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Full text of "Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften"

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AS 

HZ 



SITZ UNGSBERICHTE 



DBB 



PHILOSOPHISCIl-HISTOßlSCIIEN KLASSE 



DER KAISERLICHEN 



AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 



hundertsechsundfOnfzigster band. 

(MIT 8 TAFELN UND 1 STAMMBAUM,) 



WIEN, 1908. 



TN KOMMISSION BEI ALPRED HOLDER 

E. U. K. HOF. UHU VNIYKRAviTS-BUCHRiNDLtR 
BUCBHANDLBR DIR KAISBRUCBBH AKADBHIR DRK WISSBNSOBArTBB. 



Druck Ton A4olf Holshsnsen, 
k. uad k. H«r- «od Univaniau-Bvcbdrackw ta WIm. 



INHALT. 



I. Abhandlangr. Sch($nbach: Studien zur Erzähl ungsUteratur des Mittel- 
alters. Sechster Teil : Des Nikolaus Schlegel Beschreibung des Hostien- 
Wunders zu Münster in GraubUnden. 
IL Abhandlang. Schonbach: Mitteilungen aus altdeutschen Hand- 
schriften. Neuntes Stück: Bruder Dietrich. — Erbauliches in Prosa 
und Versen. 

III. Abhandlung'. Rzach: Analekta zur Kritik und Exegese der Sibylli- 
nischen Orakel. 

IT. Abhandlang. Wachstein: Wiener hebräische Epitaphien. (Mit 
3 Tafeln.) 
T. Abhandlnng. Richter: Die Bedeutung^geschichte der romanischen 
Wortsippe hur(d). (Mit einem Stammbaum.) 

Tl. Abhandlang. Loserth: Studien zur Kirchenpolitik Englands. II. Teil. 
Die Genesis von Wiclifs Summa Theologiae und seine Lehre vom 
wahren und falschen Papsttum. 



'^^Vi_7 



L SITZUNG VOM 9. JÄNNER 1907. 



Seine Exzellenz der versitzende Vizepräsident W. von 
Hartel macht Mitteilung von dem schweren Verlaste, den die 
Akademie durch das am 2. Januar 1. J. erfolgte Ableben ihres 
w. M. Herrn Sektionschefs Dr. Otto Benndorf, Direktors des 
k. k. österreichischen archäologischen Institutes in Wien, er- 
litten hat. 

Die Mitglieder geben ihrem Beileide durch Erheben von 
den Sitzen Ausdruck. 



Der Sekretär Herr Hofrat R. von Karabacek verliest 
die folgende Zuschrift des Secr^taire perp^tuel der Acad^mie 
des inscriptions et belles-lettres (Institut de France)^ k. M. Herrn 
George Perrot in Paris vom 6. Januar L J.: 

,Monsieur le pr^sident et honore confr&re, 

La mort de M. Otto Benndorf , qui nous a 6i6 annonc^e 
par un billet de faire part que m'a envoyä Tlnstitut arch^o- 
logique autrichien, a causa k toute TAcad^mie une surprise 
et une Emotion douloureuse. Cette Emotion a iii particuli^re- 
ment ressentie par ceux d'entre nous qui, vouös aux ^tudes 
d'arch^ologie classiquC; ont tirä tant de profit des Berits de 
Benndorf, oü le goüt fin de Tartiste s'allie toujours k la science 
acquise dans les livres et dans T^tude des monuments. 

yll se trouvait justement que, le jour oü nous avions a 
annoncer la fun&bre nouvelle, c'ätait Tun de ces arch^ologues, 
M. Salomon Reinach, qui prenait la pr^sidence de TAcad^mie. 
II a ouvert la säance en se faisant Tinterpr^te des regrets que 
nous causait la perte de notre savant correspondant, dont nous 
avions comptä faire, k la premiire occasion, un de nos associes 
^trangers. 



VI 

,Je n'ai pas voulu attendre, pour vous commaniquer le 
texte de cette allocntion^ qu'ello soit imprim^e dans nos Comptes- 
rendus. Je vous Tadresse, et je vous serais reconnaissant de 
vouloir bien le communiquer k vos confr&res de rAcademie 
imperiale des sciences/ 

Die Ansprache des Präsidenten; Herrn S. Rein ach, hatte 
folgenden Wortlaut: 

^Messieurs, 

J'ai le penible devoir d'annoncer k rAcademie la mort 
d'un de ses correspondants les plus estimds, M. le professeur 
Otto Benndorf, directeur de Tlnstitut archeologique autrichien. 
Ne en Saxe en 1838, M. Benndorf fut ^leve de Tlnstitut ar- 
cheologique de Rome, puis successivement professeur k Zürich, 
k Prague et, depuis 1877, k Vienne, oü il succöda k M. Ale- 
xandre Conze. Quatre grandcs campagnes de fouilles et d'ex- 
plorations, Celles de Samothraco, de Lycie, d'Adam-KUssi (Tro- 
paeum Trojani) et d'Ephöse, ont iii accomplies sous sa 
direction ou avec son concours. C'est k lui surtout que le 
Musde imperial de Vienne doit de poss^der les admirables 
sculptures du Mausoläe de Trysa en Lycie, comme les statues 
et les bas-reliefs d^couverts plus ricemment k Ephfese, au cours 
de fouilles que M. Benndorf avait provoquöes (1895) et qui se 
poursuivent encore. M. Benndorf reunissait, k un degrö eminent, 
les qualitös de Texplorateur, de l'administrateur, du savant. 
On lui doit la fondation du S^minaire archöologique de TUni- 
versitz de Vienne, pourvu d'une coUection d'antiques et d'une 
bibliothftque speciale dont bien peu de centres universitaires 
offrent l'^quivalent; c'est lui aussi qui a cr66, en 1898, lln- 
stitut archöologique autrichien, dont Torgane scientifique, les 
Jahreshefte, rddigö avec autant de goüt que de savoir, a 
conquis rapidement une place Eminente parmi les publications 
arch^ologiques. Tous les ouvrages de AI. Benndorf, jusqu'k 
ses moindres articles, attestent une Erudition exacte et pro- 
fonde, relevöe par une finesse d'observation et une' elägance 
de langage qui en sont la marque distinctive. Ägi de 30 ans 
k peine, il publiait, avec M. Schoene, le beau catalogue raisonnö 
du mus^e du Latran qui est restä le mod&le de ce genre 
d'ouvrages. L'un des premiers, il salua dans la Victoire de 
Samothracc un chef-d'ceuvre de Tart grcc et, par une henreuse 



VII 

Inspiration, la mit en rapport avcc Thistoire politiquo de la 
QrhcQ et lai assigna une date pröcise. Son ouvrage sur les 
yases peints peut etre considärö comme le point de döpart de 
toutcs les reeherehes modernes sur la c^ramiqae attique de 
beau style, en particulier sur les licytheres blancs; les feailles 
de gravures qn'il pablia, sons le titre de Vorlegeblätter, 
ont fait nne grande part aax monuments de la cäramique et 
en ont efficacement seeonde Tötude. La relation de ses voyages 
dans le Sad-Oaest de rAsie-Mineure, sa monographie snr le 
Mausolöe de Trysa, ses mömoires sar la tSte d'Eleusis attribu^e 
par loi ä PraxitMe, sar les grands bronzes da Masäe de Naplcs 
et sar la belle statae de bronze ddcouverte k Eph&se, bien 
d'aatres travaax encore qae je ne pais examiner ici, assarent 
a son nom ane renomm^e darable et les pieax regrets de toas 
les amis de Tantiqaitä. L'Academie des Inscriptions qai, de- 
pais 1895, comptait M. Benndorf parmi ses correspondants 
ätrangers, s'assoeie aa deail de TAcad^mie de Vienne, oü il 
repr^sentait nos Stades avec tant d'aatoritä et d'äclat/ 



Der Sekretär verliest ein Schreiben des Landesarchivars in 
Kärnten, Herrn Dr. Aagast Ritter von Jaksch in Klagenfart, 
worin dieser für die Zaerkennang einer Sabvention als Drack- 
kostenbeitrag zar Heraasgabe des Schlaßbandes seiner Mona- 
menta historica dacatas Carinthiae^ dankt and sich bereit 
erklärt, dem Wansche der Akademie, als Ergänzang dieser 
,Monamenta' eine Faksimiliensammlang heraaszageben, in Bälde 
za entsprechen. 

Weiters verliest der Sekretär ein Dankschreiben des 
Geographischen Institates der k. k. Universität in Graz fdr 
die Übersendang eines Exemplares der ersten Lieferang des 
,Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer' sowie der 
,Erläaterangen' hieza. 

Der Sekretär legt die von der königl. Gesellschaft der 
Wissenschaften in Göttingen in mehreren Exemplaren über- 
sandte ,Beilage za den Protokollen der Kartellversammlang 
vom 15. and 16. Oktober 1906, betreffend die Heraasgabe 
mittelalterlicher Bibliothekskataloge (enthaltend: Memorandam 
des Herrn von Ottenthai and Annex daza)' vor. 



VIII 

Zugleich macht die königl. Qesellschaft der Wissenschaften 
Mitteilung, daß die Führung der Vorortgeschäfte des Kartells 
mit 1. Januar 1. J. auf die königl. bayer. Akademie der Wissen 
Schäften in München übergegangen ist. 



Das k. M. Herr Hofrat Professor Dr. J. Loserth über- 
sendet eine Arbeit unter dem Titel : ^Studien zur Kirchenpolitik 
Englands im 14. Jahrhundert. II. Teil. Die Genesis von Wiclifs 
Summa Theologiae und Wiclifs Lehre vom wahren und falschen 
Papsttum' und bittet um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte. 



Der Sekretär überreicht zwei von Herrn Karl Worel in 
Qraz eingesandte Manuskripte^ betitelt: ^Das Jotasuffix als ein 
im Sprachbewußtsein der deutschen alpenländischen Mundarten 
noch gegenwärtig reges indogermanisches Sprachelement' und 
^Mittelhochdeutsche Wortformen, die der deutschen Schrift- 
sprache fremd sind, im steirischen Dialekt^ 



Der Sekretär legt ferner eine Abhandlung des Herrn 
Professor Dr. Alois Rzach in Prag vor, betitelt: ,Analecta 
zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel', um deren 
Aufnahme in die Sitzungsberichte der Verfasser bittet. 



Der Sekretär überreicht das vom Autor, Herrn Professor 
Dr. R. F. Kaindl in Czernowitz übersandte Werk: ,Qeschichte 
der Deutschen in den Karpathenländcrn. Erster Band: Ge- 
schichte der Deutschen in Galizien bis 1772 (Deutsche Landes- 
geschichten, herausgegeben von Armin Tille. Achtes Werk). 
Gotha 1907*, sowie eine Abhandlung »Beiträge zur Geschichte 
des deutschen Rechtes in Galizien (Fortsetzung)', um deren 
Aufnahme in das ,Archiv fUr österreichische Geschichte' der 
Autor ersucht. 

Das w. M. Herr Hofrat Professor Dr. Anton E. Schönbach 
in Graz legt eine Abhandlung vor unter dem Titel: ^Studien 



IX 

zur Erzählangsliteratur des Mittelalters. Sechster Teil: Des 
Nikolans Schlegel Beschreibung des Hostienwunders zu Münster 
in Graubünden'. 

Derselbe legt ferner eine Abhandlung vor unter dem 
Titel: ^Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. Neuntes 
Stück: Bruder Dietrich. Erbauliches in Prosa und Versen'. 



IL SITZUNG VOM 16. JÄNNER 1907. 



Der Präsident, Herr Professor Eduard Suess, gedenkt 
in tief empfundenen Worten des schweren Verlustes, den die 
Akademie durch das am 14. Januar 1. J. unvermutet erfolgte 
Hinscheiden ihres Vizepräsidenten, Sr. Exzellenz des Herrn 
Dr. Wilhelm Ritter von Hartel, k. u. k. wirklichen geheimen 
Rates, k. k. Ministers a. D., Mitgl. des Herrenhauses des österr. 
Reichsrates, Qroßkreuzes usw., erlitten hat. 

Die Mitglieder geben ihrer Trauer durch Erheben von 
den Sitzen Ausdruck. 



Der Sekretär, Herr Hofrat Ritter von Karabacek, ver- 
liest ein vom Rektor der Jagelloniscben Universität in Krakau, 
Herrn Professor Kazimierz von Morawski, gezeichnetes 
Beileidstelegramm dieser Universität zum Ableben des Vize- 
präsidenten; 

desgleichen eine Zuschrift des k. und k. Direktors des 
k. k. Hof burgtheaters , Herrn Dr. Paul Schienther, namens 
des Komitees fiir die Grillparzer-Preisstiftung. 

Werden mit dem Ausdrucke des Dankes zur Kenntnis 
genommen. 

Der Sekretär überreicht eine Einladung der k. k. Karl 
Franzens • Universität in Graz zur Teilnahme an der am 
19. d. M. stattfindenden Enthüllung eines Denkmales fUr weiland 
Franz von Krones, k. M., in der Aula dieser Universität. 



X 

Das w. M. Herr Hofrat von Lnechin-Ebengreath wird 
die Akademie bei dieser Feier vertreten und namens derselben 
einen Lorbeerkranz am Denkmal niederlegen. • 



Das Kuratorium der Schwestern Fröhlich- Stiftung zur 
Unterstützung bedürftiger hervorragender schaffender Talente 
auf dem Gebiete der Kunst; Literatur und Wissenschaft tiber- 
sendet wie alljährlich eine Kundmachung tiber die Verleihung 
von Stipendien und Pensionen aus der bezeichneten Stiftung 
pro 1907; mit der Bitte um Verlautbarung. 

Aus dieser Stiftung werden verliehen: 

a) Stipendien an Künstler oder Gelehrte zur Vollendung 
ihrer Ausbildung oder zur Ausführung eines bestimmten Werkes, 
oder zur Veröffentlichung eines solchen, oder im Falle plötzlich 
eintretender Arbeitsunfähigkeit. 

b) Pensionen an Künstler oder Gelehrte, welche durch 
Alter, Krankheit oder Unglücksfälle in Mittellosigkeit ge- 
raten sind. 

Zur Erlangung eines Stipendiums muß der Bewerber 
in seinem an das Kuratorium zu richtenden Gesuche folgende 
Belege beibringen: 

a) den Tauf- oder Geburtsschein, 

b) Studien- oder Prüfungszeugnisse, 

c) glaubwürdige Zeugnisse über seine wissenschaftlichen 

oder künstlerischen Leistungen, 

d) ein behördliches Zeugnis über seine Mittellosigkeit. 
Mit dem Gesuche um eine Pension ist beizubringen: 

a) der Tauf- oder Geburtsschein, 

b) eine glaubwürdige Bescheinigung über die Krankheit 

oder den Unglücksfall, wodurch der Bewerber in 
Mittellosigkeit geraten ist, 

c) ein Ausweis über die Verdienste des Bewerbers um 

Wissenschaft und Kunst. 
Die vorschriftsmäßig belegten Gesuche samt eventuellen 
Kunstproben sind bis 31. März 1907 im Präsidialbureau des 



XI 

Wiener Gemciuderates L, Lichtenfelsgasse 2, I. Stock, zu 
Überreichen^ woselbst auch die Stiftangsstatuten behoben werden 
können. 

Nicht entsprechend instruierte Gesuche werden nicht in 
Betracht gezogen. 



IIL SITZUNG VOM 23. JÄNNER 1907. 



Der Vorsitzende Alterspräsident, Herr Hofrat F. Kenner, 
gedenkt des Verlustes, den die Akademie durch das am 21. 
d. M. in Mailand erfolgte Ableben ihres auswärtigen Ehren- 
mitgliedes, Herrn Senators Professors Dr. Graziadio Ascoli 
erlitten hat. 

Die lilitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides 
Yon den Sitzen. 



Der Sekretär teilt die aus Anlaß des Ablebens des Vize- 
präsidenten^ Sr. Exzellenz des Herrn Dr. Wilhelm Ritter von 
Hartel, an die Akademie eingelangten Beileidsschreiben mit. 

Solche Schreiben sind eingelangt: 

von der königl. Akademie der Wissenschaften in Amster- 
dam, königl. preußischen Akademie der Wissenschaften in 
Berlin, Acadömie royale des sciences de Belgique in Brüssel, 
Magyar Tudominyos Akadämia in Budapest, königl. Gesell- 
schaft der Wissenschaften in Göttingen, kais. Akademie der 
Wissenschaften in Krakau, königl. sächs. Gesellschaft der 
Wissenschaften in Leipzig, königl. bayr. Akademie der Wissen- 
schaften in München; 

vom kais. archäologischen Institut in Berlin, der Kom- 
mission für den Thesaurus linguae latinae (Geheimrat Dr. 
Bücheier) in Bonn, von der Philologischen Gesellschaft in 
Budapest und der k. k. geographischen Gesellschaft in Wien; 

vom Rektorat folgender Hochschulen: Franz Josefs-Uni- 
versität in Agram, deutsche und böhmische technische Hoch- 
schule in Brunn, Leopold Franzens -Universität in Innsbruck, 



XII 

technische Hochschule in Lemberg^ deutsche und böhmische 
Karl Ferdinands-Universität in Prag; deutsche und böhmische 
technische Hochschule in Prag, technische Hochschule in Wien 
und Hochschule für Bodenkultur in Wien; 

von der belgischen Gesandtschaft (Se. Exzellenz Baron 
de Borchgrave) und von der deutschen Botschaft (Se. Ex- 
zellenz Graf von Wedel) in Wienj 

vom Bürgermeister und Stadtrat der Stadt Elbogen; 

ferner von vielen Mitgliedern der Akademie und Privaten. 

Werden mit dem Ausdrucke des Dankes zur Kenntnis 
genommen. 

Der Sekretär überreicht die beiden kürzlich ausgegebenen 
akademischen Schriften; und zwar: 

Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissen- 
schaften, phil.-hist. KlassC; CLH. Band; Jahrgang 1905/6. Wien 
1906; und 

Archiv für österreichische Geschichte. Herausgegeben 
von der historischen Kommission. XCV. Band, zweite Hälfte. 
(Mit 6 Stammtafeln.) Wien 1906. 



Der Sekretär verliest eine Kundmachung der k. k. n.-ö. 
Statthalterei in Wien bezüglich der Modalitäten ftir die Ver- 
teilung des Friedenspreises der Nobel-Stiftung im Jahre 1907. 

Laut der vom Komitee der Nobclstiftung des norwegischen 
Parlamentes unterm 1. Dezember d. J. hieher geleiteten Kund- 
macliung sind für die Verteilung des Friedenspreises dieser 
Stiftung im Jahre 1907 folgende Bestimmungen maßgebend: 

,Um bei der am 10. Dezember 1907 erfolgenden Verteilung 
des Friedenspreises der Nobelstiftung in Betracht gezogen zu 
werden, müssen die Bewerber dem Nobel-Komitee des norwe- 
gischen Parlamentes durch eine hiezu berufene Person vor 
dem 1. Februar 1907 in Vorschlag gebracht werden. 

Zur Erstattung dieses Vorschlages sind berufen: 

1. die gegenwärtigen und ehemaligen Mitglieder des Nobel- 
Komitees des norwegischen Parlamentes und die Beiräte des 
norwegischen Nobelinstitutes ; 



XIII 

2. die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften und 
der Regierungen der verschiedenen Staaten, wie auch die Mit- 
glieder der interparlamentarischen Union; 

3. die Mitglieder des ständigen Schiedsgerichtshofes im 
Haag; 

4. die Kommissionsmitglieder des ständigen internationalen 
Friedensbureaus ; 

5. die ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder des 
Institutes fUr internationales Recht; 

6. die Universitätsprofessoren für Rechtswissenschaft und 
für Staatswissenschaft, für Geschichte und für Philosophie; 

7. jene Personen, welche den Friedenspreis der Nobel- 
stiftung erhalten haben. 

Der Friedenspreis der Nobelstiftung kann auch einem 
Institute oder einer Gesellschaft zuerkannt werden. 

Gemäß Artikel 8 des Begründungsstatutes der Nobel- 
stiftung muß jeder Vorschlag mit Gründen versehen und mit 
jenen Schriften und sonstigen Dokumenten^ auf welche er sich 
stützt, belegt werden. 

Gemäß Artikel 3 dürfen nur solche Schriften zum Wett- 
bewerbe zugelassen werden, welche im Drucke veröflFentlicht 
worden sind. Weitere Auskünfte können von den zur Antrag- 
stellung berufenen Personen beim Komitee Nobel des norwe- 
gischen Parlamentes, Drammensvei 19, Kristiania eingeholt 
werden.' 

Der Sekretär verliest einen Brief des w. M. Herrn Sektions- 
chefs Dr. Th. Ritter von Sickel in Meran, worin derselbe 
für die ihm seitens der kais. Akademie zu seinem 80. Geburts- 
tage überreichte Glückwunschadresse seinen Dank ausspricht. 



Der Sekretär überreicht die im Wege der k. und k. 
österr.-ungar. Botschaft in St. Petersburg übermittelten vier- 
zehn Bände der Memoiren der kais. Universität in Odessa 
(,Zapiski imperatorskago novorossijskago universiteta'). Odessa 
1893 bis 1899. 

Es wird hiefür der Dank ausgesprochen und die Serie 
wird der akademischen Bibliothek einverleibt. 



XIV 

Das w. M. Herr Professor Meyer-Liibke überreicht eine 
Abhandlung von Fräulein Dr. Elise Richter in Wien, betitelt: 
,Die Bedeutungsgeschichte der Romanischen Wortsippe bur(d)'' 
und beantragt deren Aufnahme in die Sitzungsberichte. 

Die Abhandlung wird in die Sitzungsberichte aufgenommen. 



Die Abhandlung des k. M. Herrn Hofrates Professors Dr. 
Johann Loserth in OraZ; betitelt: ^Studien zur Geschichte 
der Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. H. Teil: Die 
Genesis von Wicliffs Summa Theologiae und WicliiBFs Lehre vom 
wahren und falschen Papsttum^ wird gleichfalls in die Sitzungs- 
berichte aufgenommen. 



I. Abh.: SchOnbach. Studien zur Erzählungsliteratur etc. 



I. 

Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters. 

Von 

Anton £. Sohonbaoh, 

wirkl. Uitgliede der kais. Akademie der WiseenachaftoD. 
Sechster Teil: 

Des Nikolaas Schlegel Beschreibung des Hostienwnnders 
zu Münster in Graubünden. 

(Vorgelegt in der Sitzung am 9. Jannar 1907.) 

Dem Grandsatze gemäß , den ich bei meinen Stadien 
über die deutsche Literatur des Mittelalters (auch in lateini- 
scher Sprache) verfolge und den ich zuletzt im Vorwort zu 
meiner Arbeit über Hermann von Renn (SB. 150. Band, 1905) 
ausgesprochen habe, wornach bei Untersuchungen solche Stücke 
zu bevorzugen sind, welche durch den Namen des Verfassers 
oder durch Angaben über Personen und Orte feste Punkte für 
geschichtliche Bestimmungen gewähren, hatte, ich mir schon 
seit langen Jahren ein Gedicht in der alten Wiener Handschrift 
des Guten Gerhard Rudolfs von Ems (Kod. N. 2699 der k. k. 
Hofbibliothek) vorgemerkt, über das bisher nur die Notiz in 
HoiFmann von Pallerslebens Katalog der Wiener deutschen 
Handschriften (1841) S. 45f. bekannt war. Denn Moritz Haupt 
hatte in seiner Ausgabe des Guten Gerhard (1840) zwar dieses 
Stück S. VI erwähnt, jedoch ohne einen der schon im Anfange 
vorkommenden Namen zu nennen. 

Als ich nun diese schöne Handschrift, dank der Güte des 
Herrn Hofrates v. Karabacek, im Herbste des Jahres 1906 be- 
quem benutzen durfte, brachte ein Zufall mich in die Kenntnis, 
daß Professor Dr. Josef SeemUller, aufmerksam gemacht 
durch Professor Dr. Edward Schröder in Göttingen, der eine 
neue Ausgabe des Guten Gerhard zum Druck rüstet, schon 

Sitxoagiber. d. phU.-hist. Kl. 156. Bd , 1. Abh. 1 



2 I. AbliAndlung: Schon b ach. 

1901 sich dieselbe Handschrift hatte nach Innsbruck schicken 
lassen nnd sich damit beschäftigte. Auf eine Anfrage hin hat 
dann Professor Se emulier nicht bloß ^den Stoff für frei er- 
klärt', sondern mir sogar durch Übersendung seiner Abschrift 
der lateinischen Aufzeichnungen das Fortsetzen meiner Arbeit 
ermöglicht und auf jede Weise erleichtert, für welches freund- 
schaftlich selbstlose Verhalten ich ihm auch an dieser Stelle 
meinen herzlichsten Dank ausdrücke. 

Der Gute Gerhard Rudolfs von Ems schließt in dieser 
alten Handschrift A (Nr. 2699) auf Spalte 46 ^'j und zwar so, 
daß noch elf der eingeritzten Zeilen darauf frei bleiben. 46^ mit 
der obersten Zeile beginnt ein neues Stück, das 48 <^ schließt; 
allein zwischen 47^ und 48^ ist ein Blatt ausgeschnitten, von 
dem nur ein fingerbreiter Rand übrig blieb. Man wird nicht 
glauben dürfen, daß dieses Blatt weggenommen wurde, weil 
der Inhalt Anstoß erregte, denn auch im Guten Gerhard sind 
an zwei Stellen je zwei Blätter ausgeschnitten worden (Haupt, 
S. VI), ohne daß dort die Erzählung irgendwie die Schädigung 
hätte veranlassen können: es wird einfach die Pergamentnot 
eines Buchbinders daftLr verantwortlich zu machen sein. Weil 
nun bei diesem Schlußstück des Kodex 34 oder 35 Verse auf 
der Spalte zu stehen pflegen, fehlt die Mittelpartie des Gedichtes 
mit ungefähr 136 Versen, so daß der Umfang des vollständigen 
Werkleins, von dem 270 Verse bewahrt sind, etwa 400 Verse 
betragen hat. Nach allen Einzelnheiten der Einrichtung und 
Technik ist dieses Gedicht von demselben Schreiber aufge- 
zeichnet worden, dem die voranstehende Abschrift des Guten 
Gerhard zu danken ist, nur daß auf den Spalten 46^ und 47* 
die Tinte etwas blasser aussieht denn vorher. Wenn sich nun 
das Gedicht, dessen Stoff ein Ereignis bildet, das im heutigen 
Unterengadin erlebt wurde, in einer Handschrift nachgetragen 
findet, welche eine alte und gute Überlieferung eines Jugend- 
werkes des churrätischen Epikers Rudolfs von Ems (Baechtold, 
Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz , S. 96 ff. 
Anm., S. 29. 215) enthält, so hat da schwerlich ein Zufall ge- 
waltet. Doch habe ich über die Provenienz des Kodex nichts 
zu ermitteln vermocht, so daß sich über die allgemeine Ver- 
mutung eines örtlichen Zusammenhanges zwischen dem Schreiber 
und den Dichtern nicht hinauskommen läßt. 



Stadien zur ErzäbhtngsUteratQr des MitteUlten. 3 

Im Folgenden wage ich eine kritisch bereinigte Gestaltang 
des Reimwerkleins von Nikolans Schlegel ans dem Vintschgan. 
Ich hätte es mir ja bequemer machen und mich mit dem buch- 
stabengetrenen Abdruck der Überlieferung beruhigen können, 
allein die Deutlichkeit des Abstandes zwischen Schreiber und 
Dichter schien mir eine Art Verpflichtung aufzuerlegen. Auch 
habe ich diesmal nicht (was ich sonst gern zu tun pflege) eine 
diplomatische Wiedergabe des Überlieferten unter das Rekon- 
struierte gestellt, weil meiner Ansicht nach die von demselben 
Schreiber aufgezeichneten 6368 (6928 — 560) Verse des Guten 
Gerhard ein viel verläßlicheres Material für die Erkenntnis seiner 
Lautgebung und seines Verfahrens beim Kopieren darstellen 
als die 135 Reimpaare des Nikolaus Schlegel. Doch stelle ich 
die Eigentümlichkeiten der Lautgebung des Schreibers noch 
besonders zusammen und denen des Autors gegenüber. Die 
Verse sind in der Handschrift abgesetzt, zumeist stehen Reim- 
punkte am Ende der Zeilen, jeder erste Vers des Reimpaares 
beginnt mit einem Kapitalbuchstaben, der rot durchzogen ist. 
Es wird nicht viel und nur in der geläufigsten Weise abgekürzt. 
In die Lesarten stelle ich nur die wichtigeren, nicht bloß gra- 
phische Differenzen. 

(46^) Gelohtiu tcerdiu Trinitdt 

diu niemer me ein ende hat 
und nie het ein anevanCj 
gib mir den sin und den gedanCy 
6 daz ich üz mtnes herzen grünt 
von dir gespreche^ daz min munt 
sage rehte tcaz geschah, 
do man zeinen ziten sah 
dich in eins gmhten priesters hant, 

10 Ein kloster st tu vor genant, 
daz heizet Münster unde lit 
in Vinscheu an allen strit, 
anderhalp litchenberc hin tn, 
da man vert gen Wurmes hin. 



Übersehriß rot: ditx ist von gotz Hchnam. 1 G rote Initiale, 

3 het ineuaDk. 13 Annerthalp. 

1* 



^ I. Abhandlung: Schünbftch. 

15 daz selbe kldster hat swarzez leben 
und minnsy als im got hat geben, 
und ist sante Johanns Baptist 
houbtherre da an bcesen lisL 

Der heilege ist sd hoch von art, 

20 daz von wibes Übe wart 
so heilec man nie gebom, 
zwen Propheten üz erkorn, 
JerSmias und Esayas, 
den zweien wissagen was 

25 kunt wol mer den hundert jär 
vor Johanns geburte, daz er gar 
wart heilec in der muoter sin, 
daz wart wol an dem engel schin, 
der kündet in; daz nieman sah 

80 wan Jhesus sah in, als man jah, 
und was ouch gänzlichen war, 
der engel brdht die botschaft dar 
mit rede üz götltchem munt. 
(47*) ez wart gesehen nie diu stunt 

36 daz sant Johannes het gemach, 
in der touoste man in sah 
gen in stnem kötzeltn, 
der was von lidr der kembelin 
gemachet, so seit uns diu Schrift. 

40 an im het er anders niht 
unde truoc umb in ein seil 
von Schafwolle, die er ein teil 
het ab den stüden gelesen^ 
da e diu schdf waren gwesen. 

46 hertez leben was im bekant, 
stnen kotzen er dö vant 
wahsen an dem Übe sin, 
von gotes kraft er tranc nie wtn 
noch bier noch mete noch lütertranc. 



17 immer Johannes. 38 vor har der kflemblfn. 39 Gemachhet, 

das zweite h durch FunkU geiügt, 46 dö fehlt. 



Studien zur Erzähluiigsliteratur des Mittelalters. 

60 mit wazzer lebte sin gedanc 

und az wildez honec und locustä. 
nü 8ult tV merken aber d(i, 
solt ich iu sagen, xoaz im geschah 
und waz er kumber und ungemach 

65 durch den wären got erleit, 
80 muoz min rede werden breit, 
und wie sin vinger nie verbrant 
moht werden von der Juden hant, 
der Hf gotes lamp het dar 

60 gezeiget mit wdrheit gar. 

Daz wil ich nü gar verdagen, 

ja wil ich iu rehte sagen, 

wie ez ze Münster ergie 

in stnem gots hüs. nü merket hie: 

65 da ein vil guoter priester sanc 
ein reine messe an allen wanc. 
der selbe phaff^ Johannes hiez; 
got im eine hilfe liez, 
(47*) daz er was da phruondencere. 

70 (sus saget uns daz mcere), 

er sanc an dem grozen donrstage 
ze Münster messe, als ich iu sage, 
do er daz ambet het volbrdht, 
von den nunnen wart geddht, 

76 daz si alle giengefi dar 

mit zühten nach ein ander gar 

und bewarten sich von des priesters hant, 

eine vrouwen man da vant, 

diu dühte sich so sündec gar, 

80 daz si zem priester wolte dar 
niht gen und got enphdhen. 
dd ddhts in allen gähen: 
^ist daz ich mich niht bewar, 
so verkerent mirz die vrouwen gar 



V. 60 ist auf dem unteren Rande nachgetragen^ rote Punkte verwehen 
darattf, 66 l, müese? 



6 I. Abhandlung: SchOnbach. 

86 und wirt über mich ein ruof, 

nu betotse mich, der mich geschuofy 
daz ich ze lasier werde nikC, 
do gie si mit gemeiner phliht 
zuo dem priester in der stunt 

90 und nam gotes Itchnam in ir munt, 
hie mite truoc sin ganzen dan 
und gie, da si e was gestdn. 
als si kom in daz gedrenge wider, 
zehant saz si balde nider 

95 und nam in üz ir munde lise, 
vil tougenlichen in ir rise 
begunde si in stricken gar, 
daz sin nieman wart gewar. 

Do si der sünde sich bewac, 
100 nü merket, üf den dritten tac 
het sin in ir lade verborgen, 
si was in manecvalten sorgen, 
(47«) wie sin möhte legen wider 

vil harte tougenlichen sider, 
105 da in der priester het genomen, 
do er ir ze tröste solte komen. 
iedoch nam si des war, 
daz si zeinen ziten gar 
in dem mUnster man noch unp 
110 niht sah, do gie ir selbes lip 
hin zuo dem alter gar verstoln, 
daz ort der rtsen gar verholn 
truocs in ir hant, dar si got 
gebunden in het dne spot. 

116 D6 si den stric üf gebant, 
unsem harren si da vant, 
daz er was vleisch unde bluot, 
do wart diu vrowe sd ungemuot, 
daz si weinen began 

106 da er. 113 da ei. 116 do vant. 



Studien zur Ersählungsliteratur des MitteUltera. 

120 vil innrecliche und gie von dan 
von dem altär mit sorgen 
und truoc in mit ir noch verborgen^ 
als si e getan hete. 
do gie diu vrouwe an der stete 

125 mir daz miinster al zehant 

und kom, da si den priester vant 

vor Sant Gallen alter stdn. 

diu vrouwe weinen began 

zuo dem priester und klagt ir not, 

130 daz er von sinei' hant daz brot 
gap in ir munt ze einer vart, 
daz in der messe lebendec wart 
mit Worten, diu man niht getar 
den Hüten sagen offenbar. 

136 Diu vrouwe huop üf unde sprach, 
swaz missetdt ir ie geschah 
mit dem reinen gotes bluot. 
(47^) dar nach hete si den muot, 

daz si gotes lichnam in ir hant 

140 genam. do daz der priester vant, 
daz si niht het gelogen, 
weinende, vil wol gezogen 
sprach er, daz sin im gcebe wider, 
daz tet diu vrouwe gerne sider. 

145 als er in do zuo im gevienc, 
diu nunne do von dannen gienc. 

Diu selbe nunne was genant 
vrou Agnes, ez ist ein lant 
bi dem In, heizet Engadin, 
160 da ist ein dorf gelegen in, 

daz heizet Scindes, da was sie 
geboren üz (nü merket wie) 
und was eins ritters tohter gar 
mit rehter art. nü nemet war, 



120 Til iit am Rande nachgetragen. 



8 I. Abhandlung: Schön bach. 

155 toiez dem priester welle ergdiij 
und läzen toir die tirowen stdn. 

Der priester truoc unsern herren 
mit im und begunde keren 
von dem kloster dl ze hant 

160 und huop sich in ein ander lant, 
da er tveste ein dicken walt 
üf einem berge, höh gezalt, 
der lit da ob Quadrat, 
in Triendener bistuom er atät 

165 und höh ob Mamingen. 

der priester da mit rehten dingen 
vant in dem loalde ein Kappellin, 
da toolte er eweclichen sin 
ein einsidel um an sin ende. 

170 unsern herren eine wende 
truoc er in die kirchen sd 
und leite in üf den alter da . . , 



(48 •) Do er die aptessinne sah, 

vil zühteclichen si do sprach: 

175 *^6we, Johanns, wie bistü doch 
gtvaren her üf ditze joch 
und unsern herren hast getragen 
mit dirf wir müezen alle klagen, 
daz du vil iibele hast getan. 

180 ich gebiute dir von dan 

bi der ghdrsame in din kloster wider! 
da solt du dich läzen nider 
und solt da dienen iemer got\ 
der priester wolte daz gebot 

185 der aptessin niht übergdn 

und huop sich mit der vrouwen dan. 
do wart unser herre getragen 
ze Münster wider bi den tagen 
und u>art geworht in ein kristalle, 

161 einen. 163 dk fehlt. 165 merningen. 170 nnserm. 
187 Da wart 



Studien zur Eizählung^sliteratur des Mittelalters. 

190 da seheilt in die liut^ noch alle, 
und ist getan rehte in der wise 
als in diu nunne üz der rise 
mit iren handen enbant, 
do sin vleisch und bluotec vant, 

196 Sus hat er sich sunder ttväl 
geivandelt ze dem vunften mal, 
als ist er hiute noch getan, 
daz sehent tvip unde man, 
swer kumt ze siner hohsAt, 

200 die ein habest machte stt 

der der vier de Urbänus hiez: 
grozen antldz er dd liez, 
in eim konzilje daz geschah, 
dd manec man den andern sah 

205 ze Roms, so h6rt6 ich es jehen. 
swer in noch hiute welle sehen, 
der var gen MünsU^r an dem donrstage 
(48^) nach der phingestwoch^n mit rehter sage, 

so hevet sich sin hohzit 

210 und wert gar an allen strit 

die Wochen durch und durch hin, 
diu vrouwe wart ein klosnerin, 
der ez geschah, und nam guot endSt 
der priester vuor an alle wende 

215 in einen Walt, dd wolte er sin, 
und büwet dd ein kircheltn 
in ere Uns^r Vroun, der reinen maget, 
der priester vaste, so man saget, 
brot und wazzer manegen tac, 

220 daz er niht anderr spise phlac, 
um er stt von brcedekeit 
niht me moht^, daz wart geseit 
geistlichen Hüten, die in hiezen 
aller slahte spise niezen. 



202 da liez. 206 w fehlt. 208. 211 woche. 215 wolt aus 

•qM gebessert, 218 vastet. 220 anderre. 221 Hintz er. 



10 I. Abhandlung: Schönbach. 

225 doch vaste er um an stnen tot 
alle tage, als got gebot, 
und loas ouch üz dem Walde gebom 
von stnem kunne. swaz er körn 
von gelte het, daz gap er dar 

230 üf 8%n kirchltn und was gar 

ein vil gtwt menschSy do er starp: 
diu sele gotes hulde erwarp. 

Also müeze ouch uns geschehen^ 
daz wir die rehten strdzen spehen 

235 gen der porte, die Sant Peter hat 
heslozz^; daz alliu missetdt 
von uns zerge; daz man daz tor 
gen uns entslieze^ daz wir vor 
hie niht beliben durch den schaden, 

240 den &va üf uns het geladen! 
des ruoche uns helfen der man, 
der Jhesum in den Jordan 
(48^) stiez durch toufe, zeiner vart 

der himel offen obe im wart 

245 und schone entslozzen harte wit, 
der heilege geist kom in der zit 
in einer tüben ivise dar 

* unde swebete vil gar 

ob Jhesus houbte. do daz geschah, 

250 der Vater üz dem himele sprach 
her abe zuo im: ^vil liebez kint, 
swer dir getrouwet, swaz der sint, 
und sint dem glouben undertdn, 
die sulnt min riche billich^ hdn. 

255 Her Niklous Siegel tuot iu kunt: 
daz hat getihtet sin munt. 
er ist üz Vinscheu gebom 



225 Tastet. 249 do fehU. 253 und dem gelovbe sint yndertun. 

258 der VertfthlL 



Studien zur EreählungsÜteratur des MitteUlters. H 

Herre sant Johanns Baptist, 
260 Sit du hast getoufet Krist, 

und daz im wazzer ist geschehen, 

nü ruoche uns helfen, daz mr sehen 

die reine maget und ir kint 

und alle, die in himele sintI 

[ze himelriche, waz unser sint] 
265 daz wir mit vreuden kamen dar, 

des helfe uns diu magt, diu in gebar! 

Her Niklous Siegel nimetz gar 
üf sinen eit, daz er hat war. 
hie hat daz lesen ein ende, 
270 got uns sin gnade sende, Amen. 



Die Handschrift wird von den Katalogen nnd von Moritz 
Hanpt; d. h. von seinen Wiener Freunden Ferdinand Wolf und 
Georg Theodor von Karajan^ ins 14. Jahrhundert gesetzt, was 
mir mit der Einschränkung richtig scheint, daß ich die erste 
Hälfte dieses Zeitraumes fUr das Entstehen dieser Niederschrift 
in Anspruch nehmen möchte. Obzwar nun eine Übersicht der 
Lautgebung des Schreibers am besten von dem Material des 
Guten Gerhard aus unternommen wird, will ich doch hier nicht 
darauf verzichten, die Beschaffenheit des überlieferten Unter- 
grundes zu kennzeichnen, von dem sich die Besonderheit der 
Sprache des Gedichtes abhebt. Dafür kommt zuvörderst in 
Betracht, wie weit sich die neuhochdeutschen Diphthonge in 
der Schrift durchgesetzt haben. 39 mal ist mhd. t als t be- 
wahrt geblieben, dagegen wird 35 mal % = ei gesetzt, wozu 
noch 10 neue ei kommen, zusammen also 45. Dagegen ist 
52 mal altes ei auch et geschrieben worden, nur 2 mal steht 
aii haizet 151, ait 268, womit freilich keineswegs gesagt ist, 
daß die Schreibung ei immer noch die Aussprache e + i be- 
zeichnen sollte. Altes ü ist in nu 7 mal erhalten. Die Schreibung 
ä in liUer 49 und noch in 5 Fällen, 10 mal in üf, 5 mal in Hz, 
wird als ou aufzufassen sein, woneben ü 30 mal = ou steht 
{blutik 194), einmal wird denn auch das alte ou durch tl ge- 
geben, einmal (piwet 216) durch o. Sonst tritt ou für ü auf 



12 I. Abhandlung: SchOnbach. 

in gotshous 64, douhte 79, touben 247 (Niklous 255. 267), nur 
einmal au in standen 43. Alte ou werden gewöhnlich auch ou 
oder geschrieben: so stehen 9 vrowe neben vrowe 135. eu 
erscheint in wenden 265, Vinscheu 12. 257. Den Umlaut von 
a bezeichnet e (gantzlichen 31, alliu 236), aber auch 3 mal 
den von d {der = dar 253). 6 ist 2 mal = ce, 3 mal = ö, 
«dZt 52. 53, söllent 254. Der Umlaut von ü unterbleibt in 
fünften 196, Icunne 232, sundik 79, w6er 85. 185, wird ausge- 
drückt in 8'ö/nde 99, /ilr 125, üntz 169; 3 mal munster^ 4 mal 
Tni'trw^er; zühten 76, zuhtiklichen 174; daneben phründenere 69; 
Sit«, «U8£ und 9ll«^ 195 wechseln. Zut^n 223, Zufen 134. 140. 
mtiz^n 178. w = amo. tc wird 4 mal durch x bezeichnet, sonst. 
hie 91. 239. 269; lihez 251, prister 3mal neben 11 mal priester] 
stets immer, nimmer; aber wir 265, vJrd 201. Zweimal seit 
= saget, geseit 222; leit(e) 172. jen 37. 81, Formen mit a im 
Reim, zerge 237. gesehen = geschehen 260. Die Mehrzahl der 
e in der Flexion der Verba und Substantiva ist weggefallen, 
daneben zahlreiche starke Synkopen und Inklinationen, diu 
für die 156. 211; reiniu = reine 66. — cÄ (k) im Anlaut 
sechs-, im Inlaut nur einmal, ch (g) im Auslaut 3 mal ; k (k) im 
Anlaut 23 Fälle, ck (k) im Auslaut 17 mal, c (g) im Anlaut 
11 mal, g (g) im Auslaut 3 mal, ch (ch) im Auslaut 6 mal, 
A 2 mal. 5 ht gegen 21 cht = ht und ein cht = cht] ein 
hs] höh und hoch wechseln, k ^== ck 2 mal. Zumeist b im An- 
laut, aber auch perch, gepant, pouwet, verporgen, 4 mal priester 
neben 8 mal briester, aptessinne und abtessin, Babtist und Bap- 
tist nebeneinander, einmal babest. wib und wlp, hüb und 
hüp wechseln, ^ai 2mal, lamp einmal; phingest, phrändenere, 
phlicht je einmal; hevet 209, touffe, getouffet, z statt s im Aus- 
laut 8 mal, 8 statt z 4 mal; hertzen^ sicartzes, gantzen, gantz- 
lichen, contzilie, solt und solde^ loolt und wolde nebeneinander, 
doch überwiegt die apokopierte Form mit der Tenuis. niemant, 
annerthalp. — Überblickt man die hier vermerkte Lautbe- 
zeichnung, so gehört sie in den Bereich der bayrischen Mundart, 
obgleich ohne grobe Fälle und mit einer gewissen Zurückhaltung 
sowohl in bezug auf die neuhochdeutschen Diphthonge, als auf 
die Affrikata an allen Stellen, insbesondere wenn man die vor* 
geschrittene Zeit der Niederschrift berücksichtigt. Eine ge- 
nauere lokale Begrenzung vermag ich nicht zu begründen. 



Stadien zur ErzählungsUteratur des Mittel alten. 13 

Bevor ich daran gehe, die Reimkan8t(?) des Verfassers 
zu analysieren, gedenke ich einer Beobachtung, die sofort dazu 
verhilft, den richtigen Standpunkt für die Beurteilung des 
Werkleins zu gewinnen. Es fällt auf, wie oft dieser Dichter 
mit den SatzschlUssen von einem Verse in den andern hinüber- 
greift. So muß ein Punkt stehen nach der zweiten Hebung 
in den Versen 29. 64. 148. 152. 154. 218. 243. 249. 251; nach 
der ersten Hebung 110. 140. Ein Komma ist zu setzen nach 
der zweiten Hebung 6. 7. 30. 42. 72. 96. 113. 120. 149. 151. 213. 
215. 218. 223. 226. 229. 230. 231. 235. 237. 238. 252. 262. 265. 
266. 268; nach der ersten Hebung 16. 39. 100. 126. 133. 143. 
178. 205. 236. 264. Selbstverständlich sind mit solchen Mängeln 
bei der Verteilung des syntaktischen Stoffes auf die Verse auch 
Enjambements verknüpft, die vorkommen V. 17 f. 38 f. 41 f. 
46 f. 57 f. 59 f. 80 f. 109 f. 132 f. 177 f. 235 f. 236 f. 243 f. Das ist 
sicher ein ganz ungewöhnliches Verhältnis und es werden nicht 
leicht in der mittelhochdeutschen Epik 270 Verse nacheinander 
sich auftreiben lassen, in denen Ahnliches begegnete. Es leidet 
keinen Zweifel, daß nur aus dem Ungeschick des Verfassers 
und, wie ich meine, aus dem gänzlichen Mangel an Übung sich 
diese Erscheinung erklären läßt. Noch ein anderes Moment 
tritt hinzu. Es fällt gleichermaßen auf, wie häufig der Ver- 
fasser ganz inhaltslose Phrasen zu Hilfe rufen muß, um einen 
bequemen Reim zu erreichen, oder wenigstens, um seinen Vers 
vorwärts zu bringen. Dahin gehören: dn allen strtt 12. 210; 
dn allen wanc 66; dne wende 170, dn alle wende 214; sunder 
twdl 195; an der stete 124; al ze hant 125. 159; dn bcesen Itst 
18; mit rehten dingen 166; mit rehter sage 208. Allgemeine 
Zeitbestimmungen: zeinen ziten 8. 108; in der zit 246; bt den 
tagen 188; zeiner vart 131. 243. Es wird aufmerksam gemacht: 
nü merket 100. 152; nü sult ir merken aber da 52; nü nemet 
war 154 ; jd wil ich iu rehte sagen 62 ; — man überzeugt sich 
leicht, daß sie keiner auf die Sache gerichteten Spannung ent- 
sprechen, ebensowenig wie der Flick vers: nü Idzen wir die 
vrauwen stdn 156 einen wirklichen Wendepunkt der Erzählung 
bedeutet. Die unverhältnismäßig zahlreichen Berufungen auf 
Quelle und Autorität sind ähnlich aufzufassen: als man j ah 30; 
so seit uns diu Schrift 39; sus seit uns daz moere 70; als ich 
iu sage 73; so horte ich jehen 205; so man saget 218; der ez 



14 I. Abhandlang: Schönbach. 

geschah 213 ist ganz leer. Die Wiederholungen 119. 128. 190. 
197 f. Propheten y xiAssagen 22. 24 machen einen nicht weniger 
kläglichen Eindrnck als die Flickverse 40 und 20i. Ein ganzer 
Vers 104 wird mit tantologischen Adverbien angefüllt 

Damit ist schon festgelegt^ daß die Reime dieses Ge- 
dichtes nur insofeme verdienen; untersucht zu werden, als sich 
Merkmale des Sprachcharakters daraus abnehmen lassen. An 
sich kann man ja mit 135 Reimpaaren beinahe nichts anfangen 
und jedesfalls sind Schlüsse ex absentia, aus der Abwesenheit 
sonst üblicher Reime^ hier ganz unzulässig. Immerhin bietet 
aber auch dieses dürftige Material etliches Bemerkenswerte dar. 
Dazu rechne ich das ungemein häufige Vorkommen der Reime 
auf -ar^ es sind ihrer 14 , also ein Zehntel des ganzen Be- 
standes. Die Ursache wird leicht klar, wenn man wahrnimmt, 
daß 11 mal darunter das Flickwort gar^ 7 mal dar begegnet; 
es ist also blanke Reimnot, die dazu gezwungen hat. Viermal 
reimt dabei d : a :jdr : gar 25; war : dar 31 ; gebar : offenbar 
133; gar : war 267. (Die übrigen Fälle sind: dar : gar 59. 75. 
79. 229. 247 : gebar 265; gar : war 107. 153 : bewar 83 : gewar 
97.) Dem zunächst kommen 9 Reime auf -an (darunter 4 mit 
dem Flickwort dan\ wovon 6 mit ungleicher Quantität : dan : 
getan 91; stdn : began (begunde im Versinnern 97. 158) 127; 
gdn : dan 185; get^tn : dan 189 ; getan : man 197 ; man : Jordan 
241 (dazu noch 119. 155. 253; Quadrat : stdt 163). Trotzdem 
kein sdn, nur sd : da 171. kam nicht im Reim, sonst bietet die 
Hs. nur kom 93. 126. 246. locusUi (acc.) : da 51. Ungleicher 
Auslaut in gemach : sah 35; geschah : ungemach 53 : sprach 249; 
sah : sprach 173 (nur geschah : sah 203); anevanc : gedanc 3; 
sanc : wanc 65 (neben tranc : gedanc 49 ; bewac : tac 99 ; tac : 
phlac 219). — h(fe : st^te 123. — herren : keren 157. — brcede- 
hext : gesext 221 (maget : saget 217). — in : hin 13, aber klos- 
nerin : hin 211 ; in : Engadtn 149. — 8i(e) : wie 151. — ergie : 
Ate 63 neben gevienc : gienc 145 (hiez: liez 67. 201). — Rühren- 
der Reim kötzeltn : kcemblin 37. kappellin : sin 167, kircheltn : 
sin 216, kirchlin 230 (von kint : sint : sint 263 ist der letzte 
wahrscheinlich zu streichen). — sider : tüider 93. 103. 143 (neben 
wider : nider 181), aber höchzH : sit 199 : strit 209. — Apokopen 
im Reim grünt (Dat.) : munt 5; munt (Dat.) : stiint 33 {munde 
95 im Versinnern, zu stunt vgl. 89); bluot (Dat.) : muot 137; 



Studien zur Erzählnngsliteratnr des Mittelalters. 15 

aH (Dat.) : wart 19; — got (Dat.) : gebot 103. — twdl : mdl 
195. — kristalle (acc. sing.) : alle 189. 

Ans der Darchsicht der Reime Nikolaus Schlegels ergibt 
sich, daß sein Vorrat an Reimbändern ungemein gering, Kunst 
und Übung äußerst kümmerlich waren. Er läßt aber auch 
aus den angeführten Reimen entnehmen, daß sie auf die öster- 
reichische Mundart ihres Verfassers zurückweisen. Die Reime 
von d : a vor Liquiden, h£te : st^te, die starken Apokopen sind 
dafür anzusprechen, desgleichen das alte verdagen 61; Herren: 
keren, sie : wie, brcßdekeit : geseit, sä nicht dawider, desgleichen 
nicht tn : -in, obzwar dieses im Zusammenhange mit schrift : 
niht 39 (Weinhold, Mhd. Gr. § 233) und mit dem Mangel an 
Reimen zwischen t : e« usw. an die Möglichkeit alemannischen 
Einschlages zu denken gestattet. Der gesamte Charakter der 
Sprache des Gedichtes, verbunden mit dem Eindrucke des 
Reimgebrauches, nötigt dazu, das Ende des 13., den Anfang 
des 14. Jahrhunderts als Zeit der Abfassung des Gedichtes 
anzusetzen ; sehr weit werden Entstehen und Aufzeichnung des 
Stückes nicht voneinander abliegen. 

Der Verfasser, Herr Nikolaus Schlegel 255. 267 (also 
mindestens ein Freier, kleiner Adeliger oder Geistlicher) be- 
zeichnet sich selbst 257 als einen gebürtigen Vintschgauer, was 
nun freilich für seine Zeit eine nicht so genaue Begrenzung 
der Heimat einschließt als heute, wie man schon daraus er- 
sieht, daß er 11 f. auch das Münstertal zum Vintschgau rechnet 
(was übrigens aus wohl begreiflichen Gründen auch im dritten 
Teil der Tirolischen Weistümer der kais. Akademie geschieht, 
vgl. dort die Anmerkung zu S. 337). Nun besitzen wir seit 
1903 in der trefflichen Darstellung der ,Tirolischen Mundart' 
von Josef Schatz (vgl. dazu die inhaltsvolle Besprechung von 
Primus Lessiak im Anzeiger für d. Altert. 30, 41 — 53 und 
Schatzens Vorberichtc in den Mitteilungen des Deutschen und 
Österreichischen Alpenvereines 1899/1900) endlich eine Über- 
schau der Dialekte Tirols, in der feste Grundlinien gezogen 
sind. Sowohl nach den positiven als negativen Kennzeichen 
entsprechen die Beobachtungen, die sich aus dem Gedichte 
von Nikolaus Schlegel machen lassen — den Unterschied der 
Zeit flir die Entwicklung gebührend in Anschlag gebracht — 
den Feststellungen von Schatz über die heutige Mundart des 



16 I. Abhandlung: SchOnbach. 

Vintschganes y und die Grenzlinien seiner Karte, ich zitiere 
dafür die Seiten seiner Abhandlung: Dehnung des a vor Li- 
quiden, Zusammenfall von d und ä heute S. 32. 70 ; Bewahrung 
von e, das von f unterschieden wird S. 38 ff.; Neuhochdeutsche 
Diphthonge S. 26 (einige alte t bringen noch die Münstertaler 
Zivil- und Kriminalstatuten von 1427, Tirol. Weist. 3, 340 ff.); 
ouw zu au S. 42; Behandlung von k und q im Auslaut S. llff. 
17; das Deminutiv auf -Kn S. 54; starke Apokopen S. 49ff., 
aber Erhaltung des -n im Auslaut S. 22; Kürzung von ge- 
S. 57 ; zuo, ze S. 57 ; sagen S. 40. Noch mache ich aufmerksam, 
daß, unerachtet des wohl erkennbaren Abstandes zwischen 
Schreiber und Dichter, doch die Sprache der Niederschrift der 
des Verfassers nahe verwandt ist, wie schon die frühere Dar- 
legung über die Lautbezeichnung des Denkmales im Vergleich 
mit den Angaben von Schatz (dazu p für 6 S. 15 ff., der Schreib- 
fehler gemachhet V. 39 und S. 21, touffe usw.) nachweist. In 
der Tat wird man schwerlich annehmen dürfen, daß sich das 
Interesse für den Stoff des Gedichtes von Nikolaus Schlegel 
sehr weit über seine Heimat hinaus erstreckt haben wird, was 
ja mit dem schon oben S. 2 berührten Umstände, daß der- 
selbe Kodex die alte Überlieferung einer Jugendarbeit des 
GraubUndners Rudolf von Ems enthält, sehr gut zusammen- 
stimmt. Nun meine ich allerdings, daß die Frage nach der 
Mundart von Nikolaus Schlegel sowie die nach dem alten 
Vintschgauer und Münstertaler Dialekt überhaupt zurzeit noch 
nicht abschließend beantwortet werden kann. Für die Entwick- 
lung dieser Mundart und ihren heutigen Stand gebricht es 
an einer Spezialuntersuchung, die ja überdies noch warten 
muß, bis die Brixener Handschrift der 6000 Verse des ,Seelen- 
trostes' Bruder Heinrichs von Burgeis der Versenkung wieder 
entstiegen sein wird, in welche sie seit zwanzig Jahren sich zu- 
rückgezogen hat (vgl. Emil Michael, Geschichte des deutschen 
Volkes während des 13. Jahrhunderts 4, 229 Anm.). 

Dem Unvermögen, der Roheit, der Unkunst, die in den 
Reimen des Herrn Nikolaus Schlegel zutage traten, ist es 
nur gemäß, wenn auch die Verse selbst rauh und holperig aus- 
gefallen sind. Einmal ist es merkwürdig, daß unter 135 Reim- 
paaren nur 12 klingende, also kaum ein Zehntel, sich finden. 
Von diesen sind 8 mit 4 Hebungen gebildet (95. 101. 121. 



Stadien zur CrzählungsUteratur dea MitteUltera. 17 

157. 169. 189. 213. 223), nar 3 mit 3 Hebungen (69. 81.269), 
während einmal (165) 3 Hebungen aaf 4 reimen. Unter 
diesen Umständen und im Zusammenhalt mit dem vorher Ge- 
sagten darf man yielleicfat vermuten, daß der Verfasser gar 
nicht gewußt hat, wie Verse mit klingendem Ausgang gebaut 
werden müssen. Die Senkung fehlt in Eigennamen: Vinscheu 
12. 257, Münster 63, Agnes 148, Quadrat 163, Marningen 165, 
Jordan 242 {Johanns 17. 26. 175. 259, bei feierlicher Einführung 
dreisilbig Johannes 67); dann in zusammengesetzten Worten: 
götlichem 33, schdfwolle 42, exnsidel 169, hochAt 209 (dltar 122, 
sonst dlier 111. 127). Sonst fehlt die Senkung nach der ersten 
Hebung 2. 94. 210, nach der zweiten 4. 21. 44. 115. 119. 128. 
157. 198 und mit absichtlichem Nachdruck nach der dritten 
46. 107. 211. 240. 256. Zweisilbiger Auftakt: 26. 51 (loilthonec?) 
69. 77. 84. 86. 93. 106. 181 (eigentlich dreisilbig). 208. 235. 
Zweisilbige Senkung (nur wenige schwere Fälle): 13. 15. 54. 
129. 190. 207 (vgl. 71). 208. 217 (Unser im Titel wohl einsilbig 
gesprochen). 236. 266. Andere Fälle kann man erleichtern, 
zum Teil mit Hilfe der Handschrift: 71 (1. ame). 77 (I. vons). 
90. (I. got^Sy Hs. gotz) usw. Überhaupt dienen die Apokopen 
und Synkopen der Handschrift wiederholt dazu, regelmäßigen 
Wechsel zwischen Hebung und Senkung herbeizuführen. Auch 
die Inklinationen der Überlieferung erleichtern den Vers, so 
wird sin = si in geschrieben 91. 101. 143. 194, doch muß 103 
das handschriftliche si in zu sin zusammengezogen werden, 
indes 97 n tu wirklich zu lesen ist. Wechsel zwischen den 
Formen verlangt der Vei*fasser selbst (außer bei den schon an- 
geführten: altär, alter; sit, sider*j 11 notwendige het neben 
hete 138 und im Reim hete 123) noch bei aptessinne 173, ap- 
tessin 185. Es ist im ganzen nicht oft erforderlich gewesen, 
von den tiberlieferten Formen abzuweichen, und ich zähle (außer 
den in den Lesarten angemerkten) nur folgende Fälle: ge- 
gekürzt 9. 181. 253. 270, das auch die Mundart kennt, vgl. 
oben S. 16. Ferner e hinzugeftlgt in selbe 15. 147, amhei (ampt) 
73, mite 91, gerne 144, geboren 152, berge (perch) 162, gebiute 
180, Tnensche 231, sioeb(e)te 248, reine 263. den für denne der 
Hs. gab ich 25, anderr (Hs. anderre) 220; vaste fUr überliefertes 
wistet 218. 225; ze einer (Hs. zeiner) 131; eim (Hs. einem 203). 
Hiatus begegnet 124 (oder vrou an?) und 192, beides Fälle, die 

8itt«Brtb«r. d. pbil.*bUt. Kl. 166. B4 1. Abh. 2 



18 I. Abhandlung: SchOnbach. 

Franck (Zeitschr. f. d. Altert 48, 147 fF.) zu den leichten zählen 
möchte. Immerhin ergeben bei dem geringen Umfange des 
Stückes auch diese Beobachtungen, daß der innere Versbau 
den sonst bereits gewonnenen Eindruck eines kunstlosen Ver- 
suches noch verstärkt. 

Das wissenschaftliche Interesse für das Gereimsei des 
Herrn Nikolaus Schlegel liegt daher hauptsächlich in dem Stoff 
und in den Angaben über Personen und Orte. Der Verfasser 
beruft sich nun in einer ganzen Reihe von Stellen (oben S. 13 f.) 
auf eine Überlieferung, die ihm vorgelegen hat, die er aber 
nicht genauer beschreibt, und so elend diese Flickphrasen sind, 
die Behauptung, an sich schon wahrscheinlich, beruht auf einer 
Tatsache. Professor Seemüller hat nämlich ermittelt, daß das 
Kloster Münster in Qraubünden noch heute eine Handschrift 
besitzt (eine kurze Beschreibung des Inhaltes gab P. Basilius 
Schwitzer, Tirol. Geschichtsquellen, 3. Band vom Jahre 1891, 
S. 146 Anm.), welche sich mit dem Hostienwunder beschäftigt, 
das Herr Nikolaus Schlegel bedichtete. Er hat 1. 12. 1901 
von der hochwürdigsten Frau Priorin zu Münster, M. Hildegard 
Lutz (seit dem Tode der letzten Äbtissin 1810 hat das Kloster 
den Charakter einer Prälatur aufgegeben und sich unter die 
Leitung einer Priorin gestellt), diese Handschrift nach Innsbruck 
gesandt erhalten, kopiert und kollationiert und jetzt mir zur 
Verfügung gestellt. Zunächst lasse ich nach Seemüllers An- 
gaben eine Beschreibung der Handschrift folgen. 

Es ist ein Pergamentheft mit Schrift des 15. Jahrhunderts 

(das jüngste Datum darin ist bei Nr. 13 das Jahr 1456). Der 

Deckel besteht aus einem Pergamentblatt eines Druckes des 

Buches Hiob. Auf der Außenseite des rückwärtigen Deckels 

hat eine moderne Hand mit Blei vermerkt: ,Fach II, Nr. 38', 

auf der Innenseite des vorderen Deckels: 7640 

div. 
anw. 

Das Heft enthält 16 Blätter in zwei Quaternionen , Um- 
fang 16*19 X 12'2 cm, von denen 14 durch eine Hand des 
15. Jahrhunderts beschrieben sind. Der erste Quaternio ent- 
hält keinen Kustos, beim zweiten werden die Blätter unten 
mit kleinen arabischen Ziffern von alter Hand gezählt. Die 
Seite enthält 18 Zeilen auf vorgezeichnelen Linien. Einige 



Studien zur £rzählangsliteratur des Mittelalten. 19 

Korrektaren im Texte nnd Ergänzungen auf dem Bande sind 
von alter Hand eingetragen, eine jüngere hat noch etliche 
Randnoten hinzugefügt. Rubriken und rubrizierte Anfangs- 
buchstaben sind häufig. E^s wird viel abbrevüert, allein nicht 
gleichmäßig: ein und dasselbe Wort wird bald gekürzt, bald 
ausgeschrieben. Es wird selten und unregelmäßig interpungiert. 
Als Kopie einer älteren Vorlage erweist sich die Handschrift 
durch ihre Fehler und die ausdrückliche Bemerkung des 
Schreibers, die sich allerdings zunächst nur auf die beigefügten 
Urkunden bezieht: prout copiate — sunt — dann Nr. 10: huius 
copie, Blatt 1* — 6^ enthält das Hostienwunder zu Münster 
in Oraubünden; 6^ — 14^ ein Verzeichnis der Indulgenzen für 
die Münsterer Kirche, ihre Altäre und Reliquien sowie eine 
Beschreibung der Reliquien; 15. 16 sind leer. Im folgenden 
gebe ich den Text des Heftes nach Seemüllers Abschrift wieder, 
notiere darunter die Bibelstellen und innerhalb der Erzählung 
selbst durch eingeklammerte Ziffern die bezüglichen Verse des 
Gedichtes von Herrn Nikolaus Schlegel. 

[1*] Etenim sacramentum regis abscondere bonum est, 
opera autem Dei revelare et confiteri honorificum est Thobie 
Xn^ (12, 7). et propheta hoc item exhortatur. d. (David): 
enarrate universa mirabilia ejus, quare ergo hujus venerabilis 
sacramenti secretum, inpenetrabilis veritatis et divini consiUi 6 
abyssum, simplici ac pura fide cum integra veritate absque 
ulla ambiguitate in cordis cubiculo, nuUa falsa aut heretica 
disceptatione aut opinione admissa, abscondere honorificam est 
ac salutare. miracula autem et opera ejus, quc nemo alius fecit 
quam verus Dens, circa hujus altissimi sacramenti gratiam pro lO 
veritate fidei manifestanda nimiam saam propter caritatem Dens 
summus, non volens simplicium ac rudium corda hujus dei- 
fici ac per omnia divini sacramenti fidei merito expertes rema- 
nere, [1^] qui vult omnes homines hujus venerabilis sacramenti 
fidei veritate salvos fieri, misericordia dignatus sua largiflua ^^ 
pietate est, hoc in loco formam benedicti ac sacramentalis 
panis in cruentam carnem sua mirabili potentia ac nostram 
propter salutem transmutare, ut ordo ac series subsequentis 
historie ostendet. 



2 Tob. 12, 7. 4 PicUm. 26, 7; v^l Tob. 13, 4. Ecclt. 42, 17. 

2* 



20 I. Abhandlung: SchOnbach. 

Ante retroactis temporibas erat qaedam sanctimonialis 
hoc presenti in loco hajas Monasterii, Agnes nomine singula- 
riter vocata (147) , qae qnidem secundnm ritum aniversalis 
ecclesie cum ceteria sne religionis consortibas in Cena Domini 

6 ad sacram altare ac sacramenti corporis et sangainis Christi 
commanionem accedere debuit (73), gravis tamen peccati sti- 
mnlo ejus remordente ac renitente conscientia (79)^ et sie an- 
gustiis undique dolorose circumdata (83), tum si accederet, 
apostolica feriretur sententia, que dicit: ^qui indigne manducat 

10 et bibit etc/ [2*], tum si non accederet, omnibus scandali occa- 
sionem daret, timens Domini comminationem : ,ve homini, per 
quem scandalum venit etc/, et sie in arto sue mentis posita, 
tremens ac humiliter Salvatoris clementiam suppliciter depre- 
catur, ut dirigat gressus ejus in viam pacis et salutis, subse- 

15 quenter repentino instinctu permota, de Dei sperans misericor- 
dia, ad reverendum altare et sacramenti benedicti communionem 
accessit (88). quo assumpto velocius sui secreti locum petiit et 
hoc gloriosum ac venerabile sacramentum ista Sunamitis pro- 
prio ab ore excepit et in partem sui pepli innodavit et in suam 

20 cistam vel archam reponendo conservavit (101). proinde tamen 
ejus in pectore ingentes versabantur eure ac tribulationum 
fluctus cor ejus dolorose percellebant (102). querens opportuni- 
tatem, quomodo secretissime et absque nota misterium domini- 
cum ad altare sacrum representaret [2^] ac deinceps sacerdos 

25 proxime divina ministrans ipsum sacramentum certissime inveni- 
ret et sie infamiam et majus peccatum curiose declinaret, 
quadam vice diligenti speculationis examine certeiicata, quia 
nemo in ecciesia hominum esset (107) , velocius peplum cum 
sacramento de archa clandestine ejus in manum assumpsit et 

30 ad cornu altaris properavit et sacramentum de peplo enodavit 
(110 — 114). quo facto, vidit, quod sacramentum miriiice in 
cruentam carnis et sanguinis veridicam speciem se transmutavit 
(117). quo viso, nimio terrore perterrita et forte ultra, quam 
credi potest, et anxia flevit amare (120). tandem ad se aliqua- 

35 liter digito Dei docta rediens, qutdve factura esset, in statera 



6 gravi. 9 = JCor. U, 29. 11 Afatth. 18, 7 etc. 13 Pgalm. 

16, 6. :W, 23 etc. 18 au« 4 lieg. 4, 12—25. 36. 27 spiculationis. 

32 atu viridicam korr. 



Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters. 21 

rationis pensavit et assumpta ex divine miserationis largitate 
aliquali fiducia, qui prostat sapientiam parvulis et gratiam [3^] 
hamilibus, magno cum tremore et medallitus ingemiscendo 
hostiam sanctam de altari in peplo reassampsit et de mona- 
sterii ecclesia ad cappellam sancti Galli properavit (127), quia 5 
ibi tamqaam in private loco solitam erat sacerdoti devotionis 
gratia horas suas Deo exsolvere; quem et non diffido ibi, 
Domino dispensantc gratiam hujus miracali, orantem secrete 
illo pro tempore invenit. cui geste rei ordinem laerimabiliter 
flens et ejulans sing^ltiendo per singala detexit(128 — 140). quo 10 
pereepto eaeerdos illam salatarem et miracalosam hostiam a 
sanctimoiüali devote ac venerabiliter cum laerimis expostulavit. 
quam quidem illa promptissimo animo venerando sacerdoti 
velocius assignavit et ad monastcrium hamilitcr rediens de- 
votissime penituit (141 — 146). erat autem predicta sanctimo- 16 
nialis de valle Engedina, de quodam vico [3^] Sins, natione 
insigni^ quia iilia militis natalibus nobilibus exorta (147—154). 
Predictns autem presbiter, nomine Jobannes (67), ex mira- 
culosa hujus sacramonti transmutatione tarn viscerose ex intima 
sui cordis devotione medullitus et ardentissime affectus atquc 20 
accensus ad hoc inisterium, ut ergo liberius ac peramplius sue 
posset vacare devotioni clanculo secum deferens panem vite, 
abscessit ad nemorosam ac condensam silvam, que sita est in 
diocesi Tridentina, supra MärUngam, alte et supra montem, 
qui vulgariter dicitur Quadrat, eminentem altius (157 — 165). 25 
hanc adiit cupiens hercmi incola ibi gratia sacramenti affectus 
perdurare, ibique predictus ac venerabilis sacerdos invenit 
quandam parvam cappellam (167), qui ob hoc gaudens et 
Dominum coUaudans mox ibi hoc miraculosum sacramentum 
in altari sancto devotissime [4*] collocavit (damit bricht V. 172 30 
das erste Stück des deutschen Gedichtes ab), vis autem divini 
amoris agebat in eo desiderium iterande visionis, et sie iterum 
amoroso oculo inspecto sacramento, vidit esse dispositionem 
ejus dexteram brachii ac manum nobilissime ac tenere forma- 
tam in eodem. quo viso miraculo procidit pre stupore ac nimia 35 



2 Ptalm, 18, 8» 4 monasterio ecclesie. 9 rei per ordinem. 

17 inaigniter. 19 in sacramenti Ut i aus o korr, 23 ad fehlt. 

26 eminentis. 28 et fehlt. 33 amorso, von jüngerer Hand o übergesetzt. 



22 I. Abhandlung: Schönbach. 

admiratione super terram^ orans atque Deum celi benedicens 
super mirabilibus suis, erectisque mauibus ac oculis in celum 
versis Dominum iterum collaudans atque superexaltans, quia 
mirabilis Dens in sanctis suis et mirabilior in majestate sua. 
6 quia illum venerandum sacerdotem hu jus sacramenti dextera 
ac ejusdem dextere manus visio adeo delectabat ac nimia ad- 
miratione commovebat: quod nullus unquam hominum tam alta 
veritatis contemplatione ita nuda ac perspicua divina perlu- 
sirasset misteria, apud se cogitabat. quali autem et quam mira- 

10 bili et quanta suavitatis duiccdine de hoc misterio satiaretur 
illis diebuS; illi relinquo, qui maguam ac nimiam duicedinem 
abscondit timentibus et diligentibus se, nisi quod dicam: ,Do- 
mine, dominus noster etc/ tandem ad se reversus, ,Verbum 
caro factum est' in solito conservationis vasculo gaudens spirita 

16 reposuit. 

Transactis paucis diebus cor ejus amore languidum ac 
amoris igne impaticns erat, cupiens iterum videre cum dilecta 
etiam dilectum Dominum suum ac cum famoso illo Simeone 
raanibus suis contrectare puerum Jhesum, quia impetus orationis 

20 nullo obtemperat judicio rationis. et aperiens pixidem in manus 
assumpsit ipsum dominicum misterium, et diligentius intuens 
clara luce comprehendit ipsum sacramentum [ö*^] priorem non 
habere speciem, sed, mutatione dextre Dei cxcclsi facta, vidit 
sacramentum habere dispositionem faciei admodum virilis et 

25 constantis aspectus. quo viso sacerdos timuit offendisse suis 
peccatis divinara majestatem, quia nihil ibi amoris blandiebatur 
ista facics, ut prius dextera, sed solus virilis aspectus et rigoriii 
constantia cernebatur, et cepit recogitare omnes annos suos 
,in amaritudine anime sue' et injustitias suas adversus se con 

so uteri Domino, et iterum reposuit hostiam sacram in pixidem. 
collaudans Deum corde, verbo et opere, seque jejuniis, vigiliis 
disciplinis ac orationibus vehementer die noctuque afSixit. 

Aliquante pro tempore, demum propulsa nebula timid* 
conscientie et assumpta fiducia, matrem totius gratie et cons(« 

35 lationis obnixe precibus humilibus instanter pulsat, quatenus ips 

2 oc — am ZeUeiuchlufi uf%d dann nochmalt. 3 versis fehiL 

P»alm, 67, 36. 8 nnde. 12 Ptaim, 8, 1. 13 Joann. 1, 14. 16 dicb- 
qui« cor. 17 erat fehU. 18 Autdrücke de$ Hohen Liedes, — Lue. 2, 2. 
22 non habentem speciem. 29 Job 3, 20. 35 ipsa interTeniente. 



Stadien zur Erzählaoggliteratur des Mittelalters. 23 

interveniat, ne Deuni oflFendat, quia ipsum [5^] itcrum urgente 
stimulo amoris tangere concupiscat. Oo jugam sancti amoris, 
qaam gloriose (?) et inqaiete illos illaqueas, quos tu plene pos- 
sides! et sie salatis hostiam cum tiraore et tremore de pixide 
in suas devote nianus excepit et oculis suis columbina simpli 5 
citate certiuB perspiciens, relicta prima forma faciei^ vidit sacra- 
mentum mutatum in similitudiaem agni immaculati et incon- 
taminati. quod videns presbiter seipsum in aquas laerimarum 
resolvit et sibi pro peccatis suis cum propheta ^fuerunt lacrime 
Bue panes die ac nocte^ et iterum ad priorem locum reposuit lo 
aitaris sacrificium. 

Cunctis autem in Monasterio admirantibuS; quonam Jo- 
hannes presbiter devcnisset, tandem multis scrutiniis ac in- 
quisitionibus habitis, lumen in tcnebris latere non potuit et de 
miraculo sacramenti rumor excrevit et tandem ad abbatissam 15 
usque pervenit, [6*] et qualiter ipsum sacramentum recedens 
secum abduxerit, enarratur. illis in temporibus erat quedam 
abbatissa in Monasterio alto stemmate ac libertinorum genere 
nobiliter progenita, vulgariter von Neyphen oriunda Adelhaidis- 
que Yocata. que assumtis secum aliquantis sue religionis domi- 20 
nabus necnon militibus ac cetcris nobilibus et concito gradu 
pergenSi miraculi gratia inpellente, ad montem, qui Quadrat 
dicitur, pervenit et cappcllam Sancti Petri cum suis devote 
subintravit. quam prefatus presbiter videns (hier beginnt mit 
V. 173 das zweite Bruchstück des deutschen Gedichtes) ali- 25 
quali perfundebatur rubere ac ductu8(?) verecundia. at illa 
venerabilis revercnti animo ac mansuete presbitero ait: ^quid- 
nam pretendisti, qui nos in hoc facto tarn graviter ofFendisti, 
auferendo a nobis gloriosum ac mirabiliter conversum dominici 
corporis misterium? precipiendo mandamus tibi, quatenus in 30 
locum tue mansionis pristine quantotius [6^] revertaris (175 — 
183)!' quod et devote adiuiplevit idem predictus presbiter 
(184—186). et sie assumpta cleri turba, predicta matrona 
venerabilis gloriose, laudabiter ac cum omni reverentia, ut vero 
Deo decet, hoc altissimum summe majestatis miraculosum 36 
sacramentum cum gaudio et cordiali jubilo ad Monasterium 



8 illaqaeos — tj^. Prov. ff, 2. 9 P9<dm, 41, 4, 10 locnm repo- 

nens aitaris. 



24 I. Abhandlung: Schon bach. 

reduxerunt (187. 8), benedicentes nomen Domini, quod est 
laudabile, gloriosum et benedictum in secuta. Amen. — 

Tempore aatem eodem, prelibata generosa domina abbatissa 
cum Bui conventus necnon aliorum nobilium et discretorum 

5 virorum consultu causa confirmationis Romam quendam pro- 
bum et circumspectum virum, nomine Berchtoldum, pro tunc 
temporis prepositum hujus monasterii^ cum litteris approba- 
tioQum signorum atque miraculorum hujus pretiosissimi sacra- 
menti mandare curavit. qui vero prepositus gaudentcr et de> 

10 vote cum hoc excelientissimo atque miraculoso sacramento [7^] 
cum litteris testimonialibus Komam ivit sanctissimoque aposto- 
lico Urbano quarto rem a principio gestam fideliter per ordinem 
notificavit. papa vcro^ prenotatus Urbanus^ videns atque cognos- 
cens hoc miraculosum sacramentum tam sepe fuisse transmu- 

15 tatum sub spcciebus diversis, precepit prenominato preposito 
Berchtoldo, ut fideliter ad locum hujus monasterii reportaret. 
quod et devotissime adimplevit apostolicusque prenotatus rite 
confirmavit et speciales indulgentias, ut postea declarabitur, 
misericorditer indulsit et concessit. — 

20 Summa omnium indulgentiarum hujus monasterii et alta- 

rium existentium ibidem, prout copiate, exsumpte et reportate 
sunt ex privilegiis et litteris sigillatis existeutibus et habcntibus 
ibidem in dicto monasterio post reformationem et reconcilia- 
tionem combustionis memorati monasterii, et prirao: 

26 1. [7»>] Anno Domini millesimo LXXXVIF dedicatum 

est hoc monasterium, tunc temporis vocatum Tubris, a vene- 
rabili Noperto, Curiensis ecclesie episcopo, XVIII ^ kalendas 
Septembris, in honore Domini nostri Jhesu Christi et victorio- 
sissime Crucis Dei et genetricis Marie et sancti Johannis Baptiste 

30 et sanctorum apostolorum Petri, Pauli, Andree, Thome et Bartho- 
lomei; sanctorum martirum Georii, Desiderii, Vigilii, Laurentii, 
Victoriani, Marcelli, Cassiani; sanctorum confessorum Benedict!, 
Florini et Zenonis sanctarumque virginum Eulalie, Verene, 
quorum reliquie altari sunt imposite, et aliorum sanctorum quam 

35 plnrimorum. indulgentie vero hujus dedicationis a dicto domino 

8 prelibatus = snpra dictus, ante memoratus — Dm Cange 6^ 460. 
12 Urbano auM Urabano korrigiert. 14 fore tranamutatum. 15 di vereis 

von alter Hand heig^igt. 16 vor reportaret nochmals fideliter 27 ecclesie 
fehlt. 28 immer in honore dedicari, nicht in honorem. 



Stadien zur ErzäblangsHieraiar dea Mittelfttters. 25 

date sunt: XL dies criminaliam et anni venialiain omnibas pie 
hoc monasterium visitantibas in fosto Dedicationis per octavas 
necnoD festivitates sanctorum snperias assignatas. 

2. Nota. 

Nota indulgentias pro miracaloso sacramento specialiter 6 
datas. 

[8^] In nomine Domini Amen, anno ejusdem Domini 
millesimo CC^LXXV^ apportata est indalgentia de peractione 
officii Corporis Christi a venerabili preposito hujos occiesie, 
Bertholdo^ statatdm a sanctissimo patre Urbano quarto: No- 10 
verint vero nniversi Christi fideles idem officium sanctissimi 
Corporis Christi Jhesa peragere proxima feria quinta post 
octavam Pentecostes, et omnes, qui interfaerint singulis horis 
canonicis in hac die hujas officii, eos de criminali peccato 
CCCCCCXL dies indulgentiam adeptaros, prout prefatas papa, 15 
videlicet Urbanus^ sna aactoritate confirmavit. omnes enim ad 
hanc ecclesiam venientes ob reverentiam dicti officii Corporis 
Christi specialem sciatis indulgentiam obtinere propter corpus, 
quod hie in substantia cruente carnis habetur etc. de special! 
vero gratia indulgentiam quatuor episcoporum IUP' carrenas 20 
cum IUP' jejaniis annnalibus omnes ad predictum officium ve- 
nientes [8^] similiter obtinebunt. per totam vero octavam Omni- 
bus advenientibus C dies criminalium relaxantur. 

3. Anno Domini millesimo CC^LXXXP dedicatum est 
summum altare et ecclesia reconciliata a venerabili episcopo 26 
Curiensis ecclesie Conrado in honore sancte et individue Trini- 
tatisy sancte Dei genitricis Marie et victoriosissime crucis et 
sancti Johannis Baptiste. altare vero ex novo constructum fuerat 

a venerabili preposito Berchtoldo. Dedicationem vero hujus 
altaris cum reconciliationc hujus ecclesie peragere noveritis so 
annuatim proxima dominica post octavam Pentecostes. 

Hee sunt reliquie, que continentur in hoc altari sancti 
Johannis Baptiste: de velo sancte Marie ac ejus crinibus et ein- 
golo; de ligno sancte Crucis; spina una de Corona Domini; 
precipue sancti Johannis Baptiste , apostolorum Petri, Pauli, 35 

18 nach indalgentiam fleht wieder adepturos proat, jedoch durch roten 
Strich getilgL 20 carrena itt hier rcmissio Tel indulgentia carene, vgl. Du 
Con^ 2, 167. 31 am Rande von jüngerer Hand: quae est secunda post 

Penth. et infr« oct. Corporis Christi. 



26 I. Abhandlung: Schönbach. 

Andree, Simonis et Jude, sanctorum quoque martirum Blasii 
episcopi, Vigilii episcopi, Marcelli [9*] pape, Zenonis, Desiderii 
episcoporam; Georii, Sebastiani, Pancratii, Vincentii, Oswaldi, 
Germani^ Cassiani^ Callisti^ Laarentii, Maaritii et sociorum ejus; 
5 et sanctoram confessorum Nicolai, Martini^ Benedict!, Lacii, 
Florini; et sanctarum virginum Catherine, Agnetis, Verene, 
Marie Magdalene, Eulalie, Juliane, Candide, Othilie, andecim 
miliam virginum et aliorum multornm sanctorum. indulgentiam 
Dcdicationis hujus altaris et reconciliationis hujus ecclesie a VI 
10 episcopis VI carrenas cum sex jejuniis annualibus omnes ad* 
venientes invenire sciatis. et sie eadem gratia per totam octa- 
vam pleniter habetur. 

4. Item sub annis Domini millesimo CC^LXXXVIP vene- 
rabilis presbiter et dominus dominus Fridericus, episcopus 

15 ecclesie Cnriensis, contulit omnibus hominibus hoc monasterium 
pie visitantibus , confessis et contritis, in remissionem pecca- 
torum suorum de injuncta eis penitentia, videlicet in quatuor 
[9^] festivitatibus beate Marie Virginis et sui patroni sancti 
Johannis Baptiste, in festo sancte Katherine et in anniversariis 

20 Dcdicationis hujus templi, XL dies criminalium et C dies ve- 
nialium. 

5. Item similitcr venerabilis presbiter et dominus dominus 
Fridericus, episcopus Frisingcnsis ecclesie sub annis Domini mille- 
simo CC^LXXXV® ob honorem prenominati sacramenti omnibus 

26 hoc monasterium, confessis et contritis, pie in festo sanctissimi 
corporis Christi, Dcdicationis et earum octavas visitantibus con- 
tulit in remissionem peccatorum eorum XL dies criminalium 
et C venialium de injuncta eis penitentia. 

6. Item frater Berchtoldus, Dei gratia Ybonensis episcopus, 
30 vicarius ecclesie Curiensis in spiritualibus constitutus, sub annis 

Domini millesimo CCC^^XVP in remissionem peccatorum suorum 
contulit omnibus pie hanc ecclesiam, confessis et contritis, visi- 
tantibus, videlicet in Nativitate, in Circumcisione , Epiphania 
Domini [10*], Cena Domini, Parasceve, Resurrectionis, Ascen- 
35 sionis, Pentechostes, in quatuor festivitatibus sancte Marie, sui 
patroni (S. Joannis Baptiste), in festo Dcdicationis hujus templi 
et earum cappellarum et altarium, in festo Corporis Christi, et 



18 am oberen Rande links blaß txm. aUer Hand: nota. 



Studien zur Erzählungsliteratiir des MitteUlterB. 27 

per earum octavas, vel quotienscunque manum adjutricem por- 
rcxerint nee non de faenltate sua in extremis ad fabrieam lega- 
verint; anctoritate oninipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli 
apostoloram, eorum meritis coniisi; XL dies criminaliam et C 
venialium. 6 

7. Item anno Doraini millesimo CC^LXXXXV^ dedicata 
sunt hee dao altaria subscripta in dicto monasterio in nomine 
sancte et individae Trinitatis, victoriosissime Cracis Domini 
nostri Jhesu Christi et sancte Marie, perpetue Virginia: primum 
altare precipue in honoro sancti Galli confessoris, secundum lo 
vero in honore sancti Blasii, episcopi et martiris^ per dominum 
Emanuelem, yenerabilem episcopum Crimonensem, qui omnibus 

et singulis ad [10^] eandem Dedicationem confluentibns^ de 
omnipotentis Dei gratia confisis, videlicet de XXXIII archi- 
episcopis et episcopis, quorum antentica patenter ostendit, et 15 
eodem Emannele, episcopo XXXIIIP adjnncto^ de qaolibct 
predictorum XL dies criminaliam de injancta eis penitentia, 
peccata oblita; vota fracta, si ad ea redierint^ in Domino miseri- 
corditer relaxantar. indalgentia vero predicta ambomm altarium 
ad octavam ejasdem Dedicationis integralitcr duratura. et si- 20 
militer per octavam celebrationis Corporis Christi; que inibi 
samma devotione colitur, pcragendo. dedicationes autem predicte 
celebrande posite sunt singulis annis primi altaris feria III et 
secundi altaris feria quarta in septimana sancte Trinitatis so- 
lempnitcr venerande. 25 

8. Item anno Domini millesimo CCC^ frater Jacobus^ Dei 
gratia episcopus Pavidensis, vicarius [11*] in spiritualibus domini 
Sifridi, Dei gratia episcopi Curiensis, et dominorum episcopo- 
rnm Dei gratia Spirensis et Basiliensis, contulit et concessit 
hanc gratiam et rectam indulgentiam in omni feria quinta in 30 
ecclesia Sancti Johannis in Monasterio et in aliis ecclesiis sibi 
annexis et in omnibus festivitatibus , que ibidem celebrantur, 
XL dies criminalium et C dies venialium. 

9. Item dedicationes altarium beatorum Petri et Pauli ac 
aliorum apostolorum juxta chorum sancti Johannis et cappellae 35 
et altaris beate Marie in dicto Monasterio existentium^ occurrunt 



15 actantioa — am Bande: nota — vgL Du Cange i, 493/. 
33 am Sande: nota. 



28 I. Abhandlung: Schönbach. 

in proxima fma sexta infra octavam Corporis Christi, videlicet 
apostolorum , sed cappellae in die sabbati. dedicatio cappelle 
Sancti Udalrici, Leonhardi confessorum et IIIP'^ evangelistarum 
oecurrit in feriam secundam infra octavam festivitatis Corporis 
5 Christi, dedicatio vero sancti Nicolai semper oecurrit in die 
beatoram Primi et Feliciani martirum. que indalgentie harum 
cappeilaram non sunt huc annotate. 

10. [11^] Item summa summarum omnium indulgentiaram 
prcdictarum litterarum et priviiegiorum superius notatorum, ex* 

10 ceptis indulgentiis de peractione festivitatis Corporis Christi, ut 
habetur in posterum in fine hujus copie: sunt enim duo millia 
ducenti et septuaginta dies criminalium, unus annus et CCCC 
dies venialium cum X carrenis et X jejuniis annualibus. hee 
prescripte indulgentie omni die per octavam festivitatis Corporis 

15 Christi habentur. et fcstum Dedicationis nostre ecclesie Sancti 
Johannis Baptiste. 

11. Anno Domini millesimo CCLIIP Urbanus papa quartus 
primo instituit festum Corporis Christi celebrandum in proxima 
quinta feria post octavas Pcntccostes cum magna solempnitate 

20 per totam octavam, et hoc roultis de causis etc. unde ad pre- 
sens festum Corporis Christi dedit postscriptas indulgentias : 
Unde vere penitentibus et confessis, qui matutinaÜ officio hujus 
fest! pre [12*] sentialiter, ubi in ecciesia celebrantur, adessent: 
C dics^ qui vero misse: totidem; illis autem, qui interessent 

25 primis vigiliis: C dies; qui vero in secundis vigiliis: totidem; 
hiis quoque, qui prime^ tertie, scxte, none ac completorii inter- 
essent officiis^ pro qualibet horarum ipsarum: XL dies; illis 
autem, qui per ipsius fcsti octavas in matutinalibus et vespertinis 
missis ac prcdictarum horarum beneficiis presentes existerent, 

30 singulis diebus octavarum ipsarum: C dies indulgcntiarum mi- 
sericorditer tribuit perpetuis temporibus duraturum. quod papa 
Martinus duplicando confirmavit. 

12. Itom notandum: papa Urbanus quartus dedit spe- 
ciales indulgentias ad presens miraculosum sacramentum, per 

6 von jüngerer Hand am Hafide: die 9 lunnj. 7 am unleren Rande 
txm jüngerer Hand: Prdicatio capcllae Sancti Nicolai et aliorum. 9 notatis. 
28 missa matutinalis, nach der Matutin, am frühen Morgen, Die missa yesper- 
tiua (xrofem hier nicht eine Korruptel vorliegt) meint die Mettse am Char- 
tamstag ahend nach der Auferittchung. 33 am Rande: nota bene. 



Stodien zur Erz&hlungsliteratitr des MitteUlters. 29 

divinam potentiam hie in Monasterio mirifice ostensam et cnm 
hoc in snmmo altari reconditam, omnibus devote qaerentibas 
CCCCCC et XL dies criminalinm cum aliis inscriptis indnl- 
gentiis etc. hie in littera in clausula illa, que incipit: In no- 
mine Domini. Amen. 5 

18. Anno Domini millesimo CCCC® LVP Leonhardus, 
Dei et apostolice sedis gratia episcopus ecclesie Curiensis, 
Omnibus Christi fidelibus^ confessis et contritis, quotienscunque 
devote visitaverint hoc miraculosum sacramentum^ quod sub 
specie utraque continetur, dicendo unum Pater et unum Ave lo 
Maria, XL dies criminalium et totidem venialium misericorditer 
indulsit. 
14. Hee sunt reliquie, que continentur in tabula. 

Primo de presepio Domini; de loco, ubi jejunavit; de 
mensa, in qua comedit cum discipulis suis; de monte Thabor, 15 
in quo transfiguratns fuit; de petra, ubi oravit; de ligno crucis 
Domini; de loco passionis; de statua Domini; de sepulchro 
Domiui; de aurea porta, quam intravit in die Palmarum; de 
loco Nativitatis Christi; de serto Domini; de loco Domini, ubi 
comedit assum piscem; de loco ascensionis Domini; de archa 20 
Noe; de loco ascensionis Marie; de virga Moysi; [13*] de 
patriarcha Ysaae; de tribus pueris, missis in caminum ignis; 
de loco nativitatis Marie; de pallio sancti Simeonis, in quo 
Christum suseepit; de sancto Johanne Baptista, de sancto Ja- 
cobe apostolo, de sancto Bartholomeo apostolo, de sancto Lau- 25 
rentio, de sancto Benedicto, de sancto Georio martire^ de s. 
Sebastiane, de s. Alexandre martire, de s. Lucio rege, de 
sancta Emerita virgine et martire, ejus sorore, de s. Victore 
et sociis ejus, de s. Leodegario episcopo et martire, de s. 
Trogiano episcopo et martire, de sancta Qerdruda virgine, de 30 
s. Panthaleonc martire, de lapide sancti Stephani, de s. Lauzero 
confessore, de s. Castulo martire, de s. Vigilio episcopo et 
martire, de s. Briccio episcopo, de s. Justo martire, de s. Qan- 
golfo martire, de s. Megenrado martire, de sancta Panafreta 
virgine et martire, de sancto Mauritio martire, de s. Margaretha 35 
virgine et martire^ de sancta Heremita, de sancta Ursula virgine 

4 da» ist oben Nr, 2. 9 quod feftU. 13 am Rande: nota. 

16 cmei» fehlt» 17 aUtna = columna, die Säule, an die der Herr bei der 
Oei fielung (gebunden wurde. 19 sertam, Domenkrone, — Luc. 24^ 42, 



30 I. Abhandlung: Schönbach. 

et martire, de s. Brigida virgine, de s. Hilaria [13^], de s. 
Placido martire; de s. Sigilla virgine et martire, de 8. Erndrada 
virgine et martire, de XI milibus virginibus, de s. Albuiana 
virgine et martire, de s. Digna martire, de s. Adelhaida regina, 

6 de 8. Hiltagarde, de s. Climaria virgine et martire, de s. Lud- 
wico rege, de osse unius sancti, de 8. Euprepia virgine, de 
saneto Victoriano martire, de s. Othilia virgine et martire, de 
8. Theodore martire, de s. Simeone martire. 

Hee sunt reliquie, que continentur in prima cista: de 

10 loco ascensionis Domini, de loco nativitatis beate Virgini8 Marie, 
de mensa Domini, de statua Domini, de s. Johanne Baptista, 
de 8. Jacobe Majore apostolo, de loco deserti 8cilicet jejunii, 
de 8. Afra virgine et martire, de s. Leonhardo confessore, de 
XI milibu8 virginibus, de s. Oswalde rege; de reliquiis III 

15 sanctorum, quorum nomina non sunt scripta; de s. Placido 
martire, de petra s. Stephani, de s. Sigismundo rege, de archa 
Noe, de s. Fabiane et Sebastiane [14^] martiribus, de s. Vigilio 
martire et confessore, de sepulchro beate Marie virginis, de 
sepulchro Domini, XL milium martirum, de s. Victoriano. 

20 Hee sunt reliquie, que habentur in secunda cista: primo 

de ligno sancte Crucis, s. Dorothee virginis, s. Nicolai con- 
fessoris, sancte Climarie virginis, Katherine virginis, Georii 
martiris, Othilie virginis; de thure et mirra trium magorum, 
qui obtulerunt Domino; de sepulchro s. Katherine, sancti 

25 Mauritii, sancti Anthonii confessoris, de sepulchro s. Benedict! 
abbatis, sancti Sebastiani episcopi, sancti Lucii regis et con- 
fessoris, sancti Jacobi patriarche, venerandorum Petri et Pauli, 
Wenetzlai martiris et regis, sanctorum Thcbeorum, Anne matris 
Marie, sancte Verone virginis ; de sepulchro sancte Marie, sancti 

30 Stephani prothomartiris, de fascia Domini, de sudario Domini, 
de 8. Bartholomeo, Justi martiris, Ursule virginis; [14^] Za- 
charie, patris sancti Johannis, Blasii martiris et confessoris, 
sancti Oalli confessoris. 

Item summa reliquiarum, conditarum in tabula et in 

36 duabus cistis supra notatis sunt quinque milia et duo dies 
criminalium et decem milia et quatuor dies venialium indul- 



4 regio«. 9 p. citi. — 9 find 20 am Bande: nota. 20 8. cita. 

28 Anne martiris Marie. 34 am Bande: nota bene. 36 oitia. 



Studien zur Erzählangrsliteratar des MitteUlters. 31 

gentiarnm, demptis reliqniis in aliis vasis habentibtts, de quibus 
etiam habentnr a qualibet pecia XL dies criminaliam indal- 
gentie et LXXX venialium. 



E^ kann gar kein Zweifel darüber herrschen^ daß zwi- 
schen dem deutschen Gedichte des Herrn Nikolaus Schlegel 
und zwischen dem vorstehend abgedruckten lateinischen Texte 
des Münsterer Hostien wunders irgendein Zusammenhang be- 
steht. Nicht bloß stimmt der ganze Gang der Erzählung in 
beiden Stücken überein , nicht bloß decken sich völlig die 
Angaben über Personen, Orte und ihre Namen, sondern in 
einer Reihe von Punkten treffen beide Berichte in Ausdruck 
wörtlich und fast wörtlich zusammen. Allerdings ist damit 
noch nicht gesagt, wie man sich die unleugbar vorhandene 
Beziehung genauer vorzustellen hat. Wie die Aufzeichnungen 
vorliegen, ist der lateinische Text um mindestens anderthalb 
Jahrhunderte jünger als das deutsche Gedicht: dieses könnte 
somit aus jenem keinesfalls unmittelbar abgeleitet werden. 
Die lateinische Überlieferung bietet uns ja durchaus nicht 
das Original, wie sich bereits zeigte (oben S. 19), es könnte 
also sehr wohl das deutsche Gedicht nach einer älteren latei- 
nischen Darstellung gearbeitet sein, die vielleicht auch der hier 
gedruckten Fassung zugrunde gelegen wäre. Ich nehme etwas 
vorweg, wenn ich schon hier darauf hinweise, daß die jetzige 
lateinische Überlieferung sich die besondere Glorifikation des 
MUnsterer Hostienwunders ebenso nachdrücklich angelegen sein 
läßt wie die Urkundensammlung und ihre Einschaltungen, die 
dem Berichte angehängt wurden. Zudem erregt auch die 
Form der lateinischen Geschichte etliche Bedenken. Denn, indes 
ihr die Eigentümlichkeiten der älteren Zierprosa, gereimte 
oder rhythmische Klauseln (bis auf weniges) fehlen, weist sie 
eine Zwei- und Mehrgliedrigkeit des Ausdruckes auf, die sich 
doch erst während der Frühzeit des Humanismus recht ent- 
faltet hat. Damit böte sich wieder ein Zeichen, daß in unserer 
Gestalt des lateinischen Textes die Umbildung eines älteren 
vorliegt. 



2 pecia ^ Brocidein, vgl. Du Cange $, 284. 



32 I. Abhandlunfi;: Schon bach. 

Einiges ist wohl noch za erfahren^ wenn das deutsche Ge- 
dicht und die lateinische Erzählung einläßlicher miteinander 
verglichen werden. Herr Nikolaus Schlegel (ich hezeiche seine 
Arbeit mit Z), den Münsterer Bericht mit L) beginnt mit einer 
Anrufung der Trinität, die als Muse ihn inspirieren soll, L ge- 
währt eine mit Bibelstellen reich ausgestattete Einleitung, wie 
denn gleich anzumerken ist, daß D nicht einen einzigen der 
vielen, jedoch ziemlich wohlfeilen biblischen loci bringt, die 
L enthält. Dann (V. llfiF.) teilt D genaueres über den Schau- 
platz des Ereignisses mit, das Kloster der Benediktinerinnen zu 
Münster in Graubünden, L erwähnt gar nichts davon (man würde 
ohne D den Ort gar nicht erfahren), sondern sagt nur : hoc in 
loco. Für L war es durchaus überflüssig, solche Angaben zu 
machen^ weil die Schrift zur Deponierung in diesem Kloster 
bestimmt ist und nicht darauf gerechnet wird, daß sie jemals 
von diesem Platze sich entferne. Just von den Notizen über 
das Kloster nimmt D den Anlaß zu einer ausführlichen Lob- 
preisung des Hauspatrones, S. Johannes des Täufers (V. 19 — 60), 
die L gänzlich fehlt. Vermutlich ohne Absicht knüpft D daran 
61 ff. die Erwähnung des in der Geschichte handelnden Prie- 
sters Johannes. Diesen führt L bezeichnenderweise nach dem 
ersten Hostienwunder ein und nennt nur im Eingang die 
Nonne kurz mit ihrem Namen Agnes. Daß D den Priester 
Johannes V. 69 als phrüendencere = praebendarius vorstellt, 
was L nicht hat, scheint mir von Bedeutung, der Hinweis 
auf die Quelle, der V. 70 folgt, mag jedoch nur durch den 
Reimzwang herbeigeführt sein. Die gemeinsame Kommunion 
der Nonnen wird D 71 — 77 und L übereinstimmend erzählt. 
Die Überlegungen der Nonne D 78 — 87 stehen wörtlich in L, 
nur finden sich hier noch Erweiterungen und Bibelstellen. 
D 88 — 101 berichten das Verbergen der Hostie in zwei Ab- 
sätzen, Kirche und Zelle, L scheint nur einen Akt anzunehmen. 
D 102 — 117 erzählt das Wunder in der Kirche wörtlich wie 
L, das nur weitläufiger ist. Z> 118 — 140 wird der Priester 
am Altar des h. Qallus von der Nonne Agnes aufgesucht, L 
in der Kapelle des h. Qallus; diese Differenz ist jedoch be- 
deutungslos, da es sich nach der Urkunde Nr. 7 sichtlich um 
eine und dieselbe Ortlichkeit handelt, einen Seitcnaltar der 
Klosterkirche, der in einer Art, vielleicht nur durch ein Gitter 



Studien zur Erzählungfsliteratar det MitteUlters. 33 

abgeschlossenen Kapelle aufgestellt war. Die Verse 131 — 134 
▼on D über das Qeheimnis der Wandlung und der Eonsekra- 
tionsworte finden keine Entsprechung in Z. Wenn D 140 — 
153 der Priester die Hostie an sich nimmt und darnach das 
Geschlecht der Nonne Agnes genauer angegeben wird, so deckt 
sich das vollkommen mit Z, nur die Anführung des Flusses 
Inn hat D 149 allein. Die Begründung für den Entschluß des 
Priesters Johannes, ein Eremitenleben führen zu wollen, welche 
L bringt, fehlt in i>, doch stimmen im übrigen alle Angaben 
über die Örtlichkeiten D 154 — 172 genau, ja wörtlich, mit L. 
Desgleichen nach der großen Lücke der Bericht über das 
Zusammentreffen mit der Äbtissin D 173 — 188, unwichtige 
kleine Zusätze haben beide Texte. Damit schließt die Er- 
zählung von Z, in Z> folgen aber noch ungefUhr 80 Verse. 
Die ersten zehn davon, 189 — 197 beschreiben die Hostie des 
Mirakels, wie sie, in Kristall gefaßt, noch jetzt zu Münster 
gesehen werden kann, und zwar in der Gestalt, wie die Nonne 
sie aus ihrem Schleier wickelte, als sie die empfangene Kom- 
munion auf den Altar der Kirche zurücklegen wollte, nämlich 
ein Stück blutiges Fleisch. D 195 f. heißt es, dies sei somit 
die fünfte Verwandlung gewesen, und das ist richtig, wie sich 
mit Hilfe des lateinischen Berichtes festlegen läßt. Zuerst 
wandelte sich die Hostie in der Hand der Frau Agnes von 
Scindes, dann erschien sie dem Priester Johannes als eine 
rechte Hand und ein Stück des Armes dazu, das dritte Mal 
bildete sie das ernste Antlitz eines Mannes, das vierte Mal 
stellt sie das Lamm Gottes dar und endlich (was der latei- 
nische Text nicht ausdrücklich sagt) das fünfte Mal gab sie 
sich so wie das erste Mal, wiederum als ein Stück blutigen 
Fleisches; dieser Zustand wurde dann beibehalten. Diese Be- 
schreibung also fehlt £, das jedoch dafür als Anhang, nach 
dem Amen der Erzählung von der Hostie, noch berichtet, aller- 
dings ziemlich unklar, wie im Auftrage der Äbtissin Adelheid 
der praepositus Berchtold zu Papst Urban IV. reist, diesem das 
Wunder berichtet, wahrscheinlich auch die Hostie vorweist, 
denn der Papst befiehlt ihm, sie getreulich nach Münster zu- 
rückzubringen, und stattet dann das Mirakel mit besonderen Ab- 
lässen aus, die noch unter Nr. 12 besonders angeführt werden. 
Davon erwähnt hingegen D nichts, das nur — wenn man die 

Sitenagtbtr. 4. pUl.-kiit Kl. IM. B4. 1. Abh. S 



34 L Abhandlang: SchOnbach. 

Worte nicht pressen will — V. 199 — 211 von dem Fronleich- 
namsfeste und einer Oktav spricht^ die Papst Urban IV. 1264 
eingesetzt hat (darüber handelt in L Nr. 11). D läßt dann 
212 f. die Angabe folgen, Frau Agnes von Scindes sei nachmals 
eine Klausnerin geworden und selig gestorben. V. 214 — 232 
berichtet, wie der Priester Johannes sich in einen Wald seiner 
Heimat (V. 227) zurückgezogen und dort ein Eirchlein zu 
Ehren der Muttergottes erbaut habe (V. 216 f.), das er mit 
Gülten seines Erbes bestiftete (V. 228fif.). Er habe sich dort 
mit so strengen Fasten gequält, daß seine geistlichen Vorge- 
setzten dawider einschritten und ihn verhielten, sich auf die 
kirchlich gebotenen Fasten zu beschränken. So hat er denn 
auch, als er starb, bei Gott Gnade gefunden. Von alledem 
findet sich in L keine Spur. Sachlich geringe Bedeutung hat 
es, daß D von V. 233 ab bis zum Schluß V. 270 eine erbau- 
liche Betrachtung über die Taufe Jesu durch Johannes an- 
stellt und ein Gebet an Johannes den Täufer und Maria bei- 
fügt, bei welcher Gelegenheit Herr Nikolaus Schlegel sich 
selber zweimal nennt. Damit greift das Gedicht auf seinen 
Eingang zurück, es schließt sich mit dieser Peroration auch 
ganz passend an das Lob des Priesters Johannes, des geistlichen 
Funktionärs der Münsterer Benediktinerinnen; dieses Plus ist 
daher auf den Sonderzweck des deutschen Gedichtes zurück- 
zuführen und es ist gar nicht verwunderlich, wenn L davon 
nichts gewährt. 

Jedesfalls, das lehrt schon dieser Vergleich, weiß D um 
einiges mehr als L. Dahin rechne ich nicht die genaueren 
Ortsangaben, denn diese verstehen sich aus der Aufgabe von D. 
Auch auf die Beschreibung der in Kristall eingelassenen Hostie 
bei D wird man keinen Nachdruck legen dürfen, weil auch 
sie in L, das am Orte selbst aufbewahrt wird, als entbehrlich 
erachtet sein kann. Hingegen ist die Notiz über die Nonne 
Agnes beachtenswert, welche D allein bietet, die schwerlich bloß 
aus den Worten (oben S. 21) devotiasime penituit herausgelesen 
wurde. Besonders jedoch fällt auf, was D schon V. 61 ff. 69 
über den Priester Johannes zu sagen wußte und was es am 
Schlüsse über ihn berichtet: wenn in der Vorlage von L sich 
darüber etwas fand, hätte es mit angebracht werden müssen. 
Es ergibt sich also schon jetzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit 



Studien zur Erzählangsliteratar des Mittelalters. 36 

da{\ir, daß der Verfasser von D zwar einen Bericht benutzt 
hat^ der dann in L nach dem modernen Geschmack des 
15. Jahrhunderts nmstilisiert wurde, daß er aber auch noch 
etliche eigene Kenntnis besaß oder irgendwoher schöpfte^ die 
in L oder dessen Vorlage nicht eingegangen war. Was aber 
L über den Präpositus Berthold und seine Romreise zu Papst 
Urban zu erzählen weiß, muß noch später besprochen werden. 
Flirs erste mögen hier einige sachliche Bemerkungen zum 
Texte von Herrn Nikolaus Schlegels Gedicht folgen. Er ruft 
in den Versen des Einganges die allerbeiligste Dreieinigkeit an 
und findet davon den Übergang zu seinem Stoff, indem er er- 
zählen will, was ihr widerfuhr, als sie sich in der Hand eines 
geweihten Priesters im Kloster Münster befand. Diese Aus- 
drucksweise klingt unseren Ohren sehr seltsam, hat aber fUr 
die Naivetät des Mittelalters nichts Bedenkliches^ so daß daraus 
kein Einwand wider die geistlichen Qualitäten des Verfassers 
zu schöpfen wäre. — Wenn es V. 15 von dem Frauenkloster 
zu Münster heißt, daß es swarzez leben hat, so ist das 
die ganz geläufige Bezeichnung des Benediktinerordens. — 
V. 20 gibt houpihirre den fatron'os des Klosters und der Kirche 
an. — V. 19 f. übertragen das Herrenwort Luk. 7, 28: dico 
enim vobis: major inter natos mulierum propheta Joanne Bap* 
tista nemo est. Der Verfasser zitiert also, wofern die Einleitung 
von ihm selbst herrührt, jedesfalls die heil. Schrift aus eigener 
Kenntnis. — Wunderliches begegnet ihm V. 22 ff. Dort nennt 
er die Propheten Jeremias und Isaias als Zeugen dafür, daß 
dem Alten Testamente bereits die Heiligung Johannes des 
Täufers im Mutterleibe bekannt war. Das ist richtig, so weit 
es Isaias anlangt, dessen Propbezien 40, 3 f. 61, 1 gemeiniglich 
auf Johannes Baptista bezogen werden. Auch Jeremias (1, 5) 
ist richtig genannt, obwohl der zweite Prophet, der fUr Johannes 
den Täufer gewöhnlich angerufen wird, Malachias ist (3, 1. 
4, 5). Weiters heißt es V. 25 : nier den hundert jär vor der 
Geburt des Johannes Baptista seien diese auf ihn bezüglichen 
Weissagungen ausgesprochen worden. In Wahrheit lebte der 
Prophet Isaias im achten, Jeremias im siebenten, Malachias im 
fünften Jahrhundert vor Christo, die Angabe des Verfassers 
beruht also auf sehr erheblicher Unkenntnis der biblischen 
Chronologie. Immerhin möchte sich aber auch daraus keines- 

3» 



36 I. Abhandlang : Schtfnbach. 

wegs ein Zweifel an der geistlichen Bildung des Autors be- 
gründen lassen y die eben f^Stv diesen Fall nicht zureichte, 
was bei sehr vielen seiner Standesgenossen sich ebenso ver- 
halten hat, vielmehr ist die Vertrautheit mit theologischer Über- 
lieferung daraus zu erschließen. Und noch besser bezeugen 
dies V. 29 f. Denn daß niemand Johannes den Täufer bei 
seiner Verkündigung durch den Engel an Zacharias vor seiner 
Geburt sah als Jhesus == Gott, das ergibt sich eben aus der 
Stelle bei Jeremias 1, 5, an welche der Verfasser schon V. 23 
dachte : Priusquam te formarem in utero, novi te ; et antequam 
exires de vulva, sanctificavi te, et prophetam in gentibus dedi te 
(Johannes Baptista hat mit dieser Stelle schon Hieronymus 
zusammengebracht bei Migne, Patrol. Lat. 24, 709 A, was 
dann von den späteren Kommentatoren aufgenommen und 
weiter geführt worden ist). Beachtenswert für die geringe 
Geschicklichkeit des Verfassers scheint mir, daß V. 32 f. die 
Darstellung wieder zur Botschaft des Engels zurückschreitet. 
— Die Beschreibung Johannes des Täufers in der Wüste 
V. 34 — 51 wird durch Züge bereichert, welche gegenüber den 
Worten der Evangelien einer späteren legendarischen Entwick- 
lung angehören. Im Anschluß an das eben Erzählte stellt der 
Verfasser sich Johannes den Täufer in der Wüste zuerst als 
Knaben vor und spricht deshalb von seinem härenen Gewände 
als kötzelin V. 37 (für ein Pilgerkleid bei Gottfried von 
Neifen 45, 9 Lexers einziger Beleg), das er dann V. 46 als 
kotzen bezeichnet, der mit dem Bußprediger Johannes selber 
wächst (Luc. 1, 80: Puer autem crescebat et confortabatur 
spiritu, et erat in desertis usque in diem ostensionis suae in 
Israel). — V. 39: die Angaben der Schrift über das Kleid des 
Täufers finden sich bei Matth. 3, 4. Mark. 1, 6. — V. 41—44 
deutet der Verfasser die zona pellicea der Evangelien auf 
eigene Faust als Seil, Strick, und wohl im Hinblick auf Ordens- 
trachten seiner Zeit, z. B. der Minoriten strenger Observanz. 
Denn die Kommentatoren wissen nichts von Schafwolle, die • 
der Täufer von Domsträuchern abgelesen habe, an welchen 
vorüberwandelnde Schafe sie (wie in der bekannten .Fabel) 
zurückließen. Vielmehr wird in den Kommentaren diese zona 
peUieea als ein besonderes Symbol der Kasteiung des Leibes 
aufgefaßt und die Interpretation der pili eamelorum als 



Stadien zur EnähliiDgflUteratQr des Mittel Alters. 37 

^WoUe' aasdrücklich der Weichlichkeit halber abgewehrt (vgl. 
Hrabanas Mauras zu MatthäUBi Patrol. Lat. 107, 767 f. and den 
realistisch erklärenden Christian von Stavelot, Patrol. Lat. 106, 
1291). Leider fehlt in Adelbrehts Johannes Baptista bei Kraus, 
D. Qedichte des 12. Jahrhunderts 4, 161 gerade der Schluß der 
Stelle über die Gewandung des Täufers. — V. 48—51 schildern 
Speise und Trank Johannes des Täufers zuerst negativ im 
Anschluß an Luk. 1, 25: et vinum et siceram non bibet, mit 
Hilfe einer wohlbekannten Formel, die jedoch für ihn schon 
ganz unlebendig war, wie man aus Wackernagels Abhandlung 
ersieht Kl. Sehr. 1, 86—105. — Das Wort gedanc ist V. 50 
in weiterem Sinne genommen als allgemein üblich = Person, 
knüpft aber wohl an eine bekannte Bedeutung an =: Denk- 
vermögen, geistiges Wesen. — Daraus, daß V. 51 locusta als 
Akkusativ im Reime steht, braucht man nicht zu schließen, 
daß der Verfasser kein Latein verstand (Mark. 1, 6: et locustas 
et mel silvestre edebat; Matth. 3, 4: esca autem ejus erat locu- 
stae et mel silvestre). Entweder hat er die Form locusta des 
Reimes halber gesetzt oder er hat locusta für einen richtigen 
Akkusativ gehalten (etwa von einem neutr. locustum), wie das 
auch sonst geschieht, z. B. Wiener Hs. Nr. 1689 (14. Jahrb.), 
19^: comedit locusta^ id est, peccatum consumpsit. — V. 57ff. 
beruht die Mitteilung, der Finger des Johannes Baptista, mit 
dem er auf Jesus deutete (steht nicht in den Evangelien, 
nur das ecee Joann. 1, 29. 36 ist so interpretiert worden, im 
Baumgartenberger Johannes Baptista, Kraus, D. Ged. 3, 50 heißt 
es gleichfalls: er wincte in mit dem vinger vgl. die Zeichnung 
im Münsterer Urbar von 1394, beschrieben von Bas. Schwitzer, 
Tirol. Oeschichtsquellen 3, 153), habe von den Juden nicht 
verbrannt werden können, auf einer volkstümlichen Über- 
lieferung, vgl. Gregor von Tours, Miraculorum lib. 1, cap. 14, 
Patrol. Lat. 1, 719f. Diese knüpft sich an die besonders im 
12. und 13. Jahrhundert berühmte Verehrung der Asche 
Johannes des Täufers zu Genua, AASS. 24. Juni, S. 780—796. 
Die BoUandisten erzählen übrigens a. a. O. von einer Menge 
Reliquien des h. Johannes Baptista, Händen, Fingern (S. 776) 
usw., auch von Johannesreliquien, welche das Feuer unberührt 
läßt (deren gedenkt die Legenda Aurea im Zusammenhang mit 
den Johannisfeuem) ; noch 1641 wollte ein Finger des Täufers 



36 I.AbhandlaDg: Schön bach. 

gefanden worden sein a. a. 0. 797. Der Autor des Gedichtes 
hat also auch diese Angaben nicht willkürlich erfanden. — 
V, 69 : der Geistliche Johannes war also bei den Benediktine- 
rinnen zu Münster angestellt^ um als praebendarius; provendarias 
die Pflichten des Priesters für die klösterliche Gemeinde wahr- 
zanehmen. — V. 70 die Bezeichnung der ,große Donnerstag' ist 
flir den grünen Donnerstag (in Cena Domini sagt der lateinische 
Text) in Grotefends Zeitrechnung nicht belegt (griechisch hieß er 
il) a^la xai ixe^iXir) wifjurcr^). An diesem Tage, der lange Zeit durch 
das Mittelalter als Fest galt, pflegte man die österliche Kommu- 
nion zu empfangen (Kellner, Heortologie, S. 49). Dafür ist sich 
bewam (sich versehen) V. 77. 83 der gewöhnliche mhd. Ausdruck. 

— V. 88 ff. vollzieht sich der Vorgang folgendermaßen: als die 
Können kommunizieren, stellen sie sich, aus ihren Sitzen im 
Chor tretend, vor dem Speisgitter nächst dem Altare auf. So 
tut Frau Agnes und tritt dann, nachdem sie abgespeist worden, 
zunächst an ihren Platz unter den Stehenden zurück, um ein 
stilles Gebet zu verrichten, bis zum Ende der Messe. Darauf 
nehmen alle wieder ihre Plätze im Chor ein. Daher hat V. 93 
gedrenge nicht den neuhochdeutschen Sinn, sondern bezeichnet 
nur die dichte Menge selbst, den coetus (DWtb. 4, 1, 2036), 
sonst wäre es nicht möglich, daß gerade Frau Agnes, von nie- 
mandem beobachtet, die Hostie aus dem Munde nehmen kann, 
die sie dann, in den Schleier gewickelt, durch drei Tage in 
der Truhe ihrer Zelle aufbewahrt. Der lateinische Text läßt 
sie, scheint es, erst in der Zelle die Hostie in Sicherheit bringen, 
was sachlich kaum angeht. Jedesfalls knüpft Frau Agnes die 
Hostie in einen Zipfel ihres Schleiers (V. 112), wie heute eine 
Bäuerin ein Geldstück in ihr Kopftuch einknotet; das Wort 
stricken^ Hric V. 97. 116 (lat. innodare, enodare) hat mhd. 
weitere Bedeutung ab nhd. — V. 125 vilr daz münster kann 
hier kaum etwas anderes heißen denn: das Münster entlang. 

— V. 134 f. die Konsekrationsworte werden im Kanon der 
Messe Becrete gesprochen. — V. 135: huop üf ist ein älterer 
formelhafter Ausdruck. — V. 136 missetdt = Frevel, den sie 
selbst begangen hat. — V. 142 die sonst wenig für die Situa- 
tion geeignete Formel vil tool gezogen paßt doch (fXv das Ge- 
spräch zwischen dem Priester und der vornehmen Nonne. — 
V. 162 hoch gezalt = ,der als hoch gilt*, sonst nicht belegt. 



Stadien zur EreählangsUterAtur des Mittelalters. 39 

— V. 181 obschon das kanonische Recht den Priester nicht 
einer geistlichen Würdenträgerin unterstellt, gehorcht doch hier 
der PräbendariuB der Äbtissin. Man vergleiche den Respekt, 
mit welchem die Untersnchangskommissäre Berthold von Regens- 
barg und David von Augsbarg die Äbtissinnen der Regensbarger 
königlichen Damenstifte behandeln (Stadien zar Qeschichte der 
altdeutschen Predigt 7, 7 ff.). — V. 241 ff. hier wird nochmals 
Johannes Baptista (vgl. das Gebet im MUnsterer Urbar von 1S94 
bei Bas. Schwitzer, Tirol. Geschichtsquellen 3, 154) angerufen und 
seine Taufe Christi hervorgehoben. Das geschieht somit am An- 
fange und Ende des Gedichtes, in Abschnitten, welche der Ver- 
fasser selbständig geschrieben hat und denen im lateinischen 
Texte nichts entspricht. Das erklärt sich unzweifelhaft daraus, 
daß eben Johannes Baptista der Patron des Klosters und der 
Kirche zu Münster war. Es wird, wie ich glaube, dadurch schon 
irgend eine persönliche Beziehung des Verfassers zu dem 
Kloster im MUnstertale wahrscheinlich. Vielleicht darf noch 
eine Notiz herangezogen werden, die ich aus P. Foffa: Das 
Bündnerische Münstertal (Chur 1864) S. 9 Anm. entnehme. 
Dort heißt es in der Beschreibung der Klosterkirche Sankt 
Johannes Baptist: ,Ohne Zweifel das älteste Monument der 
Kirche [von der einzelne Teile noch dem romanischen Stil an- 
gehören] ist ein Steinrelief, welches über der in die Sakristei 
führenden Tür im linken Seitenschiff in die Mauer eingefügt ist 
und dessen Figuren an die Statuen vor der Domkirche in Chur 
erinnern. Es stellt die Taufe Christi dar mit St. Johannes dem 
Täufer und einem Engel, über dem der heilige Geist als Taube 
schwebt.^ Es wäre ganz möglich, daß dieses Kunstwerk auch 
zu der besonderen Hervorhebung der Taufe Jesu durch Johannes 
an zwei Stellen des deutschen Gedichtes angeregt hätte. — Den 
Vers ze himelrieh, waz unser eint nach 264 halte ich doch für 
einen Zusatz des Schreibers (dem auch Rudolfs Guter Gerhard 
Verschiedenes der Art verdankt); denn trotz alles Mangels an 
Kunst möchte ich den Dreireim und den unpassenden Inhalt 
doch Herrn Nikolaus Schlegel nicht zumuten, obzwar gerade 
die grob volkstümliche Wendung toaz unser sint sich nicht 
übel zu ihm schickte. Die Beteuerung, daß die Erzählung 
wahr sei, hat der Verfasser geglaubt am Schlüsse noch vor- 
bringen zu müssen. Wir haben in ihm einen Mann kennen 



40 I. Abhandlang: Sohönbach. 

gelernt, der sich auf Latein verstand ^ ein gewisses, wenngleich 
nicht großes Maß theologischer Bildung besaß und für das 
wunderbare Ereignis mit der Hostie sich wohl schon aus Teil- 
nahme an dem Hause und der ganzen Gegend interessierte, 
die er allem Anscheine nach wohl kannte; es wird demnach 
ein Geistlicher aus dem Vintschgau gewesen sein. Eine Persön- 
lichkeit dieses Namens habe ich bisher nicht ausfindig gemacht, 
wohl aber begegnet unter den Zeugen , welche in einer zu 
Münster September 1239 ausgestellten Urkunde die Verpfändung 
des Marktes Münster durch Bischof Volkard von Chur an 
Hertwig von Matsch bestätigen (Foffa a. a. O. Urk. S. 17 ff., 
das Stück befindet sich im Stiftsarchiv zu Münster) ein Mar. 
quard Siegel unter edlen Herren des Vintschgau und Engadin, 
und zwar schon an sechster Stelle. Ein Walther (UI.) Schlegel 
war Abt von Disentis 1300 — 1307, vgl. Eichhorn, Episcopatus 
Curiensis, S. 234. Dagegen wird eine Hofstatt Schliegel im 
Urbar von Chur (bg. durch Conradin vom Moor, Retia, 4. Band, 
S. 98 [1869]) schwerlich mit den Schlegels zusammenhängen. 
Daraus erhellt, daß der wohl demselben Geschlecht angehörige 
Nikolaus Schlegel seinem Namen auch dann mit Recht das 
Prädikat ,Herr' vorangestellt hätte, wenn ihm ein Anspruch 
auf geistliche Würde nicht zustand. 



Eis gilt nunmehr, das wunderbare Ereignis genauer ins 
Auge zu fassen, welches in dem deutschen Gedichte und in 
dem lateinischen Texte berichtet wird, sich über die Persön- 
lichkeiten und Orte zu vergewissern, die dabei genannt werden. 
Den Schauplatz des Hostienwunders bildet zunächst das Bene- 
diktinerinnenkloster zu St. Johann Baptist im Münstertale, einem 
Seitentale des Engadin, und zwar so nahe an dessen Ausgange, 
daß ein kurzer Spaziergang längs des Rambaches zu dem 
großen Steinkreuz führt, welches jetzt die Grenze der Schweiz 
bezeichnet, der nächste Ort, Taufers, ist heute österreichisch. 
In dem deutschen Gedichte heißt es V. 11 f., das Kloster Mün- 
ster sei im Vintschgau gelegen, und in der Tat heißt es in 
der Vergleichsurkunde zwischen dem Bischof Egino von Chur 
und dem Abt Friedrich von Marienberg aus dem Jahre 1186 
(Eichhorn, Episcopatus Curiensis, S. 67) : — daustrum S. Mariae 



Stadien znr ErsählniigsliterAtur des MitteUlters 41 

de Monte et claastrum S. Joannis in Monasterio, qaae claustra 
Sita sont in Valle Venusta — . So konnte P. Basilins Schwitzer 
von Marienberg in seiner Vorrede zu den Urbaren von Marien- 
berg and Münster (Tirol. Qeschichtsqaellen, 3. Band, 1891) mit 
Recht sagen : yDenn das Vintschgau (pagns Venosta) erstreckte 
sich von der Falzaner and dem Aschlerbache bis za den Qaellen 
der Etsch, dann ttber das Qebiet von Naaders bis Finstermttnz, 
weiter am Inn aufwärts bis Pontalt im Engadin and ttber das 
Münstertal/ Herr Nikolaus Schlegel gibt dann V. 13 f. an, es 
gehe von Münster auf der anderen Seite, wo man gegen Wurmes 
= Bormio zieht, nach Reichenberg hinein. Aach das trifft zu : 
von dem rechts gelegenen Münster ist es dreiviertel Standen 
bis nach dem links liegenden Täufers und oberhalb diesem 
Dorfe liegen heute noch auf dem Hügel der Tauferer Talseite 
die Ruinen der Bargen Ober- und Unterreichenberg (Staffier, 
Tirol 2, 1, 175 ff.; Beda Weber, Tirol 3, 205 ff.). Die Reichen- 
berger waren durch eine Zeit lang mächtige und gefürchtete 
Herren, sie standen in Beziehungen zu dem Münsterer Frauen- 
kloster und hatten im 13. Jahrhundert dort einen Turm inne 
(P. Foffa, Das MünsterUl, Urkunden S. 57). Auch die Zeit 
des Hostienwunders läßt sich genauer bestimmen. Das Mirakel 
vollzieht sich zunächst unter den Augen einer Nonne, Frau 
Agnes von Scinde$y wie das Gedicht V. 152 ff. sagt, der lateini- 
sche Text schreibt bereits Sina, Das ist das heutige Sins im 
Unterengadin , auf dem Wege von Schuls nach Kauders am 
Inn gelegen. Bei diesem Weiler (vious) saß ein Geschlecht 
von Ministerialen (ministri ecdesie Curiensis), das in Urkunden 
des 12. und 13. Jahrhunderts reichlich bezeugt ist: von 1160 
bis 1210 zähle ich in Goswins von Marienberg Aufzeichnungen 
(herausg. von Basilius Schwitzer, Tirol. Geschichtsquellen, 
2. Band, 1880) S. 37—77 folgende Herren von Sindes: Chunrat, 
Adalbert, Rupert, Ernest, Egino, Hezil, Anshelm (vgl. noch 
Eichhorn, Episc. Cur., Cod. Probat. S. 56—66), ihr Ansitz heißt 
ein Turm: C<mradu$ de turre de Sindes zeugt 1167. Nach der 
Plünderung des Klosters Marienberg durch die Reicheüberger 
1274, die Goswin lebhaft schildert und beklagt, wurde als 
proewaiar ein clericue eecularis de Syndee^ dominus Amoldus 
nomine aufgestellt, der muliis annis, jedoch sehr zu seinem 
Vorteil und sehr zum Nachteil des Klosters seines Amtes wal- 



42 I. Abhandlung: Schönbacb. 

tete (er war vorher multis annis minister nostri monasterii zu 
Schub gewesen und besaß einen Bruder nomine Witz, Gosvrin 
ed. Schwitzer S. 118. 159 ff.). Marienberg hatte zu Sindes viel 
eigene Leute (Goswin S. 223 f.), reichliche Güter und Zinsungen 
besaß dort das Johanneskloster zu Münster (Urbare, herausg. 
von Schwitzer S. 165 ff.). Die l^onnen von Münster entstammten 
hauptsächlich edlen und reichen Familien des Engadins und 
des Vintschgaus (Schwitzer, Tirol. Geschichtsquellen 3, 147 ff.; 
Foffa, Das Münstertal S. 57), und so ist es nur begreiflich, 
daß auch eine Dame von Sins dort Aufnahme fand. Es war 
dieß zur Zeit, als das Kloster Münster von einer Äbtissin re- 
giert wurde, welche das deutsche Gedicht seiner Lücke halber 
nicht nennt, im lateinischen Text heißt sie Adelhaidis. Unter 
den Äbtissinnen von Münster (Eichhorn^ Episc. Cur. ; S. 349 ff. ; 
Foffa, Das Münstertal, S. 62 f.) gibt es drei dieses Namens: 
eine von Zinkenberg etwa 1000 — 1030 (die Jahreszahlen sind 
bis ins 14. Jahrhundert nur auf die Zehner abgerundet, was 
wenig Vertrauen erweckt); eine von Auer 1080 — 1090, endlich 
eine dritte de Monte von 1190 — 1220. Die beiden ersten kommen 
wegen ihrer weit zurückgelegenen Zeit nicht in Betracht, nur 
die letzte (später findet sich keine Adelheid mehr) kann hier 
gemeint sein. Da entsteht sofort eine Schwierigkeit: die alten 
Register und Aufzeichnungen nennen diese Dame de Monte, 
das ist von Mont, eine alte, angesehene Graubündner Familie. 
Der lateinische Text sagt von ihr ausdrücklich: vulgariter von 
Neyphen oriunda. Ich kenne kein anderes Neifen als das der 
staufischen Ministerialen von der schwäbischen Alb, zu denen 
der Minnesänger 'Gottfried von Neifen gehörte, doch habe ich 
nirgends zu ermitteln vermocht, ob aus diesem Hause die 
Äbtissin Adelheid III. von Münster stammte. Es dünkt mich 
auch an sich schon unwahrscheinlich, ich halte die Angabe für 
einen Irrtum von L, der ja keineswegs der einzige bleibt. Ist 
sonach die Äbtissin Adelheid dieselbe, welche der lateinische 
Text meint, dann muß das Hostienwunder sich innerhalb der 
Jahre 1190—1220 ereignet haben. 

Die wichtigste Persönlichkeit, welche das Mirakel erlebte, 
ist sicher der Hausgeistliche des Klosters, der Priester Johannes, 
welcher nach den Angaben des Gedichtes (die bekanntlich dem 
lateinischen Berichte fehlen) V. 227 ff. aus einer sehr ver- 



Stadien zur Erzählungsliteratur dea Mittelalters. 43 

mögenden Familie stammte und den ihm zufallenden Teil von 
Einkünften und Gülten auf die Stiftung einer Kirche verwandte. 
Nun hat Albert Jäger im 15. Bande des Archives für Kunde 
österreichischer Geschichtsquellen (1856) in seiner Sammlung 
yRegesten und urkundUche Daten über das Verhältnis Tirols zu 
den Bischöfen von Chur und zum BUndnerlande von den frühe- 
sten Zeiten des Mittelalters bis zum Jahre 1665' S. 344 den 
Inhalt von drei Urkunden folgendermaßen verzeichnet, die 
meines Erachtens hierher gehören: 

,1233. o. 0. u. Dat. Bischof Berthold von Chur nimmt 
den Priester Johannes, welcher ein Hospital in Silva plana 
gründete, in seinen besonderen Schutz: ,Johannem sacerdotem 
sttb defensionis nostre tutela recipimus, tam ipsum quam locum, 
ubi dicitur in Silva plana, qui ab eo ad receptionem pauperum 
et sustentationem debilium excolitur.^ Originalurkunde im Ar- 
chive des Frauenstiftes Münster in Graubünden. 

1233. 0. O. u. Dat. Bischof Berthold von Chur fordert 
alle Abte, Pröpste, Pfarrer, Priester, Kleriker und Gläubige 
seiner Diözese auf, einen gewissen Priester Johannes aus der 
Churer Diözese bei der Gründung einer Kirche und eines 
Hospitales für arme Pilger auf dem rauhen Alpenübergang zu 
Silva plana zu unterstützen. Originalurkunde im Archive des 
Fraueustiftes Münster in Graubünden. 

1239. 0. O. u. Dat. Bischof Volkard von Chur fordert 
alle Gläubigen seiner Diözese auf, den Priester Johannes bei 
der Gründung einer Kirche und eines Hospitales für arme 
Pilger auf dem rauhen Alpenübergang zu Silva plana zu unter- 
stützen. Originalurkunde im Archive des Frauenstiftes Münster 
in Graubünden.' 

Demnach steht die Sache so : das deutsche Gedicht erzählt, 
der Priester Johannes am Frauenstifte zu Münster habe längere 
Zeit nach dem Hostienwunder, das vor 1220 sich ereignet haben 
muß, eine Kirche zu Ehren Unserer Lieben Frau zum Teil aus 
den Mitteln seiner Familie gestiftet, und zwar in einem Walde 
V. 215 und in derselben Gegend, in der seine Familie begütert 
und wo er selbst geboren war. Da nun die drei Original- 
urkunden für die Stiftung der Kirche (und des Hospitales) sich 
heute noch im Besitze des Frauenklosters Münster befinden, 
da die durch sie bezeugte Stiftung des Priesters Johannes, der 



44 I. Abhandlung: SchOnbach. 

in diesem Kloster Hausgeistlicher war^ gerade in die Zeit Üüi, 
fUr welche nach dem Gedichte die Stiftung anzusetzen war, so 
scheint es mir im höchsten Grade wahrscheinlich, daß der Priester 
Johannes des Gedichtes und der drei Urkunden ein und die- 
selbe Person sind. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch fol- 
gende Beobachtung zur Gewißheit erhoben: V. 215 zieht der 
Priester Johannes sich nach einer Zeit besonders harter Askese 
in einen walt zurück, wo er eine Kirche baut. V. 227 heißt 
es von ihm: und war ouch üz dem icalde gebom wm rinem 
kunne. Diesen walt halte ich, schon nach der Fügung in 
V. 227 , für die Bezeichnung eines besonderen Lokales^ und 
zwar für die Übersetzung yon Silva (plana), daher habe ich 
ihn auch im Texte als Eigennamen angesetzt. Demnach war 
der Priester Johannes aus Silvaplana in Oberengadin und ist 
auch dort gestorben, nachdem er die Pfründe eines Hausgeist- 
liehen im Frauenstift Münster innegehabt hatte. Die Urkunden 
von 1233 und 1239 lehren auch, daß die geistlichen Vorgesetzten, 
welche dem Priester Johannes das schädliche Übermaß der 
Askese verboten, Herren aus dem hohen Klerus der Diözese 
Chur gewesen sind, wahrscheinlich der Bischof selbst und 
sein Domkapitel. Bischof Berthold I. von Helfenstein ist am 
25. August 1233 zu Riams durch seinen Vetter, einen Herrn 
von Wangen, erstochen worden, die erste Urkunde muß also 
vor diesem Tage ausgestellt sein. Bischof Volkard von Neuen- 
burg hat vom 1. November 1237 bis zum 16. Oktober 1251 
regiert. 

Unmittelbar nach dem ersten Hostienwunder begab sich 
gemäß V. 157 ff. der Priester Johannes in einen dichten Wald, 
der auf einem hohen Berge lag ober Quadrat und hoch über 
Merningen liegt, in einer Landschaft, die zur Diözese von 
Trient gehört. Die Angaben des lateinischen Textes stimmen 
genau damit überein. Die Quadrathöfe liegen heute (,in stark 
aufsteigendem Waldgebirge', Thaler S. 371) an dem vielbesuchten 
Ausflugswege von Meran aufs Vigiljoch oberhalb Marling und 
etwa zwei Stunden von Partschins, in der Höhe von 836 m. 
Es sind ihrer jetzt acht, ihre Namen, die zum Teil sehr alt 
sind, verzeichnet Josef Tarneil im ersten Abschnitt seiner 
Schrift ,I)ie Hofnamen des Burggrafenamtes in Tirol', S. 8 
(Quadrater Degnei). Sie gehören zur Pfarre Partschins (vgl. 



Stadien zur Ereählangsltteratur des Mittelalters. 45 

Josef Thaler^ Der deutsche Anteil des Bistomes Trient 1 [1866]; 
369 — 398), von der ein Kirchenpropst schon 1087 erwähnt 
wird (Thaler a. a. O. S. 396), ein plebanus 1264. Die Gemeinde- 
parzelle Qu€idrattez begegnet schon in einer Urkunde von 1163 
in Ooswins von Marienberg Chronik (ed. Basilius Schwitzer, 
S. 78). Ihre Zinsangen aus dem 14. nnd 16. Jahrhundert be- 
spricht Armin Tille, Die bäuerliche Wirtschaftsverfassung des 
Vintschgaues (1895), S. 50, Anm. 115 und S. 125, Anm. 272. 
Memingen, das heute Marling heißt, schon 1189 als Meminga, 
Maminga urkundlich bezeugt, ist ein Dorf, zwei Stunden von 
Heran, oberhalb Lebenberg gelegen (Thaler a. a. O. S.813 — 830). 
Diese Gegend gehörte im Mittelalter zur Trienter Diözese, und 
zwar an deren äußerster Grenze gegen die Churer Diözese, 
weshalb, und da sonst alles auf dem Boden der Churer Diözese 
sich abspielt, dieser Umstand in dem Gedicht und in dem 
lateinischen Text besonders erwähnt wird. Die Stelle des deut- 
schen Gedichtes ergänzt in erwünschter Weise die bisher be- 
kannten Daten Über diesen Grenzstrich der beiden Bistümer 
Chur und Trient (Thaler a. a. O. S. 10 ff.). Die Kapelle auf 
Quadrat ist im deutschen Gedichte ohne Namen, im lateinischen 
Text wird sie 8ancti Petri genannt. Heute scheint es keine 
Kapelle dort zu geben, die näckste befindet sich bei dem Bade 
Egard und ist Unserer Lieben Frau geweiht (Thaler a. a. O. 
S. 385). 

Es stellt sich also heraus, daß sämtliche Angaben über 
Persönlichkeiten und Orte, welche in dem deutschen Gedichte 
und in dem lateinischen Texte vorkommen, so weit die Nach- 
prüfung möglich ist, auf Richtigkeit beruhen und sich unter 
sich in Übereinstimmung befinden. Das jüngste Datum, welches 
in dem Gedichte vorkommt, ist die Stiftung des Fronleich- 
namsfestes mit seiner Oktav und dem dazu gehörigen großen 
Ablaß, durch Papst Urban IV. im Jahre 1264. Das Gedicht 
läßt V. 205 ff. die Promulgation des Festes in Rom auf einem 
Konzil vollzogen werden. Davon kann keine Rede sein, denn 
ürban IV. hat als Papst die Stadt Rom überhaupt nicht be- 
treten, er hat die Stiftung des Fronleichnamsfestes, zu der 
ihn, da er noch als Jakob Pantaleon Bischof von Lüttich war, 
eine Vision der heil. Juliana, Klosterfrau zu Cornillon-Mont 
bei Lüttich, angeregt hatte, erst am Ende seines Pontifikates 



46 



I. Abhindlune: ; SohUnbA^h. 



vorgenommen, so daß die bezögliclie Bulle sr.hon dnrch Paps 
Klemens V. veröffentlicht wurde ^ Papst Johann XXIL hat 
dann dem Corpus des kanonischen Rechtes einverleibt. In 
diesem Punkte war Herr Nikolaus Schlegel also nicht gnt anter- 
riclitet, er hat die allgemeine Vorstellang von der Einrichtung 
eines neuen Festes durcli Papst und Kon/Jl zu Rom an die 
Stelle der historischen Tatsachen treten lassen. Übrigens Ittßt 
eich der Irrtum auch dadurch ausrciehend erkUlren, daß zwi- 
schen dem Jahre 1264 nnd der Abfassung des Gedichtes ein 
paar Jalirzehnte verflossen waren ^ eine Zeitbestimmung y die 
sich ja vollkommen zu den Ergebnissen schickt^ die ans der 
Betrachtung von 8p räch form und Metrik gewonnen wurden 
(oben S. 15), sowie zu der oberen Grenze fdr die Abfassungs* 
zeit, welche durch die Bescliaffenheit der handschriftlichen 
Überlieferung gebildet wird, Za dieser Datierung schickt «icli 
noch sehr wohl, daß man die Bewegung wider die Juden, die 
während der letzten Dezennien des 13. Jahrhunderts von Frank* 
reich ausging nnd über Deutschland sich verbreitete, allerorts 
mit Hostienmirakeln verknüpft war^ auch als den unmittelbaren 
Anstoß für die Ausarbeitung des deutschen Gedichtes wird^ 
ansehen dürfen* 



Der lateinische Text hat nun der durch Amen i 
schlossenen EryJLhlong des Hostienwunders noch einen Nachtra 
(oben S. 24) beigefügt, in welchem folgendes berichtet wird: 
Nachdem die Hostie durch die Äbtissin Adellieid nach dem Stift 
Münster war zur ückge bracht worden, zieht die Äbtissin ihren 
Konvent, dann verschiedene edle und ^bescheidene^ (discreti) 
Herren zu Rate und wird von ihnen darin bestärkt, um eine 
amtliche Konfirmation des Wunders durch den Papst in Rom 
anzusuchen. Zu diesem Behufe schickt sie den Propst dea| 
Klosters, namens Berthold, nach Rom und gibt ihm Briefe mit, 
welche die Hostienwunder bestätigen und auch die sonst dabei 
geschehenen Mirakel Propst Berthold libernimmt den Auf- 
trag mit frommer Freude, bringt die wunderbare Hostie samt 
den Zeugnisbriefen nach Rom und erzählt dort dem Papst 
Urban IV. den ganzen Verlauf der Sache. Der Papst erkennt ^ 
die geschehenen Wunder an, befiehlt dem Propst Berthold, di€i^| 
Hostie treulich nach Münster zurückzutragen und stattet sie^l 



Stadien zur Erz&hlnngsliteratnr des Mittelalters. 47 

sowohl mit der gewünschten Konfirmation aas als mit speziellen 
Ablaßverleihnngen. 

Schon oben (S. 33) wurde hervorgehoben, daß der Ver- 
fasser des deutschen Gedichtes von dieser Romreise des Propstes 
Berthold nichts weiß. Was er über die Stiftung des Fron- 
leichnamsfestes und über dessen Feier im Kloster Münster er- 
zählt, das geht nicht über das historisch Richtige und Mögliche 
hinaus. Er weiß nichts davon, daß die Münsterer Hostie durch 
besondere Ablässe vom Papste ausgezeichnet wurde und daß 
ihre Wunder durch eine päpstliche Urkunde beglaubigt sind. 
Das hat man also, nehme ich an, am Ende des 13., am Anfang 
des 14. Jahrhunderts im Frauenstift Münster überhaupt noch 
nicht gewußt. 

Erweckt schon dieser Umstand schwere Bedenken wider 
die Zuverlässigkeit der Mitteilungen dieses Anhanges über die 
Romfahrt Propst Bertholds, so erweist sich einem näheren Be- 
trachten der Inhalt dieses Berichtes als Erfindung. Vorerst 
kann die Äbtissin Adelheid nicht mehr mit dieser Sache in 
Verbindung gebracht werden, weil sie mehr als vierzig Jahre 
vor Urban gestorben war. Ferner kann man zwar nicht in 
Abrede stellen, daß es um die Zeit Papst Urbans IV. einen 
Propst zu Münster mit Namen Berthold gegeben habe, doch 
läßt es sich auch nicht beweisen. Die praepositi Monasterii, 
Verwalter der Güter des Frauenstiftes Münster, kommen in 
Urkunden seit dem 13. Jahrhundert vor, gehörten ,fast aus- 
nahmslos adeligen Familien an und waren weltlichen Standes' 
(Basilius Schwitzer, Tirol. Geschichtsquellen 3, 150 f.). So ist 
1259 ein praeposiUis Joannes nachweisbar bei Eichhorn, Episc. 
Cur., S. 215; Foffa, Das Münstertal, S. 19. Ein Propst Berthold 
von Münster, venerahilis dominus Bertholdus praepositus Mona- 
sterii, begegnet als erster Zeuge in einer 1282 zu Mals ausge- 
stellten Urkunde über Marienberger Güter zu Slüs (Goswin 
von Marienberg, ed. B. Schwitzer, S. 110 ff.). Dieser war geist- 
lichen Standes und ist wohl der, der noch 1295 als Propst von 
Münster eine Marienberger Urkunde der Frau von Lichtenberg 
zugunsten des Bistumes Chur unterfertigt (Jäger, Regesten 
S. 346). Immerhin könnte es aber zurzeit des Pontifikates 
Urbans IV. einen Propst Berthold zu Münster gegeben haben. 
Allein ganz gewiß kann dieser Mann 1261 — 1264 nicht nach 



48 I. Abhandlung: SchOnbach. 

Rom gereist sein and bei dem Papst in Sachen des Münsterer 
Hostien Wunders Audienz genommen haben ^ einfach weil sich 
dieser Papst niemals in Rom aufgehalten hat. Ferner weil 
ürban IV. noch vor der Promulgation seiner Bulle über das 
Fronleichnamsfest gestorben ist, die Unterredung des Propstes 
Berthold von Münster mit ihm jedoch im Zusammenhang mit 
der Stiftung dieses Festes und der Verleihung der dafür be- 
stimmten Ablässe stattgefunden haben will. 

Notwendigerweise folgt aus dieser Feststellung, daß auch 
die übrigen Nummern des Münsterer lateinischen Manuskriptes, 
die über dieselbe Sache handeln, gefälschte Angaben enthalten. 
Das ist tatsächlich der Fall bei Nr. 2 (S. 25), welches eine 
Urkunde Papst Urbans IV. enthalten will, die dem Hostien- 
mirakel zu Münster besondere Indulgenzen für die Fronleich- 
namszeit verleiht. Dieses Stück, das als Akt der römischen 
Kurie an offenen Gebrechen leidet, behauptet, im Jahre 1275 
ausgestellt zu sein, 11 Jahre nach dem Tode Urbans IV. und 
während des Pontifikates Gregors X. Nr. 12 (S. 28) bringt 
wieder eine Notiz über die spezialen Ablässe Urbans IV. für 
das Münsterer Hostienwunder, diesmal ohne Jahresangabe. 
Selbst Nr. 11 (S. 28), das nur die Angaben über den allge- 
meinen Ablaß dieses Papstes für das Fronleichnamsfest und 
seine Oktav enthält, stattet diese mit der falschen Jahreszahl 
1253 aus. Es läßt sich übrigens aus diesen bei der Fäl- 
schung vorgekommenen Verstößen der Datierung entnehmen, 
daß die lügenhaften Aufzeichnungen sehr spät entstanden sein 
werden, vielleicht erst im 15. Jahrhundert und vielleicht erst 
mit dem vorliegenden Münsterer Manuskripte selbst; denn in 
älteren Zeitläuften hätten bei besserer Kenntnis solche grobe 
Irrtümer leicht vermieden werden können. (Ahnlich verhält es 
sich mit dem Deggendorfer Hostienmirakel; an das sich der 
Judenmord knüpfte, vgl. L. Steub, Altbayrische Eulturbilder, 
S. 21—150, besonders S. 76 ff. 142, ferner v. Liliencron, Histor. 
Volkslieder 1, 45—48, wozu noch die Fassung in der Hs. der 
Wiener Hofbibliothek Nr. 3027, fol. 295«ff. gehört. Dazu Janner, 
Geschichte der Bischöfe von Regensburg 3, 205 ff.) 

Es scheint mir auch zu beachten, daß die übrigen Stücke, 
welche das handschriftliche Heft zu Münster verzeichnet, durch- 
aus richtige Angaben darbieten. Nr. 1 über die erneuerte 



Stadien cur Era&hlungsllteratar des Mittelalters. 49 

Weihnng des Klosters ist 1087 datiert anter dem Bischof 
Nopertua von Chor, das ist Norbert von Hohenbalken 1079 — 
1088. Nr. 3 handelt über die 1281 stattgefandene Erneaemng 
der Weihe von Kirche nnd Hauptaltar durch Bischof Konrad 
von Chnr^ das ist Konrad II. von Belmont| der vom Jahre 
1272 bis zum 25. September 1282 regierte. Nr. 4 teilt die 
Verleihung von Ablässen fUr Münster mit^ die Bischof Friedrich 
von Chur 1287 verliehen hat; das ist Friedrich I., Graf von 
Montfort, der vom 21. November 1282 bis zum 3. Juni 1290 
regierte. In Nr. 5 muß bei der Datierung ein Fehler unter- 
laufen sein, denn das Stück soll 1285 der Erzbischof Friedrich 
von Freising ausgestellt haben, doch dauerte dessen Regiment 
nur vom 18. April 1279 bis 8. Dezember 1282. Die Verleihung 
von Ablässen für die Kirche zu Münster durch diesen Kirchen- 
fUrsten hat an sich nichts Auffallendes, denn er stammte aus 
dem vornehmen rhätischen Geschlechte der Herren von Mont- 
alban. Zu Nr. 6 und 8 von den Jahren 1316 und 1300 ist 
zu bemerken, daß Bischof Siegfried von Gelnhausen (?) sich 
sehr viel außerhalb seiner Diözese, insbesondere in Deutschland, 
aufgehalten hat, weshalb ein vicarius in spirittuilibus wieder- 
holt aufgestellt werden mußte (Eichhorn, Episc. Cur. S. 100 ff.). 
Nr. 13 aus dem Jahre 1456 fUUt in die Regierungszeit des 
Bischofes Leonhard Wißmayer, der vom 5. März 1453 bis zum 
12. Juli 1458 den Stuhl zu Chur innehatte. 

Die Reliquienverzeichnisse bieten keinen Anlaß zu Be- 
merkungen, denn ihre mitunter ganz seltsamen Behauptungen 
übersteigen um nichts die Ansprüche auf Glaubwürdigkeit, 
welche aus ähnlichen Dokumenten des 15. Jahrhunderts reichlich 
bekannt sind. Nur anführen will ich, daß bei der Aufzählung 
der Heiligen, deren Reste hier (ohne irgendwelche authen- 
tica) aufbewahrt sein sollen, die Bekanntschaft mit anderen 
Reliquiarien (z. B. denen, die Goswin in seiner Chronik von 
Marienberg behandelt, dann solchen aus Südtirol) Einfluß geübt 
zu haben scheint. 



Damit dem Hostienwunder zu Münster im Engadin sein 
Platz angewiesen und seine historische Würdigung ermöglicht 
werde, ist es notwendig, die Entwicklung der Verwandlungs- 

StUiiacaUr. d. pkiL-hltl. Kl. 156. Bd. 1 Abb. 4 



50 I. Abhandlang: Schönbach. 

mirakel der Eucharistie bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts 
kurz zu überblicken. Dabei wird kein Wert auf Vollständigkeit 
des Materiales gelegt — es wäre mir ja ganz unmöglich, sie 
auch nur anzustreben — , sondern es sollen bloß die Haupt- 
punkte aufgewiesen und ihr Zusammenhang dargelegt werden. 

Die ersten Jahrhunderte des Christentums weisen keine 
Wunder der Verwandlung der Hostie auf, es wird nur erzählt, 
daß Verunehrung und Schändung des heiligen Brotes an den 
Frevlem sich rächt (z. B. S. Optatus in der Patrol. Lat. 11, 
972, Augustinus usw.). Den ersten Bericht über eine äußere 
Wandlung der Hostie finde ich in den Abschnitten der Vita 
Basilius des Großen (Vitae Patrum in der Patrol. Lat. 73, 301 f.), 
wo die Qlorifizierung des Meßopfers durch Wunder erzählt 
wird. Dort heißt es (etwa um das Jahr 370) Kap. 7 : Itaque 
cum divinum celebraretur officium, Hebraeus quidam, ut Chri- 
stianus, se populo miscuit, ordinem officii et donum communionis 
explorare volens, et videt infantulum membratim incidi in 
manibus Basilii; et communicantibus omnibus venit et ipse, et 
data est ei in veritate caro; deinde adest et calici, qui 
erat sanguine plenus, et ipsius particeps est effectus. atque 
ex utroque conservatas reliquias, pergens in domum suam, 
ostendit uxori suae, ad confirmationem eorum, quae dicebantur, 
enarrans quae propriis viderat oculis, credens ergo, quod re- 
vera horrendum sit et gloriosum Christianorum mysterium. Es 
gelingt darauf dem Erzbischof Basilius, diesen Juden dem 
Christentum zuzuführen. Dieser Legende ist nicht bloß die 
ungeheure Verbreitung der Vitae Patrum im Mittelalter zugute 
gekommen, sie wird auch noch durch Thomas von Aquino, 
opusculum 58, Kap. 11 besonders angeführt (vgl. H. v. Ros- 
weyds Anm. 36, Patrol. Lat. 73, 317) und dadurch neuerlich 
fruchtbar. Sie bildet eine Art Typus und Ausgangspunkt der 
späteren Überlieferungen. 

Die Vitae Patrum enthalten noch ein wichtiges Stück, 
das hierher gehört. In den Verba Seniorum, lib. 18, abs. 11 
(Patrol. Lat. 73, 978 f.) erzählt der berühmte Abt Arsenius von 
einem Anachoreten, einem Greise, qui erat magnus in hac vita, 
Simplex autem in fide, et errabat pro eo, quod erat idiota, et 
dicebat, non esse naturaliter corpus Christi panem, quem sumi- 
ums, sed figuram ejus esse. Davon hören zwei andere Wüsten- 



Studien sar Erzählungsliteratur des MittelaUera. 51 

Väter und stellen ihn darüber zur Rede: ^Abba, audivimus ser- 
monem cujusdam infidelis^ qui dicit, quia panis, quem sumimus^ 
non natura corpus Christi, sed figura est ejus^ senex autem 
ait eis: ^ego sum, qni hoc dixi^ Sie setzen ihm dann die 
kirchliche Lehre auseinander, doch er antwortet: ,nisi reipsa 
cognovero, non mihi satisfacit responsio vestra^ Sie wollen 
dann Oott um ein Wunder bitten: senex vero cum gaudio 
suscepit sermonem istum, et deprecabatur Deum, dicens: ,Do< 
mine, si tu cognoscis, quoniam non per malitiam incredulus 
sim rei hujus, sed per ignorantiam errem, revela ergo mihi, 
Domine Jesus Christe, quod verum est'. Sie werden erhört: 
et hebdomada completa venerunt Dominico die in ecclesia, et 
sederunt ipsi tres soli super sedile de scirpo, quod in modum 
fascis erat ligatum, medius autem sedebat senex ille. aperti 
sunt autem oculi eorum intellectuales ; et quando positi sunt 
panes in altari, videbatur illis tantummodo tribus tanquam 
pnerulus jacens super altare. et cum extendisset presbyter manus, 
ut (rangeret panem, descendit angelus Domini de celo, habens 
cultrum in manu, et secavit puerulum illum, sanguinem vero 
excipiebat in calice. cum autem presbyter frangeret in partibus 
parvis panem, etiam et angelus incidebat pueri membra in 
modicis partibus. cum autem accessisset senex, ut acciperet 
sanctam communionem, data est ipsi soli caro sanguine cruen- 
tata. quod cum vidisset, pertimuit, et clamavit, dicens: ,credo, 
Domine, quia panis, qui in altari ponitur, corpus tuum est, et 
calix tuus est sanguis'. et statim facta est pars illa in manu ejus 
panis, secundam mysterium, et sumpsit illud in ore, gratias 
agens Deo. dixerunt autem ei senes: ,Deus seit humanam 
naturam, quia non potest vesci carnibus cradis, et propterea 
transformat corpus sunm in panem, et sanguinem suum in 
vinum his, qui illud cum fide suscipiunt'. et egerunt gratias 
Deo de sene illo, quia non permisit Dens perire labores ejus, 
et reversi sunt cnm gaudio ad cellas snas. — Auch diese Er- 
zählung ist vermöge der Popularität der Vitae Patrum außer- 
ordentlich verbreitet worden und verdient besondere Beachtung, 
weil hier das Wunder sich ausdrücklich zur Widerlegung des 
Unglaubens vollzieht ; auch der am Schlüsse fUr die Brotgestalt 
vorgebrachte Grund ist hinfort durchweg (z. B. auch bei Ber- 
thold von Regensburg) geltend gemacht worden. 

4» 



52 I. Abhandlung: Schönbach. 

Ganz ähnlich ihrem Inhalte nach, aber noch einflußreicher 
durch die Person des Beteiligten^ ist das Hostien wunder, welches 
in dem Leben Papst Gregor des Großen von Joannes Diaconus 
(verfaßt nach 872), lib. 2, cap. 41 (Patrol. lat. 75,103) vor- 
kommt und daraus vielfach zitiert wurde, aber auch die von 
Paulus Diaconus verfaßte Vita (die Autorschaft ist sicher, vgl. 
Wattenbach, Geschichtsquellen, 7. Aufl. 1, 183, Anm. 2) ent- 
hält das Stack als cap. 23 (Patrol. lat. 75, 52 f.), und zwar in 
so verschiedener Ausdrucksweise, daß ich beide Fassungen 
hierherstelle. Die bei Paulus Diaconus lautet: 

Mater familias quaedam nobilis erat in hac civitate Ro- 
mana (solche Hinweise auf den Aufenthalt des Verfassers in 
Rom sind nach der neuen Ausgabe durch Grisar, Zeitschr. fkir 
kathol. Theologie 11,162— 172 [1887] als spätere Interpolationen 
anzusehen), quae religionis et devotionis studio oblationes (die 
nach altem Brauch von den Gläubigen zur Kommunion dar- 
gebrachten Brote) facere et die Dominica ad ecclesiam deferre 
summoque pontifici ecclesiasticae consuetudinis et familiaritatis 
ejusdem gratia offerre solebat. quae cum quadam die ex more 
ad communicandum de manu apostolici ordine suo accederet, 
illique pontifex offam (immerhin ein kaubares Stück, die alt- 
deutschen Glossatoren bei Diefenbach übersetzen sogar: ein wecke) 
Dominici corporis porrexisset, dicens: ,Corpus Domini nostri 
Jesu Christi prosit tibi in remissionem omnium peccatorum et 
vitam aeternam', subrisit. quod vir Domini cernens, illi com- 
munionem sacram retraxit, et separatim super altare posuit, 
eamque diacono servandam, usquedum cancti fideles communi- 
carent, tradidit. expleto vero sacro mysterio interrogavit eam 
beatus Gregorius, dicens: ,dic, rogo, quid cordi tuo emerserit, 
cum communicatura risisti?' at illa: ,recognovi', inquit, ,por- 
tiunculam illam ex eadem oblatione fuisse, quam ego manibus 
meis feci et tibi obtuli; et cum eam te intellexerim corpus Do- 
mini appellasse, subrisit tnnc sanctus Domini pontifex sermonem 
exinde fecit ad populum et hortatus est cum, ut suppliciter 
Dominum exoraret, quatenns ad multorum fidem corroboran- 
dam, carnis oculis ostenderet, quid infidelitas hujus mulieris 
mentis oculis et fidei luminibus conspicere debuisset quod cum 
fuisset oratum, ipse una cum populo et eadem muliere ab ora- 
tione exsurgens, ad altare, cunctis cernentibus et sese ad cer- 



Studien cur Ersählnngsliteratur des Mittelalters. ÖS 

nendam coeleste Bpectaculnm comprimentibas^ corporalem pallam 
(eine besondere Art von Tuch, mit dem die Hostie umhüllt 
wurde, wenn man sie in das heilige Oeßlß legte) revelat et, 
universo popnlo ipsaque muliere contnente, partem digiti auri- 
cnlaris sangoine craentatam invenit et malieri dixit: ^disce^, 
inqoam, ,Yeritati vel modo jam credere contestanti : pania quam 
ego doy earo mea est, et nanguis 7iieu$ vere est potus (Joann. 
6, 52. 56). sed praescius Conditor noster infirmitatis nostrae ea 
potestate, qua caneta fecit ex nihilo et corpus sibi ex carne 
semper Virginis, operante Sancto Spirita, fabricavit panem et 
vinam aqua mistam, manente propria specie, in carnem et san- 
gainem snum ad catholicam precem ob reparationem nostram 
Spiritus sui sanctificatione convertit^ inde que universos jussit 
diyinam precari potentiam, ut in formam pristinam sacrosanctum 
reformaret mysterium, quatenns mulieri ad sumendum fuisset 
possibile. quod et factum est. unde saepefata mulier, plurimum 
in Sacra religione ac fide proficiens, participatione Dominici 
sacramenti consecrata est. et omnes, qui viderant, in divino 
amore et orthodoxa credulitate ferventius excreverunt. 

Der viel knappere Bericht bei Joannes Diaconus lautet: 
Matrona quaedam beato Gregorio, per stationes publicas missa- 
rum solemnia celebranti, solitas oblationes obtulerat. cui post 
mysteria traditurus, cum diceret: ,Corpus Domini nostri Jesu 
Christi conservet animam tuam', lasciva subrisit. illo continuo 
dexteram ab ejus ore convertens, partem illam Dominici Cor- 
poris super altare deposuit. expletis vero missarum solemniis 
matronam coram populo inquisivit, quam ob rem corpus Do- 
minicum susceptura ridere praesumpserit. at illa diu mussitans 
tandem prorupit. ,quia panem', inquiens, ,quem propriis mani- 
bus me fecisse agnoveram, tu Corpus Dominicura perhibebas^ 
tunc Oregorius pro incredulitate mulieris cum tota plebe sc in 
orationem prostravit, et post paululum surgens particulam panis, 
quam super altare posuerat, carnem factam reperit: quam coram 
cunctis incredulae matronae demonstrans ad credulitatis gra- 
tiam tam illam revocare potuit, quam totum populum confirmare 
curavit. rursus itaque in orationem cum eisdem prostratus camis 
frustum in panis primordia reformavit. 

Es ist ganz lehrreich, die beiden Fassungen miteinander 
zu vergleichen. Die spätere des Joannes Diaconus hat die wort- 



54 I. Abhandlung: Schönbach. 

reichere, ältere durchweg gekürzt, trotzdem aber noch kleine 
Zusätze und Veränderungen angebracht, welche alle die kom- 
munizierende Frau in ein schlechteres Licht rücken. Darf 
sie bei Paulus Diaconus als eine Gläubige angesehen werden, 
welche zur Stärkung ihres Qlaubens noch eines Zeichens be- 
darf, so ist sie bei Joannes Diaconus eine Ungläubige, die 
durch ein Wunder zum Christentum zurückgebracht werden 
muß. Auch die Rolle des Papstes Gregor wird in der späteren 
Fassung anders und stärker akzentuiert: erscheint er bei Paulus 
als Anreger und Ausführer eines göttlichen Willensaktes, so 
hat er ihn bei Joannes bewirkt, und da kann der Autor mit 
Recht den nächsten Absatz beginnen: alio quoquo tempore vir 
Dei Gregorius miraculum pene huic simile perpetravit. 

Die Erzählung von dem Hostienwunder, das dem Papst 
Gregor dem Großen begegnet ist, teilt mit den beiden voran- 
gehenden Basilius des Großen und des Abtes Arsenius den 
wichtigen Umstand, daß die Hostie, um die reale Anwesenheit 
von Christi Fleisch und Blut nach der Konsekration überzeugend 
vor Augen zu stellen, aus dem Zustande des Brotes in den 
des rohen Fleisches (auffallend begegnet in den beiden ersten 
Stücken derselbe Ausdruck caro sanguine cruentata) überführt, 
dann jedoch, damit der Genuß des Sakramentes ermöglicht 
werde, in die Brotgestalt zurückverwandelt wird. Diese letzte 
Veränderung ist bei der Geschichte von dem Juden bei der 
Messe des heil. Basilius nicht notwendig, weil dieser doch erst 
getauft werden muß, bevor er das Sakrament empfangen kann. 
Diese drei Erzählungen bilden für kürzere Zeit einen sozu- 
sagen festen Bestand in jenen Schriften, welche sich mit der 
Transsubstantiation im Altarssakramente beschäftigen. So werden 
sie sämtlich angeführt in des Paschasius Radbertus Liber de 
corpore et sanguine Christi (wo schon im 6. und 9. Kapitel 
beglaubigende Legenden aus älterer Tradition vorgebracht 
waren), Kap. 14, Patrol. Lat. 120, 1317 ff. Ihnen schließt sich 
dort eine fernere an, die ich hier abdrucke, weil sie auf das 
deutlichste aus den bisher mitgeteilten Stücken weitergebildet 
worden ist; sie lautet: 

Nonnunquam vero ad votum desiderantibus Christum 
baec praemonstrata leguntur; sicut illud in gestis Anglorum, 
quod quidam presbyter fuerit religiosus valde, Plecgils nomine. 



6tadien zur Erzähhingsliteratar des MittelAlten. 55 

frequenter missaram solemnia celebrans ad corpus S. Niniae, 
episcopi et confessoris, qui cum digno moderamine sanctanii 
Christo propitiO; daceret vitam^ coepit omnipotentem Deum piis 
pnisare preeibus, ut sibi monstraret naturam corporis Christi 
atqne sanguinis, itaque non ex infidelitate, ut assolet, sed ex 
pietate mentis ista petivit, fuerat enim a pnero divinis legibus 
imbutuS; et propter amorem superni regis olim patriae fines et 
dulcia liquerat arva, ut Christi mysteria exsul sedule disceret 
idcirco ejus amore magis succensus^ quotidie pretiosa munera 
offerensy poscebat sibi praemonstrari^ quae foret species latitans 
sub forma panis et vini^ non quia de Christi corpore dubius 
esset y sed quia vel sie Christum cernere veliet, quem nemo 
mortalium jam super astra levatum, in terris passim (alte Hss. : 
p<i8sufn) conspicere potest. venerat ergo dies, ut idem celebrans 
pie solemnia missarum more solito procubuit genibus: ^te de- 
precorS inquit, yOmnipotens^ pande mihi exiguo in hoc mysterio 
naturam corporis Christi , ut mihi liceat eum prospicere prae- 
sentem corporeo visu et formam pueri; quem olim sinus ma- 
tris tulit vagientem; nunc manibus contrectare^ qui cum talia 
precaretur, angelus de coelo veniens affatur: ,surge'; inquit, 
ypropera, si Christum videre placet; adest praesens corporeo 
Testitus amictu, quam sacra puerpera gessit'. tunc venerabilis 
presbyter, pavidus ab imo vultum erigens, vidit super aram 
Patris Filium puerum, quem Simeon infantem portare suis ulnis 
promeruerat. Cui angelus inquit: ^quia Christum videre placuit, 
quem prius sub specie panis verbis mysticis sacrare solebas, 
nunc oculis inspice, attrecta manibus!' tunc sacerdos, coelesti 
munere fretuS; quod mirum dictu est, ulnis trementibus puerum 
accepit et pectus proprium Christi pectori junxit, deinde pro- 
fusus in amplexum dat oscula Deo et suis labiis pressit pia 
labia Christi, quibus ita exactis praeclara Dei Filii membra 
restituit in vertice altaris et replevit coelesti pabulo Christi 
mensam. tum rursus humo prostratus deprecatus est Deum, ut 
dignaretur ipse iterum verti in pristinam speciem; qua expleta 
oratione surgens a terra invenit corpus Christi in formam re- 
meaase priorem, uti deprecatus fuerat. et mira omnipotentis 
Dei dispensatio, qui ob unius desiderium ita se praebere dig- 
oatus est yisibilem^ et non in figuram agni, ut aliis quibvsque 
8ub hoc myiierio (das war bereits im 9. Kapitel berührt worden)^ 



56 I. Abhandlung: Schönbach. 

sed in formam paeri^ qaatenus et veritas patesceret in ostenso 
et sacerdotis desiderinm impleretar ex miracolo nostraque ßdes 
firmaretur ex relatu. veramtamen non prias item communicasse 
paeri corpus ei sangninem legitar, quam rediret in prioris for- 
mae speciem^ ne absardum videretor^ quod praesampserat, et 
fides nberins requiratur interius in eadem, quod exterius visu 
conspexerat. haec interim dixisse sufficiat de ostensione carnis 
Christi pro assertione veritatU. — 

Das Stück beruht auf der Erzählung des Abtes Arsenius 
in den Vitae Patrum ; ist aber in poetische Sprache gebracht 
und dem Zwecke gemäß umgestaltet. Es handelt sich hier 
nicht um einen unwissenden Greis, der von Zweifeln geheilt 
sein will, sondern um einen theologisch gebildeten Priester, der 
ein Beweisstück fUr seine geistliche Überzeugung in die Hand 
zu bekommen wünscht. Deshalb mußte die Inszenierung ver- 
ändert werden, das Wunder mußte weiter gehen und der 
Priester das Jesuskind selbst in die Arme nehmen dürfen. Am 
Schlüsse natürlich mußte die Hostie ihre Broterscheinung wieder 
gewinnen, um genießbar zu bleiben: der Beweis war geführt 
und weiter erstreckte sich vorläufig das Bedürfnis nicht. 

Noch begegnet das Hostienwunder Gregors des Großen 
in anderen Schriften. Abt Gezo von Derton erzählt um 950 
in seinem Liber de corpore et sanguine Christi in den Kapiteln 
41—45 (Patrol. Lat. 137, 392—398) die Geschichten vom jüdeP, 
von Arsenius und Gregorius (in der Fassung nach Paulus Dia- 
conus) als Beweise fUr die Transsubstantiation. In dem wider 
Berengar von Tours geschriebenen Liber de corpore et sanguine 
Christi berichtet Durandus, abbas Troarensis, um 1160, im 
8. Teile cap. 27 (Patrol. Lat. 149, 1418 flF.) die Geschichten von 
Papst Gregor (in der Fassung Joannes Diaconus), vom Priester 
Plecgils bei Paschasius Kadbertus (jedoch ohne Namen), vom 
Abt Arsenius, von Basilius und vom jüdel', also durchaus der 
Apparat des Paschasius. In der wirksamsten der Streitschriften 
gegen Berengar, dem Liber de corpore et et sanguine Domini 
von Lanfrank (Patrol. Lat. 150, 407—442), wird kein Gebrauch 
von den Hostienwundem gemacht, was schon bei der Anlage des 
Buches schwer möglich wäre, das Satz wider Satz stellt, aber 
auch zu der strengen Logik des Autors nicht paßt, die auf 
solche Hilfsmittel verzichtet. Ebenso verhält sich Anselm von 



Studien zur Erzähl ungsliteratur des MitteUlters. 57 

Canterbury in seinen Briefen über die Bcrengarsche Ange- 
legenheit. Unter den italienischen Mirakeln^ die Petras Damiani 
in seinem 34. Opascalam (Patrol. Lat. 145, 571 — 590) berichtet, 
hat keines Verwandlangen der Eucharistie zam Gegenstande, 
nur in dem Vorworte (145, 572 f.) erwähnt er, eine konsekrierte 
Hostie sei zaerst teilweise, dann ganz za blatigem Fleisch ge- 
worden. Seine übrigen Schriften enthalten keine Erzählang 
dieser Art. 

Mit den folgenden Stücken betreten wir ganz anderen^ 
jedoch wohlbekannten Boden, die Visionen- and Mirakelliteratur 
der Claniazenser und Zisterzienser (vgl. noch das Wunderbuch 
der monachi Grandimontenses , cap. 50, Patrol. lat. 204, 1029, 
das sich jedoch wahrscheinlich nar auf Heilangen mittels der 
Hostien bezieht), über die ich im ersten Stück meiner Stadien 
zor Ezählangsliteratar des Mittelalters, Sitzangsber. 139, be- 
sonders 91 ff. 144 ff. (1898) einläßlich gehandelt, die ich dort 
im historischen Zasammenhang za würdigen anternommen habe. 
Aaf diesem Gebiete, das über das zwölfte and die AnfUnge des 
dreizehnten Jahrhanderts sich erstreckt, wächst das Material so 
rasch an, daß von nan ab die einzelnen Stücke nar in knappen 
AoBzügen mitgeteilt werden können. Das Exordium magnum 
der Zisterzienser berichtet Dist. 3, cap. 13 (Patrol. Lat. 185 B, 
1067) von einem Mönche za Clairvaax, Peter von Toaloase, 
er habe darch vier bis fünf Monate täglich beim Meßopfer das 
Jesuskind gesehen, aber nicht in der Hostie, sondern davon 
getrennt, aaf der Hand, aaf dem Arm usw. Dist. 4, cap. 3 
(a. a. 0. 1098) wird von einer Hostie wanderbaren Geschmackes 
erzählt. Dist. 6, cap. 1 (a. a. O. 1177 ff.) ist angemein lehrreich, 
denn es berichtet, daß ein sehr frommer Mönch Reginald von 
Zweifeln über die Transsabstantiation, and zwar ganz gemäß 
dem Gedankengange Berengars von Toars aafs schwerste ge- 
ängstigt warde, erst in seinen letzten Tagen vor dem Tode 
vermochte er za der für ihn berahigenden Glaabensüber- 
zeogung darchzadringen. Dist. 6, cap. (a. a. O. 1180 ff.) er- 
zählen die Wandertaten, die Bernard von Clairvaax mit dem 
Altarssakrament vollbrachte. — Noch>iel ergiebiger sind Her- 
berts Libri tres de miracalis (Patrol. Lat. 185 B, 1273—1384). 
1,3 (1279 f.) wird die Geschichte des Peter von Toaloase ein- 
gehend berichtet. 1, 20 (1297) sieht eine fromme Fraa den 



58 I. Abhandlung: Sch(Snbach. 

Jesusknaben in der Hostie, schlechten Priestern zürnt er. 1, 21 
(1297) wird ein Priester vom Jesuskinde in der Hostie geküßt; 
sündigt er aber, so wird ihm der Kuß verweigert. 1, 22 (1298f.) 
empfindet ein Bruder zu Clairvaux Honiggeschmack in der 
Hostie, nach einer Sünde jedoch Wermutgeschmack. 3, 19 
(1369) rettet sich die Hostie aus den Flammen. 3, 20 (1369 f.) 
zwei vom Altar genommene ohlationes leuchten im Hause und 
zeigen sich blutig, sobald sie auf den Altar zurückgebracht 
werden. 3, 21 (1370) eine Hostie wird während der Eonse- 
kration teilweise zu Fleisch, zwischen den Fingern des Priesters 
bleibt sie Brot. 3, 22 (1370) eine am Freitag konsekrierte 
Hostie wird zu Fleisch und Blut. 3, 23—25 (1371 f.) erzählen 
von Hostien, die den Anblick der Sünder scheuen und vor 
ihnen verschwinden. 3, 28 (1373) eine Hostie, die in einen 
Schweinstall geraten ist, wird dort als Fleisch gefunden. 3, 29 
(1374) ein armes Bäuerlcin hat sich eine geweihte Hostie in 
den Rock genäht, sie ist zu Fleisch geworden und wird dann 
feierlich zur Kirche heimgeholt. 3, 30 (1374) eine Hostie bleibt 
während dreier Jahre unverletzt in einem Bienenstock. — Das 
Konkurrenzwerk des Petrus Venerabilis von Clugny, De mira- 
culis (Patrol. Lat. 189, 851 ff.), berichtet keine Geschichten von 
Verwandlungen der Hostien, sondern erzählt nur lib. 1, cap. 1 
sehr hübsch, wie Bienen einen Altar für die konsekrierte Hostie 
bauen, welche der Bauer zum Segen für die Bienen aufbehalten 
und in den Stock gegeben hat. — Neben diesen Hauptwerken 
gibt es immer von Zeit zu Zeit Berichte über Hostienwunder, 
die an einzelnen Orten sich ereigneten. So erzählt der Ano- 
nymus von F^camp cap. 16 seiner Revelatio, daß im Jahre 
1081 (?) ein Priester, namens Isaak, unzweifelhaft habe beim 
Meßopfer eine Hostie die Gestalt von Fleisch und Blut an- 
nehmen sehen. Das Wunder wird durch den Normannen- 
herzog Richard, viele Bischöfe und eine große Volksmengfc 
bezeugt. Im Leben des heiligen Bischofes Hugo von Lincoln, 
eines Karthäusers, der 1185 gewählt wurde und 1200 starb, 
wird lib. 5, cap. 4 (Patrol. Lat. 153, 1036 ff.) erzählt, ein Kleriker 
habe die vom Bischof geweihte Hostie als Jesusknaben auf 
dem Altar gesehen. 

Von besonderer Bedeutung für die Geschichte der Hostien- 
wunder ist der elfte unter den Sermonen Ekberts von Schönau 



Studien zur Erzählangsliteratur des MitteUlters. 59 

gegen die Katharer (vgl darüber meine Studien zur Geschichte 
der altdeatschen Predigt 3, OOf.), der sich mit der von diesen 
Häretikern geleugneten Gegenwart Christi im Aitarssakramente 
beschäftigt. Dort wird nämlich am Schlüsse zur Bewährung 
der kirchlichen Ansicht außer dem globus igneus, der beim 
Meßopfer über dem Haupte des h. Martin von Tours erschien, 
auch die Geschichte von dem Hostienwunder zur Zeit Papst 
Gregors des Großen erwähnt, und zwar in folgender Gestalt: 
Legitury quod accidit aliquando^ ut haec infidelitas de corpore 
Christi, qua voa irretiti estis, etiam in populo Romano incre- 
visset et magnam partem civitatis occupasset tempore Gregorii 
papae^ qui cum oraret pro infidelitate populi et inter missarum 
solemnia secundum consuetudinem obtulisset super altare Dei 
panem et vinum et solitas benedictiones fecisset, hoc precibus a 
Deo obtinuit^ ut appareret ibi caro Dominica, sicuti erat^ et 
ostenderetur his, qui aderant, in specie camis, quae pinus illic 
fuerat in specie panis. sicque liberaius est populus ab in- 
fidelitate hac. Ich gestehe, daß ich längere Zeit nicht glauben 
wollte, es sei unter dieser Geschichte die oben (S. 52) abge* 
druckte Legende aus den Lebensbeschreibungen Gregors d. Gr. 
gemeint. Da jedoch alle Nachforschungen vergeblich waren, 
einen anderen ähnlichen Vorfall oder einen von der durch 
Ekbert berichteten Allgemeinheit aus der Zeit Papst Gregors zu 
ermitteln, so bleibt wirklich nichts anderes übrig als anzunehmen, 
Ekbert habe an dieser Stelle, im Interesse seiner Polemik, der 
alten Legende durch Umgestaltung einen Charakter verliehen, 
der ihre beweisende Kraft vermehren sollte. In dem Leben 
seiner Schwester, der heiligen Elisabeth von Schönau, wird 
cap. 38 (Patrol. Lat. 195, 140) eine Vision von der Eucharistie 
berichtet, die sehr lebhaft an die Heiligung des Gral erinnert, 
nur daß die heilwirkende Taube hier nicht lebendig vom Himmel 
herabschwebt, sondern die Form des kostbaren Gefäßes dar- 
stellt, in welchem seit den ersten Jahrhunderten der Kirche 
(bei Tertullian, Basilius d. Gr. usw.) die Hostien aufbewahrt 
wurden und das häufig an einer Schnur über dem Altar 
hing. So lautet der Bericht Elisabeths in dem Schreiben an 
ihren Bruder: 

In eadem missa (Exaltationis S. Crucis, Montag 14. Sep- 
tember 1154), cum accederent sorores ad communicandum (ge- 



60 I. Abhandlung: SchOnbach. 

meinschaftlich, wie in unserem deutschen Gedicht), et ego ad- 
huc a longe sederem propter imbecillitatem^ introspexi in calicem 
et vidi yeram speciem sanguinis, et cum infunderent vinum, 
distincte aspexi differentiam sanguinis et ejus^ quod affusum 
est (das ist Wasser), donec commixta sunt, et unus color 
sanguinis appareret. et videbam (sicut mox mihi est) omnia^ 
quae foris circa altare agebantur in tempore missae. et dum 
sacerdos calicem benediceret^ ecce columba, quam videre soleo 
in altari, pedetentim accedens caput calici immer sit, et con- 
tinuo speciea sanguinis apparuit, et nunc quidem rarum mihi 
non est videre hujusmodi. factum est etiam in una dierum, ut 
veniret quidam ex fratribus; ferens in pixide divinum sacra- 
mentum Dominici corporis, ut opus esse vidcbatur cuidam sorori 
infirmae. cumque staremus in circuitu ejus, et ego et quacdam 
sorores loquentes mecum de eo, ecce subito cor meum lique- 
factum et pene raptum est in extasim. et ecce claritas magna 
refulsit in pixide, et introspexi, cum tamen adhuc esset clausa, 
et apparuit species verae carnis in ea. dicens quidem ista con- 
tremisco, sicut et tunc videns contremui. testis autem mihi est 
Dens, quia nihil in omnibus bis fingendo aut propriam gloriam 
quaerendo locuta sum. 

Die heilige Hildegard von Bingen spricht Scivias, lib. 2, 
visio 6 (Patrol. Lat. 197, 507—564) eingehend über das Altars- 
sakrament und erwähnt eine Lichtvision beim Meßopfer, sie 
gibt auch dann eine Art erklärender Lobpreisung der heiligen 
Messe, ein Stück, das sich nicht bloß durch seine Originalität 
auszeichnet. Der klassischen Zeit der Hostienwunder nähern 
wir uns aber mit dem 13. Jahrhundert und ihr vornehmster 
Zeuge ist Caesarius von Heisterbach. Die ganze neunte Distinctio 
seines Dialogus miraculorum (vgl. meine Studien zur Erzählungs- 
literatur des Mittelalters 4, 22 f.) ist unter der Überschrift De 
sacramento corporis et sanguinis Christi nach einer kurzen, 
theoretischen Erörterung (Caesarius sagt von ihr: cum timore 
illud attendo, quia ubi sola fides operatur et rationis Judicium 
excluditur, non sine periculo discutitur) in den 66 folgenden 
Kapiteln ausschließlich (die Bedingungen der Konsekration be- 
sprechen Kap. 26. 27. 53. 62) Wundern gewidmet, die von der 
Eucharistie ausgehen. Darunter kommen für uns hier folgende 
Kapitel in Betracht : Zweifel an der leiblichen Gegenwart Christi 



Studien zur Erzühlungsliteratar des Mittelalters. 61 

im Altarssakrament äußert der Kanonikus und Arzt Petrus zu 
Köln, Kap. 56. Lichtvisionen 33. 34 {globtis igneus wie beim 
heiligen Martin 31). Qeschmackswunder 39. 40. 41. 46. Christus 
speist selbst mit der Hostie 35 — 38. Blut im Kelch 17 — 25. 
Blutiges Fleisch (wie im Münsterer Hostienwunder) 5. 59. In 
der Hostie erscheint der Jesusknabe 2. 4. 42. 47 , Christus als 
Mann 28. 29. Am merkwürdigsten ist Kap. 3 (Strange 2, 169) 
wo Yon einem Priester Adolf zu Dievesen in Friesland folgendes 
erzählt wird: Die quadam cum idem Adolphus missam cele- 
brarety et ante Agnus Dei hostiam levasset ad frangendum, 
in ipsa hostia Virginem in sede residere infantemque in sinu 
servare contemplatus est. nosse volens, quid esset ex altera 
parte, mox ut hostiam vertit, agnum in ea conspexit. quam 
rursum regyrans vidit in ea quasi per vitrum X])hristum in 
cruce pendentem capite inclinato. videns hoc sacerdos extimuit, 
diu Btans et deliberans, utrum ibi subsistere vel sacramentum 
perficere deberet. cujus fietibus Dominus placatus sacramento 
formam priorem reddidit, et ille missam perfecit. cumque po- 
puluB de tanta mora miraretur, ipse ambonem ascendens cum 
lacrimis populo msionem retulit, et signati sunt (zum Kreuzzug) 
eadem hora ab eo homines quinquaginta. — Wie beim Münsterer 
Hostien wunder zeigen sich verschiedene Wandlungen, die vier 
hier berichteten stimmen mit vier im deutschen Gedicht und 
lateinischen Text, doch hat das Münsterer Mirakel zwei Er- 
scheinungen mehr: das rohe Fleisch und die rechte Hand. 
Diese Übereinstimmung ist äußerst auffallend. Freilich faßt 
Caesarius von Heisterbach den ganzen Vorgang als eine Vision^ 
das Münsterer Hostienwunder jedoch beansprucht Realität, wo- 
durch es schon als spätere Entwicklung sich kennzeichnet. — 
Unter den Erzählungen, die ich in meiner erwähnten Abhand- 
lung S. 69—92 aus dem Homilienwerk des Caesarius abge- 
druckt habe, findet sich nur eine, die hier anzuführen ist, 
nämlich aus 1,73 (S. 70), wo ein Zisterzienserabt von sich 
selbst erzählt, er habe in einer schweren Krankheit die Kom- 
munion zu empfangen verweigert, weil ihn Zweifel an der 
Präsenz Christi befallen hätten, nachmals seien sie gewichen. 
Die Mitteilung zeigt durch einen Fall mehr, wie weit verbreitet 
doch auch in kirchlichen Kreisen die Unsicherheit in Sachen 
der Transsubstantiation damals noch war. — Mehr enthalten 



62 I. Abhandlung: Schönbach. 

die von Meister 1901 herausgegebenen Fragmente der Libri 
octo miraculorum (über die Geschichte des Textes vgl. meine 
Besprechung in den Mitteilungen des Institutes für österr. Ge- 
schichtsforschung 23^ 660 — 683) des Caesarius von Heisterbach. 
Folgende Nummern gehören ihrem Stoffe nach in den Bereich 
der Hostienwunder: Lichtvision Lib. 1, Kap. 13. Eine weiß- 
glänzende Taube bringt die Hostie vom Altar 1, 7. Die ver- 
steckte Hostie (wie bei Agnes von Scindes) erscheint als Blume 
1, 21. Christus speist selbst mit der Hostie 1^ 6. Die Hostie 
wird zu blutigem Fleisch 1, 1. 2; zu Blut 1, 3. 16 (2, 7. 10). 
Sie erscheint als Jesusknabe 1, 8. Ein Zweifler an der Gegen- 
wart Christi im Sakrament ist ein verurteilter Dieb 2, 9. Über- 
dies ist die Einleitung zum zweiten Buch S. 66 ff. für die Frage 
zu vergleichen. 

Mit den Schriften des Caesarius von Heisterbach sind 
wir bereits in der Zeit angelangt^ aus der uns das Hostien- 
wunder zu Münster im Engadin berichtet wird. Deshalb will 
ich hier nur noch zweier Sammlungen gedenken, die in den 
Zeitraum vor der Erzählung fallen, welche sowohl dem Vintsch- 
gauer deutschen Gedichte als dem lateinischen Texte zugrunde 
gelegen hat. Die Exemplay welche Crane aus den Predigten 
Jakobs von Vitry (1890) ausgehoben hat, enthalten nur ein 
Hostienwunder unter Nr. CCLXX (S. 113 und Anm. S. 251) 
von einer Frau, die das Sakrament zu Zauberzwecken im 
Munde behält, es wandelt sich jedoch zu Fleisch und klebt 
ihr an der Zunge. Die Sermone Jakobs von Vitry mögen 
aber viel mehr solcher Legenden enthalten, denn Crane hat 
die meisten der Erzählungen, die rein kirchliche Gegenstände 
betreffen, als ,Mönch8geschichten^ nicht in sein Buch aufge- 
nommen, sondern die internationalen Stoffe bevorzugt, sehr 
zum Schaden der Sache: als ob mittelalterliche Historien aus 
dem Leben der katholischen Kirche nicht gleichfalls zur intet*- 
nationalen Überlieferung gehörten und für deren Entwicklungs- 
gang bedeutend sein könnten. Lecoy de la Marche hat übrigens 
bei seiner Sammlung von Geschichten aus Etienne de Bourbon 
(1877) gleichfalls nur eine Auswahl gegeben und die Über- 
lieferungen historischen Charakters vorzugsweise berücksichtigt. 
Daraus mag es sich erklären, daß er außer der Erzählung 
des Petrus Venerabilis von Cugny über die Hostie im Bienen- 



Studien zur ErzfthlungsUteratur des Mittelalters. 63 

korbe und über eine frevelhaft entwendete Hostie (S. 328) nur 
noch (S. 366) von einer Beguine zu Rheims berichtet^ daß ihrer 
SUndhaftigkeit halber die bereits konsumierte Hostie aus ihrem 
Munde geflogen sei. Reichlichere Mitteilungen gewährt das 
Bienenbuch des Thomas von Chantimprä, über das ich jetzt 
nur das Werk von Dr. W. A. van der Vet : Het ßienboec van 
Th. V. C. en zijn exempelen ('s Gravenhage 1902) nachschlagen 
kann 9 und zwar nur dessen Zesde Hoofdstuk: Het sacrament 
in het bienboec, aber auch von dessen Historien gehört keine 
in den engeren Bereich der Hostienwunder durch Wandel der 
Erscheinung. Von späteren Sammlungen ^ die auch älteres 
Material enthalten ^ nenne ich hier nur die Scala celi des 
Johannnes Junior (Druck von Johannes Zainer 1480), welches 
Werk unter den Schlagworten CommuniO; Corpus Christi und 
Eucharistia Hostienwunder verzeichnet, durchweg solche, die 
hier schon aufgezählt wurden, mit Ausnahme eines einzigen 
Stückes f. 64% wo einem frater Gallus de Campis, magistcr in 
geometria, aus dem Predigerorden, der an der realen Gegen- 
wart Christi im Altarssakramente zweifelt, während der Messe 
in der Hostie Jesus als wunderschöner Jüngling erscheint, ihn 
mit seinen Händen streichelt und dadurch von den Zweifel 
befreit. Wichtig scheint mir, daß in das große Speculum 
Exemplorum (Druck von 1519) nur der alte Bestand von Er- 
zählungen eingegangen ist (sogar die Geschichte des Bischofs 
Hugo von Lincoln), dagegen neu nur ein später Bericht von 
einer Hostienschändung, die durch Juden in Breslau vollbracht 
wurde. Daraus kann man schließen, daß die verschiedenen 
Typen der Verwandlangswunder von Hostien um die Mitte 
des 13. Jahrhunderts bereits erschöpft waren. 

Es läßt sich nunmehr die Stelle schon genauer bestimmen, 
welche in dieser ganzen Entwicklung dem Mirakel zu Münster 
im Engadin zukommt. Durch die Häufung der Verwandlungen 
gehört das Stück gewiß zu den späten Entwicklungen und er- 
weist sich durch denselben Umstand auch als literarisch un- 
selbständig. Das wird durch die starke Übereinstimmung be- 
stätigt, welche zwischen den Münsterer Wandlungen der Hostie 
und zwischen Dist. 9, cap. 3 im Dialogus des Caesarius von 
Heisterbach besteht, wo über den Priester Adolph in Friesland 
berichtet wird: ich nehme hier direkte literarische Einwirkung 



64 I. Abhandlung: Schönbach. 

des Caesarios auf die £ngadiner Überlieferang an. Was in 
dieser noch als Pins erscheint^ geht gleichfalls anf wohlbekannte 
Überlieferung zurück: die Wandlung zu blutigem Fleisch gehurt 
zu dem ältesten Bestände der Literatur der Hostienwunder, 
die zu einer rechten Hand hat sich aus dem Typus des Be- 
richtes von Paulus Diaconus (digitus auricularis) im Leben 
Papst Gregors des Großen entfaltet. Beachtenswert ist, wieder- 
hole ich, daß noch bei Caesarius die Wandlungen der Hostie als 
Visionen aufgefaßt werden , im Mirakel von Münster jedoch 
schon als wirkliche Vorgänge: gerade innerhalb des ungefllhr 
halben Jahrhundertes, das zwischen den beiden Berichten liegt, 
hat sich auf allen Gebieten der Legende, und auch hier, eine 
Wendung zu intensiverer Gläubigkeit vollzogen, die dann bis 
weit ins 14. und 15. Jahrhundert hin andauert. Es scheint 
noch erforderlich, zu bemerken, daß in einer Anzahl von 
Hostienwundern (z. B. in denen der Scala celi) die Wandlung 
der Hostie zu blutigem Fleisch als ein Schreckbild, als eine 
Strafe, angesehen wird. Ich nehme an, daß auch in dem 
Münsterer Hostienwunder sich die Sache so verhält: Agnes 
von Scindes wird durch diese Gestalt der Hostie fUr ihren 
Frevel gestraft, der zuerst darin bestanden hatte, daß sie von 
ihrer Sünde nicht vor der Kommunion (aus Scham ?) durch die 
Beichte sich befreite und lieber die Hostie beseitigte. Aus dem 
Umstände, daß die Hostie zuletzt in den Zustand des blutigen 
Fleisches wieder zurückkehrt und in diesem dann verharrt, 
scheint mir zu erkennen, gerade dieses Wunder bilde den 
ursprünglichen Bestandteil des Berichtes. Die dazwischen 
liegenden Wandlungen der Hostie, welche der Priester Johannes 
zu Quadrat erlebt, kommen auf Rechnung der literarischen 
Einflüsse, insbesondere des Caesarius von Heisterbach. — Noch 
gedenke ich eines seltamen Zusammentreffens, das der Betrach- 
tung wert ist. Dist. 9, cap. 40 wird bei Caesarius ein Ge- 
schmackswunder der Hostie berichtet, das die Äbtissin Adel- 
heid eines Frauenklosters zu Münster in Westfalen erlebt hat; 
das Hostien wunder zu Münster im Engadin ereignet sich eben- 
falls unter einer Äbtissin Adelheid. Es trifft sich also, daß 
zur selben Zeit, gegen das Jahr 1220, in verschiedenen Teilen 
des Deutschen Reiches, in Westfalen und in der Schweiz, 
unter zwei Äbtissinnen Adelheid von Münster sich Hostien- 



Stadien zur ErzählungsUteratur des Mittelalters. 65 

wunder zugetragen haben. Besäßen wir nicht zwei der Zeit 
nahestehende Berichte , wäre zumal der Schweizerische nicht 
mit so speziellen Angaben ausgestattet, so könnte uns sehr 
leicht begegnen, daß wir auf Grund des wunderlichen Zufalles, 
der beidemale eine Äbtissin Adelheid von Münster beteiligte, 
die zwei Erzählungen far Reflexe eines einzigen Vorganges 
hielten. Das mahnt sehr zur Vorsicht, denn es gebricht in 
der Legendenliteratur des Mittelalters durchaus nicht an Bei- 
spielen, wo auf eine sehr geringe Anzahl übereinstimmender 
Merkmale hin verschiedene Erzählungen aus einem Ereignis 
abgeleitet wurden. — 

Überblickt man die Reihe der hier vorgeführten Berichte 
von Hostienwundern, so findet sich, daß nach dem Auftreten der 
ersten Typen in den Vitae Patrum und im Leben Papst Gregor 
des Großen, sich Sammelpunkte f\lr Legenden dieses Inhaltes in 
Zicitläufen bilden, wo die leibliche Gegenwart Christi im Abend- 
mahle den Gegenstand theologischer Erörterungen ausmacht, 
die durch Zweifler hervorgerufen wurden: zur Karolingischen 
Zeit der Streit zwischen Paschasius Radbertus und Ratramnu3 
von Corbie, im elften Jahrhundert die weit ins zwölfte und 
überaus wirkungsvoll sich ausdehnende Aufregang über die 
Häreaie des Berengar von Tours (wie hat sie bei Zisterziensern 
und Cluniazensern gewuchert!), und endlich als wichtigstes die 
Lehren der Katharer über das Altarssakrament (chronologisch 
wäre ein Zusammenhang dieser mit Berengar sehr wohl denk- 
bar), die noch stark in das dreizehnte Jahrhundert übergreifen. 
Die Höbepunkte der Legendenbildung von den Hostienwundern 
fallen ganz deutlich mit den Zeitpunkten lebhafter Diskussion in 
Abendmahlsstreitigkeiten zusammen. Das ist ganz wohl ver- 
ständlich. Denn einmal zeigen schon von den ersten Anfängen 
ihres Auftretens in der Literatur diese Hostienwunder die Ten- 
denz, Zweifel an der kirchlichen Auffassung der Eucharistie zu 
widerlegen, die orthodoxe Lehre zu beglaubigen, Häretiker 
und Juden zu bekehren. Dann haben selbstverständlich die 
Streitigkeiten über den Inhalt des Abendmahles den lebhafte- 
sten Widerhall in allen Kreisen des Klerus gefunden und 
nicht zum geringsten in den klösterlichen Gemeinschaften: mit 
diesem Zentral- und Granddogma stand und fiel die gesamte 

Sitswgtbtf . d. pluL-lii«!. Kl. 156. Bd. 1. Abh. 6 



66 I. Abhandlang: SchOnbach. 

Organisation der Kirche. Zahllos werden daher die privaten 
Gespräche und Verhandlangen gewesen sein, die bei solchen 
Anlässen über das Altarssakrament geführt wurden, zahllos die 
Predigten, überaas gespannt die Phantasie während jeder Zele- 
bration eines Meßopfers, und als Folge davon zahllos die damit 
verknüpften Gesichte and Erscheinungen , deren die von mir 
vorgebrachte Lese wohl nur einen überaus geringen Bruchteil 
darstellt. 

Wenn aber die Hostienwunder während des 12. Jahr- 
hundertes sich so stark vermehren , daß sie dann im 13. den 
Charakter von Visionen abstreifen und den greifbarer Tat- 
sachen beanspruchen, so fordert dies noch eine andere Erklärung, 
als die an sich sehr bedeutsame Ausbreitung der Häresien 
innerhalb dieses Zeitraumes sie darbietet. Ich schöpfe eine 
solche aus meiner Überzeugung, die sich mir sehr allmählich 
durch das Studium der christlichen Literatur und der Zustände 
des Christentums im Mittelalter gebildet hat und die ich bei 
dieser Gelegenheit wieder ausspreche : die Christianisierung der 
Massen des deutschen Volkes hat sich erst während des 12. 
Jahrhundertes wirklich vollzogen, erst von dieser Zeit ab darf 
man die Deutschen mit vollem Rechte als ,Christen^ bezeichnen. 
Einer raschen, durch die Schwäche der altheidnischen Volks- 
religion geförderten Aneignung der äußeren Kennzeichen und 
Kultusformen des Christentums folgte ein sehr langwieriger 
Prozeß der Auseinandersetzungen zwischen der christlichen 
Sitten- und Glaubenslehre einerseits und zwischen der aus dem 
Heidentum ererbten Auffassung von Welt und Leben. Für den 
Gewinn des Anteiles an der neuen umfassenden internationalen 
Ethik und Dogmatik haben die Deutschen den Verlust ihrer 
ursprünglichen nationalen Impulse^ die Einbuße am germani- 
schen Charakter abgetauscht. So wird es sichtbar in den 
Schicksalen der deutschen Heldensage und der aus ihr auf- 
steigenden Dichtungen, darum stehen die ,Nibelungen' mit 
ihrer Inszenierung des alten Stoffes in das christliche Ritter- 
tum am Ende dieses Ausgleiches. Das Erarbeiten einer inneren 
Glaubensüberzeugung auf Grundlage des Christentums ist über- 
aus langsam zu stände gekommen, sicherlich ist der Einwirkung 
des deutschen Klerus zur Zeit der sächsischen Kaiser und der 
Salier ein sehr wesentlicher Anteil dabei zuzuschreiben, indes sein 



Studien zur Erzählungsliteratar des Mittelalters. 67 

Wirken sonst für uns großenteils im Dunklen liegt. Christen 
jedoch in dem Sinne, daß der christliche Glaube den Deutschen 
in Fleisch und Blut gedrungen war und das Alte verdrängt hat, 
so daß sie in den Formen und auf der Basis des Christentums 
selbständig dachten und im Denken vorschritten, das sind die 
Deutschen nicht vor dem 12. Jahrhundert geworden. Deshalb 
gibt es vorher zwar einzelne gebildete Denker, deren Über- 
zeugungen die Grenzen der Orthodoxie durchbrechen, es gibt 
vereinzelte Volksbewegungen, die auf Schlagworte hin, mit christ- 
lichen Wendungen verbrämt, wirtschaftliche Drangsale zu leiden- 
schaftlichem Ausdruck bringen, aber es gibt keine eigentlichen 
Häresien in den breiten Massen. FUr diese bildet sich der 
Boden erst, als er durch das Christentum wirklich und allseits 
durchsäuert war, das Auftreten von Waldensern und Katharern 
in Deutschland bezeugt erst die vollendete Christianisierung 
des ganzen Volkes. Auch die Geschichte der Hostienwunder 
gibt einen Exponenten für diese Entwicklung ab. Solange 
über das Dogma der Transsubstantiation nur in den Kreisen 
des Klerus und in den Klöstern nachgedacht wird, Zweifel 
entstehen, bekämpft und besiegt werden, solange beschränken 
sich die Beweismittel auf Visionen und Träume. Sobald jedoch 
das Volk im weiteren sich für das Problem interessiert, müssen 
sich andere Mittel der Beglaubigung einstellen, Tatsachen, vor- 
handene, den Sinnen zugängliche Objekte. Die Veränderung 
im Inhalte der Hostienwunder spiegelt also nur eine tiefer und 
weiter greifende Veränderung im Wesen des Volksglaubens ab. 
Das sind Wahrnehmungen, die uns schon ein gut Teil 
des Verständnisses für die historische Entfaltung der Hostien- 
wunder erschließen. Sie lassen sich aber noch von einer 
anderen Seite her erweitem und ergänzen, nämlich von der 
Geschichte der Formen aus, unter denen die konsekrierte 
Hostie den Gläubigen im Sakrament gespendet wurde. Diese 
Formen haben sich im Verlaufe der Jahrhunderte sehr stark 
geändert und, wenn wir auch über ihre Entwicklung nicht 
genau und vollständig unterrichtet sind (vgl. Franz X. Kraus 
in der Realenzyklopädie die Artikel: Brot, Hostien), so lassen 
sich doch etliche wichtige Hauptpunkte feststellen. In den 
frühesten Jahrhunderten des Christentumes bildeten die Hostien 
(sie worden zumeist von den Gläubigen selbst an die Kirche 

8ita«Dff8bw. a. phU..kiit. Kl. 166. Bd. 1. Abh. 6 



68 I. Abhandlung: 8ch0nbach. 

gespendet, daher oblata, ablatio) meistens flache Brotkachen 
oder -Scheiben im Umfange eines heutigen Tellers , von dem 
die zu kommunizierenden Stücke durch den ausspendenden 
Priester abgebrochen und an die Gläubigen verteilt wurden. 
Dieser Gebrauch blieb im allgemeinen herrschend bis ins 11. 
Jahrhundert. Die Konsumtion der Hostie konnte also damals 
nur stattfinden y indem die entsprechende particula gekaut^ 
förmlich gegessen wurde {manducare war dafUr die richtige 
Bezeichnung). Es scheint , daß man schon ziemlich früh im 
11. Jahrhundert, wie ich glaube, häufiger und allgemeiner doch 
erst im Gefolge des Berengarschen Abendmahlsstreites, be- 
gonnen hat, für die Gläubigen Hostien in der Form kleiner, 
runder Scheiben zu bereiten und zu backen. Solange ein 
durchaus sinnenfillliges Verzehren der Hostien stattfand, konnten 
die Erzählungen über Hostienwunder nicht wohl in die Masse 
des Volkes dringen, dort selbständig aufgefaßt und weiter ge- 
bildet werden. Das war erst dann möglich, wenn die Gestalt 
der Hostie ein fast unmerkliches Verschlucken gestattete. Im 
Laufe des 12. Jahrhundertes scheint sich die heutige Hostien- 
form allmählich festgesetzt zu haben. -Noch unterliegt sie sehr 
verschiedener Beurteilung: Petrus Venerabilis von Clugoy sagt 
De miraculis, lib. 1, cap. 3 (Patrol. Lat. 189, 855) von der 
Hostie: — hoc parvissimum corporis Christi fragmen — ; die 
h. Elisabeth von Schönau spricht darüber Nr. 81 (Patrol. Lat 
195, 161): — afferens quasi panem parvulumj quali in celebra- 
tionibus missarum sacerdotes utuntur — ; aus einer Äußerung 
der h. Hildegard von Bingen erhellt, daß man sich nur schwer 
an die kleine Gestalt der Hostien gewöhnte, Scivias lib. 2, 
visio 6 (Patrol. Lat. 197^ 531 f.): qui autem idem sacramentum 
in majori aut minori quantitate percipiunt, sie intelligant, 
quia et ille, qui plus, et ille, qui minus accipit, unam eamdem- 
que vim percipiunt, quoniam hoc sacramentum non in quanti- 
tate, sed in sanctitate est — . unde et cum aestimatione sua 
metiuntur: secundum id, quod in animabus suis sentiunt, dis- 
cernentes fidem, quam in Deum habent, nee eam dividentes, 
sed ipsam integram habentes, et quanta et quali devotione 
corpus et sanguinera redemptoris sui percipiant, considerantes. 
sed idem sacramentum non erit huic saactins, qui plus ex eo 
perceperit, nee illi contractius, qui minus ex eo sumpserit, sed 



Studien zur Erzftlilungsliteratur des Mittelalters. 69 

secnndam fidem ejas^ qni illud percipit^ ita et exxm illuminabit. 
qnapropter, o homO; in magnitadine percipiendain non est, qaia 
fortissimas Dens tarn in parva quam in magna oblatione hajos 
mysterii est, et ideo qui iilad percipiunt, solnm hoc attendant^ 
qaod trinam et nnam Denm firma et integra fide in corde 
sno babeant. Die weiße Farbe (albedo) nnd die runde Gestalt 
des Abendmahlsbrotes stehen für Wilhelm ; Abt von St. Theo- 
dorich in Rheims gegen 1150, De sacramento altaris cap. 3(PatroI. 
Lat. 180, 349 f.) als unentbehrliche Eigenschaften vollkommen 
fest, desgleichen fUr den Lütticher Scholasticus Alger, De sacra- 
mento lib. 2, cap. 9 (Patrol. Lat. 180, 827), wo die GrUnde an- 
gegeben werden, weshalb schwarzes Brot zur Eucharistie un- 
brauchbar ist. Honorius Augustodunensis kennt die historische 
Entwicklung bereits genau, wie lib. 1, cap. 6. seines Werkes 
Gemma Animae (Patrol. Lat. 172, 564 f.) beweist unter der 
Überschrift De Dominico pane: Feriur, quod olim sacerdotes 
e singulis domibus vel familiis farinam accipiebant (quod ad- 
huc Graeci servant) et inde Dominicum panem faciebant, quem 
pro populo offerebant, et hunc consecratum eis distribuebant. 
nam singoli farinam offerentium missae interfuerunt, et pro bis 
in Canone dicebatur: omnium circum8iantium, qui tibi hoc 
taerißcium latulis offerunt. postquam autem Ecclesia numero 
quidem augebatur, sed sanctitate minuebatur propter carnales, 
statutum est, ut qui possent singulis Dominicis vel tertia Do- 
minica vel summis festivitatibus vel ter in anno communicarent, 
ne ante confessionem et poenitentiam pro aliquo crimine Judi- 
cium sibi Bumerent. et quia, populo non communicante, non 
erat neeesse panem tarn magnum fieri, statutum est cum in 
modum denarii formari vel fieri, et ut populos pro oblatione 
farinae denarios offerrent, pro quibus traditum Dominum cogno- 
scerent, qui tamen denarii in usum pauperum, qui membra sunt 
Christi, cederent vel in aliquid, quod ad hoc sacrificium perti- 
neret. Was an dem Erklärungsversuch des Honorius richtig 
sei, lasse ich dahingestellt, der Tatbestand war ihm jedesfalls 
mit hinlänglicher Sicherheit überliefert. Es kommt noch hinzu, 
was lib. 1, cap. 35 desselben Werkes (Patrol. Lat. 172, 555) 
aber die Prägungen angibt, die damals wie heute (nur wird 
jetzt bloß das Kruzifix aufgepreßt) mittelst der Backeisen auf 
der Hostie angebracht wurden: Panis vero ideo in modum 

6* 



70 I. Abhandlung: SchOnbach. 

denarii formatar^ qaia panis vitae Christas pro denarioram 
numero tradebatnr, qui veras denarias in vinea laborantibos 
in praemio dabitor. ideo imago Domini cam litteris in hoc pane 
exprimitar, qaia et in denario imago et nomen imperatoris 
scribitar, et per hanc panem imago Dei in nobis reparatar et 
nomen nostram in Libro Vitae notatar. E» begreift sich, daß 
aach diese den Hostien für die Kommanikanten aufgeprägten 
Bilder, zamal wenn sie noch verschieden waren (das Jesaskind, 
Lamm Gottes usw.), aaf die Phantasie des gläabigen Volkes 
sehr anregend einwirkten, was andererseits wieder eine Fort- 
bildung der älteren Typen von Hostienwundern zur Folge 
hatte, wie wir sie während des 13. Jahrhunderts beobachten 
können. 

Es zeigt sich somit, daß die Entwicklungslinien der Erzäh- 
lungen von Hostienmirakeln, ihrer Häufigkeit und der Mannig- 
faltigkeit ihres Inhaltes, ferner die der theologischen Verhand- 
lungen und Streitigkeiten über die reale Präsenz Christi im 
Abendmahle und endlich die der Änderungen der äußeren Gestalt 
von Hostien drei Kurven bilden, deren Gang und Höhepunkte 
unge&hr vom 4. bis zum 13. Jahrhundert zusammenfallen, wo- 
mit das historische Verständnis für diese Gattung von Legenden 
dargeboten ist. Auch läßt sich nun der Platz ganz deutlich 
erkennen, welcher der besonderen Überlieferung des Hostien- 
wunders zu Münster im Engadin zukommt. 



Kachträge zur Legende Tom Erzbischof 
Udo Ton Magdeburg. 

(Stndiea sar Ersählnngsliteratur des Mittelalters III. V. 8. 78—91.) 

S. 2 — 9 meiner Stadien zur Erzählungsliteratur des Mittel- 
alters 3 habe ich einen lateinischen Text der Legende vom 
Erzbischof Udo von Magdeburg abgedruckt (vgl. Studien 5, 78f.), 
dessen Vorlage ich meinte, vermutungsweise bis in das 13. Jahr- 
hundert zurUckverlegen zu können , für welche Zeit ja durch 
sonstige Zeugnisse (Studien 3, 19; Studien zur Qeschichte der 
altdeutschen Predigt 7, 13) die Existenz der Legende bereits 



Studien zur Erzähl angsliteratur des Mittelalters. 71 

nachgewiesen ist. Meine Vermutang nähert sich der Qewißheit 
am ein Bedeutendes dadurch , daß ich dieselbe lateinische 
Fassang in der Handschrift Nr. 1689 der kaiserlichen Hof- 
bibliothek in Wien aufgefunden habe^ wo sie f. 6® — 9^ steht; 
diese Pergamenthandschrift wird von den Tabulae codicum 
manoscriptorum ins 13. Jahrhundert gesetzt, ich möchte sie 
schon der ersten Hälfte des 14. zuweisen, jedesfalls aber liegt 
sie hinter den bisher bekannten Überlieferungen erheblich 
zarUck. Sie bietet auch einen viel besseren Text, der den 
Forderungen des Kursus genauer entspricht, deshalb habe ich sie 
mit meinem Druck verglichen und lege das Ergebnis hier vor. 
Rote Überschrift : Miraculum de Udone dampnato. 1 qua- 
dragesimo] quinquagesimo 2 imperante] imperatore et — Par- 
tinopolin — Maidburg 6 turpiter vivere 8 moniales Deo 
dicatas auso 9 urbe] civitatem 10 ingenii et nihil 13 exiens 
et ecclesiam 18 dixit ei apparens 19 munus seien tie 20 tri- 
buo] do, vorher dabo getilgt — archiepiscopi 21 recommitto 
23 et vor his fehlt 24 Maria /eAZt — scolas nach solito 25 De 
Omnibus ist richtig^ denn man sagt: alicui concludere, jemanden 
beim Disputieren überwinden, vgl. Buoncompagno, Rhetor, Noviss, 
ed. Gaudemi 286^: faber lignarius geometre mensurando con* 
cludit. 27 audiebant eum 32 igitur] ergo 34 negligere pro- 
prieque 35 deservire 37 ullo] zuerst omni getilgt, darüber 
ullo 40 que per fehlen 43 Österholtz — Valla liliorum 45 am 
Rande: Versus — intonantem terribiliter 48 ad aus a korri- 
giert 50 sua malitia 51 predictam c. 52 libidinose commix- 
tionis 58 que si Saxones 59 sunt gesta reticere vellent 
63 universali sancta 64 sua • i - Partenopolitana 68 horribilis 
nimis 77 dapeticia 78 stravit decenter 81 clamabat aus da- 
mabatur korr. 82 reliquie habentur 93 m. venerantes g. 
96 beatus M. 97 sexcentis 99 reverenter postulantes 100 scio 
quid qu. 101 a. date U. e. 106 domina nostra 114 turpiter 
et fehU 119 impius sustinere deberet interim tractaverunt 
122 Udoni precepit 123 levasset ad ictum 124 contine gla- 
dium tuum 129 omnes rex celi 132 dictus accessit et aggre- 
diens 134 qui hec vidit homo justus 143 incidere in manus 
144 at convertantur tolerat 146 peccatores steht da 147 simul 
fehlt 148 Udonem scilicet e. 152 Parthinopolim 155 descen- 
dens 158 concitus 161 nee moram 164 karissimus noster 



72 I. Abhandlunf?: Schon b ach. 

168 bene venisti inqait 170 per meritis 172 noster diiectas 
174 avertente 176 precepit Sathan 178 puteas opertoriam 
habens 180 montes lapideos immo 182 infelicem illam ani- 
mam Udonis 192 seit tantam nostrum officiam 195 et omnes 
ananimiter 196 illam odiosam 197 tartaratrnm 198 montes 
hajos mnndi ad invicem quaterentar 201 clerioas iste 202 
extitit snorum maloram cooperator 203 sie fiat particeps 204 
ideoqne ^i fehlt 205 dimergatar 207 hinc et inde 209 penitns 
fehlt — Parthinopolim 213 viderat et audierat 218 i. longe 
ab nrbe 222 globam illam 223 Albiam 225 f. est, ei fehlen 
226 decenniis — tandem fehlt 229 indebiliter 230 qno- 
damodo et v. 231 facta est 232 episcopns fehlt — vor ca- 
nitur steht jnxta morem 234 vere — illud 236 nt videntes 
contremiscant — divine fehlt. 

Unmittelbar vor der Udolegende enthält die Wiener Hs. 
f. 5^ — 6« die Geschichte vom Erzbischof Roland = Adalbert I. 
von Mainz y die ich a. a. O. S. 57—59 abgedruckt habe und 
gleichfalls hier mit meinem Druck kollationiere: 57, 1 Mira- 
culum, rot übergeschrieben — Vir fuit 3 et fehlt 4 quedam 
fehlt 6 domus sue n. 8 vor redeatis ist veniatis getilgt 
58, 1 ingreditur. Sed precipiente episcopo 7 das zweite episcopns 
steht da 8 oloserico 10 sie sie 11 et fehlt 12 prohdolor 
13 nee angelos nee homines 14 pausaret, wodurch die Kon- 
jektur txm A. Poncelety Analecta Bollandiana 23, 472 Anm. be- 
stätigt wird. 20 cultellus et usque 23 filius tam crudeli vnl- 
nere 25 meam violasti et pollnisti — vulnerum 35 per fehlt 
59, 3 vulnorasti — secundo aus secundam korr. 4 tercio 
6 porta venie sum 9 cruentus . 

Es scheint geraten, bei dieser Gelegenheit den Inhalt des 
interessanten Wiener Kodex etwas einläßlicher zu beschreiben. 
Nr. 1689 besteht gegenwärtig aus 34 (die Tabulae sagen 35, 
es ist aber die Ziffer 14 beim Zählen ausgefallen) Blättern 
Pergament, im Umfange von 153X21 '5 cm, die zweispaltig 
im 14. Jahrhundert beschrieben sind. Den Umschlag bildet 
ein Stück braunes Leder, das auf der Innenseite durch auf- 
geklebte Stttcke von Pergament und Papier, sämtlich mit theo- 
logischem Latein beschrieben, verstärkt wurde; je ein Blatt 
Papier ist vorne und rückwärts zum Schutze vorgesteckt worden. 
Die Blätter bestehen aus zwei Gruppen: einem Quinio, von 



Stadien zur Erzählun^sliteratur des Mittelalters. 73 

älterer Hand mit größeren Buchstaben and schwärzerer Tinte 
beschrieben^ diese Lage war fUr sich abgeschlossen; und zwei 
Senionen, von jüngerer Hand mit kleineren Buchstaben und 
blasserer Tinte beschrieben^ am Schlüsse unvollständig. Am An- 
fange und Ende des Quinio sowie 34^ unten steht jedesmal 
von einer Hand des 15. Jahrhunderts die Notiz: Iste liber est 
damus Porte beate Marie virginis in Axpach ordinie Carthu- 
iiensis prape Danubium, Das ist die Earthause von Aggsbach, 
die 1373 als Stiftung der Herren von Maissau begründet, 1782 
durch Kaiser Josef IL aufgehoben wurde. In den Fontes 
rerum Austriacarum^ Diplomata et Acta, LIX. Band hat Dr. 
Adalbert Fr. Fuchs 1906 Urkunden und Regesten zur Ge- 
schichte der aufgehobenen Earthause Aggsbach V. O. W. W. 
veröffentlicht^ welche die Entwicklung des reichen Besitzes 
dieser Karthause nunmehr zu überblicken gestatten. 

Von besonderem Interesse scheint mir, daß die beiden 
ersten Blätter der ersten Lage unserer Handschrift den Formel- 
apparat enthalten, der beim ,PIacitum christianitatis' in Bewe- 
gung gesetzt wurde. Da ich über dieses geistliche Sendgericht 
und seine Formen schon in meinen Miszellen aus Grazer Hand- 
schriften 5 (1903), 35 — 42 gehandelt habe, so sollen aus dieser 
Handschrift die willkommenen Stücke hier abgedruckt werden. 
Das erste lautet: 

(1^) De injunctione soUempnis penitencie (rot). 

Hoc modo expellendi sunt penitentes ex ecdesia. Primo 
prosternat se penitens in ecclesia ante sacerdotem, et dicat 
sacerdos Septem psalmos sive Miserere mei Dens (Psalm. 50, 3. 
55, 2). deinde Letaniam breviter, si vult. postea collectam peni- 
tenti congruam. postea extrudat eum manu de ecclesia dicens, 
si perjurus est vel adulter : ecce Adam etc. (Genes. 3, 22) totum 
cum versu. deinde exponat ei, quid hoc significet. post hoc in- 
jungat ei penitentiam cum karrina debita. Quam etiam primum 
desiderat suscipere, ante ecclesiam veniat et ibi depositis Omni- 
bus, scilicet mantello, baculo et cyffo, ante sacerdotem se pro- 
sternat, et sacerdos psalmos penitentiales sive ,Miserere mei' 
dicat et Pater noster. deinde collectam penitenti congruam. post 
hoc penitens surgat et ei sacerdos karrinam hoc modo injungat. 
primo dicat ei, quomodo jejunandum sit. deinde quod singulis 



74 I. Abhandlung: Schön b ach. 

diebns horas sacras audire debeat et quod Pater noster et 
venias singulis horis querere debeat^ et in via neminem aalatet, 
rumores multos audiat nee aliis recitet, nisi forte inter se de 
rebus necessariis aliquid loquantur, et cum solis clericis libere 
loquatur. juxta ecclesiam frequenter risum vitet^ ludum fugiat, 
elemosinas raro recipiat. si forte necessaria habere potest, super- 
flua pauperibus eroget. in solo Stramine dormiat et suis se 
vestibus tegat. et si opus fuerit, semel in septimana pre-(P) 
videat {von derselben Hand übergesetzt lausen), post hoc man- 
tellum et cyphus non ex jure sed ex gratia Uli concedatur, et 
benedictione facta vadat in viam pacis. — Über die penitentia 
solemnis vgl. Du Cange 6, 383; ebendort 346 über das placitum 
christianitatis. 

Sermo in placito christianitatis (rot). 

Facite homines discumbere. erat autem fenum multum in 
loco. discubuerunt ergo viri etc. (Joann. 6, 10). Qnatuor hie no- 
tanda occurrunt, scilicet pastoribus ecclesiarum a Deo data po- 
testas; necessaria subjectorum humilitas; triplex peccatorum et 
sacre Scripture aversitas; premiosa sancte obedientie utilitas. 
primum ibi: ,facite*^ secundum ibi: ,homines discumbere', tertium 
ibi: ^erat autem fenum multum in loco^, quartum ibi: ^discu- 
buerunt viri^ De primo nota, quod Dominus volens sibi sub- 
stituere in ecclesia vicarios, quibus suam ecclesiam docendam, 
pascendam, regendam committeret, prefiguravit et premonstravit 
illud per hoc, quod discipulis dixit: /acite^ sicut postea com- 
plevit in Petro dicens: Pasce oves meas (Joann. 21, 17), et illud: 
Quodcunque Hgaveris etc. (Matth, 16, 19), illud: Tibi dabo 
claves regni celorum (Matth. 16, 19). De secundo nota: idem 
Dominus volens omnes ab eisdem docendos, pascendos et re- 
gendos, ipsis pastoribus humiliter obediendo subesse adjecit: 
,homines discumbere', quasi diceret: humilibus et subjectis ali- 
menta eterne vite ministrate. unde per beatum Petrum (falsch^ 
denn die Stelle steht Uebr, 13 y 17): obedite prepositis vestris etc. 
De tertio et quarto nota, quid sit fenum et quomodo super 
illud sit discumbendum. Sacra Scriptura ostendit nobis qua- 
druplex fenum. primum fenum est peccatum. alius apostolus: 
alius superedifi(2<^)cat fenum etc. (1 Cor. 3, 10. 12). Hujus feni 
radix est ex temptatione cogitatio, calamus cum admissione lo- 



Studien snr Erzähl angsliterAtttr des Mittelalters. 75 

caiio^ flosculuB in delectatione perpctratio. Fractus autem ejas 
qoadraplex, scilicet ex usu extenuatio peccati; ande: ve qui 
dicunt bonum malum et malam bonnm (Isai. 5, 20). a consue- 
tadine exaltatio post peccatnm; ande: gaadent, cam malefe- 
cerint, et exaltant in rebas pessimis (Proverb. 2, 14). ab exemplo 
diffosio peccati; ande: ve qai trahant peccata post se tamqaam 
vestem longam (frei nach Isai. ö^ 18). a contempta venie despe- 
racio; ande: impias, cum in profundam vitioram contempnit 
(Proverb. 18, 3). hec septem separant gregem Domini non com- 
missum a pascais vite, id est, a sacramentis in ecciesia mili- 
tante et a convivio eterno in ecciesia triamphante, nisi nos 
jaxta preceptum Domini faciamus eos discumbere, id est, ab 
eis qaiescere. discimas ergo: discambant viriliter, cujasiibet 
conscientia jadicio rationis super peccatum ponderando^ quam 
graviter peccavit. Jerem. (2, 23): vide vias tuas in convalle et 
scitO; quid feceris. item mensurando in confessione, quam diu 
peccavit. Psalm. (37, 19): iniquitatem meam annuntiabo et cogi- 
tabo pro peccato meo. et adjiciat pro oblitis illud genus feni 
et paleae habundantiam habomus. sie discumbentes pascuntur 
hie per sacerdotes pane gratie, et in futuro per summum sacer- 
dotem pane glorie saturabuntur. Psalm. (64, 5): replebimur in 
bonis domus tue etc. Secundum fenum est ipse populus et ipsa 
hominis caro. Isai. (40, 6): omnis caro fe(l^)num etc. et bene 
caro dicitur fenum, quia cottidie preciditur falce mortis. Jerem. 
(9, 22) : cadet morticinium sicut fenum post falcem metentis. 
Psalm. (10, 12): et ego sicut fenum arvi. hujus feni radix est 
mortalitas, calamus corporis qualitas, flosculus morum varietas, 
fractus operum diversitas. super istud etiam fenum dcbemus 
hortari et artare animam cujuslibet viriliter discumbere, id est, 
ad conculcandam. Primo considerando conditionis vilitatem, 
quia bomo natus est de muliere. item vite instabilitatem, quia 
brevi vivens tempore, item Status calamitatem, quia repletur 
in maltis miseriis. item finis acerbitatem, quia etiam sola me- 
moria mortis est amara. Secundo debemus hortari et artare 
subditos conculcare hoc fenum, scilicet carnem, arcendo eam a 
vitiis per jejunia, fiagella, vigilias et orationes. Apostolus (1 Cor. 
9, 27) : castigo corpus meum etc. Tertio conculcare debemus 
hoc fenum exercendo eam bonis operibus. Apostolus (1 Tim. 4, 7) : 
exerce te ipaum ad penitentiam. Glosa: et prepara te ad coro- 



76 I. Abhandlung: Sch<ttnbacli. 

nam. alias: ipsa caro cum anima dabitur ad cibam animalibas 
Gehenne. Job (40, 10) : quasi bos fenum comedet, id est, pecca- 
tores quasi famelicus devorabit et absorbebit. item traduntur 
incendio eterno. Zacbar. (12, 6): ponam eos sicut fenum in 
igne etc. 

Forma juramenti (rot). 

Omnipotens Dens, creator et redemptor noster, qui terri- 
bili et justo judicio sc venturum predixit, nolens mortem pecca- 
toris, sed ut convertatur et vivat (Ezech. 33, 11). ipsum tre(2*)- 
mendum Judicium duplici misericordie judicio dignatus est 
prevenire ita, quod in ecclesia Judicium confessionis occultum 
et Judicium correctionis manifestum suis vicariis, scilicet sacer- 
dotibus commisit faciendum. quod etiam Judicium triplici bene- 
ficio sanctiens triplici juramento confirmavit. Primo beneficio 
et juramento incarnationis. Psalm. (131,11): juravit Dominus 
David veritatem, et non frustrabitur eam, de fructu ventris tui 
panem super sedem tuam. Secundo beneficio passionis. Luc. 
(1, 73): jusjurandum, quod juravit ad Abraham, patrem nostrum 
daturum sc nobis, usque ,serviamus illi* (Luc. 1, 74). Tertium 
beneficium est sacerdotalis auctoritas. De hoc Psalm. (109, 4): 
juravit Dominus et non penitebit cum: tu es sacerdos in eter- 
num etc. sit itaquc donato et juratorie confirmato ecciesiastico 
judicio. Justum est, ut omnis christianus, volens evadere eterna 
dampnationis sententiam, judicio ecclesie triplici juramento se 
astringat, videlicet fidei katholice, obedicntie ecclesiastice et 
judicii christiani. quod juramentum auctoritate judiciaria a vobis 
universis et singulis requirimus, in nomine Patris et Filii et 
Spiritus Sancti. proferentes ex nunc in omnes rebelies et con- 
tradictores vel occulte se subtrahentes et alias quomodocunque 
impeditiones juramentum, et in corum celatores, suasores, fau- 
tores et defensores, sententiam excommunicationis in nomine 
Patris et Filii et Spiritus Sanctus, denuntiando eos sub eodem 
vinculo ab omnibus artius evitandos. 

Formula jurantium (rot). 

(2^) Quod nos fidem katholicam, quam ore profitemur, 
puro et sincero corde credamus, et quod nos obedientiam et 
unitatem ecclcsiasticam ad salutem eternam necessariam esse 



Studien zur ErzählungsUteratur des Mittelalters. 77 

credimua et voluntarie servare volumas. et quod nos ejusdem 
fidei, obedientie et nnitatis judicio libenter snbdimus corrigendos 
et eidem judicio verbo et facto cooperatores soUicitos et beni- 
volos offerimu8| ita nos Deus adjavet et sancta evangelia Dei 
et omnes sancti. 

Deinde probetur; qaod placitum peremptorie sit dictum, 
item publicetar; quod omnis christianuS; annos Habens discre- 
tionis, debeat interesse preter legitime impeditos. legitima autcm 
impedimenta sunt: captivitas, infirmitas^ inundatio et inimici 
mortales. 

Postea denuntientur contumaciter absentes. item placitum 
impedientes per strepitam aut cUmosam locutionem. item in- 
gratitndinem; yltuperia, obprobria; odia, minas vel inimicitias 
accusantibus se inponentes, item scienter manifesta scelera reci- 
tantes, item ab accusatione se temere subtrahentes, item eccle- 
sias statutis diebus non frequentantes^ item stantes hora 
misse extra ecclesiam, et tamen sententialiter ab ecclesia non 
sunt separati. item devotionem aliorum in ecclesia impedientes 
per insolentias aliquales. item inpedientes divinum officium 
vel verbum Dei, item a verbo nimis assidue recedentes, item 
verbo Dei in plateis, in (2^) tabernis et in balneis detrahentes, 
item angulorum predicatores et eorum auditores. item publi- 
centur omnes supradicti excommunicati^ plebano in emenda 
nichilominus tenebuntur. 

In Cena Domini excommunicandi. 

Hü sunt accusandi et prohibendi^ ne temerarie sumere 
presumant Corpus Dominik et suspenduntur a communione. 
Item non confessi, item nolentes satisfacere de commissis, item 
peccata dimittere nolentes vel ficte confitentes vel dividentes 
peccata ad plures sacerdotes^ item peccata scienter reticentcs. 
item omnis, qui in anno proprio plebano vel sociis suis non est 
confessus, item omnes plebano suo debitam obedientiam non 
observantes, item censualium et decimalium denariorum deten- 
toreSy item remedia ecclesie vel sacerdotum detinentes, item 
dominicam orationem vel symbolum ignorantes, item inimicitias 
capitales habentes. item tabernarii et lusores assidui, item 
sesBores sanctarum noctium, item ementes super novum, item 



78 I. Abhandlung: ScbOnbach. 

hospites et deceptores taxilloram, item conjanctores niatrimo- 
niomm tempore interdicto, item qai contrahunt tempore inter- 
dictO; item malos inquilinos habenteS; item alieni plebezani 
(Da Gange 6, 364). 

In Cena Domini denuntiandi (rot). 

Isti sunt denuntiandi et segregandi et repellendi in Cena 
Domini : 

Item omnes heretici sive scismatici^ item omnes excom- 
municati sive interdicti, item omnes invasores ecclesiarum, 
eimiteriorum, clericorum sive dotis. item qui res clericorum 
deceden(2^)tium sibi usurpant. item detentores rerum eccle- 
siarum sive decime sive res, que in confessione restitutioni sunt 
deputate. item qui testamenta mortuorum, prout sunt ordinata, 
non adimplent. item bomicide, incendiarii, predones, latrones, 
fures; item nocturnales depredatores agrorum vel vinearum. 
item usurarii manifesti, item anticipatores ; item pecuniam inter 
judeos habentes, item nutrices et servitores judeorum, item 
obligationes tenentes, item perjuri et falsi testes. item plasphe- 
mantes Deum et sanetos vel sacramenta, item offensores patrum 
et matrum usque ad effusionem sanguinis, item incantatrices 
herbarum, phytonisse, item oleo sancto seu chrismate vel sacro 
fönte incantationes facientes, item necatrices puerorum, item 
coneeptum inpedientes sive aborsum facientes. item falsarum 
monetarum vel sigillorum. item omnes in mortali peccato fri- 
vole existentes. A quo nos custodiat omnipotens Dens, qui 
vivit et regnat in secula seculorum. 

2^ ist dann noch ein Raum von 13 Zeilen freigelassen, 
was beweist, daß die dem Schreiber für die beiden ersten 
Blätter zugeteilte Sonderaufgabe mit dieser Eintragung erfüllt 
war; sie kennzeichnet wohl auch zum mindesten den ersten 
Quinio als Eigentum eines geistlichen Hauses (etwa der Pfarre 
Gerolding, die von der Earthause Aggsbach aufgeerbt wurde), 
dem die Abhaltung des placitum christianitatis zustand. 

Mit 3* beginnt in der Handschrift eine Reihe von Mirakeln, 
die ich zum größeren Teile durch die Initia miraculorum B. Vir- 
ginis Mariae, die Alb. Poncelet in den Analecta BoUandiana 
21, 241 — 360 veröffentlichte, zu bestimmen vermag. 



Studien zur ErzählungBliteratur des Mittelalten. 79 

3* Miles quidam potens valde ac dives = Poncelet 1069; 
Caesarius von Heisterbach^ Dial. 3^ 76. 

3^ Ad jadicium Dei qnidam in visioiie rapitar = Poncelet 
22; Caesarius, Dial. 3, 77. 

4* In civitate Byturicensi (Judenknabe) = Poncelet 759. 

4^ Quedam mulier solatio viri destituta = Poncelet 1295 ; 
Caesarius, Mirac. 3^ 82. 

4^ Miles quidam valde strenuus et B. Mariae valde de- 
votus = Poncelet 1087. 

4" deckt sich gewiß mit Poncelet Nr. 381 und den dabei 
verzeichneten Stücken ; da jedoch dort und in den verwandten 
Stücken die Lokalangabe fehlt, wie denn auch sonst die Fassung 
der Handschrift Eigentümliches aufweist, so drucke ich sie hier ab. 

Miraculum (rot). Eist quoddam monasterium ordinis Cyster- 
ciensia, quod Campus dicitur (Kloster Camp bei Rheinberg, 
1122 gegründet), in quo fuit cellerarius quidam, vir simplex 
et rectus ac timens Deum et Beatissime Marie devotus, qui 
diebos singulis preter horas canonicas et horas ejusdem Vir- 
ginia et orationes votivas solebat, intus vel foris existens, flexis 
genibos et elevatis manibus ante prandendi horam cum ingenti 
devotione quinquaginta Ave Maria dicere. hie cum vice qua- 
dam ad civitatem longo positam propter negotia domus sue 
iter caperet et ad quandam silvam venisset, cursorem suum 
per semitam ratione compendii ire fecit, ipse vero viam regtam 
equitavit. in dicta igitur silva erat latro quidam inmanissimus, 
qui noUi omnino parcebat, sed viros et mulieres, clericos et 
religiöses, non solum spoliebat, immo etiam ad antrum suum 
eoa protrahens crudeliter jugulabat. cellerarius vero hoc sciens, 
sed de Christo et ejus matre presumens, parum vel nichil (4^) 
formidabat. cum autem hora venisset, qua debitum persolvere 
deberet, mox jumentum suum ad quandam arbustam ligavit, 
sed latro ilie ferocissimus, non longo stans, cum rapere cogi- 
tavit. et ecce statim, ut vir Dei flexis genuis Ave Maria dicere 
incepit, quedam virgo pulcherrima, aureis vestibus induta ac 
diademate regio coronata, e celo eveniens, circulnm aureum et 
setam rubeam (Du Cange 7, 459) in manu tenens, reverenter 
inclinavit sicque coram eo stetit. latro autem hoc videns pre 
timore et admiratione de loco se movere non potuit. res miral 
po8t quodlibet Ave Maria Virgo illa regia propius accedens 



80 I. Abhandlung: SchOnbach. 

suis sanctissimis manibas rosas quasdain palcherrimas et odori- 
feraSy que de ore orantis qaodammodo creverant, collegit et 
ad circulam aureum cum seta rabea decentissime coiligavit. 
cnmqae omnia illa quinquaginta Ave Maria prefatns cellerarias 
dixisset, Virgo predicta nobile sertnm, qnod de rosis compo- 
saeraty capiti proprio imposuit, deinde indinans et ad ethera 
conscendens evanuit. Camqne vir Dei longins procedere vellet, 
lacro clamavit dicens: ^expecta! monache, expectal' et adjeeit: 
,per Deum^ qaem colis, nisi mihi dixeris, quenam virgo illa 
regia fuerit^ quam ante te stare conspexi^ qae rosas de ore tuo 
collegit sicqae celoram secreta penetrans disparait, ego te ca- 
belle et vita privabo^ cni cellerarias: ^quid, rogo, vidisti?' 
cumqae latro ei per omnia dixisset, intellexit homo Dei beatam 
Virginem faisse et dixit: ^Regina celi et domina mandi et 
mater misercordie Virgo Maria fuit, qae se (5*) tibi hodie 
ostendit ideo, ut ab iniqaitatibas resipiscas et jagiter ei 8ervia8^ 
cui latro desperationi appropinqaans ait: ,o sancte vir Dei, 
qaid est, qaod loqaeris? ex quo enim mandas factas est, pejor 
me non surrexit^ et frater: ,crede mihi, fili, major est Matris 
misericordia qaam taa miseria, et tantam non valuisti peccare, 
qain ipsa plus valeat delere, si vis ejas misericordiam invo- 
care et peccata vitare^ qao audito ad pedes ejas latro mit et 
veniam lamentabiliter postulavit. quem vir sanctus ad saam 
duxit monasterium et pro eo intercessit. sicque in conversum 
recipitur et probatissimus atque ferventissimus Dei et sue 
genitricis amator efficitur, qui etiam ob nimietatem lacrimarum 
primo anno oculos perdidit. cui post quinquennium Virgo Mater 
apparuit et quod peccata sibi essent dimissa et quod adhuc aliud 
quinquenniam vivere deberet pro meritis cumulandis nuntiavit. 
decennio igitur completo cum ad extrema pervenisset, vidit inte- 
rioribas oculis Virginem gloriosam ad se venientem, et fortiter ex- 
clamavit dicens : ,date locam, fratres, date locum I ecce mater Dei, 
regina celi, quam in silva vidi, nunc ad me dignata est venire^, 
et adjeeit: ,o Domina, venio!' et hiis dictis feliciter obdormivit. 

5* Pictor quidam egregius, sicut Fulbertus refert = Pon- 
celet 345 etc.; Caesar. Mir. 3, 43. 

6« entspricht Poncelet Nr. 9 etc., weist aber doch so viele 
Differenzen von den bekannten Fassungen (bis ins Speculum 
Exemplorum) auf, daß ich es hier abdrucke. 



Stadien znr Erzähl angsliteratar des Mittelalters. 81 

Miraculnm (rot). Fuit quidam faomo carnalis, qni, dam 
aleis aliquando luderet et tesseris sibi male cadentibus per- 
deret^ qaidqoid de Deo noverat, ore faribando jurabat. cam- 
qae jam omnia amisisscti alius aleator nephandas accessit et 
tomida illam cum indignatione amovens ait: ,cede, iners, cede! 
ego ladam pro te, qaia tu nescis ludere neqne jurare^ cumque 
et ipse^ ut erat perditionis filiuS; perderet omnia, cepit omnia 
Domini noatri Jesu Christi membra tam interiora quam exteriora 
jnrare, quasi per ordinem, nihil omnino injuratum permittens. 
at ubi omnia Dei membra horribiliter jurando^ immo potius 
blaaphemando consumpsit, adjeeit ad cumulum dampnationis 
8ue et intacte Matris ejus sanctissima membra jurare satagens 
universa singulatim {Hs. sigillatim) ore venenato discerpere, ut 
omnes, qui aderant, a facie plasphemantis aures obstruerent et 
pectora tunderent. nee dum juramenta omnia expleverat et ecce 
repente ultio divina^ visibiliter feriens sceleratum; majestatis 
irate terribilem dedit experimentum. percussus ergo corruit, 
putans quod aliquis eum gladio materiali confodisset, et horri- 
biliter exclamans ait: ,heu heu me miserum! quis me inter- 
fecit?' tandem urgente diabolo, cui (5^) traditus erat, abhomi- 
nabilem animam exspuit. quo mortuo inventa est in dorso ejus 
plaga recens, terribili apertura {Hs. aperta) dehiscens, ac si 
aliqoa securis amplissima ibidem inmersa fuisset, ita ut omnia 
interiora apparerent. quo viso contriti sunt juratores. cumque 
rumor (Hs. rumore) undique vicinos contraheret {Ha. contrahere) 
ad videndum juratorem impium et plasphemum, gravi animad- 
versione multatum {Ha. multarum), ecce cuidam ex intimis 
ejus apparuit quidam mortuus, cum ad ipsum mestus pergeret, 
dicens: ,agno8cisne me? ego sum ille defunctus, olim tibi non 
incognitus. novi ergo^ quo tendas, sed incassum te fatigas, 
quia jam morte absorptus est, quem virum invenire putabas. 
porro unum est, quod latere nolo: Dominus Jhesus Christus 
a servis contumeliosis multas injurias patitur et patienter 
experitur {Ha. expectat), tanquam patiens redditor. verum- 
tarnen genitricis sue lesiones et convicia non facile sustinet, 
sed ceteris malis hie et in futuro acerbius punit^ hiis dictis 
mortuus, qui loquebatur, evanuit, et ille amicum mortuum 
juxta mortui vaticinium repperit, sicque terrorem terrori et 
miraculum miraculo adjeeit. 



82 I. Abhaadlang: SchOnbach. 

Es folgen nun die beiden Erzählangen vom Erzbischof 
Roland von Mainz and vom Erzbischof Udo von Magdeburg, 
deren Kollationen schon oben S. 71 ff. mitgeteilt wurden. Das 
ganze stellt somit eine Sammlung von Marienmirakeln ziem- 
lich extravaganten y aber einheitlichen Charakters dar, die, 
wie sich aus den Lesefehlern erkennen läßt, auf bedeutend 
älterer, vielleicht bis ins 12. Jahrhundert zurückreichender 
Grundlage beruht. 

Von 9» — 10^ folgen drei Predigten fUr Marienfeste, die zu 
deutschem Vortrag bestimmt waren, wie aus der Einschaltung 
deutscher Worte hervorgeht. 9» De nativitate beate Marie 
Virginis gloriose sermo (rot). Oleum effusum nomen tuum. 
Cant. III ^ (1; 2)* Verbum propositum scriptum est in Canticis 
et potest dici de Nativitata gloriose Virginis. 9^ auxiliatrix, 
nöthelferinn. — 9® venit Maria nöthelferinn — . reparatrix, 
widerpringerinn — . illuminatrix sancte Ecclesie, Magtlicher 
cheusch — . adjutrix^ ein vorsprecherinn rei hominis et des- 
perati — . 9^ De beata Virgine Maria (rot). Ave gratia 
plena. Dominus tecum etc. (Luc. 1, 28). unde quatuor ratio- 
nes. hie dies boni nuntii est, in hac salutatione angelica qua- 
tuor notantur notabilia. — 10^ Alius sermo de beata Maria 
Virgine (rot). Ave Maria, gratia plena etc. (Luc. 1, 28). in 
verbo proposito duo tanguntur: primum est angelica salutatio, 
secundum est gloriose Virginis commendatio. — Alle drei 
Stttcke sind reichlich mit Zitaten aus Bemard von Clairvaux 
ausgestattet. — 

Die zweite und dritte Lage der Handschrift enthalten ein 
Quadragesimale, das 11^ folgendermaßen beginnt: In Capite 
Jejunii Sermo bonus (rot). Tu autem, cum jejunas, unge caput 
tuum. Mat. 6 (6, 17). In hoc Capite Jejunii necessarium maxi- 
mum nobis, ut taliter jejunemus, quod nostra jejunia sint Deo 
placita et nobis fructuose. Die Sammlung bricht 10^ mitten 
in dem Sermo ,Sabbato* ab. — 

Das Nachleben der Udolegende wird bis zum Ende des 
17. Jahrhunderts bezeugt durch des Laurentius von Schnyfis 
Mirantische Maul-Trummel (Constantz, Anno 1695), wo^ es S. 219, 
Nr. 14 heißt: 



Studien zur Erzählangsliteratnr des Mittelalters. 83 

Graufam hat Gott sich am Udo gerochen/ 
Welcher in Gailheit erfoffen ganz war/ 

Weflen Blut Urtheil felbft Christus gefprochen/ 
LalTend enthaubten ihn vor dem Altar: 

Der dann /von vilem Blat tödlicher Wunden 
Wfirklich erftecket / todt wurde gefunden. 

Die Anm. dazu lautet: Fulgos. lib. 9^ cap. 12. Das Speculum 
Exemplorum kannte Laurentius, wie seine Zitate beweisen. 

In dem Benediktinerstifte Garsten in Oberösterreich wurde 
unter Abt Wilhehn I. Heller wahrend der Jahre 1601—1613 
ein Schuldrama des Priors Jakob Sauter, eines Schwaben, auf- 
geführt: Udo von Magdeburg. So berichtet Prof. Dr. Eonrad 
Schiffmann in seinem Buche : Drama und Theater in Österreich 
ob der Enns bis zum Jahre 1803 (Linz 1904). 



84 L Abb.: ScbOnbach. Studien zur Erzäblungsliteratur etc. 



Übersiolit des Inhaltes. 



Vorbemerkang S. 1. — Bescbreibang der Handschrift S. 2. — Text des 
deutschen Gedichtes S. 3. — Lautstand der Überlieferung S. 11. — 
Enjambements und FlickTerse S. 13. — Reimgebrauch S. 14. — 
Mundart S. 16. — Versbau 8. 16. — Der lateinische Bericht 8. 18. — 
Die Handschrift 8. 18. — Text S. 19. — Vergleich zwischen dem Ge- 
dicht und der Prosa 8. 31. — Erklärendes zum Gedicht 8. 35. — Die 
Familie des Verfassers 8. 40. — Der historische Inhalt von Gedicht 
und Prosa 8. 40. — Das Kloster Münster im Engadin 8. 40. — Frau 
Agnes von Sins 8. 41. — Die Äbtissin Adelheid 8. 42. — Der Priester 
Johannes von Silva Plana 8. 42. — örtlichkeiten 8. 44. — Ab- 
faasungszeit des Gedichtes 8. 46. — Der Anhang des lateinischen 
Textes 8. 46. — Fälschung von Bericht und Urkunden 8. 47. 

Geschichte der Hostienwunder des Mittelalters bis zum 13. Jahrhundert 8. 49. 
— ViUe Patrum 8. 50. — Papst Gregor der Große 8. 52. — Pascha- 
sius Radbertus 8. 54. — Spätere Hostienwunder 8. 56. — Ekhart von 
SchOnau 8. 58. — Elisabeth von SchOnan 8. 59. — Hildegard von 
Bingen 8. 60. — Caesarius von Heisterbach 8. 60. — Jakob von Vitry 
und die Exempelsammlungen 8. 62. — Stellung des Münsterer Hostien- 
Wunders in der Literatur 8. 63. — Verhältnis der Hostienwunder 
zur kirchlichen Lehre und zu den Streitigkeiten über das Abendmahl 
8. 65. — Entwicklung der Form der Hostien im Mittelalter 8. 68. — 
Zusammenfassung 8. 70. 

Nachträge zur Legende vom Erzbischof Udo von Magdeburg 8. 70. — 
Kollation der Wiener Handschrift Nr. 1689 8. 71. — Der Inhalt dieser 
Handschrift 8. 72. — Formeln zum Placitum Ghristianitatis 8. 73. ~ 
Marienmirakel und -predigten. 8. 78. — Quadragesimale 8. 82. — 
Nachleben der Udolegende 8. 82. 



IL Abk.: SchOnbacb. Mitteilangen ans altd. Handscbriften. 



IL 
Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. 

Ton 

Anton E. Schönbaoh, 

wirkl. Mitgli«d6 der kais. Alndemio der Wiueneeh&fken. 

Nenntes Stück: 
Brnder Dietrich. — Erbauliches in Prosa und Versen. 



(Torgeleft in der Sitxiing am 9. Januar 1907.) 



Brnder Dietrich. 

Kodex Nr. 1637 (Theol. CCCCXXXV und Olim 696) 
der kaiserlichen Hof bibliothek zu Wien, beschrieben als CCCII 
von Denis im Catalogus 1, 1183— 1188; besteht gegenwärtig 
aus 258 Blättern, die in 30 Lagen geordnet sind, der letzte 
Kustos steht 244^; was folgt, ist schon in seiner Ursprünglich- 
keit geschädigt. Das Pergament 17 cm X 24'5 cm ist derb und 
rauh, nicht sehr gut bearbeitet, die Linien sind eingeritzt, am 
Rande yorpunktiert. Die 1. 2. 4. 8. Lage bildet je ein Quinio, 
die übrigen sind Quaternionen. Die schließenden Blätter be- 
stehen aus zwei halben Quaternionen 245—248, 249 — 252, die 
letzte Lage bildet ein Ternio. Zwischen 69/70, 80/81 ist je ein 
Blatt ausgeschnitten, das geschah jedoch vor der Eintragung 
des Textes, denn diesem fehlt da nichts. Vor Blatt 9 und 
151 findet sich ein Blatt eingeschaltet; das geschah nach der 
Vollendung des Textes, denn der Index nimmt auf diese 
Nachträge keine Rücksicht. An verschiedenen Stellen 9^. 10*. 
20V. 207*— 209^ 22P. 222»^ werden bei der Niederschrift frei 
gebliebene Räume durch Aufzeichnung mit sehr kleinen Buch* 
Stäben ausgeftillt: sie befassen beinahe allenthalben denselben 
Stoff, nämlich Erklärungen von biblischen Worten und Aus- 
drücken, dann Erläuterungen ausgehobener Bibelsätze nach 
den vier bekannten Deutungsprinzipien. 

Sils«Bf*ber. d. pUl.-hisi. Kl. 156. Bd., 9. Abh. 1 



2 II. Abhandlung : Schönbach. 

Überblickt man nun die Verteilung des Inhaltes über 
den ganzen Kodex hin, so erzählt dieser selbst die Geschichte 
seines Entstehens. Die Hauptmasse ist von einem Schreiber 
hergestellt worden, dem für jede Lage das Material übergeben 
wurde; dieses erwies sich bisweilen als zu gering, dann blieb 
noch Raum frei, bisweilen als zu groß, dann mußte die Schrift 
gedrängt werden: in keinem der beiden Fälle mangelt dem 
Text etwas. Das Werk, welches abzuschreiben war, umfaßte 
in seinem ursprünglichen Bestände 179 Kapitel und schließt 
207». Der Inhalt dieser 179 Kapitel ist 256^—258' vollständig 
verzeichnet mit der Überschrift : Capitula libri sequentis] dem- 
nach hätte das Verzeichnis an die Spitze des Werkes zu stehen 
kommen sollen, so daß 256^ den äußeren Umschlag gebildet 
hätte. Das ist aus irgend welchem Grunde nicht geschehen. 
Das Werk ist aber 210* De circumcisione fortgesetzt worden 
und reicht bis 242^, es werden jedoch keine Kapitel mehr ge- 
zählt und von dem Inhalt ist nichts mehr in das Verzeichnis 
eingegangen. Das Werk ist also nicht völlig abgeschlossen 
worden, liegt aber hier in der wahrscheinlich ersten Reinschrift 
vor, welche nach den schedulis des Verfassers hergestellt wurde. 
Dieser gibt nun in seinem Prologe vollkommenen Auf- 
schluß über seine Arbeit und ihre Absicht. Viele Kenner wissen, 
wo sie etwas zu suchen haben, die Mehrheit aber versteht die 
Quellenschriften nicht aufzufinden. Vor einigen Jahren hat 
der Verfasser ein Handbuch ftlr Prediger hergestellt und dort 
offenbar viele Zitate aus Kirchenschriftstellern beigebracht, ohne 
sie genauer zu bestimmen. Die Mühe, welche eine später ver- 
suchte Verifikation ihm bereitete, veranlaßte ihn zu dem neuen 
Werk, das eigentlich bloß eine systematische Zusammenstellung 
des gelehrten Materiales für jenen Liber manualis darstellt. 
Doch ist der Verfasser nur dazu gediehen, den Predigtstoff 
für die Weihnachtszeit auf seine Quellen zurückzuführen — 
das ist bis Blatt 207 '^ geschehen — und so weit hat auch 
der Schreiber das ihm ausgehändigte Material im Index ver- 
arbeitet; der Verfasser hat dann noch weiter im Kirchenjahr 
vorschreiten wollen und die wichtigsten Feste behandeln, da 
ist er jedoch beim Feste der Beschneidung des Herrn schon 
stecken geblieben, und hat die Aufnahme dieser Blätter in den 
Index nicht mehr zu überwachen vermocht. Alles dies ist aus 



Mittel luDgen aas altdeutschen Handschriften. •) 

dem Prolog des Werkes, in voller Übereinstimmnng mit dessen 
Inhalt za entnehmen, ich drucke daher das Stück hier ab. 

1^ Incipit Prologas in libram de incarnatione Domini (rot). 

Norunt plerique rerum perditarum vel occultarum scruta- 
tores, quid requirant. abi vero qnesita reperiant, nisi aliorum 
indiciis adjuventur, plures igqorant. non param ergo emolu- 
mentam accomodant, qoi in invio querentibns occarrentes certa 
inqaisitionis vestigia demonstrant. unde et ego viatorum nltimus 
atqne pigerrimnS; caritate tarnen non omnino vacuns, opere 
preciam daxi, que legende peragravi loca occultiora denotare 
et investigantibas quasi sub leto gramine latentes scripturarum 
flosculos detegere. quibus florum annotationibus cum ante annos 
aliquot libellum manualem (Du Cange 5, 237) quanta poteram 
brevitate condidissem et ad indicium breviarii hujus necessarias 
sermonibus pro edificatione fratrum faciendis sententias plerum- 
que requirerem, sed libros, ex quibus sparsim illas assignaveram, 
in promptu rarius habere potuissem, ipsas annotationes matu- 
rando sermonis apparatüi minus sufficientes inveni. dicebam 
ei^o apud memetipsum: si ego in monasterio, ubi tanta libro- 
mm est copia, positus, vix tamen interdiu ea, que ipse anno- 
tavi, dispersis ubique voluminibus reperio, quid ergo aliis, qui 
magnam hujus opulentie patiuntur penuriam, ista annotationum 
prodesse poterunt indicia? propria igitur necessitate, immo fra- 
tema caritate commonitus, et mihi et proximis de ipsa, quam 
collegeram, sententiarum annotatione, compendiosius subvenire 
curavi, ut ipsas videlicet, sicut capitulatim assignaveram, undi- 
que coUectas in unum conscriberem sicque voluminibus illis, 
quorum (1^) desiderata pre manibus essent excerpta, facilius 
carere possent. qui enim verbi gratia colligendis tantummodo 
floribus sibi necessariis occupatur, his ad votum inventis atque 
collectisy quod sui erat propositi, de tam spaciosa caropi latitu- 
dine totum letus tulisse videtur. ita nimirum et ego, si ad 
aspergenda in precipuis festis dominice domus pavimenta de 
uberrimis scripturarum pratis denotatos pridem flores in unum 
coacervare valerem, ejusdem domus decorem diligere mc cum 
psalmista gratulando decantarem: ,Potens est' (Psalm. 23, 8 etc.) 
idem, qui dare dignatus est mihi volle, ut addat misericorditer 
etiam perficere ad edificationem sponse sue, Sancte Ecclesie. 
ipsius quippe sunt flores, de qua idem sponsus ait: ,sicut lilium 



4 II. Abhandlang: SchOnbacb. 

inter spinas, sie amica mea inter filias^ (Cant. 2, 2). si enim 
yinxilier illa, omatu meretricio preparata ad capiendas animas^ 
garmla et vaga, quietis impatiens nee Valens in domo eonsistere 
pedibos suis, aspergit cnbile sunm myrra et alo^ et cinamomo' 
(Prov. 7, 10 ff.), qnanto magis ,mnlier fortis, quam laudant in 
portis opera ejus' (Prov. 31, 31)^ domum viri sui cultu instruit 
celeberrimo^ que adeo florida, ut comparetur lilio, semper illum 
odore delectat suavissimo? verum non omnium est dicere: ,qui 
Christi bonus odor sumus Deo' (2 Cor. 2, 15). scio enim^ quod 
et ingemisco^ eos, qui manna fastidientes, ollas carnium Egyp- 
tianun desiderant (Exod. 16, 3), florum quoque spiritualium 
amenitatem despicere et per vias duras spinisque septas, quas 
sanetus^ ne ambulet, custodire se dielt (Prov. 1, 15 ff.), delecta- 
bilius currere. potest Dominus, quod impossibile est hominibus, 
etiam tales variis hie virtutum exornare floribus et in futuro 
etemitatis ditare fructibus. 

Habes igitur in presenti volumine coUectu diversorum 
voluminum mysteria de incarnatione dominica, juxta quod in 
manuali, sicut supra dixi, breviario a me prius fnerant (2^) 
assignata. similiter et de reliquis, que ibidem annotata sunt, 
sacramentis, si tam diu vixero et laborandi vires vel ocium 
Domino krgiente habere potuero, ut pro commoditate legentium 
conscribantur, devotissime laborabo. quod si mihi non licuerit, 
diligens quilibet vel ad exemplar supradicti manualis mei vel 
proprio melius ac locuplecius ingenio cepta exequi valebit. 
quantum vero in reliquis singularum soUemnitatum sacra- 
mentis, si hoc modo in unum coUigantur, commodi et oppor- 
tunitatis sit, quam promptum sermocinaturo prebeant appara- 
tum, in his, que pre manibus sunt de incarnatione dominica, 
experiri licebit. (Es folgt, später hinzugefügt) De circumcisione 
quoque et epyphania quecunque reperire potuero, his conse- 
quenter adjungere curabo. Explicit prologus. — 

Daraus erhellt, daß der Verfasser in dem Werke Material 
aus den Kirchenschriftstellern für Zwecke der Predigt vor den 
Brüdern susammengetragen hat. Damit ist gesagt, daß dieser 
Liber de incarnatione Domini, so wie das frühere Werk, der 
Liber manualis, in einem Zisterzienserkloster entstanden ist. 
Darauf weist auch die Beschaffenheit der Exzerpte und die 
alles überragende Stellung, die darin Bernard von Clairvaux 



Mitteilangen aus altdeutschen Handschriften. 5 

einnimmt. Dieser ist auch der späteste der angezogenen Autoren, 
anter denen, außer den ältesten Kirchenvätern, hauptsächlich 
Rupert von Dentz und Hugo von St. Viktor exzerpiert sind. 
Solches Verhältnis schon läßt fUr die Abfassung des Werkes 
noch das 12. Jahrhundert bis zu dessen Ende annehmen. Die 
Schrift des Kodex wurde von Denis (Catalogus I, 1, 1183) 
and darnach den Tabulis ins 13., von Hoffmann, Verzeichnis 
der altdeutschen Handschriften, S. 164 in 12. Jahrhundert ge- 
setzt, mir scheint sie an die Grenze der beiden Zeiträume 
zu gehören. 

Demnach ist der Liber de incarnatione Domini von einem 
Zisterzienser — wahrscheinlich Süddeutschlands oder Öster- 
reichs — im Anschluß an sein älteres Werk, den Liber ma- 
nualis, zusammengestellt worden. Solche Kollektionen von 
Exzerpten begegnen sehr häufig gerade in Zisterzienserhand- 
schriften; die Muhe jedoch, die ich darauf gewandt habe, die 
Sammlungen des Kodex 1637 noch anderwärts nachzuweisen, 
ist bisher vergebens geblieben, so daß vorläufig diese Hand- 
schrift die einzige Überlieferung der Arbeit darstellt. 

Auf den Seiten 222^*, die bei der Reinschrift des Liber 
de incarnatione Domini frei geblieben waren, hat eine Hand 
wohl des angehenden 14. Jahrhunderts (Hoffmann setzt sie noch 
ins 13.) folgendes geistliche Gedicht eingetragen, das Hoffmann 
von Fallersieben in seinem Verzeichnis der altdeutschen Hand- 
schriften der k. k. Hofbibliothek in Wien fehlerhaft zum Ab- 
druck gebracht hat. 

JesUj noBira redemptio. 
1. Got vater, hßrre Jesu Christ, 

gedenke daz du unser loser bist, 
du bist euch unser minne, 
wir gern din oucli von sinne, 
6 schepher aller dinge, 

dft mensche an der lesten zitl 
daz meine ich, daz du wurde Bit 
von Gabriel, dem engel din, 
gekunt dem süezen meidelin: 

1, 7 ich dy dv w. 



6 IL Abhandlung: SchOnbacIi. 

10 da enphienge du, lieber herre miD; 
die menschheit von dem vröwelin. 
nu erbarme dich über die Sünde min! 

Quae te vidi dementia. 

2. Den selben menschen sin giiete betwanc^ 
daz er unser sünde lanc 

(d4 wir vor t&sent jären 
inne gelegen wären) 
5 zerfuorte mit sinem bluote rot, 

er nam durch uns den grimmen tot. 
swer sich sider ertötet hat, 
wil er, daz sin werde rat, 
der bihte und btieze und weine vil, 
10 sd kumt er an der vröuden zil. 

Infemi claustrum (penetransj, 

3. Du füere ouch, lieber h^rre min, 
ze helle und löst die gevangcn din, 
du gewunne den sige schöne, 

und sitzest üf dem tröne 
5 da ze dines vater zeswer haut, 
du bist trinitas genant, 
da singent dir ze löne 
die heiligen alle schöne 
und die süezen Seraphim, 
10 die singent da in solhem sin: 
äanctus! Sanctus! 
die engel sprechent: Dominus! 

Ipsa te cogat pietas» 

4. Din güete sol betwingen dich, 
daz unser übel wende sich, 
vergib uns, lieber herre min, 
daz wir den süezen lob din 



3, 1 Nt fver. 4 sizest auf steht auf Rasur. 6 das d. t. aems 
haut — genieiiU h€U der Schreiber wohl zemser. 

4, 1 Mein — da» Wort guet Ut am Rande tniUelst -f nachgetragen. 



Mitteil UDgeu aus altdeutschen Handschriften. 7 

6 niht als6 volbräbt haben, 
als wir des gebunden w&ren, 
und erfülle uns mit der vröuden scbin 
des liebten antliitzes din! 

Tu esto nostrum gaudium, 
5. Da solt oueh unser vröude sin, 

Jdsu, JdsUy Jesulin, 
sä bist du schön 
daz kumftige lön 

5 (d& mit uns wol vergolten wirt) 

so singe wir denne der yrönden liet 
und loben dinen namen. 
nü sprechet alle: Amen. 

& Da werde küneginne, 

J6su Christi minne, 
muoter und maget von bimelriche, 
nu erbarme dich über bruoder Dietrichen^ 

6 der ditze geticht in tiusche gemachet h&t. 
nü hilf im, daz sin werde rät 

und daz sin ende werde guot 

durch dines heiligen kindes bluot. Amen. 

Der Abdruck Hoffmanns, dessen Fehler ich stillschweigend 
berichtigt habe, zeigt, daß die Aufzeichnung von einem Schreiber 
bayrischer Mundart hergestellt wurde. Neben vereinzelten i 
überwiegen et, die alten ei werden jedoch durchweg nicht 
durch ai, sondern ae gegeben (Weinhold, Bayr. 6r. § 44), au 
und eu stehen durch, nur einige i = i haben sich gehalten. 
Regel ist ie für t vor r (Weinh. § 90), vor h ein paarmal i 
für ie, uo wird durch ü bezeichnet. Widerstand gegen den 
Umlaut ist durchwegs bemerkbar, p steht im Anlaut durch, 
ch an allen Stellen. Starke Apokopen sind gewöhnlich. Die 
Form zem$er {\lr zesewer ist besonders bayrisch (Weinhold § 139). 



5^ 1 darnach Seorsum vcrte folium. 

Cf 1 Nt. 2 minne fehU, ea wird durch + auf den Defekt verwiesen^ 
doi Wort ist aber nicht am Rande nachgetragen. 



8 II. Abhandlung: Schönbach. 

Aas einer Anzahl von Versehen und dem Ausfall yon 
Worten ist zn entnehmen ^ daß in dem Stück keine originale 
Aufzeichnung; sondern eine Kopie vorliegt. Das wird durch 
die Beobachtung des Beimgebrauches bestätigt, der nur t : t 
und kein ei aus t kennt. Der Reim minne : sinne : dinge 1, 3 
gehört eigentlich einer älteren Zeit an, so wohl auch himelrtche : 
Dietrichen 6, 3, wogegen Seraphim : sin 3, 9 kaum als ungenau 
in Anschlag kommt. Dagegen wird man als bayrisch an- 
sprechen dürfen die starke Apokope schon : I6n (nom.) 5, 3, 
(vgl. 1; 10) das Verklingen des r in toirt : liet ö, 5 und be- 
sonders die Dehnung des Wurzelvokals in namen : Amen 5, 7 
und in der Assonanz haben : wären (hdn : wä]*n?) 4, 5. Demnach 
ist auch der Dichter ein Bayer oder Österreicher gewesen. 

Sein Verdienst ist freilich sehr gering. Er hat die fünf 
Strophen des Hymnus Jesu nostra redemptio in der Weise 
bearbeitet; daß er zuerst immer zu übersetzen suchte, dann 
Erklärungen und Folgerungen beifügte oder einschaltete. So 
geben 1, 1 — 6 die erste Strophe des Hymnus wieder ; 7 — 12 
dagegen bemühen sich, den schwierigen vierten Vers der Strophe 
verständlich zu machen. Ebenso übertragen 2, 1 — 6 die zweite 
Strophe (die Frage mußte in Erzählung umgesetzt werden), 
wobei 3. 4 eine Erklärung des durch den Reim abgezwungenen 
lanch einfügen, das ja sonst zu dem lateinischen Texte paßt; 
7 — 10 leiten eine Mahnung ab. Die dritte Strophe wird schon 
durch 3, 1 — 5 übersetzt, 6 — 12 gewähren einen Zusatz über 
die Chöre der Heiligen und der Engel. In 4 werden acht 
Zeilen gebraucht, um die vierte Strophe zu übertragen, was 
hauptsächlich durch die schwierigen Worte voti compotes ver- 
anlaßt wurde. 5 gestaltet ziemlich frei die fünfte Strophe 
(charakteristisch für den Geschmack des Verfassers ist V. 2, 
erklärend V. 5). Die hinzugefügten Verse von 6 sind insofeme 
lehrreich, als aus dem Preise Marias, der einen Hymnus auf 
Christus abschließt, erhellt, daß unter dem Bruder Dietrich ein 
Zisterzienser zu verstehen ist, was ja auch sonst mit dem In- 
halte der Handschrift übereinstimmt. Der Schreiber des Stückes 
muß gelehrte Kenntnis besessen haben, denn die dem Hymnus- 
vers nachgebildete Zeile Seorsum verte folium vor 5, 1 paßt 
ja doch eben nur auf die Stelle in dieser einen Handschrift, 
wo von Blatt 222^ auf 222^ zurückgewendet werden muß. 



Mitteilungon ans altdeutschen Handschriften. 

Der lateinische Hymnas lautet: 



1. JesU; nostra redemptio^ 
amor et desiderium^ 
Dens Creator omniani; 
homo in fine temporum. 



2. Quae te vicit dementia, 
ut nostra ferres crimina, 
crudelem mortem patiens; 
ut nos a morte tolleres? 



4. Ipsa te cogat pietas, 
ut mala nostra superes 
parcendo, et voti compotes 
nos tuo Yultu satiesl 



3. Inferni claustra penetrans, 
tuos captivos redimens^ 
Victor triumpho nobili 
ad dextram patris residens, 

5. Tu esto nostrum gaudium, 
qui es futurus praemium, 
Sit nostra in te gloria 
per cuncta semper saecula. 

Dieser Hymnus ist alt, wie Form und Inhalt der vier 
ersten Strophen erkennen lassen: er bietet in großer Knapp- 
heit, aber doch mit sinnvollen Beziehungen, eine Übersicht des 
Erlösnngs Werkes, welche mit Christi Himmelfahrt schließt, wes- 
halb er für dieses Fest auch in Hymnarien und Brevieren an- 
gesetzt wird, nicht überall zur gleichen kanonischen Tagzeit 
VgL Daniel, Thesaurus hymnologicus 1, 63. 4, 78; Mone, La- 
teinische Hymnen 1, 230 (Nr. 173); Ph. Wackernagel, Das 
deutsche Kirchenlied 1, 65 (Nr. 55). Dieser setzt den Hymnus 
in das 5. Jahrhundert, was schon durch seine häufige Ver- 
bindung mit solchen Hymnen, die für diese Zeit beglaubigt 
sind, wahrscheinlich wird. Das Hymnar von Moissac aus dem 
10. Jahrhundert, die Schatzkammer alter Hymnen (Analecta 
Hymnica 2) enthält Nr. 49 schon die fünfte Strophe als doxo- 
logischen Zusatz, aber von späterem Ursprünge, wie bereits die 
Reimpaarung lehrt. Die alte Beliebtheit des Hymnus bestätigen 
auch dessen Nachbildungen zum Lobe einzelner Heiligen: Ser- 
vatios (Anal. Hymn. 4, Nr. 439); Savinianus (Anal. hymn. 12, 
Nr. 421); Nicolaus Peregrinus (Anal. Hymn. 43, Nr. 439). 
Spätere deutsche Lieder auf Grundlage des Hymnus notiert 
Wackemagel, Kirchenl. 3,443 (Nr. 505: Pfingsten) — dieses 
Stück scheint mir hinter dem hier besprochenen ziemlich 
zurückzubleiben — und Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchen- 
lied 1, 84 (Nr. 250). 



10 II. Abhandlung: Schöubach. 

Über den Verfasser des deutschen Liedes weiß ich nichts 
mitzuteilen; als daß Bruder Dietrich wahrscheinlich ein bayri- 
scher oder österreichischer Zisterzienser ^ wohl aus dem Ende 
des 13. Jahrhunderts war, was aus dem sonstigen Inhalte der 
Handschrift und aus der Beschaffenheit der Überlieferung er- 
schlossen werden dai*f. 



Erbanliehes In Prosa und Yersen. 

Die Handschrift Nr. 1756 (= Lunaelac. O. 198) der 
kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien enthält in starkem Leder- 
band 137 Blätter Pergament, durchschnittUch im Umfange von 
8*5 X 12 cm. Die Tabulae Codicum manuscriptorum setzen 
ihre Entstehung ins 13. Jahrhundert, das bezieht sich jedoch 
leider bestenfalls auf die mittlere Partie Ton 80* — 109^, indeß 
112*— 137^ ins 14., !•— 79* und 110, 111 ins 15. Jahrhundert 
gehören. Auf dem Rücken des Kodex befindet sich die Nr. 978 
geklebt, auf dem Vorderdeckel ein Pergamentzettel mit der 
Inschrift: Raymundus de penitentia, Tractatus de homine 
David. Die Angaben erschöpfen jedoch den Inhalt der Hand- 
schriften bei weitem nicht, wie aus folgender Übersicht hervor- 
gehen wird. 

Den ersten Teil der Handschrift bilden jetzt 79 Blätter, 
die in Quinionen liegen, deren erste Hälfte ein paarmal durch 
Kustoden gezählt wird, nur fehlt der ersten Lage ein Blatt. 
1^ — 74* bildet ein, wie es scheint, von äinem Verfasser her- 
rührendes Werk, das von den Tabulae codicum manuscrip* 
torum betitelt wird: De votis sacerdotum, auf welche Autorität 
hin, weiß ich nicht. Auf keinen Fall trifft diese Bezeichnung 
zu, denn es wird darin zumeist von den Pflichten der religiosi^ 
also der Mönche, gehandelt, weniger über die der Priester, 
und femer werden überhaupt verschiedene Abschnitte der reli- 
giösen Pflichtenlehre im Allgemeinen vorgetragen. 74* — 79* 
enthält die deutschen Stücke, deren Niederschrift also in das 
15. Jahrhundert filUt, nicht in das 13. Mit 80* beginnt die 
zweite Partie der Handschrift, die wie die erste einstens für 
sich bestanden hat. Auf 80* befinden sich kurze AngÄen 



Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. H 

und eine Tafel über die Sonntagsbuchstaben^ 80^ ist leer, 
81^ — 97^ reicht die Summa Raimundi de penitentia, das ist 
die bekannte praktische Lehrschrift des Dominikaners Raimand 
▼on Penaforte f 1275, die zwischen den Jahren 1234 und 1243 
▼erfaßt wurde. 97^ heißt es in der Mitte der Seite: Explicit 
Summa Raimundi de penitentia und dann: Quicunque es, qui 
hoc legis, memento Phylippi peccatoris Amen. Bei A. G. Little, 
luitia opei*um latinorum, quae saecuUs XIII. XIV. XV. attri- 
buuntur (Manchester 1904), wird das Werklein S. 202 als Ano- 
nytntu de confessione angefahrt. Unmittelbar daran schließt 
sich und reicht bis 109* ein Traktat mit der Überschrift De 
exteriari homine. Auf den Autor David von Augsburg weist 
schon die Notiz des Deckels, es befaßt dieses Stück den ersten 
Teil des ersten Buches von dem Werke Davids: De exterioris 
et interioris hominis compositione, das zuletzt mit Benutzung 
▼on 370 Handschriften durch die Franziskaner Quaracchi 1899 
herausgegeben wurde. Unsere Handschrift ist dort S. XXXIII 
als Nr. 329 verzeichnet mit dem unrichtigen Beisatze anon, 
£b geht in der Handschrift dem Texte des einleitenden Briefes 
ein StQck voran^ das beginnt: Ad exercitium humilitatia quin- 
que prodesee poseunt — . Auf den Schluß: castus in omnibus 
(Eldition von Quaracchi S. 36) folgt eine Stelle, die als zu dem 
Traktate gehörig betrachtet wird und die ich hierher setze. 

Si diu inter seculares religiosus conversetur, dissuescit 
flecti sub jugo continue obedientie humiliari ad communes con- 
ventuales labores, ad silentium ceUe assidue recurrere, parcitate 
victos conveutualis esse contentus, ad nocturnas vigilias surgere, 
orationi fructuose vacare. cito fiet assuetus verbis otiosis et 
rumoribus libenter intendere, honoribus et reverentia hominum 
delectari, delicatos cibos et nobilia vina dinoscere, soiitudinem 
fastidire, moUia strata diligere, tardas et festinatas matutinas 
persolvere, tardas surgendo, festinatas syncopando. fit oratio 
insipida, lectio tediosa^ meditatio vanis cogitationibus obruitur, 
affectus devotionis tepescit, memoria Dei rarescit; proficiendi 
propoaitum debilitatur, nisi quod cogitat, quando venerit, tunc 
omnia neglecta recompensare velit^ nesciens, quod de die in 
diem debilior fit ad bonum et ad malum pronior. contra temp- 
tationes est infirmior in resistendo, cum feminis periculosius 
morator, quia et subtractio gratie et opportunitas loci citius, 



12 II. Abhandlung: Schönbach. 

quam sperat^ precipitant eum in ruinam^ maxime si incaata 
familiaritas admissa fuerit. postremo hec omnia qaadam ypocrisi 
saperducitur^ qaia interioris vacuitati^ quidam exterius color 
saperdncitnr, ne exterias apat hominum opinionem ▼ilescamos. 
qaod si ab aliquibns interins de nostra mutatione notamar yel 
in aliqnibas excessibus culpamur^ eoram invidie imputamas, 
non nostram negligentiam compancti congerimns, donec tandem 
sine omni dissimulatione malum^ qaod diu intos fotum est, 
ernmpendo proditnr per apertam peccatum cum aliorum scan- 
dalo et confusione bonorum hominum in dampnationem per- 
petrantis. — Mit zwei Zitaten aus Hieronymus ad Rusticum 
und aus Hugo de sancto Victore de prelatis (diese von späterer 
Hand nachgetragen) schließt diese Lage. 

llO^^y 111^ enthalten den im 15. geschrieben Rest eines 
Inhaltsverzeichnisses (111^ ist leer) zu dem folgenden, eben- 
falls einmal selbständig gewesenen Werke, nach den Tabulis 
ein Tractatus de virtutibus et vitiis, der beginnt (?) mit einem 
Zitat aus Augustinus 112*: Si non parcis tibi propter tCj parce 
tibi propter Deum und 137^ in einem Kapitel De contritiofie 
proprie infirmitatis abbricht. Die Partie 112 — 137 befaßt eine 
Lage mit sechs und eine mit sieben Doppelblättern. 

Die deutschen Stücke, um derentwillen ich mich mit der 
Handschrift beschäftigt habe, sind folgende: 

1. (74^) Sand Bernhard spricht: wer zu der höchsten 
weishait well chomen, der sech die weit mit irer falschen 
weishait. als beschaiden ich pin, als weis sind mein sinne; 
als weis mein sinn sein, als fridsam ist mein hertz; als frid- 
sam ist mein hertz, als lautter ist mein gewissen; als lautter 
mein gewissen ist, als vil bechenn (75*) ich got; als vil 
ich got bechenn, als vil hab ich got lieb; als vil ich got 
lieb hab, als vil halt ich sein gepot und volg seiner hail- 
samen 1er; als vil ich halt sein gepot, als vil hüett ich mich 
vor Sünden; als vil ich mich vor Sünden hüett, als vil bechenn 
ich mich selber; als vil ich mich selber bechenn, als vil ver- 
smäch ich mich selber; als vil ich mich selber versmäch, als 
wenig beger ich gAtz noch weltlicher er; als vil ich beger 
guetz noch eren, als vil pin ich diem&tig; als vil ich pin die- 
mfitig, als vil t&n ich dem nichtz Übels, der mir übel tut, als 
vil pin ich gedultig; als vil ich gedultig pin, als vil pin ich 



Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. 13 

arm des galsis; als vil ich pin arm des gaists, als vil beger 
ich nichts liberal; als vil ich nichtz beger überal, als vil wil 
ich waz got wil; als yil ich wil, waz got wil^ als vil wil got 
waz ich armer sUnder wil. 

2. (75^) Also soll ein frnmmer christenmensch leben, daz er 
sa rechter warhait möcht sprechen die hernach geschriben wort. 

Eya da falschen werlt, was ist dein frend, dein tzier nnd 
allen chnrtzweil, die ich han gesehen bei dir? es ist alles ver- 
Bwanden nnd vergangen als ein slag in ein wasser schier, got 
sei dir genedig nnd vercher dein frend, die doch nit lang wert. 
ich hiet fUr war (darnach nit durchstrichen) in dir nit ver- 
standen dein nntren, deinen falschen Ion nnd nnstätikeit, war 
mir nit erschinen die snnn der gerechtikait. wenn die menschen, 
die dir dienent sind, der wirt maniger betrogen, wenn sie 
tsimernt auf den regenpogen. du versprichst in lang leben nnd 
vor irem tod ain abtragen irer sünd gen got dem herren nnd 
hailsamkleich sterben in den genaden gots. das lantter falsch 
isty wenn ich der vil han erchennt in knrtzen jaren, die also 
aafgeredt (76*) sind worden von dir, die doch eilend tod habent 
gennmroen nnd mit chlainer andacht nnd Vernunft gestorben 
sind nnd der ietznnd gäntzleich vergessen ist von allen iren 
frennten und liebhaberen, als ob si nie menschen waren ge- 
wesen, und ir guet, darumb si oft daz hail ir sei versäumt 
haben, pöIder waren ist iren veinten dann iren freunten dar- 
umb so hab Urlaub aus meinem hertzen, ich hab meinen dienst 
anderswo versprochen. 

Sprichstu, liebhaber diser weit; ,ich mag mich der weit 
nicht abtiln und in ainen orden gan', antburt sand Augustin 
und spricht: es ist chain notturft, daz all menschen in ain 
cbloster chomen; beleih in dem wesen, dazu dich got gevodcrt 
hat, und behtitt dich vor Sünden, biz allzeit willig die gepot 
gotz ze halten nach deinem vcrmttgen, (76^) und wenn du dich 
vindst in Sünden, so harr nit lang darinn, besunder fleuch zu 
der parmhertzikait gots mit einer waren peicht, so mag dein 
leben in der weit hailsam werden deiner sei. T&stu das nicht, 
80 furcht ich, du werst faren di wolgetriben strass zu der 
ewigen verdambnuss, da von unser herr redt in dem ewangelio, 
daz Matheus (7, 13) schreibt: der weg ist weit und wol ge- 
triben, ir sind vil, die durch in gent und varent zu der ewigen 



14 II. Abhandlung: Sch»nbach. 

verdampnUz^ wer aber die sein, die benennt sand Paul an 
einer epistel (Rom. 5^ 12) und sand Johanns an dem paech 
Apokalipsis (18^ 5), das sind die mit einer todsttnd oder mer 
behaft sind und die rechte lieb nit habent zu got and za iren 
nagsten; die hie auf erd nit suechent die er gotz nnd das hail 
ir sei mit größerm fleis dann daz vergankleich gnet; die all- 
zeit geren lebten in (getilgt geiste) leipleichen lüsten mit essen, 
trinchen und unchausch, und die becherung (77*) zu got sparen 
piz an ir end; und vil ander menschen, die got nit erchennen 
wellent und täglich streiten wider ir Vernunft und gewissen; 
und die iren nächsten belaidigt habent an den eren oder an 
guet und darumb nit ain genügen wellent tuen; und den das 
heilig gotzwort nit smecken wil, wenn si daz hörent. besunder 
die den anderen menschen zu versprechen Stent an dem jüngsten 
tag, si sein geistlich oder weltlich, und person in dem chloster 
die nit haltent iren orden mit irem gelüb. wer die sein, den 
ist not bei zeit, daz si anrfiffen die parmhertzikait gotz, ee 
daz si sterben, hin nach ist die hilf chlain und das gericht 
gots streng und ernstlich. 

3. Uns engel wundert all geleich^ 

daz ir menschen mit fleis auf erdreich 
paut stet heuser und auch vest, 
und seit doch all nur eilend gest; 
(77*») 6 aber da ir got ewikleich mit uns sult an schauen^ 
do habt ir chlainen fleis ze pauen, 

4. Ez was zu zeiten ein man bei dreissig jaren^ 
der het die werlt tool durchvaren, 

dem nie chain ungliick auf erstund, 
10 sein sünd er nie bechlagt noch peioaint, 

sunder daz was sein grösteu sarg, 

wie er der weit geviel heut und morgen, 

was man im predigt oder sagt von got, 

das waz im alls ein lautter spot. 
16 das er von der weit nur lob und er hict^ 

er sarget nicht, wie die sei verschied, 

es ist recht im nun worden chund, 

das er gachling auf der stund 



Mitteilung^en aus altdeutächen Handschriften. It) 

leiden muest den pittem tot. 
20 komen waz im jamer und not. 

u)ol sack er zu der selben frist, 
(78^) dcLB sein sei verdambt ist. 

nun muest er tän ein weichen, 

von got muest er sich schaiden ewikleichen. 
25 mit haissen tzähem mocht er wol chlagen, 

das er in seinen jungen tagen 

sein tzeit nit hat götlich vertzert, 

die im got zu guet hat beschert. 

er wolt der weit lob und er erberben, 
30 den lat si nun mit leib und sei verderben. 

wo ist nun ir hilf und guet, 

die si manigem menschen tuetf 

den chan si mit iren äugen naigen, 

daz sich die sei von got mues schaiden 
35 und mues sich zu der hell cheren, 

do ir die teufel das leiden meren, 

das chlagt nun teuer der ungetzogen: 

in hab die falsch weit betrogen, 

die im allzeit hab verhaissen recht. 
(78^) 40 dem lonet si als der teufel seinem knecht, 

das sie noch vil manigem tut, 

und hilft im in der helle gluet. 

der ir dienet frue und spat 

und got nit vor äugen hat, 
45 dem geschiecht als dem geschehen ist. 

Behütt uns got zu aller frist, 

das wir wider in also nit streben, 

als der hat getan in seinem leben: 

der weit lieb, lust, reichtumb liez er im nit leiden^ 
50 darumb sich sei und leib von got ewikleich mues 

schaiden. 

o wie churtze freud umb etn ewigs we, 

wolt er das nicht bedencken eel 

das sol uns sein stäteu ler, 

sunder daz wir verschaiden in ainem waren rechten 

glavhen, 
55 dcLS wir got sehen von äugen zu äugen. Amen. 



16 II. Abhandlung: SchOnbacli. 

5. (79*) wunniklicher and chlarer glaiitz und schein 
des ewigen liechtS; wie pista nun umb mich so gar erloschen! 
erlosch in mir all prinnnnd begir aller nntagent. — O du 
lantter und chlarer spiegel der heiUgen gotleichen majestat, 
wie pista so smächleich veranraintl rainig in mir die grossen 
masen meiner missetat. — O da schons pild der vaterleichen 
gfit; wie pista so gar enpferbt and enstelt! widerbring das 
vermailigt pild meiner sei. — O da unschaldigs lämplein, wie 
pista so gar jamerleich gehandelt! püess and pesser für mich 
mein schaldigs and sündleichs leben. — O da künig and herr 
ob allen chllnigen and herren, wie siecht dich heat mein sei 
hie so jamerUch hangen! verleich (79^) mir, als dich mein sei 
ietzand mit chlag and jamer hat ambvangen in deiner Ter- 
barffenhait^ das sie von dir an meinen losten zeiten enpfangen 
werd mit fread in der ewikait Amen. — 

Von den Prosastücken schöpfen 1, 2 (mit Reimen) and 5 
aas den Meditationes piissimae de cognitione humanae condi- 
tianiSy die Bernard von Clairvaax zageschrieben warden, je- 
doch nicht von ihm verfaßt sind (Patrol. Lat. 184, 48öff.), die 
Behandlang ist frei. Die Verse Nr. 3 übersetzen die lateini- 
schen Verse 72 — 76, die in der Handschrift 46* vorangehen 
and die hier weiter unten gedruckt sind. Das Stück findet 
sich auch, in die 3. Fers. Flur, gesetzt, Cgm. 751, vgl. Analecta 
Germanica 1906, S. 93. Für Nr. 4 weiß ich keine lateinische 
Vorlage: die Erzählung — wofern es eine ist — wird hier so 
sehr alles Bezuges auf die Wirklichkeit entkleidet, daß nur 
ein ganz dürres Schema übrig bleibt, für das ich Beziehungen 
nicht nachweisen kann. Noch ein deutsches Reimpaar begegnet 
72*: Isidorus: Si id, quod Dens precipit, facimus, id quod peti- 
mus sine dubio obtinebimus. Ist daz wir tuen, xoaz wir sullen, 
So tuet got was wir wellen, vgl. dazu Nr. 1. — 

Der Lautstand der Aufzeichnungen läßt die bairische 
Mundart nicht verkennen, doch wäre daraus kaum auf eine 
bestimmte Örtlichkeit des Ursprungs zu schließen. Fallen bei 
Nr. 3 und 4 Schreiber und Dichter zusammen, was durch das 
Verhältnis zwischen den deutschen und lateinischen Versen 
in Nr. 3 recht wahrscheinlich wird, dann wäre vielleicht aus 
den Reimen 4, 9 f. (wenn das richtig überliefert ist) 11 f. 15 f. 
die Heimat des Verfassers in der Oberpfalz zu suchen. Nimmt 



Mitteilnngen ans altdeutschen Handschriften. 17 

man hinzu, daß einzelne Histörchen des Traktats ^ wie sich 
noch weisen wird, auf Vorgängen in Bayern und Österreich 
beruhen y so paßt auch eine Stelle 4^ dazu: ibi (in judicio ex- 
tremo) Petrus cum Judea conversa ad fidem apparebit, ibi 
Paulus cum gentibus^ ibi Andreas Achaiam post se ducens^ 
Johannes Asiam, Thomas Indiam, Rudhertus Bavariam, Kilia- 
mu Franeoniam. Das jüngste Datum eines in den Traktat 
eingegangenen Zitates gewährt 1^: Item quidam solemnis doctor 
coram generali concilio Basiliensi predicavit de luxuria cleri- 
corum — . Daraus ergibt sich, daß den terminus ante quem 
non für die Aufzeichnung dieses Traktates das Jahr 1431 
bildet; sie kann vor dem Abschluß des Baseler Konzils , also 
vor 1449, hergestellt sein, aber auch darnach. Beurteile ich 
die Schriftzüge recht, so möchte ich sie noch in die erste Hälfte 
des 15. Jahrhunderts setzen. Dazu paßt der Sprachcharakter 
des deutschen Stückes, allein auch, was über den Inhalt des 
Traktates die folgende Analyse ergeben wird. 

Wie schon oben S. 10 hervorgehoben wurde, ist die Be- 
zeichnung De votü sacerdotum dem Inhalte der Darlegungen, 
an deren Schluß die deutschen Stücke sich befinden, nicht an- 
gemessen. Denn einmal werden hauptsächlich die Pflichten 
von Ordensleuten (13*: o fratres, pensate . . .), und nicht von 
Priestern erörtert, dann aber besteht die Eigentümlichkeit dieser 
Aufzeichnungen darin, daß an einem dünnen Faden von Sen- 
tenzen eine Unmenge von Zitaten und Beispielen, auch Erzäh- 
lungen aufgereiht werden. Um dieses bunten Füllsels halber 
lohnt es sich, den Traktat — wenn man ihn so nennen darf 
— etwas näher zu besichtigen. Der Umfang der Lektüre 
seines Verfassers müßte ungemein ausgedehnt gewesen sein, 
wofern er nicht etwa bereits vorhandene und sachlich geord- 
nete Sammlungen ausgenutzt hat. Verhältnismäßig nicht sehr 
zahlreich sind die Zitate aus der heil. Schrift. Um so häufiger 
die aus einigen Kirchenvätern, unter denen Bernard von Clair- 
vaux obenan steht, der fast auf jedem Blatte vorkommt, dann 
Augustinus, Gregor, Hieronymus. Seltener begegnen Isidor von 
Sevilla, Ambrosius, Crisostomus, Cirillus, Gregor von Nazianz, 
Eusebius, überaus oft die Vitae Patrum, aus denen mehrmals 
ganze Reihen von Geschichten entnommen werden. Von antiken 
Schriftwerken werden nur etliche angeführt, die aus der Schul- 

Siteiiog«b«r. d. phil.-hist. Kl. 156. Bd. S. Abb. 2 



18 n. Abhandlung: Seil önb ach. 

lektiire geläufig waren: Seneca 38^: antiqui philosophi 9*; 
Socrates 9^; Theophrastus philosophus 10»; Macrobius 21*; 
Ypocras = Hippokrates 23*; oftmals Valerius Maximns 20^. 
23*. 25* usw.; scribitur in historiis Romanorum 10*; legitur in 
octavo libro Tripartite historie 17*. Sehr häufig wird Gratian 
und die Dekrete allegiert, anfangs beinahe in jedem Abschnitt, 
allmählich sparsamer. Auch die Kirchenschriftsteller des späteren 
Mittelalters kommen zum Wort: Petrus Damiani 50*; Anselm 
von Canterbury 33*. 38*. 44*. 45*; Alanus (ab Insulis) doetor 
egregius (die von ihm erzählte Anekdote ftihrt Lecoy de la 
Marche in seinem Buche l'Esprit de nos aieux S. 275 f. aus 
Pierre de Limoges an) 5*; refert Helinandus 50*; unter dem 
HugberttLS und magister Hughertus der 15*. 24*. 25*. 71* zitiert 
wird, ist der Dominikaner Humbertus de Bomanis, f 1277 zu 
verstehen, und unter seiner expoaitio regule seine Erklärung 
der Augustinerregel; woraus vielleicht auf den Kreis geschlossen 
werden kann, dem der Traktat entstammt (11*: cum tarnen 
in Begula nostra dicitur: nihil dicatis proprium, sed sint nobis 
omnia communia). Albertus Magnus 33*. 47*; Bonaventura 48*, 
Stimulus animarum 64**. 65*. 69*; Vincentius in Speculo Histo- 
riali 28*. Nicht nachweisen kann ich jetzt ThamaB de Salat (?)y 
der 32* fUr den Satz angeftihrt wird: Quisquis ex quacunque 
alia causa quam propter memoriam dominice passionis missas 
celebrat^ peccat 'mortaliter. Ebenso wenig den Autor des fol- 
genden Passus 62*: Seien dum est, quod quidam subtilis doetor, 
Sedatus nomine (63*) dicit: in illum redundat omne peccatum, 
qui non vult peccantes prohibere, cum possit. Magister Heinrich 
von Oent wird zitiert 2* (magister Henricus de Oandavo in 
Quodlibeto suo 13^ dicit), er starb gegen 1300. Auf einen Iri*tum 
wird folgende Angabe zurückgehen 7*: Legitur de sancto Con- 
dimundo, Cartu'ense arciepiscopo, quod a servientibus sibi camis 
exigebat munditiam, volens etiam familiam suam semper habere 
mundam. Für die kleinen Erzählungen und Anekdoten werden 
zumeist namenlose Autoritäten beigebracht, nur selten die 
Persönlichkeiten bezeichnet, z. B. beatus Germanus Autisiodo- 
rensis (Germanus von Auxerre, f 448); Caesarius von Heister- 
bach 34*. 43*. Dieser Autor wird wohl auch benutzt, ohne 
genannt zu werden, wie in einer Geschichte, die ich ihrer be- 
sonderen Gestaltung halber hier abdrucke 57* (vgl. Caesarius, 



Mitteilungen aus altdeutschen Handscliriftcn. 19 

Dial. 1^ 27): Ludwicas, landgravias Turingie^ princeps litteratus 
(woher stammt dieses Prädikat? bei Caesarias findet es sich 
nicht) y tanto errore erat deeeptas, ut se assereret necessario 
esse salvandam vel dampnandüm, et dicebat se horam mortis 
non posse effugere vel anticipare. et ob hoc maltis vitiis sine 
Dei timore se implicabat. tandem graviter infirmatus dixit me- 
dicOy ut caram adhiberet. medicas sciens ejus errores dixit : ^si 
dies mortis vestre advenerit, non potero vos adjavare^ cui 
princeps^ qaomodo sie responderet: ,8cio, nisi mihi cito sab« 
veniatur, moriar ante tempns^ cai medicns: ,creditis vitam 
vestram prolongari virtute medicine, quare hoc non creditis de 
penitentia, que est medicina anime?' considerans (57^) vero 
dominus; medici verba esse rationi consona, dixit ci: ^de ce- 
tero esto medicus anime mee (der Mann war also zugleich 
Geistlicher), quia per tuam medicinalem linguam liberabit me 
dominus a maximo et dampnabili errore'. (Darnach folgt: etiam 
quidam imperator unum ex famulis suis in hoc officio con- 
stituit; ut; dum ipse in letitia esset frequenter, famulus ad se 
veniret eique diceret: ,domine imperator, monumentam vestrum 
adhuc imperfectum est', quibus verbis ammonitus de morte 
cogitare cepit et gaudium dimisit). — (4^) Cum Petrus Seno- 
nensis archiepiscopus ad Clarevallem abiisset, ut quemdam con- 
▼ersum, qui frequenter (5*) in extasim rapiebatur, peteret, ut 
▼isionem aliquam sibi enarraret : ^vidi', inquit, ^nuper dominam 
speciosissimam valde, que dixit mihi: ^que sum ego?' et re- 
spondi ei: ,videtur mihi, quod tu sis Domina nostra*. at illa ait: 
,respice me retro!' cumque tergum ejus viderem, vidi eam 
putridam et vermibus scaturientem. ,nunc cognosti, quod ego 
non sum Maria, sed sum mater Ecclesia, que in primo statu 
quasi in anteriori parte sanctis, apostolis, martyribus, confesso- 
ribus fui pulcherrima et decenter omata, sed modo a parte 
posteriori, id est, postrema parte, in modicis (l. modemis) prc- 
latis Bum putrida et ignominia plena et argentum meum versum 
est mihi in scorium (Isai. 1, 22)/ Das Histörchen steht nicht 
in den Wunderbüchern von Citeaux und Clairvaux. — (5*) 
Cum igitur sobrietas mense et Studium discipline sapientie sint 
connexa, non decet ecclesiasticis viris, si vacant epulis et Stu- 
dent calicibus epotandis. unde quidam magister scripsit suo 
socio facto prelato: Tu, qui discipulis et libris omnino postpo- 

Bitsoagiber. d. phiL-hist. Kl. 156. Bd. 2. Abh. 3 



20 11. Abhandlung: Schönbach. 

ßitis nunc Codices ad calices transtnlisti et scribere in bibere 
convertisti, et nunc predicaris egregios potator, qui prins faeras 
nominatisBimns disputator, plus studes in calicibus quam in 
codicibus, plus in salmone quam Salomone, non est igitnr hec 
mutatio dextre excelsi, sed illorum; de quibus psalmista (106, 27) 
ait: Turbati sunt et moti sunt sicut ebrius. — (8^) unde nostri 
theologi (9*) reprehensibiles sunt^ quia inveniuntur ad operan- 
dum desides, licet sint ad discendum feryentes. nam quidam 
vesanus fecit omnibus theologis Parisiis hanc questionem: quod 
horum sit melius: facere, quod seit homo, vel addiscere, quod 
nescit? tunc ille super mota questione disputantibus pro et 
contra stultus audiens earum altercationem tacebat expectans, 
ut videret finem. tandem probatum est et conclusum, quod 
melius est facere, quod homo jam novit, quam addiscere, quod 
non novit, utrumque enim peccatum est nescire, quod appetis, 
et ea, que noveris, non adimplere. ,ergo', inquit vesanus, 
,vos omnes estis dementes, qui die ac nocte laboratis, ut tan- 
tum discatis, quod nescitis, et non euratis opere implere, quod 
scitis*. — (10**) cui (Augustino) obedivit quidam amator thco- 
logie, religionis amator precipuus, circa annum 1398 in pro- 
vincia Polonie, non longo ab Vratislavia, qui quemdam fratrem 
propter duos florenos apud ejus mortem inventos in (U*) sta- 
bulo sepelivit. ob, quam rem in civitate eadem proverbium talo 
in populo fuit divulgatum: Maister Heinreich von Hall begrebi 
sein hrileder in dem stalL et hoc justissime fecit, ut inter 
fratres non accipiat sepulturam, cujus anima inter diabolos re> 
cipit mansionem. quomodo ergo illum suscipiat terra viventium, 
cui de jure denegatur terra et sepultura mortuorum? sed heu! 
cogor äendo dicere, quod in claustralibus videmus avaritie estum 
permaxime incalescere, ita ut illa duo pronomina ,meum et 
tuum' audacter inter religiosos resonant, et tam quietissimam 
vitam ducerent homines, si hec duo pronomina ,meum et tuum' 
de medio toUerentur! — (12*) insuper et hoc audeo dicere, 
quod, si singulis diebus ter cfFunderem sanguinem meum cum 
beato Jeronimo, aut essem pontifex cum beato Gregorio aut in 
fide similis beato Petro aut devotior beato Martine aut in pre- 
dicatione similis beato Bernharde et Dominico et stigmatibus 
Christi insignitus cum Francisco, si autem proprietarius sum, 
hoc scio, nisi contritionc et penitentia debita prehabita, at in- 



Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. 21 

fernam sine omni medio descendam. — necnon antiquoram 
patram exempla ammiranda^ veram etiam modernoram gesta 
(12^) recentia nostris temporibas perpetrata certissime declarant 
qaorom nnum daxi annotandam, quatenas hojas vitii gravitas 
stadiosias perpendatar. fait igitur circa annos Domini 1407 in 
Anstria prope Wyennam in qaodam monasterio Cisterciensis 
ordinis monachus vitio proprietatis corrnptas. hie cum mortis 
egritadinem incarabilem incurrisset fecissetqne rationem de 
receptiSy quia procarator cenobii aut talem qnalem volnit; nnde 
ipsnm seriosius ammonebat, ut omnia, qae haberet, panderet. 
quod tarnen miser ille non carabat. quadam igitnr die^ dam 
se solnm conspiceret, ascendit dormitorinm et ad Stratum pro- 
prium cucurrit, stropodium (Du Cange 7, 608: strapodiam) 
rumpens pecuniam^ quam ibi absconderat, extrahebat. qua ex- 
tracta corruens super lectum expirabat, pecunia in manu retenta. 
servitor autem, dum illum in lecto non inveniret; monachis 
nuntiavit. cum igitur ipsum per singula loca monasterii diutius 
quesissenty tandem super stropodium ipsum moituum et pecu- 
niam in manu fortiter tenentem invenerunt. quo viso stupuerant 
Talde. cum ergo abbas eorum; qui doctor theologie absens erat 
(13*), monachi sicut simplices et illitterati^ quid cum proprietario 
sie invento fieret, penitus ignorabant. tandem ceca moti miseri- 
cordia, sed non (secundum) scientiam Dei, ipsum in loco con- 
secrato cum aliis sepelierunt. sed eadem nocte subsequente 
proprietarius ille totus igneus cum terribili strepitu et clamore 
per totum dormitorium atque monasterium binc inde discurrebat, 
ita ut nee unus quidem de loco, ubi erat, se movere ausus 
fuisset solus. mane facto rem gestam abbati, qui non longo 
aberat, nuntiabant, qui similiter territus monachos pro sepul- 
tura ista durius corripiens jussit ac mandavit, quatenus ipso 
exhumato extra monasterii septa sceleratum illum sepelirent. 
quod et protinus adimpleverunt. nocte autem sequenti, quem- 
admodum nocte precedenti, monachorum {Hs, monachos) ita 
tunc familiam terribilius inquietavit. quo audito ac comperto 
monachi ipsum inde auferentes in loco remotiori deserti valiis 
sepelierunt, anima ipsius sepulta in inferno. et ita fantasma ac 
inquietudo a monasterio discessit. — Das Zistcrzienscrkloster, 
in welchem dieser Vorgang 1407 sich ereignete, wird näher 
dadurch bestimmt, daß es in Österreich unweit von Wien lag 

3» 



22 II. Abhandlung: SchUnbach. 

und damals einen Abt besaß, der Doktor der Theologie war. 
Die angegebene Lage des Klosters läßt die Wahl frei zwischen 
Heiligenkreuz, Zwettl und Lilienfeld. Nach den Mitteilungen 
im dritten Bande der Xenia Bernardina regierte zu Zwettl 
während des 15. Jahrhunderts gar kein Abt mit dem Doktor- 
titel, zu Heiligenkreuz 1447 — 1451 Abt Johann III. der 1434 
in Wien zum Doktor der Theologie promoviert worden war, 
zu Lilienfeld Johannes I. de Langheim, der 1406 an der 
Wiener Universität als Doktor der Theologie gelehrt hatte. 
Es wird demnach Lilienfeld hier gemeint sein, obzwar (Xenia 
Bernardina 3, 265) die Daten dieser Zeit ganz unsicher sind. 
Die Habsucht des unglücklichen monachus proprietarius von 
Lilienfeld wird dadurch in etwas entschuldigt, wenn man er- 
fährt, daß sein Abt beim Antritte des Amtes in der Kloster- 
kasse an barem Gelde vier Denare vorfand, wovon 90 Mönche 
zu erhalten waren. — (57^) Tempore domini Conradi de (58*) 
Lugburck, Ratisbonensis episcopi, fuit in quadam villa sue 
diocesis quedam Deo grata virgo, nomine Irngardis, que inter 
alia magna et multa spiritualium gratiarum Dei habebat, quod 
in extasi sepius rapta et beatoram contubernio fruebatur. utrnm 
autem sciret se raptam esse in corpore sive extra corpus nescio, 
sed hoc plane scio, quod spiritu rapto corpus insensibile mane- 
bat. quod sie probatum est: cum enim quadam vice quidam 
solemnis predicator cum quodam juveni fratre supra modum 
subtili in predictam villam causa predicandi venisset et ibidem 
causa penitentie dulciter predicaret, mox ipsa devotionis fer- 
vore inflammata cepit caput in gremium cujusdam assistentis 
sibi religiöse femine inclinare. cum autem per tres vel quataor 
horas immobilis et in extasi sie jaceret, junior predictus predi- 
catoris socius liujus rei veritatem cupiens experiri, excepta 
forpice suram sive carnes illas pingucs, que sunt circa ir (Du 
Gange 4, 426) manuum abscidit ad spissitudinem duorum vcl 
trium grossorum et unius latitudinem, ipsa minime senticnte 
et immobili perdurante. post duas vel tres horas cum ipsa virgo 
in se roversa quasi de gravi sompno evigilasset, accesserunt, 
qui cum abscisione fuerant, et manu diligentius considerata 
ipsam sanam et integram in (58*») venerant, ita quod in ea nee 
vulnus inveniretur nee Signum alicujus cicatricis. super quo 
omnes, qui abscisioni interfuerant, admirantes eam in maxima 



Mitteilungon aus altdeutschen Handschriften. 23 

veneratione ceperunt habere, ipsa autem virgo, quod cum ea 
gestam faerat^ quadam vetala referente cognovisset; obstapait 
et hamanam laadem et favorem fagere cnpiens a predieta 
Villa receasit et in aliam^ longe a civitate Ratisponensi sitam se 
transtolit ubi aliquamdia commorata tandem propter dalcea 
et saiabres predicationes in ipsam civitatem venit^ in qua devote 
et laudabiliter vivens in Domino feliciter reqoievit. sepulta est 
in ambita Fratrnm Predicatoram in anno 1350. obiit infra 
octavas Martini. — Von dieser Historie habe ich sonst nirgends 
eine Spar aufzufinden vermocht. Weder enthalten die Nekro- 
logien der Regensburger Diöcese, welche soeben durch Bau- 
mann herausgegeben worden sind^ den Namen des hypnoti- 
sierten Mädchens Irmgard, noch wird in den Geschichtsquellen 
(tlr das Regiment Bischof Konrad V. von Regensburg, aus 
dem Hanse Luppurg, 1296 — 1313 (vgl. Janner, Geschichte der 
Bischöfe von Regensburg 3, 98 — 136) des Vorganges gedacht; 
auch die von Leidinger jlingst edierten Berichte dos Andreas 
von Regensburg wissen davon nichts. Der solemnia praedtcatar 
kommt noch an einer anderen Stelle des Traktates vor: (61 ■) 
accidit in quadam civitate, ut quidam solemnis predicator multis 
temporibus in ea bene predicaret, sed tamen nihil profecit in 
populo propter ejusdem populi duritiam. qui aput semetipsum 
marmuravit dicens in cor de suo: ,quid est, quod magnum 
laborem apponis et tamen nihil proficis predicando? certe tu 
excogitabis alium modum, ut possis Deo aliquid lucrificare^ 
et invenit talem modum Deo inspirante, a quo cuncta bona 
procedunt^ et dixit ad populum (61^) et multos ad hoc indaxit, 
qoalitercunque tunc potuit, ut quilibet haberet duo specula in 
Camera sua: unam commune de vitro, in quo cottidie debet 
videre suam caducam pulchritudinem, juventutem, potentias et 
divitias; secundum vero speculum debet habere in aliqua parte 
camere tamquam in secreto loco, videlicet horribilem imaginem 
mortis, cum diversis vermibus, cum bufone in capite et serpen- 
libus in oculis, auribus et naribus. que imago habeat in dextera 
mann scriptum: ,quid ego sum, tu statim eris; quid ego superbis 
de taa pulchritudine, divitiis et potentiis: pulvis et cinisM in 
sinistra vero manu scriptum habeat: ,opera tua sive bona sive 
mala solum sequuntur se. cur non desinis peccare et tua studes 
opera bona multiplicare, que habent te ad celestem ducerc pa- 



24 II. Abhandlung: SchOnbacb. 

triam?' quod mnlti fecerunt in eadem civitate et maxime profe- 
cerunt, ut postpositis vitiis suam in bonis actibus vitam terrai- 
naverunt. 

Der Traktat enthält auch verstreut eine ziemliche Zahl 
lateinischer Verse, von denen ich einige hier vorlege. 

(15*») Pauper mensa, labor, sompnus brevis, aspera vestia, 

Luxuriam removent munditiamque creant. 
remedia contra luxuriam continentur in mctris 

precedentibus. — 

(34*) Omnea nos cupimus adire regna celorum, 

Dura pati fugimus nee opus subire laborura. 
5 Asper erit victus, semper labor, asper amictus, 
Aspera cuncta tibi, si vis super ethera scribi. — 

(35") Non facilis pena prava dixisse de rectis. 

Sit licet indignus, qui sacre presidet are, 

Sorde tarnen nulla valet hoc sacrum violare. 
10 Sicut deterius non fit per deteriorem, 

Sic non fit melius per presbiterum meliorem. — 
(36*) Non capit hie fructum peccati, qui tenet actum; 

Suscipit hie fructum, qui vult vitare reatum. 

(38^) Vado mori monachus, ut sit mihi vivere Christus. 

16 Ingrediar artum pro celi gloria claustrum. 

Nee pudet abjectam pro Christo sumere cappam, 

Maxima nam summi dabit ipse premia celi. 

Yemps sicut flores, sie (39») mors deflorat honores. 

Cum minime memores, mors tonat ante fores. 
20 Mors bona justorum pondus fugat esse laborum. 

Mors mala pravorum fit origo suppliciorum. 

Optimus extiteraa, te fecit honor meliorem; 
Kstimo, quod fiat de meliere bonus. 

Nephas nunc qui prohibet ab omnibus oditur, 
25 Sed qui se prophanum exhibet libentius auditur. 

Raro fit antistes, nisi sit de quatuor istis: 

Nobilis aut scriptor, servitor causidicusve. 

Qui Bolus est Dens, qui bis homo, bestia plus est. 

Forma, genus^ mores, sapientia, res et honores 
30 Morte cadnnt subita, sola manent merita. 



Mitteilungen aus altdeutachen Handschriften. 25 

Christo dicente rapiant virginem violento, 

Saliern aasten se castigando severi, 

MoUia spernentes et carni vim facientes. 

Asper erit victus, asper labor, aspcr amictas, 
35 Aspera cuncta tibi^ si vis saper ethera scribi. 

Dam sedes in mensa; primo de paapere pensa; 

Taue bene prandetar^ cum Christas adesso videtar. 

Perfidus aspiciat Petram predaque latronem, 

Cradelis Paalam, qnem pungit cura Matheum, 
40 Zacheam capidas, immandus carne Mariam: 

Uos Deos exempiam mando concessit habendum; 

at post delictum redeat peccator ad Deam. 

Virtus Jeronimi est tarn miranda beati, 

Possit nee etiam picture demon ut alias 
45 Apparere sue, tanto tremaitqae pavore. 

Uec Aagastino discribit dicta Cirillas: 
Falgida, virginea; flos parpureas sine spina 
Aareola trina nunc tu fulges, Katberina. 
Pro nobis ora, nos sustentare labora, 
iO Ne mala nos pestis et iniqaus obruat hostis. 
Ad montem Syna duc nos, virgo Katherina! 

Septaaginta qaiDquc quadringenta milia quinque 
Tot fertnr Christas pro nobis vulnera passus. 

Dum fero languorem, fero religionis amorem, 
56 Expers langaoris non sum memor hujus amoris. 
Quando languebat demon^ bonus esse volebat; 
Postquam convaluit, talis ut ante fuit. 

Si quis non dederit, omnis insipidus erit; 
Sed audito nummo, quasi viso principe summo, 
60 Dissiliunt valve, nihil auditur nisi: Salve! 

Nunc lege, nunc ora, nunc cum fervore labora, 
Nunc contemplare, nunc Scnpturas meditare! 
Nunc etiam pausa, ne mortis sit tibi causa. 



34 f, = 5f- 43 Jeroniiui virtua //*. 46 tremuit ipse pavore 

H9. 48 tu fehlt Ht. 60 pestis aut i. If», 66 hujus latiguoris 

a. /Z#. 68 Omnibus //«. 



^6 II. Abhandlung: Schon b ach. 

Sic erit hora brevis (40*) et labor ipse levis. 
66 Quod sibi qoisque serit presentis tempore vite, 
Hec saa messis erit, cum dicitur: ite^ venite! 
Mors tua^ mors Christi^ frans mundi, gloria celi 

Et dolor inferni sunt meditanda tibi. 
Dormit nocte parum possossor divitiarum. 
70 Effigiem Christi dum transis pronus adora! 
Salsamenta precum gemitus; suspiria^ fletus. 

Angeli hoc dicnnt: 

Miramnr omnes, cur orbis exul et hospes 
Construit in terra domos, alta pallatia^ castra; 
Cur non in celis construit sibi ista fidelis, 
75 Ut videat Christum contemplative nobiscum. 
Terra transibit^ celnm sine fine manebit. 

Post vinum verba, post imbrem nascitur herba, 
Post äores fructus^ post maxima gaudia luctus. 
Post Studium scire^ post otium vane perire. 
80 Si Christum bene sciS; quid obest^ si cetera nescis? 
Hoc est nescire: sine Christo plurima scirc. 

Aspicc; peccator^ si non sim verus amatorl 

Peccasti multum^ noii divertere vnltum: 
(40^) Spina, crux, clavi, mors, pena, quam tolcravi, 

86 Ostendunt, qua vi miserorum crimina lavi. 

Vulnere sto plenus, pro te nimis undique cesus; 

Cum morior pro te, videas, quid agas pro mel 

Terrae, quam pergis, cape mores, quos ibi cernis: 

Si fueris Rome, Romano vivito more; 
90 Si fueris alibi, vivito sicut ibil 

Dem Metrum, den Reimen, den Barbarismen nach ge- 
hören diese lateinischen Verse durchwegs dem späteren Mittel- 
alter an, zum Teil werden sie wohl von dem Schreiber selbst 
verfaßt sein. Daher begegnen Parallelen dazu weniger in der 
GoliardenUteratur, viel eher erst in Handschriften ähnlich junger 



82 ff. tpricht ein Kruzifix am Wege. 87 mangeihaft. 



Mitteilungen ans altdeutschen Handschriften. 27 

Zeit. So stehen von den hier verzeichneten V. 36 ff. bei Novati^ 
Carmina medii aevi (1883) S. 49; V. 84 ff. dort S. 43; V. 81 f. 
bei Jakob Werner, Beiträge zur Kunde der lateinischen Lite- 
ratur des Mittelalter (1905) S. 172, 155\ 



tTbersiGht des Inhaltes. 



Bmder Dietrioh. Handschrift Nr. 1637 der kais. Hofbibliothek in Wien, 
Beschreibung 8. 1. — Der Liber de incarnatione Domini und seine 
Entstehung S. 2. — Bruder Dietrichs Bearbeitung des Hymnus: Jetu, 
nottra redemptio S. 6. — Sprache, Vers, Leistung S. 7. 

ErbanUohea in Prosa und Versen. Handschrift Nr. 1756 der kais. Hof- 
bibliotbek in Wien, Beschreibung S. 10. — Davids von Augsburg Ds 
exUrunri honUne 8. 11. — Deutsche [Stücke S. 12. — Ihre Vorlagen, 
Heimat und Zeit 8. 16. — Der TrakUt über die Pflichten der Reli- 
giösen 8. 17. — Gelehrsamkeit 8. 17. — Erzählungen aus Breslau, 
Lilicnfeld, Regensburg 8. 20. — Lateinische Verse 8. 24. 



m. Abh.: Rzach. Analekta zar Kritik und Exegese etc. 



IIL 



Analekta zur Kritik und Exegese der 
Sibyllinischen Orakel. 



Alois Bsach. 



(YorK«legt in der Siiiong am 9. Januar 1907.) 



In den M^langes Nicole p. 489 sqq. habe ich eine Anzahl 
bislang unbekannter Emendationen A. von Qutschmids zu den 
Sibyllinischen Orakeln ausführlich besprochen, die ich aus seinem 
mir von Herrn Professor Rühl in Königsberg zur Benützung 
gütig überlassenen Manuskripte 'Libri SibjUini ex recensione 
Ä. von Gutschmid' publizierte. Die folgenden Auseinander- 
setzungen sollen eine weitere Reihe wertvoller Vorschläge des- 
selben Gelehrten zur Kenntnis der Fachgenossen bringen, wobei 
bemerkt sei, daß die Konjekturen in dem Manuskripte ohne 
jede Begründung oder Erklärung angeführt werden.^ 

An die Besprechung dieser Emendationsvorschläge habe ich 
eine Reihe eigener Beiträge zur Kritik und Exegese der Sibyl- 
linen angeschlossen, die sich mir bei erneutem Studium dieser 
in unserer Überlieferung so arg verderbten Texte ergaben. 

I 35 ouTS Y^P 3apaa{Y) voov loxe^ov oGie pi^v a!$(ü> 

a{Af u) eT^ov, äXX' ^jaov xpa§{7]C dwcaveuös xoxolo. 

Die Handschriftenklasse ^1', die trotz aller Verderbnis 
gelegentlich noch einen Rest der ursprünglichen Fassung besser 

' Eine Anzahl der Lesarten Gatachmids ist bereits von Rühl selbst nach 
dem erw&hnten Manuskripte im IV. Bande der Kleinen Schriften Gat- 
Bchmids p. 222^ sq. yerOffentlicht worden. Manche schOne Emendation, 
die Ton anderen Gelehrten publiziert ward, bevor man von der Existenz 
des Manuskriptes wußte, finden wir auch hier yor. Nach Rühls Mit- 
teUnng a. a. O. p. 222 Anm. hat es seinerzeit Mendelssohn vorgelegen, 
dem es mit anderen Papieren übergeben worden war. 
:ÜU«Bfwb«r. d. phil.-hUt. Kl. 16«. Bd. S. Abh. 1 



2 III. Abhandlung: Rzach. 

durchschimmern läßt als ^, gibt im Eingange von V. 36 die 
angeführte Lesart, wogegen ^ karzweg eT^ov bietet, was GeflFcken 
nicht hätte in den Text aufnehmen sollen. Gehört doch die 
Längung einer kurzen konsonantisch auslautenden Endsilbe 
vor folgendem vokalischen Anlaute in der Thesis zu den be- 
denklichsten Dingen im Bau des griechischen Hexameters: 
dergleichen ist auch keinem der Sibyllisten zuzutrauen. 

Längst hat deshalb Alexandre, der Spur, die in W vor- 
liegt, folgend, a(x<p£xov hergestellt, das auch dem Sinne besser 
entspricht als einfaches eT^ov. Dem gegenüber schrieb Gut- 
schmid, offenbar einem bekannten Lautgesetze zuliebe, in 
seinem Manuskripte a|jt.7uexov. Handelte es sich um das klassische 
Epos, so wäre hiegegen nichts einzuwenden. Denn in den 
Homerischen Gedichten lesen wir dlfjLwexev l^ 225 ohne Variante. 
Für die spätere Zeit aber und namentlich für die hellenistische 
Dichtung steht die Sache anders. Der Attizismus zeigt schon 
an der Wende des sechsten und fünften Jahrhunderts im Volks- 
munde Formen wie xaOe/si C. I. A. I 478, 2 (= Kaibel, Epigr. 
Gr. lö, 2)/ wo die Dissimilation neuerdings gestört und die 
in der Nähe einer Aspirata stehende Tennis wieder aspiriert 
wird: diesem >ca6exei stellt sich dti^^ex^t auf einer Inschrift von 
Astjpalaia L G. L M. Aeg. IH 220, 6 aus dem zweiten Jahr- 
hundert zur Seite. Dieser Gebrauch fand, so weit wir sehen, 
seinen Eingang in die epische Literatur in der alexandrinischen 
Epoche, denn wir lesen, bereits bei Apollonios Rhodios Arg. 
A 324 vortrefflich überliefert Sspjxa — dtfjL^syeT' wpiou;, was nicht 
ohne weiters mit Hölzlin in dix'^c^cT zu ändern ist, ebenso- 
wenig wie etwa das in den Orphischen Argon. 1042 Ab. 
handschriftlich gebotene iix^exev nach Hermanns Vorgang in 
aiJLxexev umgewandelt werden darf. Bei Apollonios findet sich 
freilich an einer andern Stelle Arg. B 1104 xsXacvY) V oupovbv 
a/Xu; a|jL::6y^6v, aber ich habe schon einmal darauf hinge- 
wiesen,* daß der Dichter sich hier offenbar nicht von der für 
ihn vorbildlichen homerischen Form (SfjLxex^v entfernen wollte. 
Und nachmals nimmt die Form mit der Aspirata überhand: 
speziell Quintus Smyrnaeus verwendet das eine apt-^^X^v etwa 



' Vgl. MeUterhaDS-Schwyser, Qramm. der attisch. Inachr." 102. 
' Grammat. Stad. zu ApoUon. Rhod. 51. 



Analekt« sur Kritik nnd Exegese der Sibyllinischen Orakel. 3 

zwanzigmaH stäDclig. Demgemäß dUrfen wir auch für unsere 
Stelle an der von Alexandre vorgeschlagenen Form festhalten. 

I 38 tml\ (UTiiceixa Se toi71 Oebq d(peT|A3c^ är^opedaaq 

Die Codd. PB geben tou, während in Sp t' ou, in A 6' o5 
und in W o5 vorliegt. Auf verschiedene Art suchte man die 
Stelle zu emendieren; ich erwähne M. Schmidts ^oO, Mendels- 
sohns loO; ich selbst dachte an ^ei^i tivo(;: denselben Begriff 
hielt auch Gutschmid für angemessen, indem er einfacher 
SttJ^v TOU schrieb.* Auch anderwärts ist in der Überlieferung 
das Indefinitum verkannt worden, wie V 233 Iv <joi ti; ßaaiXeu«; 
ücpcv ßfov &Xeae ^if06{(;, wo Elouöek dies Pronomen an Stelle 
des handschriftlichen xfq herstellte.' 

I 157 aiS^aörjTe, ßpoTof, xov uxepiAefeOY) xal ÜTpeaTov 
oipiviov xxtcn^v, öebv dt^Bixov, S? 7:6Xov oixet. 

Unerschrockenheit wird man kaum als ein angemessenes 
Epitheton Gottes ansehen können, wohl aber kann neben urcep- 
\ksr(i^^^ ein itpeicTo? ^unerschütterlich, unwandelbar' stehen, wie 
Gutschmid vermutet hat. 

I 258 dXX' Sre St; ^oO(o(^ i%\ xufjKxaiv Iv6<x xai Iv6a 

^r<7vu|JLdyYj 4X(f T)q lic* i^iövoq lon^pixio. 

Hier ist nur Hases Konjektur apißpoafrj Te/vv; für das hand- 
schriflliche «[xßpoaft) x^xv?) aufgenommen ; in V. 260 ist h:' Lesart 
von *, wofür W M gibt, um die fehlende Silbe zu ergänzen. 
Am Eingange dieses Verses hat seinerzeit Opsopoeus thj^vuix^vy; 
vorgeschlagen: indes sind die Worte or5[xaffi wovtou ^T)Yvu[jiivi}, 
die man doch syntaktisch verbinden muß, an sich unanfechtbar, 
während bei Annahme von Opsopoeus' Konjektur der Ausdruck 



' Posthorn, m 6, 2ö, 668, V 106, VI 226, 293, VU 260, 584, 656, Vffl 483, 

1X273, X 64,460, Xn367, 466, 666, Xin 12, 190,479, XIV 39. Nirgends 

ist bei Zimmennann eine Variante yermerkt. 
* Mit drei Spondeen wie V. 39 beginnen auch andere Verse dieses I. Baches: 

67 (in der hdsohr. Tradition), 80, 86, 94, 107, 121, 284, 321, 382. 
' Wie ich aus Gatschmids 'recensio* ersehe, hat auch er den richtigen 

SaefaTerhalt erkannt. 

l* 



4 tn. Abhandlung: Rzach. 

o?§|jLa(7t x6vTou sozusagen in der Luft hängt. Man wird die 
Überlieferang um so eher halten können ^ als von der Arche, 
dem o'y.05 OsoTcealOi;, schon früher (V. 226) gesagt wird: xoXXoicr. 
^k x6|xa(Jt Xaßpoi; | pYJYv6{jLevo(; xat vTiX^jxevog^ dtve(X(i>v iwcb ^vKr^q. 

Den metrischen Fehler in unserem Verse, den schon die 
Sippe W zu beseitigen strebte, wird man nicht, wie Qeffcken 
tat, dadurch erklären dürfen, daß man hier einen Hexameter 
mit einem Trochäus an dritter Stelle gelten läßt. Vielmehr 
ist wie anderwärts* ein Wörtchen ausgefallen: ich vermute 
jetzt 6\l-xTi<; Tou Ix' iQt6vo(;. Gutschmids x6t empfiehlt sich (nach 
5x6 in V. 258) wenig. 

I 261 £oTi Se Ttq ^puffv)? iiz i^xsfpoto |X6Xa(vY)q 
i^XißaTov Tavu[ji.Y]xs<; Spoc;, Apapor ^h YJxk&Xxon, 

Längst hat hier Alexandre ti fUr das handschriftliche t(^ 
geschrieben. Aber es fehlt dem dritten Fuße noch eine kurze 
Silbe, die Castalio durch die Schreibung iizl (wie W 260 irzX 
]^6vo( gibt) zu ergänzen suchte. Allein solche Hiate, am Ende 
des dritten Fußes, sind auch den Sibyllisten nicht zuzutrauen. 
Gutschmid dachte an 2(ni 8^ toi 4>puY^Trj? Tt xtX.: indes wenn 
sich auch die Eingangsformel loii de tci vorfindet,' so ist doch 
die geläufigere gori U tk; wie z. B. Hom. B 811 A 711, 722 
Y 293 8 844, oder bei Apollon. Rhod. Arg. A 936 B 360 u. s. ; 
e(jTt 8^ Tt Hom. N 32. Deshalb möchte ich lori 8i ti nunmehr 
nicht antasten und 4>puY^rj<piv vorschlagen, wodurch die noch 
vorhandene Schwierigkeit beseitigt wird. Die Bildungen mit 
^i(v) sind zwar bei den späteren Hexametrikern eine seltene 
Antiquität, aber doch finden wir in den Sibyllinen III 797 
fiv{xa 8r| TudvTwv to teXc^ YaCr^^t y^''^<'^<*' einstimmig überliefert; 
an einer zweiten Stelle VIII 390, wo die beste Klasse Q ou 
Xp7)!^a) Öü5(rj^ f| cTTovS^^ TfjixeT^ptiutv, ou xviarjq |Jiiap^; xtX. bietet, 
hat Alexandre zweifellos richtig u(xeTipif)9iv geschrieben, wogegen 
in ^W bereits die Korruptel Oüaiöv ^J cxovBwv i^jfj.sTep(i)v xs vor- 

* HiefQr habe ich seinerxeit icXi]a9^(xevo( in VorechUg gebracht. 

* In 1235 xat Xsüaa; u^atcov cbceipeatcov icoXu icX^Oo<, wo auch die Annahme 
einer Lftngung des ersten Vokals ron obcetpEa(<üy unstatthaft ist — Tgl. 
I 204 ^i^oLi a]cctpea{(u x^7{ji(i), 224 yf] ^0X0907] | noiva «ccipiaio^ n. a. — er- 
gHnst Gntschmid u. av* a^Etp-oitov noXu icX^Oo;. 

* Z. B. Arat. Phainom. 233. 



Analekt« zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 5 

liegt, die wahrscheinlich darin ihren Ursprang hat, daß man 
jene Bildung mit 91V für einen zu gewagten Archaismus ansah 
and sie lieber durch eine ungeschickte Änderung (-^(j.6Tep(i>v ts!) 
beseitigte. 

® Te^fiTai, 1^ y aXo/o«; ^ia<; Xö-fw oövofxa Sdbaei. 

Diese beiden Verse gehören zu den fünf neuen des ersten 
Baches, die uns Mras aus der von ihm neu entdeckten Sibyllen- 
Theosophie des Cod. Ottobon. Gr. 378 wiedergewonnen hat.^ 
Das zweite Hemistichion des ersten Verses ist vom Heraus- 
geber emendiert (der Cod. bietet 6eoO X6yov u^foroio). Während 
er im zweiten als Lesung des Autors der Theosophie 1^ V aXo/o^ 
^; (xw) X6y(i) oövofxa Swaei (oXo/o? 90)^ = jungfräuliches Weib) 
ansieht, hält er dafür^' der ursprüngliche Wortlaut des Sibyllen- 
verses sei gewesen t^ 8' akoypq ^dq (xal) Xo^w oövofjia Öwaei im 
Sinne von 'die Gattin (Gottes) aber wird dem L. Licht und 
Namen geben, d. h. zur Welt bringen'. Diese Annahme scheint 
mir nicht zuzutreffen. Es kann in den Worten t^ 8' — Stlxiei nicht 
zam zweiten Male von einem 'zur Welt bringen' die Rede 
sein, da zi^&xai schon vorausgeht. Auch die seltsame Stellung 
des xa{ muß Bedenken erregen. Ich möchte mich eher fUr 
die Schreibung i% V* (oder iß* ?) a).o)ro<; ^wToq Xö^w oövopLa Bwaei 
aussprechen 'und die Jungfrau dem Logos den Namen des 
Lichts (= Gottes) geben wird', also ähnlich wie der Verfasser 
der Theosophie (p. 47, 11) paraphrasiert: TouTeoriv it oXoxo? 
(^Mras, Cod. SkaXo^) avOpunro^ tü) Xö-^o) toO OeoO 5vo[ji.a 6; {ay^tysp 
exi^^ffee, nach der Stelle des Matth. Ev. I 23 (nach Jesaias 
VII 14) 80Ü, it wap6^vo^ Iv YÄCTpl i,^ei xal i£§cTat üibv xal xaXdcoüJi tb 
:v5iiÄ 06x00 *E|JL(Aavoui{X, 5 Soii fAeOepfjLtjveuofjLevov ,[X68* tq|jlwv 6 öeo?'. 

Daß fco; im übertragenen christlichen Sinn von einer 
göttlichen Person gebraucht wird, brauche ich wohl nicht aus- 

* Vgl. Mras, Eine neuentdeckte Sibyllen-TbeoBophie, Wien. Stud. XXVIII, 
p. 46 und 59. Die Vene gehören iu die Lücke vor I 324, die Alexandre 
längst konstatiert hat; doch ist durch sie diese Lücke zwischen 323 und 
384 noch lange nicht yOllig ausgefüllt. 

Auch sonst enthält die neue Theosophie wertvolle Behelfe für 
die Kritik der Sibyllinen, da wir auch bisher unbekannten Lesarten in 
den Zitaten begegnen, z. B. I 346 IOvt) 8' iyepouvtoti auiou b^y^f^an. 

' A. a. O. p. 59 Anm. 



6 m. Abhandlung: Rzach. 

einander za setzen: man lese nur das 1. Kapitel des Evange- 
lium Johannis; vgl. übrigens auch Sib. VIII 454 sq. xat ^or/b<; 
6X6ü)v I xapOevou 1% Map(a<; Xa^ovcov ÄviteiXe v£ov ^w^ (von Christas). 

II 13 ^XeuOepowpada B' eorai 

TCXe{ffTot^ Iv [jL6pox£(jffc x«! lepo(j'jX(a vaöv. 

Die Verbindung -scXe^aToi^ ev fjLspoxsaciv muß Befremden 
erregen, da sich der Begriflf von wXetoToq doch offenbar auf 
^X6ü66poxpag(a und UpoouXCa beziehen muß: ^überaus häufig 
findet in dieser Zeit Verkauf von Freien in die Sklaverei und 
Plünderung von Tempeln statt*. Man wird deshalb ohne Be- 
denken der einfachen Verbesserung Qutschmids 7cXs{9tiq ivl 
|jL6p6xeaffi zustimmen. Es scheint, als ob die — vollkommen be- 
gründete — Längung der Schlußsilbe von lv( vor einfachem 
folgenden Nasal ^ die Änderung des ursprünglichen Wortlautes 
veranlaßt habe. 

II 29 %a\ t6t£ 5' eipTjViQ xe ßaöcidc xe juvsat^ icnai. 

Bislang beließ man (joveaiq trotz der auffallenden Länge 
des u im Texte, obzwar anderwärts VIII 452 f^^ xal ouvsok; mit 
regelrechter Quantität vorliegt. In formeller Hinsicht ließe 
sich nun leicht Abhilfe schaffen, wenn man, wie mir einmal 
Nauck brieflich mitteilte, xat 16x1 S' eipu^vt) -c' lorat c6vea(? Te 
ßaOeia umstellen würde. Denn die Länge des ffuv durch oüve- 
yjitx; Orac. Sib. I 308, 390 begreiflich zu machen, geht nicht 
an, da es damit eine ganz andere Bewandtnis hat;' ebenso 
wenig darf etwa XI 208 TeipiSo; i^ apiOfjioO (7üv(«>vu[jiov als Ana- 



^ Die Verbindung hii (lepoicsaaiv findet sich sonst mit LSngung des aus- 
lautenden kunen Vokals in der griechischen poetischen Literatur nicht 
yor, aber lahlreiche ähnliche Fälle; Tgl. Hymn. Hom. III 58, 419, &01 
xaT« {jipoc (Längung in der IV. Hebung), Maneth. III 411 Ik\ (M{p?)9t 
(IL Arsis) ; vgl. weiters das homerische A 76 hn |i.eyapoi9tv (II. A.) und 
von nicht homerischen Beispielen aus jüngeren hexametr. Dichtem: 
Empedokl. Fr. SO, 1 D. ht\ (uXüaaiv (IV. A.), das aach Maximos ver- 
wendet 416 (11. A.), ferner ApoUonios Rhod. A 464 In (jiwotoi (IV. A.), 
Orac. Sibyll. XI 61 hti (uXa6poiat (IL A.), Porphyr. Orao. Append. 3 (ed. 
Wolflf) ivt lutxdLpeaoiv (II. A.), Gregor von Nasiauf II 1, 13, 7, Caill. hti 
|uaaToi9tv (IV. A.). 

* Vgl. meine Schrift 'Neue Beitr. lur Technik des nachhom. Hexam.* 
p. SOsq. 



Analekta zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. « 

logie angeführt werden^ wo durch Alexandre and Volkmann 
längst dcptO(AoTo auvb)vu|AOv hergestellt ist. 

Aber nicht bloß in prosodischer Hinsicht läßt sich hier 
das Wort <rjveai<; beanstanden , auch begrifflich reicht es nicht 
za. In Verbindung mit elp-fyrri ist weniger ouveai; 'Zusammen- 
treffen, Vereinigung^ als vielmehr ein anderer angemessener 
Ausdruck am Platze, den Gutschmid als ursprüngliche Lesart 
ansah, ^uXXudi^, im Sinne von 'Friedensschluß, Aussöhnung^ 
ein Wort, das gerade in der hellenistischen Literatur, wie z. B. 
auch in der Septuaginta, die für die Sibyllisten so vielfach 
stoffliche Quelle war, sehr beliebt ist. 

II 35 Xa[A<];e( ^aip orsfoEvü) Xa\>,T:p^ %apo[Loho^ aorrjp 
Xa|JLxpbg Tca[ji^a(v(i)v dm Oüpavoö «iyXt^cvto? 

Die an sich tadellose Wendung dcnrip XajjLTcpb; rafjupafvwv 
i'in H' steht Xapi^po)^) ist einem bekannten homerischen Muster 
E 6 sq. oLTQip" . . . 5{ Te [xaXiGra Xa(ji.xpbv xapi^afvY^ai frei nachge- 
bildet; allenfalls könnte man versucht sein, auch in der Sibyllen- 
steile 'ka[L%p6^ zu schreiben. Aber der Vers (36) ist nicht in 
Ordnung, da eine kurze Silbe nach wajjLf «(vwv fehlt. Dieser Um- 
stand hat Gutschmid veranlaßt, Xafxi:«^ TuajjL^a^cuaa zu konjizieren, 
wodurch jener Anstoß beseitigt wäre. Ich habe seinerzeit das 
Wörtchen xe beigefügt,^ wodurch Xafjixpc? und wajji^aivwv als zwei 
gleichberechtigte Epitheta verknüpft werden.' Auf Gutschmids 
Vorschlag einzugehen, widerräth der Umstand, daß wir unter 
den neuen Versen des I. Buches, die wir der von Mras her- 
aasgegebenen Sibyllen -Theosophie verdanken,* auch folgende 
zwei vorfinden: 

xat tot' im dt^/ToXft;? aaTr,p Ivl r^ixaffi fJLSaaoiq 
Xa|jLicpb^ TCa|jifa(vü)v dm oupavoSev xpc^avehai. 

Hier kehrt dieselbe Wendung wieder;* und auch Mras 
hat sich entschlossen, nach i:a|ji.faivü)v ein ts einzusetzen. Dagegen 

* Metr. Stud. sa den Sib. Orak. 71, wo ioh auch an jcafji^aeivtov ic£p dachte. 
' Wegen des zulSnigen Hiatas ygl. meine Metr. Stud. zu den Sib. Orak. 

p.48eqq. 

* Vgl. Mras, Wien. Stud. XXVni, p. 46 und 59. 

* Vgl. auch XII 30 oXX' i?cdrav aax^p iravtECxcXo« i^cXioio | Xo4ucpo( ebc* oupa- 



8 III. Abhandlung: R zach. 

wird man sich davor zu hüten haben^ die überlieferte Fassang 
ohne weiteres beizubehalten, da dies an dritter Stelle des Hexa- 
meters einen Trochäus dulden hieße, im Sinne Geffckens; 
ebenso wenig wird man sich mit dem Auskunftsmittel behelfen 
dürfen, etwa mit unerträglichem Hiatus am Ende des dritten 
Fußes dxb o&pavoOev, resp. in:o o&pavou zu schreiben.^ 

II 187 %ai t66' 6 öeffßhrj«; im ojpavoö &p[ka Tcuafvwv 
oOpaviov xtX. 

Den ersten Vers hat Qeffcken seiner Theorie gemäß un- 
verändert im Texte belassen. Ich dachte früher,' die Lücke 
sei durch Einfügung des Wörtchens jxev — wegen fafr) V eictßi? 
in V. 188 — zu ergänzen. Nunmehr halte ich dafür, daß sich 
durch eine bloße Wortumsetzung und geringftigige Änderung eine 
vollkommen befriedigende Lösung der vorhandenen Schwierig- 
keit herbeiführen läßt. Man weiß, wie häufig in unserer arg 
mißhandelten Sibyllentradition einzelne Worte, Hemistichien und 
ganze Verse verstellt worden sind. Ich schlage vor zu schreiben : 

xai tot' ätc oüpavoOev Beorß^TY)? Spp.a TiTafvwv 
oupfltviov xtX. 

Der Ausdruck onc' oupavoOev ist gerade an dieser Versstelle 
den Sibyllisten sehr geläufig, vgl. z. B. in unserem Buche 
II 38, 197. Das Epitheton cupavtcv (zu &p{xa), welches verschie- 
dentlich (auch von mir) Anfechtung erfuhr, kann neben icn 
oupoEv60ev geduldet werden, da ähnliches auch anderwärts nach- 
zuweisen ist: so in diesem Buche II 200: xal 7r6Xov o6pav(ov, 
drcap o6pdviot fojor^pe^ xtX., wo die beiden Worte im selben 
Verse nebeneinander stehen. 

II 227 y.at t6t (^ijlscXCxtoio y.«t dppi^xTou dt5a|ji.avT0<; 

xXeXOpa ':;eXü)pa i;uX(i>v Te ax^XxeuTou A{§ao 
pT}^i(jLevG; 06piT;X piif ag a-f/eXo? eiOu ßaXeiTai. 

So lautet im wesentlichen die Überlieferung, nur hat W xe 
xapT^xTou (für xal ippTJxTou) und weiters dxaXxeu-ou t\ Es sind 
mehrere Versuche gemacht worden, die hier vorliegenden 
Schwierigkeiten zu beseitigen. Ich möchte diesen mit einem 

» Vgl. meine Schrift 'Metr. Stud. sn den Sib. Orak. p. 67 »qq/ 
* Ebenda p. 70 tq. 



AnalekU zur Kritik und Exegpese dor SibylliniBchen Orakel. 9 

neuen Vorschlage begegnen, wobei ich mich auf die Versetzang 
eines einzigen Bachstaben beschränke. Da wir statt dcxaXx€6Tou 
gerade das entgegengesetzte Epitheton bei 'Ai^ao erwarten, lese 
ich i:uXuvi te /aXaieuToO \i^ao ; allenfalls ließe sich aach x^X%e\j^h^ 
hören. Wilamowitz' Umstellang der Schlußworte in den V. 227 
und 228 (äSoEiaovto; und Afdao), so yerlockend sie zunächst er- 
scheint, wenn man die Verbindung (i|JL€iX{xToio yuxi (ippi^KTou \l^ao 
ins Auge faßt, leidet doch an der Schwierigkeit, welche die 
Verknüpfung des Epithetons <i/(xXy.euTou mit dSaixavrc; verursacht. 

II 277 "tfi^ b%6<J0i ic{aTei? t£ äiuTQpvK^aavxo Xaßivrei;. 

Das Wörtchen xe ist hier ein armseliges Füllsel ohne 
jede Existenzberechtigung.^ Beseitigt man es aber, so geht 
der Vers in die Brüche. Meines Erachtens ist ^rforetc an Stelle 
eines anderen Ausdrucks desselben Stammes und gleicher Be- 
deutung etwa als Glosse für ^i(7T£6(jiaT', das ebenso 'Unter- 
pfand der Treue, Bürgschaft' bedeutet, in den Text gedrungen, 
worauf die fehlende Silbe durch jenes in den Sibyllinen so be- 
liebte Verkleisterungsmittel (ts) ergänzt wurde.* Die Ver- 
tausch ung von Worten desselben Stammes, aber von metrisch 
verschiedener Form findet sich auch anderweitig in der Sibyl- 
linentradition vor, wie z. B. bei (rfi\ia or^ixeiov or^pLi^^tov.^ 

III 152 xat xÖTe Bi^ pLtv axouaacv ulol xpaTspoTo Kp6voio. 

Das Pronomen (xiv läßt keine rechte Beziehung zu. Man 
könnte es als Plural (d. i. Kronos und Rhea) oder als Singular 
(Kronos allein) auffassen, was aber unter ixiv oxouaov eigentlich 
zu verstehen sei, bliebe immer unklar. Deshalb dachte Gut- 

^ Ich habe daftlr früher yc yorgeschlagen. 

* Auch fonst deutet das Fehlen einer Silbe auf Ähnliches hin. Der Vers 
XI 271 lautet in den Hdschr. ^( 91X17); fxaii iavti^.?) x^P^^ (x£t£xovTe(; 
die hier Torliegpende Schwierigkeit scheint mir Gutschmid am besten ge- 
heilt SU haben, indem er ^iXirj; durch ^iXottjtoc ersetzte und dann 
^aptv (i-vi{|i.f) umstellte (letzteres auch Mendelssohn). 

* So ist II 188 allem Anscheine nach mit Mendelssohn yoii) S^ iict^t 9t)- 
|i.ii(a tpiaaa sn schreiben für das hdschr. tote aiJjAaxa rpiaoa, da tote 
schon einmal im selben Satzgefüge V. 187 yorangeht; anderseits ist 
XI 26 für hdschr. oy[|i.a 8* l^xai 2xeivci> (jiiya touxou xporclovio;, wie ich 
yermutet habe, nach XII 72 offenbar herzustellen 9T)|i.6iov $' larai 90- 
ßepov Toutou xpaWovrof. 



10 ni. Abhandlung: Rzach. 

schmid, es ließe sich die Stelle heilen, wenn man tm tot* 
o§up(ji.bv schriebe: die Söhne des gewaltigen Kronos hätten die 
Klage der in Bande geschlagenen Eltern vernommen. Indes 
entfernt sich dieser Vorschlag weiter von der Überlieferung 
als die einfache und scharfsinnige Emendation, die seither 
Wilamowitz vortrug: durch Änderung bloß eines Buchstaben 
erzielte er den völlig zutreffenden Ausdruck <pf){jLiv: Mie Titanen 
vernahmen die Kunde von der den Eltern angetanen Unbill*. 
Zweifellos wird man dieser schönen Vermutung den Vorrang 
vor der Gutschmids einräumen müssen. 

III 205 ^pü^e? 5' IxTca^Xot oXoövxat 

Gutschmid schrieb das Adverb IxTca-fXov: denn es soll 
doch des rühmlichen Unterganges der Phryger (Troer) und ihrer 
Stadt gedacht sein. Doch wird man noch einen kleinen Schritt 
weiter gehen dürfen. Unsere Stelle ist das Vorbild fUr XIII 
32, 108 Supot 8' IxTvo-fX' dwoXoövTai. Erwägen wir, daß uns filr 
Buch III die Tradition der Sippe Q nicht zu Gebote steht, die 
dort, wo alle drei Rezensionen nebeneinander vorliegen, wie 
z. B, im IV. Buche, einen erheblich reineren Text vermittelt, 
so läßt sich vermuten, daß auch der Schluß von III 205 
dereinst Jy-^a^X' dzoXoövTai gelautet habe. 

III 207 auT^xa xat Udpctiat Y.ai ^Accupteig iMxb^ fj^et 
wacY) t' AifüTCTW AtßüYj t' rfi' Ai6i6i:eaaiv 
Kap?( Te na|jLf6Xot^ xe xaxbv fjLeTaxtvr^Oijvat 
xal ::avT£ffffi ßpoTOWi. t( 8^ xaö* Sv d^oqf opeüw; 

Die Stelle kehrt XI 53 sqq. wieder, doch ist für den 
Schluß von 209 (nach dem Eingänge von 210) 18' aXXotq xafft 
ßpcTcTai gesagt. Für die Emendation des zweiten Hemistichions 
von 209 ist somit aus jener Nachahmung nichts zu gewinnen. 
Es gelang bisher nicht, diesen Versschluß einwandfrei herzu- 
stellen.* Ich glaube nun, es sei nach naji-^uXei? t£ eine starke 

' Alexandre dachte an xouto; (i.£Taxtv7]072vai : 'deinde pro xaxov vide an xoxbK 
legas, nisi infinitiyns pro aubstantivo samitnr'; er übersetzt 'Pamphyloa 
Caresqae domum matare coactos^. Gutschmids Deutung (Kleine Sehr. 
IV 229) *das Unglück hin und her geworfen su werden' bringt eben> 
falls keine Forderung; auch seine weitere Konjektur xaxoSv fiiia xivijOiJvai 



Analekta zur Kritik nnd Exegese der SibylliniBchen Orakel. 1 1 

Interpnnktion zu setzen. Nach der Aufzählung der einzelnen 
Völker, denen Unheil droht, dürfen wir, zumal es am Schlüsse 
heißt t{ Sy) xoO' Sv Igorfopeuü); eine summarische Zusammenfassung 
der Ankündigung des nahenden Unglücks erwarten. Es ist 
dann vielleicht xaxbv [t.t{a xivYjOetY] | xat xoEvreaai ßpoToTcri zu lesen, 
mit dem Optativ Aoristi im Futursinne nach häufiger sibyllini- 
scher Ausdrucksweise. Der asyndetische Anschluß findet sich 
bei den Sibyllisten wiederholt vor. Auch erscheint xaxov nicht 
bloß einfach wiederholt, sondern der Begriff xaxbv [ki^a reprä- 
sentiert eine Steigerung. Also ^gewaltig Unheil wird auch über 
alle anderen Sterblichen kommen (sich in Bewegung setzen)'.^ 

III 215 6{jLb)(; xal TcovSe ßon^au) 

9ÖX0V %ai Ysvetiv waTäpwv xal Stjfxov dwavTWv 
icavTa 7cepifpa$^ü>q 

Das Schlußwort von V. 216 i'jcavrwv ist unstatthaft. An 
der Eorruptel scheint das unmittelbar folgende izdyzoL mitschuldig 
zu sein. Gutschmid vermutet mit leichter Änderung aicXiQTov. 

in 258 xat üjv dpa -zi^ xapaxouoY), 

f|6 v6|jL<}) T{(jet£ 8(xt;v y) x^pol ßpoTeiai^ 
TQS XaOb>v övrjTOü? xacT) 8(xy] d^aitoXsiTai. 

Denen, welche die Gebote Gottes nicht hören wollen, 
wird Strafe angedroht. Offenbar sind nur die beiden durch 
Tfi eingeleiteten Sätze disjungiert: der Ungehorsame wird ent- 
weder v6{xcj) — nach dem Gesetze — büßen, und zwar durch 
Menschenhand oder, wenn er den Menschen bei seinem frevlen 
Tun verborgen bleibt, durch die (göttliche) Gerechtigkeit seinen 
Untergang finden. Es kann aber nicht etwa eine weitere Dis- 
junktion innerhalb des ersten dieser Sätze, also zwischen v6(jl(i) 
und yjs,pcii ßpoTefai^, angenommen werden. Es scheint vielmehr, 
daß 9J nur interpoliert worden ist, indem man übersah, daß 
dem Begriff Murch Menschenhand' im zweiten Satz Xa6ü>v 



itt mir nicht klar. Uerwerden schlug vor (Mnemos. XIX 357} t^ a^copov 
(UToouvfjO^vat, nm das nach dem Substantiv xoxov adverbiell folgende xaxöv 
SU beseitigen; Qeffcken endlich empfahl xoxov (jiya xotvcoBTJvai. 
^ Wegen der Verbindung xoxov xtvEtv vgl. Sophokl. Oid. Tyr. 636, wo, 
allerdings in anderem Sinne, es heißt: oOS* l^coioxuvsaOe yi\^ \ oOtü) vovouot); 
ISio xtvouvrc( xoxo; 



12 III.AbhandlaDg: Rzach. 

OviQTou? — den Menschen verborgen, also ihnen unerreichbar — 
parallel gegenüber steht. Der ursprüngliche Wortlaut wird 
Xeipeaai ßpoT6(ai? gewesen sein. Gutschmid wollte ^ durch ri; 
ersetzen. 

Zu V. 258, wo -MLi nach einer starken Interpunktion 
in der Senkung des dritten Fußes lang erhalten bleibt vor 
folgendem Vokal, was sonst nie der Fall ist,^ dürfte es einst 
xat lav geheißen haben; die Konjunktionen liv, Srav, &k6xol^ 
werden bei jüngeren Hexametrikern häufig genug in der Arsis 
mit gelängter Schlußsilbe vor folgendem Vokal gemessen, und 
zwar in der IL und IV. Hebung, wohl nach dem homerischen 
Muster Sirrco)? xiv IOdXY)<Jt V 243.* 

III 277 o6$6 (poßr^eei? 

(iOavaTOv ^evsT^pa Oewv ^ravTWv t (ivÖpwxwv 
oüx ^6eXe^ TijjLav. 

Alexandre schlug seinerzeit Oebv itivxwv avöpwxwv vor: 
daß jedoch die Stelle der monotheistischen Auffassung nicht 
widerstreitet, glaube ich durch Hinweis auf den Spruch des 
Xenophanes Fr. 23, ID. £T<; 6s6q, ^v xs öeotai xal devOpcoico'.ai ijlsyi- 
(no^ dargetan zu haben. Wäre etwas zu ändern, so müßte 
man der Konjektur Gutschmids fsveiijpflc 6' Tov xöcvtwv t' dvOpc!)- 
wwv vor der Alexandres den Vorzug geben; ioq wäre hier, wie 
öfter auch in der Sprache der hellenistischen Epiker, für die 
zweite Person — es wird das Volk Israel angesprochen — 
verwendet. 

lU 283 (xXXa au (jl([jlvc 

TUiore'jwv ixe^aXcio 6£o0 orf^diai v5[j!.oiaiv 

6z:r6T£ (jeTo y.apLOv ipObv y^vu Tupb? (pao? apt;. 

^ Vgl. meine Metr. Stad. zu den Sib. Orak. p. 29 sqq. 

' Vgl. ebenda p. bOsq. Ein paar Beispiele mögen angeführt werden: ixv 
bei Archestratos Fr. 23, 1 R. iav iai^rn. Fr. 10, 6 iart Imxtapto; IXOi);, 
Fr. 12,1 Ion l Anthol. Pal. XI 161, 3 iav JfSi] xataXuor];; otav bei Maneth. 
V 42 otav iirixmpa, Orac. Sibyll. I 387 IvOev orav *Eßparot, VUI 87 kxSxjm 
oiov IXOt], XIII140 £awoi otov EXOaxn; 67C($tav in den Orac. Sibyll. I 362 
oXX* ^oTov 'Eßpa{oic, I 377 inotov 'Ai8ü)vio( oTxov, I 392, III 183 iicorov 
ap5tt>v9*, II 5 iicotav Iäi y^«» XI 47 ÄX' iwoiÄV &pEij, XIV 185 &tor«v «PXJ). 
VUI 88 iicdtov iici xu|Mt(7tv IXOt), XI 30 aXX* 6norav aatiip, XI 107, Xm 138 
^ÖTOv ^^t, XIV 320 bs S' 6]coiav h Battt 91X7}. 



AnalekU xur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 13 

Offenbar liegt hier der Gedanke vor: *du aber magst 
jederzeit des gewaltigen Gottes heiligen Gesetzen vertrauen, 
der einst dein müdes Knie aufrichten wird zum Licht'. Dem- 
gemäß kann man Gutschmids einfacher Änderung 5^ izots. ohne 
weiteres zustimmen. In derselben Weise hat Alexandre XII 81 
c^ ^OTS für &k6z& von Q geschrieben, während an der Muster- 
stelle V 29 5(; TCOTs in 4>W unversehrt erhalten blieb. 

III 327 xat xaT avdYXYjv Tcavreg IXeüdsaO' eiq oXeOpov 

So bieten die Handschriften {W ^XeuasvOe); die hier fehlende 
Silbe ergänzte Dausqueius durch Einfügung von t6v; möglicher- 
weise aber stand hier einstens 5v, das dann, weil die Ver- 
wendung dieses Pronomens mit Bezug auf die zweite Person 
Pluralis als unstatthaft erscheinen mochte, gestrichen wurde. ^ 
Gutschmid will die Stelle durch die Schreibung el<; ^XcOpeuaiv 
heilen: doch muß bemerkt werden, daß dieses Substantiv, so 
häufig das Verbum dXo0pe6(i) und dessen Komposita vorkommen, 
bei den Sibyllisten nirgends belegt ist. 

III 330 Toövexa 5yj v£xpä>v -juXu^pY) otjv Y«i«^ iiuo^j^ei, 

X((ji.ou xal XotjAOö uiuo t' I/Opwv ßapßapoOutxwv. 

Während in V. 324 sqq. den Oü^aTsps? Suqjiwv, den Städten 
des Westens und ihren Bewohnern, mit dem bitteren Tage 
des Unterganges gedroht wird, erscheint von V. 330 an ein 
singularisches Subjekt, offenbar Rom, das an der Zerstörung 
des ixi^a? ol%oq dcöavaToto, wie es V. 328 heißt, schuld ist. Man 
erwartet demgemäß einen Vokativ Singularis, sei es auch nur 
in Form eines Epithetons zu dem gedachten Subjekte. Einen 
solchen will Gutschmid im Eingange von V. 331 erkennen, wo 
er für toi»? [a^v, das keinerlei Korrelat besitzt, den Vokativ 

' Vgl. betreffs dieses Gebrauches von o; z. B. Apollon. Rhod. Arg. 1 1383 sqq. 
(oUlocu) xt^ioiit bi TKpX ^ ^ki^a fipraxot uTe; avaxTcav, | { ßty] 9J iWpeT^ Ai- 
ßur^C ecvoc Oryo^ 2p/j|xou; | vija (jieTat)(pov(7]v o<ja x* IvSoOi viqo^ ayE^Os, für ld( 
Apollon. Rhod. Arg. B 332 aXX* tZ aptuvavTC( kaX^ ivt x^P^'^^ iprqjLa | tip-vcO* 
akh^ ax£tvb>icov, Arg. F 267 t( U xev icoXtv 'Opxo(&£voro . . . (i^Tip* l^v o^louasv 
flbcoxpoXtxovte^ TxotaOe Quint. Smyrn. II 467 sq. toCvsxa Sijioxtjto; aicoaxo- 
{A.evai xEXodav^c tarbv 2}C€vruvE76at lojv IvtooOe ^eXaOpcuv, XIII 282 (Jiy)B' e?; 
la Sc6|MiT* ayeaOE, XIII 507 loc« lict v^o« ayEaOe. 



14 III. Abhandlung: Rzach. 

56cvo|jl' einführen möchte, ein Vorschlag, der unzweifelhaft der 
Beachtung wert ist. 

III 638 /.at ßipßapo; apx^ 

'EXXaBa ^opOnJcsi %di7a'^ xal x{ova faiav 
e^apuijet tcXoutoio x,al avrfov et? ^ptv aüTwv 
^.Oü)(jtv /pucjoö TS xal dtpvupo'j etvexev ^crat 
YJ (p'.XoxpTjiJLOCuvrj xaxa woifxafvouca -iröXscTGiv. 

Die seltsame Wendung tuiov« yö^'^^*^ l^apudst icXo'jtoio muß 
Befremden erregen. Qutschmid hat deshalb hieftir tc{ov* (iv' 
alav iqapüCct xaojtoü; in Vorschlag gebracht. Doch wird es 
genügen, den Singular xXoötov herzustellen; das Wörtchen xai 
braucht in der Senkung des dritten Fußes vor folgendem Vokal 
seine Länge nicht einzubüßen, wie uns dies zahlreiche Beispiele 
in den Sibyllinen zeigen :^ demgemäß muß nicht etwa dann xat 
^vavTfov geschrieben werden. 

Qutschmid ging dann noch weiter, indem er den Schluß- 
satz dieser Verse in engere Beziehung zu dem unmittelbar 
vorangehenden zu bringen bestrebt war: er schrieb nämlich 
y,at devrfov et? Ipiv . «Otöv | IXOouatv /puacö Te y,al ap^upou eivex* 
dviaxat xtX. Indes läßt sich mit der Überlieferung hier aus- 
kommen, da der letzte Satz ^<r:ac — xiXecaiv als eine Art Paren- 
thesis aufgefaßt werden kann. 

III 647 auTV) 3' (3[<7xapTO? xal avKJpoTo; Icnai fi-aja 
)^rjpu(7Gcuaa TocXaiva iJLuac? [Jiiapüjv avOpcoxcjv 
xoXXa /p6vu)v iJLTiJxY) xsptTsXXofxivwv eviauTwv 
xeXTaq xal Oüpeou? yoLhouq xajxxoixtXa 0* 5zXa. 
0ü5^ [jL^v Ix ^pupioö ^'i^v« x6<j^6Tat i<; irjpb? aij^p^v. 

Geffckcn hat nach V. 648 eine Lücke angenommen, in 
der, wie er meint, das Subjekt 'die Gerechten' und das Prädikat 
zu den Objekten des V. 650 stand. Dabei beruft er sich auf 
Lactant. div. inst. VII 26, 4. Allein unsere Stelle ist es gar 
nicht, die bei Lactantius gemeint ist, sondern, wie ich längst 
in meinem Apparate angemerkt, die ähnlich lautende spätere 
III 727 sqq.; entscheidend hiefür ist der Umstand, daß es bei 
Lactantius heißt: 'tum per annos Septem perpetes intactae 



^ Vgl. meine Metr. Stad. zu den Sib. Orak., p. 29 sq. 



Analekta lur Kritik and Exegese der Sibyllinischen Orakel. 15 

eront silyae*; vgl. V. 728 kzza y^p6^ti)^ [a^^tq xepiTeXXofjievwv 
IviouTuv, wie denn auch die Grnndstelle bei Ezech. 39, 9 offen- 
bar flir 727 sqq. Vorlage war, denn hier liest man: Ka6aou<7iv 
iy «üTot^ TcOp iicxa Ity; xtX. 

Meines Erachtens fehlt also an unserer Stelle nichts, im 
Gegenteil, wir finden eher ein Zuviel. Der Verfasser der 
Verse 647 sqq. entnahm aus dem auf Ezechiel beruhenden 
Hymnus V. 725 sqq. den V. 649 (= 728), wobei er für seinen 
Zweck iirzd in xoXXa veränderte. Die beiden nächsten Verse 
aber (650, 651) gehören nicht in den ursprünglichen Zusammen- 
hang unserer Stelle, da der Gedanke, die arme Erde werde, 
unbesäet und ungepflügt, viele Jahre lang die Gräuel der frevlen^ 
Menschen verkünden, an sich schon einen befriedigenden Ab- 
schluß des ganzen Abschnittes bildet. Sie wurden wohl erst 
nachträglich im Anschluß an 649, der dem V. 728 entspricht, 
beigefügt, indem man meinte, es mußten nun auch 729 und 
730 noch folgen. Man wird gut tun, die V. 650 sq. in Klam- 
mem zu setzen. 

III 689 xal xpiv^ei' ?;avTa^ TCoXe|jL(j) 6eb^ ifik {xa^a^pif] 
Kai iwpt %a\ U6TW ts xoToxXö^ovTt %ai lorai 
OeTov Sn: o6pav66ev, a^TOcp Xi^oq ifik Yjxka^a 
xoXa^ xai xaXsiCT^. 

Es ist seltsam, daß Gott alle mit Krieg und Schwert und 
Feuer und Regenguß strafen soll. Die beiden Begriffe 'jc6X6(ji.0(; 
and (Adcxaipa sind durchaus synonym. Es liegt nicht zu ferne 
anzunehmen, daß einst xcX^ijlü) als Glosse über [ix/^aipr^ ge- 
schrieben stand und dann an die Stelle eines andern ver- 
drängten Wortes geriet. Welches aber dies gewesen, darüber 
vermag uns die zu Grunde liegende ßibelstelle zu belehren, 
Ezech. 38, 21 xat xpivü) auTov OavaTo) %a\ aT|jLaTi xal usto) ts xota- 
xA'jJ^cvTt xal XWo) x^^öcljif)? xai wOp xal OeTov ßpi^w ^^' auiiv. Da 
sich der Sibyllist ziemlich eng an sein Vorbild angeschlossen 
hat, lautete allem Anschein nach die ursprüngliche Fassung 



^ l&upuov der Hdsehr. ist meines Emchtens unsulässig; am besten scheint 
mir Castalios Konjektur fiiapöiv, das ein so beliebter Aasdrnck bei den 
Sibyllisten ist, dem Sinne zu entsprechen; Meineke schlag (icopcov, Ale- 
xandre |jLf3Li(i>v Tor. 

' So schrieb ich, xp(vei 4>, xpivei W, xpCvi} gibt Gutschmid. 



16 m. Abhandlung: Rzach. 

ym xptveet icivT««; OavaTO) öeb? r^k ixoxatplf). Mehrfach konnten 
aus den biblischen Originalstellen Fehler der Sibyllinenüber- 
liefernng geheilt werden : so z. B. in unserem Buche HI 666 
oinjvtxa y aTav txwvTat, | Ot^aouatv y,6xXü) (öugoügi >t6xXa> <^, xuxXci) 
öi^cwaiv W) TcdXew? {xtapol ßaciX^s«; ] tov 0p6vov a^coO ixaoroq e^^^ 
nach Jeremias 1, 15; ebenso III 706 xuxXoOsv waet Tst/oi; Iwv 
(Codd. ^/wv) wjpb; atöoiJLsvoio aus Zacharias 2, 5; weiters III 794 
(jüv ßp^^eafv T6 8potxovTc{; Si\k icTcCat (Codd. Sixa ^^{ffi) xotixi^fforcai 
aus Esaias 11^ 8. 

III 700 o65' aTsXeüTTjTov, cti xev [jl6vov Iv ^peai öi^yj. 

Für [JLÖvov Iv, das nicht zu halten ist, hat Gomperz elegant 
[Aot Ivl vermutet. Gutschmid hielt den Nominativ \t.b^o^ = *der 
einzige Gott' ftir das ursprüngliche; in diesem Sinne begegnet 
das Adjektiv in unserem Buche III 571 hcaa Ose; ^e fxövoq 
ßouXeuceTai oux dT^Xeora und nach der handschriftlichen Tradition 
auch III 705 (xh-zb^ -^kp (jxexöeaeis jxovoc; jxeYaXworl ^rapacra;. 

III 715 f<8üV ScKO (TTOjJLaTWV Xo^OV a^O'J'^l 5' ^^ Ö|JLVOl?' 

So bietet ^, wogegen in U' mit einer Interpolation aus 
dem vorangehenden Verse aeqouacv ^[ji.aat xsivot? steht. Zu den 
früheren Heilversuchen ^ tritt ein bislang unbekannter Gut- 
schmids, der Xi^ov asiciouct S' Iv üjavoi? schrieb, wobei es doch 
wohl (isfaouatv Iv heißen mUßte. Die Länge des anlautenden <x 
ist der Sprache der Hexametriker seit Homer geläufig, vgl. 
p 519 c? T6 öeoiv 1$ I a£(§T) Bedaux; ^xs' iixsposvTa ßpoToTctv ; so 
bei dem Kykliker IL mikr. Fr. 1, 1 K. "IXiov dsiSw, Hom. 
Hymn. XI, 1 *'Hpr,v dsiSw, XVII, 1 *Ep[jLtjv deloto, XXVI, 1 'Ap-ceixtv 
dt6(3a) usw.* 

III 727 ^,6pü)v oxXa T:opi^c|jL€vot xaTa YotTav äxaaav 



729 x^Xt«^ xat Oupsoü^ xop'jOa; xoc[ji7ro(xiXd 6' 5wXa, 
xoXXd 5^ xat xö^wv tcXy;6uv ßsXitov dx($tov ts. 



* Ich habe hier vermntet Xo'yov l5ii<Jouaiv iv Gjxvois, Buresch Xoyov i^apSoujiv 
Iv &[jLvoi(, Wilamowitz hi. Xoyov a^ouaiv iv G|i.vot; (nachdem seinerzeit schon 
Opsopoeus X<Jyov S^ouaiv 8* ivl G|xvoi? versucht hatte). 

' Vgl. Hartel, Wien. Stud. 16; Schulze, Quaest. epic. SSAsq. 



Analekta zur Kritik and Exegese der Sibyllinischen Orakel. 17 

Am Scfalusse von V. 730 ist ixy.i8(i)v ts eine treffliche Emen- 
dation Meinekes für das anmögliche &S(xa)v xe. Den zweiten 
Fehler, der noch in demselben Verse steckt^ sachte Alexandre 
durch die Schreibung 7:oXXa — TzXffiti zu beseitigen; Geffcken, der 
nach o:cXa ein Komma setzt, hat iicXXa ts rezipiert, was ich für 
keine Verbesserung der Stelle halte. Hingegen darf Gutschmids 
Vorschlag zak-zi (für icoXXa) Anspruch auf Beachtung erheben; 
schon wegen der Ähnlichkeit mit dem im Verse zuvor stehen- 
den xeXT«^ war jener Ausdruck einer Verderbnis leicht aus- 
gesetzt. Nimmt man izoLkzd auf, so sind in V. 729 die Schatz- 
waffen (oxXoc) genannt, '^reXiai, Oupso{, x6pu6e;, im darauffolgenden 
aber die Trutzwaffen xaXTa, to^cjv ßeXecov ax{§(i)v Tckrfidq, ähnlich 
wie in der Grundstelle bei Ezechiel 39, 9 — neben den StcX« 
im allgemeinen und den ^eXiat im besonderen — die xovtoC, 
Tcqo, Tc^e6pL<zTa, ^dß3ct xe(pa>v und Xc-f/oct erwähnt werden. 

III 736 [JLtj x{v£'. KaiJLfltpivav axivr^To; ^ap «iJLsfvwv. 

-^ap^aXtV i% TfLOilTi^' fJLT^ TOI XOxbv OVTlßoXKjOYJ. 

aXX' ^i-/p\) |xt;3* tc/' uTrepi^^^avov iv cmr^Oscaiv 
ÖupLOv irtcep^CaXov, CTs(Xa(; -irpc; a^Ci'fOL xpaTativ.. 

Folgt man der überlieferten Reihenfolge der Verse, so ist 
ripSaXtv i% xciTY)^ wie ein Sprichwort zu fassen* und das Prä- 
dikat aus dem vorangehenden {jly) x(v£i Ka(xipivav zu entnehmen ; 
eine zweite Schwierigkeit liegt in cTsO^a; 1:^0^ (wofür vielleicht, da 
732 TiXaiv' 'EXXa? angesprochen wird, cTsfÄaj e<; mit Alexandre 
zu schreiben ist) aY^va xpotTaiöv, das in intransitivem Sinne 
verwendet wäre. Diese Umstände dürften es gewesen sein, 
welche Gutschmid veranlaßten, V. 737 nach 739 umzusetzen 
und aTßtXat zu vermuten, wodurch 7:ap3aXiv ix xcitt^; Objekt 
zu diesem Verbum wird ; vgl. 734 (ttsT/^ov [jlyj (Ewald, Sr, Codd.) 



^ Dies wäre an sich wohl möglich; denn nicht bloß in V. 736, sondern 
auch anderwärts finden wir bei den Sibjliisten Sprichwörter in den 
Text eingeflochten, so I 370, wo Tu^Xorcpoi oxotXaxcov dem in den Paroe- 
miogr. Gr. I 309 yerzeichneten iu^XoT£pof oxdiXaxot entspricht; VIII 14 
liest man o^ Oeoro (auXoi otXlouvt ib Xetttov oXsupov (vielleicht ist, wie ich 
vermutete, 6^1 Oeoro {jluXoi, aXiouat hl Xextöv aXeupov zu schreiben), vgl. 
Paroem. Qr. II 199 ^l Occüv aX^ouat (ijXoi, aXiouai ok Xeicxa; wegen YIII 409 
OKiCpcüv vvv k &$o>p vgl. Paroemiogr. Gr. I 70 (Zenob. III 66) tU ^^o^P 
omCpctv. 

SilXBBgtbw. d. phlL-Utt. Kl. 166. Bd. 8. Abb. 2 



18 III. Abhandlung: Rzach. 

h:\ TTjvSe ^6Xiv (cbv) (Wilamowitz, (tov) Castalio) Xabv (ißoüXov. 
Mit Recht schrieb Gutschmid ferner, wie auch Barescb, jxi^ toi 
xaxoö (ivTtßoAT(5c7j? für das handschriftliche xaxbv avTtßoXi^<nj<; (Volk- 
mann KI.OCM'f ävTtßoXl^(JYj). 

III 814 cT 8d |x£ K(pxYi<: 

fjLr|Tpc? xai YvwffToTo luaTpb? ^t^cougi S{ßüXXav 
{jLatvcfxevrjV t|;e6crweipav. 

Die Schwierigkeit, welche in dem xat yvwctoio der Hand- 
schriften liegt, erscheint bisher noch nicht behoben : denn Bleeks 
Annahme, es sei wegen Vergils Aen. VI 36 'Deiphobe Qlaaci* zu 
schreiben xal FXauxoio xorpoc;, bleibt sehr problematisch. Einen 
neuen einfacheren Vorschlag liefert Gutschmid: xo^vwaroto %oczp6^. 
Damit würde die Sibylle als die Tochter der Zauberin Kirke 
und eines unbekannten Vaters bezeichnet, also einem wilden 
Ehebunde entsprossen. Es wird dann recht verständlich, daß 
sich die Sibylle gegen die beiden hier erhobenen Vorwürfe ver- 
wahrt, zunächst gegen den der Lügenhaftigkeit (V. 816 sqq.), 
um später (V. 823—827) zu betonen, daß sie in Wahrheit dem 
Blute des 6uSox(|xr^TO(; Mip (Noah) entstamme, der in der Arche 
aus der Sintflut gerettet ward. 

IV 110 xpr^vY)? 3e xaTW ziircoua Ixt ^oiiTti; 

elq 6T€pr,v eu^lf) icpo^'j^eTv x^^^^j ©I* jxexoixo^, 
f<v(xa 8^ norcipa)v 5|jLa56v xoTe Suaasßftjciv 
ßpovral? xai ceiapioTaiv aXbq izexdcei {jieXav uSwp. 

Das Subjekt des Hauptsatzes ist M6pa (in Lycien) V. 109. 
Zu dieser schwierigen Stelle liefert Gutschmid einen neuen 
Vorschlag, indem er üaTapcov ofAiSoiq xcTe Suaceß^eGaiv und dann 
diXb; (wie schon Badt^ für hdschr. oXXo^) ueXacst schreibt.^ 
Er übersetzt die Stelle (Kleine Schrift, ed. Rühl IV 237) 'zu 
der Zeit, wo unter Donner und Erdbeben das Salzwasser den 
unheiligen Versammlungen von Patara sich nähert\ Doch 
macht der Begriff 5]jia3o^ Schwierigkeiten: wir erwarten einen 
bestimmteren Hinweis auf das Apollonorakel von Patara: zu- 
nächst ist $u?7eß{Y;a(v zu halten, wenn man i:e'kiaei schreibt; da- 
von muß ein im Vorangehenden enthaltener Genetiv abhängen : 



Die V. 112 und 113 sind nur in Q überliefert. 



Analekta znr Kritik und Exegese der Sibyllini sehen Orakel. 19 

vielleicht steckt in üaTötpcov OMAAON der Ausdruck OAMOY : 
5Xpi3; ist nach dem Schol. zu Aristoph. Wesp. 238 unter anderem 
*5 Tpfrou? ToO Ax6XX(i)vo?', bei Hesychios (unter bX[ko<;) auch 'tb 
kb rat? uxofXouTtev sxoExspcoOsv xoO.ov', die Höhlung eines Sitzes: 
danach sagte man, wie aus Zenob. III 63 erhellt^' im Sinne 
von 'prophezeien' Iv oaijlw -/.otixaaOat. Demgemäß wäre wohl 
anch hier die Verwendung des Wortes 5X|jLoq mit Beziehung 
auf eine Orakelstätte Apollons nicht unzulässig. Wir könnten 
somit — unter Festhaltung von Gutschmids TzsXdati im intran- 
sitiven Sinne — die beiden letzten Verse so gestalten : 

f//{xa 5tj IlaTapcüv 5X[xou icots 8ücc£ß(tjciv 
ßpoyraT<; xäI c£ic|jloT(jiv * aXb? ^eXacst [jLsXav IjSwp. 

IV 117 T^v(x' Äv dbppoauviDffi iceicotOÖTsq e6(jeß{r|V pi^v 

^{«l^ouctv, OTUYspoüi; Se fovou? TsXdouai xpovT)(ov. 

Längst ist ce (povou; für ctc^öcvou; von Q mit Hilfe von 
rrj^epiv 51 ^dvov der Sippen <1>U'* hergestellt. Am Schlüsse von 
V. 118 gibt die Handschrift H xpovr^wv, die übrigen Codd. der- 
selben Sippe (Q) icpb vr^öiv, während ^W xpivijwv bieten. Ich 
selbst habe Philol. LH 322 xpb vT;oi3 vorgeschlagen und dies 
sah auch Wilamowitz flir das ursprüngliche an. 

Doch scheint mir Gutschmid mit seiner Vermutung xpovi^iw 
*iD der Vorhalle des Tempels' der Urfassung des Versschlnsses 
noch näher gekommen zu sein: es wird hiedurch auch die 
handschriftliche Korruptel wpovriwv und xpivi^wv noch leichter 
verständlich: das I adscriptum am Schlüsse ist zu N geworden. 

IV 192 w fjiaxapt<JTb<; IxeTvo«; Ixt /6ovb; ecdSTat avu^p. 

So lautet die Überlieferung von ü, von welcher wie 
überall im IV. Buche auszugehen ist^ wenngleich in den beiden 
Sippen ^W hier scheinbar glatter ixeivov (doch W wie Q i%&X^oq) 
•' ^ Xpövov iGoexaii ivi^p steht. Vorher ist die Rede von dem neuen 
glückseligen Leben der Gerechten auf Erden. OflFenbar will 
der Sibyllist den glücklich preisen, der da in jener Zeit auf Erden 
weilen darf. Dieser Gedanke wird sich aus der Version 
von U ergeben, wenn man mit Gutschmid Ixei 5q fUr Ixeivo^ 



* Paroemiogr- Gr. I 71. 

' Oder lieber ppovtaif xa\ 9ei9|ioti; &\i? 



20 m. Abhandlung: Rzach. 

schreibt;^ wobei i%ei in temporalem Sinne^ der ihm gelegentlich 
zukommt , aufzufassen ist. Gewiß verdient diese Fassung des 
Verses vor der von ^W den Vorzug. 

V 6 Sv BaßüXwv T^^ef^s, vexuv* S' wpe^e ^iX(wic(i> 
06 Aldi;, oüx *ÄfjLfji.(i)vo<; iLkrflioL (pr^fjLixOivT«. 

Der Dativ 4>ia{t;:(i) ist sowohl hier wie XII 6, wo der 
Vers wiederkehrt, ohne Variante überliefert, d. h. es enthalten 
diesmal alle drei Handschriftenfamilien ÜOW dieselbe Lesart, 
da Buch V nur durch 4>% Buch XII durch Q erhalten ist. 

Der im nächsten Verse enthaltene Genetiv brachte Gnt- 
schmid auf den Gedanken, auch <I>iX{tc^ou zu schreiben, mit 
Interpunktion nach (li>pe^e,' während er in seiner älteren von 
Rühl in den Klein. Sehr. IV publizierten Paraphrase der Sibyl- 
linischen Bücher p. 239 noch übersetzt *und dem Philippos 
gab', somit den Dativ anerkennt. Auf unsere Stelle bezieht 
sich Clemens Alex. Protr. X 96 . . . 'AXs^avSpov tov MoxsSöva 
avaYpa?cvTc<; Osov, ov BaßuXujv f^Xs^Ss vsxpov — leider trägt der 
Wortlaut gerade zu der Entscheidung der in Rede stehenden 
Frage nichts bei. An und für sich würde die Wendung ou 
Aic?, oüx "AfJLiJLwvo? aXr^Oea ^YjjjLt/OevTa gewiß fUr den Genetiv <I>iX<k- 
^ou sprechen, wenn nur nicht das Verbum a>pe^e dringend nach 
einem dativischen Objekte verlangte. Da sich dieses meines 
Erachtens nicht entbehren läßt, wird man beim überlieferten 
Dativ verbleiben müssen. Dagegen fühlt sicherlich jedermann, 
daß die ganze Fassung der Stelle eine eigenartige ist: sie soll 
wohl die Färbung der Orakelsprache an sich tragen. Be- 
sonders seltsam ist die Verbindung vexuv d' djpe^e OiX(tx(^, wo 
doch Philippos lange vor seinem großen Sohne zu den Toten 
gehörte. Für ausgeschlossen halte ich es, etwa in (piXfinn«) den 



' Ich bemerke, daß diese Zeile wie viele andere, in denen eine zweite 
Fassung (wegen der in Q und ^W Torliegenden vielfach differenten 
Überlieferung) festgestellt wird, in Gutschmids Manuskript nachmaU mit 
roter Tinte durchstrichen ward. 

' So muß natürlich nach XII 6 Q auch hier fUr die Korruptelen vlijv (4>) 
und voastv (^') geschrieben werden. 

' Zugleich soll ou Ai^( mV "A^^tn^to^ geschrieben werden, wogegen nebst der 
Tradition von Y 6, XII 6 auch XI 197 spricht: ou ^to{, oux *A|x|jLiuvoi 
aXrfiia rourov ^pouotv. 



AnalekU znr Kritik und Exegese der Sibjllinischen Orakel. 21 

überlebenden Bruder Alexanders Philippos Arrhidaios za er- 
blicken. Wenn von ^Ckncico^ schlechtweg die Rede ist^ kann 
man nur an Alexanders Vater denken. 

Der Parallelvers XII 22, durch Q überliefert^ gibt an 
Stelle von Irl xu{jia, das unverständlich ist, uicb Soup{: da man 
Zweifel darüber hegen muß, ob auch in V 17 die letztere Les- 
art stand y vermutete Qutschmid scharfsinnig l%iari\».<x. Kleo- 
patra, das königliche Weib, entzog sich durch freiwilligen Tod, 
rühmlich fallend, der römischen Gefangenschaft. 

V 86 öfJLoOiq xai Soöig OX^ße-cai x^-JUTSTai ßoüXij 
*HpoExX^ou^ TS Ai6g T€ y.at *£p(X£{ao .... 

In diesen bereits verschiedentlich behandelten Versen 
habe ich seinerzeit als Prädikate Futura Plur. mit passiver 
Bedeatung (und zwar OXf^ovxat, xo^j/exai) verlangt, wie sie bei 
den Sibyllisten so häufig auftreten. Mit xc6eTai begann der 
zweite asyndetisch angefügte Satz: am Schlüsse des Verses 
stand ein Stadtname, der nach Maßgabe der überlieferten 
Buchstaben sich am ehesten als '^ßuSo(; rekonstruieren läßt, wie 
Wilamowitz sah (Gutschmid schrieb 'AßuBr^) : man wird also x6i];£t' 
^A^'j^oq vermuten dürfen. Aber es ist nicht notwendige auch 
in OXißexai etwa mit Geffcken *A6X(ß'.^, in x6x;eTae mit Mendels- 
sohn K6x;o(; zu erkennen: noch weniger angemessen wäre es, 
den zweiten Versteil dann nach Geffckens Vorgang so zu kon- 
struieren: "j^OXißi; K6xT0( Se x 5XoO'/Tai. Wohl aber empfiehlt 
es sich, am Schlüsse des zweiten Verses nach desselben Ge- 
lehrten Vorschlag x6XY;e(; zu ergänzen, was ich auch in Gut- 
schmids Manuskript finde. Es sind die ägyptischen Städte 
'HpoxXeouozoXi^, Ai6axoXi^ und TpixouzoXii; gemeint. Somit dürften 
die Verse sich so gestalten: 

6{xoui^ xat SoÖk; OX^tj'OVTat, x6i];eT' *AßuBo? 

'UpoxXiou^ T€ lioq T€ xai 'Ep(jLe{ao (xöXrje;). 

V 193 xat X0W6TÖV 5t|;ovTai (i66a|ji.ü)v sTvexa Ipvwv. 

Das zweite Hemistichion habe ich durch Umstellung aus 
dem vorangehenden Verse restituiert, nach dem Muster von 



34 



ill. A1)b«ndlun^: RsAuh. 



AcqAoQ 5fj5avÄr/^£rsu, Verkehrt wäre ob natürlich, etwa CTjvr/^ew: 
I 108j 390 in Vergleicli zu ateilen, wie einst Alexandre wollte.^ 
Da wo Doppelformen, die sprachlich hegrilnrlet Bind, zu Gebote 
stehen^ wurden sie dem metriBchen Bedürfnisse entsprechend 
auch von den Sibyllisten verwendet, wie [j-sj^ij-ßplirs; XIV 180, 
aber \U7r,^^pin^ II 195, XI 3, [A^^,pi&p(^v III 36, VIII 321. 

Da also ^ü^Tj/Jo; an unserer Stelle unzn lässig araeheiot, 
habe ich früher l^jCTnayiT^^j geschrieben. Indes wird sich der 
Anstoß auf einfacherem Wege beseitigen lassen^ indem man 
eine Umstellung der Worte vornimmt; TrsKpäi; ^^jj^r^; %}Mi ^^j^f 
^€og, h^d<si TrijjjÄ, Besonders melodisch wird der Vers hiedurcb 
zwar nicht, aber keineswegs schlechter als mancher andere, 
dem wir in der älteren wie in der jüngeren hexametrischen 
Poesie begegnen, ohne daß sich gegen seine Richtigkeit etwas 
sagen ließe.* Ich möL-hte hier eine Anzahl solcher, und zwar 
ans verschiedenen Epochen und Dichtungen anführen^ wo ebenao 
der Eingang durch zwei spondeische Worte gebildet erscheint, 
deren zweites mit von Katur langer Silbe schließt, während 
im dritten Foße zanächst ein trochäisches Wort folgt ^ also 
ganz unserem Verse analog. 

Hom, X 296 "Extcu^ 3' l^-^u TJstv Ivt ffiQi 

r 53 Yvsd]«; y/ ^^^^ ?w-b; lytiq 

ß 356 ahxTt 3' gTiq Mi 

s 236 av3p<r)v ioöXüJv ttösi^s^ 
Hom.Hjmn, ApolL Del. 5 Ar^L 3' oXyi ptipe T;aperl M 
Apoll. Rhod* Arg V 93 tut^^ y ^l^^^Z icatz Iv B^\i.auiv 
Orac* Gr. ed* Hendeß 211, 14 yr^pQl S* oFiust xd^-zz It;" ouSeV 
Maneth. 11 389 piuci ^ KEvtf gu 3* ai-c tj^wy 
Eudok. II 191 otJjTöl \ioipaq 3£v?o(v iiioi tc6Xou 

Dazu kommen Verse, wo der dritte Fuß mit einem ein- 
silbigen Worte anhebt^ wie 



I 



* Vgl. meine Bohtlh 'Neue Beitrage zur Technik des uaßbliotn, Hexäin.V 
p. 80 sq. 

* Vfirse^ wie Sib. Or. VU 10 tJBwp lizai i^ivTft, wo die einlouchtetide Ände* 
rutig (Hilbergs) Sj^avta ohne weit Bf es zu binigon ist, wird man Eicbt 
$X& Faralleleti unführeii dürfen, ebenso weni^ etliche ^ wo die Sotikutig 
des zweiten «poudeiacbon Fuße» durch eine ]>oaitii>nslang6 Silbe gebildet 
wird, wie Hesiod. Erg- 763 tpijj^i) 5^ o{Jtij jcofucav «sA^ürfti. 



I 




Anakktjt zur Kritik und Eiegese der SlbjHim sehen OmkeL 35 

lOrac« Porph. ed. Wolf 81 S<raÄt p.Qpmi ijloi, taa^ot;; \mt^ ot 'AgXguta 
Orac. Sib. XIV 33 xoltffj o?y)v T.cp rpt^v cToiv ^of oSittj; 

^ (nach Lndwichiä richtiger Herstellang). 

W Außerdem kann man aaf manche andere Verse hinweisen, 

wo die Senkung des ersten Spondens dnrch eine positionslange 
Silbe gebildet wird, während die des zweiten eine Natnrlänge 
darsteUt, wie Hom. T 222, X 317, o 212, AnthoL Gn VII 472, 15, 
XI 128, 5 u, a. 

^V 260 [i;Y;«iTt T£(p£o Oüp*bv evl otT^ÖCff^Jt, |JwtxoitpÄ 
' "loySafTq x«p(i(;cra xösXti %6My h^toq Sjxvwv 

VerBchiedene3 ist in diesen Versen, welche in der Über- 
Ueferting nicht miversehrt blieben, bereits richtiggestellt: dahin 
gehört in V. 260 1% das Volkmann aus i^lk^ von '\\ resp. f^ von 
W verbesserte; ferner \idy.a\poi, das Buresch und, wie ich aus 
riTilschmids Manuskript ersehe, auch dieser Gelehrte aus dem 
hdschr. jAÄ/jjiipa von *1> (iiiyxi^Ti »V) restituirte. Aber auch noch 
andere beachtenswerte Vorschläge sind von Gutschmid gemacht 
worden* Am Schlüsse von V. 262 schreibt er teXsc TTtxoör^pLsvov 

■ «Yvo^;, wobei das lidschr. ^sXo;, wofUr Opsopoeus ÜseAc^ vermutet 
hatte, beibehalten wird- Dieser Auffassung kann man sich an- 
ßch ließen ; ich sehe in ayvci die frommen Juden, deren *-i'k'3q 
die angeredete Stadt Jerusalem ist Weiters empfiehlt es sich, 
mit Gutschmid in V. 263 'io^^aiaq (oder 'iov37(T;c) -/ßph^Qa 
TtaXT, rSAiq in den Text zu setzen: ich verweise einerseits dar- 
■ auf, daß es im folgenden Verse 264 beißt xep* 5Y)v yßov^t^ 
anderseits auf die Wendung V 168 7:avT* avMixpi^ tu^ai AätivTSs; 
«tifjc, die vollkommen analog ist. Dagegen kann ich mich mit 
Qutscbmids Fassung des zweiten Hemistichions von V. 261 £|jtbv 

ISi TTi-^oQrjjivov otvfb; nicht einverstanden erklären. Da xiTo^tf 
[Ltic** in beiden V. 261 und 262 an derselben Stelle überliefert 
ist, hat man längst eine Beeinflussung des einen durch den 
andern angenommen, weshalb Alexandre für V. 262 7:£(j)tXY]|j.£vcv 
vermutete. Es scheint mir jedoch wahrscheinlicher, itt^Ckrii^hov 
fl-wös? zusammen mit dem von ^ gebotenen (Jtcvw ('uni deo' Bleek) 
(in V* 261 zu schreiben, zumal hier auch OsioYev^ steht. Somit 
dürfte sich der Zusammenhang so gestalten ; 



22 III. Abhandlung: Rzach. 

XI 63 Ü. Die mit V. 189 beginnende Drohung gegen das 
ägyptische Theben darf man mit V. 192 als abgeschlossen be- 
trachten: unser Vers kann nicht etwa noch dazu gehören. 
Allem Anscheine nach bildet er einen Gedanken für sich: 
Qeffcken, der ein bestimmtes Subjekt zu 5<{^cvTai vermißt, nimmt 
eine Lücke vor dem Verse au, in der jenes gestanden wäre. 
Allein zu diesem Auskunftsmittel wird man erst greifen, wenn 
alles übrige versagt. Bedenkt man, daß vor und nach unserem 
Verse von oberägyptischen Städten und Gebieten die Rede ist, 
unmittelbar vorher von Theben und im V. 194 von Syene, so 
scheint mir Gutschmids %ai Kotctov x6t|;ovTat (er schreibt xotctov) 
sehr beachtenswert: Spiele mit Worten bei geographischen 
Namen sind den Sibyllisten geläufig: ganz ähnlich heißt es 
bezüglich einer anderen ägyptischen Stadt XI 236 xai Toxe ]jic{x- 
fiaOcü) Mepift; icic xoipaveou^iv.^ Das Medium xc^^ovTai mit dem 
Objekte Kciurcv entspricht vollkommen einer passivischen Kon- 
struktion, wo Ko^o; Subjekt wäre: man kann also das im 
Verbum x5'|ovTa( enthaltene allgemeine Subjekt ganz wohl 
gelten lassen. 

V 207 Tfjv{xa Yotp TouTO'jq Tpoxb<; "A^ovo; At^oy-epicTr^^ 
TaDpog •:* ^v Ai§u[ji.ci^ jxecov cüpavbv dtjJi^teXiqf) 



Eine Verbesserung des verderbten toutcj^ ist bisher nicht 
gelungen: xup6e«;, das Geffcken vorschlug, hat er selbst mit 
einem Fragezeichen versehen. Wohl aber verdient Gutschmids 
TpTjToö (oder 'tpr^ibv?) Tpo/ov "A^ovoi; sowohl dem Sinne nach wie 
wegen der leichten Erklärung der Korruptel volle Beachtung. 

V 234 7:avTa xoxü)^ SieOiQxa^ cXov t£ xaxbv xatexAusca^ 

xal hoL aoO xcapicio y.aXat ittj/c^ f|AXa/^Or,sav 

In diesem gegen Rom — ohne daß sein Name direkt ge- 
nannt wird — gerichteten Abschnitte wird es V. 231 als xoxtov 
«pX^ife xai avOpwzoi; [li-^a w^jxa apostrophiert. An unserer Stelle 
gibt ^ xaxiv, U' xantw; (in der nach V. 245 in W vorliegenden 

^ Vgl. sonst lU 863 Uzai xai £a{jio; a(x|AO{, hiixai A^Xo^ aSv^Xo« 1 xai TcüfiY) 
^i(«i, VI II 166 btai x«i 'Ptojji») fOjAJ^ xai AijXo; aöijXo« | xai £a{io$ a{&|ikO^ 
IV 91 xat £z(Aov afX|Ao; xica^av ujc* iJiovEaai xaXut{>£i, | ArpCo; S' oGxIti AfjXo;, 
sor^Xa $£ icovta xs AiJXou. 



AuftlekU Eur Kritik und Exegese der Sibyl liniischen Orakel. 23 

Wiederholung der V. 228—237 steht ßpoidv). Geffeken beließ 
xxxiv ohne Warnangszeichen : allein dann müßte xaxov ein inneres 
Objekt sein, das bei xaxixXujoa; ausgeschlossen ist; als äußeres 
Objekt aber ist 5Xov ts xaxöv geradezu sinnwidrig. Es erscheint 
somit eine Änderung von xoxov durchaus geboten: ich habe 
längst xaXov * vermutet und möchte weiters für oXov das Adverb 
zh^^ setzen. Mendelssohn dachte an SXov le tcoXov. Die pro- 
sodische Messung von xaXov neben xäXa( im nächsten Verse 
gibt zu Bedenken keinen Anlaß.' 

V 236 et? Iptv i^iJLSTepTQv xu^bv äccaia Totöia xpoßaXXou 

Alle Handschriften außer L, wo uarara steht, das auch 
in der Wiederholung der genannten Verse W bietet, haben hier 
acTorra. Hievon ist auszugehen, da ttnona nur eine oberflächliche 
Glättung der Eorruptel darstellt. Beachtet man, daß es gleich 
im ersten Verse der gegen Rom gerichteten Apostrophe (228 — 
246) acTiaTe xai xoxoßouXe heißt, daß ferner in dem ganzen Ab- 
schnitte derlei Apostrophen im Vokativ, mögen sie aus ein- 
zelnen Ausdrücken bestehen oder aus ganzen Versen, in der- 
selben oder doch in ganz ähnlicher Form wiederholt auftreten, 
so wird man die einfache Änderung Gutschmids aaxaTe für 
völlig befriedigend erklären können. So kehrt V. 229 sq. wieder 
als V. 244 sq.; die Wendung xoxöv ifr/yi^i finden wir in V. 231 
und später ebenso in V. 242 (in ersterem Verse überzeugend 
hergestellt durch Nauck); dev^ptoxot; [».i-^a 'Kf,[Loi liest man in 
V. 231, während im Schlaßvers der Partie V 246 als Variation 
dazu devSpaai T^iia erscheint. 

V 246 xXöOi TCtxpa<; ^t^ply;«; Sufftjx^o«;, avSpact irr^iiia 

Die unerhörte Längung der ersten Silbe in §u(7rjX^cc in der 
Senkung des dritten Versfußes ist auch dem schlechtesten Sibyl- 
listeu nicht zuzutrauen, geschweige denn dem Verfasser des fünften 
Baches, welchem wir dasselbe metrische Gefühl zumuten dürfen 
wie dem Sibyllisten des III. Buches, bei dem in V. 566 dx^eu^ei 
xoXipioto Jüotjx^oc; mit ganz regelrechter Messung vorliegt. Ebenso 
liest man z. B. VII 100 SuaixßaTs irupae OaXidotj^ oder VIII 175 



* Wie ich nun sehe, kam Qntschmid anf denselben Gedanken. 

' Vgl. Schneider, Callimach. I 152 sq.; Schulze, Quaest. epic. 129, Anm. 1. 



84 



FFT. Abdaudltjug: RsA<>li. 



},miiM hU^oL^txT/hc'j, Verkehrt wäre ea natürlich , etwa rnttyltii^ < 
I 108j 390 in Vergleich zu stelleü, wiö einst Alexandre wollte.* 
Da wo Doppelforinen^ die epraehlicli begrUodet eind^ zu Gebote i 
stehen f wurden sie dem metrischen Bedarfnisse enteprechend fl 
»nch von den Sibyllisten verwendet, wie i/£<7CTj|ii^p(r^; XIV 180, ~ 
aber li^'w^^^ir^q II 195, XI 3, [UTr^pir^y HI 26, VIII 32L 

Da also Sv^ij/Joc an unserer Stelle anznlässig ereeheint^ 
habe ich früher SjcavxcyjTsu geschrieben* Indes wird sieh der fl 
Anstoß anf eiufacherem Wege beseitigen lassen, indem man ^ 
eine Umstellung der Warte vornimmt: ^ctxfä; o-^\i.riq kXGÖi ^yjr^- 
X^og, iivlpi(7i xijijLÄ. Besonders melodisch wird der Vers hiedarcb 
Äwar nicht, aber keineswegs schlechter als mancher andere, 
dem wir in der älteren wie in der jüngeren hexametrischen 
Poesie begegnen, ohne daß sich gegen seine Eichtigkeit etwas 
sagen ließe,^ Ich möchte liier eine Anzahl solcher^ und zwar 
aus verschiedenen Epochen und Dichtungen anfuhren^ wo ebenso 
der Eingang durch ^wei spondeische Worte gebildet erscheint, 
deren zweites mit von Natur langer Silbe schließt j während 
im dritten Fuße 2unäc!ist ein trochäischea Wort folgt, also 
ganz unserem Verse analog, 

Hom. X 296 "ExTCüft 3' i-^^m tJ01v h\ ^p£a( 

r Ö3 ■'('ioirtt; y/ otou fWTbq iyeiq 

ß 356 ahrr^ 3' k^ Mt 

3 236 av3p(Sv IcjOaöv zq^iIe^ 
Hom, Hyran. Apoll* Deh 5 AK]i:y> 8* oFvj p.{|AV£ ^«pat M 
ApoIL Rhod, Arg r93 %^%%^ y' «i^w^ ^öasi' Iv 5^|AJtctv 
Orac* Gn ed, Hendeß 211, 14 xijpö^ 3* ovxci Trivtic ii: oQSeV 
Maneth, II 389 fj^C^t' xmpou S' aSie z^/ßy 
Eudok. II 191 ÄUTüt ikoipac SeI^äv l|i.ol xoXou 

Dazu kommen Verse, wo der dritte Fuß mit einem ein- 
silbigen Worte anhebt, wie 



* VgL melno Sclirifl 'Neue Beiträge %m Teciinik ä^ nacbhom. Heiam.', 
p. 80 Kj. 

* V(^trfle, wie Sib, On VII 10 CSeyp h-cm -jtiivt«. wo die einleuchtend© Äßde- 
rtmg (Hilbergs) fl^avcct oLtie weiteres äü billigen ist, wifd rnnti uicbt 
als ParaUelcu anfübren dÜrfoa, ebeuso wenig solche , wo die Senkung^ 
des zweiten »pondeischen Fnßo* durcli eine poaitionfilange Silbe gebildet 
wird, wie Heaiod. Erg^, 7fi3 ^TJjtii S' oßit^ JtdjjiTcav ^oXXwtaiu 



AnmlekU zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 35 

Orac. Porph. ed. Wolf 81 Swai [jLopa>a( jxot, liacoi? IJwoi; ae xeXeub) 
Orac. Sib. XIV 33 To{t)v, oTtjv xep •rcpt&tjv eTSsv icapoSdr^? 
(nach Ladwichs richtiger HerstellüDg). 

Außerdem kann man auf manche andere Verse hinweisen, 
wo die Senkung des ersten Spondeus durch eine positionslange 
Silbe gebildet wird, während die des zweiten eine Naturlänge 
darsteUt, wie Hom. T 222, X 317, o 212, Anthol. Gr. VII 472, 15, 
XI 128, 5 u. a. 

V 260 jJLiQX^Tt Tsfpeo Oüpibv evl (rci^Oecai, [MTMUpa, 

'louSaft) ')(apUaaoL xocXy] tcoXi, evOeo^ ijpi.va>v 

Verschiedenes ist in diesen Versen, welche in der Über- 
lieferung nicht unversehrt blieben, bereits richtiggestellt: dahin 
gehört in V. 260 ivi, das Volkmann aus |at^ von O, resp. ft von 
H' verbesserte; ferner idcMLipoL, das Buresch und, wie ich aus 
Gntschmids Manuskript ersehe, auch dieser Gelehrte aus dem 
hdschr. \dr/oup(x von ^ ((jia/aipav ^V) restituirte. Aber auch noch 
andere beachtenswerte Vorschläge sind von Gutschmid gemacht 
worden. Am Schlüsse von V. 262 schreibt er tsXo^ 7?ezoOY]|xivov 
i^vo i?, wobei das hdschr. xdXo;, wofür Opsopoeus öoXoq vermutet 
hatte, beibehalten wird. Dieser Auffassung kann man sich an- 
schließen ; ich sehe in a^vci die frommen Juden, deren 't^Xo^' 
die angeredete Stadt Jerusalem ist. Weiters empfiehlt es sich, 
mit Gutschmid in V. 263 'louSafag (oder 'louSatf;;) "/apUasa 
lucXt; 7:6X1^ in den Text zu setzen: ich verweise einerseits dar- 
auf, daß es im folgenden Verse 264 heißt nspe ar^v x^^^^; 
anderseits auf die Wendung V 168 ttävt' ioLdbapzs. ic6Xt AaTtv(5o<; 
atr^;, die vollkommen analog ist. Dagegen kann ich mich mit 
Gntschmids Fassung des zweiten Hemistichions von V. 261 ifxbv 
i ^sxoOr^iA^vov avOo<; nicht einverstanden erklären. Da xexoOr^- 
luvcv in beiden V. 261 und 262 an derselben Stelle überliefert 
ist, hat man längst eine Beeinflussung des einen durch den 
andern angenommen, weshalb Alexandre für V. 262 xe^tXYipi^voy 
vermutete. Es scheint mir jedoch wahrscheinlicher, icefiXiQfjLevov 
xvOo^ zusammen mit dem von 4> gebotenen {xdvo) ('uni deo' Bleek) 
in V. 261 zu schreiben, zumal hier auch OsioYeveg steht. Somit 
dürfte sich der Zusammenhang so gestahen: 



26 III. Abhandlung: Rzach. 

jAr^y^Tt Tsipeo Ou[i.bv h\ cr^OiCai, (xixaipa 

^w; aY*^^^ c£|Ji.v5v Tc, T£Ao? iCcZoBrifxivov OYvoig, 
'loüBa^Ti; yapUaaoi, xaAYj wdXic, ^vOsoq ujjlvwv. 

V 295 ifi':z vijc; l^iy-XuCouctv i:fAXat; 

Es ist die Rede vom Untergange des Artemisions von 
Ephesos, das nach der Weissagung der Sibylle dereinst jäh 
ins Meer versinken wird wie Schiflfe im Sturme. Der Nominativ 
vYjs; steht nur in ^J', wiihrend <r> v^a^ bietet; in beiden Klassen 
liest man am Versschluße aiWaiz, Bisher folgte man Castalios 
Fassung vtja; ^TcixXO^oüffiv aeXXai^ rfixe habe ich aus dem hdschr. 
rß^ 0T£ von <[> (yjtoi ct£ ^I) eruiert. Aber es muß genauer beachtet 
werden, worauf es bei dem vorliegenden Vergleiche ankommt: 
wenn es heißt 'ApT6[x'.5o; cnrXoc . . tcoO' i^e'zai st^ &Xa 8Tav | wptjvi^,?, 
so erwarten wir, daß die Schiffe, welche dem Tempel gegen- 
übergestellt werden, in dem Vergleichungssatze ebenfalls im 
Nominativ auftreten. Es ist daher vijs; von W empfehlens- 
werter als w^0Lc von <I>; da weiters ^iWai^ einstimmig überliefert 
wird, so lautete der Satz ursprünglich offenbar t^üts vije^ iu- 
y.AülJovTai aiWixiq, 

V 317 alai coi, Kepxüpa, y,a>xYj -jroAi, xauso xwfxr^v 

Die Sippe M' bietet die Lesart Kdpxupa, ^ Kcp^upa, in P 
ist dazu vermerkt: rcw^ Kspxüpa. Vor und nach V. 317 finden 
wir Weissagungen, welche durchwegs kleinasiatische Städte 
und Gebiete betreffen. Es wäre höchst seltsam, wenn mitten 
darunter ein Kerkyra genannt wäre. Man wird hier deshalb 
eine Verderbnis vermuten dürfen, wie sie sich erfahrungsgemäß 
in den Sibyllinen bei geographischen Namen wiederholt ergeben 
hat. Mendelssohn wollte K{ßüpa herstellen. Näher liegt eine 
Vermutung Gutschmids: unweit von Hierapolis, das gleich im 
nächsten Verse erwähnt wird, aber sclion drüben in Karien, 
lag die Stadt Kapcupa: diese ist's, deren Namen an unserer 
Stelle der genannte Gelehrte aufgenommen wissen will. Tat- 
sächlich finden sich unter den Prophezeiungen auch solche, 
wo es sich um minder bekannte und bedeutende Städte han- 
delt, wie gleich in V. 321 Tripolis am Maiandros eine ist. Eis 
ließe sich somit auch von diesem Standpunkte gegen die Re- 



Analekta zur Kritik und Exegese der SibylliniBcben Orakel. 37 

seption von Kdpoupa nichts einwenden. Übrigens dürfte am 
Schlosse des Verses mit Rücksicht auf die Lesart von ^ x^fir^v 
(M* TfM[a\) eher an )uo|i.a)v mit Gatschmid als an xu)ii.ou, wie Ale- 
xandre schrieb; zu denken sein. 

V 324 [xij [L lOeXcuaav IXeiv <I>otßo'j t^jV ys^tovä x^pav 
MfXtjTov xpuf spYjv icKoKsX TCpTjdTT^p wot' dlvcoOsv, 
«vö* wv eDvSTO iTjv ^©{ßoü SoXieaaav aoi8r,v 
Ti^v T6 aofTjv ivSpöv [jLsX^TY)v xat cw^pcva ßouXi^v. 

In der überlieferten Fassung und Abfolge bieten diese Verse 
mancherlei Schwierigkeiten. Zunächst läßt sich mit V. 324 nichts 
anfangen; desgleichen ist V. 327 ohne Zusammenhang. Vor 
dem letzteren statuierte deshalb Wilamowitz eine Lücke des 
Inhaltes: *und (Milet) verwarf (die ßojXi(5). 

Um einigermaßen Ordnung zu schaffen^ nahm Gutschmid 
eine Umstellung von V. 327 vor 324 vor, indem er zugleich 
in V. 324 [xr, eO^Xoucxav schrieb. Damit würde die Stadt, gegen 
welche die Drohung ausgestoßen wird, erst im dritten Verse 
genannt sein, was bedenklich erscheint. Mit Rücksicht darauf, 
daß in der Nachbarschaft Milets das Apollonorakel von Didyma 
lag, somit Milet selbst als Nachbargebiet des ApoUon bezeichnet 
werden konnte, möchte ich vorschlagen, die Verse lieber so zu 
rekonstruieren:^ 

Ti^v TS ao^wv* i^f^pC^y [xeXiTTjv x,ai aco^pova ßouXv 
jxy; lO^Xouaav iXstv dicoXst ::pY;<m5p tcot' avoiOev, 
dv6' wv sTXeTO ttjv ^ofßou SoXoejcav doiSt^v. 

*Milet, des Phoibos Nachbargebiet, welches nicht gewillt war, 
weiser Männer fürsorglichen und besonnenen Rat entgegenzu- 
nehmen, wird dereinst ein Wetterstrahl vom Himmel vernichten, 
weil es Phoibos' Truglied vorgezogen'. Daß auch Hemistichien 
in andere Verse gerieten, ersehen wir z. B. in unserem Buche 
an V. 192, wo der Versschluß dvaiBea Ou|xbv lyoMQOL, wie ich nach- 



' Denke man sieb den Text auf schmalen Kolumnen in Hemistichien ge- 
schrieben, so erklärt es sich noch leichter, daß der zweite Halbvers 
4»o{ßou t^v yeUov« x^9^C* ^^ ®^Q^ falsche Stelle geriet, zumal in der 
Nfthe noch ein anderes Hemistichien mit 4>oißou anhub. 

' oo^v ist Konjektur ron Mendelssohn. 



28 III. Abhandlung: Rzacb. 

gewiesen habe, in der Überlieferang seinen Platz mit dem 
zweiten Hemistichion des nächsten Verses 193 diOioiJKüv elvexa 
ep^cov getauscht hat. 

V 367 f^? yi^vi wXeTo t' «uto;, eXeX TauTr^v Tcapa/p^pL«' 

avBpac t' l^öXiffet tcoXXoü^ jxeYaXoü? te Tupavvoü^ 

Tou^ 5' au 'RZTZtfiyzoL^ avopOworet 8ta liijXov. 

Bei dem ersten dieser Verse hat man offenbar an die 
Einnahme einer Stadt (voran geht Y«"^a, nicht iröXi;) zu denken, 
Rom, die (Nero) der Mattermörder vernichtet, weil er selbst 
ihretwegen verdarb.^ Behält man die Reihenfolge der Verse 
bei, so muß die Erzählung, der inQxpoxTovoi; dtvi^p werde nach 
Vernichtung gar vieler Menschen alle großen Herrscher ver- 
brennen, etwas ungeheuerlich anmuten: außerdem erwartet 
man eine Mitteilung über das Schicksal der eingenommenen 
Stadt. Und so wird der ganze Bericht erträglicher und natür- 
lieber, wenn man mit Gutschmid den V. 369 mit der kleinen 
Änderung TcavTü)? (für TuivTa?) vor 368 setzt : ^ganz und gar wird 
er die Stadt durch Brand zerstören, wie es nie ein anderer je 
getan,* und viele Leute und mächtige Herrscher vernichten'. 
Nunmehr wird in dem Verse avSpac t s^oXecet t:oXXoü; jxsYfltXou^ 
TS Tupivvou; jene Ungeheuerlichkeit vermieden und nichts weiter 
gesagt, als in andern ähnlichen, wie in unserem Buche z. B. 
V 109 TzirzoL^ h\€\ ßaaiXeT? jieYaXoü; y.al ^toxa? ipiorou^, V 380 iciv- 
Ta^ 6[xoÖ t' iXeaei ßaatXeT? rm ^la^ äp((r:oü(;. 

V 395 oüxsTt Y«p TzoL^OL <7oTo tV' t^(; fiXo6pe[i.{jLovo^ 5XTf;<; 

zapO£vty,ai y.oOpai Twp ^vOsov copi^^ouaiv. 

Die Sippe <P enthält die Korruptel i:apa goTo (coQ A) ttjV t^^, 
während M* '::2pa gCko t^<; bietet. Bisher ist eine befriedigende 
Emendation nicht gefunden. Doch scheint mir Qutschmid mit 
dem Vorschlage irapa arot <r/(Ct)<; (besser als Geffckens ^iTpoTq) 

* Diese Auffassung teilt mit Alexsndre' 'qua cecidit quondam rictor quam 
ceperit urbem* auch Gutschmid, der (Kleine Sdir. IV 246) paraphrasiert: 
'er wird die Stadt, um derentwillen er selbst ausgerottet ward, aus- 
rotten*. 

* Denn o08inot* aXXo{ muß man mit Badt in den Text aufnehmen; hi^n^zi 
(oijjcoT* M') aXXo{ 4>H\ ^Koxl SXktt^* Bleek, ^/^Tcoie fiXXoO' Qutschmid. 



Analekta cur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 29 

dem arsprilnglichen Wortlaute nahezukommen. Man könnte 
auch an Tcopa aoc (r/ßfi^ denken. 

V 468 TWtt t6t6 6ü{jLoß5poi jjLspoxs? xaxeBoüat YovYja? 

Xt[xw T6ipc|jL6voi x.ai ISeafxaTa Xai<pa(JCJOVTat. 

Diese Stelle enthält einen gewissen Anklang an Empe- 
dokles Kathar. Fr. 137, 5 D.: 

Qu|jLbv äicoppa(cavTe ^(Xa^ xam aapxa^ Idouaiv. 
Man wird im Hinblicke auf diese Verse das sibyllinische 
8u(jLcß6poc, wofür Nauck tot' dcOscfiic^aYoi und Buresch S* J>(Acßopo( 
▼erlangten, kaum antasten können.^ Denn 0u{xoß6po( ist hier 
'lebenzemagendy lebenzerstörend\ wie bei Empedokles 6u|xbv % 
xzGppaidornZy ein Ausdruck, der auch Kathar. Fr. 128, 10 in ähn- 
licher Verbindung (Oü[i.bv <i7:oppa{cavT£(; ee^jjievai i^ea futa) wieder- 
kehrt. Dagegen läßt sich l$£<7[xata trotz Geffckens Behauptung 
*B£qjur;a ist prädikativ zu f^vija;: als Speise' nicht verteidigen. 
Denn dieser Begriff Speise ist schon in xaidSoudi enthalten und 
überhaupt entspricht die von dem genannten Gelehrten postu- 
lierte Ausdrucksweise dem epischen Stile nicht. Hier wird 
man zur Konjektur seine Zuflucht nehmen müssen: zu den 
bereits bekannten (<xi[Loc:a Mendelssolin, aSfa^aia Klonöek^ l-pcora 
ich) könnte vielleicht noch oL^iaikia hinzutreten. 

V 470 Tcd^/Twv 5' ix (jLeXaOpcov 6i;p£? x,aT£5ouai TpaTCEv^av 

«üTcf T oi(i)vo{ T£ ßpoTouq xaT^Soüfftv 5::avT0t(;. 

Mit auTo( t' ist nichts anzufangen : offenbar steckt in diesem 
Ausdrucke ein Epitheton zu Oi;p£(;, welches diese ebenso als Raub- 
tiere charakterisiert, wie der Begriff Raubvogel in oi(i)vo{ enthalten 
ist. Ich vermute deshalb, es sei a-^pcoi herzustellen. Wir haben 
hier ein belehrendes Beispiel für die in unserer Sibyllinentra- 
dition mehrfach wahrnehmbare Tatsache, daß durch Formen 
des geläufigen Pronomens auTc; da und dort verderbte oder 
nicht mehr richtig verstandene Ausdrücke verdrängt wurden. 

Hiefür mögen außer bereits bekannten Fällen die nach- 
folgenden drei als Belege dienen: 



^ Qatachmid dachte an Ou(jioßop«i> — Xti^u^ TetpofjLEvoi, was ich ftir nnsuläasig 
erachte. 



30 III. Abhandlung: Rzach. 

I 9 fßpaae y*P TT* 

TapTfltpw ipL9ißaXo)v xai (pö? fXüxu a^xb? ßwxev. 

Wenn es am Schlüsse der Aufzählung der Schöpfungsakte 
(V. 9 — 18) im V. 19 von Gott heißt auxb? tocöt ^ Ixoirjcs X6yo> xai 
xa'^* i^tvifir^ \ a>xa xat (i-rpexeo);, so erscheint hier das betonte 
(Ax6q zumal in Anbetracht des folgenden Satzes 53e y«P ice^e'' 
a^ToX^xsuTo? ganz begründet: er ist der Schöpfer des Alls. 
Hingegen ist es auffällig, wenn in V. 10, wo nur einer jener 
Akte, die Erschaffung des Lichtes, erwähnt wird, und noch 
dazu erst im zweiten Teile eines zusammengezogenen Satzes 
ein solches auT6(; auftritt. Dieser Umstand bewog meinen 
Freund Klou£ek, für ^Xuxu aM^ als ursprüngliche Lesart y^^* 
Y.\)<x\)^i<; zu vermuten. Wenn dies Kompositum selbst bislang 
nicht belegt ist, so erscheint es doch ebenso gebildet wie ^Xu- 
^"^iVM ^' ^'' zudem kann ich auf ein vollkommen zutreffendes 
Analogon aus der sibyllinischen Poesie selbst hinweisen, Fragm. 
I 30 ifMou '^huyLu^e^r.ki; iöou (fdoq ^^oya XafJLiceu 

Ein zweiter Fall liegt vor in: 

V 1G3 ciXXi |xev£T(; xav^pYjfjioq oXou<; «iwva? Itc aOiij^. 

So bieten die Handschriften, was bei Geffcken nicht 
angeführt ist:' ohne Nennung des Urhebers schrieb er im 
Texte l<7a(h(;, was in Gutschmids Manuskript steht: gewiß das 
Richtige, nur setzte letzterer vor icari-ziq ein Kolon und wollte 
den nächsten Vers, der, wie längst erkannt ist, eine Doublette 
zu 163 darstellt, nicht aufgeben, indem er ihn folgendermaßen 
gestaltete: laaOTi^ | lactat 6XXu|jt.^vr, , elq auova<; ^ravipYjjxov | cbv cru- 

Endlich sei noch hingewiesen auf 

V 382 xcuxiTt Tt; ^^^sctv roXejj.iS*'^«^ o^^^ ciS-i^pü) 

oü3' «üToTq ßsX^eaaiv, 5 [xr, OdfJii? £ffaeTat «uti?. 



' Für taut* wollte Gatschmid ä4vt (wie konx* lye^ifiri). 

' Hier möge auch eine andere fthnlicbe Ungenauigkeit in Geffckens Ana- 
gäbe richtiggeatellt werden. Der Vera XII 120 lautet in den Hdschr.: 
lotai $' Ix touTcov ia6X^ xal xo(pavo( avilp. Im Texte Geffckena ateht 8* cT^ 
im Apparate tU : h Mdls. AHein die Hdachr. bieten ix, und iU i<t eice 
annehmbare Konjektur, welche ich in Qutachmida Mannakript finde. 



Analekta zar Kritik und Exegese der Sibylliniscben Orakel. 31 

Am Schlüsse von V. 383 gibt U' auToiq. Mendelssohn wollte 
sa Anfang ahi^^ am Ende auToT<; (mit W) geschrieben wissen. 
Noch zutreffender ist, wie ich glaube^ Qatschmids Vermutung, 
der oby aZ tk; ßeXde^atv herstellt, das mit dem Eingang des 
V. 382 xc&xert -ztq korrespondiert. An dem zweiten Hemistichion 
von V. 383y wie es O gibt; wird nicht zu rütteln sein, Mendels- 
sohns auTcU (^r) läßt keine rechte Beziehung zu; anderseits 
ist Qatschmids latoci laaOOcq (IcraOT«;) nicht notwendig. 

V 472 a>X6avö<; ts xoxoO icXr^GOiJaeTai ir, icoX^jxoio 

Hier ist xaxoö (aus hdschr. xaxwv) von Wilamowitz ver- 
bessert; desgleichen 7zo\i[KOio fUr überliefertes xoTa{jLoto von Buresch. 
Doch vermissen wir in V. 473 noch einen Ausdruck, von dem 
;ipx(z^ T6 xai atixora abhängt; diesen sucht Gutschmid durch die 
Konjektur adpxa? ts %a\ aTfjiaT dt^wv ävoi^Tu>v zu gewinnen. 

VII 26 ffXT^ffei 8' dv6p<i[»70iat jjl^y^*^ ^oßov u^j/ia' i8ia6ai 

avOpünccov dXdaouffi y^vy) xxX.^ 

Keiner der bisher unternommenen Versuche, das Partizip 
\ksxpiti3(x^y welches nicht zu halten ist, zu emendieren, kann auf 
allgemeine Zustimmung rechnen : weder Fehrs fx^v xvj;«;, noch 
Herwerdens 7' Ifxxi^qaq oder x{ov' aep-nj«?«;, noch auch Lud wichs 
fyi T:pi{(7a^. Einen neuen einfachen Vorschlag bringt Qutschmids 
piiTptbffa«;. Das Verb [/.tTpow ^gürten' wird, und zwar namentlich 
bei jüngeren Schriftstellern wie z. B. Nonnos, auch im über- 
tragenen Sinne *umgeben' verwendet; ähnlich hier. *Eine Säule', 
80 kündet die Sibylle, 'wird Gott aufstellen in der Höhe den 
Menschen zum Schrecken^ die er umgibt mit gewaltiger Lohe, 
deren Glutstropfen herniederfallend die bösen Geschlechter unter 
den Menschen vernichten sollen\ 

VII 62 Mol ßaOeia 

xXouaouciv yufJL^ai^ Sxt 8y2 Oecv oux evöt;(7av 



^ Von einer solchen von Feaer nmloderten Säule spricht die Sibylle 
n 2S3 . . obv lotoi xat auiou^ | x(ovi icpooicsXdfoEiev , oicou (wofür ich otou 
lese) xcpi xuxXov Sicavta | axötjiaio^ }coia{xb( ^e? (4>, pdtx Huetius, j^uaEi 
Yolkmann, xupivo^ ^ci Wilamowitx, ts ^Ui Y) icupo^. 



32 UI. Abhandlung: Rzach. 

Die Sippe O gibt ßaOsta, W ßaOeiai; ich Labe für ßacBsu 
— als Inhaltsakkasativ zu y-Xaucouaiv — ßapeia geschrieben, das 
als eine im Hellenistischen wenigstens sicher belegte, wenn auch 
seltene hysterogene Bildung eines Neutrum Plurale von dem 
femininen Stamme des Adjektivs anzusehen wäre; vgl. wenn 
man von dem nicht ganz sicheren o^sta xpeixtaav, das sich schon 
in der pseudo-hesiodischen Aspis 348 findet, absieht, Arat. 
Phain. 1068 Ot^Xei« Se ixijXa oder auf einer theräischen In- 
schrift aus der Wende des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. 

1. G. I. M. Aeg. III 330, 95 (Testament der Epikteta) xa |jiiv 
0>5X£ta (Tex.va). 

Eine stärkere Verderbnis erkennt hier Gutschmid. Da 
in allerdings dunkler Redeweise von der 'IXia;; . . xact xomY) xal 
36(7[xopo<; gesprochen wird, will der Gelehrte in jenem hdschr. 
ßaOeia (resp. ßaOetat) einen Flurnamen aus der Iliade sehen und 
nach B 812 aheia y,oAd)vr| iv xeSio) oncaveuOs . . . ttjv Ji toi avSpe? Ba- 
T(£iav (ßaT£tav gibt der Papyr. Oxon. IP bei Ludwich, aus dem 

2. nachchristl. Jahrh.) xixXyjcxouaiv — es ist der Hügel, den die 
Götter GTf\i.a Mupfvr^^ nennen — an unserer Stelle BaTe(a; xXa6- 
joüciv v6|jL(pat aufnehmen. Natürlich ließe sich auch Bartefa; 
mit Synizese des i schreiben, wie Hom. B 537 ^oXüarafüAcv V 
'lorfatav am Schlüsse des Hexameters. 

VII 63 T6p£, cu 8' TQAtxa Xt^'^yj [jlcvy) * E^ccßcwv fap 
div^pia'f /wpYj^ elc cXi'yy; <pp£v{Yj c£ 8toia£t 

In diesen mehrfach beschädigten Versen ist au B' rfhbßjx 
Lesart von 4>, während *!' cu 3' t^X{xov gibt; weiters steht /t^pr^? 
£i; in ^, in W ywpr^ai;; oX{y'»j 9p£viTj bietet ^F, ^XiY^jfav^y; A, die 
übrigen Codd. der Sippe 4> aber dX^Y'') <pav(t]; am Schlüsse von 
V. 64 ist einstimmig ai BioIgei überliefert. Es ist bis jetzt nicht 
gelungen, die Stelle in ganz befriedigender Weise zu bereinigen. 
Meines Erachtens steckt in -^Xi^a, das Geffcken nach Wilamowitz 
mit einem darnach ergänzten (Si^) im Texte beließ, ein Epitheton 
zu T6p£, wie wir solche bei derlei Apostrophen von Städten in 
den Sibyllinen gewohnt sind; ich dachte deshalb an cu SfiiXafy; 
Xcfijnf) fjLÖvY). Auch Gutschmid war ähnlicher Anschauung, nur 
vermutete er ctu S' T^Xi6(a^ X£{'|Tf] [jlövy). 



* Vgl. KUiue Schrift. II 822 (IV 248 Anm.). 



Analekt« cur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 33 

Im nächsten Verse konjizierte Mendelssohn nach Hom. 
t 124 xTQps'ioy^'; indeß führt das hdschr. x^^pri^ ^k (}V X^^^?) 
gewiß eher auf eine Wortform, die Qutschmid Vorschlag, 
XTQpwöetff :* wahrscheinlich ist ans nrspr. XHP0J8C IC durch Um- 
setzung von H und U), indem zugleich 8 in C verderbt ward, 
zunächst Xü)PHC€IC geworden, das dann in XUPHCIC über- 
gieng, welches noch 4'' zeigt, während anderseits durch Miß- 
verständnis daraus xc^pr^^ ei^ von O entstand. Als ein zutreffendes 
Analogen zu unserer Stelle kann ich Herodot VI 83 "Apvo; a^- 
5pwv ixv3p(oOT) anfuhren. 

Das nächste Wort ist, wie Geffcken richtig sah, aus der 
Lesart von W iXfpj fpsvfiQ zu entnehmen, worin offenbar i\i^rr 
f pevCi] 'geringer Verstand' vorliegt, das sich zu (dem bei Gregor 
von Nazianz belegten) ^XcYOfpevdf] ebenso verhält, wie homeri- 
sches hXixfß^'^iTi e 467 etwa zu i)ki^Q<Jxv/lri bei Philippos Anthol. 
Pal. IV 2, 6. Man braucht nicht zu iXi-p]3pav{T2, wie Gutschmid' 
wollte, seine Zuflucht zu nehmen. 

Endlich wird man den Schluß von V. 63, der in den 
Handschriften sinnlos ae 3(c{(7ei lautet, am ehesten durch Mendels- 
sohns dioX^ffOT) (vgl. '^p(OTiQ 3' inzokicari VII 2 nach Alexandres 
Vermutung) lesbar gestalten. E^ dürfte sich somit folgende 
Fassung empfehlen: 

T6p6, cu i* r[kM% Xe(4rtj ja^vyj • euaeß^wv -^kp 
avSpcov xtjpwOsiff* 5Xfpifp6v{r) SioXeact). 

VII 68 ^ TTplv yjoA "/«(tj; TS xal oupovoO a(n£p66vto? 

oudevTiQ^ f ivcTO \6^oq icorpl xv66|JiaT( 0' if^w. 

Die Lesart von O y^^^*® (Iy^vsto ^F) im V. 69 beließ 
Geffcken im Texte, ohne ein Warnungszeichen beizusetzen, 
obgleich sich nach ^eveTö X6yo^ die Notwendigkeit ergibt, die 
Schlußsilbe von xorpC' vor Muta cum Liquida in der Senkung 
lang zu messen, was in den Sibyllinen unzulässig ist. Ale- 
xandre versuchte durch die Schreibung YSfevr^To die Schwierig- 
keiten zu beseitigen. Einfacher aber gestaltet sich Gutschmids 
Emendation ^e,TtSxo, zumal es wenige Verse später 82 &; « 
Xi^ov Y^vvYjffe wati^p heißt. 

> Ebenda 11 828 (IV 248 Anm.); nebstdem x^pc»<'»< (IV 248 im Text«). 

• Kleine Schrift. II 322 (IV 248 Anm.). 

* Xiy^i iuitp( hat Alexandre ans Xo^c^ xatpo« emendiert. 
SittaagBbw. d. yhil.-birt. Kl. IM. Bd. S. Abk. 8 



34 III. Abhaudlang: Rxach. 

VII 141 vu^ Sarai Tzctn-q .... (JiaxpY) vm dhcei^g. 

In den Handschriften ist nach icavTt; eine Lücke vor- 
handen ; in P durch Xekei angedeutet. Indem man annahmi 
daß der Tradition gemäß genau an dieser Stelle ein Wort aus- 
gefallen sei, bemühte man sich das unverständliche anc&tOi)^ am 
Versschlusse zu verbessern : Meineke wollte dhceüOiiJ? *©ine Nacht, 
durch die nichts erkundet werden kann', während Volkmann 
a<p£YY^; Michtlos* vermutete. Allein es kann auch, wie Qut- 
schmid annahm, erst nach xa{ der Ausfall eines Ausdruckes 
angesetzt werden. Wenn man V. 143 sq. liest 6ic6Tav xeTvot flnc6- 
X(i)VTai I vuxTf TS %(x\ Xt[JL(^, so glaube ich auch in unserem Verse 
versuchen zu dürfen: vu^ Senat i:avTY) [xa^pr, vjxi (Xi(jLb<;) dice/öi^?. 
Die Ausdrücke imti^^ und axe/On^^^ sind wiederholt in der 
Überlieferung der Sibyllinen mit einander verwechselt worden: 
60 steht VI 11 in allen drei Handschriftengruppen Xoby icKs^fir^ 
statt ^n:ti^, was Alexandre nach I 204 VIII 301 hergestellt 
hat;* während III 668 wieder statt des hdschr. 'kao^ icxer/ßri 
mit Herwerden Xabv axeiOiJ geschrieben werden muß. 

VIII 9 ... 'ItaXöv xXetvtj* ßadiXeJa a8c(7[xo(; 

ucrdTiov xaaiv 5e{56i tmcml woXXa ßpoToiaiv 
YM xic7;<; yalri^ ovSpcov fjLOX^ou^ BoxavT^aei. 

Die Verwendung des Verbums Sef^ei in diesem Zusammen- 
hange ist zweifellos bedenklich : wir erwarten einen Begriff wie 
* verursachen, bereiten': ich halte TsO^et ftir das ursprüngliche. 
Da Tennis und Media im Anlaute des öfteren in unserer 
Sibyllinenüberlieferung vertauscht ward, ist die Entstehung 
der Korruptel leicht begreiflich: fUr die Ausdrucksweise aber 
vgl. VI 25 t6 90t xaxa ici^jjJiaTa Teufet. Ahnlich hat Mendels- 
sohn in V 82 av0pu>7:ot 8£;avio Oeou; ^uXivsu^ XiOfvou; Te xtX. das 



* In einseinen alten HancUchriften muß die Kormptel ebccxOr) aach eine 
weitere Verderbnis del* vorang^ehenden Worte nach sich gesog;en haben, 
denn in der neuen Sibyllen-Theosophie (ed. Mras, Wien. Stud. XXVIU, 
p. 49) wird das s weite Hemistichion von VI 11 bereits in der Fassung: 
ta\ Sn^ct icXouiov oiax^^ sitiert. 

* Für das handschKftliche 'IraXuJv xXeivfjv ßaviXetav &9ca{iov habe ich seiner- 
seit *l. xXsivfj ßavtXe:!) aOcofio« g^eschrieben: Tielleicht ist noch *IraXto>v 
xXtivtüv hersusteUen, Tgl. xXitvaiv . * . Aaiivwv XII 84. 



Analekta zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 35 

sehr yerdächtige Verbum darch xtd^ocno ersetzt, vgl. später 
V. 84 xal Iv Twpi ^^coveuOma; icon^aavTO. 

VIII 73 XÄ! TÖTS TCsyÖTiicst? wXfltTux6p9upov i^Y^H-övi^cov 

w ßa«Ai? |xeYaXaux£> AaTtvtSo? SxYOve *Pu>{XY]g. 

In keinerlei Weise läßt das überlieferte ^ eine Erklärung 
zu: gemeint ist die tunica laticlavia der römischen Großen, die 
gegen ein Trauergewand eingetauscht werden wird. Es hat 
deshalb Geffcken an ^ä>9(JL' gedacht. Vielleicht aber steckt 
in der Eorraptel etwa ko><;, kontrahiert aus X(oa(;, das in 
übertragenem Sinne auch für ein aus Wollstoff gefertigtes 
Gewand gebraucht sein könnte.^ Indeß ließe sich auch daran 
denken, daß ^(5; auf unverstandenes ^ap zurückgehe, das (nach 
Arkad. 124, 17) bei Herodian II 215, 16 L. (vgl. auch I 394, 21) 
angeführt wird: to Bw dbcb toO Swfxa xai to ^ap to IfjLaTiov at£o xoö 
^ipo^ xat xpT. Analogien für solche Wurzelnomina ohne Sub- 
stantiv-Suffix finden sich in älterer und jüngerer Sprache, wie 
homer. xp^ (= xpiOi^), hesiodisch (Fragm. 236) ßpX oder ßp( 
(= ßpiOti). Die Existenz solcher Gebilde veranlaßte gelehrte 
Dichter zu neuen, selbst unstatthaften Formationen dieser Art, 
wie uns denn von Euphorien (Fragm. 105 bei Meineke, Anal. 
Alex.)" berichtet wird, daß er sogar ^X (= ^Xo;) (mit auslau- 
tendem X!) gebrauchte. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, 
daß jenes f op von dem Sibyllisten des VIII. Buches verwendet 
wurde. 

VIII 88 Tcup^opo? &<JT6 $paxa>v 6ic6T(r/ ItcI xu{jLa(nv IX6t|. 

Für &<r:6 von ^ liest man in W nur -ce. Ein Freund 
MüIIenhofis' dachte an Tcup^opo; 5c7<j£. Den feurigen Drachen 
wird man meines Erachtens hier nicht verschwinden lassen 
dürfen und deshalb kann ich der von Geffcken aufgenommenen 
Konjektur Bureschs Tcop^upeö^ t£ Spoxcov, mag auch in der Apo- 
kalypse Joh. XII 3 von dem Spixcov (xrfa^ Tcupps«; die Rede sein, 

^ V^l. Oo«th6, Faost. Zweiter Teü 6629: Ein Riese steht in Faiutens 

altem Vließe. 
* Strabo VIII 364 Eufop((i>v U xat x^v ^JXov Xffei ^JX; vgl. Apollon. de pron. 

p. 372a; EuaUth. su Hom. p. 217, 6; 295, 2; 666, 36. 
' Siehe Deutsche Altertamsknnde V 1, p. 12. 

8» 



36 III. Abhandlang: Rxach. 

nicht beipflichten. Weit empfehlenswerter scheint mir Qat- 
schmids Tcupcof^po*; xe (xe mit W). 

VIII 91 ^ffü? [xev xoGfxoü To teXo(; xal lo/orov iifjiap 
xat 3ox{(JLO(^ xXiQToT^ %piaiq dOaviToio OsoTo. 

Die Erscheinung des feurigen Drachen kündet das Welt- 
ende und den jüngsten Tag: es naht das Qericht Gottes fiir alle, 
die vorgeladen werden : aber nicht bloß für die ^iusti sanctique', 
wie Alexandre meinte, sondern für die Guten ebenso wie für 
die Ungerechten. Offenbar leidet die Überlieferung an einem 
Gebrechen. Doch wird man kaum mit Geffcken SoxipLf,; xXr^ 
Toi^ *den zur Prüfung berufenen' schreiben, da der Genetiv 
Schwierigkeiten bereitet, sondern einfach S5xi|jlo? als Epitheton 
zu xpfcK;, also ^das Gericht Gottes, durch welches alle Herbei- 
gerufenen geprüft werden, ob sie sich als gut bewäbren\ 

VIII 118 ou xcI)|jLOi? jjLcOuovTS? aOd(j|jLOi;, ou/l Y^opdat^j 
oh <f^6f(0(; xiOapr;;, oü |jly)xx;(y] xoxoepY^^. 

Der Sibyllist zählt alle Dinge auf, die im Jenseits nicht 
zu finden sind, wo die Nacht in gleicher Weise Reich und 
Arm umhüllt.^ Gutschraid wollte nun ohy\ /opstai herstellen, 
offenbar in der Meinung, daß sich der Dativ ohy\ /opeta? mit 
xb)(xoi; [jt.606ovTe(; aOscpioti; nicht in Parallele stellen lassen könne. 
Aber einerseits gehört der Tanz zum Komos, vgl. Aristoph. 
Thesmoph. 989 I-^m ^k xwpiotc; ce ^tXcxcpoict [xiXtj^ü Eutov, & 
Ai6vuce, anderseits finden wir |AeOu(o in noch kühnerer Verbindung 
wie Theokrit. Ed. XXII 98 icXr^YaT; [xsOuwv. 

Hingegen verdient eine andere Vermutung zum nächsten 
Verse, wo Gutschmid im zweiten Hemistichion eu|A rj/avit) xoxoep- 
y6<; als Apposition zu ^Oöyy©; xtöapr,; lesen will, ernste Erwägung. 

VIII 167 ücTfipov ai %a\ STueiTd ve loü; Il^pdac; xaxbv ij^et 
dv6' üXcpr|(|/av(Y)?. 

Dies die Lesart von <^, während M'* «uts xal licctxa ef; 
ITipaa; gibt. Alexandres «3 [xsT^xsiTa xai ei^ Uipaa^ xoxbv ^5« 

^ Ein ähnlicher Gedanke wie hier begegnet schon Theogn. 973 sqq. 

OUÖEI? OVÖptOlCfüV, OV TUOTV* liz\ "^9.101 xaXu<|nf] 

l< I* "Epeßo^ x^'c^ßÜ) ^{i^*^« IlEpae^ovY]^, 
ot>t6 Auovuaou 8b>pov oUipd(uvo(. 



Analekto sur Kritik und Exegese der SibylliDischeu Orakel. 37 

kann nicht befriedigen. Daß die Eorraptel in xai Ereita ^e to6^ 
steckt, sieht Jeder: Gutschmid vermutete hier sehr ansprechend 
ein Epitheton zu D^pffat und schlug in engem Anschlüsse an 
die Lesart von 4> vor: xat li: eu^ap^Tpou; lUpaa^; es bedurfte 
dies, da eOfipeTpo^ nicht belegt ist, etwa der Änderung eu^ap^- 
tpa; — ein Adjektiv vom «-Stamme, das in Sophokles' Trach. 
als Beiwort des Apollon vorkommt. Aus den Sibyllinen selbst 
fireilich läßt es sich nicht belegen : vielmehr finden wir XIV 68 
nep9a^ T6 fapeTpo^ipou^ dKvOponcou^, ähnlich XI 174 9apeTpof6poi t 
l-R Mrfiot^ XIV 175 focpexpofopou^ z ''IßiQpa;. Mit Benützung der 
Lesart oure von ^i* ließe sich deshalb, da bei der vielfach 
wiederkehrenden Wendung xaxbv fi^ei und xoxbv IvvcTat der 
Dativ des betroffenen Volkes oder Gebietes zu stehen pflegt, 
auch an die Fassung denken: iicrrepov ocure (papeTpoföpoi^ Il^paai; 

VIII 235 ty^oq S' oh%i'zi XüYpbv h avOpomoiat ^avsiTai, 

Das auffäUige Xu^pbv der Handschriften hat Hase in Xoixbv 
geändert. Die lateinische Übersetzung der Akrostichis, welche 
bei Augfustinus de civ. dei XVIII 23 vorliegt (* non erit in rebus 
hominum sublime vel altum') belehrt uns nicht darüber, was 
der Interpret an Stelle von Xu^pöv las. Meines Erachtens liegt, 
ähnlich wie im Verse zuvor mit den Worten ha i* Sptj x€5(oi(; 
iTzai auf die Ausgleichung der Höhen und Tiefen in der Natur 
hingewiesen wird, der Gedanke vor, der Tag des Gerichtes 
werde die Unterschiede zwischen Hoch und Nieder unter der 
Menschheit völlig beseitigen. Sollte nicht durch ein Beiwort 
wie Xapiicpöy, das auch mit dem Verbum ^avelToci im selben 
Bilde bliebe, dem Begriffe D^o; ein kräftiges Relief verliehen 
worden sein? 

VIII 325 a&TÖ? aou ßaciXeu; ixißa^ iiA tcöXov eaa^et 

In ^ steht hdr^ii, in Q ^1^' ebaYsi. Die seltsame Länge 
des a in har^ti^ das hier intransitiv gebraucht ist, wie iva^stv 
-koYetv u. a. auch in der Prosa, muß Bedenken erregen. Man 
wollte sie durch den Hinweis auf ein Sepulcralepigramm bei 
Kaibel, Epigr. gr. ex lap. conl. 735, 3 stützen, wo SiaYb) mit 
langem a gemessen wird. Allein der Verfasser dieser Verse 
stammelt nur in gebundener Rede: der erste Hexameter 



38 



III. Abtifttidlunift Ria eh. 



zählt fünf Füße, itii zweiten wird y.6crjjt0'j ^Xaviqv rpsXt-iiv ge- 
messen: kein Wunder, wenn anch im dritten jenes lidrfi»* mit 
der Länge des a erscheint. Auf diese * Analogie* darf man 
sich also ntcbt berufen. Nauck meinte es sei hier liti^utt her- 
zustellen. ^M 

Gleichwohl ließ Geffeken die llberlieferte Fassung im" 
Texte stehen« Man solhc dann frcilieb ersvarten^ daß konse* ii 
quenter Weise* auch XIII 5 xai t« |aIv o^pavti^ ^ Öeb^ aiK5U7av^| 
i%i^Ei I aj^iXku'f p«ct>^Öcrtv xtX. geduldet würde, da doch dem " 
Sinne nach gegen h:dycvi nichts einzuAvenden ist: aber bier^i 
ward Naucks an sieb treffliche Vermutung k^d'^u rezipiert* fl 

Aber vielleicht Iltßt sich der Schwierigkeit durch eine ein* ^ 
fache Wortum&etzung an beiden Stellen begegnen, ein Mittel^ 
das angesichts der schweren Verdorbnisse des SibjUinentextes 
sich bereits in verschiedenen Fällen als vollkommen berechtigt 
und wirksam erwies. Und so möchte ieb VIII 325 oeiitsc üu 
paatAeu; ^larfst ira^kq Im toVacv schreiben; XIII 5 aber hat be- 
reits Gutschmid richtig gestellt durch die Fassung: xai -zk i^h 
o&pivt^g ^ Ö£6q izdyv. aexouffov [ irf(iXkuv ßotfftXiOatv y.zh, 

VIII 337 xal TOT£ ytjpeuasi %6a\t,Q'j ^-lov/EXa TipdxaEvia 
ÄTjp 'X^Xa ©dAaasja fioq Tiupb^ ÄtOo[i,£voto " 
vjoi xiXo«; olyphiot; mi vuE xai ijEJiatTa ^«'^t« 

Im Eingang habe ich in meiner Ausgabe den Vers 3B7, dem! 
eine Lücke vorausgeht, nach III 80 toie o?; «not/^ela %^G7an%i 
yirjpcu^ei T-do-jAöu sowie nach II 206 3W«t tote //jP^'^^^ x5gjjLou ^myßa 
TcpoxavTac, wo schon Castalio das zweite Hemistichion filr band- ' 
schriftlichea otoi/^sTä 7:pc;:avTa -^ä y,6^ixc'j hergestellt Latte^ kon 
stituiert (<I> H* xtjpsüCFct täte ^rivr^E xpövw aroiy/ta ti [toö fügt H' 
hinzu] yiqjio'j). Eine harte Nuß enthält der V* 341, da eine 
vernünftige Konstruktion der überlieferten Worte unnitiglich 
ist: eine Verbindung ä^pa füjffi^pfov ist gänzlich unverständlich 
und unstatthafl. Deshalb vermutete ich, es sei etwa zu schreiben 
atJTÄp dbs' oi>pav6©6v «pwaTT^^piJv xuxXa TregeiTai, vgl IV 57 aurpa 8' 



* So Tftfulif Alexandra, welcher ed.* zu XIII ö bemerkt; 
WyR llceoter prodoeitujr ut in iatkif^ VIlI J*t6*, 



^ 
n 



medmm in 



Analekta zur Kritik and Exegese der Sibjllinischen Orakel. 39 

az oüpavö6£v XeftJ^ei xal xuxXa aeXtJvr^;. Aach Gntschmid nahm 
natürlich an jenem Versungeheuer Anstoß. Er läßt aber das 
iTTpa am Eingänge Subjekt zam vorangehenden Verse sein, 
indem er den V. 339 (xai xöXo; xtX.) noch zu den beiden V. 337 
und 338 zieht und nach Y^ixora TravTa starke Interpunktion setzt. 
Die beiden letzten Verse lauten bei ihm, indem er in V. 340 
an dem meines Erachtens hier fehlerhaft überlieferten dt; Sv 
zi)p ^;ou9i (II 201 richtig dq £v ouppi^^ouai) wenigstens zum Teil 
festhält, folgendermaßen: 

ei^ ^v xCp piJSouffi xai I? pi.op<f>rjV ':iav^pr|[jt,ov 
aaTp\ dTotp oupavöOcv ^wom^ptöv xaXxa xeaevzoLi. 

Es ist nun die Frage, wird man der Verknüpfung des 
V. 339 xa( TCoXo^ xxX. mit den vorangehenden zustimmen können, 
wobei also die Begriffe tcoXo^ oupoevco^, v6^, YjfAdcTa mit den die 
vier Ellemente darstellenden dh^p, '^aia, OaXaaca und (fio<; Tcupo^ zu- 
sammengefaßt als die orot^eva x^afjiou bezeichnet werden, welche 
veröden? Diese Frage läßt sich bejahen; ich verweise auf II 
206 sq., wo es prompt und bündig heißt: 

xat t6t£ /r^peüaet xdapLOU aroi/eta iup6iravTa 
dtrip ^alcL OccXacaa 9ao<; '::6Xo? r^[JiaTa vuxTsq. 

Beide Stellen stehen in offenbarer Beziehung zu einander: 
gewiß las der Sibyllist des zweiten Buches keine Interpunktion 
nach V. 338, sondern erst nach 339. 

Man wird aber auch mit den weiteren Aufstellungen Qut- 
schmids übereinstimmen können, die geeignet sind, in unsere 
in der Überlieferung so mißhandelte Stelle einigermaßen Ordnung 
zu bringen. Wenn er acnpa zum Subjekt des vorangehenden 
Verses macht, so konnte er das mit gutem Grande: denn an der 
parallelen Stelle II 200 heißt es zwar mit dem Subjekte ^(oari^psc, 
aber sonst ganz analog aiap oupivioi ooxrnjpe«; | ei; iv crjppY^^ouat xal 
h V-^P^^i^ :rav£prjjjLov. Und während hier (341) die (püxnTJps? vom 
Himmel fallen^ sind es dort umgekehrt die aorpa (II 202). Somit 
finden Qutschmids Mutmaßungen durch den Parallelismus der 
von mir angeflihrten Stellen willkommene Bestätigung. 

Somit würden die V. VIII 337 nunmehr zu lauten haben: 
xal TÖTe x^peuaei x6a[xou orot/ei« icpöiravT«, 



40 III. Abhandlung: Rzach. 

xal icöXoq o&pavco^ xocl vü^ xat f^fiLora iravxa. 

a9Tp\ iciOLp oupavoOev ^coon^pcov i:a\xk icsveiTat. 
VIII 350 wäffai 8' ivOpclwcwv ^ü^ai ßpO^oücnv iSoÖdtv 

TYpi6(Aevai $(i]/et Xi|xcp Xoi{juü xe fovotg xs. 

Der von mir als Interpolation eingeklammerte Vers ent- 
hält zum Überfloße noch eine Korruptel '^^x^"*} die durch das 
darüberstehende ^^d veranlaßt wurde. Gutschmid erkannte 
darin (j/ux(^^y i<^b möchte noch ein x' beifUgen. Im slav. 
Henoch X 14 B. ist von ^Frost und Eis, Durst und Frieren' 
die Rede. 

Auch das Schlußwort des dritten V. ^övot^ xe kann, wie ich 
schon Götting. gel. Anz. 1904, p. 224 bemerkte, unmöglich richtig 
sein. Aus Lactantius div. inst VII 16, 12 ^adversus homines, 
qui iustitiam non adgnoverunt, saeviet ferrum ignis fames 
morbus et super onmia metus semper inpendens* ergibt sich, 
daß f6ßoi^ zu lesen ist^ worauf übrigens auch ^oßu) im inter- 
polierten Verse hinweist. 

VIII 382 xavxev« ^öjxe^ ^xovxe? a/pKJffxoi^ Swpa StBoOaiv 

xat (b{ {i^y iiLX^ xt{xa(; xoiSe xpi^9t(JLa icdvxa SoxoOvxei; 
6o{vtj xvtaoDvxeq, w; xoT^ tS(ci< vexüeaciv. 

So lautet im Wesentlichen die Überlieferung von ü, dem 
besten Zeugen: 383 ist (I;) von mir eingesetzt worden und 
für xcxe von Ü xide aus U* (xa ^k 4>) aufgenommen ; behält man 
das Partizip SoxoOvxe^ nach Q bei, so muß xal im Eingänge von 
V. 383 gestrichen werden ; schreibt man aber mit ^ W ^oxoOaiv, 
so ist es mit üt; zusammen zu ziehen, was in ^ x' ä>; (Geffcken 
X^) angedeutet ist, während auch 4' xal o); gibt. 

In dem ganzen Abschnitte 361 — 428 ist der Text auf 
der Tradition von Q aufzubauen: die Sibylle verkündet, was 
ihr Gott selbst, in erster Person von sich redend, mitgeteilt. 
Die beiden anderen Handschriftcnklassen 4> U' weisen zum 
Teile eine Umsetzung des Inhaltes der Partie in die dritte 
Person (als Berichterstattung) aus, hauptsächlich von V. 366 
an; dieser Umstand hat zu verschiedenen Mängeln und zum 
Teil zur Zerstörung des Metrums gefUhrt. 



Analekia zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 41 

Ein interessanter Beleg hiefür ist der erstangefUhrtc Vers 
382, wo das erwähnte Verhältnis der Version von Q zu der 
von 4> W zu richtiger Beurteilung der hier auch in Q verderbten 
Lesart und somit zur Emendation der Stelle zu führen geeignet 
ist. In Q liest man icavTeva (M tcoIvt Sv«) ^wts? S/ovreg iyip'f^ 
cTct^ 8ü>pa 8i8oOatv, während ^ luavxec; 8' a^Tou ^o^net; äxpTJaifjia 
!üpa ^ou9(v bietet, was auch in W steht, nur ist hier für 8' das 
Wörtchen ^ap eingedrungen. Wir haben also in 4> W a^ToO 
(Gottes) somit die Beziehung auf eine dritte Person: demgemäß 
wird man nach dem oben Gesagten in Q eine solche auf die 
erste Person — da hier Gott aus eigenem Munde spricht — , 
zn erwarten haben. Es gilt somit unter möglichster Wahrung 
der überlieferten Buchstaben das verderbte wavTeva (resp. Tcavr' 
hoL von M) zu verbessern. Bei den Emendationsversuchen hat 
man bisher zum Teil die Überlieferung von ^ W zu sehr mit 
berücksichtigt oder sich das gegenseitige Verhältnis von Q und 
4> 4' nicht eindringlich genug vor Augen gehalten. So schrieb 
Fehr, dessen Vorschlag sich dem Sinne nach am meisten dem 
Richtigen nähert, Ttivi' 6m ^|xo5 y«P ^X^"^^^} Geffcken %drz h 
efiflwTw ix^vre;, Wilamowitz, auf Grundlage von W, xavra fop 
xjToO l^ovie?; endUch hat Herwerden Tzdrfnvia (pwTs? iyo'fitq ver- 
mutet. Die einfache Lösung, bei der bloß ein Buchstabe zu 
ändern ist, fand meines Erachtens Gutschmid, indem er (auf 
Grundlage der Fassung von Ü) iravc' l|i.a (pwis? v/0Y:e<; schrieb.* 
*Obzwar Alles*, — so verstehe ich den Vers — *was die 
Menschen haben, eigentlich mir gehört, bringen sie es doch als 
Gabe den nichtsnutzigen Götzen dar\ 

VIII 451 eu^pövTi i%[A6pYj &zvo(; e^epoiq Tryeöjxa xai opixi^,. 

So wird der Vers gewöhnlich in den Ausgaben nach ^V 
geschrieben, wo eufpövT) am Ende der vorausgehenden Zeile 
steht, die am Schlüsse eine Lücke enthält. In 4> liest man 
TitiO^ I eufpovYj &1CV0? xtX., wo wiedeinim r^ixp in jener Lücke steht. 

^ Dagegen maß «XF^^^^^f» wofür Gutschmid wie auch Herwerden «XP'i' 
otois schrieb, nach Q stehen bleiben, vgl. 389 Fragm. III 45 Ik* e?$(oXoi9iv 
aXpn^'tott. Gutachmid hat Übrigens in Klammern auch eine Fassung 
auf Grundlage von 4>Y beigesetit, x*^? «utou Ti|jL«i t«8e •^p^9i\Loi äcwt« 
SoxoOot; Tor 883 findet sich in seinem Manuskript eine nachträglich 
durchgestrichene Version icsvta $^ aurou Ix^vtc( axP^^H^' ^P' Ouou9i. 



42 III. Abhandlung: Rzach. 

Zweifelsohne wird man das epische f^piap lieber beibehalten 
wollen und deshalb Gutschmid beipflichten, welcher i^M^ iü9p6vT), 
üxvo<; evepjK; xtX. vermutet; wegen iu^povT) vgl. VIII 486 pLv^sriv 

iu9po(Juvr|(;. 

VIII 460 8£'jT£pa y.al xojptjv auTaY^eXc; ^vvstcs fwvij. 

So liest man in <I^, während W ip/a-fT^^o; Ivveice ^wvet bietet. 
Diese Variante ap'/d-(^eKoq verrät ihren Ursprung, sie entstand 
im Hinblick auf die Nennung des Erzengels Gabriel in V. 459; 
als ursprünglichen Wortlaut wird man mit Gutschmid aOToEf- 
Y£Xo<; — <p(i)vi(5 anzunehmen haben,^ indem zugleich xcupt) ge- 
schrieben wird. 

VIII 491 Ol) Xißavou dtTix^Yjctv aveOstct ^Adya ßo)|Acv. 

Für die angefiihrte hdschr. Lesart schrieb Opsopoeus ax- 
[xcTciv avisiGiv und Alexandre weiter ßwjAwv, statt dessen Geffcken 
ßwjxcT? ('auf den flammenden Altären') vorzog. Dem Inhalte 
der vorangehenden Worte gemäß 

oüTTOTS Tzpoq vr^wv i^uToi? ^wpieaOa xeXal^eiv 
cu ^oi^OK; oxevSsiv, ou5' sü/toXi^ff'. ^spa^pstv 
ouS' i$jxaT(; avOcov xoXuTepwsffiv oh^k piev a^Yai? 
XapiTCT^pwVj (iTap ouS' dp^oT^* dvaOYjpLaci xoff|j^eTv 
müßte zu der Wendung ou Xtßocvou orjjLoTaiv devteTaiv ^Xö^a ß(ofi.(üv 
(ßü)(jLoT<;) des Verbum y.oc:jjL£iv gehören : man solle nicht mit glän- 
zenden Weihgeschenken die Götterbilder schmücken und auch 
nicht mit Weihrauch; der die Flammen der Altäre entfacht. 
Daß der letztere Gedanke wenig mit dem, was unmittelbar 
vorher gesagt wird, zusammenstimmt, wird wohl Jedermann 
zugeben: eher ließe sich der Vers in der Fassung des Opso- 
poeus unmittelbar nach cu$' cu/toXf^at Y£paip£iv vertragen. Des- 
halb hat Gutschmid die verderbten Worte in Xißavou dTixYJfftv 
dvat06ca£tv (^Xo^a ßo)jj!,a)v) geändert 'und nicht mit dem Weih- 
rauchsdampf die Flammen der Altäre entfachen\ Es steht 
dann der Infinitiv dva'.öuac£iv dem y.0Gp.£Tv und den übrigen 
Infinitiven u£Xall£iv a::£vS£tv '^tpaipeiv parallel gegenüber: die 



* Vgl. 1275 OK ?9«' d(jißpoa{rj fpwvii, wo T unrichtig a(jißpoa{T) ^tovrj gibt. 
' So habe ich für das verderbte apa rou; geschrieben. Bei Gatschraid finde 
ich ipaxoX^. 



AnalekU zur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 43 

Wendung avatOuweiv ^Xo^a aber gehört schon der tragischen 
Sprache an. 

XI 71 xa( ce fs XwßYJast [xaXXov icapa xavxa; dXsGJsi. 

Ein dunkelfarbiger grauhaariger 'IvSbg ava^ wird kommen, 
der über den Orient viel Unheil bringen soll in gewaltigen 
Feldschlachten. Dieses Herrschers Wüten wird auch die V. 61 
angesprochene Mrfida -^airi erfahren: dies will wohl unser Vers 
besagen, über dessen Wortlaut man jedoch stutzig werden 
muß. Die Annahme Xcoßv^jei sei ein Futurum Aktivi zu dem 
sonst als Deponens auftretenden X(i)ßo(0[i,ai ist, wie ich jetzt 
glaube, ebensowenig wahrscheinlich, als die, welche in XcoßY^jaes 
den Dativ zu Xcoßtjaig (== Xb>ßT]) sehen will: und wie könnte, 
wenn hier ein derartiges Futurum stünde, der im zweiten 
Hemistichion enthaltene Gedanke so ohne jede Verknüpfung 
angereiht sein? Es ist deshalb im ersten Versteile etwa xa( ae 
VE XwßtJcTjx' aivw^ zu schreiben, ähnlich wie wir im selben 
Buche 201 cutoi; xai BaßuXtava 'jcöXiv XcaßY^^aeTat a!vü)<; finden, wo 
dies Adverb durch Ludwich aus Xoi|/.o) korrigiert worden ist.^ 
Das zweite Hemistichion scheint mir Gutschmid, welcher xa- 
pizav z* ixoXeaaet schrieb, geheilt zu haben. Er würde somit 
der Vers lauten: 

xai ci Y6 XwßT^iorjx' atvwq xapazav t a'SoXesaei. 

XI 76 aXXa iciXtv ^^ei xat Otto ^ufbv odr/hoL OYJaei 

^av lOvo^ xvOpu>xu>v xpaxepcü^ TriXiv, y] Trips; tjcv, 
SouXeOov ßaatXet xat £xou(7(a); uTccTi^ec. 

Nach drei Jahren der Empörung gegen die Herrschaft 
des in V. 69 genannten 'Iv5b; ava^ im Kampfe um die Freiheit 
ändern sich wieder die Verhältnisse. Das Subjekt in uxb liu^b'' 
r>/6va 6i^(7£t ist iciv lOvoq ÄvOpoyffwv, demgemäß muß wie Gut- 
schmid und Buresch sahen, xparepÄc zu xparepw werden: aber 
mit ^;si läßt sich nichts anfangen, da doch hier dasselbe Sub- 
jekt stehen muß, wie in den Versen unmittelbar zuvor (irav e6vc; 
ziTzp-^ctt xat iX£ü66p(r|V a^aM^ei) und im zweiten Hemistichion 
desselben Verses 76. Demgemäß schlug Wilamowitz vor :rcT55et 
zu schreiben, das sonst mit einem Akkusativ der Person ver- 



* Gatscbmid schrieb hier cofifj;, Mendelssohn o^xtpco^. 



in. Abb sind luitg; BK«<^b. 

bunden wird: V lÖ (XII 20) ov Q^fx^ tx^^^iu Näher lieg 
Gulsclimids €t§£t^ zu dem dann das folgende Satzgefag^ 
ganz wobl paßt.* Den Schluß der drei Verse ßa^iAst ääe ixoucttM; 
u7;oTi;£t möchte ich mit Benutzung von Gatschmtds &ar?tXii£ unA 
WilamowitV ^q ur^c^d^u und unter Streichung des behufs ober- 
flöchlicher Gluttang des Metrums nachträglich eiDgesehmu^ 
gelten mt so herstellen: 

Indem man ein Kompendimn filr den Ausgang ov Qbq 
dem Adjektiv übersah^ war dies mit o>; zu. exojuio)^ zusammen 
geflossen. Eine ähnliche Stelle liest man XII ]28£q. dTap %Q(i^ 

XI 174 Äcoyptof t' "Äpaßlw t£ 9ötp£Tpof6poi t' hi Uffioi. 
nip<:ai %al ItxEAol Au8o( t iTcavaön^ffOvtai 

Mitten zwißchen Völkern des Orients und des Ponti] 
erßcheinen hier plötzlich die l{>£koi In den geographische 
Namen weist unsere SlbyllinenUberlieferung oft schlimme Kor-" 
ruptelen aus: so konnte ich XIII 56 aus einer einzigen tland 
»chrift Q das richtige Xavavdoüc eruieren, während sonst Za 
va(quc vorliegt, XIV 265 bieten sämtliehe Codices xat ^ocpel&i für 
Kä5ia£Io?, wie ich restituiert hahcj XII 43 geriet MO.oii statt *Pf,* 
in den Text ü< a* Somit haben wir ein Recht auch hier^ wo Ziv.tl 
ftO gar nicht zu dem Übrigen Wortlaute pußt, eine Verderbnis %ü 
vermuten; allem Anscheine nach steekt darin der Name eine 
orientalischen oder am Pontua wohnenden Völkerschaf tj, etwa d^ 
i^£v3o(, die in Sarmatien am Nordgestade des Fontus hausla 

XI 187 Äotl ^Acv "Apijo^ 

Der Sat£ ist nicht zu Ende, sein Schluß fällt in die hti 
vorhandene Lticke. Am Kingang von V. 188 schrieb Gut- 

1 Üensolben BegrifT U*t Ludwich in dieaeiti Bocbe XI %9 iUd dB« «■ 
deren Korruptel bergestcUt, lodern er für Sploygi'* der UAudichrifWii wchrhi 
n|^i*gtv 0* *ittp nMm paatXiI^ (AiyaOu^iot, dno EmendÄrmn. die «nfftmeiii 
attgeiioßQmeu Ul und die job nun *tteb b»i OiiU<?bmid vtrrfinde». 



AnalekU snr Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 45 

Bchmid Mu^qI; 'Hxs{pu> te: allein dies ist zweifellos abzulehnen, 
da wir es hier mit einer seit alter Zeit geläufigen epischen 
Formel zu tan haben; schon bei Hesiod Theog. 964 liest man 
an derselben Versstelle vi^aoC x' fy:eipQl ts und nachmals hat 
Qointns Smym. XIV 512 dasselbe Hemistichion wieder ver- 
wendet; auch Kallimachos sagt Hymn. Del. 267 z{ov£<; T;xeipo{ t£ 
xal OK reptvaUxe vr^ffot und ähnlich Dionysios Perieg. 1181 ufxsT^ 
s' f|ffe(pc{ xe xal etv dXl */a{psx£ vijaoi : beide haben sich ebenfalls 
an das hesiodische Muster gehalten. Wir werden demgemäß 
in der Sibyllinenstelle diese Wendung nicht preisgeben dürfen. 
Fttr das verderbte xopaxpoK;, wofür ich TpißaXXoig, Geffcken 
*Op^axat^ vermutete, schlug Gutschmid IlepacßoTi; vor. 

XII 54 icoXXa 51 SiQXu>ae( iiA pLOvxoauvYjci {xsy^oxwv 

<]ceu66{xevo^ ßt6xou ^(Jiv^q X^^'^ ' a&x3(p hz ahw 
Ijxai afiiia [i,i^i.T:o'i' icry obpavoO a\[iaz6ecaon 
^euffouvtv <{;exid€{ xal dncoXXu(x^vou ßaatXYJc;. 

Eis ist hier die Rede von Gaius Caesar (Caligula). Die 
mehrfach beschädigte Stelle erfuhr eine erwünschte Förderung 
durch eine schon früher publizierte^ Konjektur Gutschmids 
xEi66(uvo<; in V. 55; daß dies Verbum das richtige ist, wird 
durch das kurz darauf (V. 59) folgende analoge hA (JiavxoauvaiJt 
s€7otO<i;M; erwiesen. Gleichzeitig schlug der genannte Gelehrte 
ii^ioxov statt (jieY£(7Xü)v vor : indeß ist es recht wohl möglich, daß 
dies vielleicht durch Einwirkung von [itfKs^o^i in V. 56 hervor- 
gerufene Wort aus einem anderen hervorging, etwa ixa^oio, das 
von Ik\ jjur/wcuvTjat abhängig war. Von einer ähnlichen Vor- 
stellung ging Mendelssohn aus^ der hier das freilich allzuweit 
von der Überlieferung sich entfernende ^oi^xcov vermutete. 

Nun fragt es sich^ wie steht es mit dem Verbum des 
Satzes? Alexandre wollte irik-^aei geschrieben wissen, indem er 
den Vers frei paraphrasiert Vex multos genere insignes opibus- 
qoe necabit^ allein von Caligulas Schandtaten wird erst V. 58 
berichtet icoXX3e ik i:ovfiaei dKvopia xxX.; desgleichen ist jene Ver- 
mutung formell bedenklich, denn das aktive dYjXdco fUr 8r|Xdc(Aa( 
ist bei den Sibyllisten nichts weniger als gesichert. Gutschmid 
dachte scharfsinnig an SscXoxttjX* von de(X6o[jLat ^furchtsam sein'. 



> Kleine Sehr. IV 260. 



46 




IIL ÄbbHndluiig^ 



einem Verbum, das der Sprache der Septuagiota angehdrt: es 

wrire also von der aberglänbiaclien Furcht des Tyrannen die 
Kede, der seine Zuflucht jeu Prophezeiungen nimmt. Aber 
vielleicht läßt sich 5r,W^£t halten, wenn wir es als iDtransilir 
fassen: 'in raancher Beziehung (zoXhi) wird es sich offenbaren, 
daß Caligula auf Weissagungen ä, B. von Astrologen feat ver- 
traute'; vgh die Wendung tr^olq ^dp Tt in^alyahü^d* ii:^* bei 
Sophokl. Antig. 29» Eine Illustration erfahrt die Stelle durch 
den Bericht des Suetonius im Leben dea C* Caügula Cap, 57 
'consnlenti quoque de genitura sua Sulla mathematicus 
cortissimam necem appropinquare affirmavit. monuerunt et Ft>r- 
tunae Antiatinae, ut a Cassio caveret\ Die Anfangsworte geben 
uns zugleich einen Fingerzeig, wie wir einer weiteren Schwierig- 
keit in anserem Sibyllinenvcrse 55 zu begegnen haben. Denn 
wie 80 11 man sich ßisTSü 5wf;g x^ptv zureeht legen? Hier ist 
des Guten zu viel Meines Erachtens drang eine Glosse neben 
dem zu erklärenden Worte in den Text, wie solches in den 
KibyUinen^ sowohl wie anderwRrls öfters geschah, Ea kann 
wohl keinem Zweifel unterliegen^ daß ßici^j durch X^'^ft^ er- 
läutert ward 5 ist ja doch auch ßtoOv gemeiniglich der helleni^ 
stiscbe Ausdruck flir t;^v. Diese Glosse verdrängte aber auch 
ein Wovtj das man, um den Hexameter äußerlich richtig zu 
Btellen, strich. Welches mag es gewesen sein? Halten wir uns, 
die Nachncht des Snetonius vor Augen und berüeksicbtigeii 
wir weiter j daß bei Maneth. IV 572 ßioxDuxoiro; im Sinne vol 
'die Nativität stellend' vorliegt, so sind wir vielleicht auf de 
richtigen Spur. Es scheint an Stelle von l^t^iffq etwa cäo^cii}^ 
gestanden zn sein, und tatsächlich finden wir wiedemm bei 
Manetho IV 135 ^Ks?:',iiv wpcgxö>LOV vor. Und so spreche ichj 
die Vermutung aus^ daß es hier dereinst ßtsTsti fTA^zi9i: /iptvj 
oder, wenngleich das Wort vorderhand un belegt ist, vielleichl 
ßtot55y.OTC(Y;; yapiv gebeißen habe; letzteres dürfen wir wagen jj 
da es an einem Analogen, dem Substantiv c*)poa7,0TEC3, nicht fehlt 
Endlich ist in V. 57, wie ich längst konstatiert habe, m 
zweifellos unriebttg, ich wollte ea durch swit eraetsst wisßen;" 



* Vgl, I. B. Vni 232, wo 'l*T istXd^lrEt ^io« afX«; ijiXiow bietfin« wäbreaj 
di» beet« Sip^fl Q sowie die Oratio CoDiiant. richtig ^?A£^^ci olXtt^ ^ 
überliefern. 



Analekta zar Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 47 

und 80 hatte auch^ wie ich jetzt ans Gutschmids Manuskript er- 
sehe, dieser anfänglich koDJiziert. Nachmals strich er x und 
fügte einen Spiritus asper und Akzent bei, d. h. er schlug &t 
Yor, dem ich mich nunmehr anschließen möchte. Somit würde 
die Stelle so zu lauten haben haben: 

xcXXa 8e 8Y]X(i)ffst hA |xavToc6vY)<7i ixa-foto 
7e(09|A6vo^ ßt6T0ü oxo7:i^<; yotpi"^' ahxap lic' auTci 
It:ch c^ix« ji^fiorov im oupovou ai|xaT6e(iGat 
f66aouffiv i]/£xa86g 5t' dnroXXüjxevoü ßaciXtjo?. 

XII 65 xiXo'i V I«' avaxTopi icivTe? 

xorcOipievoi 3oX{(i><; toDtov SiaXcoßi^aovTat. 
dtvOouat) xpaTepf) 'Pa)[XY] xpaTSpoi^ öXieTxat. 

Der letzte Vers 67 hat zu mehrfachen Vorschlägen An- 
laß gegeben: so vermutete Alexandre (iv6ou(n)(; %pontpriq 'Pu>(xy); 
Ti^Tztpo^ icep ^XeiTai, Wilamowitz ivOouoY) xpatepo? 'Pwfxrj xpaTepoTctv 
5X£rTat : den Caligula wird indeß der Sibyllist kaum als xf axepo; 
bezeichnen wollen. Deshalb dachte Mendelssohn an dv0o6aY]<; 
xfxrep^? TwjxY)? xporepoT? JioXeTTai. Da aber der Vers so wie er 
überliefert ist; für sich steht, und eigentlich nur eine Rekapi- 
tulation der vorher erwähnten Katastrophe des Caligula dar- 
stellt, wollte Gutschmid ihn mit den vorausgehenden Worten 
in anmittelbare Verbindung bringen, indem er schrieb: av6o6(7r|<; 
xfx:£pf,; 'Pcopnij? xpaTspol icoXi^Tai. Es soll nicht verhehlt werden, 
daß, so annehmbar diese Vermutung an sich ist, doch die sich 
dann ergebende Wiederholung des xoXt^Tai (nach V. 64) einiger- 
maßen auffällig erscheinen muß. 

XII 115 6t(; Zk xb xepjjLa ßku ^zpotfo^ ßaciXeu; jxsYaOufjLo; 

Die Worte betreffen den Kaiser Vespasianus. Der Vers- 
Bchloß von 116 leidet an einem offenkundigen Fehler; es hat 
deshalb Alexandre xporep^^ ux' dvÄ-ptr^*; vermutet, ein Versschluß, 
der schon Hesiod. Theog. 517 vorliegt. Indes meine ich nun, 
daß man den vorausgehenden Verbalbegriff ^easTai besonders 
beachten muß: darin liegt offenbar der Hinweis auf gewalt- 
samen Tod, wie vorher XII 47 xal TÖxe 5y] •jr^csTat 7:Xy;y6i<; «lOwvi 
cidi^ oder XIV 125 o&to^ V au ^^asTat ^poScOei^ aiOcovi ci$/jp(i>. 



48 III. Abhandlung: Rsach. 

XIV 242 xal Ti-ce 8' oüi weaetat ßa(jtX6ü<; arpariij^ incb x^V^?- ß®' 
achten wir, daß Vespasian vorher V. 99 als e&aeßdoiy dXe'c^ip 
lii-^oL^ (iv$p(5v bezeichnet wird^ was auf seinen jüdischen Feldzag 
geht (vgl. 102 sqq.), daß ferner der Bezwinger Jerusalems, 
Titas, nach dem sibyllinischen Berichte XII 122 gewaltsamen 
Todes stirbt — cuioq xainceasiai 8oX(a){ . . . ßXY]6el^ 8' Iv ^anziit^ 
•PwjjLrj^ dcfJupi^xeV xolKym — so wird es begreiflich, daß der Sibyl- 
list auch den Vespasian der Geschichte zum Trotz keines 
natürlichen Todes sterben läßt: das Schlußwort von V. 116 
war vielleicht avap/o^» wornach der Kaiser durch die eigenen 
meuterischen Krieger sein Ende gefunden hätte; vgl. XIV 242 
orpaTtTj^ uicb yj,ip6c, 

XII 143 S<; TCept izd^na 

woXXcü? eSoX^cet 'P(»)|jly;<; acTaTOu? xe woXkot^. 

Dies ist die Lesart der Hdschr. H, dcreiTou? gibt V, 
aGT&u^ Q. Naucks Konjektur i^rzohi; 'noki-fyzoL^ hat Beifall ge- 
funden. Einen neuen Vorschlag bringt Gutschmid unter Be- 
zug auf das in Cod. H vorliegende daraTou?, indem er xoXXou^ 
.... dxaxou«; xe ^oXhoc^ schreibt; ich habe hierauf bereits in 
den Götting. gel. Anzeig. 1904 p. 215 kurz hingewiesen. 

XII 172 eip^vY) 8^ piaxpa ^erf^azzai 

So liest man in Q: hiefÜr hat Geffcken (mit Buresch) 
üp-fyi-ri \>jon^h ik Ycvi^ceTai in den Text gesetzt, nachdem längst 
Alexandre, das Se an der überlieferten Stelle beibehaltend, (li- 
Kaipa geschrieben hatte ; hicA)r kann man sich auf XI 259 be- 
rufen, wo gleichfalls (jiay.pa für (xaxaipa geschrieben ist (xdrs aoi 
7:dX(, -^aia (/.axpa, im Hexameterschlusse). Es entsteht die Frage, 
ob das Epitheton [txtfuxtpa bei eip^v] zulässig ist. Die Sibyllisten 
sprechen von einer eipi^viQ (jteYiXif], die sich weithin über die 
Lande erstreckt, wie III 755 XI 79 XIV 22; von einer e}Jprfyir^ 
ßaOeia (ßaOeir,) XI 237 XII 87 ; aber auch von der €tp^,vr, y«>^^- 
vi;, also dem heiteren, beglückenden Frieden, III 367: 
man wird zugeben müssen, daß dann auch eipi^vv) (jiixatpa, der 
beseligende Friede, keine fernabliegende Wendung ist. Da- 
zu kommt, daß etpi^^vY) iJiaxpi sonst nirgends bei den Sibyllisten 
vorliegt. 



Analekta cur Kritik und Exegese der Sibyllinischen Orakel. 49 

XII 291 [xovot S' lic(xept|;iv Sdovxat, 

oT Oebv doxT^aoüci xat e!8ü)X(i)v IXaOovxo. 

E^ nützt nichts y wenn man mit Alexandre am Schlüsse 
von 291 schreibt iin Tdp<|;(v (iTctTep^iv H) Saovrai; der seltsame 
Ausdruck bleibt nach wie vor bedenklich: es darf daher Qut- 
schmids Vorschlag dTctTsp^Bi^aovTat Anspruch auf Beachtung 
erheben. Auch im nächsten Verse versuchte der genannte 
Gelehrte das auffllllige IXaSovxo zu verbessern, da man hier 
eher einen Futurbegriff erwartet: und so las er xal £!$a>Xo)v 
Ik AaOotvTo mit Optativ im Sinne des Futurs nach sibyllini- 
scher Art. Es wäre dann wohl nur XeXaOoevTo herzustellen; 
ähnlich habe ich I 44 für hdschr. l^eXdöeoxev vermutet ixXeXi- 
Oecxev, III 34 Meineke ^xXeXotOovTe? flir das verderbte ixXa- 
6£sr:e<;; vgl. auch Meinekes notwendige Änderung (ivSp(5v XeXa- 
/oO^ac am Schlüsse des V. III 45 (fUr korruptes otT Xa^oDaai). 

XIII 106 xal XST£ §T2 Xifjio! Xs'.]Jiol fxaX&po{ T€ xepauvol 
xal x6Xe|jL0i Sstvol axaTaaxactat xe xoXkJwv 
Idffovc' l$ax(vr^?" Süpoi 8' exzoqfX' airoXoOvxai. 

Die Quantität der ersten Silbe von ^upct ist bei den 
Sibyllisten nur hier eine Länge, sonst findet sich überall die 
Kürze: Sipo? VIII 127, Supot XIII 32, 111, XIV 287, desgleichen 
in Iup{Yi Xni 96, 2up(r,? V 204, XIII 22, 90, 97, 152, Sup{r,v 
IV 125, V 125, Supirj (voc.) VII 114, XIII 119, Suptr; xo(Xtj 
(voc.) VII 64; denn XII 102 xat Suptev l^oXoepejaet ist bloß 
Konjektur Alexandres für Au8{av.^ Werden wir deshalb in 
V. 108 Ixica^X« 26pot S' a^woXoÖvrat umsetzen, wie ich in Qut- 
schmids Manuskript finde? 

Vergleichen wir den Gebrauch bei anderen Eigennamen. 
Der Name Tyros bietet eine naheliegende Analogie: wir lesen 
es zumeist mit kurzer erster Silbe Tupov IV 90, V 455, ebenso 
Tiptöt IV 90, XIV 87 : aber VII 62 steht Tips, ab 8' xxX. mit 
der Länge (im ersten Fuße). Somit läßt sich bei den Sibyl- 
listen auch für Eigennamen, die leicht im Verse unterzubringen 



' Hteför hat Gatschmid AuSSov geschrieben; diese SUdt lag sQdlieh von 
Phoenike in PalSstina, anweit des Meeres. Wie hier neben dem Lande 
4»otyUf) eine Stadt genannt w&re, so geschieht Ähnliches V 16, Xu 20 
Sv 6pY|xi) 9CT/|^a xal £uccX(7j, (uta Mipi^K. 

8its«nfib«r. d. phiL-bitt. Kl. 156. Bd. 3. Abb. 4 



50 III. Abhandlung: Kzach. 

waren, wie die genannten, schwankende Quantität konstatieren. 
In weit ausgiebigerem Maße geschah dies natürlich dann, wenn 
sich drei Kürzen nacheinander ergeben hätten: so lesen wir 
XIV 312 laeXwv,» aber ItxeWt) V 16, VII 6, XII 20, 2ix6X{t)v 
IV 80. Von Interesse sind die verschiedenen Formen von 
AoTivo? und dessen Derivaten. Während Aättvoi III 597, XIV 
40, 187, AäThwv XII 31, AäT^voi? VIII 132, XII 190, ferner das 
Adjektiv AaTtvfSo? in tja^puae, AortviSo? Sx^ove 'Pü)|jit)^ III 356 und 
in jxe^dXau/e, AaTtvtSo; ex^ove 'PtbjxY)? VIII 75, mit kurzem a ge- 
messen sind, liest man daneben V 168 doaOapTe tcoXi Aortvtöo; 
airi; und AaTtvi3iü)v XII 1, das auch V 1, wie ich nachwies, 
notwendig herzustellen ist. In diesem Patronymikon blieb dem 
Sibyllisten nur die Möglichkeit der langen Quantität, wogegen 
in der Form AaT(v{So^ ihm die Messung ganz anheimgestellt 
war. Diese Freiheit sehen wir entschieden mißbraucht, wenn 
die Form AaT{va)v, die XII 34, mit kurzem a, wie man es zu- 
nächst erwartet, erscheint (xXeivwv le AaT^vwv), anderwärts mit 
langer erster Silbe verwendet wird III 51, XIV 280 xal loxt 
Aäxfvwv VIII 131 SxTOTS Aä'w{v(»)v* XIV 244 tbv jjl^t« AäT^vwv. 
Ebenso sei auf die Ausdrücke ^hakiq, 'IiaXfr^ u. dgl. verwiesen. 
Alle die Formen, wo sich mehr als zwei Kürzen hintereinander 
ergeben würden, zeigen die Messung mit langer erster Silbe: 
'haXcOev IV 116, 'lTaX{5o(; IV 130, 'iTaXixoiv XII 73, lxaX(r, III 
464, V 342, XI 109, 'haXir^q III 470, IV 119, V 138, 160, VII 
48, XIV 291, 'iTaXfv V 448, XIV 287, 'kaXtijwv XII 76, XIII 43, 
XIV 115, 'iTaXtYjTÖv XUI 100, 'lTaXti5Ta(; XII 61, 'haXiViv IV 
104; sonst aber finden wir sowohl die Länge, 'IiaXb? dcvOi^aee 
7:6X6|jio; IV 103, 'ItaXol iv xev^tj III 355, wie die Kürze vor: alai 
aoi, 'haXt) /wpr^ VIII 95, oaaoi 3' e? Ac^yj? X*«*P^i< 'iTaXöv 86jxov 
ajAfeicöXeuffav III 353, 'IxaXwv xXeivwv ßaaiXefa aOeffjjio^ VUI 9. 

Mit Rücksicht auf diesen Sachverhalt wird man an unserer 
Stelle XIII 108 bei der Überlieferung bleiben, zumal sie durch 
die Fassung des zweiten Hemistichions in XIII 32 Sijpii; . . . 
laae-rai h 'Koki^kom, ilupoi t" eY.T:or^V otTcoXoövTat und in III 205 ajx- 



^ Fdr £ixeXo( XI 176 habe ich oben livooi vermutet. 

* Die Sippe 4» bietet Ixrore V aZ Aanvcov, was Alexandre im Texte beließ 
(mit kurzem t), während Wilamowitz Ikxoxi 6' Au3ov(a>v vorschlug; aber 
die parallelen VerseingKnge III 61, XIV 280 müssen zur Vorsicht mahnen. 



Analekta zur Kritik nnd Exegese der Sibyllinischen Orakel. 51 

zxjGiq xoX^fActo • ^pöve^ 3' IxTra^^' ixoXoOvTat, was oben besprochen 
Würde, geschützt erscheint. 

XIV 3 xai ßafftXeuetv Tcavie^ uxep Övr^Tou? löiXoyceq. 

Offenbar soll darauf hingewiesen werden, daß die Begier 
über alle Menschen za herrschen thöricht sei. Ich halte des- 
halb Qntschmids Vermatung izd^nat; für sehr beherzigenswert. 

XIV 54 xoXejjLOid t£ tcoIvO' GicotaSei 

Obgleich im XIV. Bache der Sibyllinen mancherlei Phantas- 
magorien vorliegen, kann es nicht zweifelhaft sein, von wem 
an unserer Stelle die Rede ist. Der kriegerische Herrscher, 
der dem Osten (olt: 'Aacrupfri^) entstammt nnd dessen Name den 
Anfangsbuchstaben A führt ist Alexander Severus aus Arke 
in Phönikien; der Sibyllist weiß von seinem durch meuternde 
Soldaten erfolgten gewaltsamen Tode, V. 57sq.^ Daß er strenge 
Mannszucht zu halten verstand, wird uns allgemein berichtet, 
vgl. z. B. Eutrop. VIII 23 ,militarem disciplinam severissime rexit^ 
Offenbar will auch der Sibyllist hie von Kunde geben. Man hat 
sich bisher begnügt mit Alexandre den überlieferten Qenetiv 
ipx^^ in den Akkusativ ipr^i^f zu verwandeln, während eine 
feine Verbesserung Qntschmids, obgleich sie schon durch Rühl 
(Kleine Schrift. IV 271) mitgeteilt wurde, bei Qeffcken nicht 
einmal im Apparat Erwähnung fand. Mit ganz leichter Än- 
derung gewann der genannte Qelehrte die überzeugende Lesung 
X» crpaTit^at y5|jiou^ &PX^? l?:iSe{^et, welche sich um so mehr 
empfiehlt, als ein analoger Fall auch I 374 vorliegt, wo Qut- 
Bchmid für -^fii ye xXeupor; | vu^wciv xocXaixotaiv 5tou X^P^^ f|pwr« 
|U?cü> I vi)^ lazai oxoxoeacoc xeXcopio; h Tpiatv &paq fein %aKi[».oi(Ji v6(xou 
Xalpiy hergestellt hat.' 

XIV 63 xai crpaTiaij; Swwjciv 6TCXili6|i.6V0'. Tuspl vfxTj? 
ypifliaza, 8a5Gflf{JL£voi /.eifiYJXia woXXa Y.a\ i^OXi. 

Die drei Herrscher, deren der Sibyllist in V. 58 gedenkt, 
werden anter ihren Kriegern aus den geplünderten Tempel- 

* Vgl. Eatrop. VIII 23 periit in OaUia militari tumultn. 

* Wie ich bereits M^langea Nicole 492 mitgeteilt habe. 



I1L Äbhandluni^: BÄSch. 



schätzen reichlich Gold und Kostbai keiten verteilen, offenbar 
ura deren Mat anzufeuern, da eg ihnen um raschen Sieg eh 
tun ist. Was soll nun hier 67:)aC=EJttvci -spt ^kr^^ in seltsamer ^j 
Verbindung? Nicht 'dieweil sie zum Kampfe rilBten*, sondern ^| 
'sich beeilend in Bezug auf den Sieg*; ich glaube nümlich, es ^ 
stecke hier iHet^ijxf vot Tripi vf^r^^;, eine Wendung, die wieder- 
holt bei Hoincr vorliegt wie M* 437, 496, dem die Sibylliaten 
soviel achulden. In diplomatischer Beziehung wird sich gegen 
den Vorschlag kaum etwas einwenrlen lassen, da CdCirO- 
MCNOI und OnAlZOMGNOI zumal wenn man an die Schrei- 
bung i =^ £1 denkt^ einander recht nahe stehen. Endlich sei 
darauf hingewiesen, daß dieser Ausdruck im selben Buche XIV 
206 vorliegt, wo ich das an falsche Stelle geratene Parüzip, 
das mit dem Partizip. Aoristi von djAefßec^Ät io V- 204 den 
Platz getauscht Latte, reatituiert habe.* 

XIV 66 bßoXoug HapÖou? te ßatÖuppsou Eu^pi^-raü 

Daß ^,Qpoti; ein seltsames Beiwort zu Mi^Sou^ darstellt, 
man längst erkannt: Mendelssohn versuchte atoxpy^, was kaum] 
Beifall finden wird. Viel wahrscheinlicher ist die Vermutung 
Gutschmids, der in jenem Adjektiv einen EigeuDamen sah 
und %a\ Mifio^^q To/apouq ie schrieb. Die Tocharol waren die 
südlichen Nachbarn der gleich im nächsten Verse erwähnten/^ 
Masaageten. 

XIV 105 <äp5ouüiv [AETöt Tiv5s 5iJü> ßaaiX^e^ i'ioeA'zn;, 

'6q jjtev TpciQKodtav apt&|Abv Tupo^Eptiiv, b hk xpi^s^m. 

Die Bedenken gegen diese Tradition sind nicht gering, ' 
Was ist zunächst Subjekt zu iSoXoep^ket^ da doch vorher von 



Es steht uichtfl im Wege Xl¥ 204 a^ii'^!iL\Lht^^ pa<j\kdry^ zn leseo, alio 
da* ParÜÄip ÄorUU fei Uii halten; in memer Aneg-abe «chrieb ich ajAR- 
ßofjilv»};. Mit Geffckoiifl Fa^dttng dea Y. 204 ^cvEÜ^iXTa crij[JL[izp'{f(iugiv 
3piiiE0[i.ivijv ßa^XtiT]^ kauii ich mich nicht befrettmieo. 



4 




Analekta znr Kritik und Ezogese der Sibyllinischen Orakel. 53 

5u«ü ßaotX^c^ gesprochen wird? was soll der Ausdruck Jia xpa- 
Teft;v ßafftXefov? Mit einem Schlage schafft Gutschmids Ver- 
mutung in V. 108 Ordnung: hnk^ xpaxep^ ßaatXif^cov: es ist 
dann nur noch mit Alexandre für ^xraXs^ou 8e zu schreiben 
e::TaX6foto. Aber auch die weiteren Verse hat die Korruptel 
ergriffen: wir erwarten zu ou84 ^uYsixat, dessen Subjekt nur 
c*>piXr|Toc sein kann^ ein akkusativisches Objekt, wie ander- 
wärts z. B. III 265, XI 45, 239. Gutschmid hat hier sehr ein- 
fach X(siioyLi^o\)^ ßocciX^ac; konjiziert, also 'der Senat wird dem 
Zorne der beiden Fürsten nicht entgehen\ Endlich schlägt 
derselbe Gelehrte für das geschraubte und kaum verständliche 
«:' flArt) 6u(jt^v IjrovTo? vor aicsiOij OüfjLOv I/ovt«?; doch glaube 
ich, daß äiceiö^ ein weniger zutreffendes Epitheton zu 6ü|x6v 
darstellt als etwa iica^rO^, das auch dem überlieferten I'k o&tv) 
diplomatisch näher liegt. 

XIV 210 diXX3( [ktfOL^ ßaaiXeu^ b TcepfxXuxoq a{JLf t^ liceixa 
Xpua(5 t' i^X^XTpcj) Te xai ip^upü) t^S' dXe^avrt 
l^eY^P^^ Tcaacev as Kai Iv xoafjiü) 'xpoTepi'jaei^ 
XTi^Ixoc^i xal vaoT^ oqfopaT«; tcXoutoi? axaSbi? t6. 

Das Unheil, das über Rom kam (V. 208 xupfxauoxe tcöXi;) 
wird wiederum wettgemacht: der [Ae^a«; ßa(7iXeu(; setzt alles 
daran die Stadt schöner und herrlicher zu machen als sie 
zuvor gewesen. Da kann es nun zunächst nicht (ifA^lg SxeiTa 
in V. 210 heißen, sondern wie ich glaube auTic; ^^eexa. Weiters 
hat der Sibyllist nicht gesagt, ^der ruhmreiche Fürst wird dich 
durch Gold, Elektron, Silber und Elfenbein ganz erwecken', 
sondern der V. 211 hat mit 212 den Platz zu wechseln, so 
daß die Dative xp^^^ '^^ i^XbiTpo) t£ xtX. nunmehr ebenso wie 
die in V. 213 stehenden von h xöafxü) xpoxepi^aeK; abhängen. Wie- 
wohl es eines analogen Beispiels nicht bedarf, verweise ich 
doch auf XII 191 sq., wo es von Marcus Aurelius heißt : laau- 
Toa Te^x^a 'Pwjxr;; | xoa|jLT^a6i XP^^*? '^^ ^^ ^?T^9^ ^<^' IXe^ovri | Iv x 
T^opon^ vaoi{ xt pioXa>v ouv ^(otI xpaxatco. Endlich ist auch der 
letzte dieser Verse nicht frei von allerdings nur leichten Män- 
geln. Für xTT^jjLaffi ist offenbar xTfqxaat zu schreiben, wie uns 
III 57 ap-ci Se Tot xT^lJecOe ::6Xei; xoafxeToOe t6 zäcaij ferner XIV 
130 xat x6Te V oü 'Pwiat;; xx(c7t; iaa&'zai oqfXaoTSüXTCu xtX. lehrt. 
Daß aber zwischen jqfopoct^ und oraSCoi^ nicht wohl t^Xoutoi^ 



54 in. Abhandlung; Bsach. 

stehen kann, liegt auf der Hand. Hier hat Gutschmid ge- 
holfen, indem er TrXaT^ai; herstellte, was nur in vXaczdaiq zu 
ändern ist. Für die Richtigkeit dieser Konjektur kann ich 
auf Xni 64 verweisen: vuv %0(7{i.sTa6s icöXet^ 'Apißwv vaoT? axa- 

5odvot; xpuffw TS xal dp-ppcp iß* IXi^avTi. An beiden Stellen ist 
liKoneioLiq mit Synizese von ei zu lesen.* Demgemäß wird unsere 
Stelle so zu gestalten sein: 

iXXa \i.t{(x^ ßaaiXeu^ 6 xsp^^XoTo? auxi^ Izetxa 
l^sYspsi ica<yav es xai Iv x6a[i^ wpoTEpT^aet^ 
Xpuaw T* T^X^xtpo) T6 xal tipY^pco t^<5' IXif ovrt, 
xTfajxaci xai vaot^ «Yopat«; TcXate^ai? ctaWoi^ ts. 

XIV 231 iaxat. ^op {xepöicsajiv i<fr^[Ltpiotq ÄvOpdwroiq 
XifJLOt xai Xoi|JLOt 7c6Xe[JLo( t dvSpoxiaa^ai ts 
xat oxixoi; (iy.a(i.aTov xal l-::! x^^^^öt [xr^T^pa Xaöjv 
1^5' i:x.aTaaTaff{Y) xaipü>v xtX. 

Den Singular Iciai ^ap, für den ich einmal Scaovr' op' ver- 
mutet habe, will Gutschmid aufrecht erhalten, indem er V. 233 
und 232 ihren Platz vertauschen läßt, so daß dann das singu- 
lare Subjekt xal ctxoto; dxajAaTov unmittelbar zu lorai xtX. treten 
würde. Wichtiger noch aber ist der Umstand, daß auch die 
Kopula %<xi in dem Hemistichion xal Ixl /Oova [k-qzipa Xadv, 
welche bei der überlieferten Fassung als unstatthaft erscheinen 
muß, nunmehr völlig in Ordnung wäre.* So beachtenswert 
indes Gutschmids Vorschlag ist, eine Schwierigkeit wird damit 
nicht behoben. Was bedeutet dann jenes xat vor 0x6x0^? Man 
könnte es nur in Verbindung mit dem zweiten x«i (vor hA 
XÖ5va) gelten lassen im Sinne von ^sowohl — als auch', was 
hier gewiß keine natürliche Ausdrucks weise wäre. Wir werden 



^ Synizese im Iniauto bei ei findet sich außerdem wiederholt bei den Si- 
byllisten zugelassen: atot^erov ap^d|X€voy (so statt des Genetiys Fehr) 
XI 164, (TCOixEiou ap^o^iivou XI 142, XII 271, atoixetou ap^ojiivoto XI 196, 
XIV 183, ilp^vn S^^axai ^Mri (Q ßaOfira) XI 237, XII 87; wahrscheinlich 
auch Tcuxval xal Oapietai (Q Oafjiiai, Q Oa^Aio») XIV 90. 

* Die Schwierigkeit mit xa{ hat mich veranlaßt in meiner Ausgabe oxoro^ 
axctixaidv icEp zu versuchen, während Meudelssohn xt schrieb; Qeffcken 
zog es vor xa( ganz zu streichen, wodurch sich ihm ein Hexameter mit 
Trochäus im dritten Fuße ergab. 



AnalekU zur Kritik und Exegese der SibylUnischen Orakel. &5 

somit, wenn Gntschmids Umsetzang angenommen werden soll, 
zu der weiteren Vermatang gelangen müssen, daß vor dem 
mit xal oxÖTo? ixifjLaTov beginnenden Verse (nunmehr V. 232) 
einer ausgefallen ist, mit welchem diese Wendung als (etwa 
ein zweites) Subjekt syntaktisch verknüpft war: in diesem 
Falle würde xal seine gewöhnliche Bedeutung 'und' behalten. 
Für diese Annahme spricht der Umstand, daß gegenüber 
dem in den folgenden Versen weiter angedrohten mannig- 
fachen Unheil (Xtfxo{, Xot|ji.o( usw.) der Begriff ctxötoc; für sich 
allein doch etwas unbedeutend wäre: es läßt sich mutmaßen, 
daß wohl noch ein anderer, synonymer in dem ausgefallenen 
Verse enthalten war, wie uns dies der Sibyllist des Buches 
V 480 sq. lehrt: 

Sarai bk cxoT6|Aatva wepi {xi^av o6pavbv alvi^,^ 
or/\\}q 8' o6x 5X(-p; xöff[xoü wtüx«? ÄiA^ixaXO^ei. 

XIV 247 vuxi TÄTE TpeT«; ßaaiXije? It: ir{kaa ^dyta 'Pu)ji.Y;<; 

Saauvxai,' 56o pilv xpÖTOv x.aTdxovT6^ 4piO|jL6v, 
e!^ 8e 9epü)v v£ix.o^ ib |xeT(ii)vup.ov, oTa xep ou$e{^. 
CT^p^Oüfftv 'P(i)|jLr|V auTOi xal x6(7|i.ov ÄTwOcvTa 
xv)S6(Aevct jAepozwv. 

Daß für das hdschr. veTxc;, welches Alexandre in vTxo^ 
änderte, ein Genetiv einzusetzen ist, also v(xou(; oder v(xir;^ wie 
ich früher vermutet, daran halte ich fest^ ob man nun [jl€tü>vu[jlov 
beläßt oder lx(J[>vu{i.ov schreiben mag. In den weiter folgenden 
Worten hat erst Gutschmid die richtige Interpunktion festge- 
stellt, indem er naturgemäß oTi zep oh^dq zum nächsten Satze 
zieht; die genannten Herrscher werden Rom lieben wie keiner 
je; fUr cd/iol setzt Gutschmid mit vollem Rechte ou-ot ein. 

XIV 266 ÄXXa ::aXiv Oeb? &^v. ivaiSea Ou[i.bv e/ovra; 
Iq xp(fftv IXOijAevat, Sacot xax3c TsxfjLT^pavTO • 

aiTT|V eiaofxpiaiv l©i^|x£vot xaxoTrjTO(;. 

^ a^v^ habe ich für daa unmögliche hdschr. aOiov iu den Text aufgenommen ; 
Meineke yermntete ayvovi doch hat oupovov bereits ein Epitheton. Die 
Konsinnitftt gegenüber iy}^^ oOx SXCyY) verlangt auch für oxoT^tiaiv« 
ein Beiwort. 

* Diese Lesung Gutschmids ist bereits Kleine Sehr. IV, p. 276 veröffent- 
licht; die Hdschr. Eaaovrat. 



TSl. Abbatiilhiiig; Bzach. 



Daß a5To( im Eingänge von V* 268 wieder eiuiual ebe 
Verderbnis darBtclIt; die hier durch das im nächsten Vcrso 
folgende ^utkjv veranlaßt iatj wird man gern zugoben; doch ist 
es keineswegs leicht den richtigen Wortlaut zu bestimmen. 
Der Sinn des Verses gehl otifenhar dahin, daß, die Bäsea be- 
gangen haben j noch vor Gottes Rlehterstuhle ihre eigeneo 
Missetaten auf andere zu schieben bestrebt sind, ein Ähnlicher 
Gedanke wie IV 38 vi^moi a^pscuvi^^tv Izi^e'jtjot^ai btelvo^, | Es^üfl 
flOtoi fs^c'^jiv irM^o-^a %ai %xm i^^a. Bleibt man bei l;:£©(iiGS'ovTjfi| ' 
das hier die Bedeutung ^angeben' im Sinne von *sich dazu he- « 
kennen' haben muß, so ist eine Negation^ also etwa oQtct^ wtefl 
Geffcken vorschlug, am Platze; ßareschs Konjektur w-a 5' litt- 
<^f5i9(7wVTÄ? — wobei doch mindestens das Faturum eTit^pdEonÄ 
mit hergestellt werden müßte — *sie verstopfen sich die Ohren 
seheint mir unzulässig: die Mis^etHtcr hören sehr gat, gehei 
aber in ihrer bösen Gesinnung so weit^ andere zu verdächtigen* 
Möglich wäre es auch etwa an autip Itri^j/sjaüVTit zu denken: 
*aber sie werden dabei lilgen', womit dann der folgende Vera 
gut im Einklang stünde. 

Hier gibt die Hdschr. Q m&^y eböiyf tuiVj M oi'cijv ttdotxpfciy, 
VH a^rV £1^ xpbtv. Da die beiden erstgenannten Codices 
besten sind» so wird man bei der Emendation von ihnen 
zugehen haben. Und da scheint mir Gutschmids Vorschlaf 
auTTjv i\q ofcpi^aiv, den ich schon Götting. gel. Anzejg. 1904 
p. 242 kurz erwähnte, am nächsten zu liegen/ zumal es nnr 
der Änderung zweier oder eigentlich nur eines Buchstaben 
bedarf: 'indem sie sogar bis zur Raserei nach der Schlechtig- 
keit begehren, d. h. indem sie seihst vor dem göttlichen Rieht 
noch durch Lüge — Überwälzen ihrer Schuld auf andere 
sich vergehen.^ 

XIV 347 3t| t6t5 tü)V ^Apafßwv [jiiT^Xeyaetatt atVa ßpctetov. 

So ist in allen Handschriften der Klasse Q überliefert,^ 
nur Q hat noch vor Bf, li^c ein v^ai Empfelücnswcrter als die 
bisher veröffentlichten Besserungs vorschlage* scheint mir Qul^ 

^ FrlÜiar wollt« Gtit^chaiid daa m^triich anBEüläMi^ tk ^nixptmv ^«leb rieben 

wissen, Kleine Sehr. IV 276. 
' Mit Benützung^ i!er Lesart von Q echriob ich xal xoxi Sf^ "Ap^oc;, Geffckea 

3]?) -diE loy^ 'Apjipaf, Bure«cb 6^ tote 7% *ApÄp*jjy. 



I 

ra 

I di«fl 
aui^ 




Analekta xar Kritik and Exegese der SibylliniBchen Orakel. 57 

schmids bisher unbekannte Lesung ^r\ xdxe kX(ov' 'Apißcov zu sein. 
Dieser Ausdruck ist echt sibjllinisch^ ich kann dafür aus Buch 
II 172 eine vollkommen zutreffende Parallele anführen : Cyit^cuiv 
Xasv, Sv dnnbXeaev 'Acoupto? xXü>v. 

Fragm. III 7 

Twv T ^vuSpb>v «iXi Yevv« (ivY)p{6iJLa)v ttoXü TcXijOo?, 
epze-ca 8' Iv y«^TJ *tvo6fX€va «J/u/oTpo^elTat, 
::otx{Xa t6 wtyjvöv Xt-fjp66poa tpauXflJovTa 
5oü6a XiYUTCtepö^wva tapaacovx' delpa TapaoTq. 

In diesen Versen ist devT]p(6|jL(i>v für devi^p(0{Aoy sowie S* Iv "^air^ 
für Äfi 7a{r|? von mir, ^j/u/oxpo^eiTai für ^j^u/oTpo^eiTe von Gfroerer, 
mjvwv für xTYjvüiv von Thienemann, Xt-pwrcepifwva für Xi^upowrepi- 
su>va von Opsopoeus hergestellt. Doch noch fehlt es in den 
beiden letzten Versen an einem Begriffe, von dem ttttivc^v ab- 
hängig ist, wie wir einen solchen vorher in Iv6$p(i>v . . . <iEvrjp{6{A(ii>v 
xdXu tcXy^Ooc; haben. Deshalb dachte Gutschmid an Xi^^TTTepa 
sOXa statt XtTuxrepd^fova. Dagegen ist, um letzteres beizubehalten, 
kaum zu schreiben ^om(Xa ts tttt^voc Xi-)fup56pca. Denn die Län- 
gang des auslautenden kurzen Vokals in der Hebung vor 
liquidem Anlaute — hier in der dritten Arsis bei Penthemi- 
meres — ist zwar wie im epischen Gebrauch, so auch bei den 
Sibyllisten ohne Anstoß,^ aber sie beträfe die Endsilbe eines 
trochäischen Wortes, und das muß immer zur Vorsicht mahnen. 



Vgl. speiiell die LKngangen dieser Art Yor dem Worte Xiyupd;, das den 
ersten Komponenten des genannten Ausdruckes darstellt, Hom. N 590, 
Y 216 icvpij Cxo XiYüpJ, Hesiod Asp. 278 zo\ jiiv uiro XipptSv OMpiyyta^ 
Orph. Hymn. VIII 19 iiiariT-i Xiyupfj, Porphyr, de philos. ex orac. haur. 
ed. Wolff 210 icvoii] Cno Xtyupi] (aus Homer), Quint. Smyrn. VI 171 auXo{ 
rc Xi^upolotv apf)pd(ifvot xaXi(A0i9iv. 



Bitnngtbtr. d. phii.-Ust. Kl. IM. fid. 8. Abb. 



68 



III. Abh.: Rsach. AnalekU zur Kritik and Exegete etc. 



Verzeiohnis 

der 

kritisch behandelten Stellen der Oraoula SibylUna. 





Pt». 




P»». 




PK. 


I 10 . . 


. . 30 


V 68q.. 


. . 20 


VIII 351 sq.. 


. . 40 


36 . . 


. . 3 


18 . . 


. . 21 


382 . . 


. . 40 


39 . . 


. . 3 


868q.. 


. . 21 


451 . . 


. . 41 


157 . . 


. . 3 


168 . . 


. . 30 


460 . . 


. . 42 


260 . . 


. . 3 


193 . . 


. . 21 


490 . . 


. . 42 


261 . . 


. . 4 


207 . . 


. . 22 




Anm. S 


323c . 


. . 5 


234 . . 


. . 22 


491 . . 


. . 42 


II 14 . . 


. . 6 


236 . . 


. . 28 


XI 71 . . 


. . 43 


29 . . 


. . 6 


246 . . 


. . 23 


7 6 sqq. 


. . 43 


36 . . 


. . 7 


260 sqq. 


. . 25 


175 . . 


. . 44 


187 . . 


. . 8 


295 . . 


. . 26 


188 . . 


. . 44 


228 . . 


. . 8 


317 . . 


. . 26 


271 . . 


. . 9 


277 . . 


. . 9 


324 sqq. 


. . 27 




Anm. S 


284 . . 


. . 31 


367 sqq. 


. . 28 


XII 54 sqq. 


. . 45 




Anm. 1 


383 . . 


. . 30 


67 . . 


. . 47 


III 152 . . 


. . 9 


395 . . 


. . 28 


102 . . 


. . 49 


205 . . 


. . 10 


4688q. 


. . 29 


116 . . 
144 . . 
172 . . 


Anm. 1 

. . 47 

. . 48 
. 48 


209 . . 
216 . . 
259 . . 


. . 10 
. . 11 
. . 11 


471 . . 

473 . . 

VII 27 . . 


. . 29 
. . 31 
. . 31 


278 . . 


. . 12 


52 . . 


. . 31 


XIII 5 . . 


. . 38 


285 . . 


. . 12 


63 sq. 


. . 32 


108 . . 


. . 49 


327 . . 


. . 13 


69 . . 


. . 33 


XIV 3 . . 


. . 51 


831 . . 


. . 13 


141 . . 


. . 34 


55 . . 


, . 51 


639 sq. . 


. . 14 


VIII 9 . . 


. . 34 


68 . . 


. 51 


647Bqq. 


. . 14 




Anm. i 


67 . . 


. . 52 


689 . . 


. . 15 


10 . . 


. . 34 


108 sqq. 


. . 52 


700 . . 


. . 16 


74 . . 


. . 35 


204 . . 


. . 52 


715 . . 


. • 16 


88 . . 


. . 35 




Anm. 1 


727 sqq. 


. . 16 


92 . . 


. . 36 


2 10 sqq. 


. 63 


736 sqq. 


. . 17 


118 . . 


. . 36 


281 sqq. 


. 54 


815 . . 


. . 18 


167 . . 


. . 36 


249 sq. 


. . 55 


IV 112 . . 


. . 18 


235 . . 


. . 37 


268sq. 


. . 55 


118 . . 


. . 19 


325 . . 


. . 37 


347 . . 


. . 56 


192 . . 


. , 19 


33 7 sqq. 


. . 38 


Fragm. III 9 sc 


,. . 67 



IV. Abh.: Wachstein. Wiener hebraiBche Epitaphien. 

IV. 
Wiener hebräische Epitaphien. 

Von 

Dr. Bernhard Waohstein. 
(Mit 3 Tafeln.) 



(Vorgelegt in der Sitrang am 5. Desember 1906.) 



Vorwort. 

JJie historische Kommission der israelitischen Knltas- 
gemeinde in Wien hat mich mit der Aufgabe betraut die In- 
schriften des sogenannten alten Rossauer Judenfriedhofes zu 
kopieren y beziehungsweise zu entziffern ^^ wobei sie von der 
richtigen Voraussetzung ausgegangen ist^ daß eine gründliche 
Bearbeitung und Herausgabe dieser vom Jahre 1540 — 1748 
reichenden Denkmäler' einiges Interesse fUr die Sitten- und 
Kalturgeschichte der Juden und nicht zuletzt für die Wiener 
Lokalgeschichte und darüber hinaus beanspruchen darf. 



^ Der InitiatiTe des Herrn Kustos Dr. S. Frankfarter ist die Inangriff- 
nahme dieser Arbeiten zu verdanken. Dr. Frankfurter war es auch, der 
darfiber schon im Jahre 1903 ein eingehendes Exposö der historischen 
Kommission Torlegte. 

' Das ftlteste noch Torhandene Denkmal (Nr. 633) gehOrt einem M&rtjrer 
Mordechai b. Gerson Menzl und trägt das Datum 28 Ab *^/i54o (wohl 
identisch mit dem im alten Fürther Memorbuch erwähnten Märtjrer Mor- 
dechai Modi b. Gerson. Vgl. Berliner-Festschrift 8.121, 8). Hingegen gehOrt 
der Denkstein des Gemeindebeamten Salom b. Simon (Frankl, Inschriften 
Nr. 1) einer späteren Zeit an. Schon Rapoport hat (Vorwort zu Koppel- 
mann Liebens Gal-Ed p. XUX), das bei Frankl 1540 angegebene Datum 
anf Grand spekulatiyer Erwägungen verdächtigt. Bei dieser Gelegenheit 
sei erwähnt, daß einige aus dem 13. und 14. Jahrhundert stammende, 
gelegentlich gefundene Grabsteine auf dem Rossauer Judenfriedhof Auf- 
stellnng gefunden haben. 
Bitnugeber. d. phiL-hüt. Kl. 166. Bd. 4. Abh. 1 



2 IV. Abhandlung: Wachstein. 

Nach yieljähriger Beschäftigung mit diesem Material halte 
ich es für angemessen in den ,Wiener hebräischen Epitaphien' 
eine kleine Auswahl aus der großen Menge der von mir ko- 
pierten Inschriften zu veröflFentlichen, wodurch einerseits die 
Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf dieses Material gelenkt, 
andererseits eine Probe fUr die Art der Behandlung gegeben 
werden soll. Einige von den hier mitgeteilten Inschriften sind 
bis nun überhaupt unbekannt gebUeben ; die anderen von L. A. 
Frankl in seinen Anschriften des alten jüdischen Friedhofes in 
Wien' (Wien 1855) aufgenommenen, sind wegen der Unvoll- 
ständigkeit, willkürlichen Auslassungen, korrupten Wiedergabe 
des Textes und totalen Mißachtung des formalen Prinzips von 
fraglichem Werte. Die Frankischen Inschriften waren denn 
auch seit ihrem Erscheinen ein ergiebiges Feld für mehr oder 
minder scharfsinnige Konjekturen, die aber nur selten die 
Wahrheit erreicht haben. 

Zum Zwecke der Identifizierung der Personen und Kom- 
mentierung der Texte wurden die zeitgenössischen Quellen und 
die einschlägige neuere Literatur reichlich herangezogen. Die 
Stellennachweise aus dem rabbinischen Schrifttum verfolgen 
den Zweck, eine befriedigende Exegese der Texte zu ver- 
mitteln; sie sollen aber auch gewisse in der späteren Zeit 
herrschende Vorstellungen in ihrer historischen Entwicklung 
aufzeigen helfen. Von einer Benützung etwaigen archivari- 
schen Materials wurde vorläufig abgesehen. Hingegen soll bei 
der später zu erfolgenden Gesamtpublikation das archivarische 
Quellenmaterial und die künstlerische Form der Denkmäler 
die gebührende Berücksichtigung erfahren. 

Für das Lesen einer Korrektur, sowie für manche wert- 
volle Bemerkungen bin ich meinem hochverehrten Lehrer Herrn 
Hofrat D. H. Müller zu großem Danke verpflichtet. 



Wiener hebräische Epitaphien. 



Nr. 1.* 
Jakob b. EUeser [Aschkenasi Temerls]. 

Material: Untersberger Marmor. Höhe: 113cm; Breite: 47cm; Dicke: 
8cm; Textböhe: 101cm; Zeilenlänge: 42 cm.' 

105' 

nbro "»owD mam 

• D"'bn nb-n «rnn .Tn 6 
nvD33 ^naa apr ^^p 

"•ai ^an nn naanon 

■fnno • nn anro "raa lo 
ntrS nnino p app"« 

rläatjri : pih 11M 

Z. 1 — 2. Gen. 25, 28 im Sinne der Deutung von Gen. rab. 
Kap. 63 naj? hw iimo iT'ai d«? br imo n^a D'-bniK "aw. Vgl. auch 
Meg. 16* und 17» v:v: nb nay n^aa apr n\nü cas? iniK bar. 
briK gewinnt typische Bedeutung fUr das Thorastudium (Be- 
rach. 63 * *?n«a mo'« "»a dik nmnn riKt) , das als die Bestim- 
mung Israels (Meg. 9* or ^bnna n riB") gefaßt wird. 

> Fehlt in Frankls Inschriften. 

' Material- und Maßbestimmung rührt nicht yom Verfasser her. 
' Diese Zahl bezeichnet den Standort des Steines auf dem alten Juden- 
frtedhof. 

1» 



4 IV. Abhandlung: Wachstein. 

Der später entwickelte Vorstellungskreis wird auf die Ur- 
zeit übertragen. Der rabbinische Schriftsteller gebraucht in 
der Regel biblische Wendungen in naiver Weise, ohne 
sich mehr des exegetischen Charakters bewußt zu werden. 
Das biblische Wort repräsentiert sich hiernach als ein 
Symbol für eine Fülle von Bedeutungen, die einem län- 
geren Entwicklungsprozesse ihre Entstehung verdanken. 

Z. 2 — 4. Nachbildung von k-öw "öw Kivii KT'iKa Ka^r (Erub. 9»). 

Z. 4 — 5 vergleiche Menach. 29* ppi pp ba bv Vfvnb Tnw • * • • 

mDbn hv p'r^n pb^n - rh^n siel 
Z. 6 vergl. Qittin 57* v. s. ^pv"* h^p h^pn. 

Z. 6 — 7 vergl. Ber. 8* «nttr'ja "ab • • • -»onpo. Fassung und Stil 
durch das Akrostichon bestimmt. 

Z. 7 — 9. Zum Gedanken vergleiche Chag. 14*. An dieser sel- 
tenen Wendung ist übrigens auch der Reim schuld. 

Z. 10. nn schädigt den Reim, Plur. jedoch in der Bibel nicht 
verwendet. Vgl. aber Joma 72*: j-nK nat nato b» . • p am 'a 
HTi n3io pnr p-iK ba? • . . 

Z. 11. nmriD fehlerhaft statt nnnn = ^a^n ann imo seit dem 17. Jahr- 
hundert gebräuchlich, seltener im 16. Jahrhundert. Vergl. 
Berliner in Magazin für jüdische Qeschichte und Literatur 
II, 1875, S. 64. Nach einer brieflichen Mitteilung Zunz' 
soll nnin& auf Grabschriften des 16. Jahrhunderts nie vor- 
kommen (ibidem). 

Z. 12. nbr&b rbp euphemistisch für sterben. Über ähnliche For- 
meln wie nbrö ^w Jia'W'a wpana u. dgl., vergl. Zunz, Zur 
Geschichte und Literatur S. 444. 

nairi = o^-nn insa mi'ix inövs Knn nach I. Sam. 25, 29. Die häufigste 
Eulogie auf deutschen Grabsteinen. Vergl. Zunz a. a. O. 
S. 352. 

Wer war nun dieser Timo Jakob, Sohn des inino Elieser, 
der ein Meister in der Merkaba, der geheimsten und heiligsten 
der Wissenschaften war, ,dessen Worte in die himmlischen Höhen 
stiegen' und der über jedes Krönchen und Häckchcn so vieles 
zu sagen wußte? Sicherlich ein Kabbaiist von Namen und An- 



Wiener hebrüUche Epitaphien. 5 

sehen. In der Tat ist der Sonntag 6. Nissan 426 == 11. April 1666 
in Wien verstorbene R. Jakob kein anderer als der aus Worms 
stammende Jakob ben Elieser^ Aschkenasi Temerls,' der 
bei den bedeutendsten Männern seiner Zeit in großem Ansehen 
stand, nach einer Lehrtätigkeit in Lublin und Kamienec seine 
letzten Lebensjahre in Wien verbrachte, daselbst einen großen 
Einfluß ausübte und hier auch seine letzte Ruhestätte fand. 
Vergebens suchte Kaufmann (Letzte Vertreibung S. 87, Anm. 1) 
in Frankls Inschriften und in S. G. Sterns Msk., dessen Epithaph. 
Seine Vermutung, daß das Grabmal Temerls' sich wegen der 
vielleicht von ihm selber angeordneten Unscheinbarkeit nicht 
erhalten habe,' bestätigt sich erfreulicherweise nicht. 



» Kobei al-Jad ed. Mekize Nirdamim HI, S. 11 (w^wii bnp wow mstn) 
gedenkt eines apr i'nro p "ny^^R rtvm Tonrr osnon. 

* Demnach ist Brall (Jahrbücher VII, 8. 47), der snm ersten Male das 
dürftige Material über ihn zusammengetragen , Dembitzer (*n* rh'hs II, 
124*), der wohl kein neaes Material brachte, aber aus der Fülle seiner 
Gelehrsamkeit ein Bild von der Verbreitung kabbalistischer Studien im 
17. Jahrhundert zu geben suchte und Kaufmann (a. a. O.) zu berichtigen. 
Die Annahme dieser Forscher, daß Temerls erst 1667 gestorben wäre, 
bemht auf der Stelle n^v -vtr tmv viv 'i nsQ»^ • . . nanan • . . op *n*nv in 
Gerson Aschkenasis Approbation zu Temerls* nachgelassenem nmjrjx*! mw 
(Amsterd. 1689, 4®), die solange wörtlich zu nehmen ist, als keine Gegen- 
instanz vorhanden ist. Bei der Annahme, daß vorliegendes Epitaph 
sich auf Temerls bezieht, worüber kein Zweifel herrschen kann, ist 
diese Stelle nicht genau zu nehmen. Übrigens kOnnen die freundschaft- 
lichen Beziehungen Aschkenasis zu Temerls noch vor seinem Antritt 
des Wiener Rabbinats den Anfang genommen haben, was denn auch 
mit nsMca *n*n übereinstimmen würde. Nebenbei ist die Bemerkung Kauf- 
manns (a. a. O.) gegen Brüll nicht am Platze. Auch Brüll ist die an- 
geführte Stelle so wenig entgangen, daß er sie selbst anführt. Mit 
Recht schließt er auch auf Grund einer anderen Stelle, daß Temerls 
1667 bereits gestorben sein muß. Sein Irrtum ist lediglich auf das 
Schnldkonto seines Gewährsmannes Gastfreund (Wiener Rabbinen S. 60) 
zu setzen, der Gerson Aschkenasi schon 1620 in Wien wirken läßt. Josef 
Lewinstein (i^rim -mi in S. 67, Nr. 1064) läßt ihn 1678 sterben, und 
weiß sogar genau Tages- und Monatsdatum (8. Thamus) anzugeben!! 

' In den Zusätzen zu Nissenbaums L'Koroth ha-Jehudim b* Lublin S. 155 
äußert sich Kaufmann sehr skeptisch rrmy ^mna v^iapia . . . ^r wnap oipoi 
im pxoa lasn p»x rw mnh -np ♦n's? i6 m^r6 nnairm ni3r«n «im ^ rtaxo pa »a 
w*in ima dn pstn ^svh vpv? • • • viaso pn o*mu vn mti • • • o'X'vtj vn lov m 



6 IV. Abhandlang: Wachstein. 

Auffallend ist jedoch, daß dieses, vom Standpunkte der 
Zeit aus gesehen, sehr mäßig gehaltene Epitaph auch nur un- 
genügend die Meinung der Zeitgenossen über Jakob Temerls' 
Bedeutung wiedergibt. Man vergleiche beispielsweise die Appro- 
bationen zu Knj^isan khcd , wo sein Lob in allen Tonarten ge- 
sungen wird. Isaak b. Abraham aus Posen weiß seine Lehr- 
tätigkeit als K»mö n-'a n^mia pa p rmT' niö^ö ttokj vh nwK ona-i 
zu charakterisieren. Gerson Aschkenasi, der ihm auch per- 
sönlich näher getreten war, findet für seine Würdigung nicht 
genügend Worte und muß zu alten wohlbekannten Bildern 
greifen pibab Kian 'D i't^^t in D''0\m d^dö^^d d^ojki n^T^ o*orm"rr dx 

Das unscheinbare Grabmal scheint in der Tat von dem in 
Demut lebenden Mystiker selber angeordnet zu sein. Trotzdem 
enthalten die 4 akrostichischen Sätze des Epitaphs das Wesent- 
liche von Temerls' Lebenstätigkeit. Wurde vielleicht von ihm 
selbst der Mann bestimmt, der für seinen Leichenstein die 
Sätze zu fixieren hatte, welche die Anfangsbuchstaben seines Na- 
mens tragen sollten? Interessant ist es jedenfalls, daß das, was 
das Epitaph in knappster Fassung von ihm zu erzählen weiß, 
in freier Diktion aber in vollster Übereinstimmung hiemit am 
Anfang der Approbation Ahron Samuel Eaidanowers^ zum be- 
reits genannten nnrisn k^do sich wiederfindet. 
pip .babr nwmö "nai nrojD "naa pjacBa» spp^ bip b^pT^ 
rpim "^'iKs n'^^tr^ bnao br niKO wibw niabn bvf D^^^n "^h^n pipi 
Dibttra D3331 Kx-i Tn-'S D^mHTO mr^oi nna*iD nwroa vnrr\ p^p-i ^sibn 

•an bböö nöi£ bana »inm-br 

1 Vgl. über ihn Fünn, KirJA neemana S. 80—82; Zunz, J. M., Ir ha-Zedek 
S. 120 ff. und Rabbinowitsch , Ergänzungen und Berichtigungen zu Ir 
ha-Zedek S. 21, 22; Horowitz, Frankfurter Rabbinen II, 8. 49. Kaida- 
nower, der dankbar erwähnt von Temerls kabbalistische Lehren empfangen 
zu haben pnn \*n no3 *V rh^n kann während seines Langenloiser Rabbinats 
(1658 approbierte er rr^o^ n:noa rh ppz Zwi Cohens »axpVn:; n^ ,rh .vtrhi^h 
= Langenlois. Vgl. Steinschneider, Cat. Bodl. p. 301S; Wolf, Jaden 
in der Leopoldstadt, S. 78; Kaufmann 1. c. S. 62) wenn nicht seine 
Bekanntschaft erst gemacht (obwohl *v*n ap Kap. 45, 76 durchaus nicht 
beweist, daß sie zu gleicher Zeit in Lublin lebten), so doch dieselbe 
erneuert haben. In diesem Falle dürfte Temerls schon vor 1660 in 
Wien gelebt haben. 



Wiener hebräiache Epitaphien. 7 

Die Übereinstimmung ist augenscheinlich. Gleichwohl muß 
Kaidanower nicht der Verfasser der Inschrift sein. Sicher ist 
jedoch, daß das Epitaph sich auf denselben Mann bezieht, wie 
die angeführte Stelle, was allerdings auch sonst angesichts der 
Zeitbestimmung, der Gleichheit der Namen, der auf die kabba- 
listische Gelehrsamkeit Temerls' passenden Charakteristika, kaum 
angesweifelt werden kann. 



Nr. 2/ 
Elchanan b. Zwi [der Eabbalist]. 

Material: Zogeldorfer Sandstein. Höhe: 95cm; Breite: 49cm; Dicke: 
14cm; Tezthöbe 77cm; Zcilenlänge 82 cm. 

20« 

♦ ♦♦«*♦♦»** 



6 '•ba nr 4 ♦ ♦ ♦ 
nan msi naw jn» 
^x nb "3 n» nana lo 
'Ksna prna fnca 
wm •''•m inpöi 

brnxnvnoapnbit 
pb or nina nnw i6 
pBT> na» T 



[naacarü 

Z. 9 vgl. Ket. 104a: itnpn p^ naw3i D-pia»n nx D-bmK inatj . 

Z. 10. ^ = bmv^ 13 Abbreviaturzeichen nicht mehr sichtbar; 
nb = ptnn «töd (IL Sam. 21, 17); -at = nio^ pnx? In diesem 
Falle müßte ein r ergänzt werden (= dStt tid" pnx Prov. 
10. 25), woflir jedoch im Original kein Raum ist. Es ist 
eher an eine Verwechslung des ersten Buchstaben 3t für 9 



' Fehlt in Frankls Inschriften. 

* Diese Zahl bezeichnet den Standort des Steines auf dem alten Juden- 
friedhof. 



8 IV. Abhandlung: Waohstein. 

za denken, "»r = ^ra** niDT- Ber. 28 b sprechen die Schüler 
R. Jochanan an : pmn vy%t "rö'Ti niöj? ^Rnr» na. 

Z. 11. 12 nnpoi "»»onö nach Cant. rab. v. s. n^ip riKt "»o gegen Ende 5 
*awm - '•Knr p [TTöw^ti des angeblichen Verfassers des 
Sohar. 

Z. 13 ä = 133"n 13"TMÖ. 

Z. 16. naiD Chronogramm fUr Monats- und Jahresdatum. Trotz 
des nnr über dem n sichtbaren Häckchens = K"^n^ da in 
dieser Zahlenkombination der 14. Tebeth nur im Jahre 
K'^n anf einen Samstag Mt. Der Eabbalist Elchanan b. 
Zwi ist demnach Samstag 14. Tebeth 411 = 7. Jänner 
1651 gestorben. 

Von einem ^großen and gewaltigen Kabbalisten^^der in Wien 
1651 gestorben, erzählt M. Knnitzer; der sich zu seinen Nach- 
kommen zählt, in der Widmung seines Ben Jochai (Fol., Wien 
1815). loni hryp y\ \ThH '0 »mm bnxi h^'pti^ naa '\n *?R33n'o -»a« ^a« 

Die Feuerflammen vermag ich nicht zu entdecken, an der 
Identität dieser Elchanan kann jedoch nicht gezweifelt werden. 
Bei dem Umstände, daß von diesem offenbar gefeierten Manne, 
dessen Nachkomme zu sein ein Autor 200 Jahre später sich 
rühmt (vgl. auch die Hervorhebung eines andern Nachkommen 
als nSap bn jan^K 'nio ^rhn baipo pion naa in Frankls Inschriften 
Nr. 435), keine Schriften bekannt worden sind, ist das vor- 
liegende Epitaph eine sichere Kunde seines Wirkens in Wien, 
das damals ein Zentrum der Kabbala war (vgl. Landshut, 
Toldoth ansehe haschem S. 13; Dembitzer, Elilath jophi II 
S. 56, 123a; Kaufmann, Letzte Vertreibung S. 80 ff.). 
Kaufmann hat, wie ich glaube zuerst, den schriftstellernden 
Kabbalisten Isachar Bär als den Sohn des Wiener Kabbalisten 
identifiziert (ibid. S. 82). Vgl. auch Frankl-Grün, Geschichte 
der Juden in Kremsier I, (Breslau 1896) S. 81, wo jedoch vieles 
zu berichtigen ist. Isachar Bär approbiert ^midv }opb nicht in 
Venedig, sondern in Kremsier, wo er noch 2 Jahre lang verblieb. 
Fr.-Gr. weiß von Schwiegersöhnen, die ihn nach Palästina be- 
gleiteten, wogegen die Quelle (a^nm nvfhv , Nachwort) nur 
von einem Michael b. (nicht des Vorstehers, sondern des '•STUt-r) 



Wiener hebr&ische Epitaphien. 9 

Moses ha-Cohen berichtet.^ Den Irrtnm in Bezag auf seinen 
Sohn Josef hat bereits Bnber (Kirja nisgaba S. 49, Anm.) 
berichtigt. Der ^gewisse Salman^ aus den Steuerbttchern 1710 
wird wohl der Schwiegersohn Isachar Bars sein, dem er in der 
Vorrede zu seinem DTiwnwbw den Dank abstattet. Er wird 
wohl 14 Jahre nach dem Abgang seines Schwiegervaters in 
der Gemeinde und bei den Behörden noch der ^Schwiegersohn 
des Landrabbiners' gewesen sein. Auch Kaufmann ist der 
Irrtum unterlaufen Kunitzers Großvater Chananel mit dem 
in Wien begrabenen bereits genannten Elchanan (Inschr. 
Nr. 435) verwechselt zu haben. Es sei mir daher gestattet 
auf Gmnd der Quellen den Stammbaum des Eabbalisten El- 
chanan b. Zwi mitzuteilen: 



' Es ist dies der in Saloniki gebürtige, ans Belgrad vertriebene nnd nach 
Venedig eingewanderte Moses b. Michael ha-Cohen, der unmittelbar nach 
seiner Vertreibung aus Belgrad 1688 zwei Jahre lang in p*oiN (= Essek, 
wie Steinschneider Cat. Bodl. p. 1946, Nr. 6528 vermutet) in Gefangen- 
schaft lebte, von dort aus Bittbriefe für sich und seine Leidensgenossen 
an begüterte und angesehene Glaubensgenossen versendete (gesammelt 
in seinem für die Zeitgeschichte noch nicht ausgenützten Epistolarium 
10« W, Fürth 1691, kl. S«), hierauf in Nikolsburg weilte, wohin ihm 
sein ältester Sohn mit seiner Familie vorausgeeilt war (ibid. 16 a). Da- 
selbst mag er schon die Bekanntschaft Isachar Bars gemacht haben. 
Der stilistisch* und wie es scheint auch sonst lebensgewandte Mann, 
der bei seiner Auswanderung 46 Jahre alt war (ibidem 17 a), wußte sich 
in Venedig eine Lebensstellung zu erringen. Erst Korrektor einer Buch- 
druckerei (vgl. Steinschneider 1. c.) scheint er spSter ein rabbinisches 
Amt erlangt zu haben. Wenigstens unterschreibt er 1719 die Appro- 
bation zu Abraham ha-Cohen Zantes onnaK nns mit Zustimmung der 
.ia«vn »an. Daß er tatsüchlich dieser Körperschaft angehörte, beweist 
das BTOV {ptn vor seiner Unterschrift am Ende des Werkes. Noch im 
Jahre 1726 beantwortete er eine an das Rabbinatskolleginm gerichtete 
Frage, ohne auf das Meritorische der Sache einzugehen, im Sinne der 
Fragenden. Vgl. Morpurgo, BGA. r^pTSt vüv, Abt. »ovo ;vn Nr. 24. 

* bißrwn ican mee nvn nennt ihn sein Schwiegersohn Juda b. Josef Porez 
in der Vorrede zu seinem Parach Libanon. 



10 



IV. Abhandlang: Waehstein. 

Zwi 
Elchanan 

der Kabbaiist st. 1661 (vorliegendes Epitaph) 



(Josef) Is&char Bär^ 

1701 lebt er noch* 
(Vor- und Nachwort zu 



Jada Lob 

(Approbiert als Babb. 

von HotEenpIotx seines 

Bruders D^i^W rwV») 



Abichail 

verheiratet 
mit dem 

Venezianer 
Michael 
ha- Cohen 

(ibid. Nach- 
wort.) 



Levia 

verh. mit 
Salmann 
ha-Cohen 
(ibidem)' 



Margulit 
verh. mit 
Elchanan 
ben Abra- 
ham* 

(o»inr m6v 
Vorwort) 



Josef • 

starb 1742 
(Megilat 
Sedarim 
ed. Baum- 
garten 32) 



Chananel^ 

Lob 

Mendl 

Moses 
Kunitz 

(Ben Jochai 
Widmung) 



^ Muß früh den Vater verloren haben, woraus sich erklärt, daß er 
in dessen Namen nichts mitteilt, ^sa ?mov nrK nsi^on hm POib «nrv 
. . . »roo K*? .13*3 'O'^r rpei . . . "oj^ »m »o» »xno •vnrr ip nsr^ schreibt er 1681 (Vor- 
rede zu onoK rmsp). Er wurde demnach zwischen 1642 und 1646 geboren. 
Lewinstein (1. c. S. 26, Nr. 183 n^S isv^) setzt seinen Tod 1640 (8. Adar) 
anl! Auch das andere auf ebendenselben zu beziehende Datum (ibid. 
8. 106, Nr. 1072 "orr') ,ist nicht richtig. 

' Vgl. oben meine Bemerkung gegen Fr.-Qrün. 

' Auffallend die gleichen Namen von Vater und Sohn. Daß der Sohn 
neben seinem eigenen Namen auch den des Vaters fUhrt, ist sonst auf 
Wiener Grabschriften nicht selten. Somit ist der Korrektur Josef Cohen- 
Zedeks in D*-iv« -n-r (Beilage zu Ha-Goren I) S. 6, Anm. 3 die Grundlage 
entzogen. j*"3 nro 'ms f^w:\ Ki^a ptru rroT nro ist ganz richtig. Vgl. weiter 
unten das Epitaph Ssimcha ha-Cohen. 

* Dürfte der bereits erwähnte 1766 in Wien verstorbene Rabbinatsassesaor 
von Eibenschütz Elchanan ben Abraham sein. Laut Inschrift (bei Frankl 
dieser Passus ausgelassen) hat er ein Alter von 72 Jahren erreicht, ist 
also 1683 geboren und war 1701 beim Erscheinen des c*2rv rrrVr 18 Jahre 
alt. Bei den Frühheiraten jener Zeit ist demnach kein Hindernis an- 
zunehmen, daß der am Eingange jenes Werkes gepriesene Schwieger- 
sohn des Autors otq« tvw . . . a-via \irhn ■»•vre «anirn mit dem in Wien ver- 
storbenen identisch ist. Der *^bHT^ ^aipon nsi wird also Schwiegerenkel 
sein, wenn auch das ^^to vor dem Namen des Vaters auf dem Epitaph 
fehlt. Hienach ist Kaufmann (1. c. 82, Anm. 1) zu berichtigen. 

' Absichtliche Veränderung des Namens Elchanan? Möglich wegen des 
verbreiteten Glaubens, daß die Lebensdauer des späteren Trägers von der 



Wiener hebräische Epitaphien. 1 1 

Nachtrag. 

Meine Vermutung (oben S. 10^ An. 1, 5); daß Elchanan in 
jagendlichem Alter gestorben sein dürfte und daß sein Sohn 
Isachar Bär keine bestimmte Erinnerung an ihn hatte, fand ich 
in der Vorrede zu seinem Jugendwerke üvtnn ra*iK (Frankfurt 
a. 0., 1680 Fol.) ausdrücklich bestätigt. Wehmütig erzählt der 
Verfasser, wie seinem Vater, der in zartester Jugend einen Kom- 
mentar über die ninöKömw geschrieben, eine lange Wirksam- 
keit nicht beschieden war. 

innb-a ^ 10KW na b'n wra nnSiö "man ^^rt o^ao mwai ipn nn p 
mKoS vwari nniKöb vm nnvi» m'iöK nnoKo mm hv «n^t la^n 
Wir erfahren auch den Grund, warum diese und andere 
Schriften sich nicht erhalten haben. Elchanan beschäftigte sich 
vornehmlich mit der Lurjanischen Kabbala. Damit ein Unbe- 
rufener keinen schlechten Qebrauch mache und um Mißver- 
ständnissen in der Auslegung vorzubeugen, ließ er sich seine 
Schriften mit ins Grab geben. 

•h^xh n m» niö ba ik*? ntPK St ^"nKn nösn ö\nSK naara n^•^ 
Mit bewegten Worten schildert der Sohn den Zustand, 
in welchem die Familie sich nach dem plötzlichen Ableben 
seines Vaters befand. Wir erfahren dabei einige interessante 
and die frühere Behauptung bestätigende biographische Details. 
Der Adept der Lurjanischen Kabbala wollte seine Familie nach 
dem heiligen Lande bringen. In Wien aber ereilte ihn der 
Tod. Seine Frau, die ihm 8 Jahre später in den Tod folgte, 
mußte die Last von 5 unmündigen Kindern tragen. 
nnapn^Bj • ♦ . HS^ih iKiaai "»axH pxb K-anb lamx inrna laa äk ♦ . ♦ 
^rab iB^ n&p aK ♦♦♦ u'^nanKb mtsiyen maipb öj^aa ♦♦♦ nrwK^i 

des früheren Namenträgers beeinflußt sei.* Daß der Kabbalist Elchanan kein 
hohes Alter erreicht, scheint mir abgesehen von dem Zurücklassen eines 
sicherlich nicht 10 Jahre (s. oben S. 10, An. 1) alten Sohnes, aus dem mir 
noch nicht ganz klar gewordenen Text Zeile 8 des Epitaphs hervorzugehen. 
' Mit dieser Angabe stimmt schlecht die oben angeführte Überlieferung 
Knnitzers, daß Elchanan Rabbiner in Wien war. Indes muß sein Auf- 
enthalt in Wien nicht so kurz gewesen sein, wie aus der angeführten 

^ Ober den Einfluß des Namens vgl. Sepher Chassidim Kap. 244; Josef 
Juspa i^snc "joi* 211i>ff. 



12 IV. Abhandlung: Wachstein. 

i^KD p-i ♦ . ♦ ^:h jnat p« kdh ona is^sko wöw nta -lOKb >3öo piat 
npb lor H-'atön nwK nx -a möb kS rnBOöi laro«? k^ rcö tjrt pKO 

Überhaupt enthält diese nicht gerade wortkarge Vor- 
rede interessante, auch für den Schreibenden charakteristische 
Details, der wie es scheint, sein ganzes Leben eine Art Boheme- 
Existenz führte. 

Nr. 3^ (Tafel I). 
Ssimclia b. C^erson Cohen Bapa. 

Material: Ungarischer Marmor. Höhe 127cm; Breite 90cm; Dicke 
16cm; Texthohe 100 cm; Zeilenlänge 79 cm. 

Wappenschild. Am Oberrand eine Krone/ von den Mittelfingern zweier in 

segnender Stellung sich befindliehen Hilnde leicht getragen, unten swischen 

den Handgelenken ein nach rechts gewendeter Vogel (Rabe?). 

: nrriÄ Dipa : 'pn33 ^bn : nnar iran 
X nnnn «r : naw »nb : nsr '^Diorb 
t ^ nBDö j narbr nSro : nrno ^in 

: tanö^nina x nsnon pro t "on ff\hn 6 
fDan nftD foibrn nb» : nra ^iök 
: prnj p : naiaro nn^a : bbr i-«*?»» 
: n:3^ Kam ; pwb'-'pawn : |r-ni ]xnt 
X p^on ib j-K : p''ani n-w j p''*?^ pa 
j on^'Di ip'Ti : Dinnn ittn : nais^ i*? lo 
: DTi*?Kn »"x j T^^p) ""W X onj nabn 
X r(v:svry vn : o^niaa vn\p x o^nj nbp 

Z. 1. Freier Gebrauch des zur Eologie gewordenen Verses 

(Jes. 57, 2) inaa nbn onnarb br ima-» oi*?» »ov Vgl. Zanz, 
Zar Gesch. S. 356 und die daselbst angeführten Quellen. 

Stelle hervorgehen kOnnte. Die Reisen pflegten in damaliger Zeit nicht 
80 raach vor sich an gehen. In Wien, das allerdings nicht das Endsiel 
seiner Reise war, dfirfte der Kabbaiist eine wenn auch nicht offisielle 
Wirksamkeit entfaltet haben. 

' Fehlt in Frankls Inschriften. 

* Diese Zahl bezeichnet den Standort des Steines auf dem alten Jndenfriedhof. 

' Krone des Priestertums (n^ina vs. Vgl. Sprüche der V&ter m, 17). 



Wiener hebräische Epitaphien. 13 

Z. 3. Vgl. Dentr. rabba Kap. I: d^sb^j nrrh Dpnat hv inrno Tnr 
mvn ^Kb&&. In der weiteren Entwicklang nimmt diese 
Vorstellung konkrete Formen an. Vgl. Romi, pp ]i ^-yw 
(Lnblin 1597, 4®), p. 2*, wo (ein apokrypher) R. Josua b. 
Lewi, eine Schilderang von der Pracht and Herrlichkeit 
des Eklen entwirft. Die 7 Abteilangen, die in bezag aaf 
Vollkommenheit eine Stafenleiter vorstellen, sind für ebenso 
viele Kategorien von Gerechten bestimmt. 

Z. 5. thvf = nshD. 

Z. 10. Vgl. I. Reg. 18, SO .., ntn Anspielung aaf den Namen 
Rapa[port] oder [Port]-Rapa, aaf den auch das Wappen 
hinweist. di'DI jpn uran Htn die Bezeichnung seines typo- 
graphischen Berufes? Er wird doch nicht Bibelkritik ge- 
trieben haben! 

Der um 1635 im achtzigsten Lebensjahre verstorbene 
Ssimcha ben Gerson Cohen Rapa wird wohl der Verfasser 
des in Proßnitz 1602 gedruckten Kol Ssimcha sein. Vgl. Jellinek 
im Literaturblatt VII, S. 231; Steinschneider, Cat. Bodl. p. 2995 
Nr. 1789. Daß er die letzten Lebensjahre in Wien verlebte, 
bezeugt ausdrücklich Simeon Auerbach im Kommentar zu 
seiner Szlicha onb^b prrb (S. 9^, Frankf. Ausgabe 1711) nwoi 
h*ii mtao TCTTbD ™pn nasna abBVan h noK^ wnp '»r^hnn «rnn m |V3 r^tn 
icrrt pp nt rraa pvö Dipo rvn ra^ r)iD 'wh y^ant p"pi2. Vgl. Carmoly, 
.■w^iO'Dfirn S. 9, dem ich diesen wertvollen Hinweis ver- 
danke. Carm. schreibt zwar ♦ ♦ ♦ ]^:9ü}D tth rwp rwH wrrt^ '•n^Km 
♦ .♦i3tw naw onb"^ ]vm naia^ inn-'^ob a^ao, woraxis hervorgehen 
könnte, daß der Verfasser 1634 bereits gestorben war. Tat- 
sache ist aber, daß der Text der Szlicha wohl 1634 anläßlich 
einer Kinderseuche abgefaßt war, der Druck hingegen erst 
1639 erfolgte. Die Niederschrift des Kommentars wird wohl 
nach 1635 erfolgt sein. In der Vorrede spricht auch der 
Autor von der Veranlassung seiner Schrift als von einer ver- 
gangenen Tatsache irrjn T3'»in n»n nittn nn^ pp nn . ♦ ♦. 

Eine Hervorhebung des Werkchens Kol Ssimcha schien 
dem Verfasser des Epitaphs nicht besonders wichtig, da er 
viel Bedeutenderes zu sagen wußte. Oder ist etwa (Z. 4 — 5) 
•njn «i^n nan bip eine Anspielung? Tatsächlich beginnt von da 



14 IV. Abhandlung: WacfaBtein. 

an die Aufzählung seiner schriftstellerischen Qualitäten. Sein 
Kommentar (Z. 7) scheint nicht gedruckt worden zu sein. 

Trotzdem es viele Wahrscheinlichkeit hat, daß sich das 
vorliegende Epitaph auf den aus Prossnitz eingewanderten 
Ssimcha bezieht, so muß doch bemerkt werden, daß Mitglieder 
dieser führenden, in die Geschicke ihrer Glaubensgenossen ein- 
greifenden Familie sich schon früher in Wien vorfinden. So 
sind auf dem alten Wiener jüdischen Friedhofe die Charakteristika 
des bekannten Wappens der Familie Rapa-Cohen auf einem 
Grabstein aus dem Jahre n&;7 = 1585 (demnach älter als das 
auf dem Titelblat von nhhn nn:ö befindliche Wappeö. Vgl. 
Carm. 1. c. S. 1; Brann Centen. Rapoport S. 395) zu sehen. 

Es müssen demnach die Angaben Carmolys in Bezug auf die 
Herkunft Ssimcha Cohens überprüft werden. Sicherlich falsch ist 
seine Annahme, daß Jechiel b. Mose Jeremia Gerson Cohen Port- 
Rapa, der bekanntlich den Brief an Teizeira^ unmittelbar vor der 
Vertreibung der Juden aus Wien 1670 unterzeichnet (vgl. RGA. 
npr ^rriM Nr. 77; Eobez al jad Berlin 1903, S. 31), zu seinen En- 
keln gehört. Eisenstadt (Q^vn^p r\^ S. 151), von Carmoly abhängig, 
ist in Bezug auf Jechiel Cohen sehr vorsichtig. Es läßt sich 
jedoch nicht schwer auf Grund des Epitaphienmateriales und 
auch sonstiger bekannter Quellen seine Genealogie herstellen. 

Ganz willkürlich ist die genealogische Konstruktion Josef 
Cohen-Zedeks, dem der Genealoge in Horwitz dStt maibnn (Lern- 
berg 1901, f.) folgt, in Dnirr" mn S. 27. Ein Blick in das von 
M. Stern herausgegebene bereits von mir angeführte Fürther 
Memorbuch' Berliner Festschrift S. 121, Jiskor 13) genügt um die 
Korrektur Cohen-Zedeks (vgl. oben S. 10, An. 3 wo seine An- 
nahme aus anderen Gründen abgelehnt wurde) zurückzuweisen. 
Moses Jeremia Gerson ist identisch mit Jeremia Gerson des 
Memorbuches, der den Namen des Vaters seinem eigenen vor- 
setzt. Unklarheit herrscht auch bei Kaufmann (1. c. S. 27 
An. 1). Die von ihm angegebene Annahme Carmolys konnte 
ich in n:v ^331 D^STirn nicht finden. 



* Vgl. über ihn Gr&U, Bd. X, Nute 2; insbesondere de Castro, Kenr van 
Graftteenen op de Nederl.-portug.-israÖl. Begraafplaais to Oudcrkerk an 
den Amstel (Leiden 1883, Fol.) 8. 103—107. 

> Im folgenden a MBF. 



Wiener bchrfttache Epitaphien. 15 

Über die verwandtschafllichen Beziehungen Ssimcha Cohen 
Rapas in Krakan^ vgl. Dembitzer, Elilat Jofi II 110*; Wett- 
stein in SokolowB Festschrift (Warschau 1904) S. 285. 

Der Tm Ton * * • \nör\ pttna na 7\nüv nnrö abßion ^^nn (Berl. 
Festschrift 123, Jiskor 6), ftlr den seine Söhne spenden^ ist 
sicherlich unser Ssimcha b. Gerson Cohen-Rapa. 

Nr. 4. 
(Moses) Jnda LSb Haor katon [Lueerna]. 

Material: ungarischer Marmor. Höhe 143 cm; Breite 90 cm; Dicke 9 Cm; 
Texthöhe 95 cm; Zeilenlänge 56 cm. aAniir^r^Q^ 

rmn'» mro nnno pKn binn *?rKn naxo 

bxT pp mwD Ken nvö 
pi^ n""Ka naoi 

t D^nayn ^dö öri t m^ rrn noan pawai 
: Dn»n dj ^*?D n»^ ♦ nrr pte low npn 
i D^irva m: '-pnnD ♦ tomn pro vrn 5 
: irnn^i nn^ »inn ba ♦ na» paoa pH nD-» 

• Dniöü rnarb D")« • r6 rwv cu 'Tin pa-n 

• on^wb pa D'»''3r^ pa ♦ non 'b'^oai n-rojH 
: Dnw\n vnrto rn ♦ an "ibm a: no»n pn 

: D"»nan maa 'tr\ y>b ♦Srna "iwn rrn k^t ^q 
: anBoi a^nnn nan ♦ ^a nana^ p^iac nat 
: amna '?'n3 niKö*? ♦ nn mpa pp •riwi 
: an^rai 'nara nSp ♦ vh nüra ••r'^ona 

• Dmjw DJ nnj? i^ic TP ♦ Din^ TTin atr pic 

najon päb rfh n-rirr riro 

Von diesem Epitaph ist bei Frankl bloß die Überschrift bis 
-nca mitgeteilt. Nur noch das Wörtchen pth und die Kenn- 
zeichnung des ridbva als Chronostich ttr Jahres- und Monats- 

^ Diese Zahl beieichnet den Stand des Steines anf dem alten Jadenfriedhof. 
' Die iweite Zahl ist die Nummer dieses Epitaphs in Frankls Inschriften. 



IV. AbhandlnDg: Waehitefm. 



datam hätte einen bq beionnenen Forscher wie AL Wiener 
halten Maorkaton nach 1670 nochmals nach Wien kommen miit' 
ihn die Stelle Geräon Aschkenasis^ bekleiden ztt lassen. (Wiener^ 
in Ben Cbananja VIII 1865 S- 104, vgl auch aastfrennd, Wiene 
Kabbinen S. 49,) Das Sterbedatara ni^ -^ niö© ^ fr^n rriir^' frtn ia 
jetzt auch durch MBF (vgl BerL-Festschr. 129. 9) gesichert,' 

Er starb somit 8 Ijar 395 ^= Donnerstag 26. April 1635, 
hienach Lewinstein (L c. S* 80 Nr. 45) zu berichtigen, M 

Die Inschrift zeigt oni die Wirksamkeit und Bedeutung^ 
des Mannoa fiir seine Zeit, bestätigt einige Angaben über 
ihn, die wir anderswoher kennen, und gewährt, allerdings 
durch eine kleine Rttze, einen Einblick in die seelische Ver- 
fassung der damahgen Judenheit. Z. 14 ist wörtlich zu tiehmea^ 
trotzdem die Redensart sich an Chagiga 3^ anlehnt. Der eine, 
der im Besitze des profanen Wissens war, der Adept der 
^sieben Künste' hatte praktische Anfgaben zu lüsen, ^Fürsprecher 
vor König und Fürsten^ zu sein, (Z. 1 — ö). Die ancilla theologiae 
hatte sich einst zur Herrschaft durchgerungen, jetzt diente sie dem 
einen als Instrameot, die Anwürfe gegen die Glaubensgenossen 
zu widerlegen. Die Kechtsunsicherheit ist eine latente, die beim 
Tod© eines solchen Mannes ins Bewußtsein dringt. Die rabbi- 
niscbe Wirksamkeit, die damals auch die Gerichtsbarkeit um- 
faßte (vgl. Wolf, Juden in der Leopolds tadt S. 18) spiegeln 
Z* 6—9 wieder. Z. 10 könnte das Bedenken Wieners (a. a, 0») 
beschwichtigen, wenn nicht onnE^i mrö durch kbi*i veranlaßt, und 
alsdann im übertragenen Sinne zn fassen wäre. (Vgl, aber 
auch die von Kaufm, L c. An* 7 angeführte Stelle aus dem 
BGA. in innb.-n^aE Prag 4<*, 1623, S. 51*0 Daß er Schriften 
verfaßte (Z. 11), bezeugt sein berühmter Enkel Menachem 
Mendel Auerbach, der seinen Kommentar »um Ritualkodex Orach 

^ Die Anttahme Ubri^etijt, da^ .Tuda Maorkatoa Obeirabbiner und Seltul- 
Oberhaupt in Wieti war ("f3«i ö"! Wiener a. a. O., Dombitier Klibt Jofi 
I 33 Aiim^, wö mit Hecht die Kgcifundiei-uiig unserem Juda Ltva Rote 
mit L B V [ licjf© b* Jakob in den berüehtigten Lemberg-er cip rn^tii gortigt 
wird. VgL auch Buber, Ansehe Scbem S. 13 1 , wo er jedoch ia ^ier weitern 
DarÄtt*Uiing Gastfrütind folgt) schoiiit mir nicbt genil^enrl begründet tu 
SU sein. Im Epitaph fehlt die^e Augabe. lu der lUuptquello fOr «oino 
rabbinieche Wirksamkeit {a^pi m^j? § 672} wird beilÄufig g«?9Ägtj dal^ er 
iKP {1633) ^ n-via war, Ällerdiogs heißt os iu der Vorrede (ib»ileni) 
-TSip s\ Vgl. auub Kaufiuauu 1. c. S. l!ö und üautfrauud L u. B, 4D. 



Wiener hebr&iBche Epitaphien. 17 

Cbajim zum Andenken seines Großvaters nach dem Bibelvers 
(Prov. n, 6) D''3ptn'nöj? benennt und einiges aus seinem Nach- 
laß mitteilt (Zitate bei Qastfreund und Kaufmann a. a. O.) 'nnnpi 
rriKBn rxitv '\tv d^s -»33 D-'apt mm pioon v**v • • • o^spi mw ' ' "iBon dw 
cnftD noai nas "an xini »ins p '•3Rr K3^ti ppo h"i Htr\ b'n'nö pwn tSk^ 
n^3a K"3 «T^ vn kS o-^sa ^a p vinie n''3n Hb 03i nninb» "an dw hsl^ Hb^ 
•nrsr-n m^an nrjpnst on&3 n-^risac 

Zu Z. 12 ist zu vergleichen (Vorrede zu D^3pt mw) Kin 
icpn iTRö vxiv nK onm orn n*?waöb Snan •niKön. 

Die Folgerungen D. Oppenheims aus dieser Stelle (Wiener 
Mitteilungen 1855 Nr. 29^ S. 113) scheinen mir jedoch nicht 
stichhältig zu sein. 

Als Vorsteher der Judengemeinde unterschreibt er als 
Erster unter den ,Eltisten der ganzen jüdischen Gemain allhier 
za Wien^ den bei Einräumung der Leopoldstadt ausgestellten 
Revers : Leo Lucema Hebraeus aulicus trium facultatum Doctor. 
Vgl. Schlager; Wiener Skizzen I 32^ 70. Schlager sieht in ;He* 
braeuB aulicus' den Hof bankier. Der dreifache Doktor war wohl 



^ Oastfreand, Österreich und Belgien S. 68, Anm. 37 vertauscht den Vater 
Auerbachs mit einem gleichnamigen Nachkommen, der hundert Jahre 
spater lebte. Vielleicht erklärt sich dieser Irrtum durch einen andern, 
indem er das Werk nasn nipo, das von eben diesem Enkel ediert wurde, 
anstatt 1710, 1610 in Berlin erscheinen läßt. 

' Nicht wOrtlich zu nehmen. Er hinterließ wohl keinen Sohn, aber er hatte einen 
Sohn Zwi, der 3 Kislev ^v gestorben ist. Sein Epitaph folgt weiter unten. 

' MBF Teraeichnet rnan hm ntö iTiuar . . ♦ nwa nw pjtan (a wn mr^ itTi.T ma pun 
• . • hm man ono. Miriam, die Frau Salman Auerbach-Fischhofs, die Mutter 
des Verfassers des Atheret Z'kenim ist aus Frankls Inschriften (202) be- 
kannt. Von einer andern Tochter ist die Grabinschrift noch erhalten. Sie 
war die Frau des Juristen Asrtel, der zur Zeit ihres Todes 1653 noch am 
Leben war f "* pi bmiy '^ nvn. Ihr Name ist nicht mehr zu eruieren. 

MBF feiert auch das Andenken seiner Frau. Vgl. LOwenstein, 
Monatsschrift 1898, S. 274, Anm. 2. LGwenstein yermutet mit Recht, daß 
hvrhuit bei Frankl (Nr. 90) aufzulösen sei. Sein Vorschlag un9*K für -hw 
zu lesen ist jedoch, wie am Original zu sehen ist, nicht richtig. Hienach 
auch D. Günzburg bei Maggid, Zur Gesch. u. Geneal. der Günzburge (St. 
Petersburg 1899), S. 274, Kol. I zu berichtigen. Auch war Rebekka nicht 
die Frau von Mos. Maork. sondern von dessen Sohn (Mos.) Juda Maorkaton. 
Sie war die Tochter des rira Mordechai ^o -btnn aus Posen. Das tvtd deutet 
auf rabbinische Gelehrsamkeit. Näheres über diesen Mordechai Lovi 'htm 
oder "yhvm konnte ich nicht erfahren. Lewinstein inenm im "m S. 89, 
Nr. 349 teilt das Todesdatum eines {Tob n^mN »am 'n mit. 
SiliuigBWr. 4. phiL-hist. Kl. Ifi6. Bd. 4. Abb. 2 



18 IV. AbhAndlnn^: Wachstein. 

hofbefreiter Jude, aber kaum ein Hoffaktor. Über die Identität 
von Lucema und Maorkaton vgl. D. Oppenheim a. a. 0. Vgl. 
auch Rapoport in Wertheimers Jahrb. II. S. 316; Carmoly 
(gegen Rapop.) AUg. Zeit. d. Judent. 1855, Nr. 42, S. 542 und 
Rapoports Erwiderung im Vorwort zu Gal-Ed XLV. und schließ- 
lich Wiener (gegen Carmoly) a. a. 0. 

In formaler Beziehung wäre hervorzuheben, daß das aas 
14 Zeilen bestehende Epitaph ein bestimmtes auf Wiener Epi- 
taphien sich noch anderswo findendes Metrum hat. Jede Zeile ist 
in 2 je 8 Silben (manchmal recht holperig) enthaltende Halbzeilen 
geteilt. Der Unkenntnis dieses Metrums sind die Verbesserungen 
Cohen Zedeks im Epitaph Abr. Chaim Opatows (Inschriften 53) 
zu verdanken, die auch Kaufmann (Monatsschr. 1898, S. 366) 
ernst genommen zu haben scheint. Auf die phantastische Ge* 
nealogie Abr. Chaims aus Opatow, die sich Cohen Zedek (Ha- 
goren I ontrnn 4 — 15) leistet, wird noch Gelegenheit sein 
zurückzukommen. 

Nr. 5 (Tafel II)- 
Moses Haor-Katon. 

Mntcrial: Ungarischer Marmor. Höhe 130 cm; Breite 91cm; Dicke llcwi; 
Texthöhe 90 cm; Zeilenlänge 47 cm. 

348V5« = 135» 

-nKO 6 

-n ib Kaf» 

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b^rn an^ -a«? br mn^ lo 
|bvb bib üv i3nKb 

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Ibba ibr nicibnn ib 

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jbnn bKb üb n^3 ^j i5 

TKbb lar TIP nrbbi 
jbn enbn narb bp k*? 

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IbKd nrn pija ia wn 





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icn HB (b 
nwb "»bn : 


{blK 


Kbn ibp 
n3B bipb - 


{b'b 


brn nmn 



' Diese Zahl bezeichnet den Stund des Steines. 
* Nummer dicMs Epitaphs in Frankls Inschriften. 



Wiener hebräische Epitaphien. 19 

Diese Inschrift ist bei Frankl zweimal wiedergegeben, was 
schon Carmoly (AUg. Zeitung des Judentums, 1855, Nr. 42, vgl. 
auch Wolf, Wiener Friedhöfe S. 12, Anm. 15) bemerkte, beide 
male jedoch korrupt und ohne Kenntnis des formalen Momentes. 
Z. l zeigt das Jahresdatum mit an rrn rwD = rwba (Z. 16) = 
nw bestätigt durch MBP. (Berliner Festschrift 122,3.) Er starb 

2. Adar 365 = Sonntag 20. Februar 1605. 
Metrum: Jede Zeile in 2 Hälften zu je 4 Silben. 
Reim: Z. 3 — 18, f + x (usw. riö''D;n3D foiK ;mrö fötDs). 
Z. 3. IÖB3 Euphemie fllr begraben, vgl. Zunz a. a. O. S. 444— 45. 

pnunae häufig auf deutschen Inschriften. Vgl. Joma 52^: 

Z. 6 — 7. Vgl. Gen. Rabba Kap. 68. Das m") nsu, das dort von 
TP gebraucht wird, fUIschlich von dpö. 

p^o D«n dem dortigen onn wu? entlehnt. Hier im negativen 
Sinne: richtig vermißt werden, Wiener (Ben Chananja 
II, 106) sucht das Frankische ity^ü Dva mit Beziehung auf 
pnxn pp&v zu erklären : ,er zog aus der Stadt . . . mit 
dem Beinamen des QerechtenM! 

Z. 10. Vgl. Berach 8* jrTRa mnjiö nimb nari ninib. 

Z. 11. DIB ov Eoh. 7, 1 und wohl auch Ber. 11 \ 

Z. 13. Nach Ber. 10* mKißi ^bo wa [^'?a•^ irT'pTnl und Jerusch. 
Sota IX 7\&nrtr^ nao tsa: '^iThn ••an nbwö. 

Z. 14—15. Vgl. die Quellen bei Zunz a. a. 0. S. 308. 

Z. 17—18. Im Monat Adar (7) starb Moses (Kid. 38*). 

Über die Familie Maorkaton vergleiche das vorige Epitaph 
seines Sohnes Juda Maorkaton. Löwenstein (Monatschr. 1898, 
S. 274) scheint die Identität dieses Mos. Maork. und des Frank- 
furter Arztes, der 1570 die QemeindeprotokoUe unterschreibt, 
als eine nicht zu bestreitende Tatsache zu halten. Vgl. auch 
cinnnwn (ed. Filipowski, London 1855) Ende; Horowitz, 
Fankfurter Rabbinen S. 34, Anm. 2. 



«♦ 



20 IV. Abbandlang: Wacbstein. 

Nr. 6 (Tafel I). 
Zwi Maor katon. 

Material: Zogelsdorfer Sandstein. Höhe 12cm; Breite 88cm; Dicke 
18cm; Teztbdbe 120cm; Zeilenlänge 72cm. 

7017561« 

pp TiKo m [1.T] "o ''ax n nnm o^bro ani ■»nn '•a naa» 

mv th\vh lar 
"M PK vn)p TiaTK Dipon 
■•ax "inn "«sm cniB aite "»d p*"« 
"M-a nno (p) -im own -naab 
••ax |n3 D-'^n ""aa '-am bn üc 
"aara ma ajmS ina lanb 5 
^ax-n ban^ ♦ nwira nra dj 
•♦ax :in or ib-ar nn^n nin 
■•aat 'nwa aiSD ♦ ora n»B3 bna 
"axa *m ja »jr • naw ibaa ba^i 
-aac pK bp TJ ♦ nar [|'t^^'^ p] lo 

Zwi Maor katon^ der einzige Sohn Jada Maor katons^ dem 
der Vater ein Denkmal setzt. 'ai 'nn *>3a mit Anlehnung an II Sam. 
23y 20, weshalb auch min' ohne nnna. Aus dem schon genannten 
(oben S. 16) RGA. in Isachar Eilenburgs innb m^at erfahren wir, 
daß er gestorben war, bevor sein erstes Kind zur Welt kam^ wes- 
halb sich eine casuistische Frage ergab, aanan ^i^Kn {a ^nbxva 
ntt^bam nnaia^a idc^k n-'am bi "»aat nnn f\hHn laa na» ♦ ♦ ♦ ir a^b Tvnaa . ♦ • 
mm bnanp nj? pnanb n^nat dk ik laa p mnab n^a nittm na »^ dk • • • nat 
laatp nx nnB^ Vgl. Kaufmann, Letzte Vertreibung S. 26. 

Über mn^ inaiaxa p^^nat als Euphemie s. Zunz a. a. O. S. 364. 
Auf Wiener Grabsteinen fand ich sie nicht. Hier durch den 
Namen ^aac veranlaßt. 

Von diesem Epitaph hat Frankl bloß die Worte TiKa ^ax 
{Cp. Kaufmann vermutet Nr. 43 der Frankl. Inschriften, wo 
ein Datum iboa n ohne sonstige Angaben zu lesen ist , als 
die verloren gegangene Grabschrift Zwi Maor katons. In der 
Tat hat Kaufmann das Datum auf Grund des angeführten RGA. 
sehr genau berechnet. Er starb 3. Kislew 380 = 10. November 

^ Diese Zabl beseichnet den Standort des Steines anf dem alten Friedhof. 
* Die iweite Zahl ist die Nammer dieses Epitaphs in Frankls Inschriften. 



Wiener hebrilische Epitaphien. 21 

1619. Die Schrift ist znm Teile sehr verwittert und nnr mit 
großer Mühe konnte der Text hergestellt und besonders das 
Metram eraiert werden. Die 10 Zeilen des eigentlichen Epi- 
taphs sind in je 2 Halbzeilen zu 6 Silben geteilt. 
Z. 1. Nach EIx. 3, 5. Die Teilang von nQ*i*M würde schließen 
lassen auf eine Zeilenteilung wie sj^-nb in Z. 5 oder i^-zsp 
in Z. 7; sie erfolgt jedoch nur wegen der sechsten Silbe, 
da Schwa mobile nach Bedürfnis als Silbe gezählt wird. 
Ahnlich ^nara in Z. 3, 5; "nat^n in Z. 6. 
Z. 2 m(k:hte ich ^aiaa ns lesen, ns zweisilbig. 
Z. 3. Nach '^Dwn = b-wn (vgl. Ps. 42, 1 ^n bn h^w) "sa = n-'sa? Der 
Zusammenhang mit dem darauf folgenden |n3 D^'*n dunkel. 
Oder dachte der Verfasser an die Auslegung dieses Verses 
in Nedarim 40*; Leviticus Rabbah Kap. 34 nx ^^ün ho 
rrrrw 'b D*iti rh)nT\? 
Z. 6. ^5^; Z. 7 •Tin = rmn; Z. 9. ■•sxa ohne Trennungszeichen! 

Nr. 7. 
Gela b. Simon [Auerbach]. 

Material: Ungarischer Marmor. Höhe 130 cm; Breite 73cm; Dicke 
13cm; Texthöhe 114cm; Zeilenlftnge 70 cm. ^.. 

rhvth nrpöins ppbw tvt na nbw nno n ♦ • ♦ 



^ « • • 



napn nut*? naawn [mw 

bp ♦ mann pi*?rG maan nns'nn 
n3b*?Ri B''nin''b mnp jyanK 
nibai D^ann*? tm^m nanna 
1 n*?ow nKrirr'bß') *?D''pa 
B-mBi onair D-rmKb ptoi 6 
ms^m D''Ka D^Dnn nn-'s*? nrK 
[nirayna tikö nbna nn^n oa 
bsai WB3 ^DS Tioa mr-'nci 
'möa PK nriaa mröna tkö 
*?D*? ♦ n^ry la^JT irrö-'i 63) mp 10 
ffbri *?3 CM rpT nnnu m<a 

nwi aba nu" nnw in» 

roaön 16 



22 IV. Abhandlang: Waehstein. 

Mit besonderer AnsfÜhrlichkeit wird hier die Mildtätigkeit 
and Bedürfnislosigkeit einer edlen Frau gerühmt. Durch den 
sparsamen Gebranch belegter Ausdrücke erfahren wir hiebei 
trotz des Reimes, was alles in die Privatwohltätigkeit der Zeit 
gehörte. Ich yermate in dieser Frau Gela^ die Schwester 
eines berühmten Predigers, des Abraham Darschan (Frankl, In- 
schriften, Nr. 578), dessen vollständiges Epitaph Kaufmann in 
der Monatsschrift 1898 mitteilt (vgl das. Abraham Darschan 
von Wien usw. S. 366—371) und eines anderen Gelehrten, des 
nvi& Salomo, dessen Andenken MBF. feiert (Berliner Fest- 
schrift 121, 17). Ihre gemeinsame Mutter wird jene Taube, 
Frau des Simeon sein, auf deren (bei Frankl ausgelassenem) 
Epitaph die Wendung sich findet: tjnai p" ♦ • ♦ D'«bn:n niTiKtan nr 
D^sinrn Dnan bprh niKn*? narn nK '\^h^^ Ttbvr on oniöj^n "sw, die ich auf 
Abraham Darschan und den eben erwähnten, laut Memor- 
buch 13 Ab 1601 verstorbenen Salomo b. Simeon beziehen zu 
können glaube. Leider kann das Datum, das auf diesem Grab- 
stein, wie auf dem der Gela und anderer Mitglieder dieser 
Familie durch einen ganzen Satz ausgedrückt, nicht genau fest- 
gestellt werden, da die Zeichen auf denjenigen Buchstaben, die 
dem Zahlenwert entsprechen, verwischt sind. Doch glaube ich 
nicht fehl zu gehen, wenn ich in dem Satze iDsa dtvi isnp das 
erste Wort ünp = i5B' = 1596 als ihr Todesjahr annehme. Wir 
hätten demnach einen Stützpunkt für die weiteren genealogischen 
Verhältnisse Abraham Darschans. Die Bezeichnung KpKnpa auf 
dem Grabstein seiner Frau Mirjam (Inschriften Kr. 556) und 
seines Sohnes Gerson (v. Kaufmann a. a. 0.) wii*d sich wohl 
nur auf \fm beziehen, also auf eine Amtswirksamkeit in Krakau, 
der damals schon bedeutenden jüdischen Gemeinde. Seine 
Wurzeln sind jedoch in Wien zu suchen. 

Gela war übrigens auch die Frau eines Mannes, der einer 
führenden Familie angehörte. Salom b. Uri Auerbach (seine 



^ Zar Schroibttng und Aussprache des Namens ygl. Gansfried er *^ 101*; 
Simcha ha- Cohen msv (Venedig [1667]), S. 79^ Die Form r6'i offenbar dio 
hebr&ische Obersetzung von Gela = die Frohe, die Freudige (Tetaner, Na- 
menlexikon, S. 111). Dio Nebenformen Gala, Gola usw. halten die Decisoren 
für selbständige Namen. So wird Gela von gelb abgeleitet, Gila als ur- 
sprUnglich hebrili scher Name gehalten. Vgl. nsv ibidem. Gila schon 1270 
in einer Kölner Urkunde. Vgl. Breslau in Hebr. Bibliographie IX, 1869,8.56. 



Wiener hebräische Epitaphien. 23 

Inschrift ebenfalls bei Frankl übergangen) war selbst Vorsteher 

und Scbtadlan.^ 

Auf DTbwvnnnbra, das nur schwer leserlich ist, fehlen 

die Zeichen. 

Z. 1. Qen. 31, 52 häufig auf Wiener und sonstigen deutschen 
Grabschriften. 

Z. 2 — 3. Nach Zebachim 62** nmp rann bv nianö vy^- Diese 
Phrase nur noch zweimal auf Wiener Epitaphien (beide* 
male Frauen) aus den Jahren 1631 und 1634, wahr- 
scheinlich von einem Verfasser herrührend; nsö^Ki sie! 

Z. 5. Die notwendigen rituellen Requisiten fUr einen verheirate- 
ten Mann der damaligen Zeit. Das deutsche Wort Kittel 
für ein weites Gewand erhält eine reservierte Bedeutung 
und wird nicht hebräisch wiedergegeben, offenbar deshalb 
um es nicht mit dem ominösen D^snsn, an die es den 
Lebenden erinnern soll, zu übersetzen. Der b}Q^ wm-de 
damals, wie noch jetzt bei den Ostjuden u. a. während der 
Trauung getragen. Vgl. Grunwalds Mitteilungen I. S. 85. 

Z. 6. D^nnsi Ausdruck Eet. 61*^. 

Nr. 8* (Tafel H). 
Rösl Auerbach. 

Material: Ungarischer Marmor. Höhe 146 cm«, Breite 100 c/;i ; Dicke 
18cm-, Texthöhe 10 cm] Zeilenlänge 53cm. 

: pih ^anp''^K D*?rö nnna na hv^ n*?innn nnnp 

'»"SB '-3^0 m:n n3D*?n 
br no-n:a bip D-'-rfc 
nn nbina na"'JBi "isttr 

no^ban üb^vh nneea 
nö^ra rh nnne 'n dv 

*-b rrap3T 10 
hbiani na 



> l^mv aaf Grabschriften aus dieser Zeit höchst selten. 

' Fehlt in Frankls Inschriften. ' Bezeichnet den Stand des Steines. 



24 IV. Abhandlung: Wachstein. 

Rösel Auerbach dürfte eine Enkelin von Salom und Gela 
Auerbach (s. vorige Inschrift) sein. Vgl. MBP. (Berliner-Fest- 
schrift S. 121 , Nr. 2 V. unter rhio nno ^rmw ♦ ♦ . uhvf 'wt 3k k"" 
...D^ro inn vaai). Die Zeichen auf der Aufschrift, die das Todes- 
jahr mitbezeichnen , sind leider verwittert^ doch glaube ich aus 
dem Umstände, daß Spuren von Zeichen auf den Anfangsbuch- 
staben von drei Wörtern zu sehen sind, schließen zu können, 
daß auch die Anfangsbuchstaben der anderen Wörter diese 
Zeichen besaßen. In diesem Falle ist dann das Todesjahr 
K + ö + D-na + n-nn-i-p = 100 + 5 + 200+2 + 20+40 
+ 1 = 368. Dies stimmt vollkommen mit Z. 9 — 10, wo be- 
richtet wird, daß sie an einem Mittwoch gestorben und am 
13. Tischri, offenbar dem darauf folgenden Tag, also an einem 
Donnerstag begraben wurde. Der 13. Tischri 368/1607 (3. Ok- 
tober) fällt in der Tat auf einen Donnerstag. 

Oberhalb der Inschrift Kranz im Relief zur Bezeichnung 
ihrer Jungfrauenschaft und unterhalb ein nach rechts gewen- 
deter Hirsch im Schilde. Dieses letztere Abzeichen findet sich 
noch bei andern altern Mitgliedern der Familie Auerbach. 

Die Inschrift ist trotz mancher Stilkünsteleien zart und 
innig empfunden. 

Z. 1 — 2. Der Verfasser denkt an Jud. 11, 40 nsa^n rto^^ troia 
burw:"* ma, die die Jungfrauschaft der Tochter des Jephta 
beweinen und anPs. 45, 14 nö^jo t*?ö narmaD und end- 
lich an Gittin 20*: o^abo ii,tk pann; Sabb. 128*: f?Kiv^ te 
p D-abo •'3a. 
Z. 6 — 7. nt^vm navnva durch den Namen Rösl als Rose gezeichnet. 
Zum Bilde vergleiche Ealirs n&rM p&p fvnv in der Jörn- 
kippur-Liturgie, wo es heißt noiD »]3n mw; rh n^hn n^^i"« 
^ö^iD (Jerusch. Berach. IX. Anfang) na sie! Diese LA. 
findet sich jedoch in den älteren Edd. Vgl. Ratner, Ahvat 
Zion z. Stelle. 



Wiener hebrftische Epitaphien. 25 

Nr. 9. 
Slara b. Samnel [Theomlm-Bacharach]. 

Material: Ungarischer Marmor. Höhe 108 cm; Breite 88 cm; Dicke 
11cm; Tezthöhe 84 cm; Zeilenl&nge 72 cm. 

801 V46« 

10. Sept. 1621 = P^^ ^w ^i*?*< "^3 i^is«^ ^'^^ '"nttfca 

nrK • rar n^a« n'»ü'?') 
n*TD m-an • ictti rown 

nwan nTion ♦ mvha 
m pKm ra ♦ ranoi mbVD 6 

batt |öbt nnnö p b[T apri 

Z. 2. "ttync Dicht wie bei Frankl nt^inti ; die Iiandschriftliche Vor- 
lage Frankls hat richtig lanb, jedoch ebenso wie Knn in 
großen Charaktem geschrieben. S. G. Stern schien diese 
Worte für Namen gehalten zn haben. Zur Redensart vgl. 
Moed Eatan 25^ nipBXi Mns onb man zerbrach die Ttlre, um 
R. Hnna nicht durch Seitentüren tragen zu müssen. Das 
Epitaph nimmt diese Ehre auch ftir die ^würdige und 
gute Frau' Slawe in Anspruch zumal wegen des Reimes. 
Der Verfasser des Epitaphs hatte sicherlich die LA. Di^b 
vor sich. Vgl. fin Jakob Venetia 1566, wo auch Raschi 
nonDiöS hat. Die neueren En Jakob Editionen (wie ed. 
Slawita) haben im Text onfi hingegen Raschi nans i&a. 
Editio Wilna hat nmna i&a in EUammer, offenbar um den 
Widerspruch aufzulösen. Übrigens hat Aruch xnn Dnc 
(das. irrtümlich Moed Kat. ns statt ro zitiert).' Es ist des- 
halb (Eisenstadt -Wiener ü'^vf'np nm Abt. «mp "»asK Nr. 55 
Anm.) die Korrektur von Kns nisnt in icn^ nri*in zurück- 
zuweisen. 

nssv na hv ist an Sabb. 30^ zu denken, doch wird wohl auch 
der frühzeitige Tod gemeint sein. Hiedurch würde das Be- 

^ Stand des Steines. ' Kammer dieses Epitaphs in Frankls Inschriften. 

' RabbinowitB, Dikdnke Soferim s. St. verseichnet bloß die LA. p"«. 



26 ly. Abhandlung: Wachstein. 

denken Eaufmanne (R. Chaim Jair Bacharach, S. 23 Anm.) 
erledigt sein. Das auch anderswo fehlende ^1 (Z. 7) kann 
kein Grund sein^ sie nicht als die Tochter des 1615 im 
40. Jahre verstorbenen Samuel Bacharach anzusehen. Sein 
Epitaph bei Lewysohn, opnx niVB9 S. 52 (beachte das. 
roa nix!); vgl. auch Kaufmann, 1. c. S. 16 ff. 

Z. 7. ppi = Hvmp K^npi. Der Ausdruck schon im Talmud (Ber.9*). 

Z. 9. Vgl. KD^i ppi fr\n inniö'ö ed. Stern in Berliner Festschrift 
S. 123, Jiskor 3 (das. zu korrigieren am in anS). Ihr 
Schwiegervater ist demnach der aus Prag eingewanderte, 
angesehene Meschulam Salman Theomim (niaaS' Dibv '•aK^b 
übJDt2 = *ib; Frankl, Kr. 27 unvollständig) der nur einige 
Tage vor ihr gestorben war. Der Druckfehler uhwn statt 
Dibv als Jahresdatum (ibidem) gegen Überschrift 1616, ist 
zufällig das Richtige. Der 5. Elul fiel nur Dibrn » kbv - 
1621 auf einen Sonntag und stimmt auch zur Angabe 
MBF. Kcr 'wa Bo*?irb labn (s. oben) onauno anS. Sie 
scheinen alle der damals grassierenden Pest zum Opfer ge- 
fallen zu sein. 

Nr. 10' (Tafel JH). 
Lena (Elenora) b. Jeehiel MIchl. 

Material: Ungarischer Marmor. Höhe 145cm; Breite 93cm; Dicke 
12cm; Texthöhe 68cm; Zeilenlftnge 45 cm. 

bTn Sa^a b^rrv n na 256 * 

TiErn ri3 bav 

*^ . rwr*? nöa ♦ ny^p ikw . r^:^ oipo ^ 

f ♦nsrona^nsn D3i*nr3Dai '4 

♦ njnoi • naraitb^ninbüi -d 

nsns TKo ♦ naioRai ♦ rona nra ^ 6 

S: 

♦ rürin ♦ nsinn ♦ 7^:p f\rm ^ 

♦ nsirnni ♦ nso^pn ♦ nr ••nn 

. roTraca 
* • * * • 
nax3 n 

Metrum: Jede Zeile in 3 je 4 Silben enthaltende auf na aus- 
lautende Teile. 



^ Fehlt in Frankls Inschriften. ' Stand dos Steines auf dem Friedhof. 



Wiener hebräische EpitaphieiL 27 

Über das Epitheton nwnpn»mpn vgl. Znnz, 1. c. S. 327, 
335. Eis wird jedoch nicht nur von Märtyrern im eigentlichen 
Sinne, sondern auch von solchen , deren gewaltsamer Tod in 
der Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft zu suchen ist. 

ymn jrw bav läßt das Jahresdatum erwarten. Die Häckchen 
über r^3 ^3r sind jedoch Abbreviaturzeichen, während dasselbe 
Zeichen über "^iBvn das Datum angibt. 

rw hiv = Tnap an nopD irrpb d-i» jm^ (Ps. 79, 10) ; ^^tvr^ = 
411. In diesem Jahre fiel der 24. Adar auf einen Freitag. 

Lena, Tochter des R. Jechiel Michl wurde am 24. Adar 
411 = Freitag 17. März 1651 erschossen (Z. 6). Sie ist 
ohne Zweifel mit jener Leonora, von der Theatrum Euro- 
peum (sub. anno 1651) berichtet, daß sie im März 1651 
von einem Reiter mit zwei Kugeln totgeschossen wurde, 
identisch. 

,Zu Wien in Oesterreich', heißt es daselbst, ,vor dem 
rothen-Thor | nechst bey der Auffzugbrilcken [wurde im 
Monat Martio die fUrnehme und jedermann wolbe- 
kandte Jüdin Leonora als sie in die Stadt gehen wollen | von 
einem unbekandten Reuter mit 2 Kugeln todt geschossen: 
Weßwegen außgeruffen wurde | daß derjenige | so den Thäter 
offenbahren würde | 500 Ducaten haben; So aber der Thäter 
sich selber angeben thäte | ihme tausend Ducaten | und das 
Loben geschenckt seyn solle | darumb daß man diese That 
fiir eine Anstifftung von den Juden selber gehalten' (Theatr. 
Europ. tom. VII fol. 146^ f. Frankfurt a. M. 1563; mit einiger 
stilistischer Abänderung und Verdoppelung der 1000 Dukaten 
bei Schudt, jüd. Merkwürdigkeiten II, 185). 

Vergleicht man die in gesperrter Schrift wiedergegebenen 
Stellen dieses Berichtes mit Z. 3 — 7 des Epitaphs unter Be- 
rücksichtigung der Überschrift und des Datums, so muß jeder 
Zweifel an der Identität schwinden. In verdienstvoller Weise 
hat Kaufmann (Letzte Vertreibung S. 48 ff.) einiges Licht in 
diese dunkle fUr die Judengemeinde folgenschwere Affaire hin- 
eingetragen. Seine Annahme jedoch, das Epitaph Nr. 186 der 
Prankl. Inschriften wäre das der Leonora, erweist sich als 
Irrtum. Aber auch wenn die vorliegende Grabschrift sich 
nicht erhalten hätte, könnte man doch schwerlich in jenem 



28 IV. Abhandlang: Waehstein. 

lakonischen Epitaph^ (gerade die lakonische Kürze scheint 
Kaufmann einen Beweis abzugeben) das der ^fümehmen und 
jedermann wohlbekandten Jüdin Leonora^ sehen ; abgesehen 
von der Abwesenheit aller auf das Ereignis nur hindeutenden 
Anspielungen. 

Die Härten des Stiles erklären sich zur Genüge durch 
den doppelten Zwang des Reimes und Metrums. So ist n:ip ^rw 
(Z. 6) umzustellen; r^^^rT^ viersilbig! 

Nr. 11. 
Elieser b. PhObns Chalfan und Jfltl Chalfan. 

Material : Ungarischer Marmor. Höhe 82 cm; Breite 79 cm; Dicke 15 cm; 
Texthöhe 60cm; Zeilenlftnge 70 cm. 

100V318,»319» 
6. Juli 1670 nan r- i?d K"(b) 9. Juni 1670 

mß n3<i3)nn nnna nn-^om 
on» T'ro b»v n-nnöa itp*»« 

ni ian nikin hti 

Elieser Chalfan und seine Frau Jiitl mögen wohl die 
letzten gewesen sein,, die vor der unmittelbar darauf erfolgten 
Vertreibung der Juden aus Wien auf dem alten Rossauer Fried- 
hofe ihre letzte Ruhe fanden. Elieser b. Uri Schraga Phöbus 
Chalfan ist der Vater des Phöbus Chalfan, des Verfassers von 

> Es Uatet Tollstlndi^: m 

f\*it ."13 um 
«Ttn» «a :xnb 
t pn p a « S 
(a nvs nm 
B"? jOTt *n!Tä 

haijri 
VWrwa'iiBi' 

Di<» njiti«ran(; dot Eret^isset 5. M&n 1651 bei KaafimaiiD, letzte 
Vorir. $, 4S toUt die Ricliti|rkcit seiner Annahme voraos. Theatr. Earop. 
Itibt den Tag nicht an. 
* Stand de» Steine». * Nummer dieses Epitaphs bei FrankL 



Wiener hebr&isehe Epitaphien. 29 

nenn (Responsen und Rom. zu MaimonideS; gedruckt Berlin 
1743), der in Prag, Bansdaa,* Ungarisch-Brod eine rabbinische 
and literarische Wirksamkeit entfaltete (st. in Prag 1707. Gal.- 
Ed. Nr. 87). Hiemach ist Kaufmann (I. c. S. 180 Anm.) zu 
berichtigen, der in unserem Elieser einen Sohn des Verfassers 
vom vx m vermutet. Kaufmann kennt zwar (ibidem) Elieser, 
den Vater des Verfassers von VM nn, konnte ihn aber offen- 
bar deshalb nicht identifizieren, weil er von seinem Sohn 
rb» n mr*?« ^ genannt wird. Hätte Prankl (Nr. 318, 319) 
dieses kleine Doppelepitaph ganz wiedergegeben, so würde 
Kaufmann aus dem bxr hinter dem Namen ersehen haben, 
daß es kein Sohn von dem 1707 verstorbenen Phöbus sein 
kann. Der Name seines Schwiegervaters onaa, der sicherlich 
den Rufnamen Manuele führte, würde ihn auf die Vermutung 
gebracht haben, daß Elieser Chalfan nach seinem Schwieger- 
vater Manneies genannt wurde. 

Der Verfasser des vh m, selbst ein bedeutender Gelehrter, 
kann sich seines Vaters nicht genug rühmen. Er nennt ihn 
.■fö T«n rp^Kn nnöi m^MSi niTom noana j^biöh hKnü^ aan "DK ok 
tm TITO "ronrinnran nrw low nwK bit nir^H. 

Von seinem Sohn erfahren wir auch, daß er Vorsteher 
der Wiener Gemeinde war. Er muß auch ein sehr wohl- 
habender Mann gewesen sein, denn trotz aller Unglücksfalle, 
die den Sohn ereilt haben (vgl. Vorrede zu VK nn) zehrt er 
noch immer an dem ihm vom Vater hinterlassenen Vermögen. 
Dieses bescheidene Denkmal läßt freilich nicht einen Mann 
von dieser Bedeutung ahnen. Was hätte aber die Anführung 
von nbnpn iTOOi onß für einen Sinn, in einer Zeit, wo die Ge- 
meinde zu existieren aufhörte? 

Sein zweiter Sohn Manuele, der in Frankfurt a. O. als 
Vorsteher der Gemeinde ein gastliches Haus führte, war nicht 
minder bekannt. Von den zeitgenössischen Literaten wird er 
als Mäcen gerühmt. (Die Daten bei Dembitzer, Klilat Jofi II 
138% dem Kaufmann S. 218 Anm. folgt.) Kaufmann sagt vor- 
sichtig von Manuele Chalfan ,wohl der Bruder des berühmten 
Uri Schraga Chalfan^; Aus Vorrede und Titelblatt zu vm ni ist 



^ Fehlt in GrQnwalds Jangbanzlaner Rabbiner (SA. Aub dem jttdiichen 
Zentralblatt). 



30 IV. Abhandlung: Wachstein. 

jedoch deutlich zu ersehen, daß der Bruder des Phöbus Man- 
uele hieß und in Frankfurt a. 0. als Vorsteher der dortigen 
Gemeinde lebte. 

ban = nanab p^^ix nat. Vgl. Zunz, z. ö. u. L., S. 324. Auf 
Wiener (und wohl auch auf andern) Inschriften meistens nur für 
Gelehrte und besonders fVomme gebrauchte Eulogie. 



Nr. 12^ (Tafel TU). 
Josef b. Dawld Kobler. 

Material: Kaiserstein. Höbe 110cm; Breite 74cm; Dicke 10cm; Text- 
höhe 88cm; Zeilenläiige 56 cm. 

135» 
.V. 3B .;.;. 

nbsKp »IDT» 'ino ^"i^^n 
Yh^t ma'Höo bt m "na 

"i3Ti3a ^nKTiai n nn t3*o 

mna lab rhT vadt nrnsa^ 
nnp3 ninsb 5rnö "«nnb lapi 
: naatan h aßn n»n ir 'n 'v lo 

Z. 1. rra^n der Strafprediger kat ezochen. Vgl. Zunz, Oottes- 
dienstliche Vorträge, Frankfurt 1892, S. 459. 

Z. 2 — 3. nnö =» -ninö; h'i = nsiab ijinst. Der ,au8gezeichnete 
große Sittenprediger' Josef Kobler, offenbar ein Wander- 
prediger, dessen engere Heimat nicht bekannt war (ni3n&& 
höchst unbestimmt), fand hier Dienstag abends 10. Tischri 
482 = 30. September 1721 einen unerwarteten Tod. 

Z. 6. "nicnai =» lanKnai; 'i3ii3a = m3iiDa. 

Z. 7. vn = o«n; ripa « rmmpa. Abbreviaturzeichen sind nicht 
sichtbar. 



^ Fehlt in Frankls Inschriften. * Stand des Steines. 



Wiener hebr&ische Epitaphien. 31 

Z. 8. '-vnai = nvieai. Vgl. Ber. 61 ^ inotps nnrw iv nnna t^kö Tn 
inia; Sanh. 68* inars 'r\T^ nin» ♦ • ♦ jnS nöK . ♦ ♦ ntj?''^« 'i rhrws 
nnnen. Bei Frommen öfters gebrauchte Eaphemie, hier be- 
sonders durch die begleitenden Umstände veranlaßt, iniar 
'S! die Auffassung y daß das Verdienst der Qerechten 
der Gesamtheit zugute kommt, ist alt (Gen. Kap. 18). Im 
Talmud (Berach. 17^) wird wegen des einzigen Channina 
eine ganze Welt erhalten. (Freilich haben anderseits die 
Gerechten durch die Kleinheit der Zeit zu leiden ^m 
^^b "»Tin ^ra pK • . ♦ .th). Glücklich ist aber der Kampf 
gegen die Sünde erst dann vollendet , wenn das Leben 
abgeschlossen ist (^niö avnj? ibxrn p^*^ ^^ ^^^^ ^^ 5)- ^g'- 
die besonders charakteristische Auslegung von (Koh. 4, 2) 
D-nan nK ^m< natn in Sabb. 30% ferner Chul. 7 * D^pnx ahm^ 
p^naö nnv inn^öD. Dazu kam der Opfer- und Sühngedanke 
niftDö D^pnjt hv inn^a (Moed Kat. 28*) nnBSo K'"'p'»n3n innn^öi 
irrr'>äinbr (Sohar zu Achre moth.) sehr plastisch in Sed. 
Eliahu Sutta (ed. Friedman S. 173) o^p vnpun n'^yo |öt ba 
o^an fiKb raiHDi aTawb nioipo toa ^Knr^b maa kvi nw naro 
aramb möipa baa *?in«rb misa an Q^aan '•Töbni die dann zu 
einer Vorstellung verschmolzen.^ Ab Euphemie erst in 
der spätem Zeit (vgl. Zunz, z. Gesch. 340); rt-irbp |r iniaT 
von jedem verstorbenen Chassidim-Zadik und hängt mit 
der Stellung des Zadik in der chassidischen Lehre zu- 
sammen. 

Z. 9. »nnb-rrnnb; 'arnö=Ka»rTö. 

^ Schon das Leiden der Zadikim kommt der Welt zn statten «^^ vrbia 
man 163 vsm a^sr nb irrt \nw* »ar inVia irxob wahp ywxH nh "»an \mo* 
B. Mezia 85^ 



32 



IV. Abliandlaii(^: Waohctein. 



1 

s 

1 



Nr. 13. 

Josef Hordecliai Gnmpl Emmerich und Dina Sara 
Emmerich. 

Material: Laaser Marmor. Höhe 128cm; Breite 94cm; Dicke 12cm; 
Texthöhe 120 cm; Zeilenlftnge 85 cm. 

197V397« 

Plutn.T'n nrß jdk n^iiapnaatonT nun rfebintai warn inn nan nn rap nci 
TnTD ^amnn r^pn^ h'w rvw ^tr '•aw na^i 

*op3i naiaöi noino öv nae n*mnttn nnava riK^ac^ai 

"ni nöw Dia*» nwK ora innnöb la-'bino "jaK*? ^Bn3 jwar nrnpa 

pwnno VTJ mn ^a-'brn rnnb ^tp naw nacr*? la-nnvi mor di^ 

p£b nw cn'rn n i x& aw.nam naw 

vif?ic imK np*? "3 laa-'K «lov 5''ö\n rouDoi o'^aiio na im nin -g 

D-'^nn ra» tds ^a "iie ^nnraS» ptöi pin npri D^innb 

labb ^bbn miwb «r "»annbi onrra j^ma now n-iw 

ü''hh^^ mpOKn labi ebij? b»w ontoo o^or "»irr 



^ 

^ 



nmn mm htm naiQi 4 



-g f bsa pnß naw ra'TKi D''rr j3 nnnHßn mm msD miaa 
D D-bib*m mn^w nai^ nr pap 
3 YiniB anab npoi npö a^ip nnn 

dSiio ba^n pir p "npB? ib 

••aö ann rca naan annoba nn 

Dibr npnat mrroi iiöbm o" 



D^n*n n-'pian "T'p^ 'naa ninß a-S 
D^bnao n-n n nninb paai jaa^i 



nn"^]? ö^öina ^owSi 
rinp leaa nriTr "rmm onp '^'rn 
nmrnS^n nwK aio Dra^bianai 
nöTip fiKTi pn K^i aio nn*?öia 
nrv»a nnaa ^wa noan nnaan^ 



nnic ^a'^nnK^ a-'DOi aio ^-lap nönamanmacönK'?ö iiannr^o 
ö^ip onnbi iTDcnb «nai ^loo nn''''an nanpo o^arbi naaba nc'^i 

Von diesem Doppelepitaph hat Frankl (Nr. 397) bloß die 
Aufschriften und das Datum mitgeteilt. Sowohl das Datum 
als auch der Name der Frau sind jedoch falsch. 



10 



15 



i^> 



> Stand des Steines. 



' Nummer des Epitaphs in Frankls Inschriften. 



Wiener hebräische Epitaphien. 



33 



^rn Mb=D^3m wo nach Gen. 47, 9 wurde .Tn^Mö = Methodia 
gelesenil Zum bessern Verständnis wird hinzugefügt mv nn, 
welches besagen soll, daß ihr bürgerlicher Name Methodia dem 
hebr. mvmn entspricht! Allerdings ist auf dem Grabstein selbst 
*i anstatt n {^). Das Datum hat bereits Rapoport in Werth. 
Jahrbuch (II, S. 317—318) auf Grund des korrupten Textes 
zu ermitteln gesucht. So geistvoll seine Ergänzung ist, ist sie 
doch nicht richtig. Das Jahresdatum nicn hv (Z. 6) = 507 = 
1746 gilt fUr Vater und Tochter. Freilich erleidet das bekannte 
nio nit9 nixb sie (Gen. Rabba Kap. 9) eine Änderung. Josef Morde- 
chai Gumpel starb ^tk = 17. und wurde begraben t» = 18. 
Marchesvan = 1. Noyember 1746. Seine Tochter starb 7. Ok- 
tober im selben Jahr. 

Über die weitverzweigte Familie Emerich-Gomperz vgl. 
Kaufmann im Vorwort zu ,Aus Lion Gomperz nachgelassenen 
Schriften^ Eine nachgelassene Monographie Kaufmanns über 
die Familie Gomperz wird mit £k*gänzungen von Max Freuden- 
thal fbr den Druck vorbereitet. Vgl. ferner Hock, Fam. Prags, 
S. 244; Carmoly, njv ^aai D^a^irn S. 18 u. A. 



Z. 1. 



Z. 4. 



Vgl. Jer. 6, 4 mit Ab- 
sicht wegen des Zahlen- 
wertes *iK = 17. S. oben. 

Vgl. Deutr, 13, 4 und 
Dan. 12, 7; ti 18 daran 
D^^P = ewiges Leben. 

Z. 11. V = DV. 

Z. 13. Vgl. Ber. 8* ^arnw wpo 

Z. 13—14. 131 ^h ^^mß Sabbat 
119\ 

Z. 17—18. Vgl.Sabb.23^Dwn 
♦ ♦ ♦ pan r» n^ iin pan 
D'«bn3ö sicl 

Z. 19—20. ^löo nnK Midr. Rabb. 
Gen. Kap. 43 Schw. nnK ; 
nHi3i -pt» Meg. 2^3'>; frei- 
lich hier in der Bedeutung 
,würdig' wie '•iki. 



Z. 1 — 2 im Sinne von Abot. 

4, 16. 
Z. 19. Vgl.Sanh.37» pap^^ '»^'BH 

pona mxo r^Sö law; Cant. 

rabba zu innn nbfiD (Cant. 

6,8). 
Z. 20. nn^sn lonpo Taanit 23\ 

Die spezifisch weibliche 

Tugend. 



»itsmictbar. d. pkil.-kist. U. 166. Bd. 4. Abb 



V. Abb.: Bicbter. Die Bedeutungsgescbicbte der Sippe bur(dj. 1 



V. 

Die Bedeutungsgeschichte der romanischen 
Wortsippe hir(d). 

Von 

EUse Biohter. 

(Mit einem Stammbaum.) 



(Vorgelegt in der Sitzung am SS. Janiur 1907.) 



§ 1* Schachardt spricht gelegentlich einmal von morastigen 
Forschangsgebieten, auf denen man leicht ausgleite und ver- 
sinke,^ und von der Aufgabe^ sie in gangbares Wiesenland zu 
verwandeln. Auf ein solches Sumpfgebiet gerät man, wenn 
man den Spuren der Wortsippe hur(d)- nachgeht, ja man 
ist nicht selten in Qefahr, bis über die Knöchel im Schlamm 
der Ungewißheit zu versinken; — daß man ohne alle Aben- 
teuer das Ziel der Wanderung erreiche, ist von vornherein 
nicht zu hoffen Dennoch erscheint der Gang verlockend und 
so sei er gewagt. 

Die Worte, die zu dieser Sippe gehören, bilden eine sehr 
zahlreiche Familie — mehrere tausend Vertreter sind es jedesfalls 
— von außerge>vöhnlich mannigfaltigen Bedeutungen, die der 
vorangestellte Stammbaum darlegt. Ihre VerwandtscbaftsTerhält- 
nisse sind nicht immer klar; in mehr als einem Falle erscheint 
sogar ihre Zusammengehörigkeit, mindestens auf den ersten Blick, 
zweifelhaft. Andererseits sind so verschlungene Beziehungen zwi- 
schen ihnen, daß es oft schwer fällt, die Fäden zu entwirren. 

Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Griechenland über Al- 
banien durch die ganze Romania nach England bis an die 
Orkneyinseln und wohl auch nach Deutschland und Skandi- 



^ Bomanische Etymologien II 209. 
SiUnngslMr. d. phil.-hiit. Kl 166. Bd. 5. Abb. 



2 V. Abhandlang : Richter. 

Dayien. Ihre Tradition geht in die lateinische Zeit zarück, 
aber sie ist nicht lateinischen Ursprungs; nach der Art ilirer 
Ausdehnung zu schließen, muß sie jedoch früh und intensiv 
dem Lateinischen assimiliert gewesen sein. 

Verfolgt man die verschiedenen Bedeutungsläufe zurück^ 
so findet man, daß sie schließlich alle in der Bedeutung Bohr 
ihren Anfang haben. Die Pflanzenbezeichnungen müssen 
als Ausgangspunkt angesehen werden, und zwar stehen im 
Vordergrunde die Ausdrücke für Schilfrohr (Wollgras), von 
denen sich als die wichtigsten Gruppen die folgenden loslösen: 

Aus der Bezeichnung des Schilfs mit Beachtung des 
Fruchtbüschels die Ausdrücke für Stopfzeug, Wolle, 
Floeke, Knospe etc. etc. 

Aus der Bezeichnung des Schilfs mit Beachtung des 
Rohrschaftes: 

A. 1. Der Stoek mit allen seinen Derivaten. 
2. Die BOhre, Ablaufrohr, Rinnsal. 

B. Das tOnende Bohr als Musikinstrument, und von da die 
verschiedensten Dinge, die tönen: Tiere, Werkzeuge etc. etc. 

Aus der Bezeichnung des Schilfs als Ganzes Ausdrücke 
für Garbe und Brennmaterial. 

Aus und neben diesen entwickeln sich noch zahlreiche 
Nebenbedeutungen, die sich z. T. untereinander beeinflussen, 
z. T. mit Worten nahverwandter Stämme kreuzen, so daß die 
Grenzen überall verlaufen. 

Daß der Stamm bur(d) nicht lateinischen Ursprungs ist, 
kann ab gesichert gelten. Denn es ist kaum denkbar, daß 
ein so weit verbreitetes romanisches Wort in der klassisch- 
lateinischen Literatur gar keine Spur aufzuweisen hätte, wenn 
es schon altvolkslateinisch gewesen wäre. So z. B. zählt Plinius 
neunundzwanzig Schilfarten auf und schildert ihre verschie- 
denen Verwendungen in der Landwirtschaft und im Leben, die 
romanisch durch ebenso viele Ausdrücke mit bur(d)' wieder- 
gegeben werden. Aber Plinius kennt nur Arund o, Juncus und 
die anderen bekannten Namen. 

Der Stamm bur(d)- ist vermutlich keltischer Abkunft. 
Hierfür sind folgende philologische Gründe anzuführen: 

Die Art der Verbreitung: Am dichtesten gesät sind 
die Worte in Norditalien, Südfrankreich ; immer noch sehr 



Die Bedeutungsg^schichte der romanischen Wortsippe bur(d). 3 

zahlreich in Mittelfrankreich, Spanien, Portugal; gerade die 
anten anzuführenden Piianzenbezeichnangen sind in Irland and 
Nordschottland heimisch. Hingegen ist die Sippe im Ramäni- 
sehen nicht so stark vertreten; ins Qriechische und Albanesische 
ist sie aus dem Romanischen eingewandert. 

Im Keltischen haben wir den Stamm bar < idg. *br8 
in der Bedeutung I. Nadel, Spitze, IL Büschel von Nadeln, 
Schopf. Zu I. stellt Hoops (Waldbäume und Kulturpflanzen, 
S. 362) die Bezeichnungen fUr verschiedene Getreidesorten; 
Getreide und Schilf sind beides Gramineen und in vielen 
Punkten ist ihr Habitus so ähnlich, daß ähnliche Bezeichnungen 
im Volksmund durchaus begreiflich sind. Man vergleiche z. B. 
unser Seegras, Wollgras u. a.^ (Die Bezeichnung ,8pitzig' paßt 
ganz besonders auf einige Schilfarten, z. B. Juncus aquaticus, 
J. maritimus.) 

Als Tiefstufe zu bar rechnet Hoops auch das ae. byrst 
horste, ahd. and. burat. 

Im Englischen haben wir burr zur Bezeichnung der rauhen 
Samen- (Frucht-)HUlle; dän. borre schwed. burre mengl. burre 
ist die Klette nengl. bur der rauhe Kopf einer Pflanze, die 
Schale der Kastanie bur-thistle Distel burdock spez. Klette, 
im allgemeinen rauhe krautige Pflanze usw. 

Die romanisch weitverbreitete Gruppe bor zum Ausdruck 
von etwas Rundem, Aufgeblasenem (von da auch in geistiger 
Bedeutung: aufgeblasen, hochmütig) wird zu gael. bor 
Knospe, Schwellung corn. bor = pinguis hochl. schottisch 
borras = projectura ir. borr stolz, groß (vgl. Stokes-Bezzen- 
berger) zu stellen sein. Sie ist von der Vorstellung wollige 
Knospe, Flocke gar nicht zu trennen und mindestens in engster 
Beziehung mit der Gruppe bur. 

Das Nebeneinander von Stämmen bar(d) und bur(d) 
in gleicher Bedeutung wird sich in einer ganz erheb- 
lichen Reihe von Bedeutungsgruppen nachweisen lassen, so, um 
nur die zwei wichtigsten vorauszunehmen: Btbr(d)' summen, 
dumpf tönen, bellen 6ar((i)-brummen, dumpf schreien, zanken. 
Bur(d)' Stock, Gerte, Balken bar(d)' Stock, Gerte, Ast, Stange. 

^ Henry (Lex. Etym. da Breton Mod.): bret. broenn jonc cymr. brwyn 
atr. broth 6pi paraiflsent se rattacher k an radical qai signifie ,pointu'. 
Cfr. broc*h. 

!• 



O V. AbliAndlung: Richter. 

ein Tertiam comparationis haben, aber mit etwas Dampftönendem 
nicht in unmittelbare Verbindung gebracht werden können. 
Ferner könnte ,hur* als Schallnachahmung sich eben nur auf 
das Dumpftönende beziehen, das Summende, Schwirrende. Wie 
wir aber sehen werden, bezeichnet hur- auch hohe, schrille, 
starke Töne, was bei der Herleitung aus Rohr sehr natürlich 
ist: ist doch die hohe Pfeife aus Rohr wie die tiefe. 

Mir scheint nun die Sache so zu liegen: Es ist auszu- 
gehen von dem kelt. st. har = spitz, das zur Bezeichnung 
von Gräsern und spitzigen Pflanzen verwendet wird. Das 
Rauschen des Rohres, wenn es sich im Winde bewegt, der 
Ton, den die Pflanze hören läßt, ehe sie in Menschenhand 
übergeht, wird mit dem schallnachahmenden bur- benannt 
und daher erhält die Pflanze neben der Bezeichnung bar- die 
mit bur-. War aber bur- die Bezeichnung des Rohres, so ist 
es fast selbstverständlich, daß diese Bezeichnung auf alle die 
Instrumente überging, die es liefert ohne alle Bear- 
beitung, sobald es nur abgeschnitten ist: das Stopfmaterial, 
den Stock in seinen verschiedenen Verwendungen und die 
Pfeifen, lange und kurze. Bekanntlich wird die hohe Pfeife 
aus dem dünnen Rohr geschnitten, die tiefe aus dem dickeren. 
Je länger (also je stärker) das Rohr, desto tiefer der Ton. 
Die tieftönende Pfeife kommt aus dem selben Rohr, das 
den kräftigen Stock liefert. Sie sind aus ein und dem- 
selben Materiale.^ Aus dem Substantiv für Rohr wird in 
jeder Bedeutung ein Verb gebildet: mit dem Stock fuchteln, 
mit der Pfeife hantieren, d.h. sie anblasen, *burire (bur- 
rire). Zu dem Verb in der zweiten Bedeutung tritt ein Adjektiv 
*buridus = dumpfen Ton von sich gebend, das jedesfalls 
burdus wurde, vgl. sard. burdu dumpftönend, und eine neuer- 
liche Verbalbildung burdire sowie ein neues subst. burdns 
in gleicher Bedeutung wie burire buru hervorrief. Wir finden 
Bildungen mit -rd- parallel zu fast allen mit -r, sowohl bei 
Verben als bei Substantiven und Adjektiven. Da aber buru 
Pfeife und Stock bedeutete, wurde auch burdu auf beide 
Objekte ausgedehnt; über die Bildung burdoonis ist weiter 

^ Aaf eine Verteidigang meiner Anfstellangon und auf Polemik gegen 
schon Torgebrachte Etymologien muß ich natürlich im großen Oansen 
verzichten. £b wQrde sn weit führen und doch fruchtlos sein. 



Die Bedeutiingsgescbichte der romanischen Wortsippe bur(d). • 

nichts EU sagen. Also wie hurdua träge die Sahst, hurdus und 
hurdo E^el entwickelt, so wurde die Reibe hurdus dumpftönend, 
Suhst hurdus und hurdo das Dumpftönende (Rohr, Rohrstock) 
gebildet. Daneben bleibt der hur- Stamm bestehen. Beide 
Stämme bilden sowohl Feminina als Masculina. 

E^ konnte nicht anders sein, als daß die &ur-Wörter 
auf har- insofern wirkten ^ als von den parallelen Stämmen 
gleiche Bildungen gemacht wurden. Daher die Verba des 
Tönens vom st. har und die vielen anderen konkurrierenden 
Formen y in denen auch hard neben har auftritt. Da einer 
onomatopoetischen Bildung eine intensive Lebenskraft inne- 
wohnt, ist es selbstverständlich, das sie immer wieder eingreift 
und zu den Wörtern, die auf onomatopoetischem Wege nie 
entstanden sein können und die doch in die Gesamtsippe 
gehören, andere einfdgt, die ebensogut eine Neuschöpfung 
vorstellen als eine Ableitung aus den schon vorhandenen 
Sprachgebilden. Da die Sprache in jedem einzelnen Zeitpunkt 
gleich lebendig und frei schaffend ist, wäre es ja auch eigentlich 
nur zu verwundern, wenn es anders wäre. Wir haben neben 
WörteiD, die aus der Urzeit stammen, solche, die in jedem 
Augenblick neu gebildet werden, vgl. besonders die Schreck- 
wörter S. 96 ff. Dennoch erscheint mir auch für einen großen 
Teil der Schallwörter die Herleitung aus ,Rohr^ nicht nur 
möglich, sondern wahrscheinlich. 

Ich habe bei dieser Untersuchung nicht das Sammeln 
unendlich vieler, lautlich-dialektisch verschiedener Bildungen 
im Auge gehabt. Bei der unübersehbaren Menge vorhandener 
Formen wäre doch der größte Teil unausgeschöpft geblieben. 
Auch schien mir die lautgeschichtliche Beobachtung weit weniger 
anziehend als die bedeutungsgeschichtliche. Eis kam mir in 
erster Linie darauf an, die Entwicklung der Bedeutungs- 
gruppen zu zeichnen und im Gegensatz zu der meistens ge- 
übten Gepflogenheit, Gruppen abzugrenzen, gerade umgekehrt, 
ihre Spur womöglich überall so weit zu verfolgen, bis 
ihr Übergang in andere Sippen sichtbar wird. Ich 
habe daher im folgenden die Formen hur- und hurd- nicht 
prinzipiell getrennt, da sie nebeneinander ohne Unterschied 
der Bedeutung auftreten. Wichtiger als diese Trennung wäre 
übrigens die genaue Untersuchung des Stammvokales. Drei 



i 



8 y. Abhandlung: Richter. 

Typen scheinen sich konstruieren zu lassen : bür, bürr und bür. 
Bürr und bür stehen nicht vereinzelt da; sie reihen sich den 
Paaren mucus-muccus ^ cupa-cuppa etc. an, deren Erklärung 
Ahlberg (Studia de Acccntu Latino Lund 1905, S. 52 £F.) gegeben 
hat. Die spätlateinische Neigung, die Quantitäts Verhältnisse 
innerhalb einer Silbe dahin zu ändern, daß der Vokal gekürzt 
und der Konsonant gedehnt wird, hat besonders auf französi- 
schem Boden einige Wort Varietäten hervorgerufen und das 
Nebeneinander von z. B. muctts und muccua (welch letzteres 
zu muccidus neugebildet scheint, während mucuB ein mucidus 
hervorruft) hat jedesfalls dazu beigetragen, daß ähnliche Pro- 
portionsbildungen geschaffen wurden. Bei einer Sippe von 
solcher Verbreitung und von so intensiven begrifflichen Kreu- 
zungen wie die unsere ist noch besonders der Analogiewirkung 
ein weiter Spielraum geöffnet. Zu allen Zeiten konnte die 
stammbetonte Form den Vokal der stammunbetonten annehmen 
und umgekehrt, die abgeleitete Form wirkt auf das Simplex 
zarück usw. Der auffälligste Typus von allen scheint der mit 
kurzem Vokal und kurzem Konsonanten bür, der, wenn er auf 
die Urzeit der Sprache zurückginge, als ,Tief8tufenform' leicht 
erklärt wäre. Da aber unsere Beobachtungen die Sippe als 
eine verhältnismäßig junge erweisen, ist überhaupt ein dritter 
Typus bür in noch lateinischer Zeit vielleicht nicht mehr zu 
konstruieren, sondern die romanischen Wörter, die auf ihn 
zurückzugehen scheinen, werden anders zu erklären sein. Be- 
grifflich hängen sie so eng mit den beiden anderen Typen 
zusammen, daß eine Ausscheidung ganz ausgeschlossen ist; 
möglicherweise ist Analogiebildung nicht nur nach den Sippen- 
wörtern selbst, sondern besonders nach ,bor^ Ejiospe anzu- 
nehmen; die gleichbedeutenden Worte haben den geringen 
lautlichen Unterschied abgestreift. 

Was die Weiterbildungen der Stämme anbelangt, so 
seien hier in aller Kürze die wichtigsten vorgezeichnet: 
kelt. bar Bezeichnung für Ge 
treide und Schilf 

Daraus 
barire | burire buridus > burdus] 

I daraus neuer Stamm 
bard burd 



bur onomatopoetische Bezeich- 
nung des Schilfs. 



^bur-inare > *burnare \ 

bur + bon- vgl. S. 61,3/ ' ' " 



Die Bedeutangsgeschichte der romauisvhen Wortsippe hur(d). 9 

im Auslaut bart (bert) burt daher neue Ableitungen 
„ „ „ mit ^StamIn 

bar(bur) -tca teils zu bar'(bur-)ca „ c-Stamm 

teils zu bar-(bur-)ga „ j-Stamm 

n-Staram 

*burinare > *burniar . . „ /1-Stamm 

(bar)bur + dem. ulu i , ^ 

verbal: -ulare I " 

bur(d)' ivus vgl. iuncivus „ if-Stamm 

(bar) bur(d)' eus vgl. iunceus „ rj- (-dy). 

Bei der Nube der Bedeutungen haben diese Stämme sieh 
so beeinflußt, daß die Formen von der einen auf die andere 
häufig überspringen. Da bar >> ber besonders im Vorton eine 
häufige Erscheinung ist, sind auch ber(d)- Formen leicht erklärt. 

§ 2. Ehe ich an die nähere Untersuchung der Sippe bur 
herantrete, will ich vor allem feststellen, welche Wortgruppen 
ich als nicht zugehörig ansehe. 

I. Auszuscheiden ist vor allem burdus = Esel. 

Vielleicht kann man folgende Etymologie gelten lassen: 
dem lat. gurdus gr. ßgadug träge aus idg. guurdo (vgl. Brugmann 
1454) entspricht oskisch *burdu8. Das Adjektiv ,schwer von 
Begriffen, dumm, trag' wird übertragen auf das dumme Tier 
x(rr*ifox^v und so substantiviert: burdus, Esel. Daneben ent- 
wickelt sich die -o onis- Ableitung burdo, wie zu b ar du s dumm 
bardo Dummian > Esel. Bardus dürfte, wie schon Festus 
erklärte, einfach aus dem Griechischen genommen sein, da neben 
ßoadvg ßagdiarog, ßagdvreQOg (Brugmann 1 463) vorhanden sind, 
vgl dagegen Walde EW. Burdo ist früher belegt als burdusj 
da es schon im Ed. Diocl. und in der Vulgata vorkommt, bur- 
du8 hingegen erst in den Scholien zu Horaz, Carm. 3. 27. 7, 
{ZU mannus). 

I. Burdus wandert ins Mittelgriechische: ßöqdog und ein- 
zelne romanische Dialekte; z. B. poitev. bourdin sp. bürde- 
gano (Maulesel, bei Col.); Burdo ist fast in allen romanischen 
Sprachen, im Albanesischen, im Englischen usw. 

Bardus konkurriert. Im allgemeinen bleibt die Be- 
deutung Maultier überwiegend: Aunis bardou gen. bardotto 



10 V. AbbAndlung;: Richter. 

piem. bardot Diese Wörter könnten allerdings auch anders 
erklärt werden, nämlich als Ableitungen zu *barda Korbsattel 
vgl. S. 21 u. 66 ptg. barda Korb sard. bertuhy wozu die lango- 
bardischen bertolatae (AG XIV 390). Aber in der VendÄe 
und a. a. O. bedeutet bardou = berdou Schöps, und da dieser 
letztere mit keinerlei Sattel in Berührung kommt, ist wohl die 
Ableitung aus bardua vorzuziehen. Arab. barda und seine 
Derivate beziehen sich ausschließlich auf PferdeausrUstnng, 
kommen daher nicht in Betracht. 

Aus burdus Maultier entwickelt sich weiter: 

2. A. Der Begriff ,Bastard' im allgemeinen: afz.prv.6ort 
cat. bord sp. btyrde sard. burdu usw. ; speziell von Pflanzen : 

3. wildwachsender Schößling: sard. burdumij bardi- 
mini cat. bord sp. borde agallic. borda wilder Weinschößling. 

4. B. Das vierbeinige Traggestell wird wie mit 
anderen Tiernamen auch ,EseP genannt, it. asinello^ Bildungen 
aus burdo sind siz. vurduni u.a.; mit Ableitungssuffix: berg. 
bordunälf burdunal, Feuerbock, eiserner Rost; mit Einwirkung 
von dt. brand die Varianten piem. brandh com. h'endenaa 
mail. brandenaa piac. brindnal (Tir.).* 

Hingegen gehören alle Ausdrücke, die Stock oder 
einfaches Holz bedeuten, nicht hierher, sondern zur 
Sippe bur(d). Die Bemühungen, Esel, Pilgerstab und Orgel- 
pfeife in genealogische Beziehungen zu bringen, müssen als 
erfolglos angesehen werden. Diez hätte zwar zur Stütze seiner 
Aufstellung Esel >* Pilgerstab (siehe EW: bordone) die muH 
Mariani heranziehen können, nach Festus bei Paulus gabeU 
förmige Stöcke zum Tragen der sarcinae, die von Marius ein- 
geführt und von den Soldaten scherzweise so benannt wurden 
(Heraeus, Die römische Soldatensprache ALL XII 258). Wenn 
man aber das Wortmaterial übersieht, zu dem bordone Pilger- 
stab unzweifelhaft gehört und bordone Esel ganz und gar nicht 
gehören kann, so wird man auf die ohnehin nicht überzeu- 
gende Filiation ,Esel > Stock* verzichten. 

n. 5. Nicht zur Sippe bur(d) gehört frurru« braun- 
rot <; nvqqdq. Doch kommen viele Kreuzungen mit bur- Re- 



* Vgl. all letzte hierüber erschienene Aaseinandersetsang die Meringers, 
Idg. Forschangen XVI, S. 136 ff. 



Die Bedeutungsgesciiichte der romauischen Wortsippe bur(d). 11 

Präsentanten yor, auf die im Verlaufe der Untersuchung ein- 
gegangen werden wird. Es ist daher geboten, die Hauptent- 
wicklungszttge dieser Gruppe nachzuzeichnen. 

6. BurruSy hirrus^ bedeutet feuer(gelb)rot; von da 
aas rotbraun, braunrot, braun, dunkelfarbig (offenbar je nach- 
dem das Feuer mehr oder weniger mit Rauch durchsetzt ist). 
Dies sagen schon die Glossen : Goetz V 403, 56 borrum rubum, 
404, 8 burrua rufus, 9 bunia bruum, 17 burima niger. Die Be- 
deutung ,braun' hat z. B. cat. burell, burill, burey ptg. burel, 
huro langu. bouret kaffeebraun; burel erdfarben, schwarz, 
dunkel alemtej. (Rev. Lus. IV 240, Villa Vi9.) bruel, burel. 

7. Hieraus entwickelt sich die Bedeutung schwarz, 
dunkel machen im Sinne von beschmutzen, verschmieren: 
ptg. borrar boräo Tintenklecks borrabotaa Stiefelputzer 
lomb. sborfar (AG VIII 386) usw. Im afrz. bruete (God.: Et 
nara lache ne bruetiej Eins sera clere et pure et nette) ^ in 
iraue beschmutzt broue = boue ist st. brod- zu erkennen. 

8. Von verklecksen zu verwischen, ausstreichen: sard. 
hurrai cat. borrar) hiedurch weiter 

9. entwerfen: sp. borrön cat. borrö Entwurf = Brouillon 
sp. borrador Skizzenbuch = kladtboek (Col.) ptg. borradela 
Farbenskizze. 

10. Dunkle, speziell graubraune Tiere: prv. bouriölo 
eine Schnepfenart (Mistr.) borin (Larousse) = passerinette 
sp. burino Regenpfeifer ptg. borrelho Wasserhuhn (vgl. dazu 
auch borragal, S. 24) frz. bourrel = Bussard em. burattel 
kleiner Aal sard. burrida Haifisch (Porru). Der afrz. burety 
houret ,poisson' (God.) durfte dem sp. sombra lat. umbra axiwv 
-Tun.) entsprechen und hier unterzubringen sein.* 

11. Dunkle menschliche Erscheinung: frz. le moine 
bouris = Werwolf. 

12. Das ,Graubraune' speziell ist die Asche: ptg. bor- 
ralhoy vgl. auch S. 75, 2. Dann ist noch hierherzustellen aburg. 
lurot = pinot gris, eine Traubensorte (Littrö). 

' Cber den Ersatz von v durch 0, ü, i ygl. Ciaassen, Die griechischen 
Lehnwörter im Französischen. Erlangen 1904, S. 92 ff. 

* Vgl. Schnehardt, Z. XXV 347 brttdU Handshai, zu welsh braUh = 
hreeh gefleckt. 



IS 



, AbhiiiHUutig? Ri «liier. 



13, Bun^us wird zuerst spezialisiert auf das rotbraune 
Maultier, vgl. Forcellinl burrickuSj huricus ^^ mannua et 
burdo, vertritt also unseren ^Grauen', dann aber wird die Be- 
zeichnung auf die verschiedensten anderen, gelben und rot- 
braunen ; rcsp, rot(braun) ges^pretikelten Tiere übertragen: 

14, Esel; it. burrico maiL borioch piem, borico vion* 
burike verd,-chal. boiirri langu. bourröu morv, bourou 
Fr.^ComtL^ böurru cat, sp, ptg. burro ptg, burrico. 

15, Bindvieh; p^g.borreco Leithammel engh bur (Murray' 
populär name yf the genus bidens; Valsoana harrl Stier Ao^ta 
bure Ochs vgL Nigra AG XIV 357; frz. bouri'et (Larau&se) 
Ochs und Kalb, speziell in Deux- Si^vrea rot-weiß gespren- 
kelter Ochs; Kouergue bonrrino = unfruchtbare Kuh (A' 
XV 114). 

16, Weißes Pferd mit dunklen Flecken: it. hurdlä 
piem. borico schlechtes Pferd, 

17, Katze: it. burichio piem. borico, 

18, Meersohweiueheo sp. burro marino. 

19, Truthahn piem. birö rem* btrein etc, (vgh Nij 
AG XV 278). 

20, Intoramnese (Rev. Lue* VIII 56) ist bm^o todo o gi 
nero de besta. 

21, Da das Maultier das kleine zwergartige Tier ist im 
Vergleiche zur unverfillachten Pferderasse — vgl die Glosse 
Ooetz 11 180. 59 burichms raicrofius ^= ficxQötpvrig — wird die 
Bezeichnung burrus dann auch auf allerhand relaÜT kleine^ 
nämlich auaus^^ewaehscttc Tiere verwendet; es gelangt Äur 
Bedeutung j II ng, meistens: einjährige oder: das noch nicht 
geworfen hat, das noch nicht verschnitten ist; 

it. birracchio junges Rind, Kalb frz. bourret eiojUhriges 
Rind ptg, borrega ei njil liriges Schaf hmgu. bourte einjähriges 
Lamm^ Schaf oder Esel alemt. (Rev. Las. IV 59 Avis) iorre 
junger, zur Zuclit bestimmter Bock |i:all. (ebd. VIII 5ü) borrön 
(neben berrön) noch nicht verschnittenes Schwein in Alomt 
auch borro alter, nicht verschnittener Bock ptg. borico Hammel 
über ein Jahr berg. borel kleine Person (Üummeijahn). 

Auch von anderen Tieren: ptg* borrefo Küchlein, Taube 
ohne Federn borracho junge, noch nackte Taube, NostHnj 
(vgl, S. 31, 13). 



fl 



Die Bedontangügeachichte dor romanischen Wortsippe bur(d). 13 

22. Ans hurrUj wie ans hurdu entwickelt sich die Be- 
dentang vierbeiniges Traggestell, frz. lourriquet Trage- 
halken sp. ptg. burro berg. bm^el Säge^ Bock piem. bor- 
richet Bock = asinello usw. 

23. Man beachte^ wie ans zwei ganz verschiedenen 
Bildungen die Stämme bur(r) und burd in gleicher Be- 
deatang konkurrieren^ neben denen als dritte Form bard- 
steht. Also im Spätlateinischen (frühmittelalterlichen Latein) 
sind burdus bardus und burrus synonyme Tierbezeichnungen; 
80 erklärt es sich^ daß wir neben burr- auch burd- und bard- 
finden bei Tierbezeichnung nach der Farbe: nämlich 
graubraun y z. B. ml. burdo Weibe (wozu nach Palliopi Val 
Bardun zu stellen) frz. bourdon (Roll. II 338) das zweijährige 
Männchen von perdix rubra. Es ist weder als Junges Tier' 
S. 12, 21 noch als ^das schwirrende' par excellence S. 99 ein- 
zoreiheDy sondern das Charakteristikum des ganz ausgewachsenen 
Tieres sind die dunkel rostrotbraunen Schilder am Halse und 
am Kopf. Gen. bardo = grixon = sordone (grauer Vogel; 

j becassine sourde) gatto bardo = gesprenkelt^ getigert^ und das 
Sprichwort da niutt t gatti son bardi ; aus *bardia kann kommen 
frz. bärge, bärge ä queue noire (Roll. II 352) limosa melanura, 
eine Schnepfenart; vielleicht bret. barged Milan, bargeden Wolke 
Tor der Sonne, nach Henri ,comme un oiseau de proie qui plane'. 

Zwischen bard- und burr- kann stehen barrulna (Wright. 
Wttlker 357. 38) == ragufinc (11. Jahrb.) bariuliis = reagufinc 
Goetz V 402 16 (Codex Cant.), dazu modern dial. barrel bird 
(Meise) parus caudata. Doch können sie auch zu barr- Streifen 
gestellt werden. 

Daher ist die Qlosse bams burrus nvqqog (G II 28. 33) 
barrum rufum (IV 30) nicht emendationsbedQrftig. Vgl. dagegen 
Heraeus ALL VI 149. 

Nun trifft man aber in manchen Gegenden, genauer in 
Spanien, Portugal, Sudfrankreich, Norditalien, Rätien, Albanien 
Formen mit 6er-, die sich mit bur- in der Bedeutung junges 
Tier, noch nicht verschnittenes Tier decken, gelegentlich auch 
die allgemeine Bedeutung Zuchttier haben: 

Gall. berrön neben dem S. 12, 21 erwähnten borrön, noch 
nicht verschnittenes Schwein sp. berraco, bur = ongesnedon 
vercken (Col.) mess. (Rom. V) berion kleiner junger Stier, 



14 V. Abhandlang: Richter. 

Widder, Schwein; vion. bdru Wlier piem. bero frz. dial. 
berou can. berro rom. berr Widder, Bock etc., vgl. Nigra 
AG XIV 357; auch in den Alpenmundarten (Ettmayer) b^ro, 
bera Widder. 

Ber- bezeichnet die Schafsippe überhaupt: mail. berin, 
berott Lamm Alpenma. (Ettm.) sbergna Pökelfleisch alb. 
(Rossi) blrr pecora Wolltier, weibliches Schaf; auch dumm, 
Tölpel wie in den Alpenma. bar. Nigra stellt AG XIV 357 
Valt. bar barrin Widder, barro Ziegenbock zu verres. Die 
Ableitung befriedigt nicht ftlr die Mundarten, in denen b nicht 
zu V wird. Andererseits ist es, der Bedeutung wegen, schwer, 
an die aus dem Keltischen abgeleiteten Worte fUr schneiden = 
bert' (sowohl scheren als kastrieren) zu denken. Zu bar^ ber 
tölplig wäre noch it. berto, britto zu stellen. 

Der Bedeutungstibergang von rotbraun > zottig, 
häßlich, struppig ist ganz abzulehnen. Das Maultier ist 
nicht an sich zottig, sondern nur wenn es vernachlässigt ist, 
und es ist nirgends nachzuweisen, daß die roten Maultiere be- 
sonders häufig ungestriegelt vorkommen. Ebensowenig läßt sich 
aufrecht erhalten, daß beim Menschen rothaarig und struppig 
zusammenfiele, aber umgekehrt wissen wir, daß gerade die 
stark rotblonde Haarfarbe, auf die die Bezeichnung burms 
so recht passen würde, sehr geschätzt und eifrigst nachgeahmt 
wurde,* so daß die Annahme von *burra ,Perücke* im ver- 
ächtlichen Sinne durch nichts gestützt ist. Birrus = der 
gelbe Mantel ist, da er aus Wolle oder Seide sein kann, mit 
der gallischen ,horrida^ burra nicht auf eine Stufe zu stellen. 
Bei birrus ist die gelbe Farbe zunächst das Hauptmerkmal; 
dann heißt es wohl Mantel im allgemeinen. Der birrtis alhtu 
(Greg. Tur. M. 7. 2. 5) der Täuflinge wird ebenfalls als Fest- 
kleid, nicht als ,zottige8 Gewand' zu denken sein. 

ßurrus =s zottig, wirr gehört zur Sippe bur 
(S. 31, 14). 

ni. Die aus hartem gekrümmten Holz, meist aus Hex 
geschnittene bura btiris = Pflagsterz gehört nicht zur 
Sippe bur(d) und vermengt sich auch nie mit &ur- Wörtern. 

■ ninmnor, ALL VI S99tf. gibt in seiner Studie Ober die rote Farbe im 
LntoiiuKclion keinerlei Belege fUr tturrm. 



Die Beden tan gsgeschichte der romanischen Wortsippe hur(d). 15 

§ S« Ich gehe nunmehr zur Untersuchung der Pflanzen- 
Bamen über, die wie oben ausgeführt , die Grundlage der 
ganzen Wortsippe bilden, vor allem also zu den Ausdrücken 
fiir Schilfrohr. 

1. Von allen Schilfarten kommt für unsere Untersuchung 
in erster Linie das Saccharum Ravennas (Arundo donax) 
in Betracht mit seinem 1—2 m hohen Schaft , dessen Durch- 
messer am Fuß 2 — 3 cm beträgt, und seiner wolligen, glänzend- 
weißen Fruchtrispe, die ihm die Bezeichnung Eryanthus ein- 
getragen hat; dann die Scirpusart Eryophorum, das ,Woll- 
gras' mit seinen Fruchtbüscheln, die ganz und gar wie weiße 
Seidenquasten aussehen und als Stopfmaterial (und zwar als 
schlechtes, vgl. S. 6 das Zitat aus Plinius XVI 36) verwendet 
werden. Von anderen Schilfsorten sind besonders iuncus mari- 
timus und iuncus aquosus zu beachten, die mit ihren Spitzen 
und Stacheln ein undurchdringliches Gewirr und Gestrüpp bilden. 
Ungemein verbreitet sind ferner die verschiedenen Car ex arten 
(Riedgras), die als Brennmaterial dienen. An einschlägigen Be- 
merkungen finde ich: auf den Shetlands- und Orkneyinseln burra 
iancos squarosus (Riedgras) = rush or coarse grass (Wright), 
Winternahrung für Schafe; prv. horo (bolo) Meerbinse, Riedgras, 
dazu sauio-horo Grasmücke \^. fauveite des roseatue, langu. horo 
(Sauv.) die Gesamtheit der zum Flechten verwendeten 
Schilfarten: Riedgras, Cypergras u.a. Sauvage neuntes gleich- 
bedeutend zu sagno,^ unter welchem Ausdruck in der Provence 
das ,Gestrüpp' überhaupt verstanden wird, alles, was in den weit- 
ausgedehnten Steppen am Meer wächst: Dorngesträuch, Salz- 
pflanzen, Schilf, Binsen etc. Ferner bret. broenn cymr. brwyn. 

Eine Bezeichnung für Schilf steckt wohl auch in der lat.- 
ags. Glosse' lesta borda ( Wright- Wülker 30. 8, 8. Jahrb., gleich- 
lautend 432. 26, 11. Jahrb.) ohne nähere Erklärung. Lesta ist 
leicht in lesea = lisca zu bessern, vgl. carectus quod vulgo 



^ ,Le8 feailles longaes et äffilöes propres k garnir les chaises, 
tellei flont la laiche, le grand souchet et la maase d'eaa. II 
faat rendre cependant le mot sagno par le terme vagae de Jone, plaute 
diff^rente des precödentes, mais plus connae. On ne se pique pas 
dans le langage ordinaire d*uiie pröcision si ezacte.' 

* Bei Hoops, Ober die altengUschen Pflanzennamen 1889, findet sich keine 
in unsere Sippe fallende Bezeichnung. 



16 V.Abhandlung: Richter. 

didtur liscGj unde huda fiunt (G V 564. 3) Aelfr. 135. 14 carex 
vel . , . lisca. Da nun lisca = frf. laiche Riedgras (bei Körting 
ist der Stern vor lisca zu tilgen) und btida noch jetzt in der 
Bedeutung Schilf weit verbreitet sind (vgL Diez S. 360), fragt es 
sich nur, ob wir an unserer Stelle ,Schilf oder ^Röhricht* zu 
lesen haben (vgl. auch S. 24 ff). 

Rum. burluiü Rohr ngr. ßovglo Binse mgr. (DC) ßovQ- 
Xov luncus ßovQhvög iunceus (zu den daneben angegebenen 
Formen ßovqdov ßqovdov fehlen Belege) ; mit Metathesis : ßQOvXa, 
ßQOvkonvnsQog iuncus Cyperi, ßQOvX?u>y = siz. vruddu iancus 
aquaticus (Meyer AG XII) venez. brula Binse alb. ßQOvXi^w 
ich flechte Binsen (Meyer Ngr. St IV), vurlete aus Binsen zu 
%>reV Binse. It. hrillo scheint unmittelbar hierher zu gehören, 
wenn es auch ^Weidenart' bedeutet (vgl. unten S. 22, 4). Die 
Zusammengehörigkeit wird ja nicht vom Standpunkt der 
wissenschaftlichen Botanik aus betrachtet, sondern von der 
Beobachtung 1. gemeinsamer äusserer Ähnlichkeit oder 
2. gemeinsamer Verwendbarkeit im Handel und auch im 
täglichen Leben, oder 3. gemeinsamen Habitus in bezug auf 
Standort und Fortkommen. In diesem letzteren Sinne bilden 
sie Familien, die ja auch dem Botaniker zu wichtigen Beobach- 
tungen Veranlassung geben.^ 

Piem. horda festuca, bruscolo Alp. burda (-ou) fStu, 
brin de paille (Nicollet). 

Es ist kaum glaublich, daß diese Pflanzennamen nicht mit 
der Bezeichnung ihres Produktes in Beziehung stehen sollten and 
zwar so, daß der Name der Pflanze das Ursprüngliche ist. Ihre 
Verwendung als Stopfmaterial ruft unmittelbar die Verwendung 
des Wortes burra in dieser Bedeutung hervor. Hingegen sind 
sekundäre Pflanzenbezeichnungen, von dem Ausdrucke burra 
= Wolle erst abgeleitet: z. B. Aunis bourrSe Riedgras, Schilf 
(Meyer und Litträ Suppl.) vgl. auch arbre ä bourre = areca 
crinita (Littrö Suppl.), oder it. borraccina Baummoos. 

2. Der buschige, wollige (zottige) Kopf, dann die rauhe 
Oberfläche in weiterem Sinne gaben den Vergleichungspunkt 
bei vielen anderen, tatsächlich vom Schilf sehr verschiedenen 
Pflanzen. In erster Linie sei genannt irisch burroe Seegras, 



* V^l. Pmul Gräbnor, Lehrbach der Okolog^ischen Pflamsen^oographie» 1902. 



Die Bedeutiingsgeschiuhte der romanischen Wortsippe hur(d). 17 

breitblättriger Tang (Laminaria digitata), der, wenn er, vom 
Meere aasgeworfen, an der Luft trocknet, struppige Knäuel 
bildet. Bekanntlich ist Seegras eines der verbreitetsten Stopf- 
materialien für Polster und Möbel. Vollkommen einleuchtend 
ist die Namensverwandtschaft beim Bocksbart (Tragopogon), 
dem burihuctium des Gloss. lat.-germ. (Diefenbach), dessen 
Fmchtb&schel dem des Eriophoron außerordentlich ähnlich ist. 
Ebenso verständlich ist die Bezeichnung der Distel sowohl 
bei Berücksichtigung des reifen, einer Seidenquaste gleichenden 
Frachtbüschels als der spitzen Blätter und Stile. Auf die eng- 
lisch-schottischen Vertreter ist schon hingewiesen (S. 3). Hierzu 
noch friaul. abor^ shuor Distel. 

Die Weberkarde Herba fuUonum wird in den Glossen 
(Diefenb. 79) hv/ryt^ burich, borith, bovis benannt. Die Be- 
zeichnung fällt mit einer anderen^ hebr. borith (Vulgata), zu- 
sammen, das Du Gange und Forcellini irrtümlich mit Herba 
saponaria = Seifenkraut wiedergeben, vgl. Jeremias 2, 22 Si 
laveris tibi nitro et multiplicaveris tibi herbam borith, in Zwingiis 
Übersetzung: ob du dich mit Lauge wüschest und dir des 
Laugensalzes viel machtest. Borith ist also das Salzkraut, ptg. 
harrela, barrilha span. bainlla bor de (salsola soda), eine 
Pflanze, die durch ihren dem luncus maritimus ähnelnden 
Habitus und gleichen Standort in die bur - Gruppe übergehen 
konnte, während das Seifenkraut mit seinen weichen glatten 
Blättern und weißlichen Kelchblumen gar keine AhnUchkeit 
mit letzterer hat. Die Verwechslung konnte aber dadurch 
leicht entstehen, daß beide Pflanzen Scheuerkraut abgeben. 
Im spanischen borde steckt eher burd- als borith. 

An buryt = Weberkarde schließt sich bor du 8 (Goetz 
III 586, 10), als Erklärung zu scolembos. Goetz schlägt vor, 
in scolembos ayuikvfiog^zTi sehen. Sehr befriedigend, da axökvfiogf 
eine niedrig wachsende Distelart (vgl. Dioscorides Vindo- 
bonensis), in unsere Reihe ganz gut paßt. Der über der Glosse 
befindliche Zusatz yVel pinax^ bleibt allerdings unerklärt; 
könnte man etwa zu tenax ändern und an eine Klette denken? 

Burdunculusi bei Marc. Emp. ö, 17 herbam . . . quam 
alii lingua bovis vocant, also Boretsch, Ochsenzunge; 
Holder zählt es auf als ,Deminut. zu burdo^, ohne nähere Er- 
klärung, warum er es für keltisch hält. 

Sitaiiiiftb«r. d. phU.-hibt. Kl. 156. Bd., 5. Abb. 2 



18 y. Abhandlang: Richter. 

Borrago. Schon Diez machte auf den Einfloß von burra 
= Wolle in der Bildung dieses Namens aufmerksam. Er tritt 
erst spät auf; im Gloss. lat.-germ. Diefb.: boraga, boracho, 
burith und ist in verschiedenen Formen im Komanischen er- 
halten. Dem Typus boragine entsprechen it. borraggine im. 
borazna ven. borazena^ baragano friaul. burazena prv. 
bourrage ptg. boragem aber nicht sard. burraccia cat. 
borrcLxa (-aja) sp. borraja frz. bourrache gruy. bouratse, 
ferner friaul. burala. Es sind also drei Typen von Bildungen 
festzuhalten: 1. Die Bildung borago] aus venez. bor<izena kann 
sich (nach M.-L.) rum. boranfa (übers Neugriechische) entwickelt 
haben. 2. Der d- (S-) Typus, der wohl durch Vermittlung der Ärzte 
weitere Verbreitung fand; der älteste franz. Beleg (13. Jahrh.) 
ist borracea bei Alebr. de Sienne ; für ihn paßt die Annahme, daß 
arab. abou räch ihn beeinflußt, aus dem D.-H. borrago selbst 
herleiten möchte. Die vielen Varianten des Suffixes im Franzö- 
sischen sprechen dafür, daß wir es mit keinem autochthonen 
Worte zu tun haben; nicht nur ihre Zahl beweist es, sondern 
auch ihre Form: bour -ache -ouche -oche -oiche] dann noch 
-ace und -age. Endlich 3. zeigt friaul. bv/rala eine bodenständige 
Bildung aus burra] bei einer so gewöhnlichen Wiesenpflanze, 
deren in die Augen stechendstes Merkmal die rauhe, wollige 
Oberfläche ist, wird das nicht wundernehmen. Sard. burale 
ist dieselbe Bezeichnung für eine etwas verschieden geartete 
Pflanze (Stechblume), gallur. buredda <^ -illa gehört auch noch 
unmittelbar in diese Gruppe (über die letzteren beiden vgl. noch 
unten). Man könnte am Ende auf den Gedanken kommen, 
borrago zu burrus zu stellen, da ja eine im Altertum geschätzte 
Art, die Anchusa tiiictoria, zum Rotfärben verwendet wird (vgl. 
u. a. Plinius 22. 20, 23, Lenz S. 534 ff.) ; es kommt mir aber 
doch nicht wahrscheinlich vor, vor allem weil die rotfärbende 
Wurzel nur einer bestimmten Art eignet, die Rauhhaarigkeit 
aber allen; vgl. auch bei uns die Bezeichnung ,Rauhhaarige^ ; 
dann aber färbt die Buglossa Anchusa krapprot (diente auch 
zu Schminke), während unter burrua ganz konstant ein gelbes 
oder braunes Rot zu verstehen ist. 

Weiter sind noch zu nennen: rum. borangii (Cuscuta 
europaea) Flachsseide türk. burangük (Sain.) sard. burale 
gallur. buredda Strohblume, Bergpoley, Moltcnkraut (Rolla, 



Die Bedeatungsgeschiuhte der romauischen Wortsippe bur(d). 19 

Note di Dialettol. Et. 1896, S. 18) gen. (Gas.) hurcio (auch 
^mfiia) GraSy Moos, das unter Wasser wächst und sich an 
Felsen und SchiflFe anlegt; afrz. hurrion Hopfen engl, hur 
weibliche Hopfenblilte. Der Hopfen hat rauhhaarigen bis 
stacheligen Stiel und rauhe (männliche) Blüte. 

Bret. hurluy hrulu Fingerhut mit seinen stark behaarten 
Röhrenbluten und Blättern ; verschiedene Ausdrücke für Immer- 
grün: Diese. Vind. ßdqog mgr. (DG) ßqdtiov span. hrusela. 
Noch weiter entfernt sind dem Habitus nach sp. (Tolh.) burceta 
Ackersalat, Lattich Aunis bourcette Rapünzchen sard. bur- 
cera Kerbelkraut mail. bordocchin Leberkraut MA. nördlich 
vom Lago Magg. bordom (-n) rapa DG ßögioy Nießwurz = 
Helleborus, im Diosc. Vind. ikXsßogivr]. Endlich seien noch er- 
wähnt: afrz. bourde bei Qodefroy, ,sorte d'herbe' aus dem 
15. Jahrhundert und gallic. borda cierta planta, deren nähere 
Kennzeichnung fehlt. Prv. bowrdoun = Kopf der kompositen 
Blumen scheint mir eher sekundär vgl. S. 55, 44. Rum. bumianä 
wird zu slaw. burjana gestellt. Es bedeutet vielerlei krautartige 
Pflanzen, von denen b. forciacä (hypochoeris) Ferkelkraut mit 
langem Stiel und wolligen Blüten, die wie Eriophorum aus- 
sehen, besonders zu beachten ist. Durch den Standort mit 
Binsen leicht zusammenzufassen ist Euphorbia, b. de frigurt, 
de neget] an Juncus schließen sich im Habitus Koriander &. 
puciösä Chenopodium b, de bubä rea an. Die weißen Blüten- 
dolden des Ligusticum 6. de lungdre haben allenfalls ein wolliges 
Aussehen, bei Thlaspi b. a viermelui, Potentilla u. a. ist nur der 
allgemeine Begriff ,Kraut', ,Gras', ,Unkraut' da, der sich mit 
dem slaw. burjana deckt. Zum mindesten verlaufen hier die 
Grenzen. 

Zu mail. bordocchin Leberkraut sei die Variante bei Qoetz 
V 173. 9 zu dem häufigen Herba brittanica bemerkt: burritanici 
flores qui in silva nascuntur = Brunnenkraut, Leberkraut. 

Für bumeta Sprungwurt (W.-W. 557. 42, 15. Jahrb.), 
bumete Pimpernell (Steinm. III 551. 28) finde ich keine An- 
haltspunkte zur Vergleichung. 

3. Pflanzennamen, in denen die Bedeutung Stock, 
Gerte Ausgangspunkt der Anlehnung ist: 

Agall. boi-tas (Pinol.) Arbutus uuedo, Erdbeerbaum, eine 
Ericacaee prv. bourdigalo (-Iho) <. burdica (vgl. S. 60) + -alia 

2* 



20 V. Abhmndlang: Richter. 

toa€fes d'herbes et de broussailles qui croissent aax bords des 
eaux, auch hroundigalo bourdigaa hourtigaa broussailleS; bnisson 
öpais bourdiero (-iei-) Salix purpurea frz. bourdaifie^ Thaon 
burßn ßhamnus,* Prunus padus. Bei Rolland Flore Pop. IV 15 flF. 
findet sich eine große Anzahl Varianten, von denen nur ge- 
nannt seien: bourdo (Tarn et Gar.) bourdenne (Norm.) bour- 
dounayro (Dord.) brou (H.-Sa6ne) bourgano (Tarn) bourgono 
(Lozfere) bourdache (Vienne) bourjdne (Seine et Oise); afrz. 
borzaine (Rom. I 422). Von prunus leitet Meyer (EW.) auch 
ngr. äfiTtovQysXia üfiTtovQviXo Schwarzdorn, alb. muria ab. Einfloß 
von bur- kann den Wandel von p > b bewirkt haben. 

Hierher gehört wohl auch bourgain bei Godefr. ,8orte 
d'arbre' : Hz peuvent prendre et coupper tout le mort boys qu'ilz 
treuvent aval ladicte forest, c'est assavoir bourgain iance aaulx 
genest. Wegen der Ableitung bour-g- vergleiche unten S. 48, I. 
Nicht her gehört ptg. bordo als Bezeichnung ftlr Bienenbanm, 
Zuckerahorn, Rot-, Wintereiche etc. vgl. bord S. 60. Piem. 
bertoUna Seidelbast kann, was das -t anbelangt mit den S. 21 
zu besprechenden Bildungen vom Stamme bard- verglichen 
werden. Ferner sind heranzuziehen: sard. bertule S. 66, 18, 
abr. burtine S. 51, 16 u. a. Wichtig ist die Bezeichnung des 
Holunders, der schon im Altertume beliebtes Stockmaterial 
lieferte, z. B. sabuceum baculum (Aurel. Victor. 10. 2) sabu- 
cea furca (Pliniua XXIX 57), vgl. Theophrast (bei Lenz 500), 
ferner baston peley de seut (Chron. du Mont S. Michel I 51) 
n. v. a. Die leicht aushöhlbaren Aste wurden auch schon früh 
zu Pfeifen und Flöten verwendet, so daß dieser so weit verbrei- 
tete Baum in seiner Verwendung der des Rohres ungemein 
nahe steht. In England finden wir dialektisch zahlreiche Belege 
für bur tree ca. 1450 bore- botir- tree bortery schott. northumb. 
borral u. a. (vgl. Wright). In Frankreich gibt die Entwicklung 
des Wortes sabucu den mittelbaren Nachweis für die Existenz der 
Bezeichnung buru, in der eigentümlichen Umgestaltung, die sa(m)' 
bucu zu frz. seur, sureau plem. sambur (Ro. XXVI 562) erfuhr 
und die bisher keine rechte Erklärung gefunden hat. Es kann eine 
Vermischung beider Namen zu saburu stattgefunden haben. 



^ Rhamnos = Wegdorn. Lotos, aus dem FlOten geschnitten werden, ist 
eine Rhmmnosart. 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe bur{d). 21 

Bemerkt sei noch zu mbuimum^ dem nächsten Verwandten 
des HolnnderSy die Qlossenvariante bei Qoetz IV 579^ 29 viburra 
nlva minuta vel virgulta and seine genuesische Bezeichnung bor- 
loneize. Das anscheinend gleiche frz. bourbonnaise Pechnelke 
(Lychnis viscosa) gehört nicht her. Eher zu bord = Rand 
(also sekundär gebildet vgl. S. 60) sind zu stellen : ptg. bordalo 
Kresse mail. burza argine erbosa dei campi (Biond.) engl, 
dialekt. bordy graas am Rande des Feldes wachsend, und die 
Veränderungen, die Portulaca erfilhrt: langu. bourdoulaigue 
(hert-) toul. bourdoulaigoa (Doujat) pourpier afrz. bourtoulage 
(Qodefr.) alb. burdu^ak (vurd-) (Meyer EW) neben span. 
verdolaga. 

4. Von den Wortsippen, mit denen bur als Pflanzenbe- 
Eeichnung zusammenstößt, ist vor allem bruc- zu nennen; das 
Ericastrüppicht wächst vielfach auf schwammigem Boden^ steht 
also im ökologischer Hinsicht der Binse nicht so fern. Es ist 
nndurchdringliches stechendes Gestrüpp, daher mit spitzem 
Schilf, mit dornigem Gezweige (prunus) zu vergleichen. Auch 
sonst fehlt es an Vergleichungspunkten nicht: wie aus Schilf 
werden aus Erica Besen, Bürsten, Bienenkörbe u. a. gemacht, 
es wird metaphorisch von rauhen, finsteren Menschen gebraucht 
(vgl. S. 33, 17)^ und dient als Brennmaterial. Von den ver- 
schiedenen Kreuzungen und Verwechslungen soll bei letzterem 
Thema eingehender gesprochen werden (S. 75). 

Mit dem Stamm bar(d) sind mehrere Varianten zu ver- 
zeichnen: kelt. barr Zweig; bardana Klette lebt in den meisten 
romanischen Sprachen, aber nicht im Rumänischen ; prv. barda- 
neto Tragus racemosus (Mistr.) ptg. barroa Dornen langu. 
haragno prv. bartissado Dornenhecke prv. bartaa-blanc 
Weißdom (aub^pine) bartas-negre prunelier langu. bartas 
touffe de ronces ou d'äpines auch buisson äpais prv. bartas 
boisson ^pais, broussailles. Die Bildung ist durchsichtig: bardu 
> bart -\- 'OS, da es sich um schlechtes, dorniges Zeug handelt.* 
Friaul. bar Busch span. bardonera$ angeschwemmte Inseln aus 
Strüppicht und Sand cat. barda bardal Hecke, Gestrüpp span. 
ptg. barde Hecke, Zaun, (abgebrochene) Gerte span. bardasca 



^ Vgl. Schachardt zu brosc Z. IV 148, zu broz Z. VI 423. 
' Vgl. Schachardt Z. IV 126. 



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Die Beden tnngsgeschichte der romanischen Wortsippe hurfd). 23 

natium (bei Holder) ; Bourdüre (Vienne), BoureleHe, Bourelüre 
(Eure et Loire und Vienne), Borlüre (Bourrelere 1486), Bour- 
lihre, Boi-ie, La Boure (Qegend in Meuse), Bouresse (Vienne 904 
Boerecia), La Bourrisse (Tarn et Gar.), Boresae (Drome). Mit 
engl. horaUtree (vgl. S. 20) wird zusammenzuhalten sein: Borely 
Borelles (1413 ad Boroletum, Dröme), Boraire (Calvados), Bourel 
(B.-Älpes) Bourre (Anhöhe, Dordogne) Büros (Basses-Alpes, 
mit ftlnf keltischen Tumuli, vgl. Dict. Arch. de la Gaule). Span. 
Burtina; Alp Bordala bei Rovereto Bordiana im Val di Sole. 

Wälder: BoxMrdi (H.-Alpes) Bordexia (Meuse) Haut- 
bourdin (Dip, du Nord); Anhöhen: Le Bourdy, Les Bourdy 
(Niivre) Bourdonnas (Dröme) Bourdon (Calvados); bei letz- 
terem wäre es formell möglich, daß der zweite Teil dunum = 
HUgel enthält: Burodunum (vgl. Meyer-Lubke, Betonung im 
Gallischen S. 26, z. B. Eburodunum > Yverdon S. 28, Mello- 
dunum > Meudon S. 27). Je nach der Situation könnte 
Bourdon auch Burdomagus wiedergeben (vgl. bei Meyer- 
Lübke 40 : Argentomagus > Argenton, Blatomagus > Bleon). 
Im Mailändischen ist überliefert Bardomagus (CIL V, 5872), 
im Thesaurus zu hardus Sänger gestellt. Dies ist aber nicht 
sehr überzeugend ; oder soll man an eine Sängerversammlung, 
eine Eisteddfod, denken?! 

Orte, die ohne Suffix nur mit dem Pflanzennamen be- 
seichnet werden (vgl. La Bourdaine und Les Bourdaines [Ma- 
yenne] Les Bourdaines [Calvados]; Calamu [Prov. di Catanzaro] 
S. 20 Calamo S. 35 Ciperi S. 33 bei RoUa, Top. Calabr. 1895): 
Lss Bourres (B.-Alpes) Les Bourdons (Marne et Nifevre) Bort 
(Corrize) Les Bourdoux (Dordogne) Les Burdins, Burdis sur 
Allex 1687 (Drdme). Bure bei Namur und im Bemer Jura, letz- 
teres mit keltischen Altertümern (vgl. Dict. Arch. de la Gaule); 
Bour bei Simmern (die mit -hurg zusammengesetzten Namen be- 
halten stets -g). Selbstverständlich sind alle Namen auszu- 
scheiden, die möglicherweise auf borde (bourde) Hütte oder auf 
den Personennamen Burrus (Burus^ BurriuSy vgl. Skok 158) 
zurückgehen können, wie Boury (Oise) oder Bourray (Sarthe), 
▼gl. auch Buri-acus bei Holder, Bourbourg-Ville (D^p. du Nord) 
bei St Omer, nach Klöpper < Broburgus usw. 

6. Wenn die Rohr- (Weiden-, Holunder-) Pflanzung zur 
Bezeichnung einer Örtlichkeit dient, so ist über diesen so 



24 y. Abhandlung: Richter. 

häufigen Vorgang nichts weiter zu sagen. Es gibt aber noch 
eine andere eigentümliche Entwicklung, die durch die Natur 
der Schilfpflanzen bedingt ist ; da sie im Wasser, am Ufersaam 
wachsen, oft ganze Strecken zwischen dem eigentlichen (fahr- 
baren) Wasser und dem (gangbaren) Lande bilden, so ent- 
wickelt sich aus der Bezeichnung ,Röhricht' die Bedeutung 
Sumpf, stehendes Wasser; das Schilf wächst (oder wird 
gepflanzt, vgl. S. 5) am Ufer, in dem Terrain, das beim Steigen 
der Flüsse vor allem gefährdet ist, im ,Uberschwemmungs- 
gebiet'. Wir haben unter *buria das Röhricht in dieser 
ausgedehnten Bedeutung zu verstehen. Die Bildung -ta {ftr 
Kollektivpflanzung hat Thomas Ro. XXV 387 (roberia salicia, 
grania fraxinia) nachgewiesen, übrigens würde in unserem 
Falle eine ripa hurea auch genügen; bei Wegfall des Sub- 
stantivs entwickelt sich burea wie montanea u. a. Schwieriger 
ist es, die Parallelform bv/ra zu erklären^ die in gleicher Be- 
deutung in mehreren Gegenden vorkommt. 

Aus ,Röhricht' kommen folgende Bedeutungen: 

Mit dem Übergangsbegriff ^Überschwemmungsgebiet', Ort, 
wo das Wasser austritt, das ausgetretene Wasser selbst: Übor- 
SChwemmnng, Austreten der Flüsse: piem. büra. 

Erdwall zum Auffangen des Wassers: it. borro mlat. 
(DC) borra cavus dumetis plenua ubi stagnat aqua und por- 
tabant terram ad implendum borraniy also Grnbe; berg. böra 
Zisterne, Wasserbehälter frz. bure puits profond dans une 
mine (von Littre zu burir gestellt, vgl. unten S. 70) berg. 
sböra afrz. bure, buire Schleuse des Grabens (God.) boire 
(östl. buire) fosse faisant communiquer une chanteplcure avec 
une riviire. Diese Bedeutung berührt sich mit der anderen 
, Abzugskanal, Mühlengerinne^, worüber unten S. 69, 6. 

Sumpf: ptg. borragal sp. burino Regenpfeifer (ein Sumpf- 
vogel) ist hier einzureihen; Loire buiro großer Tümpel piem. 
buria trübe Strömung, Schlamm, Roth. Aus diesem Zu- 
sammenhang heraus kann man auch afrz. bouretier ver- 
stehen, das Godefroy unerklärt läßt: metez vous tost au boure- 
tier, Ailleurs querez autre moustier (Gautier de Coincy p. 218). 
Es gehört zum langu. boureta (= bareta, goureta S. 95 A.) 
Teig zu stark befeuchten, so daß er flüssig wird. Die Über- 
tragung vom flüssigen Erdreich, ,Kot', auf den Teig ist 



Die Bedentangflgeachichte der romanischen Wortsippe bur(d), 25 

zwar derb, aber naheliegend. Da in der zitierten Stelle der 
heftige Regen geschildert wird, vor dem die geistlichen Herren 
ihren Reliqoienschrein schützen wollen, paßt die saftige Ant- 
wort des ungastlichen Pfaffen sehr wohl: geht ihr nur weiter 
in den Schmutz hinaus (= stampft im Kot). Die Varia 
Lectio botoier ^zieht euch die Stiefel an' ist sehr burlesk, vor 
allem paßt sie aber nicht in die Situation, denn die Wanderer 
stehen ja auf der Straße und haben jedesfalls ihre Stiefel an. 
VgL noch frz. bourrier ordure, das aber eher zu S. 37, 25 gehört. 

Während bei mess. (Ro. V) brtM boue piem. broaccion 
Schmutzfink u. ä. St. brod- vorliegt , geht saint. brouage prv. 
broa etc. auf gall. brogae zurück; es verlaufen die Grenzen 
mehrerer Wortsippen, wie ja auch die Bedeutungen Sumpf und 
(feuchter) Weideplatz nahe beieinander liegen:^ welsh bwra 
Weideland; ptg. bamburral sumpfiges Weideland gehört auch 
her; von bambus kommt es nicht, da das Bambusrohr bambü(z) 
das Bambusgehölz bambual heißt. 

Varianten mit dem Stamme bar: ven. barena Sumpf afz. 
bar (Du Möril) schmutziges Wasser; ptg. barro Lehm, Kot it. 
ap. barro Ton, prv. bari (Levy) Lehm, Kot, bar, bard (Sauvage) 
fange, limon, bardis (Mistr.) gächis fangas bardous boueux; 
gen. bemUso (Gas.) fanghilia ,Schmutz von feinem Regen auf 
dem Lande' (wie vend. bren bran) zeigt Vermischung mit dem 
Stamm bren- Kot; piem. berla Kot von kleinen Tieren etc. kreuzt 
sich mit perla (vgl. Nigra, AG XIV 294); hiedurch erklärt sich 
dann das anlautende b- dieser Wörter. Ein anderer sfrz. Aus- 
druck für Schmutz brae (Sauv.) ist wohl mit Baist Z. XXVIII 
106 zu ndd. h'dk (Mischung von Salz- und Süßwasser, Deich- 
bruch, auch Ausschuß) zu stellen. Das davon abgeleitete bra- 
cana streifen geht wie die entsprechenden Bildungen mit bur- 
har(d)' von der Vorstellung: dunkle Linien ziehen aus, zeigt 
also die umgekehrte Entwicklung wie barrer barioler, die vom 
Begriff des Balkens (Streifens) zu ,dunkel^ kommen, vgl. S. 11. 

Diese mit bur gleichbedeutende Sippe bar ftlr Schmutz 
stützt wieder die Verwendung von bar(d) in der Bedeutung 
grau, dunkel. 

^ Es ist nicht uninteressant zu sehen, daß auch das deutsche *marük 
die gleiche Bedeutungsentwicklung durchgemacht hat: ags. m^rtc nutz- 
barer Wasserboden, engl, marth Sumpf mndl. maertche Weideland. 



24 y. Abhandlung: Richter. 

häufigen Vorgang nichts weiter zu sagen. Es gibt aber noch 
eine andere eigentümliche Entwicklung^ die durch die Natur 
der Schilfpflanzen bedingt ist; da sie im Wasser^ am UferBaum 
wachsen ; oft ganze Strecken zwischen dem eigentlichen (fahr- 
baren) Wasser und dem (gangbaren) Lande bilden , so ent- 
wickelt sich aus der Bezeichnung ,Röhricht' die Bedeutung 
Sumpf; stehendes Wasser; das Schilf wächst (oder wird 
gepflanzt; vgl. S. 5) am Ufer, in dem Terrain, das beim Steigen 
der Flüsse vor allem gefährdet ist; im yÜberschwemmungs- 
gebiet^ Wir haben unter *buria das Röhricht in dieser 
ausgedehnten Bedeutung zu verstehen. Die Bildung -Xa für 
Kollektivpflanzung hat Thomas Ro. XXV 387 (roheria salicia, 
grania fraxinid) nachgewiesen. Übrigens würde in unserem 
Falle eine ripa burea auch genügen; bei Wegfall des Sub- 
stantivs entwickelt sich burea wie montanea u. a. Schwieriger 
ist eS; die Parallelform btira zu erklären^ die in gleicher Be- 
deutung in mehreren Gegenden vorkommt. 

Aus ;Röhricht' kommen folgende Bedeutungen: 

Mit dem Übergangsbegriflf ^Überschwemmungsgebiet', Ort, 
wo das Wasser austritt; das ausgetretene Wasser selbst: Übcr- 
sehwemmung; Austreten der Flüsse: piem. büra. 

Erdwall zum Auffangen des Wassers : it. borro mlat. 
(DC) borra cavus dumetis planus ubi stagnat aqua und por- 
tabant terram ad implendum borraniy also Grube; berg. böra 
Zisterne, Wasserbehälter frz. bure puits profond dans une 
mine (von Littrd zu burir gestellt; vgl. unten S. 70) berg. 
sböra afrz. bure, buire Sehleuse des Grabens (God.) boire 
(östl. buire) fosse faisant communiquer une chanteplcure avec 
une riviöre. Diese Bedeutung berührt sich mit der anderen 
; Abzugskanal; Mühlengerinne^; worüber unten S. 69, 6. 

Sumpf: ptg. borragal sp. burino Regenpfeifer (ein Sumpf- 
vogel) ist hier einzureihen; Loire buiro großer Tümpel piem. 
buria trübe Strömung, Schlamm, Koth. Aus diesem Zu- 
sammenhang heraus kann man auch afrz. bouretier ver- 
stehen, das Godefroy unerklärt läßt: metez vous tost au baure- 
tier^ Ailleurs querez autre moustier (Gautier de Coincy p. 218). 
Es gehört zum langu. boureta (= bareta, goureta S. 95 A.) 
Teig zu stark befeuchten, so daß er flüssig wird. Die Über- 
tragung vom flüssigen Erdreich, ,Kot% auf den Teig ist 



Die Bedentangsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(d), 25 

z-war derb, aber naheliegend. Da in der zitierten Stelle der 
heftige Regen geschildert wird, vor dem die geistlichen Herren 
ihren Reliquienschrein schützen wollen, paßt die saftige Ant- 
wort des ungastlichen Pfaffen sehr wohl: geht ihr nur weiter 
in den Schmatz hinaas (= stampfk im Kot). Die Varia 
Lcctio botoier ,zieht euch die Stiefel an' ist sehr burlesk, vor 
allem paßt sie aber nicht in die Situation, denn die Wanderer 
stehen ja auf der Straße und haben jedesfalls ihre Stiefel an. 
Vgl noch frz. bourrier ordure, das aber eher zu S. 37, 25 gehört. 
Während bei mess. (Ro. V) brua boue piem. broaccion 
Schmutzfink u. ä. St. brod- vorliegt , geht Saint, brouage prv. 
broa etc. auf gall. brogae zur (ick; es verlaufen die Grenzen 
mehrerer Wortsippen, wie ja auch die Bedeutungen Sumpf und 
(feuchter) Weideplatz nahe beieinander liegen:^ welsh bwra 
Weideland; ptg. bamburral sumpfiges Weideland gehört auch 
her; von bambus kommt es nicht, da das Bambusrohr bambü(z) 
das Bambusgehölz bambiLal heißt. 

Varianten mit dem Stamme bar: ven. barena Sumpf afz. 
bar (Du M^ril) schmutziges Wasser; ptg. barro Lehm, Eot it. 
sp. barro Ton, prv. bart (Levy) Lehm, Kot, bar, bard (Sauvage) 
fange, limon, bardia (Mistr.) gächis fangas bardotu boueux; 
gen. bemisao (Cas.) fanghilia ,Schmutz von feinem Regen auf 
dem Lande' (wie vend. bren bran) zeigt Vermischung mit dem 
Stamm bren- Eot; piem. berla Kot von kleinen Tieren etc. kreuzt 
sich mit perla (vgl. Nigra, AG XIV 294); hiedurch erklärt sich 
dann das anlautende b- dieser Wörter. Ein anderer sfrz. Aus- 
druck fdr Schmatz brac (Sauv.) ist wohl mit Baist Z. XXVIII 
106 zu ndd. h*dk (Mischung von Salz- und Süßwasser, Deich- 
bruch, auch Ausschuß) zu stellen. Das davon abgeleitete bra- 
cana streifen geht wie die entsprechenden Bildungen mit bur- 
bar(dy von der Vorstellung: dunkle Linien ziehen aus, zeigt 
also die umgekehrte Entwicklung wie barrer barioler, die vom 
Begriff des Balkens (Streifens) zu ,dunkel' kommen, vgl. S. 11. 
Diese mit bur gleichbedeutende Sippe bar für Schmutz 
stützt wieder die Verwendung von bar(d) in der Bedeutung 
grau, dunkel. 

^ Es ist nicht aninteressant zu sehen, daß auch das deutsche ^mariak 
die gleiche Bedeutungsentwicklnng durchgemacht hat: ags. m^rsc nutz- 
barer Waaserboden, engl, marsh Sumpf mndl. maeraehe Weideland. 



26 V. Abhandhine: : Richter. 

Allgemeine Bedeutung Ufer: cat. bora welsh btür em- 
bankment; entrenchment und bwrch Wall^ embankment; von da 
übertragen Band, ^Saum^ des Kleides: cat. bora. 

Diese Bedeutung ;Ufer' wird dann wieder spezialisiert zu 
;Ort wo gewaschen wird^ (Man erinnere sich der in all 
diesen Ländern herrschenden Sitte, im fließenden Wasser zn 
waschen.) Spätlat. buria, bura (DC) Waschplatz; die eben- 
falls bei DC zitierten : 6 buri cum 28 caricatis und ad bttriam 
7 [caricati], (vgl. Baist, Ro. Forschgn. XIX S. 634) können die 
Bedeutung ^Wäscherei^ nicht haben, wegen der großen Zahl der 
dabei Bediensteten. Dies hieße doch wohl vom Reinlichkeits- 
bedUrfnis der mittelalterlichen Mönche allzuübertriebene Vor- 
stellungen hegen. Sie dürften die Bedeutung ,Meierei' gehabt 
haben, vgl. S. 64, 13. Afz. bure buanderie, buresM lessiveuse stellt 
wieder Zusammenfall zweier Sippen dar, denn bureaae < bueresse 
(vgl. Thomas M6\. 136 — 137, salbiArosse < seile biLeresce) geht 
auf bucare zurück, aber bure kann aus keinem Stadium von 
bucare hergeleitet werden. Nun scheinen beide unzertrennlich. 

Vom Stamme bar: berg. barigno luogo dove h acqaa 
corsia nel quäl vanno le donne a lavare il bucato ; aret. baregno 
lavatojo sen. baregno Bad. Nach Caix (Studij 70) sind diese 
Formen zu balineum zu stellen; die Einmischung unseres 
Stammes erklärt den Wandel von l > r. 

Hierher gehört wohl auch: descendit ad aquam de Re- 
munes et ad illa baur de Munes (Cart. Roussillon, ca. 900, vgl. 
Baist, Rom. Forschgn. XIX. 634), wo baur in bura zu ändern 
sein wird. 



Erste Haiiptgnippe: Die Rohrpflanze. 

A. Das Fruchtbüschel. 

§ 4« I. Wir kommen nun zu der ersten Hauptgruppe der 
Ableitungen, die von der Pflanzenbezeichnung als Natur- 
produkt ausgehen, und zwar zu den Ausdrücken, die auf 
das Fruchtbüschel des Schilfs zurückzuführen sind. Wir 
halten uns gegenwärtig, daß es eine glänzendweiße, oft gelb- 
lich weiße Quaste ist, bald weich, glatt und fein, bald mehr 



Die Bedeotangsgcschichte der romanischen Wortsippe hur(d). 27 

wollig, struppig nnd borstig. Es wird als Stopfinaterlal ver- 
wendet (ygl. S. 5 und 15 £P.) und naturgemäß dient eine and die- 
selbe Bezeichnung für Pflanze und Rohmaterial: hurra Stopf- 
material ^ ist ein so verbreitetes Wort, daß es nicht nötig ist, 
Belege dafür zu bringen. Fa entwickelt zahllose Ableitungen, 
wie frz. hourrer^ baurrelier, hourrelet, verd.-chal. bourot kleines 
Kissen, sp. hurujtmj reburujon BUndel fest geschnürter Wolle, 
Eopfkranz zum Tragen der Last, it. burello, siz.-alb. before 
(Heyer EW.) Saumsattel it. burattino die aasgestopfte Puppe, 
Marionette berg. boracinella <; böra(bora)tin -}- pulcinella 
langu. bourreleU Wulst aus Stoff oder Leinen, um die Röcke 
zu halten etc. etc. 

2. Es ist das Gestopfte, also der Wulst und dann auch 
in übertragener Bedeutung wie span. burulete Helmwulst im 
Wappen burel Knebel verd.-chal. borlot = frz. bourrelet de 
la parte ^ auch die rundliche Schwellung, z. B. der Rand 
einer Wunde (vgl. S. 42), Wulst am Baum; bret. bouras (bour- 
lasj baurlais) Cartilago (Henri) < frz. bourras ,en tant que 
bourre enserr^ dans les interstices des os'; eine ähnliche Vor- 
stellung liegt dem it. non aver borra, sborrato zugrunde : ,ohne 
Mark^ prägnant: schlapp sein, wie ein ,ausgelaufene8' Kissen, 
ein Kissen ohne Füllung. 

Spezialisierungen: z. B. piem. bori = frz. bourrer die 
FeuerbQchse laden (stopfen) etc. etc. 

3. Eine andere Art der Begriffsübertragung ist die von 
Vollstopfen im Sinne von vollpackcn und von da auf die 
Gegenstände, die vollgepackt werden sollen : Beisesack, Reise- 
tasche und bald spezialisiert: Futtersack u. dgl.; sard. (u. a. 
spr.) burraccxa Reisesack prv. bournal Futtersack könnte auch 
S. 70 untergebracht werden. 

4. Von der Tasche für Mundvorrat kommt man zur Beise- 
flasche: , Reisezehr ung' im allgemeinen; dabei ist zu bemerken, 
daß die Reiseflasche meist mit Stroh(Binsen) umflochten ist oder 
aus einem haarigen Schlauche bestand,' so daß mehrere Vor- 

' Eine gute ParAllole zu diesen BegriffsUbergängen sehen wir in it. eapi- 
Urne (Großkopf >) Seidenflocke, grobe Flockseide > daraus gefertigter 
Gegenstand: Stoff, Polster etc.; vgl. Bemitt, Lat. Capnt nnd Capnm, 
Kiel 1906, S. 6t. 

* Vgl. filr die ganze Gruppe unser Felleisen. 



28 y . Abhandlung : R i c h t e r. 

stellangsreiben zasammenfallen , langn. bourraquin sorte de 
flaccon n. v. a. it. borraccia u. ä. in anderen Sprachen mit 
Stroh umflochtene Reiseflasche. Das rum. burduf mag hier 
erwähnt werden; es bedeutet eigentlich die ganze Haut eines 
Tieres^ in die etwas gekillt wird, meistens Wein. Ist sie nun 
voll, so gibt sie eine ungefilhre Vorstellung des Tieres, von 
dem sie genommen. Übertragen: SatteltaschC; also wieder mit 
Essen angestopfles Behältnis. 

5. Eine andere Übertragung ist ptg. bumeira (sc uva) 
saftige Traube, aus der Vorstellung ,voll*. 

6. Wie man in den Sack stopft, so stopft man (,][)ackt 
ein') auch in den Magen. Daher die weitverbreitete Über- 
tragung auf Ylel essen, fressen: frz. bourrer, Meuse s'bourrer 
fressen; in Saintonge ist bourraa (Boucherie, RLR HI 68, 
Ro I 393) Wolf, aus Vielfraß. 

7. Von da auf Tlel trinken it. abborraeciarsi fressen, 
saufen piem. borl tränken (das Vieh) broacü viel trinken 
it. borraccion sp. borracho etc. Trunkenbold acat. borratxo be- 
trunken. Von dem ist nur ein Schritt zum verkommenen Kerl, 
Hungerleider: piem. boracio, so daß also der Vielfraß und 
der Hungerleider als Endpunkte der zwei Reihen einander 
gegenüberliegen. 

H. Alle anderen Ableitungen aus ,PflanzenbüscheP ergeben 
sich aus der Inbetrachtziehung des Materials. 

8. Die einzelne Schilffrucht sieht einer WoU- (Seiden-) 
Flocke ähnlich und daher erfolgt die Namensübertragung auf 
letztere; um so mehr, als ja auch Wolle, besonders der Woll- 
abfall, zum Stopfen verwendet wird: ptg. borra de seda Flock- 
seide de lä Flockwolle cat. borra u. ä. i. a. Spr., Stopf-* 
Scherwolle toul. bourih bourgeons de laine et de soie, 
langu. (Sauv.) bourilious wollig,* lyon. borliou poit. bourglans 



^ Zu adj. berrü berrUja (Aosta) ,init Wolle Tersehen' bemerkt Nigra AG 
XIV 357, es wäre der Übergang Ton Sabstantiy zu Adjektiv zu kon- 
statieren; in Val Soana haben wir ja aach bertia das Schaf. Vom mor- 
phologischen Standpunkte ist dies wohl nicht mOglich. Berrü repräsentiert 
doch offenbar *bemUns und wenn be?^ die Bezeichnung ftir Schaf etc. 
ist, so bedeutete dann berrutua ,mit Schafen rersehen*. Die Entwicklung 
ist aber vielleicht so su denken: neben burru = Bezeiebnung für ver- 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(d). 29 

(= r) Wollflocke, die sich vor dem Scheren ablöst (Horning, 
Z. XXVII 143) mess. (Ro V) burach bouchon de laine, gen. 
hura Haar zum Stopfen. 

Weiter ist cat. borraltö de llana Vlies; 9. Tiere mit viel 
Wolle werden daher benannt: Yieune bourrailloux bourayoux 
langhaariger Maulesel span. burdo burdalla Schaf ptg. bor- 
daleiro Hammel mit krauser Wolle. Hier ist auch an Ver- 
mischung mit dem burdStRmm zu denken (vgl. oben S. 10 ff.) 

10. Von der Wolle (dem Rohmaterial) wird das Erzeugte 
benannt, daher zahlreiche Ableitungen zur Bezeichnung von 
Stoff und in abermaliger Übertragung : 

11. Das aus dem Stoffe Gefertigte, die verschiedensten Klei- 
dangsstficke. Da ist vor allem burra der Mantel zu nennen. 
Im Thes. : burrus i. q. lana (? sunt qui vestimentum censeant quod 
si verum conferendum esse videtur cum birrus birricus). Bir- 
rica vestis ex lana caprarum valde delicata (Qoetz V 347, 41) a 
birrus aut a burra derivatum esse videtur. Birrum grossior 
cappa (ebd. 271, 52). Byrro Gallico wird im Thes. als brevis 
(zu ir. berr) gedeutet, die Schreibung byrrus als Verwechslung 
mit burrus rot. Aber die Stelle Santonico cucullo de byrro 
Gallico des Schol. zu luv., auf die die Erklärung sich bezieht, 
scheint doch nicht zuzulassen, daß man in byrrus ein Gewand- 
stück sieht, sondern vielmehr einen Stoff. Bei DC findet sich 
noch: Birrus (Papias) vestis, amphiballus villosus. 

Da wir in der ältesten Belegstelle (Anth. Lat. Nr. 385) von 
der horrida burra hören, die zur nobilis purpura in Gegensatz 
gestellt ist^ so handelt es sich offenbar um einen groben Loden- 
mantel ähnlich der Filzkapuze, dem bardocucullus , bardaicus 
cucullus, der mit dem bardaicus calceus aus Filz oder Flaus 
gefertigte Kleidungsstücke vorstellt (vgl. Georges). Wir können 
dabei an die grobwollige Fußbekleidung der Albanesen denken, 
um so mehr als vielleicht unter bardaicus illyrisch zu verstehen 



schiedene Tiere steht herr. Von burra Wolle kann sich zu burru ein 
hurrutug ,mit Wolle yersehen' bilden und dieses ein berrutut henrorrnfen. 
Also j burru = berr 

▼ burrutus -► berruttu. 
Dieses burrutus liegt uns wohl vor in fra. tout bourru ,gan« jung* von 
Tieren, da doch junge Tiere meist stark wolligen Pela haben; vgl. auch 
Flaum S. 31, 13. 



30 y . Abhandlung : Richter. 

ist. Die burra scheint ähnlich wie der cucullus gewesen zu 
sein: ein Überwurf mit rundem Loch^ um den Kopf durch- 
zustecken, vgl. oben ^amphiballus^ Die im Kopenhagener 
Nationalmuseum befindlichen Eleiderfunde aus E^chensftrgen 
des Bronzealters geben eine vollkommene Vorstellung der Bar- 
barentracht. Sie sind aus schwarzbrauner Wolle gewebt, dick 
und grob, und zwar ist nicht nur der Mantel aus einem (ovalen) 
Stück geschnitten, sondern auch das Untergewand, das mit 
Riemen über den Schultern befestigt wurde, bis an die Knie 
reichte und mit einem Gürtel zusammengehalten war. Die an- 
gestellten Untersuchungen ergaben, daß die Wolle von braunen 
und schwarzen Schafen herrührte; ein FrauengtLrtel allein zeig^ 
spuren von Färbung. Ein Mantel und eine Mütze haben an 
der Außenseite ein krimmerartiges Aussehen, so daß sie an 
Tierfelle erinnern.^ Der Mantel hing lose um die Schultern. 
Eine Kapuze hatte er nicht. Wenn diese Gewandstücke nun 
auch tief in die vorchristliche Zeit (4. Jahrh. v. Chr.) zurück- 
datiert werden, sehen sie dennoch so ,modern' aus (besonders 
die Frauentracht hat sich bis auf den heutigen Tag nicht 
wesentlich verändert), daß man wohl nicht allzu weit fehlt, 
wenn man diese Tracht mit der in Frage kommenden zu- 
sammenhält. 

Die burra hat zahlreiche Nachfahren; in den meisten 
romanischen Sprachen ist, wie offenbar im Spätlateinischen, 
Material und Kleidungsstück gleich benannt worden, z. B.: afrz. 
burel (burey bourde, brouelle) Stoff, Rock (der Frau), Jacke 
(des Mannes), Schürze etc. langu. burel grober Stoff aus der 
Wolle von schwarzen Schafen, worin sich Rauchfangkehrer und 
Geistliche kleiden. Fürs Französische ergibt sich aus der bure 
== Kutte die Bezeichnung buron Mönch = der Kuttenträger 
(^M.-L.) alb. broütsoe schwarzflockiger Mantel ohne Ärmel. Ptg. 
vestir burel , cobrir-se de burü Trauer tragen. Es ist daher 
Einwirkung von bur- dunkelfarbig möglich. Ptg. bura WoU- 
zeug burata Schleier langu. burato Wollstoff etc. etc. Es 
wäre ganz überflüssig, die zahllosen Varianten zu sammeln. 



* Der Führer durch die Dänische Sammlung, Nationalmuseum, Kopen- 
hagen, gibt eine deutsche Obersetzung der in der nnyergleichlichen 
Sammlung angebrachten Etiketten. 



Die Bedeaiungsgeschichte dor romanischen Wortsippe bur(d). 31 

Von den ebenfalls häufigen weiteren Ableitungen sei nur an frz. 
burtau erinnert. 

Eis ist nicht zu verwundern, daß mit der Zeit nicht nur 
grobe, sondern auch feine Gewebe mit dem Namen bezeichnet 
wurden und Kreuzungen mit dem schon oben erwähnten hirrua 
(S. 14) stattfanden. Eine solche Kreuzung stellt das prv. her- 
ruio = vareuse (kurze wollene Matrosenbluse) vor. 

Mit Stamm har ist z. B. piem. haraval'y ptg. barramaqvs 
(Const.) altes Gewebe fUr bischöfliche Festgewänder u. ä. in 
anderen Sprachen : baracan (bouracan) sind wohl auf arabischen 
Einfluß zurückzuführen. 

12. Unmittelbar an die Seidenquaste des Schilfs knüpft 
die Bezeichnung sp. ptg. borla seidene Quaste, Puff, Knopf 
und daher mit Quaste versehene Mütze; sp. borlilla borilla 
barita auch schlechtweg borla — pars pro toto. Ptg. ist borla 
speziell der Doktorhut und schließlich die Doktorwürde: 
aquecer a borla. 

III. 13. Im allgemeinen ist die Schilf- (WoU-, Seiden-) 
Flocke weich, flaumig, daher wird der Flaum danach be- 
nannt: cat. borrUaol Flaum von Vögeln, flaumige Schale an 
Früchten frz. bourre Flaum auf Blumen it. bordone Flaum 
(Bart, erste Federn) vgl. ptg. borrefo junge Taube (S. 12, 21), 
frz. bowru S. 28 Anm. Ferner cat. borräs Werg. 

IV. 14. Mitunter aber ist sie zerrauft, struppig. Hier ist 
uns reburrus (bei Aug.) überliefert: hispidus i. e. multum 
pilosus (Isid.). Reburrium die hohe Stirn und von daher der 
Bedeutungsübergang zu calvus, den wir auch in den Glossen 
lesen; 6. II 591. 23 rebulua recalvus renudatus: Reburrus heißt 
ävdaiXlog^ mit aus der Stirn gekämmtem Haar, also nach rück- 
wärts gesträubt (re!), wodurch die Stirn hoch erscheint und 
der Eindruck der Kahlheit hervorgerufen wird. Burg, rebor = 
rebours, widerhaarig, borstig (Littr^). Reboura leitet D.H. von 
*rebur8us ab, aber ich konnte von dieser Nebenform gar keine 
Spur finden; ä reboura ist wohl Devcrbale von rebourser = 
rebrousaer; da auch dt. Borate (Bürate) in Betracht kommt, so 
treffen hier zwei Stämme zusammen. 



^ G. II 169. 22 reburrus ava^aXavio; , III 180. 27 ava9aXa(, III 13. 55 ovi- 
Opt^, III 330. 48 ava^aXaxpo^ etc. 



32 V. Abhandlung: Richter. 

Frz. ebouriffd und das ausgestorbene Verb ebourrifer 
prv. esbourrifa (adj.). Die Entwicklung des Wortes hat man 
sich wohl so zu denken^ daß von *burrivus ein *burrif ge- 
bildet wurde und von diesem das Verb [es]*bourrifar. Ganz 
dieselbe Entwicklung werden wir S. 78 u. a. O. finden vom 
Stamm burd-: *burdivu8 (bourdifai und bourdifaille). Das 
französische Wort ist nicht vor dem 17. Jahrhundert, und zwar 
aus dem Provenzalischen übernommen (vgl. D.-H.), frkit. borfolu 
(Macaire 1275; Mussafia bemerkt dazu ^wohl zerrauft', ohne 
die Herkunft bestimmen zu können) scheint hierher zu gehören. 
Es steht in -u Assonanz: veu, venu, vertu etc. Die Endung ent- 
spricht also : -utus. Vielleicht ist eine Einmischung von fol- 
anzunehmen: zerzaust wie ein Narr aussehend, um so mehr 
als die Stelle im ganzen so lautet: La teste oit grosey le gavi 
borfolu ] Si Stranges hon no fo unches veu. Vgl. unten den 
BegriffsUbergang von zerrauft zu absonderlich. 

Welsh byrfwch rauh, haarig; cat. esborronarse Haare zu 
Berge stehen (= sich zerraufen >> sträuben) it. venire i bor- 
doni kann hierher gehören. Vgl. dazu S. 31, 13 bordoni j 
Flaumfedern, also die Federn sträuben aus Angst. Frz. bour- » 
don (La Curne) der Bärtige, und vielleicht daher: der Greis, ; 
vgl. auch S. 105 ; rät. burius struppig, finster (Gröber ALL I) ; 

sard. borrosu knotig, also zerrauft vom Garn, com. baruf 
Büschel Haar. 

15. Unmittelbar auf die dornige Pflanze gehen zurück 
ptg. barros Stoppeln im Gesicht (< Dornen); afrz. borde Grete 
(zu afrz. fieauce bourde = b&ton d'äpines) z. B. an der Scholle, 
der Seezunge. Über die Kreuzung mit bord Rand vgl. unten 
S. 60. Hierzu einige Namen von Fisehen, die ebenfalls 
stachlige Randgreten haben: gall. (Pinol) buraz Zahnbrasse, 
engl. dial. borrbut (Wright) engl, burfish Igelfisch (Muret); 
cat. borrugat {= sp. sombra) ist zweifelhaft, es kann die dunkle 
Farbe ausdrücken (vgl. S. 11, 10). Frz. bars (Sachs) bar 
(Roll. Faune pop. III 182) = dt. Barsch. Barsch ist mit dem 
keltischen barr- urverwandt und so könnten die frz. bar und 
barsy jenes aufs Keltische, dieses aufs Germanische zurückgehen. 
Da aber (nach Meyer- Lübkes Argumentierung) in Italien der 
Barsch ptsce persico heißt und auch sonst der Beweis nicht 
erbracht ist, daß die Fischbezeichnung im Keltischen bestanden 



Die Bedeatniigsgeflchiohte der romanischen Wortsippe burfd). 33 

habe, ist die Ableitung beider Formen aus der deutschen vor- 
zuziehen und bar als lediglich graphische Variante zu erklären. 

16. Starrend von Gestrüpp oder Felszacken ist auch 
der burrone steiler Abhang; it. burato, borro imol. borr. 
Vom Stamm bar: das afrz. bars (God.) quartier de roc kann 
direkt auf das kelt. barr spitzig zurückgehen. Daß it. burrone 
sp. buron nicht regelmäßig aus ßd^qoq herzuleiten sind, braucht 
nicht bewiesen zu werden. In Anbetracht dessen aber, daß 
sie ySchlucht Graben' bedeuten, ist Einwirkung von rauschen 
(S. 110) andererseits Sumpf (S. 24) möglich. 

17. Von struppig in der äußeren Erscheinung kommt 
man zur Anschauung des finsteren, betrflbten, zornigen; 
des Menschen, der innerlich aus dem Gleichgewichte ist. So 
ist piem. boru = frz. bourru finster, widerhaarig im moralischen 
Sinne, brummig, wie it. burbero. Das Voc. Cr. stellt burbero zu 
rdmrrua. Wegen der Reduplikation, die es enthält, glaube ich, 
daß es eher tonmalenden Wörtern zuzuzählen ist, es ist der 
Brummbär, der Finstere, und stellt den Zusammenfall zweier Vor- 
stellongsreihen dar, vgl. S. 112. Vielleicht aber könnte hier der 

I Burriius homo crudelissimns der Glossen (G IV 595. 9) unter- 
\ gebracht werden. Piem. avei il torlo borlo schlechter Laune 
I sein, aver ii tarlo contro alcuno, und Ausdrücke für schelten, 
^ tadeln: trasm. (Rev. Lus. I 205) borregada repreensao publica 
sfrz. bourdouira tadeln toul. bourdesc = brusque bourasaier 
de ton peu dälicat frz. lächer sa bordde einen Hagel von Schimpf- 
reden loslassen engl. dial. io border schimpfen, schelten, eine 
rohe Sprache verführen. Weitere Ausdrücke für schelten, 
brummen gehören in einen anderen Zusammenhang (S. 105 ff.). 

18. Der finstere, scheltende, der 3arbero^ gilt auch als 
{Sonderling und so haben wir die Bedeutung phantastisch 
sowohl im inneren als im äußeren Wesen: frz. bourru ab- 
sonderlich, phantastisch; auch ^iourri^i^ hat diese Bedeutung ; 
toul. bovo'deBc = fantasque, wozu bordado caprice. Mit Stamm 
bari piem. (Ponza) iartW extravagant, brummig baravantan 
zerzaust, strappig (vgl. 6arave{ Werg) barock phantastisch, fremd- 
artig. Das Wort ist wichtig wegen der Rolle, die es in der 
Kunst- und Stilgeschichte spielt. Die bisher angenommene Ab- 
leitung von ptg. barocco schiefrunde Perle führt — abgesehen 
von ihrer Unzulänglichkeit — nicht auf den Grund, da hier dann 

SitaUfvWr. d. pUL-Uat. Kl. 156. Bd. 5. Abb. 3 



34 V. Abhandlung: Richter. 

nar eine Spezialisierang des allgemeinen Begriffs ^absonderlich, 
eigenartig* vorläge. Zunächst wird wohl barocco eine weitere 
Verbreitung gefunden haben durch das Wortspiel raggionare in 
baroccOy denn diese Schlußfigur verdankt ihren üblen Ruf doch 
sicher nur der Homonymie mit unserem Dialektwort, die zu 
einem artigen Witz Veranlassung gab: in der Formel des ,ab- 
sonderlich' folgern. Daher kam das Wort, das im VC nicht 
vor dem 16. Jahrhundert belegt ist, in die Schriftsprache und bot 
sich zur Bezeichnung der am Ende desselben Jahrhunderts auf- 
kommenden fremdartigen y absonderlich verschnörkelten, origi- 
nalitäthaschenden Kunstrichtung. 

Baruf der Übellaunige, der ,humorista* kann natariieh 
von baruffare etc. nicht getrennt werden, vgl. unten S. 105. 

19. Bei Sachen verbindet sich die Vorstellung des Strap- 
pigen, Zerrauften unmittelbar mit der verbalen: zerraufen. 
In Verwirrung bringen, daher untereinanderwerfen und 
diese wird alsbald auch in abstraktes Gebiet ttbertragen; von 
einem Typus ^buruliare ist auszugehen fbr sp. reburujar, em- 
burujar (Baist Z. V 239) ngr. iiTtovqXLÜ^u} (Meyer, Ngr. IV < 
imbrogliare), das zwar, wie (jltc beweist, eine späte Entlehnung, 
aber dennoch beweiskräftig ist; ßovQkil^w (Petraris) närrisch, 
verrückt machen (vgl. S. 38, 30) prv. bourU = brouill^. Frz. 
brouiller selbst kann man aus ^buruliare herleiten in Anbe- 
tracht dessen, daß der Nexus rlj unfranzösisch ist, daher der 
Bildung bourlier ausgewichen wurde. Kb gelang mir nicht, 
eine ganz analoge Entwicklung zu finden.^ Der älteste frs. 
Beleg: par bruilaz et par barate aus dem 13. Jahrhundert 
(D.-H. unter brouillard) spricht mit seinem u eher ftLr als 
gegen die Ableitung aus bur-. It. imbrogliare ist aus dem 
Französischen entlehnt.* Neben frz. brouillon Wirrkopf, auch un- 
ruhiger Mensch, Störenfried, steht afrz. brouleur, broulleur^ das 
auf ^burulare zurückzugehen scheint und nach God. die Neben- 
bedeutung ,Hexenmei8ter' hat; die Beispiele machen dies aber 



* Ortsnamen wie Oriy <Z Äureliacu sprechen nicht dagegen, da sie nicht 
moni liiertes l aalweisen, vgl. Z. XXVII 704. Pontariier ist nicht mehr 
zentralfranzösisch. 

' Nach DC (Griech.) wären brouiüer, imbrogliare u. &. zu ßpo'jX^iot (Schilf) 
za stellen, nach dem Bilde des wirr stehenden Schilfs, besonders wenn 
der Wind darüber hingeht ßpouXX(a|ia capillamentnm. 



Die Bedeatungflgeschichta der romaniiehen Wortsippe burfdj. 35 

Dicht klar: ung brouleur, ung seducteur, Et par telz fais le 
peuple affolle (Greban) und Et lux mit on aus qWil estoit 
brotUleur et seditieux (Chron. des D. d. Bourg.). ^Unruhstifter, 
der dunkle, verworrene Geschäfte treibt' genügt in beiden Fällen; 
spao. hruja cat. hrvaca (Lehnwort ans dem Spanischen) Hexe 
gehen auf denselben Typus zurück und auf die gleiche Be- 
deutung. Ptg. barulhar enxburilhar embrulhar^ dazu barulho 
Unordnung u. a. 

20. Verwirrung im übertragenen Sinne ist natur- 
gemäß identisch mit Zank. Frz. ee brouiller sich verfeinden. 
So haben wir ptg. esborralhada berg. borada acat. borrasca 
Zank; afrz. boroflement (-rr-) prv. bourradis Streit; sard. 
burrumbitglia burrumbafa bedeutet Verwirrung, Streit und 
IJU*m, der ja beim Zank unvermeidlich ist. 

Parallelen mit Stamm bar: ptg. baralhar streiten, 
mischen, barulhar streiten, in Verwirrung bringen, auch mit 
Lärm; ven. barahuffa Streit mehrerer Personen, barafusa 
(Einmischung von confuso) Wirrwarr, Auflauf u. a. Es emp- 
fiehlt sich aber, alle diese Worte, die von baruffare nicht zu 
trennen sind, bei diesem letzteren einzureihen S. 105. 

21. Eine vereinzelte Entwicklung hat prv. bourdifalo Un- 
ordnung zu Yerschwendung ; also die Ursache ist nach der 
Folgeerscheinung benannt worden. 

22. Die Vorstellung des Zerrauften haftet nicht nur ur- 
sprünglich dem Schilf büschel an, sondern auch der ,Flock'- 
Seide oder -Wolle, dem nicht bearbeiteten, respektive nicht 
mehr hearheltharen Best. So kommt burra auch zur Spe- 
zialbedeutung Hefe, Bodensatz, Abfall, Kehricht, Schmutz, 
in welch letzteren Verwendungen es mit den unter burrus = 
dunkel angeftihrten Bedeutungen zusammentrifft, so daß diese 
Worte im Sprachgebrauch durch zwei Anschauungen gestützt 
sind, die meist oder immer verbunden auftreten. 

Rest: langu. burato bourato Abfallseide cat. bora viva 
das Salband der Leinwand afrz. brouaille residu du vannage 
de bl^ berg. bore6 leere Hülse des Maiskolbens ptg. borra^ 
buruso cat. burujo Rest, Abfall, Hefe, frz. brou Öltrester 
(Const.) span. burujo Öl-, Weintrester (Col.), Rückstand von 
Oliven, Patzen, Klumpen von etwas (Baist), nach Schuchardt 
Z. XXESl 560 aus garujo < carulium + borra] prv. bourdifalo, 

3» 



36 V. Abhandlungr: Richter. 

bourdinage mati^re en Suspension dans un liquide, boure, hört 
u. ä. Sediment de Thuile nouveile ptg. borrento hefig, voll Boden- 
satz esborrar abschäumen, abschöpfen, Chamb^ry (Gauchat)* 
boraUi abschäumen boraU Schaum frz. bourre Bodensatz 
(Gerberei) ven. borida Rest, Abfall, far borida Reste auf- 
klauben prv. courre bourrido = battre la campagne (Koschw.) 
alb. bordok schlechter gröbster Rest^ Hefe, überflüssiges Zeug. 
Daher auch Ausschuß aller Art: sard. burza rimasugli prv. bour- 
difaio, bourdinage, bourdaio Lumpen, grödn. (Vian) abourdend 
lappig, zerrissen, burdorj Hadern, Lumpen waadtl. (Gauchat) 
burddfalo Kaidaunen, Eingeweide, FleischabfkUe, in grotesker 
Übertragung: Bauch; geringschätzig von einer nichtsnutzigen 
Person = Kanaille; mit Wandel von rd (rt) > st boustifaille 
toul. (Doujat) berdufaillos it. biracchio flandr. (Verm.) berliere 
Fetzen, altes Stück Stoff. Vielleicht gehört hierher auch ngr. 
mburduktö (Meyer, EW.) ich flicke (vgl. oben alb. bordok) und 
berg. vi berloc Wein aus verfaulten Trauben piem. berlich 
[Ponza] wenig, z. B. in der Redensart di da mangi a berlich 
jemand knapp halten, also vom Rest, vom Überbleibsel, spär- 
lich, armselig, vgl. auch S. 97. 

Vom Stamm bar ist Aunis barrasaerie Ausschuß, das 
vielleicht unmittelbar an *barra8 Dornenstrttppicht anzuschließen 
ist; vgl. lang, baragno ptg. barros Dornen (S. 21). Es ist also 
auf dieselbe Grundlage zurückzuführen wie embarras und d^- 
barraSf den Deverbalia zu embarrasser = mit Dornen um- 
zäumen, den Zugang erschweren, Hindernisse bereiten etc. Da 
man in solche Dornenhecken auch Kehricht, Schutt u. ä. ab- 
zulagern pflegt, ist der Übergang zu der Bedeutung: Abfall- 
stätte, Abfall, Ausschuß möglich. 

23. Barasaerie bedeutet auch Kleinigkeiten, wie denn 
natürlicherweise die Bedeutung Ausschuß zu ,wertlo8es Zeug' 
führt. So afrz. bourre (LittrÄ) vgl. auch S. 38, 27 ; ptg. burun- 
dangas flandr. berdelaches (Verm.) Kleinigkeiten toul. bourraou 
grob, das wenig Wert hat. 

24. Vom Abfall über Abfallhaufen kommt man zu Abfall- 
behälter: sp. burro Schnitzelkasten des Buchbinders; in ver- 

^ Herr Professor Gauchat hat mir freundlichst eine Reihe westschweiseri- 
scher Wörter angegeben, die im folgenden darch (Gauchat) gekenn> 
seichnet sind und für deren Mitteilung ich hier nochmals danke. 



Die Bedeutangsgeschichte der romanischen Wortsippe hur(d). 37 

allgemeinerter Bedeutung : ptg. hurra Truhe, coffire fort (Const.). 
Einen ähnlichen Bedeutungsübergang weist Huberts, Beiträge 
Eor Geschichte der französischen Wörter lat.-pleb. Herkunft 
(Kieler Dissertation 1905, S. 35) nach für coffre fori aus co- 
phinus Korb aus Qerten (Mistkorb). 

25. Von yAbfall' kommen wir endlich zur Bedeutung 
Kehrt cht, Schmutz; it. borra piem. bora prv. bourdiho fötu 
balayure bourdigau immondices frz. bourrier ordure, fätu Aunis 
bour Abfall, Schmutz, Kehricht bourier Misthaufen bret. 
hurtugeny bretugen tas de furnier (nach Henry zu putris) berg. 
bordigä beschmutzen friaul. sbrodegä, sbrudiä (AG I 253) Val 
Anz. imbrodolare (ebd. 259») MA nördl. v. Lago Mag. (AG 
IX 204) brodi sporco. Abgesehen vom St. brod, auf welchen 
die letztgenannten Beispiele zurückweisen, haben wir hier auch 
Kreuzung mit brutus in Betracht zu ziehen. 

Brutus = ,schwer' von Dingen, übertragen schwer von 
Begriffen, dumm, viehisch schon im Lateinischen. Brutus == 
burtus stultus (Diefenb.) z. B. enneberg. bürt ampezza burto 
(AG I 380). Brutus erhält im Italienischen die Bedeutungen 
schmutzig, dunkelfarbig, traurig (stare, rimanere brutto), 
düster. Daher muß die Glosse G IV 489. 33 bv/rtus rufus et niger 
(Var. Lect. burrtiu) nicht unbedingt emendationsbedürftig sein. 
It. bruttore Schmutz, Kehricht brutto häßlich, gemein, roh, 
rom. brott häßlich, dunkel, betrübt, verstört. Vom Stamm Hrutio: 
it bruzzaglia = marmaglia, Pöbel, widerliche Verwirrung, Wirr- 
warr (D'Ovidios Ableitung aus frz. broussaille [AG XIII 403] 
erscheint mir ganz unannehmbar), bruzzo, bruzzolo, bruzzico 
Zwielicht, Dämmerung span. bruzno dunkel, dunkelbraun = 
* brutto + bruno, MA nördl. v. Lago Mag. (AG IX 204) broz 
schmutzig, mit Einwirkung von brodo, wie der Vokal beweist. 
Ahd. fruz = Esel (Graff, 8. — 9. Jahrb.) ist nach Maßgabe der 
Lautverschiebung aus burdo -f- brutus entstanden. Span, burdo 
grob stellt Cornu (Ro. VII 595) ebenfalls zu brutus. 

26. Die Vorstellung grob, schmutzig, verwirrt, haftet nicht 
nur dem Abfall an, sondern auch demjenigen, das erst in 
Arbeit genommen werden soll, dem noch nicht Geklärten, 
noeh nieht Fertigen; daher afz. vin bourru noch nicht ge- 
klärter süßer Wein, also junger Wein, Most gall. borreiro 
roh gepreßtes Wachs bret. bourr (Henrj) schlecht gekocht. 



38 y. Abbandlang: Riebt er. 

IV. 27. Von der flockigen Schilffrucht, von den Trago- 
pognmarten, deren federiger Frachtball sich. vom Stamme los- 
löst und in der Luft fliegt, kommt man leicht dazu, auch die 
Schneeflocken mit hurra zu bezeichnen : toal. bourrils de neu 
neben bourrils de laine] ebenso cat. borrallb de neu] alb. 6wfe 
Schnee. Nichts was leichter, wertloser ist und rascher im 
Winde verweht. Daher der Bedeutungsübergang zu ptg. de 
borla umsonst. 

A. 23. Schlechtes (leichtes) G^eld; Qeld im verächtlichen 
Sinne, das, was immer davonfliegt, was man nicht festhalten 
kann, das einen nicht reich macht: ven. triest. böro soldo, wo- 
von slaw. bor Denar, Deut (Strekely K., Zur slawischen Lehn- 
wörterkunde, DAWL S. 7). Salvionis Ableitung < öbolo 
(Fon. Mil.) ist wegen der geforderten Tonschiebung wenig be- 
friedigend. Gall. (Rev. Lus. VII 204) borra Geld DG borra 
kleine Geldstrafe span. borra Kopfzoll auf Kleinvieh. Neap. 
(D' Ambra) boragna im Gergo: danaro, moneta. 

B. 29. Possen: burrae (Auson.). Neben burrae war, wie 
die romanischen Abkömmlinge beweisen, jedesfalls auch '^burdae 
vorhanden. In den Glossen (G II 31) burdit tpfjQrlqf yavQi^. 
Burdositas gabbery buerde iock (Diefenbach). Über y/rjQTiq 
vgl. unten S. 98. Die Vorstellung des dumpfen Lärms, Stimmen- 
gewirrs kann eingewirkt haben, geht doch das yavqiav niemals 
still ab. Wir sind hier wieder an einem der Punkte, wo sich 
die Wörter der Sippe untereinander beeinflussen, ihre Ent- 
wicklungslinien sich kreuzen. 

Aus dem Begriff ,Posse' Possentreiben entwickelt sich 
einerseits exsultare,^ scherzen sich unterhalten, andererseits 
anderen etwas vormachen, betrflgen. 

30. Seherz: aprv. bordir (Rayn.) nprv. burdi buerdi broudi 
u. a. unterhalten, toll sein, tanzen, springen: lia agneu burdissoriy 
vielleicht nfrz. bourdir (Z. XXVIII 586 Baif ) it. boriata Posse 
Kinderei, Lapperei ven. borezzo Übermut, Freude, Ausgelassenheit 
dauph. bordeiri Spaßmacher bei den bordea (vgl. unten S. 77) 
engl, to bourd moquiren, scherzen ndl. boerten = jocken 



^ ExmiUare gibt in den Glossen yaupiav wieder; es sei daran erinnert, 
daß letzteres besonders Ton Tieren (hüpfen, springen) gesagt wird 
(Passow). 



Die Bedeotniiagg«Bchicht6 der romaniachen Wortsippe bur(d). 39 

(Col. unter hwrlar) mndt. (Llibben- Walther) borden, borderich 
== der Spaßmacher. Über den flinfloß von buhurdiren vgl. 
S. 77 afirz. baurdoyer Spaß machen, scherzen siz. bruddu 
Heiterkeit; Hesych. 1230 ßQvdKsiv yavQtäv und 1229 ßQvdCei' 
^dXlBi VQVf^ (schwelgt) alemt. (Rev. Lus. IV 59) bwrrefa 
Scherz afrz. (Qod.) berelle Spiel (Liebesspiel), Elleinigkeit 
sard. brulla = barla. 

31. Vielfach ist die Trennung zwischen den beiden Be- 
deutungen nicht gezogen: der Scherz ist eben mitunter ein 
schlechter Scherz, ein Scherz auf Kosten der anderen, ein 
Witz, über den nicht beide Teile lachen. So haben wir mehrere 
Ausdrücke 9 die auf der Zwischenstufe stehen: vor allem it. 
burlare Spaß machen, sich über andere lustig machen, jemand 
zum Narren haben cat. burla irrisio, decepcio sard. burrugada 
schlechter Witz. 

32. Lflge, Betrag: frz. bourde aprv. borda toul. bordo 
auch: schlechte Ausrede, Machenschaft (z. B. bei Moli^re, vgl. 
Leroux), bailler de$ bourdes LiXgen aufbinden; Wallis (Qauch.) 
bourde mail. parm. boridon Betrug, Vorspieglung frz. bourrer 
(Dict. des Prov.) tromper, chagriner afrz. bourder^ bourler 
(6od.) baurdour tromperie berg. boridu {buridu) dasselbe, 
borlanda Intrige, verworrene, schwierige Sache borlandot 
Betrüger, Lump, mit der bemerkenswerten Spezialisierung 
33. Finanzwaehe. Tiraboschi meinte, diese letztere Bedeutung 
wäre die ursprüngliche gewesen und der Bedeutungsübergang 
zu ,schlechter Kerl^ zeuge von dem Hasse gegen die Oster- 
reicher. Es ist aber kaum möglich, für borlandot ,Finanzwache^ 
eine Erklärung zu finden, die keine Spitze gegen die Behörde 
enthält — zum mindesten ist es: Schwierigkeitenmacher, In- 
trigant — und dadurch wird Tiraboschis Keihenfolge über- 
flüssig. Der Haß gegen den Steuereintreiber, besonders aber 
gegen den OrenzzoUbeamten ist in allen Gesellschaftschichten 
erstaunlich tief eingewurzelt und uralt. (Man denke nur an 
die Rolle des Zöllners im Neuen Testament.) Man findet Mittel 
und Wege, ihn als den ,8chlechten Kerl', den ,Lumpen' und 
,Betrüger' hinzuzustellen, den zu umgehen, ,wieder' zu be- 
trügen, erlaubt ist. Wenn also speziell die österreichische 
Finanzwache mit ^borlandot' bezeichnet wurde, so war dies ein 
Ehrentitel, der um so begreiflicher erscheint, wenn sich zu 



40 y . Abhandlung^ : Richter. 

dem stets mit Unlust ertragenen Abgabenzwang auch noch der 
Nationalhaß gegen den Eintreiber gesellte. Das Wort ist in 
der Bedeutung Lump noch zu finden im champ. berlandeur} 
im piem. herlandot Straßenkehrer, Trainsoldat — wohl aus der 
allgemeinen Vorstellung Lump, niedriggestellter Mensch , viel- 
leicht noch aus der Zeit der Landsknechte. 

34. Eine andere Spezifizierung des zweideutigen Subjekts 
und Betrügers liegt vor in afrz. berlandier Hälter Ton Spiel- 
tischen zu berlant (-c) Spieltisch vend. berlan (beurlan) Un- 
ordnung span. berlandinas Fopperei , listige Betrügerei; das 
Verb *berlandare ist also nur zufUllig nicht belegt. 

Auch hier sind verschiedene Bedeutungsgrade vorhanden : 

35. ptg. berlina ist der Mockierstubl; teram. (Savini) a 
berlinne in burla. 

36. Im Bergamaskischen ist berlina die SehandsBule. 

37. Piem. berlichin = frinfrino, muffetto, cacazibetto^ der 
lächerliche Mensch. 

Weiter zeigen noch Stamm ber die Worte: span. berre- 
gueteaVy berruguetar, mogeln, in Verwirrung bringen, betrügen, 
piem. b'erghigni betrügen, täuschen, wohl mit Einwirkung von 
Ingenium^ ingeniare (vgl. afrz. enginier). Für das gutturale g 
vgl. sard. burrugare betrügen, also ^bur(ber)gare + ingeniare. 
Frz. barguignier, Variante zu bargaigner mit seinen zahlreichen 
Nebenformen (die übrigens sämtlich Lehnwörter sind) gehOrt 
natürlich gar nicht dazu, wie ja auch die Bedeutung zeigt, 
die nirgends einen unehrlichen Beigeschmack hat. 

Stamm bar: spätlat. barare betrügen (Vita B. Sibyll., 
MG IV) cat bara Betrüger sard. barriga Scherz baraggia 
Intrige sp. barranco Verlogenheit cat. bargant unredlich bar 
betrügerisch, verräterisch bret. bar ad Perfidie. So kann it. 
baro barone die Bedeutung Betrüger erhalten haben. Die Va- 
riante barro ist dabei besonders beachtenswert. Daß it. barare 
neben barattare steht und morphologisch nichts mit ihm zu 
tun hat, erwähnte schon Diez.^ 



' Zielit man in Betracht, daß bai'o = hardut, bardui = bartuf (Q V 
270. 37) =s hebU »luUw iBt, ptg^. bardo frz. bardon «dumm, gefoppf, 
lat. baräire ,8ich dnmtn brüsten, aufgeblasen sein* bedeutet, so sieht 
man eine so intensive Verknflpfang der Fäden, daß es unmöglich (wio 
ja anch flberflUMig!) ist, sie auseinanderzuhalten. Bard" und 6ar>y 



Die Bedeutangsgeschiehte der romanischen Wortsippe hur(d). 41 

Ereaznng der Stämme hur- und herriy beide von der 
Bedeatung ^lügen, foppen'^ zeigen: afrz. bomir zu überlisten 
trachten it. h(ymia Lüge; borgnola (bomiola) V Cr falsches 
(angerechtes) Urteil besonders beim Spiel; hängt vielleicht mit 
hamto anwahr (von einer Geschichte) zusammen und dieses 
wie frz. conte-borgne mit borgne = louche. 

38. Eine ganz andere BegrifiPsentwicklung aus ^Possen- 
treiben* ist die: leichtfertig arbeiten , daher Dummheiten, 
Fehler machen: cat. bourrada Versehen beim Kartenspiel 
piem. f^ un bourou (boro bouro) fare o dire un passerotto 
in. bourdon mißratener Nadelkopf wallis. (Gauchat) a borde 
schlecht gemacht: Ön ovrädzo a borde. 

V. Die federleichte, flockige burra hat ein lockeres Ge- 
fQge, sie ist leicht zusammendrückbar, denn sie ist voll Luft; 
sie hat tatsächlich ein weit geringeres Volumen, als es auf den 
ersten Blick scheint; so wird sie zur Bezeichnung verschiedener 
Dinge, die leicht, wie mit Luft angefüllt, aufgeblasen sind 
(vgl. ßofißa^ = bombace Wolle, Aufgeblasenheit, Thomas Ro. 31) : 

39. Wasserblase: Algarve (Rev. Lus. III 111) borrefa] 
Wasser- (Fett-) Blase: sard. burbudda, verwachsen mit bulla 
ivgl. unten S. 113) und alsbald in übertragenem Sinne: 

40. Aufgeblasenheit, Hochmut: it. boria boriare = 
levarsi in superbia neap. boreja gen. bornia kelt. borso -s 
groß, stolz ir. borr (Stokes 173) corn. borr pinguis (Skeat) 
gall. borrail hochmütig hochlandschott. borras proiectura. 
Dieses letztere leitet zu der Bedeutung 

41. ,Prahlercl (== wirres, aufgeblasenes Zeug)': agall. 
borra gall. bo^'rear sich brüsten. Eine feine Beobachtung 
der seelischen Zustände liegt in der Übertragung von , Auf- 
geblasenheit' auf 

42. ,Zoril'; dem Zornigen schwillt das Gemüt, es ,wirft 
Blasen', wenn sie ,geplatzt' sind, bleibt kein Kern zurück. Alb. 
burgäm (Meyer EW < boriare + -ame) ngr. (ißovQV (Meyer 
Ngr. IV. < boria) bret. broez. 

Mit Stamm bar: corn. barri pinguedo ahd. parrungia 
superbia invidia langa. bragä prahlen, großtun spätlat. barri- 



burd- und bur- haben sich fortwährend beeinflußt, b&ld begri ff lieh, bald 
lantlieh. 



42 y. Abhandlung: Richter. 

ditas ßuperbia (Vita B. Sibyllinae, Mon. Germ. IV 124. 21). Die 
Qlosse (G V 520. 19) barridus : elevatus auperbus ist also (gegen 
Goetz und Heraeus, vgl. G VI) gar nicht emendations* 
bedürftig. Dazu noch afrz. bardir: (God.) Et vi les ondes 
bar dir et enßer. 

Einmischung von bur- ist anzunehmen in boursoufler 
und Konsorten: afrz. borsoflis (12. Jahrh.) wall, boria Ge- 
schwulst Jura bourre enfie^ enflö verd.-chal bourenfle bürg. 
boranfle usw. vgl. Mussafia Beitrag 35 ,zu bor, etwas Kugeliges, 
Kundes'; afrz. bourser (le ventre lux (Ludwig XI.) commenga ä 
bourser) alb. burfuät (Meyer EW) aufgedunsen rum. a se burduS 
aufdunsen (auch erweichen), also ^aufquellen, aufschwellend 

Im weiteren Sinne bedeutet bur Schwellung, etwas 
Rundes, daher Knospe, die Schwellung am Stamm, wo die 
Knospe, respektive der Trieb entsteht (das Auge). 

43. Knospe.^ Da sie mehr und mehr ,schwillt', kann sie 
sowohl Ausgangspunkt als Endpunkt der Bedeutungsreihe sein. 
Mail, borin sfrz. bourre Auge des Zweiges langu. boure bourou 
Knospe, hierzu gibt Diez bourgeon als Deminutiv. Aunis bour 
Knospe am Wein: geler en bour] cat. borro Knospe, Auge 
prv. bourroun bourrulh, Bresse (Guillemaut) bourre männliche 
Blute des Mais etc. engl, bur (Murray) round swelling of a 
tree, burly (Skeat) dick, korpulent, Poitou (God. : d'une femme 
enceinte): al a ine belle bourolle, wobei jedoch zu bemerken 
ist, daß bourole auch Schale, Napf heißt ^ das Beispiel daher 
auch zur Gruppe ,bauchiges Gefkß^ (S. 109) gehören kann. 

44. Schwellung, wo der Hirsch das Geweih ansetzt: 
engl. (Murray) bur round knob forming the base of a deer's hörn. 

45. Es ist aber nicht immer eine naturgemäße Schwellung, 
wie das Wachstum sie erfordert^ sondern auch eine krank- 
hafte: Geschwulst. Aunis bourrl gonflä gen. borlo berno- 
colo Beule, kleine Geschwulst alb. (Meyer) Wrde (= bürde) 
Geschwulst. Hierher rechne ich auch das altlombardische ebor- 
dagni (AG VII 7. 9) aus derj Antica Parafrasi. Die frag- 
würdige emendationsbedürfbige Stelle lautet: 7. 6 netun . . . 
harave mae possuo con onge ne con grafij . . . far quellt eolehi 



* Fttr die Begriffsyerwandtflchaft ron »Knospe* and »Blaie* Tgl. «ach 
Schuehardt, Rom. Etym. U, 8. 34. 



Die Bedeutangsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(dj. 43 

per gli galon (= calon Hüfte) de l corpo como Satanaxo con 
gli vermi ghe gli sbordagni grandi per le coate e le fosse 
eavae per tute le came. Salvioni (AG XII 429) will vermi 
and sbordagni zusammenbeziehen, in sbordagni eine Art Insekt 
sehen, so daß es also anter Tierbezeichnangen S. 100 einzu- 
reihen wäre. Das ghe zwischen gli vermi nnd gli sbordagni 
8oII in e emendiert werden. Ich meine, sbordagni heißt Ge- 
schwulst, Eiterbeule und ghe ist zu fe zu ändern ; dann sind 
tiordagni grandi per le coste und fosse cavae per tute le carne 
streng parallele Glieder zu /e, wie vorher solchi per gli galon 
tüL fare, und der Nachsatz hat das Verb im Indikativ er- 
halten, das ihm fehlt. Dt. Borpein (Barpeln^ Berpeln) Blattern 
(Grimm) kann auch hergestellt werden. Gen. burgore brugore 
(AG XV 51) Geschwulst obw. biergna^ sbiemia (AG VII 575) 
Geschwulst, Beule. 

Mit Stamm bar-: grödn. baruga Warze alb. (Rossi) 
her^^äm Geschwulst. 

Heißt nun bur- das Geschwollene, so ist die Übertragung 
auf das Band-Erhabene naheliegend. 

46. Da sind zunächst Bezeichnungen fUr randliche 
ESrperteile: berg. ven. borila Kopf lomb. borin crem. 
burhi bret. bronn Brustwarze Aunis bourrin langu. bouril 
Bauch afrz. ÄtircZKon verd.-chal. ftottWHo« Nabel; die letzteren 
können natürlich auch aus umbilicus entstanden sein, wie es 
verd.-chal lambouri selbstverständlich ist. Vielleicht ist rum. 
huric nicht nur lautliche Umgestaltung aus umbilicus ] buricul 
degetului Fingerspitze, buricat rund erhaben. Ven. bhro 
=r sedere, auch Kuppel; wegen des BegriffsUberganges vgl. 
Schuchardt Z. XXII S. 262 und Diez sp. bofeton etc. 

47. Das ven. berg. borila bedeutet nicht nur Kopf, sondern 
auch Zwiebel und Kugel. Letztere Bedeutung ist weit ver- 
breitet: prv. burlo, burloun piem. borUa hölzerne Spielkugel 
flandr. bourlot brolot Knäuel wall, bourlotte berg. borla Kugel; 
Eichengalle, borli Kugel, hübsche rundliche Frau aprv. 
boms pomum tentorii (vgl. aber auch S. 61, 3) etc. 

48. Von da entwickeln sich Ausdrücke für rollen, 
springen: prv. bourle Sprung Var (Gilliiron, Karte: Saute- 
reUe) burdrolo flandr. bourler tomber en roulant Rouchi bourler 
se rouler, tomber (Gloss. zum Chev. au Cygne 12787 burlant, 



44 V. Abhaudlung : Richter. 

das auch ^angreifen' bedeuten kann, S. 92) aach jouer & la boule, 
it. burlare rollen; hierher gehört wohl das Dantesche Perchi burli 
(Inf. VII 30) kausativ rollen, spez. vom Gelde im Sinne von ver- 
geuden. Man denke an die Oeldtische, auf denen das hinge- 
worfene Geld aufsprang und rollte; danach könnte das afrz. 
houler verschwenden (Prov. Vil. 194) als Mischform von baurler 
und boule hierher gehören. Berg, borelä borlä rollen, indä a 
borel überschlagen piem. borlä fallen und fallen lassen, barle 
fallen bcyreler der das Holz den Fluß abwärts schwemmt lad. 
(AG IX 114) sbirler ,schmeißen' alemt. (Rev. Lus. IV 58) andar 
de burlantea andar volante, dazu burlandera eiserner Reif am 
Wagen zwischen os limoes e o eixo. Daneben steht ptg. bolan- 
diira Rad bolandina (Vieira, andar n^uma bolandina hin und her 
schwanken) andar em bolandas über den Haufen geworfen (vom 
Schicksal verfolgt) werden. Die Bedeutung spricht für borla und 
gegen volare. Doch ist der Wandel von rl'^ t meines Wissens 
sonst nicht beobachtet. Übrigens steht neben borla Quaste, 
bola Kugel, und andererseits neben bolatim Bulletin, borlantim. 
Ait. barullare, nach Körting bar + *rotulare, sieht mit 
seinem unitalienischen rullare wie ein dem Provenzalischen 
entlehntes Wort aus. Sfrz. barula rouler (röder, courir) kann 
als das Grundwort des it. barullare angesehen werden. Dazu 

49. barulaire Vagabund, vgl. unser dialektisches Herum- 
kugeln fUr ,unordentliches Herumliegen von Gegenständen^ 

50. Von ,Springen' weiter zu SelltSnzer: ptg. burlaniin. 

51. Übertragung ins Abstrakte: cat. tot burlani burlant^ 
span. burla burlando anrerhofft (wie eine rollende Kugel za- 
fkllig irgendwo ankommt). 

J5er-Formen: vend. berlin Venvers k rebours. 

52. Wie burlandera Wagenrelf bedeutet ven. borondolo 
Rad. Es ist eine Vermischung von bor + rotondo. 

53. Die Bedeutung Schwellung, Geschwulst ftlhrt zu der 
ganz allgemeinen Walst: frz. bourrelet Wulst an Bäumen ums 
Pfropfreis herum, Kranz von Tauwerk, Ring der Kanone. Da- 
gegen sind span. neap. baroU (nach D'Ambra) cat. biruU baruU 
aus frz. basroule entstanden, sehr begreiflich bei einer Mode 
(Wulst des Strumpfes, der an das Beinkleid gebunden ist, unterm 
Knie). Cat birolla runder Eisenbeschlag an der Spitze deS 
Stockes Aunis bourrole bourgnon bourguignon frz. bourrelet 



Die Bedeatangsg^eschiehte der rom&nischen Wortsippe bur(d). 45 

Falte im Kleid; bei bourrole Einmischung von role. Im 
allgemeinen wird wie begreiflich die Vorstellung des ,Ge rollten' 
eingewirkt haben^ so 

54. berg. borlot Haareinlage (Haarrolle); Graswalze^ burla 
dd fils (Spindel). 

55. Eigentümlich ist bretagn. (Larousse) bourlotte Wurm, 
nämlich als Köder , wozu afrz. bire (God.) mlat. birra (DC 
a 1267) prv. birounado ligne sans hameyon qui a pour appät un 
peloton de vers langu. berou Kirschen wurm. 

VI. Die burra ist weiß oder weißlichgelb und wo sie 
in Masse hin&llt; sieht es aus, als ob es gereift hätte. Daher 
eine andere Gruppe von Übertragungen. Nicht eigentlich, daß 
sich eine Farbenbezeichnung entwickelt hätte: toul. burel weiß- 
lich drap, grau, Farbe der rohen Wolle, ist Ton letzterer selbst 
herzuleiten und steht auch ganz vereinzelt da. Es ist nur zu 
begreiflich, daß kein Farbadjektiv bur- mit der Bedeutung 
,weiß' vorhanden ist; die gleichlautenden Formen von bu/rrus 
< ftVQQÖg in ihrer Bedeutungsabstufung von gelb, roth bis 
schwarzbraun konnten das Aufkommen einer Bedeutung ,weiß, 
hell' nicht begünstigen. Aber weiß und flockig wie die iurra 
sind Belf und Nebel, und zwar beide um so weißer, je 
stärker sie sind. Ich glaube daher, daß aus dem so nahe 
liegenden Vergleiche die eigentümliche Form der romanischen 
Wörter für Reif und Nebel zu erklären ist: frz. bruine it. 
brina und Konsorten verdanken ihr b- einer Vermischung von 
pruina und bur. Die Wörter für Nebel, Nebelreißen bedeuten 
— naturgemäß — auch meist feinen Regen, Spritzen; 
diese Bedeutungen können also nicht getrennt werden. 

56. Champ. bruire Nebel cat. d'Alghero (AG IX 358») 
hurina fein regnen rum. bu7*ä, boarä feiner Regen, Nebel, 
burnifa Sprühregen bura6a dichter Nebel sard. (AG XIV) 
harea, boriazzu abbuira Nebel, mess. (Ro, V) brüsie fein regnen, 
frz. brouas it. buriana gen. burianna berg. borda, boa ven. 
borana, burana Nebel, letzteres auch Rauch; tarent. borina 
brina; ngr. firtöga feiner Regen. Das ptg. borigar kann zu 
oberdeutschem britzen, britzein gestellt werden, dem got. *bi*it- 
ian entspräche, mit Einwirkung von bur-, Nebenform boriffar, 
das zu agen. aborfar [male parole] = quasi sbruffare (AG 
VIII 386) spritzen, bespritzen gestellt werden kann, boriffar 



46 V. Abhandlung: Richter. 

geht vielleicht, shorfar gewiß auf *burire + hufare zurück. 
Ad das letztere schließt sich it. shruffare (vgl. Diez), das (nach 
ML) auch noch unter dem Einfluß von spruzzare stehen kann. 
Aus shorfar bespritzen entwickelt sich die Bedeutung besudeln, 
die oben erwähnt wurde. Eine ähnliche Bildung wie shorfar 
ist cat. brufol neblig (vom Tage) und bov. (AG IV 69) vur- 
furada nebbione denso e basso, das Morosi zu ßogßoQÖg = lor- 
dara stellen möchte. Man denke aber an furfuraculum Fin- 
sternis (G III 544) und furabulum (Isid.), wenn auch diese 
Worte selbst nicht klar sind. Prv. borrat große schwarze Wolke. 
Mit Stamm bar: Forez bärri große schwarze Wolke, 
span. barda dichter Nebel afrz. barage (God.) intemperie (Wetter- 
schaden). In allen diesen Fällen ist der so naheliegende Ge- 
danke an Einwirkung von Boreas aus meteorologischen Gründen 
nicht gut haltbar : denn im allgemeinen verträgt der Wind sich 
nicht mit Nebel, speziell ist der Nordwind in den wenigsten 
Gegenden der Regenbringer ; aber sofern er Schnee bringt, 
ist Vermischung der Stämme bor- und bur- sehr einleuchtend. 
Indessen kommt hier auch die Bedeutung von bur- ^brausen' 
in Betracht (vgl. S. 90, 4) : it. burrasca ( Voc. Cr. < buro = buio 
oder bora) neben bora sard. buriana log. boriana vegl. bura 
ptg. auf St. Thomas (Const.) burra, Bova (Pellegrini) burragena 
= borrana Sturm alb. buri Südwind Wallis. (Gauchat) boräta 
Sturm, Gewitter. 

57. Im Provenzalischen heißt {emer bourineld dampfen (von 
gekochtem Essen), also ein leichtes weißes Gewölk erzeugen. 

58. Übertragung auf Wolke hat stattgefunden in sard. 
buriele nuvuloso scuro; in borlu^u (Meuse) große Wolke, die 
zeitweilig die Sonne verfinstert, hat jedesfalls bur- = grau, 
schwarz eingewirkt. Doch haben wir in Freiburg (Gauchat) bo- 
raUä Rauchwolke, waadtl. (Gauchat) borätse schwarzer dicker 
Rauch boratsi rauchen und rSuchern : jeter une fumäe äpaisse, 
brüler de genifevrc ou tel autre parfum dans une chambre. 

Das schwierige b in it. brezzo (Ascoli AG HI 392 erklärt 
aufrezza -|- b prostetico, ML I 356 rezza + brisa) kann ebenfalls 
in diesem Zusammenhang aus bur -j- aurezza erklärt werden. 

59. Wirkung des Nebels ist die Dunkelheit, und zwar 
ist die Dunkelheit um so größer, je weißer (dichter) der Nebel 
ist. So kommt bur- zur Bedeutung des Dunkels des Dimmer- 



Die BedeatttiigBgesehtchte der romanischen Wortsippe hur(d), 47 

lichtes: rora. hur Dämmerung, Dunkel, Schatten (tenebre), 
/oni(= \nm^)dehwr == barlume; vgl. horia bei Plinius (Thes.) 
für Jaspis, weil er dem herbstlichen Morgenhimmel gleiche. 
Maß boria auch natürlich zu borealis im Sinne von hibernalis 
gestellt werden, die Begriffsübertragung : nebelig > Dämmerung 
> dunkel , grau ist eine ganz ähnliche. Afrz. bruin Dämme- 
rang ebenfalls aus dem Begriffe Nebel zu entwickeln in: (God.) 
U jetidi apre$ ä Vheure du bruin Alerent li forrier acueillir le 
hestin (VoBUx du Paon). Welsh bore Dämmerung cymr. boi-au 
Morgen u.a. Freiburg (Gauchat) bomiyi finster werden; li 
dzoua borniyon dza a ^nk frh = les jours se fönt sombres 
k cinq heures. Gauchat hält Zusammenhang mit borgne nicht 
fbr ausgeschlossen. 

It. buro, buio bol. bur. Wenn man it. buio einfach aus 
burrus herleitet und neben andere Farbadjektiva stellt, so wird 
man seiner eigentümlichen semasiologischen Funktion nicht ge- 
recht, denn buio bedeutet nicht dunkel als Grad einer Farben- 
schattierung, wie scuro, sondern finster im Sinne der Ab- 
wesenheit des Lichtes, des Mangels an Beleuchtung, und 
zwar, wie es bei Rigutini-Fanfani ausdrücklich heißt, mancanza 
di lume, effetto del tempo nuvoloso. Es ist von einem 
(empus burius auszugehen ; fa buio bedeutete wohl ursprünglich 
dasselbe wie fa nebbia, dann wurde die Folgeerscheinung, die 
Dunkelheit, mehr und mehr betont und der Begriff ,Wetter- 
erscheinung' = Nebel und Wolken blieb nur ein Teil der 
üblichen Bedeutung. Als Farbadjektiv hat buio, wie es scheint, 
eine durchaus eingeschränkte Verwendung; es bezeichnet aus- 
schließlich ,dti8ter'. Inf. VII 103 I/acqua era buia molto piü 
che persa u. a. Sowohl in adjektivischer als in adverbialer Ver- 
wendung hat es die Bedeutung ,finsterS ,lichtlos': stanza buja 
Dunkelkammer regni bui = Hölle (bei Dante valle buja) narra- 
zione buia (dunkel = unverständlich), inteletto buio (nicht von 
Vernunft durchleuchtet) etc., vgl. VCr und Toraraaseo. Afrz. 
huiron (God.) ,brun foncÄ' in sarazin de lignage buiron kommt 
überhaupt nicht in Betracht, da es del lignage Buiron heißt; vgl. 
Försters Ausgabe des Rolandsliedes von Chateau-Roux, S. 232. 1 1. 

60. Bei it. burella rom. buri unterirdisches Loch, fin- 
sterer Kerker, kann es zweifelhaft scheinen, ob es zu buio 
oder zu burru gehört. Es kann natürlich auch ein ,schwarzes^ 



48 V. Abhandlung^: Richter. 

Loch gedacht sein ; mir scheint die Betonung des ewig BHasteren 
fär die Bezeichnung des traurigen Aufenthaltes passender. 

61. Zu erwähnen ist noch die eigentümliche italienische 
Bildung burar betragen; wohl ,einen Nebel vormachend 

Varianten mit Stamm ber: nordit. (Mussafia^ Beitrag) be- 
retin grau, grob vic. pierra baretina grau rom. bartinen = 
ven. beretin = bigio; gall. (Rev. Lus. VII 204) bretema 
Nebel alb. wende leichter Regen (Meyer EW) prv. barumado 
Windstoß. 

B. Der Bohrsohaft. 

§ S« Ich wende mich nun zu den Bezeichnungen fUr Rohr, 
Rohrstock und deren Weiterbildungen. Da sind nun wieder zwei 
Unterabteilungen zu unterscheiden ^ je nachdem der Stock des 
Rohres ins Auge gefaßt ist oder das hohle Rohr, die Röhre. 

Erste Unterabteilung: Der Rohrstock. 

I. Ber einzelne Stoek. Wie schon bei der lebenden Pflanze 
manche NamensUbertragung zu verzeichnen ist, so und noch 
viel mehr bei den zu gleichen Zwecken verwendeten, in verschie- 
denen Gewerben im Handel vorkommenden Rohrstöcken, Weiden- 
gerten u. a. Wir sehen hier Stöcke aller Art, dünne und dicke, 
Balken und Stangen. Die ältesten Zeugen sind borda clava seu 
baculus (Isidor, bei DC); borda ' clavia (G V 627. 4) clavia ' borda 
(Wright-Wülker 13.20), S.Jahrhundert; clava fuste vel borda 
(ebd. 205. 17), 10. Jahrhundert u. a., ferner (DC unter bordi- 
galum) borda virgula bacultis, endlich burca clavata (Graff, 
Gloss. Salom. in Prag, 12. Jahrb.); also borda bedeutet sowohl 
Stock als Gerte und außerdem noch eine besondere Art Stock, 
die clavia clava oder clavata: Knotenstock, mit Nägeln be- 
schlagener Stock, Knüppel. Hier tiitt uns nun also die Form 
mit Guttural entgegen, die wohl auf *burictM zurückzuführen 
ist (vgl. N. 13, 18, 63, 78) und sich mit den zwei anderen viel- 
fach kreuzt (vgl. S. 20 bourgain)] ihn vertritt südsard. burchioni 
borchioni Gerte burchionittus = musa de carrada Gerte zum 
Verbinden der Fässer. Es kann aus Italien eingeführt sein und 
einem Typus *burclone entsprechen. 



Die Bedentungsgeschicbie der romanisohen Wortsippe bur(dj. 49 

Aach der bar- Stamm hat eine gutturale Form entwickelt : 
bargus Ast. 

Infolge der verschiedenartigen Verwendungen (vgl. oben 
S. 4 ff.) ist die Zahl der Bedeutungsvarianten nicht gering. Ich 
beginne bei denen, die unmittelbar ^Rohrstock', nur in speziali- 
sierter Bedeutung, ausdrücken^ und gehe allgemach zu den 
Bezeichnungen für mehr und mehr ,dicken Stock', rundes Holz, 
Balken, über. 

1. Hirtenstab: prv. bourdeto aprv. borla 1386 (DC). 

2. Stäbchen zam Vogelfang beim roccolo: mail. bori- 
doT] bargtis (Lex Sal.) ai quis venationem in bargo involaverit : 
also die Beute die man auf der (Leim-) Rute gefangen; vgl. 
Martial XIV 216 und IX 54. 

3. Stab zum Heransziehen der Hefe: parm. boron = 
Spina fecciaja. 

4. Spindel: siz. barruni, 

5. Stecken znm Antreiben des Esels: flandr. bourdon 
(Vermesse: baguette avec laquelle on conduisait les änes) rom. 
burlot kurzer Stecken (Peitsche), den man um den Hals des 
Hundes befestigt. 

6. Peitsche, Prügel. Ngr. aßovqdovXo (Mejer Ngr. IV 19) 
Wallis. (Oauchat) bourdanUe^ bourdet. 

7. ,Enflppel aus dem Sack' Orleans: bourdon^ bats 
(Herzog, Dialekttexte). Hieran schließe sich in übertragener 
Bedeutung, da aus anderem Material: 

8. Waffe: frz. bourdonasse afrz. bourdon lance a grosse 
poignie cat. bordo Schwert, W^urfspieß ngr. ßovqdovXoy Ochsen- 
ziemer (Meyer Ngr. IV 19). Frz. barde Axt ptg. barda Axt, 
Waffe (Vieira) können hier nicht ohne weiteres mitgezählt 
werden wegen der ganz anderen Gestalt der Axt. Sie gehören 
an dt. barte (Kluge < bhardh, die Bärtige) ; es sind wieder ein- 
mal Worte verschiedener Herkunft mit ähnlicher Bedeutung. 

In den unter 5 — 8 aufgezählten Bedeutungen gibt es auch 
eine große Anzahl Verben. Mit dem Stock schlagen, stoßen: 
Wallis. (Gauchat) bourdeiller bourdetcher bourdeyl: bourdi(r) 
Commander h la baguette waadtl. (ebdhr.) bordenäys betäuben- 
der Schlag auf den Kopf, borä anstoßen bern. (ebdhr.) bodje- 
rua(i) schlagen vion. bura Aunis bourdai heurter, bourde Beule 
am Kopf cat. burrada ptg. bordoada Schlag prv. bourrado 

Sitranit^tf . d. pUl.-hiit. Kl. 156. Bd. 5. Abh. 4 



50 V. Abhandlnng: Richter. 

Erschütterung, Schlag mit der Hand, Hagel von Schlägen rom. 
hurdh montois berdakier schlagen afrz. bourter stoßen sfrz. 
bourdouira puflfen gall. bourar dar con faerza en ona cosa 
dura. Vom Stamm bar: Hess. (Ro. V) bari'i schlagen, fort- 
während bewegen, speziell von Pferden = scharren ptg. bara- 
fustar (Const.) stoßen, sich in verschiedenen Richtungen mit 
Ungestüm bewegen < mit dem Stocke fuchteln, mit Ein- 
wirkung von fusto] afrz. barder (God.) soulever avec une barre 
aprv. burcar butter, broncher sfrz. burgar poitev. burguer^ 
dazu aprv. bura choc (Rayn.). Hierher auch 

9. das mlat. burgatar burgulator burglator = tat noetur- 
nU8 (DC), burgaria burglaria = vielen ta in domum vel pri- 
vatum vel sacram . . . nocturna irruptio cum intentione inter- 
ficiendi et furandi. Also Überfall zum Zweck des Raubmordes, 
und zwar nächtlicherweile. Daher burgatidin Vagabund. Erst 
das afrz. burgessourB zeigt Kreuzung mit borge$ (zu bourg\ 
also ,Raubritter^ 

10. Vom Stoßen und Schlagen kommt man zum qullen, 
mißhandeln : frz. bourrer, bourreler (seit dem 16. Jahrb., Littrö^ 
bourrade estocade toul. bourrad es er ist geschlagen berg*. 
sbörla sbürla flandr. bourriauder verd.-chal. bo'wriauder sav. 
boriodd bourg. borelai nach Feriault ,tourmenter, malmener 
quelqu'un comme on malm&ne le bourri en le frappant' ptg. 
esbordar verwunden sp. aburrir belästigen gall. bourar (Rev* 
Lus. VII 204) belästigen, quälen. 

11. Von da zum Töten, Yernicllten: berg. sbertt cat. esber- 
larse zerscheitern, zerschlagen ptg. esborralhar zertrümmern, 
zerstören, zerstreuen gehört zu borralho Asche (vgl. unten: 
in der Glut wühlen S. 51, 16). 

12. Diez' Annahme, bourreau stamme vom Marterwerk- 
zeug her, wird also auch durch diesen Zusammenhang neu 
gestützt: bourrel (Marter-) Pfahl, Prügel, Peitsche (vgl. oben 
S. 49, 6), aber auch Strick (vgl. unten S. 67, 22). 

Aus ähnlichem Wortmaterial mit anderer Bezeichnung ist 
prv. Bambuca ,mit dem sambuc mißhandeln', auf der Straße 
anfallen, bestehlen = bregandeja (von Mistral zu tambuco 
Kriegsmaschine gestellt). 

13. Stock zum Wählen : sfrz. bourjou baguette k fouiUer 
und die Verben burja bv/rga burca burjuna broujouna broun- 



Die Bedentangsgesehiciite der romanischen Wortsippe burfd). 51 

chouna vion. bur9fid, nnd daher die Jagdansdrücke^ die auf 
jAafbtöbern' zurückzufahren sind, wie rouerg. burga un lapin. 
Vgl. hiezu wie zum folgenden Schuchardt, Rom. Etym. II 184. 
Agen. (AG II) bordigar frugare, toccare amail. aburdigar von 
Seifert (Glossar zu Bonvesin S. 2) statt aberdugar angenommen; 
wie die vielen Parallelformen zeigen, könnte Stamm berd- auch 
bestehen, aber -ugar ist allerdings ganz vereinzelt dastehend. 
Mant. bordigar em. burdigär rom. burdghi bol. burdigar^ 
regg. bruBtigha it. bordare u. v. a., die Schuchardt anführt. 

14. Von wühlen ist ein Schritt zu mischen aaf(ttill)- 
rühreil : Alp. broular bourlar bourroular brantar sfrz. barreja 
und weiter 

15. verwirren prv. bourroula (Einmischung von roula 
rollen) u. a. (vgl. auch oben S. 43, 48). 

16. Speziell: in der Glut wUhlen = scliüren: sfrz. 
baurgouna burgouna abr. burtine Feuerzange. 

17. Sclinfilfeln : ven. (Patr.) borire (vgl. unten S. 92). 

18. Wieder eine andere Weiterentwicklung zeigt: die 
£rde bearbeiten, amgraben: langu. burja Erde tief auf harken 
interamn. (Rev. Lus. VIII 56) burgar umstechen, Wurzeln und 
Strauchwerk ausreißen, herauswerfen. Man beachte die Ab- 
leitung von burea, dem beschlagenen Stock, vielleicht Stock 
mit scharfer Spitze. 

19. Vom Wühlen (Umrühren) kommt man auch zu pant- 
schen: afrz. barbaudier Bierwirt. 

20. Lanzenartige Stange des Traghinunels : DC bor- 
dotiiM, daher 

21. der Tltronhimmel selbst: aböarn. bordo. Dies kann 
aber auch in grotesker Verwendung zu bordo ,Dach eines 
Schafstalles' stehen, vgl. unten S. 63. 

22. Ladestock: cat. burxa d'escopeta. 

23. Stange znm Befestigen der Wasclileine: sp. berlinga. 

24. Angelrute (Trampe): Neuchat. (God.) boiron In- 
strument de p6che 1308 it. bordo friaul. sbordon, sbardon, 
das Schuchardt (Rom. Et. II 114) zu sbordon ändern möchte. 
Wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, ist dies nicht unbe- 
dingt nötig. Afrz. barle engin de pdche (vgl. das S. 22 er- 
wähnte rom. bdrle Weidenhecke) sfrz. bourjadouiro u. a. 
Eäne außerordentlich große Zahl von Verben für pulsen: 

4« 



52 y. Abhandlang: Richter. 

langü. bourdouira friaal. buriga lacch. burieare waadtl. 
burgattä (Schnchardt, Z. XXI 413) sfrz. bourgalha bourgauna 
burga barveja etc.; es wäre wohl überflüssig, die von Schu* 
chardt (Rom. Et. II S. 94, 130 ff.) angelegten Sammlangen ans* 
zuschreiben. Es genügt, darauf zu verweisen. Ich erwähne 
nur noch, daß die Trampe gewöhnlich am oberen Ende mit 
einem eckigen Stück Holz oder dergleichen versehen ist und 
daher eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Pilgerstocke hat. 
Indes scheint mir die unmittelbare Ableitung aus Rohrstock 
in allgemeiner Bedeutung viel wahrscheinlicher. 

25. Abgesehen vom Pulsen schlägt (oder stößt) man ins 
Wasser, um das Boot zu dirigieren. Verd.-chal. bomayou 
Pfahl zum Stoßen frz. bornager (Loire) piquer le rivereau et 
Tappuycr imm^diatement sur le bäteau pour le pousser aa 
sens contraire (Larousse). Beim Stoßen mit Stangen und Ra- 
dern ergibt sich ganz von selbst das fiordeggiare^ = bald die 
eine, bald die andere Seite des Schiffes dirigieren, wobei Ein* 
Wirkung von germ. bord = Schi£beite natürlich mitspielt. In- 
sofern das bordeggiare aber ein ,läng8 des Ufers fahren' ist, 
gehört es nicht hierher, sondern zu Bord, Ufer, S. 60. Eine 
Verwendung für rudern ist mir nicht begegnet; es handelt 
sich mehr um kurze Stöße, um vom Lande weg (oder ans 
Land) zu kommen, nicht um das regelmäßige Lenken des 
fahrenden Bootes. Auch entfernt sich das Ruder mit seiner 
breiten Fläche sehr weit von allen hier genannten Werkzeugen, 
die doch eben ihren gemeinsamen Ursprung nicht verleugnen. 

26. Vom Lavieren (vielleicht auch vom Vogelfang her) 
heißt in übertragener Bedeutung ,LockvogeP prv. bourdejaire. 

27. Stoek zum Befestigen des Fischnetzes (Bleistock): 
frz. bourdon, 

28. Zepter, und zwar Eirchenzepter: frz. bimrdon, 
cat. bordo etc. Man erinnere sich der Bärdäriötcte kaiserliche 
Bediente, die Stäbe trugen, womit sie die Leute aus dem Wege 
drängten (Isid.), also Zeremonienszepter, nach denen sie 
offenbar benannt waren. 

29. Lenchterstoek: afrz. bortrolle tige ou brauche d'un 
chandelier (Larousse). Also die Bedeutung ,A8t' kommt auch 
in Betracht. Eine Form borterolle wäre verständlicher; vgl. 
indes bourdrel (fbr bordereau) bei DH. 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe hur(d). 53 

30. Pilgerstab: sard. burdoni it. span. bordone^ 
ptg. bordao frz. boardon engl, bourdon etc. etc. 

31. Vom Pilgerstock wird abgeleitet: der Pilgers toek- 
trlger frz. hourdonj bourdonnier, zunächst Pilger (vgl. ftirs 
Afrz. Qod.)^ daher sfrz. Li tres bourdoun ^die drei Pilger' fUr 
das Sternbild ,die drei Könige* (auch ,Gürtel des Orion'), da 
ja die Könige gepilgert kommen. Dann 

32. Der Wanderer: span. bordonear herumziehen frz. 
planter son bourdon sich niederlassen (also den Wanderstab 
aus der Hand legen) demeurer ä bourdon planii ,paff' sein^ 
plötzlich stillstehen. 

Eine andere Begriffsnuance ist ptg. bordalengo fremde 
das nicht unmittelbar hieher gehört. Vielmehr muß es in die 
Omppe von Wörtern eingereiht werden, die auf bordal = 
Hatte zurückweisen (ein Simplex bordal ist bei Mistral nicht 
▼erzeichnet; aber bourdalii formier (Gase.) bourdalat masage, 
hameau (Böarn^ Agenais) bourdaleso Kehricht , Abfallhaufen 
(der zur Hütte, Meierei gehört). BourdaUs = Bourdelis = 
Bordelais (der Bewohner von Bordeaux). Dies alles beweist 
wohly daß bordal gleichwertig zu bordel ist; die Bedeutung 
TavernC; Unterstandsort für Wanderer wird der Ausgangspunkt 
flir bordalengo sein (vgl. auch S. 64). 

33. Wandern; Herumziehen in pejorativem Sinne ist 
vagabandleren und so wird aus dem ,frommen Pilger' ein 
Landstreicher, Spltzbabe, Vagabund: sp. bordonero] bordo- 
neria das bettelhafte Herumziehen; it. bordaglia canaglia (vgl. 
dagegen D'Ovidio AG XIII 403, 380 ,ritornato al senso ma- 
rinaresco') abr. burehione Spitzbube poitev. bourgaudin Vaga- 
bund, vgl. S. 50, 9. 

34. Die Bedeutung sinkt noch um eine Stufe, wenn es sich 
um ein Femininum handelt; die Vagabundin ist ja mehr als der 
Vagabund verächtliches Individuum, das fremde, zugelaufene 
Weib in einer noch mißlicheren Lage: afz. bourdon (Klöpper) 
Freadenmädehen engl. dial. bure leichtfertige Person cat. 
bordejar = bastardear Pas-de-Cal. bourgaudine coureuse norm. 
bourgaud libertin (Z. XXXI 257) flandr. (Verm.) berdoulle femme 
Sans ordre, brouillon kann zu bredouiller = brouiller (in Un- 
ordnung bringen, vgl. S. 34) gestellt werden, borg, bertu drudo 
di puttana wird wie abr. burtone zu bert (= brit) gehören. 



54 y. Abhandlung;: Richter. 

Mit Stamm bar: ptg. moga barreira prv. ßho de barri 
cat. bardaxa aberg. bardassa Dirne zeigen klar die Ableitung von 
barra (barda) Stange = Zaun : die am Straßenzaun ihr Wesen 
treibt, vgl. ags. nord. portcuoney portkana meretriz, nach Graff 
III 212 zu bord zu stellen. Von moga barreira ist weiter ent- 
wickelt 35. barreiro sinnlich, weltlich. 

Für span. barragan ptg. barregan aptg. baregäo Kebse, 
kommt spätlat. barginus (Caper, Gram. VIII 103. 8) genus cui 
barbaricus sit; in den Glossen barginue = peregrinus (Neben- 
formen: barginna, bargena) in Betracht. Es kann eine Konta- 
mination aas barbaricus -j- peregrinus + barec- sein. 

36. Einen nicht ganz so bösartigen Beigeschmack hat die 
Bedeutungsentwicklung zu Schmarotzer. Der Wanderpilger, 
der um ein ,Gott lohn's' einkehrt und oft wohl über Gebühr die 
Gastfreundschaft seines Wirtes in Anspruch nimmt, mag nicht 
selten zur Landplage, zum verachteten Schmarotzer, blinden 
Passagier ausgeartet sein: Cat. borrugat, für die Bildung vgl. 
sard. burrugar S. 40, 38; ven. pozar el bordan schmarotzen. 

37. Eine Spezialisierung des Pilgerstockträgers ist der 
HSnch; der fahrende, der Bettelmönch, in wegwerfendem Sinne: 
so mail. bordocch das dann weiter 38. Pfalf bedeutet: ngr. 
ßovQÖovdQig der dumme Mönch; hier kann allerdings auch der 
*Maultierreiter vorschweben, aus Maultiertreiber, da ßovQÖo- 
vdgig die letztere Bedeutung — wie auch sonst burdonarius im 
Romanischen — hat. Aus letzterem entwickelt sich noch durch 
die Vorstellung des Lastenbeförderns 

39. die Bedeutung Träger. Vgl. unten Nr. 46. 

40. Nur im Epirotischen finde ich eine weitere Bedeutungs- 
stufe fiTTovQÖovdQia weite Hose, durch das ^7t als spätes Lehn- 
wort gekennzeichnet. Es läßt sich nur so erklären, daß etwa 
die weite Hose eine spezielle Tracht des ßovQÖoviQig, des Trägers 
oder Treibers, bildet und darnach benannt wurde. 

41. Vom Herumziehen, Herumvagabundieren wird die 
Vorstellung des sich fortwährend Bewegenden ausgelöst 
und daher kommen einige in Norditalien häufige Ausdrücke 
flir Kind, und zwar za lebhaftes, belBstlgendes Kind, cat. 
bortigas Kind von wenig Jahren, Knabe rom. burdell Kind^ 
Bübchen. Ofi^enbar liegt hier keine Spur einer zweideutigen 
Wertschätzung vor. 



Die Bedeatnngflgeachichte der romanischen Wortsippe burfdj. 55 

42. Hier mag auch eine Bedeutung angereiht werden^ die 
vom yStockträger' im allgemeineren Sinne (auch Hirtenstock, 
EnQppel) ausgeht: gewöhnlich trägt der Bauer, der Bergbewohner 
einen kräftigen Stock und daher kommt die Bedeutungsent- 
wicklung von Stockträger zu BauerntOlpel, Grobian: frz. 
burgault rustre, sot bei Greban (Z. XXXI 257) ptg. bordalengo 
(der in der Bauernhütte wohnende) tölplisch, prr. bordegas 

I baurdcu grober Bauer poitev. boiirdassas großer Grobian, in 

I Loz&re Neckname der Bergleute, die mit dem dicken Stock, der 

( b(mrde, gehen sp. bordonero Grobian engl. dial. bure Bäuerin 

! prv. bauiras bourdas Bauer Älpler, RQpel ; im Italienischen ist fiir !^ 

höhnender Zuruf an den Bergbewohner; man denke an die mit 
reduplizierendem b gebildeten Schimpfworte: birbone birbante. 
I Langu. bourdesc = brüsk kann also auch hier eingereiht 

I werden. 

43. Eine Übertragung vom Pilgerstab her ist die 
Bezeichnung für das Kugelkreaz Im Wappen : ptg. cruz bor- 
doada frz. croix bourdonnee usw., zur Andeutung, daß der 
Inhaber eine Pilgerfahrt gemacht hat. Es zeigt gleichsam — 
von jeder Seite — gekreuzte Pilgerstäbe. 

44. Sekundäre Bildungen, wie frz. bourdon de St. 
Jacques für Malre ptg. bordao de S. Josd Lilie u. a. sollen 
hier nicht weiter verfolgt werden. Das prv. bourdoun Kopf 
der Kompositenblumen kann auch hierher gehören, sowie berg. 
indä 'n boi'db fare il tallo. 

45. Eine vereinzelte Übertragung von Pilger- oder Hirten- 
stock auf Bischofsstab (crosse) ist toul. bourde. Vgl. auch 
oben Zepter (Nr. 28). 

46. Stock zum Tragen des BDndels: yend. bourde 
bourdet; man denke an die Muli Mariani! (S. 10). 

47. Krücke: afrz. bourde Aunis ctbourde] Erklärung 
des a- aus ,falscher Trennung' von la bourde geht wohl nicht 
an. Zu bourde Krücke = Stütze kann das Verb abourder = 
*adrburdare sich aufstützen bestanden und eine neue Imperativ- 
bildung entwickelt haben. Abr. burtine. 

Ganz allgemein genommen ist es: 48. ein Stock mit 
dlekem Knopf frz. bourde. 

49. Ein kurzer Stock piem. burlot prv. barot barrot 
(auch kurze Stange) langu. bourdeja mit dem Stocke spielen. 



56 V. Abhandlung^: Richter. 

50. Narrenstab: afrz. burel (Rom. de Ren. IX 426, bei 
Qod.). Var. Lect. borel B, barrel M. Auch mague hat diese Be- 
deatang angenommen. 

51. Es kommt auch in obszöner Bedeatnng vor, wie 
virga u. ä.: afrz. bourdon (La Curne) vgl. noch Lacombe; nfrz. 
Belege bei Leroux. Vgl. auch oben Nr. 34. 

Ich gehe nun zu den Objekten über^ die sich etwas weiter 
von der eigentlichen Stockform entfernen, zu größeren Hölzern. 

52. Balken, Stange: frz. bourdon perche formte d'un 
arbre depouill^ de son öcorce (Larousse). Barra mit all seinen 
zahllosen Ableitungen langu. barali = barricada bret. bardel 
= barrilre etc. ist so oft besprochen, daß hier kein neues 
Material zugefügt werden soll. Nur wegen der Bedeutung 
^schützen, verrammeln^ sei bemerkt, daß Zaun und lebende 
Hecke natürlich nach der Pflanze genannt werden, aus 
der sie bestehen, und daß der Zaun zum Schutz des Eigentums 
gemacht wird. ,Umzäunen^ heißt daher selbstverständlich auch 
schützen, den Zugang erschweren (z. B. durch Dornen) >» 
verrammeln, bardare und barrare bedeuten ursprünglich nichts 
anderes als mit bardae oder barrae umzäunen, also schützen; 
prv. baradis verschlossen bardä = mettre la bardelle = ver- 
schließen knüpfen an barda im Sinne von ,quer gesteckter 
Gerte^ an, cat. baradissa Gerte zum Verschluß der Fischrensen. 
Daß dieser Bedeutungsübergang sehr alt ist, beweist barrum 
(DC) = portum apud veteres Gallos (Valesius Not. Qall.). 
Aus dem allgemeinen Begriff ,schützen' bardare entwickelt sich 
z. B. ptg. bardar ein Dach mit Reisig gegen Regen schützen, von 
da dann barda das Deckende im allgemeinen: 53. Schindel; 
gen. bardella Ofenvorleger aus Metall (der den Ofen vor der 
herausfallenden Glut schützt), auch barda (DC 1141) Pferde- 
rüstung könnte hierher zu stellen sein. Ein heimisches und 
ein arabisches Wort kamen sich entgegen. Alb. mburßn' ich 
verteidige, schütze leitet Meyer (EW) aus barrare ab, mit Wandel 
des a ^ u wegen des b. Es ist wohl eher zu den iur-Formen 
zu stellen. 

54. Balken im Wappen: sp. burel schmaler Streifen, 
burelado mit abwechselnd gefUrbten Streifen verd.-chal. ber- 
doder bardoler = barioler Streifen; barioler kann zu varius 
gehören, vgl. aber noch frz. barrd gestreift. 



Die BedeatQDgigescbicbte der romanischen Wortsippe bur(d). 57 

55. Holz 9 das wilden Efihen um den Hals gehSngt 
wird (um sie am Laufen ssa hindern) Urbeis (Horning Z. 
XXIX 524) h^pi6. 

56. Stützbalken, Stfltze des Mfililbalkens: frz. lourde, 
haurdannier, 

57. Hanptbalken der Diele: ven. bordenal agen. bor- 
donar (AG VIII 333) Rhodos ßoqdoväq Stützbalken (Meyer 
Ngr. IV 19). 

58. Tragbalken: sard. burduni sp. bordone etc. alb. 
murine Daehsparren (von Meyer £W zu ven. moragia Kloben 
[Massafia, Beitrag 80] gestellt). Für die lautliche Entwicklung 
vgl. alb. murello = burelo. 

59. ftrnndbalken der Barke: mail. bor. 

60. Angelstoek der TOr, worauf sie ruht: vend. bour- 
dimneau. Das ptg. borde Gesims, Rahmen, auch Rinnstein, 
Leiste ist zu bord Rand zu beziehen. 

61. Stütze fSr gescheiterte Schiffe (ötai): Aunis bourde 
(Littr^, Meyer). 

62. Hastbaam: frz. bourdonnier. 

63. Pfahl: sp. bdrgano roher Pfahl, barganal Pfahlhecke, 
Pfahlzaun. Die Bildung bargus + äno ist wohl der von päm- 
pano gleichzustellen. Da pdmpano auch Rute bedeutet (vgl. 
sard. pampanata = musa de carrada bei Spano unter bur- 
chioni) ist sogar eine unmittelbare Anlehnung möglich. 

64. Großer Pfalll, mittels dessen beim Landen der 
Schiffe verhindert wird, daß sie anstoßen: verd.-chal. 
homayou. 

Verschiedene runde Hölzer von größerer oder ge- 
ringerer Länge: 

65. Splißholz, Holz zum Splissen der Tauenden: ptg. borhl. 

66. Bandes Holz zur Strlekfabrikation : engl. dial. 
hwrrd. 

67. Brehholz an der Drehbank: siz. barruni; barru 
Stock, worauf der Drechsler die Hand stützt. 

68. Biehtholz der Hntmaeher: em. baruvd. 

69. Stampf (Baumstumpf): berg. bora langu. burlo berlo, 
weh Stammende: prv. boumac(t) wall. Jorr, ftowr Baumstumpf. 

70. Pfloek cat. brusca. Im allgemeinen ist bruscum Ge- 
strüpp, also liegt wohl eine Beeinflussung von bur vor, vgl. Nr. 69. 



58 y. Abhandlung: Richter. 

Die Form des kurzen Stocks mit verdicktem Ende gibt 
Veranlassung zur Namensübertragung auf Hölzer von entfernt 
ähnlicher Form, aber in kleineren Dimensionen: vor allem 

71. Nagel mit mandelfSrnilgeiii Kopf: berg. burdü biröl 
hirol Holznagel im allgemeinen (daher ist die von Godefroy 
vermutungsweise gegebene Erklärung von afrz. bourdon = ,cloa 
h grosse tSte^ gewiß richtig) und von da weiter 

72. SaltenschlQssel; Schlüssel am Saiteninstrument, Wirbel' 
it. bischeroy im Voc. Cr. zu disculus gestellt; aber an den alten 
Instrumenten findet man nicht nur Saitenschlüssel nach Art 
der jetzigen, die allerdings eine kleine Scheibe haben, sondern 
— und weit öfter — solche, die einem Holzklötzchen ähnlich 
sind. Zu der Verwendung von bischero als Schimpfwort ,uomo 
dappoco' paßt letztere Zusammenstellung noch besser. Das t 
in biröl erklärt sich wohl aus gase, biroula = girare] denn 
der Schlüssel stimmt ja die Saite, indem er gedreht wird, 
und da die südfranzösische Musikkunst älter ist als die italie- 
nische, kann der Ausdruck biroula für ,stimmen' von dort aus 
nach Italien gewandert sein und die bur-Form fUr ,SaiteD- 
Schlüssel' beeinflußt haben. Dann wurde die t-Form leicht 
auf andere Klötzchen und Nägel übertragen. 

73. Holzkell ven. borelo burelo alb. murello (Meyer 
EW) berg. biröl 

74. Holzriegel, Schloß: toul. bartabilo aus vertibellum 
mit begrifflicher Einmischung der dazu verwendeten barta ; 
berg. birli ist vielleicht ausschließlich auf biroula drehen sa- 
rückzufUhren. 

75. Zapfen am Faß: berg. borü burü langu. bouril 
em. burcaj burchetta piac. borcaj toul. prv. bardoc afrz. 
bourdon (DC: dolii umbilicus): deux bouteris de vin . .. les 
bourdons dessoubs parquoy le vin s'en estoit tout aU, Dies 
könnte also auch ,Spundloch' bedeuten vgl. unten S. 109, 3. 

Von den Bedeutungen 5—8 ,Waffe' ist eine Übertragung 
76. eiserne Kenle alp. boura langu. bourö das auch 

77. Steinklopfer, Steinmeißel bedeutet. Dazu bourouna 
boura Steine klopfen. 

78. £iseme Stange: engl. dial. boryer auch eiserner 
Bohrer, borcer (Mnret) Steinbohrer. Zu diesem wie zu boL 
burcaj em. regg. boraj Metallbohrer vgl. unten S. 101 B. 



Die Bedeatangsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(d), 59 

Entfernter ist die Ableitung: 

79. It. buraitino Marionette; dies kann ebenso gut die 
aaf ein Stück Holz gezogene als die ,ansge8topfte' Pappe sein; 
Termatlich ist die Bezeichnung aus beiden Begriffen wie das 
Ding aus beiden Materialien entstanden. 

Von der Vorstellung des naturgemäß spitz verlaufenden 
Rohres oder des spitzigen Stockes sind abgeleitet: 

80. Gen. hurchi Spitzen der Heu- (oder Mist-) (j^abel = 
rebbjy also hureo statt des gewöhnlichen hurca^ Cortaz (Schweiz) 
herlo Spitze der Heugabel. 

81. Von der Verwendung ,Ast' geht aus: iar^u« Galgen 
(Lex Sal.) De hargis et ex rotis (M. G. IV 687. 8). 

82. Vielleicht kann das bei Larousse verzeichnete borrel 
L&ngenmaß von drei Metern, zu dem nur die ungenaue Be- 
zeichnung ,Indien' gegeben ist^ auch hier eingereiht werden^ 
da das Rohr schon bei den Alten als Längenmaß verwendet 
wurde und in Indien die Länge von drei Metern erreicht. Vgl. 
E. B. afrz. cane. 

II. Artefakte ans Flechtwerk. 1. Nachdem wir gesehen, 
wie mannigfaltig die Verwendung des Rohrstockes als einzelner 
Gegenstand ist^ gehen wir zu der Betrachtung aller der Kultur- 
objekte über, die aus Rohr (Weidengerte) geschaffen werden. 
In erster Linie ist hier nochmals des Zaunes zu gedenken, inso- 
fern er nicht nur lebende Hecke ist, sondern auch künstlich ge- 
steckt und geflochten war. Oft ist er auch beides zugleich, wie 
anfangs bemerkt wurde (S. 4). Vgl. S. 56, 62 und 57, 63. 

2. Die Verfeinerung des Zaunes ist das Gelinder: cat. 
barana sp. baranda (Baist, Z. VII 124, vgl. Schuchardt, Z. XIII 
491) und dann weiter 3. barandat = envä oder mfrz. bour- 
doir Oalerle, das von bourdoir ^champ du bourdouer^ jedes- 
falls zu scheiden ist: (God.) 1468 ou marchii au devant du 
bourdoir present le peuple y assembli, und 1522 ung petit 
bourdoir ou gallerie pres la porte de Vostel de ville. Eine 
komplizierte Ableitung aus Turnierfeld mit Galerien umgeben, 
von da spezialisiert : die Galerie, scheint nicht notwendig, wäre 
auch an sich wenig gewinnend, um so mehr als die Bezeichnung 
Turnierplatz daneben besteht. 

Hingegen ist hier die Frage zu behandeln, wie es sich 
mit dem Einfluß von germ. bort verhält. Border einfassen, 



60 y. Abhandlung: Richter. 

berändern, könnte ohne alle Beihilfe aas einzäunen = mit 
Rohr am Rande einfassen erklärt werden; andererseits ist 
der Begriffsübergang von bort = Brett za ,Rand' überhaupt 
nnr dann vorstellbar, wenn die Bretter eine Einfassung 
bilden; m. W. sind uns nun keine Ausdrücke ftir ^Bretterver- 
schläge' erhalten, sondern nur für Zäune aus Rohr- und Strauch- 
werk, in natura oder geflochten; aber beim Sohiffsbord sehen 
wir, daß die Bretter, welche das Schiff bilden, und die — pars 
pro toto — leicht zu einer Spezialisierung (,bord' par ezcellence) 
Veranlassung geben konnten — daß diese Bretter auch zu- 
gleich der Rand, die Abgrenzung sind. Die Entwicklung von 
,Brett' zu ,Rand' geht also über ,Schiffsbord^ Nun verdient es 
wohl Beachtung, daß wir vom germ. bord keine deutschen 
Ausdrücke für Zaun, Einfassung, Ufer u. dgl. haben — das 
Englische kennt nnr to board verschalen und von da weiter 
boarding Bretterverschlag — sondern daß diese Begriffsent- 
wicklung auf romanischem Boden vor sich gegangen ist.^ 

Aus all dem ergibt sich, daß die Rolle von bord in den 
romanischen Sprachen eine etwas andere ist, als man bisher 
annahm: Es ist in erster Linie Schiffsbord; in allen anderen 
Bedeutungen, die man ihm sonst zumaß, kann zum mindesten 
burd' die Grundlage abgeben. So sind zwei begriffsverwandte 
Wörter gleicher Lautung von ganz verschiedener Herkunft 
zusammengefallen. Während aber von germ. bord aus nicht 
erklärt werden kann, wieso es z. B. ein lang, burlo, berlo = 
Rand eines Geizes gibt, ist der Z-Stamm in unserer Sippe 
ganz gewöhnlich ; wenn man für broder sticken auch nicht mehr 
von bord = Rand ausgeht, so ist natürlich ,das Rändern' fUr 
die Parallelen zu broder vom Stamm bord- nicht wegzuleugnen. 
Neben span. bordar steht nun noch gall. borlar. Auch das afrs. 

' VJ\T treffen sie im FransOsisch-ProYenzalischen , im Spanischen (ftorflle, 
während Rand nnd Schiffiibord in den Formen hord4}^ horda, borde Tor- 
handen sind. Das -e scheint auf ein nicht antoehthones Wort su deuten ; 
T^l. aber auch barde << burdut unehelich, wild 8. 10, 8 und barde 8ala- 
kraat 8. 17). Im Portugiesischen ist borda Ufer, wShrend bordo Rand, 
Schiffsbord, borde Gesims, Rahmen bedeutet Italienifch ist die Bedeu- 
tung ,Ufer' nicht Torhanden; daher ist bordeggiare = ,da8 Ufer entlang 
fahren' entlehnt. Umgekehrt hat das FransOsische iwar das Grundwort, 
aber kein Verb dieser Bedeutung entwickelt, denn Uter fn. bordeytr (Littri) 
iat ja, wie die Form beweist, ein Lehnwort aus dem Proyenaalisohea. 



Die Bedeatangsgeachichte der romanischen Wortsippe burfd). 61 

bordannal ^qui conrt aar le bord d'nne terre' (God.) ist von bord- 
aus anverständlich, aber von burd- ans selbsverständlich. Das 
ptg. bordo Holz von Ahorn, Rot-, Wintereiche etc. ist als Schiffs- 
bauholz zu verstehen wie cast. borde (Const.). Die Zusammen- 
Stellung der Bäume schließt jede Annäherung au die oben be- 
sprochenen Pflanzen aus und nur nach ihrer Verwendung sind 
sie benannt Von hier aus erklärt sich das agall. boi'dido [hart. 

3. Von bur- her hat wohl die Umwandlung von butina 
ftrenzstein (vgl. Baist, Bausteine z. R. Ph., 559 ff.) afrz. bonner 
begrenzen stattgefunden, denn bonner = bomer heißt ein Gebiet 
abgrenzen mit Hecke, Pfahl, Zaun, Dornengestrüpp 
oder Graben, sämtlich Vorstellungen, die zur &ur-Sippe ge- 
boren. Die Grenze ist oft durch einen Pfahl bezeichnet; der 
Grenz- (oder Meilen-) Stein ist oft rund wie ein Baumstrunk und 
so ist die Verschmelzung von bura -|- banne leicht begreiflich. 
Andererseits erklären sich von hier n- Formen unserer Sippe. 

Das S. 43, 47 erwähnte aprv. bams pomum tentorii könnte 
(nach M.-L.) hierher zu beziehen sein, nach der Form des kegel- 
D^rmigen Zeltes, den der boms beschließt; es wäre dann eine 
Übertragung vom Ganzen auf den bekrönenden Teil. Im Italieni- 
schen gehört hierher bomi Wartsteine, Verzahnungen. 

Von barne Markstein sind mehrere Fortbildungen zu 
konstatieren : 

4. Cat. bom Platz, Markt. Borne ist, wie eben bemerkt, 
nicht nur Grenzstein, sondern auch Meilenstein.^ Da gewöhn- 
lich in einem Dorfe der Meilenstein, von dem aus die Zählung 
beginnt, auf dem ,Platz' oder ,Markt' steht, so kann die Be- 
zeichnung für diesen Mittelpunkt des Ortes wohl von dem 
dort stehenden Meilenstein herkommen. 

5. Acat. bom Hai, Reihe und bomar sich umdrehen, 
kommen ganz deutlich aus dem Vorstellungsgebiete des PflUgers: 
so oft er an einen Grenzstein (Pfahl) kommt, geht er mit dem 
Pfluge um ihn herum (denn innerhalb des Ackers kann er ja 
nicht umdrehen). So viele ,&om' er umgangen hat, so viel 
,Male^ hat er Furchen gezogen. So wird bomar den Grenzpfahl 
umgehen = umdrehen und bom, das Deverbale, das Wort 



* Auadrflcke Ar Meilenstein vom SUmm bom- kann ich proTenBalisch, 
katmU&iach, epaniich und portngiesisch nicht belegen. 



62 y. Abhandlang: Richter. 

für Umdrehung, Mal. Bomar dar voltas, torns (vgl. tomeo) be- 
deutet dann weiter 6. tarnleren, vgl. Cat. S. W. M. 603. 

7. Zu diesem bornar umdrehen gehört jedesfalls ptg. bar- 
neira Mfihlsteln, der sich drehende; span. bamera schwarzer 
Mühlstein. Der Zusatz ^schwarz' (Tolhausen) ist jedesfalls 
akzessorisch: Mühlstein ans schwarzem Material. 

8. Span. ptg. bornear Richten^ Zielen des Geschützes. 
Man dreht so lange, bis man auf den richtigen Punkt kommt. 
Im Portugiesischen heißt bornear auch Visieren, wie frz. bor- 
noyery mit den Augen zielen und damit ist der Übergang za 

9. schielen 9 zu lippire gewonnen. Afrz. biymeerj bor- 
noyer regarder de travers wall, borgnier. Schielen = die Augen 
herumdrehen, daß sie nach verschiedenen Seiten sehen; beim 
Visieren drückt man ein Auge zu; der Visierende ist ein ,Ein- 
äugiger^ Der wirklich Einäugige ist gezwungen, das Auge, 
respektive den ganzen Kopf stark herumzudrehen, um den 
Eindruck der Dinge zu gewinnen, den der Zweiäugige auf 
einen Blick hat. Diese Eigentümlichkeit, die einem an Ein- 
äugigen rasch auffällt,^ kann die Bezeichnung hervorgerufen 
haben. Auf Verwandtschaft von borgne und bornear krümmen, 
biegen wies schon Litträ hin und Diez nahm fbr borgne die 
Bedeutung schielend als die ursprüngliche an. Unter den Va- 
rianten zu bonnage (boue-^ bour) habe ich kein borgnage ge- 
funden, das die für borgne geforderte Parallelform abgäbe; 
hingegen sind -r lose Varianten zu borgne wall, boigne bourg. 
bane. Eine Form mit dentalem n bringt God. aus Neuchatel: 
Jehannete la bornate. Übrigens können auch die oben genannten 
bomeer, bornoyer hier in Betracht kommen. Die Einwirkung 
von bor- auf bonn- ist so früh möglich, daß die Begrifisüber- 
tragung auch schon fürs älteste Französisch denkbar ist. Lim. 
borli erklärt sich dann durch die Annahme, daß der Stamm 
bom- ganz und gar durch ein iur-Derivat ersetzt wurde (vgl. 
die vielen Formen, die auf dem. *burulu zurückgehen, S. 16; 
43, 47 und 48 u. a.), während prv. orlio durch Einfluß von 
orbus (Nigras ^orbulu Z. XXVIII 7) sein b- verloren haben kann. 
Borgne selbst kann als deverbales Adjektiv (wie comble o. dgl.) 

^ Dieser Bemerkung Hegt eigene Beobachtang ingrunde, die mir Ton 
fachmännischer Seite, gans besonders für Tiere, bestfttigt wird. 



Die Bedeutnngflgeschichte der romanischen Wortsippe burfd). 63 

respektive Sabstantiv angesehen werden, wie schon Ulrich 
Z. III 266 annahm, der horgne ans dt. bohren ableitete, da bohren 
= drehen angesetzt werden könne. 

10. Eine Frage von allgemeinerem Interesse ist die nun 
▼erliegende, ob barda Hfttte von hier aus erklärt werden 
kann. Es ist die ans Rohr geflochtene Hütte, wie sie ja auch 
jetzt noch hergestellt wird, indem man Binsen nnd Raten am 
ein Gestell aas Stangen flicht,^ vgl. Hehn 137 and 517, wo er 
von bördelte spricht, wallachischen BaaernhUtten ohne Fenster, 
die im Winter darch eine geflochtene Tür verschlossen werden. 

, Gegen die Zasammenstellnng mit germ. bort hat sich Schachardt 

j gewendet (R. E. II 173); ich möchte noch hinzafägen, daß 

t wir vom Stamm bort im Romanischen keine Aasdrücke für 

I Brett haben, im Germanischen keine für Hütte, aber aach im 

I Romanischen keine für Bretterbade, sondern eben für ge- 

flochtenen Unterkanftsort. Wir haben von derUmzäannng 
anszogehen and als erste Form die Hürde' aazasetzen. Das 
Nebeneinander von bur burd, respektive bor bord bedarf nan 
keiner Erklärang mehr. Der älteste Beleg dürfte burica (Lex. 
AL 97) sein, die Schaf- and Schweinehürde, die aas 
Röhricht oder Weiden geflochtene Einzäanang: Si quis buricas 
in silva tarn porcorum quam pecorum incenderit Nach GrafF 
latinisiert aas germ. burc, was keiner Widerlegung bedarf; es 
kann höchstens ein Zasammenfall von bur- + burc = ber- 
gender Ort angenommen werden. Sogleich begegnet ans eine 
Parallele mit st. bar: (DC) bareca: (Test. Tellonis ep. Ca- 
riensis) cortem meam . . cum bareca cam omnibus qaae ad ipsam 
cnrtem pertinent; baregum (Stat. Vallis Serianae) septam ex 
eratibas qao per noctem grex includitar. Berg, barec Schaf- 
hürde ptg. bardo Hürde. 

11. Bekommt die Umzäanang ein Dach, das meist aach 
aas Schilf gefertigt ist, so ist der Stall fertig: Bajeax buret 
toit k cochons, Gayenne bbri mit Ziegeln gedeckte Schafhürde ; 
DC.: burrium vivariam canicoloram, engl, burroto] G III 

* Vgl. Baoal de Presley (God.): PreiDiörement y commenciöreDt les gena 
I k faire loges petites et bordes comme feirent les Boargueignons qaand 

' U Yindrent premiörement en Bourgogne, oder Jeh. de Brie: une logette 

de fast sur quatre reelles en maniöre de borde portable. 
' * Vgl. aach Merioger, Idg. Forschangen XVII 143. 



64 y. AbhandluDg: Richter. 

618. 12 borion i. e. peristerion^ also Taubenschlag. Da- 
gegen gehört prv. burquier Eselstall zu houriqu- E^el. 

12. MIat. bura OerStschuppen ist öfter angesetzt worden ; 
piac. 1388 (Muratori XVI 582) in eorum domibus sunt pulchrae 
camerae et caminatae bora cartaricia pntei hortali jardini et 
solaria. Bora kann hier nichts anderes heißen als Wirt- 
schaftsraum. 

13. Hingegen sind die schon S. 26 erwähnten buri eben- 
sowenig als Qerätschuppen wie als Waschplätze zu deuten, 
und zwar aus demselben Grunde; weil nämlich eine zu große 
Zahl von Arbeitern dort beschäftigt wird. Vielmehr wird man 
Heierei darunter zu verstehen haben, wie ja noch jetzt im 
prv. bario, bourieto, bordo mätairie, kleines Anwesen bedeutet. 
Dazu kommt bouiras Bauer und die buri, worunter Du Cange 
, Ackerer, Pflugheber^ (zu buris) verstehen will: in dominio 
sunt 2 carucatae 18 villani et 11 bordarii et 2 buri et pres- 
byter. Diese Deutung ist zum mindesten nicht geboten. Viel 
wahrscheinlicher sind darunter ,Meier' zu verstehen. Den 
Unterschied zwischen bordarii und bwri kann ich allerdings 
nicht feststellen. In frlre Bourt (ebd.) ist jedesfalls das -t 
unerklärlich, wenn es von bv/rio abgeleitet ist, hingegen ganz 
verständlich, wenn es sich um ein Wort unserer Sippe handelt. 
Vielleicht könnten auch einige deutsche Ortsnamen hierher ge- 
hören, die auf buria zurückgehen, vgl. Förstemann II, S. 367 ff. 

Für borda Hütte ist es überflüssig, Belege zu bringen. 
ISa reicht bis ins Rumänische: bord^ü. Von der Form bur- 
seien nur erwähnt: afrz. boron (Tristan 2824 ed. Muret) von 
Tobler in bezug auf die Bedeutung ,cabane^ angezweifelt (Z. 
XXX 742) prv. bouroun langu. bourron (nach Mistral liegt 
germ. bür vor) bourriage frz. buiron, buron. 

14. Frz. buron buiron Taverne, cabaret. (Vgl. das Ver- 
hältnis von cabaret zu cabane bei Bemitt a. a. O. S. 93.) Dies ist 
der erste Schritt zu der Bedeutungsverschlechterung, die das 
,Hüttchen' erfährt. Es ist zunächst ein Ausschank, Ort wo es 
hoch hergeht, wo viel Lärm gemacht wird, wo Vagabunden 
und Dirnen ihr Wesen treiben. In Neuenburg (Gauch.) borde 
maison en d^sordre. Es ist eigentümlich, daß alle diese Vor- 
stellungen mit &ur-Wörtern ausgedrückt werden, ohne daß die 
Bezeichnungen unmittelbar voneinander beeinflußt würden. Nur 



Die B«d6atungs|^e«ohiehte der romanischen Wortsippe hurfd). 65 

einige Ausdrücke für Lärm^ wirres Durcheinander (vgl. unten 
S. 106) können unmittelbar an fiordell'^ anschließen. Übrigens 
geht jedes seiner Wege. Während bordelluniy wie es scheint, 
allgemein in der pejorativen Bedeutung spezialiert ist, sind 
andere Deminntiya, z. B. bourdeto, bordeto^ bourieto u. a. in 
indifferentem Sinne lebendig. 

Prv. burguet Schäferhütte. 

Vom Stamm bar: ptg. barga Strohhütte. 

15. Ein anderes Gebilde aus Kohrgeflecht ist der Fisch- 
weiher, sfrz. bourdigue^ bordigalum, bordigolum 1225 bei Du 
Gange, der erklärt quasi in borda vel a borda == virgula 
baculus. Die Vergleichung quasi in borda paßt nur für die 
eine Bedeutung des Wortes: arcae maioris genus, Fisch- 
kasten. Die jetzt gewöhnlichere ist Buhne. Die .bourdigo 
besteht aus zwei spitz gegeneinander zulaufenden Rohrwänden 
von beträchtlicher Höhe, an deren Innenseiten mehrere nach 
innen geöffnete Türflügel (ebenfalls aus Rohrgeflecht) ange- 
bracht sind. Zur Spitze zu werden die Offnungen immer 
enger, der innerste Raum ist ganz abschließbar, so daß die mit 
der Strömung hineingeratenen Fische gefangen sind. Mit einer 
Hütte bat also die bourdigue gar keine Ähnlichkeit und bei 
der Stabilität derartiger Artefakte wohl nie gehabt; auch ließe 
der Zweck der Sache es nicht zu. 

Burdica kann das Etymon von Bordighera sein. Für 
Burdigala bleibt die Frage doch immer noch offen. 

16. Die Ausdrücke für Kahn hat schon Schuchardt mit 
denen fllr Weiher in Verbindung gebracht; für it. burchia 
aard. burchiu fordert er das Etymon burdica *budiclu, ohne 
aber weitere Folgerungen daran zu schließen (R. Etym. II 173). 
Wir haben noch mlat. burcla = bussa (DC) die die Gestalt 
des Weinfasses nachahmt rom. burcell prv. burs^ (Ro. XXI 
Le roman prov. d'Esther v. 70 La gran gent que venc per mar 
Am burs e am galeias), P. Meyer will beidemal ambe ergänzen ; 
ambe bura ist nicht wahrscheinlich in Anbetracht der Verse 
136, 140. Man könnte aber burses setzen: burse < burcia. 
Aprv. ist burt, wozu also der Oblicus burc zu setzen wäre; 



* AuBdrfleke wie Nenenbarg (Oauchat) b^rdlä = coarrir les fiUes brattchen 
oatQrlieh nicht besprochen su werden. 

9ilmr«bw. d. phil.-Uft. Kl 156. Bd. 5. Abh. 5 



66 y. Abhandlang: Richter. 

it. sp. barca, vegl. buarca, buark sp. barga ü. ä. Wir haben es 
ursprünglich mit einem aas Weiden and Rohr geflochtenen Boote 
in Gestalt eines tiefen Korbes za tun^ wie es noch jetzt in Wales 
anter dem Namen ,coracle' existiert. Es ist mit Leder oder 
Wachstach überzogen and wird mit nar einem sehr kleinen 
Rader dirigiert. Es faßt nar einen Mann, der es, sobald er aas- 
steigt, mit Leichtigkeit über den Kopf gestülpt nach Hanse trägt. 

17. An den Korb, in dem der Mann zam Fischfang sitzt, 
schließt sich der aus Stroh oder Bolir geflochtene Korb, 
den man ins Wasser hängt, am Fische darin za fangen: 
em. borga, burga frz. borgue (Ro. XX aas Cotgrave). Und 
zwar soll nach Ansicht der Heraasgeber Darmestetter-Hatzfeld 
das u ,faative' sein statt n: die Aasgabe von 1723 gibt 
bargne and dies stimmt za frz. bourgnon^ za prv. boime Höhlung, 
Loch. Aber wie diese Zasammenstellang beweist, kann borgue 
sehr gat bestehen; es ist eine ebenfalls aas dem Südfranzö- 
sischen entlehnte Bildung aus *burica und entspricht genau dem 
emil. borga und folgenden Formen von modifizierter Bedeutung. 

18. Em. boregh bürg burgott Korb aus Stroh oder Rohr, 
worin Tauben nisten, ven. borga Weidenkorb, der an einem 
Pfahl im Wasser hängt zum Aufbewahren von Fischen. 
Übrigens kennt auch Larousse borgue. Über das Verhältnis 
zu prv. bome vgl. unten S. 70; prv. boumion Bienenstock und 
weiter: Ort, wo Bienenstöcke stehen (vgl. S. 69,9 und S. 98), 
prv. boumal Bienenstock hat noch eine andere Weiterbildang : 
Honigwabe. In Aunis ist bourgnion ein Korb k gros venire 
et Streite emboachure. Man könnte daher auch an die S. 109 
aufgezählten OeiUßbezeichnungen denken. 

Vom Stamm bar: prv. bamolo Weidenkorb für Fische 
ptg. barda Korb aus Zweigen mess. (Ro. V) b^rtün Brotkorb 
(Mehl-, Kleienkasten). 

19. Übertragen auf: Körbchen aus Binde: prv. bouirelo^ 
berlesco, cat. berla Brettchen. 

20. Sehr häufig sind die Bezeichnungen ftir Netz; es 
handelt sich um Netze, die aus Rohr oder Gerten geflochten 
sind, oder auch um Netze, die an Stöcken und Rohrstangen 
ausgesteckt werden (vgl. oben Bleistock). Da ist vor allem 
mlat. bruginum Netz (DC) auch bruginus, bi'oginua ,in Mss. 
legitur burginu8% seltener brugina (1250). Das prv. bourgin 



Die Bedeutnngsgeschiehte der romanischen Wortsippe hur(d). 67 

dazu enibourginä fangen^ Fische im bourgin fangen ; frz. bregin 
bergin Zugnetz (Schuchardt, Z. für Dt. Wortf. II 83) afrz. bure, 
DeuxSivres bourole konisches Netz ohne Reifen^ Vienne bourole 
birnenförmiger Korb, Dordogne borigue (Laronsse) Aunis 
(Meyer) bourgne Netz zum Aalfang span. burinot] sp. 
bourel Fischnetz mit Korkstücken afrz. (Qod.) bourroiche, 
ouche^ bouresche -ache, berroiche, modern bourache -ague aque 
-ayne, bouragni Weidennetz, auch: eine Art Maasefalle. 

£ine ganze Reihe der von Schuchardt (a. a. 0. 82) aaf- 
gez&hlten Nachfahren von ^vertibellum wird ihre veränderte 
Lantgestalt daher haben, daß das Material mitspielt, aas dem es 
gemacht wird; ich nenne nur die oberital. Formen bartovel bertu- 
lin bartadel bartarel bortorel, sfrz. bourtoulen und die (/-Formen: 
oberit. bardevel sfrz. bardoulet Gegen die Annahme dieser Ver- 
quickung ans zwei Vorstellungen wird um so weniger einzuwenden 
sein^ als Schuchardt selbst die Variante vergol u. ä. durch Ein- 
mischung von verga Rute erklärt. Zu erwähnen ist noch cat. ber- 
trol langu. bertoul Netz zum Aalfang sard. bertule (AG XIV 390) 
bisaccio ptg. barga (Schuchardt a. a. O. 82) einwandiges Stell- 
netz gal. barjel und andere daselbst aufgezählte Varianten. 

21. In diesem Zusammenhange , besonders mit RQcksicht 
auf die Formen bortarelj bourtoulen, das abr. burtine u. a. 
erklärt sich die bortanea tecte manualis (= basterna G V 17 1 . 
4 und a. a. O.; Isidor Liber Gloss. 1338), die also nicht schlank- 
weg zu basterna zu ändern ist; wie Goetz vorschlägt. Schwierig 
ist es nur, das frühe Auftreten des -^ zu erklären. Doch passen 
Form und Bedeutung so gut zu so vielen der hier aufgezählten 
Formen, daß man sich nicht entschließen kann, das Wort von 
ihnen zu trennen. 

22. Stricke aus Binsen flochten schon die Griechen, vgl. 
Plinius (S. 5), der speziell die Stricke aus spanischem Sparto- 
gras erwähnt. Wir haben frz. (Larousse) borreau corde de 
bourre, woher also der bourreau wie der dt. Henker ableitbar 
ist (vgl. S. 50, 12)/ um so mehr als ja auch im frz. der Ausdruck 
pendeur existiert; ptg. burra corda de mezena (naut.) baraqo 
Strick, Schlinge etc. baraga Riemen aus Werg, daher baracejo 
,eine Binsenart, aus der Matten geflochten werden' (Mich.). 

23. Auch von Hirtenkleldern aus Spartogras berichtet 
Plinius, vgl. S. 5. Uns ist seit Augustin überliefert die burda 

6» 



68 y. Abhandlang: Richter. 

amictns innceus, ein ans Binsen geflochtenes Bttßergewand^ 
anch buda. Man erinnere sich des it. dial. btida Schilf und des 
in den Glossen öfters vorkommenden buda * historia (z. B. IV 
490. 4) = azÖQsa. Aas gespaltenen Pflanzenblättem gemachte 
Kleider, die oft ganz feinen Geweben gleichen, oft in buschige 
Fransen ausgehen und Pelz nachahmen, sieht man in vielen 
ethnographischen Museen von allen Naturvölkern. 

Bei Du Gange lesen wir auch burdaa operimenta 
capitum; hält man den bardocuculltts (vgl. S. 29, 11) dazu, so 
kann man sich eine Kapuze denken; eine Bezeichnung ftlr 
Hut ist mir im Romanischen nicht begegnet. 

24. Rom. bardavella GSngelbBnder. 

Endlich sei noch daran erinnert, daß die weicheren Binsen 
und die Weidenruten zum Binden dienen, wie Bast. So wird 
sich wohl erklären 25 sp. ptg. barda = basta, Heftnaht Doch 
ist's von da zum wirklichen Nähen eine so große Kluft, daß 
es unmöglich schien, burdus = Schneider (Diefenbach) ein- 
zureihen, ganz abgesehen davon, daß es schon vom morpho- 
logischen Standpunkte aus fürs Lat.-Romanische eine unmögliche 
Bildung ist. Die Glosse stammt aus einem ags. Glossar burdus * 
seamere (bei Diefenbach irrtümlich reamere) und wird mit 
,Schneider' übersetzt, da allerdings seamere = sartar W.-W. 312. 
13 und 99. 17 vorkommt. Femer findet sich nun aber ieamere 
mit burdua gleichgestellt: 274. 9 (10.— 11. Jahrh.) unter Tier- 
bezeichungen (dazu die Anmerkung: read burdo). Hier haben 
wir also natürlich seamere = Saumtier vor uns. Und da wird 
es wohl an beiden anderen Stellen (117. 5 und 359. 17) — es sind 
im ganzen nur diese 5 Belege — ebenfalls ,Saumtier' bedeuten. 

Siz. burduni Handschuhnaht kann zu bard- Randver- 
zierung gehören. 

UI. Ein für sich stehendes Artefakt aus Rohr sind Pfeile. 
Daß die alten Völker — Asiaten wie Europäer — Pfeile ans 
Rohr schnitten, ist bekannt, speziell Air gallische Industrie vg^. 
die schon oben S. 4 zitierte Stelle aus Plinius. Erhalten ist 
südit. horretU (Z. V 19). 

Zweite Unterabteilung: Das hohle Rohr. 

§ 6. Daß beim Rohr die Höhlung ein wichtiges Merkmal 
ist, erhellt von selbst; daß man Rohr aus Metall und Hole 



Die Bedeatnngvgpeseliielit« der ramaiiiBeheii Wortstpp« bur(d). 69 

Djushahmte, ist ebenfiüls selbstrentändlich and uralt Die 
NamensQbertngaDg hat anch bei canna a. a. stattgefimden ; 
80 ist es nur natürlich, daß man die Bezeichnung von dem 
Rohr, das der lebenden Pflanse Ähnlich sah, nach und nach 
weiter aasdehnte aaf sehr verschiedenartige Röhren: Abzogs- 
röhren, daher Kanal, Leitang, Rinnsal; Schlauch; and schließ- 
lich übertragen aaf allerhand röhrenförmige Dinge. 

1. frz. haurre Feuerrohr (Waffe). 

2. buretie ftlasrOhre zum Darchsickemlassen der 
FlOssigkeit. 

3. afrz. berroul (-ail) Seltlaneh; sp. ptg. borracha 
Schlauch ist wohl nach der haarigen Außenseite benannt, Tgl. 
oben S. 27, 4. 

4. nun. burluiü BShre, burldn Abzugsrohr; alb. burii 
Röhre, Kanal, Maschine in Röhrenform, Hörrohr, 
Elefantenrüssel, Saugrüssel der Insekten und manches 
andere. 

5. Kanal. Ptg. böroa mit dem Vermerk ,e näo boroa 
(Const.)' läßt auf *burina schließen (vgl. S. 24). Piem. bordon 
solco acquajo und danach toul. les bourdous Furchen (Douj.) 
prv. bimrdou(n) Streifen Erde, der durch Harke oder Pflug 
im Weinberg herausgenommen ist, also eine Furche, die mit 
einer Abzugsleitung ja einige Ähnlichkeit hat Piem. bomb 
Kanalrohr, kleiner Kanal. 

6. Langu. borgno Abflußrohr einer Mfthle, Mflhlen- 
gerinne, prv. bomo Kanal, Rinnsal (vgl. hierzu S. 24) bumeu 
bomal bamec Rohr im allgemeinen, boumela munir de tuyaux; 
piem. bomal doccia langu. bournel großes Rohr. 

1. Frz. bome (Larousse) Brunnen in Form eines Meilen- 
steins yion. bumi Brannenrohr, Freiburg (Gauchat) bomi^ 
und daher auch Brunnen. 

8. Prv. boumac (aprv. iomac Rom. XXXIV 198) hohler 
Zylinder; zentr. frz. bourgnago hohler Zylinder, worin Kastanien 
geseh&lt werden. 

9. Zentr. firz. (Jaubert) borgnan bomion brugnon brougnaun 
baurgnoun prv. baurgnan boumac Bienenkorb Aunis (Meyer) 
boumaly bei Qodefroy noch boumail boumois] bourgnon ent- 
wickelt eine weitere Bedeutung Hut, wie caboume (s. u.) Hut 
von Mönchsorden (RabeUis U 7). 



70 y. Abhandlangr: Richter. 

10. Freibarg (Qauchat) bornlia ZngrShre (Zugloch) des 
Backofens, bwqma hölzerner Kamin über dem Herde mit 
weiter Öffnung, durch Klappdeckel verschließbar. 

11. Zentralfrz. boumau bomo boumigoun Asoheilloch 
des Ofens. Man kann bei allen diesen Formen den Zusammen- 
hang mit prv. bomo Loch bournage Höhlung bourna 
aushöhlen nicht verkennen. In Bresse ist bome Loch bomu 
hohl prv. bournä boumado = ausgehöhlt > hohl. Verd.-chal. 
bomote borgnote Winkel, versteckter Platz, z. B. zwischen 
Steinen, wo man etwas aufhebt. Auch im prv. cabourne steckt 
es, indem es sich mit cavema kreuzt.* Prv. bournal Futtersack 
mit seinem n-Stamm paßt besser hierher als S. 27, 3. 

Es fragt sich nun aber: woher kommt bournä? Sollte 
nicht *'burinare = bohren die Grundlage sein, so daß wir eine 
Doublette hätten: burinare bohren, wie it. borinare u. a. (vgl. 
S. 101, 1) und daneben bumare höhlen? Sämtliche zugehörige 
\A'orte lassen sich ohne weiteres aus dem Verb ableiten. Neben 
*burnare kommt auch *bumiare in Betracht; wir haben zwar 
nicht das Verb *bourgnier ^ aber verschiedene Substantivbil- 
dungen, die oben genannt worden sind, fordern es als Grund- 
lage, z. B. noch Aunis bourgnon, pannier k gros ventre et 
Streite embouchnre usw. 

Burinare hat vielleicht die Spezialbedentung ,Schacht 
graben^ angenommen im großen Kohlengebiet bei Mons, daher 
dessen Name Le Borinage. Borains sind die Minenarbeiter der 
Gegend. Jedesfalls haben wir bure Schacht, das uns wieder 
ganz auf unser Gebiet Hihrt. 

12. An die Bedeutung Abzugsrohr, Kanal, schließt die- 
jenige an, die, was die räumliche Dimension anbelangt, am 
allerweitesten vom natürUchen Rohr entfernt ist, die Kloake. 

* NigrM Erkl&rang (AG XIV 272 ff.) bo vieler Worte mit ea < quäl- 
scheint mir wie in diesem Falle so auch in den meisten anderen unbe- 
friedigend; erstens ist quäle in all den herangesogenen Dialekten er- 
halten, aber in anderer Form. Zweitens paßt anch begrifflich die 
Herleitung meistens nicht: calabrume ist nicht ,wie der Winter*, sondern 
,Einfall {calare) des Reift*, Tgl. Schneefall; galabuak Maikftfer ist nicht 
,wie einer, der HOrner hat* — er hat sie ja wirklieh — sondern das 
im Walde Schweifende (galare) usf. Schuchardt (Rom. Et. II 139) setst 
*cavuma an und führt auch eahorgnon auf cavtu zurück (Z XXXI 11). 
Wir haben die Vermischung der Wörter fllr hohl und gebohlt. 



Die Bedeutnngsgeschichte der romanischen Wortsippe burfd). 71 

Hier(lir haben wir sehr alte Belege: burga chaca (Isid. L. 
GIoBS. 1340), burca cloaca (G V 596); burga clavata V 592. 18. 
Varianten zu cloaca: 543. 18 clavaca, IV 432. 15 claveca] letz- 
teres könnte also clamca = clavia, ersteres auch clavata sein, 
so daß wir den mit Eisen beschlagenen Stock, KnUppel vor 
uns hätten, vgl. oben S. 48 a. a. Bei Isidor noch : cloaca * horda 
und burca. Das ebenfalls unaufgelöste bursa * clausa (Gt V 
277. 38) ist wohl in burca zu ändern, vielleicht zu Schleuse 
S. 24, eventuell zu Hürde S. 63, 10 zu stellen. Da wir aber V 
173. 10 bursa ' cloaca haben, könnte am Ende clausa zu cloaca 
zu bessern sein. Jedesfalls haben wir fast alle Haupttypen der 
bttr-Sippe in den Glossen vertreten. Zu burca * cloaca gehört 
kal. vurga, vruga Pfütze (Schuchardt, R. E. H 130) auch Strudel; 
ngr. ßovQxa^ ßovQxog Schlamm (Schuchardt rechnet auch piem. 
buria her, vgl. S. 24; hier berühren sich wieder verschiedene 
Aste des Baumes). 

13. Eine groteske Begriffserweiterung von der Bedeutung 
Kloake ist die zu HSUenpfuhl, die offenbar vorliegt in agen. 
borchan (AG ü, S. 256. 14 : per fuzir ogni re zogo de qv^esto 
segaro fauzo re e van, per no descender in borchan (wozu 
Flechia ebd. VIII 333 : incerti per me Torigine e il significato). 



C. Die Bohrpflanze als Ganzes. 

§ 7« Hier handelt es sich um Vorstellungen, die nicht 
mehr an einzelne Teile der Pflanze anknüpfen, sondern auf zwei 
ländliche Gepflogenheiten zurückgehen, die man regelmäßig mit 
dem Rohr vornimmt, nämlich erstens das Aufschichten des 
Rohres (mit der Verallgemeinerung: der Haufen, die Garbe) 
und dann das Verbrennen des Rohres. Darnach sind auch 
hier zwei verschiedene Bedeutungsgruppen zu beobachten. 

I. Anblafang. 1. Die Ausdrücke — sowie die Vor- 
stellung — des Anhäufens knüpfen an die des Runden und Er- 
habenen an, die S. 43 besprochen wurde, aber sie müssen 
nicht aus ihr entstanden sein; jedesfalls ist es notwendig, das 
geschnittene Rohr wie anderes Gras, und auch Getreide, zum 
Aufbewahren, Trocknen, WegfUhren in Haufen zu schichten, 
and so konnte die Anhäufung von Rohr (kleinen Zweigen, 



72 y. Abhandlung: Richter. 

Gerten, Stroh, Korn) nach dem Rohr selbst benannt werden: frs. 
buirette bourrie kleiner Heuhanfen, prv. bourreio Bündel von 
gleichmäßig kleinen Zweigen, frz. noch (Ood.) bruliau, bourr^] 
bourrie ist auch Maßbezeichnung: brüler une botirrSe] bure Hänfen 
aus Kohrstöcken, and zwar speziell Seheiterhaafen, woraus 
weiter: Freudenfener, weil am ersten Fastensonntage Freuden- 
feuer angezündet werden, die ans solchen Scheiterhaufen be- 
stehen; vgl. S. 76 ff. Vielleicht wäre auch bordde in dem oben 
S. 33, 17 angefahrten Idcher sa bordie hierher zu beziehen, nach 
dem Bilde dessen, der, eine Last Stücke oder Gerten aufbindend, 
sie mit Krachen (von der Schulter) zu Boden prasseln läßt. 

2. Piem. borla == bica, masse di covoni, wozu borH auf- 
häufen. Bei Du Gange borla spicarum manipulus, manipulornm 
certa collectio a. 1496. Berg, btrla großer Heuschober wekh 
bwmel, bymaid Bdndel, Pack. 

Mit St. bar: berg. baruc Heubttndel Aunis (Meyer) 
bargßf berge (DG. berga) barguenau Heuschober afrz. bärge 
barche] wald. baron (AG XI 293), von Morosi zu prv. bar = 
bastione gestellt. Dazu abai^na piem. baroni sammeln. Dar- 
aus entwickelt sich einerseits: 

3. Haufen im allgemeinen, große Menge von etwas: 
berg. bordil prv. bouroun] a baren k foison (von Mistral zu 
baren Abgrund gestellt). 

4. Eine eigentümliche Spezialisierung zeigt das Piemon- 
tesische, indem es borla große Last auf den Zeitbegriff 
überträgt, und zwar: Last von zwanzig Jahren. Daher 
der sonderbare Ausdruck: Vha quat borle per spalot ^= er ist 
achtzig Jahre alt. Welsh bwrn Haufe, Last. 

6. Andererseits repräsentiert der Haufen eine — meist 
gleich große — Menge und so wird die Vorstellung des be- 
stimmten Maßes daran geknüpft (vgl. oben brüler une bourrAi) 
und zwar, wie es bei solchen Gegenständen nicht anders mög- 
lich, entwickelt sich eine Bezeichnung fUr Kubikmaß frz. bor- 
derie (God.): boU contenant deux borderies de ierre, ebd. boT'^ 
deau Maß für Heu; mgr. ßoqdöviOv cirov = 12 modii (Cyrill. 
Scythopol. bei DG). 

6. Von da kommen wir zur Bedeutung Korntruhe, Kasten : 
berg. barign große Korntruhe, Brot- (Mehl-) Kasten. Erinnert man 
sich des ptg. burra Truhe, des sp. burro (Abfall) Sammelkasten 



Die Badentungageschichte der romanischen Wortsippe bur(dj. 73 

(S. 36, 24), so sieht man wieder, wie die Sprache von verschie- 
deoen Bedentnngen her za gleichen Resoltaten gekommen ist. 
Wegen der Endung -ign könnte man an balineum denken 
(vgl. oben S. 26); die Badewanne bestand ja ans einer höl- 
zernen Eofe. Vielleicht hat die eine Bezeichnung anf die an* 
dere gewirkt. 

IL Brennniaterlal. Sprachlich viel interessanter und wich- 
tiger ist die zweite Grnppe. Es wurde schon darauf hingewiesen 
(S. 5 u. lö), daß verschiedene Schilfsorten als Brennmaterial 
dienen, wie Kleinholz und Gezweige, außerdem aber wird das 
Rohr in vielen Gegenden, in denen es weite Landstriche be- 
setzt, im Herbst, nachdem die Stöcke geschnitten sind, regel- 
mäßig angezündet und bis an die Wurzel niedergebrannt, 
damit die Asche den Boden dünge. ^ Die Bezeichnung dieser 
rieh alljährlich wiederholenden Handlung gehört also in die 
Reihe der feststehenden Termini der Landwirtschaft und als 
80 eine feste Bezeichnung kann man ein aus ,bürum ustulare^ 
entstandenes ^burustulare annehmen, das zum Stammvater der 
rom. Sippe brüler* brucciare vion. boerlä^ burla^ Wallis, gruy. 
hurld (vgl. Herzog, Nfrz. Dialekttexte) neap. burlotto, borlotto, 
mail. bruLoito ngr. firtovQlövo Brander (Meyer, NGr. IV) usw. 
wurde. Burum uatum >> burustu ist das ausgebrannte Rohr, 
die Asche = ausgelöschte Glut tose, brusta brace spenta 
(AG XIV 179); die Verallgemeinerung: glühende Asche, 
Glut auch von Kohlen, liegt nicht fern, um so mehr als ja die 
Holzscheite gedörrt wurden, um auf diese Weise eine Art rauch- 
loses Brennmaterial zu erzielen; vgl. Lenz S. 27: ,Ligna cocta ne 
fomum faciant' bei Ulpian, der nun nicht weiß, ob er dieses 
Brennmaterial zu Holz oder zu Kohle rechnen soll. Bei Asche 
und Glut machte man schwerlich viel Unterschiede in der Be- 
zeichnung. Wir haben friaul. borostai (AG XIV 335) gall. bor- 
ralha = burra + -alia^ wie ptg. borralho heiße Asche (vgl. oben 
S. 11,12) grödn. 7 burei Glut, ausgebrannte Kohle (< *bura- 
lium -ali, vgl. gei = 'galli). Weiter ist bruMum nicht nur Glut, 
sondern das Brennmaterial selbst: G IV 594.31 brustum^ 
314. 41 bnutrum ' materiae genus, also Brennmaterial. Daß wir 

' Vgl. Hehn 8. 303. 

* Für die lautliche Enlwicklang vgl. eorotidart > crouUr, ben/Üare > 
bnUer, qmritare > crierj turbulare >> troubler etc. 



74 V. Abhandlang: Richter. 

uns hierunter bei Landleuten ,de8 brny^res, des genßts, des 
Jones, des menaes tiges Siebes, en nn mot, . . . tont ce qai est 
compris sons le nom de broussailles' za denken haben, ftihrt 
Nigra aus (Ro. XXXI 515). Wir haben noch eine Erweiterung 
in span. hurrajo trockener Pferdemist zar Ofenheizung. 

Lautlich erklärt sich der Übergang von *huru$tum za 
hrustum noch leichter, wenn man bedenkt, daß doch hu$tum 
daneben bestand. 

An Ascolis Aufstellung hvstum zu cam[lurere amfburere 
zu rütteln, ist keine Handhabe gegeben; denn ^bur- urere konnte 
kanm ^hurere, sondern nur *brureref resp. *bruere geben; 
auch ist bustum dem klassischen Latein eigen, brustum aber 
nicht. Folglich muß es damit seine eigene Bewandtnis haben. 
Für die Existenz von ^bruere zeugt frz. broui brulä, grillö 
(Lacombe). Dagegen ist afrz. brouillir aus *bruere + bullire 
gebildet.* Es hat auch ein *burare gegeben. Beweis: buratum' 
incensum (G V 272. 43), daher sind it. abburare lavorare nas- 
costo del fuoco = abbronzare, neap. abborrare lyon. aburö 
prv. abra sp. aburar rum. aburar (vgl. M.-L. Rom. Gr. II 
141) aus ganz örtlichem *ad-burare zu erklären: am Feuer 
statt auf dem Feuer. In der Kochkunst ergibt sich daraus 
der Gegensatz von dämpfen und kochen. Rum. aburire ist aus 
*ad-burere zu erklären, die Bedeutungsentwicklung: neben dem 
oflFenen Feuer kochen (nur dämpfen) > dampfen, abur Dampf. 
Vgl. Densusianus insofern abweichende Aufstellung (Ro. XXV 
130), als er das Vorhandensein von burare übersehen hat. 

Belege für die romanischen Vertreter von brustum = 
Asche brauchen nicht mehr gesammelt zu werden. Es sei nur 
das ferner liegende und doch zugehörige berg. boröla erwähnt, 
kleine gebratene Eßwaren, z. B. Kastanien; es handelt sich 

' *Burere oder ^hruere haben huäire auch in der Weise beeinflußt, daß es 
in ^buäere geworden ist. Über die weite Verbreitung des Wortes rgl. 
Mejer-Lübke, Rom. Gram. II 162. Die daselbst geloßerte Ansicht, daß 
^bullere nach tollere gegangen wäre, scheint mir deshalb nicht befrie- 
digend, weil die durch diese beiden Worte ausgedrückten Begriffe lo 
weit auseinanderliegen, daß man schwer einsieht, wie sie aufeinander 
wirken sollten. Femer wird durch Einmischung ron bürere auch dai 
tt in lyon. budre und das Fehlen des l in wall, bure erklärlich, da in 
der letzteren Mundart Ir regelmäßig erhalten bleibt (vgl. Rom. Qram. 
I 446). 



Die Bedeutnngsgeflchichte der romanischen Wortsippe hur(d), 75 

am Sachen^ die auf oder an der Qlat gebraten werden, vgl. 
it. hruciate oder imbrustolate gebratene Kastanien, Mandeln a. a. 
Ans der Bedeutung langsam anbrennen kann frz. brouter 
,manger lentement, sans app^tit', ,knnspern' erwachsen sein ; alb. 
vhik Jagendfeaer, fUr vrluk zu vrulöfi stUrze mich (vgl. Meyer 
EW), könnte mit ngr. ßQOvXa Flamme (Joann.) hierhergehören. 

2. Bei den Bezeichnungen für Asche mod. burnissa piem. 
bemazz bamag rät. burneu sass. bornis berg. bemis gruy. 
bemd prv. bemage u. v. a. wirken noch verschiedene Vor- 
stellungen ein: 1. burrus dunkel, graubraun, 2. burra Rest, 
Kehricht, 3. germ. brennen. Letzteres allein geben Mussafia (Btr.) 
and Biondelli zur Erklärung der von ihnen gesammelten Aus- 
drücke; es befriedigt für, Asche', aber nicht für ,0fen8chaufel* 
berg. bemis bemcu bame6 cat. bruxa brujo bruxo Schüreisen 
kors. brude Ofenschaufel (auch zum Kehren des Ofens), Rauch- 
fang gruy. buoma buama] prv. boumau Aschenloch des 
Backofens, frz. boumail Haus, häuslicher Herd (6od., der 
diese letztere Bedeutung zu Bienenkorb beziehen will). Bei 
Ofenschaufel etc. ist Schüreisen, Stock (S. 51) Ausgangs- 
pankty bei Rauchfang, Abzugsrohr ,Rohr' (S. 69, 10) usw. Von 
verschiedenen Seiten her sind die Worte zusammengefallen. Cat. 
hruxa läßt sich unmittelbar aus *bru8tia = *brusc%a Brenn- 
material > Gerte, Scheit ableiten, da x die regelmäßige Ent- 
sprechung für lat. 8ti, SC} ist, vgl. angoxava (Mussafia, S. W. M. 
S. 16), faxa etc. 

Wenn man alle diese Wörter aus pruna herleiten will, 
(z. B. Ascoli AG II 330) so liegt, wie bei brüler < * perustulare, 
brume < pruina immer die Schwierigkeit darin, den Übergang 
von jj > 6 zu erklären. Diese entfällt für Guarnerios Aufstellung 
(AG XIV 150) sard. bruna^a aus *prunitia + bragia. 

Über die Beziehungen von brustum und bruscum, bruc-j 
rt»c-, ist schon so oft gesprochen worden, daß ich hier nur in 
Erinnerung bringe, was die von mir aufgestellten Beziehungen 
darch Analogie stützen kann: cat. brusca Gerte (Z IV 148) 
iruMco Gebüsch sp. brtbdca Brennholz bruscar brennen 
friaul. brusc Reisicht (Z. IV 148). 

Sp. bruaco Stechpalme langu. brousso touffe de bruy&re; 
it. hruBca gen. brUca langu. brus = bruyfere, Scheuerkraut; 
piac. brÜB Erica und Besen. 



76 y. Abhandlung: Richter. 

Lomb. brüscia Wespennest langa. brus räche k 
moaches aus Weide^ Rohr^ Stroh etc. (Saavage). 

Sp. cat. brusco Rest. 

Ven. brtLsco Qeschwnlst « raube Oberfläche). 

Ins Moralische übertragen: finster, rauh, stachlig: ngr. 
^ifCQOvaxog (Meyer NGr. III) herb von Wein ; auch roh = un- 
bearbeitet vgl. frz. diamant brusque (Ro. V 352). 

Daß speziell bruc- = Erika, Qinster wie rtufcus = rhamnus 
nach Standort und Habitus dem Rohr nahe stehen, wurde schon 
erwähnt. Bemerkt sei noch, daß im Gask. rhamnus (Weiß- 
dorn) burgo genannt wird (== langu. brugo), Ginster aber, im 
13. Jahrhundert ajou (vgl. D.-H.: Gesträuch, das in den Landes 
wächst), jetzt in ajonc verändert ist, also in ofifenbarer Ver- 
mischung der untereinander wachsenden Pflanzen. 

So sehen wir, daß die lautlich einander nahe stehenden 
Gruppen auch begrifflich die verschiedensten Berührungs- 
punkte haben. 

Was speziell das Verhältnis von bruBtum Brennmaterial und 
bru$t4ire, brastulare brennen anbelangt, so gehe ich natürlich 
den entgegengesetzten Weg als Nigra (Ro. XXI 515 ff.): er 
stellt das von ihm nicht erklärte brustum als Ausgangspunkt 
hin und leitet von ihm beide Verben ab. Nach meiner eben 
dargelegten Auffassung sind brustum und bruatulare die Primi- 
tiva, während brustare auf brustum zurückgehen kann, aber 
nicht muß. Denn von ustum konnte man leicht ein *u$tare 
und so ein *burustare bilden. 

3. Unzertrennlich vom Begriff des ,Brennens' *buru$tulare 
ist die Vorstellung des Brandes (tizzone), des angezündeten 
Strohwisches, der brennenden Gerte, des Scheiter- 
haufens aus Stöcken und Reisicht. Die Bezeichnung hierfür 
ist afrz. bure lothrg. 1254 burre] buire bewre bullte welch 
letzteres zu burlu zu gehören scheint; it. borda tizzone und so 
in vielen anderen Dialekten; sie geht unmittelbar von der Be- 
zeichnung der Pflanze aus (vgl. S. 16) und geht über zur Be- 
zeichnung des Freudenfeuers, das zu bestimmten Festlich- 
keiten — meist am ersten Fastensonntag — angezündet wird. 

4. Die Bedeutung Freudenfener (am 1. Fastensonntag) 
haben frz. bure afrz. borde^ bordiere neuenburg. (Gauch.) bgrde 
(Sonnwendfeuer) vend.-chal. bordee norm, bourguelie bourgueUe 



Die B«d«atang8g^esehichte der romanischen Wortsippe hur(d). • i 

Danph. horda luneiri H.-Aav. hyeurta Jara heurdifailles (wohl 
beurdif + alia) Var bardüre For. bamau (Mistr.) usw. ; in 
Horvan neben bourde botide, in Bonrg. bode (Rev. Pat. IV 122) 
mit regelmäßigem Schwnnd des r (vgl. Rom. Oram. I 401). 

5. Von daher heißt der 1. Fasteiisonntag Dominica 
brandonnm^ = (DC) bordae afrz. jor des bordes (1251, God.) 
lothr. jov^ des bures For. bamau (Mistral) usw., Neuenbürg 
(Gauchat) b^rde rejouissances publiques des jeunes gens, surtout 
des militaires (Bridel). Im Orte Saint-Diä hieß der Platz, auf 
dem das Freudenfeuer angerichtet wurde, selbst la bure.^ Es 
handelt sich um das Fest, mit welchem die Segnung der jungen 
Saat begangen wird. Man trägt Feuerbrände um die Acker 
und nach vollendeter Segnung werden die Brände (meist Stroh 
oder Heubündel, die an Stöcke gebunden sind) auf einen 
großen Haufen geworfen, und wenn die Flammen zusammen- 
schlagen , springen die jungen Burschen über diese Scheiter- 
haufen ; darauf folgt Tanz und Gesang und die ganze Feier wird 
selbstverständlich unter Essen und Trinken beendet. In vielen 
Oegenden ist die Valentinensitte damit verbunden. 

Man sieht, die Dominica brandonum, die Borda, ist ein 
ganz und gar ländliches und zwar, wie das FrUhlingsfeuer be- 
weist, ein in heidnische Zeit zurückreichendes Fest, nicht ein 
Ritterspiel; auch heißt es im Altfranzösischen nicht beourde, son- 
dern bourde, und bourde und bure sind gleichbedeutend; so ist 
Herleitung aus dt. bohord abzulehnen. Aber in späterer 
Zeit kann die Benennung der ritterlichen Lanze eingewirkt 
haben; an mehreren Orten heißt es jour du bihour} In Valen- 
ciennes hießen die Fackeln bouhours und die Kinder sangen 
beim Zuge durch die Gassen folgendes Liedchen : 

Bour, peumes, poiresy 
Des chirisses toutes noires, 
Eune bonne tariine 
Powr nos mequines. 



^ Die Bedeutangsttbertragang Freudenfeuer > Fest erkl&rt yieUeicht auch 

nuU det branehaüU» = Polterabend (Z. XXYU 264). 
' Vgl. Dict des Snperstit. Sp. 149. 
' Dict. des Superstlt. Sp. 149. Nähere Angaben fehlen. 



78 V. Abhandlang: Richter. 

In St. Omer heißt ein Umzug psalmodierender Kinder, 
die in der Dämmerang mit Kerzen umgehen, bourbour. Vgl. 
dazu unten S. 98. 

6. Kuchen und Früchte, die, wie das Liedchen erbittet, 
an die Kinder verteilt werden, spielen natürlich eine wichtige 
Rolle; mit dem Begriff der festesfrohen Heiterkeit ist der des 
,sich gütlich tuns, Schweigens' verbunden, und zwar in ganz 
konkretem Sinn : schmausen, vgl. oben Hesych. S. 39, 30. Der 
Begriff ,Fest' geht über in den der Schwelgerei, ^ verd.-chal. 
bourdifaille grande ch^re, bombance sfrz. burdifar fressen, 
beide aus *burdivji8 abzuleiten aprv. borllei appareil, faste 
(Rayn.) Aunis burlot berlot fin de travail aus ,repas qai 
suit la fin d'un travail. Norm, burgaut Wüstling wird jedes- 
falls eher hierher als zu burgator gehören (wie du M6ril meint), 
vgl. S. 53, 33 u. 34. 

7. Eine besondere Rolle spielt das FestgebBck afrz. norm. 
bourde Apfeltorte Genf (Qauchat) bourdifaille eine Art Ge- 
bäck frz. bou/rriol (Larousse) Galette grossi^re de farine de 
sarrasin cat. börrego panis delicatus; ven. bureloto Gebäck 
aus Kleienmehl oder Gries mit Zwiebeln rom. burlengh Torte, 
bol. burleing it. berlingozzo Brezel, Kringel (Schuchart Z. f. 
Vgl. Sprf. XX 271 erklärt, daß u statt e wegen des b stünde). 
Die letztgenannten können auch auf ,Rolle' zurückgehen (S. 43, 
48 ff.). Zu it. berlingozzo gehört neusüdfranz. berlingots = 
Karamellen. Lautlich weiter ab steht sp. ptg. brinquifio 
Zuckergebäck; begrifflich entfernt sich ptg. boroa, bro Mais- 
oder Hirsenbrot. Das bret. bara Brot — zu den keltischen 
Stammwörtern gehörig — steht in keiner Beziehung zum ,Fe8t- 



8. Zum Feste gehören heitere Umzüge; nicht selten 
sind es HaskenzUge. Hier treffen unsere Worte mit einem 
anderen, früher besprochenen zusammen: bordire sich aus- 
gelassen freuen, scherzen, Possen treiben führt, wie S. 39, 32 
dargestellt, zu: jemand etwas vormachen, und von da 
leicht zu sich maskieren: mail. berg. borda bol. bourda 
Gesichtsmaske. 



^ Vgl. den fAinilÜLren AoBdrnck: ,eine polnische Hoebieif fttr ein Diner 
mit übermXßig riel Gängen. 



Die Bedeutangsgeschiehte der romAiiisehen Wortsippe burfd). 79 

9. Da aber die Masken meist Zerrbilder sind, wird das 
Wort Maske gleichbedeutend mit SchreckMld, Gespenst: 
mail. bardoeu orco, befana em. bördana parm. borda bol. 
mod. bourda (Biond.) cat. borrugat Gespenst; dies könnte 
aber auch zu reburrus zu stellen sein. Da andererseits bor- 
rugat auch ^Schmarotzer' bedeutet^ wäre es am Ende möglich^ 
beide anscheinend so disparate Begriffe unter der Vorstellung 
jVampyr' zu vereinigen. 

Gen. barban orco, befana tour. (Ro. I 90) brimbaut manne- 
quin des jours gras que Ton brüle le mercredi des cendres, 
eourrir brimbaut se masquer (Einmischung von -bald). 

10. Hieran schließt sich eine kleinere Gruppe von Wörtern, 
bei denen von der Bedeutung vermummt auszugehen ist. Es 
handelt sich um die Pappe verschiedener Insekten, bei deren 
Bezeichnung übrigens derselbe Vorgang zu beobachten ist als 
bei unserem ,Larve^; der Anblick des Tieres ruft ja un- 
mittelbar die Vorstellung des Vermummten, ,mit Maske ver- 
sehenen' hervor. Vor allem ist es die Blatta orientalis, die 
80 bezeichnet wird: mail. bordocch bordocchon burdoc piem. 
hordoc bol. bordigon : im allgemeinen ist bordocch = bruco = 
das Insekt im zweiten Stadium, also Puppe, während die 
Larve ^cavaler^ genannt wird. Doch werden die Ausdrücke 
fllr Puppe und Larve mitunter verwechselt. Die Puppe ist 
die Vermummte, Eingewickelte. Zugleich liegt eine scherzhafte 
Beziehang auf ,Bettelmönch, Priester' vor, vgl. S. 54, 37. 

Mail, bordon bordioeu ist die rote Larve der Cetonia 
stistica em. buron Kokon piac. bordon Puppe, auch untaug- 
licher Seiden wurm (bacaccio) piem. bordoch auch Raupe 
und Wurm; cat. brugo Blattlaus, Erdfloh wird zu spätlat. brucus 
zu stellen sein. 

IL Hierzu kommen noch Ausdrücke ftlr kleines Kind: 
piac. bordlein das kleine Kind, ,das Eingemummelte^ sp. aboru- 
jarse sich einwickeln, speziell: sich fest zudecken (Ro. XVII 
56j; langu. bourässo ist alles, was zum Einwickeln eines Kindes 
gehört. Dies knüpft wieder an ,Wollzeug^ an und so schließt 
sich abermals der Kreis. 



80 y. Abhandlang: Richter. 

Zweite Hauptgruppe: 
Das Rohr als tönendes Instrument 

§ 8. Wenn schon die ältere Ableitung des Stockes vom 
Esel ihre Unzakömmlichkeiten hatte, so begegnet die Namens- 
Übertragung vom Pilgerstock auf die Orgelpfeife, wie Diez sie 
zuerst vorschlug y noch größeren Bedenken. Die Orgelpfeife 
ist um so viel älter als die Pilgerzüge, daß sie kaum von 
daher eine Namensänderung erfahren hätte. Zudem ist die 
äußere Ähnlichkeit nicht gar so in die Augen stechend. Ich 
habe schon oben S. 6 angedeutet, wie ich mir die Sache 
vorstelle: Das Rohr ist das Urmusikinstrument, das natür- 
liche Instrument im buchstäblichen Sinne des Wortes, denn 
wenn der Wind über das Rohr weht, so ,blä8t^ er es ,an' und 
erzeugt, je nachdem kürzere oder längere Stiele nebeneinanden 
stehen, eine Reihe von Tönen. Alle primitivsten Musikinstrumente 
— soweit es nicht Trommeln und andere Schlaginstrumente 
sind — werden aus Rohr gefertigt (oder aus Knochen, der hier 
nicht weiter in Betracht kommt), da das Rohr keiner kunstvollen 
Zubereitung bedarf: es ist rund und hart, gleichmäßig hohl 
und vor allem: von selbst hohl. Rohrflöten, einzeln oder in 
verschiedener Länge verbunden, haben alle Naturvölker, von 
den kleinsten Röhrchen, die der Chinese zum Tscheng zu- 
sammenbindet, bis zu dem Riesenbambus der Siamesen, der 
bei zwei Meter Länge zirka acht Zentimeter im unteren Durch- 
messer hat.^ 

Aus dem klassischen Altertum ist uns bekannt, daß Paus- 
pfeife, Syrinx, aihig, xaXafiavlog (vgl. Riemann, Handb. der Musik- 
geschichte 101) aus Rohr waren, und daß man später die Blas- 
instrumente aller Art in Metall und auch in Holz nachahmte. 
Was fbr Holzarten verwendet wurden, ist flir unsere Onter- 

^ Er wird an OrOß« noch flhertroffen ron unserem Alpenhom, dAt, mehr 
als drei Meter \xng — den geographischen Verhältnissen entsprechend 
— nicht aus Bohr, sondern aus swei sorgfältig aneinander gepaßten, im 
Halbkreis gehöhlten HOlsem besteht, die mit Leinwand und Strick rer- 
bunden und mit Birkenrinde verkleidet sind. Das Instrument, welches 
ich sah (Sammlung des Wiener Konserratoriums), ist ans den Karpathen. 



Die Bedeutangts^esehlehte der romanischen Wortsippe hurfd). 81 

socbuog natttrlich nicht belanglos, doch ließ sich nicht sehr 
▼iel ermitteln, da die Bestimmung sehr alten Holzes anf 
Schwierigkeiten stößt. Über Flöten ans Lotos =5 rhamnns 
(Wegdom) vgl. Lenz 652; über Flöten aas Bnx and Vibarnum 
= dAffrgjg xijg xafAai^rikov yhkdoq ri}v ivreQKbvrjy ä(pjjqr]^ivoq be- 
richtet Pollax IV 71. Aas Wacholder soll nach Fätis, Histoire 
gdn^rale de la masiqae III 278, der im Britischen Maseum 
erhaltene (xiXöq verfertigt gewesen sein. Selbstverständlich 
gehört eine feiner aasgebildete Technik daza, im harten Holze 
die erforderliche gleichmäßige Bohrang zu erzielen, als im 
weichen, das aber weniger rein klingt. Seit alter Zeit hat 
daher der Holander seine Aste za kleineren and größeren 
Pfeifen hergeben müssen, weil das Mark im ganzen leicht 
entfernt and ohne Bohrang eine Syrinx (Röhre) hergestellt 
werden kann.^ Über die Art, wie die Blasinstrumente ver* 
fertigt warden, geben ans die alten Autoren ganz genaaen 
Aofschlaß: die höheren Pfeifen werden aas dem einjährigen 
Rohr geschnitten, and zwar aas dem oberen Teil, die tiefen 
aas dem zweijährigen, and zwar aas dem anteren Teil (vgl. 
0. a. Tbeophr. Hist. plant. 4. 11. Iseqq.).' 

Bei den Doppelflöten war die längere (also tiefere) die 
linke;' fürs Lateinische haben wir hier wieder eine besondere 
Verstärkang der Bedeatang von sinUtra^ die linke ist die 
danklere, die dampftönende. Eis sei aach erwähnt, daß ge- 
wöhnHch nor eine Flöte ^ angeblasen warde, and zwar die 
höhere. Die tiefe sammte mit, zar Verstärkung des Tones. 
Gelegentlich wird aber amgekehrt die tiefere Flöte zar Be- 



^ NoUbene heißt unser Flieder ss .Spanischer Holunder' su Unrecht 
tyringa^ denn gerade die Eigenschaft der hohlen, respektiYe leicht cu 
hohlenden Äste teilt er nicht mit dem Holunder (ygl. Lennis, Synopsis). 

* Besonders geschätzt war das Rohr aus dem See Kopals bei Theben, 
wenn das Wasser in swei aufeinander folgenden Jahren recht lang hoch 
gestanden hatte. 

* Vgl. Ambros, Geschichte der Musik 618; nach Riemann a. a. O. 160 
wire das Verhältnis umgekehrt. 

* Ich brauche noch den Ausdruck ,FldteS der als Übersetsung fttr a^l6^ 
cingebttrgert ist, obswar durch Howard (ygl. Riemann, a. a. O. S. 96 ff.) 
festgestellt ist, daß das griechisch-rOmische Kunstblaseinstrument mit 
einer schwingenden (Rohrblatt)zunge angeblasen wurde, also keinesfalls 
eine FlOte war, sondern rielmehr unserer Klarinette entsprach. 

. d. pUL-hist. Kl. IM. Bd. 6. Abb. 6 



82 y. Abhandlnng: Richter. 

gleitong und Verstärkung des Gesanges geblasen und die 
höhere zur Ergänzung, während der Sänger schweigt. 
Abgesehen von den im Theater und zu gottesdienstlichen 
Zwecken verwendeten Flöten gab es die langen schmalen 
Metallrohre im Kriege (tuhae). Von den gewundenen Instru- 
menten, die eine Nachbildung des Tierhorns sind, braucht hier 
natürlich nicht gesprochen zu werden. Über die Verwendung 
von Hirschhörnern bei den Tyrrhenem vgl. PoUux IV 75. 

Der Lituus ist nach dem Augurenstabe benannt, dem er 
ähnlich sieht. Er hat ungefähr die Form des Alpenhorns der 
Schweiz (vgl. Hipkins, Musical Instruments, historic rare and 
unique 1888), ist aber wesentlich kleiner. 

Endlich gab es schon früh den Dudelsack (utricularium, 
symphonia syr. samponia, er soll von Karthago nach Groß- 
Griechenland gewandert sein),* eine Pfeife, deren Ton durch 
einen Luftsack eigentümUch modifiziert wird. Alle Musik- 
historiker sind jetzt darüber einig, daß die Orgel nichts 
anderes war als die Vereinigung der beiden bekannten Instm- 
mentengattungen, der Syrinx und des Dudelsackes. Die älteste 
Orgelgattung, die Wasserorgel (== iÖQoiXoQ = Wasserflöte) 
wurde mit dem Munde angeblasen, wie eine andere Syrinx; 
das Wasser regulierte den Luftzutritt, verstärkte den Ton und 
verlängerte ihn nach Belieben.' Im Prinzip ist also die 
Orgelpfeife von der Panspfeife in nichts verschieden 
und es ist durchaus wahrscheinlich, daß die ältesten 
Orgelpfeifen aus Rohr gewesen sein werden. Auch 
dient die Bezeichnung Organa noch bei Isidor nicht (Ür die 
Orgel allein, sondern für sämtliche Blasinstrumente.' Wir er- 
fahren durch Hieronymus (an Dardanus)^ von einer Orgel 
mit zwölf cicutas aenea$, die, mit Blasebälgen angeblasen, einen 
donnerähnlichen Ton gaben. Und so hören wir auch — viel 
später! — von den calamis sanantibus quos burdones vocamus 
(Vitae Abb. St. Alb.).^ Einen fllr diese Untersuchung sehr 



' Vgl. FÄtis, ». a. O. 613. 

* Die Tom Ägypter Ktesibiiu im 3. Jahrhundert r. Chr. erfundene Orgel 
mit Tasten setzt ein oder mehrere Stadien eines primitireren Instru- 
mentes voraus. 

' Vgl. Wangemann, Geschichte der Orgel und Orgelbaukunst» 8. 13. 

* Vgl. Degering, Die Orgel, 1905, S. 69. * Vgl. Dies, £W: bordime. 



Die BedentODgsgeschiehte der romanischen Wortsippe hur(d). 83 

wichtigen Aasspmch tut Pollax, der die Kelten und Bewohner 
der okeanisehen Inseln als Spieler der ans Rohr zusammenge- 
setsten Syrinx besonders erwähnt: IV 77 1} di i% xaXdfAwy 
avQiY^ KeItoiq ngoai^xei xal %oig h ^iliisavlf vrjaKütaig, 
während die Ägypter einen n6kiq>di)yyog aildg , . . ix maXdfirjg 
it^&iyrjg haben usw. Vom zv^^dg a^ldg berichtet er (70), 
daß die Rohre ans Erz waren^ daß die größeren mit durch- 
gepreßtem Wasser, die kleineren mittels Blasebalg zum Tönen 
gebracht wurden, und daß man verschiedene und sehr kräftige 
Töne auf ihm erzeugen konnte. Wir haben es also mit einem 
orgelartigen Instrumente zu tun.^ 

Im klassischen, besser gesagt im nachklassischen Alter- 
tome spielt die Orgel eine Rolle als Zirkusmusikinstrument (wie 
Degering nachweist, a. a. O. S. 54 ff.), ihre Konstruktion wird 
aber nicht viel verändert. Die Orgel, die wir auf dem christ- 
lichen Sarkophage der Julia Tjranna in Arles (2. — 3. Jahrb.) 
haben,' ist ein Instrument von zehn ungleich langen Pfeifen, 
deren höchste, an der nebenstehenden chitara gemessen, nicht 



^ Die schwierig Stelle Uatet Ed. Dindorf IV 70: 6 Tv^^rjyög a^l6g dvi- 
OTQafifUvri aiifftyyi naQkoixtag^ JlfaXxdc (liv iaxlv 6 xdla/uog xätu(^fp <fi 
^onvtö/LUVog * (pvcais fiiv 6 il&Ttmv^ üdari <fi 6 ful^^v dva^Ußofiivip^ 
waX ai)Qav nviifiatoq A<pi4vn. noX^<f<ov6s m oirog avlög iaxt *al 6 
Xtthtdg f/f f To tp^iyfia trafuirtQov. Dieter avXds glich einer .umgekehrten 
STfinx*, insofern jede Orgel einer gleicht: bei dieser stehen die Rohre nach 
nnten gleich nnd sie werden von unten angeblasen, bei jener stehen sie 
nach oben gleich und sie werden von oben angeblasen. Vgl. auch Degering 
(Die Orgel, 8. 62), der die Stelle dadurch yerständlieh macht, daß er 
sweierlei Instrumente annimmt. Man kann sie also in folgender Weise 
flbersetien: Der Tyr. Aul. [ist] das Gegenstück eu einer Syrinz: einerseits 
ist das Rohr aus Erz, andererseits wird es ron unten angeblasen ; und zwar 
das kleinere [Instrument] mit dem Blasebalg, das größere indem man 
Wasser durchtreibt und [so] den Lufthauch herausstoßt etc. Nach Ambros 
glich der Tyr. Aul. einem Tscheng (a. a. O. I 489). Jnl. Scaligers von 
Dindorf gerfthmte Übersetzung lautet: ,. . . infeme tubus minor infla- 
batur bucca: unde Spiritus in maiorem subibat, morebatque aquam qnae 
intus erat: atque ex ea multisonam edebat harmoniam.' Seal, nahm 
also nur ein Instrument an, das aus zwei Rohren bestand, wobei nicht 
nur die Lage dieser Rohre zu einander, sondern auch die Tonerzeugung 
rätselhaft bleibt 

* Abgebildet bei Degering a. a. O., wo im ganzen IS Abbildungen an- 
tiker Orgeln gesammelt sind, in : Rog. Pejre, Nfmes, Arles, Orange nnd 
— auf arlesischen Postkarten! 

6» 



84 y. Abhandlung: Richter. 

höher als ein Meter angenommen werden kann. Sie steht auf 
einem Tisch nnd hat zwei Blasebälge, zn jeder Seite einen, 
wodurch die Bedienung von vornherein etwas schwerfUlig ist. 
Ebenso konstruiert ist noch die öfters abgebildete Wasserorgel 
auf dem viel späteren, in demselben Museum befindlichen 
rohen Sarkophage (von Degering ins 3. — 4. Jahrh. doch wohl 
zu frUh angesetzt), an dessen Utricularien zwei Männer (scheuß- 
liche Fratzen) beschäftigt sind. Wir erfahren nichts darüber, 
daß im frQhen Mittelalter in Westeuropa selbst Orgeln gebaut 
worden wären; noch als Pipin 757 vom Kaiser Konstantinos 
Kopronymos eine geschenkt erhielt, konnte sie (nach Degering 
S. 61 ff.) nicht nachgebildet werden. Wir erfahren aber, daß 
im 10. Jahrhundert in Winchester die größte Orgel des Mittel- 
alters gebaut wurde, also von englischen Mönchen, die die 
musikliebendsten gewesen zu sein scheinen.^ Und von größeren 
Veränderungen im Orgelbau im 12. Jahrhundert erfahren wir 
durch Eadwines Psalter (Cambridge, vgl. Engel, Musical In- 
struments 109, in ,South-Kensington Handbooks'), wo eine Orgel 
mit vierzehn Pfeifen zu sehen ist, an der nicht weniger aLs 
sechs Männer arbeiten. Also wieder in England. Und wie 
sehr in Qallien die Blasekunst beliebt und ausgebildet war, 
beweist eine Stelle aus Venantius Fortunatus' Epistel an den 
Pariser Klerus, worin er das Lob der Musik singt: 
(Auct. Ant. IV Carm. II 9, 49 ff.): 

Hinc puer exiguis attemperat Organa cannis, 
Inde senis largam ructat ab ore tubam; 
Cjmbaliae voces calamis miscentur acutis 
Disparibusque tropis fistula duice sonat. 
Tympana rauca senum puerilis tibia mulcet 
Atque hominum reparant verba canora lyram. 
Leniter iste trahit modulus, rapit alacer ille: 
Sexus et aetatis sie variatur opus. Etc. 

Hier scheint Organa ein kleines Orgelspiel zu bedeuten, 
das aus mehreren hohen Pfeifen zusammengesetzt war. Man 
kann an die kleine, offenbar tragbare und nur mit Blasebalg 
bediente Orgel denken, die Degering S. 84 (Terrakottamedaillon 



> Vgl. Montalembert, L*Art et le« Moines (Ann. ArchM. VI 136). 



Die Bedeutangsgeschichte der romanischen Wortsippe burfdj. 85 

ans Orange) beschreibt, wozu die oben zitierte Stelle aas PoUox 
%a yergleicfaen ist. 

Schon nach diesen wenigen Strichen, mit denen ich hier 
versuche, die Geschichte der Orgelpfeife zu skizzieren, wird es 
nicht tinerlaabt erscheinen, sie mit dem Rohr in engste Bezie- 
hang zu bringen and za sagen, sowie calamas, cicuta, canna 
zugleich Aasdrücke f)ir Pflanze and Instrument sind, so wird 
es auch in der Gegend gewesen sein, wo das Rohr mit bur(d) 
bezeichnet warde. Burdo = die Orgelpfeife ist einzareihen 
in eine große Reihe anderer Ableitungen aas ,Rohr'; sie heißt 
nicht nach dem Stock, sowenig als der Stock nach ihr; sie 
stehen nebeneinander and nicht selten sind sie überhaupt in 
einem and demselben Objekte vereinigt: die Stock- 
pfeife — Spazierstock ^ mit durchbohrtem Schaft und Blase- 
loch — ist uralt, weit verbreitet und noch jetzt beliebt (vgl. 
z. B. das angarische ,Czakan'). Übrigens hat auf die Stock- 
pfeife schon Skeat hingewiesen, der Diez' Ableitung ablehnt: 
perhaps the staff (pilgrim's staff) was itself a pitchpipe, as 
might easely have heen contrived. 

I. Mosiklnstramente. Burdo das tönende Rohr ver- 
zweigt sich, wie sattsam bekannt, zu den verschiedensten Be- 
deutungen. 

1. Pfeife; Panspfeifc; Orgelpfeife. Dann nicht nur die 
Orgelpfeife, sondern 

2. das Begister der Orgelpfeife, und zwar der tiefe 
Ton. Von da überhaupt dasjenige, was tiefe Töne erzeugt, also 
vor allem 

3. die Baßsaite: sard. hurdoni rum. hurduiü welsh 
byrdum hyrdon etc. 

4. auch: Saite am Bogen, frz. bourdon ptg. bordao 
(Const. ,wegen des Geräusches, wenn der Pfeil abfliegt^ 

5. Speziell die dicke, nicht angeschlagene Saite, die 
nur mittönt (brummt) und so den Ton verstärkt; von daher 
wird das mit ihr versehene Instrument das Burdun oder viola 
dt bordane genannt. Man vermutete in ^bordone^ eine Ein- 
wirkung von bordo Rand, weil die dicken Saiten am Rande, 

^ El if t — noch jetzt — so gut wie immer aus (Bambus) röhr; die kOnigl. 
Instnunantensammlong in Berlin enthftlt eine größere Anuhl solcher 
Stockpfeifen. 



86 V. Abhandlang: Richter. 

neben dem Steg nach rückwärts laufen.^ Diese Ableitung ist 
ganz überflüssig. 

6. Mail, bordion berg. hora ist die Bezeichnung der 
Harfenpedale. 

7. Da die Baßsaite (meist) aus Metall ist, wird die Be- 
deutung zu Elsendraht verallgemeinert, und zwar zu dickem: 
mail. bordion piac. piem. bordiglion berg. burdiü bordiü. 

8. Vttnner Draht: mail. bordin. Bei dem gleichlautenden 
bordin ^Franse'; log. burza (bulza) Franse, Rest, Ende der 
Leinwand kann bord = Randbesatz, aber auch ,Rest, zerrauftes 
Ende' (S. 35, 22) mitspielen. 

9. Dnnnere Darmsaite sp. bordoneU] dieser Ausdruck 
sowie 10. siz. burdillinu = chitarrino, also kleine Harfe 
zeigen Verwendung nicht nur für tiefen Ton. 

11. Saekpfcife: champ. bordon ptg. bordäo engl. dial. 
burdoun welsh byrdon bern. (Qauchat) beugeune (g = rd). 

12. Sehnarrpfeife am Dudelsack, Brummbaß: morv. 
beurdon engl, bourdon burdon etc. 

13. Schnarrwerk (kleine tragbare Orgel) z. B. span. 
bordon. 

14. Trommel: mont. burjet 

15. &roße Glocke, z. B. in Berry bourdon] Kuhglocke 
Chamb^ry (Gauchat) bordon. 

16. Baßhorn = serpent d'^glise, ein großes gewundenes 
Holzblaseinstrument, gelegentlich in lebhaften Farben als bunte 
Schlange mit aufgesperrtem Rachen gemalt, in der Bretagne 
noch jetzt yerwendet: norm, bourdon. 

17. Posaune: it. bordone Portune Perduna Barduen etc. 

18. Endlich noch die Zinke, die Miiitärtrompete der 
Albanesen: alb. buri brobori cal. ftorl, ein schmales langes 
Metallrohr, das der antiken Tuba von allen volkstümlich ver- 
wendeten Instrumenten am nächsten kommt. Bulg. serb. borija 
Trompete und türk. bors Rohr, Trompete gehören zu buri. 
(Türk. bora nimmt Meyer [EW] als Grundwert ftirs Albane- 
sische an). Aufs Romanische zurQckgeleitet kann buri sowohl 
^burina (= buccina) als ein aus diesem gebildetes ^burüla 



^ Der B^irdun^ die mittSnende Saite, findet sich auch Bcbon auf Initrn- 
menten, die noch nicht g^ettrichen, sondern nnr ^snpft wurden. 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe l>ur(dj. 87 

zar Grundlage haben, vgl. alb. kusi < cacina Skni < scintilla 
(Meyer, Gr. Gr. P), anch *burinum *burillum würden formell 
entsprechen (vgl. Meyer- Ltibke Gr. Gr. I*). Nach Meyer 
wäre buH auch der Name eines Saiteninstrumentes mit nur 
einer Saite. ^ 

19. Selbstverständlich wird auch bei der menschlichen 
Stimme die Tief läge mit bordone etc. bezeichnet und dann 
der Bassist (wie bei uns) der ,Baß' genannt. 

20. Verallgemeinert heißt der SSnger schlechtweg bour- 
dofij vgl. Guillaume de Döle: Jordaim li viez bordons und 
P. Meyers Anmerkung dazu. 

21. Auf eine Untersuchung der /awar-tourdon-Frage, die 
ja rein musikalischer Natur ist, einzugehen wäre hier nicht 
am Platze. So viel ist wohl sicher: die tiefe Stimme, welche 
die höhere begleitete (sei es nun Vokal- oder Instrumental- 
musik) hielt den Ton oder machte die Koloratur weiter, wenn 
die hohe — am Strophenende — schwieg, wie es uns von der 
antiken Flöte (S. 82) überliefert ist. Hier liegt also eine uralte 
— und sehr natürliche — Gepflogenheit vor. Da nun diese 
verbindende Figur sich regelmäßig wiederholt, bildet 
die tiefe Stimme den ,Refrain^ zur Strophe und so nimmt 
baurdon auch diese Bedeutung an. 

22. Von hier aus erklärt sich der Ausdruck bourdon in 
der Buchdruckerei — im deutschen Handwerkerstil ,eine 
Leiche' — das Überspringen einer Reihe von Worten zwischen 
zwei gleichen : offenbar vom Versehen im Drucken von Refrain- 
Strophen, wo es eben am leichtesten und häufigsten passieren 
mag. Danach kann auch das in einem Prosatext , wieder, 
kehrende' Wort als ,Refrainwort' angesehen werden, vgl. dazu 
die ptg. Redensart: 



' Man denkt an die altbosnischen Chule (plur. tantum), ebenfailf ein In- 
strnment mit nar einer Saite, dessen Eigentümlichkeit darin besteht, 
daß Bogen und Saite ans Boßhaar sind, nnd das slawischen Ursprungs 
ist. Aber in Albanien sind die Ousle nur an der Küste gekannt und 
im Lande selbst werden Musikinstrumente nur mit Darmsaiten Ter- 
fertigt. (Diese letzteren Notizen verdanke ich privaten Mitteilungen 
eines in Sarajewo lebenden Gewährsmannes, der Albanien aufmerksam 
durchreist hat und die Existenz eines Tolkstümlichen albanesischen 
Saiteninstruments mit einer Saite ftlr die Gegenwart leugnet.) 



88 y. Abhandlang: Richter. 

23. arrimarse aos bordöes = im Gespräch oft auf das- 
selbe zarückkommen, engl, bürden] daraus die leichtbegreif- 
liclie Weiterentwicklung : 

24. langweilen^ belästigen. 

25. Im Italienischen haben wir^ von der musikalischen 
Bedeutung des Basses aasgehend, far bordone sieh fftgen. 

Erwähnt sei noch die wohl zu bordon = Refrain gehörige 
Bezeichnung borzelotes, die neben sonnetz und atrambotz in einem 
Clöm. Marot zugeschriebenen Gedicht vorkommen (God.). 

Wegen bourdon ,Druckfehler' vgl. auch oben die Aus- 
drücke für ,fehlerhaft arbeiten' S. 41, 38. 

In keiner der bisher behandelten Gruppen tritt die 
Konkurrenz des Stammes bar so auffallend hervor als in 
dieser. Der keltische Stamm bar(d) dumpf brüllen, schreien 
(zanken) ist weit verbreitet; die ältesten bekannten Vertreter 
sind barrus Lästermaul (Horaz), bardu9 Sänger und barritus 
das Eriegsgeschrei, zunächst nur der Barbaren, später (seit 
Ammian) auch der Römer-, barritus das Brüllen des Ele- 
fanten, erst bei Apulejas. Die Formen baritus und barditu» 
sind im Thes. nur als vereinzelte ÜberUeferung gegen das 
gewöhnliche barritus angegeben. 

Für Musikinstrumente: barritor genus organi (G V 
270. 50) barriton (IV 210. 40 u. a.) barridon (IV 599. 18); 
barritonicua musicus (IV 487. 39) barriton organus vel vox 
elefanti (V 492. 33) vgl. unten S. 92. 

Im Thesaurus sind diese sämtlichen Formen unter bar- 
biton aufgezählt und der Verlust des -b- wird durch Angleichung 
an barrire erklärt (vgl. Heraeus ALL XII 264). Dies ist 
aber gar nicht überzeugend, denn abgesehen davon, daß das 
barbiton kein volkstümliches Wort und Ding war (nicht einmal 
die Endung ist dem lateinischen Sprachgebrauch angeglichen 
worden!), spricht alle Beobachtung schallausdrückender Worte 
dagegen, daß dieses -b- gefallen wäre; vielmehr haben ono- 
matopoetische Lautgebilde eine ganz unleugbare Neigung zu 
alliterierendem AnUut der zweiten Silbe (vgl. S. 111 ff.), es wäre 
also viel leichter, aus barrire ein barb- zu verstehen, als das b 
aus barbiton weg zu erklären. Das barbiton gehört gar nicht 
in unsere Sippe. Dagegen Isid. L. Gl. 1338 (Migne 83) barto 
genus organi (Bret barz Sänger kom. barth Spieler eines 



Die Bedentangflgeschichte der romtnischen Wortsippe burfdj. 89 

Instmmentesy bretagD. [La Curne] bard Wanderfiedler zu hardvs 
Sänger). Span. ptg. harrüete Trommel kann zu Fäßchen etc. 
gehören^ vgl. S. 109; dazu jedesfalls piem. iochl bara fare a tocca 
bomba (Ponza). 

Ean yMoaik'-InBtrament für Kinder ist auch ptg. berim- 
hau birimbauy das einen dnmpfsnmmenden Ton von sich gibt; 
schwerlich ein ^Negerinstrnment', wie Henr. Michaelis angibt, da 
auch berg. birimbeba ^ribeba, rebeba' vorhanden nnd das berim- 
bau ein Saiteninstrument ^von dreieckiger Form' ist also wie eine 
Rabebe. Wie bourdon zugleich ,große Glocke' heißt, so haben 
wir auch hier mehrere Ausdrücke für klingende Glocke: 
vgl. baraüa (Bartoli II 172) toul. barlingo-barlango Glocken- 
spiel, Geläute langu. berlingau jeu des osselets, norm. (Du Möril) 
vend. berlingiLette kleine Glocke. Die Endung -ing Hing ist rein 
sehallnachahmend. 

Die Beobachtung des ausschwingenden GlockenschwcDgels, 
der noch hin und her baumelt, ohne mehr anzuschlagen, weckt 
die Vorstellung von ,müßig baumeln', ,Bewegung ohne Re- 
sultat', daher bummeln, mflßiggehen frz. berlat^er] Tour. 
(Ro. I Brächet) bemaser, bemuser Zeit vertrödeln, berdiner = 
muser piem. berlangl aufschieben, zögern Aunis berlingtier sich 
unnütz abmühen. 

§ 9. Ableitungen von der Bedeutung ,tOnen'. 
Während bei Musikinstrumenten die Verwendung unserer Worte 
sich hauptsächlich auf die tiefen Register beschränkt hat, um- 
fassen die Ausdrücke für tSnen, Geräusch erzeugen im 
weitesten Sinne, alle Skalen, vom Zirpen der Grille zum 
Rollen des Donners, vom Greinen des Kindes zum Elefanten- 
schrei, Hohes und Tiefes, Lautes und Leises. 

IL Blasen. 1. Voranstehen müssen die Ausdrücke für das 
Spielen des Instrumentes. Im Albanesischen ist me raa 
burii nicht nur die Trompete blasen, sondern überhaupt alle 
Blasinstrumente spielen, blasen. Berg, sborä gleicher 
Bedeutung wie sorä <^ exaurare (Mussafia, Beitrag 108 Anm.) 
ein Musikinstrument ausblasen, die Luft herausgehen lassen; 
auch in übertragenem Sinne: 

2. aborä V gös den Sack ausleeren = frei herunterreden. 

3. Daran schließt sich friaul. sborä dar esito al vapore, 
das den Übergang macht zu 



90 y. Abhandlung: Richter. 

4. Blasen im allgemeineu: einen Luftstrom bewirken^ 
der mehr oder weniger Geräusch macht. Das Sausen und 
Pfeifen des Windes ist es^ das hier den Vergleichungspunkt 
gibt und annehmen läßt, daß Boreas durch bur- beeinflußt 
worden ist, it. andar dt burina vom Winde getrieben werden 
etc. (vgl. oben S. 46, 56). ngr. ßgovllAvs^og bei DC: ventus ve- 
hemens cum innci agitantur ; schwerlich ist in dieser Zusammen- 
setzung ßQOvXXov das ßohr, vielmehr wird es das Tönen, das 
Rauschen des Windes sein, dos gemeint ist, vgl. unser Sause- 
(Brause-) Wind. Prv. broufumU^ auch bra- bre- gri- bau- 
(Thomas MöL 37) ist bur + buf. 

III. Dampf schreien. 1. Brüllen, h^t Burrü- vox belvae 
(Q V 173. 8) borrit' voce elevat (ebd. 563. 33) Hesychios 837 
ßoQQd^foV \j)0(p&v, Adnot.: ßvQßvq\X,iav ßoQQf^wv {ßoQQdKußy stre- 
pitans, bei Stephanus). 1231 ßQvatovatjg Xeaiytjg. Die Adnot. er- 
wähnt, daß die zitierte Stelle ßqS^ovaa hat, quod et de ursarum 
voce dictum adnotat Juba; ßgä^w heißt aber auch ferveo bullio 
und ßgiaau) (vc) vanno, excutio, welch letzteres zu ^ßatQUi paßt, 
das mit burdit übersetzt wird, vgl. S. 98. Ngr. ßQoixio brülle, 
ßqixr^Ha Gebrüll des Löwen alb. brohoröj brohoria Rufe, Schreie 
ausstoßen, singen, jauchzen; burU öffentliche Versteigerung (vgl. 
incanto) broboröii (nach Meyer statt broburöii mit Assimilierung 
der zweiten Silbe an die erste) bpurö/i brüllen (von Löwen), 
dazu wohl bxiri&sjin sie brüllten (von Stieren, Meyer EW.); 
siz. burtuliari Brüllen der Kühe (Traina). Es wäre zur Er- 
klärung der -«-Form möglich, an eine Bildung *buritare = 
hinnitare crepitare (vgl. ALL XI 269 ß.) zu denken, die neben 
den einfachen Formen burire und burdire bestehen konnte. 
Dann ist burtuliari zusammengesetzt aus burire -\ — itare + 
'Ulare -|- -iare. Gehört nicht hierher mir. burithar clamat, 
das Brugmann I 512 zweifelnd zum Stamm buc stellt? berg. 
boTi bor bellen. 

Sard. burdu aurdu dampftönend. 

An die Tierlaute schließen sich die den Tierlaut nach- 
ahmenden Lockrufe, z. B. verd.-chal. bouribouri für Enten, 
poitev. baurri für Schweine mess. (Ro. V) buri buri für 
Gänse. 

Hieran reiht sich mont. berdik berdak^ Su le pont de 
Jumape um unruhige Kinder zum Schweigen zu bringen. 



Die Bedentangsgeschichte der romaniflohen Wortsippe bur(dj. 91 

Vermischung mit ululare hat stattgefunden in vic. 
hurlare == muggire, also ^bwrulare = burire {*burere) -f 
fdulare. 

Vermischung von *burere mit rugire erklärt die 
ganze Sippe von frz. bruire und Konsorten:^ ahd. prugit, 
bramit (Steinmayer II 352. 33, 12. Jahrhundert) lomb. briigi, 
brügia (auch Rollen des Donners vgl. S. 107, 5) bas.-lim. briida 
also 8t. burd- (AG XV < brugidd) gen. brüdi piem. brui 
= ronzare piem. brog'h brougl bret. breügi = bruire gen. 
bruda bruzo = frz. bruit lomb. (Salvioni AG XII 392) brugo 
gen. brüzzu Lärm des Meeres. Abgeschwächte Bedeutung hat 
piem. breuggi rülpsen, vgl. dazu bret. breügeüd das Rülpsen. 

Das afrz. bruin bruine (God.) lutte, effort de la bataille, 
ist vielleicht aus *brugiinen zu erklären: Getöse der Schlacht; 
afz. brin Lärm stellt Nigra (AG XIV 274) zu anord. brim, 

2. Eine andere weit verbreitete Sippe ist hier zu besprechen, 
die an das Brüllen (Bellen) des Tieres anknüpft und zunächst 
sehtmpfen, schmähen, mit Worten überfallen bedeutet. 
Zu lat. burrit'voce elevat stellt sich burina (a 932 DG) ani- 
mosa contentio in qua rixantes mutuis sese lacessunt con- 
viciis, a. 992 (Diplom. II 503. 22) habeant bannum et iustitiamy 
impetum et burinam, ictum et sanguinem etc. Nach der Zu- 
sammenstellung sieht man, daß es sich nicht um Tätlichkeiten, 
sondern Unruhe, ,Spektakelmachen' handelt. Afrz. burine (bei 
DC a. 1197) sanc courant ou burine = quereile de paroUe, 
unterschieden von mesUe = querelle de fait awall. bourinne 
riza in qua qui rumorem fecit tenetur ad certam amendam 
bimrint coup sec bourhie amende qui se payait pour des 
coups secs rom. burir rampognare (Cor. -Berti) buri sgridare 
garrire (Morri) piem. bori urlare afrz. brouer gronder, 6tre 
forieux brouie chose f&cheuse alomb. (AG XII) aborrir 
sfogarsi (dies kann auch zu S. 89, 2 gehören). 

Diese Bedeutungsstufe: bellen (heulen) vom Tier, mit 
Schimpfreden übei*fallen beim Menschen führt zu der äußerst 
naheliegenden: heftig angreifen, überfallen, verfolgen, 
hetzen, jagen. 



* Nich Meyer-Lübke I 366 iBt *brugire ans ruffire + bradire entstanden, 
was Übrigens anch bragir etc. erklären könnte, Tgl. S. 94. 



IT greifen; 



-TT. i^or contra berg. iar-£ 
»eh anf etwas stfinen 
daher imoL ^bmrifi^M, 
^ criL tiwj'urrido =» dlan ; parm. &m'£'jK 
X0L ^iziieo, Wölfen etc, aach Feis. d.s-± 
^ - .=rz. firrAT' i<£^ angreifen , anstürmea «j-:*!. r z:a 
ÄzaEc Mcomcrr aree impitaositO. Cber. az ^jrie 1±T 
r.r */• mzn: Ij^ans jui venoieni J^rC^iir; bri^^ra k-artn 
men' «eöemec, da anmittelbar Tv«r&er v«a ii::täi j^s-vs^r^ 
9«. vH$mmt bruianU In weiterer Eirwx^ nnf: Tnn. >^j- 
(refain:. 

Sici beftig stttraes kc: ^aJ. »«.—r "iu. XZH HZ 1 
afix.e^rtr: Rom. de Kaux r»*^ < -^sdr ai.; -r.-..- w- 
^bmnuaiU $w ««* f»« «*'* Jww-r^« « rs««-!- ..«f^ - i^- 
fiamV piac ir»'W'^ Hjw 

4. Verf4ilrtx: X*:?«»t 
piem, ÄoS 

Wilc ai: \ 



r2_ V 




Die Bedeatangsi^ohiehta der romanisohen Wortnppe btirfd). 93 

192. 18 = G V 401. 23), harrus elephans^ (passim, z. B. V442. 29) 
harrauM (V 270. 30), barrinus vom Elephanten bamieum eleph. 
Tox (IV 210. 41), span. barritar (vgl. hinnitare und oben 90, 1) 
Schreien vom Eliefanten nnd Nashorn (wobei zu erinnern ist, 
daß der Schrei des Elefanten mächtig, tief and breit, der des 
Nashorns kurz, hoch nnd einem ins Kolossale gehobenen Klein- 
kindergewimmer ähnlich ist). Alb. bariröü ich brülle (aus dem 
inf. barrire gebildet, Meyer, EW) prtg. barregar j berregar, 
herrar brüllen, cat. v. Alghero barrar brüllen (AG IX 358 za 
barra = Kiefer gestellt, wie smascellarai)] der Konjugations- 
wechsel erklärt sich jedesfalls durch die Vermischung von barrire 
and barra] übrigens aber denkt man bei barrare eher an ver- 
sperren als an aufsperren. Auch heißt it. smascellarai wörtlich 
den Mund so weit aufreißen, daß der Kiefer aus dem Gelenk 
geht, den Kiefer ausrenken. Dem sardischen Worte fehlt das 
€x: berchidal schreien birchidu Geheul, Geschrei (Porru); 
sp. barraquear knurren, murren, deutsch baren und barthen 
Schnarren der Orgel, daher das Bar der Meistersinger (Grimm) 
Schwab, baren schreien. 

Gall. berrar blöken, schreien sp. cat. berrear, kann auch 
aus berro Schaf hergeleitet werden (nach Cornu Gr. Gr.* 970 

^ Du Horasische barru» bedarf einiger Worte. Es ist merkwürdigerweise 
noch nicht als nnmOglich erklärt worden, daß in Ep. XII 1 muH er 
niffrit digniaaima harrit harrua = Elefant stecke. Die alte Vettel 
würde man weit eher zu den BOcken wünschen als sa dem sittsamen, 
wegen seiner Weisheit besungenen Tiere. Barrua der Bock entspr&cbe 
ToUkommen den nordit. Formen bar, barro, die S. 14 angeführt warden. 
Es ist aber noch eine andere Deutung möglich, die mit barrua in drei 
anderen Horazstellen vereinbart werden kann. Nach Zangemeister, De 
Horatii Tocibus singnlaribus Berl. 1862, S. 9/10 bedeutet barrua Sat. 
I 7. 8, I 6. 30, I 4. 110 (=s barua) keinen Eigennamen, sondern er stellt 
feet, daß Acro barroa nomen adpeüativum eaae et maledieoa aigmficare opi- 
naiua est. Speziell wird die Stelle I 7. 6 (Luc. Müller): Durtia hwno . . . 
Ooi^idena (umiduaque, <uteo aermonia anuiri, Siaetmaa, Barroa ut equia 
praeeurreret aJMa umschrieben: ctdeo erat aermonia malediei ut Siaennaa 
barroa videreiur vincere. Dieses barrua ,dinkisch, Lästermaul' gehört also 
in die Omppe VII C, S. 105. Daß Isidor-Festus barrua au barrire brüllen 
stellen und daher die Erklärung ,Elefant* konstruieren, ist für uns wohl 
nuTerbindlich, besonders wenn man die Glosse näher ansieht: barrua 
ist die Bezeichnung des Elefanten bei den Indern und doch wird gleich 
hinzugefügt: a voee barrua voetUur, Sollte wirklich Isidor das indische 
bdrhaH gekannt haben? 



94 V. Abhandlang: Riehter. 

aus herlar zu belare'^ vgl. auch sp. berrenchin das BrllDsteln 
des Wildschweines lyon. herlö brüllen (Herzog, Dialekttexte). 

Schon Ascoli (AG II 379) hat den Parallelismns ins 
Auge gefaßt, den das spätlat. ragire zu rugire bildet. Doch 
war ragire damals noch nicht belegt and &- wurde mit Diez 
als ^malender Vorschlagt angesetzt. Parodi (AO XV 61) stellt das 
Thema brag = brug auf, im Anschluß an engl, brag, kymr. 
bragal. Vgl. auch D.-H. zu bruire. Wir haben ragit pullus (Q III 
432. 15), abiragat • rugit (V 490. 2, nach Goetz emendations- 
bedürftig). Wie bur^re -f- rugire, wird auch burire + ragire 
Grundlage einer größeren Sippe: frz. braire^ obw. bargir^ 
bragir oeng. bargir weinen, bargada ausgelassene Leute 
(neben brigada in anderem Sinne, Gärtner Z. XXV 619), vegl. 
brdgul (Bartoli II 175) agen. braci Geschrei (AG XV 49) 
piem. bragi schreien braj der Schrei etc. etc. Das spätgr. 
ßgä^w stellt im Grunde auch bragio vor. 

Rugire und ragire verhalten sich, soweit sie nicht be- 
grifflich zusammenfallen, so zueinander, daß rugire das dumpfe 
Brüllen ausdrückt, ragire hingegen das helle Schreien bis zum 
Wimmern, Piepsen. Im ganzen stehen folgende Wortpaare 
neben einander: 

rugire — ragire 

burrire — barrire 
burdire — bardire 
gurrire — garrire 

von denen nur rugire und garrire klassisch lateinisch sind.' 



' Di« gleiche Bildung tod bruire und braire wird natfirltch nicht in Zweifel 
gestellt durch die jetsige Verschiedenheit der Betonung heider WOrter, 
die nur dem allgemeinen fransdsischen Sprachgebrauch entspricht; da- 
nach wird ja der Ton im «»-Diphthong vorgeschoben, im a«-Diphthong 
surttckgesogen ; Tgl. einerseits aiguäle^ andererseits e^tne, maUrt etc. 

* Qurrire ist erst aus germ. gurr^ (gurren, gorren) gebildet worden und 
im Romanischen siemlich yerbreitet: sia. gwrrvUari wehklagen (yon 
Tauben) ss tubare prv. gourri gourri (-cuj Laut um die Schweine lu 
rufen prr. gourrUuLa grogner frs. gournal prr. goumau mlat ^ip^ 
narduf Knurrhahn fra. gourUm^ gcrlon bourdon Hummel (Rolland II 275), 
frz. gorrt Sau pry. gorrin (cat. gftrri) auch Ton Dies au gurren ge- 
stellt afrs. goumm^ gorren^ goron Schwein (vgl. S. 12,21). EU ist nicht 
recht klar, warum man das Schwein in eine Sippe bringen sollte, die 
,rot' bedeutet, wie Nigra AG XV 114 tut Eine Beseichnung nach 



Die Bedeutan^sgesohichte der romanischen Wortsippe bur(d). 95 

5. Der Bedeutungsübergang von lauter Tongebärde zu 
drohender Handlung^ vom Schreien zum Zanken, Streiten 



dem Qmnsen hingeg>en läßt sich rechtfertigen. Oorron yerhHlt sich zn 
^rrire wie grognan zu grunnire. Eine Reihe von WOrtem anderer Be- 
dentang bilden so eigentumliche Parallelen zn iur-, daß ich sie hier 
— vorgreifend und rekapitulierend — zusammenfasse: (Q V 298. 66) 
goröt (garw) liquamen, 67 goridtu rigidus (G VI bessert zu gelidut\ 
konnte man nicht lieber liqfujidiu lesen?). Oour, gourp WassertUmpel, 
Graben, it. gora Mühlgraben ven. goma südtt. guma (Morosi, AG XII 
N. 160 ,deposito d*acqua) n. a. von Diez zu mhd. touore Damm zum Ab- 
leiten des Wassers gestellt lang, gourelä {= boureta, baretä) den Teig 
zu stark anfeuchten, so daß man Mehl nachschütten muß, Tgl. 8. 24, 
lang, gourrina gourä frz. gourrer jemand betrügen vgl. S. 48, 61 und 39, 82, 
anch herumirren, battro le pavS prv. gourrin Vagabund, Libertin vgl. 
S. 53, 33 siz. gurriari gurgeln Tgl. S. 108 lang, gour Krug, Wasser- 
kübel 8. 109 (G V 299. 22) gurgo garrulns Tgl. 8. 104 sard. gurdoni = bur- 
dorn die 8terne im Orion Tgl. 8. 63, 31 prr. gourrau schwarz (negre 
coume un gourrau) = baurrau 8. 11, 6 frz. goumian Klotz 8. 60, 13 67, 
69 sard. gurcni u. ft. Geschwulst 8. 42, 43 rom. gor trübe vgl. 8. 47, 
lang, you^timo«, gagoumas Aschenkasten des Backofens Tgl. 8. 70, 10 u. 11. 
Dieser Reduplikation liegt, wohl gemerkt, keine Tonmalerei zugrunde. 
Bei folgenden Worten hat schon Nigra (AG XY 114) auf die Analogie 
zn hurra hingewiesen: oberit gurra it. gorra siz. agurra vurra prT. 
gourro Weide; rom. gor rötlich Tgl. 8. 11, 6 sp. gorrion Sperling Tgl. 
8. 11, 10 gorro Mütze Tgl. 8. 30, 11. Für diese letzteren zieht 8chachardt 
(Z. XXX 212) bask. gorri in Betracht; die an derselben Stelle Torge- 
brachte Vermutnng, in gorra Weide (und daher gor rOtlich) stecke augu- 
rium^ ist Torlänfig noch nicht ganz überzeugend. 

Über Kreuzungen der Stämme hur^ und gur^ sowie über Redu- 
plikation Tgl. 8. 111 ff. 

Man wird zugestehen müssen, daß diese mannigfaltige Verzwei- 
gung mit der Ton hur- die auffftlligste Ähnlichkeit hat; lassen sich die 
tonmalenden Bedeutungen in beiden Stämmen aus dem Klang der 
Wörter erklären, so Tersagt dieser Schlüssel bei gur wie bur für den 
größeren Teil der aufgeführten Worte. Es scheint mir aber, daß wir 
zum Verständnis des Vorganges Ton den Ausdrücken für tönen 
ausgehen und daher in Betracht ziehen müssen, daß das Volk die 
etymologisch Terschiedenen Stämme nicht scheidet. Es hatte burdu$ 
und gurdua (gurridut) trag, gurrire und burrire tonmalende Verben 
nebeneinander und bildete so die Analogien weiter zu burdut-burui 
(Rohr, Weide), burdus-burrw (Tier), burru» (rötlich, grau) usw.. Tgl. 
oben S. 13; sie alle werden auch mit g- Tersehen, auch sie bald mit ü, 
bald mit ü. Die lautphysiologischo Beschaffenheit der Silbe kann das 
Ihrige daza beigetragen haben; wir beobachten ja nicht selten, daß b Tor 
II zu ^ wird. Aber wenn wir ähnliche Parallelbildungen beim o-Stamm an- 



96 y. AbhandlQog: Richter. 

findet sich in unserer Sippe öfters. Er ist von den verschieden- 
sten Seiten her zu konstatieren. Neben lärmendem Überfall 
gibt es nun noch das angsterregende fterSasch: 

1. als Nebenzweck, wie bei gewissen Jagdarten , so ist 
z. B. frz. hourrie eine Art Wachteljagd mit Netz, welche 
ihren Namen offenbar vom Aufscheuchen der Vögel hat, 
vgl. noch dt. burren, purren in der letzteren Bedeutung. 

Dann aber auch 2. als Zweck an sich, ausschließlich um 
Scbreeken einzujagen, z. B. berg. sborä piem. sbürdi spau- 
racchiare im. burida panischer Schrecken. Daher die vielen 
Wörter, um unruhige, ungezogene Kinder zu schrecken und 
Ausdrucke flir Teufel, zumeist aus der Einderstube. 

6. Die Teufelsaasdrficke können von zwei Seiten her 
erklärt werden: von Schreckgespenst < Maske, vgl. S. 79,9 
und vom Verb des Tönens. Ein dumpfer (unheimlicher) Ton, 
der andere schreckt, dient zur Bezeichnung des schreckenden 
Wesens, vgl. unser österr. Wauwau = Teufel, böser Rupprecht 
(Kindersprache), der als Babau auch fUr die romanische Jugend 
existiert (vgl. übrigens Thumeysen, Keltoroman. 48 cymr. braw 



treffen, wo diese Uatphyiiologische Forderung fehlt, mOnen wir eine andere 
Erklftmng suchen. Denn wie neben ftur- gur^ steht, so neben bar- gar-z 
Auch das Wort garrire hat in nachklassischer Zeit riele Sprossen 
getrieben, die es eng mit unserer Sippe rerbinden. Hier nur noch 
einige Andeutungen: garrtdu» geschw&tsig, tosend (rom Bach), ^orrUi»; 
garut (Heusehrecke) garris =s läppisch sind aus der Zeit des klassi- 
schen Lateins belegt; dann aber haben wir Q n 32. 18, garrU tplva^ftV 
(nugatur), dSoltax^i U 218. 68; weiter: G IV 846.6 garrU' gaudit, also 
wie burdÜ ' exsultat gargäro stark schreien it. garrire keifen, wäh- 
rend garoto s&nkisch (nach H.-L.) ani gara surflckgeht, Tgl. 8. 106» afrs. ga* 
ruehe moulinet S. 108 In. gar Kater prr. garri schlechte Laune (Sain^n, 
Cröat. metaf. 68) lang, gargavü Kehricht und gargatiUo9 Ausgesiebtes 
(criblures) S. 87 Xkig;r. ydqyoQU Gewimmel, Haufe S. 72 u. 114 Span. 
garUio Weidennets 8. 66, 20 Aunis (Meyer) garguena Kehle = gargaUa, 
Für die ersten der angefahrten Beispiele kann man eine fortlaufende 
Bedeutungsreihe entwickeln: Schwitzen > läppisch reden > läppisch 
sein > jung sein >> froh sein. Aber zu Windstoß — Keifen — Keh- 
richt — Gewimmel kommt man dabei nicht Deswegen scheint es mir, 
als ob diese WOrter, sowie die eben besprochenen gur^, 6tir» Parallelen, 
durch das Nebeneinander von 6ar- und gar- in tonmalender Bedeutung 
herrorgerufen worden wären, wobei gewiß das Übergreifen Ton gmr^ 
auf ursprfinglieh 6i«r* lautende WOrter auch noch Torbildlich gewesen ist. 



Die BedeatnngsgeBchichie der romanischen Wortsippe hur(d). 97 

schrecken). Den haraban (Val di Taggia) mit einem Sacke 
(Ur angezogene Kinder. Caneo harahan (auch malaman) Pole- 
sine harahabau etc. stellt Nigra (AG XIV 344 — 5) zu rapa 
(mit Metathese) ^der Geschwänzte'; begrifflich möglich, lautlich 
nicht überzeugend; piem. barabio ven. barabao Teufel; bret. 
Barbaou = böte noire leitet Henri aus Barbe-bleue (!) ab. 
Berg, barabtio bao babao Schreckgespenst für Kinder. Frz. 
Barabaa bei M. A. De Chesne (Dict. des Sup. Pop.) Name des 
Teufels, unter dem ihn die gefangenen Hexen anrufen; ,par 
dödain' fügt der Verfasser seltsamerweise hinzu. 

Berg, berlic berlichete Dämon, Teufel, Irrwisch, fa berlic 
berloc rasch etwas zeigen und nachher etwas anderes, vgl. piem. 
per virtü d'berlich e berloch durch Zauberei. A bUrlic ,wenig, 
in geringem Maß' aus der Vorstellung des Zeigens und wieder 
Verschwindenmachens; gehört di da mangi a berlic hierher und 
nicht zu ,Lappalie' (vgl. S. 36, 22), so heißt es : jemand zu essen 
geben, indem man's ihn gerade nur sehen läßt, ,daran riechen 
läßt', piem. bergnif Teufel ; hieher vielleicht frz. envoyer quel- 
qu^un au bemiqu^t = zugrunde richten^ il est au bemiquet 
er ist ruiniert. Endlich sei noch erinnert an Hesychios 831, 
819* ßoQQäg = äveixög \f)v%q6q . . . XQoni.%Qg TiaXovfxsvog 
diißolog b naqä %o bqäad'ai ifcide^iwg. Bedenkt man nun, 
daß Boreas stets stark bärtig und oft mit wirrem Haupt- 
haar dargestellt wurde, so ist das Bild des leibhaftigen ,Wau- 
wau' gezeichnet. Damit schließt diese Wortgruppe auch an 
die von reburrue hergeleitete an, vgl. S. 31, 14. 

Einzelne Ausdrucke haben eine etwas modifizierte Be- 
deutung: 

8. piem. barabau Vogelscheuche; 

9. toul. baraban faiseur de bruit, brouillon; 

10. triest. baraba schlechter Kerl (Ötrekelj DAW, L 7) 
prv. baraban (-as) Schelm, Roßtäuscher, dummer Kerl, der 
sinnlos spricht, prv. barrusco maquignon, eine Kreuzung von 
bar und bruscus] 

11. berg. baraba barabot Gassenjunge kann auch ein- 
fach als Lärmmacher, Schreier aufgefaßt werden, vgl. oben 
baraban (Nr. 9). 

Daß der biblische Barabbas nur einwirken, aber nicht 
Ausgangspunkt der Beziehung sein kann, ist auf der Hand 

8ittaaftb«r. d. phiL-kiit Kl. IM. Bd. 5. Abb. 7 



98 y. Abhandlang: Richter. 

and ist auch schon bemerkt worden. Im Thes. finden sich Be- 
lege für die Skansion Bäräbba\ aber die innere Unmöglichkeit 
ist natürlich gewichtiger. 

IV. Sammen^ Surren. Da ist das lat. hurdit rpr^griq 
(GII, 61, vgl. S. 38, 29)^ nochmals zu erwähnen. il^Qtiq findet 
sich weder bei DC noch bei Stephanas. Es ist wohl zu tf^al^ zu 
stellen: reiben, schaben, das entsprechende Geräusch erzeugen; 
rascheln, säuseln, flüstern (Passow). xpdQ jon. xpr^Q der Stahr. 
tpaiQü) = riv&aaw u. a. blasen, anfachen, pusten (schütteln, er- 
schüttern) stridule agi \f)Aqog = Ta%iq (Stephanus). Also jedes- 
falls: ein Geräusch erregen. Engl, bur surrendes Geräusch, 
das Schnarren des r, to bur dieses Geräusch (das r) erzeugen, 
Schott, birr summenden Lärm machen [z. B. vom Blasebalg] 
bret. bouder (Chambure 102) summen, wegen des Ausfalls des 
r vgl. die r-losen Formen für bourde Fest S. 77, 4.* Dauph. 
bordeiri das Summen der Fliegen Wallis. (Gauchat) bordanä 
leise singen, leisen Lärm machen, summen waadtl. (G) bor- 
dunä u. a. Freiburg (G) bordi das Quaken der Kröten und 
Frösche, it. buriasso SoufSeur ,der Flüsterer^ (übrigens auch 
Herold, ,der Ansager'). Frz. bourdir (Z. XXVIII 586, Baif 
II 282) kann das ,verliebte Flüstern' bedeuten, gael. bürdan.^ 
Frz. bourdonner summen (auch Melodien) afrz. bourdon = 
bourdonnement Ohrensausen und Cons. nenne ich zuletzt, da 
man formell nicht entscheiden kann, ob sie nicht aus dem Subst. 
bourdon = Hummel abgeleitet sind, llatürlich kann ganz 
ebensogut z. B. bourdon = Ohrensausen deverbal zu bour- 
donner sein und bourdon^ das Tier, nicht minder, vgl. unser 
,Brummer' = Brummfliege. 

Prv. boumion (bom- boun-)^ boumay Bieneiischwanil 
kann aus den gleichlautenden Wörtern für Bienenkorb ent- 
standen sein (vgl. , Frauenzimmer'); doch ist der Bienenschwarm 



' Forcellinis BeMerung ^rignif ist wohl abiulehnen, da auch ^i^pro o^viov 
stnrnua (Q II 480) belegt ist. Buecheler bessert za cntt^rf . 

* In Anbetracht dieser r-losen Formen fttr swei von einander so nn ab- 
hängige Bedeutungen wie Seheiterhaufen und Summen, ist es yielleicht 
gestattet, das bret boudedeo = Ahasver hierher su rechnen und als 
fPilger*, Wanderer xrer* i^o^riv zu deuten (Henri erklärt ,qui butat Deum'). 

' Daher vermutete Littrö keltische Grundlage für das gaelisch— englisch — 
französische Wort 



Die Bedeutangsgeschichte der romanlBeheD Wortsippe burfd). 99 

jdas Summende' par excellencei vgl. ßofißökrj cuIex, ßö^ßrjaig 
examen apum < ßofißahw -ßd^w susurro (Steph.). Aus bour- 
danner summen (der Fliegen) entwickelt sich die Bedeutung 
yZadrlDglicli sein^ 

Bern. (Gauchat) hrond^n^ und Neuenburg brondnd = bour- 
donner, sowie brondon Hummel zeigen eine StammveränderuDg, 
die an it. brontolare erinnert. 

V. Schwirren, barrit- rgiter eXeq)ag ßoa (GII28). Tgi^tj 
schwirren von Fledermäusen^ feines ; undezidierbares; durch- 
dringendes Geräusch, Knarren auch von gefeiltem Eisen etc. 
(Paaaow); frz. bourrir (DH) afrz. burir schwirren mit den 
Flügeln beim Auffliegen (von Rebhühnern) dt. burren purren^ 
(von Rebhuhn und Maikäfer, vgl. Schuchardt, Z XXIV 417). 

Hier ist wohl die bourrie einzureihen, ein Tanz, bei dem 
die in einer Reihe vortretenden Tänzer die ihnen entgegen* 
kommenden Partnerinnen an der Hand fassen und im Kreise 
um sich selbst drehen lassen: sie machen also den Elindruck 
des Kreisels, vgl. Gruppe VI^' B 12 (S. 103); indes ist mir 
vorläufig ein entsprechendes Wort für Kreisel oder kreis- 
drehen nicht vorgekommen. Jedesfalls aber kann das froufrou 
der fliegenden Röcke an das Schwirren erinnern. Die Ab- 
leitung aus einem Musikinstrumente, zu dessen Tönen getanzt 
wird, wie dies von der Musette, der Gigue u. a. gilt, wäre 
natürlich an sich möglich ; aber abgesehen davon, daß auch hier 
eine entsprechende Bezeichnung fehlt, ist das im Kreise drehen 
der Tänzerin das eigentliche Charakteristikum der bourrie und 
so wird sie wohl danach benannt sein. 

VI. Hier wie oben bei bourdon kommen wir zur Beob- 
achtung des sehr gewöhnlichen Vorgangs, daß der Tonerzeuger 
nach dem Ton genannt wird, den er hervorbringt. Wir unter- 
scheiden in unserem Falle zwei Gruppen von Ableitungen, 



' Barren ,dM in Form nnd Bedeatnng Bchwierige Verb, das man zn baren 
{<. burkm) stellon sollte' (Grimm), zeig;t eine ganze Reihe von Bedeu- 
tangen wie seine romanischen Verwandten: heulen yom Winde, Tgl. 
dazu mndt. Lübben -Walther) bordot ohne Wind und Wellen; klagen 
Ton Tauben; schwirren Ton Schmetterlingen und Käfern; bur^n 
(Bauer, Waldeckisches Wörterbuch) mit Geräusch auffliegen; rauschen 
des Wassers; antreiben » hetzen. Liegt eine Entlehnung aus dem 
Romanischen Tor oder UrschOpfung? 



100 V. Abhandlang: Bichtar. 

je nachdem es sich um belebte oder leblose ^Tonerzenger' 
handelt: A. Tiernamen und B. Werkzeagbezeichnnngen. 
Auf das eingangs Gesagte (S. 7) bezugnehmend j bemerke ich, 
daß nach meiner Vorstellung diese Sprachgebilde nicht anders 
entstanden sind als alle onomatopoetischen Schöpfungen , nur 
eben daß das Sprachmaterial ^ aus dem sie gebildet wurden, 
bei ihnen ebensowenig als bei der Bezeichnung der Musik- 
instrumente, eine rein primäre Schallnachahmung ist, sondern 
durch die Pflanzenbezeichnung unterstützt wird. Diese letztere ist 
eine primäre Bildung, wird auf die Musikinstrumente naturgemäß 
übertragen und von da werden so und so viele andere Dinge, 
die ebenfalls den ähnlichen Ton erzeugen, per analogiam benannt. 
Diese ausgedehnte Analogiewirkung ist aber nur dadurch mög- 
lich, daß die sekundären Bildungen in fortwährend gefühltem Zu- 
sammenhang mit den onomatopoetischen Urschöpfangen stehen, 
deren Lebenskraft unausrottbar und international ist. 

A. Tiernamen. 1. Hummel: Burdo = attica in den 
Glossen: frz. bourdon Cdte d'Or bodiorif bondon (Rolland III 
274) Vosges (ebd.) boudon Fr.-Comtö Bern. (Gauchat) hron- 
don vaud. bordon (Z Fr. Spr. L. XXV 70) cat. burinot rum. 
bärdäun bärzäun u. a. (vgl. Schuchardt, Z XXIX 224). Eine 
weitere Übertragung ist mont. bourdon =: orchis ophris nach 
der fliegenähnlichen Form der Blüte. 

2. Biene: prv. bourdoun (und zwar die männliche, nach 
Mistral). 

3. Ochsenbremse: poit. buret burin burgau cat. borla 
burinot engl, burrelfiy engl. dial. borrill berril. 

4. Summende Fliege: dauph. bordelri] Fleischfliege: 
Neuenburg (Gauchat) borddn. In diesem Zusammenhang mag 
auch alb. murjete grosse Pferde fliege genannt sein (von 
Meyer £W zu it. morello oder sp. buriel etc. == rotbraun 
fragend gestellt). 

5. MaikSfer: Bresse bordiaine bourdiaine borg, bordö] 
bei Diefenbach brugus. 

6. Span, brilleto Bohrkäfer gehört wohl eher unmittelbar 
zu buril Bohrer. 

7. Insekt: Berry rom. Schweiz bordon Onsernone (AG 
XU 392) borda ptg. borboleta] vgl. afrz. barbelote (God.) 
lyon. barbirote morv. barboulotte (Schuchardt, Z XXVI 395 



Die Bedontangsgeschiehte der romanischen Wortsippe burfdj, 101 

stellt barbelote y bärbel etc. Kornwnrm, schädliches Insekt zu 
germ. werr) span. berdin Rebenstecher. 

8. Schmetterling: ptg. borboleta (Const.) lucch. burban- 
dola (Pieriy Z XXVIII 463 ^come a dire la ronzante' und zu 
bnrbanza = bombanza gestellt ^per dissimilazione'). 

9. Lerehe: bardala (G II 28. 25) bardaia (III 361. 20) 
hardea (III 361. 14) lang, bardal (Mistral). 

10. SammTOgel (Kolibri): frz. bourdonneur (Sachs). 

11. Ente: Qruy^re (Ro. IV) burita cane frz. boure (Qod.) 
weibliche Ente bourote Küchlein. Die englische burrow-duck 
jetzt zu ,burrow' gestellt, wo sie ihr Nest macht, könnte wohl 
auch hierher gehören and ursprünglich eine Bildung wie dt. 
Kriechente östr. Königlhase (= lepus cuniculus) sein. Engl, 
dial. burrian Tauchervogel. 

12. BIr: afrz. morv. brohon brohun broion zu afrz. brayon 
< bracio (Greg. v. Tours); es kann von bur- seine o-Form 
bezogen haben. 

Einwirkung von bur- ist auch möglich in nordostit. 
bretpa = vespa (auch bespra). Hesychios ßoQvaxog äol. ftvQ- 
^axog usw. für ßdtQaxog, wozu mlat. bruecua Frosch ngr. 
lirtQÜtnux rum. broasca alb. breike (Meyer EW) Schildkröte. 

B. Werkzeagbezeichnungen. 1. Ebenso natürlich wie 
beim Tier ist die Namensübertragung beim Werkzeug. Vor 
allem liegt es nahe, an die Ausdrücke fUr bohren zu denken 
und ihre u-Form aus bv/r- oder durch Einfluß von bur- auf das 
germ. boran zu deuten: 

it. burina neben borina piem. burin = bulino, burini 
bohren siz. burino Grabstichel (Biundi) burinari Werkzeug 
zum Einschneiden (Traina) frz. burin cat. buri ptg. buril 
neben boril Stahlwerkzeug zum Ziselieren burilar gravieren 
ptg. burato Loch (Pinol) gall. (Rev. Lus. VII 205) burato agu- 
jero engl, burdrill neben to bur (schott. birr) schnarren engl. 
dial. to burrowy boral Bohrer; nit. burcaj Metallbohrer wurde 
schon S. 58, 78 erwähnt ; es gehört offenbar zu burca Stock mit 
Eisenspitze; vgl. nun noch alb. burgi (Meyer EW < türk. 
bürge). In diesem Zusammenhang kann auch frz. brequin 
(Doutrepont Z. XXI 231 < fläm. borkin) ptg. berbequim ge- 
nannt werden, letzteres mit Reduplikation des b (vgl. S. 111 ff.) 
sp. berjxlla Kratzeisen für Schuhe sard. berrina barrina cat. 



102 V. Abhandlnng: Richter. 

barrina sp. barrena stellt Diez zu it. verrina, während er für 
ptg. verruma Einfluß des arab. bairam etc. annimmt. Porru 
stellt noch sard. burina ptg. barruma zu derselben Gruppe. 
Die portugiesischen Wörter haben mit ihrem -m- gewiß noch 
einen fremdländischen Einfluß erfahren , burina aber gehört 
natürlich in die eben angeführte Reihe; bei den Wörtern mit 
barr- < verr kann die lautliche Umgestaltung immerhin durch 
begriffliche Einwirkung unterstützt worden sein, so z. B. könnte 
verrere >• barr er wegen des spezifischen Lärmes, den das 
Fegen macht, hier genannt werden, aber auch durch das 
Material, aus dem der Besen gemacht wird, beeinflußt sein, 
vgl. frz. balai] ptg. barbasco Wollkraut < berbascum ist 
gewiß durch barba beeinflußt, langu. baroul barren = verrouil 
= Biegel aus einem Holzstäbchen, vgl. S. 56, 62. 

Im Bardischen sind drei Stämme nebeneinander: berrinäi 
barrinäi burinäi. 

2. Da Bohrer und Schraube nahe zusammen gehören, 
wird die Bezeichnung von jenem auf diese übertragen ; so alb. 
burgi neben burma (nach Meyer EW ebenfalls aus den tttrk. 
burma, dazu birB Loch). 

3. Gat. brugidor brusidor Instrament zam ftlassebneideD 

sp. brujir. 

4. Das Verb für polieren zeigt durchwegs die Form &tim- 
neben brun- und ist jedesfalls durch bur- beeinflußt: afrz. bumir 
(DG) burnoyer ptg. bornir bomidor bornido piem. bumi berg. im- 
bömi imbümi mgr. ßovQT^lleiv ngr. ^ttovqvIqw (Meyer Ngr. IV) 
prv. bami (Mistral). Da es sich in erster Linie um polieren des 
Stahles handelt, ist die Vorstellung des Lärmes beim Schaben, Rei- 
ben wohl imstande, die Benennung der Tätigkeit zu beeinflussen, 
um so mehr als brun nirgends die Bedeutung ^glänzend' bewahrt. 

5. Haspel, Winde: Ard^che bourboneiro (Schuchardt an 
Mussafia 23) it. burbola Drehbank, (von Seh. a. a. O. zu gyr- 
gillun gestellt), piem. burbora it. burbera gall. burro Winde, 
an der der Kessel hängt. 

6. Kran: piem. burlora. 

7. Berg. bureaneU = boncinelle, eiserne, mit Holz- 
Zylindern überzogene Speiehen (zum Abspinnen der Seide). 

8. Afrz. brunau (Rom. XXVIII 121 v. 86) Kratseben 
(ratoire). 



Die BedeutangageschichU der romaniachen Wortsippe ImrfdJ. 103 

9. Bagnes (Ro. VI) baranye ZlmmemiaililSSSge. 
Lang, bourelaire Arbeiterin, die Flockseide mit der Karde 

bearbeitet (= Wollkratzerin) gehört jedesfalls zu burra, und 
baur^üu Arbeiter an der Ölpresse zu ,Re8t' S. 35, 22. 

10. Kreisel: bourdufo, bourduflo und andere Varianten 
des Suffixes (Mistral) bourdet bort; sard. baraliccu Drehwirbel 
(Porru). 

11. Die Verba für Mehlsieben, Hehlbeateln it. burat- 
tellare span. brutar bret. burutel = blutoir afrz. blutel 
meas. bertd tamis pour la farine, Bagnes (Ro. VI 375) bora- 
teyre etc. gehören alle zu buratto, dem groben Stoff, aus dem 
der Mehlbeutel gemacht wird. Lärm und Bewegung des 
Mehlbeutels sind aber in die Augen fallende Merkmale und 
so werden sie als Ausgangspunkt der Bezeichnung angesehen, 
die dadurch recht charakteristisch ist für die Kreuzung der 
verschiedenen Begriffe. Burattare erhält die allgemeine Bedeu- 
tung schwirren, surren, vgl. S. 98, und von da wieder können 
wir einzelne Spezialisierungen auf Werkzeuge mit ähnlichem 
Klang verzeichnen, so 

12. Ven. burato ngr. (Meyer Ngr. IV) fiTtovQccro Eaffee- 
brenner. (Im Neugriechischen wird in Anlehnung an das Mehl, 
wenn es aus dem buratto kommt, noch eine andere Begriffs- 
übertragung gebildet: 13. fiTtovQha Streusand.) Ähnlich wird 
frz. brennage zu barn- bomage verändert. 

Bar-Formen: aprv. barutelar afrz. bartteau Sieb lang. 
barutel Instrument qui marque par le bruit qu'il fait k chaque 
tour de la meule la lenteur de celle ci (ciaquet); von da weiter 
zur Bedeutung: 14. Schwätzer. 

VII. Von summen kommt man zu mnrmeln, leise reden 
(auch murmeln der Quelle, ,schwätzen wie ein Wasserfall'); 
heimlich reden. 

A. Alb. me raa burii: Geheimnisse ausplaudern, wieder- 
sagen cat. brugir flüstern fer burgia Aunis (Meyer) berlander 
Nachrichten verbreiten lang, barja (schwätzen) klatschen calvad. 
bemotter murmeln berg. bomisott angenehme Unterhaltung: 
wie es scheint, leise surrende Stimmen im Gegensatz zum Lärm 
beim Streiten. Man sieht unwillkürlich die sich zueinander beu- 
genden Köpfe vergnügter Klatschbasen. 



104 y. Abhudlang: Bichter. 

B. Von da weiter Schwitzen, welche Bedeatnng sich in 
einigen der eben angeführten Wörter auch schon findet: her- 
notter (Querlin de Guer) lang, barja prv. barjado jaserie 
alp. barjac Schwätzer. 

Mit dem Stamm bert'(d) ist eine ganze Reihe von Wörtern 
gebildet: südlothr. (R. d. Pat. III 192) berdona in den Bart brum- 
men, fiandr. (Verm.) berdeler murmeln, vgl. dazu mont. verzeler 
schwätzen, faseln (nach Sigart zu flandr. verteilen afrz. ver- 
seller alternierend Verse hersingen) alb. ververe Geschwätz 
(nach Meyer EW < türk. verver , verglichen zu epir. iinaq- 
liTtaq'tQiü schwatze) beriet (Rossi) Ruf, Schrei, Fama; mebertit^ 
me britt rampognare gridare riprendere. Das berg. menä la 
berta (batola) = Klapper, wie piem. buta berta n sac schweigen 
gehören zu berta Elster. Es wäre indes auch möglich, daß berta 
Klapper, Schnarrinstrument Ausgangspunkt für alle Bedeutungen 
wäre. Piem. mnl la bertavella (und von da bertavle) schwätzen 
ist, da bertavella auch Rebhuhn bedeutet, ein heiterer Euphe- 
mismus wie etwa came di lodola. 

It. berlingare schwätzen Rouchi berUk Schwätzerin (nach 
Doutrepont Z XXI 231 unbekannter Herkunft) gehört wohl zu 
den Ausdrücken für kleine Glocke, vgl. S. 89. 

Schwätzen ist nicht nur viel reden, sondern auch rasch 
reden. Von da entwickeln sich wieder mehrere Vorstellungs- 
stufen : 

In malam partem: 

1. Dummes Zeug plappern, undeutlich, kauder- 
welsch reden, auch tibertragen auf undeutlich reden infolge 
eines Sprachfehlers: fvv.bardouia ^lem. berdouja frz. 6r«- 
douiller engl, barrikin gen. barbaggiä usw. Der Einfluß von 
barbarus, dessen ursprungliche Bedeutung ja wohl auch nichts 
anderes war, ist natürlich nicht zu verkennen. Eine eigen- 
tümliche Verquickung unserer zwei Stämme zeigt barburrus^ 
Var. L. zu baburrua ineptus stultus (G IV 599. 1) und bubarrus 
V 493. 17. 

2. In bonam partem: 

Da ist rasch reden das Zeichen der leichten Zunge, 
des schlagfertigen Geistes, und wir kommen zu der Be- 
deutung zierlleh, witzig reden: 



Die Bedeatungsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(d). 105 

Alp. (Nie.) bardzar ,parler' sard. barzelletta berg. barze- 
Uta angenehmes Witzwort, Spaß, Scherz rom. barzaletta gen. 
laTBeUUa Posse afrz. bardeler barzeler zierlich plaudern u. a. 

Eine Ableitung hiervon ist weiter ven. barzigola leicht- 
fertiger Mensch. Vielleicht ist berg. baraca baracada heiteres 
Mahl, ribotta, and davon baracher := Godimondo, Buontempone 
auch noch her zu rechnen. 

C. Brummen; Zanken. Sammen und Brummen sind 
gleich. Ins Menschliche übertragen ist es ,tadeln^ In den 
Bart brummen, schelten: frz. bourdonner waadtl. (Gauchat) 
bordona Neuenbürg bordnä bäarn. brouni'^ Corbaz bordon 
Brummbär, brummiger Mensch prv. bourgnaire bondeur 
Semur (Roll. Faune pop. II 275) bodion mürrische Person {eile 
bodienne) also bourd -|- Jowd-; em. buridon Tadel, Drohung fer. 
burir sich erzürnen und noch andere Wörter der oben er- 
wähnten Gruppe (S. 92, 3) haben auch diese Bedeutung. Es gibt 
aber noch eine große Anzahl von Ausdrücken für schelten, 
keifen, zanken vom Stamm bar (ber) und im Anschluß daran, 
wie natürlich, eine Reihe von Schimpfwörtern. 

Shetl. bard Keiferin, Zänkerin engl, barrator Zänker, 
to barrat] norm, barata (Du Meril) Kampf bartous lärmend 
kampflustig afrz. barate Schlachtgewirr (die letzteren wegen 
des -at' fraglich). Das schon besprochene barrus Lästermaul 
(Horaz) vgl. S. 93. Berg, braa schreien, jemand Vorwürfe 
machen. Hier ist die große Gruppe fiaruffef einzureihen: 
piem. baruf rabuffo berg. barabuffa ven. baruffa und das 
Verb barufäy prv. barruf aut] daß im zweiten Kompositions- 
gliede longb. *rauffan = ahd. roufan vorliegt, erwähnte schon 
Diez. Es fragt sich, ob wir das erste Glied unter ,ver wirren* 
einreihen sollen, dann ist baruffare ein Übersetzungskompositum 
wie Oerfatuc, Linguaglossa etc., allerdings von etwas eigentüm- 
lichem Charakter: die zwei gleichbedeutenden Wörter haben 
eine Mischung ergeben wie cominciare. Dabei ist noch zu 
bemerken, daß raufen ja ganz dieselbe Bedeutungsentwicklung 
aufweist wie das keltoromanische Wort: raufen = auseinander 
Btrehlen, in Unordnung bringen (zer-), gewalttätig vorgehen, 
streiten. Nach Schuchardt erlitten diese Worte Einwirkung 
von Berecynthia (Z XXVIII 154). Mir scheint die ganze 
Gruppe eher zu der hier besprochenen ,Zank' zu gehören. Zu 



106 y. Abbandlong: Richter. 

nennen sind noch ven. harafusolo < baruffe + fuso (fundere) 
Stimmengewirr ptg. harafunda sp. it. baraonda gen. baranda 
lang, baral (varal) Konfasion, Bewegung etc. frz. parier ä la 
barrette de q, q. jemand den Kopf waschen gehört wohl aach 
her und ist wieder ein heiterer Euphemismus; baroyer barroyer 
seine Meinung sagen wird unmittelbar zu bareau gehören: der 
Gegenpartei erwidern; cat. barallar Vorwürfe machen, barayar 
streiten siz. barrusculi Schläge, Stöße, ,Keilerei^ Zu afrz. ber- 
ruier ist die Nebenform barruier von bar- beeinflußt. Mit Stamm 
ber: gall. berrear verklagen, angeben (von Schulkindern, Rev. 
Lus. III 203) afrz. berele Streit, Gezänk, Wirrwarr Pic. 
(Roubais) berdoul Keilerei = frz. bredouilh mess. (Ro. V) 
berten'ä brummen, zanken mont. berdeler = berdeller wegen 
der Bedeutung zanken von Sigart zu flandr. bedillen = kriti- 
sieren gestellt vend. berlauder zanken schreien berg. sberlef 
Beleidigung sberleffare = sbergnä mit reduplizierendem b: piem. 
berbot berboli zanken it. birbo. Sollte frz. breite Hieber, 
Schläger aus berte = Stecken abzuleiten sein ? Vgl. S. 49, 8 ff. 
bretteur Streithahn (Dict. des Prov.). 

Zanken schließt die Vorstellung eines wirren Llrm6S, 
Getöse von Stimmen in sich: prv. bourjou brujou braujou 
wirrer Lärm, Konfusion bourdoul Tumult, it. biribara Un- 
ordnung, Mischmasch barafuaolo cat. brugit Lärm von vielen 
Stimmen, murmur. Ven. bordelezzo wirrer Lärm berg. bardil 
bordill rom. burdell chiasso frastuono können wie oben S. 64, 14 
erwähnt, aus ^bordelV abgeleitet sein, vgl. aber auch burdeU = 
lärmendes Kind. It. bruscello Lärm, Geschwätz, auch Straßen- 
lled, endlich das frz. brouhaha. 

VIII. Der wirre Lärm nicht mehr unterscheidbarer Stimmen 
führt wieder zurUck zum unartikulierten dampfen OetSse 
und in dieser Bedeutung haben wir eine größere Reihe von 
Wörtern, die natürlich wieder unmittelbar an Summen und 
Surren anschließen und die alle Gradunterschiede darstellen. 

1. Das dumpfe Geräusch beim Zusammenschlagen 
der Hände drückt aprv. bortz manuum sonus (Ro. II. 343) 
aus; afrz. bourbondir schlagen bäarn. brouniüre starker 
Lärm. 

2. Trommelwirbel (DC) burida ,lo sono del timpano^ Ob 
in tanAor unser Stamm steckt, bleibt vorläufig unentschieden. 



Die Badentangsgeachichte der romanischen Wortoippe hur(d). 107 

Wichtig ist jedesfalls^ daß afrz. tamhurch (tambots^ -buis) ein 
Instrument bedeutet, das sich zum ßajol akkordiert: Richard 
de Foarnival, Best. (God.) II est 1 pais la ou li cisne chanient si 
bien ei $i volontiers que qant on harpe devant aus il s'acordent ä la 
harpe iout en autel maniere com li tambuis au flajol. Offenbar 
also keine Trommel, sondern ein Blas- (oder Saiten-)Instrument. 
Die Varianten mit -n zn trommeln : tabomer, taboumer, tabumer 
erklären sich leicht durch Einmischung von bur(n). Bourbour 
ist geradezu ein Ausdruck für Trommel vgl. S. 111; trasm. (Rev. 
Lus. I 204) ataburrar Kindern bange machen ist eine Ver- 
quickung von Trommellärm und Schrecken, unheimlicher Lärm. 
Span, baraganete Polier, Flandr. berdif berdaf berdouf Aus- 
ruf, wenn man eine Tür lärmend gewaltsam aufstößt vend. 
berdassie dumpfer Fall berloquer eine TUr lärmend zuschlagen 
(von Mart. zu loquet gestellt) lang, berloquo Trommelwirbel, 
der die Freistunde ankündigt (Dict. d. Prov.) creol. ber- 
loque loisir, Suspension de travail (Ro. XX 274, Dietrich) mont. 
baue la berloqus den Kopf verlieren; der BegriffsUbergang 
ist wohl der, daß, wenn die Freistunde schlägt, alles ,drunter 
und drüber geht', nicht mehr diszipliniert ist, frz. bedeutet es 
das Trommelsignal für Kasernenreinigung (ebenfalls Sigart). 
Gen. berlendan (Cas.) Ohrfeige mit der flachen Hand. 

3. It. batier la borra vor Kälte zittern, mit den ZUmen 
klappern (im Voc Cr. von Stopfmaterial abgeleitet!) berg. 
barbelä schütteln, rütteln, mit den Zähnen klappern (Elinfiuß 
von barba nach Schuchardt); auch zittern, vibrieren von Sternen, 
daher glänzen. 

4. Vend. berdancer beurdanser mit Lärm bewegen, über- 
flüssigerweise allerhand Dinge bewegen. Der Einfluß von danser 
ist offenbar, vgl. oben berdassie. Rum. a burduca polternd rollen, 
dazu burduz etwas polternd Rollendes (auch hurduz) engl, to 
bur ein Wagenrad durch einen Stein sperren (Murray). 

5. Böam. broumide Geräusch des Hagels in der Luft, 
(Lacombe) brouie kurzer Regen bret. barrad glao großer 
Regenguß gall. barad (Rev. Lus. VII 204) Hagel (bard frio) 
sp. bramar Bollen des Donners vend. berdauder dumpf grollen 
vom Donner; über den Gebrauch von mugire für Donner- 
rollen bei Kirchenschriftstellern, vgl. ALL VI 394. Der Be- 
griffsübergang liegt ja außerordentlich nahe. 



1 08 y . Abhandlnng; : Richter. 

6. Kollern in den Eingeweiden: b^am. brouni ragitos 
in testin oram it. bruire] afrz. (Qod.) bi*ouille Eingeweide (La- 
combe) breuilles haben wohl ihr r daher bezogen; verd.-chal. 
genf. bouri montr. bourri Bauch in der Kindersprache; alp. 
(Nie.) burba panse; sard. murigamentu de brenti^ brenti selbst 
ist natürlich nnr lautliche Umgestaltung aus bentre < venire; 

7. bret. brula erbrechen von kleinen Kindern; breügeud 
(von Henri zu erbrechen gestellt) rttlpsen (aufstoßen) ist wohl 
mit *brugire in Zusammenhang zu bringen, vgl. S. 91 , berg. 
berat rülpsen, rum. boresc erbrechen (von Sain. zu borbet Ein- 
geweide gestellt, wobei der Verbleib des b nicht klar ist); bei 
diesem wie bei den folgenden Ausdrücken kann die Vorstellung 
hervorgurgeln (vgl. die nächste Gruppe) mitwirken. 

Frz. bourdon espfece de grains de Chapelet (La Curne) geht 
wie bourdaine Schießbeere wohl auf , Knallbeere' zurück; vgl. 
aber auch S. 20. 

IX. Besonders zahlreich sind die Ausdrücke f\lr Banschen 
des Wassers. Es ist entweder A. ein Hervorquellen, Her- 
vorgurgeln, das Geräusch des fließenden Wassers, oder B. 
das Rauschen des Meeres. 

A. Hervorquellen (Gnrgeln). 1. Sp. burga warme Heil- 
quelle, von Schuchardt (Ro. Et. II 130) zu burca = cloaca 
gestellt. Vielleicht wäre es S. 24 einzureihen, in der Be- 
deutung (heißer) Schlamm. 

Der Ortsname Sevenbor bei Brüssel = Septem fontes, 
Septimburias bei Donat. Exig. Vita S. Trudonis (DG) alb. 
bur\m (Rossi) Quelle buröii quelle hervor, entspringe; vrujön 
quellen (Meyer EW) vröii das Aufsprudeln des Wassers; 
viro/ie Quelle (von Meyer zu serb. vir Quelle gestellt). So ist 
also wieder Zusammenstoß zweier Formen in derselben Be- 
deutung. Welsh bxcrlymu gurgeln bwrhom das Gurgeln. Ngr. 
ßgvio hervorquellen, ßQvaig Quelle, Laufbrunnen, fiTTQOvaha 
(Meyer Ngr. III) Klystierspritze. Man ist versucht^ auch 
Hesychios 971 ßovQwog* rtövafidg f^^yafg] ^edfia e%w>v hierher- 
zuziehen. Die Adnotatio gibt yaqvtov = lic yrig (^iov, Steph. 
nimirum na^ä ro ßoü ^eiv quoniam vehementi et magno cursu 
flnat. Hingegen kann das ebenfalls von Hesychios genannte 
BovQiwa BvQiwa BvQQig (Fluß auf Kos) nicht in Betracht 
kommen, da die Bezeichnung schon bei Theokrit VII 6 vor- 



Die Bedeataogigesohichte der romanischen Wortsippe bur(dj. 109 

kommt und anf einer alten Überlieferung beruht. Berg, sboro 
sgorgOy sfogo d'acqua, friaul. shorador Öffnung für Wasserabfluß. 

Im schweizerfrz. homi Quelle berg. sboriunä sborgnä 
reichlich hervorquellen, hervorsprudeln ist Einmischung von 
germ. bom naheliegend. 

2. Das Gurgeln wird aber nicht nur am lebendigen Quell 
beobachtet; sondern auch am &efBO, in das man die Flüssigkeit 
fbllt oder auch aus dem man ausgießt. Viele Gefäße sind nach 
diesem glucksenden Tone genannt, in erster Linie natürlich 
solche mit schmalem Halse und dickem Bauch: DC bureta 
afrz. buire Olgefilß, Fayencetopf mit Henkeln, (Marques) 
Likörkannc; burette (Sachs) Schenkkanne, bire Flasche aus 
Weidengeflecht; piem. burina Einmachglas sard. burina Krug, 
Trinkglas mit zwei Henkeln ohne Fuß (Rossi) afr. bouret Eimer, 
Kübel cat. bora jede Art GefUß gen. briinia Konservenglas 
ngr. fiTtovQvia Einmachglas (Meyer Ngr. IV); Poschiavo burketta 
(Luchsinger, Molkereigerät, Zürich 1905), gen. boraccia Milch- 
gefäß aus Blech mit schmalem Halse gehört seiner Bedeutung 
nach hierher. 

Mit Stamm bar: afrz. (God.) baratere irdener Topf bret. 
baraz Eimer mit Henkeln, barranhäo kleiner irdener Krug gen. 
baracchin Metallgefkß mit drei Henkeln. EndUch die ganze 
Sippe von Faß und Fäßchen: Serv. zur Georg. 1 109 scruta- 
tares vel receptores aquarum aqtiilices dicuntur ^ barinulas 
dixerutit (Thes. : ... et barinulcis legere possis) it. barile alb. 
buril bulg. burija, burilka (Meyer) kroat. bure istr.-rum. burife 
(Z. XXXI 227) berg. borreccia^ boraci Fäßchen afrz. (God.) 
baral barral kleines Faß lad. bariccia Tonne sp. ptg. bar- 
riga etc. etc. Daß bm^raccia Feldflasche in weitester Verbreitung 
an haarigen Schlauch einerseits, an Eß verrat andererseits an- 
knüpft, wurde S. 27, 3 und 4 besprochen. Über die ganze Wort- 
familie ist zu vergleichen Schuchardt (LB G. R. Ph. 1884 Sp. 
197), der für die Zusammengehörigkeit von barile und borraccia, 
alb. bark Bauch, Leib sp. barica, endlich die Ausdrücke für 
Barke, burchio etc. eintritt. 

3. Speziell sind noch zu erwähnen einige Ausdrücke für 
Loch: mant. borön Spundloch des Faßes; friaul. sborador 
Öffnung für Wasserabfluß wurde schon oben bei sborar gurgeln 
erwähnt; ptg. buraco9f an der Seiten wand des Schiffes befind- 



1 10 V. Abhandlung : B i o h t e r. 

liebe Löcher zum Ansschöpfen des WasserS; it. brutiali Löcher 
zum Wasserausgießen. 

4. Unter Umständen ist das Hervorquellen gleich einem 
Zischen und Sprudeln: sp. brollar, daher entwickeln sich die 
Bedeutungen 

5. Kochen (Larousse) bourroullement , gargouillement 
(Mistral) bourit = bouillit bourrido^ bourroulo die Brühe = la 
bouillic; gen. boridda = buridda das Gekochte par excellence, 
die KapernbrUhe, in der zerschnittener Fisch gekocht wird (Cas.) 
vgl. die prov. bouillabaisse ; friaul. (AG X 3. 119) burida das 
Essen y das man mit zur Arbeit nimmt. 

6. Sieden ptg. borbulhar, aufsprudeln von heißen Quellen; 
kontaminiert aus burire + bullirCy vgl. auch S. 111. 

Hierher könnte auch rum. borcut borviz Sauerbrunnen, 
Bitterwasser gehören, prickelnde, sprudelnde Quelle. Die 
Ableitung Saineanus aus ung. bor Wein ist nicht recht be- 
friedigend, weil doch Bitterwasser auch einem bescheidenen 
Gaumen nicht wie Wein schmeckt, andererseits der Vergleich 
mit Schaumwein zu fern liegt. 

B. 7. Bauschen des Heeres. Prv. bourdoul gen. brüzzu 
lomb. brugo (AG XII 392) worden schon bei bruire erwähnt S. 91. 

8. Aus diesem Wortmateriale sind natürlich viele Flaß- 
namen gebildet worden^ von denen nur ein paar als Beispiel 
dienen mögen. 

Bord Bourienne (Yonne), le Bourdon (Yonne, H.-Rhin) 
Boumaves Bourdiguet Bordarid (Gard) Bourceron (Eure) la 
Bourde (dreihundert Meter langer Bach mit Wasserfall, Meuse) 
Bourdet (Mtthle ebd.) La Borrerie (Mayenne) le$ Borinihres 
(ebd.). Borine (H. Alpes) Bourelle Bourdrale (ebd.) Bouray 
(Aube) Bory (Aisne) Burbach (H.-Rhin und Moselle) Bormühl 
(Moselle); wobei daran erinnert sein möge, das dt. burren auch 
Rauschen des Baches bedeutet (Grimm) Bordaa (Yen. Fort 
VII 7 51 Nebenfluß der Sahn) sard. Ghirusele Quelle, Tal bei 
Sassari (nach Guarn. AG XIII 119 < ^urtuella) la Berro 
(Dröme) Barlaudo Nebenfluß des Gardon, endlich Bomaut 
(Yonne) Boumo (Gard) u. ä., bei denen natürlich an Kreuzung 
mit dt. born zu denken ist. Man beachte aber prv. Bour- 
negre, das wohl niger enthält, und Bournegue^ in dem doch 
aqua steckt, das also dann eine Tautologie darstellt. 



Die Bedeotangsg^eschiehta der romaniicheii Wortsippe burfdj. 111 

9. Eine Ableitung von qaellen ist überströmen, reich- 
lich TOrhanden sein: prv. boumea in Menge da sein, alb. 
burl Überfloß sis. mburön reiche hin (Mejer EW). 

X. Zirpeil; winseln. Es ist schon daraaf hingewiesen 
worden y daß bur- nicht nur tiefe, sondern auch sehr hohe 
Lante bezeichnet, so tar. vurri bizze, ilfrignaredei bambini, 
dasselbe siz. verra (Biandi), borg, bordö schwarze Grille, 
vgl. S. 79 die Ausdrücke für blatta; spätlat. burtus brucus 
brutuB eyn kal springke (Dfbch.) Heuschrecke = DC ßgovaa 
Hesych. 1215 dmqldiov iidog = ßQOvxog bei Suidas, lat. brucus. 
Das alb. burkd- Heimchen, Grille (von Meyer EW zu murk 
schwarz gestellt) mag in diesem Zusammenhang erwogen 
werden. Sp. baraguera Geschrei, Gewimmer von kleinen Kindern, 
berenchin Weinen von Kindern im Zorn, berrin vor Zorn 
weinendes Kind, gall. berron weinerliches Kind (vgl. aber berro^ 
berrear und unser ,bocken' von boshaften Kindern). Aunis 
btmiquet quälendes Kind, kleiner Dämon, vgl. S. 97, 7, Rouchis 
bfrl^ weinen, greinen (Z XXI 231), von Doutrepont zu beler 
gestellt, Loiret (ebd.) beler weinen, berg. tberlä zerreißen, zer- 
brechen (vom Lärm, den es macht). 

§ lO« Es liegt in der Natur schallausdrUckender Wörter^ 
daß sie zar Verstärkung, zur Tonmalerei eine Silbe redupli- 
zieren. Wenn die Silbe nicht ganz wiederholt wird, so tritt 
doch Alliteration innerhalb des Wortes ein: wir finden nicht 
wenige Wörter unserer Gruppe mit einem inlautenden b, das als 
tonmalende Alliteration aufzufassen ist. Mitunter werden zwei 
Stämme gekreuzt: bar + bur, gar -|- bur, bar- bur- gar- gur- 
+ bullire, wobei bul- gelegentlich an erster, meist an zweiter 
Stelle steht. (Schuchardt Rom. Et. II 208 spricht von ,anschei- 
nend eingeschaltetem r'.) Einige Beispiele aus verschiedenen 
Bedeutungsreihen mögen genügen. 

I. Frz. bourbour Trommel (Le Roux de Lincy Rec. des 
chants bist. I 259) St. Omer bourbour Umzug psalmodierender 
Kinder (Chambure) sard. burumbaglia Verwirrung, Getöse 
ptg. borborinha konfuser Lärm, auch barbarizo barborinha, 
burburinhar murmeln, it. borbottare prv. bourbouta siz. bar- 
buitiari, burbutizzu Lärm, Getöse, Unordnung sp. barbuta afrz. 
baurbondir klopfen prv. barbillo lang, barbal Geschwätz gen. 
barbacio Gesang der Nachtigal, barbaggiä dumm reden siz. bar- 



112 y. Abhandlung: Richter. 

bacciai'i schreien spätlat. burbilia burbalia ram. borbei Einge- 
weide, dazu borbösesc] carp. bourbou spätlat. burburitmus (DG) 
ßoQßoQvyfMÖg rugitus intestinorum. Daß das Romanische hier un- 
abhängig vom Griechischen ist, hat schon Schuchardt betont 
(Rom. Et. II 210), bei ßccQßagog haben wir die gleiche Beobachtung 
zu machen. Der Unterschied ist nur der, daß das Griechische ein- 
zelne tonmalende Wörter geschaffen hat, die gesonderte kleine 
Familien von Ausdrücken bilden, während im Romanischen so- 
wohl der bu7'' als der iar-Stamm außergewöhnlich verbreitet und 
untereinander oft parallel sind. Auch bei it. burbero könnte es 
fraglich scheinen, ob es heimische Schöpfung ist (vgl. rebumu 
S. 33, 17) oder ob seine Wurzeln ins Griechische zurückreichen. 
Der bwbero hat einen unmittelbaren Ahnen in dem von Vopiscus 
im Leben des Firmus (Quatt. Tyr. IV 4 = Script. Hist. Aug. 
ed. Eyssenhardt II S. 205) verewigten Fähndrich Burhurut 
,noti88imu8 potator^^ der Firmus zu einer Art Saufduell heraus- 
fordert und unter den Tisch getrunken wird.^ Trinker und Rauf- 
bold gehen häufig zusammen, so haben wir das Bild des Finstern, 
Gefürchteten, Unverständliches in den Bart Brummenden, des 
jburbero^ vor uns. Burburus war gewiß kein ,Taufname', 
sondern ein Spitzname;' aber er hat seinerseits einen Vorgänger 
in ö ßoqßoQOxdqa^tg = turbulentus der griechischen Ko- 
mödie, einer, wie man sieht, echt possenhaften Wortbildung. 
Sie könnte in verkürzter Form sich erhalten haben. 

IL Bourboule (Vend.) Wildbach (Puys d. D6me) eisen- 
haltige Quelle, le Bourboulou (Dord.) Borbore Fluß bei Asti, 
Bourbou (Carp.) hervorsprudelnde Quelle, fiTtovQiiTtavQll^ia 
(Meyer Ngr. IV) aufsprudeln, prv. Boti^boun Bourbourin rum. 
borborosesc aufsprudeln borborojesc vermummen afrz. borbier 
(praes. borboie) <C * burbicare glizzern <C hin- und herbewegen, 
vgl. oben barbelare afrz. bourbote = barboie kleines Boot mfn. 

' Die niedliche Schilderung möge hier Fiats finden : Fait tarnen ei (Firmo 
tyranno) contentio cam Anreliani dacibas ad bibendnm siqnando enm 
temptare TolniBsent. Nam quidam Burburua nomine de nnmero Tezil- 
lartornm, notissimas potator, com ad bibendnm eondem proTOcaaBet, 
situlafl dnas plenas mero doxit et toto postea conTirio sobrins foit et 
cnm ei Burburus diccret ,qaare non faeces bibisti?* reapondit ille ^ulte 
terra non bibitur*. 

* Vgl. (AG IX 136 und Bartoli, Das Dalmatische) Uddina de iaupra- 
ndum Bürbur, der letzte Vegliote. 



Die Bedeutangsgeschicbte der romftnischen Wortsippe bur(dj. 113 

harbote Schaluppe bei Cotgrave alp. barbutana hervorsprudelnde 
Quelle; ebenso prv. Barbeirolo Barberolle bei Barbi&res (Di'öme). 
Barbihres selbst könnte der ursprüngliche Name sein, von dem 
Barberolle das Deminutivum vorstellt, aus Barbaria. Überall 
ist die Quelle die geschwätzige, murmelnde usw.; barbutar 
burbutar aufkochen, ptg. borboloens de agua heftiges Aufsieden ; 
lang, barbata gargauta gargouta gourgouta kochen, blasen, 
werfen, sard. brubbudai (neben bruffvlai, das zu ptg. boriffar zu 
stellen ist, vgl. S. 45, 56) ausgießen, umstürzen, auch übertragen : 
zurücksagen. Der Bedeutnngsübergang liegt in: sein Inneres 
(seine Geheimnisse) entleeren; bret. bourbounen pustule, bour- 
bauten Dachs (als Wühler) ptg. berbequim Drehbohrer it. bar- 
bandrone schlechter, ordinärer, dummer Mensch, bMo, sard. 
braballu emil. gargalla Gallapfel friaul. gargdtule u. a. (vgl. 
Schuchardt Z XXIX S. 323 ff.) ven. garbura Magonbrenncn ; 
hier könnte man ein deverbales bura Brand konstatieren; lat. 
gurgeSf gurgustium, gtirgutia frz. gargotte usw. 

Einmischung von bullirey bulla: prv. bourbouia 
surren von Insekten, bourbouiado Volksgedränge bourbouioun 
stotterndes Kind, auch barbouioun (Alp.) bourbouioun = 
broxnllon gedankenloser Mensch, fldr. barbouiller = frz. bre- 
dotiiller it. borbogliare barbugliare garbugliare ptg. burbu- 
Ihare^ borboloens de agua = cat. sp. burbuja ptg. borbolha 
Auge am Baum, Knospe, Blatter, Blase sard. burbudda Fettblase 
it. burbanza Aufgeblasenheit, Rouergue bourbouge gourgouge 
konfuser Lärm langu. gourgoulia nagen, gourgoulino kleiner 
Krug alb. burbuUme Donner bret. bourboulla Wühlen vom 
Schwein (von Henri zu bourbe gestellt S. 104) rum. bolborosese 
stottern piem. berboü stottern, kochen engl. dial. burble auf- 
sprudeln bourblawer zudringlicher, süßschwätzender Bettler etc. 

Einmischung von bum-] sard. bumbulla = burbudda, 
Welsh bwmbwr Gemurmel, Geheul frz. bombardon u. v. a. 

§ 11. Wimmeln. Zu wiederholten Malen ist die Bedeu- 
tungsreihe mit Zank geschlossen worden: Verwirrung > Zank 
S. 34, Geschrei > Zank S. 91, brummen, keifen > zanken 
S. 105, wie dies ja bei der Unzertrennlichkeit der Eindrücke 
nicht anders möglich ist. Als letztes Glied der Reihe erscheint 
nun wimmeln, das zum Gedränge gehört, zum wirren Durch- 
einander mindestens fürs Auge. Hier ist nun die Frage zu 

äitxoDgsber. d. pbil.-hut. Kl. 156. JM. 5. Abb. 8 



114 V. Abhandlung: Richter. 

entscheiden, ob lat. borrio (burio) in die 6iir-Sippe ge- 
hört oder nicht. Es ist bei Apulejus belegt (Met. 8. 22): In 
carioso stipite formicarum nidißcia borriebant et ultro citroque 
commeabant multijugo scaturigine. Die He. F hat borribanty 
daher Thes. diese Form als die richtige ansetzt. Die Hss. (p d 
haben buriebant] nach den Auseinandersetzungen Viiets hat 
aber die Hs. 9 öfters die bessere Lesung als F. Das Zusammen- 
stimmen der zwei Handschriften gegen F und die Vergleichung 
mit dem hier gesammelten Material würde es wohl als gerecht- 
fertigt erscheinen lassen^ burire als die ursprüngliche Form 
und also als die richtigere Lesung anzusehen. Dennoch sehe 
ich davon ab, es in unsere Sippe einzureihen; wir haben 
nämlich sonst gar keine Stütze für die Annahme , daß schon 
zu Apulejus' Zeit die Verbreitung von bur- so groß gewesen 
wäre, um bis zur Bedeutung wimmeln gelangt zu sein, alle 
anderen Zeugnisse sind wesentlich später. Ebenso wenig könnte 
man an Ableitung von burrus dunkelbraun denken: burrire 
schwarz sein von Ameisen. Auch hierfür fehlt jeder Anhalts- 
punkt. Will man aber etwa von buinre wimmeln als Qrund- 
wort ausgehen — borrire wäre lautlich nicht annehmbar — 
so kommt man doch nur bis zu Oewirr, konfuser Lärm; diese 
Eutwicklungsreihe kann sich mit den oben genannten vermischt 
haben, sie kann aber für so viele andere der besprochenen 
Bedeutungen nicht herangezogen werden. Man wird vielmehr 
borrire als ein für sich stehendes Wort gelten lassen und 
bei der Form burire lautliche Beeinflussung durch bur- an- 
nehmen; das sonst durch keine Textstelle gesicherte Wort 
kann leichter als ein anderes der Sprache des Schreibers an- 
geglichen worden sein. 

Borrire scheint uns erhalten in piem. bori affollarsi^ venir 
a folla borg, bori tö^ adbs a ergot zusammenströmen, sich 
auf etwas stürzen, von denen besonders das erste mit den 
S. 92 besprochenen Verben nicht vermengt werden kann, ob- 
zwar es lautlich mit ihnen zusammenfällt. Graub. burdigliare 
it. brulicare brulicame Ameisenhaufen sind von borrire allein 
aus nicht verständlich, sie haben sich mit bur(d) vermischt; 
burdigliare leitet Schuchardt aus *burdicare ,mit dem Stock 
im Wasser herumstöbern* ab (R. Et. II 211), also Übertragung 
von der Handlung auf die Wirkung: die dm*ch das Stöbern 



Die Bedentangtgescbichte der romanischen Wortsippe burfdj. 115 

entstandene Unruhe der Fische; dieser Bedeutungswandel er- 
scheint mir etwas hart, weil er einen Subjektwechsel in 
sich schließt, eine Übertragung vom handelnden Subjekt auf 
das betroffene Objekt: ich schlage auf das Wasser, so daß die 
Fische wimmeln > ich wimmle.* 

Von. broina fretta, pressa paßt begrifflich zu bornre und 
lautlich zu frz. bruine wirrer Lärm, vgl. S. 91, cat. brollav 
wimmeln kann Kreuzung mit burlare rollen vorstellen: unter- 
einander rollen. 

Zu borrire paßt noch engl. dial. to burrie in roher Weise 
stoßen, drängen, buregh Gedränge, burrie = , Vater Vater 
Leih' mir d'Scher* I' Beeinflussung von borrire hat jedesfalls statt- 
gefunden bei den Ausdrücken für schwirren, rasch bewegen, 
wie ptg. borboleta Schmetterling. 

§ 12* Es ist selbstverständlich, daß von allen Vertretern 
unserer Sippe, soweit sie Ausdruck einer Tätigkeit oder eines 
Zustandes sind, Personalbezeichnungen gebildet wurden. 
Auf hourdon Sänger und Burburua ist hingewiesen worden; 
in den meisten Fällen ließe es sich natürlich nicht entscheiden, 
woher der Spitz- oder Zuname kommt, z. B. Paris Bordone, 
Seb. Bourdoriy Ldon Burbure etc. Ich gehe nicht weiter 
darauf ein, sondern führe nur einige Personennamen aus 
dem Thesaurus auf, die, wie ich glaube, in den Rahmen dieser 
Untersuchung gehören, da sie sämtlich unlateinisch, teils aus- 
drücklich als keltische Namen bezeugt sind, teils ihrer Herkunft 
nach für keltisch gehalten werden dürfen. 

Borius^ Borillus (Augustodunum) Boraeus und Bortossus 
(Aquitanien) Buralus Burinio^ (vgl. Skok 159) Btcrius^ Buro^ 
Burrius^ (Gcntilname) Burrus* Burranua (Noricum) Burcius 
Burdanus Bururdo Burtinus Burtius-a Buricua (Genfersec) 
Burgina (? locum Burginae) Burdundus tyrannus (a 497 Chron. 
Caesar aug.) Burburua Bardus* Baro^ Barro (aus Ascoli, 
bei Cicero). 

§ 18« Übersieht man die Hunderte von Bedeutungen, die 
die ftur-Sippe aufweist, so wird man vielleicht einen Augenblick 
darüber stutzen, gerade die eine zu vermissen, die man mit 

^ Vgl. dagegen: ich erzeuge im Wasser das Geräusch des Aufgurgelns = ich 
mache das Geräusch des Aufgurgelns > ich gurgle (Schuchardt, ebd. 211). 
' Als gallisch bezeugt. 

8» 



116 



V. Abhandlung: Rieht er. 



dem Rohr von altersher za verbinden gewohnt ist: wir haben 
keinen Ausdruck fQr Schreibrohr oder sonst Schreib- 
zeug. Die Glossen bringen in dieser Bedeutung ausschließlich 
calami^, nirgends ist bur- dafür eingedrungen. 

Das erklärt sich aber sehr einfach daher, daß das Schreiben 
doch keine eigentlich volkstümliche Beschäftigung und jedes- 
falls in den Händen der lateinisch Gebildeten war. Daher blieb 
die Benennung des Schreibwerkzeugs bei den aus dem Latei- 
nischen überlieferten Formen. Die &iir-Sippe aber ist durch- 
aus volkstümlich und ihr hervorstechendster Charakterzug 
besteht wohl darin, daß sie auch nicht ein einziges Wort ge- 
lehrter Bildung enthält. 



Das behandelte Material zusammenfassend, ergibt sich fol- 
gende Liste von Stämmen, respektive Stammwörtern, die 
bei der Bildung der bur(d)'WörieT in Betracht kommen: 

kelt udv 1 

k 1t & I '* ^^^^^®' Spitze > IL Pflanzenbezeichnung S. 3 ff. 

kelt. bar\ 



it. 

germ. 

lat. 

lat. 



, > heulen S. 6. 

Seite 

aurezza 46 

'bald 79 

balineum . . 26 u. 73 

barba 102 

gr.lat. barbarus 104 

splat. barginus 54 

it. barane 40 

dt. barte 49 

gr.lat. Berecynthia . . . 105 

Stamm bem- 41 

it. berta 104 

sdfrz. biroula drehen . . 58 

kelt bodina 61 

dt. bohord 77 

kell, bor aufgeblasen 

rund 41 



germ. bor bohren 

gr.lat. B&i'e<u . . 

afrz. borges. . . 

germ. bom . . . , 



Seite 
. 101 

. 46 
. 50 
. 109 

lat. borrire 113 

dt. bor$U 31 

germ. bort 59 

frz. bouder 105 

afrz. brayon 101 

germ. brdk 25 

kymr. braw 96 

kelt. bren Schmutz . . 25 

germ. brenn 75 

anord. brim 91 

got. *brUian 45 

germ. brod- 25 



Die Bedeiitnngflgeschichte der romaniichen Wortsippe hur(d). 117 



Seite 

gall. brogae 25 

kelt. bruc 21 

germ. brun 102 

lat. bruscus ... 75 u. 97 

lat. bruttis 37 

afrz. busr waschen . . 26 

St. buf' 90 

lat. bullire ... 74 u. 111 

St. bum- 113 

germ. bwriän ... 92 u. 99 

slaw. buriana 19 

lat. eavema 70 

it. confuso 35 

frz. danser 107 

frz. enfler 42 

afrz. fol 32 

lat. fundere 106 

ptg. fusto 50 

St. ^or - . 111 

lat. garrire 96 

St gur 111 



Seite 

splat. gurrire 94 

lat. ingenium 40 

splat. *orbulu 62 

it. perla 25 

lat. peregrinus .... 54 

lat. pruina 45 

splat. ragire 94 

long, rauffan 105 

frz. rdle 45 

it. rotando 44 

frz. roule 44 

lat. rugire 91 

lat. sabueus 20 

frz. soufler 42 

germ. tab- 107 

gr. tympanon .... 106 

lat. tistulare 73 

lat. tLstutn 79 

lat. *vertibellum ... 67 

lat. vespa 101 



lat. dial. burdua dumm, trag > Esel S. 9. 

gr. lat. bardus dumm, trag > Esel S. 9. u. 13. 

, ^ f 1. dunkel S. 10. 
gr. lat. burrus braunrot > l g j^^j g jg 



118 



V. Abhandlang: Richter. 



Wörterverzeiclmis. 



abaruna wald. 72 9 
abborracciarsi it. 28 i 
abbcrrare neap. 74 
abbuira sard. 45 se 
abburare it. 74 
aberdugar mail. 51 i3 
aborujarse sp. 79 ii 
abourde aun. 55 «t 
abourido sfrz. 92 s 
afinovQViUa ngr. 20 
ufinovQviXo ngr. 20 
aÄra prr. 74 
a//Mr rum. 74 
a^urar sp., rum. 74 
oburdigar mail. 51 is 
aburir afrz 92 4 
aburire rum. 74 
a^urö lyon. 74 
aburrir sp. 60 lo 
agurra siz. 95 a 
q;<mc fr«. 76 
amburere lat. 74 
a^aÄtirrar trasm. 107 « 
ftafmo berg. 97 7 
balineum lat. 26 
balineum lat. 73 a 
bamburral ptg. 25 
6ane bourg. 62 » 
6ao berg. 97 T 
Aar alp. ralt. 14 
bar alb. türk. 22 
bar afrz. 25 
/ior cat. 40 
Dar dt. 93 
bar frianl. 21 
6ar frz. 32 is 
bar (-ro) nit. 93 a 



bar C'd, -dU) prv. 25 
b&r bret. 22 
bara cat. 40 
&ara bret. 78 t 
ftara, tocAi — piem. 89 
baraba triest. 97 lo 
baraba (-bot) berg. 97 ii 
barababau pol es. 97 r 
baraban cun. yaltag. 97 7 
barahan toul. 97 
&ara6an f-a*J prr. 97 10 
harabao berg. 97 t 
barabao ven. 97 7 
Barabaa 97 7 
6ara5au piem. 97 e 
barahio piem. 97 7 
harabuffa Yen. 35 to 
barabuffa berg. 105 (7 
baraca berg. 105 B 
baraba ptg. 67 ss 
&aracac2a berg. 105 B 
6ar<k:an ptg. 31 11 
&aracc^in gen. 109 1 
baracejo ptg. 67 sa 
haracker berj. 105 i? 
barago ptg. 67 1« 
6ara(2 bret. 40 
6ar<u2 gal. 107 5 
ftarodw pry. 56 ss 
baradUsa cat. 50 ss 
barafunda ptg. 106 
barafiua ven. 35 to 
barafuMoh it. 106 
harafuaolo ven. lOG 
harafuatar ptg. 50 a 
fiaraganeU sp. 107 1 
barage «frz. 46 &e 



baragno lang. 21 
! baragno lang. 36 n 
, baraguera sp. 111 z. 

6araZ lang. 106 
' ÄaraZ f-f-r-; afz. 101» « 
' baralhar ptg. 36 10 

6araZJ lang. 66 6s 
, baralieu sard. 103 10 
baraüar cat. 106 
&arana cat. 69 s 
6aranda sp. 69 s 
6aran<2a^ cat. 69 t 
ftaranye bagn. 103« 
baraonda sp. it. 106 
Harare splat. 40 
barare it. 40 
barata norm. 103 C 
6ara/e afrz. 34 1» 
barate afrz. 106 C 
baratere afrz. 109 t 
6ara/2a regl. 89 
barctUare it. 40 
baraval piem. 31 11 
6aravati/ati piem. 33 it 
baravel piem. 33 i« 
barayar cat. 106 
6araz bret. 109 t 
barba lat. 102 1 
barbeuxiari siz. 112 i 
6ar6acio gen. 111 1 
barbaggiä gen. 104 1 
barbaggiä gen. Uli 
6ar6a/ lang. Uli 
barban gen. 79 • 
barbandnme it. 113 
barbaou bret. 97 7 
fAna^finaQ^ü» epir. 1 04 B 



Die Bedentungsgeschichtc der romanischen Wortsippe hurfdj. 119 



6arlMrixo ptg. Uli. 
ßoQßaQOi gr. 112 1. 
barbaru» lat. 104 i 
barbateo ptg. 102 i 
barbata lang. 113 
barbaudier afrz. 61 i9 
Barbeirolo 113 
barbeiä berg. 107 s 
barbdoU afn. 100 t 
BarbenMe 113 
BarhikrtM 113 
barhiUo pry. Uli 
&<ir6tr«>to lyon. 100 t 
6«ir&»ton lat. 88 
barhorinha ptg. Uli 
Atfr&ote afn. 112 n 
bnrhoU mfrz. 118 
barbotiwun pnr. 113 
6ar6oiiZZi6r fldr. 113 
barhotdoUe morr. 100 t 
barhugUare it 113 
ftor&tirru« (^6a6-^ splat. 

104 1. 
barhuta sp. 111 1 

barbutar sfrz. 113 

6ar6ti//jarj siz. Uli 

harca it., sp. 66 lo 

bard bretagn. 89 

bard gal. 107 6 

bard ahetl. 105 C 

barda arab. 10 1 

barda (-al) cat. 21 

ftard^ pry. 66 ss 

borda ptg. 10 1 

barda ptg. 49 t 

6arc2a ptg. 56 bs 

barda ptg. 66 x« 

6ar(2a sp. 46 m 

barda splat. 54 14 

bardaguera sp. 22 

Aardaui splat. 101 9 

bardaicua cucuÜtis lat. 
29 u 

bardal lang. 101 » 

6ar(ia/a splat. 101 9 

bardana kelt. 21 

bardaneto prv. 21 



ftarrfar ptg. 66 61 
bardare splat. 56 5s 
bardariotae lat. 52 at 
6ar(£a«ca sp. 21 
bardatta aberg. 54 94 
bdrdaun (b&rx-) rum. 1 00 1 
bardavella rom. 68 94 
bardaxa cat. 54 B4 
barde sp., ptg. 21 
barde frz. 49 9 
bardea sptlat. 101 9 
bardeau afrz. 72 6 
bardel bret. 56 si 
bardeler afrz. 105 is 
bardeüa gen. 56 69 
bardeüe frz. 66 ss 
barder frz. 50 9 
M ^orcitfr frz. 22 
ftardeveZ oit. 67 so 
bardiere afrz. 76 4 
bardiire var. 77 4 
ftardtmtn» sard. 10 s 
6ar<2tr afrz. 42 49 
bardire lat. 40 a 
iardüta cat. 22 
bardU splat 92 
bardo gen. 13 is 
6arc2o lat. 9 
bardo ptg. 40 a 
6arc2o ptg. 63 10 
bardoe toul., pry. 58 is 
bardocuadlu9 lat. 29 11 

68 99 

bardoler yerd.-chal. 66 64 
bardon frz. 40 a 
bardonera» sp. 21 
bardot piem. 10 1 
bardotlo gen. 9 1 
bardou ann. 9 1 10 1 
iarciotiia pnr. 104 1 
bardouUt sfrz. 67 so 
bardout pry. 25 
barduM lat. 9 13 99 40 a 
ftardtM lat. 88 89 
Bardu9 115 
ftarcisar alp. 105 B 
barec berg. 63 10 



bareca splat. 63 10 
baregdb aptg. 54 36 
6ar^n berg. 72 « 
baregno aret. 26 
baregno sen. 26 
6are^m splat. 63 10 
baren dt. 93 
baren Schwab. 93 
a baren prv. 72 9 
barena yen. 25 
bareta lang. 24 95 a 
6are^tna yic. 48 ai 
barga ptg. 65 14 
barga ptg. 67 so 
barga sp. 66 le 
6ar^ada oeng. 94 
barganal sp. 57 es 
bdrgano sp. 57 es 
bargant cat. 40 
6ar^« C-cÄcj afrz. 72 s 
6ar^e aun. 72 9 
bärge frz. 13 99 
barged bret. 13 93 
bargeden bret. 13 S3 
barginu» (barginnu9, bar- 

gena) splat. 54 96 
bargir oeng. obwald. 94 
barguenai ann. 72 s 
barguignier (-ai-) frz. 40 
barg US splat. 49 9 
6ar^ti« splat. 59 si 
bariea sp. 109 9 
6aru;cta lad. 109 9 
ftariV/no berg. 26 
barie mess. 50 9 
baHle it. 109 9 
&ariiitt2a« (barmuIcU) lat 

109 9 
6arioZer frz. 56 64 
bariro^ alb. 93 
barüeau afrz. 103 is 
6art7t<«, bardüu» lat. 88 
5aWtt/ti« lat 13 
baricel piem. 33 it 
baija lang. 103 il 104 B 
6ar;ae alp. 104 B 
barjado 104 B 



120 



V. Abhandlung: Richter. 



ftaijel gal. 07 20 
fMrk alb. 109 s 
Barlaudo 110 
bdrle rom. 22 61 94 
harle rom. 22 
barle afrz. 51 9« 
barleda mod. 22 
barlingo-barlango toul. 89 
bnma<i piem. 75 
bamage (bom-J frz. 103 is 
6amati for. 77 « 
barnei berg. 75 
6amt prv. 102 4 
bamicum Bplat. 93 
bamolo prr. 66 la 
^aro 116 

6aro, 6aron« it. 40 
barocco ptg. 33 la 
ftaroccOf raggionare in — 

it 34 19 
baroch piem. 33 la 
barolh sp., neap. 44 es 
haron wald. 72 i 
baronda gen. 106 
baronh piem. 72 9 
6aro^ f-»^-j 56 «9 
baroul lang. 102 1 
baroyer (barr-) frz. 106 
barr kelt. 21 
iarra cat. 93 
barra splat. 54 S4 56 69 
Darrab<u frz. 97 11 
barrad glao bret. 107 6 
barrckgar sp. 54 36 
barragia sard. 40 
bartamaque ptg. 31 n 
barranco sp. 40 
barr an} i uo ptg. 109 9 
barrant splat. 93 
barraquear sp. 93 
6arrar cat. 93 
barrare splat. 56 s 
barrtuterie ann. 36 99 23 
barrator engl. 105 C 
5arre afrz. aan. 22 
A«rr^ frz. 56 64 
barregan ptg. 54 sc 



iMrregar (ber-) ptg. 93 
nio^a &ai*reJ7*a ptg. 54 34 
Ifarreiro ptg. 64 86 
barr^a sfrz. 62 94 
barrel afrz. 56 60 
ban-ela ptg. 17 
barreHbird engl. dial. 13 
barren lang. 102 1 
öarrena sp. 102 1 
barrer sp. 102 1 
barrette, parier ä la — 

106 
6arrt corn. 41 49 
bärri for. 46 so 
yiÄo de barri prv. 54 34 
barridita» splat. 41 49 
6arrü2on splat. 88 
barridtiM splat. 41 49 
barrikre frz. 56 69 
barriga sard. 40 
barriga sp. ptg. 109 9 
&arriHn engl. 104 1 
barrilete sp.-ptg. 89 
barrilha ptg. 17 
barrin valt. 14 
6a>*rina sard., cat. 101 1 
barrinäi sard. 102 1 
barrintu splat. 93 
6arri»-c lat. 88 92 
barrit lat. 99 y 
barritar sp. 93 
barriton, barritoniau 

splat. 88 
bari^r splat. 88 
barrütiä lat 88 92 
Baiio 115 
6arro valt. 14 
6ar;*o it., sp. 25 
6arro ptg. 25 
barro it. 40 

6an-o« ptg. 21 32 16 36 S9 
bai^ru siz. 57 6t 
barru/aut prr. 105 
I barruier afrz. 106 

barrulua lat. 13 
j ^arrtim splat. 56 69 
I barruma ptg. 102 1 



6a?*rtmi siz. 49 4 
barruni siz. 67 ti 
barrua lat. 88 
barrw lat. 93 106 C 
bamuco prr. 97 10 
barruacuU siz. 106 
6ar« afrz. 33 la 
bara frz. 32 is 
baraeUtta gen. 105 Z^ 
&aK prv. 25 
6arto prr. 58 t4 
bartabilo toul. 58 t4 
bartadel o.it. 67 so 
bartarel o.it. 67 so 
bartaa lang. prv. 21 
bartaa-hlanc prv. 21 
— -n€^« pnr. 21 
barU dt. 49 a 
6ar^ com. 88 
barthm dt. 93 
bartinado pnr. 21 
6a7*te'n6n rom. 48 ai 
barto splat. 88 
bartoua norm. 105 C 
öartove^ o.it. 67 90 
bartua splat. 40 a 
6artt<; berg. 72 1 
barfi/ com. 32 14 
baruf n.it. 34 la 
baruf piem. 106 C 
6art</a yen. 106 C 
baruffe n.it. 105 C 
baruga grOdn. 43 45 
barula sfrz. 44 4a 
barulaire sfrz. 44 49 
bände cat. 44 ss 
barulhar ptg. 36 so 
öaruMar ptg. 35 10 
bandho ptg. 35 19 
6aru/2are ait. 44 4a 
baruniado pry. 48 ai 
barua lat. 13 
barutel lang. 103 is ta 
barutelar apnr. 103 is 
5an<tf<i emil. 67 aa 
barz bret. 88 
barzaletta rom. 106 B 



Dio Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe hur(d), 121 



bni-zder afrz. 105 B 
fjarzel^ta berg. 105 B 
f^rzelletla sard. 105 B 
harzigola yen. 105 B 
has-rouU irz. 44 6S 
ba^ita sp., ptg. 68 as 
Laur splat. 26 
Uhour, joftr du — frz. 

dial. 77 6 
f^ra alp. 14 
f*erar n.it. 48 ei 
Urf}(ucum lat. 102 i 
herttequim ptg. 101 i 
Ittrhfquim ptg. 113 
Urbolh piem. 100 
^>«rAo/^ piem. 113 
berhot piem. 106 
Urckidai sard. 93 
Urchidu sard. 93 
herdakier mont. 50 s 
htrdancer vend. 107 4 
htrd(U96e vend. 107 s 
f*erdauder vend. 107 s 
fffiddache* flandr. 36 ts 
herdder (-Ur) mont. 106 
Äercie/er flandr. 104 5 
htrdif, berdaf, btrduf 

flandr. 107 9 
Urdik, berdak mont. 90 i 
Urdin sp. 101 t 
herdiner tour. 89 
berdoder yerd.-chal. 56 m 
6«r(i<ma s. lothr. 104 B 
htrdou ann. 10 i 
f*erdouja piem. 104 i 
Urdoul pic. 106 
berdouUe flandr. 53 84 
Urdu/aillof toul. 36 n 
6ere/e afrz. 106 
berelle afrz. 83 so 
berenchin sp. 111 x 
btretin yen. 48 ei 
6er^« ann. 72 9 
berghigni piem. 40 
bergnif piem. 97 t 
6frim6att ("Air-j ptg. 89 
berm mail. 14 



berion mess. 13 
berjiUa sp. 101 i 
berCCäm alb. 43 46 
6er/a berg. 72 9 
&er/a cat. 66 i« 
berla piem. 25 
bci'lan C-eu') vend. 40 84 
berlander ann. 103 ii 
6erZand«t4r champ. 40 88 
berUmdier afrz. 40 34 
6erZan(itna« sp. 40 84 
berlandot piem. 40 88 
berlangh piem. 89 
bet'lant (-c) afrz. 40 84 
berlauder frz. 89 
berlauder vend. 106 
6er /e rouch. 111 x 
berleda mod. 22 
Äerß^A: rouch. 104 5 
berlendon gen. 107 9 
berletco prv. 66 10 
Äcrfic (-ichete) berg. 97 7 
/a berlic, berloc berg. 97 7 
d*berlie e berloch, pir vir- 

th — 97 T 
a berlic piem. 97 1 
berlich piem. 36 99 
btrlichin piem. 40 st 
berliert flandr. 36 99 
berlin Venvera 44 si 
berlina berg. 40 86 
berlina ptg. 40 8& 
berlinga sp. 51 98 
berlingare it. 140 5 
berlingau lang. 89 
berlinguer aun. 89 
berlinguelte norm., vend. 

89 
berlingots sfrz. 78 t 
berlingozso it. 78 7 
a berlinne teram. 40 S6 
6erZo cort. 59 »0 
berlo lang. 57 eo 
berlo lang. 60 
6erfi> lyon. 94 
berloCf vi- berg. 36 99 
berloque creol. 107 9 



berloquCy ImUe la — mont. 

107 i 
berloquer vend. 107 9 
berloquo lang. 107 9 
berlot aun. 78 6 
bemä gruy. 75 
bemage prv. 75 
6cma#er f-ti*-^ tour. 89 
bemazz piem. 75 
iemt^rue^ aun. 111 x 
au bemiquet frz. 97 7 
bernia berg. 75 
6emwto gen. 25 
6emo«er calv. 103 A 104B 
bhx) alp. 14 
bero piem. 14 
bhro ven. 43 46 
berbre siz. alb. 27 1 
J«ro< berg. 108 7 
beroU mail. 14 
berou frz. 14 
6eroti lang. 45 && 
6^r alb. 15 
berr rom. 14 
ÄciToco sp. 13 
berrar gal. ptg. 93 
berrear gal. 106 
berrear sp. cat. 93 
berreguetar sp. 40 
ßerrencAm sp. 94 
6cm7 engl. dial. 100 s 
berrin sp. 111 x 
berrina sard. 101 1 
6errtnÄi sard. 102 1 
Z,a -ßcrro 110 
berro can. 14 
berron gal. 111 x 
berron gall. 12 91 
6«rr(fn gall. 13 
berrcul (-oü) afrz. 69 8 
berruguetar sp. 40 
berruier afrz. 106 
ierrtMO prv. 31 11 
6er<a berg. piem. 104 B 
bertaveUa piem. 104 Z? 
6erte frz. 106 
berU mess. 103 11 



r 



122 



V. Abhandlung: Richter. 



bertene mess. 106 
beriet epir. 104 J5 
berto it. 14 
hertolatae long. 10 i 
berUnd long. 67 lo 
bertrol cat. 67 so 
bertu berg. 63 S4 
bertiiU sard. 10 i 
66r^ti/e sard. 20 
fter^u^ sard. 67 so 
bertulin o.it. 67 so 
hertün mess. 66 is 
6erti (-ja) aost. 28 a 
/i<^« vion. 14 
beugeune bem. 86 ii 
beurdaruer vend. 107 4 
beurdi/aille» prr. 74 4 
beurdon morv. 86 is 
//eure afrz. 76 
hiergna obw. 43 46 
&•> it. 55 4S 
biraechio it 36 ss 
birbarUe it. 55 4S 
&Jr5o it. 106 113 
birbone it. 55 4S 
6Jr« afrz. 45 ss 
bire frz. 109 s 
5trem rom. 12 lo 
biribara it. 106 
birimbeba berg. 89 
6irft berg. 58 74 
birb piem. 12 is 
birol berg. 58 ti 
biröl berg. 58 7 1 78 
bircUa cat. 44 ss 
biroula gase. 58 7 s 74 
6irotifuiJo prr. 45 ss 
birtäd cat. 44 st 
&trr Schott. 98 
U> Idrr Schott. 101 1 
birra mlat. 45 ss 
birraehio it. 12 sx 
birricus splat. 29 ix 
MrriM lat. 11 14 29 11 

31x1 
blutd afrz. 103 11 
blutcir frz. 103 11 



boarä ram. 45 so 
lo board engl. 60 
bodion frz. dial. 100 1 
bodion söm. 105 C7 
&o<2;enäi bem. 49 s 
boerlä yion. 73 11 
beerten ndl. 38 so 
6o»^0 wall. 62 9 
boire afrz. 24 
boiron neachat. 51 S4 
bola ptg. 44 4« 
bolandat, andar em — 

ptg. 44 40 
bolandüra ptg. 44 40 
bolandina ptg. 44 40 
bolborosese rum. 113 
fßombardon frz. 113 
ßofxßr^atg gr. 99 
ßo/Liß6lri gr. 99 
bmidon frz. dial. 100 1 
&(mne afrz. 61 s 
6onner afrz. 61 s 
6or berg. 92 4 
bor corn. 8 
bor gael. 3 
6or mail. 57 so 
6or slaw. 38 so 
bora berg. 57 00 
bora berg. 860 
6ora cat. 26 
bora cat. 109 s 
5ora viüa cat. 85 ss 
6orä waadtl. 49 
finoQa ngT. 45 so 
bora piac. 64 is 
6oi'a piem. 37 ss 
böra berg. 24 
boraccia gen. 109 s 
6ora<rt berg. 109 s 
boracinella berg. 27 1 
6oracio piem. 28 7 
borada berg. 35 so 
boragano Ten. 18 
Boraire 23 

6ora/ engl. dial. 101 1 
baralha gal. 73 
boral-tree engl. 23 



ftormia ven. 45 so 
boranfle borg. 42 4s 
borangU ram. 18 
ftoron/a ram. 18 
&orab ptg. 1 1 7 
bcrar mant 92 9 
boräta wall. 46 so 
boraieyre bagn. 103 11 
Aora/« chamb. 36 ss 
boraOä freib. 46 so 
&or(S^e waadtl. 46 so 
boraUi chamb. 36 ss 
boraUi waadtl. 46 so 
borau cymr. 47 
borazena ven. 18 
borazna im. 18 
borb^ ram. 112 x 
ioriier afrz. 112 n 
borbogliare it. 113 
borboUta ptg. 100 T 
barboleta ptg. 101 
borboUta ptg. 115 
borbolha ptg. 113 
5or&o/oen« ptg. 113 
5or5(metze gen. 21 
Borbore 112 n 
6or6oi*t7Jka ptg. Uli 
borboroje»e ram. 112 n 
borboroeeic ram. 112 11 
ßogßoQoxäQaftg gr. 112 
ßo^ßoqvyfidi gr. 112 i 
ßoQßo^Ctttv ngr. 90 1 
borboteac ram. 112 x 
6or6o^/are it. Uli 
6ar5u/Aar ptg. 110 
6orca; em. regg. 58 ts 
boreaj piac. 58 is 
boreer engl. 58 10 
ftorcAan agen. 71 xa 
borehiimi sfidsard. 48 i 
borettt ram. 110 
bord dt. 52 ss 85 4 
bord cat. 10 s 10 s 
Bord 110 
borda agal. 103 
ftorcEa aprr. 39 ts 
borda mail. berg. 78 • 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe imr(d). 123 



horda ber^. 45 sa 
borda luneiri danph. 77 4 
horda gall. 19 
borda it. 76 
horda onsern. 100 t 
horda parm. 79 o 
horda ptem. 16 
horda ptgf. 60 a 
horda sp. 60 a 
borda Bplat. 15 
horda splat. 48 1 
horda splat 63 lo 
horda splat. 71 la 
Bordaa 110 
hordado tonl. 33 le 
hordae splat. 77 s 
hordaglia it. 53 S3 
hordal sirs. 53 ss 
Bordala alp. 23 
hordideiro ptg. 29 9 
hordalengo ptg. 53 ss 
hordalengo ptg. 55 4t 
&or(2a2o ptg. 21 
hqrddn neuen b. 100 4 
h6rdana em. 79 e 
hordao ptg. 53 so 
hord7U> de S, Josi ptg. 55 44 
hord!ao ptg. 85 4 
hordtoo ptg. 86 11 
hordar sp. 60 
hordare it. 51 la 
Dordarü 110 
6orcfe afrz. 32 i5 
6or(£e frz. 38 so 
ftorde afrs. 76 4 
6or<ie cast. 61 s 
^irle neuenb. 76 4 
hqrde nenenb. 77 6 
horde ptg. 57 eo 
horde ptg. 60 a 
horde sp. 60 a 
6or<ie sp. 10 s 10 s 
hariüa horde sp. 17 
bordS neuenb. 64 i4 
a hordi Wallis. 41 ss 
bordie, lacker §a — fra. 
33 IT 72 1 



hordega» prv. 55 4S 
hordeggiare it. 52 ts 60 a 
hordeiri danph. 38 so 
hordeiri danph. 100 4 
hordeiri danph. 98 
hordeilM wal. 63 lo 
hordejar cat. 53 S4 
hordelezzo ren. 106 
bordeUum mlat. 65 
horden mndt. 39 so 
hordenal yen. 57 st 
bordenaya waadtl. 49 s 
to horder engl. dial. 33 it 
border (rz. 59 1 
horderie frz. 72 s 
horderich mndt. 39 so 
bordeto prv. 65 
hordea, jor dea — afrz. 

77 6 
hordea verd.-chal. 7G 4 
bordi^ü mm. 64 is 
Bordeua 23 
hordeyer frz. 60 s 
hordi freib. 98 
bordiaine bress. 100 s 
Bordiana 23 
hordido agal. 61 s 
hordigä berg. 37 96 
bordigalum (-gol-J mlat. 

65 
hordigar gen. mant. 51 is 
Bordighera 65 
hordiglion piac. piem. 86 t 
hordigon hol. 79 lo 
6m'(2i/ berg. 72 s 
hordil (-U) berg. 106 
6or(itn mail. 86 s 
hordioeu mail. 79 lo 
hordion mail. 86 s 
hordion mail. 86 t 
bordir aprr. 38 so 
hordlem piac. 79 ii 
5onifiÄ nenenb. 105 C 
hordo ptg. 20 
boitfe ptg. 61 1 
hordo pnr. 64 is 
hordh berg. 111 x 



£o/*<2o ab6am. 61 si 



bordo prv. 51 si 
6orcZo cat. 49 s 
dordo it. 51 34 
hordo ptg., sp. 60 a 
hordo tonl. 39 ss 
hordd, indä n — borg. 

55 44 

hordd cat. 52 ss 
bordoada ptg. 49 s 
hordoada, cruz — ptg. 

55 4S 
hoi*doc piem. 79 lo 
hordoceh mail. 54 s? 
hordocck ("onj mail. 79 lo 
hordocchin mail. 19 
bordoeh piem. 79 lo 
bordoea, arrimarae aoa — 

ptg. 88 SS 
bordasu mail. 79 s 
ionioA; alb. 36 ss 
hordom lagom. 19 
hordon berr. 100 t 
bordon champ. 86 ii 
hordon cbamb. 86 le 
bordon corb. 103 C 
hordon mail. piac. 79 lo 
bordon piem. 69 s 
hordon sp. 86 is 
bordon, pozar el — ven. 

54 s« 
bordon waadtl. 100 i 
hordona waadtl. 105 C 
hordonä wallis. 98 
bordonar agen. 57 st 
ßo^oväg rhod. 57 67 
bordone, far — it. 88 ss 
hordone sp. 57 ss 
hordone it. 31 is 
hordone, viola di — it. 

85 4 
hordone it. 86 it 
hordone it. 87 is 
bordone it., sp. 53 so 
Bordone 115 
bordonear sp. 53 ss 
hordoneria sp. 53 ss 



124 



y. Abhandlung: Richter. 



hordonero sp. 63 ss 
fiordonero sp. 56 «2 
bordonele sp. 86» 
fjordonifVenire t — it. 32 14 
ßogJöviov mgr. 72 b 
hordannal afrz. 61 s 
bordonua splat. 51 so 
ßögdog mgr. 9 1 
bordunä waadtl. 98 
bordunal berg. 10 4 
bordu9 splat. 17 
bordi/ graaa engl. dial. 21 
bore weish 47 
harh alb. 38 si 
6or^ berg. 92 s 
iori berg. 114 
borh piem. 27 a 
bork piem. 91 s 
6or^ piem. 92 4 
bort türk. 86 xs 
borea sard. 45 66 
^orecu 46 st 90 4 97 t 
bore- (bour-) trte engl. 

dial. 20 
borti berg. 35 %% 
boregh em. 66 i« 
boreja neap. 41 40 
Borel 23 
/x>re2 afrz. 56 50 
fiorel berg. 12 si 
bord berg. 13 m 
&oreZ ptg. 67 es 
borel, indä n — berg. 

44 48 

borelä berg. 44 4e 
borhla berg. Ten. 43 40 
borkla piem. 43 4t 
5or^a Ten. 43 47 
borelai bourg. 60 10 
bordhr piem. 44 4« ■ 

Boreües 23 : 

borelo (bur-) ven. 68 ts 
borelo» mndt. 99 a 
Aö/ipi^ nrb. 67 ss 
bore»e tum. 108 t 
BoresMß 23 
BoreUch dt 17 18 



borezzo ven. 38 so 
/jor/o/u frkit. 32 14 
^or^ra em. 66 it 
borga ven. 66 is 
borgne frz. 69 q 
borgnier wall. 62 
borgno lang. 69 s 
borgnola (bomio-) it. 4187 
borgnon (-mi') frz. 69 9 
borgtte frz. 66 X7 is 
60H ((iw; berg. 90 i 
bori berg. 92 8 
bori berg. 114 
&oi4 cal. 86 18 
Vbri g^y. 63 11 
bor\ mail. 92 4 
6oi4 piem. 28 7 
iMri pry. 36 ss 
6oria it. 41 40 
boria kelt. 92 4 
boria lat. 47 
6or»ana log. 46 ss 
boriata it. 38 so 
boriazzu sard. 45 ss 
bori^r ptg. 46 ss 
borico piem. 12 14 
iorico piem. 12 is 
bori4X} piem. 12 17 
borida parm. 92 s 
borida Ten. 36 ss 
boridda (bur-) gen. 1 10 s 
5orKlo7i mail. parm. 39 ss 
boridon mail. 49 s 
5ori(2u {'-ur-^ berg. 39 ss 
Borie 23 
6or(^a sp. 31 is 
boriffar ptg. 45 se 
boriffar ptg. 113 
borigue dord. 67 so 
5or(;a serb. balg. 86 is 
borU ptg. 101 1 
BoriUui 116 
6orm lomb. 43 46 
borin mail. 42 48 
6orin prr. 11 10 
boritia it. 101 1 
borina tarent. 46 se 



Le Borinage 70 11 
borinare it. 70 11 
Borine 110 
Ire« BorimlhreM 110 
6dr»o prv. 64 la 
borheh mail. 12 14 
boriodd saT. 60 to 
ßögiov mgr. 19 
ftorion splat. 64 11 
&orir parm. 92 s 
borire Ten. 61 17 
borü splat. 17 
6orJ^ hebr. 17 
borUk splat. 17 
BoritM 115 
borkin üftm. 101 1 
boria berg. 43 47 
5or/^ berg. 44 4s 
boria cat. 100 s 
5or2a piem. 72 s 
boria piem. 72 4 
borlä piem. 44 4s 
6or2a pnr. 49 1 
de 5or2a ptg. 88 sf 
boria ptg. 44 4« 
5or{a splat. 72 t 
boria sp. ptg. 31 11 
borlanda berg. 39 ss 
bcrlandot berg. 39 ss 
borlar gal. 60 
iortö piem. 44 es 
borU piem. 72 t 
borli berg. 48 47 
5oi*/i lim. 62 9 
Borlihre 28 
5orU2£a sp. 31 la 
borUou lyon. 28« 
6or£fet aprr. 78 • 
bortb berg. 100» 
bcrlo gen. 42 es 
tßflo borlo, aver U - 

piem. 38 it 
horlol berg. 46 le 
horloi Terd.-chal. 27 s 
borloUo neap. 73 n 
borluau meas. 46 ss 
Bormühl 110 



Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe hHr(d), 125 



hom acat. 61 s 
hom cat. 61 4 
bomac aprr. 69 a 
hcmaffer frz. 62 ss 
bormd piem. 69 s 
homtU pnr. 69 s 
bomar cat. 61 s 62 s 
6oma<e nench. 62 9 
Bomaut 110 
Aomayou Yend.-chal. 52 ss 
bomaffou Yend.-chal. 57 S4 
bom€ bress. 70 ii 
home fn. 61 s 4 
bome tT%. 69 t 
bome prr. 66 ii 
bomear sp. 62 s 
bomear sp. ptg. 62 « 
6omec prv. 69 a 
bomeer afrz. 62 9 
bomdra ptg. 62 t 
bomer frz. 61 s 
2K>mero sp. 62 i 
bomkta freib. 70 lo 
bomiyi freib. 47 
6omi freib. 69 t 
bomi it. 61 8 
Aoml Schweiz. 109 i 
6omfa gen. 41 4o 
borrda it. 41 st 
ftomido ptg. 102 4 
bomidor ptg. 102 4 
bornio it. 41 8? 
bomir afrz. 41 8? 
bomir ptg. 102 4 
bomU sass. 75 
bcmitott berg. 103 /l 
&omo prv. 69 a 
Äomo prv. 70 11 
6omo zfrz. 70 ii 
bomo piem. 69 5 
bomote (-gn-) Terd.-chal. 

70 11 
bcmoyer frz. 62 a 9 
born9 aprv. 43 47 
bomt aprv. 61 a 
^tit4 bress. 70 11 
boro prv. 15 



ioutO'boro prv. 15 
6dfo ven. triest. 38 sa 
607^ lang. 15 
boroa ptg. 78 t 
boroa ptg. 69 6 
boroflement (-rr-J afrz. 

35 so 
&oro2a berg. 74 
€ul Borolelum 23 
6or<m afrz. 64 is 
borön mant. 109^9 
öoron parm. 49 8 
borondolo ven. 44 ss 
ßÖQos mgr. 19 
boroMtai friaul. 73 
borpdn (barp-, berp-) dt, 

43 46 

dorr com. 41 40 

f)orr im. 33 la 

6on* ir. 3 

borr it. 41 40 

borr wall. 57 aa 

6orra agal. 41 41 

borra cat. 28 a 

borra gal. 38 la 

borra it. 27 t 

6o>*ra it. 37 16 

borra, baUer la — it. 

107 8 
borra mlat. 24 
borra ptg. 35 ss 
borra de seda ptg. 28 a 
borra sp. 38 sa 
borra splat. 38 ta 
borrabolas ptg. 11 7 
borra^ ptg. 11 10 
borra^l ptg. 24 
borraccia it. 28 4 
borraccia it. 109 s 
borraccion it. 28 7 
iorrace« frz. 18 
borracha sp., ptg. 69 8 
borraeho ptg. 12 si 
borracho sp. 28 7 
ftorractna it. 16 
borradela ptg. 11 9 
borrador sp. 1 1 9 



borragtni ptg. 18 
borraggine it. 18 
bon'agna neap. 38 sa 
borrago, borago splat. 18 
borrail gall. 41 40 
borraja sp. 18 
6orra/ schott. 20 
borralho cat. 29 9 
borralho de neu cat. 38 S7 
borreUho ptg. 11 is 
borralho ptg. 50 11 
borralho ptg. 73 
fioQQdCiDV (-<f') mgr. 90 i 
fiorrar cat. IIa 
ftorrar ptg. 11 7 
borra» cat. 31 13 
ßo^Qäg mgr. 97 7 
borras schott. 3 
borrat schott. 41 40 
iorrotfca acat. 35 so 
borrat prv. 40 sa 
borralxo acat. 28 t 
ftorroxa cat. 18 
iorre alemt. 12 si 
iorre dän. 3 
borrear gal. 41 41 
6orrea« frz. 67 ss 
borreccia berg. 109 s 
iorreoo ptg. 12 la 
borrhfa alg. 41 39 
borre/o ptg. 12 si 
borrefo ptg. 31 13 
borrega ptg. 12 si 
borregada trasm. 33 17 
borrego cat. 78 7 
borreiro gal. 37 sa 
borrel frz. 59 as 
borrelho ptg. 11 10 
borrenio ptg. 36 ss 
borrer parm. 92 s 
La Borrerie 110 
borreite s.it. 68111 
6orri vals. 12 is 
borrichet piem. 13 ss 
2iorri7/ engl. dial. 100 a 
borriüa sp. 31 is 
6orrio lat. 114 



126 



V. Abhandlang: Richter. 



borrir (bur-J piac. 92 s 
borrisaol cat. 31 is 
borrü splat. 00 i 
borro alemt. 12 si 
borro cat. 1 1 9 
bort-o cat. 42 43 
borro it. 24 
borro it. 33 i« 
fxfrro ptg. 12 ti 
borron gall. 12 ai 
borron sp. 11» 
borrotu sard. 32 i« 
bormgat cat 32 is 
borrugal cat. 64 so 
bormgat cat. 79 9 
horrum lat. 116 
Aor«a wall. 42 49 
Borsetis 115 
fjorto-9 kelt. 41 4o 
bortofld» äfn. 42 4t 
^oi-< 23 

6or< afra., pnr. 10 « 
^K>r< dt. 60 
bort pnr. 103 lo 
bortanea splat. 67 21 
bortat agal. 19 
/?o^T«/o^ mgr. 101 n 
ftortery engl. dial. 20 
bortigeu cat. 54 41 
bortorel o.it. 67 10 
Borto9stt9 115 
fportrolle afrz. ö2 S9 
/-»orte apnr. 106 1 
Aorti berg. 68 76 
boru picin. 33 it 
/Mrciz ram. 110« 
Borg 110 

bort/er engl. dial. 68 7«» 
fHV'zaine afrz. 20 
fM)rzelot€s frz. ^8 25 
//OM<fer bret. 98 
boudon vosg. 100 i 
bouhourg Talen c. 77 
ffoniras prv. 64 13 
boniraa prv. 55 43 
/x>MiVe/ii pnr. 66 11» 
bonler afrz. 14 4f( 



JSour 23 
5otir anD. 37 IS 
6our aun. 42 4S 
bour wall. 57 69 
boura alp. 58 ra 
boura (-ounaj lang. 68 tt 
bourache frz. 18 
bouracke (-ague) frz. 67 20 
&<mr<u bret. 27 s 
boura9 gal. 50 s 
bourar gal. 50 10 
bourassier frz. 33 it 
bonräswo lang. 79 11 
bourcUo lang. 35 93 
/unovQdzo ngr. 103 is 
bouratse graj. 18 
Botirag 110 
bourhlaxoer engl. 113 
bourboneiro ard. 102 6 
bourboncUr afrz. 106 1 
bourbondir afrz. Uli 
bonrbote afrz. 112 u 
Bourbou 112x1 
botirbou carp. 112 i 
fßourbouge rouerg. 113 
bourbouia prv. 113 
bourbouiado prv. 113 
bourbouioun alp. 113 
bourbouioun prv. 113 
Bourboule 112 11 
bourboulla bret 113 
/e Bourbovlou 112 11 
Bourboun 112 11 
Aour^un^n bret. 113 
ftourbour frz. 78 8 
bourbour frz. 107 9 
ftourbour frz. 111 1 
Bourbourhn 112 it 
/unovQtinovgX^im ngr. 

112x1 
bourfßouta prv. 111 i 
bourboHlen bret. 113 
ftourbiil engl. dial. 32 15 
Bourceron 110 
bourcftfe aun. 11) 
/o ftottrd engl. 38 so 
hourda bol. mod. 7U 



bourda bol. 78 • 
ftourciacAe vion. 20 
6otir(ia(a< afrz. 53 99 
Bourdath (-e-) 53 39 
bourdaleso sfirs. 53 3t 
bourdalU sfrz. 53 99 
bourdai aun. 49 a 
5ourda«ne frz. 20 
&o»rc2aine frz. 108 7 
£»a Bourdaine (Les -*) 2.5 
ftourdato pry. 36 99 
6our(2an^ wall. 49 a 
bourda« prv. 6649 
6oure2at«aff poitev. 55 43 
bourde afrz. 19 
6our(ie afrz. 30 
6ottr(ie afrz. 32 16 
6otirc2e afrz. 6647 
6oui<<ie afrz. 77 5 
bourde aun. 49 m 
bourde ann. 67 «1 
bourde frz. 39 39 
bourde frz. 6649 
bourde frz. 55 4a 
5oci7*c2e frz. 57 &6 
ftourde prv. 34 19 
bourde norm. afrz. 78 t 
ftoiirde toul. 55 4% 
5our(ie vend. 55 4« 
6otircI« wall. 39 39 
/a .Bourvie 110 
bourdffcUo waadtl. 36 99 
bourdeiüer wall. 49 a 
bourdcja lang. 65 49 
bourdejaire prv. 52 sa 
Bourdenei 22 
(ourdenne norm. 20 
bourder afrz. 39 39 
ftourdese lang. 55 49 
bourdese toul. 3:i it 
bourdeac toul. 33 la 
Bourdet 110 
6oMrt{e< prv. 103 10 
bourdet vend. 56 4a 
fiourdet wall. 49 a 
I bourdetcher wall. 49 « 
bourdeCo prv. 65 



Die Bedeutangsgeschichte der romanischen Wortsippe hur(d). 127 



loardeto pnr. 49 i 
hourd^fl vralL 49 s 
fßOHrdüune bress. 100 5 
J)Ourdiero prr. 20 
ißourdifatüe genf. 78 t 
ffourdifaiäe verd.-chal. 

78 6 
/totirdi/aio prr. 36 ss 
ffourdifaio prv. 36 aa 
hourdiftdo prv. 35 ai 
Bourdigal 22 
hourdigalo (-Iho) prr. 19 
(ourdt^o* prr. 20 
fi<ntrdigau prv. 37 as 
bourdigue sfrs. 65 
Baurdiguet 110 
hourdiko prv. 37 as 
DourdilUere 22 
hourdin poitev. 9 i 
llaut-bourdin 23 
ftoardmage prv. 36 aa 
Bourdinni^re 22 
fjourdir fra. 98 
ftourdir ufrs. 38 so 
f*ourdi(r) wall. 49 s 
f}ourdo lang. 20 
^oacrdoir afrz. 59 a 
Bottrclon 23 
Bourdon 116 
Bourdon, Etawj de — 

22 
fe Bourdon 110 
£e# Bourdon* 23 
hourdon afrz. 63 84 
bourdon afrz. 52 7 1 
ffOttrdon afrz. 68 vs 
hourdon afrz. 116 
/>ourcioii berr. 86 i5 
ftourdon engl. 53 su 
ffourdon engl. 86 la 
^iirticm flandr. 49 5 
hourdon frz. 13 as 
bourdon frz. 32 14 
fjourdon frz. 41 an 
ftourtlon frz. 49 « 
ftourdon frz. 52 a? 52 an 
h)nrdon frz. 63 so 



bourdon frz. 53 si 
6otirclon frz. 56 si sa 
bourdon hz. 864 
bourdon frz. 87 ao 
bourdon frz. 87 aa 
6ourdon frz. 98 
bourdon frz. 100 1 
6our(2on frz. 108 7 
dourdon, pltmUr son — , 

demeurer ä — planti 

53 8a frz. 
bourdon de St. Jacques 

frz. 66 44 
bourdon grödn. 36 aa 
ftourcion mont. 100 1 
bourdon norm. 86 la 
fxmrdon orl. 49 7 
Xa Bourdonnaie 22 
Le» Bourdonnaies 22 
bourdonasse frz. 49 s 
Bourdonnas 23 
/.e Bourdonnay 22 
Bourdonnaye 22 
Bourdaimi 22 
&<nirc2onneau vend. 57 eo 
bourdonnie, eroix — frz. 

56 48 

bourdonner frz. 98 
bourdonner fn. 105 C 
Bourdonnerie 22 
öourcfonneur frz. 101 10 
Bourdonney 22 
bourdonnier frz. 53 si 
bourdonnier frz. 57 m 57 ea 
bourdou(n) prv. 69 6 
bourdouira lang. 52 a4 
bourdouira sfrz. 33 X7 
bourdoul prv. 106 
bourdonl prv. 110 7 
ftourdoulaigos tonl. 21 
bourdoulaigue lang. 21 
ßovoifovXov 49 8 
bordoun prv. 19 6 
bourdoun prv. f 6 44 
bourdoun prv. 100 a 
6ou^'(2ouiiy /« ^re« — sfrz. 
63 81 



/nßov^&ovvägta epir. 

54 40 
^t;^(rov)'a^f;ngr.5488 ao 
6our(iounay/o dord. 20 
bourdour afrz. 39 8a 
5or(iotM toul. 69 6 
Let Bourdottx 23 
bourdoyer afrz. 39 so 
bourdrel frz. 62 a9 
bourdufo (-flo) 103 10 
2> ('I««; Bourdj^ 23 
5ot«re frz. 101 11 
5otire C-ouj lang. 42 43 
/x>ur0 prv. 36 aa 
La Botir« 23 
5ourec lang. 12 ai 
bourel sp. 67 ao 
bourd toul. 46 vi 
BourcZ 23 

boureiaire lang. 103 5 
Bourelerie 23 
Bourdihre 23 
Bourelle 110 
5ottrene afrz. 91 a 
6otiren/fo verd.-chal. 424a 
bouriou lang. 103 
Bourerale 110 
Bouresae 23 
6otfre^ afrz. 109 a 
&oure^ lang. 1 1 6 
bouret afrz. 11 10 
boureta lang. 24 
bourelä lang. 95 a 
fiTcov^ixa ngr. 103 is 
bourelier afrz. 24 
bourgain afrz. 20 
bourgain frz. 48 i 
bourgalha frz. 52 24 
bourgano laug. 20 
fx)urgaud norm. 53 S4 
fxnirgattdin poitev. 63 ss 
bourgaudine pas - de - cal . 

53 S4 
houvgcon frz. 42 43 
bourgin prv. 66 20 
bourgloHM poit. 2^ s 
bourgnago zfrz. 69 « 



128 



V. Abhandlang: Richter. 



bourgnaire prv. 105 « 
JHfurgnt aun. 67 90 
hourgnion aun. 66 in 
hourgnum aun. 70 11 
Ißourgnon aun. 44 53 
bourgnon prv. 69 
fjourgiwn frz. 66 17 
bourgnoun zfrz. 69 9 
Itourgono loz. 20 
hourgoutxa (bürg-) sfrz. 

52 16 
bourgouna sfrz. 52 S4 
iHiurgutUe norm. 76 « 
bourguelie norm. 76 4 
6our^ui^<m aun. 44 63 
bouri verd.-chal., genf. 

108« 
botiri bouri verd.-chal. 

90 I 
bouriauder verd. - chal. 

50x0 
Bourienne 110 
bouHer aun. 37 ss 
bourielo prv. 64 13 
bourieto prv. 65 
ftourtZ lang. 43 4« 
bouril lang. 58 75 
bouriliont lang. 28 r 
bourillot verd.-chal. 43 4e 
bourils toul. 28 8 
bourmela prv. 46 D7 
BovQtvvct (ÄtJ^-, DvQQtq) 

108 1 
f}Our%nne(-ine) awall.Ols 
bonriolo prv. 11 10 
bouris frz. 11 11 
La Bourisse 23 
Aüuri^ prv. 110 5 
ftourjoilouiro sfrz. 61 24 
bourjdne Seine et Oise 20 
f*ourJoH sfrz. 50 13 
bonrjou (brou-, brtt'J prv. 

106 
fSor^)«« f-off^ ngr. 71 12 
fiourlar alp. 51 14 
bourla* (-ais) bret. 27 « 
hoHrle prv. 43 4« 



bourler afrz. 39 ss 
bourler flandr. rouch. 

43 48 

finovQlid^b} ngr. 34 10 
Bourlihre 23 
ßovQXivog ngr. 16 
ßovvUCio ngr. 34 19 
ßovgXo ngr. 16 
ßovgXov ngr. 16 
Itourlot flandr. 43 47 
bourlot rom. 49 c 
finovQldxo ngr. 73 
bourloUe bretagn. 45 &6 
bourloUe wall. 43 47 
6ouma prv. 70 xi 
iou7*7ia<; ^-<j prv. 57 09 
boumae prv. 69 s 
öotirTiac prv. 69 9 
botimage prv. 70 xx 
6our9iai7 ^-oif^ aun. 69 9 
beurnail frz. 75 
^umaZ aun. 69 9 
bow'7ial prv. 27 3 
(ouma/ prv. 66 xs 
boumal prv. 70 xx 
buifiau prv. 75 
^oiirnau zfrz. 70 xx 
Boutmavea 110 
bournay prv. 98 
&ou7*nea prv. 1 1 1 9 
Boumegre 110 
Boumegue 110 
bounid lang. 69 e 
boumda prv. 69 6 
fi7iovQv£ct ngr. 109 « 
boumigoun zfrz. 70 xx 
bouniion prv. 66 la 
bournion (bom-, boun-J 

prv. 98 
finovov({toi ngr. 102 4 
Bvurno 111 
!»OMro lang. 08 7« 77 
ioMro (borOfbotirou)ffc m\ 

— piem. 41 38 
bourvle dcux-sivr. 67 ao 
bourole vicn. 67 «o 
bourolle (-1-) poitev. 42 43 



bourot verd.-chal. 27 1 

ttouroU gruy. 101 xi 

bounm morv. 12 14 

bouroun prv. 42 43 

&ott}t)tin 64 xs 

bouroun prv. 72 3 

ftourr bret. 37 s« 

bourrache frz. 18 

bourrad toul. 50 10 

fiourrada cat. 41 38 

ffonrrade frz. 50 10 

bourradU prv. 35 so 

fjourmdo prv. 49 8 

bourrage prv. 18 

bourraUloux (-y-) vieu. 
29 9 

bourraou toul. 36 u 

bourrwjuin lang. 28 4 

bourroM Saint. 28 e 

Z^OMrrc 23 

bourre bress. 42 43 

bourre jur. 42 41 

bourre, arbre ä — fr». 16 

fjourre frz. 31 xs 

bourre frz. 36 99 

bourre afrz. 36 9s 

ftourre frz. 69 x 

bourri('ie) fr«. 72 1 

&ou7Te sfrz. 42 4s 

bourreau frz. 50 xi 67 91 

bourrie aun. 16 

bourrie, briUer une — 
frz. 72 1 

bourrie frz. 96 x 

bourree frz. 99 v 

bourreio prv. 72 1 

bourrel frz. 11 10 
[ bourrel frz. 50 19 
I bourreler in. 50 xo 
I bourrelet frz. 27 i 
i bourrelet in. 44 m 

bourreleU lang. 27 1 

ItourreUer frz. 27 1 

fjourrer frz. 27 1 

bourrer frz. 27 9 

bourrer frz. 28« 

bourrer frz. 39 89 



Die Bedeatangsgeschichte der romanischen Wortsippe fmr(dj, 129 



bourrtr frz. 50 lo 
baurrer frs. 92 4 
bourrtr meus. 92 4 
bcurrei frz. 12 i5 
bourrH frz. 12 ii 
La Bourre» 23 
bourA aun. 42 46 
bmtrA montr. 108« 
bourri poitev. 90 i 
bourri verd.-chml. 12 it 
bourriage lang. 64 is 
bourriauder flandr. 50 lo 
bourrido (-oulo) 110 6 
bourrido, courre — pnr. 

36 11 
bourrier frz. 25 
bourrier frz. 37 is 
bourriU de neu toul. 38 it 
bourrin aun. 43 4« 
baurrino ronerg. 12 is 
bourriol frz. 78 i 
bourriquet frz. 18 n 
bmtrrir frz. 99 v 
baurroiehe {-esche etc.) 

67 10 
bourrde aun. 44 ss 
bourron lang. 64 is 
5ottrrott lang. 12 i4 
bourrouia pnr. 51 xs 
baurroular alp. 51 14 
bourrouÜement frz. 110 6 
bourru, vin — afrz. 37 i« 
bourru in, 29 a 
bcurru frz. 31 la 
5attrrtt frz. 38 ii 
bourru frz. 33 » 
6otirru Fr. comt 12 14 
bourruih pnr. 42 48 
&oiir«er afrz. 42 4i 
bour$intßer frz. 42 41 
Bourl afrz. 64 it 
bourter frz. 50« 
6ovr<»^at prr. 26 
bourtoulage afrz. 21 
bourUnden afrz. 67 lo 
flovffiC^Cttv ingr. 102 4 
fißovQ^ ngr. 41 4i 

SitiQDgsbtf. d. pbil.-bitt 



ßoij^Tog mgpr. 108 i 
ftoti^te/ai^fe waadtl. 36 ii 
braa berg. 105 C 
&ra6a(A« sard. 113 
bracana pnr. 25 
braci agen. 94 
5ra9 engl. 94 
brtigd lang. 41 41 
bragal kymr. 94 
5ra^» piem. 94 
bragir obw. 94 
6ra<7u; vegl. 94 
ßi^d^ui mgr. 90 1 
ßQü^m sptgr. 94 
frratre frz. 94 
braj piem. 94 
bramar sp. 107 
5ran<2 dt. 10 4 
brandh piem. 10 4 
ftrandenaa mail. 10 4 
brantar alp. 51 14 
fißQdaica ngr. 101 11 
ßqdaavi gr. 90 1 
brayon frz. 101 11 
6rato cjmr. 96 e 
bredauille frz. 53 84 104 1 

106 
bredouüler frz. 113 
5re^n (ber-) in, 67 10 
dremimaa com. 10 4 
brennage frz. 103 18 
brennen germ. 75 
ftre^um frz. 101 x 
breike alb. 101 11 
breapa n.o.it. 101 11 
5re(«ma gal. 48 81 
bretU frz. 106 
bretteur frz. 106 
brelugen bret. 37 is 
breüyeüd bret. 91 1 108 t 
breugge piem. 91 1 
5re%j bret. 91 1 
bremOea frz. 108 6 
bresuo it. 46 68 
5rt2/eto sp. 100 a 
5ri//o it. 16 22 
brimbaut tour. 79 • 
Kl. 156. Bd S. Abh. 



&rtn afrz. 91 1 
brina it. 45 Yi 
brindncU piac. 10 4 
brinquiiio sp. ptg. 78 t 
5rtffca gen. 75 
herba briUaniea lat. 19 
brUto it. 14 
brüzdn odt 45 68 
5r0 ptg. 78 t 
broa pnr. 25 
5roaccton piem. 25 
broacih piem. 28 t 
broasca ram. 101 11 
5fo5oH alb. 86 is 
brobaroia alb. 90 1 
broder in. 60 
brodi lagom. 37 16 
broenn bret. 3 a 15 
broeM bret. 41 41 
brogae gall. 25 
&rc;^^ piem. 91 1 
broginus mlat. 6610 
brohan (-un) afrz. morr. 

101x1 
broharöj {-ii) alb. 90 1 
broima yen. 115 
6roü>n afrz. 101 11 
brolot flandr. 43 4t 
broüar sp. 110 4 
ftroOar cat. 115 
bronehtUUes in, 77 a 
5rofu2fui neuenb. 99 
brond'nf bern. 99 
broTidon neuenb. 99 
brondon Fr. comt. bern. 

100 1 
bronn bret. 43 46 
brontolare it. 99 
ß^dxiov mgr. 19 
6ro^ air. 3 a 
brott vom. 37 16 
brou h.-saön. 20 
&rott frz. 35 11 
brouage Mint. 25 
brouaUie afrz. 35 11 
broua» frv. 45 68 
brxmdi nprv. 38 so 
9 



130 



V. Abhandlnog: Richter. 



hroue in. 11 7 
brotU frz. 11 t 
brouie frs. 107 6 
brouelle afrz. 30 
brouer afrz. 91 1 
broufumUßra-, bre-,gri', 

bou-J 90* 
brongi piem. 91 i 
brovgncmn zfrz. CO o 
brouhaha frz. 106 
broui frz. 74 
braute afrz. 91 1 
brouüle afrz. 108 e 
brauÜUr frz. 34» 6384 

M — frz. 36 10 
brouUir afrz. 74 
brouülcn frz. 34 1» 113 
hrm^maxa sfrz. 60 is 
ßqovxa mgr. 111z 
ßgovla mgr. 16 
ßqovXa ngf. 76 
6rotiZar alp. 61 i« 
brouleur (-U-) afrz. 34 i9 
ßgovXCCto alb. 16 
ßQovlldvifAog ngr. 90« 
ß^o-öiXia mgr. 34 a 
ßQovlXCafM 34 a 
ßQovXlov mgr. 16 
ß^ovloxijnfQos mgr. IG 
ftroumide b^arn. 107 & 
6rottncAouna Bfr. 61 it 
broundigalo prv. 20 
6rtmni b^am. 106 (7 108 a 
6roimi^^re böarn. 106 i 
^TtQovcira ngr. 108 i 
^;r^or(rxoc ngr. 76 
brotuto lang. 76 
brouler frz. 76 
brouUoe alb. 30 

ßgo^X^ ^fS^' ^^ ^ 
broz lagom. 37 t& 
6rua meas. 26 
ßijvd^nv mgr. 39 so 
ßgva^o^ffri mgr. 90 i 
brubbudai sard. 113 
5ru^ kors. 76 
6ruccMire it. 73 ii 



bntciate it 76 
&n<^ lomb. 91 1 
bru^ lomb. 110 t 
ftrticti« splat. 79 10 111 x 
bruda (-ato) gen. 91 1 
briida bas.-lim. 91 1 
bruddu BIZ. .S9 80 
brüdi gen. 91 1 
bruel alemt. 11 s 
bruete afrz. 11t 
bruffulai sard. 113 
brufcl cat. 46 56 
brügx (-ia) lomb. 91 i 
brugidor cat. 102 8 
bruffina mlat. 66 so 
iru^tnumf'-ufjmlat. 66 ao 
brugir cat. 103 .A 
^^ni^rt^ cat. 106 
brugnon z.frz. 69 9 
bnigo lang. 76 
6rti^o cat. 79 lo 
btmgiu splat. 100 s 
brat piem. 91 x 
bruilaz afrz. 34 lo 
bntin afrz. 47 
bruin (-e) afrz. 91 1 
bruine frz. 46 vi 116 
irttir« it. 108 « 
bruire cbamp. 46 m 
bruire frz. 91 x 
brttU frz. 91 i 
brnja sp. 36 i» 
bi-ujir sp. 102 8 
brujo cat. 76 
6rtt/a Ten. 16 
brtda bret. 108 t 
irö/cr frz. 73 u 
bruUau frz. 72 i 
brulicare it. 114 
&m2^ sard. 39 so 
brtdoUo mail. 73 
brulu bret 19 
I Arumma gen. 19 
brunaga sard. 76 
brunaU it HO 8 
briinia gen. 109 t 
6rur(fit alb. 90 i 



6rti« lang. 76 
briU piac. 76 
briuc friaul. 76 
brwca it. sp. 76 
brtuca cat 67 to 
bruMcar sp. 76 
brutcello it 106 
bHUcia lomb. 76 
6rttfco cat. sp. 76 76 
6rti«co Yen. 76 
6ru4c«« splat. 97 lo 
bru$cu9 mlat. 101 it 
brutda sp. 19 
örtota» afrz. 102 a 
brutidor cat. 102 s 
6i'iMi(f mess. 46 m 
ßQ'6<ftg ngr. 108 x 
bnuque, diamant — frz. 

76 
brusta tose. 73 
bruatigha regg. 61 18 
bruHrum splat 73 
bi'uttrum splat 73 74 76 
brutar sp. 103 ii 
6rti^ it. 37 SB 
bruUore it 37 u 
bruxa (-o) cat 36 10 
bruxa cat. 76 
bruzno sp. 37 S6 
brutzaglia it. 37 a& 
bniezico it 37 ss 
&ruczo it. 37 ss 
bruxxolo it 37 15 
6rit2zu gen. 91 x 
brüzsu gen. 110 t 
ßQt^rifia ngr. 90 1 
/S^tjco ngr. 108 x 
brwyn cymr. 3 a 
b^ark (-a) vegl. 66x6 
bubarrut Splat 104 x 
fttMia it. dial. 68 ss 
buda splat. 16 
buda splat 6819 
&tu2r0 lyon. 74 a 
buerde ahd. 88 tt 
buerde cleT. 88 it 
6«er(2t npnr. 38 so 



Die Bedeatungsgeschiehte der romanischen Wortsippe bur(d). 131 



huhurdiren mhd. 39 so 
&tiM> it 47 
buir€ afra. 76 
htdrt afn. 109 s 
bmreUe tn. 72 i 
biäro loir. 24 
huiran afrz. 47 
6iaron fra. 64 is u 
&ii^ afn. 76 
«6i(/2ere lat. 74 a 
buOire Ut 74 74 a 
bumbuüa sard. 113 
Inioma (huar-) gruy. 75 
&ttr bol. 47 
bitr engl. 3 
6ttr engl. 19 
bur engl. 12 is 
&fir engl. 42 49 
bur engl. 42 44 
hur engl. 98 
to 6f<r engl. 101 107 4 
bur rom. 47 
Attra gen. 29 b 
bitra, btuia lat. 14 
&tfra mlat. 64 is 
büra piem. 24 
bura ptg. 30 
6«r(S mm. 45 66 
bura splat. 26 
bura vegl. 46 5« 
Atira yion. 49 • 
buraca mm. 45 oe 
burach mess. 2U s 
buracot ptg. 109 8 
burala friaul. 18 
burala ptg. 30 
ftfira/« sard. 18 
Buraim 116 
6»rana ven. 45 s« 
burangük tttrk. 18 
6urar it. 48 ei 
burart splat. 74 
burato gal. 101 i 
burato it. 33 is 
burato lang. 30 
öurato lang. 35 ts 
burato ptg. 101 1 



burato Yen. 103 ii 
burattel em. 11 lo 
buraUeUare it. 103 ii 
fturo^jno it. 27 i 
6ura^'no it. 59 t» 
^Mro^ttf» splat. 74 
buraz gal. 32 is 
buraxena friaul. 18 
6ttr5a alp. 108 6 
Burbach 110 
burbandola lacch. 101 s 
burbanta it 113 
burbera it. 102 s 
burbero it. 33 1 7 
6ur6ero it. 112 i 
burbüia f-aUaJ splat. 1 1 2 1 
6ttr&2e engl. dial. 113 
burbola it. 102 6 
burbora piem. 102 6 
fjurbudda sard. 41 39 
6ur6tui<2a sard. 113 
burbuja cat., sp. 113 
burbulhare ptg. 113 
&ttrWtme alb. 113 
Bürbur 112 a 
Burfttir 115 
burburinhar ptg. 111 1 
6tfr6f4rwmtM splat. 112 i 
Burbtirus 112 i 
Btir&uru« 115 
burbutar sfrs. 113 
6fir6u^tzzM sis. Uli 
burca sfrz. 50 is 
burea splat. 48 i 
6ttrca splat. 51 1« 101 B 
burca splat 71 it 
burcaj bol. 58 7 s 
burcaj em. 58 7 s 
burcaj n.it. 101 1 
fturcar prv. 50 s 
burcell rom. 65 16 
6uivera sard. 19 
burceta sp. 19 
burchetta em. 58 76 
burchi gen. 59 «o 
j ^tircAi'a it. 65 i6 
burchio it. 109 s 



6ttrcAi(me abr. 53 ss 
burckioni (-ittua) sttdsard. 

48 I 
burdiiu sard. 65 le 
bttreio gen. 19 
burda mlat. 65 is 
Aurda alp. 16 
burda splat. 67 ss 
burdaüa sp. 29 o 
öilrtian gael. 98 
BurdanuB 115 
burdas splat. 68 S3 
Attrctt rom. 50 • 
burdegano Span. 9 i 
burdell rom. 54 4i 
burdell rom. 106 
Wurden engl. 88 ss 
burdghi rom. 51 is 
6Mrc2i nprv. 38 so 
burdica splat. 65 
6ttrd(^ar sfrz. 78 o 
Burdigala 65 
6ur<i^ar bol. 51 is 
burdigär em. 51 is 
burdigliare graub. 114 
fturdi^nii siz. 86 lo 
Burdinatium 23 
Burdineria 22 
Xm Biirdin« 23 
Burc^M 23 
burdit splat. 98 
6urc2t^ splat 38 so 
burdiu(bordiu) berg. 86 i 
burdo lat. 9 
6Mr(io mlat 13 ss 
burdo splat 85 
burdo splat. 100 i 
6tirc2o sp. 29 » 
burdo sp. 37 ss 
burdoc mail. 79 lo 
burdock engl. 3 
Burdoinagut 23 
Anriioii engl. 86 is 
durcionaritM splat. 54 sa 
6ur<ion» sard. 53 so 
burdoni sard. 85 s 
burdotitoM splat 38 39 
9» 



132 



V. Abhandlung: Richter. 



burdoun engl. dial. 86 xi 
burdriU engl. 101 1 
burdrolo var. 43 48 
hurdh berg. 68 ti 
burdu (aurdu) sard. 6 90 
hurdu sard. 10 i 
a hurduca mm. 107 4 
hurdnf ram. 28 4 
burdtdü tarn. 85 s 
burdtUak (vurd-) alb. 21 
burdumi sard. 10 s 
Burdun 85 4 
burduruU berg. 10 4 
burduneulu» splat 17 
B«r«2une2Kt 115 
burduni sard. 57 6« 
&ttrririm siz. 68 
burdu* lat. 7 9 95 a 
&ttr(2iM splat. 68 

a 9€ burdui 42 41 
bttrduz (hur-) mm. 107 4 
Bure 23 

Aure, AmVe afn. 24 
bure afrz. 26 
6iire afn. SO 
bure afrs. 67 so 
bure afre. 76 s 4 
5ifre afrz. 77 s 
bure aost. 12 is 
bure engl. dial. 53 S4 
bure engl. dial. 55 4S 
bure frz. 24 
Äwrc fr». 70 11 
bure frz. 72 i 
bure kroat. 109 s 
Aurc S«int-Di^. 77 6 
bure wall. 74 a 
hurfau frz. 31 11 
buredda gallar. 18 
huregh engl. dial. 115 
7 Aiirei grttdn. 73 
hurel ahmt. 11 « 
Awre/ afrz. 30 
hurtl afrz. 56 60 
Awrfi lang. 11s 
hnrel lanp. 30 
'.'/rr/ ptg. 11 « 



VM^ir 5ttr^ ptg. 30 
burel sp. 27 s 
burel sp. 56 64 
burelado sp. 56 64 
5ttre2/ cat. IIa 
burella it. 12 i« 
burdla it. 47 eo 
bureUion afrz. 43 46 
6ttrc/2o it. 27 1 
5tfre/oto ven. 78 t 
büren dt. 99 a 
burhn crem. 43 4« 
6ttre», ^ottr c2e« — lothr. 

77 6 
bureate frz. 26 
buret afrz. 11 i« 
buret bay. 63 xi 
&ttre< (-in) poiteT. 100 a 
burHa splat. 109 s 
bureUe frz. 69 s 
bureUe frz. 109 i 
5urey cat. 11« 
buriüi Yion. 51 is 
bur9n waldeck 99 a 
bwr/Uh engl. 32 is 
burfuht alb. 42 4S 
bürg (-oU) em. 66 i« 
burga em. 66 1 7 
5f4r^a ronerg. 51 is 
burga sfrz. 50 is 
burga sfr^ 52 S4 
Aur^a Sp. lOS 1 
6ttr^a splat 71 ii 
burgdm alb. 41 4S 
burgar interamm 51 1« 
burgar sfrz. 50 « 
burgaria lat. 50 s 
btirgntor lat 50 • 
burgatlii waadtl. 52 14 
burgan poitev. 100 s 
burgaudin frz. 50 s 
burgauli frz. 55 4S 
burgaul norm. 78 « 

, burge»»our$ frz. 50 o 

I Aun/f tQrk. 101 i 

I b\trgi alb. 101 i 
frMrr;i alb. 102* 



fer burgia cat. lOSil 
Burgina 115 
Aun/tnuff mlat. 66 s« 
burglaria lat 50 s 
burglator lat. 60 s 
6ur^o gase. 76 
burgore(brug-) gen. 43 4S 
burguer poitev. 60 « 
burguet prr. 65 
burgtäaior lat. 60 s 
6ttr< alb. 46 6« 
buA alb. 86 X« 
5uri alb. 111« 
buri cat 101 i 
bnri buri mess. 90 i 
5tiri mlat 64 is 
bwn rom. 47 «o 
buA rom. 91 i 
'buria ahd. 64 is 
buria piom. 24 71 is 
buria splat. 26 
5iirtan ahd. 92 4 
5tir»atia it 46 8« 
6ttr»ana sard. 46»« 
burianna gen. 45 s« 
bftriasMO it 98 
buribttcHum Ist 17 
burie ram. 43«« 
burica splat. 63 xc 
buricat mm. 43 4« 
6»rteaiie lucch. 62 S4 
burich splat. 17 
buriehio it 12 it 
burichuM lat 12 st 
AtcricH« lat 12 xs 
Buricu» 115 
burida om. 92» 
burida friaul. 110 s 
burida im. 92 3 
burida im. 96 s 
burida splat. 106 a 
buridon om. 1Ü5 ^ 
&r<rir/ sp 100 4 
buriele sard. 46 s« 
buriga friaul. 62 S4 

I ÄMrfi alb. 69 4 

I AMni alb. 90 1 



IKe Bedeatangtpescliidite der romaniBeheii Wortsippe bur^dj. 133 



wte raa burü alb. 89 i 

me raa burü alb. 103 il 

buHja (-Oka) bul^. 100 1 

htirike rion. 12 i4 

buril alb. 109 s 

huril ptg*. 101 1 

hwril sp. 100« 

hmrüar ptg. 101 1 

hmriü cat. 11 • 

burtm alb. 103 i 

burin fn. 101 1 

bvrin (-= buUmo^ , burM 
piem. 101 1 

burina cal. 45 m 

burina it. 90« 

burima it. 101 B 

burituB piem. 109 s 

btirma urd. 102 1 

bmrina sard. 109 s 

'/iirma splat. 91s 

bitrinare spUt 70 ii 
bmrhuiri siz. 101 i 
hurine afrx. 91 s 
Bwnoo 115 
£«rtfio six. 101 1 
fiurino «p. 11 1« 21 
Avrmor cat. 100 i 
burirufi caL 100 s 
burinM tp. 67 s« 
6«r£r ain. 99 t 
*«rsr fer. 92» 
burtr ier. 105 C 
hurir rom. 91 s 
burir wall. 9:i 4 
buriin praj. 101 ii 
burilaniri Höret pplat. li> 
bttriu tstr.-mm. 109 s 
hurithar m.xr. 1?0 i 
6urj^f-V* a^b 90 1 
burüu rat. 32 m 
BitW«« 115 
^77« lan^. 51 1« 
ijurja tfnL 50 u 
/^w/^'iZJM »law. 19 
turj^i mf.nt. M> :« 
/;«77«aa ffrz. 5^^ xs 
bjwicc::^ p -vii. 1*/.' » 



burla berg. 45»« 

6ur/a cat. 39 21 

burJä Tion. wall. gmy. 

73 u 
burla burlando Sp. 44 &l 
hurJdn rum. 69 4 
burlanitra alemL 44 4« 
buriant afrx. 43 4s 
burlant afrs. 92 s 
£ot buriant burlarU cat. 

44 si 
burlarUe», andar de — 

aleznt. 44 48 
buriant in ptg:. 44 s« 
burlare it. 39 sx 
burUwe it. 44 4« 
burlare Tic. 31 i 
6ttr2e lang. 60 
burleing bol. 78 1 
burlengh rom. 78 7 
burler afra. 92 s 
^wWxy lang. 57 «s 
6ur/o prr. 43 4i 
burlora ptem. 102 
burlU aan. 78 • 
burf.U piem. 55 4S 
burlotto neap. 73 11 
burUntn prr. 43 4? 
bur!u bret. 19 
burimiü mm. 16 
b^rlniü mm. 69 4 
4uW^ engl. 42 4j 
burvux alb. 102 s 
//wm^ vion. 69 » 
bumelra ptjr- 28 s 
burrueta fpiat. 19 
^m«t« Fplat. 19 
^irrrte« rat. 75 
bumeu prr. 69 s 
b-^mi pi«^ ffl. 102 4 
b'Amir afz. 102 4 
burnitp^ moi. 75 
bur.iita mm 45 &4 
^Mtryo^tr %irL. 1(«2 4 
l^aro 115 
kAo^ it 47 
^'^ ptjr. 11 * 



^Burodunuvn 23 
6uron em. 79 is 
^M/xm frz. 30 
bunm frz. 64 is i4 
buron sp. 33 it 
Kurort alb. 108 1 
Buro% 23 
£«rot abarg. 11 is 
burr engl. 3 
fturra lat. 14 

, burra ptg. 37 S4 72 € 
burra ptg. 67 ss 

\ burra ptg. 8t. Thomas. 

, 46&6 

. burra sbetl. 15 

, burra splat. 4, 29 ii 

' burra splat. 16 27 i 
burra splat. 75 
^urrooria sard. 18 
burraceia sard. 27 s 
bu.rrada caL 49 « 

' burrae splat. 4 3S ss 
burragena bor. 46 s* 
burra» sard. 11s 

■ burrajo sp. 74 
BurranuM 115 
burroMca it. 46 »« 
6tirre lotbrg. 76 
6urrc m.eng^l. 3 
6urre schwed. 3 
fjurrefa alemt. ,3{« »• 
burrel eog-l. dial. 57 «« 
buTtlßy engl- l<y>s 
burr^n, purrm dt. 96 i 
burren, pur reo. dt. 1«9 T 
/y«rron dt. 110« 
burriin enj^l. dial. 101 ii 
burri-huM lat. 12 U 
burrico it. ptp. 12 14 
6ttr/-»r2a sard. 11 i« 
htrrie engl. dial. 115 
2o burrie engl, dial. 115 
'« .rr'ruu sard. K»2 i 
burricn afrx. 19 
Ä^m're 5j 'at. 94 95 a 
'*H^-ri* «j.iat- 9'» X 
f*^rril «piat. 91 s 



134 



y. Abhandlung: Richter. 



Burritu» 33 17 
burrium splat. 63 11 
Burritu 115 
burro cat. ptg. 0p. 12 14 
burro gal. 102 s 
burro interamn. 12 30 
burro ptg., sp. 13 sa 
burro 8p. 36 14 
burro sp. 72 6 
6urro marmo sp. 12 is 
burroe ir. 16 t 
fturrone it. 33 la 
burrow engl. 63 11 
to burrow engl.dial. 101 2 
burrow duck engl. 101 11 
burrugada sard. 39 si 
burmgar sard. 54 36 
burrugare sard. 40 
&tirrt<m&a/a sard. 36 so 
bumtmbaglia sard. 35 so 
burrua lat. 10 & 11« 75 
burru» splat. 29 11 
BurrtM 115 
burt aprv. 65 1« 
burs pry. &0 s 
&ttr«a splat. 71 is 
buraanele berg. 102 1 
&ur«e prT. 65 1« 
ftttr«e ahd. 3 
fßürl enneberg. 37 ss 
ß^if^axog äol. lOi IS 
burlhUUe engl. 3 
Burtina 23 
burline abr. 20 67 si 
hurline abr. 51 1« 
burtine abr. 55 4t 
Burtinua 115 
BurÜH» (-a) 115 
6urto amp. 37 sb 
&iii'(one abr. 53 S4 
buriugen bret. 37 s& 
burtuliari siz. 90 1 
hurtuM splat. 37 SB 
ÄuWti» splat. 111 X 
6urM berg. 58 73 
6urf<(Ana rum. 19 
burujo cat span. 35 ss 



burujon sp. 27 1 
burulele sp. 27 1 
*burum ustulare splat. 

73 II 
burumbaglia sard. Uli 
ftttfKvuiafi^af ptg. 36 ss 
Bururdo 115 
6urta lat 11 < 
buruao ptg. 35 ss 
burulel bret 103 11 
6tira» cat. 51 ss 
buryt splat 17 
burza mail. 21 
^rza sard. 36 ss 
burza (buhaj log. 86 s 
buHum lat. 74 
6u^tna (bodina) kelt 61 s 
6u74}*na freib. 70 10 
btDmftwr weish 113 
bwr wclsh 26 
6türa welsh 25 
bwrc welsh 26 
bwrlyniu welsh 108 1 
biwrlwm welsh 108 1 
bwm welsh 72 4 
bwmd welsh 72 s 
byeurta h.-aav. 77 4 
byrdon welsh 8611 
ft^retum (^-on^ welsh 85 s 
bt/rjwch welsh 82 14 
bymaid welsh 72 s 
bf/rsl ae. 3 
6drr(2c alb. 42 46 
caboume prv. 70 n 
cat'ema lat. 70 11 
combtirere lat 74 
conU-fßorgne frz. 41 37 
d6barra9 frz. 36 ss 
ibouriffi frz. 32 i4 33 is 
eliourrifer frz. 32 14 
embarratter frz. 36 ss 
embourginä prv. 67 so 
embrulhtw, emburilhar 

ptg. 35 19 
emburujar sp. 34 x» 
enginier afrz. 40 
csberlarae cat. 50 n 



tt6or<iai* ptg. 50 lu 
etbarrdUiada ptg. 35 so 
etborraViar ptg. 50 it 
e«6orrar ptg. 36 ss 
eaborronarte cat 32 14 
eabourrifa prr. 32 14 
furabulum splat. 46 6« 
fur/uraetdum splat 46 &• 
gagoumaa lang. 95 a 
^ar frz. 96 a 
garbugUare lt. 113 
garbura ven. 113 
gargaüa eniil. 113 
ydQyuQa ngr. 96 a 
gargaro splat 96 a 
gargatta aun. 96 a 
gargälule friaul. 113 
gargauta (-ou-J 113 
gargavil lang. 96 a 
gargavilioi lang. 96 a 
gargotte frz. 113 
gargueiia ann. 96 a 
garlito sp. 96 a 
garo90 it. 96 a 
^arri prv. 96 a 
garrire it. 96 a 
garrire lat. 91 96 a 
garria lat 96 a 
^arr£< splat. 96 a 
garrltua lat 96 a 
garruhu lat. 96 a 
garuche afrz. 96 a 
^a>*iw splat 95 a 
^arttf lat 96 a 
//or rem. 95 a 
</ara it. 95 a 

I goriduM splat. 95 a 

' gorlon (gour-) frz. 94 a 

I ^ot*Tta ven. 95 a 
«7oron ^-rr-^ afg. 94 a 
<7oro« splat. 95 a 
gorra it. 95 a 
^orr« frz. 94 a 
gorrin prv. 94 a 
gorriaii sp. 95 a 

' r/orro sp. 95 a 
gougoumat laug. 95 a 



Die Bedentiingsgeschichte der romanisclien Wortsippe htir(d). 135 



gour lang. 95 a 
gtmrä lang. 95 a 
ffoureta lang. 24 
ffourgouge lang. 113 
gourgauUa lang. 113 
gourgculino lang. 113 
gourgauta lang. 113 
gaumal fn. 94 a 
ponmau pry. 94 a 
goumüm frz. 95 a 
gourp sfns. 95 a 
gourran prv. 96 a 
gourrer f«. 95 a 
gourelä lang. 95 a 
gourri gourri prv. 94 a 
gourrieula prr. 94 a 
^ourrth prv. 95 a 
gourrina lang. 95 a 
gourro prv. 95 a 
gottrran afrz. 94 a 
grogner frz. 94 a 
^tiitiemt sard. 95 a 
gvrge», gurgiistium, gur- 

gulia lat 113 
^n^ splat. 95 a 
guma a.it. 95 a 
gttmardu» mlat. 94 a 
gurcni sard. 95 a 
gurra o.it. 95 a 
gurriare aiz. 95 a 
gurrire splat. 94 
gnmdiari siz. 94 a 
OwtuhU 110 
itnlSrfd('hür') berg. 102 4 
imhrodolart anz. 37 26 
tm&ro^^Mire it. 34 i9 
2ain&cNcrj verd.-chal. 434« 
2ejla lat. 15 
JMca lat. 15 16 
lomdebur rom. 47 
m&tirdttXr'^i? ngr. 36 sa 
m&tt?^* alb. 56 6s 
mureUo alb. 58 la 
mtirfyofii«niti sard. 108 6 
imirtne alb. 57 ss 
mtim alb. 20 



murje^e 100 4 
mtirib^ alb. 111 x 
or6tM lat. 62 9 
orlio prv. 62 9 
pammgia abd. 41 4a 
portcuone ags. nord. 54 84 
Fortune dt. 86 n 
jprti^i^ ahd. 91 1 
pruina lat. 45 vi 
pruna lat. 75 
j7rt(z ahd. 37 is 
rabuffo it. 105 C 
ragire splat. 94 
r#ior bürg. 31 i4 
rehours frz. 31 1 4 
reburrua splat. 31 i4 
rehurujar sp. 34 19 
reburujon sp. 27 i 
ro«i/an ahd. 105 
rugire lat. 91 94 
rttscu9 lat. 76 
tabucu splat. 20 
«amAuca prv. CO la 
tatnbur piem. 20 
•6a}*c2on friaul. 51 24 
»bergna alp. 14 
sberlä berg. 111 x 
#6tfrte/ berg. 106 
tberti berg. 50 ii 
Mbiemia obw. 43 46 
«Urtör lad. 44 48 
»bor friaal. 17 
<&or& berg. 89 1 89 a 96 a 
»borä friaul. 89 8 
sböra berg. 24 
abarador friaul. 109 i s 
96or(ia^t alomb. 42 48 
»bordon friaul. 51 a4 
tborfar lomb. 11t 
sborfar agen. 45 66 
»borgna berg. 109 
»&07*tun^ berg. 109 i 
tliorla berg. 50 lo 
tboro berg. 109 • 
tborraio it. 27 s 
«öorrtr alomb. 91 a 92 s 



sfjourdend grüdn. 36 aa 
aßdvqSovXo ngr. 49 6 
äbrodegä fraul. 37 as 
sbrudiä friaul. 37 as 
tbruffare it. 45 »6 
«ftuor friaul. 17 
sbürdi piem. 96 a 
$btirla berg. 50 lo 
aburr\ gen. 92 4 
Septimburitu 108 i 
#eiir frz. 20 
»eut afrz. 20 
Sevenhor 108 i 
sgorgo berg. 109 i 
»omhra sp. 11 lo 
rureau frz. 20 
tabomerf'Onr-, -ur-) afrz. 

107 a 
tom&ot> f-uur) afrz. 107 a 
tom5or frz 106 a 
tom&ttreft afrz. 107 a 
umbra lat. 11 xo 
varaZ lang. 106 
verra siz. 111 x 
verrere lat. 102 i 
verrtfia it. 102 i 
verruma ptg. t02 i 
verver türk. 104 B 
ververe alb. 104 J3 
verzeler mont 104 B 
vi^mum lat. 21 
vtrone alb. 108 
vtuk alb. 75 
vrd' alb. 16 22 
cr(n<{« alb. 48 si 
vr6n alb. 108 i 
vruddu siz. 16 
«rtt;on alb. 108 i 
vrul6n alb. 75 
vurduni siz. 10 4 
vur/vrocKa bov. 46 6« 
vfirga (vruga) kal. 71 la 
vitrCeie alb. 16 22 
otirra siz. 95 a 
ourri tar. 1 1 1 x 



136 V. Abhandlung: Richter. 



Inlialtsübersiclit. 



§ 1. Allgemeine Entwicklung. Grundbegriff Schilfrohr. Keltischer Ursprung 1 
Doppelstamm bar- burd-. Verhältnis von bar- und bur-. Beeinflussung 

durch eine onomatopoetische Wurzel ö 

§2« Wortgruppen, die nicht sur Sippe bur(dj gehören .... 9 

I. Burdua Esel 9 

Entwicklung der Begriffe: Bastard. Schößling. Vierbeiniges 

Traggestell 10 

II. BurruB feuergelb. Entwicklung su dunkelfarbig, braun. Schwinen. 

Entwerfen. Dunkle Erscheinungen 10 

Spesialisierung auf Maulesel: das braunrote Tier. Andere Tiere. 

Das kleine junge Tier. Das vierbeinige Traggeatell . . 12 

Farallelform bardus- Kreuzungen 13 

III. Buri8 Pflugsterz 14 

§ 3. PflanzeBnamen 15 

Schilfnamen. Andere Pflanzen, die nach der rauhen BlQte oder 
der haarigen Hülle benannt sind 16. Nach der Vergleiehung 
mit Rohrstock (Qerte) 19. Kreuzung mit Stamm brue* Va- 
rianten Tom Stamm bar 21. Ortseigennamen. Mit Suffix, 
ohne Suffix 22. Ortsappeilatira: Röhricht, Sumpf, Ober- 
schwemmung, Zisterne, Waschplatz 24. Kreuzung mit den 
Stämmen bren- ptrla- brac- 25 

Erste Hauptgrnppe: Die Bohrpflanze. 

§4. A. Fraohtbüaohel. 

I. Stopftnateiial. Das Gestopfte. Vollpacken, das Vollgepackte: die 

Reisetasche, Reiseflasche, Traube. Viel essen, viel trinken . 26 
II. WoU- und Seidenfloeke. Stopf- und Scherwolle. Stoff und Klei- 
dung, burra. Seidenqnaste. Doktorhut 28 

lU. Weielie Floeke. Flaum, Bart 31 

IV. Struppige zerraufte Floeke, frz. d rebours, ibouriffi. Fischnamen. 

Finster, zornig, phantastisch; baroco 83. In Verwirrung 
bringen 34. Zank, Rest, Trester, Schimmel, Kehricht, bar* 
rasserie 35. Kleinigkeit. Abfallbehälter, Truhe 36. Krenzong 
mit bnUm 37. Das Unfertige 37 



Die Bedentungsgeschiclite der romunisclien Wortsippe bur(d). 137 

Seite 

V. Leichtigkeit 38 

Schneeflocke 88 

Wertlosigkeit. 

A. Schlechtes Geld 88 

B. Possen. Scherzen. Schlechter Witz. Hohn 38. Lüge. Betrug. 

Lamp. herlandoi Finanzwache 39. berlina Schandsäule 40 
Krenzung mit tn^ftitutn, hern-. Fehler machen .... 41 
YI. Lockeres Gefttge. Aufgeblasenheit Wasserblase, Hochmut, 

Prahlerei, hoursoufler. barridm 41 

Naturgemäße Schwellung: Knospe, Auge am Baum ... 42 

Krankhafte Schwellung: Geschwulst, Beule 42 

Das rund Erhabene: Körperteile. Kugel. Rollen. Seiltänzer. 

Vagabund. Unverhofft. Reif, Rad, Wulst. Wurm als Köder 43 
Vn. Weifie Farbe. Nebel. Reif. Feiner Regen, bruine 44. Sturm. Dampfen, 

Wolke, brezso» Dunkelheit 45, bujo. Kerker. Betrügen. . . 46 

B. Bohrsohaft. 

§ h. Erste Unterabteilung: Der RohrstOCk. 

1. Der einzelne Stock: schlagen, umrühren, angeln, pulsen etc. 48. 
Zepter 52. Pilgerstock. Fremder. Vagabund etc. 53. Balken. 

Pfahl 56. Saitenschlüssel 58. Galgen. Marionette 59 

II. Artefakte aus Fleehtwerk 59 

Zaun, Geländer. Kreuzung mit germ. bort- 59. bodina Drehen, 
schielen borgne 61. Hürde, Hütte, borda. Stall. Meierei. 
bord^l 63. Fischweiher. Kahn. KOrbe. Netz. Sänfte 65. 
Strick. Kleider burda. burdus = Schneider 67 

ni. Pfeile 68 

§ €• Zweite Unterabteilung: Das hohle Rohr. 

Feuerrohr. Glasröhre. Schlauch. Abzugsrohr. Alb. burti. Kanal. 
Gerinne 68. Bienenkorb 69. Loch. Vermischung mit bomo. 
Ableitung von bamo 70. Kloake. Hollenpfuhl 70 

§7« G. Die Bohrpflanne als Ganzes. 

I. AnhBnfang 71 

Haufen yon Stöcken. Heuschober. Große Menge, Last. Hohl- 
maß. Truhe 72 

IL Bohr als Brennmaterial 73 

Burum ugiulare 73. bustum 74. Asche, Ofenschaufel etc. Brustum 

und brwcum ; bruc- rusc- 76 

Der Feuerbrand. Scheiterhaufen. Freudenfeuer 76. Fest. 
Schwelgerei. Gebäck 77. Maskenzug. Maske. Gespenst. Das 

Vermummte. Puppe von Insekten 78 

Sitsangibtr. d. phiL-hift. Kl. 156. Bd., 5. Abb. 10 



138 V. Abb.: Riebt er. Die Bedentungflgescbicbte der Sippe bw(dj. 

Zweite Haaptgrappe: 
Bas Bohr als tOnendes Instrament. 

§8. I. Musikinstrumente 80 

Skizsiening der Entwicklung der Orgelpfeife 82 

Ableitungen von hurdo tonendes Robr 85. Sänger. Refrain. Das- 

selbe sagen. .Leiche' 87. Stamm har(dj 88 

ft 9^ Ableitungen von der Bedeutung ,tönen' 89 Ott 

II. Blasen des Instrumentes. Im allgemeinen. Wehen des Windes . 89 
III. BrQUen. Tierlaute 90. bruire. Schmähen 91. Überfallen. Jagen 92. 

ragirty rugire^ hraire^ garrire, gurrire 94. Angsterregendes ^ 

Geräusch. TeufeL Spektakelmacher. Gassenjunge 96 

ly. Sammen. Surren. Souffleur. Bienenschwarm 98 

V. Sehwirren. hourrü 99 

VI. Tonerzeuger 99 

A. Tiernamen 100 ^ 

B. Werkzeugbezeichnungen 101 

Bohren 101. Polieren. Kratzeisen 102. Mehlbeutel .... 103 

VII. Murmeln 103 

A. Heimlich reden. Geheimnisse ausplaudern. Klatschen . . 103 

B. Schwätzen. Rasch reden 104 

I. In malam partem : dumm, unverständlich reden. Stottern 104 
II. In bonam partem: leicht, zierlich, witzig reden .... 104 

C. Brummen. Zanken. Keifen, baruffa. Wirrer Lftrm ron 
Stimmen 105 

VIII. Dumpfes Getb'se 106 

Aufschlagen des fallenden KOrpers. borU 106. Trommel. Donner 

107. Kollern. Erbrechen 108 

IX. Rauseben des Wassers 108 

A. Hervorquellen 108 

Gurgeln. Quelle 108. Gefäßbezeichnnngen. Faß. Loch . 109 
Sprudeln. Sieden. Kochen. Sauerbrunnen HO 

B. Rauschen 110 

Flußnamen. Überfluß HO 

X. Zirpen. Winseln. Grille 111 

§10. Reduplikation 11t 

Kreuzung mit bar- bur- gar- gur- bul- bwn- 111. Burbero . . 112 i 

§11. Wimmeln 113 | 

Lat. borrire H* 

§12« Personennamen I^^ 

§18. Fehlen von Ausdrücken ffir Schreibrohr H^ 

Liste der Stämme H^ 



-> Ortsnamen 



^istrw 

— r 

tlasen 
istrum 

\ 



i ; 

Ortsappellativa Ortaeigennamen 

Kehricht 



Br»tt9«l 
des Winj 



Sanpf 

y 

Weide 



Ufer 



WaschplaU 



bench wemmangs- 
gebiet 



Erdwall 



Zisterne 



— — — ^- 



VI. Abh.: Losertli. Stadien zur Kirchenpolitik Englands etc. 



vr. 

Studien zur Kirchenpolitik Englands 
im 14. Jahrhundert. 

IL Teil. 

Die Genesis von Wiclifs Summa Theologiae und seine Lehre 
vom wahren und falschen Papsttum. 

Von 

J. Loserth, 

korreap. Uitgliede der kais. Akademie der Wissen$cbaflen. 



(Vorgelegt in der Sitsnng am 9. Januar 1907) 

Vorbemerkungen. 

ri ach zwei Seiten hin hatten die Studien, die ich vor 
mehr als einem Jahrzehnt begonnen habe, neue Ergebnisse ge- 
zeitigt.^ Sie haben zunächst entgegen den Ansichten älterer 
Forscher, die wie Walter Waddington Shirley und Gotthard 
Lechler die Anfänge der reformatorischen Tätigkeit Wiclifs in 
das Jahr 1365 verlegten und mit der vom Papste Urban V. 
aufgestellten Forderung der Bezahlung des seit dem Jahre 1333 
nicht mehr abgelieferten Lehenszinses an die Kurie in Verbin- 
dung brachten, zu erweisen vermocht, daß Wiclifs Auftreten in 
kirchenpolitischen Fragen um ein ganzes Jahrzehnt später an- 
zusetzen ist und mit jenen Tendenzen zusammenhängt, von 
denen das gute Parlament beherrscht war, und in einer Rich- 
tung, die es auf eine Säkularisierung des englischen Kirchen- 
gutes für Zwecke der Landesverteidigung abgesehen hatte. Es 
konnte dann weiter noch der Erweis erbracht werden, daß 

' Studien zur Kirchen pol itik Englands im 14. Jahrhundert, I. Teil. Bis 
zum Ausbruch des großen Schismas (1378). Sitzungsber. d. kais. Akad. d. 
WisMnschaften in Wien, Bd. 136, S. 1 ff. 
SiUiiDg!»ber. d phiL-hiBt. Kl. 166. Bd. 6. Abb. 1 



2 VI. Abhandlung:: Loserth. 

Wiclif in seinem Vorgehen den Traditionen folgte, die in kir- 
chenpolitischer Hinsicht in den Tagen Eduards I. und denen 
Eduards III. die maßgebenden waren. Es konnte betont werden, 
daß sich Wiclif in seiner Tätigkeit als Kirchenpolitiker und in 
seinen zahlreichen Reformationsschriften nicht so sehr auf die 
älteren Oppositionsparteien der Kirche — wenn er sie auch 
kennt — als vielmehr auf die kirchenpolitische Tätigkeit dieser 
Könige stützt. Je mehr er sich in das Studium der Heil. Schrift 
vertiefte, umsomehr schien ihm die Politik dieser Könige als 
die einzig richtige, und er selbst hat in späteren Jahren er- 
zählt,* wie er dazugekommen sei, die Lehre von der evangeli- 
schen Armut zu verkünden, für die ,drei Patriarchen an der 
Grenze beider Gesetze: Christus, Johannes der Täufer und 
Paulus geeifert', und wie er sich bemühte, die Kirche zu jenem 
idealen Zustand zurückzuführen, in welchem sie sich in den 
Tagen der Apostel befand. 

Man entnimmt daraus, daß es im Anfang nicht jene hoch* 
pohtischen Erwägungen waren, die ihn zum Kampfe aufriefen, 
sondern daß ihm als dem ,Theologen', als den er sich mit Stolz 
bezeichnet, das Gesetz Christi, d. h. die Bibel, der Ausgangs- 
punkt und die vornehmste Quelle für sein Verhalten geworden ist. 

Wie die früheren Studien zur englischen Kirchenpolitik, 
mit denen die unten folgenden aufs engste zusammenhängen, 
haben auch diese nach zwei Seiten hin neue Ergebnisse zu 
Tage gefördert. Sie führen den Nachweis, daß auch die größe- 
ren Werke der Summa: De Ecclesia, De Veritate Sacre Scrip- 
ture. De Officio Rcgis und De Potestate Pape aus jenen Kämpfen 
erwachsen sind, die sich innerhalb und außerhalb des guten 
Parlamentes abgespielt haben. Wiclif hat sie in einer Zeit ge- 
schrieben, in welcher er als Vertrauensmann der Regierung und 
ihr Sachverständiger in kirchenpolitischen Fragen im Parla- 
mente auftritt. Sie sind jener Kampfesstimmung entsprungen, 
in die ihn der Streit um seine 18 Thesen versetzt hat. Auf 
diese mußte daher auch die vorliegende Arbeit eingehen. Wenn 
man das weitschichtige Material, das hier in Frage kommt, 
kritischen Blickes durchmustert, wird man auf eine und die 
andere Arbeit Wiclifs geführt, die nicht mehr erhalten ist und 



^ Sermonea ed. Loserth III, 199. 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 3 

die man nur ans gelegentlichen Anmerkungen kennen lernt; 
eine nach chronologischen Gesichtspunkten vorgenommene Prü- 
fung der größeren Werke Wiclifs zeigt uns diese selbst in ganz 
neuer Beleuchtung. Was das Wichtigste ist: eine Analyse des 
Buches De Potestate Pape macht ersichtlich^ daß die An- 
schauungen, die bisher über Wiclifs Stellung zum Papsttum 
geltend waren, den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen, 
Wiclifs Überzeugungen von dem, was das Papsttum sein soll 
und was es ist, mit anderen Worten: seine Lehre vom wahren 
und falschen Papsttum schon bei Beginn des Schismas ausge- 
bildet ist. 

Die unten folgenden Ausführungen behandeln darnach 
fast ausschließlich die Genesis der Summa Theologie; die Fragen 
der kirchenpolitischen Gesetzgebung in England und die diplo- 
matischen Verhandlungen mit Rom sind hier nur gestreift wor- 
den ; ihre eingehendere Behandlung muß jener hoffentlich nicht 
fernen Zeit vorbehalten bleiben, in der die sämtlichen kirchen- 
politischen Traktate Wiclifs gedruckt vorliegen. 



!• Die Terurteilung der 18 Thesen Wiclifs und dessen 
Protestationen. 

Die kirchenpolitischen Tendenzen, die im guten Parlament 
zur Geltung gelangten, sind bekannt.^ Alles, was sich gegen das, 
was man die avignonesische Politik bezeichnet und was sich 
gegen das von dem französischen Königtum beherrschte Papst- 
tum von englischem Standpunkte aus sagen läßt, ist damals in 
einer Denkschrift zusammengetragen worden, die leider nicht 
vollständig erhalten ist, aber doch einen Einblick in die Lage 
der Dinge gewährt. Von den gleichen Tendenzen sind die ersten 
reformatorischen Schriften Wiclifs getragen.* Manche seiner 
Sätze klingen, als wären sie der langen Bill des guten Parla- 
mentes entnommen worden, und man hat demzufolge und an- 

* 8. hierüber Tomehmlich Lechler, Johann von Wiclif und die Vorge- 
schichte der Reformation I, 364—360. Vgl. Loserth, Stadien aar engli- 
schen Kirchenpolitik im 14. Jahrhundert, I. Teil. Sitznngsber. d. Wiener 
Akademie CXXXVI, 68 fF. 

* Loserth, a. a. O., S. 83. 

1* 



4 VI. Abhandlung} Loserth. 

läßlich einer Äußerung, die der Bischof von Rochester in einer 
angeblichen Parlamentssitzung des Jahres 1376 Wiclif ins Ant- 
litz schleuderte, die Meinung ausgesprochen, Wiclif sei selbst 
Mitglied dieses Parlamentes gewesen.* Man übersieht dabei ge- 
wöhnlich eines: daß dieselben Klagen wider Avignon und sein 
System der Aussaugung in der ganzen abendländischen Welt 
vernommen wurden* und, was England betriflft, das ganze Land 



Die Beweise, die Lechler hierfür beibringt, sind nicht stichhftltig. Die 
Klagen, die gegen das avignonesische Papsttum lant werden, finden sich 
in anderen Ländern anch (s. die folgende Note) und der Fall, an den 
Lechler anknüpft, liegt anders. Im 16. Kapitel von De Ecduia erzählt 
Wiclif, daß der Bischof von Rochester (Thomas Trillek) ihm in offenem 
Parlament die Worte zugerufen habe, daß seine Konklusionen yerarteilt 
seien: Unde episcopus Roffensis dixit mihi in puhlico parlamento Stoma- 
chante spiritn, quod conclusiones mee sunt dampnate, sicnt testificatam 
est sibi de curia per instrumentum notarii . . . Da war also Wiclif ,in 
publico parlamento*. Wann war dies? Verschiedene Umstände, sagt 
Lechler, machen es wahrscheinlich, daß der Vorwurf des Bischofs gegen 
Wiclif in einer Sitzung des Parlamentes von 1376 erhoben worden sei. 
Diese Ansicht ist unrichtig. Nach der deutlichen Angabe ,quod mee con- 
clusiones sunt dampnate* ist die am 22. Mai 1377 erfolgte Verurteilung 
der Thesen der Terminus a quo, zu dem aber noch die Tage hinzuge- 
rechnet werden müssen, die man braucht, um eine Bulle von Rom nach 
England zu bringen. Bekanntgemacht wurden die fUnf Bullen aber be- 
kanntlich erst am IS. Dezember d. J. aus Gründen, die bekannt sind; 
die Bullen waren in England, auch wohl in den Händen der obersten 
kirchlichen Behörden, aber noch nicht publiziert. Wenn also Trillek 
seinem Gegner die Worte entgegenhält: Du sollst wissen, daß deine 
Thesen verdammt sind, so kann diese Äußerung nicht vor dem 22. Mai 
1377, sondern erst in einer Zeit zwischen diesem Datum und dem 
18. Dezember in einem Parlamente gefallen sein. In dieser Zeit tagt ein 
Parlament in England (s. Continuatio Eulogii Historiamm, p. 340, Wal- 
singham, Historia Anglicana I, 343) a ftsio Michadit tuque ad ftHum 
heali Andreae: indem hier zum Teile die Arbeiten des guten Parlamentes 
aufgenommen wurden, dürfte es jenes Parlament sein, in welchem Tril- 
leks Worte gefallen sind. Bedenkt man, daß es dieses Parlament ist, in 
welchem Wiclif als königlicher Kommissär ein Rechtsgutachten über die 
Frage abgab, ob man, selbst auf die Gefahr hin, den kirchlichen Zen- 
suren zu verfallen, die Geldausfuhr aus England verbieten dürfe, so läßt 
sich Trilleks Rede leicht verstehen; sie mag nicht einmal in drohendem 
Sinne gelautet haben. In diesem Gutachten wird mehr als bisher anders- 
wo die weltliche Herrschaft der Geistlichkeit bekämpft. 
,Ich hebe,* sagt Lechler, ,hervor, daß in der vom Parlament eingereichten 
Vorstellung verschiedene Landeskalamitäten, nicht bloß die einreißende 



r 



Studien zur Kirchenpolttik Englands im 14. Jahrhundert. 5 

und mit ihm das Parlament; die Geistlichen nicht ausgeschlossen^ 
davon erflült waren. Wie dem auch sei: Wiclif gab dieser Op- 



Verarmung, sondern auch Hungersnot und Seuchen bei Menschen und 
Vieh als Folgen der sittlichen Schaden dargestellt sind, welche durch 
die päpstlichen Übergriffe unter schuldhafter Nachsicht der Regierung 
und des Volkes um sich gegriffen hätten. Gerade dies ist ein Gedanke, 
auf welchen Wiclif in verschiedenen Schriften so oft zurückkommt, daß 
ich ihn als einen Lieblingsgedankon des Mannes bezeichnen muß. Ohne- 
hin läßt sich Tiel eher denken, daß eine so eigentümliche Idee von einer 
bedeutenden Persönlichkeit aufgestellt und dann erst von einer ganzen 
Körperschaft angenommen worden sei, als daß eine politische Körper- 
schaft sie zuerst ausgesprochen und ein hervorragender Denker sie aus 
zweiter Hand überkommen und sich angeeignet habe.* Klagen wie diese 
vernehmen wir aber auch anderweitig, und italienische Quellen urteilen 
über diese Dinge nicht anders als Wiclif. Wie dieser halten sie alles 
weltliche Herrschen der Kirche für ein Unglück. Besser wäre es, die 
Kirche und ihre Hirten würden die weltliche Herrschaft 
ganz fahren lassen, dann würden die unzähligen Kriege mit 
ihrem Morden und ihren Verwüstungen ein Ende nehmen 
seit den Tagen Silvesters und Konstantins ... In allen diesen 
(namentlich angeführten) Kämpfen seien mehr Leute zugrunde gegangen, 
als Italien gegenwärtig zählt, und die Kämpfe werden nicht aufhören, 
so lange diese Hirten die Herrschaft haben. Sie hätten ja doch wohl 
genug zu leben, aber das befriedigt sie nicht, sie wollen sich und die 
Ihrigen groß und mächtig machen. Freilich bedenken sie nicht, wie kurz 
ihre Macht währt, denn diesen Herren folgen andere nach, die von den- 
selben Absichten beseelt sind. Wenn man dies liest, glaubt man in 
einem der späteren Bücher Wiclifs und nicht in den Geschichten von 
Piacenza zu lesen. So heißt es weiter: Hätten sie die weltliche Herr- 
schaft nicht, so konnten sie keine Kriege erregen, denn mit der Ursache 
schwindet auch die Wirkung. Was sie mit ihren Reichtümern anfangen 
sollen, lehrt die Heil. Schrift. Sie gehören den Armen Gottes 
(Wiclif: Kirchengnt ist Armengut), der Klerus begnüge sich mit 
Kleidung und Nahrung. Wie diese Italiener, nur etwas früher und 
energischer, verlangt Wiclif die Rückkehr zur alten Kirche. Da war der 
Klerus arm und die Kirche reich, wenn auch nicht an Gut, so doch an 
Märtyrern für den Glauben (Chronic. Piacent. Auetore Joanne de Mussis. 
Muratori XVI, 528). 

Ich übergehe weitere Stellen bis auf eine, die hier noch ihren 
Platz finden mag, weil aus ihr ersichtlich wird, daß die Wünsche der 
Reformpartei in England sich mit jenen gleicbgcsinnter Männer und 
Parteien in anderen Ländern decken. Das Interessante dabei ist, daß, 
wiewohl beide dem Räume nach von einander fern, sich in ihren Wün- 
schen begegnen: Et quia omnia, que eis superabundabant, debent dare 
pauperibns . . . ipsi debent esse perfecti super omnes gentes, ergo non 



6 VI. Abhandlung: Loserth. 

Position in seinen 18 Thesen einen vollkommenen Ausdrack. 
Man kennt die gi'oße Bedeutung dieser Thesen.* Indem er, 
an die Bestrebungen der Minoriten anknüpfend, das Armuts- 
ideal der Kirche verficht, dabei noch über diese hinausgehend 
die Frage* der Einziehung des gesamten englischen Kirchen- 
est convenicns, quod tantas dlvicias possideant . . . lam cotidie in ec- 
clesia canitur et fit oratio, quod prestet nobis graciam terrcna denpicere 
et gandia eterno glorie possidere ... Et super omnia melius esset «t 
dicÜ pastores in tolum omnia temporalia dimiUerent et in totum inatarenl 
spirilualibus et divinis offieii» (Chronic. Piacent. Muratori XVI, 536). Viel 
mehr verlangt ja auch die englische Opposition bei Beginn des Schismas 
nicht. Solche Ansichten waren sonach nicht Eigentum eines Einzelnen, 
sondern ziemlich allgemein verbreitet und es läßt sich daher nicht mit 
Lechler der Schluß ziehen, daß, wenn sie vom Parlament geteilt wurden, 
sie auch von Wielif herrühren müssen. 
^ Über den Inhalt und die Bedeutung der Thesen ist alles Nötige von 
Lechler erOrtert worden (S. 377 ff.) und es vermag einfach darauf ver- 
wiesen werden. In ihrer korrekten Form finden sie sich in Ve CivUi 
Dominio I, 251 ff. Die Thesen selbst sind in der Art, wie sie nach Rom 
gesandt und dort verurteilt worden sind, von Walsingham im Anhang 
zu den fünf Bullen mitgeteilt worden (Hist. Anglic. I, 353—355). Wal- 
singham sagt ausdrücklich: Iste fuerunt Proposition es, vel potios dclira- 
roenta sepedicti Johannis, qne ad au res domini apostolici per- 
venere . . . 
' Gute Nachrichten über die Anfänge Wiclifs finden sich in der Conti- 
nuatio Eulogii, die nicht wie die Schriften Walsinghams von vornherein 
auf gegnerischem Standpunkt steht: Eodem anno 1378 Johannes Wicclif 
magister in theologia, dictus flos Oxoniae determinando disputavit 
contra possessiones inmobiles (das ist der richtige Ausgangspunkt) » 
religionem (religio ss Orden) Fratrum Minorum multum commendans^ 
dicens eo» ette Deo eariwimos . . . Wie man sieht, kennt der Autor der 
Continnatio Wiclifs De OiviU Dominio, denn dort (III, 6) findet sich diese 
Bezeichnung: Et sie primi sunt filii Dei cari, secundi cariorcs, et tercii 
(monachi) ßUi carissimi, qnia imitatores Dei rectissimi, ambulantes in 
dileccionc, sicut et Christus diloxit nos ... In gleicher Weise wird seine 
Verbindung mit den Bettelorden im Chrouicon Angliae (p. 116) her- 
vorgehoben: Simulabatque se spemere temporalia tamqaam instabilia et 
caduca pro eternorum amore. Et ideo non erat cum possessionatis eins 
conversacio, sed ut magis plebis mentes deluderet, ordinibus adhesit 
Mendicantium, eorum paupertatem approbans, perfectionem extoUens, ut 
magis falleret commune vulgus. Noch im Jahre 1377 kann Wiclxf dem- 
gemiß schreiben: Exhinc enim venerabilis ordo de fratribus Mi- 
nor ibus non habet aliquid in proprio vel communi civiliter, sicut in- 
dubie nee Christus habuit, licet habeat ex caritatis titulo sicut et Chri- 
stus habuit omnia bona mundi . . . 



Stadien sur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 7 

gutes auf die Tagesordnung stellt; kann es nicht fehlen, daß 
er in einen heftigen Gegensatz zu dem herrschenden Kirchen- 
regiment gerät und diese seine Anschauungen als ketzerisch 
yerurteilt werden. So sind die 18 Thesen entstanden und so ist 
es zu deren Verurteilung am 22. Mai 1377 gekommen. Sowohl 
in bezug auf die Entstehung der Thesen als auch in bezug auf 
ihre Bekämpfung durch Wiclifs Kollegen in Oxford und die 
aus Anlaß der Verurteilung der Thesen entstehende Polemik 
harren noch manche Punkte der Aufklärung. Was die Entste- 
hung betrifft, ist es schwer zu entscheiden, ob sie existierten, 
ehe Wiclif sein erstes Buch von der bürgerlichen Herrschaft 
geschrieben hatte, in welchem sie enthalten, oder ob sie aus 
dem Buche ausgehoben und in der Menge verbreitet worden 
sind. An die Kurie sind sie jedenfalls gelangt, wie sie aus dem 
Buche genommen worden waren.* Gegen die fünf BuUen und 
die damit verbundene Verurteilung der 18 Thesen hat Wiclif 
Regierung und Volk einzunehmen gesucht. So hat er zunächst 
seine Thesen mit einer feierlichen Erklärung, Christ zu sein 
und bleiben zu wollen, so lange ein Atemzug in ihm vorhan- 
den ist, und in Wort und Tat Christi Gesetz zu befolgen, an 
das Parlament eingereicht.* Er hat einer jeden These eine allen 



' Daß die an die Knrie gesandten und von ihr zensurierten Thesen, von 
denen ja manche — wie Nr. 8 — schon eine ftltere Geschichte hat, aus 
dem Buche ausgehoben worden sind, ergibt sich aus Nr. 6 und 7, die 
mit der Darstellung im Buche zusammenstimmen. Diejenigen, welche 
diese Thesen ausgehoben haben, haben nicht bemerkt, daß 7 gar keine 
These, sondern nur eine Einschränkung der vorhergehenden Nummer ist, 
wie sie nur in seinem Buche mOglich war. Man vergleiche: 



Thesen bei Walsingham I, 874. 

6. 8i Dens (est), domini tempo- 
rales possunt legitime ac meritorio 
auferre bona fortune ab ecclesia de- 
linquente. 

7. Numquid ecclesia est in tali 
statu vel non, non est meum discutero 
sed dominorum temporalium ezami- 
nare, et posito casu confidenter agere 
et sub pena dampnacionis eterne 
eius temporalia aaferre. 

* LibeUus magiatri lokannis Wycdyff^ quem porrexU parliameräo regU Ri- 
cardi eonira iUUum ecolene, gedruckt von Shirley in den Fasciculi ziza- 



De Civili Dominio I, 269. 

. . . tunc sunt temporalia ipsa 
per manum laicam a clericis de- 
trahenda. 

Utrum autem hodie sit ecclesia 
in casu isto, non est meum discu- 
tere sed politicorum . . . Scio qui- 
dem quod dominorum temporalium 
est illud examinare . . . 



8 VI. Abhandlung: Loscrth. 

Parlamentsmitgliedern verständliche Erläuterung mitgegeben, 
durch die die Thesen selbst erst verständlich gemacht wurden; 
denn mit den Thesen allein hätten die Parlamentsmitglieder 
wenig anzufangen gewußt.* Indem er aber der mitunter kaum 

niorum, p. 245 — 257. Ich kann mich nicht entschließen, mit Shirlojr 
anzunehmen, daß die Überreichung der Thesen samt ihrer Verteidigung 
auf dem Oktoberparlament des Jahres 1377 geschehen sei, deswegen 
nicht, weil die Verurteilung der IS Thesen erst in der Eweiten Hftlfte 
des Monats Dezember öffentlich bekanntgegeben wurde. Und so lange 
Wiclif nicht ein sicheres Wissen davon hatte, daß die Thesen — wie 
man später gesagt hätte — auf den Index gesetzt worden seien, hatte 
er ja keinen Grund, sie mit einer feierlichen ProtestAtion seiner Rocht- 
gläubigkeit hinauszugehen. Würde man das Datum Sbirleys als das 
rechte ansehen, so müßte man voraussetzen, daüS die Thesen schon 1376 
in der Öffentlichkeit eine große Rolle gespielt und Wiclif in den Ruf 
der Ketzerei gebracht haben, wogegen er sich ohne Rücksichtnahme auf 
die Verurteilung durch den Papst verteidigte. Man entnimmt aber den 
richtigen Sachverhalt aus der zweiten Protestation, in der er sich nicht 
an das Parlament, sondern an die Allgemeinheit wendet und von der 
unten zu sprechen sein wird. Dort läßt er auf die Worte, daß er sich 
dem Urteile der heil. Mutter Kirche fügen wolle, die Worte folgen: Et 
quae per pueros reportata est sentoncia fidei, quam dixi in scholis 
et alibi, ac magis, per pueros etiam usque ad Romanam curiam trans* 
portata, ideo usw. 

In dieser Protestation sind auch die Worte wichtig: sententia fidet 
quam dixi in scholis et alibi, denn sie lassen darauf schließen, daß die 
Thesen als solche unabhängig von dem Buche De CiviU Dominio ,in 
scholis* von der Katheder herab vorgetragen wurden, und nicht nur 
das, denn die Wörtchen et alibi lassen darauf schließen, daß dies auch 
von der Kanzel herab geschehen ist. Und damit stimmt das Chronicon 
Angliae (p. 117), das in diesen Sachen gute Nachrichten hat, überein: 
Acciditque, ut, eorum elatus favore, suas vanitates multo amplius dila- 
tare non pertimesceret, sed de ecclesia in ecclesiam perearrendo 
auribus insereret insanias suas falsas. Die Übergabe kann dann erst im 
Parlament des folgenden Jahres geschehen sein und so ist die Angabe 
Walsinghams richtig, der sie unter die Geschehnisse des Jahres 1378 
einreiht. Über die Protestationen Wiclifs s. die unten an zweiter Stelle 
folgende Note. 
^ Heben wir beispielshalber einige dieser Thesen aus, und zwar jene, die 
am päpstlichen Hofe den größten .Anstoß erregen mußten, da sie ent> 
weder die Frage der Säkularisierung des Kirchengutes oder die Abschaf- 
fung des weltlichen Regimentes der Geistlichkeit oder endlich die Ab- 
setzbarkeit des Papstes selbst zur Diskussion stellten. Nr. 6 lautet in der 
an den Papst gerichteten, von ihm verurteilten Gestalt: Si Deut (eai), 
danUni temporale» pottunt legitime ae meritorie auferre bona /ortune (stets 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 9 

verstÄndlichen These eine Umschreibung^ beigab, den Sinn der 
einzelnen Worte erläuterte, den ganzen Satz durch Bibelstellen 
oder Zitate aus Kirchenschriftstellem begründete, gewannen sie 
ein anderes Aussehen und mußten den Parlamentsmitgliedern 
wohl als der Ausdruck einer guten kirchlichen Gesinnung er- 
scheinen, umsomehr als ihnen die feicriiche Protestation der 
Rechtgläubigkeit vorangesetzt ist.^ 

im Gegensatz zu bona gratiao als irdisches Gut) ab ecdena deUnquente. 
In dieser Gestalt sieht die These gewiß drohend aus. Wiclif erläutert 
sie: erst muß man wissen, was das Wort po««e bedeutet; er erklärt es 
durch einen Bibelsatz (Matth. III, 9), darin es vorkommt und in welchem 
Gottes Allmacht beleuchtet wird, und fährt dann fort: denn wenn Gott 
ist, ist er allmächtig, und ist er das, dann kann er weltlichen Herren 
die Gewalt geben, so zu handeln usw. Wie man sieht, sind der These 
damit die schärfsten Spitzen abgebrochen. Und damit über seine Ab- 
sichteu kein Zweifel sein kann, fügt er am Schlüsse hinzu, unter wel- 
chen Umständen allein die Einziehung von Kirchengut gestattet ist. 
Vorausgesetzt wird erstens die auctorit(M eccle-tie, zweitens der de/ectua 
tpiritualis preposUt und drittens der ccuus in quo ecdesiasticua corripien- 
du» fuerii a fide deviut. In dieser Beleuchtung sieht die ganze These 
anders ans und selbst der rigorose Katholik unserer Tage wird an ihr 
nichts Besonderes auszusetzen haben. W^ir werden aber unten sehen, daß 
Wiclif dem Volke gegenüber in der Milderung der These noch weiter 
ging. Oder nehmen wir die 3. These: Carte humanitiis adinvente de heri- 
ditate perpetua sunt imposaihiles; dic^e muß in ihrer nackten Form wohl 
kaum verstanden worden sein. Erst in der dem Parlament übergebenen 
Erläuterung erfahren wir, daß die These einem älteren Streite 
entstammt, in dem ein Ozforder Kollege die carte hominum (mensch- 
liche Urkunden) selbst über die Heil. Schrift erhob. Wir erfahren zwei- 
tens, daß er den Satz auch nicht so allgemein gefaßt hatte Carte huma- 
nitu* etc., sondern cum multe carte ntnt impossibüet: gewinnt die Sache 
schon hierdurch ein anderes Aussehen, so geschah dies noch mehr durch 
den Hinweis, daß solche Urkunden nicht selten gegen die Anordnungen 
Gottes streiten. Bei der 18. These: Ecdesxatticu», immo Romanut ponti/ex 
potett legitime a auhiecti* corripi et ad utilUatem ecclesie tarn a derlei» 
quam a laicii accusari weist er auf Matth. XVIH, 15, Si peccaverit in te 
. . . auf das Beispiel des Apostels Paulus Petrus gegenüber hin. Und 
auch den Zweck, den er mit den Thesen im Auge hat, gibt er an: Istas 
conclusiones dixerim, ut granum fidel separatum a palea qua ignitur in- 
gratum lollium . . . Und eine alte Handschrift fügt hinzu: ut per hoc 
valeat mores ecclesie reformare. In der These handelt es sich in Wiclifs 
bisheriger Tätigkeit nur um eine reformatio quoad mores ecclesie. 
^ Wiclif pflegte seinen theologischen Schriften scholastischer Sitte gemäß 
sogenannte Protestationen seiner Rechtgläubigkeit einzuverleiben. Sie 



12 VI. Abhandlung: Loserth. 

und Reiche aber zweitens zur Schmach gereichen und drit- 
tens den Verdacht erwecken, daß der Bischof und seine BrUder* 
in gemeinsamem Einverständnisse sind, weil sie ihm nicht vor- 
zeitig das Verdammungsurteil zugesandt hätten, hätten sie sich 
nicht der Tat, deren Urheber und Begünstiger sie waren, ge- 
freut: so gibt er ihnen zugleich zu bedenken, daß König und 
Regienmg der Ketzerei verfallen seien, falls diese Bullen im 
Hechte begründet sind; dann aber müßten sie als Ketzer nicht 
nur enterbt, sondern vernichtet werden. Habe man doch als 
die ärgste Ketzerei den Satz hingestellt, daß weltliche Herren 
der irrenden Kirche die TemporaUen entziehen können. Sehen 
denn diese Leute nicht ein, daß dann der Papst Herrscher über 
England wird, wenn es gestattet ist, ohne den König und seinen 
Rat auch nur zu fragen, bloß weil es die Bullen des Papstes 
anordnen, einen Sachwalter des Königs, noch dazu einen, der 
keiner Ketzerei überwiesen ist, an jedem beliebigen Orte Eng- 
lands zu verhaften und den päpstlichen Kerkern zu überliefern.* 
Noch einige Folgerungen zieht Wiclif aus diesem Urteilsspruche. 
Man möge doch, sagt er, die Probe auf die Rechnung machen; 
der König lasse sich von seinem ihm lehenspflichtigen Klerus 
vier Fragen auflösen: 1. ob er berechtigt sei, dem vorsätzlicher 
Widersetzlichkeit schuldigen Klerus die Temporalien zu ent- 
ziehen (was nach englischem Recht bis in die jüngste Zeit geübt 
ward), 2. ob er oder der Papst Regent in England sei, 3. ob 
solche Verdammungen, wie sie in den Bullen enthalten sind, 
göttlichem Rechte entsprechen, und 4. frage man das Parlament, 
ob jemand, der solche unerhörte Bannflüche in Schutz nimmt 
und sich dadurch offen gegen König und Reich auflehnt, noch 
englische Pfründen innehaben darf. 

Aber nicht nur im Parlamente wehrte sich Wiclif gegen 
die Verurteilung seiner Thesen. Er sandte eine neue Redaktion 



' Non enim tarn signanter inittercnt fratres eins sibi dictam dampnacio- 
nem, nisi applaudendo do facto, caius utraque pars foret auctor Tel factor. 

' Das ist eine der wenigen Stellen, wo Wiclif heraustritt: quia procura* 
ruut quod inconsnlto rege vel nuo consilio virtute bullanim papalinni 
legius homo regis ubicunque in Anglia non convictus super praritate 
heretica arrestetar et papali carceri mancipetnr: Ist das möglich, so 
kann es einen deutlicheren Beweis dafür nicht geben, daß England ron 
Rom aus regiert wird. 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 13 

seiner ans Parlament gerichteten Schrift als Flugschrift unter 
die Menge. Es ist kein Freund, vielmehr ein heftiger Gegner 
Wiclifs, Thomas Walsingham, der sie uns mitgeteilt hat.^ Nicht 
mehr so maßvoll wie in dem Libellus klingt hier seine Rede. 
Man beachte, wie geringschätzig er die, welche seine Sätze de- 
nunziatorischerweise bis vor die Kurie gebracht haben, als 
Ejiaben bezeichnet* Daß diese ,Deklarationen' nicht, wie Lech- 
ler will, bestimmt waren, den Kommissären des Papstes und 
diesem selbst überreicht zu werden, sondern als Flugschrift 
unter das Volk kamen, dürfen wir daraus schUeßen, daß er sie 
hinausgibt, damit sich nicht ,die Christen' an ihm ärgern, und 
weil es schUeßlich ,aller Christen', wenn auch in erster Linie 
des Papstes und der Priester Pflicht ist, die evangelische Wahr- 
heit bis zum Tode zu verteidigen.^ Ob gerade diese Flugschrift, 
wie Walsingham zu verstehen gibt, auch den Bischöfen vorge- 
legt wurde, die Wiclif hierdurch gleichsam verhöhnte, muß da- 
hingestellt bleiben. Sicher ist wohl sein Zeugnis, daß die Thesen 
in den Schulen und öflFentlichen Predigten vorgetragen wurden.* 
Auch die Art und Weise, wie sie gelehrt wurden, gereichte den 
streng kirchlichen Parteien zu großem Arger, denn Wiclif gab 
ihnen nicht mildernde Erläuterungen mit, sondern trug sie in 
ihrer anspruchsvollen Fassung vor, wodurch er die Gunst* der 
Laien gewann, die, wie Walsingham meldet, gern hören, wenn 
man von der Kirche und den geistlichen Personen schlechter 
redet, und dann geneigt sind, ihnen Unbill und Verlust zuzu- 
fligen.* In der Flugschrift sind den Erläuterungen der einzelnen 



* Unter dem Titel Dedaraeiones lohannis Wickliff in seiner Historia Au- 
gUeana I, 367—363. 

■ Et qaae per puerot reportata est sentencia fidei quam dixi in »chcHvt ei 
alibi ac magis per pueros etiam usque ad Romanam curiam transpor- 
tata, p. 387. 

* Ne christiani scandalizentur in me, volo in scriptis dare sentenciam quam 
Yolo iiflqne ad mortem defendere . . . 

* In scholis et in publicis praedicationibus eas protniit. 

' So wenigstens dürfte Walsinghams Satz zu yerstehen sein: Non enim 

cireamloeacionem aliquam eis immiscuit, sed nnde et aperte, at prae- 

scribantor, eas docuit. 
' Libentios impellnntur ad dampna yel iniurias inferenda religionis et 

clericis, cnm aliqna opportnnitas se ingesserit, quae omnino extat eis 

desiderabilis et Totiva. 



14 VI. Abhandlung: Loserth. 

Thesen hier und da einschränkende^ mildernde Sätze angef&gt. 
So hatte er bei der die Konfiskation des Kirchengutes betref- 
fenden These den einschränkenden Satz angefügt: Es sei aber 
feru; aus alledem zu glauben; daß meine Absicht dahin ginge, 
zu behaupten, daß die weltlichen Herren erlaubterweise auf ihre 
bloße Autorität hin rauben dürften, wann und wie sie wollen; 
die Konfiskation ist nur gestattet auf die Autorität der Kirche 
hin und in den vom Rechte vorgeschriebenen Fällen und For- 
malitäten. Diese Einschränkung ist zweifellos eine kräftigere als 
jene, die er der ans Parlament gerichteten These beigegeben hat.* 
Vielleicht hat WicHf außer diesen beiden Protestations- 
Schriften, die an das Parlament, beziehungsweise an die Menge 
gerichtet sind, noch eine dritte geschrieben, wofern sie nicht, 
wofür sich auch Gründe vorbringen lassen, mit der zweiten 
identisch ist; wahrscheinlicher aber ist es, daß es eine eigene 
dritte Protestationsschrift gab, von der man reden muß. Wiclif 
fand während dieser Kämpfe einen scharfen Gegner, mit dessen 
Persönlichkeit und Opposition sich das nächste Küpitel zu be- 
schäftigen hat, der Wiclif vorwarf, es nicht anders zu machen 
als Occam. Wie dieser und seine Anhänger irrige Lehrsätze 
behaupteten, sich aber niemals vor dem Richterstuhl des Papstes 
oder der römischen Kirche zu stellen bedacht waren, genau so, 
sagt Wiclifs Gegner, mache es dieser. Auch er flüchtet sich 
vor dem Richterstuhl des Papstes und der römischen Kirche, 
um desto ungehinderter seine Irrtümer oder, besser gesagt, 
seine Ketzereien verbreiten zu können. Habe ich doch seine 
Protestation gesehen, in welcher er erklärt, sich dem Richter- 
stuhl Gottes und seiner allgemeinen Kirche stellen zu wollen, 
und doch vermeidet er ängstlich, sich vor das Tribunal des 
Papstes und der römischen Barche zu begeben. Daher erscheint 
mir seine Protestation im hohen Grade verdächtig; würde er 
seine Konklusionen für katholische ansehen, die der Kirche 
nützen könnten, was brauchte er da Furcht zu hegen, sie dem 
Papste zum Urteilsspruche zu unterbreiten?* 

' Dizi tAmen qnod hoc non licet facere oUi aactoritata ecciesie, in defecta 
spiritnalis praepositi et in easu quo eccleriastieoa corripiendos faerit a 
fide deTins. Fase. zis. 249. 

' Diese bisher unbeachtet (rebliebene Stelle findet sich in Wiclifs De Ve- 
ritate Sacre Scriptnre (ed. Buddensieg) I, 347; sie Terdient hier wOrtlich 



Studien znr Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 15 

Noch ein Moment ist hier auf das nachdrücklich Bte zu 
betonen: Wiclif machte die ganze pohtische Welt seines Heimat- 
landes mit seiner Angelegenheit bekannt. Die 18 Thesen wurden 
samt dem Kommentar, der sie als gut katholische hinzustellen 
hatte, in die Welt hinausgesandt und sie machten zweifellos in 
den weitesten Kreisen großen Eindruck.^ Man hat von dieser 
Tatsache bisher nichts gewußt: erst die Veröffentlichung von 
Wiclifs De Veritate Sacre Scripture hellt den Streit um die Kon- 
klusionen etwas mehr auf. Allerdings bleiben auch jetzt noch 
viele Schwierigkeiten zu lösen; ist z. B. in dem kritischen Jahre 
1377 sein Kirchenbegriff schon der, als welcher er in dem ein 
Jahr später verfaßten Buche von der Kirche erscheint? Merkt 
man nicht gerade während des Kampfes um diese Konklusionen 
einen Wechsel in seiner Überzeugung* oder ist dieser Wechsel, 

angef&hrt £a werden: Vidi enim protestauionem suam, quam mi- 
sit domino suinmo pontifici, in qua fatetur se yelle stare iudicio 
Dei et eins univeraali ecclesie, sibi tarnen cavendo diligencius, ne iudicio 
ecclesie Romane vel iudicio summo pontificis sit subiectus. Qne prote- 
Btacio yidetnr michi yalde suspectu . . . Man sieht: der Gegner hat 
eine bestimmte Protestatio im Auge, er fügt eben noch hinzu: quam 
miait domino pape . . . Daß da an die Protestatio, die dem Parlamente 
eingesandt wurde, nicht gedacht werden kann, ist sicher, aber auch die 
Protestatio, die yon Walsingham mitgeteilt wird, enthält gerade die be- 
zeichnenden Worte nicht, auf die es hier ankommt, ,»e veüe ttare iudicio 
Dei" . . . 

* In der Stelle seines Buches, wo er dayon spricht, daß er nicht, wie sein 
Gegner will, seine Lehre yerheimliche, sagt er: ymmo ex facto meo col- 
ligitur, quod non sum suspectus de formidine istarum conclusionum, 
cum transmisi illas per magnam partem Anglie et cristia- 
nismi et sie ad curiam Romanam saltem mediate ezaroinandas. 
Liegt in den letzten Worten nicht das Eingeständnis, daß er keine Ap- 
pellation unmittelbar an den Papst gesandt habe? {De Veritate Stiere 
Scripture I, 349.) 

* Auf einer und derselben Seite (I, 349) finden sich Sätze über die Kirche, 
die einander zu widersprechen scheinen. Hier liest man: Quinto com- 
mittitur mendacium in hoc, quod imponendo michi hereses (adyersarius) 
dicit, quod subterfugio iudicium summi pontificis et Romane ecclesie, 
tum quia ex fide Cristus Dens noster est summus pontifex, cuius 
iudicio humiliter me submitto, tum eciam, quia ecclesia uniyer- 
salis mater nostra, cuius filiacionem humiliter recognosco, est Ro- 
mana ecclesia, und weiter unten noch auf derselben Seite sagt er: 
quod ecclesia Anglicana foret longe prestancior in iudicio yeritatis ca- 
tholice, quam tota ista Romana ecclesia collect« de istis papa et 



16 VI. Abhandlung: Losorth. 

wie der zweite Teil dieser Abhandlung auf einem anderen Ge- 
biete nachweisen wird, nur ein scheinbarer? Selbst die von dem 
Gegner Wiclifs bekundete Tatsache^ daß er eine Protestation 
an den Papst gerichtet, erfährt aus Wiclifs Schriften eine so 
eigenartige Beleuchtung, daß sie fast als eine Verneinung der 
Tatsache aufzufassen ist. Hier werden noch weitere Studien 
einsetzen müssen: vielleicht daß in den noch ungedruckten 
Schriften des Reformators die Lösung manches Rätsels zu finden 
ist, die man in den gedruckten Schriften nicht finden kann. 

Wiclif hat sich noch in einer anderen Schrift — demnach 
das viertemal — über die Verurteilung seiner Thesen ausge- 
sprochen.* Man streitet, wann diese Schrift entstanden ist Ich 
dächte, das wäre nicht so schwer zu finden. Aus einigen An- 
deutungen Wiclifs ist die Abfassungszeit in die Zeit zu setzen, 
in der De Vcritate Sacrae Scripturae entstand, also in den Herbst 
1378. Aus einigen Bemerkungen darf man schließen, daß das 
Buch De Veritatc Sacrae Scripturae schon vollendet war, als er 
jene Schrift abfaßte.^ Man findet zunächst in beiden erhebliche 

cardinalibufl . . . Aber auf derselben Seite macht er selb»! es deatlich, 
daß eine solche Yon ihm verfaßte Protestatioo, auf die sein Geg^ner an- 
spielt, existiert haben muß: Et patet respicienti protestacionem meam, 
quod nimis sinistre conclusum e»t, quod soli iudicio Dei et meo proprio 
me submitto . . . 

' Es ist die kleine Schrift De Candemnatione XIX ConeltuUmum, gedruckt 
von Shirley, Fasciculi zizaniorum, p. 481 — 492. 

" Über die Abfassungszeit von De Veritate Sacrae Sei-ipturae 8. die Ober- 
zeugenden Ausführungen Buddensiegs in der Ausgabe dieses Werkes 
S. LXXXVI-XCII. Vieles von dem, was Wiclif über die Heil. Schrift 
sagt, ist beiden Werken gemein: Fides christiana, sagt er in der Schrift 
gegen die Verurteilung seiner Thesen, est scriptura sacra, quae habet 
hodie multos impugnantes tarn verbo quam opere. So sagt er in <U Ve- 
riiaU I, 34 u. 131: Scriptura sacra est fides catholica oder (II, 131) est 
cristiana religio (s. auch I, 252 u. a. O.) . . . . I, 141 f. spricht er von 
den Gegnern der Heil. Schrift. Manche Stellen sind bis auf den Wort- 
laut übereinstimmend: 



De Veritate Sacrae Scripturae 
(ed. Buddensieg) I, 153: 

Ego elicui ex scriptura, quod 
sacerdotes Christi debent humiliter 
ministrare ecdesie in sacramentis 



De condemnatione XIX conclosio- 
num. Fase, zisaniorum, p. 482 . . .: 
Quidam vero . . . profeasor S. 
Scriptare elicuit ex eadem quod 
sacerdotes Christi debent humiliter 



et sacra mental ibus et doctrina evan- ' ministrare ccclesie in sacramentis 
gelii pacis et penes maioritatem , et sacramentaliboa et spectaliter in 



Stadien zur Kircbenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 



17 



sachliche Übereinstimmungen. In beiden wird jener doctor qui- 
dam mixtim theologas/ den die WicliflFbrschung bisher nicht zu 
eruieren vermochte, erwähnt und andererseits nimmt das Buch 
von der Wahrheit der Heil. Schrift auf einzelne der 18 Thesen 
und ihre Verurteilung, ganz abgesehen davon, daß die Frage der 
Säkularisierung des englischen Kirchengutes, welche die sämt- 



doctrina reali et verbali evangelii 
pacLs; et penes maioritatem haias 
humilis ministerii debet attendi eo- 
mm maioritas qnoad Deam. Et 8ic 
debent vivere exproprietarie yitam 
panperem instar Christi, eo quod 
mundo in malig'no posito specialiter 
ex gravi affectione temporalinm . . . 
instat maior necessitas, ut . . . Unde 
nee temporis yariacio nee papalis 
dispensacio excusat sacerdotes Chri- 
sti ab isto debito . . . Allegavit 
autem . . . illud Lucae XXII Reffeä 
gencium . . . Confinnavit autem 
sensum hnius scripture ex modo vi- 
vendi Christi et snorum apostolo- 
rum conformiter ad hunc sensum. 
Vita autem sacerdotum est optimus 
interpres suae verbalis sentenciae. 
Man sieht hier genau, wie der Traktat Ober die Verurteilung der 
Thesen ganze Stellen aus De VerüaU Sacre Scripture (in der Wiclif 
in der ersten Person spricht) herUbergenommen hat, so daß der eine 
Text lur Korrektur des zweiten Textes, denn in beiden gibt es, wie diese 
wenigen Sitze zeigen, erhebliche Fehler, benützt werden kann. 



huius humilis ministerii debet at- 
tendi eorum maioritas quoad Deum; 
et sie debent vivere exproprietarie 
vitam pauperem instar Christi, eo 
quod mundo in maligno posito in- 
stat maior necessitas. Ideo nee tem- 
poris variacio nee papalis dispen- 
sacio excusat sacerdotes Christi ab 
isto debito sed accusat pocius, si 
dimittunt. Et allegavi ad hoc illud 
Lucae XXII Rege» gencium . . . 
Confirmavi secundum (sie) fidem 
scripture ex modo vivendi Cristi 
ei saomm apostolorum conformiter 
ad hune sensum, que vita est op- 
timus interpres scripture . . . 



^ De Veritate 8. Scripture I, 153/4. 
In ista tamen materia surrepunt 
qnotlibet glose sinistre, ut quidam 
doctor tradicionis humane et mix- 
tim theologns dicit, quod non 
elicitar ex illo textu nisi quod sa- 
cerdotes Christi non debent viciose 
dominari ut infideles reges gencium. 
Cum quo sensu stat, quod clericus 
ad uiilitatem ecclesie conquirat 
totum mundum, cum ex hoc debi- 
litantnr laici, qui clerieis oppido 
sunt infesti. 

SlUanfiUr. d. phil.-bist. Kl. 156. Bd. 6. Abb. 



Fase, zizanniorum, p. 483. 
Discipuli vero Antichristi, etiam 
quidam doctor mixtim theolo- 
gns dicunt 

.... quod non plus vult Christus 
in illo dicto discipulis, nisi quod 
non dominentur infideliter sicut gen- 
tiles. Cum quo sensu stat, quod 
acquirunt quotlibet dominationes 
seculares, in hoc prosperantes et 
fortificantes ecclesiam, quia depau- 
perantes laicos qui clerieis oppido 
sunt infesti. 

2 



IS VI. Abhandlung: Loserth. 

liehen Thesen beherrscht, auch in De Veritate Sacre ScripUmre 
einen breiten Raum einnimmt, ganz anmittelbar Bezug.^ Davon 
wird weiter unten zu sprechen sein. 



2. Die 18 Thesen and die ersten Bfleher der Samma 
Theologlae. 

Als der Streit wegen der 18 Thesen ausbrach, waren die 
ersten Bücher der Summa: De Matidatis Divinis, De Statu In- 
nocentiae und wahrscheinlich auch der erste Teil von De Do- 
minio Civili schon beendet. Er hatte ihnen noch das Buch über 
das göttliche Regiment vorausgesendet. Mochte er einen be- 



' Die dritte der verarteilten Thesen lautet: Carte humanitus adinvente de 
keredUaU perpelua sunt impossibUes, Nun vergleiche man damit die Stelle 
in De Yeritaie Sacre Scripture, wo Wiclif davon spricht, daß die Theo- 
logen und Prälaten die Entfaltung des Gesetzes Christi verhindern: Re- 
ligiosi . . . patenter apostatant, cum lahoribus et expensis laborant ad 
curiam Romanaro pro dampnabili sentencia dicente muUa» carUu huma- 
nUua adinventaa de heredUaU perpetua este impauibUe», et tarnen Ozonie 
tarn publice quam procuratorie dicnnt testamenta Dei et legem Christi 
impossibilem et blasphemam ... In gleicher Weise verhält es sich mit 
der siebenten These: Non e&t potsibäe, ut vieariut Christi pure er buÜis 
tuiä vd ex iUU cum volicione et contetuu suo atU wui eoUegii quemquam Ka- 
bauet vd inhabüitet (Fase. zis. 249). De Veritate Saere Scripture II, 155 
kommt nicht nur dieser Satz, sondern auch eine zweite These vor. Und 
endlich soll noch eine Stelle herangezogen werden, die der oben ange- 
führten vorausgeht. 

De Veritate S. Scripture I, 153. l Fase, zizanniorum, p. 4B1. 

Hodie invalescit opinio legista- Hodie . . . invalescit opinio doc- 



rum diceneium, quod si quis sit 
papa, est impeccabilis et per con- 
sequens, si quid arbitratur vel or- 



tornm . . . diceneium, quod si quis 
Sit papa, tunc est impeccabilis . . . 
et per consequens, si quid arbitra- 



dinat, tunc est iustum, cum epi- ■ tur vel ordinat tunc est instnm, 

stole sue vel parificantur vel su- i cum epistole sue parificantur evan- 

perant auctoritatem scripture sacre, gelio vel superant auctoritate, eo 

eo quod non nisi per eum creditur 1 quod nonnisi per eum credi debet 

evangclio. Et sie potest hereticare { evangelio. Et sie papa potest quem- 

scripturam sacram et catholicare Übet librum de eanone Scripture 

oppositum fidei cristiane. ■ subtrahere et novum addere et per 

i consequens totam Scripturam sa- 

I cram hereticare et oppotitam ehri- 

I stiane fidei catholicare. 



Stadien zur Kirchenpolitik Englanda im 14. Jahrhundert. 19 

stimmten Plan über die Abfassung des ganzen Werkes auch 
entworfen haben: wir werden aus den Ausführungen dieses und 
des nächsten Abschnittes ersehen, daß und warum er wenig- 
stens von der im Anfange in Aussicht genommenen Aufein- 
anderfolge der einzelnen Bücher abwich. Es waren die Kämpfe 
um die 18 Thesen, die seine ursprünglichen Absichten än- 
derten. 

Wir kennen den Inhalt dieser ersten Bücher der Summa :^ 
es scheint uns aber notwendig, im Hinblick auf die jüngsten 
Publikationen der Wiclif- Society noch einen Augenblick bei 
ihnen zu verweilen. Ein ungeheurer Schatz theologischen Wis- 
sens ist in ihnen angehäuft;. Sieht man genau zu, so richtet fast 
jedes der 12 Bücher seine Spitze gegen den weltlichen Besitz 
der Kirche und steht sonach in unmittelbarem Zusammenhang 
mit dem Kampfe, den er zum Zwecke der Säkularisierung des 
englischen Kirchengutes geführt hat. Handelte es sich Wiclif 
anfänglich nur darum, die Verderblichkeit der weltlichen Herr- 
schaft des EJerus und ihre Unvereinbarkeit mit der Lehre 
Christi und der Apostel nachzuweisen, was man schon in dem 
Buche vom göttlichen Regimente, das die Einleitung zur Summa 
bildet, zu bemerken imstande ist,* so wird der Kampf, in dem 
das erste und jedes der nachfolgenden Bücher immer schärferen 
An^ffen der von Wiclif befehdeten, in Ehren und Reichtümern 
und irdischen Bestrebungen aufgehenden Hierarchie ausgesetzt 
war, immer erbitterter, die Erwiderung auf jeden Angriff eine 
schroffere, feindseligere und sein Angriffsobjekt ein breiteres. 
Während er in dem Buche vom göttlichen Regiment noch auf 
dem ursprünglichen Kampfboden steht, spitzt sich dieser Kampf 
immer mehr zu einem Kampfe gegen die gesamte bestehende 
Kirche und ihre Hierarchie zu und vornehmlich zu den wuch- 
tigsten Angriffen auf die den Papst und das KLirchenregiment 
unterstützenden Hilfskräfte. Man kann die Entstehung und den 
Verlauf seines Kampfes am besten übersehen, wenn man die 
einzelnen Werke der Summa nach der Zeit ihres Entstehens 
einer Würdigung unterzieht. 

^ Studien sar englischen Kirchenpolitik I, 8. 76 ff. 

* Et patet philoflophis non cecatis in particulari consideracione terreni do- 
min ii, qnod commanicacio non obest rero dominio nee proprietaa ipram 
per se consequitur etc. De Dominio Divino ed. R. L. Poole, p. 203 ff. 

2» 



20 VI. Abhandlung: Loserth. 

Die Summa zählt die einzelnen Teile mit Ausnahme der 
drei letzten in der Reihenfolge auf; wie sie entstanden sind. 
Man kann dies freilich nicht immer mit der wünschenswerten 
Leichtigkeit nachweisen; aber es finden sich fast in allen solche 
Anhaltspunkte^ aus denen dieses Verhältnis ersichtlich wird. 
Wiclif hat es nämlich in den meisten seiner Bücher nicht an 
gelegentlichen Bemerkungen und Illustrationen zur Zeitgeschichte 
fehlen lassen. Wären die einzelnen Teile der Summa schon früher 
gedruckt worden^ so hätten sich manche Irrtümer älterer und 
neuerer Forscher über den Beginn und die Fortschritte der 
Reformtätigkeit Wiclifs vermeiden lassen. Wie die Dinge jetzt 
liegen^ treten viele Beziehxmgen namentlich aus der Zeit des 
Beginnes der reformatorischen Tätigkeit Wiclifs deutlicher her- 
vor: Man sieht von Buch zu Buch; wie seine reformatorischen 
IdeeU; wenn sie auch der Hauptsache nach schon bei seinem 
Auftreten als Kirchenpolitiker vorhanden sind; sich allseitig ver- 
tiefen; seine Gedanken über Kirche und Elirchenregiment immer 
schärfere Umrisse annehmen; bis er in seinem siebenten Buche 
den herrschenden Kirchenbegriff umstürzt; im neunten das Papst- 
tum; wie es zur Zeit besteht; verwirft und in den letzten drei 
Büchern die Stützen des bestehenden Kirchenregiments unter- 
gräbt. 

Wie er seiner Summa die oben erwähnte Einleitung in 
dem Buche De Daminio Divino gegeben; so hat er schließlich 
das ungeheure Material; das sie enthält, in einem knapp ge- 
haltenen und anregend geschriebenen Leitfaden — dem Tria- 
logus — zusammengefaßt. Was sonst an Schriften reformatori- 
scher Tendenz aus seiner Feder vorhanden ist; steht mit dem 
einen oder dem anderen Buche der Summa in entfernterer oder 
näherer Verbindung. Dazu gehören die Streitschriften; denen 
man in gewissem Sinne selbst seinen berühmten Traktat De 
Eucharistia, das Opt^ Evangelicum und seine Predigten zu- 
rechnen kann. Wie er in seinem Buche vom Leibe des Herrn 
die eingebildete Macht des Priestertums umzuwerfen trachtet, 
das von dem Dünkel erfaßt ist; Grott ;machen' zu können, und 
sich sonach eine Gewalt anmaßt; die noch über die Gottes geht, 
so ist auch das OptiS Evangelicum, so sind namentlich auch seine 
Predigten voll von scharfen Angriffen auf die gesamte Hierarchie 
und deren Teile oder auf Einrichtungen und Lehren der Kirche. 



Stadien sar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 21 

Es mag sich lolmeii; dem^ was hierüber gesagt ist; noch einige 
Erläatemngen anzufUgen.^ 

Zunächst ist zu sagen^ daß er sich die genaueste Kenntnis 
des großen Mißverhältnisses^ das zwischen der Kirche seiner 
Zeit und der der Apostel bestand^ durch sein intensives Studium 
der Bücher des neuen Testamentes erworben hatte; was er über 
seine Konklusionen bemerkt, daß sie nicht in den Schriften 
Occams ihren Ursprung haben, sondern auf biblischem Funda- 
mente ruhen,* das gilt von allen seinen reformatorischen Schrif- 
ten, schon von den ersten Büchern der Summa. Noch ist hier 
Wiclifs Opposition eine maßvolle: aber der Grundgedanke, von 
dem seine Thesen ausgehen, ist doch auch hier schon zu finden: 
die Kirche muß arm sein; nur von jener Kampfesstimmung der 
späteren Zeit merkt man noch nichts. Noch bleibt auch der 
schlechte Priester ein Priester, noch sind die Fürbitten fiir die 
Toten löbUch, noch glaubt er an das Fegefeuer, noch hält er 
dem Adel — während er ihm schon ein Jahr später eine ganz 
andere Rolle zuweist — seine Erpressungen von Abgaben vor. 
Eins lehrt er doch schon hier: der Papst darf keine weltliche 
Herrschaft beanspruchen; tut er das, so hat der König die 
Pflicht, dagegen einzuschreiten, denn in weltlichen Dingen steht 
er über dem Papst. 

Einen Nachtrag zu dem Buche von den göttlichen Geboten 
enthält das Buch vom Stande der Unschuld. Erst das Buch von 
der toeliUchen Herrschaft ist von den Ideen getragen, die im 
guten Parlament zum Austrag kamen. Hier finden sich die 
vehementesten Klagen gegen das avignonische System mit seinen 
Provisionen, Exaktionen und unaufhörlichen Forderungen, über 
die Vergeudung des Armengutes durch untaugliche Priester usw. 
Hierin Wandel zu schaffen, lehrt er, ist Sache des Staates. 
Wenn der Klerus dies Armengut — das Kirchengut — miß- 
braucht, ist es ihm zu nehmen. Damit tritt auch De Civili Do- 
minio in die Reihe der Schriften, die mit den 18 Thesen in 
Zusammenhang stehen. Ja im ersten Buche dieses Werkes haben 

^ S. die Einleitungen sa meiner AoBgabe von Wiclifii Sermones, Bd. 1 — 4. 
London 1887—1890 (dentoch in der Zeitschr. f. Kirchengesch. IX). Vom 
Opas Erangelicnm ist besonders III and IV zn nennen, die den Spesial- 
titel De Antichristo führen. London 1890. De Eacharbtia, London 1892. 

* De Veritate Sacre Scriptare I, 864. 



22 VI. Abhandlung: Losertb. 

diese zuerst ihre theologische Begründung in zusammenhängen- 
der Weise erhalten.^ Vielleicht ist erst aus Anlaß dieses Buches 
der Streit über die Thesen in die Menge getragen worden. 
Wenigstens macht Wiclif im zweiten Buche von De Dominio 
Civili einem Benediktiner zu Oxford lebhafte Vorwürfe darüber, 
daß er die Frage der Einziehung des Kirchengutes flir den 
Fall, als es von der Hierarchie mißbraucht wird, in der Öffent- 
lichkeit bekämpft, bevor man sie schulmäßig zur Verhand- 
lung gebracht habe.* Mit diesem Mönche tritt ein neuer Gegner 
Wiclifs auf den Plan, über dessen Persönlichkeit die Forschung 
bisher nicht ins klare zu kommen vermochte. Man hat an 
William Wadford gedacht, den Wiclif selbst im dritten Buche 
als seinen Lehrer, wiewohl er nun sein Gegner ist, rühmend 
erwähnt.* Aber ganz abgesehen davon, daß Wadford den ,grauen 
Mönchen' angehörte,* während sein Oxforder Gegner, der sich 
den Benediktinern anschloß, also wohl ein ,8chwarzer' genannt 
werden konnte, scheint uns die Art und Weise, wie der Bene- 
diktiner im zweiten Buche von De Civili Dominio behandelt 
wird, doch mit den Worten nicht übereinzustimmen, die Wiclif 
von Wadford gebraucht.* Erwähnt er dieses Mannes mit hohem 
Lob, so ist der Benediktiner, vielleicht derselbe, den er in seinen 
Sermonen ,den schwarzen Hund' nennt, ein Streber ersten Ran- 
ges, der, um ein besseres Fortkommen zu gewinnen, wiewohl 
er die evangelische Armut gelobt hatte, aus seinem irländischen 
Kloster nach Oxford kommt und seine Kunst der Lüge und 
der Fälschung dorthin verpflanzt. Dieser Benediktiner bekämpfte 
nun einzelne Thesen, und zwar öffentlich in der Marienkirche 
zu Oxford. Gegen seinen Willen sah sich Wiclif in eine Polemik 



^ 8. meine Stadien zur englischen Kirchenpolitik I, 91 ff. 

* De Civili Dominio II, 1. Et revera sepe revolvi in animo, quid movebat 
illam dominum et socium de ordine Sancti Benedict! inter omnes Ta- 
lentes Oxoniae tarn singulariter ac prepostere dictum negocium attemp- 
Ure . . . 

' De CiTili Dominio HI, 351: Et revera obligor eo amplius huic doctori 
meo, quo in diversis gradibus ac actibus scolasticis didici ex eius exer- 
citacione modesta multas michi notabiles voritates. 

* S. Shirlej in den Fasciculi zis., p. 617, Note. 

' Ich brauche wohl nicht erst zu erwähnen, daß damit meine früheren 
Mutmaßungen ttber die Persönlichkeit dieses Benediktiners nicht sa 
halten sind. Studion zur englischen Kirchenpolitik I, 96. 



Studien aar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 23 

gezogen^ und ihr dankt man eS; daß dem ersten Buche von der 
bürgerlichen Herrschaft ein zweites und dann noch ein drittes 
nachfolgte. Man braucht auf die Einzelnheiten dieser Polemik 
nicht einzugehen: es genügt^ die Tatsache festzustellen^ daß die 
Thesen und der Kampf um sie den Anlaß zur Entstehung der 
beiden Bücher geboten haben. Indem er im elften Kapitel des 
zweiten Buches die These verteidigt, daß die Laien das Recht 
haben, auch gegen den Papst, wenn es not tut, strafend ein- 
zuschreiten, vergißt er doch nicht, auch hier eine feierliche 
Protestation anzubringen, daß er nicht daran denke, etwas zu 
behaupten, was dem päpstlichen und geistlichen Stande über- 
haupt zur Unehre gereichen möchte, sondern nur die Wahr- 
heiten, aufzudecken, die sich in den Gesetzbüchern und Chro- 
niken finden, und daraus die etwa sich ergebenden Folgerungen 
zu erzählen. Das dürfte doch fromme Ohren kaum verletzen.* 
Daß in den Ausführungen des zweiten Buches von De Civili 
Dominio, also in einer frühen Zeit, die ersten Spuren des Risses 
zwischen Wiclif und den Bettelmönchen zu finden und aus 
welchen Motiven es zu diesem Risse gekommen ist, wurde be- 
reits an anderer Stelle bemerkt;* der Riß vollzog sich in einer 
früheren Zeit, als man gemeiniglich annimmt, und zweifellos 
deswegen, weil Wiclif in seinem Kampfe um das frühere Ideal 
der Minoriten nun deren Unterstützung vermißte. Schon jetzt 
hält er von den Orden überhaupt nicht viel, ,am besten wäre 
es, wenn es solche Spaltungen und Gründungen von Orden, die 
doch nur wieder auf irdische Verhältnisse zurückgehen, gar 

* De Civili Daminio II, 5: Sed miror, qua fronte frater meus auBUB est de- 
daccionem tarn frirolam fingere, specialiter coram tarn sciolo et vene- 
rabili auditorio in ecclesia beate yirginis Oxonie: Sacerdotes debent 
corrigi per se ipsos vel snos episcopos: ergo in nuUo casa debent corrigi 
per dominos secularea. Dieser Satz berührt die letzte These Wiclifs: 
Ecclesiasticns, immo et Bomanus pontifex, potest legitime a sabditis et 
laicis corripi et eciam accusari. 

' De Cfivili Dominio II, 114: Non iutendo personam aliquam diffamare vel 
in dehonoracionem vel dedecus Status papalis quicquam asserere . . . Nee 
Video quomodo illud offenderet pias aures. Das ist der Standpunkt 
WicUfii 1377. Dieselbe Ausdrucksweise in der bei Lewis p. 363 abge- 
druckten Determinacio Magistri Johannis Wyclyff de Dominio contra 
nnnm monachum, p. 366: quod sonaret iniuriam dicte ecciesie vel racio- 
nabiliter offenderet pias aures. 

' Studien zur englischen Kirchenpolitik I, 108. 



24 VI. Abhandlung: Loaerth. 

nicht geben wttrde'.^ Der Beginn des Kampfes gegen die Mcn- 
dikanten ist demnach mindestens schon in das Jahr 1378 zu 
setzen. Darf man^ wenn man Qeistlicher ist^ schon keinen 
irdischen Besitz haben: noch viel weniger darf man am einen 
solchen kämpfen.* Wiclif flihrt hier die Kämpfe Englands gegen 
Frankreich auf unlautere Anreizung der Hierarchie zurück: 
zweifellos hat er aber auch die Kämpfe im Auge, die das Papst- 
tum gegen die Florentiner führt. Bei jeder Kleinigkeit schiebt 
die Kurie ,die Sache Gottes' vor und beginnt einen Kampf auf 
Leben und Tod. 

Ein großer Teil des dritten Bandes von De Civili Dominio 
ist den geistlichen Orden gewidmet,' und indem er unter den 
Ordensmitgliedem, den besitzenden sowohl als den Mendikanten, 
seine eifrigsten Gegner findet, tritt er schon hier für seine in 
allen späteren Werken vorgetragene Lehre ein: Man bedarf der 
verschiedenartigen Religionen (Orden) nicht, uns genügt zum 
Seelenheil der allgemeine christliche Orden. Man wird bemerken, 
daß Wiclif auch hier die Frage der Säkularisierung des Kirchen- 
gutes in breiter Weise mit einfließen läßt* Auch die der welt- 
lichen Gerichtsbarkeit, der ein Kleriker unter gewissen Ver- 
hältnissen unterliegt, wird behandelt. In den Worten, daß die 
evangelische Armut nicht darin besteht, daß man sich jede« 
Besitzes entschlägt, sondern in allem die Nachfolge Christi 
hochhält, wird man auch den entsprechenden Gegensatz zwi- 
schen Wiclif und den Mendikanten gewahren. Vielleicht ist ge- 
rade deswegen die Frage, was die evangelische Armut ist, in 
so ausführlicher Weise erörtert worden. Eine jede irdische Herr- 
schaft, deren sich ein Geistlicher anmaßt, streitet gegen die 



^ Dt Civäi Dominio U, 166: Unde (si non fallor) «xpedieias foret ecclesie, 
in nna fide et religione sequi ChriBtum omnes Christicolai, non faciendo 
diviiiones et composiciones ordinom secandam yarietatea condicionum 
hominnm diBtinctorum; noch itftrker p. 166: indubie perfeccior est itta 
religio christiana (die allgemeine chriatliche Religion), quam religio hie 
priTata (als so ein prirater Orden). 

» n, 2S3 ff. 

* m, 1: Ut snpradicta de lege Christi in genere plus Incescant, oportet 
ordiri secandnm aliam formam, traetando de religione vel ordine. 

* in, 27: Ex istis et multts aliia dietis huins sancti patet, qnod potest 
contingere, nt domini temporales jmmo tjranni anferant a clericis tem- 
poralia ad magoum commodnm clericomm . . . 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 25 

alten heiligen Gesetze, kraft deren die Geistlichkeit kein Sonder- 
eigentum besitzen, keine irdische Herrschaft innehaben darf.^ 
Von großem Interesse ist die Frage, die Wiclif aufwirft, woher 
es komme, daß man gar so heftig gegen die Ausschweifungen 
der Geistlichkeit und nicht vielmehr gegen ihre Habsucht los- 
ziehe.* Schon Hest man hier, daß die römische gleich der eng- 
lischen Kirche mit ein Teil der allgemeinen ist und nur die 
allgemeine nicht irren kann: das dürfe man aber von 
,diesem' Papste und seinen Kardinälen nicht behaupten.^ Man 
wird nicht ohne Rührung lesen, was er von sich selbst über 
seine ersten Anfänge im Studium der Heil. Schrift erzählt: wie 
er sich mühsam zu ihrem Verständnisse durchrang, weil er die 
Doppelbedeutung mancher Stellen anfangs nicht zu fassen ver- 
mochte.* Mit einem Worte: Man sieht in einem Augenblicke, 
da er noch damit beschäftigt ist, die gewichtigsten Argumente 
ftlr die evangelische Armut der Kirche und gegen jede Aus- 
übung von Zivilgewalt durch die Kirche vorzutragen, im Hinter- 
grunde nicht bloß die beiden großen Bücher von der Wahrheit 
der Heil. Schrift und der Kirche, sondern auch das Buch De 
Potestate Pape.** Aber die Armutsfrage, die Frage der Entsagung 
jeder weltlichen Herrschaft seitens des Klerus bildet doch das 
Wesentliche in allen seinen immer breiter werdenden Ausfüh- 
rungen: wie es purer Wahnsinn sei, zu behaupten, daß Christus 
und die Apostel das Recht auf irdische Herrschaft besaßen und 
dieses Recht nur schlummerte, bis es der Papst Silvester und 



' ni, 244: Omnifl talis dominacio pretensa in clerico repngnat regalis sa- 
croram canonnm, quibns docetur, quod omnes clerici debent esse expro- 
prietarii, habentes omnia in communi, ymino, cum omnis talis intencio, 
ut clericus dominetnr ciyiliter, sapit peccatum mortale, manifestum Ti- 
detur, quod omnis talis consensus sapit peccatum mortale, licet effectus 
non scquatur. 

' Der Hauptgrund, den Wiclif anführt, hat ein seitgeschichtliches Inter- 
esse: quia luxuria plus apparenter perturbat pacem reipublice ; utrobiqne 
enim clericus ex rabie coitus fit bellicosior et laicus ex maculacione 
uxoris vcl filie est longo offensior quam ex negociacione rel ininriacione 
sensibili in bonis fortune. Et sie utrobique perturbatur pacis tranquillitas, 
in tantum quod laici Londoniis et alibi incarcerant fomicarios aacer- 
dotes. 

• p. 404. ^ p. 443. 

* De Dominio Civili III, 380. 



26 VI. Abhandlung: Loserth. 

Kaiser KonaUntin wieder aufloben ließen.* Aber selbst die De- 
krete der Kirche, der alten Kirchenlehrer ganz zu geschwcigen, 
sagen das Gegenteil.* Der Kaiser hatte gar nicht das Recht, 
das Wesen der Kirche von Grund aus zu ändern.* Wer des 
Reiches Feinde niederwirft, seien es äußere oder innere, der 
hat das vollste Verfügungsrecht über die Güter der Kirche.^ 
Wenn gemäß den Dekreten der Kirche und der Autorität der 
Heiligen die weltlichen Herren verpflichtet sind, die Güter der 
Kirche zu verteidigen, wie könnten sie dies tun, wenn sie nicht 
die Herrschaft über sie besäßen. Und daß die Kachkommen 
jener Männer, die der Kirche irdisches Gut gegeben, das Recht 
haben, es im Falle des Mißbrauches zurückzufordern, zeigt 
Wiclif aus Stellen bei Thomas von Aquino,* aus dem in Eng- 
land geltenden Rechte usw. Damach ist das Kirchengut nur 
ein bei der Kirche hinterlegter Schatz, den man im FaUe der 
Not zurückfordern darf;^ dies zu tun, haben die Könige ein 
Recht, das sich aus der Vernunft, der Heil. Schrift, den Zeug- 
nissen der Doktoren und aus den Gesetzen erweisen läßt. Wiclif 
läßt sich vornehmlich auf eine Erläuterung der entsprechenden 
Kirchengesetze ein: Wenn es im Dekrete heiße, die Fürsten 
dieser Welt mögen wissen, daß sie dermaleinstens Gott Rechen- 
schaft ablegen müssen der Kirche wegen, deren Schutz ihnen 
Christus anvertraut hat, und daß sie es sind, welche verantwort- 
lich gemacht werden dafür, daß in der Kirche der Friede ge- 
macht oder gestört, die Disziplin erhalten oder aufgelöst wird, 
wie sollten sie dann nicht Recht haben, in Gottes Sache gegen 
diese Priesterschaft vorzugehen? Wtirde freilich dies kanonische 
Gesetz ausgeführt werden, dann müßte wohl der weitaus größte 



1 p. 445. 

* Periculosam sompninm et infnndabile, cnm predictam decretam sonat in 
oppositum. 

' p. 451 : Nee imperator potest donare papc, dum steUrit in suo ordine, re- 
^alinm potestatem, imperialem vel dominacionem ciyilem . . . 

* nie igitur, qui principaliter domat hostes eztrinaecos et intrinaeoo«» 
cnittsmodt est imperator vel rez, est reddttuum dominus capitalis. 

* p. 454: Unde sanctus Thomas subiungit: Usus ipsorum donomm redde- 
retur illicitus, si ab actibus religiosis desisterent, et quantam in se esset, 
defraudarent intcncionem eornm, qui talia beneficia contnlerunt. 

* p. 455: Bona collata ecclesie sunt quasi tesaurus depositns quem licet elf 
in tempore necessitatis repetere . . . 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 27 

Teil des Kirchen^tes, das der Klerus festhält, an die ,froinmen 
Könige* zurückfallen; denn ein jeder Kleriker, der mehr als die 
Tugend die Temporalien liebt, geht ihrer verlustig, gerade so 
wie der Mönch seine Würde einbüßt, wenn er schändlichem 
Gewinne nachgeht; das aber tut ein jeder, der sich mit Armen- 
gut bereichert. Aus alledem folgt, daß es den Königen zusteht, 
hier einzuschreiten, zumal da sie die Pflicht haben, die Ver- 
wendung des Kirchengutes in ihre Obhut zu nehmen und es 
kraft ihrer oberherrlichen Gewalt zu verteidigen.* Wozu würde 
denn auch das Kirchenrecht bestimmen, daß ein Patronatsherr 
fiir den Fall der Nachlässigkeit eines Bischofs oder Metropoliten 
in der Bestrafung eines Geistlichen das Recht hat, vor den 
König zu treten, wenn dieser nicht die Berechtigung hätte, 
gegen jene strafweise vorzugehen." Wenn Päpste, Bischöfe, 
Kuraten und alle jene, denen statutenmäßig die Pflicht zukommt, 
für die Stifter zu beten, ihren Verpflichtungen untreu werden, 
dann ist es das beste, die Stiftung einzuziehen und für andere 
fromme Zwecke zu verwenden. Wir führen diese Stellen an, 
um zu zeigen, daß, wie im ersten Buche von De Civili DominiOy 
das Ganze auf eine Begründung der 18 Thesen hinausgeht, im 
dritten Buche vornehmlich der Inhalt der 33 Konklusionen seine 
ausilLhrliche Begründung erhält. Man vergleiche z. B. die unten 
in der Beilage mitgeteilten Konklusionen Nr. 15 — 20 mit den 
eben mitgeteilten Stellen und man wird zum Teile eine wörtliche 
IJbereinstimmung finden* und auch daraus entnehmen können. 



* p. 459: Et istud, ut videtur michi, pertinet ad doininos discutere, cum 
habent bona illa dirigere, et si oportet racione capitalis dominii de- 
fendere. 

■ Ebenda. 

' p. 417: Ex illa Bentencia huius sancti videtur . . . quod expedicius foret 
ecclesie carere huiusmodi papa, cpiscopo, curato, quocumque preposito 
Tel elemosinario oratore, convertcndo sibi mtnisterium collatum in alioa 
pios usus (s. unten) quam habere talem perversum in diviciis et gloria 
seculi quantumlibet habundantem. Daß sich aber auch wortgetreue Über- 
einstimmung findet, sieht man aus folgender Stelle, über die noch weiter 
unten zu sprechen ist: 
Conclusionum triginta trium Con- 



clusio XXXI. 
Sire progenitores defuncti do- 
minoram superstitum siut in celo, 



De Ciyili Domiuio III, 471. 

Ex istis patet quod, sive proge- 
nitores defuncti dominorum super- 



28 VI. Abhandlung: Losertb. 

daß die Abfassung des Werkes von der bürgerlichen Herrschaft 
den gleichen Motiven entsprang wie die Aufstellung der 33 Kon- 
klusionen. Und so gewinnt es den Anschein^ als sollte jenen 
Mitgliedern des englischen Herrenstandes, denen die Lektüre 
eines so schwerfälligen Buches, wie es De Civili Dominio ist, 
nicht zugemutet werden konnte, eine kürzer gefaßte Begründung 
in die Hände gegeben werden, falls sie etwa Lust haben sollten, 
die der Kirche von ihren Vorfahren gemachten Schenkungen 
zurückzufordern und anderen frommen Zwecken zuzuführen. 
Man sagt ihnen, ob sich die Seelen eurer Vorfahren im Himmel, 
im Fegefeuer oder in der Hölle befinden: die Einziehung soU 
eher Benefizien, die jetzt von unwürdigen Geistlichen festge- 
halten werden, könne ihnen nur nützen. Sind sie im Himmel, 
dann wird ihre Seligkeit eine größere, weil ihre Stiftungen der 
Allgemeinheit zugute kommen; sind sie im Fegefeuer, dann 
könnte ihre Pein verlängert, sind sie in der Hölle, ihre Strafe 
größer werden, wenn diese Stiftungen mißbraucht würden. Um 
den von Wiclif bezeichneten Zweck zu erreichen, geht er auf 
das Fegefeuer in ausführlicher Weise ein und erörtert, ob und 
inwieweit spezielle Gebete den armen Seelen zu nützen ver- 
mögen und ob nicht vielleicht jene, die Abteien Schenkungen 
auf ewige Zeiten für diesen Zweck machen, die Betrogenen sind.^ 

3. Die 18 Thesen und das Buch de Yerltate Sacro Seriptare. 

Die 83 Konklusionen. 

Seit den Tagen des guten Parlamentes war gerade ein 
Jahr verstrichen. Nun arbeitete Wiclif ein Werk aus,* das zu 



purgatorio yel in inferno, expediens 
foret in cun, quo elemosinarii ab- 
utantur eorum elemosinis, ipsamm 
subtraccio et convenio in aiios 
pios U8U8 (s. oben). 



stitum sint in eelo, sive in porga- 
torio, sive in infemo, expediens 
foret in casu, qnoelemosinariieoram 
abutantur elemosinis, earum snb- 
traccio. 



* p. 646: Patet quod fnndantes perpetaas elemosTnas in abbaciis, cantariii 
ot elcmosynis hniosmodi ex affeccione proprietaria nt plarimnm sunt 
decepti . . . 

' Am Tage MarÜ Verkündigung 1378 schrieb er an dem elften Kapitel: 
Et patet ntrobiqne quod a tempore incepcionis Machometi nsque hodie 
in vigilia Annnnciacionis anno domini millesimo trecentesimo septna* 



Studien zur KircbeopoUtik Englands im 14. Jahrhundert. 29 

seinen reifsten gehört and dessen AnfUnge wohl einige Jahre 
aBurückliegen:* das Buch von der Wahrheit der Heil. Schrift, 
das uns seit zwei Jahren in dem vortrefflichen Erstlingsdrucke 
Rndolf Bnddensiegs vorliegt. 

Je mehr sich Wiclifs Streit mit seinen Gegnern vertiefte, 
umsomehr zog er sich auf die Heil. Schrift als auf das Funda- 
ment aller christlichen Lehrmeinung zurück und immer nach- 
drücklicher weist er auf sie als auf die einzige Norm des Glau- 
bens hin. Man kennt die hohe Wertschätzung, die er dem 
heil. Augustin gegenüber hat, und dennoch sagt er, als man 
ihm einige Worte dieses Heiligen entgegenhielt, die vor der 



getimo oetaro non flnxernnt . . . BuddenBieg setzt den Abschluß des 
TrakUtes in den Sp&therbst des J. 1378. Johann Wiclifs De Verilate Sacre 
Scripture (Leipzig 1904) I, p. XCII. Das ist auch richtig. Jedenfalls 
hstte die Nachricht, daß Urban VI. seinen ersten großen Kardinalsschub 
vorgenommen, den Verfasser schon erreicht, als er das 15. Kapitel 
schrieb, denn darauf dürfte man wohl die Schlußzeilen dieses Buches 
beziehen dürfen. 
* Die AnfKnge dieser Studien sind aus dem wissenschaftlichen Turnier 
xwischen dem KarmelitermOnche Johannes Kynjngham und Johannes 
Wiclif BU ersehen. Jener schrieb auf eine nicht mehr erhaltene Schrift 
Wiclifs seinen Ingreuut contra WicUf (Fase, zizanniorum 4 — 13); darauf 
antwortet Wiclif (ebenda 453—476); dagegen streiten Kynynghams Acta 
contra idea» magittri lokannU Widif (14 — 42); dieser ließ zunächst noch 
einen Machtrag zu seiner ersten Schrift erscheinen (477—480), dann 
folget Seemnda DetemUnatio contra Wiclif De AmpUiUione Temporit (43 — 
72) und die Urtia determinatio (73 — 103). Eine den Kynjnghamschen 
Traktaten Yorhergehende Predigt über das Thema ,Inimicu* komo hoc 
fedV klagt, daß man Wiclifs Ketzereien so spät erkannt habe, und rühmt 
Kjmyngham, der unter den Schnittern, die das Unkraut aus dem Weizen 
auszurotten hatten, einer der ersten war: Inter primos messores Christi 
tunc temporis [Randnote 1376] surrexit de Fratribus Carmelitis Vir- 
ginis matris Dei contra lollium Antichristi frater lohannes Kynyngham, 
post provincialis ordinis et confessor illustris principis lohannis ducis 
Lancastrice . . . qui diutinam cum Wiclif per annos continuam luctam 
peregit et manuale certamen, fortiter austinens corrosivum rerbum hae- 
retici et sermonem eins sine Christi pietate. Damit künnen Kyujmghams 
und Wielift genannte Schriften nicht gemeint sein, denn in ihnen tritt 
der gegenseitige Verkehr als einer swischen zwei Gegnern an den Tag, 
die Ton gegenseitiger Achtung gegen einander erfüllt sind. Gestritten 
wird über Dinge, die das Alter und die Glaubwürdigkeit der Heil. Schrift 
betreffen. Die Schriften sind der Abfassungsieit nach ror das Jahr 1874 
zu setien. 



30 VI. Abhandlung: Loserih. 

Nachahmung des biblischen Sprachgebrauches warnten: Auch 
Augustin ist nicht unfehlbar. Wiclif dieses feste Fundament 
unter den Füßen wegzuziehen, war die wenig dankenswerte 
Aufgabe seiner Gegner. Sie kamen mit Argumenten, wie es der 
Satz Augustins ist, und sie zu widerlegen, schrieb er das Buch, 
dessen Inhalt durch seinen Titel gekennzeichnet ist: von der 
Wahrheit der Heil. Schrift. Es wird gentigen, einige Sätze aus 
dem Werke, dessen Inhalt jetzt in trefflicher Weise von Bud- 
densieg gekennzeichnet ist,^ hier anzuführen; uns handelt es 
sich darum, den Zusammenhang auch dieses Buches mit den 
P>eignis8en von 1376 festzustellen. Mehr als zu anderen Zeiten, 
sagt er, sind heutzutage Irrtümer darüber, wie man die Heil. 
Schrift aufzufassen habe, im Umlaufe. Sie aufzudecken, ist not- 
wendig, denn die Heil. Schrift ist die Grundlage der katholi- 
schen Lehre und der Maßstab und Spiegel zur Prüfung und 
Ausrottung jedweden Irrtums und zur Austilgung jeder Ketzerei. 
Die Heil. Schrift ist wahr in allen ihren Teilen, und wenn man 
gegen sie Augustins Worte ausspiele, so verstehe man diese 
schlecht und Übersicht dann alle die anderen Stellen, in denen 
er den Gebrauch der Bibel empfiehlt. Man muß sie nur recht 
verstehen und sich an ihren Geist halten, nicht aber an die 
Worte klammem. Da gebe es wohl Stellen, die Anstoß erregen, 
doch nur bei denen, die sie nicht zu lesen verstehen. Es heißt, 
ihr eine Schmach antun, wenn man behauptet, sie entlialte 
Dingo, die falsch sind.* Denen, die sich weise dünken vor der 
Welt, hat Gott freilich seine Wahrheit verhüllt, sie dagegen 
denen geöffnet, die ihr kindliches Gemüt bewahren: nicht den 
Gelehrten der Welt, sondern den Treugläubigen; nicht denen, 
die nach den Gestirnen sehen, sondern den anderen, die recht 
tun, nicht jenen, die Wortspaltercien lieben oder durch Lug 
und Trug die Wahrheit bannen, sondern denen, die guten 
Willens sind. 

* S. die Inhaltsangabe Bnddentiegs in seiner Ausgabe p. XLVIII— LXXXL 
Darnach behandelt cap. I- VIII die Wahrheit der Schrift, cap. IX— XV 
ihre Autorität, cap. XVI— XIX ihren göttlichen Ursprung und cap. XX 
— XXXII ihre Erhabenheit über alles menschliche Schrifttum und die 
Anwendung dieses Satxes auf das christliche Leben. 

' Hie sepe dixi quod falsum assumitnr, cum ignorancia sensus scriptore 
et non eins falsitas faeit inscios yel protervos imponere sibi cainmp- 
niam . . . 



Studien sur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 31 

Die Heiligen waren immer der Meinung, daß da ein Streit 
um den Wortlaut der Bibel unnütz, vielmehr der Geist ihres 
Urhebers zu suchen ist und daß das verworfen werden muß, 
was sich damit nicht vereinigen läßt. Daher ist es das Streben 
der Doktoren, den Sinn der Schrift zu ergründen. Sowie ein 
Kind erst die Buchstaben kennen lernt, dann die Zusammen- 
setzung der Silben und Wörter sucht und am Schluß erst zum 
Verständnis des Gelesenen gelangt, so lernt der Theologe ei'st 
die Grammatik, dann die der Heil. Schrift, die eine andere ist, 
dann achtet er auf den Sinn, den der Urheber damit verknüpft, 
und so liegt endlich das Buch des Lebens schleierlos vor ihm 
aufgeschlagen.^ Der Sinn der Schrift, das ist die Frucht dieses 
Studiums. Alles andere ist wie die Blätter oder die Rinde zu 
verwerfen.* Mehr als die weiteren Ausführungen über die Be- 
griffsbestimmung der Heil. Schrift, über ihre mehrfache Aus- 
legung usw. interessieren uns jene Stellen, in denen er offen 
oder verdeckt auf seine persönlichen Beziehungen hinweist oder 
den in De Civili Dominio begonnenen Kampf gegen die Über- 
hebungen der Hierarchie weiterführt. Heute, sagt er, gilt es 
als Grundsatz, daß jemand deshalb, weil er Papst ist, unfehlbar 
ist; wenn er nun irgendeine Meinung aufstellt, wird sie folge- 
richtigerweise dem Evangelium gleichgehalten oder noch dar- 
über gestellt.' Wie steht es aber mit seinem Lebenswandel? 
Da darf freilich niemand ihn tadeln, vielmehr gilt er für die 
übrige Christenheit als Muster und Vorbild. Ganz anders lauten 



* Sicnt pner primo discens alphabetam, secundo sillabicare, tercio legere 
et qnarto intelligere habet in quolibet istornm gradunm Becundum snum 
distincte intentum circa illud quod primo discit et posterius propter 
confasionem excutit primum sensum, sie theologOB post doctrinam gram- 
matice discit lecando grammaticam seripture optatum ad sensum rclicta 
priori, tercio relictis signis sensibilibns attendit ad sensnm aatoris qnous- 
que qaarto viderit sine velamine librum vite . . . 

' Qois fidelis dabitat qain postponenda sint folia et cortex verbornm nisi 
de qaanto disponunt preyie ad hunc sensum . . . 

' Verbi gracia hodie invalescit opinio legistamm dicencium qnod si quis 
Bit papa est impeccabilis et per conseqnens, si quid arbitratnr vel ordinat 
tanc est iustam, cum epistole sne vel parificantar vel superant aactori- 
tatem scriptnre sacre, eo quod non nisi per enm creditnr evangelio et 
sie potatt hereticare scripturam sacram et catholicare oppositum fidei 
Christiane . . . 



32 VI. Abhandlung: LoBerth. 

Lehren, die ich in der Bibel finde. Da steht die Lehre von der 
evangelischen Armut, die zu ändern kein Wechsel der Zeit und 
keine päpstliche Dispens irgendein Recht gibt 

Indem er nun die Beweise erbringt, daß die Heil. Schrift 
allein die volle Wahrheit enthalte, und die gegnerischen An- 
schauungen widerlegt, erklärt er, daß sie allein, als von Gott 
gegeben, Autorität habe. Alle anderen Schriften, die wie die 
Dichtungen Homers, Ovids und des Vergilius Maro ja auch 
einige Wahrheiten enthalten, lassen sich damit so wenig ver- 
gleichen wie die Lehre Mohammeds. Wiclif kennt den Koran; 
dort lese man: ,Wer mit dir streiten wiU, sag' ihm, du habest 
dein Gesicht zu Gott und seinen Jüngern gewendet.' Moham- 
med verbietet damit eine Kritik des Korans. So verbieten auch 
die Päpste, daß man über ihre Gewalt disputiere.^ Da sei zu 
sagen, daß dies nicht stimme. Verboten sei nur, daß man in- 
diskret und ohne Scheu von der Gewalt des Papstes rede und 
die der anderen Prälaten in Zweifel ziehe, ob sie nämlich auch 
die Gewalt zur Erbauung der Kirche in Gemäßheit der Regeln 
Christi besitzen. Dürfe man von der Gewalt Gottes reden, die 
eben so heilig als unbegrenzt ist, um wie viel mehr nicht von 
der Gewalt seines Vikars;* ja da die Kirche verführt werden 
kann durch die eingebildete Macht dieses Pseudovikars mit 
dem Wolfszahn und Schafspelz, so ist es geradezu notwendig, 
hiervon zu handeln;' fordert doch Christus selbst zu solcher 
Aussprache auf. Da man die Gewalt Christi wie die Petri aus 
der Bibel kenne, so ergibt sich, daß er selbst den Weg ange- 
geben habe, die Macht des Papstes ,mit Bescheidenheit und 

^ Man wird auch ans dieser Stelle {De Veritale SancU Scriplure I, 26S) 
entnehmen, wie der Traktat De PoUaUUe Pape hier schon angekUndi^ 
ist. Die ganse Stelle lautet: Et si argoatur, qnod Christi Ticarii m- 
qnnntar in hoc ficticiam Mochameti, non permittentes sed ordinantes, 
ut non disputetur de eornm potestate, . . . dicitnr, qnod non est 
verum, sed solum prohibetar, indiscrete et irreverenter tractare de pote- 
»tote pape . . . 

' Si enim licet tractare de potestate Dei sacratissima et infinitissima, 
multo magis de potestate Christi Ticarii. I, 262. 

' Item cnm ecciesia posset snbdaci per palliatam potestatem pseudoYicarii 
cum dente lupino et pelle orina occupantis ecclesias, patet qnod est 
per necessarinm tractare de potestate Christi vicarii . . . 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 33 

Ehre' zu behandeln.^ Und so wie die Bibel heilig und durch 
und durch wahrhaftig ist, so darf sie auch nach jeder Seite 
hin von dem katholischen Doktor durchforscht werden.* Es ist 
geradezu notwendig, zu wissen, daß und wie der Papst seine 
Gewalt mißbrauchen kann, und wenn Christus sich dem Ge- 
richte des Pilatus unterwarf, so ergibt sich daraus, daß wir 
Kleriker in weltlichen Dingen der weltlichen Gewalt zu unter- 
stehen haben. Ein Satz, der deutlich auf die Diskussion über 
die 18 Thesen zurückweist. Heute, sagt Wiclif, nimmt der 
Christenglaube ab, der Islam breitet sich aus, schon hat er Ar- 
menien ergriffen: besser kann es nur werden, wenn die Kirche 
zur apostolischen Armut zurückkehrt. 

Und so wie Wiclif diese seine Ausführungen über die 
Bibel benützt, um Nutzanwendungen über die Hierarchie ein- 
zubeziehen, so geschieht es, nur in ausgedehnterem Maße noch, 
in den folgenden Blättern, die Aufschluß geben über die Ge- 
nesis dieses Buches und Meldung tun von den Anklagen, die 
wider ihn in Rom erhoben worden sind: Wer sage, die Bibel 
enthalte Dinge, die unmöglich sind, versündige sich an ihr. Da 
müsse man an den Spruch des heil. Augustin denken, daß nie- 
mand gegen sie auch nur etwas denken dürfe. Was sagt da 
der Papst dazu, wenn er Dispensationen gegen den Befehl der 
Bibel verleiht und dadurch beweist, daß er gar kein Christ ist? 
Die Behauptung, daß man an dem Wortlaute der Bibel nicht 
rütteln dürfe, wie einstens die heidnischen Philosophen verboten, 
über die Reden und Schriften des Pythagoras zu disputieren, 
sei ein leichtsinniger Einfall, welcher der Kirche schade. Hier 
verteidigt sich Wiclif wider die Anklagen, die seitens der Bi- 
schöfe nach Rom gesandt wurden. Man klagte ihn an, daß er 
bei seinen Lehrsätzen sich auf die Heil. Schrift und die Kirchen- 
väter stütze.* Gerade in seiner Methode sehe er einen doppelten 

^ Qnod de facto ipse et leges sae dant licenciam et viam tractandi de 
dicta potestate cnm modestia et honore. 

* 8. 263: Quid rogo foret magis saspectum quam quod ego poasem magni- 
ficare potestatem meam ultra nnbes, dicendo qnod possum tot et tanta 
facere, palliando hoc ex scriptura et licenciando discipnlos tradicionia 
mee hoc tractare in meis terminis, Bed statuendo qnod non liceat theo- 
logo extra terminoe meos vel limites secundum Bcriptnram sacram qnid- 
quam disserere? 

' Ex istis novellis calnmpniia scripture necesse ex michi morari diffnains: 
SiisangabM. d. pbil.-hitk. Kl. IM. Bd. 6. Abb. 8 



34 VI. Abhandlang: Loserth. 

Weg zum Heile, im Gegenteile den Weg zum Verderben. Ganz 
wider Erwarten hätten sich, Gott weiß aus welchen Motiven, 
Leute zusammengetan, die sagen, die Heil. Schrift sei minde- 
stens zum großen Teile durchaus falsch.* Wenn man mir das 
Fundament entzieht, droht mir Verderben, mein Stab ist dann 
ein schwaches Schilf und ketzerisch das Fundament, auf wel- 
chem ich ruhe.* Ruft dann das Volk nach Autorität und Sicher- 
heit, so ist mir der Weg versperrt, sie zu finden; ich muß dar- 
nach für mich und meine Genossen fürchten, suspendiert zu 
werden, in den Bann zu kommen, als unfähig erklärt zu wer- 
den, in der Schule und anderwärts die Lehre vom 
Glauben zu behandeln.' Nie hat noch ein heiliger Doktor 
behauptet, die Bibel sei durchaus falsch. Wahr sei nur, daß 
manche HeiHge sagen, man dürfe in der Bibel nicht alles wört- 
lich nehmen. Und daraus schließen diese Leute, die Heil. Schrift 
sei falsch. In solcher Weise flicke man heute an der Heil. Schrift 
herum, zerfleische und lästere sie. Gebe man den Grundsatz zu, 
daß sie zum großen Teile falsch sei, was bleibe von ihr? Dann 
müsse sie durchgebessert werden, und da dies noch nicht ge- 
schehen, sei sie ganz verfillscht; so sei auch das Vaterunser 
nicht mehr zu brauchen, denn ist es falsch, daß Gott unser 
Vater sei usw. 

Gegen solche Schlüsse und das ihnen zugrunde liegende 
Prinzip ist Wiclifs Verteidigung des ,Gesetzes Gottes' gerichtet. 
In Glaubenssachen muß man sich hüten, solche Tennini einzu- 

circa istam materiam protestatas som quidem in Bcripti» (das sind wohl 
seine 18 Thesen, denen er die feierliche Protestatio voraussendei; so 
anch Buddensieg I, 274) et missum est per manns dominomm episcopo- 
mm ad curiam domini pape und nnn folgt das Motiv der Klage: qnod 
volo inniti in sentenciam quam ezplico, modo loquendi scrip- 
ture et sanctorum doctorum, sie quod in illis Terbis consistit du- 
plex Salus mea et mors duplex contingeret mihi ex eorum oppositis, 
p. 27i. 

* Sed inopinate et insolite multiplicati sunt, qui dicunt scriptnram sacram 
secnndum magnam partem sui esse falsissimam . . . 

' Quo habito deficeret mihi fundamentum in omnibns dictis meis et im- 
mineret michi ruina ut baculo arundineo, hoc est, fnndamento heretico 
innitenti . . . 

' Obscnratur michi aditus Christiane fidei . . . tercio timeo michi et meia 
consociis de suspensione, excommunicacione et inhabilitacione ad me 
ipsum in scolis vel alibi in materia fidei declarandum . . . 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhandert. 35 

Alhren^ die in der Schrift keine Begründung haben. Wenn man 
sage, man dürfe nicht aUe Geheimnisse der Heil. Schrift preis- 
geben, 80 muß man antworten, daß die Wahrheit unter allen 
Umständen verkündigt werden muß, und auch ein Ärgernis, 
das hierdurch nach der Meinung der Leute gegeben werde, 
darf davon nicht abhalten.^ Man wird hier an die schönen 
Worte zu erinnern haben, die Wiclif für sein Verhältnis zur 
Bibel gelinden hat: Sie ist ihm das einzige an sich feste Fun- 
dament, das Gott der Christenheit gelegt, die einzige Richt- 
schnur, wie sich ihr Leben zu gestalten hat.' An sie muß sich 
unsere Rede halten, nach ihr sich unsere Begriflfe fixieren. Und 
das ist, sagt er, das Motiv, weswegen ich mich an den Sprach- 
gebrauch der Schrift sowie an den jener heil. Kirchenlehrer 
halte, die sie sinngemäß auslegen. Wohl setze ich mich hierbei 
den Angriffen der modernen Logiker aus, aber deren Ansicht, 
daß die Heil. Schrift großenteils falsch sei, steht im Gegensatz 
zum kathoUschen Glauben und verdient meinen ganzen Ab- 
scheu. Man wirft mir Insolenz, Neid gegen andere, heimliche 
Sünden vor, um dies mein Verfahren zu motivieren. Sei Gott 
mein Zeuge, daß ich, indem ich die Heil. Schrift dergestalt ver- 
ehre, nur die Ehre Gottes und das Beste der Kirche im Sinne 
habe und es bitter beklage, daß man mir falsche Motive unter- 
schiebt. Wer sich beklagt, daß die Rede der Schrift hart sei, 
der muß bedenken, daß sie die Wahrheit enthält, der niemand 
widerstreben darf, denn ihr Urheber ist Gott. 

* De Verüale Sacre Scripture I, 292 — 294: Nee valet asserere, quod ve- 
rttas non est dicenda aut male sonans, qaia displicenter sonat auditorio, 
qnia sie maior pars predicacionis Christi et apostoloram, ymmo predi- 
cacio cuinscumqne fidei scripture foret dampnabilis, yel tacendo perpetao, 
qnia displicenter sonaret infidelibns peccatoribus redarg^tia vel eroulis 
... Et sie nnnqnam foret fides Christi predicanda alicui auditorio ex hoc 
qnod aliqua pars eins sonaret alicui ad culpam ad dispUcenciam sive 
penam . . . Sic possent satrape nostri infici, quod prohiberent totum 
testamentam Christi legi, qnia male sonat male intelligentibus . . . 

* p. 296: Et hec racio quare innitor modo loquendi scripture et sanctorum 
doctornm ipsum sequencinm ad sensnm eorum; quantum suffioio, me 
ipsum eciam secundum novellam logicam ezponendo. Sed non video 
fnndamentnm ex scriptura vel racione, quod scriptura sacra sit falsissima. 
Ideo illam novitatem detestor tamquam fidei catholice dissonantem et 
non solnm illam falsitatem sed omne antecedens, ex quo yideretnr sa- 
pientibns illam regni . . . 

3* 



36 VI. Abhandlang: Loserth. 

Mit der Wahrheit darf der Christ nicht zurückhalten; weil 
aus ihrer Verheindichung die größten Übel hervorgehen. Auch 
ist es in der Schrift verboten ^^ und die stammen Prälaten sind 
es, die den Ruin des Volkes hervorrufen.' Die Verteidigung der 
Wahrheit allein macht den Menschen zum Märtyrer. Daß sie 
nicht wegen eines zu besorgenden Skandals ^ oder um ihre 
Feinde nicht zu verwirren, nicht verschwiegen werden darf, 
ergibt sich aus dem Leben und der Lehre des Heilands. Heut- 
zutage wird die Wahrheit freilich aus knechtischer Furcht ver- 
schwiegen.' 

Hatten Wiclifs Gegner ihm das große Ärgernis entgegen- 
gehalten, das er der Menge gab, und sich nicht gescheut, seine 
Absichten zu verdächtigen und seinen Charakter anzutasten, so 
bietet uns seine Verteidigung viele Züge zu seiner Erkenntnis: 
indem er nämUch unter der Wucht der gegnerischen Angriffe 
seinen ganzen Lebenswandel und seine bisherige Lebensarbeit 
einer kritischen Musterung unterzieht, macht er uns mit vielen 
Einzelnheiten aus seinem Leben bekannt, die bisher noch nicht 
genug gewürdigt worden sind- 

Die heftigsten Angriffe hatte er ,von einem vermeintlichen 
Freunde' und, wie er bisher angenommen hatte, ,von einem 
ganz besonderen Verteidiger der katholischen Wahrheit' zu er- 
dulden.^ Es lohnt sich, bei diesen Angriffen etwas länger zu 
verweilen. Geduldig, sagt er, trage ich alle persönliche Unbill, 
denn so befiehlt es die Schrift. Aber hier handelt es sich um 
den Nutzen der Kirche; daher bin ich gezwungen, auf die Mo- 
tive meiner Gegner einzugehen. Mich und meine Gönner schelten 
sie Ketzer und nennen uns hinterlistige Verräter des Reiches. 
Man wird auch durch diese Äußerungen wieder an die Ereig- 
nisse gemahnt, die mit den Thesen und ihrer Verurteilung in 
Zusammenhang stehen, und weiß, wer sein Gönner ist, und so 

^ Isaiae VI, 6: Vae mihi, qnia UcnL De VerUaU Saere Seripiure, p. 816. 

* Ibid., p. 323: Unde taciturniUs cnlpabilifl prelatorum est eansa tocioa 
niine popnli ... 6t hinc tales . . . Tocantar canes muti non ralentoa 
latrare. 

' Ideo, fKbrt Wiclif fort, est mihi pro regala qnod yeritas dicenda sit fidaa 
Bcriptnre. 

* De VerüaU Saere Seripture I, 345: Sic enim salntatas «1111 naper a 
quodam doctore, quem credidi amicam meam specialem et defensorem 
catholiee veritatis. 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 37 

hat es wohl viele WahrscheiDÜchkeit; daß jene 33 Konklnsionen^ 
von denen schon oben die Rede war und unten noch sein wird, 
dem Herzog Johann von Lancaster überreicht worden sind. Es 
ist ja seine innige Verbindung mit der Laienwelt gewesen, die 
ihm seine Gegner am heftigsten vorwarfen. Um darüber keinen 
Zweifel aufkommen zu lassen, daß er sich dessen bewußt ist, 
weist er auf Christus hin, der auch dem Staate gegeben, was 
ihm zukomme. Wie wolle man denn nun erweisen, daß er ein 
Verräter des Königreiches sei?* 

Wer ist dieser Gegner Wiclifs? An Kynyngham wird 
nicht zu denken sein, denn seine Schreibweise ist eine andere. 
Wir werden darüber unten Näheres mitteilen. Was seine Be- 
hauptungen betrifft, können wir sie aus den von Wiclif gege- 
benen Antworten förmlich zusammenstellen. 

,Man wirft mir,' sagt er, ,Doppelzüngigkeit* und Ketzerei 
vor.' Auf den Vorwurf der Häresie würde ich nicht antworten, 
schlösse sie nicht eine grundlose Anschuldigung unschuldiger 
Personen in sich. Von drei verschiedenen Seiten sind mir die 
Angriffe dieses Gegners zugetragen worden.' Sie dürften ent- 
weder von der Katheder oder von der Kanzel hergekommen 
sein, denn WicUf spricht von einem Auditorium, das diesem 
Gkgner zuhörte und bei dem sich auch Magister der freien 
Künste, besitzende Mönche und Mendikanten befanden.* Vor- 
geworfen wird ihm, daß er dadurch, daß er sich stets an die 
Bibel halte, Irrtümern anheimfalle. Indem er z. 6. den Satz: der 
geistliche Mensch hat über alles zu richten, wörtlich nehme, 
verachte er, und das sei das Anzeichen eines rechten Ketzers, 
jede andere Autorität außer der eigenen und jener Gottes.* So 



* Christus snhditns erat secularibus, nt Josef et Cesari; nam precepit Ce- 
sari dari censnm. 

' Imponttor mihi, qnod tamquam pericnlosissimus inimicns ecclesie sum 
doctor fallaciarum, eo quod ex confesBione mea eqaiyooo. 

* Seeando qnod snm hereticns. 

^ Reportatum est michi a tribns generibns anditorii satis sagaeis, scilicet 
magistris arcinm, religiosis possessionatis et fratribus, qnod doctor assnmit 
me inniti sensai Terbali scriptnre sacre, racione cuius in errores plurimos 
snm prolapsos . . . 

* Es illo teztn Apostoll I. Cor. II, 15: Spiritnalis homo indicat omnia etc. 
repntando me spiritnslem nnlHos indicio nisi indicio dirino et proprio 
me submitto: hoc antem est maximnm Signum heretici. 



38 VI. Abbandlang: Losertb. 

hätten sich auch Occam und sein Anhang geficheut, sich vor 
dem Richterstahle des Papstes oder der römischen Kirche zu 
stellen. Das mache auch Wiclif so.* 

Ist aus Wiclifs Darstellung über die Persönlichkeit seines 
Widersachers nichts zu entnehmen^ so bietet doch eine gut 
unterrichtete* gleichzeitige oder nahezu gleichzeitige Quelle — 
die Continuatio Eulogii Historiarum' — gute Einzeln- 
heiten wie filr die englische Geschichte jener Tage überhaupt, 
so namentlich auch für die Kämpfe Wiclifs in dieser Zeit Das 
Eulogium zählt die Vorgänge in Oxford nach der Bekanntgabe 
der päpstlichen Bullen. Man kennt im allgemeinen die dort über 
das Vorgehen Gregors XI. gereizte Stimmung, die doch wieder 
von dem großen Einflüsse Zeugnis ablegt, den WicUf in Oxford 
besaß.^ Bekanntlich verfügte die an die Universität gerichtete 
Bulle die Verhaftung Wiclifs;* wie die Dinge lagen, hielt es 
schwer, den Auftrag zu vollziehen: nicht bloß wegen der an 
der Universität herrschenden Stimmung: viel schwerer wogen 
die staatsrechtlichen Motive, und über diese hat das Eulogium 
berichtet.^ Staats* und Kirchengewalt mußten hier hart aneinander 
geraten. Gehorchte man dem Papste, so hieß das nichts anderes, 
als die in England hochgehaltenen Rechte des Staates preisgeben. 
Davon konnte keine Rede sein. Um jedoch dem Auftrage der 
Kurie entgegenzukommen, bat der Vizekanzler den Angeklagten 
(mehr als er befahl), sich eine Zeitlang in der schwarzen Halle 
der Universität aufzuhalten, und Wiclif ging darauf auch, um 

* 8. oben p. l 4. 

* S. Hajrdons Einleitung za seiner Ansgabe des Enlogiam Historiamm III, 
p. L; The narrative . . . is füll of matter of g^eat interest and Talue. 

' Ebenda: thej must tberefore have been written before a. d. 1404 . . . 
Walsingham, Utst AngUc. I, 315: Cuios aniversitatis modemi procitrm- 
tores sive rectores quantum degenerayerint a prudentia sen «apientia 
antiqaoram, per hoc facile conjici potertt, quod, aadita causa adveatns 
dicti papalis onncii, dia in pendulo haerebant, ntrum papalem bvllam 
deberent cum honore recipere vel omnino com dedecore relatare. 
Ebenda, p. 3-47: dictumque lohannem auctoritate nostra eapiatis 
Ben capi facitis . . . 

Eulogium Hist. HI, 348: Amici prefati magistri lohannis WiccliiT «t 
tpse lohannes con5ulaerunt in congregatiooe regentinm einen reg«n« 
tinm, quod non incarcerarent hominem regia Anglie ad OMUidatam pape, 
ne Yideantur dare pape dominacionem et potestatem renalen 
in Anglia. 



4 



den Friciieii an der Uii:Ter=i:.%t »TifrecLt ir:i LaItv^. l-ervinrC^ 

ein;* die töü R:«zi rsr^ot^esAndTen Tirts-rs w^iri-n cm niJ- 

g:ebenden Mei5T^m Ct-r Tr.^.l;r:e *n der t*x**:ri-r ITüivrr^-.:;»: 

zur EinsichnuiLiiie --l-eriirSrn* or-l vo:: iLn»::: i:-pr:Ji Al'e 

über^raben dara:ii iLre G:iiäcL:en aa d»-n KAnnIrr r.r.i il.^r 

erklÄTte: der IhLaI: der Ttv^n 5^1 z^\t an s'.-i w\lr, <:* 

seien aber dx-h so c^LAltea, d^J «:e d-ii ZzlTrcm Arr-.mis 

bereiten müiJien-' Wiclli" rab «lAra'if r:ir Aurw-^n: Iv-s^rc^n. 

weil eine kaUiiliioLe W^iirheit d^n ^^»Lixn d^ Zairers cnin- 

genehm klinze, d'irie sie dxh niuht v*=-rda::iint w-ri-:::. Wenn 

man zu dies^rn ÄzJ^rziL::*:^ des enzÜscLe:: *.'Lr--:i:s:r-:: die : * i^a 

Ansfuhnmgen ü\-er «üe Genesis Ton I^ VeriT^re S. S^rh nr>f 

nnd deren Tr.ha': verc'eicLt, wird man eine n^l^zn wrnl.Le 

Ubereinstiininaiiff gewaLren- Wie dieses Vor-TiL-in des Kanrlrr^ 

in Oxford Wieiif veranlaCte, seine Thesen n:i: i}.rv:n V.nv-.n 

— und man darf L:»-r an di<^ T.>n WaKin^häm n:::^r:':i!:e Fr>- 

testationSvScLrift denken — d* m Erzl-iscL..! T..n CÄn>,rr:iry nni 

dem Bischuf von Ix^nd -a zn ül^rr»?icL»'n. die iLn dr-ni E^ ^-inni 

zufolge baten, den G-zenstand falien zu Lassen.* so w^r^n es 

die unter ©einen KoI]^::en herrschenden STinin!nnj"»='n. die il.ni 

den Anlaß g^b-jten h'^^K-n. iLnr aast\Lrlich in seinem r»:i.he 

von der Wahrh*-it der Heil. Schrift za ire-ienk-n. D-r Viz^ 

kanzler, derselbe, d^^r Wiciif ani G-heL3 d-^ Pä^st-s eii.j^- -i^m 

hatte, ward selbst an]-*Iiich di^-s^r WicIiiVacLe. dit- ja aaoh von 

allgemein kircL^^-npjliti.-^Lem Mandpankte aiis nicht ««hne Inltr- 

esee ist, in die schwarze Halle gesetzt, aTis der Wiolif 

selbst schon nvor aiif driS Binen s^in» r Fr» nn :e hin }*> fr^-il 



' Et quia oportiiit alle,»:';;! /»"»re ad maciatus I«a;*e, ut T.ielatar c ::<:!:•> 
imiTerritalii, Bosachuf qiidazn ricecaEc^^Ilarli» r-fgarlt dlctizi Wikr'if 
et prce^pit qTiod ip«« Uneret fe in aula nl^ra et de ea n:a eiiret , . . 

• Et oc^stl^ifloces in bV.'.a aö'.g^atae faernnt «inralis niajiftris in tLf.*>cia 
repeLtl^.m i'l-'-m liberale. 

• Qul fcan'-eÜarl i# rice r>mn;om et ave&n d^termiaarit p-ibl.ce in fcb.:*i5 
eas Teraf e*«e ttd male lonare in anribns andit.-trnm. 

• Cont;i.tiat:o Eu'.opi Hlrt/^riarcm III, p. 34S: El dictns Wlclif prcbaTit 
corajB areLi*^i»<y>po Car.taariec.fi et epi«copo I>--c£.-nieii$i eotcin«..-!:« 
iliat rtn^ em^. <fai ip*ixm ro^aba:.t q::od de ca ena ip^aram atc; ..:» 
Doo loqn#T*tcr. I>le dort überreicht*» Kor.k'.uRonen tei Wal*in^'tam L 
157; Cbroiticos An^aa^', p- 1»4. 



40 VI. Abhandlung: Loserth. 

worden war.^ Bei dieser Angelegenheit mag noch auf ein 
interessantes Moment hingewiesen werden. 

Es gibt einen kurzen, wenige Blätter zählenden Traktat 
Wiclifs, der den Titel führt: De Praelatis Contencionum sive 
De Incarcerandis Fidelibus.* Darin werden die weltlichen Herren 
ermahnt; der Geistlichkeit keinen Beistand zu leihen^ wenn sie 
unschuldige Männer verfolge. So verblendet, sagt er, ist jetzt 
schon unser Königreich, daß derjenige, der in einer Exkommu- 
nikation 44 Tage verbleibt, auf Befehl des weltlichen Armes 
dem Kerker überliefert wird.* Das ist eine Sache, die weder 



Vjcecancellariiis monachus adiadtcatoB fuit carceribns, quia ad man- 
datum pape incarceraverat, ut superius dictum est, lohannem Wiccliff, 
qui postea ad rogatum amicorum liberatus est. Soll man nicht in diesem 
Oxforder MOnche jenen Gegner Wiclifs sehen, der oben erw&hnt worden 
ist? Doch das sind Vermutungen, auf die hier nicht weiter eingegangen 
werden kann. 

S. Shirley, A Catalogue, p. 20, Nr. 92. Der TrakUt enthftlt nur ein Ka- 
pitel und Shirleys Angabe: The Vlenna MSS. seem to be imperfect ist 
falsch. Wenn die Prager Handschrift III, G. 11 mehr enth&lt, so ist es 
deswegen, weil an den kurzen Traktat, ohne daß es äußerlich angeme^t 
ist, nach den Schlußworten: legios suos acutius puniendi, sich gleich der 
Traktat De Statu Innocencie mit den Worten: Ut supradicta magia ap- 
pareant, oportet . . . anschließt. 
' lam enim cecatnm est regnum Anglie ultra cetera, ut qtiieunque in ex- 
ctmimunicaeiane duraveril uUra quadr<igirUa quaiuor dieg, ex ituctorUate 
regia el regni carceri mancipetur. Hoc non fnndatur in lege Domini 
nee papali, sed ut excorient simplices de suis temporalibus et ut in- 
cludant seculares domtnos in culpis gravioribus. Fragt man, was der 
Einzukerkernde verbrochen habe, so ist darüber leider nichts vermerkt, 
aber die Schlußsätze deuten einigermaßen darauf hin, daß die Sache mit 
den Thesen in Verbindung steht. W&re die Abendmahlslehro gemeint, so 
würde es sicherlich an einem Worte hierüber nicht fehlen. Man wird nicht 
übersehen dürfen, daß dieser ganze kleine Traktat ziemlich wörtlich in 
den Traktat De BUuphemia aufgenommen wurde (p. 108 ff.) und die Ab* 
fassung dieses Buches auf 1381 gesetzt wird. In dem Traktate wird 
schließlich noch ein sagax politicus erw&hnt, qui fecit dixisse, quod res 
et regnum debent iure poli sab dampnacione perpetua appellacionem 
buiusmodi approbare . . . Sollte man da nicht an den hervorragendsten 
GOnner Wiclifs — Herzog Johann — denken? Wir haben noch einen 
anderen Traktat Wiclifs unter dem Titel Spectdum seeularium dommoruMy 
der mit dieser Sache znsammenzuhftngen scheint und denmach nicht, 
wie Shirley meint, ,one of the author*s tatest writings* sein kann. Zu 
Shirley, p. 23, Nr. G7, ist zu bemerken, daß sich dieser Traktat auch in 
lU, G. 11 der Prager Universitätsbibliothek findet 



Studien zar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 41 

in der Bibel noch im Kirchenrecht eine Begründung hat; man 
benutzt den Fall, um einfache Priester von ihren Benefizien zu 
bringen und die weltlichen Herren in schwere Schuld zu ver- 
wickeln. Man macht dem König etwas vor, um ihn dahin zu 
bringen, daß er seine getreuen Untertanen solcher Art bedrücke. 
Von einer solchen Exkommunikation müsse es gestattet sein, 
an den König und seinen Rat zu appellieren. So habe sich auch 
Paulus nicht an Petrus gewandt, wiewohl dieser ihm näher lag, 
sondern an den Kaiser, trotzdem dieser ein Ungläubiger war. 
Und so müßten getreue Engländer an ihren König sich wenden 
dürfen, zumal in einer so unvernünftigen, von den Bischöfen 
erfundenen Sache. Der König müßte auf einem zu dem Zwecke 
einberufenen Nationalkonzil die Sache untersuchen lassen, um 
dann zu entscheiden, was sein Recht ist, wie der Traktat 
des längeren ausführt. Bedenkt man, daß auch hier wie bei 
den 18 Thesen es die Bischöfe sind, die die Sache in unver- 
nünftiger Weise erfunden haben, so werden wir geneigt sein, 
die ganze Angelegenheit, nicht wie Shirley will, in das Jahr 
1382 zu verlegen, sondern in die obige Verbindung zu bringen. 
Wie dem auch sei: Wiclif legte die ganze Streitsache der 
OflFentlichkeit vor und tat dies so, daß auch die Laienwelt da- 
von Kenntnis nahm; er schrieb seine dreiunddreißig Kon- 
klusionen, diesmal nicht bloß in lateinischer, sondern auch in 
englischer Sprache.^ Ihr Wortlaut in lateinischer Sprache liegt 
noch in mehreren Handschriften vor.* Man sagt, sie seien dem 
Herzog von Lancaster zugeeignet worden. Das ist eine An- 
nahme, die schon nach dem oben Gesagten sehr viel Wahr- 
scheinlichkeit für sich hat. Gewiß ist ihre Wirkung eine große 
gewesen, trotzdem sie in der anspruchlosesten Weise von der 
Welt auftraten. Die einzelnen Sätze sind so gehalten und das 



^ Unde quia volai materiam communicatam (recte: commnnicari) clericis 
et laicifl, coUegi et commnnicayi triginta tres conclnsiones iUius xnaterie 
in Hngna duplici. De VeritaU Sacre Scripture, p. 350. 

' Der Traktat heißt auch (aber nicht in den mir Yorlieg^enden Prager 
Uandflchriften) De Pauperlate Christi, was ihren Inhalt am trefflichsten 
beseichnet. 8. Shirley, A Catalogue, p. 23, Nr. 64. Dort die Bemerkung: 
«addressed apparentlj to the Duke of Lancaster*. Wenn es aber noch 
heißt: Written probablj about 1380, so ist diese Zeitbestimmung schon 
wegen der Angabe in De Yeritate Sacre Scriptare, p. 350, unmöglich. 



42 VI. Abhandlung: Loserth. 

Beweismaterial in einer solchen Weise geordnet, daß ihnen eine 
allgemeine Bedeutung zukommt. Würde nicht in einer der 
Thesen das Königreich England erwähnt, man wüßte nicht, 
daß es sich um einen Streitfall handelt, der auf englischer Erde 
zum Austrage kam. 

Die einzelnen Konklusionen tragen ganz das Gepräge der 
18 Thesen.* An die Spitze werden einzelne Sätze in scharfer 
Formulierung gestellt; dann läßt Wiclif die Bibelstellen folgen, 
auf denen der Satz fundiert ist, oder es folgen Stellen, die den 
Kirchenvätern oder dem Kirchenrechte entnommen sind, gleich- 
falls bestimmt, den fragUchen Satz zu erläutern. An polemischen 
Betrachtungen ist kein Mangel; wie man schon aus der einen, 
im Torigen Abschnitte mitgeteilten Stelle entnimmt, hängen sie 
alle noch mehr oder weniger mit der Frage der Einziehung 
des Kirchengutes zusammen und betonen das Recht der Nach- 
kommen der Stifter dieses Kirchengutes, es zurückzufordern. 
Da die Konklusionen noch ungedruckt sind, wird es angezeigt 
sein, ihren Inhalt an einem Beispiele vorzulegen. 

Die schneidigste unter allen darf die vorletzte genannt 
werden. Man darf, heißt es hier, aller Wahrscheinlichkeit nach 
annehmen, daß die Earchengüter viel weniger schlecht von den 
weltlichen Herren verbraucht würden als jetzt, da sie sich in 
den Händen schlechter Kleriker befinden. Wir übergehen die 
von WicUf angeführten Motive, soweit sie aus den Kirchen- 
lehrern genommen sind, und fiihrcn nur jene an, die er der täg- 
lichen Erfahrung entnimmt: die Mittel, die der Klerus anwendet, 
solches Gut zu gewinnen, sind meist verwerfliche, und ebenso 
die, es zu behalten. Darüber habe schon Grosseteste lebhaft 
geklagt.' Würde unser Klerus in Armut leben wie zur Zeit der 
Apostel, dann erst könnten sie in Wahrheit ab Lehrer und 
Sittenprediger wirken, während sie jetzt nach den Worten des 



^ Wir teilen die 88 KonkluBionen ohne ihre Begründung mit, wie sie sich 
in der Prager Handschrift 8, G. 11 vorfinden. 

* Clerici palliant media plus snbdola perqairendi sub simniata sanetitate, 
plas detegant opera abntendi et post secuta nacta dominia foreios ma- 
chinantar media retinendi quam laici, in tan tarn qnod secnndom Lin- 
colniensem, dnm fit religtosis ecclesiamm appropriacio, fit abnsns perpe- 
tnacio; in cnins Signum preyalent in conquestu secularis dominii (Cod. 
Prag. 3, O 11, fol. 47fc). 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 43 

Apostels stammen Hunden gleich den Mund nicht öffheu; viel- 
mehr angefüllt mit irdischem Gut ihre Habgier in Wort und 
Tat bekunden.* Da war es doch besser in den Tagen, als noch 
das ganze bürgerliche Eegiment in den Händen der Laien lag: 
Wohlan, Miliz Christi, wache auf, handle nach dem Befehle des 
Herrn, verteile die jetzt gebundenen Almosen unter die Armen, 
dann wirst du wie in den Tagen der Apostel nicht bloß IQe- 
riker, sondern auch arme Laien haben, solche, denen dies Gut 
gehört, die für dich zu Gott beten.* Wo nimmt dieser Klerus 
die Vollmacht her, weltlicher zu leben als ein Silvester, Am- 
brosius, Augustinus, Hieronymus und alle die Heiligen, die von 
den Almosen der Herren lebten? 

Um auf den Streit Wiclifs mit dem Vizekanzler der Uni- 
versität zurückzukommen, ist zunächst die wichtigste Stelle wohl 
die, in der er über seine angebliche Abhängigkeit von Occam 
und dessen Ketzertum zu sprechen kommt;' beides lehnt Wiclif 
von sich ab. Sich zur Verteidigung der Wahrheiten der Heil. 
Schrift die Unterstützung weltlicher Herren zu sichern, ist nicht 
ketzerisch.^ Von den Konklusionen wird weder dieser Doktor 
noch andere, die seine Vorgänger waren, eine als ketzerisch zu 
erweisen imstande sein.* Man mag auch aus diesen Worten ent- 



' 8i clerici viverent panperem vitam, ut in primitiya ecclesia, tunc pos- 
sent preceptorie docere seculares dominos, non sperare in incerto 
diviciarum secundum doctrinam Apostoli ad Tim. VI, 17. Nunc autem tam- 
quam canes muti non Talentes latrare ingurgitati sepe temporal ium do- 
cent avariciam tarn opere quam sermone ; et sie accenditur per maiorem 
partem ecclesie radiz omnium malorum cupiditas, ita quod inequa distri- 
bucio mammone iniquitatis vidotur seminarium omnium licium et hello- 
mm ... Ex quotlibet talibus exemplis et experienciis vidori potest, quod 
periculosius est venenum et diffusius intoxicans matrem ecclesiam post 
reeetsnm cleri ab ecclesi&stica paupertate quam fuit, quum tota civilitas 
residebat in laicia . . . 

' E/a ergo, milites Christi . . . Elemosinas restras incastratas distribuendo 
pauperibus haberetis ydoneos oratores . . . 

' 8. hierüber den Exkurs in meinen Studien zur englischen Kirchenpolitik 
im 14. Jahrhundert, 8. 111/2. 

^ Unde ad discernendnm ista eat michi pro regula: si quis adheret brachio 
seculari pure pro defensione yeritatis scriptnre, tuno ipse est catholicus, 
p. 363. 

^ 8ed hncusque nee doctor iste nee alii priores, qui multiplicarunt contra 
me argumenta (s. dazu die oben zitierte Stelle aus dem Eulogiom Histo- 



44 VI. Abhandlang: Loserth. 

nehmen, wie sehr es der durch die Verurteilung der Konklusionen 
angeregte Streit gewesen ist, der mehr als alles andere die Ur- 
sache zur Abfassung des Buches Be Veritate Sacre Scripture 
gewesen ist. Auf die Frage der Säkularisierung des Kirchen- 
gutes deuten einige Äußerungen hin: Auf Wiciifs Anreizung 
sei dem Klerus durch weltliche Herren Unbill zugefügt worden: 
der Gegner Wichfs selbst habe sie zu verspüren bekommen.^ 
Durch Wiciifs und seiner Anhänger bösartige Information hätten 
die weltlichen Herren den Versuch gemacht, mit Verachtung 
der kirchlichen Zensuren über die Besitzungen der Mönche 
Erkenntnisse zu fkUen, ja ihnen selbst einzelne Besitzungen zu 
nehmen, die von ihren Vorfahren als reine und ewige Almosen 
an die Kirche gestiftet worden seien.* Diese weltlichen Herren 
nehmen Wiclif in Schutz. Damit, meint dieser, werde gesagt, 
daß jene Ketzer, er selbst gar ein Erzketzer sei. Wer aber 
andere der Ketzerei beschuldige, habe hierfür wohl den Beweis 
zu erbringen, und das wäre die Pflicht seiner Gegner: &nde 
sich dann in den Konklusionen etwas Ketzerisches, so stehe er 
nicht an, einen Widerruf zu vollziehen. Er vertrete die evan- 
gelische Armut. Was aber habe sein Gegner getan? Einen 
Minoriten, der ihm und seinem Anhange mit einer Predigt über 
die evangelische Armut und den Stand der Kirche in der Zeit 
der Apostel lästig fiel, gezwungen, auf der Kanzel der Marien- 
kirche öflfentlich die gegenwärtige Verweltlichung der Kirche 
gutzuheißen. Ihm selbst könne es noch schlimmer gehen, darum 
werde er der Zitation vor den Erzbischof keine Folge geben, 
denn schon seien die Fallstricke gelegt, ihn zu vernichten. Die 
Ladung geschah im Mai des Jahres 1378 und nicht viel später 
ist diese Abrechnung Wiciifs mit seinem akademischen Gegner 
niedergeschrieben worden. 



riamm), pota«rant conTineere quod aliqaa concluBionnm, qoM impognant, 

Sit seriptore sacra contraria . . ., p. 353. 
^ Ininriaa ex instigatione mea illataa olero per dominos, p. 364. Sollte hier 

nicht an die Einkerkerung^ des Vizekanzlers gedacht werden? 
* Per malam informacionem meam et meomm sequacinm domini seealares 

acceptant et temptarnnt in parte spretis censnris ecclesiasticis eognoscere 

de possessionibos religiosoram et eciam anferre ab eis qaasdam eomiii 

possessiones, qnas in pnram et perpetaam elemosinam eonim progeni- 

tores ecclesie eontnlernnt 



Stadien zar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 45 

Auch in den folgenden Kapiteln wird auf die 18 Thesen 
angespielt; da namentlich^ wo Wiclif davon spricht^ daß die 
modernen Theologen und Prälaten^ die die volle Entfaltung des 
Evangeliums hindern und es ketzerisch und gotteslästerisch 
nennen, sich um dessen Verdammung bei der Kurie bemühen 
und des Papstes Autorität höher einschätzen als die Bibel. 
Während man in Rom Wiclifs Satz Carte humanitus admvenie 
de hereditate perpetua — bekanntlich die dritte seiner Thesen 

— als ketzerisch verurteilen lasse, nenne man hier in Oxford 
das Evangelium eine Ketzerei.* Und da, wo er davon spricht, 
daß der Papst nur Rechte habe, soweit sie in der Heil. Schrift 
begründet sind, ist es wieder eine der Thesen — die siebente 

— die er anführt.^ Man wird kaum fehlgehen, wenn man das 
ganze 22. Kapitel, in welchem der Nachweis geliefert wird, daß 
die Bibel das Grundgesetz für den Wandel und die Amtsführung 
des Priesters ist, mit seinen gegen die modernen Bischöfe ge- 
richteten Ausführungen noch in den Zusammenhang mit den 
Thesen bringt, weil es eben die Bischöfe waren, durch welche 
diese nach Rom befördert worden sind.' Den Verrat dieser 
Pseudopastoren wagt heute niemand aufzudecken, denn würde 
es jemand versuchen, so würde er aus der Synagoge hinausge- 
stoßen oder gar auf die eine oder die andere Art getötet werden.^ 



* De VerÜate Saere Scnpture II, 133: Religiosi possessionati . . . apostataut 
. . ., cum laboribufl et expensU laborant ad curiam Romanam pro damp- 
nabili aentencia dicente: mnltas cartas hamanitns adinventas de hereditate 
perpetua esse impoasibiles et tarnen Oxonie tarn publice quam procuratorie 
dicunt testamenta Dei et legem Christi impossibilem et blasfemam . . . 

* Man rergleiche: 



FoMc »iaann, 241 : Seimus quod 
non est possibile, ut Ticartus Christi 
pure ex buUis suis yel ex illis (sie) 
cum volicione et eonsensu suo aut 
tui collegii quemquam babilitet Tel 
inhabilitet. 

So auch p. 264: Licet regibus 
auferre temporalia a Tiris ecclesia- 
sticis ipsis habitualiter abutentibus. 



De VerüaU 8. Scripture II, 135: 
Unde reputant heretieum quod papa 
neminem habilitet nisi Deus prius 
babilitet, cum pure ex bullis suis 
cum eonsensu suo et cardinalium 
hunc habilitat et hunc inhabilitat . . . 
S. 135 : ... Ipsl non possunt 
auferre elemosinaa secularium do- 
minorum a sacerdotibus quantum- 
cunque indignis. 
' Dahin gehört auch Kap. XXIII, in welchem die Kennzeichen des falschen 

Hirten niedergelegt sind. 
^ De VeriUte S. Scripture U, 231/2. 



48 



YL Abhanillnngr Loaertb. 



Als wollte es Wiflif nocli Lesüiiderö deutlieh machen,' 
welchen MotivcTi das ganze Bucli in erster Linie sein Entstehen 
verdankt^ behandelt er im 25. Kapitel in breitester Weise das 
Recht der Laienwelt auf das Kirchen^ut, Waa er in der secbsteti 
These knrz angedeutet hat/ wird hier auafllhrlieh erörtert nodj 
die Erörterung fast mit dengel]>en Worten eingeleitet;* die fol-| 
genden Kapitel sind demselben Gegenstände gewidmet, ja wir j 
haben kaum ein zweites Werk Wiclife ans seiner letssten Zeit, ml 
dem der Enteignung des Kirchengntos so nachdrilcklieh ilasj 
Wort geredet würde als hier/ und der eigentliche Zweck de§| 
BucheSj die Wahrheit der Heil. Schrift auf/*udecken und zu xer- 
klindeUj tritt in den Hintergrund. Erat nachdem er diese Epi- 
sode beendetj kommt er wieder zu dem eigentlichen Gegen- 
stande zurückj aber schon nach wenigen Seiten lenkt er wieder] 
ein und beschäftigt sich niit den Einwanden, die ssur Verteidi-I 
gung des weltlichen Besitzes der Kirche gemacht werden, um 
sie der Reihe nach zu widerlegen. Armut des Klerus nach dem 
Beispiele Christi wäre ein Schutz gegen die IMißetllnde des 
Reiches, und an all dem TJbel, an dem das rümisehe Reich 
heute krankt, ist nur die Dotation der KiiX'he schuld,"* Und, 
wieder kommt er auf den Vorwurf zu sprechen, der ihm ge-| 
macht wurde, ein Verräter seines Königreiches zu sein* Eb 
kämpfe für des Reiches Wohl und dieses besteht Tomehmlieh] 
darin, daß der Klerus nach jenem urspriln glichen Stande re»a-1 

^ 8i Deua eat, domini tcoiporakä posaunt legitime ac raefilorle mufeiTej 
bona fortiint} Ah ecdesle delitiquetitö. 

' De VeritMie Bacre Sf^riptuj'n lll, 1 1 licet laicis In cftsu Um «nbtralic 
quam atiferre bona ecclesie a »urs pr^positLs. 

' Ea mag genügen, wenigstens eine und die andere Stelle dar ans hier am- 
finmerken^ Ideü aHaa dixi^ quad minus malum foret» ut exproprlata fo-j 
rent omnia lemporatia, qnitus acclBiIa AngUe est dotaia, ui ex eia da*{ 
rentur atipcndia laicis literatiB^ necesiariis ad odGciain regis et tecntAriuta ' 
dominoram qaam qnod sie irreligioBe et prodttorie »ecularea ei cterici a 
distraccione divinl ierTJcii aymonia et aacrilpgio aint iBfecti. DAimuf zu 
eeben, daß da» Kirchengnti d. h. das Arniengiit^ seinem Zweckt i^tnM 
verwendet wird, ist Sacbu der Könige; vgL die 16. TJxe?«ei Lkel rrglbm^m 
in c««ibtis Ümiiatb a iure auferre iemporalia n rlrii ei^eleitaMit^U ipiiii 
babitaalilar abutenlibuj!; dieaelben Beispiele hier wii» dorl; iii*n rgU 
Fiwc. siionn., p. 254, nnt De Vet-äate Sacre Striptm-t^ Ul> 90. 

* m^ 289 r Ä tempore dotacloni« ecele«ie sdiaiifQ «wt p«r diaaimr* 
Utive Bonianuiu Imperium. 



48 VL Abhandlang: Loserth. 

Buch ,Voft der Kirche* irgendwie in AngriflF zu nehmen. Er 
hatte als nächstes Werk vielmehr das Buch De Simania ange- 
kündigt, das unter den Werken der Summa bekanntlich erst 
den zehnten Platz einnimmt. Nachdem ich, sagt er, im allge- 
meinen von der Häresie gesprochen habe und man aus der 
Heil. Schrift genau wissen kann, was Häresie ist und wie man 
sich vor ihr zu schützen hat, will ich mich nunmehr mit Gottes 
Hilfe ausführlicher in einer Abhandlung , Über die Simonie' ver- 
breiten.* Und er tat es zweifelsohne, nahm aber plötzlich infolge 
von Umständen, die man noch übersehen kann, die Bearbeitung 
der oben genannten drei Werke in Angriflf.* Daß er aber 
beabsichtigte, an De Veritate Sacre Scripiure, beziehungsweise 
dessen letztes, von der Häresie handelndes Kapitel sein Buch De 
Simonia anzuschieben, ja diesem Werke erst noch die anderen 
und letzten Bücher der Summa De Äpostasia und De Blasphe- 
mia folgen lassen wollte, sieht man aus den einleitenden Sätzen 
von De Simonia.^ Indem die Simonie, Apostasie und Blasphemie 
als Arten der Häresie hingestellt und dementsprechend behandelt 
werden, stehen die Bücher, die er ihnen gewidmet hat, im eng- 
sten Zusammenhange mit dem Kapitel ,De Heresi*, beziehungs- 
weise mit dem Buche De Veritate Sacre Scripttsre, also auch 
der Verurteilung der 18 Thesen. In seiner Arbeit über die 
Simonie mochte er noch nicht über das dritte Kapitel hinaus- 
gekommen sein, als er die Arbeit beiseite legte und an die 
Abfassung von De Ecclesia ging.* Wie dies Buch entstanden 

^ De Veritate Sacre Seripture III, 809: Istud itaque dixerim pro nunc in 
commani de heresi, nt sciatur ex fracta Veritatis Scriptara notare et 
cavere hereticos et at plenias intellig^atur tractatoB de Simonia, qnmm, 
si DeuB Tolnerit, propono diffnsias tractare. Für diesen Traktat war ar- 
•prünglich wohl auch, wie die letzten Worte besagen, eine breitere Aos- 
gestaltuug in Aussicht genommen. 

' Man denke an den Fall, der sich in der Westminsterabtei antrug und 
Wiclif den Anlaß bot, sein bekanntes Gutachten De CapUvo SUpanenti 
sire De fiUo eomitU de Dene im Parlamente vorzutragen. 

* De Simonia ediderunt Hertaberg-Fränkel et Dziewicki, p. 1: Pott gene- 
ralem sermonem de heresi restat de eins partibus pertractandum. Trea 
sunt autem maneries heresis plus famose: scilicet sjmonia, apostaaia ei 
blasphemia . . . 

* Im Beginne des vierten Kapitels wird schon der TractatUM de Fapa er- 
wähnt (= De Potestate Pope), dem der Abfassungszeit nach De Offao 
Begis nnd diesem De £ccle*ia vorherging. De Sim., p. iO: Paiet isU 



Stadien zur Kirchen pol itik Englands im 14. Jahrhundert. 47 

liert werde, den Christus eingerichtet hat. ,Darauf ist meine 
von den Gegnern bekämpfte Absicht gerichtet, daß die Geist- 
lichkeit arm sei und sich vor Habsucht und dem eitlen Streben 
nach dem Ruhme der Welt in acht nehme/ Und auch auf den 
zweiten Hauptvorwurf, seine Verbindung mit der Laienwelt, 
kommt er einmal noch zurück: die römische Kirche selbst be- 
darf der Hilfe der weltlichen Macht. 

Daß auch im letzten Kapitel, das von der Häresie handelt, 
Beziehungen zu den päpstlichen Bullen vom 22. Mai 1377 vor- 
handen sind, ist begreiflich:* wenn er von der Habsucht spricht, 
die heutzutage den Klerus verblendet, daß er die Religion 
Christi verläßt, und die Leute, welche die evangelische Armut 
hochhalten, durch Zitationen, Spoliierungen und Defamationen 
in den Ruf der Ketzerei bringt, so versteht man, was er damit 
beabsichtigt,* und in diesem Sinne darf man auch seine Auf- 
forderung an die fromme Christenwelt auffassen, sich eher an 
das Wort Christi in der Schrift als an das des Papstes und 
der Bischöfe zu halten. 

4 Das Bach von der Kirche. 

Ich habe schon vor einem Jahrzehnt mit Nachdruck her- 
vorgehoben, daß die einzelnen Werke der Summa Wiclifs nicht 
nach einem festen, von vornherein bestimmten Plane ausgear- 
beitet sind, die bedeutenderen unter ihnen vielmehr zufälligen 
Momenten ihr Entstehen verdanken.' Wir konnten auch jetzt 
bemerken, daß das Buch De Veritate Sacre Scripture den 
Angriffen auf die 18 Thesen seinen Ursprung verdankt. Nicht 
anders steht es um jene Werke, die sich in ihrer heutigen und 
wohl noch von Wiclif festgesetzten Anordnung an das Buch 
von der Wahrheit der Heil. Schrift anschließen: De Ecclesia, 
De Officio Regis und De Potestate Pope. Als er an das Ende 
seines Buches von der Wahrheit der Heil. Schrift angelangt 
war, hatte er nicht die Absicht, das jetzt zunächst folgende 

» III, 299/300. 

' p. 300: Et habet hodie tot faatores, cum censaris adinventis promalga- 
tores, paapertatem eyangelicam expugnantes, quod persecati sunt eos ci- 
tationibus, BpoliacionibuB et defamacionibus super heretica pravitate. 

' Studien cur englischen Kirchenpolitik, 8. 77. 



50 VI. Abhandlang: Loserth. 

der allgemeinen Kirche ansehen und der streitenden nur dann, 
wenn seine Lehre und sein Wandel uns glauben läßt, daß er 
ein solches Oberhaupt sei. Dann muß man ihm gehorchen, doch 
nur insoweit, als es die in der Heil. Schrift enthaltenen Gebote 
anordnen.^ 

Man darf nicht glauben, daß Wiclif seinen Kirchenbegjiff 
erst infolge der Eindrücke gebildet hat, die der Ausbruch des 
großen Schismas auf ihn gemacht hatte. Wir finden seine 
Lehren hierüber mit aller Deutlichkeit schon im ersten Bande 
seines Werkes De Dominio Civili, dessen Abfassung doch noch 
in die Zeit vor dem Ausbruch des großen Schismas fUUt; sie 
sind nur noch nicht in jener Reihenfolge zusammengestellt, in 
der wir sie in De Ecclesia finden. Vielmehr schickt er in De 
Dominio Civilis und zwar mit größerer Schärfe als es selbst in 
De Ecclesia der Fall ist, in dem Kapitel, das von der obersten 
Autorität der Kirche handelt, den betrefienden Ausführungen 
den Hauptsatz voran: der Papst samt seinem Kollegium der 
Kardinäle ist nicht notwendig, um die heil. Kirche Gottes zu 
regieren.* Er führt drei Gründe an: 1. kann der Papst in eine 
Sünde fallen, dann hört er auf, Mitglied der Kirche zu sein; 
2. verleiht Gott seine Gnade jedem Menschen direkt und bildet 
mit ihm einen mystischen Körper; dazu bedarf er aber keiner 
Mittelsperson und daher auch nicht des Papstes; 3. Christus ist 
als Haupt der Kirche samt dem von ihm gegebenen Gesetze 
vollkommen hinreichend zum Regiment der Kirche, die sonach 
keines anderen Verlobten bedarf.' Es genügt, wie es in der 
ersten Zeit der Kirche genügte, daß der Mensch sich in der 



' Auf eine yolUtändi^e Ang^abe des Inhaltes ron De SeeUtia kann hier 
venichtet werden. Sie findet sich in der Einleitung sa meiner Aasgabe 
von De EccUfia (London 1886) und deutsch in meinem Aufsätze Widifs 
Buch von der Kirche und dessen Nachbildungen in Böhmen. Mitt des 
Vereines für Gesch. d. Deutschen in Böhmen 24, 381. 

* De Civäi Dominio I, p. 880. 

* Caput Christus cum sua lege est per se sufficiens ad regnlam sponse tue: 
ergo nullus alius homo requiritur tamquam sponsus. Was wäre das auch 
für ein Mensch und wie müßte er geehrt werden? ,Tunc enim foret ille 
yperdnlia adorandns, mensuraret tamquam Dens actionem spiritualissimam 
Dei ad extra, et ad Totum suum spectaret depend enter cuiuseunquam 
virtutis Infusio, quia ad beatitudinem habilitacio; quod blasphemum est 
dicere. 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 51 

Gnade befinde, im Glauben an Christus, auch wenn kein an- 
deres Haupt als Christus ihn regiert. Was träumt man denn 
also von einem Artikel des Glaubens, daß ein anderer als Chri- 
stus Haupt der allgemeinen Kirche ist? 

Vielmehr liefert die Geschichte der Kirche den Beweis, 
daß es Zeiten gibt, in der die Kirche keinen Papst hat. Man 
denke daran, daß wie Petrus mit den übrigen Aposteln den 
Herrn während seines Leidens verließ, so auch ein Papst mit 
seinem Kollegium ketzerisch sein kann, daß nach dem Tode 
eines Papstes und vor der Wahl eines neuen eine Vakanz be- 
steht und die streitende Kirche doch noch immer vorhanden 
ist. Oder nicht? Das könnte nur Häresie oder Blasphemie be- 
haupten. Das Wesentliche ist, daß die Kirche Christi nicht auf- 
höre oder durch die Fallstricke des Teufels vernichtet werde. 
Aber, so wiederholt er, keine Person außer Christus ist absolut 
notwendig zum Regimente der Kirche. Man nimmt nur an,* daß 
Gott solche Personen erwählt. Aber ohne besondere Offenbarung 
darf niemand sich anmaßen, zu behaupten, daß er der Erwählte 
sei. Und so findet sich auch die Gliederung der allgemeinen 
Kirche, von der er im ersten Kapitel des Buches von der Kirche 
handelt, schon hier.* Auch die Ausführungen, die er in seinen 
späteren Büchern über die römische Kirche vorbringt, wird man 
in den Grundzügen schon in De Civili Dominio finden; die 
Kirche hat je nach dem Orte, an dem sie sich befindet, ver- 
schiedene Namen. Man spricht seit der Passion Petri und aus 
anderen Beweggründen von der ,Römischen Kirche' und sie hat 
auch vor anderen ein gewisses Ansehen: Man darf aber doch 
nicht leugnen, daß es auch eine Indische, Griechische, Gallika- 
nische und Englische gibt* Ja schon hier liest man den Satz: 
Der Katholik muß glauben, daß weder der Kaiser noch die 

* Persone antem, qnas Dens elegit (qaod est nobis inco^itam et contin- 
gens) sunt necessarie ex supposicione: sed nemo, cui non fit spe- 
cialis revelacio, debet presuinere se esse sie electum, licet ex permissione 
Dei habeat in facie ecclesie qnantumlibet praetansam dignitatem . . . 

* De Civäi Dominio I, 381 : Unde . . . ecclesia . . . durabit secunduni partem 
usque ad diem indicii, secundum partem qiiiescit in purgatorio et secnn- 
dnm partem trinmphabit in celo . . . Vgl. damit De Eedena, p. 7—8. 

* p. 381: Ipsa autem sponsa secandum loca quae inhabitat capit nomen; 
et precipue post pasaionem beati Petri vocatur Romana ecclesia, quia 
tempore suo et longe post ibi peregrinatur: ideo sicut quartnm imperium 

4» 



52 VI. Abbandlang: Losertb. 

Kirche; ja nicht einmal Gott anordnen ^ kann^ daß jemand bloß 
deswegen, weil er Bischof oder Papst der Römischen Kirche 
ist, schon das Haupt der Kirche wird, dem man wie dem Evan- 
gelium selbst gehorchen müßte. Man darf freilich glauben, daß 
der römische Papst Haupt der partikularen Kirche ist, dem 
man vor allen anderen hier auf Erden gehorchen muß, aber 
doch nur insoweit Christus durch ihn sein Gesetz verkündigt 
Steht aber irgendein Mensch auf der Stelle des Papstes, ohne 
diesen Lehrsatz zu kennen, glaubt er vielmehr irrigerweise, 
daß das Regiment der allgemeinen Kirche in der Wesenheit 
ihm zukommt, da wäre es ein Werk christlicher Liebe, ihn 
hierin zu unterrichten. Die Einschränkung des dem Papste ge- 
bührenden Gehorsams auf die Gebote der Bibel kehrt in der 
Folge in verstärkter Form wieder. Ich leugne nicht, sagt er, 
ich gestehe vielmehr, daß man ihm gehorchen muß, aber nur 
insoweit, als man der Kirche gehorcht oder insoweit er und sein 
Kollegium vom Haupte der Kirche, d. i. von Christus beeinflußt 
wird, dessen Satzungen zur Erbauung der Kirche in der Heil. 
Schrift aufbewahrt sind. Da glauben die Würdenträger der 
Kirche, diese würde vernichtet, wenn sie keine weltliche Herr- 
schaft hätten, oder daß in der Kirche auf Erden nichts getan 
werden dürfe, ohne daß es von der Kirche ausgeht, vielmehr 
müsse man seinen Bullen gehorchen wie dem Evangelium. 
Solche Blasphemien sind möglich. Noch drückt sich Wiclif 
maßvoll aus, indem er die Möglichkeit betont, daß es so sei, 
nicht daß es wirklich so ist;' in den späteren Büchern wird 
ihm diese Möglichkeit zur Gewißheit. W^ie man sieht, sind alle 
die Lehren, die in dem Buche von der Kirche aufgestellt sind, 
schon in De Civili Dominio enthalten. Und so kommt er am 
Schlüsse des ersten Buches noch einmal auf diese Sache zurück 

(de quo Dan. II, 40) est imperiam Romanorain, sie conflenseront sancti 
et iura canonie« vocare dictam iponsam Becundam quandam excoUenciam 
Bomanaro ecclesiam; non negando, quin sit ecciesia Indica, Oreea, 
GaUicana, AngHcana, et sie de quibuBcunque locis qaae Becandnm par- 
tem papa inhabitat. 

* Was er folgendermaßen erläutert : Derogaretur omnipoteneie Dei, nisi 
quicunque talis dampnari possit et esse pars corporis diaboU, p. 182. 

' Non autem assero ita esse, sed sie possibile esse: quo posito elamo 
quemlibet Christianum sufficientem debere resistere non solum teissis 
▼estibus sed mcuibris, si oporteat, laniatis . . ., P- 384. 



Stadien zur KirchenpoUtik Englands im 14. Jahrhundert. 53 

und fast mit gleichen Worten, um ihr größeren Nachdruck zu 
geben: Gott hat nicht versprochen, daß, wer am Orte oder im 
Amte Petri Nachfolger wird, die Würde erlangen soll, Haupt 
der Kirche zu sein. Er meint: der partikularen. Wenn er aber 
zu den Prädestinierten gehört, wenn er den Gliedern der Kirche 
den Geist der Heil. Schrift und die Liebe einzuflößen vermag: 
dann, anders aber nicht, mag er als ihr Haupt gelten. Da muß 
er aber bedenken, daß er auf Anordnung der Kaiser diesen 
Primat besitzt, nicht von Gott, auf Grund des Ortes, nicht 
seines Verdienstes; er möge weiterhin die PräzedenzfilUe im 
alten Bunde erwägen, da Gott eine derartige Würde verlieh, 
sie aber der Sündenschuld wegen wieder zurücknahm, und so 
möge er es als erwiesen betrachten, daß Gott ihn nicht als 
Haupt der partikularen Kirche einsetzt, wenn er sie nicht in 
Gemäßheit seiner Gesetze regiert. Man mag vom Papste immer- 
hin glauben, daß er das Haupt der partikularen Kirche sei 
und daß ihm vor allen Ehrfurcht und Obödienz gebühre und 
daß er nichts gegen den Glauben tue: es sei denn, die Heil. 
Schrift und die Erfahrung würden zeigen, daß er das Gegen- 
teil tut. Am wenigsten darf man jener Gotteslästerung seinen 
Beifall geben, daß er bloß, wenn er in rechtmäßiger Weise ge- 
wählt wird, Haupt der Kirche, ja auch nur, falls er ein Prä- 
sciter ist und als solcher dem Namen nach Papst wird, Haupt 
der partikularen Kirche ist.^ 

Im zweiten und dritten Buche finden sich noch zahlreiche 
Bemerkungen ähnlichen Inhalts. Die Absetzbarkeit eines Papstes 
wird unter Anführung von Beispielen ziemlich weitläufig be- 



* Debet pie supponi de qnocunqae Romano pontifice quod sit Caput par- 
ticalaris ecclesie, et sie precipne debct fieri reverencia et obediencia; 
nee qaod quicqaam sentit infideliter, nisi Scriptura sacra et facti sui 
experiencia doceat evidenter oppositum . . . Sed non debet sibi applandi 
illa blasphemia, quod si sit rite electus in Romanum pontificem, tunc 
est Caput universalis ecclesie, vel, posito quod si sit prescitns nomine- 
tenus Tel putative papa, quod adhuc sit caput huius particularis ecclesie 
Romane, p. 416. Und so auch p. 417: ... inter ecclesiaa iam militantes 
(man sieht aus dieser Wendung, daß er die römische Kirche kaum hoher 
bewertet als die oben genannten Übrigen partikularen Kirchen) nos oc- 
eidui debemus precipue credere Romano pontifici cum suo collegio, si 
facta nomini sui officii compensantes nihil edocent vel preoipiunt, nisi 
quod elicinnt ex racionibus Scripturarum. 



54 VI. Abhandlung: Loserth. 

handelt: der Papst, der vom Glauben abirrt, muß abgesetzt 
werden.* Die Quelle, aus der er die historischen Belege nimmt, 
ist das Polychronikon des Kanulphus de Higden, das er auch 
in seinen anderen Werken mit Vorliebe zu Rate zieht* Auch 
im dritten Buche lehrt er, daß man geistlichen Vorstehern, also 
auch dem Papste, nur Gehorsam leisten dlirfe, wenn ihre Lehr- 
sätze mit der Bibel in Übereinstimmung sind.' So und nicht 
anders hat Robert Grosseteste dem Papste Gehoream geleistet. 
Die Konstitutionen der Päpste haben nicht die Wichtigkeit der 
Heil. Schrift. Man darf zugeben, daß Konstitutionen der Päpste 
denselben Wert besitzen, wenn sie nämlich mit der Heil. Schrift 
in Übereinstimmung sind, aber auch dann nicht deswegen, weil 
sie vom Papste gegeben, sondern der ewigen Wahrheit ent- 
nommen sind. Daß der Papst irdischer Herrschaft nicht bedarf, 
ergibt sich aus dem Beispiele Christi: trotzdem wird er um so 
viel höher stehen als ein weltlicher Regent, um so viel die geist- 
liche Würde die weltliche tiberragt. Zwischen beiden Gewalten 
und ihren Kompetenzen müsse eine sorgsame Scheidung ein- 
treten: der Papst wird ohne irgendwelche Beeinflussung durch 
Dinge dieser Welt der Kirche dienen in all den Dingen, die 
das Göttliche betreffen, die weltlichen Herren werden der Mutter 
Kirche in all den Dingen dienen, die sich auf diese Welt be- 
ziehen, sie werden die Rebellen der Kirche niederwerfen usw. 
Und indem Wiclif auf den Ausgangspunkt aller dieser Unter- 
suchungen zurlickkommt, sagt er: Auch die Päpste müssen den 
Königen gehorchen, Steuern entrichten usw. Wie im Buche von 
der Kirche ist also auch schon hier die oberste Zivilgewalt des 
Königs nachdrucksvoll betont;* und wie er in De Civili Dominio 
mehrfach auf GegenstÄnde hinweist, die er in anderen Büchern 
noch eingehender zu behandeln gedenkt, so finden wir in De 

^ De Dominio Civili II, 116 ff.: Et . . . patet quod, posito qitod pap« faerit 
patenter et pertinaciter a fide deviua, licet residae parti ecclesie, jmmo 
laicta, ipsam deponere. 

' Et iatii hUtoriis patet qnod chrUtiauissimi imperatores papas corripere 
poMant a fide deyio«, sicnt lex lentenciat . . . 

' in. 847—349. 

* p. 379: Debent enim pape obedire re^ibai, si oportet, vectigalia (sol- 
Tere) . . . Oportet ergo papam esse spiritaalem iadicem omDiam generam 
iadiciorum ecclesie militantis. Et per conseqaens oportet ipsnm esse 
Christo capiti ecclesie simillimam. Cui repngnat ciyile domiDium. 



Stadien zar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 55 

Civüi Dominio auch schon flinweise auf sein bedeutsames Werk 
De Potestate Pope} Und doch, wieweit ist diese Opposition 
gegen das Papsttum und die Kirche entfernt von jener, die sich 
in den späteren Büchern der Summa findet. Man beachte jene 
feierliche Protestation, die er an der Spitze dos 11. Kapitels im 
zweiten Buche anbringt, er wolle nichts sagen, was irgendwie 
dem päpstlichen Stande zu Unehren gereichen könnte oder daß 
man diesen oder jenen Kleriker für eine Sünde strafen müsse. 
Er bringe nur vor, was Gesetze und Chroniken melden, und 
zitiere die Wahrheiten, die sich daraus ergeben. Das könne 
fromme Ohren nicht verletzen.* 

Wiclifs Lehre von der Kirche ist sonach in ihren Grund- 
zügen schon in den drei Büchern De Civili Dominio enthalten; 
ein paar Hauptsätze finden sich in De Veritate Sacre Scripture 
wieder, aber doch sehr vereinzelt. Da er in diesem Buche mit 
keinem Worte die Absicht andeutet, ein Werk über die Kirche 
zu schreiben, seine Absichten vielmehr auf andere Stoffe zielten, 
so müssen besondere Gründe vorhanden gewesen sein, die ihn 
von diesen ab- und zu dem neuen Stoffe hinzogen. Sehen wir, 
ob sich diese Motive noch ausfindig machen lassen. 

In der Tat erfahren wir, daß ein Doktor,^ wahrscheinlich 
in Oxford, den Begriff der Kirche in einer Weise festgestellt 
hatte, die Wiclif nicht zusagte, weil diesem Kirchenbegriffe zu- 
folge weder die Heiligen des alten Bundes, ja nicht einmal 
Christus selbst und seine Apostel dieser Kirche angehört hätten. 
Dieser Doktor dürfte in die Reihe jener gehört haben, die 
Wiclif schon seine Ausfl'ihrungen über den Gebrauch der Heil. 
Schrift zum Vorwurf machten,* und, da diese Vorwürfe auch 
jetzt sich wiederholen, ist es wohl die gleiche Opposition gegen 
ihn wie früher. Es kehren ja auch großenteils dieselben Ge- 



» III, 380. • m, 114. 

' De Ecduia^ p. 112: In isla vero materia est quidam doctor describens 
ecclesiani snb bac forma: Ecclcsia, inquit, est uniycrsalis mnltitudo om- 
nium christianomm habencium ex integro rectam et eandem fidera per 
Christum et apostolos diyulgatam et a sanctis patribas et conciliis gene- 
ralibus declaratam . . . 

^ p. 169: In ista materia sunt quidam modemi doctores approbantes men- 
dacium et dicentes qaod yeritates scripture non sunt dicende tum propter 
perturbacionem ecclesie, tum eciaro propter scelera quo hostes ecciesie 
ex eorum audacia perpetrarent. 



56 VI. Abhandlung: Loserth. 

genstände wieder, die schon in Be Veritate Sucre Scripture 
oder in Be Civili Bominio gegen diese Opposition behandelt 
worden waren. Wenn man z. B. im 15. Kapitel Hest: In dieser 
Sache habe ich (zum Gegner) einen Doktor und wenn dieser 
ihm eine Konklusion schickt, die das Recht des Königs bestreitet, 
dem Klerus die Temporalien wegzunehmen, so ist das im wesent- 
lichen ein Kampf gegen die 6., 16. und 17. These. Daß Be 
Ecclesia in engstem Zusammenhang mit der Verurteilung der 
18 Thesen zu setzen ist, wird noch deutlicher aus den Stellen, 
in denen er deren Verdammung geradezu bekämpft.* Er ver- 
langt angesichts der Verdammung der 6. These, der König möge 
den Sachverhalt durch den englischen Klerus untersuchen lassen 
und ihn dann dem versammelten Parlamente vorlegen.* 

Wiesehr der Inhalt des Buches von der Kirche mit der 
durch Gregor XI. verkündigten Verurteilung der Thesen zu- 
sammenhängt, kann man den meisten Kapiteln dieses Buches 
entnehmen. Seine Angriflfe auf Gregor XI. werden immer scho- 
nungsloser und gehen an einigen Stellen geradezu ins Maßlose über. 
Gregor XI. ist ihm der Papst, der sich zum Oberherm Eng- 
lands aufspielt, wozu er kein Recht hat, der falsche Gregor (als 
solchen bezeichnen ihn später auch tschechische Glossen in 
Wiclifhandschriften), der die vier katholischen Tugenden ver- 
dammt und vier Häresien anerkannt hat, der sich wie der Anti- 
christ über alle erhebe, selbst über Gott* Was soll man noch 

^ p. 356: Nam hoc est hereticatum nt dampnatisslmum, quod aliqni domini 
temporales possunt auferre temporalia ab ecclesia delinquente. Das ist 
die 6. These. Und einige Zeilen weiter heißt es: Secando dampnarit 
(papa) qnod aliqaa carte hamanitos adinvonte sunt Impossibiles . . . Das 
ist die dritte These. 

' p. 355: Unde Tellern quod rex faccret diligenter inquiri a clero suo legio 
istas quatuor questiones: 1. si rex licite potest auferre temporalia a clero 
suo legio pro contemptu, 2. si rex dominatur capitaliter super regno 
Anglie et papa sit ciriliter subdominans vel econtra, 3. si forme damp> 
naeionum . . . sint iuri divino consonc, 4. queritur a pleno parlimcnto, 
utrum defendens ista . . . participare debeat elemosinis rcgni nostri . . . 

' Zu dem, was schon in meinen Studien zur englischen Kirchenpolitik hier- 
über gesagt ist (S. 112 ff.), mOgen hier nur noch zwei Stellen aus De 
EecUaia angeführt werden, p. 358: Sed benedictus sponsus ccclesie qui 
occidit Qregorinm XI et dispersit suos complices, quorum scelera per 
Urbanum VI ecclesie sunt detect« ... Et ntinam place ret sponso ecclesie 
perficere, quodquidamprenosticantet alii imprecantur, scilicet quod 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 57 

weiter nach Beziehungen suchen, die zwischen De Ecclesia und 
den 18 Thesen bestehen. Das ganze Buch De Ecclesia ist voll 
davon. Mit größerem Nachdruck als früher tritt er für das 
Armutsideal und gegen jede Art weltlicher Herrschaft seitens 
des Klerus in die Schranken. Das wahre, auf der evangelischen 
Armut begründete Pries tertum steht viel höher als jede welt- 
liche Herrschaft, und eine solche dem Priester aufzuladen, ist 
die Spitze aller Torheit. Die Würde des Papsttums und jene 
des Kaisers sind in einer Person nicht zu vereinigen, schon 
wegen der Un Vollkommenheit, die einer jeden weltlichen Herr- 
schaft anhaftet. Wie soll man es aus der Bibel begründen, daß 
der Kaiser seine Krone vom Papste erhalte?* Verwendet jemand 
Kirchengut, statt es den Armen zu geben, auf weltlichen Pomp, 
80 ist er ein Ketzer.* Würden die Kircheneinkünfte unter die 
weltlichen Herren verteilt, so wäre die Gesinnung des Klerus 
einmütig und wirksam auf die Verachtung der Welt gerichtet; 
möchte man der Laienwelt vom trügerischen Schein der Dota- 
tion der Kirche predigen und davon, daß die drängende Hast 
nach weltlichem Gut ins Verderben lockt, die Verachtung der 
Welt aber die Sehgkeit erwirbt, dann würde bald aller Zweifel 
in der Christenheit schwinden. So war es in den Tagen der 
Apostel, als der Klerus ohne Eigentum gemäß den Anordnungen 
Christi lebte.' Wenn der Klerus in dem Maße verweltlicht ist, 
daß der Verlust des weltlichen Gutes ihn mehr schmerzt als 
der der Tugend, wenn er sich um den Erwerb und die Ver- 
teidigung irdischen Gutes mehr kümmert als um sein geist- 
Uches Wohl, dann macht er sich selbst unfähig, auch das irdi- 
sche Gut zu besitzen, und wird wert, daß es ihm genommen 
werde.* Alle diese Sätze, sind sie nicht eine Fortsetzung der 



numerus nndcnarius (Gregor XI) infamis et sterilis preyaricans 
in totum decalogum imponet finem numero pseudoprepositorum . . . 
Dann p. 366: Et stat quod aliquis solempnitate ritu et reputacione hu- 
mana Bit reputatus Christi vicarius, cum hoc, quod sit horrendus dia- 
bolus, ut non est incredibile de Gregorio XI et multis ei simi- 
libus . . . Allerdings hat er sich schon in De Civüi Dcminio II, 90 in 
gehässigster Weise tlber den Papst und seinen Kampf gegen die Floren- 
tiner ausgesprochen. 

* Non yideo quomodo fundabitur pure ez fide scripture, quod oportet im- 
peratorem accipere Imperium a suo pontifice. Dt Ecclesia, p. 324. 

" p. 297. » p. 291/2. * p. ISl. 



58 VI. Abhandlung:: Loserth. 

Motive aus den 18 Thesen? Doch WicHf fährt fort: Von der 
Vollendung der Kirche im apostolischen Zeitalter darf sie nicht 
abgezogen werden: wenn es schon nicht erlaubt sein soll, welt- 
liches Gut, welches unter allen Gütern das Terächtlichste ist, 
wegzunehmen, wie darf man sie jener Güter berauben, welche 
die kräftigsten Privilegien Gottes sind.* Wollen die weltlichen 
Herren für die Erhaltung der wahren Privilegien der Kirche 
eifern, dann müssen sie dem Klerus das gamse weltliche Gut 
abnehmen, weil ihn dieses an der Erfüllung seiner evangelischen 
Pflichten hindert.* Die Dotation der Kirche steht mit dem 
(glauben selbst im Widerspruch und es ist eine Ketzerei, zu 
behaupten, daß Christus die Verfügung über alles Weltliche 
gehabt: des Menschen Sohn hatte nicht, wohin er sein Haupt 
legen konnte. Hat er auf Erden nicht geherrscht und konnte 
er es nicht, dann sollen es auch die Priester nicht tun. Der 
beste Zustand für die Kirche ist ihre evangelische Armut. Man 
entnimmt dieser Anthologie von Stellen aus Wiclifs Buch von 
der Kirche, daß sich erst im Kampf gegen die päpstlichen 
Bullen seine Überzeugung von der Verderblichkeit irdischen 
Gutes und weltlicher Herrschaft für die Kirche nach allen 
Seiten hin vertiefte. Man darf sonach wohl sagen, daß wie in 
dem Buche von der Wahrheit der Heil. Schrift so auch in dem 
Buche von der Kirche das eigentliche Thema vor der stets neu 
auftretenden und immer tiefer begründeten Forderung des Ver- 
zichtes der Kirche auf irdisches Gut und weltliche Herrschaft 
in den Hintergrund tritt und so in allerengster Beziehung zu 
den Wünschen und Forderungen steht, die im guten Parlamente 
laut geworden sind. Wohl hat sich Wiclif lebhaft dagegen ver- 
wahrt, daß er durch die Behandlung derartiger Fragen den 
Laienstand anreizen wolle, dem Klerus das Kirchengut zu ent- 
ziehen: wohin es aber kommen müßte, wenn derlei Lehren in 
die weitesten Kreise getragen würden, das haben die Hussiten 
gezeigt, nach deren siegreicher Einführung des Wiclifismus in 
Böhmen das böhmische Kirchengut zu existieren aufhörte. 



^ De Ecdesia^ p. 192: Si enim non licet laico aaferre suas elemostnms, que 
sunt bona abiectlBsima, multo minua liceret auferre elemoaynas a Deo 
institutas, que annt bona et privilegia Dei potissima. 

« p. ISO. 



Studien zar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 59 



5. Vom Amte des ESnlgs. 

Das Buch; an dessen Abfassung WicHf ging, als er das 
von der Kirche beendet hatte, führt den Titel ,Vom Amte des 
Königs' {De Officio Regis). Es mochte etwa in den ersten Mo- 
naten des Jahres 1379 vollendet sein.^ Jedesfalls schloß er es 
unmittelbar an De Ecclesia an, mit dem es sinngemäß zusammen- 
hängt, und ließ ihm dann erst das Buch ,Va}i der Gewalt des 
Papstes' folgen, entsprechend seiner Ansicht, nach der ihm das 
von Gott selbst begründete Königtum höher steht als das Papst- 
tum, das, wie es jetzt besteht, auf menschlichen Ursprung zu- 
rückgeht. Ist De Officio Regis erst 1379 abgefaßt worden, so 
reicht doch sein Ursprung schon in eine etwas frühere Zeit zu- 
rück und hängt wie die vorhergehenden Werke gleichfalls mit 
der Verurteilung der 18 Thesen aufs engste zusammen. Von 
den 33 Konklusionen, die im Jahre 1377 aufgezeichnet wurden, 
beschäftigt sich die letzte — und sie wird denn auch gelegent- 
hch in De Officio Regis zitiert^ — mit demselben Gegenstand. 
Wir haben sie, um dieses Verhältnis anschaulich zu machen, 
unter den Beilagen mitgeteilt. Schon dort wird es als die Pflicht 
der weltlichen Herren hingestellt, das evangelische Gesetz, d. h. 
die Bibel, zu verteidigen, und so findet man denn auch schon in 
De Dontinio Civili und in De Ecclesia mannigfache Beziehungen 
auf diesen Gegenstand.' 

^ Ich kann den Grand nicht zugeben, der Shirley bewogen hat, die Ab- 
fassangszeit dieses Baches auf da.s Endo von 1382 oder den Anfang 1383 
zu verlegen. Wenn Shirley (A Cataloguo, p. 8) meint, daß sich hier An- 
spielungen auf das kgl. Dekret vom 12. Juli 1382 oder auf die Prokla- 
mation wider den Gegenpapst finden, so ist das eine so wenig zutreffend 
als das andere. PoUard und Sajrle haben das Datum mit Recht auf 1379 
gesetzt. 

« p. 78. 

* Hier seien nur einige angeführt: Wiewohl es, erklärt (De Civili Dominio 
I, 199) er, für die Menschen sicherlich das beste wäre, kannten sie ledig- 
lich auf Grund des evangelischen Gesetzes regiert werden, mit anderen 
Worten, würden die Menschen sich alleiu von den Geboten der Liebe 
leiten lassen, so geht dies doch wegen der Sündhaftigkeit der Menschen 
nicht an; es wäre ja auch am besten, gäbe es keine Todesstrafe, und 
doch ist sie der Verbrecher wegen nicht zu entbehren. So ist wegen der 
Sünden des Volkes das Königtum notwendig, das die Verbrechen an dem 



60 VI. AbhmidluDg: Loserih. 

In De Officio Ilegis geht Wiclif allerdings weiter, indem 
er CS als seine Aufgabe hinstellt, auf Grund der Bibel die 
Gewalt des Königs darzulegen, ,damit ein jeder weiß, wie sich 
Gewalten, die priesterliche und königliche, in der Harmonie des 
kirchlichen Körpers zu unterstützen haben'.^ Er knüpft gleich 
im ersten Satze an seine Ausführungen in De Ecclesia^ an. 
Eine Reihe von Voraussetzungen schickt er voraus: ,Die könig- 
liche Gewalt ist durch das Zeugnis der Schrift und das der 
Kirchenväter geweiht^ Christus selbst hat dem Kaiser den 
schuldigen Tribut gegeben. So auch die Apostel. Nicht bloß 
den guten, auch den schlimmen Vorgesetzten muß man ge- 
horchen. Eine ausgezeichnete Würdigung ihrer Stellung ist den 
Königen von Petrus, ,dem heiligsten Papste,' aus roiner Liebe, 
aus keiner Schmeichelei und keinem AflFekt nach weltlichem 
Gut zuteil geworden.* Der König ist der Diener Gottes. Sehr 
stindigt, wer sich seiner Gewalt widersetzt, denn diese rührt 
unmittelbar von Gott her.* Daher appellierte Paiüus an den 
Kaiser, daher müssen die Untertanen, daher muß vor allem der 
Klerus, der von den Königen erhalten wird, ihnen Tribut zahlen. 
Dafür gibt die weltliche Gewalt Schutz, Gericht und am jüng- 
sten Tage Rechenschaft über seine Verwendung: der Tribut- 
zahlende hat dann keine Verantwortung zu tragen. Das gibt 
dem Klerus eine große Beruhigung, hält ihn frei von der Last 
irdischer Güter, hält in fern von den Intrigen und Kämpfen 

Gesetze Gottes straft. Und so finden sich alle die Lehren, die er in De 
Officio Regit vorträgt, schon in De Civili Dominio: der KOnig allein hat 
die allgemeine Eo6rsitivgewalt (I, 270), die sich demnach auch auf den 
Klerus erstreckt, er hat das Aufsichtsrecht über ihn (ü, 11, 42, 75, 82) 
und darf ihn strafen, wenn er seine Pflicht nicht erfüllt, und ihm die 
Temporalien nehmen (I, 270). Noch schftrfer werden die betreffenden 
Gewalten des KOnigs in De Ecdetia betont, an das De Officio RegiM^ 
p. 146, direkt anknüpft. 

* De Officio Jie(/Uy p. 10: Idco videtur hodie necessarium secundum fidem 
scripture exponere regiam potestatem, ut vel sie noseatur clarios, qnomodo 
potestas sacerdotalis et potcstas regia in armonia corporis ecdesie debeant 
se iuvare. 

* p. 146. 

■ p. 1 ff. nach I Petri II, 13, 14. 

* Ex qnibus colligitur, quod peccat graviter, qni resistit regalie principnm 
vi Tel dolo, quia Prov. VIII, 15 dicit cuncta ordinans: Per m» reges 
regnant ... et ordinat eum multipliciter venerari. 



Studien zur Kirchenpolitik En^flands im H.Jahrhundert. 61 

der Welt und gibt ihm endlich den Lohn, der ihn voll be- 
friedigt. Die Irreligiosität, mit der sich unser Klerus hierin 
gegen die Fürsten stemmt, ist die Ursache der Minderung und 
der Verwirrung der Kirche. Denn wiewohl die Heil. Schrift 
diesen Gehorsam so deutlich befiehlt, verhüllt unser Klerus 
diesen Befehl durch fremdartige Glossen, schweigt und legt 
anderen Schweigen auf, vermehrt die menschlichen Satzungen 
und beschäftigt damit gegen den Wortlaut der Schrift die 
Seinigen, daher ist es heutzutage notwendig, dem Könige die 
Wahrheit der Heil. Schrift vorzutragen. Nach den Worten 
Augustins ist der König der Vikar Gottes, der Priester der 
Vikar Christi. Zwei Vikare muß die Kirche haben: den König, 
der die Rebellen züchtigt, wie es Gott im alten Bunde getan, 
und den Priester, der denen, die demütig sind, die Vorschriften 
des Evangeliums vorlegt, wie es Christus hier auf Erden ge- 
tan hat. 

Es ist aber notwendig, Ehren und Gewalten beider Vikare 
zu scheiden. Die Ehren, die auf weltlicher Herrschaft fußen, 
gebühren dem König; dem Priester die, die auf den Vorzügen 
des geistlichen Amtes fußen. Gäbe es keinen weltlichen Besitz 
in der Kirche, kein Streben nach dem Primat und nicht diese 
von den Weltlichen eingeführte Jurisdiktion, die Geistlichkeit 
würde sich mit den ihnen zustehenden Ehren zufriedenstellen 
und die der Weltlichen verächtlich von sich weisen, wie es die 
Apostel getan. Dann, aber nur dann allein, wäre kraft des Vor- 
zugs ihres Lebens und ihrer höheren Tugend die Würde in 
dem Priester des Herrn eine größere als die irdische Würde in 
seinem Vikar: dem König. In diesem Sinne hat man die Gesetze 
und die Lehren der Heiligen zu verstehen. Die Ehren, die den 
Geistlichen zuteil werden, sind anderer Art als jene, die den 
Weltlichen gebühren. Die weltliche Macht, die der Papst jetzt 
beansprucht, ist in der Bibel nicht begründet, ebensowenig wie 
die Exaktionen, die er und die Seinigen vom Volke begehren, 
denn der heil. Petrus hat ausdrücklich ihnen jede weltliche 
Herrschaft untersagt. Oder glauben wir, Paulus hätte an den 
Kaiser appelliert, wenn er dessen Amt als ein ruchloses ange- 
sehen hätte.* Durch mehrere Kapitel führt Wiclif diese Gedanken 

* p. 19: Videat scrutator scripture, si tarn patenter fandari potest ista po- 
testas pape vel ezaccio, quam ipse et fratres Bui ezigunt a paupere clero 



62 VI. Abhandlung: Loserth. 

weiter: sie sind wie die früheren Werke voll von Ausfllhrungen 
gegen die Dotation der Kirche, die auch hier ihren Ursprung 
vom Kaiser hat. Um so dankbarer müßte der Papst dem Kaiser 
sein, würde er nicht wahrnehmen, daß die Begabung mit welt- 
lichem Gut dem Klerus zum Schaden gereicht. In England zu- 
mal ist die Kirche dem König aufs höchste verpflichtet, denn 
ohne irgendwelche Unterwerfung unter das Kaisertum hat er 
sie mit Gnaden überhäuft und das ist auch der Grund, weshalb 
die Kirche Englands dem König mehr verpflichtet ist. Er hat 
sich bei den Vakanzen, bei den Wahlen, im Strafverfahren 
gegen den Klerus, bei der Verleihung von Pfründen die volle 
Herrschaft gewahrt.^ Man darf sich von den modernen Glossa- 
toren nicht irreführen lassen, die uns vorreden, daß der Priester 
an Ansehen die Könige um so viel überragt wie die Seele den 
Körper, wie Gold das Blei, wie die Sonne den Mond. Die be- 
trefiende Dekretale sagt nur, daß der Priesterstand in einem 
gewissen Gleichnisse jeden anderen übertrifil, nicht aber daß 
irdisches Gut und weltliche Herrschaft des Papstes über die 
des Königs in Frage kommt. Der Vorzug des Priestertums be- 
ruht nur darin, daß es dem Stande Christi ähnlicher ist, daß 
der Priester der demütigste ]V[ensch ist, der ärmste und so zur 
geistigen Erbauung der Kirche der Tauglichste. Auch Christus 
konnte nicht eine bürgerliche Herrschaft ausüben, daher lehrt 
die Dekretale, daß die Bischöfe nicht Herren, sondern nur Ver- 
walter des Armengutes sind. 

Man beachte, daß die priesterliche Würde nur bedingungs- 
weise vor Gott geehrt wird: der Geistliche am meisten, der der 
tugendhafteste ist. 

Alle die bisherigen Ausftihrungen hat WicHf dem oben 
genannten Satze des ,heilig8ten' Papstes Petrus entnommen: 
Suhditi esfoie. — Aber ist dieser Satz bloß für die Laienwelt 



sibi fabiecto, com beatas Petras eis precepU, nt non saltem secalariUr 
dominentnr. 
' Et Uta subieccio est eo specialias a rege Anglie cum sais militibiia ob* 
servanda, quo ipse copioaius sine subieccione cesarea dotavit grataneiaa 
suaro ecclesiam. Et hinc clerus Anglte est regi suo singulariter in mottis 
sobieccior. Rex enim reservaTit sibi in vacacionibus, in eleccionibas et 
in casttgacionibns cleri sai super collatis eleroosinis domininin singulare, 
p. 37. 



Stadien sur Kirchenpolitik Englands im 11. Jahrhundert. 63 

geschrieben? "Gilt er nicht fiir die ganze Kirche und somit nnd 
zunächst auch für den Klerus? Hat also nicht der König Ge- 
walt über seinen Klerus? 

Aus dem Gesagten ergibt sich, welche Ehre den beiden 
Vikaren Christi zukommt. Worin aber besteht das Amt des 
Königs? Er hat seine Pflichten als Mensch, Familienvater und 
König. Als König hat er sein Reich in kluger Weise zu re- 
gieren. Seine Regierung wird die kleine Zahl gerechter Gesetze 
zur Vollziehung bringen und das Recht jedes Standes und jedes 
Untertanen schützen. Die Gesetze, die er gibt, sind mit Gottes 
Gesetz im Einklang. Von ihm sind seine Rechte abzuleiten. 
Auch jene, die er dem Klerus gegenüber hat. Wenn ein Geist- 
licher sein Amt vernachlässigt, ist er ein Verräter des Reiches. 
Einen solchen wird der König nicht schützen, sondern zur Re- 
chenschaft ziehen. Daraus ergibt sich, daß der König eine 
,evangeli8che' Herrschaft über ihn hat. Jeder Geistliche muß 
die Gesetze des Staates achten. Und zur Bestätigung dieses 
Grundsatzes leisten die Erzbischöfe in England in die Hände 
des Königs ihren Eid und in Hinsicht auf ihn empfangen sie 
die Temporalien. Das ist ein auf dem Recht begründetes Ver- 
hältnis und die Annahme unzulässig, daß der Klerus etwa aus 
Habsucht in unstatthafter Weise dem König Untertan sei. Der 
König hat die Pflicht, seine armen Vasallen vor jeder Unbill 
zu schützen, die sie an ihrem Vermögen erleiden könnten. 
Wenn demnach dieser Klerus durch den Mißbrauch der Tem- 
poralien ihnen und damit dem König und dem Reiche Schaden 
zufügt, hat sie der König zu schützen. Wenn der König diesem 
Klerus die TemporaHen gibt, unterstellt er ihn seiner Jurisdik- 
tion und davon können auch die Verfügungen späterer Päpste 
ihn nicht frei machen. Wenn sich der Klerus trotzdem auf 
solche stützt, begeht er Verrat und muß vom König zum Ge- 
horsam gezwungen werden. In dieser Weise werden die Rechte 
des Königtums ausführlich betont und, wo es not ist, begründet. 
Zusammenfassend betont Wiclif drei Punkte: der Klerus, vorab 
sein Haupt, der Papst, muß arm sein, demütiger und dienst- 
bereiter als die anderen. Damit verträgt sich die weltliche 
Herrschaft der Päpste ebensowenig wie ihr herrschsüchtiges 
Auftreten. Zweitens darf sich der Klerus nicht um die Erwer- 
bung irdischer Güter bekümmern, sondern muß sich den weit- 



64 VI. Abhandlung: Loserth. 

liehen Geschäften entziehen und zu alledem muß drittens die 
Einziehung des weltlichen Gutes hinzukommen. Werden in dem 
Buch von der Kirche zwar auch die Rechte und Pflichten des 
Königs im allgemeinen wie im einzelnen herausgehoben: im 
ganzen beschäftigt sich doch auch dieses Buch wie das nach- 
folgende mehr mit der Reform der Kirche an Haupt und Glie- 
dern, wobei allerdings dem weltlichen Arme eine tatkräftige 
Mitwirkung zugedacht ist.' 

Wichtiger als der Inhalt des Buches De Officio Regis, der 
übrigens in der Einleitung zur Ausgabe des Buches, wenngleich 
auch nicht ganz sachgemäß, angeführt wird, sind die vielen 
Beziehungen auf die Verhältnisse des Autors, die sich in dem 
Buche finden und aus denen wir hier nur jene herausheben, 
die auf die Genesis des Buches Bezug haben. Wer daran zwei- 
feln wollte, daß sie gleichfalls in der Verurteilung der 18 Thesen 
zu suchen sei, der findet im 10. Kapitel des Buches genügsame 
Belehrung. Dieses ganze Kapitel behandelt die Frage der Ex- 
kommunikation. Wiclif hat diese Frage bereits im 38. Kapitel 
des ersten Buches von der bürgerlichen Herrschaft behandelt* 
und diese Erörterungen hatten Widerspruch hervorgerufen, den 
er bekämpfte. Seine Erörterungen in De Civili Dotninio stehen 
aber im nächsten Zusammenhang mit der Verurteilung der 
18 Thesen, so daß das, was er nun in De Officio Begis zum 



' Wiclif selbst hat am Schlüsse seines Buches dessen ganze Tendern in 
einigen Antithesen henrorgehoben : 1. Clerns, et specialiter capnt cleri 
debet esse hnmilior, servitiTior atque pauperior: qao contra adversans 
asserit quod clerus et specialiter papa debet esse mundo splendidior, im- 
perativior et dorn inati vier. 2. dicit falsigraphus quod clerus debet maxime 
capitaliter atqne civiliter regere sinistre bona ecclesie . . . sed econtra 
dicit yeridicus quod totus clerns et specialiter papa debet esse maxime 
elongatns a mundo . . . nee habet potestatem civiliter reputandi . . • 
3. quod sicut sanguisuga (Prov. XXX, 16) dicit affer, affer, . . . atrnmqne 
membrum ecclesie debet dicere auffer, auffer. 

' Es liegt daher in De Officio Regia, p. 831, offenbar ein Irrtnm vor, wenn 
es heißt: Secundo principaliter argnitur contra tria dicta XXXIX <» capi- 
tulo libri proximi. Qemeint ist nicht das 39., sondern das 38. and 
39. Kapitel Ton l)e Civili Dominio, Wie wenig aber die Reihenfolge der 
Bücher der Summa Theologiae noch feststand, als Wiclif an De Officio 
RegiM schrieb, sieht man, daß er es unmittelbar an De Dominio Civili 
anschließen wollte; der Über proximns ist aber jetzt De Eedetia, ein 
Werk, das ja auch gar nicht 38 oder 39 Kapitel zählt. 



Studien zur Rirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 65 

Vortrag bringt, eine Fortsetzung der früheren Polemik ist. 
Freilich geht er in diesem Werke viel weiter. Um den Miß- 
brauchen im kirchlichen Regimente vorzubeugen, legt er drei 
Konklusionen mit den sachentsprechenden Erläuterungen vor, 
die, wenn sie angenommen würden, diesen Mißbräuchen ein 
Ende machen müßten: 1. Die geistlichen Oberhirten Englands 
müßten alljährlich den gesamten Klerus auf das sorgfältigste 
visitieren, dergestalt, daß niemand fortan nach Rom gehen 
dürfte, dann müßte dem König ein genauer Rechenschafts- 
bericht über die Verwendung des Kirchengutes vorgelegt wer- 
den.^ Daraus folgt, daß nur taugliche Leute zur Verwaltung 
der kirchlichen Stellen gelangen dürfen und für solche zu sorgen, 
ist Aufgabe des Königs.* Der Papst ist verpflichtet, dem König 
hierin an die Hand zu gehen. Unterläßt er es, so darf man 
ihn für den ärgsten Antichrist halten. Der König ist es übrigens, 
dem Gott dieses Amt zugewiesen, ehe es noch eine römische 
Kirche gab.' 2. Muß für taugliche Hirten gesorgt werden, deren 
Wirken das Volk in täglichem Verkehre betrachten kann. Dar- 
aus wird man zu folgern haben, daß fremde Kleriker, die das 
Volk nicht versteht, aus dem Lande zu weisen sind.* 3. wird 
der König darnach trachten, in Gemäßheit des göttlichen Ge- 
setzes, dessen Hüter er ist, seine Theologen, beziehungsweise 
die theologische Fakultät zu schützen.* Wiclif selbst nennt sich 



' p. 244: Unde pro gubernacione regni conformiter legi Dei posui superius 
tres conclusioncs cum suis declaracionibus: prima, quod capitales pasto- 
res regni nostri, cuiusmodi debent esse episcopi, in annali synodo 
effectualiter visitent statum cleri subiecti, sie quod nee iniuriatus (so 
muß es wohl lauten statt iniuriatur) nee morbidus indigeat partes petcre 
transmarinas, sed quod regi fiat fidelis racio de numero et qualitate 
ovium, sie quod rex noscat, quomodo bona regni sui, que appropriate 
consumunt et numerus ac valor sue milieie correspondent. 

* Rex diligenciam debet apponere, ut ordinet pastores spirituales ydoneos 
pro custodiendis ovibus gentis sue. 

' Christas dedit regi vicario suo illud ofifieium, antequam fuit Romana ec- 
desia, p. 245. 

* Unde secunda conclusio consulit, quod omntno provideatur de pastoribus 
privatis ydoneis, quorum voces pastores speeialiter alienigene condicionis 
contrarie timore cxcommunicationis postposito dctrudantur. 

^ Tercia conclusio seriöse consulit quod rex conformiter ad leges ccclesie, 
quam (sie) tenetur in suis legibus ex mandato suo defendere, amplificet 
et foreat theologicam facultatem. 
SiteanffBb«r. d. phil.-hitt. Kl. 156. Bd. 6. Abh. 5 



66 VI. Abhandlung: Loierth. 

mit Stolz einen Theologen. Seine Aufgabe ist es^ den König 
und das Volk in theologischen Fragen zu beraten. Gemeint ist 
nicht die Theologie in modernem Sinne, sondern die genaueste 
Kenntnis der Bibel. Die Gesetze der Länder müssen mit ihren 
Satzungen im Einklänge sein. Darum ist die Kenntnis der Theo- 
logie zur Festigung des Reiches vor allem nötigt und die Folge 
davon ist, daß der König Theologen in seiner Umgebung habe, 
die ihm in seiner Regierung zur Seite stehen.' Der König muß 
sich die Ketzer vom Leibe halten; das kann nur geschehen, 
wenn er Theologen bei sich hat, die aus ihrer Kenntnis der 
Bibel jene als Ketzer erkennen.' Daher leuchtet die Notwendig- 
keit der Theologen ein; sie sind es, die den Glauben und die 
Tugenden lehren und zeigen, wie man irrige Lehren zunichte 
machen müsse, soll anders nicht Volk, König und Reich zu- 
grunde gehen. Diejenigen, die diese Lehre verstehen, das sind 
die wahren Theologen;* sie sind das, was im alten Bunde die 
Propheten gewesen. Wie könnte ohne sie das Reich Bestand 
haben? Und gibt es einen Lehrer des römischen oder kanoni- 
schen Rechtes, ja selbst einen Laien, geschickt genug, das zu 
lehren, so ist er in Wahrheit ein Theologe. IVIan wendet ein: 
Jeder Gläubige, auch ein Laie, ist ja ohnedies ein Theologe. 
Gewiß. Da man sich in unserer Zeit vor Irrtümern im Ge- 
brauche der Heil. Schrift nicht mehr auskennt, so daß selbst 
unsere Theologen im Sjmbolum und im Vaterunser groben Lrr- 
tümem anheimfallen, braucht man Theologen, gelehrter noch 
als Doktoren, die das Volk unterrichten.* Nur jene wirklichen 



' p. 72: Ex istis colligitnr, quod sciencia theologie est pemecenaria ad 
stabilimentam cainscnnque regni. 

* Et per conBeqoenB rex in quantum baiusmodi debet habere tbeologos ad 
regni sai regimen se invantes. 

* Debet enim rex omnes, qaantum snfficit, semovere a regno sno bereti- 
cos, quod non faceret pmdenter nisi secnndum doctrinam et iudiciom 
theologoram, qni Bciunt, quod solum illi sunt heretici, qui mnt scriptare 
sacre, que est lex Dei, contrarit. 

* Qaicunqne sciverint sie docere, ipsi sunt veri theologi sicut eraut pro- 
pbete yeteris testamenti. Qnomodo ergo sine theologis staret regnum? 

' Quod si obicitur omnem fidelem eciam laicum esse theolognm, certum 
est quod sie: sed cum sint hodie tot errores in fide scripture, in tantum 
quod nostri theologi errant in sjmbolo et oracione dominica, necaise est 
esse theologos doctores docciores qui simplices illuminent. 



Studien zar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 67 

Theologen haben die Heil. Schrift nach den Regeln der Vernunft 
und in Gemäßheit der Zeugnisse der Heiligen zu erklären.* 
Weil es heutzutage an solchen Theologen mangelt, ist die Zahl 
der Ketzer eine so große. Aber die Pflichten der Theologen 
sind mit dem Gesagten nicht erschöpft: sowie sie die Aufgabe 
haben, das Volk auf die rechten Wege zu lenken, so sind sie 
notwendig, um das Recht des Königs zu verkünden und seinen 
und des Reiches Leumund sowohl im Innern des Reiches als 
nach außen hin zu schützen.' Das kann aber nur geschehen, 
wenn das Volk im Glauben an das Evangelium fest ist. Wenn 
es über das Recht des Königs versichert ist, muß es von Theo- 
logen belehrt werden, wie er das ihm von Gott übertragene 
Amt zu verwalten hat;* es gibt kein menschliches Recht, das 
nicht im göttlichen wurzelt, und kein König kann einen guten 
Ruf erlangen, wenn er nicht nach dem evangelischen Gesetz 
Gerechtigkeit übt.* Da der Ruf des Königs und seine Ehre 
höher stehen als alle Temporalien, jene aber nicht ohne die 
Theologie erlangt werden können, ergibt sich, wie notwendig 
ihre Kenntnis für den König und das Reich ist und wie man 
die Theologen als die Diener des Königs in geziemender Re- 
verenz halten müsse.^ 

Aus dem Gesagten erhellt, wie wichtig diese Ausführungen 
für die Kenntnis von Wiclifs Stellung in den kirchenpolitischen 



^ lUis igitnr pure theologis oportet credere ad interpretandnm scripturas 
secnndum yivaces raciones et testimonia sanctoram, qnia illi emnt boni 
iadices in propria facultate. Man beachte hier das pure theologus. Den 
Gegensatz zu ihm bildet das mixtim theologns (s. oben S. 17), das in 
diesen Streitschriften Wiclifs eine so große Rolle spielt: er ist der, der 
sich auf die Bibelerklirung nicht versteht. Man darf also wohl das Wort 
nicht mit Pauli mit ,buntscheckigen' Theologen übersetzen. 

' Item quam necessarium est esse theologos ad rectificandum populum, 
tarn necessarium est esse theologos ad declarandum ins regis et famam 
sui ac regni tam intrinsecus quam ad extra. 

' Nam certificando de iure regis et eins iusticia in exequendo ministerium 
a Deo sibi creditum debet doceri et declarari per snos theologos. 

* Non enim est ius humanum, nisi de quanto fundatum fuerit in lege di- 
Tina, nee fama regis, nisi de quanto exercet iusticiam conformiter illi legi. 

* Cum igitur fama et honor regis stnt meliora quam omnia temporalia 
regni sui, et illa non possunt haberi sine sapiencia theoloyca, patet quam 
necessaria regi et rcgno est isU sciencia et per consequens theologi eins 
ministri debent haberi in debiU revercncia. 

6» 



68 VI. Abhandlang: Loserth. 

Fragen überhaupt sind. Es hätte daher auf diese Partien des 
Werkes seitens der Herausgeber nachdrücklich verwiesen wer- 
den müssen. Denn der Reformator erscheint hier in einer Be- 
leuchtung, die auch seinen modernen Biographen völlig entgangen 
ist, so sehr man auch sonst den warmen Patriotismus, von dem 
er beseelt ist, betont hat Das Wichtigste ist aber doch, daß er 
in den obigen Ausführungen in eigener Sache spricht und den 
,pure {h€ologus% der er selbst ist, gegen den ,mixtim theologus' 
in Oxford ausspielt. Schön sind die Worte, die Wiclif für seine 
Stellung und die Haltung des Königtums aus Pseudoaristoteles' 
Ansprache an Alexander den Großen anführt^ und aus ihr die 
Folgerung zieht, wie die Wissenschaft dem Reiche die höchste 
Ehre und den größten Nutzen bringt und demzufolge auch am 
eifrigsten gepflegt werden muß. Die Folgerungen, die er daraus 
zieht, daß man nur taugliche Theologen in den Besitz der 
Pfründen setzen müsse, werden dem Gegner höchst unangenehm 
in die Ohren geklungen haben.* Betrachten wir nur einmal^ 
sagt er, was das für Leute sind, die heutzutage zu diesen Bene- 
fizien gelangen, und wie würdige und würdelose Menschen mit 
ungeheuren Kosten zur Kurie ziehen, wie man das Privatver- 
mögen und das Vermögen des Reiches aufzehrt, wie dort wohl 
taugliche Personen — freilich nur, wenn sie Geld bringen — 
zugelassen, schließlich aber doch nur zum Spott fiir den König 
und zur Gefahr für das Reich ebenso unwissende als aufge- 
blasene Leute, Feinde des Königs und Schädlinge des Reiches 
vorgezogen werden.' Dieser Wanderzug der ,Romreisläufer'* 

» p. 74. 

' Ebenda: O si omnea patronatus Anglie in mann mortna, Baltem de non 
appropriatis ecclesiis, forent limttati per regem tbeologis, sie quod ydonei 
tbeologi forent ad curatas ecclesiaa presentati, qaam gloriosum foret reg- 
num nostrum atque fructiferum per semen fidei incultis anbditis per 
theologos seminatnm. Et cum illud nnlli noceret sed regi et regno ondi- 
que proficeret, videtur qnod rez facit sibi et regno maxtmam iniariam, 
quod ab opere jaudabiti sie retardat. 

' Volyamui igitur statum personanim hodie ad ista beneficia promotamm, 
quomodo tarn dignt qaam indigiü snroptuose petunt curiam, et binc per- 
8one ac regni snbstancia dcstruuntur; illinc multe peraone ydonee ty- 
moniace admittuntur et finaliter in contemptti regia et regni periculam 
inscii, elati, regi rebellea et populo inutilea preferuntur (nicbt: perfenin- 
tur), p. 74. 

* Saltos fRomepetarum*. 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 69 

ist die Quelle aller Uneinigkeit^ des ganzen Streites und Hasses^ 
der ,un8er Königreich' in Verwirrung bringt. Wenn man be- 
denkt, daß solche ,Romläufer' die Klage gegen Wiclif bei der 
Kurie erhoben hatten, so wird man dessen Zomesausbruch sehr 
begreiflich finden, wie auch, daß er vom König Abhilfe begehrt, 
am besten dadurch, daß dieser ge&hrlichen Klasse von Leuten 
die Benefizien entzogen und wahren Theologen zugewiesen wer- 
den. Diese Leute würden dem Schatze des Königs nicht zur 
Last fallen, würde dieser über seine und des Reiches Güter 
verftigen in Gemäßheit der Anordnungen des Evangeliums. Da 
der König nach enghschem Rechte die Temporalien dem Klerus, 
falls dieser widersetzlich ist,^ entziehen darf, weil er sonst nicht 
Herr im Lande wäre, so ist es klar, daß in dem Falle, daß 
die Patronatsherren ihre Verwandten und ihren Anhang simo- 
nistischerweise in den Besitz dieser Pfründen bringen, sie nach 
göttlichem und menschlichem Recht ihre Patronatsrechte ver- 
lieren müssen. Diese gehen auf den König über. Es möge nur 
einmal ein kluger Wächter — wie es WicHf ist — aufgestellt 
und ihm eine Untersuchung darüber übertragen werden, wie 
viele Kuraten durch derlei Patrone seit den Tagen des tüchti- 
gen Erzbischofs von Canterbury Simon Islip (t 1366)* befördert 
worden seien, Leute, die eingesetzt wurden nicht auf Grund 
ihrer Tauglichkeit zu dem Amte, sondern einzig und allein 
kraft ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Pati'ons.' Dieser Miß- 
brauch des Patronatsrechtes ist abzuschaffen. Wer diese ganze 
Stelle überblickt, wird nicht unschwer herausfinden, wie sich 
der Gegensatz zwischen Wiclif und den Mendikanten, der sich 
zuerst im zweiten Buche von De Civili Dominio angekündigt. 



* pro contemptu« 

* Dieser hatte im Deaember 1365 Wiclif zum Rektor der Canterbury-Hall in 
Oxford, die er gegründet hatte, gemacht. Islips Nachfolger Simon Lang- 
ham setzte an Wiciifs Stelle einen Mönch ein. Ein Rekurs, den Wiclif 
bei der Knrie einreichte, hatte nicht den mindesten Erfolg. S. über die 
Angelegenheit die Untersuchung Lechlers I, 294 ff. Lechler hätte zu 
seinen Beweisgründen noch die obige Stelle als Motiv verwenden k($nnen. 

' Ad habendum iudicium de assumpto consideret sa^^nx speculator Status 
regni, quot (so ist zu lesen, nicht qnod) cnrati promoti fuernnt per tales 
patronos a tempore Symonis Yslep ... et pueri non secundum racionera 
qna ad regimen tale ydonei, quin ymmo secundum racionem qua patro- 
norum ipsorum vel suorum confederatorum cognati, famuH vel afBnea . . . 



70 VI. Abhandlung: Loserth. 

in Be Ecclesia verschärft hat/ hier seine Fortsetzung findet. 
Gegen die Kurie ist seine Opposition noch eine maßvolle. Man 
mag zugeben^ lautet eine seiner Äußerungen^ daß man der 
Kurie in Ehren gehorchen muß; ,auch wenn der reine Quell 
daselbst in eine Zisterne verwandelt ist^ Nur darf sie sich nicht 
mit profanen Sachen beschäftigen^ die zur Ausmergelung der 
Reiche beitragen^ mit Dingen^ mit denen diese Reiche selbst 
fertig zu werden vermögen. Um auf die Theologen zurückzu- 
kommeu; meint er, sie allein müßten zur Seelsorge zugelassen 
werden, da alle Christen mehr oder minder Theologen seien. 
Möchten doch aUe Kuraten durch ihre Vorgesetzten einerseits, 
durch ihre Untergebenen andererseits soweit in Zaum gehalten 
werden, daß sie nicht mehr in die Lage kommen, sich mit 
fremden Dingen zu befassen, und fem von eitlem Ehrgeiz und 
der Sucht nach Temporalien leben wie einstens die Geistlichkeit 
in den Tagen der Apostel. Dahin zu wirken, gehört auch zum 
Amte des Königs. Und das ist mit ein Grund, weshalb der 
König sich von der theologischen Weisheit lenken lassen muß, 
und daher ist es ruchlos und eine Gotteslästerung, in Wort und 
Tat gegen die Worte des Apostels wider die Macht des Königs 
anzukämpfen. Und das ist, sagt Wiclif, der Grund, weshalb 
ich schon in der letzten meiner 33 Konklusionen erklärt habe, 
daß es die Pflicht der weltHchen Herren und zuvörderst der 
Könige ist, das evangelische Gesetz zu verteidigen und seine 
Beobachtung in ihre besondere Obhut zu nehmen.' So kommt 
Wiclif mitten in seiner Darstellung auf die Stelle zurück, von 
der er seinen Ausgangspunkt genommen hat Von sonstigen 
Zeitereignissen, die in dem Buche erwähnt werden, ist die Ge- 
schichte mit dem päpstlichen Kollektor Amoldus de Granario' 

^ p. 371; dort (p. 373) findet sich anch der specnUtor wieder» der oben 
genannt ist. Diese wenigen Beispiele, die hier angeführt werden, «eigen, 
wie viele wichtige Materialien snr Zeitgeschichte Englands De Officio 
Regis enthält; das Bach ist indes seit den swei Desennien, da es ge- 
druckt vorliegt, wenig aosgenütst worden. 

' Et patet sententia, quam dizi in XXXTIT conclosione abbrevtata, qnod 
ofticinm dominorum temporalinm et regnm precipae est legem evangeli- 
cam potestative defendere et ipsam in sna conversacione diligencins ob- 
servare, p. 78, 79. 8. unten Beil. Nr. 2. 

'Die allerdings den Heransgebern von De Officio Regi» wenig gellnfig 
gewesen sein muß, sonst hätten sie im Texte nicht den falschen Namen 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. * ^ 

herauszuheben. Zum eigentlichen Thema betont er mit aller 
Schärfe: Weder aus dem Geschrei unseres Klerus, noch aus 
der Heil. Schrift wird sich ein Beweis erbringen lassen, daß 
,dieser' Papst eine höhere Gewalt hat als der König, weder im 
Hinblick auf die vergängliche Welt noch auf Gott.* Gott hat 
beide Gewalten eingesetzt, damit die eine die andere stütze. 
Was aber ihr Alter betriflft, war schon Adam König, Kain da- 
gegen der erste Priester. Dieser Vergleich spricht mehr als ein 
Buch; doch rührt er nicht von Wiclif, sondern schon von Augu- 
stin her. Wiclif will auch nichts anderes, als die Priorität des 
Königtums behaupten. Daß das englische Königtum vom Papste 
nur insoweit abhängig sei, als die kirchliche Obödienz in Be- 
tracht komme, die auch ihrerseits aus der Bibel erwiesen wer- 
den müsse, steht fest: daß sich aber eine politische Abhängig- 
keit aus der Bibel nimmermehr erweisen lasse, wird noch 
lebhafter betont.* Der Papst kann in solchen Dingen, aber auch 
nur soweit, als Dinge in Betracht kommen, die sich auf Gott 
beziehen, Ratschläge erteilen, keinesfaUs aber autoritativ Befehle 
geben und die Herrschaft verleihen: der König verleiht dagegen 
kraft eigener Autorität an den Kerus die Pfründen. Ziemlich 
unvermittelt wirft WicUf die Frage auf, ob Priestertum und 
Klerus identisch sind: er leugnet dies und gibt eine Darstellung, 
wie sich die Laienwelt und der Klerus allmählich geschieden 
haben; wir können diese Ausführungen, zumal sie sich mehr 
mit den Pflichten des Klerus als mit den Aufgaben des König- 
tums befassen, hier übergehen. Dagegen muß daran erinnert 
werden, daß WicUfs Beziehungen zum Papsttum auch in diesem 
Buche insoweit behandelt werden, als er die Frage berührt, in- 
wieweit man den von der Kurie ausgehenden Bullen gehorchen 
muß. Er lehnt die Bullen ab, denn sie lassen sich aus der 

Arnaldos de Gravario, in den Seitennoten den ebenso falschen Namen 
Arnaldofl de Garnario stehen gelassen. Schon Lechler gibt den Eid, den 
Arnold Garnier, der Kollektor Gregors XL, zu leisten hat, an: Job. y. 
Wiclif n, 676/6. 

^ Unnm andenter assero, quod nee damor cleri nostri nee scriptura facinnt, 
qaod papa ist« sit maior cesare yel qaoad secalani Tel quoad Deum, 
p. 143. 

' Et patet qaod regnnm Angliae non tenetur parere pape nisi secnndam 
obedienciam elicibilem ez scriptnra. Sed non est elicibile ex scriptura 
qaod ipse dominetur secalariter temporalibus regni nostri, p. 146. 



72 VI. Abhandlung: Loser tb. 

Schrift nicht begründen.^ Über die Gültigkeit von Exkommuni- 
kationen, die von den Bischöfen ausgehen, hat der König in 
letzter Linie abzuurteilen:* erst wenn das Parlament und die 
geistliche Synode gemeinsam dahin geschlossen haben, daß eine 
Person der Exkommunikation verfallen sei, dann tritt an den 
Staat die Aufgabe heran, der Exkommunikation zu ihrer Durch- 
ftlhrung zu verhelfen.^ Gelangt diese Ansicht Wiclifs zum Sieg, 
dann begreift man, daß ihn des Papstes Bann nimmermehr 
treffen wird, denn er hat des Staates Sache zur eigenen gemacht: 
indem er in seinem Buche vom Amt des Königs dessen Rechte 

' p. 224: Quod st queratnr de legibas, de ballU et mandatts papalibii% 
qnomodo debet obediri vel credi illis, patet qaod prccipuo tante, qtiante 
sunt fundabilia ex scripturis. Er stellt die Frage swar allgemein, aber 
die Nutzanwendung muß docli jeder Leser herausfinden. Zumal er auch 
ganz persönlich spricht, p. 227: Et super isto fundo me quod nee credo 
omnem excommnnicacionem, quam eciam papa intulerit, ene iustam, nee 
approbo excommunicaeionem simpliciter nisi noverim quod persona ex- 
communicatur per ecclesiam triumpbantem. 

' Ad regem pertinet de talibus periculis precavere, p. 228. 

* p. 228/9: Declarato igitur in coniunctis parliameuto et sjnodo, 
quod quecunqne persona et precipue pastor cleri sit excommunicata spe- 
cialitcr apud Deum, est remedinm penalis correccionis per regnuro, pro- 
porcionaliter ad culpam, celeriter apponendnm, ut (cum omnis talis de 
facto sit hereticus) punicio, quam laudat Augustinus Epistola XXXII ad 
Bonifacium, qua Tbeodosius pecnnialiter puniyit hereticos, foretmitis: 
vel sccundum leges ecclesie suspensio, deposicio Tel proscripcio foret 
convenicns. So hat St. Gregor einen Bischof wegen einer voreiligen Ex- 
kommunikation getadelt (s. Decret. caus. XXIV, q. III, cap. VI). Wünle 
der Papst ebenso verfahren, so mtißte man einen großen Teil der jetzigen 
Bischöfe suspendieren. Wenn er aber nicht einschreiten kann, ist es des 
Königs Pflicht, hier einzutreten: Cum igitur papa et vicarius eius in 
hac parte defuerit et propter longitudinem itineris et viarnm et discri- 
mina non assit efficacio querulandi, ad regem pertinet spoUare et 
in casu proscribere tales hereticos. Den Fall auf Wiclif angewen- 
det: Die Bischöfe, die zu seiner Exkommunikation das Ihrige getan, 
haben das Gericht und die Strafe des KOnigs zu gewftrtigen. Man darf 
nicht gleich mit Kerkert^trafe beim Banne einschreiten (das war in der 
päpstlichen Bulle der Universität Wiclif gegenüber aufgetragen worden), 
denn dieses Heilmittel nützt selteu etwas: Ista, inquam Herodiana in- 
carceracio sive cesarea, quantum occurrit mihi, non habet commen- 
daci(>nem autenticam ex Scriptura. Nach solchen persönlichen Anzeichen 
wäre dieses Buch De Officio Regis von den Herausgobern zu untersuchen 
gewesen. Wie man schon aus diesen vorgebrachten Belegen sieht, ist die 
Ausbeute keine geringe. 



Stadien lur KirchenpoUtik Englands im 14. Jahrhundert. 73 

und Pflichten erörtert, macht er sich zum Sachwalter der Inter- 
essen Mes Staates. Das geschieht namentlich auch noch im 
10. Kapitel, das auch sonst von Interesse ist, weil es wieder an 
eine der 18 Thesen anknüpft.^ Es möge daraus nur die Stelle 
hervorgehoben werden, in der er den Satz aufstellt, daß der 
gesamte Klerus, vom Niedrigsten bis zum Höchsten, auch den 
Papst nicht ausgeschlossen, den weltlichen Herren gehorchen 
muß^ wie die Heil. Schrift es verlangt und das Beispiel Christi 
und der Heiligen es beweist.* 

Bemerkenswert ist wohl auch noch das Moment, daß Wiclif 
in den ersten Zeiten des Schismas, da ganz England zur römi- 
schen Obödienz schwur, über einige Handlungen ,seines' Papstes 
kritische Bedenken laut werden läßt, die bisher von unserer 
Wiclifforschung nicht beachtet worden sind.^ Doch damit be- 
rühren wir die Frage über die Beziehungen Wiclifs und seiner 
Anhänger zum Papsttum, eine Frage, die nach vielen Seiten 
hin bis zur Stunde auch noch ungelöst ist. 

6. WieHf und das Papsttum. 

1. Wiolif und die Frage der Anerkennung dos päpstlichen 
Primates vor dem Ausbruch des Schismas. 

Bekanntlich finden sich in allen Büchern und Flugschriften 
Wichfs aus seinen letzten sechs Jahren heftige Angriffe auf das 



* Die 8. These lautet: Xon est posiibüe homineni excommnnicari ad sui damp- 
rmm nisi excommunicelur primo et principcUiter a »rmet ipso. Fase. ziz. 250. 
Darauf kommt er wie schon im 39. Kapitel von De Civili Dominio 1 
auch hier zu sprechen: Secundo principaliter ar^nitur contra tria dicta 
XXXIX cap« UM proximi, p. 231. Die- Herausgeber hiitten diesen Irrtum 
Wiclifii ausbess<^rn können. Der Liber proximus ist De Ecdesia und hat 
nur 23 Kapitel. Gemeint ist De Civili Dominio I. Man wird auch daraus 
jenes Schwanken über die Reihenfolge der einzelnen Bücher der Summa 
sehen, das schon oben hervorgehoben worden ist. S. S. 64. 

* Patet quod clerus ab infimo sacerdote nsque ad Roman um pontificem 
debet pocins, humilius et multiplicios obedire domino seculari . . . Fina- 
liier deprehendetur eorum stulticia, qui doginatisant, quod clerus nou 
debet dominis saltem proprie obedire. 

* p. 260: Unde videtur nostris, quod papa sit nimis acceptor personarum, 
excommunicari mandans eos qui legunt vel audinnt civilia iura Parisius, 
et in Anglia, ubi foret pocior racio prohibendi, anctorisat vel consentit 
episcopis, qui eins audicionem licentiant et adaugcnt 



74 VI. Abhandlung: Loserth. 

Papsttam und die gesamte abendländische Hierarchie seiner 
Zeit. Man vermöchte mit kappen Auszügen daraus ganze^Bände 
zu füllen. Es wird hier genügen, auf die Inhaltsverzeichnisse der 
einzebien Werke WicHfs in der von der Wiclif-Society heraus- 
gegebenen Sammlung zu verweisen. Wenn man diese wuchtigen 
Angriffe durchsieht, wird man beobachten können, daß sie sich 
mit jedem Jahre verdichten und daß zum Schluß Papst und 
Widerchrist als identische Begriffe erscheinen. Am heftigsten 
sind die Angriffe in seinen kleinen Streitschriften, die er als 
Flugschriften in die Welt hinaussandte und die sowolil in englischer 
als lateinischer Sprache ihre Verbreitung gefunden haben. In- 
dem man die letzten Schriften auf Wiclifs Beziehungen zu dem 
Papsttum hin prüfte und sie mit denen yerglich, die den ersten 
Jahren seiner reformatorischen Wirksamkeit angehören, konnte 
man feststellen, daß diese Angriffe auch in diesen nicht ganz 
fehlen, aber einen maßvollen Charakter tragen. Ja man fand 
Stellen, in denen Wiclif ganz offen die Erklärung abgab, es sei 
nicht seine Absicht, irgendetwas zu tun und zu sagen, was dem 
päpstlichen Stande zur Unehre gereichen möchte — mit einem 
Worte, es gibt Widersprüche, die denen um so schwerer zu lösen 
sein werden, die mit der chronologischen Aufeinanderfolge der 
einzelnen Werke Wiclifs nicht vertraut sind. Es mochte daher 
als ein Verdienst Lechlers erscheinen, daß er den Versuch 
machte, Klarheit in die Sache zu bringen und die Widersprüche, 
die sich in den Sätzen Wiclifs finden, aufzuklären. Lechler 
meint, daß sich in Wiclifs Ansichten vom Papsttum drei Ent- 
wicklungsstufen nachweisen lassen, die sowohl sachUch als auch 
zeitlich voneinander zu scheiden sind. Die erste — sie reicht 
bis zum Ausbruch des Schismas — bedeutet eine gemäßigte 
Anerkennung des päpstlichen Primats, die zweite, die bis zum 
Jahre 1381 andauert, bezeichnet eine prinzipielle Emanzi- 
pation vom Papsttum und die dritte dessen entschiedenste Be- 
kämpfung.* 

In ähnlicher Weise nimmt F. D. Matthew, der beste 
Wiclif kenner Englands in unseren Tagen, an, daß der Ausbruch 
des Schismas in den Überzeugungen Wiclifs vom Wesen und 

' Lechler, Johann von Wiclif I, 675 ff ; so aach in der englischen Ober- 
Setzung Lorimera, p. 312. 



Stadien znr KircheDpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 75 

den Aufgaben des Papsttums einen Wendepunkt bedeutet.* In 
ähnlicher Weise wie Lechler hat auch Buddensieg gemeint, 
daß WicUf bis zum Ausbruch des Schismas noch weit davon 
entfernt war, den päpstlichen Primat in seinem Kern und Wesen 
anzugreifen. Erst seit 1378 sei er in einen prinzipiellen Gegen- 
satz zum Papsttum getreten und habe sich von ihm grundsätz- 
lich losgesagt.' 

Ich vermag dieser Ansicht nicht beizustimmen. Am wenig- 
sten der Dreiteilung Lechlers. Wenn WicUf nach Lechlers Be- 
hauptung — dieser würde heute, da das Quellenmaterial zur Er- 
örterung dieser Frage in ziemlicher Vollständigkeit vorliegt, sein 
Urteil kaum aufrechthalten — bis 1378 weit davon entfernt ist, 
das Papsttum in seinem Wesen anzugreifen, ihm vielmehr als 
der kirchlichen Zentralgewalt eine wirkliche und ungeheuchelte 
Achtung entgegenbringt, so stimmt das mit verschiedenen An- 
gaben in solchen Büchern WicHfs nicht, deren Abfassungszeit 
noch vor dem Ausbruch des Schismas gelegen ist. Und LeclJer 
selbst ist genötigt, seinen Behauptungen derartige Einschrän- 
kungen beizugeben, die jene nahezu aufheben: zum andern, 
sagt er, was das rein kirchliche und geistliche Gebiet betrifft, 
richtet Wiclif insofern eine Schranke auf, als er die angebliche 
Heilsnotwendigkeit und unbedingte Vollmacht des Papsttums 
verneint Mehr Gewicht als auf den Ausbruch des Schismas 
möchte ich auf Gregors XI. Vorgehen gegen Wiclif legen, das 
ihn bekanntlich in so hohem Grade erbittert hat, daß er gegen 
diesen Papst nicht gehässig genug lautende Worte finden kann. 
Leider wissen wir von älteren kirchenpolitischen Schriften Wi- 
clifs, die etwa vor die Zeit der Abfassung der ersten Bücher der 
Summa zu legen wären, nichts: es ist noch zweifelhaft, ob es 
solche überhaupt gegeben hat; aber schon die ersten Bücher 
von De Civili Dominio lassen über Wiclifs Stellung zum Papst- 
tum keinen Zweifel aufkommen; und damit stimmen von den 
18 Thesen die 7. bis 14. und die 18. überein. Wer die Folge- 
rungen aus diesen Thesen zieht, wird die Annahme eines päpst- 

^ The EnglUh Worka of Wyclif hitherto unprinted, p. XV: Hitherto, 
however seTerely he spoke of the Pope and the Curia, he had ackuow- 
ledged the primacy of the Roman See; now ho began to proclaim, that 
the Church wonld be better withont a Pope. 

* Baddenaieg, Johann Wiclif und seine Zeit, p. 161. 



76 VI. Abhandlung: Loserth. 

liehen Primates nicht zugeben können. WicHfs Ansichten und 
Lehren vom Papsttum sind vor und nach dem Schisma nicht 
wesentlich voneinander verschieden. Sie unterscheiden sich von 
einander nicht in der Sache selbst, sondern nur in dem mehr 
oder minder gesteigerten Ton der Darstellung oder, wenn man 
will, in der großen Leidenschaftlichkeit, mit der er der Lehre 
vom falschen Papsttum in den letzten Lebensjahren an den Leib 
rückt; doch davon später. Wie vertragen sich mit einer selbst 
nur gemäßigten Anerkennung des päpstlichen Primates jene 
scharfen Stellen in seinem Werke De (Jlvili Datninio, in denen 
er die Heilsnotwendigkeit des Papsttums in kräftigster Weise 
leugnet?^ Und doch ist dies Buch noch ein Jahr vor dem Aus- 



' Es niAg gestattet sein, wenigstens in einer Note eine kleine BlOtenles« 
bezüglicher Stellen aneinander zu reihen. Wir w&blen absichtlich allein 
den ersten Band Yon De Civil! Dominio, weil bei dessen Abfassung dio 
päpstliche Verurteilung seiner Thesen noch nicht erfolgt, sein persön- 
liches Verhftltnis zum Papste Gregor XI. sonach hierdurch noch nicht 
getrflbt war. De Civili Dominio 1,415: (Deus) non promisit quod qoi- 
cunque in isto loco (Roma) vel officio illo (qua Romanas episeopus) poat 
Petrum successerit, gaudebit dignitate ut sit caput ecdesie . • . Conside* 
ret (papa), quomodo ordinacione imperatornm habet primatnm huiusmodi 
et non a Deo (non) racione loci sed racione meriti. (So wird diese kor- 
rumpierte Stelle zu andern sein.) Oder I, 380: Ex istis colligi polest 
qnod nnllum papam cum cetu cardinalinm citra Christum sit absolute 
necessarium capitaliter regere ecclesiam sanctam. (Motiv: Der Papst 
kann sündigen, dann hOrt er auf, Mitglied der Kirche zu sein. Anderes 
Motiv: Christus selbst und sein Gesetz genügt zur Leitung der Kirche.) 
Man kann also als Christ ohne Papst leben: Sufficit enim modo, sicut 
sufTecit in primitiva ecclcsia quod christianns sit in gracia, credendo in 
Christum, licet nullum alinm caput ecclesie ipsum direxerit. Es gibt 
Zeiten, wo kein Papst da ist: tempore medio inter mortem pape prece- 
dentis et eleccionem pape sequentis militat ecclesia sponsa Christi . . . 
Absolute necessarium est qnod ecclesia Christi non desinat . . . sed nuUa 
persona citra Christum absolute necessaria requiritur ad componen- 
dum dictam ecclesiam . . . Credere dobet catholicus quod nee Impera- 
tor nee ecclesia universalis nee Deus deposita sna absoluta 
(auch hier liegt offenbar ein &lterer oder jüngerer Lesefehler vor: de 
potestate sua absoluta) ordinäre potest: Pro co ipso, quo quis suc- 
cedit post Petrum, vocatus in facie ecclesie Romanus episeopus, eo ipso 
Sit caput vel pars ecclesie, cui obediendum esset ut evangelio J^sn 
Christi ... Als eine Blasphemie des Anttchrists wird hingestellt der 
Satz: Credcndnm et obediendum est necesse, ergo illi Romano pontifiei. 
Man darf, sagt er p. 381, der rOmischeu Kirche eine gewisse Ansaeich* 



Stadien sur Kircbenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 77 

• 
brach des großen Schismas geschrieben. Dasselbe Verhältnis 
findet sich in dem Werke von der Heil. Schrift. Aus den zahl- 
reichen Stellen, die das Papsttum berühren, wird man keine 
einzige herauszuheben imstande sein, die den päpstlichen Primat 
irgendwie anerkennen wllrde. Er tadelt vielmehr aufs schärfste 
jene Leute, die die Machtfülle des Papstes ins Ungemessene 
ausdehnen und aus ihm ,einen Gott auf Erden' machen wollen, 
indes er gerade nur so viel Rechte in Anspruch nehmen darf, 
als sich aus der Bibel begründen lassen.^ Wenn man von den 
,erträumten höheren Aufgaben' spricht, zu denen man diese 
Hierarchie brauche, so steht aus der Bibel fest, daß der Ver- 
lobte der Kirche (Christus) und seine Jünger ausreichten, die 
Menschen im Glauben und in der Tugend zu unterrichten. 
Diese und eine große Anzahl anderer Sätze Wiclifs lehren, daß 
er über das Wesen des Papsttums und seine Befugnisse schon 
vor dem Ausbruch des Schismas nicht anders gedacht hat als 
nachher.* Vielleicht sind auch noch die ersten Kapitel des 



nung zuerkennen, aber: non negando quin sit ecclesia Indica, Greca, 
Gallicana, Anglicana et sie de quibuscnnque locis que secundam partem 
papa inhabitat. Eine jede von diesen partikularen Kirchen kann ihren 
Papst haben und keiner (von diesen Päpsten) hat es notwendig, seinen 
Rekurs an einem anderen zu nehmen als an Jesus Christus (nullam per- 
sonam citra Christum lequirit aliam) . . . Mit solchen Lehren ist doch 
keine Anerkennung irgendeines Primates verbunden. Natürlich fehlt es 
im 2. und 3. Buche von De Civili Dominio noch weniger an Stellen wie 
solche, daß die Päpste den Königen zu gehorchen, Steuern und Abgaben 
zu entrichten haben usw. 

De VeritcUe Saere Scripture II, 134/5: Modo dicit gens illa quod facultas 
theologica (wie Wiclif ihr angehört) sit summe superflua pcrturbans cc- 
clesiam. Ideo sui professores sunt per fas vel ncfas omnimode extinguendi, 
eo quod sunt contrarii operibus, quibus prepositi diripiunt bona paupe- 
rum, Inxuriantur tam corporaliter quam spiritualitcr et gregem subiec- 
tum multipliciter ducunt in precipicium, nunc palliatis excommunica- 
cionibus deterrendo, nunc interdictis, crucis lev.icionibus et aliis coiisuris 
sophisticis comminando et nunc in blasferoiam summe execrabilem pro- 
rumpendo: quod dominus papa, caput legis sue, sit paris autoritatis cum 
Christo humaniius, cum sit Dens in terris, potens ad votum extrahere 
de thesauro meritorum ecclosie triumphantis et imperativi ecclesie mili- 
tanti absolvendo a peua et a culpa, eo ipso, quod pretendit se solvere 
et ligare. 

Bttddensieg hat fUr den Leser die sämtlichen Stellen im Register anein- 
andergereiht, so daß es überflüssig ist, noch mehrere anzuführen. 



78 VI. Abb«ndlang: Loserth. 

Buches von der Kirche vor dem Ausbruch des Schismas ge- 
schrieben worden, d. h. vor der Wahl des Gegenpapstes.* Wenn 
man hier Sätze Uest wie die: Kein Papst darf behaupten, daß 
er das Haupt der Kirche sei, weiß er doch nicht, ob er prä- 
destiniert, also überhaupt nur Mitglied der Kirche sei usw., so 
wird man darin doch auch keine Anerkennung eines Primates 
sehen. Oder wenn es heißt: Bei jedem Befehle des Papstes muß 
man erst fragen, ob dajs, was er anordnet, auch schriftgemäß 
sei. Man wird aus alledem entnehmen, daß das Schisma auf 
Wiclifs Lehre vom Papsttum nicht jene Wirkungen gehabt hat, 
die man gemeiniglich annimmt. Daß freilich das Schisma einen 
großen Eindruck auf ihn machte, ist sicher, und da dieser in 
seinen Schriften deutlich zum Ausdrucke gelangt, lohnt es sich, 
einen Augenblick bei der Stellungnahme Englands zum Schisma 
zu verweilen. 

Die Beziehungen Englands zum Papsttum beim Ausbruch 
des Schismas hat Noel Valois in trefflicher Weise auseinander- 
gesetzt. Aber es ist freilich nur das offizielle England, das zu 
Worte kommt. Da in jenen Tagen ausgesprochene Gegner des 
herrschenden kirchlichen Systems eine einflußreiche Rolle in 
England gespielt haben, hätte auch die Frage über das Verhält- 
nis der kirchlichen Reformpartei in England zum großen Schisma 
eine eingehende Würdigung verdient. Unter den Monarchen war 
Kaiser Karl FV. der erste, dem von der Wahl Urbans VI. Kunde 
zukam: es geschah dies durch einen Brief, den der Kardinal 
Robert von Genf am 14. April an den Kaiser richtete.* Die 
offizielle Mitteilung durch das Kardinalskollegium erfolgte am 
8. Mai. Dieses Schreiben, das die kanonische Wahl Urbans VI. 
betonte,^ wurde wie in anderen Ländern, so auch in England 
bekannt* Heinrich Knyghton meldet, der Kaiser habe das 

* Die oft zitierte Stelle, in der er Gott pries, weil er der Kirche jetst 
(diebus istis) ein 8o katholisches Oberhaupt gegeben, deutet noch nicht 
das mindeste von einem Gegen papste an. 

* Pastor, Gesch. der Päpste I, G86. S. dasn Steinherz, Das Schisma Ton 
1378 nnd die Haltung Karls IV. Mitt. d. Instituts f. Osterr. Geschichts- 
forschung XXI, 15. 

* Libere et unanimiter direximus rota nostra, eum ad celsitudinis apoato- 
licae specula concorditer evocantes . . . Chronicon Henrici Knygton II, 128. 

* Wohin ja auch schon das päpstliche Kundschreiben über die Wahl Ur- 
bans VI. (Baronius, Ann. Eccl. a. a. 1378) gelangt war. 



Stadien zur Kircheopolitik KngUnds im 14. Jahrhundert. 79 

Schreiben der Kardinäle unter seinem and dem Siegel von 15 
anderen Herren an der Kirche von St. Peter anheften lassen. 
Auch Wiclif hat dieses Schreiben gekannt. Überhaupt wird man 
festhalten müssen, daß die Vorkommnisse in Rom, wo gerade 
in der österlichen Zeit Pilger aus allen Ländern eingetroffen 
waren, rasch in die Feme verbreitet wurden. Als das Schisma 
ausgebrochen war, sandte Urban VI. einen Gesandten Charlot 
Maramaur nach England, um den König über die jüngsten Vor- 
kommnisse zu unterrichten.* Der Gesandte, den Richard II. 
zurückbehielt, bekam vom König am 20. September 1378 eine 
lebenslängliche Pension von 25 Mark zugewiesen. Beachtens- 
wert ist es, daß man das Vorgehen der Kardinäle wider Ur- 
ban VI. in England in erster Linie dem Umstände zuschrieb, 
daß der Papst Gerechtigkeit übte und gegen die Hab- 
sucht und Schwelgerei der Kardinäle auftrat. Das gelbe 
Metall, sagt Walsingham, habe sie ihrer Pflichten gegen jene 
Völker, zu denen sie gesandt waren, vergessen lassen.' Das 
war nun auch ganz die Meinung Wiclifs, wie sie in England 
in allen Kreisen verbreitet war. Beachtenswert ist auch das 
Motiv, das man sich in England für das ungestüme Vorgehen 
des Papstes gegen Jean de la Grange, den Kardinal von Amiens, 
erzählte: er habe den von Gregor XI. ersehnten Frieden zwi- 
schen England und Frankreich hintertrieben.* In England, wo 
man anfänglich die tieferen Motive des Konfliktes zwischen dem 
Papsttum und dem Kardinalate nicht erkannte, wo alles, wie 
man aus so vielen Schriften Wiclifs sieht, den Frieden ernstlich 
ersehnte, hielt man sich um so eifriger an Urban VI. und bil- 
ligte dessen Vorgehen gegen die Kardinäle. Es folgt nun zuerst 
der versteckte Krieg zwischen Papsttum und Kardinalat, dann 
des letzteren offene Absage an den Papst, der, wie bemerkt, 
seinen Gesandten nach England schickt, um hier aufklärend zu 
wirken. Das tat nun auch der Gegenpapst. Jene verbreiteten 
offenbar die Erzählungen über die Genesis des Schismas, wie 
man sie in den Chroniken eines Thomas Walsingham, im Ap- 
pendix zum Ranulphus de Higden, in der Continuatio Eulogii, 

* Rymer, Foedera II, 49. 

* Walsingham I, 381: Fulvo corropti mctallo aut excecati pecunia plus 
▼enabantur argentam, qaam paccm gentium. 

* S. die Zosammenstellang der Quellen bei Valoia I, 71. 



80 VI. Abhandlung: Loserth. 

im Chronikon des Henricus Enighton u. a. findet/ soweit sich 
ihre Kenntnis nicht schon durch engHsche Rorafahrer im Lande 
verbreitet hatte. Wie das Eulogium Historiarum meldet, ließ 
der König beide Gesandtschaften durch den Erzbischof von 
Canterbury verhören und ihn die Entscheidung fällen, an wel- 
chen der beiden Päpste man sich zu halten habe. Der Erz- 
bischof wies nun aus den Schriften der Kardinäle selbst ihr 
Unrecht und die RechtsglÜtigkeit ihrer ersten Wahl nach.* Nach- 
dem er sich über den Sachverhalt belehrt/ kam er ins Parla- 
ment: So würde ich, sagt er, wünschen, vor Gott zu sprechen: 
Haltet Euch an Urban VI.* Und so wurde hier die Obödienz 
für Urban VI. beschlossen. 

Hat Wiclif auf die Beschlußfassung eingewirkt? Wir wer- 
den daran nicht zweifeln dürfen, wenn wir Wiclifs Wertschätzung 
des neuen Papstes, von dem weiter unten noch die Rede sein 
wird, im Auge behalten. Das Parlament von Gloucester stand 
unter dem Einflüsse Herzog Johanns von Lancaster, und dessen 
Vertrauensmann war Wiclif — jetzt vielleicht mehr als jemals 
früher. Darum die Sorge, die in den Klosterchroniken Englands 
aus jenen Tagen einen breiten Raum einnimmt: man werde 
Hand auf das Vermögen der Kirche Englands legen ^ und habe 
eben deshalb einen von London weitab liegenden Platz für das 
Parlament ausgesucht, um dem Einflüsse der Londoner, falls 
diese für die Mönche eintreten würden, entrückt zu sein. Andere 



* Walsingham I, 212: DecUrantes iniarias et damna qae idcm dominus 
papa pertulit insolencia apostatarnm cardinalium, qui nitebantar eun- 
dem cam uni versa ecclesia sabvertere et infirroare. 

' Invenit in eomm litcris electionem factam de illo Apostolico et ita lu- 

culenter iUoram populo declaravit errorem . . .; ibid. 213. 
' Eul Hist. III, 347: Auditis partibus. 

* Sicut rcspondere volo coram Deo: Recipiatis Urban am. 

^ AValsingham I, 380: Retulit fama vulgaris, quod inestimabilt summa pe- 
cuniae decreverant regnum multasse ac eciam Sanctam ecclesiam de 
pluribos possessionibus spoliasse, si faissent snum perversum propositum 
consecuti. In gleicher Weise das Chronicon Angliae, p. 211: nur wird 
hier noch die PersOnltclikeit Jobanns von Lancastor genannt, die Ur- 
heberin der ganzen Geschichte ist, und dessen Verbindung mit Wiclif 
ließ nicht viel Gutes erwarten. Im Appendix zum Chronicon des Kanal- 
phus liest man p. 449: In whiche parliament princes and lorde^ acom- 
panyede to theim diverse doctors and clerkes to consente to theim, in- 
te ndinge uttcrly to destroy the privilegc of churches. 



Stadien sur Kircbenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 81 

fürchteten für ihre kirchlichen Freiheiten; in der Tat war diese 
Furcht keine grundlose, und es war ein merkwürdiges Zu- 
sammentreffen von Umständen, daß nun gerade während der 
Anwesenheit der päpstlichen Gesandtschaft im Parlament kirchen- 
politische Fragen von prinzipieller Bedeutung zur Verhandlung 
kamen. Die Gesandten Urbans VI. konnten sich hier die Über- 
zeugung verschaffen, daß die kircheupolitischen Ansichten der 
neuen Regierung nicht um ein Haar breit von jenen abwichen, 
die Eduard lU. gehabt hatte. In offener Sitzung konnten sie 
nun jenen Mann, gegen den anderthalb Jahre zuvor der Bann- 
strahl gezückt worden war, namens und im Auftrage der Re- 
gierung deren Unternehmen gegen die Westminsterabtei — die 
poUutio Westmonasterii ^ — verteidigen und die Beweise dafür 



* Was Wiclif im Parlamente vortrug, ist das Gatachten De captivo Hitpa- 
nenn sive De filio comilis de Dene (Shirley, A Catalogue, p. 23, Nr. 66), 
wie Shirlej es mit Recht betitelt hat: On the privilege of tanctuaries. 
Wiclif hat es als Kapitel VlI seinem Bnch De Ecdetia einverleibt. Anch 
die nächstfolgenden Kapitel enthalten Ausführungen über diese Sache, 
und es mag hiervon noch ein und das andere im Parlament gesagt wor- 
den sein. Die Continuatio £ulogii Uistoriarum gibt, was bei 
Wiclif fehlt, den Wortlaut des betreffenden Beschlusses: Declaratumque 
fuit ibidem, quod rex potest concedere libertatem ad tempns illis qui 
ccciderunt a casu in inpotenciam solvendi utpote per rapinam, combu- 
stioncm vel submersionem usque ad tempus potenciae solvendi: sed rex 
non potest concedere raptori vel fraudulento detentori rei 
aliene, nt gaudeat tali übertäte, quod cogi non possit ad sol- 
vendum et parciatur inde cum abbate pro domus locacione. 
Hoc nou Privilegium sed pravilegium dici debet. Die Continuatio Eulogii 
hat uns in einigen HauptsXtzen die ganze Parlamentsaktion in dieser 
Westminstersache mitgeteilt. Man entnimmt daraus, daß die Ansichten, 
die Wiclif in seinem Gutachten vortrug, im Parlament zur Geltung 
kamen. Das Enlogium Historiarum zitiert ein Stück ans der Stiftungs- 
Urkunde der Westminsterabtei und fügt dann an, daß dieses Privilegium 
in diversis casibus, qui possunt contingere, periculosum esset observare; 
Wiclif führt diese Casus an. Das Eulogium sagt: Et quod ecclesia illa 
non magis modo polluta fuit quam quando monachus olim monachum 
iuxU summum altare interfecit . . . Und bei Wiclif (p. 229) liest man : 
Nee consonat fidei religionis Christi, quod monachus, si per possibile 
occiderit hominem in dicto ioco, erit post liberior... oder: 



Eulogium Historiarum III, p. 346: 

Rex non non potest dispensare 

cum minima concupiscentia rei 



De Ecclesia, p. 236: 
Si ergo non licet alicui dispen- 
sare cum aliquo preceptornm do- 



aliene contra mandatum Dei ... | mini, manifestum videtur, quod non 
Sitsufibw. d. pkU.-Ust. Kl. 166. Bd. S. Abh. 6 



82 VI. Abhandlung: Loserth. 

erbringen höreO; daß der König unter Umständen über das 
Asylrecht einer Kirche hinausgehen könne. Der Motivenbericht, 
den Wiclif vorlegte, enthält einen guten Teil seiner reformato- 
rischen Tendenzen. Die Westminsterabtei wurde nicht bloß selbst 
wegen Verachtung der Landesgesetze, beziehungsweise des Kö- 
nigs, auf das empfindlichste gestraft:^ auch die ganze Debatte 
über den Gegenstand gestaltete sich für die kirchliche Partei 
zu einer höchst unerquicklichen, indem der volle Gegensatz 
zwischen den Ansprüchen jener und den Interessen des Staates 
zum Ausdrucke kam.* Man wird nicht finden, daß Wiclif, der 
die letzteren zu verteidigen hatte, auch nur ein Titelchen von 
den Rechten des Staates preisgegeben hätte; vielmehr kommt 
er auch in seinem Parlamentsgutachten wiederholt auf einzelne 
der von der Kurie verurteilten Thesen wieder zurück.' Nament- 
lich sind es jene, die gegen die Fortdauer geistlicher Stiftungen 
oder davon sprechen, daß man dem Klerus unter Umständen 
den weltlichen Besitz zu entziehen das Recht habe. Daß die 
englische Geschichte reich an Beispielen für diese Praxis ist, 
mag von einzelnen betont worden sein. Dem König wird hier 

snbiacet poteatati hamane priTÜe- 
giare locnm rel hominem, nt liceat 
sibi yivere contra mandatum domi- 
nicam . . . 
oder: 



Et nundine CaDtuaricnscs in 
yico principali statuebantur . . . 



pertinaciter defendunt qaod in ec- 
clesiis suiB ac cimiteriia suis tint 
nandine et secalaria negoeia, qoe 
nunquam Bine dolo et crimine mal- 
tiplici ezercentnr. 

* Westmonasterinm propter contemptam regia (dies iat der techniiehe Aus- 
druck) in non Teniendo alias ad citaciones snas prirabatur temporal ibus, 
ita ut vix sex solidos et octo denarios haberet pro esculentis et pocu- 
lentis . . . Eulog. Hist. III, 346. 

' Man kann die Debatte im Parlament nocb verfolgen 1. ans den ein- 
seinen Sätsen der Darstellung im Eulogium Historiarum, 2. indem Wiclif 
in dem Buche De Ecclesia auf Einwendungen su sprechen kommt, die 
gegen seine Darlegungen gemacht worden waren. Z. B. p. 272: Unde 
audivi quenidam doctorem negare consequenciam etc. . . . 

' Die dritte These lautet: Carte humanUut adinvenle de herediUUe perpetua 
»unt imposnbüe». Man yergleiche damit De Ecclesia, p. 27S: Videtur 
quod mtäte carte perpelue eUnio^ine »apiuni . . . blatphemutm et MU p e r b i am 
... p. 277: Homo non potest ratificare perpetuitatem dominii . . . 



Stadien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 83 

geradezu das Recht zuerkannt, ein jedes Privilegium irgend- 
eines seiner Vorgänger zu widerrufen.* Man kann noch weiter- 
gehen und sagen, daß der Motivenbericht zu dem Parlaments- 
gutachten WicKfs erst eine rechte Begründung der einschlägigen 
Thesen enthielt, ohne die sie mitunter noch etwas unklarer 
bleiben. Wie stark der Streit um die 18 Thesen selbst jetzt 
noch in diesem Motivenberichte nachwirkt, mag man daraus 
entnehmen, daß er sich hier wie damals fast mit den gleichen 
Worten dagegen verwahrt, daß er die weltlichen Herren anreize, 
die Güter der Kirche einzuziehen.* Wenn sich, was ja nicht 
unmögUch ist, die Gesandten des Papstes im Parlamente ein- 
fanden und die Westminsterdebatte anhörten, so wird man 
ihnen gesagt haben, daß Wiclif in nachdrücklichen Worten dem 
Papste das Recht bestritt, Zahlungen von England und seinem 
Könige einzufordern, daß Besitzrechte und Einkünfte, auf die 
er in England Ansprüche machen wolle, nur dann zugebilligt 
werden können, wenn sie vom König, von dem sie zu Lehen 
gehen, freiwillig ratifiziert werden: denn das Königreich Eng- 
land ist weder dem Kaisertum unterworfen noch dem Teile des 
Reiches,' der dem Papste zugeteilt ist.* Wir haben das Gut- 
achten Wiclifs für das Parlament deswegen etwas stärker heraus- 
gehoben, weil es den Vortragenden selbst in dem Augen- 
blicke zeigt, in welchem sein Einfluß wohl am höch- 



^ Eulogtum Historiarnm m, 346: Et qaod rez priyilegium predeceBsoris 
sui possit soBpendere et revocare . . . Vgl. De Ecclesia, p. 279: Rex debet 
corrigere errores tarn sui quam progenitorum suorum. 

' S. oben. Man mag daxu noch folgende Stelle hereinziehen: 



Walsingham I, 369: 
8ed absit ex illo credere qaod 
intencionis mee sit aecalares domi- 
no8 licite posse anferre qnandocnn- 
qae et quomodoeunque Tolaerint 
etc. . . . 



De Ecclesia, p. 281 : 
Sed absit, ut aliqniB reportet 
me, qaod dem occasionem dominis 
temporal ibns ad spoliandum sanc- 
tam ecclesiam yel ad conti nuand um 
(sie) elemosinas, qaas progenitoros 
eoram inceperant . . . 
' Infolge der konstantinischen Schenkang. 

* De Ecclesia, p. 281/2: Non pertinet ad papam propter obligacionem 
regis et regni antiquis temporibos pensionem vel elemosinam annualem 
ab istis reqairere; nam in lege Christi talis perpetuus redditus non ha- 
betar, nee ex lege imperial! post dotacionem factam a cesare . . . Papa 
. . . omnia, qae habet in Anglia, tenet de rege tum quia dominium regni 
nostri non est sabiectum imperio . . . 

6* 



84 VI. Abhandlung: Loserth. 

sten stand. Man mag daraus entnehmen, wie schwer es den 
^geistlichen Behörden gemacht ward, wider ihn einzuschreiten. 
Vonseiten der Kurie selbst ist weder jetzt noch während der 
ganzen noch übrigen Lebenszeit Wiciifs ein Schritt gegen ihn 
getan worden. Jetzt verteidigt er laut seinen Herrn, den Herzog 
Johann von Lancaster, und teilt einen bezeichnenden Ausspruch 
aus dessen Munde mit, der ersehen lasse, daß es bei dieser 
Westminstersache nicht in seinen Absichten lag, etwas zu tun, 
was gegen die Privilegien der Abtei verstoßen hätte.* 

Während das Parlament sonach für die Obödienz Urbans VI. 
eintritt,* werden alle die alten und neueren kirchenpolitiscfaen 
Gesetze, um die in den Tagen Eduards HI. so lange gekämpft 
wurde, aufs strengste durchgeführt. Im nächsten Parlament, das 
im März in London tagt, wird die Westminstersache gänzlich 
beigelegt, aber kaum nach dem Wunsche des Klerus: in Zu- 
kunft sollte das Asylrecht nicht unter allen Umständen Geltung 
haben; jenen, die, imi der Schuldhaft zu entgehen, das Asyl 
einer Kirche aufsuchen wollen, wird staatlicherseits ein Riegel 
vorgeschoben. Und nicht anders ist das Verhalten der Regie- 
rung bei den kirchlichen Wahlen,^ bei Provisionen des Papstes 
usw. Wir übergehen einzelne Beispiele und haben auch nur 
das Vorhergehende erwähnt, weil es mehr als anderes den großen 
Einfluß bezeugt, den die Reformpartei in England besitzt Da- 
hin gehört ja wohl auch die außerordentlich scharfe Besteuerung 
des reichen Klerus, sie ist unter jene Maßregeln zu ziehen, die 
in letzter Linie auf WicHf zurückgehen und über die in den 
klösterlichen Kreisen des Landes so sehr geklagt wird.* 

' p. 266: Nam sentencia domini mei, domini dueis fait, quod conseira- 
retur in eis qaodcnnqno privilegiam ... in tantum quod audiTimiis eum 
dicere, quod tolerabile foret, ut profugi haberent ibi refu^am in canaa 
alicuius specici criminis lese regio maiestatis . . . 

* In England spricht man jetzt schon nicht mehr: Clemens sed demens . . . 
Walsingham I, 393. 

' Der Fall von Edmundsbnry, von dem in den Chroniken Englands aus 
jener Zeit viel die Rede ist, ist in der Beziehung sehr lehrreich; s. Wal- 
singham I|414, 417, 428. Der Papst traut sich nicht, eine Provision, die 
er vorgrenommen, aufrecht zu halten. 

* Walsingham I, 392: In quo decreto patet roanifestius eos bono iudicio 
caruisse, quia talia statuere, dum quilibet pauperrimns abbas pro cor- 
nibus suis teneretur solvere tantum, sicut ditissimos comitum vel episeo- 
porum . . . 



Stadien zur Kirchenpolttik Englands im 14. Jahrhundert. 85 

Um auf die päpstliche Gesandtschaft zarUckzukommen 
wurde die Persönlichkeit eines Papstes^ dessen erstes Auftreten 
das eines Reformpapstes war, von der englischen Reformpartei 
mit unverhohlener Freude begrüßt: ein Papst, der kein Fran- 
zose, kein Angehöriger des Erbfeindes war, der nicht, wenn er 
zwei Seelen hätte, die eine für seinen französischen Freund 
dahingehen möchte, hatte von vornherein alle Sympathien im 
Lande iUr sich, und was man jetzt von einem und dem anderen 
Gegner dieses Papstes vernahm, wie von dem stolzen Jean de 
la Grange, vermehrte die Sympathien, die man für den Neu- 
gewählten hatte. 

Indem England Urban VI. als den rechtmäßigen Papst 
anerkannte, ist er für Wiclif wie für jeden rechten Engländer 
,unser' Papst oder ,unser^ Urban und dies ,un8er^ ist nun fast 
stets das Epiiheian omans, das diesem Papste in Wiclifs Schriften 
zuteil wird. Da spielen in den meisten Fällen keine anderen 
Rücksichten als die auf den Staat mit. Die moderne Kritik hat 
aus dem Umstände, daß WicHf den Papst Urban VI. meist 
,unseren' Urban nennt, gewisse Schlußfolgerungen gezogen, wie 
die oben erwähnten, womach es vornehmlich die moralischen 
Qualitäten dieses Papstes waren, die ihn zur Anerkennung Ur- 
bans bewogen, und daß Wiclif sich in dem Augenblicke von 
ihm abwandte, da er sich in seinen Erwartungen getäuscht sah. 
Diese Ansicht ist nicht zutreflfend. Als strenger Anhänger und 
Freund der staatlichen Rechte der kirchlichen Gewalt gegen- 
über war seine Stellungnahme gegen den Papst durch die Rück- 
sicht auf den Staat vorgeschrieben. Er nennt den Papst ,un8eren 
Urban' noch in einer Zeit, wo seine Überzeugung von den sitt- 
lichen Qualitäten dieses Papstes längst eine andere war als 1378.^ 
Dieser Ausdruck ,unser' Urban ist demnach so zu verstehen: 
Urban VI., den England als Papst anerkennt. Bezöge 

*■ In der 65. Predigt des zweiten Teiles der Predigten liest man: Et uti- 
nam regnum Anglie attenderet et servaret istam sentenciam ; tnnc enim 
non foret depauperatum regnum per ambos ypocritas sicut modo. 
Qewiß ein starker Ausdruck 1 Und nun beachte man, daß er in dem- 
selben Teile seiner Predigten (Sermo X, p. 70) sagt: Et ex hinc senten- 
ciatur dissensio de eleccione Roberti Gibboneusis ut nostri Urban i. 
Und so auch Serm. III, p. 161: Sic enim dicitur Urbanus noster cum 
suis cardinalibus excommunicare Qybbonensem...; p. 222: cum in 
prima creacione Urbani nostri . . .; p. 276: quem Urbanus noster . . . 



86 VL Abhandlung: Loserth. 

sich das ,noster' auf eine Anerkennting des Papstes im Hin- 
blick auf dessen sittlichen Vorzüge vor seinem Gegner, wie 
ließe sich die Stelle in der 33. Predigt des dritten Teiles seiner 
Predigten erklären, in der er sagt: Wir sagen, daß nnser Urban, 
dem wir mehr Glauben schenken, uns als wahrer Papst gilt, 
weil es zum Seelenheil hierzu als notwendig erachtet wird. Wir 
lehren auch, daß wir ,unserem' Urban, dem Robert von Genf 
und so jedem anderen gehorchen wollen, soweit sie das evan- 
gclische Gesetz verkündigen; weiter aber nicht. Hier ist ihm 
der eine so gut als der andere, sofern er Gottes Gesetz 
verkündigt. De Eucharistia ist gleichfalls in einer Zeit ge- 
schrieben worden, in der WicUfs Glaube an Urban VI. als einen 
Reformpapst erschüttert war, und dennoch nennt er ihn Urbanus 
noster.^ Ja diese Stelle scheint geradezu den Beweis zu abringen, 
daß das ,noster^ nicht in dem Sinne einer persönlichen Aner- 
kennung vermöge der sittlichen Hoheit des Papstes zu verstehen 
ist. Denn in der betreffenden Stelle macht er die Rechtmäßig- 
keit des einen oder des anderen Papstes davon abhängig, wie 
sich der eine oder der andere zu seiner Lehre vom Abendmalil 
stellen werde. In dem Traktate De Simonia wünscht er, daß 
,un8er^ Urban auf allen Reichtum der Erde Verzicht leisten 
möchte, wie es Petrus tat.' Alles das sagt er in einer Zeit, in 
der er schreibt: Und es gibt gute Christenmenschen, die weder 
von diesem (Urban) noch von jenem (Klemens) etwas wissen. 
Der Glaube an unsem Herrn Jesus Christus allein genügt.' Ja 
Wiclif nennt Urban VI. noch den Unseren in einer Zeit, in 
der er schreibt: O, wenn doch unser Reich einst nach Urbans VL 
Tode durch die Satrapen nicht so verführt würde, daß es sich 
von einem derartigen Oberhaupte zu befreien vermöchte und 
daß es diese Bla.>phemie von sich abtun könnte, daß es zum 
Seelenheil der Christen nötig sei, einem solchen Oberhaupte 
Obödienz zu leisten. Dann, fürwahr, wäre die Blasphemie des 
Antichrists vernichtet.^ In demselben Atemzug, wo er dies 

> p. 125. 

* p. 67: O quam gloriosum foret exempUr ecclesie, si Urbanas noster VI. 
renunctaret omniboB mandi divictts sicnt Petrus. 

' De AposUBia: Sic etiam vivant mnlti fideles in diTisione Urbani et Ro- 
bertt nee non in altis contrattia eonrenia per alios apostolos, qai ifno. 
rant utrnmqae istoram . .. 

* De Bla-^phemia, p. 7, 8. 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 87 

sagt, nennt er Urban den Unseren.' Ja, was will man mehr, 
er wünscht, daß ,unser' Urban von seinem Gegner exkommu- 
niziert würde, und so gibt es noch eine ziemliche Anzahl von 
Belegstellen, die es erweisen, daß ,unser' Urban, das heißt der- 
selbe, der die staatliche Anerkennung in England gefunden hat, 
nicht ,unser' Urban, d. h. nicht der Mann ist, der dem Ideale 
Wiclifs von dem wahren Papste entspricht. So kommt es, daß 
ihm am Ende seines Lebens — im Opus Evangelicum — ein 
Papst so gut oder so schlecht als der andere ist; die Franzosen 
schelten uns ob der Anhänglichkeit an unseren Urban, wir sie 
für ihre Obödienz gegen Riemens VII.; auswärts Stehende 
schelten uns beide als Ketzer, weil wir den Glauben an unser 
Evangelium verloren haben. Aus dem ,noster' Urbanus in den 
verschiedenen Schriften Wiclifs sind demnach die oben ge- 
nannten Folgerungen nicht zu ziehen. Gleichwohl ist es sicher, 
daß WicUf anfangs die Überzeugung hegte, daß der von Eng- 
land anerkannte Papst ein wahrer Beformpapst sein würde. 

Welche Hofihungen in ihm durch die Wahl Urbans VI. 
rege wurden, entnimmt man jener Flugschrift, denn einen Brief 
darf man sie nicht nennen, die er bei diesem Anlaß an den 
Papst gerichtet hat.* Man hat ihren Zweck gänzlich verkannt, 
wenn man sie mit Shirley, Lechler und anderen in das Jahr 
1384 verlegt' Sie gehört in das Jahr 1378. Wie lagen da die 
Dinge fllr WicUf? Nachdem Gregor XL den Prozeß gegen ihn 
eingeleitet hatte, weil er seine Stimme zugunsten der Einziehung 
des geistlichen Gutes erhoben hatte, gab es nun einen Papst, 
von dem es scheinen konnte, daß er selbst dem rigorosesten 
Armutsideal durch sein Beispiel nachkommen werde — ein Bei- 
spiel, das aber nur £Ür seine Anfilnge nach allen Seiten hin zu- 
triflft. Eine der ersten Taten Urbans VI. war es, die Kardinäle 
an eine einfache Lebensführung zu mahnen. Das geschah be- 
kanntUch in einer Weise, daß der Geschichtsschreiber des 



> p. 103, 109; vgl. aach 162. 

" Gedr. Shirley, Fase, zizaniomm, p. 341/2. Lechler, Johann Ton WicUf IT, 
633/4. Die Bonstigen lateinischen und englischen Drucke ebenda I, 713 

' 8. darOber meinen Aufsats: Über das vermeintliche Schreiben Wiclifs an 
Urban VI. und einige verlorene Flugschriften Wiclifs aus seinen letzten 
Lebenstagen im 75. Bd. der Hist. Zeitschr., 8. 476 ff. 



88 VI. Abhandlnng: Loser th. 

Schismas darin den Hauptgrund zu dem kommenden Risse sieht ^ 
In Oxford hat man hierüber sicher schon sehr frühzeitig Kunde 
erhalten, und was sich im Polychronikon Ranulphs von Higden, 
einer Quelle, die Wiclif gern zu Rate zog, darüber findet, geht 
auf dasselbe hinaus.* Man hatte jetzt einen Papst, der Wiclifs 
Idealen entsprach, der, wie man hoffen durfte, ein Leben fUhren 
würde, wie Christus es durch sein Beispiel gelehrt hatte, also 
geneigt sein würde, unter Verzicht auf weltliche Herrschaft in 
Armut zu leben und seinen Klerus dazu anzuhalten. Das ist in 
der Tat der fünfte Punkt seines sogenannten Sendschreibens.' 
Da Gott, schreibt er weiter, unserem Papste die rechten evan- 
gelischen Triebe verliehen hat, dürfen wir beten, daß diese 
Triebe nicht durch hinterlistige Ratschläge ausgetilgt und Papst 
und Kardinäle bewogen werden, etwas gegen Oottes Gesetz zu 
tun: Flehen wir Gott an, daß er unsem Papst so erwecke, daß 
er fortfahre, wie er schon begonnen hat, auch in seinem Wandel 
Christo nachzuahmen.^ Wenn man die Urteile Wiclifs über das 
Papsttum in De Civili Dominio mit dem Inhalt dieses seines 
Sendschreibens vergleicht, so fallen die Unterschiede sofort ins 
Auge; diese sind natürlich noch viel gewaltiger; wenn man das 
Sendschreiben mit jenen bitteren Anklagen über das Papsttum 
zusammenhält, die man etwa in den Streitschriften, im Tria- 
logus, Dialogus, in seinen meisten Sermonen oder im Opus 
Evangelicum findet, so muß man billigerweise die Frage auf- 
werfen: Welches war Wiclifs Meinung vom Papsttum? Standen 



' Njem, De scismat« I, c«p. V, p. 17: Fuerunt enim increpaciones ille in- 
tempestiye fomentum scismatiB subsequentis. 

* Polychrontcon VII, p. 396 (Appendix): Cum ist« papa Urbanos TolaiaMt, 
qaod cardinales siii suas magnas pompas dimisiBBent et cum mo- 
derata familia ac cibis et potibuB moderatis yixiBsent anos- 
qae titaloB reparaBBent, yidebatar eiB grave, qaod ipBiB nitebator 
imponere. So anch WalBingham I, 381/2. 8. Bonstige Belegstellen bei 
Gayet, Le Grand SchiBme d'Occident II, 167 ff. 

* Ex iBtiB elicio tamquam consiliam, qaod papa dimittat Beculari brachio 
domin inm temporale (daa versetst uns gans in die Zeit der Thesen und 
in das Jahr 137HV 

^Sicut inceperat; diese zwei Worte werden aber nach ut so stellen 
.^ein, ut, sicut inceperat, imitetnr ... In den achtziger Jahren hStte Wi- 
clif vom Papste kaum noch geschrieben: cum summos Christi Yiearins 
in terris . . . 



Studien sur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 89 

seine Überzeugungen von der Notwendigkeit oder Entbehrlich- 
keit des Papsttums schon zu Beginn seiner kirchenpolitischen 
Tätigkeit auf derselben Linie wie in den genannten Werken 
oder haben wir einen Wandel in seinen Grundanschauungen zu 
bemerken? Wie kommt er dazu^ in seinen Sermonen zu predi- 
gen, daß Papst und Kardinäle der Kirche zur Last gereichen,* 
daß das päpstliche Amt für die Kirche reines Gift sei,^ oder im 
Dialogus zu lehren, daß der Papst ein eingefleischter Ketzer 
ist,' dessen Fall niemand zu beweinen Grund habe,* daß der 
Name Papst, den die Bibel nicht einmal kennt,^ nichts anderes 
ist als eine Erfindung der Welt® und es besser wäre, würde 
die Welt so schnell als möglich von Papst und Kardinälen be- 
freit, und wie diese hundert und aber hundert Stellen lauten. 
Dies führt uns notwendigerweise zur Erörterung des Inhaltes 
des nächsten Buches in der Summa: De Potestate Pape. 

2. Wiolifs Lehre vom wahren und flEQsohen Papsttum und 
sein Buch »De Potestate Pape'. 

Wenn es auch nicht das Schisma war, das in Wiclif die 
Abwendung vom Papsttum bewirkt hat, so war doch der Ein- 
druck des Ereignisses auf ihn ein gewaltiger. Er hat seiner 
andächtigen Zuhörerschaft wohl gelegentlich selbst gesagt, wie 
er über die Folgen des Schismas nachgedacht habe,' er freut 
sich, das Ereignis erlebt zu haben, denn es bilde die Probe auf 
sein Rechenexempel, es zwinge die Theologen, sich mit der 
Frage der Existenzberechtigung des Papsttums zu beschäftigen. 
Jene Ansichten, die er über das Papsttum vordem, als er für 
die Einziehung der Güter der toten Hand und für die Umsetzung 
des Armutsideals in der Kirche in die Wirklichkeit kämpfte, 
verteidigt hat, sie gelten ilmi jetzt als unangreifbare Axiome. 



» Senn. II, 468, 482. " IV, 196. • Di*I. 14, 6. * Dial. 49, 28. 

» Dial. 49, 20. 

* Serm. II, 277; I, 401 — 404: pape, epiacopt snperflue partes ecclesie; 
Serm. lY, 167: Ponitur pro magno merito si quis destraeret papatum; 
Serm. III, 276: Detestamur papas . . .; ib. 453: Principinm debet esse 
fidelibus quod superfluit in ecclesia esse papas . . .; IV, 133: Papa plus 
presnmit diabolo; IV, 64: Papa fallibilis; peccabilis: III, 508. 

* Serm. UI, 274. 



90 VI. AbhandlQD^: Loserth. 

Spricht er jetzt von den Päpsten^ so nennt er eS; und zwar in 
immer kräftigeren Ausdrücken, eine Anmaßung von ihnen, sich 
unmittelbare Stellvertreter Christi zu nennen,^ sich als Haupt 
der Kirche zu bezeichnen* usw. In kühler Weise setzt er seiner 
Zuhörerschaft auseinander, es sei wahrlich nicht notwendig, zum 
Papste, sei es nach Kom, sei es nach Avignon zu laufen, um 
Bitten an ihn zu richten.^ Jeder Ort ist dem wahrhaft Reuigen 
gut genug, denn der dreieinige Gott ist überall. Unser Papst 
ist Christus, der gewährt uns reichere Gnaden, und dies noch 
in einer Zeit, da wir auf Erden wallen. 

Hier hat Wiclif, wie man sieht, mit dem Papsttum abge- 
schlossen: aber doch nur mit jenem Papsttum, wie es besteht 
Sieht man der Sache auf den Grund, so wird man finden, daß 
er selbst noch in den letzten Zeiten seines Lebens kein prinzi- 
pieller Gegner des Papsttums an sich gewesen, sondern nur 
jenes Papsttums, wie es sich seit seiner ,Verkaiserung' durch 
Konstantin entwickelt hat. Die Kirche wird bestehen und hat 
auch bestanden in Zeiten, wo es keinen Papst gibt, aber wie 
es in der Welt keine Ordnung ohne höhere Einheit gibt, so 
kann es nicht schaden, wenn die streitende Kirche auf Erden 
einen sichtbaren Führer hat. Aber was für Qualitäten muß 
dieser haben? Wer setzt dieses Oberhaupt ein? Wie sieht es 
mit seinen Ansprüchen auf weltliche Herrschaft aus? Mit einem 
Wort: den Unterschied zwischen dem festzustellen, was 
der Papst sein soll, falls man überhaupt einen braucht, 
und dem, als was die Päpste in Wiclifs Tagen erschei- 
nen, ist die Aufgabe seines Buches ,Von der Gewalt 
des Papstes^ Und es mag gestattet sein, ehe wir in eine Ana- 
lyse des Werkes eintreten, gleich gewisse Hauptgrundsätze zu 
markieren: die streitende Kirche braucht ein Oberhaupt. Das 
ist aber nicht jener Papst, den die Kardinäle wählen, sondern 
den Gott der Kirche gibt. Gott kann nur jemanden zum Papst 
machen, der prädestiniert, also würdig ist, es zu sein. Die 
Wähler können dann jemanden zum Papst machen, wenn ihre 
Wahl auf einen von Gott Erwählten fällt. Das ist nicht immer 
der Fall. Die Wähler lassen sich zumeist von irdischen Motiven 
leiten. Sie selbst sind vielleicht nicht prädestiniert und wählen 

> IV. 166/7. • IV, 77. • III, 146. 



Stadien zur Kircbenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 91 

jemanden, der es auch nicht ist, also nicht einmal Mitglied der 
Kirche ist — einen rechten Antichrist. Als Papst hat man nur 
den zu betrachten, der in Lehre und der Nachfolge dem Hei- 
land und Petrus am ähnlichsten und dessen Reich nicht von 
dieser Welt ist.^ 

Das alles sind aber Grundsätze und Lehren, die Wiclif 
schon vor dem Ausbruch des Schismas gelehrt hat;* nur werden 
sie hier schon viel prononzierter vorgetragen. Li seinem Buche 
Von der Gewalt des Papstes würde er nicht mehr, wie es noch 
in De CiviU Dominio der Fall ist, das Kardinalskollegium jene 
verehmngswtirdige Versammlung nennen, die die Pflicht und 
das Recht hat, bei Verschuldungen des Papsttums einzugi'eifen. 
Ein wahrer Papst kann übrigens nicht im Zustande der Schuld 
sein, denn ist er dies, so ist er nicht wahrer Papst. 

Doch es ist Zeit, die Lehren Wiclifs vom wahren und 
felschen Papsttum näher zu betrachten. 

Zunächst ist zu sagen, daß auch das Werk De Poiestat€ 
Pope noch in enger Verbindung mit dem Kampfe um die 
18 Thesen steht.' Wie in allen seinen Werken beginnt Wiclif 
auch hier mit ausführlichen theoretischen Erörterungen. Gewalt 
des Papstes! Was versteht man unter Gewalt? Was unter Papst? 
Man könnte die meist aus Aristoteles genommenen Ausführungen 
über die Begriflfsbestimmung der Gewalt und deren Arten über- 
gehen, würden nicht schon hier an vielen Stellen seine Reform- 
ideen zu Tage treten. Er gibt z. B. die Teilung der Gewalt in 



Es ist (^t, daß ein Papst ist: De Polestate Pape, p. 266. Dort wird aus- 
einandergesetzt, wie der ideale Papst aussieht. Er wird mit St. Bern- 
hards Worten gezeichnet. 

Nar einige von den vielen SteUen: Papa debet gerere typam Christi. 
De Civili Domiuio II, 17 : ... debet esse tocius populi humillimus, mi- 
tissimos et effectualissimus niinistrator, bonorum fortune strictissimus ab- 
dicator et omni genere yirtutum et potissime in renunciacione secularium 
negociorum ac contemplacione celestinm teuere inter omnes personas ec- 
clesie monarchiam. Den Unterschied zwischen wahrem und falschem 
Papsttum 8. in De CiviU Dominio I, 415 (s. oben). 

Nondum . . . tantum fuit sopitum dominium Romani imperii nee ad tan- 
tnm inyaluit usurpacio Romani pontificis quod fuit reputatum hereticnm, 
quod donUni temporale* pogmrU au/erre temporalia ab eede»ia deUnquente 
(s These 6). De Potestate Pape, p. 181. 



92 VI. Abhandlang: Loierth. 

eine gcistliclie und weltliche zu, weist aber die weiteren Lehren, 
nach denen die geistliche Gewalt die höhere, würdigere und 
ältere sei, mit ihrer Anwendung auf die Beziehungen zwischen 
Staats- und Kirchengewalt zurück. In der alten Kirche be- 
dienten sich die Apostel der bürgerhchen Gewalt nicht, und so 
könne auch jetzt durch päpstliche Bullen keinem Untergebenen 
die geißthche Gewalt zugeteilt werden, diese gibt nur Gott und 
nur dem, der fähig ist zur Erbauung der Kirche. Die Ter- 
liehenen Gewalten können gemindert, ja ganz verloren werden. 
So hat der Klerus von heute die Gewalten der Apostel nicht 
mehr. Jedem Christen ist die ausreichende Gewalt zur Er- 
bauung der Kirche gegeben. Er muß nur den Willen haben, 
Gottes Helfer zu sein.^ Wie steht es um die Gewalten, die die 
Apostel besaßen? Noch heute meint der Klerus, er könne den 
heil. Geist spenden; das haben nicht einmal die Apostel in An- 
spruch genommen: sie beteten, daß jemand den Geist Gottes 
erhalte. Den kann nur Gott geben. Nicht anders steht es um 
die Sündenvergebung und die Exkommunikation. Heutzutage 
maßt sich der Priester das Recht der Sündenvergebung an: 
nicht einmal Gott absolviert jemanden, der nicht hierzu befähigt 
ist. So kann auch kein Geistlicher, und stünde er noch so hoch, 
jemanden absolvieren, der nicht zuvor absolviert ist von Gott. 
Wem verleiht Gott die Gewalt? Er gibt sie jedem und es macht 
keinen Unterschied, ob sie jemand unter einem sichtbaren Zei- 
chen oder durch innere Eingebung erhält. Das äußere Zeichen 
brauchen ungetreue Christen, die nicht das Wesen des Sakra- 
mentes besitzen.* Es gibt Reihenfolgen in der äußeren geist- 
lichen Gewalt: der eine erhält die Gabe der Administration, 
der andere Weisheit, der dritte die Gewalt, Krankheiten zu 
heilen, ein vierter ist zum Apostel bestimmt usw. Verlustig geht 
der geistlichen Gewalt, wer in eine Todsünde fUllt. 

Nachdem die Gewalten der Glieder der Kirche abgehan- 
delt sind, geht WicUf auf die Gewalt des Papstes ein. Papst 
— schon diese Benennung sagt ihm nicht zu; denn der Name 



* Quilibet antem, clericoB vel laicus, habet potestatem sufBcientem edifi- 
candi eccleäiam, si voluerit esse I)ei adintor, p. 24. 

' Infideles chrtstiaiü Signa qaerente« ad sacramenta sensibilia, dimiaM re 
sacramenti, attenderent, p. 33. 



Stadien lar Kircheopolitik EnglindB im 14. Jahrhundert. 93 

hat keine Begründung in der Schrift.* Wie steht es um seinen 
Primat? Nach allen Zeugnissen hatte Petrus einen Vorzug als 
Erster und diesen verdiente er durch seinen Glauben, seine 
Demut und Liebe;* er erhielt ihn auch fUr seine Nachfolger in 
der streitenden Kirche.^ Wie er diesen Vorzug erhielt, weil er 
seinem Lehrer im Leben und in der Lehre nachfolgte, so kann 
auch niemand sein wahrer Nachfolger sein, der nicht ebenso 
tut; und kein Untergebener darf ihm gehorchen, wenn er nicht 
selbst Christus nachfolgt. Keine menschliche Wahl gilt hierbei, 
sofern sie der göttlichen nicht entspricht. Ob die Wähler des 
Papstes eine gute, ob sie eine schlechte Wahl getroffen: glauben 
darf man nur seinen verdienstlichen Werken.* Nach diesen 
Worten wird man das früher zitierte Sendschreiben 
Wiclifs an Urban VL verstehen. Indem dieser mit einer 
kräftigen Reform im Eardinalskollegium einzusetzen begann, 
leistete er ein so verdienstliches Werk, daß Wiclif ihn als einen 
gottgesandten Papst ansehen konnte. Kein Mensch, fUhrt er 
fort, darf glauben, daß Gott infolge irgendeiner Festsetzimg den 
Wählern beisteht und ihre Wahl bestätigt, wie sie auch aus- 
fallt. Dann wären sie unfehlbar, indes sie oft genug eine Person 
berufen, die vor Gott untauglich ist. Am besten ist die Wahl 
durch das Los wie beim Apostel Matthias. Alle Wahlgesetze 
sind überflüssig. So hat Petrus den Markus und Klemens, Paulus 
den Titus und Timotheus ins Amt eingeführt; die übrigen 
Apostel ordinierten Bischöfe für die bekehrten Völker. Jetzt 
werden über diese Anordnung hinaus Gesetze gegeben: über 
Elektionen, Präsentationen, Institutionen, Konfirmationen etc., 
die den modernen Pharisäern soviel gelten als das Evangelium, 
Der Vorrang, den Petrus hatte, bezog sich in keiner Weise 
auf eine allgemeine Jurisdiktion über die streitende Kirche oder 
auf eine solche Gewalt über die einzelnen Apostel, denn diese 
erbauten die Kirche in anderen Gegenden, ohne daß Petrus 
davon wußte und ohne seine Erlaubnis. Sie hatten einen stärkeren 



* Pro nomine papa notandnm, qnod in scriptara sacra, si bene habeo, non 
exprimitur; cap. VIII. 

* cap. III. 

' Non eolam accepit primatum pro se ipso sed pro eins vicariiB in ecclesia 
militantOy p. 62. 

* Nemo gerit vicem Christi vel Petri si non sequator enm in moribos, p. 63 . 



94 VI. Abhandlang: Loserth. 

Beistand: so sage Paulus, daß weder Petrus noch ein anderer 
ihm sein Lehramt übertragen habe, vielmehr durfte Paulus den 
Petrus in seiner eigenen Pfarre tadeln. Die Jurisdiktion haben 
alle Apostel in gleicher Weise. Ferne sei es, daß irgendein Bi- 
schof, wenn er glaube, in einer anderen Diözese ersprießlicher 
zu wirken, daran gehindert werde.* Leider ist heute diese gol- 
dene Regel aus der apostolischen Zeit zerbrochen: das heilige 
Predigtamt ist zu einem Geldsammlungsamte geworden; unsere 
Satrapen streiten schnöden Gewinnes halber über die Grenzen 
ihrer Jurisdiktion.' So sagt man uns Westländem heute, der 
Bischof zu Rom maße sich an, zu sagen, daß niemand selig 
werden könne, der nicht seine Taxe bezahle.' 

Will der Papst der Erzvikar Christi sein, so muß er in 
vollkommenster Armut leben. Wäre das anders, so hätten schon 
Christus und die Apostel die Kirche dotiert.* Diese Dotation 
macht die Kleriker zu ihrem Amte unfähig. Vor der Dotation 
der Kirche waren die Kaiser die obersten Priester, damals 
lebten die Bischöfe arm, im Elend, und entbehrten, wie Wiclif 
ironisch* hinzufügt, jener Vollendung, die die Kirche jetzt durch 
ihren Reichtum hat. Heute möchte es der Würde des Papstes 
nicht entsprechen, wenn er nicht Königreiche besäße und reiche 
Herrschaften. Man möge sich darauf nicht stützen, daß viele 
Heilige diesen Reichtum der Kirche gebilligt: gegen die Aus- 
sagen Christi haben diese Argumente keinen Wert. Einst be- 
stand der Primat nicht in äußerer Herrschaft, sondern in größerer 
Demut. Der gemeinsame Rat der Priester hat einst die Apostel, 

^ Absit, quin rector vel episcopas debeat proficere de alia parrocbia sive 
djocesi, et in caau quo crederet plus prodesse ecclesie et placere Christo, 
debet parrochiam suam dimittere et aUia in quibus magis proficeret te 
gratia adiungere . . . 

* Sed heu ista religiosa regula primeva temporalium cupiditate disrnm- 
pitar, et nostri satrape vertant evangeUzacionem in pecnnie colleccionem 
et propter questum circa limites iarisdiccionis contenditur . . ., p. 79. 

* Dicitar enim quod Romanas pontifex vendicat infideliter, quod nemo 
salvabitur, nisi subiaceat taxis suis. 

^ p. 81: Hoc enim movebat Petram, lohannem et ceteros apostolos, qai 
potuerunt facillime, copiosissime et splendidissime faisse dotatt et tarnen 
ex religione et debito imitandi mag^strum illad omiserant. 

* p. 87: Imperatores sunt pontifices . . . ante dotacionem erant summi pon. 
tifices, quia tunc episcopi exproprietarie Tiventes erant miseri et egeni- 
cum caruerunt perfeccione, quam modo ecclesie habet ex mondi diTicüi, 



Stadien rar Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 95 

80 auch Petrus ausgesandt. Ein größeres Regiment als diese 
habe Paulus besessen. Sowie die Apostel untereinander Genossen 
und Freunde waren, würde es auch heute sein, wenn nicht die 
Dotation dies Band aufgelöst hätte. 

Wie keiner der Apostel eine Gewalt besaß wie Christus, 
so erhielt auch kein Papst die volle Gewalt der Apostel.* Da 
Wiclif sich in den betreffenden Ausführungen auf die Bibel be- 
ruft, kommt er auf sie als auf die Norm des Glaubens mit Ar- 
gumenten zu sprechen, die wir schon kennen. Zum ersten Male 
finden wir hier aber auch jene knappen Antithesen: Was Chri- 
stus ist und was der ,kaiserliche' Papst. Jener die Wahrheit, 
dieser die Lüge, jener arm, dieser reich, jener die Sanftmut, 
dieser der Hochmut und die Grausamkeit selbst usw. — Diese 
Gegenüberstellung: Christus und der Papst, d. i. der Widerchrist, 
nahm Wiclif in den meisten späteren Schriften vor. Sie bildet 
den Gegenstand einer eigenen Flugschrift, die er drei Jahre 
später in die Welt schickte: Von Christus und seinem Wider- 
sacher, dem Antichrist. 

Muß denn nun aber gerade der römische Bischof Papst, 
also Stellvertreter Christi auf Erden sein?* Was heißt Papst? 
In der Heil. Schrift wird der Name nicht genannt. Einst nannte 
man heiligmäßige Männer so, und so nennen die Griechen noch 
jetzt jeden Priester. Seit der Dotation der Kirche wird der 
römische Bischof so genannt. Anzunehmen sei, daß Papst nur 
der sein kann, der dem Heiland im Leben und in der Lehre 
am meisten folge. Das ist bei dem römischen Bischof nicht der 
Fall. Daher sucht man nach anderen Motiven: sie treffen alle 
nicht zu. Wenn Richard von Arraagh sage, weil Rom die 
Hauptstadt der Christenheit sei, müsse der Papst dort sein: 
klagt er denn damit nicht Christus an, der es vorzog, in Jeru- 
salem zu weilen? Residieren denn alle Päpste in Rom? Sieht 
man sie nicht jetzt ,gemästet^ (incrassati) in Avignon sitzen? 
Wenn er römischer Bischof ist, was kümmert er sich nicht um 
seine Gemeinde? Von einer Begründung des römischen Papst- 
tums durch Christus ist keine Rede und so erzähle Ranulphus 
de Higden, daß der berüchtigte Phokas es war, der es zugab, 

» cap. VI. 

' Item restat yidere, si oporteat regulariter Romanum pontificem esse pa- 
pam et immediatam ac proxlmam vicarium Christi in terris . . ., p. 166. 



96 VI. Abhandlung: Loserth. 

daß das Oberhaupt der Kirche, der heil. Petrus, Papst genannt 
werde. 

Spät genug (cap. IX) gelangt WicHf zur Erörterung der 
Frage: Muß ein Papst sein, und wenn einer sein muß, welches 
sind die Grenzen seiner Gewalt? Viele behaupten die Notwen- 
digkeit, daß ein Papst sei. Man mag das zugeben. Christus ist 
das Haupt der Kirche; daneben bestimmt er aber zweifellos 
irgendeinen der Prädestinierten, der schon wegen der bei der 
Erbauung der Kirche vorkommenden Verfehlungen ihr nicht 
fehlen darf: das ist der Papst; er ist es durch die Wahl 
Gottes, und diese Wahl kann durch keine menschliche Wahl 
beseitigt werden.^ Man sieht hier genau, daß auch Wiclif für 
die streitende Kirche ein Oberhaupt als notwendig ansieht Aber 
die Wahl eines solchen steht bei Gott allein. Nichts falscher, 
als daß menschliche Wahl jemanden zum Papst macht: Gott 
allein macht den Menschen zu einem Gerechten.' Alles, was 
man heute von der Berechtigung der Kardinäle sagt, ist er- 
dichtet, der Wahlmodus skandalös und ohne jedwede Begrün- 
dung in der Bibel. Wie können sich diese Kardinäle anmaßen, 
den Stellvertreter Cliristi zu wählen, Menschen, deren Name 
nichts Gutes besagt?' Vor der Dotation der Kirche wurden Bi- 
schöfe, Presbyter und einfache Priester unter der einen Be- 
zeichnung Apostel zusammengefaßt. Jetzt habe die Kirche keine 
Hirten, sondern Mietlinge. Dieser neue Wahlmodus und die 
Austeilung von Benefizien an die Kreaturen des Gewählten 
gebe den Anlaß, seine Machtfülle ins Ungebührliche zu erhöhen- 
Doktoren, die von ihm ein Benefiz erhaschen wollen, schmei- 



* Necesso est Christum, qui solns est capnt uniTersalis ecclesie esM uaque 
ad finem secuU cum ecclesia militante ... et preter hec necesse est esae 
confuso aliqaem predestinatam viantem, quem DeuB propter ezcessnm 
edificacionis ecclesie soe plas approbat. Quem oportet ex eleccione 
Domini esse papam. Et illam eleccionem non potest frustrare humana 
eleccio . . . Oportet nnam militantem ecclesiam habere conversantem 
unnm prepositum, cum secundum pbilosophos omnis multitudo ad nni- 
tatem reducitur, p. 194. 

' Nichil falsius quam quod humana eleccio facit papam, nam aolns Dens 
iustificat hominem. Omnis qui facit papam vel membrum sancte matria 
ecclesie, facit iustum : igitur solus Dominus facit papam . . ., p. 195. 

' Unde quidam dicunt quod cardinalis dicitur a cardine, qnia in illis porie 
inferi sunt rotste, sunt filie sanguisuge, da qua ProT. XHL 



Stadien zur KirchenpolUik Englands im 14. Jahrhundert 97 

cheln ihm, als sei seine MachtfUlle eine ^enzenlose, daß er alles 
vermag, noch über die Könige hinaus; und doch hat er von 
Gott nur die Befugnis erhalten, die Kirche zu erbauen. Wenn 
ein solcher Mann von solchen Wählern erkiest wird, soll man 
ihn nicht lieber Apostaticus nennen statt Apostolicus? Wie 
könne man jemanden Apostolicus nennen, dessen Wahl (wie 
die Urbans VI.) durch kriegerische oder pöbelhafte Tumulte 
erzwungen ward.* Nochmals kommt er auf den kaiserlichen Ur- 
sprung des jetzt bestehenden Papsttums zu sprechen und in 
immer neuen Wendungen wird erklärt, daß menschliche Wahl 
nicht genüge, jemanden zu seinem verantwortungsvollen Amte 
würdig zu machen. Wie einst der römische Kaiser den römi- 
schen Bischof zum Papste erhoben, so könnten, vorausgesetzt 
sie würden Christen, die mongolischen Kaiser ihre Bischöfe zu 
Päpsten machen.* Was würde der von Rom dazu sagen? 

Freilich sagt man, wenn der Papst keine weltliche Macht 
hat, könne er sein Amt nicht ausüben. Wie falsch das sei, 
lehre das Beispiel des heil. Petrus." Während Paulus in Korinth 
für die Armen Jerusalems Almosen sammelte, bestimmen der 
Papst und die Kardinäle herrischerweise, wie viel an jährlichem 
Einkommen der Papst aus England haben müsse. Das ist für- 
wahr nicht der Ruf eines Armen, sondern eines Mannes, der 
hinterlistigerweise das Gut der Armen plündert Wie das Papst- 
tum die einzelnen Reiche herabbringe, ersehe man an dem 
Kaisertum der Deutschen. Schon sei es so heruntergekommen. 



' Man beachte, wie hier offenbar unter Hinweis auf die letzte Wahl von 
der Papstwahl gesprochen wird — auch ein Beweis, daß das Urbanus 
noster nicht eine persönliche Anerkennung des Papstes bedeutet, da er 
ihn noch wenige Zeilen weiter unten so nennt. 

' Unde notaremus cronicas predictas quomodo inolevit papalis dignitas. 
Et narrat dominus Ardmacanus . . . quomodo Imperator Constantinus 
circa annum 301 hoc censuit et precepit, quod suus episcopus ab Omni- 
bus papa vocaretur ... et Foca imperator hoc idem ex cleri instancia 
confirroavit . . . Quomodo igitur saltaret in summum sacramentum eccle- 
sie, quod imperator terrenns tarn irreligiöse instituit, ymmo ut inquit: 
8i imperator Thartarie ecclesiam de Cambalek aut de Cathaj conversus 
ad Christian ismam capnt omnium aliarum ecclesiarum constitueret, ce- 
deret ceteris paribus capitalitas Romane ecclesie, p. 215/6. 

» Kap. X. 
8UiOBftb«r. d. phU.-hiflt. Kl. 156. Bd. 6. Abb. 7 



98 VI. Abbandlaog: Loserth. 

daß ihm kaum noch ein Herzog oder ein Graf Untertan ist* 
Unser England mag dem Papste insoweit gehorchen, als er nach 
der TIeil. Schrift beanspruchen darf.* Sieht man die Geschichte 
der Kirche durch, so wird man finden, daß bis zur konstanti- 
nischen Schenkung der römische Bischof ein gleichstehen- 
der Genosse der anderen Bischöfe war: erst seit diesem 
Dekrete wurde er Herrscher.* Es ist aber nicht Sache eines 
Menschen, sondern Gottes, jemandem eine geistliche Würde zu 
geben. Eine Gewalt, die einen solchen Ursprung hat, 
nenne ich daher eine kaiserliche und die Indulgcnzen 
und andere Privilegien solcher Art kaiserliche.* Damit 
ist also der Ursprung des falschen Papsttums gezeichnet Wie 
das wahre seine Quelle in Gott, so hat das falsche seinen Ur- 
sprung im Kaiser. Daher, filhrt Wiclif fort, weisen die Griechen 
die Ansprüche dieses Papsttums ab und wollen von seinen In- 
dulgcnzen nichts wissen. Sie wissen, daß ein jeder nach seiner 
Würdigkeit seine Indulgenzen von Gott hat, und falls der Papst 
solche verteilt, kann er es nur als Werkzeug Gottes;^ in an- 
derer Weise betrügt er das Volk. Diese Sentenz, sagt Wiclif, 
hat, wie ich vernommen habe, Urban VI. selbst den Kardinälen 
gesagt, und weil er von ihnen einen Lebenswandel im Sinne 
der Apostel verlangte, haben sie sich gegen ihn verschworen. *** 

' Sic eiiim translatum est Romanum imperiam in Germanos et tantum 

aporiatur, quod v'ix sibi subditur civiliter dux rel comos, p. 227. 
' Satis est igitur, quod regnam nostruiu tantum sibi obediat, quantum do- 

cero potest ex scriptura. Ebenda. 
' Patet ex prcdictis, quomodo Romanas pontifcx fuit cousocius aliis ponti- 

ficibus usquo ad dotacionem ecclesie et exhiuc ex auctoritate cesaris 

cepit capitalitcr dominari . . . 

* Propter hoc quidam {so nennt WlcUf sich meistens selbst) Tocant hanc 
potestatcm iurisdiccionis ... et prtvilegia cesarea . . •, p. 232. 

^ In quantum fuerit fidclis Domini promulgator. 

* Quam scntenciam audiTi de papa nostro Urbano VI ipsum dixisse car- 
dinalibus Gregorii, qui excessit decalogum; ac quia incrcpans eorum 
(ayariciani) limitavit eos ad vitam apostolicam primeram, couspiraTerunt 
contra eum, eligendo sibi Robcrtum Gilbonensem, virum nt dicitnr dis- 
solutum, supcrbum, bellicosum et legis Christi ignaram . . . Man darf 
bei der Stellung, die Wiclif im Herbste 1378 im Parlamente einnahm, 
zugeben, daß er mit Mitgliedern der römischen Gesandtschaft selbst in 
Verbindung stand und von ihr — sei es anmittelbar oder mittelbar — 
diese Worte vernehmen konnte. 



Studien zur KirchenpoHtik Englands im 14. Jahrhundert. 99 

Man sieht aus dieser Stelle klar, wie Wiclif trotz seiner Dehre 
vom wahren und falschen Papsttum Urban VI. für den recht- 
mäßigen Papst hält und daß es andererseits dieser seiner Lehre 
nicht widerspricht, wenn er sich etwa in der Folpo von ihm 
abwendet. Darum fügt er auch hinzu: Lasset uns also Urban 
folgen, soweit er uns auf den Wegen Christi vorangeht, 
aber nicht weiter. 

Deutlicher noch als hier spricht er sich an einer späteren 
Stelle über das wahre und falsche Papsttum aus. Der päpst- 
Uche und der bischöfliche Stand sind der Kirche nötig, aber 
man beachte: es gibt einen doppelten Stand der Priester: einen, 
der auf kaiserlicher, einen anderen, der auf göttlicher Einsetzung 
beruht. Jener sucht Reichtümer und Ehren, dieser den Nutzen 
der Kirche. Es kann ja auch vorkommen, daß menschliche 
Wahl einmal eine Persönlichkeit trifft, die Gott zu einem solchen 
Amt auserlesen hat; ist das nicht der Fall, dann ist der Er- 
wählte ein Antichrist. 

Nach den natürlichen Gesetzen und denen des alten Bundes 
ist ein einziger Leiter der Kirche notwendig; das wird zuge- 
geben und erläutert, wie diese Leitung beschaffen sein muß. 
Man hält es für recht, daß der Papst der Reichste sei, während 
er zur äußersten Armut verpflichtet ist* Jetzt ist die Armut in 
Herrschaft, die heil. Predigt in die Verteidigung irdischer Strei- 
tigkeiten verkehrt. Ein solches Oberhaupt — das ist der Greuel 
der Verwüstung an heiliger Stätte. Ein solches Oberhaupt, 
sagt Wiclif, nenne ich einen kaiserlichen Papst, jener, 
der die entgegengesetzten Eigenschaften hat, ist der 
wahre Papst* DeutHcher kann wohl die Scheidung nicht aus- 
gesprochen werden. Der heil. Bernhard zählt 34 Eigenschaften 
auf, die der wahre Papst haben soll: hat er sie nicht, zieht er 
den Wolfspelz an, dann ist er der Kirche das schrecklichste 
Ungeheuer.* Man muß also den kaiserlichen Priester vom Jünger 



^ Pretenditur autem esse ordo, quod papa sit mundo ditissimus, et tarnen 
est abusus ordinis abicctissimus, cum Christus, cuius ordini strictissime 
obligatur, fuit mundo paupcrrimus . . ., p. 26G. 

' Et talem vocant quidam (wiederum WicliQ papam cesareum et alium 
condicionis opposite papam Christi . . ., p. 266. 

• p. 267. 

7* 



100 VI. Abhandlnog: Loserth. 

Christi scheiden:* jener strebt nach Herrschaft und ist in seiner 
Verrichtung lässig, dieser betrachtet die Herrschaft als Last 
und lebt seinem Dienste. Will jemand der Papst Christi sein, 
dann muß er den kaiserlichen Besitztitel verlassen und den 
göttlichen suchen. Da es auch im neuen Bunde ein Haupt aller 
Priester geben muß, kann dies kein anderes sein als Jesus 
Christus. Zwingt irgendjemand auf Erden uns zu dem Glauben, 
daß er selbst Haupt der heil. Mutter Kirche sei, so überhebt er 
sich über Gott. Was Christus von sich gelehrt hat, der Anti- 
christ führt es ftir sich an. Die Apostel haben sich weder die 
Heiligsten noch auch Häupter der Kirche, sondern Diener des 
Herrn und der Kirche genannt.* 

Wiclif beantwortet zunächst die Einwände, die man gegen 
seine Lehre machen könne. Gewiß, sagt er, es ist nützlich, daß 
ein Papst ist. Um aber die Schwierigkeiten nicht größer zu 
machen, wollen wir uns darauf beschränken, von dem kaiser- 
lichenPapst zu sprechen, und da scheint es schädlich zu sein, 
daß ein solcher vorhanden ist.^ Petrus hatte keine seine Ge- 
nossen überragende Stellung, der Kaiser aber kein Recht, eine 
solche zu verleihen. Würde es keinen solchen Papst geben, so 
würde sich die Kirche wie in ihrer ersten Zeit behelfen. Auch 
wenn es keinen Papst gibt und keine Prälaten, werden die 
priesterlichen Funktionen geübt werden: denn der geringste 
Priester genügt, um die in der Bibel begründeten Sakramente 
zu spenden, und schließlich: kein Sünder, und wäre er es noch 
so sehr, ist, der nicht Gnade finden könnte, auch wenn er dem 
Priester nicht beichtet. Das Beichten mag ja verdienstlich sein: 
zum Seelenheil ist es nicht notwendig. Ist dann nicht der Priester 
ül)ei41üssig? Alle frommen Christen sind Priester, und so kann 
auch eine Frau Priesterin sein, ja selbst Päpstin. Man versteht 
OS, wohin Wiclif zielt: Wie es in der alten Kirche nur Priester 
und Diakonen gab, so soll es auch jetzt sein. Damals waren 
Bischof und Priester identisch, heute gibt es, sagt Wiclif ironisch, 

* p. 268/9: Ex istis piano colligitur seosns discfimendi fiacerdoiem cesa- 

reum a Christi discipulo . . . 
' sed habende secum sammnm ponti6cem usqne ad consummacionem se- 

call vocanint se aerros Christi in tribnlacione, socio« et ministros ec* 

clesie . . . 
^ Et tunc Tidetnr mihi quod multnm officit esse talem, p. 293. 



Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahrhundert. 101 

wohl einen Gegensatz: heute fiihrt ein Priester, der in Gottes 
Gesetz bewandert ist, ein heiliges Leben, während das des Bi- 
schofs das vollständige Gegenteil ist. 

Wie kann aber der Papst überflüssig sein, wenn es eines 
Hauptes bedarf, um kirchliche Streitigkeiten zu schlichten, 
Pfründen auszuteilen, Privilegien zu verleihen. Wie stand es denn 
damals, als es noch keine Dotation gab?^ Wie ehrerbietig würde 
alles Volk einen Papst begrüßen, der es gemäß der Ordination 
Christi ist. Im heiligen Wandel wird er als solcher sich zeigen, 
nicht in seinen Bannstrahlen, auch nicht im Scheren seiner 
Schafe. Man berühmt sich heute dieses kaiserlichen Sakramentes 
so hoch. Warum erweist man seine Berechtigung nicht aus der 
Bibel? 

Auch für die Verteilung der Benefizien wird Christi Gesetz 
genügen. Sein Wille und sein Zeichen wird den benennen, der 
ihm genehm ist. Das Volk wird der beste Richter sein und dem 
Bischof den Würdigsten benennen. Die jetzige Art, Stellen zu 
besetzen, haben die wahren Päpste nicht gekannt. Jetzt kommen 
sie meist auf Empfehlungen zur Besetzung.* Die Examinatoren 
kennen nicht einmal den Lebenswandel dos von ihnen Erwähl- 
ten. In der Lehre vom guten Hirten liegt das Vorbild für die 
Wahl des Prälaten. Heute ist es der Reichtum der Kirche, an 
dem der Glaube zerschellt. 

Es kann in einer Schrift, die von der Gewalt des Papstes 
handelt und im Jahre 1379 geschrieben ist, nicht an Streif- 
lichtem fehlen, die das Schisma beleuchten. Schlecht kommt der 
Gegenpapst weg: ein Mann zügelloser Art, hochmütig, kriege- 
risch, des göttlichen Gesetzes unkundig. Verschiedene Stellen 
preisen das Schisma: weil es die Wahrheit, wie es um das 
Papsttum bestellt ist, an den Tag bringt.' Und so ruft er noch 
später aus: Glückbringendes Schisma: es lehrt uns viele katho- 
lische Wahrheiten. So sehr er anfänglich Urban VI. zuneigt: 



Auch in diesem Kapitel liest man: Necesse est dtstingnero inter papam 
vel episcopnm cesareuro et roinistrum simplicem christiannm . . ., p. 318. 
Papa non dobet propter peticionem aut instanciam secalarinm domino- 
rum pre6cere clericnm vel carnm regia in episco]»um vel prelatura ec- 
cleaie, dum repntat vel reputare debeat alium magis aptum. 
Benedictns Dens veritatis, qui ordinavit istam dtMensionem, ut veritas 
huius fidei elucescat. 



102 VI. Abhandlung: Loserth. 

er ötellt sich doch auf eine höhere Warte.* Ehe noch die konziliaren 
Ideen in Paris an die Öffentlichkeit kommen, bricht hier schon 
der Gedanke an ein Konzil hervor, wird aber auch schon in 
Erwäg^ung gezogen, wie schwer es sein werde, es zustande zu 
bringen, denn gesetzt, daß der eine Papst es verlangt, wird der 
andere es hindern.* Was könnte freilich ein Konzil fllr einen 
Wandel schaflfcn, auf dem nicht Priester des Herrn, sondern 
,verkaiserte^ Prälaten das große Wort filhrten. Das wird wohl 
auch der Grund gewesen sein, weshalb er in seinen späteren 
Werken auf die konziliaren Ideen nicht mehr zurückge- 
kommen ist. 

Wir haben oben eine Stelle vermerkt, die auf den Kampf 
um die Thesen zurückweist. Auch sonst erinnert er mehrfach 
daran, daß und warum ihn die Verurteilung des Papstes ge- 
troffen. Mögen, sagt er im Hinblick auf das Schisma, die Kle- 
riker, die jene verketzern, welche die wahren Kirchengesetze 
aufdecken, zusehen, ob sie nicht selbst infolge des Ärgernisses, 
das sie gegeben, Ketzer sind. Jetzt werden in der Tat die als 
Feinde Gottes behandelt, die für die wahren Privilegien der 
Kirche kämpfen. Das gehe so weit, daß jetzt ein unwissender 
Doktor deswegen, weil er vom Papste eine Pfründe erlangt hat, 
Wiclif an öffentlichen Orten als Ketzer ausschreien darf.' 

Es gereicht Wiclif zweifellos zu großem Vergnügen, die 
alten Kardinäle Gregors XI., die nun von Urban abgefallen, 
anzugreifen: Jetzt (1378 Herbst) tiberschütten sie uns mit Briefen 
und senden uns Botschaften, in denen sie ihre Wahl als eine 
unrechtmäßige hinstellen: und doch sagen unsere Theologen 
— Wiclif meint sich selbst — daß Urban, mag der Wahlakt 
selbst ein verruchter gewesen sein, auf göttliche Eingebung 
hin gewählt wurde und so seine Wahl eine gesetzmäßige sei."* 

* Nam ego — fidelis philosophtts extra utramque istarum parciam sie 
opinancinm . . . 

* Et sie uno precipiente suis quod veniaot, diu foret, anteqaam esset 
utramque concilium con^regatum. 

* Quod quidam doctor ig^arus, quia adeptuB est dotacionem pontificis, de- 
clamat acucius in locis plus publicis, quod talis est hereticns et hostis 
ccclesie . . . 

* Quod licet eleccio eorum ut vere creditur fuerit maledicta, eleccio tarnen 
passiTa Urbani nostri ex olectione acttva Dei e(»t valida . . . dum tarnen 
tiat ab ipso electo in veris factis papalibus recompeusa . . . 



Stadien zur Kircheupolitik Englands im 14. Jahrhundert. 103 

Wiclif spricht noch die Erwartung aus, daß dieser Papst jene 
Eigenschaften haben werde, die von einem rechtmäßigen Papst 
verlangt werden. Diese Theologen, setzt er weiter hinzu, be- 
haupten aber zweitens, daß es fiir die Kirche am besten wäre, 
wenn es keinen verkaiserten Papst gäbe,^ und sagen fürs 
dritte, nach den Anzeichen der Tugend, die man an Urban VI. 
merke, dürfe man ihn als einen wahren Papst bezeiclmen. Da 
man an Klemens VII. einen Hochmut gewahre, der schlecht zu 
der Würde passe, die er sich anmaßt, dürfe man ihn gar nicht 
einmal für ein MitgUed der Kirche halten.' Andere Parteien, 
sagt Wiclif, werden vielleicht so von unserem Urban sprechen: 
in jedem Fall muß man ihre Taten abwarten, denn nichts ist 
so trügerisch als menschliche Wahl. Beide Parteien — Urban 
wie Robert — haben die gleichen Traditionen für sich. Zweifel- 
los weiß keine, ob ihr Weg der rechte ist.^ Der Theologe ver- 
urteilt keine, sondern sagt, kraft der Freiheit, die es im apo- 
stolischen Zeitalter gab, daß beide Teile gleich katholisch wandeln 
können. Mit anderen Worten: Auf den Papst komme es nicht an. 

Geht Wiclif im Verlaufe seiner Darlegungen auf die Obö- 
dienzfrage ein, so geschieht es nicht in dem Sinne, den man in 
den Tagen des Schismas erwarten sollte, sondern ganz im 
Geiste seines Buches: dem Papst ist der Gehorsam zu versagen, 
wenn er Anordnungen trifft, die wider Gottes Gesetz sind. 

Zum Schluß stellt er die Mißbräuche der Päpste zusam- 
men; es sind ihrer zwölf: sie alle haben nochmals als Beweis 
zu dienen, daß diese Päpste von heute nicht die wahren sind. 
Man muß sich, sagt Wiclif, wundem, daß die römische Kirche 
den Kaiser Konstantin nicht unter die HeiHgen versetzt hat. 
Es sei das, fügt er ironisch hinzu, deswegen nicht geschehen, 
weil er nicht sein ganzes Reich hergeschenkt hat. Latrinen zu 
reinigen, wäre dem Klerus eine ebenso passende Aufgabe, als 
über diese weltlichen Dinge zu herrschen, die der Apostel Un- 
rat (stercora) nenne. Und so kommt noch einmal am Schlüsse 
das Armutsideal der Kirche zu Wort. 



> Nedom cathoHce sed melius quam modo conversaretur fideiis ecclesia 

qnocunquc papa cesareo subducto . . . 
* Robertum non repatant explicite papam yel membrum sancte ecciesie 

. . . quia amat snperbiam. 
' Neutra pars noscit evidencium vie sue. 



104 VI. Abhandlung: Loserth. 



7. Die letzten Bfieher der Snmma Theologie. 

Es wurde schon oben bemerkt,^ daß es Wiclifs ursprüng- 
licher Plan war, an das Buch De Veritate Sacre Scripture un- 
mittelbar das Buch De Simania anzufügen. Wir kennen auch 
die Gründe, die ihn veranlaßt haben, seine ursprüngliche Ab- 
sicht aufzugeben und zwischen diese beiden Werke noch drei 
andere einzuschieben. Daß er aber bereits begonnen hatte, an 
De Simofiia zu arbeiten, entnimmt man gleich der ersten Zeile, 
die unvermittelt an die letzte von De Veritate Sacre Scriphire 
anknüpft. Ein Simonist ist der, der die von öott gegebene Ord- 
nung zertrümmert. Die Simonie ist ein Laster, das wie der 
Aussatz unheilbar ist. Schon hat sie den größten Teil der Hier- 
archie ergriffen: den Papst, die Bischöfe, die besitzenden Orden. 
Die weltlichen Herren mögen aufschauen und ihre Pflicht tun. 
Das ist in größter Kürze ihr Inhalt. Hat Wiclif die ersten drei 
Kapitel von De Simofiia, wie man annehmen darf, schon im 
Jahre 1378 niedergeschrieben,* so ist dies ein Beweis daAlr, 
daß er schon früher, als man gemeiniglich anzunehmen pflegt, 
sich mit der Lehre von der Transsubstantiation beschäftigt und 
sich dabei in einen vollen Gegensatz zu der herrschenden Kir- 
chenlehrc gesetzt hat: denn hier spricht er schon im dritten 
Kapitel von den Ketzereien, die es heute in Hinsicht auf das 
Altarssakrament gebe; er trilgt schon hier jene Lehre vor, die 
kaum in einem seiner späteren Werke übersehen wird.* Daß 
er diese Lehre etwa in einem der späteren Kapitel vorträgt,* 



» p. 47—48. 

* Ich bemerke, daß die Schlußfolgerung allerdings keine zwingende ist: 
der Beginn tuu De Simouia ist nnmittelbar nach De Veritate Sacre 
Scripture geschrieben, — Cap. IV erwKhnt schon den Traktat De Pote- 
state Pape: ergo ist cap. IV nach diesem, cap. I— III nach De Veritate 
Sacre Scripture geschrieben. Der ganzen Sachlage nach wird es sich aber 
wohl dergestalt verhalten. 

' p. 39: Dogmatisatur per cultores signorum, quod quicunque negavcrit sa- 
eramentum altarif esse accidens sine subiecto, sit tanquam hereticns 
iudicandus . . . 

* p. G9: Magna cecitas inducta est in ecclesiam per Antichristum et suo« 
complices de sacramento altaris, quod mnlti credunt nedum illud sacra- 
mentum esse accidens sine subiecto, sed ydemptice Deum sunm . . . 



Studien zur Kirchen pol itik Englands im 14. Jahrhundert. lOo 

würde begreiflicher erscheinen, denn diese sind bereits nach 
Abfassung des Buches von der Gewalt des Papstes geschrieben. 
Man wird darnach sagen dUrfen, daß das Buch De Simania 
schon jener großen Reihe von Büchern angehört, die sich ent- 
weder ganz oder vorwiegend mit seiner Lehre vom Abendmahle 
beschäftigen, wie De Eucharistia, der Trialogus usw. Wer den 
knappen Satz, den er im 5. Kapitel über diesen Gegenstand 
anführt, genau betrachtet, wird sagen, daß in dem Momente, 
da er ihn niederschrieb, seine Überzeugungen über seine Abend- 
mahlslehre schon allseitig gefestigt waren. 

Und doch hängt auch das Buch von der Simonie noch 
mit dem Thesenstreit zusammen. Im 5. Kapitel zählt er unter 
den Ketzereien, die in den Köpfen der Schüler des Antichrists 
spuken, auch die auf, daß der Papst ein unbedingtes Recht 
habe, zu binden und zu lösen, und daß die Bischöfe, die die 
Verurteilung des betreffenden Satzes Wiclifs herbeigeführt haben, 
sich der Ketzerei mitschuldig gemacht haben.* Auch hier spielt 
noch die Frage der Einziehung des Kirchengutes mit.* Darf 
der Papst, heißt es hier, über alles der toten Hand gehörige 
Gut verfügen? Nein, denn er würde sich das Recht der Könige 
anmaßen. Der König habe die Verpflichtung, darauf zu sehen, 
daß das Land mit solchen Kuraten versehen werde, die das 
Volk auf Gottes Wege leiten. Wenn dem entgegen der Papst 
in einzelnen Königreichen Kardinäle und andere untaugliche 
Prälaten einsetzt, dann hat der König die Pflicht, solche Simonie 
auszureuten. Aber wehe! Wenn auch unser Königreich für 
einen Augenblick für diesen Zweck eine gute Erleuchtung durch 
die Eingebung des heil. Geistes erhält (eine ganz zweifellose 



' De Simonia, p. G8: Ulterius omnis fidelis horreret hereses, que sunt hodie 
per Antichriflti discipulos publice defenaate, nt publice dicitnr dampna- 
tum a Qregorio XI. tamquam heroticum, quod non eo ipso, qnod papa 
pretenderit se quoTismodo solvere vcl ligare, eo ipso sie solvit vel 
ligat . . . 

* p. 31 : Et patet, qnod papa contendendo contra collacionem vel domina- 
cionem bonorum fortune degenerat et per consequens est argumentum 
topicum, quod si papa vendicat de bonis ecciesie tale dominium, tuuc 
partitnr iniuste et illicite tanquam eorum improvidus dispensator. Et si 
sine revelacione vendicat habere dominium omnium bonorum ecciesie 
sponse sue, tunc est meridianum demonium et capitalis discipulus Anti- 
christi. 



106 VI. AbhandluDg: Loserth. 

Anspielung auf das gute Parlament), gleich drängt dieser Anti- 
christ mit seinem Klerus herzu und tilgt die besten Vorsätze 
aus.^ Eine Bemerkung aus dem Buche De Simonia verdient 
noch besonders herausgehoben zu werden, da sie ein Streiflicht 
auf die Kirchenpolitik Schottlands wirft: da diese päpstlichen 
Provisionen hierzulande nur infolge unserer blinden und unzu* 
lässigen Willfahrigkeit Geltung erlangen, so sollten wir es zum 
mindesten den Schotten gleichtun, die den Kardinälen nur dann 
den Nutzgenuß von ihren reichen Pfründen geben, wenn sie 
ihn im Lande selbst zu dessen Nutzen verbrauchen. Sonst mag 
sie der König, wozu er nach evangelischem Gesetz und könig- 
lichem Recht verpflichtet ist, ihnen wegnehmen.' Mit Schärfe 
wird betont, daß der Papst kein Recht auf die Kirchenpatronate 
habe und auf die Einkünfte geistlicher Güter im ersten Jahre; 
zieht er sie dennoch ein, so hat der Laie die Pflicht, sie ihm 
wegzunehmen. Die Annahme der Annaten ist offenkundige Si- 
monie. Und diese wird allgemein betrieben. Weigert sich ein 
Kleriker zu zahlen, so wird er, und sei er zu seinem Amte noch 
so tauglich, ausgetrieben und ein Untauglicher an seine Stelle 
gesetzt. Vielleicht sind die Wünsche und Hoffnungen, die Wiclif 
noch auf Urban VI. setzt, ein Beweis dafür, daß man die Ab- 
fassung des Buches nicht zu spät ansetzen darf.' 

^ Sed heu, li regnum nostrom instiDctum bonnin ad horam ex Spiritn 
Sancto qaoad iUud habuerit et ordinacionem cvangelicam ad cassandam 
haue hercsim discrete Btataerit, statim inpellit AntichrLStus per pscndo- 
clericos nostros, ut dicitur, et tarn sanctum prupositum dissipat et disflol- 
Vit. Ibid., p. 32. 

' p. 32 : Cum ergo provisio ista papalis de beneficiis regni nostri non habet 
robur nisi ex accepciono nostra ceca atque illicita, utamar qaoad roint- 
mum cantela regni Scotorum Bubridendo dicencium, nos andisse, qnod 
papa contolit suU cardinalibus pinguiora beneficia regni nostri: sed 
fruetufl beneficiorum, nisi voloerint infra regnum ad eins ntilitatem ex- 
pendere, non habebunt . . . 

' p. G7 : O quam gloriosum foret exemplar eccleiie, st Urbanns noster VI. 
renunciaret omnibus mundi diviciis sicut Petms, ita quod in Urbano I. 
et VI. compleatar circulns, quo clerns religione Christi relicta in seca- 
laribus evagatar ... Ich übersehe nicht, daß S. 1 10 De Eucharistia zi- 
tiert wird nud dies Werk erst 13H2/3 geschrieben wurde. Ich habe aber 
schon wiederholt bemerkt, daß solche Zitate auch später eingefügt wor- 
den sind. Da muß in jedem Einseifalle erst eine Untersuchung yorge> 
nommen werden. 



Studien zur Kirchenpolitik Eng^lands im 14. Jahrhundert. 107 

Anders steht es mit den beiden letzten Büchern der Summa: 
De Apostasia und De Blasjyliemia, Haben auch sie ihren Ur- 
sprung in den Studien Wiclifs über die Wahrheit der Heil. 
Schrift, 80 wurde ihre Bearbeitung doch erst in einer Zeit in 
Angriff genommen, als der Kampf, der sich um die Thesen 
entsponnen hatte, durch den viel heftigeren abgelöst war, den 
er gegen die Orden führte, als er sich in den Hoffnungen, die 
er auf Urban VI., den ,wahren' Papst gesetzt hatte, getäuscht 
sah, er selbst als Kirchenpolitiker von der Schaubühne abge- 
treten war und sich ganz und ausschließlich den Fragen der 
kirchlichen Reform zugewandt hatte. Wie sehr es ihm vor allem 
um seine Lehre vom Abendmahl zu tun war, entnimmt man 
seiner Klage, daß zur Strafe für unsere Sünden die Kirche so 
verblendet ist, daß man in ganz England nicht zwei Kapitel 
oder Prälaten finde, die es wüßten, was das Altarssakrament 
sei.* Die Lehre vom Abendmahl nimmt denn auch in dem 
Buche De Apostasia das ganze Feld ein, und die Frage der 
Säkularisierung der Güter der toten Hand tritt in den Hinter- 
grund. Es ist geradezu eine Ausnahme, wenn Wiclif etwa wie 
im 7. Kapitel darauf zurückkommt und wenigstens die Ein- 
ziehung der freistehenden Kirchengüter verlangt:* es genüge, 
dem Klerus so viel zu lassen, als er für Zwecke seines Amtes 
braucht, oder wenn er im 15. Kapitel auch auf die Verurteilung 
von zwei seiner Thesen zurückkommt^ Daß er aber jetzt noch, 
ein Jahr vor seinem Tode, seine Lehre ,vom wahren \md fal- 
schen Papsttum' festhält, ist gewiß in hohem Grade bezeich- 
nend. Prinzipiell verwirft er Papst und Papsttum auch jetzt 
nicht: Christus ist das Haupt der Kirche und der Papst, 



' De Apostasia, p. 57: Sic igfitur in penam peccati cccatur ecciesia, qiiod 
vix in tota Anglia invcnies duo capitula vcl prelatos, qui sciant, quid 
Sit sacrameutum altaris. 

' p. 88: Unde, nt alias declaravi, regnum nostrum instaret in par- 
liamentis, quod de bonis temporalibas cleri ina^^is vacantibas rex et 
regnum ad eins subsidium releventur; omnia enim ista sunt bona pan- 
pcrum, de quibns propter superfluitatem et ocium rcgnnm debet pro 
tempore nccesditatis citissime relevari: et potissime, cum istud po&set 
fieri cxoncratis religiosis et episcopis habentibus religiöse tantum de lern- 
poralibus, quantum oportet ad explecionem sui ministerii. 

» p. 201. 



108 VI. Abhandlang: Loserth. 

soweit er lebt wie Christus/ ist dessen Stellvertreter. 
Ja man wird finden, daß er nirgends kürzer und sachgemäßer 
seine Lehre vom Papste und von dessen Ansprüchen vorge- 
tragen hat als hier: ,Aber freilich, festsetzen, daß irgendeiner, 
mag er beschaffen sein wie immer, schon deswegen, weil er 
römischer Bischof ist, auch Haupt der ganzen Kirche sei, das 
ist eine Blasphemie, da es in keines Menschen Macht steht, 
festzusetzen, daß irgendjemand Mitglied der Kirche, viel weniger 
noch deren Haupt sei. Das ist, wie man sieht, schon die Lehre 
Wiclifs in den ersten Büchern der Summa gewesen.* Auch 
hier liest man: Christus selbst ruft zu dem Amt des Spenders 
seines geistlichen Schatzes, wen er will, dazu braucht es 
keiner menschlichen Wahl: die Werke und die Tugen- 
den bringen es an den Tag, wen er dazu beruft: daher 
dürfen wir ,dem Papste' Augustinus mehr Glauben schenken als 
einem der Päpste seit den Tagen des heil. Gregor.' 

Ahnlich wie mit De Apostasia verhält es sich mit dem 
letzten Werke der Summa De Blasphemia, Wer törichterweise 
Gott die ihm gebührende Ehre entzieht, begeht Blasphemie, sei 
es, daß er ihm Eigenschaften zuschreibt, die ihm nicht zukom- 
men, oder jene leugnet, die er besitzt, oder einer irdischen 
Kreatur zuweist, was Gott gebührt. Man begreift, daß er sich 



Ibid.: Oportet C8sc in occlesia unnm capat pro fide et causis eccleaie 
dccidendis; qnem oportet esse Romanum pontificem iDimediatuni Christi 
vicarium . . . Conceditur . . . cum Christas sit eaput milttantis (?) eccle- 
sie; et si contingat Romanum pontificem esse panperrimum et hnmilli- 
mum et proxime seqaentem Christum . . . ipse est immediate Christi vi- 
carins, ut creditnr fuisse de beato Gregorio. 

Und so wie in De Ecclesia oder De Potestate Pape heißt es auch hier 
p. 203: Caput igitur ecclesic foret Christus; et lex Doi derelicta in terris 
foret regula sufficiens ad qnascunqne causas fidei vel sentcncias ecciesie 
decidendas. Sed suspenso ritu gentili prefecctone Romani episcopi foret 
ecclesia per Christum perfeccius capitata. Sic enim fuit a tempore Christi 
iisque ad stultam dotacionero ecclesic Romane. Sic eciam vivunt multi 
fideles in divisione Urbani et Roberti, nee non in aliis contrattis con- 
versis per altos apostolos, qni Ignorant utrnmqne istomm. 
p. 202: Et Yoco hnnc magnnm Augusttnum papam, quia sie vocat eum 
sanctus Prosper . . . Scripta dncent quod b. Augustinus fuit scripture sacre 
interpres prndencior quam omues isti Romani pontifires . . . igitur non 
oportet currere ad Romanum pontificem pro quibuslibet causis ambiguit 
decidendis. 



Stadien sar Eirchenpolitik Englanda im 14. Jahrhundert. 109 

vornehmlich mit dem dritten Punkt fiepen die Kurie wendet. 
So veriockend es wäre, dieses von reformatorischen Tendenzen 
mehr als eines der früheren erfüllte Buch auf seinen vollen In- 
halt hin zu analysieren, so sind hier doch nur jene Punkte 
herauszuheben, in denen es seinen Anschluß an die späteren 
Werke der Summa findet. Die Frage des Schismas wird ge- 
legentlich gestreift: hätte man diese verweltlichte Hierarchie 
nicht, dann gäbe es in der Kirche weder eine Spaltung, noch 
eine Apostasie oder eine Blasphemie. Da diese Hierarchie an 
all dem Elend schuld ist, muß sie beseitigt werden.^ Im 4. Ka- 
pitel gibt er die Merkmale an, wodurch der wahre Papst sich 
vom falschen unterscheidet.* Das bedeutendste ist, daß Silvester 
vom Kaiser Konstantin die verderbenbringende Dotation ent- 
gegennahm. Schreckliche Blasphemien stehen damit in Verbin- 
dung, auf die er weitläufig eingeht. Keine andere Hierarchie 
darf es geben als in der Kirche der ersten Zeit. Alle 
Argumente, sagt er, die man zur Begründung des päpstlichen 
Amtes — gemeint ist natürlich stets das falsche Papsttum — 
oder des Kardinalates vorbringen kann, sind nicht des Aufhebens 
wert.^ Es gibt ein dreifaches Reich: des Antichrists, des welt- 
lichen Herrn und das Christi. Das erste ist zu vernichten, das 
zweite zu beraten, das dritte zu erwerben. Das erste besteht 
aus den Pseudopäpsten mit ihren Kardinälen, Bischöfen, Äbten, 
Prälaten und den anderen Untergebenen.* Die Grade dieser 
Hierarchie werden einzeln vorgenommen.* Am schlechtesten 
kommen die Kardinäle weg: schon ihr Name deutet auf ihre 
Verworfenheit hin — ein Gedanke, dem er schon im Buche von 
der weltlichen Gewalt Ausdruck gegeben hat.^ Wie sehr Ur- 



* p. 47/8: Sicut ergo est cxpcdtciua militanti ecclesie, quod Christus ascen- 
derit, ... sie foret expodicias quod tota ecclesia militans aspiraret ad 
cum . . . quam quod constituat super so unum capitaneum secundum le- 
^cm maioritatis ccsarce . . . 

* p. 55: Et patet, quomodo pseudopapa diacernitur a fideli . . . 

' Argumenta, que fiunt ad stabiliendum papatus Tel cardinalatns officium, 
non sunt dtgna memoria . . . 

* p. 68. 

' Kap. IV beschäftigt sich mit dem Papsttum, V mit dem Kardinalat, VI 

mit den Bischöfen usw. 
' Xebmen wir das Wort Cardinalis nach den vier Silben Car, Di, Na, Lis, 

so bedeute es Carior Dlaboli Natus, Ltcium Seminator: Teuerster 



HO VI. Abhandlung: Loserth. 

ban VI. seit der Zeit, da er das erste Mal in einem der Bücher 
der Summa genannt wurde, in der Achtung des Autors ge- 
sunken ist, entnimmt man einer seiner Äußerungen im 7. Ka- 
pitel, womach unter den gegenwärtigen Verhältnissen, in denen 
ein Papst den andern exkommuniziert und nicht ersehen 
werden kann, auf welcher Seite das Recht ist, der 
weltliche Arm keinen von beiden in Schutz nehmen, 
sondern zulassen soll, daß sie beide sich vernichten. 
Weder der Bannstrahl des einen noch der des andern hat eine 
Berechtigung.* Wenn man bedenkt, daß Urban VI. hier auf 
dieselbe Linie gestellt wird wie Klemens VII., so wird man 
gewiß zugeben, daß der Ausdruck ,unser Urban^, den WicHf 
einige Bogen weiter unten gebraucht, keine Anerkennung dieses 
Papstes seitens WicHfs in sich schließt. Die Pflichten eines 
wahren Papstes vergißt er auch später nicht sorgsam hervorzu- 
heben; und wie in den ersten und mittleren Büchern der Summa 
die kirchenpolitischen Theorien, wie sie im guten Parlament zur 
Sprache kamen, in aller Ausftihrlichkeit vorgetragen werden, 
so werden hier in der Form einer Bill, deren Durchsetzung 
von den Vornehmen (proceres) — also wohl im Parlament — 
versucht werden soll, zusammengestellt.* Sie enthält sieben 
Punkte: 

1. König und Reich sollen weder dem apostolischen Stuhl 
noch einem Prälaten gehorchen, es sei denn der Beweis aus 
der Bibel erbracht, daß dies im Sinne des Gehorsams gegen 
den Heiland geschieht. 

2. Weder die römische noch die Kurie von Avignon darf 
aus England Gelder beziehen, es sei denn der Beweis erbracht, 
daß es eine schriftgemäße Schuld sei. 

3. Weder ein Kardinal noch sonst ein anderer darf ein 
Kircheneinkommen aus England besitzen, wenn er nicht seine 
Residenzpflicht ausübt oder mit legitimen Geschäften des Landes 
zu tun hat. 

Sohn des Teufels, Vater des Streites; nehme man es nach den zehn 
Buchstaben, so bedeute es Custos Apostatarum Regni DiaboH, luvans 
Neqnissimum Ad Legem Indicis Sopiendam; darin sei die Summe aller 
Schlechtigkeit eingeschlossen. 

» p. 109. 

' f^optom inprecaciones ad tntelam regni Aoglie per eius procerej exe- 
quende; De Blasphemia, p. 270/1. 



Stadien aar KirchenpoUtik Englands im 14. Jahrhundert. 111 

4. Die Kommunen Englands sollen nicht mit ungebühr- 
lichen Steuern belastet werden, so lange das Kirchengut noch 
nicht erschöpft ist. 

5. Fällt ein Bischof oder ein Kurat in eine TodsUnde, 
dann hat der König die Pflicht, seine Temporalien einzuziehen. 

6. Der König soll keinen Bischof und keinen Kuratcn in 
irgendeinem weltlichen Dienst beschäftigen. 

7. Er soll keinen, der der Exkommunikation verfallen ist, 
einkerkern dürfen. 

Wie man sieht, sind das Forderungen, die zum Teile schon 
fünf Jahre früher gestellt worden sind. 

Außer in den großen Büchern der Summa, deren Genesis 
oben im einzelnen vermerkt wurde, finden sich diese Forde- 
rungen aber auch noch in kleinen Abhandlungen, die Wiclif 
als Flugschriften unter das Volk schickte, und zwar des bes- 
seren Verständnisses wegen auch in englischer Sprache. Diese 
Flugschriften sind zunächst noch in übersichtlicher Weise kri- 
tisch zu behandeln. Wie sehr sie oft mit dem einen und dem 
anderen Kapitel aus einem der großen Bücher der Summa über- 
einstimmen, zeigt nicht bloß die Schrift De capHvo Hispanemiy 
die als 7. Kapitel in De Ecclesia eingeschoben, sondern auch 
die noch ungedruckte Flugschrift De Incarcerandis Fidelibus, 
die fast ganz dem 12. Buch der Summa entnommen ist. 



112 VI. Abhandlung: Loserth. 



Beilagen. 



1. Die 33 Konklusionen Wlclifs. 

(Cod. bibl. univ Prag. 111, G. 11.) 

1. riiristuß, Deus nostcr, caput aniversalis ec<5le8ie fuit 
pro tempore liaius peregrinacionis homo paupcrrimus. 

2. Christus fuit tarn quoad cius divinitatcni quam quoad 
ei US humanitatem abiecto tytulo secularis dominii homo ditissimus. 

3. Omnes sacerdotes christiani: papo; cardinalcs^ episcopi, 
abbatos, priores vel eius subditi tenentur sequi Christum in 
evangelica paupertate. 

4. Non licet alicui pure clerico pro tempore le^is gracie 
quo est huiusmodi civiliter dominari. 

5. Repupiat statu! domini pape (sicut)* cuiuslibet Christi 
pontificis civiliter dominari. 

6. Stiit dominum papam et alios prclatos ecclesie habere 
licite usum quotlibet dominiorura sine dominacione civili ex* 
tytulo meritorie elemosyne secularium dominorum. 

7. Eo ipso, quo sacerdotes Christi, eciam dominus papa, 
abutitur bonis ecclesie, deficit sibi ius ad illa. 

8. Peccatum mortale foret ecclesiam ' Anplicanam vel quam- 
cunque* aliam ministrare domino pape bona ecclesie ad expu^- 
nandum Christicolas, ut super eis vel super bonis coruni civiliter 
dominentur. 



* Fehlt; ergänzt nach dem in der Handschrift befindlichen ToIIen Text. 

* rcctc [wie im vollen Text]: ex mero tytulo meritorie . . . 
■ Cod.: eciam. 

* Cod.: quantumcumqoe. 



Studien zar KirchenpoUtik EngUnds im 14. Jahrhundert. 113 

9. Illicitum est cnicunque sacerdoti Christi, eciam Romano 
pontifici, excommunicare quemquam pure propter pecunias vel 
aliquod temporale. 

10. Non obstante excommunicaeione protensa, interdicto 
vel alia censura ecclesiastica minata^ sive imposita debet chri- 
stianus exequi Christi consilia et mandata. 

11. Licet laicis spiritualiter subiectis suis prepositis de 
eoram operibus iudicare. 

12. Sicut Deus non potest donare creature super quoquam 
dominium nisi exprimendo vel subintelligendo quod donatarius 
serviat sibi in gracia, sie non licet domino temporali donare 
clerico bonum fortune nisi sub condicione quod serviat Deo in 
gracia et prosit ecclesie; nee clerico licet propter donacionem 
huiusmodi evangelicam dimittere paupertatem. 

13. Licet dotacio ecclesie sit meritoria, utrobique tamen 
Status expropriacionis, in quo Christus ipsam instituit, fuit per- 
fectior, meritorior atque securior. 

14. Medium temptandi, utrum clerici sint plus aifecti tem- 
poralibus quam deberent, est videre eorum solicitudinem ipsa 
acquirendi, diligenciam retinendi et tristiciam deperdendi. 

15. Licet mundi principibus tarn subtrahere quam auferre 
temporalia a Romano pontifice, cum quo eis habitualiter abutatur. 

16. Si cardinalis aliquis vel cetus plurium per abusum 
temporalium fuerit ad onus et periculum subversionis ecclesie, 
domini temporales et laici eis subditi tenentur ipsum fraterne 
corripere et post contumacionem oblaciones et elemosinas con- 
stanter subtrahere. 

17. Quocunque episcopo habitualiter et notorie abutente 
bonis ecclesie principes seculi debent in casu ipsa ad sui cor- 
repcionem et bonorum pauperum restitucionem subtrahere. 

18. Quacunque abbacia vel domo religiosorum possessiona- 
torum, regularium vel secularium clericorum, habitualiter abutente 
elemosinis secularium dominorum, ad ipsos vel ad heredes eorum 
seu regem pertinet in prelatorum desidia proporcionalem sub- 
traccionem elemosine collate defectum corrigere. 

19. Quocunque rectore vel curato, capellano vel clerico 
elemosinario notorie et habitualiter abutente bonis ecclesie vel 



' So nach dem ToUen Text. Sonst: inimica. 
Silinngibor d. phil -hist. Kl. 156. B4. 6. Abh. 



114 VI. Abhandlung: Loserth. 

patroni; ad regem vel patronum pertinet in defectu spiritualis 
propositi coUatam elemosinam subtrahere proporcionaliter ad 
delietum. 

20. Fucus, quo fingitur, non licere laicis defectus cleri- 
corum cognoscere vel ipsos corrigere, qnomodocanque peccave- 
riiit, est nimis sopbistice palliatus.^ 

21. Non licet regi vel alicui domino secolari; sacerdotem 
Christi et specialiter religiosam vel curatum suo secolari ser- 
vicio mancipare. 

22. Nedum episcopi procurantes se in talibus negociis im- 
plicari se reddant dampnabiles; sed si omnino tacent dominos se- 
culares in hoc instmere aut coratos sibi snbiectos in isto corripere. 

23. Minns malum esset qaod expropriata ibrent omnia 
temporalia; qnibus ecclesia Anglicana dotatar^ ut eorum proven- 
tibus darentnr stipendia servitoribos regis nostri; quam qaod epi- 
scopi et alii cnrati forent adeo secolaribus regni negociis implicati. 

24. Periculosior irreligiositatis condicio foret clemm nostram 
d prosperitatem mundanam nimis attendere et inter ipsam ac 

veram prosperitatem atque divicias nescire distingnere. 

25. Impossibile est pacem in popnlo stabiliri; nisi primo 
omniom stabilita fuerit pax cum Deo. 

26. Causa precipua defectus vere pacis ecclesic videtur 
esse fastus^ avaricia et lubricitas sacerdotum. 

27. Sicut maior est fomicacio spiritualis quam corporalis^ 
sie gravior est luxuriacio corporalis in clerico^ in sacerdote 
Christi quam in coniuge laicali^ et hinc in eins punicionem leges 
tam graves sunt edite. 

28. Rectificacio sacerdotum per laycos ad pacificandum rem- 
publicam est per scripturam autenticam multiplieiter exemplata. 

29. Rectificacio facillima pertinencior laicis in hac parte 
vidctur esse elemosinarum subtraccio et collatarum ablacio. 

30. Oracio elemosinarii, dum peccat mortaliter, nedum caret 
merito quoad orantem et quemlibet alium, pro quo erat, sed vel 
iniuste dampnificat proxinios vel iniuste detinet spirituale ad- 
iutorium quod ex lege Christi teneretur persolvere. 

31. Sivo progenitorcs defuncti doniinorum superstitum sint 
i celo, purgutorio vel in in emo, expediens foret in casu, quo 

* Cmi : |ialliAttini. 



Stadien zur KirchenpoUiik EngUnds im 14. Jfthrhnndert. 115 

elemosinarii abntantur eonim elcmosinis, ipsarum subtraccio et 
conversio in alios pios usus. 

32. Vcrisimiliter credi potest^ quod bona ecclesie minus 
male consumpta forent per dominos scculares quam in presen- 
ciarum consumuntur in manibus clericorum. 

33. Officium dominorum temporalium et repim preeipue 
est legem evangelicam potestative dcfendere et ipsam in sua 
conversacione diligencius observare. 

2. Zur Entstehung des Werkes De Officio Regis. 

Conoloflio trioesixna teroia. 

(Cod. bibl. univ. Prag. III, G. 11, fol. 48».) 

Officium dofninorum temparalinm et reguni preeipue est le- 
gem evangelicam potestative defendere et ipsam in sua conversa- 
cione diligendus observare. 

Patet ex hoc, quod omnes huiusmodi principes tenentur 
sub pena dampnacionis Domino desorvire iuxta illud Psalmi II: 
Et nunc reges intelligite, erudimini qui iudicatis terram. Servite 
Domino in timore. Totuni vero servicium placens Deo stat in 
observancia legis sue. Non autem observatur, nisi defendatur. 
Ideo sicut^ clericorum est de lege Christi racionem reddere, sie 
militum est usque ad mortem ipsam defendere. Unde Augusti- 
nus Epistola XXXIII ad Bonifacium declarat ex scriptura, quod 
ofücium regis consistit in quatuor: Primo debet subservire Deo 
leges iustas legi Dei consonas sanciendo, seeundo secundum 
dictas leges divino cultui contraria destmendo, tercio ad placan- 
dum Deum populum compellendo, et* quarto ad pacificandum 
populum tam extrinsecus quam intrinsecus seculare brachium 
si oporteat apponendo. Non enim sine ministerio constituit cum 
Dominus in isto officio: unde impossibilc est nisi propter defcc- 
tum in aliquo istorum quatuor regnum temporale deficere, et, 
ut breviter dicatur, nisi propter defcctum observancie legis Christi. 
Probatur: eo ipso quo regnum conscrvat legem illam, diligit 
dominum lesum Christum et per consequens prius diligitur ab 



* Cod.: ȟb. 

* Cod. fehlt. Ergänzt nach X, D. 10, uniy. Prag., fol. 45 *. 

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