet man dieselben, wie in Col. IV
gescliehen. auf HCl == 100 gesetzt um, so liefern die beiden Versuehs-
reihen nahe iibereinstimmende Zalilen. Nur bei der Oxalsaure tritt
eine erheblichere Abweichung auf.
Die Wirkung der fiinf Sauren ist also eine sehr verschiedene
und sie nimmt in der oben angefulirten Reihenfolge ab; am starksten
zeigt sich die Chlorwasserstofl&aure. Genau zu derselben Ordnung ist
nun aucli Hi*. Ostwald bei seinen Versuchen uber den Einfluss ver-
schiedener Sauren auf die Geschwindigkeit der Inversion des Rohr-
zuckers* und der Verseifung des Methylaeetats*^ gekommen, wobei
sich mit den relativen Affinitatscoefficienten (Aviditaten) derselben
parallel geliende Zahlen ergaben. Es ist nicht unmSglich, dass bei
einer ausflihrlicheren und genaueren Anstellung der obigen Versuche
Werthe residtiren, welche mit den OsTWALn'schen vollstandig iiber-
einstimmen.
Die Beschleunigung , welche die Sauren und zwar schon in
kleinen Mengen auf die Zersetzung zwischen HJO3 und SO, ausiiben,
muss als eine vorlaufig nicht erkiarliche Contactwirkung bezeichnet
werden.
3. Chlornatrium. Der Einfluss der Salze ist bedeutend
scbwacher als derjenige der Sauren, und es ist daher n5thig die
ersteren in viel concentrirteren Losungen anzuwenden. Bei den folgeik*
den Versuchen wurden stets 500*"^" Misehung hergestellt au» 5o''^'°*
schwefliger Saure (0.0743 i^SO^), loo*"^*"™ Jodsiure (a,3^HJ03), waehsen-
den Mengen Kochsalzl5sung (mit 2 5o^NaCl im Liter) und uA» Rest
Wasser.
^so^ = 2-326 ChJO^'
= 3.420.
Angewaiidte
Cubikcentinieter
Gramme NaCl
in 300<'^*'«»
Concentration
C , .«
Beobaehtete
React.-Zeit
Diff.
Kochsalzlosuiig
Mischung
1
bei 16^
,
^3.9 Sef .
.
50
'^'S
428.3
28.6
7-3
100
25
836.6
23.6
50
150
37-5
1284.9
X^.J
>9
200*
50
1713.3
16.0
3-7
250
300
62,3
75
87.3
2141.3
2369.8
2998. r
12.6
10.2
84
34
1.8
* Joiirn. f. prakt. Chemie. [2] 28, 449. — 1883.
* Ebendas. [2] 29, 383. — 1884.
Sitzungsberichte 1887.
36 SitzuDg der physikalisch-mathematischen Classe vom 13. Januar.
Es ergiebt sich somit, dass das Chlornatrium die Geschwindigkeit
der Reaction vermehrt, aber es ist die Gegenwart einer grossen An-
zahl Molekule desselben in der Fliissigkeit n5tliig, um eine Wii'kung
hervorzubringen. Wie es bei der Schwefelsaure der Fall war, tritt
auch hier keine Proportionalitat zwisehen der Zeitdauer und den Salz-
mengen auf; die Vergrosserung der letztem libt, wie aus den Zahlen
der letzten Columne ersichtlich, einen immer geringer werdenden
Einfluss aus. Auf die Bereclmung einer Formel habe ich verzichtet,
da die obigen Versuche nur einmal ausgefiihrt wurden und daher
nocli mit Unsicherheiten beliaftet sein konnen.
Chlorammonium verkurzt ebenfalls die Reactionszeit, und zwar
ungefahr in dem gleichen Grade wie Kochsalz.
4. Alkohol. Aucli diese Substanz besclileunigt die Geschwindig-
keit der Zersetzung, wie aus folgenden Versuchen hervoigeht:
^OQcbpin Mischung
eiithielten
Beobachtete
SO2 Losuiig
HJO Losung
Wasser
Absol. Alkohol
bei 18°
^^cbcm
- _ cbcm
400 '^*^^"
^cbcm
102.2 Sec.
50 »
50 »
200 »
200 »
100.4 »
50 »
50 !»
100 »
300 »
92.8 »
50 »
50 »
50 »
360 »
90.4 *
Die Wirkung des Alkohols ist hiernacli nicht stark.
Stoffe, die den Verlauf des Processes verlangsamen,
konnte ich bis jetzt nicht mit Sicherheit auflfinden. Es liess sich
eine solche Wirkung erwarten bei Zusatz von Substanzen, welche
die innere Reibung der Reactionsfliissigkeit vermehren , wie Glycerin
oder Zuckersyrup, jedoch habe ich von diesen nur einen schwachen
Einfluss, bald in beschleunigendem , bald verzogerndem Sinne, wahr-
genommen. Der GiTind dieses abweichenden Verhaltens liegt darin,
dass solche dickfliissige Losungen sich nicht rasch mischen lassen,
und daher der Anfangspunkt der Zeitmessung unsicher ist.
Ausser den genannten Einfliissen giebt es nun aber noch einen
ganz anderen, welcher die Zeitdauer der Reaction in enormem Grade
andern und zwar verlangsamen kann. Es ist di(»s die von Hrn. Liebreich*
entdeckte Wii'kung der Gefasswandung, die sich aber nur zeigt, wenn
man Mischungen von Jodsaure und schwefliger Saure anwendet, deren
Blaufarbung erst nach etw^ fiinf Minuten erfolgt, und dieselben in
enge Glasgeftsse (Rohren) bringt. Unter diesen Umstanden tritt die
Jodabscheidung entweder gar nicht oder nur an gewissen Stellen des
GefUsses auf, neben welchen reactionslose (todte) Raume bleiben. Hier
* Diese Berichte Jahrg. 1886. S. 959.
Landolt: Zeitdatier der Reaction zwischen Jodsaure und schwefliger Saure. 37
hat man es mit einer Erscheinung besonderer Art zu thiin, die sich
nicht nur auf die Zersetzung der Jodsaure, sondem auch noch auf
vielfache andere chemische Processe erstreckt. Bei Versuchen fiber
die genaue Bestimmung der Reactionsdauer zwischen schwefliger SSure
und Jodsaure kann dieselbe nicht in's Spiel kommen, denn hierzu
sind nur schnell sich zersetzende Mischungen brauchbar, ferner miissen
der leichteren Constanthaltung der Temperatur sowie des Titers der
Losungen wegen grosse Fliissigkeitsmengen , und endlich, um das
Zusammengiessen rasch bewerkstelligen zu konnen, weite Gefesse an-
gewandt werden. Unter diesen Verhaltnissen ist der verz5gernde
Einfluss der Glaswandungen so schwach, dass er sich der Beobachtung
ganzlich entzieht und die Zeitmessungen keinenfalls beruhren kann.
Aiisgegeben am 20. Januar.
1887.
UI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
13. Januar. Sitziing der philosophisch-historisclien Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Curtius.
Hr. MoMMSEN las uber die Ausdehnung des romischen
Reichs.
Ausgegeben am 20. Januar.
Berlin, gedmckt in der ReicIi»druckereL
Sit7.ungsberichte 1887. 5
39
1887.
IV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN,
20. Januar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Webeb hat eine Arbeit fiber die P&rasiprak&Qa des
Krishnad&sa eingereicht. Dieselbe wird in den •Abhandlungen*
verOflTentlicht werden.
2. Hr. CuKTius legte die umstehend folgende Mittheilung des
Hm. Prof. A. Milchhoefeb, z. Zt. in Athen, vor: fiber Standpunkt
und Methode der attischen Demenforschung.
3. Die HH. Geh. Hofrath Dr. Rudolph Leuckart, Professor der
Zoologie an der UniversitSt Leipzig, und Dr. Franz von Leydig, Pro-
fessor der Anatomie und Zoologie an der Universitat Bonn, wurden
ZU coiTespondirenden Mitgliedem der physikalisch-mathematischen
Classe gew&hlt.
4. Zur Unterstfitzung wissenschaftlicher Arbeiten und VerOflTent-
iichungen sind folgende Bewilligungen gemacht: von 1500 Mark fUr
Hm. Dr. Brandt in K6nigsberg zu Untersuchungen fiber Radiolarien;
von 1000 Mark fUr Hm. Prof. I.udwig in Giessen zur Fortsetzung
seiner Untersuchungen fiber Echinodermen ; von 2000 Mark f&r Hm.
Dr. Heinke in Oldenburg i. Gr. zur Fortsetzung seiner Untersuchungen
fiber die Varietaten des H&rings; von 2000 Mark an Hm. Prof. Dohrn
in Neapel zur Fortsetzung des von der Station herausgegebenen Zoo-
logischen Jahresberichts ; von 1000 Mark an Hm. Dr. 0. Taschenberg
in Halle a. S. zur VoUendung der Bibliotheca zoologica; von 900 Mark
Sitznngsberichte 1887. 5
40 Gesammtsitzung vom 20. Januar.
an die Buchhandlung von Veit & Co. in Leipzig zur Herausgabe des
ersten, den Zitterwels betreffenden Theils eines Werkes uber elektrische
Fische von Hm. Prof. Dr. G. Fritsch; von 2000 Mark zur BeschaflEung
von Instrumenten fnr krystallographisch-optische, an die Arbeiten der
HH. HoFMANN und Rammelsberg sich auschliessende Untersuchimgen.
41
Uber Standpunkt und Methode der attischen
Demenforschung.
Von Prof. Dr. A. Milchhoefer
z. Zt. in Athen.
(Vorgelegt von Hrn. Curtius.)
JUas Studium der attischen Demen hat mit den Bestrebimgen auf
dem Gebiete der Topographie Athens nicht gleichen Schritt gehalten.
Man glaubte Attika vorzugsweise in Athen suchen zu miissen. > Und
doch ist die Verwaltung und Geschichte der Stadt mit der ihrer
Landgaue unzertrennlich verbunden.
Seit der Gesammtbehandlung Attikas, welche Leake unternahm
(On the demi of Attika 1829), ist kerne ahnliche, auf umfassender
Ausnutzung der erweiterten Hiilfsmittel beruhende Arbeit erschienen.
Ross (die Demen von Attika, 1846) erOffnete neue Quellen durch
voUstSndigere Heranziehung des inschrifllichen Materials, insbesondere
der Phylenlisten, gelangte aber nicht zu systematischer Durcharbeitung
des ganzen Gebietes. Hanriot's unmethodisches Werk (Recherches sur la
topographie des demes de I'Attique, 1853) ^^t eher hinter den Leistimgen
seiner Vorganger zuriickgeblieben. Surmelis' auf den wildesten Ety-
mologien beruhende Schrift {' Attika y, wepl ^fxwv ' ATTiXYig^ Athen 1854
u. 1855) erhalt lediglich einen gewissen Werth durch den Nachweis
zahlreicher noch herrschender Ortsnamen, deren Kenntniss er sich
als Anw^alt erworben hatte.
BuRSiAN (Geographic von Griechenland , Theil I.) giebt, ohne
eingehendere Localstudien , eine niitzliche, gelauterte Ubersicht der
bis dahin gewonnenen Resultate mit vollkommener Beherrschimg der
Schrifbquellen.
AUe jiingeren deutschen Gelehrten haben sich nur mit Einzel-
heiten beschaftigt und hierin allerdings, theils vom epigraphischen,
theils vom topographischen Standpunkt aus, sehr werthvolle Beitrage
geliefert.
5*
42 Gesammtsitzung vom 20. Januar. ,
Immerhin sind unter 145 gut uberlieferten Demen heute erst
28 ilirer Lage nach hinreichend, 37 annahemd bekannt, wfthrend 80
(daninter sehr grosse Ortschaften) sich bisher einer festen Localisiniiig
entzogen haben.
Durch die »Karten von Attika«, welche sich ihrer Vollendung
nfihem, ist fOi diese Untersuchungen eine neue Basis und neue An-
regung geschaffen worden.
Es durfte an der Zeit sein, sich nach den Hulfsmittehi iimzu-
sehen, welche uns fer ein solches Untemehmen uberhaupt zu Gebote
stehen nnd nach der Methode, welche dabei zu befolgen ist. Aus
der Meinung, dass die einen wie die andere unzul&nglich seien, erklart
sich vielleicht ein Theil der auf diesem Gebiete herrschenden Zuruck-
haltung.
Der wichtigste, vielfach vemachlftssigte , methodische Grundsatz
scheint mir eben der zu sein, dass die Dementopographie mit alien
vorhandenen Hulfsmitteln zugleich und im Zusammenhange an-
gegriffen werde. Die Vortheile, welche daraus entspringen, entgehen
den meist^n Einzeluntersuchungen : sie entbehren der Ubersicht und
der Controle, welche nur eine G^sammtbehandlung bietet.
Es liegt in der Natur jener einzelnen Hulfsmittel , dass sie an
und fur sich nicht immer schon zu festen Ergebnissen fiihren, sondem
vielfach nur G^sichts- und Richtpimkte abgeben; ganz anders, wenn
mehrere derselben auf das gleiche Ziel hinweisen, sich gegenseitig
stutzen und wenn auch die ubrigen der angestellten Probe zustimmen.
Welches sind nun diese Hulfsmittel und wie weit sind die-
selben gelegentlich oder systematisch, einzeln oder im Zusammenhange
angewandt worden?
Im weitesten Umfange ausgenutzt sind bisher unzweifelhaft die
I. Angaben der alten Schriftsteller,
auf deren Charakteristik hier nicht ausfuhrlicher eingegangen werden
kann. Immerhin sind besondere Untersuchungen uber den Werth
und die Eigenart jeder einzelnen dieser Quellen (des Strabo, Pausanias,
Stephanus von Byzanz u. s. w.) nicht uberjfliissig. L&sst sich z. B.
erweisen, dass Strabo, soweit wir folgen k5nnen, in seiner Beschreibung
Attikas nur solche Demen namhaft macht, welche aji der Kuste liegen,
oder doch vom Meere aus in's Auge fallen, so wird es bereits sehr
unwahrscheinlich, dass Marathon, von Meer und Ebene entfernt, in
einem abgeschlossenen Thale lag.
Von hervorragender Wichtigkeit fiir unsere Kenntniss der
attischen Demen erscheinen sodann
Milchbo£ker: Uber StaDdpiinkt und Methode der attischen Demenforschung. 43
n. die Phylenkataloge
der inschriftlich erhaltenenPrytanen-, Diaeteten- undEphebenurkunden.
An dieses Material knupfen sich bereits hervorragende Leistungen
deutscher Gelehrter, namentlich Ross', Dittenbergeb's und U. KShleb's.
Doch ist dasselbe bisher for unseren Zweck mit wenigen Ausnahmen
wesentlich nur in einer Richtung dnrchgearbeitet worden, obwohl es,
wie mir scheint, in dreifacher Hinsicht znr Verwerthimg kommen
kann.
Erstens ergeben diese Listen schon heute eine hinreichend voll-
standige imd zuverlSssige Ubersicht der attischen Demennamen selbst,
sowie ihrer Einordnung unter die lo, 12 und 13 Phylen. Auch in
die vorubergehend zur Antigonis und Demetrias geschlagejien Demen
gewinnen wir bereits Einblick. Das Princip der Auswahl und
Gruppirung ist jedoch (ausser bei den Neubildungen) bisher nur
wenig er5rtert worden. Auf diesem G^biete weiter vorzudringen,
soil unten ein Versuch gemacht werden (vergl. den Anhang: »die
Phylen der Mesogaia«; »die Demen der Phyle Aigeis«).
Zweitens ist die Reihenfolge der innerhalb ihrer Phylen auf-
gefiihrten Demen bei den meisten Prytanenkatalogen keineswegs bloss
zuf&llig. Wenn man beriicksichtigt , dass in manchen Urkunden die-
jenigen Demen voranzugehen pflegen , welche die betreffenden Beamten
(Grammateus, Tamias) gestellt hatten, dass in anderen Fallen die
Demen mit besonders zahlreichen Vertretem an die Spitze der Co-
lumnen treten, so beo^jachten wir daneben eine Aufz&hlung (nament-
lich der kleineren Gaue) nach ann&hernd topograph ischer Folge.
Ohne hier zu er6rtern, ob diese Anordnimg auf einem absichtlich
gewfthlten Princip beruht, kSnnen wir eine Reihe von Inschriften
namhaft machen, in denen die locale Au&ahlung fiir die sicher be-
kannten Demenlagen zutrifft und somit vermuthungsweise auch fiir
die librigen in's Auge gefasst werden darf, besonders wenn die
gleiche Zusanunenstellung sich in mehreren Urkunden wiederholt.
Am meisten Beachtung verdienen in dieser Hinsicht die Inschrift;en
des C.I. Att. II 864, 865, 868, 869, 872, 873, 944, 991 (Demen-
liste nach Phylen).
Drittens ergeben s&mmtliche Kataloge (unter gehSriger Beruck-
sichtigung der unvoUstandig erhaltenen) auf Grund dfer Vertreterzahl
jeder Ortschaft; (an Prytanen, Epheben u. s. w.) eine relative Gr6ssen-
statistik der zu je einer Phyle gehSrigen Demen, welche sich
durcli Heranziehung der mit Demotikon versehenen Grabinschriften
ergSuzen und fiber den Rahmen der einzelnen Phyle hinaus vervoll-
standigen lasst. Angestellte Proben (vergl. unten: »die Demen der
44 Gesammtsitaung vom 20. Januar.
Phyle Aigeis«) ffihrten zu libereiiistimmenden , hinreichend sichern
Resultaten, welche fiir die topograpliische Arbeit keineswegs gleich-
gultig sind.
in. Der Boden von Attika,
dessen eindringendes Studium erst durch die preussischen Karten-
aufhahmen in voUstem Maasse ersehlossen wird. Mit ihrer Hiilfe
und unter ihrer Fiihrung muss es gelingen, nicht nur weitaus die
meisten alten Demosstatten an Ort. und Stelle zu ermitteln, sondem
auch ihre relative 6r6sse, ihre durch das Terrain bedingten Hulfs-
quellen und ihre Wegeverbindungen zu bestimmen. Eine zuverlassige
Stfltze gewslhren dabei nach ihrer Zahl und GrOsse die alten GrSber-
anlagen. Nicht geringe Beachtung verdienen auch die christlichen
Kirchen und Capellen, von denen keine ununtersucht bleiben sollte.
Ein anderer, gleichfalls nicht unwichtiger Theil der Local-
forschung wird sich den heute vorhandenen Ortsnamen zuzuwenden
haben und zwar nicht bloss denjenigen der noch gegenwartig besie-
delten Statten, sondem auch den zahlreichen im Munde des Volkes
fortexistirenden Benennmigen unbewohnter Ortlichkeiten.
Es ist selbstverstandlich , dass ein Gebiet, auf dem so liel ge-
siindigt worden ist, nur mit der Sussersten Vorsicht betreten werden
darf ; doch sollten diese Erfahrungen nicht zur Vemachlassigung eines
Materiales fthren, in dem imz\veifelhaft eine Summe alter und echter
Tradition steckt.
Es wird nicht flberflflssig sein, diese Thatsache zunJchst durch
folgende Ubersicht einer Anzahl allgemein als alt anerkannter und
meist auch identificirter Ortsnamen festzustellen und eindringlicher
zu machen (doch sei von vorn herein bemerkt, dass mir dabei gelegent-
liche Localverschiebungen alter Namen im Laufe der Zeit keineswegs
ausgeschlossen erscheinen, z. B. in Garito, Marathona):
Anavyso = Anaphlystos.
Athine = Athen.
Balana ^ Pallene.
Oharaka = Patroklu Gharax.
Elymbos = Olympos.
(Vergl. die Berge Pani [zweimal]
' tmd Dionysovuni ; die Statten :
Dionys, Dafni.)
Ergastii*aki (jRir die Lauriortberg-
werke, schon vor dem heutigen
Neubetrieb).
Garito = Gargettos.
Haliki = Halai (zweimal).
Herakli (Herakleshlgth. in Iphistia-
dai).
Kathimnia = Akademie.
Kephisia*
Korunif= Koroneia bei Prasiai.
MiLrHHORFRRi Ubpi* Standpiinkt iind Metliode der attischen Deinenfoi'schnng. 45
Lambrika = Lamptrai.
Leusina = Eleusis.
Lipsokutali = Psyttaleia.
Marathona.
Manisi (Hlgth. der Artemis Ama-
rysia in Athmonon).
Mendeli = Pentele.
Merenda (Merondaes) = Myrrhinus.
Mesogia = Mesogaia.
Metropisi = Amphitrope.
Ninoi == Oinoe.
PhyK = Phyle.
Prasas = Prasiai.
Rafina = Araphen.
Talanto == Atalante.
Theriko = Thorikos.
2 Velanideza ubersetzt aus Phegus,
Phegaia.
Vraona = Brauron,
In alien aufgeffihrten Fallen wird das Alter der Uberlieferung
iind die IdentitSt mit den entsprechenden classischen Namen noch
durch andere Umstande bestStigt. Es ist klar, dass sich die alte
Tradition nicht lediglicb auf die leicht controlirbaren F&lle beschrankt,
dass wir also auch den ubrigen Ortsnamen noch femerbin aufmerk-
same Beachtung zu schenken haben.
Ich sah es daher von vorn herein als meine Aufgabe an, ein
mSglichst reichhaltiges Verzeichniss der attischen Localnamen anzu-
legen. Dasselbe weist fiir die untere Athenische Ebene (von Patissia-
Pyrgos bis zum Meer) bereits fiber i oo Ortsbezeichnungen auf; ebenso
liefert die Mesogia t&glich neue Ausbeute. Mit Hulfe von Gelehrten,
die des Turkischen und Albanesischen machtig sind, sowie von neu-
griechischen Philologen, soil der Katalog von allzu jungen Wort-
bildungen moglichst entlastet vrerden.
Neben dem Studiuni des Bodens nnd der lebendigen Uberliefe-
rung scheint mir der ergiebigste Theil meiner Forschungen an Ort
und Stelle in einer voUstandigen ^
IV. Sammlung der in Attika verstreuten Grabschriften
zu bestehen, nachdem ich mich bald Qberzeugt hatte, dass eine solche
noch nicht angestellt worden ist.
Da die Ansichten uber den Werth dieser Classe von Denkmalern
fiir unseren Zweck noch getheilt zu sein scheinen und gerade diese
unter alien Hulfemitteln eine systematische und methodische Verwen-
dung noch am wenigsten gefimden hat, moge hier eine kurze, vom
Sicheren ausgehende Betrachtung des Thatbestandes folgen.
Weitaus die meisten attischen Grabinschrifben werden naturgemass
im Umkreise Athens und der Hafenstadt gefimden. Dieselben kom-
men fwt uns immerhin als statistisches Material (s. oben »Phylen-
kataloge«) in Betracht. Im engeren Sinne beschaftigen uns nur die-
jenigen (mit dem Demosnamen des Verstorbenen , vorzugsweise des
46
Gesammtsitzutig vom 20. Jantiar.
Maimes, versehenen) Grabsteine, welche sicher niclit aus stMtischeii
Nekropolen oder OflTentlichen Begrilbnissen (z. B. aus dem Bereich der
•heiligen Strasse*) stammen.
Die Beantwortung der Frage, wie weit die Fundorte fur An-
setzung des auf den Steinen genannten Demos maassgebend werden
kSnnen, leiten wir wiederum am besten ein durch eine voUstandige
Ubersicht der ihrer Lage nach genau oder doch hinreichend bekannten
l&ndlichen Demen, nebst Angabe der Ortlichkeiten , in denen Grab-
schriften auf die betreffenden Demoten entdeckt worden sind.*
Fundorte von Grabinschriften,
welche mit der Lage des Demos:
Demen
kB'fJLOVOV.
Ki^wvvi,
a) ubereinstimmen
Marusi, Kum. 87 (MM-
chen).
Marusi, Kum. 88. 89.
Kephisia, Kum. 90.
Omorphi Ekklisia, Inv.
'ErcLip. 3049.
Weg nach Phaleron,
Kum. 129.
Weg nach »Aixone«,
Kum. 136.
Kara, Kum. 153.
Vari, Kum. 184.
Vraona, Kum. 159. 170
bis 173.
Anmerkung: Kum. = Kumanudes 'Attixij^ iniy^atpai Inirvyji, — »Antikeii-
bericht* = eigene Funde nach Localen zusammeogestellt , 3. Mitth. des Athen. Inst.
1887. — Invent. *Et. = Inventar der griech. arch. Gesellschaft.
^AAfitJ 'Apatpvivl^eg.
b) nicht fibereinstimmen
Kalyvia v. Chasia,
Kum. 125.
^ Ausgeschlossen sind von dem Verzeichnisse solche Demen, welche bisher
keine landlichen Grabinschriften aiifweisen^ sodann die stadtischen Gaue, Piraeus und
Phaleron; an Fiindorten: das Stadtgebiet von der Akademie bis zum Meer, die
heilige Strasse, Eleusis und Salamis; an Inschriften: sammtliche von Lenormant
puhlicirte; alle diese Ausnahmen bedurfen keiner ausfiLhrlichen Motivirung. — Eine
Columne enthalt die mit der (bekannten) Demoslage voUig oder annahernd Qberein-
stimmenden, eine zweite die widersprechenden Fundstatten.
Der Vollstandigkeit wegen sind auch (jedesmal eigens bemerkt) die Grabschriften
auf Frauen angefiihrt, obwohl dieses Material aus verschiedenen Gninden weni^r
zuverlassig erscheint. Dieselben richten sich natdrlich nach dem Demotikon des Mannes ;
wo dieses fehlt, nach dem Demotikon des Vaters, unter der Voraussetzung, dass die
Verstorben^ unvermahlt war und in ihrem Demos bestattet wurde.
Milcbhoefer: Uber Standpunkt und Methode der attischen Demenforschiing. 47
Demen
"AAcDTrexr.
'Avuyvpovg.
^Avu<f>Xvcrrog,
roLpyy\rfog.
AtipcH&Bg.
^EXivcU'
'^Epfxog.
&p7ou
^iKOtpiU.
Kc^oeXt}.
a) ubereinstimmen
Chasani, Kum. 192.
Trachones, C. J. Att. 11,
892. 906 (2 sogenannte
» Richtert&felchen « ) .
Ambelokipi, Kum. 196.
208.
Katsipodii, Kum. 203\
Vari, Kum. 233. 238(Mad-
chen).
b) nicht Qbereinstiminen
Menidi, Kum. 441 (Frau).
Spata (s. Antikenbericht;
Frau).
Spata i. d. Epakria,
^ C. J. Att. in, 1592.
Menidi, Kum. 323. 325.
346.^ 352. 355- 357-
Inv. 'ETflfcip. 3048.
Charvati, Kum. 390.
leraka, 2 Grabinsyehr. s.
» Antikenbericht « .
Keratia, Kum, 415.
Levsina, Kum. 433. 443.
Beim Pulvermagazin
rechts vom Weg nach
Eleusis,Inv.'ETfi6ip.4 1 63.
4164 = Inv. Ephorie.
Nr. 215. 216 (nach
miindlicher Angabe des
fruheren Besitzers Koli-
niatis).
Kalyvia v. Chassia,
Kum. 571.
Liopesi (s. Antikenbe-
richt).
Karea? Kum. 400 (Pitta-
kis), doch vergl. 399.
Keratia, 2 Inschr. 1880
von mir copirt. a) IXu-
^o^wpog u. s. w. , b) Au-
Kovpyog u. s. w. ; letztere
Kara, Kum. 579 = C. I. G.
646 (Fourmont; offen-
bar zurechtgemacht iin-
ter der Voraussetzung,
dass Kara = Ikaria).
Kato Vraona, Kum. 618.
48
Gesammtsitziing vom 20. Januar.
Demen
Kfi^icria.
ALAfjLTrrpAi.
MoLfA^WV.
Mvppivovg,
Oivoyj.
HoLlOLVlA,
UoLXXyivyj.
UpoLtTiAi.
Ilpo/odiKLv^oc;,
a) ubereinstimmen
jetzt im Invent, d. Epho-
rie 1 59 falschlich : »Lau-
rion«.
Bei Kephisia, Kum. 639.
652. 653. 641^. C. I.
Att. m, 1739.
Lambrika,KuM. 748. 770
(Madchen). Mitth. d.
athen. Inst. I, S. 74 (vgl.
A ntikenberich t) .
» Marathon*, Kum. 842
= C. I. Att. in, 1847.
Markopulo, mehrere
Grabinschriften, noch
nicht copirt.
Bei Kalyv. v. Chassia,
vergl. Bull, de corresp.
hell. IV, S. 64 , Invent.
d. 'Eroup. 3045.
Liopesi, Kum. 966. 946.
962. 973. 976; dazu 3
im » Antikenbericht « ;
Spata (benachbart),
Kum. 952.
Stavro, Leake demies. 46.
Vrana, LEAKEdemi^ S. 88,
Bull, de corr. hell. HI,
S. 200 (Sudende der
Ebene von Marathon).
b) nicht Qbereinstiminen
ZwischenSpata-Pikermi
Inv. d.'Eroup. 79.
Liossia, Bull, de corresp.
hell. Vm, S. 471.
Menidi, Kum. 841.
Merenda, . .]ot^u)viog C. L
Att! Ill, 1848 (Grab-
inschr. ?).
Zwischen Liopesi- Mar-
kopulo, Kum. 985.
Liossia, Bull, de corr.
heU.Vm,S.47i(Frau).
Zwischen Chalandri-Ie-
raka,C.I.Att.IlI, 1061 .
Liopesi, C.I.A. ni, 1986
= Kum. 847 (Frau; un-
sichere Erganzung).
MiLCHHOEFER : Cber Stand punk t iind Methods der attischen Demenloi'schung. 49
Demeo
Xovviov.
TpiKopvS'Of;.
^vXy\.
a) iibereinstiintneD
Vrana, Kum. 1086 (Mad-
chen).
Argileza, Kum. 1137,
»Sunion«, Kum. i 145.
Kato-Suli, Kum. 1 192.
PVelanideza, Inv. d.
'Eroup. 3051 S>)juc6^^ *t-
^^pOOTTO^,
Sykamino, Kum. 2489.
»Oropos«, Kum. 2492
(Madchen?).
b) nicht ubereinstimiuen
Liopesi,KuM.2i83(Frau).
Koropi, Kum. 1131 (Er-
ganzxing unsicher).
Zwischen Liopesi- Ko-
ropi, Kum. 1274.
Kephisia, Kum. 1278.
Marathon (oder Athen?)
Kum. 1279.
Wie unser Verzeichniss lehrt, stimmen die Fundorte von mehr
als 72 Grabinschriften mit der Lage des Demos vollkommen oder
annahernd uberein, wahrend etwa 19 Steine an fremden Orten auf-
geffihrt werden. Von diesen beziehen sich 5 auf Frauen , mehrere sind
durchaus unsicher: Gargettos und Dcaria (Kara); Prasiai und Skam-
bonidai (Liopesi); andere nicht weit verschleppt: Kephale (Vraona);
Kephisia (Liosia); Pallene (Liopesi); zudem erscheinen die meisten
nur an solchen Orten, welche einst grSssere, verkehrsreiche Deraen
trugen: Menidi-Liossia (Achamai), Kephisia, Liopesi (Paiania), Spata.
hnmerhin ergiebt sich als Regel, dass die auf dem Lande
lebenden Demoten auch innerhalb ihres Demos verblieben und daselbst
bestattet worden sind, dass ein Umzug aus einem landhchen Demos
in einen anderen (gi'osseren) nur ausnahmsweise eingetreten ist.
Wenn nun die Wahrscheinlichkeit, dass der Fimdoii: einer ein-
zehien Grabschrift annaliernd die Lage des darin aufgefiihrten Demos
bezeiciinet, 4 bis 5 Mai grSsserist, als die des Gegentheils, wenn diese
Wahrscheinlichkeit durch den Fund zweier und mehrerer, verschie-
denen Familien angehoriger, Grabsteine in dem entsprechenden
Verhaltniss wachst, so werden wir nicht erst ein Dutzend insehrift-
licher Belege verlangen, um die Ansetzung eines Demos auf Grand
dieses Materials zu voUziehen. Wir haben zu bervicksichtigen, dass
50
GesaiDintsitzung votn 20. Januar.
die auf dem Lande gefiindenen Grabinschriften dieser Art bis heute
durchschnittlich nur lo Procent der von jedem Demos bekannten
Gesammtzahl ausmachen. (Das Verhaltniss schwankt in den einzelnen
Fallen zwischen 8 and 12 Procent; nur Paeania ist mit 18 Procent
vertreten, wahrend Marathon in aufFallender Weise zuruckbleibt.)
Besitzen wir also von einem Demos die relativ hohe Anzahl von
40 Grabsteinen, so sind wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht
berechtigt, mehr als 3 bis 4 derselben ausserhalb des Stadtgebietes zu
erwarten.
Umgekehrt verdient namentlich betont zu werden, dass sich
bisher noch in keinem Falle zwei oder gar mehr Grabinschriften
des gleichen Demos an einer Stelle gefimden haben, welche von
der wirklichen Lage der antiken Ortschaft durchaus entfernt ist.
Wir haben somit alle Veranlassung , die ubrigen , in nachstehender
Liste enthaltenen Fundorte von demotischen Grabinschrifben , welche
weniger gesicherte Demen auffiihren, mit besonderer Aufinerksamkeit
zu prufen:
'Ayvovg,
'XyjBp&ovg.
^Epoioi&AL
'Epxid
EVWWIJLIA,
KlKVVVCt.
Siidlich Spata (s. »Antikenbericht«).
Markopulo, Kum. 45.
Gegend Pinakota, nordSstlich Athen, Kum. 112.
Kypseli, Inv. d. 'Ereiip. 3825, vergl. Bull, de corr.
hell. Vn, 30.
Gegend Bistardo, westlich vom Olwald, Kum. 359.
Chaidari, Kum. 862; dazu »Richtert4felchen« aus
derselben Familie, C. I. Att. II, 903.
Charvati, Kum. i 774 (Frau), vergl. Mitth.d. Athen.
Inst. V, S. 247. Eroiade? auf der archaischen
»Hermeninschrift« aus Kursala (?).
Spata. 2 Grabinschrift;en (Timotheos u. s. w.,
Phrasisthenes u. s. w., s. i»Antikenbericht« ; dazu
2 »Richtertafelchen« : Eupolemos und T<|Lto[. .^
s. Inv. d. 'Eroup, %AXKoi Nr. 1 107 und 1 108.
Chasani, Kum. 502.
Kloster Asomaton, dessen Grundbesitz ebenfalls
dort liegt, Kum. 518.
Trachones: »Karten von Attika« 11, S. 29.
Pirnari, Inv. d. 'Erettp., 3553.
Westlich von leraka, Kum. 588.
Lambrika, Kum. 629.
Koropi, s. »Antikenbericht« (Frau).
Kalyvia v. Kuvara, Kum. 664.
Milchhoefer: Uber Standpunkt und Methode der attischen Demenforschung. 51
X<f)y\rrog.
^XVOL
^piOLpplOL
XoXoLpyog.
XoXXel&Ai.
Spata, y^ndpvuccog^ 1883 S. 88, vergl. »Antiken-
bericht* (M&dchen).
Pulverfabrik, westlich vom Olwald, vergV'Eptxog
in voriger Liste. Inv. d. 'Eruip. 4165, Inv. d.
Ephgrie. 217.
Menidi, Kum. 795.
Velanideza, Kum. 911 — 913.
Koropi (s. »Antikenbericht«).
Kephisia, Kum. 979.
Brahami, Kum. 1118.
Mandra, Kum. 1157 (vergl. C. I. Att. Ill, 2021
Lenorm. ebenda).
Philiati, C. I. Att. Ill, 203 i = Kum. 1 171.
Chalandri, C. I. Att. in, 2036.
Vari, Kum. 1246 (Frau).
Bafi bei Tatoy (unedirt; 'kippohmog TeifjLo&vifxov
^Xvtvg),
Grammatiko, C. I. Att. HI, 2089.
Chalandri, unedirt: . . ovg ^p$[ocppiov? (s. Fort-
setzung des »Antikenberichts«).
Westlich vom Olwald, Kum. 1287 (Frau).
Kephisia, Kum. 798b.
Sepolia, Kum. 1300 (M&dchen).
leraka, s. »Antikenbericht« (Frau).
Nicht w^enige von diesen Hinweisen finden bereits heute auch
auf anderem Wege ihre Best&tigung ; doch soil der Gegenstand hier
nicht weiter verfolgt werden (ein Beispiel als Probe s. unten: »der
Demos Erchia«). Es geniigt, an dieser Stelle den Grad des Werthes
unserer Grabinschriften annahernd bestimmt zu haben.
Die von mir in der Mesogaia begomiene Sammlung derselben
hat sich, durch andere Funde vermehrt, von selber zu einem voll-
standigen »Antikenbericht« erweitert, der gleichzeitig als Sammel*
punkt des schon bekannten, sehr zerstreuten Materiales dienen imd
nebst seinen spateren Fortsetzungen in den »Mittheilungen des athen.
Institutes « 1887 ^^^^ Platz finden soil.
Zum Beweise, dass ich in der Schatzung dieses Hulfsmittels nicht
allein stehe, schliesse ich mit dem folgenden Ausspruch U. KOhler's
(Mitth. d. athen. Inst. X S. iii): »Die Topographic der attischen
Demen ist durch die (preussischen) Karten - Aufiiahmen in ein neues
Stadium getreten; .... — Um die alten Namen fur die einzelnen
52 Gesammtsitzung vom 20. Januar.
Ruinenstatten zu finden, ist eine Aufnahme der sammtliehen in der
Landschaft zerstreuten GrabschrLften nothwendig. Erst wenn diese
Aufgabe gelost ist, wird es moglich sein, die Topographic von Attika
auf der von Leake und Ross gelegten Griindlage auszufuhren. «
Anhang.
A. Die Phylen in der Mesogaia und Paralia.
Die Frage nach Spuren localer Zusammenhange unter solchen
Demen, welehe zu derselben Phyle gehoren, ist bisher einer syste-
matischen Er5rterung nicht unterzogcn worden; auch lasst sich die-
selbe definitiv erst nach Abschluss der Specialuntersuchungen uber
die einzebien Demen beantworten. Iiidess durft-e auch den letzteren
manches Ergebniss zu Gute kommen, welches eine vorlaufige Betrachtung
auf Grund der bereits feststehenden Anhaltspunkte gewahrt.
Wir konnen z. B. mit Sicherheit behaupten, dass fast alle Demen
der Phyle Aiantis (EK), mit Ausnahme von Phaleron, in der Tetra-
polis und Diakria beisammen lagen. Nicht minder gilt das locale
Princip fiir die weitaus bedeutendsten Demen der Oineis (VI) im
nordwestlichen Theile Attikas (Acharnai, Phyle, Oe, Thria, denen sich
noch geringere anschlossen), wahrend eine zweite, viel kleinere Gruppe
in der Kephisosebene lag.
Keine dieser beiden Phylen war in der 6stlich vom Hymettos
gelegenen Landschaft vertreten. Dasselbe trifft zu far die Phyle
Kekropis (VII). Die Hippothoontis (VIII) hat nur ganz vereinzelt
und entfemt von den ubrigen den Demos Azenia am SQdwestende
der Laurionhalbinsel aufzuweisen. Von Ortschaften der Phyle Erech-
theis (I) vereinigten sich mehrere der bedeutendsten: Lamptrai,
Anargyrus. sowie kleinere: Kedoi [Pambotadai?] am sudlichen Ende
des Hymettos.
Das ganze Gebiet der eigentlichen Mesogaia und Paralia erscheint
lediglich unter 5 Phylen vertheilt und zwar iSsst es sich, wenn
wir vom Bekannten ausgehen, sehr wahrscheinUch machen, dass
hier die Demen der gleichen Phyle jedesmal beisammen
lagen. Diese Phylen losen sich in nachstehender Reihenfolge von
Norden nach Suden ab:
Aigeis (II): Araphen, Halai Araphenides [Plotheia, 'Myrrhinutte],
Phegaia, Philaidai (Brauron), Erchia (s. unten), Gargettos (lonidai) u. a. m.
Milchhoefer: Ober Standpunkt nnd Methode der attischen Demenforschung. 53
Pandionis (III): von Paiania (Liopesi) bis Prasiai (Porto Rafti);
dazu Steiria, Myrrhinus, Angele (Kytheros, Kontliyle).
Leontis(rV): Potamioi , Deiradiotai ( Phrearrhioi , ChoUeidai ,
Kettioi?), aber losgelost an der Siidspitee Sunion, wie iiberhaupt die
Leontis unter alien Phylen die meisten Einzelginippen von Demen
aufweist.
Akamantis (V): Thorikos (Kyrtiadai, Poros?), Kephale, Pro-
spalta, Hagnus, Sphettos (Kikynna u. a. m.).
Antiochis (X): Anaphlystos, Amphitrope, Besa (Atene), Aigilia,
Thorn u. s. w.
Aus der hier gegebenen Anfzalilung wird der Kundige entnehmen,
dass die Abfolge der Phylen nach Demengruppen keinesfalls auf Zufall
beruht, dass vielmehr hier mit wenigen Ausnahmen (die besonders
zu untersuchen sind), gewisse locale Zusammenhange erhalten sind.
Aufmerksame Beobachtung lehrt sogar, dass dieselben bestimmten,
vom Terrain vorgezeichneten Richtungen folgen:
Die Demen der Aigeis (II) liegen auf den Routen, welche vom
Nordende des Hymettos durch die Thaler von Rafina und Vraona
zum Meere fiihren.
Die Demen der Pandionis (III) folgen einer ebenfalls nach Siid-
osten gerichteten Zone, welche sich von Liopesi bis Porto Rafti
erstreckt.
Die zur Leontis (IV) geh5rigen Gaue lassen sich mit Sicherheit
bisher nur am Meere, sudlich von Porto Rafti, nachweisen.
Die Ortschaften der Akamantis (V) verfolgen wir wiederum in
siidSstlicher und ostlicher Richtung von Kuvara Kalyvia, Keratia,
Olymbos bis Thorikos.
Die Demen der Antiochis (X) endlich Ziehen sich langs der Siid-
westkuste und unweit derselben bis zur Erechtheisgixippe (Lamp-
trai u. s. w., s. oben) hinauf.
[Ahnlich scheinen die Demen derjenigen Phylen, welche in der
athenischen Ebene vorherrschen : der Leontis (IV) und der Ke-
kropis (Vn), entsprechend dem Zug der Berge und des Kephisos, von
Norden nach Suden zu verlaufen.]
Diesen Erseheinungen gegeniiber beanspruchen aber auch solche
Demen nicht geringes Interesse , deren Lage in Bezug auf die ubrigen,
zur gleichen Phyle gehSrigen, auffallend isolii*t erscheint, z. B. Azenia
(Vm), Ikaria (H), Kephisia (I), Melainai(X), Oinoe(Vni), Pallene (X),
Probalinthos (III), Sunion (IV), Phaleron (IX). Es sind theils wich-
tige Ausfiilu'stationen und Hafenplatze (Sunion, Azenia, Phaleron),
theils (befestigte?) Grenzorte (Ikaria, Oinoe, Melainai), theils Punkte,
welche wichtige Strassen innerhalb des Landes beherrschen: Kephisia
54
GemnintsitziiDg vom 20. Janoar.
and Probalinthos (Wege nach der nuurathonischen Ebene), Pallene
(Weg zur Mesogaia).
Uhrigens scheinen gerade diese vereinzelten Demen mit Vorliebe
zur Bildung der neuen Phylen verwandt worden zu sein: Sunion,
Eephisia (vorubergehend zur Demetrias?), Probalinthos, Qinoe, Ikaria,
Melainai.
B. Die Demen der Phyle Aigeis.
Die ihrer Lage nach bekannten Demen der Aigeis spndem sich
(wie bei den meisten Phylen) in zwei localversehiedene Hauptgruppen.
Eine derselben geh5rt der naheren Umgebung Athens an: Ankyle,
Agryle, Bate (?), Diomeia, Kollytos, Eolonos a. a. m.; die andere
(s. oben) liegt im nOrdliehen und nordSstlichen Theile der Mesogaia.
Es ist nicht unwichtig, die relativen Grtssenverhiltnisse der ein-
zelnen Demen zu kennen, weil sich daraus einerseits ergiebt, wo der
Schwerpunkt der Phyle lag, und weil andererseits die kleinen Demen
aller Erfahnmg nach den grossen angegliedert waren, selten isolirt
auftreten, falls sie nicht gerade Grenzorte oder in anderem Sinne
wichtige Platze waren. Endlich schliesst die Eenntniss dieser Pro-
portionen in Verbindung mit dem Studium des Bodens und seiner
Uberreste manchen Irrthum aus; es wird z. B. in Zukunft vermieden
werden kOnnen, Namen von Demen zweiten oder dritten Grades an
hervorragende Ortlichkeiten zu knupfen.
Es mOgen deshalb zu gegenseitiger Controle die drei Rang-
ordnungen der zur Aigeis gehOrigen Demen folgen, von denen die
erste nach ihrer Vertretung durch Beamte' (Prytanen, Diaeteten), die
zweite nach der Ephebenzahl ,* die dritte nach der Summe demo-
tischer Grabinschriften berechnet worden ist:
Beamtenlisten:
1. Gargettos.
2. Erchia.
3- Halai Araphen.
4. Kollytos.
5. Philaidai.
6. Myrrhinutte.
7. Ikaria.
8. Tithrasioi.
Ephebenlisten
1. Gargettos.
2. Philaidai.
3. Myrrhinutte.
4. Erchia.
5. Phegaia.
6. Araphen.
7. Diomeia.
8. Ankyle.
Grabinschriften:
1. Grargettos (34).
2. Erchia (25).
3. HalaiAraphen.(24).
4. Myrrhinutte (15).
5. Ikaria (15).
6. Kollytos (13).
7. Philaidai (7).
8. Ankyle (7).
* C. I. Att. II, 329. 870. 872. 'E(f)fM. a^. 1886 S. 17 ff. C. I. Att. Ill, 1023.
1043. 1064. Diaeteten: C. I. Att II, 941. 943. Mitth. d. athea. last. V S. 348 ff.
• C. 1. Att. II, 324. 338. 465. 467. 469 — 471. 481. 482. C. I. Att. Ill, 1076.
1091 — 1093. II 13. 1II3^ 1 1 14. 1 120. 1 121. 1 128. 1133. 1 138. 1 142. 1160. 1163. 1171.
Milchhoefer: Uber Standpunkt und Methode der attischen Deraenforschung. 55
Beamtenlisten:
9. Araphen.
0. Phegaia.
1. Kydantidai.
2. Diomeia.
3. Erikeia.
4. Kolonos.
5. Hestiaia.
6. Plotheia.
7. Ankyle.
8. lonidai.
9. Otryne.
20. Bate.
Ephebenlisten:
9. KoUytos.
10. Kolonos.
1 1 . lonidai .
12. Bate.
13. Halai Araphen.
14. Erikeia.
I 5 . Hestiaia.
16. Otryne.
17. Agryle.
18. Tithrasioi.
Grabinschriften:
9. Tithrasioi (6).
10. AraJ)hen (6).
1 1 . Erikeia (5).
12. Kolonos (5).
13. Hestiaia (5).
14. Phegaia (4).
15. Otryne (4).
16. Diomeia (2).
17. Plotheia (2).
18. lonidai (2).
19. Bate (2).
t.
Als Resultat ergiebt sich eine hinreichende Ubereinstimmung der
Demenscalen , namentlich der ersten und dritten, wfthrend die aus
den Ephebenlisten gewonnene nur einige, erhebliehere Schwankungen
(in Bezug auf Bate, Halai) aufweist. Wir sehen, dass das tJber-
gewicht der Phyle in der Mesogaia lag (Gargettos, Halai, Philaidai,
Myrrhinutte, Araphen) auch wenn wir Erehia (vergl. unten) zunachst
bei Seite lassen. Von kleineren Demen diirften wenigstens Otryne
(am Meer; vergl. Athen. VII S. 309 E) Erikeia (in den Listen stets
verbunden mit Araphen, Halai, Myrrhinutte, Otryne) lonidai, (Ion
Sohn des Gargettos, Pans. VI, 22, 4) Plotheia (C. I. Att. II, 570 schon
der Epakria benachbart?) zu der nordSstlicheren Gruppe gehort haben.
Auch den
G. Demos Erehia,
nachst Gargettos, wie die Listen erweisen, den bedeutendsten Gau
unserer Phyle, werden wir jetzt von vom herein geneigt sein auf
diese Seite zu versetzen. In der Ebene von Athen wurde eine so
stattliche Ortschaft unzweifelhaft bekannter geworden sein. Unter-
suchen wir, welche Auskunft uns die ubrigen Hiilfsmittel gewahren.
Die antike Literatur kennt Erehia als den Demos des Isokrates
(Steph. Byz. s. v.) und Xenophon (Diog. Laert. 11, 6,48), sie weiss
auch anzufiihren, dass Alkibiades daselbst begutert war (Plato Alkib. I
S. 123). Wir durfen daraus entnehmen, dass dieser Gau in finichtbarer
Gegend lag; eine Bestatigung liefert die Sage von der Bewirthung der
Demeter durch den Heros Erehieus (Steph. Byz.). Nach dem homeri-
schen Hymnus betrat die G5ttin Attika im Hafen von Thorikos ; auf dem
Wege von dort um die Nordspitze des Hymettos nach Athen und Eleusis
wird deshalb der Demos des Erehieus zu suchen sein.
"^berichte 1887.
5G Gesammtsitzung vom 20. Jamtar.
Di6 Erwahnung einer dteikSpfigen Herme bei Etchia (C. I. Att. m,
6 1 Col. in Z.8) lasst Tielleicht auf zahlreiche Wegkreuzungen schliessen.
Grabinschi'iften auf Demoten aus Erchia sind bis heute 25
bekannt. Von diesen stammt wiederum die grossere Anzabl aus
Athen ; riiehrere dagegen haben sich auf dem Lande und zWar bisher
nur an feiner Stelle gefuMen. WShrend meiner Anwesenheit in
Spata lernte ich daselbst einen Giebelaufsatz und eine Stele, beide
von sehr stattlichen Dimensionen kennen, welche ubereinstimmend Fa-
milien aus Erchia auffuhren (vergl. meinen Antikenbericht unter » Spata*
Timotheos und Phrasisthenes ; auch die Gattin des letzteren war in Erchia
geboren). Dazu kommen zwei im Besitz der archaeologischen G^sell-
schaft zu Athen befindliche Richtertafelchen einer Familie (Invent, der
yjiKxci n. 11 07 bis 1108), welche ebendaher aus Grabern stammen.
Die Fundorte (siidlich von Spata, wo die meisten Grabstatten
liegen) stehen unzweifelhaft fest. Erwagt man nun, i. dass kein
anderes Demotikon auf Grabinschriften zu Spata mehr als ein Mai
vertreten ist, 2. dass Grabinschriften auf Erchieer, abgesehen voui
Stadtgebiet, eben nur hier gefunden worden sind, 3. dass diese
Funde 12 bis 16 Procent der bekannten Gesammtzahl, also ein holies
Verhaltniss darstellen, so scheint mir damit die Identitat von Erchia
mit der Lage von Spata, beziehungsweise des angrenzenden Magula-
hugels hinlanglich begrundet. Was endlich den topographischen
Befund anlangt, so gait es langst als unzweifelhaft, dass Spata mit
seiner dominirenden Lage inmitten der fruchtbaren Ebene an die
Stelle eines hervoiTagenden , sehr alten Demos getreten ist (vergl.
die bekannten praehistorischen Graber und andere Funde im » Antiken-
bericht*). Doch war es bisher nicht gelungen, einen Namen ffir
diesen Ort auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit in Vorschlag zu
bringen. Sphettos ist lediglich um der Namensahnlichkeit willen her-
jingezogen und schon von Ross mit Recht abgewiesen worden. Dieser
Demos lag vielmehr, wie sich aus mehreren Grunden darthun lasst, mit
anderen, der gleichen Phyle Akamantis (V) zugehorigen Ortschaft;en
(s. oben, Abschnitt A des Anhangs), im siidlicheren Theileder Halbinsel.
Somit scheint die Ansetzung des Demos Erchia bei Spata durch
sSmmtliche Hulfsmittel der topographischen Forschung theils bestatigt,
theils empfohlen zu werden. In der Reihe der zur Mesogaia gehorigen
Demen der Aegeis weist die Lage auf eine Verbindung zwischen den am
Meere gelegenen Oi-tschaften und Gargettos im Westen hin. Einige der
klelneren Gaue scheinen diese ContinuitUt noch vervoUstSiidigt zu haben.
Ausgegeben am 27. Januar.
HerJin, (jrUruflit iu der Keicbsdrurkerei.
57
1887.
V.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
^^ mm *' ^-<t
27. Januar. Offentliche Sitzung zui* Feier des Geburtstags Friedrich's II.
Vorsitzender Secretar: Hr. E. du Bois-Reymond.
Der vorsitzende Secretar eroflhete die Sitzung, welcher Ihre
Excellenzen der Minister der Geistiichen, Unterrichts- und Medicinal-
Angelegenheiten , Hr. von Gqssler, und der Wirkliche Geheimerath
und Director in demselben Ministerium, Hr. Greiff, beiwohnten, mit
folgender Festrede:
Als ich vor neunzehn Jahren zum ersten Male die Ehre hatte.
als Wortfuhrer der Akademie das Andenken des grossen KSnigs zu
feiem, war erst kurze Zeit seit dem Umschwunge verflossen, den
der Krieg mit Osterreich in den Geschicken des Vaterlandes herbei-
gefiihrt hatte. Der Norddeutsche Bund war gegiiindet, aber nocli
war Deutschland nur ein geographischer Begriif. Trotz der von
Frankreich in Nikolsburg gezogenen Mainlinie war jedoch leicht vor-
auszusehen, dass dieser Zustand nicht die letzte fiir Preussen und
sein Herrscherhaus erreichbare Stufe bleiben werde. Es war leicht
vorherzusagen, wie ich es damals an dieser Stelle that: »Friedrich
»wird, dess sind wir heute schon gewiss, der Griindei* des neuen
*Deutschen Reiches heissen.« Zog mir auch diese kecke Prophezeiung
den gnadigen Verweis aus Koniglichem Munde zu: *Ich hatte den
»Saal verlassen mussen, wenn Sie noch weiter gegangen waren«, so
hatte ich doch schon drei Jahre spater die begliickende Genugthuung,
bei der gleichen Gelegenheit an dieser Stelle Ihre Majestat die Deutsche
Kaiserin zuerst als solche anreden zu diirfen.
Sitzuiigsbericlite 1887. 7
58 dffentliche Sitzuog vom 27. Januar.
Dass Friedrich der Grunder des neuen Deutschen Reiches ward,
ist nun langst geschichtliche Thatsache, und das hohe Beispiel, welches
er seinen Nachfolgem im Festhalten des einmal Emingenen hinter-
liess, sollte denen zu denken geben, welche das Reich gem wieder
zerschlagen mSchten. Es hegt in der Natur der Dinge, dass, wie gross
auch Friedrich 's Gestalt schon in der politischen Geschichte dastand,
sie zu ihrer vollen Hohe erst erwuchs, seit Deutsche Stainme, die
sonst bestenlalls nur fremd gegen ihn empfanden , sich in seinem Kreise
willig festgebannt fiihlen. Wie vor hundert Jahren die Kunde von
seinem Ableben weithin die Welt erschutterte , so halite im vorigen
Sommer die Erinnerung daran in alien Deutschen Gauen wieder, und
selbst in dem alten, durch ihn in Deutschland gleichsam enteigneten
sudostlichen Kaiserreich beugte man sich in selbstloser Ehrfiircht vor
dem Helden des siebenjahrigen Krieges.
Aber das ist das Wunderbare, ja Einzige an dieser geschicht-
lichen Gestalt, dass sie nicht nur an politischer Bedeutung, nicht
nur als die eines der ersten Kriegs- und Staatsmanner aller Zeiten
immerfort gewachsen ist, sondern dass sie sogar in allgemein mensch-
licher, in litterarischer und philosophischer Hinsicht noch gewinnen
konnte. Ich lasse dabei ausser Acht die von der Akademie besorgte,
bis zum vierzehnten Bande gediehene Ausgabe von Friedrich's poli-
tischer Correspondenz , welche ti'otz den ihrer Redaction durch den Tod
zugeftigten schweren Verlusten liistig fortschreiten wird. Nicht bloss
minder Eingeweihte erhalten erst aus dieser Sammlung vollen Eiiiblick
in den unglaublichen Umfang seiner Tliatigkeit, in seine Beweggiiinde
und diplomatische Kunst; doch rechnen wir dies billig noch zu seinen
staatsmannischen Leistungen. Auch das habe ich nicht im Sinne,
dass seit etwa zwanzig Jahren in unseren Meinungen eine Wandlung
zu Gunsten des achtzehnten Jahrhunderts sich vollzogon hat, welche,
friiheren Vorurtheilen und Verdunkelungen entgegen, uns (lessen Geist
besser wurdigen lehrte und uns der Eigenart Friedrich's naher brachte.
Ist es aber nicht erstaunhch, dass noch 1875 Ilr. Rigollot in
Vend6me, und noch ganz vor Kurzem unser College Ilr. Zeller es
erspriesslich fanden, sich mit Friedruh als philosophischem Denker
n§.her zu befassen? Und wem batten nicht die von unserem CoUegen
Hm. VON Sybel aus dem Geheimen Stantsarehiv hervorgezogenen Tage-
bticher und Denkwurdigkeiten dos Vorlosers des Konigs. de Cajt, eine
in mancher Beziehung wieder ganz neue und uberrascliende Einsicht
in des Konigs geistiges Wesen gewahrt? Das EiiK^ oder Andere in
diesen Aufzeichnungen mag z<*itlieh verstellt, wirkum^svoller gi'uppirt,
zu stark aufgetragen sein: unstreitig treu und riclitig bleibt doch
wohl das iiberall scharf hervortirtende Bild des mitten in einem
E. DU Bois - Reymond : Festrede. 5 9
Kampf auf Leben und Tod, im Planen von Marschen und Schlachten,
unentwegt nebenher seinen geistigen Zwecken lebenden Konigs: fast
Avie ^s heisst, dass einige besonders begabte Naturen im Stande sind,
bei Tage das wirkliche, bei Nacht ein getraumtes Leben zusamm^n-
hangend fortzufuhren. Wie wohlthuend beruhrt es den Sinn des
Deutschen, der, angegriflfen, so fiirehterlicli sich wehrt, aber im
Innersten friedliebend und volksbniderlich nur nach gedeihlrcher Arbeit
in Ruhe verlangt, wenn nicht bloss von iibermachtigen Feinden um-
drangt, nein audi auf der H5lie seiner rulimreichsten Siege der Konig
nur immer nach seinem geliebten Sans-Souci, seiner stillen Bibliothek,
seiner bald tief er5rternden, bald geistfunkelnden Tafelrunde sich
sehnt. Und deshalb bleibt dieser Konig dieser seiner Akademie ein
unerschOpflicher Born von Betrachtungen, mag es auch Leute geben,
welche uns wegen der Huldigungen, die wir ihm darbringen, des
Byzaiitinismus zeihen. Deshalb fehlt es dem Redner auch heute, wo
er zum fiinften Male dazu berufen ist, diese Versammlung von ihm
zu unterhalten, nicht an einer neuen Seite, von welcher aus er ihn
vorzufuhren gedenkt.
Denn noch in anderer Art, als durch die hundertjahrige Wieder-
kehr seines Todestages, wurde im vorigen Jahre Berlin an ihn er-
innert: durch das kiinstlerische Ereigniss der Jubilaeums -• Ausstellung.
Als Krieger, als Politiker, als Verwalter seines Staatshaushaltes, als
Geschichtschreiber, als Philosoph, als Dichter, als Musiker, ist Friedrich
dnzahligemal besprochen worden; ungleich seltener in seinem Verhalt-
niss zur bildenden Kunst. Ausdiiicklich ist dies, glaube ich, erst
einmal geschehen: durch Hm. Curtius eben hier, am houtigen Gedenk-
tage vor neun Jahren. AUein so reich und mannichfach sind Friedrich's
Beziehungen zur bildenden Kunst, dass es auch nach jener eingehenden
Rede der Miihe werth erscheint, ihn einmal wiedor von diesem Stand-
punkt in's Auge zu fassen, und dass ich, wio unermesslich auch der
Olympionike, der uns den Hermes schenkte, mich an Kenntniss imd
Verstandniss der Kunst iiberragt, doch nicht furchte, bei solcher
Nachlese allzu leer auszugehen.
Das achtzehnte Jahrhundert blieb weit iiber seine Mitte hinaus
fiir die bildende Kunst eine Zeit der Ermattung und zum Theil des
Verfalls. Alle Kunstschulen waren abgelebt, alle Kunstformen schienen
erschopft. Die Naivetat in der Production, eine der vornehmsten
Bedingungen kiinstlerischen SchaflFens, war in Manierismus und
Eklekticismus verloren gegangen. Das Suchen nach Neuem an der
Hand einer gewandten Technik fiihrte vielfach zur Yerrcnkung in
der Kraft, zur Ziererei m der Anmuth. An die Stelle der hohen
Motive des christlichen Vorstellungskreises waren frostige mythologische
7*
60 Offentliche Sitzung vom 27. Januar.
AUegorien getreten. ALBANo'sche Amoretten-Landschaften, WAxxEAu'sche
Schaferspiele, BouRGUiGNON'sche Reitergefechte, bauerliche Kneipscenen,
Jagd- und Thierbilder, StilUeben, Fruclit- und Bluinenstucke sahen
von den Wanden der furstlichen Beliausungen, in denen man Vei*-
sailles nachS-ffte, Lerab auf die Cavaliere in Puder und Haarbeutel
und die Damen in Reifrocken. Auch das Bildniss hatte sich niclit
auf der Hohe eines Franz Hals zu halten vermocht. Endlich die
Gothik war zu einem Spottuamen geworden, und die Verderbniss der
Architektur gipfelte in dem schnorkelhaften Zerrbilde des Rococo.
Natiirlich verhinderte dies Alles nicht, dass von Zeit zu Zeit,
hier oder dort, eine grosse Erseheinung auftauchte, und Unvergang-
liches schuf, wie trotz der Ungunst des herrschenden Stiles unser
ScHLUXER. Im AUgemeinen aber konnte in so bedenkfichem Zustande
die nur noch der oberflachlichen Zier des Lebens dienende Kunst die
Menschen nicht mehr machtig ergreifen, sie erheben und veredeln.
Die Theilnahme daran trat gegen die an der Litteratur urn so mehr
zuriick, als gerade damals die franzosische Kunstpoesie uberall ihre
Triumphe feierte, imd als im Gebiete des Denkens eine tiefgehende
Bewegung sich vollzog.
Es war die Zeit, wo die theologischen Fesseln, welche die Philo-
sophic noch im siebzehnten Jahrhundert willig trug, abgeschiittelt
wurden; wo Volxaire, hinter blendendem Witz ingrimmigen Ernst
bergend, mit rucksichtsloser Kuhnheit gegen tausendjahrige Glaubens-
satze anstunnte, ftr Gewis>iensfreiheit und Menschenrechte den Kampf
eroffnete, und in den Uberzeugungen und Anschauungen der Cultur-
menschheit eine vollige Umwalzung anbahnte. Von solcher Hercules-
arbeit neben seiner dichterischen Thatigkeit beansprucht, hatte er
Anderes zu thun, als viel um das Schone sich zu kiimmern, wie
die bildende Kunst es zur Erseheinung bringt. In der That spielt
sie bei ihm eine so kleine RoUe, dass ich mich nu/Mreier Gelegen-
heiten erinnere, wo er davon spricht: in seinem 'Zeitalter Ludwig's XIV.',
wo er ein durres Verzeichniss der unter diesem K6nig lebenden Kiinstler
giebt, und unter Einer Kapiteluberschrift von einigen ihrer Werke und
von chirurgischen Instrumenten handelt; im 'Versuch uber Sitten tmd
Geist der Volker', wo er Le Poussin Rafael, Bernini Michelangelo
gleichstellt; und im Candide, wo er den blasirten Venetianischen
Nobile, Signore Pococuranxe, sich abfallig fiber Rafael aussern lasst.
Ebenso wenig kommt die bildende Kunst zur Geltung bei Jean-
Jacques Rousseau, der, obwohl Musiker, seinen socialdemokratischen
Hirngespinnsten zu Liebe Ktinste und Wissenschafton zu verschmahen
vorgab. Erst DmEROx, der durch Volxaire iur die Aufklai*ung das
Gr^bste schon gethan land, war freien Geistes genug, um in heiterem
E. Du Bois - Retmond : Festrede. 6 1
Kunstgenuss zu schwelgen ; und von seiner Zeit schreibt sich der Auf-
scli wring der franzosischen Kunst her, den wir in Horace Vernet und
Paul de la Roche gipfeln sahen.
Bei Friedrich's franz5sischen Neigungen ist das der kunst- und
culturgeschiclitliehe Hintergrund, auf welchem wir das Bild seines
Kunstlebens zu entwerfen haben. Friedrich stand litterarisch und
philosophisch mit Voltaire so sehr auf gleichem Boden, dass man
bei ihm kaum ein innigeres Verhaitniss zur bildenden Kunst erwarten
soUte, als bei seinem vergStterten Vorbilde; oder man soUte meinen,
dass, was etwa von Kunstsinn bei ihm vorhanden war, durch seine
poStischen und musikalischen Bestrebungen voUauf hUtte gesatti^ sein
kSnnen. Wie schon angedeutet, trifft dies aber keinesweges zu.
Bekanntlich besass der rauhe SoldatenkSnig , der jetzt in Erz
auf den Potsdamer Paradeplatz niederschaut , wo einst seine laiigen
Kerls sein Herz erfreuten, bei aller Verachtung der Musen eine
kunstlerische Ader. Sie ausserte sich darin, dass er in der Qual
seiner Gichtanfillle — in tonnentis — jene Lieblinge abkonterfeite.
Von dieser Begabung ist etwas auf Friedrich ubergegangen , und fast
scheint es, als habe der dem Flotenspiel so abholde Vat^r die Zeichen-
ubungen des Kronprinzen nachsich tiger behandelt, denn Friedrich
hat es unter einem nicht sicher bekannten Lehrer in Sepia-, Pastell-,
ja in Olmalerei zu einiger Fertigkeit gebracht. Das Hohenzollem-
Museum bewahrt funf Arbeiten von ihm, unter welchen eine Copie
in 01 nach Lancret, besonders aber zwei PastellgemRlde die Aufmerk-
samkeit fesseln, die aus den truben Tagen seines Kiistriner Tatmos'
stammen. Der Kammerpraesident von Munchow, welcher zur Erleich-
terung seiner Haft gern die Hand bot, verschaffte ihm Pastellstift;e,
und Friedrich malte unter Anderem den Kopf eines alten Mannes und
das Bildni;5s einer jungen Dame, welche — so will es die Sage —
am Fenster eines seinem Gef&ngniss gegenuber Kegenden Hauses tag-
lich seine Augenweide war. Die Begabung des K6nigs nach dieser
Richtimg, die dm'ch Zeichenubimg gesteigerte Gegenst&ndlichkeit seiner
Phantasie spricht sich auch dai*in aus, dass er stets mit dem Griflfel
bereit war, Bau- oder Schlachtenplane durch rasches Skizziren zu er-
lautem.
tJber den Eindruck, welchen der sechzehnjahrige Kronprinz Ijei
dem bekannten Besuch am Sachsisch-polnischen Hofe von den
Dresdener Kunstscliatzen davontrug, unter denen aber die Sistinische
Madonna noch fehlte, ist wohl kaum etwas bekannt. Nun kommt die
sch6ne Rheinsberger Zeit, wo er sicli seinen Neigungen freier uber-
lassen durfte, und sich eine Behausung nach seinem Sinne, ein Vor-
bild des spftteren Sans-Souci, schuf. Der Baumeister von Knobelsdorff
62 Offentliche Sitzung vom 27. Janiiar.
und der franzosisclie Maler Antoine Pesne, den K5nig Friedrich I.
als Director der Kunstakademie beinifen, fiir welehen aber die Regie-
ining seines Naehlblgers auch sclilimme Zeitx^n gebracht hatte, sind
zeitweise dort soin taglieher Umgang. Auch der Blumenmaler DuBtissoN,
Pesne's Sell wager, wird beschaftigt und in seinen Kreis aufgenommen.
Pesne verziort die Raume des kleinen Sehlosses mit mythologischen
Deckengemalden, und der Kronprinz riehtet an ihn, am 14. November
1787, eine Epistel in Alexandrinern , welehe mehrere glueklich ge-
wendete Verse entliait. Pour peindre ini Alexandre^ sagt er, il font
Hre un Affile, Philipp's Solin woUte bekanntlich von keinem Anderen
als Apelles gemalt sein. Nicht aus Iloelimutli wie der Makedonier,
sondern weil er eine zu geringe Meinung von seiner ausseren Ersehei-
nung hatte, weigerte sich in der Folge der Konig, einem Maler zu
seinem Bifdniss zu sitzen, was er jetzt noch Knobelsdorff und Pesne
gewahrte.
Fur FRniDRiCH's damalige Gesehmacksrichtung in der Kimst ist
die Epistel an Pesne maassgebend, und sie mag die poetische Ein-
kleidung einer zwischen ihm und seinen kiinstlerischen Gesellschaf-
tern oft gepflogenen ErSrterung sein. Nachdem er mit einiger Uber-
schwenglichkeit Pesne den GSttern gleich, und seine Kunst fiber die
Natur gestellt hat, sehildert er drei von ihm gemalte Bildnisse: das
des Alten Dessauers, das des Frauleins von Walmoden, Hofdame seiner
Gemahlin der Kronprinzessin , unter doni Namen Iris, und das seiner
Mutter der Konigin, geht aber dann dazu fiber, dass es der Gegen-
stand sei , der den Werth des Kimst werkes ausmache , und allein ihm
Dauer verbfirge. Die Bfisten der sehlechten Romischen Kaiser seien
von aufstAndischen Rotten, die heiTliehsten Werke des heidnischen
Alterthumes von den Christen umgestfirzt worden. Wenn Lancret,
ein von Friedrich sehr geschatzter Naehahmer Watteau's, die Qualeii
des Tartarus malte, wfirde er sich schaudernd abwenden, wobei
wohl an den Hollen- Breughel zu denken ist. Es scheint, da*ss Pesne
damit umging, die mythologischen Motive fiir christliche zu verlassen
und Altarbilder zu malen, denn schliesslich mahnt ihn Friedrich
davon mit den Worten ab:
Ahandonne tes saints entmirSs de rayons,
Sur des sujeis hriUants ejcerce tes crayons;
Petns-nous d^ Amaryllis les danses ingenues ^
Les nymphes des for its, les Grdces demi-nties^
Ei souvtens'tai toujours que c'est au seul amour
Que ton art si charmant doit son itre ei le jour.
Der aus diesen Versen sprechende wohl mehr theoretische als
praktische, Epikiu-aeismus ist spater l)ei Friedrk h einer hoheren Kunst-
E. duBois-Retmond: Festrede. 63
ansicht gewichen. Ob seine Aufenthalte in Dresden wSirend des
zweiten Schlesischen nnd wahrend (les siebenjahrigen Krieges, wo
die Sistina schon dort war, darauf von Einfluss gewesen sind, lasst
sich nicht ausmachen, doch ist dies kaum wahrscheinlich , da er bei
seinem Winterquartier in Dresden 1756 — 57 nur zweimal die Galerie
besuehte. Ubrigens betrachtete der junge Goethe kurze Zeit naehher
die Dresdener Galerie mit seinen von friih anf kunstlerisch gebildeten
klugen Augen, ohne davon den Eindruck zu empfangen, den wir
heute ei'warten wurden.
Wie dem auch sei, von den leiehteren franzosischen Malern jener
Zeit wendete sich Friedrich jetzt den alteren Italianern und den Nieder-
landern wie Rubens und van Dyk zu, und driickt dies in seinem letzten
Brief an Algarotti vom i. Juni 1764 poetisch aus, wie er meint mit
BoiLEAu's Worten, aber in einem fehlerhaften , dem Dichter fremden
Verse: -
Jeune, j^aimais Ovide^ vietix festime Virgile.
Doch muss gesagt werden, dass nach mannigfachen Zeugnissen sein
Geschmack stets etwas untergeordnet blieb. Wie der Marchese Luc-
CHESiNi berichtet, der von 1780 bis 1783 haufig sein Tischgenoss war,
stellte der Konig Correggio uber Rafael, und einen geachteten zeit-
genossischen Eklektiker, Pompeo Battoni, als Coloristen iiber die alten
Meist^r. Uberhaupt interessirte er sich besonders fiir die Farbengebimg
und vor Allem fiir das Heildunkel, daher wohl seine Vorliebe fiir Cor-
reggio. Der damals sich verbreitenden Kunde von den in Herculaneum
und Pompeji entdeckten antiken Wandgemalden begegnete er mit der
Frage, ob die Alten das Heildunkel gekannt batten. An den spateren
franzosischen Malern missfiel ihm das Colorit.
Merkwurdig ist Friedrich's entschiedene Stellungnahme in der
fur Bildliauer und Maler so wichtigen Costiimfrage. Houdon hatte
Voltaire in der Tracht griechischer Philosophen dargestellt, woiiiber
aber der K5nig 1780 an d'Alembert schrieb: »Beschimpfen wir nicht
»sein Vaterland, indem wir ihm eine Kleidung geben, in der man ihn
» nicht erkennen wiirde. Voltaire dachte als Grieche, aber er war
X »Franzose. Entstellen wir nicht misere Zeitgenossen, indem wir ihnen die
•Tracht eines jetzt unter der Tyrannei der Tiirken, seiner Besieger, er-
»niedrigten und entarteten Volkes ertheilen.* Die Marmorbiiste Voltaire's,
welche der Konig bei Houdon fiir den Sitzungssaal unserer Akademie
bestellte, imd welche man in einer Ecknische des Vorzimmers sieht,
ist daher modern gekleidet.
Noch scharfer gab in dieser Beziehung der Konig seine Meinung
gegeniiber Daniel Chodowiecki zu erkennen. Es war immittelbai* nach
dem Hubertsburger Friedensschluss , Chodowiecki, 1726 geboren, zwar
64 Offentliche Sitzung vom 27. Januar.
schon in voller Mannesreife, aber bei dem langen Weg, den er vom
Spezerei-Ladentisch in Danzig bis zum Anfang seiner Kunstlerlauf-
bahn zuriickzulegen gehabt hatte, in dieser noch nicht seLr weit
vorgeschritten , und dem KSnige nur durch die Emaildeekel bekannt,
welehe er fiir die zu Gesehenken Ibestimmten Dosen malte. Zur Feier
des Friedens stach er unter der Bezeichnung: »i)er Friede bringt den
K5nig wieder« eine allegorische Darstellmig, welehe Friedrich zu Ross,
mit Geleite und Emblemen, in der conventionellen rSmischen Impera-
torentracht, der Tracht von Schluter's Grossem Km'fiirsten, zeigte.
Freunde des Kiinstlers, erzahlt Weise, welclie dem Monarchen nSher
standen, rietlien ihm Zeichnimg und Abdrucke pers5nlich zu uber-
reiehen. Der Konig empfing ihn huldvoU, lehnte es aber mit den
Worten: »0 costume n'e^t que pour les Mros de thedtre^ ab, in solcher
Tracht vor die Offentlichkeit gebracht zu werden. Der Kiinstler wurde
iurstlich entschSdigt, die Zeichnung verselienkt, Platte und Abdrucke
aber wurden vernichtet, so dass unter Chodowiecki's Stichen dies Blatt
eines der seltensten ist. Man kann danach nicht zweifeln, dass Friedrich
mit der getreuen Wiedergabe seiner Tracht an seinem Denkmal zu-
frieden sein wiirde; nur erstaunt man, dass von den vier ursprung-
lichen, seitdem durch andere ersetzten Feldherren-Standbildern an
den Ecken des Wilhelmsplatzes zwei, das von Schwerin und das
von WiNTERFELD , bezichUch 1771 und 1777 in romischer Tracht aus-
geftihrt werden durften.
Unstreitig zeugt es von Chodowiecki's Unabhangigkeitssmn, dass
er sich durch den Widerspruch des KOnigs bei dieser Gelegenheit
nicht abhalten liess, ihn nochmals, bei seinen Lebzeiten, in der
unliebsamen Kleidung darzustellen. Dabei hatte er leider das Miss-
geschick, durch die Unterschrift » Friedrich im Ungluck. MDCCLIX«,
welehe auf die Niederlage von Kunersdorf anspielt^, auch noch sonst
des KSnigs Empfindimg zu verletzen, und er scheint ihn nicht wieder
gesprochen zu haben. UninSghch indess kann diese geringe Miss-
helligkeit die Erklarung eines der merkwilrdigsten Zuge in Friedrich's
Kimstleben enthalten, den wir nun aufzudecken haben.
Fragt man, welehe kiinstlerische Erscheinung in Preussen, ja in
Deutschland wUhrend seiner Regierung den ersten Platz einnehme, so
wird jetzt die fast einstimmige Antwort sein: Chodowiecki. Doch hat
dessen Ruhm grossen Schwankungen unterlegen. Nachdem er zu Ende
des vorigen Jahrhunderts der h5chsten Anerkemnmg genoss, wurde
er bis zur Mitte dieses Jahrhunderts durch den falschen Glassicismus
und die Romantik so sehr in den Hintergrund gedrSngt, dass sogar
sein Name auf dem Sockel des Friedrichsdenkmales unter denen der
Civilpersonen fehlt, welehe Friedrich's Regierung verherrlichten. Als
E. Du Bois-Reymond: Festrede. 65
dann unter Friedrich Wilhelm IV. das Andenken an Friedrich den
Grossen wieder reger wurde , imd auf Befehl des Konigs eine Pracht-
ausgabe seiner Werke veranstaltet werden soUte, fand sich, um sie
mit Abbildungen zu schmiicken, durcli die gliicklicliste Fiigung ein
Chodowiecki verwandtes Genie, welches aufGrund von Chodowiecki's
genauen und chai^akteristisehen Darstellungen die Scenen aus Friedrich's
Kriegs- und Friedensleben uns so lebendig vorfiihrte, dass wir meineh,
wir seien mit dabei gewesen. Ein Jeder bat Hrn. Adolph Menzel
genannt; er ist es aber auch, der mit grossem Sinn und tiefem
Verstandniss Chodowiecki's Ansehen wieder so geboben bat, dass er
zu einer der bekanntesten Figuren des Fridericianisclien Berlins ward,
und dass, wenn jetzt das Fiiedriehsdenkmal im Entstehen ware,
Chodowiecki nicbt bloss .in Schrift, sondern mindestens im Relief hinter
Lessing imd Kant daran Platz fHnde. In der That hat wohl Niemand
mebr als Chodowiecki dazu beigeti'agen , den Typus des Alten Fritzen
festzustellen , seinen Dreimaster, Zopf und Kruckstock weltbekannt zu
macben , und auch seiner Russeren Erscbeinung Unsterblicbkeit zu ver-
leihen.
Unter diesen Umstanden ist es gewiss sebr auffallend, dass, wie
Gottfried Schadow bericbtet, »der K5nig nicbts von Chodowiecki
• wissen mocbte«. Es beisst nun freilicb in einer namenlosen kleinen
Scbrifl vom Jabre 1791: »Der K6nig war weder ein Kenner von
•Scbildereyen nocb von Kupfersticben , und letztere liebte er gar nicbt « ;
wie ibm denn auch vorgeworfen wird, dass er kein Kupferstieb-
Cabinet angelegt babe. Inzwiscben betont* scbon Schadow, dass der
K5nig im G^gensatz zu Chodowiecki die Kupferstecber Wille und
Georg Friedrich Schmidt wohl fur grosse Kiinstler gelten liess; letzteren,
einen geborenen Berliner, der in Paris Mitglied der dortigen Kunst-
akademie geworden war, batte er 1744 naeb Berlin zumekberufen
und zum Hofkupferstecber mit ansebnlicbem Gebalt ernannt. Wenn
nun aucb Schmidt's Bildnisse in Linienmanier, l)eispielsweise die von
Friedrich und von La Mettrie, das VoUkommenste der Art sind, was
man seben kann, und Chodowiecki Gleicbes scbwerlicb vermocbte, so
iiberragt der Peintre - Gravenr den bloss reproducirenden Kunstler an
allgemeiner Bedeutung docb so weit, dass &c£ Friedrich's Versebmaben
des ersteren der Grund gesuebt werden muss.
Bei einer friiberen Gelegenbeit babe icb einmal den Grflnden
nacbgeforscht , aus welcben der Konig, trotz seinem lebbaften Gefiibl
fiir litterariscbe SchSnbeit, sich durcbaus unempf&nglicb fiir Rousseau's
und Diderot's dicbterisebe Neueiningen zeigte. Seine Abneigung gegen
ibre Theorien oder ibre PersSnliebkeit war nicbt die Ursache, denn
er fubr fort Voltaire als Scbriftst^ller zu bewundem lange nacbdem
66 OfFentliche Sitzung vom 27. Januar.
er ihn als Menschen verachten gelernt hatte. Die Erklarung schien
mir darin zu liegen, dass Friedrich als Schriftsteller in den Conven-
tionen der gallo-romisehen Poesie gross geworden, wie sie in seiner
Jugend unbestritten herrschte, nicht iiber deren Schranken hinaus
konnte. Die drei neuen Elemente, durch welcha vornehmlich Rousseau
die fi*anz6sische Littoratur veijiingte: Naturgefuhl, Naturlichkeit der
Motive, Empfindsamkeit waren dem litterarisclien Junger Voltaire's
fremd, und keine gleich gestimmte Saite wui'de dadurcli bei ihm in
Mitsehwingung versetzt. Seinem auf das Grosse und Erhabene
gerichteten Sinn bedeutete Poesie wesentlich immer nnr die in prach-
tigen Alexandrinern sich abroUende Schilderung der Handlimgen,
Erlebnisse und Leidensehaften von Menschen auf der Hohe irdischen
Daseins. Shakespeare's Realismus, von Goethe im Gotz nacligeahmt,
erschien ihm bekaniitlich als barbarischste Roheit, und mancher Ge-
danke der Henriade wog in seiner Schatzung die ganze Ilias auf.
Dass diese Denkweise Friedrich's in litterarischen Dingen auch
sein Kunsturtheil beeinflusste, ist wohl anzunehmen. Auch von der
Malerei verlangte er, dass sie dem Idealen nachgehe; dass sie, das
Gemeine und Naturliche hinter sich lassend, welches uns im wirk-
liehen Leben ja genug zu schaffen macht, den Beschauer mit sich in
die goldenen Wolken der Phantasie entfiihre. Was wai* ihm die uns
ehtzuckende Naturwahrheit und Naivetat in Chodowiecki's kleinen
Schopfungen? Was ging ihn, schwarz auf weiss in diesem Format,
die kleinburgerliche Welt mit ihren Leiden und Freuden, ihrer Liebe
und ihrem Zorn, ihren Abenteuem, Narrheiten imd Lacherlichkeiten
an? Ja man kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass auch die
Wevke dessen, der auf Chodowiecki's Schultem in unseren Tagen
Friedrich's Figur neubelebt hat, dass auch Adolph Menzel's Werke
ebenso wenig Gnade vor ihm gefunden hatten, wie die Chodowiecki's.
Nur in dem einen Punkte des Costumes war durch einen seltsamen
Widerspruch, aber richtigen Instinct, der Konig Realist; leider war
gerade dies ein Punkt, in welchem umgekehrt Chodowiecki zum
Idealismus neigte, so dass er dadui'ch seinem Helden nur um so
mehr entfremdet wurde.
An dem mangelnden Verstandniss fiir den Realismus hatte die
von dem Konige nach dem siebenjahrigen Kriege geplante Reise nach
Italien schwerlich etwas geandert. Aber eine Erhebung und Lauterung
seines Geschmacks in der idealen, von ihm bevorzugten Kunstrichtung
ware vielleicht zu erwarten gewesen; in Venedig, Florenz und Rom
hatte seine Vorliebe fiir Grazie im Helldunkel kaum Stand gehalten, am
wenigsten, wenn Winckelmann sein Cicerone gewesen ware, der, von
solcher Bekehrung Grosses fur die (ieschicke der Kunst hoffeiid, ihn
E. Du Bois - Reymond : Festrede. 67
schon mit Ungeduld erwartete. Wie Jeder weiss , ward aus der Reise
nichts, und auch Verhandlungen , um Winckelmann an de la Croze's
Stelle als Oberbibliothekar und Director der Kimst- und Munzkammer
herzuziehen, scheiterten am Geldpunkt. Winckelmann lilieb vorlaufig
bei seinem Gonner Albani, verliess aber zwei Jahre darauf Rom, um
Deutschland wiederzusehen , in Begleitung seines Freundes, des Bild-
hauers Cavaceppi, der mit Enipfehlungen des Cardinals nach Potsdam
ging. Sie trennten sieli unterweges; als Cavaceppi am Tage nach seiner
Ankunft (lurch Quintus Icilius zum Konige geinifen wurde, erfiihr er aus
dessen eigenem Munde zuerst Winckelmann's schreckliches Ende.
Ulmgens erschien wohl Winckelmann Friedrich nicht in dem
Lichte wie heute uns, als bahnbrechender Reformator in Geschichte
und Theorie der Kunst; er sah in ihm nur einen tiichtigen Gelehrten.
Dass Lessing'.*? gleichzeitige Bestrebungen, dass der 'Laokoon', die
Abhandlung tiber die antike Symbolik des Todes bis zu Friedrich
gedrungen seien, ist bei dessen Stellung zur deutschen Litteratui* um
so weniger wahrscheinlich , als Lessing sich durch die Minna von
Barnhelm missliebig gemacht hatte. Ohnehin begann erst gegen den
Schluss des Jahrhunderts die bessere Kenntniss der griechischen Kunst-
denkmaler Frucht zu tragen. Wenn Diderot dem Rococo sich nicht
entwand, ist es da Friedrich zu verdenken, dass er in dessen Reizen
verstrickt blieb? Wenigstens von Einem Fehler der Zeit blieb doch
sein Urtheil fi*ei. Wie er als Etliiker nicht in die Tugendphrasen
der Encyklopaedisten einstimmte, denn bei ihm regierte die Pflicht,
so hat er in der Kunst die von Hogarth aufgebraclite, von Greuze
sentimental gefarbte, von Diderot bewunderte tendenziose Manier
achselzuckend von sich gewiesen. Er liebte die Kunst um ihrer selbst
willen, und er kannte die Menschen zu gut, um zu glauben, dass sie
durch gemalte Gouvernantenmoral zu bessern oder abzuschrecken seien.
Stand auch Friedrich als Kunstkenner und -Liebhaber nicht au(*
der hSchsten Stufe der Einsicht, so hat ihn das doch nicht verhindert
fur Forderung der Kimst in seinem Staate sehr Bedeutendes zu leisten.
Wo kaum nennenswerthe Aniange da waren, hat er Sammlungen
gegriindet, welche der Kern unserer heutigen Museen geworden sind.
Er kaufte unter anderen 1742 die Antikensammlung des Cardinals
PotiGNAc, 1770 die vom Baron von Stosch in Italien zusammengebrachte
unschatzbare Sammlung geschnitt^ner Steine, imd vereinigte in Sans-
Souci 178 Gemalde zu einer Galerie, aus der, um einen Begriff von
ihrem Werthe zu geben, wohl nur Correggio's 1752 erworbene lo
genannt zu werden braucht.
Sparsam und umsichtig wie der Konig war, erklarte er freilich,
im Bilderkauf mit dem Kurfiirsten Aigust III. von Sachsen, Konig von
68 6ffentliche Sitznng vom 27. Jantiar.
Polen, den Wettkampf nicht bestehen zu kSnnen. Er habe, schreibt
er seinem Unterhandler Gtotzkowsky, einen Rafael im Handel, der nicht
so theuer sei, wie ei» Gemalde in Rom, fnr welches der Konig von
Polen 30000 Duc^ten geboten hatte: »Dem Konig in Pohlen stehe
»es frei, fiir ein Tableau 30/m ducaten zu bezahlen und in Sachsen
»vor loo/m Rthr. Kopfsteuer auszuschreiben; aber das ist meine
•methode nicht. Was ich bezahlen kann, nach einem resonnablen
»Preis, das kaufe ich, aber was zu theuer ist, lass ich dem KSnig
»in Pohlen uber, denn Geld kann ich nicht machen imd Imposten
»aufzulegen ist meine Sache nicht. « Nach dem nicht ganz sicheren
Datum dieses Schreibens ware es nicht unmoglich, dass es sich um
die Sistina handelte.
Noch eine andere Methode, Sammlungen zu bereichem, war
nicht die seine: die des Ersten Napoleon, der die Kilnste so sehr
liebte , dass er , unter dem Beifall der franzosischen Nation , die Museen
der eroberten Hauptstadte systematisch auspliinderte. Was hatte
Fbiedrich wahrend des Winters 1756 — 57 verhindert, die ganze Dres-
den er Galerie sammt der Sistina, die Antiken des Japanischen Palais',
die Kostbarkeiten des Grunen Gewolbes einpacken und sie nach Berlin
und Potsdam schaffen zu lassen? Ist es da nicht fast riilirend zu ver-
nehmen , dass er nur nach eingeholter Erlaubniss des Sachsischen Hofes
das Japanische Palais betrat, und dass er, bei seinem zweiten Besuche
der Gemaldegalerie , am 22. December 1756, dem Hofmaler Dietrich
fur sein Geld eine Copie der Magdalena von Battoni bestellte, dabei
jedoch, er, der Sieger in Feindesland, der Regel sich unterwarf, wo-
nach auf Copien nach Gemalden der Dresdener Galerie stets etwas
vom Original wegbleiben muss? Der Todtenkopf als Emblem der
Busserin wurde auf Dietrich's Copie fortgelassen.
Zum Sammeln geh5rt Gliick, und auch dies fehlte Friedrich nicht,
als ihm 1747 der Ankauf des Adoranten, jener antiken Bronzestatue
gelang, welche heute noch eine der edelsten Zierden imseres Museums
bildet. Der Betende Knabe ist nicht allein durch seinen Kunstwertli,
sondern auch durch seine Schicksale merkwurdig, die erst unlangst
durch unseren CoUegen Hm. Conze, imd im Anschluss an ihn durch
Hm. Prof. FuRTw ANGLER und Hrn. Dr. Puchstein endgiiltig aufgeklart
wurden. Die landlaufige Meinung, als sei die Figur geradesweges
aus dem Tiberschlamm nach Sans-Souci gekommen, entbehrt jeder
Begrundung, und wie so oft ist auch diesmal die Wahrheit seltsamer
als die Erfindung. Das unter mancheiiei Namen — Mercur, Antinous,
Ganymed, sogar Phrixos — vielgewanderte Erzbild erscheint zuerst,
wenn auch nur vermuthungsweise , vor etwa dreihundert Jahren in
Venedig, dann im siebzehnten Jahrhundert sicher in Vaux-le-Vicomte,
E. Du Bois-Retmond: Festrede. 69
(lem Landsitze des unennesslich reichen Oberintendanten Lud wig's XIV.,
FouQUET. Bei dem Zauberfeste, welches Fouquet am 19. August 1661
seinem juiigen Konige gab, m5gen Lud wig's Augen begehrlich auf
dem 'Antinous' geruht haben. Als nur neunzehn Tage spHter, am
5. September, Fouquet in der bekannteii hinterlistigen Weise, wemi
auch nicht imverdient, gestiirzt wurde, vergrub ein alter Diener die
Figur, die er oft als grossen Schatz hatte preisen horen, in einem
Keller, um sie der verannten Familie zu erhalten. Fouquet's Sohn,
der Marquis de Belle -Isle, verkaufte sie dann nach Wien dem Prinzen
Eugen; dieser wieder dem Fursten Liechtenstein, von welchem endlich
Friedrich sie fiir 17800 Mark heutiger Wahrung erwarb. Auf einer
Tragbahre zwischen Maulthieren vor StSssen gesichert, von einem
eigens vom Konige nach Wien entsandten Packer zu Pferde begleitet,
eiTeiclit sie bei Ratibor die Wassersti'asse der Oder, und gelangt von
da zu Schiff nach Potsdam. Den Empfang in Sans-Souci hat Rauch
auf dem FRiEDRicn's-Denkmal als einen der krSnenden Augenblicke
in des K6nigs Leben dargestellt. Bis nach Friedrich 's Tode stand der
Betende Knabe vor der Bibliothek von Sans-Souci, da wo jetzt eine
Nachbildung an ihn erinnert. Das Original soUte noch nicht zur Ruhe
kommen, denn es befand sich unter den aus Berlin fortgefuhrten Kunst-
schatzen, welche am 14. October 1807, als dem ersten Jahrestage der
Schlacht bei Jena, in Paris ausdiiicklich als Siegestrophaen der Grossen
Armee ausgestellt wurden.
Schon Valentinelli hatte es vor lUngerer Zeit ausgesprbchen,
un4 die neuere Forschung liess kemen Zweifel daran, dass die Arme
des Adoranten unScht, eine ausserst geschickte Restauration aus der
Zeit seines ersten franzSsischen Aufenthaltes seien. Seitdem wurde
wiederholt daruber verhandelt, ob die Stellung der beiden gen Himmel
erhobenen Hande zwischen Pronation und Supination zur Deutung des
Betenden Knaben als eines solchen passe, da dies nach vielen Zeug-
nissen nicht die rituelle Betbewegung der Hellenen war. Vermuthlich
wurde dadurch die Aufinerksamkeit von einem anderen die Arme des
Adoranten betreffenden Umstand abgelenkt, den mein Freund Hr. Ernst
VON Brucke, unser correspondirendes Mitglied in Wien, schon vor
langer Zeit wahmahm, als er noch Lehrer der Anatomic bei der
hiesigen Kunstakademie war. Er hat mir erlaubt, seine Bemerkung
hier mitzutheilen. Es ist namlich der den Arm erhebende Deltamuskel
an der Figur nicht im thatigen Zustande vorgestellt, in welchem sein
Fleisch um das Akromion des Schulterblattes anschwillt, und auf der
Schulter eine dem nur mit der Haut bedeckten Akromion entsprechende
Grube entsteht. Der Fehler erklart sich wohl daraus , dass der Bildner,
damit sein Modell nicht ermtide, dessen Arme auf einer wagerechten
70 dffentliche Sitzung vom 27. Januar.
Stange nach Art eines Reckes ruhen liess, wobei der Deltamuskel er-
schlaflft und die im Adoranten sichtbare Form anniioiint.
Nicht immer traf es Friedrich so gut wie mit dern Adoranten.
Hr. CuRTius hat die Geschichte der »plastischen Maskerade« hSchst
anmuthig erzahlt, welche der franz5sische Hofbildhauer Adam mit
(^iner Anzalil zum Theil einander fremder Torsi und sonstiger Bruch-
stucke aus der PoLiGNA(fschen Sammlung auffiihrte, indem er daraus,
um dem Geschmack des Konigs zu schmeicheln , nacli Art der Niobiden-
ginippe eine vollstandige 'Familie des Lykomedes' zusammensetzte,
bestehend aus sieben Tochtem, der Konigin, Odysseus und Achilleus.
Letzterer wurde durch einen Apollo Musagetes vorgestellt, der, wie
gewohnlich in langem fliegenden Gewande, damals unvei-standlieh
blieb, und schon von dem Cardinal selber als Achill in Madchen-
kleidem gedeutet worden war, woiiiber Winckelmann sich nicht sehr
ehrerbietig ausserte.
Man darf sich aber nun Friedrich's Sammeln von Kunstge^en-
standen nicht so vorstellen, als legte er offentliche Museen fiir den
Genuss und die kiinstlerische Erziehung des Publicums an. Sondern
er umgab sich mit den von ihm erworbenen Kunstschatzen zu seiner
eigenen Freude, indem er theils seine Schlosser, Gemacher, Garten
damit verzierte, theils zu ihrer Aufnahme wiirdige Raumlichkeiten
in seiner Nahe schuf, wie die Bildergalerie von Sans-Souci und im
dortigen Parke den Antikentempel, worin neben einer Menge anderer
Alterthiimer, sogar den kostbarsten Gemmen imd Miinzen, die Familie
des Lykomedes Platz fand. Zwar waren diese Sammlungen dem
Publicum zuganglich, und sie wurden von Fremden und von Ein-
heimischen von Berlin aus viel besucht, doch mag das Verfahren
des Konigs lieute selbstisch und engheraig erscheinen, wo jeder
Furst, jedes grossere stadtische Gemeinwesen es als Ehrensache be-
trachtet, offentliclie Sammlungen zu begranden. Man braucht sich indess
nur an die Zustande in Rom und in Florenz, in Wien und in Dresden
zu erinnern, um einzusehen, dass weitaus die meisten Galerien, Museen,
Sammlungen aller Art urspninglich als Privatsammlungen der Herrseher,
Grossen und Reichen entstanden. Bis zur Revolution hiess der Pariser
Pflanzengarten Jardin du Roi, Somit war die Entwickelung bei uns
wohl eine verspatete, sonst aber ganz naturgemasse. Was ihr den
fremdartigen Charakter aufpragt, als hatte der Konig bei seinen Samm-
lungen nur an sein Vergniigen, nicht an sein Volk gedacht, ist viel-
mehr nur der an sich sehr begreitliche und verzeihliche Umstand,
dass er lieber in Potsdam lebte, als in Berlin.
Zu Friedrich's kiinstlerischen Thaten sind dann in erster Linie
noch die Prachtbauten zu zalilen, mit welchen er Berlin und Potsdam
£. Du Bois - Reymond : Festrede. 71
schmuckte. PininkvoUen , aber auch gleichsam prophetischen Sinnes
hatte Pi'eussens erster Konig durch Schluter und Nehring Schloss
und Zeughaus liinstellen lassen, in erstaunlichem Maassstabe fiir die
Ilauptstadt seines winzigen Staates. Abgesehen von den beiden
Museen, der Nationalgalerie und der Neuen Waclie sind aber alle
iibrigen Gebaude, welche den Lustgarten und Opernplatz urageben,
und (bis auf den Dom) in ilirer Gesammtheit eine der schonsten
Arehitekturanlagen der Welt bilden, Friedrich's Werk. Seine Schuld
ist es nicht, wenn die armseligen natiirlichen Bedingungen Berlins,
die Kleinheit des Flusses, die geringe H5he seiner Ufer, die Flach-
heit der Gegend zu so grossartigen Ansichten nie Gelegenheit bieten
werden, wie London und Paris.
Kaum hatte Friedrich den Thron bestiegen, so entst^nd durch
Knobelsdorff mit heute unerhorter Schnelle das Opernhaus. Noch
wahrend des Ersten Schlesischen Krieges, am 5. September 1741,
legte der junge Prinz Heinrich den Grundstein, fiinfviertel Jahre
spater, am 7. December 1742, wurde es mit der GRAUN'schen Oper
Cesar e e Cleopatra eroffnet. Langer freilich, von 1747 bis 1773, zog
sich der Bau der St. Hedwigskirche bin, zu welcher der Konig selber
den Plan nach dem Pantheon gemacht hatte, da die BaugeWer aus
Rom, aus Spanien, vom Dominicanerorden nur stockend einliefen.
Das Universitatsgebaude, 1764 als Palast des Prinzen Heinrich vom
• alteren Boumann gebaut, ist in seiner edlen Einfachheit, trotz einer
etwas cynischen Bemerkung des Konigs, immer noch eine Zierde
der Hauptstadt, wie seine Uberweisung fiir seinen gegenwartigen
Zweck immer ein Denkmal des grossen Sinnes Friedrich Wilhelm's III.
bleibt. Das Akademie- Gebaude, in welchem wir uns befinden, ist
seiner ersten Anlage nach alter. Es wurde 1699 von Nehring als
Marstall fiir den K5nig Friedrich I. noch als Kurfiirsten gebaut, und
die durch die vorgeschlagene Inschrift^ Miilis et Mvsis verspottete Ver-
mischung sehr verschiedenartiger Zwecke fallt diesem Fiirsten zur
Last, indem er es war, welcher die von ihm gegnindeten Akademien
der Wissenschafi^en und Kunste uber seinen Mauleseln einquartierte.
Als 1743 ein Brand das Gebaude zerstort hatte, liess es Friedrich U.
durch Boumann den Vater erneuern. Doch stammt wohl die Aussen-
seite, wne wir sie heute sehen, aus dem zweiten Jahrzehend des
Jahrhunderts von Rabe her. Endlich die Konigliche Bibliothek ist
als eins der charakteristischsten Denkmaler des Barockstiles von dem
jiingeren Boumann nach den ihm vom Konige angegebenen Motiven
gebaut worden, wenn es auch auf Erfindung beiniht, dass sie auf
seinen Befehl nach dem Muster einer Commode damaliger 2eit ent-
worfen sei.
72 Offentliche Sitzimg vom 27. Januar.
Diesen das von Knobelsdorff gedachte Fanim Friderici lungpren-
zenden Bauten reihen sich noch die von aussen prachtigen, innen
hochst kummerlichen GoNTARn'sclien Campanile auf dem Grensd'annen-
Markte an; sie sind, was die Architekten nennen, ein maskirter
Bau. Bekanntlich stiirzte der schon weit vorgeruckte siidliche Thurm
am 28. Juli 1781 friih Morgens ein, ohne weiter Scbaden anzu-
richten. Minder bekannt ist, dass, da nur wenig Berliner damals
eine andere Ruine gesehen batten als die kiinstliche bei Potsdam , der
grossartige, durch die stebengebliebenen Saulen maleriscbe Trummer-
baufen von nab und fern als eine Sebenswiirdigkeit besucbt imd von
Kiinstlern und Dilettanten aufgenommen wui'de. Der Bildbauer Tassaert
scbickte seinen siebzebnjabrigen Lebrburscben aucb bin, um die Ruine
zu skizziren. »Es fanden sieb bald Leute« , so erzablt Gottfried Schadow,
wwelcbe bebaupteten, diese Zeicbnung sei die am besten gerathene.
»Von da ist die Zeit zu datiren, wo die Kunstfreimde erfubren, dass
»ein soleber Burscbe vorbanden sei.« Dieser Bursebe war namlich
Niemand anders, als unser alter Schadow selber.
Wen fiibrt nun nicbt Pbantasie auf ungeduldigen Scbwingen
nacb dem 'bistoriscben Hiigel', wie Alexander von Humboldt Sans-
Souci zu nennen pflegte? Nacb der etwas duster ragenden Kuppel des
Neuen Palais, welcbes nicbt bloss durcb Stil und Masse, sondem aucb
durcb den ergreifenden (Jegensatz der binter ibm in tiefer Stille sich
offnenden Fernsicbt auf Wald und Wiese an Versailles erinnert? Hier
in der Oase der Havellandscbaft scbuf sicb Friedrich mit bewundems-
wertbem kunstleriscbem Tact moglicbst getreue Abbilder von den
Herrlicbkeiten des Sudens, von dem fiirstlicben Glanz des reicben
altcultivirten Westens, nacb welcben sebnsiicbtige Neugier scbon seit
seiner Jugend ibn trieb, welcbe mit Augen zu seben ibm nicbt be-
scbieden war.
Docb sind diese Dinge ofter gescbildert und bekannter, als dass
es meine Absicbt sein konnte, langer dabei zu verweilen: Friedrich's
Bauten aufzuzSblen ware obnebin ein zu langes Stuck Kunst- und
Culturgescbicbte. Nur in Einer Beziebung entspricbt es unserem
Zweck, dass wir den KSniglicben Bauberrn nacb seinen Bauplatzen
begleiten. Man macbt sicb namlicb scbwer einen Begriff davon, bis
zu welcbem Grad er an diesen Arbeiten tbeilnabm, wie viel von
seiner Erfindung und seinem persSnlicben Gescbmack er bineingelegt
bat. Die scbon fiiiber erwabnte constructive Seite seiner Begabung,
verscbwistert mit der aestbetiscben , und in seltener Art bei ibm sicb
vertragend mit dem musikaliscben Talent, kam bier zum Vorscbein.
Dazu gesellte sicb nocb eine , offenbar fur das Herrscber- und Feldberrn-
genie bezeicbnende Fabigkcit, selir verscbieden von Newton's patient
E. Du Bois - Retmond : ^ Festrede. 7 3
thinking^ aber in ihrem Kreise nicht minder nSthig und Wonder
wirkend: die Fahigkeit zwisehen den ungleichartigsten Gegenstanden
bin und her zu springen, und doch immer vol! und ganz bei der
Sache zu sein. Vermoge dieser Fahigkeit vertauschte Friedrich in
einem beliebigen Augenblick den Feldherrnstab mit der F16te, die
Feder des Diplomaten mit dem Stifte des Baumeisters. Seine robe,
aber klar gedachte und kraftig bingeworfene erste Skizze von Sans-
Souci ist nocb vorbanden; aucb das Neue Palais ist wesentlicb nacb
seinen Entwurfen gebaut. Palladio, der Vitruv der Renaissance,
der ja aucb Goethe nacb Italien begleitete, kam ibm nicbt von der
Seite. Mit Einem Worte, wenn Sainte-Beuve meint, dass Friedrich
eigentlicb als Scbriftsteller geboren sei , so konnte man fast mit gleicbem
Recbte bebaupten, dass er aucb zum Baumeister gescbaffen war.
Leider darf nicbt verscbwiegen werden, dass die gute Meinung,
welcbe der Koniglicbe Baukiinstler mit Recbt von sicb batte, seinen
Baumeistern keine angenebme Lage bereitete. Eine Sacbe fiir sicb
ist es, dass er bei sonst loblicben arcbitektoniscben Gedanken nicbts
von den tecbniscben Bedingungen der Ausfiibrung verstand, imd,
den Geldpimkt ausgenommen, aucb nicbt viel davon bSren mocbte.
Aber aucb in rein aestbetiscben Dingen, Baustil und Omamentik,
vertrug er bald keinen Widersprucb mebr. MissbeUigkeiten der Art
fiibrten zunScbst zu einer Erkaltung zwiscben ibm und Knobelsdorff,
der ibm docb nicbt nur kiinstleriscb seit Rbeinsberg, sondem aucb
scbon seit der Custriner Gefangenscbaft menscblicb verbunden war.
Knobelsdorff batte in Italien, seiner Zeit voraus, sicb mit den er-
babenen und einfacben Ztigen belleniscber Kunst durcbdrungen, soweit
sie damals bekannt war; Friedrich blieb zeitlebens im Barockstil
befangen. Der Freiberr von Knobelsdorff, ebemals Officier, war
nicbt der Mann, seine bessere TJberzeugimg aus Liebedienerei zu ver-
laugnen, und seines lauten Tadels oder seiner stummen Missbilligung
mude wandte sicb der Konig allmablicb von ibm ab , und dem scbon
vorber genannten Johann Boumann zu, den sein Vater aus Holland
verscbrieben batte , um in Potsdam das sogenannte Hollandiscbe Viertel
zu bauen. Tiber das Berliner Tbor in Potsdam, welcbes Friedrich
gewissermaassen binter Knobelsdorff's Riicken batte auffubren lassen,
kam es zum Brucb zwiscben ibnen, und sie baben sicb nicbt wieder
geseben. Knobelsdorff's fruber Tod macbte diesem unerfreulicben
Verbaltniss ein Ende, und der Konig sucbte, was er im Leben viel-
leicbt an ibm gefeblt, durch das von ibm verfasste Eloge zu siibnen,
das er 1754 am beutigen Jabrestage an diesem Tiscbe verlesen liess.
Eine spate Nacb welt ist Knobelsdorff gerecbt geworden. Er stebt
im Marmorbilde unter der Museumsballe neben seinen Peers, und am
Siuungsberichte 1887. 8
74 Offentliche Sitzung vom 27. Januar.
Friedrichsdenkmal sieht man ihn den Adoranten dem Konige vor-
stellen. Die Boumann Vater und Sohn und von Gontabd folgten sich
nun in der Giinst des K5nigs; ersteren sagte man nach, dass sie am
leichtesten seiner Eigenwilligkeit sich beugten , oder am geschicktesten
seine architektonisch nicht immer zu rechtfertigenden Anordnungen
zu imigehen wussten.
Uberhaupt war das Friedericianische Berlin, trotz dem Rmistsinn
des K6nigs und trotz den bedeutenden in Ausftihrung begriffenen
Arbeiten, weit entfemt davon, ein Kiinstlei-paradies zu sein. Die
einheimischen Kunstler konnten es nicht gerade gem sehen, dass
Friedrich, auch hier seinen franzosischen Neigungen folgend, aus der
Fremde Manner berief, die man zwar nicht unter sich schatzte, sich
ihnen aber doch ebenbiirtig diinkte: wie Blaise -Nicolas Lesueuk, seit
1750 Director der Kunstakademie , Charles -PmLipPE-AMEDEE Vanloo,
von dem das schone Deckengemalde im Concertsaale des Prinzen
Heinrich, jetzt der Aula der Universitat, herruhrt, den Bildhauer
Tassaert, der in der Portraitbiiste seines Gleichen suchte. Man ver-
dachte es dem K5nige, dass er Berlin gegen Potsdam kiinstlerisch
zuriicksetzte, indem er die von ihm gehauften Kunstschatze bei sich in
Potsdam behielt; vorzuglich aber dass er, und das war eine schwerer
wiegende Anklage , im Vergleich zu dieser seiner Akademie der Wissen-
schaften, die Kunsta-kademie ganzlich vemachlSssigte.
Die von K6nig Friedrich I. 1699 als die dritte in Europa ge-
griindete Akademie der Kiinste und mechanischen Wissenschaften hatte
sich unter seiner Herrschaft einer gewissen Bluthe erfreut. Nach seinem
Tode erlosch dieser Glanz, und die von ihm berufenen Kunstler, wie
Pesne, mussten sehen, wie sie durchkamen. Wahrend aber die Zwillings-
schwester der Kunstakademie, die Akademie der Wissenschaften, der
es ahnlich ergangen war, nach Friedrich's II. Regierungsantritt neu
gegriindet und mit alien Mitteln gehoben wurde, der KOnig diese
seine eigene That durch eine schwungvolle , am heutigen Jahrestage
1748, hier verlesene Ode verherrlichte , geschah fiir die Akademie
der Kiinste nichts Ahnliches. Als 1743 eine von den Marstallen imter
ihren Rilumen ausgegangene Feuersbrunst letztere mit alien Unterrichts-
mitteln zerst6rt hatte, wurden zwar die Raimie wieder hergestellt,
aber wegen der Bedurfiiisse des Staates wahrend der Kriege gegen
einen Miethszins zu einem Vergnugungsort an einen Kaffeewirth ver-
pachtet. Erst 1770 erhielt die Akademie das Local zur Halfte zuruck,
allein ohne weitere Bewilligimgen.
Es ist nicht leicht, die Griinde far diese gleichgiiltige , ja ab-
lehnende Haltung des Konigs anzugeben. Sie wurde damals so auf-
gefasst, als habe er, in bildender Kunst wie in schSner litteratur,
£. duBois-Reymond: Festrede. 75
den Deutsclien das Talent abgesprochen ; nur in der Musik anerkannte
er riickhaltslos ihre Uberlegenheit. Wie ware er erstaunt, hatte er
den doppelten Aufschwung des deutschen Geistes in Litteratur und
in bildender Kunst wahrend der folgenden JahrzeJiende erlebt, besonders
aber hatte er wie wir flbersehen kSnnen, dass gerade aus der von
Natur- und Kunstschonheit verlassenen markischen Sandwiiste eine
Reihe von Mannem hervorging, welche, wenn auch nicht sammt-
lich ersten Ranges , doch in der Kunstgeschichte dauemden Andenkens
gewiss sind: der Altersfolge nach Knobelsdorff und Winckelmann,
dann Goethe's neapolitanischer Kimstgenoss Pnaipp Hackert, die
Berliner Kinder Gottfried Schadow und Friedrich Tieck, endlich,
ganz nahe bei Rheinsberg geboren, Schinkel selber. Merkwiirdig
ist jedenfalls, dass der K6nig in der gegen Rousseau gerichteten Rede
'Uber den Nutzen der Kiinste imd Wissenschaften in einem Staate',
welche er am heutigen Jahrestage 1772 zu Ehren seiner Sch wester , der
Konigin Ulrike von Schweden, hier verlesen liess, der bildenden Kunst
nicht gedenkt.
Wie dem auch sei, erst in hohem Alter, ganz nah dem Ende
seiner Laufbahn, im Januar 1786, entschliesst er sich, gedrangt, wie
es heisst, durch den Obersten Quintus Icilius und den Staatsminister
VON Heinitz, das lange VersSumte gut zu machen. Aber auch jetzt
denkt er bei Neubelebimg der Akademie der Kiinste nicht an die reine
Kunst, die doch sein Leben lang eine seiner GSttinnen gewesen war.
Sondern er lasst sich, wie es scheint, zum Handeln fiir die Kunstakademie
bestirqmen durch die utilitarische Meinung, zu der es ihn zu be-
kehren gelingt, dass die Akademie als Kunstschule fiir Gewerbeti*eibende
Vortheil biingen, mit anderen Worten, dass sie die Entwickelung
dessen fiirdern werde, was wir heute Kunstgewerbe nennen, und
wofiir er w&hrend der langsten Zeit seiner Regierung unausgesetzt
bemiiht gewesen war. Schon 1762 war die Berliner Porzellanmanu-
factui* gegriindet worden, und hatte, zum Theil durch recht sonderbare
Mittel gehoben, angeblich bald die Meissener, ja die von Sevres ein-
geholt. Ausserordentliche Anstrengungen wurden auf die Einfiihrung
des Seidenbaues gerichtet, woran die Maulbeeralleen bei Potsdam noch
heute erinnern. Aus Copenhagen verschrieb der Konig den beriihmten
Kunststicker Genelly, dessen Blumen und Friichte Schadow geradezu
bewujidernswurdig nennt. In Neustadt an der Dosse bestand die
grosse SpLiTGERBER'sche Spiegelfebrik , deren letzten Besitzer wii' noch
als einen emsigen, vielen unserer verstorbenen CoUegen befreundeten
Physiker gekannt haben. Endlich ein ganz besonderes Interesse nahm
der K5nig an der Uhrenfabrication , die er von seinem Furstenthum Neu-
cb&tel nach Preussen iiberzuleiten suchte. Fur alle diese Fabricationszweige
8*
76 Offentliche Sitzung vom 27. Januar.
hoffte der rastlose konigliche Greis jetzt Vervollkommnung und Ver-
schSnerung ihrer Erzeugnisse durch geregelten Unterricht in den zeich-
nenden Kiinsten, dem Modelliren, Bossiren, Graviren u. d. m. Dnrcli
das Land verhreitete Kunstschulen soUten unter der Aufsicht uikI
geistigen Leitung der emeuerten Kunstakademie stehen. Hervorragende
Techniker erhielten durch das uns noch wohlbekannte Praedicat eines
'akademischen Kunstlers' Befreiung von dem damals noch in ganz
Europa heiTschenden Innungs- und Zunftzwange, und zugleich einen
in seiner Wirkung einem Patent ahnlichen Schutz fur ihre Erfindungen.
Endlich um die kiinstlerische Thatigkeit der Akademie dem Volke
naher zu bringen, wui'den oflfentliche Kimstausstellungen , naeh des
Konigs Absicht jahrlich wiederkehrend wie die Pariser Salons y ange-
ordnet, deren erste, wesentlich nach Chodowiecki's Vorschlagen ein-
gerichtet, am 20. Mai 1786 erofl&iet wurde.
So sind wir erst mit Friedrich's Lebensende an das Ende seines
Kunstlebens gelangt. Unzahlige mehr oder minder wichtige und
anziehende Einzelheiten haben in dem hier ' von uns entworfenen
Bilde, bei dem engen ihm gezogenen Rahmen, nicht Platz finden
konnen. Irre ich nicht, so geniigt es um die Vorstellung zu erwecken,
worauf es bei dieser Gelegenheit allein ankommen kann, dass auch
in Bezug auf die bildende Kunst der ausserordentliche Mann nicht
bloss mit gewohntem Eifer nach bestem Wissen uberall seine Regenten-
pflicht gethan hat, sondern dass sein Feuergeist auch nach dieter
Seite eine specifische Begabung besass, welche durch unablassige
Ubung entwickelt, ihn neben seinen staatsmannischen , kriegerischen,
philosophischen, litterarischen , musikalischen Leistungen zugleich als
einen der die bildende Kunst am meisten liebenden und pflegenden
Fursten erscheinen lasst.
Dass er auch in diesem Gebiete hie und da, sachlich und per-
sonlich, das Rechte verfehlt hat, darob mogen die sich erheben, deren
Sinn darauf steht, das Strahlende zu schwarzen. Was insbesondere
des K5nigs Verbal ten gegen die einheimische Kunst anlangt, so war
es natiirlich, dass es die dadurch bedriickten Zeitgenossen krankte.
Wir, die wir den hohen Flug der deutschen Kunst nach seinem
Hinscheiden vor Augen haben, woUen ihn deshalb nicht barter
tadeln, als wegen seines Verschmahens der deutschen Litteratur. Mit
Goethe woUen wir fragen, wie man von einem Konige, der geistig
leben und geniessen will, verlangen konne, dass er seine Jahre ver-
liere, um das, was er Mr barbarisch halt, nur allzu spat entwickelt
und geniessbar zu sehen? Und ob er durch seine Herabsetzung die
deutsche Kunst nicht vielleicht mehr zu angestrengten Leistungen
anregte, als er es durch nachsichtiges Lob vermocht hatte? Wie
fc. Du Bois-Reymond: Festrede. — Personal veranderungen. 77
durch ihn der ej'ste wahre und hohere Lebensgehalt in die deutsche
Poesie kam, so verdankt^ ihm auch die bildende Kunst eine Reihe
begeistemder Motive. Er forderte sie mittelbar, indem er sie auf
einen breiten Grund vaterlandischer Geschichte stellte, auf welchem
sogar SchlOter's gewaltige Schopfungen erst in ein richtiges Verhalt-
niss znr umgebenden Wirklichkeit gelangten.
Die deutsche Kunst bat Friedrich dem Grossen langst seine Ge-
ringsehatzung vergeben, und dies durch Thaten bewiesen, an denen
es die deutsche Poesie bisher fehlen liess. Schiller's Fridericiade blieb
Entwurf*; durch Rauch's Friedrichsdenkmal hat die Berliner einheimische
Kimst fiir Friedrich's Verachtung edelste Vergeltung geubt.
Sodann berichtete derselbe folgendermaassen liber die seit der
letzten gleichnamigen Sitzung eingetretenen Personalveranderungen :
Der Tod hat wahrend des verflossenen Jahres eine ungewohnlich
reiche Ernte in unseren Reihen gehalten.
Am 23. Mai starb neunzigjahrig Leopold von Ranke, das altcste
Mitglied unserer Korperschaft, der hervorragendste unter den Gescliicht-
schreibern Deutschlands , ja der Welt im gegenwartigen Augenblick;
Verfasser einer Reihe von beinahe sechzig Banden , deren Inhalt iiberall
lehiTeich und kiinstleriseh gestaltet ist, und von denen ein grosser
Theil tiir alle Zeiten als Meisterwerk stehen bleiben wird; zugleieh
Begrunder einer Schule, deren Junger jetzt den geschichtlichen Unter-
richt an fast alien deutschen Universitaten leiten.
Georg Waitz, einen Tag nach seinem Lehrer Ranke abberufen,
hat auf dem Gebiete der deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte
sich einen dauernden , in der ganzen gelehrten Welt anerkannten Rulim
erworbcn, an den Universitaten Kiel imd G5ttingen der historischen
Wissenschaft zahlreiche Schiller zugefiihrt, und dann sein erfolgreiches
Wirken als trefflicher Vorsteher des grossen nationalen Untemehmens,
der Monumenta Gennaniae historica, beschlossen.
Max Duncker, Professor in Halle und Tubingen, dann einige
Jahre lang Director der preussisehen Staatsarchive und Lehrer an der
Kriegsakademie , hat sich durch eine Reihe gediegener Aufsatze iiber
preussische Geschichte, vor AUem aber durch seine Geschichte des
Alterthums, die bis zum Beginn des peloponnesischen Krieges gelangt
ist, ein bleibendes Andenken gesichert.
78 6ffcntlicfcie Sitzung Vom 27. Januaf.
Wenn diese drei MSnner auf der H6he eines ruhmreichen Alters
von uns geschieden sind, so wurde Wilhelm Scherer uns und der
Wissenschaft im kraftigsten Mannesalter durch plStzlichen Tod ent-
rissen, nachdem er uns erst wenig uber zwei Jahi*e angehfirt hatte.
Nach dem Hinscheiden der Gebriider Grimm und Mullenhoff's stand
er in der ersten Reihe, wenn niclit an der Spitze der heutigen G^r-
manisten. Mit productivem Talent beherrschte et alle Theile des weiten
Gebietes; die philologische Erforschung der deutschen Sprache in alien
ihren Entwickelungsperioden , ebenso wie die aesthetische und cultur-
geschichtliche Auffassung und Beurtheilung der deutschen Litteratur
von den altesten DenkmUlern bis zu den neuesten Tageserscheinungen.
Er hat das Grosse imd SchSne, welches^ seine fast jugendliche Kraft
ims noch versprach, nicht voUeuden sollen.
Auch Martin Websky, der am 27. November starb, hatte uns
im natiirlichen Laufe der menschlichen Dinge noch lange erhalten
bleiben sollen. Schon wahrend seiner praktischen Laufbahn als Berg-
mann hatte er durch mineralogische und krystallographische Studien
an Mineralien seiner Heimath Schlesien Beweise seines wissenschaft-
Uchen K6nnens geliefert. Als Professor in Breslau und in Berlin
hatte er reiche Gelegenheit, sich in dieser Richtung weiter zu ent-
wickeln. Es war ein folgerechter Fortschritt, dass er sich spater der
theoretischen Krystallberechnung und der Vervollkommnung der gonio-
metrischen Instrumente zuwandte. Dass diese heute zu Praecisions-
werkzeugen ersten Ranges geworden sind, verdankt man hauptsachlich
Websky's unausgesetzten Bemiihungen.
Am II. Februar 1886 starb in Upsala, fast 72 Jahre alt, unser
Ehrenmitglied Carl Johann Malmsten, ein hervon^agender Mathematiker
von selten vielseitiger Begabung imd Bildimg, der als beriihmter
Lehrer in Upsala einstmals den jetzigen Konig von Schweden unter
seinen Zuhorem hatte, dann sieben Jahre lang, von 1859 — 1866,
MitgUed des schwedischen Ministerixuns in Stockholm war, in den
darauf folgenden sieben Jahren als kSniglicher Gouverneur der Pro-
vinz Skaraborg an der Spitze einer grossen Verwaltung stand , und
dessen bedeutender und ausgedehnter Wirksamkeit vor Allem ein
wesentlicher Antheil an der jetzigen Bluthe der mathematischen Wis-
senschaften in Schweden zuzuschreiben ist.
Am I . Juli starb Hermann Abich , correspondirendes MitgUed der
physikalisch- mathematischen Classe. Er machte sich zuerst bekannt
durch sein Werk iiber die vulcanischen Erscheinungen , das nament-
lich Mittel- und Unteritalien beriicksichtigte. Die darauf beziiglic^en
t^ersoDalverandeningetl. 79
Gesteinsanalysen fiihrte er in Eilhard Mitscherlich's Labor atorium aus.
Spater hat er die geologische Erforschung der Kaukasusl8.nder als
seine Lebensaufgabe betrachtet. Seine 1843 ^ Dorpat bei einer
Universitatsfeierlichkeit gehaltene Rede *IJber die geologische Natur
des armenisclien Hochlandes' er5flEhet die Reihe der werthvollen Ar-
beiten, welche er in seinem zweibandigen von einem Atlas begleiteten
Werke 'Geologische Forsehungen m den kaukasischen Landem' 1878
znm Abschluss brachte.
Louis - Rene -TuLASNE, correspondirendes Mitglied derselben Classe,
starb in Hyeres am 22. December 1885. Er gehorte zu den firucht-
barsten und verdienstvoUsten Schriftstellern der alteren botanischen
Schule in Frankreich. Vor Allem seine mykologischen Untersuchungen
sicherten ihm die Anerkennung der Fachgenossen und einen bleiben-
den Platz in der Lebensgeschichte der niederen Organismen. Durch
seine Forschimgen iiber die Fortpflanzimg der Pilze erweiterte und
veranderte er in der liberraschendsten Weise die Begriflfe imd An-
schauungen , welche iiber die Entwickelimg der niederen Lebensformen
damals noch ganz allgemein herrschten, und legte er feste Grund-
lagen fiir die Organologie und Systematik der Pilze.
Auch die philosophisch-historische Classe hat den Tod zweier
ihrer correspondirenden Mitglieder zu beklagen.
Samuel Birch , gestorben in London am 2 7 . December 1885, ^^^ \
ein ausgezeichneter Kenner der Kunst- und Schriftdenkmaler des Alter-
thums. Als langjahriger Director der orientalischen Abtheilung des
British Museum hat er sich hervorragende Verdienste erworben durch
vorzugliche Herausgabe aegyptischer Papyrusurkunden und assyrischer
Keilschrifttafeln , und durch selbstlose Forderung aller wissenschaft-
lichen Arbeiten, welche sich auf die ihm anvertrauten Schatze des
Alter thums bezogen.
JoHANN Nicolas Madvig in Kopenhagen, gestorben am 14. Fe-
bruar v. J., hat durch mehrere Generationen hindurch als einer der
Ersten in der strengen Philologie, namentlich in der lateinischen
Sprachforschung , gewirkt, und wir verlieren mit dem hochbetagten
Greise einen der Wenigen, die mit Boeckh und Lachmann den gegen-
wartigen Stand der classischen Sprachwissenschaft bestimmt haben.
Diesen Verlusten stehen folgende Erganzungen gegenuber:
Es wurden gewShlt: zu ordenthchen Mitgliedern in der physi-
kalisch-mathematischen Classe, Hr. Wilhelm von Bezold; in der philo-
sophisch-historischen Classe, die HH. Max Lehmann, Carl Eduard
80 Offentliche Sltzung vom 27. JanUai*.
Sachau, GtJSTAv ScHMOLLER, JuLius Weizsackek, Wilhelm Dilthey; zu
correspondirenden Mitgliedem der physikalisch-mathematischen Classe,
Hr. MoRiTZ Traube in Breslau, Hr. Felice Casorati in Pavia, Hr. Luigi
Cremona in Rom, Hr. Rudolph Leuckart in Leipzig, Hr. Franz
VON Leydig in Bonn.
Ziun Scliluss hielt Hr. von Helmholtz einen Vortrag liber die
Geschichte des Princips der kleinsten Wirkung.
Aiisgegeben am 10. Februar.
M
81
1887.
VI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
3. Februar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Waldeyer las die umstehend folgende Abhandlung uber
den Placentarkreislauf des Menschen.
2. Hr. ScHWENDENER Icgtc cinc Untersuchung des Assistenten am
hiesigen pflanzenphysiologischen Institut Hrn. Dr. M. Westermaier vor:
Neue Beitrage zur Kenntniss der physiologischen Bedeutung
des Gerbstoffs in den Pflanzengeweben. Die Mittheilung der-
selben in einem der nachsten Berichte wurde vorbehalten.
3. Hr. VON Helmholtz zeigte eine photographische Doppelaufiaahme
des Stembildes des Orion vor, welche Hr. Prof. H. W. Vogel mit
einer nach seinem nnlangst in diesen Berichten (i886, 9. December)
besehriebenen Verfahren farbenempfindlich hergestellten und einer
gewShnlichen Platte .am 20. Januar d. J. gemacht hat. Derselbe be-
diente sich hierbei einer feststehenden Camera mit zwei gleichen
Objectiven von 48"" Offnxmg imd 1 5 o "^ Brennweite , welche eine
halbe Stunde lang exponirt wurde. Auf einer Flache von etwa 30^
Ausdehnimg in Declination und i^ in Rectascension haben sich auf
der Eosin-Silberplatte iio Stembahnen verzeichnet, auf der gew6hn-
lichen nur 53; jedoch ist der Unterschied an verschiedenen Stellen
der Platten sehr imgleich, und trifft namentlich die Randgegenden,
wahrend in den centralen Theilen fast die gleiche Stemzahl auf beiden
Platten zu finden ist. Auch bei einer Aufiiahme des Stembildes der
Zwillinge gibt Hr. Vogel an gunstige Wirkungen der farbenempfind-
lich^n Platte erhalten zu haben.
83
Tiber den Placentarkreislanf des Menschen.
Von W. Waldeyer.
Unter den vielen Streitpimkten , die sich bei der Bearbeitung des
Baues und der Entwickelimg der Placenta herausgestellt haben, sind
es besonders zwei, welche vor Allem unsere Aiifmerksamkeit in An-
spruch nehmen mfissen. Der eine betrifft den Inbalt der Zwischen-
zottenrSume , der andere die Abgrenznng dieser BS^ume gegen die
Zotten. Es fragt sich mit anderen Worten, den ersten Punkt an-
langend: Enthalten die Zwischenzottenrftume miitterliches Blut oder
nicht? Falls sie kein Blut fiihren, haben sie iiberhaupt einen Inhalt
und welchen? Was den zweiten Punkt betrifft, so fragt es sich, ob
die ffitalen Zotten nackt in die genannten B£ume hineinragen, oder
ob sie noch durch irgend eine Schicht miitterlichen Gewebes von
dem Inhalte der RSume getrennt werden. Natiirlich hat die Stellung
dieser Frage nur dann einen Sinn,, wenn sich herausstellt , dass uber-
haupt ein Inhalt vorhanden ist.
Bis vor wenigen Jahren wurde fast allgemein anstandslos ange-
nommen, dass sich in den Zwischenzottenraumen miitterliches Blut
befande. Die mutterliche Placenta sei eine Art Blutschwamm , in
dessen Blutraume die Chorionzotten wie Wurzeln hineintauchten , um
so in mSglichst unmittelbaren Verkehr mit der emahrenden Flussig-
keit zu treten. Es sind namentlich die Untersuchimgen von John
und WUiLiAM Hunter, E. H. Weber, Owen, J. B^m, J. Goodsir,
Schr5der van der Kolk, Virchow, KSlliker, A. Farre, Ercolani,
RoMiTi, Leopold, Langhans, Turner, Winkler, Hennig u. A., welche
diese Auffassung begriindet und vertreten haben. Ich mochte an
dieser Stelle von eingehenden Anfiihrungen der betreffenden Abhand-
lungen absehen und verweise hier besonders auf die Arbeiten
Turner's: Observations on the structure of the human placenta,
The Journal of anatomy and physiology. Vol. VII. p. 120. 1873
— Lectures on the anatomy of the placenta, Edinburgh 1876 —
Some general observations on the placenta with special reference on
the theory of evolution, Joum. of anat. and pliysiol. XI. 1877, und
84 Sltzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 3. Februar.
Tapani's: SuUe condizioni uteroplacentari della vita fetale, Firenze 1886.,
worin die wichtigste Literatur verzeichnet steht.
Zu Anfitng der dreissiger Jahre dieses Jahrhunderts ^vurden schon
Stimmen laut — ich fiihre unter Anderen Robert Lee, Velpeau und
Seiler an — , welche sich gegen den Eintritt des miitterlichen Blutes
in die Zwischenzottenranme aussprachen , sie fanden indessen weniger
Beachtung. In neuerer Zeit trat dann wieder Braxton Hicks (Some
remarks on the anatomy of the human placenta, Journ. of anatomy
and physiology VI. 1872 p. 405, und The anatomy of the human
placenta, Obstetr. Transact. XIV. 1873 p. 49) in gleichem Sinne auf.
Er behauptet bei sorgfilltiger Untersuchung einer grossen Menge von
Placenten verschiedener Entwickelungsstufen fast niemals Blut zwischen
den Zotten gefunden zu haben, und wenn er Spuren von Blut dort
fand, war ihm die M5glichkeit nicht ausgeschlossen , dass dasselbe in
Folge von Verletzungen , Druck imd ahnlichen Ursachen kiinstlich
dorthin gelangt sei.
Nachfolgende Forscher sind zwar wieder fur die urspriingliche
Ansicht eingetreten, immerhin scheint die Angelegenheit noch nicht
endgultig entschieden, wie zwei Veroflfentlichungen neuester Zeit von
K. RuGE und Sedgwick Minot darthun.
K. RuGE (»Die EihuUen des in der Geburt befindlichen Utenis.
Bemerkungen fiber den Ort und die Art der Ernahrung des Kindes
in demselben* in: 'Der schwangere und kreissende Uteiiis, Beitrage
zur Anatomic und Physiologic der Geburtskunde', von K. Schroeder,
Bonn 1886, S. 116) bespricht zunachst eingehend die Erwagungen,
welche gegen das normale Str5men von Blut zwischen den Zotten
vorgebracht worden sind. Es sei zwar haufig Blut daselbst zu finden,
indessen k5nne das aus zerrissenen Zottenge^sen stammen. Auch
der von Leopold gezeichnete, von Langhans beschriebene Gefilss-
zusammenhang der Serotina mit einem Zwischenzottenraum sei noch
nicht beweisend. Es k5nne sich hier um kindliche Gefasse handeln,
da RuGE durch seine von der Nabelvene aus gemachten Injectionen
nachgewiesen hat, dass kindliche Gefasse in das mutterliche Placentar-
gewebe eindringen. Es seien ferner die Injectionen vom Gefasssystem
der Mutter her, so wie die Art des Uberganges der mutterlichen
Gefasse in die Zwischenzottenranme^ noch nicht genau genug be-
schrieben worden, um jeden Zweifel auszuschliessen. Ruge laugnet
nicht die besonders von Virchow und Kolliker hervorgehobene
Thatsache, dass man fast regehnassig Zotten in das unzweifelhatt
mfitterliches Blut fuhrende placentale Randgefass hineinragen sehe,
dass durch die hiermit bedingten Lucken Blut heraustreten und
von da aus in die Zwischenzottenranme verfolgt werden konne. Er
Waldeyer: Uber den Placentarkreislaiif des Menschen. 85
sagt indessen: »Es ist mir nicht moglich gewesen mich von einem
physiologischen , der Circulation dienenden Vorgange zu liberzeugen.
Zweierlei habe ich nur gesehen: einmal das allmahliche Durchwachsen
der Zotten durch die Gefasswand am Rando der Placenta (uberall
wo Zotten wachsen, sind dieselben Vorgange moglich und vorhanden);
aber sie verstopfen das eigene Loch mit ihrem Korper, also die
Usur, und zweitens die Extravasation in Folge starker Stauungen,
die Ruptur: erstere bildet sich in der Schwangerschaft langsam aus,
letztere entsteht erst wahrend der Geburt. Geordnete Wege einer
Blutcirculation giebt es nicht: die Moglichkeit, dass die entschieden
oft grosse Flussigkeitsmenge , die man theoretisch in den Zwivschen-
zottenr&umen annehmen muss — die ja auch Blut sein kann — durch
usurirte Offnungen in miitterliche Ge^sbahnen abfliesst, dass sozu-
nennende »Nothausgange« vorhanden sind, diese, Moglichkeit ist nicht
zu bezweifebi. Es ist zwischen miitterlichem und kindlichem Gewebe
ein uberaus reger Verkehr anzunehmen, aber von einer geregelten
Blutcirculation, ohne welche die physiologische Emahrung des
Kindes, der Stoffwechsel, hier nicht gedacht werden kann, ist sicher
nach meiner Uberzeugung, die auf Grund von vielen Untersuchungen
entstanden, nicht die Rede «. Und weiterhin, S. 128, heisst es: »Die
Frage ilber die Bedeutung der intervillosen Raume ist meiner Meinung
nach mindestens eine offene, noch nicht entschiedene«.
RuGE hat nun weiterhin sehr wichtige Befunde mitgetheilt, die
auch bei dem Fehlen eines intervillosen miittorlichen Kreislaufs die
Ernahrung des Foetus von Seiten der Mutter erklaren konnten. Er
findet namlich eine viel ausgedelmtere Verwachsung von Zotten mit
der oberflachlichen Deciduaschicht, als ))islang angenommen worden
war, und sah an vielen Praeparaten von Placenten, die von der Nabel-
vene aus injicirt worden waren, dass sich zahlreiche kindliche Ge-
^se in das miitterliche Gewebe einsenken und dort ein Capillarnetz
bilden. Hier ware also der foetale Ernahrungsheerd zu suchen und
nicht in einem intervillosen Kreislaufe.
Ch. Sedgwick Minot sagt in einer kurzen Besprechung der Ruge-
schen Arbeit (Anatomischer Anzeiger, i. Januar 1887 P- ^0? dass er
sich hinsichtlich der Ansicht, es sei der Beweis eines miitterlichen
Kreislaufes in den intervillosen Raumen noch zu liefem, Ruge an-
schliesse.
Auch Ahlfeld (Berichte und Arbeiten aus der geburtshiilflich-
gynakologischen Klinik zu Giessen, Leipzig, 1883) ist, wie ich bei
Ruge lese, als Anhanger der Meinimg anzusehen, dass in den inter-
villosen Raumen normal kein Blut sich befinde. Hierbei muss ich
nun in Kiirze noch einer anderen Ansicht gedenken, die wesentlich
86 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. Febniar.
wohl durch Ercolani's Arbeiten gezeitigt worden ist, wenn Ercolani
selber sie auch nicht in dem hier zu nennenden Sinne aussprach.
Bekannt ist das Vorkommen einer sogenannten »Uterinmilch« bei
Wiederkauem. Es ist diese Fliissigkeit in neuerer Zeit besonders
durcb Bonnet untersucht worden und Tafani raumt ihr eine grosse
Bedeutung fur die EmSiirung des Foetus ein.
VON Hoffmann (Sicherer Nachweis der sogenannten Uterinmilch
beim Menschen, Zeitschrift fiir Geburtshulfe und Gynakologie VIII.
p. 258, 1882) und Ahlfeld a. a 0. woUen eine ahnliche Flussigkeit
nun auch beim Menschen aus der Placenta gewonnen haben. Dieselbe
soil von den Serotinazellen aus secemirt werden; die intervillosen
Raume waren nach von Hoffmann als Intercellularraume au&ufassen,
in welchen sich die Uterinmilch sammele, die nun ihrerseits wieder
von den Zotten aufgesaugt wurde. Spater freilich komme es auch
zu einer Ruptur imd Usur der benachbarten mutterlichen Capillar-
gefasse, und mische sich dann zur Uterinmilch auch noch Blut
hinzu. Nach dieser Meinung wurden also ebenfalls die intervillSsen
Raume, wenigstens ihrer Entstehung nach, nicht als BlutrHume auf-
zufassen sein.
Ich glaube nun einen Beitrag zur L5sung der vorstehend be-
sprochenen Fragen geben zu kSnnen, indem ich fiinf F&lle genau zu
bearbeiten Gelegenheit hatte, in denen Placenten verschiedenen Alters
in ihrer Lage in der GebSrmutter, ohne voraufgegangene Entbindungs-,
bez. Losungsversuche , zur Beobachtung kamen. Bei dem ersten
Falle, den ich in Strassburg zu Gesicht bekam, und dessen Obduction
mir meine Collegen Gusserow und von Recklinghausen fieundlichst
uberliessen, handelte es sich um eine bereits vorgeruckte Schwanger-
schaft (7 bis 8 Monat). Ich habe die LeichenSffnung mit aller Vorsicht
ausge^hrt, imi jeglichen Druck auf die Gebftrmutter zu vermeiden
und habe dann letztere — nach Unterbindung der Arteriae femorales
— in ihrer Lage von dem unteren Ende der Bauchaorta aus mit
blauer Leimmasse eingespritzt. Es wurde dabei nur ein sehr geringer
Druck angewendet. Die Masse hatte Gelegenheit nach verschiedenen
Seiten durch die ubrigen Aste der A. Hypogastrica und Iliaca externa
zu entweichen, und wurde die Einspritzimg absichtUch auch nur bis
zur halben Fullung der Gefasse getrieben, und unterbrochen , bevor
die Uterinwandungen deutlich blau erschienen. Die G^barmutter
wurde dann bis zur volligen Erstarrung der Masse in der Leiche
belassen und spater im Ganzen in 80 bis 90 Procent Weingeist er-
hftrtet. Durchschnitte ergaben eine fast voUst&ndige Fullung der
ZwischenzottenrHume des Mutterkuchens , wfihrend die Gefasse der
Decidua vera imd der Gebarmutterwandungen h5chstens zur H&lfte
J
Waldeykr: Uber den Placentarkreislauf des Menschen. 87
gefaUt erschienen, so dass ein auffallender Abstand zwischen dem
Aussehen der Placentarstelle und den iibrigen Tlieilen in die Augen
trat. Die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung werde ich
spater im Zusammenhange schildern.
Einen zweiten Fall, den ich in ahnlicher Weise behandelte, bekam
ich 1885 in Berlin zugestellt. Der Grosse der Frucht nach handelte
es sich um eine Schwangerschaft aus dem Anfange des fiinften
Monates. Ich entfemte hier aus besonderen Grunden — da ich die
Leiche nur kurze Zeit in der anatomischen Anstalt behalten konnte —
die Gebarmutter nebst ihren Anhangen und der Scheide aus dem
Becken und fallte die Gefasse von der einen Uterinarterie aus mit
blauem Leim in vorsichtigster Weise, bis sich die betreffende Gebax-
mutterhalfte deutlich zu blauen begann. Die Einspritzung gelang
schnell und leicht ohne jede Storung. Ich liess die Masse erstarren,
bevor ich das Organ in Weingeist legte, den ich allmahlich von
75 Procent auf 95 Procent verstarkte. So erhielt ich die gesammte
GebSrmutter vollkommen schnittfilhig erhartet. Auch hier zeigte
sich, obwohl die Fiillung der UteringefiLsse — Arterien, Haargefasse
und Venen — eine weit voUstandigere war, als im ersten Falle,
namentlich war der Halstheil fast vollkommen injicirt, eine auch dem
blossen Auge sehr auffallige starke Fiillxmg des Kuchens in dessen
Zwischenzottenraumen imd dem Randsinus.
Bei zwei anderen Fallen (1884) liess ich die Leichen ohne ErSflf-
nung der Bauchhohle imd ohne vorgangige Einspritzung gefrieren imd
verwendete dieselben zu Schnittpraeparaten. Ich habe diese Falle an
einem anderen Orte* genauer beschrieben und werde hier nur in Kurze
liber den miki'oskopischen Befund des Mutterkuchens zu berichten
haben. Im fonften Falle, einer etwa siebenmonatlichen Schwanger-
schaft entsprechend , habe ich nach Eroffnung der Bauchhohle den
Rumpf im Granzen in Weingeist harten lassen, um daran ein Uber-
sichtspraeparat von der Lage der schwangeren Gebarmutter und von
der Lage der Frucht innerhalb derselben far unsere Sammlxmg her-
zustellen Auch hier ist nur uber die mikroskopische Untersuchimg
des Inhaltes der Zwischenzottenraume Aufschluss zu geben.
Man moge die genaue Schilderung des Untersuchungsverfahrens
bei den genannten Fallen damit entschuldigen ^ dass ich jedem Ein-
wande, als hatte etwa auf kunstlichem Wege Blut in die Zwischen-
zottenraume hineingelangen konnen, oder es wSre die Injection nicht
mit der geniigenden Vorsicht ausgefiihrt worden, nach MSglichkeit
^ Medianschnitt einer Hochschwangeren bei Steisslage des Foetus nebst Bemer-
kiingen fiber die Lage- und Formverhaltnisse des Uterus gravidus nach Langs- und
Querschnitten. Bonn 1886.
88 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe voin 3. Febniar.
begegiien wollte. Ich verfiige ausserdem noch iiber zahlreiche Unter-
suchungen von Abortiv- oder reifen Entbindungsplacenten, doch be-
riicksichtige ich deren Ergebnisse hier nicht, da offenbar die Frage
nach dem Inhalte der Zwischenzottenraume , welchen letztere wahrend
des Lebens fiihren, nur an Placenten entschieden werden kann, die
nicht aus ilirer Lage entfemt wurden und fiir welch e eine Geburts-
thatigkeit ausgeschlossen werden muss.
Besonders wichtig erscheinen mir die Gefrierpraeparate. Zeigt
sich in solchen in den Zwischenzottenraumen regelmassig Bhit, so
darf wohl angenommen werden, dass dasselbe auch wahrend des
Lebens in ihnen enthalten war und auch in ihnen ki*eiste, und dar-
auf kommt es ja an. Allerdings wird ja das Blut durch Gefrieren
in seinen korperlichen Bestandtheilen nicht wenig verandert, jedoch
vermag man noch leicht zu erkennen, ob man es mit Blut zu thun
hatte , oder nicht. So war ich denn im Stande , an den in ihrer Lage
gefrorenen und erharteten Placenten in den Zwischenzottenraumen fast
liberall mit Sicherheit Blut nachzuweisen. So viel ich weiss, ist die
Sache von dieser Seite her noch nicht in Angriff genommcn worden.
Ich glaube aber, dass dieser Befund eine starke Stiitze fiir die An-
nahme derer ist, welche das miitterliche Blut wahrend des Lebens in
den Zwischenzottenraumen kreisen lassen.
Nicht weniger wichtig erscheinen mir die Ergebnisse der Unter-
suchung bei den injicirten Placenten. Nach dem vorhin Berichteten
glaube ich nicht, dass man den Einwand einer Gefasszerreissung und
kiinstlichen Eintreibung der Einspritzungsmasse in die Zwischenzotten-
raimie wird im Ernste erheben koimen. Aber auch der weitere
mikroskopische Befimd, den ich an vielen Hunderten von Schnitten
aus den gedachten beiden Placenten festzustellen vermochte, l&sst
wohl den Gedanken an einen nicht naturgemassen Zusammenhang
zwischen den miitterlichen Blutgefessen xmd den Zwischenzottenraumen
ausschliessen.
Sehr schon traten bei beiden Placenten die stark gewundenen
uteroplacentaren Arterien auf, welche als die fiir die Placenta
bestimmten, zufiihrenden mutterlichen Geftsse gelten mussen (curling
arteries der Englander). Die Windungen derselben sind so zahlreich
und eng aneinander liegend, dass man an einem Schnitte auf einer Flache
von ungefahr 5 bis 6'*"'°' ein und dasselbe Ge^s bis zu 15 bis 20 mal
angeschnitten treffen kann. Diese Arterien sind ferner so stark, dass
sie mit blossem Auge leicht gesehen werden k5nnen und also * solche
Stellen in ungemein bezeichnender Weise scharf hen^ortreten. Schon
der Umstand, dass m ziemlich regelmassigen Abstanden derartige
Arterien bis hart an die intervillSsen Raume herantreten imd zwar
Waldeyer: Uber den Placentarkreislauf des Menschen. 89
— das mSchte ich besonders betonen — ohne an das von ihnen
durchsetzte Decidualgewebe irgend eine nennenswerthe Zahl von Seiten-
asten abzugeben, fiihrt zu der Annahme, dass diese Arterien nicht
for die innersten Uterinwandungs - Schichten oder fur die Serotina-
schichten bestimmt sind , sondern zu weiter einwftrts gelegenen Theilen
hinstreben, und das konnen nur die Zwischenzottenrslume sein. So
lange wir bei der Durchmusterung der Schnitte in der Muskelwand
des Uterus xms befinden, gewahren wir das gewohnliche Verhalten.
Wir sehen von den dort getroflfenen Arterien reichlich Seiten^ste
abgehen, wir begegnen deren feineren Verzweigungen und deren
Ubergange in Capillaren. An den gewundenen uteroplacentaren , wie
gesagt, auffallend starken Asten indessen sehen wir nur wenige Seiten-
zweige, so dass der Unterschied sehr auffallend ist. Auch im Deci-
dualgewebe ist dasselbe Verhalten zu bemerken; nur wenige feinere
Arterienaste und Capillaren traten hier bei den beiden von mir ein-
gespritzten Placenten hervor, man sah dagegen die auffallenden Win-
dungen der gedachten Arterien in gleichbleibender StSrke bis zu den
Zwischenzottenraiunen vordringen. Der Unterschied ist so augenfallig,
dass Jeder, der solche Praeparate gesehen hat, kaum zweifeln kann,
dass er es hier mit den zu den Zwischenzottenrfiumen gehenden Arte-
rien zu thun hat. Ich verweise in dieser Beziehung auch auf die
Ergebnisse der schonen TuRNER'schen Untersuchungen.
Aber man beobachtet nun an Reihenschnitten auch haufig den
unmittelbaren Ubergang der genannten Arterien in die Zwischenzotten-
rSume. Derselbe vollzieht sich, wenn ich das Gesehene richtig deute,
in folgender Weise.
Wahrend die Arterien noch innerhalb der Muskelwand der
Gebarmutter verlaufen, ist ihre Wandung schon nicht stark. Ich
bemerke hier, dass ich h&ufig grosse helle Raume um die Arterien
fand, welche niemals mit Injectionsmasse geftillt waren. Sie umgaben
die Arterien meist zur Halfte und mehr, eine ringfcrmige Umscheidung
habe ich indessen nicht beobachtet. Ich halte diese Raume for
perivasculare Lymphraume, bin aber noch nicht in der Lage gewesen,
dies durch Einspritzungen festzustellen.
Je mehr die Arterien sich dem Decidualgewebe nfthem, desto
schwacher werden ihre Wandungen; schliesslich sind dieselben auf
eine Lage platter Zellen beschr^nkt, an welche unmittelbar die Decidua-
zeUen angrenzen.^ Letzteres ist mm nicht mit einem Schlage an dem
vollen Umfange des Gefasses der Fall, sondern tritt erst theilweise
* Vergl. hieruber auch: de Sinety, Archives de Physiologic normale et patho-
logique, 1876.
Sitzungsberichte 1887. 9
90 Sitziing der physikalisch - inathematischen Classe vom 3. Februar.
auf, wahrend man an anderen Umfangsbezirken noch einzelne Kreis-
fasem sieht, die das Endothellager von den Deciduazellen trennen.
Man sieht hier sowohl die kleineren Formen der genannten Zellen,
als auch die grosseren FRiEDLANDER'schen Deciduazellen. Man kann
nun fragen, ist denn das noch eine Arterie zu nennen? Dem Baue
nach sicherlicli nicht; aber es muss doch bemerkt werden, dass,
wenn man einen der genannten Windungszuge verfolgt, bei welchem die
Zusammengehorigkeit der einzelnen im Schnitte getroffenen Stucke
nicht zweifelhaft sein kann, man sieht, dass die den Zwischenzotten-
raumen nachsten Windmigen schon den geschilderten Bau von ein-
fachen Endothelroliren haben und doch unmittelbar — nicht durch
Verastelung — aus einem deutlich als solches erkennbaren arteriellen
Gefilsse hervorgegangen sind. Es liegen hier eben ganz besondere
Verhaltnisse vor. An einer letzten Windung nun — ich habe Bilder
vor Auge, wobei diese Windimgen quer getroffen sind, wie man das
meistentheils sieht, ohnehin ist eine bestimmte Richtimg der Gefasse
"schwer anzugeben — bemerkt man, wie von der einen Seite, der
Uterinseite, noch eine klare abgerundete Begrenzung vorhanden ist,
wahrend nach der Placentarseite hin diese verloren scheint und die
Zotten in die Injectionsmasse hineinragen, mit anderen Wort^n: die
Gefasslichtung in die Zwischenzottenraume ubergeht. Ich gedenke
an einem anderen Orte, an welchem ich noch auf weitere Punkte in
der Anatomic des Mutterkuchens zu sprechen kommen werde, diese
Verhaltnisse durch Abbildungen naher zu erlautern und anschaulich
zu machen. Hier will ich nur noch bemerken, dass ich an den
beiden injicirten Placenten die Verhaltnisse ganz gleich gefimden habe.
Die Deciduazellen, welche an der Uterinseite das betreffende GefUss
noch umranden, sind naturlich an der Placentarseite nicht zu sehen;
sie werden hier von den Zotten durchbrochen, die in die Gefasslichtung,
bez. Injectionsmasse hineinragen. Ich glaube kaum, dass man hier,
wo an alien Praeparaten dieselben Verhaltnisse wiederkehren , von
kunstlich geschaffenen Dingen reden kann.
Bei den Venen liegt der Sachverhalt etwas anders. Schon tief
in der muskulosen Uterinwand erscheinen sie auf Schnitten wie grosse
injicirte Spalten, mit Endothelbelag. So treten sie an die Serotina-
schicht heran ohne Windungen zu machen; man sieht sie vielmehr
der decidualen Flache des Uterus parallel verlaufen, oft auf lange
Strecken und ganz allmahlich zur eigentlichen Placentargrenze, d. h.
zu den Zwischenzottenraumen, aufsteigen. Beim Ubergange ihrer
Lichtimg in die letzteren zeigt sich die Uterinseite der Venen meist
nicht von so zahlreichen Deciduazellen umgeben, sondem wird, ab-
gesehen vom Endothel, von der Muskelwand des Uterus begrenzt;
Waldeyer: Uber den Placentarkreislauf des Menschen. 91
in die andere, die Placentarseite, ragen die Zotten anscheinend offen
hinein, so dass die Venenlichtung zwischen den yorragenden Zotten
in die Zwischenzottenraume ubergeht. Da, wo die getroffene Venen-
lichtung — denken wir sie uns cylindi'isch , die eine Langseite als
Uterin-, die andere Langseite als Placentarseite — zwischen den beiden
Langseiten im Schnitte der Quere nach abgegrenzt erscheint, wird
diese Abgrenzung durch spornartig gegen die Zotten hin vorragende
Balken von Decidualgewebe bewirkt, mit denen man ab und zu Haft-
wnrzeln der Zotten in Verbindung treten sieht. Die Beschreibung,
welche Turner von der Eroffhung der Venen in die Zwischenzotten-
raume gegeben hat, lauft wohl auf dasselbe hinaus.
An den beiden eingespritzten Placenten fand ich auch stets den
Randsinus mit der Injectionsmasse gefiillt und konnte dessen Ver-
bindung sowohl mit Zwischenzottenraumen, als auch mit Uterinvenen
feststellen.
Nach diesen Befiinden besteht fiir mich kein Zweifel, dass die
Zwischenzottenraume des Mutterkuchens in der That Blutraume sind,
die mit den miitterlichen Ge^sen, Arterien wie Venen, in regel-
massiger, ganz eigenartiger Verbindung stehen und in denen wahrend
des Lebens miitterliches Blut kreist.
Ich habe mich an den betreflfenden Praeparaten auch naeh
etwaigem anderen Inhalte der Zwischenzottenraume imigesehen, will
aber hier nur kurz bemerken, dass ich sichere Spuren einer als Uterin-
milch zu bezeichnenden Fliissigkeit nicht aufgefunden habe.
Was die zweite der gestellten Fragen anlangt, ob die foetalen
Zotten nackt in die intervillosen Raume hineinragen, oder ob die-
selben noch durch irgend eine Schieht miitterlichen Gewebes vom
Blute der Mutter getrennt sind — ich lasse hier das sogenannte
Zottenepithel, welches ich mit Kastschenko^ u. A. fiir foetales Ge-
webe erachte, ausser Acht — so mochte ich dariiber Nachstehendes
beibringen.
KiwiscH und ViRCHOw^ sind der Meinung, dass die Zotten nackt
in die miitterlichen Blutraume — als solche darf ich wohl fur meinen
Theil die intervill5sen Raume nunmehr bezeichnen — hineinragen.
Mit anderen Worten heisst das: das Zottengewebe , so weit es foetalen
Ursprunges ist, wird unmittelbar vom miitterlichen Blute bespiilt,
ohne dass eine miitterliche Gewebsschicht sich dazwischen schiebt.
Oder wir k5nnen auch, dieser Meinung anhangend, sagen: die miitter-
* Das menschliche Chorionepithel und dessen Rolle bei der Histogenese der
Placenta. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abth. 1885 S. 451., s. hier auch die betref-
fende Literatur.
^ Uber die Bildung der Placenta. Gesammelte Abhandlungen. S. 779.
92 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 3. Febriiar.
lichen GefUsse verlieren bei der ErSfl&iung in die intervill6sen Raume
auch nocii ihr Endothel.
Dieser Auffassung schliessen sieh unter Anderen an : Hennig
(ziun Theil), Kolliker, Langhans und Turner (fiir die Affenplaeenta).
Im Gegensatze dazu behaupten Goodsir, E. H. Weber, Winkler,
Ercolani, Romiti. Tafani, Colucci* u. a., dass eine diinne Haut, die
Endothelmembran der miitterlichen Geftlsse, in den intervillosen Raumen
erhalten bleibe, letztere also als erweitert^ grosse Capillaren der Mutter
anzusehen seien, deren Wande von den vorwachsenden Zotten nur
in der mannigfachsten Weise eingestiilpt wllren. Robin hat die Sache
so dargestellt, als ob bereits vor dem Vorwuchem der Zotten die
miitterliehen Haargeftsse sich stark erweiterten , nnd Colucci berichtet
in jungster Zeit dasselbe. Es fragt sich nur, ob die vorwuchemden
Zotten die Wande dieser Capillaren durchbrechen , oder nur vor sich
herschieben.
Ich sehe mich nach den Ergebnissen meiner Praeparate veran-
lasst, dieser letzteren Ansicht beizupflichten. Wenigstens konnte ich
an vielen Stellen meiner von den eingespritzten Placenten gewonnenen
Schnitte wahmehmen, dass an denjenigen Orten, wo die Injections-
masse sich ein wenig von der Zottenoberflache zuruckgezogen hatte,
stets eine scharfe Begrenzung der Masse gegen die Zotten hin vor-
handen war. Und nicht selten liess sich feststellen, dass diese Be-
grehzungslinie von platten Zellen gebildet wurde. Diese platten Zellen,
neben denen das Zottenepithel auch v6llig deutlich zu sehen war,
konnten, ihrem Verhalten nach, sehr wohl als Gefassendothelien
gelten und mSchte ich sie auch als solche auffassen.
R. ViRCHOw vergleicht das Hineinragen der Zotten in die inter-
villOsen Blutraume mit dem Hineinragen der Arachnoidealzotten in
die Blutsinus der Dura mater. Ich m5chte diesem Vergleiche vollauf
zustimmen, bemerke indessen, dass derselbe auch zu Gunsten der von
mir getheilten Ansicht verwerthet werden kann. Denn nach den
Untersuchungen von Axel Key imd Retzius, welche ich in einer mit
Dr. Fr. Fischer in Strassburg gemeinsam unternommenen Bearbeitung
dieses Gegenstandes durchweg bestatigen konnte^, durchbohren die
Arachnoidealzotten nicht die Wand der Sinus, sondern stQlpen deren
Endothelbelag nur vor sich her, ganz in derselben Weise, wie ich
das auch far die miitterlichen Placentarsinus annehmen muss.
^ Di alcuni niiovi dati di stnittura della placenta umana. Napoli i886.
^ Beitrage zur Kenntniss der Lymphbahnen des Central-Nervensystems. Archiv
f. mikrosk. Anat. XVII, S. 362, und Fr. Fischer, Untersuchungen flber die Lymph-
bahnen des Central-Nervensystems. Inaugural -Abhdlg., Bonn 1879.
Waldeykr: Uber den Placentarkreislauf des Menschen. 93
Uber die von K. Ruge beschriebenen Ubertritte foetaler Geiasse
in miitterliches Gewebe vermag ich zur Zeit nichts auszusagen, da
ich an den beschriebenen Objecten, um jeden Eingriff, der die Placenta
hatte beruhren konnen, zu vermeiden, eine Injection der Nabelgefasse
nicht vorgenommen hatte. Seit der Veroffentlichung der RuGE'schen
Arbeit habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, solche Einspritzungen
zu machen. Jedenfalls liegt in den RuGE'schen Angaben eine wesent-
liche Bereicherung unserer Kenntnisse der Verbindung zwischen Mutter
und Frucht.
Ausgegeben am 10. Febiniar.
95
1887.
vn.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOnkjlich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
3. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Curtius.
1 . Hr. KiEPERT berichtete unter Vorlegung einer von ihm aufge-
nommenen Kartenskizze iiber die von ihm im October v. J. in der
XJmgegend von Smyi'na gemachten Routen und uber die Entdeckung
der Ruinen von Kolophon durch Hrn. Dr. Schuchardt.
2. Hr. DiLLMANN legte vor bilingue Inschriften aus Cypern,
mitgetheilt von Hrn. Euting.
Die Mittheilung erfolgt in einem der nachsten Sitzungsberichte.
3. Hr. Curtius legte vor den von Hrn. Prof. MacHHOEFER ein-
gesandten Bericht fiber seine Funde in Lamptrai und anderen Demen
der attischen Mesogaia mit den dazu gehorigen Zeichnimgen des Hrn.
Dr. Winter.
Ausgegeben am 10. Februar.
Berlin, gedrackt ia der ReicbsdruckereL
SITZUNGSBERICHTE
\)7
1887.
YIU.
DER
KONKJLini PREUSSISCIIEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN
10. Februar. Gesammtsitzung.
Voi'sitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. FucHS las fiber die Umkehrung von Functioneii
zweier Veranderlichen. Die Mittlieilung folgt urastehend.
2. Hr. CoNZE erstattete unter Vorlage zahli*eicher Aiifnahmen
ausftihrlichen Bericht uber die im vorigen Sommer mit Unterstutzung
der Akademie von den HH. Baurath Graber und Dr. Schuchardt aus-
gefiihrte Untersuchung der Anlagen fiir die Wasserversorgung
von Pergamon, und meldete eine Abhandlung der gonannten Hen-en
uber den Gegenstand an, deren Drucklegung vorbehalten wurde.
3. Hr. A. KiRCHHOFF uberreichte eine vierte umgearbeitete Auflage
seiner »Studien ziir Geschielite des grlecliischen Alphabets*, und«Hr.
Weber das Werk des Hrn. Prof. A. van der Linde in Wiesbaden:
• Geschielite der Erfindung der Buchdi'uckerkunst« . Ferner hat Hr.
Director Dr. A. B. Meyer in Dresden einen gedmckten Bericht uber
die mit Unterstutzung der Akademie im Obergailthal in Karnthen durch
Hrn. F. 0. Keller ausgefuhrten Untersuchungen eingesendet, und di(*
Verlagsbuchhandlung das von der Akademie unterstutzte Werk des
Hrn. Prof, von Pflugk-Harttung m Basel: »Specimina selecta char-
tarum Pontificum Romanorum«.
4. Die philosophisch-historische Classe hat zur Unterstutzung der
Veroffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten folgende Bewilligungen
gemacht: von 600 3Iark an Hrn. Dr. H. Winkler in Breslau zui
Herausgabe seiner Arbeiten liber das Ural-Altaische, und von 360 Mark
SitzuiigjilKM'iclite 1887. 10
98 Gesammtsitzung voin 10. February
an die (t. Reimer'sche Buchhandlung hierselbst zur Herausgabe des
Doppelheftes 4 — 5 der »Etruskischen Spiegel «.
5. Die Akademie hat in ihrer Sitzung am 9. December v. J. die
HeiTen: Dr. Max Lehmann, Kgl. Archivrath und Professor der Geschichte
an der Kriegsakademie, Dr. Eduard Sachau, Professor der orientalischen
Sprachen, Dr. Gustav Schmoller, Pi*ofessor der NationalSkonomie,
und Dr. Julius Weizsacker, Professor der mittelalterlichen Gescliichte,
sammtlich an der hiesigen Universit&t, und in ilirer Sitzung am
6. Januar d. J. Hrn. Dr. Wilhelm Du^they, Professor der Philosophie
an der liiesigen Universitat, zu oi-dentlichen Mitgliedeni ihrer philo-
sophisch - historischen Classe gewahlt. Die AUerhSchste Best&tigung
dieser Wahlen ist unter dem 24. v. Mts. erfolgt.
0. In der heutigen Sitzung sind die HeiTen: Geh. Reg. Rath
Dr. Eduard Schonfeld, Professor der Astronomie an der Universitat
Bonn und Director der Sternwarte daselbst, und Dr. Adalbert Krueger,
Professor der Astronomie und Director der Sternwarte der Universitat
Kiel, zu coiTespondirenden Mitgliedern der physikalisch-mathematischen
Classe gewahlt.
7. Desgleichen ist Hr. Prof. Dr. Karl Zangemeister, Oberbiblio-
thekar der Universitatsbibliothek zu Heidelberg, zum correspondirenden
Mitglied der philosophisch- historischen Classe gewahlt.
8. Hr. W. Henzen in Rom, CoiTespondent der philosophisch-
historischen Classe, ist am 26. v. Mts. verstorben.
99
Uber die Umkehrung von Puinptionen zweier
Veranderlichen.
Von L. FucHs.
In einer in den Abliandlungen der Koniglichen Gesellscliaft der Wissen-
schaften zu Grottingen* ver5ffentlichten Arbeit habe ich Differential-
gleichungen der Form
— - ^ = du^
betrachtet, und, unter der Voraussetzung , dass y, , t/?, gegebene Func-
tionen der Variablen z^ , und y^ , w^ die Werthe derselben Functionen
far eine Variable z^ sind, die Bedingungen zu ermitteln gesuelit, unttT
welchen z^ + z^ mid ZiZ^ eindeutige Functionen von i/, , ^/j werden.
Im Folgenden beschaftige ich mich mit denselben Gleichungen (ex)
unter einem von dem fruheren verschiedenen Gesichtspunkte. Ich setze
namlich voi'aus, dass ^, , z^ gegebene Functionen von v^ , n^ sind, und
behandele zunSchst die Frage, wie dieselben zu wahlen sind, damit
y, , w^ blosse Functionen der Variablen ^, , y^^ ^2 ^^^^ blosse Functionen
von z^ werden. p]s ergiebt sich als die allgemeinste Losung dieses.
Problems, dass 2^,, z^ willkiirliche Functionen sein miissen, die erstere
einer Variablen ^^ , die andere einer Variablen ^ , und dass ^^ , 4 den
Diflferentialgleichungen
(^)
2 H <j -5— = o
+ Si -^— = o
zu geniigen haben.
Hierauf werden die Fimctionen ^, , z^ von v^^u^, fiir welch e
y, , w^ blosse Functionen von z^ , und y^ , w^ blosse Functionen von z^
werden , noch der Bedingung unterworfen , dass z^ + z^, und z^ z^
* 8. .lannar 1881.
10*
loo Gesammtsitzung vom 10. Feliniar.
iiinerhalb bestiinmter Gehiete 2, . Sj der Variablen ?/, , u^ eindeutige
Functionon dieser Variablen seien. leh werde liierdurch auf einom
neuen Wege zu dem Fundamental tlieorem geftihrt, welches ieh in
meiner oben eitirten, Arbeit in den Abliandlungen der Koniglichen
Gesellschaft dor Wisseiisctiaften zu Gottingen Nr. 4 Gleichung (C), ge-
ji^eben, und nus welchem ieh in Nr. 8 mid Nr. q derselben Arbeit die
Folgerung gezogen habe, dass z sieh derart als zweiwertliige Function
einer Variablen ^ darstellen lasse, dass hierdurch die Gleichungen (ot)
in die Form
ubergeben. wo 4?^(^ ein(* eindeutige Function der Variablen ^ bedeutet.
Ieh seliliesse an diese Untersuehung eine Bemerkung, welche
zum Zweeke hat, das Gebiet der Variablen <^, innerhalb dessen die
Functionen z und ^(<^) dieser Veranderliehen bez. zwei- und einwerthig
sein mussen. naher zu bestimmen.
1.
Es mr>g(»n zwlschen den veranderliehen Grossen c, , r. ,?/,, 7/3 die
Gleichuiig:en
2
y^
bestehen.
Alls denselben ergeben sieh die identiseheii Gleichungc^n
I I ?c.
(B)
I I 3c^,
I
1 'dz
^2
A 8w
1
1 3c,
IC^
A 3?/,
8^,
3^2
??/2
3?/,
wenn wir
. , 3^, 3c
(i) A-. -^
C'7/, C)?/,
setzen.
Sind c, , ^2 bestimmte Functionen von ?/, ,?/2, so werden dxu'ch
die Gleichungen (B) y^,y^, u\ , tt\ ebenfalls als bestimmte Functionen
von 7f^ , ti^ definirt. Demgemass sind y^ . w:, , y^ , u'., audi bestimmte
Functionen der Variablen c, , z^.
FucHs: I'her die UiiikeluMing von Fiinctionen zweier Vernnderlichftn. 101
Wir woUcn nunmehr z^ , z^ so als Functionen von u^ , u^ be-
stimmen, dass durcli die Gleicliungen (B) y, und u\ als blosse Func-
tionen der Variablen z^ j dage<2^en i/^ und it'^ als blosse Functionen der
Variablen z^ definirt werden.
Die nothwendige und hinreicliende Bedlngung dafiir, dass y, und tr,
blosse Functionen von c, wevden, ist das Bestelien der Gleicliungen
1 du, du^ 9v» dii,
(2) • ' r ^ '
oder. wenn wir setzen
IP-
9//, 82/3 3?/, du] di/^
; 3t/^ 82/2 3t//()?/2 3^1
3w, 3i/2 3i/2 3^2 3w,
S^-Cj 3r, 3*<C2 9-^1
3^2 3w, 9?/, 9^2 9?/2
) dWj 01/3 c)?/, 01/3 c)?/2 0?/,
9c, 9^2 r» 9^1 9^2 ^, 9j, 9^2
- = O,
I dw. c)?/. c'?/. d^/o
9?/, 9?/, 9?/, 9^/2 9^/3 9w,
Das Grossenpaar P, Q einerseits und das Gross(*npaar 72, *S ai)-
deverseits liaben die pjgenscliaft, dass sie sich mit den entgegen-
gesetzten Zeichen gegenseitig vertausclien, wenn c, mit z^ vertausdit
wird. Hieraus ergiebt sich, dass das Bestelien der (Tleidiungen (2)
oder (C) zu gleidier Zeit die nothwendige und hinreicliende Bedingung
dafiir entlialt, dass ^2 und 1/^2 blosse Functionen der Variablen c, sind.
Siiid demnacli die Gleichungen (C) erfullt, so ist
(D) ' ^' y^
u\ W^
y\'o f^(z^) und </)|(c,) blosse Functionen von r, 5/2 (^3) und </)2(c2) blosse
Functionen von z^ bedeuten.
Und wenn umgekelii't die Gleichungen (D) bestelien, so ge-
niigon c, . z^ den Gleichungen (C).
102 Gesammtsit-ziing vom 10. Febniar.
2.
Es werde jetzt vorausgesetzt , dass r, , z^ den Gleichungen (C)
genugen, und es werde
'72(^2) «^2
gesetzt, nachdem yi,3/2>^i>^2 durch die Gleichungen (B) bestimmt
worden.
Die Gleichungen (E) definiren zwei Functionen ^, , ^^ bez. von ^, , ^j,
welche als Functionen von v^,v^^ den Gleichungen (B) zufolge, die
Gleichungen
9^ + ^^91/; = ''
befriedigen.
Aus den Gleichungen (E) ergiebt sich
WO \^, , -vf/j bestimmte Functionen bez. von ^, , ^j bedeuten.
Es seien umgekehrt die beiden Functionen -2^, ^"4^, (^,) , C2 = \^.(^j)
bez, der Variablen ^,,^2 vorgeschrieben , und ^,,^2 ^Is Functionen
von t/, , i/j den Gleichungen (F) gemliss bestimmt, so werden hicrdurch
auch z^ , z^ als Functionen von u^ , v^ definirt. Fiii' diese Functionen
z^ , z^ werden y, und m?, blosse Functionen von z^ , y^ und w^j blosse
Functionen von z^.
Sind nSmlich *,(^,) , *2(^2) ^swei beliebige Functionen von z^,
boz.c,, so sind dieselben auch Functionen von c,^, bez. ^j, und es erj^iebt
sich far *,(2,), *,(c,) als Fimctionen von w, , m, nach Gh'ichuns!:en (F)
1st insbesondere
SO ergeben die Gleichungen (H)
3w, 3w
I 9//, 3i/
2
2
2
3
^.,
FucHs: Ober die Umkehrnng von Functionen iweier VerSnderlichen. 103
also
\ =
aJ, 9 J, ^^' ^'^
(B') {y, = l^ (^, -Q , y, = - Ij (^. - Q
yi y*
(F')
Aus den Gleichungen (F) ergiebt sich fetner
9w? ~ ^^' "^ ^'' 9tt, aw, ■*" ^' awj
a«, a?^, duj duj du]
M ~ ^^' "^ ^'' a«, a«, "^ ^' a«r
fill flit
Bilden wir hiernach aus (B') -7^ , ^— uiid substituii'en die Werthe
derselben, so wie die Werthe von -^ — , -k — mit Beriieksichtigung
von (J) in die Gleicliungen (2) Nr. i , so werden dieselben identisch
befidedigt, woraus hervorgeht, dass y, eine blosse Function von z^
wird. Da aber tr, = ^ , und da ^, eine blosse Function von z^ , so
folgt, dass auch w^ eine blosse Funktion von z^ darstellt. Nach Nr. i
ergiebt sich alsdann, dass auch y^ und w^ blosse Functionen von z^
werden. Hieraus ergiebt sich der S^tz:
Sind "v^it^i), "4^2(^2) willkurliche Functionen von ^,,bez. ^2,
und ^, , ^2 Functionen von u^^u^^ welche den Gleichungen (F)
Geniige leisten, so enthalten die Gleichungen
(6) • ^. = x^, (4) , z, = -^, iQ
die sammtlichen Functionenpaare z^^z^ der Variablen u^^u^^
fur welche in den Gleichungen (A) y, und «?, blosse Func-
tionen der Variablen -e, , dagegen y^ und w^ blosse Func-
tionen der Variablen z^ darstellen.
Das Functionenpaar y, , y^ so wie das Functionenpaar w^ , w^ der
Variablen w, , n^ , wie sie durch die Gleichungen (B') bestimmt werden,
genfigen den Gleichungen (H).
104 GesammtsiUiing voin 10. Febniar.
3.
Es sei
0, = >// + A
= \|/ — A
^2
?,= a-D,
SO ergiebt sich daraus, class in den Gleichungen (H) Zi,z^ an dio
Stelle von *, , *3 bez. gesetzt werden kann,
^^^ . 9A . ^ /9^// dA
^ \ 9^2 ^^^2
'^" * Y 9^3 9^2/
) 9w, 9z/, ^ y 9^2 ^^'
^'^ ^ 9n|/ 9a , fdyly 9A
9w, 9?/,
Durch Addition und Subtraction folgt aus diesen Gleichungen
94. 9a d4^
^""^ 9a ^ 9n|/ 9a
■
( ** 9^2 ' ^ 9^2 9w,
Deranach ist
(i>)
jixD £ , |Lt« e ,
wo
9a 9^/ 9a 9x|/
9m, 9w, 9mj 9m,
, 9a 9a 94/ 94/
9mi 9 m, 9m, 9mj '
Aus den Gleichungen (F) ergiebt sich ferner
da . 9a ,^ 9D
^r— + a X). - - =0 •
fT.i2u I ^^1 <^^2 ^w,
^^ ' ^ 9i) 9i) ^^ 9«
^> (- a -r^ 1) • -r. = O .
dw, 0U2 ou^
Aus den Gleichungen (D) und (B') ergiebt sich
/i v^i) = "^~ > 72 (-2^2) =^ ^:; ^
^I (^,) =^ ^. /l (^1) . </>2 (^2) ^ 4/2 (^2) •
Bezeichnen wir mit /]|. (2^^) und (/>][, (z^) bez. die Ableitungen von
fk (^k) ^^"^^ ^/i- (^A-) J^^cl^ '2^; t '"^^^ folgt durcl) die Differentiation dev
Gleichungen (B''^)
FucHs: Uber die Umkehrnng von Functionen zweier Veranderlichen. lOo
/;(^.) =
9-2^, 9w,
(3)
9w,
9w,
I
9
3^,
9tt,
9^2
^ •
I
9
9.^,
9«,
9wj
also wenn wir
(M)
setzen
<^;(^.)/,(^.) - <^.(^.)/.'(^,) = F^(^^
K
K
(4)
i^.(^,) =
I 9m, _ I 9m,
9m, 9m,
Ebenso ergiebt sich, wenn wir
(M') <|>^{^^)^^^^) -fid:.) 4>,(^,) = F,{z,)
setzen
3^, 94
(5)
^,(^.) =
I 9m,
1 OM
9'
yl 9^, - y? 9^, •
9w,
Aus (4) und (5) folgt alsdann
m.
9^.
9wj
(4-
4
-0
9^,
(4-
-L)
(N) F.(^,)/,(^,P + FAz.)Mz,y = ^^l^.^^(^^ .- 4)
4.
Es seien 2, , Sj zwei wohlbestimmte Gebiete der Ver&nderlichen
w, , Wj bez. innerhalb deren eine L6sung z^ , z^ der Gleichungen (C) existire
von der Beschaflfenheit, dass innerhalb derselben Gebiete -^ und A^
eindeutige Functionen von u^ , u^ darstellen. Aus den Gleichungen (L)
ergiebt sich, dass alsdann innerhalb derselben Gebiete die beiden
Functionen ^, , ^3 der Vaiiablen u^ , u^ existiren , und dass a und D'
ebenfalls einwerthige Functionen dieser Variablen darstellen.
Den Gebieten 2, , S^ der Variablen w, , Wj mSgen die Gebiete S, , S^
der Variablen ^, , ^^ bez. und die Gebiete T, , T^ der Variablen 2^, , z^
bez. entsprechen.
Es sei
so folgt aus der ersteren der Gleichungen (L)
YS=z ^]/R.T Oder
(2)
4
Sitzungsberichte 1887.
11
106 Gesammtsitzung vom 10. Februar.
WO
(3)
dR 94/
' du, 3mj
dRd4^
duj du.
., ;. (^^W
I (dR
Die Function T von w, , Ur^ ist innerhalb der Gebiet^ 2, , Sj dieser
Veranderliclien eindeutig. Den Gleicliungen (B') zu Folge ist
y^-'du--^
2
3^,
(4)
Daher ist , wenn man fiir z^ , z^ ilire Werthe aus (K) substituirt
also'nach Gleichung (2)
(5) ^1^2 = —f^rT\
Setzen wir diesen Werth in Gleichung (N) ein, so erhalten wir
Die Werthsysteme «/, , Wj , fiir welche die Gleichung
erfiillt wird, werden durch die Gleichung
(6) D= o
geliefert, also nach Gleichung (2) entweder durch
(7) ^ = o
Oder durch
(7') T=o.
In dem Falle, fiir welchen Gleichung (7) stattfindet, ergiebt sich
aus (K)
(8) c, = Z2
und aus den Gleichungen (4)
(8') y, = ^2 , «^i = w?^
wenigstens fiir endliche Werthe von z^ , z^.
In dem Falle, dass R von Null verschieden, dass aber die
Gleichung (7*) erfiillt ist, ergiebt sich zunachst, dass fiir die durch
diese Gleichung verbundenen Werthsysteme von w, , Wj ent-
weder^, ,<^2 vereinzelte Werthe erhalten oder die Functionen
K— ^ , 7T-^ unendlich werden, ohne dass z. , z^ einen unendlich
FucHs: Uber die Umkehning von Functionen zweier Veranderlichen. 10/
grossen constanten Wertli annehmen, und zwar sind als-
oz oz
dann tt-^* T, tt-^* T von Null verschieden.
z oz
Wenn namlich w~^ , 7^ fiir die genannten Werthsysteme von
on 2 ou^
w, , Wj endlich wai*en, so wtirde nacli Gleicliung (4) auchy, = 0,^3 = 0;
es wiirden also, wenn nicht fur dieselben Werthsysteme von w, , v^
die Gr5ssen z^ , z^ vereinzelt sind, die Function y, von z^ und die
Function 1/^ von z^ innerlialb gewisser Theile der Gebiete T, , T^ bez.
der Variablen z^ , z^ den constanten Werth Null annehmen.
So lange demnach w, , u^ sich unabhangig von einander andern,
wird die Gleichung (P) nur befriedigt, entweder fur solche verein-
zelte Werthsysteme z^ ^ z^, fuv welche /, (^,) = oo,/2(^j) = oo, <^(^,) = oo,
(p{z^) = 00, Oder ftr solche Werthsysteme, welche die Gleichungen (8)
imd (8*) zur Folge haben. ,
Wenn aber die Anderungen der Variablen ?/, , u^ durch die
Gleichung (7*) von einander abhangig werden, ohne fur 2^, , z^ ver-
einzelte Werthsysteme zu liefern, so mussen die diese Gleichung be-
friedigenden Werthsysteme t/, , 1^2 s^^h so andern, dass die Fnuctionen
Sz oz
^ , ^ unendlich, y, , y^ aber von Null verschieden werden.
OU2 OWj
Dann versch windet aber die rechte Seite der Gleichung (N)
fiir dieselben Werthsysteme, und wir erhalten den folgenden Satz:
Es seien innerhalb bestimmter Gebiete 2, , Sj der Va-
riablen Ui , U2 durch die Gleichungen (C) -S', + ^2 ui^<l ^i • ^2 ^Is
eindeutige Functionen derselben definirt, und es mogen mit
r, , T^ die den Gebieten i, , X2 entsprechenden Gebiete von
Zj , z^ bez. bezeichnet werden. Sind z^ , z^ so beschaffen, dass
die von ihnen abhangigen Functionen 2/1,^2 nicht in ge-
wissen Theilen der Gebiete T, , J!, verschwinden konnen,
so wird durch alle Werthsysteme z^ , z^ , fiir welche die
Gleichung (P), oder die mit ihr gleichbedeutende
/.(O /a (-2)
<Pi(^i) ^2(^2)
befriedigt wird, — ausgenommen die Werthe, for welche ^, =^2,
yj =: y^ 5 oder die vereinzelten Werthsysteme von ^, , ^j , fiir welche
yi ? ^1 J ^2 J ^2 verschwinden — gleichzeitig die Gleichung
(Q) F, (z,) /, (z,f + F, (z,) /, (z,y = o
erfiillt. Diese Werthsysteme werden von den Functionen
2, , z^ der Variablen w, , u^ nicht erreicht, so lange w, , k^ sich
unabhangig von einander andern.
(p)
o
108 GesamnitsitzTing vom 10. Febrnar.
5.
Der eben ausgesprochene Satz ist in Ubereinstimmung mit den
beiden Theoremen, welche ich in der Nr. 4 Theorem I und 11 der
oben citirten Arbeit in den Abhandlungen der KOniglichen Gesellschaft
der Wissenschaften zu GSttingen gegeben habe.
Aus diesem Satze habe ich daselbst (Nr. 8 und Nr. 9) gefolgert,
(lass axis der Gleichung
z sich als zweiwerthige Function von ^ ergiebt, sowie dass
einwerthige Functionen derselben Variablen sind.
Es ist ivicht uberflussig, hieran eine Bemerkung zu knupfen, um
den Sinn dieser Folgerungen naher zu praecisiren.
Wenn f{z) , (p{z) gegebene Functionen von z, und z^ , z^ unbe-
schrankt veranderliche GrOssen sind , so erfiillen die Variablen t/, , w^ ,
welche mit diesen Veranderlichen durch die Gleichungen
( f{z,) dz, + /(^,) dz^ = du,
\ <l>(z,)dZj + <p(z^)dz^ = du^
verbunden sind, gewisse wohldefinirte Gebiete Sj , Sj. Diesen G^bieten
entsprechen Werthgebiete der Variablen ^, , ^2 , die wir oben mit S, , S,
bezeichnet haben.
Sei S das Gebiet einer Variablen ^, welches sich aus den Werth-
bereichen S, , S^ zusanunensetzt , so ist der Sinn der erw&hnten Fol-
gerung der, dass, wenn z^ + z^ und z^z^ innerhalb 2, , Sj der Variablen
w, jWj eindeutige Functionen derselben sein sollen, innerhalb des
Gebietes S der Variablen ^ die Gr5sse z eine zweiwerthige und *(^
eine einwerthige Function dieser Variablen sein muss.
Ausserhalb des Gebietes S existiren diese Functionen von ^
entweder gar nicht, oder wenn sie existiren, so ist es nicht erforder-
lich, dass sie daselbst nur zwei bez. einen Werth fur jeden Werth
der Variablen ^ annehmen.
Das Gleiche bleibt selbstverstandlich bestehen, wenn auch die
Bereiche der VerSnderlichkeit ffir z^ , z^ beschrankte sind.
Ausgegeben am 17. Februar.
Berlin, gcdnickt in der ReicbtdruckereL
1 Oi)
1887.
IX.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
17. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Curtius.
1. Hr. A. KiRCHHOFF machte Bemerkungen zu dem Brucli-
stuck einer Basis auf der Burg von Athen.
Die Mittheilung erfolgt uinsteliend.
2. Hr. DiLLMANN legte vor eine Abhandlung des correspondirenden
Mitglieds Hrn. Noldeke in Strassburg fiber die Gliass^nischen
Ffi'rsten aus dem Hause Gafna's. Dieselbe wird in den »Ab-
handlimgen « erscheinen.
Sitzuugsberichte 1887. 12
lii
Bemerktingen zn dem Bruchstuck einer Basis
von der Burg zu AtheiL
Von A. KiRCHHOFF.
Ziuerst in den Monatsherichten der Akademie vOn 1869 8. 409 ff*
and dann im C. I. A. I. 334 ist nach einer Absehrift Hm. KosHLcit^d
und einem von demselben besorgten Abkktech die Anfschrift einet
rechts und links gebrochcnen Quader von pentelischem Marmor ver-
offentlicht worden, welche auf der Burg von Athen, ungewiss zu
welcher Zeit und an welchem Orte, gefiinden worden war. Es stellte
sich heraus, dass diese Quader zur Basis des bronzenen Viergespannes
gehSrt hat, welches nach Herodot's (5, 77) und Spaterer Angabe die
Athener in Veranlassung der gegen Ende des sechsten Jahrhunderts in
rascher Folge iiber die Boeoter und Chalkidier davongetragenen Siege auf
der Burg geweiht hatten, und dass auf dieser Basis die Weihinschrift
genau in der von Herodot iiberlieferten Fassung in der Weise ein-
getragen war, dass jedes der beiden Distichen, aus denen sie be-
stand, eine einzige Zeile bildete und die ganze somit zweizeilige In-
schrifl in der Nahe des oberen Randes iiber eine Mehrzahl von Quadern
lief, aus denen die Basis zusammengesetzt war. AuflRlllig erschien
nur, dass nach Herodot's Angabe das Denkmal zu seiner Zeit 6rtlich
weit getrennt von jenem von Feuer stark versehrten Mauerstiicke
aufgestellt war, an welchem er die eisemen Fesseln hangen sah,
welche die in jenen Kampfen gefangenen Boeoter und Chalkidier bis
zu ihrer Auslosung getragen haben sollten, wahrend doch beides
seiner Natur nach zusammen zu gehoren schien, und dass ein Denk-
mal dieser Art und Bedeutung die Verwustung des Jahres 480 iiber-
dauert haben soUte. Es kam huu^u, dass der Schriftcharakter des er*
halte&en Rentes nicht anf das Ende de^ sechsten , sondem vielmehr auf
die Zdt kure nach der Mitte des ftbiften Jahrhunderts hinzuweisen schien*
Ich folgerte aus diesen Umstftnden ATosammengenommen , dass entweder
dairfenige Denkmal, welches HeMdort sah und von welchem unsere
Quader herruhrt, eine ioi ffenften Jahriiundert hergestellte Copie oder
Restauration des gegen Ende des sechsten errichteten, aber 480 zer-
12*
112 SiUimg der philosopbisch-historischen Classe vom 17. Febniar.
stOrten oder stark beschiUligten Weihgeschenkes gewesen sei, oder
die m'spruogliche Weihgabe seiner Zeit lediglich in jenen eisernen
Fesseln der Gefengenen bestanden habe, das bronzeoe Viergespann
dagegen erst nachtrSglich um die Blitte des f^ften, gleichviel aus
welcher Veranlassung, ziir Verherrlichung der alteren Waffenthat er-
richtet und geweiht worden sei, und glaubte schliesslich, mich (Or
die letzte dieser beiden MOglichkeit^'n entscheiden zu soUen.
Dass ich mit dieser Entscheidung nicbt das Richtige getroffen
hatte, ist durch einen der jungsten Funde erwiesen worden, welche
die in unseren Tagen wieder aufgenommenen Ausgrabungen auf der
Akropolis zu Tage gefSrdert haben. Es ist das eine Quader mit den
Resten einer Inschrift, von der ich mit Wissen und Genehmigung des
Generalephoros der Alterthflmer, des Hm. Koavvadias, hier eine auf
Gnmd zweier zu verschiedenen Zeiten von Hm. Dr. Lolling gefertigten
Abschriften bez. Zeichnungen, sowie zweier von demselben eingesen-
deten Abklatsche hergestellte 2^ichnung mitzutheilen in der Lage bin.
Aus den Notizen, mit denen Hr. Lolling seine Sendungen be-
gleitet hat, theile ich das Folgende mit: 'In den Ruinen des
grossen Gebaudes, gleich nord6stIicb von den Propylaeen,
flstlich von der jetzt zugeschfltteten grossen Cisterne ge-
funden, und zwar in der sQdlichen Abtheilung des Baues,
einer Stoa, nur weTiige Schritte von der Osthalle der Pro-
pylaeen. Quader von eleusinischem Steine, r. gebrochen,
I. Stossflache, H6he [at] 0.30, LSnge {/> c) 0.50, Dicke (6rf)
A. KiRCHHOFF : Bemerkungen z. d Bruchstfick einer Basis v. d. Burg zu Athen. 113
0.34. Die Oberflache ist, soweit erhalten, glatt. Die Buch-
staben stehen zwischen fein eingeritztea Linien.' Der letzte
Buchstabe der ersten Zeile war ein ^, der vorletzte der
zweiten ein ^, nicht A/, der unbedeutende Rest des letzten
Zeichens eben dieser Zeile kann von einem A herruhren.'
Bemerkt sei noch, dass das erste Zeichen der ersten Zeile (^) nur
in der ftlteren der beiden Abscliriften vollstandig gegeben ist; in-
zwischen ist, nacli Hrn. Lolling's ausdriicklicher Angabe, die Ober-
flSche des Steines durch das Ausspringen eines Splitters an dieser
Stelle beschadigt worden, in Folge wovon die spatere Abschrift nur
noch den oberen Theil desselben Q) wiedergiebt und dieser auch auf
den Abklatschen allein erkennbar ist.
Offenbar gphSrte diese Quader gleichfalls zu einer aus mehreren
ihres Gleichen zusammengesetzten Basis, auf deren Frontseite die Weih-
inschrift in zwei langeren Zeilen uber die Quaderfiigen hinweg ein-
getragen war, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte,
dass der Wortlaut auch dieser Weihinschrift identisch mit dem des
von Herodot uberlieferten Epigrammes war, nur dass die Hexameter
der beiden Distichen in umgekehrter Ordnung standen:
[Ae(TfJLw h oi%Xvoevri ciSl^peu) eo'liecuv v/i]piv :
TroL7^e[(; 'A^voLiu)v, epyfJLoc(Tiv h TroXifMov]
Auch auf diesem Exemplare nahm jedes der beiden Distichen eine
besondere Zeile ein; die Hexameter und Pentameter waren durch das
Trennungszeichen : in augenftlliger Weise von einander gesondert.
Die Buchstaben waren nicht, wie auf dem anderen, (rToix>)^oi/ geordnet
und der Schriftcharakter ist ein wesentlich alterthiimlicherer , weist
nicht auf die Mitte des funften , sondern entschieden auf den Ausgang
des ^echsten Jahrhunderts hin.
Ist dem aber so, so ergiebt sich aus der Verbindung dieser neuen
Thatsachen mit .den bisher bekannten Elementen der Uberliefeiiing
folgende Vorstellung von der Geschichte des Denkmals als die wahr-
scheinlichste : Das Weihgeschenk des bronzenen Viergespannes wurde
ursprunglich gleich unmittelbar nach den Ereignissen, zu denen es
in Beziehung stand, gegen Ende des sechsten Jahrhunderts errichtet
und erhielt damals seine Aufstellung auf der Burg in einheitlicher
Gruppirung mit den Fesseln, wie es scheint, unmittelbar vor einer
Aufmauerung, an der die letzteren in seinem Rucken aufgehangt waren.
* Diese Linien treten auf den Abklatschen nicht erkennbar hervor und fehlen
auch auf der spateren der beiden Abschriften.
114 Sitzimg der philosophisch - historischen Classe vom 17. Februar.
Auf der Basis von 'eleusinischem' Steine war die Weihinschrift in zw^ei
Zeilen eingetra^en, welche diese eigenartige Gnippimng erlauterte
und dabei ganz sachgemass von den Fesseln ausging, welche jedem
Betrachter des Denkmals vor Augen hingen und ganz besonders auf-
fallen mussten. In dieser Verfisussung hatte es etwa ein Vierteljahr-
hundert gestanden, als es mit anderen gleichartigen von der Ver-
wflstung des Jahres 480 betroffen wurde. Das Viergespann wurde
von den Persem entweder entfiihrt oder verniehtet, die Basis zer-
trummert und deren Bnichstucke spater zu anderen baulichen Zwecken
verwendet; eines von ihnen ist dasjenige, dessen Auffindung zu dieser
Auseinandersetzung mir die Veranlassung gab. Ubrig blieb allein,
wenigstens bis in Herodot's Zeiten, jene Aufinauerung mit den daran
hangenden Fesseln, wenn auch vom Feuer versehrt. Dreissig und
einige Jahre nach dieser Katastrophe wurde dann zimi Ersatz fer das
entfuhrte Viergespann ein neues aufgestellt, aber nicht am Platze des
alten und nicht in Verbindung mit den ubrig gebliebenen Fesseln;
denn schon Herodot sah beide Theile getrennt von einander, die
Fesseln zwar an ihrer ursprunglichen Stelle, das neue Viergespann
dagegen linker Hand vor dem Eingange zu denjenigen Propylaeen,
welche zu der Zeit, als er hier seine Beobachtungen machte, den
Westeingang zur Burg bildeten und von denen jetzt bezweifelt werden
kann, ob es bereits die Mnesikleischen waren. Spatere Angaben fiber
den Aufstellungsort liegen zu^llig nicht vor. Die Basis des restau-
rirten Denkmales war von pentelischem Marmor und trug auf ihrer
Frontseite, ebenfalls in zwei Zeilen geordnet, dieselbe Inschrifl wie
das verlorene Original, nur dass die beiden Hexameter ilire PlStze
getauscht hatten. Ob wir diese Abweichimg als rein zufallige Un-
genauigkeit der Copie zu betrachten , oder als Folge bewusster Uber-
legung anzuerkennen haben, kann zweifelhaft erscheinen; jedenfalls
war, seitdem die raumliche Verbindung des Viergespanns mit den
Fesseln einmal aufgegeben worden war, hinreichende Veranlassung
gegeben, die Beziehung auf die fiir den Leser nicht mehr sichtbaren
Fesseln mehr zurucktreten zu lassen, was sich durch die vorgenommene
Umstellung in einfachster Weise erreichen liess. Sicher aber stammt
von dieser jungeren Basis das zuerst bekannt gewordene BruchstQck,
von welchem in diesen Bemerkungen ausgegangen worden ist.
Zwei bilingae Inschriften ans Tamassos.
Von Julius Euting
in Sti'assburg i. E,
(Vorgelegt von Hrn. Dii.lhann am 3. Febrcar [b. oben S. 95].)
(Hierzu Taf. I und 11.)
Die seit zwaiizig Jahren an verschiedenen Stellen der Insel Cypern beti-ie-
beiien Ausj^-abuiigen liaben viele phOnikisehe und enchorisch-kyprische
Inschriften zu Tage gefbnlert, doch befand sicli darunter bis jetzt nur eine
einzigc bilinguis, die i 869 zu Dali (Idalion) gegefiindene (C. I. S. 89). Die
Ausgrabungen nun, welche Hr. Max Ohnefalsch-Richter im October bis
November 1885, zu Franschissa (Frangissa), dem alten Tamassos, ge-
leitet hat, lieferten zwei neue bilinguen. Die Steine waren im Sommer
1886 von dem" JHtzigen Eigentliiimer derselben. Col. Warben, auf die
Colonial Exhibition nach London gesandt worden und mein Freund, Prof.
W. Wright in Cambridge, stellte mir ini December 1886 zwei Papier-
abdrficke zur Verfugung, wooach ich die vorliegende Zeichnung der
Texte angefertigt babe. Kurze Zeit nachher erhielt ich dann noch durch
Hm. Ohnefalsch-Richter Photograph ien, nach denen ich die Form und
(zusammengehalten mitdenAbklatsclien)dieGrrcJssenverhaltnissederStelen
mittheilen kanu. Zugleich sandte Hr. Ohnefalsch-Richter einen Plan
seiner Ausgrabungen, der wohl verdient, hier wiedergegeben zu werden:
116 Siteung der phil.-hist. Classe v. 17. Febr. — Mittlieiliing v. 3. Febr.
Er bemerkt dazu in seinem Brief d. d. Nicosia, 26. December 1886:
»Der Hof des Heiligthums besteht, wie der Grundplan zeigt, aus
zwei rohen RHumen, die sich dem Terrain anschliessen und aus zwei
Absatzen bestehen. In dem grosseren Raume waren die Bildwerke
in Reihen wie in einem Magazine hintereinander aufgestellt ; darunter
befand sich bei mid vor einer Nische der kleine Inschriftenstein
(Plan +n). Im kleineren Raume, dem Brandraume, die grosse
Inschrift (mit der Inschriftseite nach einwarts) vermauert (Plan -hi).
Diese Anordnung: Raum der Bildwerke, und daran anstossend der
Brandraimi mit dem Brandaltar ( Opferstein ) , und an beide das ver-
deckte Heiligthum stossend, habe ich schon in zwei Fallen siclier
nachgewiesen : Voni (bei Chytroi) 1883 imd Dali (Idalion) i885.«
Bilingois yon Tamassos No. I
v^
)l)■>'^}/">""((■^x: ^y^
/j'j
*'»».,
•
I
NT
Die erste, grSssere und besser erhaltene Inschrift befindet sich
auf einem Steine von 46''°* H6he und 19*"°* Breite. Sie ist (ohne Ab-
bildung) in Ubersetzung mitgetheilt von dem verdienstvollen Alter-
thumsforscher D. Pierides\ und wird dieser Tage vollstandiger durch
* The Cyprus Museum. A bilingual inscription (plioenician and kypriote) [by
Falc. Warren and D. Pierides]. Nicosia 1886. 8 Seiten in 8. Ebenso 2. Edition.
EuTiNO: Zwei bilingue Inschriften aus Tamassos. 1 I i
W. Wright^ bekannt gemacht; den cyprischen Theil hat W. Deecke*
bereits im October 1886 erklart.
Der phGnikische Text lautet:
3tt p wnnsn p • Dnsi: • k 2
ci[tn]b ^nvh p^ p on 3
rtt&n D3nx m-^n n-^-^bK 4
ibtt • •jn^'Dbtt ibttb — jz oiob© 5
•pQ*^ • bp yotJD b^^TKi -^ro 6
1 » Dieses Bild, welches gegebeii und aufgestellt
2 »hat Menahem, der Sohn des Benhodes, des Sohnes des Mena-
3 »hem, des Sohnes des 'Araq, (ist geweiht) seinem Herrn dem Rassaf
4 »von 'Elijjat, im Monat 'Etanim im Jahre
5 »dreissig XXX der Regiening des Melekjatan Konigs
6 »von Kitti und 'Idjal, weil er horte (seine) Stimme. Moge er
Segen spenden!«
Die Schrift geh^t dem besten cyprisch-phSnikischen Typus
an: schlanke Schafte, im unteren Theile leichte AnschweUung der
nach vorwRrts geneigten Buchstaben, wie sich dies aus der Stellung
und Fuhrung des Kalams bei Tintenschrift^ ergiebt ("^, p, 0, n, 1, x);
(Ubertreibungen siehe z. B. in C. I. S. No. 86); vereinzelte Wort-
abtrennung durch Punkte, Z. 2: •Dnstt*, Z. 5: Tbtt'in-^Dbtt, Z. 6: T^^'^'bp;
ahnlich im kyprischen Theil.
Die Eigennamen sind theil weise schon friiher inschriftlich be-
legt: Dnstt MSnah^m, aus Cypem C. I. S. 55. 57, und Aegypten C. I. S.
103, b. Wenn er unten in der kyprischen Version durch Ma-na-se-se
wiedergegeben wird, so m5chte ich daraus noch nicht folgern, dass
die Griechen hier DTOtt (MSnahfem) und ntDDia (Menasseh = MoLvoL(T(Tv\g)
identificirt hatten, sondern mochte vielmehr an die kyprischen In-
schriftenkenner die Anfrage rich ten , ob nicht in diesem Dialekte inter-
vocalisches se auch stellvertretend fur eigentliches he gebraucht worden
sein kann , bez. ob diese Kyprier (Achaeer) bei Mangel eines besonderen
Zeichens fiir ha, he, hi u. s. w. das Zeichen, welches bis jetzt durch-
weg se gelesen wird, nicht auch promiscue fiir he verwendet haben,
so dass also im griechischen Text Manahese (Manahes) zu sprechen
* Proceedings of the Soc. of biblical archaeology, for y^ Dec. 1886, p. 47.
* Berliner philolog. Wochenschrift , herausgeg. von Chr. Belger u. O. Seyffert.
6. Jahrg. 1886 No. 42, col. 1322 ff.
* Vermuthlich haben die altphonikischen Steinmetzen ihre Arbeit in derselben
Weise gemacht, wie dies noch heute im Orient iiblich ist: sie erhielten ihre Aufgabe
von einem Schreibkunstler mit Tinte auf den Stein geschrieben, und haben darnach
ganz mechanisch gearbeitet.
118 Sitzung der pliil.-hist. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
ware? Dieser meiner Vermnthung kommt noch zu Statten, dass in
der nachfolgenden zweiten bilinguis der Beiname des Apollon, Alasiotas,
phOnikisch mit Dn'»nb[K] »['A]lahijotas« umschrieben wird, also den
Phonikiern, die hier sogar mechanisch die griechische Endung bei-
belialten haben, mit h und nicht mit s — hier abermals zwischen
zwei Vocalen — geklungen haben muss. Audi, wenn nicht im ky-
prischen Text zwei verschiedene giiechische Formen 'EXurotg und ^AAet-
(TiuiroLc; vorlagen, wurde ich nur auf zwei verschieden ausgefallene
Versuche , einen und denselben fremden Namen phonikisch transcribiren
zu wollen, geschlossen, und beide dem gleichen Apollon zugewiesen
haben. Ich mache zugleich darauf aufmerksam, dass Hesychius in
seinem Lexikon fiir den Zeus auf Kypros eine Reihe ahnlich klingender
Namen giebt, wobei er, wie mir scheint, einfach den Zeus mit Apollon
verwechselt hat; es finden sich namlich bei ihm folgende Erklarungen:
E/AijTi (E«X){t«o^, Musurus): Zev^ iv KvTrp'j;. 'EAot/oti^: Iv Ki^Trpo; o Zeu^.
'EAocSv^ (sic): A«o^ kpov iv Kvirpu), EveXi8)f\g: otv^ci^g. kcu o Zeti^ iv Kvirpu),
(vergl. 'EAewt: ''Hpu ev Kinrpu)).
tnnsi] Benhodes, mehrfach belegt in Attika = Noujurlvio^ , hier
kyprisch o Nw|Lt>)v«wv (Genit.) »am Neumond geboren*. Namen nach
Festen und Feiertagen den an diesen Tagen geborenen Kindem zu
verleihen, war von jeher beliebt; z. B. Bupcu/i/ioig Apostelgesch. i, 23.
1 5, 22 XM na (= rntD na) »am Sabbat geboren«, spater ■^natf »Sabbatai« ;
)n^^it>|o' BarhadbSsabbA »am Sonntag geboren« = KvpiAxig, Dominicus
»Sonntag« (vergl. »Montag«, »Freytag«); UJ9 Denha »am Erscheinungs-
fest geboren« Epiphanius; l^a^ax? SullAkA »am Himmelfahrtsfest gebo-
ren«; Uoo^|jo Barsaumd »in den Fruhlingsfasten geboren* ; HOT Hacr/jir'
(Tiog^ Pasquay, Paschalis, Pascal, »Pasdach«, »Ostertag« ; Natalis, Noel;
nitD nv Jomtob [»Feiertag«,] vgl. »Feyerabend« (= ro© y^?) u. dgl.
pt?] 'Oreq oder 'Araq, N. pr. ist neu, aber in seiner Appellativ-
bedeutung nicht klar.
qtm] Der Gott RasS^f oder Resef (bei den Aegyptern Raspu?) ist
bekannt in der Verbindung fn qt!n (C. I. S. 10), und mit dem Beinamen
bya (C. 1. S. [89] 90. 91) als Apollon von Amyklai; siehe fiber ihn die
Ausfiihrungen im C. I. S. I, i p. 38 und 106.
D3n«] Dieser Monatsname , biblisch D'^?ri'^K i.Kon. 8, 2, findet sich
schon einmal auf Cypern C. I. S. I, i p. 93 No. 86 A, lin. 1.2.
Die bisherigen Annahmen fiber die Regierungsdauer des Me-
lekjatan, vorletzten phOnikischen Konigs von Kition und Idalion,
erfahren dm'ch die Angabe der vorliegenden Inschrift, welche aus
seinem dreissigsten Jahre datirt ist, eine wesentliche Anderung. Der
^ Vergl. W. Wright a. a. O.
EuTiNo: Zwei bilingue Inschriften aus Tamassos. 119
letzte K6nig genannter Stadte war sicher 'jn'^'^'M Pumajjatan, oder in'^'OB
Pumjatan = IlvfxoLTog = TlvyfJiciXitjov.^ Von ihm sind Miinzen bekannt
aus den verschiedensten Jahren — vom Jahre 3 bis zum Jahre 46 —
seiner Regiening;^ er wurde im fiinfzigsten Jahre seiner Regierung,
wegen Partheinahme for Antigonus , durch Ptolemaeus I. im Jahre 3 1 2
mit dem Tode bestraft. Nach Six dfirfte seine Regierung von 361
bis 312 V. Chr. anzusetzen ^ein. Sein Vater und Vorgfinger aber
Melekjatan — welchem Six- a. a. 0. p. 355 f. nur die Zeit von etwa
468 — 462 (Kes: 368 — 362) V. Chr. zugewiesen hat — miisste, da er
nach unserer Inschrift^ jedenfalls dreissig Jahre regierte, die Jahre 392
bis 362 V. Chr. avisfallen. Vielleicht hat er auch erst am Schlusse
seines Lebens angefangen, als legitimer Erbe einer alten Herrschaft
etwaige fruhere Jahre latenter Regierung, die Interregnumsjahre, den
wirklichen Regierungsjahren hinzuzurechnen.
Uber den kyprischen Theil gebe ich die mir von W. Deecke
zur Verfiigimg gestellte Arbeit unverkiirzt im Folgenden.
rrftr • //^±#/s • ri 2
1 to-na«ti-ri-a-ta-ne«to«nu- | e^to^ke^ne-
2 ka • se • I o • ne • te • ke • ne • I ma • na • se • se •
3 o-no-me-ni-O'ne- | to-i-ti»o-i-
4 to-i-a-pe«i-lo-ni« | tO'i«e«le-i«
5 ta-i-|itu-ka-i-
1 rov oi[v]^pict[v]roLv ro[v] vv g^wxcv
2 xAg ove^KBv Mo6t/ot[(r]<ri5ff
3 NoofJLViviwy rm ^iSi
4 TcSi 'ATTBiXwn rm 'EAei-
5 Tat • «[t/] TV%OU,
Die Inschrift ist von mir behandelt in der Berl. Phil. Woeh. 1886,
n. 42, sp. 1322 ff. nach einer mangelhaften Publication von CaA.
F. Warren und D. PiERroEs: Tlie Cyprus Museum, Nicosia 1886.
Bisher bekannte Eigenthftmlichkeiten des kyprischen Dialects
sind: der Ace. auf — olv statt — ot; der Gren. Sg. auf — wv statt — w
^ Die Identitat aller dieser Namen nachgewiesen von Ch. Clermont- Ganneau
in L'Jnstruction publique. 1880. 6 Mars p. 160 f.
' S. J. P. Six, Classement des series Cypriotes (Extr. de la Revue numism.).
Paris 1883. p. 338 ff.
' Bilinguis II ist vom siebzehnten (oder netmzehnten) Jahr seiner Regierung datirt.
120 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
= gem. gr. — ov; letzteres auch in Nw — = Nou — ; femer Kctg = kcu;
ov — = iv — und «[i/] = h ; endUch S-io^ = S-eo^. Regelmassig ist auch in
der Schrift der Ausfall des v im Inlaut vor Consonanten und bei der Pro-
klisis, sowie das Fehlen der Gemination; bei eng zusammengehSrigen
Wortem wird der Schlussconsonant des ersten mit dem anlautenden
Vocal des zweiten durch ein Zeichen ausgedriickt; s. Z. i to-na- . . .
Die alteren kyprischen Inschriften kennen noch v (f) und j (*):
so noch die Bilinguis von Idalion, n. 59 meiner Sammlung (65ttingen,
PeppmuUer 1883) aus dem Anfang der Regierungszeit desselben Konigs
Melekjatan ; vergl. n. 59 , 2 : to • na • ti • ri -ja • ta • ne •== rev a[v](JjPUfli[i/]rflfcv ;
auch auf der Bronzetafel von Idalion n. 60 A 3 : to • ni • ja • te • ra • ne • == rov
hoLTYipoLv ; femer n. 59 , 2 : ne • vo • so • ta • ta • se • = vefocTciToi^ = gem. gr.
veu)rurY\g, neben Nw-jLt^tv/wt/.
Neu ist das v ephelkystikon in e^wxev und ove^xev, auch in Bil. 11
in e^wxcv, sonst noch in keiner epichorisch- kyprischen Inschrift ge-
funden: auch hierin zeigt sich die spatere Zeit und die Einwirkung
des Gemeingriechischen. Neu ist femer die Verbindung ro[v\ vu, sonst
immer ro[v] Se; doch war vv schon als Verbalanhang bekannt aus der
idalischen Bronzetafel n. 60 A 6: C'tu- vano-i-nu- = >| 5i>ptvot vv und
16: e • to • ko • i • nu • = >| Su)x,oi vv. Nicht genau entsprechen homerische
Stellen wie Ilias N. 257: to vv ykp Kotredi^oLfxev wplv e%e(Txov (sc. h%o^)y
Odyss. ^197: rovro vv kcu yepotg oTov oi^vpoici /iporomv; aber sie weisen
den Weg, wie die Verbindung entstanden ist. Neu ist ferner 'ATreiXwv,
da sonst kyprisch nur 'A7ro[A]Awt/ vorkommt; es ist aber eine echt
kyprische Bildung und steht far *'A7reA«wv, woraus in anderen Dialecten
ATreAAwv ward, wie n. 60 A 14 uikm aus ol^^ioov =: gem. gr. AtXAwv ist.
Die Formen 'AireX — , 'AttoA — , 'AttA — scheinen im AblautsverhSltniss
zu einander zu stehen. Neu ist endlich auch der Beiname 'EXerrflt^:
so lese ich, obwohl der Stein eigentlich statt i- das Zeichen fiir vi-
oder ji- giebt; aber dieses ist dem for i- schon an sich sehr ahnlich,
und in der Inschrift selbst kommen alle Mittelstufen vor, wahrend,
wie oben bemerkt ist, in derselben sonst v und j fehlen. 'EXelroLg nun
erinnert zun^chst an die Stelle der idalischen Bronze n. 60 A. 8 — 9:
to • ko • ro • ne • I to • ni • to • i • I e • le • i • = ro[v] %Sipov rov i[v] rm "EAei , wo
letzteres Eigenname einer Niederung zu sein scheint; dann aber ist
die bekannte lakonische Stadt "EXog zu vergleichen, von der St. Byz.
das Ethnikon 'EXttroLi giebt. Der ATreiXwv 'EXeiTotg ist dann ein schSnes
Seitenstuck zum ^AttoAAwv "'AjuuxAo^ (= ' AfJLVKXouog) der Bilinguis von
Idalion n. 59, 3; vergl. die Personennamen "AjuuxAo^ , wbl. 'AjLtuxAot.
Mfl6vfl6[(r](r>i^ ist gracisirter phSnikischer Name ; 'SwfjLViviog = 'Sovfjiriviog
auch sonst vorkommende Ubersetzimg eines phonikischen Namens
»Sohn des Neumondtages«. (W. Deecke.)
EuTiNo: Zwei bilingue Inschriflen aus Tamassos.
Bilingais yon Tamassos No. IL
121
vrx
im
^
•^^"
cm
Diese Stele hat an der Basis eine Breite von 1 9*"" , eine H6he von
32"*", wfihrend das Gesims und die benachbarten Theile zufolge ihrer
ZerstSrung einer genauen Messung sich entziehen. Der obere Theil des
Steines, welcher in 6 Zeilen den phSnikischen Text enthait, ist nicht
nur in mehrere Theile zersprungen, sondem Iftsst auch die erhaltenen
Buchstaben nur schwach erkennen. Meine Zeichnung (s. Taf. H) kann
daher nur ein unvoUkommenes Bild auf Grand des Abklatsches bieten ;
mSglich, dass eine Betrachtung des Originals die Entzifferung welter
fbrdert. Die untere kyprische Halfte (4 Zeilen) ist ziemlich deutlich.
Den phSnikischen Theil lese ich:
[3t»n n]byfc rvrh I III III — r Dtt[''n] 1
[D ibtt] p'^Dbtt ibttb [ll]l III III -7 n 2
b( c|ttnb -^yivh ijdo[o] p bob* 4
^ btateb tebtairthH* on^rrb 5
T^'^ bp «n 6
»Am Tage XVI des Monats Pe'alot im Jah-
»re XIX (?) der Herrschaft des Melekjatin, Konigs von Kit-
»ti und 'Idjal. Dieses Bild, welches gegeben hat..
» . . sasal , der Sohn des Samd. (?) (ist ge weiht) seinem Herrn dem
RaSs&f A-
•lahijotas denn er hSrte (das Ru-)
»fen der Stimme. MOge er Segen spenden!«
Das Datum ist nicht ganz sicher zu ermitteln; wahrscheinlich
Tag 1 6 (mSglich auch 17). des Monats Pe'alot. Das Taw von Tbn
I
2
3
4
5
6
122 Sitzung der phil.-hist Classe v. IT.Tebr. — Mittheilung v. 3. Febr.
ist zu erganzen nach C. I. S. I, i p. 97 No. 86, B (vergl. No. 88). Das
Jahr der Regienmg kann sein das siebzehnte, achtzehnte, neunzehnte,
der Lucke nacli zu schliessen am ehesten das neunzehnte des Melek-
jatan, und entsprache also (s. oben S. 119) dem Jahre 373 v. Chr.
Nach dem kyprischen Text, welcher als Namen des Weihenden
^ Ayl/ucwfjiog giebt, sollte man ph5nlkisch erwarten etwa 000*13:^ 'Abdsasam
(C. I. S. 46. 53); ich erkenne aber auf Z. 4 nur emen Namen, der sich
auf bo — , — sal endigt, und schwanke, ob der vorausgehende Buch-
stabe wieder ein D oder ein p ist (boO'% oder Vop««?). Der Name des
.*
Vaters ist noch unsicherer, .K'ao? Tiber den Beinamen des ApoUon
Dn'^nb[x] s. oben S. 118. Die Schlussformel lautet hier abweichend;
sonst: TQ"^ bp ^tlOO (C. 1. S. 89), oder mit eingeschobenem Gottesnamen
als Subject DDnn'^ Dbp mpbtt :?tt»D (C. I. S. 88); hier geht dem bp ein
KT voraus; NSldeke vermuthet wohl richtig vnp »denn er hSrte das
Rufen der Stimme«.
Den kyprischen Theil erklSxt Deecke, wie folgt.
I a * ti • ri • a • se • | pi * nu • to • [ e • to •
^ 2 ke • ne • I a • pa • sa • so • mo • se • | o • sa •
3 ma-vo-se- | to-i-a-po-lo-ni-to-i-
4 a-la-si-ota-i- | i-tu-ka-i-
2 X^ ' A.-\l/oi(TwfjLO(; 2flt-
3 fJLoif^og Tm 'Airo[X]Kwvt twi
4 'AXuctoorui^ i[v] r\}%ctL
Hier ist das p einmal erhalten, das i nicht. Auflfallig ist WiwrS
ohne V, doch fehlt dies z. B. auch auf der idalischen Bronze n. 60
hauiig. Der Name nthert sich auch durch das i der ersten Silbe der
gem. gi'. Form llivvfcg (oder Timrroq), wbl. n«vi;T>5, wahrend die kyprische
Form sonst Tlvuroc lautet; s. n. 54 (aus Amathus): pu • nu • to-so-. . .
= UvvTog . . . , und vergl. den KSnigsnamen Wvvf ct^cpttg (von Salamis;
n. 134 — 186; die Personenn^men Wv\jriktg (M. Schmidtt, Idal. p. 66))
wbl. IIvtiTiXflt, Tochter des Xhi/rayopctg , Berl. Phil. Woch. 1886, n. 51,
sp. 161 1, XV. Freilich ist nach Taf. H. das pi- nicht sicher. Etwa
'Ovurw =''AvtJTot;? — Gemein-griechisch ist auch 'A7ro[A]Awv«. — Neu ist
der Beiname ^ AXucrtwrdt^ , in Ethnikonform: er erinnert zunftchst an den
bekannten Berg ' AAtJciov bei Mantinea , dessen y\ f6r urspr. i zu stehen
scheint, nach del' Ableitung von iXyj, a?JifT^Ai; s. noch oiKfi(Ttg bei
Arat. 318 von der »Sonneiibahn« ; auch 'AXfi(Tiov oZ&otg in einem Orakel
Sitzungsber. d, Berl. Akad. d. Wiss. 1887.
Tqf. 1.
^llf'^^T^'^T 7^
^•n^
.<«=7 iin '■H!¥i
%:.^.
\
^
\;.;
^|i\ T1
^
'^9 7?f Y f\l
/^
-i^ -^
fS»>
^1
>^^i^ WW
4^
^.4y©^^Y'^^i^^l
i.
-^
/
T
jv;//^"'^'^ ^
V.
u.
/^
^'c
■<fiii^
J
t/-^:^ ^.r./w
}\
f% ^.H
y
BiUn^tAft Irv5cKrift von TamaS-SO^ N^ i
Euting: Zwei bilingue Inschiiften aus Tamassos.
SUzungsher. d, BerL Akad* d. Wiss, 1887.
Taf. II.
BtUttgu.e In^cKrift von TAMA5^05 NS Z.
Euting: Zwei bilingue Inschriften aus Tamassos.
Euting: Zwei bilingiie Inschrillen aus Tamassos. 123
Pausan. IX, 14. Freilich ist ein ApoUocult auf jenem Berge nicht
iiberliefert, wohl aber in Mantinea selbst ein Tempel der Leto und
Altare des Helios, und dem Alesion gegenuber lag das Artemision;
s. E. CuRTius, Peloponnes I, 234 ff.; 240 f. , 269 nt. 9; Tf. III. Die
Beziehung stimmt zur Einwanderung aus Tegea in Kypem und zur
Verwandtschaft des kyprischen mit dem arkadischen^Dialekt. Noch
besser freilich zum ApoUon Amyklos und Heleitas wiirde der Ort
Alesiai bei Amyklai passen (E. CuRxros, Peloponnes 11, 249), wenn
nicht Pausanias (HI, 20, 2) ihn 'AAccrwtt schriebe; doch k5nnte diese
Form auf der Deutung von oi?Jw beruhen. Zu erinnem ist aber ferner
an das im apollinischen Lycien gelegene ire^iov 'AXvfiov, Ilias Z. 201,
auf dem der (Apollo oder Helios) Bellerophontes otog olKato^ zumal
Strabo 13, 605 auch eine troische Ebene 'AAyjcrtoi/ erwahnt. Endlich
ist noch zu untersuchen, ob der kyprische Stadtname noLkauk bei
Strabo 14, 683 richtig ist, oder des Ptolemaeus' V, 14, 3 Lesart 'AAotwt
(Var. 'EXotwt), welch letztere Form leicht fur *'XXucU stehen konnte;
s. 'AA>]i*ov. Das intel*vocalische <; fehlt namlich im kyprischen Dialekt
haufig, wo es im Gemein-griechischen ^rhalten oder wiederhergestellt
war, und die kyprische Schrift schwankt bisweilen z. B. n. 68, 4:
po • ro • ne • o • i • = (ppovewi neben n. 60 , 31: i • o • si • = iu)(n ; xA oi[v]Ti
n. 60, 5 neben sonstigem Kug; ebenso TroeXt^fxevov n. 60, 19 u. 21, sonst
Trig =^ TTpog; 'Ovdioov n. 21, i — 2 fur *'Ovu(riwv, sonst ''OvdCig, 'OvcHciXog^
'OvouTuyopotg u. s. w. ; s. auch Mflti/flt[(r](ri;^ in Bil. I neben phOnik. Dn3'0.
Hierzu stimmt die jetzige Lesung Euting's im phonikischen Text
'Alahijotas.
Die Namen ' Ayl/uG'wfxog und Xu^ixSig (Jos. VH, 8, 3) sind graecisirt-
phSnikisch; vergl. zum ersten hebr.-gr. ' h.-^ikwixog ^ zum Genit. XufjLoi^og
den Gen. ki • li • ka • yo • se • = ri[X]Xi}cocj:og n. 29; den Dat. ki • li • ka • vi •
= ri[A] A/xflt^t , Berl. Phil. Woch. 1886, n. 41, sp. 1290, n. II; dazu der
Nom. ki-li-ka- = ri[X\Xl)coc n. 120, viell. n. 1 14, und Cypr. Mus. Hft. I,
n. 3 = TiAAiXflt^ (oder — xoig?). Name eines Puniers bei Polyb. 36, i.
Zu meiner Vermuthung, dass die griechischen Einwanderer in
Kypem nicht eigentlich Arkadier , sondem vor den Dorem fliichtende
ostpeloponnesische Achaeer gewesen sind (s. Berl. Phil. Woch. 1886,
n. 42, sp. 1324), kann ich jetzt, ausser der hesychischen Glosse
' AyjxiofjLoivreig ' ot tyiv twv S-ecZi/ ey^ovreg iepu)(rvvf\v iv Kvirpu), noch den Orts-
namen ^Ayjxiwv oixTr im Nordosten der Insel anfahren (Strabo 14,
682 u. aa.). (W. Deecke.)
Ausgegeben am 24. Febniar.
125
1887.
X.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
17. Februar. Sitzimg der physikalisch - mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. ScHULZE las zur Stammesgeschichte der Hextacti-
nelliden. Die Mittheiliing wird in den Abhandlungen gedruekt
werden.
2. Hr. VON Bezold uberreichte den ersten Band der Publicationen
des reorganisirten Meteorologischen Instituts: »Ergebnisse der meteoro-
logischen Beobachtungen im Jahre i885«.
3. Die Deutsche Gesellschaft fiir Mechanik und Optik hat sich
an die Akademie gewandt, um ihre Vermittelung fiir die Aufsuchung
neuer Bezugsquellen far Doppelspath von einer fiir die Verwcjidung
ZU Polarisationsinstrumenten genugenden Qualitat in AnspiTich zu
nehmen. Obwohl die Auffinduilg von Lagerstatten , welehe an die
Stelle der nahezu erseh6pften islandischen Fundorte treten konnten,
kaum anders als von einem Zufall erwartet werden kann, will die
Akademie auch an dieser Stelle auf die in wissenschafblichen Kreisen
seit geraumer Zeit empfiindenen Schwierigkeiten die Aufmerksamkeit
lenken, welehe sich der Beschaffung derartiger Apparate in steigen-
dem Maasse entgegenstellen.
SitzuDgsberichte 1887. 13
127
Nene Beitrage
znr Eenntniss der physiologischen Bedentong
des Gerbstoffes in den Pflanzengeweben.
Von Dr. Max Westermaber
in Berlin.
(Vorgelegt von Hm. Schwendener am 3. Februar [s. oben S. 81].)
(Hierzu Taf. IH.)
xVann audi die Thatsache, dass die StSrke in zahlreichen FSllen als
naheres oder entfemteres Product der Assimilation nachweisbar ist,
nicht bezweifelt werden, so geht doch aus Publicationen neuerer Zeit
und gerade aus jener Anregung, welche die Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin 1884 in diesQjn Gebiet durch Stellung einer Preis-
frage geg^ben hat, hervor, dass wir keineswegs eine abgeschlossene
und erschOpfende Lehre fiber die Kohlenstoffa^similation vor uns
haben. Es mag ein gewisser Dogmatismus in Verbindung mit dem
allzu beliebten Generalisirungsbestreben dazu beigetragen haben, dass
man die bisher gewonnene Kenntniss zu einer Lehre mit dem Anspruch
allgemeiner Giiltigkeit in der Fassimg erhob, »die Stftrke oder ein
ihr gleichwerthiger Stoff« ^ sei als das erste sichtbare Assimilations-
product zu betrachten. Der Umstand , dass der mikrochemische Zucker-
nachweis mit Unsicherheiten behaftet ist, legt es uberdies nahe, dass
man sich zu Gunsten der ausgesprochenen Lehre hinter die Mangel
unserer mikrochemischen Methoden verschanzt.
Beobachtungen uber den Gerbstoff, welche in das angedeutete
Gebiet einschlagen, sind von mir im December 1885^ verOffentlicht
worden. Die Studien uber die Bedeutung dieses Stoflfes im Pflanzen-
leben wurden fortgesetzt. Das neuere Ergebniss derselben bildet den
Inhalt vorliegender Zeilen.
^ Vergl. Sachs Vorlesiingen uber Pflanzenphysiologie 1882 8. 375.
* Sitzungsberichte der Koniglich Preussischen Akademie der Wissenschaflen zu
Berlin: »Zur physiologischen Bedeutung des Gerbstoffes in den Pflanzen.* XLIX.
1885 S. 1115.
13'
128 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
§. I. Licht und Chlorophyll in ihrer Beziehung zum
Gerbstoffgehalt.
1 . Zuerst woUen wir iinsere Aufinerksamkeit auf ein eigenthum-
liches Verhalten von normal chlorophyllfreien Zellen lenken, namlich
auf die Epidermiszellen des Blattes von Impatiens pcTciflora.
Von zwei im Grarten neben einander stehenden Pflanzen dieser
Art war die eine mehrere sonnige Tage hindurch durch vollstandige
Bedeckung verdunkelt. Der Vergleich der beiden Pflanzen ergab
hemach rucksichtlich ihres Gerbstoffgehalts Folgendes. Die besonnte,
also normal vegetirende Pflanze, liess in der oberen Blattepidermis
allgemein ganz deutliche Gerbstoffreaction eintreten; schon makro-
skopisch betrachtet erschien das in der Kaliumbichromatlosung einige
Zeit gelegene normale Blatt gegenuber dem verfinsterten dunkler
braungelb. Die mikroskopische Untersuchung des Dimkelblattes hin-
gegen ergab nur sparliche Gerbstoflfreaction in der oberen Blatt-
epidermis. Auch in dem der imteren Epidermis angrenzenden Blatt-
gewebe war im Lichtblatt eine starkere Reaction gegenuber dem ver-
finsterten wahrzunehmen. Bei der Formulirung dessen, was liieraus
folgt, bediene ich mich am besten der Worte, mit welchen G. Kraus*
bereits 1884 das Resultat seiner Beobachtungen wiedergab: »Der
GerbstoflF ist quantitativ wandelbar imd seine Erzeugung steht mit dem
Licht in naherer Beziehimg.* Wenn dagegen dieser Autor weiterhin
mit aller Bestimmtheit sich dahin ausspricht*, dass der G^rbstoff mit
dem Chlorophyll nichts zu schaffen habe, so kann ich demselben nicht
beistimmen. Und zwar stutze ich meine Ansicht sowohl auf das Ver-
halten gleich beleuchteter Palissadenzellen mit und ohne Chlorophyll,
als auch auf Wahmehmimgen, welche eine directe Abhangigkeit des
Grerbstoffgehalts normaler Palissadenzellen von der Beleuchtung er-
kennen liessen.
2. Die bezuglichen Beobachtimgen ersterer Art erstreckten sich
auf Pflanzen, welche an ihren BlSttem grossere oder kleinere weisse
Partieen besassen, also »panachirt» waren. Hortensia und Fuchsia
lieferten solches Material.
Hortensia. Die weissen Stellen eines gemischt weiss-grunen
Blattes zeigten sowohl in der oberen als in der imteren Epidermis
Gerbstofireaction. In den chlorophyllfreien Palissadenzellen, welche
den weissen Blatttheilen zukommen, liessen manche weisse Partieen
gar keine, andere nur eine schwache Reaction auf Tannin eintreten.
Ein lebhaft grunes Blattstiickchen , das nur wenige Millimeter von
einer weissen, in den PaUssaden gerbstofffreien Stelle entfernt lag,
* Sitzungsberichte der Naturforsch. Gesellsch. zu Halle 8. 7 des Sonderabdrucks.
Westermaier : Zur physiolog. Bedeutung d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 129
wurde gleichMls untersucht iind zeigte in einigen der hier also natur-
lieh chlorophyllhaltigen Palissaden deutliche Gerbstoffreactioix. Des-
gleichen ergaben die Palissadenzellen im Blatt einer normal grun-
blattrigen Hortensia allgemein deutliche Tanninreaction ; im Schwamm-
gewebe war der Gehalt schwUcher.
Oben wurde ausdrucklich von einem lebhaft grunen Blatt-
stuckchen gesprochen, die mattgrunen Blattpartieen verhalten sich
namlich anders. Bei ihnen beginnt der Chorophyllgehalt erst unter
der palissadenartig gebauten subepidermalen ZelUage. Es fiihren hier
die Epidermis und die chlorophyllfreie Palissadenzellschicht Gerbstoff.
Dieses sind Erscheinimgen , die dem Fall von Impatiens sich an-
schliessen. Es sind die gl&nzend grunen Blatttheile gefleckter Blatter
und die normalen ganz grunen Blatter, die ich in Gegensatz stellte
zu den weissen Blattpartieen.
Auch an jPw(?A5wi-Blattem war in demselben Sinne wie bei Hor-
tensia eine Differenz zu constatiren im Gerbstoffgehalt der Palissaden,
je nachdem man weissliche Blattstellen oder normale grune Blatter
der Untersuchimg imterwarf.
3 . Folgendes diene zur Beantwortung der Frage , wie es sich mit
dem Auftreten des GerbstoflFs in solchen Organen verhalt, in denen die
Chlorophyllbildung durch Verdunkelimg ganz verhindert oder beschrankt
wird. Es handelt sich hier also um einen zusammen- gesetzten Factor,
um den Ausschluss von Lichtwirkimg und Chlorophyllbildimg.
Ein Zweig von MespUus germanica wurde Mitte April 1886 durch
Verhullimg ganz verdunkelt. Derselbe besass Blattknospen , die aber
noch unentwickelt waren. Nach Wegnahme der Hiille am 17. Mai
erwiesen sich die Blattchen als sehr klein, verkummert, von gelb-
licher Farbe. Die Behandlung mit sauerem chromsaueren Kali zeigte
schon bei makroskopischer Beobachtung nur schwache Gerbstofireac-
tion an; die Nerven waren braim, das zwischenliegende Blattgewebe
gelb. Die mikroskopische Untersuchung ergab hauptsachlich in der
oberen und unteren Epidermis Gerbstoflfreaction , ebenso in den Scheiden
imd der Umgebung der GefSssbundel. Dagegen war im Palissaden-
gewebe theils nur sparliche, theils keine Reaction wahrzunehmen ;
im AUgemeinen also, was schon aus der gelben Farbung der Blatt-
flache zwisehen den Nerven hervorging, schwache Tanninreaction.
G. Kraus^ muss schon 1884 ^^ ahnliches Versuchsergebniss erhalten
haben; denn der Autor sagt: »Es lasst sich zeigen, dass bei etioli-
renden Pflanzen die Gerbsaurebildung ganz unterbleiben kann«.
* »Die Rolle der Gerbstoffe im Stoffwechsel der Pflanze.* Sitzungsber. der
Naturf. GeselLsch. zn Halle. Sitziing vom 5. Nov. 1884, S. 8 de,s Separat-Abdnickes.
130 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — MittheUung v. 3. Febr.
Zur weiteren Bestatigung dieser Erscheinung sei noch ein Fall
angefiihrt. Ein sichtlich etiolirter weisslicher Blattstiel von Poterium
Sanguisorba (die Pflanze war namlich erst etwa zehn Stunden ans^
einem lUnger dauemden Aufenthalt im Dunkeln an's Licht gebracht
worden) war ebenfalls arm an Gerbstoff im Rindenparenchym , den
Gefilssbiindelscheiden mid in den Leitbiindeln selbst. Hiergegen be-
sass ein junges Blatt dieser Pflanze, naehdem dieselbe wieder einige
Tage am Licht vegetirt hatte, viel von dem besagten Stoff in den
Leitbiindelscheiden , ergiebige Mengen in der Epidermis imd verschie-
denen Rindenzellen , sowie im Leptom. — Ein Blattchen an dem
(obigen) etiolirten Blattstiel war in der oberen mid unteren Epidermis
reichlichst mit Tannin versehen; im Palissaden- imd Schwammgewebe,
welch letzteres noch ganz dicht war wegen des jugendlichen Zustandes,
befanden sich fast keine Spnren von GerbstoflF. Das beweist nebenbei,
dass der TanningehaJt der Epidermis nicht genau von denselben Ver-
haltnissen beherrscht wird, wie derjenige in den Palissadeuzellen.
Auch die G^filssbundelscheiden im Blattchen imd dessen Stielchen
fuhren Gerbstoff, reichlich besonders im letzteren. Diesen Gegen-
satz des BlSttchens zu seinem etiolirten Blattstiel deute ich so: In
letzterem ist viel Baumaterial zum Wachsthum verbraucht worden,
daher jetzt wenig Gerbstoff zu finden, im Blattchen miterblieb das
Wachsthum in der Dunkelheit, es konnte aber auch nicht assimiliren,
daher finden sich vom urspriinglichen Vorrath noch ziemliche Mengen
in den nicht assimilirenden Zellen aufgespeichert , vielleicht einge-
wanderte Quantitaten, dagegen mangelt es an dem Stoff im Assimi-
lationsgewebe wegen der vorhergegangenen imgiinstigen Bedingungen
zur Assimilation.
4. Es lasst sich femer eine Vermehrung des Gerbstoffs am
Licht in den Assimilationszellen beobachten. Ein Exemplar von
. Poterium Sanguisorba wurde etwa am 8. Juli aus dem Gartenland in
einen Topf verpflanzt und behufs baldiger Bewurzelung theils in ziem-
licher Dunkelheit gehalten , theils bei beschranktem Lichtzutritt cultivirt.
Am 1 5 . Juli erwies sich ein Blatt , das den Bau eines Sonnenblattes
hatte, als gerbstoffarm in den Palissaden. Der Stock wurde noch
bis zum 20. Juli in Finstemiss gebracht. In Blattern von geringerer
Dicke als die vorigen, also in solchen, welch e mehr den Bau von
Schattenblattern besassen, konnte nach dieser Behandlung in den Pa-
lissaden gleichfalls grosse Gerbstoffarmuth nachgewiesen werden. Es
wurden nun Blatter, welche mit den letzteren vergleichbar waren,
d. h. ebenfalls Schattenbiatter , nach Verlauf einiger Zeit zur Unter-
suchimg herangezogen , naehdem namlich der Stock vom 20. bis 27. Juli
in guter Beleuchtung an einem Siidfenster gestanden hatte. Diese
Westermaier : Ziir physiolog. Bedeutnng d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 1 o 1
zeigten ihr griines Gewebe, wobei ich besonderes Gewicht auf die
Palissadenzellen lege, an manehen Stellen reich an Gerbstoff. Unent-
schieden bleibt zwar hierbei, ob in Folge der Verdimkelung oder in
Folge der Neubildung von Wurzeln beinv Umpflanzen eine Tannin-
verminderung eingetreten ist; sicher aber ist, dass sich hernach der
GerbstoflF am Lacht in den eigentlichen Assimilationszellen deutlich
vermehrt hat.
Zu ahnlichem Resultat fiibrte eine vergleichende mifarochemische
Untersuchung eines Schatten- und Sonnenblattes von Quercus pedun-
culata, Ersteres, tief unten vom Baum abgenommen , ergab in seinen
Palissaden im Allgemeinen eine mittelstarke Gerbstoflfreaction ; das
Sonnenblatt hingegen, aus grSsserer H6he stammend und bekanntlich
durch seine Structur von ersterem unterschieden, zeichnete sich durch
eine starke Tanninreaction in zahkeichen Palissadenzellen aus. Bei
dem Schattenblatt war die obere Epidermis von dem genannten Stoff
frei, beim Sonnenblatt ebenfalls oder arm daran.
Aus den im vorstehenden Paragraphen beriehteten Beobachtungen
ziehe ich folgenden Schluss.
Abgesehen von jenen Fallen, in welchen GerbstoflF durch Ein-
wanderung in den Zellen erscheint, bedingt gesteigerte Lichtwirkung
sowohl in chlorophyllfreien als chlorophyllhaltigen lebenden Zellen
eine GerbstoflFzunahme. In normal Chlorophyll fahrenden Assimilations-
zellen geht in ausgew&hlten Fallen (bei panachirten und etiolirten
Blattern) mit dem ausnahmsweisen Fehlen des Chlorophylls ein ent-
sprechender Mangel an Gerbstoff parallel.
§. 2. Beobachtungen uber Wanderung und Verbrauch
des Gerbstoffes.
Die Region des Stamm-Vegetationspunktes von Ribes nigrum
lieferte im Juni bei mikroskopischer Untersuchung nach mehrtSgiger
Einwirkung des Kaliumbichromats das Ergebniss, dass die jugend-
lichen (meristematischen) Blattanlagen in ihren oberen Theilen frei
von Gerbstoff sich erwiesen, wahrend an ihren basalen Partieen gerb-
stoffarme Zellen sich befanden, die ihrerseits schliesslich in die tannin-
reichen Gewebe des Stammes hineinfiihrten. Da ich glaube, diese
Erscheinung dahin deuten zu sollen, dass der Gerbstoff den Anlagen
der jungen Blattorgane zustrome und dort verbraucht werde, so lasse
ich hier noch andere Beobachtungen folgen, welche eine ubereinstim-
mende Schlussfolgerung nahelegen.
Diese Beobachtungen wurden an 8alix fragUis angestellt. Es
wurden namlich Zweige oder Zweigstiicke dieser Pflanze am 6. Juli
132 Sitzung der phys.-niath. Classe v. 17. Febr. — Mittheilnng v. 3. Febr.
vom Baiune genommen, entblattert und behufs Bewurzelimg in Wasser
gestellt. Zur Orientirung uber den znr Zeit herrschenden Gehalt an
Gerbstoff wnrden kleine Stucke vom unteren Ende der Zweige der
bekannten Reaction unterworfen. tls ergab nun der Vergleich der
bciden Zustande vor und nach der Wurzelbildung, wie wir sofort
sehen werden, eine Translocation des in Rede stehenden Stoffes gegen
den Ort der Neubildung bin.
Zustand vor der Bewurzelung: Zweig dreijahrig. Xylemmark-
strahlen im dritten Jahrring frei von Tannin, im zweiten sporadisch
in einigen Zellen mit solehem versehen; im innersten dagegen ent-
halten zahlreicbe Markstrablen in continuirlicher Reihe Gerbstoflf in
ihren Zellen.
Nach der Wurzelbildung dreijahriger Zweige konnte man nun
mehrfach an denjenigen Querscheiben , an welchen die Wurzeln ent-
sprangen, constatiren, dass gerade an dem Radius, der von der
Wurzelinsertion aus zimi Mark lauft, im aussersten (dritten) Jahrring
des Holzes deutlich Gerbstoflf in man<*hen Marl^strahlen sichtbar war,
wahrend der ganze dritte Jahrring, wie vorhin bemerkt, vor der
Bewurzelung sich frei von Tannin erwies. Bemerkenswerth ist ferner,
dass auf dem betreffenden Radius, in welchem im aussersten Jahr-
ring nun Gerbstoflf sich vorfand, derselbe jetzt im innersten Jahrring
gelegentlich schwacher vertreten war , als in dem librigen Markstrahlen-
gewebe desselben Jahrringes. Es hat hiernach eine Verschiebung des
genannten Zellinhalts von innen nach aussen stattgeftmden.
Ein anderer Versuch, dessen Ergebniss gleichfalls die Wanderung
des Gerbstoflfs darthun soUte, bezog sich auf das Holzpai*enchym. Ein
Zweig von Querctis pedunculata wurde am 7. Juni geringelt. Derselbe
befand sich am Baum in gut beleuchteter Lage und war mit sch5n
grunen Blattem versehen. Nach etwa vier Wochen wurde derselbe
abgenommen imd die Gerbstoffvertheilung in seinen Geweben, be-
sonders in denjenigen des HolzkOrpers, naher untei*sucht.
Was den Zustand eines normalen Zweiges um diese Zeit (13. Juli)
betrifft, so sei daruber Folgendes bemerkt. Ein zweijahriger Zweig
war im Mark reich an Starke, ebenso die Xylemmarkstrahlen des inneren
Jahrringes, die des ausseren besassen sehr wenig Starke. Holzparenchym
in beiden Jahrringen mit Starke versehen, aber ebenfalls inj ausseren
mit gegen den Cambiumring bin abnehmendem Starkegehalt. Rindc
sehr starkearm. Gerbstoff ziemlich allgemein in den Zellen der
Holzmarkstrahlen , ferner reichlich in der primaren und secundaren
Rinde, sowie in zahlreichen Elementen des starkereichen Markgewebes.
Im Holzparenchym Gerbstoff nur sparlich, in wenigen zerstreuten
Zellen.
Westermaier: Zur physiolog. Bedeutung d. GeHwtolfes i. d. Pflanzengeweben. 133
Wir betrachten jetzt den seit etwa vier Wochen, wie oben an-
gegeben, geringelten Zweig an der von Rinde entbl6ssten Stelle, sowie
ein wenig unterhalb (stammwarts) der Ringelungss telle. Diesen beiden
Regionen gehSren die Praeparate an, welche ich in Fig. 4a und 46
dargestellt habe. •
An der Ringelungsstelle selbst befindet sich reichlich Gerb-
stoff in zahlreichen Holzparenchymzellen. Das Mark enthalt
hier in gewissen zalilreichen Langsreihen seiner Zellen gleichfalls viel
Tannin. Starke ist einerseits in denselben Markzellen mit Tannin
gemeinsam vorhanden, andererseits nebenan in tanninfreien Zellen.
In den Marksti-ahlen und dem Holzparenchym der Ringelimgsstelle
ist Starke im Allgemeinen ganz sparlich oder gar nicht nachweisbar.
Eine Region, etwas imterhalb der Ringwiinde gelegen, zeigte
(Fig. 46) in der ausseren Partie des zweiten HolzjahiTinges eine
Querbinde von staxkefnhrendem, aber gerbstoflEfreiem Holzparenchym;
durch diese Binde waren zwei Markstrablen verbunden, deren Elemente
sowohl Sftarke als Grerbstoflf fuhrten. Solche Verhaltnisse von Gerb-
stoflF- und Starkevertheilung in Holzparenchym und Markstrablen
wiesen die durch diese Region gel^hrten Querschnitte ganz aligemein
auf. Die Holzparenchymzellen, deren Zustande in den beiden Fi-
guren 4 a u. 46 dargestellt sind, lagen auf dem Querschnitt innerhalb
der aussersten gefassreichen Zone.
Zweiter Versuch. Ein am 3. August geringelter, bis in die
erste Halfte des October fortlebender Zweig von Quercus pedunculata
lehrte bei Untersuchung der Starke- imd Gerbstoffvertheilung Folgendes.
An der Ringelimgsstelle selbst war das Holzparenchym des
aussersten (hier dritten) Jahrringes reichlichst mit Tannin versehen.
XJber der Ringelung hatte sich der bekannte Wulst gebildet. Etwa
1T5 liber der Ringelung war im aussersten (vier ten) Holzjahrring
ebenfalls reichlichst GerbstoflF im Holzparenchym; besonders stark
vertreten war der Stoff auch in den Markstrablen desselben Jahr-
ringes. Ungefilhr 2**™ unterhalb der Ringelung ist im Holzparenchym
viel St&rke, kein Gerbstoflf. Man beobachtet leicht, dass dicht unter
der Ringelimgsstelle die braune Masse (d. h. die Gerbstoffreaction
mittelst Kaliumbichromat) sich aus dem aussersten Holzjahrring
wieder in die Rinde hinauszieht.
Aus diesem Versuchsergebniss folgere ich, dass der Gerbstoff bei
Quercus pedunculata im Sommer von oben (den Blattern wohl) nach
unten wandert. Seine Hauptbahn ist die Rinde nebst dem Mark.
Bei Unterbrechung der^ Rinde lenkt der Strom ein wenig in den
Holzk5rper ein — durch die Markstrablen — und bewegt sich dann
in den longitudinal leitenden Holzparenchymzellen. In letzteren tritt
134 Sitziing der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
an diesen Stellen die Starke, wie es scheint, zuriick. Doch lasse ich
einstweilen die Frage unerledigt, oh Starke und Gerbstoff ftir sich
neben einander her wand em, ohne in einander iiberzugehen, oder ob
die Starke in der Form des Gerbstoffes wandert, (Selbstverstandlicb
wandert die Starke auch im erst^ren Falle nicht als solche, sondem
in Form eines gelosten Kohlenhydrates.)
§. 3. Uber Vertheilungsmodalitaten des Gerbstoffs, be-
sonders in den Bl&ttern.
AlchemUla vulgaris sei zuerst Gegenstand unserer Besprechung.
Die drei grossen Biindel des Blattstiels sind in den Monaten
Juni (oder Juli) von der Anheftimgsstelle der Spreite in dieselbe
hinein, andererseits nach unten im Blattstiel selbst verfolgt worden.
An der Anheftungsstelle der Spreite ist ein jedes der Bundel mit
einer starkefuhrenden Scheide umgeben. Nach innen folgen zimachst
koUenchymatisch aussehende Zellen an der Aussenseite des Leptoms.
Eben diese koUenchymatischen Zellen sind nach dem mittleren Theil
des Blattstiels bin grossentheils durch stark imd gleichmassig ver-
dickte mechanische Elemente vertreten. In dieser Region des Blatt-
stiels und noch weiter gegen die Basis bin tritt nun der Starkegehalt
etwas zurack. Es ist das ohne Zweifel die von Heine' beobaehtete
Erscheinung des Verbrauchs von Starke zur Verdickung der Zellwande.
Verfolgt man nun die drei oben erwahnten Bundel in die Blattspreite
hinein — also gegen die Assimilationsstatten zu — so tritt in ihren
nun an Zahl zunehmenden Zweigen die Starkeschicht zuriick; denn
um die kleineren Strange herum finden sich keine Starke fuhrenden
Zellen mehr, gr5ssere sind vorwiegend in den nach der Blattunterseite
gekehrten Scheidenzellen mit Starke versehen. Die kleineren und
kleinsten Bundel sind mit einer ein- bis zweischichtigen ausgepragten
»Gerbstoffscheide« umgeben. (Fig. 6). Vom Palissadengewebe selbst
fiihi'en zahlreiche Elemente GerbstoflF, andere sind davon frei; ent-
schiedene Starkereaction aber konnte an einem Praeparate mit Gerb-
stoff fahrenden und hiervon fireien Palissaden weder in diesen noch
in jenen beobachtet werden. Im Leptom gr5sserer Blattbundel finden
wir in zahlreichen Elementen Gerbstoffi*eaction.
Zu vorstehendem Befund bemerke ich: Handelt es sich um Neu-
bildung (beziehlich Verdickung) von gewohnlichen Zellmembranen,
so ist Starke - Ablagenmg einer der Processe, welche im Chemismus
zunachst vorhergehen; sind dagegen Stoffe eiweissartiger Natur zu
* Bericlit^ der Deutsclien Botanischen Gesellschaft III. 8. 189.
Westerma ier : Znr physiolog. Bedeutnng d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 135
erzeugen, wie im Leptom der Leitbiindel, oder ist einfach der in den
Blattern gebildete Stoff weiter zu transportiren , so geschieht dies
hauiig in der Form von Gerbstoff.
Im Rhizom von AkJiefnilla vulgaris war im October massenhafb
Starke zu constatiren, ausserdem aber rief Eisenchlorid eine ziemlich
Starke (blauschwarze) Gerbstoflfreaction hervor. In den Blattstielen
noch saftiger Blatter war um diese Zeit viel GerbstoflF im grosszelligen
Parenchym, ziemlich wenig oder keine Starke in eben diesem Gewebe;
in den GefS^sbiindelelementen fanden sich erheblich gr5ssere Starke-
mengen vor.
Beach tenswerth erschien mir ferner eine Erscheinung, die sich
beziiglich der Gerbstoff- und Starkevertheilung an Blattern von Mespilus
gerrnanica beobachten liess. An einem sonnigen Julitage des Abends
war in sehr zahlreichen Palissaden eine geringe St&rkereaction zu
erhalten; die Sammelzellen tmterhalb der Palissaden waren sehr reich
an Starke. Ein Stuck desselben Blattes, der Behandlimg mit Kalium-
bichromat unterworfen, ergab sowohl in den Palissaden wie in den
Sammelzellen entschiedene Gerbstofireaction. Im Zusammenhalt mit
meinen fruheren Untersuchimgen an dieser Pflanze, deAen zufolge im
AUgemeinen Starke in den Palissaden hier in der That nicht sicher
nachzuweisen war, wahrend Gerbstoff regelm&ssig als vorhanden sich
constatiren liess, wird der Gedanke nahe geriickt, dass Temperatur-
einflusse den Ausschlag geben kSnnen, ob Starke oder Gerbstoff
in den Palissaden mancher Bl&tter erzeugt wird. Dass eine solche
Verschiedenheit der Assimilationsproducte in den zwei Palissaden-
stockwerken desselben Blattes existirt, darauf weisen gleichfalls
meine fruheren Beobachtimgen an Blattern von * Salix pentandra hin,
wo die obere Schicht Gerbstoff fnhrt, die untere hiervon auffallend
frei ist.^
Da dieser Abschnitt bemerkenswerthen Vertheilungsarten des
Gerbstoffes in den Blattern gewidmet ist, so ist hier d^r geeignete
Ort, darauf aufmerksam zu machen, dass gerade eine typische Gerb-
stofl^flanze, Quercus pedunculata, in der Epidermis des Blattes frei
von dem Stoffe, oder arm daran war. Sowohl ein tiefgriines Sonnen-
blatt als ein Schattenblatt wurden Ende Juli hierauf imtersucht. Das
Vorkommen unseres viel besprochenen Stoffes in den Epidermiszellen
braucht also nicht immer Hand in Hand zu gehen mit seinem Auf-
treten in den Palissadenzellen, und die beiderlei Erscheinungen miissen
von verschiedenen G^sichtspunkten aus beurtheilt werden.
* Sitzungsberichte der Koniglich Preiissischen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin 1885 (S. 11 15).
136 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheilting v. 3. Febr.
Zum Schluss dieser Beobachtungsreihe ffihre ich noch eine That-
sache an, die sich allerdings nicht auf Blatter, sondem auf Stamm-
organe bezieht, dass sich n§.mlich bei Rosa und Drymis Winteri auch
in den im Cambiumring gelegenen Markstrahlzellen des Stammes im
Juli Gerbstoff nachweisen liess. Die auf den genannten K5rper reagi-
renden Zellen gehen aus dem Holz durch's Cambium hindurch in die
secimdare Rinde hinein. Fur die Zeit der Vegetationsruhe besitzen
wir bereits eine gleichartige Beobachtung von Sanio.* Diese That-
sachen sprechen ebenfidls gegen die Annahme, dass eine solehe che-
mische Verbindung ein uimutzes Ausscheidungsproduct im Stoffwechsel
darstelle.
§. 4. Gerbstoff oder StSrke im Monokotylen-Leitbfindel.
Der Inhalt dieses Paragraphen macht ims einerseits mit einem
neuen oder doch zu wenig beachteten Analogieverh<niss zwischen
Starke und Gerbstoflf bekannt; andererseits ergiebt sich aus den hier
zu er5rtemden Thatsachen eine Erweiterung unserer Kenntniss vom
eiweissleitenden Gewebe des Monokotylenbundels. Es reiht sich daran
als Consequenz eine naturgemasse Correctur in der Terminologie der
Leitbundelge webe .
Da das Auftreten von Gerbstoff oder Starke fuhrenden Zellen
im eiweissleitenden Gewebesystem sowohl bei Dikotylen und Gymno-
spemien als bei Gefasskryptogamen bereits feststeht, so wirft sich von
selbst die Frage auf, ob in der That beziiglich dieses Punktes die
Monokotylen-Leitbfindel eine Ausnahme bilden, oder ob sich die an-
gefahrte Erscheinung nicht doch als ein sammtliche grosse Gruppen
der Gefilsspflanzen beherrschender anatomischer Zug darstelle.
Indem ich die Frage in letzterem Sinne bejahen werde, weiche
ich etwas von der bisherigen Lehre fiber den Bau des Monokotylen-
bfindels ab. Im Folgenden sind die Beobachtungen mitgetheilt, aus
denen folgt, dass in verschiedenen Familien der Mojiokotylen die
eiweissleitenden Gewebe von Elementen durchsetzt oder theilweise
umgeben sind, weiche dem Holzparenchym des Bflndels aequivalent
sich erweisen.
Scirpns natalensis bietet uns in seinen Leitbfindeln ein erstes
hierher gehoriges Beispiel. Ein Blick auf Fig. 2a und 26 lehrt uns,
dass in den gr5sseren wie in den kleineren Mestomstrangen ein Starke
fuhrendes Gewebesystem vorhanden ist, welches sich sowohl auf den
^ Botanische Zeitiing 1863.
Westerhaier : Zur physiolog. Bedeiitung d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 137
die Siebrohren ftihrenden als auch auf den gefassffihrenden Theil
erstxeckt.^
Im grSsseren Bundel (Fig. 2a) veriauft innerhalb des nach der
Blattunterseite zu gelegenen Stereombeleges ein starkefohrender ein-
bis ztv^eischichtiger Zellbogen, beiderseits an das Hadrom mit seinen
Endpunkten sich ausetzend, seiner Lage nach zum Leptom gehSrig.
Das umschlossene zartwandige Gewebe, das wir als Siebr5hren nebst
Geleitzellen anzusprechen gewdhnt sind, bildet also im Verein mit
den genannten Starke ftihrenden Elementen dasjenige Gewebe, das
fruher allgemein als »Weichbast« bezeiehnet wurde, und bei manchen
Autoren, welehe sich nicht auf die durch Schwendener's Arbeit ge-
brochene Bahn begeben wollen, jetzt noch so heisst. Diese gesammte
zartwandige Gewebegmppe ist also zu vergleichen einer solchen Partie
aus der secundaren Rinde eines D/co^/m-Stammes, welehe nebst Sieb-
rohren und Geleitzellen Starke oder Gerbstoff ftihrende Zellen enthalt,
die vielfach entweder als »Phloemmarkstrahl« radial verlaufen oder
tangentiale Binden auf dem Querschnitt darstellen; sie ist ferner ver-
gleichbar jenem Leitbundeltheil eines Farrnblattstiels , welcher aussen
von der Schutzscheide, innen von den an die trachealen Elemente
angelagerten Holzparenchymzellen begrenzt wird, also gleichfalls Starke
oder dergleichen Stoffe ftihrende Zellen in sich begreift. Ein solcher
Complex ist in Fig. 6 meiner fruheren Mittheilimg uber den Gerb-
stoff dargestellt.*
Mit geringerem Amylumgehalt versehen, aber doch augenscheinlich
homolog dem besprochenen Zellenbogen, veriauft, wie uns unsere
Fig. 2a zeigt, als ein nach der entgegengesetzten Richtung geoffneter
Bogen ein Theil des Holzparenchyms der Art, dass er an die beiden
gro^sen Grefasse ansetzt und den Intercellulargang grossentheils begrenzt.
Einen etwaigen Zweifel dariiber, ob die Elemente, welehe die
beiden besprochenen Zellenb5gen zusammensetzen , aequivalent seien,
beseitigt die Betrachtxmg des kleinen Bundels aus dem Halm der
betreffenden Pflanze, das in Fig. 26 dargestellt ist. Ein Kranz starke-
ftihrender Zellen begrenzt namlich hier das Bundel ringsum. Der
Starkenachweis geschah in einem Falle durch vorhergehende Behand-
limg mit Chloralhydrat und darauflfolgende Anwendung von Jod-
splittem, in Wasser gelost.
Gehen wir zur Besprechung einiger Cj/perus -Arten uber.
* Die hier behandelten Zellen sind auch durch Chlorophyllgehalt ausgezeichnet.
* Sitzungsberichte der K5niglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin, XLIX, 1885; Taf. XVI. VergL auch Potonie: » Uber die Zusammenset-zung
der Leitbundel bei den GeiHsskryptogamen* im II. Band des Jahrbuchs des Koniglichen
Botanischen Gartens u. s. w. von Eichler und Garcke, Taf. VIII, Fig. 13.
138 Sitzung der phys.-inath. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
Zufolge nSlierer Untersuchung erscheint ein Mestombilndel aus
dem Blatt von Cyperus badius, wie solches in Fig. 3 veranschaulicht
ist, als ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerthes Seitenstuck zu
dem oben behandelten grossen Grefassbundel von Scirpus natalensis.
Hier tritt in den Zellen des uns vor Allem interessirenden Gewebe-
systems die bekannte Gerbstoffreaction (mit saurem chromsaurem Kali)
^^ ^^ —
ein. Femer zeigen in diesem Fall nicht die ganzen ZellbSgen Uber-
einstimmung in ihrem Zellinhalt, sondem es sind dies nnr zerstreute
iZellen aus dem Bogen im Leptom imd wiederum einige Holzparenchym-
zellen. Der Zellbogen im Leptom besitzt hier ein charakteristisches
anatomisehes Merkmal in Form der kollenchymatischen Verdickung
an seiner Innenseite. Auch in den kleinen Bundeln beobachtete ich
dem Vorigen entsprechend keinen Kranz von auf Gerbstoff reagirenden
Zellen, sondem nur einzelne derartigen Inhalt aufweisende Elemente.
Auf Langsschnitte eingehend uberzeugte ich mich von der mehr
parenchymatischen Natur jener Zellen, welche den Halbkreis an der
Peripherie des Leptoms zusammensetzen; mehrfach nahm ich hori-
zon tale Qilerwande wahr, seltener iZellenden mit geneigten WSnden.
(Die Lange der betreffenden Zellen ist mitunter sehr gering; die
kurzesten waren etwa 27 bis 36 Mik. lang.)
Bei Cyperus Papyrus (Halm) trat gleichfalls die eben besprochene
Reaction mit dem Ealisalz ein imd zwar einerseits in einzelnen Ele-
menten des Leptombogens , andererseits in etlichen Holzparenchym-
zellen (den grossen Grefassen anliegend).
Die Kenntniss eines weiteren hierher gehSrigen Falles verdanke
ich der gutigen Mittheilung eines jungen Faehgenossen , des Herrn
Dr. E. GoEBELER, mit dessen Einwilligung die Aufluhrung dieses
schSnen Beispiels hier geschieht. Das Vorkommniss gehSrt der Pahierir
Familie an, wurde indess nicht in die Breite verfolgt, sondem nur
fiir einen Fall eingehender untersucht; doch zeigt ein fluchtiger Blick
auf andere Angeh5rige dieser Familie, dass es sich um keine Einzel-
erscheinung handle. Ein Bundel aus einem LwTi^^awa-Blattstiel ist ein
besonders gunstiges Object, \xm die regelmassige Betheiligung gerb-
stoflEfuhrender Elemente an der Zusammensetzung einer Leptomgruppe
zu veranschaulichen. Fig. 7 zeigt uns eine solche Gruppe, welche
auf der einen Seite von mechanischen Zellen (m. Z,), auf der anderen
vom Holzparenchym (p) umgeben ist. Die Kaliumbichromatreaction
zeichnet in diesem Fall drei Elemente von mittlerer Grosse aus. Nicht
selten findet man auch einzelne von den Holzparenchymzellen mit
Gerbstoff versehen. Dieser Befimd lehrt wiederum, dass rucksichtlich
des Zellinhalts gewisse Elemente im zartwandigen Leptom dem Holz-
parenchym physiologisch verwandt sind. An den Elementen im
Westermaier : Ziir physiolog. Bedeutung d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 139
Leptom, welche Gerbstoff fahren, beobachtete ich im Langsschnitt
sowohl horizon tale als stark geneigte QuerwSnde. In einem Falle,
wo zwei Querwande deutlich sich darstellten, betrug die Lftnge einer
solchen Zelle 90 Mik. Von den Siebrohren unterscheiden sie sich
durch ihre geringere Lange, sowie durch meist geringere Weite, von
den Geleitzellen im Allgemeinen durch ihren grSsseren Dnrchmesser.
Der letzte von den hier aufzufiihrenden Fallen gehort der Familie
der Orchideen an, und betrifft ein Gefassbundel aus einem Blatt von
Cypripedium venustum. IJber den Zellinhalt, d. h. seine chemische
Natur habe ich hier keine nShere Kenntniss gewonnen, vielleicht ist
derselbe Zucker oder dergl. Das Bundel, welches die Fig.> i darstellt,
ist eines der grosseren Blattbiindel. Der Querschnitt lasst sehr deut-
lich erkennen, dass auf der Phlo6mseite innerhalb der Schutzscheide
zunachst ein grosszelliges meist einschichtiges Gewebe bogenfermig
verlautt; die Elemente desselben treten nach der Gefasspartie hin
convergirend zusanmien und bilden hier eine Gruppe, welche mit
Rucksicht auf ihre Lagerung und ihr Aussehen auf dem Querschnitt
mit gleichem Recht als zum Leptom gehorig betrachtet, wie zum
Hadrom als Holzparenchym gerechnet werden kann. Es fliessen hier,
wie man sich ausdracken kann, Holzparenchym und jene Elemente,
welche den zartwandigen Zellbogen bilden, zusammen. Einiges Holz-
parenchym liegt zwischen den trachealen Elementen und um dieselben
herum. An den in Rede stehenden grossen Zellen des Leptoms
beobachtet man auf LSngsschnitten , dass ihre QuerwSnde horizontal
oder schief stehen konnen.
An die vorstehend mitgetheilten Beobachtungen kniipft sich ein
allgemeineres Interesse.
Nachdem wir namlich auch in der Abtheilung der Monocotylen
einige Falle kennen gelernt haben, in welchen Zellen, die Gerbstoff
oder Starke oder einen noch unbekannten Stoff fiihren, als Bestand-
theile des Leptoms der Art figuriren, dass ihre physiologische Aequi-
valenz mit dem Holzparenchym so zu sagen in die Augen springt,
miissen wir noch mit einigen Bemerkungen auf die Nomenclatur
eingehen.
Dieselbe Logik, welche seiner Zeit gebot, dass die mechanischen
Zellen ausserhalb und innerhalb des Cambiumringes neu und gleich
benannt werden mussten — die Steretden Schwendener's — , weil
die Anwendung der NXGELi'schen Begriffe Xylem und Phloem Gleich-
artiges auseinanderriss, dieselbe Logik verlangt auch einen einheitlichen
Ausdruck far sammtliche durch Gerbstoff, Starke oder ahnlichen In-
halt ausgezeichneten imd hierdurch unter sich gleichartigen Zellen
des LeitbtindeLs, gleichviel ob sie im gefassfiihrenden oder im eiweiss-
140 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheiliing v. 3. Febr.
leitenden Theii desselben ihren Sitz haben. Es findet sich eine
passende Bezeichnung bereits in unserer Literatur. J. Troschel^ hat
namlich ftir diejenigen Zellenmassen des Mestoms, denen als eine
wesentliclie Function die Speicherung von Starke u. s. w. zukSmmt,
den Namen » Amy lorn « vorgeschlagen. Bei der Analogie zwischen
Amylum und Gerbstoff im Chemismus der Pflanze liegt zur Zeit' kein
Bedenken gegen diese Bezeichnung vor. Zergliedert man also den
Begriff »Amylom«, so geh5rt dazu i. das gesammte Markstrahlen-
gewebe, 2. das Holzparenchym und 3. die mit ihm durch Zellinhalt
und mehr oder weniger auch durch Zellform ubereinstimmenden Zellen,
welche die Siebrohren (nebst den Geleitzellen) imigeben oder zwischen
denselben verlaufen; die betreffenden unter 3 angefiihrten Elemente
konnen in Faden oder Strangen, Flatten oder Rinnen angeordnet sein.
Durch vorj^tehende Definition und Specificirung der Amylomzellen
fallen die Krystallzellen , die bei manchen Dicotylen chai*akteristische
Begleiter der eiweissleitenden Gewebe sind, a priori nicht in unseren
Amylom - Begriff hinein. Denn ihre wesentliche Function ist nach
unseren bisherigen Kenntnissen eben nicht die Speicherung von
StSi'ke u. s. w., sondem sie sind sicherlich Orte der Ablagerung im-
brauchbarer Producte des Stoffwechsels. Hat man also die Bestand-
theile eines Mestom- oder Leitbiindels aufzuzahlen, so mussen die
Krystallzellen als eigenartige, in gewissen Fallen hinzutretende , also
accessorische Elemente aufgefiihii; werden. Es musste denn sein,
dass sich durch kunftige Untersuchungen noch heraussteUte , dass
auch diese Zellen zu einer anderen Lebenszeit der Pflanze Amylom-
Function hatten; dann waren sie zum Amylom zu rechnen.
Da nun die Identitat derjenigen Amylomelemente , welche im
geftssfuhrenden Theil des Mestombundels liegen, mit den im eiweiss-
, leitenden Theil gelegenen nicht mehr wohl zu bestreiten ist, und
weil Amylomelemente der gefassfiihrenden Partie immer zukommen,
so ist das Amylom ein integrirender Bestandtheil des Mestoms ebenso
gut wie die Gefasse einschliesslich der Tracheiden oder die SiebrShren
einschliesslich der Geleitzellen. Hiernach ist eine Dreitheilung des
Leitbundelgewebes oder Mestoms vorzunehmen; dasselbe enthalt
1. die Siebrohren sammt Geleitzellen (imd Cambiform) =
Leptom (nach Haberlandt),
2. die Gefslsse und Tracheiden = Tracheom (Troschel),
3. das Starke, Gerbstoff oder ahnliche Stoffe fiihrende ziuneist
parenchymatische Zellgewebe = Amylom (Troschel).
^ » Untersuchungen liber das Mestom im Holz der dicotylen LaubbS.ume«,
Dissertation. Berlin 1879.
Westermaier : Zur physiolog. Bedeutung d. Gerbstoffes i. d. Pilanzengeweben. 1 41
Die Bezeichnung »Tracheoin« als Collectivbegriff fiir die GefUsse
sammt den Tracheiden findet sich ebenfalls bei Troschel (S. 20 der
oben citirten Arbeit).
Auf einen dunkelen Punkt in der Nomenelatur der Eiweiss leitenden
Elemente sei bei dieser Gelegenheit noch hingewieisen. Nach Wilhelm's'
Angabe besitzen namlicli die »Cambiform«-Zellen typisch parenchyma-
tisehen Charakter. Haberlandt^ dagegen, obwohl auf Wilhelm's Ab-
handlung in Betreff des Unterschieds zwischen Cambiform- und Geleit-
zellen sich berufend, definirt die Cambifonnzellen als langgestreckte
zartwandige Zellen mit prosenchymatisch zugespitzten oder zugescharften
Enden und feinkomigem Plasmak5rper. Als Inhalt beobachtete Wilhelm
nebst dem Zellkem Starke (in der Vegetationsruhe) und Gerbstoff.
Wilhelm's Cambiform geh5rt sicherlich zum Amylom. Auch aus de
Bary's^ Dai'stellung dieser Verhaltnisse ergiebt sich die M5glichkeit der
Identitat von Cambiform und dessen »Parenchym des Siebtheils«.
Wie sich der Widerspruch zwischen Wilhelm und Haberlandt
I5sen wird, bleibt einstweilen unentschieden. Femer wird es Sache
weiterer Untei'suchung sein, ob sich der Begriff » Cambiform « flber-
haupt noch halten lasst, oder ob nicht die ihm zugewiesenen Elemente
theils Geleitzellen , theils Amylomzellen sind.
§. 5. Nahere Beziehungen zwischen Gerbstoff und einem
mit JodkaliumjodlSsung sich blauenden KOrper.
Die Kenntniss der hier zu behandelnden Erscheinungen wurde
gewonnen bei Untersuchungen an Rurnex Patientia imd Rheum Rfta-
ponticum. Wie indess schon die Uberschrift andeutet, sind die hier
mitzutheilenden Studien zu einem befriedigenden Abschluss noch nicht
gelangt.
Wenn man mittels der w&sserigen JodlSsung, insbesondere aber
der JodkaliumjodlSsung einerseits, mit Eisenchlorid , Kaliumbichromat
andererseits den Zellinhalt der Parenchymscheiden sowie der Elemente
im Leptom des Blattstiels und stSrkerer Blattnerven bei ersterer
Pflanze pi-flft, so f&Ut dem Beobachter auf, dass in vielen der ge-
nannten Elemente eine Substanz (oder Substanzmischung) enthalten
ist, welche sowohl mit den ersteren auf Starke ange wejideten , als
auch mit den beiden anderen fiir Gerbstoff ublichen Reagenzien be-
merkenswerthe Reactionen giebt. Die JodkaliumjodlSsung erzeugt
einen blauen KSrper, das Kaliumbichromat einen braunen. Ersterer
* Beitrage zur Kenntniss des Siebr6hi*en- Apparates dikotyler Pflanzen. S. 30.
* Physiologische Pflanzenanatomie. S. 219.
' Vergleichende Anatomie. S. 337, n. 2.
Sitziingsberichte 1887. 14
142 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheilung v. 3. Febr.
sowohl als letzterer tritt erstens mit homogener, syrupartiger Con-
sistenz und zweitens mit mehr kSrniger Beschaffenheit auf; bei dem
blauen K5rper, der meistens homogen (wie eine blaue sehr feine
Emulsion) erscheint, sind es im Falle kornigen Auftretens grossere
K6mer oder Massen, beim braunen kleine K5rnchen oder Tropfchen.
Das Blau, das dem besagten Korper zukommt, ist ein belles Blau,
manchmal wie mit einem Stieb in's Griine, jedoch audi zuweilen tief
himmelblau. Ein violetter Ton, wie er bei jenen Reactionen hervor-
trat, welche fifiiher C. Nageli,^ neuestens Dufour*^ beobacbt^te, fehlt
bei dicser Erscheinimg ganz. Dagegen stellte sich in unserem Fall
eine andere bemerkenswertlie Almlichkeit zwiscben der von Dufoub
angefuhrten Erscheinung imd der bier in Rede stehenden heraus. Es
giebt namlich der wasserige Inbalt der von IHjfour untersuchten
Epidermiszellen aus dem Blatt von Saponaria officinalis in manchen
Zellen mit Eisenchlorid auch eine schwarzlicbe Farbung, was gleich-
falls auf einen schwachen Gerbstoffgehalt hindeutet.
Zuerst sei nocb liber die Mischung der beiden Reactionen in
unserem Falle Einiges angefobrt, hernach folgen Bemerkungen uber
die Vertheilung des sicb mit der Jodl5sung blauenden Koq^ers in
den Gewebeelementen obiger Pflanzen.
In dem grosszelligen Parenchym des Blattstiels von Rheum Rhapon-
Hcum giebt es ziemlicli zablreiclie longitudinal verlaufende Zuge von
Zellen, deren Inbalt das uns bekannte Blau mit der Jodlosung ein-
treten lasst. Beginnt man nun die mikrochemisebe Behandlung des
Langsschnittes mit einem der genannten Gerbstoflfreagenzien , so gelingt
es leicht, in einer der aussersten Zellen dieser Reihen die Gerbstoflf-
reaction hervorzurufen und dann durcb Zusatz von starker JodlSsung
die sich anschliessenden Zellen derselben Reihe blau zu farben. Ja
es scbien, als ob die blaue Farbung auch da noch das tJbergewicht
gewinnt, wo bereits Braunferbung durch das erstere Reagens eingetreten
war. (Zu den Gefilssbundebi zeigen hier die betreffenden iZellreihen
keine besondere Beziehungen.)
Ubereinstimmendes lehrte auch die Untersuchimg des Blattes von
Rumex Patientia. Die Scheidenzellen der Mestombundel zeigten namlich
mit Eisenchlorid braune bis schwarze FSrbung des Inhalts und liessen
mit saurem chromsauren Kali einen braunen KSrper entstehen; anderer-
seits erzeugte JodkaliumjodlSsung in den Scheidenzellen die blaue
Substanz.
^ Beitrage zur wissenschafllichen Botanik. Hefl II. S. 187. Hier werden auch
diesbezugliche Beobachtungen von Sanio und Schenk angeffihrt.
* Recherclies sur Vamidon soluble etc. Exlrait du Bulletin de la Soc. vaud.
des Sciences naturelles. Vol. XXI. n. 93. 1886.
Westermaier : Zur physiolog. Bedeutiing d. Gerbstoffes i. d. Pflanzengeweben. 143
Tiber zeitliche und 5rtliche Verhaltnisse des Vorkommens sei
mit Bezug auf den durch Jodlosung sich blauenden Stoff sehliesslich
noch Folgendes bemerkt. Sclion ein junges Blatt von Rumex PatienHa,
welches noch zusammengefaltet und mit einer hautigen Scheide um-
hilUt ist, zeigte sich damit ausgestattet. Der Stoff fand sich in zahl-
reichen Zellen des Mittelnervs in der Umgebung des Hadroms und
in gewissen Elementen des Leptoms. In der Spreite des jugendlichen
Blattes sieht man ihn ausserdem reichlichst im Nervenparenchym.
Ein Blattstiel eines grossen herangewachsenen Blattes zeigte An-
fangs October folgende Verhaltnisse: Bis gegen den imtersten Theil
zu sind nebst den Elementen im Leptom zahlreiche Zellen um die
Leitbiindel herum mit dem durch die JodlSsung sich blauenden K5rper
versehen. Frei davon sind im AUgemeinen diejenigen von den das
Gefassbiindel begleitenden Zellen, welch e am Leptompol liegen; die-
selben fahren Starke. Unten an der Blattstielbasis sind es mit einer
sichtlichen Auswahl besonders die Zellen rechts und links an den
Flanken der Biindel, die den blauen Inhalt nach der Reaction iuhren.
Diese Eigenthumlichkeit trat auch bei einer anderen Gelegenheit als
charakteristisch hervor. Ferner wurde beobachtet, dass der besprochene
Stoff haufig in den Lumina einiger etwas dunnwandiger (also noch
nicht verdickter) Elemente des hadromseitigen Stereombeleges sichi
vorfand, gleichsam als Baustoff far die sich noch verdickende Zell-
haut. Auch in der herangewachsenen Blattspreite ist derselbe im
Nervenparenchym nachzuweisen. In einem Blatt von Rheum Rhapon-
ticurn fand sich zu einer Zeit, wo die oberirdischen Organe bald alle
absterben (im October) , die fragliche Substanz besonders reichlich
in gi'osseren zusammenhangenden Complexen des Schwammgewebes.
Diesen Umstand, sowie die viel gewichtigere Thatsache, dass der
Koi-per besonders constant im Leptom zu beobacht^n ist, mochte ich
gegen wartig hypothetisch folgendermaassen erklaren. Wir haben es
hier mit einer Verbindung , zu thun, die sowohl ein Component, als
auch ein Derivat oder Zersetzungsproduct einer eiweissartigen Sub-
stanz ist. Das reichliche Vorkommen im Leptom wurde uns den
Stoff so zu sagen als synthetisches Glied zeigen, wahrend dessen
Aufbreten in dem Schwammgewebe herbstlicher Blatter den aus
dem Zerfallen des Eiweisses resultirenden Zustand reprfisentirt. Die
Ck)mcidenz der auf Gerbstoff hinweisenden Reaction mit der im
Vorigen hauptsachlich behandelten muss einstweilen als unverstan-
dene Thatsache registiirt Averden.
144 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Febr. — Mittheiliing v. 3. Febr.
Figurenerklfirung.
Fig 1 . Ct/pripedium venustum (ca. 640 Mai). Skizze eines Blattleitbundels.
Das grosszellige Amyloin bildet auf der Leptomseite einen Bogen , fliesst gegen
die trachealen Eleinente bin zusammen und liegt als Holzparencbym an und
zwiscben denselben.
Fig. 2a. Sarpus natalensis (ca. 700 Mai). Starkereaction im Amylom
eines grosseu Blattleitbundels 9 znr Demonstration der physiologiscben Gleicb-
werthigkeit der Amylom - Elemente im gesammten Mestomstrang.
Fig. 2b. Scirpus natalensis (ca. 700 Mai). Halm; kleineres Mestombundel
mit einem Kranz von Amy lomzellen ; die Amylomzellen dieser Pflanze fubren
zugleich etwas Cblorophyll.
Fig. 3. Cypenis badius (ca. 700 Mai). Fibrovasalbundel aus dem Blatt.
Die Amylom -Elemente sind zum Tbeil durch die Gerbstoffreaction mittels
Kaliumbicbromat ausgezeicbnet.
Fig. 4a. Qtterats pedunculata (ca. 700 Mai). Partie aus dem Holz der
Ringelungsstelle mit Gerbstoffreaction in Holzparencbym und Markstrablen ;
Naberes im Text.
Fig. 4b. Quercus pedunculata (ca. 700 Mai). Partie aus dem Holz etwas
unterhalb der Ringelungsstelle rait Starke im Holzparencbym und den Mark-
strablen, Gerbstoffreaction in letzteren.
Fig. 5 a. Hortensia, Einige Palissadenzellen aus einer lebbaft griinen
Blattstelle mit deutlicher Gerbstofireaction in den Chlorophyll fiihrenden
Elementen.
Fig. 5 b. Hortensia. Einige Palissadenzellen aus einer weissen Blattstelle
mit ausserst schwacher Gerbstoffreaction.
Fig. 6. Alchemilla tmlgaris (ca. 330 Mai). Skizze eines kleineren Blatt-
nerven im Querschnitt mit Gerbstoffscheide; die Reaction auf denselben Stoff
in den Biindelelementen sowie die trachealen Elemente sind angedeutet.
Fig. 7. Ximto/ia-Blattstiel (ca. 700 Mai). Querschnittspartie aus einem
Fibrovasalstrang mit Gerbstoffreaction; p = Holzparencbym, m. Z. = mecha-
nische Zellen.
Ausgegeben am 24. Februar.
Berlin, gcdrackt in der Rricb«<iniclier«L
fciidels.
tgegen
m und
tnylom
Jleich-
bundel
tuhren
^Blatt.
littels
der
khlen;
itelle
inem
5char
tdruckertl
145
1887,
XI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
24. Februar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. CuRTius las uber die Volksgriisse der Neugriechen
in ihrer Beziehung zum Alterthum.
2. Hlt. Fuchs las uber einen Satz aus der Theorie der
algebraischen Functionen, und uber eine Anwendung des-
selben auf die Differentialgleichungen zweiter Ordnung.
3. Hr. Weizsacker iiberreichte eine Abhandlung des correspon-
direnden Mitgliedes Hrn. Hegel in Erlangen: uber den Erbkauf in
den danischen Stadtrechten im Mittelalter.
4. Hr. ScHULZE legte eine Abhandlung des Hm. Prof. C. Chun in
KSnigsberg vor: die pelagische Thierwelt in grosseren Meeres-
tiefen und ihre Beziehungen zu der Oberflachenfauna.
5. Hr. KiEPERT legte zur Ansicht vor: drei Blatter Routenkarten
aus dem nordwestlichen Kleinasien (Maassstab 1:200000), Plane der
Umgebungen von Tion und von Amastris (i: 20000) und eine Anzahl
Photographien und Zeichnungen aus derselben Gegend, als Ergebnisse
der mit Unterstutzimg der Akademie im Jahre 1886 ausgefiihrten Reise
des Hm. Prem. -Lieut. W. von Diest; femer die Originalzeichnung
seiner zur demnachstigen Publication bestimmten neuen Karte von
Kleinasien im Maassstabe 1:500000.
6. Die philosophisch-historische Classe hat weitere 1300 Mark zur
Fortsetzung der Herausgabe der Commentatoren des Aristoteles bewilligt,
und die physikalisch - mathematische Classe 1740 Mark zur Anschaflfimg
Sitzuiigsberichte 1887. 15
146 Gesammtsitzung vom 24. Februar.
eines Mikroskops, eines Reflexionsgoniometers und eines Spectral-
Apparats fiii* die akademische Instrumentensammlung ; diese Stucke
sollen zunjlchst Hm. Dr. Baumhauer in Liidinghausen auf seinen An-
trag zu krystallographischen Untersuchungen zur Verffigung gestellt
werden.
7. Der Correspondent der physikalisch - mathematischen Classe
Hr. Otto Struve in Pulkowa hat am 20. d. M. sein fiinfzigjahriges
Astronomenjubilaum und zugleich sein fiinftindzwanzigjahriges Jubil&iim
als Director der Kaiserlich Russischen Hauptstemwarte gefeiert. Die
Akademie hat Hm. Struve durch die unten folgende Adresse begluck-
wunscht.
Die Mittheilungen Nr. i und 2 folgen gleichfalls hier, Nr. 3 wird
in einem der nachsten Berichte erscheinen, fiir Nr. 4 bleibt die Auf-
nahme in die »Abhandlungen« vorbehalten.
147
Die Volksgriisse der Neogriechen in ilirer
Beziehimg zom Alterthom.
Von E. CuRTius.
IN&chst den Israeliten giebt es kein Volk des Alterthums, dessen
geschichtliches Leben wir von den altesten Zeiten bis in die Gegen-
wart begleiten kSnnen, wie das griechische Volk. In beiden erkennen
wir seit alter Zeit den gleichen Tiieb , in die welte Welt zu gehen und
sich unter fremde Nationen zu mischen, doch hat bei den Griechen
die centrifugale Bewegung nie die Oberband gewonnen; der Kern
des Volks ist den Heimathsitzen treuer geblieben und deshalb hat
sich der Zusammenhang des Volks in Sprache und Sitte dauerhafter
erhalten. Diese Thatsache ist in den letzten Jahrzehnten immer deut-
licher zu Tage getreten, und nachdem eine Zeitlang die Ansicht sich
geltend machenkonnte, der Kem des alten Volks sei in den Stiirmen
des fruhen Mittelalters imtergegangen , und das von Barbaren iiber-
schwemmte Land sei erst im achten Jahrhundert von einer griechisch
redend.en Bevolkerung neu colonisirt worden, ist dieselbe, namentlich
durch Deffner's Forschungen, immer voUstandiger widerlegt. Immer
deutlicher hat sich nachweisen lassen , dass die alte Sprache an Ort imd
Stelle mit ihren dialektischen Eigenthumlichkeiten lebendig geblieben
ist, und dass sie sich in einer Reinheit erhalten hat, wie es nur
moglich war, wenn echte Nachkommen der Alten die Trager der
Sprache geblieben sind. Immer zahlreicher tauchen uberall die alten
Ortsnamen auf, die im Volksmunde treu bewahrt worden sind, und
so viel sich auch im Laufe der Jahrhimderte durch den Untergang der
alten Staaten imd Stadte, durch den Ruekgang der alten Cultur, durch
Einfiihrung des Christenthums , durch die Unterwerfung unter fremde
Staaten und die Einmischimg stammfremder Volker verandert hat, so
ist doch kein Riss eingetreten, der den lebendigen Zusammenhang
unterbrochen imd die Continuitat der Uberliefenmg aufgehoben hat.
Darauf beruht die Wichtigkeit neugriechischer Studien fur das
classische Alterthum, und wie es fiir den Botaniker ein grosses Interesse
hat , wenn er solche Pflanzen , welche nur als wohlgepflegte und voU ent-
15*
148 Gesammtsitzuog vom 24. Februar.
faltete Culturpflanzen bekannt waren, ausserhalb dieser Culturspliaere
in einem sich selbst uberlassenen Naturzustande wieder findet, so hat
es far den Geschichtsforscher den grSssten Reiz, ein altes Culturvolk
dnrch solche Zeiten begleiten zu diirfen, wo es ohne staatlichen
Zusammenhang, ohne stadtisfche Organisation in einem gewissermaassen
verwilderten Zustande fortbestanden hat. Denn was sich hier an
charakteristischen Ziigen erhalten hat, gehort ja dem Lebensbilde
desselben Volks an, dessen Erkenntniss die Anfgabe der classischen
Alterthumskunde ist, und kann unsere Anschauimg des alten Volks
erganzen. Denn was in Denkmalern nicht bezeugt und litterarisch
nicht iiberliefert worden ist, namentlich Ziige des taglichen Lebens,
und AUes, was dem Familienleben angehort, das kann sich in mund-
licher Uberliefeinmg von Geschlecht zu Geschlecht auf griechischem
Boden fortgepflanzt haben.
Um davon eine Probe zu geben, stelle ich, an jugendliche Studien
anknupfend, einige B^merkimgen uber neugriechische Volksgrusse zu-
sammen.
In der Art, wie Menschen einander grussen, glauben wir ihre
Gemuthsart am unmittelbarsten zu erkennen. So sind auch fur Volker
imd Stamme die landesublichen Begrussimgsformen charakteristisch.
Den Sprichwortem gleich sind es F(5rmehi, in denen sich der Volks-
sinn auspragt: ein Niederschlag gemeinsamer Lebensanschauungen,
und wenn wir nun in den Grussen der Neugriechen das imverkenn-
bare Geprage eigener Volksthumlichkeit wahmehmen, und zugleich
bei naiver Einfachheit eine iiberraschende Mannigfaltigkeit , ein aus
der Tiefe des Gemiiths stammendes Bedttrfniss alien Vorkommnissen
des Lebens durch fi*eundlichen Zuspruch eine gewisse Weihe zu geben,
von Verwandten und Freunden jede drohende Gefahr abzuwehren imd
sie von einem Lebensabschnitt zum andem zu geleiten, so durfen wir
in diesem Schatz von Grussformeln etwas erkennen, das wie die
Sprache, in welcher sie ausgesprochen werden, mit dem hellenischen
Alterthum in ununterbrochenem Zusammenhange steht, — denn wann
imd wie soUte sich hier bei dem in seinen alten Wohnsitzen fort-
lebenden Volke etwas ganz Neues entwickelt haben?
Freilich sind in den dunkeln Jahrhunderten , in welchen die Alt-
griechen zu Neugriechen ge worden sind, vielerlei Einflusse wirksam ge-
wesen, welchen die volksthumliche Uberlieferung ausgesetzt war. Am
eingreifendsten waren die mit dem tJbertritt zmn Christenthiun verbun-
denen; das sind aber diejenigen, welche am deutlichsten erkennbar sind
und sich vom Erbtheil des Alterthums am leiehtesten scheiden lassen.
Schwerer nachweisbar sind Einflusse anderer Art. Ich habe bei
friiheren Studien fiber das Neugriechische (Nachrichten von der Georg-
CuRTits: Die Volksgrftsse der Neugriechen. 149
August -Universitat in Gdttingen und der K. Ges. der Wiss. 1857
S. 272) darauf hingewiesen, dass die Sprache in ihren Lauten, in
ihren Flexionen, im Gebrauch des Artikels, der Pronomina und Zahl-
wSrter, in den Formen der Negation, in der E^itwiekelung der Wort-
bedeutungen wie in syntaktischen Wendungen eine Reihe merkwiir-
diger tJbereinstimmungen mit den romanischen Sprachen zeige, und
es lasst sich noch nicht bestimmen , wie weit diese Analogien , wefche
wir auf keine geschichtlichen Veranlassungen zuruckzufuhren wissen,
sich ausgedehnt haben. Vielleicht gelingt es denen, welche das ro-
manische Sprachgebiet beherrschen, auch in den Grussformen Analo-
gien nachzuweisen. Auch will ich nicht in Abrede stellen, dass von
den orientalischen Volkem, mit denen die Griechen in Beriihrung
gekommen sind, gewisse Einwirkungen ausgegangen sind.
Indessen weist AUes darauf hin, dass ein durchgreifender Einfluss
von aussen nicht stattgefiinden habe. Was wir an Grussformen fin-
den, ist in sich durchaus gleichartig, und wShrend andere V6lker
(ich brauche nur an die auffallende Thatsache zu erinnern, dass sich
bei den Deutschen gewisse fremdlandische Begriissungsformen so fest
eingebiirgert haben) sich auch in der taglichen Umgangssprache des
Einflusses von Nachbarv6lkem nieht erwehren konnten, begegnen wir
bei den Neugriechen nur reingriechischen Ausdriicken, in denen sich
die NachklSnge des Alterthums nicht verkennen lassen, und die
Stetigkeit der Srtlichen Uberlieferung bezeugt sich auch darin, dass
sich auf den Inseln, welche dxu'ch ihr abgeschlossenes StilUeben be-
sonders geeignet waren, das Alte zu bewahren, wie auf dem Fest-
lande bei aller Ubereinstimmung eine grosse Mannigfaltigkeit im Ein-
zelnen zeigt.
Unser Interesse far den Gegenstand dieser Betrachtung steigei't
sich , wenn wir bedenken , welche Bedeutung der Gruss far das antike
Volksleben hatte. Er war in vielfachen Beziehimgen ein Erkennungs-
zeichen des hellenischen Volkes. Als Konon vor den Grossk6nig von
Persien gefiihrt werden soUte, erklarte er, dass er seine Nation com-
promittiren wurde, wenn er vor dem Throne die vaterlandische Sitte
verlaugne, und Herodot (U 80) erkennt einen wesentlichen Unterschied
zwischen Aegyptem und Hellenen darin, dass diese bei der Begegnung
auf der Strasse einander einen Gruss zurufen, wahrend jene eine
stumme Handbewegung machen. Dap lebendige Wort ist erst bei den
Hellenen zu voller Ehre gekommen und sie hab(»n auch im Grusse das
rein Menschliche, das nur bei entwickeltem Gemeindegefuhl zum Aus-
druck kommt, zxu* Geltung gebracht.
Schlicht und einfach, sinnig imd bedeutimgsvoU zugleich, wie
alles Hellenische, war der alte Volksgruss, welcher, von allem Zu-
150 GesammtsiteUDg vom 24. Febniar.
fJQligen trnd Unwesentlichen absehend, das Eine betonte, woratif der
Werth des Lebens beruht, die Freude am Dasein, welcher wie der
Lebensodem durch die griechisclie Welt geht. Dasselbe y/upt gait
dem Kommenden wie. dem Gehenden; es athmet eine frohe Zuver-
sicht, welche jedem Lebensalter frommt und auch in Trubsal nicht
versiegen soil (yjtiptr' iv xctKoig ofxwg Aesch. Pers. 845); iind wenn
auch in der Zeit der Sophistik, die alles Herkommen in Frage stellte,
modeme Formen, wie icTroi^ofjLon , eingefiihrt wurden, das Altvaterliche
erhielt sich dennoch nnd blieb bis zuletzt ein Erkennungszeichen aller
Hellenen und hellenisch Gebildeten.
Besonders charakteristisch aber ist fiur die Alten, dass sie nicht
bloss von Mund zu Mund griissten, auch das Leblose wird in den
mundlichen Verkehr hereingezogen. Grosse und kleine Denkmaler
geben in erster Pergon uber ihre Herkunft und Bedeutung Auskunft;
denn bei einem Volke von wachem Geiste wird vorausgesetzt , dass
Niemand mit stumpfen Sinnen an den Kunstwerken vorftbergehe , und
der Frage kommt die Antwort entgegen. Schalen und Eannen laden
selbst mit Grass und Trinkspruch zum Genusse ein; denn an denjenigen
Werken der Kunstlerhand, welche den Stempel des Volksthumlichen
am treuesten bewahrt haben , an den Thongefassen , erkennen wir am
deutlichsten das Streben des hellenischen G^istes, alle GegenstSnde
des taglichen Gebrauchs durch Grusse zu beseelen und in den Kreis
eines gemuthvoUen Menschenverkehrs hereinzuziehen. Das bezeugen
die Namen der Junglinge, welchen auf den Gef&ssen ein Zuruf der
Liebe und Bewunderung gezoUt wird. Auch ohne den Namen dient
ein Trpogar/opevu) dazu, die personliche Beziehimg des Kunstlers zu einem
Freunde auszudrucken (Arch. Ztg. XIII, 35*). Diese Schriflgrusse sind
Urkunden der Kunstgeschichte geworden; an ihnen erkennen wir die
verschiedenen Ateliers in Athen, nach ihnen sind wir im Stande, die
Gleichzeitigkeit gewisser Kiinstler zu bestimmen. Mit solchen Grussen
ausgestattet, als Trager ganz individueller Beziehungen, gingen die
bemalten Thongefasse auch in's feme Ausland, und darum haben sich
die Namen der schSnen Junglinge von Athen auch in den Grabem
Etruriens geftmden, wo man von dem schSnen Leagros und Genossen
nichts wusste. Nirgends in der Welt waren Empfindung und Wort,
Wort und Schrift einander so nahe und der tjbergang so leicht wie
in Athen. Wande, Thurpfosten, Baumrinden wurden mit Ausdrucken
zSrtlicher Freundschaft angefiillt. Besonders charakteristisch sind die
Wegedenkmaler. Erstens die Hermen, die in der Mitte zwischen
Stadt imd Gau den Wanderer belehrten imd mit einem Sinnspruch
begrftssten, der ihn auf einsamem Wege begleiten soUte, imd dann
die Grabsteine.
CuRTits: Die Volksgrflsse der Neugriechen. 151
Nach dem Geiste spartanischer Gesetzgebung verschwand der
Bflrger mit dem Tode aus dem Gedachtniss der Gemeinde; nur der
£&r das Vaterland Gefallene sollte auf dem Grabe genannt werden
dflrfen (Plutarch Lykurg 27). Wo lonier wohnten, genoss die Per-
sOnliehkeit eine grSssere Berecbtigung auch nach dem Tode, und der
Gruss war es, der die an der Heerstrasse Bestatteten mit der Ge-
meinde in lebendigem Zusammenhange erhielt. Der Liebesgruss, welcher
dem Abscheidenden nachgerufen war, soil nicht spurlos verklingen;
er soil von den AngehOrigen bei der Gedachtnissfeier wiederholt und
von den Voriibergehenden nachgesprochen werden; darum wird er
in den Grabstein gemeisselt; das verhallende Wort wird zu monumen-
taler Schrift, ebenso wie die Binde, welche bei der Gedftchtnissfeier/
um den Stein gewimden wurde, eine plastische Darstellung erhielt.
Die zweite Form der GrabesgrQsse ist die , dass der Verstorbene der
Anredende ist: xottpe irocpoSfirAy zirvy/ht, rotg iroLpohoig %ctiptiv u. s. w.
Er legt dem Wanderer einen frommen Gruss in den Mmid {TrocpepTrm bTttov
^kparlw' 7fltw6v ir/jpig k'houppdv C. I. Gr. 2599. Kaibel, Epigr. 193). Er dankt
fiir die erwiesene Theilnahme ; die Begrussung wird eine gegenseitige
wie C. I. G. 1956: yjiiptrt, yipwtg' %cupt xott (Tv* evo^si, Der Bestattete nimmt
des Wanderers Gruss auf (xaipuv rov xoltol yfig etTrug, ^evt, Aioyivy\ fjn) und
erwiedert ihn durch Gegengruss und Segenswimsch (2445: Bcuv^ IttI
rviv TTpSi^iv, rvy%ocv€ S'wv IS^'Xe*^. 3256: (Tre^oig ifby^Hih i%vog €%u)v). Es
kommt auch vor, dass der Verstorbene aus seiner reicheren Erfithrung
dem Wanderer nach Art der Wegehermen einen Lebensspruch von
allgemeinerer Bedeutung auf den Weg mitgiebt. Hier entartet helle-
nische Weisheit in eine dem Orient entstammende Anpreisung frivolen
Sinnengenusses , wie 3846^: "AvS-o^ rotg wupo^lroug %oupeiv' Xov<you, We,
(pcHyt, lieivy\(yov' rovrwv yup w^e xJrw ov^ev €%eig. Vergl. Zur Geschichte
des Wegebaues S. 57.
Die zweite und dritte Form sind spateren Ursprungs ; sie sind
aus dem einfachen %oup€ nach imd nach erwachsen. Alle drei Formen
aber zeigen, wie tief gewurzelt im Geiste der Hellenen der Trieb
war, auch den Grabmaiem durch Beischrift solcher Worte, welche
im taglichen Leben der Ausdruck gegenseitiger Anhanghchkeit waren,
eine besondere Weihe zu geben. Je volksthflmlicher die Kunst-
gattung , um so mehr machte sich der* Trieb geltend , auch auf Denk-
malem in Stein und Thon durch Gruss und Gegengruss Nahe und
Feme, Lebende und Todte mit einander zu verbinden.
Wenn filr Leben und Kunst der Alten der Gruss eine solche
Bedeutung hatte, so hat es ein besonderes Interesse f&r alle Freunde
des Alterthums, dem nachzugehen, was bei den Nachkommen der
Alten an volksthumlichen Griissen im Gebrauche ist. Die Neugriechen
152 Oesammtsitzung vom 24. FebruAr.
selbst, in denen sich mit der Sprache auch der Zug zu wissenschaft-
licher Forschung erhalten hat. haben hier den Grund gelegt. Fur
die Insein Miliaraki in seiner verdienstlichen Schrift: vTTOfJLvvifjLArot
TrepiypoupixA ruiv KvkXcH&wv vv\<yu)v. Auch der philologische Verein in C!on-
stantinopel hat diesen Studien ein einsichtsvolles und fruchtbares Inter-
esse zugewendet, indem er fiir die mehr und mehr verschwindenden
mimdartlichen Ausdrucksweisen der Umgangssprache -ein Archiv an-
gelegt hat. In seinen Denkschriften sind zwei hierher gehSrige Ab-
handlungen gedruckt: i. IloXrn)^, Ev%aI )cou xoLrdipou Trotfu rw lAA»)vix£5
XaJJp, Band IX p. 23 i. 2. YVoxxriog, Xv'KKoyvi Ai^ewv rov Iv Zotyopiu) rij^ 'H^cipou
lAAt)v«xot! XoLov, opKoi, ev%uly KuroifAi. Band XTV p. 273.
Mit solchen Leistungen in Sammlung des Materials wetteifem
zu wollen, kann nicht meine Absicht sein. Ich versuche nur mit
dankbarer Benutzung dieser Arbeiten wie nach eigenen Beobachtungen
durch eine kurze Besprechung neugriechischer Volksgrusse davon eine
Anschauung zu geben, was wir auf diesem Wege ffir die Kenntniss
eines mit den Alten in Sprache und Sitte eng zusammenhangenden
Volkes lernen konnen. Wenn aber der an das classische Griechiseh
Gewohnte an den verstummelten Formen des neuen Idioms Anstoss
nimmt, so hat es doch auch ein Interesse f&r uns, zu beobachten,
wie die Sprache, die wir als eine todte anzusehen und zu behandeln
gewohnt sind, als lebende Volkssprache sich ausnimmt, und wer den
ersten Eindruck des Befi*emdlichen und AnstOssigen uberwunden hat,
wird sich bald auch an den neugi'iechischen Grussformen iiberzeugen,
wie viel charakteristische Ziige sich aus dem Alterthum erhalten haben ;
er wird die Frische und Mannigfaltigkeit der Ausdrucksweise so wie
die Gewandtheit der Wortbildungen in der VulgSrsprache nicht ver-
kennen.
Die Griisse, welch e sich den Tageszeiten anschliessen , sind aller
Orten die einfachsten und gleichartigsten. Ich hebe also nur einen
derselben hervor, der auf mich immer einen besonderen Eindruck
gemacht hat und, so weit mir bekannt, etwas den Griechen Eigen-
thumliches ist. Es ist ein Giniss, der dem zur Ruhe Gehenden ge-
spendet wird, indem man ihm nicht 'giite Nachtruhe' wunscht, sondern
das, um dessen willen der gesunde Schlsrf ein so kOstliches Gut f&r
den Menschen ist, namlich, ein frisches imd fr5hliches Erwachen.
^Es m6ge Dir wohl tagen', ist der schSne und sinnige Nachtgruss,
welcher in ein Substantiv zusammengefasst wird: Ko^o^fjLepwfjui d. i.
Eine ahnliche Anticipation liegt in dem Morgengruss: kuXov
^poiSvy mit dem z. B. eine Hausfrau ihren Sohn in die Schule ent-
lasst, wo er den Tag zubringt. Sie wunscht ein gluckliches Wieder-
CctiTtus: Die Volksgrflsse der Neugrlechen. 153
sehen tun Sonnentmtergang und darum entl&sst sie ihn in der Frflh-
stunde rait einem *Guten Abend'.
Wie man jede hansliche Verrichtung zu einem Grusse benutzt, zeigt
die weit verbreitete Sitte, dass, wenn im Wohnzimmer die Lichter
angeziindet werden, eine KdXii eciTspu den Anwesenden geboten wird.
Andere Grusse schliessen sich an jahrliche Vorkommnisse an,
welche der T^andbau mit sich bringt. Trifft man einen Nachbar bei
der Aussaat, so heisst es: )coLXwg KoifjLBre (gleich x^qLtverc), Kcifxvtiv im
Sinn von 'verrichten' : 'Eichtet eure Arbeit wohl aus'. Ausfiihrlicher
sagt man: rov %povov vk Keikoh^r/^{Tty d. h. fiber's Jahr m5gt ihr reichlich
einfahren! Oder es heisst: vk i^rt (fur i^i^t) Suifpopo, d. h. einen
guten Ertrag haben. Denn ro SiA<f)opov bedeutet 'Interesse , Zinsen' und
dies Wort ist bei dem rechnenden Handelsvolk der gebrauchliche
Ausdruck fiir jeden Gewinn und guten Erfolg geworden. KcL?<k ^utupopu,
so rufen auch die Bettler zum Dank far ein Ahnosen.
Trifft man den Nachbar bei der Komemte (B'epio'fjLog) oder Wein-
lese {rpvyyfTog)^ sagt man: vol ro (poLrt (tvcc ocvro (peHyy^re) fxe 'yitui {fjurk
U7«6«W), vk ro TTivire jtxf 'yietk. Man wflnscht fiber's Jahr das Doppelte :
rov yjpovov hnrXortpcty ein Wort, das schon in der neutestamentlichen
Sprache fiir SnrXkciu bekannt ist.
Liegt das Kom auf der Tenne , wfinscht man ungetrubten Genuss :
vk <f)oLU)B^ (<puyu)^) fj^'yitiu, vk }CAXo8s%BrifTe^ vk ^Yi<yovv {^yi(Tu)(Tiv) ol voiKOKvpeig.
Der Hausherr ist o oiKOKvpig; davon wird das Collectiv ro oiko-
Kvpthv gebildet; vulgar ro voiKoKvpsiov , d. i. der um den Hausheerd
gesammelte Kreis.
Es ist aber immer die Hausgenossenschaft , auf welche sich die
pers6nlichen Grfisse erweitem.
Auch die Zusprfiche beim gemeinsamen Male beschrSnken sich
nicht auf des Einzelnen Wohl, sondem man gedenkt des ganzen
Kreises der. AngehSrigen, und wenn ihrer Viele beisammen sind,
wfinscht man, dass auch nicht Einer fehle! Wir erkennen den
patriarchalischen Zug eines treuen Familiensinns , welcher die ganze
Verwandtschaft als ein Gegebenes und fest Begrenztes ansieht. oXov
ro fxsrpov ist das Haus in seinem voUen Bestande, und der Familien-
vater spricht den Wunsch aus: vk fxy\ Xeiyl/rj ric ug ro fxerpov, kein Haupt
soil uns feHen. Mit Sehnsucht gedenkt man der im Auslande Wei-
lenden imd der Wunsch wird laut: vk fjiSig ep^ovv (iW vifjuv sT^oociv)
xati ol ^Bvirtfxsvoi (so hOrt man statt e^evirBvixevoi).
Andere Grusse beziehen sich auf gelegentliche Vorkommnisse des
Lebens, auf hausliche Einrichtungen , auf Kauf und Verkauf.
Hat Einer ein Hausthier oder ein Grundstfick gekauft, so wfinscht
man ihm langen wie imgetrfibten Genuss des Erworbenen : vk ro )upSyi<TYjg
154 Gesammtsitzung votn 24. Februar.
fie vyuUv (jjLsroc vytetot^). Beim Hauskaiif erweitert sich der Gluckwunsch
auf die AngehSrigen : mSgest du in deinera Hause in der Mitte deiner
Kinder alt und grau werden, vol oicTplayig (von a/nrpog weiss) xcu vol
yepoUTYig jtxf rci ttcu^ui cov {fjLBToi rwv ttolI^wv (Tov). Langes Leben wird im
Sinne einer patriarchalischen Zeit immer als eine besondere Gottesgabe
angeseben und erfleht.
Keine Handreichung und Bedienung pflegt eines begleitenden
Glftckwunscbes zu entbebren.
Der Barbier entl&sst seinen Kuhden nicht ohne ein: *zum Wohlsein'
(jLte U76W6V, tig vyeUv cov), und wenn der Schneider einen neuen Rock an-
gepasst hat, so sagt er: voi ro %oiXi(TYfg fj} vysuLv, mSgest du ihn in
Gresundheit auftragen! Ebenso die Bekannten, welche ihm in seinem
neuen Costum begegnen. Steht vyitiA ohne Praeposition , so werden
die drei letzten Silben in eine zusammengezogen. Man hOrt als
gewShnliche Begrussungsformel : yvui cov; so nach dem Niesen, nach
der Mahlzeit.
Zu den Unternehmungen, wo es besonders auf Gluck ankommt,
gehOren Schiffahrt und Jagd. Von Aigina abfahrend, hSrte ich vom
Molo mir nachrufen: ar/iog NixoXflto^ vu Kot^iayi ^g ro ry\fJLovi crou, der
heilige N. (des Poseidon Nachfolger) mdge an deinem Steuer sitzen!
Noch anmuthiger klingt es so : uopoL xotX^ 'g ry\v 7rpvfJLy\ cov {eig rry wpvfjLvoLv).
Dem zur Jagd Ausziehenden ruft man, heutigem Sportbrauch
zuwider, x^tAflt KvvvjfyM zu, was in der Vulg&rsprache kolXa KvviyM lautet,
Oder die Theilnehmer des Jagdzugs rufen sich zu: (poprwixevoi, ein
pragnanter Ausdruck, zu dem man ein vi cAS-w/utcv zu ergSnzen hat,
also *mit Beute beladen mOgen wir heimkehren'.
Der allgemeinste Ausdruck fiir theilnehmenden Gluckwunsch ist
avyyjxlpu) und davon das Substantiv (Tvy%Afv\yuoL oder wie man hOrt
(Tyji^YML. Lauft ein Schiff in einen Inselhafen ein, das einen lange
Ersehnten heimfthrt, so laufen die Jungen vom Hafen in die Stadt,
lun die Ersten zu sein, die in dem Eltemhaus ihr (Tvyyjtfi^xM
rufen. In diesem Wort ist also das alte %oLipw, das Stamm- und Ur-
wort aller griechischen Griisse lebendig erhalten, sonst nur als G^bets-
formel: %oupB xsr/jipirwtuvv^ im Gedftchtniss geblieben.
Zu den Gelegenheitsgrussen gehSren auch die Wandergrftsse,
die Jedem im Gedachtniss sind, der Griechenland durchzogen hat,
weil ihn hier die Erinnenmgen des Alterthums am lebhaftesten
beruhren. Denn von den beiden Kernworten heUenischer Ethik ist
das eine, ar/a^og, wohl jedem Neugriechen verstftndlich , aber es ist
ausser Gebratich; dagegen ist das andere, mit dem die Hellenen das
SchOne der sichtbaren und unsichtbaren Welt bezeichneten, in vollem
Maasse Volkseigenthum geblieben, und nichts beruhrt uns wohl-
CuRTitrs: Die Volksgrdsse der Neugriechen. 155
thuender als das ^pct xofcXt} oder sh ro jwtAov, das sich die einander
Begegnenden 7,urufen; denn auf einsamen Bergpfaden wollen auch die
einander Unbekannten nicht stumm an einander vorfiberziehen. Es
ist von alien anf Kommen und Gehen bezflglichen Grussen der ein-
facbste, edelste und am meisten klassiscbe.
Nimmt Einer von den Seinigen Abschied, so sagt man: cSig (ftir
tfjWiv) u<f)ivoiJL€v vyeiAv, wir lassen euch Gesundheit zuriick, (d. h. wir
boflfen euch so gesund wieder zu finden, wie wir euch verlassen),
oder auch €%erB vytiuv.
Wer in ein Haus eintritt, dessen Gastlichkeit er in Anspruch
nimmt, wird mit den Worten empfangen : KoLXwg wpiCAre. opi^w heisst
verftkgen. Der Gast wird als der Herr begrusst; er hat durch sein
Eintreten fiber das Haus und was darin ist verftlgt, und wenn der
Hausbesitzer sagt, dass dies zu guter Stunde, zum Gluck des Hauses
geschehen sei, so ist sein Gruss das kraftigste Willkommen, das einem
Fremden geboten werden kann. So glaube icjj den Gruss deuten zu
mussen, welcher von alien, die man in Griechenland h6rt, der gewShn-
lichste ist und doch nicht gleich gedeutet wird. *Ankommen' imd
'fiber das Haus verftkgen' wird als identisch betrachtet.
Die so gastlich Aufgenommenen sprechen ihre dankbare Freude
aus: xotXwg (TcU Yivpo^xsv, d. h. es ist schOn, dass wir euch gefunden.
Mannigfaltig sind die Grfisse, welchc dem Scheidenden folgen.
Glfickliche Wanderschaft, heisst es, auf der es dir unterwegs in Staub
und Hitze an frischen Quellen nie fehlen m6ge! Ketko ru^sl^i kcu KpvA
vtpoil Die christliche Form daneben lautet: y\ navoirfuL ixa^i crou {fj^rk
Ffir * glfickliche Fahrt' ist das Wort im Volksmunde lebendig
geblieben, das wir aus dem poetischen Grusse kennen, mit dem der
scheidende Aeschylos von Aristophanes entlassen wird: tvo^luv iyot^v
cLTTiivri woifiTYi. Charakteiistisch aber ist es, dass bei den Neugriechen
als das ersehnte und bleibende Endziel jeder Reise die Heimfahrt
angesehen wird. So ist evo^U lebendig geblieben in dem Worte
xoLTtvo^iov; XflfcAo xatreuo&ov (man h6rt auch xot^ravc^iov) *sch6ne Heim-
kehr' ist der stehende Ausdruck fiir jeden Reisesegen und mit feinem
Sinn wird in den Abschiedsgruss gleich die Rfickkehr eingeschlossen,
eben so wie wir in den Wunsch der Nachtruhe den £&r den Tages-
anbruch eingeschlossen sahen.
Bei jedem Abschiede ist das Wiedersehen der nSchste Wunsch : XfltAiJv
ivTfltfxwcnv, VOL TToire (vTrdiyrifre) kou vol KoL^vroLfxooB'oviJLSv; hier ist mit einer glfick-
lichen Wortverbindung , wie wir sie vielfach an der neugriechischen
Volkssprache bewundern , xolXoc; mit ivroLfxou) (begegnen) verschmolzen ;
oder man sagt: vol (tSu; ^oLvoLi^ovyiev , dass wir euch wiedersehen!
156 Gesammt^toting vom 24. Febntar.
Begegnen sich zwei Griechen im Auslande, so ist imwillkurlich
ihr gegenseitiger Zuruf : Kot\i\v Trctrpl^oL Gleichwie den Alten ein Grab
im Aiislande schlimmer als der Tod war {TriKpirepov B'Avoirov Anth.
Pal. Vn 729) und der im Auslande Kampfende den Wunsch
hatte: S ycCict TTArplg, iroog oiv ev^eHvoifxi (Toi (Rhesos 869), so ist es bei
den Neugriechen der schrecklichste Fluch: Die Fremde m6ge dich
verschlingen (ri ^evireui vol (Ts (pAyrj), oder: Net (re (pdyrj ro ^evov %c3|LUJt.
Anders ausgedruckt: ViVw (fur otticu)) vol fxii yvp{(TYjg; du mOgest nie
zuriickkehren ! Dasselbe sagt die Verwiinschung : tk ro uyvpKTrov,
Der letzte Wunsch bleibt ein Grab im eigenen G^hofte: vi (re
(TKeiroitTri ro xwjjlol rvig o6t5X5j^ (Tov (es bedecke dich u. s. w.) oder in der
heimathlichen Insel: ro %w\xol rov vvi(Tiov (vulgar vyjciov) crou. Denn auf
den Eilanden ist der Heimathsinn besonders entwickelt.
Kommt der Ersehnte zuriick, so segnen die AngehSrigen die
Stunde , da sie die Augen des Geliebten wiedersehen : kuXo eg rk 'ixdrtdi
(TOV {roL ofXfJMrioi), rot, 'fx^noL cov roL ^0. Auch (pwg ig rk fxcirioL (Tov.
Die eigentliche Zeit der Grusse sind die Familientage.
Der G^bnrtstag ist vor dem Namenstage zunickgetreten, an dem
Freunde und Verwandte sich versammehi und in ceremonieller Feier-
lichkeit herumsitzen; woXXoi rk ervi, etg %povM ToXAflt, Irt) TroAAat ist der
herkSmmliche kurze Gruss. Bei jedem frohen Feste, dessen Wieder-
kehr man wunscht, sagt man: xoti rov %povov d. i. fiber's Jahr wieder!
Bei der Hochzeit werden alle Wfihsche laut, welche sich auf
irdisches Gluck beziehen. Dass ftir das Wohl der Tochter wohl
gesorgt sei, wunscht man den Schwiegereltem mit dem vom zins-
tragenden Gelde hergenommenen Ausdruck: vu l^ovfjiev ^utipopov. Die
Wfinsche fiir den Br&utigam {wfjLfplog, yufx/ipog) fasst man wohl in ein
Praedicat, das Vertrauen in die Zukunft ausspricht: z. B. crepewfjievog^
worin er als ein Mann von wohlbefestigten Ijcbensverhfiltnissen be-
zeichnet wird.
Den Vermahlten wfinscht man, dass sie mit voller Lebenskraft
vorwHrts kommen: vol wpoKoyl/ovv (7rpoKo4/w(Ti) fjie ^u)ii TroAAtj {fjieroi ^unig
TToXXi^g). Der neue Bund soil mit dem alteren verwachsen: mSgen
wir ungetrennt bleiben, vol yevwfjLBv oLvoL%wpioi (oi%wpi(rroi) und der 6ltere
Kreis sich durch zahlreiche Nachkommenschaft erweitem: vol yivoofuv
TToXXoi, VOL 7rXv^ev(Tu)iJLev (man h6rt ^X^jS-e^^wjixev), dgre vol fxii %wpovfJLBv
d. h. dass es an Platz fehle! Ein fein gedachter Gruss ist kolXol
xjcrepivoL, d. h. nicht der Gegenwart gilt der Wimsch, die Folgezeit
bis an's Ende m6ge gesegnet sein!
Auf das Neugeborene vereinigen sich am meisten zartliche Wunsche,
in denen sich die Lebensanschauungen am voUsten aussprechen. Der
Mutter wunscht man vor Allem, dass das zarte Leben behfitet werde,
CuRTius: Die VolksgrGsse der Neugriechen. 157
Vflt (TOV ^t)(n| TO TTOU^l {TTdl&lOv), VOL %0UpV\(T0U {%OLipOig) TOL xXwVApuH (TOV
(deiner SprSsslinge mSgest du dich erfreuen)! Man nennt das Kind
TcuXoppi^iKo y als einen Schatz, der Gluck in das Haus bringt.
Die Wunsche gehen in die Zukunft und das GewShnliche geniigt
nicht. Tausend Jahre soil es leben: vol eT(you {eiv\g) %iXio%povogy vol %iAio-
%povidi(Tri. Dass wir ims Deiner freuen wie der hohen Berge: vol
(Te %oLpovfxev 'goLv roL ^-^Y^kk liovvoi {wgoiv roi v-4/v\Xol /iovvoi). Man heisst
den neuen Weltbiu'ger willkommen: KuXuig ?aS^€. *Er m6ge tiichtig
werden in den Waflfen und seiner Feinde Meister werden': vol yivYi
TioLXog tig roL oLpfxoLToL koli rovg ey^povg vol (r/ivayi (mit (r^ivvvfxi zusammen-
hangend).
Anf dem Festlande, wo die Klephtenlieder zu Hause sind, in
denen der Ruhm kuhner Pallikaren gefeiert wird, hort man wohl noch
heute : vd (Tov yivri oipfxoLrwXog )coli xxLireroLvog xott vol rov '/iycUXovv (eK^oiXuxn)
Kou rpoLyov&ioL, d. i. so dass sie auch Lieder von ihm und seinen Thaten
in Umlauf setzen!
Sinnig erwiedert die Mutter: ni5ge mein Kind nur am Leben
bleiben; ich bin zufrieden, wenn auch ein M6nch daraus wird: fxovov vol
^v\(rYi, kg yelvYi mi KoLXoyepog. Das trage Klosterleben gilt dem Volk als
etwas Verachtliches ; die Hauptsache aber ist, dass damit auf Fort-
pflanzung des Hauses verzichtet wird.
Dem Kinde wunscht man, dass es sich seiner Eltem ei-freue:
VOL yjiff\g rov iroLrepoL (Tov koli tyiV fJLviTspoL <yov oder vol %ctpf^g o ri oiyoLTrag,
S-Efl^ VOL (TOV roL <f)6pYi (oder ipepvri) ^s^ioL Se^iog bedeutet nach antikem
Spracligebrauch 'glucklich', und zu dem Artikel ru ist TrpouyfxoLroL zu
erganzen; dafur sagt man in der Vulgarsprache auch tyiv ^ovXeuiv (Tov
(fer ^ovXsioLv) die Geschafte und Obliegenheiten des Lebens.
Die zartlichen Wiinsche gehen in das Uberschwangliche und
begehren Wunder fur das Kind. Erde, die es in die Hand nimmt,
soil zu Gold werden: %w\jlol vol TrucvYig koli fxdXoLfxoL vol (Tov yivy\roLi,
Um den Gliickwunsch noch mehr in das Phantastische zu steigem,
h5rt man wohl den Zusatz : 'goLv (wguv) tol \jlcOO^iol ri\g KscpuXyig. Eine Hand-
bewegung nach dem Kopfe veranschaulicht das Bild von der FuUe des
Goldsegens, die mit den Haaren vergUchen wird.
Zu viel Bewunderung ist nach altem Volksglauben dem Kinde
gefahrlich. Hat sich Einer unvorsichtig ausgedriickt, sucht er durch
ein rasch folgendes vol ^y\(TYf ro ttoli^i dem Schaden vorzubeugen, oder
er wird von der Mutter oder der Warterin aufgefordert . durch ein
Zeichen von Verachtimg sein Versehen gut zu machen: irrvce ro d. h. ro
TTou^iov: spucke das Kind an. Bei alien Fahrlichkeiten ist sonst der
gewShnliche kurze Ausruf: o ^eig, in dem Sinne: Gott m5ge alles
Unheil abwenden!
158 Gesammtsitzung vom 24. February
Bei der Taufe nehmen alle Wunsche einen feierlichen Chai*akter
an und es tritt in die Umgebung des Kindes als wichtige PersSn-
lichkeit der Pathe (o oivoi^o%ogy o vovvvig). Dun wird das Kind uber-
geben, er soil seine Hand daruber halten bis zur Hochzeitsfeier :
fxiig TO cre<f)divu)fxoL Kup {xvpit) vovvvL Die Verbindimg soil wie eine Bluts-
verwandtschaft auf die Nachkommenschaft ubergehen: mi dg rovg
obroiiXoiTTovg vol yjipovfxtv. ol ATTo&iXonroi oder mehr volksthumlich ta
obro&iXonret d. h. die Andem, die Ubrigen mit Einschluss der Nach-
kommen.
199
Uber einen Satz ans der Theorie
der algebiaischen Fnnctionen, and fiber eine An-
weudong desselben anf die Differentialgleichimgen
zweiter Ordnnng. ' .
Von L. FucHS.
In den Sitzungsberichten * habe ich den Satz bewiesen, dass eine
algebraische RiEMANN'sche Fiache, welcbe eine algebraische Involution
zulHsst, durcb eine rationale eindeutig umkehrbare Substitution in eine
zweibiattrige RiEMANN'sche Flache verwandelt werden kSnne. Es ist
nicht uberflussig hervorzuheben, dass ich daselbst stillschweigend von
der Voraussetzung ausgegangen bin, dass zwischen den Perioden m
und % der von Riemann in seiner Theories der AsEL'schen Functionen^
eingefiihrten Normalintegrale erster Gattung keine Relation mit
ganzzahligen Coefficienten stattfindet. Im Folgenden soil
diese Voraussetzung naher erOrtert werden , indem ich zeige , dass das
Vorhandensein einer Involution {Sy z) , {c, ^ in einer RiEMANN'schen
Flache {s , z) im Allgemeinen zur Folge hat , dass diese FlS-che durch
eine eindeutig umkehrbare rationale Substitution — wenn nicht in
eine zweibiattrige — in eine solche RiEMANN'sche Flache {t,u) trans-
formirbar ist, ftir welche die Stellen {t,u) und (— ^, — u) der Invo-
lution (5 , ^) , ((T , ^ der ursprunglichen Flache entsprechen.
Von den Resultaten der oben erwahnten Notiz' habe ich* eine
Anwendung auf die linearen Differentialgleichungen zweiter Ordnung
gemacht, indem ich die Bedingungen da^ entwickelte, dass die
Werthenpaare (5, , -^,) , («2 , z^) , welche der Gleichung
genugen, zu gleicher Zeit die Differentialgleichimgen
* 1886. Juli 22, S. 797.
* BoRCH. Joum. B. 54, Nr. 18.
' Sitzungsberichte 1886. S. 797.
^ Kbonbcker Joum. B. 100, S. 189.
160 Gesammtsitzung vom 24. Febniar.
<p{Si , Zi) dZj JL <f){s^ , Z^) ^2^3 =
befiiedigen, wenn unter f{s,z), ip{s,z) ein Fundamentalsystem von
Integralen einer linearen homogenen Differentialgleichung zweiter Ord-
nung verstanden wird, deren Coefficienten rationale Functionen des
Ortes (s , z) einer algebraischen RiEMANN'schen Flache sind.
Das Wesentliche des daselbst^ gefundenen Resultats besteht in
Folgendem.
Erstlich die RiEMANN'sche Flache (s , z), in welcher die Coefficienten
der Differentialgleichung rational bestimmt sind , lasst sich dnrch eine
rationale eindeutig umkehrbare Substitution in eine andere {t , u) von
der Beschaffenheit transformiren , dass P ^u^ eindeutige Functionen
des Quotienten ^ eines Fundamentalsystems von Integralen werden.
Zweitens sind zwei wohl definirte algebraische Gleichungen {E\ F^)
Oder (E^^\ F^^^) daselbst identisch zu befriedigen.
Ich benutze diese Gelegenheit zu zeigen, dass dieses Resultat
vollstandig erhalten bleibt , wenn auch die Voraussetzung, dass zwischen
den Perioden iri und a^/ rdcht Relationen mit ganzzahligen CoeflRcienten
stattfinden, fallen gelassen wird.
1.
Unter der Voraussetzung, dass die durch die algebraische Gleichung
(A) F{s,z) = o
definirte RiEMANN'sche Flache eine Involution zulasst, ist in meiner
oben erwahnten Notiz^ gezeigt, dass ein System linear unabhangiger
Integrale erster Gattung bestimmt werden kann, deren Differential-
quotienten G,(5 , ^) , G^(Sy z), . . . Gp{s, z) die Gleichung
(K) Git{SyZ)dz=jiLGi{(T^^d^ A:=i,2,...j>
befriedigen , wenn (s , z) , {<y ^ ^ die eine Involution bildenden Stellen
bezeichnen.
Es seien Ui(s,z),u^{s,z),. . .Up{s,z) die Normalintegrale erster Gattung,
wie sie von Riemann^ eingefiihrt worden, und Gi{s^z),G2{s9z),..,Gj,(SyZ)
diejenigen Functionen Gj^(s^ z), fur welche in den Gleichungen (K) das
obere Vorzeichen, G^_^^{s, z) , Gj^^^^i^ ^ z) , . . , Gp(s ^ z) diejenigen, fiir
welche das untere Vorzeichen gilt, so ist, wenn wir mit A^ Constanten
bezeichnen, und
* S. 199 — 200 und S. 196 Gleichungen (M) und (M').
' Sitzungsberichte 22. Juli 1886 S. 797.
• Theorie der AsEL'schen Functionen, Nr. 18 in Borcr. Journ. B. 54.
FucHs: Uber algebraische Functionen. 161
V,{s,z)=j[A,,G,(s,z) + A^G,(s,z) + ., +Af,G,{s,z)]dz
Wt{s,z) =j[Ai^^,G^^,{s,z) + Ai^_^^G,_^^{s,z) + ... + A^^G^is , z)] dz
setzen
iui(s,z) =Vi(s,z) + Wi(s,z) + Const.
^ \n,{<T,^=V,(s,z)-W,{s,z) + Const ''^"^'^
Bilden wir lings der Begrenzung der einfach zusammenhangenden
RiEMANN'schen Flaclie {s , z) das Integral
jui{s,z)du^(<y,^,
so erhalten wir die Gleichung
ml p (l) p Vmr p r "1
(2) 5 • {my + XtcBta^ . m — S.a*. yA • m + 2^ ^*a^J = o ,
wenn wir den Zuwachs, welchen u^{<t y ^ als Function von {s y z)
beim tTberschreiten der Querschnitte a^ und b^ erleidet, mit
tnr P f
I
bez.
mr P ^
mr mr
bezeiclinen , wo A ^ B y A^^ ^ B/^ ganze Zahlen bedeuten.
Sollen nun zwischen wi und a^^i nicht Relationen mit
ganzzahligen Coefficienten erfuUt werden, so miissen die
Gleichungen bestehen:
(3)
r mr
^^ = o J5 = o
mr I mm I
A = o fiir r ^ m , 5^=ofiirA:^/, A = J?;,
mm
woraus sich ergiebt, dass A einen yon m unabhangigen Werth erhalt,
den wir mit a bezeichnen woUen.
**
Demnach wird Ui{(T, Q als Function von {s, z) beim XJberschreiten
des Querschnittes a^. , dessen Index von / verschieden , sich nicht andern,
und beim Uberschreiten des Querschnittes a^ den Zuwachs a • iri er-
fahren. Es ist daher nach einem bekannten Satze
Ui{(y , ^ — ocui(s , z)
eine Constante. Da aber die Functionen G^ {s , z) linearunabhangig
sind, so folgt aus Gleichung (i), dass entweder
(4) ot == I , w; = o
oder
(4*) « = -i,Vi=o
Silzungsberichtc 1887. 16
162 Gesammtsitzung vom 24. Februar.
tor jeden Werth des Index /, d. h. dass fur sammtliche
Gleichungen (K) gleichzeitig entweder das obere oder das
untere Vorzeichen gilt.
2.
Nachdem nunmehr gezeigt ist, dass in den Gleichungen (K)
uberall das namliche Vorzeichen gilt, lasst sich der Beweis des in
Nr. 3* der obenerwahnten Notiz ausgesprochenen Satzes, dass man
eine rationale Fimction von s , z bestimmen konne , welche nur in zwei
Punkten der RiEMANN'schen Flache unendlich erster Ordnimg wird,
wesentlich vereinfachen. In der That ergiebt sich, dass alle adjun-
girten Curven n ^ ^ter Ordnung, welche die Curve nter Ordnimg
F{8 , z) =^ o in einem Punkte {s , z) schneiden , auch dui'ch den Punkt
{(T,^ derselben Curve hindurchgehen. Dann aber folgt aus einem
Theoreme des Hrn. Nother,^ dass F{Sy z) =^ o eine hyperelliptische
Curve ist.
Derselbe Satz ist in Ubereinstimmung mit einem von Hrn.
HuRwiTZ^ gegebenen Theorem. Es ist nSmlich unsere Involution, unter
der Voraussetzung, dass in den Gleichungen (K) uberall dasselbe Vor-
zeiclien gilt, in der Bezeichnungsweise des Hrn. Hurwitz eine Werthig-
keitscorrespondenz, deren Werthigkeit gleich der positiven oder der
negativen Einheit ist.
3.
Ich habo schon oben hervorgehoben , dass ich in meiner oben er-
wfthnten Notiz don daselbst* enthaltenen Satz nur unter der Voraus-
setzung, dass zwischen den Periodicitatsmoduln wi imd a^/ keine
Relationen mit ganzzahligen Coefficienten bestehen, aufgestellt habe.
In dom Fnlle jodoch, dass solche Relationen zugelassen
word on, kfinnen in den Gleichungen (K) verschiedene Vorzeichen
auftreten. Es m6ge untor dieser Voraussetzung und unter Anwendung
der Bezeichnungsweise von Nr. i
» S. 803.
' Mathem. Annalen Bd. 7 S. 286.
' Im §.14 einer in den Berichten der Koniglich Sachsischen Gesellschaft der
Wissenschaften 11. Januar 1886 enthaltenen Arbeit, auf welche vor Kurzem der Heir
Verfasscr mich anfmerksam zu machen die Gute gehabt.
* S. 803.
i
Press s Uber algebrdsdie Punctioneti. 163
X
i =«
XketGt(s,z)
XiciGt(s,2)
T-, = '
gesetzt werden, wo c^,c^,6?^,^^ willkurliche Constanten bedeuten.
Alsdann findet zwischen t iind u eine algebraische Gleiclmng statt
(2) if{t,u) = o,
welche eine Curve 2^—2 ter Ordnung repraesentirt.
Da t und u gleichzeitig fiir die Stelle (cr, ^ der RiEMANN'schen
Mache den entgegengesetzten von demjenigen Werthe besitzt, welcher
in (s,z) erhalten wird, so ergiebt sich, dass die Gleichung (2)
ungeSndert bleibt, wenn gleichzeitig —t fur / und —u fur
u gesetzt wird.
1st die Flaehe F(s ^ z) = o nicht so beschaffen , dass eine rationale
Function von s^z existirt, die nur in zwei Punkten der Flaehe un-
endlich erster Ordnung wird, so sind aiich umgekehrt s und z
rationale Functionen von t und u.^
4.
Es seien die Functionen f{s , z), <l)(Sy z) des Ortes der Riemann-
schen Flaehe
(i) F{s,z) = o
ein Fundamentalsystem von Integralen der Gleichung
(2) ^ + G{s,z)^ + H{s,z)y = o,
WO G{s, z)y H{s, z) rationale Functionen von s^z bedeuten.
Es wird verlangt, dass die Stellen (5, , ^,) , (^^ , 2^2) , fur welche
(3) fi^i y ^i) <l>i^2 y ^2) — /(«2 . ^2) <p{Si ,z,) = o,
zu gleicher Zeit die beiden Gleichungen
{f{s,,z,)dz,±.f{s^,z^)dz^ = o
I (p(s, , z,)dz, ±. (l>{s^ , z^jdz^ = o
befriedigen.
^ Vergl. NoTHER, Math. Annalen. Bd. 17 S. 265.
IG*
164 Gesammtsitziing vom 24. Februar.
Im Bandeioo des Journals ftir Mathematik^ habe ich gezeigt,
dass die Grossenpaare (-^i , -2^,) , (^2 > ^2) > welche die Gleichung (3) be-
friedigen, alsdann eine Involution der RiEMANN'schen Flache (i) bilden
und ausserdem einer gewissen daselbst mit (H) bezeichneten wohl
bestinimten algebraischen Gleiohimg geniigen mussen.^
Fur den Fall, dass zwischen den Periodicitatsmoduln m und %>
welche zu der RiEMANN'schen Flache ( i ) gehSren , nicht Relationen mit
ganzzahligen Coefficienten stattfinden, sind daselbst die Folgerungen
hieraus gezogen worden.
Dasselbe soil hier noch fiir den Fall geschehen, dass derartige
Relationen zugelassen werden.
Es werde unter der in den vorhergehenden Nummem voraus-
gesetzten Involution diejenige verstanden, welche die Losungen der
Gleichung (3) bilden, so giebt es nach voriger Nummer die eindeutig
umkehrbare rationale Substitution
^^^ \s=S{t,u)
von der Beschaffenheit, dass wenn
(6) z^ = R{t, u) , 5, = 5(/, u) ,
alsdann
(6*) z^ = R(-t, -u), s^ = Si—t,—u).
Wenden wir die Substitution (5) auf die Gleichimg (2) an, so
erhalten wir
(2*) ^+G,{t,u)^ + H,{t,u)f/ = o,
wo 6r, , H, rationale Functionen der Variablen t , u bedeuten , welche
eine Stelle in der RiEMANN'schen Fl&che
(i*) *(<,«) =
bezeichnen.
Setzen wir
(7)
dz
— •<l){s,z) = (f),{t,u),
so bilden /, (i,u), <^, (/ , u) ein Fundamentalsystem von Integralen der
Gleichung
» S. 189.
' Daselbst S. 195.
FuoBs: Uber algehraische Punctionen. 165
welche aus (2*) durch die Substitution
(8) w = y
du
hervorgeht, wobei — die sich aus den Gleichungen (5) ergebendtJ
rationale Function von t , u bedeutet.
Die Gleichungen (3) und (4) nehmen die Gestalt an
(3*) /i Ci . w,) </), (/, , W3) — / (/j , u^ (f>, (/, ,u,) = o
1 <Pii*i y ^i) du, ±. ip,{t^ ,u^)du^ = o .
Es soil der Voraussetzung gemass fur die Losungen von (3*) sein
(9) 4 = — 'i . u^=-u,
und es sollen dadurch gleichzeitig die Gleichungen (4*) erfallt werden.
Die erste Forderung enthftlt den Satz:
I. Wenn die Losungen der Gleichungen (3) zu gleicher
Zeit die Gleichungen (4) befriedigen sollen, so muss es eine
rationale eindeutig umkehrbare Substitution (5) geben von
der Beschaffenheit^ dass t^ , u^ eindeutige Functionen des
Quotienten ^ eines Fundamentalsystems von Integralen der
Gleichung (2^) oder (2) werden.
Wir setzen nunmehr voraus, dass die erste Forderung erfullt sei,
alsdann ergiebt sich aus meiner oben erwahnten Arbeit/ wenn wir
setzen
, (10) < du
als eine Consequenz der zw^iten Forderung, dass die Werthenpaare
(t, , u,) , (/j , Uj), welche der Gleichung (3') genugen, auch die Gleichungen
(11) WA{t^,u;^du^ — ]/^{t,,u,)du,=o '
i )/P(4 , u^) du^ — )/P(/, , u,) dUi = o
befriedigen.
Aus meiner Arbeit^ folgt, dass das Statthaben der Gleichungen (11)
auch die genugende Bedingimg dafur ist, dass die Werthenpaare,
* Bd. 100 des Math. Journ. S. 192.
' Das. S. 198 — 199.
166 Oesammtsitzung vom 24. t'ebruar.
welche die Gleichting (3) befriedigen , auch die Gleichungen (4) er-
fiillen.
Axis (9) und (11) ergeben sich aber die Gleichungen
Wir erhalten also folgendes Resultat:
n. Wenn es eine Substitution von der in Satz I ange-
gebenen Beschaffenheit giebt, und wenn zu gleicher Zeit
die Gleichungen (11*) erfiillt sind, so werden die Werthen-
paare {s^y z^) , {s^y z^), welche die Gleichung (3) erfullen, auch
stets die Gleichungen (4) befriedigen.
Die Satze I und 11 bestatigen, dass in dem allgemeinen Falle
dasselbe Resultat gilt, welches ich in der oben erwahnten Arbeit*
for den Fall gegeben habe, dass die RiEMANN'sche Flache in eine zwei-
blattrige transformirbar ist. Es ist n§.mlich daselbst der Umstand,
dass die transformirte Flache eine zweiblattrige ist, unwesentlich.
Das Wesentliche aber besteht darin , dass , wenn daselbst )/S(w) = /
gesetzt wird, nach den Gleichungen (M) und (M')*^ t^ und u^ eindeutige
Functionen von ^ werden, und dass die Gleicjiungen (E\ F^) oder
{E^^\ 7r(2))3 i^efiiedigt werden, welche Gleichungen mit den Gleichungen ( 1 1 *)
iibereinstimmen .
* Das. S. 199 — 200.
' Das. S. 196.
' Das. S. 196.
/
167
Adresse an Hm. Otto Struve zur Peier
seines fiinfzigjalirigen Astronomenjubaamns ond
ftinflmdz^Li Jalmgen Directoqnbilamns
am 20. Pebruar 1887.
Hochgeehrter Herr!
JLJie Konigliche Akademie der Wissenschaften , welche Sie seit langen
Jahren zu ihren Mitgliedern zahlt, nimmt freudig Theil an der
Feier des Tages, an welchem Sie vor. iiinfzig Jahren in den Beruf
des Astronomen eintraten , . nnd an welchem zugleich das fiinfimd-
zwanzigste Jahr Direr Leitung der russischen Haupteternwarte seiner
Vollendung entgegengeht.
Der statigen Entwickelung Ihres Faches sind die wissenschaft-
lichen Wege fiir das letzte halbe Jahrhundert vorgezeichnet gewesen
durch ein voraufgehendes : nach der epochemachenden Ausdehnung
unserer Kenntniss des gestimten Hinunels dnrch die Herschel und
nach der grundlichen Umgestaltung und hoch verfeinerten Ausbildung
aller Methoden, an demselben zu messen, das Gemessene zu berechnen
und die errechneten Resultate theoretisch zu combiniren, durch Gauss
und Bessel, war es die wichtigste Aufgabe fiir eine Reihe von Jahr-
zehnten, auf alien Theilen des den neuen Hulfsmitteln sich erschliessen-
den ungeheuem Arbeitsfeldes ihre Wirksamkeit zu voUer Entfaltung,
das Gebiet, auf welchem jene Entdecker zuerst ihre Fahnen entroUt
und festen Fuss gefasst hatten, durch eingehende Durchforschimg in
seiner ganzen Ausdehnung in den Besitz der Wissenschaft zu bringen.
An dieser Aufgabe haben Sie nunmehr ein halbes Jahrhundert mit
reichem Erfolge gearbeitet; wir freuen uns mit Ihnen der seltenen
Gunst des Geschicks, welches Ihnen die Wege zum Ziel ebnete, in-
dem es Ihnen reichlich die vollkommensten Hulfsmittel fiir Ihre For-
schungen geboten hat, lieber aber noch und fi^eudiger bekennen wir,
dass die Wissenschafl; ihre reiche Forderung durch diesen Erfolg dem
Ernst verdankt, mit welchem Sie die h5chsten Anforderungen an Ihre
Leistung gestellt, dem Geschick, mit welchem Sie solchen Anforde-
rungen zu genflgen gewusst, dem Eifer, mit welchem Sie dem un-
168 Gesammtsitzung vom 24. Februar.
mittelbaren Beispiel des im namlichen Beruf so glanzend voranleuch-
tenden Vaters nachzukommen sich bestrebt haben.
Nachdem es Argelander, heute gerade vco* fiinfeig Jahren, ge-
lungen war die Thatsache ausser Zweifel zu stellen, dass eine fort-
schreitende Bewegung des Sonnensystems im Weltraum an Verschie-
biingen der Fixsteme gegen einander kenntlich sei, und nachdem
derselbe die gegenwSrtige Richtung dieses Fortschreitens zuerst mit
einiger Genauigkeit zu bestimmen vermocht hatte, haben Sie in Ihrer
ersten grosseren Arbeit den weitem Versuch unternommen, die Quan-
titat der Sonnenbewegung zu ermitteln, und zugleich die Bestimmung
einer der fundamentalsten Grossen der Astronomie, der Constante der
Praecession, von ihrem Einfluss zu befreien. Die voUstandigste An-
erkennung des Geschicks, welches Sie in der Beseitigung der Schwierig-
keiten der durch das Eingehen der Sonnenbewegung so viel compli-
cirter ge wordenen Aufgabe der Praecessions - Bestimmung bei der Anlage
dieser Arbeit bewiesen, und der systematischen Griindlichkeit , durch
welche Sie bei der Ausffihrung derselben grossere Sicherheit als Ihre
Vorganger erreichten , ist Ihnen in der immer allgemeiner gewordenen
Geltung zu Theil geworden, welche das Resultat Ihrer Berechnung
erlangt hat; Dire Praecessions - Constante dient heute den Rechnungen
der Fixsternkimde zur fast ausschliesslichen Grundlage. Sie haben
diesen Erfolg noch welter gesichert, als Sie zwanzig Jahre spater
diesen Rechnungen, zur Fortsetzung und zum vollkonmienem Ersatz
eines grossen Abschnitts der classischen Tabulae Regiomontanae , die
Bessel in richtiger Wurdigung ihrer Grundlagen nicht uber die Mitte
unseres Jahrhunderts hatte hinausfahren wollen, das so iiberaus be-
queme und unvergleichlich genaue Hulfsmittel der auf die G^sammtheit
der Pulkowaer Constanten-Bestinmiungen gegrundeten Tabulae Pidco-
venses darboten, deren in regelmassigen Intervallen gegebene Fort-
setzungen bis heute uberall von den Astronomen angewandt werden,
wo es sich darum handelt, hohe Genauigkeit der Bestimmung von
Sternortem erschopfend zu verwerthen.
Ererbte Begabung und angeborene Neigimg verwiesen Sie aber
hauptsachlich auf die eigene Forschung in den tiefsten Grunden des
Himmels, welche die machtigen zu Ihrer Verftgung stehenden Seh-
werkzeuge erschlossen. Auf gleicher Hohe mit ihrer Kraft hat bei
jeder Verwendung Ihre Bethatigung der Eigenschaften gestanden, welche
den guten astronomischen Beobachter charakterisiren : des ScharJ&inns
in der Auflfmdung von Methoden , das gesuchte Resultat frei von den
Eigenthumlichkeiten des Beobachtungsapparats und sonstigen stSrenden
Einfliissen zu erhalten, des Geschicks und der Ausdauer bei ihrer
Anwendimg.
Adresse an Hrn. Otto Struve. 169
Ihre erste grossere Arbeit auf dem Gebiete der beobachtenden
Astronomie, die gleich nach der Aufstellung des grossen Pulkowaer
Refractors ausgefiihrte Dirrchmusterung des nordlichen Himmels wird
fur alle Zeit von Interesse bleiben, indem sie die erste voUst^ndige'
Statistik der zwischen Aequator und Nordpol vorhandenen Sterne der
ersten sie ben Gr5ssenclassen geliefei't hat; die alle kuhnsten Hoffhimgen
einer noch erheblich spateren Zeit so weit hinter sich lassende Um-
gestaltung der teleskopischen Uranometrie, zu der Hencke's Entdeckung
der Astraea nur zwei Jahre nach der VoUendung Ihrer Durchmustening
den Anstoss gab und die Argelander in ebenso genialer wie energischer
Weise fiir die Nordhalbkugel durchgefuhrt hat, war damals nicht ent-
femt vorauszusehen. Das hochwichtige Resultat, welches Ihre Durch-
rausterung in der Verfolgung ihres hauptsachlichsten Zwecks der
VervollstSndigung unserer Kenntniss des Bestandes an Doppelstemen
lieferte, bezeichnet gleichfalls eine Epoche, iiber welche hinaus die
Geschichte dieser Special -Disciplin inzwischen fortgeschritten ist, seit-
dem noch maehtigere und zum Theil unter gunstigerm Himmel arbei-
tende Teleskope zu ihren Forschungen verwendet werden. Uniiber-
troflfen aber und fiir absehbare Zeit — bis neue Methoden entwickelt
sind, die wir heute noch nicht oder vielleicht eben nur ahnen —
unubertrefflich ist die praktische Bearbeitung, welche Sie dem gi'ossen
Heer der von Ihrem Vater und Ihnen catalogisirten Doppelsteme fast
fiinf Jahrzehnte hindurch haben angedeihen lassen. So vielfach und
eifrig, so andauernd mehrfach und erfolgreich auch das von Ihnen
Beiden gegebene Beispiel befolgt worden ist, so sind doch die Doppel-
sternmessungen von Dorpat und Pulkowa das wahre Fundament fiir
alle kunftige Specialforschung iiber die einzelnen Systeme, deren sie
eine gi'osse Zahl vermoge ihrer langen Fortsetzung schon bis jetzt der
Rechnung haben unterwerfen k5nnen. Die ausserordentliche und er-
folgreiche Erweiterung, welche Sie den zur Erganzung der coelestischen
Messungen selbst so noth wendigen , aber miihsamen und ein grosses
Opfer kostbarer Beobachtungszeit verlangenden Pnifungen gegeben
haben, um den Einfluss der Individualitat des Beobachters und der
angewandten Beobachtungsmethoden in alien Combinationen zu be-
stimmen, hat einen nicht hoch genug anzuschlagenden Anth^l an der
Sieherung jenes Fundaments, und gibt zugleich erst recht die von
Willkiir freie Moglichkeit auch das gi'osse anderweitig gesammelte
Messungsmaterial in homogener Gestalt airf demselben zum Aut*bati
der Systemkunde zu verwenden.
Gerade bei Ihrem Eintritt in die Astronomie sahen Sie die L6s-
barkeit des Problems der Bestinunimg von Fixsternentfemungen nac;h-
gewiesen, das seit der Verbindung des Fernrahrs mit den Messappa-
Sitzungsberichte 1887. 17
170 Gesammtsitzung vom 24. Februar.
raten unausgesetzter Bemfihungen der Astronomen gespottet hatte,
und in der That an die Beobachtungskunst bis heute noch die h6ch-
sten Anfordeiningen stellt. In die FSrderung dieses Problems zur
Sicherung zuverlassiger Resultate haben Sie machtig mit eingegriffen:
Ihre »Bestimmung der Parallaxe von 1830 Groombridge « und Ihre
»Neue Bestimmung der Parallaxen von a Lyrae und 61 Cygni« sind
Leistungen ersten Ranges auf diesem Gebiete, deren Bedeutung nicht
allein in den Resultaten fiir die Entfernung jener drei Sterne von
der Sonne besteht, sondern die sich auch einen hervorragenden An-
theil an dem nocli wichtigern Verdienst zuschreiben durfen , einer fiir
die Fortbildung der feineren Messkunst geradezu Gefahr drohenden
Verwirrung zu steuern, welche widerspruchsvoUe Resultate und irrthum-
liclie Deutungen derselben bald nach den glucklich auf dem neu er-
5flQieten Wege gelungenen Schritten wieder hervorgebracht batten.
Zahlreiche Beobachtungen liber andere Gegenstande von hobem
Interesse sind in der Zeit, wo der >»grosse Pulkowaer Refractor* ohne
Rivalen ein Wimder der astronomisehen Welt war, Ihr Vorrecht gewesen,
dessen Sie Sich durch die in so vei*fuhrerischer Stellung doppelt noth-
wendige , aber auch doppelt sch wierige wissenschaftliche Strenge gegen
Sich Selbst in der Wahl der Ziele wiirdig erwiesen, und in dessen
Ausiibung Sie uns eine Fiille wichtiger Thatsachen fiber die Er-
scheinungen und Bewegungsverhaltnisse der Cometen, fiber die merk-
wfirdige Configuration des Saturn -Systems, fiber die Satelliten der
aussersten Planeten, fiber das wundersame Gebilde des Orionnebels
kennen gelehrt haben. —
Gerade in die Mitte des Zeitraums, welchem unser heutiger Rfick-
blick gilt, imd dessen erste Halfte die grosse Mehrzahl dieser prak-
tischen Arbeiten gezeitigt hat, fallt Dire Berufiing an die Spitze der
Stemwarte, welcher Sie bis dahin, von ihrer Begrfindung an, unter
der Leitimg Ihres Vaters Ihre ausfibende Arbeitskraft gewidmet batten.
Nicht ohne personliche Entsagung konnten Sie in die veranderte Stellung
eintreten, denn nothwendig mussten die Aufgaben der Leitung eines
so grossen und vielseitigen Instituts weitgehende JEinschrankung der
eigenen , Ihnen so lieb imd der Wissenschaft so werthvoU gewordenen
praktischen Forschimgsarbeit von Ihnen verlangen. Sie dfirfen sich
hoch belohnt fiir diese Entsagung finden durch den neuen Aufschwung,
welchen die gesammte Thatigkeit der Stern warte unter Ihrer Leitung
genommen hat, durch den allseitig Ihnen von den Fachgenossen in
reichlichstem Maasse und in aufrichtigster Empfindung gezollten Dank
fur die Umsicht, die Consequenz und die Energie, welche Sie in dieser
Leitung fiinfimdzwanzig Jahre hindurch bewahrt haben. Sie haben
die grossen von Ihrem Vater fiir die Sternwarte in richtiger Abwagung
Adresse an Hrn. Otto Struve. 171
ihrer Hulfsmittel und ihrer Lage gesteckten Arbeitsziele mit der Un-
verbriichlichkeit , welche Vorbedingung nachhaltigen Erfolges astrono-
mischer Forschung ist, festgehalten , aber auch dem Fortschritt der
Erkenntniss entsprechend , oder den neu eingetretenen , auch voriiber-
gehenden aber wichtigen, Bedurfnissen gemigend ei'weitert, und for
die Bearbeitung der erweiterten Aufgaben zur richtigen Zeit die zweck-
massigsten Wege aufgesucht, die besten Mittel beschaflft; und Sie haben,
mit ganz besonders schatzenswerthem Erfolge, die noch wichtigere
Aufgabe gel6st, deren oft so schwer zu vermeidende Hintansetzung
schmei'zliche Liicken in der Geschichte der Astronomie hinterlassen hat
und auch Pulkowa's eigenen Einfluss auf die Fordei-ung des Fachs
die ersten Jahrzehnte hindurch gehemmt hatte, die Finicht^ der aus-
gefahrten Arbeit fiir die Gesammtheit der Fachgenossen nutzbar zu
machen. Es ist das Verdienst Ihrer Direction, dass heute die Pulko-
waer Bestimmungen auf alien Gebieten der Fixsternkunde, deren Pflege
die stiftungsmassige Aufgabe Ihrer Stern warte ist, in der Bedeutung
erkannt sind und die allgemeine Verwerthung erlangt haben, auf
welche die Vollkommenheit und VoUstandigkeit der in Pulkowa her-
gestellt^n Einrichtungen und der Eifer und die Gewissenhaftigkeit in
ihi'er Benutzung ihnen ein so wohl begriindetes Recht verleihen.
Die hervoiTagende Stellung, welche die Pulkowaer Stern warte
in der wissenschaftlichen Organisation innerhalb Ihres Staatswesens
einnimmt, hat derselben und ihrem Leiter die Gelegenheit gegeben
und die Verpflichtung auferlegt, weit iiber die Grenzen der Fach-
wissenschaft selbst hinaus mit deren Geist wichtige praktisclie Orga-
nisationen zu beleben, die der Methoden und der Hulfsmittel der
Astronomie bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben bediirfen. Geodasie
und Geographie verdanken der weitreichenden Filrsorge, mit weleher
Sie wiederum ein werthvolles Vermachtniss Ihres unvergesslichen Vaters
treu gepflegt haben , eine grosse Zahl und den hohen Standpimct der
Arbeiten, welche zur Erforschung des ungeheuern russischen Lander-
gebiets ausgefuhrt sind. Sie haben wesentlichen pers5nlichen Antheil
an denkwiirdigen Operationen, die innerhalb desselben und zum An-
schluss an die Messungen anderer Staaten ausgefuhrt wurden, und
Ihrer Initiative verdankt eine der grossten Unternehmungen der mo-
demen Geodasie, die auch uns so nahe angehende Langengradmessung
auf dem 52. Parallel, ihre Ausfiihrung.
Sie haben das Organisationstalent , welches Sie in der Vereinigung
der Gelehrten und Praktiker von vier Landem zu diesem geodatischen
Untemehmen bewiesen, innerhalb des unmittelbaren Bereichs der
Astronomie noch wirksamer zur Geltung gebracht zur Vereinigung der
Fachgenossen aller Lander fiir die gemeinschaftliche Bearbeitung grosser
172 GesammtsitzuDg vom 24. Februar.
Au%aben, die ihres Umfanges wegen for eine einzelne Greneration
unlSsbar bleiben, wenn es niclit gelingt, alle ver^gbaren Kr&fte zu-
sammenzufassen und dem gleichen Zwecke dienstbar zu machen, iind
d«ren Bewaltigung innerhalb eines Menschenalters doch fast unum-
gangliches Erforderniss der Vollstandigkeit des Erfolges ist, der Gleich-
mSssigkeit der Arbeit in alien ihren Theilen, ohne welche diese Theile
sieh nicht zu dem gesuchten Ganzen zusammensetzen lassen. Die Akade-
mie, welche einen besonders wichtigen Theil ihres eigenen Berufs in
der Oi'ganisation der die Krafte des einzebien Gelehrten iibersteigenden
wissenschaftlichen Forschung erblickt, hat besondem Anlass Sie zu dem
Erfolge zu begluekwiinschen , welchen Ihre Bestrebimgen auf diesem
Gebiete erzielt haben, Dank dem echt coUegialischen Sinn, der lang
gereiften Einsicht und dem stets safehlichen Interesse, von welchem
dieselben geleitet worden sind.
Moge Ihrer Wirksamkeit zum Nutzen der Wissenschaft , zum Wohl
der Pulkowaer Sternwarte, zur Freude der ganzen astronomischen
G^meinschaft noch eine lange Fortdauer beschieden sein!
Die KSniglich Preussische Akademie der Wissenschaften.
Ans^egeben am 3. Marz.
Ret I'm. gnlnickt in tier Reirhrdnickerri.
173
1887.
xu.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
3. Marz. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. V. Bezold las: Experimental-Untersuchungen uber
rotirende Flussigkeiten.
Die Mittheilung erscheint in einem der nachsten Berichte.
2. Hr. ScHULZE legte die umstehend folgende Mittheilung des
Hm. Dr. 0. Boettger in Frankfurt a. M. vor: Verzeichniss der
von Dr. H. Simroth aus Portugal und von den Azoren mit-
gebrachten Reptilien und Batrachier.
Sitzungsbenchte 1887. 18
175
Yerzeiclmiss der von Hm. Dr. Heim. Simroth
aus Portagal nnd von den Azoren mitgebrachten
Reptilien und Batrachier.
Von Dr. 0. Boettger
in Frankfurt (Main).
(VoTgeltgt von Hm. Schtjlze.)
Wenn auch die nachstehende liste der Kriechthiere , welche Hr. Dr.
Simroth auf seiner mit Unterstiitzung der KSniglich Preussischen Aka-
demie der Wissenschaften unternommenen Reise in Portugal und anf
den atlantischen Inseln zusammengebracht hat, systematisch nichts
Neues zu Tage f&rdert, so bietet sie docli in geograpMscher Hinsicht
so viel Interesse, dass ihre Ver5flfentliehung nicht unerwtinscht sein
durfte. 1st doch Portugal, trotzdem dass es in Jose V. Barboza du
BocAGE einen der tfichtigsten lebenden Herpetologen besitzt, immer-
hin noch so wenig durchforscht , dass z. B. aus der Provinz Traz oz
Monies erst je eine Reptil- und Batrachierart mit Sicherheit nachgC'
wiesen zu sein scheint. Es wird daher zweckmassig sein, alle in der
Litteratur bis jetzt erwahnten portugiesischen Fundorte aufzuzS.hlen,
um dadurch zugleich auf die grossen Lucken in unserer Kenntniss
der geographischen Verbreitung hinzuweisen.
Die wesentlichste Litteratur uber die Reptilien und Batrachier der
iberischen Halbinsel finden wir in »Ei). Bosca, Catalogue des Reptiles
et des Amphibiens de la Peninsule Iberique et des lies Baleares« in
Bull. Soc. Zool. France Annee 1880 — abgekurzt in unserer Liste mit
BoscA (^) — verzeichnet. Seit dieser Zeit sind an wichtigeren Arbeiten
hinzugekommen :
1 . TouRNEvUiLE , A. , Etudc sur les Viperes du groupe Ammodytes-
Aspis-Berus. in: Bull. Soc. Zool. France Annee 1881.
2. Boettger, 0., Beitrage zur Kenntniss der Reptilien und Am-
phibien Spaniens und der Balearen. in; Abhandl. Senckenberg. Nat.
Ges. Bd. 12, 1881 S. 371.
3. BouLENGER, 6. A., Ou the lizards of the Genera Lacerta and
Acanthodactylus. in: Proc. Zool. Soc. London 1 88 1 p.739 = Boulenger 0.
18»
176 Sitzuiig der physikalisch-mathematischen Classe voni 3. Marz.
4. BouLENGER, G. A., Cataloguc Batrach. Sal. Brit. Mus. 2. ed.
London 1882 = Boulenger (*).
5. — , Catalogue Batrach. Grad. and Apoda Biit. Mus. 2. ed.
London 1882 =: Boulenger (^).
6. BoscA, E., Explor. herpetol. d. Isla de Ibiza. in: An. Soc. Esp.
Hist. Nat. Vol.12, 1883 p. 241.
7. BoETTCHER, 0., Anatomic von Chioglossa Lusitanica Barb.,
Dissert. Gtittingen, Nordhausen 1883.
8. Boulenger, G. A., Description of a new variety of Lacerta
viridis from South Poi*tugal. in: Proc. Zool. Soc. London 1884 p. 418.
9. Bedrl\ga, J. v., Ampliisbaena cinerea Vand. und A. Strauchi
Bedr. in: Troschel's Archiv 1884 Bd. i S. 23.
10. Seoane, V. L. , Identidad de Lacerta Schreiberi y L. viridis
var. Gadovii Blgr. e Investigaciones herpetologicas de Galicia. La
Coruna, Vic. Abad 1884.
1 1. Boulenger, G. A., Catalogue Lizards Brit. Mus. 2. ed. Vol. i
and 2, London 1885 = Boulenger (^^*) und Boulenger ("^).
12. Seoane, V. L. , On two forms of Rana from North -West-
Spain, in: Zoologist (3) Vol. 9, 1885 p. 171 = Seoane (^^.
13. Boulenger, G. A., Remarks on Vipera berus and V. Seoanei.
in: Zoologist (3) Vol. 9, 1885, oct.
14. Bedriaga, J. v., Beitr. z. Kenntniss der Lacertiden-Familie.
in: Abhandl. Senckenberg. Nat. Ges. Bd. 14, 1886 S. 1 7 = Bedriaga (^*).
15. Sequeira, E. , Distribuicao geographica dos Reptis [e Batra-
chios] em Portugal, in: Bol. Soc. Geographia Lisboa (6) Nr. 5, 1886
= Sequeira (^^).
Ausserdem wird von mir eine fruhere Arbeit
16. BoETTGER, 0., Amphibien aus Sudportugal. in: Zeitschr. f. d.
ges. Naturw. Halle Bd. 52, 1879 S. 497 = Boettger (^^
6fters citirt werden.
Die sechs Provinzen Portugals sind unten mit romischen Ziffem
in folgender Weise bezeichnet: I = Entre Douro e Minho, 11 = Traz
oz Montes, in = Beira, IV = Estremadura, V = Alemtejo und VI
= Algarve. Wo ich die Lage der Ortschaften nach Provinzen nicht
mit Sicherheit feststellen konnte, fugfe ich diese weniger bekannten
Fundorte den von mir controlirten am Schlusse bei.
Die Liste der von den Azoren bekannten Reptilien (i) und Ba-
trachier ( i ) hat meines Wissens in der neueren Zeit keine Bereicherung
erfahren. Sie erstreckt sich auf eine Eidechse Lacerta Dugesi M. Edw.
und auf die in den Azoren eingefiihrte oder eingeschleppte Bana es-
culenta I-. Vergl. im Ubrigen die Nmnmem 4. und 14. im obigen
Litteratur verzeichniss .
Bokttoer: Reptilien iind Batrachier aiis Portugal und von den Azoren. 177
a. Portugal.
I. Batrachia.
I. Salamandra maculosa Laur. 1768.
Laurenti, Synops. Rept. p.42, i 5 1 ; Boettger(**) S. 5 1 3; Boulenger(^)
p. 3; BoscA 0-p. 11; Sequeira ('^) p. 15.
Serra da Arrabida nachst Portinho bei Setubal IV. Ein grosses
9 von Hrn. A. Girard, dessen Sammeleifer Hr. Simroth einen grossen
Theil* seiner herpetologischen Ausbeute verdankt, am 27. Oct. 1881
gefunden.
Kopfmit gelbem Supraocular-, Lippencommissur- und Parotiden-
fleck. Rucken mit zwei sehr unregebnassigen , gelben Fleckreihen,
aber das Schwarz weit uberwiegend; Bauchseiten mit fast continuir-
licher gelber Fleckreihe; Schwanz oben mit etwa sechs gi'ossen gelben
Querflecken. Unterseite wie bei alien portugiesischen Stucken, die
ich bis jetzt gesehen habe , ganz schwarz , nur Kinn und Kehle grob
gelbfleckig und ein querer gelber Doppelfleck hinter der Cloake auf
der Scliwanzbasis.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger, Sequeira) und Pinhao bei Porto (Sequeira).
ni. Beii'a (Bosca).
IV. Serra da Arrabida (Girard).
V. Mertola (Boettger). Portalegre und Sen*a de S. Mamede
(Bosca).
VI. Algai*ve (Gadow). Monchique (Boettger).
2. Chioglossa Lusitanica Barb. 1864.
Barboza du Bocage, Proc. Zool. Soc. 1864 p. 264, Taf. 21 u.
Rev. Mag. Zool. (2) Tome 16 p. 249; Bosca (*) p. 11; Boulenger (^)
p. 5; Sequeira (*^) p. 15.
Coimbra EI, mehrere Exemplare (Simroth).
Serra do Gerez I, zwei junge Stucke (Simroth).
Typisch in Form, Farbe und Zeichnung.
Verbreitung:
I. Serra do Gerez (Boettger, Sequeira).
in. Mte. Bussaco bei Coimbra (Paulino d'Oliveira, Barboza,
Simroth).
V. Alemtejo (Barboza). Elvas (Bosca).
178 Sitzung der physikalisch-mathematischeD Classe vom 3. MRrz.
3. Molge marmorata (Latr.) 1800.
Latreille, Hist. Salamand. 1800 p. 33, Taf. 3, Fig. 2 (Salamandra);
BoscA p. 7 (Triton); Boulenger f) p. 1 1; Sequeira (^^) p. 1 5 (Triton).
Porto I. zwei pracht voile cf in vollem Hochzeitschmuck (Simroth).
Serra da Estrella m. cf, Mai 1885 (Gtirard).
Das letztgenannte Stuck ist matt ge^bt, griingrau mit braun-
schwarzer Fleckzeichnimg ; das helle Band lings der Schwanzseiten
undeutlich, trotzdein dass das Exemplar anscheinend noch in der
Brunstzeit gefangen wurde.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger, Sequeira, Simroth). Bom Jesus do Monte
bei Braga (Bosca).
m. Beiri (Bosca). Serra da Estrella (Gadow, Girard).
rV. Cintra, (Gadow).
4. Molge Boseae (Lat.) 1879.
Lataste, Revue Intern. So. Annee 3 p. 275 und Tourneville,
Bull. Soc. Zool. France 1879 p. 72, Taf. 7 (PeUmectes) \ Boettger (***)
p. 516 (Triton palmatas var.) imd p. 521 (Triton MaUzani); Bosca (*)
p. 8 und Sequeira (*^) p. 1 5 (Pelonectes) ,
Porto I. cf, 9 und Larven vom i. November i886 (Simroth).
Coimbra EI. Zahlreich in beiden Geschlechtem (Simroth).
Cintra IV. 9 und Larven (Simroth).
Form und Farbung typisch. Ruckenmitte beim 9 von Coimbra
haufig mit einem Langsstreif , der deutlich heller ist als seine Um-
gebung.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger, Simroth). Vallongo bei Porto (Sequeira).
Villanova de Gaia (Bosca). Santa Cruz do Bispo (Sequeira).
m. Beira (Bosca). Coimbra (Simroth). Serra da Estrella (Gadow).
rV. Cintra (Gadow, Simroth).
V. Portospada in der Serra de S. Mamede (Bosca).
VI. Algarve (Gadow). Monchique (Boettger).
5. Molge Waltli (Michah.) 1830.
Michahelles, Isis 1830 p. 195, Taf. 2 (Pleurodeles) ; Boettger (**)
p. 5 1 5 (Pleurodeles) ; Bosca (*) p. 9 (Pleurodeles) ; Boulenger (^) p. 2 7 ;
Sequeira (^^) p. 1 5 (Pleurodeles).
Trafaria IV, unter Steinen (Girard).
Boettger: Reptilien imd Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 179
In Form, Ffirbung und Zeichnung normai.
Verbreitung:
I. Penafiel bei Porto (Sequeira).
IV. Trafaria (Girard). Cintra (Barboza).
V. Mertola (Boettger).
6. Rana esculenta L. var. Perezi Seoane 1885.
Boettger (**) p. 528 (vai\ Hispantca); Seoane (^^) p. 171, Fig.;
Sequeira (^^) p. 17.
Porto I. Sieben Junge. Ein grosses Exemplar dieser Art wurde
gesehen, aber nicht erbeutet (Simroth).
Coimbra IE. Ein junges Stiiek (Simroth).
Abrantes IV. Jung (Simroth).
Cintra IV. Ein Dutzend junger Exemplare (Simroth).
Rio de Almargem bei Tavira VI, Mai 1881 (Girard).
Diese durch sehr kleinen, weichen Metatarsaltuberkel ausgezeichnete
Form diirfte sich zwar mit der auf die Farbung allein bin aufgestellten
var. Hispamca Michah. deeken, aber da dies noch nicht ganz sicher
zu sein scheint, wahle ich den obigen Namen, der ausdriicklich auf
die Form und Gr5sse des MetatarsaltuberkeLs Bezug nimmt. Sicher
ist, dass die mir aus den Provinzen I, III und IV vorliegenden
sammtlichen Stucke dieser zuerst aus Nordwest-Spanien bekannt
gewordenen Unterart angehSren, und wahrscheinlich , dass auch die
librigen bis Algarve hinunter gefundenen Esculenta -Formen alle der-
selben Varietat zuzurechnen sind.
Lange des Metatarsaltuberkels zu LSnge der sich daranschliessen-
den fiinften Zehe wie 1:4. Stets eine helle Riickenlinie; die Hinter-
backen schwarz mit roher, weisser Marmorzeichnung. Unterseite mit
starker, schwarzlicher Fleckzeichnung namentlich an den Brustseiten.
Die von Porto vorliegenden jungen Stucke mud oft auch drei-
streifig und ihre schwarzen Rflckenmakeln zeigen sich in zwei bis vier
ziemlich regelmassige Langsreihen geordnet. Bei den Exemplaren von
Cintra schwankt das VerhSltniss von Lange des Metatarsaltuberkels
zu Lange der funften Zehe wie 1:4 bis 1:4.5. Ihre Kehlseiten sind
kraftig schwarz gefleckt, die Weichen weiss mit ^charfer, scbwarzer
Fleckung, die Hinterbacken schwarz mit ^gelblich* weisser grober
Marmorirung.
Verbreitung:
I. Porto (BoscA, Gabow, Simroth). Penafiei, Vallongo imd
Le^a da Palmeira bei Porto (Sequeira). Braga (Bosca).
Serra do Gerez (Gadow).
180 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. M&rz.
in. Coimbra (Simroth). Ovar und Aveiro (Bosca).
rV. Lisboa (Schbeiber). Cintra (Simroth). Abrantes (Simroth).
V. Portalegre und Portospada (Bosca).
VI. Tavira (Boettger). Rio de Almargem bei Tavira (Girard).
7. Rana Iberica Blgr. 1879.
BouLENGER, Bull. Soc. Zool. Francc 1879 P- ^77 ^^^ (*)p-46;
Bosca (*) p. 20; Sequeira ('^) p. 17.
Caldas do Gerez I, zwei Stucke (Simroth).
Coimbra EI, drei Stiicke (Simroth).
Lisboa IV (Simroth).
Bei den Exemplaren von Coimbra uberragt das Hinterbein mit
dem Tibio-Tarsalgelenk die Schnauze weit, das Trommelfell erreicht
kaum ^3 der AugengrOsse und erster und zweiter Finger sind von
gleicher L&nge. Lange des grossten von bier vorliegenden Stuckes
56"*™ von Schnauze bis After. Bei diesem gr5ssten Exemplare zeigen
sich etwa zehn auffallend unregehnassig gestellte, rundliche, erhOhte,
knopflfSrmige Drusenwarzen von bis zu 2^1^ Durchmesser auf dem
Rucken. In der Farbung stimmen sie zum Theil genau mit den von
BouLENGER 1. c. Sep. Abdr. p. 24 beschriebenen Stucken von Coimbra
uberein, im Allgemeinen ist die Art aber auch hier grossen Schwan-
kungen in Bezug auf die Intensitat der Grundfarbe unterworfen.
Kehle und Bauch stark grau gefleckt und gemarmelt, oft mit einer
helleren Lftngslinie auf der Kehhnitte.
Bei dem Stuck von Lisboa ist das Trommelfell deutlich und
nur von halber Augengr5sse und die Fleckung von Kehle imd Bauch
ungew5hiilich reichlich; auch hier stehen ziemlich zahlreiche grSssere
Pusteln auf dem Rucken.
Das Hinterbein erreicht bei den Exemplaren von Caldas do
Gerez nach vom gelegt die Schnauze nur knapp, sonst aber sind
sie nach Form und Fftrbimg namentlich der aufiUllig stark gefleckten
Unterseite nicht vom Typus der Art zu trennen.
Verbreitung:
I. Serra do Gerez (Gadow). Caldas do Gerez (Simroth). Bom
Jesus do Monte (Bosca).
n. Valle Passos (Sequeira).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Boulenger, Simroth).
IV. Lisboa (Simroth).
V. Serra de S. Mamede (Bosca).
Boettoer: Reptilien und Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 181
8. Bufo calamita Lauk. 1768.
Laurenti, Synops. Rept. p. 27; Boettgeh (^®) p. 525; Bosca (*)
p. 18; BOULENGER (*) p. 293; SeQUEIRA (*^) p. 1 6.
Alfeite, 14. November 1881 (Girard).
Sao Bartholomeu de Messines VI (Girard), nicht selten.
Zehen nur mit Spannhauten, deutliche Tarsalfalte, Subarticular-
tuberkel der Zehen doppelt. KOrperwarzen mit deutlichen Poren.
Vertebrallinie vorhanden.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger). Penafiel (Sequeira).
in. Ovar (Bosca).
V. Alemtejo (Gadow). Portalegre und Portospada in der Serra
de S. Mamede (Bosca).
VI. Castromarin (Boettger). Sao Bartholomeu de Messines (Girard).
? Alfeite (Girard).
9. Bufo vulgaris Laur. 1768.
Laurenti, Synops. Rept. p. 28; Boettger (*®) p. 524; Bosca (^)
p. 17; Boulenger (*) p. 303; Sequeira (*^) p. 16.
Serra do Gerez I. Ziemlich grosses Stuck (Simroth).
Braga I. Junges Exemplar (Simroth).
Coimbra EI. 2 Stueke (Simroth). Anscheinend der /. rohusHor
Lat. (vergl. Bosca 1. c. p. 17) zugehSrig von 90 und 92"°* KSrperlange ;
(dazu ein betrachtlich gr6sseres Exemplar lebend).
CoUares IV. Mai 1883 (Girard). Junges Stuck von typischer
Form und Farbung.
Zehen mit halber Schwimmhaut; keine Tarsalfalte; Subarticular-
tuberkel der Zehen doppelt. Die Oberseite des jugendlichen Exem-
plars von Braga zeigt einen lebhaft rothen Anflug und iiberdies
jederseits auf dem Riicken eine verloschene, weissliche, streifenai'tige
Langsmakel.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger). Penafiel und Vallongo bei Porto (Sequeira).
Braga (Simroth). Serra do Gerez (Gadow, Simroth).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Simroth).
IV. Trafaria (Bosca). Collares (Simroth).
V. Portospada in der Serra de S. Mamede (Bosca).
VI. Silves (Boettger).
182 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. Marz.
10. Hyh arborea (L.) typ. 1767. \
LiNKE, Syst. Nat. Bd. i S. 357 (Rana); Bosca (') p. 18; Boulenger
P- 379; Sequeira n p. 17.
Porto I. Ein Stuck (Simroth).
Wie schon Boulenger angiebt, kommt bei Porto nur die typische
Form des Laubfroschs mit der Huftschlinge vor. Das Griin der Kopf-
seiten reicht noch etwas iiber den Mundwinkel herab und bildet einen
Zipfel an den Kehlseiten, der sich scharf und gradlinig gegen die
ubrige Kehlfarbung absetzt; in der Unteransicht ist dieser Zipfel
jederseits noch deutlich sichtbar.
Verbreitung:
I. Porto (Gadow, Boulenger, Simroth). Penafiel und Vallongo
bei Porto (Sequeira).
in. Beira (BoscA). Serra da Estrella (Gadow).
V. Portalegre und Portospada in der Serra de S. Mamede (Bosca).
II. Hyla arborea (L.) var. meridionalis Bttg. 1874.
BoETTGER, Abhandl. Senckenberg. Nat. Ges. Bd. 9 S. 66; Bosca,
An. Soc. Esp. Tomo 9, 1880 p. 181, Tomo 10, 1881 Taf. 2, Fig. 7 bis
10 und (*) p. 19 (Perezi); Boulenger (*) p. 380; Heron-Royer, Bull.
Soc. Zool. France Vol. 9, 1884 p. 221, Taf. 9 u. Figg. (barytonns),
Lisboa IV. Ein c? (Simroth).
Durcbaus typisch in der Fftrbung. 39™" von Schnauze zu After.
Verbreitung:
in. Beira (Bosca).
IV. Lisboa (Simroth).
V. Portalegre (Bosca).
VI. Algarve (Bosca). Moncbique? (Boettger).
12. Pelodyies punctatus (Daud.) 1802.
Daudin, Hist. Nat. Rain. p. 5 1 , Taf. 16, Fig. 1 1 (Rana) ; Boettger (*^
p. 529; Bosca (^) p. 16; Boulenger (*) p. 438; Sequeira (^^) p. 16.
Villa Real de S. Antonio VI (Simroth). Typisch in Form und
F&rbung.
Verbreitung:
I. Porto (Gadow).
V. Mertola (Boettger). Portalegre (Bosca).
VI. Villanova de Portomao (Boettger). Villa Real de S. Antonio
(Simroth).
Boettoer: Reptilien und Batrachier aus Portugal und von den A7X>ren. 183
13. Discoglossus pictus (Gray.) 1829.
Graatenhorst, Delic. Mus. Zool. Vratisl. 1829 p. 39, 8 (Ram);
BoiETTGER(*®) p. 531; Bosca(^) p. 14; Boulenger(*) p. 445; Sequeira(^^)
p. 16.
Porto I. Weibchen und mehrere Junge, i. Nov. 1886 (Simroth).
Mattozinhos bei Porto I (Simroth). Zahbeiche junge Thiere,
darunter auch eines mit drei hellen Ruckenstreifen (Farbenvarietat e.
bei Schreiber).
Brag a I. Vier junge Thiere (Simroth).
Setubal IV. Ein in Form und Farbung typisches 9 (Girard).
Arrentella IV, 2. Mllrz 1884, ^^ j^^g^s Thier (Girard). Das
FrOschchen gab, als man es anfasste, einen hellen Ton von sich.
Bekanntlich fehlt beiden Geschlechtem bei dieser Art ein Schallsack.
Lagos VI. Mai 1 88 1 (Girard).
Verbreitung:
I. Porto (Gadow, Simroth). Penafiel, Vallongo und Santa Cruz
do Bispo (Sequeira) und Mattozinhos bei Porto (Simroth).
Braga (Simroth).
in. Coimbra (Barboza). Ovar (BoscA).
IV. Setubal und Arrentella (Girard).
V. Mertola (Boettger). Serra de S. Mamede (Bosca).
VI. Lagos (Girard).
14. Alytes obstetricans (Laur.) var. Boscae Lat. 1879.
Lataste, Revue Intern. So. 2. Annee p. 543 und Act. Soc. Linn.
Bordeaux Vol. 34, 1880 Taf. 11, Fig. 3 — 5; Bosca (*) p. 12; Bou-
LENGER (*) p. 449; Sequeira (*^) p. 16.
Braga I. Acht Exemplare (Simroth).
Coimbra HI. Vier Exemplare (Simroth).
In Form und Faxbmig ganz ubereinstimmend mit den Beschrei-
bungen. Kopf oft fast von ^5 der Gesammtk5rperlaiige. Die schwarzen
Ruckenmakeln gross und deutlich und nur bei erwachsenen Stucken
gelegentlich kleiner und weniger markirt. Die Seitenlinie von weiss-
Uchen Warzen sehr deutlich ; Kehlgegend mit brftunlicher Marmorirung.
Totallange des grSssten von Coimbra vorliegenden Stuckes 4472°™ von
Schnauze bis AAer.
Verbreitung:
1. Porto (Bosca, Gadow, Boulenger). Braga (Simroth). Bom
Jesus do Monte (Bosca).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Simroth).
V. Alemtejo (Barboza). SeiTa de S. Mamede (Bosca).
184 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 3. Marz.
2. Reptilia.
15. Tarentola Mauritanica (L.) 1758.
LiNNE, Syst. Nat. Bd. i, lo.Aufl. p. 202 (Lacerta); Boettger (^*)
p. 510 (Platydactt/lits facetanusj; Bosca (^) p. 42 (Plafydartylus) ; Bou-
LENGER ("*) p. 196; Sequeiha (^^) p. 1 9 (Plotydactylus) .
Lisboa IV. Mehrere Exemplare (Girahd, Simroth).
S. Braz IV. Mai 1881 (Girard). Typisch in Form und Farbung.
Verbreitung:
in. Beira (BoscA).
IV. Lisboa (Boulenger, Girard, Simroth). Cintra (Gadow). S. Braz
(Girard).
V. Aiemtejo (Gadow). Mertola (Boettger).
VI. Algarve (Gadow). Monchique und Silves (Boettger).
16. Anguis fragUis L. 1767.
LiNNE, Syst. Nat. Bd. i p. 392; Boulenger ("**) p. 297; Bosca (*)
p. 32; Sequeira ('^) p. 18.
Caldas do Gerez I (Simroth).
Cintra IV (Simroth).
Verbreitung:
I. Porto (Gadow, Boulenger) und Foz, Leca da Palmeira, Val-
longo und Pinhao bei Porto (Sequeira). Serra do Gerez
(Gadow). Caldas do Gerez (Simroth).
in. Beira (Bosca).
IV. Cintra (Simroth).
VI. Algarve (Gadow).
17. Blanus cinereus (Vand.) 1797.
Vandelli, Mem. Acad. So. Lisboa Bd. i p. 69 (Amphisbaena) ;
Boettger (^*) p. 501 {Amphisbaena); Bosca (*) p. 31; Boulenger ("**)
P- 433; Sequeira (^^) p. 18.
Lisboa IV. Esc. Polyteclinica (Girard). i 19 Ringe um den K6rper,
20 um den Schwanz; 3 — 3 Analporen.
Lisboa IV. (Simroth). 121 und ? Ringe; 4 — 3 Poren.
Lagos VI, Mai 1881 (Girard). 119 und 21 Ringe; 3 — 3 Poren.
Verbreitung:
I. Porto (Boulenger, Sequeira). Pinhao (Sequeira).
in. Beira (Bosca).
rV. Lisboa (Girard, Simroth).
i
Boettger: Reptilien und Batrachier aiis Portugal und von den Azoren. 185
V. Portalegre (Bosca).
VI. Algarve (Gadow). Silves (Boettgeb). Lagos (Girard).
? Pomarao (Gadow).
18. Lacerta orellata Daud. 1802.
Daudin, Hist. Nat. Rept. Bd. 3 p. 1 25, Taf. 33 part.; Boettger (^*)
p. 502 (var. margaritata Schinz); Bosca (^) p. 38; Bedriaga (^*) p. 23;
Sequeira (^^) p. 19.
Alfeite (Girard).
Cacella VI. Mai 1881 (Girard).
Villa Real de S. Antonio VI. Mai 1881 (Girard).
Sammtliche vorliegenden Exemplare jung im ersten Friihlings-
kleide bei 130 bis 150°*" Gesammtkorperlange.
Verbreitung:
I. Porto (Gadow). Vijla Nova de Gaia und Penafiel (Sequeira).
Bom Jesus do Monte (Bosca). Serra do Gerez (Gadow).
in. Beira (Bosca).
V. Serra de S. Mamede (Bosca).
VI. Algarve (Gadow). Silves und Monchique (Boettger). Cacella
(Girard). Villa Real de S. Antonio (Girard).
? Alfeite (Girard).
19. Lacerta muralis Laur. var. fusca Bedr. 1878.
V. Bedriaga, Arch. f. Naturgesch. Bd. 44 I, 1878 S. 267 und (**)
S. 185; Bosca (^) p. 36; Sequeira (^^) p. 19.
Caldas do Gerez I (Simroth).
Porto I, I. Nov. 1886 (Simroth).
Lis boa FV. Botanischer Gurten bei der Escola Polytechnica
(Girard, Simroth).
Alfeite (Gerard).
Far bung griinlichgrau mit ausgesprochener , im AUgemeinen mehr
in die Quere gerichteter schwarzer Marmorzeichnung. Je ein von den
Parietalen ausgehender Seitenstreif, kaum heller als die Grundfarbe,
ist bald vorhanden, bald fehlt er. Kopfschilder und Kehle stets
schwarz gepunktet; Bauch fleckenlos. Die Stucke von Lisboaimd von
Caldas do Gerez sind in der Farbung und Zeichnung nicht wesent-
lich von einander verschieden. Die Stucke von Porto zeigen einen
mehr griinlichen Ajiflug, gehoren aber zweifellos derselben Varietat
an wie die ubrigen portugiesischen Exemplare. Das ganz junge Stuck
von Alfeite hat jederseits zwei deutlich hellere, weissliche, beider-
186 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. Marz.
seits schwarz eingefasste Seitenlinien und schwaxze Flecke auf den
seitlichen Ventralen.
Eines der Lissaboner Exemplare zeigt eijien Doppelschwanz , der
aber nicht aus einer primaren Bruchstelle sich entwickelt hat, sondem
erst zehn Ringel hinter der ersten Schwanzverletzung ansetzt. Der
starker entwickelte der beiden regenerirten Schwanze steht genau uber
dem anderen schwacheren. Bei einem zweiten Doppelschwanz, eben-
faUs von Lissabon, stehen die Schwanze in schiefer Bichtung uber
einander und beginnen schon wenige Wirtel hinter der Analspalte.
Verbreitung:
I. Porto (Simroth). Bom Jesus do Monte (Bosca). Caldas do
Gerez (Simroth).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Bedriaga).
IV. Lisboa (Boulenger, Girard, Simroth).
? Alfeite (Girard).
20. Lacerta (Tropidosaura) Algira L. 1758.
LiNNE, Syst. Nat. 10. Aufl. Bd. i p. 203; Boettger (^*) p. 507;
Bosca (*) p. 40; Bedriaga (^*) p. 402; Sequeira ('^) p. 19.
Coimbra HI. Zwei Exemplare (Simroth). </ mit 20 — 21, 9 mit
19 — 20 Schenkelporen ; 34 und 32 Langsschuppenreihen. Beim cf
3 grosse, beim 9 3 kleinere blaue Ocellen in der Achselgegend.
Lag6a de Albufeira IV. Junges Stuck, Sept. 1879 (Gerard),
Gesammtlange 107°^°*; die beiden hellen Seitenstreifen jederseits bereits
deutlich. Unterseite desSchwanzes und der Hinterextremitaten rosenroth.
Alfeite. </> 23. Marz 1884 (Girard). 230°*™ lang mit accessori-
schem Interfrontonasale und 3 2 Langsschuppenreihen. 20 — 19 Schenkel-
poren.
Verbreitung:
I. Serra do Gerez (Sequeira).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Sequeira, Simroth).
IV. Lisboa (Steindachner). Lagda de Albufeira (Girard).
V. Alemtejo (Gadow).
VI. Algarve (Gadow). Monchique (Boettger).
? Alfeite (Girard).
21. Psammodramus Hispanicus Fitz. 1826.
FnziNGER, Classific. d. Kept. p. 52; Boettger (^•) p. 508; Boscl (^)
p. 35; Sequeira (^^) p. 19.
Arrentella IV. 2. Marz 1884 (Girard).
L
Boettger: Reptilien und Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 187
Villa Real de S. Antonio VI. Mai 1881 (Girard).
Sta. Catharina da Fonte do Bispo VI. Mai 1881 (Girard).
Alfeite (Girard).
Oberseite mit sechs Langslinien schwarzweisser Flecke, von denen
jederseits die beiden am meisten zur Seite stehenden sich zu blau-
grilnen, schwarz eingefassten Seitenlinien verbinden, die nur in sel-
tenen Fallen imdeutlich werden. Ohr der Achsel etwas naher als der
Schnauzenspitze, Vorderbein nach vom gelegt das Auge wenig ftber-
ragend. Schlafen beschuppt oder geschildert, ausser dem grossen
Supratemporale und Tympanale mit 1 5 — 30 Schildchen oder Schuppen.
Verbreitung:
in. Beira (Bosca).
IV. Trafaria (Bosca). Abrantes (Sequeira). Arrentella (Girard).
V. Mertola (Boettger). Serra de S. Mamede (Bosca).
VI. Monchique (Boettger). Villa Real de S. Antonio und Sta.
Catharina da Fonte do Bispo (Girard).
? Alfeite (Girard).
22. Acanthodactylus vulgaris D. & B. 1839.
Dumeril & BiBRON, Erp. gen. Tome 5 p. 268; Boulenger (^)
p. 747, Taf. 64, Fig. 4; Sequeira (^^) p. 19.
Alfeite. 14. Nov. 1881 (Girard).
Junges Stuck. Oberseits schwarz, am Halse mit acht, am Rumpfe
mit sechs ganz regelmassigen weissen Langsstreifen ; Analseiten und
Schwanzunterseite ziegelroth. Gliedmaassen mit rosafarbenen Tropfen-
flecken.
Verbreitung:
IV. Abrantes (Sequeira).
? Alfeite (Girard).
23. Chalddes Bedriagae (Bosca) 1880.
Bosca, An. Soc. Esp. Hist. Nat. Tomo 9, 1880 p. 495 {Gongylus
ocellatus subsp.); Boulenger i. lit. {Chalddes Bedriagae Bosca sp.).
Lagos VL Mai 1881 (Girard).
Nach einer freundlichen brieflichen Mittheilung vom 29. Dec. 1885
treimt G. A. Boulenger diese Form von Ch. oceUatus (Forsk.) nach
folgenden Unterschieden : »Schuppenreihen in der Bauchmitte 22 — 26;
Nasenloch vor die Sutur von Rostrale und erstem Supralabiale geruckt;
Gliedmaassen relativ kurzer«.
188 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. Mai*z.
Das vorliegende Stiick der hiermit zum ersten Mai in Portugal
nachgewiesenen Art zeigt 24 Schuppenreiheii und die Offiiung des
Nasenlochs vor der Sutur des ersten Supralabiale. Wahrend bei einem
Exemplar des Senckenbergischen Museums von Lanjaron in der spa-
nischen Provinz Granada das fiinfte Supralabiale an's Auge tritt, zeigt
bei dem Stucke von Lagos das vierte jederseits Contact mit dem Auge.
Lange von Schnauze bis After 56°*°*. Oben einfarbig graubraun, nur
liber der Schwanzbasis schwarzweisse Augenflecken ; Kopfseiten schwarz-
weiss gewui"felt, Halsseiten mit fiinf schwarzweissen Langsstreifen,
Korperseiten schwarz gepunktet mit zwei undeutlichen Reihen von
Augenflecken.
Verbreitung:
VI. Lagos (Girard).
24. Chalddes tridactylus Laur. 1768.
Laurenti, Syn. Rept. p. 64, 114; Schreiber, Herp. Europ. 1875
p. 346 (Seps chakides) ; Bosca (*) p. 32 (Seps chalddes); Boulenger
i. lit. 1885 (Chalddes)} Sequeira (*^) p. 18 (Seps chalddes).
Leca da Palmeira bei Porto I (Simroth). 22 Schuppenreihen.
Rucken mit neun gleich starken und gleich intensiven dunkelbraunen
Langsstreifen auf heller graubraunem Grunde.
Leiria IV (Girard). Von gleicher Anzahl Schuppenreihen und
Farbung. TotaUange 145°^. Vulgamame hier: »Fura matto«.
Verbreitung:
I. Leoa da Palmeira (Gadow, Sequeira, Simroth). Serra do
Gerez (Sequeira).
in. Beira (Bosca).
IV. Leiria (Girard).
25. Coronella Girundica (Daud.) 1803.
Daudin, Hist. Nat. Rept. Vol. 6 p. 432 (Coluber); Dubieril & Bibron,
Erp. gen. Vol. 7 p. 612; Boettger (^*) p. 499; Bosca (^) p. 29; Sequeira
n p. 1 8.
Coimbra IE, ein Exemplar (Simroth).
Das Stuck zeigt 8 — 8 Supralabialen , 2 1 Schuppenreihen und
gehSrt zur typischen (brevirostns -) Form, entspricht also der in Jan,
Icon. d. Ophid. Lief. 17, Taf. 3, Fig. 3 dargestellten Schlange in Pholi-
dose, Farbung und Zeichnung.
Verbreitung:
I. Porto, Ponte do Lima, Vallongo, PinhS-o (Sequeira). Serra
do G^rez (Sequeira).
Roettoer: Beptilien und Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 189
in. Beira (BoscA). Coimbra (Simkoth).
V. Portalegre (Bosca).
VI. Algarve (Gadow). Silves (Boettger).
26. Zamenis hippocrepis (L.) 1754.
LiNNE, Mus. Reg. Ad. Frid. I. p. 36, Taf. 16, Fig. 2 (Coluber);
ScHREiBER, Herp. Europ. 1875 p. 260 (Periops); Bosca (^) p. 27 (Periops);
Sequeira (*^) p. 18 (Periops).
Silves VI. Junges Stuck, Mai 188 1 (Girard).
Typisch in Form und Farbung; 27 Schuppenreihen ; 62 Rauten-
flecke auf dem Riicken vom Halse bis zum After.
Verbreitung:
I. Pinhao bei Porto (Sequeira).
in. Coimbra (Steindachner).
IV. Cintra und Camerate (Bosca).
VI. Silves (Girard).
27. Tropidonotus natrix (L.) 1754.
LiNNE 1. c. p. 27 (Coluber); Schreiber 1. c. p. 237; Bosca (*) p. 26;
Sequeira (*^) p. 1 8.
Lisboa IV (Simroth).
Jimges Stiick mit oberseits fonf schwarzen Fleckreihen auf hell
aschgrauem Grund; Hinterkopf mit grosser, schwarzer, bis an die
Rachencommissur reichender Kappenmakel, dahinter ein zwei bis
drei Schuppen breites, weissliches, ringfbrmiges Halsband, das nach
hinten von einem breiten, schwarzen W-f&rmigen Fleck begrenzt wird.
Verbreitung:
I. Porto (Gadow). Penafiel, Guimarftes und Le^a da Palmeira
(Sequeira).
in. Beira (Bosca). Coimbra (Steindachner).
IV. Lisboa (Simroth).
28. Tropidonotus viperinus (Latr.) 1802.
Latreille, Hist. Nat. Rept. Vol. 4 p. 47, Fig. p. 32 (Coluber) \
Boettger (*®) p. 499; Bosca (*) p. 25; Sequeira (*^) p. 17.
Rio de Alcantara bei Lisboa IV (Girard). An den Seiten i
bis 2 Reihen ziemlich deutlicher, gelbweisser Ocellenflecke.
Lagos VI. Mai 1881 (Girard). Typisch in Form und F&rbung;
ohne seitUche Ocellenflecke.
Sitzungsberichte 1887. 19
19l) Sitzung der physikalisch-matheinatischen Classe vom 3. Marz.
Rio da Cruz Quebrada. April 1882 (Gerard). Ahnlich der
Form vom Rio de Alcantara, aber die Ocellen besonders lebhaft.
Verbreitung:
I. Porto (Gadow). Penafiel und Pinhao (Sequeira).
in. Beira (Bosca).
IV. Cintra (Steindachner). Rio de Alcantara bei Lisboa (Girard).
V. Alemtejo (Gadow). Castello de Vide (Steindachner). Porta-
legre (BoscA).
VI. Alte (Boettger). Lagos (Girard).
? Rio da Cruz Quebrada (Girard).
29. CoelopelHs Monspessulana (Herm.) 1804.
Hermann, Observ. Zooi. I p. 283 (Coluber); Boettger (^*) p. 500
(lacertina); Bosca (^) p. 24; Sequeira (^^) p. 17; Sohreiber, Herp. Europ.
1875 p. 221 (lacertina).
Pedreiros nahe bei Cezimbra IV. Ein Exemplar 1885 (Girard).
Farbenvarietat c. bei Schreiber.
Verbreitung:
I. Porto, LeQa da Palmeira, Pinhao, Penafiel und Vallongo
(Seqtjeira).
in. Beira (Bosca).
IV. Lisboa (Barboza). Mafra (Bosca). Pedreiros bei Cezimbra
(Girard).
VI. Moncbique und Alte (Boettger).
Ausser den 29 hier aufgez&hlten Arten sind mir aus Portugal von
sicheren Fimdorten fruher bereits zugegangen:
Reptilien. 30. Hemidacfylus Turcicus (L.) VI.
31. Lacerta viridis L. var. Sckreiberi Bedr. = var.
Gadovii Blgr. I, HI, V, VI.
Batrachier. 32. Pelobates cultripes (Cuv.) VI.
Als sicher vorkommend werden in der Litteratur ausserdem noch
bezeichnet folgende 8 Species :
Reptilien. 33. Sphargis coriace^ (Wagl.) IV.
34. Thalassochelys careita (L.) IV.
35. Clemmys Caspia (Gmel.) I, V, VI.
36. Cistudo orbicularis (L.) I, V, VI.
37. Coronella cucullaia (Geoffr.) V.
Boettger: Reptilien und Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 191
38. Rhinechis scalaris (Schinz) I, IIIj IV.
39. Vipera Latastei Bosca I, 11, in, IV.
Batrachier. 40. Alytes Cistemasi Bosca I, V.
Zu den verdachtigen Arten geli5rt Molge palmaia (Schneid.) (Ill),
ein Thier, von dem zwar fruher einmal ein Exemplar von dem alten
Hrn. Jose Maria Rosa de Carvalho bei Coimbra gefunden worden
sein soil, dessen Vorkommen daselbst aber seit dieser Zeit nicht mehr
constatirt werden konnte. Da die Art im Nordwesten von Spanien
sicher lebt, ist ihr Anftreten, wie das von Rana temporaria L. und
von Vipera berus L. , namentlich in den Bergen der Serra do Gerez
oder in den nordlichsten Theilen der Provinz Traz oz Montes nicht
geradezu unmoglich; als sichere portugiesische Formen diirfen wir
diese Arten aber vorlanfig unter keinen Umstanden betrachten. In
ahnlicher Weise fehlt Vipera aspis L. (1, II) nach Sequeira ganz be-
stimmt der portugiesischen Fauna, und auch in das Vorkommen von
Coronella Austriaca Laur. (I, V, VI) setze ich starke Zweifel.
In Summa sind mit Sicherheit bis jetzt also 22 Reptilien und
18 Batrachier aus Portugal bekannt, die sammtlich sich in dem
klimatisch wenig verschiedenen und durch keine imiibersteiglichen
Grenzhindernisse getrennten, benachbarten Spanien wiederfinden.
b. Azoren.
I. Batrachia.
I. Rana esculenta L.' 1767.
Linne, Syst. Nat. Bd. i p. 357; Boulenger (*) p. 38, 3 Figg.
Sete Cidades auf S. Miguel, in Masse (Simroth).
Die Art liegt in grosser Anzahl von der. zweibeinigen Larve an
bis zum jungen, bereits schwanzlosen Frosch in alien Entwickelungs-
stadien vor. Auffallend ist die geringe Grosse gewisser bereits zum
Froschchen entwickelter Stucke und die enorme Entwickelung anderer
Exemplare mit bereits voUstandig ausgebildeten Beinen, aber noch
kr&ftigem, langem und lebhaft gefllrbtem Schwanz. Als Rana erkennbar
ist die Larve am Zungenausschnitt , als R, esculenta L. an der voll-
kommenen* Sch wimmhaut und der lebhaften Marmorirung der Hinter-
backen, als eine der siidspanischen und sudportugiesischen Rasse
sehr verwandte Varietat durch die zwei bis vier LSngsreihen grosser,
schwarzer Rundflecke auf dem Rucken. Doch fehlen der vorliegend^i
Form constant die gelben Ruckenlinien.
19*
192 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe vom 3. Marz.
Leider lasst sich, da selbst halberwachsene Stiicke mcht gesam-
melt werden konnten, mit Sicherheit nicht ermitteln, welcher Varietat
die vorliegende Form angeh5rt. Sehr haufig ist der weisse Ober-
lippenstreif verwischt uud durch eine lebhafte, schwarz und weisse
Wiirfelfleckung oder Marmorirung ersetzt, und immer ist die Kehl-
gegend , wie bei der spanisch - portugiesischen var. Perezi Seoane , mit
kleinen, schwarzen Rundflecken dicht gemakelt. Die grOsseren Larven
zeigen helle, isabellgelbe Sch wanzseiten , die von einem zinnenartig
ausgezackten oder in gi*obe Flecken aufgel5sten , schwarzen Mittelstreif
in drei Felder langsgetheilt werden. Auch die Schwanzbasis ist grob
schwarz gefleckt.
Normal entwickelte kleine Fr5schchen von Sete Cidades ohne
jede Spur eines Schwanzstummels messen von der Schnauze bis zum
After 1 9°*°*, das Hinterbein 2 8™°, andere neotenische Formen mit etwa
6"~ langem Schwanzstummel von Schnauze bis After 26°™, das Hinter^
bein 46°*", imd deren vierbeinige, neotenische Biesenquappen mit
reducirten Kiemen, aber noch mit Homschnabel, von Schnauze bis
Aft;er 25°*°*, das Hinterbein 43"""", der Schwanz 40"^ Lange.
Uber diese Stucke schreibt mir Hr. Sibiroth: »/2. esciUenta ist in
den zwanziger Jahren auf den Azoren eingefiihrt worden und jetzt
daselbst sehr gemein. Um so mehr interessirte mich seine Ent-
wickelung von Sete Cidades, der grossartigen Kraterlandschaft im
Westen von S. Miguel, die durch ihre herrlichen vulcanischen Seen
und ihre grosse Feuchtigkeit excellirt. Ich fiind grosse Thiere mit
Larvenschwanz auf dem Bimssteinsande hupfend. Hr. Maria Rapozo,
ein Grossgrundbesitzer und Fischzuchter, versicherte, es k&m^i da-
selbst gelegentlich ganz grosse Thiere noch mit Schwanz vor. Fallt
Ihnen der Unterschied nicht auf zwischen ganz kleinen, bereits ver-
wandelten und recht grossen Stucken noch mit Larvenschwanz? Lasst
sich an den gr5ssten Exemplaren mit Schwanz nicht bereits Lungen-
haftes nachweisen? Ich glaubte hier eine interessante Anpassung
gefunden zu haben; spielt doch die verlangsamte Metamorphose der
Batrachier eine hervorragende Rolle in der modemen Zoologie! Hier
ware ein neuer Beitrag! Doch wage ich nichts zu praejudiciren, da
die Larven ebenso gut durch die Luftfeuchtigkeit zur Auswanderung
verlockt worden sein kSnnten. Verschmelzen doch dort in Sete
Cidades oft Wolken und See, und misst der Wassergehalt der Luft
daselbst meist uber 90 Procent! Ubrigens interessiren diese Frosch-
larven auch wohl noch in anderer Weise. Vor allem ware ihr Darm-
inhalt zu untersuchen. Die Seen sind namlich ausserordentlich arm an
Pflanzen und Thieren; nur eine kleine grune Alge schwinunt uberall
und f&rbt das Wasser. In anderen Kraterbecken fwid ich wenigstens
Boettoer: Reptilien und Batrachier aus Portugal und von den Azoren. 193
eineh kleinen Copepoden, der aber in Sete Cidades zu fehlen schien.
Mosquitolarven und Strudelwnrmer fimd ich nur in den Abflusswassern.
Sonst leben in den Kraterseen nur kummerliche Goldfische, ein paar
Kaferchen und Notonecten, eine vereinzelte Blattlaus auf Potamogeton,
ein paar sparliche Libellenlarven und eine Bryozoe. In Sete Cidades
sind Lachsforellen ausgesetzt, die gut gedeihen — auf Kosten der
Goldfische und FrSsche jedenfalls! Leben nun diese Goldfische nur
von Algen? Haben auch die Kaulquappen keine animalische Nahrung
nOthig. AUein die vom Kraterrand zugefiihrten Insectenleichen kOnnten
ausserdem noch in Frage kommen. Oder sollten mir Daphniden bei
meinen Tagfischereien entgangen sein? Hoflfentlich iSsst sich das
noch entscheiden ! «
Da eine Antwort auf diese Fragen nicht in mein specielles
Arbeitsfeld geh5rt, stelle ich gem eine Anzahl der ziu^ckbehaltenen
FrOschchen und Larven zur Disposition eines sich far den Gegenstand
interessirenden Anatomen oder Physiologeh und bemerke hier nur,
dass auch ich nicht daran zweifle, dass die gesammelten grossen
Larven schon ilirem Habitus nach neben den sehr reducirten Kiemen
bereits Lungen benutzt haben durften. Betreffs der Unmoglichkeit
bei blosser Algennahrung das geschlechtsreife Alter zu erreichen, ver-
weise ich dagegen auf Yung's Experimente in Arch. Sc. Phys. Nat.
Geneve (3) Tome 10, 1883 bis 84. Der von Hm. Simroth beobachtete
und gewiss richtig interpretirte Fall von massenhafter und wahr-
scheinlich constanter Neotenie ist wohl in erster Linie auf die karge
und allzu wenig stickstoffreiche Nahrung der Thiere zuriickzujRihren,
und erst in zweiter Linie auf die geringe Anregung zur Metamorphose,
welche den zur Verwandlung reifen Larven durch die mit Wasser-
dampf vollkommen ges&ttigte Luft zu TheU wurde.
Verbreitung: Uber die Verbreitung von Rana esculenta auf
den Azoren fehlen mir alle Daten. Von Boulenger (*) wird sie nur
allgemein »von den Azoren (Godman)« aufgefiihrt.
Kurz muss ich endlich noch erwahnen, dass Hr. Simroth Rana
esculenta L. auch in sechs Stiicken von Madeira mitgebracht hat.
Sie zeigen s&mmtlich das kleine Kaliber der Azorenform kurz nach
der Verwandlung. »Auf eine weite Strecke von einer halben bis einer
Stunde zeigte sich keine andere Form, und die GrOsse der jungen
Fr6schchen war bei alien so ziemlich gleich.« Nach den mir vor-
liegenden Stflcken zu urtheilen, ist die Form von Madeira von der
194 Sitzang der phygikalisch - mathcmatwdien Classe vom 3. Mirz.
9udportugiesi8c}ien Rasse nicht zu unterscheiden. Schon 1874 habe
ich in Abhandl. S^ickenbei^. Gres. Bd. 9, Sep. Abdr. S. 52, 69 darauf
hingewiesen, dass nach alien Autoren aueh auf Madeira der Wasser-
rosch als eitigeschleppt betrachtet werden muss.
2. Reptilia.
2. Lacerta Dugesi M. Edw. 1829.
Milne Edwards, Ann. So. Nat. Tome 16 p. 84, Taf. 6, Fig. 2;
Bedriaga ('*) p. 293.
Fort S. Braz am Hafen von Ponta Delgada anf S. Miguel, von
wo sich das Thier alhnahlich in die Umgebungen auszubreiten be-
ginnt (Smroth).
Angra doHeroismo auf Terceira, an den Hafenmauern (Simroth).
Verbreitung: Die Art ist uberdies von den Azoreninseln Sta.
Maria (Morelet) und Graciosa (Metschnikow) bekannt und fiudet sich
ausserdem auf Madeira (v. Martens). Der Fundort Tenerife (Dumeril
und Bibron) ist unbestatigt geblieben, die Fundpunkte in Senegambien
(Rochebrune) aber sind vorlaufig nocli mit Vorsicht aufzunehmen.
Ansgegehen am 10. Marx.
195
1887.
XUI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
3. Mai'z. Sitzimg der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Curtius.
Hr. Zeller las liber die Unterscheidung einer doppelten
Gestalt der Ideenlehre in den platonischen Schriften.
Die Mittheilung erfolgt umstehend.
197
Uber die Unterscheidimg einer doppelten Oestalt
der Ideenlehre in den platonischen Schriften.
Von E. Zeller.
J^eit die Lehre von den Ideen in Plato's Geist aufgegangen ist, steht
sie so entschieden im Mittelpunkt seines Denkens, dass er keirien
Theil seines Systems darstellen konnte, ohne auf sie hinzublicken,
und sie nur da ganz unberucksichtigt lassen durfte, wo es sich (wie
in den Gesetzen) nicht um die Darlegung seiner eigenen wissenschaft-
lichen Ansichten handelte. Wenn wir daher neben der fiber wiegenden
Anzahl derjenigen Gesprache, in denen wir den Spuren der Ideenlehre
begegnen, unter den achten und wissenschaftiicher Untersuchung ge-
widmeten Schriften auch solche finden, die jene Lehre nicht kennen,
so ist diess einer von den entscheidendsten Grunden fur die Annahme,
dass diese Schriften von Plato in einer Zeit verfasst worden seien,
in welcher er auch ftir sich selbst von den sokratischen Begriffen
noch nicht zu den Ideen fortgegangen war. Weit schwieriger ist die
Frage , die auch erst in den letsten Jahren zur ErSrterung gekommen
ist, ob in denjenigen Gesprachen, welche die Ideenlehre theils voraus-
setzen , theils ausdrucklich ihrer Begrundung und naheren Bestimmung
gewidmet sind, Modificationen derselben sich nachweisen lassen, die
un^ einen Schluss auf die Zeit ihrer Abfiissung erlauben. Denn es
musste hieftir nicht allein zwischen denselben eine Verschiedenheit
der Auffassung nachgewiesen , sondern es mfisste auch untersucht
werden, an welchen Merkmalen die frfihere und die spatere Lehrform
sich als solche erkennen lasst. Fur diese letztere Untersuchung ver-
spricht nun die aristotelische Darstellung der Ideenlehre eine Beihulfe
zu gewahren; denn je mehr sich ein Gesprach den Bestimmungen an-
nSherte, in welchen diese Darstellung von der in den fibrigen plato-
nischen Schrift;en vorliegenden abweicht, lun so mehr Gnmd hatten
wir, dasselbe im Vergleich mit anderen fiir das spatere zu halten.
Es wurde sich demnach fragen, ob von denjenigen platonischen Schrift;en,
welche die Ideenlehre uberhaupt berucksichtigen , ein Theil mit der
aristotelischen Fassung derselben in hoherem Grad ubereinstimmt, als
1
198 Sitzung der philosophisch - historischen Clause vom 3. Marz.
der andere , worin diese Ubereinstimmiing besteht iind wie weit sie sich
erstreckt. Eine Reihe von A^bhandlimgen , welche sich eingehend mit
dieser Frage beschaftigen, hat in den letzten Jahren Hr. Jackson in
Cambridge verSffentlicht;* und an diese Abhandlimgen will ich mit
den nachstehenden Bemerkungen um so mehr anknupfen, da dieselben
bis jetzt in Deutschland noch wenig bekannt zu sein scheinen. Doch
ist es nicht meine Absicht, dem Grang derselben Schritt &r Schritt
zu folgen oder auf alle Einzelheiten ihres Inhalts einzugehen.
Nach der bisher allgemein angenommenen Ansicht^ weicht die-
jenige Form der Ideenlehre, uber welche Aristoteles auf Grund der
platonischen Lehrvortrage bench tet, von der in den sammtlichen plato-
nischen Schriften niedergelegten dadurch ab , dass Plato nach Aristoteles
I. nur von Naturdingen, nicht von Kunstprodukten , Eigenschaften
und Verhaltnissen Ideen annahm; dass er femer 2. die Ideen als Zahlen
bezeichnete, diese Idealzahlen aber von den mathematischen , und
ebenso die idealen RaumgrSssen von den mathematischen Grdssen
unterschied; dass er endlich 3. die Ideen oder Idealzahlen selbst aus
zwei Elementen bestehen liess: dem Einen oder dem Guten, und dem
Grossen - und - Kleinen , welches dem Unbegrenzten oder der unbe-
stimmten Zweiheit gleichgesetzt imd von Aristoteles als die Materie
der Ideen bezeichnet wird. Jackson jedoch siicht nachzuweisen, dass
sich schon in den platonischen Schriften selbst zwei von einander
erheblich abweichende Fassungen der Ideenlehre finden : eine Sltere und
eine jftngere, der aristotelischen Darstellung derselben naher stehende,
jene in der Republik und im Phado vorgetragen, diese im Theatet,
Sophisten, Parmenides, Timaus imd Philebus. Zwischen diesen beiden
Gruppen von Gesprachen finde namlich der Unterschied statt, dass
nach der Republik und dem Phado alien allgemeinen Begriffen fur
sich seiende Ideen entsprechen, und diese den Einzeldingen immanent
seien, die Einzeldinge an ihnen Theil haben; wogegen in den ftinf
spftteren Gesprachen, ebenso wie bei Aristoteles, nur von den Natur-
dingen Ideen im Sinn fiirsichseiender Begriffe angenommen werden,
imd das Verhaltniss dieser Ideen zu den Einzeldingen lediglich das
des Urbilds zum Abbild sei, von einer Theilnahme der Dinge an den
Ideen nur in Beziehung auf die nicht fiir sich bestehenden 6i8>i, die
Eigenschafts- imd Verhaltnissbegriffe , gesprochen werde.
* PUUds later theory of ideas. I. Th^ PhUelnis and Aristotle\s Metaphysics 1, 6.
Journal of Phiblogy Vol. X (1881) 253 — 298. II. The Parmenides. Ebend. XI, 287 — 331.
III. TheTimaeus. Ebend. Xlll, 1—40. IV. The Theaetetus. Ebend. XIII, 242 — 271.
y. The Sophistes. Ebend. XIV, 173 — 230 (1885).
' FQr welche ich die Belege Platon. Stud. 216 ff. Phil. d. Gr. II a, 805 f. ge-
geben babe.
Zeller: Cber die platonische Ideenlehre. 199
Sehen wir nun, wie es sich mit der Begrdndung dieser S&tze
und einiger weiteren damit in Verbindung stehenden Annahmen verhilt,
und fragen wir zuerst: 1st es richtig, <fess Plato in den ffinf von
Jackson seiner spiteren Zeit zugewiesenen Gesprachen keine Ideen
von anderem, als Naturdingen, annimmt? so ist diese Frage imbedingt
zu vemeinen. Von den Belegstellen , welche Jackson &r sich geltend
macht, beweist auch nicbt Eine das, was er darin sucht. Wenn der
Theatet 185 C ff. ausfiihrt, dass die allgemeinen Begriflfe, wie der des
Seins und Nichtseins , der Ahnlichkeit und Unahnlichkeit , des Geraden
und Ungeraden u. s. f. und ihr VerhSltniss zu einander nicht mit den
Sinnen wahrgenommen, sondem von der Seele filr sleh allein durch Nach-
denken und Vergleichung* gefunden werden, so liegt darin auch nicht
die en tfem teste Andeutung davon, dass von ihnen (wie Jackson Xm, 2 7 1
will) keine lur sich bestehenden Ideen anzunehmen seien. Dass femer
im Philebus 25 B ff. unter dem »Gemischten« ausser den sinnlichen
Dingen auch die Ideen oder die unveranderlichen Typen dieser Dinge
befesst seien (X, 283 f.), ist ganz unmdglich, denn mit dem Ge-
mischten bezeichnet hier Plato nach seiner bestimmten Erklftrung (26 D)
alles, was aus dem Unbegrenzten und der Grenze hervorgeht, indem
es mittelst der durch die Grenze bestimmten Maasse in's Dasein ge-
rufen wird.*'^ Den Ideen aber, als dem Ewigen, kann keine yevecu;
tk oixridv beigelegt, sie konnen uberhaupt mit dem Sinnlichen nicht
in Eine Klasse zusammengefasst werden; und so findet sich denn auch
in unserer Stelle schlechterdings nichts, was auf sie hinwiese, und
ebensowenig irgend etwas, das fer die weitere Behauptung sprSche,
dass Plato im Philebus nicht mehr alien allgemeinen Begriffen , sondem
nur den auf Dinge bezuglichen , Ideen entsprechen lasse. Wird weiter
(Xin, 14) aiLS Tim. 57 C herausgelesen , dass die reinen elementarischen
Stoffe (die itpwra kaI ixparet cwfjutra) die einzigen Materien seien, von
denen Plato Ideen annehme, so fehlt es doch an jeder Spur eines
Beweises fur diese Annahme. Ebenso unerwiesen und imerweislich ist
die Vermuthung (XI, 3 1 8), dass mit dem im Parmenides 142 B — 1 55 E.
157B — 159E besprochenen Vielen (also sowohl mit dem Iv als den
fltXA^ ToO evog) die Ideen gemeint, und diese als die nat&rlichen Arten
' Namlich Vergleichung derselben mit einander, nicht, wie Jackson sagt:
f^ixm a survey of sensible 8 in comparison with one another y denn es heisst 185 E £.:
alle diese Begriffe, ebenso die des xcty^ov iind cuq '^/j^ov, aya^ov und xanovy betrachte
die Seele ccjTy\ hi ayrrf uod nicht hta tZv toZ T'j!txa7o<; ^jfaufoyr, sie untersuche ihr
Wesen Vr^oc «X>.>jX«, iind el>enso erkenne sie auch die oxtrla und den Gegensatz
der sinnlichen Qualitaten (wie Hart und Weich) nicht hut r^ IncufrriQ, sondem otJn?
' lovT'ja'... TO sxyovor cnrav, yivsTiv fi<? ovrtav ix T'j:v ustu tov tts^oto? amiQ"
yaruiviftv uat^'jiv. Ahnlich 27 B.
200 Sitzimg der philosophisch-historischen Classe vom 3. M&rz.
gedacht seien. Aber auch von der Stelle, auf welche Jackson das
grosste Gewicht legt und immer wieder zuruckkommt, den Er6rterungen
im ersten Theil des Parmenides, wird sogleich gezeigt werden, dass
sie seine Annahme nicht bios nicht bestatigt, sondem sie sogar auf s
entsehiedenste widerlegt, und dass demnach die Behauptung (XIII, 2),
Plato habe in seinen spateren Gresprachen Ideen von Verh<nissen,
Negationen und Kunstprodukten ausdrucklich geleugnet (distinct denial) ,
jeder Begrundung entbehrt.
Das Gegentheil l&sst sich vielmehr unwidersprechlich darthun.
Wenn der Theatet 176 E f. den Politikem gewShnlichen Schlages
vorhalt, dass sie durch ihr Verfahren unter den TrctpoL&tr/fiAToL h rw
o\m kdrmrct nicht dem S-eibi/, sondem dem S^ov ahnlich werden, so
liegt am Tage, dass mit diesen Urbildem einerseits fiir sich bestehende
€*8V| derselben Art gemeint sind, wie die, von denen Parm. 132 D
gleichlautend gesagt wird: w(nrtp Trotpa^ElyixATA k(rreivou h rJj tpvcei; dass
aber andererseits diese Urbilder von Lebensweisen (^tov liiov S ojutowOv-
rflu«) so wenig, als die irttpu^eyfJiArA liiwv Rep. X, 617 D, Ideen von
Naturdingen, sondem von Relationen sind; denn ihr Verhaltniss zur
sittlichen Anforderung ist es, wodurch das »g5ttliche« oder gerechte
und das »gottlose« odep ungerechte Leben sich von einander unter-
scheiden. Fiir sich bestehende €1^ des Sikouov, KotT^ov, oiyo&ov u. s. f.
nimmt Sokrates auch im Paratienides 130 B an, und der eleatische
Philosoph hat nichts dagegen zu erinnem; Parmenides selbst redet,
gerade wo es sich um Ideen von Verhaltnissen handelt, von dem avrog
&<r7roTt)^, avrog 8oZXogy derotur^ ^ovMiol, ecurii &€(T7roTeuty und wie Phadr. 247 D,
von der e7n(TTy\fxv\ oluty,, itrriv e'rriO'rrifjLYi; und der Philebus nennt 62 A
unter den ovtol die olvtyi &iKouo(JVvr\, den KvxXog (sc. Attiroc) und die (r<poupoL
oLVTYi Yi S-cwfc. Kreise und Kugeln sind aber als Raumgestalten etwas
eben so relatives, wie es der Raum selbst ist. Diese Gesprftche stimmen
also in dieser Beziehung mit dem Phadrus (247 D), dem PhSdo (65 D)
imd der Republik (V, 479 A f.) durchaus uberein. Wenn femer der
Sophist auf Grund einer ausfiihrlichen Untersuchimg unter die- ovta
neben dem sTspov als ein Bi^og auch das jlm^ ov rechnet und von ihm
sagt, es sei ovrwg fxii ov (254 D), tit^oLlmg Ty\v oturou (pxxri'v s%ov (258 B),
so haben wir an diesem ebenso gewiss die Idee einer Negation, wie
an jenem die einer blossen Relation; denn das mpov gehOrt (255 C f.)
zu dem, was iel irpog erspov ?Jy€ToLty es ist ein reiner VerhSltnissbegriff.
Auch die Ruhe und die Bewegung und die Identitat werden aber hier
(254Bff.) ebensogut wie das ov, das fxr, KoXovy das firi oiyoL^ov, das jum^
^Ikouov werden ebenso wie das mlKov u. s. f. zu den ovtol gezShlt, denen,
nach dem eben angeftlirten, das unveranderliche Sein der Ideen zu-
kommt. Diess stimmt voUkommen zu dem Kanon der Republik
Zeller: Uber die platonische Ideenlehre. 201
(X, 596 A), dass jedem allgememen BegrijSf eine Idee entspreche.
Noch entschiedener spricht sich der Pannenides gerade in der Stelle
aus, von der Jackson* glaubt, dass Plato darin diese seine friihere
Ansicht zimicknehme. Der junge Sokrates lasst sich hier allerdings
(130 B) durch die Frage, ob es von allem nnd jedem Ideen gebe,
in Verlegenheit bringen: von der Ahnlichkeit, dem Einen, dem Vielen,
dem Gerechten, Schonen und Guten nimmt er unbedenklich fiii* sich
bestehende Gattimgen (tt^og mto xotS-' ctvTO'%(jopig fAv £i3V) otvrm irru^y
%u)p\g ^e rk rovrm olv ^eri%ovr(i) an; hinsichtlich des Menschen, des
Feuers und Wassers wagt er sich nicht zu entscheiden; zu Ideen der
Haare, des Schmutzes u. s. w. kann er sich nicht entschliessen. Allein
theils werden schon hiemit gerade fiir Verhaltnissbegriffe , auf welche
bei Aristoteles, und wie Jackson glaubt auch in Plato's spateren
Schriflen, die Ideenlehre nicht ausgedehnt wird, £*SV) %wpt<TroL be-
hauptet, wShrend sie fiir die Naturdinge in Frage gestellt werden;
theils erhalt (was Jackson ganz unbervicksichtigt iSsst), Sokrates sofort
(130 E) von Pannenides die Belehrung : diese Scheu , seine Annahme
an alien Dingen durchzufiihren , sei nur ein Zeichen jugendlicher
Unreife, wenn er es in der Philosophic weiter gebracht habe, werde
ihm nichts einer Idee imwerth erscheinen. Deutlicher hS-tte Plato die
Deutung seiner Ansicht, welche ihm jetzt aufgedrungen werden soU,
kaimi abweisen kSnnen. Die Auskunft aber (XTV, 212 ff.), dass er
unter den 118*) zwei Classen unterscheide , solche, die olvtu xoiSr olvtol
seien, und solche, die es nicht seien, ist in jeder Beziehimg unhaltbar.
Plato unterscheidet im Sophisten (25 1 Off.) solche eJSVj, die mit einander
in Gemeinschaft treten, d. h. von einander praedicirt werden kSnnen,
und solche , bei denen diess nicht der Fall ist. Jackson iibersieht nun,
• was sich ihm freilich hatte aufdrangen mussen,^ dass sich diese Unter-
scheidung lediglich auf das Verhaltniss der eiSvj zu einander bezieht,
macht aus denen, welche mit ge wis sen andern in Gemeinschaft
treten kSnnen oder diess nicht kSnnen, koivwvqvvtol imd fxri koivuovovvtu
schlechtweg, setzt dem fxvi Koivwmvy ohne jeden Versuch einer exe-
getischen Beweisfiihrung , das xaSr uvro uvoLt, dem Kotvwmv das fxr,
xoiSr oLvro bTvou gleich, und kommt mittekt dieser doppelten Verwechs-
limg der Begriffe zu Behauptungen , die jeden Kenner Plato's be-
fremden mussen. Denn von Ideen, welche nicht fiir sich waren,
1 X, 258 f. XI, 289 f. 296 XIV, 217.
^ Gleich 251 D wird ja die Frage so gestellt, ob die ova-lcc, atvYiTtg, (rrcta-ig u. s. w.
tic afjuHTa ovrct nai abwara [so Bekk. mit Recht; Herm. "Ov] fASTaXccfAQausiw aXXv)Xat)v
zu setzen seien, v) nctvra , , , Swura iTrtHotuwuetu rcXXijXoi?; und dieses fiir den Sinn der
ganzen Erorterung entscheidende aXXviXotg wjrd bei dem kowujvsIu regelmassig wieder-
holt; vergl. 252 D. 253 A. 254 C. D. 257 A. 259 A. Es soil untersucht werden
(253 B) TTOia Trototg TVfXipwvsl TMu ysuwv hcci TTOicc aXXv)Xa ov StyjBTUi.
202 Sitzuog der philosophisdi-historischen Classe vom 3. Marz.
weiss er nichts, und ebensowenig ist Aristoteles etwas von solehen
bekannt; wie vielmebr dieser alle platODischen eSij unterscbiedslos
als %a'p«<rri behandelt, so erklSrt auch Plato (s. o. S. 201), die Ideen
seien fur sieh und gesondert von den Dingen, die an ihnen theU-
haben, und er dehnt diese Aussage ausdrucklich auf alle allgemeinen
Begriffe aus, wahrend er zu dem, wo von sie unzweifelhaft gelte, von
vome herein eine Anzahl Eigensehafts- und Verhaltnissbegriffe recbnet.
Wie nun in iliren Bestimmungen uber das Fursicbsein der Ideen
die Gespracbe, welcbe Jackson fiir die spateren bait, von den seiner
Meinung nacb fruberen sieb in Wabrbeit nicbt unterscbeiden . so gilt
das gleiebe aucb von ibren Aussagen uber das Verbaltniss der Ideen
zu den Dingen, die unter ibnen befasst sind. Horen wir Jaceson
(X, 284. XI, 292 f. 296 f. Xni, 3. Xin, 267 u. 5.), so batte Plato
erst in den Gespraeben, deren Reibe der Tbeatet eroflhe, dieses Ver-
baltniss auf das des XJrbilds zum Abbild zuruckgefubrt, wabrend er
es bis dabin, und so namentlieb im Pbado und der RepubUk, als
das der fxf&c^w, der Inunanenz der Ideen in den Dingen, gefesst batte.
Diese letztere Bebauptung vertragt sicb nun fi^iUcb scblecbt mit der
anderen, obne jeden Quellenbeleg vorgetragenen (XFV", 202), dass die
Ideen dem Pbado zufolge nicbt (wie im Sopbisten) mittbeilbar seien,
dass diese dxoivu)vr\(ria, aus ibrer (spater docb aucb nicbt aufgegebenen)
Unveranderlicbkeit (man siebt nicbt wie und warum) folge, imd sie
gerade auf Plato's fruberem Standpunkt eines von den bezeicbnend-
sten Merkmalen der Idee sei; denn wenn die Ideen mit einander nicbt
in Verbindung treten und an einander nicbt tbeilnebmen konnten,
ware eine Verbindung der Ideen mit den sinnlicben Dingen und eine
Tbeilnabme dieser Dinge an den Ideen nocb viel undenkbarer. AUein
aucb abgeseben davon widerstreitet Jackson's Tbeorie dem exege-
tiscben Augenscbein durcbaus. Die Vorbildlicbkeit der Ideen mid
die Tbeilnabme der Dinge an den Ideen steben in alien platoniscben
Scbriften, so weit sie uberbaupt diese Frage berubren,* neben ein-
ander, und zwischen denen, welcbe Jackson fiir fibber, und denen,
die er fiir spater bait, findet in dieser Beziebung kein Unterscbied
statt. Der Pbado fiibrt 100 C ff. aus, dass jedes Einzelwesen die
Eigenscbaften , die es besitzt, nur seiner Tbeilnabme an der Idee zu
verdanken babe; aber derselbe bat vorber scbon (74 A ff. 76 D) aus-
gefahrt, dass wir von den sinnUcben Dingen auf dem Wege der
Wiedererinnerung zu den Ideen gefiibrt werden, die wir in einem
fruberen Dasein kennen gelemt baben, und denen wir die sinnlicben
* Und ebenso bei Akistoteles ; vergl. Metaph. I, 9. 991 a 20 (XIII, 5. 1079b 24):
TO ^g Xiyeiv TraoabstyiJUtTa cevTa etuat xai fXBn^/^iu/ avTU'u Ta}^Xa xst'O^.oysn' iTTt u. S. W.
Zeller: Uber die platonische Ideenlehre. ' 203
Diiige ahnlich finden; wie ja das gleiche, nur ohne die Ideen aus-
drucklicli zu nennen, schon der Meno (8i A — 86 B) gethan hatte,
auf welchen der Phado (72 E f.) mit unverkennbarer Deutlichkeit
zuruckweist. Sind aber die Ideen friiher als die Dinge, und die
Dinge den Ideen zwar ahnlich, aber doch (Phado 74 D) weit hinter
ihnen zuriickbleibend, so ist das Verhaltniss beider das des Urbilds
zum Abbild. Und als die Abbilder und Nachahmungen der Ideen
werden die sichtbaten Dinge, aus Anlass der Lehre von der oivoiiJLvv\(Ti^y
auch im Phadrus (250 A. 251 A) dargestellt, den Jackson doch wohl
schwerlich fiir junger halten wird, als die Republik und den Phado.
Ebensowenig kann daran gedacht werden, dass Plato, als er die
Republik verfasste, die Ideen als Urbilder noch fi*emd gewesen sein
sollten; denn er nennt die Pliilosophen, welche das in der libersinn-
lichen Welt geschaute in's Staatsleben zu iibertragen berufen sind
(VI, 500 E), ausdrucklich 01 rw S-c/w irupoL^eiyfjioLri %pwfXBvot ^wypcHipoi,
imd schildert ihre Thatigkeit 501 B als die von Kunstlern, die nach
den Ideen des Gerechten u. s. f. hinblickend das Menschliche dem
GrOttliehen ahnlich machen; lind am Schluss des neunten Buchs (vergl.
V, 472 E) sagt er, wenn auch sein Staat auf der Erde sich nicht
finde: AtAA' iv ovpctvw t(Tu}g irctpaJ^tiyyict uvuKurui u. s. w. Auch X, 617 D.
618 A. ni, 409 C f. nennt die Republik ebenso, wie der Theatet
176 E, TTdpoL^iyiMTci /iiwv; IE, 602 C f . redet sie von den bi&v\ der
(Tu)<ppo(Tvvv\ u. s. f. und ihren Abbildem; V, 472 C bezeichnet sie die
uvTo- ^iKuiocvvfi als das TroLpou^uyfXA^ an dem jeder den Werth seines
eigenen Verhaltens zu messen habe; VI, 484 C fragt sie, ob die
nicht blind seien, welche unbekannt mit dem wahrhaft Wirklichen,
imd ohne ein deutliches Urbild {TUpoi^BiyfjLoL) in der Seele es auch auf
die menschlichen Gesetze zu iibertragen nicht im Stande seien. Und
damit man nicht glaube, nur die ethischen Ideen haben diesen para-
digmatischen Charakter , werden VI , 5 1 o E die Figurcn , an denen
die Mathematiker ihre Satze beweisen, fiir uKovsg des rerpdr/mov amh
und der ^li^xerpog ouorii u. s. f. erklart; X, 596 f. wird die Idee der
xAivJi (die xAiV>j ovru)g oxj(Tol, ciA)ry\ EKeivYi icrt x?^vv\) imd die Idee des
Tisches von dem Tischler nachgebildet; im Kratylus, den Jackson zu
den friiheren Gesprachen rechnen miisste, da er die Idee eines Kunst-
produkts, der xepm (Weberschiff) kennt, ist es (389 A — C) eben diese,
der jede einzelne KtpKig nachgebildet wird; und in dem Bilde von den
Gefangenen in der Hohle Rep. VH, 5i4f. verhalten sich (vergl. z. B.
5 1 7 D) die siimlichen Dinge zu ihren Ideen wie in der Erscheinungs-
welt die Schatten zu den Dingen, das Abbild zum Urbild. Die ver-
meintlich finiheren Schriften kennen daher die Urbildlichkeit der Ideen
so gut wie die angeblich spateren.
204 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 3. Marz.
Andererseits lasst sich aber diesen kein Beweis dafiir entnehmen,
dass Plato, als er sie verfasste, die Theilnahme der Dinge an den
Ideen aufgegeben hatte. Von den fiinf Gespraehen , in denen Jackson
die spatere Form der Ideenlehre nachzuweisen sucht, beruhrt der
Philebus das Verhaltniss der Dinge zu den Ideen weder imter der
Bestimmung der fjiifxtrigy noch iinter deijenigen der fxeB^e^ig. Im Theatet
findet sich, abgesehen von der gelegentlichen Erwahnung der TroLpoL-
^eiyfjLATci ^luov 176 E, nichts, was jenes Verhaltniss betrafe; man kann
daher aus ihm iiber die Ansicht seines Verfassers von der fxi^s^ig
nichts schliessen. Ebensowenig wie der Theatet, macht der Sophist
das Verhaltniss der Dinge zu den Ideen zum Gegenstand einer aus-
driicklichen Erorterung; es konnte somit nicht auf fallen, wenn er
von der Theilnahme der Dinge an den Ideen ebensowenig sprache,
als er von der Urbildlichkeit der Ideen spricht. Indessen verhalt e^
sich thatsS-chlich doch nicht so. In der wichtigen, zunachst gegen
Antisthenes gerichtet.en, Untersuchung fiber die M5glichkeit der Begriffs-
verknupftmg* (251 A — 259 E) wird jede reale Verbindung eines
Pradicats mit einem Subject als Theilnahme des Subjects an der
,durch den Pradicatsbegriflf bezeichneten Idee^ betrachtet. Diess muss
naturlich von den Dingen, denen ein Pradicat beigelegt wird, ebenso
gelten, wie von den Begriffen, die von einander praedicirt werden:
wenn der Mensch-an-sich desshalb ein lebendes Wesen genannt wird,
weil er an der Idee des Lebens theilnimmt, wird auch jeder einzelne
Mensch aus demselben Grunde so genannt werden. Sagt daher Plato
auch nur von den ciSV) imd yeV>), mit denen er sich hier allein beschaftigt,
ausdrucklich , dass jedes von ihnen von den anderen verschieden
sei SiA TO \jLBri%tw Ti\g i^eocg TY\g ^otTepoVy imd jedes mit sich identisch
&M rY,v fxe^e^iv ruvrov (255 E — 256 B), jedes ein ovk ov wegen de^
lirepovy und jedes ein ov, on iJLere%ei tov ovrog, so ist doch die Auf-
fassimg des Verh<nisses von Subjekt und Pradicat, Ding und Eigen-
schaft, grundsatzlich hier genau die gleiche, wie z. B. in der be-
kannten Stelle des Phado, 100 Off., in der Sokrates ausfiihrt, dass
etwas nur danun schon sei, weil es an der Idee der Schonheit theil-
hat, I + I nur desshalb == 2, weil das, was vorher an der Einheit
theilnahm, jetzt an der Zweiheit theilnimmt u. s. w. Wahrend also
^ Fur diese Verkniipfung bedient sich Plato der verschiedensten , aber wesent-
lich gleichbedeutenden Ausdrucke: Hotvwuta, hoiumusIu, Tr^o^xotvujuEtu , iTrixou'wvslv (251 £.
252 B. 253 E. 254 B. C. 256 B. 257 A. 252 A. 251 D. 252 D), fxlyvvrSai, ^vufM^tQ
II. dergl. (252 B. 253 B. C. 254 I). E. 256 B), Tv^ipuouiiv (253 B), ^6%sir^at (ebendas.).
^ MsTz^uu, lAiSs^tg (251 E. 255 B. D. E. 256 A — E. 259 A); fASTaXofjiBai'su',
(251 D. 256 B); 252 B: ol fAVfSsu Iwi/rc? xotuujvK^ 7ra3'vifjLaTog knoov (wegen seiner Theil-
nahme an der Eigenschafb eines anderen; wie Campbell z. d. St. nach 245 A richtig
erklart) 3'aTs^ou Tr^ogctyo^svsiv.
Zeller: Uber die platonische Ideenlehre. 205
der Sophist der VorbUdlichkeit der Ideen nicht erwahnt, trS^ er die
Lehre von der jneS-i^*^ mit aller Bestimmtheit vor. — Anders verhalt
es sich allerdings mit dem Timaus. Die Form, in welche dieses
Gesprach die platonische Kosmologie gekleidet hat, bringt es mit sich,
dass die Ideen in demselben (28 A ff. 37 C. 39 E. 48 E) als die Muster
dargestellt werden, auf welche Gott hinblickt, um ihnen die Welt
nachzubilden. Aber dass Plato, als er es schrieb, die Lehre von der
Theilnahme der Dinge an ihnen aufgegeben hatte, kann man daraus so
wenig schliessen , als man aus dem Fehlen der idealen Vorbilder im So-
phisten schliessen kann, er habe von diesen zur Zeit seiner Abfassimg
noch nichts gewusst. Denn diese beiden Darstellungsweisen schliessen
sich auf Plato's Standpunkt, wie bemerkt, nicht aus, sondem sie er-
ganzen einander imd stehen desshalb in denselben Schriften friedlich
beisammen : die Dinge werden gerade dadurch zu Abbildern der Ideen,
dass diese sich an sie mittheilen und ihnen die Eigenschaften zu-
bringen, in denen beide mit einander ubereinkommen. Nicht anders
denkt es* sich auch der Timaus. Denn seine sogenannte Materie, oder
wie Plato selbst diese Grundlage der Erscheinungswelt nennt: der Raum
ist (nach S. 48E — 52 D) das, was die Formen in sich aufnimmt
imd dadurch des Ubersinnlichen theilhaftig wird (iJLerciXcifxIidivov outto^
pwTurdi TTYi rov vov\rov). Wir haben also auch hier eine fjLs^e^ig: die
%wpci ist das Dieses {roSs )cui rovro 49 E. 50 A), das Substrat, welches
zu bestimmten KSrpern {ottoiovovv n) wird, indem gewisse Formen in
dasselbe eintreten {iyym(T^cHy tmivcti 49 E. 50 C). Diese Formen
werden nun hier freilich als Abbilder der Ideen (t£v ouei ovtwv iJUfxy\fxotroi,
oder A<po\ioiu)\xAr6L 50 C. 51 A) bezeichnet; und so sind es ja auch in der
Construction der Elemente 53 Off. nicht die (51 B f . erwahnten) Ideen
derselben, sondem die geometrischen Formen ihrer kleinsten Theile,
durch deren Ubertragung die %ct;pot zu bestimmten elementarischen K6r-
pem gestaltet wird. Man kann insofem in dieser Darstellung eine
Vorbereitimg der von Aristoteles bezeugten Annahme sehen , dass das
Mathematische zwischen dem Sinnlichen und den Ideen in der Mitte
stehe; wie diess ja auch schon von dem gilt, was die Republik^ uber
die Aufgabe der Mathematik sagt, von der Sinrienwelt zu den Ideen
iiberzuleiten. Aber so wenig die Mittelstellung des »Mathematischen«
bei Aristoteles der Theilnahme der Dinge an den Ideen im Wege
steht, ebenso wenig ist diess im Timaus der Fall: wenn es auch nur die
Abbilder der Ideen sind, die sich mit der %tipa verbinden, so erhalten
dadurch doch die Dinge einen Theil der in ihren Ideen zusammen-
gefassten Eigenschaften: die fxi^e^tg wird durch ihr Dazwischentreten
^ VI, 510 B ff. VII, 523 A ff. vergl. Phil. d. Gr. II a, 533 f.
Sitzungsberichte 1887. 20
206 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 3. Marz.
niclit aufgehoben , sondern vennittelt. — Wenden wir iins schliesslich
zum Parmenides, so tragt im ersten Theil dieses Gesprachs der
jugendliehe Sokrates zuerst (128 Eff. 130B. E) die Lehre von der
Theilnahme der Dinge an den Ideen als seine AnsicLt vor. Von
Parmenides auf die Schwierigkeiten dieser Annahme aufinerksam ge-
macht , spricht er 1 3 2 B die Vermuthung axis , dass die Ideen nur
subjektive Gedanken seien. Als auch diese Vorstellung sich nach
kurzer ErSrterung unhaltbar gezeigt hat, kommt er auf die Annahme
(132 D): rUt jLtev cJSV) tolvta w(rwep TrApa^eiyfxotra kcroiveUy rk & SlKKa roih-
roiQ ioix^vou xou etvcu ofJioioufMuroL' Kod 1^ fJLeB'S^ig ocvrvi toU aXXoig yryveG'Sou
Twv Bi^m ovK fltXAi) Tt^ ^ £i}M(T^vou oLVToTg. Auch diese Bestunmung
wird aber sofort durch eine Folgenmg, welche der Sache nach mit
der des sogenannten rphog iv^poowog zusanmienfallt , ad absurdum ge-
fuhrt; schliesslich jedoch wird trotz dieser und anderer Einwendungen
gegen die Annahme fiir sich bestehender Ideen 135 B erklart, dass
man sie nicht aufgeben konne, ohne auf jede M5glichkeit wissenschaft-
licher Untersuchung zu verzichten. Damit wird mm die Urbildlichkeit
der Ideen mit der Theilnahme der Dinge an den Ideen ganz gleich
behandelt: gegen jede von beiden Annahmen werden Schwierigkeiten
erhoben, die zunachst keine Ldsung finden; es wird trotzdem an der
Ideenlehre festgehalten , aber es wird (135 A) eingerftumt, dass es
nicht leicht sei, sie wissenschaftlich sicherzustellen. Als eine Vor-
bereitung dafiir wird jene hypothetische Begriffsentwickelung empfohlen,
von welcher der zweite Theil des Gresprachs in den Erorterungen uber
das Sein oder Nichtsein des Eins eine ausfiihrliche Probe gibt. Aber
es wird von keiner der aufgeworfenen Schwierigkeiten gezeigt, wie
sie sich auf diesem Weg losen lasse , und die Urbildlichkeit der Ideen
hat in dieser Beziehung vor der Lehre von der fxs^^ig nichts voraus.
Wenn Jackson (XI, 292) trotzdem glaubt, Parmenides bestreite nicht
den urbildlichen Charakter der Ideen, sondern nur die Voraussetzung,
dass ihr Verhaltniss zu den Einzeldingen auf Ahnlichkeit beruhe, unsere
Stelle gebe daher in Wahrheit der neuen Theorie von der Urbildlichkeit
der Ideen vor der alteren von der fisBt^tg den Vorzug, so ist mir diess
unverstandlich. Worin besteht denn uberhaupt das Verh<niss des Ab-
bilds zum Urbild, als in seiner Ahnlichkeit mit jenem? Und ebenso
ungerechtfertigt ist es, wenn Jackson (XI, 292. 297. X, 282 f.) aus
unserer Stelle und Phileb. 25 C ff. herausliest, dass die Ideen unver-
Snderiiche natiirliche Typen (natural types , certain fixed b/pes) seien,
welche in den Einzeldingen sich fortwahrend gleichmassig wiederholen.
In der Stelle des Philebus ist weder von den Ideen noch von natur-
lichen Tj'pen die Rede, sondern ledigUch davon, dass alles Heilsame
und Geordnete auf der Begrenzung des Unbegrenzten durch feste
Zkller: Uber die platonische Ideenlehre. 207
Maasse beruhe ; ein Satz , welcher sich mit der Lehre von der fxiB-e^i^
gerade so gut vertrSgt, wie mit der vom Trupd^Biyfjici, welcher auch
mit der Ideenlehre in Verbindmig gesetzt werden konnte, welcher
aber weder hier mit ihr in Verbindung gesetzt wird, noch in einem
nothwendigen Zusammenhang mit ihr steht/ Parm. 132 D aber kann
mit dem ktrrdivou ev tyi (pvcei^ welches den Trupa^siyfXAToL beigelegt
wird, doch nur dasselbe gemeint sein, wie Theatet 176 E mit dem
von ihnen ausgesagten ev rw ovu ecrfdivoti: die fpvcig bezeichnet nicht
das, was man seit Aristoteles im engeren Sinn so zu nennen pflegt,
die Gesammtheit der kSrperlichen Dinge und der sie bewegenden
Kr&fte, sondem wie in andern auf die Ideen beziiglichen Stellen
(Rep. VI, 501 B. X, 597 B — E. Phado 103 B, auch Krat. 389 D) die •
Wirklichkeit , im Unterschied von blossen Vorstellungen oder Erschei-
nungen, das ovrwg ov, das iari (wie es Rep. X, 597, C. D erklart
wird); das etTToiveu iv rjj <pv(ru steht im Gregensatz zu der vorher, 132 B,
aufgestellten Hypothese, dass das tUog ein blosses vofifxot sei tcou ov^ctr-
fjLov airu) 7rpo(rv\xY} iyyiyvs(T^oLi a^Xo^i ^ h yl/vyjttg. Von dem, was Jackson
in diesen Stellen sucht, ist nichts in ihnen zu finden. Noch viel
weiter geht er aber freilich fiber alles, was nicht allein Plato, sondern
was irgend em giiechischer Philosoph gesagt hat oder gesagt haben
konnte, durch die Entdeckung (XIII, 21 — 27. 33. 38. XIV, 206) hin-
aus, dass die sinnlich wahrnehmbaren Dinge nach Plato nichts anderes
seien, als Sensationen in unserem Geiste, denen wir falschlich ein
ausseres Dasein zuschreiben, weil sie gleichmassig in mehreren Seelen
vorkommen; und die Ideen nichts anderes, als die, uns freilich un-
erkennbaren imd nur hypothetisch angenommenen , ewigen Modi oder
Potentialitaten des Denkens, durch deren Aktualisation in einer be-
stimmten Stelle des Raimies und der Zeit die Erscheinung der Einzel-
dinge entstehe. Einer Widerlegung bedarf diese Verquickimg Plato's
mit Berkeley wohl schwerlich; und auch mit ihrer Begrundung hat
es ihr Urheber sehr leicht genommen. Weil die Seele (namlich die
Weltseele), nach Tim. 37 A— C, vermSge ihrer Zusammensetzung aus
dem roLvrov, dem ^dirBpov und der ovcia so wohl von dem, was eine
ov(TioL oLfxspKTTGg, als vou dcm , was eine ovciu CKe^utrrYi hat, erkennt,
mit was es identisch und von was es verschieden ist, imd weil, *as
appears^ , Subjekt und Objekt der Sensation identisch sind, befindet
sich auch das Object derselben nur in der Seele (XHI, 21). Da hie-
bei gerade die Hauptsache, die Identitat des Subjekts und des Objekts
der Sensation, ohne jeden Versuch eines Beweises vorausgesetzt wird.
^ Ahnliches findet sich ja schon bei den Pythagoreern und Heraklit; vergl. Phil,
d. Gr. 1, 328. 602 f.
20*
208 Sitzung der philosophisch - historischen Classe vom 3. Marz.
SO liangt diese ganze Begrundung in der Lufl, und da diese »Identitat
des Subjekts und Objekts« nur unter der Voraussetzimg moglich ist,
dass das vermeintliche Objekt eine blosse Erscheinung im Subjekt sei,
bewegt sie sich in einem handgreiflichen Zirkel.
Eine eigenthiunliche Schwierigkeit erwachst &r Jackson's Ansicht
liber Plato's Lehre vom Verhaltniss der Dinge zu den Ideen aus den
Angaben des Aristoteles. Er glaubt, seit der Zeit, welcher der Par-
menides angehort, habe Plato die Theibiahme der Dinge an den Ideen',
die fxi^e^igs aufgegeben, und die Abbildimg der Ideen in den Dingen,
die fxifxv\(T igy an ihre Stelle gesetzt. Nun redet aber Aristoteles mit
Bezug auf die platonischen Ideen nicht allein nie von der fxifxyitng und
nur an einer einzigen Stelle (s. o. S. 202,1) von den Trctpou^tyfjuiroi^
wahrend er die Beziehung der Ideen zu den Dingen in der Regel
als ui^e^ig bezeichnet;*^ sondern er bemerkt sogar ausdrucklich : die
Pythagoreer lassen die Dinge durch fMfXY\(Tig entstehen, Plato durch
fjLs^B^ig.^ Wir mussen daher annehmen, dass Plato, als Aristoteles
seine Vortrage uber die Ideen horte, ihr Verhaltniss zu den Dingen
mit Vorliebe durch den Begriff der fJii^B^ig ausdruckte. Wie ware
diess aber moglich gewesen, wenn er eben diese schon lange vorher
aufgegeben und durch eine andere (wie Jackson glaubt, mit ihr un-
vereinbare) Auffassung ersetzt hatte? Es heisst leichten Fusses uber
diese Schwierigkeit wegkommen, wenn man sich mit ihr durch die
Bemerkung (X, 289) abfindet: was Aristoteles a. a, 0. fxi^e^ig nennt,
sei eigentlich (in reality) ^ifxficig. Aber es handelt sich ja gar nicht
bios um diese Eine Stelle, wiewohl auch sie schon zum Beweis aus-
reichen wurde; sondern aus Aristoteles' ganzer Darstellung geht un-
widei'sprechlich hervor, dass Plato, als er ihn horte, die Theilnahme
der Dinge an den Ideen nach wie vor lehrte, und dass sich diese
(vergl. S. 202,1) seiner Meinung nach mit dem vorbildlichen Charakter
der Ideen vollkommen vertrug.
Einige weitere Stutzen fiir seine Hypothese sucht Jackson in
zwei Stellen des Theatet und des Sophisten. In dem ersten von
diesen Gesprachen setzt Plato (i56Aff.) eine Theorie auseinander,
* Oder wenigstens (fugt er XIV, 228 bei) an den Ideen, welche ccvra hoS^
(tvTu sind, wogegen die, welche diess nicht sind, zu den Einzeldingen in das Verhalt-
niss der fxs^s^l*i sollen treten konnen. Da aber diese Unterscheidung schon S. 201
widerlegt ist, und auch Aristoteles nichts von ihr weiss, sondern vielmehr von der
ixi^s^i(; an den Ideen ganz allgemein spricht, kann hier von ihr abgesehen werden.
^ Die Belege gibt BoNrrz' Index arist, unter lAi^s^ig und yitTi^Biv,
* Metaph. I, 6. 987 b 9 : Plato lasse die Dinge nach den Ideen genannt werden,
KctTu fxsB's^iu yao stuai ra ttoXXu twu Tvuwinjfxwu toIq s\^B(tw. ryfu ht fjud's^w TOVi'Ofjut fAouov
fASTsQccXsu. ol fjisv yao UvB'ayooitot fjnfxy}<ret t« oura (pcccriv slvat tujv a^l^^fJiujv QXaTuov bs
fXsB'i^St,
2ellbr: Uber die platonische Ideenlehre. 209
nach der »alles Bewegimg ist und sonst nichts«, und alle Eigen-
schaften der Dinge nur Erscheinungen sind, welche sich aus dem
Zusammentreffen entgegengesetzter Bewegungen, der des Walir-
genommenen und der des Wahrnehmenden, erzeugen. Jackson
(Xni, 256. 268 f. XIV, 2 04f.) sieht nun in dieser Theorie Plato's
eigene Ansicht, und schliesst unter dieser Voraussetzung : da jene
Theorie mit dem Standpimkt des Phado und der Republik sich nicht
vertrage, so mxisse Plato diesen Standpunkt inzwischen verlassen
haben. AUein Plato sagt ja so deutlich, wie m5glich, dass es nicht
seine eigene Ansicht ist, von der er hier redet, sondern die Behauptung,
die iTrioryifjLYi sei ou(T^(Tigy und insbesondere die Erkenntnisstheorie des
Protagoras;* mag er diese auch vielleicht im einzelnen stilisirt und in
seine eigenen Ausdriieke und Begriffe libersetzt haben. Diess ist auch
bisher meines Wissens von keiner Seite bezweifelt worden, und auch
Jackson wurde es schwerlich bezweifelt haben, wenn ihn nicht in diesem,
wie in dem S. 207 besprochenen Fall, der Wunsch, seinen eigenen
* PhS^nomenalismus auch bei Plato zu finden, das, was vor Augen liegt,
hatte ubersehen lassen. — Weit mehr lasst sich immerhin daftir
geltend machen, dass mit den im Sophisten (246 A. 248 A — 249D)
geschilderten und bestrittenen Philosophen, welche erne Mehrheit un-
bewegter etSV) annehmen, Plato selbst in einem fmheren Stadium seiner
wissenschaftlichen Entwicklung gemeint sei; und so ist diess denn
auch nicht bios von solchen angenommen worden, welche mittelst
dieser Annahme die Achtheit des Sophisten bestreiten, sondern auch
imter denen, welche die letztere zugeben, hat diese Deutung der Stelle
mehr als einen Vertheidiger gefimden.^ Ich meinerseits kann indessen
auch nach ^wiederholter Priifiing nur bei der Ansicht beharren, die
ich nach Schleiermachers Vorgang schon langst vertreten* und fiir
die sich auch viele andere vor und nach mir erklart haben,* dass
namlich die Schilderung der bi^Zv (piXoi im Sophisten auf Euklides
gehe, dessen Lehre damals noch nicht bis zu ihrer letzten Consequenz,
der eleatischen Einheit alles Seins, fortgegangen war. Diess naher
auszufthren, ist nun hier nicht der Ort. Dass sich aber die Stelle
nicht auf Plato selbst beziehen lasst, dafur habe ich auch schon
* Vergl. 152E. 158E. 161 C. 162E. 165E. 179D. 183A undden ganzenZusammen-
hang dieses Abschnitts, uber den Bonitz Plat. Stud. 66 if.
* Den von mir Phil. d. Gr. Ha, 216 3. Aufl. genannten sind ausser Jackson
(XIV, 197 — 202) auch HiRZEL (Hermes VIII, 128) und Dittknberger (ebenda XVI,
343) beizufOgen, welche sammtlich (mit Grote) annehmen, dass Plato a. a. O. seine
eigenen fruheren Ansichten bestreite.
» Phil. d. Gr. Ha, 2i4ff.
* So ausser den a. a. O. namhaft gemachten Bonitz Plat. Stud. 192.
210 . Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 3. Marz.
fruher^ zwei Gninde geltend gemacht, die mir noch immer nicht
widerlegt zu sein scheinen. Fur's erste namlich kann ich nicht glauben,
dass Plato, wenn er auch an seiner eigenen fruheren Lehre etwas zu
verbessem fand, fiber dieselbe so ironisch gesprochen hatte, wie
er Soph. 246 A f. fiber die u^m <piKoi spricht, wenn er von ihnen
sagt: es finde zwischen ihnen und den Materialisten eine Art
von Gigantomachie statt, wobei sie \mKet evKot, ^wg fltvw&fv l£
iopATov TToS-eu ifxvvovToLi u. s. w. Das gleiche mfisste ja auch von
seiner spateren Lehre gelten, denn an der Uberzeugung, dass die
icdfjMToL £i3V) die oiXyjl^ivv\ ovciol, die k5rperlichen Dinge keine ov(ria,
sondern eine yivs(7ig <f)epofjJvv\ seien, hat er sein Lebenlang festgehalten.
Ebendesshalb wird man aber die Ii'onie, mit der diese Ansicht be-
handelt wird, fiberhaupt nicht auf den Inhalt derselben zu beziehen
haben, sondern stuf die Art, wie sie von ihren Anhangem verfochten
wurde, und die Beschreibung, welche unsere Stelle von dieser gibt,
passt auf die megarische Dialektik vollkommen, wahrend es anderer-
seits doch recht seltsam ware, wenn Plato hier andeuten wollte, dass
er selbst in seinem Streit gegen Antisthenes und andere Materialisten
eine etwas komische Rolle gespielt habe. Wich tiger aber ist aller-
dings, dass auch von der Lehre der hier erwShnten »Ideenfreunde«
etwas ausgesagt wird, was auf Plato schlechterdings nicht passt,
wenn S. 248 C steht: Xeyovciv on yevetra fMv TrpodstTu tov ira/r/jiiv Kotl
TTOiUv ^vvoLfxewg, wpog Se ovcictv Toirrwv ov^tripov ry^v ^vvctfXiv ipixorruv (f>u<riv.
Wo hat denn Plato jemals behauptet, dass die Kraft zu wirken nur
dem Werdenden, nicht dem Seienden, zukomme? Erklart er nicht
vielmehr umgekehrt (um mich auf die Gesprache zu beschrSnken,
deren Ideenlehre nach Jackson im Sophisten berichtigt werden soil)
im Ph&do die Ideen fiir die Ursachen, von denen das Sein und Ent-
stehen der Dinge allein herrfihre, und in der Republik die Idee des
Guten far die letzte Ursache von allem ? (Vergl. S. 2 1 2 .) Es ist
keine Antwort auf diese Frage, wenn Jackson^ sagt: den eiSSv <pt}<oi
werde ja Soph. 248 C Liconsequenz (inconsistency) vorgeworfen (was
ubrigens hier gar nicht geschieht) , und die Stelle des Phado beweise,
dass dieser Vorwurf begrfindet sei. Sie wurde diess beweisen , wenn
festgestellt ware, dass mit den £/(Jaiv (pikoi Plato selbst auf seinem
frfiheren Standpunkt gemeint sei; da aber eben diess in Frage steht, so
ist es die reine petitio principii, es als selbstverstandlich vorauszu-
setzen. Der wirkliche Sachverhalt ist vielmehr der, dass hier von
den fii^cTv <pikoi etwas ausgesagt wird, was Plato unmoglich von sich
1 Phil. d.Gr. 11a, 216.
' A. a. O. XIV, 202, I. DiTTENBERGER a. a. O. ist auf meine Einwendungen
nicht eingegangen.
Zeller: IJber die platonisdie Ideenlehre. ^ 211
selbst ausgesagt haben kann; und daraus lasst sich nichts anderes
als das schliessen, dass wir eben bei jenen i»Ideenfreunden« nicht
an Plato zu denken haben, und somit die Stelle, die von ihnen
handelt, nicht zum Beweis ffir die Annahme benutzt wei-den kann,
Plato woUe im Soph is ten die erste Gestalt seiner Ideenlehre ver-
bessem.
Gerade im Sophisten tritt uns vielmehr eine Darstellung der
Ideenlehre entgegen, welche von der aristotelischen unverkennbar
welter abliegt, als die der meisten anderen Schriften^ Wenn man
namlieh Plato's Bestimmungen liber die Ideen genauer mitersucht, so
zeigt sich, dass sich in denselben zwei Auffassungen kreuzen, welche
wir in der Kiirze als die ontologische und die Stiologische bezeichnen
k5nnen. Die Ideenlehre entsprang an erster Stelle aus dem Bedurf-
niss, im Gegensatz zu den sinnlichen Erscheinungen , die uns in ihrem
imablfcsigen Wechsel kein wahres Sein zeigen und sich desshalb
jeder festen Bestimmimg und wissenschaftlichen Erkenntniss entziehen,
etwas unveranderliches , jenem Wechsel nicht unterworfenes , zu
suchen; und dieses findet mm Plato in dem AUgemeinen, als dem
Gegenstand des be^fflichen Denkens, den Gattungen oder Ideen;
denn die in einer Begriffsbestimmung zusammengefassten Merkmale
und ihr Verhaltniss werden von der Veranderung und der UnvoU-
kommenheit der Dinge nicht beruhrt, an denen sie, bald mehr bald
weniger rein und voUstandig, vorkommen. Die Ideen sind daher
das imveranderliche Wesen der Dinge, welche unter ihnen befasst
sind, das urspninglich Wirklicbe, von dem alle jene Dinge zu Lehen
tragen, was sie von Wirklichkeit besitzen; denn jedes Ding ist das,
was es ist, nur dadurch, dass ihm die in seinem Begriff zusammen-
gefassten Eigenschaften zukonmien , oder wie sich diess Plato darstellt^
dadurch , dass es an der jenem Begriff entsprechenden Idee theilnimmt.
Und da nun jedes um so vollkommener ist, je reiner und vollstandiger
sein Wesen und sein Begriflf sich in ihm darsteUt, lassen sich die Ideen
auch als die Urbilder der Dinge , die Dinge als die Abbilder der Ideen be-
zeichnen. Diese ontologische, von der Frage nach dem Unverinderlichen
und Wesenhaften in den Dingen ausgehende Fassung der Ideenlehre be-
herrscht im ganzen genommen die platonische Darstellung dieser Lehre.
Aber neben ihr macht sich noch . ein zweiter Gesichtspunkt geltend,
welch em der Philosoph sich nicht zu entziehen, den er aber allerdings
mit dem ursprunglicheren und fur ihn entscheidenderen ontologischen
nicht in eine widerspruchslose Verbindung zu bringen vermochte.
Wenn die Dinge das, was sie sind, nur durch die Gegenwart der
* Wie ich diess schon Phil. d. Gr. II a, 580 ff. bemerkt babe.
212 Sitzung der philosophisch-historischeo Classe vom 3. WSltz.
Ideen sind, an denen sie theilhaben/ so sind diese die Ursache, aus
welcter das Dasein und die Eigenschaften der Dinge als ihre Wirkimg
hervorgehen; sie durfen mithin nicht bios als ruhende, in ihrem Sein
unveranderlich beharrende Formen oder Substanzen, sondem sie mussen
zugleich als wirkende Krafte gedacht werden. Diese Ursachlichkeit
der Ideen hat nun Plato auch wiederholt anerkannt. Im PhSdo (looB)
nennt er die Ideen rvig iiTiotg to et^og o TreTrpayfJMTsviJMi, indem er von
keiner anderen Ursache etwas wissen will , imd er bezieht diess aus-
drftcklich auch auf die Entstehung der Dinge , wenn er sagt ( i o i C) :
jedes werde , was es ist , nur dadurch , dass es an dem eigenthumlichen
Wesen einer bestimmten Idee theilnehme; er behauptet, wie Aristoteles*
sich ausdriickt, wg kuI tov etvui xou tov yiyvB(T^ou outul ta tt^ Icuv,
Unter dem Begriff der u^hU wird auch im Philebus 2 3 C ff. das hSchste
Sein zusammengefasst , zu dem neben dem vovg di6 Ideen mitgeh5ren
mxissten;^ und in der beriihmten Stelle der Republik VI, 508 E f.
wird die hOchste von den Ideen, die des Guten, als die Ursache be-
schrieben, der unsere Vemunft die Fahigkeit zu erkennen, imd das
von ihr Erkannte sein Weseh imd Sein zu verdanken hat. Aber in
keinem anderen Gesprach wird dieser Gesichtspunkt bei der Betrach-
tung der Ideen so weit verfolgt, wie im Sophisten. Hier halt Plato
(247 D ff.) den (S. 209 besprochenen) e/<^ct;v (pikoi entgegen: das Sein
sei nichts anderes als die ^vveifxig^ das Verm5gen zu wirken und zu
leiden; das TrotvrtKCog ov konne man sich nicht ohne Bewegung imd
Leben, Seele und Einsicht, als ein (Tcjuvou xou oiyiov, vovv ovk €%ov, iKi-
wjfrov eorog denken; und da nun das TrAvTsXwg ov dasselbe ist wie das
ovTwg ov, und die ovToog ovtu, seinen sonstigen Erklarungen zufolge,
nichts anderes sind als die Ideen, so muss er diesen Leben, Seele,
Vernunft und Bewegung beilegen. Es geschieht diess aber allerdings
nur hier mit dieser Bestimmtheit ; aus seinen sonstigen Darstellungen
erhellt wohl, dass er die zweckmSssige Einrichtung der Welt von
der Theilnahme der Dinge an den Ideen herleitet, dass sie ihm ein
Werk der Vernunft ist, well sie den Ideen nachgebildet ist, dass
ihm die Idee des Guten mit der weltsch5pferischen Vemunft zusammen-
fSllt,* aber den Ideen iiberhaupt alle die Eigenschaften zuzuschreiben,
ohne die sich der Sophist das 7roL\rreXwg ov nicht zu denken weiss, hat
^ Phado 1 00 D : ovk ccXXo ti ccvto (den schonen Gegenstand) ttouI hccXou x V shbI'
VOV TOV HCCXOV SITS TTU^OVTia SITS t<OWWinCt SITS [add. fASTO</y}\ OTTTI StJ Xat OTTUDC TT^oaysiO'
fxlt^ u. a., vergl. Phil. d. Gr. Ua, 641.
^ Metaph. I, 9. 991b 3. (XIII, 5. 1080a 2); ahnlich, etwas ausftihrlicher, gen.
et corr. 11, 9. 335b 9.
* Wie Phil. d. Gr. 11a 577 ff. gezeigt ist; auf die seitdem von verschiedenen
Seiten erhobenen Einwilrfe kann ich hier nicht eingehen.
* Vergl. Phil. d. Gr. II a, 576 f. 642 ff. 591 ff.
Zellbr: tjher die platonische Ideenlehre. 213
er in keiner anderen von seinen Schriften gewagt. Noch femer liegt
jedoch dieser Gedanke derjenigen Form der Ideenlehre, welche uns
aus Aristoteles bekannt ist. In seiner Darstellung feldt nicht allein
jede Spur davon, dass sein Lehrer den Ideen Bewegung, Leben, Kraft
und Th&tigkeit irgend einer Art zugeschrieben h&tte, sondern er er-
klart auch ausdrucklich , derselbe kenne neben der mateiialen Ursache
nur die formale, in der er aber zugleich den Grand des Guten suche/
die Ideen werden nicht als bewegende Ursache , sondern nur als Wesens-
grund betrachtet;*^ und in seiner Kritik der Ideenlehre wird derselben
keine Einwendung 6fter und nachdriicklicher entgegengehalten , als
die, dass es den Ideen an dem bewegenden Princip fehle, dass nichts
in ihnen liege, woraus sich die Entstehung und Ver&nderung der
Dinge erklai'en liesse.^ Die Aussagen des Sophisten uber die Ideen
liegen daher von denen des Aristoteles weiter ab, als die aller anderen
Gespr&che. Dieser Sachverhalt steht der Annahme entschieden ent-
gegen, dass der Sophist einer Zeit angeh5re, in der sich bei seinem
Verfasser der Ubergang zu der spateren , uns nui' aus Aristoteles be-
kannten Fassung der Ideenlehre vorbereitete ; er ISsst uns vielmehr in
der Darstellung dieses Gesprachs einen spater aufgegebenen Versuch
erkennen, die Ursachlichkeit der Ideen mit ihrer Thatigkeit und Be-
seeltheit zu begrunden. Dieser Versuch war dem Philosophen aller-
dings durch die doppelte Erwagung nahe gelegt, dass das hGchste
Sein nicht ohne Vernunft, die letzte Ursache nicht ohne Wirksam-
keit, und daher auch nicht ohne Bewegung gedacht werden k5nne.
Allein es war doch so schwer, oder vielmehr so immSglich, sich die
Gattungen der Dinge zugleich (nach Soph. 249 A) als lebendige, be-
seelte imd vemiinftige Wesen zu denken, und die Bewegung, die
ihnen als solchen zukam, mit ihrer Unveranderlichkeit zu vereinigen,
dass wir es vollkommen begreifen, wenn der Philosoph diesen im-
durchfiihrbaren Versuch nicht weiter verfolgte: wenn er im PhMo
bald (97 B ff.) den vovg, bald (looB ff.) die Ideen als die Ursache der
Dinge darstellt, aber diese beiden Darstellungen nicht mit einander
* Metaph. I, 6. 988a 8: (paus^ou S ix tmu eloYifXiuuov on Svotv airtatu fxovov xg-
%pyiTat, TT) TS TOV Tt S(TTt XCtl TYj HUTU TIfU vXvjU (t« yu^ s\bv} TOV Tt ioTW UlTUt TOlQ aXXot(^,
Tolg h^ f iXfori TO tv) ... 571 Sg rifif toZ s\> nat Hccxwg aiTiav rolg OTOvy/totQ ccTrtSwHsu Ixa-
rsootg tHccre^ccv.
* Ebend. c. 7. 988 b i : ovts ya^ uog vXvju rotg cut^toi<; ret elStj Hcti to iv toIq
sUhso'tu, ov^^ CW9 iuTsvB'sv Tfu tt^'yvjif TYfg HivY^TEuag ytyvofAEvrjv VTroXctfjificcuovTw {aHtwi(rlag
yao ctiTut fjLaX?^ov xcct tov Iv v)^£fjU4^ elvat (pccj'uf) u. s. w.
' Ebend. c. 9. 991a 8: TrauTwu Sg fxccXtirra 8tce7ro^v}Tstsv cw ti<?, ti ttots (T\jyJia)0^tTai
ra gid»j T0t9 ceiSiotg twu aio'S'rjTwv v) Totg yrp'Ofxivotg xai (p3'st^ofjLiuotg, ovts yao xivrfTSfs)*;
o\jTB fjLSTadoXrjg ovSsfxtag sttiu aiTta auroT^. Viele weitere Belege habe ich Phil. d.
Gr. lib, 296, 4 beigebracht.
214 Sitzung der philosophisch-histortschen Classe vom 3. M&rz.
verknupft; im Philebus (26E ff. 28D ff.) die ah-ioL zwar als wirkendes,
beseeltes und veniiinftiges Princip, also mit den gleichen Praedicaten,
wie im Sophisten das irAvreXwg ov, bezeichnet, aber der Ideen in diesem
Znsammenhang nicht erwahnt; in der Republik (VI, 508 E f.) die Idee
des Guten ffir die hOchste Ursache erklftrt, aber diejenigen Praedicate,
welche strenggenommen nur tOi eine PersSnlichkeit passen wurden,
ihr nicht beilegt, sie wedex vovg noch ^zog nennt; wenn er im Timaus
(27 D — 29 A. 30 C — 31BU. o.) die Ideen als die imveranderlichen
Urbilder schildert, und ihnen die wirkende Ursache als die Grottheit
Oder den Weltbildner, freilich in mythischer Einkleidmig, znr Seite
stellt; wenn er endlich in seinen spiteren Vortragen uber die Ideen,
soweit wir nach den aristotelischen Berichten daruber urtheilen kdnnen,
der bewegenden Ursache gar nicht oder nur fluehtig erwahnte/ Diess
alles erklart sich auf's beste, wenn der Sophist zu Plato's firuheren
Schriften gehorte; es wird unverstSndlich , wenn man ihn zwischen
die Republik und die VortrSge einschiebt, aus denen Aristoteles seine
Kenntniss der platonischen Metaphysik an erst^r Stelle geschSpft hat '
Neben diesen aus dem Inhalt des Sophisten entnommenen Grunden
verbietet uns aber auch die Verbindung, in welche ihn Plato selbst
mit dem Theatet setzt, ihn weit liber das Jahr 390 v. Chr. herabzu-
riicken. Ich habe schon in einer frilheren Abhandlung^ gezeigt, dass
der Theatet zwischen 392 und 390, am wahrscheinlichsten 391, an's
Licht getreten sein muss; und ich will den dort beigebrachten Be-
weisen fiir diese Annahme hier noch einen welteren beifugen. Um
dem Theatet zu sagen, dass ein gewandter Gegner manches gegen
ihn einwenden konnte, bedient sich Sokrates 165D der Worte: er
wurde durch alles das in Verlegenheit gesetzt werden, a lAAo%c5v oiv
TTsXTU^crixcg ivinp ^c^o<popog h Xoyoig ipofxevog . . . vjXeyyjv uv iirey^wv xal ovk
anelg u. s. w. Diese Bezeichnimg eines Dialektikers hat namentlich desshalb
etwas befremdendes, well die Vergleichung zwischen ihm und einem im
Hinterhalt lauemden Peltasten gar nicht weiter ausgei^hrt ist, sondern
der Name des letzteren unmittelbar und ohne jede Erl&utenmg auf
den ersteren ubertragen wird; und sie verliert ihr auffalliges und
anscheinend gesuchtes nur durch die Annahme, dass eine Anspielung
auf bestimmte, damals in Athen allgemein bekannte Vorgange darin
liege; wie denn auf solche auch der Umstand hindeutet, dass der im
Hinterhalt liegende Gegner so speciell, nicht bios als Peltast, sondern
auch als Soldner, geschildert wird; denn far den eigentlichen Ver-
gleichungspunkt ist dieser Zug ohne Bedeutung, und an sich selbst
* Siehe oben S. 213. Metaph. I, 9. 991a 22: tI ya^ im to i^yet^o^evo*^ ir^o«
Trtc IhsaQ cciroBxiTTOv;
' Sitziingsberichte der K. Akademie. 1886. Nr. 37.
ZiXLSR: Uber die platonische Ideenlehre. 215
brauchten die Peltasten nicht SOldner zu sein. Solche, mit unsern
Worten voUkommen libereinstimmende Vorgange k5nnen wir nun in
eben der Zeit nachweisen, in welch e auch alle anderen Anzeichen
den Theatet verlegen. Denn gerade im dritten und vierten Jahr des
Bundesgenossenkriegs , 392 und 391 v. Chr., geschah es (nach Xenoph.
Hellen. IV, 4, i4flF. 5, 1 1 ff.), dass Iphikrates mit seiner aus SSldnern
neu gebildeten Waffe, den Peltasten, Erfolge davon trug, welche das
gr5sste Aufsehen und in Athen die freudigste Erregung hervorrufen
mussten : dass er den Phliasiern von einem Hinterhalt aus durch pl6tz-
lichen Uberfall eine schwere Niederlage beibrachte, Afkadien pliindernd
durchstreifte , eine Mora spartanischer Hopliten zur H&lfte aufrieb,
und den Feinden verschiedene feste Platze, die sie besetzt hatten,
entriss. Unmittelbar nach diesen Vorgangen, als Iphikrates und seine
Peltasten das Tagesgesprach in Athen waren, muss Plato die frag-
lichen Worte niedergeschrieben haben; und so liefem auch sie einen
weiteren, nicht zu verachtenden Beweis dafur, dass der TheStet in
dem von mir angenommenen Zeitpunkt verfasst worden ist.
An den Theatet reiht aber Plato selbst den Sophisten so un-
mittelbar an, dass nur zwingende Gegengrunde ims das Recht geben
kOnnten, ihn um viele Jahre tiefer herabzuriicken. Jetzt, schliesst
der Theatet, muss ich in die Halle des Basileus gehen; ccu&fv (Je, w
Gto^oDpSy ^evpo TTotAiv iTrfltvTWjLtev. Und der Sophist beginnt mit den Worten
des Theodoi'os: kolta rY,v y^eg ofxoXoyluvy S> X(jox.poLTBgy Jixofxev. Darin liegt
doch unbestreitbar , dass Plato schon bei der Ver5flFentlichung des
Theatet die Absicht hatte, an denselben ein zweites Gesprach anzu-
knupfen, welches gleichfalls zwischen Soki'ates, Theodor und The&tet
gefiihrt werden soUte,^ und dass der Sophist eben dieses zweite Ge-
sprach sein will. Dass an diesem noch eine vierte Person, der
eleatische Fremdling, theilnehmen und sogar die fiihrende RoUe darin
ubernehmen werde, kundigt der Tlieatet allerdings nicht an. Es war
diess jedoch auch nicht nothig und es ware kaum passend gewesen;
sollte aber auch Plato erst nach der VoUendung des Theatet den
Plan des Sophisten genauer festgestellt imd sich zur Einfiihrung des
Eleaten entschlossen haben, so thate diess doch der Thatsache keinen
Eintrag, dass das am Schlusse des Theatet in Aussicht gestellte Ge-
sprach im Sophisten vorliegt. Nun ist es ja an sich denkbar, dass
der Schriftsteller nicht sofort zur Ausftlhrung seiner dort angekfln-
digten Absicht gekommen ist. Aber dass zwischen dem Theatet imd
* Wenn daher Dittenberger (Hermes XVI, 345) fragt, warum Plato nicht
auch langere Zeit nach Abfassung des Theatet auf diesen Gedankeu hatte verfallen
konnen, so ist diese Moglichkeit zwar in abstracto natiirlich unbestreitbar, dass ihr
aber die Wirklichkeit nicht entspricht, beweisen eben iVw Schhissworte des Theatet,
216 SitzuDg der philosophisch-historischen Classe votn 3. Marz.
dem Sophisten viele Jahre und mehrere andere Werke in der Mitte
liegen,* ist desshalb unwahrscheinlich , weil der letztere in seinem
Anfang als selbstverstandlich voraussetzt, dass die firuhere Unter-
redung zwischen Sokrates nnd Theodores und die Verabredung, sich
des anderen Tags am gleichen Ort wieder zu treffen, den Lesem
bekannt und ihrer Erinnerung gegenwartig sei; dieses war aber eben
nur dann vorauszusetzen , wenn beide Gespraclie durch keinen zu
langen Zwischenraum getxennt sind.
Halt man uns aber die »sprachlicben Thatsachen« entgegen, in
denen durch weg der The&tet mit dem Staat, der Sophist und Poli-
tikus mit den Gesetzen ubereinstimme ,^ so kann ich diese XJberein-
stimmung nicht einmal hinsichtlich der von Dittenberger beigebrachten
Thatsachen einraumen. Die fiinf Partikeln, nach deren haufigerem
oder seltenerem Vorkommen in den einzelnen Dialogen Dittenberoer
die Reihenfolge der letzteren bestimimt, sind an die oben genannten
Gespi*ache so imgleichmassig vertheilt, dass sich eine ganz verschiedene
Ordnung derselben ergibt, je nachdem man von der einen oder der
anderen ausgeht.^ Setzt man mit Dittenberger diejenigen Gesprache
als die sp&teren, in denen fxi\v theils allein, theils mit ri, uXXa u. s. f.
verbunden verhaltnissmassig hauiiger vorkommt, so wurde sich, wenn
man von xu\ ixy,v ausgeht, die Reihenfolge ergeben: Gesetze, TheStet,
Republik, Sophist; von iXXi fxiiv aus: Gesetze, Theatet, Sophist,
Republik; von r/ ixy\v aus: Republik, Gesetze, Theatet, Sophist; von
76 fXYiv aus: Republik, Theatet, Gesetze, Sophist; von iXXoi , . . ixy,v
aus: Gesetze, The&tet, Sophist, Republik; wenn man endlich alle
Stellen zusammenzahlt , in denen fxiiv tiberhaupt vorkommt: Theatet,
Gesetze, Republik, Sophist. Diejenige Reihenfolge jedoch, in welcher
diese vier GesprSche bei Dittenberger S. 326 aufgeffihrt sind:
•Republik, Theatet, Sophist, Gesetze*, ergibt sich aus keiner von
den Vergleichurigen, durch die sie begriindet werden soil; die Mehr-
zahl derselben wurde uns vielmehr sogar nSthigen, die Gesetze, von
* Wie diess jetzt auch Susemihl annimmt, indem er (De Plat. Phaedro, Greifs-
wald 1887, S. XI f.) zwar meiner Ansicht uber den Theatet beistimrat, aber den
Sophisten erst nach Republik, Timaus und Kritias verfasst sein lasst
' Dittenberger a. a. O. 345.
' Wenn man namlich die von D. S. 326 angegebenen Zahlen fdr je 100 Seiten
der Hermann'schen Ausgabe berechnet, so erhalt man f&r diesen Raum in der
Beispiele
Hat fxvji'
«XX« fxviu
T« fJLYiV
yS fJLYflf
ctXXa . . .
fAr,u
von fjLn'
Qberhaupt
Republik :
13.83
13.83
10.69
0.63
3.46
49.68
Theatet :
10.89
5-94
12.87
1. 00
1. 00
37.62
Sophist:
29.02
12.19
14.51
6.00
2.44
87.80
Gesetze :
8.63
1.94
I 1. 51
5.75
0.48
39.81
Zeller: Uber die platunische Ideenlehre.
217
denen wir doch wissen, dass sie erheblich jiinger sind als die Re-
publik, fiir alter als diese zu erklaren, und alle wiirden uiis verbieten,
sie fiir Plato's letztes Werk zu halten. Noch andere, von diesen
wesentlich abweichende Resultate bekommt man fiir unsere vier
GesprSche, wie fiir' die platonischen Schrift;en iiberhaupt, wenn
man die sprachstatistische Vergleichung mit anderen Partikeln,
z. B. den von Hoefer^ und von Frederking^ gewahlten, vor-
nimmt. Die durchgangige sprachliclie Ubereinstimmung des Theatet
' De particulis Platonis.
* Sprachl. Kriterien f. die Chronol. d. plat. Dial. Jahrbb. f. klass. Philol. 1882,
Bd. CXXV, 524 ff.
^ So ergibt sich z. B. , wenn die Angaben Hoefer's, wie ich annehme, genaii
sind, fflr die nachstehenden 13 Gesprache und 4 Partikeln fulgende Vertheilnng:
A.
Tf
Tf . . TE
yap nov
jiCVTOt
also fur je 100 Seiten ed. Herm.
re
Tf . . TS
yap itov
Hi:
VTOl
Protagoras .
Euthydemus
Gorgias. .
Kratylus .
Phado . .
Phadrns .
Repnblik .
Timaus . .
Kritias . .
Philebus .
Sojjhist . .
Politikus .
Gesetze . »
1
o
I
o
I
22
25
225
28
I
3
6
43
o
o
I
I
2
12
35
1 1
I
o
3
3
50
I
4
»3
1 1
3
39
0(1 17.$^)
o
6
3
5(177.^^)
16
20
21
21
33
15
76
o
o
7
12
6
18
1.59
o
0.86
o
1.26
3^-35
7.85
255.68
147-35
1.15
3.68
7.23
10.31
o
o
0.86
1.26
2.53
17.65
I I.O
12.5
5.26
o
3.68
3.61
11.99
1.59
6,66
3-44
16.45
13.92
4.4
12.26
o
o
6.9
3.68
6.02
1.9 1
B. Man erhalt daher die Reihen:
I.
TS
2. TE
. . T6
3. yap
7C0U
4. jUSVTOl
Euthyd.
Euthyd.
Tim.
Tim.
Krat.
Protag.
Kritias
Kritias
Gorg.
0.86
Phileb.
Protag.
1.59
Gesetze
4.31
Phileb.
1.15
Gorg.
0.86
Gesetze
1. 9 1
Polit.
7.23
Phado
1.26
Krat.
1.26
Gorg.
3-44
Phileb.
8.04
Protag.
1.59
Phado
2.53
Soph.
3.68
Soph.
14.63
Soph.
3.68
Polit.
3.61
Phadr.
4.4
Gorg.
18.1
Polit.
7.23
Soph.
3.68
Polit.
6.02
Phadr.
22.06
Rep.
7.85
Kritias
5.26
Phileb.
6.9
Rep.
^3-9
Gesetze
10.31
Rep.
I 1.0
Euthyd. ^
6M
Protag.
25.4
Phadr.
32.35
Gesetze
U.99
Rep.
12.26
Krat.
26.58
Kritias
147-35
Tim.
12.5
Phado
13.92
Phado
41-77
Tim.
255.68
Phadr.
17.65
Krat.
16.45
Euthyd.
44-44
25.4
44.44
18.1
26.58
41.77
22.06
23.9
o
o
8.04
14.63
7.23
4.31
Keine von diesen vier Reihen deckt sich, weder direkt noch wenn man sie
umkehrt, mit einer der andern oder mit der von Dittenberoer S. 326 auf Grund
seiner Wahmehmungen hergestellten , an die ich mich unter A gehalten habe; und
218 ^ Sitzung der philosopbiscb - historischen Classe vom 3. Marz.
mit der Republik, des Sophisten mit den Gesetzen, iSsst sich
diesem Thatbestand gegenuber nicht behaupten. Es erscheint
aber auch uberhaupt fraglich , ob diesen Beobachtungen fiber den Gre-
brauch einzelner W5rter in den platonischen Schriften, deren Werth
ich nicht verkenne, for die Bestimmung der Ordnung, in der jene
Schriften verfasst sind, eine so maassgebende Bedeutung znkommt,
wie man wohl geglaubt hat. Bis jetzt wenigstens zeigt sich die
dnrch sie gewonnene Basis viel zu schmal, um den Ban weit-
greifender Hypothesen tragen zu k5nnen; denn nur das Zusammen-
treffen vieler sich gegenseitig stutzender, neben dem Wortvorrath
jeder Schrift auch auf Stil , Wortfolge und Satzbsu sich erstreckender
Anzeichen konnte den Beweis liefem, dass gewisse Werke gewissen
anderen in ihrem ganzen Sprachcharakter verwandt genug sind, und
von alien dritten sich bestimmt genug unterscheiden , um auch zeitlich
jenen naher, diesen femer stehen zu mussen. Wie weit dieses Zu-
sammentreflFen gehen und an welchen Punkten es sich vorzugsweise
zeigen mfisse, lasst sich um so schwerer in allgemeingultigen Regeln
aussprechen, da theils die Eigenthumlichkeit der Schriftsteller , theils
die Natur der Gegenstande, fiber welche, und der Form, in welcher
sie schreiben, auch fiir ihre Sprache erhebliche Verschiedenheiten
bedingen. Bei Schriftstellern , die fiber einen so reichen Sprachschatz
verfiigen, wie Plato oder Goethe, wird es viel leichter, als bei armeren
und weniger geschmeidigen Stilisten, vorkommen konnen, dass auch
solche Schriften, die sich zeitlich nahe stehen, erhebliche sprachliche
Verschiedenheiten zeigen, solche, die weiter von einander abliegen, im
Unterschied von jenen in manchen Wortem imd Wendimgen fiberein-
stimmen; und das gleiche kann dadurch herbeigeftlhrt sein, dass der
Schriftsteller durch die Beschaffenheit seines Thema's oder durch sonstige
Grfinde zu einer ruhigeren oder bewegteren, einer trockeneren oder
sch wungvoUeren , einer stetig entwickelnden oder einer lebhaft/Cren,
durch Fragen und Ausrufimgen unterbrochenen , mehr in kleinen Satzen
als in grossen Perioden fortschreitenden Darstellung veranlasst wurde.
Solche Unterschiede finden sich daher auch, gerade bei Plato, zwischen
verschiedenen Theilen eines und desselben Werkes.* Um sich an
sicheren Beispielen fiber diese Fragen zu orientiren, m5chte ich
vorschlagen, die Methoden, welche man auf die alten Schriftsteller
wenn man vielleicht bei Vergleichung von Nr. i und 2 mit Nr. 4 zu der Anuabme
geneigt sein k5nnte, dass in demselben Maasse, wie ts bei Plato bSufiger wird, fxtirroi
seltener werde und nmgekehrt, so zeigt doch das Beispiel des Pbilebus, des Politikus,
der Republik, vor allem aber des Phadnis, wie unzuverlassig auch diese Norm ware.
^ Beispiele, die sich unschwer vermehren liessen, gibt Fbederkino a. a. O.
535- 540.
Zeller: Uber die platonische Ideenlebre. 219
anwenden will, erst an den neueren zu prufen, und solche Schriften,
z. B. eben von Goethe, deren Abfassungszeit nns genau bekannt ist,
Oder auch Briefe, darauf zu nntersuehen , ob die Merkmale bei ihnen
zutreffen, von denen wir annelimen, dass sich an denselben bei
Werken, deren Abfassungszeit wir nicht kennen, das friihere vom
spateren unterscjieiden lasse.
Wenn ausser dem Sophisten auch der Philebus fiir jiinger
gehalten wird , als die Republik , so steht dieser Annahme , wie schon
ScHLEiERMACHER (PL W. Ill, i,57of.) gczeigt hat, eine Stelle in der
letzteren, VI, 505 B, entschieden entgegen. Nachdem hier Sokrates
den Glaukon daran erinnert hat, dass die Idee des Guten, wie er
ja oft gehOrt habe, das fxiyiCTov fJidl^iJLU sei, fthrt er fort: »Aber
auch das ist dir bekannt, dass die meisten die Lust fur das
Gute halten, die HSherstrebenden {xofxyl^oTepoi) dagegen die Ein-
sicht {(ppovvicig) ; dass aber die letzteren nicht anzugeben wissen,
was far eine Einsicht diess ist, sondern sich schliesslich genSthigt
sehen, zu sagen, es sei die Einsicht in das Wesen des Guten«.
Um das gleiche Dilemma dreht sich die Untersuchimg fiber das
h5chste Gut im Philebus vom Anfang bis zum Ende: Philebus
sucht dasselbe in der Lust, Sokrates in der Einsicht; doch der
letztere mit dem Vorbehalt, dass die Einsicht, wenn es sich zeigen
sollte, dass sie selbst nicht das Hochste sei, diesem wenigstens zu-
nachst stehe.^ Hiebei handelt es sich nun allerdings im Philebus um
die ethische Frage, was das hSchste Gut fiir den Menschen, die b^k;
Kou ^toL^ectg \|/t/x»*i^ s^^> welche sich dazu eigne, oiv^polnroig Tritri rov
diov ev&ulfjLovoL 7roLpe%eiv (iiD); in der Repubhk um die metaphysische
nach der Idee des Guten, dem voUkommenen Wesen, welches der
Grund alles Seins und als solcher von der Gottheit nicht verschieden
ist. Trotzdem erhellt aber aus der Gleichheit der Fragestellung, dass
die beiden Untersuchungen nach der Absicht des Scliriflstellers mit
einander in Verbindung gebracht und der Leser bei der einen an die
andere erinnei't werden sollte. Es kann daher nur darnach gefragt
werden, ob die Stelle der Republik auf den Philebus zuiiickweisen
Oder ihn ankfindigen will, der Philebus die Republik vorbereitet oder
voraussetzt. Und hier spricht mm fiir die erste von diesen Annahmen,
und somit fur die Prioritat des Philebus, schon die Art, wie die
Frage in der Republik eingefuhrt wird. 'AXArJ fxriv kou to& ye oiirS-ot —
diess lautet doch ganz anders als der Anfang des Philebus. In diesem
werden die zwei Behauptimgen , zwischen denen entschieden werden
soil, erst ausdrucklich festgestellt ; in der Republik werden sie als
» PhU. iiB— E. 19 Cf. 66 Df.
220 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 3. Marz.
bekannt vorausgesetzt , und diese Voraussetziing wird von Glaukon
wiederholt bestatigt. Woher sollen sie nun dem Leser bekannt sein,
wenn nicht eben aus dem Philebus? Denn sonst werden sie sich
in keiner platonischen Schrift so gegenubergestellt , und wird die
Annahme, dass die Einsicht das Gute sei, uberhaupt in keiner be-
ruhrt. Ware der Philebus spater verfasst als die Republik, so musste
man erwarten, dass jener Gegensatz der Bestimmungen fiber das
Gute nicht in dieser, sondem in jenem als bekannt vorausgesetzt
wurde, und dass die Republik, statt jede der zwei streitenden An-
sichten mit ein paar kurzen Worten zur Seite zu schieben, entweder
genauer auf sie eintrate oder eine kunftige Besprechung in Aussicht
stellte. Auch das aber ware in diesem Fall befremdend, dass der
Philebus von den in der Republik ausgesprochenen Bestimmimgen
fiber das Gute fiir die Losung seiner Aufgabe gar keinen G^brauch
macht, und sich 28 D ff. mit dem Nachweis einer vemfinftigen Ur-
sache begnfigt, welcher die menschliche Vemimft verwandt sei, davon
aber, dass diese Ursache das Gute (oder die Idee des Guten) sei,
kein Wort sagt. Man begreift diese Zurfickhaltung , wenn Plato die
Frage nach dem absolut Guten noch nirgends berfihrt hatte, und
durch ihre Anregung genSthigt worden ware, seine Untersuchung
fiber das, was far die Menschen das hochste Gut ist, durch eine
l&ngere Er5rterung derselben zu unterbrechen ; weit unerklarlicher ist
sie, wenn er nur in der Kurze an das frfiher gesagte zu erinnem
brauchte. Auch von dieser Seite bestatigt sich daher unser Ergeb-
niss, dass der Philebus der Republik nicht nachfolgte, sondem ihr
vorangieng.
Ausgegeben am 10. Marz.
Borlin, gedruckt in der Reiclisdruckerci.
221
1887.
XIV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
10. Marz. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. DU Bois-Reymond legte eine Mittheilung des Docenten an
der hiesigen Universitat Hm. Dr. E. Grunmach vor: fiber die Be-
ziehung der Dehnungscurve elastischer ROhren zur Puls-
geschwindigkeit. — Dieselbe erscheint in einem der nachsten
Berichte.
2. Hr. VON Helmholtz maehte die umstehend folgende Mittheilung:
Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action.
3. Hr. Weber legte ein Schreiben des Prof. Dr. R. Garbe (Konigs-
berg) vom 7. d. M. vor, welcher, nach seiner vor Kurzem erfolgten
Ruckkehr aus Indien, als ein Zeichen seiner Dankbarkeit dafiir, dass die
Konigliche Akademie ihm durch eine Zuwendung aus dem Fonds der
Bopp-Stiftung eine etwas langere Ausdehnung seines Aufenthaltes in
Indien ermoglicht hat, der Akademie eine Sammlung von igSanskrit-
Handschriften uberreicht.
In diesen 1 9 (bez. 21, da 13 aus drei Werken besteht) Nummem
sind folgende Werke enthalten:
1. Das silyagadamgam mit dem Commentar des QildcArya (Vd-
hariganisahAya) , cf. Verzeichniss der Berliner Sanskrit- und Prakrit-
Handsehriften 2, 367; — 223 foil, (gramtha 2150 + 12850); ohne
Datum, altlieh.
2. Der muhtlrtam&rtanda des N4r4yana, nebst dem eigenen Com-
mentar des Verfassers; cf. Verz. 1, 263; — 157 foil., sainvat 1703.
Sitzungsberichte 1887. 21 '
222 GesammtsitzuDg vom 10. Marz.
3. Das Candracaritram , ein bh4sh& - Gredicht des Mohanavijaya,
aussen bez. als Candi*ardjar4sa; — 1 01 foil., samvati882, cdkai746.
4- Die k^acandrikd des Krishnabhatta S. des Janakijati-Raghundtha
(S. des Govardhanabhatta) ; — 26 foil, ohne Datum.
5. Foil. 95 — 228 der abliidh&nacimt4manin4mamaUtik& des He-
macandra (beg. in v. 679); s. Verz. 2, 256; ohne Datum.
6. Ein Manual fiir grihyakarmAni ; — 1 5 foil., angeblich samvat 1 564.
7. Der QiQupdlabadha des M^ha; — 90 foil., ohne Datum.
8. Die DamayantikathAcampil des Trivikrama; s. Vera. 2, 169. 170;
— 62 foil., der Schluss fehlt (uchvjisa 7 beginnt hier 54^).
9. Foil. 2 — 58 des vrihat-P&ra«aram dharmaQdstram (1,1 3 — 6, 1 2 2),
s. Vera. 2, 335.
10. Die drei (j^taka (niti, QiingAra, vair^gya) des Bhartrihari, mit
Interlinear -Glosse in bhAshd; — 41 foil., samvat 1850, c4kei7i5.
11. Das vrihan-NAradiyapuranam , in 38 adhy.; s. Vera, i, 129. 130;
— 1 14 foil. , ohne Datum.
12. Eine uttarMhyayanadipikd ; — 187 foil., samvat 1644.
13. a) Foil. I — 42 des GopathabrAhmana (i, i — 2, 21).
b) YAska's Niruktam, Buch7-i2; — 112 foil., samvat 1749.
c) Desgl. ; — 85 foil., ohne Datiun.
14- Die Qatacamdlvidhdnapaddhati des Ja^arftma; — 30 foil., ohne
Datum.
15. Foil. I — 43 der sdrabodhini, einer vy&khyA zum Kavyapra-
k4Qa, von Vatsa<jarman (ull^a i bis 8*, 2 bis 20*).
16. Das KirAtdrjuniyam des Bhftravi, mit einem anonymen Com-
mentar; — 143 foil., samvat vasv-amka-rsigA-'bja [1698].
17. Commentar des MahAdeva zu der ratnamdld des Qripati, s.
AuFRECHT, Catalogus 331**; — 70 foil., ohne Datiun.
18. Das bhuvaneQvaristotram (46 w.) mit tiki, s. Aufeecht, Cata-
logus no' (v. I . beg. aindavyd kalay&) ; — 23 foil. , ohne Datum.
19. Der sam&savic&ra des Jayar&mabhatta; — 12 foil.; das Da-
tum etc. gelb uberstrichen.
Die Akademie hat diese Mss., von denen die Nos. i. 12. 13*
und 1 5 besonders werthvoU sind , der Koniglichen Bibliothek uber-
wiesen*
4. Hr. J. DE WiTTE, correspondirendes Mitglied der philosophisch-
historischen Classe, hat seinen » Catalogue des antiquites conservees
a I'Hdtel Lambert* ubersandt.
5. Hr. Graziadio Isaia Ascoli in Mailand wurde zum correspon-
direnden Mitglied der philosophisch-historischen Classe ffir das Fach
der orientaUschen Philologie und der vergleichenden Sprachwissen-
schaft gew&hlt.
Gesammtsitzung vom 10. Marz. 223
6. Die philosophisch - historische Classe hat Hrn. Prof. Bezzen-
BER6ER in Konigsberg 1200 Mark zur Herausgabe des von dem ver-
storbenen Dr. Mannhardt hinterlassenen Werkes uber die Denkmaler
der preussisch-lettischen Mythologie bewilligt, sowie Hrn. Prof. Mjlch-
HOEFER in Miinster 1500 Mark zur Erforschimg der attischen Demen;
ferner die physikalisch-mathematische Classe 2500 Mark als Beihiilfe
zu einer von Hm. Baron Eggers auszufiihrenden botanischen Dnrch-
forschung der Hochgebirge der Insel S. Domingo.
Hr. EicHLER ist am 2. Marz gestorben. Ferner hat die Akademie
ihr correspondirendes Mitglied in der philosophisch -historischen Classe,
Hm. Stenzler in Breslau, am 27. Februar d\u*ch den Tod verloren.
21*
225
Znr Geschichte des Frincips der Ueinsten Action.
Von H. VON Helmholtz.
Ich habe in der Sffentlichen Sitzung der Akademie am 27. Januar d. J.
aber das oben genannte Thema eine Vorlesung gehalten. Erst nach-
dem dieselbe gehalten war, lernte ich eine als Broschiire ver6ffent-
lichte -^bhandlung von Hm. Dr. Adolph Mayer ^ kennen, worin die
Geschichte des Princips der kleinsten Action, soweit Maupertuis,
EuLER iind Samuel Koenig daran betheiligt sind, so ausfiihrlich iind
grundlich erortert ist, dass es mir unnSthig schien, daranf in einer
weiteren Publication zuriickznkommen. Ich wiirde vielleicht die Mo-
tive der darin handelnden Personen ziim Theil anders beurtheilen;
das fUllt aber doch nur in das Bereich historischer Hypothesen.
Dagegen lasse ich hier zwei dahin gehOrige Er5rterungen folgen,
die eine iiber den Begrrff der Action bei Leibniz, woriiber sich bei
A. Mayer nichts findet, und die zweite das Verhaltniss des Princips
der kleinsten Action zu Hamilton's Princip betreffend, worin mein
Urtheil einigermaassen von dem des genannten Autors*^ abweicht.
Der Begriff der Action bei Leibniz.
Der Begriff der Action ist von Leibniz gebildet und definirt
worden. Auf ihn weist auch Maupertuis beim Gebrauche dieses Ter-
minus zuriick.^ Die Erklarung des genannten Begriffs findet sich in
der auf einer Reise durch Italien 1689 ausgearbeiteten , aber unvoU-
endet gebliebene.n Abhandlung uber Dynamik, die erst i860 nach
dem in der K5niglichen Bibliothek zu Hannover aufbewahrten Ma-
nuscripte von C. J. Gerhardt* herausgegeben wurde. Leibniz nennt
daselbst in der Sectio III Cap. i. Definitio 3. p. 346 die genannte GrSsse
* Geschichte des Princips der kleinsten Action. Akademische Antrittsvorlesung
von Dr. Adolph Mayer. Leipzig 1877.
' Die beiden allgemeinen Satze der Variationsrechnung, welche den beiden
Formen des Princips der kleinsten Action in der Dynamik entsprechen. Bericht der
Koniglich Sachsischen Gesellschaft der Wissenschaften 14. Novb. 1886.
* Histoire de TAcad. Roy. de Berlin 1752 p. 295.
* LEiBNiz'ens Mathematische Schrift^n Abth. II. Bd. II. S. 345 — 366.
226 Gesammtsitzung vom 10. Marz.
die Actio form^-lis und erlautert dies so: »quia .... motui est essen-
tialis; secus ac sunt alii eflfectus, aliaeve aetiones, ex impedimento
quodam peeuliari nascentes, ut ex vi gravitatis corpora versus cen-
trum terrae prementis, aut ex resistentia medii vel contactus, aut
ex elastro aliquo vincendo et similihus materiae concretae accidenti-
bus. Si quis autem vocabulum metaphysicum aegrius fert in re
Mathematica, cogitet non aliud commodius suppetiisse, et assignata
definitione omnem ambiguitatem esse sublatam.« — Es ist hiernach klar,
dass er die durch das BeharrungsvermSgen der bewegten Masse fort-
gesetzt neu eintretenden LagenverSnderungen , als die aus dem Be-
griffe der Masse selbst folgende Action, mit dem Terminus »formalis«
bezeichnet, und dass der rechnungsmSssige Werth der Action, den
er schliesslich als gleich dem Producte aus der Masse , der WeglSnge
imd der (hier noch als constant betrachteten) Geschwindigkeit setzt,
ein quantitatives Maass fiir die Leistimg des BeharrungsvermSgens
darstellen soil. Da die WeglSnge durch das Product aus der Ge-
schwindigkeit und der Zeit dargestellt werden kann, so ist die GrSsse
der Action, wie schon Leibniz gethan, auch gleich dem Product aus
der lebendigen Kraft und der Zeit zu setzen. In dem weiteren
Verlauf des citirten Paragraphen wird nun die Wahl dieses Maasses
sorgf<ig, man kann fast sagen weitlaufig discutirt. Dass das genannte
Maass unter ubrigens gleichen Umstanden der Masse, dass es bei
gleicher Masse tuid Geschwindigkeit dem durchlaufenen Raum pro-
portional zu wShlen sei, ist leicht zu rechtfertigen. Die AbhSngig-
keit von der Greschwindigkeit aber begriindet Leibniz durch ein , oder
eigentlich zwei neue Voraussetzimgen , von denen er aber nur die
erste als Axiom deutlich bezeichnet, namlich: »Es ist eine gr5ssere
Action, wenn dieselbe Masse durch dieselbe Weglange in kiirzerer
Zeit geftihrt wird«. Die zweite Voraussetzung bezeichnet er aller-
dings als Propositio quarta. Wir kSnnen sie aber nicht als bewiesen
ansehen. Es kann h5chstens als eine plausible Hypothese gelten, dass
bei vier Bewegimgen, wo immer die gleiche Masse den gleichen
Weg zurQcklegt, die Actionswerthe eine Proportion bilden, wenn die
gebrauchten Zeiten eine solclie bilden. Von diesem Satze aus kommt
der Autor dann auf einem ziemlich umstandlichen Wege zu den an-
gegebenen Ausdrucken fiir den Werth der Action.
Man erkennt hier deutlich, dass es ihm darum zu thun ist diesen
bestimmten Werth der Action als den nothwendig richtigen nachzu-
weisen und die Liicke in seinen Schlussen , die nur durch Thatsachen
auszufullen wSre, durch wahrscheinliche Annahmen moglichst zu decken.
Er muss ein Ziel vor Augen gehabt haben, fur welches er gerade
diesen Wertli der Action uikl deren Begriff brauchte. Dieses Hel
VON Helmholtz: 2ur Geschichte des PrincSpa der kleinsten Action. 227
aber kommt mcht zum Vorschein, da die genannte Abhandlimg fiber
die Dynamik nicht vollendet worden ist. Er schreibt daruber an
JoH. Bernoulli/ dass er das in Italien ausgearbeitete Bftchlein in Florenz
einem befreundeten ausgezeichneten Mathematiker (n&mlich dem Frei-
herm von Bodenhausen) , der ihn darum bat, zuruckgela^sen habe
um es herauszugeben ; »et ille tedegit in mundnm omnia studiose;
sed cum finis libro adhuc deesset, quem summittere in me receperam,
per me stetit hactenus, quoininus editio sequeretur; nondum enim
colophonem adjeci, partim quod multa nova subinde nascerentur, quae
mererentur addi, partim quod his, quos videbam mea non ut par
erat accepisse, nollem velut obtrudere pulcbras veritates«. Das Original-
manuscript tragt noch Randbemerkungen , die auf die Absicht einer
Revision hindeuten. VerQffentlicht wm*de nur ein kurzerer Auszug
in den Actis Eruditorum 1695, dessen zweiter Tlieil aber ebenfalls
unveroffentlicht liegen blieb. Darin kommen Er5rterungen vor fiber
den Begriff der Action, die mit der oben von mir gegebenen Inter-
pretation durchaus fibereinstimmen , aber nichts weiter fiber das Maass
der Action.
Was kann nun Leibniz f^r einen Zweck dabei gehabt haben, dass
er diesen Begriff bildete? Wie grossen Werth er darauf legte, zeigt
die Ausfahrlichkeit seiner ErSrterung und Begi*findung desselben. In
dem uns vorliegenden Text liegt der einzige Gebrauch, den er davon
macht, darin, dass er einen der Wege um den Werth des Arbeits-
aequivalents (Potentia) der bewegten KOrper zu bestimmen, darauf
grundet.^ Dazu schiebt er freilich ohne weitere Rechtfertigung die
Voraussetzung ein, dass bei verschiedenen Geschwindigkeiten die Po-
tentia der in gleichen Zeiten geleisteten Actio formalis proportional
sein musse. Er selbst bezeichnet diese Herleitung als gegrfindet auf
die Verhaltnisse der reinen Bewegung nach Abstraction von aUem
wahrnehmbaren Stoffe, und erklart, dass sie ihm als die vorzfiglichste
erschiene, wenn sie auch vielleicht nicht nach dem Gescbmacke Alle;r
sein wfirde. Seine drei anderen Beweise siud auf beobachtete That-
sachen gegrfindet, imd erscheinen uns allerdings nach unserer jetzigen
Denkweise als die allein brauchbaren.
Aber aus dieser Verwendung des Begriffs der Action wird doch
deutlich, was ihn bewogen hat die Fortsetzung der eingeleiteten Be-
wegung imter dem Einfluss des Beharrungsvermogens nicht als einen
nur passiven Zustand, als Inertia, sondem als Actio aufeufassen; denn
^ LEiBNiz'ens Mathematische Schriften, von Gerhardt. Abth. I. Bd. III. S. 259.
Abth. II. Bd. II. S. 15.
^ Dynamica P. I. Specimen praeliminare. Demonstratio quarta (S. 291) und
Sect. Ill Cap. 2 (S. 359).
228 Gesammtsitzung vom 10. Marz.
sie ist Tragerin eines Arbeitsaequivalents , einer Potentia, deren Un-
zerst5rbarkeit er vermuthet, und deren Ubergang in andere aequiva-
lente Arbeitsformen er schon kennt.
Wenn er a-ber mit dem BegriflTe der Action nichts weiter beab-
sichtigt hat, als den Werth der actuellen Energie zu finden, so mnss
man dies einen seltsamen Umweg nennen, der ka^m geeignet war,
anf seine Gegner, namentlich die Anhanger von Descartes, Eindruck
zu machen.
Die einzige Verwendung, welche der Begriff der Action in der
spHteren Entwickeliing iinserer Dynamik gefiinden hat, ist die im
Principe der kleinsten Action, und dieses bekommt in der That einen
anschaulicheren Sinn, wenn wir Leibniz'cus Begriff der Action hinein-
tragen.
Nehmen wir dasselbe in der von Lagrange vervollstandigten
Form. Es wird vorausgesetzt , der unveranderliche Werth der ge-
sammten Energie E sei gegeben; dadurch ist in der augenblicklichen
Lage des Systems also auch der Werth der lebendigen Kraft L
bestimmt, da die potentielle Energie F nur von der Lage abhangt, und
L = E-F.
Dadurch ist nun auch bestimmt, welches der Gesammtwerth der
Leistungen des BeharrungsvermSgens im nachstfolgenden Zeitelemente
dt sein wird, namUch L • dt Welche Wege aber die einzelnen
schweren Massen des Korpersystems, und in welchen Richtungen sie
diese einschlagen werden, wie sich also der gegebene Betrag der
Action auf die einzelnen Massen und Richtungen vertheilt, das hSngt
far das Zeitelement dt ganz. allein vom BeharrungsvermSgen ab bis
auf verschwindende GrSssen zweiten Grades. Und hier tritt nun die
Regel ein: die Fortbewegung geschieht so, dass die am Ende von dt
eintretenden Lagen von den vor dem Anfang von dt zunachst zuriick-
liegenden nicht durch eine kleinere Leistung des Beharrungsvermogens
hatten erreicht werden konnen, als die wirklich aufgebrauchte ist.
Fiir kleine Abschnitte des Weges ist bekanntlich die Action immer
ein absolutes Minimum.* Indem man das Princip also auf hinreichend
kurze Wegabschnitte anwendet, wird man in seiner Formulirung von
den Verwickelungen frei, welche die Maximo-Minima der Action fiir
langere Wege herbeifiihren.
Dieser Regel entsprechend ist auch der deutsche Namen der
TrUgheit fiir das Beharrungsverm5gen ganz passend. Die Tragheit,
durch das Gesetz der Energie zur Action gezwungen, vermeidet
* S. Jacobi, Vorlesungeii uber Dynamik, herausgegeben von Clebsch. Vor-
lesung VI, S. 45 — 49.
VON Helmholtz: Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action. 229
wenigstens uberflussige Action; aber ihre Voraussicht erstreckt sicli
nur auf kurzeste Zeitraume.
In Leibniz' ens Abhandlung flber Dynamik und auch in seiner
daruber mit Joh. Bernoulli gefuhrten Correspondenz, wo er .(a. a. 0.)
seine Bestimmiing des Werthes der Action vertheidigt, ist keine
bestimmte Andeutung uber das genannte Princip enthalten, ausser
dass er mnlta nova, quae mererentur addi, unbestimmt erwahnt.
Indessen hat ihm offenbar die Entdeckung des Princips der kleinsten
Wirkung gleichsam vor den Fiissen gelegen, nnd ich gestehe, dass
mir bei dieser Lage der Dinge die Achtheit des von Samuel Koenig
1 75 1 verSffentlichten Brieflfragments/ welches von Leibniz herriiliren
und an den Baseler Mathematiker Hermann geiichtet sein soUte, sehr
wahrscheinlich erscheint. Darin heisst es:
»L' Action n'est pas ce que vous penses, la consideration du terns
y entre; elle est comme le produit de la masse par . . . . le tems,
ou du terns par la force vive. J'ai remarque que dans les modifi-
cations du mouvement elle devient ordinairement im Maximum ou
im Minimum. On en pent deduire plusieurs propositions de grande
consequence; elle pourroit servh* a determiner les courbes que de-
crivent les corps attires a un ou plusieurs centres. Je voulois tmiter
de ces choses entr' autres dans la seconde pai'tie de ma Dynamique,
que j'ai supprimee; le mauvais accueil, que le prejuge a fait a la
premiere, m'ayant degoute.«
Der Schluss stimmt mit dem Schluss des oben citirten lateinischen
Briefes an Jon. Bernoulli durchaus uberein.^ Aber auch, wenn der
Brief acht ist, zeigt der Ausdruck, die Action sei «gew6hnlich« ein
Maximum oder Minimum , an, dass er die Bedingungen der Variation
und die Grenzen fiir die Giiltigkeit des Satzes nicht genau gekannt
hat; abgesehen davon, dass die Action niemals ein absolutes Maximum
werden kann, nur ein Maximo -Minimum.
Ubrigens wiirde gerade dieser Umstand, das Schwanken zwischen
Maximum und Minimum sehr geeignet gewesen sein, ihn in der Ver-
offentlichung zogern zu lassen. Ware die Action ein sicheres Minimum
gewesen, wie Maupertuis spater glaubte, so wui*de dais Princip wohl
auch in LEiBNiz'ens Augen viel wichtiger erschienen sein. So kSnnte
er es noch fiir unfertig gehalten haben.
Wenn wir diesen Betrachtimgen von Leibniz liber die Bedeutung
der Action weiter foigen, so sagt das Princip der kleinsten Action
* Acta Eniditorum. 1751, Martii P. II, p. 176.
^ Dieser Briefwechsel ist nach der Angabe von C. J. Gerhardt schon 1745
herausgegeben ; die Ubereinstimmung beweist also nichts fur die Achtheit des 1751
veroflfentlichten Fragments.
230 Qesammtsitziing rom 10. Marz.
bei Voraussetzung hinreichend kurzer Wegstiicke aus, dass das be^
wegte Korpersystem , wenn es seine Bewegung von der Lage a aus
fiber die Lage h fortsetzt und demnachst die Lage c erreicht, letztere
von a aus auf keinem anderen Wege als dem liber b eingesehlagenen
mit so geringer Action erreicht werden konnte. Dagegen batten alle
anderen Lagen, die von h aus mit dem gleichen Aufwande von Action
erreicht werden konnten , und die nicht die normalen Fortsetzungen des
friiheren Weges gewesen wSren, auch mit geringerer Action erreicht
werden k5nnen. Der Erfolg der wirklichen Bewegung ist also der
weitreichendste , der mit dem gegebenen Betrage von Action erreicht
werden konnte.
Hierin liegt die Ahnlichkeit mit dem Verhalten der geodft-
tischen (oder wie ich sie bei einer frftheren Gelegenheit zu nennen
vorgeschlagen babe, geradesten) Linien auf einer krummen Ober-
fl&che. Jedes Stuck derselben, was imterhalb einer gewissen L%nge
bleibt, ist der kurzeste Weg zwischen seinen Endpunkten, und bei
einer Fortsetzung fiber den Endpunkt hinaus um eine kleine LSnge (k
ist der zweite Endpunkt von ds entfemter von jedem kurz vor dem ersten
Endpunkt liegenden Punkte der Linie, als jeder andere Punkt, der
in dem gleichen Abstande ds von deren Endpimkte liegt. Dem ent-
sprechend tritt auch in Jacobi's analytischer Form die Analogic des
Problems mit dem der isoperimetrischen Curven deutlich heraus.
In denjenigen Fallen, wo die Abweichung der bewegten Punkte
von der geraden Linie nur von festen Verbindungen hen'uhrt, denen
dieselben imterliegen, und keine Bewegungskrafte auf dieselben ein-
wirken, also wo auch die lebendige Kraft constanten Werth L hat,
reducirt sich der Werth der Action auf das Product L • /. Nur der
letztere Factor ist noch veranderlich , wenn der Weg variirt wird.
Daher reduciil; sich das Princip der kleinsten Action unter dieser
Bedingung auf die Forderung, die Fortsetzung der Bewegung solle
so geschehen, dass die zunachst zu erreichenden Lagen von den
zimachst vorausgehenden bei dem vorgeschriebenen Werthe von L
nicht hatten in kfirzerer Zeit en^eicht werden kSnnen.
Wenn aber Krafte einwirken und daher die lebendige Kraft ver-
anderlich ist, so weichen die bewegten K6rper von ihrem Wege nach
der Seite bin ab, wo die Krafte sie hinziehen, die potentielle Energie
also abnimmt, und die lebendige Kraft zunimmt. Ihr wirklicher Weg
erfbrdert also mehr Zeit, als der bei entsprechender lebendiger Krsrft
zuruckzulegende schnellste Weg zwischen den Endpunkten des Weg-
stficks erfordert hatte , ist aber mit geringerer lebendiger Kraft zurfick-
gelegt worden, als wenn das Korpersystem schon von Anfang an
sich der Seite grosserer lebendiger Kraft zugeneigt hatte. Das Product
VON Hfxmholtz: Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action. 231
aus lebendiger Kraft und Zeit wird also auf einem Wege von etwas
grosserer Zeit und kleinerer lebendiger Kraft, wie er ira Gleichgewicht
der Centriftigalkraft und der seitiieli gerichteten Bewegungskraft aus-
gefiihrt wird, immer noch kleiner sein kSnnen, als auf dem Wege
kurzester Zeit.
Dadurch lasst sich wohl einsehen, dass das Princip der kleinsten
Action einen solclien Einfluss dem Sinne nacli richtig anzeigt; aber
nicht ohne Rechnung ISsst sich begninden, dass dies auch in Bezug
auf dessen GrSsse der Fall ist.
Verhaltniss von Hamilton's allgemeinem Princip der
Mechanik zu dem der kleinsten Action.
Das Princip der kleinsten Action kann in zweierlei Weise durch-
geftihrt werden, je nach der Bedingung, welche man ffir die Variation
festsetzt. In alien Fallen verlangt man, dass der Gesammtbetrag der
Action eiri Grenzwerth sei far den Ubergang aus einer gegebenen
Anfangslage in eine gegebene Endlage. Die Variation wird bewirkt
dadurch, dass man die Coordinaten p^ der einzelnen wfthrend des
Ubergangs eintretenden Lagen des Korpersystems variirt, gleichzeitig
aber auch die Zeit, und zwar letztere so, dass der voriiandene Be-
trag der Energie des Systems nicht geandert wird. Da namlich die
Energie ausser der pot^ntiellen Energie F, welche nur von der I^ge
abhangig ist, auch noch die lebendige Kraft enthalt, die von den
G^schwindigkeiten stbh&ngig ist, imd die letzteren durch Variinmg
der Wegstrecken, die im Zeitelement dt zuruckgelegt werden, variirt
werden, so kann man sSmmtliche Geschwindigkeiten durch Variation
des Werthes von dt^ der zur betrachteten Wegstrecke geh<irt, ver-
ftndem, und dabei die Andenmg von dt so einrichten, dass der Be-
trag der Energie bei der Variation nicht geSndert werde.
Diese Fordening aber, dass der Betrag der Energie nicht variirt
werde, kann in zweierlei Weise gestellt werden.
A. Es wird verlangt, dass nur der zur Zeit in der unvariirten
Bewegung bestehende Betrag der Energie nicht geandert werde , ohne
die Gr6sse dieses Betrages vorzuschreiben, welcher moglicher Weise
durch Anderung von UmstSnden, die unabhSngig von der Bewegung
des Systems ablaufen, sogar im Laufe der normalen Bewegung sich
andern kann. Das ist das von Lagrange und Hamilton behandelte
Problem. Beide imterscheiden sich nui* durch die Methode der
I^simg.
232 Gesammtsitzung vom 10. Marz.
B. Man verlangt, dass der Betrag der Energie einen vorge-
schriebenen Werth E
E= F+L
- •
habe und behalte. In diesem Falle kann man diese Gleichung
benutzen, um das di zu eliminiren. Dies ist das Problem, wie es
C. 6. J. Jacobi gefasst hat. F muss hierbei von t unabhangig sein.
Lagrange's Verfahren.
Lagrange* giebt die erste voUstandige und genaue Darstellung
des Princips der kleinsten Action in der Form
*j2K-ya-*a] = o j I.
Darin ist m^ die Masse, q^ die Tangentialgeschwindigkeit, ds^ das
Element der Weglange je eines bewegten Punktes. Es ist also
ds^ = qa'dt } I..
Die einsehrankende Bedingung, dass bei Ausfuhrung der Varia-
tion der Werth der Energie nicht ver^ndert werde, hat er in einer
Form aufgestellt, in der die Kraftcomponenten noch nicht als Diffe-
rentialquotienten der Energie ausgedriickt sind, dadurch wird die
Darstellung sehr weitlauftig. Bei Einfuhrung der genannten Verein-
fachung ist die einzuhaltende Bedingung:
X[7n,'q.'^A + 8F=o j I,.
Es wird keine der Variablen als unabhangig und unvariirbar
erklart, also namentlich auch nicht die in den q^ versteckt vorkom-
mende Zeit. Um dieses Verhaltniss deutlich zu bezeichnen, ist es
rathsam die sammtlichen Grossen 5^ , q^ imd t als abhangig von
einer zunachst imbestimmt bleibenden imabhangigen Variablen, die
wir mit S^ bezeichnen woUen, darzustellen. F kann als Fimction der
j9a und eventuell auch expUcite des S^ angesehen werden.
Lagrange^ leitet zunachst aus Gleichung (i) ab:
2 Jk • *?a • *fl] + 2 J[m, . q, . ^ds,] = j le
und eliminirt mm die Variationen ^q^^ durch Gleichimg (it); nSmlich
2K.^9,-efeJ = 2;KAi,.gr^.^,.-^
= 2 [w, • ?« • ^a • dt]
= -&F-dt jia
^ Miscellanea Tanrinensia T. II p. 196 — 298.
' Miscellanea Taurinensia T. II. p. 196, 203.
von Helmholtz: Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action. 233
WaMen wir zur Bestimmung der Orte beliebige Coordinaten j^^,
so wird sich der Werth von F durch diese und durch S- ausdriicken
lassen. Dagegen der im zweiten Integral von i^ vorkommende Werth
Die Summe S [^a • ^] iS^s^ sich in bekannter Weise anf eine
a
quadratische Form der dp^ zuriickfiihren :
worin die A Fiinctionen der p^ sind. Nach diesen Substitutionen giebt
Gleichung i^, indem wir die Abhangigkeit von 9- bezeichnen
d^
Werden die Variationen in bekannter Weise ausgefuhrt, die
— (^c) durch partielle Integration beseitigt, wobei die ^^ an den
Grenzen der Integration gleich Null gesetzt werden, so erhalt man
die Bedingungen des Grenzwerthes von (i):
d^
Da jedes p^^ und auch t nur von 9- abhangen soil, ist fur diese,
wie alle anderen Functionen <^, die nur von S^ abhangen:
d(l)
d^ _d<l)
~df~'^'
d§
Somit kann if geschrieben werden:
dF dL
dpa ^Pc
welche Gleichimg mit den bekannten Bewegungsgleichungen von
Lagrange ubereinstinunt.
Im F allein wurde noch S- stecken kSnnen, als eine Grosse von
der ursprunglich t abhangen soUte. Da mm aber in ig alle anderen
Grossen j?<j , g'fl als Functionen von t dargestellt sind, und sich aus i^,
worin t nur ausserhalb des Variationszeichens vorkommt, keine Be-
dingungsgleichung durch Variation des t ergeben hat, sondem nur
d fdL\
234 Gesammt^itzung vom 10. Marz.
SO viele Bedingungen , als Grossen p^ existiren , so bleibt (lie Beziehimg
von S- zu / nnbestimmt , d. h. die Gleiehungen ig erflLllen die Forde-
rungen des Variationsproblems fiii* eine jede willkflrlich gewahlte Art
der Abhangigkeit des t von S-, oder des S- von /, wie dies bei den
Bewegungsgleichungen in der That ebenfalls der Fall ist. Das F kann
also von S^ oder von / beliebige Abhangigkeit haben; das andert die
Geltung der Gleiehungen (ig) nicht.
Man kann aber das Variationsproblem auch mittels der Methode
der unbestimmten Goefficienten behandeln , und dadurch die Variationen
^a iind ^t von einander unabhangig machen. Dies fiihrt zu HAMUiXON's
Form.
Indem wir in Gleichung i das ds^ durcli i» eliminiren, kommen
wir zur Forderung:
o=/rz.£.d&l u
=*/[^-i-^
wahrend die Variationen der p^ und des t so ausgefiihrt werden soUen,
dass
^{F+L) = J2.
bleibt. Da die letztere Gleichung fiir jeden Werth von S- erfiillt sein
soil, muss man den willkiirlichen Factor A, mit welchem man sie
multiplicirt, als eine Function von S- behandeln, die natiirlich nicht
der Variation imterworfen ist. So erhalten wir
o===<jrLF+/^A+^yii-d^
2
b
als die zu erfuUende Bedingung. Zu variiren sind die p^ imd t\ die
^a sind an den Grenzen des Integrals gleich Null zu setzen, wUhrend
das (^ keiner solchen Bedingung unterworfen ist.
F ist wieder zu behandeln als Function der j^^ und des S^, und
L ist von der in ij gegebenen Form.
a) Variation nach p^ ergiebt die Bedingung
3F / 8A 8i "rf (/ 8A 3i I ) )
b) Variation nach t ergiebt ffir die Lagen zwischei^ den Grenzen :
3X d i f dt\ 2L
hS)
° d^'^d^lV^ ' d^)' d(_i ^2a
d§
An den Grenzen aber
dt } 2e
8^
" = -(^-1)
2A + -^ = I 2(
einsetzen, erhalten wir mit y*-^ dividirend:
g
VON Uelmholtz: Zur Geschichte des Princips der kleinsten Action. 235
Die Gleichung 2^ ergiebt, dass
~~ + \^^ + ^ j • ~^ ^ Const.
Die Gleichung 2^ stimmt damit uberein, indem sie gleiclizeitig
zeigt, dass die Constante Null sein muss. Da nun L, welches als
Factor in beiden Gliedern vorkommt, bei keiner Bewegung Null sein
kann, so folgt
dt
d§
Wenn wir diesen Werth von A zunachst in die Gleichungen (2^)
dt
d§
dF dL
die bekannte Form der Bewegungsgleichungen wie ig. Die Gleichungen
(2d) dagegen und (2e) werden identisch erfiillt.*
Die in diesen letzteren Gleichungen gleich Null gesetzten Aus-
drucke sind aber die Factoren, mit denen das ^t in der Variation
des Integrals 2^ zwischen tmd an den Grenzen desselben multiplicirt
ist. Daraus folgt, dass das ^t nach der Festsetzung des Werthes von
A in (2f) ganz willkiihrlich gewahlt werden kann, also t eine beliebig
veranderliche Function von S^ werden kann, ohne dass der Werth des
Integrals 2^ dadurch geRndert wird. Damit hftrt aber auch die Noth-
wendigkeit auf, t zu variiren; denn wenn t als Function von S* irgendwie
gewUhlt ist, kann auch das willkiirlich bleibende ^ = o gesetzt
werden. Dadurch wird der in (2f) gegebene Werth von A der Va-
riation entzogen imd kann in das Integral (2^) eingesetzt werden. So
erhalten wir Hampton's Form
o = -|.iJ(f-L).|.*
Oder da t eine willkflhrliche Function von S*, folglich auch gleich S-
sein kann
o=8.j{F^L).dt j(2j,
worin nun auch F eventuell eine Fimction von t sein wiirde.
Daraus geht hervor, dass auch HAMHiXON's hier gefimdene Form
aus der von Lagrange vervollstandigten Fassung des Princips der
* Der wesentliche Inhalt der bis hierher gegebenen Ableitimg kommt auch bei
Hrn. A. Mater vor. (Berichte der Koniglich Sachsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften, i886. 14. Novbr.)
236 ' Gesammtsitzung vom 10. Marz.
kleinsten Action hervorgeht, wenn man die Nebenbedingung benutzt,
um die Variation der Zeit zu eliminiren. Die Abweichimg von
Lagrange's Verfahren liegt nur darin, dass diese Elimination, wodurch
die ursprungliche unabhangige Variable S- verscliwindet, imd statt
ilirer das t als nicht zu variirende Grosse eintiitt, auch in das zu
variirende Integral selbst eingefiihrt wird.
Lagrange's und Hamilton's Fonn sind also auch durchaus uber-
einstimmend in den Voraussetzungen liber die in das Problem ein-
tretenden Functionen F und L , wie in den daraus zu ziehenden
Folgerungen.
Jacobi's Form ergiebt sich, wie er selbst auseinandergesetzt hat,
indem man das Zeitelement dt ganz eliminirt mitteLs der Gleichung:
E=:F+L,
welche aber nur gilt, wenn F von t unabhangig ist. Dafiir tritt der
Werth des E in das zu variirende Integral der Action ein:
A=(y2(E-F)-ds,
wo
*?" = t2« • 2b[A„,6 • dp, . rfjpj .
Will man aber die Abhangigkeit der GrSssen von einander voll-
standig bezeichnen, so muss man die unabhangige Variable S- wieder
einfiihren, deren Functionen die p, sind.
Die Form von Lagrange ist also die gemeinsame Quelle der
beiden anderen Formen, die durch Elimination verschiedener GrSssen
mittels der Zusatzbedingung entstehen. Hamh-ton eliminirt St, wobei
auch E und S- wegfallen, Jacobi eliminirt (wenn F unabhangig von f)
dt und damit t aus dem zu variirenden Integral. Beide Methoden
ergeben eine Fassung des Variationsproblems , bei der keine Neben-
bedingungen mehr anzufugen sind. Physikalisch ist Jacobi's ein-
schrankende Bedingung fiir ein voUstandig bekanntes und in sich
abgeschlossenes KSrpersystem stets als gultig anzusehen. Hamilton's
Form dagegen erlaubt die Bewegimgsgleichungen auch fiir unvoll-
standig abgeschlossene Systeme durchzufiihren , auf welche verander-
liche aussere Einflusse wirken, die von einer Ruckwh'kung des be-
wegten Systems unabhangig angesehen werden konnen. Zu den
letzteren gehoren auch die von sogenannten festen Centren aus-
gehenden Krafte, die iibrigens auch in Jacobi's Form aufgenommen
werden konnen.
237
Tiber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten
des Mittelalters.
Von K. Hegel
in Erlangen.
(Vorgelegt am 24. Februar [s. oben S. 145].)
iJev Gegenstaiul dieser Abliandlung ist eiii eigenthumliches , das Erb-
recbt betreflfendes Geschafk, welches zuerst im Stadtrecht von Schleswig,
dann auch in anderen Stadtrechten von Nord- und Siid-Jiitland vor-
kommt und das wegen seiner singularen Beschaffenheit schon oft die
Aufmerksarakeit der Rechtshistoriker auf sich gezogen hat und auf
verschiedene Weise von ihnen erklart worden ist. Dasselbe oder
eigentlich die mit ihm verbundone Leistung ist im Art. 29 des latei-
nischen Stadtrechts von Schleswig mit einem technischen Ausdruck
als laghk^i^, d. i. Rechtskauf, und in dem, aus ihm abgeleiteten
Stadtrecht von Flensburg Art. 17 gleichfalls so, Art. 38 aber als
arf*k<?rp, d. i. Erbkauf, bezeichnet, welche letztere Benennung spater
allein gebraucht wurde.^
'Rechtskauf ist Kauf eines Rechts, das tlem Kaufer an sich
nicht zusteht, 'Erbkauf _^sagt bestimmter, worauf sich dieses Recht
bezieht: es ist, wie man gleich naher sehen wird, nicht das Recht
zu erben, sondern das Recht, Gut oder Vermogen zu vererben, woraus
freilich das ei*stere von selbst folgt. Man darf aber liierbei nicht
denken an die einer Person zustehende Befugniss fiber ihre Habe
durch Vergabung oder Vermiichtniss zu verfiigen, sondern nm* an
die Vererbimg durch Intestaterbfolge in der Familie. Dieses natur-
liche, auf der Sitte beruhende und in den danischen Landrechten nicht
minder als in den germanischen Volksrechten anerkannte Familienrecht
musste in Schleswig und anderen danischen Stadten erst durch Kauf,
d. h. durch eine an den Landesherm zu entrichtende Geldleistung
erworben werden.
* Die Texte der danischen Stadtrechte aus dein Mitttelalter finden sich bei-
sammen bei Kolderip-Rosenvinge, Sainlin;; af i^amle Danske Love Bd. 5, Kj0!). 1827,
die von Sclilesvvig, Flensburg, Apenrade und Hadersleben fur sich in einer beqnemen
Handausgal)e von Thorsen, Stadsretier, KJ0b. 1855.
Sitzungsberichte 1887. 22
238 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheihing vom 24. Febr.
Es liegt nahe, eine derartige dem Herm zukommende Gebuhr
mit dem Sterbefall, mortuarium , in den deutschen Hof- und Dienst-
rechten zu vergleichen und daraus weiter die Folgenmg zu Ziehen,
dass die Einwohner jener St&dte urspriinglich sich, sei es in der Leib-
eigenschaft, oder in einer milderen Hdrigkeit des K5nigs befiinden
batten, wie dies einerseits Forchhabimer , andererseits Paulsen und
Falck in ihren speciellen, auf das Schleswiger Stadtrecht beziiglichen
Untersuchungen getban haben. (Siehe diese in Falck's Staatsburger-
liehem Magazin Bd. 3, 5 und 9.) Doch ist bier sogleicb der Unter-
schied hervorzuheben, dass der Erbkauf von dem Erblasser selbst
vollzogen werden musste, widrigenfalls nach seinem Ableben das
hinterlassene Gut, gleichwie erbloses, dem Landesherm zufiel, wah-
rend der Todfall oder das Besthaupt von den Erben des Verstorbenen
geleistet wurde, deren Erbrec^it schon an sich gewohnheitsmassig
feststand.
Seben wir jetzt den Art. 29 des Schleswiger Stadtrechts.
Hier sind zwei Abgaben genannt, welche die Einwohner der Stadt
(cives) als Gebuhren an den K6nig zu entrichten haben. Die eine
ist das *arnegJ8Bld', das ist die jahrliche Herdsteuer, welche uberall
in den dSnischen StSdten ublich war, in denen von Seeland und
Schonen aber nach dem Termin ihrer Zahlung ^midsommergjaeld'
hiess. Die Art dieser Steuer ist als bekannt vorausgesetzt und daher
in diesem Artikel lediglich die Strafe ftir die sfiumigen Zahler als
Dreimarkbusse im ersten Grerichtstermin , bis zur Neunmarkbusse im
dritten bestimmt. Dann f&hrt der Text weiter so fort, wie ich ihn
nach Paragraphen eintheile.
1 . Sciendum est autem, quod Rex habet quoddam speciale debitum
Slaeswik quod dicitur Laghk0p , quo redimitur ibi hereditas morientium ;
2. non.tamen omnium sed quonmdam, quia nuUi viri non* uxo-
rati emunt illam emunitatem, sed tantummodo cives uxorati et
omnes hospites de Ducatu Saxonie de Frysia, de Hyslandia, de Bur-
gundeholm et aliunde.
3. Hujusmodi hospites, nisi redemerint hereditatem suam pre-
dicto precio vel debito quod est Ijaghk0p, dimi libram vivi tenere
possunt, Regem habebunt heredem;
4. Nullius defimcti substantia ponenda est sub fidejussione per
annum et diem, nisi illius tantum qui emerat Lagh, et quamvis
possessor in vita sua emerat Lagh, tamen, non inventis heredibus
injfra diem et annum., portio ejus erit Regis.
^ non fehlt in Hs. , muss aber nothwendig nach dem Sinn und gemSss den vom
Schleswiger Stadtrecht abgeleiteten Texten erganzt werden.
Hegel: Uber den Erhkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 239
Als eine besoudere in Schleswig iibliclie Gebiihr wird im §. i die
Abgabe an den Konig genannt, welche Rechtskanf heisst, nnd dazu die
ErklHi-ung gegeben , dass durch sie die Hinterlassenschaft der Verstor-
benen ausgelost werde. (Hereditas bedeutet hier nicht bloss liegendes
Gut, sondern Erbe uberhaupt, wie im Art. 7 und 9 divisio hereditatis).
Dieses Kaufgeschaft muss nach §. 3 bei Lebzeiten des Erblassers
vollzogen werden, so lange er noch so weit bei Kraften ist, dass er
eine Wage in der Hand halten kann. (Ahnliche Bestimmungen finden
sich bei Vergabungen der Schwaehen und Kranken in deutschen
Rechten, s. Stobbe, Ilandbuch Bd. 5, 185). Ist dasselbe unterlassen
worden, so fallt das hinterlassene Gut an den Konig; es wird als erbloses
angesehen , das in der danischen Gesetzessprache Danefae oder Danearv
heisst und nach Landrecht dem K6nige anheimfiel. (Vergl. Kofod
Ancher, Juridiske Skrifter Bd. 2, 397 und Kolderup-Rosenvinge, Grund-
riss der danischen Rechtsgeschichte, iibersetzt von Homeyer, §. 48.)
Doch nicht Alle haberi den Rechtskauf zu leisten, sondern (§.2)
allein die verheiratheten Burger imd die Gaste aus den benannnten
Landern, welche vornehmlich in Schleswig Handel trieben, sowie die
von anderswoher gekommenen, also alle Fremden uberhaupt; dagegen
nicht die unverheii*atheten Manner (viri gleichbedeutend mit cives, d. i.
Einwohner der Stadt, s. welter unten).
Endlich verordnet §. 4, dass die Aufbewalirung des Nachlasses
unter Burgschaft nur dann stattfinden soil, wenn der Erblasser bei
seiner Lebenszeit den Erbkauf gethan hat; wenn aber in der Frist
von Jahr und Tag sich kein Erbe meldet, so fallt das Gut, ungeachtet
des Rechtskaufs, an den KOnig.
Der Laghk0p wird als Ausl6sung des hinterlassenen Guts —
redimitur hereditas, und als Gewinnung einer Freiheit durch Kauf
— emunt illam emunitatem, bezeichnet. Dabei ist vorausgesetzt, dass
der Vermogensbesitz, sowohl der Burger wie der Fremden, von Haus
aus kein freier, sondern durch den Konig, an den die Gebuhr zu
entrichten ist, irgendwie gebundener gewesen sei. Wie ist solches
Konigsi'echt zu verste^hen? Gewiss nicht als allgemein gultiges in
Danemark. Der Konig war nicht Herr und Eigenthumer des ganzen
I^andes, die Konigsmacht uberhaupt in ihren Rechten dem Volke
gegeniiber sehr beschrankt. Dahlmann sagt in seiner Beschreibung
der alten Reichsverfassung, wie sie noch zur Zeit Knuts des Machtigen
bestand: *Die hochste Staatsgewalt war beim Volk, und dieses Volk
stellte sich in einem einzigen Stande, dem Stande freier angesessener
Bauem dar. Die Bauem, Bonden, d. h. der Stand freigeborener
Grundbesitzer machten das danische Volk aus.' (Geschichte von Dane-
mark, Bd. I, S. 166 u. 174.)
22*
240 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheiluug vom 24. Febr.
Die danischen Gesetzbucher und Provinzialrechte aus dem 13. bis
I 5. Jahrhundert keiinen keine Beschrankiing des Erbrechts der danischen
Unterthanen und wissen nichts vom Erbkauf. Die gnindsatzlichen
Bestimmungen fiber das Familienrecht nnd die Erbfolge, sowie uber
den Antheil der verschiedenen Erbberechtigten iinter Bevorzugung
der mannlichen vor den weiblichen, sind denjenigen in den deutschen
Landrechten selir Slinlich (vergl. fiber das danische Erbrecht Stemann,
Den Danske Retshistorie , 1871, S. 40 iff.). Das dem Schleswiger
Stadtrecht nahestehende jfitische Landrecht oder Gesetzbuch Walde-
mars 11. vom Jahre 1241 schreibt das gleiche Ver&hren wie jenes
bezfiglich der Hinterlassenschaften der Verstorbenen vor, doch ohne
die Bedin^ung des Erbkaufs: *Wenn einer', heisst es dort (Buch i
Art. 23, KoLDERUP-RosENviNGE, Samling S. 50), ^Anspruch auf da-s Erbe
eines Verstorbenen erheben will, soli er dies am dreissigsten Tage
thun, vorausgesetzt, dass er sich innerhalb des Gerichtsbezirks (bygd)
befindet, sonst aber binnen sechs Woehen; wenn aber das Erbgut
Jahr und Tag aufbewahrt worden, ohne dass sich Erben gemeldet
haben, fallt es an den K5nig.' Ahnliche Bestimmungen finden sich
in unseren sachsischen Rechtsquellen , wo namentlich auch der
dreissigste Tag nach dem Tode des Erblassers fiir die Anmeldung
der Erben die gleiche Bedeutung hat; vergl. Stobbe, Handbuch Bd. 5
S. 162 imd HoMEYER, fiber den Dreissigsten in Abhandlungen der
Berliner Akademie der Wissenschaften , Jahrg. 1864, worin die Be-
deutimg des Dreissigsten nach Rechtsgebrauch und Volkssitte der
V5lker alter imd neuer 2ieit nachgewiesen ist.
Wenn also der Erbkauf nicht Rechtens war nach danischem
Landrecht, so kSnnte er es doch nach allgemeinem danischen Stadt-
recht gewesen sein, auf Grund eines besonderen Abhangigkeits-
Verhaltnisses der Stadtebewohner, sei es von dem Konige, oder einem
andern Stadtherrn. Und ein derartiges Verhaltniss bestand allerdings
in Bezug auf Grundbesitz, sowohl in den koniglichen Stadten, d. h.
in den auf Krongut erbauten, als auch in anderen grundherrlichen,
wie z. B. in der bischoflichen Stadt Kopenhagen und in der Kloster-
stadt Nestved auf Seeland, wo die Einwohner liegende Gfiter nur in
Erbleihe gegen Grundzins besitzen konnten. (Vergl. Steenstrup,
Studier over Kong Valdemars Jordebog S. 13 off.) Doch folgt daraus
nicht die AbhSngigkeit alles Besitzes und Erwerbs fiberhaupt und
nicht die Beschrankung des naturlichen Erbrechts. Ware dies der
Fall, so wfirde man dem Erbkauf fiberail in den danischen StSdten
begegnen; er findet sich aber weder in den Stadtrechten von Kopen-
hagen und Roeskilde auf Seeland, noch in denen von Lund und
Malmo auf Schonen, sondem allein in denen von Schleswig und
Wv
Hegel: Uber den Erbkanf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 241
anderen Stadten in Sud- und Nordjutland. Es ist demnach der
Grund und das Herkommen des Erbkaufs nur dort zu suchen, und
zwar vomehmlich in Schleswig, wo er am friihesten vorkommt.
Die schon genannten dSnischen Rechtshistoriker Stemann (a. a. 0.
S. 408 f.) und Steenstrup (a. a. 0. S. 136 bis 144) wissen den Grund
nicht anders als aus einem gewissen unbestimmten Abh&ngigkeits-
verhaltnisse von dem K6nige von Danemark herzuleiten, worin die
Stadtebewohner sich in alter Zeit soUen befunden haben, oder aus
einer grSsseren Machtbefugniss des K6nigs in den Stadten als ihm
gegeniiber den Bonden auf denl platten Lande zustand, womit docb so
gut wie niehts gesagt ist und eben die Ausnahme jener genannten Stadte,
wo der Erbkauf ublich war , auch for alle anderen zur Regel gemacht
wird. Bestimmter giebt J0rgensen (BeitrSge zur Rechtsgeschichte des
M. A. in Aarb0ger for Nordisk Oldkyndighed, Jahrg. 1872, S. 300 ff.)
den historischen Urspnmg des Instituts so an, wie er ihn lediglich aus
diesem selbst ableitet: *Die alteste Rechtsregel war, wenigstens in
Schleswig, dass jeder Fremde, der sich dort niederliess, des Konigs
HOriger (vordnede) wurde, indem er einen Theil seiner pers5nlichen
Freiheit, unter anderem das Recht, seinen Kindern ein Erbe zu hinter-
lassen, aufgab und dafiir Rechtsschutz gewann'. Und in weiterer Aus-
fuhrung dieses Gedankens wird dann die Lage der Einwohner von
Schleswig so geschildert, dass jeder, der nicht durch den Erbkauf
das voile und fi*eie Burgerrecht erwarb, in der Horigkeit des KSnigs
verblieb.
Die genannten danischen Autoren thun hierbei weder der ver-
dienstlichen Untersuchungen der schleswig - holsteinischen Rechts-
historiker liber das Sehleswiger Stadtrecht, noch auch der voitreff-
lichen Skizze des danischen Stadt^wesens, welche Dahlmann zu Anfang
des 3. Bandes seiner Geschichte von Danemark gegeben hat, irgend
eine Erwahnung, gleich als ob diese Arbeiten der deutschen Schrift-
steller fiir sie aul* ihrem heimischen Gebiete gar nicht vorhanden
waren. Und doch hat Dahlmann dort, wo er besonders eingehend
uber den Anfang der Stadt Schleswig, ihr Recht und ihre Glide
handelt, schon das Beste iiber den vorliegenden Gegenstand gesagt.
Die Stadt war, nach Dahlmann (Bd. 3, S. 6), hauptsachlich eine
Niederlassung von sachsischen Handelsleuten und zwar 'auf k5niglichem
Grund und Boden'. *Der Konig setzte einen Vogt hinein und fordeite
von alien, die sich hier auf seiner Domane anbauten, ein Hausgeld,
(Herdgeld), und sie mussten das Recht, ihre Habe zu vererben, durch
eine bestimmte Gebiihr, Erbkauf genannt, erkaufen'. 'Was von ein-
heimischem, freiem Stamm am Orte war, musste so zu sagen der
argeren Hand folgen, in eine Art Fremdenrecht treten'. Dahlmann
242 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheilung vom 24. Febr.
gebraucht nicht den vieldeutigen Ausdnick HSrigkeit, sondem gibt
bestimmt an, worm die wesentliche Freiheitsbeschrankung der in der
Mehrzahl von fremden Ansiedlem abstammenden Einwohner bestand.
In Bezug anf die sachsische Ansiedelung aber fiihrt er die Beweisstelle
aus Adam von Bremen an, welcher Schleswig eine reiche und stark-
bevolkeite Stadt der transelbingischen Sachsen (civitas Saxonum Trans-
albaniorum) nennt, da wo derselbe erzahlt, dass sie lo 66 durch den
Slawenfiirsten von Meklenburg, Gottschalk, zerst6rt worden sei/ Eine
kurze bistorische Ausffihrung fiber die Geschicke Schleswigs wird der
Auffassimg Dahlmann's zur Bestatigung dienen.
Die Stadt wird schon in der ersten HSlfte des 9, Jahrhunderts
als bedeutender Handelsplatz des danischen Reichs geschildert. (Vita
Anskarii c. 24: in portu quodam regni sui . . . Sliaswich vocato, ubi
ex omni parte conventus fiebat negociatorum.) Sie theilte das Schicksal
der sehleswig'schen Mark in der Zeit, da diese zwischen deutschep
und danischer Herrscbaft schwankte. Als der deutsche Konig Heinrich I.
934 letztere den Danen entriss, fuhrte er sachsische Colonisten herein.
(Adam. Brem. I. c. 59: et Saxonum coloniam habitare prkecepit; vergl.
Waitz, Heinrich I. S. 162 und Excurs S. 280, 3. Ausg.) Durch
Konrad 11. wurden 1035 Mark und Stadt an Knut den Machtigen
zuruckgegeben. (Adam. Brem. 11. c. 54: dedit ei civitatem Sliaswig
cum marcha; vergl. Bresslau, Konrad 11. Bd. 2, 145 f.) In dem vor-
hergegangenen Zeitraum eines ganzen Jahrhunderts also batten sich
sachsische Handelsleute daselbst angesiedelt. So uberkam sie Knut,
der Beherrscher von England und Dftnemark, der in beiden L&ndern
auch als Gresetzgeber beruhmt ist. Liegt nicht die Vermuthimg nahe,
dass eben dieser nach der Besitznahme von Schleswig eine Art Fremden-
recht dort eingefiihrt babe? Doch nur als wahrscheinlich woUen wir
dies ausgeben, weil die Zeit und Grelegenheit sehr passend erscheint.
Denn als Fremde traten die sachsischen Ansiedler in das dftnische
Reich ein, imd es war immerhin ein besseres Recht, das ihnen mit
dem Erbkauf gew&hrt wurde, als sonst in DSnemark fiir die Frem-
den noch als Regel gait, wonach, wenn einer von ihnen im Reiche
mit Tod abging, sein Nachlass als herrenloses Gut fiir den K6nig
eingezogen wurde. (Vergl. Kolderup-Rosenvinge, Rechtsgeschichte
fibers, von Homeyeb §. 21.) Bestand aber einmal solches Recht in
Schleswig, so blieb es auch fortdauernde Gewohnheit, denn es war ein
nutzbares Recht des Landesherrn, welches dieser nicht ohne Noth
aufgab. So findet es sich in dem lateinischen Stadtrecht von Schles-
* Dahlmann citirt nach Lindenbruch's Ausgabe Adam von Bremen IV, 13, weil
er die bessere von Lappenbero noch nicht hatte; in dieser findet sich die Stelle im
3. Buch, Cap. 50, M. G. Script. VII, 355, aber nur als Ziisatz unter Scholie 82.
Heobl: tlber den Erbkaiif in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 243
wig, welches zwischen 1188 und 1202 abgefasst worden ist\ als
gleichmftssig geltend ftlr die eingesessenen Burger, wie flir die Gftste.
Doch nur tm die verheiratheten Burger oder die Familienvftter
bestand der Erbkauf zu Recht, nicht fiir die ehelosen; denn so steht
im Art. 29 §. 2: quia nulli viri non uxorati emunt illam emunitatem,
sed tantummodo cives uxorati et omnes hospites. Was ist nun der
Sinn imd Grund dieser Unterscheidung? Der Grand ist nicht ange-
geben und der Sinn selbst zweifelhaft. Die unverheiratheten Mftnner
kaufen nicht jene Freiheit, kann entweder heissen: sie brauchen sie
nicht zu kaufen — weil sie dieselbe schon aus eigenem Recht besassen,
oder, sie kSnnen sie nicht kaufen — weil sie davon ausgeschlossen
waren, so dass ihr Nachlass imbedingt dem KSnige anheimfiel.
Man ist von vornherein geneigt, das letztere anzunehmen, das
erstere aber zu verwerfen. Denn es scheint doch ebenso gegen die
gute Sitte, wie gegen den politischen Verstand zu streiten, dass in
Schleswig die ehelosen Manner vor den Familienvfttern soUten im
Rechte bevorzugt gewesen sein. Darum hat Falck, einer der besten
Kenner des schleswig-holstein'schen Rechts, jene Worte so erklSrt,
dass nur die verheiratheten Burger und die Gllste, nicht aber die
unverheiratheten Einwohner die Befugniss zum Erbkauf hatten. Gegen
diese Auffassung hat sich jedoch Dahlmann (a. a. 0. S. 7) in Uber-
einstimmung mit der alteren Ansioht, der noch Paulsen folgte, aus-
gesprochen, unter Hinweisung auf Art. 66 des Schleswiger Stadtrechts,
worin es heisst: *Der unbeweibte Burger (civis non uxoratus) soil in
den Bussen, die er empfilngt (in emendatione recipienda) dem ge-
sch women Bruder (fratri conjurato), d. i. dem Gildebrader gleich sein;
wenn er aber beweibt ist, soil er in allem Recht nur halb so viel
gelten (semi inferior erit in omni jure)'. Der Anspruch auf die voUen,
beziehungsweise doppelten Bussen, bezeugt unzweifelhaft das bessere
Recht der Ehelosen gegenuber den Familienv&tern , und steht dies
in der einen Beziehung fest, so mag man es wohl auch in der andem,
das VermSgen ohne Erbkauf zu vererben, gelten lassen. Den Vorzug
der Ehelosen bezuglich der Bussen aber hat Dahlmann ebenso wie Paulsen
erklS^rt (Staatsburg. Magazin Bd. 5, 67 Anm.), nUmlich daraus, dass
die ledigen Manner vermuthlich vorzugsweise zum Kriegsdienst, be-
sonders Wachtdiensten in den weitlSufigen Festungswerken Schleswigs,
herangezogen wurden. Auch Waitz hat sich in seiner Geschichte
Schleswig -Holsteins (Bd. i S. 144) dieser Erklfirung angeschlossen.
^ Ich folge hier iin Ganzen der bisherigen Annahme, ohne mich auf eine genauere
Zeitbestimmung einziilassen , iind veiwerfe die neue Hypothese von P. Hassr, das
Schleswiger Stadtrecht S. 55, der die Abfassiingszeir zwischen 1253 bis 1257 setzen
will, worilber ich mich anderswo naher erklaren weinie.
244 Gesammtsitzung voin 10. Mar/.. — Mittheilung vom 24. Febr.
Ich lasse dies vorlaufig dahingestellt iind frage vor allem, welche
Klasse der Einwohner ist einerseits iinter viri non uxorati iind anderer-
seits unter cives uxorati zu verstehen? Um die Minderberechtigung
der cives uxorati zu erklaren, hat man versucht, diesen noch eiiie
andere Qualification unterzuschieben , ais der einfache Woi-tsinn aus-
driickt: so der verdiente Sltere danische Rechtshistoriker Rofod Ancher
(Om Arvekj0b in Samlede Skrifter, Bd. 2 S. 735), der an Einwohner
denkt, die sich in der Stadt niedergelassen, ohne das Burgerrecht zu
gewinnen, und ahnlich auch Wilda (Gildenwesen S. 84), der sie als
nicht mit vollem, stadtischem Grundeigenthum angesessene imd nicht zur
eidlichen Genossenschaft (Giide) gehSrige Burger will angesehen wissen.
Derartigen sinnreichen aber haltlosen Einfellen gegeniiber genugt es,
darauf hinzuweisen, dass civis iin Schleswiger Stadtrecht, wie auch
sonst gewohnlich, einen Einwohner der Stadt (ci vitas) bedeutet, im
Gegensatz zum Landbewohner, wie Art. 24: Item civis a ruricola
citatus ad placitum, sequenti die respondeat in placito; imd dass in
dem schon angefiihrten Art. 66 der non uxoratus ebenso gut civis
heisst wie der uxoratus: Dum civis non uxoratus fiierit, in emenda-
tione recipienda par erit fratri conjurato; wobei ich noch gegen Wilda 's
Behauptung, dass die Gildebruder als Vollbiirger vom Erbkauf befreit
gewesen seien (a. a. 0. S. 85), bemerken will, dass dies keineswegs
aus der Gleichstellung der cives non uxorati mit den geschwonien
Briidern hinsichtlich der Bussen hervorgeht, wie schon Paulsen
gegen Forchhammer dargethan hat (Staatsburg. Magazin 5, S. 69).
Die Regel bezuglich des Erbkaufs ist im Art. 29 allgemein aufgestellt,
gilt also fiir die Gildebruder ebenso gut wie fiir andere Burger.
Viri Oder ciVes non uxorati sind also einfach ehelose Einwohner
der Stadt. Man hat aber selbstverstandlich nicht an Haussohne zu
denken, die noch in der Hausgemeinschaft lebten und kein eigenes
Vermogen besassen, also auch keines zu vererben hatten; fellaegh ist
im jiitischen Landrecht der technische Ausdruck fur diese Gemein-
schaft, und uskift bedeutet den aus ihr nicht Ausgeschiedenen (Buch i
Art. 9 — 12). Sondern es sind selbststandige Manner zu vei*stehen,
die in irgend einem Berufe, sei es als Kaufleute oder Gewerbtreibende,
eigenem Erwerbe nachgingen. Die Vermogens- und Hausgemeinschaft
wurde aufgelost dui*ch den Tod des Hausvaters oder den seiner p]he-
frau, in welchem Falle Art. 7 — 9 des Schleswiger Stadtrechts be-
stimmt, dass, wenn die Frau der liberlebende Theil ist, die Sohne
die Herausgabe ihres vaterlichen Vermogens verlangen konnen; nicht
aber braucht der die Frau liberlebende Ehegatte den Sohnen ihr miitter-
liches YA'he herauszugeben , sondern er soil Jedon von ihnon ausstatten
mit 3 Mark, ausserdem mit Schild, Schwert und I^nze, vorausgesetict
Hegel: Uber den Erbkaiif in den danischen Stadtrechten des Mittelaltei*s. 245
naturlich, dass das Venn5gen dazu ausreicht (si sit faeultas exponendi);
nur wenn er sicli wieder verheifathet, muss er zur Venii5genstheilung
mit den Sohnen erster Ehe schreiten.
Ich komme jetzt auf die Frage zuriiek: wie soil man sich zwischen
den beiden entgegengesetzten ErklaiTingen, beziiglich des Reclits dev
Elielosen beim Erbkauf entscheiden? Welche Interpretation der
Worte: nuUi viri non iixoi*ati non emimt illam emunitatem ist als
die riehtige anzuselien: die von Falck, wonach die Ehelosen zum
Erbkauf nicht befugt waren, oder die von Paulsen und Dahlmann,
wonach sie durcli besondere Begiinstigung von demselben befreit
waren ?
Falck hat als scharfsinniger und kenntnissreicher Jurist seine
Auflfossung durch gute Grande gestiitzt (Staatsbiirg. Mag. Bd. 9,
S. 2 28fF.). Er beruft sich auf den Wortlaut des letzten Absatzes
(§. 4) vom Art. 29: Nullius defuncti substantia ponenda est sub fide-
jussione . ., . nisi illius tantum qui emei*at lagh, und schliesst daraus, dass
Niemand vom Erbkauf befreit sein konnte, weil *der Nachlass eines
Jeden, der den Erbkauf nicht bezahlt hatte, also auch der des Un-
verheb*atheten, sofort dem Konige zufiel'. Doch scheint hier etwas
zu viel gefoigert; denn es ist nur gesagt, dass solcher nicht abge-
kaufte Nachlass nicht unter Biirgschaft auf Jahr und Tag aufbewahrt
werden solle, nicht aber, dass er sofort dem Konige anheimfalle.
Das ist zweierlei, und in dem einen liegt nicht auch das andere.
Wie hat man sich iiberhaupt das Verfahren in Nachlasssachen zu
denken? War es nothig und geboten, den Nachlass eines jeden
Verstorbenen, sei es verheiratheten oder ehelosen, auf Jahr und Tag
fiir etwa sich einfindende Erben aufzubewahren , wenn doch die
Familienangehorigen am Orte waren und der Erbgang nach den
Bestimmungen des Stadtrechts stattfinden konnte? SicherUch nicht!
Nach dem schon erwahnten allgemeinen Branch in Jutland erfolgte
der Erbenantritt und die Erbtheilung am dreissigsten Tage nach dem
Tode des Erblassers. (Vergl. weiter unten die Apenradcr Skraa
Ai*t. 29.) Jene Vorschrift in §. 4 hat also nur in dem Fall einen
guten Sinn und Zweck, wenn keine Erben zur Stelle waren, wie in
der Regel, wenn es sich um den Nachlass eines Fremden handelte;
wenn aber Erben da waren, so hinderU^ dieselbe nicht, dass auch
der Nachlass der unverheiratheten Manner am gewohnlichen Termin
des Dreissigsten in den Erbgang der Anverwandten kam.
Hiernach zeigt sich die Beweisfuhrung Falck's aus den Wort^n
des Textes keineswegs als zwingend, wiewohl seine Auffassung von
vornherein viel ansprechender ist als die gegentheilige. Und als
besonders einleuchtend erscheint noch die von Falck beilaufig er-
246 Gesammtsitzung vom 10. M&rz. — Mittheilung vom 24. Febr.
wahnte Analogic der deutechen Dienstrechte beziiglich des 'von den
Germanisten behandelten Hagestolzenrechts in Anwendung auf Leib-
eigene oder H6rige'. (A. a. 0. S. 231.) Ich will hierauf noch etwas
nSher eingehen.
Uber das Hagestolzenrecht haben Pufendorf, Struben und andere
altere Germanisten gehandelt. Stobbe, Handbuch 5, S. 76 definirt
dasselbe als 'das sogenannte Hagestolzenrecht, wonach, wer im hOheren
Alter nnverheirathet und darum ohne rechtmassige Descendenten ver-
stirbt, vom Fiscus beerbt wird'. Doch nicht bloss von Unverhei-
ratheten im hSheren Alter, sondem von Ehelosen liberhaupt reden
die deutschen Dienstrechte. Das alteste Beispiel dieser Art ist in
Pufendorf's Observationes juris universi I, Nr. 92 angefiihrt, aus dem
Privilegium Kaiser Lothar's III. fiir die Abtei St. Michael in Liineburg
ii35> Sept. 23, (BOhmer, Acta Imperii S. 78), wo von den Dienst-
mannen des Klosters gesagt ist: Si quis mortiius fuerit de illis qui
'elos' dicuntur, de bonis ejus duas partes Abbas, tertiam Advocatus
accipiat. In den braunschweigischen L&ndern hat sich das landes-
herrliche Hagestolzenrecht an manchen Orten bis uber das Mittelalter
hinaus fort erhalten, und erst durch Konig Georg 11. wurde dasselbe
1732 dort iiberali abgeschafft. (Siehe die Verordnung bei Struben,
Rechtliche Bedenken Th. 2, S. 1763.) Aus den von Stobbe a. a. 0.
citirten Weisthumern hebe ich hervor das Landrecht der Grafschaft
Rietberg in Westfalen §. 14 (J. Grimm Bd. 3, S. 104): 'Wenn ein lediger
Gesell im Eigenthum stirbt, wer ihn erben soil? So lange er beim
Vater unter seiner Gewalt bleibt, ist der Vater der nachste Erbe;
wenn er aber seinen eignen Herd imd Pott hat' — gleich wie der
vir non uxoratus un Schleswiger Stadtrecht — *erbet ihn der Landes-
herr'. Ebendasselbe bestimmt das Censualenrecht der Klosterleute von
Weingarten nicht allein fiir die ledigen Manner, sondem auch die
unverheiratheten Frauen (Grimm Bd. 4, S. 519) §. 6: non maritata vero,
nee habens heredem, omnia prorsus ecclesie relinquit.
Nach der Analogic dieser deutschen Dienstrechte mSchte man
also mit Falck fiir wahrscheinlich halten, dass in Schleswig mit dem
von dem dftnischen Herrscher eingefiihrten Fremdenrechte zugleich
eine noch weiter gehende Rechtsverminderung fiir die Ehelosen ein-
getreten sei.
Doch wenden wir uns zu der entgegengesetzten Ansicht, wonach
die Ehelosen vom Erbkauf befi*eit, also vor den Verheiratheten bevor-
zugt waren. Dahlmann hat, wie schon bemerkt, geltend gemacht,
dass 'auch in den Bussen der Junggesell noch einmal so gut, als
der Verheirathete gestellt war', und es wurde gleichfalls schon des
Grundes Erwahnimg gethan, welchen Paulsen fttr das letztere Ver-
Hegel: Uber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 247
haltniss angegeben und Dahlmann weiter zu stiitzen versucht hat,
indem er daran erinnert, dass unter Waldemar dem Grossen bei den
Kriegsziigen gegen die Wenden und zu den Besatzungen der Kiisten
vorzugsw^ise ledige M&nner ausgehoben wurden (Bd. i, S. 298 und
Bd. 3, S. 7). In der That lUsst sich, soviel ich sehe, kein anderer
und besserer Ginind fiir jenes Vorrecht der Ehelosen auffindcn, als
dass ihnen dasselbe als Vergeltung fiir besondere Dienste, die sie
dem Landesherrn und der Stadt leisteten, eingerftumt worden sei.*
Aber daraus folgt keineswegs, dass sie auch dm*ch Befreiung vom
Erbkauf vor den verheiratheten Biirgern bevorzugt waren. Ein
Zusammenhang dieser Art ist in den angefiihrten Artikeln des Stadt-
rechts nicht ersichtlich ; im Gegentheil wird man • gerade bei einem
besonderen Dienstverhaltniss der Ehelosen zu dem Landesherrn, auf
welches jenes erste Vorrecht schliessen Iftsst, viel mehr geneigt sein
zu glauben, dass sie das Recht der Vererbung iiberhaupt nicht
besassen.
Wir haben aus dem Bisherigen nichts Sicheres iiber das Ver-
haltniss der ehelosen Einwohner Schleswigs beim Erbkauf entnehmen
kSnnen. Ich gehe daher zu anderen mit dem schleswiger Recht ver-
wandten Stadtrechten iiber, um zu betrachten, was dort fiber den
Erbkauf imd das VerhSltniss der Ehelosen bestimmt ist.
Am nachsten steht nach Zeit und Inhalt das Flensburger Stadt-
recht, welches durch Rath und Biirgerschaft erlassen, von Herzog
Waldemar IV. im Jahre 1284 mit einigen Abanderungen best&tigt
wurde. (Siehe das Vorwort des lateinischen Textes bei Kolderup-
RosENviNGE, Samling S. 368 und die Confirmationsurkunde ebenda
S. 435 wie bei Thorsen S. i 19.)^ Dasselbe stimmt meist w5rtlich mit
dem schleswiger Recht imd ist nichts anderes, als eine durch Aus-
lassungen und Zusatze veranderte Redaction , wobei auf Zeit und Um-
* Unverst^ndlich ist mir, was P. Hasse in seiner interessanten , aber an gewagten
Vermnthiingen und raschen Combinalionen nur allzureichen Schrift: Das Schleswiger
Stadtrecht S. 74 ansfGhrt: der Unverheirathete habe 'als Aquivalent fur den Schutz,
den ihni die anfgegebene Fainiliengemeinschaft geboten, das doppelte Wehrgeld er-
halten*. Es scheint hier Hausgemeinschaft und Familiengemeinschaft verwechselt. Der
Selmtz der letzteren wurde von dem Junggesellen dadurch, dass er sich selbstandig
niederliess, keineswegs aufgegeben; gerade das Wergeld setzt von Seiten der Erben
und Verwandten die Pflicht des Beistandes, des Schutzes, der Rache voraus; es betnig
nach Art. 3 des Schleswiger Sladtrechts bei Todtschlag 3 Mark fur den Konig und
dreimal 18 Mark nebst einer Mark Gold Uberbusse fur die Verwandten. Auch ware
die angebliche Tendenz der Gesetzgebung , die 'Emancipation des Individuums von
der Familie' zu begiinstigen, ganz unerhort im burgerlichen Leben des Mittelalters.
' Thorsen streicht das Vorwort und setzt es in eine Note (S. 123), weil er den
sogleich zu erwahnenden Text fur den confirmirten ansieht und giebt dem lateinischen
die wunderliche Bezeichnung eines vorlaufigen Stadtrechts (forelfibige stadsret).
248 Gesammtsitziing vom 10. Marz. — Mittheilung vom 24. Febr.
stande des Orts Riicksicht genommen ist. Hier ist vor allem zu be-
merken, dass das Vorrecht der Ehelosen und ihre Gleichstellung mit
den Gildebmdern in Bezug auf die Bussen gestrichen ist, denn im
Art. 77, der dem Art. 66 des Schleswiger Stadtrechts entsprieht, wird
der geschworene Bruder in dieser Bezieliung ausdrucklicli jedem anderen
Burger gleichgestellt : Item si quis percusserit alium, etiam fi-atrem
conjuratum . . . emendet 6 marchas; was aber fur den Gildebruder
gilt, muss natiirlich auch fur den ehelosen Burger genug sein.
Der andere Artikel des Schleswiger Stadtrechts 2 9 , der von dem
Erbkauf handelt, findet sich in zwei Artikeln des Flensburger Stadt-
rechts an verschiedenen Stellen Art. 17 imd 38 getrennt. Der erstere
verordnet in TJbereinstimmung mit dem Schlusssatz §. 4 jenes Art. 29,
dass die Hinterlassenschaft dessen, der den Erbkauf gethan hat, auf
Jahr und Tag durch Rath und Stadtvogt — consules cum advocato,
wie hier statt bloss sub fidejussione hinzugesetzt ist — aufbewalirt
werden und, wenn sich kein Erbe meldet, an den Landesherrn
(dommo terrae) d. i. den Herzog, fallen soil. Der andere ist uber-
schrieben Ingelt edder arfk0p und enthalt im wesentlichen dasselbe,
wie §§. 1 und 2 des Art. 29 Schleswig uber den Erbkauf*, dort laghk0p
hier arfk0p genannt, sowie die Ausnahme mit den gleichen Worten-
quia nuUi viri non uxorati emunt illam immunitatem, und fugt nur
noeh den Preis hinzu, namlich 4 Schill. und 2 Pfenn., woraus man
sieht, dass es sich in der That nm* um eine geringe Gebiihr und
blosse Formalitat handelte, deren Versaumniss jedoch immer die
schwere Folge der Confiscation des Nachlasses nach sich zog.
Das Flensburger Stadtrecht liegt aber auch in einem danisclifii
Text vor, der zwischen 1295 bis 1321 geschrieben ist und von dem
eine niederdeutsche Ul)eTsetzung mit dem Datum des Jahres 1492
vorhanden ist. (S. uber die danische Originalhandschrift im Archiv
zu Flensburg, Kolderup- Rosen vinge Stadsretter, Samling 5 in der Ein-
leitung S. 45.) Dasselbe stellt sich als eine veranderte Redaction oder
vielmehr vollig neue Bearbeitung des lateinischen Textes dar, nicht
bloss durch andere Anordnung und Reihenfolge der Artikel , sondem
auch durch genauere Fassung manclier Rechtssatze und Hinzufiigung
neuer. Hier nun entspricht Art. 1 1 dem eben erwahnten Art. 38 des
lateinischen Textes. Voran steht wie dort die Regel: 'Die Herrschaft
(haerscop d. i. der Herzog von Siidjutland) hat in Flensburg ein ingeld,
welches eifk0p heisst; wer das nicht gibt und stirbt in der Stadt,
den beerbt die Herrschaft. Dann folgt die Ausnahme: 'Ein unbe-
weibter Burger, der hier in der Stadt geboren ist, und Frauen
brauchen nicht Erbe zu kaufen (arfk0p als Zeitwort)'. Und zuletzt
die hierdurch beschrankte Regel: 'Verheirathete Burger und alle
Hegel: Cber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 249
Fremden , woher sie auch kommen , mogen (mughae) Erbe kaufen mit
4 Ortug und 2 Pfenn. , und konnen dies selbst auf dem Siechbette
thun, so lange sie noch im Stande sind, eine Wagschale mit einer
Hand zu halten, um dadurch ihr Gut von der Herrschaft zu entfi'eien'.
Dies ist wortlich aus dem Lateinischen libersetzt, aber mit einem
bedeutungsvollen Zusatze, der die Ausnahme betrifft. Der jdanische
Wortlaut ist: En uquaentae bymen thaer f0d aer haer i by, oc quinnae
thyrf them ei arfk0p. Es kommt alles auf den Sinn an, in welchem
das Wort thyi'f gebraucht ist, das gewohnlich bedurfen, brauclien
bedeutet, aber auch diirfen heissen kann (Lund, Ordbog til de gamle
Danske Landskabslove. Kj0b 1877, unter thorvae S. 148). Im letzteren
Sinne : sie diirfen nicht kaufen , will Falck diesen Satz den er gleieh-
falls citirt (a. a. 0. S. 228) verstanden wissen; im ersteren: d. i. sie
brauchen nicht zu kaufen, hat die alte niederdeut^sche Ubersetzung
ihn verstanden: 'de dorven nenen erfkop geven (vergl. zu Morven'
Schiller -LuBBEN W. B. i S. 555). Entseheidend fiir diese letztere Er-
klarung ist die Variante des lateinischen Textes in der FLOxow'schon
Hs.: viri enim non uxorati et nati in hac civitate immunes sunt ab
ilia (lies illo, scil. debito); vergl. die Varianten in den Ausgaben von
Westphalen und Paulsen bei Kolderup - Rosen vinge a. a. O. S. 376
und Thorsen S. 145. Der danische Text folgt hier offenbar dieser
Variante, wie die dort eingeschalteten mid hier wiedergegebonen
Worte: et nati in hac civitate, beweisen, hat aber noch die Weiber,
und zwar nicht bloss unverheirathete, sondern liberhaupt — denn
das vorhergehende Beiwort uquaent» kann sich sprachlich nur auf
die Manner beziehen — hinzugefugt. Das heisst also unzweideutig:
Die unverheiratheten und zwar in der Stadt geborenen Manner —
im Gegensatz zu den Fremden, die ohne Unterschied dem Erbkauf
unterworfen w^aren — und die Frauen sind frei vom Erbkauf, konnen
daher ihr Vennogen ohne solchen vererben. Und hiermit ist nun
endlich die authentische Interpretation der Worte: nulli viri non
uxorati emunt illam emunitatem festgestellt, und als gewiss anzu-
nehmen, dass auch in Schleswig die ehelosen Einwohner vom Erb-
kauf befreit waren. Und wenn dann noch die Frauen hinzugefiigt
sind, so fiihrt uns dies zugleich auf den GiTind jener Exemtion; er
kann demnach nicht auf einem bosonderen Standesvorreeht der ehe-
losen Manner, gleich wie der Anspruch auf die voUen Bussen, be-
ruhen, sondern muss in einem anderen Umstande gefunden werden,
den sie mit den, sei es als Wittwen oder unverheiratheten selbst-
stSndig lebenden Frauen theilten, und dieser Grund kann nur im
Familienrecht liegen. Beide, die ehelosen Manner sowie die Frauen,
wurden, auch wenn sie von der Hausgemeinschaft ausgeschieden
250 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheilniig vom 24. Febr.
waren , immer nocli als Mitglieder der Familie angesehen , fiir welche
der Hausvater den Erbkauf voUzogen hatte , und brauchten denselben
nur dann aufs neue zu bezahlen, wenn sie durch ihre Verheirathung
einen neuen Hausstand giiindeten, und zwar lag solche Leistung
immer nur dem Manne als dem Familienhaiipte ob.
Es bleibt noch ilbrig, die spateren danischen Stadtrechte von
Slid- und Nordjiitland in Bezug auf die Institution des Erbkaufs zu
betrachten.
Das vom Schleswiger Stadtrecht unabhangige , in danischer Sprache
abgefasste Stadtrecht von Hadersleben, welches im Jahre 1292 von
Waldemar IV. bestatigt wurde (Thorsen, Einl. S. 74, vergl. Paulsen
im Staatsburg. Mag. Bd. 5 S. 93), kennt wohl den Erbkauf, aber nicht
die Ausnahmen der Ehelosen. Ganz allgemein heisst es im Art. 1 1 :
'Jedermann, der in der Stadt wohnt (hwer Mand ther i By boor)
soil den Erbkauf geben mit 4 Ortug und 3 Pfenn. oder i Silber-
pfenn. . . . Stirbt ein Burger (By man) oder Gast, der nicht Erbe
gekauft hat, da ist der Herzog sein Erbe'.
Auffallend ist in diesem Artikel der eigenthumliche Zusatz:
*Wenn ein Mann den Erbkauf gethan hat, soil er sein rechtes Herd-
geld lun Mittsommer (sin rette Arngjeld um Missumer) entrichten',
so dass es scheint, dass nur ein solcher Hausbesitzer, der den Erb-
kauf gethan, auch zur Herdsteuer verpflichtet war. Dies hangt ver-
muthlich so zusammen, dass das Herdgeld nur darum nicht von den-
jenigen erhoben wurde, welche den Erbkauf nicht gethan hatten,
well j a deren Besitz nach ihrem Tode insgesammt dem Landesherm
zufiel. Ubrigens versteht es sich von selbst, dass einer sich nicht
dadurch der Herdsteuer entziehen konnte, dass er den Erbkauf so
lange als moglich hinausschob ; wir diirfen glauben, dass in solchem
Falle die Steuer far soviel Jahre, als der Erbkauf unterlassen worden,
nachbezahlt werden musste.
Fiir Apenrade kommt allein die lateinisch geschriebene Skraa
In Betracht, welche erst 1335 von Rath und Burgerschaft eingefuhrt
wurde, und seitdem fortdauernd in Geltung blieb. (Kolderup-Rosenvinge
S. 436, Thorsen S. 154.) Denn das andere sogenannte Statutum
civitatis Apenradensis, welches auch in niederdeutscher Fassung vor-
handen ist, offenbart sich als blosse Ubertragung des Flensburger
Stadtrechts und zwar in der vorhin erwahnten danischen Recension.^
In der Skraa von 1335 nun ist vom Erbkauf iiberhaupt nicht
mehr die Rede; nur ist im Art. 29 fiber die Hinterlassenschaft Ver-
* Cber das V^erhaltniss beider Stadtrechte von Apenrade werde ich mich anderswo
aiissprechen.
Hegel: Uber den Erbkauf in den danischen Stadh'echten des Mittelalters. 251
storbener ubereinstimmend mit dem danischen Landrecht verordnet,
dass sie bis zum dreissigsten Tage, d. h. bis zum Erbenantritt, zuerst
im Hause (bona hereditaria sint in mansione ubi sunt usque ad diem
XXX), nachher auf Jahr und Tag vom Rath aufbewahrt werden und
endlich, wenn sich keine Erben einfinden, halb an den Vogt und
halb an den Rath der Stadt fallen soil. Der Grund des Wegfalls
des Erbkaufs in diesem Stadtrecht war vermuthlich der, dass erst
kurz vorher Konig Waldemar III. in seiner Handfeste von 1326 diese
Abgabe allgemein in Danemark abgeschafft hatte. (Suhm, Historic
Bd. Xn, 123: herefter skulde arfkj0p ei betales eller ved Fogderne
inddrives hos nogen.) Doch ist solche Vergiinstigung nur den
danischen Unterthanen zu gute gekommen, und war auch nur fur
diese gemeint. Denn als Fremdenrecht ist der Erbkauf noch fort-
dauernd in Ubung geblieben, wie wir weiterhin sehen werden.
So begegnen wir demselben wieder in dem neueren Schles-
wiger Stadtrecht, welches um das Jahr 1400 in niederdeutscher
Sprache und veranderter Redaction abgefasst worden ist. (Kolderup-
RosENViNGE, Einl. S. 44 setzt die Hs. in das 15. Jahrh.) Hier findet
sich im Art. 37 der Art. 29 des alten lateinischen Stadtrechts so
verandert, dass allein die Nichtbiirger und Gaste — alle de none
borgere en synt unde alle gheste — den Erbkauf um den Preis von
4 Schill. und 2 Pfen. gewinnen sollen. Die erblose Hinterlassenschaft
aber soil nach Art. 19, wie schon im Apenrader Stadtrecht angeordnet
war, nachdem sie vom Rathe der Stadt Jahr und Tag aufbewahrt
worden, zur Halfte an den Landesherrn und zur Halfte an den Rath
fallen.
Eine andere Klasse der Stadtrechte vertritt in Nordjiitland das
der Stadt Ripen vom Jahre 1269, welches zum Theil auf Liibischem
Recht beruht (vergl. P. Hasse, Quellen des Ripener Stadtrechts 1883).
Der urspriingliche Text desselben in 59 Artikeln (abgedruckt bei
Hasse im Anhang) weiss nichts vom Erbkauf, spricht vielmehr im
Art. 25 in Ubereinstimmung mit dem Liibischen Recht sogar das
VermSgen eines Selbstmorders und eines Hingerichteten den Erben
zu; nur das von einem gehangten Diebe soil zur Halfte zwischen
Stadt und Vogt getheilt werden. Auch ist im Art. 7 die Befugniss
der Burger zu Vermachtnissen anerkannt. Hiermit stehen im an-
scheinenden Widerspruch einige zu dem Ripener Stadtrecht spater
hinzugefiigte Art. 107 bis 109 (bei Westphalen, Monumenta IV, 2008
und KoLDERUP-RosENviNGE, Samliug 5, 258), in denen die Gewohnheit
des Erbkaufs vorausgesetzt und dariiber bestimmt ist: *Wer den Erb-
kauf bezahlt hat, dessen im Todesfall hinterlassene Giiter sind von
jedem Anspruch (seitens des Fiscus) frei; wenn aber einer durch
252 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheilung vom 24. Febr.
plotzlichcn und unvorhergesehenen Todesfall, wie Untergang im Wasser
Oder Todtung, verhindert war, den Erbkauf zu losen, soli seine Hinter-
lassenschaft niclit an den Konig, sondern an die Erben fallen'. Also
nur aus Billigkeitsgriinden wird in den erwahnten Fallen die Con-
fiscation erlassen.
Diese nachtragliehen Bestimmungen fiber den Erbkauf sind mit
denjenigen des alteren Ripener Stadtrechts nur so vereinbar, dass man
annimmt, es seien dieselben nur in Bezug auf die Fremden, welche
iiberall fortxlauernd zum Erbkauf verpflichtet waren, hinzugefagt worden.
In dieser dem neueren Schleswiger Stadtrecht entsprechenden
Form findet sich der Erbkauf auch in andern Stadten Nordjiitlands.
So im Stadtrecht von Viborg 1440 Art. 8 (Kolderup-Rosenvinge
a. a. 0. S. 266) und in dem von Kolding 1452 Art. 14 (ebend.
S. 305), wo in beiden ubereinstimmend gesagt ist, dass keiner, der
in der Stadt geboren ist — qui natus est in civitate, ther f0dh aer i
byen — den Erbkauf geben muss.
In den Stadtrechten der Provinzen Seeland, Funen und Schonen
kommt, wie schon bemerkt wurde, der Erbkauf uberhaupt nicht vor,
weder als Abgabe der Burger, noch der Fremden. Als Kegel gilt
im Stadtrecht von Roeskilde (J. 1268) Art. i i: de danefae (koLDERUP-
Ros. a. a. 0. S. 179) und von Kopenhagen (J. 1294) Art. '7 i (ebend.
S. 114), dass die Hinterlassenschaft eines jeden in der Stadt Ver-
storbenen, der keine Erben dort hat, auf Jahr und Tag aufbewahrt
und dann erst, in Roeskilde an den Konig, in Kopenhagen an den
Bischof fallen soil. Und dem entspricht auch die allgemeine Bestim-
mung, welche im 3. Buch, Cap. 57 des Seelandischen Landrechts fur
den Todesfall eines Auslanders getroffen ist, wo es allein zweifelhafjb
bleibt, ob unter dem udljending ein Nichtdane oder bloss ein Dane
aus einer anderen Provinz zu verstehen sei. Sicher ist jedoch, dass
der Erbkauf als Fremdenrecht im Reiche Danemark fortdauernd in
Ubung blieb. Dies ergiebt sich nicht bloss aus den angefuhrten jiit-
landischen Stiidtrechten bis ins 1 5. Jahrhundert hinein, sondern im
AUgemoinen auch aus den Privilegien der danischen Konige fur die
deutschen Hansestadte.
Von der Seite des deutschen Reichs her wurde schon fruh eine
liberale Fremdenpolitik gegenuber den Nordlandern befolgt, natiirlich
zum eigenen Vortheil und unter der Bedingung oder Erwartung der
Gegcnseitigkeit. So finden wir, dass Heinrich der Lowe 1163 denen
von Gotland, wo Wisby ein Haupthandelsplatz der Deutschen in der
Ost^ee war, ein fi*iiheres Privileg Lothar's III. best-atigte, worin unter
anderem denselben, im Fall einer von ihnen in einer Stadt des deut-
schen Reichs verstiirbe, die Ausliefeinrng seines Nachlasses an die
Heoel; Uber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 253
Erben oder Verwandten, sowie die Aufbewahrung desselben aufJahr
und Tag zugesichert war , so dass erst alsdaim , wenn in soleher Frist
kein Erbanspruch erhoben wurde, der Stadtrichter (judex civitatis)
das erblose Gut einziehen soil (Hansisches U. B. herausg. von H5hlbaum
Bd. I S. 9). Es ist, wie wir sehen, das gleiche Verfahren, wie das,
welches nach daniscliem Landrecht bei Hinterlassenschaflen einheimi-
scher Verstorbener zur Anwendung kam. Allgemein gewahrte daiin
Friedrich 11. in der Reichsverordnung, die er am Tage seiner Kaiser-
krSnung zu Rom am 22. November 1220 erliess, den Fremden ina
rdmischen Reiche das Recht, Verm5gen zu vererben oder dariiber zu
testiren ; im Fall ihres Ablebens ohne let^twillige Verfugung aber soil
der Hauswirth nichts von der Hinterlassenschaft behalten, sondern
diese durch den Bischof des Orts womSglich an die Erben ausgeliefert,
im anderen Fall fiir fromme Zwecke verwendet werden (Mon. Germ.
Leges n S. 243. Huillard-Breholles, Historia diplom. Friderici II.
T. II S. 2 ; auch im Anhang zum Corpus juris civilis).
Sehen wir auf der anderen Seite die Privilegien, welche die
danischen Herrscher den deutschen Hansestadten zuerst einzeln, dann
insgesammt gewahrten.
Wenig spater, als die eben erwahnte deutsche Reichsconstitution,
ist das Privilegium des Konigs Erich Pflugpfennig vom Jahre 1232
— er wurde schon in diesem Jahre als Sechszehnjahriger unter der
Regierung seines Vaters Waldemar II. gekront (siehe Dahlmann I,
S. 394) — fiir Soest, worin er den Biirgern dieser Stadt die von
Waldemar 11. gewahrten Freiheiten bestatigte (Hansisches U. B. i
Nr. 244). Gleich liberal und wie im Hinblick auf das deutsche Reichs-
gesetz lautet hier die Bestimmung, dass die Hinterlassenschaft der
im danischen Reiche (in terminis re^i nostii) verstorbenen Soester
nach Jahr und Tag ohne alien Abzug herausgegeben werden soil. Und
in Ubereinstimmung hiermit befinden sich noch die nahezu hundert
Jahre spateren Privilegien von Erich Menved fiir Liibeck vom Jahre
1316 (im Entwurf, Lubecker U. B. 2, Nr. 368 Art. 7) und von Wal-
demar III. vom Jahre 1326 fiir dasselbe (a. a. 0. 2, Nr. 469 Art. 6),
sowie fur Hardewijk (Hansisches U. B. 2, Nr. 449 Art. 12), wobei
den Lubeckern noch ausserdem die Concession gemacht wird, dass
der Nachlass ihrer in Danemai'k Verstorbenen von ihrem eigenen
Vogt und anderen am Orte anwesenden, angesehenen Lubeckern in
Verwahrung genommen und an die rechtmassigen Erben olme alien
Abzug ausgehSndigt werden soil — in quo nostii officiales sibi nichil
juris nostro nomine poterunt vendicare.
Dagegen ^vird des Erbkaufs der Fremden wieder gedacht im Pri-
vilegium des Heraogs Waldemar (IV.) von Schleswig fiir Stralsund
SltzuDgsberichte 1887. 23
254 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheilung vom 24. Febr.
1307, worin derselbe den Biirgern dieser Stadt als ein dem Herzog
zustehendes Recht erlassen wird — jure nostro non empto quod
vulgariter arfk0p dicitur (Hansisches U. B. 2, Nr. 120), w^hrend in
einem anderen Privileg ftir Stralsund, namlich dem des Christoph von
Halland 13 16 der Erbkauf in einer anderen Form vorkommt, als wie
er uns bisher in den Stadtrechten begegnet ist, nicht als Kauf des
Erblassers, sondern als mortuarium, das an seiner Stelle die Erben
entrichten — sui beredes pro ipso dabunt quod erf k0p dicitur in
vulgari (Hansisches U. B. 2, Nr. 294).
Und wieder in einer anderen Form erselieint der Erbkauf in
zwei Privilegien ftir Greifswald, des Konigs Christoph II. vom Jahre
1320 imd des Junkers Waldemar , Erben von DSnemark (Waldemar IV.)
vom Jahre 1338 (Hansisches U. B. 2, Nr. 357 und 618). Derselbe ist
hier bezeichnet als Kauf des Begrabnisses oder der Grabstatte — ab
empcione sepulture que vulgo erfk0p vel ertwin dicitur, pre aliis liber*
tamus. Hiermit zu vergleichen ist Christophs 11. Privileg fiir Wismar
vom Jahre 1323 (Hansisches U. B. 2, Nr. 397), worin die Befreiimg
vom Kauf der Erde, d. i. eines Grundstucks (terra sibi non empta),
welch en der Erblasser thun musste, gewahrt wird.
In gleicher Weise, als Kauf eines Grundstucks zur Beerdigung,
wird der Erbkauf der Fremden erwahnt in den Hanserecessen und
Friedensvertragen der Stadte mit Danemark. So im Entwurf eines
Freibriefs Waldemars IV. fur die wendischen StSdte 1360: Eosdem
eciam cives . . . ab omni consuetudine seu jure emendi t^erram sepul-
ture, quod vulgariter dicitur ai*fk0p, liberos esse volumus (Hanse-
recesse Bd. i Nr. 234, S. 166). Desgleichen in einem Aufsatz der
Stadte von 1363, Art. 3: vortmer sin de siilven koplude ghevryet
van kope der erden, de gheheten is arfk0p (ebenda Nr. 306 S. 255)*
Und aufs neue als Forderung derselben Stadte in einem Recess zu
Liibeck 1365, 28. Mai (ebenda i Nr. 361 S. 312): Wy willen och, dat
de sulven koplude unde ere boden vry unde leddeg syn van kope
der erden der begi'avinghe dat gheheten is in Denscheme arfk0p.
Demgemass wurde im Friedensvei'trag der Ilanse mit Waldemar IV. zu
Stralsund 1369 Nov. 30 (ratificirt vom danischen Reichsrath 1370
Mai 24) allgemein verabredet (Hanserecesse i Nr. 513 S. 477): Im Fall
Jemand im danischen Reiche versturbe, soil der deutsche Vogt oder wer
der angesehenste von ihnen ist — ere diidische vogeth edder we de
m0ghendeste van en is — des Verstorbenen Gut den rechten Erben
aushandigen, oder wenn keine Erben da sind, dasselbe in die Heimath
bringen und an diejenigen ausliefern, welche ein Recht daran haben.
Neu ist in vorstehenden Urkunden die Erklarung des Erbkaufs
als Ankaufs eines Grundstucks zum Begrabnissplatz fiir den Verstor-
Hegel: Cber den Erbkauf in den danischen Stadtrechten des Mittelalters. 255
benen, wahrend in den Stadtrechten Erbkauf lediglich eine Abgabe
des Erblassers an den Landesherren bedeutet. Der Ankauf einer Be-
grabnissstatte fiir den fremden Verstorbenen verstand sich doch von
selbst, wenn nicht der Leichnam in die Heimath zuriickgebracht
wnrde, und man sieht nicht, welchen Nutzen der Landesherr aus
solchem Ankauf gezogen hatte. M5glicherweise liegt nur eine un-
richtige Worterklarung vor, wonach das Wort Erbe oder hereditas
als liegendes Gut verstanden worden ist. In der That war es nur
ein anderer Titel, unter welchem die herk5mmliche Abgabe von den
Fremdeft gefordert wurde.
In den sogenannten allgemeinen Stadtrechten (almindelige stads-
retter), in dem welches unter dem Namen der XJnionskonigin Marga-
rethe geht und in dem des K5nigs Christoph von Bayem, welches
mit dem von demselben an Kopenhagen verliehenen Stadtrecht vom
Jahre 1443 ubereinstimmt , und in dem des KOnigs Hans von 1484
oder 1487 — findet sich die gleichlautende Bestimmung fiber die
Hinterlassenschaften Verstorbener , im^ Fall kein Erbe in der Stadt
anwesend ist, dass sie von Vogt und Btirgenneister auf Jahr und
Tag aufbewahrt und innerhalb dieser Frist an die rechten Erben
wenn gegen Abgabe von 3 Mark an den KOnig herausgegeben werden
sollen ; aber die Erben ausserhalb des Reiches wohnen , so gebuhrt dem
Rathe der Stadt der Zehnte als Abschoss, ausser 3 Mark fiir den K6nig
(Margarethe Art. 36, Christoph Art. 59, Hans Art. r2i, bei Kolderup-
RosENviNGE S. 508, 162, 539).
An die Stelle des Erbkaufs ist somit fiir die Fremden in der
neueren Gesetzgebung des in sich gekraftigten danischen Reiches der
Abschoss getreten, uber den sich nun die Hansestadte wieder be*
schwerten (Kofod Ancher, Om Arvekj0p, Juridiske Skr. 2 S. 741).
Wir finden daher, dass K6nig Friedrich I. durch sein Privilegixmi von
I 524, II. September, dieselben — es waren die Gesandten von Liibeck,
Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar, Luneburg und Danzig bei der
Kronung des Konigs in Kopenhagen zugegen — vom Abschoss des
Zehnten befi'eite und in Bezug auf das Verfahren bei Nachlasssachen
ganz auf die Bestimmung des Stralsunder Friedensvertrages von 1370
zuriickkam (Urk. bei Lunig.R. A. XIV P. spec. IIS. 45), und dass KOnig
Friedrich II. im Odense'schen Recess von 1560 (ebend. S. 83) den
Zehnten nur in dem Falle vorbehielt, wenn einer aus den Hansestadten
im danischen Reiche 'biirgerlich sesshaftig' geworden und seine aus-
wartigen Erben den Nachlass heraus verlangen, wogegen der KOnig auch
die Reciprocitat von Seiten der Hansestadte zur Bedingung machte.
Ich fasse zum Schluss das Ergebniss meiner Untersuchung uber
den danischen Erbkauf zusammen. Ausgehend von den bezuglichen
256 Gesammtsitzung vom 10. Marz. — Mittheilung vom 24. Febr.
Bestimmungen des Schleswiger Stadtrechts habe ich mit Dahlmann
den Rechtskauf, laghk0p, wie er hier zuerst heisst, als ein den Ein-
wohnem der Stadt auferlegtes Freuidenrecht erklart, welches daim
aUch auf alle voriibergehend dort weilenden Fremden erstreckt %vurde.
Der zwischen den verheiratheten und elielosen Burgern gemachte
Un-terschied ist nicht als Ausscliliessung der letzteren vom Erbkauf,
sondern als Befreiung von der damit verbundenen Leistimg zu verstelien,
und diese Befreiung ist nicht als Vergunstigung fur die Junggesellen
aufzufassen, welche aus anderem Grunde das Vorrecht der vollen
Bussen gleichwie <lie Gildebruder genossen, sondern beruht ledig-
lich auf ihrer fortdauernden Gemeinschaft mit der Familie, der sie
so lange noch als Mitglieder angehorten, bis sie selbst durch ihre
Verheirathung eine neue Familie begrundeten. Dies ist deutlicher
ausgesprochen im Flensburger Stadtrecht, dem das Schleswiger zu
Grunde liegt, wonach auch die Frauen von <ler Leistung des Erb-
kaufs befreit waren. Anders in den ubrigen siidjiitlandischen Stadt-
rechten. Das von Hadersleben von 1292 schreibt den Erbkauf fur
alle Einwohner ohne Unterschied vor. Die Apenrader Skraa vom
Jahre 1335 im Gegentheil erwahnt ihn uberhaupt nicht mehr , nachdem
derselbe durch Waldemar's III. Handfeste von 1326 allgemein abge-
schafft worden. Doch gait die AbschaflRmg nur fiir die danischen
Unterthanen , nicht far die Fremden. Denn als Fremdenrecht begegnen
wir dem Erbkauf noch fortdauernd in den siid- und nordjiitl&ndischen
Stadtrechten aus dem 14. und 15. Jahrhundert. So in dem neueren
von Schleswig, wie in denen von Ripen, Viborg und Kolding.
Der Erbkauf kommt uberhaupt nicht vor in den Stadtrechten der
ubrigen danischen Provinzen, weder in denen von Seeland, noch in denen
von Schonen; doch ist daraus nicht zu schliessen, dass er nicht auch
dort bei den Fremden zur Anwendung gekommen sei, namentlich in
den s. g. Vitten, den standigen Fischerlagern , welche die Kaufleute der
Hanse zu Skanor und Falster auf Schonen besassen. Und gerade auf
(iiese beziehen sich zunachst die PriWlegien der dflnischen K5nige fur
die Hansestadte im 14. Jahrhundert, wodurch sie vom Erbkauf, der hier
uurichtig als Ankauf einer Begrabnissstatte erklart wu'd, iiberall in
Danemark befreit wurden. An Stelle des Erbkaufs findet sich dann in
den s. g. AUgemeinen Stadtrechten des 15. Jahrhunderts der Abschoss
des Zehnten gesetzt, welch er nachmals den deutscheu Hansestadten
unter der Bedingung der Reciprocitat gleiclifalls erlassen wurde.
Ausgegeben am 17. Marz.
Berlin, ((tedruclit in d«r K«ich«drurk«rai.
257
1887.
XV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
17. Marz. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen i. V.
Hr. Mommsen las fiber einen neu aufgefundenen Reise
bericht nach dem gelobten Lande.
Ausgegeben am 24. Marz.
SiUuDgsberichte 1887. 24
259
1887.
XVI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
17. Marz. Sitzung der physikalisch-matlieinatischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
Der vormalige Professor der Mathematik an der Universitat
KSnigsberg, Hr. Georg Rosenhain, correspondirendes Mitglied der
Classe, ist hierselbst am 14. Marz verstorben.
24*
261
Experimentaluntersnchungen fiber rotirende
Fliissigkeiten.
Von WiLHELM VON BeZOLD.
(Vorgetragen am 3. Marz [s. oben S. 173].)
Hierzu Taf. IV.
Vor zwei Jahren habe ich eine Methode beschrieben , * mit deren Hulfe
StrSmimgen an der Oberflache iind im Iimem von Flussigkeiten vor-
trefflich znr Anschauung gebracht werden kdnnen.
Hierbei hatte ich mich jedoch auf Untersuchimg solcher StrSmungen
beschr&nkt, wie sie durch Temperaturdifferenzen hervorgebracht werden,
und wie sie eben deshalb auch in scheinbar ruhenden Flfissigkeiten
fortwS-hrend vorhanden sind, sotem nicht ganz besondere Vorkehrungen
getroflfen werden, um jede Temperaturschwankimg auszuschliessen.
Meteorologische Forschungen veranlassten mich, von der eben
bezeichneten Beschrankimg abzugehen imd die Versuche auf Falle
auszudehnen, in welchen der Fliissigkeitsmasse neben den durch die
TemperaturdiflFerenzen hervorgerufenen StrSmungsbewegungen noch
eine Rotation ertheilt wird oder ertheilt worden war.
Der Erfolg zeigte, dass sich thats&chlich auf diesem Wege eine
Reihe von VorgSngen anschaulich machen lassen, die, wenn auch in
ganz anderen Verhaltnissen bei der Bildimg der Cyklonen eine RoUe
spielen, von denen es jedoch wegen ihrer Susserst verwickelten Natur
auf mathematischem Wege nur schwer wird Rechenschaft zu geben,
noch schwerer aber eine anschauliche Vorstellung zu gewinnen.
Hier will ich mich zimachst damit begnugen, die angedeuteten
Erscheinimgen von dem rein physikalischen Standpunkte aus zu be-
schreiben, wahrend die Schlusse, welche man von einem solchen
•Sturm im Glase Wasser« auf die Vorg&nge in der Atmosphaere
Ziehen kann, erst spater ihre weitere Ausflihrung finden sollen:
Versetzt man ein cylindrisches , mit Wasser gefiilltes Glas in eine
rotirende Bewegung um die Axe des Cylinders, so theilt sich, wie
* Sitzungsberichte der Koniglich Bayerischen Akadeinie der Wissenschaft^n 1884
Heft 2 u. 4. Wiedemann's Annalen 24 S. 27 — 37 u. S. 569 — 593.
I
262 Sitziing der phys.-inath. Classe v. 17. Marz. — Mittheilung v. 3. Marz.
langst bekannt, diese Rotation erst allmahlieh in Folge der inneren
Reibung den inneren Schichten der Fliissigkeit mit.
Hiebei sind die VorgSnge wesentlich verschieden, je nachdem
die Oberflache des Wassers vollkommen rein ist oder nicht.
Im letzteren Falle verhalt sie sich wie eine starre Flache, also
gerade so, wie der Boden des Glases, im ersteren wie eine ausser-
ordentlich elastische.
Man kann dies, wie ich schon a. a. 0. fluchtig angedeutet habe,
vortreflflich nachweisen, wenn man sich der »hektographischen« —
in Referaten hiess es flQschlich »autographischen« — Tinte bedient.
Hat man ein Glas mit Wasser einige Tage lang offen oder nur
lose bedeckt ruhig stehen lassen , und bringt man alsdann mit der
Reissfeder einen Tropfen der obengenannten Tinte anf die Flache, so
zerreisst die letztere wie eine Membran nach einer oder mehreren
Richtmigen, und die Tinte breitet sich in den Rissen aus, wie z. B.
in dem in Fig. la versinnlichten Falle.
Dreht man mm das Glas, nachdem man es auf ein geeignetes
Stativ, noch besser auf eine Schwimgmaschine gebracht hat, lang-
sam um seine Axe, so drehen sich die Risse mit, gerade wie wenn
die Membrane, mit der ich die Oberflache verglichen habe, fest mit
dem Glase verbunden ware.
Die in Fig. la dargestellte Oberflache wflrde mithin nach einer
viertel Drehung den Fig. ib wiedergegebenen Anblick gewfthren.
Ganz andere Erscheinungen treten ein, wenn die OberflSche des
Wassers ganz rein ist, und wenn uberdies durch vorausgegangene
Reinigung und Benetzung des Glases ftLr vollkommene Adhaesion
zwischen Wasser und Glas Sorge getragen ist.
Dann erhSlt man, sofem namlich die FlflSwSigkeit etwas kiihler
ist als die umgebende Luft, die schon in der ersten der erwahnten
Abhandlungen beschriebene Strahlenfigur (Fig. 2), die nun nach ein-
geleiteter Rotation der Reihe nach die in den Fig. 3 — 7 wieder-
gegebenen Formen annimmt.
Hiebei ist vorausgesetzt , dass man etwa lun 45^ gedreht, und
dann wieder die Flfissigkeit sich selbst uberlassen habe.
Betrachtet man nun die Figuren genauer, so sieht man, dass
kurz nach Einleitung der Rotation nur die dem Glase immittelbar
anhaftenden Flflssigkeitstheilchen mitgerissen werden, wahrend alle
iibrigen vollkommen trUge in ihrer ursprunglichen Lage verharren.
AUmfthlich pflanzt sich jedoch die Bewegung mehr und mehr
nach der Mitte hin fort und zwar in der Weise , dass nach dem Auf-
hOren der Rotation zuerst die dem Rande benachbarte Schicht nach-
gezogeu wird, dabei immer grSssere Geschwindigkeit erreieht und
VON Bezold: Eitperimentaluntersachungeii ahev rotirende Flfisaigkeiten. 263
schliesslich fiber die Gleichgewichtslage hinausschiesst^ wie dies Fig. 5
versinnlicht.
Allmahlich berahigt sich die eben betrachtete Schicht, die Be-
wegung libertrSgt sich auf die nllchste nach dem Centrum zu, diese
flberschreitet ebenfalls wieder die Gleichgewichtslage und so werden
immer centraler liegende ringfSrmige concentrische Gebiete von der
Bewegung ergriflfen, wihrend die peripherisch gelegenen wieder in
Ruhe gekommen sind.
Die Ausbuchtung im Sinne der Rotationsriehtung ^ wie sie in den
Fig. 5 — 7 kenntlich ist, schreitet demnacb immer weiter nach innen,
bis endlich voUkommenes Gleichgewicht hergestellt ist.
Dies tritt um so spllter ein, je grOsser der Winkcl war, um
welchen gedreht wurde, so dass bei mehreren voUen Umdrehungen
und ziemlich weiten Gef&ssen (10 — 12"") mehrere Minuten vergehen,
bis die Rotatationsbewegungen g&nzUch erlSschen.
Dabei beziehen sich jedoch die eden besprochenen Figuren zu*
n&chst nur auf die Oberfl&che.
Es kommen ubrigens auch an der Oberfliche noch begleitende
Erscheinimgen hinzu, die nicht ubersehen werden dflrfen. Bald nach
Beginn und nocli einige Zeit bis nach dem AufhSren der Dreli*
bewegung des Glases hat es nftmlich vorflbergehend den Anschein , als
ob die Streifen, die hier in den Fig. 2 und 3 gezeichnet sind, flber-
haupt verschwunden seien.
Dass dies nur Tauschung sein kann, geht schon daraus hervor,
dass sie bald nach Unterbrechung der Drehung wieder erscheinen,
wird aber vollkommen klar, wenn man etwas genauer hinsieht.
Dann bemerkt man nUmlich leicbt, dass ebenso wie sich die
Bewegung auf der Oberflache ran der Peripherie nach dem Centrmn
bin fortpflanzt, auch eine allmabliche Fortpflanzung von der Oberflache
nach dem Innern der Flussigkeit bin stattfindet, so zwar, dass selbst
ganz nahe unterhalb der Oberflache gelegene Flussigkeitstheilclien
erst sehr betrSchlich spSt^r von der Bewegung ergriffen werden, als
die Punkte der Oberflache selbst*
Dies hat zur Folge, dass die radialen Streifen der ilg. 2, die
in Wahrheit ziemlich tief (d. h. vielleicht bis 2ru i"") in die Flfissig-
keit bineinragen, tind so gewissermaassen auf hoher Rante stehende
Speichen eines horizontal Megenden Rades darstellen, sich bei der
Drehung jalousieartig ftbereinander lagem und dadurch vorflbergehend
unsichtbar werden.
Das bisher Gesagte ist zum Theil schon in den citirten alteren
Abhandlungen enthalten. Zum Zwecke besseren Verst8ndnisses des
Folgenden war es jedoch nicht zu umgehen, sowohl einzelnes in Kflrze
264 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Marz. — Mittheilimg v. 3. M&rz.
zu wiederholen, als audi Punkte, die fmher nur gestreift wurden,
weiter auszufiihren, um fiir die nunmehr zu beschreibenden wesent-
lich neuen Versuche cine sichere Grundlage zu gewinnen.
Wahrend bei all' den bisher beschriebenen Versuchen nur die
Vorgange in's Auge gefasst wurden, welehe wahrend oder nach der
Rotation in einem mit Wasser gefiillten Glase an der freien Oberflache
zu beobachten sind, soil namlich jetzt die Aufmerksamkeit den hier-
bei im Innem der Mussigkeit vor sich gehenden Bewegungen zuge-
wendet werden.
Da es sich hierbei wesentlich daixim handelte , die Mussigkeit
in langsame gleichfermige Rotation zu versetzen, so liess ich mir
eine Schwungmasehine so abandern, dass sie in umgekehrtem Sinne
arbeiten konnte als sonst.
Bei diesen Apparaten verfolgt man doch im Allgemeinen den
Zweck, eine vermittelst einer Kurbel an einem grosseren Rade hervor-
gebrachte Rotation durch einen Schnurlauf in eine raschere umzusetzen.
Fur meine Zwecke war die umgekehrte Ubersetzimg nothwendig.
Ich liess deshalb an einer gewohnlichen Schwungmasehine dort,
wo man sonst die bekannten Demonstrationsapparate fiir die Wirkung
der Fliehkraft, z. B. das Centrifiigalpendel , anbringt, eine Kurbelaxe
einsetzen, fiber das grosse Rad aber, was die sonst benutzte Kurbel
tragt , ein Tischchen , das ziu* Aufiiahme der Becherglaser bestimmt war.
Dadurch, dass die Platte dieses Tischchens aus einer Reihe gegen
die Peripherie hin schwach treppenfbrmig ansteigender Kreisringe be-
steht, gelingt es ohne grosse Sch wierigkeiten , die Becherglaser nahezu
centrirt auf dasselbe zu stellen.
Man kann sich ubrigens im Nothfelle auch eines einfachen,
einigermaassen sorgfaltig gearbeiteten Tellerstatives bedienen, und
das letztere um die verticale Axe so gut es eben geht, mit den Handen
in Rotation versetzen.
Bringt man nun auf den Teller der eben beschriebenen Schwung-
masehine ein hinsichtlich der AdhasionsverhlQtnisse imd der Tempe-
raturen richtig vorbereitetes Becherglas voU Wasser und wartet man
bis sich nach Aufgabe der Probeflussigkeit in der Rotationsaxe der
a. a. 0. beschriebene auf Fig. 1 2 der Tafel noch einmal versinnlichte
centrale Stamm gut ausgebildet hat, so bemerkt man nach Einleitung
der Drehung die folgenden Erscheinimgen :
Wahrend der innere Stamm noch voUkommen in Ruhe verharrt,
eilen Farbtheilchen sowohl am Boden des Glases als an der Oberflache
rasch nach aussen und schlagen mm an den Stellen, wo sie den
Mantel des Glases beruhren, entgegengesetzte Bewegung ein. Von
dem Rande der Oberflache steigen sie ab warts, von jenem der
VON Bbzolo: Experimentaluntersuchungen fiber rotirende FlQssigkeiten. 265
Bodenflaclie auf warts, immer iinter lebhafter Drehbe wegung , so dass
es iinter Benicksichtigung der Nachwirkimg des Lichteindruckes den
Anscliein hat, als schiebe sich ein farbiger Cylinder von oben her
zwischen Glas und Flussigkeit ein und ebenso vom Boden her.
Setzt man die Drehnng fort, so senkt sich der obere cylindrische
Rand immer mehr, d. h. er nimmt an Breite zu, wfihrend der untere
durch Aufsteigen an Ausdehnting gewinnt. Zugleich wird mm auch
der centrale Stamm in die Bewegung hineingezogen imd zwar in der
Art, dass die oberen Theile desselben nach anfwSrts, die imteren nach
ab warts treten. Er scheint sich imter abnehmender Dicke zu strecken
und man sieht deutlich, wie demselben an beiden Enden Flussigkeit
entzogen wird, die dann uber Ober- imd Bodenfl&che hinweg zur
Speisimg der beiden cylindrischen Streifen verwendet wird.
In diesem Stadium gewfthrt das Ganze den Anblick Fig. 8 a.
Die Bewegungsrichtimgen aber im Glase sind, sofern man von
Drehungen um die Verticalaxe absieht, die im Schema Fig. 8 b ver-
sinnlichten.
Unterbricht man nun die Rotation, so geht beinahe immittelbar
darauf mit den Bewegungen im Glase eine gewaltige VerJlnderung
vor sich.
Die beiden Gylindermantel , welche sich zuerst von Boden und
Oberflache aus nach der Mitte hin ausbreiteten , Ziehen sich rasch
zuriick, der obere nach aufwarts, der imtere nach ab warts, imd er-
fahren zugleich Einschnurungen, so dass kelchartige G^bilde entstehen,
die zuerst ausserordentlich flach gedriickt erscheinen, aber bald auch
im Sinne der Verticalen an Ausdehmmg gewinnen und dann allmShlich
in Formen ubergehen, wie sie in Fig. 9a, loa imd 1 1 a dargestellt sind.
Dabei ist die Symmetric zwischen dem oberen und imteren Ge-
bilde um so vollkommener, je starrer die Fliissigkeitshaut an der
freien FlSche ist, d. h. je mehr sich die freie Oberflache derselben in
ihrem Verhalten jenem des Bodens nahert.
Bei den hier gegebenen Abbildimgen ist vorausgesetzt, dass sich
die Probeflussigkeit (hektographische Tinte) auf der ursprunglich reinen
Wasserflache bis zuia Rande hin ausgebreitet habe, d. h. dass die
Flussigkeit«haut jene Beschaflfenheit besitze, wie sie zur Entstehung
der in den Fig. 2 — 7 dargestellten Erscheimmgen erforderlich ist.
Was nun die Erklarung dieser ausserordentlich schSnen Experi-
mente betriflft, so findet man den Schlussel da^ in den bekannten
Vorgangen der inneren Reibung der Flussigkeit, bezw. in den durch
die Fig. 3 — 7 dargestellten, bereits fruher besprochenen Versuchen,
sofern man sich nur daran erinnert, dass die allmShliche tJbertragung
der Bewegung von der Wandimg imd der BodenflS.che des Glases,
266 Sitzung der phys.-math. Classe v, 17. M^rz. — Mittheilung v. 3. Marz.
sowie von der Oberflache der Flussigkeit nach dem Innem derselben
in ahnlicher Weise vor sich geht, wie von der Peripherie der Ober-
flftche nach deren Mittelpunkt zu.
Hat man nun das Glas in Drehung versetzt, so sind es in erster
Linie die Oberflache, sowie die dem Boden unmittelbar benachbarten
Schichten , welche bald ihrer ganzen Ausdehnung nach an der Rotation
theilnehmen,^ wShrend von alien anderen horizontalen Querschnitten
zunachst nur die peripheren Theile ergriflfen werden.
Demnach treten an der Ober- und BodcnflUche, sowie in den
zmiachst benachbarten Schichten sehr bald (am Boden sogar von An-
beginn der Drehmig an) \angs eines grossen Stuckes oder sogar langs
der ganzen Radien Centrifiigalkrafte in's Spiel, wfthrend sich diese
Krafte in alien anderen Querschnitten nur auf die dem Mantel des
Cylinders nSchstliegenden ITieile beschrSnken.
Denkt man sich die langs der einzelnen Radien wirksamen Centri-
ftigalkrafte summirt, imd dann nach Richtung und Grosse durch Pfeile
angedeutet , so durfte sich dabei ein Bild ergeben , wie es in Fig. 8 c
versinnlicht ist.
Berficksichtigt man nun noch die ContinuitSt der Flussigkeit, so
versteht man leicht, dass ein Stromsystem entstehen muss, welches,
sofern man die Drillungen ausser Acht lasst , dem Schema b entspricht.
Die Folge ist, dass sowohl an und in der Nachbarschaft der
Oberflache als des Bodens Bewegungen nach der Peripherie hin ein-
geleitet werden, die dann neben der Rotation vertical ab- und auf-
steigende Componenten erhalten, in den mittleren Horizon talschichten
des Glases aber in horizontale nach der Axe hingerichtete fibergehen
mfkssen, da die dort entwickelten schwachen Centrifiigalkrafte dem
von den obersten und untersten Schichten ausgehenden und durch
die Flussigkeit ubertragenen Kraften nicht das Gleichgewicht zu halten
vermdgen; genau im Einklange mit den Thatsachen.
Nun halt man mit dem Drehen inne.
Die unmittelbar am Glase anliegenden Theile kommen beinahe
sofort zum Stillstande, auch in der Oberflache selbst erlischt die
Bewegung rasch von aussen nach dem Mittelpunkte zu.
Ganz anders im Innem der Flfissigkeitsmasse , dort ist noch Alles
in lebhafter wirbelnder, in den allerinnersten Theilen sogar noch in stetig
anwachsender Bewegung, da der Eintritt eines stationaren Zustandes
ohne ZerstSrung der StrSmimgsfigur sich nicht erreichen lasst und des-
halb die Unterbrechung schon vor diesem Zeitpunkte erfolgen musste.
* Da die Rotation bei diesen Versuchen nicht anf einen Bnichtheil einer Um-
drehung beschrankt bleibt, so befinden sich auch breitere Ringe in gleichzei tiger Be-
wegung als bei den in den Fig. 3 — 7 wiedergegebenen Experimenten.
voH Bezold: Experimentaluntersuchungen fiber rotirende Flfissigkeiten. 267
Diese Betrachtung fiihrt sofort zu dem Ergebniss, doss die Hori-
zontalschichten der starksten Rotation sich nach dem Festhalten des
Ge^ses unterhalb der Oberflache und oberhalb der Bodenflftche be-
fmden und fortgesetzt von den beiden Endflachen entfernen mflssen.
Dem entsprechend haben die Centrifugalkrafte miter Anwendmig
eines ghnlichen Scbemas, wie es oben benutzt wurde, in diesem Stadium
ungefahr eine Vertheilimg, wie sie in Fig. 9 c angedeutet ist.
Von den beiden Horizontalschnitten lebhaftester Rotation aber
muss Flussigkeit dorthin getrieben werden, wo sie den geringsten
widerstehenden bezw. entgegengesetzt wirkenden Kraften begegnet,
d. h. in erster Linie nach der Oberflache und der Bodenfl3<;he zu,
in zweiter nach den mittleren Theilen des Glases.
Es entstehen dem entsprechend StrOmungen, wie sie, sofem man
wieder nur die radialen und verticalen Bewegungen in's Auge fasst,
durch Fig. 9 b versinnlicht werden.
In Wahrheit sind es freilich lauter schraubenahnliche Linien, in
denen sich die einzelnen Theilchen bewegen, die bildliche Darstellung
derselben bietet jedoch so ganz ausserordentliche Schwierigkeiten,
dass ich einen derartigen Versuch gar nicht wage und mich nur mit
ein paar Andeutimgen nach dieser Richtimg hin begniige, wie ich
sie in den Fig. 1 3 und 1 4 gemacht habe.
Das in Fig. 9 b versinnlichte Stromsystem hat mm zur Folge,
dass die beiden wahrend der Rotation des Gefasses entstandenen und
in Fig. 8 a abgebildeten niedrigen Cylindermantel rasch nach oben bezw.
imten und nach der Axe hin gedrSngt werden. Dabei sind, wenn man
zun^chst nur die obere Halfte des Glases in's Auge fasst, die Bewegimgen
nach der Axe zu in den unmittelbar unterhalb der OberflJche gelegenen
Schichten die lebhaftesten , da die Oberflache selbst wegen der dort
vorhandenen Spannungen den Bewegungen Hindemisse in den Weg
legt, wahrend doch andererseits die Vertheilimg der wirkenden Krafte
eine derartige ist, dass die der Oberflache nachst liegenden Theilchen
die grosste Beschleimigung nach der Axe hin erfiahren.
Dies hat zur Folge, dass der wahrend der Rotation des Glases
entstandene Cylindermantel nicht nur rait seinem unteren Rande rasch
aufwarts schreitet, sondem zugleich eine Einschniirung erfahrt, die
ihm eine Gestalt giebt, welche an die eines einschaligen Hyperboloides
erinnert, fi'eilich mit mangelhafter Symmetric in Bezug auf die zur
Rotationsaxe senkrecht^n Focalebene.
Granz ahnlich verhalt es sich in der Nachbarschaft der Boden-
flache. Der dort entstandene Cylindennantel tritt rasch nach abw&rts,
erfahrt dabei ebenfalls eine Einschniirung und bildet nun einen Kelch,
wie er aus Fig. 9 a ersichtlich ist.
268 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Marz. — Mittheilucg v. 3. Marz.
Hiebei treten jedoch Unterschiede hervor, wie sie durch dies
verschiedene Verhalten der Oberflache irnd der Bodenflfeclie bedingt
sind. Wahrend die letztere vollkommen starr ist, nSliert sich die
erstere in ihren Eigenthumlichkeiten nur bis zu einem gewissen Grade
einer solchen. In Folge dessen erlSschen auch die Bewegungen in
der Nahe des Bodens nach AufhSren der Rotation des Grefasses viel
rascher und verschiebt sich dem entsprechend auch der untere Horizontal-
schnitt starkster Rotation rascher nach aufw&rts als der obere nach
abw&rts.
Thatsachlich ist auch der am unteren Ende des centralen Stammes
entstehende Kelch weit steiler als der am oberen Ende auftretende.
Diese beiden Kelche werden jedoch in der Entwickelung ihrer
Randtheile durch die auf- imd absteigenden StrSme in der Nachbar-
schaft der Ober- imd Bodenflache bald gestOrt imd zum Umbiegen,
man kSnnte sagen Umkrempen, gebracht.
Die Randtheile des oberen Kelches z. B. werden zuerst von der
an der Peripherie des Glases vorhandenen aufsteigenden Stromung
erfasst, nach oben, dann mit Annaherung an die Oberflache einwftrts
und hierauf wieder abwarts gefiihrt. Hierdurch gelangen sie aber
wiedenmi in die Gegend stSlrkster Rotation und werden nun abermals
nach auswarts geschleudert. Da jedoch bei dieser Bewegung nach
aussen das Spiel rasch von Neuem beginnt, so entstehen fbrmliche
Voluten — die an jene der jonischen Saulen erinnern — und von
denen man oft eine ganze Reihe z&hlen kann.
Ahnlich , jedoch mit gewissen Modificationen , verhalt es sich mit
dem imteren Kelche so, dass das Ganze in diesem Stadium einen
Anblick gewShrt, wie Fig. loa, wahrend das Stromsystem — natur-
lich wieder nur sofem es sich um radiale und verticale Componenten
handelt — durch Fig. i o b , die Vertheilung der Centrifiigalkrafte aber
durch Fig. IOC dargestellt wird.
AUmahlich tritt nun in der Nachbarschafl des Glases und der
Oberflache Ruhe ein, und die Bewegungen beschr&nken sich mehr
und mehr auf die centralen Theile der Flussigkeit.
Die Querschnitte lebhaftester Rotation nfihem sich einander fort-
gesetzt, und der axiale, bis jetzt nur den secundftren auf- und ab-
warts wirkenden Einflftssen der Drehimg ausgesetzte Stamm beginnt
nun selbst daran theilzunehmen.
Dementsprechend erfahren aber auch die verticalen Bewegungen
des axialen Stammes eine Umkehrung, wShrend sie von Beginn der
Rotation bis zu dem durch Fig. loa dargestellten Stadium von der
Mitte weg nach oben und unten gerichtet waren, und dementsprechend
eine Streckimg des Stammes zur Folge batten , so streben sie nun
VON Bezold: ExperimentaluDjtersuchungen fiber rotirende FlQssigkeiten. 269
nach der Mitte hin, und drucken ilin gewissermaassen zusammen.
Zugleich nahem sich die beiden Kelche, und nimmt der untere die
Gestalt eines Paraboloides an, das nur in seinem Scheitel noch ein-
gedruckt erscheint und dort noch andeutungsweise den friiheren Kelch
erkennen ISsst.
Die Str5mungen werden — wieder unter den oben gemachten
Beschrankungen — annSherungsweise durch Fig. 1 1 b, die treibenden
Centriftigalkrafte aber durch die Pfeile in 1 1 c dargestellt.
Setzt man die Beobachtungen noch weiter fort, so sieht man,
wie der axiale Stamm sich in seinem mittleren Querschnitt fortwahrend
erweitert, bis er endlich ganz verschwindet und nur noch eine gewisse
horizontale Schichtung der Flussigkeit bemerkbar ist, die jedoch auch
bald vollkommener Mischimg der Farbe mit dem Wasser Platz macht.
Hierbei darf jedoch nicht imerwahnt bleiben, dass es durchaus
nicht leicht ist, die Erscheinungen bis zu den letzten Stadien zu
klarer imd praeciser Entwickelung zu bringen.
Dies geUngt nur, wenn die StrSmungsfigur, die man als Aus-
gangspunkt wahlt, einen hohen Grad von Symmetric besitzt, d. h.
wenn der verticale Stamm thatsachlich die Axe des Glases als Mittel-
linie hat, und wenn uberdies das Glas selbst gut centrirt auf die
Rotationsmaschine aufgesetzt ist.
Sind diese Bedingungen nicht erftUt, so verlieren die Figuren ihre
Regehnassigkeit, sobald die dem Stamme angehorigen Theile anfangen
an der Rotation theilzunehmen , dann werden excentrischer gelegene
nach der Peripherie hingeschleudert und die ganze Figur wird zerstSrt.
Nim erfordert es aber grosse Vorsicht, wenn die als Ausgangs-
punkt dienende Str6mimgsfigur, die ich in Fig. 12 absichtlich noch
einmal abgebildet habe, jenen hohen Grad von Regelmassigkeit besitzen
soil, wie ihn eben diese Figur zeigt.
Dies tritt nur ein, wenn alle einseitigen Erwarmungen durch
Bestrahlung u. s. w. vermieden sind, und machen sich sogar schwache
Erwaxmimgen, welche das Glas vor der Fullung mit dem zum Ver-
suche dienenden Wasser erfahren hat, noch nachtr9glich geltend.
Es ist deshalb schwierig und nur unter Benutzung besonderer Vor-
sichtsmaassregeln mSglich, die Versuche im geheizten Zimmer in
vollkommener Weise auszufehren, bei Lampenlicht aber so gut wie
gar nicht. Ebenso stSrend wirkt selbstverstslndlich Sonnenschein.
Dies gilt jedoch nur, sofem es sich darum handelt, die Er-
scheinungen bis in die spateren Stadien zu verfolgen. Begnugt man
sich damit die in den Fig. 8 mid 9 dargestellten imd erlauterten
Versuche zu wiederholen, so hat man keinerlei nennenswerthe
Schwierigkeiten zu uberwinden.
270 SitzuDg der pfays.^math. Classe v. 17. Mara. < — Mittheilung v. 3. Mira.
Ebenso leicbt ist es, die in den Fig. i — 7 abgebildeten Experi*
mente naohzumacben.
Dagegen fordert es freilich ziemlich viel Muhe und sehr viel-
fache Wiederholungen der Versuche, um in den rasch vorubergehenden
Erscheinungen jene Gesetzmassigkeiten zu erkennen, wie ich sie im
Vorstehenden beschrieben babe, und wie sie wenigstens im Grossen
und Ganzen auch den Thatsachen entsprechen durften.
Zu diesem Zwecke ist es unerlasslich , sicb in verschiedenen
Stadien der Versuche eines Hiilfemittels zu bedienen, das ich schon
fiiiher in Anwendung gebracht und dem ich den Namen des » Probe-
tropfens* oder »Probefadens« gegeben habe.
Wenn man in ein Glas, in welchem bereits eine StrSmungsfigur
hergestellt ist, noch eine ganz kieine Spur unverdiinnter hektographi-
scher Tinte bringt, d. h. aus. einer Feder vorsichtig dicht unter die
Oberflache treten lasst, so sinkt ein Tropfen rasph nieder, einen
Faden hinter sich herziehend.
Ist die Flussigkeit in Rotation begriffen, so wird dieser Faden
aus der verticalen Richtung abgelenkt, und man kann aus seiner Ge-
stalt, bez. aus dem Wege, den der vorangehende Tropfen einsohl>,
einen Schluss Ziehen auf die Bewegungen der Flussigkeit.
Mit Hiilfe solcher Tropfen wurden im Zusammenhalte mit den in
den Fig. 8a — 12a abgebildeten Erscheinungen die Schemata gewonnen,
welche unterhalb der betreffenden Figuren zur Erl&uterung beigefugt sind.
In den Fig. 1 3 und 1 4 sind einige solcher Probetropfen , oder
rich tiger Probefaden, abgebildet, jedoch ohne Beriicksichtigimg der
Brechung, welche sie natiirlich stmmtlich dort. zeigen, wo der Rand
der Flussigkeit sie zu durchschneiden scheint.
Diese Figuren bilden demnach ebenso wohl wie Fig. 1 5 eigent-
lich ein Mittelding zwischen rein schematischen und wirklich per-
spectivischen Zeichnungen.
Die erste derselben , Fig. 1 3 , entspricht einem Zustande , wie er
dem in Fig. 8 a dargestellten vorangeht, sie zeigt, wie bei eben ein-
geleiteter Rotation selbst sehr dicht unterhalb der Oberflache gelegenen
Flussigkeitsschichten noch vollkommen in Ruhe sind, so dass der
Faden in den ersten Augenblicken des Sinkens Spiralen beschreibt,
die sich in Folge der Fliehkraft allmahlich erweitem. Hierbei nHhert
sich der Faden wShrend des Herabsinkens an^nglich der Wand des
Glases, um erst wenn er noch weiter herabgesunken ist, in Folge der
aus Fig. 8 b ersichtlichen einwaxts gerichteten Stromungen ebenfaUs nach
der Axe bin gefiihrt zu werden.
In ahnlicher Weise lehrt ein Probefaden (Fig. 14), der in einem
Versuchsstadium aufgegeben wurde^ wie es zwischen den in Fig. 9 a
VON Bszold: Experimentaluntersuchungen uber rotirende Flftssigkeiten. 271
UDud loa abgebildeteu vorhanden ist, durch seine eigenartige Gestalt
die Art und Weise verstelien, wie sich die eigentliumlichen XJmkrem*
pungen bilden , welche den Fig. i o a und 1 1 a einen so merkwurdigeu
Cbarakter verleihen.
Nicht unbeacbtet bleiben diirfte bei der letztbesprochenen Figur
auch die kreisformige , von Farbe freie Flache, welche sich nach
langerer Rotation jedesmal entwickelt und zeigt, dass man es bei
dem Kelche mit einem hohlen Gebilde zu thun hat, welches man
mit Recht mit einem einschaligen Hyperboloid vergleichen darf , wie
dies oben geschehen ist.
Ganz besonders gut entwickelt sich dieser farbfreie KreLs, wenn
der bei Beginn des Versuches aufgetragene Tropfen der Tinte sich
nicht bis zum Rande der Oberflache ausgebreitet hatte und wenn
man dann eine lang fortgesetzte Rotation einleitet. In diesem Falle
schliesst sich jedoch der niedrige Cylindermantel farbiger Fliissig-
keit nicht wie in Fig. 8a eng an die Wandung des Glases an, sondem
er bleibt an der inneren Seite des in Fig. 8 b dargestellten absteigenden
Stromes , so dass die ganze Figur den Anblick von Fig. i 5 gewahrt,
ja schliesslich sogar in ein hohles Rohr iibergeht.
Hiermit glaube ich die Beschreibung dieser Versuche an sich be-
schliessen zu diirfen und mochte nun nur noch auf den einen Punkt
hinweisen, der mich uberhaupt zu dem genaueren Studium dieser
Erscheinungen veranlasste, und der den Ausgangspunkt fur weitere
Untersuchungen auf einem anderen Gebiete bilden soil.
Es sind dies die eigenthiimlichen Bewegungen, wie man sie
innerhalb des unteren Kelches in den in den Fig. i o und 1 1 versiim-
lichten Stadien der Entwickelung beobachtet.
Hier bemerkt man, dass in der Flache des Kelches
selbst die Fliissigkeit in Spiralen aufwarts steigt, wahrend
sie in der Axe herabgezogen wird, ein Vorgang, der besonders
dann recht klar vor Augen tritt, wenn sich in dem axialen Stamme
irgend ein Faden durch grossere Lange — so dass er den librigen
vorangeht — oder durch intensivere Farbung auszeichnet, wie dies
in Fig. 1 1 a vorausgesetzt ist.
Diese verschiedenartige Bewegung so eng benachbarter Theilchen
tritt aber ein in Folge von Rotationen, die von dem Mantel eines
Cylinders ausgehend allmahlich die der Axe benachbai'ten Schichten
mehr und mehr in Mitleidenschaft Ziehen und wobei zugleich bis auf
eine gewisse Entfemung von der Axe aufwftrts gerichtete Componenten
in's Spiel kommen.
Uberschreitet nun die Rotationsgeschwindigkeit gewisse Grenzen,
so muss es wegen der mit Annaherung an die Axe zunehmenden
272 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. M&rz. — Mittheilung v. 3. Marz.
Winkelgeschwindigkeit eine Stelle geben, an welcher die nach ein-
warts gerichteten Componenten durch die entgegengesetzten der Centri-
fugalkraft uberwunden werden und schliesslich in auswarts gerichtete
iibergehen. Gelxen nun aber diese Bewegungen uber einer Mache vor
sich, die grosse Reibungswiderstande darbietet, dann wii-d zunftchst
einmal der Radius, bei welchem dieses Umspringen stattfindet, immer
grosser, je mehr man sich von dieser Flache entfernt, andererseits
aber wird Flussigkeit von dort her nachgezogen, wo sie am leich-
testen beschafft werden kann, und das ist in diesem Falle in der
Axe von oben her.
Ganz ahnliche Bedingungen, wie wir sie in dem geschilderten
Stadium in der innerhalb des Glases rotirenden Wassermasse vor uns
haben, finden sich bei Cyklonen mit sehr grossen Geschwindigkeiten,
also bei den sogenannten Tornados oder Wettersaulen wieder. Auch
dort hat man es mit Rotationen um eine verticale Axe zu thmi , und
zwar mit StrSmen, welche sich in Spii*alen einem Centrum nahern,
um gleichzeitig alhnShlich in die Hdhe zu steigen.
Hierbei ist es sehr wohl denkbar, dass bei Uberschreiten einer
gewissen Grenzgeschwindigkeit ahnliche Verhaltnisse eintreten, wie
man sie im Innem des eben betrachteten Kelches beobachtet.
Wegen der grossen Reibung, welcher die bewegte Luft an der
Erdoberflache ausgesetzt ist, wird die Rotationsgeschwindigkeit mit
der Entfemung von dieser Flache wachsen und dem entsprechend auch
die Centrifiigalkrafte. Andererseits wachst die Winkelgeschwindigkeit
mit der Annaherung an die Axe. Es ist deshalb sehr wohl denkbar,
dass in einiger Entfemung uber der Erdoberflache und in unmittel-
barer NShe der Axe die im allgemeinen nach dieser Axe hin gerichteten
Componenten der Beschleunigung in auswarts gerichtete ubergehen, und
dem entsprechend in der Axe noch weitere Luftverdunnung erzeugen.
Da nun einem raschen NachstrOmen von unten her, die eben
erwahnten Reibungswiderstande im Wege stehen, so str5mt in den
stark luftverdunnten Raum Luft von dorthin nach, wo sie geringeren
Widerstfinden begegnet, d. h. von oben, und giebt damit zu dem Ent-
stehen eines absteigenden Stromes in der Axe selbst Anlass.
Thatsftchlich haben die von den Wolken herabreichenden Schlftuche,
sowie verschiedene andere die eigentlichen Tornados begleitenden Er-
scheinungen Hm. Fa ye' veranlasst, die allgemein geltenden und durch
unsere Wetterkarten tausendfach bestfttigten Anschauungen von dem
Wesen der Cyklonen zu bekampfen tmd dasselbe nicht in einem
aufsteigenden , sondem in einem absteigenden Strome zu suchen.
^ Annuaire pour Tan 1877 public par le Bureau des longitudes. lb. pour I'an 1886.
A
I
T
?■:>
J^
J!j..^i.
F^.Sb.
Ff^ioi.
Fig.f/h.
nn
C J
Fr^.Xr.
^V,?r^.
/•^./fl,^.
Fiq./te.
1
i=" ■=;
*— ^— — V>
r *^ ^^ 1
-T:^
=: =r
w w
H 5
^ =i
*i=: =^
i 3
-hi — — JU.
' *^ ^::5* '
*t-r
<-,Mfffx. v.BezoW.Rotireiule Fliissitfkpilni.
VON Bezold: Experimentaluntersuchimgen uber rotirende Flussigkeiten. 273
In dieser schroffen Form wird naturlich kein Meteorologe den
Auseinandersetzungen des Hm. Fa ye zustimmen k5nnen, da es, wie
scbon bemerkt, nur eines Blickes aiif die synoptisehen Karten bedarf,
um sich davon zu uberzeugen, dass bei jeder Cyklone ein warts
gerichtete Componenten vorhanden sind, bez. ein ZustrSmen der Lnft
von der Peripherie nach dem Centrum bin stattfindet, und dass dem
entsprecbend ein Aufsteigen mid spateres Abfliessen der Lnft in die
Hobe eine unbedingte Notbwendigkeit ist.
Dagegen sebeint es nacb dem oben Gesagten durcbans nicbt
undenkbar, dass bei gewissen bocbgesteigerten Gescbwindigkeiten
gerade die Axe des Sturmes von diesem Aufsteigen unberiibrt bleibe,
ja sogar in ibrer unmittelbaren Nabe von absteigenden Stromen um-
geben sei.
Diese Auffassung passt nicbt nur zu den eben bescbriebenen Ver-
sucben, sondem sie stebt aucb im Einklange mit den vonHrn. Oberbeck
entwickelten Formebi\ welcbe zeigen, dass auswarts gericbtete Com-
ponenten auftreten, sobald die Gescbwindigkeiten der rotirenden Luft-
massen, bezw. deren verticale Componenten gewisse Grenzen ubersteigen.
Hr. Oberbeck glaubt nun eben desbalb solcbe Gescbwindigkeiten
von der Betracbtimg ganz ausscbUessen zu mussen, eine Annabme,
der man in der Mebrzabl der Falle, also bei alien gewobnbcben
Depressionen , sicberUcb beipflicbten muss.
Dagegen ist es docb wobl zu weit gegangen, wenn man einen
solcben Fall einfacb als unmoglicb bezeicbnen wollte, im Gegentbeile
scbeinen es eben* grade solcbe AusnabmsfiLlle zu sein, welcbe zu der
Entstebung der eigentlicben Tornados oder Wettersaulen Anlass geben.
Hiermit mogen diese Betracbtungen abgebrocben werden. Der
Hauptzweck dieser Zeilen war es nur, eine Reibe scboner Erscbei-
nungen, die man in rotirenden Flussigkeiten beobacbten kann, zu
bescbreiben und in ibren Hauptziigen zu erklaren.
Inwiefem es zulassig ist, die bierbei gewonnenen Anscbauungen
in der zuletzt angedeuteten Weise auf Vorgange in der Atmospbaere
zu iibertragen, dies kann erst durcb eingebende meteorologiscbe und
matbematiscbe Untersucbungen mit Scbaxfe entscbieden werden.
' Wiedemann's Annalen 17. S. 128 — 148.
Sitzungsberichte 1887. 25
275
Uber die Beziehimg der DehnungscniYe elastischer
RShren znr Pulsgeschwindigkeit
Von Dr. E. Grunmach
in Berlin.
(Vorgelegt von Hrn. E. du Bois-Reymond am 10. Marz [s. obeji S. 221].)
Hierzu Taf. V,
A us meinen friiheren Versuchen^ fiber die Pulsgeschwindigkeit ging
hervor, dass dieselbe von der Elasticitat und Dicke der Gef&sswand,
vom Durchmesser des GefS,sses, endlich von dem darin herrsclienden
Seitendrucke beeinflusst werde und zwar, d^uss sie mit dem Blutdruck
wachse und abnehme. Da jedoch fiber den Einfluss der genannten
Faetoren auf die Geschwindigkeit der Schlauchwelle in elastischen
R5liren noch bis jetzt die verschiedensten Ansichten herrschen, stellte
ich an Arterien ausserhalb des Organismus sowie an Kautschuk-
schlftuchen von verschiedener Qualitat im hiesigen physiologischen
Institute Versuche an, um den Einfluss jedes einzelnen Factors naher
kennen zu lemen, und auf diese Weise den Grand ffir jene Ver-
schiedenheit der Ansichten festzustellen. Hierbei will ich gleich be-
merken, dass im Folgenden statt der Bezeichnung » Schlauchwelle*
der far den lebenden Organismus gleichbedeutende Ausdruck »Puls-
welle«, und statt » Geschwindigkeit der Schlauchwelle « die Bezeichnung
•Pulsgeschwindigkeit* gebraucht werden wird.
Betrachten wir zunSchst den Einfluss des Seitendracks , so be-
hauptete E. H. Weber^, dass mit steigendem Drucke die Pulsgeschwin-
digkeit abnehme. Es ergab sich namlich aus seinen Versuchen an
einer viilkanisirten KautschukrShre von 2T75 Durchmesser und 0T4
Wanddicke bei S""* Wasserdruck eine Pulsgeschwindigkeit von 1 2 — 8°*,
wahrend dieselbe bei 350*^° Wasserdruck nur 11 — 4" in der Secunde
^ E. DU Bois-Rkymond's Archiv fiir Physiologic 1879. S. 418. — Virchow's Archiv
fur pathologische Anatomie u. s. w. 1885. Bd. ClI. S. 565.
* Bericht der Sachsischen Gesellschaft der Wissenscbaften. 1850. — Aiich in
Muller's Archiv fiir Anatomic, Physiologic u. s, w. 185 1. S. 517.
25*
276 Sitzung der phys.-matb. Classe v. 1 7. Marz. — .Mittheilung v. 10. Marz.
betrug. Dagegen konnte Donders^ bei verschiedenem Drucke an einer
ahnlichen KautschukrShre eine Anderung der Pulsgeschwindigkeit
nicht nachweisen, wahrend Rive^ wieder zu demselben Resiiltate wie
Weber kam, nur dass er noch grSssere Unterschiede wie dieser bei
verschiedenem Drucke beobachtete. So fand er in einem Versuche
an einer elastischen R5hre von 0T94 Durchmesser und oT 1 6 Wand-
dicke bei einem Druck = Null eine Pulsgeschwindigkeit von i7?69,
wahrend dieselbe bei 408*"" Wasserdruck nur i2?38 in der Secunde
betrug. Im Widerspruch zu den genannten Autoren behauptete jedoch
Marey^, dass mit zunehmendem Seitendrucke auch die Pulsgeschwin-
digkeit gesteigert werde.
Ahnlich wie fiber die Wirkung des Seitendrucks herrschen auch
fiber die Bedeutimg des Durchmessers die verschiedensten Ansichten.
Wahrend z. B. Bonders denselben als ohne Einfluss auf die Puls-
geschwindigkeit betrachtete, schrieben Weber und Marey dem Durch-
messer eine wichtige Rolle zu, ohne jedoch die Richtung des Ein-
flusses naher anzugeben.
Nur fiber die Bedeutung des lElasticitStscoefficienten waren die
Autoren grSsstentheils derselben Ansicht. Fast alle erkannten, dass
die Pulswelle mit um so gr5sserer Geschwindigkeit sich fortpflanze,
je grSsser der Elasticitatscoefficient sei.
Moens,* der sich in eingehender Weise mit der Pulsgeschwindig-
keit in elastischen R6hren beschaftigte , kam zu dem Ergebniss, dass
sich dieselbe wie die Quadratwurzel aus dem Elasticitatscoefficienten
und der Wanddicke der Rohre, jedoch umgekehrt wie die Quadrat-
wurzel aus dem specifischen Gewicht-der Flfissigkeit und dem lichten
Durchmesser der Rohre verhalte. Bezeichnete Moens mit T^ den
Weg, den der Puis in der Secunde zurficklegt, mit g die beschleu-
nigende Kraft der Schwere , mit E den Elasticitatscoefficienten , mit a
die Wanddicke, mit D den lichten Durchmesser, mit A das specifische
Gewicht der Flfissigkeit , endlich mit c eine Constante , so lautete seine
Formel :
=¥
^^-'V'-^-
Es ist dies fibrigens dieselbe Formel, zu der Korteweg und
Resal^ auf rein mathematischem Wege fiir die Pulsgeschwindigkeit
in elastischen RShren gelangten.
* Physiologie des Menschen. Ubersetzt von Theile. 1859. S. 79.
' De Sphygmograaf en de sphygmogr. curve. 1866.
* Physiologie medicale de la circulation du sang. Paris 1863.
* Die Pulscurve. Leiden 1878.
^ Journal de Matlieniatiques p. Liouville, 1876.
Grunmach : Uber die Beziehung der Dehnungscarve elastischerRohren u. s. w. 277
Setzen wir in dieser Fomiel , da g und A ffir die folgende Unter-
suchung ohne Bedeutung sind, der Einfachheit halber gj^ = c}y und
cCf = C, so folgt:
An der Hand dieser Formel versuchte ich nun den Werth eines
jeden der die Pulsgeschwindigkeit beeinflussenden Factoren naher
kennen zu lemen, und zwar legte ich das Hauptgewicht auf die Be-
stimmung von E, um aus dem Verhalten von E maassgebende Schlusse
auf den Einfluss von u und D ziehen zu kSnnen. Der Vorsteher
der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts,
Hr. Dr. Gad, der mich bei dieser Untersuchung fretindliehst unter-
stutzte, machte mich darauf aufinerksam, dass der Grand fur die
Verschiedenheit der Ansichten iiber die Beziehung zwischen Druck
und Pulsgeschwindigkeit vielleicht darin zu such en sei, dass der
Elasticitatscoefficient bei verschiedenen Schlaucharten eine verschiedene
Function des Druckes d. h. des Fullungsgrades darstelle. Wenn auch,
wie ich oben anfiihrte, die Autoren dariiber einig waren, dass mit
Zunahme des Elasticitatscoefficienten eine Steigerung der Pulsgeschwin-
digkeit einhergehe, so war doch noch zu untersuchen, wie sich der
Elasticitatscoefficient bei Anderung des Druckes oder der Fiillung ver-
halte, und ob dies Verhalten bei verschiedenen Schlaucharten nicht
ein ganz verschiedenes sei.
Die Anderung des Elasticitatscoefficienten eines Schlauches, die
mit der FuUungsanderung desselben eintritt, kann entweder dadurch
gemessen werden, dass man die Druckanderung bestimmt, welche bei
Anderung der Fiillung um die Einheit des Volumens eintritt, oder auch
dadurch — und dies war hier bequemer ausfiihrbar — dass man die
Fullungsanderung misst, welche durch Anderung des Druckes um die
Einheit (io"*°'Hg) erzeugt wird. Diese Fullungi^anderung, die im
Folgenden als »Dehnungswerth« bezeichnet werden wird, ist ein
Maass ffir die Dehnbarkeit des Schlauches, also der Dehnungswerth
dem Elasticitatscoefficienten reciprok.
Zur Bestimmung der Dehnungswerthe diente mir ein graduirtes
Glasgef&ss (A. Fig. i auf Taf. V.), das einerseits mit dem zu unter-
suchenden Schlauche {S) und einem Quecksilbermanometer {M) • anderer-
seits mit einer Druckflasche (D) communicirte , die mit dem Wasser-
leitungshahn in Verbindung stand. Als Druck erzeugende Kraft wirkte
der in der Leitung herrschende Wasserdruck, der beliebig von
o — 250°*" Hg verandert wurde. Je nach der Menge des in die Druck-
flasche fliessenden Wassers konnte die Luft in derselben beliebig stark
278 SitzuDg der phys.-math. Classe v. 17. MSrz. — Mittheilung v. 10. Wkn,
comprimirt , zugleich damit der zu untersuchende Schlauch beliebig
stark geftillt, die DruckSuderung an dem Quecksilbermanometer, die-
FullungsSnderung an dem graduirten GlasgefUss abgelesen werden.
Hr. Dr. Gad hatte die Gute, die Volumandenmg im Glasge^s
mir anzugeben, welch e jedesmal, wenn ich eine Druckanderung um
io""Hg beobachtete, eingetreten war. Aus den zusammengehorigen
Werthen von Druck- und Volumanderung am Schlauch konnte die
Dehnimgscurve des letzteren leicht construirt werden.
Zur Erzeugung der Pulswelle wurde ein dickwandiger Gummi-
ballon (B. Fig. i), der mit dem zu untersuchenden Schlauche commu-
nicirte , aber bei Feststellung der Dehnungswerthe ausgeschaltet wurde,
gleichmS^sig, d. h. bei alien Versuchen in derselben Weise und in
demselben Maasse comprimirt. Mein Polygraphion^ diente zur Be-
stimmung der Pulsgeschwindigkeit , und zwar wurde dieselbe in der
Mehi*zahl der Falle bei einem Drucke von o, von loo und von
2oo"" Hg festgestellt. Gleich nach der Aufiiahme der Pulscurven
fand die Bestimmung der Dehnungswerthe im Gebiet der angewandten
Druckwerthe statt.
Wie ich bereits andeutete, wurde die Untersuchung einerseits
an Eautschukschlauchen von verschiedener Qualitat, deren Lange
etwa i?5, deren lichter Durchmesser etwa 2*^ und deren Wanddicke
etwa 2°^ betrug, andererseits an mdglichst (45 — 50"") langen Stucken
der Aorta des Pferdes ausgefiihrt.
Betrachten wir zunHchst die unter verschiedenen Bedingungen
an einem schwarzen Patentschlauche (I) gewonnenen Dehnungswerthe,
so stellte sich zwischen den bei niedrigem und den bei hohem Drucke
beobachteten folgendes VerhSltniss heraus. Die Dehnungswerthe von
o — 60"° Hg Druck verhielten sich zu den von 140 — 200"" Hg Druck
wie 8:15. Dieser Unterschied bei verschiedenem Drucke liesse sich
am Besten an einem rechtwinkligen Coordinatensystem veranschau-
lichen, wenn wir uns auf der Abscissenaxe die Druck-, auf der
Ordinatenaxe die Dehnungswerthe aufgetragen denken, etwa wie dies
durch Fig. 2 dargestellt wii'd. Alsdann wurden sich die den Dehnungs-
werthen entsprechenden Ordinatenstucke bei niedrigem Drucke zu den
bei hohem wie fg und kl zu mn und pq verhalten, und der Verlauf
der Dehnungscurve bei Drucksteigeiimg von o — 200"" Hg sich etwa
wie Curve xz in Fig. 2 gestalten. Aus dieser Darstellung ersieht man,
dass mit Zunahme des Druckes auch eine Zunahme der Dehnungs-
werthe einhergeht.
* Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft. Im Arehiv fBr
Physiologic u. s. w. 1880. S. 438.
Gbunm ACH : Uber die Beziehung der DehDungsciirve elastischer Rohren u. s. w. 279
Setzen wir nun an Stelle der letzteren ihre reciproken Werthe,
n&mlich die der Elasticitatscoefficienten , so wurde sich E^ : JE^ = 15:8
verhalten, also E mit steigendem Drucke kleiner geworden sein.
Betrachten wir dagegen die anderen die Pulsgeschwindigkeit
beeinflussenden Factoren D und a bei verschiedenem Drucke, so
ergab deren Berechnung, zu weleher die Messungen der die Druck-
anderungen begleitenden Volumanderungen, sowie der SchlauchlSngen ^
die Grundlage lieferten, dass sich
J^o • -^200 = 1.8 : 2.0 und
oLo • ^200 = 2.0 : 1.8 verhait.
Aus diesen Zahlenwerthen ersieht man, dass der XJnterschied zwischen
Do und D200, sowie ol^ und aCjoo ^^^ ein ganz unbedeutender , dass
dagegen das Verhaltniss von E^ : ^200 nahezu wie 2 : i ist,
Entsprechend diesem Verhalten von E bei verschiedenem Drucke
fielen auch die Werthe ffir die Pulsgeschwindigkeit aus. Wahrend
dieselbe bei o""" Hg Druck 1 7^5 in der Secunde betrug, war d^eselbe
bei 200°*° Hg Druck bis auf 11 '?6 herabgegangen.
Ein durchaus entgegengesetztes Verhalten sowohl bezuglich der
Dehnungswerthe als auch der Pulsgeschwindigkeit zeigte derselbe
Patentschlauch, nachdem er mit einer 5''°' breiten Leinwandbinde bei
1 20™™ Hg Druck umwickelt und darauf bei verschiedenem Drucke von
o — 200"" Hg tmtersucht wurde. Unter dieser Behandlung verhielten
sich n8.mlich die Dehnungswerthe von o — 60°" Hg Druck zu denen
von 140 — 200°*°" Hg Druck wie 5:3. Dies Verhaltniss liesse sich
wieder am Besten an einem rechtwinkeligen Coordinatensystem ver-
anschaulichen , wenn wir uns die Druck- und Dehnungswerthe in
derselben Weise wie in Fig. 2 aufgetragen denken, etwa wie dies
durch Fig. 3 dargestellt wird. Alsdann wurden sich die den Dehnungs-
werthen entsprechenden Ordinatenstucke bei niedrigem Drucke zu den
bei hohem wie FG und KL zu MN und PQy und die Dehnungscurve
des Schlauches bei Drucksteigerung von o — 200"*° Hg etwa wie Curve
XZ in Fig. 3 verhalten.
Aus dieser Darstelltmg ergiebt sich, dass mit Steigerung des
Druckes die Dehnungswerthe eine Abnahme erfahren. Setzen wir
wieder an Stelle derselben die reciproken Werthe, so wurde sich
^o : ^200 = 3 : 5
verhalten, also E mit zunehmendem Drucke grosser geworden sein.
^ Genaiie Messungen der mit Fullungsanderung eintretenden LangenHnderung
ergaben, dass diese fdr die Berechnung zu vernachl&ssigen ist.
280 Sitzung der phys.-inath. Classe v. 17. Marz. — Mittheilung v. 10. Marz.
Dagegen ergab die Berechnung von D und a bei den ent-
sprechenden Druckwerthen folgende VerhSltnisse
Do : Djoo == I . 8 : I • 95 und
f^o'" 0^200= I '95 • I '8 .
Aus diesen Zahlenwerthen ersieht man, dass auch nach der an-
gegebenen Beliandlung des Patentsehlauches der Unterschied von
D und flt bei Drucksteigerung von o — 200°*" Hg nur ein unbedeu-
tender ist, wahrend sich E^ : E^^ hier nahezu wie i : 2 verhalt. Ent-
sprechend diesem Verhalten von E zeigte sich auch die Pulsgeschwin-
digkeit bei den genannten Druckwerthen beeinflusst. Bei 0°*™ Hg
Druck pflanzte sich die Pulswelle 17 • 5° in der Secunde fort, wahrend
dieselbe bei 200°*™ Druck in derselben 2ieit einen Weg von 28" zu-
rucklegte.
In ahnlicher Weise wie an dem Patentschlauche wurde die Unter-
suchung an einer anderen grauen vulcanisirten Kautschukrohre (11)
ausgefiihrt. Dabei stellte sich ein ahnliches Verhaltniss der Dehnungs-
werthe bei niedrigem Drucke zu denen bei hohem heraus, wie wir es
bei dem Patentschlauche vor der Umwickelung beobachfeten. Es ver-
hielten sich namlich die Dehnungswerthe von o — 60°"" Hg Druck
zu denen von 140 — 200°*° Hg Druck wie 9 • 5 : 1 6 • 5 und die diesen
Werthen entsprechenden Ordinatenstucken wie fg und kl zu mn und
pq in Fig. 4.
Demnach gestaltete sich die Dehnungscurve bei Drucksteigerung
von o — 200°*™ Hg etwa wie Curve a:-^ (Fig. 4).
Setzen wir wieder an Stelle der Dehnungswerthe die fur den
Elasticitatscoefficienten , so folgt
^0-^200=16.5:9.5. s
Ferner ergab die Berechnung von D und ct bei den entsprechenden
Druckwerthen
-^o • -Ojoo = 2.0 : 2.3 und
fl^o • <^2oo =^ 2.3 : 2.0.
Aus diesen Werthen ersieht man wieder, wie bei dem ersten
Schlauche, den geringen Unterschied von D und a bei Drucksteigerung,
wahrend derselbe wieder fiir E ein sehr auffiUUiger ist. Entsprechend
dem Verhaltniss von Eq : E^^^ war auch das Verhalten der Greschwindig-
keit. Bei 0"° Hg Druck pflanzte sich die Welle 17^5 in i Secunde
fort, dagegen betrug der Weg bei 200°*°* Druck nur i2?72.
W&hrend es aber bei dem Patentschlauche gelungen war, die
gegen die Abscisse convexe Dehnungsciu^e durch die Umwickelung
gegen die Abscisse concav zu machen und dem entsprechend den Sinn
Grunmach: Uber die Beziehung derDehnungscurve elastischerRohren u. s. w. 281
der Abhangigkeit der Pulsgeschwindigkeit von dem Fiillungsgrade
geradezu umzukehren , erstreckte sich bei dem zweiten Schlauche der
Einfluss der Umwiekelung nur so weit, dass die Dehnungsourve linear,
und die Pulsgeschwindigkeit von dem Fiillimgsgrade unabbangig wurde.
Nach der Umwiekelung boten namlich die Dehnungswerthe bei Druck-
steigerung von o — 200°'°' Hg keine wesentliche Differenz. Die den
Dehnungen entsprechenden Ordinatenstiicke verbielten sich bei ver-
schiedenem Drucke wie FG. imd KL zu MN und PQ in Fig. 5 und
die Dehnungscurve gestaltete sich etwa wie Curve XZ in Fig. 5 . Hier-
bei ergab die Berechnung der Werthe E, D und a bei verschiedeaem
Drucke folgende Verhaltnisse
^o • -^200 ^^^ 5' 5 • 5*5
^o • Aoo = J -9 • 2.0 und
^o • ^200 = 2.0 : 1 .9.
Daraus ersieht man, dass E bei D rucks teigerung keine Anderung
erfahren hat. Entsprechend diesem Verhalten von E zeigte auch die
Pulsgeschwindigkeit bei verschiedenem Drucke keine Differenz. Sowohl
bei niedrigem wie bei hohem pflanzte sich die Pulswelle in einer
Secunde i8?6 fort.
Ein ahnliches Resultat wie die Untersuchung des zweiten Schlauches
ergab die eines dritten (III), der aus einer schlechteren , grauen, vul-
canisirten Kautschukmasse hergestellt war. Es seien hier nur kurz die
Werthe fur E, D und ot, sowie die fiir T^ (Pulsgeschwindigkeit) an-
gegeben , aus denen das Ergebniss der Untersuchung klar ersichtlich ist.
Vor der Umwiekelung verhielten sich
E^\ E^^= 12.5 : 7.0
Z>o : Aoo= 2.0 : 2.2
ofco : ofcjoo = 2.2 : 2.0
Dagegen ergab die Berechnung der entsprechenden Werthe nach
der Umwiekelung
K:
^700
—
5
• 5
A:
D^
—
2.
.0 :
2.
.2
oCq :
^200
2,
.2 :
2
.0
po • 'paoo — 22.3 : 22.3.
Von den imtersuchten Schlauchen wurden also vor der Um-
wiekelung Dehnungscurven gewonnen, wie sie in Figg. 3 und 4 zur
Darstellung gelangten, aus denen man ersah, dass mit Zunahme des
Druckes eine Abnahme des Elasticitatscoefficienten einhergehe. Ent-
sprechend dem Verlaufe der Dehnmigscurven fielen die Werthe tOr
Sitzungsberichte 1887. 26
282 Sitzung der phys.-math. Classe v. 17. Marz. — Mittheilung v. 10. MSrz.
die Pulsgeschwindigkeit aus. Bei hohem Drucke nahmen die Dehnungs-
werthe zu, zugleich damit pflanzte sich die Pulswelle langsamer als
bei niedrigem fort.
Wenn ich nun uber die am Arterienrohr angestellten Versuche
berichte, so ist hervorzuheben, dass dieselben zu Resultaten ftihrten,
die sich den an Kautschukschlauchen gewonnenen in erfreulicher
Weise anreihen. Es ergab sich namlich, dass die Dehnungscurve
der Aorta derjenigen des umwickelten Patentschlauches ahnelt, nur
dass bei ersterer die Concavitat gegen die Abscisse weit mehr aus-
gepragt erscheint. Die Versuche wurden an der Aorta des Pferdes
in derselben Weise wie an den KautschukrOhren ausgefohrt. Bei
dem zuerst untersuchten GefUsse verhielten sich die Dehnungswerthe
von o — 6o°^ Hg Druck zu den bei i6o — 200"™ Hg Druck wie
151.5:14.0, und die den Dehnungswerthen entsprechenden Ordinaten-
stucke wie fg und kl zu mn und pq in Fig. 6.
Demnach gestaltete sich der Verlauf der Dehnungscurve bei
Drucksteigerung von o — 200"° Hg etwa wie Curve xz in Fig. 6.
Aus dieser Darstellung ersieht man, dass mit Zunahme des
Druckes die Dehnungswerthe auffaUend kleiner werden. Setzen wir
an Stelle derselben die fur den Elasticitatscoefficienten, so verhalt sich
E^\E^= 14.0 : 1 5 1.5.
Femer ergab die Berechnung von D und ot, so wie von Y^ bei
den entsprechenden Druckwerthen folgende Verh<nisse :
A ' Aoo =2:6
Vpo:^p.oo=3"i6:9"»5.
Aus diesen Zahlenwerthen ersieht man die wichtige Thatsache,
dass, trotzdem der Durchmesser bei Drucksteigerung von o — 2oo°*"Hg
um das Dreifache zunimmt, also in hohem Grade hemmend auf die
Pulsgeschwindigkeit wirken muss, doch der Einfluss von E ein so
bedeutender ist, dass unter demselben die Pulswelle bei D^^ sich
noch dreimal schneller als bei D^ fortpflanzt.
Zu demselben Ergebniss wie die Untersuchung der ersten Aorta
fuhrten die mit einer anderen angestellten Versuche. Auch hier ver-
hielten sich die Dehnungswerthe, sowie der Verlauf der Dehnungs-
curve bei verschiedenem Drucke in ahnlicher Weise, wie dies durch
Fig. 6 veranschaulicht wurde. Ich will hier nur in Kiirze die Werthe
fur Ey D und ot, sowie von Vp anfiihren, aus denen das Ergebniss
der Untersuchung klar ersichtlich ist:
Grunmach: Uber die Beziehung derDehnungscui*ve elastischerRohren u. s. w. 283
K
:^«K,
7-6 :
: 96.0
Do
:-D^
2.8;
: 6.0
*0
• ^200
6.0 :
: 2.8
Auch aus diesen Zahlenwerthen ergiebt sich, dass D von o — 200°^ Hg
Druck fast um das Dreifache zugenommen , dass jedoch trotz dieses
liemmenden Einflusses von D die Pulsgeschwindigkeit entsprechend
der Zunahme von E bei 200"° Hg Dinick eine Steigerung fast um das
Dreifache erfahren hat.
Wir ersehen aus der vorstehenden Untersuchung , dass die
Pulsgeschwindigkeit in elastischen Rohren wesentlich von dem Ver-
halten der Dehnungscurve abhangt, d. h. dass sie in dem Sinne von
dem Druck oder der Fiillung beeinflusst wird, in welchem diese den
Elasticitatscoefficienten andern. Von der Zunahme des letzteren ist
in erster Linie die Steigerung der Pulsgeschwindigkeit abhangig , da-
gegen spielen die anderen Factoren D und a (Durchmesser und Wand-
dicke) nur eine untergeordnete RoUe. Die Dehnungscurven der von
mir untersuchten Aorten reihen sich in schSner Weise denen an, die
ich von Schlauchen aus nicht organisirtem Material gewonnen habe.
Hierbei ist ge wiss nicht bedeutungslos , dass von letzteren ' der mit
unelastischer Binde umwickelte , gut elastische Patentschlauch der Aorta
am nachsten kommt. Auch die Aorta besteht aus einer elastischen
Grundlage, deren Dehnbarkeit an unnachgiebigen , bindegewebigen
Elementen eine Grenze findet.
Doch ist zu bemerken, dass auch ohne diesen Umstand die Aorta
sich dem mit der Binde umwickelten Schlauche ahnlich verhalten
wiirde. Bekanntlieh hatte schon Wertheim far die meisten thierischen
Gewebe/ Ed. Weber fiir die Muskeln^ nachgewiesen, dass die thierischen
Gewebe im feuchten Zustande nicht das von Robert Hooke und von
s'Gravesande fiir die unorganischen Elastica festgestellte Dehnungs-
gesetz befolgen, sondem dass ihre Dehnungen in langsamerem Maasse
als die dehnenden Krafte wachsen: ein Verhalten, welches Hr. Ge-
heimerath du Bois-Reymond seit langer Zeit in seinen Vorlesungen
vermuthungs weise darauf zuriickfiihrt, dass die Incompressibilitat des
Wassers die Gewebe verhindert, bei der Dehnung ihr Volumen zu
verandern, wie dies die. unorganischen Elastica thun. Besonders ver-
folgt und bestatigt gefimden wurde dies Verhalten schon mit Rxicksicht
auf seine Bedeutung fiir die Pulswelle durch Moens an der elastischen
* Comptes rendiis etc. 1846. C. XXXIII. p. 1151.
^ RuD. Wagner's Handworterbuch der Physiologic u. s. w. Artikcl Muskel-
bewegung. Bd. III. 2. Abth. 1846. S. 109.
285
1887.
xvn.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSIStHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN
24. Marz, Offentliche Sitzung zur Feier des Geburtstages Seiner Majestat
des Kaisers und K6nig«.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
Der vorsitzende Secretar erofl&iete die Sitzung mit folgender An-
sprache :
Wenn in femer Feme der dem deutschen Volke beschiedenen
Zukimft seine Heldensage Kaiser Wilhelm wie Dietrich von Bern
und Karl den Grossen mit ihren Kranzen uinflochten haben wird, dann
wird in dem Wilhelmsliede ein freundlicher Gesang, bei dem nach
so viel Episoden von Kampf und Sieg, von Miihen und Triumphen der
Herrschaft der H5rer besonders gerne verweilt, sich nemien : des Kaisers
neunzigster Geburtstag. Uber alle vielleicht unsere heutige Vorstellungs-
fahigkeit iibersteigenden Veranderungen des Volks- und Einzellebens
hinweg wird der unverandert bleibenden menschlichen Empfindung das
Gedachtniss des einzigen Festes seine Gestalt in nachste Nahe ruckeri,
welches wir heute begehen, von dessen Feier auf dem Konigsthrone
keine Geschichte der Vorzeit berichtet. Draussen hat die Arbeit des
Tages schon wieder ihr Recht gefordert, ist der Jubel verklungen,
der die Strassen dieser Stadt erfiillt, der Preussen und ganz Deutsch-
land im Erguss der Liebe zu seinem K6nig und Kaiser geeint, der
auf dem ganzen Erdenrund seinen Widerhall gefiinden hat, wo xiberall
Deutsche seit langen Jahren den 22. Marz als hochsten Festtag cjes
Jahres begehen. Ihren Satzungen gemass, die ihre Zusammenkiinfte
Sitzungsberichte 1887. 27
I
i
286 24. MSrz. dffentl. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
an unveranderliche Tage binden, tritt diese Korperschaft erst nach
anderen zusammen, um in ihrer Weise diesen Festtag zu feiem; aber
sie steht keiner anderen nach in der Warme der Empfindungen , in
welehen das zugleich so erhebende und so ruhrende Fest ihre Mit-
glieder eint, in der Tiefe und Auttehtigkeit der Dankbarkeit und
der Treue, welche sie dem geliebten und verehrten Herm, ihrem
gnadigen Beschutzer zu jeder Zeit zu schulden und zu zollen sich
bewusst ist, mit der heutigen Feier aber in besonderm Ausdruck zu
betheuem wunscht.
Wunder auf Wunder hat zum Heil und ziu* Freude seines Volks
die Gnade der Voi*sehimg auf unseres Kaisers und Konigs Leben gehauft.
Dem spat zur Leitung dieses Staats Berufenen war es gegeben, an
der Stelle, wo dem gewohnlichen Menschenleben sein naturliches Ziel
gesteckt zu sein, und wo auch das glucklichere Individuum seine
Thatkraft voUstandig verwendet zu haben pflegt, in unvepgleichlicher
Verbindung von altgereifler Einsicht, mannlicher Willensstarke und
jugendfrischer Spannkraft das Grosste zu voUbringen, von dem die
preussische G^schichte eines halben Jahrhunderts zu berichten hat,
dem Staate den seit fiinfzig Jahren verschlossen gewesenen Weg, auf
welchem derselbe das Vermachtniss Friedrich's des Grossen erffillen
soUte, mit unwiderstehlicher Gewalt und doch mit der weisen Maass-
haltung, welche die sichere Erreichung des erstrebten Zieles und
dauemde Behauptxmg an demselben verburgte, frei zu machen. Als
vor zwanzig Jahren das siebzigste konigliche Geburtsfest hier gefeiert
wurde, da glaubten wir mit dieser ausserordentlichen That des regie-
gierenden Konigs Mission fiir seinen Staat erfiillt; aber an Stelle der
firiedlichen Weiterentwickelung des fiir Deutschland Gewonnenen, die
wir als die natiirliche von einer langeren Zeit erwarteten, trat der
durch ausseres Eingreifen beschleunigte Lauf der Ereignisse, der un-
seres Konigs achtem Lebensjahrzehnt noch so ungleich grossere Thaten
vorbehalten hatte. Als wir, oder die damals noch an unserer Stelle
. sassen, dann vor zehn Jahren wieder den gleichen Festtag begiengen,
mit all den Empfindungen , welche wir gewohnt sind in unserer Vor-
stellung vom Menschenleben mit dem Gedanken an einen achtzigsten
Geburtstag zu verkniipfen, da durfte der Redner bei dem Riickbllck
auf das voUendete Lebensjahr des Herrschers es als besondere Gnade
preisen , dass es unserm Kaiser und Konige vergonnt worden sei auch
durch dieses achtzigste Lebensjahr in ungeschwachter Krafli zum Heil
seines Volkes die Pflichten seines hohen Berufs zu erfiillen. Und
wahrend seitdem Jahr fiii' Jahr der Festredner dieses Tages das Nam-
liche hat wiederholen diirfen, ist gleichsam unvermerkt wieder ein
ganzes Jahrzehnt — in welchem unser Kreis sich zu einer voUen
Ansprache des vorsitzenden Secretars. 287
Halfte emeuert hat — an Kaiser Wilhelm's Thron voriibergegangen ;
wiederum hat Er auch durch sein neunzigstes Jahr in ununterbrochener,
unermiidlicher Fursorge fiber der Wohlfahrt seines Volkes, uber der
Sicherheit des Reichs gewacht, wiederum sein unvergleichliches An-
sehen erfolgreich fiir die Wahrung des schwerer und drohender als
seit langer Zeit gefehrdeten Friedens des Welttheils eingesetzt. Was
wir nach so schneller Folge wieder ausbrechender Kriegsstiinne an-
ftnglieh kaum fiir unsere Zeit noch zu erhoffen wagten, wir danken
seiner erleuchteten Weisheit, seiner unerschiitterlichen Grerechtigkeit
und seiner weitbliekenden Besonnenheit die nun durch ein halbes
Menschenalter erhaltene MSglichkeit, ohne aussere Storung unter
seiner zielbewussten Leitung an dem Ausbau der Einrichtimgen un-
seres 6ffentlichen Lebens und an der Verbesserung der Bedingungen
unserer allgemeinen Wohlfahrt, unter seinem hulfreichen Schutz an
der Ausbildung und Ubung aller Kiinste des Friedens zu arbeiten.
Es ist Sein fester Wille und unser Aller aufrich tiger Wunscli, dass
die deutsche Nation allein auf diesem Felde zum Heil der Menschheit
in friedlichem Wettstreit mit alien anderen V6lkem unsere Jahre
und ihre kommenden Zeiten durehlebe. Das ist des 6ftern an dieser
Stelle betheuert, besonders eindringlich unter vielfach den heutigen
ahnlichen Verhftltnissen bei der Festfeier heute vor zehn Jahren, in
ausserm Gegensatz und doch innerster XJbereinstimmung mit der An-
knupfiing derselben an das damals eben stattgehabte militarische
Berufsjubilaum des obersten Kriegsherrn. Jedes einzelne Jahr der
Regierung unseres Kaisers, jedes Jahr des deutsehen Volkslebens hat
die Wahrheit der Versichemng seitdem weiter erhartet. Und dennoch
ist es heute mehr als je an der Zeit dieselbe gerade an dieser Stelle
nochmals zu wiederholen.
In der Verfassung der weltumspannenden Gelehrten-Republik ist
Einiges von dem Ideal verwirklicht, von welchem der Konigsberger
Philosoph vor neunzig Jahren traumte, in ihrer praktischen Politik,
wenn man den Vergleich bis zur Anwendung dieser Bezeichnung aus-
dehnen darf, haben einige von den Grundsatzen, welche Kant fiir
die Anbahnung und Aufrechterhaltung des ewigen Friedens fiir die
Politik der Staaten proelamirte, immer allgemeinere Geltung erlangt.
Dem danken wissenschaftiliche Verbindimgen die Festigkeit, die von
dem Volkerhader nicht oder doch nur ausnahmsweise zerrissen wird,
und sie halten die Wege ojBfen, auf denen unsere Stimme noch iiber
die Greiizen Deutschlands hinaus durchdringen kann durch das Liigen-
gewebe, mit welchem eine auf heillose Zwecke kurzsichtigster Selbst-
sucht ausgehende Falschung das Dichten und Trachten unseres Volks
imd seines Hen'schers umspinnt. Deshalb sprechen wir in dieser
•27 •
288 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des AUerh. Geburtstages.
feierlichen Stunde laut aus, was nach so bewegten Monaten, was in
noch immer so schicksalsschwangerer Zeit iins erfiillt. Wir sind sicher
von denen gehort und verstanden zu werdjen, die fiber den Leiden-
schaften des Tages stehen, und wir hojBfen sie in dem Bestreben zu
starken, in welchem wir sie mit freudiger Genugthuimg eins mit uns
sehen, der verbrecherischen Aufstachelung derselben zu steuern.
Freilich , wie der Lauf der wirklichen Welt ist und bleiben wird,
sehen wir sie nicht nur heute von der En-eichung jenes KANr'schen
Idealzustandes so fern wie nur je, sondern gerade die Proben, welche
in den letzten neunzig Jahren die europaische Geschiehte auf einzelne
der von Kant 'aufgestellten Grundsatze wirklich gemacht hat, haben
weiter erwiesen , dass sie ihn nie erreichen wird. Wir sind aber ftir
unsern Theil zufrieden mit den Aufgaben und Anfordeiningen der wirk-
lichen Welt, und wir sind zufrieden mit dem Platze, welchen der
Zug der Volker uns endgultig in derselben angewiesen hat. Die Jahr-
hunderte der Trubsal, die weniger centrale Lage unter den Volkem
Europa's als eigenes Vergessen des Berufs der Gesammtheit imd uber-
massiges Hervorkehren xmtergeordneter Rechte des Einzelnen fiber
unsere Vorfahren heraufgefiihrt hat, sind durch Kaiser Wilhelm ge-
schlossen. Wir haben keinen Grund mehr uns von dem hellen licht
locken zu lassen, dessen trfigerischem Scheine zuerst Cimbem und
Teutonen folgten, wir brauchen im Zeitalter der Naturwissenschafl
und ihrer Anwendung auf menschlichen Verkehr nicht des bessern
Bodens begfinstigterer Lander zu begehren; wir sind zufrieden, dass
harte Arbeit unser Loos ist, unter nebliger Sonne und auf magerer
Scholle xms imd imseren Nachkommen eine wohnliche Statte zu er-
halten, denn nur imermudliche Arbeit, in der an ihrem Platze die
Hohenzollemfiirsten ihrem Volke in hell leuchtendem Beispiel voran-
gehen, erhalt die Kraft der Nation und wehrt dem Verfall von Staat
und Volk. Wir wollen luxc ungest5rt bleiben bei dieser Arbeit im
eigenen Hause , imd auf den eigenen Muren die Saat nicht* zertreten,
die Emte nicht rauberisch fortiMiren lassen von denen, mit welchen
wir den Uberschuss gem im Ausgleich zu gegenseitiger Forderung
theilen. Unsere Herrscher jagen nicht dem Phantom eines Universal-
reichs nach, in. dem den Kern, dessen Gesundheit zum Gedeihen des
Ganzen imentbehrlich ist, nur das Loos trifft zu verdorren oder zu
faulen , je nachdem die Rander ihm die Safte entziehen oder im tJber-
maass zufiihren; unsere Staatsmanner wollen sich nicht auf den Stuhl
eines Schiedsrichters des Welttheils setzen, der umstfirzt, so oft er
eri'ichtet wird; wir sucben misere Starke nicht in der Schw&che der
Nachbarn, sondern in der eigenen Kraft, wir wfinschen starke Genossen
in jenen zu finden, mit denen wir ims vertrauensvoll in die Aufgabe
Ansprache. — Berichte: Griecliische Inschriften. 289
theilen kSnnen, die europaische Gesittung zu erhalten und der Barbarei
zu wehren, welche an die Pforten des Welttheils klopft oder seinen
Boden unterwiihlt. Und wenn der Lauf der Welt nicht immer unsere
Wunsche erfiillen wird, wenn wir gerade heute uns sagen miissen,
da5s fiir alle jetzt absehbare Zeit auch unsere Nachkommen werden
taglich bereit und entschlossen bleiben miissen. die h5chsten Giiter
des Vaterlandes mit eigener Hingabe zu schiitzen, so haben wir darin
die Sicherheit, dass eben so lange in Deutechland Eigensehaften des
Volkscharakters nicht verkftmmem werden, ohne welche eine Nation
freier Mitarbeit an den Zwecken der Menschheit nicht wurdig ist.
Welche Aufgaben das neu begonnene Lebensjahr unseres Kaisers
Ihm und dem heutigen Geschlecht bringen wird , das liegt heute noch
hinter undurchdringlichem Schleier; wir erwarten sie in festem Ver-
trauen zu Ihm und in ruhiger Entschlossenheit. Unsere Wunsche
imd Hoffiiungen kleiden wir in die Worte, mit denen er unlangst,
bei der einzigen Feier zu Anfang dieses Jahres, selbst die Summe
seines Lebens gezogen hat. Zuriickschauend auf die von so zahl-
reichen Epochen tiefgreifendsten Wechsels ausgefiillten achtzig Jahre
seiner militarischen Berufslauf bahn bezeugte er, wenn er auch mancher
Sorge zu gedenken habe , und manches Tages wo ihm das Herz schwer
gewesen, so seien dieser Tage doch nur sehr wenige gewesen gegen
die Tage des Glucks und der Freude, die ihm zu erleben vergSnnt
gewesen. Moge gleiches Zeugniss dereinst gelten auch von diesem
Jahr und von alien kommenden, welche die Gnade der Vorsehung
noch fiir sein kostbares Leben bestimmt hat.
Hierauf wurden die statutarisch vorgeschriebenen Jahresberichte
liber die grosseren litteraiischen Unternehmungen der Akademie und
liber die ThS-tigkeit der mit ihr verbundenen Stiftungen und wissen-
schaftlichen Institutionen vorgetragen.
I. Hr. A. KiRCHHOFF berichtete uber das griechische In-
schriftenwerk:
Der regelmassige Fortgang der Ai'beiten fiir die Sammlung der
Griechischen Inschriften ist leider im Laufe des verflossenen Jahres durch
die Einwirkung zufalliger und nicht berechenbarer Umstande mehrfach
gestSrt und aufgehalten worden. Die Ubersiedelung Hni. Koehlkr's
290 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
von Athen nach Berlin, welche im Herbste vorigen Jahres stattfand,
hat es mit zur Folge gehabt, dass der Druck des von ihm redigirten
ahschliessenden Bandes der Attischen Insehriften wiederholt langere luid
kurzere Unterbrechungen erfahren musste und deshalb nicht in der Weise
hat gefbrdert werden k5nnen , als dies unter anderen Umstanden zu er-
wai^en gewesen ware; sodann aber ist Hr. Dr. Lolling, welcher es
ubernommen hatte, wahrend der Sommermonate fur die Sammlung der
Nordgriechischen Insehriften Megaris zu bereisen, um das epigraphische
Material dieses Bereiches zu revidiren , ebendadurch in Athen zurflck-
gehalten worden und hat erst zu Anfang des Monats November diese
Arbeit in Angriff nehmen konnen. Eben hatte er die Revision der
Insehriften der Stadt Megara zu Ende gebracht, als er von einem
sehweren Fieberanfalle heimgesucht wurde, welcher ihn nothigte, die
Arbeit zu unterbrechen und nach Athen zuruckzukehren. Zwar hat
er gerade in diesen Tagen sie wieder aufnehmen konnen, und wird
ihre Beendigung nui* eine ganz kurze Zeit in Anspruch nehmen;
immerhin aber hat sich daraus die Nothigung ergeben, den Beginn
des Druckes dieser Abtheilung bis in den Herbst dieses Jahres zu
verschieben. Um so erfreulicher war es im Gegensatz dazu, dass
durch das liberale Entgegenkommen des Generalephoros der Alter-
thumer zu Athen, des Hrn. Prof. Kawadias, welcher Hm. Lolling
die Erlaubniss ertheilte, die fiir das in Aussicht genommene zweite
Supplement zum ersten Bande der Attischen Inschrift;en unentbehrlichen,
verhaltnissmassig zahlreichen Fundstiicke, welche die in der letzten
Zeit auf der Akropolis vorgenommenen Ausgrabungen zu Tage gefi^rdert
haben und noch fiSrdern, for das akademische Untemehmen abzu-
schreiben bez. abzuklatschen, das erforderliche Material so schnell imd
so vollstandig zur Verftigung gestellt wurde, dass mit dem Drucke
dieses Supplementes unmittelbar wird vorgegangen werden k5nnen
und seine VoUendimg noch im Laufe dieses Jahres in sichere Aus-
sicht gestellt werden darf.
Der Druck des Bandes der Griechischen Inschrift;en von Italien
und Sicilien ist in stetigem, wenn auch langsamem Fort«chreiten be-
griffen imd nSJiert sich allmahlich seinem Abschlusse.
Hierauf berichtete Hr. Mommsen:
2. Von dem lateinischen Inschriftenwerke ist die dritte
Abtheilimg des sechsten stadtromischen Bandes unter Leitung des
Hm. Hulsen im Druck voUendet worden und im October v. J. zur
Ausgabe gelangt. Mit der Drucklegung der vierten Abtheilung ist
begonnen worden. Desgleichen hat Hr. Dressel die erste Hftlfte der
fiinften Abtheilimg, die stadtrSmischen Ziegelinschrift;en , im Manuscript
Berichte: Lateinische Inschriften. 291
voUendet, wobei Hr. Gatti in Rom die Arbeit wesentlich gef&rdert
hat, und es hat im Januar d. J. die Drucklegung begonnen. Somit
sind von den stadtrSmischen Inschriften, abgesehen von den Indices,
sammtliche Abtheilungen entweder im Druck vollendet oder unter der
Presse.
Von dem mittelitalischen Bande sind im Laufe dieses Jahres nicht
mehr als 7 Bogen gedruckt oder mindestens gesetzt worden. Der
Heraiisgeber, Hr. Bo^mann in Wien, hat durch Hinzuziehung eines Hulfs-
arbeiters Maassregeln fiir die Beschlennigung der Arbeit getroffen xmd
stellt den Abschluss derselben noch fiir das laufende Jahr in Aussicht.
Von dem zwSlften siidfranzosischen Bande hat unser Mitglied,
Hr. HrascHFELD, 23 Bogen im Laufe des Jahres fertig gestellt, womit
das Werk selbst abgeschlossen ist und nur die Indices noch restiren.
Wenn die Hoffnung, dasselbe im verflossenen Jahre zu veroffentlichen,
sich nicht erfullt hat, so kann doch in dem gegenwartigen der Publi-
cation mit Sicherheit entgegen gesehen werden.
Von dem vierzehnten die Inschriften Latiums enthaltenden Band
hat Hr. Dessau den noch restirenden Theil (Bogen 51 — 62) fertig ge-
stellt und die Redaction der Indices abgeschlossen, deren Satz be-
gonnen hat. Die Ausgabe des Bandes steht for den Sommer d. J.
in Aussicht.
Die Vorarbeiten fiir den einzigen noch nicht zum Druck gelangten
Band, den dreizehnten, das nordliche Frankreich und das westliche
Deutschland umfassenden , - sind theils unter Hrn. Hirschfeld's Leitung,
theils von Hrn. Zangemeister in Heidelberg durch Bereisung von Belgien,
Limburg und Luxemburg im Herbst v. J. gef&rdert worden und wird
dessen Drucklegung nach dem Abschluss des zwSlften Bandes zunachst
mit Aquitanien beginnen.
Von den Supplementararbeiten , die fiir die Bande 11 (Spanien),
in (Orient und Donaugebiet) , IV (Mauerinschriften von Pompeii) , VIII
(Africa) in Angriff genommen sind, hat bis jetzt keiner fertig gestellt
werden kSnnen.
Spanien betreffend hat Hr. Hubner die noch erforderliche zweite
Reise im Herbst v. J. ausgefiihrt und stellt den Beginn der Druck-
legung des Supplements fiir den Herbst d. J. in Aussicht. — Die
Bereisung der Lander an der unteren Donau hat Hr. von Domaszewski,
nachdem die politischen Verhaltnisse dies gestatteten, fortgefBhrt und
ist zu hoffen, dass der Druck auch dieses Supplements, an welchem
ausserdem Hr. Hirschfeld sowie ich selbst betheiligt sind, im Laufe
des Jahres wird beginnen kSnnen. — Die Drucklegung des Supplements
der pompeianisehen Griffelinschriften , welches Hr. Zangemeister liber-
nommen hat, ist im Laufe des Jahres nicht gefi)rdort worden; die
292 24. Marz. Offentl. Sitzung znr Peier des Allerh. Gebiirtstages.
•
Arbeiten aber sind so weit gediehen, dass der Druck in der zweiten
Halfte des laufenden Jahres wird beginnen konneri. — Bei dem afri-
caiiischen Supplement, dessen Redaction durch die Erkrankung des
Bearbeit^rs Hrn. J. Schmidt in Giessen nnd die dadnrch fur ihn her-
beigefiihrte Unmoglichkeit die Reisearbeit fortzusetzen verz5gert worden
ist, ist Hr. Karl Purgold in Gotha fiir diese Reisearbeit eingetreten
und es hat derselbe durch die Bereisung eines grossen Theils von Algier
vom September 1886 bis Januar 1887 eine Fulle werthvollen Materials
herbeigeschajBft. Hr. Schmidt hat zunachst ein zweites provisorisches
Supplement fur die Ephemeris epigraphica vorbereitet, dessen Redaction
der Hauptarbeit zu Gute kommen wird. Die Hofl&iimg darf festge-
halten werden, dass eine zweite Reise des Hm. Purgold den Apparat
weiter vervollstandigen wird imd dass an den Druck des Supplement-
bandes durch das Zusammenwirken der HH. Schmidt xmd Cagnat in
Paris noch im Laufe des Sommers die Hand gelegt werden kann. ^ Es
ist dies Supplement von alien weitaus dss wichtigste, da die Zahl
der seit 1881 neu geftmdenen Inschriften hinter derjenigen der im
achten Bande publicirten nicht bedeutend zuruckbleiben wird. Aller-
dings steht der wissenschaftliche Werth der africanischen Inschriften
zu ihrer Massenhaftigkeit im umgekehrten Verhaltniss.
Von der neuen Bearbeitung des ersten Bandes ist die Abthei-
lung der Consularfasten in Gemeinschaft mit Hm. Hulsen noch von
Hm. Henzen kurz vor seinem Tode im Wesentlichen abgeschlossen
worden. Den Verlust unseres langjahrigen Mitarbeiters , des Mit-
begninders des Corpus imcriptionum Lattnarum empfindet die Akademie
darum nicht weniger schwer, well er sein Tagewerk auch in dieser
Hinsicht abgeschlossen hatte und nur noch mit seiner hohen Einsicht
und seinem unerschopflichen Wohlwollen die unvergleichliche Stellimg,
die er in [Italien wie in Deutschland [eiimahm, zum Besten unserer
Sammlung fortwahrend verwandte.
Die Ordnung des epigraphischen Archivs, dem die Konigliche
Bibliothek die entsprechenden Raume zur Verfiigung gestellt hat, ist
unter Hm. Hulsen's Leitung fortgesetzt worden. Namentlich ist be-
gonnen worden mit der Katalogisirung der grossen Sammlung von
Abklatschen, zu welchen das von Hm. Hubner fiir die Exempla be-
mitzte ujid nach deren Abschluss an die Akademie abgelieferte Material
den Grundstock geliefert hat.
3. Nachdem die Vorarbeiten fiir die romische Prosopographie
im Wesentlichen abgeschlossen waren, ist deren Redaction im Sommer
V. J. nach Vertrag mit der Akademie den HH. Dr. Klebs (Buchstabe
A — C), Dr. Dessau (Buchstabe D — 0) und Dr. von Rohden (Buchstabe
Berichte : Prosopographie. Aristoteles-Comment. Corresp. Priedrich's 11. 293
P — Z) ubertragen worden. Von jedem der Bearbeiter sind grSssere
Abschnitte ausgearbeitet und Proben derselben der akademischen Com-
mission vorgelegt und von ihr gut geheissen worden.
4. Fur die Aristoteles- Commission berichtete Hr. Zeller:
Von der Ausgabe der Commentare des Aristoteles haben im
verflossenen Jahre besonders zwei Werke die Druckerei beschaftigt: d^r
auf zwei Bande angewachsene Commentar des Philoponus zur Physik,
herausgegeben von Hm. Vitelli , und die fiir die Geschichte der mittel-
alterlichen Philosophie so liberaus wichtigen Einleitungsschriften des
Porphyrins (Isagoge und In categorias), welche Hr. Busse bearbeitet hat.
Beide Werke sind im Drucke nahezu voUendet. Asclepius' Metaphysik-
Commentar, herausgegeben von Hrn. Hayduck, ist dem Druck libergeben
worden. Hr. Wallies hat das Manuscript der Topik Alexander's fast
abgesehlossen und daneben auch einen Theil Leo's bearbeitet. Hierfiir,
sowie fiir die Einleitxmgscommentare des Elias, David, Ammonius
u. s. w., die Hr. Busse in Angriff genommen hat, sind umfangreiche
Vorarbeiten nothig gewesen, die noch nicht ganz abgesehlossen sind.
Die Langsamkeit des Druckes, welche unser vorjahriger Bericht
hervorhob , hat der Akademie Veranlassmig gegeben , mit dem Verleger
ein Abkommen zu trelBfen, dxurch welches von nun an ein regelmassiges
Fortschreiten des Untemehmens gesichert wird.
Vom Supplementum Aristotelicum sind zwei Bande ver5ffentlicht
worden: die zweite Halfte des ersten Bandes Priscianus Lydus, be-
arbeitet von Hm. Bywater, und Alexander de anima in der Bearbei-
tung des Hrn. Bruns. Derselbe ist soeben damit beschaftigt, in Italien
das handschriftliche Material fiir die librigen kleinen Schriften Alex-
ander's zu sammeln.
5. Hr. VON Sybel berichtete uber die Herausgabe der politischen
Correspondenz Friedrich's des Grossen.
In die mit der Leitung dieses Untemehmens beauftragte Com-
mission sind nach dem Tode der HH. Droysen und Duncker die
neuerwahlten Mitglieder Gustav Schmoller und Max Lehmann ein-
getreten. Die Specialredaction ist fortdauernd Hm. Albert Naude
anvertraut.
Im Laufe des verflossenen Jahres ist der 14. Band der Corre-
spondenz ver5ffentlicht worden; der 15. ist unter der Presse, xmd
wird in wenigen Wochen ausgegeben werden. Jeder dieser Bande
umfasst nur ein halbes Jahr, beide zusammen die Zeit zwischen
November 1756 uind November 1757; es ist allerdings das ereigniss-
und thatenreichste Jahr in Friedrich's ganzem Leben. Bei der steten
294 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des AUerh. Geburtstages.
Wechselwirkung zwischen der Thatigkeit des Diplomaten und des
Feldherrn war es hier unabweisbar, was bei den fruheren Bflnden
nur in geringem Maasse geschehen, neben der diplomatischen aueh
einen gi-ossen Theil der militarischen Correspondenz anfeunehmen,
wie sich versteht, nicht jedes kriegsgeschichtliche Detail, wohl aber
Alles, worin die leitenden Gedanken des Feldherrn oder die mensch-
lichen Gefiihle des Konigs zur Erscheinnng kommen.
In dem vorausgehenden 1 3 . Bande war der Ursprung des sieben-
jahrigen Krieges und die Besetzung Chursachsens, der Sieg uber die
Osterreicher bei Lobositz und die Capitulation des sachsischen Heeres
zur Darstellung gelangt. Der jetzt vorliegende Band liefert zun^chst
die diplomatische Correspondenz des K5nigs wahrend der Waffenruhe
in den Wintermonaten, seine fruchtlosen Bemuhungen, gegenuber dem
fiirchtbaren Biindnisse der drei continentalen Grossmachte Osterreich,
Frankreich und Russland, nebst Schweden, Suddeutschland und dem
Papst, gegenuber also einer beispiellosen tlbermacht sein Streben, seine
wenigen Alliirten, England, Hannover, Braunschweig zu kraftigem
Handeln oder einige bisher neutrale Staaten zu thatiger Unterstiitzung
Preussens zu bringen. Verg^bliches Bemiihen! Als der Fruhling 1757
herankam, musste Friedrich sich uberzeugen, dass er keine Hulfe als
von der eigenen Energie zu erwarten hatte; er blieb aber im Vertrauen
auf sich und sein Heer unerschutterlich in dem Entschlusse, niemals
einen schlechten Frieden zu schliessen, sondem entweder zu siegen
oder mit Ehren imterzugehen.
Es begann darauf der gewaltige Feldzug von 1757, in welchem
FRrcDRicH nach dem grossen Siege bei Prag seinen Hauptgegner,
Osterreich, bereits entwaffnet und gebandigt zu sehen glaubte, als
dann die Niederlage bei Kolin alle Widersacher zu emeutem Andrang
ermuthigte. Der Konig fand sich und seinen Staat hart an den Rand
des Abgrundes gedrangt, aber seine Kuhnheit und Rastlosigkeit blieb
ungebrochen, uind am Schlusse des Jahres war sein Waffengluck durch
die zerschmettemden Schlage von Rossbach und Leuthen in vollstem
Glanze wieder hergestellt. Es moge mir verstattet sein, aus dem
Strome dieser machtigen Ereignisse einige einzelne Momente heraus
zu greifen, um an ihnen den Gewinn anschaulich zu machen, welchen
die geschichtliche Kenntniss aus der vollstandigen Veroffentlichung
der kSniglichen Briefe zu Ziehen in der Lage ist.
Wenn man die Kriegskunst des vorigen mid des jetzigen Jahr-
hunderts mit einander vergleicht, so zeigt sich ein tiefgreifender
Unterschied, den man im kurzest^n Ausdruck dahin bezeichnen Icann,
dass die altere Kriegskunst den Feind durch ManSver, die moderne
durch Schlachten zu liberwaltigen strebt. Jene sucht sogenannte
Berichte: Correspondenz Friedrich's II. 295
beherrschende Stellungen, weit ausblickende H5lien, deckende Fluss-
linien, stiitzende Festungen; sie hoflft, durch geschickte Schachzuge,
Bedrohung der Flanken oder Abschneiden der Zufiihr den Feind ohne
grosses Blutvergiessen zuruckzudrangen und durch albnahliche Er-
schSpfiing zum Friedensschluss zu bringen; sie neigt also nach ihrer
innersten Gresinnung stets zu einer bedaehtigen Defensive. Dagegen
ist das modeme Verfaliren von Grund aus offensiver Natur. Nicht
die geographisohen Positionen geben die Entscheidung , sondern die
Mensehen, die sie besetzen. Also ist die wesentliche Aufgabe die
mSglichst rasche und vollstandige Vernichtung des feindlichen Heeres,
d. h. die Schlacht, und nach derselben die ersch5pfende und unaus-
gesetzte Verfolgung, bis zu den Lebensquellen des feindlichen Landes,
also meist bis zur Hauptstadt, wo man fast immer sicher ist, den
Frieden zu dictiren. Das Blutopfer, welches die Schlachten kosten,
wird durch die schnellere Beendigung des Krieges mehr als aufgewogen.
Es ist vor Allem Napoleon L, welcher durch seine geniale Praxis
diese Wahrheiten zum allgemeinen Bewusstsein und unwidersprochener
Anerkennung gebracht hat. Was Friedrich den Grossen betrifft, so
hat im Laufe der Zeiten eine wunderhche Verschiebung der Urtheile
aber sein Feldherrnthum stattgefunden. Ein ansehnlicher Theil seiner
Zeitgenossen war der Ansicht, dass seine Kriegskunst xiberall auf
Schlachtenlieferung gegangen sei; nur zeigt sich dabei, dass das, was
wir heute loben, von jenen Technikem der alten Schule streng ver-
dammt wird. Friedrich erscheint ihnen als unwissend in der hSheren
und feineren Methode ; er habe eben nicht zu manSvriren verstanden,
und demnach als roher Dilettant keinen anderen Gedanken im Kopfe
gehabt als zu raufen und zu^ batailliren, und immer wieder zu
batailliren. Modeme Verehrer Friedeich's haben dann, unter Aner-
kennung der einst so scharf gerugten Thatsachen den Schluss gezogen,
dass bereits der preussische Heros auf der H5he der napoleonischen
Anschauungen , einsam unter seinen Zeitgenossen, gestanden; nur an
ausseren Hindemissen habe es gelegen, wenn das modeme Verfehren
bei ihm nicht zu so voller Entfaltung wie bei Napoleon gelangt sei.
Allein kaum geaussert, ist diese Ansicht einem lebhaften Widerspruch
begegnet. Die alten Tadler, hiess es, hatten ebenso Unrecht, wie die
neuen Bewunderer. Es sei gar nicht wahr, dass Friedrich ein so
hitziger Batailleur gewesen, dass er im napoleonischen Sinne die
Schlacht, als die normale Quelle der Entscheidung, gesucht habe.
Er sei eben ein Sohn seiner Zeit, und folglich ein Feldherr der
damaligen Schule gewesen, allerdings der genialste und kuhnste, so
dass er im Drange einzelner Momente etwas von dem Schwimge der
modemen Kriegfuhrung verspuren lasse, im Ganzen aber hatte er
296 24. Marjr. Offend. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
mit den Regeln des Manoverkriegs vollst&ndig zu brechen, weder die
innere Neigung nocli auch die aussere M5glichkeit geliabt.
Diese interessante Frage abschliessend zu erortem, ist uberhaupt
nicht meines Amtes, und wurde am wenigsten in den heutigen Vor-
trag gehoren. Ich begnuge mich, auf Grund der in imseren Banden
jetzt voUstandig vorliegenden Correspondenz eine in jenen Controversen
vielfach besprochene Thatsache lichtig zu stellen, den Ursprung namlich
des grossen preussischen Operationsplans fur den Feldzug von 1757.
Wahrend des Winters lagerten die preussischen Truppen in
weitem Bogen' um die Nord- und Ostgrenze Bohmens umher, eine
Starke Abtheilung unter den Generalen Schwerin und Winterfeldt
in Schlesien, ein Corps unter dem Herzog von Bevern in der Lausitz,
ein anderes imter dem unmittelbaren Befehl des Konigs bei Dresden,
ein viertes unter dem Prinzen Moritz von Dessau weiter westlich bei
Chemnitz. In seiner Geschichte des siebenjahrigen Krieges berichtet
nun der K5nig ganz km*z, er habe den Gf^danken gefasst, alle diese
Colonnen gleiehzeitig von alien Seiten her in Bohmen einbrechen zu
lassen, um sich dann bei Prag zimi Angriff auf das Hauptheer der
Osterreicher zu vereinigen. Wie gedacht sei es geschehen und die
Prager Schlacht das ruhmvolle Ergebniss gewesen. Dagegen hat nach
theilweiser Kenntniss der Correspondenz die modeme Kritik behauptet,
der Konig habe lu'spriinglich gegen die Osterreicher sich in abwar-
tender Defensive halten und hiefiir seinen Truppentheilen m5glichst
sich ere Stellungen anweisen wollen; es seien die G^nerale Schwerin,
und namentlich der kuhne und talentvoUe Winterfeldt gewesen,
welche dem K5nige den Plan einer frischen, allseitigen Offensive vor-
getragen hatten, und erst nach langerem Bedenken hatte der K6nig
sich durch ihre Vorstellxmgen zu dem kecken Angriff herbei bringen
lassen. Es leuchtet ein, wie sehr hienach der K6nig in einem der
wiehtigsten Momente seiner kriegerischen Laufbahn als ein Feldherr
der alten Methode erscheinen wurde.
Wahrend des Winters zeigen uns nun die Briefe des Konigs eine
ganz andere Stimmung. Im December schreibt er an Schwerin: der
nachste Feldzug wird sehr hart sein , aber wir miissen hindurch oder
untergehen. Ich verzweifle an nichts. Aber es gilt gute Fiihrung,
bald Lebhaftigkeit, bald Klugheit, und uberall probefeste Unerschrocken-
heit; fl5sst den Truppen solche Gesinnungen ein und ihr werdet die
Holle bandigen. Einige Tage spater: wahrscheinlich werden die Oster-
reicher ein Corps gegen Oberschlesien, ein anderes g^g^n Niederschlesien,
ein drittes gegen die Lausitz, ein viertes gegen Thxiringen, und dann
noch eine Armee in die Reichslande senden; geschieht dies, so heisst
es zusehen, wo der gi'osste Schlag sich ausfiihren lasst, mit Macht
Berichte: Correspondenz Friedrich's II. 297
auf eine der Armeen fallen, sie vemicliten, wenn moglich, und sich
darauf gegen djie anderen wenden. Er hoffte damals, mit einer so
gefahrten Offensive Bohmen einzunehmen, und am Ende des Feldzugs
in Mahren zu stehen , um ffir den nachsten Friihling die weitere Be-
kampfiing des Feindes bei Olmutz zu beginnen.
Ende December schreibt er an Winterfeldt , er meine , den Oster-
reichem an Truppenzahl gewachsen zu sein; nur seine Cavallerie sei
schwaeher; er miisse sie demnach so verwenden, dass er sie immer
am entseheidenden Ort« habe. Denn, sagt er, kommt derFeind, icb
schlage ihn und kann nicht riachsetzen, so ist das nur ein unniitzes
Blutbad, und das muss nicht sein, sondern jede Bataille, die wir
«
liefem, muss ein grosser Schritt vorwarts zum Verderben des Feindes
werden.
Man wird einr&umen, dass dies AUes durchaus im Sinne echter
napoleonischer Schlachtenstrategie gedacht ist.
Die Entwiirfe, die aus dieser Stimmung liervorwuchsen, wechselten
nach den iiber die feindlichen Absichten anlangenderi Berichten. An-
fang Marz 1757 kam dem Konig eine Kunde zu, die Osterreicher
wiirden auf franzosisches Betreiben ihre Hauptmacht an der Elbe sam-
meln, um ihn aus Sachsen zu vertreiben; zugleich soUten 50000 Fran-
zosen uber den Niederrhein auf Hannover, und 30000 von Mainz aus
in das Magdeburgische vorgehen. Wenn sich das bestatige, schrieb
Friedrich an Schwerin, so werde er ihn zu sich nach Sachsen be-
fehligen und die Deckung Schlesiens den dortigen Festungen iiber-
lassen. Schwerin meinte darauf, wenn er von Schlesien aus in B6hmen
einbreche, so werde er damit einen Theil der Feinde auf sich ziehen,
und so die auf FRnsDRicn driickende Last erleichtern. Der K6nig er-
widerte am 16. Marz, das sei Alles recht gut, aber er konne 'nicht
zustimmen, well vor Allem der drohenden franz5sischen Invasion in
seinem Rucken begegnet werden miisse. Gegen diese musse er ein
starkes Corps entsenden, und unterdessen die sSchsische Grenze gegen
Bohmen durch starke Defensivstellungen sichem; sobald die Franzosen
geschlagen seien, werde er dann auch gegen die Osterreicher zur
Offensive libergehen. In einem folgenden Schreiben vom 20. Marz
entwickelte er naher seine verschiedenen Operationsplane nach den
verschiedenen moglichen Bewegungen des G^gners; kamen die Fran-
zosen frulizeitig in seine Nahe , so wiirde er vor Allem sich auf diese
stiirzen und einstweilen gegen die Osterreicher defensiv verfahren;
fiir den Fall aber, dass die Franzosen nicht erschienen und die Oster-
reicher sich ihrerseits auf die Vertheidigung beschrankten, soUte
Schwerin mit 40000 Mann aus Schlesien, Bevern mit 40000 Mann
aus der Lausitz in Bohmen einbrechen, beide sich bei Jung-Bunzlau
298 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
vereinigen; dann wurde er, der Konig, selbst mit dem Dresdener
Coi*ps das Gebirge uberschreiten , was der Feind, durch jene in der
Flanke bedroht, nicht hindem k5nnen wui*de.
Es ist, wie man sieht, stets dieselbe Gesirinung, stets eine leb-
hafte Offensive zu kraftigen Schlagen, in dem einen Falle zuerst zur
Verjagimg der Franzosen, um dann auf die Osterreicher loszugehen,
in dem anderen concentrischer Vormarsch von drei Seiten her in
Bohmen, um sich im Angesicht des Feindes zur Schlacht gegen dessen
Hauptheer zu vereinigen.
Kaum war das Schreiben vom 20. MSrz expedirt, so erhielt der
Konig von Winterfeldt eine Antwort auf den Brief vom 16. Von
den Franzosen, schrieb der General, habe er bisher nichts gewusst.
Aber es sei doch gewiss, dass noch Wochen vergehen wurden, ehe
sie hier einwirken konnten. Da sei es doch Jammer und Schade,
wenn man diese Frist nicht benutze , auf die Osterreicher einen scharfen
Streich zu fiiliren ; um so freiere Hand wurde dann der Konig nach-
her gegen die Franzosen haben. Wintekfeldt machte also folgenden
Vorschlag, welchem Schwerin sofort beitrat. Das Hauptheer der
OsteiTeicher unter Feldmarschall Browne stand westlich der Elbe, vor
Prag bis zur sachsischen Grenze. Im Osten der Elbe deckte General
PiccoLOMiNi mit etwas uber 20000 Mann das Land gegen Schlesien;
der grossere Theil seines Corps stand im Suden bei Koniggratz und
Pardubitz, wo die Armee ihre grossten Magazine hatte. Die iibrigen
Truppen Piccolomini's lagen weit umher im Lande zerstreut in ihren
Winterquartieren. Winterfeldt's Plan ging nun dahin, mit plotz-
lichem Vormarsch aller schlesischen Streitkrafte fiber diese zersplitterten
Garnisonen heraufallen , in Bunzlau sich mit Bevern zu vereinigen,
imd dann links nach Sfiden abschwenkend , die beiden Magazine von
Pardubitz und Koniggratz zu nehmen. Dies wui*de eine solche Ver-
wirrung und Noth im feindlichen Lager bewirken, dass die Oster-
reicher ftir den ganzen Feldzug darunter leiden mussten. In drei
Wochen ware der Coup gemacht imd die ganze Expedition vollendet.
In gleichem Sinne sclnneb Schwerin am 26. Marz: meine Haupt-
absicht bei dieser Expedition ist, dass wenn wir plotzlich und ehe
der Feind sich sammeln kann, inmitten der Quartiere der Piccolomini-
schen Armee erscheinen, wir auf grosse Beute hoffen durfen, und
der Feind sich davon nicht wahrend des Sommers erholen kann.
Alle seine Plane waren gest5rt und alle femeren Absichten Eurer
Majestat erleichtert.
Der K5nig, der, wie erwahnt, ebenfalls den Gedanken hatte,
seine Truppen von verschiedenen Seiten her in B6hmen einbrechen
zu lassen, lobte den Plan, brachte aber fiir's Erste alle Schwierig-
Berichte: Correspondenz Frieorich's II. 299
keiten und Gefahren desselben zur Sprache ; (denn , wie sich versteht,
erwachst bei jedem soldi en Vormarsch die Gefahr, dass die anfiings
getrennten Colomien von dem vielleicht gesammelten Feinde einzeln
geschlagen werden); Friedrich war also sehr zufrieden, als beide
Generale ihm nach den gegebenen Verhaltnissen die Ausfuhrbarkeit
und Siclierheit des vorgesehlagenen Manovers darlegten. Seinen end-
giiltigen Entschluss behielt er sich einstweilen vor. Da aber empfing
er Nachricht aus Paris, dass das Auftreten der Franzosen sich noch
um mehrere Monate verzogern wui'de, iind damit war fiir ihn jeder
Zweifel beseitigt. In dieser Zwischenzeit sollte der Einbruch in Bohmen
erfolgen, aber — und hierauf kommt Alles an — wahrhaftig nicht
zu dem Zwecke, zwei oder drex Magazine zu nehmen, sondern um
die Entscheidung des Feldzugs und vielleicht des Kriegs zu suchen.
Hatte er vox'her zu zogern geschienen, so drftngte er jetzt Schwerin,
seinen Vormarsch nicht erst am i8. oder 20., sondern schon am
1 5. April zu beginnen. Alles hange von Uberraschung des Gegners,
von strenger Geheimhaltung des Planes ab; jeder Tag des Aufschubs
vermehi'e die Gefahr des Ausschwatzens. So hiitete er sich auch,
als er in diesen Tagen dem Konig von England eine Mittheilung fiber
die bevorstehenden Operationen machte, ihm das Ziel seiner Bewe-
gungen zu verrathen ; er schrieb ihm ganz im Sinne von Winterfeldt's
Entwurfen, er gedenke nachstens die Osterreicher zu iiberraschen, um
ihre wichtigsten Magazine wegzunehmen. Seine wirkliche Absicht
aber eroffnete er Schwerin am 3 . April : es war der Befehl , so schnell
wie moglich auf Bunzlau zu marschiren und sich in dortiger Gegend
mit Bevern zu vereinigen, dann aber, nicht etwa nach Siiden auf
Pardubitz , sondern nordwarts nach Leitmeritz an der Elbe zu ziehen,
um daselbst mit der indess ebenfalls vorgegangenen Koniglichen Armee
zusammenzustossen. Damit zwinge ich, bemerkte der KOnig, Browne
entweder zu kampfen oder nach Prag zu retiriren. Geht er zunick,
so folge ich ihm auf dem Fuss und attakire ihn je eher je Ueber.
Man kann sich Schwerin's Uberraschung bei Empfang dieses
Briefes denken. Bis dahin hatte der Konig den Vorschlag der beiden
Generale stets in schmeichelhaften Ausdrucken anerkannt; jetzt mit
einem Male war zwar der proponirte Vormarsch geblieben, aber der
ganze Zweck des Untemehmens umgekehrt. Schwerin erklarte natiir-
Uch, Sr. Majestat Befehle wiirden piinktUch befolgt werden; gleich
nachher aber klopfte er noch einmal an wegen des schSnen Plans
auf die Magazine von Pardubitz imd KSniggratz. Aber er empfing
darauf eine schneidige Antwort, 14. April: wenn Ihr von Bunzlau
nicht nach Leitmeritz, sondern auf Koniggratz marschtrt, so muss ich
nach Sachsen zuruck, und Ihi* waret es, der mich eine solche Sottise
300 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
hatte begehen lassen. Von Euerer Expeditiqn hangt das Wohl des
Staates ab, und wenn Ihr sie nicht nach meinem Willen dirigirt, so
seid Ihr mit Euerem Kopfe dafiir verantwortKch. Abschrift dieses
Briefes ging an Winterfeldt, mit der ausdrucklichen Erklarung, dass
auch sein Kopf ftir den Marsch Iiach Leitmeritz hafte.
Denn, sagte der Konig, wir setzen Alles ein iim Alles zu ge-
winnen. Wir sind verloren, wenn der grosse Punkt nicht gewonnen
wird. Entsprechende Weisung erhielten Severn und Dessau. Aile
Krafte sollten zusammen wirken zu der grossen Entscheidungsschlacht
gegen das feindUche Hauptheer.
Uberblickt man diesen ganzen Verlauf, so sieht man, dass der
Plan des Feldzugs ganz und gar in dem Haupte des K6nigs erwachsen
ist. Von seinen beiden Generalen hat er nichts iibernommen, als eine
Discussion der Schwierigkeiten bei dem getrennten Vormarsch zu dem
gemeinsamen Ziel. Den Plan der Generale sich anzueignen, war er
so weit entfemt, dass er ihnen schliesslich die Ausffihrung desselben
bei Todesstrafe verbot. Auch der Grund dafiir springt in die Augen.
Die Generale schlugen ein Manover im Siime der alten Methode gegen
die Magazine des Feindes vor, der Konig aber suchte die Schlacht,
mit ihr die Vernichtung des feindlichen Hauptheeres, imd als Folge
da von mftglicher Weise das Friedensgesuch des gedemuthigten Gegners.
Sein Ziel ware vielleicht erreicht worden, wenn er, wie am
6. Mai bei Prag, so am i8. Jimi bei Kolin gesiegt hatte. Als dies
durch XJbereifer und Unvorsichtigkeit zweier Generale fehlgeschlagen
war, musste er an die Nordgrenzp Bohmens zuruckweichen. Die Lage
war bedenklich, da jetzt auch alle andern Gegner sich von Ost und
West her in Bewegung setzten, imd die Osterreicher eine grosse
Uberzahl in Bohmen gesammelt hatten. Noch aber hoffte der K5nig,
sich im feindlichen Lande bis Mitte August behaupten zu konnen.
Mit der kleineren Halfite seines Heeres nahm er selbst Stellung bei
Leitmeritz an der Elbe zur Deckung Dresdens, mit der anderen sollte
weiter nach Osten sein Bruder August Wilhelm, der Prinz von Preussen,
jeder Bedrohung der Lausitz oder Schlesiens entgegentreten. Der
K5nig liebte diesen Bruder, und hatte mit Freude seine personliche
Bravour im Gefechte wahrgenommen. Aber die Ernennimg desselben
zum obersten Fiihrer war dennoch eine ungluckliche Wahl. Der Prinz
hatte, wie bald nachher Friedrich selbst urtheilte, Geist, Kenntnisse,
das beste Herz von der Welt, aber keine Entschlossenheit, war viel-
mehr schuchtern, und kraftigen Maassregeln abgeneigt. Fast ohne
einen Schuss zu thun, liess er sich aus einer Stellung nach der an-
dern hinausmanovriren , verlor Magazine, Briickentrain , Bagage aller
Art, biisste zehntausend Mann an Gefangenen, Marodeuren und Deser-
Berichte: Correspondenz Friedrich's II. 301
teuren ein, iind brachte Mitte Juli seine Armee in arg zeriittetein,
fitst aufgelostem Zustande nach der Lausitz zunick. So riclitete er
dem koniglichen Bruder die Halfte der Rustung zu Grande in dem
Augenblick, in dem ein franzSsisches Heer die Weser iiberschritt , ein
anderes durch Thiiringen gegen Sachsen heranzog, eine russische
Streitmacht in Ostpreussen einbrach. Friedrich war ausser sich. Jetzt
erst sah er, rettungslos wie es schien, das Verderben von alien Seiten
her fiber sich hereinbreehen ; er wankte nicht in dem Entschlusse,
im Verz weiflungskampf bis zum letzten Athemzuge auszuhalten , aber
seine Hoffiiung eines gunstigen Ausgangs war tief gesimken ; er glaubte
sich dem sicheren Tode verfailen, und war entschlossen , die Nieder-
lage Preussens nicht eine Stunde zu uberleben. Schon vorher hatte
er dem Bruder mehrfache Belehrung und Mahnung zugesandt; jetzt
wetterten seine Briefe mit vernichtenden Vorwurfen auf ihn ein. Er
eilte dann selbst zu der unglucklichen Armee hinuber, um ihr durch
seine persSnliche Einwirkung wieder Haltbarkeit und Kampfiahigkeit
zurfick zu geben. Den Bruder aber und dessen Generate wollte er
weder sehen noch sprechen, und liess ihnen sagen, sie hatten Alle
den Tod nach Kriegsrecht verdient. Der Prinz, vom Commando ent-
hoben , erwirkte sich die Eriaubniss , zunachst nach Dresden zu gehen.
Indessen legte sich die Aufwallung des Konigs, wenn auch sein Ur-
theil fiber den Prinzen unverandert blieb. Am 30. Juli schrieb er
ihm, seine Missgriffe hatten die Lage zu einer verzweifelten gemacht:
wir werden kampfen und uns niedermachen lassen, wenn wir nicht
siegen; nicht Euer Herz klage ich an, sondern Euer Ungeschick und
Euere Unentechlossenheit; ich sage Euch die Wahrheit; wer nur noch
einen Augenblick zu leben hat, darf nichts verhehlen; fibrigens, schloss
Friedrich, glaubt mir, dass ich Euch stets geliebt habe und mit diesen
Gefiihlen in den Tod gehen werde. Einige Tage spater aber schrieb
der Prinz, dass ihm seine Ehre verbiete, bei der Armee zu bleiben,
wenn er nicht wieder ein Commando erhalte , imd auf' s Neue flammte
der Unwille des Konigs auf. Wie, schrieb er, Ihr wollt fliehen,
wahrend wir ktopfen, um den Staat Euch und Euern Kindern zu
erhalten? Nie werde ich Euch wieder den Befehl fiber eine Armee
fibertragen; stets aber konnt Ihr ohne Verletzung Euerer Ehre bei
der Armee bleiben, die ich befehlige; wenn Ihr hiefur kein Gefulil
mehr hattet, so kSnnte ich Euch nicht mehr als Bruder, als Ver-
wandten anerkennen. Der Prinz blieb auf seinem Sinne, und nach
mehrfachem Austausch gereizter Briefe erklarte Friedrk^h, der Prinz
moge thun, was er wolle. Dieser ging dann, von tiefem GroU er-
fiillt, zuerst nach Torgau, bald nachher aber nach Berlin imd endlich
auf sein Schloss zu Oranienburg, wo er ein halbes Jahr spater starb,
Sitzuiigsberichte 1887. 28
302 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des AJlerh. Geburtstages.
sch werlich an gebrochenem Herzen , wie man oft erzahlt hat , sondern
nach einer damaligen medicinischen Autoritat, an der Knnst seiner
Arzte, an dem Ungluek, in Folge einer Indigestion zuerst von einem
Feldseheer und dann von drei benihmten aber uneinigen Doctoren
behandelt zu werden.
Leider hat er sich in seinen letzten Lebensmonaten durch hetzende
Rathgeber verleiten lassen, eine Darstellung seines misslungenen Ruck-
zuges aufzusetzen imd derselben einen Theil seines Briefwechsels mit
dem Konige hinzuzufligen , Alles in der Tendenz , die Schuld an dem
unglucklichen Ereigniss auf den Kdnig abzuwSlzen. Diese franzosisch
und deutsch geschriebene Arbeit ist dann elf Jahre nach seinem Tode
in deutscher Sprache ver5ffentlicht lind die Ausgabe bald nacher in
franzosischer Ruckiibersetzung mehrmals wiederholt worden. Die Briefe
finden sich dann nicht in der chronologischen Reihenfolge, sondem
sind planmassig umgestellt, mid mehrere der wichtigsten, welche das
Urtheil ganz entschieden gegen den Prinzen hatten wenden mussen,
sind weggelassen worden. Unbegreiflicher Weise hat auch der Redactem*
der akademischen Ausgabe der Oeuvres de Frederic, Prof. Preuss,
welchem die vollstandige Reihe der Originale vorlag, die Correspon-
denz ganz nach dem von dem Prinzen vorbereiteten Abdruck wieder-
holt, mit alien Umstellungen und Lucken, nur mit stylistischen Ver-
besserungen jener franzSsischen Ruckiibersetzung. Es ist also kein
Wunder, dass bis auf die neueste Zeit jene Arbeit des Prinzen das
geschichtliche Urtheil iiber die beiden Bruder iiberwiegend beherrscht
hat. Fiir unser Untemehmen ergab sich daraus , so unerfreuUch der
Gegenstand auch ist, die imabweisUche Pflicht, das Andenken des
grossen KOnigs von den gnmdlosen Verdachtigungen , die jenes Ver-
fahren des Prinzen daruber ausgestreut hat, durch eine absolut voll-
standige Veroflfentlichimg des Briefwechsels zu reinigen. Wir haben
ims um so mehr dazu genothigt gesehen, als der Aufsatz des Prinzen
nur ein einzelnes Glied in der langen Kette der dem Konige feind-
seligen Schriften bildet, welche theils von den Freunden des Prinzen,
theils aus dem Kreise seines jiingeren Bruders, des Prinzen Heinrich,
herruhren. Beide Fiirsten waren von bedeutender geistiger Begabimg,
beide aber ohne den moralischen Muth und die unbezwingUche Stand-
haftigkeit des kOniglichen Bruders. Beide waren tapfer im feind-
Uchen Kugelregen, aber scheu vor jedem verantwortUchen Entschlusse.
Beide waren Manner der Kritik , aber nicht Manner der That. Beide
meinten, der KSnig habe durch grobe diplomatische Fehler den Krieg
veranlasst, sich dann mit leichtsinniger ToUkiihnheit in den Kampf
hinein gesturzt, und werde durch sein hartkopfiges Abweisen jeder
Nachgiebigkeit den Staat vollig vemichten. Friedrich, der sich selbst
Berichte: Corresp. Frikdrich*s II. Jacobi's Werke. Humboldt -Stiftung. 303
immnwunden haiifiger Fehler geziehen, hat seinem Bnider Heinrich
das Zeugniss gegeben, dass er nie einen Fehler im Kriege gemacht
habe. Dagegen hat Heinrich den KSnig oft und diingend ermahnt,
dem hoffiiungslosen Ringen durch Abtretung einiger Provinzen ein
Ziel zu setzen: niemals ware er unbeugsam genug gewesen, den gleich-
zeitigen Anstunn dreier Grossmachte zu bestehen. Friedrich aber
blieb unuberwindlich nach seinem beruhmtem Worte: in, Gefithr zu
scheitern, muss ich, dem Sturme trotzend, als K6nig denken, leben
und sterben. So hat er durch Nacht imd Dimkel sein Preussen zu
fester SiegesgrSsse empor gefiihrt, und damit das Fundament zu der
von unserem erhabenen Kaiser voUendeten Erbauung des deutschen
Reiches gelegt.
6. Von Jacobi's gesammelten Werken ist im verflossenen Jahre
der vierte Band erschienen ; der funfte befindet sich unter der Presse.
7. Hr. DU Bois-Reymond als Vorsitzender des Curatoriums der
Humboldt -Stiftung theilte Folgendes mit:
Das Curatorium der Humboldt -Stiftung ftir Naturforschung und
Reisen sollte statutenmassig Bericht erstatten uber die Wirksamkeit
der Stiftung im verflossenen Jahre; es hat indess keine neue Wirk-
samkeit stattgeftinden , da die Akademie wiederum sich in der Lage
sah zu beschliessen , die fiir das laufende Jahr (1886) verftigbaren
Stiftungsmittel nicht zu verwenden, sondem zur Ausfiihrung eines
grSsseren Untemehmens aufsubewahren.
Dagegen gelangte in diesem Jahre ein alteres Untemehmen der
Stiftung zum Abschluss, indem im Laufe des Sommers Hr. Dr. Ed.
Arning von einem zweiundeinhalbjahrigen Aufenthalt auf den Sand-
wich -Inseln zuruckkehrte, wohin er sich im Herbst 1S83 mit Stiftungs-
mitteln begeben hatte, um die dort herrschende Lepra zu studiren.
Wie schon in dem Berichte des Curatoriums vom Jahr 1884 gesagt
wurde , traf Hr. Dr. Arning an Ort und Stelle keinesweges die Bedin-
gungen an, welche zu der Aussicht berechtigt haben wiirden, die
wichtigen Fragen fiber Verbreitungsart , Erblichkeit und Ansteckungs-
fehigkeit des Aussatzes ihrer Entscheidung sehr viel naher zu bringen.
Es fand sich, dass die Lepra auf der Hawaiischen Inselgruppe schon seit
den dreissiger Jahren heimisch , und fiber deren ganzes Areal verbreitet
sei, so dass nicht daran zu denken war, ihrer Ausstrahlung von einem
bestimmten Punkte aus, wie einst Panum auf den Faroem der der
Maseru, Schritt fur Schritt nachzugehen. Die Furcht vor der durch die
Hawaiische Regierung verhangten Segregation, die aberglaubische , un-
zuverlassige, wenig wahrheitsliebende Sinnesart der Kanaken, erschwert
28*
304 24. Marz. Offentl. Sitzung ziir Feier des Allerii. Geburtstages.
vollends jede sichere anamnestische oder therapeutische Ennittelung.
Immerhin hat sich Hm. Dr. Arning die Gelegenheit zu einer Fulle
wichtiger pathologisch-anatoinischer, klinischer, bakteriologischer Be-
obachtungen geboten, von denen Hr. Virchow der Akademie schon
einen kurzen Abriss mitgetheilt hat (Sitzungsbericht vom 2. December
1886), und deren ausfiihrliche Darlegung und Beobachtimg Hrn. Dr.
Arning demnachst beschaftigen wird. Ausser seinen auf den eigent-
lichen Gegenstand der Reise beziiglichen Sammlungen hat er ubrigeiis
mit grossem Erfolg AUes gesammelt, was sich von GerSth, Waffen,
Sclunuck jener schnell und schneller dahinschwindenden BevSlkerung
noch irgend bergen liess, und dadurch unserem Museum ftir Volker-
kunde eine hochst wertlivolle Bereichening zugefiihrt.
Das Capital der Stiftung hat im Jahre 1886 keinen Zuwachs
erhalten. Die fur das laufende Jalir zu Stiftungszwecken verwendbai'e
Summe belauft sich ordnungsmassig abgerundet auf 23400 Mark.
8. Die vorberathende Commission der Bopp- Stiftung hat fol-
genden Bericht eingereicht:
Fiir den 16. Mai, als den Jahrestag der Bopp- Stiftung, ist im
vorigen Jahre von dem ziu* Disposition stehenden Jahresertrage von
1885 im Gresammtbetrage von 1350 Mark die Hauptrate im Betrage
von 900 Mark dem Professor an der Konigsberger Universitat Dr.
R. Garbe, damals in Benares, nach §. i, 2 des Statuts zur VerlSnge-
rung seines Aufenthalts in Indien, und die zweite Rate im Betrage
von 450 Mark dem Dr. 0. Schrai>er in Jena, ebenfalls nach §.1,2 des
Statuts zur Unterstiitzung seiner linguistisch-historischen Forschungen
zur Handelsgeschichte und Waarenkunde zuerkannt worden.
Der Gesammtertrag der Stiftung belauft sich zur Zeit auf 1618 Mark
50 Pf.
Die vorberathende Commission der Bopp-Stiftung.
Weber. J. Schmidt. Dillmann. Zupitza. Steinthal.
9. Die Commissicm fiir die SAViGNY-Stiftung hat beschlossen,
von den beiden der Akademie zur Verfagung stehenden Zinsraten im
Gesammtbetrage von etwa 8400 Mark 5400 Mark zur Herstellung eines
Worterbuches der klassischen rSmischen Rechtswissenschaft zu ver-
wenden. Die Bearbeitung ist drei jungeren Gelehrten, den HH. Dr.
jur. Otto Gradenwitz , Dr. phil. Bernhard Kubler und Dr. phiL Ernst
ScHULZE, in Berlin, anvertraut. Die Vertrage mit ihnen — zunachst
auf zwei Jahre — sind abgeschlossen , so dass ihre Thatigkeit auf
Grund der seit Jahren betriebenen Vorarbeiten am i . April d. J. be-
Berichte: Bopp-StifluDg. Sa vigny - Stiftung. Moniimenta Germ. hist. 305
ginnen kann. Der Rest der verfiigbaren Summe wurde den HH. Dr.
Karl Zeumer und Dr. EL\rl Lehmann in Berlin zur Vorhereitung einer
kritischen Ausgabe der Libri feudorum iiberwiesen.
I o. Hr. Wattenbach trug folgenden Bericht fiber die Monumenta
Germaniae historica vor.
Wenn schon in dem letzten Berichte der Leiter der Monumenta
Germaniae historica das verflossene Jahr als ein nicht sonderlich
giinstiges bezeichnen musste, so kann in dem diesjahrigen die Klage
nur in verstarktem Maasse wiederholt werden. Der Geh. Reg. -Rath
Dr. Waitz , welcher seit dem Beginn der neuen Organisation , an deren
Einrichtung er sehr wesentlich mitgewirkt hatte, dem Unternehmen mit
vollendeter Sachkenntniss und imermudlichem Fleisse vorgestanden
hatte, wurde uns am 25. Mai durch den Tod entrissen, und da seine
Stellung eine rein personliche gewesen war, bedurfte es, um die
Wahl eines Nachfolgers zu ermSglichen, schwieriger Unterhandlungen,
deren glucklicher Ausgang jetzt erhofft wird, aber noch nicht erfolgt
ist. Es fehlte also - eine , und zwar eine ganz ungewShnhche Arbeits-
kraft, und dass die dadurch hervorgerufene Stoning der Arbeiten
nicht noch fiihlbarer geworden ist, riihrt nur daher, dass Waitz
schon so bedeutend vorgearbeitet hatte; wir zehren noch inuner von
seinem Nachlasse , und es beginnt in nachster Zeit der Druck der von
ihm vollstandig ausgearbeiteten dSnischen Geschichtsquellen , so weit
sie Deutschland betreffen.
Wahrend nun mir die provisorische Leitung ubertragen wurde,
ernannte die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Vertreter in der
Centraldirektion neben Hm. Mommsen am 10. Juni Hm. Scheher, aber
auch dieser wurde uns schon am 6 . August durch den Tod entrissen. An
seiner Stelle ist am 24. Februar Hr. Brunner zum Vertreter gewahlt.
Die Wiener Akademie der Wissenschaften hat den Prof. Alphons Huber
in Innsbruck, neben Hrn. Hofrath Maassen, zu ihrem Vertreter in der
Centraldirektion gewShlt, wahrend der Hofrath Ritter v. Sickel derselben
auch femer als Leiter der Abtheilung Diplomata angehdren wird.
Einem testamentarlsch ausgesprochenen Wnnsche unseres ver-
storbenen Vorsitzenden entsprechend, wurde da» von ihm besessene
Exemplar der Monumenta Germaniae historica, welches auch schrift-
liche Bemerkungen von seiner Hand enth<, zum Gebrauche der Mit-
arbeiter aus seinem Nachlasse vermittelst einer aus dem Allerh5chsten
Dispositionsfonds hochgeneigtest gewShrten BewiUigung erworben, was
mit besonderem Danke anzuerkennen ist.
Grossere wissenschaflliche Reisen sind in diesem Jahre nicht
ausgefuhrt; nur zwei Handschriften in Leipzig und im Stiftsarehive
306 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des AUerh. Geburtstages.
in Sanct Gallen, welche nicht verschickt werden konnten, benutzte
Hr. Dr. Zeumer an Ort und Stelle , und Hr. Dr. Holder - Egger besorgte
im Reichsarchive zu Munehen und auf der dortigen Bibliothek einige
tuT den Abschluss des 1 5. Bandes Scriptores nSthige Arbeiten. Mit
gewohnter und immer dankbar anzuerkennender Bereitwilligkeit wurden
uns Handschriften zur Benutzung zugesandt von dem Staatsarchive in
Munster, den Bibliotheken in Wien, Munehen, Bamberg, Hannover,
Sanct Gallen , Leyden , im Haag und in Paris , letztere beide durch Ver-
mittelung des Auswartigen Amtes. Gutiger Fursprache der Akademie
verdanken wir die Zusendung einer bis dahin unbekannt gebliebenen,
durch Hm. Dr. Wernicki; in Bunzlau uns nachgewiesenen , nicht im-
wichtigen alten Handschrift deutscher Volksrechte aus der Bibliothek
des Grafen zu Solms auf Klitschdorf.
Zahlreiche Gelehrte haben unsere Arbeiten durch bereitwillig
ertheilte Auskunft uber Handschriften und Vergleichung derselben
unterstutzt.
Es liegt in der Natur unserer Arbeiten, dass die Vorbereitungen
und der Druck der einzelnen Ausgaben sich jahrelang hinziehen, und
es darf deshalb nicht befremden , dass , wie aus anderen Abtheilungen,
so auch aus derjenigen der Auctores antiquissimi, ein fertiger Band
in diesem Jahre nicht vorzulegen ist. Auch bei den an diese sich
zunachst anschliessenden Scriptores rerum Merovingicarum ist
der zweite Band, bearbeitet von Dr. Krusch, im Drucke weit fort-
geschritten, aber noch nicht vollendet. Gedruckt ist die Chronik
des sogenannten Fredegar mit ihren Fortsetzungen , nebst den Gresta
Francorum, jetzt Liber historiae Francorum benannt, zwei seit langer
Zeit sehnlich erwartete Ausgaben , deren sehr bedeutende neue Resultate
bereits durch vorlaufige MittheUungen des Herausgebers ihrem Wesen
nach bekannt geworden sind. Es fehlen noch zum Abschlusse des
Bandes die Lebensbeschreibungen frankischer Konige und ihrer An-
gehSrigen, wahrend die grosse Zahl der Heiligenleben aus merovin-
gischer Zeit den folgenden Banden vorbehalten bleibt. Auch diese
hat Hr. Dr. Krusch zu bearbeiten untemommen.
Von der Serie der Scriptores in folio ist der 15. Band ffir die
noch ubrigen Nachtrage aus der 2^it der Karolinger, Ottonen und
SaUer bestimmt, ffir Lebensbeschreibungen und kleine Monographien
verschiedener Art. Diese sind, weil im Anfang des Untemehmens
die Aufgabe desselben von Pertz noch als eine beschranktere auf-
gefasst war, ungemein zahlreich, so dass es sich als nothwendig
ergab, den Band zu theilen; eben jetzt wird deshalb die erste Halfte
ausgegeben, welche noch ganz, auch in der Correctur, von Waitz
besorgt ist. Ausser thm ist vorzuglich Dr. Holder -Egger als Bearbeiter
i
Berichte: Monumenta Germaniae historica. 307
vieler Stiicke thatig gewesen und ihm fiel nach dem Tode von Waitz,
welcher bis zum 92. Bogen noch die Correctur durchgesehen hatte,
die Hauptlast zu. Die jetzt erscheinende Halfte (72 Bogen) umfasst
nur die Zeit der Karoliiiger und den Anfang der Ottonen; war hier
fast ntir durch sorgfaltige kritische Bearbeitung mit Benutzung der
erreichbaren Handschriflen eine allerdings bedeutende Verbessening
der Texte zu erreichen, welehe von den verschiedensten , zum Theil
entlegenen Orten gesammelt, jetzt in ganz anderer Weise als firtiher
der wissenschaftlichen Forschung dargeboten werden, so wird die
zweite Halfte, deren Vollendung in eiriigen Monaten zu erw.arten ist,
auch einiges Neue darbieten konnen, vorzuglich die von Dr. Kade ent-
deckte Vita quinque fratnun von Bruno. Auch Dr. L. von Heinemann,
leider langere Zeit durch Krankheit gehindert, ist bei diesem Bande
thatig gewesen und beschaftigt sich mit der Ausarbeitung des Registers.
Gleichzeitig schreitet auch der 28. Band im Drucke vor, in welchem
Dr. LiEBERMANN die umfangreichen Auszuge aus^ englischen Geschichts-
quellen in sehr miihsamer Arbeit der Vollendung nahe gebracht hat.
Fur die Abtheilung der Deutschen Chroniken sind Prof. Schr5der,
Prof. Strauch in Tubingen, Dr. Seemuller in Wien, unausgesetzt thatig;
im Druck schon bedeutend vorgeschritten ist die Ausgabe der Kaiser-
chronik von Prof. Schroder, deren Abschluss bis zum Herbst zu er-
warten ist.
In der Abtheilung Leges ist der im vorigen Bericht schon an-
gekiindigte zweite Halbband der von Dr. Zeumer bearbeiteten Fomieln
erschienen, und hat durch die von der Heidelberger Juristenfacultat
dem Herausgeber zu Theil gewordene Ehrenpromotion eine erfreuliche
Anerkennung geftmden; derselbe hat seitdem die Bearbeitung der Lex
Romana Curiensis bereits fitst vollendet. Die neue Ausgabe der Lex
Alamannorum von Dr. K. Lehmann ist, nachdem auch die oben erwahnte
Handschrift des Grafen Solms noch dafur hat benutzt werden kOnnen,
im Manuscript fertig und wird in nachster Zeit zum Druck kommen.
In Betreff der Capitularien ist leider durch die Erkrankung des Prof.
BoRExros eine Stockung eingetreten.
Der Druck der Kaiserurkunden in der Abtheilung Diplomata,
imter der Leitung des Hofraths von Sickel, ist nach einer Unter-
brechung wieder aufgenommen ; an Stelle des durch Krankheit leider
an weiterer Arbeit verhinderten Dr. Fanta ist Dr. EEmi als Mitarbeiter
eingetreten.
In der Abtheilimg Epistolae ist der langere Zeit unterbrochen
gewesene Druck der Briefe Gregor's I. von Dr. P. Ewald wieder auf-
genonunen; der Druck des zweiten Bandes der von Dr. Rodenberg
bearbeiteten, einst von Pertz aus den papstlichen Regesten entnom-
308 24. Marz. Offentl. Sitzung zur Feier des Allerh. Geburtstages.
menen Schreiben, welche die Reiehsgeschichte unter Friedrich II.
beti^eflfen , sclireitet riistig vorwarts : fur das sechste Jahr Innocenz IV.
mit dem Unterschied , dass an die Stelle der Abschriften von Pektz
die eigene Ausbeutung des in der Pariser Nationalbibliothek befind-
lichen und giitigst iins zugesandten Originals der Regesten getreten ist,
welches von Pektz noch nicht benutzt war. Aber auoh der vorher-
gehende Theil ist durch zahlreiche Nachtr&ge aus den Vaticanischen
Regesten vervoUstandigt worden.
Neben diesen vorlaufigen Publicationen ist nun auch die syste-
matisch fortschreitende Bearbeitung und Herausgabe der in so grosser
Anzahl aus dem Mittelalter erhaltenen Briefe emstlich in Angriff ge-
nommen, nachdem Hr. Dr. Gundlach die miihsame, aber unentbehrliche
Vorarbeit eines Verzeichnisses der Briefe nebst den vorhandenen hand-
schriftlichen Hiilfsmitteln fur die Zeit bis zum Ausgang der Karolinger
durchgefiihrt hat.
Von der Abtheilung Antiquitates, unter der Leitung des Prof.
DuMMLEB ist die erste Halfte des dritten Bandes der Gedichte aus
karolingischer Zeit herausgegeben, bearbeitet von Dr. Tkaube; mit der
zweiten Halfte des Bandes ist Hr. Dr. Harstek in Speier beschaftigt.
Auch von der Sammlung und Bearbeitung der Nekrologien, von welcher
eine nicht unbedeutende FSrderung geschichtlicher Forschung zu er-
warten ist, hat zunachst ein Halbband ausgegeben werden konnen,
welcher die Sprengel von Augsburg und Constanz umfasst; Hr. Archiv-
rath Dr. Baumann in Donaueschingen wird zu diesen von ihm durch-
gearbeiteten Gebieten noch den Sprengel von Chur hinzuffigen, und
Hr. Dr. Herzbebg-Frankel in Wien die Ssterreichischen Nekrologien
folgen lassen.
Vorarbeiten fur diese mannigfaltigen Ausgaben, sowie wissen-
schaftliche Mittheilungen versehiedener Art, welche das Gebiet der
Monumenta Germaniae beriihren, enthalt das unter meiner Leitung
erscheinende Neue Archiv, von welchem der 1 2. Band in den nachsten
Tagen ausgegeben wird.
1 1 . Hr. CoNZE erstattete den Jahresbericht fiber das Kaiserlich
deutsche archaeologische Institut. Derselbe wird spater abgedruckt
werden.
Ausgegeben am 31. MSrz.
Berlin, gedruekt iu <ler KeirlmtlrurkereL
309
1887.
XVIU.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN
31. M&rz. Gesammtsitzimg.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. VON Sybel las fiber die Olmtitzer Punetation.
2. Hr. VON Helmholtz legte die umstehend folgende Mittheilimg
des Hm. Dr. A. K6nig hierselbst vor: fiber Newton's Gesetz der
Farbenmiscbung und darauf bezfigliche Versuche des Hrn.
EuGEN Brodhun.
3. Der Vorsitzende legte eine Mittheilung des Hm. Dr. J. Wilsing
vor fiber die Resultate von Pendelbeobachtungen auf der Potsdamer
Stemwarte zur Bestimmung der mittleren Dichtigkeit der Erde. Der
Abdruck wird in einem sp&tem Bericht erfolgen.
4. Die physikalisch-mathematische Classe bat der Schweizerbart-
schen Verlagsbuchhandlung in Stuttgart eine Beihfilfe von 500 Mark
zur Herausgabe des Werks des Dr. F. Noetling fiber das Vorkommen
des Jura am Hermon bewilligt, und die philosophiscb - bistorisehe
Classe Hm. Dr. K. Bezold in Mfinchen 600 Mark zu einer Reise nach
London behufs assyrologischer Studien.
Sitzuiigsberichte 1887. 29
311
Uber Newton's Gesetz
der Farbemnischimg nnd daianf bezogliche
Versuche des Hm. Eugen Brodhun.
Von Dr. Arthur Konig.
(Vorgelegt von Hrn. von Helmholtz.)
X5ei genauerer Betrachtung ergiebt sich, dass dem von Newton^ in
Verbindung mit seiner Anordniing der Farben zu einer Farbentafel
aufgestellte Gesetz der Farbenmischung mehrere Annahmen zu Grunde
liegen, deren Bestatigung durch die Erfahrung erst dem Gesetze
seine Giiltigkeit verleiht- Diese Annahmen sind zuerst von H. Geass-
MANN^ imd dann durch Hm. H. von Helmholtz^ in folgender Fassung
' ausgesprochen worden.
1. Satz. Jede beliebig zusammengesetzte Mischfarbe muss gleich
aussehen wie die Mischung einer bestimmten gesattigten Farbe mit Weiss.
2. Satz. Wenn von zwei zu vermischenden Lichtern das eine sich
stetig andert, so Sndert sich auch das Aussehen der Mischung stetig.
3. Satz. Gleich aussehende Farben gemischt geben gleich aus-
sehende Mischimgen.
In dem Nachfolgenden wird untersucht, ob diese drei Voraus-
setzungen gegenwartig noch als erfiillt anzusehen sind, wobei jedoch
nur trichromatische und dichromatische Farbensysteme berucksichtigt
virerden, well fur monochromatische zu wenige darauf bezugliche
Beobachtungen vorliegen.
I.
Der erste Satz ist bedingt durch Newton's Annahme einer kreis-
fermigen Gestalt der Farbentafel. Die in dem letzten Vierteljahr-
himdert mit immer steigender Sorgfelt ausgefiihrten Mischungen von
Spectralfarben haben nun ergeben, dass man bei trichromatischen
1 J. Newton, Optice. Lib. I. P. 11. Prop. IV., V., VI.
* H. Grassmann, Pogg. Ann. Bd. 89. S. 69. 1853.
• H. Helmholtz, Handbuch der Physiol. Optik. i. Aufl. S. 283.
29*
312 Gesammtsitzang rom 31. Marz.
Systemen in gewissen Bereichen des Spectrams aus homogenen Farben
die dazwiscben liegenden Farben ohne merkbaren Sittigangsonterschied
mischen kann; and auch keine der znr Zeit noch mit einander strei-
tenden Farbentheorien ninunt aof jenen Satz irgendwie Rucksicht, —
ja sie wnrden sogar nicht einmal geandert zu werden brauchen, wenn
sich bei fortsdireitender Feinheit and Sicherheit der Untersachangs-
methoden ergeben sollte , dass darch Mischang eine Farbe von grOsserer
S&ttdgang als die ihr in dem Tone entspirechende Spectral£urbe ent-
stehen kdnnte, d. h. dass die Linie, welche aaf der voUstandigen Farben-
tafel die Spectralfarben darstellt, an einer oder mehreren Stellen einen
gegen den Rand der Tafel concaven Verlaaf hatte.
Die gegenwartig zatreflFende Fassang des ersten Satzes ist dem-
nach in Bezag aaf trichromatische Systeme:
Jede beliebig zasammengesetzte Mischfiirbe ist entweder weiss
oder gleieh einer der darch HinzaAgang des Parpars zu
einer in sich geschlossenen Reihe erganzten Spectralfarben
oder gleieh einer Mischang dieser Farben mit Weiss.
Bei dichromatischen Systemen, wo an Stelle der Farben-
tafel eine Farbengerade tritt, laatet der erste Satz:
Jede beliebig zasammengesetzte Mischfiirbe ist irgend einer
Spectralferbe gleieh.
Es ist ersichtlich, dass darch diese Veranderang der Gnmdlage
das NEWTON'sche Mischimgsgesetz nicht in seiner Goltigkeit beruhrt
wird, sondem vielmehr eine, wenn aach geringe Erweiterang seines
Bereiches erf&hrt, indem sich jetzt noch Farbengleichangen als m5g-
lich erweisen, die man fruher als nicht herstellbar erachtete.
n.
Der zweite Satz steht seinem ganzen Inhalte nach noch immer
mit sftmmtlichen bisher gemachten Beobachtungen im £inklang. Seine
Unrichtigkeit warde einen discontinairlichen Verlaaf einer oder mehrerer
derjenigen Fimctionen beweisen, welche die AbhSngigkeit zwischen
ReizgrSsse and Empfindangsst&rke darstellen, was, soweit die gegen-
wftrtige Erfehrang reicht, ohne irgend welche Analogic aaf den Gre-
bieten der flbrigen Sinne wftre.
m.
Der dritte Satz enthalt in sich die Fordetung, dass jede Farben-
gleichimg anabhftngig von der Intensitat sein mass.
Konig: Uber Newton^s Gesets der Farbeninischung. 313
Denn es bestehe ffir irgend eine Intensitat die Farbengleichung :
fit . i, + ^ • I'a = a * ^3 + ^ • A »
man denke sicli daim dieselbe Gleichung noch einmal hingeschrieben
iind beide Gleichungen addirt, d. h. die Lichter auf beiden Seiten
gemischt, so erhalt man:
2fl6 • i, + 2^ • ij = 2a . L^ + 2b • L^
Oder, da dieser Process beliebig oft wiederliolt werderi kann, ganz
aUgemein:
Die Coefficienten a und h durfen also, wenn der dritte Satz er-
fUllt ist, bei der Herstellmig einer Farbengleichimg nicht von n ab-
hSugig sein, d. h.:
eine Farbengleicliung muss bestehen bleiben, wenn wir auf
beiden Seiten die Intensitat auf das nfache verandem.
Bei dichromatischen Farbensystemen hat ein gewisses homo-
genes Licht dieselbe Farbe, wie das weisse unzerlegte Sonnenlicht.
Eine hierauf bezugliche Farbengleichung enthalt also auf der einen
Seite eine einfache Spectralfarbe (den »neutralen Punkt der Farben-
blinden«) und auf der anderen Seite die Sunune der sammtlichen 6e-
standtheile des Sonnenlichtes.
Hr. Preyer^ hat zuerst gefiinden, dass diese Farbengleichung bei
steigender Intensitat imrichtig wrird, indem zu ihrer Wiederherstellung
dann das homogene Licht der einen Seite durch Licht kurzerer Wellen-
iSnge ersetzt werden muss. Ich selbst habe spater^ dieselbe That-
sache an drei anderen Individuen constatirt lind zugleich die Beziehung
zwischen d^r Intensitatssteigerung und der Grosse der erforderlichen
Welleniangenftnderung nSher bestimmt. Es fand sich, dass von einer
gewissen Intensitat an der neutrale Pimkt trotz weiterer Intensitats-
vermehrung dieselbe Lage beibehalt, wahrend seine Verschiebung bei
abnehmender Intensitat immer schneller vor sich geht.
Hm. HEBme's^ widersprechende Erfahrungen werden sich wohl
durch die ausschliessliche Benutzung von Helligkeiten erklaren, bei
denen der neutrale Punkt bereits eine constante Lage hat.
* W. Preyer. Pfluger's Archiv. Bd. 25, S. 31. 1881. Diese Abhandlung ist
auch separat erschienen unter dem Titel : Uber den Farben- und Temperatursinn mit
besonderer RQcksicht aiif Farbenblindheit Bonn 1881.
* A. KoNiG. Wiedemann's Annalen. Bd. 22, S. 567. 1884. Grafe*s Archiv.
Bd. 30(2), S. 155. 1884. — Centralblatt fiLr praktische Augenheilkunde. Jahrg. 1885.
Septemberhefl.
* E. Herino. -Lotos.* Neue Folge. Bd. VI. Separat erschienen unter dem
Titel: Uber individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes. Prag 1885. — Central-
blatt fQr praktische Augenheilkunde. Jahrg. 1885. Novemberhei't.
314 (^esammtsitzung vom 31. Mans.
Durch das freundliche Entgegenkommen des Hm. Greh. Rath
W. Waldeyer, der ein dichromatisches Farbensystem besitzt/ war ich
seitdem in der Lage, meine Ergebnisse noclimals einer vorurtheils-
freien, scharfen und sicheren Priifiing zu unterziehen. Bei geringer
Helligkeit wurde for Hm. W. Waldeyer's Augen eine derartige Farben-
gleichung hergestellt und, nachdem anf beiden Seiten die Intensitat
etwa anf das fonffache vermehrt war, erklSrte Hr. Waldeyer, der
gar nicht wusste , zu welchem Zwecke die Prufiing angestellt wurde :
•Jetzt ist das linke Feld { — und das war das monochromatisch er-
leuchtete — ) viel gelber als das rechte.« Es wurde dann der Ver-
such in umgekehrtem Sinne mit entsprechendem Ergebnisse wiederholt.
Ich halte somit diese Frage fiir abgeschlossen und betrachtete
es als selbstverstSndlieh , dass Hr. Eugen Brodhun, der gegenwartig
im Physikalischen Institute der hiesigen Universitat sein dichroma-
tisches Farbensystem^ nach verschiedenen Bichtungen untersucht, zu
demselben Resultate kam. Seiner scharfen Beobachtung entging aber
ein Umstand nicht, der bisher immer unbemerkt geblieben war, dass
namlich bei steigender Intensitat die StSrung der Farbengleichung in
der Art geschieht, dass das weisse, d. h. zusammengesetzte Licht
seinen Ton fast nicht Sndert, wahrend das ihm anfanglich gleiche
homogene Licht betrachtlich gelber wird. Um jede Tauschung durch
Contrast auszuschliessen , wUrden beide Lichter jedes far sich bei ver-
schiedenen Intensitaten betrachtet. Die Farbentonanderung des homo-
genen Lichtes war auch dann um so viel grSsser, dass sie zur sicheren
Unterscheidung des letzteren von dem zusammengesetzten Lichte dienen
konnte. Hr. Brodhun vereinfechte nun die Versuchsanordnung in der
Art, dass er eine Mischimg von Lichtem der Wellenlangen Gi^fJifx
und 460 jLtjLt mit licht aus dem zwischen diesen Componenten liegen-
den Theile des Spectrums verglich. Schreiben wir die hier bei
niedrigster Intensitat hergestellte Farbengleichung in der Form
WO i;, nacheinander Spectrallicht von der Wellenlange 580, 560,
540, 520, 500 und 480 jLtjLt bedeutet, wahrend die beiden anderen
Indices sich auf die Wellenlangen der Mischimgscomponenten beziehen,
und stellen wir dieselbe Farbengleichung bei nfacher Intensitat durch
* Vergl. A. KoNiG und C. Dikterici. Sitzungsbericht der Berliner Akademie
vom 29. Juli 1886. Hr. Geh. Rath W. Waldeyer ist einer der dort naher unter-
suchten »Farbenblinden«.
* Hrn. E. Brodhun's Farbensystem ist ebenfalls schon fruher von Hrn. C. Dikterici
und mir untersucht worden. Vergl. die eben citirte Abhandlung.
KoNio: Uber Newton's Gesetz der Farbenmischung.
315
dar, so zeigte sich, dass nur bei X = 480 jixu die Coefflcienten a und h
von n unalbhangig waren , wfthrend sonst , wie Hr. Brodhun im Vor-
aus rich tig vennuthet hatte , im allgemeinen mit wachsender Intensitat a
zunahm, hingegen b abnahm. Bei K= 540jLi)Lt und X= ^SofjLfjL trat
ein Maximum dieser Abhangigkeit auf. Als Beispiel fm die Grosse
der beobachteten Anderungen m5gen bier die Werthe von a und b
fur X = 500 jLtjLt imd 560 jLtjit dienen. Die voUstandigen Reihen sowie die
genauere Angabe liber die gewfthlten Maasseinheiten wird Hr. Brodhun
in einiger Zeit selbst verSflfentlichen.
h - V
i.-V
n
a
b
n
a
b
I
2
4
8
16
32
0.050
0.047
0.052
0.047
0.046
0.045
2.25
1.68
149
1.22
1. 12
1.05
I
2
4
8
16
32
0.049
0.055
0.064
0.076
0.075
0.076
4.28
3.02
143
0.75
0.36
0.1 14
Wurde in. der Gegend des neutralen Punktes (etwa 500 jLijLt) das
Mischungsverhaltniss a : b festgehalten , und dann bei verschiedenen
Intensitaten die Wellenlange des in der Farbe gleichen homogenen
Lichtes bestimmt, so erhielt Hr. Brodhun eine Curve, welche fast
dieselbe Gestalt besass, wie die von mir bei der Bestimmung des
Fortruckens des » neutralen Punktes* erhaltene. Um auch in den
iibrigen Theilen des Spectrums die VerhSltnisse kennen zu lemen,
wurden zunachst Lichter von der Wellenlange Q^jofifx imd 590|LtjLt
zur Farbe des Lichtes von der Wellenlange 6^0 fi^ gemischt. Hier
war die Abhangigkeit von der Intensitat eine ziemlich geringe, und
zwar anderte jetzt die Mischung ihren Farbenton mit steigender Inten-
sitat nach dem langwelligen Ende des Spectrums hin, d. h. sie wurde
fiir Hm. Brodhun's dichromatisches Farbensystem gesattigter. Da das
Licht von der Wellenlange 590jLi|Lt mit zunehmender Lichtstarke fiir
Hm. Brodhun gesattigter wurde, wahrend bei den Welleniangen 6']o\jl^
und 630|LtjLt fiir ihn der Farbenton ziemlich unverandert blieb, so war
auch das Ergebniss dieses Versuches von ihm vorausgesehen worden.
Endlich zeigte sich eine Farbengleichung zwischen 46o|LtjLt einerseits,
und 475|tx|tJt und 430|U|Lt andererseits imabhangig von der Intensitat.
Um nahe liegenden Einwurfen gegen die Richtigkeit dieser Resul-
tate von vomeherein zu begegnen, bemerke ich noch, dass bei alien
diesen Versuchen, wie auch bei den welter unten angegebenen auf
mein eigenes trichromatisches System bezuglichen die Anderung der
Intensitat an dem HELMHOLTz'schen Farbenmischapparat in dreierlei
316 Gesammtsitzung vom 31. Marz.
Weise, und zwar jedesmal mit demselben Ergebnisse, ausgefiihrt
wurde:
einmal durch gegenseitige Drehung von zwei dem Ocularspalt
vorgesetzten NicoL'schen Prismen,
dann durch Anderung der H6he des von jedem der erzeugten
Spectren in seiner ganzen Langenausdehnung v5llig gleichmHssig
erleuchteten Ocularspaltes
nnd endlich durch Anderung der Breite der Objectivspalten,
wobei die Einrichtung getroflfen war, dass beide Spaltbacken sich
gleichmEssig auseinander oder gegeneinander schoben, die Mitte des
Spaltes also genau ihren Ort beibehielt.
Schon fruher hat Hr. A. J. van der Weyde^ in Hm. Dondebs'
Laboratorium far sein dichromatisches Farbensystem eine &hnliche
Abhangigkeit der CoefBcienten gewisser Farbengleichungen von der
Intensitat bemerkt, ohne jedoch die Beziehung seiner Beobachtungen
zu der Bichtigkeit des NEwroN'schen Farbenmischgesetzes zu beachten.
Bei den von Hm. C. Dieterici und mir ausgeffihrten Unter-
suchungeh haben wir bereits bei einem der dichromatischen Farben-
systeme eine ahnliche Veranderlichkeit der Gleichungen gefiinden.*
Wenn sie bei den vier anderen untersuchten Personen nicht so
bemerkt wurde, wie es jetzt durch Hm. Brodhun geschehen ist, so
lag dieses an der ziemlich hohen Intensitat, bei der wir die Farben-
gleichungen herstellen liessen. Ob die dort vermuthete Beziehung zu
dem Pigment der Macula lutea noch aufrecht erhalten werden kann,
muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
In Bezug auf die Verftnderlichkeit der Farbengleichungen bei
trichromatischen Systemen liegt meines Wissens nur eine einzige
Beobachtung vor, indem namlich Hr. Albert^ fand, dass ein aus
Roth und Grun gemischtes Gelb bei abnehmender Intensit&t einen
rothen Ton erhait, w&hrend ein bei mittlerer Intensitat gleichferbiges
homogenes Grelb dm^ch Herabsetzung der Intensit&t grunlich wird. Ich
kann diese Beobachtung far das gemischte Gelb entschieden bestatigen,
far das monochromatische ist sie mir aUerdings etwas weniger sicher.
Jeden&Us ist eine bei mittlerer Intensitat gultige Farbengleichung bei
niedriger nicht mehr richtig. Solche Beobachtungen scheinen aber'bei
trichromatischen Systemen viel schwieriger als bei dichromatischen
zu sein. Am leichtesten sind sie noch, wenn man eine bei mittlerer
^ A. J. VAN DEE Weyde, OnderzoekiDgen gedaan in het Physiol. Laborat der
Utrecht'sche Hoogeschool. 3** Reeks D. VII Bl i. 1881. — Grape's Arcbiv, Bd, >8(i)
S. I. 1882.
* A. K5nio und C. Dieterici, Sitzungsberichte der Berliner Akademie. 1886. S.808.
* £. Albert, Wixd. Ann. Bd. 16. S. 129. 1882.
Konig: Cber Newton's Gesetz der Farbemnischung. 317
Intensitat richtige Farbengleichung auf beiden Seiten in ihrer Hellig-
keit sehr stark herabsetzt. Ich selbst habe in solcher Weise Prafiingen
folgender Farbengleichungen angestellt, bei denen die Indices wieder
die Wellenlange der Spectrallichter in' Milliontel Millimeter anzeigen.
Die Gleichheit wird in einem weisslichen Gelb gefiinden, dessen
Sattigung auf der linken Seite mit abnehmender Lichtstarke mehr
als auf der rechten verringert wird.
2. a', ig^o + fe"-i>5go = £530.
Bei abnehmender Intensitat wird die Mischung weisslicher.
3- ^'" • A75 + ^''' • A30 = -^460-
Die Gleichung bleibt bei alien Intensitaten bestehen.
Aus diesen Beobachtungen zeigt. sich, dass im allgemeinen die Ver-
hSltnisse in meinem und Hrn. Brodhun's Farbensystem die gleichen sind.
Trotz Hm. E. Hering's,^ Hrn. J. v. Kries' und Hm. Brauneck's^
entgegengesetzten Erfahrungen muss ich unbedingt an der Richtigkeit
meiner und Hm. E. Brodhun's Beobachtungen festhalten. Worin die
Ursache der Differenz zu suchen ist, kann erst der Gegenstand weiterer
Untersuchungen sein, zu denen bereits die einleitenden Schritte ge-
than sind und welche dann auch die Beziehung der hier beob-
achteten Erscheinungen zu den bei trichromatischen Systemen eben-
falls vorhandenen Anderungen des Farbentones der Spectralfarben bei
wach sender und abnehmender IntensitSt und bei Mischung mit Weiss
in den Kreis der Betrachtung zu Ziehen haben.
Uberhaupt ist durch die Erschutterung der dritten Voraussetzung
des NEWTON'schen Farbenmischgesetzes und durch die damit verbundene
Einschrankung der Gultigkeit des letzteren dem physiologisch-optischen
Versuche ein neues, noch vOllig unbegrenztes Gebiet flbergeben, auf
dem wahrscheinlich die Schliissel fiir viele bisher noch unerklai*te
Thatsachen zu finden sind.
^ E. Herino. » Lotos.- Neue Folge. Bd. VI, 1885. Separat erschienen unter
dem Titel: Uber individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes. Prag 1885. —
Centralblatt fiir praktische Angenheilkunde. Jahrg. 1885. Novemberheft. — »Lotos«.
Neue Folge. Bd. VII, 1886. Separat erschienen unter den Titel: Uber Newton's
Gesetz der Farbenmischung. Prag 1887.
^ J. V. Kries und Brauneck. Archiv far Anatomie und Physiologie. Physio-
logische Abtheilung, Jahrg. 1885, S. 79.
Ausgegeben am 7. April.
Berlin, gednickt in der Reicbsdruckerei.
Sitzungsberichte 1887. 30
319
1887.
XIX.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
»
14. April. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen (L V.).
Hr. ScHKADER las liber die keilschriftliche babylonische
KSnigsliste. 11.
Die Mittheilung erscheint in einem der nachsten Beiichte.
Ausgegeben am 28. April.
Sitzungsberichte 1887. 31
321
1887,
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
14. April. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. E. du Bois-Reymond (i. V.),
1. Hr. EwALD las iiber die Verbreitung der untersten
Kreidebildungen im nSrdlichen Deutschland.
Die Mittheilung wird spater gedruckt werden.
2. Hr. Roth legte zwei ihm vom vorgeordneten Ministerium in
dankenswerther Weise zur Verfiigung gestellte Consularberichte liber
neuere vuleanisc^he Erscheiniingen vor, deren einer, aus Genua, das
Erdbeben langs der Riviera di Ponente, der andere, aus Honolulu,
einen Ausbruch des Mauna Loa bescbreibt.
Ausgegel»en am 28. April.
31»
323
1887.
XXI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
21. April. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen (i. V.).
1. Hr. DiELS las fiber Herodot und Hekataios.
2. Das con*espondirende Mitglied der philosophisch-historischen
Classe Hr. Joseph -Noel Natalis de Wailly ist in Paris am 4. De-
cember 1886 verstorben.
3. Die von der Akademie vollzogene Wahl des Spanischen Ge-
nerals Don Carlos Ibanez zu Madrid, Prasidenten der Permanenten
(Commission der Internationalen Erdmessmig, zum Ehrenmitgliede , hat
unter dem i. April c. die AUerhOchste BestSltigmig erhalten.
325
Adresse an Hm. Ernst Betbigh
zur Feier seines fimMgjahrigen DoctorjuMaums
am 12. April 1887.
Hochgeehrter Herr,
Uie Akademie der Wissenschaften bringt Hinen, dem langjahrigen
Genossen, an dem Tage, an welchem Dinen vor fiinfzig Jahren die
Doctorwurde verliehen worden ist, ihre warmsten Gliickwunsche dar.
Der Anfang Ihrer wissenschaftlichen Thatigkeit fallt in die Zeit, in
welch er der erbitterte Kampf um geogenetische Hypothesen zwar einer
ruhigeren Betrachtungsweise Ranm zu geben begann, aber doch die
Geologen noch vielfach in Anspruch nahm. Sie haben stets einen
sicheren Weiterbau der Geologie auf dem Grunde positiver Forschungs-
ergebnisse vorgezogen. Sie haben es vorgezogen, Werke zu zeitigen,
welche ein bleibender Besitz der Wissenschaft ge worden sind.
Von dem Ernst, womit Sie in diesem Sinne die Vorbereitungen fiir
den Beruf des Geologen getroffen haben, giebt Ihre erste schon wahrend
der Studienzeit verSffentlichte Schiift Zeugniss, in welcher Sie den Phe-
nakit nach einem von Ihnen entdeckten Vorkommen im Elsass beschrieben
haben. Die strenge krystallographische Behandlung dieses Minerals rief
den Beifall des grossen Mineralogen Christian Samuel Weiss hervor.
Inzwischen gewannen Sie die Uberzeugung , dass die Geologie
in ihrem damaligen Znstande vor Allem einer kraftigeren FSrderung
durch die Palaeontologie mid die darauf beruhende Stratigraphie be-
durfe, in denen sich die Geschichte der Erde am Unzweideutigsten
abspiegelt. Die Ausbildimg dieser bis dahin wenig gepflegten Dis-
ciplinen machten Sie sich zur Lebensaufgabe imd hatten darin bald
die glanzendsten Erfolge zu verzeichnen.
In den zahlreichen palaeontologischen VeroflFentlichungen , welche
man Ihnen verdankt, haben Sie Monographien geschaffen, die nicht
nur entscheidenden Einfluss auf die Altersbestimmxmg der Gesteins-
schichten, sondern auch Bedeutung fiir die Systematik der Zoologie
erlangt haben. Uberall begegnet man darin einer imubertroflFenen
Behandlung palaeontologischer Aufgaben, in welcher scharfes Unter-
scheiden und gluckliches Zusammenfassen neben einander gehen.
In Ihren stratigraphisch - geotektonischen Arbeiten war die Auf-
fassung grosser Verhaltnisse geboten; es waren die Massen durch
326 Gesammtsitzung vom 21. April.
Gliedenmg zu bewaltigen. Auch hier haben Sie sich als Meister
erwiesen. Fiii* zahbeiche Gebirgsdistricte haben Sie das Verstandniss
des inneren Zusammenhanges er5ffnet.
Zu dieser Reihe von Arbeiten gehSrt Dire Erforschung der Tertiax-
gebilde des n5rdlichen Deutschlands, welche, von der Entdeckung fossiler
Reste in der Mark Brandenburg ausgehend, ini Gebiete der jungeren
Formationen bahnbrechend geworden ist, indem sie Ihnen Veranlassung
zu neuen SchichtengiTippirungen gegeben hat. Die Einfiihrung der
Oligocan- Formation ist for tan mit Ihrem Namen fest verbunden.
Aber wohin auch sonst die stratigraphischen und geotektonischen
Untersuchungen Sie leiten mochten : zu den alten Bildungen des rhei-
nischen Ubergangsgebirges oder des Harzes , oder zu dem Flotagebirge
Schlesiens, oder zu den Gipfeln des alpinen Hochgebirges , uberall
ist es Direm eindringenden Blick gelungen, den sich darbietenden
Problemen der Gebirgswelt neue Angriffspunkte abzugewinnen , unsere
geologischen Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen.
Wahrend die meisten Ihrer Forschungen dem vaterlandischen
Boden gwidmet waren, wurde Ihre Aufinerksamkeit auf entlegene und
fast unbekannte Punkte unseres Erdballes gelenkt. Als dem Pfleger
unserer heimischen palaeontologischen Sammlungen gingen Ihnen zahl-
reiche von kuhnen Reisenden heimgesandte Schatze zu, die in Dinen
einen Bearbeiter gefimden haben. Nicht selt-en haben Sie von schein-
bar unerheblichen Bruchstiicken sichere Schliisse auf die Zusammen-
setzung ganzer Landstriche gezogen. Die Insel Timor und Tl^eile von
Afiica sind uns dadurch geologisch nahe geriickt.
Durch alle diese Arbeiten, an denen wir neben der Fulle xmd Sicher-
heit der Ergebnisse die geistvolle Durchfiihrung und klare Darstellung
bewundern, haben Sie sich zu der hervorragenden Stelle erhoben, die
Sie in der ersten Reihe der Palaeontologen und Geqlogen einnehmen.
Weniger unmittelbar, aber liberaus wirksam haben Sie die Geo-
logic sowohl durch Lehre und Beispiel als durch den Vorschub ge-
fi)rdert, welchen Sie alien seit den letzten fiinfisig Jahren bei uns
hervorgeiiifenen geologischen Unternehmungen , sei es zu deren Be-
griindung, sei es zu ihrem Gedeihen geleistet haben.
Herzlich wiinschen wir Ihnen, dass Sie sich Dires fruchtbringen-
den Schaffens und der Genugthuxmg, auf ein reiches, ruhmvolles wissen-
schaftliches Leben zuriickblicken zu kSnnen, noch lange erfreuen mOgen.
Die Koniglich Preussische Akademie der Wissenschaften.
327
Mittheiliing
liber die Resultate von Pendelbeobachtungen zur
Bestimmiing der mittleren Dichtigkeit der Erde.
Von Dr. J. Wilsing
in Potsdam.
(Vorgelegt von Hrn. Auwers am 31. Marz [s. oben ^. 309].)
In dem Sitzungsbericht vom 1,5. Januar 1885 hal>e ich eine neue
Metliode znr Bestimmung der mittleren Dichtigkeit der Erde durch
Pendelbeobachtungen angegeben. Ich habe seitdem eine Reihe von
Beobachtungen nach dieser Methode durchgefiihrt und gebe hier einige
Mittheilungen uber den Gang der Beobachtungen und die erlangten
Resultate, welche in den Publicationen des Astrophysikalischen Obser-
vatoriums Jiusfiihrlich veroffentlicht werden sollen.
Das Pendel, welches von Repsold mit ausgezeichneter Sorgfalt
ausgefiihrt ist, besteht aus einem i"* langen gezogenen Messingi'ohr
von 4""" Durchmesser , dessen Enden Kugeln aus Rothguss von etwa
550^ Gewicht tragen. Durch die Mitte des Rohrs ist die mit ihm
fest verbundene 6*"" lange Achatschneide geffihrt, welche auf einem
gleichfalls aus Achat bestehenden Lager von gleicher Lange aufliegt.
Am oberen Ende des Instruments k5nnen di*ei kleine, leicht zu ent-
fernende Messingscheiben aufgelegt werden. Die ' Beobachtung der
Schwingungsdauer mit und ohne Scheiben liefert die fur die Rechnimg
nothwendigen Reductionsconstanten , also das TrSgheitsmoment imd die
Lage des Schwerpunkts des Pendels. Unmittelbar neben der Schneide
befinden sich kleine Spiegel, welche eine genaue Beobachtung der Os-
cillationen mit Hfilfe des Fernrohrs erm5glichen. Eine Corrections-
schraube am oberen Ende des Instruments dient zur Berichtigung der
Gleichgewichtslage.
Durch die Wahl des Materials (Messing, Glas, Achat) waren
magnetische StSnmgen ausgeschlossen ; ausserdem waren als leitende
Gesichtspunkte bei der Construction dieses ausserordentUch einfachen
und mechanisch iibersichtlichen Apparats maassgebend: Erzielung
328 Gesammtsitzung vom 21. April. — Mittheilung vom 31. Marz.
m5glichst grosser Stabilitat mid Sicherheit gegen Durchbiegung bei
geringem Gewicht, femer Vermeidiing von inneren Spannimgen, also
Homogenitat und symmetrische Anordnnng der einzelnen Theile in
Bezug auf die Schneide. Es liess sich dann erwarten, dass die bei
feinen Messungen dieser Art besonders storend auftretenden Temperatur-
einflusse vermleden oder doch die dadurch bewirkten Fehlerquellen
bei passender Anordnung der Beobachtungen wurden beseitigt werden
konnen. In der That ist diese Erwartung, insoweit sie constant
wirkende Fehlenirsachen betrifft, dnrch die bisher gemachten I>fah-
rungen wesentlich bestatigt worden. Die Bewegung des Pendels ist
nocli bei einer Schwingimgsdauer von drei bis vier Minuten von voll-
kommener Regelmassigkeit. Das Instilment wird in den grSssten
Elongationen for eine kurze Zeit stationar, welche genugt, um seine
Stellung an einer 5™ entfernten Scala bis auf die Bogensecunde genau
abzulesen. Die Schwingungsdauer wurde aus den Durchgangszeiten
bestimmter, zm* Gleichgewichtslage symmetrisch gewahlter Scalen-
striche gefimden. Diese Durchgangszeiten liessen sich am Chrono-
meter auf Zehntel Zeitsecimden schatzen. Der Einfluss der Abnahme
der Schwingungsbdgen auf den Unterschied der beobachteten Dm*ch-
gangszeiten, insofem derselbe von der Lage des gewahlten Scalen-
striches in Bezug auf die Gleichgewichtsstellimg abhangt, liess siph
mit praktisch ausreichender G^nauigkeit elimihiren, wenn stets zwei
bei entgegengesetzter Bewegungsphase beobachtete Doppelschwingungen
zu Mittelwerthen combinirt wurden. Der Einfluss der Beobachtungs-
fehler auf die Bestimmung der Dauer jeder Schwingimg wurde so
dm'ch Vermehrung der beobachteten Durchgange auf wenige Hundert-
theile der Zeitsecunde herabgedruckt.
Bei sammtlichen Reihen zeigte sich nun, dass die gewohnliche
Reduction auf unendlich kleine Schwingungen nicht ausreichte, um
die Beschleunigung der Oscillationsdauer mit abnehmender Amplitude
innerhalb der Genauigkeit der Beobachtungfen darzustellen , da sich
der ganze Betrag dieser Beschleunigung bei einer anfanglichen Elon-
gation von i?5 auf mehrere Secunden belief. Bessel hat bereits bei
seinen Untersuchungen uber die LS-nge des Secundenpendels nach-
gewieseU; dass die Gestalt der Pendelschneide praktisch nicht ohne
Einfluss auf die beobachteten Schwingungszeiten ist. Nimmt man
den Querschnitt der Schneide innerhalb der Ausdehnung der Schwin-
gungen als kreisformig an, so wird die verbesserte Schwingungs-
dauer durch den Ausdruck T=^Tr\/ -r^i-— ffeereben , wo a der
Radius der Abstumpfung ist, ferner M die Masse des Pendels, MK^
das Tragheitsmoment und s die Entfemung des Schwerpunkts von der
Wilsing: liber die Resultate von Pendelbeobachtungen li. s. w. 329
Schneide bezeichnet. Unter der gleichen Form iSsst sich nach Bessel
auch die Wirkung darstellen, welche die durch die Bewegung der
Schneide hervorgebrachten elastischen Deformationen der Unterlage
ausiiben. Bei der Geringfiigigkeit dieser stSrenden Krafte ist fiir das
gew5hnlich benutzte Material, Stahl und Achat, die Gr5sse a prak-
tisch nahe constant; fQr Unterlagen aus Messingdrfthten fand Bessel
jedoch eine merkliche Abnahme der Schwingungsdauer seines Pendels
mit dem Schwingungsbogen. In die vorliegenden Beobachtungen gehen
diese St6rungen mit einem starken VergrSsseinmgsfactor ein, da bei
dem von mir benutzten Pendel der Schwei-pmikt nur um Gr5ssen von
der Ordnung eines Hunderttheils des Millimeters von der Schneide
entfemt ist; die Art der Abhangigkeit der Schwingungsdauer von der
Amplitude lasst sich daber aus den erheblich grSsseren St5rungs-
betrSgen deutlicher erkennen und mit grosserer Sicherheit bestimmen,
weshalb ich die Versuche weiter ausgedehnt habe, als es far den
Zweck der Reduction meiner Beobachtungen selbst erfbrderlich ge-
wesen w^re.
Bezeichnet man mit T^ die Schwingungsdauer des Pendels bei
der Amplitude <^ in Scalentheilen (1^=3.57 Bogenminuten ) , mit %
und %o nur von <p abhSngige Functionen, mit s die Entfemimg des
Schwerpunkts des Pendels von der Schneide, so hat man die Be-
ziehung :
r^-r,^i+^)=r,(i + %„r,').
Fiir %o ergab sich dann aus den Beobachtungen die quadratische
Formel :
y^ = 800 • I o"'°</) — 6.2 • 1 0~'°</)' .
Dieser einfache Ausdiiick stellt die Anderung der Schwingungs-
zeit far den ganzen Umfang der Beobachtungen zwischen einer Minute
und drei Minuten Dauer dar. Die Grosse %^ andert sich far Pendel
von verschiedener Gestalt und Masse und fiir verschiedene Unterlagen,
doch zeigte sich, dass in ersterer Hinsicht zwischen den einzelnen
Werthen eine einfache Beziehung besteht. Die Bestimmung nach
Entfernung der Kugeln vom Pendel ergab namlich far das Verhalt-
niss der beiden Werthe —,-;-— eine constante Zahl, welche nahe gleich
dem umgekehrten Quotienten der zugehorigen Tragheitsmomente ist.
Was den Einfluss des Lagers betrifft, so erhielt ich for
ein Lager aus gehartetem Stahl fast genau identische Zahlenreihen
mit den far das Achatlager gefundenon, fiir ein T^ger aus weichem
330 GesfttntntsitzuDg Vom 21. April. — * Mittheilung vom 31. Mani.
Stahl erreichten aber die Werthe von %q etwa das dreifache dieses
Betrages. ^
Diese for die Bewegungserscheinungen eines jeden iim eine
Schneide schwingenden Apparats gultigen Betrachtungen gewinnen
ein allgemeineres Interesse durch die Bedeutung, welche sie fur die
exacte Bestimmung der LSnge des Secundenpendels haben. Der Ein-
fluss des Schwingungsbogens auf die Oscillationsdauer wird bei Be-
nutzung des Reversionspendels durch Verbindung solcher Beobach-
tungen eliminirt, welche bei gleichen Amplituden in beiden Lagen
des Instruments ausgefiihrt sind, ein Verfisthren, welchem die Voraus-
setzung zu Grande liegt, dass bei der Vertauschung der Schneiden
des Pendels die Constanten der Reductionen keine Andenmg erfehren.
Die Genauigkeit dieser Annahme liesse sich durch directe Bestimmung
der fraglichen Reductionen einer Pnifimg unterziehen.
Ausser den Versuchen fiber die Bestimmung der Schwingungsdauer
habe ich auch Versuche iiber die Abnahme des Schwingungsbogens
angestellt, da die Kenntniss derselben fur die Berechnimg der Gleich-
gewichtslage des Instruments aus den beobachteten grossten Elonga-
tionen von Wichtigkeit ist. Setzt man den Betrag der Dampfiing,
welche bei der Empfindlichkeit des Apparats eine sehr betrS-chtliche
ist, der Geschwindigkeit der Bewegung proportional, so ergiebt sich
bekanntlich fiir die auf einander folgenden Amplituden eine geome-
trische Proportion. Kleine Abweichungen von der Proportionalitat,
welche sich in den meisten Beobach tungen finden, hat man gewohnhch
durch complicirtere Annahmen iiber den Zusammenhang zwischen
Geschwindigkeit und Luftwiderstand darzustellen gesucht, wie dies
z. B. von Gronau (Uber die Bewegung schwingender K5rper im wider-
stehenden Mittel) geschehen ist. Allein bei so langsamen Schwingungen
mit geringer Amplitude, wie sie hier vorUegen, ist die Ursache der
storenden Krafte mit grosserer Wahrscheinlichkeit in den Deformationen
von Schneide und Lager zu suchen, wie dies bereits fiir die Schwin-
gungsdauer gezeigt wurde. In der That liessen sich die geringen
Abweichungen von dem logarithmischen G^setz der Amplituden-
* Ei*st nach Abschluss meiner Untersuchungen wurde ich mit den int«re>ssant«n
Etudes sur la Balance von Hrn. Thiesen (Travaux et Memoires du Bureau international
des Poids et Mesures T. V) bekannt. In dieser Arbeit sind Beobachtungsreihen flber
den Schwingungsverlauf einer ScHicKERT'schen Wage discutirt, welche auf Veranlassung
von Hrn. Foerster im Gebaude der Kaiserlichen Normal -Aichiings- Commission in Berlin
angestellt worden sind. Auch in diesen Reihen spricht sich eine continuirliche Abnahme
der Oscillationsdauer mit der Amplitude der Schwingungen aus. Eine erschopfende
Untersuchung des Vorgangs war aber nicht moglich, da die numerischen Betrage bei
den schnellen Schwingungen der Wage (14 bis 26 Secunden) noch zu gering waren,
um die oben erwahnten einfachen Beziehungen zwischen den Schwingungszeiten deutlich
hervortreten zu lassen.
Wilsing: IJber die Resultate von Pendelbeobachtungen u. s. w. 331
abnahme in analoger Weise, wie die StSrungen der Schwingungsdauer,
durch ein dem Quadrat der Schwingungszeit proportionales Glied dar-
stellen, dessen numerischer Betrag ffir die Schwinguiigen mit und
ohne die Pendelkugeln bei gleicher Amplitude ebenfalls den zugehSrigen
Tragheitsmomenten umgekehrt proportional ist. Damit waren die
Bewegungserscheinungen des Pendels auf einfiiche und wesentlich be-
kannte Ursaclien zuriickgefohrt , und zugleich mit der wunschens-
werthen Praecision numerisch dargestellt.
Ich wende mich nun zur Beschreibung der Versuche , welche icli
zur Bestimmung der mittleren Dichtigkeit der Erde angestellt habe.
Der Beobachtungsraum befindet sicli im Souterrain des Observa-
toriums und hat eine quadratische Grundflache von 4™ Seitenlange.
In seiner Mitte ist eine eiserne Console far das Pendel an einem
starken, vom Fussboden isolirten Backsteinpfeiler angebracht. Das
Instrument befindet sich in einem Holzkasten, der zu besserem Schutze
gegen Temperatui'einfliisse noch mit einem Blechmantel umgeben ist.
Das Beobachtungsfernrohr ist gleichfalls auf einem Backsteinpfeiler in
einem an den Raum unmittelbar anschliessenden Gauge gelagert. Als
anziehende Massen dienten zwei gusseiseme Cylinder, deren Gewicht
(j® 325^ durch Wagimg direct bestimmt wurde. Sie waren mit
Hulfe eines Systems von Rollen so aufgehangt, dass sie sich gegen-
seitig im Gleichgewicht hielten, und ihre horizontal gerichteten Axen
durch die Mittelpunkte der oberen bez. unteren Pendelkugel gingen.
War dann die Gleichgewicht«lage des Instruments durch Beobachtung
von vier aufeinander folgenden Elongationen bestimmt, so wiu'de die
Stellung der Massen vertauscht, und sofort die neue Gleichgewichts-
lage ermittelt. Die Diflferenz beider Stellungen des Pendels gab das
Maass fur die doppelte Anziehung der Massen. Diese einfache und
schnell ausfiihrbare Messung ermSglichte eine gleichfbrmige Verthei-
limg der Beobachtungen und eine sichere Interpolation, zumal da eine
Arretirung des Instruments, mit welcher Unstetigkeiten in der Be-
wegung der Gleichgewichtslage verbimden sind, nicht stattzufinden
brauchte. Der numerische Betrag der Ablenkungen des Pendels oder
der Unterschied der Gleichgewichtslage bei beiden Stellungen der an-
ziehenden Massen liegt je nach der Justirung der Empfindlichkeit des
Instruments zwischen einer und zehn Bogenminuten. Doch wird es
mSglich sein, bei noch grosseren Empfindlichkeitsgraden zu beobachten,
wenn es gelungen ist die Temperaturstorungen , welche dann im Gunge
der Gleichgewichtslage merkjicher hervortreten , vollkommen zu be-
seitigen.
Ich hoffe, dass durch die Vorkehrungen , welche bereits in dieser
Beziehung getroffen sind, und welche im Wesentlichen in einer noch
332 Gesammtsitzung vom 21. April. — Mittheilung vom 31. Marz.
vollkommeneren Abschliessung des Beobachtungsraums, in derBewegung
der anziehenden Massen vom Nebenraum aus, und in der Beseitigung
der mit der Beleuchtung der Seala verbiindenen Temperaturzunahme
bestehen, die Leistungsft.higkeit des Instruments noch gesteigert wer-
den wird.
Sobald in der beschriebenen Weise eine Reihe von Bestimmmigen
. der Pendelablenkung gemacht war, warden die am oberen Ende des
Pendels aufgelegten Messingscheiben entfernt und abeimals die Schwin*
gungsdauer des Instilments bestimmt. Mit Hulfe derselben liess sich
die Grosse
y = g (M{s + a) -^ M' is' + a))
berechnen, wo M und iff' die Massen des Pendels bez. der von ihm
verdrangten Luft, s imd s^ die Entfernung ihrer Schwerpunkte und
a eine Constante von der Grossenordnung des ICrummungshalbmessers
der Schneide bedeutet. Die Grosse 7, welche die Empfindlichkeit des
Pendels angab, ist mit der beobachteten Ablenkimg <p durcli die Be-
ziehung verbimden:
ytg(l> = ix,
wo fJL das durch die Anziehung der Massen bestimmte Drehungsmoment
des Pendels ist. Durch dieses Verfahren, die Empfindlichkeit aus
Schwingungsbeobachtungen zu berechnen, wird gleichzeitig die hier
sehr betra^htliche Wirkung des Luftauftriebes eliminlrt.
Ich komme nun zur Berechnung des Drehungsmoments. Man
kann sich dasselbe in zwei Theile zerlegt denken, in das Moment
der Kugehi und in das Moment der Pendels tange. Fiir den ersten
Theil hat man einen geschlossenen Ausdruck, wahrend das Moment
der Pendelstange , deren Masse in ihrer Axe vereinigt gedacht werden
kann, durch Reihenentwickelung gefunden wird. Hat man namlich
das Potential U^ fiir einen Punkt r der Cylinderaxe in eine conver-
gente Reihe von der Form:
^' = «o + -" + «, r + -} + «. r' + - ^ + . . + a, r" + - ;-
entwickelt, so ist allgemein das Potential U fiir den Punkt (rS-):
^=?o + ^ + («.r+^)Q. + (a,r' + ^)Q, + .. + (a„r+A_^Q„,
wo Qrt die Kugelfimction wten Grades bedeutet. Die Multiplication
mit dem Abstande des Punktes (rS-) von der Schneide und Integra-
tion uber die Lange der Pendelstange liefert dann das gesuchte
Drehungsmoment.
WiLsiNo: Uber die Resultate von Pendelbeobachtungen ii. s. w. 333
Die niimerische Berechnung des Drehungsmoments involvirt die
Bestimmung von Constanten zweierlei Art, erstlieh von Langen und
ferner von Massen. Die LSngenmessungen, also die Bestimmung der
Entfemung der Schwerpunkte von Kugeln und Zulagegewichten von
der Schneide liessen sich kathetometrisch mit grosser Scharfe aus-
fiihren. Mit gleicher Sicherheit gelang die Orientirung der anziehen-
den Massen gegen das Pendel. Die Wagungen der Kugeln und
Zulagegewichte, sowie der Massen mit der erforderliclien Genauigkeit
auszufahren bot keine Schwierigkeiten. AUein die Annahme fiir die
mittlere Dichtigkeit der Pendelstange , welche auf den Wagungen eines
Probestiickes beruhte, blieb mit einer merklichen Unsicherheit behaftet,
und eine directe Bestimmung dieser Constante war nicht moglich.
Die nothwendige Verbesserung des angenommenen Werthes liess
sich aber ohne Schwierigkeit aus der Messung der Ablenkungen fiir
die Pendelstange allein nacli Abnahme der Kugeln ermitteln. leli
erhielt so zwei Bedingungsgleichungen , welche die gesuchte Correction
des angenommenen Drehungsmoments der Pendelstange und den
wahren Werth der mittleren Dichtigkeit der Erde ergaben. Das End-
resultat hangt also allein ab von der Berechnung der Anziehimg der
Massen auf die Pendelkugeln , welche numerisch mit keinerlei Un-
sicherheit verknupft ist, wahrend die Ubereinstimmung der von ein-
ander unabhangigen Beobachtungsreihen, mit und ohne Kugeln am
Apparat, eine erwunschte Controle abgiebt. Es ergaben 37 Beob-
achtungsreihen mit den Kugeln am Pendel den Werth 5.651^0.017,
31 andere, bei welchen die Kugeln abgenommen waren, 5.731^^0.020.
Da der Unterschied dieser Zahlen mit der Unsicherheit des fiii* die
Pendelstange angenommenen specifischen Gewichts durchaus von gleicher
Ordnung ist, so ist es erlaubt, die Beobachtungen beider Kategorien
in der oben erwahnten Weise zu combiniren.* Es ergiebt sich dann
der wahre Werth fiir die mittlere Dichtigkeit der Erde:
5.594 ±. 0.032.
Diese Zahl ist erheblich kleiner als das von Jolly mit der Wage
gefiindene Resultat (5.69), und nur unbedeutend grosser als die Beob-
* Die beiden Einzelwerthe Ai und Aj sind mit der mittleren Dichtigkeit der
Erde A und der Verbesserung x des angenommenen Drehungsmoments des Pendels
durch zwei Gleichungen verbunden von der Form:
X
A = A2 -h — ,
7»2
wo mi und ^2 durch die Beobachtimgeu bestimmte Grossen sind.
334 GesammtsitzuDg vom 21. April. — MittheiluDg vom 31. Marz.
achtimgen mit der Torsionswage im Mittel ergeben haben (Cavendish
fand 5.48, Reich 5.49 und in zweiter Bearbeitung 5.58, Baily 5.66,
CoRNU und Baille 5.56). Zur Charakterisining der Genauigkeit, welche
durch die Methode der Pendelbeobachtungen bereits erreicht ist, und
welche, wie oben bemerkt wurde, noch einer Steigerung fahig ist,
mSge erwahnt werden, dass Jolly aus einer betrachtlich grosseren
Anzahl von Beobachtungen mit der Wage durch die Abweichungen von
einander einen doppelt so grossen wahrscheinlichen Fehler {±. 0.068)
far das Endresultat fand. Uber den Einfluss constanter Fehler, welche
bei den vorliegenden Messungen kaum zu befiirchten sein durften,
lasst sich leider aus der kurzen Mittheilung Jolly's iiber seine inter-
essanten Versuche ein Urtheil nicht gewinnen.
Ich glaube nach den erlangten Resultaten schliessen zu durfen,
dass das Pendel in der hier beschriebenen Form far die Bestimmung
der mittleren Dichtigkeit der Erde sehr geeignet ist und als ein In-
strument, welches mit ausserordentlicher Empfindlichkeit die erforder-
Uche Praecision in seinen Angaben verbindet, eine nutzliche Bereiche-
rung des physikalischen Messapparats abgeben wird.
Ausgegeben am 28. April.
B«iliii, gedrurkt in drr Reiclisdrurkcrfi
335
1887.
XXII.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
28. April. Sitziing der phy sikalisch - mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. E. du Bois-Reymond (i. V.).
Hr. Weierstrass las fiber die Transcendenten allge-
meinster Art.
Die Abhandlung wird in einem der nachsten Sitzungsberichte
erscheinen.
Ausgegeben am 5. Mai.
Sitzungsberichte 18b7. 32
337
1887.
XXIII.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussisciien
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
28. April. Sitzimg der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen (i. V.).
1. Hr. DiLLMANN las: Uber die apokryphen Martyrer-
geschichten des Cyriacus mit Julitta und des Georgius.
Die Mittheilung folgt umstehend.
2. Derselbe legte eine Mittheilung des Hm. Prof. Euting in
Strassburg i. E. vor: Epigraphisclie Miscellen. Zweite Reihe.
Die Mittheilung erscheint in einem der nachsten Beiichte.
32*
339
Uber die apokryphen Martyrergeschichten des
Cyriacus mit Jnlitta und des Georgius.
Von A. DiLLMANN.
In dem Decret des Gelasius V vom Jahre 495/6 werden als von der
frommen Verehrung, welche die Kirche den Thaten und Leiden der
Martyrer mit Recht entgegenbringe, auszuschliessen und in der romi-
schen Kirche nicht zu lesen ausdriicklich genannt cujusdam Quirici^
et Julittae, sicut Georgii alioinimque hujusmodi passionps, quae ab
haereticis perhibentur compositae. Andere Martyrergeschicjiten , ausser
diesen beiden, werden dort mit Namen nicht erwahnt. Die Censur,
welche sie damals erhielten, erregt naturlicher Weise die Begierde,
zu wissen, was in diesen Schriften stand; und wie die meisten der
vielen in jenem altesten Index librorum prohibitorum verworfenen
Schritten, soweit ma4:i sie noch hat, far die wissenschaftliche Erfor-
schung der mancherlei Meinungen und Denkweisen, sowie des ganzen
iitterarischen Betriebes in der alten Kirche sich mehr oder weniger
niitzlich erwiesen haben, so liegt die Vermuthung nahe, dass auch
jene beiden Passionen in derselben Richtimg Beitrage liefern k6nnten,
wenn sie noch vorhanden waren. Ob und wie weit das der Fall ist,
soil im Folgenden besprochen werden.
Von der Passio Quirici et Julittae, deren Gedachtniss auf
den 16. Juni fallt, glaubte der hochverdiente D. Papebroch die apo-
kryphen Acten in einem lateinischen Manuscript des Monasteriiun
Bodecense in Westfalen wieder entdeckt zu haben, imd liess sie in
den Acta Sanctorum, Junii torn. JJl S. 28 — 34 (in 24 Paragraphen ge- TST-
theilt) abdrucken. Eigenthumhch Haeretisches ist in diesem lateini-
schen Text nicht zu finden, wohl aber Unglaubliches in Menge, imd
schon dies genugte ihm, darin die von Gelasius verworfene Passio
zu vermuthen. tJber die Herkunft jener Handschrift theilt er nichts
mit; ob imd wo sie jetzt noch erhalten ist, weiss ich nicht. Es ist
* Bei A. Thiel, Epistolae Romanorum pontificum genuinae, torn. I, Brunsb. 1868
S. 458 f. 469.
* Auch Curici, Cirici, Cyriaci; die Syrer schreiben sjooo^bo^, seltener ^ffoAJ^yaA, die
Griechen zum Theil sogar Kvi^vHog.
340 8itziuig der philosophisch-historischen Classe vom 28. April.
aber zum voraus sicher, dass dieser lateinische Text niir Ubersetzung
und vielleicht auch Umarbeitung einer griechischen oder orientalischen
Sclirift ist, denn der Schauplatz der Passio (Tarsus) weist mit Noth-
wendigkeit darauf bin. Einen griechiscben Text hat Papebroch nicht
auftreiben konnen, iind ist meines Wissens seitber aucb sonst keincr
veroffentlicbt worden. Die orientaliscbe Kircbenlitteratur, in der am
ebesten die alte Passio sicb nocb fort^rbalten baben kann, weil die
rSmisebe Censur dortbin niebt reicbte, war ibm nocb nnzuganglich.
Heut zu Tage ist die Passio Cyrici et Julittae in den orientaUschen
Handscbriftensammlungen der Bibbotbeken mebrfacb vertreten, z. B.
syriscb im Vatican/ in der Bibliotbek der Royal Asiatic Society,^
arabiscb (karscliuniscb) im Britiscben Museum^ mid in der Bodleiana.*
Da aucb die biesige K5niglicbe Bibliotbek in Nr. 222 der SACHAu'schen
Sammlung^ eine sebr gute, im Jabrei88i in Alq6scb gemacbte Ab-
scbrift einer 38Nummern umfassenden, zum Tbeil recbt alte Stucke
entbaltenden Martyreractensammlung besitzt, darunter sowobl die Ge-
scbicbte des Cyriacus und der Jubtta, (Bl. 233 — 246 der Original-
paginirung), als die des Georgius (Bl. 224 — 233) stebt, so glaubte
icb etwas nicbt ganz Uberflussiges zu tbun, wenn icb diesen syriscben
Text mit dem lateiniscben der BoUandisten verglicbe, bielt es aber
for geratben, aucb den arabiscben Text der Bodleiana zu Ratbe zu
zieben, fiir dessen bereitwillige Ubersendung bierber icb dem Ver-
waltungsratb jenes Instituts biermit den gebubrenden Dank erstatte.
Aucb der syriscbe (S) und ?trabiscbe (A) Text geben nicbt mebr
die ursprungHcbe Passio Cyriaci, sondem beruben auf einer Bearbei-
tung derselben , wie der lateiniscbe (L) , baben aber vom ursprungUcben
Inbalt nocb mebr bewabrt, als dieser. Die Einleitung in L imd S
ist sebr kurz: in der grossen Cbristenverfolgung (S: in den Tagen
des Maximinos; L: in diebus Alexandri, magni Praesidis) flob eine
vomebme Frau aus Iconium (S: Tocbt^r eines (rt/yxA*jTixo^) , um der
Strafe als Cbristin zu entgeben, nacb Tarsus in Cilicien, fiel aber
dort dem Praeses ( Ry sfjim) Alexander in die Hande, der sie zur
Strafe zog. Nur A bat eine ausfubrlicbere , stoflEreicbere Einleitung,
woruber nacbber. — Nacb den iiblicben Fragen und Antworten und
nacb ibrer Weigerung, den G6ttem zu opfem, bittet Julitta sicb aus,
dass man erst ibr 3 (genauer 2^4) Jabre altes SSbncben aus der
* AssEMANi bibl. Orient, t. I p. 607, vergl. t. Ill, i p. 19.
* S. W. Wright Apocryphal Acts of the Apostles 187 1 Vol. I p. XII.
* FoRSHALL - Rosen Catal. Cod. Syr. 1838 p 110.
* P. Smith Codic. Syr. Carsch. Mand. 1 864 p. 476 ff.
* Kurzes Verzeichniss der SACHAu'schen Samtnlung syrischer Handschriften.
Berlin 1885 S. 21.
Dillmann: Zwei apokryphe Martyrergeschichten. 341
Stadt holen lassen soUe, und erbietet sich, dem zu opfern, den der
Knabe als Gott anerkenne. Der Knabe wurde von den Gerichts-
dienern lange vergeblich gesucht, well alle Leute aus Furcht ihre
Kinder versteckten, aber schliesslich ausserhalb der Stadt (S: bei
der Peter- und Paul-Kirche) gefiinden und herbeigeschleppt. Der
Kleine, von Praeses fi-eundlich begiiisst, weist den Gruss schnode
zuriick: »ieh habe allezeit Frieden, du aber hast keinen Frieden,
Jes. 48, 22 «; ahnlich imd 'mit noch bittereren Worten erwiedert er
ihm auf seine Versprechung, ihn, wenn er den GSttern opfere, einst
zum Priester der Gotter und zu einem reichen und geehrten Mann
machen zu wollen, und giebt auf die Frage, ob er solche Reden
von den Altem gelemt habe, an, er habe sie vom heiligen Geist.
Dafiir liess ihm der Praeses 145 (so A und L) Geisselhiebe geben.
Er aber spi'ach wahrend dessen ein Gebet, und als die Execution zu
Ende war, stand er vollig unversehrt, ohne Striemen da. Die Mutter,
die nun gerufen wurde, liess sich durch die Angabe des Praeses,
dass ihr Sohn die Gotter bekannt habe, nicht tauschen, verlangte
das von ihm selbst zu h5ren, und pries zunachst, als er eingefiihrt
wurde, Gott fiir die Gnade, ihr en Sohn in der Reihe der Blutzeugen
sehen zu diirfen, worauf eine Stimme vom Himmel herab ihr die
Versicherung gab, dass der Knabe ihr Fiihrer in diesem Kampfe sein
und sie selbst zur Ausdauer starken werde. Auf ihi'e Frage, wen er
als Gott anerkannt habe, vemimmt sie aus seinem Munde ein glau-
biges Bekenntniss und den Entschluss des Martyriums. Der Praeses
lasst nun beiden Salz mit Senf (A: ToUapfelsaft, ^L>(sxJt 'U) imd Essig
in die Nase traufeln, und als Gyriacus dafur Ps. 119, 103 (hbr.) auf-
sagt und die Drohung weiterer Martern mit dem Wort »Dein Tod
ist uns Leben« zunick weist, befiehlt der Richter, jedem der beiden
mit sieben gluhenden eisernen Stacheln Augen, Ohren, Mund und
Herz auszubrennen , aber auf Gottes Befehl werden dieselben kalt wie
Schnee imd dienen, statt sie zu schadigen, ihnen zur Erfrischung.
Nun lasst der Praeses sie fesseln und in's Gefangniss werfen, bis er
sich entschliesse, was er mit ihnen vornehmen woUe. Im Gefangniss
beten und psalmodiren sie (immer der Knabe als Wortfiihrer), unter
anderem Ps. 109, i. 2. 29. 51, 17. 119, 62. Um Mitternacht kommt
der Satan zu ihnen, verweist dem Kind sein vieles Beten, das Gott
doch nicht erhoren konne, und behauptet, von Gott beauftragt zu
sein, ihm zu sagen, dass er dem Praeses zu Willen sein und dadurch
sein kiinftiges Gluck begriinden solle. Daran erkennt ihn das Kind
und heisst den Teufel sich wegheben, worauf dieser mit der Drohung,
er werde den Praeses bearbeiten, dass er ihn die Martyrerkrone nicht
erlangen lasse, und werde auch seine Mutter wankend machen, wie
342 Sit.zung der philosophisch-historischen Classe Vom 28. April.
Rauch verschwindet. Die Beiden beten jetzt nur um so eifriger, dass
ihnen ihr aufbewahrter Schatz nicht geraubt werde, z. B. Ps. 5 1 , 3 f. (S)
Oder Ps. 123, 3 f. (A). Nach einigen Tagen (LA: am folgenden Tag)
lasst der Richter sie wieder i-ufen und verlangt, vom Satan angestiftet,
nicht mehr Opfer, sondern nnr, dass er das Wort ausspreclie: »ich
rauchere dem Serapis*, dann lasse er sie los. Der Knabe weist das weit
von sich, bittet vielmehr Gott das GStzenhaus zu zerstSren, und alsbald
kommt ein Engel vom Himmel mid sturzt die 1 4 (L 1 3 , A 1 1 ) G5tter-
bilder um und zertrummert sie. Das Kind aber demonstrirt nun dem
Praeses den Untersehied Gottes und der Gotzen, heisst spottend ihn
die Reste der Bilder mit Salz und 01 gemischt in reine Linnen wickeln
imd (sieben Tage lang, S) liegen lassen, ob sie vielleiclit sich wieder
erheben werden. (Nach S und L thut der Praeses das, aber vergeblich.)
Jetzt lasst der Praeses einen Schmid kommen, lun Marterwerkzeuge
zu machen; aber der Satan, um die Heiligen ihres Martyriums zu
berauben, verschliesst ihm den Mund, und so gibt das Kind selbst
die ganze Menge ausgesuchter , kunstlicher Werkzeuge an, die der
Schmid far sie verfertigen soil, darunter auch kupfeme Banke
((TUjix-^/fAAiofc) mit drei Nageln darin, auf deren Kopfen »untheilbare Drei-
heit« geschrieben sein soil. Zu ihrer Herstellung mussen, da der
Schmid sie nicht leisten kann, erst Kunsthandwerker bestellt werden,
die sich 40 Tage Arbeitszeit ausbedingen. Wahrend der 40 Tage, im
Gefilngniss lehrt das Kind 430 (L. 400) Mitgefangene, dass sie glSubig
werden. Nach Ablauf der Frist versucht der Praeses die Heiligen
durch den Anblick der Martermaschinen zu schrecken, und als auch
das fehlschlagt, lasst er ihnen die Haut vom Kopf Ziehen imd feurige
Kohlen auflegen; aber durch Gottes Machtwort erl5schen die Kohlen,
und um ihre Kopfe bildet sich eine leuchtende Strahlenkrone. Zu-
gleich ofl&iet sich wmiderbar die Thxir des Gefiingnisses ; die 430 Ge-
fangene konmien heraus, erklaren sich beim Anblick dieser Krone als
Bekenner des allmachtigen Gottes , und werden auf Befehl des Richters
vor der Stadt draussen enthauptet (am 14. Tammuz A; am 14. des
I . Kanun S). Die beiden Heiligen werden mm mit eisernen Spiessen,
die von der Schulter ab durch ihren Leib geschlagen werden, auf
den ehemen Banken festgenagelt, aber da der Praeses fiber die Macht
ilu*es Gottes spottet, kommt ein Engel herab, zieht ihnen die Spiesse
aus und treibt sie dem Praeses in den Nacken (L bios: wirft den
Praeses zu Boden). Nun ruft er die Furbitte des Kindes an, wird
auch wirklich durch dieses wieder heil, preist aber dafiir seine Gutter,
nicht den Gott des Kindes. Er sieht sie jetzt fiir Zauberer an, unter-
wirft sie anderen Foltem, wieder vergeblich; will eigenhandig mit
einer Bipennis den Knaben zusammenhauen , verwimdet aber sich
J
Dillmann: Zwei apokryphe M&rtyrergescfaichten. 343
selbst (nach Ps. 37, 15); dann iSsst er sie mit Schrauben martem,
endlich sie zersagen, aber die Sagen wirken nicht und besch&digen
die Folterknechte selbst, so dass endlich das Kind angibt, man soUe
h5lzerne Sagen nehmen. Mit diesen werden sie denn auch wirklich
zersSgt, ihre I^iber im Tiegel mit Salz und 01 gerostet (mn schliess-
lich den Hmiden vorgeworfen zu werden, S). Damit sind sie wirklich
todt (in L freilich ist das geandert), und der Praeses, abgehend, spricht
sicli gegen seinen Centurio Demetrius aus fiber die Muhe, die es
gekostet hat, diese Zauberer zu fiber winden.
Inzwischen kommt ein Scholasticus , Namens Eusebius, in einer
Processsache mit 1 1000 Mann, welche die Gerichtsstatte fiillten. (Beim
L sind es fiber 1000 Mann, die dann hingerichtet , aber auf das Gebet
des Knaben hin, wieder auferweckt werden; eine offenbar secundare
Wendimg). S A: nun kommt Christus, nachdem er dem abgeschiedenen
Kinde das ganze Reich (A : die Wohnungen der MSrtyrer) gezeigt, herunter
zu den Tiegeln, stellt die Leiber der beiden wieder in's Leben her
und heisst sie den Kampf gegen die Unglaubigen auf s neue imter-
nehmen. Mit Mfihe drangen sie sich durch die Schaaren durch, stellen
sich vor dem Tribunal als die todt gewesenen und von Gott wieder
lebendig gemachten, unter lautem Jubelruf der Schaaren, welche den
Gott des Kindes preisen. SAL: Der Praeses wehrt ab, da alles nur
Phantasmagoric sei , und erklart erst dann an den Gott der beiden
glauben zu wollen, wenn auf ihr Gebet das Leder seines Schuhs wieder
zu den Thieren werde, von denen es genommen sei. In der That
I6st sich nun auf das Gebet des Kindes hin der Schuh von seinem
Fuss, und steht da ein grosser Stier und ein ZiegenbSckchen , welche
fressen und trinken. Der Praeses, immer noch blosse Zauberei ver-
muthend , will an die Wirklichkeit der Sache erst glauben , wenn man
die Thiere schlachten und mit ilirem Fleisch die Volksmenge speisen
k5nne. Auch das geschieht: die 1 1000 werden satt, imd bleiben noch
(A: 4, L: 5, S: 10 imd 4) Korbe Fleisch fibrig. Aber statt zu glauben,
lasst der Praeses einen Chirurgen kommen, und dem Kind, um seine
Reden nicht mehr horen zu mfissen, die Zunge ausschneiden , aber
das Kind redet mit der Zunge des Geistes , und der Arzt , beschuldigt,
seine Sache nicht recht gemacht zu haben, kann der Strafe nur
dadurch entgehen, dass er an einem Schwein dieselbe Operation, mit
tSdtlichem Erfolg fiir dieses, macht. (S: darfiber preist der Rechts-
gelehrte Eusebius imd der Centurio Demetrius den Gott der Christen,
imd gehen fort.) Der Praeses seinerseits ermassigt jetzt seine Forderung
an Cyriacus dahin, er solle nur ein wenig Opferfleisch und Opferwein
kosten, und iSsst, da er es verweigert, ihm und der Mutter mit Gewalt
davon^ eingeben, woffir Cyriacus ihn verwiinscht, aber erklart, dass
344 Sitznng der philosophisch - historisclien Classe vom 28. April.
dieses gezwungene Kosten ihnen nicht Siinde , sondem Mittel zur Krone
sei. Nun wird auf des Praeses Befehl ein grosser Kessel mit Pech, Nafta,
Wachs, Schwefel, Harz, Kupfer nnd Eisen gefuUt und so ftirchtbar geheizt,
dass er donnnerahnlich bnimmt nnd eine Gluthsaule von 1 5 (L. 1 4) Ellen
dariiber empor lodert. Die 1 1000 soUen zusehen, wie die zwei hinein-
geworfen werden. Beim Anblick dieses Kessels wankt Julitta , wird aber
durch die Zusprachen des Kindes ermuthigt, und anf das Gebet des
Kindes kommt der heilige Geist zu ihr, wahrend der Satan von ihr
weicht, so dass sie nim den Feuerkessel ansieht wie erfrisehenden
Morgenthau. Beide springen fireudig in den Kessel (S: wahrend die
Gerichtsdiener mit verschiedenen Werkzeugen, sie unterzutauchen,
kommen), aber dnrch die Kraft Gott^s bleiben sie nnversehrt. Das
merkwurdige Gebet, welches der Knabe in dem Kessel betet, das in
L weggelassen ist, wird nachher zur Sprache kommen. Der Praeses,
der das Kind so sprechen hort, gibt seiner Verwunderung fiber die
Zauberkraft desselben Ausdruck. Auf ein neues Gebetswort des Knaben
quillt kaltes Wasser aus dem Kessel; von dem nimmt er mit der
Hand und sprengt es auf die iiooo Glaubigge wordenen ; das wurde
ihnen zur versShnenden Taufe und Vergebung der Sunde (A: an Stelle
der Taufe der Busse; L: in baptismimi poenitentiae in vitam aetemam).
Dagegen tddtet die vom Kessel ausgehende Gluthhitze 40 der Quaestio-
narii (nur in SA). Dem Praeses, der staunend dem Kessel naher
tritt, um den Zauber zu untersuchen, sprengt der Knabe mit drei
Fingern vom Inhalt des Kessels auf die Hand, dass sie bis auf die
Knochen durchgebrannt wird, heilt ihm aber, da er darum bittet,
dieselbe ebenso schnell wieder durch sein Gebet. Doch er, gesund
geworden, preist dafur den (A: Serapis) Zeus, Apollo imd Herakles
(? po^i^) und erst zuletzt den Schopfer Christus , woruber er vom Kind
zurechtgewiesen wird, da man nicht zweierlei Herren dienen konne.
Gleichwohl versucht er noch einmal eine Marter: in einen grossen
Stein, den 70 Mann nicht walzen konnen. lasst er ffir ihre Leiber
Hohlungen einhauen, die Heiligen darin mit Blei und Eisen festlegen
imd eine Maschine zum Zerfleischen fiber sie Ziehen. Aber auch hier-
von befreit sie der Engel imd nimmt sie heraus (S: der Stein aber
zerplatzte und todtete 500 der Heiden). — Endlich sieht er ein, dass
er mit alien Martern nichts ausrichte, und gibt die fi)rmliche ATrofpct/Ttg
auf Enthauptung. Am Hinrichtungsplatze umstehen Engelschaaren die
Heiligen; Christus selbst kommt herab. Das Kind thut die fiblichen
G^bete bezfiglich aller, die kfinftig sein Andenken in irgend einer
Weise feiem, und der Erl5ser sagt ihm die Erfiillung seiner Bitten
zu. In der sechsten Stunde der Nacht, am i 5. Tammuz (L: die Iduum
Junii) erlangen sie die Krone.
^j
Dillmann: Zwei apokryphe Marty rergeschichten. 345
In der Erzahlung des ausseren Hergaiigs stimmen hiernach die
drei Versionen in der Hauptsache zusammen, nur dass in A (einige
Male sogar durch Abschreibefehler) oft stark gekiirzt ist. In den
Reden , die gesproclien werden , sind die Abweichungen schon starker,
nnd ist namentlich in L manches, im Greschmack der Occidentalen,
geS,ndert.
Das aussere Genista dieser Passio ist nun allerdings. dem der
alteren Martyreracten ganz ahnlich (Person des Richters, Beginn der
Proeedur mit Constatirung des Namens und der Heimjath, Aufforde-
rung, den Gr5ttern zu opfem, Znreden imd Drohungen, Torturen,
schliesslich das fbrmliche Urtheil auf Enthauptung). Aber der Inhalt,
mit dem dieser frflhe ublich gewordene Rahmen ausgeftUt wird, ist
von der Art, dass an eine zu Grunde liegende wirkHche (wenn auch
stark sagenhaft ausgeschmiickte) Geschichte nicht wohl gedacht werden
kann. Das nicht ganz drtijahrige Kind ist von Anfang bis zu Ende
die Hauptperson, neben dem die Mutter fast versch windet ; dieses
Kind, nach Alexander's Ansicht ein voUendeter Zauberer, nach dem
Sinn des Erzahlers ein voUendetes Gefess des heiligen Geistes, kennt
die Schriften, singt und betet wie ein gelehrter Alter, fiihrt durcli-
aus das Wort, verrichtet durch sein Gebet die ungeheuerlichsten
Wunder, beschSmt den Satan und den Richter, missionirt unter den
Mitgefangenen , mahnt und starkt die Mutter, und erreicht als sieg-
reicher Held eine der ersten Stellen im Chor der glorreichen Martyrer.
Dieser inneren Unwahrheit zur Seite geht die andere, dass die Ge-
marterten in den Martem durch das immittelbare Eingi*eifen Gottes
lieil imd frisch erhalten oder sofort (sogar aus dem Tode) wiederher-
gestellt werden, ihre Leiden also (mit Ausnahme des letzten) im Grunde
Scheinleiden sind. Nimmt man dazu die Stimmen, die vom Himmel
herabkommen, die Angelo- und Christophanien , die (wenn auch nur
den Glaubigen sichtbaren) Lichterscheinungen aus der H6he , das Auf-
treten des Teufels in angenommener Gestalt, so ist ja klar, dass der
Boden der gemeinen WirkUchkeit uberall verlassen ist. Man kann
nicht sagen, dass der Apparat, mit dem hier gearbeitet wird, un-
mittelbar haeretisch ware; ffir alle einzelnen Zflge lassen sich theils
biblische Vorbilder, theils Analogien aus dem Volksglauben der alten
Christen genug anfthren; aber durch ihre Zusammenhauftmg machen
sie den Eindruck des Phantastischen und von dem nuchtemen Sinne
der Katholiker stark Abweichenden. Direct imkatholisch ist nur,
dass das dreijahrige Kind die i looo mit Wasser besprengt zur Taufe
der Busse. Die Reden der beiden Heiligen, wie sie jetzt lauten,
sind nicht geradezu heterodox; doch sind noch bemerkenswerth : »der
Priester, der mir das Siegel der Taufe gegeben* ; » nicht von Vater
346 Sitzung der philosophisch-histonschen Classe vom 28. April.
und Mutter, sondem vom heiligen Geist habe ich diese Reden gelemt« ;
»ftir die Zunge, die du mir abgeschnitten , ist mir die Zunge des
^ Geistes gegeben« ; » Jesus, der uns den alten Mensehen ausgezogen
und uns mit dem heiligen Kleide bekleidet hat« ; »sie war dai'an, den
ilir aufbewahrten Schatz zu verlaugnen« ; in der letzten Verheissung
Christi an Cyriacus (Bl. 246^. 247* in S) lieisst es: »Niemand imter
den Weibgebornen^ wird gefimden werden, der grOsser ware als du,
ausser Johannes der TJlufer ; du heiliges Kind bist aus der Verheissung
geboren«. Aber wenn auch das H&retische in den Reden jetzt ver-
w;ischt und geglattet ist, so ist doch in den orientalischen Versionen
noch ein Abschnitt ubrig , welcher seine Verwandtschaft mit gnostischen
Elaboraten immittelbar bekundet, etwas abgekurzt in A (Bl. 1 06*— 1 07'),
voUstandiger in S (Bl. 242** — 244*), danun in C weggelassen; er er-
innert stark an die Acta Thomae, namentlieh an den gnostischen
Hymnus* und andere Stellen derselben.^ ^Es ist eine Art Hymnus
oder ein gnostisches Gebet. In A (Bl. io6* f.) lautet der Anfang: Da
fieng der Heilige an , dieses Gebet zu beten : als ich in den Garten der
Seligkeit stand, welches ist die Pforte des Hauses des Herrn, liess
sie ein Gemach (?) herstellen aus Rubin und Perlen ; ^ meine Mutter
ist die Kirche und der Rubin ist der heilige Geist u. s. w. Bei S
aber (Bl. 242** S.) heisst es: »Da fieng der selige Cyriacus, mitten im
Ke^sel stehend, an, folgendes Gebet zu beten in seiner Sprache,
welches verdolmetscht also lautet: Dies ist das Thor des Herrn, in
welches die Gerechten eingehen.* Und wiederum sagte er:^ als ich
betete , machte mir meine Mutter einen Anzug {(rroXvi) und schmuckte
ihn mit Perlen; meine Mutter aber ist die Kirche, imd die Perlen
sind die gottlichen Worte, die Lehre des heiligen Geistes. Und mit
dem Zeichen (14^©) des Briefes des Geistes wurde ich gesendet nach
einer finstereri Stadt (JiJ-k^), woselbst kein Lichtstrahl war, keine
Sonne imd Mond und Sterne. Und als ich nach der Stadt kam,
deren Name war ^o|mv\ , fand ich Onokentam^en und Hippokentauren*
und ^Wi^imoU die Zauberin und eine Menge von Damonen; die woUten
mich vernichten, aber der Brief verjagte sie von mir. Damach kam
ich nach Babel, an den Fluss, welcher der schreckliche (|L^9) heisst,
* Bei Wright I ^9 if. oder II. 238.
' Besonders Wright I ^^V^ f. oder II 171 f.; Tischendorf Acta Apostolorum
apocrypha 1851, S. 217 f.
* Ps. 1 1 8 , 20 hbr.
^ Durch diese Wendung erscheint das Folgende auch als ein Hymnus (nur nicht
aus den Psalmen).
* yjsohfy ^ 1 no] und sjpe^Q4ubQAooi.
Dillmann: Zwei apokryphe Martyrergeschichten. 347
liber welchen die Menschen nicht iibersetzen kSnnen, ausser am Sab-
bathtag, well auch ihm befohlen ist, dass er den ersten Wochentag
halte. Ill jenem Fluss ist etwas, was hervorquillt aus der Tiefe,
und alles ist Sand, und nicht kann ein Mensch das Wasser jenes
Flusses sehen.^ Und als ich fiber den Fluss gegangen war, kam ich
nach jener Stadt, welche ist der See der Sammlung (Uca? I^ia* 01.-2-1.I?),
und &nd dort Schlangen (?^?aA-b»|) und auch Vipern (aa-kH), und
ein Heer zahbeicher Damonen, und grosse Drachen und den Konig
des Gewurms der Erde, dessen Schwanz in seinen Mund gesteckt
war,^ und vor seinem Gesicht lief der Weg der Ottem; seine Zahne
aber wie ein scharfes Schwert, seine Rippen von Erz, sein Rucken
(01^) von Eisen, seine Nagel Adlerskrallen , sein Glied (oiij©|io) wie
ein scharfer Bratspiess, seine Nahi-ung Papyrus und Ochsenftitter ;
aus seiner Nase geht ein Hauch (|L«o<ji) aus wie Ranch; und wann er
seinen Mund Sflfnet, nimmt er sieben Tage lang den Jordan auf, ohne
dass etwas aus seinem Munde lauft.^ Das ist der Drache, welcher
die Engel aus der Hohe durch die Begierden verfiihrte; das ist der
Drache, welcher den ersten (UiD|-e) Adam verfiihrte und aus dem
•
Paradies hinausbrachte ; D.,* der Kain in Hitze und Flamme setzte,
dass er seinen Bruder todtete; D., der die Bosheit der Menschen
viel machte, dass Gott die Sintfluth uber die Erde bringen musste;
D., der die Herzen der Riesen ausloschte (Ir^ii^^? U«^i^ t^??); D.,
der alles B6se anstiftete; D. , der das Weib des Trabantenobersten
auf Josef richtete (^-a*!); D., der das Herz der Israeliten verhartete
und sie veranlasste, sich ein Kalb zu machen und es anzubeten; D.,
der ihr Herz verhartete, dass sie die Befehle Gottes nicht annahmen;
D., der den David mit der Bathseba in Siinde fallen liess; D., der
den Salomo veranlasste, dem In*thum seines Herzens nachzugehen;
D. , der den Jerobeam vei-fiihrte, dass er ein goldenes Kalb machte
und das Volk es anbetete, dass es Gott nicht in Jerusalem anbetete;
D., der den Elia vor Isebel fliehen machte; D., der den Manasse
entziindete, dass er Gotzenstatuen im Hause des Herrn aufstellte;
D., der alle GStzenbilder aufstellte; D., der die Gewalt der Qualen
1 Iv
y^^ ^ai^^V v^l )^o )2^j* woio^b^l oil^so \^oa%jL ^^ i"'^? ®^ l^oilA I001 L^i
.001 1^0lJ9
^ ov Y} ovoct iynstrat tw iStw (TTOfxccrt (Tischend. p. 2 1 7).
1
Der Araber hat dafur aib^ ^las qO.^I ^ ^S Juoj 3!^, was zur Verdeutlichung des
Satzes dienen kann.
* Die Formel »das ist der Drache « wiederholt sich immer wieder, als waren es
lauter Strophen eines Gedichts.
\
348 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 28. April.
eroflfnete, welche die Wahrheit und die Seelen der Menschen in
Verwirrung setzen.^ Als der mich sah, woUte er mich verschlin-
gen, aber der Brief schloss seinen Mund. Dann kam unser Er-
loser herab und verbrannte (oi?^) jenen gi'ossen Drachen, nnd
verjagte von mir das ganze Heer des B5sen, und sammelte das ganze
Heer, das iibrig gelassen war von Israel, und gab ihnen Wohnung
in jener Stadt, dass sie einmiitliig erschienen.'^ Es ist aber in jener
Stadt dieses Zeichen: die Schwelle (lA»aaa|) von Eisen imd die
Thiire von Eisen, ihre Hohe 300 Ellen nach Riesenellen (Deut. 3,11
Pesch.); und in den letzten Tagen, wie geredet ist, wird abgenutzt
werden jenes Eisen und die Schwellen durch das Betretenwerden
von den Tritten der Menschen, welche daruber gehen, bis dass
von jenem Eisen nichts iibrig bleibt an jenem Ort und fm den Weg
der Lebendigen, welcher rings um sie her geht.^ Und als ich in
die Stadt des Reiches kam, beendigte ich meine Gebete.«
Es ist selbstverstandlich , dass dieser Gebetsgesang nicht spat
erst in die Erzahlimg eingefugt, sondern ein beibehaltener Rest aus
dem ui'sprunglichen Text ist. Nicht iibel schliesst sich unmittelbar
daran in S (Bl. 244 a) folgende Wehklage des Satans an (die in A
stark gekurzt, in L weggelassen ist). »Der Satan aber nahm die
Gestalt eines Menschen an und begann zu weinen und zu sagen:
'Weh mir, dass mich ein dreijahriges Kind besiegt hat! Weh mir,
dass ich zum GespOtt geworden imd von einem dreijSlhrigen Kinde
besiegt bin! Weh mir, wohin soil ich von nun ab meine Wohnimg
verlegen (w^jqL^ (Xi.) 1ai.|)? wo ich der Bosheit pflegen soil, weiss
ich nicht. Meine Wissenschaft ist nun kraftlos geworden; festgelegt
ist meine Schuld, imd ich bin vemichtet; zu Schanden geworden
bin ich durch ein dreijahriges Kind und besiegt! Weh mir, nun
hat die Bosheit mich erreicht! Weh mir um dieses Kindes willen!
War's nur durch einen Erwachsenen imd nicht durch ein ver&cht-
liches Kind! Was soil ich nun thun? soil ich in einen Greisen fahren?
einen Greis hat er in jenem Jiingling gesehen und h6rt mich nicht
(?! wJ^ "^sj^ Po l^'"^^ ooLs oL^ -^ i-av). Soil ich in einen Jungling fahren?
ich werde nicht im Stand sein, ihn zu erschuttem, wie ich den
Simeon, den Giirndstein (|M^^) der Kirche, betrogen habe. Soil
ich hi einen Knaben fahren? von dem lasst sich keiner verftQiren.
Soil ich' in ein Thier fahren? ein Thier spricht nicht. Was soil ich
I . )^'»-i^> |£bAAJ90 )£b^a£9 |J?0|i^ |n>l4 /? jl^nS ^,^1^9 001 \1^jL }j0i
^ 11. s. w. ^9 )ooi b^ . ^ ) iA o | ^yik£J . ssm ^^li|^n^ ^qJI i^oU)e
J
Dillmann: Zwei apokryphe Martyrergeschichten. 349
thun? Jch will in das Herz des Hegemon fahren, dass er ihn aus
der Welt schaffe. Ich weiss zwar, dass wenn ich das thue, ich es
zu meiner eigenen Anklage thue und das Gericht auf mich selbst
ziehe, aber ich bin dann doch vor ihm gerettet.«
Weist nun dieser bei S und A erhaltene Abschnitt entschieden
auf gnostische Anschauimgsweise hin, so giebt die bei A erhaltene
Einleitung des ganzen Stuckes (Bl. 95* flf.) ihrerseits ahnliche Winke
iiber den Urspiimgskreig desselben. Sie lautet im wesentlichen so.
»In der Stadt Iconium war ein gesegnetes Weib, Namens Julitta,
eine der sittsamsten und edelsten KOnigstochter , aus dem Geschlecht
der Thekla, der Gehiilfin des Apostels Paulus (das grosse Martyrium
im Dienste des Evangeliums war bei seinem Dui'chzug durch Iconium,
ihre Stadt und die Stadt ihrer Altem imd ihres Geschlechtes, wozu
diCxheilige Thekla gehorte). Diese heiiige Julitta war verlobt einem
Manne Tumailis. Sie wai* gottesfiirchtig von ihrer Kindheit an, bis
sie mannbar wurde. Als sie heirathsfllhig wurde, woUte sie nicht
heirathen, aber durch Schimpfi*eden und Schlage wurde sie zum
Heirathen gezwungen, wider Willen. Sie beharrte in Furcht und
Gehorsam Gottes, war freigebig mit Almosen, kampfte in Fasten
und Beten alle Tage ihres Lebens, indem sie sich immer mehr ver-
voUkommnete nach der Lehre der Apostel imd nach dem Vorbild
der glaubigen Sophia, der Mutter der drei Jungfrauen, welche ihr
Martyrium voUendet, treu dem Namen des Herrn Christus, in Rom,
unter dem unglaubigen Kaiser Hadrian; ihre Namen Pistis, Elpis,
Agape. Julitta aber hatte einen Sohn, Namens Cyriacus. Sein Vater
starb vor dessen EntwShnung. Sie selbst hielt an im Lesen der
heiligen Schrifben imd der Martyrergeschichten, und wartete eifrigst
des Gebets. Sie pflegte in ihrem Gebet zu sagen: mein Herr, gewahre
deiner Magd die Gnade des Martyriums, ahnlich dem dieser Marty-
rinnen, und schenke ihr, dass sie dein Bekenntniss bewahrheite, die
Krone des Sieges erreiche und den heihgen Martyrern beigezahlt
werde. Nach dieser Zeit kam nach Iconium ein Statthalter Namens
Alexander. Er hatte schriftlichen Befehl und GerichtsvoUmacht iiber
alle Stadte seines Bezirks, dahin lautend, dass jeder, den er darin
als Bekenner des Namens Christi finde, von ihm zur Strafe gezogen
und schliessUch sein Blut vergossen werden soUe. Damals brachten
die Hasser bei Alexander Anklagen gegen Julitta an, imd er gab
Befehl, dass man sie auf ihrem Gesicht an ihren Haaren vor ihn
schleppen solle. Die Diener fanden sie aber nicht, denn sie hatte
erfahren, was beim Statthalter ihrethalben im Werk war, und hatte
sich verborgen, nicht aus Feigheit, sondern aus Besorgniss fur ihr
Kind, weil sie fiirchtete, man mochte sich seiner bemachtigen und
350 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 28. April.
es zur Grottlosigkeit und fur's Verderben erziehen. Oft und viel iiber-
legte sie sich , ob sie ihrem Kinde zu lieb die Sunde der Flucht auf
sich nehmen soUe, und machte sich endlich mit ihrem Sohn, ihren
Gefahrtinnen , Sclaven und Magden, davon nach Tarsus, und nahm
ihren Aufenthalt in der Kirche des Apostels Paulus, welehe in dem
Hause, wo er gewohnt, gebaut war. Der Statthalter war auf der
eifrigsten Suche nach ihr, und als er horte, dass sie in Tarsus sei,
zog er ihr nach. Die Grossen der Stadt, die ey kommen liess, wussten
nichts von ihr. Aber Angeber kamen und sagten, dass ein fremdes
Weib , Namens Julitta , m der Stadt sei , sie durch ihre Zauberei ver-
fiihre und die Gotter iur nichtig erklare. Durch seine Soldaten liess
er sie dann such en und verhorte sie, als sie gebracht wurde: aus
welcher Provinz und aus welcher Stadt bist du und was ist dein
Name? Sie antwortete: ich bin aus der Provinz Syiien, aus einem
der edelsten Geschlechter Iconium's, imd du bist Sclave desselben
gewesen und bist ihnen entflohen; siehe, ich stehe nmi vor dir.
Darauf verlangt er von ihr, den Gottern zu opfern* u. s. w.
Diese Einleitung, gewiss nicht erst nachtragUch vorgesetzt (denn
selbst katholische Bearbeitungen geben einige wesenthche Zuge der-
selben wieder) ^ , giebt Aufsclduss uber die Schriften , welehe dem Ver-
fasser vorgeschwebt haben. Julitta ist Nachbild der Thekla, welehe,
durch Paulus fOv den Entschluss der Virginitat gewonnen, ihrem
Brautigam Tamyris entsagt und ganz der geistlichen Ubimg sich
ergibt; Julitta wird nur durch Zwang zur Ehe gebracht, aber durch
den Tod des Mannes bald davon erlost; sogar der Name des Mannes
ist von dort heriibergenommen , imd Iconium ist die Heimath beider.
Auch diese Acten des Paulus imd der Thekla, obwohl fruhe fiir
die Katholiker umgearbeitet , sind nach Lipsius' Untersuchimgen^ ein
urspriinglich gnostisches Product, jedenfalls aus dem Ende des zweiten
Jahrhunderts. Uber den Ursprung der Legende von der Sophia und
ihren drei Tochtern Pistis, Elpis, Agape weiss man bis jetzt nichts
Naheres, aber hier ergeben schon die Namen, dass sie freie Dichtung
ist. Um so mehr wird dies auch von der nach jenen Mustem ge-
arbeiteten Julittageschichte gelten mussen. Dass irgend ein geschicht-
licher Kern darin stecke, ist sehr zu bezweifeln. Die altesten Ka-
lendarien wissen nichts von Julitta imd Quiricus; ebenso wenig (und
das ist hier von hochstem Gewicht) das von W. Wright 1865/66
aus einem nitrischen Manuscript vom Jahr 4 1 2 herausgegebene syrische
^ z. B. die Leggenda di Giuletta e Quirico S. 1 5 in M. Melga Quattro Leggende
inedite del buon secolo della lingua. Napoli 1857.
^ Lipsius, die apokryphen Apostelgeschichten II, i S. 424 ff.
* Lipsius S. 460 — 4.
Dillmann: Zwei apoki*yphe Marty rergeschichten. 351
Martyrologium , welches etwa in den letzten Jalirzelmten des vierten
Jahrhunderts, auf Grund der Festkalender der drei orientalischen
Metropolen Nicomedia, Alexandria und Antiochia verfasst ist/ Bis
zum Ende des vierten Jahrhunderts waren in den katholischen Kirchen
die Heiligen JuUtta und Quiricus unbekannt, liatten wenigstens kein
Fest. Es folgt daraus nicht, dass die Legende damals noch nicht
geschrieben, sondern nur, dass sie bei den KathoUkern noch nicht
angenommen war. Ob sie schon von den Gnostikern erdichtet, oder
ob sie erst spater, unter Benutzung gnostischer Dichtungen oder in
Kreisen, wo diese iVnschauungen noch fortlebten, geschrieben ist, lasst
sich nicht ausmachen. Jedenfalls muss sie im fiinften Jahrhundert, wo
man mit staunender Verehrung auf das Martyrerzeitalter ziu^ckblickte
und zwischen achten und unachten Berichten wenig mehr unterschied,
weitere Verbreitung imd vielfachen Glauben gefunden haben. Zur
Zeit des Gelasius I. ist sie, sei es griechisch, sei es in lateinischer
Uberse.tzung, schon im Abendland bekannt, und fand der Cult dieser
Heiligen zumeist in Gallien, wohin noch immer viele Orientalen als
Kaufleute, Monche oder Geistliche karaen,^ Eingang. Jetzt erst,
nachdem der Cult schon Ansehen und Verbreitung gefimden, wird
man sich um eine Geschichte dazu bemiiht haben, die man katholischer-
seits dem Volke in die Hande geben konnte. In der That lautet
die neue Version, welche durch den ^ingeblichen Brief des Bischofs
Theodoros von Iconium an Bischof Zosimos zur Zeit Kaiser Justinian's^
in Umlauf kam, und im griechischen Synaxar und in den Menologien
Aufnahme fand, audi im Metaphrastes zu Grund liegt,^ raenschlich
natiirlicher und den alten Martyrergeschichten ahnlicher, ist aber
audi so mit dem Wesen eines romischen Gerichtsvorgangs nicht ver-
einbar, und dass der Bischof von Iconium im sechsten Jahrhundert
von einem alten isaurischen Mann aus dem Geschlecht der Julitta
soil haben noch etwas Thatsachliches erfahren konnen, ist nicht wohl
denkbar. Vielmehr sind diese angeblich achten Acten nur eine nach-
tragliche katholische Umbildung des alten haretischen Stiicks, wie
denn noch im zehnten Jahrhundert der Abt Hucbald vom Kloster Elnon
in Flandem eine andere, geschmiicktere Umbildung vornahm. Wenn
Bischof Theodoros in jenem Briefe von jenem alten Stiicke manichaischen
^ E. Egli, altchristliche Studien. 1887. JS 103 ff.
^ IIauck, Kirchengeschichte Dentschlands I. 1886. 8. 6j — 69.
^ In den bolland. A. M., Jiinii torn. III. 8. 23 — 28.
* Hiernach hatte der Praeses, wahrend er die Mutter martern liess, ihr weinendes
Kind anf den 8chooss genomnien und geliebkost, dieses aber, die Mutter unverwandt
anblickend, ihn gebissen und gekratzt, ja auch stammelnd den Namen Christi aus-
gesprochen, und sei dann vom ergiMinmten Praeses auf das Pflaster geschleudert und
so getodtet wordcn, die Mutter aber darnach enthauptet.
Sitzungsberichte 1887. 33
352 SiUung der philosophisch-historischen Classe vom 28. April.
Oder heidnischen Ursprung aussagt, so hat er jene Ausdrucke wohl
nur im weiteren Sinn vei^standen wissen wollen; doch ware selbst
ein manichaischer UrspiTing nicht undenkbar, da ja die Manichaer
vielfach Gnostisclies herubergenommen haben. Aber sicher Mani-
chaisches findet sicli auch in den orientalischen Versionen nicht mehr,
man miisste denn die Stelle in der letzten Verheissung des Erlosers
an Cyriacus hierher ziehen: »und was deinen Leib betrifft, so werde
ich ihn bewahren auf der Stnfe der Sonne «' (in A f. 109*), oder:
» deinen Leib setze ich auf den Himmelswagen« (in S Bl. 245^), ent-
sprechend seiner Bitte: »mein Leib soil nicht in (w£>) der Erde ver-
faulen«.
Jedenfalls aber, ob erst manichaischer oder schon gnostischer
Entstehmig, daran wird festzubalten sein; dass das Stuck von Haus aus
aus eine Dichtung ist, zur Verherrlichung der allmachtigen Siegeski'aft
des lebendigen Gottes und seines EvangeUums, sowohl gegenuber von
den Gottern und ihren Anbetern, als gegenuber vom Satan, welcher auf
Schritt und Tritt den Martyrern ihre Kronen oder ihren Schatz zu rauben
sich abmiiht , welche Siegeskraft hier nachgewiesen wird an einem Kind,
nach dem Motto von Ps. 8,3. Derartige freie Dichtungen ^u erbau-
lichen Zwecken sind in der alten Zeit viele geschrieben worden (so
ausser der Geschichte der Sophia und ihrer drei Tochter auch die der
Symphorosa mid der Felicitas, jede mit sieben Sohnen, nach dem Vorbild
von 2 Mace. 7 ^ , tlieils noch in der Martyrerzeit selbst zur Ermunterung
der Freudigkeit des Bekenntnisses , als auch, und noch mehr, in der
Ruhe des 4. und 5. Jahrhunderts mit der Aufnahme des Marty rer-
cults, wie man denn bald auch keinen Anstand mehr nahm, aus un-
lauteren Ouellen, sogar aus den Vorrathen heidnischen Aberglaubens
Bluthen far die Siegeskranze solcher Heiligen zusammenzulesen.
Nicht umsonst ist bei Gelasius die Passio Georgii mit der des
Quiricus verbunden. Auch im Orient, wohin Gelasius' Decret nicht
reichte , sind sie in den Handschriften noch oft genug beisammen (z. B.
in A und S, ebenso im syrischen Manuscript des Vaticans und im
karschunischen des Britischen Museums). Sie ist ganz und gar des-
selben Geistes imd derselben Art. Wie in dem Kinde Quiricus, so
ist hier in dem Manne G^orgios der heldenhafte, siegreiche Bekampfer
des Heidenthums, der Martyr invictus, verherrlicht. Dieselben un-
geheuerlichen oder noch zauberhafbere Wunder. Wie dort, heisst die
Taufe hier des signaculum Christi, und tauft Georg eine Schaar von
den Todten Auferstandener mit Wasser, das er aus dem Boden ge-
' Egli S. 9 1 — 99.
Dillmann: Zwei apokryphe Milrtyrergeschichteri. 351^
stampft (S, Bl. 299), und steht er bei Gott im Range Johannes des
Taufers (A, Bl. 112), u. s. w. Aber der jugendliche Held Georg, der
kaiserliehe Tribun, welcher, als alle seheu sich zimickziehen , den vom
K5nig hingeworfenen Fehdehandschuh aufnimmt, sicli als Christ bekennt
und mit ungebeugtem ritterlichen Muth den Gotterglauben bekampft,
hatte mehr menschliche Lebenswahrheit , und fand daher leichter
Sympathie imd Ansehen, als jenes zauberhafte Kind. Im Orient und
Occident wurde er bald, schon im 5. und 6. Jahrhundert, eine der
beliebtesten Gestalten im Heiligenpantheon, der Megalomartyr , der
siegverleihende , der Heifer in alien N5then, Kriegsnothen imd Natur-
plagen , dem allenthalben Kirchen und Kapellen geweiht wurden , mit
der Zeit der Schutzheilige vieler Stadte, ganzer Volker, zuletzt auch
Ordenspatron. Der Schauplatz und noch mehr die Geschichte seiner
Thaten wurde stark umgebildet, letztere auch mit immer neuen Ziigen
vermehrt. AUbekannt ist, dass seine Erlegung des Drachen (oder
Lindwurms) eine der jiingsten Wendungen der Legende und vor dem
12. Jahrhundert nicht nachweisbar ist. Die altesten Darstellungen
lauten vSUig anders.
Nach den alten, von Gelasius verworfenen Acten hat man bis
jetzt vergeblich gesucht. Baronius glaubte sie in einem lateinischen
Manuscript der Bibliothek von Vallicella in Rom gefunden zu haben ;
Papebroch, welcher dasselbe ebenfalls einsah, sch&tzte es auf das
12. Jahrhundert, und erkannte es als eine jiingere Bearbeitung, glaubte
aber seinerseits einen alteren Text in einem Codex antiquissimus GalU-
canus aus dem 8. Jahrhundert geftmden zu haben (leider hat er diesen
Text nicht abdrucken lassen, auch das Manuscript nicht naher be-
zeichnet), urtheilt aber auch von diesem Text, dass er nur eine be-
reits in katholischem Sinne von den Haeresien gereinigte Recension
gebe (AS., Aprilis t. Ill p. loi). Statt dessen liess er den zwar nicht
urspininglichen , aber, wie er meint, der geschichtlichen Wahrheit
verhaltnissmassig am nachsten kommenden Text, den schon Lippomani
und Surius angenommen hatten, in lateinischer Ubersetzung drucken
(S. 117 — 122). Auch die uns vorliegende syrische und arabische Re-
cension beruht sicher auf spateren Umarbeitimgen der alten Passio,
in welcher zwar nicht alle die grandiosen, rein magischen Wunder,
wohl aber das Haeretische in den Reden ausgemerzt ist. Auch stimmen
die beiden unter sich nur im allgemeinen, nicht im einzelnen liberein,
weder in der Zahl noch in der Reihenfolge der Thaten, und nament-
lich nicht in den Reden, die gesprochen werden. Im ganzen aber,
und abgesehen von einigen Erganzungen, die aus A genommen werden
k5nnen, gibt sich S als der getreuere, auch dadurch, dass er mit
dem von Papebroch aus den ungedruckten occidentalischen Hand-
33 •
354 Sitznng der jihilosophisch - historischen Classe vom 28. April.
schriften Mitgetheilten naher zusammenstimmt, als A. Bei A wird
das Martyrium gesetzt in die Zeit der drei verbiindeten K5nige Dio-
de tianus, Maxentius und Dadianus, so zwar, dass Dadian als der
eigentliche Gegner und Verfolger Georg's erscheint. Dagegen nach S
(wo die Uberschrift lautet: Martyrium des Georgios und des Antoninos
(TrpciTy\}JuTy^ und der Konigin Alexandra, welche gekront wurden am
24. Nisan, am Freitag um 6 Uhr, in den Tagen des K5nigs Dadianos
im Jahre 290 des Herrn) ist der Widersacher Dadianos, Konig von
Persien, der vier hose K5nige zu seinen Genossen hatt.e,' imd ein
Ausschreiben ergehen liess, dass, weil, wie er geh5rt, jetet viele den
Sohn der Maria anbeten, nicht mehr Apollo und Heracles, sondem
den von den Juden mit Rutlien gehauenen und an's Holz gehangten,
man ihm zur Austilgung dieses Unfiigs behulflich sein soil. Die 75
Oder 72 K5nige, die er nach Papebroch's Handschriften (S. loi) bei
sich hatte, kommen bei A gar nicht mehr, bei S nur ganz beilaufig
als 70 KSnige (Bl. 228^) oder besser am Schluss als 70 Sifr^oyfrtQ
(Bl. 233*) vor. Die Acten selbst woUen (Bl. 233^) von Hippocrates
(.m-fc^l^Q-aJl) , dem Diener des Georg , der ihn durch die ganze Zeit seines
Kampfes begleitet habe, abgefasst sein, wie in den von Papebroch
eingesehenen Texten ein Passecras (S. 101) oder besser Pasicrates
(S. 103*) der Verfasser sein soil. Auch die bei Papebroch S. ioi^ be-
hauptete siebenjahrige Dauer seines Kampfes wird in S (Bl. 230^. 232^)
zweimal beilaufig erwahnt, obwohl nach der jetzigen Erzahlung die
Sache, wie eine gewohnliche Martyrergeschiclite, in viel kiirzerer Zeit
verlauft. Der Schauplatz seines MartjTiums ist weder in S noch in
A bestimmt genannt. Durchaus aber erscheint er in beiden als Kappa-
docier, bis dahin Tribun, und dann zum Comes des Dadian designirt;
davon, dass er mutterlicherseits aus Palaestina stammte, ist keinerlei
Andeutung, auch nicht in der seiner Passio vorausgeschickten Vor-
geschichte (bei S Bl. 224), wo sein Vater ein kappadokischer Kauf-
mann, Namens Gordianos, heisst. Die Wendung, dass er halb Pa-
laestiner oder dass Lydda (Diospolis) der Schauplatz seiner Kampfe
war, ist offenbar erst entstanden, nachdem die dort auf seinen Namen
gebaute Kirche Berahmtheit erlangt hatte. In sein Martyrium ver-
flochten ist in S (s. oben) das des (Trpurv\Xoirfig Antoninus imd der
KOnigin Alexandra; in A ist nur die letztere mit Namen genannt,
die Figur des Antoninos aber anonym ; bei Papebroch treten fiir An-
toninos und seine Taxis Anatolius et Protoleus, dignitate praetoria
decorati, ein. Als Rathgeber des Dadianos spielt in S der (rrpfltrtiAfleriK
Magentius eine RoUe, und kommen an genannten Fiirsten noch vor
* Bei PAPKBRorH S. loi heisst. er Dncianns.
Dillmann: Zwei apokrj'phe Martyrergeschichten. 355
Caduclejo (Ui^oj-e) und Tarkelino (hiSn^), auch der K5nig von Aegypten.
Der Hauptgott, um den es sich in Georg's Kampf handelt, ist in S
und A Apollo (wie in der Passio Quirici), ausserdem kommen in S
(nicht in A) Zeus, Heracles, Poseidon, Serapis, Athene und Artemis
mehrfach vor. Christus heisst im Munde des Damons, der aus der
ApoUostatue ausfllhrt, der Nazarener (S Bl. 232*), im Mimde Dadian's
wiederholt der von den Juden in Jerusalem gegeisselte und an's Holz
geschlagene; den Georg nennt er einmal Haupt der Galilaer (Bl. 229^)
und im officiellen Todesurtheil (Bl. 232^) Mitglied der Geheimverbindung
der Christen (tu^j-s? ^o(j(\h\ j^). Der Zauberer Athanasius (bei Pap. §.14 ff.)
fehlt in S ganz, ist in A anonym, aber der Wettkampf des Georg
mit ihm ist bei A (Bl. 1 1 3^ f.) ausfiihrlicher (der Zauberer beweist
dem K5nig seine Zauberkraft dadurch, dass er einen Stier, indem er
ihm in's Ohr spuckt, in zwei Theile bersten macht und dann durch
Anblasen aus diesen zwei Stficken zwei Stiere herstellt; als er nun
aber dem Georg einen Zaubertrank reicht, um ihn dadurch zu tOdten,
macht Georg diesen Trunk durch das Zeichen des Kreuzes ffir sich
unschadlich) ; statt dieser Anekdote steht bei S (Bl. 228*), und nur
bei ihm, das Wunder, das er auf Verlangen des Magentius leistet,
dass er aus den Holzbrettem der vierzehn KSnigsstiihle , welche am
Gerichtsplatz stehen , wieder die griinenden Baume herstellt , von denen
sie genommen waren. Die Geschichte von Glycerins (Pap. §. 20) fehlt
in S , steht in A , aber bei ihm ist ein Weib Eigenthiimerin des Stiers,
den er wieder in's Leben ruft. Das Wunder im Haus der armen Wittwe,
deren Sohn er von seinem Leibesgebrechen heilt, und die er dadurch
emahrt, dass er den Holzpfeiler ihres Daches in einen Friichte tragenden
Baum umwandelt, haben S und A, und nach einer Andeutung bei
Papebroch scheint sie auch in seinen alteren Texten gestanden zu
haben. Die Auferweckungsgeschichte , die bei Pap. §. 17 auf einen
Todten ermassigt ist, lautet in A (Bl. 115^) auf 17, in S (Bl. 228^ f.)
aber auf 200 Todte, die schon vor zwei Jahrhunderten gestorben und
vollig zu Staub geworden waren, deren Sprecher Jubal (Uoa-.) auf Dadians
Befra gen von ihrem Aufenthalt in der HoUe erzahlt, und die dann
auf ihre Bitte von Georg getauft und in's Paradies geschickt werden.
Wie Quiricus in seiner Passion einmal sogar vom Tod wieder auf-
erweckt wird (s. o.), so auch Georg bei S (Bl. 226^ f.) einmal, nachdem
er mit dem Rad get5dtet, sein Leib in zehn Theile getheilt und die
Stucke in eine Grube geworfen waren; bei A sogar zweimal, einmal
(Bl. 113*), nachdem er mit dem Rad getSdtet, sein Fleisch gebraten
und den Hunden hinge worfen war, die es aber nicht anruhrten, und
das anderemal (Bl. 117*), nachdem er mit einer Dreschmaschine zer-
rissen , dann verbrannt und seine Asche nach alien Winden zerstreut
35,6 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 28. April.
worden war; in der katholischen Recension bei Papebroch kommt es
vor der Enthauptung nie zum fi^rmbchen Tod. Vor seiner Ent-
hauptung sendet Gott bei S (Bl. 233*) auf Georg's Gebet nach dem Muster
von 2 Reg. i , 9 ff. Feuer vom Himmel und tSdtet die 70 of^ovrtqy bei
A (Bl. 120*) verbrennt Feuer vom Himmel ihre Stadt.
Alle diese Differenzen zeigen deutlich, dass auch die orientalischen
Texte auf Umarbeitungen beruhen, obwohl sie im allgemeinen die
crassen Wundergeschichten noch viel urspninglicher erhalten haben,
als der PAPEBROCH'sche Text. Um den Grad der Umarbeitung be-
stimmen zu konnen, miissten zuvor die altesten griechischen oder
lateinisehen Darstellimgen bekannt gemacht sein. Aber schon jetzt
kann man sehen, dass diese Georgii Passio mit der Passio Quirici
vSllig gleichen Schlages, imd wie diese mit den apokryphen Apostel-
acten, welche von ahnlichen Wundergeschichten wimmeln, auf eine
Stufe zu stellen ist, von Haus aus ein Product der Dichtung, welchem
mit demselben Recht die jungere Georgsdichtung imterstellt werden
konnte. Irgend eine geschichtliche Grundlage daraus erheben zu
woUen, wird auch hier vergebliche Miihe sein.
357
Uber einen neu aufgefondenen Reisebericht
nach dem gelobten Lande.
Von Th. Mommsen.
(Vorgetragen am 17. Marz [s. oben S. 257].)
Die Pilgerfahrten , welche eine dem siidlichen Frankreich angehOrende
vornehme Dame wahi*scheinlich in der zweiten Halfte des vierten
Jahrhimderts , von Jerusalem aus in Palaestina und nach dem Sinai
nnternahm und in einem von Constantinopel an ihre Klosterschwestern
daheim gerichteten buchartigen Brief ausfiihrlich schilderte, waren
bislier nur bekannt in den diirftigen Ausziigen , welche Petrus Diaconus,
der die Handschrift in der Bibliothek seines Klosters von Monte Cassino
benutzt^, seiner Sphrift de locis Sanctis daraus einfiigte; sie liessen weder
die Quelle noch den Werth derselben erkennen. Der Bibliothekar von
Arezzo, Hr. Fr. Gamurrini, hat seinen zahlreichen Verdiensten um die
Wissenschaft und insbesondere die Epigraphik eine neue imgemein
werthvolle Leistung hinzuge^gt durch die Auffindung und die Ver-
offentlichung der Uberreste der durch wunderliche Zufelle in jene
Stadtbibliothek verschlagenen Handschrift. ^ Es wird dem neuen Funde,
der auch ungedruckte Stiicke von Hilarius enthalt, an Herolden und
Weiterverkiindem nicht fehlen. Ich beabsichtige nur kurz mitzu-
theilen, was speciell fiir die Topogi'aphie der Sinaigegend und des
angrenzenden Gebietes von Aegypten sich aus diesem Reisebericht
ergiebt.
Die pilgemde Dame, nach des Herausgebers Vermuthung Silvia
aus Aquitanien, ging von Jerusalem nach dem Sinai und auf dem-
selben Wege wieder zuriick. Erhalten ist uns von ihrem Bericht
der Schluss der Hinreise von Pharan zum Sinai, die Beschreibimg
der dortigen heiligen Statten imd die ganze Ruckreise vom Sinai nach
Suez und weiter nach Pelusion, dann von da zu Lande nach Jerusalem.
^ S. Hilarii tractatus de mysteriis et hymni et S. Silviae Aquitanae peregrinatio
ad loca sancta. Quae inedita ex codice Arretino depronipsit loh. Franc. Gamurrini.
Roin 1887 (Biblioteca deir Accademia storico-giuridica vol. quarto).
358 SitzuDg der phil.-hist. Classe v. 28. April. — Mittheilung v. 17. Marz.
Neben mancliem anderen interessanten Detail sind von hei*voiTagender
Wichtigkeit die Angaben fiber die Strecke von Suez nordwarts, wo die
Pilgerin, die fiberhaupt nur bei heiligen Statten verweilt, die in den
Bfichem Moses erwahnten Oi*te besuclit hat and in ihrer Weise beschreibt.
Selbstverstandlich gehe ich nicht darauf ein die Angaben der fran-
zosischen Dame mit der mosaischen Erzahlung and den aegyptischen
Monumenten in Einklang zu bringen; immer wird auch fur diese in
Betracht kommen, wie etwa in der 2^it des ersten Theodosius die Ein-
heimischen die biblischen Namen sei es traditionell , sei es conjectural
fixii't batten.
Von Pharan aus gelangte die Dame auf der Ruckreise am zweiten
Tag an das rothe Meer und dann am Strande bin nach Klysma.
'Ac sic ergo cum pervenissemus Faran, quod sit a monte dei milia
Hriginta et quinque, necesse nos fuit ibi ad resumendum biduo im-
'morari. Ac tertia die inde maturantes venimus denuo ad mansionem,
*id est in desertimi Fai^aii, ubi et euntes manseramus, sicut et superius
*dixi. Inde denuo alia die facientes aquam et euntes adlmc aliquan-
'tulum inter montes pervenimus ad mansionem, quae erat iam super
'mare , id est in eo loco , ubi iam de inter montes exitur , et incipitur
'denuo totum iam iuxta mare ambulari, sic tamen iuxta mare, ut
*subito fluctus animalibus pedes cedat, subito etiam et in centum et
'in ducentos passus, aliquotiens etiam et plus quam quingentos passus
'de man per heremum ambuletur: via enim illic penitus non est, sed
'totum heremi sunt arenosae. Faranite autem, qui ibi consueverunt
'ambulare cum camelis suis, signa sibi locis et locis ponent; ad quae
'signa se tendent, et sic ambulant per diem, nocte autem signa cameli
'attendunt. Et quid plura? diligentius et securius iam in eo loco ex
'consuetudine Faranitae ambulant nocte, quam aliqui hominum ambu-
'lare potest in iis locis, ubi via aperta est. In eo ergo loco de inter
'montes exivimus redeuntes, in quo loco et euntes inter montes intra-
'veramus: ac sic ergo plicaviraus nos ad mare. Filii etiam Isi'ael
'revertentes ad montem dei Syna usque ad eum locum, reversi sunt
'per iter quod ierant: id est usque ad eum locum, ubi de inter montes
'exivimus, et iunximus nos denuo ad mare iiibiiim, et inde nos iam
'iter nostrum, quo veneramus, reversi sumus: filii autem Israel de
'eodem loco, sicut scriptum est in libris Sanctis Moysi, ambulaverunt
'iter suum. Nos autem eodem itinere et eisdem mansionibus, quibus
'ieramus, reversi sumus in Clesma.' Die in der Hinreise gegebeneu
ausfiihrlicheren Nachricliten fiber Klysma hat Petrus Diaconus aufbe-
halten: 'Antequam vero pervenias at montem Sina occurrit castrum
*Clesma super mare rubrum, ubi filii Israel sicco pede transierunt mare.
'Vestigia autem currus Pharaonis in mediis arenis parent usque in
Mommsen: Uber einen neu aufgefundenen Reisebericht n. d. gelobten Lande. 359
sempiternmn. Rotae autem ipsae inter se multo plus parent, quam
cunnis temporis nostri, qui nunc in Romano imperio fiunt. Nam inter
rotam et rotam viginti et quatuor pedes et eo amplius fiierunt: orbitae
autem ipsae habent binos pedes in lato. Vestigia vero currus Pharaonis
usque ad mare accedimt, ubi autem ingressus est in mare, dum vult
Alios Israel comprehendere. In eo autem loco, in quo ingressi sunt
filii Israel in mare, id est, quo usque Pharaonis orbitae parent, in
hodie duo signa posita sunt, unum in dextro et aliud in sinistro,
idem ac si coliunnellae factae sunt. Locus autem ipse non longe a
castro est, id est de Clesma. Clesma autem ipsa in ripa est, id est
supra mare : nam portus est ibi clausus , qui portus mittit ad Indiam
vel excipit venientes naves de India: alibi enim nusquam in Romano
solo accessum habent naves de India nii^ ibi. Naves autem ibi et
multae et ingentes sunt: quare portus famosus est pro advenientibus
ibi mercatoribus de India. Nam et ille agens in rebus, quem Logo-
thetem^ appellant, id est qui singulis annis legatus ad Indiam vadit
iussu imperatoris Romani, ibi ergo sedes habet et naves ibi stant
ipsius. Hie est locus, ubi pervenerunt filii Israel fiigientes a Faraone,
quando de Egypto profecti sunt: hoc autem castrum postmodum ibi
positum est pro defensione et disciplina pro incursione Saracenorum.
Locus autem ipse talis est, ubi totum heremite sint, id est campi
arenosi, excepto monte illo uno, qui incumbit in mari, in cuius
montis latere ex adverso colligitur marmor porphyreticimi : nam ex
eo dicitur appellari mare rubrum, quia hie mons, qui per spatium
grande super mare rosseum iacet, rubrum rosseum lapidem habeat
vel porphyreticimi : nam et ipse mons quasi rosseo colore est. Qui
tamen mons fuit in dextro filiis Israel fiigientibus de Aegypto, ubi
tamen coeperunt se ad mare appropinquare : nam venientibus de Aegypto
ad dexteram partem ipse mons est erectus valde et excelsus satis, ac
si paries, quem putas manu hominum excisum esse. Ipse autem
mons aridus est penitus, ita ut nee firuticem in se habet. Filii autem
Israel exeuntes de Ramesse primmn per medias harenas errando
ambulaverunt : cimi vero ad mare rubrum appropriaverunt , tunc mons
de dextro illis qui apparebat, in proximo factus est, et iimgentes se
ipsi monti perveniimt ad mare: latus autem montis illius excelsi de
dextro illis veniebat et mare de sinistro. Time subito euntibus eis ante
ipsum apparuit locus ipse, ubi mons in mare iungebat, immo ingre-
diebatur, ubi promontoria faciimt. Campus autem ipse, ubi filii Israel
nocte ilia manserunt cima Moyse, infinitus est et planities eius in-
gens. Distat vero locus, ubi incimibit mons in mare a castro Clesma
^ Die Handschrifl hat logotetema.
Sitzungsberichte 1887. 34
360 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 28. April. — Mittheilung v. 17. Marz.
^passus quingentos. Inter castrum autem et ipsum montem medius
*est locu« a promonctorio montis, ubi ingressi sunt filii Israel in mare
^et Pharao cum eis. Traiectus autem , ubi transierunt sicco pede mare
*rubrum, habet octo milia passus in lato'.
Wenn die Identification von Elysma mit dem heutigen Suez oder
vielmehr mit dem 500 Schritt nSrdlich davon liegenden Qulzum der
Araber^ noch einer Bestatigung bedurfte, so wurde dieser Beiicht sie
geben. Merkwiirdig aber sind die Angaben fiber die Organisation des
spateren romisch-indischen Handelsverkehrs , welche jetzt sich erweisen
als aufgezeichnet nicht im zwolften, sondem im vierten oder fiinften
Jahrhundert. Dass in dieser Zeit in den wichtigsten Exporthafen kaiser-
Uche der schola agentium in rebus entnommene Controleure stationirt
waren und griechisch 'Koyo^iroLi genannt wurden, ist meines Wissens
sonst nicht uberiiefert, passt aber wohl zu imserer anderweitigen
Kunde. Die strenge Uberwachung des Exports an den Reichsgrenzen
ist bekaimt; zum Beispiel ordnet ein Erlass vom Jahre 420 fur jedes
in das Ausland fahrende Schiflf vorher eine regulirte Ausclarirung an. *
Eine Verordnimg vom Jahre 395 femer unterstellt das Postwesen in
jeder Provinz einem agens in rebus und weist diesen zugleich an die
SchiflEahrt nicht widerrechtlich zu belastigen. * Diesem Oberpostmeister
der Provinz ist der bei den spateren Byzantinem mehrfach genannte
Xo7oS'erifi^ roC ^pojuov* sicher verwandt, vermuthlich der den provinzialen
vorgesetzte Generalpostmeister des Reiches. Weder mit jenem noch
viel weniger mit diesem wird der locale Logothet von Klysma identificirt
werden durfen ; aber nicht zuf^llig ist auch er , wie der Provinzialpost-
meister, agens in rebus imd nicht zufallig theilt er den griechischen
Namen mit dem Reichspostmeister ; er ist ein Glied desselben Ad-
ministrativsy stems. Von der Anordnung, dass der romische Controleur
selbst jahrlich nach Indien fthrt, vermuthlich also die romischen Indien-
fahrer Jahr fiii* Jahr zur Flotte vereinigt, wie dies in der That schon
der Monsun fordert, ist meines Wissens sonst nichts uberiiefert.
* Dillmanii in diesen Sitzungsberichten 1885 S. 895 fg.
* C. Th. 7 , 16, 3 : *decrevimus , ne merces illicitae ad nationes barbaras defe-
*rantur et quaecumque naves ex quolibet porta seu litore demittuntur, nullam con-
*cussionem vel damna sustineant'. Es sollen darum vor der Abfahrt der revidirende
Militar (protector seu ducianus qui dispositus est) und der Capitan vor der Ortsobrigkeit
zu Protokoll erklaren, wohin das Schiff fahre und dass die Revision ordnungsmassig
vollzogen sei, von welcher Erklarung der Capitan die Ausfertigung bekommt, die
Ortsobrigkeit den Entwurf behalt.
* C. Th. 6, 29, 8 = C. Inst. la, 23, 4: 'agentes in rebus singulos per singulas
*provincias mittendos esse censemus, quibus inspiciendanim evectionum tantnm debeat
*cura mandari. . . . nee naves debebunt illicita concussione vexare'.
* Z. B. bei Theophanes unter dem J. d. W. 6251 und in anderen in de Boors
Index S. 661 aufgefahrten Stellen.
Mommsen: Uber einen neu aufgefundenen Reisebericht n. d. gelobten Lande. 361
Zu Justinians Zeit hat der directe Handelsverkehr zwischen Rom
und Indien aufgehSrt; die Seide, welche die Romer damals aus
dem Osten bezogen, kauften sie bei den Aethiopiem, welchen durch
diesen Zwischenverkehr grosser Gewinn erwucbs.^
Elysma, das heutige Suez, ersdaeint bier als der Ort, wo die
Israelite!! das rotbe Meer durcbschritten und es ist die Legende in
alle Einzelbeiten ausgemalt bis auf die Maasse der Spur- und der
Radweite von Pharaos Wagen.
Von Klysma nimmt die Dame nicht den geraden Weg nach
Pelusion, sondem wendet sich links, um die bei dem Auszug der
Juden aus Aegypten genannten Ortlichkeiten in Augenschein zu nehmen
und, wie es ihre Gewohnheit ist, an jedem derselben nacb Verlesung
des betreffenden Abschnitts der Bibel ihre Andacht zu verrichten.
Als das Ziel dieses Abstechers bezeichnet sie mehrfacb die civitas
Oder mansio Arabia, welche ihr gilt als die terra Gesse, das Land
Gosen der Genesis. 'Desideri ergo ftdt', sagt sie, *ut de Clesma ad
'terram G^sse exiremus, id est ad civitatem, quae appellatur Arabia,
*quae civitas in terra Gesse est: nam inde ipsum territorium sic appel-
latur, id est terra Arabiae, terra Gesse, quae tamen terra Egypti
^pars est, sed melior satis quam omnis Egyptus est. Sunt ergo a
'Clesma, id est a man rubro, usque ad Arablam civitatem mansiones
'quattuor per heremo; sic tamen per heremum, ut cata mansiones
'monasteria sint cum militibus et praepositis, qui nos deducebant
'semper de castro ad castrum. In ego ergo itinere sancti, qui nobiscum
*erant, hoc est clerici vel monachi, ostendebant nobis singula loca,
'quae semper ego iuxta scripturas requirebam. Nam alia in sinistro,
'alia in dextro de itinere nobis erant, alia etiam longius de via, alia
'in proximo.' Und weiter nach emer ErklSrung der Kreuz- und Quer-
fahrten der Israeliten: 'Nam et Epauleum ostensum est nobis, de
'contra tamen, et Magdalum fiiimus. Nam castrum est ibi nunc habens
'praepositum cum milite , qui ibi nunc praesidet pro disciplina Roma-
'norum. Nam et nos iuxta consuetudinem deduxerunt inde usque ad
'aliud castrum, et loebelsephon ^ ostensum est nobis: immo in eo loco
'fiiimus. Nam ipse est campus supra mare rubrum , iuxta latus montis,
'quem superius dixi, ubi filii Israel, cum vidissent Egyptios post se
'venientes, exclamaverunt. Oton etiam ostensum est nobis, quod
'est iuxta deserta loca, sicut scriptum est: nee non etiam et Socchoth.
'Socchoth autem est clivus modicus in media valle , iuxta quem colli-
'culum flxenmt castra filii Israel: nam hie est locus, ubi accepta est
' Procopius bell. Pers. i , 20,
^ Vielmehr et inde BeUephon.
362 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 28. April. — Mittheilung v. 17. Marz.
*lex paschae. Pithona etiam civitas, quam aedificaverunt filii Israel,
'ostensa est nobis in ipso itinere: in eo tamen loco ubi iam fines
*Egypti intravimus, relinquentes terras Saracenonim: nam et ipsud
'nunc Phitona castrum est. Heroum autem civitas, quae fidt illo
'tempore, id est ubi occurrit loseph patri suo lacob venienti, sicut
'scriptum est in libro Genesis, nunc est come, sed grandis, quod
'nos dicimus vicus. Nam ipse vicus ecclesiam habet et monasteria
'plurima sanctorum monachorum: ad quae singula videnda necesse
'nos fuit ibi descendere iuxta consuetudinem , quam tenebamus. Nam
'ipse vicus nunc appellatur Hero: quae tamen Hero a terra lesse
'miliario iam sextodecimo est, nam in finibus Egypti est: locus autem
'ipse satis gratus est, nam et pars quaedam fluminis Nili ibi currit.
'Ac sic ergo exeuntes de Hero pervenimus ad civitatem , quae appellatur
'Arabia, quae est civitas in terra lesse. Unde scriptum est dixisse
'Pharaonem ad loseph : » In meliori terra Egypti colloca patrem tuum
'et fratres in terra lessen, in terra Arabiae«. De Arabia autem civitate
'quattuor milia passus sunt Ramessen. Nos autem, ut venlremus ad
'mansionem Arabiae, per media Ramesse transivimus: quae Ramessen
'civitas nunc campus est, ita ut nee unam habitationem habeat.'
Nach den Angaben der Pilgerin, dass Taphnis^ zwei, Klysma
vier Tagereisen von der Stadt Arabia, femer Hero, zwischen Klysma
imd Arabia gelegen , 1 6 Milieu von diesem entfernt sei , kann uber die
Lage von Arabia kein Zweifel sein: es ist der Ort, welcher in den
officiellen romischen Documenten Thou genannt wird, vermuthlich
das Thuku der Hieroglyphen ,^ nach dem Reisebuch von Taplmis 32,
von Klysma 92 , von Hero 24 Milieu entfernt.^ Dass es in der Pro-
vinz Augustamnica eine Stadt gegeben hat, welche in justinianischer
Zeit den Namen Arabia trug , wussten wir^ aus dem Stadteverzeichniss
des Hierokles und anderen Documenten,* und mit Recht hat Wesseling
^ Im Auszug des Petrus p. 134 Taphnis, im Itinerar p. 50 TathniSy Tathis, *Ge-
'meint ist das bei den hebraischen Propheten alsPharao-Residenz vorkommendeTachphnes,
'Tcctpvr\ der LXX, Daphno im Antoninischen Itinerar p. 162, jetzt Ruinen Tell Defenne.
*Die Lage entspricht der directen Strassenrichtung nach Pelusion.' Kiepkrt. Gamurrini
sieht darin aus Versehen Tanis.
* Nach Naville (the store -city of Pithom p. 5) wird in den hieroglyphischen
Namenlisten dem achten Nomos von Niederaegypten als Hauptstadt gegeben bald
Pi Tun, bald Thuku oder Thuket, also entweder Pithom bei Hero oder Thou.
^ Itin. Ant. p. 170: Clysmo — L — Serapiu — XVIII — Hero — XXIIIl —
Thou — XII — vico hidaeorum XII — scenas veteranorum*, femer p. 163: Tacasarta
— XIIII — Thou — XXVI — scenas veteranorum. Not. dign. p. 60 Seeck : cohors I
Augusta Pannoniorum Tohu,
* Hierokles p. 728 Wess. neben KXvtixu hccot^ov, Sie wird auch in derselben
Provinz, freilich verdorben in^ AvceBtovg , in dem Bisthumerverzeichniss p. 81 , 728 Parthey
aufgefuhrt , sowie in dem Stadteverzeichniss des Julius Honorius an der Spitze der Stadte
des oceanus meridianus ah Arabia (nitiobres setzen die schlechteren Handschriflen ein)
Momihsen: Uber einen neu aiifgefundenen Reisebericht n. d. gelobt^n Lande. 363
darauf den aegyptischen va^og 'ApoifiUg bezogen.^ Die Jde^tificat^ou der
r^ach Angabe unseyer Pilgerin volkreicben Stadt mit dem als Kreuzpunjct
zweier Reichsstrassen und Gamison eines Reiterregiments bekani^ten
Thou ergiebt sich erst jetzt. Es ist mcht unwalw^spheipUch , dass auf
diese Umneniiung , die nur in Documenten cbristlicher Zejt begegnet,
4ie Worte der Genesis 46, 33 in der griechisphen F^sung: 'ev 7^
Tecreju ^Apufitug eingewirkt haben; wepn Thou ein^al gait als Haupti-
stadt des I^andes Gosen, konnte ihr wohl nach jener Bibels telle der
Name Arabia gegeben werden. Aber die Bezeichnung Arabis^ kei^^t
fiir diese Gegend schon Ilerodot,*^ welcher das Wasser des Nil in den
grossen Kanal eintreten lasst KUTvirep^e oKiyov Bov^xariog iroT^iog irccpk
JlATovyLov Tv\v 'Apu^iv\v TToKiv. Denn die hier bezeichuete Localit^t in der
Nalie von Bubastis triffib zu auf Thou oder Arabia und die bisher
wohl ziemlich allgemein angenommene Identification von Patumon mit
Pithom wird, wie so manche ahnliche auf Gleichklang gebaute, auf-
gegeben werden miissen.
Die biblischen Namen der Orte, welche die Daiqie, von Klysma
kommend, besucht, sind d^.s sogenannte Epauleon neben der Styasse,^
auf dieser selbst Magdalon und Belsephon/ neben ihr Oton/ auf ihr
Soechoth , Pithom , Heroonpolis , Ramesse , worauf dapn die terra Gesse
oder die Stadt Arabia folgt. Von diesen ist Heroonpolia bekanntlich
wenigstens der ungefahren Lage nach festgelegt durch Navilles Ent-
deckungen, einen wahrscheinlich von eifiejn Soldaten in fluchtig ein-
gekratzter Sclirift mit Era castro bezeiclmeten Stein** mid den neuntep
oppidum neben Fossa Traiani. Der neueste llerausgeber des Honorius Kubit^pb^k
p. 22, 34 hat nicht wohlgethj^n die Stadt Arabia fur *ganz unmoglich' xu erklaren.
^ Ptolemaeus 4, i, 53: ^A^ccQtac vo^jloq hui iui^t^ottoXk ^uHoZtrra (vergl. Strabon 17,
1, 26 p. 805); Plinius h. n. 5, 9, 49. Vergl. Wesseling zum Hierokles a. a. O. Auch
bei Plinius 6, 29, 165 ist wohl herzustellen : sinus quern Arabiae seu An vocani; die
Handschriften haben arabiaesean D, arabiaesaean F, arabesean R, arabesaeant E; und
in dem letzten Wort haben die Aegyptologen die hieroglyphische Bezeichnung *Herr
von An' erkanni (Naville p. 8).
* 2, 158. Die sprachlich wie sachlich unzulassige Emendation Navilles hat
Dillmann a. a. O. S. 891 mit Recht abgewiesen, aber nicht mit Recht bestritten, dass
Herodot den fraglichen Ort in die Nahe von Bubastis setzt. Er sagt keineswcgs, was
Dillmann ihn sagen lasst, dass der Kanal an Patumos vorbeifilhrt, sondern dass bei
Patumos das Nilwasser in den Kanal eintritt.
^ Exod. 14, 2: aTrn'ai'Ti t>J^ sTravXsujQ aua fXicrov MccyStJuT^ov xai ccvcc fXiO'oi^ tyj^
* Exod. 14, 9: aTTiucd'Tt TYiQ inaxjXswQ i^si'atTtat; B€sX(rs7r(p(MJu,
^ Exod. 13, 20: e^cc^cwTSif Ss ot vlot It^«>jX in XoxyjuS" iTT^aTOTTsSsvo'cw iv
* Eph. epigr. V n. 14, im Stich bei Naville Taf. 11 vergl. p. 6. Die ersten
beiden Zeilen, von zwei verschiedenen Handen eingekratzt, scheinen lo{cus) Ero\polis
bedeuten zu sollen; olis hat vervollstandigend die zweite Hand hinzugefugt, von der
auch die folgenden beiden Zeilen herruhren.
Sitzungsberichte 1887. 34
364 Sitznng der phil.-hist. Classe v. 28. April. — Mittheilung v. 17. Marz.
Wegstein der Strasse ab Ero in Clusma mit den Namen der Kaiser
Diocletian und Maximian.^ Beide sind in Tell-el-Maschuta gefiinden
worden, der letztere in den Ruinen des pomischen Castrum, also
nicht am alten Platz; wenn diese Steine an sich nur nothigen die
alte Stadt ungefehr in diese Gegend zu versetzen, so ist die That-
sache, dass Hero, auch nach dem Zeugniss der Pilgerin, ein ansehn-
licher Ort war und in dieser Gegend bedeutende romische Ruinen
allein bei Tell-el-Maschuta gefiinden sind, fiir die Ansetzung eben an
dieser Stelle entscheidend. Der Reisebericht stimmt damit insofem
iiberein, als er die Entfemung der Stadt Hero von Klysma auf vier
Tagereisen weniger i6 Milien ansetzt, also die dafar im Itinerar an-
gesetzten 68 Milien durchaus bestatigt. Pithom setzt die Pilgerin
zwischen Klysma imd Hero als letzte Station vor Hero, Ramesse
12 Milien von Hero, 4 von Arabia. Die erste dieser Ansetzungen
stimmt insofem mit dem Resultat der Navilleschen Ausgrabungen
uberein, als Pithom nach diesem Zeugniss zwar nicht, wie Naville
dies thut, geradezu mit Hero identiiicirt wird, aber sehr wohl in
dessen nachster Nachbarschaft in der Richtung auf Suez angesetzt
werden kann. Die Ansetzung von Ramesse ist neu und verdient die
Prufimg der beikommenden Forscher. Aufmerksamkeit verdient auch
das Biidwerk, das die Pilgerin in Ramesse sah, mius lapis ThebamSj
in quo sunt duae staiuae exclusae ingenteSj quae dicuni esse Moysis et
Aaron, Endlich ist zu beachten die Angabe, dass die Reisenden bei
Pithom in die fines Aegypti eintraten, relinqu£nies terras Saracenorum.
Also war damals die wuste Strecke von Suez bis zmn Kanal in der
Hand der Saracenen; die rSmische Herrschaft beschrankte sich, wie
unsere Pilgerin sagt, auf eine Kette von Posten und Klostern per
heremumj ut cata rnansiones monasteria sint cum militibus et praepositis.
' Eph. epigr. V. n. 18 = ^3^7* Dass die hier von mir vorgeschlagene Inter-
pretation der Schlussformel ab Ero in Clusma mi(lia) Villi verfehlt ist, habe ich schon
fruLer bei Dillmann a. a. O. S. 898 angedeutet. Es ist allerdings wohl ohne Beispiel,
dass auf den Meilensteinen ausser dem Ausgangsort auch das Endziel des Weges an-
gegeben wird , und ich habe mich dadurch verleiten lassen , der Formel einen anderen
Sinn unterzulegen. Aber wie ah Ero m. p. Villi zu verstehen ist als ah Ero eunti
hoc loco jiunt m. p. Villi ^ so wird auch, wo das Ziel hinzutritt, die Phrase gefasst
werden mussen als eunti Clusma. Damit fallt, was fiber die Existenz eines zweit«n
Klysma bei Isma'iliija am Timsahsee von Naville und von mir vermuthet worden
ist und ebenso die von dem franzosischen Gelehrten (p. 19) vorgeschlagene Correctur
des Itinerars, dessen Ziffern vielmehr jetzt ihre voile Bestatigung iinden.
Ausgegeben am 5. Mai.
Berlin, gedruckt in der ReicLsdrackera.
365
1887.
XXIV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN
5. Mai. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen.
1. Die HH. KiEPERT und Conze legten drei Karten, bez. Plane
vor, deren Zustandekommen der Hrn. Walter von Diest von der philo-
sophisch - historischen Classe gewahrten Reiseimterstiitzung verdankt
wird: die Kartenskizze der pergamenischen Landschaft, aufgenommen
von Hm. von Diest, den Plan der Stadt Pergamon mit Einschluss
der in rSmischer Kaiserzeit besiedelten Umgebung, aufgenommen von
Hm. Carl Humann und den Plan der Konigsstadt Pergamon, aufge-
nommen von Hrn. August Senz. Die drei Blatter sind der bei dem
Untemehmen betheiligten Generalverwaltung der Koniglichen Museen
zur Publication in den »Alterthumer von Pergamon* ubergeben
worden.
2. Hr. Conze kniipfte hieran eine Mittheilung fiber die Lage
der alten Teuthrania.
3. Hr. AuwERs uberreichte den IV. Band des Berichts fiber die
deutschen Beobachtungen der Venus -Durchgange von 1874 imd 1882
und die anschliessenden von der Commission fiir die Beobacbtung des
Venus -Durchgangs angeordneten Arbeiten.
4. Derselbe berichtete fiber den Verlauf der vom 1 6. bis 25. April
in Paris auf Veranlassung der Academie des Sciences und der Pariser
Stemwarte abgehaltenen astrographischen Conferenz , an weleher er im
Auftrage der Akademie theilgenommen hatte. Die von der aus fast
alien Erdtheilen zahlreich beschickten Conferenz getroffenen Verein-
Sitzungsberichte 1887. 35
366 Gesammtsitzung vom 5. Mai.
barungen berechtigen zu der Hoflfnung, dass binnen verhSltnismassig
kurzer Frist nicht nur eine allgemeine sehr detaillirte Himmelsk^rte
hergestellt werden wird, sondem dass gleichzeitig auch die g'egen-
wSxtigen Grundlagen fiir die Erforschung der Bewegungen im Fix-
stemsystem eine hochst ansehnliche Erweiterung erhalten werden.
5. Hr. VON Bezold machte Mittheilung von einer von Hm.
A. Sprung ihm zugegangenen Notiz fiber ungewohnliche StSrungen
im Gange des Barometers am 3. und 4. Mai 1887.
l)as correspondirende Mitglied der philosophisch - historischen
Classe, Hr. Dr. A. von Reumont, Wirklicher Geheime Rath, ist am
27. April in Burtscheid bei Aachen und das correspondirende Mitglied
der physikalisch - mathematischen Classe, Hr. Prof. Bernhard Studer,
am 2. Mai in Bern verstorben.
567
trber aussergewSMlche StSrungen im Gauge des
Luffcdrackes am 3. and 4. Mai 1887.
Von Dr. A. Sprung
in Berlin.
(Vorgelegt von Hm. von Bezold.)
In den Aufzeichnungen des im meteorologischen Listitute aufgestellten
Laufgewichtsbarographen zeigte sich schon am 3. Mai (Dienstag) um
7 ^ a. m. Oder wenn man das erste auffS-Ui^e Ansteigen als Anfangs-
punkt nimmt, um 6^ 50", eine hOchst merkwurdige Unregelmassigkeit,
welche in einem raschen Steigen der Curve um 0.6*°™, mit etwa
sechs darauf folgenden, auf ungefShr 25 Minuten sich vertheilenden,
an Amplitude stetig abnehmenden Oscillationen bestand.
Die letzteren liessen zuerst den Verdacht von StOrungen im Mecha-
nismus des Apparates aufkommen, zumal da die Unregebnassigkeiten
keineswegs mit den begleitenden WitterungszustHnden im Einklange
standen, indem das Wetter um die genannte Zeit trocken und ziemlich
heiter war, bei ganz leichtem Siidwind.
Dieser Verdacht zeigte sich jedoch bald als unbegriindet, da die
gleiche Unregelmassigkeit, freilich in viel kleinerem Maassstabe, —
der Wagebarograph arbeitete mit ftnflfacher VergrSsserung — auch in
der Curve des RicHARo'schen Aneroidbarographen zu erkennen war, und
da uberdies eine Erkundigung bei Hm. Prof. B6rnstein ergab, dass
auch der Barograph an der landwirthschaftlichen Hochschule gleich-
zeitig die namliche StSrung gezeigt hatte.
Merkwurdigerweise ist nun etwa 2 1 Stunden spater , am Morgen
des 4. Mai um 3** 40", eine ahnliche Unregelmassigkeit aufgetreten,
bei welcher sich namentlich das schnelle Steigen des Luftdrucks in
fast identischer Weise wiederholte, wahrend sie im Ganzen jedoch
nur aus zwei scharfen Oscillationen bestand, die spateren liingegen
fehlten, oder kaum andeutungsweise zu erkennen wai*en.
Hierbei darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass am Morgen
des vierten die Witterungsverhaltnisse voUkommen andere waren als
am Vortage, ja dass sogar gleichzeitig mit dem Vorubergange der
35*
368 GesammtsitziiDg vom 5. Mai.
beiden Oscillationen , die zusammen 1 5 Minuten in Anspruch nahmen,
eine GewitterbSe uber Berlin hinzog, der einige Zeit spater, von 5*"
bis 5** 40", ein ganz ungewShnlich starkes Fallen des Barometers (um
voile 3.5°*") folgte, und. dass fiber haupt der ganze Tag sehr unruhig
war und fast fortgesetzte Anderungen im Luftdruck erkennen liess.
Nichtsdestoweniger unterscheidet sicb die StSrung nm 3** 40"
recht wesentlich von den ubrigen und uberhaupt von den bei Gewitter-
bSen gewOhnlichen , sie erinnert vielmehr ebenso wie die StSrung vom
3. in auffisillender Weise an die Wellen, wie sie in den Tagen vom
27. bis 31. August 1883 durch die Krakatao- Explosion hervorgerufen
wurd^n.
Ganz besonders hervortretend ist die Ahnlichkeit der StSrung vom
4. mit der Welle IV, welche damals, imd zwar zwischen 3** 30" und
4** 20" am Nachmittage des 29. August von dem Barographen der
Magdeburger Wetterwarte aufgezeicbnet wurde, wahrend die St5rung
vom 3. mehr an die an gleicher Stelle verzeichnete Welle U vom
Morgen des 28. August erinnert.*
Der Umstand, dass diesmal zwischen den beiden StSrungen das-
selbe Inter vail von 2 1 Stunden lag, wie damals zwischen der zweiten
und dritten, durfle wohl nur als ein zutUlliger zu betrachten sein.
Immerhin ist die Erscheinung eine so eigenartige imd ungewShn-
liche, dass es passend schien, die Aufinerksamkeit darauf zu lenken.
* Jahrb. d. Wetterwarte der Magd. Zeitung, Jahrg. II (1883).
369
JaliresberiGht liber die Thatigkeit des
Eaiserlich deutschen axchaeologischen Instituts.
(In der oflFentlichen Sitzung am 24. Marz 1887 erstattet von Hm. Conze
[s. oben S. 308].)
Dei einem Ruckblicke auf die ThS-tigkeit des Kaiserlich deutschen
archaeologi^chen Instituts im Rechnungsjahre 1886/87 stehen wir vor
AUem unter dem Eindrucke grosser pers5nlicher Wechsel.
Der erste Secretar in Rom, Hr. Wilhelm Henzen ist am Schlusse
seines einundsiebenzigsten Lebensjahres am 27. Januar d. J. nach kurzer
Krankheit uns durch den Tod genommen. Mit ihm fehlt fortan dem
Institute an hervorragender Stelle ein Mann, der, angesehen als
Gelehrter, hochgeachtet imd geliebt als Mensch , der Anstalt, welcher
er vorstand, mit seinem ganzen Wesen treu ergeben und fer sie mit
alien Kraften thatig war, imd dergestalt w&hrend einer Aufeinander-
folge von uber 40 Jahren ein grosses Stuck Wirksamkeit imd Ansehen
des rSmischen Instituts gleichsam in sich verkSrperte. Wenn wir
die Schwere des Verlustes ermessen, sind wir zugleich dankbar ftr
Alles, was Henzen ims so lange war, und hoflfen, dass sein Wirken
auch liber das Grab hinaus heilsamen Einfluss noch weiter ausiiben wird.
Auch die athenische Zweiganstalt verlor durch Beiiifimg des
Hm. K5HLER an die Universitat zu Berlin ihren ersten , bis vor ganz
Kurzem einzigen Secretar. Mit ihm hatte die Thatigkeit der athenischen
Anstalt begonnen und ihm verdankt sie gliickliche Erfolge mid wohl-
begriindetes Ansehen. An Hm. KShler's Stelle ist seit dem October
V. J. Hr. Petersen getreten.
In die neuerrichtete zweite Secretariatsstelle in Athen ist seit
deni i. Mai d. J. Hr. DSrpfeld eingetreten, und damit ist das grosse
und wichtige Arbeitsgebiet der Architecturfqfschung vom Institute
stSndig in Angriff genommen worden.
Von den in Berlin erscheinenden periodischen PubUcationen des
Instituts erscheint soeben das erste Jahresheft der wantiken Denkmaler«
fiir 1886, der erste Band des »Jahrbuchs« lag schon etwas fruher
abgeschlossen vor. Zumal in dem Hefte der »Denkmaler« verkSrpern
sich die Grundsatze des Programms, welches Namens der Central-
370 Gesammtsit^ung votn 5. Mai. — Mittheilung vom 24. M&rz.
direction des Instituts dem ersten Hefte des »Jahrbuchs« zur Ein-
fiihrung vorgedruckt war.
Fur die von Hm. Robert geleitete Sammlung der rSmischen
Sarkophage war Hr. Robert selbst in Rom th&tig und nahm dabei
Einblick in den Bestand von Sarkophagreliefs in Ostia. Nach den
mit UnterstGtzung des Hm. Helbig getrofferien Einleitungen liat sodann
Hr. EiCHLER namentlich die Reliefs an der Villa Giustiniani und Medici
in Rom gez'eichnet; Anderes wurde photographisch autgenommen.
Dui'ch die gnftdige Vermittelung Ihrer Kaiserlichen und K5nig-
lichen Hoheit der Frau Kronprinzessin erlangten wir die Ge-
nehmigung Ihrer Majestat der K5nigin von England dazu, dass
zehn Bande der Handzeichnimgssammlungen Cassiano del Pozzo's aus
der Koniglichen Bibliothek zu Windsor hierher geliehen wurden , mit
deren Ausbeutung Hr. Robert noch beschaftigt ist. Auch Hr. A. W.
Franks stellte ftr diese Arbeiten in dankenswerther Weise einen Band
mit Handzeichnungen zur Verftigung. Der zunachst zur Herausgabe
bestinmite zweite Band der Sarkophage hat auch in diesem Rechnungs-
jahre noch nicht ganz fertig gestellt werden k6nnen; die Tafeln dfltften
aber in einigen Wochen vollendet vorliegen imd dann der Redaction
des dem Inhalte nach v5llig vorbereiteten Textes Nicbts mehr im
Wege stehen.
Fiir die Sammlung der antiken Terracotten unter Leitung des
Hrn. Kekule arbeitete Hr. von Rohden eine Zeit lang in Mfmchen imd
Wien und waren die HH. Winter und Wolters in Griechenland thatig.
Die Verarbeitung richtete sich sonst auf das fQr den Band der Terra-
cottareliefs gesammelte Material und Hr. Otto stellte mehrere Radi-
rimgen ffir die Abtheilung der tanagraeischen Ten*acotten her.
Von den etruskischen Umen hat Hr. K5RitE den zweiten und
dritten Band weiter gef&rdert; namentlich die Tafeln zum zweiten
Bande sind gedruckt.
Von der FortsetztiHg der Gerhard 'schen Sammlung etruskidcher
Spiegel ist ebenfalls von Hm. KOrte die flinfte und sechste Lieferung
herausgegeben; zur siebenten Lieferung fehlt nur noch eine Tafel und
einige sind auch zur achten Lieferung hergestellt.
Fur die Fortsetzung der Wiener Sammlung der griechischen Grab-
reliefs hat in Hm. Cojjze's Auftrage Hr. L5wy mit Unterstiltzung des
Hr. PosTOLAKKAs die Revision des gesammten Bestandes in Athen und
Umgegend vollendet. Die bei Sparta neu zum Vorschein gekommenen
archaischen Grabreliefe dind dem Apparate bisher noch nicht zugegtogen.
Fiir die Vorbereitung der Herausgabe trat kftrzlich Hr. Bruckner ^s
Hulfsarbeiter ein. Sonst gewShrte Hr. MCller in Constantinopel sfeille
Unterstiltzung, indem er unter Mitwirkung des Hm. Wegener eine
Conze: Jahresbericht des KaiserHch deutschen archaeologischen Institute. 371
Anzahl dort und in Therapia im Privatbesitze beiindlicher Reliefs
verzeichnete. Ht. Kieseritzky hielt die griechischen Grabreliefs in
Sudrussland mit litterarischen Vorarbeiten im Auge.
Von den mit Unterstiitzung Sr. Excellenz des K5niglich
preussis*chen Unterrichtsministers unter Leitung derHH. Curtius
und Kaupert erscheinenden Karten von Attika wurde das vierte Heft
ausgegeben, die Tafebi des ffinften Heftes zum grosseren Tiieile
vollendet. Zum Zwecke der Abfassung eines Textes des ganzen Karten-
werks halt sich zur Zeit Hr. Milchhofer in Attika auf.
Die testamentarische Verpflichtung zur Herausgabe der IwANOfF-
schen Darstellungen aus der beiligen Geschichte wird in den nftchsten
Woollen mit der Herausgabe des^ vierzehnten und Schlussheftes eriuUt
sein* Es bleiben dann noch in Folge gleicher Verpflichtung die architek-
tonischen Entwxirfe von Serghis Iwanoff herauszugeben , wozu ebenfalls
bereits die ersten Schiitte gethan sind.
Die Tliatigkeit des Zweiginstituts in Rom ist, allerdings mit der
ernsten Storung durch den Hingang Henzen's, in gewohnter Weise
fortgefahrt; dem zweiten Secretar Hm. Helbig stand dabei Hr. Mau
zur Seite. Erkundungsreisen wurden namentlich nach einzelnen
Punkten Etruriens und Umbriens, in das Faliskergebiet , sowie nach
Pompeji untemommen. Der Katalog der PLATNER'schen Bibliothek
ist erschienen. Von den »Mittheilungen« der romischen Abtheilung
liegt der erste Band fertig vor; verzSgert, aber nuimiehr nahezu voll-
endet, ist der Schlussjahrgang (1885) der alten Serie der »Monumenti«
imd »Annali«.
Auch beim athenischen Secretariate wurden, wie beim rOmischen,
die Vortrage in den Sitzungen und die Demonstrationen vor den
Monimienten unter erfreulicher Theilnahme nicht nur deutscher junger
Gelehrter fortgesetzt. Die Aufiaahme der antiken Ansiedlungsreste
auf Lesbos ist, zuletzt unter Betheiligung des Hm. Lolling, von
Hm. KoLDEWEY zum Abschlusse gebracht. Schritte zur Publication
sind einstiyeilen unterblieben , da man Hm. Koldewey die Theilnahme
an einer Expedition nach Mesopotamien , bei welcher seine Mitwirkimg
erwiinscht war, nicht versagen woUte. An anderer Reisethatigkeit
hat es auf griechischem Gebiete auch aus freiem Antriebe einzelner
Stipendiaten nicht gefehlt. Einer solchen Excursion der HH. Schuch-
HARDT und WoLTERs vcrdaiiken wir die durch Hrn. Kiepert vorbereitete
Feststellung der Lage von Kolophon. Hr. Schuchhardt betheiligte sich
ausserdem bis zum December v. J. an den Ausgrabungen z\i Perga-
mon, welche aus dem Kreise des Instituts auch von anderen Stipen-
diaten imd in besonders ftrderlicher Weise von Hm. DOrpfeld besucht
und unterstutzt wurden. In Griechenland nahm Hr. Dorpfeld auch
372 Gesammtsitzung vom 5. Mai. — Mittheilung vom 24. Marz.
Antheil an Ausgrabungen der Koniglich griechischen Regierung auf
der Akropolis von Athen, welche neben so vielen bemerkenswerthen
Einzelfimden zu der bedeutsamen Entdeckimg eines alten Tempels
zwischen dem Parthenon und dem Erechtheion fahrten. Ebenso nahm
die athenische archaeologische Gresellschaft , an deren Jubelfeier das
Institut begliickwunschend Antheil nahm , Hrn. DSrpfeld fur die Auf-
nahme ihrer Ausgrabungsfiinde in Mykenai, Argos und Eleusis in
Anspruch. Ein eigener Ausgrabungsversuch des Instituts, welcher
der Topographie des Marktes von Athen zu Gute kommen sollte,
hatte keinen nennenswerthen Erfolg. Es erschien das vom athenischen
Secretariate ausgehende Werk der HH. Furtw angler und LSschke:
»mykenische Vasen«, unter welchem Titel nicht nur in Mykenai, son-
dern auch in andern griechischen Gegenden zum Vorschein gekom-
mene hochalterthumliche Thongefilsse, fiir ein ganzes Studiengebiet
grundlegend, zusammengestellt sind. Von den athenischen »Mitthei-
lungen« ist der 1 1 . Band soeben abgeschlossen.
Die ordentliche Plenarversammlung der Centraldirection fand im
April V. J., eine ausserordentliche im Februar d. J. statt. Zu ordent-
lichen Mitgliedern des Instituts wurden ernannt die HH. Eabadias,
KoNTOSTAULOs , Lambros, Mylonas uud PmLios in Athen, sowie Hr.
DuMMLER in Giessen, zu Correspondenten die HH. Berthomieu, Borsari,
Conte Boua.LON di Monale, Eichler, Falchi, Hartwig, Kumanudis,
Leonardos, IjOwy, Lupatelli, van Marter, Merz, Misthos, Novosadsky,
Stais, Stettiner, Studnigzka, Tsuntas, Otto, Weber, Wolters. Die
Reisestipendien fur 1886/87 wurden vom ausw&rtigen Amte auf Vor-
schlag der Centraldirection den HH. Judeich, Richter, Winter und
Wolters, sowie das ffir christliche Archaeologie Hrn. Ficker verliehen.
Ansgegeben am 12. Mai.
Berlin, gcdruckt in der Reiehsdnickerci
373
1887.
XXV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
kOniglich preussischen
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
12. Mai. Sitzung der philosophisch - historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen.
Hr. ToBLER las: Die Berliner Handschrift des Decameron.
Die Mittheilung folgt umstehend.
Sitzongsberichte 1887. 36
375
Die Berliner Handschrift des Decameron.
Von A. TOBLER.
Wer sich mit dem Decameron philologisch beschaftigen will, befindet
sich in ubler Lage. Freilich die Kunst des Verfassers im allgemeinen
kennen zu lernen, die erstaunliche Mannigfaltigkeit der Stilarten zu
erfassen , fiber die er verfiigt , wo er erzahlen lafst ; des Reichtums
an lyrischen T5nen gewahr zu werden, die in den Ballaten an-
geschlagen sind; die vorgetragenen Geschichten bis in ihre einzelnen
Zfige zu betrachten um nutzliche Vergleiche anzustellen oder Gewinn
ffir die Sittengeschichte daraus zu ziehn, all dies ist durch eine
Menge leieht zuganglicher Ausgaben bequem gemacht. Wem es aber
auf den echten Wortlaut auch in Einzelheiten ankommt, wer an das
Buch als an einen Zeugen des Sprachgebrauchs einer Zeit und einer
Person herantritt; wer zu festen Uberzeugungen daruber gelangen
m5chte, inwiefern gewisse Nachlassigkeiten des Ausdrucks auf den
Verfasser zuruckgehn oder unsorgfaltiger XJberlieferung zur Last fallen
mogen; wer Dunkelheiten der Rede gegenuber zu wissen wfinscht,
ob er wirklich ins Nichtverstehn sich ergeben und zu willkurlicher
Deutimg sich entschliefsen mu& oder Aufklarung wenigstens inner-
halb der Uberlieferung nicht finden kann, der empfindet schmerzlich,
da£s es eine kritische Ausgabe des Werkes nicht giebt, und dafs da^
zur Kritik des Textes Verwendbare in weitherum zerstreuten Hand-
schriften dem Einzelnen kaum erreichbar schlummert. Gewifs ist
einiges gethan, was zu Fortschritten fiber den Stand der Dinge hin-
aus gefiihrt hat, wie er in den ersten Drucken entgegentritt. Wer
k6nnte anders als dankbar der Thatigkeit der Herausgeber von 1527
sich erinnern, wer anerkennte nicht freudig die Ent-schlossenheit , mit
der die Deputati far die Lesarten der MANNELLi'schen Handschrift ein-
traten, •und die Umsicht, mit der sie in anderen alten Denkmalem Stfitzen
zu finden wu&ten fur das, was oberflachlicher Betrachtung imannehm-
bar scheinen mochte? Seither aber ist fiir die Kritik des Textes auch
durch Herausgeber, die im ubrigen sich \xm das Buch wohl verdient
gemacht haben, kaum mehr Nennenswertes geschehen. Colombo,
36»
376 Sitzung der philosophisch - historischen Classe vom 12. Mai.
Dal Rio, Fanfani, um nur neuere zu nennen/ haben manches an-
sprechend erklart, was Anstofs geben konnte; man findet bei ihnen
auch gelegentlich Lesarten aus solchen Handschriften angefiihrt oder
auch in den Text aufgenonmien , die von grofetem Gewichte sein
k5nnen; aber nirgends ist eine durchgehende Vergleichung angestellt,
eine allseitige Schatziing des Wertes eines neuen Zeugen versucht,
so dafs die samtlichen neueren Ausgaben im befsten Falle den
MANNELLi'schen Text (iibrigens nicht in der ui'spninglichen, sondem
in einer hier mehr dort minder heutigem Brauche angenaherten
Schreibweise) , anf Gnmd bald der bald jener Handschrift lesbarer
gemacht, darbieten.
Und doch ist es nichts weniger als festgestellt, dafs Mannelli
die Grundlage f&r die Textgestaltung auf alle Zeiten zu bleiben hat
Er hat unverkennbar mit der lobUchsten Sorgfalt abgeschrieben , ist
zahlreicher Fehler seiner Vorlage gewahr worden, ohne sie still-
schweigend zu berichtigen, wie mancher andere in gleichem Falle ge-
than haben wurde; seine Niederschrift reicht auch weit hinauf (ob-
gleich bei der mangelhaften Verstandlichkeit der Unterschrift und der
Unauffindbarkeit der Person, die als Auftraggeber darin genannt zu
sein scheint, der Gredanke kommen konnte, man habe in der lauren-
tianischen Handschrift XLII i nicht die Niederschrift Mannelli's von
1384 selbst, sondem eine zunachst nicht datierte Kopie derselben vor
sich, die auch die datierte Unterschrift jener, und zwar fehlerhaft,
wiederholt hatte).^ Aber dafs er Boccaccio's eigenliandige Niederschrift
vor sich gehabt habe, dafor spricht auch nicht das allermindeste;
es sind fiir manche Stellen in andem Handschriften Lesarten zu finden,
die imverkennbar und anerkanntermafsen das UrsprungUche geben und
nicht auf dem Wege der Vermutung geftinden sein konnen; und liegt
far andre Handschrifl;en (mit Ausnahme der magliabechischen Bruch-
stiicke)^ eine ausdriickliche Bezeugung gleich hohen Alters nicht vor.
* Die Ausgabe von Bozzo, Palermo 1876, verdient in diesem Zusainmenhang
keine Erwahniing.
* Der Kurze halber werde ich gleichwohl im folgenden die laurentianische Hand-
schrift XLII I als Niederschrift Mannelli's bezeichnen.
* Ganz so sicher, wie Follini meint, ist die Abfassung dieser AuszQge im
Jahre 1354 nicht. Dafs sie bei Lebzeiten Boccaccio's angefertigt sind, ist kaum zu
bezweifeln, da der Schreibende ihm ein langes und gluckliches Leben wflnscht. Dafs
jedoch der Decameron, dessen vollstandige Herausgabe der Anfertigung der Ausziige
vorangegangen sein mufs, 1353, und der Corbaccio, von dem der Schreibende noch
nichts gewu&t zu haben scheint, 1355 in die Welt gegangen sei, scheint mir nicht
vollig ausgemacht. Gewifs hat Petrarca den Decameron als ein Werk aus Boqcaccio's
Jugendjahren bezeichnet im Jahre 1373, als Boccaccio, an den er schrieb, sechzigjahrig
war; aber ein Freund, der ein Buch als Erzeugnis der jungen Jahre bezeichnet, um
damit Ausgelassenbeiten desselben zu entschuldigen , lafst vielleicht die Jugend aus-
Toblbr: Die Berliner Handscbrifl des Decameron. 377
SO fehlt es doch an andern Texten , die noch dem 1 4. Jahrhundert,
sei es ebenfalls auf Grand sicherer Bezeugung oder im Hinblick auf
die Beschaffenheit der Schrift, zugewiesen sind, keineswegs, und zwar
ohne dafs von ihrer AbhSngigkeit von Mannelli etwas bekannt wSre ;
und w&ren selbst alle andern sicher spSter entstanden, so wurde daraus
nicht im mindesten folgen, dafs sie weniger Beach timg verdienten,
so lange man nicht wiifste, dafs Mannelli's Vorlage zu seiner Zeit
die einzige Niederschrift des. Decameron gewesen und spater von nie-
mandem mehr vervielf<igt worden w&re.
Zu den bekannten Handschriften des Decameron (die in Italien
auf Staatsbibliotheken befindlichen verzeichnet NARDUCCii Di un cata-
logo generale dei manofcritti e dei libri a ftampa delle biblioteche go-
vernative d'ltalia, Roma 1877, Abdruck aus II Buonarroti Bd. XI 1876;
die in Paris liegenden giebt Marsand an, I manofcritti italiani della
regia biblioteca parigina ecc. Par. 1835, Bd. In, 31,113, 745, 11 298;
s, aufserdem Manni, Iftoria del Decamerone, Firenze 1742, S. 630)
tritt eine bisher schwerlich benutzte in der Berliner, Hamilton 90,
liber die im folgenden Genaueres mitgeteilt werden soil. M6chte die
Ausffihrlichkeit , mit der ich von ihr zu handeln gedenke, Anstofs
werden, dafs auch fiber andere Handschriften des Werkes genaue
Mitteilungen erfolgen, damit allmShlich doch ein Urteil daruber m6g-
lich werde, welche Mittel noch zur Verffigung stehn zu einem ver-
trauenswflrdigen Texte des Decameron zu gelangen. Arbeiten dieser
Art, wie auch die Benutzung der BoccACcio'schen Prosa ffir Gram-
matik und WSrterbuch, werden dadurch sehr erschwert, dafs keinerlei
fur solche Zwecke ausreichende Einteilung der Texte in gr5fsere und
kleinere Abschnitte vorhanden ist, man also nach Seitenzahlen zum
Teil schwer erreichbarer Ausgaben zu citieren genStigt ist. Sollte
einmal nach so vielen Druckern ein Philologe fur Philologen den Cor-
baccio oder den Filocolo oder auch den Decameron drucken wollen,
so m6ge er auch dieses Notstandes gedenken, und wenigstens so viel
Satze, wie in den Handschriften mit Majuskeln beginnen, mit fort-
laufenden Zahlen bezeichnen; vielleicht wird, wenn sie erst einmal
eingefiihrt sind, kommender Herausgeber Selbstuberwindimg grols
genug sein, an ihnen festzuhalten. Ich werde im folgenden die Stellen,
nahmsweise einmal etwas weiter hinaus als gewuhnlich sich erstrecken. Die Stelle
des Corbaccio hinwieder, aus der man auf die Zeit der Abfassung dieses Werkes zu
schlieisen pflegt, ist einmal kaum zu verstehn, wie sie in, den Ausgaben lautet, und
lafet den Sprechenden auch nicht aus bestiramtem Wissen heraus sich fiber Boccaccio's
Alter aufsem, sondem nur auf Grund des Eindrucks, den die weifsen Schlafen und
der greise Bart des Dichters hervorbringen , Dinge, die er sich schon in der Einleitung
der vierten Giomata des Decameron zuschreibt.
378 Sitziing der philosophisch-historischen Classe Vom 12. Mai.
um deren Wortlaut es sich handelt, nach Blatt, Seite und Zeile des
allem Anscheine nach mit gr5fster Sorgfalt ausgefuhrten Abdruckes
bezeichnen , den der Marchese Pier Antonio Guadagni i 7 6 i von dem
MANNELLi'schen Texte gegeben hat, da dieses Druckes ja doch niemand
wird entraten konnen, der sich mit Kritik des Decamerontextei? be-
schaftigen wird , derselbe auch dadurch hervorragende Wichtigkeit ge-
winnt, dafs die Abweichungen der wichtigsten von den alten Aus-
gaben, namlich der Giuntina von 1527, darin verzeichnet sind. So
war verstandiger Weise auch Vincenzo Follini verfahren, als er die
Abweichungen der magliabechisehen Bruchstucke zur Kenntnis brachte
(Sopra il piu antico codice del Decamerone del Boccaccio contenente
folo una parte di queft'opera e fcritto vivente il Boccaccio medefimo
circa il 1354 o 1355, lezione detta nell'adunanza del di 1 1 febbrajo
1823, Firenze 1828, 4°; Abdruck aus den Atti dell'Imp. e R. Acca-
demia della Crufca. Firenze 1829, T. HI).
Der Berliner Decameron Hamilton 90 ist eine Pergamenthand-
schrift grofeen Formates (Hohe 37, Breite 26 Centimeter), in welcher
der Text auf jeder Seite in zwei Spalten verteilt ist, die 26*/, Centi-
meter hoch und reichlich je 8 Centimeter breit sind, so zwar, dais bei
2 Centimeter Abstand zwischen den Spalten eine Gesamtbreite von
2X8 + 2=18 Centimeter fur den von der Schrift in Anspruch ge-
nommenen Raum sich ergiebt. Jede Spalte z&hlt 53 Zeilen. Dafe
diese Angaben far das erste Blatt nicht zutreffen, wird spftter genauer
ausgefiihrt. Es sind 1 1 2 Pergamentblatter vorhanden , von denen das
letzte auf beiden Seiten Spuren von Liniierung zeigt, die mit der-
jenigen der vorangehenden Blatter iibereinstimmt, aber ganz leer sein
wiirde, h&tte nicht auf der Riickseite eine Hand des 15. Jahrhunderts,
die keinesfalls die namliche ist, welche den Decameron geschrieben
hat, ein Sonett eingetragen. Es lautet dasselbe wie folgt:
Qual Phidia^ nel fcudo de Minenia
pinfe ft Jtejfn cum acto imorUUe
cuffi mia uaga dentro del cor tale
i lo depinta et in quel /e con/erua
Che fim che morte mio corpo no fnerua
fcvipta Jtara ne lanima in la quale
fifixa e pojia che tor fern po male
cornel ce/areo cerchio da foa cerua *
Sfaraffe a una otta lalma e la Jigura
cho ne la mente de lei chamo tanto
che de dui corpi e facto una creaiura
^ In der Amazonenschlacht, welche die Aufsenseite des Schildes seiner Athene
Parthenos schmfickte, hatte Phidias sein eigenes und des Perikles Bildnis angebracht.
' Bezieht sich hier der Dichter auf das, was Plinius Nat. hist. VIII 119 von
Hirschen erzahlt, die man nach looJahren mit den goldenen Halsbandem geschmuckt
gefunden habe, die von Alexander dem Grolsen ihnen angelegt worden waren?
Toblsr: Die Berliner Haodschnft des Decameroti. 379
Et ah facta amor de zoglia e pianto
e uol che fempre Jtegraa foa naiura
or Ueto or mejto or trijto or pie de cato;
Daneben steht von gleicher Hand Sonnetus Feuegiuni de Zambecarus.
In der That giebt denn auch Crescimbeni im 3^ Bande seiner Comentarj
S, 142 (der Ausgabe von Rom 171 1) das nSmliche Sonett als ein Werk
des Fellegrino Zambeccari, fiber den er im 2 . Teile des . 2 . Bandes S. 1 3 o
kurz und weniger genau handelt ak nachmals Gio. Fantuzzi, Notizie
degli Scrittori bolognefi, T. VIII, S. 230 (Bologna 1790) gethan hat,
bei dem nachgewiesen ist, dafs der Dichter in den Jahren 1391 bis
1399 Eanzler von Bologna war. Uber seinen Verkehr mit. Paolo
Vergerio und Coluccio Salutati s. auTser Fantuzzi auch Voigt, die
Wiederbelebimg des classischen Alterthums 11' 49. Die I-esart der
Berliner Handschrift stimmt nicht vSllig mit der Crescimbeni's und
verdient namentlich insofem den Vorzug, ala sie die ganz unpassend^A
ReimwSrter des drittletzten und des letzten Verses, die dort tanio
(wie in Z. 10) und pianto lauten durch pianto und canto ersetzt; nicht
minder entschieden erscheint in Z. 3 dentro dal cor besser, als intomo
dal cor.
Die 1 1 2 Blatter sind in der rechten oberen Ecke der Vorderseite
mit arabischen Zahlen bezeichnet; doch reichen diesejben von i blols
bis III, da nach Blatt 2 o ein Blatt unbeziffert geblieben ist , das aid
Blatt 20* gelten mag. Dafs die Beziflferung so alt nicht ist wie die
Aiisftihrung der Handschrifl, ergiebt sich, abgesehen von der Ver*
schiedenheit der Federfiihrung und von der Anwendung der arabischen
Zahlen (im Texte kommen, wo Ziffem sich finden, nur rSmische vor),
daraus, dafs die Blatterzahlen ohne Unterbrechung vou; i bis 1 1 1
ansteigen, wfthrend die Handschrifl an zwei Stellen je acht Blatter
eingebufst hat. Blatt 79v^ schliefst mit den Worten teffa odi tu quel
cMo e in G. VH N. i (Mannelli 231b 29, bei Fanfani II 127), und
Blatt 80 r° beginnt mit nando alia ftanga fopra la quak in G. VII
N. 9 (Mannelli 253 b 36, bei Fanf. II 176); das Verhaltnis des Raum-
verbrauchs in dem Mannelli -Abdrucke zu dem der Handschrift wfirde
allein schon auf einen Verlust von imgefahr 8 Blattem fur diese
Stelle schliefsen lassen, wenn nicht, wie man sehn wird, UmstS-nde
vorlSgen, die ein Recht geben demselben mit voUer Bestimmtheit
diesen XJmfang zuzuschreiben. Weiterhin schliefst Bl. 103 v^ mit Se
egU e coji too come G. IX N. 10 (Mann. 324 a 27, Fanf. II 333), und
K. 1 04 r° hebt an mit fe ne tomaffe r fcio eglij was in G. X N. 8
(Mann. 350a 33, Fanf. II 387) steht, und abermals ist'aus dem
Umfang des an Text Fehlenden zu entnehmen, dafs 8 Bl&tter ver-
loren gegangen sind. Dafs in der That an jeder der zwei Stellen
380 Sitzung der philasophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
ein Heft von 4 Doppelblattem fehlt, wird aber aus anderem noch
deutlicher: Am Schlusse jedes achten Blattes der Handschrift, in der
Mitte des untem Randes der Ruckseite, findet sich eine farbige
Zeichnung, die ihrem Gegenstande nach zu der an jener Stella ab-
brechenden Erz&ldung in Beziehung steht, und in deren Mitte ein
weifs gelassener Streifen die ersten Silben des nachfolgenden Blattes
trSgt; namlich Bl. 8 (wo G. I N. 3 abbricht) findet sich ein M5ncL
mit ubergezogener Kapuze (Legende mente); Bl. 16 (G. 11 N. 4) ein
junger Mann mit einer Mutze ohne Schirm , deren Zipfel lang herunter
h&ngt (Leg. al fuo)\ Bl. 23, eigentlich 24, da 20' nicht mitgezShlt
ist, (G. n N. 7) eine gekrSnte Frau (Leg. uiuere); Bl. 31, eigentlich 32
(Schlufs von G. II) Dame mit Blattern in den Haaren (Leg. Ucentia);
Bl. 39 (G. in N. 7) ein langbftrtiger Mann (Leg. tedaldo); Bl. 47
(Anfang von G. IV) ein bftrtiger Mann mit Barett (Leg. r filippo)',
Bl. 55 (G. IV N. 6) ein Kiieger mit Eisenhaube und Schild (Leg. fit
ardito); Bl. 63 (G. V N. 3) ein Krieger mit spitzer Eisenhaube, SchiM
und Streitaxt (Leg. e/fendo/i); Bl. 71 (G. V N. 10) ein junger Mann
mit Hut (Leg. che poco); Bl. 79 (G. VII N. i) ein Kopf mit vor-
gebogenen H6mem und ausgestreckter Zunge (Leg. pare); Bl. 87
(G. Vm N. 7) ein junger Mann mit Tonsur und zuruckgeschlagener
Kapuze (Leg. alfuono)\ Bl. 95 (G. VHI N. 10) eine Frau von bliihender
FuUe (Leg. che uoi); Bl. 103 (G. IX N. 10) ein Mann in MOnchstracht
mit Tonsur (Leg. tu di), Man sieht hieraus, was der jetzige neue
braune Ledereinband zu erkemien nicht erlaubt haben wflrde, daTs
die Handschrift aus Heft;en von je vier Doppelblattem bestand, ffir
deren vollzfthlige Erhaltung und richtige Anordnung in den eben auf-
gez&hlten Legenden oder Kustoden ein nutzlicher Anhalt gegeben
war. Sie haben leider die oben bezeichneten Verluste nicht verhindert,
hatten aber dazu ffihren k5nnen, dafs man derselben gewahr wurde,
und erlauben jetzt mit voUer Bestimmtheit zu behaupten, dafe an
jeder der zwei Stellen grade ein Heft fehle.
Ob etwa ursprQnglich dem jetzigen ersten Blatte eine Ubersicht
der Giomate und der Novelle voranging, wie man sie in zahlreicheri
andem Decameronhandschiift^en findet, wird sich schwerlich entschei-
den lassen. Jedenfalls ist dies erste Blatt, wie sein Zustand, das
vSllige Verschwimdensein der Schrift an manchen SteUen der Vord^-
seite wahrscheinlich macht, bevor die Handschrift den jetzigen Einband
erhielt, Ifingere Zeit ungeschiitzt, also wohl eben das erste gewesen.
Bei diesem ersten Blatte ist aber noch einen Augenblick zu ver*
weilen. Es fUllt dasselbe zun^chst dadurch auf, dafe es um einen
Centimeter minder hoch ist als die ubrigen , die Schriftkolumnen des-
gleichen um einen Centimeter niedriger, imd dalJfe gleichwohl die
Tobler: Die Berliner Handschrifl des Decameron. 381
Spalten hier nicht wte spater 53, sondern auf der Vorderseite 54,
auf der Rilckseite sogar 56 Zeilen aufweisen. Genauerer Prnfiing kaiin
auch nicht entgehn, wie die Schrift des ersten Blattes bei aller Gleich-
artigkeit, die im allgemeinen zwischen ihr und derjenigen der spateren
Blatter besteht, in einigen Punkten von dieser entschieden abweicht:
a ist in seinem zweiten Strich oben nicht so oft und stark nach links
umgebogen; e giebt seinem zweiten Strich, soweit er dick ist, eine
WSlbung (Konvexitat) nach links, wahrend derselbe spater nach rechts
gewSlbt ist; an diesen dicken zweiten Strich setzt sich am Ende der
WSrter nur selten ein nach rechts oben verlaufender Haarstrich an,
wahrend von Blatt 2 an dieser Fortsatz fast nie fehlt. / und / sind
auf dem ersten Blatt unter die Linie verlangert; der imter der Linie
liegende Teil des g besteht auf dem ersten Blatt aus zwei, zusammen
einen runden Raum umschUefsenden Bogen, spater nur aus einem
nach links offenen Bogen; der erste, senkrechte Strich des h eri'eicht
mit seinem unteren Ende die Linie nicht, wie das spater immer der
Fall ist; das der arabischen 2 ahnliche r ist auf dem ersten Blatte
vorherrschend und weicht dem heute in lateinischer Druckschrift
ublichen nur im Anlaut und nach c, /, ff, /, wahrend weiterhin das
letztere auch zwischen Vokalen haufig ist. Ganz verschieden gebildet
ist auch die Cedille. So scheint denn das erste Blatt nicht von Anfang
an der Handschrift zugehort zu haben , sondern erst nachtraglich den
ubrigen Biattern zugesellt worden zu sein, sei es als ein von einer
andern Handschrift abgel5stes Stiick, sei es als selbstandig ausgeftihrter
Ersatz liir einen irgendwie abhanden gekommenen Anfang des in sich
sonst einheitlichen Codex. Da aber die vierte Spalte des jetzigen
Anfangsblattes mit daua a fanj infermitade (Mann. 4a 31) sclilofs, und
die erste Spalte des zweiten Blattes mit qudla cotale ifermita (Mann.
eb. Z. 33) begann, so ergab sich eine Lucke, die dadurch ausgefiillt
ist, dafs unterhalb der vierten Spalte des ersten Blattes und von
deren unterem Ende durch einen Zwischenraum von etwa di*ei Zeilen
getrennt das Fehlende nachgetragen ist und zwar von einer Hand des
15. Jahrhimderts, welche pair die des ersten Blattes zu sein scheint.
Blatt 8 , welches mit Blatt i zusammen ein Doppelblatt bilden soUte,
hangt mit diesem keinesfalls ursprungUch zusammen ; es hat Pergament
von ganz anderer Starke und stimmt in Mafs, Zeilenzahl und Schrift
v6llig mit dem sonstigen Bestande der Handschrift uberein.
Die Schrift ist regelmafsige , saubere Minuskel, wie sie der Zeit
um 1400 geiaufig ist. Die Uberschrift^en der Giomate so wie die der
Novelle sind in roter Farbe gegeben. Der Anfang lautet (rot):
Commcia illibro chianuUo decameron Co
gniommato principe galeatto nelquale fi coten
382 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
gonn Cento noueUe m diecf . di . dette da/ette
done e datre giouanj huominj . Proemio
Der erste Buehstab des folgenden Proemio, das H von Humana^
sollte nach dem dafiir offen gelassenen Raume zu schliefeen besonders
grofs und vermutlich kunstreich ausgefihrt werden, ist aber nicht
vorhanden. Ebenso fehlt in dem daftr leer gelassenen Raume das Q,
womit Blatt ic die erste Giornata nach der roten Uberschrift
Comincia laprima giamata delcameron nel
la, quale dopo ladimq/h'agion /atta daUautore p
che cagione adueniffe didouerji queUe pfone eke ap
prejfj/b Jimoftrano ragunare aragionare ifieme fotto ireg
gimeio dipapinea ft ragiona diqueUo chepiu agrada acta
fchuno^
beginnen sollte. Dagegen haben die spateren Giomate ihre jedesmal
die Holie von vier Zeilen fiillenden Initialen in sauberer Arbeit (blaue
Majuskeln mit roten Arabesken) erhalten. Abwechselnd blaue oder
rote Initialen von der Hohe zweier Zeilen bezeichnen in der Einleitung
des ersten Tages die AnfUnge der Hauptabschnitte und spater jeweilen
den Anfang dessen, was auf die Novellenuberschrift zimachst folgt,
kleinere, in andre Zeilen nicht hineinragende, ebenfalls rote oder
blaue Initialen jedesmal den Beginn der einleitenden Worte des Er-
zahlers und den der Geschichte selbst. Eine zweizeilige Initiale
wiedenim findet sich, wo die Schilderung des Tagesschlusses anhebt,
eine ebensolche , wo der neugewahlte Konig zu reden beginnt , ferner
im Anfang der Ballata und im Anfang der an diese sich schliefsen-
den Prosa, wahrend die Anfilnge der eigentlichen , voUen Strophen
der Ballata durch einzeilige farbige Majuskeln hervorgehoben sind.
Die Vei*se der Dichtungen sind wie Prosa hintereinander geschrieben,
nur dafs jede Strophe eine neue Zeile beginnt, und jeder Vers mit
einer Majuskel anffingt, sein Ende aber durch Interpimktion be-
zeichnet ist.
Spatere Hande haben an verschiedenen Stellen an den Randem
einzelnes zugefiigt: la (also auf dem Blatte, das zu der Handschrift
ursprunglich nicht gehorte) steht im Texte meJUeri auuto r annoh
trouato in alcuno fragli qualj fognio (vergl. Mannelli i a 9) ; die letzten
vier Worte sind unterstrichen , vor ihnen ist ein Einschaltungszeichen
angebracht imd in kleiner Kursivschrift links am Rande auf drei
Zeilen beigeschrieben alcuni fra li qitali /alcuno mat n^hebbe bifogno
(der Buchbinder hat das Blatt so tief eingeheftet, dafs von alcuni j
von f alcuno und von Irifogno nur die Enden sichtbar sind). ib, wo
^ Zwischen / und c von delcameron ist von spaterer Hand mit schwarzer Tinte
de eingeschaltet und in ireg der vierten Zeile das rote t in ein sehwarzes / gebessert
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 383
ein Satz mit Et fe beginnt (Mann, ib 28) ist rechts am Rande Efse^
und 1 1 Zeilen spater, wo ein Satz mit Effe anhebt, hat die gleiche
Hand et se an den Rand gesetzt. ic ist belief ga in dem Satze, der
beginnt mit Et Jtcorne la flrevnita della bellegga (Mann. 3 b 5) unter-
strichen und das richtige allegrezza links an den Rand geschrieben,
und acht Zeilen spater penjiero naeh per cojt afpro wiederum unter-
strichen und rechts daneben zwischen die Spalten das richtige fentiero
gesetzt. 2 b ist extimando effere alcuna co/a alcerebro (Mann. 5 a 23)
schon von der ersten Hand gebessert, indem alcuna imterstrichen,
opti (mehr ist nicht sichtbar, da der Rand mittelst eines aufgeklebten
Pergamentstreifens auf die erforderte Breite gebracht ist) rechts an den
Rand geschrieben, und unter das a von alcerebro ein Punkt gesetzt,
daruber ein i geschrieben ist. 2d (Mann. 6a 25) steht im Texte sicher
falsch acornpagniato. H quale; ersteres ist ungebessert geblieben, da-
gegen ist durch ein uber quale gesetztes Zeichen auf ein von spater
Hand an den Rand gesetztes li quali verwiesen. 8 c (Mann. 21b 28)
war volte zwischen molte und udito weggelassen; eine spatere Hand
hat es oberhalb des zweiten Wortes nachgetragen. i ic hat eine Hand
des 15. Jahrhunderts neben die ersten Zeilen, die auf die IJberschrift
von I 9 folgen, bemerkt Notanda eft, 27b steht neben fuggito diparigi
fera partito (Mann. 78b 9) in kleiner aber altertiimlicher Minuskel am
Rande das richiigt fuggendo. 30b steht neben den ersten Zeilen, die auf
die IJberschrift von II 10 folgen, in jungerer oder doch nicht der
gleichmS-fsigen Schrift des Textes fed aut ut rede (?) dica rrieypj,
3 1 c sind die zwischen rauenna imd delle quali per diuerfe weggelassenen
Worte (Mann. 88a 15 bis 17) am unteren Rande schon von der ersten
Hand nachgetragen. 57 d ist nach andoui ein Zeichen eingeschaltet,
das auf ein paar Buchstaben am rechten Rande sich zu beziehn scheint ;
doch erkenne ich diese nicht recht imd vermag sie nicht zu deuten;
sie ruhren von spftterer Hand her als der Text. 6ic (Mann. 178b i)
ruhrt fe no che nebst einem Zeichen vor che^ das nicht per bedeuten
kann, von spater Hand her, ebenso in der nftchsten Zeile lei con
(mit ubergeschriebenem tra) ag vor li lor piaceri; beidemal ist nicht
erkennbar, was die erste Hand geschrieben hatte. 63 b ist fiber
ric^uera (Mann. 183 a 23) ein Zeichen gesetzt, das auf ein ganz klein
imd von spater Hand an den Rand geschriebenes fofpignera verweist.
72c hat eine spatere Hand am Rande neben den Worten cM tela fa
fagliele (Mann. 209 a 15) auf argumentum 5* fabule 5* did verwiesen.
78d ist neben das am Ende der Zeile stehende dextro (Mann. 227b 26)
sp&ter nochmals Dextro an den Rand geschrieben. 82a ist nach cofaj
worauf im Texte immittelbar debba effere folgt, ein Einschaltungs-
zeichen gesetzt, das auf ein von spater Hand an den Rand gesetztes
H84 Sitzung der philosophisch-bistorischen Classe vom 12. Mai.
cfie dafcuna dona verweist (Mann. 260b 7). 94c ist fur das unrichtige
palefati in fe daindi adietro palefati gliauea (Mann. 295b 29) in kleiner
spater Schrift honorati an den Rand gesetzt; dagegen scheint gleich
darauf ein neben hellijime donne an den innem Rand der Spalte ge-
setztes cofe zwar auch nicht von gleicher Hand wie der Text her-
zuriihren, ist aber auch dem Korrektor nicht zu verdanken, der
honorati geschrieben hat (Mann. 296a 13). 99 d sind neben die ein-
leitenden Zeilen von IX 5 ein paar Worte von spSterer Hand ge-
schrieben, von denen ich wenigstens calandrino zu lesen vermag.
1 06 a ist adripo/are (Mann. 356b 24) schon uber der Zeile zu adormire
geSndert, donnire aber auch am Rande noch beigeschrieben ; auch
das welter imten (Mann. 357a 21) fehlende camere ist von jungerer
Hand am Rande nachgetragen. Von Verbesseiningen , die mir vom
Schreiber des Textes selbst herzumhren scheinen, habe ich hier mehr
zu sagen nicht notig gefiinden.
Noch mufs erwahnt werden, dafs an zahbeichen Stellen die
Tinte in beklagenswertem Mafse vom Pergamente verschwunden ist,
so dafs an denselben oft ganze WOrter kaum mehr erkennbar sind,
so Bl. Sob, 8 id, 87c, 94b, 98b, loic. An andem Stellen, die
in gleicher Weise Schaden gelitten batten, ist derselbe dadurch
gehoben, dafs hier in weiterem, dort in engerem Umfang das Ver-
blichene durch Uberfahren der alten Buchstaben mit frischer Tinte
wieder sichtbar gemacht ist, so Bl. 23 c, 24 a b, 25 b, 38 c, 42 c d,
43 a, 44a, 97 c, 106 d.
Spatere Benutzung der Berliner Handschrift mag nachstehende
XJbersicht erleichtem, welehe fur jede der in ihr vorhandenen No-
vellen die Blattspalte angiebt, in der dieselbe beginnt.
Ii Bl. 5a, 2 7c, 3 8b, 4 8d,5 9b, 6 9d,7 iob,8 iib,9
lie, 10 I id.
IT I 13a, 2 14a, 3 15a, 4 i6c, 5 17c, 6 i9d, 7 2ib, 8
25b, 9 28a, 10 30b.
mi 32d, 2 33d, 3 34<1,4 36c, s 37h,6 38b, 7 39d, 8
42 d, 9 44c, 10 46a.
IV I 48d, 2 50c, 3 52b, 4 53c, 5 54b, 6 55a, 7 56b, 8
57a, 9 58a, 10 58c.
V I 60c, 2 62c, 3 63c, 4 64d, 5 65d, 6 66d, 7 67d, 8
69a, 9 70a, 10, 71 a.
VI I 73b, 2 73c, 3 74a, 4 74c, 5 74d, 6 75b, 7 750,8
76c, 9 76b, 10 76d.
Tobler: t)ie Berliner Handschrift des Decameron. 385
Vn I 79 c (Schlufs fehlt, ebenso 2 bis 8 iind Anfang von g) 10
8 1 a.
Vm I 82a, 2 82c, 3 830,4 85d, 5 85d,6 86b, 7 87b, 8
91b, 9 92a, 10 94c.
IX I 97a, 2 98a, 3 980,4 99a, 5 99d, 6 loia, 7 loid, 8
102b, 9 io2d, 10 103c (das Ende felilt, ferner fehlen
X I bis 7 und der An&ng von X 8).
X 9 105c, 10 io8a.
Blatt 1 1 o b beginnt die conclufione (lellautore , deren letzte Worte
1 1 o d lauten :
Et uoi piaceuoU donne co la fua gratia z | pace id rimanetej dime
ricardandoui fe ad alcana | forfe alcana cofa gioua lauerle lecie.
Darauf folgt in roter Schrift
Qui finifde la decima r ultima giomata dellibro chia | mato decameron
cognominato prencipe gal^otto;
Die Vergleichuhg , die ich angest.ellt habe, erstreckt sich nicht
auf den ganzen Decameron gleichmaftig. Genau (init Beriicksichtigung
auch der geringsten Abweichung in der Weise, wie die Worter ge-
schrieben sind) habe ich die Stiicke verglichen, die dem magliabechi-
schen Auszuge entsprechen, weil dessen auch geringfiigigste Ver-
schiedenheit von Mannelli's Texte durch Follini festgestellt ist, so
dafs es sich empfiehlt von jeder neu herbeizuziehenden Handschrift
zunachst diese, verschiedenen Teilen des Werkes angehSrenden Ab-
schnitte zu vergleichen; vielleicht reicht die Betrachtung des Ver-
haltnisses, welches zwischen verschiedenen Texten hinsichtlich dieser
Abschnitte besteht, bereits aus, um Grad und Art ihrer Verwandt-
schaft erkennen zu lassen. Ich habe ferner die Novellen I2, 1 3, VI 10,
Xio der Berliner Handschrift mit Mannelli's Texte verglichen, hier
aber nur noch auf Sinnvarianten geachtet, Abweichimgen blofs
graphischer Art oder solche, bei denen es sich um vSllig gleich-
bedeutende Wortformen handelt {alcana: alcun, aveva: avea u. dergl.),
unberucksichtigt gelassen. Endlich habe ich noch alle die Stellen
aus dem ganzen Werke nachgesehen, welche im Index von Fanfani's
Ausgabe unter Correzioni al tefto als solche bezeichnet sind, die zu
textkritischen Bemerkungen Anlafs gegeben haben. Der Muhe, das
ganze Werk dm'chzukollationieren wurde ich mich willig unterzogen
386
Sit/.ung der philosophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
haben, hatte ich sicher sein kdnnen, dafs gleiche Arbeit an andem
Handschriften von andrer Seite ausgefehrt wurde. Giebt, wie ich
wiinsche, das, was ich gethan habe, Anstofs zu ahnUchen Unter-
nehmnngen, und stellt sich heraus, dafs vollstandige Vergleichung
des Berliner Textes Nutzen verspricht, so wird das Fehlende sich
ja nachholen lassen.
Zunachst folgt hier die Darlegung des Verhaltnisses zwischen
Mannelli und Berliner Handschrift mit Bezug auf die magliabechi-
schen Bruchstiicke.
Mann. f. 32 b.
Berl. f. I2C.
Mann.
Berl.
12 T (re
T de (re
30 fara quejta
fia quefta
i^ ia lor Reina
la loro reina
31 gluomini
gUuomini
13 a fare
affare
32 alia fine
alfine
17 nnftra r ad
nnftra ad
33 alli^
adUeto
21 diliherra
dibeUberera
• •
25 feguente
feconda ^
33 b.
26 decta
decto
I gluomini
gliuomini
27 traUafi
(raclafi
2 di feguire
da feguire
31 uergogna
uergognia
3 glaUri
gltaUn
uegendo/i
ueggendofi
4 dichio
dico io
32 decte
deite (f)
6 uoglo chemmi
uoglio che mi
33 ^W^fi
riftrefo
7 che la
cheUa
lardire t prim.
Inrdire prim.
8 conftretto
coftretto
glufici
gliiifici
10 qtiole
qual
34 riconfermo
riamfermat ( dem a
12 inftno ad
infino da
ist ein (iberge-
1 3 folazeuole
follageuole
schrieben , das /
15 chiedere
chieder
ist unvollstandig
17 de glaUri
degUaUri
und scheint aus-
1 8 da federe
da feder
gestrichen)
20 arhori
albori
33 a.
21 coUe
con le
1 fare
far
22 prender
prendere
4 uirtu
uer(u
24 uenire
uenir
3 uoftro
nq/lro
26 menando la
mefumdola
8 confequente
confeguenie
adgugnere
adgiugnere
34 a.
m
me nomar
menomar
I ognora
ogniora
10 da Pampinea
di Pampinea (aber das
' fpechio
fpecchio
i ist unterpnnktiert
3 uechio
ueccMo
und a von erster
7 cfior
ckuor
Hand ilberge-
9 mio
mia
schrieben)
15 ciafcunara
ciafcuna hora
14 afare
ad fare
\6 ffo
fi/i
17 folazi
follagi
gUochi
gUocchi
ad dormire
a dormire
19 da prfffo
dapprejfo
25 ejfere
ejfer
21 di uaghe^a
dauaghega
23 ancora
ancor
1 2d.
uoglio
^
tioglo
f. 91a.
f. 3 id.
28 potere
poter
4 ricUre
ridere
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron.
387
Mann.
Berl.
Mann. 135 a.
Berl.
5 niun uera
niuna uenera
7 conigU
cognigU (das erste ^
6 dijfono
differo
durchgestrichen ?)
J che la
cheUa
8 cheUor
6*Ac a//!r>r
i6 gU ochi
gliocchi
9 lor
loro
1 8 (U drcujtanti
de circuJianH
1 1 Guiglelmo
guiglielmo
24 ubbidendo
ttbidendo
1 3 fchachi
/cacchi
26 con/iglo
con/igUo
cofi una
cofi chi una
covnedato
comendato
17 PhUoftrato
Phyhjhato
35 fettmana
/epHmana
camin
camin
^
1 8 furotto
/uron
91b.
ig che la
cheUa
I foglono
foglion
20 delle aUrui
dellaltrui
2 figluol
figlmoh
22 fi lieta
cofi lieta
4 a pieno
ad pieno
che io
chio fo
5 daHle
deUe
23 io diro
io ne diro
7 uoglam
uogUam
25 quat
quale
8 opporhmo
oportuno
31 muoue
moue
1 1 ^n^o
largo
34 ognalto
ognialio
12 da pen/are
di pen/are
*
>35b.
32 a.
I cofpecto
cofpecto
19 Oiq/hm
Cia/cuno
4 di/perata
difpregiata
24 coUa
CO la
9 ''^
el
25 addunque
adtmque
13 a m6
ad me
ghbommi
gliuomini
14 inami
tnagi
31 /» now ran^
fio rum, canto io
17 tiemmi
tiemi
23 maladico
maledico
92 a.
25 ob/cura
ofcura
2 diletto
dilecto
•
4 T»
en
136 a.
47 c.
6 tnon^* ad gli ochi
mangi adgliocchi
6 mimpetra
minpeira
10 maggor
maggior
7 Lauretta
la lauretta
20 /(CJ(iM>
idio
9 chentender
che intejtder
23 extimando
eJUmando
megh
meglio
24 cAo
CO
10 r«/a
tofa
26 outfua
auea
1 1 miglore
migliore
1 1 TPi^iifti^fi
fA/ti/lV
f. 134 b.
f. 47 a.
rn fu fiori
1 OvCvl*/
enju ijiori
5 loro
lor
14 »n/Sra
I fino
I piaceuolmente
piaceuolemente
10 megh
megUo
abbino
abbiano
1 1 femmi
Se mi
f. 172 b.
f. 60 a.
19 rtot^^rg
riauer
3 aueuan
aueuano
cAe /<^
chelhjja
5 /o ftadico
hflradico
21 trowmano
trtmaiuan
ataccato
attaccato
30 ubhidente
ubidente
13 piaceuolmente
piaceuolemente
32 abbandonato
dbandonato
15 m6^/o
meglio
16 compagne
compagnie
47 b.
19 co/(>r«
color
35 $ti«/2a
quello
20 ttermigle
uermigUe
21 pareuan
parean
1
388
Sitzung del* philosophisch - histurischen Clasise vom 12. Mai.
Mann.
Berl.
Mann.
Beri.
22 le cui Jabbra
/** ewe /flA^*
24 bi/ogno
6^?]^tO
24 tadueygi
tau€(/(/i
26 moUi T
mo/^'
25 uogUt
uoglio
29 che la
eA«//a
fapparechi
fapparecchi
30 iuoglo
uoglio
douere
douer
31 alcuno
alcun
26 domane
doman
38 perdHa
perdita
29 opptjrtune
oporhtne
209 b.
-
Gob.
3 ^fe^«
gUera
31 addunque
adunque
4 cantare
cantar
32 rincrefcere
rincrefciere
34 apprender
ad prender
10 recho
72 d.
reco
173 a.
13 cenbalo
cembalft
I /?ua/i coiw<»
leuatifi /ictfrne
Mo Lapa
mona lapa
8 da tuoi
de tuoi
1 5 fa gran
fa fi gran
18 rppuiai
reptUaua
17 .^btce
Efci
23 vonofcente
conofciente
yVia tagliato
fie tagliato
26 c'Ai
chio
campagna
cdpagnia
28 f/ danno
al damno
19 T fvw del
T non e del
33 piancto
pianio
20 dOttobre
doctobre
doloro/o
dolo/o (z wisclien und
21 uogHam
uoglian
/ ist ro von
alter
27 yc nwi
feno
Hand mitvei'schie-
29 yfcirc
Jlar
dener Tinte flber-
32 06'At
occhi
geschrieben)
•
-
i73h.
2ioa.
2 6//to
biUate
I ochi
occhi
13 t/
el
8 uir/t4
uertu
15 niiUaltra via
nulla aUra uia
19 priegho
priego
niun
niuno
20 y/^/
gUel
16 /ir^ib
doglia
faccHe
faccUd mit Punkt
19 t/
el
unter dem letzten /
fpogla
/poglia
28 T a//wt
e aUui
f. 226 a.
f. 78 b.
foluno
folo unt}
22 /)^ /m^o
per hUH
31 miglore
migliore
28 dunque
adunque
32 ualorfi
honnre
31 fcachi
fcacchi
33
die Anfangszeile des
32 mubbidijie
mubidifte
Refrains ist
nicht
7^ ubbidire
ubidire
wiederholt
226b.
174 a.
60 c.
1 q^artf
ad fare
7 dandare
dellandare
2
nach aueffe ist gUm^
dormire
domiir
pofe hinziigeflgt,
aber unterstrichen.
^
^
Aiich ndjchfignaria
f. 209 a.
f. 72 c.
steht ein y, das
17 addunque
adunqtie
offenbar den An-
21 m^
mife
fang von glmpafe
E/ira
eliffa
bilden soUte, aber
22 E/Lra
EUffa
mit Punkt darunter
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron.
389
Mann.
Berl.
gJmpofe
giimpo/e
5 Lycifca
licifca
9 auea
aueua
10 fobgtmfe
fogwnfe
12 fcmcuUefca
fanduUefca
la feconda
la fecondo
e/jfere
ejjer
13 uogh
uoglio
14 Lycifca
licifca
78 c.
18 aUoro
aUor
pregauaUd
pregauanlf}
22 gluomini gli twmini
25 giudicj giudici
28 douere nelle opere douer colopere
29 dare dor
30 uegho ueggio
32 uqftra nq/hra
34 collo axuio coUUtUo
227 a.
I che ragionamenti
6 ubbidente
9 oc? catHui
uofhi
13/0/
16 iS/ti^
17 ywmo
23 apparechiate
25 m«^/o
27 daUuna
28 [correua]
29 /an/o c/i/ec^.
36 cafUUetto
227 b.
I ^MO^^
4 piaggie quantS
5 P^a
7 dalberi
8 ^an eft hqfchetti
9 querciuuoU
alberi
12 dalcuni
13 rniglore
14 glaueffe
18 t/ ^t^
cA^ « ragionamenti
ubidente
a cattiui
no/hi
fole
eUffa
fumo
c^ftparecchiate
migUo
da luna
fehlt
tonc^o dilect
78 d.
cafUUecto
ptagge
giufo uerfo il
pian
piagge quante
piaga
dalbori
eran bofchetti
querciuoli
arheri
dalcun
nUgliore
gliauefjTe
il quaie
Mann.
22 cofa minut,
25 picciol
29 la quai
32 pefce
228 a.
I deUo umido
3 riceueua
5 ehhero
1 1 fpoglarono
aUrtmenii
12 uermigla
16 con ^|(7^ /b
piglare
18 reueflirono
19 commendare
22 ^f}^
23 ameno
31 co//i /or
32 famiglari
man
228b.
5 apparechiato
7 u^tre
10 i^mi
12 t^/b
13 cA^ fI6
EUxa
16 fi
18 d/cun o/^
23 tyranno
24 addoffo
25 crticftf
31 giamai
35 crefcd
229 a.
7 priegho
12 £!^a
13 /acto
mara/uiglaffer
15 cantor
16 T^idlaro
fuor
19 (m/ dormire
Berl.
cq/a premuta mimU.
piccol
la quale
pefcie
deUumido
riceuea
lebbero mit
unter /
Punkt
79 a*
fpogliarono
altramenti
uermigUa
CO effo le mampigliare
nue/hrono
che comendare, aber
che unterstrichen
giunte
aueano
CO li lor
famigliari
apparecchiato
uemr
eUffa
uoglio
chenne
eUffa
fio
cdcuno altro
Hrapno
adoffo
crudd
79 b.
gtamat
crefcie il
priego
diffa
facta
maramgUaffer
cantare
tindaro
fuori
a dormire
Sitzongsberichte 1887.
37
»90
Sitzung der philosophisch-faistoriscben Oasse void 12. Mai.
Mann. f. 258 b.
9 corono
10 credete
14 miglore
16 ad fare
19 cMo nan uoglo
22 gluomkd
24 ad donna
26 m^fi di piaceuol
28 gluomini
30 r (lirt^*
31 Dytmeo
33 piglando
259 a.
2 piaceuol
ehber
8 (^mm
26 J 9Mm
28 /(>C0
29 t/ . . t/
31 nouo
259b.
I ocAt
8 H tenga
14 tto^ib
20 tenendolane
2 1 cA^ /b ytMZ
25 t/ ^tto/
27 e2emo
28 fimiglante
facemo
29 exHmo
3 1 facemo
ajlegnamo
f. 301a.
30 conofcendo
reggier
36 addunque
301b.
2 <2((7^e
3 uederfi in
camendare
4 ^uo/
6 ToJJare
1 1 riftrecii
Berl. f. 81C.
como
affare
che io non uogHo
gUuomini
a donna
meno di piaceuole
81 d.
gUuomini
ft diricti
Dyone
pigUando
piaceuole
ebbero
carmn
Do non
luogo (neu ilber ver-
sch wundener Tinte)
el, .el
nuouo
occhi
iiega (Qber t ganz
klein it)
uogUo
tenedonela
chella fua
82 a.
U quale
demo
fimigliante
facemo
eJHmo
facemo
aJUgniamo
f. 96 c.
conofciendo
regnar
adunque
effer
uederfi cofi m
wmedare
quali
roffor
rijtretti
Mann.
15 exHmo
16 riftretti
19/0
opportuno
20 ragionare
21 Jpetialiia
22 ciafcun
26 neUe ufate
27 decto
28 concedecte
Commendo
32 pajfarono
302 a.
I pamphglo
4 chi
t/ gioco
6 Labbondanie
7 c2e ilo/to
8 ma
12 inamoraio
17 cM*
21 »yb«
22 Chogni
24 exHmar
che le
27 cAt
30 fatnem
302b.
I che
foiUciiudine
6 cttfizone
8 (M^ domdre
f. 323 b.
5 loncantamento
7 riiftW
9 tino
1 1 acrefcere
12 /or
14 t/ ^cio/
fcemo
16 obfcura
20 addunque
24 dai%> incaniator
27 au^a
29 i\4^/b
Berl.
fia
oportuno
ragionar
fpetiaUa
ciafcuno
neUufate
detto
concedette
CXhnendo
pajfrarono (Piinktiin-
ter dem ersten r)
pamphilo
96 d.
chio
el gioco
Labondante
dellalta
mai
innamorato
chio
io fan
Cogni
eJUmar
cheMe
chio
farien
am Rande nachge-
tragen
foUeciiudine
cannon
adormire
f. 103 d.
mogUe
lencantamentfi. rubrica,
ridere
,un
adcrefciere
loro
il quale
fciemo
ofcura
adunqtte
dalloncantator
aueua
pugUa
Toblsr: Die Berliner Handschnlt des Decameron.
391
Mann. .
Berl.
Mann.
Berl
30 ftrecta
Jhetta
10 ddh cUbergho
deUMergo
32 meftiere
meftiero
II letHceUo
lecticeUo
uno Juo
un fuo
12 mogle
13 JtaUetta
mogtie
JtdUeda
324 a.
15 pagla
pagUa
I Pugle/e
puglie/e
18 miea
aueua
7 mogle
mogUe
21 traUcdire
tralaUre
9 [de io honor]
fehlt au
ch Berl.
24 uoglo
uoglio
daUui
d€Uui
Um nun einen Anfang kritischer Erwagnng dessen zu geben,
was aus der Berliner Handschrift fiir die Wiedererlangung des echten
Decamerontextes zu gewinnen ist, z&hle ich zunachst eine Ifingere
Reihe von Stellen auf, an welchen Mannelli's Text und Berliner
Handschrift (Mn und B) gemeinsame Fehler aufweisen oder docli
Lesarten bieten, deren Echtheit zu ernsten Zweifeln Anlafs geben
darf, Stellen also, fiir welche es besonders wunschenswert sein wiirde
das Zeugnis anderer Handschriften zu horen. Mn 1 2 b 2 2 = Fakf. 1 2 8
al uoftro ragionare (anderwarts noflro)^ i3a8 = Fanf. I 29 J^ amor
piu % luij wo icb glauben m6chte, ea sei hinter t ein qiie/to oder 06
verloren gegangen, ic^ag = Fanf. I 34 fa mia ufanga fuole effere di
oofeffarjij 20b 3 = Fanf. I 47 di uocaboli (1527 de)y 21a 16 — 19
= Fanf. I 49 derselbe unmogliche Satzbau, 22b 1 3 = Fanf. I 52 vMto che
per (1527 fehlt che)y 26a 13 = Fanf. 1 60 div^to di fan giouard harba doro
(wahrscheinlich boccadoro wie einige Zeilen spater), 27a 29 = Fanf. I 63
T ad queUa molte genti r di uarie parti f off e uenuta (wo vermutlich vor ad ein
che verloren, jedenfalls aherfoffero itenute wie in 1 527 zu lesen ist, wenn
man nicht lieber molta gente einfiihrt), 29b 24 = Fanf. I 69 oggi di rap-
portar, 3 ib 28 = Fanf. I ']2^fiamme auendo ueduta, 38a 27 = Fanf. I 87 egli
gli auerglij 4 ib 9 = Fanf. I 94 J> cofeguete da lei (welches da lei vor pmutate
wiederholt ist), 50a 1 7 = Fanf. I i i 2 ma che e le cofe (^1527 ma chef le
(^ofe)j 53a 1 9 = Fanf. I i i 9 Era quel difepellito (wo vermutlich, wie gleich
darauf, ein fhiio von Boccaccio vorfep. gesetzt ist), 53b i — 4 = Fanf. I
120 derselbe Mangel eines Verbum finitum zu li qitalij wie auch im
Drucke von is^?? 55^ 8 = Fanf. 1 123 ritrauato r in grande ftato ritar-
nana (mit demselben r, das bei Mn Anstols giebt, aber ritomano statt
ritomato; dabei ist aber zu bemerken, dafs to in ritrouato rot unter-
strichen, also getilgt ist, wodurch auch r annehmbar wird), 60a 28
= Fanf. 1 135 ebbero (statt ebbe) riuocate, 64b 3 = Fanf. I 145 no
era (1527 no n^era)^ 65a 21 = Fanf. 1 146 dormiua r queUa aperta,
welche letzten drei Worter 1527 nicht bietet, 69b 8 = Fanf. I
155 parte che quiui eran, 71b 10 = Fanf. I 160 t che che degli
37*
392 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
uomini che fopra la noftra naue erano io nolfo^ 7 2a i 5 = Fanf. I i 6 i allora^
73a 3 = Fanf. 1 163 tomando difcotia^ 73a 25 = Fanf. 1 164 poterono un
grandifjvmo exercito p andare fopra inernicij r auantij 74a 8 = Fanf. I 165
donna hquale riccaj 74a 24 = Fanf. 1 1 66 allaforpaj 76a 32 = Fanf. I 1 71
ifermita tanto conofdere (wo vermutlich per tanto stehn mufs), 76b 25
= Fanf. I i 72 come che ella nbfe ne accorge (fur accorga), 77a 2 = Fanf. I
172 facta (for/acto) Jm^ 77b 9 = Fanf. 1 1 74 come quello poteffe oferuare
il che promeffo auea (wo il che fiir che mir durch Fanfani keineswegs
gerechtfertigt scheint), 78b 9 = Fanf. I i 76 fuggito (am Rande /t/^gr^>mfo)
di parigi fera partito^ 88a 4 = Fanf. I 196 uenahhiano die Iticertok
n^rminarej 88a 12 = Fanf. I 197 delle fue. forge die ftato no era aimnti
(ohne das diuenuto von 1527), 90a 26 = Fanf. I 202 ancora che io no
uoleffi (wo das uiueffi von 1527 mindestens selir erwagenswert ist),
93 fe 32 — 34 = Fanf. I 210 intagli iuentro^ no fo fe danatural uena
da artificiofa p una figura laquale fopra una colonna che nel mego (wo
die Interpunktion vor iventro zu setzen, per vor una und che nach
colonna zu tilgen ist), 94b 23 = Fanf. I 2 i 2 follecitadine (fur foUtudine),
98a II = Fanf. I 2 19 j? quefh i difaueduti (das riprendendo des Drucks
von 1527 ist von spater Hand am Rande zugesetzt), loob 27 = Fanf. I
225 che etiadio che, 103b 17 = Fanf. I 231 el dopo, 105b 17 = Fanf. I
236 perfona r daguto (wo era fehlt), 107a 23 = Fanf. I. 239 r ualste
donna (wo die richtige Stellung zu sein scheint che di b, a. e valente
donna era, ridendo eforfe avendo cagion di ridere), 108b 18 = Fanf. I 242
fenpafara (nicht faro, aber ebenfalls ohne f alio), nob 25 =:Fanf. I 247
trapaffando come [diro fehlt), 1 14b 4 = Fanf. I 254 tempo ai di lafdarmi
(wie auch bei Mn zuerst stand) , 1 1 5 a 6 = Fanf. I 255 ne ad no uolere
(wo man etwa tanto da nan v. oder Jino a non voter e erwartet), i i6b 31
= Fanf. I 260 Ui qiuil morte io tdto pianta quato dolente ad me, wo
Fanfani's Auffassung sicher abzuweisen ist, 117a 11 = Fanf. I 260
ritenere oder riteuere (fiir riceuere zweiter Hand bei Mn), i i 9a 5 = Fanf. I
264 amxirla (fur amarle), 1 19b 34 = Fanf. I 266 t temendo la fua hoc4'
(wo ich intendendo fiir das Richtige halten qaochte), 1 2 2 a 3 4 = Fanf. I 2 7 2
che lor chiaro (wo fe vor lor in B um so leichter iibersprungen sein
kann, als mit hr eine neue Spalte beginnt), 124b 29 = Fanf. I 277
duraua no aurebbe, eb. Z. 3 1 r % un bicchier (wo man etwa meffala
hinzusetzen konnte), 128a 8 = Fanf. I 284 di grandifflma angofcia gli
era (wo das in 1 5 2 7 sich anschliefsende cagione in B den Anfang einer
Zeile gebildet hatte und vor dem folgenden ne leicht iibersprungen
sein kann), 132a 28 = Fanf. I 293 appetito fenga, 134b 21 = Fanf. I
298 falci fi trouauan no meno (wo an falci zwar niemand Anstofs zu
nehmen scheint, dies Wort mir aber ganz unannehmbar vorkommt,
da man sich doch mit Sensen nicht gegen Pfeile zur Wehr setzt,
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 393
und selbst wenn dies geschahe, die Zahl der Sensen derjenigen der
Pfeile nicht gleich zu sein brauchte. Wie geme wiifste man, ob
uberall nuvfalci uberliefert ist oder anderwarts etwafreccie oder felciJ),
138b 36 = Fanf. I 306 gli auer conofduti, ^Z9^ 34 ==^ Fanf. I 307
con effo noi fe qiuindo (wo mir ne quando erforderlich scheint) , eb. Z.
2 8 ff. T quelle tuite piene moftrerei dantichi kuomini r uahrofi . . -auere
Jhidiato (woran man zwar keinen Anstofs zu nehmen scheint, wo ich
•a
aber eine Andenmg in et in qicelle tutto pieno fiir unerlafslich halte,
wobei tutto pieno j wie 6fter bei Boccaccio, »eine grofse Menge« be-
deutet, vergl. bei Fanf. I 13, wo geschrieben werden muls e di quefH
e degli altrij che per tutto morivano tutto pieno, era il piii u. s. w. oder
II 43 1 tutto pieno di Jimiglianti cofe, und afz. de fon parente vit oehire
tqut plain J H Cap. 37; amenerent tout plein de vilains a pie, Joinv. i6od),
1 4 1 a 1 4 = Fanf. I 3 1 i feguente per effer {aueffe fehlt), 1 43 a 1 9 = Fanf. I
315 anno date, 144 a 10 = Fanf. I 317 colpo fe coji {lui e me fehlt),
144 b 6 = Fanf. I 318 render gli debbo giamai (fiir omai; der Fehler
ist wohl dadurch veranlafst, dafs giamai an ganz gleicher Stelle der
vorangehenden Zeile richtig steht), 145b 8 = Fanf. I 321 riconofciuto
r (statt e) da fuoi (doch konnte man r beibehalten, wenn man vorher
doue als dov'e fafste), 146a 9 = Fanf. I 322 fforgadoji (was vielleicht
von Boccaccio hernihrt, so wenig es in einem richtig gebauten Satze
statthafb ist), 153 a 24 — 26 = Fanf. I 338 t ... t (wo ein et zu tilgen),
159a 15= Fanf. I 352 j? oo che o fopchio (d. h. vor foperchio ein o,
das Mn fehlt, aber kein j96r), 162 b 24 == Fanf. I 359 tolto aueffe (statt
tolto le au£a), 163 a 12 = Fanf. I 360 r p lauerji, i66b 20 = Fanf. I
367 farmauano, 169a 1 1 = Fanf. I 373 nella fua camera (statt in una
fvaeftra delta fun c, wie 1527), 170b 24 = Fanf. I 377 del preftatore,
172a 29 = Fanf. I 380 ridir la fece, 172b 24 = Fanf. I 381 e fino ad
hora (wo mir infino da hora erforderlich scheint, wie 33b 12 zwar
auch nicht in Mn, wohl aber in B steht), 178b 32 = Fanf. II 9 i/i-
Jleme tutti, wo manche ein e vor infieme verlangen, 1 79a 21 = Fanf. II i o
bella chi delta citta r era chiamata (chi ist unterstrichen in B, also jeden-
falls nur der getilgte Anfang eines zu friih geschriebenen chiamata)^
1 80a 17 = Fanf. H 12 r cb alqudti, i8ia 26 = Fanf. II 14 armato un
legnetto vor giuro fehlt, kann aber nicht gut gemifst werden (wem er
schwur, ist gleichgiiltig ; dagegen erfilhrt man gem, wie der arme
Jungling dazu kommt ein SchifF auszuriisten) , 183 a i = Fanf. II 18
battaglie mi pare {pofto mente fehlt), 183b 7 = Fanf. II 19 rapportogliele.
Piacque^ 184a 3 = Fanf. II 20 dalla goftanza ft parti. Et (wo man
wohl eine starke Anakoluthie wird annehmen miissen und keinesfalls
Martuccio, der erst nachher Abschied nimmt, zum Subjekte von parCi,
machen darf; Fanfani ist bei allem Hoehmut wieder voUig im Irrtum),
394 Sitzung dcr philosophisch - historischen Classe vom 12. MaL
185b 30 = Fanf. n 25 alcuna r ueggendoti (wo et zu tilgen ist), 1 87b 25
= Fanf. II 29 t maramgliofa (das fehlende con hinter r hatte die Zeile
beginnen mussen), 189a 7 = Fanf. II 32 r Jt ancora rifcaldaUJi (wo in B
ein T vor dem zweiten Jl niemand vermissen wird , das r yf zu Anfang
aber mir in efjt scheint verwandelt oder getilgt werden zu mussen), 1 9 1 a 1 4
= Fanf. II 36 cJie opera (statt che per opera), 197a 3 1 = Fanf. II 50 menire
di leij 200b 36 = Fanf. II 58 quello aprij 203b 30 = Fanf. II 67 piaceffe
miftarei ma (wo etwas zu fehlen scheint), 209a 19 = Fanf. II 77 ragio-
namento (wo reggimento einzig moglich), 209a 25 = Fanf. II 77 co
contentamento (was zwar niemandem Anstofs gegeben zu haben scheint,
aber ganz gewiGs nicht zu dulden ist. Von der Befriedigung uber
die Rede kann erst nach Schlufs derselben geredet werden und wird
auch in der That geredet, nachdem sie vorgefuhrt ist. Hier aber
hat Boccaccio vermutlich Elisa mit dem Sene^chaU fttr das sorgen
lassen, was a I contentamento delta brigata not that), 213a 27 = Fanf. II
86 iomata^ 213b i = Fanf. II 86 aduenne che che fene foffe (wo eigent-
lich drei cite erforderlich sein wurden, ein drittes aber hfibscher nach
cagione eingeschaltet wird), 2 13b 32 = Fanf. II 87 qualita o affan/njo
(del tempo fehlt), 217a 18 = Fanf. II 95 dipignendo era flaia f^puUa
(wo das zu alcuni che gehSrende Verbimi sicher nicht fehlen sollte;
vielleicht intendevano vor oder hinter dipignendo f Fanfani findet fireiKch
auch hier wieder alles glatt, indem es ihnl ganz naturlich scheint,
dais ein Gerundium fur ein Imperfectum stehe), 221b 31 = Fanf. II
106 tutti guatandOj ^27a 6 = Fanf. II i 1 7 honore effendo . . tatti r hora
(es fehlt fe vor effendo oder an stelle des r nach ft^/fe*), 227a 28
= Fanf. II i 18 Jiumicello entrarono {correva fehlt), 230a 33 = Fanf. II
124 fotlo iuiitaci albori (i fehlt bei Mn; B hat alhori^ Mn arbori ffir das
richtige allori der leider so wenig gekannten, dem Anscheine nach
sehr guten estensischen Handschrift), 260 b 7 = Fanf. II 191 cofa
debba (ob auch in Mn che la donna fehlt, wird aus der Randbemerkung
nicht Mar; in B ist ch£ ciafcuna donna von spSter Hand an den
Rand gesetzt), 264b 33 =3 Fanf. II 202 legano (fur legauano), 267a 25
= Fanf. II 207 non foffe le diede (welches le diede zu viel ist), 268a
22 = Fanf. II 210 Uenuta eliffa^ 273a 25 = Fanf. II 221 chiamati diffe,
274b 13 = Fanf. n 224 brigata r bnmo (wo Fanfani, vielleicht ohne
Not, T durch a ersetzen will; Bruno kSnnte auch nachtrSglidhi bei-
geordnetes Subjekt sein), 275b 26 = Fanf. II 227 r preftamente . . .
T accortafl (wo ein r zu viel), 276b 20 = Fanf. II 229 no ^ eUa potato
uenire (statt potato), 277b 32 = Fanf. II 231 fante delta dona admae-
ftrata (statt dalla), 280b 5 = Fanf. II 237 r etla alquanto piu dabina
delle parti piu al muro accoflatoft, 284a 15 == Fanf. II 245 come rahbta^
287b 18 =Fanf. n 253 pigliare fenon {uendetta fehlt), eb. Z. 22 qu^Jla
Tobler: Die Berliner Handscbrift des Decameron. 395
nedetta Ipumtaj 288b 32 = Fanf. II 256 itra gliaUri Uqaali (statt a^quaW),
289b 2 und 6 (wo nach m corfo und nacli rifapeffe Sfitze fehlen, die
sich in 1527 finden und scliwerlich unecht sind), 291a I7 = Fanf. H
261 bruno r che, 299a 20 = Fant. II 280 r coriofdendo che dilei niuna
cofa phi che le fi piaceffe- diquefto poteua dire {wo man etwa erwartet
che di lei nifuna cofa pm di quello che le piaceva poteva avere), 303b 28
= Fanf. n 289 p atcer bando di firertge dimorauano (vor dem letzten
Worte hat Mn ein la^ und vermutlich auf dieses, nicht Bxddifirenze
bezieht sich das defidebat am Rande), 305a 6 = Fanf. II 292 cacciaffer
(statt caiuafferf)^ 305a 19 = Fanf. II 292 r le eofe (statt r per le co/ef)^
318a 13 = Fanf. II 320 Talano dimole (Ende der Zeile in B), 318a 26
= Fanf. II 320 Cofiui atumdo una, 3 iQa 16 = Fanf. n 322 r il no uolere
(f&r auere)^ 321a 13 = Fanf. II 326 r po {xAclA perdo) ad ciafcuna che
quiete (wo ad zuviel), 321b 24 = Fanf. II 327 di/corfa p Itmiuer/o
(welche letzten zwei W5rter neben per tutto il mondo mflfsig sind),
323b 1 1 = Fanf. II 33 i un men fctuio j e no folamente adcrefdere fplen-
dore (wo man wird e' non fol. adcrefciera fpl, oder adcrefde rifplendore
schreiben durfen), eb. Z. 18 dimoflrarai, 324a 9 = Fanf. II 332 nco^
nofcimerUo che dalm (dafs vor che etwas fehle , ist Mn nicht entgangen ;
er ha/t Raimi <ur «ine Erg&nzung gelassen , und in denselben ist spSter
de lo honor eingesetzt), 354b 29 = Fanf. II 396 Hto fe non cofleii
Quali statif (d. h. es fehlen die sftmtlichen Worte zwischen Hto und
dem zweiten fe non coftei, auf welches der Schreiber von B um so
eher uberspringen konnte, als tito das letzte Wort der vorderen Blatt-
seite ist), 357b 22 = Fanf. II 402 quantita del don riguardiate (ftir il pren-
diate; flbrigens ist del don in Mn von zweiter Hand), 358a 19 =
Fanf. II 403 non che land p addojfo andarglene (es fehlt quanti nach
taniij welches in B das letzte Wort einer Seite ist), 358b 3 = Fanf. II
404 no minore ad mejfer torello (wo honore vor ad fehlt), 360a 20
= Fanf. n 407 follecitar di maritarjt (besser rimaritarfi mit 1527),
361b 2 = Fanf. II 410 dilecio (fBr cUfetto), 366b 2 = Fanf. II 420 diU-
gentemete alleuaffe (ftlr Valletaffe)^ 367a 2 i = Fanf. II 422 no cbueneude
(kein piu nach w'Ao), 367 a 26 = Fanf. II 422 donatolmi (was niemandem
aufgefallen zu sein scheint), 368b 27 = Fanf. II 425 prendi quefta che
tu mia fpofa credi per tuoi (fehlt r il fuo fratello), 371b 23 = Fanf. II
431 ajfai dltri r ad colui (wo t sich zm* Not verteidigen l&fst),
372b 26 = Fanf. II 434 di dance r difdede . efHmai (fehlt fi veggono)^
eb. Z. 29 di germia.
So nahe Verwandtsolmft zwischen Mn und B bestehn mufs, da
sie so zahlreiche Fehler mit einander gemein haben, so hindert dies
nicht, dafe an vielen Stellen B Lesarten aufweist, die als augen-
scheinlich richtigere in die Atrsgaben sei es aus andern Hand-
1
396 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
schriflen oder der Ausgabe von 1527 aufgenommen , sei es auf Grand
von Vermutung eingefiihrt sind, oder doch Aufiiahme zu yerdienen
scheinen :
Mn 8b 9 = Fanf. 1 18 iidiremOj eb. Z. 20 = Fanf. 1 19 fenUto r
ueduto, 9bi6 = Fanf. I 21 riottofe (was besser scheint als ritrofe^ da
Zanksucht, Unvertraglichkeit viel passender als Widerspenstigkeit die
Einsetzung einer leitenden Person rechtfertigt) , 9b 27 = Fanf. I 22
quello (nicht queUd) che noi cerchiamo, ioa28 potremmo (wie b^i
Fanf. I 23) fiir potremOj 12a 23 = Fanf. I 27 effer nociuo (ftir nociui)^
eb. Z. 29 ne aUro (nicht altri) fode^ 14a 22 = Fanf. I 32 andato uera
(nicht nerd)^ 14b 9 = Fanf. I 33 fi pur confeffa (nicht fi pur ft),
1 6b 16 = Fanf. I 38 io mi ricordo (nicht ricorda, welches librigens
auch ich unter andern Verhaltnissen nicht beanstanden wfirde, nur
hier nicht passend finden kann, wo io durch keine Pause vom
Verbiim geti'ennt ist), 17b 5 = Fanf. I 40 piaceui egKj 19a 2 =
Fanf. I 44 in der Uberschrifb ueduta (nicht tiedendo)y 20a 36 = Fanf.' I
47 mercatantia (nicht -ie) faccendone, 20b 6 = Fanf. 1 47 fono (nicht
fomo)^ 2ob 21 = Fanf. 1 48 vergl. S. XXII di dyaboU\ che opatiom che
di diuine (che di ist zwar auch in B unterstrichen also getilgt, aber
doch ursprunglich da gewesen; der Fehler ist dadiu-ch veranlaCst,
dafs dyaboli am Ende der Zeile steht, es also nahe lag zu verkejinen,
dafs che als Schlufesilbe dazu gehorte), 21b 7 = Fanf. I 50 i alexandria
(nicht Alexandia)y 22a 26 = Fanf. I 51 la fua uera legge r i faot
coinadarnenti dirictamenie fi crede auere r fare (nicht affare), 32b 12 =
Fanf. I 75 delle giouani donne r de (fehlt Mn) ire giouanij eb. Z. 17 fa
fua uita r la noflra ad honefto (ohne das mufsige r vor ad bei Mn),
eb. Z. 25 quefla feconda {j^cAit feguente) giomata^ eb. Z. 33 = Fanf. I 76
riprefo lardire primieramente (nicht riprefe lardire r pr.)y 33a 5 ,=
Fanf. I 76 forma del noflro (nicht uofiro) uiuerej 33b 2 = Fanf. I 77
quello differo da (nicht di) feguire , eb. Z. 1 2 infino da (nicht ad) hora^
34a 16 = Fanf. I 79 ffi (nicht ffo) tengo gUocchi i effo, 35a 21 =
Fanf. I 80 coronata alquanto flata (nicht ftato)^ 38b 18 = Fanf. I 88
diceftel, 46b 6 = Fanf. 1 104 ov^er (nicht auea) raddoppiato^ 51b 12 =
Fanf. 1 119 traluna cafa r (nicht ad) laltra^ 54b 8 = Fanf. 1 122 che
paura auete uoi? credete um che egli ui manuchi? li morti non mangian . . .
(von welchen SStzen der mittlere in Mn fehlt) , 5 5 a 8 (woriiber oben
gesprochen ist), 55b 22 = Fanf. 1 125 alcuno o marinaro aUri (nicht
altro)y 56a 26 = Fanf. I 126 fi ricordaua, quiui (ohne r), 56b 14 =
Fanf. 1 1 27 dopo m^lH prieghi la piegarono {nicht pregarono) ^ 60a 28 =
Fanf. I i 35 r co altre (nicht altri) loro artij 68a 1 5 = Fanf. I i 52 ? quejlo
fuocb {nicht facto) ardeua, 7ib34 = Fanf. 1 161 aUjuartia (nicht alquanto)
auendo... apparata^ 74^15 = Fanf. 1 166 amertdune (nicht amendimi)^
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 397
•78a 6 = Fanf. 1 1 75 no fu cbtento i alcana guifa (ohne r vor in)y 86a 33
= Fanf. 1 193 optirruimente conofdete (nicht conofciate. Fanfani hat den
Sinn verkannt: »(la ihr die Sachlage kennt, so will ich dabei nicht
langer verweilen, sondem, wofem ihr Strafe fiir den Betriiger und Ver-
zeihung fur den Betrogenen versprecht, die Gekrankte herbeischaflfen«),
87a 25 == Fanf. 1 195 poi (nicht pw) lungo tempo, 88a 8 = Fanf. 1 197
quelUi una {una fehlt Mn), 90b 31 = Fanf. 1 204 il mal foro nan uuol
feria (nicht furo und fejh); an dieser Stelle sind die verblichenen
Buchstaben in B neu iiberfahren, und es ist nicht unmoglich, dafs
die erste Hand furo und fejla geschrieben hatte; jedenfalls scheint
mir foro die richtige Lesart, und dieses so zu verstehn, dafs zunachst
in dem Sprichwort allerdings foro gemeint ist, daneben hier aber
im Wortspiel foro, dasjenige foro, von welchem Boccaccio in der
Conclusione dell'Autore als von einem Worte spricht, das man so
gut wie cavigliaj mortajo und peftello brauchen diirfe; mehreres wird
nicht not thun), 91a 4 = Fanf. I 204 die tanto che ridere (nicht ridire),
eb. Z. 18 de (nicht di) circu/lanti, 91b 11 = Fanf. I 205 largo fpatio
(es handelt sich um weiten Spielraum, nicht langen Zeitraum),
93b 10 = Fanf. 1 209 coperte (nicht coperto) di pergolati, eb. Z. 1 7 chiufe
(nicht chiufi), eb. Z. 28 = Fanf. I 210 i uecchi frutti e (d. h. e\ nicht
et e) nuouij 94a 30 = Fanf. I2 i i r quiui (nicht qui) prima fei, 94b 1 2 =
Fanf. I 212 der Titel steht in B an der richtigen Stelle, d. h. vor
den einleitenden Worten des Phylostrato, 1 1 ib 22 = Fanf. I 249 fe
io uamaffi (ohne gid), i i6ai8 =: Fanf. I 258 giuftitia r didio {et fehlt
Mn), 1 1 7a 10 = Fanf. I 260 cagione ne fua lettera {ne fehlt Mn), eb.
Z. 24 =: Fanf. I 261 torgliui (nicht torgliuifi), 121b 16 = Fanf. I 270
le firocchie (nicht firocchia), eb. Z. 26 fe fructe {aicht frucii) , eb. Z. 31
da (nicht cK) tutti fu guatato, 123a 23 = Fanf. 1 273 r in quefki
dimeftichega (welches letzte Wort, inB das letzte eines Blattes, inMN fehlt),
125b 7 = Fanf. I 278 delta uUla cbtatone (welches letzte Wort nicht
fehlen darf), 135 a 8 = Fanf. I 2gg che allor (nicht chellor) fedenti, eb.
Z. 13 chi una, eb. Z. 22 fe um di quelle chio fo uolete io ne. diro,
135 b 4 = Fanf. I 300 difpregiata (nicht difperata, was die Deputati
schwerlich jemandem annehmbar machen werden), 136a 10 tofa (nicht
''^ofa), 139a 22 = Fanf. I 307 tafdando il motteggiar (ohne ftare, das
neben dalun de tati uberfliissig scheint), 154a 21 = Fanf. I 340 che co
honefta cagione, 158 a 26 = Fanf. I 350 uarie (nicht uane) cofe, 160 a
21 = Fanf. I 354 tutto datomo deUe rofe, 162 a 13 = Fanf. I 358 piu
fpeffo che Mtre (nicht laUra, was Fanfani vergeblich verteidigt), 163 a
1 1 = Fanf. I 360 dalla (nicht delld) paura delta, 163 b 24 = Fanf. I 362
ms uenuto netlanimo (nicht nella anima), 1 64 a 1 3 = Fanf. I 362 Xa madre
(nicht donna) del fanciutto, 167 a 22 = Fanf. I 369 traditor iu fe vnorto
398 Sitzung der philosophisch-h]^;onschen Olasse vom 12. Mai.
(tradiior fehlt Mn , und schwerlich wird man Fanfani beipflichten , der
den Ausdruck ohne dieses Wort wirksamer findet), 167 b 34 = Fanf.
I 370 nan ijforgadomi , i68b 15 = Fanf. I 372 giacere cb tma donna
una uolta (die letzten zwei Worte fehlen Mn, kOnnen aber mcht ge-
milst werden), 1 70 b 25 = Fanf. I 377 douerlo fenpa iroppo \dugio fare
nicht/arfo) tpiecary 1 7 1 a 1 7 = Fanf. I 378 fo Jlradico (diese Form, die
in B begegnet, so oft das Wort auftritt, ist offenbar die richtige;
ftadico in Mn ist etwas ganz anderes, s. Du Cange unter ftrategus)^
1 72 a 26 = Fanf. I 380 ^ cafa i preflatori (i" cafa fehlt Mn), 1 83 a 1 =
Fanf. II 1 8 tenete (nicht tenetete)^ 1 88 b 7 = Fanf. II 3 1 cantar Ivjtgnuolo
(nicht el luf,)^ 189 b 30 = Fanf. II 34 vx)lea accio (ohne das mulsige t
dazwischen; das a des ersten Wortes, das in B am Ende der Spalte
steht, ist von einem r kaum zu unterscheiden) , 199 a 23= Fanf. II
5 5 I Tid (wie in der vorangehenden 2jeile , nicht in tun) , 2 o i b 1 8 =
Fanf. II 60 tanla (nicht tanto) fu la pour a ^ 204 b 2 = Fanf. II 66 meco
definar {meco fehlt Mn), eb. Z. 17 =Fanf. IL67 medejima (nicht me-
defimo ; an die Flexionslosigkeit des Wortes unter den hier vorliegenden
Verhaltnissen ist schwer zu glauben, obschon die Crusca aufser dieser
Stelle eine zweite, aus der Fiammetta beibringt), 207 b 33 = Fanf.
II 74 honor euole dttadino j r clie coji hen la tracfaua p unaUro huomo
no fe uergogniaia dimtupare r fe mede/ima t/ieme c5 hci j fe dio mi fahn
di cojt facte feimne no ft uorrehbe auere mifericordia j elle fi uorrMero
uccidere / elle ft uorrebbon uiue uiue metter (ohne die beiden Lflcken von
Mn , von denen wenigstens die zweite keinesfalls zu dulden sein wurde),
209 b 1 5 = Fanf. II 78 Londa del mare mi fa fi gran male {ft fehlt in
Mn), eb. Z. 17 Efci (nicht Efcici) fuor cJie fie tagUato j comun (oder
wie man die vier Striche hinter dem o des letzten Wortes deuten
mag), eb. Z. 19 r no ^ del^ 21 1 a 32 = Fanf. II 82 fe fasiH e (d. h.
e^^ nicht r) famigliari, 213a 9 =Fanf. II 85 Oifti noftro dttadino (we-
nigstens hat man gleich viel Recht den ersten Buchstaben des zweiten
Wortes als n wie ihn als u zu lesen), 219a 9 = Fanf. II 99 il che ft
hen feppe {fi fehlt Mn) , 2 2 3 b 4 = Fanf. II i i o aueiui frate eipolla comch
data (dieses Wort fehlt Mn) che, 223 b 14 = Fanf. II i 10 2a ccmtera di
frate eipolla aperta (welches letztere Wort doch nicht eine mala giunta zu
sein braucht, wie die Deputati S. 145 der Ausgabe Fanfani's mit be-
fremdender Beweisfiihrung sagen), 224b 1 7 = Fanf. II i 1 2 lodaia (niebt
ladata), 225b 12 = Fanf. II i \^ ff fe (statt dreier/?), 226a 3 = Fanf. II
1 1 5 iniglkm (nicht miglore) offerte, 226a 22 = Fanf. II i \6per4utH (nickt
tutto) fu rifo, 226 b 32 = Fanf. II i 17 /a noftra hrigata (nicht t/o/i!ra),
227b 22 = Fanf. II i i 9 dalcuna cafa premtUa (das letzte Wort fehlt
Mn), 228a 16 = Fanf. II 120 con effo le mani (nicht con effe la m^m),
23oa'27 — Fanf. II 123 co (nicht con) confecU, 258b 10= Fanf. H
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 3^99
1 86 crederete (nicht credete)^ 264 a 34 = Fanf. II 202 t aueuauiji (nicht
aueuafi^ das neben jenem schwerlich als das ursprunglichere erscheinen
wird), 266b 2 =^ Fanf. II 205 alia analda (nicht nalda), eb. Z. 33 =
Fanf. n 206 codoli (nicht cettoU), eb. Z. 34 codolo (nicht ciottolo; die
Form von B ist bemerkens wert , s. Diez Wb. II*' unter cddol, und
wiirde bei ihrer Ungewohnlichkeit schwerlich an Stelle eines nrsprung-
lichen ciottolo eingefiihrt worden sein ) , 2 6 8 b 6 = Fanf. II 2 i o non
troppo grange . r pcio che la piu agiata donna del mondo quiui lamaggior
parte dellanno difnorofua r con lei (ohne die Liicke, die bei Mn
durch Uberspringen vom ersten auf das zweite r entstanden ist),
eb. Z. 10 piu qua ne piu la no uedea (nicht poteud)^ 270 a 25 =
Fanf. U 214 caualcare (nicht caluacare)^ 271a 25 = Fanf. II 216
gliagiugnea (nicht agiugna), 273 b 21 = Fanf. II 222 uorrehbe (nicht
uorrebber) venire, 274 a 23 = Fanf. II 23 unu per uno (nicht una)y
275a 22 = Fanf. II 225 ma (nicht mo) to itendOj 278b 28 = Fanf. II
233 come io mi nieghi (nicht mi ni niegkt), 282b 28 = Fanf. II 242
elegger piu toflo il poco {piu to/to fehlt Mn), 283a 33 = Fanf. II 243
tfegnamegli (ohne r davor), 283b 9 = Fanf. II 244 Et hora penfandojr
hora piagnendo\r hora fperandojr hor difperando (bei Mn ist das dritte
Glied weggeblieben) , 287a 16 = Fanf. II 252 il di feguenie (ohne
nochmaliges di nach fegu£nte)y 289a 13 = Fanf. II 256 conofciendolo
mit zwei Punkten, wie mir scheint, unter fo, eb. Z. 23 deUaltre foe
fciocche r difjipite comindo (nicht fcioccheze)^ 290a 22 == Fanf. II 259
7iorrv£ca (nicht Nomieca), 30 ib 3 = Fanf. II 285 del uederjt cojl i publico
\coJi fehlt Mn), eb. Z. 19 = Fanf. II 286 Jia (nicht fid) utile ma oportwao,
304b 18 = Fanf. II 291 no U piaccia di farejella ifino ad hora (besser
ware da hora) Upone che tu mai piu (die Worte ella bis intone fehlen
Mn), 31 la 7 = Fanf. II 305 coftette parole cheno montan cauelle (nicht
caualle), 3^3^ ^ 3 = Fanf. II 309 gUda/aea decto (M glele decto), 3 1 8b 7
= Fanf. II 320 Ji fforgaua (nicht /or<^aw«) di tirar uia^ 32pb i = Fanf. II
325 factogUJt incontro (nicht factojt gli Jvncontro) , 3 2 1 a 2 1 = Fanf. II 3 2 6
paurofe I nelle menti benigne r pieto/e (die Worte nach pam'o/e fehlen Mn),
352a 13 = Fanf.II 390 confro a vx>leri (nicht uolere) de padri^ 352b 3 i
= Fanf. II 392 leggi humane rplo laudeuole fenno del mio gijippo (die
auf leggi folgenden Worte fehlen Mn), 353b 8 = Fanf. II 393 uedula
%na gran grotta I quslla (kein r vor m), eb. Z. 1 7 = FaKf. II 394 aueua
fentito ui uennero (nicht uerme)^ 354^ 26 = Fanf. II 396 le lagrime e
(d. h. e\ nicht r) fofpirij eb. Z. 29 /<? non cofteif QuaU Jiati? quai
meriU? quali auangi aurebbon facto gijippo no curar di pdere i fuoi parenti r
quel di fofronia? non curar de difone/H mormorij del popolapo? non curar
deUe beffe r degli fchemi p fodiffare allamico fe non cofteif (wo Mn vom
ersten auf das zweite fe non coftd uberspringend mehrere Zeilen hat
400 Sitzung der phaosopbisch-historiscben CUsse vom 12. Mai.
aujsfallen lassen), 355a 1 5 = Fanf. U 397 i grandi (nicht grcuU; ubrigens
hatte nach den Deputati, S. 243 der Ausg. von Fantani, auch Mn
urspninglich grandi gehabt, wahrend im Drucke von 1761 grcuU steht),
355b 4 = Fanf. II 397 piaceuole per tutto (nicht iutta\ 357a 1 2 = Fanf. II
401 troppo pm che not no uagliamo (nicht uoglamo^ was nach Fanf. in
alien Handschriften stunde), 359a 18 = Fanf. II 405 r % alexandria
(nicht Alexandra) menato^ 360 a 17 = Fanf. II 407 dobiia (nicht dohito)
fera, eb. Z. 27 alexandria (nicht alexandra), 360b 4 = Fanf. II 408
rimaritaia (nicht maritata)^ 361b 9 = Fanf. II 410 di mente (nicht menii)
gliufdffero J eb. Z. 28 = Fanf. II 41 i erano (nicht era) perkj 364b 34
= Fanf. II 417 r che io uoglio (nicht uoglia)^ 365a 2 = Fanf. II 417
fra qui r (nicht ad) pochi di, 366 a 19 = Fanf. II 420 che egli aliri
(nicht altro) facto laueffe, 367a 8 == Fanf. II /\i\ m fe medejhna (nicht
medefimo) Ji dolea^ 367a 25 = Fanf. II 422 dadio r da uoi il ricono/cea^
367a 32 = Fanf. n 422 di mete ufcito no me^ 367b 3 = Fanf. II 422
xiu anni o piu (nicht r piu), 367b 26 =Fanf.U 423 come fe donna
di qui foffi {di fehlt Mn), 368a 10 = Fanf. II 423 conti da panago
(nicht Pagano)^ 368a 25 = Fanf. II 424 che (nicht e) faceffe che la
grifelda^ 369a 23 = Fanf. II 426 defferfi abhattuto (nicht abbathtta) ad
una J 371a 17 = Fanf. II 430 r molto (nicht molte) fpejfo afcoltare,
Ein Verhaltnis zwischen Mn und B, wie es die eben angefiihrten
Thatsachen erkennen lassen, lafst die Annahme, B sei eine unmittel-
bare oder mittelbare Wiedergabe von Mn, welche Annahme die zuerst
nachgewiesene Ubereinstimmnng in zahlreichen Fehlern nahe legte,
ganz unannehmbar erscheinen. Viel eher konnte man auf den Ge-
danken kommen, Mn habe B znr Vorlage gehabt, imd dem steht
kaum entgegen, dafs gewisse Fehler von B in Mn sich nicht
wiederholen; denn diese Fehler sind meist leichte Schreibfehler, die
ein einigermafsen aufinerksamer Abschreiber aus seiner Vorlage nicht
heriibemehmen konnte, es hatte ihm denn daran gelegen, auch das
zu wiederholen, was unter keinen Umstanden dem Willen des Ver-
fassers entsprechen konnte. Solcher Art sind die folgenden:
2 I a 2 1 = Fanf. I 49 facte uifoffera (statt foffero) , 2 3 a i = Fanf. I
53 r?o /i^ (statt lei) fcJiergaua^ eb. Z. 19 r occorfagli (statt occorfegli) una
nuoua malitia^ 24a 14 = Fanf. I 55 dalle femine premiere {^\sX% priefmere)^
33 a 30 = Fanf. I 77 piacda fia (statt fara) quefta^ 34a 2 1 = Fanf. I 79
qui da (statt di) uaghega, 35a 22 tuttal (statt la) fua compagnia, 93b 16
:= Fanf. I 209 di rofa (statt rofai) bianchi^ 94b 5 = Fanf. I 21 1 paffato
(statt paffata) la nona^ 103 a 5 = Fanf. I 230 cheio abbiajimo (statt
abbia biafmio), 137b 2 = Fanf. I 302 mefcolarmi tra run (statt uoi),
222a 23 = Fanf. n 107 dalla (statt della) qual uoi tutto (statt tutte)y
223a 28 = Fanf. II 109 tafcutata (statt trafc), 224a 32 = Fanf. Hi 12
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 401
con fatica (aus der vorigen Zeile wiederholt) hffa nanaOj 224!) 33
= Fanf. II 1 1 3 lamor dididiOj 2 2 5a 9 = Fanf. II i i 3 peruenne rneij eb. Z. 2 o
potato (statt portato)j 258b 9 = Fanf. 11 186 Madonna ioui coma (statt
corono)y eb. Z. 3 1 Dyone (statt Dyoneo) , 2 7 1 a 2 3 = Fanf. II 2 1 6 fendendo
(stsit fedendo) egli, 304b 1 1 = Fanf. II 291 tenandrai ad rinucdo palmerini
(statt palerminij wie der Name auch in B vorher lautet), 321b 24
= Fanf. II 327 del miracolo (statt miracohfo) fennOj 364b 34 = Fanf. II
41 7 p fetmre (statt feruare) ad uoi la promeffaj 365b 4 = Fanf. II 4 1 8
quegli uejUmenU (fehlt uenire) che facU aueua fare preftainente ^ 366 a 7
= Fanf. II 419 t (was zuviel) primierarnente la punfe, 366b 32 = Fanf.II
421 genarati (statt generati) gli aiiea^ 368b 14 = Fanf. II 425 uolendoti
(statt a te) infegnar^ 369a 24 = Fanf.II 426 quado fuor dicafa laueffe
fuori I camifcia cacciata (wb ein fuori zuviel ist).
Den berefits vorgefiihrten Thatsachen mSgen sich einige andere
anreihen, die nicbt ohne weiteres einer der drei Reihen sich einver-
leiben liefsen, die aber auch ihrerseits das Verhaltnis zwischen Mn
und B kennen lehren und Anhaltspunkte fiir die Feststellung der
Verwandtschaftsbeziehungen zu den welter zu untersuchenden Hand-
schriften geben mSgen.
An vielen Stellen ergiebt sich Ubereinstimmung zwischen B
und dem ursprunglichen Wortlaute von Mn, der erst durch
eine spatere Hand eine Abanderung erfahren hat, so i ib 1 7 = Fanf. I 26,
wo di cofa^ das B nicht kennt, auch Mn anfS.nglich fremd war, 27a 2 1
= Fanf. I 63, wo das in B sich nicht findende und ganz unmogliche
Bergamino vor morfe auch in Mn sich nur als Zusatz von zweiter Hand
findet, 32a I = Fanf. I 74, wo pa/fare nach aUa cafa di quefta donna
miifsig zugesetzt ist, 38a 13 = Fanf. I 86, wo von aduiene vor ancora
che dasselbe gilt, 46b 34 = Fanf. I 105 quello ffondolarono ^ wo ol in
Mn nachtraglich getilgt ist, 5 3a 2 3 = Fanf. I 1 20 fecer ueduto ohne lauifo
lorOy das auch in Mn erst zugefiigt ist, 56b 32 =:Fanf. I 128 t quel
mego iepo ohne das in Mn spater eingeschaltete del, 63b i = Fanf. I
142 das in Mn vor i cMamati erano zugeschriebene che fehlt B, 70a 3
= Fanf. 1 1 56 trapaffo ohne den spateren Zusatz di quefta uita, der sich in
Mn findet, 86b 3 = Fanf. I 193 irl loro prefentia uenire ohne la donna,
das von Mannelli selbst am Rande zugefugt sein soil, aber 4ceinesfalls
zu dulden ist, 97a 10 = Fanf. I 2 i 7 partefici, in Mn spater in partecipt
verwandelt, 98a 12 = Fanf. I 219 lacrefcono (d. h. la crefcono, was
nicht zu beanstanden ist, in Mn nachtraglich zu laccrefcono geandert)
I infinito, 102 a 33 == Fanf. I 229 gratiofa gli ft moftro (ohne fe, das
in Mn vor gli zugefiigt ist), 1 17b 8 = Fanf. I 261 aduUuppaua (was
vermutlich richtig ist, indem animo Subjekt ist; wer in Mn ein. no
anhangte, fefste Boccaccio's Gedanken nicht), 11 8a 31 = Fanf^I 263
402 Sitzung der philosophisch-histoiischen Classe vom 12. Mai.
T adtfegnare (ohne das in Mn zugesetzte pot), 119a 26 Fanf. I 265
k quali ragionate (oline auete)y 131b 8 = Fanf. I 292 tutto mifuenne
{m ist in Mn nachtraglich getilgt), 133a 27 = Fanf. I 295 quando ui
piacera (wo di rimeiterui spater zxigesetzt ist), 144a 20 = Fanf. I 318
cojt operarono (das entbehrliche , aber nicht stdrende cojl stand aueh
in Mn), 148b i = Fanf. I. 327 che il mio corpo (ohne de)^ 257a 16
= Fanf.II 183 fauie mogU (letzterem spftter e angehSngt inMN), 273b 34
= Fanf. II 2 2 2 helle galle (ohne das in Mn uberflussig eingeflickte di
gengiouo)^ 275b 1 1 = Fanf. II 226 aduenne ad quefto rinieri (ohne cojij
das in Mn vorangestellt ist), 299b 5 = Fanf.II 281 ma chef facto
ejuuolji (mit dieser Intei'punktion und ohne das in Mn spater zugesetzte
da hinter Twa), 309a 6 = Fanf. II 301 arroffo (woraus in Mn arrofJ%)y
355b 29 =Fanf. n 398 rib Uxfdo rifpondere (ohne das in Mn unn5tig
eingeflickte ToreUo vor non)^ ibl^ '* = Fanf.II 401 facto (ohne
das wahrscheinlich nur zur Erlauterung spater angehangte honore in
Mn), 360b 29 = Fanf.II 408 care (ohne die mufeige Erweiterung).
Eine Reihe von Abweichungen zwischen Mn und B ist der Art,
dafs zunachst nichts fiir die Vorziiglichkeit der einen oder
der andern Lesart spricht, der Entscheid also danach ge£allt
werden muTs , ob die eine oder die andre Handschrift iiberhaupt mehr
Vertrauen einfl5ist, oderwieweiterhinzukommendeZeugenesempfehlen:
1 2 a 34 = Fanf. l2jmafet quefto il mio parer ft feguiffe (Mn feguitaffe\
1 9 a 9 = Fanf. 1 44 di hellege (Mn helkza) ornata, 1 9 a 29 und 30 = Fanf. 1 45
loncornincio (Mn lo comindo) a pregare che . . . ritornaffefi (Mn ritornaffe),
19b 26 = Fanf. I 46 /w % fe fteffo (diese drei WOrter fehlen Mn) olbre
modo dolentej 21b 36 = Fanf. I 51 r (fehlt Mn) calui al quale, 28a 7 =
Fanf. I 65 al quale primaffo penfo di po^rui (Mn erste Hand poier)
^ff^^j 33^ 32 = Fanf. I 77 infino al (Mn alia) fine., 35a 1 3 = Fanf. I 80
duna (Mn da una) parte t unaltrOj 74b 32 =: Fanf. 1 168 uedutala (Mn
uedutola)y 121b 29 = Fanf. I 270 r didoffo gittatofi (Mn gittatafi) la
fchiauina, ij^sli = Fanf. I 382 Et da quella leuaiifi (Mn leuati), eb.
Z. 8 turbati de (Mn da) tuoi Ifortany, eb. Z. 28 mirare al damno (Mn
il danno)y 208b 12 = Fanf. II 76 gogolare (der Strich fiber dem ersten
steht etwas seitwarts und hat nicht ganz die gewohnliche Form,
Mn gogolare) y 21 la 30 = Fanf. II 81 adiu^nuta (Mn aduenuta)^ eb. Z. 26
di troylo (Mn Troyolo) r di crifeida, 2 1 3b 2 = Fanf. II 86 fie foffe
(Mn foffe la) cagione, 223a 29 = Fanf. 11109 teccherelle (Mn facrA.),
223b 10 = Fanf. Hi 10 inal facta con (Mn t con)^ 223b 12 affumicata
(Mn affumata)y eb. Z. 13 che Ji gitti (Mn gitta)^ 224a 8 = Fanf. II hi
fe non in piccola quantita (Mn parte) ^ eb. Z. 13 la mjoggior parte inai
udiH mm gli auea (Mn mm u. n, glauean) , eb. Z. 3 5 = Fanf. II i i 2 an-
datone (Mn andatofene)^ 224b 24 meffomio % (Mn per) camino, 2 2 5bi =
ToBLut: Die Berliner Handschrift dts Decameron. 403
Fanf. n 1 14 liquali . . era andati cercando (Mn andato), eb. Z. 29 =
Fanf. II 1 1 5 fo pena che io tiokua (Mn doueua) , eb. 3 2 da (Mn di) quefh
carbonij eb. Z. 33 fuoco nol cocera (Mn tocchera, was aucb in B
ursprunglicb gestanden haben mag) , 2 2 6 a 6 = Fanf. II i 1 5 camifcion
(Mn camifciotH)^ 226b 28 = Fanf. Hi 17 no p doner colopere (Mn nelle
opere)y 265a 7 = Fanf. II 203 gocciola (Mn gocdol) dacqua, 308b 8 =
Fanf. II 300 r ecco bruno foprauenne (Mn foprauenire) y 368a 5 =
Fanf. 11423 co animo r (Mn r con) cofiume donnefco.
Ungefahr dasselbe gilt von den nachfolgenden Stellen, nur dafs,
je nachdem die Lesart von B oder die von Mn bevorzugt wird, doch
einiger Unterscbied fiir den* Sinn sich ergiebt oder doch der
grammatiscbe Sachverbalt sich andert: iib 18 = Fanf. I 26
niuna rumella altra (Mn altro) che lieUij 12b 15 = Fanf. I 28 Ser cep-
pareUo (Mn CiappellettOj der erst in zweiter Linie der Person gegebene
Name), 20b 18 = Fanf. I 48 t guhjita, fraude^ midia r fupbia r Jimili
cofe (Mn t gulojita r Jtmili cofe)y 74b 20 = Fanf. I 167 che io uoi
(0 fehlt Mn) morire cacciarj 91a 5 = Fanf. I 204 niuna uenera (Mn
niu/n uera), 91b 5 = Fanf. I 205 delle (Mn dalle) nouelle ci pojlamo^
eb. Z. 12 tempo di (Mn da) penfarcj 121b 23 = Fanf. I 270 r lonuito
(Mn t I conuito)y 129b 3 = Fanf. I 287 ragunati (Mn ragunatd) una
parte de maggiorij eb. Z. 2 steht bei Mn facte doue accio^ wahrend in
B der erste Buchstabe des mittleren Wortes nicht zu erkennen und
hinter dem eher ein n als em u zu lesen ist, 134b 35 == Fanf. I
298 fe non di quello (Mn quella), 137a 1 1 = Fanf. I 302 della (Mn dalla)
mia eftimatione tganatOj 137b 6 = Fanf. I 303 raccontateui (macht den
Satz klarer, als er mit raccontate ist), 158a 4 = Fanf. I 348 che mi
faro la grafla (Mn grafcd)y fiber welches Wort Diez Wb. Ha Belehrung
giebt, 187a 19 = Fanf. n 28 fo letitia della gumane uedendolo (dieses
Wort fehlt Mn) tw fu rninore^ 207b 7 = Fanf. II 73 leuatajz (fehlt Mn)
da tauola Ji fuggij 208 a i = Fanf. II 74 del fuo amico (Mn amante)
ricordandojlj 211a 12 = Fanf. II 81 dal bel palagio (Mn poggio)y 3 1 la 24
= Fanf. n 306 ftafera ad buon ora (diese drei Worte fehlen Mn),
365a 8 = Fanf. n 417 Et (fehlt Mn) appreffo, 365b 6 = Fanf. II 418
coTue (Mn comegli) erano, 366a 14 = Fanf. II 419 honore o (Mn t) cofo-
laOonj 366b 1 1 = Fanf. II 420 fare di quello (Mn quelle) che io altra
uolta feci^ 367b 26 = Fanf. II 423 come fe donna di (fehlt Mn) qui
foffiy 368b 34 = Fanf. II 425 quefle cofe afcoltando (Mn fentendo) fedea,
369a 13 = Fanf. II 426 in iftato che (Mn fi che) egli^ eb. Z. 25 riufcito
{riufcita) ne foffe una bella roba.
Zimi Schlusse lasse ich eine Reihe von Stellen folgen, bezfiglich
deren es von Wichtigkeit sein kann zu erfahren, dafs B mit Mn
in der Lesart ubereinstimmt, wahrend doch sicher die erstere
404 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 12. Mai.
Handschrift eine Wiedergabe der zweiten nicht ist, yiel eher die
zweite eine Abschrift der ersten sein konnte:
39b 7 = Fanf. I 90 t effendo ogni cofa prejla r niuna altra cofa
che latienuia del marche/e era dallei afpectata, wie Boccaccio doch wohl
gesagt haben kann, obschon Fanfani sich auf eine Stelle beruft, die
hiefur nicht in Betracht kommt, 47 a 4 = Fanf. I 105 faccendo i mari
altifjtnuy 52 a 2 = Fanf. I i 50 fonnochiofay welche Form mir aus fan-
necchiofa wie fonnogliofo aus fonnigliofo unter Anlehnnng an occMo,
oglio entstanden scheint, 61 a 24 = Fanf. I 137 t i conuitatiy 6ib3o
= Fanf. I 138 feco la fpina menandone, 89b 4 = Fanf. I 200 quato e
io no mi ricordo, welche Stelle ein Beispiel einer bemerkenswerten
Art von utto koivov gewahrt, indem die Bezeichnung der sprechenden
Person, die immittelbar nach einander zweimal (erst a me, dann io)
aufzutreten hatte, nur einmal steht und zwar in dem Casus, den das
Nachfolgende erheischt; ahnlich 138 b 20 = Fanf. I 305, nur dafe dort
bei Gleichheit der Casusfunktion des gemeinsamen Satzgliedes in beiden
Satzen, die Erscheinung noch leichter begreiflich ist; was J^anfani zu
der zweiten Stelle bemerkt, zeigt, mit wie wenig eindringendem Ver-
standnis und mit wie wenig Sinn fiir volkstiimliche Rede er seine
Trecentisten gelesen hat, 99b 6 = Fanf. I 222 farehbe uitupero recato,
104 b 17 = Fanf. I 234 hi m^cciere (was mir noch ganz unerklSrt
scheint), 121 a 17 = Fanf. I 269 a mafactori d. h. ma^ factori (wie man
etwa afie. sagte eftoit fe^ max vicellans, R Cambr. 2336), i2ib2o =
Fanf. I 270 cofa alcana altro che hudeuoh (anders als i ib 18 = Fanf.
I 26), 129b 22 = Fanf. I 288 pianamente, 137 b 32 = Fanf. I 303 una
ftta donna moglie, 138b 20 = Fanf. I 305 quanto e ad me non e paruta,
150 a 27 = Fanf. I 332 innanpi ad quelld^,da ridere, wo queUa, auf fine
bezogen, durchaus nicht anstofsig ist, 1 54a 6 = Fanf. I 339 fu ad una
figliuola mit einer durchaus nicht ungewShnlichen Attraktion, 156 b
1 2 = Fanf. I 345 noio/o gli foffe accio fapere und fenza far motto (nicht
moto), 1 58 a 23 = Fanf. I 350 furono (ohne indouini), 1 58b 16 = Fanf.
I 350 ponte carraro, 167b 4 = Fanf. I 369 di qui domaney 169b 3 =
Fanf. I 374 ac? menarlo piu forte, 1 7 1 b 24 = Fanf. I 379 non p tanio
p quefto r p quello, 181 a i = Fanf. II 14 martuecio (nicht marctwdo),
1 82 b 3 2 = Fanf. II iS al re il rapporto, 1 88 a 6 = Fanf. II 30 pure una
(ohne uolta, was mufsig) prefo tempo, 190a 29 = Fanf. II 35 dileticaie,
199b 29 = Fanf. II 56 che ftar ft u^lea, 202 b 32 imd 204a 7 = Fanf.
n 63 und 65 no auea imd no abbia, 204b 30 = Fanf. II 67 mi ftarei
ma, 206b 28 = Fanf. II 72 dalale un pego di came, 216b 17 = Fanf.
n 94 laltra cofcia r laltro pie fuor mandata, 270b 30 = Fanf. II 215
difonefta no fla (wo das Satzgefage allerdings etwas locker erscheint),
274b 7 = Fanf. II 224 caUmdriTio (mit unbedenklicher Anakoluthie),
Tobler: Die Berliner Handschrift des Decameron. 405
279 a 1 8 = Fanf. n 234 pienamente, 28 1 a 5 = Fanf. II 238 della mi/era
(ohne donna) y 290b 9 = Fanf. II 260 noi non gU abbiamo (wo Fanfani
die Lesart von 1527 nicht richtig anzugeben scheint), 291 a 4 = Fanf.
n 261 alia brigata r effendomi^ 292 b 3 = Fanf. II 265 Ji carapignauano
came que Jignori, was mix vollig dunkel ist, 299b 35 = Fanf. II 282
che ftia alcuno inamoraiOy 301 a4, 14, 16 = Fanf. II 284, 285 pre/to
ad J ferrara, diuenne fofpectofa , 304 b 4 == Fanf. II 291 motto ^ eb. Z. 24
gia primo fonno (die erstere Stelle darf man nicht andern ohne zu
erwagen, dais 156 b 12 = Fanf. I 345 genau die namliche Tautologie
uberliefert ist) , 3 1 3 b 3 5 = Fanf. II 3 i i fojla, 3 1 7 a 3 5 = Fanf. II 3 i 8
no (nicht nol) ricor/e ad emendare, 357 a 10 = Fanf. II 401 uauam
domandatOy 357 b 25 = Fanf. II 402 io delle robe il mio Jignore ueJUto
CO not (vergl. 359b 17 = Fanf. II 406), 358a 30 = Fanf. II 403 ad
me quefta uolta.
Sitzungsberichte 1887. 3d
407
Epigraphische Miscellen.
Zweite Reihe.^
Von JuLros Euting.
(Vorgelegt von Hrn. Dillmann am 28. April [s. oben S. 337].)
Hierzu Taf. VI bis X.
No. 99. Hr. Dr. A. Erman, Director der orientalischen Abthei-
lung des Koniglichen Museums zu Berlin hat, unter der reichen Aus-
beute seiner agyptischen Reise, von der Insel Elephantine neben
anderen demotischen und griechischen Scherben auch ein aramaisches,
auf beiden Seiten beschriebenes , Stuck mitgebracht , das trotz seiner
fragmentarischen Beschaffenheit als erster Vertreter dieser Gattung
hervorzuheben ist. Aus den abgerissenen Worten (r»Traum, du hast
geschaut^ du (Frau) soUst verkauferij sie sollen essen^) lasst sich nur
so viel vermuthen, dass hier das Bruchstiick eines Zaubertextes
vorliegt, vielleicht die Anweisung fiir eine Priesterin zur Deutung
von Traumen und zur Vornahme damit verbundener symbolischer
Handlungen.
Der Schriftcharakter ergiebt keinen Anhaltspunkt far die Zeit-
bestimmung ; wenn auch das Aleph noch mit einer gewissen alter-
thumlichen Umstandlichkeit behandelt ist, so zeigen doch andererseits
Beth und Kaf sehr abgeschliffene Formen; ich glaube desshalb kaum
hoher als an die Grenze des 4. bis 3. Jahrhunderts vor Chr. hinauf-
gehen zu sollen.
A
Dbn *n -pD
1
T^Jetztj siehe (?) ein Traum . . .
pal rr^tn a.
2
. , , du hast geschautj und von . . .
n3K in KDna>
3
. . . selbiger Zeitj ich . . .
ixxto Disn
4
. . . wdrme stark, . . .
-m ■^mn
5
1
, . . du wirst schauen ein G€s[icht] . . .
T n^^btJ
6
. . . ihre Worte (?) . . .
rhtj
7
. . . Friede . . .
* Vergl. [erste Reihe] Sitzungsberichte 1885. S. 669—688 und T. VI "Xl^-
(S. A. XXXV).
38*
408 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — MittheUung v. 28. April.
B
'^nitr p "p^D 1 jetzt, wenn meine Mischung (f) > - >
Ittrt ■»31Tn bStt 2 du (F,) sollst verkaufen; sie . . .
•^pr l^DK*^ 3 ... nwgen sie esserij er wird Idutem . . .
i^b ibrt 4 ... siehe nicht . . .
^» 5 . . • Rest . . .
*P'0'p 6 ... zart . . . «
Das zweimal (Ai, B 4) yorkommende lblf7]| ist vielleicht mit
NoLDEKE als Nebenfonn ftir das biblische 'inj^ i» siehe • aufzufassen.
A 2 geht dem Worte tr^TnJI ein Zeichen voraus, das ich als ein
in seine zwei Striche aufgelostes y ansehe; es miisste trotz der man-
gebaden Wortabtheilung als Endbuchstabe des vorausgegangenen ver-
lorenen Wortes betrachtet werden.
B I "^nitr]! Bei der mannigfachen Bedeutung des Stammes ntr
lasst sich nicht entscheiden, was gemeint ist: ^ meine Mischung ^^
» mein Unterpfand^ ?
B 2. Der Anfang ist nicht sicher: bbtt? In diesem Fall musste
der obere Strich des ersten Lamed mit dem Schaft des ) in der ersten
Zeile zusammengeflossen sein; oder gar %p? wie im aramaischen
Papyrus des Louvre/ dort ^gemein^ von Weinsorten.
B. 3. Die Form lbD«*^]| ohne Nim ist sehr beachtens werth ; sie
ist, wie NoLDEKE^ zur Inschrift von TeimA, Zeile 11, gezeigt hat,
dem Optativ oder Sussiv vorbehalten, wie im Biblisch- aramaischen
Jerem. 10, 11. Dan. 5 , 10. (Esra 4 , 12).
B. 6 V'opll = ( ^ V" *zartj, dilnn^.
No. 100. Bei Hm. Dr. Kkall in Wien sah ich, bei Grelegenheit
des Orientalisten- Congresses im September 1886, einige Photographien,
die er aus Agypten mitgebracht hatte, darunter auch das Bruch-
stuck eines aramaischen Papyrus, welcher im Museimi zu Btll^ sich
befindet. Ich erhielt dann durch die Giite des Hm. Emu- Bkugsch-
Bey, zweiten Directors des Museums, sowohl von diesem Papyrus,
als von dem syrischen Vater-Unser (s. No. 1 14) eine Photographic.
Irgend etwas Zusammenhangendes lasst sich nicht daraus, herstellen.
Ich glaube zu sehen:
1 nip • • tth N'i'aD i
2 • KWTp II '^'OTOi 2 »i4w 2. des Pachomij die (weibl.) Verwandten
3 p :^ttn nnptib 3 die Ausgaben (f)
4 ••'Tp nrep-Tpti Hill 4 Pa-kerke-ptah
^ Vergl. J. J. L. Barges, Papyrus egy pto - arameen du Louvre. Paris 1862. 4. p. 7.
» Sitzungsber. 1884, 817 (S. A. XXXV, 5).
Euting: Epigraphische Miscellen. 409
«
5 ♦ • ♦ Db)»K bD 5 &amme der . .
6 n-oK 'iSp 6 . . .
7 btOK rtDnbn 7 . . .
8 ♦ • rmirtK 8 5^/1^ Schwestem^
9 9 . .
Uber den Eigennamen in Z. 4 erhielt ich auf meine Anfrage von
Hm. Dr. Erman folgende Auskunft: »nrepnp6 ist eine Form von nn-
gew5hnlichem Werth. Uber die Deutnng ist kein Zweifel moglich.
Es giebt eine grosse Zahl von Ortsnamen, die in den griechisohen
Urkunden Agyptens vorkommen und zusammengesetzt sind aus xepxe-
iind einem Gottesnamen , z. B.: K£px€(rot/X)0^* K£px€»)(ri^ u. s. w. Es be-
deutet das etwa y»Ausstattung des Sobk^ , y» Ausstattimg der Isis^ , von
^^^ \ grg^ dem Worte, das vom Ausstatten der Tempel mit Giitern
und Besitz gebraucht wird^; es sind das also wohl die Tempelgiiter.
Von solchen Ortsnamen bildete man, ebenso wie von anderen, Per-
sonennamen durch Vorsetzung des sogenannten Possessivartikels Trot,
z. B. notxgpxe>)(no^ ^der von Kerkehe^. Ein solcher Name ist nun auch
nntpnpfi pa-qerqe-Ptah. Das zu supponirende 6RGPTH hat Wu-cken
in einem griechisehen Text^ wirklich gefimden; es ist dort KepKef^'U
geschrieben. — Was an diesem Namen so merkwiirdig ist, ist die
Schreibung. Das Kspxe- ist in koptischer Orthographie so nicht erhalten,
doch kommt es sicher von ® ^ | (^(op^ imd ist gewiss nur die
tonlose Form zu <5^h^€ y^MitgifU. Es ist nun sehr wichtig fiir uns,
dass dies ^ hier mit p wiedergegeben ist; es ist das wieder ein Hin-
weis, dass wir mit unserer Aussprache des ^ wie dj irren, wenigstens
fiir die vorchristliche Zeit. Fast noch interessanter aber ist das n in
nnfi;^ es zeigt, dass der Aramaer in £ X noch das n 8 richtig geh5rt hat,
wahrend die Orthographie des Koptischen es nicht von rt ra scheidet.
Es ist mir schon lange zweifelhaft, ob sie dabei in ihrem g^ nicht
etwa die beiden verschiedenen Laute rt und n zusammenwirft. «
No. 101. Sudbabylonien hat in den letzten Jahren eine ganze
Anzahl gleichlautender Ziegelstempel mit aramaisch-griechischer Doppel-
legende geliefert. Hr. Denis de Rivoyre hat in seinem Werke Les vrais
Arabes et leur pays (Bagdad et les villes ignorees de TEuphrate) Paris
1884, p. 256 die erste Kunde und Abbildung davon gegeben; Prof.
E. ScHRADER hat sodann in den Hebraica Vol. U, No. i (Chicago, Oct.
* Z. B. Harr. 26, 2; 58, 8; 59, 4; ebenso vom Ausstatten des eigenen Hauses,
daher grg-pr *sich verheiraihen'^ , ^pH^e *Mitg%ft^,
* In dem unpublicirten Pap. Londin. 99, col. II.
' Findet sich ubrigens auch auf den phonikischen Inschriften zu Abusimbel
(C. I. S. Ill) in der Verbindung rmnay *Abd-Ptah mDiener des Ptah*.
410 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — Mittheilung v. 28. April.
1885) p. I — 3 dariiber gehandelt, (vergl. die Mittheilung des Grafen
DE Vogue in den Comptes rendus de I'Ac. des Inscr. Paris 1884, p. 201
und E. Ledrain in der Revue d'assyriologic et d'archeol. or. Paris
1886, I, 4, p. 163). Auf dem Orientalisten - Congress zu Wien (Sept.
1886) hat dann Hr. Rev. W. H. Hechler, englischer Gesandtschafts-
prediger daselbst, einen solchen Ziegel in natura vorgelegt. Ausserdem
ist mir noch bekannt die heliographische Abbildung zweier solcher
Stiickean dem Werke: Decouvertes en Chaldee par Ernest de Sarzec;
Ouvrage accompagne de planches public par les soins de Leon Heuzey,
Paris 1884. 87, Planche 37, No. 11. 12. Ich gebe hier nach zwei
Exemplaren, welche ich im Mai 1886 im Ethnographischen Museum
zu Berlin copirt habe, eine Zeichnung. Die Lesimg ist:
3 n n n
Hadadm
n K 3 n
dindh
AAAANA
"k^aJ^u^
AINAXHC
^ivoL%y\g
nK3T3T*7rj]| ^Hadad hat einen Bruder gegeben^ entspricht, wie Schrader
gezeigt hat, ahnlichen assyrisch-babylonischen Bildungen wie NabA-
nMin-Ah y^Nebo hat einen Bruder gegeben^ u. s. w. Vergl. auch noch
den Aufsatz von Schrader: Die Namen Hadad, Hadadezer, Benhadad
und ihre keiUnschriftlichen Aequivalente , in der Zeitschrift fiir Keil*
schriftforschung 1885, 11, 365 — 384.
Die aramaische Schrift m5chte ich nicht hSher, als an das Ende
des 3. Jahrhimderts v. Chr. hinaufsetzen.
Nr. 102 (palm. 41). Diese Inschrift z weisprachig , befindet sich,
ebenso wie Nr. 103, zu Palmyra auf der Console einer Saule im
grossen Tempel selbst. Bei meinem Besuche Palmyras im Juli 1883
habe ich mir den palmyrenischen Theil abgeklatscht, und dem griechi-
schen keine weitere Beachtung geschenkt, in der Voraussetzung, dass
derselbe schon so und ^ so oftmal aufgenommen worden sei. Ich sehe
aber jetzt nachtraglich , dass nur der griechische Text von Wood
(Nr. 22) copirt, imd danach C. I. G. 4478 = Waddington 2578 wieder-
holt worden ist. Der griechische Theil lautet:
lloLXiJLVpYivSiv ^fxog evvoioLg evBKot,.
Der palmyrenische:
Dp [>i] yn bnantt *^:i[i] vfrroD *^:i nb n^ -^n 2
«-t?T1 Kin nte lis bll pnDti'Tl 4
III "13"! Ill ro» Ttii m*^i nnp-^b 5
Euting: Epigraph ische Miscellen. 411
y^Bild des Haiakj Sohnes des Nesd^ Sohnes des Bdlfkd Hasaij \ welc/ies
ihm gemacht hahen die Bene Kumdrd und die BenS Mattabdlj nachdem er
sich I an ihre Spitze gestelU hatte^ und Friede . zwischen ihnen gestiftet^ und
besorgt | ihre enge Yerbindung in jeglicher Sache ob gross oder gering^ \
zu seiner Ehre im Monat KanAn im Jahre 333,^
Z. I . tmi]\ auch belegt durch twn "^an auf Thontafebi bei A. D.
MoRDTMANN, Ncuc BeitiT. , S. 56 No. 57 und bei E. Ledrain in der
Revue d'assyriol. I. fasc. 3, 115. Der vorliegende Hasas gehorte, wie
aus dem griechischen Theil zu ersehen ist, dem Stamm Kumdra an.
Knb'D]! (nicht mit Ledrain, Dictionnaire des N. pr. palm. p. 13 fur
KjnWa) sondern mit Wright, Proc. Soc. Bibl. Arch. No. 1885 fiir Kntt'ia
T^Bdl wischt aus (die Sunden)^.
Z. 2. tjnoQ *^3l]| (pvXyi rm XofjLUpyivSov ^der Stamm Kumdrd^ benannt
nach einem nicht weiter bekannten Ahnen ^nia^is (diese Punctation in
Targg.); vergl. dazu das N. pr. m. \ofxpog (Gen. XOMPOY Wadd. 2389),
dessen Form auf das specifisch syrische f<'^^aoc^ kumra ^uruckgeht.
b^oma "^iJI = (pvKyi rm Mfltl^S-oe^wX/wv Wadd. 2579, siehe unten auf
der Liste.
Ich will hier alle auf palmyrenischem Gebiet sich findenden Ver-
bindungen von "^ai mit einem folgenden Ahnen- oder Vatersnamen auf-
fiihren; die sicher als Stammer- oder Familiennamen nachweisbaren sind
mit vorgesetztem * ausgezeichnet, die ohne dieses 2^ichen aufgeffihrten
beziehen sich vielleicht nur auf eine Gruppe imbenannter* Personen
(»S6hne«), die von einem N.N. abstammen. Von den rein griechischen
und rSmischen Familienbezeichnungen wie (pvXvi KAetuAiow, XBirrlfjuoi
^1'^tJ'Dto (de Vog. 28. 29) u. s. w. will ich hier ganz absehen.
fcW^b'D "^ai 1^ Sdhne des BdV d^ ^ Euting, Ep. Misc. No. 108 s. unten
(= DE Vog. 134).
[WWD'in *^3l] (y^Sohne de^ Barse'a^J, falsche Lesart bei de Vog. 134
fiir xr^b'D '^3a.
[©tJimi '^3n] y^Sohne des Bafsemei^^ Euting, Ep. Misc. 5, 6.
[nrtitiin] (Hantigharf), s. bei «bn -^i.
bnnTlT •'Di* y* Stamm Zabdibohy deVog. 10. 12 (= Wadd. 2595 ol iy
[= Ix] yivovg Zoe^AiSwXe/wv) ; vielleicht auch A. D. Mordtm.,
N. B. p. 60, No. 69.
■^ntan "^a* y^ Stamm Hatart^, de Vog. 132.
tfbn *^3n y^Sohne des Hdld^y de Vog. 31.
nbn "^Dn * » Stamm Hdld^ Abtheilung « , "irtitDirt rco ya rbn ■^31 p
DE Vog. 67, 2.
* Da viele sich auf den kleinen Thontafeln befinden, so kann man annehmen,
dass die Personennamen der einzelnen Sohne nur aus Platzmangel unausgedruckt blieben.
412 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — Mittheilung v. 28. April.
'rfm na* *Stamm HdM^ am «, (?) nT^an p nbn na pa
DE VoG. 67, 4.
•^an *^Dl » Sohne des HanafU , de Vog. 133.
tttan '^31 y» Sohne des Hasai^y A. D. Mordtmann N.B., S. 56, No. 57,
Ledrain in Rev. d'assyr. i, fasc. 3, 115 f.
bny^T "^l 9 Sohne des JedVabeh oder ^Jeri'^abeUy Mordtm. S. 55
No. 5 1 (= Berlin , Mus.).
bam'' "ijl* y^Siamm Jeri'abeh, de Vog. 16 (im griech. Text Wadd.
2585 nichts Entsprechendes).
vrtoro "^1* ^Stamm Kumdrd^^ Eut., Ep. M. 102 = <p\jXi\ XofjLotfyivwv
Wood. 22.
(?) 'tt'tttt ■'ai y^ Sohne des Magog ^^ so vielleicht zu lesen bei Mordtm.
S. 55 No. 53 (welcher unbegrundet *ttiM liest).
DTSitJ ''aa* y>Stamm MigdaU oder * Migrate ^ Oxon. i (de Yog. p. 72.
No. 123*) mm "^aa nnio p Levy ZDMG. 1864, 18,71 imd
1869, 23,183. NSldeke ZDMG. 1865, 19,639.
KD-^B ''3a* ^Siamm Mttd^ (Maitd), de Vog. 30, a. b.: KD-'ta -oa pa "n,
DE Vog. 32: wra -oa nro pa -n.
>T:na ''Sa* ^Stamm Ma'zydn^, Eut. Ep. M. No. 4: 'tt 'a pa n.
[nstttt ''Sa] (»S(JAw^rf^5il!fa555'o«, falscheLesart bei Mordtm. P.55N0.53;
ich erkenne dort auf der Photographie 'tt'tt'O ''Sa, siehe oben).
[TT'l^iro bK] nabat. 5 aus Bosra bei de Vog. p. i 06 ist zu tilgen,
nnd dafiir mit NSldeke (bei Euting, Nabat. Inschr. S. 63)
wohl zu lesen "^ysttti J^ibK ^der Gott des Su^aibu^.
b^DDB ■'aa* ^Stamm MattaboU, Eut., Ep. M. 102; vergl. ma^^ct^w-
Xlwv (f>vXyi Wadd. 2579 (2624; de Vog. 70) und S. Aba-
melech Lazarew, Palmyra. St. Petersb. 1884. P^- ^
= DE Vog., Inscr. palm, inedites (Extr. du Joum. as.)
1883 P- 41- 'tt 'a p '^n (f>vXvig Mfl6v^i3wA£iW. p. Schr5der,
N. palm. Inschr. in : Sitzungsb. d.Berl. Ak. 1 884 (S. A. XXI)
S. 437 (2O: ^rtn ■'aa nnti pa n.
[y^tp b«]* hauran. 5, de Vog. p. 96 y^Familie des Qusajju^ (^5^ JO
siehe N5ldeke bei Euting, nabat. Inschr. S. 6^.
?? ? ' ^
[ktid ''aa] bei Mordtm. S. 57 No. 55, sind (ohne Abbildimg) un-
controlirbar und auch von vomherein unwahrscheinlich.
ptflD "'Da 9 Sohne des SchammHn^, Mordtm. S. 54 No. 49 (= Berl.
Mus.) c^tft^aju.
[? Ktt'Ti ''3a] Mordtm. S. 55 No. 52 sind nach der Abbildung wohl
richtiger tnB''n ''3a.
? ■nsT "Oa "^ Sohne des Tazmi^y Mordtm. S. 55 No. 50 sind unsicher.
trroT ■'3a y> Sohne des TaimresA^^ so ist wohl bei Mordtm. S. 55
No. 52 richtiger zu lesen.
EuTiNo: Epigraphische Miscellen. 413
Z. 3 VfXhftO Taj?]! so auch vielleicht auf dem Thonsiegel bei Mordtm.
S. 57 No. 59 pTrnK* rmbio Taj? t^Es hat Frieden gemacht Arahdon^ (oder
gar Warahron)^
Z. 4. prnttnijl Das Wort •pana hat mir viel Schwierigkeit gemacht.
Der Stamm Dm liefert im AramSischen , wenigstens im edessenischen,
nichts fiir hier Brauchbares, und es ist daher Xona als ein fremder
Eindringling axis dem arabischen Sprachgebiet, mit aramS-ischer Endung,
anzusehen. Die ftir hier nothwendige Bedeutung y^enge Verbindung^
ist nur zu gewinnen aus dem arabischen ,.y I. ^fest drehen^ von
verschiedenfisu-bigen Faden, imd von einem Seil, IV. zwei Stucke
^ o
"^eng verbinden^ , auch ubertragen: J J ^^Befestigung einer Verbindung,
AlUanz*.
Z. 5. Das Datum KAnAn 333 entspricht dem November des
Jahres 2 1 n. Chr. Es ist also vorliegende Inschrift (nichst de Vog. 3 o :
vom K4nibi 304 = Nov. 9 v. Chr.) die zweitaiteste datirte Inschrift
aus Palmyra-
No. 103 (palm. 42). F. 0., St. 0.: Palmyra, gr. Tempel, auf
einer SSulenconsole.
^ «bn nn «03 nn Kbn ^ «03 -^n nsn K-obs i
pbo '^n rxmnio -^sn nb nyv^ "^n '^o^ ^ b«tin 2
[pnb] nt» *^n b^^na K^abK -pan mc p nw 3
[rry^i] nbD *DX ban p-nn •pHtna Dpn 4
III "^ 33 — J[l]lll ro[»] fo'^a [nra] 5
^Biess ist das Bild des Nest, Sohnes des Hdld, Sohnes des Nest,
Sohnes I des Refd ^H, Sohn des 'Absaj, welches ihm errichtet haben die
TheUnehmer der Karawane, die fieraufgestiegen waren \ mit ihm von Furdt
und von Ologesia, darum doss er sich schim gegen sie erzeigt | und sich
an ihre Spitze ge^tellt, und sie versorgt in jeglicher Sache. | Im Monat
Nisdn im Jahre [CJCCCLIIU
Diesem entspricht der griechische Text bei Wood p. 27 No. 5
(darnach CI6 4489 = Wadd. 2589):
Neo"?) 'AAS toS Neo"?) tou *AA2 toO 'FefiXov tov ^Kfi<T(Tzov (lies 'k^i(T(7iov)
(Tvvo&iofyjViv ol (TvvuvoLlioLvreg \ur ocvrov efxiropoi a/Ko ^opoiB'OV xe ^OKoi/yA(TioL&og
reifJLYig kou ev%oLpi(TrUg cvexcv, erovg yvv' fxrivog Sot^vS[iKov].
Z. I «03] Ng(ri) = «'^te3 T»der Erhabene* (oder KtfD? y^derVerge^ene^?);
Nebenform M5D NccTflt Euting No. 102, de Vog. 5 i . 6 1 . 68 (= Eur. 20) 76.
Oxon 1 (= DE Vog. 123a).
Kbn]| HAU = JLi> y^Oheim, Mutters Bruder*, auch Sachau 18 in:
ZDMG. 1881. 35, 746. Vergl. N6LDEKE ZDMG. 1886. 40, 172.
Z. 2 xa:?]| ' Absaj , demnach steht wohl im griechischen Original
nicht APICC60Y sondern ABICC60Y; der Name gehOrt zusammen
414 SitzuDg der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — Mittheilung v. 28. April.
mit ^a4/ouov Wadd. 2582 und 'Asl/ouog bei Zosimus I, 60, und dem
Deminutivum im nabat. ^oBoci(roi!^ogWADD. 2172, 'Ol^io'&og Wadd. 2 148,
''OlioLiCocroi Wadd. 2364, tW^^ bK = ^fxog twv 'O^ocicyivm (Si'a 3 =)
Wadd. 2366, vergl. arab. jj**^^, ^jJ-ac, ^j-saa^, x^.axc (und unsicher
pabnyr. IXO^P (vielleicht eher KTn:?) bei Pognon i in : Revue d'assyriol.
1884, I, p. 77). Kn*vn& '^31 ^die Genossen der Karawane^^ s. de Vog. 4
p. 8 flf.
Z. 3. mfiJI = ^opo&og. Darunter ist nicht etwa der Fluss Euphrat
zu verstehen, sondem die Stadt in der Nahe des Tigris auf einem
Hugel gelegen, welche volLstandiger l^'^tt'l ittb^ Perilth de-M^SAn (Tractat
Joma loa als Ubersetzung des biblischen "TV rmim i. Mos. 10, 12)
Oder auch bei den Syrern einfach \* >'' *^ Mais4n, bei den Arabern
qL^sj^o heisst. Sie ist noch etwas unterhalb von Basra gelegen, s. Wadd.
2589 und DE Vog. p. 8 ff., vergl. Saint-Martin, Recherches s. Thist.
et la geogr. de la Mesene et de la Characene. Paris 1838. 8. und
Reinaud im Journal as. 1861, 11, 161 — 262.
K'TObK]! pVologesias^y s. Noldeke in ZDMG. 1874, 28, 94 ff. und
de Vogue No. 4 p. 9 ff., fenier A. D. Mordtmann, Neue Beitrr. S. 6 — 12,
auch dessen Excurs uber Charax Spasinu S. 12 — 16.
Bei dem Datum ist Einhimdert zu erg&nzen ; aus dem griechisehen
Text geht hervor, dass der Nisan des J. 463 Sel. (= Apr. 142 n. Chr.)
gemeint ist.
No. 104 (palm. 43). St. 0. : Berlin, K. Museum.
Zwei weibliche Statuen; darunter:
Kn^^at rro «ian nmn '^nn©
*Tammdj die Tochter des Zebeidd^ ^Sabhaj^ deren Tochter.*
Ktanjl y»die Redliche^, und
^n^10]\ Ti^Ehrenpreis^ sind mir bis jetzt nicht bekannt gewesen.
No. 105 (palm. 44). St. 0.: Berlin, K. Museum. Buste; daneben:
nnn *^na ^Bitti^ die Tochter
•in ^try^ des Jarhaj^ Sohnes
bin "^m*^ des JarJmj. AchU
No. 106 (palm. 45). St. 0.: Berlin, K. Museum. Biiste.
nn KDt:n« ^EutycheSj der Fret-
KOTDbtJ ^^ gelassene des Malchitsd.
bin Ach U
«lt:nK]| EvTvyj^g s. P. Schr5der in ZDMG 1885, 39, 354^ No. 6.
'nn ni]| Hbertus s. E. Sachau in ZDMG 1881, 35, 737ff.
KoniVDJl seltsame Bildung. Das aus dem semitischen "obta heruber-
* Zum Unterschied von cp o^na n rrm, welches mit hVd identisch sein soil.
EuTiNo: Epigraphische Miscellen. 415
genommene latinisirte Malchus wird hier selbst wieder aramaisirt
durch Anhangung der Endung des Status emphaticiis.
No. 107 (palm. 46). St. 0.: Basel, Museum der Universitat
(Gesehenk von A. Socin). Bftste mit fi'agmentarischer Reischrift:
-n nnK »^b['o] ^(Makkajf)j die Frau des £?-«
No. 108 — no palmyrenische Thontafelchen im Besitze des Hrn.
Jacobsen junior in Kopenhagen.
No. 108 (palm.* 47) ist ein besser erhaltenes Exemplar, im Ubrigen
identisch mit dem bei de Vog. PI. 12, 134 abgebildeten.
K2^ll -^ai ba ip^ ^M6ge beschiitzen B61 die Sohne des Bdl'd^.
Die Etymologic des Namens iC^Vn kann ich nicht ergrunden.
No. 109 (palm. 48).
A: Buste eines Mannes mit bebandertem Kogel.
R: Widderkopf, darunter:
■^nCKjl erinnert an das seltsame nabataische N. pr. fem. vnCK bei
EuTiNG, Nab. Inschr. No. 4, 31 und 24, 3.
No. 110 (palm. 49). Ein Exemplar der schon vielfach bekannten
Tafelchen (de Vog. No. 129 p. 79). In der zweiten Zeile kann ich
jedoch nicht wie de Vog. will fct'inin, sondern eher etwas, wie i^i) "^1
itnn erkennen.
A: 1Wa» ^Sirridn^
PK-m-in?
R: nD*nt& ^Soraikhu^
P^imn?
No. Ill (palm. 50) in meinem Besitz.
A: bn pM r^Moge BSl beschiitzen U
R: Ein stehendes Kameel; daniber: zerstSrte Legende.
No. 112 (palm. 5 1) in meinem Besitz (Gesehenk des Hrn. Dr. Lorange
in Beirut).
A: Ein Mann auf einem Ruhebett; im Hintergrund Reben-
ranken, darunter:
bl-^niSD » KamribSL «
ba*^-raD]| N. pr. m. ^Priester des Beh , auch bei Sachau in ZDMG
1881, 35, 734. AuflEallend ist das Vorhandensein eines Jod.
R: Ein Oleander (?) -Strauch, rechts und links davon je ein ^
No. 113 (palm. 52). F. 0.: Palmyra. St. 0.: Strassburg, in meinem
Besitz. Eine mannliche Biiste hS.lt in der linken Hand einen schmalen
Streifen, auf welchem von oben nach unten geschrieben steht: S <
-^
ft
416 Sitzung der phil. -hist. Classe v. 12. Mai. — MittheiluDg v. 28. April.
No. 114 (syrisch ca. 500 n. Chr.). St. 0.: BAlAq, Museum.
Hr. Dr. Krall zeigte mir zu Wien die Photographie eines syri-
scnen Vater-Unsers, das aus Ober-Agypten stammt, und kurze Zeit
nachher erhielt ich durch die Giite des Hm. E. Brugsch-Bey ebenfalls
einen Abzug. Der letztere theilte mir brieflich folgende nahere Um-
stSnde mit:
•Was das syrische Vater-Unser betrifft, so ist dasselbe in einem
Gew5lbe bei Deir el-bahari (Qoumah-Seite) gefunden worden. Das
Grab, der XII. Dynastie angehorig, ist spater in eine koptische Capelle
umgewandelt worden , zu welchem Zwecke die Wande mit NiLschlamm
und Stuck uberzogen wiu*den, und letztere wieder mit koptischen In-
schriften bedeckt. Die ubersandte Photographie stellt ein solches
Stuck der Wandbekleidung dar. Die Stellung der Inschrift auf der
Wand selbst war vertical.* Bei meinem Freund W.Wright erholte
ich mir ilber das Alter der Schrift folgende Auskunft: »The antiquity
of the inscription is evident, and the writing is to be compared with
the oldest form of cursive in the Nitrian Manuscripts. You will find
a very good example for the purpose in my Catalogue (of syr. Mss.
in the Brit. Mus.) pi. IV, Add. 14,542 dated A. D. 509. I think you
may venture to set it down to the VI. century. I do not discern
any traces of the s^y4m6 in ^^4^*% and ■ - *■» _ -^ I suppose there-
fore that the point under -^-^w is accidental. I wounder the form
of ^ for ^ does not occur. «
[? ? 8?]
Ob in einer etwaigen 8. Zeile noch etwas von der sonst ilblichen
Schlussformel ^^ ^*»^ >a^ t^^^a^^^ i^und die Herrlickkeit in
JEwigkeiL AmenU gestanden hat, lasst sich wegen der Bruchstelle
nicht mehr erkennen.
Euting: Epigraphisclie Miscellen. 417
Die nachfolgenden griechischen Inschriften sind theils neu, theils
schon bekannt, aber dann vollstandiger oder verbessert abgebildet.
No. 115. 116 (gr. 29. 30). Zu Jabrud traf ich aussen am Hause
eines gewissen 'Ali el-Baidsch (.^sjutJ! ^^), rechts (115) und links
(116) vom Eingang des Hauses an einer unbequemen Stelle (fiber
einer Dohle) auf den Kopf in den Boden eingemauert , zwei griechische
Inschriften, auf deren Wichtigkeit, wie ich nachtragUch sehe, schon
Waddington unter No. 2566 aufmerksam gemacht hat, ohne jedoch
eine befriedigende Lesung geben zu konnen.
Die Steine waren mit Kalk und Lehm verschmiert. Trotz Ein-
spruchs des fanatischen Hauseigenthfimers, der durch einige geldgierige
Nachbarn aufgestachelt war, habe ich — nicht ohne Spendung eines
Bakschisch — die Steine abgewaschen und gesaubert. Dadurch kamen
die Inschriften in ihrer ganzen Ausdehnung zu Tag, ermSglichten aber
darum noch keinen zusammenhangend lesbaren Text. Nach gethaner
Arbeit wiu'den die Steine wieder sorgfaltig zugeschmiert.
115, 8 Zi/ifiouog ist = Zoc/i/iouog (Wadd. 261 i) "^^J biblisch und
palmyrenisch.
115, 12. 116, 3 2,otiJL(nyepocixog y auch Wadd. 2564. 2567, palmyr.
118, 8 vielleicht Mufx^oyouog , wie Wadd. 2554. 2555.
»
No. 117 (gr. 31). F. 0., St. 0.: Gebeil hinter dem Hause des
KhAii Sfair. Der Stein, i?8o lang, sei schon 1878 gefunden worden
und mag daher irgendwo schon ver5flFentIicht sein.
^iyetog Aiovvciov itNegeios, Sohn des Diont/sios,
XpYicre xflt* uXvire Outer und kummerfreier,
%oupe lebe wohlU
No. 118 (gr. 32). Rimdsaule, St. 0.: Qarjatein, Dslr-el-Kh61,
aussen eingemauert; scheint den fruheren Reisenden entgangen zu
sein; bei der schlechten Erhaltung ist auch beinahe nichts zu lesen.
[VIo(t]%ov yvvri
(rwTYipoi,
alwg.
In Zeile 4 ist mit einiger Wahrscheinlichkeit Mc(r%ou herzustellen,
da dieser Name auch sonst auf griechischen Inschrift^en zu Qaijatein
sich findet.
418 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — Mittheilung v. 28. April.
No. 119 (gr. 33). F. 0.: Palmyra, St. 0.: Strassburg, Euting.
[''AyXi^wXou Kod] * ^[des Aglibol und]
[M(jtAofc]%3>)Aou S^ciSv [woLTpufm] [Mald\chbel der [heimischen] Goiter,
. . . VTA AxnZ xyjfTTov . . . ihm einen Garten
. . . rovg x^trog senkrecht
vTTtp vBiKfig Tov ob dem Siege des
KoucoLpog TpuMv[ov] Kaisers Traianos
\Avi^x\sv TYv Ufyv[pSAi] weihte die silheme . . . «
No. 120 (gr. 34). F. 0.: el-Ledscha' (»i883 beim Berg Mug^im?
gefunden«); St. 0.: Damascus » Haus des Maurers 'Abduh KAli.
#iXi7nr- ^PhiHpp-
og tTfi OS [lebte] Jahre
No. 121 (gr. 3 5). F. 0. : Sparta, St. 0. : Hirsau (Wurttemberg), Haus
des Fabrikanten Ed. Zahn. Auf einer kleinen Basis etwa 20*^ hoch.
EO^flU ^Des Heros
IJLOV EudOr
fipooog mos.^
No. 122 (gr. 36). F. 0.: Palmyra, St. 0.: Constantinopel , Osma-
nisches Museum.
.... ifivcuog . . . . T€i yvw|Lt*| rc3[v]
• • • [oi]p%OVTU}V
.... uvotypoi4/ . . .
No. 123 (gr. 37.) F. 0.: Schefiinijjeh, nordwestl. von Damascus,
Haus des hollandischen etc. Consuls 'Abduh Qudsi. Der Stein habe
fruher als Brunnenstein des Dorfes gedient.
. . . (TtAsw^ ^Xypi7nr[oi] » . . Konigs Agrippa
irovg r . . im Jahre 3 . .?•
No. 124 (gr. 38). F. 0.: Abila, St. 0.: Damascus, Haus des griech.
etc. Consuls Abdu Qudsi. Auch bei Wadd. 1878. C. I. G. 8641.
'EttJ tov iyiwToiTov » Unter unsrem heUigsten
^IwAvvov l7ri(rx:[o7rou] Bisch[of] Johannes
i\fxm rot! kpct;Ko>\tiov\ wurde des Schiffes
Ifx^oKog l7rAfltxa!9'[*|] Vorhalk geplattet
iv |Lt*|[vJ] Aetriu) rdv wot im Monat Daisios des 875,
BTovg ivS[iKuwvog] «i8' JahreSj in der 12. Indiction.^
Das Datum entspricht dem Juni 564 n. Chr.
Uber die Abkurzung kpAir. far (nicht etwa 'UpoLTroKBtr^v, sondem)
kpctmoXtiov = iepoLTelov *des Kirchenschiffes^ siehe die Ausfuhrung b^
Euting: Epigraphische Miscellen.
419
Waddington No. 1878. In Z. 5 sehe ich in dem Buchstaben M noch
ein kleines H hineingesetzt.
No. 125 (gr. 39). F. 0., St. 0.: Laqitah (Ober-Agypten).
Auf dem Weg durch die Sgyptische Wuste zwischen Kos6r und
Kene' traf ich im April 1884 ^^i der Brunnenstation Laqitah einige
Steine, die nach Angabe der Leute dort vor zwei Jahren beim Wieder-
aufgraben eines alten Brunnens geftinden worden waren; dieselben
sind aber durch das Wasser arg zugerichtet. Ein noch unten am
Wasser selbst liegender ist rein unleserlich, der andere etwas besser
erhaltene zeigt:
. . . TStpiav KAfltu^/ [ou] 9. . , des Tiberius Claudius
[m]TOKpoiTopog Hocvl r- Kaisers^ dem Pan
. . . fxeog TcpotTTArYig . . . meoSj der Vorsteher,^
Dem Gotte Pan (Khem) sind in jener Gegend, besonders auch
in den benachbarten Steinbriichen hinter Hamamdt, viele griechische
Inschriften geweiht, vergl. Letronne, Rec. des inscr. gr. et lat. de
TEgypte. Paris 1848. 4^. 11, 420 ff.
No. 126 — 128 (gr. 40 — 42). Im August 1883 suchte ich von
JabrAd in directer Richtung fiber den Antilibanus Ba'albek zu er-
reichen. Hinter dem Dorfe Ma'arrah mit seinen grossen, theilweise
zu Wohnimgen umgestalteten HShlen , steigt der Pfad mehrere Stunden
in einer Schlucht imd fuhrt auf der Nordseite des Ra*s el-Fiyj (»Schatten-
kopfs«) auf eine mit uralten Lebensbaiunen (Lizzab vtjJ) bestandene
Hochflache. Etwa sechs Stunden vom genannten Dorfe entfernt, da,
wo man bereits den Anblick auf die hochsten Gipfel des libanon ge-
niesst, gewahrte ich eine Anzahl zerstreuter regelmassig behauener
Quadem; drei davon tragen noch schwache Spuren von griechischen
Inschriften, aus denen sich aber kein Inhalt mehr herstellen lasst.
No. 129 (gr. 43). F. 0., 'St. 0.: D6r el-Kal'ah.
Aus den Tempelruinen des Ba'al Markod hat Clermont - Ganneau
jiingst in seinem Recueil d'archeol. or. , fasc. 2 , p. i o i ff. eine Anzahl
Inschriften veroffentlicht , die ich seiner Zeit auch aufgenommen habe.
Seine No. 2 lese ich am Schlusse abweichend:
i^ovv(Tiog
Tcpyiov StV'
rsfotrrduTifig
^Dionysios [der SohnJ
des GorgiaSj ztveiter
Reigenfuhrer (f)
des Gottes Balmar-
kod hat geweiht
die zwei Spiegeh.
Das schwierig zu lesende Ket^owrpoL ist ein&ch Schreit^^^
mroTrrpa. Ich erinnere mich nicht, die Widmung von S
420 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 12. Mai. — Mittheilung v. 28. April.
einen Gott auch sonst getroffen zu haben. Ob dieselben zu rituellen
Zwecken dienten?
No. 130 (phon. 3). St. 0.: Dali (Cypem), Kirche des h. Georgios.
Hr. M. Ohnefalsch-Richter, der verdienstvoUe Arch&ologe auf Cypern,
schrieb mir in einem Brief d. d. Nicosia, 7. Marz 1887:
•Ihres Rathes eingedenk habe ich gestem beim Dorf Dali in
der Kirche Hagios Jorgios etwa 480 — 500 Schritte nordSstlich von
dem Platze, wo H. Lang das Temenos, die vielen cyprischen Munzen
und die bekannte Bilinguis fand, die von mir und von meinem
Freunde Eustathios Kostantinides entdeckte grossartige phoniziscLe
Inschrift mit all dem L5schpapier* sofort abgeklatscht , das ich beim
Schullehrer und Cafewirth auftreiben konnte. Ich liess durch den
Muktar des Dorfes die halbverfallene Kirche schliessen, und werde
morgen die Inschrift von einem meiner dazu angelemten Ausgraber
vorschriftsmassig abklatschen lassen. . . . Mit nachster Post, in
14 Tagen, erhalten Sie die verbesserten Abklatsche. Bei fluchtiger
Zahlung war das Ergebniss zwischen 128—132 Zeichen, eine lange
Reihe auf einer weissen Marmorschwelle oder Statuenbasis. Hier
Skizze und Maasse:
B
B
B
c
piii. (.lib. .
. -
.-. •— - «•»»><'•<-••*«• A )*i^n»Mr-|
B
A
B
<'
..4*J^.Z^Vt
*tt
->
J)ureAscAmlt , ^%» •
A ist eine Nische in der linken langen Wand der Kirche hinter
dem jetzt zerst5rten Ikonast. Sie nennen die Nische irpog^ttrtc » und
der Priester stellt in dieselbe, liest er die Xciroupywt, die heiligen
Gefasse, das oirpo<f>opiov u. s. w., die er zusammen als ta Upd, bezeichnet.
Sowohl die Nische A, wie die Umgebungen der Nische B,B,B, sind
mit byzantinischen Malereien bedeckt, in der Nische sind nur Sternen-
muster angebracht, rings herum Heiligenbilder. C ist der 1^25 breite
^ Da es schon haufig als Schreibunterlage und Tintentrockner benutzt worden
war, so konnte ich kaum einige Worte erkennen.
EuTiNo: Epigraphische Miscellen. 421
Marmorblock, der 0^275 dick ist. Die H6he ist bis jetzt nicht
messbar, da die Fresken, auf selir festem Stuck, das obere Ende
des Marmorblockes verdecken. Uber diesen phonizischen Inschriftstein
hinweg ist die Halbfigur eines Heiligen gemalt. Nur das mittlere
Drittel der Inschrift war nie mit Stuck bedeckt. Die Kirche ist sehr
alt (alter als 1000 n. Chr.); da sie aber sehr dunkel ist, so konnten
die feinen Charaktere unter der 0^04 hohen Leiste, welche 0T012
vorspiingt, dem Auge leicht entgehen. Der Inscbriftstreifen unter
der Leiste ist nur o?o2 6 hoch. Der Stein befindet sich an der
Stelle seit Jahrhunderten , und ist sowohl dem Cesnola, wie dem
Lang entgangen. Selbst ich hatte vorher mehreremale in den Jahren
1883 — 86 die Kirche nach Inschriften untersucht, aber nie etwas
bemerkt. Selbst die Ausgraber von Dali hatten die Lischrift nie
gesehen. . . . Ich habe die Inschrift endlich vorsichtig blosgelegt.
Aber wer weiss, ob der Block nicht noch mehr enthalt. VieUeicht
hat der Block D (C und D tragen das Mauerwerk iiber der Nische)
auch eine Inschrift. Mein Ausgraber Abraami war der Finder des
Heiligthums von Hamilton Lang, des bilinguen Inschriftsteines und
des Munzschatzes. Er hat mir die Inschrift freigelegt in meiner
Gegenwart und gesagt, dass die Inschriftsteine im Vomos ( — der
cyprische Volksdialekt hat fiir die Anhaufung antiker Bildwerke an
einem Platze das Wort ^oDfxog — ) des H. Lang (etwa 480 — 500 Schritt
sudwestlich von der Kirche) theilweise ganz ahnlicher GrSsse und
Form und aus Marmor gewesen seien. Ich vermuthe daher, auch
dieser Block kommt von demselben benachbarten phonizischen
Heiligthum. «
Mit seinem nachsten Brief d. d. Nicosia, 22. Marz 1887, sandte
er mir verbesserte Abklatsche und bemerkt dazu:
»Die guten Abklatsche konnten erst gestern an Sie abgesandt
werden, da mich mein Abklatscher im Stich liess. Denken Sie, ich
schlug der Regierung und dem Museum vor, man soUe im Einver-
standniss mit dem Erzbischof den Inschriftstein herausheben und in's
Museum schaflfen. Die Ausgaben, inclusive der Reparirung der be-
treffenden Stelle der Kirche wurden ^ielleicht (auch einschliesslich
der Entschadigungssumme ) 60 — 100 Mark betragen. Statt dessen
will man den Stein in der Kirche lassen. Er wird also entweder
demolirt oder gestohlen werden, da die halbverfallene Karche abseits
vom Dorfe liegt, und Wochen, selbst Monate vergehen mogen, bis
ein Bauer sie wieder betritt. Auf meine Eingabe antwortete man
mir, man habe kein Geld, und konne meinem Verlangen, nach den
neuentdeckten Platzen behufs Feststellung des Thatbestandes , Bench tes
und Aufnahme eines Planes u. s. w. gesandt zu werden, nicht will-
Sitzuiigsberichte 1887. 89
422 Sitzung der phil.rhist. Classe v. 12. Mai. — MittheiluDg v. 28. April.
fahren, lediglich des Geldmangels wegen. Das Budget fur 1887/88
ist aber nun vorige Woche in der Rammer berathen und bewilligt
worden: Kein Penny ist for das Museum und for Ausgrabungen aus-
gesetzt. «
Nach seinen sonstigen Mittheilungen ist es uberhaupt zu beklagen,
dass die englische Regierung auf Cypem nicht schon langst dem privi-
tegirten Raubbau und Ausgrabungsschwindel von Dilettanten einen
gesetzlichen Riegel vorgescihoben hat und andererseits zSgert, die Sache
selbst in die Hand zu nehmen , durch Dotirung des einheimischen
Museums , durch Unterstutzimg planmassiger Nachgrabungen , besonders
aber durch Aufstellung eines eigenen Inspectors, der die von der
Regierung concessionirten Ausgrabungen strengstens zu uberwachen
h&tte. Und gerade in der Person des Hm. M. 0. Richter hfttte sie
eine ebenso geschulte als gcAvissenhafte Pers5nlichkeit an der Hand.
Was mm die neue phSnikische Inschrift von Dali selbst betrifit,
so kann ich, so lange der Stein nicht vollstandig gesSubert ist, keine
2^ichnung davon geben; der Abklatsch ist einstweilen zu Iflckenhaft,
und leider gerade der Namen des K6nigs ist in seiner zweiten Htifte
nicht zu be§timmen; ich vermuthe Dib» Bdalram^ wiewohl der breite
Raum ebenso wohl ibttb^^a Bdalmalak zuliesse. Ich lese und tibersetze
vorl&ufig :
♦ TO in [tr!p9^ ♦ "^Dbrb III thm ♦ ro«a ♦ doti-o [m-^b ♦ ♦ • D-o-^a]
Tfbtt lbi3b» Tbtt p • b-'nKn "To Tb-o^bwt:? Tfbia p^b^^n^i
.... rwb n[«)ni i]pya to
^[Am Tage . . . im MonaiJ MarpSHm im Jahre drei III meiner Herrschaft
des Bdal[rdmf] Konigs von Kittt und ^Idjdl^ Sohnes des Konigs ^Azbdalj
K&nigs von Kittt und 'Idjdl^ Sohnes des Kdnigs Bdalmdlakj Kimigs von
Kittt J [dieses] Kupfergetriebene {fj der 'Andt . . . .«
Seither sind noch einige kurze Notizen fiber diese Inschrift ver-
SflFentUcht worden, in der Academy vom 23. April 1887 p. 293, und
vom 7. Mai 1887 p. 329 durch Piemdes, und in der Revue critique
1887 I, 335 uber eine Lesung Berger's. Der erstere liest den frag-
liohen Kdnigsnamen Baalram, der andere Baahnalak.
Ausgegeben am 24. Mai.
Sitsungsber. d. Berl. Akad. d. Wat.
Taf. VI.
^ramaiJcKe 5ckerbeninsckrift aiu ElepKArttme
^tO: B£Rl-lN.K.MiLS«iim.-
N" 99. ^^^J.^».if
Edung: Epigraphische Hiscellea, Zweite Reihe.
Siizungsher, d. BerL Akad, d, Wiss,
Taf. VIL
^ir-AX?
^
B.
ArAtn- tfriech.Zie^eLsCempcl
5J0 Berlin., K Mui
4
e. '
'hi
iAc^-arant. Papyrus (3 vXk<^ N^K)
N2ioo
Euting: Epigraphische Miscellen, Zweite Reihe.
)
SHawgsbsr. d. Berl. AJcad. d. Wiss.
Taf. VIII.
•^i^i'i bi-w <x.ifcTci« -{ill Ji^ vs'^tty
^'°W^i. 'tA!ALia: :sa'^OAh -xw^ ^i^myj w-wi.
5tO.£erU-n..K.Mui
JtO.Bafel.Un.vtrt,
Ediihq: Epigrapbische Uiscelleii, Zweite Reihe.
Siizungsber, d. BerL Akad. d,Wiss,
Taf. IX.
sr
i
jM HA ew A Y T ue^ ^^
OC\jLic4>HaN€TH/v\(l
4>AT0YA^€A 4)0 YA
HMA/WfiPAAA KAT
7 r^€<^AVTO| 60A\
^[eWZlSOAlOVK A
9 O^VAw/zA^AnojciA
:S mAi^iKAiqicTo
»^A^"A1MJ{:v^AYT^
A/^CirTPA/SAOfvC
6NeNnANTiTK^
CAnOKA^ACr
£^^\AnAN
N-ii5. S^0: JabruA.
//
/a
A/^Ac rri< PAA^kj ■ ^
4/j Jf- P06»VNHM6n-<^
♦iC'W?HC6N/Oplc.ovd'^
ovnAP.#8AC6N/oi -^
riAPAQHC 0/VV6
P/'Ui IS/ATA TfJ^
iCAnACixr^^/s/,
AY^^^^«^C«'/.^>Y^
rpA^eiCAce
KeACYtA/ HA
N-n6.5tO: JabmA.
(5*-. 80-1
J,^.h*.u7.
1
Euung: Epigraphische Miscellen, Zweite Reihe«
Sitzungsher. d. Berl. Akad. d.Wlss.
Ta/. X.
X PHSTE )CAI AAYTr G
XAIPE
P.O. 5t.O. : GiEBElL K\nter Atm Haw^e aw
(^r.3'l) KKur* Sf*ir
iXBHA0Ye6Cx)N
/<TA AYTa3 KHTTON
/OYCJ<Ae€T0C- yN?n9
yfTrePNeiKHCW"=^''"y"
NTHNAPr/ ^5'«'
>' oy rvN •
- f^J •' ■ •""^ / - "^ v r ' *
. Dir «IKKU iSl- ll8(5rjij
FO, StO: dxrjjiUm
<})|AlTTn
OCGTH
N?120 TTT
^y-^) FO: tl-A4*K*-
03EENTHlB0YAHlKAITn.lAHMJlU
CTATEirN/IMhTf/
PXONTXLJ/
FO:PA\tnyvA
NlZl
HBtlQSl
€T o Y C T
FO: 5eK<funijieK . StO:D»nMcus.(il.i><ur.
€niT0YAri(fOTATOY
G'c)AN^|0Y6^ICK<^^
HKGONTOYiepAnoA
o^H B oAocen AAKcoefH)
e'WI>ilA€ClCfc)TOYCdO€
exOYC I NAJ I&
of^-'o^
JN- 1Z4 5tO:DATnA<cu5 , *^VAiiK Qj^iUi
A J oj!di:^c I p c
ropriOYA€Y
TePOCTATHC
0€OYJAA>^P
KuTAOYAAlCeHK*.
TA A Y c^lf A e rTT5^
f'Tlg^floYKAAYAR
O K f A T"o f o c n A N 1 T.
MC^OCTfoCTATH
I 5'- >5 '
N5ix6 „.;».,
^
'^^
i^ € A^
F0..5tO ;
(Anrilibjknuf I
^» ..... r--
g? '■■•■ <
rO,5tO: b«il)«r a- KLairAK (Bel Onem.)
" A TATO C
h A V /'^ < V
A. /\i A • • '••' y
o y c- c
Euting: Epigraphische Hiscellen, Zweite Reihe.
423
1887.
XXVI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
12. Mai. SitzuBg der physikalisch-mathematischen Qasse.
Vorsitzender Secretar: Hr. E. du Bois-Reymond.
Hr. Kroneckeb machte eine Mittheilung zur Theorie der
elliptischen Functionen, als Fortsetzung der Mittheilung vom
29. Juli 1886, St. XXXIX.
Die Mittheilung wird in einem spateren Stuck erscheinen.
Ausgegeben am 24. Mai.
Berlin, jodruekt Jn d^, |Le\«^***^*^*^^
I
»
425
1887.
xxvn.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KONIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
26. Mai. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Mommsen.
1. Hr. HoFMANN las: Zur Kenntniss des Amidophenylmer-
captans und der entsprechenden Naphtylverbindungen.
Die Mittheilmig folgt umstehend.
2. Die physikalisch-mathematische Classe hat bewilligt dem
Akademiker Hm. Weierstkass zur Fortsetzung der Herausgabe der
Werke Jacobi's iooo Mark, dem Dr. Karl Schmidt in Freiburg i. Br.
eine Unterstutzung von 1200 Mark zu einer geologischen Bereisung der
Pyrenaen, dem Dr. Rawitz hierselbst 900 Mark zu einem Aufenthalt
in Neapel zur Untersuchung des Mantebandes der Acephalen imd des
Riickenmarkes von Trigla, dem Prof. Dr. Nussbaxjm in Bonn 3000 Mark
zu einer Reise nach San Francisco behufs Fortsetzimg seiner Unter-
suchungen iiber Theilung der Organismen, dem Dr. Otto Zacharias
in Hirschberg 600 Mark zur Fortsetzimg seiner Studien uber die
mikroskopische Fauna der Binnengewasser Nord-Deutschlands; die
pliilosophisch-historische Classe ihren Mitgliedem Hm. von Sybel
6000 Mark zur femeren Herausgabe der politischen Correspondenz
sowie fiir den Abschluss der Staatsschriften Konig Friedrich's II., dem
Hrn. Zeller 5000 Mark zur ferneren Herausgabe der Gommentatoren
des Aristoteles, dem Hrn. A. Kirchhoff 3000 Mark zur Fortffihrung
des griechischen Inschriflenwerks , dem Hm. Mommsen 3000 Mark ztir
Fortfiihrung des Corpus Inscriptionum Latinarum, demselben 4000 Mark
Sitznngsberichte 1887. 40
426 * GesammteitzuDg vom 26. Mai.
zur Fortfahnmg einer Prosopographie der rSmischen Eaiserzeit bis
Diocletian.
Das correspondirende Mitglied der physikalisch-mathematischen
Ciasse, Hr. Jean-Baptiste Boussingault, ist am ii. Mai in Paris ver-
storben.
427
Zur Eenntniss des Amidoplienylmercaptans und
der entsprechenden Naphtylverbindungen.
Von A. W. HOFMANN.
Vor einigen Jahren hab' ich der Akademie Mittheilung fiber Dar-
stellung und Eigenschaften des o-Amidophenyhnercaptans gemacht und
gleichzeitig eine Reihe von Verbindungen kennen gelehrt, welche sich
von demselben ableiten.^ Der Ausgangspunkt jener Untersuchung war
die Beobachtung einer eigenthiimlichen Umbildung, welche das Phenyl-
senfbl luiter dem Einflusse des Phosphorpentachlorids erleidet. Man
war durcli das Studium derselben zur Erkenntniss einer Reihe von
Verbindungen gelangt, welche sich naturgemass um das o-Amidophenyl-
mercaptan gruppiren.
Seit meiner letzten VerSffentlichung uber diesen Gegenstand bin
ich noch mehrfach zu demselben zuriickgekehrt. Einige Erfahrungen^
welche sich an die fruheren anschliessen, soUen im Folgenden mit-
getheilt werden.
Es sei zunachst bemerkt, dass diese Beobachtungen sich aus-
schliesslich auf das Amidophenylmercaptan beziehen, in welchem
Amidogruppe und Sulfhydrylgruppe sich in der Orthostellung zu
einander befinden. Das for die Versuche verwendete Material war
ausschliesslich aus der Oxalylverbindung dargestellt worden. Das
Verfahren, etwas umstandlich zwar, aber, wenn man in grdsserem
Maassstabe arbeitet, das Mercaptan jedenfalls in vollkommener Rein-
heit liefernd, ist an dem angegebenen Orte ausfuhrlich beschrieben
worden.
Einwirkung von Schwefelkohlenstoff auf Sulfhydranilin.
Amidophenylmercapto-Methylmercaptan.
In der Erwartung, das Sulfhydranilin werde einen geschwefelten,
in seiner Zusammensetzimg dem Sulfocarbanilid entsprechenden Ham-
stoff liefern, wurde die Verbindimg 12 — 15 Stimden lang am Rtlck-
^ HoFKANN, Monatsberichte 1880, 562.
428 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
flusskuhler mit einem Uberschusse von Schwefelkohlenstoff digerirt;
eine lebhafte Entwickelung von Schwefelwasserstoff bekundete alsbald
die eingetretene Reaction. Nach dem Verjagen des iiberschussigen
Schwefelkohlenstoffs hinterbUeb eine blattrige KrystaUmasse , welche
aus Alkohol umkrystallisirt die Gestalt glanzender farbloser Nadeln
annahm. Diese Krystalle schmelzen ohne Zersetzung bei 179^. Sic
sind in Wasser unloslich, ziemlich leicht loslich in Alkohol und in
Aether, ebenso in Eisessig. Bemerkenswerth ist der intensiv bittere
Geschmack, welchen die alkoholische Losimg derselben besitzt; man
erinnert sich, dass auch der Diphenylsulfoharnstoff ganz auffallend
bitter schmeckt. Ich glaubte daher in der vorliegenden Verbindung
den erwarteten Hamstoff
^^ NHCeH.CSH)
in Handen zu haben, ziimal sie auch mit der grossten Leichtigkeit
von AlkaUen aufgenommen und durch Saurezusatz aus der alkalischen
L6sung wieder abgeschieden ward, ein Verhalten, welches ein der-
artiger Harnstoff zeigen musste. Die Analyse der bei 100° getrockneten
Substanz ergab jedoch Zahlen, welche dieser Auflfassung keineswegs
entsprachen, vielmehr auf einen K6rper von der Zusammensetzung
C7H5NS,
Versuch.
I. n.
• 50.28
3.12
— 38.03
hindeuteten :
Theorie.
C7
84
50.29
H5
5
3.00
N
H
8.39
s.
64
38.32
167
100.00
I
Die Bildung eines solchen KSrpers erklart sich einfach nach der
Gleichung :
CgH^NS + CS, = C7H5NS, + H^S
Die Reaction unterscheidet sich also sehr wesentlich von der-
jenigen, in welcher das Sulfocarbanilid gebildet wird, insofern sich
die Wirkung des Schwefelkohlenstoffes , statt sich auf 2 Molecule des
Amins zu erstrecken, auf i Molecul beschrankt.
Man erkennt in dem neuen Product unschwer eine Verbindung,
welche dem fruher von mir^ unter dem Namen Oxyphenylsenfbl
beschriebenen K6rper analog ist:
* HoFMANN, Monatsberichte 1879, 645.
Hofmann: Amidophenylmercaptan iind entsprech. Naphtylverbindungen. 429
Oxyphenylsenfol Neue Verbindung.
Sie lassen sich als Methylalkohol und Methylmercaptan aufiassen,
in denen die dreiwerthige Gruppe
an die Stelle der drei Wasserstoffatome in der Methylgruppe getreten
ist, d. h. als Amidophenylraercapto-Methyimerciptan.
Nach einer Bestatignng dieser Ansicht brauchte man nicht lange
zu suchen.
Ist der Karper wirklich ein Analogon des Oxyphenylsenfiils , so
muss er sich wie dieses aus dem Chlorphenylsenfi)! erzeugen lassen,
wenn man das Chloratom dnrcli den Rest des Schwefelwasserstoffes
ersetzt.
In der That liefert das Chlorsenfol, nur kurze Zeit mit einer
alkoholischen Losung von Natriumhydrosulfid digerirt, nach dem
AnsSuem mit Salzsaure in quantitativer Ausbeute das bei 179°
schmelzende Product, welches schon nach einmaligem Krystallisiren
aus Alkohol vollkommen rein ist.
Die Umsetzimg erfolgt nach der Gleichung:
C6H^<^ >CCa + NaHS = GgH^^^ ^C(SH) + NaCl.
Dass dem vorliegenden Korper in der That die angedeutete Con-
stitution angehore, ergiebt sich auch aus seinen Spaltungsproducten
bei der Kalischmelze , in welcher sich neben Mercaptan Kohlensaure
und Schwefelwasserstoff bilden:
C^H / ^CISH) + 2H,0 = C^H /• + CO, + H,S.
Disulfid des Amidophenylmercapto-Methylmercaptans.
Die Analogic des vorstehend beschriebenen KOrpers mit dem
Oxysenfbl tritt in den ». Hintergrund , wenn man das Verhalten des-
selben unter dem Einflusse von Oxydationsmitteln in's Auge fasst.
Alsdann macht sich die Mercaptannatur geltend, insofem eia woM-
definirtes Disulfid entsteht.
430 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
Versetzt man die eisessigsaure L6sung dieses Mercaptans nach
iind nach mit einer L6sung von Kaliumbichromat , so scheiden sich
schSne farblose Blattchen aus, welche sich dnrch ihre UnlSslichkeit
in Alkohol und in Alkalien als eine neue Verbindung chfirakterisiren.
Es ist kaum nothwendig, sie noch einmal aufzulosen, da sie alsbald
in vollig reinem Zustande erhalten werden. Will man sie indessen
umkrystaliisiren , so geschieht dies am besten aus heissem Benzol, in
welchem die Substanz noch am leichtesten loslich ist. Beim Erkalten
»
der LSsung erscheinen silberglanzende Schuppen vom Schmelzpunkt
1 80^, denen der bei^dem zugehorigen Mercaptan beobachtete bittere
Geschmack ganz und gar fehlt. Man durfte fllr den beschriebenen
KSrper mit Zuversicht die Formel:
erwarten, welche auch durcli die Analyse ihre BestSitigimg gefunden hat.
Theorie. Venuch.
50.50
2.49
C.4
168
50.60
Hg
8
2.41
N,
28
8.44
S4 .
128
38.55
■
%^i
100,00
Methylftther des Amidophenylmercapto-Methylmercaptans.
Die Mercaptannatur der ^Verbindung:
CfiH/ ^C(SH)
konnte auch noch durch die Bildung eines Methylathers dargethan
werden. Jodmethyl wirkt auf dieselbe bei kurzer Digestion ein ; es ent-
steht ein jodwasserstoffsaures Salz, welches aber schon durch Wasser-
zusatz zerlegt wird, indem sich der durch die Formel:
QH,^ '>C(SCH3)
ausgedmckte Metliylather in Krystallen absetzt. Durch Umkrystalii-
siren aus verdunntem Alkohol erh§lt man ihn leicht in kurzen farb-
losen Priamen vom Schmelzpunkt 52°, welche sofort rein sind. Sie
be^itxen einen angenehm aromatischen Geruoh, welcher an den der
Methenylbase erinnert.
Hofmann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Naphtylverbindungen. 431
Der Methylather zeigt die Eigenschaften einer schwachen Base;
er lost sich mit Leichtigkeit in concentrirten Saiiren auf , ohne jedoch
krystallisirbare Salze zu iiefem; Zusatz von Wasser zu den LOsnngen
bewirkt in jedem Falle die Ausscheidung des freien Aethers. Indessen
gelingt es unschwer, in der salzsauren Ijdsung mit Platinchlorid ein
Doppelsalz in Gestalt glanzender Blattchen zu erzeugen, welches auch
das Mittel an die Hand giebt, die schon aus der Bildungsweise hervor-
gehende Zusammensetzung des Methyiathers durch eine Zahl zu be-
stS.tigen.
Die Analyse des bei ioo° getrockneten Salzes lieferte 25.14 Pro-
cent Platin. Die Fonnel:
2[{C6H,<^ \j(SCH3)HCl]PtCl,
verlangt 24.99 Procent.
Auch das Platinsalz erleidet mit Wasser Zersetzung, es muss
daher mit Salzs&ure ausgewaschen werden.
In seinem ganzen chemischen Charakter erinnert der beschriebene
Methylather an einen K6rper, welcher, aus dem Chlorsenfiil mit Hfllfe
von Natriumalkoholat erhalten, schon fruher^ unter dem Namen:
Aethyloxysenfiil beschrieben worden ist. Die Analogic wird sofort
klar , wenn man einen Blick auf die neben einander gestellten Structur-
formeln beider Verbindungen wirft:
CfiH,/^ \c(SCJl3) Ce^,<( NciOC^H,)
Methyl&ther des Amidophenylmercapto- Acthyloxysenfol.
Methytmercaptans.
Einwirkung des Schwefelkohlenstoffs auf das Disulfid.
NH, NH,
QH^N^ ^^6J^4-
Nan.
s-
Ebensowenig wie aus dem Amidophenylmercaptan -wnirde auch
aus seinem Disulfid durch Einwirkung des Schwefelkohlenstoffs ein
Hamstoff erhalten. Das Reactionsproduct ist dieselbe dem Oxysenfbl
analoge Verbindung, welche man auch aus dem Mercaptan selbst
gewinnt.
^ Hofmann, Monatsberichte 1880, 547.
432 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
AUerdings muss im ersten Stadium der Reaction ein Angriff des
Schwefelkohlenstoffs auf die Amingruppe erfolgen, da sonst das Auf-
treten von Schwefelwasserstoff nicht erklart werden kann. Dieser
letztere bedingt aber eine Spaltung des Molecnls der Verbindimg imd
eine voriibergehende Reduction zu Mercaptan , welches nun seinerseits
in der bekannten Weise mit Schwefelkohlenstoff sich umsetzt.
Der ganze Process verlauft nach der Gleichung:
CgH / \C6H, + 2 CS,= 2 C5H ,< >C(SH) + H,S + S.
S s-^ ^S
In der That enthalt das Product auch erhebliche Mengen von
Schwefel , welcher bei der Digestion mit verdiinnter Natronlauge nicht
mit in Losung geht und auf diese Weise abgeschieden werden kann.
Methylather des Amidophenylmercaptans (Thioanisidin).
Das Verhalten des Schwefelkohlenstoffs zum Amidomercaptan
sowie zu seinem Disulfid wies darauf hin, dass man moglicherweise
zu einem Hamstoffe gelangen werde, wenn man die Sulfhydrylgruppe
durch Einfiihrung irgend eines Atomcomplexes von der Betheiligung
an der Reaction ausschlosse. In diesem Sinne schien es mir erwunscht,
aus dem Amidophenylmercaptan einen Methylather zu erzeugen, welcher
dem Anisidin
NH
in seiner Zusammensetzung entsprache.
Wenn man Sulfhydranilin mit Jodmethyl im Verhaltnisse ihrer
Moleculargewichte zusammenbringt, so erwarmt sich das Gemisch in
kinder Zeit. Zugleich bemerkt man die Ausscheidung farbloser Nadeln
eines Jodhydrates, in welches schliessUch die ganze Masse iibergeht.
Durch AuflSsen in Wasser imd Hinzufiigen eines Alkalis gelingt es
leicht, den gebildeten Methylather in Freiheit zu setzen. Die Un-
iSslichkeit desselben in Alkali lasst erkennen, dass es die Sulfhydryl-
gruppe und nicht das Ammoniakfragment ist, in welche die Methyl-
gruppe eingetreten ist, so dass also ein Aether von der Formel:
^^^^<SCH3
vorliegt.
Destillirt man den KSrper, so geht er, nicht ohne geringe Zer-
setzung, bei 234° fiber; wahrend des Siedens tritt ganz imverkenn-
Hofbiann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Naphtylverbindungen. 433
bar der Geruch des Mercaptans axrf, welcher jedoch in dem Destillate
bald verschwindet. Das reine Thioanisidin steUt eine farblose, an
der Luft allmalilicli braun werdende Flussigkeit dar, deren Geruch
an den des Sauerstoffanisidins erinnert. Mit Sanren erhalt man wohl-
definirte, aus Wasser unzersetzt krystallisirende Salze. Die Analyse des
Chlorhydrates , welches in farblosen , nicht ganz leicht iSslichen Krystall-
nadeln anschiesst, diente znr Bestatignng der Znsammensetzung des
Aethers, die freilich schon durch die Bildungsweise gesichert erschien.
Die Formel
C5H4<g Q-u- . H CI
verlangt 20.22 Procent Chlor, der Versuch ergab 20.28 Procent.
Versetzt man die LSsung des salzsauren Salzes mit Platinchlorid , so
fallt ein amoi-phes gelbes Doppelsalz nieder, welches sich aber imter
Braunferbung schnell zersetzt und desshalb nicht analysirt werden
konnte. Mit dem Sauerstoffanisidin theilt das geschwefelte Anisidin
die Eigenschaft, nach der Diazotirung durch Zusatz von Naphtol-
sulfosaure in einen prachtig rothen Farbstoff iiberzugehen , von dessen
naherer Untersuchung jedoch begreiflicherweise Abstand genommen
worden ist. Auch die verschiedenen Producte, welche durch weitere
Einwirkung des Jodmethyls auf das geschwefelte Anisidin entstehen,
und welche in ihrer Zusammensetzimg wahrscheinlich den von Ghiess*
beschriebenen Methylderivaten des Amidophenols entsprechen, sind
nicht weiter verfolgt worden. Ein grosseres Interesse bot die
Einwirkung des Schwefelkohlenstoffs auf das Thioanisidin.
Dithioanisylthioharnstoff.
Thioanisidin kann stundenlang mit Schwefelkohlenstoff am Ruck-
flusskuhler digerirt werden, ohne die geringste Veranderung zu er-
leiden. Eine solche tritt auch nicht ein, wenn die Digestion bei
erhohter Temperatur im geschlossenen Rohr vorgenommen wird. Fugt
man aber zu der im Kolben siedenden Mischung etwas festes Eali-
hydrat hinzu, so erfolgt eine langsame aber st^tige Schwefelwasser-
stoffentwickelimg , welche erst nach einer Digestion von mehreren
Tagen ihr Ende erreicht. Das Thioanisidin ist alsdann in eine brSun-
liche Harzmasse ubergegangen , welche von kleinen farblosen Prismen
durchsetzt ist. Man isolirt dieselben am besten durch Behandeln des
Gemisches mit warmem Alkohol, in welchem sich die Harzmasse,
1 n
Griess, Ber. chem. Ges. XIII, 246.
434 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
wenn auch nicht ganz leicht, auflSst, wahrend die Krystalle zuriick-
bleiben und nun leicht auf einem Filter gesammelt werden kSnnen.
Die Verbindung I6st sich in Alkohol ausserst schwierig, jedoch
gelingt es, sie aus diesem Losungsmittel , welchem sie einen intensiv
bitteren Geschmack ertheilt, umzukrystallisiren ; man erMlt sie auf
diese Weise rein; der constant bleibende Schmelzpunkt liegt bei 162^.
Die Analyse der Substanz zeigt, dass in der gedachten Reaction
in der Tliat ein Hamstoff von der Formel
P XT vr o _pq NHC6H4(SCH3)
mithin ein Dithioanisylthiohamstoff entstanden ist.
Theorie. Versuch.
56.10
5-03
C.5
180
56.25
H.6
16
5.00
N,
28
8-75
S3
96
30.00
!120
100.00
Aus dem harzigen Rohproduct der Reaction schieden sich im
Laufe der Zeit noch farblose , ziemlich grosse Krystalle vom Schmelz-
punkte 130^ aus, offenbar eine andere Verbindung, welche indessen
nicht weiter untersucht worden ist.
ThioanisylsenfSl.
Der Dithioanisylthiohamstoff erleidet unter dem Einflusse der
Warine ^ eine bemerkenswerthe , obwohl nicht unerwartete Spaltung.
In einer Retorte rasch destillirt, zei*fSllt er in Thioanisidin und ein
Senfftl, welches zu dem Thioanisidin in derselben Beziehimg steht,
wie PhenylsenfSl zum Anilin.
^® ^NHQH^Iscm = [C6H4(SCH3)]NH, + C6H,(SCH3)NCS.
Bei der Destillation geht eine olige Flussigkeit uber, eine Mischung
der beiden Spaltungsproducte , die sich aber bald triibt, indem diese
Spaltungsproducte theilweise wieder zu Hamstoff zusammentreten.
Man suchte das •Senfiil durch Einleiten von Wasserdampf in die
mit Salzsaure versetzte Mischung im Zustande der Reinheit dar-
zustellen. Es wurden jedoch selbst aus der salzsauren L5sung
kleine Mengen von Thioanisidin mit iibergerissen , so dass in dem
ubergehenden Senfole, welches eine lichtgelb gefarbte Flussigkeit
von aromatischem Geruch und wenig brennendem Geschmack ist,
Hofhann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Naphtylverbindungen. 435
immer wieder kleine Mengen von Hamstoff entstanden. Aus diesem
Grunde ist es auch nicht mSglich gewesen, den Siedepunkt des Senf-
ols genau zu bestimmen. Ann&hernd liegt er bei 270°. Eine nicht
absolut reine Substanz wiirde bei der Analyse keine scharfen Zahlen
gegeben haben; man hat desshalb vorgezogen, die Senfblnjsitur der
Verbindung dnrch Bildung und Analyse eines einfachen Hamstofia
festzustellen.
Mit alkoholischem Ammoniak entsteht in der That alsbald ein
Hamstoff, welcher in prismatischen Krystallen von dem Schmelz-
punkte 168^ anschiesst. Seine Zusammensetzung
CgKoN.S, = CS<J!5^^^^^^^^3)
' "°^ ^ ^^^
verlangt :
Theorie.
Versuch.
Cs
96
48.48
48.
15 48.01
H,o
10
5.06
—
5-12
N,
28
14.14
—
- —
s.
64
198
32.32
1 00.00
■
Anis
yls€
5nf5l.
Ich habe bei dieser Gelegenheit einige analoge Versuche mit dem
Anisidin selber angestellt. Das Anisidin setzt sich, wie man aus den
Versuchen von MCmiHXusER^ weiss, mit Schwefelkohlenstoff zu einem
Thiohamstoff
(.o^NHC5H,(OCH3)
^NHC5H4(OGH3)
um. Durch Destination entsteht aus demselben, neben Anisidin, ein
sauerstoffhaltiges Senf&l
C6H,(OCH3)NGS,
welches dem geschwefelten zum Verwechseln ahnlich ist; der Siede-
pimkt liegt einige Grade niedriger, namlich bei 264^ bis 266^, Die
oben gegebene Formel wurde durch die Analyse des aus dem Senfftl
durch Ammoniak entstehenden Ha!tnstoffes erhSrtet. Derselbe kry-
stallisirt in farblosen Spiessen, die bei 152^ schmelzen. Der Formel
^^ NHQH,(0CH3)
entsprechen folgende Werthe:
^ MuBLBAusER, Ber. chem Ges. XIII, 919.
436 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
Theorie. Verauch,
Kohlenstoff 52.74 52.62
Wasserstoff 5.49 5.47
Versuche, aus den beschriebenen Senfolen durcli Einwirkung von
Salzs&ure ein hydroxylirtes und ein hydrosulfirtes Senfiil zu gewinnen,
sind fehlgeschlagen ; unter Schwefel wasserstoff- und Kohlensaure-Ent-
wickelung werden Thioanisidin und Anisidin zuruckgebildet.
Die DarsteUung des Anisyl- und Thioanisylsenfbls gab Veran-
lassung, das Verhalten des Amidophenyknercaptans zu dem Phenyl-
senfbl zu studiren. Erhitzt man eine Mischung dieser beiden Sub-
stanzen im Verhaltniss der Molecularge wichte , so entwickelt sich
Schwefel wasserstoff in Stromen, und das Reactionsproduct erstarrt nach
dem Erkalten zur KrystaUmasse , welche durch mehrfaches Umkry-
stallisiren aus Alkohol leicht rein erhalten werden kann. Eine nahere
Untersuchung ergab, dass hier derselbe K6rper vorlag, den ich fruher
mit dem Namen AnilidosenfbP bezeichnet habe, und welcher nach der
heutigen Auffassung als Methylanilin gelten muss , in dem die 3 Wasser-
stoffatome der Methylgruppe durch den Rest [CsH^NS]"^ ersetzt sind.
Die Verbindimg
C.3H,oN,S = C^H / ^CNHC6H5
bildet sich nach der Gleichung:
CgH^NS + C7H5NS = C.3H,oN,S + H,S.
Schliesslich mag hier noch einiger Beobachtungen Erw&hnung
geschehen, die nicht mehr quantitativ verfolgt worden sind.
Versetzt man eine aetherische Losung des Mercaptans mit Chlor-
kohlensaureaether, so scheiden sich unter Warmeentwickelung allmah-
lich Krystalle von salzsaurem Amidophenylmercaptan aus und die
Mutterlauge liefert nach dem Verdunsten ein farbloses, in Natroniauge
losliches 01, welches seiner Bildungsweise und seinen Eigenschaften
nach nichts Anderes sein kann, als der Urethan des Amidophenyl-
mercaptans von der Zusammensetzung
Bei der Destination wird dieser K5rper zerlegt; es spaltet sich
Alkohol ab und es destillirt unter fortwahrendem Steigen des Siede-
punktes bei etwa 300^ eine Fliissigkeit liber, welche im Kuhlrohr
erstarrt und an dem Schmelzpimkte 136° sowie den iibrigen {igen-
* HoFMANN, Monatsberichte 1879, 647.
Hofmann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Nathtylverbindungen. 437
schaften als Oxyphenylsenfol erkannt wird. Im Hinblick auf das all-
gemeine Verhalten des Urethans hatte man eigentlich neben Alkohol
ein Cyanat erwarten soUen. Wahrscheinlich wird auch woU in erster
Linie ein solches gebildet; aus demselben entsteht aber alsdann durch
Umlagerung im Molecul das Oxyphenylsenfol
QH,/ = C^H / ^C(OH).
Auch liber die Oxydation des Amidophenylmercaptans sind noch
einige Versuche angestellt worden. Dass sich Mercaptan dm*ch die
gelindesten Oxydationsmittel , in der That schon an der Luft, in das
Disulfid verwandelt, ist bereits mehrfach erwahnt worden; hat man
ein starkeres Oxydationsmittel angewendet, so erleidet das Disulfid
eine weitere Veranderung. Versetzt man eine kalte Losung des Disulfids
in Salzsaure oder in Essigsaure mit Kaliumbichromat , so fallt ein
schwarzes amorphes Oxydationsproduct aus, welches in fast alien
Losungsmitteln unl5slich ist. Vielleicht ist die Substanz entstanden
durch Oxydation der Wasserstoffatome der Amidgruppe und wtirde
dann die Zusammensetzung
C6H4< g g >C6H^
haben, d. h. das Azobenzol des Disulfids des Amidophenylmercaptans.
darstellen. Es ist dies aber nur eine Vermuthimg. Ich habe kein
Mittel gefimden, die Substanz im krystallisirten Zustande zu erhalten.
Amidonaphtylmercaptane.
Im Anschlusse an die vorstehend beschriebenen Untersuchungen
sind hier ndch einige Beobachtungen in der Naphtylreihe zu ver-
zeichnen. Ich will aber alsbald bemerken, dass sich die NaphtylkSrper
imgleich schwieiiger bilden als die Phenylverbindungen, und dass
ihre Eigenschaften weniger bestimmt ausgesprochen sind als die der
letzteren. Sie sind deshalb auch nicht eingehend untersucht worden.
Versuche mit ot-Naphtylamin.
Zimachst schien es von Interesse die Benzenylverbindung des
Amido-ot-Naphtylmercaptans darzustellen , deren Analogon in der
Phenylreihe sich mit solcher Leichtigkeit gewinnen lasst. Das Benze-
nylnaphtylamid oder Naphtylbenzamid ist bekannt, es ist sowohl von
438 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
Chuhch^ als auch von Ebell^ dargestellt worden, sie erhielten es
durch Behandlung von ^-Naphtylamin mit Benzoylchlorid. Fur
meine Versuche wurde es durch Erhitzen von a-Naphtylamin mit
Benzogsaure dargestellt. Man erhalt auf diese Weise nach zweimaligem
UmkrystaUisiren aus Alkohol etwa 65 — 70 Procent der theoretischen
Ausbeute. Die Eigenschaften des so gewonnenen stimmen mit den von
Church und Ebell angegebenen iiberein. Der Schmelzpunkt wurde
indessen zu 159 — 160°, einige Grade h5her, als der von Ebell an-
gegebene (156^ gefunden.
Einwirkung von Schwefel auf ot-Naphtylbenzamid.
Benzenylamido-ot-Naphtylmercaptan.
Erhitzt man 2 Gew. Th. Naphtylbenzamid mit i Gew. Th.
Schwefel, so beobachtet man dieselben Erscheinungen wie in der
Phenylreihe. Es entwickelt sich Wasser und Schwefelwasserstoff.
Nach etwa zwei Stunden ist die Reaction voUendet; iSnger zu
erhitzen ist nicht rathlich, well sich die Ausbeute an dem dar-
zustellenden K5rper vermindern wilrde. Der in der Retorte zu-
nickbleibende Harzkuchen wird nunmehr gepulvert und mit
rauchender Salzsaure ausgekocht. Beim Erkalten der Flflssigkeit
scheidet sich die Benzenylverbindung als ein Brei nadelf&rmiger gelb-
licher Krystalle aus, die nahezu rein sind. Die Farbe gehSrt der
Verbindung indessen nicht an; um sie zu entfernen l6st man die mit
Wasser gewaschenen Krystalle in heissem Alkohol und vei'setzt die
erkaltete LOsung mit Wasser bis zur begin nenden Opalescenz; die
nach kurzer Frist sich absetzenden gelben Krystalle enthalten die ganze
Menge der farbenden Substanz. Nach dem Abfiltriren derselben erhSlt
man aus dem Filtrate auf Zusatz von mehr Wasser weisse buschel-
:termig gruppirte Nadeln, welche den Schmelzpunkt 100 — ioi° zeigen.
Die Ausbeute ist nichts weniger als befriedigend. Man erhalt ungefShr
10 Procent des in Arbeit genommenen Naphtylbenzamids.
Die Verbindung hat die nach der Erfahrung in der Phenylreihe
zu erwartende Zusammensetzung
C„H„NS = C,oH6/ >C - QH^.
S
^ Church, Chem. News V. 324.
* Ebell, Lieb. Ann. CCVIII 324.
Hofmann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Naphtylverbindungen. 439
Theorie.
Versuch.
c.7
204 78.16
77-75
H„
I I 4^2 I
4.16
N
II 5-37
S
■
32 12.26
261 100.00
— I
12.36
Die Naphtylverbindung ist wie der entsprechende PhenylkSrper
bei sehr lioher Temperatur ohne Zersetzung fliichtig , die Dampfe be-
sitzen aber nicht den angenehmen Rosengeruch , welcher letzteren aus-
zeichnet; von dem Phenylkorper ^iinterscheidet sie sicb iiberdies durch
die viel weniger bestimmt ausgesprochenen basischen Eigenschaften ;
ans der heissen Losiing in concentrirter Salzsaure scheidet sie sich beim
Erkalten so vollstandig aus , dass die abfiltrirte Fliissigkeit anf Wasser-
znsatz kaum mehr getrubt wird. Es ist daher auch nicht gelungen,
ein Platinsalz derselben zu erhalten. In anderer Hinsicht zeigen die
beiden Substanzen viel Ahnlichkeit ; beide losen sich in Alkohol iind
Eisessig, ebenso in concentrirter Schwefelsaure , aus welcher sie auf
^asserzusatz unverandert wieder gefallt wurden. Beim Schmelzen
mit Alkali verwandeln sich beide in Benzoesaure und alkylirte Amido-
mercaptane. Das Amidonaphtylmercaptan wird aber bequemer auf
anderem Wege gewonnen.
Einwirkung des Schwefels auf ot-Naphtylformamid.
Methenylamido-ot-Naphtylmercaptan.
Die Reaction zwischen den beiden im Titel genannten K6rpem
ist eine sehr lebhafte. Es entwickeln sich Strome von brennbaren
Gasen, vorzugsweise aus Schwefelwasserstoflf bestehend. Die Vorlage
enthalt neben Wasser Naphtylamin und sein Formylderivat , aber gleich-
zeitig auch, obwohl in geringer Quantitat, die Methenylbase der
Reihe. In diesem Stadium ist das Reactionsproduct noch vollstandig
in concentrirter Schwefelsaure loslich; aus dieser LSsung werden durch
Wasser griine Flocken gefilllt. Auch in Nitrobenzol lost es sich mit
graugriiner Farbe. Beim weiteren Erhitzen tritt unter starker Auf-
blahung Verkohlung ein, wahrend gleichzeitig noch ausserst geringe
Mengen von Methenylbase iiberdestilliren. Behandelt man das Destilla-
tionsproduct mit concentrirter Salzsaure und sendet durch die filtrirte
LOsimg einen Strom von Wasserdampf , so geht die Methenylbase fiber.
Es ist eine in Wasser imlOsliche 5ls&rtige Flussigkeit, welche, soweit
ich dieselbe imtersucht habe, im Wesentlichen die Eigenschaften der
entsprechenden Phenylverbindung besitzt. Obwohl sie sich durch
440 Gesammtsitzung vom 26. Mai.
Wasserdampf aus saurer Ldsung ubertreiben lasst, ist sie doch einc
unzweifelhafte Base ; die salzsaure Losung liefert mit Platinchlorid einen
in gelben Nadelchen krystallisixeiiden Niederschlag, dessen Platingehalt
anf die Formel
hinweist. Derselben enteprechen 24.9 1 Procent Platin, gefiinden wurden
25.22 Procent. Es darf indessen nicht unerwahnt bleiben , dass das
analysirte Salz von einer Probe der Methenylbase stammte, welche
nach einem anderen Verfaliren gewonnen worden war.
Einwirkung des Schwefels auf ot-Naphtylacetamid.
Aethenyl- und Oxalylamido-ot-Naphtylmercaptan.
Die Reaction verlauft unter lebhafter Entwickelung von Schwefel-
wasserstoflf genau wie in der Phenylreihe , nur ausserordentlich viel
schneller ; in drei Stunden ist der Process zu Ende , wahrend die ent-
sprechende Reaction in der Phenylreihe die zeLnfacbe Zeit in Anspruch
nimmt. Man erkennt die Beendigung der Einwirkung daran, dass sich
eine Probe der geschmolzenen Masse in concentrirter Schwefelsaure
ohne Ruckstand I6st. Das Reactionsproduct ist nunmehr eine schwarze
dickflftssige Masse ge worden, welche an den Wanden kleine Krystalle
absetzt. In diesem Stadium muss man den Process unterbrechen,
weiteres Erhitzen wurde nur die schon an und ftir sich sehr mSssige
Ausbeute an Oxalylverbindung noch weiter herabstimmen.
Die wasserige Flussigkeit in der Vorlage enthalt ausser Naphtyl-
amin und Naphtylacetamid eine nennenswerthe Menge der Aethenyl-
base. Sie gleicht der Methenylbase und wird auch in ganz ahn-
licher Weise gewonnen, obwohl sie mit Wasserdampfen nicht ganz
so leicht ubergeht. Auch ist das Platinsalz etwas loslicher und kann
ilaher leicht in Nadeln krystallisirt erhalten werden. Die Platinbestim-
mung liess die Zusammensetzung
^S^
PtCl,
erkennen; diese Formel verlangt 24.35 Procent Platin, gefimden
wurden 24.09 Procent.
Der Ruckstand in der Retorte besteht zum grossen Theile aus
der Oxalylverbindung. Dieselbe wird mit siedendem Alkohol *
Hofmann: Amidophenylmercaptan und entsprech. Naphtylverbindungen. 441
ausgezogen, welcher verschiedene Nebenproducte entfernt und alsdaniiy
ahnlich wie dies fiir die Darstellimg des PhenylkSrpers -beschrieben
worden ist, im Luftstrom sublimirt. Diese Operation ist leider mit
noch viel grosseren Verlusten verbunden als die entsprechende in
der Phenylreihe. Aber aUe Versuche, dieselbe durch Anwendung von
LSsnngsmitteln zu umgehen, sind leider fehlgeschlagen. Bei der
Sublimation blaht sich das Rohproduct gewaltig auf ; man darf daher
nicht in zu kleinen Grefilssen arbeiten. Selbst bei der grossten Vor^
sicht betrSgt die Ausbeute schliesslich nicht mehr als etwa i o Procent
des angewendeten Naphtylacetamids. Die reine Substanz besteht aus
goldgelben Blattchen, deren Schmelzpunkt weit jenseits 300° liegt,
bei welcher Temperatur sie zum grossen Theile verkohlen. Von 5*
der reinen Substanz wurden bei einer neuen Sublimation nur i* wieder-
gewonnen. Die durch Sublimation gereinigte Oxalylverbindung ist selbst
in der Siedehitze in Alkohol kaum, aber doch noch so weit l5sbar,
dass sie demselben einen bitteren Greschmack ertheilt; ebensowenig
l5st sie sich in Aether, Amylalkohol, Benzol xmd Toluol; in hoch-
siedendem Steinkohlentheer5l ist sie etwas iSslicher und scheidet sich
beim Erkalten krystallinisch daraus aus. Siedendes Anilin nimmt
sie reichlich auf, lasst sie aber beim Erkalten im amorphen Zu-
stande ausfallen. Das beste LOsungsmittel des Korpers ist Nitrobenzol,
welches ihn in der Warme ziemhclP leicht I6st und beim Erkalten
krystallinisch absetzt. SchwefelsSure I6st ihn mit prSchtiger rother
Farbe, durch Wasserzusatz fSUt er aber wieder in amorphen gelben
Flocken aus. Dass hier wirklich die erwartete' Oxalylverbindung
VjjUijWjOj —
vorlag, erhellt aus folgenden Zahlen:
Theorie
1
Versuch.
Cjj 264
71-74
71.14
H„ 12
3.26
3-34
N, 28
7.61
S, 64
17-39
16.9
368 100.00
Einen weiteren Beweis liefert die KaUschmelze.
Amido-ot-Naphtylmercaptan.
Die Verschmelzimg erfolgt am besten , wenn man auf 1 Gew. Th.
des OxalylkSrpers 3 Gew. Th. Kalihydrats in Anwendimg bringt.
Die Reaction geht nicht ganz so leicht von Statten wie in der
SitzuDgsberichte 1887. 41
442 Gesainmtsitzung vom 26. Mai.
Phenylreihe; man hat aber ein bequemes Mittel, ihre Beendigung zu
erkennen. Wenn eine Probe der Schmelze, mit concentrirter Schwefel-
s§.iire ubergossen, nicht mehr die schone rothe Farbe zeigt, ist die
Spaltung vollendet. L6st man die Schmelze , welche nimmehr Amido-
naphtybnercaptan und Oxalsaure enthalt, in Wasser auf, so beobachtet
man wie die im ersten Augenblick vollkommen klare L6sung von
der Oberflache aus schnell eine starke Triibung erfehrt, offenbar von
dem Ubergange des gel5sten Mercaptans in Disulfid herrClhrend.
Diese leichte Oxydirbarkeit des Mercaptans erschwert in hohem Grade
seine Reindarstellimg. Ich bin in der That nicht im Stande gewesen,
diesen KSrper in einem fiir die Analyse geeigneten Zustande zu
erhalten. Am besten gelingt es noch eine einigermaassen reine Sub-
stanz zu gewinnen, wenn man die LOsimg der Schmelze mit Salzsaure
ansauert imd alsdann mit Aether ausschiittelt. Beim Verdampfen des
Aethers bleibt das Mercaptan als ein schmieriges 01 zuruck, welches
aber schon erhebliche Mengen des Disulfids enthalt. Dass hier nam-
lich im Wesentlichen das Amidonaphtylmercaptan
vorliege, ergab sich aus dem Verhalten dieses 01s gegen verschiedene
Reagentien. Durch Digestion nmt Benzoylchlorid lieferte es die Ben-
zenylverbindung vom Schmelzpunkte loo — ioi°. Durch Behandlung
mit Ameisensaure entstand die Methenylbase ; die vorstehend angefuhrte
Platinbestimmimg ist in der That mit einem Salze angestellt, welches
aus so gewonnener Base bereitet worden war. Beim iSngeren Kochen
endlich mit EssigsSureanhydrid wurde die Aethenylbase erhalten. Es
ist schon oben darauf hingemesen worden, dass die Eigenschaften der
MercaptankOrper der Naphtylreihe minder bestimmt ausgesprochen sind,
als die der Phenylgruppe. Das fallt zumal bei dem Naphtylmercaptan
selber auf. Es lost sich nur noch schwierig in SalzsSure auf; in der
von dem ungelSst gebliebenen Mercaptan abfiltrirten salzsauren L6simg
bringt Eisenchlorid kaum mehr einen Niederschlag von Disulfid hervor.
Das Disulfid ist im reinen Zustande ein goldgelbes, in Alkohol
und Aether fast unlosliches Pulver, welches sich aber in concentrirter
Schwefelsaure , schwieriger in Eisessig I6st. Aus beiden LOsungen
wird es durch Wasser in gelben Flocken gefallt. AUe Versuche, die
Verbindung in Krystallen zu erhalten , sind fehlgeschlagen. Auch das
Disulfid hat keine basischen Eigenschaften mehr. In Salzsaure ist es
vollkommen unl6slich.
Hofmamn: Amidophenylmercaptan und entsprech. NaphtylverbinduDgen. 443
Versuche mit ^S-Naphtylamin.
Bei der Beschreibung derselben darf ich mich kurz fassen, da
sie eigentlich gar nichts anderes sind, als eine Wiederholiing der mit
der 06-Verbiiidiing angestellten.
Beziiglich des fiir die Darstellung der Benzenylverbindung ver-
wendeten ^-Naphtylbenzainids will ich kurz bemerken, dass es am
besten nacli dem von Cosiner* eingeschlagenen Verfahren, Behandlimg
des Amins mit Benzoylchlorid , gewonnen wird. Man erhalt anf
die^e Weise eine reichliche Ausbeute des K5rpers in grossen weissen
Nadeln, welche bei 157° schmelzen, w&hrend Cosiner den Schmelz-
punkt bei 141 — 143° angiebt. Der hShere Schmelzpunkt war ubrigens
auch schon von Klopsch ,^ der das Amid auf dieselbe Weise dargestellt
liatte, beobachtet worden.
Ich will nicht mierwahnt lassen, dass der Versuch, das ^-Naphtyl-
benzamid Shnlich wie die ot-Verbindimg, namlich durch die Einwirkmig
von Benzoesaure auf ^S-Naphtylamin darzustellen, ein sehr unbefriedigen-
des Ergebniss geliefert hat. Es bilden sich dabei unter lebhafter Am-
moniakentwickelung reichliche Mengen (40 — 50 Procent) von Di-
naphtylamin
2C,oH7NH, = (C,oH7),NH + NH3 ,
welches sowohl durch den Schmelzpunkt (170°), als auch durch die
blaue Fluorescenz *der alkoholischen LOsung, wie endlich durch die
Analyse identificirt wurde. Der Formel
(C,oH,),NH
entsprechen folgende Werthe:
Theorie. Versuch.
Kohlenstoff 89.22 89.34
Wasserstoflf 6.25 6.37
Das Dinaphtylamm ist in der That in ganz ahnlicher Weise auch
von Jacobson^ bei der Einwirkung von Eisessig auf /3 - Naphtylamin
als Nebenproduct erhalten worden.
Benzenylamido-^-Naphtylmercaptan.
Darstellung und Eigenschaften des K5rpers gleichen denen der
flt-Verbindimg. Der Schmelzpunkt der aus Salzsaure in verfilzten Nadeln
krystallisirenden Substanz liegt indessen etwas hSher, namlich bei
* Cosiner, Ber. chem. Ges. XIV. 59.
' Klopsch, Ber. chem. Ges. XVlll. 1585.
' JaCobson, Ber. chem. Ges. XIV. 1301.