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SITZUNGSBERICHTE
DEB KilSEBLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEiN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
SIEBENUNDACHTZIGSTER BAND.
WIEN, 1877.
IN C0MMI8S10N BEI KARL GEROLD'S SOHN
BUCMHlMDLKH DKR KAIB. AKADEMIE DKH WISSBNSCUAFTKM.
CW.iJ-' (= '(ÄS"
SITZUNGSBERICHTE
DES
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DES KAISESLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SIEBENUNDACHTZIGSTER BAND.
JAHRGANG 1877.
MIT DREI KABTEN.
WIEN, 1877.
IN COMMISSION BEI KAKL GEROLD'S SOHN
BUCHUlllDLBB DKB KA18. AKADEMIE DBB WIBBBBSCHArTBII.
LSoc^9t«S-
Druck von Adolt HoUhanaen in Wien
k. k. UniTeraitilto-Bachdruckci-ei.
INIJALT.
Seite
XVII. Sitxiiner vom 4. Juli 1877 3
XVIII. Sitennfr vom 11. Jnli 1877 5
Hartel: Demostheniscbe Btndien 7
TomaRchek: Centralaiiiatifiche Stadien. I. Sogdiana. (Mit 3
Karten) 67
<2> ]^inong: Hnme-Htndien. 1 185
XIX. Sitssnng vom 18. Jnli 1877 261
PfiEmaier: Das Han» einen Statthalters von Fari-ma.
II. Abtheilung 263
^Heinzel: lieber die Endsilben der altnordischen Sprache . 343
Kaltenbrunner: Die Polemik über die Gregorianische
Kalender-Reform 485
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLA8SE.
LXXXVII. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1877. — JULI.
«tenirixr. d. phlL-hUt O. LXXXTIL Bd. I. Hft.
Aufig-eg^hen am 17. Deeember 1877.
XVII. SITZUNG VOM 4. JULI 1877.
Die Direction des k. k. Realgymnasiums zu Freiberg spricht
ihren Dank aus für die Ueberlassung akademischer Publicationen.
Herr Dr. Michael Ring, Professor an der königl.
Akademie zu Fressburg, übersendet eine Abhandlung unter dem
Titel : ^Das Werden'sche Fragment der Historia Apollonii Regis
Tyri', mit dem Ersuchen um ihre Aufnahme in die Sitzungs-
berichte.
Herr Franz Gotthard, Professor am Gymnasium in Neu-
haus, übersendet eine Abhandlung : ,Ueber die possessiven Ad-
jectiva auf av (Hv) ova, ovo und über die Form auf üj, über
die Personennamen auf d, und über die Deutung der possessiven
Pronomina moj, tvoj, svoj (mAj, tvAj, svüj) im Slavischen^ mit
dem Er-suchen um Aufnahme derselben in die Sitzungsberichte.
Verzeichniss der vorgelegten Druekschriften:
Acad^mie royal des Sciences, des Iiettres et des Beaux-Arts de Belgiqae :
Bulletin. 46« Ann^e, 2« S^rie, Tome 43. Kr. 4. Broxelles, 1877; 8^.
Äkftdemijft jagoslavenska znanosti i umjetnosti : Rad. Enjiga XXXIX. U
Zagrebn, 1877; 8«.
Genootschap, Bataafscli der Proefonderyindelljke Wijsbegeerte te Rotterdam :
Nienve VerhandeUngen« Tweede Reeks: Tweede Deel, Tweede Stnk.
Rotterdam, 1876; 4».
— het Provinciaal Utrechts van Künsten en Wetenschappen : La Constmc-
tion de TEglise paroissiale de St. Jaques k Utrecht par W. Pleyte.
Iieide, 1876; folio.
Gesellschaft, k. k. geographische, in Wien: Mittheilnngen. Band XX.
(nener Folge X.) Nr. 6, 6 und 7. Wien, 1877; 4».
— Oberlausitzische der Wissenschaften : Neues Lausitzisches Magazin. 53. Band.
1. Heft. Görlitz, 1877; 8°.
1*
Harx-Yerein for Geschichte und Alterthimiakiuide : Zeitschrift. ErginzoogB-
heft zum 9. Jahrgänge. Wernigerode, 1877; 4«.
Institnut koninklijk voor de Taal-, Lind- en Yolkenknnde tui KederUndsch-
Indie. Bijdragen. Derde Volgreeks. Elfde Deel. 2« Stok. — Vierde
Volgreeks. Erste Deel. 1* Stak. — Verslag der feestriering van het Tijf-
en twintig-jarig bestaan tu het InsÜtirat (1851 — 1876). *8 GniTenhage,
1876; 8«.
Littre, Emil: Supplement au DicÜonnaire de la langne finufaise. 1'* liTiaiaon.
Paris, 1877; 4«
JKeTne politique et litteraire' et ^Reme scientifiqne de la France et de
l'Etranger*. VI« Annec, 2« Serie. Nr. 52—53. Paris, 1877; 4«.
Societj, the rojal Asiatic: The Journal of the Bomhaj brauch. Vol. XIL
Nr. XXXIV. 1876. Bombay, London, 1877; 8«.
Verein, für Geschichte und Alterthnm Schlesiens: Zeitschrift XIIL Band.
2. Heft. Breslau, 1877; 8®. — Scriptores remm Silesiaearum. X. Band.
Annales Glogovienses bis z. J. 1493. Breslau, 1877; 4*.
— für Kunst und Alterthnm in Ulm und Oberschwaben : Korrespondensblatt
II. Jahrgang. Nr. 2—5. Clm, 1877; 8».
— militar-wissenschaft lieber, in Wien: Organ. XFV. Band. 4 und 5. Heft
Wien, 1877; 8«.
XVIII. SITZUNG VOM 11. JULI 1877.
Dankschreiben sind eingelaufen für Subventionen behufs
der Drucklegung und zwar des dritten Bandes der , Geschichte
des Benedictinerstiftes Admont' von Herrn P. Wichner, des
ersten Bandes des ^Aruchlexikons von R. Nathan ben Jechiel'
von Herrn Dr. Kohut, und der ^Reise in den egyptischen
Aequatorialprovinzen und in Kordofan' von Herrn Marno.
Das w. M. Herr Professor Dr. Hartel legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung unter dem Titel:
jDemosthenische Studien' vor.
Verzeiohniss der vorgelegten Druokschriften :
AcadÄmie Imperiale des Sciences de St.-P^tersbonrg: Memoires. Tome XXII.
Nr. 11, 12etdernier. St-P^tersbourg, Riga, Leipzig, 1876; 40. — Tome XXIII.
Nr. 2—8 et dernier. St.-P6tersbourg, Biga, Leipzig. 1876; 4<'. — Tome
XXIV. Nr. 1—3. St.-Peter«bourg, Riga, Leipzig, 1876; 4«. — Tome XXVIII.
Nr. 2. 8t.-P^tersbourg, 1876; 8«. — Berichterstattung über die 18. Zu-
erkennung der Uvarov^schen Preise. St Petersburg, 1876; 8^.
Gesellschaft, anthropologische, in Wien: Mittheilungen. VII. Band. Nr. 6.
Wien, 1877; 12^
Halevy, J.: Priores des Falaschas ou Juifs d*Abyssinie. Paris, 1877; 12^.
,ReTue politique et litt^raire* et ,Revue seentifique de la France et de
r^tranger*. VII« Ann^e, 2« S^rie, Nr. 1. Paris, 1877; 40.
6
Societe des Antiqnaires dn Nord: M^moires. NoiiTelle S^e. 1875/76.
Copenhagae; 8^ — Tillaeg til AaibSger for nordisk Oldkyndighed og
Historie, Aargiang 1875. KjöbenhaTii, 1876; 8®. ~ Aarbo^r for nordisk
Oldkyndighed og Historie. 1876. Tredie og Qerde Heefte. Kjöbenhayn; 8<>.
UniTersitit, kaiserlich Kasan^scke: Sitaniigsbericbte nnd I>enkschrifien.
Band XL.ni. 1876. Nr. 1—6. Kasan, 1876; gr. 8».
Verein, f&r Siebenbfirgische Landeskande: Archiv. Nene Folge. XHI. Band.
I-ni. Heft Hermannstadt, 1876/77; 8« » Jahresbericht fnr dasVereins-
jahr 1875/76. Hermannstadt; 12®. — Programm des Oymnasinms A. B. sn
HermannsUdt für 187.5/76. Hermannstadt, 1876; 12.
Hartel. DemoftheDisehe Stadien.
Demosthenische Studien.
Von
Prof. Dr. Wilhelm Hartel,
wirU. Mitglied« der k. Akademie der Wiitenschafteii.
rür Zeit und Verlauf des olynthischen Krieges^ niclit
minder^ um Veranlassung und Erfolg der demosthenisclien
Reden zu erkennen, ist eine Stelle des Philochoros von Be-
deutung, die uns Dionysius in dem Briefe an Ammaeos 1, 9
S. 734, 10 erhalten: (6 'OXuvOiaxb? xöXe[jLO<;) ext KaXXc[i.axou Y^yovev
ip/^ovTO?, üx; 873X0T 0'.X6xopo<; sv •;' ß(ßX(i) vqq 'At6(8o;, xata Xd$iv o&rw
Ypif wv. *Koik'kl\kT/oq Uep^asf^ösv • exi to6tou 'OXuvöioi^ xoXcfAOüfJLevot? uxb
4>'.X{x7:ou xal xp^aßst^ 'AOi^vocI^e x6[JL^a9iv oc "AOYjvaioc au(jL(jioc)^iav xe exoii{-
ffx/To . . . . xal ßsi^Osiav IxcfJL'I^av, xeXTaora«; [x^v SioxtXiouq ipti^pei^ 8^
Tpiixo*/Ta TO^ [xera XapirjTo? xal 5^ QjvexXi^pwaav ixtdi). * 'Exsixa 5i-
£$sX6ü)v bXv^a Ta [xsta^b Yevofjieva TiOtjat TauTt* jUepl 8e xbv aufov xp6vov
XaXxiS^cov Tb)v ext BpoxT]^ OXißopL^viov t(J) xoXqjLco xai xpecßeu^aiiievcov
!\d;^va^£, Xapßr^ii.ov auroT? Ixeji.^'av ol AOYjvatoi tov iv *EXXy)(7xövt(i)
crparcYjYOV Iq S^wv 5xT(i>xa{3exa xpii^pei? xal xeXTacra^ Texpoxi^ x^^'^'^^^j
wxeT? Be xevn^xo^/ra xal Ixativ, ^iXOev et; xs UaXXi^vriV xal xf^v Bsxxiafav
[JL6X* 'OXüv6to)v xal xt)v x<»>pÄV ^xöpOtjaev.' "Exetö* Oxsp xrj; xp{xY;(; (ju|jLjji.a-
Xioq Xr^et xxjxi" jOaXiv 5^ xwv 'OXuvötwv xp&aßeic axoaxsiXavxwv et^
xo^ A^va^ xal dec(Asyu)v (xi} xepttBeTv auxob^ xoxoxoXeixrjOevxa^, aXXa
^ Van Herwerden (Dionyni HaliearTUuteMia epUtolae tre», Gronin^e 1864,
p. 10) hat zuerst statt der Vulgata S( xat a. (ohne oxxto) ans dem besten
Codex (Ambrosianas D. 119) xsi Sc ouvETcXiipcovav oxtco hergestellt und
constatirt nach aTj(i{i.a)f{av xs iiroiiJaavTo eine Lücke von 18 Buchstaben.
Ich verdanke eine sehr genaue Collation des Ämbrosianns Herrn Professor
F. Knoell, nach welcher die Lücke 0*056", also fast genan eine halbe
Zeile betrXgt. Sie beginnt mit dem Anfang der Zeile, ohne dass die Be-
schaffenheit des Papiers dazn Veranlassung gab.
8 Hartel.
Tzfo^ Tai; uTcapxcOaai; 3uvd[jLeai iziitj^on ßo/jOeiov, (jlv) ^ev(XT;v^ aXX' avriov
8e > ::oXtTwv iicXCta? Btc/iXCoü^ xal t-Kset; Tptaxoafou; sv voüaiv tzicYjYO^? *
crpamriYOV Je XipTjTa toO otoXou Tcavtoi;.'
Darauf gestützt bestimmte Dionysins als das Jahr^ in
welchem die drei olynthischen Reden gehalten wurden, Kalli-
machos' Archontat (Ol. 107, 4 = 149/8), a. a. O. 4, S. 726, 4:
e^l 3s KoLXki\kdc/p\) .... tpsX; SidOsTO StjtAYpfopta; icapaxaXb)v "A^vaiou;
ßoi^Ostav 'OXuvOtot; airoorsiXai TOt; ncX6(ii.oupL£vo(; incb <l>iX('incou, xp<i)TT;v
jASv, ^; eoTiv apxT^ ,'Ezi xoXXwv jxsv tSeiv dfv xt;, &vSpe; *A., SoxeT
jjLOt', SsuTSpav 8^, ,0'jxl fauia zapiffratai jjLOt YtYvwoxstv, jltvSpe; A.',
tpiTTjv Be, /Avil xoXXwv äv, jav^pei; A., xP^^F^'^wv', violleicht auch
die von unserer handschriftlichen Ueberiieferung abweichende
Aufeinanderfolge derselben, jedenfalls aber die specielle Ver-
anlassung und den Erfolg jeder einzelnen, indem er sie mit
den drei von Philochoros bezeugten Hilfssendungen in Beziehung
brachte, deren jede durch je eine Rede des Demosthenes ver-
anlasst worden. ^ Das geht hervor aus 10, S. 736, 11 : (Jisra y^
öEpxovTa KaXX{jjLaxov, e^* ou xa? et? "OXuvOsv ßoTiOeia? onrdTcetXav AOtj-
vaToi ^etaOevTe; Ottd AtiiAocOevoui;, Oei^tXd? imv 5p)fwv, xa6' 3v expa-
TTjcre Tf|? 'OXuvOiwv ^oXecoq «I>{/a7nco;, welche Worte die Scholien
S. 74, 10 Dind. verdeutlichen: torsov Be cv, fr^civ 5 <tiX6xopo; oti
ipet? ßdi^Os'.ai ez^fA^ÖYjffav, xaO' gxaorov Xcvcv [xia; x£;jLTOii.r/r,(;5 w; rij;
7:pu)TY;; (At} cuoti? IxxnJ;. Davon sagt Philochoros nichts und
konnte kaum etwas sagen; denn Demosthenes polemisirt in
seinen Reden lebhaft gegen derartige Söldner-Expeditionen und
hat, wie ich in meiner Abhandlung ,Demosthenische Anträge'
nachzuweisen versuchte, keinen selbständigen Antrag gestellt.'
1 Der Codex hat nach Kaoell tiuv noXiTtuv o};X(tsc h\ xtX.
3 Vgl. Schaefer II 149, Weil, 2et harangues de Dhnosihhie p. 168 f.,
Fr. Blass, die alt ßeredaamkeit (Demosthenes) III 1, S. 278. Dagegen
Spengel A7](xy)Y- (Abh. der k. bayr. Akademie d. W. I. GL, IX. B.»
I. Abth. 1860) p. 70|.
3 Ich freue mich in diesem Punkte mit Blass fast völlig übereinzustimmen,
dessen Werk mir erst nach dem Druck jener Abhandlung zukam. Zur
zweiten olynthischen Rede bemerkt derselbe a. a. O. S. 272: ,Weder über
die Hilfssendung noch über die Gesandtschaft lässt sich Demosthenes auf
genauere Entwicklungen ein; einen Antrag wird er also nicht ge-
stellt haben*; und zur dritten 8. 276: , Augenscheinlich war auch diese
Rede Ton einem Antrage nicht begleitet*; zur ersten S. 270: ,Es hat nicht
DenMiheniBch« Btndien. \)
Seinen Namen hat demnach Philochoros in keinem Psephisma
lesen können. Nur aber, wenn Demosthenes als Antragsteller
die einzelnen Hilfssendungen veranlasst und dies Philochoros
urkundlich bezeugt vorlag, konnte er mit einiger Wahrschein-
lichkeit die erhaltenen drei Reden mit den drei Hilfssendungen
in ui*8ächliche Verbindung bringen. Hätte er aber eine derartige
Vermuthung ausgesprochen, so würde Dionysius sie anzuführen
nicht unterlassen haben. Philochoros bezeugte also nur die
di*ei Hilfssendungen, alles andere ist Conjectur des Dionysius,
eine Conjectur, die auf nichts als auf dem rein äusserlichen
und zufälligen Umstand der übereinstimmenden Zahl der Reden
und Expeditionen zu fussen scheint.
Gleichwohl halten vorsichtige Forscher die Meinung des
Dionysius wenigstens theilweise für richtig und lassen, wenn
sie auch einen Causalzusammenhang zwischen den Reden und
den Expeditionen bündig in Abrede stellen, * nach je einer
den Anschein als sei diese Rede von einem förmlichen Antrag begleitet
gewesen: der ertheilte Bsth ist wenig ausgeführt and sehr kurz in seinen
Einzelheiten begründet, und was Demosthenes über die Geldmittel sagt, ist
nichts als Hinweisung auf die Schwierigkeit, die in der Verwendung der
Ueberschüsse zu Schaugeldern lag, während er die Stellung eines Antrages
darüber ausdrücklich ablehnt. Die Absicht der Rede ist also wesentlich,
das Volk im Allgemeinen anzuspornen und zu energischem Handeln, vor
Allem auch zu persönlichem Kriegsdienst willig zu macheu*, während ich,
was diese Bede betrifft, in den § 16 über die Modalität der Rüstung und
Kriegsführung gegebenen Rathschlägen Anträge erkenne, über die freilich
nicht in dieser Versammlung, auf deren Tagesordnung weder die Ausfüh-
mngsfrage noch die Oeldbeschaffung stand, abgestimmt werden sollte.
Auch glaube ich nicht, dass er § 2 es ,v erlauf ig als seine Meinung hin-
stelle, dass man die von den Olynthiern erbetene Hilfe baldigst schicken
und eine Gesandtschaft abordnen solle* (S. 269), sondern dort schUesst er
sich einem von anderer Seite, wie ich vermuthe vom Rath gestellten
Antrag an, worauf schon der Wortlaut führt <{nf]9(aaaOai \i.h ffir^ t^v
ßoiJOfiiav.
' So bemerkt richtig A. Schaefer 11 161: ,Aber selbst wenn bezeugt wäre,
dass die Athener auf die Reden des Demosthenes und gemäss seinen
Anträgen die zur Ausführung gebrachten Beschlüsse fassten, so müssten
wir erklären, dass nicht die erhaltenen Reden, sondern andere, welche
nicht herausgegeben wurden, diese Wirkung gehabt hätten ; denn mit Aus-
nahme der letzten Sendung steht die Art der Rüstung durchaus in Wider-
spruch mit dem Willen des Demosthenes, wie die drei olynthischen Reden
ihn kundgeben*.
10 Hartel.
Rede einen Hilfszug abgehen. So setzt Grote die drei von
Philochoros erwähnten Hilfszüge allerdings nicht ohne einen
Zweifel an der Richtigkeit dieses Zeugnisses zu änssem^ in
das Jahr Ol. 107; 4 = 349/8; ausser diesen nimmt er aber
noch zwei Expeditionen im I^ufe des vorbeigehenden Jahres,
dem er die drei Reden zuweist, an, indem er die eine im
Herbst 3öO einige Zeit nach der zweiten (wie Grote meint
ersten) Rede, die andere aber kurz vor dem Beginn des
Jahres 349, also nach der dritten oljnthischen Rede, aber
nicht in Folge derselben in See stechen lässt (vgl. die Meisner-
Höpfner'sche üebers. VI S. 263iß, 267, 279). A. Schaefer, an
der überlieferten Abfolge der Reden festhaltend, lässt nach der
ersten den Chares mit seinem Corps, nach der zweiten Chari-
demos, längere Zeit nach der dritten das Bürgercorps Olynth
zu Hilfe ziehen. Aber nicht die Autorität des Dionysius ist
fdr solche Anschauungen bestimmend, sondern es liegen un-
verächtliche Indicien dafür in den Reden selbst Sie treten am
unzweideutigsten in der dritten Rede hervor, und um ihre Art
und Tragweite kennen zu lernen, wird es angezeigt sein, von
dieser Rede auszugehen.
Schon Libanius erkannte auf Grund einer aufmerksamen
Leetüre derselben, dass die Athener zuvor ein Hilfscorps gesandt,
von dem günstige, das Volk zu kühnen Hoffnungen erregende
Nachrichten eingelaufen waren, vgl. Einl. S. 27 : £iue(i.6av ßoifOetov
Totq *OXuv6{otq oi 'AOrjvaiot xat v. xoTopOoDv l8o5«v 8 t' auitj^, %a\ Toura
auTöT? ancf^^iXkt'vo. 6 51 S^[i.o; zepi^api^;, ot xe ^i^Tope^ icapotxaXouaiv
exl Ti{jL(i)p(3y ^iXCtc^oü xtX. ^
Die Stellen der Rede, welche dafür in Betracht kommen,
sind folgende. § 35: oux eortv 5xou \Lyfih i^l^ 7:oiou9t ts tc^v icotouvrtov
efcov üq 861 v^fAStv, ou5' oircob^ jjl^v dp^sTv %x\ c^oXal^stv xal ÄicopeTv,
5ti 8^ o\ Tou 8eivo^ vty.h)9i 5ivoi Tauxa wjvOavecBaf Tauia y«P
vüvt ^i^^fiOLi, xal 6i//\ [i.i|x^O|JLai wotoüvxa xt xwv Seivxwv uicep
u(jLu>v, dXXa xal ujjlo«; xnzkp u[m>v auT(5v d^iü» «parreiv xoura e^^ oiq
ixepou^ xtiAore, xat [ji.73 icapoxc^peTv, ti £v8p6^ AOT)vatoi, ty)^ to^edK, ^v
ü[JLtv ol zpo^ovoi vfi^ Äpc'nS^ [Aexa twXXöv xal xaX(5v xtv86v(i>v XTiQ^aiAevot
xax^Xixov. § 1 : &x/\ xauxa TcapijxaTai [xot Yi1fV(offX6iv, S> av8p6? 'A^Tjvalot,
orav xe st? xa zpoYjjiaxa aicoßXe^u) xal oxov Tzphq xou^ Xi^o^ 0^ dxouü) *
Vgl. Schol. sn §. 1, S. 28, 1: ejnjpjjivov xbv 8ii[iov tg v^xyi guot^Xeu
Demo^thenisnlte Stadien. 11
TOü? iJL^v Y*P Xö^ou? rept ToO TijJLwpi^aaaOai ^>{Xtx7cov opö fiY^o-
|4.svoo^, T« 84 xpiYJxaT« eJq toüto icpoiixo^/xa, ft^Te oicw? [xi; iceta6[Jt.£6a
auTOi icpcT£pov xaxb)^ axe^'^aOa'. 8sov.
Wir entnehmen daraus, dass die Athener ein Heer, and
zwar ein Söldnerheer nach Olynth gesandt, dass dieses gegen
Philipp oder seine Truppen Vortheile errungen, welche das
Siegesbulletin des Führers oder seine athenischen Exegeten
als den Beginn einer entschiedenen Wendung zum Bessern
begrüssten, die aber der Redner in dieser Bedeutung nicht
anerkennen will, indem er der Ueberzeugung ist, dass die
Athener im Kampfe gegen Philipp noch nichts gethan, was
seiner Grösse entspräche und eingedenk dessen vielleicht, was
Thukydides von Perikles sagt II 65 : 6tc6t6 y^^v awjOoiTi Tt autou^
•^rapa xatpbv tJßpet öap(JOuvTa(;, Xsywv a^/rexXYjccev iitl tb ^oßetaOai, v.oA
3sBi6Ta? flw 4X670)? dvTixaOCöTiQ waXtv exl xb OapaeTv.
Welches Söldnerheer auf Chalkidike glücklich gekämpft,
wissen wir nicht. Grote denkt an eine Expedition, die 350 noch
vor dem Beginn des euböischen Krieges nach Olynth abgefertigt
ward und die er nicht für unansehnlich hält, indem er auf sie
die aus der Rede gegen Meidias bekannten freiwilligen Schen-
kungen reicher Bürger bezieht (Grote II 26727). Uiesö An-
nahme beruht aber auf einer völlig irrthümlichen Behandlung
der Philochoros-Stelle bei Dionysius, der, ,zufrieden drei Ex-
peditionen nach Olynthos zu finden, die sich mit den drei Reden
des Demosthenes in Verbindung bringen Hessen, die drei aus
Philochoros zu hastig herausgeschrieben und die Zeitangabe
349 — 348 V. Chr. den drei Reden zugewiesen hat, bloss weil
er bei Philochoros diese Jahre den drei Expeditionen beigelegt
fand' (a. a. O.). Dass diese Stelle an Irrthümern leide, ist auch
meine Meinung, nur fallen dieselben nicht Dionysius, sondern
Philochoros zur Last, der sich bei seiner chronikartigen Dar-
stellungsart bemühte, die sachlich zusammengehörenden Ereig-
nisse unter einem Archontat unterzubringen und so in dieses
Dinge zusammendrängte,^ die sich auf eine längere Zeit
vertheilen. Aber ein Fehler, wie ihn Grote vermuthet, ist
nicht wahrscheinlich. Denn zwischen dem Vertragsabschluss
und der Expedition unter Chares hat Philochoros keine Expedition
angesetzt, wie der Wortlaut zeigt, und dort kann Dionysius
keine übersprungen haben. Die von Grote postulirte musste aber
12 Hartel.
hier erwähnt sein. Auch sieht es Dionysius nicht gleich, dass
er, indem er aus Philochoros die für Fixirung demosthenischer
Reden dienenden Ereignisse excerpirte, jene Expedition sich
entgehen liess, welche nach Grotes Schätzung alle andern bis
auf die letzte an Bedeutung übertroffen, noch weniger Philo-
choros, dass er gerade sie nicht mitgezählt.
Es kann demnach nur an eine der drei philochorischen
Expeditionen gedacht werden, und zwar an jene, welche auf
die Gesandtschaft der Chalkidier Charidemos gegen Philipp
führte; denn diese scheint nicht erfolglos operirt zu haben,
indem sie in Verbindung mit den Olynthiern nach Bottiaea,
also in macedonisches Gebiet vordrang und das Land verwüstete.
Dieselbe war auch nicht, was die Truppenzahl betrifft, gering-
fügig, sie zählte 18 Trieren, 4000 Peltasten und 150 Reiter.
Aus Philochoros* Worten ist nicht mit zweifelloser Sicherheit zu
entnehmen, dass sie erst einige Zeit nach der ersten Expedition,
welche auf die Gesandtschaft der Olynthier unter Chares' Com-
mando ^ abgesandt ward und 2000 Peltasten, die 30 Trieren,
die er führte und überdies noch acht in Athen bemannte Schiffe
umfasste, abging oder später auf dem Kriegsschauplatz ankam. ^
Auch stand Charidemos, der im Herbst des Jahres 351 mit
einem Observationscorps gegen Philipp nach dem Hellespont
geschickt worden war, dem Kriegsschauplatz näher, und darauf
deutet wohl Philochoros, indem er ihn tcv ev 'EXXYjcnuivTC}) (jTpanijYov
nennt. Auch das kann gegen eine gleichzeitige oder nahezu
gleichzeitige Absendung beider Führer nicht eingewendet werden,
dass dadurch die Einheit der Kriegsführung von vornherein
1 Daas Chares Commandant war, B^gt Philochoros nicht ausdrücklich , aber
er meinte dies wohl und so war es, wie dies auch Suidas* Irrthum be-
stfitigen kann, unter Kapavo; : o|jlcü; h\ ßo7]6ou( tr,i\i'^w ^AOifjvatoi ^a,^^ \k' xaX
XapyjTa aipairjov • ou y £1[jlwvi oKoXrjflpOsvTO^ rpoSovTwv h\ Ti^v "OXuvOov EuOu-
xpaTOu; xai AaoO^vou; t^v (jlW avaoraatv ino^Tjae (<^{Xl7^loc), der hier offenbar
die erste und dritte Expedition confundirt, durch das gleiche Commando
irre geführt. Die Zahl von 40 Trieren ist rund die der ersten Expe-
dition (38 nach berichtigter Losart); die dritte und letzte zählte nur 17
neu ausgerüstete, die wie das Wörtchen li/pa; zeigt zu den früher aus-
geschickten stossen sollten. Vgl. auch Weil S. 112.
> jPhüockoiftSy qui dana aes Annales ^ auiisait exactement Vordre des temps^
trouvaü peu de faiU h enregiib'er entre le premier et U second tecoura;
iU se suivaient donc de prkt* Weil p. ISö}.
Demostbenische Studien. 13
gefährdet war. Denn sie brauchten nicht gleich Anfangs dasselbe
Operationsfeld zu haben, was auch anzunehmen durch Philo-
choros' Worte gerade nicht nahe gelegt wird; indem einmal die
Olyntl^er und dann die Chalkidier Athen um Hilfe angehen.
Es konnten ganz wohl Städte des olynthischen Bundes, die von
Olynth entfernt lagen Athens Schutz auf Grund des auch f&r
sie abgeschlossenen Bündnisses in Anspruch nehmen und zu
ihrer Unterstützung zunächst Charidemos heranrücken. Dass
in der That beide Qeneräle auf Chalkidike gleichzeitig operirten,
wird später noch dargethan werden.
Ob nun Chares oder Charidemos oder auch beide einigen
Erfolg gehabt und ihre Meldungen in Athen gute Hoffnungen
erweckten, Athen hatte zu der Zeit, da die dritte olynthische
Rede gehalten ward, bereits für die bedrängten Bundesgenossen
etwas geleistet. Qleichwohl ignorirt dies Demosthenes von seinem
Standpunkt aus, indem nur das Aufgebot aller verfugbaren
Kraft, vor allem aber die Mobilisirung eines Bürgerheeres dem
Ernst des Augenblickes zu entsprechen schien, vollständig und
geisselt in Ausdrücken die Fahrlässigkeit, Trägheit und Blind-
heit seiner Mitbürger, als ob sie bis dahin auch nicht die Hand
gerührt. Er sagt
§ 3: TTficetGiAat y^P ^^ <<^^ icapcov %2\ oxoucov ouvoiSa ik rXetfa)
Töv TipayiiiiTcov 'ft[iaq h.7:^t\jr(Vfon Tcji [xyj ßouXeaOai ta BeovTa icotetv
i) TW ixf| ouvt^vat.
§ 14 : Ol) jjiijv Oü8' exetvo ^ \>[Kaiq «Y^oeTv Bei, & devSpeq AOTjvawi,
3ti ^^ic\UL ouSevb? a^töv ^ortv, Äv jjly; wpo<TYivt)Tat xb icoteTv iOdXeiv xa
YE Sd^avxa i:po%[Ud<; üjaä;. et *{kp autapxT] xa f^fi<j\LonoL ^v . . . .,
o5x' Äv uixst; TfoXXi <J/iQ®ilJ6ix€vot [jt.ty,pa [xaXXov 8' ouB^v expixxexe
xo6xwv, 0UX6 4>{XirK0? xocoOxov ußpCxet yjpS'fo^,
§ 16: xiva "^ap xP^vov 9i xtv« xatpbv, & ivBpc? AOrjvaTot, xoö
xap6vxo? ßeXxto) IjTjxeixe, ^ x6x6 5 Set Tcpa^exe, et [JLtj vOvj cu^
XKTna (Asv iQ{jLb>v zpoeCXiQ^e x3e x<^p^'^ &v6p<«)ico^, et 3i xai xae6xiQ( xupto^
Tij? X^^^ Y^^^^'^'j ^a^w*' aX(T/jLv:o[, X6icr6[i.e0a ; ou^r ot^; sl xoXe(ji.i^9aeev,
mi\Mq 7a>9e(v {KcioxvcujjieOa, ouxot vjv xoXeixouat; xxX.
§ 20: ouxci aü>9p6y(i)V OüSe YsvvaCwv eoxtv avöpcüxwv, iXXeticovxa?
XI 8i* SvBetav ^P'^H^i'^f wv xöv xou xoX^jacü eu^epco^ x3t xotaux' iveßy)
f spetv, oü8' ext [jikv KoptvObu^ xal MeYapea? apxöfaavxa^ xa SxXa xopeu-
ecOai, <I>tXtxxov 8' eav xoXei; 'EXXtjvCS«; avSpaxö8(?6a0at 8t'
dixop{av ^9o8((i>v xot^ 9xpaxeuo[i.^vo'.^.
14 H»rtel.
Ja nicht einen Einwurf etwa wie ^Weist Du nicht dasB
wir den Olynthiern bereits Söldner geschickt, dass diese gesiegt?^
erwartet er, sondern er darf (§ 3: aXX' 5ti [kh 8ti Jet ßoY)ÖeTv,
efrcot Tiq av, wavre^ 6YV(ll)xajAev, xai ßoY20i^9O[Aev) der Majorität der
Versammlung die Meinung insinuiren, dass die gebotene Hilfe
keine war, dass man den Bundesgenossen die Einlösung des
beschworenen Versprechens, sie 'jcavil oO^vei xara xb 3uvat6v zu
unterstützen, noch schulde. So fest stand bei Demosthenes und
Anderen die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit und Kriegs-
untüchtigkeit der Söldnertruppen im Kampfe gegen eine Macht
wie die makedonische und dass nur von einem Bürgerheer
Rettung zu hoffen, dessen endliche Ausrüstung energisch ge-
fordert wird (vgl. §§. 6, 8, 9, 30, 33, 36).
An diesen Aeusserungen der dritten Rede gemessen, ver-
lieren meines Erachtens alle jene der zweiten, welche gegen
die Voraussetzung der Absendung eines oder mehrerer Söldner-
heere zu sprechen scheinen, lun so mehr ihre Beweiskraft, als
nicht etwa ein das Volk mit Freude und Hoffnung erfüllender
Sieg die Schroffheit des Urtheils milderte. Die bezüglichen
Aeusserungen erinnern häufig selbst im Ausdruck an ähnliche
Stellen der dritten Rede. Es sind
§ 2: 3et To(vüv, & düvSpe^ AÖYjvoio'., toOt' ffit] oxoweTv auroOq,
Stcüi? jxyj yeipou^ icepl i^fjia^ autou? elvai 86§ojjLev twv in:apx6vTU)v, üq
Iffti Tüiv ai9XP<^^; i^aXXov 8^ töv atcxtaxwv, [at; ptivov TcdXecDV xal
t67;(i)v ü)v ^[jl^v icore x6pioi 9a{vea6at Tcpcie^iievcu^, iXkk xat t(i>v dvo
TV^q TU^iQ^ icapa9xeua70ivT(ov 9U[i.[i.axcov xai xaipcov (vgl. III
§ 7 und § 8: x<«>pk T^P '"5? xeptoriijYiq Äv t^^jl»; ataxuvYji; xxX.).
§ 3: TO [ji.4v ouv, & of. A., ty]v 4>iXiinuou ^(i>[JLrjV Sie^idvat %a\ Sia
to6twv töv X^ywv icpotpeweiv xa S^ovt« woteTv ü^xa? ou^'i >WfXü)^ ex^tv
il^ou(jM(i (vgl. III § 3: TG) [xv] ßouXeoOai T3e BäovTa Tcoieiv).
§ 11: ^Yjfxi 8^ 8eTv i^jj-a? toT^ [aev X)Xüv8{ot? ßoTjöeTv, xat
8k<»>? Tt? Xi^st xdXXiffxa xai Toxiffia, oütox; apeoxst [xot (vgl. III § 10 :
dXX' 5x1 |i.ev 873 8£t ßorjOetv, sfcot xi? dtv, i:avx£<; €Y^ü)xaiJL£v, xat
ßoif)0i^ao[JLev).-
§ 12: ffxoTceioöe [xevxot xouxo, (o & A., oicw; jjlt; X6you? jaövov
ol wap' T^jJLÖv icpdaßet?, dXXa xai Ipyov xi 8eixv6£:v iS^^aiv £^£Xif]Xu>
Ö6x(i>v ufjLÖv d^icDq x?3? tuoXew? xai 5vx(i)v €7ci X0T5 xpaYii.a^t xxX.
(vgl. III § 33: £av o3v aXXa vöv y' exi d7caXXaYivx£<; xouxwv xöv iOwv
eOeXt^g/jxs Gxpax£ü£a6at xai Tcpaxxfitv a^ltaq ujjlwv auxdiv xxX.)
DtmosthtniBch« Studien. 15
§ 13: TcoXXtjv 86 tT|V [xeTdorafftv xal [jL6YflcXt;v Seixiiov ir^v [xeia-
ßoXifVy etfffepovxa^ i^iövTa^ &icavTa icotouvxa^ iTO^iJLco^, eiicep
Ti; uiJLtv zpoffi^ei Tov voüv, x5v tauia eOsXi^avjTe &? Tcpo^i^xet xal
l^ TTspaCvecv (vgl. III § 30—34).
§ 20: SoxeT 8' Siaoiys^ & dKvSpe; AOiqvoioC; Se^^eiv oux ei^ (jLaxpiv,
d^ ot TS Oeoi 0£X(i>ai xai u(4.et( ßouXYjvOe.
§ 22: ou jjLYjv aXX' i^to^e^ ei xt^ atjpeciv jAOt 8o6q, ttjv tyj^ T^jjLe-
TJpo^ TCÖXeox; t6xv)v dlv ^Xo{(jly]v, eOeXövToiv £ icpo9i^xei icoieiv u(4.d)v
auTü>v xal xaTa (Aixpbv ^ ti]v exeivou.
§ 23: dXX' cT|jLai xa0i^(jLe6a ouBev icocouvtc^* cux Ivi 8' aütbv
dpYöuvTa ouSe xot? ^(Xoi^ eiciTarretv ux^p aüToG ti «oteTv, [xyj t{ y^ 5tj
ToT( Osot^. ou 8t3 0<xu(Aot9T6v eoTiv, ei aipaieu^iAevo^ xai irovuv exetvo^
auTO^ xal 7capu>v e^" Smaai xal (jiiQSeva xaipbv (Arj8' (opav nopaXedccDV
ilJ}jL(i>v [jieXX6vTb)v xal (l<v]9i!^C(ji.dv(i>v xal iruvOavo(ji.dvb>v ?cepiY(Y^CTai*
ou8i Oau{JidC(d tout' eYu>. Touvavrtov y^ ^^ ^^ 6au{i,a9T6v^ ei [jLig8^v
t:oiouvt6? TQlJi-ei? 2)v xot^ «oXeiAOÖct icpo^i^xei tou ravia wotouvro?
7epi?3{jLev (vgl. III § 35: oux lotiv oicou (Aig8äv i-^^ icotouatv t3i
Tuv i?oco'Jvt(i)v eT?cov d)^ 8£i vd|jLeiv, ou8' auxou^ (a^v apY^iv xal a^^
Xil^eiv xal dicopeTv^ 5x1 8^ ot toO 8£tyo{ vtxa>fft ^ivoi, xaura icuvOi-
veffOai xxX.y § 14: e! y^P «uxdpxv] x3c f^^io^LOL'zoL ^v ^ u{jidg ovoYxdl^ecv
3 rpoai^xet icpdxxetv xxX.).
§ 24: xal xoXXd I8(a icXsovexx^ffat xoXXoxi; ujaTv e^'o^ oy>^ i^Öe-
Xi^jaaxe, dXX' Tv' oi oXXoi x6xwai xöv 8txa{o)v, xd ujjiixep' auxdv dvY)X{axexe
elfffspovxe^ xal 7:poexiy8uveuexe 9xpaxeu6(Aeyot, vuvl 8' 8xvetxe
eqi^vai xal [xdXXexe ela^epeiv uicep xcöv u{i.ex^p(i>v auxiov xxiQ(jLdx(i)v,
xal xou^ {jiiy dXXou^ areardl>xaxe TcoXXdxi^ Tcdvxa^ xaO' Iva auxüiv iv (x^pei,
xd 8' üjxdxep' auxc5v dicoXu)Xex6xe( xdOiQoOe (vgl. HI § 9: dXXd [jltjv
elxi^ u|ju5v et{ xouxo dvaßdXXexai icoii^9£iv xd 8dovxay t8£Tv ^yT^Osv
ßouXexat xd 8ecvd; d^bv dxo6eiv dXXoOi y^T^V^'^^) ^^^ ßov]Oob^ iaux^
Ctixetv, 45^v vuv Ixipot? auxbv ßoYjOsTv).
§ 27: Y^\d 8i} 8eTv eia^ipeiv xp^|ji.axa, auxou; i^i^vat xxX.
Aus diesen Stellen geht zunächst allerdings nur so viel
hervor, dass sie, auch wenn ein oder mehr Söldnerheere Athens
auf Chalkidike standen, gesagt worden sein können, nicht
aber, dass solche dort in Wirklichkeit operirten. Wer aber
an den Aeussorungen der dritten Rede sein Ohr für die Fein-
heit demosthenischer Wendungen geschärft, wer namentlich
den gleichen Nachdruck beachtet, der auf persönlichen Kriegs-
dienst gelegt wird, und dass die consequente Forderung der
16 Hartel.
höchsten Leistung die Bestätigung einer kleinen Abschlags-
zahlung nicht ausBchliesst, sondern den Gedanken daran viel-
mehr nahelegt) indem das zu Leistende (xa S^ovxa) noch
durch einen steigernden Zusatz präcisirt wird (vgl. § 12:
dXXa xal Sp-^ov xi Betxv^eiv f^ouatv e§eXY]Xu66T(i>v uijlcov i^itaq i^;
Tcö'keijiiq^ § 13: x2v xaura lOeXifoiQTe &^ icpoai^xet xal S)) xepoCvstv,
§ 23: {xiqS^v icoiouvre^ i^fJtet^ &v xoXi; icoXepLouai rpoai^xet und
vorher als Gegensatz cTpaT£u6[j.evO(; xai iccvcov exeivo^ auxbq xal
i?ap(«)v, § 22: eOeXdvxtov £ ^p09i{xei ttocsTv u[ji.(i)v auT(5v. § 24:
Jxveiie i^t^vai): der wird der Annahme nicht widerstreben,
selbst wenn sich weitere Indicien für sie nicht gewinnen Hessen,
dass die Situation zur Zeit dieser Rede die gleiche war, dass
die Athener, was sich ohne grosse Opfer thun Hess, fUr Olynth
gethan hatten, indem ihre Söldnerheere bereits dahin abge-
gangen waren, welche, wie sie hofften, ihnen die Mühe persön-
lichen Kriegsdienstes ersparen würden.
An Indicien solcher Art aber fehlt es nicht. § 26 schil-
dert Demosthenes die Lage und das Verhalten der Athener
während des ganzen Krieges mit Philipp und im gegenwärtigen
Augenblick: rare y*P Si^'ifou touO', 8xi (jlsXXövtcov auxüiv, Ix^pou?
Ttva^ dXiciCovTWv Tcpa^stv, aiTUi)[ji.ivo)v dXXi^Xou^, xptvövrwv, icoXtv
iXm^övxwv, o^eSbv xauxa Sicep vuvl xoioövkov Sckol^ b xp^vo^ JieXi^
Xü6ev. Man könnte bei flüchtiger Betrachtung der Stelle aller-
dings glauben, dass aus dieser Vergleichung schon um des
o^eBöv willen nicht alle Züge sich wiederholen müssen, dass
die Athener nicht im Augenblicke sich mit Hoffnungen auf
die Erfolge ihrer Söldnerfuhrer (h^pou? xtva? IXic(2^6vx(i)y icpöt^eiv,
wozu die Scholien bemerken: oiov xou^ §^vou^ xat Xapvjxa xai
Xap{8T2|jLov) zu tragen brauchen. Allein gerade dieser Punkt
ist der Kernpunkt des Vergleiches, wie die weitere Ausführung
zeigt ,Glaubt ihr^ fährt der Redner fort ,dass durch eben
dasselbe Verfahren, welches unsere Macht so herabgebracht,
diese sich wieder erheben könne? Das steht um so weniger
zu erwarten, je schwieriger es ist, Verlorenes wiederzugewinnen,
als sich im Besitz zu behaupten. Wir aber müssen Alles
wiedererobem. Das aber vermögen nicht andere, jene §xepc{
xiv6^, sondern nur wir selber.' abxöv ouv t^jjlöv Sp^ov xoux' ffit^.
Noch unwidersprechlicher zeig^ das Folgende § 27 ff.,
dass die öffentliche Meinung sich im Augenblicke lebhaft mit
Dettosthenuehe Studien. l7
den Generälen beschäftigte, die in gewohnter Weise ihrem
eigenen Vortheil nachgingen oder^ weil ohne die nöthige Unter-
stützung gelassen, nachgehen mussten, dass gegen sie Vorwürfe
und Anklagen laut wurden, welche der Redner bis nach Been-
digung des Krieges auf sich beruhen zu lassen auffordert. Es
ist ganz undenkbar, dass ohne actuelle Veranlassung auf Grund
von alten Erfahrungen hier diese Methode der Kriegsfiihrung
akademisch discutirt würde, > und um so mehr, als auf
einen der Führer, auf Chares wie mit dem Finger gewiesen
wird. ^ Aber man würde irren, wenn man darauf gestützt
meinte, dass zu der Zeit Chares allein, noch nicht Charidemos
neben ihm auf Chalkidike gegen Philipp im Felde stand. Denn
der Redner spricht nicht von einem, sondern von mehreren
Generälen (§ 28: si SeT ti twv Svtwv xaJ zept töv cjTpaTr^Ywv
1 Man ygL damit den Ton, in welchem die Mängel des Söldnerwesens
z. B. in der ersten philippischen Rede § 46 behandelt werden, um den
Unterschied zn fühlen.
* § 28 : hat 8i xfvSuvot jiiv iXcircou^, la 8i Xijp,(xats twv i?p6crc7|xoT«ov xai twv
oTpaTuoTtov, AiiJL^^axo; £{YEtov xa nXoia S ouXcoaiv. Sigeion war Chares* Resi-
denz sobald er nicht zu einem Commando berufen ward. Diese Stadt sowie
Lampsakos hatte er im Bundesgenossenkriege für sich erobert (vgl.
A. Schaefer IT 51). Die Beziehung auf Chares erkannte auch der Scho-
liast zu Wo\}^ . . . 7coX.^[jiou; : ?8(ou; Xifzi oO; autoi loita^ Ttoiouvtai exto; tt)^
t:oX£cü;. aivfrcstai 8e ^aco? €?? tbv XapT)Ta, und treffend bemerkt Weil zu
dieser Stelle: Au lieu de combatlre P?Ulippe, et de venir en aide aux
OhfnÜikna, Charit, n*ayaiU pas de quoi nourrir et payer see aoldcUa, avaii
San» doute pilU de neutre», capturi de vaisseaux, Pourquoi Dimosthhne
eOKuseraitril ici cea abtu, si un abus pareil ne foumissait pcu alors mime
un grief ä ceux qui voulaient faire rivoquer Charks, et qui y riussirent
en effetf — nur ist die Behauptung, dass Chares abberufen wurde, die
sich auch bei A. Schaefer II, 131 findet, unrichtig. Denn darüber haben
wir keine Nachricht Sie stützt sich, so weit ich sehe, nur darauf, dass
man die von Aristoteles Rhet 3, 10 S. 1411% 6 citirte Aeusserung des
Kephisodotos : Krj^ia^SoTo; <ncouBa2^ovTO( Xapr^TO^ cuOuva^ Souvai iiipX tov
DXuvOiocxbv :cdX£[jLov i^YavöbcTSi, ^aaxcov ei; nvry|xa tov StJiaov fyovia toc^ euOuva^
n£ipa96ai Souvai, auf eine Anklage bezieht, die Chares auf Grund seiner
ersten Expedition in Athen persönlich zu bestehen hatte, auf welche
Demosthenes (Olynth. II § 29: oTav h\ 8ovi6( Xo^ov Ta^ dvayxa^ obco6a7jt£
Tsuto^ a9(ETE) anspiele. Wenn aber in diesem Hinweis auf die von Athen
verschuldete Nothlage ein ,die Kehle zuschnüren* liegt, so kann zu solcher
Anklage und Vertheidigung eine gleich passende Gelegenheit nach der
Beendigung des Krieges gesucht werden. Wie aber, wenn Chares an der
Spitze seiner Truppen von Olynth ans dem Rath seine Rechtfertigung
aitanngiber. d. phiL-hirt. a. LXXXYII. Bd. I. Hft 2
18 Hariel.
ei-KcTv, § 27: ^r^ji-l Syj Setv .... [xi^Sev' attiaTSat -jcptv 5v täv icpaY[xoKTu>v
xpaTii5(n;Te, TrjVtxauta Bs air' auxwv xwv epywv xpivavTai; xob? |X£v i^^O'J?
ezatvoü Ttp^v, toü? S' dSistoüvT«? xoXaJeiv). Und wie § 27 deutlich
genug zwei Führer bezeichnet werden, die nicht einer dem
anderen untergeordnet, sondern selbständig für Athen Krieg
führen, so tritt noch greifbarer diese Doppelfuhrung, welche
bis in das athenische Parteitreiben ihre Schatten wirft , in
der Vergleichung der politischen Organisation mit dem Sym-
morienwesen für die Steuereinhebung hervor, in der wenigstens
das eine klar ist, dass der Redner von zwei Parteien spricht, die
den Staat zerklüften, deren jede um das Duumvirat eines
Redners und Generals sich schaart (§ 29: vüvl Ss iroXiTeiscOe
xara ou|i.[xcp{a^ * pi^Twp •^y£|jlü)v sxaTSpcov xal ffrpa-nQYO? ^^ to6tcj)). >
Wir haben keine Veranlassung ausser Chares und Charidemos,
die im olynthischen Kriege ihre Rolle gespielt, nach anderen
Namen zu suchen, auf welche die Worte des Redners gehen
könnten, und werden demnach nicht zweifeln, dass die beiden
ersten Hilfsheere, von denen Philochoros meldet, vor dieser
Rede bereits nach Chalkidike abgegangen und Nachrichten von
dort in Athen eingelaufen waren.
Kurze Zeit vorher wurde die erste olynthische Rede
gehalten. Auch sie setzt die Absendung eines oder mehrerer
Söldnerheere voraus; dass von denselben bereits eine Nach-
richt nach Athen gelangt, ist aus der Rede nicht zu ersehen.
Diese Behauptung wird selbst bei denjenigen, welche sich
durch die bisherige Betrachtung überzeugen Hessen, auf starke
Bedenken stossen. Auch ist an keiner Stelle der Rede auf
gegen erhobene Beschuldigungen eingesandt und durch die Androhung
Reine» Abzugs in jene Zwangslage versetzte, die Kephisodotos so bittrr
ärgerte und Senat und Volk ein Auge zudrücken Hess? Wie dem auch
sei, als die Olynthier zum letzten Male nach Athen um Hilfe sandten,
war Chares neben Charidemos noch in Chalkidike; denn sie verlangen
Tzpoq Tat? uTiapyouaat; ouvdc|jLEai 7c^(X'}ai ßoiJOEiav, p^ feviXTJv aXX* auTwv
'AOrjvattüv und Athen sendet TpiijpEi; |xkv kxipoii i^' xtX.
^ Hlass a. a. O. 8. 272^ macht nicht unerhebliche Bedenken gegen den
Satz § 29 Tipotepov ^h — ixsfvou? geltend: ,Nfimlich dieses Stück hat
so viel Hiaten und rhythmische Verstösse, und ist auch dem Ausdruck
und Gedanken nach so hart und unausgeführt, dass man es nicht als
Theil der ausgearbeiteten Rede betrachten kann. Der Zusammenhang
gewinnt durch die Entfernung* u. s. w.
ÜAidoitheniseh« Stadien. 19
Generäle, die für Athen Krieg führten, oder einen Erfolg
derselben hingedeutet. Allein das, was die Lage der Dinge
fordert, die sofortige Mobilisirung des gesammten Bürgerheeres,
wird mit solchem Nachdruck verlangt, auf den persönlichen
Dienst ein solcher Accent gelegt, wie er ohne den Eindruck
verwirrenden Befremdens nie hätte gelegt werden können,
wenn Athen sich nicht bereits in der gewöhnlichen Weise
durch Absendung von Söldnern, über die es verfügte, der olyn-
thischen Forderung gegenüber für abgefunden hielt.
,Der gegenwärtige Augenblick' so beginnt der Redner
»ruft mit lauter Stimme, dass ihr die Dinge dort persönlich in
die Hand nehmen müsst, wenn euch ihre Rettung am Herzen
liegt' (§ 2: 6 |jlsv ouv ^opJDV xatpoc, & av3p£^ AOyjyatoi, (iivov ou^^
Kt{t\ fuvvjv oL^xuq cTt Twv rpaYlAoctcov ufAtv exetvcov auToT? avTiXiQ'rcTSOv
isTiv, etxep Oxsp ot^vriplou; autäv cpo'/rtCeTs). ,Meine Ansicht ist, die
Expedition sofort zu beschliessen und sie auf das rascheste aus-
zurüsten, damit ihr von hier aus Hilfe bringet und nicht
dieselbe Erfahrung machet, wie schon fi*üher' (lott §€ toc Y ^t^^
Soxo'jna, tlnr^iuaaOat \kh ifßri ty)v ßo-njöeiav xal TcapaaKsudaaffBa«. ty;v
txj^faitjv, otcwj; svd^vSe ßoY;8i^(JTQTe xal fJiT) waörjte tautbv tep xat
xpörepov). — ,Von hier aus' sagt er, das heisst mit einem
athenischen Bürgerheer, wie er § 17 auffordert xohq touto ^oi-f^-
?9via^ ffTpaTi(i>Ta; exxepLxeiv, imd nicht mit einem anderwärts
gedungenen Söldnerheer, und zugleich vielleicht mit einer An-
spielung auf die Sendung des Charidemos, die von seiner Station
im Hellespont aus erfolgte. Auch Ohares dürfte, als er Ordre
erhielt, Olynth zu schützen, sich auswärts herumgetrieben haben
(vgl. Philochoros : lxs|jL'|r/ . . . xpii^petc X' xa^ [xcTa Xdprt^xo^' . . . Xap{8iQ)j.ov
ibv ev 'EXXrjOxcvTa) ffrpaiTJYOv). Die Erfahrung aber, die als Lehre
dienen soll, setzt er in § 8 ausführlicher auseinander: ,Als die
Belagerung von Pydna, Potidaea, Methone, Pagasae gemeldet
wurde, wenn wir damals gleich einer dieser Städte bereitwillig
und in der erforderlichen Art mit einem Bürgerheer Hilfe
gebracht hätten, dann hätten wir mit Philipp jetzt eine leich-
tere Arbeit und er stünde nicht so mächtig da' (^^vi^a IIu8ya
IloTßata MeOojvri Ua^^OLcal TaXXa, Iva jat; xaO' hiOLOxa Xsfwv BtaTpißu),
^sXiöpxoujjieva aT:Y;^f^iXX£To, ei Tore toütwv evt xw icpwio) TcpoOujjiax;
im «5 icp09Y;y.sv eßoiQOii^aatJLev auTot, paovi •mlI tcoXu TaireivoTipü)
vuv av €Xp(b(A£Qot TW ^'.Xfeü)). In doppelter Hinsicht war die
2*
20 fiarteU
damals geleistete Hilfe unzulänglich und darum erfolglos. Theils
indem sie zu spät in Stand gesetzt nach der Einnahme jener
Plätze ankam, was wir aus der ersten philippischen wissen
(§ 35, vgl. § 4), und dann, weil kein Büi^erheer auszog,
was wir aus dieser Stelle ersehen und den mit Rücksicht
auf solche Erfahrungen gemachten Vorschlägen der ersten
philippischen Rede entnehmen können. Dass jeder Hörer die
Stelle so verstehen musste, das erreichte der Redner, indem er
an das musterhafte Vorgehen Athens, als es im Jahre 357 galt
Euboea zu retten, erinnerte (§ 8: et vap 50' f|Xs;jLev Eußoeuai ßeßor^
0»pi5t£^ XXI TZOLSftfSTi Api.ft7C0XsTfa>V *l6pa5 *«l -TpflrtOxX^i; hA TOUtl TO
ß^{xa, xsXeucvTS^ i^ixa^ xXeTv %ai «apaXaiA^Ecv ti;v «oXtv, Tijv a7i7;v
X2pei/C{ie0' iQ{Ji£i^ uxsp if^{juiiv gtjtciiv zpsdJtJL'Iay ^yi:ep uirep vf^^ £i>ßo£ii>y
cbrrnpioc, etxex* dv "Aix^ixoXiy tots xtX.). Damals ward die erbetene
Hilfe rasch und voll gewährt: för den Flottendienst rief man
freiwillige Trierarchen auf, in drei bis fünf Tagen war mobi-
lisirt und gelandet, in dreissig Tagen der Feldzug siegreich
beendet Damals zpoOüfjud^ xat ü^ TzpoorpLsy i^v^^tox)» 2Üto{ (vgl.
Schaefer I 143 flF.).
Dass die Athener für Olynth bereits etwas, aber nicht
das was sie mussten (t2 Hoyzz) ganz und voll gethan, das liegt
noch in anderen Stellen ausgesprochen vor, so § 11: X2t irepl
Tü)y 7parf(Aitfa>v cvT(a>^ oi (aTi /pr|Ci(Aeyot toT{ xaipot^ 5p6u>^ o^'
61 cuyeßi; ti i:api xÄy 6ewy xpi;cTby {jtyTfiAoyeuoüot, § 14: et 3* 6 jisy
(4>{Xi'K7:c;) w; ae» ti |A£ii;oy TÄy O^apxoyrwy Bei i:parcety e^y^xw; lor»,
i^{iet; Bs ü)^ cuBsyc? iyTtXij^Teoy eppiojjieyü)^ Töy xpavjiaTwy,
7xozeis6e ei; it xcr' eXzt^ -zxjzol TeXeuiijjaL Das aber, was der
Augenblick verlangt und was der Redner auch hier zu fordern
nicht müde wird, ist ein zahlreiches, wohl ausgerüstetes
Bürgerheer (§ 27: Bet Tciyjy . . . stoi{jici>^ cuvipacOai xa ^oy-
ixaxa, xal xpäjßeucjjieyow; es' a Zei xai 5TpaT£jc;jL6vou^ auxoO;, vgl.
noch § 17, 18, 24), in das, wie er mit einiger Ueberschwäng-
lichkeit am Schlüsse sagt, alle eintreten sollen (§28: xocyra Bti
Txjra Sei cuviBsyra^ äxayTa^ ßoijOeiy). Und so ist es auch be-
zeichnend, dass Demosthenes besorgt, Philipp würde die Athener
Olynth gegenüber verleumden, nicht damit, dass sie dem ge-
schlossenen Bundesvertrage entgegen keinerlei Hilfe gesandt,
sondern nur, dass sie selber nicht als Helfer erschienen (§ 3:
xa B' t;ja5^ BtaßiXXuiy xai xtjy aTTsuciay xT,y f|[JLexepay). Dass dies
Demoitlieniiclie Stodieo. 21
aber von allem Anfang der Wunsch der Olynthier gewesen
und sie ihn nicht erst gefasst und durch die letzte Gesandt-
schaft geäussert {%i[u^ax ßoi^Oeioev, |ji.^ ^svtxifv, dikV autäiv A6Y]va{ü>v),
nachdem sie vielleicht unter dem Hader des Chares und Cha-
ridemos gelitten^ ist selbstverständlich. Hatten sie ja berech-
tigten Anspruch darauf, und die Nichterfüllung dieser Pflicht
mochte die philippische Partei in Olynth gegen Athen geltend
machen. ^
Die Athener waren ihrer Verpflichtung nachzukommen
besten Willens. Das gesteht ihnen selbst Demosthenes zu, nur
fehlte es an den Geldmitteln für die Ausführung. Indem sie
thaten, was sie zu thun im Stande waren, sandten sie bald
nach Abschluss des Bündnisses mit Olynth, welches, wie in der
Abhandlung ,Demostheni8che Anträge' nachgewiesen wurde, in
den Anfang des Jahres 350, Ol. 107, 2 unter das Archontat des
Theellos^ zu setzen ist, Chares und wohl gleichzeitig Chari-
demos mit ihren Söldnern, indem sie die unter Chares' Führung
stehende Macht um acht in Athen bemannte Trieren verstärkten
und zu Charidemos von Euboea aus ein Detachement von
150 Reitern stossen Hessen, so dass beide Corps hauptsächlich
ans Söldnern bestanden. Für diese aussergewöhnliche Finanznoth
bedarf es einer Erklärung, die sich ungezwungen bei unserem
Ansätze des Bündnisses, das mit dem Ausbruch des Krieges
wohl zusammenfallt, aus der Lage Athens im Frühjahr 350 ergibt.
II.
In einer Processrede aus demosthenischer Zeit, welche in
dem Corpus dieses Kedners uns erhalten ist, ohne von ihm
verfasst zu sein, in der Rede gegen Neaera § 3 S. 1346, 2 flF.
> Grote stützt sieh auf diese SteUe, am darznthun, dass der ersten olyn-
ihischen Rede in der Reihe der Reden der letzte Platz gebühre, indem
eine solche Verdfichtigung eine längere Zeit seit Abschluss des Bundes-
Tertrage« Toraussetze. Einer solchen Voraussetzung ist man überhoben,
wenn die Olynthier an Stelle des Bürgerheeres, das sie erwarteten, mit
SÖldnerhaufen sich zufrieden geben mussten.
» Vgl. über Theellos Carl Curtius' in Jen. Literaturzeitg. 1877, Nr, 32,
S. ÖOU
22 Hsrtel.
wird Athens Lage zur Zeit des Ausbruches des olynthischen
Krieges in charakteristischen Zügen also geschildert: (TujAßivTo^
T^ xoXet xaipoü toioutou xäc TCOAejAOu ev &> ^v i^j xpan^aaatv i^jxiv jisYtcroic
T(i)v '£XXii)v(i)v eivae xal avaix^icßYjTi^TG); xa xe Opiexepa aurt^v xexojjiCoOat
x«t xararcexoXeiJiTjjc^vat ^OvITWtov ij uorepiiffaGt xy; ßoy)Ö€{a xat xpoe^Jisvst;
Touq cufjLjjiaxou?, 8t' azopiav /pYjjxaTwv xaxaXuO^vToq to5 ctpot«
xoTceSoü, TOÜTOüq x' dncoXeaai y.al xoT; oXXoi^ "'EXXtjaiv dictJTOüq elvat
Soxetv xat xivS'jvsusiv irspi xwv OttoXcitcwv, xepi xe Aijjjlvou xai Ifxßpoy
xal Xxupcu xai Xeppovi^aou, xat (xeXXcvxcov axpaxeöeaOat u{Jiü>y zavBr^piec
eti; xe £ußciav xat "OXuvOov, lyptttf^s ^^iviJLa ev x^ ßouXiJ AicoXXc-
Bü>po^ ßoüXeuü)v xal e^i^vsTxe xpoßoiXeü|xa elq xbv SijfJiov, Xeywv Sia-
/etpoxovtjffat xbv SiJiJiov eixe Soxet xa wepiovxa xp/,]jLaxa xij^ Btoat^fCec«)^
TcpoxKoxtxa slvai eixe Oecoptxa, xeXeusvx<ov [ih xd)v vc[au)v, Sxav icöXefjio;
jj, xa iceptovxa XP^H'^'^^ '^s ^toixi^aeo)^ crxpaxtcoxtxa elvai xxX.
Aus dieser Stelle, verbunden mit einigen Angaben der
Rede gegen Meidias, geht zunächst hervor, dass die Athener,
nachdem sie mit Olynth den Bundesvertrag geschlossen und
ihr Ansehen auf dem Spiele stand, wenn sie ihren Bundes-
genossen nicht Hilfe brächten, zugleich Krieg auf Euboea zu
fuhren hatten, und sie lassen wenigstens die wichtigsten Ereig-
nisse dieses Krieges und ihre Aufeinanderfolge noch erkennen.
Plutarch, der Tyrann von Eretria, hatte von Athen Hilfe gegen
seine Gegner begehrt und sie ward ihm auf Verwendung des
Meidias und seiner Freunde gegen Demosthenes' Rath zugesagt.
Zu diesem Zwecke wurden freiwillige Trierarchen aufgerufen
(§ 11); es war dies der zweite Fall derartiger Trierarchie * und
damals war es wohl auch, dass Apollodoros, um für so weit-
ausschauende Unternehmungen die Mittel flüssig zu machen.
1 Rede g. Meidias 161 S. 566, 23: Ey^vovT £c( KlSßoiav s7:iSo9Et( rap'* u[xtv
TTptüTai. TOüTwv oux Jjv MetSfac, aXX' sytü, xai auvrpH^papyo^ ^v {jloi 4>iXtvo5
6 NixoaTpoTou. £TEpai 8euT£pai [xcia Tauia ei; "OXuvOov. ou$l toutcov
^v MetSfa^. xa{TOi tov ye 89) 9iX6ti{j.ov jcavtayou npoaTJxsv EEeToR^eaOai. xpixai
vuv aurai Yeydvaaiv eniBdaEt; • EvtauO' etc^coxev. kw? ; ev ti) ßouXj yt^voii^vüiv
£}:ioo9E(i>v naptüv oux enE8{oou t^te. insid^ Bl ;;oXiopxEUjOat tou( ev Ta(i.tjvatc
QxpaxuhxoL^ s^YYcXXsio, xal TiavTa; c^isvai tou; u7coXo&:ouc iKfzia^, oiv sTc
ol^To; ^v, KpoeßouXeuaEv ii ßouXtJ, TYjvixaura 9oßy]0Ei( r^v aTpatECav Tauiijv, e?{
xfjv ETCtouaav ExxX7)a(av, Tcpiv xal npo^Bpou^ xa&il^EaÖai, 7;apEX0(ov etc^Bojxev . . .
(§ 163) oox av^ßaivEv ekI ttjv vauv Sjv ezeocüxev, aXXa xbv fie'Toixov efsnE^Juls
TOV Aiy^giTiov, na(i.9tXov, aurb; ok {/.^vcjv svOaBs toT^ Aiovuaioi^ SisisparrsTo
TaOi' eo' oiq vuvl xpfvEiai xtX.
Demostheoisclie Studien. |^3
seinen Antrag auf Verwendung der Theorika für Kriegszwecke
stellte. Gegen Ende des Winters nach den Xosi;, die am 12. An-
thesterion gefeiert wurden, landete Phokion an zwei verschie-
denen Punkten; das Reitercorps mit jener Reiterabtheilung, die
für Olynth bestimmt war, ging bei Chalkis über und lagerte
bei Argura. Der andere Haupttheil, aus Fussvolk und Reitern
bestehend, setzte sich bei Tamynae fest. ^ Zur Feier der
Dionysien wurden zahlreiche Bürger, die damit zu thun hatten,
beurlaubt; auch die Reiter von Argura gingen nach Athen
zurück, um bei dem dionysischen Festaufzug mitzuwirken, bis
auf jene Abtheilung, die, für Olynth bestimmt, nun dahin trans-
portirt wurde. Die Lage des Heeres bei Tamynae wurde bald
eine sehr schwierige. Auf die Nachricht, dass es sich in arger
Bedrängniss finde, wurden ein drittes Mal freiwillige Trierarchen
aufgerufen und im Rathe beschlossen, dass eine neue Armee
mit dem Rest der Reiter und einem neuen Geschwader von
Triremen nach Euboea gehen solle. Als aber noch vor den
Dionysien Nachrichten von dem Siege Phokions bei Tamynae
einliefen, nahm die Volksversammlung davon Umgang, ver-
harrte aber bei der Ausrüstung der Schiffe. Phokion kehrte
gegen Ablauf des Jahres im Sommer mit dem Heere und der
Flotte nach Athen zurück, nur eine kleine Abtheilung ver-
blieb unter Molossus als Bewachung. Sie wurde sammt ihrem
1 figBoeotos § 16 S. 999, 6: xat yap vuv, ox" e^ Ta(Jiuvac T^ap^Oov o\
aXXot, EvOaSs tou; Xo«; aywv aneX£{90T) xai xoT? Aiovuc{oi« xarajjLEiva; £)(^dpEU£v,
(u; onavTE; !copaO* oi £ni07)p.ouvT£$. — § 17: abzEXOovTwv 5' £$ Kußo{a; t(ov arpa-
TKüTüjv XmoxoL^ioM nooaExXijOT), xaytj Ta^iapytüV rrj; 9uX^? ■?^yar('/.o^l^6\xr^v xaTOi
Tou ovoaaToc Tou ijjLauTou TiaTpoÖEV 8^5(^£aOai ttjv XtJSiv. x«i Et (jii'dOb; £:rop{a67)
roT( $ixaaT7]p{oi( , eltiJYov av dfjXov ort xtX, — RgMeid. 132 S. 558, 2: izzpX
Be x(5v cruaTpaxewaoifJL^vwv Iktie'wv eZ? "Apyoupav 'i<jt£ Sijnou Kxne^
ol* £87]{i.9]YdpY]aE Kap' «{itv, oO' ^xev ex XaXx(8o5, xaTTjyopwv xai 9a(7xeDV
ovEiBo^ e^eXOeTv t^v OTpaiiav toujttjv tt) 7;dX£i .... xa{Toi izoxtp* tlah oveiBo?,
w MEi8(a, t5 ti^Xei, ol SiaßdivTE^ £v Tot^Ei xai t^v oxeu^v £)(^ovt£5, ^v ;:poa^xE tou;
hü Tob? 7coX£[ji{ou; e^idvTa? xai <7U|ißaXou{JL^vou; toT? au^[idc)(^oi; ?j a^, 6 |x^
Xo-^^eTv £0yd(jL£VO( Tcov E^idvTcov, OT^ ExXvjpou, Tov Ocupaxa B* ouBEncüTCor' evSu;,
hC aatpaß7]i; V dx^o6(Ji£VO( ap^upac, xffi e^ Eußo(a$ .... xauta yotp eU tou«
0ÄX{Ta5 iQjia? oTWjYy^XeTo • oO yap £?; TaOxbv :^|X£t<; xouxois St^ß7][jL£v. — Ebend.
197 S. 578, 1: £vOu[X£taOE rap' ujiTv auxoT?, oxi ouxo? xwv (xeÖ' lauxou
(JTpaxEuaajjL^vtüv l:::u^wv, ox' ei; "OXuvOov Bi^ßrjaav, iXOtov rpo; ufxa;
£15 xj)v ExxX7]9iav xaxTi^dpEi, ;^aXiv vuv |X£{va5 npo^ xou; iSfiXTjXuOdxa; xou
Bi{|iou xaxv]Y0piiJ9£i.
24 Hartel.
Feldherrn zu Qefangenen gemacht und musste um 50 Talente
von den Athenern ausgelöst werden. So endete dieser Krieg
schimpflich und nicht ohne den empfindlichsten Nachtheil für
die athenischen Finanzen. Von der Noth, in welche die gleich-
zeitigen Rüstungen für Olynth und Euhoea im Jahre 350 den
Staat gebracht^ gibt der Umstand eine Vorstellung, dass eine
Zeit lang nicht genug Geld in den Gassen war, um die Dika-
sterien zu bezahlen.
Wir sind mit dieser Expedition in der eigenthümlichen
Lage, dass wir über ihren Verlauf und eine Reihe gleichzeitiger
Massregeln im Innern, die sich auf sie beziehen, detaillirter
unterrichtet sind als über eine andere dieser Epoche; aber
über das Jahr, in welches sie fkllt, fehlt jedes Zeugniss und
wir können dasselbe nur auf dem Wege der Conjectur fest-
stellen. Nur so viel ist sicher, dass sie mit den beiden andern
Expeditionen nach Euboea vom Jahre 357 und 341 v. Chr.
nichts zu thun hat. Sie muss zwischen sie fallen. Zur chrono-
logischen Fixiining dient zunächst die Thatsache, dass während
sie vorbereitet wurde und im Gange war, in Athen auch für
Olynth gerüstet wurde und eine Expedition dahin abging.
Dem Zwange dieser Thatsache sucht man in verschiedener
Art gerecht zu werden, indem man entweder an der philochori-
sehen Datirung des olynthischen Krieges (Ol. 107, 4) festhaltend,
den euboeischen Zug in das Jahr 349 oder 348 setzt, oder
aber, indem man den Ausbruch des Krieges auf Chalkidike
im Jahre 350 erfolgen und die Athener auf ein unbestimmtes
Gerücht davon einen militärischen Spaziergang nach Olynth
unternehmen lässt. In beiden Fällen ist die Comcidenz des
euboeischen und olynthischen Krieges und der athenischen
Rüstungen für Beide gewahrt. Die erstere Ansicht vertheidigen
Grote und Weil mit dem Unterschiede, dass Grote den euboei-
schen Zug nach den Reden des Demosthenes und den drei
philochorischen Hilfssendungen in den Frühling des Jahres 348
setzt, während Weil mit zum Theile eigenthümlicher Begrün-
dung ApoUodors Antrag und die Rüstungen für Euboea und
Olynth in dem Winter und Frühling des Jahres 348 vor sich geben
lässt, während bereits Charidemos, der Führer der zweiten
philochorischen Expedition, auf Chalkidike operirte. Ihm ist
es gelungen, eine Autorität auf diesem Gebiete wie Friedrich
Demosthenische Studien. 25
Blas 8 für seine Uebei*zeagung zu gewinnen (a. a. O. S. 276
u. bes. 287 f.). Die andere Meinung wird von A. Schaefer ver-
treten und hat in Emil Müller einen wackeren Vertheidiger
g;efunden. ^ Die Erwägungen beider Parteien sind grossentheils
richtig, aber was sie einander vorzuwerfen haben, nicht minder;
denn die Äuskunftsmittel, den Schwierigkeiten, in die beide
Annahmen verwickeln, zu begegnen, sind nicht leicht und
unbedenklich.
Wie soll man es mit der Thatsache, an der Schaefer als
an einer unumstösslichen festhält, dass Philipp ernstlich erst
im Jahre 349 in Chalkidike eingefallen, dass Olynth erst in
diesem Jahre das Bündniss mit Athen geschlossen und von
Athen Zuzug erhalten, vereinbar finden, dass ein Jahr zuvor
eine Flotte mit Reiterei Olynth ohne dringende Veranlassung
und ohne dass Athen vertragsmässig zu einer solchen Leistung
verpflichtet war, zu Hilfe zog? Allerdings verweist Schaefer
(H 114) auf zwei Stellen (Phil. I § 17 und Ol. I § 13), in welchen
eine vorübergehende Qefehrdung olynthischen Gebietes durch
Philipp angedeutet sein soll. Dass diese Auffassung irrig ist, glaube
ich in meiner Abhandlung ,Demosthenische Anträge' (S. 525)
gezeigt zu haben. Dieselbe aber als richtig vorausgesetzt, wer
erkennt in dieser Handlungsweise die Athener des nächsten
Jahres wieder, welche Olynth bis an den Rand des Verderbens
kommen Hessen, ohne zu kräftiger Unterstützung sich aufzu-
raffen? Sie sollten, ohne Olynths Bundesgenossen zu sein^ auf
eine feindliche Demonstration Philipps hin in solcher Art
reagirt haben? Sie sollten bloss aus politischer Vorsorglichkeit
zu einer Zeit, da sie kaum die Kosten für die euboeische Unter-
nehmung zu bestreiten vermochten, sich noch einen weit kost-
spieligeren Krieg in der Ferne aufgelastet haben? Sie sollten
durch keine Vertragspflicht gedrängt aus blosser Opferwilligkeit
auf die Theorikengelder durch Volksbeschluss haben ver-
zichten wollen, und Demosthenes sollte sich nicht daran in
einer seiner olynthischen Reden erinnern müssen, um wirkungs-
voll die Fahrlässigkeit des Augenblicks mit dem guten Willen
vom vorigen Jahre zu vergleichen? Würde er wohl gesagt
haben: ,Stehen nicht die jetzt im Kriege, welche wir bereitwillig
* Ansgewfihlte Reden des Demosthenes erklärt von Anton Westermann,
1. Bdch., 7. Aufl. von Bmil Müller, Berlin 1876, S. 390 ff.
26 Uartol.
ZU retten versprachen, wenn es zum Kriege kommen sollte?^
(Ol. III § 16: oux o^;? €1 'KsXepLT^aratEv, ^toCpiu)^ ccÄffStv ü«ii(j)rvo6|jt£0a,
ouToi vOv iroXspiouaiv), und nicht vielmehr: , werden nicht die jetzt
vom Kriege bedrängt, die wir, da blosse Gefahr sie bedrohte,
bereit und thatkräftig unterstützten und so mit blindem Ver-
trauen zu uns erfüllten'? Würde er sagen können: ,Nun hat
sich das, wovon ihr alle den Mund voll hattet, dass man die
Oljnthier mit Philipp entzweien müsse, von selbst gemacht
und in der Art, wie wir es nur wünschen konnten?' (Ol. I § 7:
vuvl Y°^?5 S roivTeq eöpuXeiTS, w? DXuvöiou? ey.'TroXepLcoaat Set ^lAferw,
YSYSvsv auT6|xaT0v, xal xaud' C^q dlv ujjitv [j.iXt9ta ffufji^epot) oder: ,wir
haben nichts gethan, um diese günstige Gelegenheit des olyn-
thischen Krieges herbeizuführen, sie ist ungesucht dem Staate
in den Schooss gefallen' (Ol. I § 9: vuvt 3tj xaipb; ^xei Ttq cuto;
6 xöv DXuv6tü)v auTÖjAOTO^ vfi ^oXst).
Wir wissen überdies aus der Rede gegen Neaera, dass, als
die Athener während der euboeischen Händel für Olynth rüsteten,
sie dies nicht für ein fremdes Volk, sondern für ihre Bundes-
genossen thaten, dass sie dies thaten, um nicht der Untreue
geziehen zu werden, um mit ihrer Hilfe nicht zu spät zu
kommen, indem man besorgte, dass das für diesen Zweck
bestimmte Heer sich auflösen könnte. Schaefer muss dieses
Heer gegen Sinn und Zusammenhang der ganzen Stelle, die
nur an Olynth denken lässt, ^ auf Euboea suchen, wo doch Phokion
seine Truppen der Feste wegen zum Theile sogar beurlauben
konnte und bei welchem eine derartige Situation, die Gefahr
der Auflösung, nicht leicht denkbar ist. Es kann nur ein
Söldnerheer gemeint sein, das entweder bereits in Olynth stand
oder dahin abzugehen im Begriffe war. Man wird an Chares
oder an Charidemos oder besser an Beide zu denken haben.
An das Heer des Chares, weil wir in der zweiten olynthischen
Rede von einer frappant ähnlichen Situation dieses Heeres und
von Handlungen seines Führers vernehmen, welche Demosthenes
zwar nicht vertheidigt, aber mit der Nothlage der Truppen,
dem Mangel an Sold entschuldigt. ^
^ ,Die Hauptgefahr ist demnach augenscheinlich die um Olynth, nicht die
des Heeres auf Euboea* Blase a. a. O. p. 276, Weil Harangues p, 165.
2 VgL Ol. II § 27: ^tjfii orj oetv . . . xaq Rpo^aaei; o' a96XEtv xat ti
Demosthenisclie Studien. 27
Der Einwurf, den nian gegen diese Conjectur erheben
könnte, dass das die gewöhnliche Lage athenischer Söldner-
heere jener Zeit gewesen und dieselben nicht Einmal nur wegen
Soldmangels auseinander gingen, besagt nichts gegen ein wei-
teres Moment, welches ihre Wahrscheinlichkeit in hohem Qrade
vermehrt. In der Notiz des Philochoros, welche die Stärke
des Expeditionsoorps unter Chares angibt, werden ausdi*ücklich
die acht Trieren, welche die Athener bemannten, von den
Truppen und Trieren, die Chares führte, unterschieden und wir
werden nicht irren, wenn wir die freiwillige Beisteuer, die
eztSc^etq £(<; \)XuvOov aus der Midiana auf sie beziehen. Für
die Beiter, welche von Euboea nach Olynth übersetzten, ist
allerdings in den Corps des Chares kein Platz, aber derselbe
Philochoros meldet, dass Charidemos ausser 4000 Pel tasten
150 Reiter commandirte, welche dem euboeischen Detachement
auch der Zahl nach entsprechen dürften. Zudem ist ein so
geringer Zug von Reiterei als selbstständig operirende Truppe
kaum denkbar. Indem wir dieselben unter Charidemos stellen,
sind wir der unbezeugten Annahme Grotes überhoben, dass
ein noch zahlreicheres Corps Hopliten diese Reiter begleitete.
Unsere Combination hat den weiteren, unverächtlichen Vorzug,
dass durch sie Philochoros' Angaben ebenso viel an Präcision
gewinnen, als sie durch die bekämpfte Hypothese daran ein-
bussten, indem nach ihr Philochoros eine, wenn auch um ein
Jahr vorausliegende, so doch nicht unbedeutende Leistung Athens
für Olynth mit Stillschweigen übergangen haben würde.
Gegen die Stelle der Rede wider Neaera, welche, wie
wir sehen, gegen Schaefers Hypothese in allen Punkten unweg-
räumbaren Widerspruch erhebt, indem nach ihrer Darstellung
zu der Zeit, als ApoUodor die Verwendung der Schaugelder
für Kriegszwecke beantragte, der Entscheidungsjtampf mit
Philipp um das politische Uebergewicht in Hellas ausge-
«v fiYj izap* u(A(uv auieüv TipüSiov U7:ac^i] xk deovia- r(vo; ^ap evExa (u avSps;
'AOi^vatoi vo{i.^ETE TOUTOv {i^v ^^{f^zvi Tov noXE{i.ov jcavta? oaoüi av ex7c^(Ji<]/T)rs
TTporojyou?, IZioM^ 5' Eupfoxsiv 7:oX/(jLO\i;, ei SeT ti töSv ovtcov xai nepi twv
TTpstr^Y^v EiTCE^ ; oTi evTauOa [a^v eoti ta aOXa unkp ojv Eariv o iz6Xe\i.oi u[jls-
Tcpa, xav Xnj^O^ [so nach Madvi^ A. C. I 456 für die Vulgata ^Aia^^tioXi;
xai äy Xij^Oij], TzapQC/(fifl\i.oi l\uX^ xo{xi6ra0£ * ot tk x^vBuvoi tcov e^ettvjxötcov 'tBiot,
{itaOb; 8* oOx ^oTtv.
28 Hsrtel.
brochen ist, die Olynthier bereits als Bundesgenossen Athens
erscheinen y Athen selbst in Gefahr schwebt, durch säumige
Leistung seiner Vertragspflicht das Vertrauen der Nation zu
verlieren, ein für Olynth zusammengebrachtes Heer aus Mangel
an Sold auseinander zu gehen droht, gegen diese Stelle hat
Emil Müller in verständiger Taktik seinen Hauptangriff
gerichtet, indem er in ihr ,durchaus den Stempel übertrei-
bender Ungenauigkeit' erkennen will. Welches sind die ver-
dächtigenden Merkmale? Der Redner versichert, ,die Athener
seien, als ApoUodor seinen Antrag einbrachte, im Begriffe ge-
wesen, mit ihrer gesammten waffenfähigen Mannschaft (navSi;{jic{)
nach Euboea und Olynth zu ziehen (da dieselben doch selbst
in ihrer besten Zeit nach einem entlegenen, überseeischen
Kriegsschauplatz niemals mit gesammter Mannschaft ausge-
zogen sind und auf den letzten Nothschrei der Olynthier nur
2000 Bürgerhopliten und 300 Reiter ausgesandt hatten), und
behauptet ganz unglaublicher Weise, der Volksbeschluss auf
Verwendung der Ueberschüsse zum Kriege, sei ein einstimmiger
gewesen (ov>8ei? dvTexeipoTsvr^aev § 4), die Verurtheilung Apollo-
dors in dem Paranomenprocesse aber sei nur durch persönliche
Verläumdungen des Anklägers und falsche Zeugen herbeigeführt
worden/ Allein weder in dem 7cav8t3|xe{ noch in dem ouSet?
dvTex£ipo'f6vY)aev liegt etwas unerklärliches, unannehmbares. In
ersterem nicht, denn wir haben es eben mit einem hochtra-
benden Psephisma zu thun, wie sie damals in Athen beliebt
waren ^ imd brauchen uns nur an den Beschluss vom Winter 352
zu erinnern, wo man auch xavBv;(i.e{ auszuziehen gedachte (OL III
§ 4: Tob? P^s/pi ic£vx£ xal TerrapaxcvTa etwv auTOu;^ gjxßaCvetv), obwohl
es einen Zug nach dem thrakischen Cherronesos galt, und
nicht wie im vorliegenden Falle nach Olynth und Euboea oder,
wie Müller will, bloss nach Euboea, von wo man in längstens
* Vgl. Phil. I § 20 : xa\ OTitoq jjit] TCOiijarjTe, onoXXaxt; &{j.a? £ßXa<|*ev j:avT* iXairrw
vo(Jin^ovTe{ eTvai xou Ö^ovto; xai t« jx^yiat' iv toTc <|'T)9{a(Jia9iv alpo6(jievoi,
lizi Tto 7:paTT£iv oOSi Tot (iixpa ;:oi£tTE, und Ol. I § 28: k«vt« 5ij rauta 5et
ouv'.B^VTa; ^TsavTa; ßoT]0£tv.
2 aaTo6$ verlangte für aOrov; Nanck im Bnlletin de TAcademie de St. P^ters-
bourg tom. VI p. 51, eine Conjectur, welche darch die vorher (S. 26 ff.)
ansgeBchriebenen Stellen über persönlichen Kriegsdienst, wq nirgends
das Wort octtoC gebraucht ist, widerlegt wird.
DenoatheBiBclie Stadien. 29
SOTageB; wie Ol. 105, 3, zurück zu sein hoffen durfte (vgl.
Schaefer I 143, H 754).
Aber auch jenes ohleu; avtsxeipoTCVYjoev muss nicht auf die
Abstimmung über den Antrag ApoUodors bezogen werden und
eine übertreibende Unwahrheit enthalten, sondei'n es kann ganz
wohl als ein doppeldeutiger Ausdruck für eine wahre That-
Sache aufgefasst werden. Die Worte lauten (§ 5 S. 1346, 26):
YSvojjLsvY)«; Y«P '^^ StoxeipOTOvta? ouSei; a^ns.x&ipo'iOYtiQt^ üq cü SeT toT*;
Xpi^(juzc( To6TOiq crpoTWüTixotj; yu^a^ai^ akXk xal vuv ext, eiv xou kcr^oq
Ysvijrai xapa icavrwv 6|xoXoYeTTat o); Ta ßeXTicjTa efea? deSiXÄ xiOot.
Ist es plausibel, dass der Redner in dem Falle, dass wirklich
alle oder auch nur mehrere einfiussreiche Persönlichkeiten aus
der Zahl der Vertheidiger der Schaugelder simpel ftir den
Antrag ApoUodors gestimmt und sich so in Widerspruch mit
ihren Ueberzeugungen gesetzt hätten, dafür diesen milden Aus-
druck, diese vorsichtig negative Fassung würde gewählt haben?
Zudem enthält die zweite Hälfte des Satzes, wenn auch die
erste an eine förmliche Abstimmung denken lässt, nicht den
förmlichen und wörtlichen Antrag, sondern gleicht mehr einer
Resolution, einem Stück Motivirung, ja vielleicht der Motivirung
einer etwas abweichenden Ansicht. Denn ,keiner stimmte da-
gegen, dass man diese Gelder nicht als Eriegsgelder benützen
dürfe,' legt die Ergänzung nahe, wenngleich mancher Bedenken
trug, dass es in dieser Weise, d. h. durch ein einfaches Pse-
phisma und nicht auf dem allein verfassungsmässigen, legis-
latorischen Wege geschehen solle. Dass gleichwohl nicht sofort,
wie es scheint, gegen den Antrag eine fpa^Y) xapavcfjiwv ein-
gebracht wurde, wird verständlich, wenn es der Partei, von
welcher eine solche Opposition zu erwarten war, im Augen-
blicke nur darauf ankam, die euboeische Expedition nicht
scheitern zu lassen. ^
' Wie hier die aus der Debatte über den Antrag ersichtliche, allgemeine
Zustimmung den Antragsteller zu entlasten dienen soll, in ähnlicher Weise
rechtfertigt Aeschines mit der ^einstimmigen* Annahme durch das Volk
ein gesetzwidriges Psephisma des Philokrates, welches dieser dbipoßo^XEurov,
wie ich glaube, unmittelbar in der Ekklesie eingebracht hatte, vgl. Aesch.
RvdGes, § 13; Sfdcocri tj^9icr[xa <l)iXoxpaT7]( o ^Ayvouato^ xat 6 ofjjjio; oizciq
o^jLOYvtojjLcuv f/Etpotdv7}OEv E^ETvai <I>iX{7;3Cbj xtX. und kurz vorher tou otJiiou
Q^6^p!* aj:o865«(jivou ... «vxEiJidvxo; o'oOSevo^. — Zu dieser die Wahr-
heit kaum verhüllenden Uebertreibnug vergleiche man Demosthen es' Aussage
30 Kartet.
Alle andern Umstände jener in ihrer Glaubwürdigkeit
angefochtenen Darstellung sind Thatsachen, die, wenn auch
übertrieben dargestellt, sich nicht fortinterpretiren lassen.
Um über sie hinwegzukommen, bleibt Müller nur die verzwei-
felte Ausflucht übrig, dass der Redner die Zuhörer verleite,
,jene Vorboten des olynthischen Krieges, zu deren Zeit der
Antrag gestellt ward, mit dem olynthischen Kriege selbst zu-
sammenzuwerfen, welchem Bestreben die natürliche Neigung
der Zuhörer, jene unter sich zusammenhängenden, zur Zeit
der Rede aber längst abgethanen Ereignisse, ohne genauere
Beachtung der Stadien ihrer Entwicklung in der Erinnerung
als ein Qanzes zu fassen, von selbst entgegenkamt Diesen
Vortheil wahrnehmend, suche er seinen Zweck durch eine
allgemeine Schilderung der drangvollen und entscheidungs-
schwangeren Lage mit stai*kem Farbenauftrag zu erreichen,
nenne den euboeischen Krieg und die Anstrengungen zur
Rettung Olynths in äinem Athem, hüte sich aber, durch eine
bestimmtere Bezeichnung des Zeitpunktes erst darauf auf-
merksam zu machen, dass die damalige Heeressendung nach
Olynth ein militärischer Spaziergang blieb und der wirkliche
Ausbruch des olynthischen Krieges erst 18 oder 19 Monate
später erfolgte. Dass aber jene Vorboten eitel Fiction sind,
meinen wir unwidersprechlich dargethan und damit die Wahrheit
und Treue dieser historischen Charakteristik, welche lebendiger,
treffender und nachdrucksvoller kaum Demosthenes selbst hätte
liefern können, im Allgemeinen wie im Einzelnen gerettet zu
haben.
Wenn es aber mit jenen Vorboten des olynthischen
Krieges, welche Schaefer und Müller präsumiren, nichts ist,
dann wird die Zuverlässigkeit der philochorischen Nachricht,
dass der Krieg erst Ol. 107, 4 ausgebrochen sei, durch eine
Stelle der ersten olynthischen Rede (§ 13) vollends erschüttert.
über die seine Person betreflfende Abstimmting RgMeid. § 2 8. 616, 2:
oOo^ obceßXEtjiev et; t«; ouvta^ lo^ toutcov ouS^ 'zaq bitov^ion^y aXXoc |jLta
yvto[i.y) xaTe/£tpoTovv)9Ev «utou, — RgTimokratos § 67 S. 715, 27:
yjsijv 9E . . . £t 7:a9iv X07)va{oi$ iSoxEt, ypa^Eiv xat vo^aoOetsTv, n&chdera
kuriB vorher (§ 65) die Zahl der Znstimmenden auf 6000 festgesetst war.
ITebrigens sind die» nicht die einzigen Beispiele soloh^ nnschuldiger
Zahlen- Hyperbel.
Dcniosthenisehe Stndien. 31
Dort lässt nämlieh DemostheiieS; iudein or die rasch aufoinander
folgenden Züge Philipps aufzählt, unmittelbar auf den thra-
kiscben Zug und die Erkrankung desselben im Jahre 352
V. Chr. die Befehdung Olynths folgen (xaXiv ^wa; oux £xl to
paOu|i£Tv dTvSxXtvev, aXX* eüOu? W^uvOictj; kizs/dpTt<jev). Allerdings
lässt der Ausdruck eu66^ eine strenge Bemessung seiner Dauer
nicht zu, und fände sich die Stelle in der Eranzrede^ so wäi*e
die Annahme eines mehrjährigen Zwischenraumes durchaus
zulässig. Aber dieses Wort findet sich, wie Grote S. 2574 treffend
bemerkt; hier in einer Rede, die wahrscheinlich in der letzten
Hälfte des Jahres 350 v. Chr., ganz gewiss aber nicht später,
als in der eraten Hälfte von 348 v. Chr. gehalten worden ist.
Demnach ist für das durch euOu; bezeichnete Zeitintervall
höchstens die Dauer eines halben Jahres anzusetzen, wodurch
^vir, indem wir Philipp ungefähr Mitte 351 v. Chr. genesen
lassen, auf den Anfang des Jahres 350 geführt werden.
Während wir gegen Schaefers Behandlung der entschei-
denden Stellen aus den Reden gegen Meidias und Neaera
Einsprache erheben mussten^ finden wir uns mit der übrigen
Untersuchung desselben über die Zeit des euboeischen Krieges
in vollem Einklänge. Was Weil dagegen vorbrachte, ja vor-
zubringen, sich gezwungen sah, um seine Behauptung zu
halten, ist hinfallig und zum Theil bereits von Müller richtig
widerlegt, so dass eine kurze Hinweisung auf die von Schaefer
acceptirten oder neu beigebrachten Argumente an dieser Stelle
genügen wird.
In durchaus unverfänglicher Weise bezeugt Dionysius,
dass die Abfassung der Rede gegen Meidias in das Archontat
des Kallimachos (Ol. 107, 4) falle. Drei Jahre vorher, d. i.
Ol. 107, 2 = 351 V. Chr., übernahm Demosthenes freiwillig
die Choregie für seine Phyle und genügte an den Dionysien
im Frühjahre 350 dieser Pflicht zu jener Zeit, da das athenische
Heer auf Euboea stand. Es war bei dieser Gelegenheit, dass
Meidias den Demosthenes in gemeiner Weise insultirte. Um
diese Dionysien zu feiern, war Boeotos, wie wir aus der Rede
,gegen Boeotos vom Namen' erfahren, in Athen geblieben und
wurde deshalb wegen Fahnenflucht belangt; da aber in Folge
mangelnden Richtersoldes die Gerichte nicht fungirten, kam
der Process nicht sofort zur Verhandlung, wohl aber unmittelbar
32 fiartel.
nach Eröffnung der Dikaaterien. Die bezügliche Proceasrede
des DemoBthenes setzt nun Dionysius in die Archontenjahre
Ol. 107, 2 oder 107, 3 (vgl. Dionys. Dein. c. 11 S. 656, 6:
6 [kh Y<*P Av)|JLca6£voü^ xepl toj 6vO[j.aTO? Xo^o; . . . xxca BecaaXbv ^
'AxoXX6$a)pov dpr/orzx xsTeXecrai, üx; ev toT? irspl Ar^pLccOevou; SeSij/jih
xa{jLey). So wie Dionysius' Zeitansatz der Midiana sich durcli
Heranziehung der in ihr erwähnten historischen Thatsachen
mit seinen Mitteln leicht und sicher machen Hess, so ist es
offenbar die in der Rede vom Namen § 16 S. 999, 7 berührte
Schlacht bei Tamynae, auf welcher sein Zeitansatz dieser fusst
Wäre aber bei Tamynae erst Ol. 107, 3 gekämpft worden,
dann konnte er nicht annehmen, dass der Process und die
Rede Ol. 107, 2 oder 3 falle, sie musste dann dem Jahre
107, 3 zugewiesen werden. * Auch kann der euboeische Feldzug
Bla08 (a. a. O. S. 288) erkennt auch nach dem was Müller (a. a. O. S. 399)
gegen Weil (Harang. p. 166) vorgebracht, in dem Zeugniss des Dionysins
einen Irrthum, den er aufklären zu können meint ,Denn er las, wie es
scheint, in seinem Exemplar statt Ta[jLuva; die Verderbniss IluXac, und
somit sagt er anderswo [in derselben Schrift c. 12 ii^{j.vi]rai Y^p cu; vecoari
TTjt £?( IluXac g^öSou yevoiJi^VT]; (Dem. Boiot. 16 xai yap vuv, ots ei; To^iuvo;
napfSXOov ol aXXoi)' ii 5' ei? [IluXa?] 'AOrjvaiwv ?5o5o5 Eiti BouSijjxou opj^ovio;
t^ivtxo, TpioxaiB^xarov eto? AEivap)(^ou ex,ovtoc], dass die Rede vom Namen
bald nach dem 106, 4 fallenden Seezuge nach Thermopylae geschrieben
sei; weiter aber kurz darauf, dass die andere Rede, gegen denselben
Boiotos oder Mantitheos, von der Mitgift, zwei oder drei Jahre spfiter
als die vom Namen falle, das heisst 107, 2 oder 3. Nun lieg^ es nahe zu
vermutheu, dass er an jener erstoren Stelle einfach die beiden Boden
gegen Boiotos mit einander verwechselt*. Zunächst dünkt es mir uu-
wahrscheinlich, dass Dionysius durch einen Fehler seines Textes, den or,
wenn or zwei Zeilen weiter las, leicht verbessern konnte, in einen so
folgenschweren Irrtbum geführt worden sein soll; denn durch die nächsten
Worte (RvNam. 16 S. 999, 9 (xkeXOövtwv o' s? Eußofa;) wurde er an den
ihm aus der Midiana wohlbekannten euboeischen Feldzug erinnert. Es
wäre ebenso leicht denkbar, dass des Rhetors Worte durch ein Verderb-
niss oder eine Interpolation entstellt ursprünglich das Richtige enthielten,
dass er von Tamynae sprach und darnach den Archonten richtig nannte.
Auch Deinarchos* Altorsbezoichnung widerspricht seiner eigenen Berech-
nung, wornach dieser erst 107, 4 im dreizehnten Jahre stand. Aber wenn
Dionysius iu grosser Zerstreutheit irrte, wo ist ein solcher Irrthum psycho-
logisch wahrscheinlicher? Doch niclit dort, wo er über die Zeit der beiden
Reden eingehende Untersuchung anstellte, in der Schrift über Demo-
Rthencs, auf deren Begründung seiner AnsStze er beide Mal verweist,
a. a. O. c. 1 1 ü); £v ToT; nspi A7jp.o<T0£vo'j; 8£ÖTjXf6xa[i.£v (für den Ansatz der
D«mostltaniMba Stadien. 33
erst nach Ende des Jahres 107, 1 ausgebrochen sein, da die
erste philippische Rede von ihm nichts weiss, wo von euboei-
schen Angelegenheiten die Rede ist wie § 37, und er ist zu
Ende des Jahres 107, 4 (348) durch einen Frieden geschlossen
worden. Somit muss der Aufbruch nach Euboea, sowie die
damit gleichzeitige Rüstung für Olynth in den Anfang des
Jahres 350 gesetzt werden.
Diese Thatsachen sind es zunächst, welche die von Grote
und Weil empfohlene Verlegung des euboeischen Unternehmens
in die Mitte des olynthischen Krieges, nachdem Demosthenes
bereits seine Reden gehalten, verbieten. Aber auch die Reden selbst
vertragen sich mit diesem Ansätze nicht. Demosthenes kommt
an zwei Stellen derselben, I § 19 und III § 10—13, auf die
Theorikengelder zu sprechen in einer Weise, die nur unter der
Voraussetzung begi*eiflich wird, dass dieselben bereits einmal
iiir Bedeckung der Kriegskosten, aber erfolglos in Aussicht
genommen worden waren. * Nachdem er also an der ersten
Stelle dargelegt, dass es an Kriegsgeldern nicht mangle, dass
diese aber für andere Zwecke leichtsinnig verwendet werden,
lässt er sich den Einwurf machen: ,du stellst den Antrag,
dass diese Gelder Kriegpgelder sein sollen?' und antwortet
hierauf: ,Gott bewahr', ich stelle keinen Antrag. Es ist das
nur meine Meinung, dass man Soldaten ausrüste, dass diese
Gelder dazu zu dienen haben und dass eine Anordnung die
Bezahlung und Leistung des Gebührenden regeln müsse, dass
ihr sie aber, ohne euch dafür anzustrengen für die Feste in
Empfang nehmet^ Warum diese Ablehnung einen Antrag zu
stellen, der nach seiner Ueberzeugung billig war und eine
nicht unergiebige Geldquelle eröffnen konnte? Warum die
Hervorhebung dessen, was seine Meinung ist, wenn nicht eine
Rede Tom Nam. 107, 2 oder 3) nnd c. 13 co; axpiß^aT£pov ntpX autcuv iv
T^ izzp\ A7]p.oo6^vou^ TP^?!) ^£^^^o^xa[i.£v (dafür dass die andere Rede zwei
oder drei Jahre später falle). Ebenso mnss Dionjsias in seinen Angaben
über die Midiana sich geirrt haben, damit diese Ansicht sich halten könne.
Doch darüber Tgl. Müller a. a. O. S. 399.
* Wenngleich ich Blass (a. a. O. S. 276) zugestehe, dass Demosthenes
ausdrücklich nirgends sagt, dass ein solcher Versnch auch gemacht sei.
Dazu hatte er wohl seinen Grund, indem ihm von feindlicher Seite die
höhnische Insinuation, er selber hfitte es wagen sollen, nicht erspart ge-
bUeben sein mag.
Sitrangtber. d. phil.-hist. Gl. LXXXTII. Bd. L Hft. 3
34 Hart«!.
andere, entgegengesetzte Meinung vorher zum unzweideutigen
Ausdruck gekommen? Wozu der sarkastische Humor dieser Aus-
lassung^ wenn nicht in ihm der Aei^cr bitterer Erfahrung oder ge-
täuschter Hoffnung sich ausspricht? Sinn und Beziehung der Stelle
werden mit einem Schlage klar^ wenn wir uns des verunglückten
apollodorischen Antrags erinnern, der für seinen Urheber leicht
mit der Verurtheilung zu einer unerschwinglichen Geldstrafe —
der Ankläger hatte fünfzehn Talente beantragt — enden konnte.
Noch schlagender erhellt diese Beziehung auf eine that-
sächliche Erfahrung aus der andern Stelle (Ol. III § 10)
,Was die Geldmittel betrifft' sagt er dort ,so wundert euch
nicht, wenn ich etwas rathe, was der Mehrzahl sonderbar er-
scheinen wird. Setzt Nomotheten nieder. Durch diese lasst
aber keine neuen Gesetze aufstellen, denn wir haben deren
genug, sondern hebt jene, die im Augenblick Schaden stiften,
auf; ich meine die über die Theorikengelder ohne alle Um-
schweife (in der ersten olynthischen Rede hatte er sichtlich den
Namen vermieden, mit Xa{xßaveTs si; la^ iop-iq § 20 nur auf die
Sache anspielend), und einige über die Mobilisii*ung, von denen
jene die Kriegsgelder denen die zu Hause bleiben als Festgelder
zutheilen, jene aber, die ihrer Dienstpflicht sich entziehen, straflos
halten und die, welche ihrer Pflicht nachkommen wollen, nur mit
grösserer Unlust erfüllen. Erst, wenn ihr diese aufgehoben und
den Weg das Beste zu rathen, gefahrlos gemacht, dann suchet
jenen, welcher das, was, wie ihr alle wisst, frommt, beantragen
wird. Bevor ihr dies gethan, erwartet keinen, der dafür, dass
er in eurem Interesse das Beste räth, durch euch wird zu Grunde
gehen wollen; denn ihr werdet ihn nicht finden, zumal ja nur
das dabei herauskommen könnte, dass der, welcher dies räth
und beantragt, ungerecht zu Schaden käme, der Sache aber nichts
nützte, sondern iiir die Zukunft noch mehr abschreckte, das
Beste zu rathen. Diese Gesetze aber aufzuheben, rauss man
dieselben auffordern, welche sie gegeben haben, denn es ist
nicht gerecht, dass die Popularität einer Massregel, welche dem
ganzen Staate Schaden brachte, jenen, die sie veranlasst, ver-
bleibe, die Gehässigkeit des Vorschlags aber, durch den wir alle
in bessere Lage kommen dürften, dem, der jetzt das Beste räth,
als Strafe zu Theil werde. Bevor aber das in Ordnung gebracht,
muthet Niemanden zu, bei euch so einflussreich zu sein.
D«mosth«nise]ie 8tiidi«ii. 35
ungestraft sich über diese Gesetze hinwegsetzen zu können, oder
80 thöricht; dass er sich in das sichere Unglück stürzen möchtet
Wenn die Verhältnisse zur Zeit der Rede so waren, wie sie
Weil voraussetzt, dass sich jener, welcher Verwendung der
Schaagelder für Kriegsgelder beantragte vielleicht nur eine
Ypa^i xapav6{A(i>v zuzog, wenn er aber das nicht wollte, nur den
legislatorischen Umweg einzuschlagen hatte, dann sind Demo-
sthenes' Worte wahrlich nicht ein Denkmal seines Muthes und
unternehmenden Patriotismus, sondern das Gegentheil; sie sind
unpassend, unbegreiflich. Aber noch unbegreiflicher erscheint
es, wenn das Schicksal eines solchen Wagnisses so unzweifelhaft
und unabwendbar feststand, wie Demosthenes es hier darlegt,
dass Apollodor einige Zeit darauf den Antrag, welchen Demo-
sthenes ablehnte, wirklich stellte und damit beim Rath und
Volke ohne erheblichen Widerstand durchdrang.
Zu einer ganz entgegengesetzten, richtigeren Folgerung
aus diesen Stellen gelangt Müller, welcher erkannte, dass
Demosthenes' Worte auf die Voraussetzung führen, ,es müsse
nicht lange vorher einem ein solcher Antrag übel bekommen
sein, und das Volk müsse vor Kurzem seine Willensmeinung,
die Ueberschüsse für die Festspenden und nicht für den
Krieg zu verwenden, von Neuem auf das Unzweideutigste
zu erkennen gegeben habend Aber derselbe will darin sogar
eine Bestätigung der von Libanius und den Scholien über-
lieferten Nachricht sehen, dass Eubulos bei dieser Gelegenheit
nach der Verurtheilung Apollodors ein Gesetz veranlasst,
welches jeden ähnlichen Versuch, selbst den Antrag einer
Abänderung auf dem verfassungsmässigen Wege mit Todes-
strafe bedrohte. Darin aber liegt ein doppelter Irrthum, indem
die Gefahr einzig und allein demjenigen, welcher wie Apollodor
durch ein einfaches Psephisma den Theorikengeldem beizu-
kommen suchte, drohte. Dass aber Todesstrafe auf einen solchen
Versuch gesetzt worden sei, das müsste besser bezeugt sein,
als durch die Scholiasten und Libanius, ^ um glaubwürdig zu
Das sind nicht mehrere Zeugen für dieselbe Sache, sondern sie stellen nnr
ein Zengniss dar, indem Libanius unsere Scholien oder eine bessere und
reichere Sammlung derselben benutzte. Wie ein Erklärer auf diesen
Einfall kam, habe ich Anm. 28 meiner ,Demosthenischen Anträge* dar-
zuthun versucht. Für denjenigen, welcher selbst nach dem dort über die
3*
36 Hariel.
scheinen. Auch wüi-de einer solchen Ungeheuerlichkeit gegen-
über Demosthenes' Tadel ganz anders gelautet haben, zudem
dadurch nicht bloss die Theorikengesetze, sondern auch Gesetze
über den Kriegsdienst vor Abänderung geschützt sein mussten;
denn er redet zugleich von beiden. Ja er hätte nicht sagen
können, wenn bereits jeder Versuch mit Todesstrafe bedroht
war, dass ein solches Wagniss noch mehr davon abschrecken
werde, das Beste zu rathen (xal si? xo Xciicbv ixaXXov ixi üj vüv
To xa ßeXxtaTa Xe^eiv (pcßspwtepov zot^cyai). Ueberdies wird im
weiteren Verlauf eines derartigen drakonischen Gesetzes mit
keiner Sylbe gedacht. Allerdings hat Demosthenes, nachdem
er durch Jahre hindurch in einflussreicher Stellung Athens
Politik bestimmt, erst als die patriotische Partei im Jahre 341
und 340 glänzende Siege errungen^ am Vorabende der Ent-
scheidungsschlacht von Chaeroneia, zur Zeit, da Philipp bereits
Elateia belagerte, die Theorikengelder einer bessern Verwen-
dung zugeführt (Ol. 110, 2 = 339/8). ^ Wir brauchen jedoch,
um dies zu erklären, nicht mit Müller an die drohende Gefahr der
Todesstrafe zu denken. Weshalb er als leitender und an Einfluss
wachsender Staatsmann eine Massregel, die er als Oppositions-
redner wiederholt hervorgekehrt, nicht sofort und ohne die
zwingendste Veranlassung in die Hand nehmen wollte, das
sagt uns mit einer Aufrichtigkeit, die nichts zu wünschen
übrig lässt, Demosthenes selbst in der besprochenen Stelle der
dritten olynthischen Rede. Dass er damals nicht an die Sache
herantreten wollte, dazu bedarf es nicht dieser Erklärung; denn
Beziehung de» Wortes a7:oX£o8ai, nicht bloss auf Todesstrafe, sondern auf
gerichtliche Verurtheilung überhaupt bemerkten noch zweifeln sollte, mag
verwiesen werden auf die RgTimokrates § 121 8. 738, 15: o^toi aüroi
aitoT; SixaCo^^^®* «koXoivto xai t« /pijjjLara xaraOetev BexaffXavia xrX.,
RgMeid. § 83 S. 541, 21: OKtp tov TaXaficcopov oux opOcu; . . . ouoc ^ixa^cof
aTroXcoXsxsv von der Atimie Stratons (vgl. § 87: aTcavTtüV Ä::earT^p7)Tai twv
£v T^ Tz6X£i xai xaOaTua? anji.05 ys'yove, § 91 : 6 {Jikv fj(jjLWTai xai izapanokttiXi'*
und § 99), RvdGes. § 287 S. 433, 17: (KjAop^oO cxtcoXwXe xäi OppKTrai,
vgl. § 2: tbv {jikv avyJpTjxe tc5v etci Ta; Eo06vac eXOovtcov, welche Stelle zu
einem ähnlichen MissverstKndniss Veranlassung gab im Leb. d. x. R.
S. 841a: 0 $1 (Tl^Lapyoi) ixXiTruv tov ayt^va auTOv ftvi{pTiQ9Ev, a>( icou ^vjai
1 Vgl. Philochoros bei Dionysius ad Amm. I 11 S. 742, 4: Au<n{ioc)(^{Sr^;
""Ayopveus' bkI toutou . . . . ta ypi5(JLaT' fid^ij^iaravro jiöivt' s7vai arpaTicorixa
Aif]{jio90^vou( ypd^wzo^.
DemoBtheniBChe Studien. 37
an Popularität hatte er zu jener Zeit vermuthlieh wenig ein-
zubüssen. Aber er konnte in Erinnerung an das frische Sehicksal
des apollodorischen Antrages nicht hoSeHy auf dem chikanen-
reichen Wege der Gesetzgebung durchzudringen oder rechtzeitig
etwas zu erreichen. Wie es sich aber auch damit verhalte, die
beiden Reden fordern unabweislich; dass Apollodors Antrag
sammt dem euboeischen Krieg, in welchen er fällt, vor dieselben
gesetzt werde.
Zu derselben Folgerung sehen wir uns durch eine andere
Stelle der dritten olynthischen Rede geführt. Demosthenes
berechnet dort (§ 28) die bis dahin erwachsenen Kosten des
Krieges mit Philipp auf 1500 Talente; es mag zugegeben werden,
dass diese Berechnung nur eine summarische sei, auch das,
dass Demosthenes, um die Summe abzurunden, die wirkliche
Auslage um etwas erhöht, wodurch auch begreiflich würde,
dass Aeschines, der um einige Jahre später dieselbe Berech-
nung der Ausgaben von der Zeit der Einnahme von Amphi-
polis im Jahre 358/7 bis zum Frieden von 346 anstellt, zu
derselben Ziffer gelangt (Aesch. 2, 71); denn nach unserer
Annahme liegt als wichtigster Ausgabeposten zwischen beiden
Additionen das Erforderniss für die dritte Expedition nach
Chalkidike, welches kaum erheblich ins Gewicht fallen konnte,
wenn die Armee auf die Nachricht von Olynths Einnahme sofort
zurückkehrte. Von kriegerischen Expeditionen, die nach diesem
Zeitpunkte stattgefunden, erfahren wir nichts. Wie aber soll
nach der Groteschen Annahme das Resultat beider Kostenberech-
nungen noch stimmen, wenn nach der dritten olynthischen Rede
d. i. nach dem demosthenischen Rechnungsabschluss noch die
Kosten für die drei philochorischen Expeditionen nach Olynth
und den kostspieligen Krieg auf Euboea bestritten wurden?
Die Ausgaben für diese Unternehmungen, deren zerrüttenden
Einfluss auf Athens Finanzen er anerkennt, müssten gleich Null
sein, wenn die Ziffer des Aeschines als richtig erachtet wird,
Grote bleibt demnach nichts übrig, als auf diese Berechnungen
kein grosses Gewicht zu legen. Das no7i liquet ist aber nur
eine Folge seiner verfehlten historischen Construction. *
1 Wenn Äescliineii auch in gewohnter Uebertreibung nnr Chares nennt,
welcher die Verlnste verschuldet nnd die Summen verausgabt, so hat er
doch sammtliche Verluste und Ausgaben im Äuge. Ob er f^ber selbst
38 Hartel.
In den behandelten Fragen ist, wie wir sahen^ vor Allem
ein Punkt, and zwar von allen Gelehrten bis auf Boehneeke
und Grote, als unumstösslich festgehalten worden, nämlich das
Zeugniss des Philochoros, welches den Beginn des olynthischen
Krieges vor Ol. 107, 4 nothwendig ausschliesst, und daraus
ergaben sich alle die Widersprüche und Inconvenienzen mit
andern nicht minder wohlbezeugten Thatsachen. Wir glauben,
die Autorität des Philochoros in diesem einen Punkte durch
die bisherigen Untersuchungen entkräftet zu haben. Es lässt
sich aber die Zuverlässigkeit seiner chronologischen Bestim-
mung selbst durch eine Stelle der dritten olynthischen Rede
(§ 4), wenn dieselbe richtig erledigt wird, in Zweifel ziehen.
Hier rechnet nämlich der Redner von dem Augenblick, da er
spricht, bis zur Belagerung von Heraion Teiches im Maima-
kterion des Jahres 352 zurück und bezeichnet die Zeit-
distanz durch TptTOv t) TeiapTOv £toc touTf (jxejjLvr^ffOe, & ovSpeq
'AOr^voiot, 5t* dxr;^ff€AOiQ ^(Xitttco^ 'j|mv ev Bpoxf) xpCxov i) teTaprov
2x0? TO'jxl *Hpaiov xeT^o? xoXiopxöv. xixs to(vuv [i.t;v jjl^v Jjv [jiati|JLaxT)Q-
piwv). Die Worte sind in sehr abweichender Weise interpretirt
worden. Rehdantz bemerkt zu der Stelle: , Jetzt vor drei bis
vier Jahren (Poppe zu Thuk. 1. 82. 2, so kann, was im Mai-
makterion, d. i. November 1870 geschehen ist, im Januar 1874
als vor drei oder vier Jahren geschehen bezeichnet werden)'.
Ein solcher Ausdruck scheint nicht unzulässig, wo es dem
Sprechenden darauf ankommt, annäherungsweise genau zu sein
und wo er durch das kurze ,drei bis vier' der genaueren Da-
tirung ,drei Jahre und so viel Monate' überhoben sein will.
Das ist aber hier nicht anzunehmen, und eine beiläufige Bo-
zeichnung des Jahres bei genauer Angabe des Monats um so
unangemessener, als sich der Redner einer Menge Details aus
jenen Monaten klar zu entsinnen weiss. Diesen in der unbe-
stimmten oder unsichern Jahresangabe liegenden Anstoss fühlte
richtig Westermann und stellte in seiner Anmerkung folgende
Erklärung auf, welche Weil als die einzig richtige acceptirte:
,Der Redner scheint die Wahl zwischen drei und vier Jahren
deshalb zu lassen, weil man verschieden rechnen kann: Von
die Rechnung gemacht, mag zweifeUiaft sein: denn für die Zahl der
verlorenen Schiffe nennt er seine Quelle: xai laOia ujitv ev toT; dyw««
ii\ ToTi; Xapy)To; ol xaxif^yopoi $eixvuou9iv.
Demoithanische Studien. 39
Tag zu Tag nach natürlichen Jahren^ oder, wie den Athenern
geläufig, nach bürgerlichen Jahren von Archont zu Archont,
das Jahr, in welchem jene Nachricht eintraf, mitgerechnet.
Nach der ersten Zählung lief das dritte Jahr im November 349,
das vierte im November 348, nach der andern das dritte im
Juli 349, das vierte im Juli 348 ab. Hätte sich Demosthenes
also ganz genau ausgedrückt, so müsste die Rede vor Novem-
ber 349 gehalten sein, denn wäre sie erst Anfang 348 gehalten
worden, so fiele sie nach beiden Zählungen in das vierte Jahr.' *
Um die Worte so zu verstehen, bedarf es allerdings eines
Commentars, indem ohne einen solchen Niemand herauszufinden
vermöchte, dass die durch ein kurzes ,Oder' verbundenen Zahlen
verschiedene Bedeutung und Beziehung haben; für die Sache
allerdings verschlägt es nicht viel, ob man so oder so zählt,
indem die Differenz beider Zählungen nur drei Monate be-
trägt, aber beide können unmöglich mit einander verkoppelt
sein. Dass nun der Redner nach dem attischen Jahr rechnet,
geht aus § 5 mit voller Evidenz hervor: xal [xeia ta-ka 8ieX-
OovToq Tou svtauTOu TOüTOü ixaTO{jLßau«»y, {AeTaYetTviwv, ßoY23p9[Ai(i)y *
to6toü tou [LTi^nq ix^yt? fj^xa Tot (ju>0Ti^pia Sex« vou^ aicscrceiXaTe. TpCiov
i) TetapTov ixoq bedeutet also, nach griechischer Art zu zählen,
es ist das zweitfolgende oder das dritte Jahr. Beides kann
nicht richtig sein. ,Wir müssen entweder das Eine oder das
Andere wählen^ bemerkt Grote S. 26829 ^^^ ^tpitov hoq fuhrt
uns zum Jahre 350/49 v. Chr.^ Wenn Grote damit meint,
dass Demothenes nicht Beides neben einander geschrieben
haben könne, so pflichte ich ihm bei und halte die Worte t}
-£TapTov für Interpolation, indem leicht ersichtlich ist, wie gerade
sie in den Text kommen konnten. Ein aufmerksamer Leser,
der seinen Dionysius zur Hand hatte, verglich die Daten und
fand, indem er vom Archontat des Kallimachos, in welches die
demosthenischen Reden gesetzt werden, bis zur Belagerung der
Ilerafeste zurückrechnete, vier Jahre und schrieb so sein
fl TeiapTov als berichtigende Losart in den Text. Der Scholiast
1 Wie ich sehe, hat sich nun auch Rehdantz in der ehen erschienenen
5. Auflage seines verdienstvoUen Commentars dieser Ansicht ange-
schlossen. ,80 könnten wir* meint er ,von einem Factum des Mai 1874
im April 1877 sagen, es sei seitdem das dritte (natürliche) oder vierte
(Calender)Jahr^ Allerdings, aher mit Weglassnng der Klammern,
40 Hartel.
zui* RgMeid. 13, S. 518, 27 scheint unsere Stelle noch ohne
diese Interpolation gelesen zu haben. Demostbenes selbst konnte
also nur TpiTOv ho^ schreiben und somit fällt diese Rede in die
Zeit vom Mittsommer von 350 auf Mittsommer von 349.
Aus den bisher festgestellten Thatsachen wird sich ein
genaueres Bild der Situation, für welche die drei olynthischen
Beden berechnet sind, entwerfen lassen. Athen hatte bereits
zu Anfang des Jahres 3öO mit Olynth einen Bundesvertrag
geschlossen. Als Philipp Olynth bedrohte oder zu bedrohen
schien, sandten die Athener, die ganze Bedeutung des Augen-
blicks erkennend, kurz hintereinander zwei Corps, das eine
unter Chares, das andere unter Charidemos. Ausrüstung und
Transport dieser Truppen ward zum Theile durch freiwillige
Beiträge reicher Bürger bestritten. Sie bemannten acht Trieren
für das Corps des Chares und gaben einer Abtheilung Oavallerie
den Auftrag, von Euboea nach Chalkidike überzusetzen, um
Charidemos zu verstärken. Inzwischen hatte Athen die Expe-
dition nach Euboea unternommen, von der Demosthenes, wie
nun klar ist, um eine Zersplitterung der Kräfte zu verhüten,
vergeblich abmahnte, indem man dieselbe leicht und rasch
zu beenden hoffen mochte. Die Dinge kamen anders. Der
Feldzug auf Euboea zog sich in die Länge und verschlang
grosse Summen, so dass man aus Geldmangel die Dikasterien
schliessen musste. Die Opferwilligkeit der Büi^er ward durch
dieses erfolglose Unternehmen vollends erschöpft. So ist es
begreiflich, dass an Olynth und eine energische Unterstützung
jener Bundesgenossen in diesem Jahre nicht gedacht werden
konnte.
Vielleicht hoffte man, mit dem, was man bereits für
Olynth gethan, genug gethan zu haben, auch mochte der Krieg
im ersten Jahre von Seiten Philipps nicht mit jener Energie
geführt werden, welche eine schnelle oder für Olynth unglück-
liche Entscheidung befürchten liess; * stellte es ja Philipp
anfangs überhaupt in Abrede, es auf Olynth abgesehen zu haben
> Noch in der zweiten Rede nimmt Demosthenes (§ 1), wie der Gebraach
des Faturum in dieser Stelle anzudeuten scheint, eine lange Daner des
Krieges in Aussicht (ib ykp tou^ noXEfjiiJaovrac «PiXdnwü ycYgvijfföai xat
/(op«v o(JLOpov xai 8uva{x{v ttva x£xtt)(i.^vou; x«i . . . i^v U3ckp tou 7;oX^p.ou
YVtüji7)v ToiaOnjv tyip^fzoL^ xtX.)
Denotthenitolie Studien. 41
und wies solche Anschuldigung wiederholt durch Gesandte
zurück. Als Charidemos auf Chalkidike erschien; waren die
Olynthier um die Vertheidigung ihres Gebietes so wenig be*
sorgt; dass sie mit ihm vereint einen Einfall in die makedo-
nische Landschaft Bottiaea unternehmen konnten. Und als
schon der Krieg im Gange war, hofiPte ja Philipp noch immer
durch kluges Diplomatisiren Olynth von dem athenischen Bund*
nisse abzudrängen. Alle diese Umstände reichen hin^ die
zuwartende und lässige Politik des in seinen Finanzen völlig
erschöpften Athens zu erklären. Energischer begann die Cam-
pagne des nächsten Jahres, in dessen Anfang wir die drei
olynthischen Reden stellen, und immer enger zog Philipp um
Olynth und seine Städte den Kreis. ^ Dringend unterstützte
Demosthenes in seiner ersten Bede den Antrag auf Ausrüstung
und rasche Absendung eines Bürgerheeres. Es ist bezeichnend;
dass es ihm nur zunächst auf die Durchbringung dieses
* Dies scheint aus einer Nachricht bei Plinias hervorzugehen, welche zuerst
Boehnecke heranzog, um nachzuweisen, dass Philipp Ol. 107, 3 = 350/49
gegen Chalkidike im Felde gestanden. Die Worte lauten: Plin. H. N.
II 27 (97): ,Fit ei eadi ipaitu hiatu$, quod vocant ehasma. FU et ton^tnea
ipeeiCj quo nihil terrihiUtu mortalium Umori e»t^ incendium ad terrtu ectdem
inde; iieut Olpmpiadia eenteaimae aeptimae anno tertio^ cum rex
PhilippuM Oraeeiavi quateret. Atque ego haee atcUU tempoHbu9 na-
turae, ut cetera, arbitror exUtere, non, ut plerique, variü de catuis, qua9^ inge-
niorum aeunien excogitaty quippe ingentium niatorum fuere praenunda ; nd ea
accidisae non quia haec facta tunt arbitror, verum haee ideo facta, quia xnca-
9ura erant itta, raritate autem occuUam eortim es»e rationem, ideoque non
aicut exortua nipradictoa defecttisque et multa alia noad*, Schaefer (II 147)
gesteht zu, dass Plinins damit die Zerstörung der chalkidischeu Stfidte
meine, aber auch, fügt er hinzu, ,die Verwüstung Phokiens und alles
Unheil, was Philipp über Griechenland gebrach tS um durch diese weitere
Deutung die chronologische Beweiskraft der Stelle zu schwächen. Wie
ich glaube, mit Unrecht. Allerdings konnte zwischen den Vorzeichen
und den Ereignissen, die sie anzukündigen schienen, ein längerer Zwischen-
raum eintreten, aber Plinius setzt sie gleichzeitig, und dass er dies nicht
auf eigene Faust gethan, sondern einem Historiker folgend, der nach den
Jahren die Ereignisse erzählte, scheint die Art dieser Notiz, die Ver-
bindung einer datirten historischen Thatsache mit dem Falle des blut-
farbigen Meteors zu verbürgen. Was Philipp bisher gegen Griechenland
gethan, das waren einzelne Schläge, deren Stärke und Zusammenhang
die öffentliche Meinung kaum fühlte. Aber als eine chalkidische Stadt
nach der anderen fiel (das war eben Ol. 107, 3), da begann ganz Griechen*
Und zu beben.
42 Hartel.
BeschlusBcs ankam. Die Hauptschwierigkcit der Geldbeschaffung
berührte er nicht ernstlich; nur für die Modalität der Kriegs-
führung stellte er einen vorläufigen Antrag. Mahnten vielleicht
die bedrängten Olynthier und wollte er sie zunächst mit diesem
Beschlüsse beschwichtigen? Wollte er das Volk durch einen
Beschluss nur neuerdings verpflichten , auf dass diese beste
Gelegenheit^ den langen Krieg gegen Philipp zum endlichen
erfolgreichen Abschlüsse zu fuhren^ nicht bei längerem Säumen
ungenützt vorübei*streiche? Ich vermuthe das letztere. Auf
diesen Beschluss gestützt^ urgirte er drängender in der zweiten
und dritten Rede Ausrüstung und Abmarsch, aber bei der
Uneinbringlichkeit oder Geringfügigkeit der ausgeschriebenen
Vermögenssteuern fruchtlos. ^ Erst als eine neue Gesandtschaft
Olynths die Athener von der Unzulänglichkeit der Söldnercorps
und dem Ernst der Lage überzeugte und ausdrücklich ein
Bürgerheer verlangte, da geschah das oft Geforderte, und zwar
in einer Form, die bereits Demosthenes in der ersten philippi-
schen Rede empfohlen, indem die in Olynth vorhandenen
Söldnertruppen durch ein Bürgerheer, und zwar 2000 Hopliten
und 300 Reiter verstärkt wurden und Chares das Commando
über die vereinigten Truppen übernahm als (TTpaiTj^b? tou otoXoj
xavTÖ^.
III.
Die genaue Betrachtung der ersten philippischen und der
drei olynthischen Reden, die ich hier und in der Abhandlung
,Demo8thenische Anträge* durchgeführt, hatte den Zweck, das
Verständniss derselben dadurch zu fördern, dass durch die Fest-
stellung und Unterscheidung dessen, was Demosthenes förmlich
beantragte, von dem, was er bloss rieth und wozu er ermahnte,
durch die Erwägung der praktischen Aufgaben des Augenblicks
<i Die Situation, aus welcher die drei olynthischen Reden hervorgingen, ist
demnach fast unverfindert geblieben. Daher erklärt es Bich, dass der
mit dem Aufwand grossen Scharfsinns und wiederholt gemachte Versudi,
aus den Reden selbst ihre Abfolge zu bestimmen, nur dürftige Resultate
erzielte, welche nicht stark genug waren, gegnerische Meinungen voll-
ständig zum Schweigen zu bringen.
Demoathanisdi« Stadien.
and seiner ideellen Ziele, die politische Bedeutung derselben
klarer erkannt würde. Wir sahen dabei, dass jene Massregeln,
zu deren Durchführung er mit der Stellung förmlicher Anträge
die Initiative ergriff, nur dann einigermassen beurtheilt werden
können, wenn wir uns Zeit und Veranlassung derselben, innere
und äussere Zustände des Staates durch sorgsame Verwerthung
unserer dürftigen Tradition in schärferem Umriss vergegen-
wärtigten; eine Würdigung der Politik des Demosthenes, glaubten
wir, müsse sich auf einer zusammenfassenden Erwägung aller
dieser Momente aufbauen; sie habe sich zu hüten, jede über-
schwängliche Motivirung in eine wirkliche Ueberzeugung des
Redners umzusetzen, aus jedem herben Tadel eine historische
Thatsache, aus jedem Imperativ ein fertiges Psephisma heraus-
zuschälen; allerdings aber müsse sie aus den Worten desselben
zu gewinnen suchen, was er weise oder zufidlig verschweigt,
was seine Gegner, die wir nicht mehr ins Verhör nehmen
können, gewollt und gedacht; ohne dieses vorsichtige Abwägen
nach allen Seiten würde sie sich in einen Knäuel von Wider-
sprüchen verwickeln.
Das Nützliche und Zeitgemässe unseres Versuches, für
eine solche Würdigung der demosthenischen Politik den Boden
zu ebnen, konnte nicht schlagender demonstrirt werden, als
durch eine jüngst erschienene Abhandlung A. Weidners (im
Phil. 36, 246 ff.), welcher auf Grund der von uns behandelten
Reden, Demosthenes' Politik dieser Epoche einer einschnei-
denden Kritik unterzieht und dabei zu einem Resultate gelangt,
welches den bisher geltenden, von Männern wie Grote und
A. Schaefer getheilten Ansichten diametral entgegensteht. Diese
fanden in den bezüglichen Reden alle Qualitäten eines grossen
Staatsmannes ausgeprägt. Freilich an der Grösse der Erfolge,
wonach als Massstab Weidner nicht bloss Demosthenes' intel-
lectuelle, sondern auch seine moralischen Eigenschaften ab-
schätzen zu können meint, sahen und suchten sie dieselben
nicht Mit Recht. Denn das hiesse bei unserer dürftigen Kennt-
niss jener Zeit mit mehreren Unbekannten rechnen. Wenn auch
das Resultat von Demosthenes' Bemühungen gegen Philipp uns
gleich Null erscheint, wer wollte sagen, wie sich Athens Lage
ohne die von Demosthenes genährte und gesteigerte Wider-
standskraft gestaltet hätte? Wer will auch nur behaupten, dasQ
44 Hartel.
es damals in Athen fernsichtigere Politiker gab, die mitten
im Strome der Bewegung den Irrthum des Demosthenes^ der
unS; die wir das Ende der Entwicklung tibersehen, klar vor-
liegt, durchschaut und in dieser Erkenntniss es widerrathen,
gegen die schlagfertige, von einem Herrn wie Philipp geleitete
makedonische Macht das innerlich morsche und zerklüftete
Athen in Kampf zu bringen? Von solchen Irrthümern lebt die
Weltgeschichte. Wie gross der demosthenische war, lässt sich
bei unserer Unkenntniss der realen Machtverhältnisse kaum
mehr bestimmen, und darum ist auf diesem Wege zu einer
billigen Beurtheilung des Redners nicht zu gelangen.
Demosthenes bezeichnet an einer klassischen Stelle seiner
Rede vom Kranz (§ 246 S. 308, 26), worin die Verantwortlichkeit
eines Staatsmannes liege. ,Er muss' sagt er ,die Dinge in
ihrem Anfange wahrnehmen, ihre Bedeutung voraus erkennen
und sie den Andern im voraus ansagen, ferner so viel, wie
möglich, die von der Leitung einer freien Stadt unzertrenn-
lichen Mängel; die langsamen Bewegungen, die Bedenklich-
keiten, die Unkenntniss und die Eifersüchteleien mindern und
im Gegentheile den Bürgern Eintracht, wohlwollende Gesin-
nungen und Eifer für die Erfüllung ihrer Pflichten einflössen'.
Es kann uns genügen, was hier von dem Politiker gefordert
wird, um innerhalb dieses erkenn- und abschätzbaren Kreises
von Pflichten die Prüfung vorzunehmen.
Grote findet, dass gleich die erste philippische Rede
Demosthenes das Recht gibt, das Verdienst in Anspruch zu
nehmen, die Dinge in ihren ersten Anfängen wahrgenommen
und seine Mitbürger gewarnt zu haben. ,Wir sehen hier' sagt
derselbe (a. a. 0. S. 252) ,wie Demosthenes, ein Mann von nur
erst 30 Jahren, ein Jüngling erst im politischen Leben, 13 Jahre
vor der Schlacht von Chaeroneia, die politischen Beziehungen
zwischen Athen und Philipp genau abwägt, wie er diese Be-
ziehungen während der Vergangenheit prüft, wie er aufzeigt,
wie sie sich von Jahr zu Jahr ungünstiger gestaltet haben und
wie er die Gefahren und Ereignisse der Zukunft vorhersagt,
wenn nicht bessere Vorkehrungen getroffen würden, wie er
nicht nur die bisherige schlechte Verwaltung der Staatsmänner,
sondern auch jene tadelnswerthen Gesinnungen des Volkes selbst,
in denen diese Verwaltung wurzelte, muthig und ofi^en zur Schau
DemoMthenltehe Stadien. 45
stellt und dem Tadel unterwirft; wie er endlich auf seine eigene
Verantwortlichkeit hin es wagt; in die widerwilligen Bürger zu
dringen; dass sie die schwere Last der Steuern und persönlichen
Strapazen auf sich nehmen. Sein beharrliches Bestehen auf
dieser nämlichen Verpflichtung; das den leitenden Staatsmännern
80 lästig wie dem Volke ward; begegnet uns in allen seinen
philippischen und olynthischen Reden wieder. Wir hören seine
Warnungen in einer so frühen Zeit gegeben, wo rechtzeitige
Vorkehrungen so leicht auszuführen gewesen wären; wir be-
merken seine Ueberlegenheit über ältere Staatsmänner, wie
Eubulos undPhokion in der besonnenen Würdigung; in der klugen
Voraussicht; in dem Mutho; unangenehme Wahrheiten auszu-
sprechen'. Grote findet aber; dass er auch den andern Theil
staatsmännischer Pflicht glänzend erfüllt, ;nämlich seine Bürger
zu einmütbigem und entschlossenem Handeln anzuhalten und
sie zu jener Höhe der Gesinnung emporzuheben; die erforderlich
ist; um gegen den öfiPentlichen Feind nicht bloss zu sprechen
und zu beschliesseU; sondern auch zu handeln und zu leidend
Die erste philippische Kode erscheint ihm als ein oratorisches
Meisterstück; ;da8 mit Kraft und Unwiderstehlichkeit an die
Leidenschaften appellirt; das Auditorium auf vielerlei und ver-
schiedenen Wegen zu der grossen Ueberzeugung führt; die der
Redner ihm beizubringen und einzuprägen sucht; durch und
durch von echtem panhellenischen Patriotismus durchweht und
von der Würde jenes freien Griechenlands; das jetzt von einem
Monarchen von Aussen bedroht wird; erfüllt ist^ Es ist nur
eine Wiederholung und Steigerung dieses bewundernden ür-
theilS; welches nicht minder dem oratorischen Effect; als der
staatsmännischen Einsicht gerecht zu werden sucht; zu welchem
Grote durch die olynthischen Reden sich hingerissen fühlt
(vgl. 263; 266; 270).
Es kann der einsichtigen; massvollen Politik; welche die
erste philippische Rede des Demosthenes vertritt; kaum ein
grösseres Lob gespendet werden; als die Worte Schaefers über
dieselbe enthalten (H 61): ;Was Demosthenes zu Ende seiner
Rede ausspricht; dass er der Wahrheit die Ehre gibt; unbe-
kümmert darum; ob sie auch angenehm zu hören ist; weil sie
allein den Staat retten kann, das ist der Eindruck, den die
ganze Rede in uns hinterlässt. Sie bekämpft alles eitle Schein-
46 Hftrtftl.
wesen^ erspart den Athenern keinen verdienten Vorwurf, aber
nicht aus Tadelsucht, sondern um sie aufzurichten und zum
besseren zu führen. Dabei strebt der Redner nicht einem Ideale
nach, das nicht zu erreichen steht, sondern den ersten Schritt
der sich thun lässt und der vorwärts bringt, den will er nur
erst gethan wissen: er hält sich aufs strengste an das mit
den vorhandenen Mitteln ausführbare. Ebenso wenig treibt er
blindlings in den Krieg, sondern er will nur, dass der obwal-
tende Krieg, den er nicht angestiftet hat, so geführt werde,
dass man zu einem .ehrenvollen Frieden oder zum Siege ge-
langet Und über die olynthischen Reden urtheilt mit nicht
minderer Anerkennung derselbe (II 119): ,Die olynthischen
Reden sind ein so grossartiges Denkmal staatsmännischer Ein-
sicht und edler Freimüthigkeit, welche die Gunst der Menge
verschmäht und den Machthabern, welche ihren Neigungen
schmeicheln und durch eigene Entwürdigung auf Kosten des
gemeinen Wesens ihre Huldigungen erkaufen, die Hülle her-
unterreisst; sie sind dabei so wohl bemessen, bei aller Wärme
des Gefühls und sittlicher Entrüstung, die aus freier Liebe
zum Vaterlande entspringt, mit solcher Kunst durchgearbeitet,
dass es unmöglich ist, in einer Skizze ihre Bedeutung nur von
ferne anschaulich zu machend
Ganz anders das Bild, das uns Weidner von Demosthenes
und seiner Politik entwirft. Man möchte kaum glauben, dass
auf Grund derselben Urkunden eine solche Verschiedenheit des
Urtheils möglich ist. Mit ,kluger Umgehung des Solonischen
Gesetzes über die Reihenfolge der Sprecher in der Volksver-
sammlung,' stürme der Redner mit seiner ersten Philippika
auf das ßijpia und verstehe es, mit kecker Anschuldigung sein
, vorschnelles Auftreten' zu motiviren. Durch ein ,leeres So-
phisma, das der Wahrheit entbehre' (§ 2), suche er zu trösten,
durch ,ein für diesen Zweck wenig zutreffendes Beispiel' zu
ermuthigen (§ 3), ,mit leichtfertiger Sophistik glaube er den
Einwurf, dass Philipp schwer für Athen zu bekriegen sei,
beseitigen zu können' (§ 4). Wenn er den Athenern Erfolge
verspreche, wofern nur jeder Bürger seine Schuldigkeit thut,
und einen Umschwung des Glückes in Aussicht stelle, so seien
das ,Phrasen, idealistische Redensarten, geknüpft an ein un-
sicheres Wenn', ja, was weit schlimmer, ,Demosthenes sei es
D«mo8tliraiMh« Stadien. 47
mit seinem herrlichen Versprechen nicht einmal Ernst' (S. 249,«).
WeDD er § 15 als Ziel seines Planes wörtlich bezeichne: ib>^
so jlasse diese Alternative die Möglichkeit ganz ausser Acht,
dass Athen auch wider Willen zum Frieden gezwungen werden
könne'. ,Wenn Demosthenes nicht einen ausfuhrbaren Vor-
schlag bringe^ dessen Realisirung die beklagenswerthe Lage
des Staates völlig zu ändern im Stande sei/ mit diesen Trost-
gründen und Versprechungen, mit dieser Discussion von Möglich-
keiten sei nichts geleistet, aber freilich Demosthenes sei ,Oppo-
sitionsredner, und die Opposition verliere sofort ihre Schwingen,
Bo wie sie zur Prosa der praktischen Wirklichkeit herabsteiget
Seine Vorschläge seien ,armselig' und unzureichend. Was die
Mobilisirung von 50 Kriegsschiffen und eines entsprechenden
Bürgercontingentes betreffe, so ,wage Demosthenes den Antrag
doch nicht zu stellen' (§ 16); ,er begnüge sich also mit einem
Söldnerheere, dem sich wenige Bürger anschliessen sollen, einer
Macht, welche freilich die Kriegslage nicht ändern, ja nicht
einmal den Feind belästigen könnte, weil ihr Bestand voraus-
sichtlich nicht von langer Dauer wäre'. Ja Demosthenes, ,der
heftige Gegner der bisherigen schlaffen Kriegsführung, wage
nicht einmal den Sold für jene Söldner zu fordern, es sei ihm
genug, wenn sie die Verpflegungsgelder erhalten (§ 20, 23),
weil eben der Staat und die Bürgerschaft kein Geld habe!
(§ 23.) Er begehe zwar die Täuschung, dass er wiederholt von
der Leistung des Soldes spreche (§ 24), aber später, wo er die
Geldmittel bespreche, müsse er bekennen, dass es genug sei,
wenn das (jiXYjpecriov bezahlt werde (§ 29), und dass man dann
erwarten dürfe, dass das Heer sich den Sold ([xiaObv vntkir^
selbst verschaffe, ohne natürlich einen der Bundesgenossen zu
belästigen! Ja, in prahlerischer Weise füge der Redner hinzu:
£r wolle selbst mitfahren und mit seinem Leben für den Erfolg
einstehen! Sähe das nicht ganz Gambetta ähnlich? Und doch,
welche Verblendung!^ u. s. w. ,Demosthenes hätte wissen können,
dass die Söldner sich gegen die Bundesgenossen hätten wenden
müssen, wenn Philipp, wie es zu erwarten wäre, seine Länder
mit Umsicht und Energie vertheidigte^ ,Officiere unserer Zeit
würden einen solchen Vorschlag, dass zur Controle der Kriegs-
leitung Büi^ersleute mit ins Feld ziehen, als eine Ausgeburt
48 Hftrtel.
demokratischer Raserei bezeichnend Am Schlüsse der Rede
,ergehe er sich wieder in den stolzesten Versprechungen genau
so prahlerisch, wie in der Einleitung.^ Endlich folge die ,Unge-
heuerlichkeit, dass Athen die meisten Trieren, Hopliten, Reiter
und Staatseinkünfte besitze, eine Behauptung, welche gegenüber
dem armseligen Vorschlag des Demosthenes, wie der Aufputz
im Narrenspiele aussehe, — wenn nur diese Art prahlerischer
Ueberhebung nicht einen tiefen Blick in die gewissenlose Leicht-
fertigkeit gewisser athenischer Demagogen eröfinete^
Ebenso wenig, wie hier, findet Weidner in den olynthi-
schen Reden, von denen er die erste und zweite einer genaueren
Prüfung unterzieht, ,grosse politische Weisheit oder auch nur
praktische Rathschläge' (S. 255), vielmehr dieselbe ,frivole
Schmeichelei gegen die Volksmasse,' dieselbe totale Verkennung
der Lage, in welcher es ,eine Thorheit gewesen wäre, um
Olynths willen sich mit Philipp zu verfeinden,' sowie ,ein
Frevel, die Existenz des Staates an die Verfolgung einer so
unglücklichen Politik zu setzen' (S. 258); das habe besser Iso-
krates erkannt, ,mochte er auch nur Professor sein und Piaton
dessen politische Weisheit für Wahnsinn erklären müsse, wer
die Politik des Demosthenes billigen wolle' (259). Was er von
der besonders ungünstigen Lage Philipps sage (I § 21), sei
,willkürliche Ansicht des Redners, ohne reelle Basis^ veranlasst
durch die unglaubliche Geduld, welche Philipp Olynth gegen-'
über bewahrt hätte' (261). Was Demosthenes beantrage, wenn
er überhaupt einen eigenen Antrag bringe, sei ungenügend
und unüberlegt. Neues enthalte auch die zweite Rede nicht,
,wenn man nicht das § 3 bis 4 aufgestellte Programm dafür
halten wolle, welches mit unverblümten Worten erkläre, dass
es staatsmännisch ist, nicht etwa die Macht des Gegners zu
erwägen, sondern möglichst viel Schimpf und Schande auf das
Haupt des Feindes zu geifern' (263). ,Da8 moralische Pathos
des § 6, welches fast an Aeschines und Stahl erinnere, sei dem
Feinde gegenüber im Kriege ebenso nutzlos als widerlich'.
,Trotz der auffallenden Schwäche seiner Darlegung versteige
er sich zu der kecken Herausforderung: ij rapeXOtäv Tt? eixot See-
53tTw xtX. Mit sophistischer Kunst stelle der Redner die Fragen
so, dass diese bejaht werden könnten, ohne dass deshalb seine
Beweisführung anerkannt würde' (264). Ebenso ,leichtfertig',
Demostheniscbo Studien. 49
wie die Rechnung, dass das ganze Gebäude von Philipps Macht
selbst in Makedonien sich morsch und faul erweisen werde,
wenn Athen sich zur Thatkraft aufraffe, ,ebenso einseitig und
abgeschmackt erscheine die Charakteristik des makedonischen
Hofes' (§ 18). Das geringschätzige Urtheil über Makedoniens
Militärmacht (§ 14) sei ,mehr leichtfertig als lächerlich' (265).
,Auf die unvernünftigen Schmähungen (§ 18 ff.) des Nähern
einzugehen, glaube er dem Leser ersparen zu dürfen. Solche
gewissenlose Vorwürfe erblassten vor den grossen Thaten des
Mannes; Demosthenes selbst verwickle sich in die ärgsten
Widersprüche, wenn er sonst die unglaubliche Thatkraft des
Mannes seinen Mitbürgern zum Beispiel und zur Nachahmung
vorführe' (266). Demnach ,könne er auch in dieser Rede staats-
männische oder militärische Gedanken, welche dem Kriege eine
Wendung hätten geben können, nicht vorfinden. Denn die
wiederholte Forderung, Geld zu zahlen und in den Krieg zu
ziehen, würden auch andere Redner vor und nach Demosthenes
variirt haben; solche allgemeine Leitartikel genügten nicht
zur Regierung eines Staates. Umgekehrt entdecke er sehr viele
Irrthümer, bewusste oder unbewusste sei gleichgültig, welche
die Athener nicht zur Einsicht und Mässigung führen, wohl
aber in verhängniss volle Leidenschaft verstricken mussten' (267).
In gi*elleren Farben kann man diesen Gerngross eines
Duodezstaates mit seiner Kirchthurmpolitik, diesen verbissenen,
beschränkten, aufgeblasenen Sophisten nicht malen, stärker
nicht verdammen, unbarmherziger nicht den Irrthum des un-
kritischen Haufens, der bisher voll Bewunderung und Andacht
dem Redner gelauscht, vernichten. Aber Weidner glaubt bei
seinem zuversichtlichen Tadel festen Boden unter den Füssen
zu haben, er weiss nicht bloss, was Demosthenes schlecht ge-
macht, er kann sagen, wie er es besser zu machen hatte;
indem er das zeigt, setzt er an Stelle des deplacirten Demo-
sthenes ein neues Götzenbild, Philipp den Braven, der insofern
einer gesicherteren Lage sich erfreut, als er klug genug war,
bei Lebzeiten über die Motive seiner Handlungen zu schweigen
und vorsichtig genug, um das Gegentheil von dem zu sagen,
was er dachte. ,£in Staatsmann' so lehrt Weidner ,welcher
wie Demosthenes vor eine so traurige Wirklichkeit gestellt
ist, dass er zur Bekämpfung des Feindes grössere und bessere
Sitaugs^M. d. p)iU..hUt. Gl. LXXXVIL Hd. I. Hft. 4
50 Hartel.
Mittel nicht mehr vorschlagen kann, wird, wenn es ihm erastlich
um das Wohl seines Vaterlandes zu thun ist, nicht von Krieg
und Rache poltern , sondern seinen Mitbürgern den ernsten
Kath ertheilen, augenblicklich einen mögliclist günstigen Frieden
zu schliessen. Solche Staatsmänner hat es zu Athen auch ge-
geben; Demosthenes nennt sie nach dem Sprachgebrauch tyranni-
scher Demagogen Verräther' (S. 252). ,Das geschwächte Athen
durfte nur, um sicher zu Bein, nicht die unhaltbare Stellung
einer entscheidenden Grossmacht beanspruchen' (S.262). Und dies
war um so gebotener einem Herrscher wie Philipp gegenüber,
^dessen bisherige Bemühungen nur das Bestreben zeigten, für
sein Vaterland natürlichere Grenzen und Lebensbedingungen zu
gewinnen, dem ein weiteres Uebergreifen über die Machtsphäre
Makedoniens hinaus, d. h. Eroberungssucht fernlag' (S. 259).
Nicht Philipp war der Friedensstörer, sondern die Veranlassung
zum Krieg ist in den Umtrieben der Volkspartei in Olynth zu
suchen, die von Athen aus gehetzt und geschürt wurde (S. 256).
Dass durch diese neue Auffassung Philipps als eines
Eroberers wider Willen seine historische Bedeutung und Grösse
verwischt und herabgedrückt wird, liegt auf der Hand. Aber
man wünschte sie nicht ohne Beweis hingestellt zu sehen, ja
sie müsste unwiderleglich dastehen, um von ihr aus das ganze
Streben Demosthenes' in den ersten Jahren seines öffentlichen
Wirkens als eine Thorheit stigmatisiren zu können. Dass aber
Philipp zuerst Olynth Wohlthaten erwies, um es mit Athen zu
verhetzen und sein Misstrauen einzuschläfern, dann aber, als
er sich stark genug fühlte, es zu vernichten, von Friede und
Freundschaft den Mund voll nahm, ist kein Beweis dafür,
sondern ein Zeichen seiner diplomatischen Kunst, die wohl
auch um Mittel nicht verlegen war, den Angegriffenen die
KoIIe des Friedensstörers spielen zu lassen. Vielleicht dass er
damit, so wie mit dem bescheidenen Verlangen nach den natür-
lichen Grenzen den einen oder andern Athener eine Weile
getäuscht und dadurch der Friedenspartei, welcher bei den
damaligen Verhältnissen des Staates die Majorität leicht folgte,
einen Halt gegeben. * Als aber der Fall Olynths und so vieler
* Dass im Gegfensatz zu diesen Andere in ihrer Furcht vor Philipp yiel
weiter gingen als Demosthenes für richtig hielt, können Stellen wie
1 Phil. § 48 ff. zeigen.
DemoBthenische Stadien. 51
hellenischer Städte den Schleier seiner Politik lüftete, sein
zielbewusstes, unentwegbares Streben zeigte und seine Pläne
in ihrer ganzen Furchtbarkeit erscheinen Hess, da fiel es Eu-
bulos und seinen Genossen, den Vertretern des Friedens um
jeden Preis, wie Schuppen von den Augen; da schrieen sie
nach den Waffen, sandten nach allen Richtungen Kriegsboten
aus und riefen Hellas zum Kampfe gegen Philipp, * indem sie
dadurch Demosthenes' Politik, welche sie, wenn nicht bekämpft,
so doch nicht unterstützt hatten, da es noch Zeit war, als die
richtige anerkannten. So wenig, wie die Furchtbarkeit der
Pläne des makedonischen Eroberers, war Demosthenes die Stärke
seiner militärischen Macht, sein Feldherrntalent, die schlag-
fertige Oi^anisation seines Reiches, die Unzugänglichkeit und
Unangreifbarkeit seiner Grenzen unbekannt; wenn er gleich-
wohl den Kampf mit ihm aufnahm, so geschah dies im Glauben
an die nationale Mission Athens, im Vertrauen zu der Uner-
schöpflichkeit der Hilfsquellen des Staate^, die er zu mehren
bestrebt war ; es erfüllte ihn wohl auch die trügerische Hoffnung,
dass Makedoniens Macht, wie sie plötzlich aus dem Boden
emporgeschossen, so leicht und schnell zerfallen könnte. Es
mögen dies Fehler sein, deren Erkenntniss aber noch nicht
jene Politik an die Hand geben musste, welche als die Athen
allein angemessene uns gerühmt wird, Philipp nach Belieben
in Griechenland schalten zu lassen ; denn es handelte sich nicht
nur um Athens politische, sondern eben so sehr um seine
materielle Existenz, die von dem Augenblick ab, als Philipp
den Cherronesos und die wichtigste Handelsstrasse nach dem
schwarzen Meere beherrschte, in seinen Händen lag. Und,
wie Weidner wenn auch nicht neu so doch wahr bemerkt,
jVerloren ist der Staat, dessen Sicherheit und Freiheit auf
fremdem Willen und fremder Macht beruht^ (S. 258).
Was Demosthenes der von Makedonien drohenden Gefahr,
die er am frühesten und vollsten erkannt hatte, zu begegnen
vorschlägt, verdient dadurch, dass es über die verfügbaren
Mittel des Staates nicht hinausgreift, die grösste Anerkennung.
Allerdings tritt er, wie es uns scheinen will, in seiner ersten
» Vgl. Dem. RwdQe». 10 8. 344, 3. 302 ff. S. 438, 4. .311 S. 441, 6.
Aescb. 2, § 164; Schaefer II 156 ff.
4*
52 Hartel.
philippischen Rede etwas vorschnell mit »einer Meinung hervor, *
aber doch nur, weil er von der Vortrefflichkeit seines Planes
durchdrungen ist. Ebenso war er der erste auf der Redner-
bühne, als er seinen Symmorienentwurf vorzulegen hatte (vgl.
Dem. 15, 5 S. 192, 2: •fydv,' eßojXeuecOs dzkp Toiv ßaciAixwv, 7:apeX0ü>v
izpCixo^ £-]fa) zapVjveca). In den olynthischen Reden sehen wir ihn
sich bescheiden unterordnen, indem er nicht seine Anträge,
sondern was andere vorgeschlagen mit gleicher Wärme ver-
theidigt und nur den einen und andern Gedanken fiir die Art
der Ausführung einer weitern Berathung anheimstellt. Und in
diesem Sinne müssen auch die demosthenischen Anträge der
ersten philippischen Rede, die wegen ihrer Originalität für das
Verständniss seiner Politik von ganz besonderer Wichtigkeit
sind, beurtheilt werden; sie treten uns als ein umfassendes
Programm, welches nach dieser Einführung in der Volksver-
sammlung der reifen Erwägung des Rathes unterbreitet und in
seinem Detail noch ausgearbeitet sein wollte, ja von welchem
Theile vielleicht ohne Gesetzesänderung nicht einmal durchfuhrbar
waren, entgegen. Wer freilich dieselben und die Dinge, wozu
sonst Demosthenes in seiner Rede auffordert, so ansieht, als
ob sie mit ihrer Mittheilung und der sie begleitenden Empfeh-
lung genügend vorbereitet wären, um sofort vom Volke durch
Abstimmung angenommen zu werden, dem muss vieles daran
mangelhaft, unverständlich, verkehrt erscheinen; der muss im
Unterschiede von ihnen in den perikleischen Reden bei Thu-
kydides ,überall bewusste Planmässigkeit, nirgends allgemeine
Forderungen ohne bestimmte Ziele' finden (Weidner S. 26O.27V
Eine solche Auffassung erzeugt Schwierigkeiten ohne Zahl.
So findet denn Weidner die Aeusserung Demosthenes' in der
ersten olynthischen Rede (§ 20): , Andere schlagen andere
Massregeln vor, um das nöthige Geld zu finden, nun wählt,
was euch zuträglich und zweckmässig erscheint,' höchst auf-
fallend und bemerkt dazu, ,dass er in Perikles* Reden ein
solches Schwanken nirgends gefunden; eine moderne Volks-
^ Dass er sich dabei klug über das solonische Gesetz von der Reihenfolge
der Redner (Äeschines I § 25) hinweggesetzt, ist ein unhaltbarer Vor-
wurf; denn dieses Gesetz war längst ausser Gebrauch gekommen, wie
Äeschines III § 2 u. § 3 ausdrücklich sagt und auch aus Demosthenes'
RvKr. § 170 ff. zu entnehmen sein dürfte.
Demosthenische Studien. 53
Vertretung würde aus solchen Worten schliessen^ dass es dem
Antragsteller mit seinem Antrage nicht Ernst sei^ (S. 26I29).
Möchte man sich doch bei Demosthenes nicht abhalten lassen
dasselbe zu thun und erkennen ^ dass es verschiedene Aus-
drucksformen für einen Gedanken gibt und der Redner
seine Meinung ,mir ist es gleichgiltig, woher ihr das Geld
nehmet, wenn es nur beschafft wird/ auch in die Form der
Auffordemng kleiden konnte, ohne das Präsidium in Versuchung
zu fuhren, diese Imperative als Anträge zur Abstimmung zu
bringen. Aber freilich Weidner hat über die parlamentari-
schen Usancen seine eigene Meinung; er glaubt, dass es
jeden Augenblick jedem Redner möglich war, durch besondere
Anträge und Beschlüsse die herrschende Richtung zu durch-
kreuzen' (S. 260) und dass deshalb von einer consequenten
Leitung der athenischen Politik, also auch von der Verantwort-
lichkeit einer Regierungspartei nicht die Rede sein könne.
Nur unter solchen Voraussetzungen hat die scharfe Kritik
Weidners gegen die Anträge der ersten olynthischen Rede
auf Absendung eines zweifachen Hilfsheeres, zur Vortheidigung
der chalkidischen Städte und zum Angriffe auf die eigenen
Besitzungen Philipps (§ 16) Berechtigung, ja ihre vollste Be-
rechtigung; er findet dabei eine Menge Umstände nicht erwogen,
sowie Mängel, die eine sofortige Annahme derselben ganz
undenkbar erscheinen lassen: ,Wie gross sollten die beiden
Hilfsarmeen sein? Wie sollte die Aushebung vor sich gehen?
Wie lange sollten die Armeen das Feld behaupten und woher
sollte Unterhalt und Sold genommen werden? Wo sollte die
Angriffsarmee landen? Auf alle diese nothwendigen Fragen
erhalten wir keine Antwort. Und doch kommt es in solchen
Fragen nicht auf Wunsch oder Willen, sondern auf Ausführ-
barkeit, Planmässigkeit und Ausdauer an^ Das sind Fragen,
auf w^elchc eine Antwort gegeben sein musste, bevor zur Ab-
stimmung geschritten werden konnte. Wenn diese Antwort ver-
gebens in der Rede gesucht wird, nun dann wird eben in jener
Versammlung die Abstimmung über diese Punkte auch nicht
erfolgt sein. ^ Es müsste *gegen eine Annahme der Art, dass
* Diese Erwägxmgeii waren es, welche mich bestimmten, in diesen Vor-
schlägen nicht Amendements zu dem ::poßouX£U[ia des Rathes zu erblicken,
über welche sofort abzustimmen war. Ich benutze die Geleg-enheit, um
54 Hartol.
darüber und über ähnliche der Berathung des Volkes unter-
breitete Vorschläge zuerst der Kath commissioniren musste,
ebenso viel sprechen^ als in Wahrheit für sie spricht^ ehe man
aus den von Weidner richtig erkannten Eigenheiten demosthe-
nischer Anträge einen so schweren Tadel gegen den Antrag-
steller zu ziehen befugt wäre, üebrigens würde derselbe nicht
die Anträge selbst, ihre Nützlichkeit und Angemessenheit,
sondern nur die Art der Einführung und Begründung treffen
können, welche fiir die athenischen Hörer, die eine Menge
Wissen über die Verhältnisse des Augenblicks in die Ver-
sammlung mitbrachten, auch in jener Art vollauf genügen
mochte, welche wir durchaus ungenügend finden. Diess Wissen
hatte der Historiker Thukydides durch seine Reden selbst
zumeist seinen Lesern zu vermitteln. Darf darum der Unter-
schied der Reden beider den demosthenischen nachtheilig aus-
gelegt werden?
Die Angemessenheit der demosthenischen Anträge, welche
die erste philippische Rede enthält, in wiefern dieselbe aus
den damaligen Verhältnissen und ihrer wahrscheinlichen Ver-
anlassung erkennbar, habe ich zum Theil bereits in meiner
Abhandlung ,Demosthenische Anträge' darzulegen gesucht. Ich
will hier, um nicht zu wiederholen, nur kurz die irrigen
Voraussetzungen bezeichnen, von denen die ,kritisch-pol]tische
Untersuchung' Weidners ausgeht; allein über sie alle zu
sprechen, auch das würde zu weit führen, indem in seinem
Resume kaum ein Gedanke des Redners unentstellt und
unverdreht geblieben ist. Ich beschränke mich auf die wesent-
die in meiner Abhandlung ,DeniostheniBche Anträge* S. 521 über Zusatz-
antrlige im Allgemeinen mit zu grosser Zuversicht vorgetragene Ansicht
auf ihr richtiges Mass zurückzuführen. Ich hielt dort im Anschluss an
U. Köhler gegen Sauppe die Ergänzung der Inschrift CJA II 1 nr. 55 Z. 6
2aTupo5 für sicher. Diese Sicherlieit wird einigermassen erschüttert durch
die jüngst entdeckte, von U. Köhler in den Mittheilungen des deutschon
archaeologischen Instituts in Athen I 1 84 ff. behandelte Unterwerfungsacte
der Chalkidier auf Euboea vom Jahre 44G/Ö, wo die Amendements-Formel
vollständiger als in einer anderen von den mir bekannten Urkunden
erhalten ist. Nachdem dort Z. 40 ff. 'Avtixat-; eThsv ayaO^ Tuyi] t^ 'AOt,-
vaCtüv KotetaOai tov opxov xiX. der Hauptantrag mitgetheUt ist, folgt Z. 70 ff.
der Zusatzantrag: 'Apy^axpaTo[;] eT-e- t« \t.h aXXa xxdaaztp fAJvTixX^«, -a?
[o]£ sjOtiva« XaAxiÖEuai xaia ajfüv aOiüiv sTvai xtX.
Domosthenischo Studien. OÖ
liebsten Punkte^ deren genug sind. Denn nicht nur das Ziel^
welches sich Demosthenes in dieser Rede als nächstes ge-
steekty ist falsch aufgefasst, sondern auch seine Massregeln in
ihrer Bedeutung und ihrem Zusammenhang verkannt. Es ist
eine Täuschung anzunehmen^ wie Weidner thut, Demosthenes
lege die Auffassung nahe, seine Vorschläge seien das Radical-
mittel; welches die beklagenswerthe Lage des Staates sofort
und völlig zu ändern im Stande sei (Weidner S. 248), durch
welches mit Sicherheit alles Verlorne werde wiedergewonnen
werden. Im Gegentheil, darnach scheint ihm die gegenwärtige
Lage nicht angethan: an eine Aufnahme der Offensive gegen
Philipp ist jetzt nicht zu denken (§ 23: ov>x evi vuv i^jjliv icopi-
wjOai BuvafjLiv tt;v ixsfvw irapaxa^ofjievTQv). Als der Krieg ausbrach,
konnte man so hochfliegende Plane hegen, Philipp zu strafen,
jetzt müsse man zusehen, nicht selber Schaden zu nehmen
(§ 43: ^xj^Li^tji , . V. iJLY;Ssi; u[ji.wv . . . opYt^sTai öpwv tyjv jasv apxV
TcO ^loXspLOu 7£Y£*^ji.£VY;v -juepl toü Ttfxwpi^jaaOai ^'tXtwiccv, tt;v 8^ TsXeutTjv
cjsav rfir^ uxsp toO jjlt; TiaOfiTv xay.o); u-icb tcu 4>im'w:oj). Der räth
jetzt das Richtige, welcher zeigt, welche Macht, in welcher
Stärke und mit welchen Mitteln erhalten, im Stande sein
wird auszudauern, bis man entweder den Krieg durch Unter-
handlung abschliesst oder den Feind besiegt; denn nur im
Besitze einer solchen Macht dürfte man fürderhin keinem Nach-
theil mehr ausgesetzt sein (§ 15: it^ xopiJÖsija TrapaoxeuY) xal
-foTj xal TTCÖev Siafjistva'. SjvijasTai, ?io; äv i) ciaXuffwixeOa xetoOevTS?
ibv TioXspiov tJ xepiYSvwjji.sOa twv e/Öpwv ' cutü) ^ap ouy.eTt tou Xoitco'j
»2T/o'.(jL£v (Sv xay.ü>q). Noch näher bezeichnet der Redner als
unmittelbare Folge seiner Vorkehrungen den Schutz vor wei-
teren Unbilden (§ 34: toD icdcxstv auiol xaxö^; e^w ^evT^asoOe),
dass Philipp nicht mehr wie bis jetzt athenische Bürger von
den Inseln in die Gefangenschaft führen, Getreidekähne mit
unermesslicher Habe aufgreifen, noch das heilige Schiff bei
Marathon kapern werde, sowie dass er in Zukunft die Mittel
zur Kriegführung nicht mehr durch Plünderung athenischer
Bundesgenossen sich werde schaffen können (§ 34: xae ht. 7cpb<;
TO/rcd icpÖTOV |JL£V xbv {Ae^i^ov TÖv £xs(vou '^cdpwv ayaipiJceaOe. ^ori B' outo?
•{;; oTcb TÖv ufxsxepwv u[jLtv zoXefxsT au[jL|JLax(i)v, ay^*' **• ?^pwv tou^
Tikio^notq triv OiAaiTav). Kann der defensive Zweck der aufzustellen-
den Heeresmacht klarer und nachdrücklicher bezeichnet werden?
56 Hartel.
Um diese kräftige Defensive einzuleiten, entwickelt De-
inosthenes ein Programm von Massregeln, welche nicht minder
durch ihre Neuheit, wie durch eine bei dem jugendlichen Redner
geradezu überraschende Tiefe der Ueberlegung sich auszeichnen.
Man muss es ihm dabei zu Gute halten, wenn er an die
gewissenhafte Durchführung derselben Hoffnungen knüpft, die
über das zunächst durch sie zu erreichende Ziel weit hinaus-
liegen und muss in seinem Selbstgefühle, das auf der festen
Ueberzeugung ein Heilmittel für den siechen Staat gefunden
zu haben beruht, nicht unehrliche Prahlerei und ungerechtfer-
tigte Ueberhebung finden. Worin Athens Sch.wäche und Philipps
Stärke liege, das meinte er richtig erkannt zu haben. Nicht
darin lag sie, dass Athen als Seemacht gegen eine starke Land-
macht fem von seinen Hilfsmitteln den Kampf zu fuhren hatte,
konnte es ja nicht einmal als Seemacht sich und seine Bundes-
genossen vor den Angriffen dieser Landmacht völlig schützen, son-
dern ihm fehlte ein stehendes Heer, das nicht bloss während
der guten Jahreszeit, sondern auch während der schlechten Fahr-
zeit und im Winter am Platze sei. Aus diesem Mangel erklärt
er die ganze Misere der bisherigen Kriegführung, die drastischer
nicht geschildert werden kann. Mit der Schöpfung eines solchen
schien allem Elende mit einem Schlage ein Ende gemacht.
Darin ist der Kern seiner Anträge zu suchen (§ 19: 'scpb Zk
TOüTwv 8üva[jL(v Ttva, & a. 'A., 9y;[jl' zpoxetpiaacOat 8eTv i^ixa;, i^ cuvexöq
7:oXe(Ai^(7ei %ol\ xatccot; exeTvov ::otT^|(jei und § 31: toi? luveiifjLafft xal
'zoiiq wpat^ toO ho'jq la 7:oXXa i:poXa(JLßay(i)v JiaxpoTTSTai <I>(Xt7c::o? xäI
^uXd$a(; tou? irTiGict^ ij tov /et{jt.(ova ^n^eipsT, tI;v(x' äv ii\kv.q jaij Suvat-
(AeOa IxsTae a^aecOai. BeT to(vuv Taut" evOu{Aou[jLevou^ {av] ßdTjOstociq
xoXejxeTv (jj(r:sp\o\j[LVf vip axavTwv), aXXa xapaaxsüt] auve/ei xat
Suvifxsi xtX.). Um zu diesem Ziele zu gelangen, geht er be-
hutsam vor und verlangt nicht auf einmal Alles. Besser, man
thue etwas Bescheidenes ganz und wenn das nicht auszureichen
scheint, lege man etwas zu, als dass man grossartige Pläne
entwirft und dann unausgeführt lässt (§ 20: la (jLtxp3e ^n^^avTe^
xal woptWi»Ts<; toOtoi? 7:poT:{ÖSTS, äv iXicata ^afvTQTat). Er begnügt
sich demnach mit der Aufstellung eines kleinen Corps, lässt
davon noch die grössere Hälfte Söldner sein und nimmt für
die Erhaltung desselben zunächst die bescheidensten Mittel in
Anspruch (§ 23: XtjtJTeiejv dvavxiQ xal toutw tw TpÖTcco tou -KoXejjiou
Democtheniscbe Stadien. 57
Xp^s6ai TY]v 7:pü)TY}v), indem er wohl hoffen mochte, dass aus
einem solchen Anfange, wenn man sich vom Nutzen der Sache
überzeugt, eine grössere und solidere Organisation heraus-
wachsen werde.
Dieses stehende Heer combinirt Demosthenes mit der bis-
her üblichen Mobilisirung fiir einzelne und bestimmte Aufgaben
in der Art, dass, während jenes in der Nähe des Feindes
operirt, um ihn unablässig zu bewachen und zu belästigen,
eine andere, grössere Macht für den eintretenden Bedarf mit
Allem, was für ihren Ausmarsch erforderlich ist, zu Hause bereit
gehalten werden soll. £s ist reine Willkür anzunehmen, dass
Demosthenes den Antrag, fünfzig Trieren und ein entsprechen-
des Bürgercontingent in Bereitschaft zu halten, doch nicht zu
stellen gewagt habe (Weidner S. 251). Er ist ein Theil seines
Gesammtprogramms und mit diesem beantragt, d. h. der weitern
Berathung und endlichen Beschliessung anheimgegeben. Den
Antrag auf sofortige Mobilisirung, welchen Weidner zu erwarten
scheint, musste er nur dann ausdrücklich stellen, wenn es sich
um eine aggressive Operation gegen Philipp, um Zurückweisung
eines Angriffes desselben handelte, was nicht der Fall war;
denn auch dieses Bürgerheer hat die rein defensive Aufgabe,
gegen Philipp auszurücken, wenn dieser einen Punkt, wo Athens
Interesse im Spiele ist, bedroht (§ 17: lauta |jl€v oTfxai Selv Oicdpxeiv
£rt T«^ e^awvT)^ TauTo? anm rfiq cixeta? X^P^^ aurou axpaxeictq slq
üdXaq %a\ XeppivTQCjov xat "OXuvOov %a\ ozot ßo6XeTai). Auch liegt in
den Worten § 18: oötoc TcavTeXö? ou8' e? jxt^^ xottjcait' äv touto, w?
s^w^e fr,|Ai 8elv, euxaTafpovYjTov ecrctv nicht ausgesprochen, dass es
dem Redner gleichgiltig sei, ob sie diese Massregel ausführen
oder nicht, sondern er behauptet nur, dass dieselbe auch in
dem Falle, dass sie nicht so durchgeführt würde, wie er sie
durchgeführt wissen will, wenn sie z. B. statt selbst die Schiffe
zu besteigen (§ 16: wXeuTc^ov s'!?'Ta6Ta^ au-oT^ ejjLßdfctv) Söldner
werben, oder in geringerer Zahl sich einschiffen würden, dennoch
nicht unverächtlich erscheinen und Philipp von dieser Bereit-
schaft in Eenntniss gesetzt, Ruhe halten werde.
Eine doppelte Täuschung findet Weidner in der vorgeschla-
genen Ausführung des gesammten Planes, indem Demosthenes
bald von Zahlung des Soldes für die Truppen spreche, an
der entscheidenden Stelle aber, wo er auseinandersetzt, was
58 Hftrtel.
der Staat für diese Expedition an Kosten aufzubringen habe
(§ 28), nur das Verpflegsgeld, nicht aber die Löhnung, wie sie
neben jenem in gleichem Betrage in der Regel bezahlt wurde,
in Rechnung stellte; ferner darin, dass die Ausgaben nur für
ein Jahr berechnet werden. Auch davon steht das Gegentheil
bei Demosthenes. Für die stehende Truppe nimmt er von vorn
herein und consequent als etwas von der Staatscassa zu lei-
stendes nur die Verpflegsgelder in Anspruch (§ 20, 22). Dass diese
auf eine Soldzahlung aus der Staatscassa nicht rechnen dürfe,
wird § 23 ausdrücklich gesagt und aus eben diesem Gesichts-
punkt die geringe Zahl der Truppen gerechtfertigt, indem diese
sich den fehlenden Lohn leicht durch Freibeuterei verschaffen
werden, was bei einem grösseren Truppenkörper nicht möglich
sei, daher man einem solchen nothwendig Sold zahlen müsste,
wofür aber das Geld fehle (§ 23: tocau-njv [ih^ w &. 'A., ou
Taih«, CTi oinc svi vjv t^ijlTv TcopiaaaOat Suvajji'.v tTjV exeivco 7:apaTa$0|jivr|V,
aXXa XTjOTSuetv avi^XY) xal touto) tw TpoTTW to5 %oki\f.o\) yjpria^OLi t^v
xpwTTiV cu Totvuv ü7:ipcYy.ov aW^v, ou y^P seit [xicOb;, oucs zx/reXw;
TaxsivrjV etvai SsT). Ebenso ist es aber andererseits consequente
Voraussetzung, dass das Heer nicht ohne Sold dienen könne
und werde (vgl. § 24: ou fotp s(jt' äpy^ev^ [i-tj SiScvTa [xioOsv, § 25
und 46). Nur soll dieser Sold nicht aus der Staatscasse fliessen,
daher von Demosthenes keine Summe dafür in das Budget
gestellt wird, sondern die die Truppe begleitenden Zahlmeister
werden ihn aus dem Erlös der Beute flüssig machen. Der
Redner ist von der Möglichkeit, dass dem Heere die Löhnung
aus dem Ertrag der Beute, ohne dass dabei einem Hellenen
oder , einem Bundesgenossen ein Schaden zugefügt wird, be-
schafft werden könne, so überzeugt, dass er mit seinem Kopfe
dafür einstehen will (§ 29: £i U ti; siexat |JL'.>cpav d(popp.Y;v etvat
airrjpsdiov toT^ cTpaTS'JOfXEvci; uzap^ew, oux cpöw; eyvwxsv eya) ^ap
oloa GOL^dq Ott, toOt' 5v fr/i^Tai, ^poo^rspiet Ta Xon^a airrb to arpi-
TsufjLa axb toj xoXsfjiO'j, ouosva twv 'EXXtjvwv aBixouv ouSe twv (7U[jLjxa)fwv,
wen' e^siv [awOgv evTsX^ • i-^ii au[jLTrX£wv eOsXovir;; zas^eiv ^Ttouv Itciiac^,
eav [xt; Taut' outw; i)(ri). ^
* Diese Art durch Freibeuterei das Kriegsbudget zu entlasten ist für jene
Zeit etwas durchaus gewölinliches; das zeigt «clion der Ton, in welchem
die Schriftsteller davon erzählen. Nach dem Siege des Thrasybulos über
den spaiianischen Harmosten auf Lesbos im Jahre 390 t«; (xb npoor^yoTTro
DemoBthenische Studien. 59
Wer darf, von dem unaufmerksamen Leser abgesehen,
sich beklagen; hierin von Demosthenes getäuscht zu sein?
Aber freilich ^so viel konnte und musste Demosthenes wissen,
dass es für das Heer leichter war, die eigenen Bundesgenossen
als Philipps Staaten zu plündern, und dass die Söldner sich
gegen die Bundesgenossen wenden mussten, wenn Philipp,
wie es zu erwarten war, seine Länder mit Umsicht und Energie
vertheidigte' (Weidner S. 252). Wie gross die Seemacht war,
über welche Philipp damals bereits verfügte, wissen wir nicht,
aber dass sie kaum über ihre ersten Anfänge hinaus war,
erhellt daraus, dass Demosthenes in zehn Schnellfahrern einen
genügenden Schutz gegen dieselbe sieht (§ 22: Sei ^op, iy ovxoq
a£ivo'j vauTixov, xal toxeiwv Tpti^püiv Tl;iJitv, äxw; a'3<f(xk(d<; i^ 8uva[jLt;
*AeT]), sowie das maritime Uebergewicht Athens sich darin zeigt,
dass ohne eine besondere Anstrengung von seiner Seite Philipps
Häfen blokirt und der Handel Makedoniens so gut wie ver-
nichtet war (vgl. Olynth. II § 16 und meine ,Demo3th. Antr.^
Anm. 23). Wie aber der König ohne eine mächtige Flotte mit
Erfolg gegen eine freibeuternde Flotille sich und seine Bundes-
genossen schützen konnte, ist nicht abzusehen. Ferner heisst
es doch Demosthenes' Intentionen absichtlich verkennen, wenn
man nicht sehen will, dass die ganze Organisation der stehenden
T(üv }:^£a)v, ex Bl Tcov ou npoo/copouacov XE7)XaT(ov )(^pi)[iaTa tot; arpa-
itwTai? 6<n:£uaev lU trjv TdSov aoix^aOai. oj:ü){ 8' av xai inLiX o);
£pp(o[i£vf aTttTOV To aTpocTEujjia ^roniaaiTO, e$ oXXwv t£ h^Xeiüv i^pyu-
poXoyEi xat U *Aai:£v8ov a9ix(JjjL£vos «opixfaaio £?s tov Eupu(jL/SovTa Tiotajxov.
^§7) 8' fyovTO? «üTou ypijfjLaTa 7:«pa TtSv *Aa7:£v8(ü)v, a§tXY]vavT(DV ti Ix
Twv drjfpöjv Tüiv arpaTitoTtüV, opyiaO^VTs; o\ 'Aa;:{v6ioi . . , xaraxo;rrou9tv , ,
auTov (Xenoph. Hell. IV 8, 30). Daraus, wie aus Diodors Worten (XIV 99:
/piSoaia £i>.r|90io( auTou izotpa, xüjv 'Aotievo^wv 0{j.ü>5 tiv^ Toiv OTparitoTwv
söTjwaav Tijv y(top%Mi) sieht man, dass es sich um Kriegscontributionen
bandelt, welche, um von weiteren Plünderungen verschont zu bleiben, die
neutralen oder feindlichen Gebiete entrichteten. Vgl. Bnsolt, der zweite
athen. Bund 8. &16 (J. f. Phil. Suppl. N. F. VII) — Dieselbe Einnahms-
quelle hat Isocrates im Auge BvUmtausch 112: Ti^dBfo; rioTföaiav eTXcv
flbio T(5v yjsr^jiocTtov wv auib; iii6pi(js, xat twv auVTaffitov xciSv oazo 6pix7)(.
Im Jahre 365 erhielt Timotheos seine 2000 Peltasten auf solche Art (Ix
ti]( 7:oX£[jL(a( (jLiaObv xrj^tixz). Eine gute Berechnung der Höhe dieser
Einnahmsquelle auf Grund dieser und anderer Stellen gibt Bnsolt
a. a. O. 718 ff.
60 Hartel.
Truppe darauf berechnet ist, Ausschreitungen derselben un-
möglich zu machen.
Die zu schaffende Armee soll eine Staatsarmee oder
wenigstens eine Armee in eigener Regie sein (§ 19: {jii^
SuvcijAsi? , aXX' i^ t^; ic6X£(i)(; latat und § 27), von einem dem
Staate verantwortlichen, vom Volke gewählten Feldherrn geführt
(§ 33: Twv Ik xpi§eu>v xapa tou TrpanfJYOJ tov X670V ^ijTOjvrec, § 27:
xal Ol) Tov av8pa [jLc[jLf6|xevo^ Taüta Xi^w, aXX' 69' OjAtSy eBsi xsxsipsTOvri-
jxevov eTvaj toutov, 0? ti<; dv ij), welchem uneingeschränkt die stra-
tegische Leitung zukommen wird (§33: ä (aIv ouv xp^aerat xa;
z6t8 Tfj ^uvifjiei, 7:apa tov xaipbv 5 toütwv x6pio? xaTarra^ Of' upuSv
ßouXsüffeTai) ; dass auch die übrigen vom Volke gewählten militäri-
schen Chargen dabei sein sollten, wird wenigstens nahe gelegt
(§ 27 : ou Y^p ^xptjv Ta5iap/cü^ 7:ap' ujjtwv feap^ov i:ap^ üjxuiv ap;fovTa;
oixfitou? eTvat, Tv' Jjv w? aXr^Ocoq t^; TcdXeox; 1^ Suvajx'.;;). Es ist selbstver-
ständlich, dass Demosthenes den im Heere an der Seite der Söldner
dienenden Bürgern keinerlei Ingerenz auf die strategische Lei-
tung zugesteht, wohl aber sieht er dieselben an als Wächter
der Heerfuhrung (§ 25) &<j7:ep erixTag tcüv crpotnQYOuiJLcVwv, aber
doch nur in dem Sinne, um die bei Soldtruppen gewöhnlichen
Ausschreitungen, dass diese ihre Waffen gegen Freunde und
Bundesgenossen kehren (§ 24: e^ ou B* auta /.aö' aOia xa ^e^fnux
u|i.Tv oTpaTeueTat, Tobg ^iXou^ vixa xai tou^ au\i,\kx/o^q und §45: 01 3s
au|i.(Aaxoi TeOvaat tw Seei Tcbg toicutou^ dn:offToXou<;), ihre eigenen Ziele
verfolgen . und den Feldherrn zwingen, ihnen zu folgen (§ 24),
von vornherein unmöglich zu machen und vor allem darüber
zu wachen, dass die Beutegelder ihrer nunmehrigen Bestimmung
der Soldzahlung richtig zugeführt werden (§ 33: twv jx^v xp>JFetu)v
auTol TafA^ai xat 70pc(7Tat -^ifKi^v^oi) und dass sie zurückgekehrt
nach der Heimat als Augenzeugen ein gerechtes Urtheil über
die Handlungen der Feldherren ermöglichen und der crassen
Ungerechtigkeit und Verkehrtheit ein Ende machen, indem
jetzt auf blosse Gerüchte hin dieselben ungehört verurtheilt
wurden (§ 47). Sieht das der ,Ausgeburt einer demokratischen
Raserei' ähnlich, wenn Demosthenes auf Grund zahlreicher
übler Erfahrungen, welche Athen mit seinen Söldnern gemacht,
auf diese Weise das Bewusstsein der Verantwortlichkeit in den
Führern schärfte und lebendig erhielt? Wenn er durch Bei-
Demotthenisebe Stadien. 61
mischuDg eines besseren Elements athenischer Bürger, welche
für das Interesse ihres Staates kämpften, den Geist der Ti'uppe
hob und kräftigte? ^Konnte und musste Demosthenes wissen/
dass dieses Heer die eigenen Bundesgenossen plündern würde,
nachdem auf diese Art die Erhaltung der Disciplin mit allen
erdenklichen Garantien umgeben war?
Weiter bezeichnet Weidner (S. 252) es als ^merkwürdig, dass
auch das aiTiQpeaiov nur für ein Jahr berechnet wird, während
doch diese Ausgabe eine Reihe von Jahren ertragen werden
musste, wenn das Heer als auvex^<; oder ouveonQxoi; bestand und
Wirkung haben sollte'. Unter allen Einwürfen, die wider De-
mosthenes erhoben wurden, scheint mir dies der merkwürdigste.
In nichts zeigt sich nämlich die einschneidende Bedeutung der
demosthenischen Reform klarer als in der Art, wie er ihre
Bedeckung bespricht. Wenn es sich nur um eine Expedition
nach einem Punkt der makedonischen Küste handelte, um
einen kurzen Jahresfeldzug, dann brauchte Demosthenes, nach-
dem er das ciTigpeatcv für ein Jahr berechnet, kein Wort mehr
zu verlieren. Es galt dann nur die Bestreitung einer ausser-
ordentlichen einmaligen Ausgabe, für welche vermuthlich die
Geldmittel, welche bereits füi* die seit Monaten geplante thra-
kische Expedition in Aussicht genommen waren, doppelt und
dreifach genügt hätten. Oder es bedurfte des einfachen An-
trags auf Ausschreibung einer Vermögenssteuer, womit sonst
vorübergehende Ausgaben gedeckt wurden. Indem aber mit
der Aufstellung eines stehenden Heeres eine dauernde, jährlich
sich wiederholende Ausgabe geschaffen war, musste in den regel-
mässigen Einnahmen des Staates dafiir nach einer Bedeckung
gesucht werden, und diese entwickelte ein sorgflütig ausgearbei-
teter Finanzplan, welchen der Redner als Basis der weiteren Be-
rathung in seiner Rede mittheilte. Wie konnte aber Demosthenes
dabei anders vorgehen, als dass er die Eriegskosten für ein Jahr
berechnete? Leider ist uns dieses Finanzprogramm verloren
gegangen und wir können demnach nicht wissen, wie er den
Hehrauslagen durch Ersparungen im Budget oder Vermehrung
der Einnahmen gerecht wurde. Nur so viel steht auch ohne
Einsieht in dieses Programm fest, dass er die Kosten für seine
militärische Reform nicht in einer vorübergehenden Massregel
gefunden haben wird.
62 Hartel.
Zur Durchführung des demosthenischen Programms ge-
nügte nicht die einfache Annahme desselben durch die Volks-
versammlung, nachdem es an dieselbe mit einem Rathsgutachten
zurückgelangt war, sondern — und daraus erhellt wieder
schlagend, dass damit nichts weniger als eine transitorische
Massregel intendirt war — ohne Oesetzesänderung mag selbst
Demosthenes es nicht für durchführbar gehalten haben, wovon
einige Andeutungen in der Rede leicht überzeugen können.
So scheint wenigstens die Verpflichtung, dass athenische Bürger
längere Zeit Sommer und Winter ausserhalb des Landes dienen
sollten, durch ein Gesetz ausgesprochen werden zu sollen (§ 33:
äv Taura, w ä, 'A., TuopCcrjTs Ta /pT^ixorca -irpÖTOv ä XeYW, elxa, r.a\
tSXX« xapacxeuaaavTe? toü^ arparwoTa? Ta<; -pti^pst^ tou? te^a? evxeXij,
xaaav Ttjv SuvaiJLiv v6|jl<i> xaTaxXe(ffTr)Te * exi tw TzoXi[uo jxsveiv ,
xauaeoO' aet «ept töv auTcov ßoüÄ€u6[JL6vot xal rXsov ouSev xoioOvre?),
wenngleich das ganze Militärwesen einer gesetzlichen Regelung
überaus bedürftig ist; denn während bei den Festen alles zur
rechten Zeit und ordnungsmässig verläuft, so herrscht in allen
kriegerischen Vornahmen bare Unordnung (§ 36: ott exsTva piev
SicavTa v6|jL«i> TETax-cai, xas xposiSev S^aoro? üjxöv ex xoXXoö t{? X®P^®?
9) Y^jAvadfap^o? -rij^; ^uXyjc, xöxe xal xapa toö xal T{va Xaßdvra t{ Bei
xotetv, oüSev aveSsTaorov ouS' aöptorcv ev touroig T^jxeXTjTai, ev 8e xdi?
xepl Tou xoXefJLOu xal lij toutoü xapaoxeutj aiaxta äSiöpöwxa di6pi5Ta
äxavTa).
Die Regelung dieser Verhältnisse brauchte Demosthenes
im Detail nicht jetzt schon in Vorschlag zu bringen; sie ei^ab
sich als eine unabweisliche Consequenz, sobald sein übriges
Programm einmal angenommen war. Und so erklärt sich auch,
dass er noch andere Fragen offen lässt, wie die Altersclasse
und Dienstzeit des Aufgebots, die Ablösung desselben (§ 21:
Xe^w 8t) tou? xavra? arpaTiwTa^ 8iaxtX{oü<;, toütwv Ss 'Aörjvatou? ©rijxt
SeTv etvat xevTaxoafoug, e^ ?; <£v inoq üjjLtv i^Xixta? xaXw? l/eiv 8oxt),
Xp6vov taxTOv GTpaT6üO[JLivou;, {jLY) (jLaxpov TOUTOv, aXX* 5<J0v äv Soxtj
xaX(5(; exetv, ex BtaSo/ij; äXXiJXoK;). Auch war es misslich, detaillirte
Anträge über alles und jedes, was mit den Hauptpunkten dieses
1 Verpflichtung durch ein Gesetz bedeutet auch der Ausdruck bei Andok.
3, 7: avTjv^yxÄfjLEV x.^ia xaXavta ilq t^v axprfroXiv x«i vojjlco xaTExXsfcTafxsv
Demosthenische Studien. 63
Programms zusammenhing, ehe die Entscheidung über diese
von competenter Seite vorlag; zu stellen. Demosthenes ist sich
klar bewusst; mit seiner Programmrede über den Anfang
nicht hinausgekommen zu sein; er weiss^ dass ihm eine Reihe
langwieriger Verhandlungen in Aussicht standen, wenn es ihm
gelang, das Volk zu bestimmen, auf die Berathung einzugehen;
denn er fürchtet nicht ohne Grund den Vorwurf, dass er den
auf der Tagesordnung stehenden Zug gegen Philipp hinaus-
schieben wolle (§ 14: [uß^ div e^ «PX^? oovtXb xvn xaivTjV xapaoxsjYjv
,Ti^|jLcpov' etrovTe; ixa/ucra v.q 8sov Xs^oustv). Er verzichtet um
den PreiS; den Unternehmungen gegen Philipp eine solide
Grundlage und dem Staate, was dieser bisher nicht hatte, eine
stehende Truppe im Felde zu geben, aus der mit der Zeit
eine kriegstüchtige Armee sich bilden konnte, auf eine sofortige
Expedition nach dem thrakischen Cherrones, welche auszurüsten
man im Augenblicke nicht abgeneigt schien.
Demosthenes müsste von der Wirksamkeit und Bedeutung
seines Programms weniger überzeugt sein, als er es in der
That ist, wenn er nicht hie und da einen siegesfrohen, selbst-
bewussten Ton anschlagen durfte. Er wäre ein schlechter
Vertreter seiner Sache, wenn er nicht wüsste, dass er diese
siegesfrohe Hoffnung dem Volke mitzutheilen habe, um es für
die Annahme so entscheidender Reformen geneigt zu machen.
Und berechtigte dieser Zeitpunkt nicht mehr dazu als ein
anderer? Die rasche Expedition nach Pylae hatte Philipp
von Mittelgriechenland ferngehalten. Der thrakische Zug Phi-
lipps schien, Dank der Erkrankung desselben ^ ohne ernste
Folgen für den athenischen Besitz vorüberzugehen. Man konnte
hoffen, bald einen mächtigen Bundesgenossen wie den chalki-
dischen Städtebund im Kampfe gegen Philipp an der Seite zu
haben und dadurch die grossen Nachtheile, welche eine See-
macht im Kriege mit einer Landmacht zu überwinden hat,
auszugleichen. Gleichwohl regt Demosthenes trügerische Hoff-
nungen nicht an. Von einem völligen Umschwünge der innem
Verhältnisse, von der opferwilligen Bereitheit für die Interessen
des Staates mit Out und Blut einzustehen, wovon die gestellten
Forderungen nur den Anfang und einen Theil bezeichneten^
macht er den Wiedergewinn des Verlornen abhängig (§. 7:
64 Hart«!.
awtb^ JJL6V ouBiv IxÄffro^ iron^cetv eXxil^idv, ibv 3i tiX^joiov icivO' üi:^p
ouTou ?:pol^eiv* xat toc ujjieTep^ auTuv xojjLteToOe, (ht Oeb^ OsXt), xal xa
xaT6ppaOu|jLi2|jL£va ^iXiv avaXi^^^co^e xdbcetvov TC{Afa)pi^7eo6s). Nur unter
dieser VorauBsetzung erscheint ihm der schwierige Kampf mit
diesem gewaltigen G^^er, dessen Grösse er^ wie es dem
praktischen Staatsmann ziemt^ kennt und anerkennt^ die er
nicht y widerlegen und umgehen' will (§ 4: et 6^ tu; 0|jLh)v Sucxo-
XejxijTOv oieTai tov ♦iXwwrov eivai, cxo^v t6 te xXi^^ t^^ iw:apxo6ar|^
ouTCi) Suvitieu)^ xxi to ta ;((i>pi2 icfna a'^oXbiXevai xrj icoXei, ipOö>{ |A£v
oisTai); nicht aussichtslos. Wenn dabei hie und da seine von
edler Leidenschaft durchglühte Logik sich ein Sophisma oder,
was uns so erscheinen will, erlaubt, so verbietet schon der
Ernst seiner Ueberzeugung, der überall zu Tage- tritt, an be-
wusste Täuschung zu denken. Gerecht und einsichtsvoll hat
über Sophismus und Entstellung Blass (a. a. O. 184 £F.) ge-
sprochen.
Auf diesem Gebiete aber bewegen sich zumeist die Aus-
stellungen, welche Weidner gegen die olynthischen Reden erhebt,
deren Werth und politische Bedeutung, wenn auch sein Tadel
noch so b^ründet wäre, dadurch nicht berührt würden. Aber es
heisst dem Redner die Seele nehmen, aus welcher allein Leben
und Erregung strömt, aus der die Funken sprühen müssen,
um Kopf und Herz der trägen Versammlung zu entflammen,
wenn ihm die Ruhe und Kaltblütigkeit des Historikers wohl
anstehen soll. Wenn demnach Weidner die persönlichen In-
vectiven gegen Philipp und den makedonischen Hof als über-
trieben und ungerechtfertigt tadelt, so mag er Recht behalten,
ausser Theopomp und seinesgleichen wird doch niemand daraus
Geschichte machen. Aber dem Redner muss es zu Gute ge-
halten werden, wenn er, wie es ihm gut dünkt, die Entrüstung
gegen Athens furchtbarsten Feind, welche im Augenblick ihn
eifüllt, in die Seelen seiner Hörer überleitet, um sie zu zwingen,
so zu denken und zu fUhlen wie er. Um vieles gerechter muss
aber der Zorn und die Entrüstung, welche ihn gegen die innern
Gegner seiner damaligen Politik entflammte, erscheinen, denn diese
Vertreter einer friedlichen Politik hatten durch eine Reihe von
Jahren das Militärwesen verkommen. lassen, das Kriegsbudget be-
schnitten, anstatt einen Schatz für Kriegszwecke zu sammeln und
DemottliMisohe Stadien. 65
dadurch den Staat stark und widerstandsfähig zu machen, die
Mehreinnahmen auf Feste und fUr Besoldung des Volkes, welches
sich das gern gefallen Hess, verwendet, und setzten diese Politik
zu der Zeit, da sich Athens Schicksal entscheiden sollte,
unbedenklich fort. Wenn in diesen Männern Demosthenes die
Mithelfer von Philipp sieht, ist er nicht im Unrecht; dass er
sie des bewussten Verrathes zeiht, was übrigens in diesen Reden
nicht geschieht, mag unbillig und ungerechtfertigt sein. Seine
Heilmittel zu ertragen, war Athen nicht mehr stark genug.
£ine moralische Umwandlung des siechen Volksgeistes, dessen
nationale Regungen in erhabenen Seelen selbst bei einem
Piaton fast erstorben erscheinen, von der Rednerbühne aus zu
bewirken, dünkt uns von vornherein ein vergebliches Bemühen;
ihm däuchte es eine patriotische Pflicht, und darin liegt der
tragische Zug, der Demosthenes' Leben und Streben durchzieht,
das von Jahr zu Jahr an getäuschten Illusionen reicher, doch
immer wieder hoffend und übermenschlich ringend, endlich
jener grössern Macht der Verhältnisse unterliegt, nicht ohne
durch manche Schuld den Ausgang zu rechtfertigen. Dieser
Schuld nicht bloss im Allgemeinen zu gedenken, sondern sie
im Einzelnen zu suchen, zu bestimmen, zu begrenzen, halte
ich für eine Pflicht der historischen Wissenschaft, und bin weit
entfernt, den kritisch-politischen Versuch Weidners als einen
principiell unberechtigten zu verwerfen. Nur meine ich nicht,
dass davon sich viel oder auch nur etwas in jener Sturm- und
Drangperiode, in welche die besprochenen Reden fallen, werde
nachweisen lassen. Die Ausführlichkeit der Begründung dieser
Meinung möge durch die Bedeutung des Gegenstandes fiir ge-
nügend entschuldigt gelten.
Dass das von Demosthenes in der ersten philippischen
Rede vorgelegte Programm nicht durchgedrungen ist, unterliegt
keinem Zweifel. Demosthenes schweigt von dem Erfolg seiner
. Anträge, ja noch mehr, er schweigt von den Anträgen selbst, wo
sich eine Gelegenheit ihrer zu gedenken bot, wie § 4 der dritten
oljnthischen Rede. Er versagt es sich, in nutzlosen Recrimi-
nationen gegen jene aufzutreten, die rechtzeitige, wohl überlegte
und leicht ausführbare Vorkehrungen zu treffen verschmähten.
Um so weniger darf es befremden, dass Demosthenes in den
olynthischen Reden an keiner Stelle den euboeischen Feldzug,
Sittongvber. d. phiL-lüit. CI. LXXXVir. Bd. I. Hft. 5
ob Hart«I. Demostheniiehe Stadien.
von dem er in erfolgloser Opposition gegen die herrschende Partei
abgerathen^ in Erinnerung bringt, ein Umstand, der bedeutsam
genug erschien, um damit die Annahme, dass diese Reden vor
dem Ausbruch desselben gehalten wurden, zu begründen. Ein
solches Argument stützt sich zugleich auf eine andere Voraus-
setzung, die nicht ohne weiteres zugestanden werden darf,
darauf nämlich, dass Demosthenes in der olynthischen Frage
nur mit den uns erhaltenen Reden und nicht zuvor das Wort
ergriflFen. Wer das nicht glaubt, wird sich leicht eine Gelegen-
heit denken können, bei welcher derselbe Eubulos und den
Andern ihre verkehrte euboeische Politik vorgehalten und dann
sich um so leichter zufrieden geben, wenn er in den erhaltenen
Reden eine Wiederholung solcher Recriminationen nicht findet,
als dies nur dazu beitragen konnte, in unnützer Weise den
inneren Hader zu mehren, * ja vielleicht die Sache der Bundes-
genossen zu gefährden.
^ Wurde ja Demosthenes selbst, der den Zug nach Euboea widerratben
(RvFr. § ö; lyro yip^ rTi a. 'A., ^ptoTov piv, ^^vix"* ?n£i8ov upia; itüv ev Eußo(i
7:paY(AdlT(i>v Taparco(x^vtov ßo7)0Etv IlXourapytü xat 7co\s{xov aSo^ov xai 8au:aviripov
apaaOai, irptoTo; x«i pidvo^ napEXStov avTEtnov xai (xovov ou StEfficaoOTjv),
yielleicht in Folge dessen für den ungünstigen Verlauf verantwortlich
gemacht, vgl. Rg.Meid. § 110 S. 560, 25: (MEi$(a;) -mm iv Kv>ßo{a jrpayfndTcov
— TouTi yap au piixpou xap^O* pi^ cinstv — a llXoutop/o^ 6 toutou ^i'io^
xai f^IXoi BiETcpfli^aTO, w; iyto aKrio? £?[ii, xarsixsiia^e izpo tou to ^icayjia
IfEv^aÖai Kaai 9av£pbv 6 t« IIXouTap/^ou yeyov^;.
Tomaschek. CentralMiatlflChe Studien. I. H7
Centralasiatisehe Studien.
Von
Wilhelm Tomaschek,
Lekrer an dem Mariahilfer Commnnal-Beal- nnd Ober-Gymnasinm in Wien.
I.
Sogdiana.
(Mit drei KArten.)
Den Namen ,Sogd' lernte die occidentalische Welt zuerst
durch den Vater der Geschichte, Herodotos, kennen. Dieser
fiihrt einmal in seiner Uebersicht der durch Dareios eingerich-
teten Steuerbezirke (III 89 — 95), in welchen ohne Rücksicht
auf ethnischen Zusammenhang so wie auf Satrapenverwaltung
benachbarte Volker so zusammengestellt sind, dass die Steuer-
quoten jeder Gruppe eine runde Summe ausmachen (ähnlich
wie in den Steuerlisten aus der Sassaniden- und Khalifenzeit
bei Khurdäd-beh und Qodäma), als in der sechzehnten Steuer-
gruppe vereinigt folgende ansehnliche und weitab entlegene
Völkerschaften an (93): IlotpOoi 5s yjxi XopacjAtoi xat S^y^oc ts xai
"Apstoi TpiY]x67(a TaXavra (dtTcoryivgov) • v6[jlo; ixxo? y,al 8äxaT0<; outo<;;
dann in der Aufzählung (VII 61 — 99) der Völkerschaften und
Heeresmassen, welche Xerxes auf seinem Zuge nach Hellas
in der Ebene von Doriskos musterte, in ziemlich paralleler
Zusammenstellung (66): IlapOoi Bs xai XopaajjLioi xat 26780t xs xai
Trtldpiot xat AaSixat, Tyjv auTt)v cxsü-^v Eyof'zeq, ri^v xoti BaxTpiot
STTpaTEüovTo. Dic Parther und Chorasmier hatten ihren eigenen
Heerführer, ebenso die Gandarier und Dadiker, SoySwv 8s (•^/pxs)
ACflrnjq 6 Apratou. — Sehen wir uns nach den einheimischen
Denkmälern um, die aus den Zeiten des Dareios und seiner
Nachfolger stammen und welche entziffert zu haben die Wissen^
Bchaft unseres Jahrhunderts sich zu höchstem Ruhme anrechnen
darf, so müssen wir zuerst in die grosse Inschrift von Bahistan
6*
68 Tomaichek.
Einsicht nehmen , in welcher Dareios die Provinzen seines
Reiches theils nach einer gewissen Rangordnung, tbeils in
geographischen Gruppen geordnet aufzählt, und worin als acht-
zehnte Provinz Sogdiana vorkommt; nach Katapatuka (Cappa-
docia) folgt nämlich folgende Reihe von Namen : Parthava (13),
Zaraka (14), Haraiva (15), Uvärazmiya (16), Bäkhtris (17),
gvGVDA (XVIII), Gandara (19), ^aka (20) etc.; die letzten
fUnf Namen lauten in den Keilschriften der dritten Ordnung oder
in assyrischer Sprache: Huvariismu (16), Baahtar (17), Swkdv
(XVUI), Paaruparaisaanna (19), Gimiri (20). In der zunächst
zu beachtenden Inschrift von Persepolis lesen wir in nur wenig
erweiterter und verstellter Reihenfolge folgende Provinzen der
östlichen Reichshälfte : Ayagarta (13), Parthava (14), Zaraka (15),
Haraiva (16), Bäkhtris (17), Qvgda (XVIII), Uvärazmiya
(19) etc. In der grossen Inschrift von Näkhs-I-Rüstam endlich,
oder der Grabinschrift des Dareios, folgen die Ostprovinzen
gleich hinter den im Range höchsten, Pär9a, Mäda und Uvaga,
und zwar wieder in ähnlicher Aufeinanderfolge: Parthava (4),
Haraiva (5), Bäkhtris (6), Sygvda (VII), üvärazmis (8),
Zaraka (9) etc.; in assyrischer Sprache: Partuu (4), Ariivu (5),
Baahtar (6), Swkdv (VII), HuvariiSmu (8), Zaraanga (9) etc.
Wir sehen, dftss die Gruppirung bei Herodotos doch einiger-
massen zu der von Dareios beliebten stimmt, insofern als auch
in den Keilinschriften Parthien, Areia, Sogdiana und Chorasmia
einander meist nahe gerückt sind; in bedeutsamer Verbindung
schliesst sich aber ^^g^^^ ^^^^^ ^^ Bäkhtris an.
In eine viel ältere Zeit, in die Epoche des assyrischen
Weltreiches, verlegt den Namen Sogdiana's jener griechische
Geschichtsschreiber, welcher zuerst eine pragmatische Dar-
stellung der sagenhaften Eroberungszüge der Herrschergrössen
Ninos und Semiramis zu geben versucht hat, Ktesias aus Knidos.
Dass die assyrische Herrschaft Arachosien und Baktra um-
fasste, scheint eine alte, durch manche Denkmäler bezeugte
Tradition der Orientalen gewesen zu sein; Semiramis selbst
rühmt sich auf einer Stele (Polyaen. VIII 26, 1 offenbar nach
Ktesias), gegen Osten den Fluss Dyamuna oder lofiiivw;«; als
Reichsgrenze festgesetzt zu haben, gegen Norden aber das
Gebiet der Sogdier und Saken, ZxMiq xal Xo^Bou^. Liesse sich
eine dauerndere Besitznahme der nordischen iranischen Lande,
CoDtnlMUtuehe Stadien. I. 69
Baktra und Sogd, durch die Assyrier oder selbst durch die
Meder als wahracheinlich hinnehmen^ so könnten wir uns die
frühzeitigen Einflüsse der semitischen Glaubens- und Cultur-
weit auf die Tränier und auf den zarathustrischen Glauben
leichter erklären, und wir hätten nicht einmal nöthig, die später
entwickelte Tradition von der Herkunft Zarathustra's aus
Atropatene gläubig hinzunehmen. Wenn, sicherlich nach ein-
heimischer Sago, berichtet wird (Diodoros I 94, 2 nach Ktesias),
-apa Tol; *AptavoT(; Zaöpauanrjv tov cr/'aöbv Satfxova (= Ahuramazda)
zpo970(i^(Taa6at tsu; vc{jlou<; auTo) ^iBovac so muss unter diesen Arianern
die iranische Bevölkerung von Ost- und Nord-Irän verstanden
werden. Mit vollem Recht behauptet Strabo XV- p. 724:
eZiXTSivsTai 5s To5vc|j.a t^; 'Apta^/Yj^ x«l In ixs^pt twv itpo^ apxtov
BaxTpiü)v xat 2io73iavü)V' slal ^dp icci)? xat öixoYXwxrot xapa [Atxpov.
Der kundige Apollodoros (Strabo XI p. 510) nennt Baktrien
die Zier von ganz Ariana, rriq ou|j.7caar<<; Aptavijq rpCdxr^iJLa. Es ist
bei diesem Namen offenbar nicht an die Satrapie "Apeia, Haraiva,
zu denken, sondern an die viel allgemeinere uralte Bezeichnung
der iranischen Ostlande, Airyana.
Die einheimische Sagenwelt der Perser stellt an die Spitze
aller Genealogie die durchweg der Mythologie angehörigen
Paradhäta's oder die Schöpfer der menschlichen Satzungen und
Sitten, den Beginn und Fortlauf des nationalen Lebens jedoch
verlegt sie in die nachfolgende Zeit der Dynastie der Kavya's,
welche mit Kava Kaväta beginnt und ausgefüllt ist mit Kämpfen
wider die Turanier, unter welchen nicht etwa Stämme, die in
Kace, Religion und Sprache von den Iraniern total abwichen,
etwa türkischer oder tübetischer Abkunft, verstanden werden
dürfen, sondern Stammverwandte oder Bruderstämme, deren
Herrscher ihr Geschlecht gleichfalls auf die Paradhäta's zurück-
führten und mit dem Herrscherhause der Kavya's in einem
ununterbrochenen Kampfe der Blutrache verfehdet waren. Wir
werden noch nachzuweisen versuchen, dass in alt-iranischer
Zeit die durchaus stammverwandten Saken und Massageten
des Nordostgebietes es waren, welche als ständige Feinde oder
Tura's auftraten, und dass erst seit der Existenz der türkischen
Khäqäne oder seit dem fünften Jahrhundert n. Chr. diese Rolle
den Türken zugeschrieben werden konnte, eine Auffassung,
welche mit Consequenz z. B. im äah-nämah durchgeführt ist,
70 Tomaicb«k.
worin Afrüsläb (Fraügragyan) ganz und gar wie ein Türken-
khäqän geBchildert erscheint. Gleichwohl ist das Bewusstsein,
dass vor Kyros und Dareios das alt-iranische Leben vorzüglich
in Baktra pulsierte und dass dort die höchste Herrschermacht
ihren Sitz hatte^ der persischen Sagenwelt niemals ganz ent*
schwunden ; im Königsbuch ist es Lohrasp (Kava Aurvafaypa),
der die Residenz nach Balkh verlegt und dort einen Feuer-
tempel errichtet; Balkh ist die Residenz auch unter seinem
Nachfolger Gu§tasp (Kava Vi8tä9pa); und Zarathustra, der unter
Guätasp lehi-te, vollendete seine Prophetenlaufbahn in Balkh.
Auch nachher, als die Pär9a die Führerschaft in den iranischen
Landen erworben hatten , regte sich zu Zeiten das Selbst-
bewusstsein des alt-iranischen Herrschergebietes. Noch unter
Kjros, nach der Besitznahme von Lydien^ erhoben sich die
Baktrer und Saken (Hdt. I 153) ; auch unter Xerxes gab sich
dort ein gewisses Bestreben nach Selbständigkeit und Sonder-
verwaltung kund (Hdt X 113); später durfte Bessos daran
denken^ in Baktra und Sogdiana ein selbständiges nationales
Reich zu gründen. Und wie sehr in Baktra^ noch mehr aber
in Sogdiana, das nationale Selbstgefühl lebendig war, lehrt die
Geschichte der Eroberung durch Alexander. Während in den
meisten übrigen iranischen Provinzen der Volkskrieg wider
die Fremdherrschaft entweder gar nicht oder nur schwach zum
Durchbruch gelangte, hatte Alexander in Sogd die blutigsten
Kämpfe mit der Einwohnerschaft zu bestehen, Sogd wäre fast
im Stande gewesen, die makedonischen Colonnen zu erdrücken
und der Heldenlaufbahn des tollkühnen Eroberers vor der
Zeit ein Ziel zu setzen. ,In Sogd lebte noch ungebrochen bei
dem mächtigen Adel wie bei dem kräftigen Volke eine wilde
Freiheitsliebe , ein trotziges asiatisches Nationalgefühl ; den
turanischen Nachbarstämmen fühlte man sich weniger fremd als
den stolzen herrischen Makedonen, die mit dem beleidigenden
Hochmuth einer höheren Race die nationale und religiöse
Gährung wachriefen' (Hertzberg, Feldzüge AI. d. Gr. IL Th.).
Nur dem Aufgebote der höchsten Raschheit und Enei^ie so i^rie
der Anwendung einer unmenschlichen Vemichtungswuth von
Seite des Eroberers gelang es die wiederholt ausgebrochenen
Volksaufstände zu unterdrücken und in Sogd Ruhe, freilich die
Buhe einer Leichenstätte, zu schaffen. Es scheinen in Sogd die
CentnlMMtiMlia Stadien. I. 71
Fremden vorzüglich das religiöse Gefühl, den zarathustrischen
Glauben, in roher Weise angetastet und die Qläubigen zu
fanatischem Widerstände gereizt zu haben; doch besitzen wir
hierüber sowie überhaupt über die innere Seite der make-
donischen Invasion nur äusserst spärliche Andeutungen. So
berichtet Onesikritos (Strabo XI p. 517) als ein Zeichen der
Barbarei bei den Sogdianen und Baktriem; es habe bei ihnen
die Sitte geherrscht die altersschwachen Greise den Hunden
zum Frasse vorzuwerfen, und die Hunde seien eigens zu diesem
Zwecke, als evTa^iaorai, gefüttert worden ; Alexander aber habe
diesen Unfug abgestellt. Wir wissen, wie innig dieser Ge-
brauch mit den Ideen der Lichtreligion über das Jenseits
zusammenhängt und wie der Gläubige glücklich geschätzt wird,
dessen in dem Leichenbehälter ausgesetzter Gadaver den Hun-
den und Raben zum Frasse dient. In jenem Falle aber hat
sich das Verbot des HeiTschers gegenüber der eingewurzelten
religiösen Sitte unwirksam erwiesen. So wie Justinus (XLI
3, ö) von den Parthern berichtet: ,sepultura vulgo aut avium
aut canum laniatus est; nuda demum ossa terra obruunt' und
wie Andere von anderen iranischen Stämmen Aehnliches be-
richten, so schildern sinische Beobachter denselben Brauch der
Leichenbestattung als eine in Sogdiana noch im sechsten Jahr-
hundert fest bestehende Sitte (Abel-R^musat, Nouv. möl. asiat.
I p. 230): ,11 y a au dehors de la ville royale deux cents
familles de gens qui se consacrent particuli^rement au soin des
fiinerailles. Ils bätissent des pavillons dans lesquelles ils
nourissent des chiens. Quand un homme meurt, ils vont cher-
cher son cadavre, le deposent dans un de ces pavillons et le
fönt divorer par leurs chiens; lorsqu^l n'y a plus de chair.
Ils recueillent les os et les enterrent, mais sans les mettre dans
une bi&re^ Hier bemerken wir gleich, dass derselbe sinische
Berichterstatter sich auch über einige sogdianische Feste und
Gebräuche verbreitet, welche ihrem Wesen nach mit dem
zarathustrischen Glauben zusammenzuhängen scheinen, obwohl
es für uns schwer ist eine Kritik darüber zu versuchen, bevor
uns das grosse chronologische Werk al-Blrünf s, welches äusserst
werthvolle Angaben über die Jahreseintheilung, über die Fest-
tage, über die Bräuche und Sitten der Sogdianer sowie aller
älteren Culturvölker enthält und dessen Herausgabe die kritische
72 Tomasehek.
Hand Sachau's besorgt^ ganz vorliegt. ,Le commencement de
l'annee^, heisst es bei Ma-tuan-lin (Abel-Kemusat I p. 229),
^est fixe chez eux au premier jour de la sixi^iue lune. Ce
jour-Iäy le roi et jusqu'aux hommes du peuple se revetent
d'habits neufs, se rasent les cheveux et la barbe, et se ren-
dent dans une foret qui est ä Torient de la ville (Samarqand)
pour tirer de Tarc^ ä cheval. Le jour oü Ton veut terminer
cet exercice, on suspend une piece de monnaie d'or devant
une feuille de papier, et celui qui Tatteint en tirant obtient le
titre de roi pendant une journee^ Nach dieser Schilderung
des Festes Naw-rüz folgt eine Angabe über ein Naturfest^ das
uns an die trieterische Feier des phrygisch-thrakischen Dio-
nysos, so wie an die Adonisfeier gemahnt, aber auch auf Wesen
der zarathustrischen Religion, z. B. auf die von Ahurö Mazdäo
abstammenden Amesa ^penta's Vohumanö und Qpenta-ärmaiti,
die Genien des Gedeihens und Fruchtsegens, sowie auf Mithra,
den Gott des Lichtes, und das grosse Fest Mithragän bezogen
werden darf. ,Ils adorent Tesprit divin et se montrent tr&s
zeles dans le culte qu'ils lui adressent. IIb racontent que le
fils de Dieu est mort ä la septi^me lune, et que ses ossements
ont ete perdus. Chaque mois les personnes consacrees au culte,
et ce mois-lä surtout, les autres habitants, sans distinction, pa-
raissent revetus de robes de iaine noire ; ils vont pieds nus en
se frappant la poitrine, poussant de grands cris et versant des
turrents de larmes. Trois cent cinq personnes, tant hommes que
femmes, jettent de Therbe et parcourent les champs en cher-
chant les os du iils de Dieu. Cette cer^monie cesse au bout
de sept jours.' Wir können nicht ermessen, ob und in welchem
Grade sich bei dem Volke der Sogdianer mit den alt-iranischen
Glaubeusanschauungen und Festbräuchen einerseits hellenische
Naturculte, anderseits buddhistische Satzungen und Ideen ver-
mischt und verquickt haben. Was den Buddhismus betriflFt,
so lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass derselbe seit der
Gründung des indo-skjthischen Reiches auch in Baktra und
Sogd Wurzeln gefasst und sich mächtig entfaltet hat. Aus-
drücklich bemerkt der sinische Bericht (p. 230) ,ils honorent
Feu-thu (Buddha)' und (p. 228) ,on adore Fo^ Uebrigens
kommt auch noch das barbarische Volkselement in Betracht,
das mit den Nomaden Hochasiens in das alte Culturgebiet des
C«iitnÜMUtiMha Stadien. I. 73
Zweistromlandes eindrang und sich gleichfalls in Lebens-
einrichtungen Sitten und Ceremonien äusserte; so heisst es in
obigem Bericht (p. 228): ,Les usages relatifs aux mariages et
aux funärailles sont les m&mes que chez les Turcs'^ und an
das Wesen des Schamanenthums gemahnen uns Bemerkungen
solcher Art (p. 230): ^Ils adressent des sacrifices aux esprits
malins, et executent des Operations magiques. A la onzi^me
lune, on frappe des tambours pour demander du froid, etc^
Im grossen Ganzen aber mögen sich dennoch die herrschenden
Stämme — namentlich von den Eusänen lässt sich dies be-
haupten — den Einflüssen der höheren Cultur der ansässigen
Iranier und auch dem Glauben derselben zugänglich erwiesen
haben. Und so dürfen wir wohl Recht haben, wenn wir später
versuchen werden den Gott Te-si, welcher den sinischen Nach*
richten zufolge in Tsao (Sogd) verehrt wurde, mit zarathustri-
schen Göttergestalten zusammenzustellen und aus iranischen
Sprachmitteln zu deuten.
£s scheint überhaupt in keinem iranischen Lande der
zarathustrische Glaube seit Alters so sehr in den Volksgeist
eingedrungen zu sein wie in Sogdiana, ja wir können be-
haupten, Sogdiana sei die älteste Culturstätte gewesen, wo sich
das iranische Volksleben von der ursprünglichen nomadisch-
patriarchalischen Lebensweise zu einem höher entwickelten
politischen Dasein, zu complicierteren staatlichen Verhältnissen
erhoben hat. So wie das Vordringen der östlichen Arier in
den indischen Landen mehrere Phasen und Stillstände auf-
zuweisen hat, so haben auch die westlichen Stämme oder die
iranier in ihrer stetigen Ausbreitung nach Süd und West, ent-
lang den grossen Strömen und den binnenländischen Wasser-
adern und Canälen, an mehreren Buhepunkten sich gesammelt
and entwickelt, um wiederholt ein ,ver sacrum' auszusenden
und immer weitere Gebiete der iranischen Welt zu erobern,
bis endlich die Berge Armenieu's und der Frät dem Vordringen
ein Ziel setzten. Der älteste dieser Buhepunkte, der ursprüng-
lichen Heimat der Arier an den Ufern des Jaxartes zunächst
gelegen, war unstreitig Sogdiana, das breite fruchtbare Thal,
welches der ZarafSän durchfliesst. Es ist wohl kein Zufall,
dass die älteste Urkunde des iranischen Geisteslebens, das
Zendavesta, in dem ersten Fargard des Vendidäd, worin Ahura-
74 Tomftioltak.
mazda seine Schöpfungen so wie die Gegenschöpfungen Aftgra-
mainyu's aufzählt, unmittelbar nach dem arianischen Quellen-
lande, worin durch zehn Monate Winter herrscht und nur
durch zwei Monate Sommer, als zweite Schöpfung des guten
Qeistes anführt: 6&um yim Qughdhösayanem d. h. G-ava, die
Wohnung von Cughdha, und erst dann auf Möuru, auf Bäkhdhi,
auf Ni9ft u. s. w. übergeht. Können wir auch nicht der An-
sicht huldigen, dass in diesem Fargard mit Bewusstsein und
gleichsam in Erinneining der ältesten Geschehnisse der Gang
der iranischen Wanderung angegeben sei, so können wir uns
hinwieder nicht der Meinung entschlagen, dass mit der Voran-
Btellung des sogdischen Gebietes demselben eine gewisse Prä-
ponderanz, sei es auf religiösem, sei es auf politischem Ge-
biete, eingeräumt wird, und dass es in der Anschauung des
Verfassers gleichsam den Ausgangspunkt, den Focus des na-
tionalen Culturlebens bildete, von welchem die übrigen Lande
strahlenförmig nach allen Seiten ihr Licht erhielten.
Schon der Name ^ughdha ist charakteristisch genug und
bezeichnet, hieratisch aufgefasst, das Gebiet, worin Licht und
Reinheit herrscht, worin alles Unreine und Finstere, alles
Feindliche und Schädliche, alles Ahrimanische, verbannt und
ausgeschlossen ist. Für die baktrisch-sogdianische Form 9^^*
dha sahen wir in den Keil Inschriften der ersten Ordnung die
altpersischen Modificationen ^^gT^da, Suguda, Cugda, in jenen
der dritten die assyrische Aussprache Suukdu (Sükdu) ein-
treten ; die Schriftwerke der neueren Perser und die arabischen
Geographen bieten die verkürzten Formen iX^^^ 4Xi^? i^Ajo
Süghd (Soghd) oder ijJughd. Die Griechen nennen die Ein-
wohner Sö^Bot (so namentlich Herodotos), Scy^ioi, Xo^Biawi, ^07-
Siavo'!, ZofBaiw., woneben die im Stammvocal reineren Formen
für das Land Soü^Bir/ij (Zonar. Lex. p. 1661, Eustath. zu Dion.
Per. 747), lou-fiia und Sou^oia; (Dion. Per. 747, Niceph. et
Paraphr. ibid.) sporadisch auftreten; auch bei Mela I 13 und
III 42 haben die besten Handschriften Svgdiani. Der Name
ist echt iranisch, und die Sprachforacher leiten denselben über-
einstimmend ab von der arischen Wurzel 9UÖ ,leuchten, strah-
len, glänzen', ,brennen, glühen', neupers. (Inf.) sükhtan, wozu
baktr. 9üöa ,klar,' 9üka ,leuchtend, Erleuchtung' und 9ukhra
,hellfarbig, roth,' gehört; der Eintritt der Media- Aspirata ist
OntralMiaftuebe Si&di«n. I. 75
bedingt durch den nachfolgenden Causativcharakter dha, welcher
mit skr. dhä baktr. da ^setzen, machen, schaffen^, identisch ist.
In Form und Bedeutung stimmt mit fughdha Vollständig überein
das ösische Adjectiv (tag.) süghdä-g, (südl.) sighda-g, ^lauter,
ptti> rein, heilig'^ welches in dem reineren, digorischen Dialekte,
dessen Sprachschatz noch nicht in Wünschenswerther Vollstän-
digkeit vorliegt, jedenfalls sughda^g oder sughda-k lauten
iiiüsste. In derselben, mitten im Kaukasus gesprochenen, ira-
nischen Sprache findet sich auch neben sug ,Feuerbrand, Feuers-
brunst' (baktr. 9aoda) das Compositum sugh-zarine ,lauteres
Gold, Reingold'; und weil die Ösen oder As unstreitig Nach-
kommen der mächtigen Alanen sind, welche seit dem ersten
Jahrhundert v. Chr. bis auf Timur's Zeit in der Geschichte
eine Rolle spielen, so halten wir folgende Notiz über eine
gleichnamige alanische Ortschaft in der Krym für keinen
müssigen Beitrag zur iranischen Nomenclatur. Das heutige
Sudagh nämlich, ein schöner Hafenplatz an der Südostküste
Taurien's, im Mittelalter Sitz eines bedeutenden Handels für
Pelzwaaren, Sklaven und nordische Waaren, Station erst der
Venetianer, hierauf der Genuesen, tartarisch seit 1223, heisst
in den griechischen Episkopatlisten und bei den byzantinischen
Historikern lou^Baia, in dem Briefe des Khazaren-khftqftn's Josef
a. 960 (Russische Revue 1875 S. 87) Sugdai, in der altslove-
nischen Legende vom hl. Kyrillos (Denkschr. d. Wiener Akad.
Bd. XIX, p. 227) Coyi'MH, auf den italienischen Seekarten
Sodaia oder Soldaia (Soldadia), während die arabischen Geo-
graphen die Form Südäq {^^^y^) bieten; die echte Bezeich-
nung für diesen, einem Synaxarion zufolge (Zapiski Odeskago
obSöestwa, V p. 605) bereits im Jahre 212 gegründeten. Ort
war ohne Zweifel Sughdag, dem ösischen sughdag ,heilig' ent-
sprechend, eine Gründung der Alanen. Man erstaune nicht über
diese Combination! 'AXav{a hiess im Mittelalter der taurische
Küstenstrich bei Kapsi-khör, Uskut (Scuti), Tuak; im vierzehnten
Jahrhundert stritten sich um denselben die Metropoliten von
Cherson und von Gothia (Acta Patriarch. Cpol. II p. 67, 150).
Eine Ansiedlung auch im westlichen Taurien, im Gebiete von
Cherson, wird ausdrücklich in dem ao^o«; AXavixo; des Bischofs
Theodoros a. 1230 bezeugt (Nova Patrum Bibliotheca ed.
Mai, VI p. 382 — 384). Bereits aus dem fünften Jahrhundert
76 Tomaschek.
berichtet über Kaffa ein Periplus Euxini Ponti (§ 51, p. 415 M.):
vjv 3e AevsTat -^ ÖeoBoaia rf) AXavtxYj -liTOt. ty; Taüpixt) SiaXextci) Apd-
aßSa, TouTeoTiv iicriOso^. Müllenhoff (Monatsber. d. Berliner Äkad.
1866 p. 564) vorbessert ganz mit Recht 'AßBapSa, und ich be-
merke, dass der Consonantismus beider Wortbestandtheile spe-
cifisch ösisch ist: aß3- ^sieben' ist ös. awd, baktr. hapta, dtpSa
ist ard ,hehr, göttlich, Genius^, baktr. areta ereta, altpers. arta
(vgl. dazu öS. ardar aldar ,IIerr, Äeltester', armen, ardar ^ge-
recht, wahrhaftig', *Ap8apo^ und "Ap^iponuoq sarmat. Eigennamen
auf Inschriften, endlich "AXoy; alanische Prinzessin bei Ke-
drenos II p. 503 a. 1033), wozu noch das ös. Pluralsuffix -tha
getreten ist. ,Die sieben Herren (Genien)' sind offenbar die
sieben Ameää-9peiita, ein Wahrzeichen dafür, dass die Alanen
aus Centralasien ausgezogen sind und als jüngste iranische An-
kömmlinge des zoroastrischen Lichtgluubcns theilhaftig waren,
während ihre Vorgänger, die Skoloten, ihren eigenen Mythen-
kreis besassen, den noch keine zoroastrischen Ideen berührt
hatten.
Doch kehren wir zurück zu ^ughdha, dem ,reiu geschaffe-
nen, heiligen' Lande des Ostens! Wir müssen nämlich von
einer zweiten Bezeichnung für dasselbe Meldung thun, der
allerdings ein späteres Alter zukommt. Im Huzväreä nämlich
wird ^ughdha mit Surik (-{ms und >ii^yy** mit der Variation
vJK«^ Süräk) umschrieben, und heisst es vom Arang: ,er
fliesst vom Har-burz in das Land Sürik, das man auch Same
nennt' (Bundehes cap. XX, mit Justi's Verbesserung Same-de
für Ame-öe). Beruht auch letztere Angabe auf einer Ver-
wechslung von Sürik mit Süristän oder Säim, und ist es auch
noch immer nicht ausgemacht, ob unter Arang, baktr. RaAha^
was ursprünglich Bezeichnung eines mythischen Stromes ge-
wesen, später der Jaxartes oder der Oxus verstanden worden
ist, so steht doch die Existenz des Namens Sürik für Sogdiana
fest. Wir legen weniger Werth auf das von Spiegel (Eran.
Alt. I S. 220) herbeigezogene Appellativ eines neben dem
Könige von Kabul genannten Fürsten im Sah-nämah, Süri,
weil wir der Meinung sind, dass darunter nur der Marzabfta
von Marw verstanden werden darf, sowie ja noch unter Yaz-
dagird ein fast unabhängiger Fürst Mäha-vöh Süri erwähnt
wird, der alles Land bis zum Oxus besass, während die Jen-
CeatnlMiatStelie Studiea. I. 77
seitigen Lande dem Ehäqän gehörten (T&bari, p. Zotenberg,
in p. 504); sondern verweisen vielmehr auf eine Notiz, die
sich bei Hiuan-Thsang findet. Dieser sinische Pilger, welcher
um 630 n. Chr. den Boden Sogdiana's betrat, bietet nämlich
zwei Gesammtbenennungen für die Länder des Da-äb, eine
fiir die südliche Hälfte oder das Gebiet von Baktra, nämlich
Tv-Ho-Lo (|^ j^ f^) oder Tukhftra, und eine für den nörd-
lichen Ijändercomplex, welcher von dem ,eisernen Thore' bei
KasAna (Ke§§) bis hoch hinauf zu der Residenz des Ehäqän's
am Flusse Öui sich erstreckte, nämlich Sv-li (t&C 5|H|) ^^^^
Sürik. Die Stelle lautet (Si-yü-ki, p. St. Julien, I p. 12 sv.):
jDepuis la ville de la rivifere Su-§e, jusqu'au royaume de Kie-
ioang-na, le pays s'appelle Su-li, et les habitants portent le
meme nom. Cette dönomination s'applique aussi k T^criture et
au langage. Les formes radicales des signes graphiques sont
peu nombrenses; elles se riduisent k trente-deux lettres, qui,
en se combinant ensemble, ont, peu k peu, donnä naissance k
un grand nombre de mots'. Damit ist eine zweite Stelle zu
verbinden (p. 24): ,L'6criture (dans le pays de Tu*ho-lo) se
compose de vingt-cinq signes radicaux qui se combinent en-
semble; ils servent k exprimer toutes choses. Les livres sont
ecrits en travers et se lisent de gauche k droite. Les compo-
sitions litteraires et les m^moires historiques se sont augment^s
peu a peu, et sont, aujourd^iui, plus nombreux que ceux du
pays de Su-li'. Man könnte versucht sein diesen Namen aus
türkischen Sprachmitteln zu erklären, und da böte sich aller-
dings z. B. sülu süly, in älterer Form sughluq suwlyq, ,wasser-
reich', eine nicht unpassende Bezeichnung für das Zweistrom-
land. Indess, das Sürik des BundeheS spricht unab weislich für
Identität mit Su-li, trotzdem dass der Gebietsumfang des letz-
teren nach Norden zu ein weiterer ist als der von Sogdiana.
Entweder ist Sürik eine directe Entstellung von Qughdha in
türkischem Munde, ähnlich wie jenes Sughdag in der Krym
zufolge der tief-gutturalen Aussprache des gh bei Arabern,
Tataren und Russen auch zu Formen wie Surdag (Frähn, Ibn-
Foszlan über die Russen, S. 28), Surag oder Suro2 mundgerecht
gemacht wurde; oder wir haben in dem Namen ein buddhi-
stisches Aequivalent für die iranische Benennung, wobei auf
78 Tomaiieliek.
skr. sQrya hindust. sürag ^Sonoe, Sonnenglanz, Glück, Herr-
lichkeit^ und ved. süri ^glänzend, reich, heiTÜch, Opferherr'
verwiesen werden darf. Dass in Sogd, wie in Baktra, in den ■
ersten Jahrhunderten n. Chr. der buddhistische Cultureinfluss
sehr mächtig war und den Parsismus zeitweilig überwog, ist
eine ausgemachte Thatsache; es dürfte uns das Vorkommen
eines hieratischen Appellativums indischen Ursprungs durchaus
nicht Wunder nehmen. Bemerkenswerth ist übrigens die That-
sache, dass, während in Tukhärist&n entweder eine einfache
Abart der Keilschrift oder das primitive Alphabet von 24 (25)
Zeichen (etwa gar das griechische?) in Uebung war, in Sogd
dagegen eine compliciertere Gestaltung desselben, nach Art des
Zend- oder Sanskrit-Alphabets oder den 34 Zeichen der tübe-
tischen Schrift ähnlich, angewendet wurde.
Versuchen wir nun in grösster Kürze — wie es auch das
spärliche Quellenmateriale mit sich bringt — eine Schilderung
des sogdischen Gebietes nach den ältesten Berichten zu geben
und beginnen wir mit der Hauptader desselben, auf deren
beiden Seiten das iranische Leben am regsten blühte, mit dem
Zarafdän.
Der Sogdfluss führt bei den Geschichtschreibern der
Thaten Alexander's des Grossen den Namen, welchen ihm nach
dem ausdrücklichen Zeugniss des Aristobulos (Strabo XI
p. 518) Griechen und Makedonier beilegten, noX'JT{|j.r|To^ d. i.
,vielgeschätzt, hochgeehrt, verehrungsreich*. Unmöglich können
die Fremdlinge aus Eigenem eine so überschwängliche Be-
zeichnung für einen Fluss, der ihnen kaum anders vorkommen
mochte wie viele andere Hyrkanien's, Baktra's oder der par-
thischen Wüstenstriche, aufgestellt haben : wir besitzen in dem
griechischen Worte offenbar nur die getreue Uebersetzung einer
einheimischen, iranischen Bezeichnung, deren Lautcomplex zu
erschliessen uns vielleicht noch gelingen wird. Die Sogdianer
allerdings hatten vollen Grund dem heiligen Strome ihres L<an>
des, der ihnen Alles gab und spendete, mit solch' ausser-
gewöhnlichem Namen ihre Verehrung und Dankbarkeit zu be-
zeugen. Ziemlich unzureichend sind übrigens die Nachrichten
über selben, welche uns in den Auszügen aus den sicherlich
reichhaltigeren Quellenwerken der alexandrinischeu Kpoche
C«ntralttifttiseho Studien. I. 79
vorliegen. Im Herbst des Jahres 329 hatte sich Spitamenes
mit der aufständischen Macht vor dem Andringen des Lykiers
Phamuches aus der Umgebung von Marakanda weiter nach
Westen zurückgezogen^ to; eut tov tzotolilo^ tov IIoXut{[at^tov (Arr. IV
5, 6), um plötzlich, vier Tagmärsche westlich von Marakanda,
über Pharnuches herzufallen; die makedonischen Reiter wurden
auf eine Insel (v^ao^ ti^ töv ev tw TbOrafjuü o-j [xs^aAT; § 9) des
steiluferigen Polytimetos (xpT)|xv<j;)5ei? ai 25xöai § 7) gedrängt,
wobei viele in den Wellen durch die feindlichen Pfeile ihren
Tod fanden; der Rest wurde auf der Insel niedei^emacht.
Als hierauf Spitamenes nochmals Marakanda bedrohte, eilte
Alexander selbst herbei, trieb den Rebellen bis zu den Steppen-
rändern vor sich her und nahm für die Niedermetzelung der
Division Pharnuches schreckliche Rache : e^XOe ^dcaov tyjv x<«>p^v
5ct;v 6 TzoxoLiko^ 6 noXuT{|ji.t)To? eicapSwv eTCSpxetai, übergab alle Dörfer
und Städte der blühenden Sogdlandschaft den Flammen und
der Plünderung, wobei 120.000 Einwohner (Diodor XVII x-y')
niedei^ehauen wurden. Es heisst da von dem Flusse, dessen
Wellen von Sogdianerblut geförbt wurden: o noXüT{jit}Toq zoXu
ETI |i.6i!i(«)v ^ iK.oi'za. tbv IlYjvetbv xoTa|Ji6v kazi (Arr. IV 6, 7). Die
Makedonier verfolgten den Lauf bis dahin, tva afavd^etai xb)
zv:oL\iM TO uBcop • opavCCetai ^k YMiizzp xoXXou lov lioaio; eq tyjv tj^ötjjLjjLOv
(§6); vgl. Strabo XI p. 518: et; tt)v a'ixfjLOv xaTazivetai b IIoXü-
TijiiiTo;, und Curtius VII 39: ingens spatium rectae regionis
est, per quam amnis — Polytimetum vocant incolae — fertur
torrens. Eum ripae in tenuem alveum cogunt; deinde caverna
excipit et sub terram rapit. Cursus absconditi indicium est aquae
meantis sonus, cum ipsum solum, sub quo tantus amnis fluit,
ne modico quidem resudet humore. — Bei Ptolemaeus ent-
springt ein namenloser Fluss auf den IlcyBia 5pr^ und ergiesst
sich nach einem bogenförmig gekrümmten Laufe in der 'Q^siocvy)
XiV/v], zwischen dem Oxus und Jaxartes, ganz nahe an ersterem,
— also kein anderer als der Sogdfluss. Den Namen DoXuTiiJLVito;
legt Ptolemaeus sonderbarer Weise einem Flusse bei, der
zwischen Jaxartes und Oxus in das kaspische Meer einmünden
soll, — ein gewaltiger Irrthum! Wenn wir von einer sehr
zweifelhaften Notiz absehen, die sich bei Julius Honorius und
Ethicus findet, worin von einem Fl. Svgotan (SoYBiavog?) die
Rede: nascitur de raonte Caucaso et geminatur et facit coro-
80 Toniftsohek.
nam etc., so haben wir alles was die Alten über den Sogd-
fluss berichten.
Genauere Nachrichten bieten schon die arabischen Geo-
graphen, namentlich Ibn 9auqal und Tdqüt, mag auch deren
Kunde über den Oberlauf des Flusses immerhin noch dürftig
sein. Ihnen zufolge entspringt der ,F1ubs von l^ughd^ in dem
Gebirge Buttam (|%jü) im I^nde der Qarluq-Türken, nach der
Seite von al-Räit und ^aghäniyän und gegen Farghftna hin.
Die Länge des Thaies bis Bukhftrft hin beträgt 50 Parasangen
oder acht Tagereisen. Nach längerem Laufe sammelt sich das
Wasser zu einer Art kleinen See's, Namens Wal (,5^, etwa
baktr. vaidhi? oder scüir. ^s^ wari, baktr. vairi ^Seebecken',
vairya ,Canal'?). Hierauf folgen Ortschaften, namentlich der
unter dem Namen Burghar oder Yurghas bekannte Gau. Der
Fluss gelangt zum Orte Waraghsar ( w^ij^), der bereits zu
Samarkand gehört; hier ist ein Damm aufgeführt, dessen Er-
haltung den Bewohnern obliegt, was ihnen als Aequivalent
der Kopfsteuer (kharag) angerechnet wird; hier theilen sich
die Gewässer in zahlreiche Canäle, um sich hinter Samarkand
zu einem Hauptfluss wieder zu vereinigen. Von der Quelle
bis zu den Mauern Samarkand's sind es mehr als 20 Para-
sangen. Hinter Bukhärä und Baikand in der Steppe verlieren
sich die Gewässer in einem Wasserbecken, das bei Idrisi (II
p. 194) den Namen Sam-ga^ führt. Dies die Nachrichten der
Araber den Hauptumrissen nach; in die Namen der zahlreichen,
das Gebiet Samarkand's bewässernden Canäle, welche sie
anführen, wollen wir nicht eindringen, sondern gleich einige
ergänzende Notizen aus anderen raorgenländischen Quellen
anfügen. Bei den persischen Geschichtschreibern bis auf die
neueste Zeit herab ist kein anderer Name für den Sogdfluss
häufiger in Gebrauch als Kühikfiuss, äb-i-Kühik. Die Be-
zeichnung rührt von einer tumulusartigen Anhöhe auf der Nord-
seite Samarkand's her, an welcher der Fluss vorüber flieset,
und die jetzt unter dem türkischen Namen Cupän-ätä-täpä
bekannt ist, vormals aber den persischen Namen Kühik ,monti-
culus' führte (Memoires de Baber, p. Pavet de Courteille I
p. 98) ; hier hatte Mirza Ulugh-begh sein astronomisches Obser-
vatorium errichtet zum Behufe der Rectificirung der Erdtafeln
seines Vorgängers Khoga Na^ir al-T^^iy eine Gründung, welche
C«Dtralwtfttiscb6 Stndlen. I. 81
nachmals der Zerstör ungswuth Saibäni Ehän's erlag. Der Name
Kühik (Qühik) Hndet sich besonders häufig bei dem Geschieht-
Schreiber Timur's, Öarlf al-dln 'All (p. Petis de la Croix III
p. 221. IV p. 261, 282 etc.), und bei Bäbr. Der Bezirk,
worin sich der Fluss verliert, führt bei letzterem nach einer
Ortschaft an der Westseite den Namen Qara-göl ; nach neueren
Berichten wird das Schlammbecken selbst Teftgiz oder ,Meer'
schlechtweg genannt. Ueber den Ursprung des Daryä Qühik
weiss selbst Mir I'zzet-ullah (Magasin asiatique II p. 165)
nichts anderes zu sagen, als er liege nach der Seite von Darwäz
und Sari-qol (Taäkurghan), wodurch wir allzuweit nach Osten
gefährt werden. Licht in diese dunkle geographische Frage
hat erst in neuester Zeit (1870) die russische Expedition unter
General Abramow gebracht, welcher sich der Reisende A. Fed-
^enko angeschlossen hatte. Als Resultat derselben ergab sich,
dass sich die Quellen des Zaraf San auf einem, das Alai-Plateau
(dast-i-Aläi, Öarlf-al-din I p. 174, 185; vgl. Wu-lui* in einer
sinischen Beschreibung der Westgebiete, Deguignes 1, 2 p.
LXXXV) im Westen abschliessenden Gebirgsrücken in einem
7 y<2 Meilen langen Gletscher befinde und von demselben herab
in gerader Richtung nach Westen an den Gebirgsorten Pal-
durak und Ab-burdan vorüber unter dem Namen Ma6a fliesse
und sich bei Warza-minar mit einem zweiten, ebenso bedeu-
tenden Zufiuss aus Süden, dem Fan, vereinige. Dieser letztere
entspringt in dem Küh-tan, dem Scheidegebirge zwischen Bad-
Hi^är und dem Zarafdangebiet, durchfliesst den Iskandar-göl,
der einen Umfang von ly^ Meilen besitzt und 7000 Fuss hoch
liegt, und nimmt von Osten her den Yäghan-äb, welcher einen mit
dem Maöa fast parallelen Lauf hat, und von entgegengesetzter
Seite den Bach Pfts-rüd auf. Das Fängebiet hatte drei Jahr-
zehende vorher (1841) AI. Lehmann betreten und durchforscht;
aber bereits im Jahre 1500 war Bäbr auf seinem Zuge von
Qara-tagin und Hi^är nach Yär-ya'ilaq in denselben unweg-
samen Bergdistrict gelangt : aus dem Thale des Kem-rüd, eines
Nebenflusses des Hi^ärstromes, hatte er nämlich den fast un-
übersteiglichen Gebirgsrücken Sarw-tagh, wahrscheinlich in dem
12.300 Fuss hohen Murapass, überstiegen, um in das Territo-
riam Fän einzudringen, das seinen eigenen Fürsten besass,
von welchem Bäbr Pferde bester Race zum Geschenk erhielt;
SitiuigsW. d. phiL-hist CI. LXXXYIL Bd. I. Hft 6
82 Tomftscbak.
daselbst fand er einen herrlichen Bergsee, wahrscheinlich den
Qül-I-qaIän der neuesten Berichte (I p. 176: Au milieu des
montagnes de Fan se trouve un grand lac qui a enviroo un
ser'i de circuit; c'est une belle nappe d'eau et qui offre un
spectacle des plus curieux), und schlug hierauf nordwestwärts
den Weg über Eiätüt nach dem Qühik ein. Die Berg^amen
Fan und Qän werden uns noch später begegnen. — Hier nur
noch die Erörterung des heutzutage fasst ausschliesslich in
Uebung bestehenden Namens Zar-afään, d. i. xp^^^f^p^^* D^n
Grund zu dieser Bezeichnung bot unzweifelhaft die Thatsacbe,
dass die Wassermassen der oberen Zuflüsse aus dem Kühtan
und Qara-tagh einen mit Goldkörnchen und Goldkrystallen
untermischten Bergschutt mit sich führen und dieses Geschiebe,
zu überaus dünnen Plättchen ausgeschmiedet, an den flacheren
Uferstellen absetzen; dass jenes Gebirge Ganggold enthalten
muss, ergiebt sich auch aus dem Vorhandensein von Gold-
Schüppchen in den das Gebiet von Hi9är durchschneidenden
Zuflüssen des Oxus. Schon die sinischen Berichte fähren Gold
als ein Product von Sogd an, und die arabischen Geographen
bezeugen das Vorkommen von Gold in dem Gebirge Buttam.
Der reisende Naturforscher Lehmann erfuhr (S. 115), dass
die Tagik's bei Ura-mlthan aus dem Ufersande des Flusses
Gold in feinen Körnchen wüschen; er selbst sah (S. 119, 122)
einige feine Goldkörnchen, die 10 Werst aufwärts von Warza-
minar an dem Fänbach waren erwaschen worden, und be-
schreibt das mühsame Verfahren der überaus spärlichen Gold-
gewinnung, mit welcher sich vornehmlich die Juden befassen
sollen. Uebrigens ist der Name Zaraf San ein durchaus modemer
und in keiner älteren Schriftquelle nachzuweisen; denn dass
bei Aristoteles Meteorol. I, 13 der Flussname 6 Xodan^ ver-
ändert werden müsse in Zapiaa^i; und dass der Zarafsän damit
gemeint sei, wie Roesler (Aralseefrage S. 52) will, — credat
Judaeus Apella.
Sollte sich der älteste Name des Sogdflusses gar nicht
erschliessen lassen? Doch vielleicht, wenn wir den sinischen
Berichten über Sogdiana aus den Zeiten der Dynastien Su'i
und Thang Aufmerksamkeit schenken wollen; darin ist mehr-
mals von dem Na-mi sui' oder dem Flusse Na-mi (^ß f^) die
Rede, und es wird bemerkt, Khang oder Sa-mo-kien (Samarkand)
CentnlMiatisebo Studien. I. 83
liege südlich vom Na-mi (Klaproth, Magasin asiatique I p. 106),
der Sitz des Herrschers von Mi (Maimurgh) sei westlich vom
Na-mi (Deguignes 1, 2 p. LXXII; Abel-Remusat, Nouv. m^l.
aa. I p. 233; Klaproth p. 105), das westliche Tsao (lätikhan)
liege nur wenige Li entfernt vom Südufer des Na-mi (Klaproth
p. 105), der Vorort des Reiches Ho (Qawa) befinde sich mehrere
Li südlich vom Na-mi (Klaproth ebd.; A. Remusat p. 237;
fehlerhaft Deguignes p. LXXIII: k plusieurs mille li au sud
de la rivifere Na-mi §u'i), ferner das westliche 'An liege südlich
(Klaproth p. 107 ; nördlich, Remusat p. 232) vom Na-mi, end-
lich der Hauptort der A-si liege ,sur la rivifere Na-mi, au sud
de cette rivi^re ; cette ville ^tait entour^e d*un quintuple cercle
d'eau courante^ Lassen wir die letzte Angabe, bei welcher
eine Verwechslung mit einem anderen Flusse, vielleicht dem
Murgh-äb, mitspielen dürfte, bei Seite, so laufen alle übrigen
topographischen Angaben auf die. eine Thatsache hinaus, dass
unter Na-mi, wie zuerst Klaproth (p. 121) ersehen hat, kein
anderer Strom als der heutige Zaraf §än verstanden werden
darf; auch die nach dem Thang-§u und einer vollständigeren
Redaction des Hiuan-Thsang zusammengestellte japanische
Karte vom Jahre 1710 zeichnet den Lauf des Na-mi sui dem
Sachverhalt genau entsprechend nordwärts vom Oxus oberhalb
der Orte Mi-mo-ho Sa-mo-kien Kiü-soang-ni-kia und Pu-ho
(Bakhär). Dieser von den sinischen Berichterstattern gebotene
Name fiir den Sogdfluss verdient unseres £rachtens näher in's
Auge gefasst zu werden, da wir mit vollem Rechte annehmen
dürfen, dass in dem Lautcomplex Na-mi, wofür mehreren
Analogien zufolge entweder Namidh oder Namiq substituiert
werden kann, die in Sogdiana alteinheimische Bezeichnung für
den heiligen Strom, welcher das Sogdthal befeuchtet und mit
Pflanzenwuchs segnet, enthalten ist, während der von den
Griechen ausgegangene Name IIoXuT{|it)TO(; bloss die Uebersetzung
des altiranischen Namens darbietet. Es läge nun nahe, auf
baktr. nämau, altpers. näma, neupers. näm ,nomen, fama, gloria',
und baktr. namista ,nobilissimus', neupers. näml (^b, aus
näm -|- ya) ,illustris, celebratus* hinzuweisen; das Richtigere
glauben wir indess zu treffen, wenn wir eine sogdianische
Namensform Namiq statuieren, welche einem älteren Nemanhya
oder Namaqya = ved. namasia ,adoranduB, reverendus, izpoq-
6*
84 Tomascbek.
%'xfTiTioq, xoXut{|xiqto;' entspräche und wie baktr. nemaqjämahi
,wir beten an, huldigen', nemanh ved. nämas ^Anbetung, Ver-
ehrung' auf den arischen Verbalstamm nam ^sich beugen'
zurückgie9ge. Einen ähnlichen Gang in der Lautentwickelung
muss auch ösisches (dig.) namug (tag.) namüg (südl.) namig
,Korn, Getreide' durchgemacht haben, wenn es wirklich wie
neupers. namak («^JU3) ,Salz' ursprünglich die ,verehrnngs-
würdige, heilige' Nahrung, die Speise der Opferflamroe, bedeu-
tete. — Wenn wir Namiq als einheimische Vulgärbezeichnung
für den ZarafiSan hinstellen, welche die sinischen Pionniere
des Westens im sechsten und siebenten Jahrhundert nach Chr.
in ausschliesslichem Gebrauche stehend vorgefunden haben,
so sind wir damit noch nicht zu der Annahme gezwungen,
dass dieser Name seit ältester Zeit der einzige gewesen, welcher
für den heiligen Strom in Uebung war. Es konnten neben
Namaqya recht wohl auch noch andere, vorzugsweise hieratische,
Bezeichnungen bestanden haben: so ist es z. B. in hohem
Grade wahrscheinlich, dass der in dem Avesta vorkommende
Däitya, huzv. Däitik, der aus Airyana vaega fliesst und an
welchem Zoroaster seine Offenbarungen erhalten haben soll,
bevor er nach Balkh zog, kein anderer ist als der Sogdfiuss,
— eine Meinung, welche uns gelegentlich Prof. Sachau mit-
getheilt hat und die derselbe hoffentlich bald gründlich dar-
legen wird. Wir können uns wenigstens nicht mit der Ansicht
befreunden, welche das arische Quellenland nach Medien und
Atropatene verlegt und den Däitya bald mit dem Araxes, bald
mit dem Kür identificiert ; für Airyana- vaega gilt uns noch
immer die östliche oder Gebirgsseite von Sogd mit den an-
grenzenden Cantonen Farghäna, Darwäz etc.; auch haben wir
keinen Gnind im ersten Fargard des Vendidäd bei den Worten
airyanem vaögö vafthuhyäo däityayäo von der traditionellen
Uebersetzung ,der guten Däitya' abzuweichen, da wir uns nicht
zu wundern brauchen, dass der Däitya, falls wir darin den
Sogdfluss erblicken dürfen^ eine solche Wichtigkeit beigelegt
wird; wenn es heisst: ,der Däitik ist reich an Kharfastar's
oder schädlichen, ahrimanischen Thieren', so kann dies, wenig-
stens für den Unterlauf des Flusses, wirklich zutreffend sein und
kann das Ungeziefer gerade so als Gegenschöpfung Ahriman's
gegolten haben wie der Winter Airyana-vaägas. Justi ver-
CeDtralasiatiiche Stadien. I. 85
muthety daes der im BundeheiS angeführte Fluss Zi&inand, der
von Sogd aus gegen den Khagand fiiessen soll, der Zarafdän
sei; dies geht nicht an; gemeint ist entweder der Yilan-ötii
von Dizak oder der Fluss von Ura-tübä; nicht einmal an den
bei Ölsmän an dem Nürätänyn Aq-tau vorüberstreichenden
Zufluss des Zaraf^n kann gedacht werden.
Ausser dem Zaraf§an kommt nur noch der Fluss von
^ahr-I-sabz in Betracht, welcher im SultAn-Häzrat-Tagh, dem
Verbindungsknoten zwischen dem Samarkand-Tagh und dem
Kuh-i-tan, entspringt und über QardI in der Richtung gegen
Bukhärä fiiesst, um sich im Sande zu verlaufen oder^ gleich
dem ZarafSän, ein Wüsten wasserbassin auszufüllen ; sein be-
deutendster Zufluss ist der Fluss von Khuzär, der bei Qarsi
einmündet. Dieses Wassersystem, obwohl von minderer Be-
deutung als das des Zarafdän, ist für die alten Dependenzen
von Sogd, Kaiäniya und Nakhäap, die Quelle des Gedeihens
und der Blüthe gewesen, und noch jetzt soll das Gebiet von
Sahr-l-sabz an Wohlstand und Industrie Bukhärä und Samar-
qand zum mindesten erreichen, wo nicht übertreffen. Von
Flussnamen alten Klanges auf diesem Gebiete, in welchem auch
das später zu erörternde Nauioxa oder Nawqat lag, erfahren
wir nur wenig in den Schriftwerken der Vergangenheit. Bei
Idrisl (II p. 200) finden wir eine Notiz über zwei Flüsse im
Gebiete von Ke§§, von denen der eine Qa§arln im Gebirge
Bttttam, der andere As-rüd im Gaue Ea§ka entspringt; beide
vereinigen sich bei Nasaf, dem heutigen Qar§i. In eine viel
ältere Zeit geht zurück die Angabe der sinischen Annalen
(Abel-Kömusat, Nouv. mä. asiat. I p. 238; Klaproth, Magas.
aaiat. I p. 105; Deguignes I, 2 p. LXXII): ,le pays de Sse
est a dix li au midi de la rivifere tv-mo'. Wir werden später
sehen, das» das Territorium von Sse so ziemlich mit Kess zu-
sammenfallt; der Flussname Tumo §ui oder Tüma ist iranischen
Ursprungs, und wir vergleichen baktr. tüma ,kräftig, strotzend',
von WZ. tu ,strotzen, vermögen', wie skr. tümra ,geschwollen,
feist, kräftig' und lat. tumidus. Freilich finden wir auch im
Türkischen \^^y^ tümäq ,rivifere' (Pavet de Courteille, Dic-
tionnaire p. 245). Es ist uns gelungen die sinische Nachricht
durch eine Notiz aus später Zeit zu bekräftigen. Bei dem
Geschichtschreiber Timur's, Sarif-al-din *Ali al-Yazdi, finden
86 Tomaschek.
sich folgende zwei Stellen, welche auf den> bei Ta&-kurghftn
laufenden Zufluss des Kadka-daryä bezogen werden müssen
(I p. 147) : jAlaga Itu et Pulad Bugha etoient campes au ruis-
seau de Tum, et TEmir Hussein ätoit arrivä k Qaräi^; (III
p. 174) : ,Timur alla camper au bord d'une petite rivi^re, nomm^e
Tum' und am folgenden Tage ,dans la d^liceuse campagne
de Ke§§^ So genau und zuverlässig sind die Angaben der
sinischen Berichterstatter über die so entfernten Westgebiete!
Uebrigens findet sich bei Serif al-din auch der Name Kaska
oder Khuäka für den Fluss von Kess, z. B. (I p. 205): ,il
alla Camper dans la plaine de Khüämls sur le bord de la belle
rivi^re de Ehuäka^ Ist es gestattet den Namen mit neupers.
khuäk baktr. huska ,trocken^ in Verbindung zu bringen, so hätten
wir da einen Gegensatz zu dem ^wasserreichen, strotzenden'
Zufluss Tum; auch sonst wird berichtet, dass der Fluss von
Qarsi und Kesä im Sommer wasserarm sei und mitunter gänzlich
austrockne. Indess sind auch andere Ableitungen, zumal im
Zusammenhange mit dem Ortsnamen Kess^ möglich.
Wenden wir uns von den Wasseradern zu den Rippen
des Landes Sogd ! Der Name von Sogd haftet bei Ptolemaeus
einem Gebirge an, das sich über das Land von Westen nach
Osten in langem Zuge erstreckt und dessen Westende den Lauf
des nicht genannten Polytimetos an der südlichen Uferseite bis
zur Krümmung begleitet; es umfasst also die ptolemäische
Bezeichnung Ta lo^Bia 5piQ zunächst jenen Gebirgszug, der aus
der Nachbarschaft Bukhfträ's, entlang dem ZarafSan bis zu
dessen Quelle streicht, dann aber auch das System aller jener
parallelen Ketten, welche nach Osten hin bis zu den Quellen
des Jaxartes und Oxus sich hinziehen, und als deren Fort-
setzung der Thian-§an gelten darf, also die Gebirge von OsrüSana
und Farghäna einerseits und die von Hi^är und Qai*a-tagin
anderseits; Ptolemaeus bemerkt nämlich: ärh twv ^oySiwv 6pwv
xoTap.ol Siappeouci xXetou; avü)vu[jioi, cujjißaAAovTe? toT? 86o TCOTapioT^,
und meint darunter die Zuflüsse zum Oxus in Hi^är und
Qara-tagin und jene zum Jaxartes in Khöqand. — Treffend
charakterisirt die vorherrschende Richtung der sogdischen Ge-
birge von West nach Ost der arabische Geograph Qodäma,
CentnOMiatiselio Studien. I. 87
wenn er bei der Position Ktil, welche, wie wir sehen werden,
etwas nördlich von dem heutigen Bustän in Bukhäräi gesucht
werden muss, bemerkt (Sprenger, Post- und Reiserouten, S. 17) :
^südlich davon beginnen die Berge, welche sich bis Sin aus^
dehnend Wir übergehen die Sonderbezeichnungen, die sich
bei anderen arabischen Geographen für diesen Bergzug vor-
finden, und erwähnen nur den Namen Sah, den al-Iftakhri
(übers, v. Mordtmann, S. 130) für das Gebirge südlich von
Samarqand kennt. Am häufigsten begegnet der Name Buttam
{f^) als Gesammtbezeichnung für den Gebirgsstock, welcher
im Gebiet von Nakhsap und Kiss anhebt und in der Richtung
nach Osten sich hinziehend die Quellen des ZarafSän in sich
schliesst, so wie die Quellen aller jener Zuflüsse, welche Oxus
und Jaxartes aufnehmen; in neuerer Zeit, zum ersten Male
bei Bäbr (I p. 56), begegnet dafür der Name Küh-i-tan oder
Küh-tan, und auch die neuesten Kartenwerke bieten fiLr das
Scheidegebirge von Ki§fi und Hi^är den entstellten Namen
Koten oder Kütün. Seit Lehmann sind auch die Benennungen
Wafi&an-tau und Fän-tau (von neupers. &n ,morsch, brüchig^)
für die südwärts von Ura-mithan und Warza-minar am Zarafään
sich erhebenden Bergzüge in Gebrauch.
Auch in den sinischen Schriftwerken finden sich Angaben
über Gebii*ge in Sogd. So findet sich z. B. die Notiz, südlich
von Tong-Tsao oder Osrü§ana nach Fe'i-'an oder Farghftna hin
erstrecke sich der Po-si ian oder das Gebirge Po-si (Abel-
Remusat, Nouv. mel. asiat. I p. 235; Po-sie, bei Deguignes),
,ou sont des retranchements et des foss^s creusäs par un g^n^ral
du temps des Han' ; man wäre versucht in dem Namen baktr.
parsti neupers. püSt ,Rücken' zu suchen, oder Basä (Lmo), was
bei einigen Geographen als Gesammtname für die von Galöa's
bewohnten Gebirgscantone von Wärukh, Sükh und Hü§iyär
vorkommt ; sogar an die Thalschlucht Basmanda, durch welche
man von Ura-täpä in das ZarafSänthal hinübergelangt, könnte
gedacht werden. Bald darauf heisst es in demselben Berichte :
,on y voit la ville de Ye-6a, qui est gard^e par un comman-
dant. On sacrifie deux fois par an, en se tenant debout vis-a-vis
d'une caverne d'ou il sort de la fumäe; le premier qui la
touche est frapp6 de mort.' Bei diesem Naturwunder werden
wir an die heiligen Feuer der Parsen gemahnt, noch mehr aber
88 Tomasohek.
an das intereseante Phänomen, welches Lehmann zur Rechten
des Fanbaches unterhalb Wair-flbäd nahe einem Berggipfel
beobachtete (S. 127 f.) und das durch das Vorhandensein
brennender Steinkohlenlager im Innern des Berges erzeugt wird.
,Wir näherten uns dem Gipfel des Berges, als uns plötzlich
erstickende Dämpfe umfingen, deren starker Schwefelgeruch
augenblicklich über ihre Natur belehrte. Wir hatten die ewigen
Feuer erreicht und befanden uns vor einem natürlichen Ofen;
zwischen den Spalten der Sandsteinschichten drangen nämlich
an mehreren Stellen heisse, unterirdische Dämpfe und zuweilen
helle Flammen hervor. Hier hat man in den Fels eine kleine
Höhle in Form eines Backofens hineingehauen und die Wände
derselben mit Steinen ausgemauert. Aus der Tiefe des Ofens
' vernahmen wir ein beständiges Kauschen, Murmeln und Kochen.
Etwa 50 — 100 Fuss über dem Ofen und etwas weiter öst-
lich gewahrten wir mehrere künstliche Vertiefungen, die
locker ausgefüllt waren, so dass durch die Zwischenräume be-
. ständig heisse Dämpfe emporstiegen; wir sahen das ganze
Gemäuer mit einem Aggregat von 3chwefelkrystallen bekleidet.
Anderen ähnlichen Gruben entstiegen ausser den Schwefel-
dämpfen auch Salpeterdämpfe, die sich in der Gestalt niedlicher,
fast Zoll hoher Dendriten condensieren. Schwefel und Salpeter
wird zum Verkauf eingesammelt, etc.* — Schon der arabische
Polyhistor Qazwin!, und nach ihm mehrere Verfasser geo^a*
phischer Compendien, kennen dieses Phänomen und berichten
darüber ungeßihr Folgendes (Baqüwi, Notices et extraits des
manuscripts, tome H p. 508; Mesalek alabsar, Not. et extr.,
tome Xni p. 256; vgl. auch I^takhrl S. 130, Idrisi I p. 486 etc.):
,Buttam ist ein Gebirgscanton im Bereich von Farghäna. Die
Berge von Buttam sind hoch und ziemlich unzugänglich ; gleich-
wohl giebt es daselbst viele Heerden von Schafen , Rindern
und Pferden, in den Thälern blühende Dörfer, an den Berg-
abhängen starke Vesten. Man findet daselbst Gold, Silber,
Ammoniaksalz, Borax, Vitriol; ferner Eisen, Blei, Kupfer,
Quecksilber; auch Steine, welche wie Kohlen brennen. Daselbst
ist nämlich ein Fels mit einer natürlichen Höhle, aus welcher
beständig Dämpfe dringen, die bei Nacht hell leuchten; der
Qualm ist unerträglich; an den Wänden werden die Dämpfe
fest, und die Anwohner sammeln die so gebildeten Brocken
CentnÜMiAtische Studien. I.
von Ammoniak und Salpeter^ Schwerlich bezieht sich auf
diese Gegend der Bericht, der sich bei Mas*üdi (Les Prairies
d'or, p. Barbier de Meynard, I p. 347 sq.) findet und worin
die Rede ist von einem 40—50 Meilen langen Thalo, welches
die Karawanen passieren müssen, wenn sie aus Khurftsän über
Sughd nach Sin ziehen : in diesem befänden sich die Berge, aus
welchen Ammoniak (nuSädar) gewonnen . wird. Denn man kann
dabei mit Reinaud (Geographie d^Aboulfeda p. CCCLXXII)
viel eher an die flammenden Berge Ho-San im Thian-San
denken; vgl. auch die Stelle aus dem Kao-dhang-hing-ki (Journal
asiat. IV. s^rie, tome IX, p. 63): ,on tire du sei ammoniac
d'une montagne situ^e au nord de Pe-thing (= Urumtsi)'.
Mit grösserer Berechtigung ziehen wir hieher eine Notiz aus
dem Alterthum, die sich bei Plinius, dem Naturforscher, findet
(II § 237) : flagrat in Bactris Cophanti noctibus vortex. Baktra
ist hier in weiterem Sinne für das makedonisch-baktrische
Reich zu nehmen, welches auch Sogdiaua umfasste ; der Name
RwoflcvTT;<; (vgl. KbxpavTa, Ort in Karmanien, Ptolem. VI. 8, 14,
und yj^jS Küfan, 6 Fars. v. Abiward, Yäqüt) geht zurück auf
baktr. kaofa, altpers. kaufa ,Höckery Bergrücken^, woraus
neupers. koh ,Berg^ hervorgegangen, und bedeutet somit ,höckrig,
kuppenreich^ Zu kühn wäre wohl die Vermuthung, dass der
in dem Reiseberichte Fedtschenko's vorkommende Name Kan-
tagh fiir den Berg, auf dessen brennenden Steinkohlenschichten
Schwefel gewonnen wird, in irgend welchem lautlichen Zu-
sammenhange, etwa durch die Mittelform Kuhän, mit dem
plinianischen Cophantes stünde; auch müssen wir absehen von
der Variante Qän für Fan, die sich in dem persischen Texte
bei Bäber (I p. 176: nous arrivames aux limites du district
de Fan etc. ; laissant Fän k main droite, nous primes la route
de Kiätüt etc.) vorfindet. Auch eine zweite, sich uns auf-
drängende Vermuthung, dass nämlich die Völkerschaft der
KivBapoc, welche Ptolemaeus neben den (, waldbewohnenden*)
ApußixTai im östlichen oder gebirgigen Sogdiana anführt, etwa
das Thal (darra, derena) des Berges Kan bewohnt haben möge,
müssen wir zurückweisen, da einmal der heutige Name des
Berges keine alte Gewähr besitzt imd anderseits die KdvBapoi
auch anderswohin verlegt werden dürfen, in das Kandargebirge
ÖBtUch von TaS-kurghän (Sary-qol), das seinen Namen von
90 Tomascbek.
einer aromatischen Holzart (skr. kandara, neupers. kandär) zu
haben scheint.
Einen fabelhaften Ruf haben durch Alexander's Helden-
thaten gleich dem Felsen Aornos an der Grenze von Indien
drei Gebirgspositionen in diesen nordischen Gegenden erlangt,
deren Schilderung so ziemlich das Gepräge orientalischer Dich-
tung trägt — so wie denn im «Sah-nämah unter anderm die
Bergveste Sipend fast mit denselben Details ausgemalt wird
wie die sogdianischo Pelsenburg, von welcher die Geschichte
Alexander's Kimde gibt. Wiewohl nun die griechischen Berichte
fast nur die romanhaft-poetische Seite hervorkehren und aller
topographischen Genauigkeit ermangeln, so lässt sich doch
vielleicht aus dem Sachverhalt und der Aufeinanderfolge der
Thatsachen die Lage der drei Gebirgsvesten annähernd be-
stimmen. Machen wir den Versuch mit den beiden ersten,
der baktrischen und der sogdianischen Veste; die dritte, in
Paraitakana gelegene, soll Gegenstand der Untersuchung in der
zweiten Abhandlung sein, worin wir die sakischen I^ande
schildern werden.
Im Spätherbst oder zu Winterbeginn des Jahres 328 war
es der makedonischen Truppenmacht gelungen den sogdia-
nischen Rebellen Spitamenes vollständig zu schlagen und den
Westen der Provinz dauernd zu beruhigen. Die Gefahr war
jedoch für die Eroberer noch immer bedeutend gross, da sie
fürchten mussten von Baktra abgeschnitten zu werden, indem
die Aufständischen die Cantone von Xenippa (Nakhfiap) und
Nautaka (Nawqat) mit den südwärts gelegenen Gebirgszügen
besetzt hielten, so dass den Makedoniern geradeso wie bei
Beginn der Expedition nur der Weg durch die Wüste offen
blieb. Alexander nun nahm zuerst Xenippa ein und eroberte,
bevor er in Nautaka das Heer in den Winterquartieren aus-
ruhen Hess, die starke Felsenposition des Sysimithres, wodurch
die Verbindung mit Baktra über das Gebirge hin ein f)ir alle-
mal hergestellt und gesichert war. Diese Position, tq ev x^
BoxTpiavtj 1^ 2ici{x{6pou ^sipa (Strabo XI p. 517), war 15 Stadien
(9000 Fuss) hoch und zählte am Fusse 80 Stadien oder 2 Meilen
im Umfang ; auf der breiten befestigten Höhe des Berges konnte
für 1500 Mann Korn angebaut werden, so dass für die Ver-
theidiger der Position Nahrungsmangel nicht zu befürchten
Cantnlttifttiiche Stadien. I. 91
war. Zur Ergänzung diene der Bericht, der sich bei Curtius
VIII 8, 19 findet: ,in regionem, quam Nautaca appellant, rex
cum toto exercitu venit. Satrapes erat Sysioiithres : is armatis
popularibus fauces regionis, qua in artissimum cogitur, valido
munimento saepserat. Praeterfluebat torrens amnis, terga petra
claudebat: hanc manu perviam incolae fecerant. Sed aditus
specus accipit lucem, interiora obscura sunt. Perpetuus cuniculus
iter praebet in campos, ignotum nisi indigenis etc^ Alexander
nahm zuerst die von Sysimithres aufgeführten Bollwerke ein
und drang über den Bergstrom, — ,interveniebat fluvius^
coeuntibus aquis ex superiore fastigio in vallem' — zu der
zsTpa vor, die er nach allen Kegeln der Kriegskunst belagerte,
bis sich Sysimithres ergab. Wir haben also in dieser iziTpx
einen Engpass vor uns, einen angeblich durch Menschenhand
bewerkstelligten ungemein schmalen Durchgang mitten durch
einen steilen Felsenrücken, auf welchem ein geräumiges Schloss
Unterkunft für zahlreiche Vertheidiger bot; eine sich lang
hinziehende Clause, durch welche man wieder in ebenes Ge-
biet gelangte. Dieser Umstand, sowie das gänzliche Schweigen
über die Nachbarschaft des Oxus, verbietet an die Position
von Kalif (v-äJI^) zu denken, welche bei persischen Autoren
ganz ähnlich beschrieben wird; wir müssen uns, schon wegen
der Anführung des nahe gelegenen Nautaka, das, wie wir
sehen werden, in dem Gebiete von Kisä oder Sahr-I-sabz ge-
sucht werden muss, zu der östlicheren Passage wenden, welche
nach Tarmidh (baktr. tarö-maetha ,jenseitige Ansiedelung ?0
fuhrt und das Scheidegebirge zwischen KiSs und Bas-Hi^&r
oder den Küh-i-tan in dem ,ei8ernen^ Pass durchschneidet.
Dass die Burg des Sysimithres noch zu dem Gebiete von Baktra
gerechnet wird, darf uns nicht stören; wie später das Gebiet
der Tukhära vom eisernen Pass anhub, so mag in alter Zeit
die Satrapie Baktra nordwärts über den Oxus gereicht und
das Stromgebiet des Flusses von Tarmidh mit dem benachbarten
Durchgangsthore umfasst haben. — Den iranischen Namen
des ,ei8ernen Thores', Dar-1-ähin, bietet einer der ältesten
arabischen Geographen, Ya*qübi in seinem ,Buch der Länder^ ;
nach ihm ist Dar-i-ähln eine nördlich von Balkh gelegene,
bewohnte Ortschaft wie Ki&s und Nakhsap ; auch Idrisi spricht
von einer ,kleinen, bevölkerten Stadt' bei dem Engpass. Das
92 Tomftsehek.
vollständige Itinerar zwischen NakhSap und Baikh lautet bei
den arabischen Geographen seit Ibn-Qawqäl so : Nakhsap,
Sünigy Didakl; Kandak, Bäb al-]^adid oder ^das eiserne Thor',
Därank, HäSim-gird, Tarniidh; von Tarmidh über den Oxus
nach Siyah-gird oder ^Schwarzburg^ , dann nach Balkh. Im
Ganzen sind es neun Stationen oder Tagemärsche, und zwar
von Nakhsap nach dem eisernen Thore vier, und von da nach
Balkh fünf. — Sehr genaue Angaben über diese wichtige
Position liefern die sinischen Schriftwerke. Kurz ist allerdings
die Notiz bei Ma-tuau Lin, der in seinen Excerpten aus der
älteren Keiseliteratur nach einer gedrungenen Beschreibung
des Reiches von KiäS Folgendes hinzufugt (Abel-Remusat, Nouv.
mel. asiat. I p. 238): ,C'est lä qu'est la porte de fer; les mon-
tagnes a droite et ä gauche sont inaccessibles. Les rochers
sont de couleur de fer, et ce d^filä sert de limite ä deux
royaumes. On le ferme effectivement avec des portes de mätal^
Dagegen beschreibt Hiuan-Thsang (um 630 n. Chr.) das süd-
lich von KäSftna oder Ka§§ gelegene Gebiet und den eisernen
Pass in folgender ausführlicher Weise (Si-yü-ki, par St. Julien^ I
p. 22): ,En sortant de ce royaume, il fit environ deux cents
li au sud-ouest, et entra dans des montagnes. La route des
montagnes ^tait rüde et raboteuse, et les sentiers des ravins
etaient bordös de pröcipices; on ne rencontrait aucun village,
et Ton ne voyait ni eau ni herbes, (p. 23): II fit environ trois
Cents li au sud-est, ä travers les montagnes, et entra dans les
Portes de fer. On appelle ainsi les gorges de deux montagnes
paralleles, qui s'äfevent ä droite et k gauche, et dont la hauteur
est prodigieuse. EUes ne sont sdparöes que par un sentier qui
est fort etroit, et, en outro, härisse de precipices. Ces mon-
tagnes forment, des deux cötös, de grands murs de pierre dont
la couleur ressemble ä celle du fer. On y a etabli des portes
k deux battants, qu'on a consolidees avec du fer. On a suspendu
aux battants une multitude de sonnettes en fer; et, comme cc
passage est difficile et fortement defendu, on lui a donne le
nom qu41 porte aujourd'hui. Lorsqu'on est sorti des Portes de
fer, on entre dans le royaume de Tu-ho-lo (Tukhärä)^ Der
sinische Pilger gieng also von Kä^na aus zwei Tagreisen lang
in südwestlicher Richtung gegen Nakh§ap zu, ungeföhr bis zur
Station Sünig oder bis Didaki, wofiir auch die Variante Dizqän
C«ntnlMUtiM]i* Bedien. I. 93
begegnet; und schlug von da eine mehr südöstliche Route ein,
bis er in drei Tagereisen zum eisernen Thore gelangte, dessen
Befestigung er noch wohlerhalten antraf. — In der mongo-
lischen Epoche, im Jahre 1222, gelangte Ehieu Cang-Uhün in
diese Gegend, auch ein gleichzeitig Reisewerk Ye-lü-öhu-thsai'
bietet Angaben über selbe; ersterer schildert als Augenzeuge
die vielen Gebirgszüge südlich von Sie-mi-sse-kan (Samarkand)
und Ki-Si (KisS), sowie die eiserne Pforte, durch welche er in
südöstlicher Richtung zum A-mu gelangte (Pauthier, Journal
asiat, VI. s^rie, tome IX, p. 76, 77). Auch in einem Abriss
der Thaten Cingis-khdn's wird der eisernen Pforte und des
A-mu gedacht (Pauthier, Marco Polo, p. CXXII). In allen
diesen Schriftwerken finden sich die Charaktere Thie-men
1^ P^ ,£isen — Pforte* für die Localität angewendet, während
der mongolische Name, der seit dem dreizehnten Jahrhundert den
iranischen und arabischen verdrängt hat, Tämür-^aghalgha
lautet, worin der zweite Bestandtheil auf das Verbum xsLghs^yo
,verschliessen^ zui*ückgeht ,* in persischen und alttürkischen
Schriftwerken findet sich dafür die Modification Tlmür-qahlaqa
oder -qohluga (xälgV ^%-hh)- Wir fiihren die zwei wichtigsten
Stellen aus Sarif-al-din 'Ali an; in der einen (tome III p. 173)
werden folgende Localitäten, welche Timur 1398 berührte,
angeführt: Tarmidh, der kiSlaq von Ölhän-Säh, Tarki, das
eiserne Thor oder Qohluga mit dem Bergstrom Bärik, der Ort
Cikdaliq, ferner Qüzimundaq, Dürbilgln, der Fluss Tum, endlich
Keii; in der anderen, ziemlich parallelen Stelle (IV p. 173):
Tarmidh, Qohluga, Sikdaliq, Dulburgin, KeSs. Anderorts wird
der Fluss von Sikdaliq (I p. 69), sowie der Ort Quzimundaq
(1 p. 141) erwähnt. — Da wir bereits die Hauptresultate der
russischen Expedition nach Hi§är kennen, sind wir auch in
der Lage die Position der eisernen Pforte auf der heutigen
Landkarte genauer zu fixiren und in ein helleres Licht zu
stellen, als es bisher nach den allgemeinen Angaben der älteren
Reiseberichte möglich war (vgl. Majew, Izwestija der kais.
russ. Geogr. Ges. XII, 1876, Heft 5, S. 349—363; Lerch, Russ.
Rev. VII, 1875, Heft 8). Wir erfahren, dass der Fluss von
Khüzär, der sich mit dem KaSka-darya vereinigt, in seinem
Oberlaufe aus zwei mächtigen Quellenarmen besteht, dem
«grossen (katta)^ und , kleinen (kiöl)* üru-darya. Dieser letztere
94 ToBfttc^ok.
entspringt in dem Baii^ün-tagh, einem bedeutenden, von Nord-
ost nach Südwest streichenden Querriegel, welcher die Wasser-
scheide gegen den Oxas bildet, dem er nach Süden zu den
Fluss von Siräbäd zuschickt. Verfolgt man den Weg von
Khüzdr ostwärts mit einer ziemlichen Neigung nach Südost,
so gelangt man an dem Weiler KuSluS vorüber in das Thal
des Kidi-uru-darya und über Tang-i-khurftm zu dem 4509 engl.
Fuss hohen Pass von Aq-robät; aus dem sich anschliessenden
breiten (Jaköathale gelangt • man zu dem Passe von Derbend
oder der ^eisernen Pforte', welche die hohe südwestlich strei-
chende Bergkette durchbricht und über den Ki6laq Derbend
nach der ziemlich bedeutenden Ortschaft Bai'-i^ün führt. Es
ist eine schmale Schlucht, 2 Werst lang und 5 bis 35 Schritte
breit, mannigfach gewunden und von einem Giessbach durch-
strömt, der im Sommer austi*ocknet und nur bei Hochwasser
den Siräbäd-darya erreicht; ihr westliches Ende liegt 3740, ihr
östliches 3540 Fuss hoch. Diese Schlucht (,perpetuu8 cuniculus'
bei Curtius) fuhrt jetzt den Namen Buzghala-khana ,Haus des
wilden Ziegenbockes', der Bach (,torren8 amnis' bei Curtius),
den Serifeddln Bärik nennt, Buzghala-khana-bulaq. Auf den
älteren Karten findet sich ein Ort Darwan verzeichnet, das ist
offenbar Darband, ein etwa aus 500 Gehöften bestehendes
Winterdorf, nach welchem der Fluss von Slräbad auch Darband-
darya genannt wird. Diese am östlichen Ausgange des eisernen
Thores gelegene Oertlichkeit erwähnt auch der Reisende Ruy
Gonzales de Clavijo, welcher (1403) im Auftrage des Königs
von Castilien Henrique III. zu Timur nach Samarkand zog
und eine ziemlich genaue Beschreibung des eisernen Thores
giebt, dessen Befestigungen damals bereits in Trümmern lagen
(Historia del grau Tamorlan, Madrid 1782, p. 140); Clavijo
schliesst nämlich seine Beschreibung mit folgender Notiz
(p. 141): Darbante es una muy gran ciudad, que se cuenta
SU senorio con una grande tierra, e las primeras destas puertas,
que son mas cerca de nos se llaman las puertas del Fierro
de cerca Darbante, e las otras postrimeras se llaman las puer-
tas de Fierro cerca Tennit que confinan con el terreno del
India menor. Die Ruinen von Tarmidh (Terraiz) sind an dem
Ausfluss des Sürkhän in den Amü bei dem Flecken Gulgul
aufgefunden worden. Von Tarmidh nach dem östlicheren
G«ntnaMUtiaebe Stadien. I. 95
Qabädiyän zählen die arabischen Geographen, ebenso wie nach
Balkh, zwei Tagereisen. — So viel über den Felsen des Sysi-
mithres !
Ganz im Unklaren sind wir dagegen über die Lage des
zweiten Felsens, der ^sogdianischen' Il^ipa, welche von Aria-
mazes vertheidigt worden war. Die Verschiedenheit der Nach-
richten über diese Felsenburg ist so gross, dass wir diese mit
gleichem Rechte in den äussersten Westen wie in den äussersten
Osten von Sogdiana verlegen dürfen, je nachdem wir die
Tradition des Curtius oder die des Arrianos zu Grunde legen.
Curtius schildert sie uns so : ,petra in altitudinem XXX eminet
stadia, circuitu C et L complectitur. Undique abscissa et abrupta
semita perangusta aditur; in medio altitudinis spatio habet
specum . . .; fontes per totum fere specum manant, e quibus
collatae aquae per prona montis flumen emittunt^ Also nicht
ein Engpass, sondern ein hohes Felsplateau mit einer Veste;
Ariamazes soll daselbst 30.000 Bewaffnete beherbergt und
Lebensmittel auf zwei Jahre aufgespeichert haben! Wo sollen
wir nun das Felsennest mit einem Umfang von 3^^ Meilen
und einer Höhe von 18.000 Fuss suchen? Curtius und seine Ge-
währsmänner (Kleitarchos und Timagenes) verlegen die Ein-
nahme desselben in die Zeit der Expedition nach Margiana.
Als nämlich Alexander im Winter 329/328 in Baktra-Zariaspa
Quartier hielt, brach in dem kaum bewältigten Sogdiana aller-
orten der Aufstand mit verstärkter Wuth aus, und scheint
diesmal der Hauptstützpunkt der Insurrection das westliche
Steppengebiet gewesen zu sein, wo heute die Türkmänen noma-
disiren, im Alterthum aber die Daher und Massageten hausten.
Für das Frühjahr 328 entwarf Alexander den Verhältnissen
gemäss folgenden Feldzugsplan: um die westliche Linie zu
decken und die Verbindung mit Hyrkanien und Parthien auf-
recht zu erhalten, sollte eine Expedition von Baktra längs des
OxuB nach Margiana und dann weiter nach dem Ochus vor-
dringen und diese Flanke durch Anlegung von Colonien dauernd
befestigen; war dies geschehen, sollten dann mehrere selbst-
ständig operirende Colonnen Sogdiana von West nach Ost
durchziehen und sich im Centrura des Landes, in Marakanda,
vereinigen, so dass hierauf die Möglichkeit geboten wurde,
auch an die Unterwerfung der östlichen Berggebiete, namentlich
96 Tomateh«k.
Paraitakana's, zu denken. Der Zug nach Margiana wird von
Curtius kurz berührt (VII § 40): ^Alexander exercitu aucto
ad ea, quae defectione turbata erant, componenda processit;
quarto die ad flumen Oxum perventum est. Superatis deinde
amnibuB Ocho et Oxo, ad urbem Margianam (codd. marganiam)
pervenit; circa eam VI oppidis condendis electa sedes est:
duo ad meridiem versa, quattuor spectantia orientem, modicis
inter se spatiis distabant, ne procul repetendum esset mutunm
auxilium^ Gleich daran schliesst sich mit den Weiten ,et
cetera quidem pacaverat rex; una erat petra etc.' die Schilderung
der Einnahme des Felsens und die Nachricht, dass Alexander
die Gefangenen und die gefundenen Schätze unter die Colonisten
jener neuen Städte vertheilt habe. Unter Margiana ist nun
offenbar das Mouru des Avesta, Margus der Keilinschriften,
Marw aUlähigan (,Königsseele') der arabischen Geographen
oder das heutige Märw in der Türkmänensteppe gemeint, eine
Stadt, die nach dem Glauben der Perser von TahmQraf ge-
gründet, von Alexander dem Griechen erneuert und vergrössert
worden war, wie denn auch Sirakhs, 30 Farsang südlich von
Marw,' Kai-käwQs angelegt und Alexander befestigt haben soll.
Wenn dann von einer Ueberschreitung des Ochus, d. i. des
Tegend oder des Unterlaufes des Hare-rüd, die Rede ist, so
haben wir darin den Fingerzeig, dass sich die Expedition bis
Nasa oder Nisä an der Grenze von Hyrkanien erstreckt hat.
In der angrenzenden Steppe sassen die Dahae, ein den Parthern
verwandtes Nomadenvolk, das in mehrere Stämme zerfiel, unter
welchen namentlich die "Azapvoi oder Ilapvot (zend. aperenäyüka
, Bursche' perena neupers. barnft ,voll, erwachsen, Knabe'), SivBioi
und Uiaffoupot (vgl. den Flecken Pissurak in Dihistän) erwähnt
werden; Reiterschaaren dieses Volkes waren von Spitamenes,
dem Haupte der aufständischen Sogdianer, aufgeboten worden
und beunruhigten die von den Makedonen unterworfenen Ge-
biete, Baktra, Margiana, Areia, ferner \\<rtaür|VT^ (Astawa oder
Ustuwa s^umI der arab. Geographen, wo jetzt Khabüsän oder
KhüSän liegt) und das benachbarte NT;aa{a (Nisä Lm^^), welches
der "öxo? durchfloss (Strabo XI p. 509). Dort, wo der Ochus
das Hochland verlässt, indem er den Nordabhang des Gulistän-
gebirges bespült, war eine alte Grenzscheide iranischen und
turanischen (sakischcn) Gebietes. Hamza meldet die Sage,
Centralaalatlsoh« Studien. 1. 97
ManoSöihr habe in dem Vertrag mit Afnisiäb durch einen
Pfeilwurf die Grenze seiner Herrschaft bis Mazdörän (etwa
.das grosse Thor') festgesetzt, einen Ort zwischen T^üs und
Sirakhs, nach welchem der Küh-T-Gulistän bei Ptolemaeus den
Namen xo Mac§b)pavbv 5po<; führt. Eine andere Bezeichnung
dieses Gebirgszuges, Oschobates (var. Ochobaris), lernen wir
aus einer Notiz kennen, welche auf die Chorographia des
M. Agprippa oder die Weltkarte des Augustus zurückgeht, bei
Ethicus (Mela ed. Gronov., p. 726 = Orosius Hist. 1, 2 p. 20
Hav.) : ab öppido Catippi (= KaXXiow)) usque ad vicum Saphrim
(= 2a9p{, Isid. Charac. § 12) inter Dahas Sacaraycas et
Parthyenos mens Oschobates. Hier werden neben den alt-
einheimischen Dahern auch die ^akä rawakä (SaxapaOy.ai, Z<xr,i-
pxjxoi) erwähnt, welche gleich den Tukhärä (To^apot) ans Inner-
asien stammend um 130 v. Chr. über den Jaxartes gedrungen
waren und, während die Tocharer dem baktrianischen Reiche
der Diadochen Alexander's ein Ende machten, für sich die
Sitze der westlichen Saken und Chorasmier eingenommen hatten
und von da aus oft in die Geschicke des parthischen Reiches
eingriffen, also die Vorfahren der Haital oder der ,wei8sen
Hunnen^ Den Dahern lagen auch die Xipaxs^ nahe, nach welchen
Ptolemaeus eine Ijandschaft am Tegend Xtpay.r^vYJ benennt, deren
Vorort ohne Zweifel die alte Stadt Sirakhs oder Sirkhas (etwa
iq Zipaxaq? vgl. über sie Yäqüt s. (jjaä^wui) bildete. Ist es nun
nicht möglich, dass in der Nähe dieses äussersten Vorpostens
von Khuräsän und im Machtgebiet der befreundeten Daher der
Megistane Ariamazes mit den flüchtigen Sogdianern eine feste
und sichere Position gefunden hatte, von wo aus er die make-
donischen Zuzüge auf der grossen Verkehrsstrasse über den
Hare-rüd mit Erfolg zu beunruhigen gedachte? Wenn sich
nicht in den Gebirgen von Marw al-rüd oder auch (woran
Mützell gedacht hat) von T^lliqän eine Localität vorfindet,
welche auf die Beschreibung der ITitpa passt, worüber indess
jede Nachricht fehlt, so schlagen wir vor, die Position von
Kilät (cyik^ bei Yäqüt; vgl. Qilat io^* in Dailam) heran-
zuziehen, da diese so ziemlich zu passen scheint. ,Da8 heutige
Kilat,' sagt Spiegel (Iran. Alterth. I 54), ,liegt in einem Thale,
das .5 bis 6 Stunden breit von Ost nach West, und 10 bis 11
geogr, Meilen lang ist; ein kleiner Strom durchsetzt das Thal;
Sitciiiigi.ber. d. phü.-hist Cl. LXXXYII. Bd. I. Hft. 7
98 T«>aicbek.
die Felsen, auf denen die Veste liegt, sind fast unersteiglich;
sie kann bei einiger Aufmerksamkeit leicht vertheidigt werden/
Vielleicht ist damit identisch Ju»l ^^ Kharaq al-gebel oder
Qar'ak der arab. Geographen ; auch im Bundehes ist von einem
Berge Rawak die Rede, auf dessen beiden Seiten ein Weg in
die Burg sdj^y3 Qarak läuft; ,man nennt diesen Ort auch die
Pforte des Landes Sirak (vj^)^ Zwischen Sirakhs und Abiward
(Bjlward) lagen auch noch andere Vesten, wie Khawarän und
Sawkftn. Weiter nach Süden, gegen Tös und Abr-§ahr oder
NlsApür (Nisiaea im Thalgebiet IIapöa6-viffa, Isid. Charac. § 12),
ist die sagenberühmte Stätte, wo Iranier und Turanier manch
harten Strauss ausgefochten haben sollen; wir erinnern nur
an die Namen Gonäwat und Rewand (Raevanta). — Eine andere
Aussicht böte sich aus der Angabe des Curtius, dass bei jener
Expedition auch der Oxus überschritten wurde; dann könnte
man auch an die Position von Kalif (Kilif) denken, welche
zwischen Tarmidh und Amol auf dem äussersten Ausläufer
der von Ost nach Südwest streichenden sogdianischen Gebirge
gelegen das Oxusgebiet gegenüber von Baktra beherrscht.
Sehr gut stimmt dazu die Bezeichnung i^ toO ^Q^om icetp«, welche
nach Strabo XI p. 517 identisch sein soll mit i^ xsO 'Apiaixz^isu
z^Tpa. Die Araber zählen von Balkh nach Kalif IH bis 20
Farsang, und in persischen Schriftwerken findet sich die An-
gabe ,que cette place forte occupe le sommet d'une montagne
couverte de rochers noirs et qui a 8 farsakhs de circuit; les
abords en sont inaccessibles , mais sur le plateau sont des
sources et des paturagcs' (Barbier de Meynard, Dictionnaire
g^ographique de la Perse, p. 474, N. 2).
Arrianos dagegen, der aus den zuverlässigen Memoiren
des Ptolemaeus Lagi und des Aristobulos geschöpft hat, ver-
setzt das Ereignis» der Einnahme des sogdianischen Felsens
durch die 300 xpriiJLvsßiTa'. in den Frühling des Jahres 327,
in jene Zeit, wo Alexander bereits aus den Winterquartieren
von Nautaka aufgebrochen war und in Baktra alle Vorberei-
tungen zu seinem Zuge nach Indien traf. Sein Werk war
indess damals noch nicht vollendet; nach der energischen
Bewältigung der mehrmaligen Aufstände in Westr und Central-
Sogdiana, so wie nach der bereits erfolgten Einnahme der ,eiser-
nen Klause', musste er daran gehen auch noch die östlichen
CentraluUtische Stadien. I. ' 99
Berggebiete von Sogdiana so wie Paraitakana (BädakhSän)
zu unterwerfen, um hinter seinem Rücken einen allseitig ge-
sicherten und dauernden Besitz zu lassen. Viele sogdianische
Häuptlinge hatten in den unwegsamen Berggebieten des öst-
lichen Theiles, welcher sich bis zu den Quellen des Oxus und
noch darüber hinaus erstreckte, Zuflucht und Sicherheit gesucht
und waren bereit, zu gelegener Zeit aus ihren Verstecken
hervoraubrechen und das nationale Werk der Befreiung von
der verhassten Fremdherrschaft wieder aufzunehmen. Merk-
würdiger Weise weiss Arrian in seinem Bericht nichts von
Ariamazes; er meldet bloss, dass ausser vielen sogdianischen
Adeligen auch die Familie des baktrischen Pahluvän's Oxyartes
(d. i. wohl Vakhsuvarta), zumal dessen Tochter Roxane, ,die
Rose des Orients', sich auf dem Felsen in Sicherheit befunden
habe. Da nun Curtius selbst im Verlauf der Begebenheiten
des Frühjahres 327 auch die Unterwerfung des Oxyartes und
die Vermälung Alexander 's mit Roxane anführt, so dürfen
wir vermuthen, dass w^ir es mit einem ganz verschiedenen
Factum zu thun haben und dass der Felsen des Arimazes und
der ,sogdianische' Felsen, auf welchem Roxane gefangen wurde,
verschiedene Localitäten sind, die in den oberflächlichen Dar-
stellungen der späteren Epitomatoren und Geographen will-
kürlich vermengt erscheinen. Wie gaüz anders würden wir
über diese topographischen Fragen urtheilen können, wenn
wir die gleichzeitigen Memoiren sowie die i^TaOjjLol vf^q 'AXe^av-
2pou TOpsta; eines ßatiwv, Aioyvtqtoc, \\[x6vTa^ u. a. besässen!
Arrian theilt fast gar nichts über die vor den Aufbruch nach
Indien fallenden Expeditionen mit und weiss ausser der Ein-
nahme des ,sogdianischen' Felsens überhaupt nur die Unter-
werfung des Chorienes in Paraitakana zu melden; nur der
,Rhetor' Curtius bietet einige topographische Einzelheiten, die
wir näher erörtern wollen, nachdem wir die wichtigsten Nach-
richten der arabischen und sinischen Berichterstatter über die
Gebiete von Hi^är Wakh§ und Khuttal vorausgeschickt und
mit der heutigen Kunde über diese vor kurzem erschlossenen
Regionen verglichen haben. Aus dem Alterthum ist noch die
bestimmte Angabe des Ptolemaeus über das Volk der Ape^iavoi
von Belang, welches das Gebiet zwischen Oxus und Jaxartes
inne gehabt haben soll ; dort lag Aps'J/a ii |jLr,Tp6;:oAt?, ein Vorort,
7*
100 Tomaschek.
der nur das heutige Hi§är gewesen sein kann ; er darf nämlich
nicht mit Apatl^xy,« oder dem heutigen Kunduz^ das bei Ptole-
maeus den Namen Xoiva (sin. Ahuan oder Huo) führt, ver-
wechselt werden; die Namensähnlichkeit soll uns nicht täuschen,
da ein generelles Appellativum, welches den Begriff der Herr-
schaft (baktr. drafga ,Banner, Fahne', neup. diraf§) ausdrückt
und verschiedene Herrschersitzen anhaften konnte — auch
Baktra heisst im Awesta eredhwödraf§a ,mit hohem Banner ver-
sehen, weit gebietend', — beiden Namen zu Grunde liegt. Sind
doch Balkh Kunduz und Hi^är bis in spätere Jahrhunderte
die Hauptsitze der Macht im nordöstlichen Khuräsän gewesen!
Eine andere Oertlichkeit bei Ptolemaeus, XoXßiaiva (var. XoXßücca)
an der rechten Uferseite des oberen Oxus (Koköa), scheint
identisch mit Hulbuk siLJjD, dem Sitze der Sultane von Khuttal,
zu sein; keinen Zweifel leidet es aber, dass die Position
'AXe^avSpeia eaxa-nr), südwestlich von der ipsivt] Ko[i.r|3u)v in der
Nähe des oberen Oxus, in Khuttal anzusetzen ist; eine feste
Stadt daselbst heisst noch bei den arabischen Geographen
Iskandra S^OüXamI (Yäqüt s. Jüülf) oder Sikandra, gleichwie
die neuesten Pionniere des Ostens für den Quellensee des
Panga oder den Sari-kul auch die Benennung Sikandar vor-
fanden und wir von einem Iskandar-kul im Gebiet des oberen
Zarafsan Kunde haben. Es scheint keine blosse Erdichtung,
sondern eine glaubhafte Tradition zu sein, wenn die Fürsten
von Bädakh§än, Wakhän, Saginän, Köänän und Darwäz nach
alten und neuen Berichten ihre Macht bis auf den Griechen
Alexander zurückführen; hatte doch der Eroberer auf ihrem
Boden gewaltet und Städte seines Namens angelegt, während
seine Nachfolger ihre Macht, wie Strabo bezeugt, bis nach
Tibet ausdehnten, [xsxpt Srjpwv xat ^puvwv (XI p. 516). Die
Vermälung Alexander's mit der schönen Baktrierin Roxane
und das kluge politische Verfahren, welches er in der Besetzung
der Machtstellen befolgte, hatte allmälig eine solche Sinnes-
änderung bei dem iranischen Adel hervorgerufen, dass die
stolzen Megistane freiwillig die Macht des Eroberers unter-
stützten und sich seiner Herrschaft fügen lernten; sein Name
wurde fortan gefeiert. Sage und Tradition sind seines Ruhmes
voll. — Nach dem Sturze der griechischen Herrschaft in
Baktra-Sogdiana durch die Yätya und Tukhära, war die
Centralasifttieche Stadien. I. 101
Herrsch ergewalt daselbst im Besitze von Nomadenfürsten hoch-
asiatischer Abkunft. Während das indische Culturelement in
seiner buddhistischen Gestaltung immer stärker eindrang,
entfremdeten sich diese alt-iranischen Lande dem Grossreiche
der Arsaciden und Sassaniden immer mehr und nur zeitweilig
gelang es den Herrschern des Westreichs Tukhäristan in ihren
Machtbereich zu bringen; stärker erwies sich von Norden her
seit dem sechsten Jahrhundert die Gewalt der Türken. Nach
dem Untergange der Königsfamilie der Kusänen zerfiel das
ganze Gebiet am obern Oxus in 27 gesonderte Fürstenthümer,
die mehr oder weniger unter der Suprematie des türkischen
Khäqän's standen, welcher am Flusse Sui (Cui) im Norden
von Farghäna seinen Sitz hatte. Nur vorübergehend war die
Oberhoheit des sinischen Reiches in diesen so fernen West-
gebieten (seit ()56). Als die Araber alle iranischen Lande
unterworfen hatten, benützten sie die Fehden der einzelnen
Fürsten unter einander, um die Macht der Türken einzu-
schränken, und es gelang ihnen, ganz Tukhäristan in ihre
Gewalt zu bringen; die Sämäniden herrschten unangefochten
in allen Oxusländern bis an die Grenzen von Wakhän, Saqniya,
Qumidh und al-Rägt; weiter ostwärts war türkischer Boden,
unterthan dem Ehäqän der Qarlüq. — In der Aufzählung der
nördlich vom Oxus (WakSu, sin. Fo-tsu) gelegenen tukha-
rischen Fürstenthümer beginnen wir mit dem an Baktra und
das ,eiserne Thor' zunächst gelegenen Reiche Ta-mi (||g[ ^),
d. i., wie Cunningham erkannte, Tarmit (v;;ajoo) oder Tarmidh
(JooJ)), dessen gleichnamiger Fluss im Bundehes als Neben-
fluss des Veh-rut angeführt erscheint; der Fluss von Tarmidh,
äbi-Tarmidh, oder der heutige Surkhän, ist wasserreich und
einer der grössten Zuflüsse des Oxus, so wie der wichtigste
Strom des Hi§ärgebietes ; sein Unterlauf durchfliesst jetzt eine
mit Röhricht erfüllte wüste Strecke, wo sich allerlei Wild
herumtreibt, Tiger, Schakale und Wildschweine. Die Stadt
selbst, welcHe auf Felsen an beiden Ufern des Flusses gebaut
^ar und deren Mauern von Süden her der Oxus bespülte,
war, wie wir aus dem Säh-näma und Moqadassl ersehen, seit
Alters ein wichtiger Uebergangspunkt über den Oxus, ein volk-
reicher Hafenort ; ihr Gebiet betrug nach Hiuan-Thsang sechs
(sin.) Tagereisen von Ost nach West, vier von Süd nach Nord;
102 Tomaschek.
in der Capitale fand der Pilger zehn sanghäräma's (buddh.
Klöster) mit 1000 Gläubigen. Zu Tarmidh gehörten wahr-
scheinlich noch die an der Strasse nach i^aghäniyän entlang
dem Ufer des Surkhän gelegenen Orte $armingän (^jLsLowiö)
oder Carmiqän (jjliüyo*.^) und weiter nordwärts Därzingl
(^^AXjyf4>); ebenso der District äafa, welchen Bäbr (I p. 261),
und die Prairie Buya, welche 8arif-al-dln (I p. 182) nennt.
In der arabischen Epoche bildete die Herrschaft Tarmidh eine
Dependenz von ^aghäniyän. Weiter gegen Nordosten, und
zwar noch immer im Stromgebiet des Surkhän, in einer breiten
fruchtbaren Ebene, welche für den Äckerbau trefflich geeignet
war — der Sage nach war sie einst so dicht bewohnt gewesen,
dass sich ohne Unterbrechung bis zum Oxus Dach an Dach
reihte, — erstreckte sich in einer Breite von vier und einer
Länge von fünf (sin.) Tagereisen das Fürstenthum Chi-oo-yan-na
(^ ^ flf W^)y ^' ^-> ^^® Cunningham zuerst gesehen,
Caghäniyän (^jLoUä») oder ^aghäniyän (^jLüU-o), ein Name,
den wir auf mongol. caghan ,weiss' zurückfuhren möchten,
wenn wir sicher wüssten, dass unter den Tukhära's mongolische
Elemente vorhanden gewesen ; vgl. auch Gäghän (^LcLä») oder
l^äghän (^jL^Lö), eine Burg bei Marw (Yäqüt). Nach der
Hauptstadt heisst auch der Strom Surkhän bei den arabischen
Geographen meist ,der Fluss von Caghäniyän' und I^takhrl
sagt ausdrücklich, dass die Einwohner von Tarmidh das Wasser
aus dem öai^ün und dem , Flusse von Caghäniyän' holen;
vgl. auch die Namen Gaghäna und öaghän-rüd bei Sarif-al-din
(I p. 108, 123). Kurz und treffend ist die Schilderung, welche
wir bei al-Bal§ärT al-MoqaddasI lesen: ,$aghäniyän ist ein
grosses Wilajät in Mawarä'1-nahr, welches mit seinem Gebiet
an Tarmidh grenzt; eine Gegend von ausgiebiger Cultur, reich
an Wohlstand, gleich Palästina, nur mit reicheren Tränke-
plätzen an den Flüssen versehen ; die Wässer ergiessen sich in
den Gaitün, bleiben aber in heissen Jahren aus. Es sind da
bei 16.000 Dörfer, aus welchen 10.000 Krieger vollgerüstet
und mit Proviant und Vieh versehen dem (Sämäniden-) Sultan
*A1t Zuzug geleistet haben. Die Hauptstadt gleichen Namens
gleicht Kamla, nur dass sie schöner ist; daselbst herrscht eine
grosse Billigkeit der Nahrungsmittel; mitten auf dem Markte
steht die Moschee; jedes Haus hat sein fliessendes Wasser
CentralMiatiseh« Studien. 1. 103
mit Baumpfianzungen. Hier finden sich viele Vogel, viel Wild.
Die Weideplätze an dem Ufer haben so üppigen Graswuchs,
dasB sich Reiter darin verbergen können. Die Stadt, so blühend
sie einst war, gerieth, so scheint es, zur Zeit der Einfälle der
Ghozz und später der Moghol immer mehr in Verfall und Bäbr
(I p. 56, 121, 122, 201, II p. 164) kennt wohl den District,
nicht aber die Stadt, auf deren Koston Hisar-l-6admän sich
immer mächtiger erhob. Die Tägik's dieses alten Culturgebietes
scheinen seither einen neuen Ort, den sie Dih-i-näu oder Dih-
näu (y^(>) ^den neuen Gau' benannten, cultiviert zu haben;
gegenwärtig werden auch Qalüq, Yüröi, Sar-i-asyä, Sar-i-gui
und Regär (d. i. Hi^ärek oder Hifär-payan der Chronisten)
als blühende Ortschaften angeführt. Von Sar-i-gui führt ein
Gebirgsweg über den Sangri-dagh nach Khüzär und Sahr-I-sabz;
dieser- Berg mit dem Phänomen eines Bergnebels und Wasser-
sturzes wird von Sidi-Ali (a. U^f^, Journ. asiat. IX. Paris 1826,
p. 205 sq. vj<> JCu*#) beschrieben ; der Fluss, der bei Sar-i-guY
vorüberfiiesst und in den mächtigen Surkhän sich ergiesst, ist
der bei den Chronisten häufig genannte Tupaläu oder Tufaläq,
den man bisher irrthümlich für den Hauptstrom gehalten hat.
Auch die arabischen Geographen ^ namentlich I^tftkhrl und
MoqaddasI, führen zahlreiche Ortschaften an; doch sind die
Lesarten sehr unsicher; wir führen nur an: Bärsend {öJumXj)
oder BäSend ((XJLamL) gegen Osten im Gebirge, Gür^äb (v^K^)
oder Kür-äb (^Uy^) oder Bür-äb (v^K^), Hanbär (jLiiß),
Sinür (cuvopta) oder Dinür (%yüt>), Ghadar (^Aä), Bahäm
(|»L^), Barabdä (IcXjv?) oder Nübdä (tJo^) etc.; Qodäma
nennt auch 'Aman, ,ein grosses volkreiches Dorf, 7 Farsakh
von Därzingl. Aus allem ersehen wir, dass Caghäniyän aus
kleinen Anfangen — Hiuan-Thsang nennt die Stadt kleiner
als Tarmidh und zählt daselbst nur fUnf sanghäräma's — sich
unter der Herrschaft der Araber, namentlich unter den Sftmä-
niden, zu dominirender Bedeutung emporgehoben hat, um später
wieder zu verfallen. — Weiterhin, gegen Nordosten, nennt
der sinische Pilger das Fürstenthum Ho-lv-mo (^^ ^ J^),
das in einem langen Thal drei (sin.) Tagreisen von Süd nach
!Nord, eine Tagereise von Ost nach West sich erstreckt haben
soll; er zählt in der Stadt, welche an Grösse Caghäniyän
g^leichkam, nur zwei Conventikel mit hundert Gläubigen und
104 Tomaschek.
bemerkt, der Fürst des Ländchens sei ein Türke aus dem
Stamme Hi-su (^ ^) oder Ho-su (Ghozz?). Weiters reiht
er an das Fiirstenthum Sv-man (|^ ^) in einer Ausdehnung
von vier Tagereisen von West nach Ost und hundert Li
(=: einem sin. Tagmarsch) von Süd nach Nord; gegen Südost
reichte es bis in die Nähe des Fo-tsu (Wakhs); die Haupt-
stadt war noch kleiner als die vorige und besass ebenfalls nur
zwei Convente mit einer kleinen Anzahl von Frommen; der
Herrscher stammte gleichfalls von den Hi-su-Türken ab. Weiter
gegen Südwest (also wieder gegen Tarmidh und Caghäniyän
hin) schloss sich an Su-man das Fürstenthum Kio-ho-yan-na
(jUII 5^ ^ ^) ^^} i^ einer Ausdehnung von zwei Tagereisen
von Ost nach West und drei Tagereisen von Nord nach Süd;
die Stadt war so gross wie Öaghäniyän und hatte drei sanghä-
ränia's mit hundert Religiösen. Oestlich von Su-man (und wohl
auch von Kio-ho-yan-na) erstreckte sich in einer Längen-
ausdehnung von fünf Tagereisen entlang dem Fo-tsu (Wakh§)
und einer Breite von drei Tagereisen das Reich Hv-Sa (^ Ü^)f
dessen Hauptstadt eine ziemliche Grösse besass. Gegen Osten
von Hu-Sa war das Reich Kho-tv-lo (IpJ ||{[} |^) in der bedeu-
tenden Länge und Breite von zehn Tagereisen und mit einer
Hauptstadt so gross wie Tarmidh. Noch weiter gegen Osten
lag das Reich Kiv-mi-tho (:f^ gjjr jjß) im Centrum des Ta-
Tsong-ling, zwanzig Tagereisen von West nach Ost, zwei (?) von
Süd nach Nord ausgedehnt, mit einer ebenso grossen Capitale
wie das vorige; gegen Südwest stiess es an den Fluss Fo-tsu
(äb-i-Panga) an. Endlich, gegen Süden von Kiü-mi-tho, kam
das Reich Si - kiii - ni ( P ^ f^) , welches Hiuan - Thsang
(p. St. Julien H p. 205 sq.) bei seiner Rückreise aus Indien und
Ghazna über Andaräba, Khwasta, Mungän, Karsama, Bädakhgäna,
Yämagäna, Kuräna, Mastug und (Wakhän — diese Partie ist
offenbar ausgefallen — ) als nordwärts von letzterem gelegen an-
führt und näher beschreibt; sein Umfang betrug zwanzig Tage-
reisen, die Hauptstadt war unbedeutend; das mit Getreide noch
einigermassen gesegnete, aber sonst ziemlich sterile Gebiet be-
steht aus einer Reihe von Bergen und Thälern, abwechselnd mit
sandigen und felsigen Hochsteppen; ist es doch das Vorland
zu dem gegen Osten sich erstreckenden wüsten und von rauhen
Bergketten durchzogenen Plateau Po-mi-lo (Äfr ^ S|) oder
CentralMiatische Studien. I. 105
Pamira, das bis an die Reiche Ebabanda (Tas-qurghän), U-§a
(Waödha) und KäSaghära reicht ; dieser Lage entsprechend ist
auch das Klima von Si-khi-ni kalt und rauh; die Einwohner,
rauh und abgehärtet, sind ohne höhere Cultur, gehen in Fellen
. und Wollstoffen gekleidet, und führen ein räuberisches Leben ;
der buddhistische Glaube ist dahin nicht gedrungen; ihre
Schrift ist der tukhärischen ähnlich, aber die Sprache hat einen
verschiedenen Charakter. — Wir haben hier alle nördlich vom
Wakh& und Fang gelegenen Reiche aufgezählt, um deren
gegenseitige Stellung zu fixiren und auf der heutigen Land-
karte sicher zu stellen. Die Forscher, welche eine Kritik der
sinischen Nachrichten versucht haben, wie Reinaud (Memoire
sur linde p. 152 sqq.), Alex. Cunningham (Journ. asiat. soc.
Bengal. 1848, XVII 2), Vivien de Saint- Martin (Memoire
analytique sur la carte de TAsie centrale et de Tlnde) und
H, Yule (Journ. asiat. soc. Gr. Br. 1873, VI p. 92—120),
stimmen darin überein, dass unter Si-khi-ni das heutige Sugnän
oder Saghinän, unter Kiü-mi-tho das Land der ptolemäischen
Ko{jLv;^ac oder das heutige Darwäz, unter Kho-tu-lo das so oft
erwähnte Reich Khuttal (pl. Khuttalän, Khotlän) oder die
beutige Herrschaft Kül-äb, unter Su-man das in arabischen
Schriftwerken genannte Gebiet Sümän zu verstehen sei; nur
über Ho-lu-mo, Hu-§a und Kio-ho-yan-na gehen die Meinungen
auseinander. Was nun Ho-lu-mo betrifft, so ist es offenbar,
dass Yule Unrecht hat, wenn er darin Gharm in der Land-
schaft Qara- tagin am oberen Kyzyl-sü (WakhS) finden will;
der Reihenfolge nach kann nur an den heutigen Vorort Qara-
tagh am oberen Surkhän gedacht werden, und wenn wir die
Distanzangaben der arabischen Geographen berücksichtigen, so
fällt ebendahin die von Caghäniyän 10, von Sümän 13 Far-
sang entfernte Ortschaft Hamürän {{^Uf4^) oder Hamawärän
'v:^'y^^' Var. ,jUI^-^), an einem wädl gelegen, d, h. dem
FluBsthal des Qaratagh-daryä , das man passiert, um nach
Dah-i-näwät und nach Hsiär zu gelangen. Hi^är-i-bälä oder
i-»ädmän (,das obere', ,das freudenreiche*) ist vielleicht erst in
der ghozzischen Zeit zur Bedeutung gelangt, und entspricht
dieser Veste in den arabischen Itinerarien die Station Abär-
qair (*-ÄJ%Ll, Var. ijfyCiAMb oder ^\i>yA*S[j\ etc.), so dass
wir dann weiter Sümän nach dem heutigen Dü-§amba ver-
106 TomaRchek.
legen dürfen. Indessen wäre es gewagt, den Namen Hamüran,
wie Cnnningham versnelit hat, mit Ho-lu-mo zusammenzustellen;
der Analogie zufolge dürfen wir nur mit Gharma Kharüma
Rüma und ähnlichen transscribieren, und da bieten sich, da
wir das von Reinaud herbeigezogene Kholom nirgends be-
glaubigt änden, zwei M^iglichkeiten. In der Geschichte der
Eroberungen der Araber berichtet al-Balädhüri, dass Qotaiba,
welcher a. H. 86 (= 704 n. Chr.) zum Wäll von Khuräsän
ernannt worden war, bald darauf zu faliqän (^jLäJUo) im
Gebiete von Marw al-rüd seine Truppen zusammenzog und,
vereint mit den Vasallenfürsten und Dihqänen von Balkh und
'J.^ukhäristnn, den Oxus überschritt; während des Uebersetzens
kam zu ihm der König von Saghäniyän mit Geschenken und
mit goldenem Schlfissel, gelobte ihm Gehorsam und lud ihn
ein, in seinem liande zu campioren; er war nämlich damals
hart bedrängt von den benachbarten Fürsten von a-Rharün
(,j^%Ä.I, Var. (J^Vä»'; doch vgl. Yäqüt s, \j^j^) ^^nd Sümän
(^J^y^)f und forderte Hilfe. Qotaiba leistete der Einladung
Folge, beliess den König von Saghäniyän in seiner Herrschaft,
wies die Fürsten von Kharün und §umän in ihre Schranken,
und kehrte mit reicher Beute nach Marw zurück. Dürfen wir
in Kharün eine spätere Form von Kharüma (Ho-lu-mo) er-
blicken? Anderseits ist in persischen Schriftwerken öfter von
einem District und Vorort Harm (t^y^y Var. t^)^ und &}y^)
die Rede, aber ohne nähere Bezeichnung der Lage ; nur durch
die gelegentliche Anfuhrung des Ortes Na^vandak (bei Sarlf-
al-dln I p. 109 1, 10), der nach Bäbr (I p. 175, II p. 164)
zwischen Caghäniyän und dem Kam-rüd lag, werden wir in 's
Hi^rgebiet geführt. — Was Su-man oder Sümän (jjL«^)
betrifft, das wir nach Dü-8amba verlegen, so wissen wir aus
dem Thang-Su, dass die sinische Regierung bei Gelegenheit
der Organisation der tukhärischen Fürstenthümer im Jahre 661
das Reich Ho-su mit dein Vororte Su-man als viertes Gouver-
nement (tu-tu-fu) mit zwei Districten (ceu) unter dem Titel
Thian-ma eingerichtet hat; wir wissen ferner, dass Qotaiba
a. H. Ol eine neuerliche Expedition gegen Sümän unternahm
und das Reich nach Besiegung des Fürsten 'All-Säh und Er-
beutung ungeheurer Schätze der Herrschaft der Gläubigen
unterwarf; die arabischen Geographen bieten die kurze Notiz:
CentralMiatUobe Studien. I. 107
Suinän ist kleiner als Tarmidh, der Bezirk gut bebaut und
besonders ergiebig an Safran. Ibn-Dasta nennt auch die Flüsse,
welche diese Gegend bewässern; er sagt (Lerch, Russ. Revue
VII. 1875 H. 8) : ,unter den Nebenflüssen des Öai^ün ist noch
der Fluss, welcher Rümidh 4>Juoi% (corr. Juyo^K Raomidh)
genannt wird; er kommt aus dem Lande al-Rri§t, darauf fliesst
er in das Gebiet von §aghäniyän ; in ihn ergiessen sich mehrere
Flüsse, welche von dem Gebirge Buttam und den Bergen von
Sanum, Nihflm und Khäwar kommen und Kam-rüdh, Niham-
rfidh, Khäwar- rüdh heissen. Und es fliesst dieser Rfimidh bis
zum Ende des Gebietes von Saghriniyan, dann ergiosst er sich
in den Gaibün oberhalb Tarmidh. Die Gebirgsgegend zwischen
dem Rfimidh und dem WakhS-ab wird Qobndhiyan genannt'.
Wir sehen, Ibn-Dasta vermengt die beiden Flüsse von »Saghä-
niyan und von Qobadhiyän mit einander und macht daraus
einen Fluss, den Ramidh ; es ist aber ein wichtiges Resultat
der jüngsten Hi§ar-Expedition, dass der Oxus von dieser Seite
zwei grosse Flüsse aufnimmt, den Surkhan (= Fluss von
Tarmidh und ^aghaniyan) und den ab-I-Qaflr-nihan (== Fluss
von Qobadhiyän), der aus Qara-tagln (al-Rast) kommt. Der
Hauptquellfluss des letzteren heisst noch jetzt Rumit-darya,
nach einem Orte seines Oberlaufes Rümit oder Raomidh (zend.
rao-maetha ,offener, freundlicher Ort'?); ein zweiter Zufluss
heisst Zigdi-darya, . an welchem Dü-samba liegt, und ein
dritter, an welchem Higär gelegen, Khanakardaryä. Das Thal
des letzteren bildet mit dem des oberen Surkhan ein fast gar
nicht unterbrochenes Ganzes; daher auch der Irrthum des
arabischen Geographen entschuldigt werden mag. Einer dieser
Quellflüsse, vielleicht der des Surkhän oder der Qaratagh-
darya, fiihrt seit Alters den iranischen und mit der Benennung
des kaspischen Meeres im Bundehe§ gleichlautenden Namen
Kam-rüdh; durch das Thal desselben gelangte man über einen
hohen Pass des Sarah-tagh (var. Sarw-tagh) in das Zaraf§än-
gebiet; vgl. Bäbr I p. 71 et p. 175: ,Nous primes le parti de franchir
leServ-tagh en remontant la vallee du Kem-roud'; ,nous entr^mes
dans la vallee du Kem-roud et la remontames. Beaucoup de
chevaux et de chameaux ne purent nous suivre dans ses passages
etroits et escarpes, sur ces pentes raides et k pic. Apr^s avoir
fait trois ou quatre haltes, nous atteignimes le col du Serv-tagh';
108 Tomaschek.
^enfin, apr&s etre sortis au prix des plus grands efForts de ces
defiles p^rilleux et impraticables^ nous arrivames aux limites
du district de Fän*. An dem Rümit-daryä, bei der Einmündung
des Ilaq, liegt jetzt der Ort Qaftr-nihän, der dem Hauptfluss
den Namen verliehen hat; in den arabischen Itinerarien heisst
der entsprechende Ort Andiyän (,jL>Jüt) oder Amdiyär (sLjool),
5 Farsang von Sümän und 5 von Wasgird entfernt. Wäsagird
(4>*X«if^) oder Wasgird i*>ys>^{J^^y) gehörte wahrscheinlich bereits
zu dem Districte WakhS und war ,eine kleine Stadt, kleiner
als Tarmidh und Sümän; hier herrscht lebhafter Handelsverkehr;
Leute kommen aus Saghäniyän und Khuttal und Qawädhiyän
und verkaufen Leinwand, Krapp u. a.; von hier wird Safran
nach anderen Gegenden ausgeführt^ Auf der heutigen Karte
entspricht diesem, im Sah-nrima in der dichterischen Form
Wesa-gird (4>J?iu*o^ d. i. ,Stadt des W^sa*, des Vaters des
turanischen Helden Pirän) vorkommenden Orte Faizäbäd, am
Ilag gelegen und von Tägik's bewohnt, durch den Nür-tagh
und einen 3350 engl. Fuss hohen Pass von dem Orte Närak
getrennt, der bereits am Wakh§-äb liegt. Wir setzen, Cunningham
folgend, Hu-§a des Hiuan-thsang Wäsagird und WakhS gleich;
auch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in Kio-ho-yan-na,
wie Yule erkannt hat, der berühmte Ort Qobädhiyän (^jUiLo)
oder Qawädhiyän ((jL><>l»J') enthalten ist, der nach Einigen
persischen Quellen von dem mythischen Kavi-kaväta (Kaikobad),
nach Anderen von dem Sassaniden Qowad I. (490 — 531) ge-
gründet worden sein soll; letztere Meinung (Täbarl, p. Zoten-
berg, II p. 147: ,11 fonda sur le territoire de Khotlän une ville,
nomm6o Qobäd-abäd, qu*on appelle aujourd'hui Qowädyän; il
fonda aussi Termed et une ville nommee Wazm-gird, sur les
bords du öltün etc.') däucht uns trotz ihrer Bestimmtheit
minder glaubhaft als die erstere, wonach das Alterthum der
Stadt in die altbaktrische Epoche hinauf gerückt wird, da der
Saasanide, ein Zeitgenosse des mächtigen indoskythischen Königs
Oolla, ganz unter dem Einflüsse der Haital stand und erst sein
Nachfolger Khusraw Nüsirwän in Balkh und Tukhäristän
namhafte Erfolge errungen hat. Die arabischen Geographen be-
merken : , Qawädhiyän ist eine Stadt, etwas kleiner als Tarmidh,
und ein Wilajat am Gaibün, zwischen Tarmidh und Khuttal
gelegen, von Tarmidh zwei, von $aghäniyän drei (arab.) Tage-
Centraluiatische Studien. I. 109
märsche entfernt. Die Gegend ist im Norden sehr gebirgig
und steril; südlieh liegt Uwaga oder Ubäg, ein Uebergangs-
punkt über den Oxus^ Der von I^takhri genannte ^Fluss von
Qobädhijan' ist kein anderer als der äb-i-Qafir-nihän, oder
der Kamid des Ibn-Dasta. Wenn letzterer u. a. Qowädhiylln
zu Rhuttal rechnet, so mag er Recht haben; das Thalgebiet
des WakhS-äb (iran. Surkh-äb, türk. Kyzyl-su) gehörte bis
WäSagird hinauf zu dem Wilajat WakhS oder dem linken,
westlichen Khuttal. Denn es gab, wie Yäqut bemerkt, zwei
Khnttalän, verbunden zu einem Gebiet; das eine, links ge-
legene, führte den speciellen Namen al-Wakh§ ((jibÄ^I) und
war ein langgestreckter District, reich an Naturgaben, mit
angenehmer Luft; ,hier gibt es Quartiere der Könige und es
herrscht ein grosser Wohlstand^; zu demselben gehörten auch
die grossen Städte Haläward ((> w^Üd) und Läwakand {OuSyf),
welche beide an dem Wakhs-ub lagen: eine davon entspricht
sicherlich dem heutigen Qurghän-tübä, in dessen Nähe gold-
haltiger Sand aus dem Flusse gewonnen wird; der Wakhs-äb
selbst mündete bei dem Orte Milah (&JLju0, arab. ,campus,
desertum^), welcher berühmt ist durch einen Sieg des Mahmud
von Ghazna, in den Gäriyäb oder Wakhkhäb (= äb-I-Pang,
der grosse Oxus); dieses Mündungsgebiet ist jetzt eine mit
Wassertümpeln und mit Rohr und Gestrüpp bedeckte, von
Tigern bewohnte Niederung, welche Fieberluft erzeugt und an
die indischen D^ungeln erinnert. So viel über Kio-ho-jan-na
und Hu-§a. — Das zweite oder eigentliche Khuttal (cki^.), sin.
Kho-tu-lo, nach den daselbst häufigen Bergkesseln und Pässen
so genannt, schildert Moqaddasi folge ndermassen : ,Es ist ein
weiter District an der Grenze von §ind, jenseit des Gai];^an,
zu Haital gehörig, bedeutender als l^aghäniyän und an Lände-
reien und grossen Städten reicher, auch an Wohlstand und
Naturgaben gesegneter ; seine Capitale ist die zweitgrösste Stadt
Hulbuk oder Hulbak (dLJÜo), wo der Sultan seinen Sitz hat;
die erste und grösste Stadt ist Munk (dLüo); ausserdem sind
zu bemerken Tamliyät (^jLJU-)) oder Tamliyäb, Käwand (Ju^l^),
Iskandra (s^JüJCu^I) und das Dorf Bangärä' (cKL^o)^ Andere
fügen hinzu: ,Khuttal liegt zwischen dem Gariyäb (v^L^) und
dem Wakhsäb; es erzeugt viele Saatfelder und Früchte; der
fruchtbare Boden nährt viele Hausthiere, besonders Pferde
110 TomaBchek.
vorzüglicher Race, ihresgleichen gibt es in keinem Laude der
Welt. Die Einwohner sind vorzügliche Jäger und beständig mit
Jagd beschäftigte Kamen somit die Einfiissler des Mahabharata;
welche dem Yudhisthira (360 v. Chr.) huldigten, darbringend
,wilde, sehr schnelle, cochenillen-farbige, weisse, regenbogen-
farbige, morgenrothfarbige, buntfarbige Pferde^, und die vor
den Königen genannt werden, welche die Esel von Vanksu
(Oxus) brachten, aus dem sakischen Lande Khuttal? Auch
die Annalen der Hau preisen die ,blutschwitzenden' Argamak's
von Ta-wan und Tukharistan. In der Sassaniden-Epoche führte
der Herrscher des Landes den Titel Khuttalän-khudah ; auch
der Name »Sabll (Jül^m), in dessen zweitem Bestandtheil skr.
päla ,Für8t^ enthalten zu sein seheint wie in dem Namen des
Kabulän-Säh Zotbil (= Yätya-päla), begegnet a. H. 80. Die
Distanzangaben, die sich bei MoqaddasI und I^t^kbrl finden,
sind sehr verworren; wir halten folgende Skizze für die an-
nähernd richtigste : , Wenn man von Bädakhsän aus den Gariyäb
überschreitet — 1 Farsakh von diesem Flussübergang entfernt
liegt Käwand (var. Kaubeng ^^ oder Käweng), d. i. das
spätere Dilli, bei Sidi-Ali, Journ. asiat. Paris 1826, IX p. 205, —
so gelangt man in zwei Tagereisen nach Hulbak (vielleicht das
jetzige Khülbagh am Balguun-darjä oder Kiöl-surkhäb), wo man
den Fluss Äkh§ oder Akhis jm^I überschreitet; es folgt der
Fluss Bartän (jL->>J, noch weiter der Fluss Färighl oder Färighän
oder Pärighar, endlich der äb-i-Bangärä', worauf man nach
Munk gelangt, das von Hulbak zwei Tagereisen entfernt ist
(offenbar das heutige Bälguan, Bälgwän bei Sarif-al-din I p. 64,
wenngleich die Anführung von vier Flüssen Schwierigkeiten
macht, da wir jetzt nur zwei Flüsse in diesem Gebiete kennen,
den Bälguän-daryä und den Kül-äb, vgl. Kül-äbe nS^y^ bei
Sidi- Ali 1. c. p. 205 und im Akbar-näma ; beide voreinigen sich
bei Khülbagh); von Munk zählen die Itinerarien bis zur Ueber-
fahrt über den Wakh§, sowie nach Läwkand und Holäward
am Wakhä-äb je einen Tagmarsch; letztere Orte selbst waren
einen Tag von einander entfernt. In der Nähe von Munk \s^
der Gau Tämliyät, und von da bis zum Wakhs-äb zählte man
4 Farsang; die Verbindung von Khuttal mit Wäsagird war
durch eine Brücke hergestellt, unter welcher der wasserreiche
Strom in einem wunderbar zwischen Felsen eingeengten Bette
OentralMiatitche Stadien. I. 111
dahinfloss; so dass sein Lauf in der Erde sich zu verbergen
schien; diese Brücke führte den Namen Pül-I-saogin d. i.
,8teinerne Brücke' (türk. taS-köprü), eine Position, die durch
die mannigfaltigsten Zeugnisse Berühmtheit erhalten hat. So
sagt Ibn-Dasta: ,Der Wakhs-ab kommt aus dem Lande der
Qarlüq-Türken und fliesst den Fämir (Pämir) zur Seite lassend
in's Land al-RäSt, dann in's Land der Qumidh; darauf fliesst
er zwischen den Bergen, die einerseits im Gebiete von Wä&agird
(j. Gebirge Nür-tagh), anderseits im rustäq Tamliyät des
Landes Khuttal (j. Bergzüge Khod^a-yuqur und Säbistän mit
dem 3Ö80 Fuss hohen Passe GüI-I-zindän) liegen; in dieser
Bergenge führt eine Brücke, welche die steinerne Brücke heisst,
von Khuttal nach dem links gelegenen Wäsagird'; kürzer
I^takhn: ,Der Wakh§-äb fliesst aus dem Lande der Türken,
bis er nach Wakliä kommt; in diesem Gebiete durchbricht er
das Gebirge und passiert eine Brücke, welche Khuttal von
Wäsagird trennt ; man kennt keinen Fluss, der bei der Menge
seines Wassers sich so einengt, wie der Wakhs-äb an dieser
Stellet Idrisi behauptet daher, der Strom verliere sich unter
der Erde und breche erst eine lange Strecke unterhalb wieder
hervor. Diese Brücke, zehn Schritte lang, an zwei vorsprin-
gende Felsen befestigt, passiert man noch heute bei dem
Uebergang von Balguän nach Närak und Faizftbäd. Sie nennt
ausserdem Sarif-al-din (II p. 11: ,1a rivi^re de Wakhs' ,le pont
de pierre, nomm6 Tas-köprü' ,au royaume de Khotlän'; I p. 64:
,du c5te de Balgawän' ,entre Giala et le pont Sangin' ,au bout
du pont Sangln' etc.), ferner Sidi-Ali (L c. ,1a ville de Öar-sü
^^l^' ,de lä, rencontrant le fleuve, nous passämes le pont
Pül-i-sangln ^^^jJCUm Jo' ,nou8 continuamos notre route pour arriver
ä Bazarend Jü^KL et au bourg de öehär-samba auJu^ )^y^y ^^
Ik notre route nous conduisit ä la forteresse Sädmän ^Lo(>Lim etc/)
und Andere. Es ist daher merkwürdig, dass Hiuan-thsang dieser
Brücke nicht gedenkt. — Was nun das Reich Kiü-mi-tho
(= Kümidha) betrifft, welches sich zwanzig Tagereisen im Nord-
osten von Khuttal erstreckte, so ist das Vorkommen dieses
Namens bei dem sinischen Pilger so wie bei dem arabischen
Geographen Ibn-Dasta (in der Form Juyo^ Kümidh, Kom6dh)
eines dei* glänzendsten Zeugnisse für die Akribie der ptole-
maeischen Nachrichten über den Handelsweg von Sogd nach
112 TomAselielr.
Cina. Bei Ptolemaeus ist i^ spstvtj Ko{i.Y;Sü)v, t^ twv Kfa>|jiv)$(5v hpivdt
ein vastes Berggebiet, aus welchem der Jaxartes und seine
Zuflüsse hervorgehen ; die Karavanen, welche nach Serina zogen,
betraten dieses Hochplateau äT:h twv lovBiavwv, aber von der
nördlichen Seite her (aus der Gegend von Marghlnän und Us
in Fargh&na), und durchmassen dasselbe in mehreren Tage-
reisen (gegen 3000 Stadien) von Nordwesten nach Südosten,
indem sie offenbar das Alaiplateau und einige der sechs von
Ost nach West streichenden Parallelketten des Pamir (wyoLj)
überschritten ; sie gelangten hierauf (am Fusse des Kyzyl-yart)
in ein langgestrecktes Hochthal, -fi ^ipa^; tiov K(«>[j.rjSfa)v (d. i.
,the Tägharma plain^), dessen Länge in der Richtung von
Südwesten nach Nordosten 50 schoenen, d. i. 3000 Stadien
oder sechs ptolem. Grade, betrug; am Ausgange dieses Hocb-
thales lag der berühmte A(6ivo(; roipYo?, d. i. nach H. C. Rawlin-
son's treffender Vermuthung (Journ. of the R. Qeogr. Soc. 1872
p. 504) das heutige Qilä-I-TaS-qürghän in Sir-i-qAl, und von
da führte der Weg v.q zo y.aTa ib "Ifxacv 5po; ipfj-Yj-n^pisv twv v^
T»)v Si^pav 6[jLTCop£üO|i.6V(i)v, d. i. nach Yärkand. Die Anwohner
jener opeivij nennt Ptolemaeus KofjL^B«'., während er an die
Jaxartesquellen das Volk der ApicneT? setzt; beide gehörten zu
dem mit den Iraniern verwandten Volke der Zr/.a'.; selbst der
Name der Komeder ist nicht ohne Analogie (vgl. Juy0%^Küroidh,
Veste in T^baristän, bei Yäqüt ; Kumüda, eine der zehn eisigen
Höllen der buddhistischen Mythologie, im Dharmapradipiku ;
ja selbst ein dem Vanksu benachbartes Gebirge wird so ge-
nannt, im Brähma^a-purä^a). Aus dem Alterthum hat sich
noch ein zweites, wenngleich entstelltes Zeugniss über das
Volk erhalten ; auf der Weltkarte des Augustus, deren Spuren
sich nach Müllenhoff's Untersuchung noch in dem Machwerk
des sogenannten Ethicus und Julius Honorius nachweisen lassen,
hoisst es: Oxos ff. nascitur de monte Cavmkste; in quinque
alveos dividitur et transeunt omnes per montem Caucasum
(:= Meru, mit dem See Anavatapta; also eine indische An-
schauung !) etc. ; hier ist offenbar zu lesen : de monte Cavmede.
Bei den Genannten findet sich auch ein innerasiatisches Volk
Travmedae, d. i. Cavmbdae, wenn nicht die Taupc{i.7;5oi. Bei
Hiuan-Thsang umfasst das Gebiet der Kiü-mi-tho vornehmlich
die heutigen Landschaften Darwäz^ Wänag (oder Wang; etwa
r«DtralMiaiMehe Studien. I. 113
das in indischen Schriftwerken genannte pferdereiche nordische
Land Vanäyuga oder Vanäyu?) und Ku&nän, worin die Haupt-
orte Qilä-i-Khumb, QÜÄ-i-Wang, QÜÄ-I-Wämär liegen. Eine
uralte Capitale der Saken hiess nach Ktesias (bei Nikolaos
V. Damaskos) Tw^avaxtj* ii x6Xi;, vf^OL Zay.a'.^ to ßa(j{X6iov ^jv,
vgl. Steph. Byz. "PoSovoKata- tccXi; {laxwv)^ auch dieser Name
ist echt iranisch, von baktr. raokhsna , glänzend, leuchtend,
GlanZy Licht/ neupers. röian ^»y^yy herzuleiten ; die Benennung
hat sich noch jetzt auf dem alten sakischen Boden erhalten,
eben in jenem an dem äb-i-Pang ober Sighn&n gelegenen
Canton Ruinän (oder RöSän; auch südlich von Yassln in
Dardistän finden wir einen gleichnamigen Ort); mehr über
die Saken so wie über das Land Highnän, über welches Blruni
vorzügliche Nachrichten bietet, anderen Ortes. — Kehren wir
nach Wäfiagird zurück und verfolgen wir noch das Itinerar
nach dem Lande al-RnSt. Einen Tagmarsch nach WäSagird
in nördlicher Richtung (also am Westufer des WakhS-äb oder
Kyzyl-su) war die Station Iläq oder Ailäq (^'i^^l, nach welcher
noch heute der Zufluss des Käfir-nihän den Namen Iläk führt;
auch Bäbr (I p. 259, 260, 309) gedenkt der Sommerhalden
oder yailaq's im Gebiet von Hi^Ar und Qara-tagin. Eine Tag-
reise weiter war die Klause Darband Jüj%4>, einen Tag weiter
der Ort Gabäkhän ^jL^U:» oder Gäwkän (jl^^l^ oder Käwkän
^l^^l^, und noch einen Tag weiter das Felsenschloss al-Qalaa
uJUil, wo die äussersten Vorposten des musulmanischen
Khuräsän's standen. Ibn-Khurdädbeh und Ibn-Sayd berichten
über diesen Grenzort : ,er liegt zwischen zwei Gebirgen, gegen
Farghdna hin, in dem Lande al-Rä§t ; hier brachen die Qarlüq-
Türken ein, um Raubzüge zu machen; um diese Einfalle zu
verhindern, Hess hier der Wazir Fadhl ben Yahiyä ben Khaled
al-Bärmaki (a. 793 n. Chr.) eine Mauer von Nord nach Süd
aufführen, welche durch zwei Castelle geschützt wurde; von
diesem Thore (al-bäb) gegen Ost ist KäSghär gelegen^ Der
äosserste Ort in Farghäna allen arabischen Nachrichten zufolge
war Uz^kand ; ostwärts lag das Gebiet des Gür-takin al-dihqän,
und man gelangte nach einer Tagreise zu dem Fuss eines
hohen Gebirges, über welches zwischen hohen Felswänden
ein steiler und dann jäh abfallender Pass führte, welcher
unwegsam wurde, wenn Schnee fiel; am zweiten Tage gelangte
Sitnngsber. d. phil.-hitt. Ol. LXXXVII. Bd. I. Hft. 8
114 Tomatchelr.
man nach Atäs, welches auf einem Hochplateau lag^ von wo
aus man durch wüste und unbewohnte Strecken in sechs Tagen
nach Ober-Birsgän (am obern Sirr oder Narin) und in sieben
Tagen nach Tubat (Yärkand) gelangte. Dieses an dem Berg-
stutz gebaute At&s und die Veste al-RäSt müssen als die
äussersten Grenzpunkte des erst in neuester Zeit erschlossenen
Alaiplateau's in Ost und in West betrachtet werden. Die
Veste al-Rä§t lag wohl in irgend einem der Pässe (etwa dem
Tarak-dawän ?) der hohen Gebirgskette, welche Farghäna von
Qara-tagln scheidet; den Namen R&dt (siia^äK, Var. v^>dM#b
Qasb, wobei an die bei Herodot III 93, VII 67, 86 neben den
baktrischen Saken genannten K(xa7;io( gedacht werden könnte,
wenn die Lesart sicher wäre) oder AriSt, RiSt (v»uä^I, väa-ä^)
so wie den in Farghäna seitwärts von Vh und den Jaxartes-
quellen gelegenen Ort Riitän (^Lcmj) sind wir versucht in
Zusammenhang zu bringen mit dem Volke der 'Apurrel«;, welches
Ptolemaeus an die Jaxarteszuflüsse setzt; der heutige Name
der Landschaft Qara- tagin, welche von Galöi's oder persisch
sprechenden ,montagnards' bewohnt wird, liihrt von einem
türkischen Machthaber der Khitan her; als Eigenname begegnet
er schon unter den späteren Sämäuiden (von qara , schwarz'
und ^jjJo takln, tagin , Wohlgestalt, kräftig, muthig, Held').
Ueber Karitegin hat in neuerer Zeit der russische General
Abramow einen kurzen Bericht veröflFentlicht (Journ. of the
Roy. Geogr. soc, 1871, XLI p. 338—342); darin erscheinen als
wichtigere Ortschaften Gharm (der Vorort, mit 800 Häusern),
Qalai, Sar-I-pül, Sarym-saly, Naudanak, Komar-äb, Tang>l-
namazga, Langar-sah (wo Salz gewonnen wird) u. a., sämmtlich
in der Nähe des Kyzyl-sü (Surkh-äb, WakhS, Oxus) gelegen;
Sar-pül und Zankun nennt 8arlf-al-din (I p. 23). Somit sind
wir mit der Beschreibung des Hi^ärgebietes zu Ende, und wir
widmen noch einige Aufmerksamkeit den Zügen Alexander's,
so weit sie das östliche Sogdiana oder die Striche ostwärts
von dem ,eisernen Thor' (dem Felsen des Sisymithres) be-
treffen. — Curtius gibt folgende kurze Nachricht (VIH 14, 1):
tertio mense (a. 327) ex hibernis (vgl. Arrian. IV 18, 2:
'AXi5«v8po^ xepl xa Naiixaxa avs-jcaue 17)7 cxpaTiav OTticsp dx{jtmov
Tou YeK[iMi^oq ?iv) movit exercitum, regionem quae Gabaza appel-
latur aditurus. Diese Gegend lässt sich nicht bestimmen, da
C«ntralastAtUche SUdien. I. 115
von einem annähernd ahn liehen Namen nirgend eine Spur
vorhanden; weder Qobftdhiyftn noch Ubaga noch jenes Gabäkhftn
oder Gräwakftn^ welches wir bei dem Dorband al-Ra§t kennen
gelernt haben, will recht stimmen. Da das ^eiserne Thor^,
der Schlüssel zu der Hi^ärlandschaft, sich bereits in der Ge-
walt des Eroberers befand , so ist die Annahme, dass wir
Gabaza jenseit des Surkhftn und gegen den Wakh§-äb hin zu
suchen haben, keine allzu kühne. Curtius spricht von einem
Saltus^ wo die makedonischen Colonnen von einem grossen
Gewitter überrascht wurden ; furchtbar litt das Heer von Winter-
frost und Mangel; wenige Weiler, von Barbaren bewohnt,
lagen am Ausgange der Enge und in den Bergthälem ver-
steckt; doch zur rechten Zeit erschien die von Sysimithres
geleistete Zufuhr, welche das Heer reichlich versorgte. Berg-
engen und Pässe gibt es nach dieser Seite hin viele. Dass wir
uns aber nicht weit von Khuttal und Signän befinden, lehrt
die sofortige Änreihung der Expedition gegen die Saken :
,rex sex dierum cocta cibaria ferro milites iussit, Saqas petens.
Totam hanc regionem depopulatus XXX milia pecorum ex
praeda Sysimithri dono dat' (VH! 15, 20). Arrian übergeht
diese Expedition, obwohl es (VH 10, 5) bei ihm heisst:
AXs^avSpo; vt>to)v — xal Bay.Tptou; xat ^oxa;. Diese Saken sind
verschieden von jenen Reiterhorden, welche jenseit des Jaxartes
(Tanais) nomadisirten und meist ^xuOat ol "Aßcoi genannt werden,
auch von den Massageten zwischen Chorasraien und dem Sogd-
fluss. Es sind die Saken am obern Oxus (äb-i-Pang), die
Nachbarn der Inder; vgl. Curtius VII IT), 6: venturos Choras-
mios et E^ahas Sacasque et Indos et ultra Tanain omnem
colentes Scythas; V 9, 5: Bactra intacta sunt, Indi et Sacae;
Strabo XI p. 513: ^Yjai o' 'EpaTO<;0£vif]^, Xoxaq [asv xai So^Siavou^
"coi; okov; eSößpeaiv avTixsTffOai rj) IvoixYJ. Drei ihrer Stammesfürsten
unter Darius I. (bei Polyaen. VII 12) haben echt iranische
Kamen: SaxecfapY)? (^aka-i^fära), '0[jiapYir)<; (Haumavarga, vgl.
\K\vj^({Qi bei Herodotos), ©afjLupt; (Tahmüraf); ihr Heerftihrer
unter Darius III. führt den echt skythischen Namen MaüaxTj?
(Arr. III 8, 3; vgl. Meuöbcr^q auf bosporan. Inschr.). Choirilos
(Strabo VII p. 303) nennt die Saken [jLY)Aov6|^.ot, und wir dürfen
uns nicht wundern, wenn die Makedonen ihnen 30.000 Schafe
wegtrieben. Ob sich die Expedition bis zu ihrer Capitale
8* '
116 ToinaBch«k.
Rökh§änaka erstreckte, wird nicht berichtet und ist auch kaum
anzunehmen ; dass aber Khuttal erobert wurde, können wir aus
der Gründung Sikandra schliessen. Curtius berichtet weiter:
,inde pervenit in regionem, cui Oxyartes satrapes nobilis
praeerat, qui se regia potestati fideique permisit'. Fällt also
in diesen Verlauf der Heereszüge die Einnahme des ,80gdia-
nischen' Felsens, tq toj "Q^ou Trexpa? Uebereinstimmend mit
Curtius verlegt in diese Zeit Arrian die Vermälung Alexander's
mit Roxane, der Tochter des Oxyartes, welche auf dem Felsen
verwahrt gewesen. Arrian berichtet unmittelbar darauf von
der Expedition nach Bädakhfiän; denn dass unter Paraitakana
die heutige Landschaft Paraigän und unter dem Gebiete des
Xopisvr^ (vgl. Xopii'/Y)^ Xwpidvr^c, Perser bei Prokopius b. Ooth.
IV 1 u. 8) der Canton Khuryäna oder Qurrän verstanden
werden darf, werden wir anderen Ortes darlegen. Nachdem
auch noch die Häuptlinge Austana und Katanna bewältigt
worden waren und nachdem Polysperchon die Landschaft
Bubakana (vgl, BoußaxYj;, Perser bei Arn II 12, 8) durchzogen
fUnd unterworfen hatte, gieng es mit gesammelten Streitkräften
frischen Muthes durch's Kabulthal — nach Indien!
Indem wir nun die am Zarafsan gelegenen Hauptgebiete
und die am meisten genannten Ortschaften des Herzens von
Sogd nach den vorhandenen ältesten Schriftwerken zu schildern
versuchen, folgen wir im grossen Ganzen der Reiseroute,
welche der bewährteste Führer auf diesem Gebiete, der sinische
Pilger Hiuan-Thsang, in seinem Si-yü-ki einzuhalten fiir gut
fand^ und beginnen mit der Landschaft, welche die sinische
Bezeichnung Tong-Tsao (]^ "fif) kue oder ,das östliche Reich
Tsao' fuhrt, worin Tsao (sin. ,1a multitude*) schwerlich auf
einen Namen iranischen oder türkischen Ursprungs zurückgeht ;
es ist dieselbe Landschaft, welche bei den arabischen und
persischen Schriftstellern 0§rüsenah genannt wird. Matuan-lin
gibt aus den Annalen der Dynastien Sui' und Thang folgendes
R^sume über dieses Gebiet, als dessen Centrum das heutige
Ura-täpä gelten muss (Abel-Remusat, Nouveaux melanges
asiatiques, I p. 235): ,1a partie Orientale du pays de Tsao se
nomme aussi Tu-su-Sa-na, Su-tui-sa-na, Su-tu-Si-ni. Elle est au
CentralMiatiiohe Stadien. I. . 117
Dord du mont Po-si. Elle est k deux cents li de Öi (TaSkend)
vers le nord, de EhaDg (Samarkand) vers Touest, de Ning-yuan
(Fai-ghäna) vers Test. II y a au midi cinq eents li jusqu'au
Tokbarestan. On y voit la ville de Ye-öa, qui est gardöe par
un commaudant^ Wir finden ausserdem die Notiz (p. 203):
,le royaume de Su-tu'i-Sa-na, qui fut connu sous les Su'i, n'est
antre que le pays des Ta-wan au temps des Han' — eine An-
gabe, der wir nur den Werth einer blossen Conjectur beimessen
können, da weit gewichtigere Gründe dafür sprechen, dass wir
unter Ta-wan ein östlicheres Gebiet (Farghäna, wenn nicht
Caghäniyän) zu verstehen haben. Weiters berichteten die
Annalen, dass die Herrscher von Su-tui-Sa-na zu wiederholten
Haien Gesandte an den sinischen Hof schickten, um ihre
Erg^ebenheit und Unterwürfigkeit zu bezeugen, so namentlich
um 618 bis 626 n. Chr.; im Jahre 752 wurden Boten nach
Bin abgeschickt, um Hilfe gegen die stetigen Einfälle der
Araber (,les Ta-Si k robe noire') zu erbitten; die praktisch-
kluge Regierung des entfernten Reiches der Mitte fand es
nicht rathsam dem Ansuchen zu willfahren. Vor den Arabern
waren es die westlichen Türken, welche wie in den Jaxartes-
landen so auch in Osrüäenah zeitweilig die Oberherrschaft
besassen. Ursprünglich gehörte jedoch das Gebiet zu Hai^al.
Ueber die Eroberung durch die Araber geben die orientalischen
Schriftwerke nur kurze Notizen. Balädhürl berichtet, dass
im Jahre 94 d. H. Qotaiba gegen Odrüsnah und Khogand
gezogen und bis Kägän und Ura§t in Farghäna vorgedrungen
sei; später wird von einer Besitznahme OSrüsna's durch Sa'id
la. 103 H.) und durch Fadhl (a. 178) berichtet. Der Name
des letzten einheimischen Fürsten von Oärüsnah soll Affiln
oder If&In gelautet haben; er hat das Gepräge eines Appella-
tivura's und eines iranischen Ursprungs. — Hören wir was
Hiuan-Thsang über OSrfisnah berichtet ; er war von Ce-Si (CäS)
nach Fe'i-han (Farghäna) gezogen und verfolgte nun weiter
seine Route. ,En partant de ce pays — heisst es im Si-yü-ki,
p. Stanisl. Julien I. p. 17 — -, dans la direction de Touest, il
lit environ mille li, et arriva au royaume de Su-tu-li-se-na.
Le royaume de Sv-tv-li-se-na (^ ^ 7^ |^ ^) a de qua-
torze a quinz« cents li de tour. A Test, il est voisin du fleuvc
118 Tomaachek.
Se. Le 8b-ho (^ ^) sort du plateau septentrional des
monts Tsong-ling, et coule au nord-ouest. Sous le rapport des
produits du sol et des mceurs^ ce royaume ressemble k celui
de Ce-Ii (Cäl). Depuis qu'il a uu roi, 11 s'est mis sous la
d^pendance des Tu-kiue (Turcs). En partant de ce royaume,
dans la direetion du nord-ouest, on entre dans un grand desert
sablonneux, oü Ton ne voit ni eau, ni herbes. La route s'ätend
ä perte de vue, et 11 est impossible d'en calculer les limites.
II faut regarder dans le lointain quelque haute montagne, et
chercher des ossements abandonn^s, pour savoir comment se
diriger et reconnaitre le chemin qn'on doit suivre. Apr^s
avoir fait environ cinq cents li, il arriva au royaume de Sa-
mo-kien (Sainarkand)^ Was der buddhistische Iteisende von der
wüstenartigen Beschaffenheit des Landes in der Richtung nach
Westen (und Südwesten) berichtet, stimmt vortrefflich zu der
Schilderung, welche ein anderer sinischer Berichterstatter Jahr-
hunderte später (1221) von der Strecke südlich von dem
Khogendflusse oder dem Sirr bis Samarkand entwirft (Jouru.
asiat. VI* ser. tome IX p. 69): ,Au sud-ouest du fleuve Ho-
khian (ou Ho-tan, i. e. Khogand) on fait plus de deux cents
li Sans trouver absolument ni eau, ni herbe. Ensuite au midi,
on aper^oit de hautes montagnes couvertee de neige*. Auch
die arabischen Geographen reden von einer ausgebreiteten
Steppe zwischen Dizak und Zämin, und neuere Reiseberichte
schildern uns die nordwestlich von Ura-tübä sich erstreckende
Gegend als ein sandiges Gebiet, das im Sommer, wenn die
Gluthitze unerträglich wird, alles vegetabilischen und anima-
lischen Lebens ermangelt; Nazarow (Magasin asiat. I p. 66)
macht sogar die Bemerkung : ,C'est pourquoi Ton n'elfeve dans
ce pays qu'une tres-petite quantite de bctaiP. Diesen Angaben
zufolge wagen wir sogar den Namen Usru^ranah, dessen ältere
Form im Si-yü-ki mit 8u-tu-li-se-na (Suthriyana) wiedergegeben
ist, durch die Annahme einer alt-sogdianischen Namensform
Khäudra^änaka mit der Bedeutung ,Vcrnichtung alles leben-
digen Samens^ zu deuten, indem wir auf baktr. Khsudra^
huzw. §usr, neupers. suhr ,Same* verweisen, wofür wir eine
im siebenten Jahrhundert bestehende sogdianische Mittelform
Suthr annehmen dürfen, die später in der Zusammensetzung' zu
uSthr und uSr degenerierte, so wie auf baktr. ^äna ,Zerreibiing,
CentmUsiatische Studien. I. 119
Veruichtung^ und ^^naka ,Steppe*, von ^an ,zerstüren*. Aller-
dings könnten wir auch baktr. ustra neupers. uStur Sutur
jKameeP zu Hilfe nehmen; <iber, wir denken , die von uns
vorgezogene, nicht minder durchsichtige Lautdeckung ergibt
sich auch, wenn wir eine sogdianische Völkerschaft aus dem
höchsten Alterthum herbeiziehen, welche i\ns Ptolemaeus nord-
wärts von 26v3ia opyj gegen die Jaxartesbiegung hin, also genau
in der Landschaft Osinisnah, anführt: wir meinen das Volk
der X)^3paYxat oder '05'jopaaYy,2i, das bekanntlich auch an dem
Indus einen Namensvetter besitzt, den wir mit den Sanskrit-
lauten Ksudraka wiederzugeben gewohnt sind. Sicherlich hat
unsere Deutung mehr Bestand als die von Vivien de Saint-
Martin vorgebrachte, wonach für Satrugna indischer Ursprung
angenommen werden müsste, unter Berufung auf skr. ^atru-
ghnd (-ghand, -hin) ,Feinde schlagend, Gegner vernichtend',
,une denomination connue dans Tancienne geographie sanscrite
et qui se rattache aux vieilles legendes de la race solaire^
Auch werden wir uns hüten die Existenz einer buddhistischen
Colonie tief im Norden des Oxus anzunehmen, da es kaum
glaublich, dass HiuanThsang von derselben nicht Meldung
gethan hätte. Unsere Zusammenstellung mit 'O^üSpa^xat dagegen
darf schwerlich abgewiesen werden. Ausser diesem Volke
nennt Ptolemaeus den mittleren Jaxartes entlang auf der West-
seite die AiTfaXot, ferner die 'laiio'. xat Toxopoi, endlich gegen
die Mündungen des Stromes hin die 'Aptobiai. Die ersteren
dürfen kaum mit den räthselhaften AtfXot des Herodotos III
p. 92 zusammengestellt werden ; eher dürfen wir an die Au^ioici
iOvc^ Macaa-feTcov Steph. Byz. p. 145 (wonach zu corrigiren o\
'Xiractoi bei Strabo XI p. 513) denken, worin wir als ersten
Bestandtheil das die Nähe und Umgebung ausdrückende bak-
trische Vorwort aiwi, als zweiten eine geographische Position
wie das später zu erwähnende Foc^a erkennen. Bemerkenswerth
ist aber die Thatsache, dass der Quellenschriftsteller, welchen
Mai'inos oder Ptolemaios vor sich hatte, die lortoi (oder Yatya,
sin. Yue-ti und Ya-ta, I-ta) und die Tixopo: oder Tc/apoi (Thogari
bei Justinus, sin. Tu-ho-lo, die Bewohner von X^ikhäristan
oder, wie Yäqüt auch schreibt, Takhyristän ^\jiM*yfJ^ic) erst
an der Nordgrenze von Sogd nomadisierend kannte; es muss
diese Angabe aus einer Zeit sta.mmen, wo diese beiden inner-
120 Tom»ichek.'
asiatischen Stämme das baktrianische Reich bedrohten, aber
noch nicht aufgelöst hatten — wir müssten denn lieber an-
nehmen, dass darunter nur einzelne zurückgebliebene Theile
der nach Süden gezogenen Stämme zu verstehen seien. Die
Landschaft; welche diese beiden Völker bei Ptolemaios ein-
nehmen, entspricht dem Qebiete Yläq der arabischen Geo-
graphen, wofür wir eine ältere Form Yraq (vgl. die 'Aptixa'.
des Ptolem.) substituieren dürfen, trotzdem auch an türk. yailaq
,Sommerweideplatz' gedacht werden kann. Durch die ein-
gewanderten Yatya und Tukhära wurden die iranischen 'Apiaxai
von den A'>faatot und *05u5paYx,a'. verdrängt und nach Norden
geschoben. Unter die iranischen Stämme Sogdiana's gehören
vielleicht auch die ^aßa^tst, welche Ptolemaeus sammt MapoiuxvBa
und dem Flusse AapYapiavK; an den Paropanisos versetzt hat;
die arabischen Geographen erwähnen in Osrü&nah eine grosse
Stadt Säbädh oder Säbäth östlich von Zämin. — Nach diesen
ethnologischen Bemerkungen können wir auch die wenigen
Localitäten, von denen die Schriftsteller über Alexander melden,
erörtern. Nachdem Alexander Marakanda eingenommen und
daselbst eine massige Besatzung zurückgelassen hatte, zog er
nordwärts; auf einem benachbarten steilen Berge (5po? '^9^/y
TÄTOv xal ^avTY) «1:3101X07, Arr. III 30, 10), entweder dem saniar-
kandischen Cupän-ätä-täpä (vgl. Plutarch. de Alex, virtute
1, 2 u. 2, 9 zpb; Mapaxavcoi;) oder dem Khodym-tagh auf der
Passage von Süzän-ghirän, hatten sich gegen 30.000 Sogdianer
gesammelt, um ihm den Durchgang zu verwehren. Hier er-
hielt Alexander einen Pfeilschuss in's Schienbein, aber die
Sogdianer wurden geworfen und nur 8000 überlebten die
Niederlage. Nun ging es durch die Steppe bis an das Ufer des
Jaxartes; die Entfernung von Marakanda wird zu 1500 Stadien
(= 37 ^/.2 geographische Meilen oder über 278 Kilometer) an-
gegeben. In dieser nordischen Gegend gab es sieben feste
Plätze, welche Sogdiana vor den jenseit des Jaxartes noma-
disierenden Saken schützten. Alexander liess in diesen Plätzen
Besatzungen zurück und fasste den Plan an dem Ufer des
Jaxartes eine mächtige Schutzwehr gegen die nordischen Bar-
baren zu gründen, welche seinen Namen tragen sollte. Da
brach auf einmal in ganz Sogdiana ein Volksaufstand los, dem
sich sofort auch die sieben Vesten von Osrü&nah anschlössen.
CentnlMiatifche Btndien. I. 121
Alexander überliess die Belagerung des wichtigsten Platzes,
RupdroXe^ oder KOpa, wo sich 15.000 streitbare Sogdiaoer an-
geBammelt hatten, seinem Feldherrn Krateros; er selbst warf
sich mit rasender Energie zunächst auf Vd^oL (Arr. IV 2),
welches allsogleich fiel, nahm noch an demselben Tage drei
andere Plätze ein, zog hierauf vor Mat^Aoxa und rächte die
Niedermetzlung der makedonischen Besatzung mit der gänz-
lichen Zerstörung dieser starken Position (Curt. VII 27:
Maemaceki, valida gens. Alexander urbem Corona circumdedit,
munitiorem quam ut primo impetu capi posset . . . non alia
urbs fortius obsidionem tulit . . . cuniculo suffossa moenia . . .
Victor urbem dirui iussit). Nach Einnahme dieser ringsum
gelegenen Vesten konnte die Belagerung von Eyra um so
ernstlicher betrieben werden; Alexander drang durch das
ausgetrocknete Flussbett (zo':oi\Loq 5ia vfi<; xoXsa); yji[Ldppo\}q wv
hip^ziaiy Arr. IV 3) in die Stadt und drängte die Rebellen in
hitzigem Strassengefecht, wobei er im Nacken verwundet wurde,
in die Burg (ig oxpa); aber auch diese musste wegen Wasser-
noth capitulieren, und Kyra wurde der gänzlichen Zerstörung
anheim gegeben. Nachdem auch noch Marakanda wieder be-
wältigt worden war, konnte der Eroberer, wenn auch nur in
Hast, die geplante Gründung von 'AXs^avSpeta durchführen;
um die Macht der makedonischen Waffen den Völkern der
äussersten Nordgrenze des Reiches fühlbar zu machen, setzte
er sogar über den Jaxartes, auf welchen Strom der Name
Tana'is übertragen wurde, und unternahm in einer Strecke von
60 Stadien in dem unbekannten Lande der Massageten, welche
man für die Abier des Homeros hielt, eine abenteuerliche
erfolglose Recognoscierung. Es ist nicht möglich, die genannten
Positionen auf der heutigen Karte mit voller Sicherheit zu
bestimmen; Vermuthungen sind jedoch nicht ausgeschlossen.
Und so dürfen wir annehmen, dass KupcTroXi^ oder Kupa mit
dem Vororte der Landschaft OSrüsnah, dem heutigen Ura-tübä,
in dessen Bereich gegen den Sir hin noch jetzt ein Kurghan
den Namen Eür-kend führt, ferner faCa mit Dlzak (öizakh),
die unbenannte benachbarte Veste, ':eiyoq ^pijtvcv t5 atX oux u^jXöv
lArr. IV 2) mit Zamln (baktr. zemaßna zemaönya '^n^Vvc<;, slav.
zemlini), die drei folgenden Plätze mit Säbät Suwa-kath und
Khawast,' M«'[jia-Aa mit einer südlich von Ura-tübä im Gebirge
122 Tomaschek.
gelegenen festen Position, etwa mit Dakh-kath oder mit
Ma§ikhay endlich 'AXe^avBpsu mit Khogenda zu identificieren sei.
Hier noeli die Bemerkung über KupouwoXi;. Neuere Forscher,
welche in dem 'Apa;r<(; des Herodotos durchaus nur den Oxos
(Amii) erkannt und die Massageten nur nach Chorasmien ver-
legt wissen wollen, wie Roesler (Aralseefrage S. 8 ff. 82 ff.),
vergessen ganz auf die Nachrichten der Alten, wonach Kyros
alles Land bis zum mittleren Jaxartes besessen und als Denk-
mal seiner sieghaften Thätigkeit gegen die nordischen Barbaren
in der Nähe des Araxes oder Orxantes oder Jaxartes (etwa
baktr. Yamkhsanta ? oder Vara khSaeta , leuchtendes Wasser-
becken^ ?) die starke Veste Kupa oder Kupo67:o>vt^ angelegt haben
soll; vgl. Strabo XI p. 517: Tic Köpa, sc/aTOv ov Kupoj xTiajJia
£-1 TO) laJapTYj i:OTa|Jwo y.£{(j.£vcv, czsp ^v cpicv t^; lUpffcov ap/i^;;
Arr. IV 8: Kupou-oXic, TSTiiyt^iJir/Y) t£ '^v O'JflrjXoTepw tsixci *i|Xep a'.
a>xAai 7c6A£t^, ola 87) uTcb Kupou oixiaOcIora. Ueberhaupt wurde der
Jaxartes als die äusscrste Grenze aller alten Eroberungszüge
angesehen, vgl. Plin. VI § 49 : arae ab Hercule et Libero Patre
constitutae, item Samiramide et Cyro atque Alexandre, finis
omnium eorum ductus, includente flumine Jaxarte. Vielleicht
gab es noch eine zweite Gründung des Kyros und zwar am
oberen Jaxartes, die durch ihre weitere Entfernung der Zer-
störung durch Alexander entgieng ; wenigstens kennt Ptolemaeus
einen Ort Kupe^r/^ata, dessen Lage er so genau situiert, dass wir
darin die Position des heutigen Usgent oder Uz-qand erkennen
müssen; ,hier vereinigen sich die Jaxartesquellen' heisst es
bei Ptolemaeus wie bei den Arabern. Auch die Massageten
werden wir in das Jaxartesgebiet versetzen, uns aber gleich-
wohl hüten, eine genauere Kenntniss des unteren Jaxartes oder
gar des Aralsees bei den alten Persern wie bei den Griechen
(vor Ptolemaeus) vorauszusetzen ; was Herodot über den Araxes
berichtet, vage und phantastische Anschauungen, ist Wiederhall
orientalischer Sagen und Vorstellungen ; aber der Jaxartes liegt
denselben zu Grunde. Nach Alexander soll auch Demodamas
(,Seleuci et Antiochi regum dux' Plin. 1. c.) den Strom über-
schritten haben ; uns fehlen aber Nachrichten über diese Expe-
dition. Bei Ptolemaeus finden sich richtige Angaben über den
Jaxartes so wie über Völkerschaften jenseit des Stromes, die
— wie wir zu beweisen gedenken — auf glaubwürdigen
CentnlasiatiBChe Studien. I. 123
Orig^nalnachrichten beruhen; aus guter Quelle stammt auch
die Notiz bei Plin. XXX § 74: in Bactris duo lacus vasti,
alter ad Scythas versus, alter ad ArioS; sale exaestuant; da
Baktra hier, wie öfter, das baktrianische Reich in seiner
grössten Ausdehnung bezeichnen kann, so dürfen wir in dem
gegen die ,Skythen' gelegenen See das schmale, aber sehr
langgestreckte Salzbecken von Tiiz-khanah nordwestlich von
tiizakh erblicken. So weit die Nachrichten der griechisch-
römiBchen Schriftsteller über OSrüsnah.
Viel reichhaltiger an topographischen Daten sind die
arabischen. Geographen. Yäqüt gibt folgenden Ueberblick s. v.
&x4M^%dMl: ,0§rüsene, eine grosse Landschaft in Transoxanien,
nach Moqaddasi zu Haital gehörig, zwischen dem Saif^ün und
Samarqand, 26 Farsang von letzterem. I§takhri sagt, es gebe
keinen Ort und keine Stadt dieses Namens, derselbe gelte nur
für die Landschaft; gegen Süden ist selbe mit Gebirgen an«
gefüllt, an welche sich dann die Gebiete von Ke§§, l^aghäniyftn,
iSümän, Buttam und Radt anschliesseu, während Farghäna im
Osten liegt. Die grösste Stadt ist Bulsän; andere Orte sind
Bungikat, Säbä(, Zämin, Dlzak, Kharqäna^ Daneben heisst
es wieder: ,die grösste Stadt und der Sitz des Wäll ist
Bungikat, die nächste hierauf Zämln^ Unter diesem Artikel
i\J^^)) bemerkt Yäqüt : ,Zämin, eine volkreiche Stadt, welche
auch den Namen Sabadha sJu^m^ führt; in ihrem Rücken be-
ginnen die Berge von OSrüsena, gegen Westen sind Steppen
und Ebenen^ Man erinnere sich an die I^aßaBtoi des Ptolemacus,
über deren Sitz wir oben eine Verniuthung ausgesprochen
haben. Der Vorort von Osrüsene heisst bei Idrisl Bümange-
kath (oXs\x>^), bei dem Verfasser des Mesalek al-absar gar
Nauba-kath (o^^a^, o) ; vielleicht ist eine Verwechslung mit
Bangl-kath, d. i. Pang-kand am Soghdfluss, im Spiel; jeden-
falls ist das obige Bulsän, so wie das bei al-BaqüwI vor-
kommende Sebll, räthselhaft; auch mit Ye-öa der sinischen
Berichte wissen wir nichts anzufangen. Der Hauptort von
Osrüsene lag sicherlich im Centrum der Landschaft, wie sich
aus den Itinerarien ergibt, und ist das heutige Ura-tübä, wie
Bäber (I p. 16) bemerkt: ,le nom de Ura-tipa s'öcrit origi-
nairement Usrüsana et Usrügana'. Die Araber zählen von
Dizak {^yiO) über Qifrän-darra (5j4> (jl Jaj) oder auch über
124 Tomasehek.
Kharqäna (&iÜ^) nach Zämin (^j^a^U) 9 Farsangen; von da
nach Säbät (ieULw) 4 Farsangen; von da über Ur-kand und
Süwa-kath (oder 8äwa-kath) nach Khogenda zwei Tage oder
10 Farsangen. Von Säbät nach der Hauptstadt von Ofirüsene
3 (Variente 9) Farsangen ; von da über Kür-kath (ov5^^ Var.
\lSöS) und ^Araq (osx) nach Khogenda 7 Farsangen. Von
der Hauptstadt nach Asbäni-kath (öJCa^LajimI) oder dem heutigen
Asfänah an der Grenze von Farghäna 9 Farsangen. Von Zämln
führt ein Weg nach Taskand über Yftm und KhäSt (väa^ää.; Var.
Khawast; Khawüs, Khäs etc.). Ausserdem werden genannt
Marsminda (sJuLm«'«^), Dah-kath (v^aXcJ), Bfig-kath (vaJkj>.o)
und andere Orte mit zweifelhaften Lesarten. Von Belang ist
nur noch das Itinerar Mir-rzzel-Ullah's, worin folgende Orte
vorkommen zwischen Khogend und Dizak: Aq-tipa (auuCSf),
Aq-sü (^-»*fcSl) ,derni6re Station du territoire de Khokand', Qür-
kant (sa^ÄS^y») jvillage entoure d'un mur de pierre et de terre
qui forme un carre; c'est le dernier endroit du territoire
d'Ura-tipa', Ura-tippah (&jük^l) ,8 heures de Qur-kant, cite
entre deux hautes coHines, le long desquelles les maisons
s'ötendent; eile est d^fendue par un mur', Urä-kant (sä^ii^lj^),
Sawät («yU^) ,grand village avec un fort en terre', Yam (*L>)
,grand village avec un mur en terre', Quduq ((^'«W), Dizakh
(-^S4>). In Qur-kant, dem Kür-kath der arabischen Geographen,
könnte man eine Spur des uralten KOpa erblicken ; doch ziehen
wir die Gleichstellung mit Ura-tippah vor; auch lässt sich der
Name Kür-kath recht gut aus dem Türkischen deuten, von
qür sJü ,ceinture, aime, garde, defense' (indogerm. vära).
Ueber die uralte Metropole von OSrüöene oder das heutige
Ura-täpä (tübä, tippah) veröffentlichte zuerst Generalmajor Gens
(Beiträge z. Kenntniss d. Russ. Reiches, IL Bd. 1839 S. 73 ff.)
einige Daten : ,Der Berg Ura-täpä (also die iV-pa von Kupo,koXi;)
ist nur ein paar hundert Fuss hoch und trägt eine, Citadelle;
die Stadt selbst liegt am Fusse des Berges und ist mit einer
Mauer umgeben ; zwischen der Stadt und der Citadelle befindet
sich der Bazar, den ein auf dem Berge entspringender Bach
durchfliesst; ein anderer Bach, der diesen in sich aufnimmt,
(also der Tcoxaixbi; ysiixippou; öv von KupcOzoXi;), strömt durch die
Stadt und versorgt sie hinreichend mit Süsswasser. Die Häuser
sind aus Lehm erbaut'. ,30 Werst von Ura-täpä gegen Khogand
CentnUsifttiscbe Stadien. I. 125
befindet sich ein bucharischer Wachtposten, an eiDem Bache,
der sich in den Syr-darya ergiesst', offenbar das obige Qürkand.
— Für die Topographie der Landschaft bieten noch die Me-
moiren Bäbr's einige Ergänzungen. Erwähnt sind darin (I p. 37)
Aq-sü gegen den Cir (Syr-darya) hin, im Territorium von
üratipa die Flüsse Bürdan-sui und Amäni-sm (I p. 214),
welche aus den Bergen von Ma^ikha'i kommen und die Ebene
von Yalghär bewässern; ferner Dah-kat oder Dakh-kat (I p. 208
suiv.), ,run des districts d'Uratipa, situe dans le Maliq-tagh;
il se trouve au pied d'une haute montagne ; de Tautre c6t6 de
cette montagne Bietend le gouvernement de Masikhai, dont les
habitants, quoique tagik, poss^dent des troupeaux de chevaux
et de moutons, comme les tribus turquctf; Dah-kat est situäe
sur un terrain bas et uni^; und am Oberlauf des Bürdan-sui
der Weiler Äb-bürdan (p. 214), ,le village le plus bas situe de
la d^pendance de Masikhai^ Südlich und westlich von Uratipa
sind viele yailaq's (p. 130), z. B, Böreke-ya'iiaqi (p. 168) auf
dem Wege nach Sang-zär, dem Vororte des Districtes Yär-
yailaq (p. 120), und Aq-kapcighai (p. 26) ,ä 18 igag k Test
de Samarkand^ Sehr häufig ist bei ihm und den persischen
Chronisten die Rede von Zämin, von Yäm (oder öam) und dem
Flusse von Yäm, von Dizäk und den Passagen von Biti-quduq
und Suzän-ghirän. Von Zämin führte nach Süden ein Weg
nach dem District Yär-yailaq über Pesä-ghyr (Bäbr I p. 127,
129, 208). Und somit scheiden wir von dem uralten Gebiet
der Oxydranker und deren Metropole Suthrisana, um mit
Hiuan-Thsang nach dem hochberühmten Kaftha, nach Samar-
kand, zu pilgern.
,Le royaume de Sa-mo-kibn (j^ jjgjj ^)S sagt der sinische
Wanderer, welcher die Stadt in ftinf Tagereisen oder nach
Zurücklegung von 500 Li erreichte, ,a une circonförence de
seize ä dix-sept cents li. II est allongä de Test a Touest, et
resserrä du sud au nord. La capitale a environ vingt li de
tour. II est protögä par des obstacles naturels et poss^de une
nombreuse population. Les marchandises les plus pr^cieuses de
pays itrangers se trouvent r^unies en quantite dans ce royaume.
Le sol est gras et fei*tile, et donne d'abondantes moissons. Les
126 Touaschek.
arbres des for&ts offrent unc magiiiüque v^g^tation, et les fleurs
et les fruits viennent en abondance. Ce pays fournit beaucoup
d'excellents chevaux. Les habitants se distinguent de ceux des
autres pays par une grande habilete dans les arts et m^tiers.
Le climat est doux et temp^r^, les mcBurs respirent Tenergie
et la bravoure. Ce royaume occupe le centre des pays barbares.
Pour tont ce qui regarde la conduite morale et les rfegles de
la biens^ance, les peaples voisins et ^loign6s se mod^lent sur
lui. Le roi est plein de courage, et les royaumes voisins obäissent
k ses ordres. II a une forte arm^e et une nombreuse cavalerie.
La plupart de ses soldats sont de la i*ace des Cb-kie. Les
Öe-kie sont d'un naturel brave et imp^tueux, et affrontent la
mort avec joie; quand ils combattent, nul ennemi ne saurait
tenir devant eux^ Zur Ergänzung der allerdings kurzen
Schilderung Hiuau - Thsang's mögen einige Notizen dienen,
welche Ma-tuan-lin in seiner ^umfassenden Prüfung der alten
Litteratur' (uen hian thung khao) älteren Schriftwerken aus den
Zeiten der Dynastien Han, Tsin, Wei, Sui und Thang entnommen
hat (Abel-R^musat, Nouv. m^l. asiat. I p. 225—239). ,Ce
royaume peut 6tre appele puissant; beaucoup d'etats sont soumis
ä celui-lk. Les habitants ont tous les yeux enfonc^s, le nez
proeminent et une barbe touifue. Ils excellent dans rexercice
du negoce; beaucoup de barbares se rendent chez eux pour
echanger des chevaux. On voit dans ce pays de grands et de
petits tambours, des guitares, des luths k cinq cordes^ des flütes
de plusieurs espfeces.' ,Le climat est doux et tempore, il convient
aux diverses sortes de grains; on donne beaucoup de soins k
Tentretien des jardins^ oü l'on cultive des l^gumes, des arbres,
des fleurs odoriferautes. Le pays produit des chevaux, des
chameaux, des muletS; des bo^ufs k bosse, de l'or, du sei
ammoniaque, des pignons doux, du asana, sorte de parfum, du
phi-pha, de la peau de cerf, des tapis, des ctoffes de laine brodees,
beaucoup de vin de raisin; les maisons riches en conservent
quelquefois jusqu'a mille §i, et il ne se gäte pas dans Tespare
de plusieurs annees. II y a dans ce royaume trente grandes
villes et deux cents hameaux.^ Fruchtbarkeit des Bodens und
Reichthum der Producte wissen schon die griechischen Schrift-
steller zu rühmen; voll des Preises sind aber die arabischen
Geographen, wenn sie auf $oghd zu reden kommen; das $oghd-
Centtuluifttiaohe Stadien. I. 127
thal gilt den Orientalen fiir eines der vier irdischen Paradiese,
wie das Thal von Biwän in FarS; von Ghawtah bei Damask,
UDd das Flussgebiet von Obullah. Gewöhnlich ist von zwei
$oghd die Rede, nämlich $oghd von Samarqand, und Soghd
vonBukhärä (HäzimI, bei Yäqüt); das erstere heisst im Munde
der Perser auch $oghd-i-kaIän, ^das grosse l^oghd^ Moqaddasi
rechnet es zu Haital und sagt: ,$oghd ist ein prachtvoller
District mit der Hauptstadt Samarqand. Es sind zusammen-
hängende Dörfer, umgeben von Bäumen und Gärten, von
Samarqand bis nahe an Bukhärä; man sieht kein Dorf, ehe
man hineinkommt, wegen der Bäume in und um dasselbe; es
ist das schönste Land auf Gottes Erden^ reich an Bäumen und
voll von Flüssen, von Vogelgesang durchtönt^ Aehnlich drückt
sich I^tanhri aus: ^^oghd erstreckt sich von der Grenze Bukhärä's,
rechts und links entlang dem Wadi von $oghd bis zur Grenze
von Buttam, ununterbrochen, in einer I^änge von acht Tage-
reisen. Es ist voll von Wiesen, Gärten und Feldern, überall
sind Wasseradern und Brunnen. Das Grüne der Bäume und
der Saaten verbreitet sich an beiden Ufern des Thaies, um-
geben wird es von bebauten Feldern; hinter diesen sind wiederum
Weideplätze für die Kamele. Ganz $oghd erscheint wie ein
Kleid von grünem Brocat, in das blaue Adern fliessenden
Wassers eingestickt sind, geziert mit dem Weissen der Bulben
und Wohnhäuser*. In dichterischer Weise vergleicht GaihänT
in seinem Buche Mutagäwabe $oghd von Samarqand mit der
Gestalt eines Menschen. ,Sein Haupt ist Bungikat, seine Füsse
Kaiänija, sein Rücken Wadhär, sein Unterleib Kabüdangkat,
seine Hände Mäyamurgh und Buzmägar. Seine Breite beträgt
36, seine Länge 46 Parasangen' (Yäqüt s. öJuc). Wir fügen
hier die begeisterte Schilderung eines Reisenden an, welcher
das mittlere Zaraf§anthal in jüngster Zeit besucht und be-
schrieben hat (Radioff, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin,
1871,8.401—439,497—526): ,Das ganze ZarafSanthal, soweit
es mit einem Netze von Canälen bedeckt ist, bildet eine un-
unterbrochene Reihe von Ansiedlungen. Wenn man auf der
Höhe der Grenzgebirge entlang reitet, so sieht man in der
Niederung einen dunkeln Wald sich hinziehen, der sich scharf
gegen die hell erleuchtete Steppe abgi-enzt: dies ist das mit
Ansiedlungen bedeckte Thal des ZarafSan. Hier grenzt Acker
128 Tomasckek.
an Acker, Garten an Garten, ohne die geringste Unterbrechung,
jedes Fleckchen Land ist bearbeitet. Wenn man von der kahlen
Höhe zu dem Thale hinabreitet, glaubt man sich aus der Wüste
in ein Paradies versetzt zu sehen. Herrliche Wiesen, mit dem
grünen Bädäkraute besäet, prangen im schönsten Grün des
Frühlings, zwischen ihnen sind üppige Felder mit Tabak,
türkischem Weizen, Arbusen, Melonen. Die Felder sind alle
in regelmässige Vierecke abgotheilt. Sprudelnde Bäche fliessen
rauschend zwischen ihnen dahin, deren Ufer meist dichte Baum-
reihen begleiten. Zwischen diesen Feldern liegen die Gärten,
über deren niedrige Lehmmauern ein dichter Wald von Bäumen
emporragt. Hier recken hohe Pappeln mit silbergrauen ge-
zähnten Blättern ihre schlanken Stämme hoch in die Luft
zwischen den mächtigen dunklen Karagaö - Bäumen mit den
runden ballonförmigcn Kronen. Dort erscheinen saftgrüne BVucht-
bäume, die ihre von Aepfeln, Pfirsichen, Aprikosen u. s. w. be-
ladenen Aeste herabhängen lassen. Hier sehen wir von Wasser
bedeckte gelbgrüne Reisfelder^ dort Baumwollpflanzungen. Das
Auge kann sich gar nicht satt sehen an all der Pracht, die in
buntem Durcheinander uns umgibt. Wir glauben zu träumen.
Eben befanden wir uns noch in der öden Steppe, die Sonne
brannte mit sengender Gluth auf uns herab, uns umgab die
endlose graugelbe Steppe, Menschen und Thiere waren erschlafft
in der todten menschen- und thierlosen Umgebung. Jetzt ruhen
wir im Schatten der mächtigen Bäume, umgeben von herrlichen
Bildern einer mannigfach gruppirten Landschaft. Ein munteres
Treiben herrscht um uns her, überall sehen wir Arbeiter auf
den Feldern, die ihrem Tagewerke nachgehen; die Hitze, wenn
auch noch bedeutend, erscheint uns hier Kühlung gegen die
sengende Gluth der Steppe. Und all diese Pracht und Herrlich-
keit dankt der Mensch allein dem Wasser, das in Silberadern
die Steppen durchrinnt und sie zu einem Paradiese umschafft.
Nirgends auf der Erde sieht man die wohlthuende Wirkung
des Wassers so deutlich wie hier*. So beschaffen ist ^ugl^^^l^^?
das , reine, hellglänzende' Gebiet, auf welchem die Iranier sich
zuerst aus der nomadisch-patriarchalischen Lebensweise zu einer
höheren Cultur emporgearbeitet haben; wo der Lichtglaube zu
seiner ersten Blüthe gedieh; wo der nationale Geist der Iranier
am regsten sich entfaltete, am kräftigsten sich zu vertheidigen
CentrftlMiatiscbe Stadien. I. * 129
wusste; wo noch immer der FleiBs der Tägikbevölkerung dem
Lehmboden durch künetliche Bewässerung Schritt auf Schritt
die schönsten Früchte abringt. Fürwahr, das Ufergelände des
, verehrungswürdigen (namaqya)^ des ,gesetzlichen (däitya)'
Stromes^ welcher tausende von Canälen mit Wasser speist und
dadurch den fleissigen Anwohnern grasreiche Wiesen, pracht-
volle Felder, herrliche Gärten hervorzaubert, heisst mit Recht
ein Paradies der Erde, und ist ein schönes Denkmal des iranischen
Fleisses, eine bleibende Stätte menschlicher Thätigkeit!
Allerdings, das Ueberwiegen der indolenten türkischen
Nomadenbevölkerung, so wie die Unsicherheit der politischen
Zustände bis in die Zeit der russischen Invasion, hat auch hier
Vieles umgestaltet, manche herrliche Culturbiüthe zum Welken
gebracht, manche Oase in ödes Gebiet verwandelt. Am stärksten
bat die Ungunst der Zeiten die Metropole selbst betroffen; das
alte Marakanda oder Samarqand ist schon lange nicht mehr
das was es einst gewesen unter den Makedonen sowohl wie unter
den Haital's, unter den Sämäniden wie unter Timür. Die zahl-
reichen Ruinen alter grosser Gebäude und die Verödung der
Vororte sind sprechende Zeugen des allmäligen Sinkens der
Stadt, und erwecken in dem Besucher trübe Gedanken. Indem
wir die Schilderung der alten Prachtbauten, der Medressen und
Grabdenkmäler, den Reisenden, welche Samarkand aus eigener
Anschauung kennen gelernt haben (wie Khanikoff, Lehmann,
Vämbery, Radioff u. a.), überlassen, beschränken wir uns auf
die Darlegung der allerdings spärlichen Zeugnisse über die
Metropole aus dem höheren Alterthum. — Ueber Umfang und
Grösse derselben zur Zeit Alexander's haben wir eine einzige
kurze Notiz bei Curtius (VII 26, 10); als nämlich Bessus be-
seitigt worden war und Alexander zum ersten Male Sogdiana
betreten hatte, marschierte er direct,ad urbem Maracanda; LXX
stadia murus urbis amplectitur; arx alio cingitur muro^ Curtius
bezeugt hiemit das Vorhandensein der Citadelle (arx, i^ axpa
Arr. IV 3, 6; 5, 2, pers. 'arq) und unterscheidet von der Burg-
mauer die äussere Stadtmauer; die Länge der letzteren betrug
70 Stadien {J^^li Stunden) oder etwas über 3 Parasangen.
Hiuan-Thsang gibt nur 20 Li oder 1 Parasange an; wenn er
die äussere Umfassung gemeint hat und wenn die Stadt, wie
doch vorauszusetzen, unter den Fürsten der Kuei-Suang und
SitsQQgiber. d. pbü.-hist. Gl. LXXXVn. Bd. I. Hft. 9
130* Toni»8ch0k.
Ye-ta nicht an Umfang eingebüsst hat, so dürften 60 Li richtiger
sein. Ungemein an Umfang und Blüthe gewann die Stadt zur
Zeit der Sämäniden; die arabischen Geographen unterscheiden
gleichfalls eine innere und äussere Stadt; ,die innere Stadt hat
vier Thore, und ihre Area beträgt 2500 gerib ; die äussere Stadt
hat zwölf Thore, eines von dem andern ist je 1 Parasange
entfernt, so dass der Umfang der Mauer 12 Parasangen be-
trägt; die Stadttheile liegen auf beiden Seiten des $oghd-
thales^ Eine classische Beschreibung Samarkand's und seiner
nächsten Umgebung bietet Bäber in seinen Memoiren (p. Pavet
de Courteille, Paris 1871, I p. 96 — 105); wir entnehmen
derselben folgende Einzelnheiten. Die Stadt, deren Umfang
10.600 Schritte beträgt (d. i. mehr als 2'/.2 arab. Meilen oder
fast 1 Parasange, wie bei Hiuan-Thsang), liegt südlich von
dem äb-I-Kühik und dem Hügel Kühik (j. Cupän-ätä), west-
lich von dem Bach äb-i-rahmet (,eau de la merci'), welcher die
Wiesengründe von Khan-yurti und Kän-i-gül bewässert, und
nördlich von dem Fluss oder Canal Dargham, der bei Külbeh
in den Kühikfiuss einmündet. Ucber den Kühikfluss fiihrt die
Brücke pül-i-mughäk (,le pont profond*). Reizende Gärten um-
geben die Stadt; ausser dem bägh-i-bihist (,jardin du paradis')
und dem bagh-i-semäl (Jardin du Nord^) und dem nordöstlichen
oder ,Türkisthor^ unmittelbar anliegenden Garten budeneh-
kurughi (,parc aux cailles^), an welchen sich weiterhin die
Anlagen Nak§-i-gihän (,le tabicau du monde*) und bägh-I-dilkuSä
(,le jardin qui ouvre le coeur*) anschli essen , sind weiter be-
merkenswcrth der bägh-boldi (,lo jardin parfait*) und der bägh-
I-öinär (jardin des platanes^), ferner der an dem Südwestabhang
des Kühikberges und in der Nähe des astronomischen Obser-
vatoriums gelegene bägh-I-maidän, worin Ulugh-begh*s wunder-
voll construirter Palast öihil-sutün (,le8 quarantes colonnes*)
und der berühmte Porcelainpavillon sich befinden, endlich der
schönste der Gärten, der von Dcrwis Mohammed Tarkhan im
Nordwesten der Stadt angelegte ^'ehär-bägh. In noch weiterem
Umkreis umschlicssen die Stadt gras- und wasserreiche, mit
Ansiedlungen belebte Wiesengründe und Ebenen, so gleich im
Anschluss an den letztgenannten Garten die Prairie göKl-mughäk
(,de r^tang profond*), die Prairie von Külbeh an dem Kühik-
fluss, und im Osten die an dem Kahmetbache sich dehnende
Ceatralasiatiscke Stadien. I. 131
Ebene K&n-I-gül (^mine des roses') und die Wiese von Khan-
yurti (,1a demeure du khan^). In der Nähe des südöstlichen
oder ,eisernen* Thores befindet sich die Grabstätte des Glaubens-
boten Qäsim ben-Abbas, mazär-I-Säb (^le monument fun^raire
du roi^. Südlich von der Stadt beginnt das Gebirge Aghallyk-
tagh, an dessen Fuss ein Weg nach Westen (gegen Eattah-
qürghän) führt. — Arrianos sagt von Marakanda (III 30, 6):
ti M i(m ßac^Xsia t^c 2oY3ioevwv yjiipoLq. Er kennt aber noch einen
zweiten Herrschersitz dort, wo Ptolemaeus Tp{ßaxTpa anftihrt
(d. i, entweder Baikand oder Bokhärä), und spricht im All-
gemeinen von mehreren epOfjLata twv SofStavöv im Bereich des
Polytimetos (IV 15, 7; 16, 3); es ist nicht unmöglich, dass der
Sitz der Herrschaft zu verschiedenen Zeiten gewechselt hat.
Die Annalen der Han geben als Residenz von Khang-kiü an
die Stadt Pi-thian im Bezirke Lo-yuei-ni; die Annalen der
Sui den Ort A-lu-ti an dem Flusse Sa-pao — Localitäten, die
sich jetzt nicht mehr bestimmen lassen. Das Awesta nennt
Gäu oder Gava die Wohnung von Sughdha; wir werden weiter
unten nachzuweisen versuchen, dass darunter die Capitale des
Reiches Hoa oder KüSäni-kath, das spätere Ribat-i-^oghd oder
das heutige Kattah-qurghän , verstanden werden müsse oder
dürfe. Auch sonst finden wir ausser Samarqand den Ort
AStikhan, ausser Bokhärä den Ort Baikand als Residenz an-
geführt.
Von den classischen Autoren wird Marakanda höchst selten
erwähnt; Ptolemaeus verlegt es in merkwürdiger Confusion nach
Baktriana an den Nordabhang des Paropanisos; Plinius führt
es an richtiger Stelle an, doch ist die Leseart der Handschriften
verstümmelt: denn (VI § 49) statt oppiduin Panda muss es offen-
bar heissen oppidum [MaraJcANOA. Es fallt somit Wilson's
(Asiat. Research. XV p. 12, 95) und Lassen's (Ind. Alterth.
2. A. I p. 800) Anknüpfung der indischen Pändava's an Sogdiana
in Nichts zusammen. Nach den übereinstimmenden Sagen der
Orientalen soll die Stadt al-Iskandar erbaut haben, — er, welcher
den geschichtlichen Zeugnissen zufolge Sogdiana gräulich ver-
wüstet, Marakanda mehrinal eingenommen und nach Strabo
(XI p. 517) sogar der Zerstörung preisgegeben hat. Wenn die
Stadt und das Land die alte Blüthc wieder erreicht hat, so
geschah dies erst nach Bewältigung der Aufstände mit Hilfe
9*
132 Tomasebek.
der Colonien, welche der Eroberer aus allen Theilen seines
Reiches; sogar aus Hellas^ hieher gezogen hatte; er soll ev tc
TYj Bay-TpiavY) y,al tt; Xo^BtavY) 6y.T(i) izokei^ nach Strabo XI p. 517,
duodecim urbes nach Trogus Pompeius gegründet haben; von
Städtegründungen ev vr, Xo^Siavi) spricht auch Arrian IV 16, 3.
Als Alexander in Indien war, wollten 3000 Griechen, welche
wider ihren Willen hieher verschleppt worden waren, ihre Heimat
wiedergewinnen und giengen bei diesem Versuche elend zu
Grunde (Diod. XVII 99, 5: oi xaia tyjv BaxTpiav7)v xal 2oY5iavt;v
xaToix'.GrOevTS? "EXXtivfi^ ix tuoXXoü [jlsv tov ev Tot«; ßapßapoi? xaToex{qi.bv
/aXe^w; fdpovie«; etc.). Marakanda erholte sich erst unter den
Diadochen, unter welchen Sogdiana einen Adnex der baktrischen
Provinz bildete; bereits im Jahre 323 bei der Tbeilung des
Reiches durch Perdikkas wurde dem Philippos, Sohn des Balakros,
il BaxTptavT) xai Io^^ioly/i verliehen (Diod. XVIII 3, Phot. bibl.
cod. 82). Diodotos, welcher 255 von den Seleukiden abfiel und
ein eigenes griechisch-baktrisches Reich begründete, wird von
Trogus Pompeius ,mllle urbiura Bactrianarum praefectus' ge-
nannt; darunter sind offenbar auch die Städte Sogdiana's und
der sakischen Ostlande mit einbegriffen. Die Blüthe dieses
Reiches dauerte bis 140 v. Chr., zu welcher Zeit ,Bactriani,
Sogdianorum et Arachotorum et Drangianorum Indorumque bellis
fatigati^ ad postremum ab invalidioribus Parthis velut exsangues
oppressi sunt^ Wir dürfen vermuthen, dass speciell in Sogdiana
das einheimische nationale Element wieder sich erhoben und,
unterstützt von den stammverwandten Parthern und den nordi-
schen Nomadenvölkern oder den , Wasser - Saken' (Awaaiflcxai
Strabo XI p. 513, Polyb. X 48, Steph. Byz., Paesicae, Pestiei,
Pasicae, Psacae bei den Römern), sich frei zu machen veraucht
hatte. Die Parther unter Mithradatcs nahmen damals von Baktra
Besitz, und wieder waren auf kurze Zeit alle iranischen Lande
bis zu den Indern und den Oxusquellen vereinigt; aber schon
zehn Jahre später zogen, von den Hunnen gedrängt, inner-
asiatische Stämme aus dem Ot^ap^ri^-Bassin und vom Lob-naor
in das Sakengebiet und über den Jaxartes ein, und gründeten
eigene Herrschaften, welche seither in steter Fehde mit den
Parthern stehen, die Tukhära in Baktra, die (^akäraukä in Choras-
mien und Dahistan, die Asya und Yatya in Sogdiana; letztere
überflutheten in allmäligem Vordringen auch Baktra, das Kabul-
CentrmiuiatiBcke Studien. I. 133
thal und die Indusebenen, und gründeten das mächtige indo-
skythische Reich. — Nichtsdestoweniger war die makedonisch-
griechische Herrschaft von solcher Dauer gewesen, dass die
Cttltureindrücke und Einflüsse des hellenischen Lebens sich
nicht so schnell und nicht spurlos verwischen Hessen. In diese
Epoche könnnen wir z. B. die Verbreitung des Weinstockes
und der rationellen Weincultur nach Centralasien setzen; helle-
nische Ansiedlungen sind mit der Cultur der Rebe, der süssen
Gabe des Bakchos, unzertrennlich verbunden; seither ward in
Margiana, und noch weiter nördlich, die Rebe gepflegt, und
die sinischen Annalen der Handynastie rühmen die po-tao
Frucht (ßorpu-;) als das herrlichste Erzeugniss der Länder 'An-si,
Ta-hia und Khang-kiü. Wie wir oben andeuteten, mochte sogar
die trieterische Festfeier des Dionysos sich mit den iranischen
Jahresfesten verbunden haben. Alexander soll, den Sagen der
Parsen zufolge, in Samarkand ein goldgeschmücktes oder mit
goldenen Lettern geschriebenes Exemplar des Awesta in einem
ätaS-gäb zu ewigem Andenken niedergelegt haben, es ist wohl
möglich, dass in dem letzten Jahre seiner Herrschaft sich das
hellenische Element mit dem einheimischen vollständig ausge-
söhnt hat und dass namentlich auch die religiösen Ansichten
der Tränier in klugpolitischer Weise von den späteren Macht-
habern geschont wurden.
Wir wollen nun eine Deutung des Namens Marakanda
versuchen und über die verschiedenen Formen und Synonymen
desselben handeln. Wir halten die älteste, aus der Zeit
Alexander's überlieferte Form xa MapaxavSa, trotzdem man an
baktr. mara skr. smara ,Erinnerung, Ruf oder an baktr. mära
neupers. mär ,Schlange, Reptil denken könnte, für eine im
Anlaut verstümmelte, indem wir als ersten Bestandtheil das
altpers. hamara ,Kampf, eigentlich das Zusammenkommen' hin-
stellen und zwar in der zufolge der Etymologie nicht unmög-
lichen Bedeutung , Versammlung' (skr. samaryä. , Festversammlung,
Panegyris', ähnlich baktr. hangamana, neupers. anguman), weil
die I^age des Ortes von selbst zu dieser Erklärung drängt; hier,
wo die Flussadern und Canäle von Sogd zusammentreffen, wo
die Wege aus Khuräsän nach den turanischen Landen und
nach Sin einen Vereinigungsknoten bilden, war seit Alters ein
Sammelpunkt der Stammesgenossen, eine Panegyris der Handels-
134 Tomascbek.
leute und Kauflustigen. Eine zweite Deutung wäre übrigens
ebenfalls statthaft, wenn wir von baktr. hama ,Sommer' armen,
amarh ausgiengen (vgl. 'Aixapojaa, Ort in Hyrkanien bei Ptolem.)
und auf die sommerliche Beschaffenheit des sogdianischen Klimas
hinwiesen; doch macht die Ableitungssylbe -ra, welche im Zead
mangelt, Schwierigkeit. So viel ist gewiss, dass einerseits die
Makedonen sich kein Gewissen daraus zu machen brauchten,
wenn sie ta *A[xapaxav5a in xa MapaxavSa verkürzten, und daas
anderseits die Sogdianer selbst während der 180jährigen make-
donischen Herrschaft mit Leichtigkeit sich die hibride, durch
den griechischen Artikel bceinflusste Form Thamarakanda oder
Samarakanda aneignen mochten; Koesler (Aralseefrage S. 11
Anm. 2) denkt sogar an die Formel s; Mapanavoa, um das s
zu erklären, wobei jedoch der Ausfall des Artikels befremdet
(vgl. \ Tav itöXtv, stamboli); sogar ein secundärer Einflass
buddhistischer Sprechweise, wodurch der im Indischen übliche
s- Anlaut für baktr. h sich festigen mochte, könnte angenommen
werden. Als Hiuan-Thsang die Stadt besuchte (630 n. Chr.),
war die Aussprache zweifellos Samarkand (Sa-mo-kian); auch
als die Araber das Zweistromland betraten, fanden sie den
Namen JJil^dww (4Xx9y»dw) in unbestrittener Geltung. Die ein-
gedrungenen Hunnen, Türken und Mongolen jedoch legten sich
den Namen ihrem Idiom zurecht; al-Blrünl behauptet (Sprenger,
Post- und Reiserouten S. 20), im Türkischen sage man Samiz-
kand öuSL^Mi, d. i. ,Sonnenstadt^ Die Etymologie ist unrichtig,
weil dem arabischen ((jam>^) entnommen; in allen türkischen
Dialekten bedeutet yA4^ samiz w^ sämiz v^^^ sämir j. t * *or
simäz \y4^,'M> \y4^ simuz (jak. ämis, tat. sämis sämäs simis)
,fett, dick, saftreich^ und verwandt ist mong. simä ,Nahrung8-
saft, Kraft' (adi. simätäi , saftig, markig, wohlhabend, reichO,
mandz. simengge ,Fett, VoUsaftigkeit, Ueberschwang, Freude',
semc^en und semsu ,Fett' etc. Jedenfalls ist die türkische Be-
nennung für die reiche, an Boden und Fruchtertrag gesegnete
Metropole von Sogd eine höchst zutreffende. Auch Bäber berichtet
(I p. 96), die türkischen und mongolischen Stämme gebrauchten
den Namen Simer-kent. Der sinische General Cang-öhün (a. 1221)
bezeichnet die Stadt gleichfalls mit Charakteren, denen die Aus-
sprache Si-mi-sse-kan (Simizqand) zukommt (Journ. asiat. VP ser.
IX p. 70), ebenso der sinische Bericht über die Thaten Cingis-
CentrulMiatiBcbe Studien. I. 135
khan's und Hulagu^s. Auch Gonzalez de Clavijo bedient sich
der Form Cimesquinte, und im Jahre 1328 wird ein christlicher
Bischof ;in civitate Semiscantensi^ erwiihnt. Was nun den zweiten
Bestandtheil betrifft, der sich sonst nirgend bei Ptolemaeus vor-
findet (denn Scoxav^a in Hyrkanien ist offenbar baktr. ^aokenta
jbrennend^), so glauben wir nicht zu irren, wenn wir xivSa
(kand, qand, kent) auf baktr. kanta ,gegraben' (von kan,
neupers. kandan ,graben^) in der Bedeutung ,Qraben, Canal^
oder ,Veste, ein mit Gräben und Mauern versehener Ort' zuiück-
fähren, wie Uz-qand auf baktr. u9-kanta. Sicherlich ist dieses
in so vielen Ortsnamen des iranischen Dü-äbe vorkommende
Element nicht türkischen Ursprungs, wie noch VuUers (Lex.
Pers. 2, 894), freilich auf Grund arabischer und persischer
Notizen, anzunehmen geneigt ist; denn in allen diesen Orts-
namen bietet die echte türkische Form statt -kand das Apellativ-
Clement -kat, -kath, was im Türkischen ,Haus, Heim, Zelt'
bedeutet.
Als zweite Bezeichnung für Samarkand und das Reich
Sogd kommt in Betracht der in den sinischen Annalen der
Dynastien We'i, Su'i und Thang vorkommende Name Khang.
Schon die Annalen der Handynastie kennen ein grosses Reich
des Westens, das sich zwischen den U-sün oder den Qazaq-
Türken und den Yuei-si bis nach Ta-wan und Ta-hia erstreckte,
unter dem Namen Khang-kiü (Khanggü), beschreiben es aber
in so allgemeinen und ungenauen Ausdrücken, dass die ge-
wiegtesten Sinologen im Zweifel darüber waren, ob damit Kip^ak
oder etwa ein südlicheres Gebiet verstanden werden solle. Noch
Deguignes (1, 2 p. LXIX— LXXVII) hatte Khang und Khang-
kiü nach Kipöak versetzt; dem aufmerksamen Auge Visdelou^s
war es jedoch nicht en%angen, dass im Thang-su ausdrücklich
bemerkt wird, Khang werde auch Sa-mo-kian genannt. Wir
halten an dieser Identität fest und werfen die Frage auf, ob
Khang eine Bezeichnung barbarischen (hunnisch-baitalischen)
Ursprungs war oder eine altiranische, hieratische Bezeichnung,
die von den eingedrungenen Nomaden nachmals adoptirt wurde.
Allerdings wissen wir nichts über die Sprache jener Barbaren;
doch ist es uns gestattet, eine Verwandtschaft derselben mit den
späteren Türken anzunehmen, und somit wäre der Hinweis auf
uignr. käng (dim. kängäs, adv. kängrü) cag. kän ,weit; breit,
136 Tomateliek.
geräumig' (Vambery, Kudatku>bilik 215) gar nicht zu verwerfen.
In neuerer Zeit ist jedoch die andere Ansicht mehrfach vor-
gebracht worden und verdient in £rwägung gezogen zu werden.
In dem Awesta findet sich nämlich der Ausdruck Kaftha ftir
eine sagenhafte Region^ welche östlich vom See Vourukasa lag;
und das Königsbuch weiss zu erzählen von Kang, der Haupt-
stadt des turanischen Königs Afräsiäb, von Kang-bihi§t, der
prachtvollen, auf einem Felsenrücken jenseits des Gul-zarriün
gelegenen Veste Afräsiäb's, von dem paradiesischen Gau Kang-
d\i im Osten hinter dem Meere von Cin mit seinem von Siyäwüs
erbauten uneinnehmbaren Felsen schlösse. Der Ausdruck gehört
allerdings seinem Wesen und Ursprünge nach der mythischen
Komenclatur an und entbehrt somit einer wirklichen geographi-
schen Unterlage. Indess ist die Annahme nicht ausgeschlossen,
dass die Iranier diesen mythischen Namen auch für ganz be-
stimmte Oertlichkeiten des Nordens und Ostens angewendet
haben. So hat es H. C. Rawlinson (Journ. of the Roy. Geogr.
Soc. 1872 p. 503) wahrscheinlich gemacht, dass das heutige
Ta§-qurghän im Sdr-i-q61gebiet vor Alters mit Kang bezeichnet
wurde; so fuhren arabische Geographen jenseits des Jaxartes
zwischen Isping-äb und Fär-äb einen Gau Kang-dih (oder -d\i)
an; das Säh-nämah kennt ein weiteres Kang-dii^, die Stadt
Baikand in Bokhärä; möglich, dass auch Khwärizm so hiess
(Sachau, Zur Gesch. u. Chron. v. Khw. S. 17) — und endlich,
dass auch das herrliche Soghdthal, welches die Orientalen für
eines der vier irdischen Paradiese ansehen, dieser alte Sitz
iranischer Cultur und Glaubensreinheit im hohen turanischen
Norden, mit Kang bezeichnet wurde. Und so dürfte Reinaud^
welcher zuerst das mythische Kang einer gründlichen Betrachtung
unterzogen und mit Khang, dem sinischen Namen von Sogdiana
und Samarkand, in Verbindung gebracht hat (Geographie
d'Aboulfeda I p. CCXX— CCXXUI), mit dieser GleichsteUung
keinen unglücklichen Wurf gemacht haben. Dazu kommt folgende
Erwägung. Die sinischen Annalen erwähnen wiederholt, dass
nicht nur das Herrscherhaus in Khang, sondern auch in den
übrigen sogdianischen Fürstenthümern den Namen Cao-wu oder
Sao-wu geführt habe und dass sich die Fürsten dieser Abkunft
rühmten. Zwar wird bemerkt, dass dies ursprünglich der Name
einer Ortschaft in der Urheimat der Yuei'-si, d. h. im Gebirge
Centnlasiatiselie Studien. I. 137
KbUian lan der Provinz Kan-su gewesen sei, und dass der
Name so viel wie ,berühniter Krieger^ bedeute; doch scheint
diese Anknüpfung an die sinische Heimat willkürliche Erfindung
zu sein. Viel wahrscheinlicher dünkt uns die Annahme, dass
in Sao-wu der Name des iranischen Heros Siy&wüS (SiyäwakhS,
baktr. Qy^^arääna, Sohn des Kava U^a) enthalten sei, den die
sogdianischen Herrscher an die Spitze ihrer Stammtafeln gesetzt
hatten, um eine Anknüpfung ihrer barbarischen Abkunft an die
Traditionen der Iranier zu schaffen. Kein Name ist seit Alters
im turanischen Norden berühmter gewesen als der des SiyäwüS,
welcher sein Dasein dem Ehebunde des iranischen Herrschers
Eai-käus mit einer turanischen Prinzessin verdankte, welcher
in Turan ein Asyl gefunden und daselbst Kang-di£ erbaut
hatte, zuletzt aber der turanischen Hinterlist zum Opfer gefallen
war. In der Urgeschichte von Bokhärä spielt Siyäwüd eine
Rolle, da er das Schloss von Bokhärä gegründet haben soll
(TaVlkh-i-Naräakhl, Vdmb^ry S. 1 f.); er soll auch nach
Khwärizm gekommen sein, woselbst seine Nachkommen über
zweitausend Jahre den Thron inne hatten (Sachau, 1. c. S. 17);
auch die Herrscher von Kabandha scheinen einer Tradition bei
Hiuan-Thsang zufolge auf Siyäwüs ihr Geschlecht zurückgeführt
zu haben. Warum sollten nicht auch die Fürsten von Soghd
und Samarqand, das vor allem den Namen Kang führte, von
dem glorreichen Heros abzustammen sich gerühmt haben?
Eine Ausgeburt orientalischer Phantasie und zugleich un-
geschickter Pragmatik ist die Sage, unter Qobäd, dem Sohne
des Piröz, habe Samar oder §umar, Sprössling eines Tubba",
an der Spitze einer arabischen Heldenschaar einen Zug durch
Iran bis nach Türkistan und Sin unternommen, um endlich in
Tubbat eine Herrschaft zu gründen; jenseit des Gai^ün habe
er eine starkbefestigte Stadt, genannt Öln, durch Verrath der
Königstochter, einer zweiten Tarpeia, eingenommen und nach
sich entweder Sumran (,jl>4-& bei Yäqüt) oder §amar-qand
(Täbari, p. Zotenberg II p. 156—159, mit der Bemerkung,
kand bedeute im Türkischen , Stadt') benannt. Oft sind Appella-
tive sprechende Merkmale wichtiger, historischer Thatsachen
und Zeugnisse des Völkerverkehrs in alter Zeit. So auch hier;
trotz der Verkehrtheit der ganzen Sage verdient doch die Nach-
richt, Samarkand habe vormals Sin oder Cina geheissen und
138 Toraasehek.
Sinesen hätten zur Sassanidenzeit die Stadt bewohnt und be-
Bessen, alle Beachtung. Die Annalen der Handynastie gedenken
der rühmlichen Thatsache, Söhne des sinischen Ostens hätten
die Westbarbaren in der Fertigkeit, Metalle zu giessen und
Waffen und Gefässe zu fabriciren unterwiesen, so wie sinische
Kaufleute schon damals Seide, Porzellan und Firniss nach Ta-
wan und den übrigen Westlanden brachten. T^bari (p. 158)
schreibt ihnen auch die Erfindung des Papiers zu; Thatsache
ist, dass das Papier von Samarkand im Orient die grösste Be-
rühmtheit genoss; Bäber bemerkt hierüber (I p, 103): ,Le
roeilleur papier qui existe au monde provient de Samarkand;
Tespice appelee geväz sort en totalite de Kän-I-güI^ Anderseits
wird in den sinischen Berichten den Bewohnern von Khang
selbst Handelsgeist und ausgebildeter Gewerbfleiss nachgerühmt,
und Wei-tsi bemerkt in seiner Geschichte der Westvölker
(Nouv. möl. asiat. I p. 229), in Khang würden die Knaben
schon im fünften Lebensjahre im Lesen und Rechnen unter-
richtet, um zu Kaufleuten ausgebildet zu werden. Auch in
der Geographie, welche dem Geschichtswerke des Moses von
Khorni einverleibt ist, werden die Sogdiq als intelligente und
thätige Kaufleute hervorgehoben (Saint-Martin, Mcimoires sur
TArm^nie H p. 374), Den byzantinischen Nachrichten aus
der Kegierungszeit Justinian's zufolge waren die Sogdianer (ol
SouYSaiTat) die Vermittler des Seidenhandels zwischen Öin und
dem Abondlande, sowohl unter der Sassanidenherrschaft als
auch, seitdem KhüSnawäz, der Haitalänääh ('E^OocXavo; 'E^OocXtxcov
ßa<TiX€u? Theophan. in Phot. bibl.), nach der Besiegung des
Piröz (um 485) sich in den Besitz der kaspischen Emporien
gesetzt hatte^ so wie sich schon seit lange die indischen Häfen^
namentlich der Stapelplatz Barygaza, im Besitze der Indo-
skythen befanden; die Hunnen hatten damals die nomadische
Lebensweise bereits aufgegeben und waren, gleich ihren Unter-
thanen, den Sogdianern, ein städtebewohnendes Volk geworden
(ol 'EfOaXiTa'. diaiixot to ^uXcv, Menander p. 299 Nieb.). Handels-
interessen waren es also vorzugsweise, welche die Herrscher
des sinischen Ostens bewogen die Verbindungen mit den Völkern
des Zweistromlandes zu pflegen und aufrecht zu erhalten, und
die politischen Verhältnisse des Westens mit aufmerksamen
Augen zu überwachen. Zwar misslang die Mission des sinischen
CentnluiatiMho SUdien. I. 139
Generals Cang-kian nach Ehang-kiü (122 v. Chr.) in Folge
der feindlichen Haltung der Iliung-nu, sowie die Expedition
des Generals Kan-'ing (97 v. Chr.) nach ien Gestaden des
kaspischen Meeres in Folge der Passageschwierigkeiten; aber
immerhin wurden Handelsbeziehungen angeknüpft und lange
Zeit unterhalten. Die politischen Verhältnisse des Orients gaben
Bcbon dem weitsichtigen Minister des Augustus, Maecenas, zu
denkeiJ^ (Horat. od. 1, 12 ,tu nrbi sollicitus times, quid Seres
et regnata Cyro Bactra parent Tanaisque discors*); schon da-
mals schickten die Indoskythen und die Baktrer Gesandte nach
Rom ,orando foederis Unter Traianus ist die Rede nicht nur
von den ,proceres Parthorum', sondern auch von den ^duces
Serum' (Martial. XH 8). Unter Hadrianus schickten die ,reges
Bactranorum' (Aet. Spartianus 21 § 14), d. i. die Fürsten der
Kutanen, nochmals Gesandtschaften nach Rom, um BUndniss und
Freundschaft zu erbitten, wahrscheinlich um sich vor der Ueber-
macht der Parther zu sichern ; sie erlagen jedoch derselben, und
Baktra ist gegen das Ende der Ardakidenepoche förmlich ein
Adnex des parthischen Reiches, wie Sagistan, Armenien und das
kaukasische Albanien. In dem Kampfe des armenischen Fürsten
Khusraw mit dem Begründer der Sassauidendynastie Artasir
(227 — 237 n. Chr.) steht der König der Kudanq Veh-sagan auf
Seiten des erstereu, welcher die Rechte der gestürzten Arsakiden
verficht. Bemerkenswerth in diesen politischen Wirren ist
die ausdrücklich bezeugte Einmischung des Gen-bagur oder
Himmelssohnes von Genastan (Clna-biigaputhra, arab. )^ajü )y^
baghbür faghfür), der damals als Vermittler und Friedensstifter
auftrat. In einem freundlichen Verhältniss stand der sinische
Hof namentlich zu Khusraw NüSlrwän (531 — 578), an dessen
,brüderliche Majestät^ der Faghfür ein Schreiben gerichtet haben
aoll, dessen Eingang Ma§'üdl (Les prairies d'or II p. 200) über-
liefert hat. Seitdem der hai talische Fürst K«tO'jX^c^ sich dem
Türken-khäqan 'Aaxuiv (sin. Sse-kin Mokan ko-han) unterworfen
hatte (um 565), waren die Türken das herrschende Volk in
Centralasien geworden; die letzten Sassaniden machten unge-
heure, aber vergebliche Anstrengungen, sich der Türkenmacht
zu erwehren. Von Tong ae-hu ko-han melden die Annalen der
Thangdynastie, dass er nicht nur Balkh, das Reich der Kudanen,
sondern auch Persien, wo Ku-so-ho (Khusraw Abarwiz) herrschte,
140 Toinaschok.
tributär gemacht habe (627). Gegen dessen Nachfolger Sse
öe-hu, welcher mit barbarischem Terrorismus wüthete, sachten
die Fürsten von Ehang vergebliche Hilfe bei dem sinischen
Kaiser (631, also zur Zeit, als Hiuan-Thsang das Dü-äb durch-
wanderte); einige Jahre später (638) soll sogar Yazdigird III.
(sin. I-sse-keu) einen marzabän (sin. mo-sse-pan) an den sinischen
Hof unter Darbringung zahlreicher Geschenke geschickt haben,
freilich ohne den gewünschten Succurs gegen seine FeiÄie, die
Araber, zu erhalten — auch die persischen und arabischen
Berichte lassen Yazdigird bei dem König von Soghd, dem
Khäqän der Türken, und dem Kaiser von Ölnastän Hilfe suchen.
Einer der folgenden Khane, Thu-lu (d. i. Twr khan, Fürst von
Tukhäristän, zu welchem Yazdagird geflohen war), behauptete
sich, von Prätendenten verdrängt, gerade in Khang und Tu-
ho-lo; er bewies bei der Einnahme von Mi (oder Mayamurgh)
eine barbarische Zerstörungswuth (642). Bald aber gelang es
der glorreichen Thangdynastie, den sinischen Waffen im Westen
achtunggebietende Erfolge zu verschaffen und eine bedeutende
Ländermasse dem Reiche der Mitte einzuverleiben; im Jahre 650
hatten die sinischen Generale alle türkischen Oststämme zur
Unterwerfung gebracht und versucht, dieselben an Ackerbau
und friedliche Arbeiten zu gewöhnen; der Himmelssohn konnte
nunmehr auch an die Bändigung der westlichen Türken und
die Pacification der jenseits des Tsong-ling und Thian-&an g^c-
legenen Länder denken. Schon im Jahre 052 begann der Krieg
gegen den mächtigen Khäqän A-sse-na Ho-lu, und nach harten
zahlreichen Kämpfen gelang es dem sinischen Heerführer Su-
ting-fang die Macht der westlichen Türken zu brechen, und das
ganze Ili- und Jaxartesgebiet dem Reiche einzuverleiben (657),
was zur Folge hatte, dass auch die Vasallenstaaten der Türken
bis zur Grenze von Khuräsän in ein ähnliches, aber gewiss
freundlicheres Abhängigkeitsverhältniss zu Sin traten, dessen
Staatsmänner sich in den neuen Eroberungen als praktische
Organisatoren bewiesen. Ausdrücklich heisst es im Thang-§u:
,üie Heerführer öffneten Strassen und Wege und errichteten
ordentliche Posten in gleichen Zwischenräumen bis nach 'An-sL
Provinzen wurden eingerichtet und in Districte, Gamisonsorte
und Gaue eingetheilt^ Den Türken wurden ihre Stammes-
Oberhäupter und Khane, den Vasallen die erblichen Vicekönige
0«ntr»lMialiscbe Studien. I. 141
(tu-tu tseu-ssc) belassen; als oberste Instanz stand über beiden
der sinische Generalcommandant (tu-tu). Allerding^s behaupteten
sich die sinischen Garnisonen gegen die stets rebellirenden
Horden nicht allerorten und äusserte sich die Macht der nach
voller Selbständigkeit strebenden Erbkhane, so namentlich Ä-sse-
na tu-Si's, welcher sich mit den Tubat verband und (677) sogar
'Än-si bedrohte, in fühlbarer Weise; trotzdem hielt sich das
sinische Gouvernement in Sui-se öing (am Flusse Cui), also
dort, wo auch der jeweilige Khäqän seinen Sitz hatte, bis zum
Beginn des achten Jahrhunderts aufrecht. Während die sinische
Politik ihren Einfiuss im Norden vergeblich dadurch zu be-
haupten suchte, dass sie den Erbfolgestreit, welcher nach dem
gewaltsamen Tode des Khäqäns Salax oder So-lo (737) zwischen
der ,schwarzen^ und der ,gelben' Linie eintrat, zu gelegener
Zeit schürte und bald diese, bald jene Partei begünstigte, was
freilich endlich dahin ausschlug, dass der herrschende Stamm
der Tu-ki-si (arab. Türqid; Reste derselben gibt es noch jetzt
im kleinen Altai unter dem Namen Tirgäs) aufgerieben oder
verdrängt wurde, und die Kho-lo-lo (türk. Qarluq arab. Khar-
lukhija) zu Macht und zu voller Selbständigkeit gelangten (766),
währte die sinische Oberherrschaft in den. südlicheren Vasallen-
staaten, wenn auch nur dem Namen nach, in Folge der regen
Handelsbeziehungen und der Gemeinsamkeit der buddhistischen
Cultur unangefochten wenigstens so lange, bis das Vordringen
der Ta-si (Tägik's) oder der glaubensfanatischen Araber ihr ein
jähes Ende bereitete. Noch im Jahre 661 wurde in Tu-ho-lo
das sinische Gouvernement mit dem Hauptsitze in A-hwan
Yue-6i fu (j. Kunduz) eingerichtet und wurden in 15 andere
ringsum gelegene Königreiche, welche im Thang»§u aufgezählt
sind (Abel-Remusat, Memoires de Tinstitut royal, tome VIII
p. 86 — 88), Garnisonen gelegt, so dass es im Ganzen 88 Districte,
HO Bezirke und 126 Garnisonsplätze gab; sogar Po-sse (Par9a)
erscheint darunter als tributäres Gebiet, worin der Sohn Yaz-
dagird's Pi-lu-sse (vielleicht Firüz Khüsän-sedah), der bisher als
Flüchtling in Tukhäristän herum geirrt war, das Gouvernement
führte, mit dem Sitze in Tsi-ling (etwa 2{pirf5 an der Grenze
von Täpuristän und Varkäna bei Polyb. X 31, 6? oder Zarang
in Sagistan?) — freilich nur auf kurze Zeit; denn von den
Ta4i vertrieben, flüchtete er nach Sin und starb daselbst (672),
142 Tomaschek.
einen Sohn Ni-nie-sse (Narseh) hinterlassend, den (679) General
PeY-hing-kian wieder einsetzen sollte; letzterer zog es aber vor,
in Sui-se zu verbleiben, ohne sich mit den Ta-Sl in einen
harten und erfolglosen Kampf einzulassen. Von etwas lUngerer
Dauer war die sinische Oberhoheit in Khang selbst. Noch
während der Kämpfe mit den Westttirken hatte sich der Fürst
von Samarkand Fo-hu-man (Vahumän) unter das Protectorat
des Himmelssohnes gestellt und wurde mit dem Titel Khang-
kiü tu-tu belohnt; ebenso bewies sich Fürst Tu-so pa-ti (Tu9a
paiti) dem sinischen Hofe ergeben (696), sowie sein Nachfolger
To-hoen (Tarkhün). Die Intentionen der sinischen Politik waren
vorwiegend auf Herstellung friedJichen Handels und Wandels
gerichtet; die Vasall enfursten anerkannten diese Culturmission
zu wiederholten Malen durch Gesandtschaften, welche die Er-
zeugnisse heimischer Natur und Industrie überbrachten. Freilich,
festen Rückhalt und dauernden Waffenschutz gegen die bald
alles niederwerfende Gewalt der muselmanischen Glaubens-
schaaren fanden auch die Fürsten von Khang wohl niemals in
der Macht des Ostreiches; zu gross war die Entfernung, zu
bedeutend die Hindernisse, welche Sandwüsten und unüber-
steigliche Gebirge, sowie die Stützigkeit der türkischen Horden
der Entfaltung bedeutender sinischer Heeresmassen in den Weg
legten. Dies zeigte sich noch unter Tarkhün, den die Araber
unter Qotaiba a. H. 90 so sehr in die Enge trieben, dass er,
ohne auf den Schutz der sinischen Waffen zu bauen , mit
Qotaiba einen höchst ungünstigen und schmachvollen Frieden
schliesscn und sich zu einer enormen Tributleistung verpflichten
musste. Gleich darauf beseitigten die Sogdianer ihren Fürsten
und wählten Ghürek {^)y^, sin. 'U-le-kia) aus dem Fürsten-
hause Osrüseno's, den Enkel des Aföln, zu ihrem Haupte.
Qotaiba zog a. H. 92 mit 20.000 Gläubigen gegen den Präten-
denten, nahm Samarkand mehr durch List als mit Waffen-
gewalt ein, und machte Soghd tributär, ohne jedoch, wie es
scheint, den Ghürek zu beseitigen. Von diesem meldet das
Thang-äu, dass er gerade damals (713) unter Sendung werth-
voller Geschenke den Schutz des sinischen Kaisers ei*äeht habe;
es war aber zu spät; die Ta-Si standen bereits in Farghana.
Aus den arabischen Berichten über die Eroberung von Mawara
al-nahar ersehen wir, dass die Fürsten von Baikand, Bokharä^
CentnlMiatiBCbe Stadien. 1. 143
KeiS, Soghd, Säd u. 8. w. zu dem' Khftqän der Türken, und
durch diesen, der ein Vasall von 8in war, zu dem Reiche der
Mitte selbst in einem gewissen Abhängigkeits- oder Feudal-
yerhältnisse standen, und dass sinische Generale und Truppen
die Heei-esmassen der Türken zu begleiten pflegten. In Rao-
methan z. B. traf Qotaiba den Türken Kür boghän, welcher
200.000 Krieger befehligte und ein Neffe des sinischen Kaisers
gewesen sein soll. Das TaVikh-i-Nar§akhl lässt Raom^than
Ton Sekegket, welcher die Tochter des Kaisers von Sin zur
Frau hatte, erbaut werden; die Braut soll ihm zur Mitgift
goldene (Buddha-) Idole mitgebracht haben. Als Qotaiba Käftän
und Ure&t in FarghUna erobert hatte, fand er sein £nde; das
Grab des heldenhaften Eroberers in i^m ((JJuo), d. h. auf dem
§m unterworfenen Boden Farghäna's, verblieb, wie wir aus
einem Verse des *Abd-aMlahman ben Guroanah al-Bahöli er-
sehen, in ruhmvollem Angedenken bei den Gläubigen. Nach
seinem Tode gieng ein Theil der nordischen Eroberungen auf
längere Zeit wieder verloren ; darum melden auch die sinischen
Annalen, dass U-le-kia's Nachfolger Tu-ho (Tugha) mit seinen
Sympathien sich wieder dem sinischen Reiche zugewendet habe;
ob dieser Reaction erhielt er den Titel Kin-hoa-wang und die
verwitwete Königin-Mutter oder die Khatun den Zunamen
Kiün-fu-2in. Von da an hören alle Nachrichten aus dem Ost-
reiche über Khang auf. Wir mussten aber an alle diese histo-
rischen Thatsachen erinnern, um die Bedeutung des Beinamens
Sin und die Existenz einer sinischen Handclscolonie in Samar-
kand in's rechte Licht zu bringen. Nur von topographischem
Interesse ist der Name al-ÖIn, welchen das östliche gegen Sin
gerichtete Thor von Samarkand unter den Sämäniden führte.
Von Samarkand zog Hiuan-Thsang in südöstlicher Richtung
nach Mi-mo-ho ; er gibt folgende Notiz über diesen Herrscher-
sitz (I p. 19): ,le royaume de Mi-mo-ho ^ J^ ^) a do quatre
k cinq cents li de tour. II est situe au milieu d'une vall^e;
il est resserre de Test k Tonest, et allong^ du sud au nord.
Sous le rapport des produits du sol et des moBurs, il ressemble
an royaume de 8a-mo-kien'. Ma-tuan-lin (Abel-Remusat, Nouv.
mel. asiat. I p. 233, vgl. Deguignes I, 2 p. LXXII, Klaproth,
144 Tomaschak.
Magas. asiat. I p. 104, 105, 107) bietet folgende Daten: ^le
pays de Mi (sin. -^ g mi-kue d. i. ^le rojaume du riz') ou
Mi-mo est situ^ k Toaest de la rivi^re Na-mi, dans Tancien
Khang-kiü. II n'a pas de roi, mais un prince de la famille de
8ao-wü, issu des rois de Khang, et dont le titre est pi-öue.
La ville a deux li en carr^, et il y a quelques centaines de
soldats. On compte cinq cents li vers le nord-ouest jusqa'au
royaume de Su-tui-sa-na, deux cents li au sud-ouest jusqu'ä
celui de Sse, et six mille six cents li a Test jusqu-k Kua-5eu.
Les habitants ont pay^ le tribut en raretes de leur pays dans
les annees Ta-niei de la dynastie des Sui (605 — 616)^ Hiezu
füge man noch folgende Angabe (Abel-R^musat, Memoires de
Tinstitut royal, YIII p. 95; Deguignes 1. c): ,1a capitale du
royaume de Mi, etait la ville de Po-si-te'. Im Thang-Su endlich
finden wir die historische Notiz zum Jahre 642: Thu-lu, der
Ko-han der westlichen Turkhorden (d. i. T^r-khän; vielleicht
derselbe, der nach YäqQt s. )^^y^ den letzten Sprossen des
buddhistischen Hohenpriestergeschlechtes der Bärroak zu Balkh
vergewaltigte), nahm Khang-kiü in Besitz; ,auf dem Marsche
nach Khang griff er Mi an, bewältigte es, Hess die waffenfähigen
Einwohner über die Klinge springen, verkaufte den Rest in
die Sklaverei und verheerte das Gebiet'. Indess wird bald
wieder, zum Jahre 658, ein Fürst in Mi erwähnt, Sao-wü
Khai'öue, dessen Sympathien sich dem Reiche der Mitte zu-
wandten; und noch zur Zeit des Khalifats, um 742, wird
eines Fürsten von Mi, Namens Me-öhue, gedacht. Was den
Namen der Capitale Po-si-te betrifft, so erinnern wir an das
oben erwähnte Gebirge Po-si ian; aber noch mehr empfiehlt
sich die Gleichstellung mit einer uralten, in der Geschichte
Alexander's genannten Localität Bidwia; vgl. Diodor XVII v.c:
rspl T5J 6v BajisTC'.c xj^/y^yisu -/.ai tou zX/iÖsj; twv h auT« OY;pic«)v.
Ausfiihrliches berichtet darüber Curtius VIII 1,7: , Alexander
Sogdianis rursus subactis Maracanda repetit'; ibi ,stativa ha-
buit; quibus adiunctis', (§ 10) ^in regionem quae appellatur
Bazista (codd. bazaira) pervenit'. (Gap. 2) ,Barbarae opulentiae
in illis locis haud ulla sunt maiora indicia quam mag^nis
nemoribus saltibusque nobilium ferarum greges clusi. Spatiosas
ad hoc cligunt silvas, crebris perennium aquarum fontibus
amoenas; muris nemora cinguntur, turresque habeut, venantium
G«ntrmlMiatiieha Stndian. I. 145
receptacula. Quattuor continuiB aetatibus intactam saltum fuisBe
coDstabat; quem Alexander cam toto exercitu ingressus, agitari
andique feras iussit'. ^Rex^ IV milibus ferarum deiectis; in
eodem saltu cam toto exercitu epulatus est. Inde Maracanda
reditum est'. Wir werden gar nicht irren, wenn wir diesen
in der Nähe von Samarkand gelegenen Thiergarten (icapiSetoro^)
von Bazista (sin. Po-si-te) an den quellen- und baumreichen
Nordabhang des Eaman-baran-tau oder Samarkand-tau, etwa
in das Flussthal von Urgut, dessen Platanengarten Berühmtheit
geniesBt, verlegen und Mi-mo-ho, d. i. Maimaghar oder Mai-
margha (vgl. neupers. ^Lo mäi ,animal repens, reptile, serpens,
formica etc.' und baktr. meregha, os. margh, neupers. murgh
,ayis') als den Namen des Bezirkes, welcher später auf die
Capitale selbst übertragen wurde, auffassen. In der That finden
wir bei den arabischen Geographen eine sogdianische Ortschaft
Mäimürgh^ und bereits Abel-K^musat hat beide Namen mit
einander identificiert. In den sinischen Berichten wird die
Entfernung Mi's von Sse (oder KeSs) zu 200 Li, d. i. zwei
Tagereisen; jene Samarkand's von Sse zu 240 oder 300 Li
angegeben; auch heisst es (Klaproth p. 105): Ja räsidence du
roi de Mi 4tait alors k Toccident de la rivi&re Na-mi; de Ik
au nord-oüest jusqu'au royaume de Ehang, on comptoit 100 Li'.
Auf der japanischen Karte erscheint Mi-mo-ho auf einer Insel,
umgeben von Canälen des Na-mi äu'i, dem hier eine mehr
nordwestliche Richtung beigemessen wird. Wenn wir das
Maass der Entfernungen für die angegebenen Positionen auf
der heutigen Karte ansetzen, so müssen wir Mi in das Gebiet
des heutigen Guma'a-bazär und zwar mehr in die Nähe des
ZarafSän (Namiq) setzen, zwischen die Weiler Durgän, Plwän,
Eijik und Tutak ; hier vereinigt sich der aus der Thalschlucht
von Urgut kommende Fluss mit den äussersten Canälen von
Soghd, namentlich mit dem Läzän, imd umschliesst eine wasser-
reiche fruchtbare Niederung, welche südwärts von den Äb-
bängen des Kaman-baran-tau umschlossen wird. Jedenfalls
müssen wir die Annahme Vivien de Saint-Martin's zurück-
weisen, wonach Mi-mo-ho mit dem heutigen Maghyän eins
wäre; denn dieser mitten im Hochgebirge an einem Zufluss
des Zaraf &än gelegene Kurghän liegt bereits viel zu weit nach
Südosten, und ist von Samarkand noch weiter entfernt als
SitiQonber. d. phil.-hist. Cl. LXXXVII. Bd. I. Hft. 10
146 TomasGh«k.
Pangkand und Farap. — Welche Angaben bieten nun die
arabischen Geographen über die Gegend, wo das alte Reich
Mi gelegen war? Idnsi (p. Jaubert II p. 202) belegt die Ge-
birgslandschaft südlich von Pangkand mit dem Namen Säwdär
(\\ö^\m) oder Säwdhär (J^^LJ), und für Pangkand selbst
verwenden die Araber die Form Bungikath oder Bangikath
(c>Xs3u). 6aihani nennt Bangikath ,das Haupt von Soghd'
oder die äusserste Position gegen Osten; von Samarqand bis
dahin wurden 9 Parasangen gezählt. Zu dem Gebiete von
Samarqand gehörte noch der Ort Waraghsar (y^M^s^), wo sich
der Soghdfluss theilte, etwa das heutige Pang-äambe (Päiiämbi) ;
dann folgte der Gau DarghaS {(J^)<^\ wofilr auch die Va-
rianten Darghan {^j^)f>\ WarghaS {jL£\^), Burghas (jLtyj)
und Burghar (y^y^) sich vorfinden, 4 Parasangen von Samar-
qand ; eine Parasange weiter Mäimarkath [yS^S'y^Ji^), wofür bei
MoqaddasI die Lesart Mäimarkhag (^^y^rXjo) begegnet, und
landeinwärts Sahr-faghin. Wir dürften wohl dieses Mäimarkath
dem sinischen Mi-mo-ho gleichsetzen; indess ziehen wir die
Gleichstellung mit Mäimürgh vor. Ueber diese Ortschaft finden
wir folgende Angaben : Gaihänl (bei Yäqüt) nennt Mäyamürgh
(6y^}ue) und das wahrscheinlich nördlich vom Soghdfluss ge-
legene Büzmägar (y^aXjOsy^, Var. ^^^Low Büzmägan, ^^Lo^
Bümägar) ,die beiden Hände von Soghd'; Yäqüt selbst bietet
folgende Artikel : t^yt^ ,Dargham ist eine Landschaft und ein
District des Gebietes von Samarqand; es umfasst eine Anzahl
von Dörfern, welche an den District von Mäyamürgh grenzen';
c%^Le ,Mäyamürgh ist (erstens ein Dorf Bukhärä's auf dem
Wege nach Nasaf ; zweitens) eine Ortschaft in der Nähe von
Samarqand, dessen Gebiet mit dem Gebiet von Dargham zu-
sammenstösst ; kein District ausser Samarqand ist so überfüllt
mit Bäumen und volkreichen Weilern wie Mäyamürgh'. Der
Wanderer traf also von Samarkand ausgehend zuerst den
rostäq al-Dargham (j*.itj jJf) oder Dhargam ([^><>), dessen auch
andere Geographen wie MoqaddasI und Idrisl gedenken, und,
noch weiter gegen Südosten, etwa in einer Entfernung von
5 Parasangen, welche den 100 Li (= eine kleine Tagereise),
welche von Khang nach Mi gezählt wurden, entsprechen, den
volkreichen und blühenden District Mäimürgh oder Mi-mo-ho,
CentralMi&tische Stadien. I. 147
eine Hauptposition von Soghd. — Was den Canton Dargham
betrifft, so hatte er seinen Namen von dem wichtigsten Canale
des Gebietes von Samarkand, dem heutigen Anggar-daryä;
Bäbr (I p. 98) bemerkt: ,on a pratique dans le cours d'eau
une large saignee qui forme comme un petit fleuve: c'est 1®
Dargam qui coule au sud de Samarkand^ k la distance d'un
ser'i; il sert ä föconder les jardins et les faubourgs de la
capitale ainsi que plusieurs districts qui en ddpendent^ Diese
wichtige Wasserader war schon in den heiligen Büchern der
Parsen Gegenstand des Preises; der Bundehes nennt gleich
nach dem Däitya den Fluss Dargäm (*Ü\4>), welcher in Südah
(}t^y^j d. i. Süghda) fliesst, und zu vergleichen ist wohl auch
der zendische Darega in Airyanem-vaögö, der Heimat Zara-
thuBtra's. Auffallend ist, dass Ptolemaeus einen Fluss AapYap'<^vic
in dem Gebiete der Paropanisaden entspringen und im Gebiete
der ZaßiSioi in den Fluss ^Qyjx; einmünden lässt; noch auf-
fallender, dass er an das Ufer des Dargamanis die Stadt
MapoxavSa versetzt. Sollten bei dieser heillosen Verwirrung
aller Ortslagen zugleich mit der Stadt nicht auch der Dargam
oder der längste Canal von Sogd (vgl. baktr. daregha ,lang*)
und ebenso die Sabadier von OSrüsene in die unrechte Lage
versetzt worden sein, da man annehmen darf, dass Ptolemaeus
den Fluss Dargamanis als die wichtigste Wasserader von
Marakanda bei irgend einem Gewährsmann vorgefunden haben
mochte? Dass er Marakanda gar an den Hindukoh versetzt
hat, erklärt sich daraus, dass im Bereich dieses Gebirges und
am Indus wirklich eine Völkerschaft unter dem Namen ZoeßiSioi
(Sabei; Soßat, Zißat^ j. Swät) existierte, mit der er leicht den
sogdianischen Stamm zusammenwürfeln konnte. — Den süd-
lich von Guma'a-bazär und Pangkand gelegenen Bergdistrict
Säwdär schildert uns Bäber (I p. 107) folgendermassen : ,le
district de Säwdär est contigu & Samarkand et h ses faubourgs.
C'est un tres-beau canton, Tun des c6t6s du dequel est occupö
par la montagne qui est entre Samarkand et Sahr-i-sabz. Les
villages y sont nombreux, et sont bätis, par la plupart, au
pied de cette montagne. La partie de ce district, qui est
arros^ par le Qühik, jouit d'une tempörature salubre et tr^s-
pure; Teau y abonde et son territoire est trfes-fertile et trfes-
riche. Les voyageurs qui ont visit^ TEgypte et la Syrie n'ont
10*
148 TonnABoliak.
cit6 aucun pays qui puissent latter avec lui'; auch sonst kommt
er auf dieses Gebiet zu sprechen; z. B. (p. 88) ^un chäteau,
appel^ Erket (j. Urgut), au pied du mont Sftwdar'; (p. 128)
,je sortis de Zamln et; passant par le chemin des montagnes,
je marchai contre Ribät-I-Khoga, place, oü röside le gouvemeur
du district de oäwdär (also vielleicht identisch mit Pang-
kand?)'; (p. 178) ,apr&s avoir traverse la rivifere du Qühik
sur un pont, en face d'Yäri, je chargeai les begs draller s'em-
parer par surprise de la forteresse de Ribät-I-Khoga ; (p. 179)
,nous traversämes le Qühik au-dessous de Kibät-I-Ehoga et
regagnämes le Yär-yailaq^ — Nördlich vom ZarafSän ist das
Sunggar- oder , Falkengebirge', und noch weiter der Sang-zftr-
tau, die Grenze von OSrüsene; dazwischen die grasreichen
Niederungen und Steppen von Yar-yailaq und der Bach Yilän-
otü, welcher Gizakh erreicht und sich dann in der , Hunger-
steppe' von OSrüsene verliert. Bäber: (I p. 178): je laissai
derrifere moi Yäri et, franchissant la montagne de Sunkär-
khäneh, j'entrai sur le territoire de Yar-ya'ilaq' ; (p. 120) ,quant
k moi, passant par Börekeh-yaYlaqi, je parvins k Sang-zAr,
place oü räside le gouverneur de Yar-yailaq'; (p. 178) ,nou8
arrivämes au village fortifiö dlsfendek, qui depend du Yar-
yailaq'; (p. 181) ,nous nous rendtmes dlsfendek ä Wäsmind
(vers Samarkand)'. Die arabischen Geographen zählen von
Samarkand nach Zämln 17 Parasangen und erwähnen auf dieser
Nordostost-Route die Station Abärkath oder Bärkath (v^aS^UI),
j. Äq-täpä, ein grosser Marktflecken ; die Steppe Qitwäne oder
Fitwäne (xjl^Jaj), d. i. Yar-yailaq, mit dem Weiler Qisr-baghl;
dann ein Gebirge, d. i. Sang-zär, mit dem Weiler Fawraha
(?Ä5tk*j), endlich Zämln in OSrüsene. Auch das oben er-
wähnte Büzmägar, so wie Wazmind (Jüuov^, Var. iX^\y)f
Rlwerd (*>^^0 und Raskhftn {^^\) , müssen nach dieser
Seite hin gesucht werden. Verfolgen wir nun eine mehr nörd-
lich gewendete Route!
Hiuan-Thsang fahrt in seinem Reiseberichte fort: ,£a
partant de ce pays (Mi-mo-ho), dans la direction du nord, on
arrive au royaume de Kie-pu-ta-na. Le royaume de Kib-pv-
TA-NA (£ß ^ QB. ^) ^ ^^ quatorze k quinze cents li de
C«DtnlMUtii6lie Studien. I. 149
toor; il est allongö de Test k Touest, et resserrä da sud au
Dord. Sons le rapport des propri^t^s da sol et des moeurs, il
ressemble au royaume de Sa-mo-kien. En partant de ce royaume,
il fit enviroD trois cents li k Touest, et arriva au royaume de
Khiü-§oang-ni-kia'. Lag nun Eapütana Dördlich von M&imorgh,
dem heutigen Urgut oder Öuma'a-bazar, und drei Tagereisen
westlich von KuSftnI-kath oder Kattah-qurghän, so muss es
direet nördlich von Samarkand, an dem Abhänge des Eodym-
taa und im Bewässerungsrayon des Bulangghyr, gesucht werden.
In der That finden wir daselbst noch heute einen Ort Gubdan
oder GubduUy worin eine Entstellung von Kaputana in türkischem
Munde ersichtlich; hier war also in alter Zeit ein Sitz der
haitalischen Fürsten, die Bevölkerung muss jedoch vorwiegend
iranisch gewesen sein. Schon der Name des Vorortes ist ent-
schieden iranischen Ursprungs, und wir kennen noch zwei
Localitäten auf iranischem Boden, welche gleichbenannt sind.
Einmal fuhrt Ptolemaeus in nächster Nähe von 'Apeta (Haraiva,
Har6), etwas nach Nordwesten, unter 104° 30' und 35® 30' eine
Stadt an, Namens KaTcorava i) KoTcouTava, d. i. Eabudan ^'{öyjS
;pagus in vicino Nlfiapürae' (VuUers). Dann heisst auch
der Urmiyahsee in Adharbaigan bei den Armeniern Kapotan
(«^«»•y»-»«Ä , Moses von Ehorni bei Saint -Martin, Mimoires
8ur TArminie II p. 370, I p. 17), von armen, ^«r-yiv** kapojt
jhimmelblau, meerblau', wie denn auch bei Strabo, der (p. 529)
diese Deutung wohl kennt, anderen Ortes (p. 523) statt ^Ixauxa
gelesen werden muss Kaicaura (vgl. KoncoOia in Oross-Armenien,
Ptolem. V 13, 21); auch die arabischen und persischen Geo-
graphen nennen den See mitunter Kabudän (^jl^^^; vgl.
Qnatremfere, Histoire des Mongols, par Ra^ideddin p. 316, Mas'üdl
Les prairies d'or I p. 98; auch Yäqüt s. v. «uuo>i 8>^ nennt
die mitten im See sich erhebende Gebirgsplatte, auf welcher
eine starke Veste erbaut war, ^li^AJ^Kabüdhän; vgl. neupers.
^yS ,azurblau' {j^f^ kabütar ,Taube', skr. kap6ta ,TäuberichS
von der grau-bläulichen Farbe der wilden Taube?). — Nach
der in Japan verfertigten Karte vom Jahre 1710 lag Kie-pu-
tan-na im Reiche Öono-Tsao {fp ^) oder dem ,mittleren Tsao',
Wobei zu erinnern, dass das ,östliche' Tsao nach Ura-tübä, das
»westliche* nach Ktikhau fällt. Ma-tuan-lin (Abel-Remusat I
150 Tomaschek.
p. 237) berichtet über dieses Reich: ,il y a ä Test du Tsao
d'occident et au nord de Samarkaiid une division du pays de
Tsao qu'on nomme moyenne. Le roi fait sa r^sidence dans la
ville de Kia-ti-öin. Les habitants sont grands de taille et trfes
belliqueux^ Die an Canälen so reiche Mittellandschaft nörd-
lich von Samarkand ist das ^grosse Sogd', l^oghd-i-kalän der
persischen Schriftwerke; daselbst wird eine ziemliche Menge
von festen und offenen Ortschaften erwähnt, z. B. Khoga-didär,
Wadhär (;t<>^) ,der Rücken von §oghd', Mürdän {J^f>^y^)j
Ribat-mulq, ferner Siräz (\Ljum), einer der häufigst genannten
Orte, nach Yäqüt 4 Parasangen nördlich von Samarkand, doch
schon zu Bäber's Zeiten in Ruinen liegend (I p. 82), nahe
dabei Käbid, ferner Saqrüge und *Ali-abäd, Khüb-kent und
Qara-kent, u. a. Da es uns gelang, Kuputana sogar noch in
der Gegenwart nachzuweisen, so müsste es uns Wunder nehmen,
wenn nicht auch die arabischen Geographen dieser Position
gedächten. Vivien de Saint-Martin (Memoire analytique etc.
p. 281) verweist auf Kebud-mehe-ket, eine Localität von Sogd
auf der rechten oder nördlichen Seite des Flusses bei Ibn-
IJawqal und I^takhri (Oriental Geography, p. Ouseley p. 279),
unter der Voraussetzung natürlich, dass die Leseart einer
Correctur bedürfe. In der That muss für öJCagJ^xS^ oder
\^i>yjS, bis wohin von Samarkand aus 4 Parasangen gezählt
werden, gelesen werden \SJ<^^*öyjS und \iuS'öyjS'\ denn nach
Yäqüt ist Kabüdhange-kat ,eine 2 Parasangen (sie! s. ^yjS
4 Parasangen) von Samarqand entfernte Landschaft, ein be>
bauter rostäq mit der Stadt LangQ'kath öXd^^sÜ' and
Gaihani nennt Kabüdhange-kat ,den Unterleib von $oghd^ Dass
Kabüdang eine sogdianische Vulgärform für das ältere Kapötana
war, wozu noch das türkische Appellativum kath (,Sitz, Re-
sidenz^ hinzutrat, ist nicht zu bezweifeln; in welchem Ver-
hältniss jedoch dieser Name zu dem von Yäqüt angeführten
Langü'kath und zu dem von Ma-tuan-lin angegebenen Kia-ti-öin
gestanden haben mochte, ist schwer zu sagen; von wichtigeren
Ortschaften auf diesem Gebiete führen wir aus den heutigen
Karten noch an, Dagbit am Aq-daryä, Ciläk, Guma'a-bazar,
Yangi-qurghän (auf der Süzän-ghirän-Passage), Sarailyk (bei
Gubdan), Sirln-kent, Khoba, Aq-täpä (am Canale Tailan) und
Yam-bai (am Be§-aryk oder den ,fünf Canälen', nordöstlich
CenlnlasiatUcho Studien. I. 151
vom Cupäa-ätä). Wer aber möchte bei der Lesung des un-
scheinbaren Ortes Gubdun das hohe Alterthum desselben und
das Bezeugtsein durch sinische Berichte voraussetzen?!
Ueber Si-Tsao oder das ^westliche Tsao' bringt Ma-tuan-lin
folgendes Resumä (Nouv. mal. asiat. I p. 234): ,Le royaume de
Tsao a 6i& connu du temps de la dynastie des Sui. C'est une
aneienne ville d^pendante du Khang-kiü, qui n'a pas de prince
particulier, mais que le roi de Khang-kiü donna ä gouverner
a son fils Niao-kian; ce prince a mille hommes sous son
conunandement. C'est dans ce royaume que se trouve le dieu
Te-si, adorö par tous les habitants des royaumes voisins jusqu'k
la mer occidentale. Ce dieu est figur^ par une statue d'or de
Pho-lo-kuo (Balkh?), haute de quinze pieds, trfes bien pro-
portionnee du haut en bas. Chaque lune on lui immole cinq
chameaux, dix chevaux, et cent moutons; plusieurs milliers de
personnes vivent habituellement de la chair de ces victimes
Sans jamais l'^puiser. On compte au sud-est cent li jusqu'au
royaume de Khang (Samarkand); a Touest, cent cinquante li
jusqu'a celui de Ho (Qawa), k Test six mille six cents li
jusqu'ä Kua-£eu. Ils envoyerent payer le tribut dans les annees
Ta-nie'i de la dynastie des Sui'^ (p. 236) ,Le Tsao occidental
a et6 connu du temps de Sui. Au midi il touche ä Sse-ki-po-
lan. La capitale est la ville de Se-ti-hen. Au nord-est, dans
la ville de Yuei-iü-ti, il y a un temple du dieu Te-si oü les
gens du pays vont offrir des sacrifices. On y voit un vase fait
d'or et de coquilles qu'ils prötendent leur avoir ete donne par
Tempereur (bagaputhra de la Chine) au temps de la dynastie
des Han, Ils vinrent ä la cour dans les annees Wu-te (618 — 626).
La premiire ann^e Thian-pao (742) leur roi Ko-lo-pu-lo (Qara-
bura ,8chwarzgrau* oder qarabul, qaraghul , Wächter'?) envoya
en tribut des marchandises de ce pays; un decret lui accorda
le titre de roi de hoai-te (,qui a la vertu dans le c(Bur'). II
fit representer que ses ancetres et son p^re ayant toujours ete
attach^s au Khan Celeste, il desirait vivre en bonne intelligence
avec les Chinois, et seconder le fils du ciel dans ses expeditions^
Um die Nachricht über den Gott Te-si würdigen zu können,
erinnern wir uns vorerst an das^ was Herodot am Schluss des
152 Tomaiohek.
ersten Buches von den Massageten berichtet: öewv piouvov f^Xtov
a^ßovtai, TW 06oüfft Tincou^. N6o(; Be outo<; vf^q 6uff{rj;. Twv öeöv tw
Tax^oTCi) ravTwv twv ö^/iqtwv xb tox^"®^ BaisovTai. In den heiligen
Büchern der Parsen erhält wohl die Sonne das Beiwort aurvat-
a9pa ,mit schnellen Pferden begabt^; dass jedoch das Tages-
gestirn bei den ältesten Iraniern eine viel reichere Mythologie
hatte, lässt sich aus den Gebräuchen schliessen, welche die
nordischen Massageten treuer bewahrt haben, als ihre culti-
virteren Stammesgenossen. Bei diesen fand eine andere Ge-
stirngottheit grössere Verehrung, der glänzende, majestätische
Tistrya oder^x^' T^Star (Spiegel, Eran. Alterth. II p. 70), der
Peiniger aller bösen Geister, welche Trockenheit und Misswachs
verbreiten, der Daeva's und Pairika's, der Spender männlicher
Nachkommenschaft, von Rindern, Schafen und Pferden, der
für seine Gaben von den Menschen Opfer von Haoma und
Fleisch der lichten, gutfarbigen Thiere erhält. Dürfen wir also
in Te-si eine Verunstaltung von TeStri erblicken ? An Thwäia,
den Gott des unendlichen Raumes, dem gleichfalls geopfert
wurde, oder auch an ätars, äta§ ,Feuer' wollen wir nicht denken.
Die haitalischen Fürsten haben sich stets der iranischen Cultur
zugänglich gezeigt und Hessen sicherlich den Götterglauben der
Sogdianer unangetastet. — Was nun die geographische Li^e
des ,westlichen^ Tsao betrifft, so kann den obigen Distanz-
angaben zufolge gar kein Zweifel darüber bestehen, dass wir es
im Herzen von Sogd, nordwestlich von Samarkand, zwischen
Kattah-qurghän und Gubdan suchen müssen. Der Vorort und
Herrschersitz von Si-Tsao lag nur einige Li entfernt vom süd-
lichen Ufer des Na-mi (Elaproth, Mag. asiat. I p. 105) oder
dem Aq-daryä, dem Hauptflussbett des Zarafään; und der Name
desselben Se-ti-hen entspricht Silbe für Silbe dem Lautcomplex
Astikhan oder Ktikhan, wie noch heutigen Tages der be-
deutendste Ort zwischen Kattah-qurghän und Ciläk genannt
wird. Auch dieser Name ist entschieden iranisch, und bereits
Ptolemaeus nennt einen Ort 'A(jTaxava unter 112<* und 43® 20',
den wir ohne weiters mit Ifitlkhan identifizieren würden, wenn
nicht der heutige Weiler Astänah am Amu-daryä unterhalb
Eerki, den auch Yäqüt unter diesem Namen (lüÜuMt) als zu
Balkh gehörig anführt, ein grösseres Anrecht hätte dafür zu
gelten; eine Vertauschung der Ortslagen ist übrigens bei
CADtnlMiatisoha Stadien. I. 153
Ptolemaeus nichts seltenes. Dass Astikhan ein alter Herrscher-
sitz in Sogd gewesen^ wird von den Arabern ausdinicklich
berichtet; so sagt al-Balädhori bei Gelegenheit der Expedition
Qotaiba's gegen Samarqand: ,die Könige von Soghd residierten
früher in Samarqand, dann aber bezogen sie Istlkhan^ (vgl.
Reinaud, Memoire sur Finde p. 183); ja einige behaupteten
Bogar^ wie Yäqüt s. JlLio angibt; iStikhan (^.■^v.VmJ) sei die
Hauptstadt von $oghd und ihr gebühre der Vorzug vor Samarqand.
Yäqüt bietet folgendes Resumö s. ^j.'^vyovt: ^iStlkhan, eines
von den Dörfern §oghd's von Samarqand, 4 (sie) Parasangen
von letzterem entfernt. Nach I^takhri ist Iltikhan eine selbst-
ständige Landschaft, von Samarqand unabhängig; es hat bebaute
Felder und Dörfer, ist an Gärten, Wiesen und Bäumen, an
Saaten und Obst reich und äusserst gesund; es hat eine Citadelle
und einen robadh, vereinzelte Gehöfte mit Canälen^ I^takhrl
rechnet von Samarqand nach iStikhan 9 Farsang, von IStikhan
nach EaSänija westlich davon 5 Farsang; die richtigste Angabe
ist wohl die bei Idrlsi (II p. 202), wonach die Distanz von
Samarqand nach IstIkhan 21 Meilen oder 7 Farsang beträgt.
Andere Geographen, wie MoqaddasI, ftihren nur den Namen
an, unter den acht gi'össeren Städten von §oghd. — Unter dem
Territorium Sse-ki po-lan müssen wir den Bergzug verstehen,
welcher Sogd von der südlichen Steppengegend scheidet, den
Eaman-baran, welcher bei I^takhrl den Namen Säk führt; vgl.
auch Sakistän (^IJumXi&), nach Yäqüt ,ein Dorf iStikhan's in
$oghd, nahe an Samarqand^, und den zendischen Bergnamen
Barana. Die Ortschaft Yuei-iü-ti, wo der Gott Te-si seinen
Tempel besass, ist vielleicht das heutige Methan (baktr. maethana
,Niederla8sung, Stadt', neupers. möhan) oder, wenn die Richtung
Nordost in Südost verändert werden darf, Dagbit (vgl. but
yQötze*) oder Eabid (türk. ,Form, Gestalt, Statue'). Auf dem
Wege von Samarkand nach IStikhan liegt jetzt Afrin-kent,
welcher Ort häufig genannt wird, ferner Mozan (nach Yäqüt s.
(jWo ,gro8se Burg, 3 Farsakh von Samarqand'), und die be-
deutende Ortschaft Yangi-qurghän.
Von Eapötana gelangte Hiuan-Thsang in drei Tagemärschen
nach E*iü-§oang-ni-kia im Westen (I p. 2Ö) ; er schildert dieses
Fürstenthum also : ,le royaume deE'iü-SoANG-Ni-KiA (^ ^ j^ JljJ)
154 Tomaechok.
a de quatorze k quinze cents li de tour; il est resserr^ de Test
k Touest et allongö du sud au nord. Sous le rapport des
produits du sol et des incBurs, il ressemble au royaume de
Sa-mo-kien^ Der Name Kiü-§oang-ni-kia kann allen Analogieen
zufolge nicht anders umschrieben werden als mit Kü§änl-kath
d. i. yKuSanensitz'^ zumal wenn wir noch die Thatsache berück-
sichtigen, dass die sinische Regierung um 655, nach Unter-
werfung der westlichen Türken und gleichzeitig mit der Or-
ganisirung von Ehang, auch aus diesem Fürstenthum einen
Vasallenstaat bildete, welcher die Bezeichnung Kuei-§oang-deu
(,arrondi88ement de Kue'i-Soang' Abel-Römusat I p. 237 suiv.)
fährte. Euei'-soang hiess einer der fünf Stämme der Yue-ti
(Fo-kue-ki p. 83, Deguignes I, 2 p. LXXXIX); der Vorort
desselben war Hu-tsao, welche Benennung fast wie eine Com-
bination von Hu (d. i. Ho oder Gawa) und von Tsao (Osrüsene,
Eap6tana, I§tikhan) erscheint. Es wird aber berichtet, dass
dieser Stamm ungefähr um 16 n. Chr. unter dem Fürsten
Küöüko (sin. Kieu-tsieu-kio), der von Lassen (Ind. Alterth.
n. Bd. 2. A. p. 372, 819) dem BACIAEYC OHMO KAA^ICHC
gleichgestellt wird, die Obmacht über die vier anderen Stämme
der Yu6-ti, nämlich Hieu-mi, Soang-mi, Hi-tün und Kao-fu oder
Tu-mi, errungen und dass der Sieger den Dynastienamen Kue'i-
§oang oder Eusan angenommen habe, wobei zu beachten, dass
der Name sich bereits in den arianischen Legenden der Münzen
eines früheren Fürsten der Yu§-ti, nämlich des KOZOrAO
KAAOICHC (arian. kugala kasasa ku§ana yarugasa dharmathidasa)
vorfindet und dass auch der mächtige KANHPKI oder EaniSka,
welcher um 10 — 40 n. Chr. in Purufia-pura und Ka^mira
herrschte, sich mahä-räga des Volkes GuSang genannt haben
soll (A. Cunningham, J. of the As. soc. of Beng. XVH p. 20).
Mit Unrecht wird jedoch der auf den Münzen so häufige Aus-
druck KOPANO mit Ku§ana in Verbindung gebracht, auch kann
OHMO oder OOMHN auf den Münzen des Eadphises II. nicht
den Stamm Hieu-mi oder dessen Vorort Ho-me bedeuten. Was
aber Eü§än ursprünglich bedeutete, ob etwa ,Todt8chläger',
von baktr. ku§, neupers. ku§tan ,tödten', oder ,kraftvoll, mächtig,
kühn', ui'gur. küöin, öerem. kostan (von osm. küö, güö, jak. käs,
mand2. yjo&iin ,Eraft, Gewalt'), weiss Niemand. Da die Yue-ti
anfänglich Sogdiana besassen, wie denn noch später die Fürsten
CentreluUtisohe Stuaien. 1. 155
vonKhang ausdrücklich dieser Race entstammt heissen (Nouv.
mä. as. I p. 227), so ist es möglich, dass der zur Oberherr-
schaft gelangte Stamm Kuei-soang ursprünglich im Herzen des
Soghdthales sass und von da aus vorrückend Tukhäristän, Kabul
und das Pangäb sich zu eigen machte. Die ai*menischen 6e-
schichtBchreiber kennen ein mächtiges , mit den ArSakiden
verbündetes Volk Kuäanq, welches süd- und nordwärts vom
Veh-rut (Oxus) sass; auch Firdösi weiss die Macht der Kutanen
EU rühmen (Vivien de St.-Martin, Nouv. ann. des voyages,
1849, in p. 49 sq.). Der syrische Gnostiker Bardesanes ge-
braucht bei der Schilderung der Sitten und des Luxus der
baktrianischen Frauen, welche ihre Männer gänzlich beherrschten,
— ähnliches berichten die sinischen Autoren; das Sui-Su fügt
noch hinzu: ,bei den Ye-tha in Tu-ho-lo herrscht Polyandrie;
mehrere Brüder nehmen zusammen eine Frau; die Frau, welche
einen Mann hat, trägt auf der Mütze ein Hörn; diejenige,
welche mehrere Brüder zusammen hat, trägt so viele Homer,
als sie Männer hat', also ganz so wie in Tübät und Tanggut —
synonym mit BaxTpoi den Namen Qufiani oder QaSani (Cureton,
Spicilegium Syriacum, London 1855, p. 20, 21, 22, 82). In
den römischen Schriftwerken linden wir allerdings, wie bereits
erwähnt, nur die Bezeichnung Bactrianoe (Tab. Peut.) oder
Bactrani (Script. Hist. Aug., Jul. Honorius, Amm. Marcell.
XXIII 6, 55 ,natio antehas bellatrix et potentissima Persisque
semper infesta, antequam circumsitos populos omnes ad dicionem
gentilitatemque traheret nominis sui: quam rexere veteribus
secnlis etiam Arsaci formidabiles reges*, und 57 ,gentes Bactranis
oboediunt plures, quas exsuperant Tochari'; glossa Placidi ex
Isidoro ,Bactrani Scythae fuerunt, qui suorum factione a sedibus
suis pulsi iuxta Bactron fluvium consederunt^ Trogus Pomp.
II 3, 6 ,Scythae Bactrianum imperium condiderunt') ; es ist
aber wahrscheinlich, dass der Name Cvsani an zwei oder drei
Stellen bei Ammianus Marcellinus herzustellen sein wird. Zu-
nächst XVI 9, 4 (a. 356): ,Tamsapor refert ad regem, quod
Constantius pacem postulat precativam; dumque ad Chionitas
et EvsENOB haec scripta mittuntur, in quorum confiniis agebat
hiemem Sapor, tempus interstitit longum^ H. Kiepert, der
einzige Gelehrte unseres Wissens, welcher auf die Stelle
des Ammian Bezug genommen, versetzt allerdings auf seinen
156 Tomaschek.
trefflichen Karten die Euseni in die Regionen des IlifluBses,
indem er offenbar dabei an das Volk der U-siün oder U-sün
der Annalen der Handynastie gedacht hat, welches jene nor-
dische Qegend seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. inne hatte
und später den Hiung-nu gehorchte; der Name lebt heute noch
unter den Kazäqen fort, deren ,grosse Horde' (ulu-diüz) sich
Üeisün nennt (Radioff, Proben d. Volkliteratur d. sibir. Türken
ni. Bd. S. XV u. 5). Aber die Annahme, dass Sapur IL
(309 — 380) in seinen Kriegszügen wider die Turanier bis zum
Ili vorgedrungen wäre, ist zu kühn und widerstreitet der That-
sache, dass die Macht der Sassaniden auch zu ihrer höchsten
Blüthezeit niemals über den Oxus und dessen Zuflüsse hinaus
sich erstreckt hat; wohl aber ist an eine Expedition gegen
die baktrischen Kutanen zu denken, da auch von Arta§Ir I.
(226 — 240) berichtet wird, er habe NiSapur, Marw, Balkh und
Khwarizm eingenommen und zur Anerkennung der persischen
Oberhoheit gezwungen. Man lese also Cvsanos; das gleiche
schlagen wir vor in der Parallelstelle XVII 5, 1 (a. 358) : ,rex
Persarum in confiniis agens adhuc gentium extimarum, iamque
cum Chionitis et Gelanis omnium acerrimis bellatoribus pignore
icto societatis rediturus ad sua, Tamsaporis scripta suscepit,
pacem Romanum principem nuntiantis poscere precativam'. Hier
tritt für euseni die Schreibweise celani ein, und doch sind
offenbar dieselben Völker gemeint; dieser Umstand, sowue der
Ausdruck gentes extimae, hindert uns an die Q61än (FigXoC oder
FtjXai) zu denken, welche gleich den Tapurän Kadu^iyän und
Dailamän zu verschiedenen Zeiten der persischen Herrschaft
Widerstand entgegengesetzt und stets eine gewisse Selbständig-
keit bewahrt haben. Sapur schloss also mit den Chioniten
und den Kuschanen, den Nachbarn im Korden und Nordosten
von Khuräsan, Frieden und Waffenbrüderschaft. Die letztere
zeig^ sich bei der Belagerung der festen Stadt Amida, XIX 2, 3
(a. 359): ,Pbrsab omnes murorum ambitus obsidebant; pars,
quae orientem spectabat, Chionitis evenit; meri-
diano lateri sunt destinati; tractum servabant septentrionis
Albani; occidentali portae oppositi sunt Segestani, acerrimi
omnium bellatores^ Was für ein Volk auf der Südseite Amida
bestürmte, kann für uns nicht zweifelhaft sein; wir iiillen die
Lücke von etwa acht Buchstaben, welche in den besten Hand-
CentnlatlfttiMho Studien. I. 157
Schriften V^ P b zur Noth mit cuius ausgefüllt erscheint, zu-
versichtlich mit CvsANi aus, so dass auch hier die Kuschanen
den Chioniten zur Seite stehen. Dass die Chionitae (vgl. ^j^-^
haiün ^Pferd, KameeP bei Firdosi) kein anderes Volk sind als
die Chunniy Ouvvot der klassischen Autoren, die Xeouvvl oder
X»iwi des Theophylaktos, die HüQa (Hära-HüQa, Cedi-HQ^a etc.)
des Mahä-bhärata, und die Hiung-nu oder Hiün-yo der sinischen
Annalen, darf ebenfalls nicht bezweifelt werden ; aus den letzteren
erfahren wir, dass die nördliche Horde der Hunnen im Jahre
90 n. Chr. grosse Niederlagen erhielt und gezwungen wurde,
westwärts zu ziehen; das Land, welches sie fortan bewohnte,
hiess Yue-pan (vgl. türk. ^bb yäbän ,däsert, plaine vaste et
Don cnltiy^e') und erstreckte sich von dem Flusse I-li bis zum
Aral. Weiter gegen West war das Land der Yan-tsai oder
A-lan-na ('AXavo{ und 'AXauvoi des Ptolem.) und reichte bis
Ta-Tsin oder an die Grenzen des römischen Reiches; es enthielt
jSümpfe, die weder Ufer noch bestimmte Grenzen haben', und
besass Städte, welche von zahlreichen Kaufleuten besucht wurden.
Mit den A-lan-na kamen die Hunnen in Conflict, und es heisst,
der Öen-yü der Hunnen habe den König der A-lan-na getödtet
(Deguignes I, 2 p. LXXVH sq. 123, 279 sq. 289). Ammian
und die abendländischen Chronisten gedenken der Hunnen erst
seit 375, und berichten als abgeschlossene Thatsache, dass die
Hannen ,pervasi8 Alanorum regionibus' dies Volk sich unter-
worfen und zur Waffengenossenschaft gebracht hatten; dass
diese Thatsache schon lange vorher eingetreten war, schliessen
wir daraus, dass bereits Ptolemaeus in bedeutungsvoller Nach-
barschaft der europäischen Alanen die Xouvot anführt, während
die Weltkarte des Augustus die Hunnen noch in ihren alten
innerasiatischen Wohnsitzen angesetzt hatte (Chvnni Scyth^
bei Jul. Honorius und Ethicus; vgl. Orosius H p. 21 Hav.: ,a
foDtibus Ottorogorrae usque ad civitatem Ottorogorram inter
Chvmmos Sctthas et Gandaridas mons Caucasus'). Gewiss
wird sich die Hunnenmacht auch südwärts, gegen Khwärizm
und Soghd, sieghaft geäussert haben ; Beweis hiefür die That-
sache, dass sowohl die Ephthaliten übereinstimmend Hunnen ge-
nannt werden, als auch bei Cosmas jene Indoskythen, welche
nach den Yu@-ti das Indusgebiet besassen. Von den Hunnen-
abtheilungen, gegen welche die Sassanidenkönige einigemale mit
158 Tomascbek.
Glück, meist aber unglücklich gekämpft haben, begegnen am
häufigsten die Namen Ouvvo'. KaSi(7Y]vo{ (z. B. bei Jo. MalalaS;
Hermes VI. Bd. S. 327) und Oülwot KiSaptTat; letztere führen
diesen Namen entweder von ihrer turbanähnlichen Kopfbe-
kleidung (xföapi?* TzXkoq ßa(jiXixb? 5v xai Tiatpav Hesych.; hebr. keter,
armen, khojr) oder von einem ihrer Hauptsitze Eidar oder
Kedr (^J^ Var. ^öof ^öjS) im Gebiet Bäräb (yl^L?) am
unteren Jaxartes. Andere wichtige Bollwerke waren Fcpya oder
Top^w, d. i., nach Sachau, Urva des Awesta oder, wie bereits
Deguignes erkannt hat, das spätere Gorgang (arab. Gorgäniya,
türk. Urgeng, auf mittelalterlichen Karten Organcia), ferner
BaXoYav, d. i. KhwärizmI-kath, welches in der Nähe des Berges
Balgän ^L^o gelegen war. Einer der mächtigsten Hunnen-
fürsten KhuSnawäz besass nicht nur Khwärizm, sondern auch
Soghd, alle Lande der Kutanen, Bädakhsän, T^l^h^ristan,
Gargistän, Marw und Bädegh^s; eine grosse Anzahl kleinerer
Fürsten war ihm tributär. Im Besitze des zwischen Harät und
Marw al-rüd gelegenen Bezirkes Bädeghös (baktr. Väitigae9ö)
können die Hunnen allerdings nur zur Zeit ihrer höchsten Macht
gewesen sein; der Vorort Bawan, Baün, Bün (^j^), auch Bina
(&Juu) genannt, heisst (bei Yäqüt) ausdrücklich eine Capitale
der Hayäjila, und noch a. H. 84 — 90 herrscht hier ein fast
unabhängiger Fürst Nizek (pers. ,Lanze') ; auch der Sar (,König')
des benachbarten Berggebietes von Ghar&istän, der in BaSln
(ijjLäo) seinen Sitz hatte, war den Hayätila zeitweilig tribut-
pflichtig. Die arabischen Geographen, vornehmlich MoqaddasI,
rechnen im Gegensatz zuKhuräsän und dem westlichen Khwärizm,
alles Land jenseit des Gaill^ün zu Haitäl, namentlich Bokhäräy
Samarqand, Khogenda sammt Nasaf, Ka^s und $aghäniyän;
Khwärizm selbst zerfiel, nach MoqaddasI, in zwei der Sprache
und den Sitten nach ganz verschiedene Theile, das haijalische
mit der am Ostufer des Gaibun gelegenen Hauptstadt Khw&riz-
miya-käth, und das khuräsänische mit Gorgäniya. Da'qäl, der
Genealogist, redet von zwei Brüdern, Khuräsän und Haitäl,
Söhnen des 'Alam ben Sam ben Noah, von denen Haitäl der
Ahnherr des beläd al-Hayätila wurde. Täbäri versichert, haitäl
bedeute in der Sprache von Bokhärä einen ,Tapferen^ Wir
wollen uns hier nicht in weitläufigen Untersuchungen ergehen,
welche von den überlieferten Namensformen, ob arab, Haitäl
CentralMiatische Stadien. L 159
(pl. Hayätila), oder armen. Hephthal Thetal, oder byzant.
'E^eaXtxat 'AßosXo(, oder sin. Ye-tha, Yi-ta, Ye-yi-ta, I-ta, den
Vorzug verdiene und was dann die ursprüngliche Bedeutung
gewesen sei; wir können aber nicht verhehlen, dass uns alle
diese Formen wie eine Erweiterung, eine vollere Aussprache
des älteren Namens Yue-ti oder 'litioi vorkommen, und dass
nichts wider die Annahme spricht, dieser alte Name sei auf
die neuere Schichte der Hunnen übergegangen, wie denn auch
die sinischen Annalen bemerken ,les Ye-tha sont de la race
des grands Yuei-Si* (Nouv. m61. asiat. I p. 240, 243). Noch
heute sind Ueberreste des einst so niächtigen Volkes der ütioi
oder der Indoskythen in Multän und in Sewistän vorhanden,
in dem Stamme der Yät oder Gät, welche das yätki oder gätaki,
einen Dialekt des Sindhi und Pangäbi, sprechen; die arabischen
Berichte über die Eroberung des Ostgebietes nennen diesen
Stamm Zot oder Zat, zwei Abtheilungen desselben fuhrt das
Königsbuch an unter den Namen Mäi und Murgh. Wenn nun
die Balüöen fUr eben diese Gat die Bezeichnung G-agdal oder
öawdal (ursprünglich wohl Yawdal) anwenden, so dürfen wir
darin dieselbe erweiterte Form erkennen, die wir ziemlich rein
in 'AßSsXoi (Theophylaktos VII 7 p. 282) oder in dem Gau
Yaftal (Yäqüt s. J^^), verstümmelt in T^Üq^n (armen. Italakan)
wiederfinden.
Die ausdrücklich überlieferte Thatsache, der Hunnenfürst
Khi^nawäz habe seinen Hauptsitz in $oghd, und zwar irgendwo
zwischen Bokhärft und Samarqand, gehabt, führt uns wieder
nach Eü£ftni-kath zurück. An diese Position knüpft sich
nämlich, so scheint es, eine weitere geschichtliche Erinnerung,
welche mit dem Auftreten und der Machtentwicklung der
Hunnen in Zusammenhang steht. Ein sinischer Bericht (Nouv.
mel. asiat I p. 243) meldet, ,que ce nom de Ye-tha 6tait pri-
mitivement celui de la famille royale du pays de Hoa, dont
les habitants furent connus avant Tan 144 de J.-C, et avaient
assuj^ti tous les royauines voisins, la Perse, Hiei-pan (vielleicht
Yuei-pan, oder besser Kho-pan, d. i. Khabandha in SÄr-i-q61),
la Cophfene (sin. Ki-pin), Su-le (Kasgar), Ku-me (Bai), Kue'i-
tseu (Kuöe), Yü-thian (Khuttan) etc.' ; vgl. (p. 242) ,les regions
de Toccident, le Khang-kiü, Khuttan, Su-le, les A-si, et plus
de trente autres petits royaumes, se trouvirent places dans
160 Tomasobek.
leur d^pendance, et ils formferent un empire puissant qui s'unit
par dos mariages avec les Öo-fio ou 2u-2u (d. i. mit den 'O^ti^p,
sin. Yeu'kieu-liü, deren Fürst um 402 n. Chr. nach Besiegung
der Hunnen in Yuö-pan sich zuerst den Titel "pj* f^ Kho-han
und seiner Gemalin den Titel "pj* ^ Kho-tun beigelegt hat)^
Die Hunnen also, welche in Ceutralasien mächtig wurden und
auf welche der Name der Yuö-ti übergegangen war, hatten
einen ihrer ältesten Hauptsitze , einen Ausgangspunkt ihrer
Dynastie, in Hoa, was nach Vivien de St-Martin eins ist mit
Ho in Khang-kiü, oder dem Reiche, worin KüSänI-kath Vorort
war. Ueber das Fürstenthum Ho ('^) gibt Matuanlin folgende
Notiz (Nouv. m61. asiat. I p. 237): ,ce pays est au midi de la
rivi^re Na-mi, ä plusieurs li; il faisait aussi partie de Tancien
Khang-kiü. A Torient, jusqu'ä Tsao (Btikhan), on compte cent
cinquante li; ä Toccident, jusqu'au pays des petits 'An, il y
a trois cents li. Les moeurs des habitants sont les mSmesque
Celles de Khang. Le roi, de la famille Sao-wü (SiyäwüS), est
parent du roi de Khang; il a mille hommes de troupes. Sur
le mur septentrional d'un pavillon qui est dans la ville royale
(KüSänl-kath), on voit les portraits des empereurs de la Sin;
sur le mur occidental, sont ceux des rois des etats qui fönt
partie du Fu-lin (^coXtv, Teropire Romain); et enfin, sur le mur
oriental, on a peint ceux des princes turcs et brahmanes^
Samarkand war allerdings zu jeder Zeit der Brennpunkt des
geistigen Lebens, der Sammelplatz der Kaufleute, der Sitz
des Wohlstandes und der Industrie; aber auch Ho oder Hoa,
mitten in Sogd gelegen, hatte seine Bedeutung, seine grosse
Vergangenheit als dynastischer Sitz unter den Kuschanen
sowohl wie unter den haitalischen Hunnen. Wir glauben, die-
selbe Bedeutung des Machtsitzes auch ftir die urälteste Zeit
des Iranierthums in Anspruch nehmen zu dürfen, und sind
überzeugt, dass der sinische Name Ho das zendische Gau oder
Gava wiedergibt. Erinnern wir uns, dass im ersten Fargard
des Vendidäd Ahuramazda sich rühmt als besten der Plätze
geschaffen zu haben Airyanem vaSgö vanguhyäo däityayäo,
und dann, Gäum yim gughdhöäayanem oder ,Gava, das in
Sogd gegründete', und dass darin Angramainyus als Gegen-
schöpfung ,eine Wespe (9kaiti kann auch den RiStawurm oder
den in Sogd häufigen Skorpion oder eine Phalangengattang
CeutralitliUtiocho tituUioii. 1. 161
beaeichnen) die voll Tod ist für Rinder und Felder^ Der
Name gava (skr. gö); in coUectivem Sinne genommen, bedeutet
,RiBderheerde y Hab und Qut' und ist auf einen Landstrich
angewendet, welcher an Weideplätzen und Ackerland nicht
Mangel hat. Die eingedrungenen Nomaden haben also — diese
Beobachtung konnten wir schon mehrmal machen — eine
einheimische Benennung beibehalten; wir haben nicht nöthig
den Namen Ho oder Hoa aus einer innerasiatischen Sprache
(etwa aus mong. ghowa ghowai ,schön, lieblich') zu deuten.
Ein weiteres iranisches Appellativum scheint auch in der Be-
zeichnung Fu me (Deguignes p. LXX, Klaproth Magas. asiat.
I p. 107 ,Ho etait dans lancien territoire de Fou-me^ enthalten
zu sein, die zur Zeit der Han^ namentlich um 32 — 8 v. Chr.,
iiir diesen Landstrich üblich war (vgl. Klaproth p. 104: ^dans
le Khang-kiü, il y avait cinq roitelets appel^s rois de Su-hiai,
de Fu-me, de Yü-ni ou Ua-ni^ de Ki, de 'Ao-kian ou Yüe-kian');
wir können darin baktr. bümi (skr. bhümi); neupers. büm ^Erd-
bodeD; Ackerland' erblicken. Wenn wir uns fragen, welches
Gebiet auf der heutigen Karte dem uralten Bezirk Gau oder
Buffl entspricht, so müssen wir zunächst von der Nachricht
aasgehen, dass das Reich Ho sich südlich vom Namiq und
westlich von Samarqand und I&tikhan in der Längenausdehnung
von äüd nach Nord erstreckt habe; die Südgrenze war also
der Tim-tau, welcher terrassenförmig zum Canal Nurpai und
zum Zarafdän abfällt; die Abhänge sind baumlos, enthalten
aber zahlreiche Ansiedlungen mit unabsehbaren Getreidefeldern,
die allerdings nur dünn besäet sind und einen geringen Ertrag
abwerfen. Schon Ibn-Khordädbeh führt Tim (falsche Lesart
f^ Nim) als einen District von Soghd an, der an der Steuer-
leistung Antheil hatte^ und Yäqüt bemerkt s. *jü ,Tim, in der
Sprache von Khurä-sän ein Karawansarai bezeichnend, auch
Tlmek genannt, ist wie Kasaf und Nasaf eine Burg in §oghd
von Samarqand^ Unter den Ansiedlungen sind hervorzuheben :
Qala-i-dawüs mit sehr ausgedehnten Begräbnissplätzen, Zeugen
einer einstigen zahlreichen Bevölkerung (Lehmann 8. 97),
höchst wahrscheinlich das alte Dabüsiya; das Dorf Mir;
ferner Buzdubai oder ^irin-khatün, auch Sahr-i-qatän genannt,
d. i. Kibät-I-qatän der pers. Chronisten, mit vielen Ruinen;
Khoga - qurghän , Arab - khäna ; im Gebirge Sarai - qurghän,
^itzongiber. d. phil.-hist. Cl. LXKXVU. Bd. I. Hft. 11
162 Tömasohek.
vielleicht die alte , Burg Tim ; endlich am Canale Nurpai,
60 — 70 Werst westlich von Samarkand, Eattah-qurghän, in
einem Quadrat gebaut, mit vier Thoren und einer Citadelle.
Der letztere Ort, Sitz eines Emirs, scheint vormals den Namen
Qaba-methan (vgl. Öarif-al-din I p. 71 a. 1363, p. 229 a. 1371;
baktr. Gawa-maethana), später Ribät-I-§oghd (vgl. Bäbr I p. 148)
und Qala'a (bei Sidi-Ali a* 1555) gefuhrt zu haben. Auf dem
Wege nach lätlkhan liegt Öinbai, vielleicht Eün-baü des Bäbr.
Die ganze zwischen Dabüs und Ifitlkhan gelegene Sogdland-
schaft, welche vom ZarafSan und zahlreichen Canälen durch-
schnitten wird, heisst bei den persischen Schriftstellern ge-
wöhnlich Miyän-qäl (pl. -qälät) d. i. ,zwischen den Vesten
gelegen^ Zwischen Samarqand und Kattah-qurghän , in der
geraden Distanz von 8 Farsakh, nennt Mir Tzzet UUah fol-
gende Stationen: Ribät Öarkhi {f^f>)) Dawül (J^^(>^, Na§r-
abädy Qamäruq, A§ek-atä, Qarä-sü, Kattah-qurghän (^L^^^ tjf
,das grosse Fort'). Das Itinerar der arabischen Geographen
fuhrt uns von Samarqand den Sogdfluss entlang (in 7 Para-
sangen) nach Istlkhan; von da zählt es 5 Parasangen wesIr
wärts nach Kosäniya, dann 7 Parasangen über Arbingan nach
Dabüsiya, endlich 5 nach Earmlniya; oder man gieng von
Qa§r-*alqama, das 2 Parasangen westlich von Samarkand li^,
5 Parasangen weit nach Zormän oder Rozmän, das selbst
wieder nur 2 Paransangen von lätikhan entfernt war, und ge-
langte in 6 Parasangen nach obigem Arbingan. lieber Eo&äniya
bemerkt Yäqüt s. ^ujUwil ,es ist eine Landschaft von Samar-
qand, nördlich (sie?) vom Thale §oghd; es ist das Herz der
Städte ^oghd's; seine Bewohner sind jedoch die geringsten an
Zahl; zwischen Easäniya und Samarqand sind 12 Parasangen^
Gaihäni nennt kx^LiS ,den Fuss' oder die westliche Spitze
des samarkandischen $oghd. Moqaddasi fuhrt gleichfalls ^L^i^
Kosänl unter den Hauptstädten von $oghd an, ebenso iQtakhri
und Blrüni, und in späterer Zeit Abu'lfida. Wir können daher
Sprenger (Post- und Reiserouten S. 30) nicht beistimmen,
wenn er eine Verwechslung mit Kadäniya oder KeSs annimmt.
Der Name Hesse sich allerdings aus pers. xiLal^, luL&S' oder
^LmI^ £lä§änah oder Kä^än ,habitation d'hiver, salle echauffte*
(vgl. Kasan in Fai-ghäna) erklären; aber wir geben zu be-
denken, dass die ursprüngliche Aussprache, wie aus den sinischen
Centralasifttiiche Studien, l. 163
fierichten und Uraschreibungen zur Genüge erhellt, vielmehr
Eosäniya, Kuääniya lautete. Die Distanzangaben der arabischen
Itinerarien und der sinischen Berichte fuhren uns nach dem
heutigen Kattah-qurghän. Indess maclicn wir auch auf eine
östlich von Katyröi und nördlich vom Hauptflussbett gelegene
Localität Kasan aufmerksam, welche Ruinen eines alten Schlosses
enthalten soll, und empfehlen russischen Gelehrten die archäo-
logische Durchforschung dieses Gebietes. Und so hätten wir
denn das Alterthum dieser wichtigen Position von Sogd,
Kiti-soang-ni-kia , worin zuerst Keinaud (Memoire sur Finde
p. 82, 163) Kosaniya der Araber wieder erkannt hat, ausführlich
dargelegt.
,Quand on a quitte ce royaume', fährt Hiuan-Thsang in
seinem Si-yü-ki fort, ,ä une distance d'environ deux cents li a
l'ouest, on arrive au royaume de Ho-han. Le royaume de
IIo-HAN (|1^ 5(^) a environ raille li de tour. Sous le rapport
des produits du sol et des moeurs, il ressemble au royaume
de Sa-mo-kian. Quand on a quitte ce royaume, ä une distance
d'environ quatre cents li k Touest, on arrive au royaume de
Pu-ho'. Hier wollen wir gleich bemerken, dass der Name
des Reiches mit einer geringen Veränderung in der ersten
Hälfte (^) KiE-HAN lautet und dass beide Schreibweisen,
allen Analogien zu Folge, auf einen Lautcomplex wie Garghän
oder Karqän zurückweisen. Nach Hoei-Ii, Ma-tuan-lin und der
Karte vom Jahre 1710 hiess dieses Reich auch Tong-'an, ,le
pays des 'An orientaux' und Siao-'An ,le petit 'An', und lag
südlich vom Na*mi Sui; es hatte zwanzig Städte und hundert
kleinere Ortschaften. Nach der Umgestaltung von Khang-kiü
in ein sinisches Vasallenreich, etwa um 656, wurde Tong-'an
unter dem Namen Mu-lan öeu in das sinische Gouvernement
einbezogen, der Fürst Sao-wu pi-si fügte sich der sinischen
Oberherrlichkeit, Ho-han öing ward damals auch Yo-kin ge-
nannt. Da Pu-ho unstreitig Bukhär gleichzusetzen ist, so
müssen wir Garghana oder Karqäna auf der Sogdstrasse zwischen
Bukhärä und Katty-qurghän suchen; wir verfolgen also das
Itinerar, welches die arabischen Geographen bieten. Auf Bu-
khärä folgt bei ihnen nach 4 Parasangen Sorgh (py^) mit einer
11*
164 Tomaschek.
Burg und einem Bazar; hierauf nach 3 Parasangen der Canton
Tawäwes (jjao^I^), reich an fliessenden Gewässern, an Gärten
und Anlagen, mit Bazaren und Jahrmärkten, die stark be-
sucht wurden; hierauf nach 3 Parasangen Kül (JyC Var. bei
Ibn-Khordädbeh Kür yyf mit dem Zusatz ^jJix^j, etwa da§tqan
,Ort in der Steppe*). Qodäma (Sprenger, Post- und Reise-
routen 8. 17) macht hier die wichtige Bemerkung: ,Kül ist
das Dorf von JuL^^, d. h. Jü^^ Gargand; daselbst hält
sich der König der Türken auf zum Behuf von Raubanfallen.
Südlich davon sind Berge, und diese dehnen sich bis Sin ans^
Wer wird in dem Territorium Gargand Fürstenthum und Stadt
Ho-han verkennen wollen? Vielleicht findet sich auch bei
MoqaddasI eine Spur dieses Namens; er führt unter den Städten
Bokhära 8 ausser Tawäwes und anderen auch an ^^r^ öarghan
und yc:^j[^y^ Uarghänkath. In demselben Gebiet, das in der
haitalischen Epoche von einem Machthaber zweiten Ranges
beherrscht worden war, hausten also noch zur Sämänidenzeit
räuberische Nomadenhorden, welche unter einem König standen.
Es folgt nach 4 Parasangen Karminiya (äuJUx^i^), ein Ort in
Miyän-qäl, bald zu Bokhärä, bald zu Soghd gerechnet, welcher
noch heute unter diesem Namen (Uuuo^y Karmihä) existiert
und somit einen Anhaltäpunkt gewährt, die genannten Posi-
tionen genauer zu fixieren ; nach 5 Parasangen kommt endlich
das oben erwähnte Dabüsiya oder Dabbüs. Die Berge, von
welchen Qodäma spricht, sind die ^97812 Bprq des Ptolemacus,
deren westliche, bis Bostän und WangänzT reichende Ausläufer
die Namen Qara-quttuk-, Kyz-bibi- und Karn-äb-tau tragen;
weiterhin nach Osten, gegen Katty-qurghän, folgt der oben-
erwähnte Tlm-tau. Südlich von diesen Bergen ist die grosse
Steppe Orta-ßöl, welche von dem wasserarmen Flussbett des
Karn-äb durchschnitten wird. Auch der Nordabhang dieser
Berge erhält, je weiter man gegen West und gegen den Zaraf sän
vorschreitet, immer mehr den Charakter der Steppe; eine förm-
liche Wüste erstreckt sich zwischen Karminiya und dem Weiler
Bostän. Lehmann gibt hierüber folgende Auskunft (S. 86 flF.):
,Nachdem wir uns 4 Werst von Bostän entfernt hatten, hörte
das Culturland mit dem letzten Canale, der vom Norden her
aus dem Zarafgän kommt, plötzlich auf und folgte eine aus-
gedehnte Wüste. Die Mälikwüste, wie wir sie nennen wollen.
CentnlMiatische Studien. I. 165
bildet einen wunderbaren Contrast zu den üppigen Fluren, die
iiDB bisher begleitet hatten; man kann sie wegen ihrer Dürre
und Unfruchtbarkeit den flachen Theilen der abscheulichen
Kyzil-qumwüste vergleichen; sie dehnt sich von West nach
Ost über 35 Werst aus. Die Mfllikwüste wird von dem Volke
in drei Abtheilungen gebracht: das westliche Dritttheil wurde
mir Khamrabat (d. i. wohl Khan-I-robät), das mittlere Kuyuk,
das östliche Kharkhana genannt'. Der letzte Name erinnert
auffallend an die alten Bezeichnungen Garghän, Earqgn, und
wir dürfen auch hier einen Ueberrest der alten Nomenclatur Sog-
diana's statuieren. ,Aus der Mitte der Wüste, 18 Werst von
Bostän, taucht plötzlich eine kleine Oase hervor. Es sind die
Ruinen eines festen Schlosses, welches zu den. ältesten Ueber-
resten der Vorzeit dieses Landes gehört; denn nach der
Aussage Aller, die ich darüber befragte, blühte es vor etwa
achthundert Jahren und soll von einem Häuptlinge irgend eines
Nomadenstammes des alten Mawera'l-nahar erbaut w^orden sein.
Mälik-khän, so hiess der abenteuerliche Stifter dieser Veste,
zog nun von ihr aus raubend und plündernd im Lande umher
und war weit und breit gefürchtet. Nach ihm führt die Ruine,
welche ein grosses Viereck, 106 starke Schritte lang und
eben so breit, bildet und von schönen gebrannten Ziegeln
ausserordentlich sauber und regelmässig erbaut ist, so wie das
nahe gelegene Dörfchen, noch jetzt den Namen Mälik'. Stimmt
diese Sage nicht vortreflflich zu der Nachricht Qodäma's über
Kül, den Sitz eines viJULo nomadischer Türken ? Es ist übrigens
noch die Frage, ob ftir Ho-han öing der sinischen Berichte,
zumal wenn man die Distanzangaben Hiuan-Thsang's und
Ma-tuan-lin's berücksichtigt (vier Tagereisen von Bukhär, und
zwei von Ho oder KuSäniya), nicht vielmehr eine östlichere
Position angenommen werden muss, etwa Karminiya selbst,
welches 17 Werst von Mälik und 6 Werst vom Rande der
Steppe Kharkhana entfernt ist ; das Gebiet dieser Stadt ist ein
alter Cultursitz, reich an Wassercanälen, an vortreflflich ge-
pflegten Gartenanlagen, an Earawan-sarai's, an Landsitzen und
ergiebigem Ackerlande. Von Karminiya führte seit Alters eine
Passage in das nördliche Berg- und Steppengebiet. Nach
I^takhri lag, der Stadt gerade gegenüber^ 1 Parasango jenseit
des Soghdthales, links von der Samarqandstrasse, Ganmkan;
166 Tomasoliek.
1 Parasange höher hinauf, Madiyangekath ; und endlich ge-
langte raan nach Nur im Gebirge. Gegenwärtig führt auch
ein Weg nach Westen, nach GhugduwÄn und Wardanzi, Ort-
schaften, die zu Bokhfträ gehören.
Ueber Bukhärä, das in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit
der politischen und wissenschaftlichen Welt in eben so hohem
Grade auf sich gezogen hat, wie Khiwa oder Khw&rizm, dürfen
'wir uns kürzer fassen, da wir über diesen alten Cultursitz
ausreichende Berichte aus der Sämänidenzeit sowohl wie aus
allen nachfolgenden geschichtlichen £pochen besitzen; wir ver-
weisen in dieser Beziehung auf das Werk des unternehmenden
und verdienstvollen Reisenden Hermann Vdmböry , Geschichte
Bochara's, Stuttgart 1872, zwei Bände'. Die wissenschaftliche
Kritik hat dieser Arbeit, allerdings mit Recht, den einen Mangel
vorgeworfen, dass darin die ältesten Zeiten, die iranische, die
makedonische, die hunnisch-haitalische, ja selbst die arabische,
gar nicht oder doch in unzureichender Weise berücksichtigt
sind; aber man muss bedenken, dass es einerseits nicht in der
Absicht des Verfassers lag die zendischen^ griechischen, sinischen
und arabischen Berichte zu sammeln und einer vergleichenden
Prüfung zu unterziehen, und dass anderseits, was speciell die
Stadt Bukhärä betrifft, die Nachrichten aus der vorislamitischen
Zeit, wie wir gleich sehen werden, höchst spärlich fliessen.
,Le royaume de Pv-ho (|£ |1^) a de seize k dix-sept
Cents li de tour. II est allonge de Test k Touest et resserrä du
sud au nord. Sous le rapport des produits du sol et des
moeurs des habitants, il ressemble au royaume de Sa-mo-kiau^
So der kurze Artikel im Si-yü-ki. Etwas mehr bietet die
Sammlung Ma-tuan-lin's. Wir lesen darin (Nouv. mel. asiat.
I p. 231): ,Le pays de 'An, aussi nomm6 Pv-ho, est celui qu'on
nommait Niev-mi au temps des premiers *Wei. Du cöte du
nord-est, il est k cent li (sie) du 'An oriental (Tong-'An, Ho-han^ ;
et du cötä du sud-ouest, k la mcme distance de Pi. II est borne
k Touest par le cours de fleuve U-hiü (Veh, Oxus). La capitale
est la ville d'A-lan-mi. C'est un petit 6tat du Khang-kiü^ et
Tancien pays du roi de Ki. On y compte quarante grandes
villes et un millier de hameaux. Les soldats les plus courageux
CentnlMifttMche Stadien. I. 167
sont appel^s Ce-kiei. Ce-kiei, en langiie du royaume du milieu,
signifie guerrier^ £s ist dann weiter die Rede von Gesandt-
schaften und Tributleistungen an den siniscfaen Hof, namentlich
zu jener Zeit, wo nach Unterjochung der westlichen Türken
Sogdiana in ein sinisches Gouvernement (Ehang-kiü tu-tu-fu)
umgewandelt wurde; von dem damaligen Fürsten in 'An heisst
es, dass dessen Familie bereits zweiundzwanzig Generationen
sich im Besitze der Herrschaft befinde. Handelsleute aus allen
lündern kamen hier zusammen. In der That findet sich Pu-ho
oder Pu-huo als Station auf der mittleren Route jener drei
Handeisstrassen genannt, welche der sinische General Pei-kiü
in seiner , Geschichte und geographisch-statistischen Beschreibung
der Westländer^ (um 601 n. Chr.) nach Erkundigungen aus
dem Munde der Kaufleute statuiert hat; diese mittlere Route
führte dmch das Uigurenland Kao-cang, über Su-le (KaSgar)
und einen Pass des Tsong-ling, dann weiter über Fo-han
(Farghana) Khang und Ho, endlich durch Gross- und Klein-
'An nach dem Königreiche Mu (Marw) und so nach Po-sse
{Par9a)r^ie feilt zusammen mit der alten Handelsstrasse nach,
Serike. (Was nun den Namen Pu-ho betriflFt, so ist er offenbar
auf den Lautcomplex Bukhär (collect. Plur. Bukhärä, Bukhäräi)
zurückzuführen; diese Bezeichnung der Hauptstadt ist jedoch
nicht die älteste, sondern datirt aus der haitalischen Epoche,
in welcher der Buddhacultus der herrschende war. Denn es
wird ausdrücklich berichtet (Niqbi ben Massud, bei Silvestre
de Sacy, Notices et Extraits des Manuscrits, U p. 384): ,Bukhärä
antiquioribus temporibus vocata est (Nü)meg-kath; et bukhar
liogua idololatrorum Catayae et Uighuriae significat templum
idolorum'; und in der That finden wir auch im Mongolischen,
das die buddhistische Terminologie am getreuesten bewahrt
hat, die an bukhär sich anschliessende Form buxar kiyit ==
skr. vihära 6aitya ,cella eremitica^; das sin. pu-ho ist also eine
Variante für pi-ho-lo, skr. vihära ,locus secretus, claustrum
8. templum buddhisticum^ Die Hayätila haben somit dem
iodischen Worte vihära dieselbe Form gegeben, wie später die
Cighuren und Mongolen, während sonst dafür auf iranischem
Boden die Form behär einzutreten pflegt/ vgl. )^^y^ Nau-behär,
der Klostersitz des buddhistischen Hohenpriestergeschlechtes
der Barmakiden in Balkh (Yäqüt s. v.), ferner jL^Lm Sä-behär
168 Tomasehek.
(Yäqüt s. V.) und »^^Lgj Behär-zah (al-Farghäni bei Yäqüt
8. jjLeLw), Localitäten bei Balkh. Wie der Fo-cultus noch zu
Beginn des achten Jahrhunderts in BukhärA mächtig war, ersehen
wir aus Balädhori's Bericht über die Einnahme der Stadt Bikand
durch Qotaiba a. H. .87; unter der reichen Beute fand man
daselbst ein mächtig-es Götzenbild (des Fo) aus Gold, welches
ein bedeutendes Gewicht besass; an Stelle der Augen waren
Perlen von aussergewöhnlicher Grösse und Schönheit eingefügt;
wir werden dabei an den büt des Gebirges gebel al-Zör (W))
in Zaniin Dawar (Yäqüt s. v.) gemahnt, welcher Augen von
Rubin hatte, und an den weissen und rothen büt von Bämiyän.
Das Ta'nkh-i- NarSakhi (Vämb^ry S. 16) bemerkt: ,nach alter
Sitte von der Zeit her, als die Einwohner von Bokhdrä noch
Götzenanbeter waren, besorgten sie ihren Götzeneinkauf an den
Markttagen*; in Raomethan ferner waren die Götzen unter-
gebracht, welche die Tochter des Kaisers von Sin ihrem Gemale,
dem Türken Sekegket, zur Mitgift gebracht hatte (Vdmbery S. 2).
— Eine andere Erklärung des Namens böte sich aus der An-
nahme, dass an Stelle Bukhärä's in ältester Zeit der Ort
TpißaxTpa gestanden habe ; TpißoxTpa wenigstens nimmt bei
Ptolemaeus fast ganz dieselbe Position ein wie Bokhäi*a, und
so wie aus Boxtpa, altpers. Bäkhtari oder Bäkhtri, baktr. Bäkhdhi,
sich allmälig die Form Bähar oder Bahr, sin. Fo-ho4o, arm.
Bahl, entwickelt hat, woraus durch Metathese Balkh wurde, so
mochte auch TptßoxTpa, das bereits zur Zeit Alexander's einfach
Baxxpa genannt wurde (Gurt. VII 38, 10 ,Alexander ad Mara-
canda urbem contendit, ex qua Spitamenes comperto eius ad-
ventu Bactra perfugerat' = Arr. IV 5, 3 ,IxiTa|JL6VTj<; «5)c iq t«
ßacrf/vsta t^<; I^o^Siav^c; oL'^v/jbipei')^ unter dem Einflüsse einer bar-
barischen Aussprache in Bu^är sich umwandeln. Wir theilen
indesB diese Ansicht nicht, weil in der ältesten Zeit niclit
Bukhärä, sondern Pai'kand die Metropole und der Herrschersitz
von Westsogdiana war. Wir werden vielmehr also den Namen
TpißaxTpa oder BoxTpa, Ta ßaarAeia t^*; Zo^ha^friq, für Paikand in
Anspruch nehmen und voraussetzen, dass derselbe in der haifa-
lischen Zeit ausser Gebrauch kam und allmälig in Vergessen-
heit gerieth, nachdem die appellative Bezeichnung Paiti-kanta,
die wahrscheinlich dem persischen Namen Pai'-kand (arab. JüJCo
Baikand, in Ermangelung der Tenuis) zu Grunde liegt, sich
CeniralAsiatiBChe Stadien. I. 169
Geltung verschafft hatte. Wir erkennen diese neue Bezeichnung
auch i» sin. Pa-ti-yan (Nouv. m^I. asiat. I p. 240) : ,Le roi des
Ye-tha faisait sa risidence dans la ville de Pa-ti-jan, ce qui
veut dire demeure rojale; cette ville avait plus de dix li en
carre; on y voyait beaucoup de temples et de tours, tous ornes
d or*), und in herkömmlich stark verkürzter Form in Pi, das,
wie wir oben lasen, eine Tagreise südwestlich von Pu-ho ent-
fernt lag. Freilich hat Sachau in scharfsinniger Weise, aus-
gehend von der arabischeil Aussprache, Baikand auf Vaekereta
des Vendldäd zurückzuführen und aus baktr. vi, huzw. vae
,Vogel' zu deuten versucht; jedoch hat diese Gleichstellung und
Deutung ihre sachlichen und lautlichen Schwierigkeiten, und
hat namentlich die Annahme, dass kand älterem kereta ent-
spreche, sehr viele Bedenken hervorgerufen. Kawlinson, welcher
ähnliches vermuthet, zieht auch das später zu besprechende
Fa-ti des Hiuan-Thsang herbei; wir werden jedoch sehen, dass
dies der Distanzangaben wegen nicht gestattet ist. — Nach
Firdosi hiess Paikand ehemals Kang-di2, und Fr6dün soll
daselbst einen Feuertempel gebaut und das Awesta mit goldenen
Buchstaben geschrieben niedergelegt haben; nach dem Ta'rikh-i-
NarSakhl war Bokhärä vormals eine Niederung, die mit Sümpfen
und Morästen, mit Wäldern und Röhricht bedeckt war, und
die Metropole darin Paikand, wo Abarzi Herrscher war. Vor
dessen Tyrannei sollen die Wohlhabenden geflüchtet sein und
weiter nördlich im Gebiete der Türken eine neue Stadt gegründet
haben, die sie Gemu-kath benannten; diese soll später Bokhärä
genannt worden sein. Wir halten Gemu-kath für eine verdorbene
Lesart für Nümeg-kath und die Deutungen Vdmbery's (,schöne,
gute Stadt') und SpiegeFs (,von Öem oder Yima gemacht') für
unnöthig. Es heisst ferner, ,durch die Türken wurde Abarzi
getödtet, und türkische Fürsten herrschten seither in Paikand ;
vor Ankunft der Araber regierte Bendün, der das von SiyäwüS
in Bokhärä gegründete Schloss restaurierte; er hinterliess einen
minderjährigen Sohn Tüg-säde, in dessen Namen die Khätun
oder Königin- Witwe die Herrschaft führte bis zur Ankunft der
Araber. In der That ist von dieser Khätun sowohl in den
sinischen Annalen, wie in abendländischen Quellen (z. B.
Echellensis ad a. m. 6174) die Rede. Nach den arabischen
Schriftstellern soll bereits 'Obaid-allah ben Abu-Bakara, der-
170 Tomaschek.
selbe, welcher den Zotbil von Kabul bekämpfte, den Gai'bun
überschritten und Baikand, dessen König nach Samarkand ge-
flohen war, und hierauf ganz Bokhärä eingenommen haben;
sein Nachfolger, Muhallab, soll seinen Sohn Habib gegen KesS
und gegen Bokhära, dessen König 40.000 Bewaffnete entgegen-
stellen konnte, geschickt haben (a. H. 80—82). Dauernde
Erfolge errang aber erst der Wall Qotaiba ben Muslim, der
nach Unterwerfung des Fürsten von Bädeghes, Nizek, a. H. 87
bei Zamm über den Gai^un setzte, und nach einem glücklichen
Treffen mit den Türken, welche von Soghd Succurs erhalten
hatten, und nach kurzer Belagerung Baikand (JüXaj), ,eine
grosse und schöne Stadt zwischen dem Qai^un und der Haupt-
stadt Bokhärä^ von letzterer nur einen grossen Tagmarsch ent-
fernt^, einnahm. Alle Bewohner derselben wurden ausgerottet,
eine ungeheure Beute fiel den Siegern in die Hände, darunter
aucli jener goldene Götze. Ein grosser .Theil der männlichen
Bevölkerung soll sich indess damals nicht in der Stadt, sondern
Handels halber auswärts befunden haben; es waren dies wahr-
scheinlich die Kes-kuSän, die weder Einheimische noch Araber,
weder Feueranbeter noch Moslim, sondern Buddhaverehrer
waren ; sich zumeist mit Handel beschäftigten und in ganz
Bukhärä in grossem Ansehen standen (Vämbery S, 17) — also
Nachkommen der Kuschanen und der Ephthaliten. Sie bauten
sich später, als die Araber das Land beherrschten, neue An-
Siedlungen, namentlich bei Bokhärä, und lebten in Frieden als
wohlhabende Kauf leute. Noch unter den Arabern hiess Baikand
,die Stadt der Kaufleute', und es herrschte daselbst ein leb-
hafter Waaren verkehr bis zum Westraeer und bis Sin anderseits;
darum sagt auch der Verfasser des KitJlb-al-*iqlim (über climatum) :
,eine jede Stadt Mawerä'lnahar's hat Saatfelder und Dörfer, nur
nicht Baikand; hier sind nur Bazare und Stationsgebäude
(Hotels), deren Zahl an tausend beträgt; doch hat es Festungs-
mauernd — Qotaiba nahm hierauf (a. H. 88) Nüme^kath
(vaJCau»^, falsche Lesart ^Xa^.?' oder s:>X]<^^ Tümuäkatb)
ein, d. i. die Stadt Bokhärä mit älterem Namen, nachdem die
Einwohner freiwillige Unterwerfung und Zahlung eines grossen
Tributes angeboten hatten; ferner zog er vor Raumethan
(^wAAJuo^K, falsche Lesarten 2uJUxvl ^^^^^^ und ^j-AJuev*, im
Ta'rikh-i-NarSakhl ^Aie'^), dessen Bewohner sich gleichfalls
C«ntnlMiatiMhe Studien. I. 171
ohne Schwertstreich unterwarfen. Was dann von der Besiegung
des Königs Wardftn-khodsäh und der mit ihm verbündeten
Türken, sowie von der Einnahme von Bokhärä durch List und
Ueberrumpelung erzählt wird, scheint nur eine modificirte
Wiederholung der früheren Ereignisse zu sein. Es schliessen
sich daran die Expeditionen gegen KeilS und Nasaf , so wie
gegen Soghd und Sainarqand an. — Auch Moqaddasi, nach
welchem der Kreis von Bokhärä 12 Parasangen lang und
12 Parasangen breit ist (Sprenger S. 20), sagt: die Hauptstadt
heisst Nümeg-kath (vi^X^^, Var. vä^X^^^'^ Namüg-kath), ebenso
I^takhri (oJCä»^, Var. v:;jC^^ Bümeg-kath). Dass wir von
den bezeugten Lesarten Gemu, Bumeg, Meg, TümuS, NümeS,
Namüg, Nümeg gerade der letzteren den Vorzug geben, woraus
wir auf eine ältere Form Numeg oder Nümig schliessen dürfen,
glauben wir genugsam begründen zu können durch die Heran-
ziehung der sinischen Namensform Nieu-mi; über den gleichfalls
überlieferten Namen A-lan-mi sind wir dagegen zu keinem
Resultat gekommen, und es ist sogar möglich, dass die Angabe
nur irrthümlich von den sinischen Gelehrten mit Pu-ho oder
Nieu-mi in Verbindung gebracht worden ist. Der sinische Name
des Reiches 'An bedeutet ,beruhigte8 Gebiet', Cong-'An ,da8
centrale 'An' im Gegensatz zu dem östlichen und westlichen
Fürstenthum, Ta-'An ,das grosse 'An' im Gegensatz zu dem
kleinen; was jedoch der älteste überlieferte Name Ki bedeute
und ob derselbe, wie bei Ho und Fu-me, auf ein iranisches
Wort zurückgehe, kann Niemand sagen. — Was Raum^than
(,jjuuo^K) betrifft, das wie Bokhärä selbst von Samarkand
37 Parasangen entfernt ist (falsch 17 Parasangen, Yäqüt
8. ijjuyotO, nur dass es westlicher und auf der andern Seite
des Sogdflusses liegt, so finden wir darin als ersten Bestandtheil
baktr. rava, rao ,leicht, frei, offen, freundlich', als zweiten das
baktr. Appellativum maethana (v. mith ,vereinigen') , Ansiedelung,
Wohnung, Stadt' neupers. ^^^-j^ m^han ,mansio, domus cum
familia, populus vel tribus' (Vullers H p. 1260; über 5 als
dentalen Hauch, vgl. die reiche Sammlung bei Fr. Müller, Beitr.
z. Lautlehre d. neupers. Spr. I p. 10; der bukharische Dialekt
hat also hier gegenüber dem von Fars die ältere Lautstufe
bewahrt!), wie in dem gleichfalls bokharischen Ort Zör-methan
(worin zura, zävare ,Gewalt, Stärke*) und Methan (2 Farsakh
172 Tomaschek.
Büdlich von Bokhärä); in dem khwftrizmischen KhöS-m^than
(Moqaddasi) und Artha-khöSm^than (Yäqüt, und in den ost-
BOgdianiBchen Oertlichkeiten Methan (zwischen iStikhan und
Ciläk), Ura-m^than (3 Farsakh östlich von Pangkand am Za-
rafään); Khaba-mdthan (bei Sarif-al-d!n) etc. Dieser alte Bezirk,
auch unter dem Namen Cär-Sanbe bekann t^ wurde im Jahre
1868 plötzlich durch die Sandmassen der westlichen Wüste
total verschüttet, ein gleiches Loos erfuhr der stark bevölkerte
und reiche Bezirk Wardänzi, und man beftirchtet, dass die
Versandung des Khanates in der Richtung von Nordwest nach
Stidost immer mehr vorschreiten und endlich die Hauptstadt
selbst erreichen wird; die immer mehr um sich greifende Ent-
waldung der nördlichen Bezirke und die Vernachlässigung und
Zerstörung der Canäle scheint bei diesem Naturprocesse mit-
zuwirken. Gross ist die Menge der Ortschaften, welche die
arabischen Geographen, namentlich Moqaddasl und Yäqüt, als
in Bukhära'i gelegen anführen; da jedoch die Lesarten meist
zweifelhaft sind, so fuhren wir nur einige wenige namentlich
an: Zindana (aüjüv), auch Bukhar-zindana genannt, 4 Farsakh
nördlich von Bukhärä, Dima§ (^jm^^), nahe bei Sorgh, Sikath
(öjCuär), KoSu-faghn (^^^JU^), Moghakän {^j^^m) oder Mükän
(jjl^^), Mästi (^^Äd»A*Lo), Ghordän (,jJ4>>ä), Qurfiän etc. Möge
dieses einst so blühende und reiche Gebiet, wenn es dereinst,
wie sicher zu erwarten steht, unter die russische Herrschaft
gelangt, und wenn der Verheerung durch die Sandmassen
eine erneute sorgsamere Canalisierung Einhalt gebieten ^ird, zu
neuem Flor gelangen !
,Quand on a quittö ce royaume (de Pu-ho)', lautet weiter
der Bericht im Si-yü-ki, ,a une distance d'environ quatre cents
li ä Touest, on arrive au royaume de Fa-ti. Le royaume de
Fa-ti {^^ j/lj^) a environ quatre cents li de tour. Sous le
rapport des produits du sol et des moeurs des habitants, il
ressemble au royaume de Sa-mo-kian. Quand on a quitte ce
royaume, k une distance d'environ cinq cents li au sud-ouest (sie),
on arrive au royaume de Ho-li-si-mi-kia. Le royaume de
Ho-Li-si-Hi-KiA (j^ 7^1) ^ Sj^ jjjn) est situe sur les deiix
rivcs du fleuve Fo-tsu (j|fi ^). II a de vingt k trente li de
OntralMiatitehe Studien. I. 173
Test ä Touest, et cinq cents li du sud au nord. Sous le rapport
des produits du sol et des moeurs des habitants, il ressemble
au royaume de Fa-ti; mais la langue parl^e est un peu diff^
rente.' — lieber das Fürstenthum Fa-ti, das auch Si-'an oder
das , westliche 'An' genannt wurde, können wir nicht mehr
und nicht weniger mittheilen als was Vivien de St-Martin
(Memoire analytique etc. p. 282) vorgebracht hat: ,Fa-ti,
ä 400 li vers Fouest de Pu-ho, n'est representee dans cette
direction par aucune localite historique; le seul Heu qui nous
paraisse pouvoir convenir ä cette indication est Betik; Heu
sitiiö sur la droite de TOxus, ä une trentaine de Heues au sud-
ouest de Boukhara. L'importance de Betik est d'^tro le point
de passage du fleuve le plus frequentö entre le Khora^än
Occidental et la Boukharie, et cette importance nous paraft
expliquer suffisamment la mention qui en aurait et^ faite au
voyageur chinois parmi les informations qu'il recueillit k Samar-
kand sur la r6gion du nord de TOxus'. Der Umstand, dass
Hiuan-Thsang diese Theilfürstenthümer wahrscheinlich nicht
selbst bereist hat, sondern nur aus den Erkundigungen, die er
zu Khang eingezogen, schildert, macht uns die Dürftigkeit der
gebotenen Angaben und die ünzuverlässigkeit der Distanzen
und Richtungen, so wie die auffällige Thatsache erklärlich,
dass die Lage von Fa-ti am Oxusufer nicht besonders hervor-
gehoben wird. Die arabischen Geographen zählen von Bukhärä
bis Flrabr am Oxus 20 (Var. 17) Parasangen, eine Distanz,
welche so ziemlich stimmt zu den 400 Li (d. i. vier kurzen
Tagmärschen) des Si-yü-ki; dies angenommen, erscheint dann
die Distanz nach Khwärizmi-kath, nämlich 500 Li, viel zu
kurz; sie muss vielmehr zu 1500 Li (d. i. fünfzehn sinischen
oder zwölf arabischen Tagmärschen) angesetzt werden; auch
ist die Richtung Südwest in Nordwest zu verbessern. Was
aber sehr gegen die Vcrmuthung des Pariser Geographen zu
sprechen scheint, ist der Umstand, dass kein einziger arabischer
oder persischer Schriftsteller der Vergangenheit für jenen Ueber-
gangsplatz von Sogd nach Khuräsän den modernen und türkisch
klingenden Namen Betik anführt, sondern dass diese stets nur
Firabr oder Perebr (j^v?) nennen. Es ist indess möglich, dass
das Gebiet am rechten Oxusufer von Ilöik (bei Betik) bis
Elöik, den weiter unterhalb gelegenen Hafen- und Stappelplatz
174 Tomafchek.
von Bukhäräy vor Alters den Namen Vaidhika (von baktr.
vaidhi ^^^^s^^^^i^g' väidhi , Flugs') geführt hat und dass
daraus in späterer Aussprache Betik entstanden ist. Vielleicht
ist eine Spur dieser Benennung in einem Orte, welchen Mo-
qaddasl als zu Bukhärä gehörig anführt, erhalten, nämlich,
wenn die Lesung richtig ist, in Dü-bedek (d Jo^O). Jedenfalls
hat diese Darlegung mehr Gewähr, als wenn wir vermuthen
würden, Fa-ti sei in direct westlicher Richtung von Bokhfirä
in dem gegen Khwärizm hin sich erstreckenden Steppengebiete
anzusetzen, in einem Territorium, worin selbst die arabischen
Geographen nur vereinzelte Ribät's (z. B. Ribät Täs Jwlj ioL^,
Sörükh ^^syjSut, Remel Jüox, Ribät Toghän ^Ule etc. bei Mo-
qaddasi) anführen und für ein Culturgebiet sicher kein Platz
ist. Man könnte sich darauf berufen, dass in einer früheren
Zeitepoche der Westen Bukhärä's gesegnetere, mit Wasser-
adern erfüllte Culturstriche enthalten haben mochte, wie denn
noch jetzt zeitweilig Ueberreste alter bedeutender Canäle in
den versandeten Strecken der Kyzil-qüm wüste zu Tage treten.
Auch ist bei Arrian die Rede von einer in Westsogdiana an
der Grenze der Steppe gelegenen Veste Borfat (vgl. pers. bägh
, Garten', l^b Bäghwä, alter Ort in Dahistän zwischen Faräwä
und Nisä), bei welcher Spitamenes mit 3000 massagetischen
Reitern in Sogd einbrach, (IV 17, 4): i^ Baya; (unus codex
Taßi;, wobei man an Gäu des Vendidäd erinnert wird), x^^ptov
TTjc SoYOiavi;^ ^^^p^''? ^'' jJLsOopiü) ttj? t£ SoYBiavwv -pj; xai -rij? Maaja-
Y£T(i)v Zy.uOü)v (ox(?[JL£v3v ; die Nennung der Massageten macht es
jedoch wahrscheinlich, dass wir diese Veste mehr nordwestlich,
etwa bei dem späteren Nur (j. Nürätä, nördlich von Earmlniya,
im Aq-tau), suchen müssen. Auch ist zu bedenken, dass die
Zeit Hiuan-Thsang's nicht gar zu weit der arabischen Epoche
entrückt ist und dass die Cultursitze, welche der sinische Pilger
sonst anführt, sämmtlich auch bei den arabischen Geographen
sich nachweisen lassen. — MoqaddasI führt zahlreiche Oxus-
Übergänge an; nach Tarmidh, Kalif und Kerkera (j, Kerki)
folgen bei ihm Ribät, Khawärän, Sar, Nü-wa'idhä (»Jlj^, ,wo
die Leute von Samarkand über den Fluss setzen*; ein Name,
der auffallend zu Fa-ti und dem von uns statuirten Vaidhika
stimmt; vgl. Nü-waizä ^'jity^j Burg bei Sirakhs, und obiges
ijju^4>?), dann noch drei andere, ferner Firabr und Ämül^
CentraUsiatiaclid Studien. I. 175
eDdlich Sekäwa Mfthegirän und Darghän, der Greozort von
Khwärizm, Marw und Ankhwärä (Kl^l, d. i. Bukhärä?).
Firabr gegenüber; 1 Parasange vom linken Oxusufer, lag Äraüya
(Amüi; Ämü) oder Ämül, sin. '0-niei oder '0-mo, das spätere
Cär-gui* (zuerst bei Bäbr I p. 126), der wichtigste Uebergangs-
punkt von Khurasän^ Sammelplatz der Karavanen und als
solcher wichtig genug, um dem Oxus seinen Namen zu geben :
äb-I-Ämu, daher bei Clavijo (p. 137) Viadme, (p. 199) Biamo,
oder Amü-daryä. Von da nach Marw oder dem zendischen
Möoru, der Metropole der Satrapie Margiana, werden 36 Para-
saogen gezählt. Dieser alte Cultursitz wird unter dem Namen
Mo (Mü R^musat; M^u Klaproth) auch in den sinischen Be-
richten genannt, als Handelsstation von Khang nach Po-sse
(Persien) und als ein Hauptsitz des Reiches 'An-si ('An-sie,
'An-sik), von dem schon in den Annalen der Han die Rede
ist. So heisst es im Sse-ki des Historikers Sse-ma-tsian (trad.
par Brossel, Journ. asiat., Paris 1828, 11 p. 424 sq.) : ,'An-si, k
quelques milliers de li a Toccident des Ta-Yue-§i, peuple
s^dentaire et cultivateur. Les champs produisent du riz et du
vin de po-tao, leurs villes mürbes sont comme Celles de Ta-wan.
Ce pays, qui est fort giand, peut avoir en tout sens mille li.
II est situ6 vers le fleuve üei' (' Weii). On y trouve des march^s :
les n^gociants fönt usage de chariots et de barques pour aller
dans les pays voisins jusqu'k quelques mille li. Tis ont des
pi^ces de monnaie en argent, ä Teffigie du roi: k sa mort on
change les empreintes pour celles du nouveau roi; des traits
obliques semblables k des plantes entrelacees servent de date'.
Wir sehen, dass unter 'An-si im Grossen Parthien, der Sitz
der Arsakiden, gemeint ist, und müssen uns daran erinnern,
dass Marw als Dependenz dazu gehörte und dass es der Haupt-
prägeort der parthischen Münzen war. Zur Ergänzung diene
die prägnante Schilderung des Landes bei Plinius: ,difficilis
aditu propter harenosas solitudines per UXX p. Margiana regio
apricitatis inclutae — sola in eo tractu vinifera — undique
inclusa montibus amoenis, ambitu stadiorum MD, contra Par-
tbiae tractum sita'. Zur Zeit der Machtentfaltung der HaitaFs
war Mo-kue öing Sitz selbständiger Fürsten aus der Race der
sogdianischen Yue-5i, die ihr Geschlecht auf Öao-wü (SiyäwuS)
zurückführten, mit dem Titel A-lan-mi (Nouv. mel. asiat. I p. 234) ;
176 Tomaschek.
und es heisst: ,Ia capitale du pays de Mu est ä Touest du
U-hiü ho (du fleuve Oxus ou W^h-rut); on compte cinq cents
li au nord-est jusqu'au pays des *An (Pu-ho), et deux Cents li
a Torient jusqu'k celui de U-na-'o ; vers Toccident, il y a plus
de quatre mille li jusqu'au royaume de Po-sse'. Ueber U-na-'o
(Unaga ; wenn iranisch, entweder Gunawftt oder Annawa Annau
vgl. 'Ava'jK^ in Har^, Isid. mans. Parth.), den zweiten haitalischen
Sitz am linken Oxusufer, den näher zu bestimmen uns bisher
nicht gelungen ist, heisst es (I. c. p. 233): ,le royaume de
U-na-'o est a Touest du U-hiü ho, dans Tancien pays des *An-8i.
Le roi est de la famille Sao-wu, issu^ comme les precedents,
de la race royale des pays de Khang, et portant le titre de
Fo-61. La ville capitale de cet 6tat a deux li en carre; les
troupes quHl entretient sont de plusieurs centaines d'hommes.
On compte vers le nordest, jusqu'au royaume des 'An (Pu-ho),
quatre cents li ; au sud-ouest, jusqu'ä celui de Mu, deux cents
li et davantage^
Was endlich Ho-li-si-mi-kia des Hiuan-Thsang betrifft, so
ist darin der Lautcomplex Khwärizmiya- oder KhwÄrizmI-kSth
nicht zu verkennen; die Hauptstadt des Landes Chorasmien
war in ältester Zeit nicht Gurgäng, sondern Khwärizm, wofür
auch das Appellativum Käth (c^l^, nach Yäqüt so viel wie
,Mauer, Einfriedigung auf freiem Felde', gew. «o^ kath in
türkischen Ortsnamen für pers. kand) in Gebrauch war. Sachau
(Zur Gesch. u. Chronologie von Khwärizm L, Abh. d. Akad.)
hat die Identität von Khwärizm und Käth als zweier Namen
einer und derselben Stadt nachgewiesen und dargethan, dass
Khwärizm ,die alte Stadt', al-Fil die Citadelle, und Käth ,die
neue Stadt' unmittelbar an einander lagen, und zwar am öst-
lichen oder rechten Ufer des Oxus, in der Nähe der Anhöhe
Balgän (^L^o, nach Ibn-Arathir, ßaAai|i. bei Priscus). Wie
nun Ibn-Khurdäd-bih Khwärizm und Käth neben einander stellt,
so erscheinen beide Namen bei dem sinischen Pilger bedeutungs-
voll in einen verbunden (,Kath von Khwärizm, Chorasmierstadt') ;
auch wird das Land ganz richtig als ein schmaler, aber lang
gestreckter Culturstrich zu beiden Seiten des Fo-tsu (Wakhäu,
"Q^o^) geschildert. Ergänzend fügt Ma-tuan-lin hinzu, dass dieses
Reich, namentlich der westlich vom Flusse gelegene Theil (wo
Gorgäng lag), den sinischen Namen Ho-tsin führe und dass
CentraUsiatisch e Studien . 1 . 177
daselbst Fürsten, welche von Sao-wü (Siyäwüs) abstammten,
Frieren. — Den Namen Khwärizm (f^s\^), baktr. Qäirizem,
altpers. üvarazmiya, assyr. Huvarismu, bringen Spiegel und
Jasti in Zusammenhang mit baktr. qar ,tadeln, verletzen^, qäiri
,Tadel, Herabsetzung', neupers. )^y^ khwär ^niedrig, schlecht',
und erklären ihn als ,8chlechte8, unfruchtbares Land'; Lerch
(Khiwa oder Kharezm S. 2 ff.) schliesst sich dieser Etymologie
an, deutet jedoch den Namen als ^niedriges Land, das Land
der Niederung'; Sachau dagegen verharrt bei der von Burnouf
vorgeschlagenen Erklärung durch ,Futterland', von baktr. qar
(skr. hvar) ,essen, verzehren', neupers. khwardan, oset. yjorun
jCsseo', xor ,Nahrung, Brod, Weizen', zumal da auch Andeu-
tungen, welche sich bei arabischen Geographen finden, sie zu
bestätigen scheinen. Wir unserseits geben zu bedenken, dass
die Iranier die Oase des unteren Oxus, welche einen erfreu-
lichen Gegensatz zu den sie umgebenden Wüsten bietet, diesen
alten Cultursitz, gewiss nicht mit einem geringschätzenden und
herabsetzenden Prädicat werden bedacht haben. Der Name des
Landes ist frühzeitig nach dem Westen gedrungen ; die Xopacixioi
nennt zweimal Herodot in Verbindung mit den IloepOoi (III 93,
VII 66) und spricht von einen ttsBiov, iv oupoiai sbv XspaJixfwv t6
xal Tp-iwcvtcov xai napOa)v etc. (III 117); merkwürdig, wenn aus
dem alten und echten Hekataios entlehnt, ist folgende Angabe
bei Athen. II p. 70 B: *EvtaTaTo; AaCa? Tcsptr^-pjaci • ,IIapOü)v r^poq
f//.isv SniT/p^rzoL Xopotffjj.wt O'JtsoüC'., -|T// iyo'ntq vtai -rieSia xal oupsa* ev
Ik zöizi oupsffi 86v5p£a evi a'Ypia, axavöa y,uvapr<, itsr,, ixuptjtri. ev Zk
Tjzou; ic6Xt^ Xopac7|i.{Y)' ; hier kann izä'kiq sowohl ,Staat, Gebiet' als
auch ,Stadt' bedeuten, und wir hätten in letzterem Falle das
älteste Zeugniss über die Metropole vor uns. Zu Alexander's
Zeit schlössen sich die sakisch-iranischen Chorasmier der na-
tionalen Bewegung, welche von Sogdiana ausgieng, an und boten
dem Spitamenes Schutz und Hilfe; vgl. Strabo XI p. 513:
Toü Ik Tü)v MaffffaYETÄv xal twv Saxwv sOvou«; xal ol 'ÄTTajioi (d. i. ent-
weder AuY«5ioi oder ATcaaiaxai) xai ol XwpaciJLioi, dq ouq oltzo twv
BzxTpiovüiv x«i Twv ScY^iavaiv £(puY^ S^iTafAevr)?. Später aber, als die
Aufstände bewältigt und die Reiterhorden der Steppe zurück-
gedrängt worden waren, zog es der Chorasmierfürst vor, in
ein freundschaftliches Verhältniss zu dem Eroberer zu treten;
vgl. Curtius VIII 1, 8 : Phrataphernes, qui Chorasmiis praeerat,
Sitsnngsber. d. phil.-hist. Gl. LXXXVII. Bd. I. Hft. 12
178 Tomaschek.
Massagetis et Dahis regionum confinio adiunctus, misit qui
facturum imperata poUicerentur ; Arr. IV 15: <I>apa(7ji.avYjc 5
X(i>pa7[x{(i)v ßaffiXsu; d^{xsTo 7:ap' 'AXeJavBpov ojv htizejai X'^-O'? "''•*'
?C6VTaxoGr{oti; * l^aoxs 8c cfxopo^ otx£iv tw t£ KoX^wv ysvsi xat Tat^ Y^vaiHl
Tai; 'A|i.aJ;6(7i. Er hatte also, wahrscheinlich in Folge von Handels-
beziehungen, Kunde von den Völkerschaften des Kaukasus und
den Sarmato-Alanen, deren Weiber als sehr kriegerisch ge-
schildert werden. In der römischen Zeit werden die Chorasmier
nur selten genannt; auf der Augusteischen Weltkarte waren die
Chorasmii am unteren Oxus in der Nachbarschaft der MASSA-
GETAE- PASICAE- DAHAE und DERBICCAE (Var. DER-
VICAE, DREVICES, etc. ,quorum medios finis secat Oxus
amnis'; vgl. baktr. driwika ,Bettelhaftigkeit, Armuth'; zu unter-
scheiden sind die ApCßjxsc, die Ptolemaeus in Medien ansetzt, und
von denen eine Spur in dem Derfek-dagh in Dailemän vorhanden
ist) verzeichnet. Auch in armenischen Schriftwerken begegnen
die Khrazmiq. Die weitere Geschichte und Topographie dieses
Culturgebietes ist von Sachau und Lerch erschöpfend dargethan.
Als MittelpuiKvt eines zu Khang oder Sogdiana gehörigen
Reiches begegnet uns in den sinischen Nachrichten aus dem
sechsten und siebenten Jahrhundert der Name Na-se-po (oder
Na-Si-pho); ausser diesem Namen und der Bemerkung, dass
daselbst gleichfalls Herrscher, welche von Sao-wü abzustammen
sich rühmten, ihren Sitz hatten, findet sich keine weitere, in'b
Einzelne gehende Notiz über dieses Fürstenthum. Erst die
Araber ziehen den Ort wieder aus dem Dunkel hervor. In
seiner Geschichte der Eroberungen erzählt BalädhorT, dass im
Jahre 89 d. H., nachdem BaAand und Bukhärä in die Hände
der Gläubigen gefallen waren, Qotaiba den Gai]|^un nochmals
überschritt und ohne Schwertstreich ausser einigen Cantonen
von Soghd Ki§S und das gegen die bukharische Wüste hin
gelegene Territorium von Nasaf einnahm , worauf er nach
Bukhärä und über den Fluss zurück nach Marw zog; im
Jahre 91 d. H. wurden KisS und Nasaf von neuem in Besitz
genommen ; auch in den späteren Kämpfen mit den Khäqänen
der Türken geschieht beider Orte Erwähnung. Yäqüt hat über
Nasaf (v-ft-wwJ) folgende Daten : ,Na8af ist eine grosse Stadt, reich
CentnUsiatische Stadien. I. 179
an Bevölkerung und bebauten Landstrecken, zwischen dem
6ai{^un und Samarqand gelegen ; es wird auch Nakhsab (n^aA^cO)
genannt. J§takhri sagt: ^Nasaf hat eine Citadelle, einen ribät,
vier Thore, und einen Fluss, der mitten durch die Stadt fliesst
and die Gewässer von Ki§3 aufnimmt; die Wasseradern ver-
theilen sich unter die umliegenden Dörfer. Das Haus des
Imärat's liegt am Ufer ' dieses Flusses bei dem Brückenkopf
(ras al-qantara). Nasaf liegt in der Höhe von Bokhärä und
Balkh, in einer Ebene, welche durch die Berge von Ei§i be-
grenzt wird; gegen den Gait^ün dagegen ist eine Wüste ohne
Berge. Jener eine Fluss trocknet in manchen Jahren ganz aus^
Die übrigen Geographen, namentlich MoqaddasI, bieten folgen-
des Itinerar von Bukhärjl nach Nasaf: ,Bukhära, ein Tag
(T'/j Farsang) nach Farägün (^^1*^; Yäqüt kennt auch einen
Ort Färigak siiL>»^U, nach welchem das südöstliche Viertel und
Thor von Bukhärä bäh al-Färigak hiess), weiter ein Tag
(7 Farsang) durch wüste Strecken nach Mubärikäk (c)LC>sLjo,
j. Khoga Mobärek), weiter ein grosser Tag (87.2 Farsang) nach
Mäyamürgh, endlich ein Tag (7 Farsang) nach Nasaf. Ferner
werden folgende Dependenzen oder grössere Orte bei Nasaf
angeführt: Sirkath (v^a^Ixam), östlich von Nasaf, d. i. Sirkend
bei Öarif al-din (I p. 115); Kasba (&a^, Var. Kasiya «uumJ^
und EaSta SmS, bei Yäqüt auch Kasaf, baktr. etwa Ka9ava
oder Ea9apa), 4 Farsang westlich von Nasaf; endlich Bazda
(»J%j), 6 Farsang südwestlich von Nasaf; Bazda, bei Yäqüt
auch in der volleren Form Bazdava (5^4>yi), war mit Mauern
und einer Citadelle versehen und lag auf der Strasse von
Bakhära nach Kalif. MoqaddasI kennt auf dieser Strasse mitten
durch die Wüste folgende Stationen : ,von Bukhärä nach Qakim
ein Tag, nach dem „alten Ribät" ein Tag, nach der Cisterne
des Sa*d ein Tag, nach Bazda ein Tag, dann nach dem Bukharier-
dorf (am Gaibün) zwei Tage, nach dem Khwärizmierdorf ein
Tag, endlich nach Kalif zwei Tage^ Yäqüt fuhrt in der Nähe
von Nasaf noch an: Gawbag oder 6ubaq, Warghagan oder
Wazghagan ([j^')^)} endlich Khuzär G'v^) oder das heutige
Qozar auf der Strasse nach Tirmidh und Balkh, nach welchem
Orte der Khuzär-rüd benannt ist. Sehr oft wird NakhSab auch
von den persischen Chronisten genannt doch ist seit der mon-
golischen Epoche der Name Qar^I {f^yS), was im Uighurischen
12»
180 Tomascliek.
und im Mongolischen »Palast* bedeutet, weit häufiger. Einen
Palast hatte nämlich der Khan Käpäk (oder Koyuk?), Sohn
des OktaY, 2^/^ Meilen von NakhSab, das damals bereits in
Ruinen lag, erbaut, und die neue Gründung verdrängte seither
den alten iranischen Namen des zu einer Dorfschaft herabge-
kommenen Ortes. — Wir bemerken noch, dass südlich von
Khuzär in dem von Nordost nach Südwest gegen Kalif sich
hinziehenden Ba§qurd-dagh Steinsalz gewonnen wird, welches
Sogd versorgt und als ,samarkandische8' Salz in Kauf kommt;
schon Ibn Khurdadbih nennt unter den Steuerbezirken von
Soghd ,1a mine de sel^ (Journ. asiat. VI* sör., V p. 247).
Wenn uns nicht alles trügt, so gibt bereits die Geschichte
Alexander's von NakhSap Kunde. Wir halten nämlich Xenippa,
welches Alexander gegen Ende des Jahres 328 einnahm, für
NakhSap oder das heutige KarSi. Einzig bei Q. Curtius Rufus,
dem wir auch sonst manche denkwürdige Notiz verdanken,
finden wir den Ort erwähnt. Die Stelle lautet (VIII 7, 13 sq.):
,decem diebus apud Maracanda consumptis, cum parte exercitus
Hephaestionem in regionem Bactrianam misit, commoatus in
faiemem paraturum; ipse Xenippa pervenit Scythiae confinis
est regio habitaturque pluribus ac frequentibus vicis, quia ubertas
terrae non indigenas modo detinet, sed etiam advenas invitat.
Bactrianorum exulum, qui ab Alexandro defecerant, receptacu-
lum fuerat^ Die Zahl der Aufständischen betrug 2500 Reiter;
diese kampfgeübte Rotte focht mit wilder Verzweiflung und
gab dem makedonischen Feldherrn Amyntas viel zu schaffen;
erst nach hartem blutigem Strausso gelang deren Bewältigung.
Es heisst dann weiter: ,his in fidem acceptis in regionem, quam
Naütaca appellant, rcx cum toto exercitu venit'. Aus dem
Zusammenhango der Thatsachen wird klar, dass Xenippa in
jenem Theile Sogdiana's lag, der an Baktra angrenzte, und
dass unter Skythien hier jene Wüste gemeint ist, welche den
Unterlauf des Polytimetos von Baktra und dem Oxus schied. Das
Stromgebiet des Polytimetos war seiner ganzen Länge nach
von den makedonischen Colonnen zur Ruhe gebracht und von
Insurgenten gesäubert worden; mittlerweile hatte jedoch die
Verbindung mit Baktra selbst eine Unterbrechung erlitten,
indem die Cantone zwischen Sogdiana und Baktra den aus
dem Polytimetosthale verjagten Reiterschaaren Unterkunft boten
CeDtralasiatische Studien. I. 181
und 80 der Schauplatz erneuter Insurrection wurden. Alexander
musste in aller £ile von Samarkand aufbrechen und die wichtigen
Positionen von Xenippa und Nautaka^ d. i. von Kar^i und
Sahr-i-sabZ; wiederzugewinnen trachten. Für den erstgenannten
Canton^ der als gut angebaut und dicht bevölkert geschildert
wird, passt die Lage des heutigen oasenreichen Gebietes von
Karsi ausnehmend; sogar den I^auten nach sind wir versucht,
zwischen Eivixica und NakhSap einen Zusammenhang anzunehmen;
es ist sehr leicht möglich, dass die griechischen Eroberer den
ihnen fremd klingenden iranischen Namen ihrem Idiome mög-
lichst anbequemt haben, wie denn Silbenumstellungen und
Consonantenversetzungen bei Wiedergabe orientalischer Orts-
namen nicht selten eine Rollo spielen. Nakhäap dürfen wir
wohl aus iranischem Sprachgut deuten, sei es dass wir das
neupers. w>A?^ nakhäab ,leuchtend, hell scheinend (vom Voll-
mond)^ zu Grunde legen, oder dass wir nakh§-ap mit Rücksicht
auf die Nebenform nas-af als den mit einem todten oder lang-
sam fliessenden Wasser behafteten Ort (vgl. baktr. naQU v£xp6<;)
deuten. HävticTca selbst wird dann nicht mehr erwähnt, wir
müssten denn zu einer Conjectur Zuflucht nehmen und den von
Ptolemaeus im Flussgebiete des Zariaspes angeführten Ort
Vhvaxia in Seva^ria verändern und nach Sogdiana verlegen wollen;
dergleichen Transpositionen dürfen wir bei Ptolemaeus, dessen
Abriss von Nord-Iran zu den confusesten Partien der Frdkarte
gehört, ohne Bedenken annehmen.
Das von Curtius genannte Nautaka, la Nauiaxa, spielt in
den Kriegen Alexander's eine wichtige Rolle. Als Bessos die
Satrapie Baktra, die ihm keinen festen Stützpunkt mehr zu
bieten schien, da Drapsaka (Kunduz), Aornos (baktr. VarÖna)
und die Meti-opole Zariaspa oder Baktra in die Hände des
raschen Eroberers gefallen waren, verlassen hatte und die
Richtung nach Marakanda über das eiserne Thor einschlug, um
in Sogdiana den Krieg fortzuführen und für sich, wenn möglich,
eine Herrschaft zu gründen, hielt er zuerst Rast in Nautaka;
vgl. Arr. III 28, 9: Bf^aaoq dq NauTaxa rfiq Zo-^ßia^riq y^j^pOLq dwe-
Xu>psi. Das nachrückende makedonische Heer nahm einen an-
deren Weg: es durchzog die wasserarmen brennenden Sand-
steppen auf dem rechten Oxusufer und schlug, indem es den
von Hochsogdiana in's Flachland nach Südwest verlaufenden
182 TomaRchek.
Querrieg^l und das eiserne Thor vermied, eine mehr westliche
Richtung nach Marakanda ein, offenbar desshalb, um mit Um-
gehung von Nautaka dem Prätendenten, der bei der Organi-
sierung des Widerstandes mit der Rivalität der Heerfiihrer viel
zu schaffen hatte, zuvor zu kommen. Es gelang wirklich der
von Ptolemaios geführten Avantgarde, welche damals in vier
Tagen eine Strecke von zehn Tagmärschen durchflog, Bessos,
der Nautaka bereits verlassen hatte und den Weg nach Mara-
kanda über das Gebirge einzuschlagen im Begriffe stand, ein-
zuholen und im Einverständniss neidischer Verräther gefangen
zu nehmen. Alexander hatte indess an der Spitze der Haupt-
armee das sogdianische Flachland (loca deserta Sogdianorum
Curt VII 20) durchzogen und unter anderm an den Branchiden
und dem von ihnen bewohnten Städtchen (to twv Bpa-f/i^öv äctj,
Strab. XI p. 517; Branchidae bilingues, Curt.) eine sehr un-
rühmliche Rachsucht bewiesen ; als er hierauf die rings um das
verlassene Nautaka gelegenen Districte in Besitz nahm, konnte
er den sehr zusammengeschmolzenen Bestand der Pferde durch
Requisitionen wieder auf die frühere Höhe (viertausend Stücke)
bringen ; er fand da eine ausgezeichnete Race voii Reitpferden
vor, wie denn die Pferde von Khang und Ta-wan drei Jahr-
hunderte später auch bei den sinischen Heerführern Lob und
Bewunderung gefunden haben. Dann gieng es mit frischen
Kräften gegen Marakanda, in das Herz von Sogd! — Auch
nach der Bewältigung der sogdianischen Aufstände wird Nau-
taka genannt, namentlich desshalb, weil Alexander den Winter
328/327 vor seinem Zuge nach Indien zwei bis drei Monate
daselbst Quartier hielt. Kurz vorher hatten Xenippa und Nau-
taka eine Invasion durch die nationalen Reiterschaaren erfahren,
auch das eiserne Thor war noch in der Gewalt des Sisvmithres;
die Verbindung mit Baktra war also ernstlich gefiihrdet. Nach-
dem jedoch Xenippa wieder erobert worden war, schlug der
Sieger in Nautaka sein Lager auf und begann von da aus seine
Operationen gegen die Pässe und Bergdistricte Ostsogdiana's ;
vgl. Diodor. XVII x8': orpaTEta tou ßaatXso)^ el^ toüc (sie) xaXcü-
[xdvoü; NauTaxa^ xai ^Oopi -rij«; 5üva|x£0); \jt:o icoXX^? y^^foq. Die
Schlappe, von der hier die Rede, erlitt das Heer im District
Gabaza, den wir oben im WakhSgebiet gesucht haben. — Was
den Namen betrifft, so ist derselbe auf den ersten Blick als
CentnüuiatiBche Studien. I. 183
iranisch zu erkennen; näutak (iJÜ^b) bedeutet , schiffbar', und
so heisst auch ein Fluss in Ghaznin, auf der Hochebene Peilyan-
m, bis wohin Afräsiyäb vorgedrungen sein soll (Bundehe^
cap. XXX); auch die Deutung ,neu fliessend, neuer Wasser-
lauf' ist möglich, da der Strom von KiSS zeitweilig sein Bett
veräadert haben mochte; oder es ist NauToxx eine Entstellung
in griechischem Munde für Naukata (vgl. baktr. kata ,Hau8,
Leichenbehälter'), wobei man sich auf die im Qebiet von Eädä
gelegene Ortschaft Nauqat oder Nauqad berufen könnte, wo
der sogdianische Prophet al-Moqanna, dem die Secte der ,WeisB'-
gekleideten' anhing, volle dreizehn Jahre hindurch (767 — 780)
seinen Sitz inne hatte; sein Wohnsitz wird indess auch auf
den Bergrücken Sanäm verlegt. Die arabischen Geographen
zählen von Nasaf nach Sünig 4 Farsang, weiter nach Nüqäd
und Qari§ einen Tag, und dann nach Küh einen Tag (5 Farsang).
MoqaddasI nennt bei KisS folgende Ortschaften: Nüqad (cXiy),
Qarii {{J^jS) oder Qawi§ (^JitjyS), ferner Sünig {^yjJ) oder
Surnig i^M^syM)^ und Eski-faghn (^jJLäaJCimI), das von Nasaf
etwas entternter lag als Sünig. Im Jahre 1377 verliess Timur
mit seinem Heere Qaräl und lagerte auf den weiten und gras-
reichen Gefilden bei Nauqat (Sarif al-din I p. 141).
Ueber KiSS selbst bieten die ältesten Nachrichten die
sioischen Schriftwerke. Ma-tuan-lin fasst den Sucus derselben
in folgende Worte (Abel-Remusat, Nouv. m^l. asiat. I p. 238) :
,Le pays de Sse est k dix li au midi de la rivifere Tu-mo
(d. i. Tum, bei Sarif-al-din ; s. o. !); il a fait aussi partie de
I'ancien Ehang-kiü. Le roi est de la famiile de Sao-wu, et
parent de celui de Samarkand. II a plus de mille soldats.
Les coutumes de cet etat sont pareilles a Celles de Khang, dont
il est eloigne, au nord, de deux cent trente li (240 li, Klaproth
Mag. asiat. I p. 105; 300 li, Hiuan-Thsang); du cot^ du midi,
il est ä cinq cents li du Tokharestan; ä l'ouest, il est k deux
Cents li de Na-se-po; au nord-est, il est k deux cents li de
Mi*. ,La ville de Chuang-kian Ki-sse (KiiS ^jS) devint la
capitale de plusieurs milliers de li de pays, et eut jusq'k vingt
mille familles. C'est Ik qu'est la porte de fer. II y a dans
la ville des temples d^dies aux esprits : on leur sacrifie toujours
mille moutons k la fois'. ,Au temps des ann^es Hian-khing
184 TomftBchek. Ccntralasiatiaclie Stadien. I.
(656 — 660), on Terigea en arrondiBsement (ou Ceu) de Ehiü-§a,
et le roi eut le titre de juge'. Auch wird bemerkt (Deguignes
I, 2 p. LXXII, Klaproth p. 107): ,Ici il y avait autrefois
(32-8 a. Chr.) la ville de Su-hiai (cf. p. 104: dans le Khang-
kiü il y avait cinq roitelets appeles rois de Su-hiai, de Fu-me,
de Yü-ni, de Ki et de 'Ao-kian)^ Hiuan-Thsang traf auf seiner
Pilgerfahrt von Sa-mo-kien nach Ta-mi (Tarniidh) über den
Qebirgspass des ^eisernen Thores* nach einem Marsche von
300 Li zuerst Stadt und Reich Kie-soang-na (Ka^äna), und
bemerkt : ,Le royaume de Kie-Soan(j-na (^^ ^ Jlß) a de qua-
torze ä quinze cents li de tour. Sous le rapport des produits
du Bol et des moßurs des habitants, il ressemble au royaume
de Sa-mo-kien^ Der Name Käääna oder Kaääniya fiir Kasä
oder KiSä findet sich auch bei arabischen Geographen, z. B.
Birüni, und bei Mirkhwand; derselbe ist, wie wir oben dar-
gelegt haben, wohl zu unterscheiden von Eüsänl-kath oder
Euääniya, und bedeutet ,Winterwohnung^ ; Kadfi ist wohl nur
Abkürzung davon. Der sinische Name des Reiches Sse oder
Ssü, scheint darauf hinzuweisen, dass zeitweilig Sir-kath (Wir-
kend, 8. 0.) die Capitale war, ein Ort, der weiter gen Nasaf
hin lag. Für Kes^ findet sich in späterer Zeit das Synonym
8ahr-i-sabz (,ciie grüne Stadt*), namentlich bei barif al-dln
(z. B. I p. 150, 307, II p. 415; Kesä I p. 30, II p. 404, III p. 174),
der eine grosse Zahl von Oertlichkeiten in diesem Territorium
anführt. Das eiserne Thor beschreibt Hiuan-Thsang ausführlich;
dass der Felsen des Sisymithres dieselbe Position bedeute, haben
wir unumstösslich dargethan. Und so sind wir denn bei UDserein
Versuche, die Topographie Sogdiana's nach den ältesten Quellen
darzustellen, wieder- dahin gelangt, woher wir den Ausgang
genommen haben.
im.
LitJiuiDsL^XQk». J^&n.
]f?2.
jrs.
Meinong. Hame - Studien. I. 185
Hume-Studieü.
I.
Zur Geschichte und Kritik des modernen Nominalismus.
Von
Dr. Alexias Meinong.
Jus gibt leider in der Psychologie nur zu viele Fragen,
deren Lösung schon in der verschiedensten Weise versucht
worden ist, ohne dass es gelungen wäre, eine allgemeine Ueber-
einstimmuDg in Bezug auf diese Lösung zu erzielen; aber zum
Glücke geht die Uneinigkeit doch nur in wenigen Fällen so
weit, dass sie sich nicht blos auf die Erklärung, sondern selbst
auf die Existenz eines psychischen Phänomens erstreckte,
wie dies bei der Abstractionsfrage der Fall ist. Nicht nur
darum handelt es sich seit Berkeley, wie man zu abstracten
Begriffen gelange, sondern ob es überhaupt solche Begriffe
gebe, — nicht wie der Abstractionsact beschaffen, ob er ein
psychischer Vorgang ganz eigener Art, oder aus einem oder
mehreren andern psychischen Acten erklärbar sei, muss in
erster Linie festgestellt werden, sondern, ob ein solcher Ab-
stractionsact überhaupt möglich sei^ ob er nicht die mensch-
lichen Fähigkeiten weit übersteige.
Es müssen erhebliche Schwierigkeiten der Lösung dieses
Problems entgegenstehen^ wenn eine so lange Zeit dieselbe so
wenig zu fordern vermochte, und kaum wird sich heute ein
Einzelner noch Kraft genug zutrauen, gleichsam mit einem
Schlage alle Zweifel und Controversen in dieser Hinsicht zu
beseitigen. Aber was sich nicht mit einem Wurfe gewinnen
lässt, mag vielleicht doch allmälig. Schritt vor Schritt, zu er-
reichen sein, und zu diesem Ende hat es sich stets als das
Leichteste und doch zugleich Lohnendste herausgestellt, eine
kritische Betrachtung des bereits Geleisteten der eigenen Unter-
suchung zu Grunde zu legen. Wenn daher an dieser Stelle
186 Meinong.
die eine der beiden heute einander gegenüberstehenden Ab-
stractionstheorien in der Darstellung, die sie durch ihre ersten
und hervorragendsten Vertreter gefunden hat, einer eingehenden
Prüfung unterzogen wird; so ist mindestens nicht alle Hoffnung
ausgeschlossen, dass aus einer solchen Untersuchung ausser für
die Geschichte der Philosophie auch für die Aufklärung der
in Rede stehenden Frage selbst mancher Nutzen erwachsen
könnte.
Die Historiker haben sich mit der Behauptung, ein spä-
teres Ereigniss sei die nothwendige Folge dieses oder jenes
früheren gewesen, niemals sehr zurückhaltend gezeigt; ja sie
pflegen Thesen dieser Art mit einer Sicherheit aufzustellen,
als ob nicht schon dem Bemühen, das wirkliche Vorhanden-
sein eines solchen Verhältnisses auch nur einigermassen wahr-
scheinlich zu machen, in der Regel die grössten Schwierig-
keiten im Wege stünden. In dieser Beziehung muss die That-
sache, welche zur Ausbildung der modernen nominalistischen Ab-
stractionstheorie gewissermassen den Anstoss gegeben hat, zu
den Ausnahmen zählen. Wer sich die Charakteristik vergegen-
wärtigt, die John Locke im vierten Buche seines , Essay con-
cerning human understanding' von den abstracten ,Ideen' ent-
wirft, — der wird in der That, heute wenigstens, kaum anders
denken können, als dass eine Reaction, wie sie in Berkeleys
Schriften bald genug eintrat, geradezu unvermeidlich war.
,Achten wir genau auf sie^, sagt Locke, ^ ,so werden wir
finden, dass allgemeine Ideen Gebilde und Erfindungen des
Geistes sind, die nicht ohne Schwierigkeit gebildet werden imd
sich nicht so leicht von selbst einstellen, wie wir zu glauben
geneigt sind. Erheischt es z. B. nicht einige Mühe und Ge-
schicklichkeit, die allgemeine Idee eines Dreiecks zu bilden,
die doch noch keine der abstractesten , umfassendsten und
schwierigsten ist? Es soll die Idee eines Dreiecks gebildet
werden, welches weder schiefwinklig noch rechtwinklig, weder
gleichseitig, noch gleichschenklig, noch ungleichschenklig sei,
a. &. O. eh. VII sect. 9.
Hume-SlndieD. I. 187
sondern alles dieses und zugleich nichts von diesem. In der
That ist dies etwas Unvollständiges, das nicht existiren kann,
eine Idee, worin einige Theile von verschiedenen und mit
einander unvereinbaren Ideen zusammengestellt sind^ Was
Locke bei diesen Worten vorschwebte, kann nicht im Geringsten
zweifelhaft sein; aber indem er Umfang und Inhalt des Be-
griffes Dreieck nicht auseinanderhielt, behaftete er den letz-
teren zugestandener Massen mit einem inneren Widerspruch,
und wer ihm einmal so weit folgte, fUr den lag wohl nichts
näher, als noch einen Schritt weiter zu gehen und solchen
abstracten Begriffen die Existenz kurzweg abzusprechen.
Wirklich liegt denn auch in Berkeley's Ausführungen auf
der Negation das Hauptgewicht. Er leugnet, dass die innere
Erfahrung von einem psychischen Vorgange des Abstrahirens
Kenntniss gebe^ < er bestreitet die Möglichkeit eines Abstrac-
tums mit Rücksicht auf den Satz des Widerspruches, ^ — ein
dritter Einwand, die Frage, wann sich das Individuum die
Fähigkeit zu der von Locke als so schwierig geschilderten
Operation eigentlich erwerbe, ' ist den beiden ersten gegenüber
natürlich nur von sehr untergeordneter Bedeutung. So weit
ist auch Alles klar und präcis; nicht das Nämliche ist aber
von der Art und Weise zu sagen, in der er die so in die
Erklärung der psychischen Phänomene gerissene Lücke wieder
auszufüllen sucht.
Es handelt sich einfach um die Frage: wie sind, wenn
es keine Abstracta gibt, allgemeine Erkenntnisse möglich?
ja was ist überhaupt, wenn die Dinge sich so verhalten,
unter Allgemeinheit zu verstehen? ,Allgemeinheit besteht' nach
Berkeley's Meinung ,nicht in dem absoluten, positiven Wesen
oder Begriff von irgend etwas, sondern in der Beziehung, in
welcher etwas zu anderem Einzelnen steht, was dadurch be-
zeichnet oder vertreten wird, wodurch es geschieht, dass Dinge,
Namen oder Begriffe, die ihrer eigenen Natur nach particulär
sind, allgemein werden.'^ Von den ,allgemeinen Dingen' kann
^ A treatise conceruing the principles of human knowledge, introduction
8cct 10, — Alciphron or the minnte philosopher, dial. VII sect 6.
^ Treat. intr. sect. 13, noch ausdrücklicher Min. phil. a. a. O.
^ Treat intr. sect 14.
* ihid. sect. 16.
188 MeinoBf.
bei der vorliegenden erkenntnisstheoretischen (Vage natürlich
nicht eingehender die Rede sein, um so mehr aber von den
allgemeinen Namen und allgemeinen Begriffen.
Gibt es also auch keine abstracte allgemeine Idee, so
können allgemeine Ideen doch auf anderem Wege entstehen.
Eine particuläre Idee wird dadurch allgemein, ^dass sie dazu
verwendet wird, alle anderen Einzelvorstellungen derselben Art
zu repräsentiren oder statt derselben aufzutreten'. * Die Ideen
vordanken daher ihre Allgemeinheit dem, was sie bezeichnen,
man betrachtet sie darum auch ,viel mehr nach ihrem relativen
Werthe, insofern sie für andere substituirt sind, als nach ihrer
eigenen Natur oder um ihrer selbst willen'. ^ Wie freilich
diese Substitution, wie jene Repräsentation zu denken sei, dar-
über finden wir bei Berkeley keinerlei Aufschluss.
Mit dieser Theorie von den allgemeinen Begriffen möchte
es nun ganz wohl verträglich erscheinen, bezüglich der allge-
meinen Worte an Locke's Behauptung festzuhalten: ,Worte
werden dadurch allgemein, dass sie zu Zeichen allgemeiner
Ideen gemacht werden,' ^ aber Berkeley widerspricht dieser
Ansicht. Nach ihm wird ein Wort allgemein, indem es als
Zeichen gebraucht wird für alle particulären Ideen, welche
vermöge ihrer Aehnlichkeit zu derselben Art gehören und deren
jede es besonders im Geiste anregt;^ es ist, wie man sieht, so
ziemlich derselbe Vorgang wie bei der Bildung der allgemeinen
Ideen. ,Ebenso, wie die einzelne Linie dadurch, dass sie als
Zeichen dient, allgemein wird, so ist der Name Linie, der an
sich particulär ist, dadurch, dass er als Zeichen diente allgemein
geworden. Und wie die Aligemeinheit jener Idee nicht darauf
beruht, dass sie ein Zeichen für eine abstracte oder allgemeine
Linie wäre, sondern darauf, dass sie ein Zeichen für alle ein-
zelnen geraden Linien ist, die existiren können, so muss auch
angenommen werden, dass das Wort Linie seine Allgemeinheit
von derselben Ursache herleite, nämlich von dem Umstände, dass
es verschiedene einzelne Linien unterschiedlos bezeichnet/^
1 ibid. sect. 12.
^ Min. phil. l. c.
3 Essay book III chapt. III sect. 6.
* Treat. intr. sect. 11 uud 18, Min. phil. 1. c.
* Treat intr. sect. 12.
Hmie- Studien. I. 189
Sonach steht der allgemeine Begriff wie das allgemeine
Wort in gleicher Weise denselben particulären Ideen als deren
Zeichen gegenüber. Aber wie verhalten sich allgemeines Wort
and allgemeiner Begriff zu einander? Sie sind nicht identisch^
denn die allgemeine Idee ist ja, wie gesagt wurde, ihrer Natur
nach den particulären Ideen gleichartig, die sie vertritt, —
nicht so das allgemeine Wort. Dieses ist aber auch nicht ein
Zeichen für die allgemeine Idee, denn es bezeichnet, wie eben
gezeigt, alle particulären Vorstellungen derselben Art unter-
schiedlos. ^ Dass aber gar die Idee ein Zeichen für das Wort
sein sollte, das hat weder Berkeley noch irgend jemand vor
oder nach ihm behauptet. Besteht also gar keine Beziehung
zwischen allgemeinen W^orten und allgemeinen Ideen? Das
scheint denn doch der Erfahrung zu widersprechen, aber
Berkeley selbst hat einen Weg, auf dem die Schwierigkeit zu
lösen wäre, nicht gezeigt, und in der That ist kaum denkbar,
wie hier ein Lösungsversuch zum Ziele führen könnte.
Also Worte werden allgemein, indem sie Zeichen für
particuläre Ideen werden; daraus darf jedoch nicht gefolgert
werden, dass, so oft wir einen allgemeinen Namen hören, in
uns noth wendig eine solche Idee erregt werden muss, da viel-
mehr ,im Lesen und Sprechen Gemeinnamen grösstentheils so
gebraucht werden wie Buchstaben in der Algebra, wo, obschon
durch jeden Buchstaben eine bestimmte Quantität bezeichnet
wird, es doch zum Zwecke des richtigen Fortganges der Rech-
* Dies der Grund, weshalb ich mich der in diesem Sinne von Kuno Fischer
(^Francis Bacon und seine Nachfolger*, 2. Aufl., Leipzig 1876, S. 706)
gegebenen Lösung nicht anschliessen kann. Er fasst Berkeley's An-
sicht so: ,Die Worte sind Zeichen (nicht abstracter, sondern) allgemeiner
Vorstellungen, welche selbst Zeichen sind für eine Reihe gleichartiger
Vorstellungen*. Dies entspricht im Ganzen H um e's Interpretation, deren
Unstatthaftigkeit^ weiter unten dargethan werden soll. Hier nur so
viel : Ich habe keine Stelle finden können, welche K. Fischer^s Auffassung
stützte, wShrend alles oben aus Berkeley Citirte ihr entgegenzustehen
scheint. Uebrigens wfire es doch höchst auffallend, dass Berkeley die
Locke^sche Definition von allgemeinen Worten, die er zum Zwecke der
Polemik (Treat. intr. sect. 11) anführt, nicht zugleich in seinem Sinne
adoptirt, wenn sie, seinen Begrilf von allgemeinen Ideen vorausgesetzt,
seinen Intentionen so vollkommen entspräche, als nach K. Fischer der
Fall sein müsste.
1 90 M e i n 0 n if .
nung nicht erforderlich ist, dass bei einem jeden Schritt jeder
Buchstabe die bestimmte Quantität; zu deren Vertretung er
bestimmt war, ins Bewusstsein treten lasse'. ^ Aber noch mehr:
es gibt allgemeine Worte, denen gar keine Einzelvorstellungen
zu Grunde liegen; ein activer Geist z. B. ,kann weder eine
Idee, noch einer Idee ähnlich sein', denn eine Idee ist absolut
inactiv. , Daraus scheint zu folgen, dass Worte, die ein actives
Princip bezeichnen, wie Seele oder Geist, streng genommen
nicht für Ideen stehen, aber trotzdem sind sie nicht bedeutungs-
los, denn ich verstehe, was der Ausdruck Ich bedeutet, obwohl
dies weder eine Idee, noch einer Idee ähnlich ist, sondern das,
was denkt, will, Ideen empföngt und mit denselben operirt/^
Ebenso können wir den Worten Zahl, Kraft keine bestimmte
Idee zu Grunde legen, dennoch stellen wir bezüglich Beider
höchst evidente und nützliche Behauptungen auf.^
Diese Ausführungen könnten leicht zu der Meinung Anlass
geben, als sei es Berkeley hier darum zu thun. Locke's Be-
hauptung, Worte seien Zeichen für Ideen, in dem Sinne zu
berichtigen, das Worte vielmehr Zeichen für vorgestellte Gegen-
stände seien. Dass dies jedoch, zum Mindesten in seiner
Allgemeinheit, der Ansicht des Irländers nicht entspricht, erhellt
schon daraus, dass wenigstens bezüglich der Aussenwelt der
Satz Locke's, so universell gefasst, niemandem besser zusagen
konnte als eben Berkeley, für den ja alle sogenannten Aussen-
dinge nichts als Ideen sind. Uebrigens muss jedem schon bei
den wenigen, im Laufe unserer Darstellung citirten Stellen
aufgefallen sein, wie Berkeley ohne Unterschied bald von Ideen,
bald von Gegenständen spricht; im Treatise sect. 1 und 2
weiMien ,Ideen' und ,Objecte der menschlichen Erkenntniss* aus-
drücklich gleichgesetzt, — von einer Entgegenstelluhg derselben
kann daher auch, wo es sich um die Bedeutung der Namen
handelt, nicht die Rede sein. Es scheint sich vielmehr aus
den angeführten Beispielen zu ergeben, dass für Berkeley hier
zwei sehr verschiedene Gesichtspunkte massgebend waren:
Worte wie Seele, Geist stehen nicht für Ideen, weil wir
» TreaL intr. sect. 19, auch Min. phil. a. a. O.
2 Min. pbU. dial. VII sect. 8.
» a. «. O. sect. 8—10.
Hnme - Stadien. I. 191
nach Berkeley's Metaphysik vom thätigen Träger der Ideen
überhaupt keine Idee haben können.^ Auch bezüglich der Kraft
wäre es zum Mindesten naheliegend genug, die Inactivität der
Ideen geltend zu machen; aber Berkeley thut es nicht, und
bezüglich der Zahl kann er es nicht thun, dasselbe gilt von
den in demselben Sinne aufgeiiihrten Worten wie Zufall und
Schicksal,^ was mag also Berkeley hier vorgeschwebt haben?
Da er selbst den Punkt nicht weiter aufgeklärt hat, kann man
eben nichts als eine Vermuthung aufstellen, und es liegt wohl
am nächsten, an solche Worte zu denken, von denen man in
gewöhnlicher Ausdrucks weise zu sagen pflegt, dass sie nicht
einzelne Dinge, sondern Attribute oder Relationen bezeichnen.
Sind alle Allgemeinbegriffe ihrem Wesen nach nur concret, so
mass es mindestens sehr zweifelhaft sein, ob Gegenständen,
denen für sich gar keine Existenz zukommt, überhaupt eine
,präci8e^ Idee entsprechen kann. Es genügt z. B. nicht, bei
dem Worte Zahl an Zwei oder Drei zu denken; denn auch
davon kann^man keine concreto Idee bilden, sondern nur von
gezählten Dingen, — gleichwohl wenden wir in solchen Fällen
Worte an, sie sind weit entfernt, bedeutungslos zu sein, aber
es sind Worte ohne Ideen.
All dies ist für die Abstractionsfrage insofern von Belang,
als Berkeley in der Verkennung dieser Thatsachen den Anlass
zur irrthümlichen Annahme von abstracten Begriffen zu finden
glaubt. Setzen wir voraus, ,jeder Name, der etwas bezeichne,
stehe für eine Idee, .... und ist es zugleich gewiss, dass Namen,
die doch nicht für ganz bedeutungslos gelten, nicht immer denk-
bare Einzelvorstellungen ausdrücken, so lässt sich mit Strenge
folgern, dass sie für einen abstracten Begriff stehen*. ^ So ist
durch die hier dargestellte Theorie nicht nur eine in sich
widerspruchsvolle Lehre zurückgewiesen, nicht nur eine neue
Erklärung an Stelle der unhaltbaren gesetzt, sondern zugleich
auch der Ursprung des alten, für alle Philosophie so verhäng-
nissvollen Fehlers nachgewiesen.
* Vergl. Treatise sect. 135, worauf Berkeley an der in Rede stehenden
SteUe selbst hinweist.
' Min. phil. dial. VII sect. 11.
3 Treat. intr. sect. 19.
192 Meinong.
Werfen wir nunmehr einen kritischen Blick auf die
hier in möglichster Gedrängtheit wiedergegebenen Ausführungen
des Bischofs von Cloyne, so muss in erster Linie bezüglich
seines Verhältnisses zu Locke hervorgehoben werden, dass der
Charakteristik gegenüber, die dieser von der Abstraction
gab, dasselbe Dilemma anzuwenden war, das jeder mit der
Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Definition entgegen-
gehalten werden muss, nämlich: entweder die Definition ist
richtig, dann kann in der That das beschriebene Ding nicht
existiren, — oder aber, die Definition ist falsch, und dann
kann allerdings das fragliche Ding noch ganz wohl existiren,
natürlich aber theilweise mit anderen Merkmalen als den ihm
in dieser Definition ertheilten. Berkeley hat nun den funda-
mentalen Fehler begangen, von diesem Dilemma nur das eine
Glied zu berücksichtigen. Es wird heute Wenige geben, die
sich seiner Polemik gegen Locke's Darstellung der Abstrac-
tion nicht anschliessen möchten; aber wenn man auch zugeben
muss, dass in den meisten Fällen das ,Abtrennen' metaphysi-
scher oder logischer Begrifi'stheile bei Weitem nicht so selbst-
verständlich vor sich geht, als Locke anzunehmen scheint,
wenn man ferner den von Locke postulirten Widerspruch
zurückweisen muss, wäre damit implicite schon die Möglich-
keit aller Abstraction aufgehoben? Kann es nicht darum noch
immer abstracto Begriffe geben, wenn sie nur auf anderem
Wege entstanden, und von denen Locke's noch insofern ver-
schieden sind, als sie nicht die Conception eines Widerspruches
voraussetzen?
Dass dem scharfsinnigen Denker gerade diese Seite der
Frage entging, muss um so mehr bedauert werden, als einige in
seiner Darstellung als Inconsequenzen erscheinende Zugeständ-
nisse, gehörig ausgebildet, zu einer viel befriedigenderen Er-
klärung der Abstractionsphänomene hätten führen müssen, als
Berkeley auf dem von ihm eingeschlagenen Wege gelingen
konnte.
Die eine dieser Concessionen finden wir am klarsten in
folgender Weise formulirt: ,Ich bestreite nicht, dass' der mensch-
liche Geist ,in gewissem Sinne abstrahiren kann, insofern näm-
lich, als Dinge, die in Wirklichkeit für sich zu existiren ver-
mögen oder so percipirt werden können, auch abgesondert
Hnne- Studien. I. 193
vorgestellt^ oder eines vom andern abstrahirt werden können,
z. B. der Kopf eines Menschen von seinem Leib, Farbe von
Bewegung, Gestalt von Qe wicht/ ^ Dem zufolge erleidet die
allgemeine Behauptung, es gebe keine Abstracta, schon sehr
beträchtliche Ausnahmen. Zwar meint Berkeley, man pflege
das Wort Abstraction gewöhnlich nicht in diesem Sinne zu
gebrauchen, aber schon das kann nicht durchaus zugegeben
werden. Wollte man z. B. die Körper nur in Bezug auf Gestalt
und Farbe betrachten, dagegen von allen anderen Eigenschaften
derselben, z. B. Gewicht, Solidität u. s. w. absehen, so würde
wohl Niemand, der den Kaum nicht etwa für eine ,Anschauung^
a priori hält. Anstand nehmen, einen solchen Körperbegriff
zwar minder abstract als den geometrischen, aber abstracter
als den physikalischen Begriff des Körpers zu nennen, — und
doch unterscheidet sich unser Begriff von dem letztgenannten
nur dadurch, dass von diesem alle nicht direct durch den Ge-
sichtssinn wahrgenommenen, also gewiss auch für sich perci-
pirbaren Merkmale weggelassen wurden.
Man braucht darum noch gar nicht so weit zu gehen, wie
William Hamilton, der in seinen Vorlesungen über Metaphysik^
im Anschlüsse an Laromigui^re sogar von einer ,Abstraction
der Sinne^ spricht und zur Erläuterung folgende Darlegung des
Letzteren reproducirt: ,Da wir mit fünf verschiedenen Organen
ausgestattet sind, deren jedes dazu dient, eine bestimmte Classe
von Perceptionen und Vorstellungen uns zu Qemüth zu führen,
theilen wir natürlich alle sensiblen Objecte in fünf Qualitäts-
classen ein. Der menschliche Körper ist demnach sozusagen
selbst eine Art Abstractionsmaschine. Die Sinne können
nichts als abstrahiren. Könnte das Auge nicht Farben abstra-
hiren, so raüsste es diese verschmolzen mit Gerüchen und
Geschmäcken sehen, und Gerüche und Geschmäcke müssten
nothwendig Objecte des Gesichts sein^ Hier ist nun wirklich
das Wort Abstraction ganz unglücklich angewendet. Denn
jedenfalls muss unter Abstraction, mag es nun eine solche
geben oder nicht, ein psychischer Act verstanden werden, durch
1 Min. phil. dial. VII sect. 8.
3 Lectares on metaphysics and logic, ed. Mansel und Veitch, Edinburgh
und London 1870. Bd. IL S. 284 ff.
SiteongtbM. d. pUI.-hüt Ol. LXXXYII. Bd. I. Hft. 13
194 Meinong.
den eine oder mehrere Vorstellungen aus einem grösseren Vor-
stellungscomplexe ausgeschieden oder doch hervorgehoben
werden; ehe also ein solcher vorhanden ist, kann von keiner
Abstraction die Rede sein. Wird daher auch, was gewiss nicht
selbstverständlich ist, eingeräumt, dass die Ursachen mehrerer
Vorstellungen einer Substanz anhaften, so sind dann zwar
Complexe realer Qualitäten gegeben, nicht aber Vorstellungs-
complexe, von denen allein erst abstrahirt werden könnte.
Dass hingegen ein solcher Einwand bei den von Berkeley
bemhrten Fällen nicht angebracht werden kann, leuchtet auf
den ersten Blick ein; denn sind Vorstellungen auch abgesondert,
von einander percipirt worden, so können sie doch durch Asso-
ciation eng genug an einander geknüpft sein, um zur Loslösung
eines besonderen psychischen Actes zu bedürfen.
Von einer Beschränkung des Wortes Abstraction wird
also besser Umgang genommen werden; darum ist indessen
Berkeley's Unterscheidung an sich durchaus nicht werthlos.
Unabhängig percipirbare Vorstellungselemente (vor Allem
kommen hier solche in Betracht, welche gleich denen im
obigen Beispiele dem Gebiete verschiedener Sinne angehören)
haften in der That weit weniger fest an einander, als solche,
die stets nur zusammen wahrgenommen werden können; darum
gelingt dort in der Kegel die Abstraction in weit vollkomme-
nerem Maassc als hier. Ich kann mir ganz gut ein Stück
Steinsalz vorstellen und dabei von dessen Geschmack völlig
absehen, während es mir unmöglich wäre, ein solches Mineral
ohne jede Farbe zu denken.
Auf ganz ein anderes Gebiet gehörig und völlig unzu-
treffend ist jedoch Berkeley's Beispiel vom Kopf und Leib
des Menschen; denn, wenn er damit auch die Fähigkeit, phy-
sische Theile von einander zu sondern, durch die Bedingung
selbstständiger Existenz oder eben solcher Wahrnehmbarkeit
einzuschränken sucht, gibt er unausweichlich unhaltbaren Con-
Sequenzen Raum, die sofort zu Tage treten, sobald man ver-
sucht, diesen Grundsatz bei dem wichtigsten unserer Sinne,
dem Gesicht, zur Anwendung zu bringen. Percipiren wir einen
Gegenstand durch directes Sehen, was auf einen Blick ge-
schehen kann, wenn er klein oder fern, mittelst Augenbe-
wegung dagegen, wenn er gross oder nah ist, so müssen wir
Harne -Stadien. I. 195
gleichzeitig seine Umgebung mitpercipiren; diese mag wechseln,
aber immer wird irgend eine sich der Wahrnehmung aufdrängen.
Es scheint also, dass wir bei der Vorstellung eines direct ge-
sehenen Gegenstandes von einer Umgebung (was bei Berkeley
so viel besagt als von einer concreten Umgebung) unmöglich
abstrahiren können^ wenn Berkeley's Einschränkung begründet
ist. Nicht ganz dasselbe gilt nun allerdings von einem indirect
gesehenen Object. Zwar ist durch Augenbrauen, Nase und
Wangen das binoculare Qesichtsfeld nach oben und unten, das
monoculare auch nach innen in sichtbarer Weise begrenzt, so
dass jedes Objecto möchte es in den angegebenen Richtungen
auch noch so weit vom Fixationspunkte abstehen, immer noch,
wenn überhaupt sichtbar, die bezeichneten Theile des Antlitzes
zur Umgebung hätte. Aber nach aussen ist jedes Gesichtsfeld
offen; natürlich nicht ins Unendliche, aber doch so, dass ein
Begrenzendes hier nicht wahrgenommen wird. Auf diesen
Umstand könnte man sich nun zur Vertheidigung Berkeley's
berufen, da es doch mindestens möglich sei, die Axe eines
Auges so zu stellen, dass der fragliche Gegenstand gerade an
die Grenze des Sehfeldes zu liegen käme, und so wenigstens
theilweise ohne Umgebung percipirt würde. Wer dieses be-
hauptete, übersähe jedoch, einmal dass eine solche Stellung
zufällig nur äusserst selten eintreten könnte, einer Absicht
aber, sie herbeizuführen, sich wohl keiner, dem es nicht etwa
um das Experiment zu thun war, zu erinnern weiss, — ferner,
dass die Bilder an diesem äussersten Ende des Gesichtsfeldes
so schwach und undeutlich sind, dass sie kaum mehr vermögen
als die Reproduction von vorher durch directeres Sehen er-
haltenen Perceptionen zu erleichtern, ein Gegensatz so indirect
erhaltener Bilder gegen directer erhaltene daher die Repro-
duction gewiss nicht zu Gunsten der ersteren beeinflussen würde.
Uebrigens scheint auch die Erfahrung eines Jeden ganz unzwei-
deutig zu zeigen, dass, wenn wir uns eines gesehenen Gegen-
standes erinnern, wir denselben als möglichst direct (selbst mit
Zuhilfenahme der Augenbewegung) gesehen zu repräsentiren
pflegen, — kurz, Alles weist darauf hin, dass auch das indirecte
•Sehen in unserem Falle von keinem Nutzen sein könnte. Es
ergibt sich daraus von selbst, dass, wenn Berkeley Recht hat,
wir völlig ausser Stande sind, die Idee eines Gegenstandes von
13*
196 Meinong.
der einer ganz bostimniten Umgebung zu abstrahiren. Dies
widerspriqht aber aller Erfahrung; und auch Berkeley hätte
gewiss Anstand genommen, explicite aufrecht zu erhalten, was,
wie wir sehen, implicite mit seiner Behauptung stehen und
fallen muss.
Wir hätten uns bei diesem scheinbar so minutiösen Falle
kaum so lange aufgehalten, wenn Berkeley 's Beispiel nicht
eines von denen wäre, welche die richtige Lösung der Haupt-
frage ganz besonders nahe legen. Mag einer auch über seine
Fähigkeit, von metaphysischen oder logischen Theilen abzu-
sehen, zweifelhaft sein, so wird ähnliches Bedenken bei phy-
sischen kaum aufkommen. Keiner zweifelt daran, dass er
von den verschiedenen Eindrücken, die sich etwa dem Auge
oder Ohr auf einmal darbieten, in sehr vei*8chiedener Weise
Notiz nimmt. Fragt man aber einen, der sich nie mit philo-
sophischen Speculationen beschäftigt hat, wie ihm dies oder
jenes entgehen konnte, was er unzweifelhaft vor Augen gehabt
haben muss, so antwortet er etwa einfach, er habe eben auf
etwas ganz Anderes Acht gegeben. Dabei ahnt er natürlich
nicht, dass seine Antwort den Gesichtspunkt enthalte, unter
dem vielleicht eine vieldiscutirte philosophische Streitfrage
ziemlich einfach zu entscheiden wäre.
Es ist übrigens leicht zu zeigen, dass auch Berkeley
selbst den Schlüssel zur Beseitigung aller Schwierigkeit in
Händen hält, ja zuweilen unwillkürlich benützt, — und es ist
auffallend genug, dass er dennoch von dessen eigentlicher Be-
deutung keine Ahnung zu haben scheint. ,Die Ueberein-
stimmungen und Verschiedenheiten zu unterscheiden', sagt er
einmal, * ,die zwischen unseren Ideen bestehen, zu sehen, welche
Ideen in einer zusammengesetzten Idee enthalten sind und
welche nicht, dazu ist nicht mehr erforderlich, als eine auf-
merksame Wahrnehmung dessen, was in meinem eigenen
denkenden Geiste vorgeht.' Diese Stelle müsste, alleinstehend,
sehr befremden; es ist nicht abzusehen, wie man Elemente
eines Ideencomplexes unterscheiden kann, wenn man diese
Elemente, die doch Abstracta sein müssten, nicht vorzustellen
vermag. Aber die Stelle wird vollkommen verständlich, wenn
* Treat. intr. sect 22.
Hnne- Stadien. I. 197
man eine andere zu Rathe ziebt^ welche das zweite und wich-
tigste der oben berührten Zugeständnisse des irischen Philo-
sophen enthält; sie lautet: ^Es muss hier zugegeben werden,
dass es möglich ist, eine Figur blos als Dreieck zu betrachten,
ohne dass man auf die besonderen Eigenschaften der Winkel
oder Verhältnisse der Seiten achtet. Insofern kann man ab-
strahiren, aber dies beweist keineswegs, dass man eine abstracte,
allgemeine, mit innerem Widerspruch behaftete Idee eines Drei-
ecks bilden könne. In gleicher Weise können wir Peter, inso-
fern er ein Mensch ist, oder insofern er ein lebendes Wesen ist,
betrachten, ohne die vorerwähnte abstracte Idee eines Menschen
oder eines lebenden Wesens zu bilden, indem nicht alles
Percipirte in Betracht gezogen wird/* In der That,
damit könnte sich der eifrigste Vertreter des Conceptualismus
zufrieden geben. ^
Um die Tragweite dieser Worte zu ermessen, um zugleich
zu erkennen, wie der Irländer, und wäre es auch zum Schaden
seiner Consequenz, der Wahrheit zuweilen näher kommen Jkonnte,
als viele seiner Nachfolger, muss man auf den Zusammenhang
Kücksicht nehmen, in dem er sich zu diesem Ausspruche ge-
drängt fühlt. Gemäss den oben reproducirten Erörterungen
über die Allgemeinheit von Ideen und Worten lässt sich zwar
vielleicht denken, wie wir dazu gelangen können, allgemeine
Sätze aufzustellen, wie sind wir aber im Stande, sie zu be-
weisen? Die von Berkeley betonte Repräsentation kann hier
augenscheinlich keinen Dienst leisten; denn repräsentirte auch
die Vorstellung a die ähnlichen 6, c, d, u. s. f., so sind die
letzteren doch nur ähnlich, nicht gleich a, und nicht Alles,
was von a bewiesen werden könnte, muss darum fiir die übrigen
Geltung haben, — inwiefern aber a die anderen Vorstellungen
vertritt, ist durch die einfache Thatsache der Repräsentation
völlig unbestimmt gelassen. Berkeley verkennt keineswegs das
Vorhandensein einer Schwierigkeit, er selbst wirft die Beweis-
frage auf, und fährt dann (a. a. O.) fort: ,Ich antworte darauf,
dass, obschon die Idee, die ich im Auge habe, während ich
den Beweis führe, z. B. die eines gleichschenkligen, recht-
* Treat. intr. sect. 16.
' Vergl. Ueberweg s Uebersetzung des Treat. (Berlin 1869, Bd. 12 der
Kirchmann*8cheii ,philoB. Bibliothek') S. 109, Anmerk. 5.
198 Meinong.
winkligen Dreiecks ist, dessen Seiten von einer bestimmten
Länge sind, ich nichtsdestoweniger gewiss sein kann, derselbe
Beweis finde Anwendung auf alle anderen geradlinigen Drei-
ecke, von welcher Form und Grösse dieselben immer sein
mögen, und zwar darum, weil weder der rechte Winkel, noch
die Gleichheit zweier Seiten, noch auch die bestimmte Länge
der Seiten irgendwo bei der Beweisführung in Betracht
gezogen worden sind^ üebrigens liegt auch in diesen
Worten nur, was schon die erst citirte Stelle enthält, nämlich:
dass es in unserer Macht liegt, die Aufmerksamkeit bei
der Betrachtung eines Individuums in solchem Maasse aut
einige Merkmale desselben zu concentriren, dass wir in Folge
dessen von den übrigen Attributen absehen können. Wenn
sich das aber so verhält, dann ist auch ein grosser Theil von
Berkeley's Polemik völlig gegenstandslos. Denn gehört die
Aufmerksamkeit auch zu jenen Thatsachen des geistigen Lebens,
für deren Erklärung die Psychologie noch am allerwenigsten
gethan . hat, * so kennen wir sie doch. Dank der innei'en Er-
fahrung, gut genug, dass die Frage nach der Abstraction
wenigstens als gelöst zu betrachten ist, sobald sich diese, wie
dem Verfasser kaum zweifelhaft sein kann, auf die Phänonaene
der Aufmerksamkeit und der Ideenassociation zurückfühfen lässt
Die letzten Erörterungen haben uns von Berkeley's nega-
tiven Aufstellungen über Abstraction zu dessen positiven über
Verallgemeinerung, von der Frage nach dem Inhalt zur Frage
nach dem Umfang der BegriflFe, sowie dem Verhältniss von
Inhalt und Umfang zu einander geführt, einem Thema, über
das auch in der neueren Logik und Psychologie vielfach noch
ziemliche Unklarheit herrscht. Es empfiehlt sich daher wohl,
ehe wir in der Prüfung Berkeley's fortfahren, erst selbst ein
wenig nach Klarheit zu suchen. Haben wir diese einmal ge-
wonnen, dann wird auch die Beurtheilung sowohl Berkeley's
als seiner Nachfolger viel rascher und sicherer von Statten
gehen, ja wir werden uns, so weit wir auf neuere Leistungen
zu sprechen kommen, leicht jeder Kritik enthalten können, da
der Vergleich sich dem Leser von selbst aufdrängen wird.
Berkeley selbst hat uns, wie wir sahen, den Gesichts-
punkt gegeben, unter dem sowohl die Berechtigung seiner
Hnme- Studien. I. 199
Haupteinwendimgen gegen Locke, als auch das Vorhandensein
abstracter Ideen anerkannt werden kann. Wie die Aufmerk-
samkeit sich bei der Bildung abstracter Begriffe aus concreten
thätig erweist, das erkennt jeder leicht, der auf sein eigenes
Geistesleben achtet, und eine weiter unten (S. 249 f.) wieder-
zugebende Darlegung John Stuart MilFs wird noch ein Uebriges
thun, den Vorgang klar zu stellen. Ebenso ist es selbstver-
ständlich, dass das, was die Logiker den Inhalt eines Begriffes
nennen, bei abstracten Begriffen nur mit dem durch die Auf-
merksamkeit hervorgehobenen Theile des betreffenden concreten
Vorstellungscomplexes zusammenfällt, während in den Umfang
dieses Begriffes alle Individuen gerechnet werden müssen,
welche sämmtliche den Inhalt desselben ausmachende Attribute
an sich tragen. Sobald wir nun aber daran gehen wollen, das
Verhalten von Abstract und Concret zu Universell und Parti-
culär auseinanderzusetzen, tritt uns sofort ein Hinderniss ent-
gegen, das schon mancher philosophischen Untersuchung ver-
hängnissvoll geworden ist, Unsicherheit und Verwirrung in der
Terminologie.
Von vielen wurden und werden nämlich die in Rede
stehenden Ausdrücke ganz unterschiedlos für einander ge-
braucht, so dass J. St. Mill sich in Folge dessen berechtigt
glaubte, die gewissermassen bestimmungslos gewordenen Worte
abstract und concret im Anschlüsse an die scholastische
Diction zur Bezeichnung eines Unterschiedes in der Classe der
allgemeinen Namen zu verwenden. ^ Auch in Deutschland haben
Manche (z. B. Ueberweg, Siegwart) diese Ausdrucksweise accep-
tirt; dennoch widerspricht sie noch immer dem gewöhnlichen
Sprachgebrauche genug, dass eine Erwägung, ob denn gar
nichts zu Gunsten des Letzteren anzubringen wäre, gewiss
nicht verspätet genannt werden kann. Eines mindestens scheint
ausser Zweifel: wer behauptet, dass die Prädicate allgemein
und abstract, oder besonder und concret sich allemal von
denselben Begriffen aussagen lassen, meint in der Regel damit
eine sehr wichtige psychologische Thatsache anerkannt, keines-
wegs aber blos eine leere Tautologie gesagt zu haben; als
gleichbedeutend gelten also diese Worte auch dem gewöhn-
^ Vergl. System of logic. b. I, chapt. II, §. 4.
200 Meinong.
liehen Sprachgebrauche keineswegs. Jedermann erkennt im
Gegentheil bei geringer Ueberlegung, dass die Worte allge-
mein und particulär auf den Umfang, die Worte abstract
und CO n er et auf den Inhalt der Vorstellungen gehen. Allge-
mein ist ein Begriff, dem mehrere Gegenstände entsprechen
oder doch entsprechen können, particulär oder individuell hin-
gegen der, welcher ohne Widerspruch oder wenigstens ohne
unendlich grosse Unwahrscheinlichkeit eine Beziehung auf mehr
als ein Object nicht zulässt. i Auf der andern Seite liegt es
am nächsten, jeden Begriff abstract zu nennen, der als das
Resultat einer Abstraction erscheint, während jeder, an dem
noch nichts derartiges vorgegangen ist, als concret zu be-
zeichnen sein wird.^
Eine Definition von der Art wie die beiden letzten könnte
leicht ein idem per idem genannt werden, denn im Grunde
besagen Beide doch niclit mehr als: ,abstract heisst, was ab-
strahirt ist^, — allein jedenfalls ist dies das Naheliegendste
und schon dieser Umstand ist bei Divergenzen im Sprach-
gebrauch ein Vortheil. Uebrigens kann aber auch nicht gut
daran gezweifelt werden, dass diese Definition für J. St. Mill
nicht minder massgebend gewesen ist. Er spricht sich zwar
(a. a. 0.) dagegen aus, ,den Ausdruck ,abstracter Name^ auf
alle Namen anzuwenden, welche das Ergebniss der Abstraction
. . . sind^, — was konnte ihn aber bestimmen, auch nur die
Namen der Atribute ,abstract^ zu nennen, wenn nicht eben der
Umstand, dass diese als ,Ergebni8s der Abstraction^ gelten?
^ In den meisten Definitionen bleibt die physische Unmöglichkeit unbe-
räcksichtigt, aber mit Unrecht, wie wir sehen werden. — Ungenüfj^nd
w&re es, den Individualbegriff als einen zu bestimmen, ,unter dem nur
ein Object vorgestellt wird*; denn das gilt auch von jedem Allgemein-
begpriff, sofern er sich nicht etwa auf ein Collectiv be/aeht. Sagt mau:
,ein Mensch', so stellt man sich gewiss nicht mehrere vor; aber jeder
Mensch kann dieser eine sein, der Begriff ist also ohne Frage universell.
3 Drobisch (neue Darstellung der Logik, 3. Aufl., Leipzig 1 863, §. 19, S. 21 ff.)
bezieht abstract und concret, sowie allgemein und besonder auf Gattung
und Art, gebraucht diese Namen also relativ. Dagegen ist jedoch ein-
zuwenden, dass hiezu Bezeichnungen wie: allgemeiner und weniger all-
gemein, abstracter und weniger abstract gewiss deutlicher wfiren, indess
andererseits in Folge jener Ausdruck sweise auch für die von uns indi-
viduell und concret genannten Begriffe die Termini fehlen.
Ham«- Stadien, l. 201
Kann dies aber von Weisse, Menschenthum, Alter aus-
gesagt werden; so gewiss auch von weiss, Mensch, alt; die
letzteren Namen (respective Begriffe) von der Classe auszu-
schliessen, der die ersteron angehören, obwohl die speeiiische
Differenz der Classe allen in gleicher Weise eigenthümlich ist,
kann daher nur als ein logischer Fehler betrachtet werden.
Damit ist natürlich durchaus nicht in Abrede gestellt, dass ein
Unterschied besteht zwischen den Namen der Attribute und
denen der Gegenstände, und um diesem Unterschiede auch
im Ausdrucke gerecht zu werden, ohne neue Namen erfinden
zu müssen, möchte es vielleicht angemessen sein, die erst-
genannte Gruppe als ,Abstracta im engeren Sinne^ den Ab-
stractis in der weiteren Bedeutung des Wortes entgegenzu-
stellen.
Ist die Terminologie in dieser Weise geregelt, so kann
keiner der in Rede stehenden Ausdrücke überflüssig heissen;
denn jedem derselben entspricht ein ganz bestimmter, eigen-
thüinlicher Begriff, und wenn sich zwei dieser Begriffe auf
denselben Gegenstand beziehen sollten, so wären sie darum
nicht weniger verschieden als etwa die Begriffe: ,bei 0^ Celsius
gefrierend' und: ,aus Sauerstoff und Wasserstoff bestehend^,
die bekanntlich beide von demselben Dinge, dem Wasser, aus-
gesagt werden können.
Besteht nun aber wirklich eine solche CoincidenzV Dass
ein Begriff zugleich allgemein und individuell sein könnte, wie
Drobisch meint, * oder zugleich abstract und concret, wie James
MilP und Alexander Bain*^ aufstellen, ist durch die obigen
Definitionen von selbst ausgeschlossen, — dagegen dürfte die
oft gehörte Behauptung des umgekehrten Quantitäts Verhältnisses
von Umfang und Inhalt eines Begriffes* um so bereitwilligere
Zustimmung finden. Das fragliche Gesetz lässt sich etwa so
aussprechen: je grösser der Umfang eines Begriffs, desto kleiner
der Inhalt; je grösser der Inhalt, desto kleiner der Umfang.
Anders ausgedrückt: je allgemeiner, desto abstracter; je weniger
' a. a. O. S. 23.
^ Aoaljsis of the phenonieiia of the human niind ed. J. St. Mill London
1869, vol. I eh. VIII S. -269 f.
' Logic part I. dedaction London 1870, S. 7 §. 10.
* Vergl. z. B. Hamilton a. a. O. Lectnre XXXIV Schlußs (S. 298 f.).
202 Meinong.
abstract, desto weniger allgemein. Ist der Inhalt = 1 (ein-
facher Begriff), 80 ist der Umfang unendlich gross. Ist der
Inhalt unendlich gross (das wird gewöhnlich als fligenthüm-
lichkeit concreter Vorstellungen angegeben), so ist der Umfang
= 1, d. h. jede concreto Vorstellung ist individuell, jede in-
dividuelle concret, woraus sich von selbst ergibt, dass auch
alle Abstracta allgemein, alle Universalbegriffe abstract sind.
Umfang und Inhalt bestimmen sich also gegenseitig.
Dass zunächst in der That alle concreten Vorstellungen
zugleich auch individuell sind, muss jedem klar sein, der be-
denkt, dass jede concreto Vorstellung eines psychischen oder
physischen Objectes ganz bestimmte Daten der Zeity respective
des Raumes und der Zeit enthält und in keinem der beiden
Fälle eine Mehrheit von Vorstelhingsgegenständen angenommen
werden kann, wenn auch der Grund, der diese Annahme ver-
bietet, dort und hier nicht völlig gleichartig ist. Im ersten Falle
schlösse die entgegengesetzte Behauptung einen Widerspruch
in sich; denn wenn irgend etwas, so wird durch das Wort
Identität das Verhältniss eines psychischen Phänomens zu
einem psychischen Phänomen bezeichnet, das mit jenem in
allen Stücken, die Zeit eingerechnet, übereinstimmt. Nicht so
im zweiten Falle; der noch schwebende Streit der Psychologen,
ob man an ein und demselben Orte zugleich verschiedene
Farben sehen könne, ^ beweist; mindestens, dass eine solche An-
nahme nicht absurd ist. Das Gesetz der Undurchdringlichkeit
der Körper ist nicht analytisch; und ist es nicht widersprechend,
dass verschiedene Gegenstände gleichzeitig einen Raum ein-
nehmen könnten, so ist nicht abzusehen, warum diese Gegen-
stände ihre verschiedene Individualität einbüssen sollten, wenn
sie zufallig sonst in jeder Hinsicht übereinstimmten. Von prak-
tischer Bedeutung ist diese Distinction natürlich nicht; denn
hat das Gesetz der Undurchdringlichkeit nicht mathematische^
so hat es doch jedenfalls physische Sicherheit, — aber dies
konnte uns nicht davon dispensiren, bereits in der obigen
Deiinition des Individuellen diesen Unterschied namhaft zu
machen.
1 Vergl. Helmholtz Handbuch der physiologischen Optik (Kiursten^s allge-
meine Encyklopädie der Physik, Bd. IX), Leipzig 1867, §. 20 S. 273 ff.
Rnne- Studien. I. 203
Also die Daten der Zeit^ beziehungsweise des Raumes
and der Zeit, weisen unzweideutig auf ein Individuum; will
man dagegen von Raum und Zeit absehen, so kann das nur
durch Abstraction geschehen, und die fragliche Vorstellung
kört damit auf, eine concreto zu sein. Das ist aber nicht
etwa so zu verstehen, als ob die concreto Vorstellung alle
dem voi^estellten Gegenstande eigenthümlichen Merkmale ent-
halten müsste; deren mag es unendlich viele geben, viele
mögen den Sinnen erst spät, viele gar nicht zugänglich werden,
— die Zahl der Elemente des concreten Begriffs bleibt dagegen
eine beschränkte, nicht einmal alle dem Vorstellenden be-
kannten Attribute des Objectes müssen in der Vorstellung
enthalten sein, ja sie können es oft gar nicht, namentlich wenn
diese Attribute Relationen zu andern Objecten voraussetzen.
Das Concretum umfasst eben nichts als den Complex von
Merkmalen, die sieh vermöge der Natur des Gegenstandes den
Sinnen auf einmal aufdrängen, also vor Allem die, welche
unter Vermittlung des eben am meisten in Anspruch genomme-
nen Sinnes, in der Regel des Gesichts, zum Bewusstsein ge-
langen, — Daten anderer Sinne wohl nur, wenn sie sich in
so auffallender Weise geltend machen, dass sie mit den ersteren
sofort eine starke Association eingehen, die sich im Falle
späterer Reproduction gar nicht oder sehr schwer lösbar er-
weist. So mag z. B. das Gesichtsbild eines Wasserfalles sich
lur den nahestehenden Beschauer mit der gleichzeitig wahrge-
nommenen Gehörsempfindung des Rauschens vielleicht zu dem
Ganzen einer concreten Vorstellung vereinigen; vielleicht ver-
halten sich auch verschiedene Subjecte demselben Gegenstande
gegenüber verschieden. Uebrigens sei, um Misverständnisse zu
verhüten, hier ausdrücklich hervorgehoben, dass, sobald der
Beobachter in unserem Beispiele den Gegenstand der Vor-
stellung als jdiesen Wasserfall^ bezeichnet, er damit nicht nur
das Vorhandensein einer concreten, sondern auch das einer
abstracteu Vorstellung verräth; denn jene Worte sagen bereits
eine Subsumtion des eben wahrgenommenen Phänomens unter
eine Classe aus, was ohne allgemeine (und daher abstracto)
Idee nicht geschehen kann.
Eines Falles ganz eigenthümlicher Art, der aber auch in
diesem Zusammenhange wenigstens erwähnt zu werden verdient.
204 MeiBong.
gedenkt Ä. Bain. ,Beim Sehen/ meint er, ^ ,können wir mehr
mit den muskulären Elementen beschäftigt sein als mit den
optischen und umgekehrt; aber wir können die beiden nicht
ganz von einander trennen/ Hier wären also Daten ganz ver-
schiedener Sinne (Gesichtsem piindung und Muskelgefühl) immer
und überall zu einem Concretum verschmolzen; fraglich bleibt
nur, ob Bain mit der Behauptung der Untrennbarkeit Recht
hat; und das muss bei dem Umstände, dass nichts der Auf-
merksamkeit leichter entgeht als Muskelempfindungen, min-
destens sehr zweifelhaft bleiben.
Also alle concreten Begriffe sind particulär; sind aber
auch alle particulären Begriffe concret? Schon Hamilton hat
versucht, das Vorhandensein particulärer Abstracta zu consta-
tiren. ,Die Vorstellung von der Gestalt des Pultes vor mir/
sagt er,^ ,ist eine abstracte Idee, .... aber sie ist zugleich
individuell, denn sie repräsentirt die Gestalt dieses besonderen
Pultes und nicht die irgend eines anderen Körpers/ Aber so
unangreifbar dies auch sein mag, wenn man mit Hamilton
eine Substanz, deren Vorstellung angeboren ist, den sensiblen
Qualitäten zu Grunde legt, so bedenklich muss es andererseits
erscheinen, eine so vielbestrittene metaphysische Theorie
ohne Erörterung derselben als Basis psychologischer Unter-
suchung zu verwenden. Stellt man sich einen Augenblick auf
den Standpunkt von Hamilton's Gegnern, betrachtet man die
äusseren Gegenstände, um mit J. St. Mill zu sprechen^^ blos
als ,Gruppen von Sensationen', so erkennt man sofort, wie
unglücklich es war, gerade die Gestalt als Beispiel heraus-
zugreifen. Die Gestalt bestimmt die Ausdehnung des Pultes,
aber auch dessen Farbe tritt in ganz bestimmter Gestalt auf,
und diese letztere Gestalt coincidirt ohne Frage vollkommen
mit der ersteren; haben wir es aber darum nur mit einer
Gestalt zu thun? Dies muss um so mehr bezweifelt werden,
als Ausdehnung und mit ihr Gestalt des Pultes auch noch
durch den Tastsinn percipirt werden können, während die
' Mental and inoral science, London 1876, 8. 177.
2 Lecturea a. a. O. S. 287 f.
3 An examination of Sir William Hamilton \s philosophy chapt. XI, in der
dem Verfasser allein zug^änglich fi^wesenen französischen Uebersetarang'
von Cazelles (Paris 1869) 8. 216.
Ham«-8taditn. I. 205
Farbe und die auf diese bezügliche Gestalt doch dem Oebiete
des Gesichtssinnes angehört. Um was handelt es sich dem-
nach; all dies als richtig angenommen^ wenn von Gestalt des
Pultes die Rede ist? Offenbar um eine Mehrheit, und damit
hat der abstracte Begriff aufgehört, ein individueller zu sein.
Wir haben zwar hier die Autorität J. St. Mill's für uns
in Anspruch genommen; dennoch würde dieser unsere Objec-
tion gegen seinen Gegner Hamilton schwerlich unterstützen.
Coincidirt wirklich z. B. die gesehene und getastete Gestalt voll-
ständig, so würde er wohl kein Bedenken tragen, beide nicht
nur für gleich, sondern für identisch zu nehmen. Denn er
geht in dieser Richtung noch viel weiter. Indem er sich für
berechtigt hält, völlig gleiche Attribute für identisch zu
setzen, creirt auch er eine ganze Classe abstracter Individualien,
abstract in seinem, folglich jedenfalls auch in unserem Sinne.
,Wenn nur ein Attribut,' meint er,* ,das weder Grades- noch
Artunterschiede zulässt, durch den Namen bezeichnet wird,
wie Sichtbarkeit, Greifbarkeit, Gleichheit, Viereckigkeit, Milch-
weisse, — dann kann der Name kaum als ein allgemeiner be-
trachtet werden; denn obgleich er ein Attribut vieler ver-
schiedener Objecto bezeichnet, so wird das Attribut selbst doch
immer als eines, nicht als eine Vielheit gedacht'. Ohne Frage
hat Mill hier den Sprachgebrauch in ganz ausserordentlichem
Umfange für sich. Täglich sagt man und hört man sagen,
diese und jene Dinge hätten dieselbe Grösse, dieselbe Farbe
u. 8. f., — aber fast eben so oft kommt der Ausdruck gleiche
Farbe, gleiche Grösse etc. für dieselben Fälle vor, so dass
es doch höchst bedenklich erscheinen niuss, sich blos auf die
erste Redeweise zu stützen, da die zweite doch hinlänglich
beweist, wie wenig der gemeine Gebrauch die Worte Iden-
tität und Gleichheit auseinanderzuhalten weiss. Es bleibt also
nichts übrig, als sich den Sinn beider Namen selbst möglichst
deutlich zu machen. In der That, wollte man nichts identisch
nennen, was ,sich für unsere Sinjie nicht durch dieselben Einzel-
empfindungen kundgibt,' so müsste, wie Mill mit Recht gegen-
über Herbert Spencer geltend macht, ^ ,auch das Menschenthum
^ Log^ik Buch I Cap. II §. 4.
' a. a. O. Buch II Cap. II §. 4 Anmerkung.
206 Meiaong.
eines und desselben Mensehen in diesem Augenblicke und eine
halbe Stunde später als verschieden betrachtet werdend Nicht
einmal absolute Gleichheit der Empfindungen ist erforder-
lich; wir betrachten einen Gegenstand meist auch dann noch
als identisch, wenn wir ihn zu verschiedener Zeit an ver-
schiedenen Orten wahrnehmen, und so wenig geht die Gleich-
heit stets mit der Identität zusammen, dass, wenn wir die be-
treffenden zwei Perceptionen einander noch ähnlicher machen,
indem wir unter Belassung der verschiedenen Ortsbestimmun-
gen die Zeit für Beide gleichsetzen, gerade dadurch die Iden-
tität aufgehoben wird. Bezüglich der Identität bei Gegen-
ständen scheint indessen kaum eine Unklarheit möglich, —
wie steht es aber bei den Attributen? Gesetzt, wir hätten
zwei congruente Dreiecke, A und B] ist nun die Dreieckigkeit
von A identisch mit der Dreieckigkeit von B? — d. h. ist die
Dreieckigkeit von A die Dreieckigkeit von jB? Niemand wird
bestreiten, dass A fortbestehen kann, auch wenn B vernichtet
ist, — ebenso wenig wird angefochten werden, dass das Attribut
an seinem Gegenstande haftet, mit ihm besteht, aber auch mit
ihm vergeht. Gibt es nun B nicht mehr, so existirt auch nicht
die Dreieckigkeit von By dagegen existirt A und die Drei-
eckigkeit von A ungestört fort. Nun ist aber die Dreieckigkeit
von A nach Mill die Dreieckigkeit von By somit existirt die-
selbe Dreieckigkeit imd existirt doch wieder nicht, was wohl
Niemand für möglich zu halten geneigt sein wird. — Was diese
dem Anschein nach ziemlich müssigen Erörterungen darthun
sollen, ist nur, dass wenn man bei gleichen Attributen ver-
schiedener Dinge von Identität spricht, damit unmöglich Iden-
tität im strengen Sinne gemeint sein kann, und dass es ebenso
ungenau ist, die allgemeine Vorstellung das ,Eine im Mannig-
faltigen* zu nennen, wie Mill thut. Will man einmal ein Attribut
als Individuum betrachten, so muss man dann auch so viele
attributive Individuen anerkennen, als es reale gibt; MiU's
,Abstractum* muss daher genau so weit universell bleiben, als
das zugehörige ,Concretum* allgemein ist; — dies war auch
der Grund, weshalb wir schon oben (S. 199) diese ,Abstracta'
zu den , allgemeinen Namen' rechneten.
Jedenfalls ist in dieser Frage Hamilton der Wahrheit
näher gekommen^ denn er hat sich im Grunde nur in der
Harne -Stadien. I. 207
Wahl des Beispieles vergriffen. Hätte er statt der Gestalt etwa
die Farbe seines Pultes vorgeführt; so wäre seine Behaup-
tung wohl von jedem Standpunkte aus unanfechtbar. Sollten
aber Beispiele individueller Abstracta nur unter den Vor-
stellungen von Attributen anzutreffen sein? Wenn ich an einen
Freund denke, so habe ich sicher von ihm eine particuläre
Vorstellung; aber ich weiss nicht, wo er sich eben jetzt be-
findet, jener Vorstellung fehlt also das Datum des Ortes, sie
kann somit nicht mehr concret sein. — Ich komme an einen
Ort, wo, wie ich weiss, mein Freund gewesen ist; allein ich
weiss nicht wann, denke ich ihn daher an dieser Stelle,
so muss ich die Zeit unbestimmt lassen. Aber auch ohne
solchen besonderen Anlass denke ich an den Freund als in
seinem Wesen den Wechsel von Raum und Zeit überdauernd,
d. h. ich ab strahl re in der R^el bei der Vorstellung dieses
Menschen von Raum und Zeit. Dasselbe gilt auch von leblosen
Gegenständen, sofern Raum oder Zeit nicht etwa ein wesent-
liches Merkmal derselben ausmacht. — Betrachten wir ein
anderes Beispiel: In einem Sacke befinden sich unreife Aepfel;
jemand nimmt einen Apfel heraus, geht hierauf zum £igen-
thümer und bittet ihn uro diesen Apfel. Der Eigenthümer
aber, der in eine Arbeit vertieft ist, antwortet, ohne aufzu-
sehen: ,Du wirst ihn nicht geniessen können, er ist noch
unreif^ Der Redende denkt hier gewiss nur an einen Apfel
(der Andere hat ja nur einen genommen), er abstrahirt vom
Räume (er weiss ja gar nicht, wo der Apfel ist), ebenso von
einem bestimmten Augenblicke (der Apfel wird in einer Stunde
noch eben so gut unreif sein, als er es vor einer Stunde war);
aber noch mehr: er hat auch keine bestimmte Vorstellung von
Farbe, Gestalt, Grösse des Apfels, denn wenn er auch jedes
Stück seiner Aepfel von andern zu erkennen vermöchte, so
kann er doch keinen ausschliesslich im Auge haben, denn er
weiss nicht, welcher herausgenommen worden ist. — In gleicher
Weise spreche ich von dem Schreiner, der meinen Schreib-
tisch hergestellt hat; ich denke nur ein Individuum, aber ich
habe ihn nie gesehen, kann also unmöglich eine concreto Vor-
stellung von ihm haben. Betrachtet man endlich Vorstellungen
'Wie: Der Weiseste von allen Menschen, der glänzendste von
Allen Sternen, so wird man auch nicht die Spur von etwas
208 Meinong.
Concretein antreffen, sie sind aber nichtsdestoweniger individuell;
denn wären z. B. zwei Menschen weiser als alle anderen, so
könnte man sie zwar die Weisesten von Allen, streng genommen
aber Keinen von ihnen den Weisesten von Allen nennen.
Augenscheinlich sind also die abstracten Individualbegriffe
keineswegs etwas so Seltenes, als noch selbst nach Hamilton's
Weise, die Sache darzustellen, zu vermuthen war. Aber vielleicht
gelingt es uns nun auch, die mannigfachen, aus der Erfahrung
zusammengelesenen Fälle unter einige einheitliche Gesichts-
punkte zu bringen. Offenbar kommt es vor Allem darauf an,
zu ermitteln, was erforderlich ist, um einer Vorstellung den
Charakter des Individualbegriffes zu geben. Auf dreierlei Weise
scheint dies möglich zu sein: entweder 1. der Begriff ist con-
cret, oder 2. sein Gegenstand wird in Relation gedacht zu
einer concreten Vorstellung oder deren Gegenstand, und zwar
in einer solchen Relation, die eine Mehrheit der Glieder auf
Seite des erstgenannten Gegenstandes ausschliesst, oder endlich
3. die Relation bezieht sich auf alle Individuen der Classe,
welcher der fragliche Gegenstand angehört, mit einziger Aus-
nahme eben dieses Gegenstandes selbst.
Die erste Art umfasst alle concreten Individualien und
wurde bereits oben unter dem Titel der Concreta, mit denen sie
ja ganz und gar zusammenfällt, abgehandelt. Dies ist die Form,
in der jedes empirische Datum uns zuerst ins Bewusstsein
kommt, und insofern sind die Concreta die Grundlage aller
Erkenntniss. Aber Erkenntniss geht zunächst nicht auf unsere
Vorstellungen, sondern auf deren Gegenstände, sie sucht das
diesen Eigenthümliche von dem durch den betreffenden Vor-
stellungsact hinzugebrachten Zufalligen möglichst loszulösen, —
damit wird aber fast immer gerade das entfallen, was die Vor-
stellung zur concreten macht, und schon daraus erhellt, dass
die allermeisten Begriffe von Individuen Abstracta sein müssen.
Diese abstracten Individualbegriffe nun sind unter den
zweiten und dritten der obigen Fälle zu subsumiren. Charak-
teristisch ist für den einen wie für den andern eine Rela-
tion; während aber in der zweiten Gruppe wenigstens das Cor-
relat noch concret ist, fallt in der dritten Gruppe auch dies
weg, so dass hier der Individualbegriff nur aus abstracten
Begriffen besteht.
Hame-Stadien. I. 209
Von diesen beiden Classen ist die erste, als die bei Weitem
umfangreichste, vor Allem wichtig. Hierher gehörige Beispiele
sind die oben gegebenen vom Freunde, vom Apfel, vom Schreiner.
Zur völligen Klarstellung mögen hier noch einige Bemerkungen
Platz finden: Dass das Correlat hier immer individuell ist,
also eine Verwechslung verhindert, dafür bürgt schon seine
Natur als Concretum. Nicht dasselbe kann von jeder Relation
gelten. Sage ich: ,dieser Mensch' (den ich eben sehe oder
gestern gesehen habe), so ist die Persönlichkeit vollkommen be-
stimmt; es liegt eine concreto Sinneswahrnehmung vor und ein
Object, das als deren Ursache gedacht wird, — diese Sinnes-
wahmehmung konnte offenbar nur durch ein Object bewirkt
werden, wobei darüber, ob dieses Object etwa ein CoUectiv
sei oder nicht, natürlich noch gar nicht präjudicirt ist. Das
Concretum kann auch in mittelbarer Relation zum Gegenstande
der Individualvorstellung stehen; so, wenn ich sage: Der Vater
dieses Menschen. Auch hier ist die Individualität des Be-
griffes unzweifelhaft; hätte ich dagegen gesagt: Sohn dieses
Menschen, Nachbar dieses Menschen, so wären das zunächst
Allgemeinbegriffe, die zu ihrer Individualisirung noch einer
näheren Bestimmung bedürften. — Es ist übrigens ziemlich
selbstverständlich, dass es für den Charakter der in Rede ste-
henden Begriffe ganz einerlei bleibt, ob das Vorgestellte ein
Ding oder ein blosses Attribut ist. Ein Beispiel der letzteren
Art ist, von dem oben geltend gemachten Bedenken abgesehen,
das von Hamilton erwähnte particuläre Abstractum; in der That^
ob ich dieses Pult vorstelle, oder das Merkmal x dieses
Pultes, in jedem Falle kann sich die Vorstellung nur auf
einen Gegenstand beziehen.
Die zweite Art abstracter Individualbegriffe ist durch die
Beispiele vom weisesten Menschen und schönsten Stern wohl
genügend beleuchtet worden. Während in der vorigen Classe
dem Vorhandensein mehrerer Gegenstände meist nur unend-
lich grosse UnWahrscheinlichkeit entgegenstand, ist dies hier
durch den Satz des Widerspruches ausgeschlossen. In der
Sprache entspricht diesen Vorstellungen, wie es scheint, eine
eigene Ausdrucksform, der Superlativus singularis des Adjectivs.
Hat sich demnach aus unserer Untersuchung eingeben,
dass nicht nur nicht alle, sondern nur die wenigsten Individual-
8itnngtb«r. d. phil.-Hist. C\. LXXXYII. Bd. I. Hfl. U
210 Meinouff.
begriffe concret genannt werden können^ so folgt nun von
selbst; dass zwar alle Allgemeinbcgriffe abstract; nicht aber
alle Abstracta allgemein sind. Wie steht es nun aber mit
dem scheinbar so plausiblen Gesetz vom umgekehrten Ver-
hältnisse in dem Umfang und Inhalt der Begriffe sich verändern
sollen?
Wird auch der Umfang eines einfachen Begriffes als un-
endlich gross zugegeben, so ist doch noch gar nicht abzusehen,
warum nicht auch ein complexer Begriff unendlich viele Ob-
jecto unter sich begreifen könnte, auch wenn es deren weniger
sein sollen als die, welche der einfache Begriff umfasste. Aber
bezüglich des Inhaltes der Individualbegriffe lässt sich schon
das Zugeständniss der Unendlichkeit in keiner Weise machen«
Ein Begriff mit unendlich vielen Merkmalen wäre eine For-
derung, die die Grenzen unserer Fassungskraft wohl weit
überstiege; übrigens haben wir schon bei den concreten Indi-
vidualvorstellungen nur eine beschränkte Zahl von Merkmalen
antreffen können, — dass von den abstracten Individualien das-
selbe nur noch in erhöhtem Grade gilt, braucht kaum hervor-
gehoben zu werden. Wir denken zwar das Individuum als
mit unendlich vielen (wenn auch uns unbekannten) Attributen
ausgestattet, aber die Vorstellung von etwas Unendlichem hat
doch sicher nicht selbst unendlich viele vorgestellte Bestand-
theile. Zum Ueberfluss dürfte sich, wenn man nun einmal
diese Attribute ins Auge fasst, schwerlich ein Grund an-
geben lassen, warum mehrere Individuen nicht auch in einer
unendlichen Zahl von Attributen übereinstimmen könnten
(das Zusammentreffen von Raum- und Zeitbestimmung natür-
lich ausgenommen). Hat ein Individuum wirklich unendlich
viele Merkmale, und lässt man davon die (endlich. vielen) seine
Individualität voraussetzenden weg, so ist der Rest immer noch
unendlich gross und kann ohne Widerspruch als allgemein
gelten.
Wir haben ferner gefunden, dass Individualbegriffe, die
doch alle gleichen Umfang haben, sehr verschieden grossen
Inhalt aufweisen können. Auch liegt es auf der Hand, dass
es Fälle gibt, wo ein Zuwachs oder eine Abnahme bezüglich
des Inhaltes eines Begriffes den Umfang ganz unverändert
lässt, nämlich, wenn man einem Gattungs- oder Artbegriff ein
Hnme- Studien. I. 211
Proprium dieser Gattung oder Art zufügt oder umgekehrt den in
letzterer Weise complicirten Begriff durch Weglassung des Pro-
prium auf den blossen ßattungs-, respective Ärtbegriff reduciii;.
Kurz, es kann kein Zweifel darüber bestehen^ dass das fragliche
Gesetz, wenigstens in seiner Allgemeinheit; völlig unhaltbar
ist. Drobisch hat daher den Versuch gemacht^ dasselbe min-
destens auf beschränktem Gebiete zu constatiren ^ und bezüglich
einiger einfacher Fälle das Verhältniss von Umfang und Inhalt
sogar in mathematische Formeln zu bringen.^ Aber zu den
schon von Ueberwcg^ geltend gemachten praktischen Bedenken
gegen diese Formeln kommt noch ein theoretisches. Drobisch
hat sich die Lösung seiner Aufgabe wesentlich erleichtert, ja
einzig möglich gemacht durch seine Definition vom Umfange.
Dieser ist nach ihm ,die geordnete Gesammtheit aller einander
beigeordneten Arten' des Objectsbegriffs, * es* sind damit
natürlich die niedrigsten Arten gemeint. Durch diese Definition
ist aber der Sinn des Wortes Umfang ganz verschoben; ge-
wöhnlich meint man damit doch die Gesammtheit der unter
den fraglichen Begriff fallenden Individuen, während nach
Drobisch bei den niedrigsten Arten ein Umfang gar nicht
mehr in Frage kommen oder höchstens als Einheit betrachtet
werden kann. Unter Voraussetzung des gewöhnlichen und
wohl einzig statthaften Begriffes jedoch sind die in Rede
stehenden Formeln unanwendbar; denn eben weil sie die nie-
drigsten Arten sämmtlich = 1 setzen, werden deren Umfange
als durchaus gleich behandelt, was der Wirklichkeit wohl kaum
in irgend einem Falle entsprechen wird.
Abgesehen von dem mathematischen Theile wird man
aber Drobisch's Modificationen nur beipflichten können. Nach
ihm erhält das Gesetz diese Form: ,In jeder Reihe einander
untergeordneter Begriffe kommt demjenigen von je zwei mit
einander verglichenen Begriffen, welcher einen grösseren Inhalt
als der andere hat, ein kleinerer Umfang, und umgekehrt dem-
jenigen, welcher einen grösseren Umfang als der andere hat,
» a. a. O. §. 26 8. 29f.
^ ibid. S. 206 ff. Loirisch-mathematificber Anhang^ I.
^ System der Logik 2. Aufl. Bonn 1865, §. 54 S. 104.
* a. a. O. §. 25 S. 28.
14*
212 Meinonff.
ein kleinerer Inhalt zu^ Es muss hier ira Auge behalten
werden, dass nur von einer Reihe ßubordinirter Begriffe
die Rede und die Grösse von Zuwachs oder Abnahme ganz
unbestimmt gelassen ist. Ueber diese Grenzen hinaus kann
dem Gesetze nicht einmal eine annähernde Richtigkeit einge-
räumt werden. —
Was sich aus unseren Betrachtungen ergeben hat, ist in
Kurzem dies: Für die Frage, ob ein Begriff universell oder
particulär sei, ist die Anzahl der dem Inhalt desselben aus-
machenden Attribute ganz unwesentlich, nicht ebenso die Qua-
lität dieser Attribute; denn je nachdem mit Rücksicht auf
diese Qualität das Vorhandensein von mehreren, dem fraglichen
Begriffe entsprechenden Individuen als mathematisch oder phy-
sisch unmöglich betrachtet werden muss oder nicht, muss auch
der Begriff als individuell oder allgemein gelten. Für die Frage
dagegen, ob ein universeller Begriff mehr oder minder
universell sei, kann die Inhaltsgrösse unter Umständen von
Belang sein, und die Inhaltsqualität ist es immer, aber aus
dieser oder jener oder beiden allein wäre darüber gar nichts
zu entnehmen; denn beim Umfang handelt es sich um ein
Verhältniss und mit dem Inhalte ist nur ein Glied des-
selben gegeben, das zweite kann nur durch die Erfahrung bei-
gebracht werden.
Der Umfang ist, und das verdient wohl festgehalten zu
werden, nicht etwas, das, gleich dem Inhalte, selbstverständlich
oder gar noth wendig in dem Begriffe vorgestellt würde. Man
wird zwar häufig, wenn man einen Begriff denkt, sich auch
vergegenwärtigen, ob der Umfang desselben gross oder klein
sei; aber dies ist durchaus nicht wesentlich, und wenn nach-
trägliche Erfahrung ergibt, dass der Umfang weit grösser ist
als man vorher glaubte, kann dies am Begriffe selbst nicht das
Geringste ändern. Deshalb wird der Umfang des Universal-
begriffes gewöhnlich als etwas für unsere Erkenntniss Unbe-
stimmtes gedacht, da Vieles in denselben gehören mag^ das
wir niemals vorgestellt haben. Der wirkliche Umfang ist
eben von unserer Erkenntniss gerade so unabhängig als ii^nd
eine Thatsache der äusseren Welt; dass daher zwischen allge-
meiner und individueller Vorstellung erst eine Association
contrahirt werden müsste, damit die letztere unter die erstere
Httine- Studien. I. 213
subsamirt werden könnte^ ist durch das Gesagte von selbst
ausgeschlossen, wenn auch niemand bestreiten wird^ dass eine
solche Association, schon in Folge der Aehnlichkeit zwischen
dem universellen Begriff und den untergeordneten Particular-
ideen, nichts eben Seltenes ist. Wo sie auftritt, wird sie sich
natürlich auch durch Reproduction des einen Gliedes beim
Erscheinen des anderen äussern; aber es ist klar, dass der
gewaltig fehlgehen würde, der in dieser Reproduction das
Wesen des Umfanges zu erblicken glaubte.
Kehren wir nach dieser längeren, aber hoffentlich nicht
ganz ergebnisslosen Abschweifung nun wieder zur Prüfung
Berkeley 's zurück. Wie wir sahen, hat er von der Aufmerk-
samkeit als Erkläruugsprincip für das Phänomen der Verall-
gemeinerung eigentlich keinen Gebrauch gemacht. Durch die
Opposition gegen Locke bis zur Leugnung aller Abstraction
getrieben , hat er sich selbst die Möglichkeit entzogen , die
Frage nach der Universalität befriedigend zu lösen. Damit ist
manche richtige Bemerkung im Einzelnen natürlich noch sehr
wohl vereinbar. Er hat, wie wir nun wissen, ganz Recht, zu
behaupten, die Allgemeinheit bestehe nicht in dem ,absoluten,
positiven Wesen' von etwas allein; auch wenn er davon spricht,
dass allgemeine Begriffe die individuellen vertreten, kann das
in zutreffender Weise aufgefasst werden. Aber Alles, was er in
diesem Zusammenhange sagt, ist lückenhaft, unbestimmt. Liest
man, dass die Ideen ihre Allgemeinheit dem verdanken, was sie
bezeichnen, so weiss man schon nicht, ob man es hier nicht
etwa mit einem Ansatz zu einer Associationstheorie zu thun hat;
vollends zurückweisen muss man aber die Ansicht, als könnten
Begriffe, ,die ihrer eigenen Natur nach particulär sind^, anders
als eben durch Aufgeben dieser Natur allgemein werden.
Nicht eben so rasch können wir an Berkeley's Aufstel-
lungen über die Bedeutung der Worte vorübergehen. Hat sich
ans auch bereits ergeben, dass seine Polemik gegen Locke in
dieser Hinsicht nicht als ein Eintreten für die Beziehung der
Worte auf Dinge aufgefasst werden kann, so ist damit doch
keineswegs ausgeschlossen, dass Berkeley's Behauptungen dem
wirklichen Sachverhalte weit näher stehen als die Locke's.
Wenn nämlich dieser den Gebrauch der Worte für Dinge als
214 Heinon;.
einen verkehrten bezeichnet/ so hat dagegen J. St. Mill mit
Recht darauf hingewiesen, ^ wie wir weit davon entfernt sind,
mit dem Satze: ,die Sonne ist die Ursache des Tageslichts^
etwas über unsere Vorstellungen aussagen zu wollen. Berkeley
steht nun gewissermassen in der Mitte zwischen diesen Gegen-
sätzen, indem für ihn der Unterschied zwischen Idee und Ob-
ject nicht existirt; der Fortschritt gegen Locke wird aber in
der Behauptung deutlich; dass das allgemeine Wort nicht eine
allgemeine Idee, sondern Individualvorstellungen bezeichne.
In der That, wenn man sagt: jeder Körper ist schwer', so
meint man dabei niemals, der Allgemeinbegriff Körper sei
schwer oder dergleichen, man spricht im Gegentheil von allen
Einzelindividuen, die allerdings nach Berkeley nur Einzel-
ideen sind.
Bezieht man also den in Rede stehenden Satz Berkeley 's
nur auf die Bedeutung des allgemeinen Wortes, so ist der-
selbe, von der metaphysischen Seite natürlich abgesehen, durch-
aus unangreifbar. In der unbeschränkten Fassung jedoch, in
der wir ihn antreffen, muss er, wie schon oben (S. 189) be-
merkt wurde, Bedenken erregen. In gewissem Sinne ist ja
das allgemeine Wort doch Zeichen einer allgemeinen Idee.
Schon Hobbes definirt den Namen als ,ein Wort, .... das,
Andern gegenüber ausgesprochen, diesen als Zeichen eines
Gedankens dient, den der Sprechende früher in seinem Geiste
hatte . . . .^ und J. St. Mill muss diese von ihm (a. a. O.)
wiedergegebene Bestimmung als fehlerfrei anerkennen. Spricht
also einer einen allgemeinen Namen aus, so wird der Hörer
daraus in der Regel den Schluss ziehen dürfen, dem Sprecher
schwebe eine Idee von mehreren Einzelobjecten, d. h. eben
eine allgemeine Idee vor^ welche für ihn Veranlassung war,
das Wort zu sagen. Es wäre somit ebenso einseitig zu be-
haupten, Worte bezeichnen n u r Gegenstände, als: sie bezeichnen
nur Vorstellungen; es ist vielmehr Beides der Fall, aber, wie
wohl zu beachten ist, Jedes in einem anderen Sinne. Uebrigens
trifft natürlich Keines von Beiden ausnahmslos zu. Wenn jemand
ein Wort nicht versteht, so kann er es doch nachsprechen; in
* Eüsay concerning hum. underst. b. III eh. II sect. 5.
' Logic b. I eh. II §. 1.
Hnme- Studien. I. 215
diesem Falle bezeichnet es eben gai* nichts. Minder selbstver-
ständlich ist eine Reihe von andern Ausnahmen^ auf die Ber-
keley nicht ganz mit Unrecht hinweist, wo es sich nämlich
um Worte handelt^ die uns durchaus nicht unverständlich er-
scheinen.
£s ist Thatsache, dass wir oft Worte gebrauchen, und
richtig gebrauchen, ohne uns im Äugenblicke ihrer Verwendung
ihren Sinn klar zu vergegenwäi*tigen ; darauf hat schon vor
Berkeley Leibnitz und Locke aufmerksam gemacht^ auch nach
ihm war diese Thatsache Gegenstand wiederholter Erörterung
diesseits wie jenseits des Canals, > und heute sind sonst so
gegensätzliche Schulen wie die empirische und intuitive in
England über diesen Punkt vollkommen einig; — aber Berkeley
geht weiter als sie Alle, indem er behauptet, wir brauchen
Worte zu richtigem und fruchtbarem Urtheilen auch dort,
wo wir mit den Worten nie Ideen verbunden haben noch ver-
binden können/^ Das hiesse denn doch, das nur zu oft mit
Recht auf philosophische Speculationen angewandte Dichter-
wort: ,Wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit
sich ein' zum erkenntnisstheoretischen Grundsatz erheben. Von
einer Widerlegung dieser Ansicht Berkeley's oder einer Kritik
der von ihm beigebrachten Beispiele wird also wohl Umgang
genommen werden können.
Eine Frage muss aber noch beantwortet werden, ehe
wir uns von der Lehre Berkeley's zu der seines Nachfolgers
wenden, die Frage, ob Berkeley zu den nominalistischen oder
zu den conceptualistischen Denkern zu zählen sei. Es geschah
^ Vergl. Hamilton, lect. yol. III. S. 171 ff., wo aber gerade Berkeley un-
berücksichtigt bleibt; das sonderbare Missverständniss S. 183, als wären
die von Leibnitz gebrauchten Ausdrücke ^synthetisches' und ,intuitives'
Denken entsprechend dem deutschen ^Begriff^ und , Anschauung*, hat schon
J. St Mill berichtigt (Examination, chapt. XVII. in der franz. Uebers.
S. 385, Anm.).
3 Aus der Einleitung zum Treatise ist hierüber noch kaum etwas zu ent-
nehmen, um so mehr aus dem Min. phil., so dass die Vermuthung nahe
liegt, Berkeley habe sich durch sein hier hervortretendes Streben, die
Trinität und andere Mysterien der christlichen Religion zu rechtfertigen
(dial. VII sect. 11), mehr als billig beeinflussen lassen.
216 Meinong.
zum Theil mit Rücksicht auf diese Frage, dass wir des Irländers
Aufstellungen über allgemeine Namen in das Bereich unserer
Darstellung und Kritik zogen, — nun haben wir das Material
vor unS; die Entscheidung wird also rasch erfolgen können.
Man hat sich so sehr gewöhnt^ Berkeley als einen der
hervorragendsten Begründer des modernen Nomin alismus zu
betrachten^ dass man gar nichts Auffallendes darin iindet, wenn
z. B. Hamilton ihn kurzweg den , zweiten grossen Nominalisten^
nennt,' oder Kuno Fischer den Satz ausspricht: ,Unter den
neueren Philosophen ist die nominalistische Denkweise ein-
heimisch, aber sie ist von Keinem so sehr in den Vordergrund
aller philosophischen Betrachtung gerückt , so grundsätzlich
geltend gemacht worden als von Berkeley^ ^ In der That, dass
alle nominalistischen Theorien dieses wie des vorigen Jahr*
hunderts an Berkeley anknüpfen, ist sicher; aber das allein
könnte doch wohl nicht ausreichen, um ihn selbst als Nomi-
nalisten zu erweisen. Blickt man dagegen auf seine Lehre,
so stellen sich dem Nachweis sofort Hindernisse entgegen.
Freilich, wer mit Hamilton jene Ansicht nominalistisch nennt,
die behauptet, ,dass jeder Begriff, für sich betrachtet, particulär
ist, aber allgemein wird durch die Intention des Gemüthes,
ihn jeden ihm ähnlichen Begriff repräsentiren zu lassen^ der
muss mit ihm auch den irischen Philosophen in die Classe der
Nominalisten einreihen, und Alles ist in diesem Falle klar
und gerechtfertigt, nur nicht der Name Nominal ist selbst, da
die Worte bei einer solchen Theorie gar keine wesentliche
Rolle spielen. Daher dürfte es sich mehr empfehlen, mit
J. St. Mill unter Nominalisten jene zu verstehen, die ,behaupten,
es gebe nichts Universelles als Namen' ;^ und nun muss sogleich
jedem einleuchten, dass Berkeley in diese Classe nicht gehört,
denn er kennt zwar allgemeine Namen, aber er kennt auch,
wie wir fanden, allgemeine Ideen. Allerdings, insofern es bei
ihm Erkenntnisse gibt durch Worte, denen gar keine Ideen
zu Grunde liegen, insofern ist er Nominalist bis zu einem
1 Lect. vol. II S. 305.
2 Francis Bacon S. 703.
3 a. a. O. vol. II, S. 297.
* Examinatiou, eh. XVII, a. a. O. Ö. 359.
Hnm«. Studien. I. 217
Extrem, zu dem sieh glücklicher Weise keiner seiner Nach-
folger vorgewagt hat; im Uebrigen aber erweisen sich bei ihm
die Namen zum Zustandekommen der AllgemeinbegrifFe noch
gar nicht als wesentlich, — wir sind somit genöthigt, ihm eine
Mittelstellung zwischen den Vertretern des Nominalismus
und Conceptualismus zuzuerkennen.
Um Berkeley's Abstractionslehre richtig zu verstehen und
zu würdigen, muss man wohl stets vor Augen behalten, dass
sie doch vor Allem ein Stadium des Ueberganges, der Ent-
wicklung repräsentirt, das, mochte es vielleicht auch bestimmt
sein, zu namhaften Erfolgen zu führen, doch in sich den
Charakter des Unfertigen nicht verleugnen konnte. In Locke
finden wir noch den alten Nominalismus, der sich seines Gegen-
satzes gegen den Realismus noch wohl bewusst ist, vereinbar
und vereinigt mit dem Conceptualismus; Berkeley vermittelt
den Uebergang von dem alten Nominaiismus zum neuen, dem
der Gegensatz gegen den Conceptualismus wesentlich ist, —
aber er steht selbst noch mit einem Fusse auf dem Boden, den
er durch seinen Angriff auf die abstracten Ideen zu erschüttern
sucht, ja er bringt selbst Gedanken zur Geltung, die, gehörig
entwickelt, vielleicht geeignet sein könnten, gerade dem Con-
ceptualismus eine unerschütterliche Grundlage zu geben. Man
kann demnach noch in einem anderen Sinne die eben ausge-
sprochene Behauptung wiederholen, dass Berkeley in der Mitte
zwischen den sich bekämpfenden Ansichten stehe, in dem Sinne
nämlich, dass er gewissermassen Ansätze zu beiden Theorien
in sich schliesst.
Aber nach dem Keime lässt sich eben keine Frucht be-
urtheilen, und so war es denn nöthig, dass seine Lehre erst
eine geeignete Fortbildung erfahre, wenn sich ergeben sollte,
ob er den rechten Weg gewiesen oder nicht. Ein solcher Fort-
bildner hat sich gefunden, und zwar in der Person des Schotten
David Hume, dessen Aufstellungen wir uns nunmehr zu-
wenden.
218 Meinong.
David Hume schliesst sich in seinem ersten und umfang-
reichsten Werke, dem jTreatise concerning human nature', das
wir hier zunächst allein in Betracht ziehen, bezüglich der Ab-
stractionsfrage ausdrücklich an Berkeley's Forschungen an ; er
nennt das Resultat derselben ,eine der werthvollsten Entdeckun-
gen, welche in den letzten Jahren in der Republik der Wissen-
schaften gemacht worden sind^, und stellt sich nur die Aufgabe,
diese Entdeckung durch einige neue Argumente völlig ausser
Zweifel zu setzen. ' Durch diese Erklärung, die an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig lässt, scheint das Verhältniss der
beiden Denker zu einander in klarster Weise festgestellt; und
wirklich hat man niemals Bedenken getragen, Plume's Abstrac-
tionstheorie als einfache Wiederholung und höchstens Neube-
gründung der Berkeley'schen zu bezeichnen, — auch der
neueste und wohl gründlichste Darsteller der Hume'schen Philo-
sophie, E. Pfleiderer^ macht hierin keine Ausnahme.
Aber trotzdem möchte es vielleicht nicht rathsam sein,
auf Grund dessen, was Hume selbst über seine Beziehungen
zu Berkeley sagt, die Art, in der er die Ansicht Berkeley's
wiedergibt, ganz und gar zu vernachlässigen. Berkeley, sagt
er, ,hat behauptet, alle allgemeinen Ideen seien nichts als par-
ticuläre, geknüpft an einen bestimmten Ausdruck, der ihnen
eine ausgedehntere Bedeutung verleiht und bewirkt, dass sie
bei Gelegenheit andere Individuen, die ihnen ähnlich sind, ins
Gedächtniss rufen'. ^ Ist dies nun wirklich Berkeley's Ansicht? *
Wenn wir diese oben richtig dargestellt haben, so liegt der
Unterschied auf der Hand. Richtig ist, dass nach Berkeley
wie nach Hume die allgemeinen Ideen particuläre Ideen mit
allgemeiner Bedeutung sind;"' falsch ist aber, dass sie nach
^ Treatise, book I part. I sect. VII in der neuen vierbändig^n Ausgabe
von T. H. Green und T. H. Grose (The philosophical worka of David
Hume, London 1874) Bd. I, S. 325.
2 Empirismns und Skepsis in David Hume's Philosophie, Berlin 1874, S. 123.
3 Treatise a. a. O.
♦ F. Jodl (Leben und Philosophie David Hume's, Halle 1872, S. 33) repro-
ducirt Hume's Auffassung kurzweg als die Berkeley's, aber er hat unter-
lassen, dafür auch nur eine Belegstelle aus Berkeley anzuführen.
5 Darum dürfte Pfleiderer irren, wenn er (a. a. O. S. 122 letzte Zeile)
behauptet, Hume leugne Geltung oder Vorhandensein allgemeiner
Hame-Sftadie&. I. 219
Berkeley ihre Allgemeinheit den an sie geknüpften Ausdrücken
verdanken. Schon oben ^ wurde dargethan, dass nichts in Ber-
keley's Ausfuhrungen auf einen Zusammenhang zwischen Worten
und allgemeinen Ideen hinweist; dass aber vollends Hume's
Interpretation den Intentionen des Irländers geradezu wider-
streitet; ergibt sich leicht aus folgender Erwägung : Gegen £nde
der oft citirten Einleitung in die Abhandlung über die Prin-
cipien der menschlichen Erkenntniss lesen wir: ^Weil demgemäss
Worte so leicht den Geist tu täuschen vermögen, so werde ich,
welche Ideen auch immer ich betrachte, versuchen, sie gleich-
sam bloss und nackt anzuschauen, indem ich aus meinem
Denken, so weit ich es vermag, jene Benennungen ent-
ferne, welche eine lange und beständige Gewohnheit so eng
mit ihnen verknüpft hat . . /^ Ein solches ,Denken ohne
Benennungen', das doch wohl, wie jedes wissenschaftliche
Denken, Allgemeinbegriffe voraussetzt, wäre nun aber nach
Hume schlechterdings unmöglich; nach seiner Meinung werden
ja die particulären Ideen erst durch die an sie geknüpften
Worte allgemein. Werden daher diese von den Ideen getrennt,
so haben letztere ihre Allgemeinheit verloren und niemand
könnte begreifen, wie Berkeley davon Vortheil für seine wissen-
schaftlichen Untersuchungen erwarten mochte. Es erhellt daraus
in völlig evidenter Weise, dass Hume in die Berkeley'sche Lehre
ein dieser völlig fremdes Moment hineingetragen hat.
Eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob dieses neue
jMoment nicht zugleich einen wesentlichen Fortschritt auf dem
von Berkeley betretenen Weg in sich schliesst, sobald man von
seinem Streben, die Begriffe von den Worten zu emancipiren,
absieht. Eines wenigstens ist, noch ehe man Hume's Ar-
gumente kennt, aus der blossen Formulirung seiner These zu
entnehmen: die wesentlichsten Lücken der Berkeley'schen
Aufstellungen sind hier ausgefüllt. Das Verhältniss ^wischen
allgemeinen Worten und allgemeinen Ideen ist wenigstens in
Ideen, während Hume's wie Berkeley's Angriffe nur gegen die Abstracta
gehen. Aber vielleicht haben wir es hier nur mit einer kleinen Unge-
nanigkeit im Ausdruck zu thun, wie der Schluss der Ausführung (S. 125
in der Mitte) wahrscheinlich macht,
» S. 189 in der Note.
2 a. a. O. sect. 21.
220 M e i n 0 n g;.
irgend einer Weise präcisirt, und vor Allem die Frage, wie
eine particuläre Idee dazu komme, andere gleichartige Ideen
zu ,reprä8entiren' oder zu ,bezeichnen', und so allgemein zu
werden, hat eine Antwort gefunden. Mag die Hypothese nun
haltbar sein oder nicht, jedenfalls ist sie dadurch, dass die
Namen in den Vordergrund treten, klar und discutirbar ge-
worden, und aus der Erörterung derselben kann für die Psy-
chologie nur Gewinn erwachsen; ins9fern hat sich also Hume
um die Förderung der Untersuchungen über Abstracta weit
mehr und namentlich weit selbstständiger verdient gemacht,
als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Er, nicht Berkeley,
hat den Worten jene so hervorragende Stelle in unserem Geistes-
leben zuerkannt, welche uns berechtigt, seine und seiner Nach-
folger Theorie als nominalistische zu bezeichnen, und so
verdient er weit mehr als Berkeley den Namen des eigent-
lichen Begiünders des modernen Nominalismus.
Treten wir nun näher an die Hume'schen Untersuchungen
heran. Diese gehen davon aus, dass die meisten oder alle all-
gemeinen Ideen von dem speciellen Grade der Qualität und
Quantität abstrahiren, da ein solcher doch nicht leicht einen
Artunterschied begründen kann. Dennoch ,repräsentirt die ab-
stracto Idee Mensch Menschen von allen Grössen und Eigen-
schaften, und man nimmt an, dies könne nicht anders geschehen,
als indem sie entweder alle möglichen Grössen und Eigenschaften
auf einmal, oder gar keine davon repräsentirt'. Das Erstere
scheint eine unendliche Fassungskraft vorauszusetzen; man hat
sich daher zu Gunsten des Letzteren entschieden. Dem gegen-
über will Hume zeigen, einmal, dass es unmöglich ist, Quantität
oder Qualität ohne bestimmten Grad vorzustellen, — ferner, dass
wir uns trotz unserer blos endlichen Fassungskraft ,einen Begriff
von allen möglichen Graden von Quantität und Qualität' machen
können, nicht vollständig zwar, aber doch in einer Weise, die
allen praktischen Zwecken genügt. ^
Den ersten, negativen Theil seiner Behauptung stützt
Hume durch folgende drei Argumeßte:
Treatise b. I p. I eh. VII, WW. Bd. I, S. 825 f.
HniiM-BUdiM. I. 221
1. Was verschieden ist, ist unterscheidbar, was unter-
scheidbar; ist auch in der Vorstellung trennbar; und umge-
kehrt: was trennbar, ist auch unterscheidbar und daher ver-
schieden. Um zu entscheiden, ob bei der Abstraction eine
Trennung überhaupt vor sich gehen kann, muss daher nur
ermittelt werden, ob das, was bei einer allgemeinen Idee ab-
strahirt wird, von dem, was als Wesen zurückbleiben soll, auch
unterscheidbar und verschieden ist. Nun ist z. B. die bestimmte
Länge einer Linie von der Linie selbst, der bestimmte Grad
einer Qualität von der Qualität selbst so wenig verschieden
als unterscheidbar, es kann somit auch von keiner Trennung
die Rede sein. ^
2. Es ist anerkannt, dass uns keine Impression zum Be-
wusstsein kommt, sie wäre denn bezüglich des Grades der
Qualität und Quantität bestimmt; das Gegentheil enthielte eine
contradictio in terminis. Ideen sind aber Copien von Impres-
sionen, die sich von diesen nur durch ihre geringere Inten-
sität unterscheiden; auch sie müssen daher graduell determi-
nirt sein. 2
3. Jedermann räumt ein, dass Alles in der Natur indi-
viduell ist, und dass es absurd wäre, ein reales Dreieck ohne
bestimmte Dimensionen anzuerkennen. Was in der Realität
absurd ist, muss es auch in der Idee sein, denn nichts ist
unmöglich, wovon sich eine klare und deutliche Vorstellung
bilden lässt. Es ist ferner dasselbe, die Idee eines Gegen-
standes oder eine Idee schlechtweg zu bilden, denn die Be-
ziehung der Idee auf ein Object ist nur eine äusserliche Be-
nennung, die nicht im Wesen der Idee begründet ist. Ist es
also unmöglich, die Idee eines Gegenstandes zu bilden ohne
graduelle Bestimmung, so gilt dasselbe auch von einer Idee
überhaupt. ^
Alle abstracten Ideen sind somit an sich individuell;
gleichwohl können sie im Denken ebenso angewendet werden,
als wenn sie allgemein wären; — darauf geht der positive
Theil von Hume's Behauptung.
' ibid. 8. 326.
* ibid. S. 327, aucb b. I p. III sect. I (a. a. O. 8. 376).
' ibid. S. 327.
222 H«inong.
Der Weg, auf dem die particulären Ideen zu dieser all-
gemeinen Anwendbarkeit gelangen, ist nun aber folgender:
,Haben wir zwischen mehreren Objecten eine Aehnlichkeit ge-
funden, die uns oft begegnet, so wenden wir auf sie Alle ein
und denselben Namen an, was immer für Unterschiede wir in
Bezug auf den Grad ihrer Quantität und Qualität beobachten,
oder was immer für andere Diflferenzen an ihnen erscheinen
mögen. Nachdem wir eine Gewohnheit dieser Art erlangt
haben, ruft das Hören jenes Namens die Idee eines dieser
Objecte wach und Uisst die Einbildungskraft das letztere mit
allen besonderen Umständen und Verhältnissen vorstellen. Aber
da dasselbe Wort, wie gesagt, häutig auch auf andere Individuen
angewendet worden ist, die in verschiedener Hinsicht von der
dem Geiste unmittelbar gegenwärtigen Idee verschieden sind,
so ist das Wort zwar nicht im Stande, die Idee aller dieser
Individuen wiederzuerwecken, aber es gibt der Seele einen
Anstoss (touches the soul), wenn dieser Ausdruck erlaubt ist,
und ruft jene Gewohnheit wieder ins Leben, die wir durch
Ueberblicken jener Individuen (by surveying them) erworben
haben. Sie sind nicht wirklich und actuell in unserem Be-
wusstsein gegenwärtig, sondern blos virtuell; wir ziehen sie
in der Einbildungskraft nicht alle distinct hervor, sondern wir
halten uns in Bereitschaft, welche immer von ihnen zu über-
blicken (to survey any of them), je nachdem wir durch Ab-
sicht oder Nothwendigkeit eben veranlasst werden. Das Wort
erregt also eine individuelle Idee, zugleich mit einer gewissen
Gewohnheit, und diese Gewohnheit erzeugt irgend eine andere
individuelle Idee, für die wir eben eine Anregung haben. Aber
da die Erzeugung aller Ideen, für welche der Name verwendet
worden sein mag, in den meisten Fällen unmöglich ist, so
kürzen wir das Geschäft durch eine mehr partielle Betrachtung
ab, und finden, dass in unserem Denken nur wenige Unzu-
kömmlichkeiten aus dieser Abkürzung erwachsen.'
Dies ist dem ,höchst merkwürdigen Umstände' zuzuschrei-
ben, dass uns jene Gewohnheit sofort auch irgend eines von
den andern Individuen vergegenwärtigt, sobald wir zu&llig
einen Gedanken bilden, der dem betreffenden Individuum nicht
gemäss ist. Hören wir z. B. den Namen Dreieck, so denken
wir zunächst etwa an ein bestimmtes gleichseitiges Dreieck;
Harne -Stadien. I. 223
wollten wir jedoch, auf Grund dessen behaupten, jedes Dreieck
habe gleiche Winkel, so käme uns sogleich ii-gend ein gleich-
schenkliges oder ungleichseitiges Dreieck in den Sinn. Oeschieht
nicht» dergleichen, so beruht dies auf einer Unvollkommenheit
der Geistesfahigkeiten, die dann leicht zu falschen Urtheilen
Änlass gibt. Doch kommt solches meist nur bei abstrusen und
complicirten Ideen vor, — in der Regel ist im Gegen theil die
Gewohnheit so fest, dass sogar dieselbe Idee an verschie-
dene Worte geknüpft sein kann, ohne dass die Gefahr einer
Verwirrung vorläge. So könnte z. B. bei den Worten: Figur,
geradlinige Figur, regelmässige Figur, Dreieck, gleich-
seitiges Dreieck uns immer die Idee ein und desselben gleich-
Beitigen Dreieckes vorschweben.
,Ehe derlei Gewohnheiten gehörig ausgebildet sind, mag
das Gemüth vielleicht nicht damit zufrieden sein, die Idee nur
eines Individuums zu bilden, sondern vielleicht über mehrere
hineilen, um sich selbst seine Meinung und den Umfang der
CoUection klar zu machen, die es mit dem allgemeinen Aus-
drucke bezeichnen will. Um den Sinn des Wortes Figur zu
fixiren, betrachten wir im Geiste die Ideen von Kreisen, Qua-
draten, Parallelogrammen, Dreiecken von verschiedenen Grössen
und Proportionen, und lassen es nicht bei einem Bilde, oder
einer Idee bewenden. Wie dem aber auch sein mag, gewiss
ist, dass wir die Idee von Individuen bilden, wann immer wir
irgend welche allgemeine Ausdrücke gebrauchen, dass wir selten
oder nie diese Individuen erschöpfen können, und dass die,
welche übrig bleiben, nm* durch den Habitus repräsentirt werden,
durch welchen wir sie uns ins Gedächtniss rufen, wann immer
eine sich eben ergebende Gelegenheit es erfordert.' ^
Der einzige Punkt, der Hume bei dieser Erklärung nicht
ohne Schwierigkeit scheint, ist eben die Gewohnheit, die hier
eine so wichtige Rolle spielt. Aber da es unmöglich wäre, die
Seelenthätigkeiten auf ihre letzten Ursachen zurückzuführen,
80 ist ein Act des Geistes genügend erklärt, wenn man andere
Acte aufweist, welche ihm analog sind oder ihn unterstützen.
Zu diesem Ende weist Hume darauf hin, dass auch sonst sich
oft ein Habitus an ein einziges Wort knüpft, z. B. die Erinne-
» a. a. O. S. 328.
224 MeinoBff.
rung an Sätze und Verse. * In unserem Falle aber wird der
Wiedereintritt der eben nöthigen Idee ins Bewusstsein durch
die Aehnlichkeit der unter einem allgemeinen Ausdruck ver-
einigten Individualbegriffe wesentlich erleichtert.'* Was endlich
die Unvollkommenheit betrifft^ die allen allgemeinen Ideen eigen
ist, 80 findet auch diese ihre Analoga: wir können von grossen
Zahlen keine adäquate Idee bilden, dennoch stört uns dies nicht
im Denken;*' ebenso sprechen wir von verwickelten Dingen
wie Regierung, Kirche, Unterhandlung, Eroberung, ohne uns
alle in diesen Complexen enthaltenen einfachen Ideen zu ver-
gegenwärtigen, — gleichwohl werden wir nichts Widerspre-
chendes von ihnen aussagen, weil sich die Oewohnheit, die
Ideen in gewisse Relationen zu bringen, auch auf die Worte
erstreckt. *
Damit hofft Hume seine Hypothese genügend gestützt zu
haben. Aber das Schwergewicht legt er auf den negativen
Beweis. Nachdem die abstracten Ideen als etwas Unmögliches
dargethan sind, erhebt sich ein Bedürfniss nach Erklärung der
Thatsachen, und da ist nach seiner Meinung kein Weg offen
als der von ihm eingeschlagene.*^
Es ist unter solchen Umständen nur natürlich, dass auch
wir bei der piüfenden Betrachtung der Hume'schen Darstellung
von dem negativen Theile derselben ausgehen.
Schon die Formulirung der negativen These ist höchst
auffallend. Aus der Einleitung zu Sect. VII ei^ibt sich doch
unzweifelhaft genug, dass es Hume's Absicht ist, alle Abstrac-
tion zu leugnen;^ dennoch präcisirt er dann seine Behauptung
dahin, ,dass es schlechterdings unmöglich sei, eine Qualität
oder Quantität vorzustellen, ohne einen bestimmten Begriff ihres
' ibid. 8. 330.
' ibid. S. 331.
3 ibid. S. 330.
« ibid. S. 331.
* ibid. S. 332.
ö ,Ein grosser Philosoph hat ... . behauptet, dass alle allgemeinen Ideen
nichts als particuläre seien , . . Ich will mich bemühen, dies durch einig-e
Argumente zu bekrKftigen . . . .* (8. 325).
Hnme-StnAitn. I. 225
Orades zu bildend* Wie wenig alle AbstractionsföUe hier ein-
begriffen sind, Hegt auf der Iland; denn wenn es auch in der
That sich als unmöglich herausstellen sollte, Qualität oder
Quantität in der Vorstellung von ihrem Grade zu trennen, so
ist damit ja noch gar nicht entschieden, ob Complexe mehr
als graduell verschiedener Qualitäten trennbare Elemente
enthalten oder nicht. Man wird, um ein recht auffallendos
Beispiel zu wählen, doch gewiss nicht behaupten wollen, Farbe
sei ein Qrad von Ausdehnung oder Ausdehnung ein Grad von
Farbe; es würde also nach Hume's These nichts im Wege
stehen, etwa eine Fläche ohne Farbe vorzustellen, und doch
ist gerade dieser Fall schon von James Mill als ein Hauptfall
der , untrennbaren Ideenassociation' aufgeführt worden.^
Bleibt also ein Attribut nur graduell bestimmt, so scheint
im Uebrigen die Möglichkeit, abstracto Vorstellungen davon zu
bilden, unbeschränkt, und auf Fälle, wo von Gradunterschieden
überhaupt nicht die Rede sein kann, wie gleich, dreieckig,^
fände der Satz vollends keine Anwendung. Gesetzt, es sei
Hume gelungen, seine Thesis in unwiderleglicher Weise zu be-
gründen, so ist doch der ausdrücklich daraus gezogene Schluss,
Allgemeinbegrtffe seien ihrem Wesen nach nur concret, ^ wenig-
stens in seiner Allgemeinheit unstatthaft, und er könnte um so
mehr befremden, als er, zum Mindesten auf den ersten Blick,
einer der Haupteinth eilungen, welche Hume von allen psychi-
schen Phänomenen gibt, bestimmt zu widerstreiten scheint.
Nach Hume zerfallen die Perceptionen bekanntlich einmal
in Impressionen und Ideen, dann aber auch in einfache und
complexe Perceptionen.'* »Obgleich^, fügt er erläuternd hinzu.
1 S. 326. — ^Quantität* bedeutet hier nichts als Grösse; das Grösser nnd
Kleiner ist in ziemlich nngewöhnlicher Weise als Qnantitätsgrad be-
zeichnet.
2 Analysis chapt. III (Bd. I S. 93).
3 Es sind die Fälle, die wir oben S. 206 ff. als J. St. MilVs particulärc
Abstracta zur Sprache brachten.
^ Hume schliesst das dritte Argument mit der Behauptung: es sei un-
möglich, eine Idee zu bilden, die Qualität und Quantität, aber keinen
bestimmten Grad davon hätte. ,Abstracte Ideen,' fährt er fort, ,sind
daher an sich individuell . . .< (S. 327 f).
» Treat b. I p. I sect. I a. a. O. S. 311 f.
Sitoongitber. d. phiU-hliit. Cl. LXXXYIL Bd. I. Hft. 15
226 Vftinong.
^bestimmte Farbe, Geschmack; Geruch alle als Eigenschaften
an diesem Apfel vereinigt sind, so ist doch leicht einzusehen,
dass dieselben nicht einerlei, sondern mindestens von einander
zu unterscheiden sind/ Nur unter einer Annahme ist diese
Stelle mit Hume's in Rede stehender Theorie vereinbar, unter
der Voraussetzung grösster Ungenauigkeit im Ausdruck. Meint
Hume, indem er einfach von ,Farbe^ spricht, alles durch das
Auge am Apfel Wahrgenommene, umfasst er somit unter seiner
einfachen Idee bestimmte Farbe und bestimmte Ausdehnung
zusammengenommen, dann bleibt seine Ausführung hier vom
Vorwurfe der Inconsequenz frei. Es spricht für diese Auf-
fassung, dass Hume in der hier angezogenen Stelle augen-
scheinlich die Wahrnehmungen ji^ei-schiedener Sinne einander
entgegensetzt, — gegen diese Auffassung kann ausser dem
Wortlaute die Thatsache geltend gemacht werden, dass Hume
auch in dem Anhange, der dem dritten Buche seines Erstlings-
werkes beigegeben ist, zwar ausdrücklich die Farbenvorstel-
lungen als einfache Ideen hervorhebt, * der Ausdehnung aber
auch da mit keinem Worte gedenkt.
Nimmt man nun aber die Stelle, wie sie ist, so kann der
Widerspruch nicht vermieden werden; denn was ist eine Vor-
stellung von Farbe, und wäre es auch von der bestimmtesten
Schattirung, Anderes als ein Abstractum? Und was von Farbe
gilt, gilt auch von Geschmack u. s. f., kurz so ziemlich von
jeder , einfachen Idee^ Man könnte vielleicht zur Vertheidi-
gung Hume's geltend machen, dass er nicht nur von ein-
fachen Ideen, sondern auch von einfachen Impressionen
spreche, dass erstere eben so gut als Copien der letzteren
betrachtet werden könnten, wie zusammengesetzte Ideen als
Abbilder zusammengesetzter Impressionen, und dass somit die
Annahme einfacher Ideen noch gar nicht die eines Abstrac-
tionsactes involvire. Gerade mit Rücksicht auf die Beziehungen
von Farbe und Ausdehnung zu einander ist dieser Einwurf,
wenn man Hume's Raumtheorie mit in Betracht zieht, nicht
ohne Schein. Wir werden sehen, dass man nach Hume farbige
Punkte percipiren kann, die gleichwohl ausdehnungslos sind,
während die Idee der Ausdehnung erst durch die Disposition
^ Als Note zn S, 328 der von uns benutzten Ausgabe abgedruckt
Hane-StadiM. I. 227
dieser Punkte in uns erregt wird; wir percipiren also in diesem
Falle Farbe ohne Ausdehnung. — Aber auch wenn dies richtig
wäre, würde darum nicht nur Farbe percipirt; wir hätten ja
doch farbige Punkte, denen mindestens eine Ortsbestimmung
nicht fehlen könnte. Ueberdies kommt diese Seite der Frage
beim Apfelbeispiel gar nicht in Betracht. Die Farbe des Apfels
ist (schon um der Nuancen willen, die jeder an sich trägt) die
Farbe einer Fläche, d. i. nach Hume, mehrerer Punkte, bei
denen dann selbstverständlich die Disposition mit in die Per-
ception fällt. Es liegt daher viel näher, Hume's Ansicht dahin
za interpretiren, dass wir zwar nur complexe Impressionen
erhalten, dann aber durch Analyse der sie copierenden com-
plexen Ideen auf deren einfache Elemente gelangen, die dann
ihrerseits erst den Schluss auf gleichfalls einfache Originale
gestatten. Zum Ueberfluss bestätigt Hume selbst diese Auf-
fassung im zweiten der sogleich näher zu eröi^ternden Beweise
seiner These, indem er erklärt, dass ,keiDe Impression in unser
Bewusstsein gelangen könne, ohne bezüglich des Grades von
Qualität und Quantität determinirt zu sein^ ^ Gibt es keine
Impression ohne bestimmten Grad von Qualität und Quantität,
80 noch viel weniger eine ohne diese Qualität und Quantität
selbst; jede einfache Idee kann daher nicht anders als durch
Abstraction entstanden sein.
Das scheint nun eigentlich so selbstverständlich, dass man
leicht geneigt sein könnte, Hume*s gesammte Ausführungen nur
auf die Frage zu beziehen, ob Quantitäten und Qualitäten ohne
bestimmten Grad vorstellbar seien oder nicht, — was dagegen
auf Hereinziehung der ganzen Abstractionstheorie deutet, als
ungenau ausgedrückt bei Seite zu lassen. Aber auf der anderen
Seite sind wieder die Aufstellungen letzterer Art so bestimmt,
Hume bezeichnet sich so ausdrücklich als Vertreter der Ber-
keley'schen Theorie, dass man schliesslich doch der her-
gebrachten Auffassung der Hume'schen Doctrin beipflichten,
den daraus entstehenden Widerspruch in Ilume's Behauptungen
aber durch Annahme eines Lapsus im Ausdruck beseitigen
muss. Befriedigend ist diese Lösung nicht; wir haben eben
einen jener misslichen^ Fälle vor uns, wo gegen jede der
a. Ä. O. S. 327.
15»
228 Meinong.
beiden möglichen Interpretationen Einwände aufrecht bleiben
müssen.
Aber sehen wir nun des Näheren zw, wie es um die Be-
weiskraft der drei Argumente bestellt ist, die Hume zu Gunsten
seiner negativen Behauptung vorführt.
Schon der Satz, mit dem Hume seinen ersten Beweis er-
öffnet, und der auch in späteren Partien des Treatise wieder-
holte Anwendung findet, scheint höchst bedenklich. Wie sollen
wir die Qleichsetzung des Verschiedenen mit dem Unterscheid-
baren verstehen? Heisst unterscheidbar das, was unter Voraus-
setzung einer unbegrenzten Empfindlichkeit der Sinne selbst
für die geringsten Differenzen nicht als gleich betrachtet werden
könnte? Ist dies der Fall, so ist der Satz tautologisch und
praktisch unbrauchbar, — wo nicht, so ist er falsch, man wollte
denn behaupten, dass z. B. die Nebelflecke, die bekanntlich
W. Herschel sämmtlich für Stemsysteme hielt, damals alle ganz
gleichartig waren, und erst durch Anwendung der Spectral-
analyse zu ihrer Erforschung sich einige von ihnen in glühende
Gase verwandelt haben.
Weit wichtiger als dieser erste Satz ist aber für den
Beweis die sich unmittelbar an jenen schliessende Behauptung,
alles Unterscheid bare könne getrennt werden. Man kann sich
im ersten Augenblick einer gewissen Verwunderung darüber
nicht erwehren, dass eine Polemik gegen das Vorhandensein
von Abstractis ein so umfassendes Zugeständniss gegen die
Abtrennungstheorie im Locke'schen Sinne enthält, wie es heute
kaum ein Vertheidiger der Abstraction in Anspruch nehmen
möchte, - ein Hinweis auf die schon berührten Fälle der so-
genannten untrennbaren Association genügt, die Tragweite dieser
Concession anschaulich zu mac}ien. Gleichwohl folgert Hume
daraus für sich, und zwar in ganz correcter Weise, so dass, &Us
die Beispiele, die er anfuhrt, genügen, gegen den Schluss nichts
(wenigstens nichts zu Gunsten der Trennbarkeit) einzuwendeii ist.
Kann man aber einräumen, dass die bestimmfe iJiBge
einer Linie von dieser selbst weder verschieden noch luter-
scheidbar sei? Sind Länge und Linie nicht versdikd««. so
sind sie dasselbe, — mit der Länge ist also die Linie creg^eben :
ob sie übrigens gerade oder krumm ist, ob sie in dk«r oder
Harne -Studien. I. 229
jener Ebene liegt, ist dann völlig einerlei; denn ist Länge gleich
Linie, so ist auch Linie gleich Länge und Anderes kann nicht
in Betracht kommen. Nicht minder befremdliche Consequenzen
ergibt das zweite Beispiel. Der Grad einer Qualität soll von
dieser nicht verschieden sein, also Grad gleich Qualität, z. B.
rosenroth gleich roth. Aber auch dunkelroth ist gleich roth,
daher rosenroth gleich dunkelroth, oder falls man davon aus-
geht, dass rosenroth verschieden sei von dunkelroth, so ist auch
roth verschieden von roth.
über den Werth des in Rede stehenden Argumentes kann
nach dem Gesagten wohl kaum mehr ein Zweifel obwalten.
Hume hat nicht nur nicht bewiesen, was er beweisen wollte,
sondern^ indem er alles Unterscheidbare auch fiir in der Vor-
stellung trennbar erklärt, hat er zugleich den Gegnern nur
neue Waffen in die Hand gegeben, die sie befähigen, ihre
Theorie weit über die Grenzen der Wahrheit hinaus zu ver-
theidigen.
Das zweite Argument geht, wie wir sahen, davon aus,
dass es widersprechend wäre, eine Impression anzunehmen,
die nicht bezüglich des Grades von Quantität und Qualität
bestimmt wäre. Dem steht aber ein anderer Ausspruch Hume's
entgegen, auf den Green mit Recht hingewiesen hat. ' Bei der
Erörtenmg der Frage nach der Immaterialität der Seele ^ tritt
Hume nämlich für die ,von mehreren Metaphysikern verwor-
fene* Theorie ein, ,däss ein Object existiren und dennoch an
keinem Orte sein könne*. ,Man kann,' föhrt er fort, ,von einem
Gegenstande sagen, er sei nirgendwo, wenn seine Theile nicht
so gegen einander disponirt sind, als nöthig wäre, um irgend
eine Gestalt oder Grösse (quantity) auszumachen, wenn sich
ferner das Ganze zu anderen Körpern nicht so verhält, wie es
unsern Begriffen von Contiguität oder Distanz entspricht. Dies
ist unzweifelhaft bei allen unseren Perceptionen und Objecten
der Fall, mit Ausnahme von denen des Sehens und Tastens.
Eine moralische Reflexion kann nicht auf die rechte oder linke
Seite einer Gemüthsbewegung gestellt werden, eben so wenig
1 Tn der hier stets citirten Hume- Ausgabe Bd. I S^. 327 Anm. 1.
2 TrcÄtise book I part. IV sect. V. a. a. O. S. 520.
230 Meinong.
kann ein Geruch oder Schall kreisrund oder viereckig sein/
Wie viel hievon zugegeben werden kann, wie viel zu verwerfen
ist, wird sich uns vielleicht aus einer späteren Betrachtung
ergeben. Für unsem nächsten Zweck genügt, festgestellt zu
haben, dass Hume selbst die Möglichkeit, ja das Vorhanden-
sein quantitätsloser Impressionen zugesteht, also nur in offenem
Widerspruch gegen sich selbst oder höchstens in sehr uneigent-
lichem Sinne des Wortes eine Bestimmtheit aller Impressionen
bezüglich der Quantität oder gar eines Quantitätsgrades in
Anspruch nehmen kann. Dass es übrigens andererseits auch
Qualitäten gibt, die eine graduelle Bestimmung gar nicht zu-
lassen, wie z. B. dreieckig, quadratisch (von Relationsquali-
täten gar nicht zu reden), das ist schon oben zur Sprache ge-
bracht worden.
Aber auch der zweite Schritt, den Hume in diesem Be-
weise thut, widerspricht einem, und zwar diesmal einem schon
früher von ihm geltend gemachten Grundsatze, dem Princip
der ,Freiheit der Einbildungskraft, die Ideen zusammenzusetzen
oder zu vertauschend* Dass Impressionen sich durch nichts
als durch ihre grössere Intensität von den Ideen unterscheiden,
hat Hume allerdings auch schon früher aufgestellt, aber nicht
von den Vorstellungscomplexen, sondern nur von den Ele-
menten, während von jenen im Gegentheil ausdrücklich aus-
gesagt wurde, ,dass es nicht zwei Impressionen gibt, die völlig
untrennbar wären'. ^ Speciell für den in Rede stehenden Beweis
wird übrigens dieser Widerspruch praktisch bedeutungslos, so-
bald sich zeigen lässt, dass Hume eine graduell bestimmte
Quantitäts-, oder Qualitätsidee für einfach nimmt. Bezüglich
der letzteren wenigstens hat er dies in der That im Anhange
zum dritten Bande des Treatise ausdrücklich betont, wo die
Auseinandersetzung darüber, dass ähnliche Ideen auch noch
ganz wohl einfach sein könnten, mit den Worten schliesst:
,In derselben Weise verhält es sich mit allen Graden irgend
einer Qualität. Sie sind alle einander ähnlich, dennoch ist im
einzelnen Falle die Qualität von ihrem Grade nicht unter-
» Treatise b. I pari. I sect. III. a. a. O. S. 818.
2 a. a. O. S. 319.
Hnme- Stadien. I. 231
schieden.^ * Vor sich selbst erscheint demnach Hume in diesem
Punkte so ziemlich gerechtfertigt.
Können aber auch wir zugeben, dass die Impression der
Qualität mit der ihres Grades ein einfaches Ganze ausmacht,
an dem die Einbildungskraft nichts als die Intensität ändern
kann? Hätte Hume Recht, so könnten wir, sofern es nicht
etwa angeborene Ideen gibt, offenbar nur solche Qualitätsgrade
vorstellen, von denen wir eine Impression erhalten haben.
Denn so wie wir einen andern Grad als Grad derselben Qua-
lität vorstellten, hätten wir die Idee der letzteren von den Ideen
sämmtlicher Grade, die wir bisher von ihr kennen gelernt haben,
getrennt, da wir die Qualität doch nicht zugleich in einem
der uns aus directer Erfahrung bekannten und in einem neuen
Grade vorzustellen im Stande wären. Gleichwohl hat Hume
selbst an anderer Stelle einen hieher gehörigen Fall angeiiihrt,
aber freilich nicht zu erklären vermocht. Er glaubt nämlich,^
die einzige Ausnahme von dem Gesetz, dass jede Idee Copie
einer Impression sei, darin zu finden, dass, wenn Einer z. B.
alle Schattirungen von Blau ausser einer erfahren hätte, und
alle ihm bekannten Nuancen ihm der Reihe nach vorgeführt
würden, er nicht nur diese Lücke wahrzunehmen, sondern auch
durch die entsprechende Idee zu ergänzen vermöchte. Aber
auch andere Fälle dieser Art sind uns geläufig: Wenn uns
heute das hellste Weiss vor Augen kommt, das wir je gesehen,
80 können wir uns immer noch ein helleres denken. Wird ein
Ton von so vielen Instrimienten auf einmal angegeben, wie
wir nie zusammenspielen gehört haben, so können wir uns den
Ton doch immer noch stärker und voller vorstellen u. dgl. m.
Wären diese und ähnliche Fälle wirklich, wie Hume conse-
quenterweise zugestehen müsste, widersprechende Instanzen
gegen die empirische Erkenntnisstheorie, so wäre es in der
That um diese schlimm genug bestellt. Zum Glück für sie ist
aber die Erklärung der obigen Fälle ziemlich naheliegend,
wenn man festhält, dass mit zwei Vorstellungen auch deren
Relationen zu einander gegeben sind, und dass die Glieder
verschiedener Vorstellungspaare zu einander in derselben
» ibid. S. 328.
» Treatise b. I p. I s. I. ». a. O. S. 316.
232 MelDong.
Relation steheu könneu. Man ist täglich in der Lage, sich davon
zu überzeugen, dass, wenn wir Voretellungsreihen reproduciren
wollen, dabei diese Relationen oft eine weit grössere Rolle
spielen als die Vorstellungen selbst. Wer ein Lied, das er
gehört hat, nachsingt, wird, selbst wenn er ein sehr geübter
Musiker wäre, nur sehr selten auch dieselbe Tonart wieder-
geben (er hätte denn seine Aufmerksamkeit besonders daraaf
gerichtet). Was hat er demnach sich eigentlich gemerkt, die
Töne selbst und deren Aufeinanderfolge? Gewiss nicht, sonst
hätte er nicht um eine Terz oder Quint tiefer singen können
als die Tonlage war, in der er das Lied hörte. Was er sich
gemerkt hat, waren demnach nur die Tonintervalle und
deren Reihenfolge, die Uebertragung derBelben auf die durch
die Intonation vielleicht ganz zufällig bestimmte Tonreihe geht
dann ohne jede Schwierigkeit vor sich.- Mit eben solchen Re-
lationsübertragungen nun haben wir es auch in den obigen
Beispielen zu thun, die sich gewissermassen durch die Formel:
a : b ^= b : X
wo a und b gegeben sind, x bestimmt werden kann, veran-
schaulichen lassen. Hätten wir an jeder der Farben des Sonnen-
spectrums stets nur einen Helligkeitsgrad, ebenso an jedem
Tone nur einen Stärkegrad wahrgenommen u. s. f., dann
möchte es allerdings kaum gelingen, Vorstellungen von anderen
Graden zu bilden, — wenn es aber gelänge, eine empirische
Erklärung schwerlich möglich sein. Mit den verschiedenen
Graden ist aber auch das Verhältniss derselben zu einander
gegeben, und wir sind in den Stand gesetzt, dieses auch über
die Grenzen der Erfahrung hinaus zu übertragen.
In dieser Weise fällt das von Hume selbst gegen den
Empirismus geltend gemachte Bedenken; aber auch seine Be-
hauptung über die Einfachheit der graduell bestimmten Qua-
litätsidee kann demselben Schicksale nicht entgehen. Wir
stellen den Ton, den wir schwächer hörten, stärker vor als
wir ihn je hören konnten; es ist derselbe Ton geblieben, dem
Wesen nach dieselbe Qualität, dem Grade nach aber ver-
schieden, — und da die neue Grad Vorstellung mit der alten nicht
zusammenbestehen kann, so war erst eine Trennung der
Harne. Stadien. I. 233
letzteren von der Qualitätsidee nöthig, wenn die erstere Platz
finden sollte. Es liegt uns natürlich nichts ferner, als auf
Grand dessen etwa anzunehmen, man könne eine Qualität
ohne jeden Grad, oder gar einen Grad ohne jede Qualität,
von der er der Grad wäre, vorstellen; wir glauben im Gegen-
theil, dass die Qualität und ihr Grad sich in dieser Hinsicht
analog verhalten wie Farbe und Ausdehnung. Niemand vermag
eine Farbe ohne jede Ausdehnung zu denken, aber für Keinen
ist sie an irgend eine bestimmte. Ausdehnung untrennbar ge-
knüpft, wie nothwendig der Fall sein müsste, wenn beide eine
einfache Impression ausmachten. Es ist sonach nicht der
Zweck unserer Polemik, für Lockens Abtrennungstheorie ein-
zutreten; aber in gleicher Weise wie sie ist diesmal auch die
von uns geltend gemachte Anschauung über das Wesen der
Äbstraction durch Hume's Aufstellungen gefährdet. Wäre Qua-
lität und Grad zusammen wirklich etwas Einfaches, könnten
sich deren Impression und Idee durch nichts als durch die
Intensität des untrennbaren Vorstellungsganzen von einander
unterscheiden, so wäre natürlich auch die Concentration der
Aufmerksamkeit auf einen Theil, da ein solcher sich gar nicht
vorfände, undenkbar. Für die Richtigkeit der Ansicht, welche
gerade auf diese Concentration Gewicht legt, ist natürlich durch
die hier gegebenen Erörterungen gar nichts bewiesen, \\m so
mehr aber gegen die Stichhaltigkeit von Hume's zweitem Ar-
gument, dessen Prüfung hier ja vor Allem unsere Aufgabe war.
Indem wir zur Besprocliung des dritten Argumentes über-
gehen, erweist es sich vor Allem als nöthig, einige Missver-
ständnisse zu beseitigen, die wohl durch Aequivocation ent-
standen sein mögen. Ist der Satz: ,that everything in nature
is individual', so zu veratehen: ,dass jedes Ding in der Natur
individuell ist^, so kann niemand Bedenken tragen, diese Be-
hauptung als analytisch zu acceptiren; auch damit, dass die
Idee jedes ,Dinges in der Natur' individuell sei, wird jeder-
mann einverstanden sein müssen, wenn man dabei blos die
nur diesem Dinge entsprechende Idee, d. i. eben dessen Indi-
vidualidee im Auge hat. Auf der anderen Seite wird auch
dagegen nichts eingewendet werden können, dass es einerlei
bedeute, eine Idee von etwas zu bilden, oder einfach eine Idee zu
234 Meinong.
bilden, — mit anderen Worten, dasB jede Idee ein immanentes
Object habe, wenn auch gegen die hiefur von Hume gegebene
Begründung (auf die wir hier noch nicht eingehen können),
mancherlei zu erinnern sein sollte. Nur wie sich aus diesen
beiden Prämissen der Schluss ergeben könnte, dass jede Idee
individuell sein müsse, das scheint vorerst noch ganz unbe-
greiflich. Argumentirt man hingegen so: jedes Object in der
Natur ist individuell (und also hinsichtlich des Qualitäts- und
Quantitätsgrades bestimmt), somit auch die Idee jedes Objectes;
jede Idee ist aber die Idee von einem Object, daher ist jede Idee
individuell (respective in der eben angedeuteten Weise bestimmt),
— wenn man, sagen wir, in dieser Weise argumentirt, so liegt
in der That der Schein eines Schlusses vor, aber dieser wird
hervorgerufen durch eine Aequivocation im Worte Object. In
der ersten und zweiten Prämisse bezeichnet es ein wirklich und
für sich existirendes Ding, in der dritten Prämisse dagegen
ein immanentes Object, oder wenigstens einen Vorstellungs-
gegenstand, dem zwar vielleicht äussere, aber gewiss nicht
nothwendig selbstständige Existenz zugeschrieben wird. Der
Formfehler wäre beseitigt, wenn man in der dritten Prämisse
das Wort Object in demselben Sinne nähme wie in den beiden
ersten Prämissen; dann ist aber die dritte falsch, denn nicht
jede Idee ist die Idee eines wirklich und selbstständig existi-
renden Dinges. Stelle ich z. B. roth, blau, gerade, schwer u. dgl.
vor, so sind das zwar Eigenschaften solcher Dinge, aber nicht
selbst Dinge; denke ich aber gar an Apollo oder, um ein be-
liebtes Beispiel Hume's zu gebrauchen, an einen goldenen Berg,
so habe ich Ideen, denen meiner Vorstellung nach gar nichts
in Wirklichkeit entspricht.
Noch eine Auffassung wäre möglich, in der der Hume'sche
Schluss giltig scheinen könnte, nämlich, wenn wir den oben
englisch citirten Satz so übersetzen: , Alles in der Natur ist
individuell', 1 und dann fortfahren: daher ist jede Idee von
etwas individuell, jede Idee ist aber die Idee von etwas u. s. f.
Allein diesmal ist, wenn auch alles Andere richtig sein sollte,
doch die erste Prämisse so weit davon entfernt analytisch zu
I Dies scheint sprachlich am nächsten zii liegen und wurde daher auch
bei der referirenden Wiedergabe des vorliegenden Arguments acceptirt.
H«in«> Stadien. 1. 235
seiD; dass sie im Gegentheil falsch ist. Denn nennt man indi-
viduell alles das, was entweder selbst ein Individuum ist, oder
sich nur auf ein Individuum beziehen kann, so fallen unter
diesen Begriff zwar alle Einzeldinge; dagegen gibt es aber
kein einziges Attribut, das, für sich allein betrachtet, nur von
einem Individuum ausgesagt werden könnte. Trotzdem sind
die Attribute nicht minder wirklich als die Dinge, an denen
sie haften; es kann somit durchaus nicht Alles in der Natur
individuell genannt werden.
Man sieht, wie immer man Hume's Beweis wendet, immer
tritt bald ein formeller Fehler, bald ein materieller Irrthum
zu Tage. Welche von den beiden hier versuchten Auf-
fassungen auch dem schottischen Philosophen vorgeschwebt
haben mag, in jedem Falle scheint dabei eine Aequivocation
im Spiele. Im ersten Falle läge sie, wie schon bemerkt, im
Worte ,object'; im zweiten Falle läge mindestens nahe, in dem
Worte jCverything* die Ursache der Täuschung zu suchen, das,
sobald man es mit ,every thing' gleichsetzt, leicht eine irre-
fahrende Nebenbedeutung annehmen kann.
Aber es liegt noch ein sehr beträchtliches Versehen in
diesem Beweise. Was wir im Vorhergehenden der Kürze halber
einfach als zweite Prämisse bezeichneten und übrigens ganz
ununtersucht liessen, soll ja selbst aus dem ersten Satze ge-
folgert sein. Allein wie kann sich der zweite Satz aus dem
ersten ergeben, selbst wenn wir diesen so interpretiren, dass
er eine Wahrheit aussagt? Wenn es absurd ist, ein Ding in
der Natur anzunehmen, dessen Qualität und Quantität nicht
graduell bestimmt wäre, wenn man demnach jedes Ding als
ein in dieser Weise Determinirtes vorstellen muss, folgt daraus,
dass auch jede Idee von einem solchen Dinge alle diese
Bestimmungen mit Nothwendigkeit an sich trägt? Das anzu-
nehmen, wäre eben so verfehlt wie die von uns schon früher
zurückgewiesene (und sich theil weise damit deckende) Be-
hauptung: weil das Individuum unendlich viele Merkmale habe,
müsse auch der Inhalt des Individual begriff es unendlich gross
sein. ^ Ueberdies ist, wie wir auch schon hervorzuheben Ge-
1 Hame*8 Irrthnm drückt sich am prSgnantesten in dem Satze aus, der dieses
Argument beschliesst: ,Now as His impossible to form an idea of an
236 Mtinong.
legenheit hatten, eine Idee von einem Individuum noch lange
keine Individualidee; aber nur, wenn dies der Fall wäre, Hesse
sich von der durchgängigen Individualität der Dinge auf die
der Ideen schliessen.
Was noch an diesem Beweise als befremdlich in die Äugen
fällt, ist der ausdrückliche Gegensatz, in den hier Realität und
Idealität gestellt sind, und der Hume's sonstigen Ansichten über
diesen Punkt kaum zu entsprechen scheint. Da uns jedoch
Hume's Metaphysik erst später beschäftigen wird, müssen wir
uns hier begnügen, auf das Auffallende dieser Thatsache hin-
gewiesen zu haben.
Schauen wir einen Augenblick auf die Resultate unserer
bisherigen Betrachtungen zurück, so müssen wir dieselben als
durchaus negativ bezeichnen. Die These, die Hume aufstellt,
um Berkeley's Verwerfung aller abstracten Ideen neu und ab-
schliessend zu begründen, hat sich hiefiir als zu schwach, die
zu Qunsten dieser These vorgebrachten Argumente haben sich
aus den verschiedensten Gründen als ungeeignet erwiesen, das
unmittelbar zu Beweisende, — noch ungeeigneter, das mittel-
bar zu Beweisende zu stützen. Aber wir haben Berkeley's
Polemik gegen Lockens Ansichten in der Hauptsache als be-
rechtigt anerkennen müssen; hat also auch Hume zu dieser
Polemik nichts Neues hinzubringen können, was haltbar wäre,
so berechtigt uns dies, vom historischen Interesse ganz abge-
sehen, auch sachlich noch keineswegs, Hume's Versuch, die
Theorie Berkeley's auch nach der positiven Seite bin auszu-
bilden, einfach unberücksichtigt zu lassen, und dies um so
weniger, als sich Berkeley 's Positionen gerade als der schwä-
chere Theil seiner Ausführungen herausgestellt haben.
Die Erscheinung, um deren Erklärung es sich handelt,
ist, wie wir wissen, die^ dass die nach Hume's Meinung als
object, that is possessed of quantity and quality, and yet is posseased of no
precise degree of eitber; it foUows that there is an eqnal impossibility
of forming an idea, that is not limited and confined in both these par-
ticulars* (a. a. O. S. 327). Bezieht sich hier das ,that* im Vorder8At«e,
wie wohl am natürlichsten wäre, anf ,objpct', so ist der Satz richtig, aber
für Hume unbrauchbar; bezieht es sich dagegen anf ,idea*, so stimmt er
zu Hume's Absicht, ist aber falsch.
Ham«-8todi«n. I. 237
concret erwiesenen Ideen dennoch allgemeine Bedeutung haben
können. Seine Erklärungshypothese ist oben fast ganz in ex-
tenso vorgeführt worden, und zwar aus einem Grunde , der,
nachdem dieselbe schon wiederholt anstandslos dargestellt
worden ist, vielleicht in einer für den Verfasser nicht eben
günstigen Weise auffallen mag. Es ist ihm nämlich trotz
redlicher Mühe nicht gelungen, darüber, wie sich Hume eigent-
lich den oben beschriebenen Vorgang denkt, volle Klarheit zu
gewinnen, und auch die hier ziemlich cursorischen Referate
Jodrs ^ und Pfleiderer's^ haben ihm die dunklen Punkte nicht zu
erhellen vermocht. Sollte an dieser Unklarheit nun doch Hume
selbst die Schuld tragen, so leuchtet wohl ein, dass wenigstens
dies zu constatiren eine unerlässliche Aufgabe einer jeden
Kritik sein müsste.
Der Ausgangspunkt seiner Theorie ist zunächst noch voll-
kommen verständlich: wir benennen ähnliche Gegenstände mit
demselben Wort Hume hätte sich zur Unterstützung dieser
Aufstellung auf das Gesetz der Association durch Aehnlichkeit
berufen können, welches vollkommen begreiflich erscheinen
Hesse, dass, wenn wir einen Gegenstand benannt haben und ein
ihm ähnlicher uns begegnet, wir ganz von selbst den ersteren
Gegenstand, und dann mittelbar auch das für diesen ein-
geführte Wort reproduciren; von da aus liegt es nahe genug,
auch für den zweiten Gegenstand dasselbe Wort zu ver-
wenden. Aus der mittelbaren Association wird so eine unmittel-
bare, und diese mag sich leicht allmälig auf eine ganze Reihe
gleichartiger Objecto erstrecken. Hören wir nun den Namen,
so tritt uns eine der associirten Individualvorstellungen ins Be-
wusstsein, und zwar die, welche aus irgend welchen zufälligen
Granden sich eben als nächste darbietet. Wie verhält es sich
aber mit den andern, gleichfalls associirten Ideen? Sie sind
uns, sagt Hume, nicht wirklich, sondern nur facultativ gegen-
wärtig. Aber seit wann? — erst seit der erneuten Nennung des
Namens? Nach Hume's Darstellung scheint das gemeint; muss
aber nicht eine Disposition, die fraglichen Individuen vorzu-
stellen, schon vorgelegen haben, wenn sie eventuell mit Hilfe
* Leben und Lehre David Hurae's S. 33 f.
^ KmpiriBmus und Skepsis S. 123 ff.
238 Meinong.
dos Wortes reproducibel waren (und das waren sie doch alle,
da a priori nicht feststand; welche Idee der gehörte Name
erwecken werde)? Das scheint ausser Zweifel; der Unterschied
könnte also besten Falles ein gradueller^ die Disposition nach
Hören des Wortes stärker sein als vorher. Aber so stark
die Disposition sein mag, Disposition zu einer Vorstellung ist
niemals selbst Vorstellung; die durch das Wort explicite re-
producirte Idee ist also nach wie vor particulär und das Wort
mit ihr.
Um so mehr muss man erstaunt sein, wenn Hume nun
doch erklärt; das Wort erzeuge neben der Individualidee eine
Gewohnheit (das ist doch wohl die besprochene Disposition?), ^
und diese erzeuge wieder eine andere individuelle Idee, ;for
which we may have occasion^ Dies kann nur etwa so zurecht-
gelegt werden ; dass jene Gewohnheit als eine permancDte,
unentbehrliche Vorbedingung der letztgenannten Idee, jene ;0cca-
sion' dagegen als zeitlich letzte Ursache zu betrachten ist Dann
steht und fällt aber die ganze Theorie mit dieser Occasion;
muss also eine solche sich jedesmal einfinden, so oft wir jenes
Wort hören? Hume sagt nichts davon; es ist auch nicht ab-
zusehen, worin eine solche Noth wendigkeit begründet sein sollte,
— dennoch kann, sobald diese Occasion entfiillt, von Allge-
meinheit nun wieder nicht die Rede sein.
Welcher Art diese Occasionen seien, erfahren wir nur
ganz im Vorübergehen, wenn wir nämlich berechtigt sind, jene
, Absicht oder Noth wendigkeit' hieher zu zählen, die, wie wir
hörten, die vermöge jener Disposition vorzustellende Einzelidee
bestimmt. Ueber die Anzahl der Occasionen, die bei einem
Worte sich geltend machen können, lässt uns Hume völlig ohne
Aufklärung; aber es ist zu vermuthen, dass deren mehrere sein
müssen, da auf diesem mittelbaren Wege augenscheinlich mehrere
Ideen zum Bewusstsein gebracht werden. Alle Individuen jedoch,
an die sich jener Name knüpfen soll, vorzustellen, ist meist un-
möglich (warum, wenn es möglich ist, einige vorzustellen?),
* Ueber allen Zweifel sicher ist dies nicht. Im Text heisst es : ,that cuakom,
which we have acquired bysurveying them* (die Individuen nämlich),
aber von einem ,Burveying* war vorher gar nicht die Rede, «ondem nur
von einem Anknüpfen derselben Worte an tihuliche Individaen.
Hnme- Stadien. I. 239
wir begnügen uns daher mit einer ,partial considoration^, wobei
aber wieder nicht zu ersehen ist, ob jener Mangel zur blos theil-
weisen Betrachtung des Inhaltes oder des Umfangs des betreffen-
den Begriffes führt (wenn es erlaubt ist, uns für einen Moment
der uns heute geläufigen Ausdrucksweise zu bedienen). Der
erste Schein spricht natürlich flir das Letztere; aber Hume's
noch zu besprechende Ausführungen über die ^distinctio rationis^
zeigen, dass auch die erstere Deutung nicht schlechthin von der
Hand zu weisen ist.
Indessen gerathen alle bisher wahrscheinlich gemachten
Interpretationen wieder ins Schwanken, wenn man denselben
Hume's nachträgliche Bemerkung entgegenhält, dass, ehe jene
Gewohnheit durchgebildet sei, wir oft statt einer Idee mehrere
hinter einander bilden, um uns über den Sinn jenes Wortes
aufzuklären. Dies wird unfraglich als etwas von dem obigen
Vorgange ganz Verschiedenes geltend gemacht; worin soll
aber, wenn wir Hume bisher richtig verstanden haben, die Ver-
schiedenheit liegen? Wodurch kann dieses Zusammensuchen
verschiedener mit demselben Worte bezeichneter Gegenstände
ermöglicht werden, wenn nicht durch die Associationen, welche
sich an das Wort knüpfen, also durch das, was Hume früher
Gewohnheit genannt hat? Man könnte einen Augenblick lang
an Association der Vorstellungen selbst nach dem Gesetze der
Aehnlichkeit denken, aber auch nur einen Augenblick. Denn,
um bei Hume's Beispiel zu bleiben, hätten wir zur Illustration
dessen, was Figur bedeutet, einen concreten Kreis vorgestellt,
der, da er doch Farbe haben muss, etwa weiss sein mag, so
könnte sich nach dem Gesetze der Aehnlichkeit Schnee oder
Zucker daran mindestens ebensogut associiren, als ein weisses
Quadrat. — Auch darin, dass wir hier einen Gegenstand
nach dem andern vorstellen, kann kein Unterschied gegen-
über dem ersten Falle liegen; denn mag jene Gewohnheit auch
eine Disposition für alle associirten Ideen begründen, so
können diese, mögen wir ihrer viele oder wenige wirklich
vorstellen, doch kaum jemals sich alle gleichzeitig im Bewusst-
sein vorfinden.
Die hier hervorgehobenen Schwierigkeiten zu lösen, ist
der Verfasser, wie schon oben bemerkt, nicht im Stande. Sollte
es einem schärferen Verstände gelingen, das scheinbar Dunkle
240 MeinoBg.
dieser Ausführungen aufzukellen ^ so wird er sich dankbar der
besseren Einsicht anschliessen; wenn aber nicht, so glaubt er nun
in der That so viel ausgemacht zu haben, dass die Hume'sche
Theorie hier an Unklarheiten leidet, über die man bei der Dar-
stellung zwar leicht hinwegspringen, die man jedoch unmöglich
durch Interpretation beseitigen kann.
Es versteht sich unter solchen Umständen von selbst, dass
hier das Gebiet der sachlichen Kritik ein ziemlich beschränktes
sein muss. Gleichwohl dürfte sie auch hier nicht werthlos sein,
einestheils^ weil wir erwarten dürfen, auf diesem Wege neues
Material zur Charakteristik der vorliegenden Untersuchungen
zu gewinnen, — dann aber auch, weil sich daraus wohl ergeben
muss, welche Aussicht ein etwaiger Versuch hätte, Hume's
Theorie unter Beibehaltung der wesentlichen Grundlagen weiter
auszubilden.
Schon der erste Schritt Hume's, die Anwendung desselben
Wortes auf ähnliche Gegenstände, führt, von seinem Stand-
punkte aus betrachtet, auf Inconvenienzen. Zwar haben wir
selbst zur Unterstützung dieses Princips auf die Association
durch Aehnlichkeit hingewiesen, und sind auch jetzt weit ent-
fernt, dessen Bedeutung für die Bildung allgemeiner Namen zu
unterschätzen; aber es muss hier darauf hingewiesen werden,
wie wenig Association ohne Abstraction in dieser Richtung zu
leisten vermöchte. Gesetzt, wir hätten etwas Kreisförmiges vor
uns, sei es nun ein gezeichneter Kreis, ein kreisrundes Papier
oder ein Mühlstein (einen Kreis in abstracto können wir ja
nach Hume gar nicht denken) und nennten dies Figur,* so
lässt sich wohl mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass uns
nie und nimmer einfallen würde, sobald wir nun etwa ein qua-
dratisch abgegrenztes Kornfeld sähen, uns jener ,Figur' als
ähnlich zu erinnern und so auch dem Felde den Kamen Figur
zu geben. Freilich, sind wir im Stande, an Gestalt in ab-
stracto dabei zu denken, dann ist Alles einfach; aber eben das
ist die Voraussetzung, die Hume am allerwenigsten zulässt.
Die Schwierigkeit wird natürlich um so grösser, je allgemeiner
> Um die philologiacbe Richtigkeit ist es ans hier natürlich nicht zu thnn.
Hnme- Studien. I. 241
der Name sein soll: was z. B. d^s eben berührte Wort Gestalt
anlaogt,. so kann es auf alle Gegenstände im Räume ange-
wendet werden, beruht also auf einer Aehnlichkeit, die, wenn
man den Gegenstand nur stets mit allen seinen Details be-
trachten kann, viel zu verbreitet und darum viel zu wenig
auffallend ist, um eine Association zu begründen.
Wenn übrigens Hume über die Festigkeit der oben oft
genannten »Gewohnheit* staunt, welche gestattet, dass ohne Miss-
verständniss dieselbe Parti cularidee an verschiedene allgemeine
Worte geknüpft werden kann, so liegt dem offenbar eine That-
sache zu Grunde, die noch viel erstaunlicher ist. Wie ist man
denn nur darauf verfallen, ein und derselben Particularidee,
bevor jene Gewohnheit sich bildete, die allerverschiedensten
Namen zu geben, z. B. dasselbe Ding einmal Mühlstein, ein
andermal ein Rundes, dann ein Weisses, Schweres, einen Körper
u. 8. w. u. s. w. zu nennen, und dann, sobald man andere
ähnliche Dinge antraf, diesen bald den einen, bald den anderen
jener vielen Namen zu geben, und zwar so, dass den unter
einander ähnlichen Dingen immer auch dieselben Namen zu-
fallen, nicht aber unterschiedlos bald diesem, bald jenem Gegen-
stande, wie doch zu erwarten wäre, wenn die Aehnlichkeit
immer nur im Ganzen, und nicht in Beziehung auf einzelne
Attribute in Wirksamkeit treten könnte? Eines mindestens
scheint sich aus der ganzen Verwirrung ziemlich unzweifelhaft
zu ergeben. Dasselbe Wort wird fiir sehr viele und sehr ver-
schiedene Dinge gebraucht; dasselbe Ding wird (und zwar, wie
es scheint, ganz grundlos) mit einer sehr grossen Anzahl ver-
schiedener Namen benannt, — es ist also nicht abzusehen, wie
sich unter so ungünstigen Umständen eine auch nur einiger-
massen merkliche Association zwischen Wort und Idee bilden
könnte.
Gesetzt jedoch, alle hier geltend gemachten Bedenken
bestünden nicht, gesetzt, es gelänge, die Associationen ganz so
zu contrahiren, wie Hume verlangt: so gerathen wir doch sofort
auf eine neue Schwierigkeit, sobald wir die auf dem Hume'schen
Wege gebildeten ,allgemeinen Ideen' zu Urtheilen zu verwen-
den suchen. Denn man erkennt leicht, dass Letztere durch
Hume's Theorie alle Bedeutung verlieren. Spreche ich etwa
den Satz aus: ,Die Wölfe sind Säugethiere', so ist damit zu-
SiteUBgiber. d. phil.-hirt. Ci. LXXXYII. Bd. I. Hfl. 16
242 if«iiioiig.
nächBt nur etwas über Worte ausgesagt; bezüglich der Dinge
lässt sich daraus nur ganz im Allgemeinen auf eine Aehnlich-
keit schliessen, welche die Association an das Wort Säuge-
thier voraussetzt, — da aber dieselben Gegenstände auch noch
mit vielen anderen z. B. an den Namen organisches Wesen
associirt sind, so ist mit der Erkenntniss jener Aehnlichkeit
so gut wie gar nichts gewonnen.
Lassen wir aber auch dies Alles bei Seite, so bleibt
immer noch das sogenannte abgekürzte Verfahren, das nach
Hume's Ansicht ja in der Regel eintritt, als etwas höchst Son-
derbares übrig. Es ist sehr begreiflich, dass dem, der ein
Attribut denkt, in Folge dessen ein Gegenstand in den Sinn
kommt, der dieses Attribut an sich trägt. Dass uns aber darum,
weil wir ein Attribut vorstellen, ein Object einfallen soll, das
dieses Merkmal gerade nicht besitzt, das ist nicht nur, wie
schon Hume meint, ,einer der ausser ordentlichsten Umstände^,
sondern das widerspricht allem über Association und Repro-
duction Beobachteten so sehr, dass eine umfangreiche Begrün-
dung durch analoge Fälle erforderlich wäre, um einen solchen
Erklärungsversuch überhaupt statthaft, um so mehr also, um
ihn wahrscheinlich zu machen.
Ganz ausser Acht gelassen hat Hume übrigens den Ana-
logiebeweis nicht, wenn er ihn auch nicht zu Gunsten des letzt-
besprochenen Punktes anwendet, sondern um anderweitig seine
Theorie zu stützen. Allein die von ihm herbeigezogenen F«älle
erweisen sich als wenig zu diesem Zwecke geeignet. Das Re-
produciren von Versen mit Hilfe des Anfangswortes ist doch
nicht mehr als ein Beispiel einfacher Ideenassociation, deren
Vorhandensein Hume an dieser Stelle nicht erst sicher zu stellen
hat. Weist er ferner auf die Aehnlichkeit als Hilfe für die Re-
production hin, so wissen wir schon aus den obigen Betrach-
tungen, ein wie zweifelhafter Bundesgenosse diese Aehnlichkeit
gerade für Hume's Theorie ist. Aehnlich in irgend einer
Hinsicht (wie ein Vertheidiger der abstracten BegrilBFe wohl
sagen darf, nicht aber Hume) ist der durch das Wort zunächst
ins Bewusstsein gerufene Gegenstand in der Regel sowohl den
anderweitig unter jenes Wort als den nicht darunter fallenden
Dingen ; vermag die Aehnlichkeit also einerseits die Reproduc-
tion im Sinne Hume's zu fördern, so erleichtert sie auf der
Harne -Stadien. I. 243
andern Seite Verwechslungen in eben demselben Maasse. —
Die beiden noch übrigen Beispiele beziehen sich auf den schon
oben (8. 215) erwähnten Fall des richtigen Gebrauches von
Worten, deren Sinn wir uns gar nicht oder nur theilweise
gegenwärtig halten. Eine Analogie zu Hume's Abstractions-
theorie ist aber darin nicht zu erkennen.
Zum Schlüsse sei nur noch darauf hingewiesen^ dass
Hume's Hypothese, auch wenn ihr sonst nichts im Wege
stünde, doch durchaus nicht im Stande wäre, Alles, was man
gewöhnlich unter die Phänomene der Abstraction einbegreift,
zu erklären. Man hört häufig genug von Familienzügen, die
Verwandten gemeinsam sein sollen, von Nationaltypen, National-
charakter, — auch vom Styl einer Literatur oder Eunstperiode
wird oft genug die Rede sein. Neben manchen Unklarheiten,
die hier gewiss mit unterlaufen, handelt es sich doch um wirk-
lich gemachte Beobachtungen, um Merkmale, die mehreren
oder vielen Individuen gemeinsam sind. Die Vorstellungen dieser
Attribute erscheinen demnach als Allgemeinbegriffe, bei denen
aber kaum jemand bestreiten wird, dass das Gemeinsame erst als
solches bemerkt werden musste, ehe man ihm einen Namen gab
(wenn es nämlich überhaupt zur Namengebung gekommen ist).
Hier also erhält sicher der Name durch den Begriff seine Allge-
meinheit, nicht der Begriff durch den Namen.
Auch auf das Urtheil müssen wir in diesem Zusammen-
hange noch einmal zurückkommen, da sich hier Hume's Auf-
stellungen als vollends ungenügend erweisen. Wen meinen wir
mit dem Satze: ,Alle Menschen sind sterblich', nur die, welche
wir gesehen, oder an die wir als Einzelne gedacht haben?
Gewiss nicht; jedermann will damit etwas von allen Menschen
ausgesagt haben, die existiren, existirt haben und existiren
werden. Dass aber nicht die Vorstellungen von allen diesen
mit dem Worte Mensch einzeln Associationen eingegangen sein
können, dass andererseits der allgemeine Satz, wenn auf den
durch Hume's Theorie geforderten Umfang eingeschränkt, den
Charakter der Allgemeinheit völlig einbüssen müsste, das ist
wohl handgreiflich genug.
Vielleicht hat mancher Leser bei der hier versuchten Dar-
stellung der Hume'schen Abstractionstheorie und noch mehr bei
16*
244 Ifeinong.
der Kritik derselben die Berücksichtigung der Ausführungen
unseres Philosophen über die ^distinctio rationis' vermisst, ja
den Verfasser des Leichtsinns oder der Parteilichkeit beschul-
digt, wenn er Einwendungen gegen Hume erhob, welche mit
Hilfe dieser Distinctio allenfalls zu Gunsten Hume's zu besei-
tigen gewesen wären. Aber eben in dieser Möglichkeit konnte
der Anlass zu dem Missverständniss liegen, als wäre das, was
Hume über die distinctio sagt, ein wesentlicher Theil seiner
Abstractionstheorie,^ während er doch die vorliegende Frage erst
anhangsweise zur Sprache bringt und noch ausdrücklich hervor-
hebt: ,Zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten müssen wir auf
die obige Erklärung der abstracten Ideen recurriren*.^ Er will
also mir eine Anwendung der zuvor aufgestellten Principien
geben; diese Anwendung kann aber, mag sie nun auf that-
sächlich richtige oder falsche Resultate führen, weder unbedingt
für, noch unbedingt gegen jene Principien zeugen, da ja neben-
her noch immer die Frage, ob die Anwendung auch eine rich-
tige war, in Betracht kommen muss. Die Entscheidung über
diese Frage orfordert nun aber bereits ein möglichstes Ver-
ständniss der anzuwendenden Theorie; und da überdies die
vorliegende Anwendung von Hume nicht erst als Beweis für
jene in Anspruch genommen, der Beweisversuch vielmehr, wie
wir sahen, auf ganz andere Fundamente gestützt wird, so haben
wir uns auch keiner Ungerechtigkeit schuldig gemacht, wenn
wir die Theorie für sich einer Prüfung unterzogen und für
Inconvenienzen verantwortlich machten, die sie unvermeidlich
mit sich zu fuhren schien. Sollten wir aber richtig geurtheilt
haben, so wirft es schon von vorn herein kein eben günstiges
Licht auf die Anwendung, wenn bei dieser Bedenken ver-
schwinden können, die aus jenen Principien in correcter Weise
erschlossen worden sind.
Ueberdies erkennt man leicht, wie wenig diese ,Anwcn-
düng' im Stande ist, das über der Theorie schwebende Dunkel
etwa aufzuhellen. Es handelt sich hier um die Unterscheidung
zwischen der Gestalt und dem gestalteten Körper, zwischen
' Das scheint wirklich Green's Meinung, vergl. §. 218 der ,6eneral intro-
duction* zu der von uns benützten Hume-Ausgabe (Bd. I 8. 179 f.).
» a. a. O. ß. 382.
Hnme- Studien. I. 245
Bewegung und dem bewegten Körper. ,Die Schwierigkeit, diese
Distiuction zu erklären/ sagt Hume, ^entsteht aus dem oben
erörterten Princip, dass alle Ideen, die verschieden sind, trenn-
bar seien. Denn es folgt daraus, dass, wenn die Gestalt von
dem Körper verschieden ist, deren Ideen sowohl trennbar als
uoterscheidbar sein müssen; sind jene nicht verschieden, so
können ihre Ideen weder trennbar noch unterscheid bar sein.^
Das Dilemma lautet unzweideutig genug, und wenn man ein
Paar Zeilen weiter unten Hume's Behauptung liest, Gestalt und
pjestalteter Körper seien ,in Wirklichkeit weder unterscheidbar,
noch verschieden, noch trennbar', so kann man nicht anders
denken, als dass die Frage nach der distinctio rationis nun
dahin entschieden sei, dass es eben nichts dergleichen geben
könne. Aber Hume argumentirt anders. Der Geist hätte, meint
er, von einer solchen Unterscheidung niemals auch nur geträumt,
^bemerkte er nicht, dass selbst in dieser Einfachheit mancherlei
Aehnlichkeiten und Relationen sich vorfindend An der Idee
einer weissen Marmorkugel z. B. können wir in der That Farbe
und Gestalt weder trennen noch unterscheiden, aber der Ver-
gleich derselben mit einer Kugel von schwarzem, einem
Würfel von weissem Marmor ergibt zwei verschiedene Aehn-
lichkeiten. Mit einiger Uebung unterscheiden ^ir nun Gestalt
und Farbe, d. h., wir stellen Beide zusammen vor, ,da sie
faetisch identisch und ununterscheidbar sind, aber wir betrachten
sie von verschiedenen Gesichtspunkten, je nach den Aehnlich-
keiten, deren sie föhig sind. Wollen wir daher nur die Gestalt
der weissen Marmorkugel betrachten, so bilden wir in Wirk-
lichkeit eine Idee sowohl von Gestalt als von Farbe, — aber wir
richten stillschweigend unser Auge auf die Aehnlichkeit mit der
schwarzen Marmorkugel; in gleicher Weise wenden wir, wenn
wir nur die Farbe' in Betracht ziehen wollen, unseren Blick auf
die Aehnlichkeit mit dem Würfel von weissem Marmor. So
begleiten wir unsere Ideen mit einer Art Reflexion, auf die
uns die Gewohnheit in hohem Grade unachtsam machte ^
Wenn Hu,me versprochen hat, die distinctio rationis durch
seine Abstractionstheorie zu erklären, so wissen wir nun, dass
er von dieser nichts als den Satz von der Untrennbarkeit und
Treatise, a. a. O. S. 332 f.
246 Heinong.
UnUnterscheidbarkeit des Identischen herbeigezogen hat. Aber
es muss selbst bezüglich dieses Satzes sehr fraglich erscheinen,
ob Hume durch ihn, ob er nicht vielmehr im Gegensatze
zu ihm das eben dargestellte Resultat erreichte. Zwar hält ihn
Hume, wie wir sahen, fortwährend aufrecht, er erklärt wieder-
holt Farbe und Gestalt als identisch und ununterseheidbar;
wie es dann aber möglich ist, dass zwischen Farbe und Gestalt
nim doch, und wäre es auch durch die complicirteste Gedanken-
operation, eine Unterscheidung erfolgen kann, das ist ein Räthsel,
zu dessen Lösung uns Hume nicht verholfen hat, dessen Lösung
zu finden wohl auch niemand Anderer im Stande wäre.
Hier liegt also jedenfalls ein Widerspruch; aber noch ein
Anderes muss hervorgehoben werden. In dem Beispiel von
Kugeln und Würfel ist von dem Wahrnehmen zweier ver-
schiedener Aehnlichkeiten die Rede. Zwar spielt, wie wir sahen,
auch in der Hume'schen Abstractionstheorie die Aehnlichkeit
eine grosse Rolle; indessen haben wir uns stets bemüht, an
den betreffenden Stellen diese Relation zwar als associations-
erregendes Factum in Betracht zu ziehen, die Vorstellung
der Aehnlichkeit aber aus dem Spiele zu lassen. Der Grund
dafür war einfach: Erwies sich der Grad einer Qualität von
dieser, die Qualität selbst von dem mit ihr behafteten Körper als
weder verschieden noch unterscheidbar noch trennbar, so musste
dasselbe von einer Relation und deren Fundamenten gelten;
man konnte also nach Hume höchstens zwei ähnliche Dinge,
aber niemals Aehnlichkeiten vorstellen. Noch weniger war
an die Möglichkeit zu denken, Ideen von Relationen zwischen
Attributen zu bilden; und da solche wohl nöthig wären, um
ein Ding mit mehreren andern in verschiedener Hinsicht
ähnlich zu finden, so glaubten wir diese Möglichkeit, auch wo
sie zu Gunsten Hume's in Rechnung gezogen werden konnte,
ausser Acht lassen zu müssen. Wie nun, wenn die uns früher
unmöglich erscheinende Annahme nun die Grundlage zur Er-
klärung der distinctio rationis wird? Sicher ist, dass dieser
Umstand allein nichts dazu beitragen kann, unsere früheren
Bedenken zu beseitigen; im Gegentheil tritt hier noch ein
Moment hinzu, durch das diese Erklärungsweise vollends un-
statthaft wird: Um zu einem Unterschiede zwischen Gestalt
und gestaltetem Körper zu gelangen, müssen wir, wie dargethan.
Hnme- Studien. I. 247
zavor zwei verschiedene Aehnlichkeiten wahrnohmeii; Aehniich-
keiten, sagen wir; setzt dies nicht schon eine Unterscheidung
zwischen Aehnlichkeit und den ähnlichen Gegenständen voraus?
Das scheint ziemlich sicher; ist dem aber so, dann hat Hume
die distinctio rationis durch — die distinctio rationis erklärt
Wir haben bei der Darstellung und Analyse der Hume-
schen Abstractionslehre von dem^ was wir vorher selbstständig
zu ermitteln versuchten, fast ganz und gar abgesehen; und in
dieser Zurückhaltung lag wohl der beste Schutz gegen jede
Parteilichkeit. Denn wenn wir die fragliche Theorie sich-ge-
wissermassen an sich selbst und an der Erfahrung erproben
Hessen, so konnte bei der Beurtheilung, ob sie diese Probe
bestanden habe oder nicht, Voreingenommenheit für oder gegen
sie unmöglich die Oberhand gewinnen.
Nachdem wir nun aber auf diesem Wege zu einem Resultate
gelangt sind, ist es auch leicht, den Punkt namhaft zu machen,
der ein Misslingen des vorliegenden Erklärungsversuches zur
Nothwendigkeit werden Hess. Das Ausserachtlassen des Be-
griffsinhalts, das Einführen der Ideenassociation zur
Ableitung der Erscheinungen des Begriffsumfanges —
das sind die beiden Grundfehler der Hume'schen Abstractions-
theorie. Jetzt ist es wohl erlaubt, ohne weitere Begründung
auf unsere frühere Darlegung zurückzuweisen. Klar genug dürfte
sich dort namentlich ergeben haben, wie wenig der Begriffs-
umfang mit der Ideenassociation gemein hat; und die völlige
Unzulänglichkeit von Hume's Associationshypothese wird nur
geeignet sein, diese Wahrheit in ein noch helleres Licht zu setzen.
Aber auf Grund alles dessen könnte leicht ein Zweifel
entstehen, ob Ausführungen, die sich so in jeder Hinsicht als
unhaltbar herausstellen mussten, und daher die Gedankenrich-
tuDg von Hume's Nachfolgern gewiss nicht nachhaltig beeinflussen
konnten, — ob solche Ausführungen, sagen wir, einer einge-
henden Betrachtung überhaupt werth gewesen wären. Solchen
Einwürfen gegenüber ist jedoch zweierlei geltend zu machen.
Vor Allem ist eben Hume's Unternehmen, die Allgemeinheit
der Universalbegriffe auf Association zurückzuführen, so ver-
248 Meinong.
fehlt es ist, als ein Schritt und zwar einer der ersten Schritte
in der Richtung zu betrachten, die seit Hume für die £Dt-
wickelung der empirischen Schule von entscheidenstem Belang
geworden ist, indem sie deren Philosophie im eigentlichen Sinne
zu einer Philosophie der Ideenassociation gemacht hat. Wenn
J. St. Mill gerade bei der Erörterung der auf die Abstraction
bezüglichen Fragen sich zu dem Ausspruche gedrängt fiihlt.
ydass es in der Psychologie nichts Universelles gibt, ausser
den Gesetzen der Association', ^ so ist dies nicht nur höchst
bezeichnend für die denn doch über Gebühr grosse Rolle,
welche dieses, gewiss höchst bedeutungsvolle, Princip in der
englischen Psychologie der Gegenwart spielt, sondern es be-
leuchtet zugleich in unverkennbarer Weise den Einäuss, den
Hume im Laufe eines Jahrhunderts auf das Denken seiner
Landsleute zu nehmen vermochte. Denn es bedai'f nur noch
eines Blickes auf die Weise, in der noch J. Locke am Ende
des zweiten Buches seines Essay die Phänomene der Ideen-
association behandelt, um zu erkennen, wie Hume es war, der
zu einer wissenschaftlichen Verwerthung der Association zur
Erklärung anderer psychischer Erscheinungen erst recht eigent-
lich den Anstoss gegeben hat.
Bezieht sich das eben Gesagte zwar nicht nur auf Hume's
Abstractionstheorie, doch sicher auch auf diese, so muss
zweitens unter alleiniger Rücksicht auf letztere noch einmal
an das erinnert werden, was schon oben''^ über das Verhältniss
Hume's zu Berkeley festgestellt wurde. Wenn heute unter den
englischen Empirikern der Nominalismus als die herrschende
Lehre gilt, so ist das eine Thatsache, die, wie wir wissen, zu-
nächst nicht auf die berühmte Einleitung in Berkeley's Ab-
handlung, sondern auf die hier von uns geprüften Ausführungen
Hume's zurückweist.
Freilich, wer den modernen englischen Nominalismus nach
dem beurtheilen wollte, was J. St. Mill, der sich selbst auch
unter die Nominalisten zählt, über Abstracta sagt, der könnte
leicht zu der Meinung gelangen, dass dieser ,Nominalismus'
1 Examination cfa. XVII, a. a. O. S. 379.
2 S. 218 ff.
Home -Stadien. I. 249
selbst nichts mehr als ein leerer Name, und somit Hume's
Einfluss in dieser Richtung nicht eben hoch anzuschlagen sei.
Die Bedeutung MilPs berechtigt uns wohl, die vor Allem
hiehergehörige Stelle aus seinem Buche über Hamilton > mit-
zutheilen.
,Die Bildung eines Begriffes/ heisst es da, ^besteht nicht
darin, dass wir die Attribute, die ihn zusammensetzten; von
allen andei-n Attributen desselben Objectes trennen, und uns in
den Stand setzen, jene Attribute abgesondert von den übrigen
vorzustellen. Wir concipiren sie nicht, wir denken sie nicht,
wir apprehendiren sie nicht als Dinge für sich, sondern nur
als Bestandtheile der Idee eines particulären Objectes neben
vielen andern Attributen, mit denen sie zusammengesetzt sind.
Aber eben indem wir sie als Theile eines grösseren Qanzen
auffassen, haben wir die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit auf
sie zu richten, so dass wir die übrigen Attribute, mit denen
wir sie als combinirt vorgestellt haben, vernachlässigen. So
lange diese Concentration der Aufmerksamkeit wirklich dauert,
sind wir, sofern diese intensiv genug ist, im Stande, von eini-
gen der übrigen Attribute kein Bewusstsein zu haben und für
eine kurze Zeit nichts gegenwärtig zu halten, als die Attribute,
welche den Begriff constituiren. In der Regel ist indess die Auf-
merksamkeit nicht so exclusiv und lässt im Bewusstsein Raum
für andere Elemente der concreten Idee, obwohl das Bewusst-
sein dieser Elemente entsprechend der Energie und Stärke der
Concentration schwach ist, — und in dem Momente, in dem
die Aufmerksamkeit nachlässt, erscheinen diese andern Be-
standtheile im Bewusstsein, sofern dieselbe Idee fortfährt, den
Geist zu beschäftigen. Wir haben demnach, genau zu reden,
keine allgemeinen Begriffe, wir haben nur complexe Ideen von
Objecten in concreto; aber wir können unsere Aufmerksamkeit
aasBchliesslich auf gewisse Theile der concreten Idee richten,
und durch diese exclusive Aufmerksamkeit geben wir diesen
Theilen die Fähigkeit, ausschliesslich den Lauf unserer Ge-
danken, wie sie die Association successiv hervorruft, zu be-
stiaimen, und sind bereit, einer Kette von Meditationen oder
Folgerungen in Bezug auf diese Theile zu folgen, ganz so,
t Chapt. XVII, a. a. O. S. 371.
250 Meinong.
als ob wir im Stande wären, sie abgesondert vom Reste vor-
zustellen/
Es wai' vielleicht schon um der Sache willen nicht ganz
unpassend, nachdem wir uns hier so viel mit Polemik beschäf-
tigt haben, nun auch einer Darstellung des Abstractionsactes
zu gedenken, mit der wir uns, abgesehen von der nicht eben
vielsagenden nominalistischen Klausel, ziemlich rückhaltslos
einverstanden erklären können. Aber auch dieser Differenz-
punkt verdient hervorgehoben zu werden, da es sich dabei um
eine, sowohl in unserem nächsten Zusammenhange, als auch
für die Charakteristik der modernen englischen Philosophie
nicht unwesentliche Thatsache handelt.
Wir sprechen eben von J. St. Mill's sogenanntem Nomi-
nalismus, und müssen hier nochmals auf die schon oben * be-
nützte Definition, die Mill selbst von dem in Rede stehenden
Worte gibt, recurriren. Ist wirklich den Nominalisten die An-
sicht wesentlich, dass die Namen das einzige Allgemeine seien,
was existirt, so wird zunächst wenigstens jedermann zugeben,
dass aus der hier oeproducirten Stelle kaum etwas von einer
derartigen Meinung ihres Verfassers zu entnehmen ist. Er fahrt
dann zwar fort: ,Was uns dieses Vermögen gibt, ist vor Allem
die Anwendung von Zeichen, und zwar insbesondere jener Art
von Zeichen, welche am wirksamsten und uns vertrautesten ist,
d. i. der Namen'; allein dies kann nicht genügen, um MilFs
Theorie zur nominalistischen im obigen Sinne zu machen.
Angenommen, was zu untersuchen uns hier zu weit fuhren
würde, Mill habe in diesem Punkte Recht, gesetzt, es komme
nie eine Verallgemeinerung zu Stande ohne Namen, so besagt
dies nur, dass der Name eine conditio sine qua non der Ver-
allgemeinerung sei, nicht aber, dass in ihm diese selbst liege.
Im Gegentheil hat Mill selbst von Concentration der Aufmerk-
samkeit auf gewisse Theile des Concretums gesprochen; durch
was immer diese veranlasst sei, sie ist ein psychischer Act;
der Begriff, dem die Aufmerksamkeit höchstens als Ganzem
zugewendet ist, unterscheidet sich psychologisch von dem
Begriffe, bei dem einzelne Theile durch die Aufmerksamkeit
vor den andern ausgezeichnet sind; dor Unterschied liegt somit
» S, 216.
Hnne- Stadien. I. 251
zwar nicht in der Zahl der Theile, wie Locke meinte, sondern
im Verhältniss der Vorsteliungselemente zu einander und zum
vorstellenden Subjecte, — aber der Unterschied zwischen diesen
Begriffen, den concreten einerseits, den von uns abstract ge-
nannten andererseits, ist unverkennbar. Nach MilPs eigener
Theorie ist demgemäss ,die Allgemeinheit nicht nur ein Attribut
der Namen, sondern sie ist auch ein Attribut der Ideen. Die
äusseren Objecto sind alle individuell, aber jedem Namen ent-
spricht ein allgemeiner Begriff', — das ist aber wörtlich genau
die Charakteristik, welche Mill selbst * von den Conceptua-
listen entwirft, zu deren Gegnern er sich bekennt;
Es versteht sich, dass, wenn es sich bei der ganzen An-
gelegenheit nur um Namen handelte, eine eingehende Erörte-
rung hier um so weniger motivirt gewesen wäre, als sich ja
die Anwendung der Bezeichnung ,Nominalismus', für die Mill
eine begreifliche Vorliebe haben konnte^ auf seine Theorie in
gewissem Sinne wenigstens rechtfertigen Hesse. Aber dieser
Sinn wäre eben einer, den sonst weder J. St. Mill selbst noch
jemand Anderer gewöhnlich mit diesem Worte verbindet, und
darum kann die Behauptung, Mill sei ein Nominalist, auch wenn
sie von ihm selbst ausgeht, nicht anders als irrig genannt
werden.
Das Eine scheint also ausser Frage: Auf J. St. MilFs
Ansichten über Abstraction und Verallgemeinerung hat Hume
keinen nennenswerthen Einäuss zu gewinnen vermocht. Sollte
es mit den übrigen Anhängern des Nominalismus ebenso be-
wandt, sollte für sie Hume's Theorie wirklich so überwunden
sein, dass nichts auf ihn zurückweist, als etwa der Name, den
sie sich beilegen?
Man könnte in der Meinung, dass dem so sei, durch eine
Bemerkung A. Bain's noch bestärkt werden. ,Wir sind fähig,'
sagt dieser,*^ ,auf die Punkte der Uebereinstimmung ähnlicher
Dinge zu achten, und die Differenzpunkte zu vernachlässigen;
so wenn wir an das Licht leuchtender, oder an die Rundheit
runder Körper denken, — diese Kraft heisst Abstraction'. Aber
^ Examiiiation, h. a. O. S. 359 f.
' Mental and moral scieuce b. II eh. V §. 2 S. 176.
252 M«iaoDg.
man braucht nur um Weniges weiter zu lesen, um den Irrthum
mindestens bezüglich Bain's zu erkennen. Ungefähr eine Seite
hinter der obigen Stelle ^ finden wir Folgendes: ^Abstraction
besteht nicht eigentlich darin, eine Eigenschaft eines Dinges
von den andern im Geiste zu trennen, z. B. die Rundheit des
Mondes, abgesondert von seiner Helligkeit und seiner schein-
baren Grösse, zu denken. P]ine solche Trennung ist undurch-
führbar, niemand kann einen Kreis ohne Farbe und bestimmte
Grösse vorstellen. Alle Zwecke der abstracten Idee werden
erreicht, indem man ein concretes Ding vorstellt in Gemein-
schaft mit anderen Dingen, die ihm in Bezug auf das frag-
liche Attribut gleichen; und indem man von dem einen Con-
cretum nichts aussagt, als was auch für alle übrigen wahr ist.'
Es ist hier wohl kaum nöthig, den Leser an Hume's Beispiel
von Marmorkugel an Marmorwürfel zu erinnern, um ihn zu
überzeugen, dass Bain im Grunde nur Hume's Theorie über
die distinctio rationis seiner Erklärung zu Grunde gelegt hat.
Dieser Erklärung gegenüber ist auch kein Anlass vorhanden,
die Wirklichkeit des durch sie gestützten ,Nominalismus' in
Zweifel zu ziehen. Denn, dass ein Vorgang, wie der von Bain
geschilderte, keine Abstraction ist, das muss jeder zugeben,
wenn auch vielleicht nicht jeder zugeben wird, dass es möglich
sei, auf diesem Wege zu wirklicher Allgemeinheit zu ge-
langen.
Es würde natürlich die uns gesteckten Grenzen weit über-
schreiten, wollten wir es unternehmen, die Entwicklung, welche
die Abstractionstheorie in England seit Hume genommen hat.
Schritt für Schritt zu verfolgen; was wir allein thun können,
ist, die Anknüpfungspunkte an Hume in Beispielen aufzu-
weisen, und zu diesem Zwecke mag hier noch zweier Denker
der neuesten Zeit gedacht sein.
Der erste ist James Mill, der im achten Capitel seiner
,Anal7sis of the phenomena of the human mind' die Frage der
Verallgemeinerung eingehend erörtert: ,Der Mensch,' führt er
aus, ,wird zuerst mit Individuen bekannt, er benennt' daher
auch ,zuerst Individuen. Aber Indivirlueu sind unzählbar, der
' a. a. O. §. 3 S. 177f.
Hnme- Studien. I. 253
Mensch kann nicht unendlich viele Namen behalten, muss daher
einen Namen für viele Individuen dienen lassen.' Er bedarf
eben eines Abkürzungsmittels, und als solches fungiren Namen,
die in gleicher Weise ,eine Anzahl von Individuen mit allen
ihren Besonderheiten bezeichnen', um von vielen auf einmal
sprechen zu können.^ ,Worte erhalten ihre Bedeutung nur
durch Association' mit einer Idee. 2 Wird nun z. B. das Wort
Mensch zunächst nur auf ein Individuum angewendet, so asso-
ciirt es sich mit der Idee desselben und gewinnt die Kraft,
diese wachzurufen; das Gleiche gilt von der Anwendung auf
ein zweites, drittes Individuum u. s. f., bis das Wort ,mit einer
unbestimmten Zahl associirt ist, und die Kraft erlangt hat, eine
unbestimmte Anzahl dieser Ideen indifferent aufzurufen'. Das
Letztere geschieht nun in der That, so oft dieses Wort vor-
kommt, und indem es jene Ideen ,in enger Verbindung wach-
ruft, gestaltet es sie zu einer Art complexer Idee', wie auch
sonst die Association oft complexe Ideen aus einer unbestimmten
Anzahl von Ideen bildet. ^ ,Es ist auch eine Thatsache, dass,
wenn eine Idee bis zu gewissem Grade complex ist, sie ver-
möge der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, die sie enthält,
auch nothwendig indistiuct ist', z. B. die eines Tausendecks,
eines Heeres, Forstes u. dgl. Wenn in dieser Weise ,das-
«elbe Wort Mensch die Idee einer unbestimmten Zahl von
Individuen erweckt, nicht nur aller derjenigen, denen ich in-
dividuell den Namen gegeben habe, sondern auch derer, denen
ich ihn in der Phantasie gegeben habe, oder von denen ich
mir einbilde, dass er ihnen je gegeben werden wird, .... so
ist es offenbar eine sehr complexe Idee und daher indistinct,
und diese Indistinctheit ist ohne Zweifel eine Ursache des
Dunkels, welches darüber verbreitet schien'. * ,E8 ist daraus zu
entnehmen, dass Appellativa oder allgemeine Namen eine
doppelte Bedeutung haben; ... die einfachen Ideen, die . . .
bei jedem Individuum zu einer complexen Idee zusammenge-
wachsen sind, sind das eine Ding, das durch jedes Appellativ
^ a. a. O. Bd. I S. 260.
2 ibid. 8. 262.
» ibid. 8. 264.
* ibid. 8. 265.
254 Meinong.
bezeichnet wird, und diese coniplexe Idee des Individuums,
verwachsen mit einer andern, einer dritten derselben Art u. s. f.
ohne Ende ist das andere der dadurch bezeichneten Dinge. So
bezeichnet das Wort Rose vor Allem einen bestimmten Ge-
ruch, bestimmte Farbe, Gestalt, Consistenz, so associirt, dass
sie eine Idee, die des Individuums, ausmachen; ferner be-
zeichnet es dieses Individuum, associirt mit einem andern,
einem dritten, vierten u. s. f., mit einem Wort, es bezeichnet
die Classe/ *
Gerade die letzten Zusammenfassungen legen den Ver-
gleich mit Hume ungemein nahe. Wie bei diesem haben wir
auch bei James Mill den Versuch vor uns, die Verallgemeine-
rung als specicllen Fall der Ideenassociation zu erweisen; wie
dort, so ist hier der Name zunächst an das Individuum geknüpft
und erweckt auch jederzeit zunächst die concrete Individual-
Vorstellung mit all ihren Bestimmungen; wie dort, so schliesst
sich hier an diese ein eigenthümliches psychisches Phänomen,
das vermöge der concurrirenden Association verechiedener Indi-
vidualbegrifFe an denselben Namen entsteht, und dem in Folge
der grossen Anzahl dieser Individualia eine gewisse Unklarheit
anhaftet, was Hume als blos virtuelle Gegenwart der Einzel-
vorstellungen, Mill als Indistinctheit seiner complexen Idee
bezeichnet. Natürlich liegt uns eine Kritik Milfs hier völlig
fern; so viel kann man jedoch schon auf den ersten Blick er-
kennen, dass Hume ihm wenigstens in einem Punkte über-
legen scheint: er hat auf die zum Zustandekommen einer
geregelten Association noth wendig erforderliche Aehnlichkeit
der Individuen hingewiesen, die James Mill völlig ausser Acht
gelassen hat.
Mancher Leser wird vielleicht ein wenig befremdet sein,
an zweiter und letzter Stelle in diesem Zusammenhange den
Namen H. Taine's anzutreffen. Er gedenkt wohl der Charak-
teristik, die der Verfasser des ,Positivisme anglais' in seiner
etwas rhetorischen Weise von der Abstraction gegeben hat.
,Eine neue Fähigkeit erscheint', sagt er unter Anderem in der
» ibid. 8. 266.
Hane- Studien. I. 255
erwähnten Schrift, * ,dio Quelle der Sprache, die Erklärerin
der Natur, die Mutter der Religionen und Philosophien, der
einzige wirkliche Unterschied, der je nach seinem Qrade den
Menschen vom Thiere, die grossen Menschen von den unbe-
deutenden trennt, — ich meine die Abstraction, die das
Vermögen ist, die Elemente der Thatsachen zu isoliren und
abgesondert zu betrachten;' — und da möchte man wirklich
ebenso geneigt sein, zu fragen, wie dieser so zweifellos con-
ceptualistische Denker unter die Nominalisten gerathe,
als auf der anderen Seite das Hereinziehen des Franzosen
in eine Studie über englische Philosophie auffallen kann.
Beide Bedenken dürften indess schwinden, sobald man die
weitläufigen Ausführungen in Betracht zieht, die dieser geist-
volle Schriftsteller in seinem späteren Werke ,De l'intelligence* -
demselben Gegenstände widmet.
jPrüfen wir,' sagt Taine in dem in Rede stehenden Buche,
,was in uns vorgeht, wenn mehrere Perceptionen uns eine all-
gemeine Idee zuführen, so finden wir in uns niemals etwas
Anderes als die Bildung, Vollendung und Präponderanz eines
Strebens, das einen Ausdruck und unter anderen Ausdrücken
einen Namen hervorruft.' ^ , Sobald wir eine Reihe von Gegen-
ständen gesehen haben, die mit einer gemeinsamen Eigenschaft
ausgestattet sind, zeigen wir eine bestimmte Tendenz, die der
gemeinsamen Eigenschaft und nur dieser entspricht
Wir nehmen nicht die allgemeinen Qualitäten oder Merkmale
der Dinge wahr; wir haben blos in ihrer Gegenwart diese oder
jene distincte Tendenz, die in der Natursprache zu der und
der Mimik, in unserer künstlichen Sprache zu dem und dem
Namen führt. Wir haben keine allgemeinen Ideen im strengen
Sinne des Wortes; wir haben Tendenzen zum Benennen und
Namen,'* ,Was wir eine allgemeine Idee, eine Gesammt-
vorstellung nennen, ist nichts als ein Name; nicht der ein-
fache Schall, der in der Luft schwingt oder unser Ohr er-
schüttert, oder eine Ansammlung von Buchstaben, die das Papier
^ Le posiüviBine anglalB, ätude sur Stuart Mill, Paris 1864, 8. 116.
2 Paris 1870, 2 Bde.
3 a. a. O. Bd. I 8. 33.
* ibid. 8. 34f.
250 HttinoiiK.
schwärzen oder unsere Angen afficiren, nicht einmal diese
Buchstaben als im Geiste wahrgenommen, oder dieser Schall
als in Gedanken ausgesprochen, sondern dieser Schall oder
diese Buchstaben als mit einer doppelten Eigenthümlichkeit
versehen, sobald wir sie wahrnehmen oder uns vergegenwär-
tigen, nämlich der Eigenschaft, in uns die Bilder der zu einer
bestimmten Classe gehörigen Individuen, und nur dieser zu er-
wecken, — femer der Eigenschaft, jedesmal wieder zu entstehen,
wenn ein Individuum dieser selben Classe, und nur, wenn ein
Individuum dieser Classe sich unserem Gedächtniss oder unserer
Erfahrung darbietet/' So entspricht der Name ,der gemein-
samen und unterscheidenden Qualität, welche die Classe con-
stituirt und von andern trennt, und entspricht allein dieser
Qualität ... In dieser Weise ist er ihr geistiger Repräsentant
und erweist sich als Substitut einer Erfahrung, die uns ver-
sagt ist'. 2 Denn ,wir können in unserem Geiste die allgemeinen
Qualitäten isolirt weder percipiren, noch behalten .... Wir
machen' daher ,einen Umweg; wir associiren an jede abstracto
und allgemeine Qualität ein kleines particuläres und complexes
Ereigniss, einen Ton, eine Figur, leicht vorzustellen und zu
reproduciren, "^ wir gestalten diese Association so exact und so
eng, dass in der Folge die Qualität in den Dingen nicht er-
scheinen oder fehlen kann, ohne dass der Name in unserem
Geiste erscheint oder fehlt und umgekehrt'.^ ,Handelt es sich,'
also ,um eine allgemeine Qualität, von der wir weder eine Er-
fahrung noch sensible Vorstellung haben können, so substituirea
wir der unmöglichen Vorstellung einen Namen, und thun das mit
vollem Recht. Er hat dieselben Verwandtschaften und dieselben
Gegensätze, wie die Vorstellung, dieselben Hindernisse und Be-
dingungen der Existenz, dieselbe Ausdehnung und dieselben
Grenzen des Auftretens . . .' ^ ,Eine allgemeine oder abstraete
Idee ist' somit ,ein Name, nichts als ein Name, dei* bezeich-
nende und verstandene Name einer Classe ähnlicher Individuen,
1 ibid. 8. 35.
2 ibid. 8. 36 f.
' Wir associiren also wohl eine Vorstellung', die wir haben, an etwas, dsfl
wir nicht haben?
* ibid. 8. 37.
* ibid. 8. 38.
Hnme- Studien. I. 257
gewöhnlich begleitet durch die sensible aber vage Vorstellung
von einer dieser Thatsachen oder Individuen/* ^Allein diese Vor-
stellung ist nicht die allgemeine und abstracto Idee, sie ist nur
deren Begleitung, ..... meine abstracto Idee ist vollkommen klar
und bestimmt/ 2 jene Vorstellung hingegen ist nur ,ein Resi-
duum der zahlreichen abgeschwächten und verworrenen Erinne-
rungen*. 3
Was hier aus Taine's von Tautologien keineswegs freier
Darstellung hervorgehoben ist, genügt wohl, um über seine
Stellung in der Abstractionscontroverse nicht den leisesten
Zweifel übrig zu lassen. Wir haben einen Nominalismus vor
uns, der weiter geht, als heute irgend ein anderer namhafter
Vertreter dieser Richtung zu billigen geneigt sein dürfte, —
weiter auch als der David Hume's, der bei aller Verwandtschaft
mit der Taine'schen Ansicht doch nie die Namen mit den
abstracten oder allgemeinen Ideen kurzweg identificirt hat.
Das gilt zunächst natürlich nur von Taine, dem Verfasser
des Buches ,De Tintelligence*; wie sich damit die allem An-
scheine nach gerade entgegengesetzten Aeusserungen des Autors
des ,Positivisme anglais' vereinigen lassen, darüber wird nicht
leicht eine Hypothese aufzustellen sein. Liegt zwischen den
Jahren 1864 und 1870 keine Meinungsänderung von Seiten
Taine's, so ist es immerhin nicht ohne ein eigenthümliches Inter-
esse, in dem im erstgenannten Jahre verfassten Buche den
Nominalisten Taine gegen den angeblichen Nominalismus des
Conceptualisten J. St. Mill polemisiren zu sehen. —
Nur Beiträge zur Geschichte des englischen Nominalis-
mus zu liefern, war die Aufgabe - dieser Schrift, — nicht eine
Geschichte desselben; aber auch die wenigen hier beige-
brachten Daten werden hinreichen, uns vor dem Vorwurfe zu
bewahren, als wäre Hume's Abstractionstheorie an sich und in
ihren Consequenzen etwas Ueberwundenes und daher eine ein-
gehende Prüfung derselben nicht mehr gerechtfertigt. Aber
^ Bd. II S. 241, rergl. auch das Folgende, in der Hanptsache nur eine
Wiederholang des schon im ersten Bande Gesagten.
' Bd. II S. 243.
* ibid. S. 229.
SiUangtber. d. phil.-hist. Ol. LXXXVil. Bd. 1. üft. 17
258 Hainon^.
wenn auch gegen die Kritik im Allgemeinen nichts einzuwen-
den ist, so scheint doch ein anderer Vorwurf die vorliegende
Studie mit um so mehr Recht zu treffen. Wenn es sich nur
darum handelte, die Unhaltbarkeit der Hume'schen Ansichten
über Abstraction darzuthun, wäre diese Absicht nicht auf viel
kürzerem Wege zu erreichen gewesen? War es denn dazu
nöthig, auf Locke zurückzugehen, eingehend bei Berkeley zu
verweilen, ja eine Zeit lang ganz ohne Rücksicht auf histo-
rische Facta von Inhalt und Umfang und deren Verhältniss
zu handeln? Und was Hume selbst anlangt, welches Interesse
konnte es haben, alle Fehler in seinem Raisonnement namhaft
zu machen, wo doch einer genügt hätte, das Resultat umzu-
stossen?
In der That, wäre es uns nur um Widerlegung Hume's
zu thun gewesen, wir müssten auf all diese Fragen die Ant-
wort schuldig bleiben. Indessen waren es, wie schon eingangs
angedeutet, zwei viel weitere Gesichtspunkte, denen wir in
dieser Studie Rechnung trugen und bei dem essayistisch-mono-
graphischen Charakter derselben wohl auch Rechnung tragen
durften. Die beiden Gesichtspunkte, die wir meinen, sind der
sachliche und der historische, von denen für uns keiner dem
anderen an Wichtigkeit nachstand. Um des ersteren willen
wurde, namentlich in dem hauptsächlich Berkeley gewidmeten
Theile der Arbeit, Manches aufgenommen und ausgeführt, an
dem historisch wenig mehr aufzuklären war; aus demselben
Grunde wurde einmal die historisch-kritische Darstellungsweise
ganz fallen gelassen, weil zu hoffen war, so einige der wichtig-
sten Fragen rascher zum Austrag zu bringen. Dagegen war es
wieder das historische Interesse, das uns schon bei manchen
Stellen aus Berkeley zu verweilen zwang, zumal sich oi^ab,
dass über seine Beziehungen zu Hume noch manche irrige An-
sicht herrsche; und dieser Gesichtspunkt ist es denn auch vor
Allem, von dem aus unser Vorgehen in Betreff der Hume'schen
Hypothese wohl zu rechtfertigen sein wird.
Bekanntlich hat Hume sein Jugendwerk, den ,Treatise
on the human nature^ «päter einer gründlichen Umarbeitung
unterzogen. Zwar liegen über das Verhältuiss der ersten und
zweiten Fassung seiner Ansichten die unzweideutigsten Aeuase-
rungen von Seiten des Autors selbst vor; trotzdem hat man
Home-StodieD. I. 259
bisher noch zu keiner rechten Klarheit über diesen Punkt
kommen können. Da nun Hume einige Themen aus dem
Treatise in die zweite Bearbeitung gar nicht mehr aufgenommen
hat, 80 wird ein Versuch, die in Rede stehende Frage zur Ent-
scheidung zu bringen; zweierlei zu leisten haben: einerseits
müssen allerdings die doppelten Behandlungen derselben Ge-
genstände verglichen^ andererseits aber auch die nur einmal
behandelten Partien untersucht werden, um auf Grund dieser
Untersuchung eine Ansicht darüber zu gewinnen, was Hume
veranlassen konnte, Gegenstände von hervorragender Bedeu-
tung nachträglich aus dem Kreise seiner Betrachtungen aus-
zuschliessen. Zu diesem Zwecke ist jedoch ein genaues
Eingehen auch auf Einzelheiten erforderlich; denn man be-
urtheilt eine wissenschaftliche Arbeit nicht nur nach der
Qualität des Resultats, sondern auch nach der Qualität der
Erwägungen und Beweise, welche ihm vorangehen, — und
dies war der Beweggrund, der den Verfasser dieser Studie
veranlasste, die Kritik der Hume'schen Abstractionstheorie bis
zur Ermüdung ins Detail zu führen. Das Abstractionscapitel
ist eben eines von den nachher fallen gelassenen, und der
Verfasser hat es sich in der vorliegenden Arbeit zur Aufgabe
gemacht, Material zur entscheidenden Lösung der Redactionen-
frage wenigstens in Bezug auf die hier behandelte Partie bei-
zubringen. Erst wenn auch die übrigen in dieser Hinsicht in
Betracht kommenden Abschnitte des Treatise einer ebenso
eingehenden Betrachtung unterzogen sind, wird an einen end-
lichen, dann aber auch abschliessenden Austrag der in Rede
stehenden Angelegenheit zu denken sein; und die Geschicht-
schreiber der Philosophie thäten wohl hier, wie noch in man-
chen anderen Fällen, besser daran, ihre Kräfte zunächst den
Vorarbeiten zuzuwenden, statt gleich von vorn herein sich eine
Auffassung des Ganzen zurecht zu legen, die, eben weil ihr
die Grundlage fehlt, von Willkürlichkeiten wohl niemals frei
sein kann.
Eines aber können wir, ohne den Ergebnissen der Einzel-
untersuchung vorzugreifen, schon jetzt aussprechen, und es ist
vielleicht nicht überflüssig, am Schlüsse einer vorwiegend ver-
werfenden Beurtheilung dies ausdrücklich hervorzuheben: Ge-
setzt, die ablehnende Haltung, die Hume in der Folge seinem
2C0 Meinong. Hume-Stadien. I.
Jugendwerke gegenüber eiugenommen zu haben scheint, wäre
in jeder Hinsicht berechtigt, so wird das doch nicht im Stande
sein können, der Achtung, die der schottische Denker wohl
jedem eingeflösst hat, der ihm näher zu treten sich die Mühe
nahm, auch nur den mindesten Eintrag zu thun. Fürwahr, es
muss ein gewaltiger Geist gewesen sein, der durch sein Erst-
lingswerk, ja durch einen so kleinen und im Grunde ganz
verfehlten Theil desselben einen so umfassenden Einfluss auf
die Nachwelt zu üben vermochte, wie ihn David Hume blos
durch seine Aufstellungen über ,ab8tracte Ideen' thatsächlich
geübt hat.
XIX. SITZUNG VOM 18. JULI 1877.
Das w. M. Herr Professor Dr. Maassen ersucht um die
Intervention der Classe zur Erlangung von vier Codices aus
Paris, St. Gallen, Engelberg und München.
Der Berichterstatter der Weisthümer-Commission theilt mit,
dass letzterer von Sr. Excellenz dem Grafen Johann Wilczek
eiue Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts mit Taidingen
des Wiener Domcapitels von Matzleinsdorf, Bisamberg und
Atzgei-sdorf zur Copiatur übergeben wurde.
Das w. M. Herr Dr. Pfizmaier legt eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Abhandludg unter dem Titel: ,Da8 Haus
eines Statthalters von Fari-ma, II. Abtheilung' vor.
Das w. M. Herr Professor Conze legt ein drittes Heft
Römischer Bildwerke einheimischen Fundorts in Oesterreich'
zur Aufnahme in die Denkschriften vor.
Das c. M. Herr Professor Dr. Heinzel legt eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Ueber die Endsilben
der altnordischen Sprache' vor.
Herr Dr. Ferdinand Kaltenb runner bespricht in einem
Vortrage : ,Die Polemik über die Gregorianische Kalenderreform'
und ersucht um Aufnahme der Abhandlung in die Sitzungs-
berichte.
262
Verzeiohniss der vorgelegten Druckschriften:
Accademia B. dei Lincei: Atti. Anno CCLXXIII. 1875/76. Serie secondA.
Volume III. Parte prima. Transunti e Ballettino bibliografico. Roma,
1876; 40.
Akademie der Wissenschafteo, königlich preussische, zu Berlin: Monatsbericht
März und April 1877. Berlin, 1877; 8«.
Gentral-CommissioUyk. k. zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- and
historischen Denkmale: Mittheilungen. lU. Band, 2. Heft. Wien, 1877; i\
Gesellschaft, Geographische, in Bremen: Deutsche geographische Blätter.
Jahrgang I. Heft IL Bremen, 1877; 80. — Katalog der Ausstellang
ethnog^phischer und naturwissenschaftlicher Sammlungen. Bremen,
1877; 80.
— Deutsche Morgenlfindische : Abhandlungen für die Kunde des Morgen-
landes. VI. Band, Nr. 3. Leipzig, 1877; 80.
— Antiquarische: Mittheilungen. Band XIX. Heft 2, 3 und 4. Zürich,
1876/77; 4«.
Jahrbuch, Statistisches des k. k. Ackerbau-Ministeriums für 1870. Wien,
1877; 80.
,Revue politique et Htt^raire' et ,Revue scientifique de la France et de
TEtranger*. VII« Ann^e, 2« Serie. Nr. 2. Paris, 1877; 40.
Roulez, J.: Trois MMaillons de poteries romaines. Paris, 1877; 4®..
Society Italiana di Antropologia et di Etnologia: Archivio. VII. Volume.
Fascicolo I. Firenze, 1877; 8«.
Soci^tö d'Histoire et d' Archäologie de Gen^ve: Memoires et Documenta.
Tome XIX. Livraison 2. Geneve, Paris, 1877; 8^.
Society, the royal geographica!: Journal. Vol. XLVI. 1876. London, 1876; 8*^.
Verein, historischer, von Unterfranken und A schaff enburg: Archiv. XXIV.
Band. 1. Heft. Würzburg, 1877; 8«. — Die Geschichte des Bauernkrieges
in Ostfranken von Magister Lorenz Fries. Würzburg, 1876; 8°.
Pfizmaier. Das Hans eines Statthalters von Fari-ma. 263
Das Haus eines Statthalters von Fari-ma.
(II. Abtheilung.)
Von
Dr. A. Pfizmaier,
wirklichem Hitgliedc der kais. Akademie der Wissenschaften.
Die vorliegende Abhandlung bringt die Erklärung der
zweiten Hälfte des japanischen Werkes 1^ ^ ^ ^ mei-
geUU'sei'dan ^klare Besprechungen über das Haus Aka-tsuki',
dessen erste Hälfte bereits früher (in dem Novemberhefte des
Jahrganges 1876 der Sitzungsberichte) erklärt wurde. Das
hier Gebotene enthält den Ausgang eines auf eine Anzahl
Jahre sich erstreckenden geheimnissvollen Ereignisses in dem
Hause E6-tari Jori-nori Ason's^ Statthalters von Fari-ma, und
zeigt sich in dem Laufe der Entwickelung, dass die Nebenfrau
Faru-uo I nicht, wie man glauben machte, auf Befehl des
Statthalters hingerichtet, sondern durch den ältesten Hausdiener
Eazu-sada in einer fernen Gegend verborgen wurde. Dieselbe
ist die schon in dem ersten Theile vorkommende Nonne J^ J^
Sei-getsu, ihr Sohn ist der in die Dienste des Hauses Aka-
tsuki getretene I-suke, welcher zuletzt an der Stelle seines ent-
arteten Bruders Fan-go-r6 Statthalter von Fari-ma wird. Die
Erzählung fällt in das vierzehnte Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung, und ist auch dieser Theil derselben reich an Nach-
richten von dem Leben und den Sitten der damaligen Zeit,
worunter die ausführliche Schilderung eines am sechzehnten
Tage des siebenten Monates in der Umgebung von Mijako
stattfindenden Volksfestes besonders erwähnenswerth sein dürfte.
Die Ueberschriften der in der Abhandlung bearbeiteten
weiteren fünf Capitel lauten im Japanischen :
264 Pfixmaier.
(siü-gib-zta) 'j^ Ä (ke-ij-wo kokoro-mu. ,Ein alter Ackersmann
erklärt die Verödung. Der den Wandel Ordnende prüft die
Seltsamkeiten.'
^ ]^ (Mon-mu) inw-se-wo 3^ (jakuj-si \ jft -^ (tsiu-si)
^ j^ (an-ki)'WO ^ (rd)-8U, ,Der Mann der Schrift und des
Krieges gibt das Versprechen wegen Schwester und Bruder.
Der redliche Eriegsmann kümmert sich um Sicherheit und
Gefahr.'
^ (Kan)-wo tsuUumeru some-te-nugui \ ^ (ziüj-wo tsidzi-
meru date-ju-kata. ,Da8 den Verrath einhüllende gefärbte
Taschentuch. Das die Langjährigkeit verschrumpfen machende
durchwirkte Sommerkleid.'
^ 1^ (Sai-kuai)'seru wari-kb-gai \ -^ ^ (kt-gitj-nasu
jume-no ura-kata. ,Die das Wiedersehen veranlassende ge-
spaltene Haarnadel. Die das wunderbare Begegnen bewerk-
stelligende Auslegung des Traumes.'
Kegare-wo nagasu jodo-gawa-no fotori \ foniare-wo todomu
jama-zaki-no ^ (go). ^Die Seite des den Schmutz treibenden
Flusses Jodo-gawa. Der die Lobpreisung aufhaltende Kreis
Jama-zaki'.
Die Titel japanischer Bücher werden von europäischen
Japonisten nicht selten unrichtig übersetzt. Um den Titel
richtig wiedergeben zu können, muss man in der Regel das
ganze Buch durchgelesen und den Inhalt vollkommen ver-
standen haben. Einen Beleg für diese Wahrheit liefert der
oben angeführte Titel, über welchen in dem Vorworte zu der
ersten Abtheilung Einiges angedeutet wurde. Noch mehr gilt
das Gesagte von den Ueberschriften, welche, durch kleinere
Zeichen ausgedrückt, bisweilen mit dem Haupttitel vereinigt
sind. Bei dem Titel des Mei-getsu-sei-dan sind in kleiner
Schrift die AVorte ^jlj ^ -^ j^ (aen-sai-ki-jm) vorangesetzt.
Dieselben, an sich völlig unerklärbar, werden erst nach Durch-
lesung des Werkes verständlich, und ihr Sinn ist: Die wunder-
baren Beziehungen 0-sen*s und Sai-zi-ro's. ^[Ij (aen) ist näm-
lich die Abkürzung des Namens ^ ^jlj 0-sen, ^ (sai) die
Abkürzung des Namens ^ ^ ^ Sai-zi-rö.
Dm Haus eines Statthalters ron Fari-ina. 265
Fanasi ini-si-je-ni kajeru, ^fe |5| P^ (Sa-e-man) ^ ^
(huti-8ada)-wa \ saki-tsu tosi kimi-no Sse-ni joUe \ Jami-ga
^ ^ (ai-«ö) ^ (faru)-no ^ (i)'WO ^ ^ (tsiü-nkuj-vi \
mwo ^ ^ (tsuki'Waka)'too-mo ^ßr ^ (setau-gaij-nasi-te \
^ ;|^ (tan-konj-no fakari-goto-wo nasan-to se-si-ni \ sude-ni
foka-ni fff ^ (kan-zoku) ari-te \ itsi-fajaku ^^ (waka)'WO
ubai'kakuse^si'WO \ uairo-jasu-karazu-ja omot-ken \ sono iki-sini-
too tadasan tote \ ^ '& (giiirkunj'ni si-i-te susume-idte-matsuri \
onore sono utte-to nari \ itoma-wo koi-te taist-ide-si ^ Qo) \
fasi-naku juki-tsigb fitori-no kuse-mono \ sono ide-tatsi-no kokoro-
jergatcücu I atO'WO sitoje-domo ^ ^ ((^n-ja) nare-ba | tsui-ni
kore-wo toraje-jezu.
Die Erzählung kehrt za der alten Zeit zurück. Sa-e-mon
Eazu-sada hatte in früheren Jahren dem Befehle des Gebieters
gemäss Faru-no I, die geliebte Nebenfrau des Gebieters, mit
dem Tode bestraft. Indem er noch nach seinem Plane Tsuki-
waka zu morden und die Wurzel abzuschneiden gedachte, war
ausserdem ein Verräther, welcher Waka schnell raubte und
verbarg. In der Meinung, dass für die Zukunft keine Sicher-
heit sein werde, wollte er über Leben und Tod nachforschen
und redete dem Vorgesetzten und Gebieter eindringlich zu,
indem er sagte : Jn der Nacht, in welcher ich der Todtschläger
wurde, Urlaub begehrte und auszog, begegnete mir zufallig ein
Bösewicht, dessen Verkleidung mir unbegreiflich war. Ich
folgte .ihm nach, doch in der finsteren Nacht konnte ich ihn
zuletzt nicht festnehmend
Sore-jori so-ko ko-ko saguru-to ije-domo \ ^^ (wakaj-ga
ari-sama-no sadaka-narazu, Ko-wa ^ H| {td"koku)-ni-wa arazi-
kasi. Tatoje '(jg ^ (fenpi) J^ J^ (en-kiö) tari-to-mo | ame-ga
sita-ni dani aru naraha \ ika-de-ka saguri-jezari-beki-to \ köre-
jori ^ ^ (u'-fatsu)-no j^ ^ ^ (siü'gib-zta)'ni ide-tatsi \
sena-m-wa ]g |f, (zi-ß) ^ ^ (ai-min)- no j/jj^ ^ (dzi-zoj-wo
woje-do I mune-ni j^ ^ (zan-gai) BBf ^ (ka-siakuj-no oni-wo
idaki \ migi-ni ^k ^^ (fu-sibj-wo utsi-narasi \ fidam-ni jaiba-
wo kome-si tsuje-too tsuki-tate \ omote-wa 'jj^ ^ (siü-zen) utsi-
"'' ^ 15 f^a-aiw; ^ ^ (ze-fi) komo-gomo ^ ^ V^
(ftt-fun-mib), Ito-mo okdsi-ku-to fitori-jemi \ fari-ma^no kuni-tvo
tatsi'toakare \ ina-ba-no jama-no matsu-to si-mo | iü-beki ukara-no
266 Pfizmaier.
imi'kirai | tsiri-akuta-nasu fowa-ki-no kuni \ sono fatca-ki- ^
(gij-^o ari'to kike-do \ waka-ni-wa imada mina-saka-no \ ada-ki-
naki j^ (jo)'ni idzumo- j^ (zij-to \ omoje-do sasu-ga numo-no
fu-no kokoro juruganu ^ ^ (iwarmi)-gaia.
, Obgleich ich hier und dort suchte, war es nicht bestunmt,
wie es um Waka steht Dieser dürfte sich nicht in diesem
Reiche befinden. Seien es auch seitwärts liegende Flecken,
ferne Gränzen, wenn er sich nur in der Welt befindet, wie
könnte das Suchen nicht von Erfolg sein?' — Hierauf ver-
kleidete er sich in einen den Wandel Ordnenden, der sein
Haupthaar behält. Obgleich er auf dem Rücken den mitleidigen,
bedauernden Qott der Erdkammer trug, schloss er an die Brust
den verderbenden und züchtigenden Dämon. Mit der Rechten
schlug er die Aentenglocke, mit der Linken stiess er einen
Stab auf, in welchen eine Klinge eingelegt war. Aeusserlich
übte er das Gute, innerlich tbat er Böses, Recht und Unrecht
wurden gegenseitig nicht deutlich unterschieden. Mit den
Worten: Sehr sonderbar! für sich allein lachend, trennte er
sich von dem Reiche Fari-ma. Die Verwandten, welche man
Fichten der Bei^e von Ina-ba nennen konnte, verabscheuten
ihn. Er hörte, dass das Reich Fawa-ki, welches dem Staube
und den Abfällen gleich ist, Besenbäume habe, doch er glaubte,
dass für Waka noch Mima-saka, in der unglücklichen Welt
der Weg von Idzumo sei, und somit war es die Seite von Iwa-
mi, wo das Herz des Kriegsmannes nicht erschüttert ward.
,Das Aentengeschlecht' hiess ehemals in China der Ver-
fertiger der Glocken. Der Ausdruck hat den Sinn des Hohlen
und Schwimmenden, weil die Aente in das Wasser geht^ ohne
zu ertrinken.
Fawa-ki ist der alte Name des Reiches F6-ki. Pawor-kx-gi
,Besenbaum' oder favoa-ki-kusa ,Besenpflanze' ist ein Baum,
aus welchem Besen verfertigt werden. Pawa-ki-gi ist hier eine
Anspielung auf den Namen des Reiches Fawa-ki.
Tosi-tmki iiaga-to su-fo-jori \ j{^ j^ (kiü-siü) ^ g (si-
koku)'Wo fe-meguri'to \ sanu-ki-no kuni-wo so-ko ko-ko-to \ J^ ^
(si-doj-no ura-ni-wa ^ ]^ (fudzi-wara) >5 Jt ^ (fu-hi-toyga
^ ^ (^'io)-wo ]^ (kan)'Zi \ jaaima-no ura-ni-toa ^ ^
(gen-fei) ^ ^ (red'ZiJ-no ^ ^ (ei-koJ-woV^ (tan)'zi \ ^ ^
Dm Hans eines Stattbolten von FftrUn». 267
(maru'kamej'no ^ (jeki)'jori bin-go-ni toatari \ bittsiü bi-zen-wo
fMguri-fatere-ba \ sasu-ga furu-aato-no natsukasi-ku \ fito-madzu
j: ^ (siü-kunj-ni ^ (es) si-tsuUu \ toai'Uuki-no ku-rd-wo
kikoje-age \ sono notsi W B| (to-gokuj-wo-mo saguran-to \ fari-
ma-no kuni-ni tafsi-modoii-si-ga \ jafswe-fate-taru waga sugata-
?w^ B (yj<o-«wJ ibuaeku'ja omoi-ken \ kam fukahi-to ntst-owoi |
sinobi'te ^ "fC (zib'ka)-ni iran-to »u.
Durch Jahre und Monde durchwanderte er, von Naga-to
und Su-w8 kommend, Kiü-siü und Si-koku. In dem Reiche
Sanu-ki hier und dort umherziehend, bewunderte er an der
Bucht von Si-do die verständigen Entwürfe Fudzi-wara Fu-
bi-to's, beseufzte an der Buclit der acht Inseln die Blüthe und
das Verdorren der zwei Geschlechter Qen und Fei. Von dem
Standorte von Maru-kame nach Bin-go übersetzend, durch-
wanderte er ganz Bittsiü und Bi-zen. Unterdessen sehnsüchtig
nach seiner Heimath, wollte er einmal früher den Vorgesetzten
und Gebieter besuchen, dabei das Leiden von Jahren und
Monden zu Ohren bringen und dann auch die östlichen Reiche
durchsuchen. Er kehrte daher in das Reich Fari-ma zurück.
Indem er glaubte, dass seine völlig herabgekommene Gestalt
den Menschen auffallen würde, drückte er den Hut tief in das
Gesicht und wollte heimlich in die Stadt unter der Feste treten.
Geni'ja to-tose-wo fito-rmücasi-to ijeru-ni \ kuni-guni-wo
saguri-motomuru koto \ aude-ni towo-mari nana-tose-wo fe-nure-
ba I wono-dzukara S Q (zi-moku)'tDO odorokasu koto-no o-oku ]
koko-ni oi-te ^^ ^ (setsu-butsu) ^ -^ (fü-kubj-no ^ (f^^)'
zi'jcistJci'WO |d| (tan) '81 \ i^ (matsu)-mo rnukasi-to nagame-taru \
taka-sagchno ura-wo ^^ ^ (t8ib'bd)'8i \ kono watari-jori ma-
ntsi-ni atari j|m "^ j|| (ka-kO'gawa)'to ijeru ari.
In Wahrheit wohl nennt man zehn Jahre ein Ehemals.
Indem er die Reiche durchsuchte, waren bereits über siebzehn
Jahre vergangen, und es waren die das Auge und das Ohr
erschreckenden Dinge viele. Demgemäss beseufzte er die leichte
Verwandlung der Dinge der Zeit, des Windglanzes und sagte
den Vers: ,Die Fichten auch ehemals^ her. Als er in die Feme
auf die Bucht von Taka-sago blickte, lag von dieser Durchfahrt
gerade im Westen ein Ort Namens Ka-ko-gawa,
268 Pfismaier.
Nagam/kf durch ^ ausgedrückt; hat auch die Bedeutung :
hersagen.
Koko-ni ^ ^ (tai-stüj'no simo-jcisiki-no ari-keru-ga \ kttzu-
sada koko-ni ki-kakari miru-m \ ani fakaran-ja \ sasi-mo ^S JS
(gioku-ten) ^ ^ (san-ranj-to site ^ ^ (feki-un)'ni magaje
^ ^ (^in-rÖ) ^ V^ (kaku'kakayto site ^ g| f«e*:*v^; ^
Q'ei)'Ze'8i-mo \ ika-nari-ken "^ ^ (kub-faij-si \ ^ P^ f^iÄ-monj
naname-ni kutsi-te kusa sigeri [^ ^ (kö-reo) j/jj^ (tsi)'ni joko-
tawaUe fukuro-no sumi-ka-to nareru-ni \ kazu-sada akiruru koto
Wi ^J r*^"^**i) nari'to ije-domo \ sara-ni sono ^ ^ (^mö-
fatj'seru ju-e-too jjß (ge)-8ezu.
Hier befand sich der besondere Wohnsitz des Statthalters.
Als Eazu-sada hier anlangte^ sah er — wie sollte man es ver-
muthen? selbst ein solcher Edelsteinpalast, schimmernd den
lasurblauen Wolken nachgebildet, mit goldenen Söllern, die
hell in der Abendsonne wiederglänzten, war, wie mochte es
zugegangen sein? wüst und verfallen. Das mennigrothe Thor
war schief und faulte, die Pflanzen wuchsen in Fülle, die Regen-
bogenbalken lagen quer auf dem Boden, der Ort war der Wohn-
sitz der Eulen geworden. Das Staunen Kazu-sada's dauerte
mehrere Viertelstunden, doch er konnte sich die Ursache der
Wüstheit und des Verfalls durchaus nicht erklären.
K6-red , Regenbogenbalken' sind Dachbalken, welche gleich
dem Regenbogen gekrümmt sind.
Katatoara-ni fito-tsu-no kuzu-ja-no ari-te \ noki-ni fisago
wara-gutau-wo burari-se-st-wa \ midzu-siki ^ -^ (no-fuj-to-wa
iwade-mo drusL Kazu-sada-wa kore-ga kado-be-ni tsuje-xco
tatete \ fisoka-ni utsi-wo mi-iruru-ni \ aruzi-mekeru nana-so-dzi-no
oja-dzi kiseru-wo naname-ni kuwaje-tsutsn \ foso-nawa nai-taru
omO'ZOM'Wa | imada mt-siranu mono^nare-ba \ kokovo-wo jasun-zi
to-gutsi-ni tatsi-jori \ ko-wa ^ ||| (sio-kokuj-wo meguru su-gib-
zia naru-ga ^ J^ (fb-stj-ni sibasi ikowase-tamaje.
Zur Seite befand sich ein mit Flachs gedecktes Haus. Dass
man an dem Vordache Kürbisse und Strohschuhe schwanken liess,
war, ohne dass man es zu sagen brauchte, ein Zeichen, dass
hier ein wasserbreitender Ackersmann wohne. Kazu-sada stellte
an das Thor den Stab und blickte heimlich hinein. Ein siebzig-
jähriger Greis, welcher der Besitzer zu sein schien, drehte, eine
Das Hans eines Statthalters Ton Fari-ma. 269
Tabakpfeife schräg zwischen den Zähnen haltend, einen Strick.
Jener, da es nach den Gesichtszügen ein Mensch war, den er
noch nicht gesehen hatte, war im Herzen beruhigt. An den
£ingang gelehnt, rief er : Ich bin ein den Wandel Ordnender,
der die Reiche durchwandert. Habet die Güte und lasset mich
eine Weile ausruhen.
Kano ^ ^ (ro-fu) to-no kata-too mi-idasi | so-wa ito
jasusi. Kotsi'je iri-ne, Tanbako-no ß-wa kano ßki-kara-fan. Sä>U'
tsia-wa kanata-no fa-kama-ni koso, Miraruru-ga goto wäre narade
fito Jiasi. Noman-to nara-ba mani-mani-si-tabe. KazU'8ada''Wa
1^ ^p (e'8iaku)'na8i \ na-kokoro-dzukai-si'tamai'SO'to | owoUtaru
kasa-wo nugi^te \ aruzi-no katawara-ni kosi-utai-kake | jo-mo
jama-no fana^-no taui-de-ni \ kono tonari-taru fito-kamaje-wa
ika-ni-mo ate-btto-no tatsi-to mye-taru-ga \ ika-de-ka kh-made
^ )S (^^^'f<*^)'^^'^-^-^ I sa-aranu sama-ni joao-nagara toje-ba.
Jener alte Mann blickte bei der Thüre heraus und sagte :
Dieses ist sehr leicht. Tretet hier ein! Das Tabakfeuer ist in
dieser Sägespäneschüssel, der herbe Thee ist dort in dem
Flügelkessel. Wie zu sehen, ist ausser mir Niemand da. Wenn
ihr trinket, so thut nach eurem Belieben. — Kazu-sada ent-
schuldigte sich und sagte: Gebet euch keine solche Mühe! —
Indem er den Hut, mit welchem er bedeckt war, ablegte, setzte
er sich neben den Wirth. Bei Gelegenheit des Gespräches über
sämmtliche Gegenden fragte er gleichgiltig, als ob es ihn nicht
beträfe: Der Bau in dieser Nachbarschaft erscheint einiger-
massen wie der Palast eines vornehmen Menschen. Wie kommt
es, dass er in einem solchen Masse wüst wurde und verfiel.
Aruzi'Wa nai-sasi-taru nawa-too sasi-noki \ kaiawara-no
sibu-utsi-fa tori-te fiza-ni tsuki-tate \ ko-wa ito rmgaki mono-gatan
nare-do sono aramasi-wo Mkase-rnösan, Wa-nami-wa to-toae amari
maje-tau kata \ joao-kunirjoH kono -^ (reqj-ni kitare-ba \ ao-ga
maje-wa aadaka-ni airane-do \ ima-jori-wa fata-toae taikaki ini-ai-
je \ ^=^ (ßb'bu)-no -j^ || (ta-jü) ^ ^ (jon-norij-to kikoje-
si kimi ari-ai-ga \ aono ^ ^ (ai-aeoywo ^ (faru)-no ^ (ij-to-
ka tjeri-ai-ni \ ika-naru Tnaga-taumika mitai-biki-ken \ fiaoka-ni
kaj6 koto-tauma-no ari-ai-wo \ kimi kore-wo airoai-meai \ o-oi-ni
ikari tatai-matai-ni \ te-utai-ni aen-to ai-tamai-ai-wo \ toki-no i^ ^
(sikk€n)'ni -J^ |^ p^ (aa-e-mon) ^ ^ (kazu-aadaj-to-ka ijeru
270 Pfismaier.
mono I ko-wa mata nasake-ndki mono-nite \ tsumi-no karo-karan
kotO'WO isamen-io-wa sede \ kimi-ni koi-te kano-faru-no i-wo ßttate \
iß ^h (^i^-g^fii)-''^ siba-fu-nt aje-naku ^^ (tsiüj'si-ofvari'nu.
Der Wirth legte den Strick, den er zu drehen aufgehört
hatte, weg und einen zur Seite befindlichen mit Saft gefärbten
Fächer auf das Knie Btossend, sagte er: ^Dieses ist zwar eine
lange Erzählung, doch ich werde es in Kürze zu Ohren bringen.
Ich bin vor mehr als zehn Jahren aus einem auswärtigen
Reiche in diese Statthalterschaft gekommen. Wie lange es vor
diesem gewesen, weiss ich nicht, doch von jetzt an nahezu
zwanzig Jahre in das Ehemals zurück lebte ein Gebieter, der
unter dem Namen Jori-mori, der grosse Stützende von der
Abtheilung der Krieger, bekannt war. Dessen geliebte Neben-
frau hiess Faru-no I. Dieselbe hatte — was für ein Unglücks-
gott wird sie des Weges gefuhrt haben ? einen Buhlen, mit dem
sie heimlich verkehrte. Der Gebieter, der dieses erfuhr, wurde
sehr zornig und wollte sie plötzlich niederhauen. Der damalige
Inhaber der Macht war ein Mann Namens Sa-e-mon Kazu-sada.
Dieser, auch ein gefühlloser Mensch, richtete, ohne vorzu-
stellen, dass das Verbrechen leicht sein werde, an den Gebieter
die Bitte, zog jene Faru-no I mit sich und tödtete sie auf dem
Rasenplatze ausserhalb der Feste auf unglückselige Weiset
Sono fima-ni kokoro-kiki-taru mono ari-te \ kano faru-no i
fara-ni umare-tamb \ ^ ^ (san-sai^no waka-gimi ^ ^ (tsukt-
waka)'to ijeru-wo | nani-mono-ka ubat-kakuse-si-wo \ kazu-sada
tatsi'kajette kore-wo kiki \ sute-oki-gatasi-to-ja omoi-ken \ waka-ga
jl^ ^ (sib-sij-wo tadasazun-ba \ notsi kanarazu km aran nado '
sama-zama-ni sakasira-goto-ai \ isui-ni kimi-ni koi-te kuni-wo ide-
ai'Wa I faja to-m>ari nanorja-tose \ ima-ni kazu-sada kajeri-konu-
wa I ^ (ten) sono ^ ^ (zan-ninj-wo nikumi-tamai \ ^ ^j^
(to-roj-ni ihre- ^ (sij'Se-si naran.
,Unterde8sen gab es einen scharfsinnigen Menschen, indem
den von jener Faru-no I geborenen dreijährigen jungen Gebieter
Tsuki-waka irgend Jemand raubte und versteckte. Als Kazu-
sada zurückkehrte und dieses hörte, mochte er glauben, dass
man die Sache nicht auf sich beruhen lassen könne. Er führte
allerhand glatte Reden und sagte, wenn man nicht ausfindig
mache, ob Waka am Leben oder todt sei, werde man es später
Dm Haas eines Stettkaltan tod Fari-ma. 271
gewiss zu bereuen haben. Er erbat es hierauf von dem Ge-
bieter^ und dass er aus dem Reiche ausgezogen, sind bereits
siebzehn bis achtzehn Jahre. Indem Kazu-sada jetzt nicht
zurückkommt, wird der Himmel seine Grausamkeit verabscheut
und ihn auf dem Wege fallen und sterben gemacht haben/
So-wa tamare kaku-mo are \ sore-jon-wa jori-nori-gimi \ futa-
tabi Ä^ ^ (ai'8e6)'W0 sadametamatoazu Ifita-sura j£ ^ (stb-
8it8u)-wo ^^ A (t8ib-ai)'ma8i-ma8e-si-ga \ — • SB (ittsib) ^ ^
(ki'kiüJ'Tio jamai'Wo uke-tamai \ BD Q (soku - zitsti) 2^ -^
(8okkio)'7iasUtamb, Waka-tono ^ ^ (fana-xßoka) ^ ^^ (kai-
meij'si-tamai \ >ft 3l ^ (fan-go-röj-kimi-to tonaje-tsutsu \ ka-
toku-no mi'Wa tsugi-tamaje-do \ ^ ^ (teS-sin) kori-kazuje -j^ ^
(nohu-mitnj-to ijeru-ga sikken-to site \ B| J^ (koku-sei) mina
nobu-mitsi-ga Ht tH (fd-sunj-ni idete \ aono jj (wi) ataka-mo
asa-ß-no 8aka-noboru-ga gotoku.
^Dieses sei wie ihm wolle. Seit dieser Zeit bestimmte
der Gebieter Jori-nori Niemanden mehr zur geliebten Neben-
frau und schenkte seine Gunst einzig der rechtmässigen Gattin.
Eines Morgens von einer gefährlichen Krankheit befallen, ver-
schied er an demselben Tage. Der junge Gebieter, indem er
seinen Namen veränderte und sich Gebieter Fan-go-ro nannte,
folgte als Erbe des Hauses nach, jedoch der älteste Diener
Nobu-mitsi, Haupt der Rechnungen des Kreises, wurde Inhaber
der Macht. Alle Dinge der Lenkung des Reiches geschahen
nach dem Willen Nobu-mitsi^s, und seine Gewalt war gerade
der glänzend aufsteigenden Morgensonne gleich.'
Sika nomi narazu kano -4^ ^ (ic?i-/:ttn)-no ^ ^ (kd-
sitsti) ij^ (fnaki)-no H^ (kata)'fo ^ ^ (kan-tsüj-si \ ono-ga
^1 ^ (sai-sedj'no gotoku j^ ^ (in-rakuj-se-si-ni | sono notsi
nohu-mitsi-ga kosi-moto-ni \ Jft (namij-no Jj^ (uje)'to^ka ijeru
tconna \ moto-wa nani-wa-no kata-i-naka-ni \ ijan-ki mono-no
musume nare-do \ katatd koto-ni uruwasi-kare-ba \ tatsi-matsi
kore-wo soba-me-to nase-si-ga \ kano tconna kokoro-zama-no ja-
karanu mono-nite \ to-zama ko-zama pf 7^ (ku'niil)'8uru'W0 nobu-
nütsi'Wa aono ^ ^ (ze-ßj-wo wakimbru koto atawazu \ iü-ga
mani'mani'tii toH-fakaraje-ba ' J^, "K (^^'ff^) uvami-wo musubu
mono sukuna-karazu.
272 Pfi.m»ier.
^Ausserdem hatte er mit Maki-no kata, der Witwe jenes
früheren Gebieters^ geheimen Umgang und vergnügte sich mit
ihr wie mit seiner Gattin und Nebenfrau. Später war ein
Weib^ Namens Nami-no uje die Magd Nobu-mitsi's. Dieselbe
war eigentlich die Tochter gemeiner Leute aus einem Dorfe
seitwärts von Nani-wa, doch da sie von Gestalt besonders schön
war, machte er sie plötzlich zu seiner Nebenfrau. Dieses Weib,
von Gemüthsart nicht gut, befasste sich auf jegliche Weise
mit Zwischenträgerei. Nobu-mitsi, nicht im Stande, Richtiges
und Unrichtiges dabei zu unterscheiden, handelte ganz nach
ihren Worten. Die Höheren und Niederen, welche auf ihn
einen Hass warfen, waren nicht wenige.'
Nakan-dzuku kano kd-süsu maki-no kata-wa \ kore-wo
urami-netami'tamai \ siba-siba nobu-miisi-to idomi-arasoi-si-ga
ika-nari'ken maki-no kata | fakavazu ^^ Ä (i-aitmiyni kakari'
tamai \ nka nomi narazu |£ ^ (aku-sb) saje ^ (fas)'8i'ker&'
ba I nobu-mitsi-no fakarai-mote \ kono tonari-naru simo-jagöci-ni
osi-koTne-tari-si-ga \ iku-baku narade 2^ (sos) aerare-taru.
,Vornehmlich zürnte und eiferte dagegen jene Witwe Maki-
no kata und hatte häufig mit Nobu-mitsi Streit. Es mochte
irgendwie geschehen sein. Maki-no kata wurde unvermuthet
von einer seltsamen Krankheit befallen, und ausserdem brach
eben an ihr ein böser Ausschlag hervor. Auf Veranstaltung
Nobu-mitsi's wurde sie in dem hier in der Nachbarschaft be-
findlichen besonderen Palaste eingeschlossen, und nach nicht
langer Zeit starb sie.'
Saru-kara-ni sono ä^ ^ (stü-nekij-no todomari-keru-ga
kano tatsi-^o mamoru mono \ wake-naki-ni utsubari-ni ^ (mei)-
wo tsizime | aru-wa i-do-ni kotobvki-wo sidzumu koto sono kazu-
tco sirazu. Notsi-notsi-ni itari-te-wa fasira-wo ugokasi ^ ^
(ten-zibj-wo narasu. Tare-ka kore-wo sinobu mono aran \ tcare-
kara saki-to nige-idete \ tsut-ni fitori-to site mamoru mono na-
kere-ba ^ \^ (nen-nen) jg^ \^ (sei-set) are-masari \ ima-wa '|^ ^,
(ke-ij-no ari-nasi-wa sirane-do \ bake-mono ja-kata-to odzi-osore !
P^ ^ (mon-gumj-ni saje asi-wo tomezu. A-a — • ^ (itsi-zin)
^ ^ (tan-rei) nare-ba — • g (ihkoku) ^ (ran)-wo nasu-to
iü. Kami-ni 1^ ^ (mei -hin) S? |^ (ken-sin) ara-ba \ ika-de
kore-ra-no 'ß Ä (ke-i) aran.
Dm Haas eines Statthalten von Fari-ma. 273
^Hierauf hatte diese Hartnäckigkeit ein Ende. Die Menschen,
welche diesen Palast bewachten, verkürzten ohne Ursache an
den Dachbalken ihr Leben, Einige versenkten in dem Brunnen
ihre Langjährigkeit. Ihre Zahl ist nicht bekannt. In viel
späterer Zeit bewegte es die Pfeiler und machte die Zimmer-
decken ertönen. Wer mochte dieses ertragen? Von mir an-
gefangen floh man hinaus, und zuletzt war nicht ein Einziger,
welcher den Ort bewachte. Er wurde von Jahr zu Jahr wüster.
Gegenwärtig weiss man zwar nicht, ob es Seltsamkeiten gibt
oder keine, aber man furchtet ihn als einen Palast der Ge-
spenster und hält nicht einmal vor dem Thore den Fuss an.
Ach, wenn der einzige Mensch gierig und ungesetzlich ist, so
bewirkt er die Unordnung des ganzen Reiches. Wenn es nach
oben einen erleuchteten Gebieter und weise Diener gibt, wie
könnte es dann dergleichen Seltsamkeiten geben?'
^ i (^To-«iÄ) fan-go-ro-kimi-to ije^m | imada j|Jt jfiE
(ah-nenytO'Xoa i-i-nagara \ jhf^ j^ (fb-itsu) ^ ßf (mU'Zan)'no
fui-umai o-oJcu \ ä^ ^ (8ikken)-no nobu-mitd okonai mala kaku-
no gotosi, Sai'u-kara TO ^ (si-min) nbaraku-mo \ jasuki kokw^o-
naku 1^ ^ (fakU'fibywo \ fumu-ga gotoki-no omoi-sen,
,Der gegenwärtige Vorgesetzte, der Gebieter Fan-go-r6,
obgleich noch nicht in reifen Jahren, hat häufig ein nichts-
würdiges und ruchloses Benehmen. Die Handlungen Nobu-
miti's, des Inhabers der Macht, sind ebenfalls so beschaffen.
In Folge dessen hatte das Volk der vier Gegenden bald keinen
ruhigen Sinn und machte sich Gedanken wie bei dem Treten
auf dünnes Eis.'
Ktmi klkazu-ja \ l||| ^ (mei-8tü)-no moto-ni ^ B (reo-
nn) ari'to \ -^ ^ (aen-kun) jori-nori- ^ (koj-wa \ ^ ^
(zin-zi)-no ^1^ (8ib)'to i-i-tsuthru-ni \ nobu-mitsi-wa na-ni ni-ge-
naki \ makoto-no mitsi-wa kari-ni-mo naku \ ]jjff ^ (kan-aku)
3flJ ft (zia-kiokuyno ^ g (hb-koku)'no ^ (sin). Ima — • ^
(ikko)'no kazu'Sada-wa \ db (8ijü)-ni fitosi-ki soba-me-wo g^
(tsiil)-si ' nawo waka-gimi-wo ^ (gai)-8en'to fakaru I sono ^& ^
(seki'aku)'no kazu sadame-gatasi. Toki saiwai-ni HJ^ ^ (tai-
f^yno ^^ (jo) nare-ba koso \ jo-midare-taru-iio toki nara-ba
SitziuiKib«r. d. phil.-hiBt. Cl. LXXXVII. Bd. I. Hft. 18
274 Pffsmaier.
jo-mo-no ^ m (rin-kokn) tatsi-matsi okoUe \ tadatsi-ni J| |^
(ba-teij-no ato nomi nokoru-ran. Ifo aja-usi-aja-im,
,Hört es der Gebieter nicht? Bei einem erleuchteten
Vorgesetzten befinden sich vortreffliche Diener. Es wird ge-
sagt, dass der frühere Gebieter, Fürst Jori-ttori ein mensch-
licher und wohlwollender AnfUhrer gewesen. Nobu-mitsi hat,
im Gegensatze zu seinem Namen, nicht das Geringste von dem
wahren Wege, * er ist ein verrätherischer, verderbter, gegen
das Reich verschworener Diener. Jetzt hat ein Kazu-sada die
dem Vorgesetzten gleichgestellte Nebenfrau getödtet und geht
noch damit um, den jungen Gebieter zu morden. Die Zahl
dieser gehäuften Bosheiten zu bestimmen, ^ ist unmöglich. Jetzt
ist zum Glück ein Zeitalter des grossen Friedens. Wäre es
ein Zeitalter der Unordnung, so würden die benachbarten Reiche
der vier Gegenden plötzlich sich erheben, und es würden
gerade die Spuren der Pferdehufe nur noch übrig sein. Es
ist sehr gefährlich, sehr gefahrlich!
To omowazu iro-wo ugokasi \ kata-wo aohijasi-ie katari-
keru-ga \ kono foki kokoro-dzuki-taru sama-nite \ ano-ga te-nte
kutsi'ico owoi \ ^^ "S^ (feki-ni) ^ J3 (seki'k6)-no jo-no naka-
ni I ware-wo wasurete kimi-tco ^^ ^ (fi-f6)'su. Jume-jume
siü-ged'Zta kono kvdari-wo \ wa-nami-ga tsuge-si-to morasi-tamai-
80-to I kbbe-wo sa-jü-ni megurasi-te se-do kado-no be-wo mi^deuru-
toa I foka-ni kiku mono-no 3& ^ (u-mu^wo saguru nam-besi*
So sprach er unbedacht mit erregter Miene und aufge-
zogenen Schultern. Jetzt, als ob er sich besonnen hätte, ver-
deckte er mit seiner Hand den Mund und sagte : In einem Zeit-
alter, in welchem die Wände Ohren, die Steine einen Mund
haben, vergesse ich mich und lästere den Gebieter. Möge der
den Wandel Ordnende ja nicht verrathon, dass ich ihm diese
Sachen erzählt habe. — Indem er das Haupt nach rechts und
links drehte und bei der Hinterthüre und Thorseite hinaus-
blickte, mochte er suchen, ob sonst ein Mensch da sei, der
es hörte.
KazU'Sada-ioa kono fanasi-wo kiku-ga mani-ma \ (trui-tca
odoroki arui-wa ikari \ vmta-wa kanasi-mi katsu osore \ kono
* Nobti-miUi bedeutet: der sich ausdehnende Weg.
3 Kazu-9<ida wird als ketzu ^adamuru ,die Zahl bestimmen* betrachtet.
Dm Hau eints 8tattbalt«n ron Fari-ma. 275
toki nagakt iki-^wo tsuki \ waga mi-ni adzukani koto narane-do \
sa-ta-no foka-nam ^ ^ (te6'8in)'no sama kann. Sare-do
^ ^ (ien-ofc«} ^^ ^ (tod-fd)'Wa ^ |lij^ (sia-rinyiio goto \
kano ^^ ^ (sai'&yga uma-wo imnai-si tamesi. fl|^ (Rnn)'wa
yp C^i^O-wo ki-zasi-to-mo ije-ha \ jl^ -^ (tsi-si) jft^ ^ f^««f?-
«»^ fito-tahi okora-ha \ — • J^ (ikkioj-ni kofo-no ^ yj^ (fei-
dzij-sen, FukaJai na-urami-tamai-so.
Während Kazu-sada diese Erzählung hörte, war er bald
erschrocken, bald zorM^. Ferner betrübt und auch sich fürchtend,
seufzte er jetzt lange uttd sagte: Die Sache geht mich zwar
nichts an, doch welch' ein unerhörtes Vorgehen von Seite dieses
ältesten Dieners ! Indessen ist die entsprechende Vergeltung des
Guten und Bösen gleich dem Rade des Wagens. Jener Greis
von Sai, der das Pferd verlor, ist davon ein Beispiel. * Die
Unordnung ist das Aufsprossen der Ordnung. Wenn verständige
Kriegsmänner, redliche Diener einmal aufstehen, werden sie
durch ein einziges Unternehmen die Zurechtbringung der Sache
bewirken. Seid nicht tief gekränkt!
To nawo kika-ma-fosi-ki koto are-do \ ono-ga uje saje i-i-
taterare \ sasu-ga-^i omo'-iiaku'ja omoi-ken \ jawora mi-wo okosi
atsuku JU- (zia)'si \ kane utsi-narasi nen-butsu-wo fonaje \ kono
ja-wo idete omojeraku -4^ ^ (sen-kim) sude-ni 2^ (sos) st-
tanvai-si uje-toa \ futa-tabi db ^ (siü-kaj-ni kajeru-to-mo JS
(senynaku \ kajette waga mi-no aja-u-kani-hesL Jami-nan-nan.
Es waren zwar Dinge, die er noch zu hören wünschte,
allein es war nur von ihm die Rede, und er mochte es in der
That für eine Schande go^)alten haben. VjV erhob sich langsam,
bedankte sich höflich, Hess dann die Glocke ertönen und betete
laut zu Buddha. Aus diesem Hause tretend, dachte er sich:
Der frühere Gebieter ist bereits gestorben. Wenn ich auch
wieder in d^s Haus des Vorgesetzten zurückkehre, ist es von
keinem Nutzen, es wird vielmehr für mich gefährlich sein.
Ich werde davon abstehen.
Saru-nite-mo \ fata-iose tsikaki ini-si-je-wo \ sinobure-ba mi-
« tama-dare-no \ utsi-no ajornaku jukasi-ku-te Ifisoka-m moto-no
* Der Greis von Sai glaubte, daaa das Böse immer sein Gutes habe. Das*
Pferd, welches er verlor, kam später zurück und brachte ihm ein anderes
schnelles Pferd.
18*
276 Pfizmaier.
kudzure-ja kata-ni tatsi-kajeri \ tsui-dzi-no kudzvre-jori koje-ire-
do I tare togamu-beki-ni arazare-ba \ ^ l|lljl (fansb) J^ ^
(gua-rekij-wo fumi-koje-koje \ ^ ^ (no-inJ-tDatari-wo mi-
megwu-ni , ^ ^S& (gioku-ren) naka-ba tsi-girete kumo-no i-ni todzi-
rare I fa-zttomi föne kutsi-te kadzura-no tsuru-ni karameraru \ koke
^ (sibj-ztte J^ ^ (feki'kanJ'WO okasi \ takanna -^ (tedJ-ziU
^ /jj|[ (tai-jen)-ni semai^ ari-mma. Sasu-ga ^ ^ (zan-mn)-
no kctzu-sada-mo | fara-wata-too tatsu-no omoi-nam j ono-dzukara
JS ^ r^ei-ÄWi; ^ ^ fez-fa>; I ^ ^ («-w?;; 1$ ^ (ten-
fen)-no kotowari-xco J|| (kanj-zi \ ^ ^ (iiiJ-ze^ij-io «te i-
tari-si-ga.
Er hatte indessen eine Vergangenheit von nahezu zwanzig
Jahren ertragen, das Innere der Edelsteinvorhänge, welches er
gesehen hatte, war nicht zu unterscheiden, und er verlangte
nach ihm. Wenn er zu dem ursprünglichen eingefallenen
Gebäude zurückkehren, über die eingefallene Mauer steigen
und eintreten würde, wäre Niemand, der ihm dieses als eine
Schuld anrechnen könnte. Ueber die mannichfachen Pflanzen
und die Ziegelsteine immerfort tretend, blickte er in dem Durch-
gange des Bücherhauses umher. Die mit Edelsteinen besetzten
Thürmatten waren zur Hälfte entzweigerissen und mit Spinnen-
fäden geheftet, die Rahmen der Schubfenster verfault und mit
den Ilanken der Schlingpflanzen gebunden. Das wachsende Moos
nahm die Zwischenräume der Wände ein, die in die Höhe
schiessenden Bambussprossen hatten das Aussehen, als ob sie
gegen die kahlen Thürmatten drängten. In Wahrheit hatte
selbst der hartherzige Kazu-sada ein Gefühl, als ob es ihm die
Eingeweide durchschnitte. Von der Einrichtung der Fülle und
des Schwindens, der Blüthe und des Verdorrens, der Umwälzung
und Veränderung des Bestehenden ergriffen ^ weilte er be-
trübnissvoll.
Kono toki ^ A (ien-sioku) sude-ni kure \ sikamo ame
saje furi-ide-kere-ba \ kazu-sada-wa utsi-unadzuki \ tatoje ^^ 4^
(jb'kvai)'Vio (dzuru-to-mo \ nani-fodo-no koto aran, Siit-gühzia-no
jadori-ni-wa kukkib-no ^ ^ (sin-sio) nari-to \ nuki'-cm'Site
. ktUsi-taru juka-ni nobon \ iairi-wo sa-jü-ni kaki-noke-tsutsu \ oi-
tvo orosij^ ^^ (zib-dan)'no \ siki-i-wo makura-ni kost- wo nobtxst ]
fu8U'ka-to sure-ba gb-gb-to fojuru-ga gotoku ibiki-wo kaki \ J^ ^^^
Das Hsns eines Statthalter« 70n Fari-ma. 277
(sen-goj-mo toakade -U^ |^ (kan-8ui)'8eri. Fikkeo sono ^fl^ 'ß
(p>'kuai)'no \ idzura-kn ina-tra ^ [g| (ko-ktialj-ni tokn-he^i.
Um diese Zeit war die Farbe des Himmels bereits abend-
lieh; und es schickte sich eben zum Regnen an. Kazu-sada
nickte mit dem Haupte und sagte: Gesetzt, die Ungeheuer-
lichkeit kommt zum Vorschein, welche Bedeutung könnte es
haben? Bei der Einkehr des den Wandel Ordnenden ist es
eine vortreffliche Schlafstätte. — Leise auftretend, stieg er auf
ein verfaultes Bett, streifte den Staub rechts und links weg
und stellte dabei den Bücherkoffer nieder. Die Schwelle der
oberen Stufe zu einem Polster machend, streckte er die Lenden
und machte es sich zum Liegen zurecht. Mit einem Geschnarche,
welches einem Biüllen glich, schlief er, ohne Vorhergegangenes
und Nachfolgendes zu unterscheiden, fest ein. Ob endlich diese
Ungeheuerlichkeit zum Vorschein gekommen, wird sich in
einem späteren Abschnitte aufklären.
S? (Km)-tco ^ (ken)'to site iro-ni kaje-jo-to ^ ^ -^
(ko'fu-8i)'no imasime ube-naru kana. ^ ^ (Aka-tsuki) 1^ ^ ^
(sai'zi-r6) jq ^ (motO'faru)'Wa — • ^ (ittsib) jodo-gawa-no
)t ^ (^^-joym I ^y ^ (sio-zio) f{^ f([| (o-8en)-ga ^ ^
(ki'kiü)-wo aware-mi \ — • |^ (itsi-jdj-no ftine-ni ^ ^ (bu-
rai)'ioo 8ake'8i-ga \ köre ^ ^ (ten'en)-no sikarasimuru tokoro-
ni-ja I tsui-ni ai-oniö-no omoi tokete \ ^ ^ (kairh) ^ 3||
Cren-riyno t8ikai ntue-si-jori \ moto-faru-mo ^ ^ (m-boj-no
omoi -^ (8et8u)-ni site \ fi8oka-ni ^ ^ (sai-kuaij-no toki naki-
wo urami-si-ga \ 8ono ^ ^ (ren-zib) todome-gataku-ja ari-ken \
aru toki H^ ^ (8ato-^i) ^ J|j[f (i-8uke)'^oo maneki \ kano
^Iflf rtl (sen-tsiUJ-no tsigiH'Wo tsngete | fumi-wo o-sen-ni U (t8ÜJ'
zen koto-wo gj (takuj-su,
,Man mache die Weisheit zur Weisheit und wechsle die Sinn-
lichkeit.' Wie angemessen ist diese Warnung Kung-fu-tse's ! Aka-
tsuki Sai-zi-ro Moto-faru hatte eines Morgens auf einer Lustfahrt
auf dem Flusse Jodo-gawa Mitleid bei der Gefahr des jungen
Mädchens 0-sen und vermied auf einem Schiffe den Nichts-
würdigen. Dieses wurde vielleicht durch die Beziehungen des
Himmels so eingerichtet. Zuletzt lösten sich die Gedanken, mit
278 Pfiimftier.
denen sie an einander dachten, und sie thaten den Schwur des
gemeinschaftlichen Altwerdens, des Zusammen Wachsens der
Zweige. Seitdem waren bei Moto-faru die Gedanken der Liebe
schmerzh'ch, und er kränkte sich im Geheimen, dass zu einer
nochmaligen Zusammenkunft die Zeit nicht war. Einst — es
mochte ihm wohl unmöglich gewesen sein, seiner Leidenschaft
Einhalt zu thun — berief er Sato-mi I-suke zu sich, erzählte
ihm von jenem Bunde, den er in dem Schiffe geschlossen, und
betraute ihn mit der Uebermittlung eines Briefes an 0-sen,
I-suke-mo moto'faru-gajb-su-wo \ fobo sirazaru-ni-wa arane-
domo I am fakaran-ja ka-bakari -^ (setsuj-naran-to-wa \ tadaUi-ni
isamete to-zaken-to omoi-si-ga , ina-ina koto-waza-ni ijeru midzu-no
de-bana \ d-i-te kore-wo sajegiran-to suint-wa \ iwajuru — • Ä ^
(issia-aiJiJ'no ^ (j^j-wt — jj^ (ippaij-no \ midzu-wo motte suru-
ni ni'taru-beku \ sika nomi narazu ika-naru jo-karanu koto aran-
mo fakari-gatasL Josi-josi aibaraku ^ (meij-ni sitagai-te
jori'jori-ni isame-wo iren-ni-wa-to \ fumi-wo o-sen-ni ^J (tsü^ze-
81'jori kono kata \ ai-miru koto-wa katad-io ije-domo \ nha-siba
juki-kai-no fumi-ni ^ (zib)-wo nobe \ adasi-gokoro-wo ^ (seij-si
^ (aeij-serare \ kami-ni fotoke-ni tsikai-si-ka-ba \ naka-naka ai-
h-Jori-wa ija-masi-ni \ fukaki tsigiri-to nari-ni-keriu
Es war zwar nicht der Fall, dass Lsuke den Zustand
Moto-faru's nicht im Ganzen gekannt hätte, doch wie sollte er
Rath schaffen? Wo eine solche Heftigkeit sein wird, darf man
nicht daran denken, Vorstellungen zu machen und fern zu
halten. Es ist wie es in dem Sprichworte heisst: Bei der
gross ten Höhe des Wassers dieses mit Gewalt verschliessen
wollen. Es wird etwas Aehnliches sein wie: Bei dem Feuer
von einem Wagen Brennholz mit einem Becher Wasser thätig
sein. Ausserdem lässt sich nicht ermessen, welche üblen Dinge
entstehen werden. Gut! Man wird einstweilen dem Befehle
gehorchen und von Zeit zu Zeit Vorstellungen machen. — So
denkend, übermittelte er den Brief an 0-sen. Seitdem war es
zwar unmöglich, sich zu sehen, doch durch die häufig an-
kommenden Briefe gab man der Leidenschaft Ausdruck, wehrte
dem falschen Sinne. Diesem wurde gewehrt, und man schwor
zu den Göttern und Buddha. In der That, seit sie einander
begegnet, wurde der Bund immer inniger.
Dab Haas eines Stattiiaiters Ton Fari-ma. 279
I'suke-wa an-ni jjjQ ^ (sh-ij-nan \ kaku ^^ 4^ (ren-zib)
atsu-karan-ni \ itsu-ka-wa fodasi-wo tatsu-beki-to \ fitori kokoro-
wo kurusime-si-ga \ sude-ni — • j^ (itsi-zibj-no aawari koso (der
ki-ni'keri.
I-suke quälte sich in Gedanken und Bagte zu sich selbst:
Es ist nicht anders^ als ich vermuthete. Wenn eine Leiden-
schaft so heftig wird; so muss sie eines Tages die Fesseln
durchschneiden. — Indessen hatte sich bereits ein Hinderniss
gezeigt.
Sono ju-e-tva \ kono goro mijdko ^ ^ ^ (fö-sio^zi)
(ll ^h "« (tsiü-na-gon) tote \ koto-ni tokt-meki-tamai-si-ga \
^ (keoj-ni ^ ^ (kin-datsi) fime-gimi amata masi-masu-ga
naka-'Ui'mo \ ^ ^ (waka-nayno ^ (kimi)'fo ijent ßme-iio
tosi to-mari nafia-tose-ni nari-tamh-ga \ J|^ ^ (ßi-zi) ^ Ä
(jo-nokti) fagui-naki nomi narazu \ te-kaki mono-jomi-wa iü-mo
sara-nari \ jorodzu-no waza-ni ^ (tsibj-ze-sase-tavib mono-kara \
mi-kado-jori-mo mesase-tamb-to ije-domo \ tsitst-no ^j^ (kib) obosi-
tamb iokoro nri-te \ koto-wo ^ >fe (sa-nj-in josete \ ||^ (zi)'8i'
tate-matstirL
Der Anlass war folgender. Um diese Zeit stand der mittlere
Rath des Klosters Fo-sio von Mijako in besonders grossem An-
sehen. Unter den Söhnen und Töchtern dieses Keichsministers
war eine Tochter Namens Waka-na-no kimi, welche über
siebzehn Jahre alt war. Ihre Gestalt und ihre Züge waren
nicht allein ohne Gleichen, sie war nebst dem Lesen und
Schreiben in den zehntausend Künsten erfahren. Von Seite
des Kaisers erging daher eine Berufung, jedoch ihr Vater, der
Reichsminister, der einen Wunsch hatte, brachte die Sache zur
Verlautbarung und schlug es aus.
Nani-to-zo kore-ga — • |^ (ittsuij-ni site \ mi-ma-fosi-ki
muko-mo gana-to \ moppara ^ ^ ^ (bi-seo-neriywo saguri-
tamb-ni \ fiio atte aka-tsuki-ke-no IßF ^ (so-zi) sei-zi-ro moto^
faru ko80 I ini-si-je-no Ä 3l (zai-go) fikaru kimi-ni ija-masaru"
to-mo otorti-mazi'ku \ sika nomi narazu A^ "^ (mon-buj-wo
^^ Ä (ken-bij-si | su-e-danomosi-ki -^ ^ (tai'Sib)'ZO'to kiki-
tamai j(^ fb (sin-tsiUJ-ni jjS J^ (man-zokuj-nasi.
Er sagte : Ö wie wünschte ich einen Schwiegersohn zu
sehen, der sich ihr gegenüber stellen könnte! — Indem er
280 Ffizmaier.
ausschliesslich einen schönen Jüngling suchte, sagte Jemand
zu ihm : Sei-zi-r6 Moto-faru, der Sohn des Hauses Aka^tsuki^
wenn er den unter den Fünfen gläuzenden Gebieter nicht über-
trifft; so kann er ihm doch nicht nachstehen. Ausserdem ist
er in der Schrift und in der Kriegskunst gleich bewandert
und für die Zukunft ein verlässlicher grosser Anführer. — Als
er dieses hörte, war er im Herzen ganz vergnügt.
Naka-datsi-mo gana-fo \ knnefe ^ ^^ (bin-gQ-wo motoine-
tamai'si-ga \ ko-tabi ^^ |^ (kln-kaku) ^ J^ (reiku-seij-ni
jotte aka-tsuki-ke-ni-mo 3^ S^ (tmi'ki)'WO sasage \ iojo-kata
mi-dzukara J^ ^ (zih-raku)'8i \ J^ 5^ (a8i'knga)-ke'ni 'fpj ^
(si'ko) nase-si-Jii | soiw & j^ (reO'en)-no foki itarH-ni-ja | tsiü-
na-gon-no ^ (kih)'mo ^ jj^ (tai-ziü)-wo form-tamai-te \ ^ ^
(siü-en) take-nawa-no nori-karn \ tojo-kata '^ ^ (st-koj-no
josi-wo ^S (8d)'se-si'ka-ha kanete 9S IX (tsiö-gii) -no tojo-kata
nare-ba \ "^ jj^ (tai-ziü) sono & (seki)'ni mesarete sakadzuki-
wo tanib.
Einen Vermittler wünschend, suchte er vorerst eine Ge-
legenheit. Weil die Niederlassung des goldenen Söllers * jetzt
vollendet war, überreichte er dem Hause Aka-tsuki kostbare
Geräthe. Tojo-kata kam in eigener Person in die Nieder-
lassung und machte dem Hause Asi-kaga seine Aufwartung.
Es mochte die Zeit für das treffliche Verhältniss gekommen
sein, als auch der Reichsminister, der mittlere Rath, den Sio-
gun besuchte. Als man bei dem Weinfeste eben im Trinken
begriffen war, meldete Tojo-kata, dass er seine Aufwartung
mache. Da es Tojo-kata war, welcher vorher der Gunst theil-
haftig geworden, berief ihn der Siö-gun zu seinem Teppiche
und verlieh ihm einen Becher.
Tsiü' na-gon-no kib-ioa \ watari-ni fune je-si kokot^i-nasl
ito nemogoro-m '&* ^ (e-siakuj-si-taviai \ jo-mo-ja-mo-no fanasi-
no tsui-de-ni \ kaneU kikn tojo'kata-ni-wa \ ito joki gf B§
(sb'zij'too motasi'tamb'to \ ware-mo fitori-jw tootome ari. Ko-wo
tsib-ai-surii oja-gokoro-ni-wa \ "]^ ^ ^ (ge-se'tüaj-nt ijeru
-+- A (ziü-nin)-nami naran-ga \ ika-de-ka kakaru otto-wo koso \
* Der goldene Söller ist der von dem Siö-gun Josi-mitsu erbaute PaluBt,
von welchem in der ersten Abtheilung (S. 361) die Rede war.
Dm Hau ein«s Statthali«TB von Fui-m«. 281
je-ie gi-gana-to-wa omoje-domo \ imada joki jeni-si-wo musubazu-
to I kokoro-ari-ge-no ^ (kiö)''no kotoba-wo \ tai-ziü fobo s<mo
^ (i)'tco ^ (sas) 81 I ika-ni tojo^kata ^ (ki'ö)'no kaku-
made ^f^ (sib)-8i'tamb''Wa \ ito men-hoku-no koto nan-men, Koto-
sara moto-fam ni-awam-ki tosi-goro^nare-ba \ fjM (kib-ni & -^
(soku'zioJ'WO kat-motome \ moto-fani-gn ^ (8%t8u)-to nase-jo
wäre kore-ga naka-datsi f^ran-to jft (ked^zi-famb.
Der Reichsminister, der mittlere Rath, hatte das Geföhl^
als ob er an der Ueberfahrt ein SchifF erlangt hätte. £r ent-
schuldigte sich sehr artig und sagte bei Gelegenheit des nach
allen Seiten sich wendenden Gespräches: Ich habe vorhin
gehört, dass Tojo-kata einen sehr vortrefflichen Sohn besitzt.
Auch ich habe eine Tochter. In dem Herzen des Vaters, der
sein Kind liebt, werden es, wie das Sprichwort sagt, zehn
Menschen sein. Wie sehr ich auch wünschte, für sie einen
solchen Mann zu finden, habe ich noch kein gutes Verhältniss
geknüpft. — Der Sio-gun, im Ganzen den Sinn der bedeutungs-
vollen Worte des Reichsministers errathend, sagte vergnügt:
Tojo-kata! Dass der Reichsminister in einem solchen Maasse
preist, dürfte eine grosse Ehre sein. Besonders da Moto-faru
in dem angemessenen Jahren ist, so begehre von dem Reichs-
minister die Tochter und mache sie zur Gattin Moto-faru's.
Ich werde fiir ihn der Vermittler sein.
^ ^ (Kun-mei) ika-de =j^ (zi)-siiru koto-wo jen. Tojo-
kata-wa ^ g|[ (tei'to)-si \ m-i-gataku seO'fsi'tsnkh'maUum.
Sari-nagara \ j^J J^ (ken-gekij-wo koto-to suru inaka-bu-si \
fl^ (kib) osorakii'Wa kirai-tamawan, Tsiü-na-gon-no ktb koto-
ni man-zaku-si-tamai \ makoio-wa kanefe ^^ ^ (kon-mGynaae-
do I sokka-no kokoro-wo fakaH-kfine-fd \ motomu-to ara-ba ika-de
"^^ (zi)'sen-to o-oi-ni Ä +& (ki-jetsu) ari-si-ka-ba.
Wie könnte man sich bei dem Befehle des Gebieters
weigern? Tojo-kata senkte das Haupt und sagte: Ich nehme
e» dankbar an. Indessen bin ich ein mit Schwertern und
Hakenlanzen sich befassender Kriegsmann vom Lande. Ich
fürchte, dass der Reichsminister vor mir Abscheu haben wird. —
Der Reichsminister, der mittlere Rath, war besonders zufrieden
gestellt und sagte: Ich habe wirklich früher den ernstlichen
Wunsch gehabt, doch ich konnte euer Herz nicht ermessen.
282 Pfismaier.
Wenn ihr es begehret, wie könnte ich mich weigern? — Er
hatte grosse Freude.
TojO'kata-mo kotihm jorohohi \ tai-ziü-je-^no on- ifi (rn)
mawosi-age \ sa-aran-ni-toa gegare ojobi |^ (sin'ra)'tu-mo i-i-ki-
kcue \ "^ J^ (kis9in)'WO motte ^ j^ (jtU'nh)'WO tate-matguran-
to I kata-^mi-ni kataku kei-jaku-si \ nawo giba-siba sakadzuki-wo
megurasi \jagate won-itoma-wo tamawari-ie \ tojo-kata | j^ BB
(ki'kokuyn'tamai'tautgu \ ^ -^ (ka-ro) J^ ^ (jo-nin)-
wo ataumerare \ madzu asi-kaga-ke-no "^ JS (sik-bij-wo tsuge-
tamai \ nawo mala -^ j^ (tai'Ziü)-no tcon-naka-datn-nite
Ä Ä ^ (fh'iiih'zi)-no i^ (kib)-no fime-tco i-i-nadz^tke-se-n
jon-wo tsuge ^ jfflb (jui'nh)'no Q J^ (nitsi-zi)'WO eramasime-tamb.
Auch Tojo-kata war besonders erfreut. Bei dem Sio-gun
sich bedankend, sagte er: Also werde ich es meinem Sohne
und den Dienern mittheilen und an einem glücklichen Tage
das Brautgeschenk darreichen. — Indem man sich gegenseitig
das bindende Versprechen gab, Hess man den Becher noch
häufiger im Kreise herumgehen. Sogleich Abschied nehmend,
kehrte Tojo-kata in das Reich zurück, und als die Aeltesten
des Hauses und die in Verwendung stehenden Menschen ver-
sammelt waren, erzählte er zuerst alles auf das Haus Asi-kaga
Bezügliche. Dann erzählte er ihnen auch, dass man durch die
Vermittlung des Sid-gun die Tochter des Reichsministers von
dem Kloster F6-sio verlobt habe und Hess sie den Tag and
die Stunde für das Brautgeschenk wählen.
^ E (Sio-8hi)-ra ~J^ jg^ (ban-zei)'WO tonaje-tstUsit o-oi-
ni isami-dojameki-n-ga \ madzn icon- W ^ (sb-ziyni-mo tstige-
taie-matsuran-to ^ g (tsib-sin) ^ Q (furu-ta) J^ J|| (ten-
zen) I moto-faini-no moto-ni ma-iri \ kono josi otsi-naku jjjg^ ^^
(fi-roj-nasu-ni \ moto-faru-tca kanete-jori \ o-sen-to kata-mi-ni
adagi-gokoro-wo utsusazi-to \ kami-ni fgikai-si koto are-ba Joro-
koH-no iro sara-ni naku gama-zama-ni inami-tamb, Ten-zen
an-ni gb-i^aite \ iro-iro mitgt-tco motte toku-to ije-do \ katgu "^^ Q
(fu'to) ^i ^1 (gib'in) arazare-ba \ ten-zenwa gen-kat^i-naku
^ ^ (tai'giüj'in kono mune ^ J^, (gon-zibj-gi kagamte ^ ^
(ßb-gi)'ioo nagan-to »«.
Sämmtliche Diener, in den Ruf: Zehntausend Jahre! ein-
stimmend, waren sehr guter Dinge imd lärmten. Um es früher
Dm Hans eines Statthftlten ron Furi-ma. 283
dem Sohne zu melden, begab sich der älteste Diener Furu*ta,
Vorgesetzter der Speisen, zu Moto-faru und machte ihm diese
Sache, ohne etwas zu verschweigen, bekannt. Moto-faru, der
schon früher zu den Göttern geschworen hatte, dass er und
0-sen gegenseitig das entfremdete Herz nicht entziehen dürfen,
zeigte durchaus keine freudige Miene und weigerte sich auf
allerlei Weise. Der Vorsteher der Speisen, der dieses nicht
vermuthet hatte, erklärte sich mit Hilfe verschiedener Mittel,
doch Jener willigte wider Vermuthen gar nicht ein. Der Vor-
steher der Speisen, nicht wissend, was er thun solle, meldete
diesen Umstand dem Statthalter mündlich und wollte noch ein-
mal darüber zu Rathe gehen.
Tojo-kata-ioa ke-siki-wo j^ (8on)'Zi \ ^ jj^ (tai'Ziü)'no
won-naka-datsi-fo i-i \ fsitsi-ga 3^ (jah^yse-si tsuma-sadanie-wo \
■?• (ko)'to Site inamu miisi-ja aru. Kono uje-wa fai-ziü-no
mhsi-wake \ seppuku-sen-jori-foka nasi-to \ •Ä ^ (fun-zen)-to
nie no-tamaje-ba ten-zen-wa kore-wo isame-tate-matsuH \ ^ (sin)
Ä (zanj-zm-u mune-mo toje-ba sihcm ^ (sinj-ni makase-tamaje-
to I jb'jb-ni nadame-tate-matsuri \ tadatsi-ni Tnoto-faru-ga ^ -^
(zi-dztoj-ra-wo maneki \ fisoka-ni moto-faru-ga jom-wo sagui^-ni
kano (hsen-ga koto-wo usu-usii-to kiki-fe \ sa-koso arame-to utsi-
unadzuki.
Tojo-kata zeigte sich verletzt und rief unwillig: Eine
Bestimmung der Gattin, wobei der Siö-gun sagte, dass er der
Vermittler sein werde, der Vater das Versprechen gab, ist es
Recht, dass der Sohn auf sie nicht eingeht? Ueberdiess bat
man keinen Ausweg, als dass der Siö-gun sein Wort zu nichte
macht. — Der Vorsteher der Speisen rieth davon . ab und
sagte: Ich frage noch um die Absicht, die man hat. Uebcj?-
lasset es für den Augenblick mir I — Hiermit beruhigte er ihn
endlich. Er berief geradezu die Aufwärterinnen Moto-faru's
zu sich und forschte sie insgeheim über das Verhalten Moto-
faru's aus. Er hörte etwas von jener O-sen und nickte mit
dem Kopfe, indem er sagte : So wird es sein.
Ono-ga ja-siki-ni kajeri-tsutsu \ fisoka-ni sato-mi i-suke-wo
maneki-jose \ kono kudcn^i-wo tsubara-ni toki-te \ kari-some-naranu
aai-kaga-ke-no on-naka-datsi \ ima-sara inami-taU-maUuran-wa \
o-ije-no ^ *^ (fu-tsin) kono toki-to \ aama-zama kokoro-wo
284 Pfixmftier.
itamuru-ni \ ani fakaran-ja fisoka-ni kike-ha -^Q ^ (r«d-miwj-
no fvonna-ni ^^ (tsii)-zi'tamai'te \ sono naka-datsi-wa nandzi
naru josi \ n-jatsn fn-todoki-no si-waza kana-to \ fito-tahi kokoro-
ni ikari-omoje-do \ mnta sirizoi-fe kangajuru-ni tosi-waka nare-do
jj^ A (ziün-fsiü)'no nandzi \ fiJcaki omon-fakari-no artk^hen-
to I omö-ga ju-e-ni tadzumiru nari. Ika-ni-se-ha ^ BJ (sb-zi)-
no uke-fiki^tainai \ n-ijp. nn-do-no jorokohi-wo nasan.
Zw seinem Wohnhause zurückkehrend, berief er heimlich
♦Sato-mi I-suke zu sich und sagte zu ihm : Wenn ich mir diese
Sache umständlich erkläre, ist die Vermittlung des Hauses Asi-
kaga nichts Geringes. Indem man es jetzt wieder ausschlagen
will, fiillt Schwimmen und Untersinken des eigenen Hauses in
diese Zeit, und dieses schmerzt mich vielfach im Herzen. Wie
sollte ich Kath schaffen? Insgeheim verlautet, dass er mit einem
Weibe des Volkes der Statthalterschaft verkehrt und dass du
der Vermittler bist. Denkend: Von diesem Menschen welch'
ein ungebührliches Beginnen! war ich einmal im Herzen er-
zürnt, doch ich ging wieder zurück und untersuchte es. Weil
ich glaube, dass du ungeachtet deiner Jugend, bei deiner reinen
Redlichkeit, tiefe Ueberlegung haben wirst, frage ich dich aus.
Wie wird man es anstellen, dass der Sohn einwilligt und das
Haus sich der Ruhe erfreut?
Lsuke-wa kono toki fitai-joH taki-nasu ase-wo wosi-nugui
ari-gataki sikken-no bse \ naka-naka kono mi-no woki-tokoro nasu
Soregasi moto-jori A ^ (fi-zenj-no mono-wo \ nami-narcmu
"^ tJ* (tai'8iil)-no meg^imi-wo motte \ wo-ije-ni -fe (koj-si
amassaje \ waka-tono-no ^ ^ (siü-goj-ni '^ (meij-gi-
tamaje-ba \ ^ ^ (bi-tsiu) kokoni tsukuaazun-ba \ itsu-ka
j^ J@l (kun'0n)'W0 ^ (/dj-su-beki-to \ ^ jjjf^ (zi-motm)
IS ilfe (ten'faij'ino kokoro-wo fanatazan-si-ka-domo \ kcJcaru
itadzura-no ide-kitari-si \ sono fazime-wa sika-sika nari sono
notsi'wa kaku-kaku-to,
I-suke, um diese Zeit von der Stime den einem Wasser-
falle ähnlichen Schweiss abwischend, sagte: Der schätzbare
Befehl des Inhabers der Macht hat in der That bei mir keinen
Ort, wo man ihn anbringt. Mir, dem ursprünglich niedrigen
Menschen, der ich durch die ungewöhnliche Gnade des Statthalters
in dem Hause aufwarte, hat man überdiess den Befehl zur Be-
Dm Haut eines Stattlialters von Fari-ma. 285
wachung des jungen Gebieters gegeben. Wenn ich die geringe
Redlichkeit hier nicht erschöpfte, so hätte ich, um eines Tages
die Gnade des Gebieters vergelten zu können, auch bei Umsturz
und Verwirrung der Dinge im Herzen nicht abgelassen, doch
es ereignete sich eine solche Ungehörigkeit. Der Anfang war
u. s. f. Später war es so u. s. f.
Jodo-gawa-mte o-sen-ga j^ ^ (ki-kiHJ-wo \ tasuke-si kudari
tsubara-ni mono-gatari | sove-jori kono kata waka-tono-no 6b ^
(nai-mei) \ |^ (zij-sure-domo jui^si-tamawazu, Tabi-tabi-^o wo-
Uvkai tsukamatsun'si'Wa \ köre mattaku soregaai-ga oi^-do-ni
Site I ^ (tsinj'zuru-ni kotoba nasi. Sari-nagara kore-ga ju-e-ni
jori I mosi'Tno sawari-no koto aran-ni-wa \ to-site kaku aen-no
kokoro-gamaje \ arakazime ^ ;|^ (dan-kon)-no fakari-goto-wa |
ojobazu-nagara kaku - go - seri, Sikken negatoaku-tva tsumi-wo
jurusi I soregasMii kore-ioo jazast-tama-wa-ba \ Ö ^j^ (st-zeii)
tDoka-tona-no jj^ ^jj^ (kon-tn)-ico \ uke-fiki-t^mb-ni itaru-beai.
Er erzählte ausführlich wie man O-sen aus der Gefahr
auf dem Flusse Jodo-gawa rettete, wie er sich seitdem bei den
inneren Befehlen des jungon Gebieters geweigeii;, doch dass dieser
ihn nicht enthoben. Er sagte : Dass ich oftmals die Aufträge
ausrichtete, dieses ist einzig mein Fehler, und ich habe keine
Worte, es zu läugnen. Indessen wird unter diesen Umständen
vielleicht ein Hinderniss sein. Ich bin jedenfalls darauf gefasst
und habe vorläufig, sind sie auch ungenügend, Verfügungen zum
Abschneiden der Wurzel getroffen. Ich bitte, dass der Inhaber
der Macht mir meine Schuld verzeihe. Wenn ihr mir dieses
anvertrauet, wird es dahin kommen, dass der junge Gebieter
von selbst in die Vermälung willigt.
Ten-zen nikko-to utsi-fowo-jemi \ nandzi sa-aran-ta omo-ga
ju-e I fisoka-ni tadzune kokoro-mu^'U-ni | fatasi-te kokoro-ni 4^ -^
(fu-gcj-seri. Sikare-donw nawo J^ ^ (en-rioj-nasi \ ^ ^
(bH'i)-no fakarai koso fff' SE (kan-jö) nare.
Der Vorgesetzte der Speisen lächelte und sagte: Weil
du glaubst, dass es so sein werde, forsche ich im Stillen nach
und prüfe es. Es stimmt in der That mit meinen Gedanken
überein. Indessen überlege man noch immer, und es wird
ein unveränderlicher Plan nothwendig sein.
Pfliaai«r.
I'Suke-wa i-i-to ^ 1^ (ton-nnj-vasi \ jagate fe-ja-ni tatsi-
hajeri \ moro-te-wo komanuki JQ^ Ä (si-iioj-wo meguragi ' naga-
jaka-noJt&m iki-wo tsugi \ wäre ajaTiiatei^-ajamaUrL Futa-ba-no
toki-ni karazun-ba \ wono-wo mottnjuru-no urei aH-to \ aude-ni
futa-ba-no toki-wa sugure-do \ mata wono-wo motsijuru-no ^
(goj-ni-mo ojobazi \ a-a omoje-ba ^ ^ (fu'bin)-no ari-sama
nare-do \ j^ ^ (kun-kaj-no ^ ^ (dai-zi)-nt'Wa kaje-gaiasi.
Sika-nari-aika-vari-to toare-ni toi ware-ni kotaje-si i-suke-ga
H^ dl (keo-taiü) \ ika-iiaru ai-an-ka fakari-gatasu
I-suk6 sagte Ja, neigte das Haupt und kehrte sogleich in
sein Gemach zurück. Beide Hände zusammenschliessend; liess
er die Gedanken umherschweifen; seufzte lange Zeit und sagte :
Ich habe gefehlt! ich habe gefehlt! Wenn man es um die
Zeit der zwei Blätter nicht abmäht^ hat man den Kummer der
Anwendung der Axt. Obgleich die Zeit der zwei Blätter
vorüber ist, hat man auch die Zeit zur Anwendung der Axt
nicht erreicht. Ach, nach meiner Meinung sind es zwar un-
gelegene Umstände, doch in der grossen Sache des Hauses
des Gebieters lässt es sich unmöglich ändern. So ist es! So
ist es! — Dabei fragte er sich selbst und gab selbst sich die
Antwort. Von welcher Art die Ueberlegung in der Brust
I-suke's war, liess sich nicht ermessen.
Koko'ui ^ g (th'koku)-no ^ ^ (riü-reij-nite \ tosi-goto
fu'dzuki ziü-roku-nitsi-no ^ (jo)'Wa i^ "fl (ze6'ka)'ni ^ ^
(ki'sen)-no J| ^ (nan-nioj-ico tsvdoje \ — • ^ (itd-ja) odori-
wo jurusase-tamb. So-mo-bo-mo odovi-no fazimari-to ippa
3^ ^ (8iaku-son)-no ^ ffy ^ (mi-de-si) g ^ !$ #
(moku-ren-8on'zia)'ga fawa \ ^ ^ (zb-aku) ^ ]^ ^ (/w-zi-
fi^no kotO'ka ari-ken | Jff ^ (s^-go) tadatai-ni dzi-gokti-ni ^
(das) »t I 0 ^ (nitsi-ja) Iffif ^ (ka-siaku)'no kurusi-ni b-wo
siaku-ton ^ Jg^ (sen-ri) ^ ^ (sib-ranyno manorzin mote
8ono ^ ^ ßu-genj'wo ^ ^ (sattsij-si-taniai \ sunatvatsi
moku-ren-ni tsuge-iamb.
In diesem Reiche war es Sitte, dass man alljährlich in
der Nacht des sechzehnten Tages des siebenten Monats unter
der Feste Männer und Weiber, Vornehme und Geringe, ver-
sammelte und ihnen die ganze Nacht hindurch zu tanzen
Du Emiob ein«! Stotthalton von Fari-na. 287
erlaubte. Der Ursprung des Tanzes ist der folgende. Die
Mutter des geehrten Moku-ren, eines Schülers Scbaka-Buddha's,
stürzte, da verübtes Böses und unbarmherzige Handlungen be-
stehen mochten; nach ihrem Tode geradezu in die Hölle und
erlitt Tag und Nacht die Qualen der Züchtigung. Schaka-
Buddha entdeckte durch seine tausend Ri erleuchtend über-
blickenden Augenwinkel dieses Leiden und meldete es Moku-ren.
Moku-ren ika-de jo-so-ni kiku-beku \ ^ j^ (koku-kiHJ-site
kore-wo tukuwan koto-wo k8. Siaku-aon moku-ren-ni ioodjuru-
m I fu'dzvki towo-ka-jori "^j^ d^ J^ (se-ga-kij-too naaasimu. Kot'e
äl fiS ^L ftt-t-a-fconj-no fazime nari. Mokit-ren-ga fawa ojobi
H^ (9io)-no 1(2 ^ (mo'zia) \ sono ^ fy (gongeöjno ^ ^
(ku-riki)'nijotte dzi-goku-no kurusi-mi tofiii-ni ffffi (gej-si fazimete
Jt rfi (zib'bon) J^ ^ (zib-se6)-iOO je-tan-si-ka-ba \ te-no mal
aBi-no fumi-do-wo tcasure \ tana-gokoiv-too age kibüu-wo sora-ni
$i I jorokobi-isami |^ j^ (ju-jakuJ'Se'Si'jwH \ odori-to iü koto
fazimari'tarL
Wie hätte es Moku-ren anderswo hören können? Er
wehklagte, weinte und bat, dass man sie rette. Schaka-Buddha
gab Moku-ren einen Ratli und hiess ihn von dem zehnten Tage
des siebenten Monates angefangen die Betheilung der hunge-
rigen Dämonen vornehmen. Dieses ist der Anfang des Todten-
opfers. Die Mutter Moku-ren's und alle Todten wurden durch
die Kraft dieser angestrengten Handlung von den Qualen
der Hölle schnell befreit und erlangten jetzt erst die höhere
Cigenschaft; das höhere Leben. Bei dem Drehen der Hände
den Ort des Auftretens der Füsse vergessend, erhob man die
Handflächen, warf die Fersen in die Luft und hüpfte freudig
und kühn. Hiervon hat dieser Tanz seinen Ursprung.
Sare-ba Ä B (tb-gokuj-no ^ ^ ()ian-nio)'Wa \ tosi-tosi
jubi'Wo wori fi-wo kazoja \ sono to/ci tsikaku naru majna-ni
kanete ju-kata-no mo-jb-konomi \ aini-toa obi-no ori-nui viade ,
ofnai-omoi-ni takumi-wo naai \ aono fi wososi-to matsu koto naru-
ni I sai-zi-ro moUhfaru-toa \ ko-tabi fakaranu tsuma-sadame'WO \
ten-zen-wo mote inami'Si'ka'do \ nawo ika-ga aran-to ^ i(^ (ku-
8in)'9ure-domo \ sono notsi tajete oto-dzure na-kere-ba \ sukosi
koküro-wo jasun-zi-tsutsu | sore-ni tsuki-te-mo kano o-sen-ni \
jK '^ (sai-kuatj-naki-wo urami-si-ga \ kitto ^ ^f* (tkkeij-wo
288 Pfiimaier.
an-suide \ sib-soko koma^goma-fo sitatamete \ ßsoka-ni i-suke-wo
maneki-jose \ nandzi ^ ^ (taru-i)-ni jvki-mvkai \ Ä J^ (sei-
get^-ni sika-sika i-i-te ßma ara-ha \ kono fumi-wo o-sen-m
watase-to '^ (mei)-zuru'ni \ i-suke kokoro-joku ukegai-te \ mi-
kokoro Jasu'kare siü-bi nasan-to \ sono mama taru-i-ni omobuki-tari.
Die Männer und Weiber dieses Reiches brachen Jahr
und Jahr die Finger, zählten die Tage. Wenn die Zeit nahe
war, verfertigten sie früher nach ihren Gedanken das Be-
liebte der Blumenmuster der Badekleider, bisweilen selbst das
Gewebe und die Naht der Gürtel und konnten diesen Tag
nicht erwarten. Sai-zi-rö Moto-faru hatte dieses Mal die ihm
bestimmte Gattin vermittelst des Vorgesetzten der Speisen aus-
geschlagen, doch er quälte sich noch immer im Herzen, wie
dieses ausfallen w^erde. Als später durchaus nichts verlautete,
wurde er im Herzen ein wenig ruhiger, und es verdross ihn
demgemäss auch, dass er mit 0-sen keine Zusammenkunft
mehr hatte. Sorgfältig einen Plan aussinnend, schrieb er in
kleiner Schrift einen Brief, winkte heimlich I-suke zu sich
und gab ihm Befehle, indem er sagte : Gehe in das Haus Taru-I,
sprich zu Sei-getsu so und so, und wenn eine Gelegenheit ist,
so übergib 0-sen diesen Brief. — I-suke stimmte freudig zu und
sagte : Seid im Herzen ruhig ! Ich werde die Sache zu Stande
bringen. — Hiermit ging er wie früher zu dem Hause Taru-I.
Koko-ni jjj ||^ (jama-zciki)-no ^ ^ (reo-naij-ni \ ^ ^
(iai^'i) ^ "j^ ^ p^ (kiiUe-monJ-to ijeru ari, Mot<hjori jflh ^
(jo-jo)sumeru tami narane-do ^ (deii)-fata soko-baku-wo motat-
taru-kara \ tje ito jutaka-ni wotoko-woniina amata tsukai-ie
jorodzu kotO'tarai'taru aumi-nasi nari. Ai*uzi ktü-e-mon-wa
fajaku'jori \ fotoke-gokoro-ja fuka-karv-ken \ moro-kuni-guni-no
kamifotoke\ j|p[ ^ (ziijin-fat)'sen tarne sugi-tsurfi tost \ ije-wo
^^ (dzi)'8ite kajeri-kozu.
Hier in der Statthalterschaft von Jama-zaki lebte ein
Mann Namens Taru-I Kiü-e-mon. Derselbe war eigentlich kein
Mann des die Goschlechtsalter hindurch ansässigen Volkes,
doch da er zahlreiche Felder bcsass, war sein Haus sehr an-
sehnlich. £r nahm viele Knechte und Mägde in seinen Dienst
und lebte in jeder Hinsicht an seinem Wohnsitze zufrieden.
Dieser Besitzer Eiü-e-mon, dessen Sinn für Buddha frühzeitig
Dm Hftai einea Stottbftltert Ton Fari-ma. 289
innig gewesen sein mochte, hatte, um die göttlichen Buddha-
Altare sämmtlicher Reiche zu verehren; in vergangenen Jahren
von dem Hause sich verabschiedet und war nicht zurück-
gekommen.
Eu-su-moru tsuma-^o ^ ^ (sei-getsu) tote \ kore-^mo mi-
dori-no kuro-gami-wo \ sogi ama-to si-mo mi-wo kajete {fitori-no
medzu'ko Jjj^ ^^ (o-aenj-to tomo wotto-ga ru-su-wo mamori-si-
ga I 8ugi-tsuru jajoi-no sure-tsu kata \ ^ ^ ^ (kin-kaku-zi)
mbde-no kajeru-sa-ni \ fakarazu-mo ^ ^ (bu-rai)-no Ä (fo)-
m ide-ai \ sude-ni o-sen-wo t^nb-be-ka^n-ai-wo \ ^^ i (reo-
8iil)-no sb-zi i :ÄJ (stü'ziilj'ni mkuware \ amassaje sei-gefsu-
f^ (ni) I i-8uke-ga atsuki nasake-wo iikesi \ sono JH 1& (on-
geiJ'WO toki-no ma-mo wasurede \ fi-hi-ni i-i-idenu koto-mo naku \
tada kari'8ome-no ta-makura-ni-mo \ ^^ i (red-siüj-no kata-
wo ato-ni nasazari-n-ga.
Die in dem Hause zurückgebliebene Gattin hiess Sei-
getsu. Auch diese schor das grünschwarze Haupthaar und
wurde eine Nonne. So verändert, bewachte sie mit der einzigen
geliebten Tochter 0-sen während der Abwesenheit des Mannes
das Haus. In der letzten Decade des verwichenen dritten
Monates des Jahres auf der Rückkehr von dem Besuche des
Klosters des goldenen Söllers begriffen, begegnete sie unver-
muthet nichtswürdigen Genossen und konnte bereits 0-sen
verloren haben, als diese von dem jungen Sohne des leitenden
Vorgesetzten, von Herr und Diener, gerettet wurde. Ueber-
diess ward die Nonne Sei-getsu der grossen Güte I-suke's
theilhaftig. Diese Güte in den Zwischenräumen der Zeit nicht
vergessend und Tag für Tag es nicht unterlassend, davon zu
sprechen, setzte sie selbst in einem leichten Schlafe, in welchem
sie die Hand zum Polster machte, die Gegend des leitenden
Vorgesetzten nicht zurück.
Medzu-ko ist so viel als medzuru ko ,geliebtes Kind'.
Tori'Waki o-sen-wa -^ dl (sen-tdUynite \ kano moto-faru-
ga nagake-wo jete \ fukaJcu-mo ^ jH^ (m-sej-ico tsikai-si-joH j
fito iirezu asa-ni koi \ jü-be-ni sitai \ tama-tama-ni i-suke-ga
tgutajuru fumi-wo \ ai-miru omoi-ni omoi-wo ijamasi \ nani-to
fiaku kofio gorO'Wa \ mi-mo Jose katatsi-no otoroje-si-ka-ba \ sei-
getsu-wa odoroki-te \ ^ ßjß (i'si)'Wo mukaje ^ ^ (jaku-zt)-
SiUuagthw. d. phil.-hiat. Cl. LXXXYII. Bd. L Hft. 19
290 Pfismaler.
WO fodokose-do i moto-jori l|j|jl ;|^ (sb-kon) ^ ^ (hoku-fi) mote i
iie-wo tatsU'beM-no jainai narane-ba \ sara-m sofio sirusi-wo
jezari-si-ga.
Insonderheit 0-sen, welche in dem Schiffe die Gute jenes
Faru-moto erfahren, seitdem sie feierlich auf die zwei Welten
geschworen, liebte sie, ohne dass die Menschen es wussten, am
Morgen, sehnte sich am Abend. Von Zeit zu Zeit in die
Briefe, welche I-suke brachte, blickend, vermehrte sie bei ihrem
Sehnen das Sehnen. Ohne dass etwas vorgefallen, magerte
um diese Zeit ihr Leib ab, ihre Gestalt schwand. Sei-getsu
erschrack und holte einen Arzt, man wendete Arzneimittel an,
doch da es eigentlich keine Krankheit war, bei der man durch
Pflanzenwurzeln und Baumrinden die Wurzel abschneiden konnte,
erzielte man durchaus keine Wirkung.
Am toki ^ ^ (te-dai) ^ ^ ^ (teo-ku-rb) sei-getsu-
ni-fii mvkai ijeru-wa \ kono goro ^jj^ ^^ (go-re6)'7io won-najami-
wo I 1^ ^j^ (i-si)'mo f(^ ^ (sin-kij-no musubore-to ijeri, Oe-
ni sa-mo ari-nan. Sono ju-e-wa \ kano jodo-gawa-no Ar ^ (fci-
ki4)-ni kori \ sore-jori tajete mono-mi-wo osore \ — • -^ Oppo)-
no foka-ni ide-tnmawazv, Toki sude-ni ^& ^ (zan-stoj-to ije-
do I kofo-waza-ni ijerii^ B (zib-go)-no fitai-fo j ^^ "^ (bon-
zenj-no ntsiim faje-gataki icori-ni \ •Ä Ä (sin-sb)'7n nomi tare-
komete-wa \ tatoi ^ ^ (tassiahno mono-tari-to-mo \ ^ |^
(ki'UfsnJ-no najami-no ide-ku^he-kere.
Zu einer Zeit sprach der Stellvertreter Teo-ku-r(^ zu der
Nonne Sei-getsu: ,Jüng3t nannte der Arzt das Leiden eurer
Tochter eine Verdunkelung der Luft des Herzens. In Wahrheit
wird es so sein. Die Ursache ist, dass sie durch die Gefahren des
Flusses Jodo-gawa gewitzigt wurde, sertdem durchaus die Späher
fürchtet und keinen Schritt vor das Haus geht. Die Zeit ist be-
reits die übriggebliebene Hitze, doch, wie das Sprichwort sagt,
an der Stirne des Trichters, um die Zeit vor dem Todtenfeste,
wo die Hitze unerträglich ist, an dem verhängten tiefen Fenster
sich einschliessen, gesetzt ein Gesunder würde dieses thun, es
müsste das Leiden der Schwermuth zum Vorachein kommen.'
Siknzu wori'Wori jü-kage-nüica \ no-be-ni kawa-be-m tcUsi-
ide-masi \ sxiznmi-tori-isutsu fi-ni nure-si-mo \ fatsu-cM-no tsuld-
ni kawakasi-tamawa-ha 1 mala mi-kusitru-no tasuke-to-mo nari-
Du Hans et dm Staithalton too Fari-m».
293
na«. Kadzu narane-domo kono teö-ku-rb 1 wontonn^asa-i^^"^ /
de-ka-wa \ jubi-mo sasu-beki mono aran \ nka-n-tamaje-to ^'V^
gaUn-ni \ to-iii iden koto-tco susiimuru-wü \ Jj^ j^P (8oko-t)-7io
fodo-toa sirane-domo \ A (fsiUJ-to fonhru siro-nedzumi \fige kntsi
iigokan tsamure-ba.
,Da8 Beste ist, sie geht von Zeit zu Zeit im Abend-
schatten auf die Felder, an die Ufer des Flusses hinaus. Wenn
sie, frische Luft schöpfend, in der Sonne feucht wird, in dem
Monde des Herbstanfangs die Kleider trocknet, so wird dieses
auch eine Beihilfe für ihre Arzneien sein. Ich zähle zwar
nicht mit, doch wenn dieser Teö-ku-rö sie begleitet, wie sollte
da Jemand sein, auf den man mit dem Finger zeigen kann?
Thuet so!' — Indem er so mit Gewalt zum Ausgehen rieth,
wusste man nicht, welche Hintergedanken er hatte, doch als
weisse Ratte, welche das Wort Redlichkeit hersagt, bewegte
er Bart und Mund und machte Vorstellungen.
Sei-get^-ni-wa utsi-unadzuki \ ao-ioa joku-mo kokoro-dzuki-
si sari-nagara \ sono jodo-gawa-no ^ Ä (fu'rio)'no ||| ^l
(mn-gi) \ moto-faru-gimi-no masi-masazu-wa \ ika-naran uki-me-
ni-ka b-heki-to \ kaganaje-mire-ba ito-mo kasikosi, Wa-nami-wa
moto-jori musume made \ kore-ni fnkakit mono-odzisite \ to-ni
iden kotoba josl-to sezare-do \ on-mi-ga isame-mo mata kotowari
nare-ba \ wori-wo mite suaume-min-to \ ßto-wo sodafsuru ^ ^j
(rei'ri)'no kotoba.
Die Nonne Sei-getsu nickte mit dem Haupte und sagte:
Hier bist du gut bedacht. Doch bei der unvermutheten Gefahr
des Flusses Jodo-gawa, wenn der Gebieter Moto-faru nicht
gewesen wäre, was für einen Kummer hätten wir erfahren !
Wenn ich dieses betrachte, habe ich grosse Scheu. Ich bin
eigentlich in Bezug auf meine Tochter dadurch äusserst ängstlich
geworden. Ich halte deine Worte, dass sie ausgehen möge, nicht
für gut, doch deine Vorstellungen haben auch ihre Berechtigung.
,Man sieht den Zeitpunkt und wird sehen, wozu man räth.'
Dieses ist ein kluges Wort bei der Erziehung der Menschen.
Teö-ku-^b-wa si-taH-gawo \ a-a wäre sono toki-ni i-aivase-
nase-ba | bu-rai-no jakara-ga muna-moto-wo \ kb tori-te kaku
kadzuki | fidari-jori kakaru-tvo sa-soku-ni ke-tbsi \ migi-joii
kakmni-wo kb nedzi'te \ sono mama mnkb-je dzu-den-do \ mata-
mo kakaru-wo kb tori-te-to \ ware-wo wasurete si-kata-banasi \
19*
^
y
290 Pfli«»Ur.
wo foih?*'^^'^^ '^o-emi-nagara \ kai-tatte j^ J^ (nan'do)'ni
'^"tnä" I kosi-mou -ra kata-mi-ni me-tco müawcue \ ano-ga viani-
nu^ni sono ha-noo sam-wo \ sirade teo-ku-rb nawo fokori-ka-id \
kata-se okan-ku ajancut-te \ kb si-kakure-ba kaku farai \ kaku
tore-ba kb simete-to \ ataka-mo jj^ dl (sui-tnüj-ico ojogu gotokn
ude-wo nohasi mata-wa Uidzime \ anii-wa furi-age sa-u-wo farai
ka-bakari najamasi ^ ^S (bu-rai)'tco korasa-ba \ t^ri-dziri
batto nige-nqn mono-tco \ sono ^ (zaj-ni tzarisi-wa ito ]^ x
(zan-nen) \ sa-toa obosazu-ja.
Teö-ku-rö sagte mit wichtiger Miene: Ach wenn ich
damals anwesend gewesen wäre, ich hätte die nichtswürdigen
Leute bei der Brust so ergriffen, so zugedeckt. Den von links
Andringenden hätte ich sofort niedergetreten, den von rechts
Andringenden so gedreht, den unterdess nach der entgegen-
gesetzten Seite kopfüber Stürzenden und nochmals Andringenden
so gepackt. — Während er so, sich vergessend, unter Geberden
sprach, erhob sieb die Nonne Sei-getsu lächelnd und trat in
den Verschlag. Die Mägde, einander anblickend, gingen eigen-
mächtig von dem Orte weg. Teo-ku-rö, der dieses nicht wusste^
sagte mit noch grösserem Stolze und den Leib auf seltsame
Weise krümmend: Wenn sie so angreifen, treibe ich sie so
weg. Wenn sie so anpacken, drücke ich sie so zusammen. —
Dabei streckte er, gerade als ob er in dem Wasser schwämme,
die Arme und zog sie auch zusammen. Zuweilen warf er
sie empor und fegte nach rechts und links. Er fuhr fort:
Wenn ich sie so sehr quäle und die Nichtswürdigen züchtige,
werden sie sich zerstreuen und entlaufen! Dass sie an ihrena
Sitze nicht geblieben sind, thut mir sehr leid. Meinet ihr
nicht so?
To ose nugui \ ataH-wo mire-ba fito-wa naku \ tso-ku-rö-wa
ware-nagara | amari-no koio-ni akire-tsutsu \ a-a 3^ ]^ ($iaku'
8on)-mo no-tamai-8i \ wonna-ni-wa toku-be-karazu j^ QenJ-naki
^ ^ (siü'zibj'wa |§[ (doj-si-gatasi-to \ fitori tsubajaJci taian-
to se-si-ni \ saki-jori koko-ni ki-kakari-taru \ sato-^mi i-suke-ica
ted'ku-rh-ga \ ai-te-mo aranu-ni ajasi-ki furumai \ fotondo /(^ ^
(sin-rij-ni ibukasi-mi \ masa-ni köre kitsune-tsuki narazu-tca
osoraku ijj ^ (ked'ki)'ni nari-taru-ka-to \ ^ ^ (u-kitatsu)-
ni-mo jobi-kakezu \ sibasi mi-awase-i'tari-si'ga.
Das Hans eines Statthalters tod Fari-ma. 293
Als er, den Schweiss trocknend, hinblickte, war Niemand
da. Teö-ku-rö, seinerseits überaus erstaunt, flüsterte für sich:
Ach, auch Schaka-Buddha hat es gesagt. * Weibern kann man
die Schriften nicht erklären. Beziehungslose Geborene kann
man unmöglich retten. — Hiermit wollte er sich erheben.
Sato-mi I-suke, der schon früher hier angekommen war, über
das sonderbare Benehmen Te6-ku-r6's, indem dieser keinen
Gegner hatte, innerlich äusserst verwundert, dachte sich : Wenn
Dieser eben nicht von einem Fuchse besessen ist, so glaube
ich wohl, er ist wahnsinnig geworden. — Ohne ihn in der
Entfernung anzurufen, heftete er eine Zeitlang auf ihn die
Blicke.
Kono toki ko-e-kake no ijä^ ^ (ban-tdydono | te6-ku-rb-
doiw-to i(i ko-e-ni \ mi-hunii-nasi-te bikkuri-si | furi-kajeri mite
ko-wa i'8uke-dano. Wa-nusi-mo fito-no utd-ni ira-ha \ nado an-
nai'Wa nasazaru-ja. Ito-mo name-ge-naru onoko kana-to tdasi-
nukare-si fara-tatsi-no \ atari-nianako-no ^ Ä (tsuki-go-e) \
i-svke-ga ki-gi-to kiku-jori-mo \ musubu-no kami-no omoi-wo tum \
o-sen-wa isogi tatsi-ide-si-ga.
Bei dem jetzt ertönenden Rufe : He, Herr Dienstältester !
Herr Te6-ku-r6! fuhr dieser erschrocken zusammen. Schnell
hinblickend, sagte er: Es ist Herr I-suke. Wenn ihr in das
Haus eines Menschen tretet, warum lasset ihr euch nicht an-
melden? Ein sehr unartiger Mann! — Er sagte ihm dieses
unter die Augen mit einer plötzlich herausgestossenen zornigen
Stimme. Sobald 0-sen hörte, dass I-suke gekommen, machte
sie sich die Gedanken des knüpfenden Gottes und trat eilig
hervor.
Aja-mku teo-ku-rh-ga kuma-taka-me \ ko-wa joku koto ki-
tamat-tsiiJ-e-to \ i-i-si fakan-ni me-mote sirase-ba | i-suke kokoro-
je "^ fÜ (kuai-tsiu) osije | sa-aranu sama-ni kono goro-no
atauaa \ itadzuki ika-ga owasu-ran, Sarade-mo sinogi-gataki mono-
wo I sazo-kasi Q (kdyzi'tamh-ran'to \ i-i-tsutsu kosi-wo utai-
kakete \ bgi-no kaze-ni ase-wo fosu.
Zum Unglück das Höhenfalkenauge Teö-ku-rö's! Ihr
seid zum Glück hergekommen ! — Dieses sagend, gab sie ihm
einen Wink mit den Augen. I-suke, es verstehend, drückte
den Brusttheil des Kleides nieder und sagte verstellter Weise :
Wie wird es bei der gegenwärtigen Hitze mit euren Leiden
294 Pfismai«r.
stehen ? Ohnehin ist es schwer zu ertragen. Ihr dürftet somit
angegriffen sein. — Dabei setzte er sich und trocknete in dem
Winde des Fächers den Schweiss.
Osije steht für osajey niederdrücken.
O-sen-mo motsi-si kurenai-no \ utsi-wa-mote i-suke-ga sohira-
wo bgi I utsi-ni wiru dani atsuki mono-wo \ to-no juki-kai-wa omoi-
jaru-to I fito-kata-naranu asiraini \ teo-ku-rb-tva j^ H (fo-kai)
fe ^ frin-Ai) I nb i-suke-nusi \ wa-nusi nado-wa sikasu-ga-ni
Z^ ^ :^ (ni-gb-fanj-de-mo :tt ^j^ ^ (fu-tsi-nin) nare-ha
aara-ni siru-masi ^ jS (nO'8eo)'Wa inu-no te nura-mo fito-no
te-ni I kajen-to iü fodo isogcLai-ki \ kono ^^ (bon)-maje-ni furari-
darari [ naga-banasi-te kokoro-tiaki \ mono-to ^ ^ (siü-zinj-m
sodrare-tamb-na. Sikazu kokoro-wo 5pJ (kika) aan-ni-iva-to \ sono
kajeran-to isogasvrwa \ o-seti-ga oto-dzure-wo fedaten-tame-ka.
Auch 0-sen fächelte mit dem scharlachrothen Rund-
fächer, den sie in der Hand hielt, den Rücken I-suke's und
sagte: Selbst zu Hause ist es heiss. Wie es draussen beim
Umhergehen ist, lässt sich denken. — Bei der nicht einseitigeo
Unterhaltung sagte Teo-ku-rö voll Eifersucht in Bezug auf
die Gränze der Vorschrift: Höret, Herr I-suke! Da ihr ein iu
einem Maasse von dritthalb Löffeln betheilter Angestellter seid,
so werdet ihr es genau wissen. Vor diesem Todtenfeste, mit
welchem es eine solche Eile hat, dasSj wie die Ackersleute
und Kauf leute sagen, man selbst Hundepfoten gegen Menschen-
hände vertauschen würde, lasset euch nicht von den Menschen
schelten, dass ihr auf's Gerathewohl lange Gespräche führet
und ein sinnloser Mensch seid. Wenn man mit den Worten,
dass es das Beste ist, die Sinne zu schärfen und dabei heimzu-
kehren, euch eilen heisst, geschieht dieses, damit ihr euch
zwischen die Nachricliten von O-sen stellet?
Sei-getsu-ni-wa teo-ku-rb-ga \ name'-ge-no kotoba-wo kiki-
kanete \ sarasi-no no-reii osi-age-tsutsu \ ko-wa usuke-gimi-ka
joku'Zo ki-mase-si \ so-ko-wa kaze-mo tori-gatasu Konata-jt ki-
mase» '^ jH^ (Sen-zaiJ-joH \ fuki'ini kaze-no suzusi-sa-wa
noki-horno suzu-no ne-ni-mo sirusL Iza-iza-to i-i-nagara \ wäre-
kara sakt-ni ^ (za)'WO sadame \ fito-wo matted ari-sama-ni
0'Sen-W(i kokoro'uresi-kn-te \ fatva-no kaku-made no-tamb-wo ,
warawa-ga a-nai-to i-suke-ga soha-ni \ tatsi-joru fvri-no sodt-
Om Hans einet Statthftlters too Fari-mft. 295
gaki-ni \ ted^ku-rb-ga me-wo fedatsure-ba \ i-suke te-haja-ni
motO'faru-ga \ fumi-wo watcm-te sa-aranu sama \ ika-aama ban-
t^ga iwaf'Uini gotoku \ mono-iaogawusi-ki wori-kara nare-ba \
kimi-^o P J^ (kö'zib) nobe-tara-ba \ toku kajeri-nan no teo-ku.
Die Nonne Sei-getsu^ nicht im Stande, die unartigen
Worte Teü-ku-r6*8 anzuhören, rief, indem sie den Thürvorhang
von gebleichtem Tuche erhob: Ist es Herr I-suke? Ihr seid
willkommen. Dort kann die Luft unmöglich durchdringen.
Kommet hierher! Dass von dem Vorgarten die kühle I^uft
hereinweht, erkennt man auch an dem Tone der Glöckchen des
Vordaches. Wohlan denn! — Dabei bestimmte sie weiter voran
als für sich selbst den Sitz und bonahm sich wie bei der Er-
wartung eines Gastes. 0-sen, im Herzen erfreut, sagte: Die
Mutter spricht es insoweit aus. Ich fiihre euch. — Sich an
die Seite I-suke's drängend, schloss sie an dem Melonenzaune
die Blicke Teo-ku-rö's ab. I-suke übergab ihr flink den Brief
Moto-faru*8, und als ob nichts wäre, sagte er: Jedenfalls, wie
der Hauptbedienstete sagt, ist es gerade die Zeit, wo man Eile
hat. Wenn ich den mündlichen Auftrag des Gebieters ausge-
richtet habe, werde ich schnell zurückkehren. Nun Teo-ku!
To I kaia-fo-ni emi-te oku-ni iri \ sei-getsu-ni-nl i-rnukai-te \
madzu mi-tsukai-no ovwviuki-wa \ sono notsi tajete |^ U (tai-
men)-naku \ saiwai fodo-nh odori-ni nari-nu. Musume-wo tsurete
kitare-jo \ kamaje-taru ^& Wb (aaii-zikij-ni an-nai-noitasen, Kure-
gure fajaku ki-mase-jo'to \ nemogoro-ni no-tambto.
Mit der einen Wange lächelnd, trat er in das Innere und
sagte zu der Nonne Sei-getsu: Meine Botschaft besteht vorerst
in Folgendem. Der Gebieter sagte freundlich: Später wird
dui-chaus keine Zusammenkunft sein, doch zum Glück wird
nach einiger Zeit der Tanz stattfinden. Komm mit dem Mädchen.
Ich werde sie auf den errichteten Altan führen lassen. Komm
immer wieder schnell!
Kiku'jari sei-getsu ija-kasikomi \ mi-ni amm*u bse o-o-ke-
naku oboje^faberu. Ika-sama itsu-tote-mo nigiwasi-ki-ni \ ko-tosi-
wa wdki'ki toja-tosi nare-ba \ sa-koso nigitoai faberu-besi, O-sen-
mo kono goro itadzvki-nagara \ odori-wa to-zo ^ ijjfff (ken-bus)
si-tasi-to I kosi-moto nado-to ||^ ^k (seo-gi) nasL Jukata-no
mo-jb to-ni kaku-to \ toku ^ (ke6)-zome-jii at»urajete ■ jb-jb kino
ide^ki'si-wo | fajaku ke-sa-jori tatsi-nui-seri.
296 Pfismaier.
Sobald sie dieses hörte, spracl) Sei-getsu sehr ehrerbietig:
,Für den Befehl, der für mich zu viel ist, bin ich dankbar.
£s geht auf irgend welche Weise immer lebhaft zu. Da dieses
Jahr ein ausgezeichnetes, fruchtbares Jahr ist, wird eine solche
Lebhaftigkeit stattfinden. 0-sen ist um diese Zeit leidend, doch
wenn man sie um den Tanz fragt, so will sie ihn sehen, und
bei den Mägden ist kein Feilschen. Sie hat das Blumenmuster
des Sonnenkleides jedenfalls schnell in der Färberei der Haupt-
stadt bestellt, und da es endlich gestern herausgekommen ist^
hat sie schon seit heute Morgen daran genäht.^
Waki-ki, welches sonst nirgends vorkommt, scheint ein
von waku ,theilen' abgeleitetes Adjectivum zu sein und die
Bedeutung ,be8onders' zu haben.
Sugi'si fi aja-uki koto-ni odzi \ aoto-ni-wa katsu ^ |§
(fU'to) ide-mo sezu \ ide-si-mo jarane-ba ito ^ ^ (da-tej-naru i
odori-jukata-wa ^ (jo^nasi-to \ omo mono-kara ^ |^ (ki-utsu)-
to jaran \ SL ^£ (u8sed)-to jaran-ni najamu sama | miru me
koto-nb jasu'karane-ba \ kokoro-wo |fe|* (i)-suru tarne bakari \
nad-no mani-mani makase-nure-do \ koto-ni ßto-datsi-no odori-tio
iMj (ba) I ito-mo ajabumi-fanberu.
,Vor der Gefahr der vergangenen Tage zitternd, geht sie
einstweilen nicht unversehens aus, und wenn sie nicht ausgeht,
ist das sehr aufgezierte Tanzkleid für sie von keinem Gebrauche.
Weil sie dieses denkt, ist es nicht ununterschieden leicht anzu-
sehen, wie sie in ihrer Schwermuth, in ihrer Anlage zur Schwer-
muth gequält ist. Ich habe es zwar ihrem Belieben überlassen,
zu thun, was zu ihrer Ausheiterung dient, doch ist besonders
der Schauplatz des Tanzes einer Menschenschaar sehr gefährlich,'
To I ijervrni i-siike utsi-xvarai \ sono onwi-fakari-ioa kotowari
nare-do I so-wa tokoro-ni-mo joru-be-kere, -^ ^ (Tai-sui) "^ ^
(sb-zij-mo mi-sonaivan \ ^ ^ (fi-zih) ^ ^ (kei-goj'no ^ j^
(sio'si) O'Oku I J^ mj^ (ba'Sio)'no Hj >^ (stü tsu-jnkuj-nasem
mono'kara \ kart-some-no arasoi-mo arii-be-karazu, Onore-mo kanete
80110 kazu nare-ba ' jo-so-nagara-mo J^^ -^ (sokvrdzioj-too ^dj^ ^£
(8iü'go)'8en \ usiro-joau-ku omoi-tamaje,
I-suke lachte und sagte: Diese Erwägung ist zwar ver-
nünftig, doch man soll auf den Ort Rücksicht nehmen. Da der
Statthalter und dessen junger Sohn zusehen, die gegen unge-
Dm Haas eines Stettbaltera Ton Fftri-na. 297
wohnliche Ereignisse gerüsteten Kriegsmänner in Menge auf
dem Schauplatze zum Dienste ausrücken, so kann auch nicht
der geringfügigste Streit vorkommen. Da auch ich früher zu
der Zahl gehöre, so werde ich, obgleich ich ihr fern stehe,
eure Tochter bewachen. Seid in eurem Herzen ruhig!
Sei-getsU'Wa ]BF ^ (sb-zi) i-suke-ga \ ima-ni fazimenu
J? Iw (kh'zih)-wo I o-sen-ni tsugen-to maneku ko-e-ni \ fai-to
irajete ßhjb-ni \ fito-me-wo fukaku sinobu gusa \ mitd-no ku-gami-
ni moto-faru-ga \ fumuno j^ A, (fen-ziywo kaki-otoari-te \
futokoro-ni kakusi maro-te-site \ ima nui-tate-taru odori-jnkata-
wo I iso^o-to Site motsi-ide-tsutsu \ moto-farurgimi-no hse^goto \
more-kiki ito-mo ari-gatasi. Sono uje i-suke-gimi-no mcLsi-masa-
ha I ito-do kokoro-tcmka nari. Nani-to-zo ko-tosi odori-no ^Ü^
Qo) I sibasi itoma-wo tdbi-tamaje, I-suke-gimi köre mi-tamai
tsi'toae-no ;^ (matauj-ni ^& JÖ (fudzi-vandyno \ kaJcaru mo-
jh-wo me-sirusi'to site \ nani-goto-ni-mare negi-ma-irasu-to,
Sei'getsu, in der Absicht, 0-sen das nicht jetzt beginnende
grosse Wohlwollen des jungen Sohnes und I-suke's zu verkünden,
winkte ihr. Dieselbe, mit Ja antwortend, hatte endlich, vor den
Äugen der Menschen tief verborgen, auf Papier des Reiches Mutsu
die Antwort auf den Brief Moto-faru's zu Ende geschrieben
und versteckte sie in dem Busen. Mit beiden Händen das
Tanzkleid, welches sie jetzt genäht hatte, in Eile erfassend,
trat sie hervor und sagte: Ich habe das, was Herr Moto-faru
befiehlt, herüber gehört) und es ist mir sehr schätzbar. Wenn
Herr I-suke dabei ist, bii^- ich sehr beruhigt. Gewähret mir für
die Nacht des diesjährigen Tanzes eine Weile Freiheit. Der
Herr I-suke sieht dieses: Auf tausendjährigen Fichten Wellen
der Färberröthe. Ein solches Blumenmuster mache ich zum
Kennzeichen. Was es auch sei, ich bitte darum.
Kokoro-wo kome-si kotoba-no nazo \ i-mke-wa kokoro-ni una-
dzuki'te kokorO'jasU'kare ^ Q (jo-mej-nagara \ kono ^ ^
(da-te) mo-jb'WO me-ate-nite J^ j^ (ba-sioj-no ^ ^ (bin-gi)-
wo fakarawan. Sei-getsu-ni-wa sore-to si-mo \ kokoro-dzukane-
ba o-sen-wo ^j^ (seij-n \ ika-ni kokoro-joku no-tamb-to-mo \ i-suke^
gimi-wa tono-no go- ^ O'ö) | on-mi-no se-wa-wa negai-gatasi.
Diesem Räthsel der Worte, in welches sie einen Sinn
legte, stimmte I-suke innerlich zu und mochte unbesorgt sein.
298 Pfiim»i«r.
Selbst in der Nacht dieses BIumenmuBter des Putzes zum Ziele
machend, wollte er die Gelegenheit des Schauplatzes ermessen.
Die Nonne Sei-getsu bedachte nicht, dass es so sei. Sie wehrte
0-sen indem sie sagte: Ob er auch irgendwie wohlgelaunt
spricht, Herr I-suke handelt fiir den Gebieter. Hinsichtlich
deiner Dazwischenkunft kannst du unmöglich bitten.
Kono toki ban-to \ tm-ku-ro ^ ^Sk (no-renj-no finia-jori
tsn-to idete \ hse sika-nari-sika-nari-keri. '^A (Ztb)-no mori-ni-tca
kono ban-to \ teo-kn-rh koso H^ Jffi (sh-wh) nari, To-kaku M|
Czib)-zama-wa soregad-wo \ >#C f^ (de'ku)'no gotoku-ni omoi-si-
tamaje-do \ ware-mo mata ofoko nari, Tare-ni-mo are jubi-de-mo
sasa-ba \ ^ ^ ^ (san-go-niuyno ai-te nani-ka osoren.
Um diese Zeit trat der Hauptbedienstete Teo-ku-rö plötzlich
aus dem Vorhange hervor und sagte : Das Wort war recht, es
war recht. Zur Beschützung des Fräuleins ist dieser Haupt-
bedienstete Te6-ku-r{) geeignet. Jedenfalls achtet mich das
Fräulein einer Holzpuppe gleich, doch auch ich bin ein Mann.
Wer es auch sei, wenn man mit dem Finger zeigt, drei bis
fiinf Gegner, wie sollte ich sie ftirchten?
De-ku wird in den westlichen Reichen für de^kurabb
,Holzpuppe' gesagt.
I-snke ^ ^S (kuaii'Ziyto utn-warai-te \ sn-koso ari-nan
sn-koHo aru'besi, Nanigrisi 4q ^J (sen-koku) kitari-si toki
^ ^ (ko'küJ'WO tsukami tatami-ivo utn \ ßfori JS^ "db (gei-ko)-
110 -^ ^^^ [8iilL-ren)-no fodo \ jaja appare-no fntaraki-to \ warajc-
ba sei-getsu ojobi o-sen \ kosi-moto midzusi-me niade \ fuki-dasi-
dasi I .Ä P ^ Ä (i-ku'dO'OnJ'in dotto waraje-ba \ teo-ku-rb
sasu-ga ja jjf (man-menj-ni (Me-wo nas^i \ sono ^ (za)-ni
tamarazti nige-ide-tari.
I-suke lachte herzlich und sagte: So wird es sein, so
kann es sein! Als ich vorhin kam, erfasstest du den leeren
Raum, schlugst die Flurmatte. Es war ein Maass von Geschick-
lichkeit, wobei du dich allein übtest, eine ziemlich erstaunliche
Thätigkeit. — Sei-getsu und 0-sen, die Aufwärterinnen, selbst die
Ktichenmägde platzten mit verschiedenem Munde und gleichem
Tone in ein Gelächter heraus. Teo-ku-rö hatte in der That
das ganze Gesicht voll Schweiss. Er verweilte nicht in dem
Saale und floh nach aussen.
Du H»us eines StattbalterB ron Fari-m». 299
O-sen-wa warai-dojameku ßma-ni \ i-suke-ni ^ ^ (/^*"
zi)'U>o fisokorni watase-ba \ i-suke tokit tori tamoto-ni si | kure-
gure sotio ^^ (jo)'WO j^ (jakuj-si-isutsu | geni joki jukata-no
mono-zuki'to \ i-suke-wa kajesi-vii utsi-kajesi-mite \ kokoro-ni
tmadzuki ßto-bito-ni itoma-wo tsugete tatsi-kajeru.
0-sen übergab während des lauten Lachens I-suLe heim-
lich die Antwort. I-suke nahm sie schnell und verbarg sie in
dem Aermel. Immer wieder für jene Nacht das Versprechen
gebend, sagte er: In Wahrheit, ein guter Geschmack für ein
Sommerkleid! — Die Blicke wechselnd, ausdrucksvoll die Blicke
wechselnd, stimmte er innerlich zu, sagte den Menschen Lebe-
wohl und kehrte nach Hause zurück.
Sdte-^tio fumi-dzuki ziü-roku-nitsi \ ^£ 'Wj (ka-reij-no odori
aru-besi tote \ (yte-no ^ "K (zed-ka) ^^ ^ (tO'Zai)-ni jarai-wo
musubi I t^ -^ (tsitl'iühj-ni -^ ^ (tai-siü) ojobi ^ "^
(sb'Zi)'no sa-ziki-wo kamaje \ sono foka ^ ^ J^ (sio-ka-BiJ-no
mono-mi-ba-wo sitsurai \ ^ "jk (aa-jü^no noki-ni-wa kurenai
aki-no W ^ (sö-kua)-no e-gakl-si :Ö^ j|^ (teo-idn) \ kira-fosi-no
gotoku kake-tsurane I ^ ^ @ (sio'kei'go)'jio asi-garu f^ ^
(ß-ztb)-wo imasinie | tai-sik san-ziki-ni ide-tavib riiade ^^ ^
(t6'Zat)-no ki-do-wo katame ]|^ ^ (zb-kaku)-wo ire-simezu.
Am sechzehnten Tage des siebenten Monats sollte der
übliche Festtanz stattfinden. Man knüpfte zu diesem Behufe
im Osten und Westen der an der Vorderseite der Feste be-
findlichen Stadt Pfahlwerk, baute in der Mitte den Altan des
Statthalters und des jungen Sohnes, errichtete ausserdem für
die Kriegsmänner der Häuser Schaubühnen, hängte an den
Vordächern rechts und links Laternen, auf welche scharlach-
rothe Pflanzen und Blumen des Herbstes gemalt waren, gleich
funkelnden Sternen in Reihen. Die ausgerüsteten Kriegsleute
zu Fusse wehrten ungewöhnlichen Ereignissen, besetzten bis
zu dem Heraustreten des Statthalters auf den Altan das öst-
liche und westliche Festungsthor und Hessen die lärmenden
Gäste nicht herein.
Sono toki-ni ifari-te "Jj^ ^ (tai-koj-no ai-dzu-ni ki-do-wo
ßrakan-to kamaje- tarL Sare-ba ^ H (td-gokii)-no yj^ ^
(rb-niakuj'wa moto-jori \ ^ H (kin-goku) ^ ^ (rin-gdyno
300 Pfiim»i«r.
Ä; ^ (ki'S^n) Jl ^ (nan-nio) | :^ ^ (kija-sia) ^ j^
(fü-riü) ^ ^^ (zen'bi)'tco tsukttsi | mada kiwe-jaranu koro-
jori-mo \ ija-ga uje-ni ^ ^ C^un-^anJ-na^u.
Als die Stunde kam, war man im BegrifFe, auf das Zeichen
der Trommel das Festungsthor zu öffnen. Indessen trafen nebst
den Alten und Jungen dieses Reiches, Männer und Weiber
vornehmen und geringen Standes aus den nahen Reichen und
benachbarten Bezirken, Artigkeit, Zierlichkeit und Schönheit
erschöpfend, noch vor Sonnenuntergang über und über in
Schaaren ein.
Kore-ga tame-ni odori-ba-no "^ ^ (sen'goJ-ni'Wa \ mise-
wo ßraki-te Ö^ J\^ (seo-giJ'WO tsurane \ ^^ (tHa)'Wo niru ari
sake uru ari. An- hat josi-to jobe-ba ßto-jo-zake-to scJcebi
$ H "T" ß^^d<^^^'9o) '^iese-to ije-ba ^ S^ ^ (jvrdo-fu)
ika-ni'fo akinb \ sono nigiwai o-o-kata-narazu.
In Betracht dessen eröffnete man vor und hinter dem
Tanzplatze Buden und stellte Bänke in Reihen. Einige kochten
Theo, Andere verkauften Wein. Rief man : Der Geschmack ist
gut! so schrie man: Einnächtiger Wein! Sagte man: Esset Klösse
an Speilern! so handelte man, indem man sagte: Eingelegte
Bohnen mit Brühe! — Die Geschäftigkeit war keine geringe.
Kakaru i^ ^ (gnn-aanyno sono naka-ni fito-kiwa me-
datsii» — ' ^ (ittai)'no wonna | köre sunawatsi J||J ^ (betsu-
zin) narade \ taru-i o-sen-ga i ^fjj^ (siü-ziü^nite \ sugata-wa
t»une-no furi-sode-mo | '^ ^ (kijasiaj-wo takumi-no Jg^ ^
(fö'Si) ^ ^ (jd'biy I kosi^moto pg H (red'san) ^ ^
(zen-go)'WO kakoi i ko-mono-ga motsi-si fiikn-sa-dzutsumi-wa \ köre
kano odon-jukata naru-besi.
Unter den so eintreffenden Schaaren war eine Gruppe
Frauen ganz besonders auffällig. Dieselben waren keine anderen
als Taru-I, O-sen und ihre Dienerinnen. Was das Aeussere der
Ersteren betrifft, so waren der gewöhnliche zitternde Aermel,
die mit Artigkeit verbundene künstliche Miene und die Züge.
Zwei oder drei Aufwärterinnen umgaben sie vorn und rückwärts.
Ein Bündel Seidenflor, welches ein kleiner Knabe hielt, konnte
das Tanzkleid sein.
Siri-je-ni ban-td teo-ku-rb | ^ (sijüj-no ki-reo-wo waga
mono-gawo-ni \ kataico ikarasi f^ d^ (gun-zUlJ-wo UHike-timtsu \
Das Haus eiaes StAtthalters Ton Fari-ma. 301
Uharu ^ J^ (sa-tenym tsu-to iri-te | imada H^ ^J (zi-koku)-
ni ma-mo are-ha \ koko-nite ^tic J^ (ki^-soku) rKm-tamaje-to \
atari-too mire-ba o-oku-no maro-uto-ni \ja8urh Ö^ J\^ (^^o^)-
mo arazare-ba \ teo-ku-rh-wa aruzi-ni bakari \ jb-jb — — ^
(ikkiaku)-no j^ J\j^ (sib-gij-wo kaki-ide \ ^ :^ (siü-sdü) kore-
ni kosi'%00 kakare-do \ kosi-moto-rcL-wa kokoro uwa-no sora \ kure-
fatezaru'WO uramu-meri. O-sen-mo onazi-omoi-nagara \ odori-no
cd'dzu-wa ^^ *S| (b-8e)-no naka-datsi faja-mo »irase-wo maUi"
gawo nari.
Hinter ihnen zuckte der Hauptbedienstete Teö-ku-r6, mit
einem Gesichte, als ob die schön aussehende Vorgesetzte sein
Eigen wäre, die Achseln. Die angesammelten Schaaren zer-
theilend, trat er plötzlich in eine Theebude und rief: Da es
noch Zeit ist, so ruhet hier aus! — Als er hinblickte,
waren für die vielen Gäste keine Ruhebänke. Te8-ku-rö zog
für die Gebieterin endlich eine Bank hervor. Die Gebieterin
und deren Dienerinnen setzten sich zwar auf dieselbe, doch die
Mägde waren zerstreut, und es schien sie zu verdriessen, dass
es nicht ganz finster geworden. Auch 0-sen hatte gleiche
Gedanken. Das Zeichen zum Tanze war der Vermittler der
begegnenden Stromschnelle, und ihre Züge drückten die Er-
wartung aus, dass man es schnell kundgebe.
Wori'kara kore-mo ZIL ^ (ni-kuj-no faru mada koje-gate-
no ßtori-no musume | fawa-to obosi-ki mu-so-zuno 8na \ kata-te-
ni fu-ro'siki tsutsumuwo motsi \ onazu Ä (tsiaj-mise-ni tatsi-ire-
do I kata-no gotoku-no ^^ ^S, (gun'kiaku)-ni \ jasurb tokoro-mo
arazare-ba \ ika-ga-wa sen-to tatazumu-wo \ o-sen-tva köre- wo
mi'kane-tgutsu \ ito semaku-to-mö itoi-naku-ba \ koko-ni jasuma^e-
tamaje tote \ loaga mi sukosi kata-je-je jore-ba \ ona-wa koto-ni
jorokobi-te \ o-tosi-wakaki-ni jasasi-ki wo-kotoba \ wa-nami-xoa to
are kore-no mv^ume \ fisoM-ku jami-si notsi nare-ba \ sibaraku
kata-je-wo kan-te tabe-to \ musume-wo-Tno ikowasete \ onore-mo
kata-kosi utsi-kake-tsutsu \ kono won-tsut^umi-wa jukata naran \
wa-nami-ga motsi- si-mo jukata nare-ba \ name-ge nare-domo
kaJcn sen-to.
Um diese Zeit traten auch ein Mädchen, welches zweimal
neun Frühlinge nicht überschritten haben konnte, und eine
sechzigjährige alte Frau, welche die Mutter zu sein schien und
802 Pflsmftier.
in einer Hand ein Tuchbündel hielt, in die nämliche Thee-
bude. Da jedoch für die gewöhnlichen Gäste kein Ruheplatz
war, blieben sie, nicht wissend, was sie thun sollten, stehen.
0-sen, welche dieses nicht sehen konnte, sagte : Der Raum ist
wohl sehr eng, doch wenn es euch nicht zuwider ist, so ruhet
hier aus. — Hiermit rückte sie ein wenig auf die Seite. Die
alte Frau, besonders erfreut, sagte: Bei eurer Jugend ein
liebenswürdiges Wort! Bei mir habe es sein Bewenden. Dieses
Mädchen hier ist lange Zeit krank gewesen. Möget ihr eine
Weile sie an eure Seite lassen. — Indem sie das Mädchen
ausruhen liess und sich selbst zur Hälfte niedersetzte, sagte
sie: Dieses Bündel wird das Sommerkleid sein. Da auch ich
ein Sonnenkleid mitgebracht habe, so werde ich, obgleich es
unartig ist, es so machen.
O-sen-ga tsutsumi-to kasane-oki \ säte itsu-ni kawaranu nigi
kana. Wa-nami-mo mu-so-zt-no jowai-wa ki-fure-do \ ima-mo
odon-fca omo-sirosi. Sare-do acuu-ga-ni tori-ni fctdzi-te \ kono
futa-tose-mari mizari-fd-ga \ kore-no musume saJci-tsv. tosi-jori \
nant-wa-no kata-ni mya-dzukaje-se-ai-ga \ sugi-ni-si koro-jori
najami ari-te | ije^-ni kajeri-te -^j^ ^ (fo-jbj-fuisi \ jh-jaktt-ni
najami-mo lookotain-si-ga \ ßsasi-bwi-ni odori-wo mi-t^ui-to | lü-ga
mani-mani-ni ^ (nta-dzi^wa sttki \ wakaki toki-ni-wa waga
mure-no \ — • (itn)'to jobare-si odori-no J^ -^ (ziö-dzu) \ atcare
ko-joi'Wa te-wo furite \ mtikctsi-no -^ jjjj^ (diHrrenywo J^ (siü)-
ni simesan. Ko-wa mala ai-dzu-no ososa-wa.
Hiermit legte sie es über das Bündel 0-sen*8 und sagte:
O eine niemals veränderte Lebhaftigkeit ! Ich habe das sechzigste
Lebensjahr überschritten, doch noch jetzt ist der Tanz angenehm.
Indessen schäme ich mich doch meiner Jahre und habe ihn
durch diese zwei Jahre nicht gesehen. Dieses Mädchen hier
verrichtete in früheren Jahren in Nami-wa den Dienst des
Palastes. In einer verwichenen Zeit ward sie von einem Leiden
befallen. Sie kehrte nach Hause zurück und pflegte sich. Ihr
Leiden hat sich kaum gebessert. Indem ich schon lange Zeit
sagte, dass ich den Tanz sehen wolle, findet sie daran Gefallen.
In ihrer zarten Jugend war sie eine geschickte Tänzerin,
welche in ihrer Schaar die Einzige genannt wurde. Ach heute
Abend wird sie die Hände schwingen und ihre ehemalige
Du Haut einet SUtthalttrt ron Ftfi-ma. 303
Geschicklichkeit Allen darthun. Dieses ist auch eine Langsam-
keit mit dem Zeichen.
Towazu-gatari-mo oi-no kuse \ o-sen-wa joki-ni asiraje-do \
mimi-ni'Wa sara-ni iri-ai-no \ kane-no fibiki-ni ^^ ^j| (gun-zih)
ijamcui \ ^ J& (ei-tobj-ei-wh wosi-b utsi-ni \ te-nugui-nite
omote-wo tstitsumi-si futari-mi-tari-no \ saburai kono ^ (sa)-
mise-wo sasi-nozoki \ seki-barai-site juki-mgure-ba \ teo-kv^rh-wa
tsvrto tatte omote-no katn-ni tatsi-ide-tari.
Ungefragt sprechen ist die Gewohnheit alter Leute. 0-sen
behandelte sie zwar gut, doch in dem Ohre wiederhallte völlig
der Ton der Qlocke des Sonnenuntergangs. Während die an-
gesammelten Schaaren immer mehr unter Freudenrufen sich
drängten, spähten zwei bis drei Kriegsmänner, welche das
Angesicht mit Taschentüchern verhüllt hatten, nach dieser Thee-
bude und gingen hustend vorüber. Te6-ku-rö erhob sich rasch
und trat an der äusseren Seite hinaus.
O-sen-toa kanete moto-faru-ni \ ^^ *^ (b'8e)-no 3j|J Äff
(zia'ma)'7io ted-ku-rb-ga \ idzutsi-je-ka juki-si kono ßma-ni \ faja-
mo ai-dzu-no are-kasi-to \ kokoro isogeru wori-kara-ni | jb^aku
sonaje-ja totmioi-ken \ ai-dzu-no iai-ko-no kikojure-ba \ suwa-ja-to
i'i'Uuisu ffijr ^C^ (su-senj-no ^^ d^ (gun-ziü) \ wäre saki^ni
ißosi-ai tsuki-ai \ arasoi j^ B (ki-do^ni iran-to su.
Während Teö-ku-r6, früher für die Zusammenkunft mit
Moto-faru ein Hinderniss, irgend wohin gegangen war, hatte
0-sen, wünschend, dass das Zeichen bereits gegeben werde,
im Herzen Eile. In diesem Augenblicke — man mochte die
Vorbereitungen endlich getroffen haben — hörte man die das
Zeichen gebende Trommel. Mit dem Rufe Ah! wollte eine
angesammelte Schaar von mehreren Tausenden, einer dem
anderen voran, unter gegenseitigem Drängen, gegenseitigem
Stossen, wetteifernd in das Festungsthor eintreten.
O-sen-wa tobiAat^u uresi-aa-ni \ kokoro-bakari-wa fajare-
domo I 8(i8u-ga ^j^ ^j| (gun-ziüj-no kastko-sa-ni \ ika^ga-wa aefi-
io tatnerb tokoro-je ted-ku-rb-toa fasiri-kitari \ ima kanata-made
i'Suke-no ki-mtm-te | ki-do-gutsi-wa koto-n^ abunasi \ figasi-no
kutsi-je mawari'tamfije Ißsoka-naru iri-kutsi-ni a-nai-dts ' ^ bJ
fsb'z{)'no sa-ziki-je ire-mbsan \ sare-do o-ozn-wa nari-gatasi.
Kon-motx>-8ih'Wa ato-jori ki-mase \ wa-nuai fitori M| (zib^wo 'fi
304 Pfiimaier.
(gu)'9i I isogi ku^besi-to i-i-tari-si \ i-suke-ga kanata-ni matsi-te'
ka aran \ fajaku'fajaku-to ira-daUure-ha \ o-sen-toa ^ BJ (sh-
ziyno sa-ziki-to kiki \ on-mi-ra ato-jori ki-mase-to \ isami-jorokobi
ted'ku-rb-ga | a-nat-ni tsurete fasiri-juku,
0-sen, in ihrer auffliegenden Freude, war im Herzen
schnell entschlossen, doch in ihrer Scheu vor den angesam-
melten Schaaren wusste sie in der That nicht, was sie tbun
solle und zögerte, als Teö-ku-r6 gelaufen kam und sagte : Jetzt
ist bis dorthin I-suke gekommen und sagte: Das Festungs-
thor ist besonders gefahrlich. Wendet euch zu dem östlichen
Thore. Ich werde sie zu einem geheimen Eingang fuhren
und in den Altan des jungen Sohnes treten lassen. Es
dürfen jedoch nicht Mehrere sein. Die Aufwärterinnen mögen
nachkommen. Ich werde allein das Fräulein begleiten und
eilig kommen. — I-suke wird wohl dort warten. Schnell ! schnell !
— So sagte er ärgerlich. Als 0-sen von dem Altane des
jungen Sohnes hörte, sagte sie : Kommet nach ! — Muthig und
voll Freude lief sie unter der Führung Teö-ku-rö's fort.
Ato-ni kos^i-moto-ra-wa kutsi-gtitsi-ni j msi-jori iran ßgasi-
ka jukan-to \ sazameki-nagara fitori-no kosi-moto \ ko-wa fu-ro-
siki-dzutsumi-no kawari-si-wa \ saki-no ona-ga tori-tsigafe-si-ga \
■^ "ft (sekkaku) to-ja kb fM (zibj-sama-no \ kokoro-wo tsukusi-
tamai'taru jukata-wo \ sono mama sasi-okan-wa \ mina wart-
ivare-ga otsi-do nari, Kano -^ -^ (bo-stj-dzure-mo foka-ni-wa
arazi j fajaku nisi-gutsi-jori wake-iri-te \ tori-^nodosi-te o- jfi (zib)-
ni mesasen \ sa-nam-sa-nari-to kosi-moto-ra \ utsi-tsure J^ fjff
(ha-sio^ni faairi'jvki'taru
Während die nachfolgenden Aufwärterinnen mit einander
flüsterten und sich fragten, ob sie von Westen eintreten werden,
oder ob sie nach Osten gehen werden, sagte eine Auf Wärterin :
Das Tuchbündel hier ist verwechselt. Die alte Frau von vor-
hin hat es aus Irrthiun mitgenommen. Das Sommerkleid, auf
welches das Fräulein jedenfalls die grösste Sorgfalt verwendet
hat, so zurücklassen, wäre von unserer Seite ein Vergehen,
Jene Mutter und ihr Kind können sich nicht aussen befinden.
Wir werden schnell durch den westlichen Eingang eintreten,
es zurücknehmen und es dem Fräulein anziehen. So sei es, so
sei es! — Die Aufwärterinnen liefen mit einander nach dem
Platze fort.
Du Hans eiae« Statthalten Toa Puri-ma. 305
Jutaka-naru -^j^ (jo)'no sirvsi tote \ ^ ^^ (tsi-joj-no
fazime-no fatsvrodori \ madzv^wa i^ (matauyzaka koje-tari-to \
^ "tft ("fni-joJ'WO JUJ (siukuj-se-si ßna-btisi-no \ ko-e ito ^
(aja)'ni utbre-ba \ ari-ja kori-ja-to ko-e soroje \ ot-mo wakaki-
mo osi-nahete \ te furi kosi furi mi-wo aja-^aai \ takumi-naru
ari "jf^ 'Jj^ -^ (fii-bib-si) ari \ ono-ga sama-zama odoreru-wa \
geni wosamareru o-o-mi- jti^ (jo)-wo \ tftutsi-kure-wo ntte jorokobu-
ni koto-fiarazu \ ube-mo fatsu-aki-no ^ (mi)-mono nari-keri.
Man sang in sehr kläglichem Tone die gemeine Weise,
durch welche man das erhabene Zeitalter feierte: Des gedeih-
lichen Zeitalters | Zeichen damit es sei, | des Anfangs der
tausend Zeitalter | erster Tanz | zuerst die Bergtreppe der
Fichten | er überschritt. — Mit dem einstimmigen Rufe: Es
ist es! Dieses ist es! bewegten Alte und Junge insgesammt
die Hände, bewegten die Hüften, stellten den Leib seltsam.
Es gab deren, welche kunstreich waren, es gab deren, welche
den Tact nicht hielten. Indem auf eigene Arten getanzt wurde,
war es in der That nicht anders, als ob man über das ge-
ordnete hohe Zeitalter, einen Erdkloss schlagend, sich freute.
Es war fuglich eine Sehenswürdigkeit des Anfangs des Herbstes.
Koko-ni sato-mi i-svke "j^ — • (tctka-katsuj-wa \ furu-ta
ten-zen-ni kofoba 2^ (jaku)'»{ \ aka-fsuki-no A Bj^ (kd-faiywo
iikegai-si-jovi sama-zama kokoro-ioo kunisime-si-ga \ fofe-mo W ^
(sb'Zi)-no moto-faru-ga \ Ä^ ^E (ai-dziakuyno 'j^ (nefii)-no tatsi-
gafaki-too 3& (sas) si \ fu-bin-nagara-mo o-sen-wo SS (gaij-si ;
viajoi-no tane-foo \ nozokan mono-to \ onazi-ku da-te-naru jukafa-wo
4^ (tsiakuj-si I te'7mgui'mte ftdcaku omote-wo tsiitsumt \ odori-
ko-ni magire tomo-ni fe-wo fuH \ knuaia-konaia^to sagwu-to ije-
damo I 1^ -^ (susenj-no yji^ ^^ (rb-niakn)-m fedaterave ( katsii-
te o-sen-ni ide-awazu,
Sato-mi I-suke Taka-katsu, nachdem er Furu-ta, dem
Vorgesetzten der Speisen, das Versprechen gegeben, und Er-
hebung und Sturz des Hauses Aka-tsuki auf sich genommen,
quälte sein Herz auf allerlei Weise. In Betracht, dass es
jedenfalls unmöglich sei, die Liebesgedanken des jungen Sohnes
Moto-faru abzuschneiden, wollte er, so leid es ihm auch that,
O-sen morden, die Saat der Verirrung wegschaffen. Er zog
daher ein eben so verziertes Sommerkleid an, verhüllte mit
einem Taschentuche tief das Gesicht und bewegte, unter die
Siteungiber. d. phil-hist. Ol. LXXXYII. Bd. I. Hfi. 20
306 PfiBm»i«r.
Tänzer gemengt^ mit diesen zugleich die Hände. Obgleich er
hier und dort suchte, war er, durch mehrere Tausende alter
und junger Leute getrennt, 0-sen nicht begegnet.
I'Stike o-oi-ni kokoro-wo iratsi \ mosi kono toki-wo sugosi-
na-ba | kasanete wori-wo u-be-karan-to \ nmco-mo aUi-kotsi saguni
tokaro-ni \ o-sen-ga ^ ^ (ten-ziüj-ja koko^ni tsvki'ken \ — • ^
(iUai)'no wonna-tswe \ da-te-naru jvkaia tort-dori-no \ naka-ni
mi'oboje-aru da-te-mo-jb \ omote-fca te-nugui ma-buka-ni kite
sika-to swe-fo-wa mi-sadamene-do \ matsu^ni kakareru fudzi-nami
ko80 I magb kata-naki o-sen nare-ba \ i-suke ikor-de^ka jü-jo-sU'
beki I fu-bin-nagara-mo o-ije-no tame-to \ kutsi-ni ^ffi r^ (stb*me6)
fasiri'kakari \ Ulka-jori-sama-ni nuki-utsu-m \ o-sen-ga kata-saki
fi-wara-wo koke \ parari tH (8un)'to kim-sagure-ba \ atto tama-
giru ko-e-to fitosi-ku \ db-to nokke-ni tbruru-wo | okosi-mo tatezu
ßppusete I na-mu a-mi-da-butsu-to todome-wo sasu.
I-suke war sehr ärgerlich und dachte sich, wenn er diese
Zeit vergehen lasse, würde er nicht wieder eine Gelegenheit
finden. Während er nochmals hier und dort suchte, zeigte sich
— die von dem Himmel gewährte Langjährigkeit 0-sen's mochte
hier geendet haben — bei einer Gruppe Frauen, unter den
verschiedenen aufgezierten Sommerkleidern das als Zierath
dienende Blumenmuster, das er sich vom Sehen gemerkt hatte.
Ueber ihr Angesicht war ein Taschentuch tief gedeckt, und
er sah nicht mit Bestimmtheit, ob sie es sei, doch die an
Fichten hängenden Wellen der Färberröthe Hessen keinen Irr-
thum zu, es war O-sen. Wie konnte I-suke unschlüssig sein?
Obgleich es ihm leid that, sagte er mit dem Munde: Um des
Hauses des Gebieters willen ! und lief hinzu. In dem Augen-
blicke, als er sich näherte, das Schwert ziehend und schlagend,
führte er über die Schulter und die Kippen O-sen's herab
einen Hieb. Sie stürzte mit einem herzzerreissenden Schrei
zu gleicher Zeit rücklings zu Boden. Ohne sie aufzurichten,
zog er sie nieder und machte ihr mit den Worten: Namu
Amida-Buddha ! den Garaus.
A'fi kono ^ -^ (seo-dzio) \ mi-iii -^-^ S^ (itteti)'iw tsum
naki-mo i ^ ^ (seki-enj-wo moto-faru-to musuhi-si'-jori i ^ ^
(faku-zinj-no sita-ni ^ (metj-ico tsidzimu | köre j^ St (sitSJcu-
g6)'t0'Wa i-i-nagara \ fu-hin-to iü-mo amari ari. Sare-ba katawara-
no ß^ -^ (nan-nio) — • ^ (fito-me) miru-jori \ suwa ßto-gorwi-
Daa Haas eines Stottbalters Ton Pari-raa. 307
to iü fodo-nt I ||j|r j^ (su'sen)'no ^ ^ (gim-san) uro-taje-
sawaffi \ atcJca-mo kanaje-no waku-ga gotoku \ uje-wo sita-to
Ä flL (^ö'*-''«w)-*w. UtsutO'ni ^ ^ (keigo)'no tomo-gaTa-
no I kore-wo sidzumen-ni tajoH-naku \ bd-zen-to die i-tari-ai-ga.
Ach dieses junge Mädchen, das nicht mit einem Punkte
Schuld beladen, seit es das rothe Verhäitniss mit Moto-faru
geknüpft, schrumpft unter der weissen Klinge ihr Lebensloos
zusammen ! Nennt man dabei auch die Beschäftigung des
früheren Lebens, es ist mehr als beklagcnswerth. Sobald die
zur Seite befindlichen Männer und Weiber dieses mit einem
Blicke gesehen, riefen sie : Ah, ein Mord ! — Die aus mehreren
Tausenden bestehende Versammlung war bestürzt und auf-
geregt. Es war gerade wie ein siedender Kessel, und man
mengte das Obere mit dem Unteren. Die Wachen innen und
aussen hatten kein Mittel, die Ruhe herzustellen und waren
vor Staunen ausser sich.
Kono tokl i'suke -j^ Ä (dni-on) age \ }S j3t (rh-zekt)-
mono koso sato-mi i-fnüce-ga karame-tari. Mina-mina odm^oku koto
na-kare, Sare-do ^^ ^ (tat-sanj-wa ono-ga mani-mani \ kokoro-
ioo sidzume 'ß ^ (ke-gayaurn-na-to \ jobawaru ko-e-ni ^ |Sj
(ge%'ko)-no ^ J^ (sto-si) \ ze-fi-wa sirane-do i-suke-ga ko^e-ni \
karame-fottaru-to kiku-jari-mo \ kono omomvki-wo S ^ f.^w"-
sanj-ni tsutaje \ sawagu-mazito-zo ^ (seij-sure-bn \ sukoni-wa
kore-^i sidzumai^-to ije-do \ mina ware-saki-ni kono J^ (ba)-wo
saran-to su,
I-suke erhob jetzt die Stimme und rief: Der Gewalt-
mensch Sato-mi I-suke ist gebunden. Qerathet nicht in Schrecken!
Indessen steht es Jedem frei, sich zurückzuziehen. Beruhigt euch
und machet keinen Schaden! — Bei diesem Rufe wussten die
wachehaltenden Kriegsmänner zwar nicht, was an der Sache
Wahres oder Falsches sei, doch sobald sie aus dem Rufe
I-suke's vernahmen, dass er gebunden sei, meldeten sie diesen
Umstand den Versammelten. Sie sagten, dass sie nicht be-
unruhigt zu sein brauchen, und wiesen sie zurecht. Obgleich
hierdurch ein wenig Ruhe eintrat, schickten sich Alle im Wett-
eifer an, den Platz zu verlassen.
I-anke-mo fisoka-ni ki-do-wo kugtiriide \ ^ "^ (ziö-ka)
fadzure-no ^ |g (kub-gm)'ni itari \ ktisa-mura-ni ^ (za)-wo
20*
308 Pfismftier.
simete \ fu-tokoro-gami-wo tori-idasi \ ja-tate-no sumuni kuro-
guro'to I ^ ^ (kwi'kaj-no tame-ni o-sen-wo ä^ (yaij-si ,
^ ^ (sb'zi)-no ^ ;|^ (bib'kon)-wo tatsi-taru amomuki j matta
^ -^ (tai'Hiü) J^ ^ (zib-ranj-no j& mr (ba-sioj-wo satoagasi
taumi-naki wonna-ico äS (gaijse-n tsumi \ tadatsi-ni seppuku-
tsukamatsuru'to \ kotoba-mizikaku »itatarne \ obi-tam katana-no
sage-o-nl jui-tsuke \ kono-uje-wa ^ä ^ (i-nefij-nasi j sa-koso
o^sen-no ware-wo uramin \ kono i-i-wake-wa jorni-dzi-ni nasan-to
saai'Zoje saka-de-ni tari-nawosi \ sude-ni fidari-ni tstiki-taten-to m,
I-suke schlüpfte heimlich durch das Festungsthor und ge-
langte zu der an dem Ende der Stadt gelegenen weiten Ebene.
In dem Grase sich einen Sitz bereitend^ nahm er Busenpapier
heraus und schrieb mit der Tinte des Tintenhorns ganz schwarz
mit kurzen Worten nieder, dass er um des Gebieterhauses
willen 0-sen gemordet und die Wurzel der Krankheit des
jungen Sohnes abgeschnitten habe. Für das Verbrechen, dass
er noch den Schauplatz, auf welchen der Statthalter blickte,
in Verwirrung gebracht, ein schuldloses Weib gemordet, schneide
er sich geradezu den Bauch auf. Er band die Schrift an die
Schnur des Griffes des umgürteten Schwertes. Dabei war
sein letzter Gedanke : So sehr wird O-sen mich hassen. Die
Erklärung werde ich in der Unterwelt geben. — Hiermit drehte
er das kleine Schwert um und wollte es sich bereits in die
linke Seite stossen.
Wori-kara ^ä ^ (rib-sanj-no waka-vdo-ra kowa-ddka-ni
katarai \ säte mugo-taru-siku kiri-si mono kana, Ai-te-toa sirane-
do kiraresi wonna-wa \ jJJ^ j/^ ^ (ko-tm-do^ga mura-no kano
odori'Zitki \ I^ ^L ^ (zin-go-zaj-ga baba-no musume nari.
Kano musume 'Zo mi-tose maje \ nani'Wa'WataH'no jasiki-to
jara-ni \ fo-ko nase-si-ni kmio faru-jori \ ^B ^ (bib-ki) nari
tote kajeri-isi-ga \ sadamete baba-ga suki-no odori \ musume-wo
tsurete jvki-si mono-ka. Kakaru ^ ^ Cfi'-goJ'ni ^ (d)'Su
nara-ba \ toku-mo jamai-ni slnuru kata \ ika-bakari-ka-wa masaru-
be»i, Sa-ni arazu-ja-io fokori-ka-ni jo-so-no aware-mo sira-nami-
no I ko-e-taka-daka-to fanasi-mote juku-wo.
In diesem Augenblicke führten zwei bis drei junge Männer
mit lauter Stimme ein Gespräch, indem sie sagten: 0 erbar-
mungslos niedergehauen! Der Gegner ist unbekannt, jedoch
Dm Haas einet Statthjüten von Fari-ma. 309
das Weib, welches niedergehauen wurde, ist die Tochter jener
Tanzfreundin, der alten Frau Zin-go-za aus dem hierher ge-
hörenden Dorfe. Jenes Mädchen hat vor drei Jahren auf einem
Grunde an der Durchfahrt von Nani-wa gedient und ist in
diesem Frühlinge wegen Krankheit nach Hause zurückgekehrt.
Wahrscheinlich ist die alte Frau zu dem Tanze, welchen sie
liebt, in Begleitung der Tochter hingegangen. Wenn man in
einer solchen Schuldlosigkeit stirbt, um wie viel würde es da
besser sein, schnell an der Krankheit sterben ! Ist es nicht so? —
Stolz, in fremdem Bedauern mit der lauten Stimme der weissen
Welle sprechend, gingen sie weiter.
I-9uke-wa kiku-jori ^& 4ff^ (gaku-zen)4o si \ masasi-ku ma-
zinufi-no da-te-jukata \ matsu-in fuzi-nami kakarxi-beki \ fito-
tagaje'to-wa ibukasi-to \ kokoro-madoi-te jaiba-wo sute \ akire-fafe-
taru usiro-jori \ nd i-suke-nusi o-sen koso ju-e atte saki-ni koko-
wo sari \ jodo-gawa-dzutsumi-wo kudari-tari. Fajaku ai-juki-
famö-besi. jM \^ (Tri-tstJ-se-ba tde-b koto katasL Faja toku-
foku'to isogase-ba i-avke-wa sute-taru jaiba-ioo wottori | sore-jatte-
wa-to iü mama-ni \ suso fase-wori-te kakeri-juku. Kono i-suke-too
isogasi'iaru-wa nan-mono-zo so-wa su-e-no maki-ni siraru-besi.
Sobald I-suke dieses hörte, entsetzte er sich und sagte:
Es war richtig das Sommerkleid mit den als Kennzeichen
dienenden Verzierungen. An Fichten sollten Wellen der Färber-
röthe hängen. Dass eine Verkennung stattfand, ist sonderbar. —
Verwirrten Sinnes warf er die Klinge weg und war vor Staunen
ausser sich, als hinter ihm eine Stimme rief; Herr I-suke!
O-sen ist aus einer Ursache früher von hier weggegangen und
den Damm des Flusses Jodo-gawa hinabgestiegen. Ihr könnet
ihr schnell nachgehen. Wenn ihr euch verspätet, ist es schwer,
ihr zu begegnen. Schnell, schnell! — Mit diesen Worten zur
Eile angetrieben, erfasste I-suke die weggeworfene Klinge. Er
sagte: Sie ist abgeglitten. — In demselben Augenblicke sprengte
er, den Saum des Kleides im Laufe brechend, fort. Was für
ein Mann es gewesen, der I-suke zur Eile antrieb, wird in
dem letzten Capitel bekannt werden.
Koko-ni |j^ ^ (kb'tari) ^ 3l ^ ßan-go-rbywa \ sugi-
koro M^ ^ (ri-kiHyno *£ "^ (sia-zeiij-nite \ taru-i-ga te-dai-
42d
310 Pfiinaier
teS-ku-rh-m tsikadzuki-fo nari \ o-sen-wo si-i-te motomen-to fakaru-
ni I jodo-gawa-nite ^ ^S (bu-raiyni iderai-si koro-jori \ aka-
tsuki" ^ (keJ'Tio ^ ^ (sb'zi) sai-zi-ro moto-faru-wo ;
(ke-nenj'si ßsoka-ni ^ ^ (kai-rbywo tsikai-taru-wo hki
f^ |fa (sin-tsiü) jaku-ga gotoku mala musu-ga gotoku \ ^ (wj-tio
fone-woH-site taka-no ^ff ^ (e'Ziki)'to \ sekkakn tahakari-te sei-
getsU'WO fiki-wake \ o-sen-wo J^ (sen-tsiUJ-ni oi-kome-si-wa \ wäre
mi'dzukara te-biki-nasi \ sai-zi-ro-ni me-awase-ai-ni koto-narazn,
Sono uje ^ fb (sui-tsiUyni waga famari-ai-wa \ kare-ni iwai-
no midzu abuse-wo \ wäre mata kawari-si kokotsi-site \ ^l ^
(ren-boj-ni urami utsi-kasane \ onore sai-zi-rS-ni fana akaaen-to I
teo-ku-rh'WO fita-aura tanome-ha \ moto-jori Ä 5|s|) (^-no rij-wo
taunori-muaabo^'u,
K6-tari Ban-go-r6 war in den vergangenen Tagen vor dem
Altäre des getrennten Palastes mit Teo-ku-rö^ dem Haupt-
bediensteten des Hauses Taru-I, bekannt geworden und überlegte,
wie er 0-sen mit Gewalt erlangen könne. Seit der Zeit, wo
er ihr auf nichtswürdige Weise an dem Flusse Jodo-gawa be-
gegnet war, hörte er, dass sie an Sai-zi-rö Moto-faru, den
jungen Sohn des Hauses Äka-tsuki, ihre Gedanken gehängt
und heimlich den Schwur des gemeinschaftlichen Alterns gethan
habe. Im Herzen war es ihm, als ob es brennte, es war auch
als ob es dünstete. Er sagte sich: Indem ich, mit der An-
strengung des Wasserraben, mit der Lockspeise des Falken
mühevoll betrügend, Sei-getsu wegzog, 0-sen in das Schiflf trieb,
ist es nicht anders, als ob ich selbst sie an der Hand geführt
und an Sai-zi-r6 vermalt hätte. Indem ich überdiess in das
Wasser tauchte, liess ich ihn das Wasser der Festlichkeit ver-
giessen. Mit einem Gefühle, als ob ich ebenfalls verändert wäre,
hat bei der Liebe der Hass sich verdoppelt. Ich werde Sai-zi-ro
die Nase röthen. — Dabei vei-liess er sich gänzlich auf Teo-ku-rö,
und dieser begehrte im Grunde mehr Ehre und Nutzen.
Ted-ku-rb iro-iro moku-^'omi nasi \ |K| (nanj-naku odari-
ba-ni I o-aen-wo fakari \ kanete jo-i-no kago-ni woai-komi \ tote-
ni joko-ni foeo-nawa-mote kukuri \ fan^go-rö ^ :^ (aiü'ziü)'ni
wataaure-ba | fi-nezumi-no kawa-wo je-ai kokotai-nite \ kago-
^ JSi (n^'f^'^okuj-wo wottate-wottaie \ jodo-gawa-dzutaumi-ico
ma- — » ^ ^ (itat-mO'Zi)'ni \ -j^ "Jj^^ (nagara)'Watar%-ni küari-
Dfta Hmm eines Statthalters von Fari-m». 31 1
taru-ni \ oi-kurtt mono-mo arazare-ba \ sukosi kokoro-wo jcuun-zi-
UuUfu I fiio-iki foito tsugi-taru-ni \ teo-ku-rh-wa kanete-no moku-
romi I siü^bi joku J^ ]j^ (zib'ziü)-8e'Si uje-wa \ ikkado-no fo-
hi'wo musaboran-io | kago-ni »iri-je-ni fase-kitari \ onazi-ku iki-
wo tsugi'tsutsu'fno \ migi-te-ni ase-wo on-nugui Ifidari-de-ni hgi-
no jabururu made \ utsi-bgi-tsutsu sa-koso kata-kata \ o-o-kata-
narann ^ fljjf (^n-ku) narame. Sare-do man-morto fakari-ose \
fan-go-rö-iiitsi-no jSfi Jß (man-zoku)-8i-tamawan.
Te6-ku-rö machte allerhand Entwürfe. Er berückte O-sen
ohne Mühe auf dem Tanzplatze, schob sie in eine bereit ge-
haltene Sänfte, band diese in die Länge und Quere mit dünnen
Stricken und brachte sie zu Fan-go-ro und dessen Gefährten.
Ban-go-ro, mit einem Gefühle, als ob er das Fell einer Feuer-
ratte erlangt hätte, die Tr^er der Sänfte immer weiter treibend
und in gerader liinie an den Damm des Flusses Jodo-gawa
sich haltend, gelangte zu der Durchfahrt von Nagara. Da keine
Verfolger nachkamen, schöpfte er, im Herzen ein wenig be-
ruhigt, einmal Athem. Teo-ku-rö, der den früher entworfenen
Plan vom Anfang bis zu Ende gut ausgeführt hatte und den
überdiess nach einer vorzüglichen Belohnung gelüsten mochte,
kam hinter der Sänfte dahergelaufen. Zu gleicher Zeit Athem
schöpfend und mit der rechten Hand sich den Schweiss trocknend,
mit der linken Hand, bis der Fächer zerbrochen wurde, sich
ffLchelnd, sagte er: So wird jedes Einzelne eine nicht unbe-
trächtliche Mühe sein. Indessen möge man es vollkommen
prüfen. Der Herr Ban-go-r6 wird zufrieden sein.
Ban-go-ro-wa atari-xco mite i kaburl-si te-nugui sukosijurume \
on-mi-ga -^ J^Qj (8iü'dan)'ni arazare-ba | 66 -fj^ (o-teki) ika^de
waga te-ni iran. Kono jorokobi-wa ^ (si)-to-mo wasurezi-to !
bffi-sasi'taru ono-ga hgi-wo \ isogawasi-ge-ni motsi-kajete | ted-ku-
ro-wo hgi ^ (rd)'Wo ^dk (8ia)'se-ba \ ted-ku-rb sono te-wo todome \
sa-na j^ \^ (jü'jü)-taru toori narazii, Ima-ni-mo otte-no kakari-
tara-ba \ §|| (red)-wo e-gaki-te me-wo irezaru-ga gotosi, Toku
idzutai-ni-mare isogi-tamaje.
Ban-go-r6, umherblickend; lockerte ein wenig das Taschen-
tuch, mit welchem er sich bedeckt hatte, und sagte: Wenn
deine Veranstaltung nicht gewesen wäre, wie könnte das ge-
suchte Weib in meine Hände fallen? Die Freude darüber kann
312 Pfismaier.
ich auch im Tode nicht vergeflsen. — Dabei drehte er den
eigenen Fächer, mit dem er sich zu fächeln aufhörte, eilig im
Griffe um und fächelte Te6-ku-r6, ihm für die Mühe dankend.
Teo-ku-rö hielt ihm die Hand zurück und sagte: Es ist nicht
die Zeit, in der man so sorglos ist. Wenn jetzt die Verfolger
herankommen, ist es, als ob man einen Drachen gemalt und
die Augen nicht eingesetzt hätte. Schnell ! Eilet fort, wohin es
auch seil
Ban-go-ro utsi-una-dzyki \ sa-narisa-nari kago-no mono \
ima fitO'iki-wo isogu-besi. Ki-gane-no saka-te-wo ath-heki-zo \
fajaku'fajaku'to ge-dzi-nase-ba \ so-wa ari-gatasi-to kago kaki-
age \ itsi-asi dasi-te fasiran-to su.
Ban-go-ro sagte kopfnickend: So ist es, so ist es! Sänften-
träger ! Ihr müsset jetzt in einem Athem eilen. Ich werde das
Trinkgeld in gelbem Golde geben. Schnell, schnell! — Bei
dieser Weisung erhoben die Träger mit den Worten: Dieses
ist schätzbar! die Sänfte imd wollten mit leichten Schritten
* enteilen.
TeS-ku-rb odoroki saki-ni fusagaH \ madzu matsi-tamaje
fan-go-rd-gimi \ sokka koso omd wonnorwo ete | ato-ni-wn nozomi
na-karu-besi. Wa-nami-wa kartete JR ^ (kei-neriyse-si \ fana-
wo mi'dzukara ta-wori-mo sede \ sokka-no te-ike-ni ncLse-d-xca
nani'ju-e-zo \ ima-no fl^ ^jf (zi-setsuj-m kake-uri kofmvari \ fatoi
go- ^ i& (kon-i) tsikadzuki-de-mo \ migi-to fidari-no 3E)J ^
(gen-kin) akinai. Sare-domo ware-wa umare-jete \ kokoro-jotvaku-
te anagaUi-ni \ iwanu iro-naru jama-buki-no \ fana-no sugata-too
mi-ma-fosi-to \ nikko-to warb j/jj^ |^ (dzi-zbj-gatvo.
Teo-ku-ro, erschrocken, stellte sich vorn in den Weg und
rief: Wartet vorerst! Herr Ban-go-ro! Ihr habt das Weib, das
ihr wünschet, erlangt, und später wird kein Begehren sein. Dass
ich die Blume, an welche ich die Gedanken gehängt hatte,
ohne sie zu brechen, durch eure Hand lebendig erhalten Hess,
aus welchem Grunde geschah dieses? In der gegenwärtigen
Zeit verkauft man nicht auf Borg. Gesetzt auch, ihr seid ein
freundlicher Bekannter, es ist rechts und links ein Handel
gegen baares Geld. Indessen bin ich von Geburt schwach-
herzig, ich möchte durchaus die Gestalt der Blüthen der Muss-
pflanze von nicht sprechender Farbe sehen. — Dabei hatte er
das lächelnde Gesicht der Erdkammer.
Dm Hau eines Statthalters tod Fari-ma. 313
Iwanuriro ,die nicht sprechende Farbe' ist die Farbe des
gelben Jasmins (kutsi-nan) und wird so genannt, weil kutsi-
nasi die Bedeutung ^mundlos' hat. Desswegen wird es auch
von der gelben Farbe der Blüthen der Musspflanze (jama-huki),
des Baldrians (womina-fesi) und anderer Pflanzen gesagt.
Banrgg-rd-wa utsi-unadzuki \ sa-na iwaztl-to-mo kono kudaH-
no I fone-toori fjfy Ä (ku-roj-wa aara-ni tvasurezi. Kuni-ni
hijera-ba sute-okade \ tomi-ni tsi-gane-wo okuru-heaL Sono sirusi-
ni'wa sugi-ni'si ß ije-ni tsutajerti iM^ |^ (fi-zhj-no sina-wo \
nandzi-ni adzuke-oki-taru koso \ kotoba-wo tagajenu sinisi nari-
k&'e. Koko-nüe ki-gane-wo ataje-taku \ om6 mono-kara miru-ga
gotoki , '^ pb (kuai-tsiü) aara-ni munasi-kere-ba , itsuwari aranu-
wa mono-no fu-no tsune \ ika-de sora-goto lü-be-ken, Fukaku
utagai-ajabumi-zo \ ga-ten-juki-si-ga utagai toke-si-ga \ sara-ba
isoge-to.
Ban-go-rö nickte mit dem Kopfe und sagte : So sage ich
wohl nicht. Diese Qual und Mühe kann ich durchaus nicht
vergessen. Wenn ich in das Reich zurückkehre, werde ich es
nicht unterlassen und schnell tausend Kobang schicken. Als ein
Zeichen 'dessen habe ich dir an einem verwichenen Tage einen
in dem Hause vererbten, im Geheimen aufbewahrten Gegen-
stand anvertraut. Es mag ein Zeichen sein, dass ich mein
Wort nicht breche. Ich wollte dir hier gelbes Gold geben.
Indem ich daran denke, ist, wie ich sehe, mein Busen ganz
leer. Nicht lügen, ist Gewohnheit des Kriegers, wie könnte
ich eine unbegründete Sache gesagt haben ? Der tiefe Argwohn
wurde verstanden, der Zweifel wurde gelöst. Also eilet!
Kaki-aguru \ kago-wo sika-to teo-ku-rh \ kotoba-mo kakezu
fiki-todome \ kukuri-si nawa-wo tokan-to sit. Fan-go-ro-wa ^^ ^j^
(gdku'Zen)-to si | ijj^E ^ (ked-kiynase-si-ga teo-ku-ro \ sono nawa
toka-ba tatsi-matsi-ni \ tonde ide-nan fina-no ko-tori \ mata toH-
nt'gasan kokoro-ni-ja-to \ tagajeru fan-go-rb totte tsuki-noke \ sude-
ni c-sen-wo fiki-idasan-to su, Fan-go-rb o-oi-ni ikari | kiki-wake-
nctsi'to teo-ku-rb-ga \ jeri-gami totte fiki-tbsi \ suwa kono fimorto
kaki'idasu.
Die getragene Sänfte, ohne ein Wort zu sprechen,
fest anhaltend, wollte Teo-ku-rö die Stricke, mit denen sie
gebunden war, lösen. Ban-go-r6, vor Staunen ausser sich,
dachte: Er ist wahnsinnig geworden. Wenn Teo-ku-ro die
314 Pfitmaier.
Stricke löst, wird das KtichleiD; der kleine Vogel plötzlich
herausfliegen. Oder geschieht es in der Absicht, sie entfliehen
zu lassen ? — Jener, den sich widersetzenden Ban-go-r6 fassend
und wegstossend, schickte sich schon an, 0-sen herauszuziehen.
Ban-go-r6, sehr zornig, ergrifi^ mit dem Worte: Unüberlegt!
Teö-ku-rö bei dem Kragen und zog ihn zu Boden. Mit dem
Rufe: Ach in dieser Zwischenzeit! trug man die Sänfte weg.
Kago-ni teo-kii-rh-wa sigami-tsxild \ matoka-naru me^wo muld'
idasi I -^ -^ (bu'siyni itsuwmn naki-zo-to-wa \ dono kutsi-wo
mote ijei'u naran. Mtisiime-too "Mf M (siil-bi) ^S] (joku) wafasi-
na-ha \ fone-icori-siro-wa nare-ga nozomi-ni \ atajen-to si-mo
itcazarU'ja. Ki-gane-ico je-maku omö-kara \ Ä M^ (faku-ßbj-ico
fnmu aja-nki waza-sife \ on-mi-no jfe Ä (fon-i)'WO toge-sase-
si-ni I kiini-m kajeri-te notsi-iii-to-wa sa-mo naga-naga-aiki jama-
doH-no I O'koto-ga kokoro-no mani^-mani-wa \ je-koso mata-mazi
ima-to iü \ ma-wo dani ososi fM-gane momo-gane | sore dani ono-
ga kokoro-ni tarazwha \ atara-siro-mono je-koso nritasazi.
Teo-ku-rö hielt sich an der Sänfte fest, machte die runden
Augen heraustreten und sagte : ,Das8 ein Krieger nicht lügt,
mit welchem Munde wird dieses gesagt werden? Habt ihr nicht
gesagt, dass, wenn ich das Mädchen ganz glücklich überbringe,
ihr mir eine Vergütung für die Mühe nach meinem Wunsche
geben werdet? Weil ich gelbes Gold zu erlangen wünschte,
unternahm ich eine Sache, welche gefahrlich ist wie das Treten
auf dünnes Eis, und Hess euch eure Absicht erreichen. Ihr
saget: Wenn ich in das Reich zurückgekehrt sein werde. Ich
kann nicht warten, bis ich es nach eurem Belieben, nach des
ewigen Bergvogels Belieben erhalte. Selbst den gegenwärtigen
Augenblick halte ich für spät. Tausend Kobang, hundert Kobang,
wenn ich damit eben nicht befriedigt werde, kann ich die
neue Waare nicht überbringen.'
On-mi-ga kuni-ni kajeri-jvki-te \ ki^gane totonoje ki-iamo
viade I siro-mono-wa onore adzukai^u. Kane^wa on-mi-no mono
siro-mono-tva ko-tsi-no mono \ tare-ka watasanu-wo ^k (^J-'wn-
to iü'beki. To-ni kaku miisume-wa ite koso kajere. Kakaru on-
mi-ga J^ ^ (dztü-daij-mo \ ware-ni ^^ (jekiynaki kono ko-
dzuka I sara-ba kajesu-to iü niama-ni j kata-je-ni fata-io utsi-sute-
tsutsu I nawo-mata kago-wo ßrakan-to su.
Dftfl Hau •ioM StotthAlten Ton rari-ma. 315
^Bis ihr, in das Reich zurückgekehrt, gelbes Gold her-
schaffet und kommet; bleibt die Waare mir anvertraut. Das
Geld gehört euch, die Waare gcihört mir. Wer könnte sagen,
es sei unrecht, dass ich sie nicht überbringe ? Jedenfalls werde
ich mit dem Mädchen heimkehren. Eine solche von euch die
Geschlechtsalter hindurch aufbewahrte Sache, den für mich
nutzlosen kleinen Stiel, ich gebe ihn also zurück.' — Indem
er dieses sagte, warf er den Gegenstand bei Seite und schickte
sieb noch immer an, die Sänfte zu öffnen.
Ban-go-rb nani omoi-ken omote-wo jawarage nare-ga kotoba
toki-te Jl^ (ri) ari. Ware — • "« (fitO'koto)'no ^ ^ (tsin-zia)-
mo nasi. Sara-ba inia sukosi jnki-te \ nani-wa-no kata-ni itari-
na-ba \ ki-gane motomen josu-ga-mo ari, Tote-mo ^ ^ (ku-ro)-
no isui-de-nite \ kano tokoro-mcuJe ajvmi'kure-jo. Teo-ku-rb-wa
utsi-fowo-emi \ ki-gane dani mi-ni tsuku kofo nara-ba \ uayii-ica-
tca oroka minn moro-kosi ^ 4A (ien-dzikn) ^ 5J|$ (d-naj-wo-
mo fowo9i-to sezu. Sara-ba kago-no ^S (siil) isoge-iro-to.
Ban-go-rö — er mochte etwas gedacht haben — nahm
eine ruhige Miene an und sagte: Wenn ich deine Worte er-
kläre, hast du Recht. Ich habe nicht ein einziges Wort zur
Entschuldigung. Ich werde also jetzt ein wenig weiter gehen,
und wenn ich zu der Seite von Nani-wa gelange, habe ich
Mittel, gelbes Gold zu erlangen. Gehe jedenfalls, nach Maass-
gabe der Mühe, bis zu jenem Orte mit. — Teo-ku-ro erwiederte
lächelnd: Wenn es nur der Fall ist, dass mir gelbes Gold
zusteht, so halte ich, von Nani-wa nicht zu reden, auch die un-
gesehene westliche Erde, Indien und China, nicht für entfernt.
Eilet also, Leute der Sänfte !
Toi'taru nawa-wo fiki-musubi koko-wo sime kasiko-wo ßke-
clo I ju-dan-wo mi-sumasi nuki-uisi-ni \ teo-ku-rb-ga kata-saki
— > t|" (san-sunj-bakari \ zu-ba-to kire-ba atto sakende tbre-sama \
fan-g(Hrb'ga asi-ni sigami-tsuki onore fone-wori-fdro-wo ubawan-
to Jotoke-ni tsikaki teo-ku-rb-wo damasi utsi-to-wa ^ j^ (fi-
keo) nari, Ja-jo kono watari-no fito-hito-jo \ ide-ai-tamaje fito-
gorosi'fo I wameki-nagara-mo ban-go-rb-ni \ tsukami-kakaru-too
si'jatsu ^ -^ (men-doj-to furi-fodoki-sama eguru fi-bara \ ^
(siHJ-wo uri-tani -J^ 'S (ten-batauj-no \ ika-de nogaren
P3 ^ A ^ (W-/«<-/aÄ:Ä:/t) | ^ ^ (kO'kü)'WO tsukande Jj^
f8i)'St'tari'k€i'i,
316 Pfixmaier.
Hiermit band er den gelösten Strick zusammen und war,
obgleich hier schnürend, dort ziehend, sorglos. Jener bemerkte
dieses. Das Schwert ziehend und zuschlagend, hieb er die
Schulter Teö-ku-rö's drei Zoll tief ein. Mit einem Schrei zu
Boden fallend, hielt sich Te6-ku-r6 an dem Fusse Ban-goro'ß
fest und rief: Um den Lohn für meine Mühe zu entreissen,
den nahe an Buddha stehenden Teö-ku-r6 betrügen und tödten,
ist das Ende. Leute, die ihr an dieser Durchfahrt seid, kommet
herbei! Ein Mörder! — So schreiend, wollte er sich an Ban-
ge-rö mit den Händen anhängen. Mit den Worten: Der
Mensch ist lästig! schüttelte ihn dieser ab und hatte ihm in
demselben Augenblicke die Seite der Rippen ausgehöhlt. Wie
sollte der Himmelsstrafe dafür, dass man den Vorgesetzten
verkauft hat, zu entkommen sein? In vierfacher, achtfacher
Qual ergriff Te6-ku-rö den leeren Raum und starb.
Zu-ha-to kiru ist so viel als zuppari-to kiru ,mit Heftigkeit
durchhauend Es soll ein Wort der gewöhnlichen gesprochenen
Sprache sein.
Ban-go-rh-wa atari-wo mi-mawasi \ ^^ |K (kin-zo) ^ ^
(un-feij-ra-ni si-gai-wo kakusasime \ furm-ononoku kago-kaki-tco
Jobi'te I kano kago-wo kaki-age-saae \ itsi-asi-dasi-te fasircm-to
stiru-ni \ kata-je-no Bf ^ (asi'ma)-joii ßtori-no mono-no fu
araware-idzuru-to mije-taru-ga sono mama kago-no ^^ m, (^o-
bana) oeaje \ JZl J (ni-tchj-tatsi-m-zo tattaH-keru. Köre nan-
bitO'ZO sato-mi i-suke taka-itsu nari.
Ban-go-rö, rings umherblickend, Hess durch Rin-zo und
Un-fei den Leichnam verstecken. Er rief die zitternden Sänften-
träger, Hess jene Sänfte emporheben und wollte mit schnellen
Schritten enteilen, als zwischen dem zur Seite befindlichen
Schilfrohr ein Krieger hervorzukommen schien. Derselbe drückte
sogleich das Ende der Sänftenstange nieder und stellte sich in
der Haltung der zwei Könige vor ihn hin. Was für ein Mensch
war dieser? Es war Sato-mi I-suke Taka-itsu.
Ban-go-ro-wa — • ^ (ikkeSJ-se-si-ga \ ^ 1^ (mu-tai)-
ni kago'WO osi-jartt-ni \ i-suke-mo ^^ p||J ^ (kon'gb^ki)'^^)
idasi \ korO'korO'to osi-modose-ha \ kin-zo un-fei kago-no mono
ßtosi'ku kago-wo utaUotosi \ sirl-je-ni do-to thre-fusu.
Dm Hans •taes Stftttküten ron Fari-ma. 317
Ban-go-rö war erschrocken. Er schob mit Gewalt die
Sänfte fort, doch auch I-suke entfaltete die Kon-g6kraft und
drängte ihn heftig zmück. Kin-zö, Un-fei und die Sänften-
träger Hessen gleichzeitig die Sänfte fallen und stürzten rück-
lings zu Boden.
Ban-go-rb o-oi-ni ikari \ nandzi nani-mono nare-ba ^ ^^
(fu'i)-ni ide-kite \ waga j^ ^ (wb-rai)-wo samatagen-to suru-
ja, I-stike ^ ^J\ (kuan-zi)'to utsi-warai | ware-wa aka-t^uki-ke-
no asi-garu-ni \ sato-mi i-suke-to iü mono nai-i, Ju-e atte saki-joi-i
ukagcd ^ ^t (si-matsn) koto-goto-ku ^ pS (mi-monyseri,
Mata kono kago-nai-u wonna-ni-wa \ wäre sukosi-no ffl (j6)
are-ba I B. <^ (i-gij-naku wa-nami-ni tcatasu-besi. Most ajamatle
majori'Wo tori wonna-wo watasazi-to suru nara-ba | wäre nandzi-
ra-wo itaku korasan. Fajakn wonna-wo idase-jo-to.
Ban-go-r6, sehr zornig, rief: Was für ein Mensch bist
du, der du unverhofft hervorkommst und meinem Gehen und
Kommen hinderlich sein willst? — I-suke lächelte und sagte:
Ich bin ein Fussgänger des Hauses Aka-tsuki und heisse Sato-
mi I-suke. Aus einer Ursache habe ich vorhin gespäht und
alles vom Anfang bis zu Ende gesehen und gehört. Da ich
ferner das in dieser Sänfte befindliche Weib ein wenig brauche,
so wird man sie mir ohne Widerrede ausfolgen. Wenn man
eine Irrung annimmt und thut als ob man das Weib nicht aus-
folgen dürfe, so werde ich euch alle empfindlich züchtigen.
Schnell, gib das Weib heraus!
Kiku'jo^'i ban-go-rh *ß ^ (fun-zenj-to site \ kanete kiki-
ojobu sato-mi i-suke \ manekazaru-ni jokn ^ j/j^ (si-tsij-ni
kitareri. Ide-ja o-aen-wo watasi-jaran , aore-to p^ J^ (red'si)-ni
me-kubase-sure-ba kin-zb nn-fei tsit-to tatsi-joH kobusi-wo katamete
7^ yb (sa-jüj-jori i-sttke-ga g^ J^ (dzu-zeo)-wo utte kakare-ba \
i'Suke sukasazu mi-wo ßraku-ni \ tsikara-amari-te kin-zb un-fei \
kata-mi-ni omote-wo ^ -^ (do-si) uttd-ai \ ^ J^ (reo-si) ikatte
muna-^noto kosi-giwa '^ ^ {zen-go)'^i wakarete sika-to torii.
Sobald Ban-go-rö dieses hörte, entgegnete er aufgebracht:
Sato-mi I-suke, von dem ich schon gehört habe, wurde nicht ge-
beten, er ist auf dem Boden des Todes willkommen. Wohlan ! Ich
werde O-sen ausfolgen. So! — Hiermit richtete er den Blick auf die
beiden Kriegsmänner. Kin-z6 und Un-fei erhoben sich sogleich,
318 Pfiimaier.
ballten die Fäuste und begannen^ von rechts und links auf
das Haupt I-suke's zu schlagen. I-suke, unmittelbar sich er-
schliessend, schlug mit übermässiger Kraft die Angesichter
Kin-zö's und Un-fei's aneinander. Die beiden Kriegsmänoer,
zornig, erfassten ihn, nach vorwärts und rückwärts sich
trennend, fest an Brust und Hüften.
I-Buke 1j^ ^ {hi-8ed)-si. sitoorasi-ja-to \ muna-moto tm-si
tm-fei-ga | ^ide-kuhi sika-to ta-nigire-ha ffit (miaku) saje taje-
faru kokotsi'site \ masasi-ku ^ |ß| (en-koj-ga furi-sagam-ga
gotoku I tsuri-age-nagara mi-gi-de-mote usiro-ni tori-tsuku ^ ^
(fatsvrse) kin-zb \ ohi-giwa totfe usiro- ^^ r?^>)-wi | fatta-fo ^
(ke) re-ba fvsi-marobv-wo \ okosi-mo tatezn J^ "7C (sokkaj-ni
fume-ha I ataka-mo midzu-xco ojogn-ga gotoku te asi-wo mogakn-
wo han-go-ro |J^ "^ (gan-zen) ^ -£- (ribsi)-ga tfi-gome-^o
ari'Sama \ mi-kanefe usiro-je mawaru-to fitofti-ku \ ^^ -Jl^ (d^n-
kub) ina-dzuma nuki-ritsi-ni ' i-suke-ga kata-saki h'ri-t»iJcurU'WO
8a sittaru-wa-to snto-mi i-suke firari-to kawase-ba "^ |^ Q'oii-
^^) %J iü (fafsu-se) I mi'tari ßtosi-ku nuki-tsurete \ kanaje-no
gotoku ^ H^ (aan'hb)'jori kitte kakare-ba jamu koto-tco jezn
isuke-mo onnzi-ku katana masaguH \ mi-tari-wo ai-te-ni kiri-
musubn.
I-suke lächelte. Mit dem Rufe: O herrlich! erfasste er
mit festem Griffe das Handgelenk Un-fei*s, der ihn an der
Brust ergriffen hatte. Während dieser ein Gefühl hatte, als
ob die Adern nur zerrissen wären, hakte er ihn gerade einem
sich herabschwingenden Affen ähnlich auf, erfasste dabei mit
der rechten Hand das Gürtelende Fatsu-se Kin-zö*s, der ihn
rückwärts festhielt, und trat ihn, nach rückwärts mit dem
Fusse ausschlagend, nieder. Den zu Boden Fallenden nicht
aufstehen lassend, trat er ihn unter den Füssen. Gerade als ob
er in dem Wasser schwämme, verdrehte dieser Hände und
Füsse. Ban-go-rö, nicht im Stande, die unbeholfene Haltung
der beiden Kriegsmänner zu sehen, drehte sich nach rückwärts
und führte, zugleich blitzschnell das Schwert ziehend, einen
Hieb nach I-suke's Schulter. Als Sato-mi I-suke, dieses früh-
zeitig erkennend, hurtig den Platz wechselte, zogen Josi-no und
Fatsu-se die Schwerter, und drei Menschen, einem dreifüssigen
Kessel gleich, hieben in Gemeinschaft; von drei Seiten ein.
Dm Hans eines StattluütoTs tod Fari-ma. 319
I-suke, der nicht ablassen konnte, suchte ebenfalls nach dem
Schwerte, machte die drei Menschen zu Gegnern und hieb auf
einen nach dem anderen ein.
I-suke-wa moto-jori mi-tari-wo korasi , ^ ||| (hu-nanyni
(hun-wo tori-kajesan-to j (mrai-asirai-i-iari-sUga \ kaku-te-ioa fatezi--
to me-ico ikarasi \ nandzi-ra mi-tari-ni ada na-kere-ba ] ikete kajesan-
to omoi'8i-ni \ mi-no fodo nranu natsu-mtm-no | fonde sono mi-
u>o kogasan-^to-ka. Ima-wa nani-wo-ka hM IS^ (t8i-yi)-su beki-to \
Q ^ (faku-zin) fito-furi furn-jo-to mye-si-ga \ un-fei kin-zb
kaia-saki fi-bara \ kissaki ftikaku kiri-sagerare \ na-m 6 un-fei
^ ^ (rakkun) :^ ^ (mi-dzin) kin-zb momiJzi-no tsirajeru
gotoku I kara-kurenai-ni tbre-fusu.
I-suke, der eigentlich die Drei züchtigen und 0-sen ohne
Mühe zurücknehmen wollte, war schonend verfahren. Da es so
nicht zu Ende ging, blickte er zornig und rief: Da zu euch Dreien
keine Feindschaft besteht, gedachte ich, euch lebendig zurück-
zuschicken, doch will das seine Lage nicht kennende Sommer-
inseet im Fluge sich verbrennen? Wess wegen sollte ich jetzt
zögern und zweifeln? — Hierbei sah man, wie die blosse Klinge
sausend niederfuhr. Die Schulter und die Rippen Un-fei's und
Kin-zö's wurden von der Schwertspitze tief durchhauen. Die
an dem Namen getragenen fallenden Blüthen Un-fei*s wurden
Staub, Kin-zö, als ob rothe Blätter sich zerstreuten, stürzte
und lag in chinesischem Safranroth auf dem Boden.
Josi-no, der Geschlechtsname Un-fei's, findet sich nebst
■^ 1^ josi-no ,glückliches Feld' auch ^ |^ (josi-no) ,wohl-
riechendes Feld' geschrieben, daher die Anspielung auf Blüthen,
^$ |8| (Kin'Zb)j übrigens auch ^ ^ (Kin-zb) geschrieben,
bedeutet ,Kamraer des Goldbrocats', daher die Anspielung auf
rothe Blätter.
Ban-go-^*b'Wa kore-ni ^ j[|| (kib-ku)-8i | itsi-asi dasi-
fe ntgen-to stiru-wo \ tofte fippase j^ "TC (sikka)-ni osaje '
kafxt-je-ni otn-taru ko-dzuka^wo firoi , tokku-to nagame — * ^
(ikked)-st''tstitsu \ inotsi tcoai-ku-wa tasuke-mo jescisen. Sari-nagara
to koto ari. Saki-ni teo-kx^-rb-to ^ ^HT (mon-dd)'ni \ won-mi-wa
"^f f^ (dzi'(l'dai)'no mono naH-to-mo \ ware-ni-wa sara-ni ^^
(jeki)'nast'to \ nage-kajesi-taru kono ko-dziika \ nana-ko-dzi-ni
ijfff^ ^ (si'8i)-no ^ (8aku)'mor\o \ kore-wo ^ ^ (dzril'dai)-
to si-mo ijeru, Nandzi-ga j^ ^^ (sei-mei) tsutstimazu na-nore.
320 Pfixmaier.
Ban-go-r6; darüber entsetzt, streckte schnell die Fiisse
aus und wollte entfliehen. Jener, ihn ergreifend, zog ihn nieder
und drückte ihn unter die Knie. Den zur Seite herabgefallenen
kleinen Stiel auflesend und ihn genau ins Auge fassend, sagte
er erschrocken: Wenn dir um das Leben leid ist, werde ich
dir Hilfe angedeihen lassen. Indessen habe ich etwas zu fragen.
Dieser kleine Stiel, das Werk mit einem Löwen auf einem
Fischgrunde, welches vorhin im Gespräche mit Te6-ku-r6 mit
den Worten: Für euch mag es ein die Geschlechtsalter hin-
durch vererbter Gegenstand sein, für mich ist es ganz ohne
Nutzen! zurückgeworfen wurde, man hat es einen die Oe-
schlechtsalter hindurch vererbten Gegenstand genannt. Nenne
ohne Rückhalt deinen Geschlechtsnamen und Namen!
Ban-go-ro-ioa ima kakaru wori-kara \ ^ ^^ (ka-meij-wo
tsugen-wa kutsi-wosi-kere^domo \ itsuioari-tari-to-mo jo-mo jurusazi-
to I ware-wa tSf W (ban-siü) kb-tari-no -^ ^ (reo-siü) han-
gorTÖ-to si-mo lü mono nari-ga \ mala sono ko-dzuka-wa ije-no
Ä -f^ (dziü'dai) \ waga J^ ij^ (do-dziynam-ni ^ ^ (/«-
8in)-ga am,
Ban-go-r6 erwiederte: Jetzt, in einem solchen Augenblicke
den Namen des Hauses nennen, ist zwar bedauerlich, doch
dass ich gelogen habe, darf ich niemals zugeben. Ich bin der
leitende Vorgesetzte von dem Geschlechte K6-tari in Fari-ma
und heisse Ban-go-ro. Auch ist dieser kleine Stiel ein die
Geschlechtsalter hindurch aufbewahi'ter Gegenstand des Hauses.
Dass ich ihn besitze, hat etwas Wunderbares an sich.
I-suke-wa ko-tari-no -^ i (re6-8iü)'to kiki \ nani omoi'
ken fiza-wo jurume-ha \ je-tari-to ban-go-rh oki-tatte \ tada fito-
utsi-to furi-agtiru \ ahara-wo teo-to i-svJce-ga te-no utn \ han-go-
rh tamarazu nokke-sama-ni | dö-to tbruru-wo mi-muki-mo jarazu \
^^ FJI (kuai'tsiil) ma-saguri f^ >|$ i^^^^'ß)^^^^ kb-gai \ fori-
idasi-tsutsu kano ko-dzuka-to \ tJ" ^ (sun-bun) tagawanu ^ ^
(do'saku) ^ ^ (d6-mei).
I-suke, das Wort ,leitender Vorgesetzter von dem Ge-
schlechte K6-tari' hörend, lockerte — was mochte er gedacht
haben — die Knie. Ban-go-rö, Zeit gewinnend, erhob sich.
Mit den Worten: Nur einen Schlag! versetzte ihm Jener mit
der erhobenen flachen Hand einen Schlag auf die Rippen.
Du Hau eines SUtthalters von Fari-ma. 321
Ban-go-r6, es nicht aushaltend, fiel rücklings zu Boden. Ohne
nach ihm zu blicken, suchte I-suke in dem Busen und nahm
eine einästige Haarnadel heraus. Sie war von jeiiem kleinen
Stiele nicht im geringsten verschieden, es war dasselbe Werk,
dieselbe Inschrift.
Ihukaru wori-kara kanata-jori \ tohi-huru ^ ^ j^ (siü'
ri'ken) i-stike-ga maje-ni \ sttku-to tafe-ni \ i-suke smoagazu \ nvki-
tofte mire-ba ko-wa ikn-ni \ kore-nan — • Äf (ittstiij-no kb-
gai nari, l-suke odoroki mi-aguru ffij "iw (men-zen) \ fitorUno
Ü^ ^ ^ («iÄ-y«o-2iaj fs^tki'fafai'tsufsti ika-ni waka-ndo \ sono
kh-gai-wa oboje-ari-ga. I-svke kofajefe ika-ni-mo sikari \ won-
mi mala ika-ni^site ^ j^ (knta-je) ^fi( 1f^ (sio-dziyaurn-jn.
Während er sich verwunderte, blieb ein von der anderen
Seite berbeifliegendes Wurfschwert gerade vor I-suke stecken.
I-suke zog es unerschrocken heraus und sah es an. Wie war
dieses? Es war die eine Haarnadel des Paares. Als er voll
Erstaunen aufblickte, stand dicht vor ihm ein den Wandel
Ordnender und sagte: Junger Mann! Ist dir diese Haarnadel
bekannt? — I-suke erwiederte: Wie kommt dieses und wie
besitzest du noch den einen Ast?
Siü-geo zia kotajete \ waga kata-je-ico fifr Ij^ (sio-dzt)-
nnsu-ni-wa \ — • j& (itsi-dioj-no si-sai nri, Waka-udo-ga imtfa
fff ^ (siO'dziJ'tidsU'Wa] tsitsi-no judzurl-ga kika-ina-fosi. I-suke
uuadzuki wäre imada \ -^ J\^ ^ (roku'sitsisaiyno wori-kara
tsitsi-iiaru mono \ kono kb-gai-wo ware-ni ataje | si-sat atte kono
fito-sina \ nandzi-ni sadzuke-aü) mama \ SB ^ (tto-ho) fada-mi-
ICO fanatazu mote-jo \ Ö ^ (si'Zen)-ni omoiawasii koto aru-
besi'to I i'i'8i fakari-ni si-sai-wo katarazu.
Der den Wandel Ordnende erwiederte: Dass ich den
einen Ast besitze, hat eine Ursache. Hinsichtlich desjenigen,
welches der junge Manu noch besitzt, möchte ich hören, wie
es der Vater hinterlassen hat. — I-suke nickte mit dem Kopfe
und sagte : Als ich erst sechs bis sieben Jahre alt war, gab mir
der Vater diese Haarnadel mit den Worten : Ich übergebe dir
aus einem Grunde diesen Gegenstand. Behalte ihn, ohne ihn am
Morgen und am Abend von deinem Leibe zu lassen. Es wird sich
vielleicht etwas ereignen, das du in Gedanken damit zusammen-
stellst — Er sagte mir nicht den Grund dieser Vermuthung.
SitzuQgsber. d. phil.-hi>t Gl. LXXXYII. Bd. I. Uft. 21
322 Pfizasier.
Siü-gib-zia-ioa ke-sikt-site ' sate-koao aate-koso \ wäre makofo-
wa kh'tari- ^ (ke)'no womuni \ naga-wo aa-e-mon kazu-sada-to
ijei^ mono. Itau-zo-ja ban-stü ^ ||^ (kuma'8aki)'7io iri-je-nite
ajasi-ki de-tatsi-no — • 'jÖ (ikko)-no mono-no fu\juki'tngai-sama
togame-si-ni , kotaje-ni Jffi (6)'zite sono kb-gai ware-ni utsi-kake
jami-wa aja-naku \ ato-wo kuramasi otsi-use-taru-wa \ nandzi-ga
tsitai-nite ari-keru-na.
Der den Wandel Ordnende machte ein Gesicht und sagte :
Also! Also! Ich bin in Wirklichkeit ein Diener des Hauses
Kö-tari und heisse Naga-wo Sa-e-mon Kazu-sada. In dem
Augenblicke als ich einst an der Einfahrt von Kuma-saki in
Fari-ma einem Krieger von seltsamem Aussehen begegnete,
beanständete ich ihn. Als Antwort warf er die Haarnadel auf
mich. In der Dunkelheit war nichts zu unterscheiden, er A^er-
barg seine Spuren und verschwand. Es war dein Vater!
I'SuJce sara-ni >p ^^ (fu-trinj-nasi | naga toku tokoro sono
jSp (i)-wo jezu. Waga tsitsi-wa moto tadzi-ma-no kuni-no | ijasi-
ki ijj^ Ij^ (gio^'ed)'WO waza-to nase-ha \ so-wa osoraku-wa fito-
tagaje naran,
I-suke war durchaus im Zweifel und sagte: Den Sinn
deiner Darlegung verstehe ich nicht. Da mein Vater eigentlich
in dem Reiche Tadzi-ma niedrigen Fischfang und Jagd zu
seinem Geschäfte macht, so glaube ich, dass hier eine Ver-
wechslung mit einem Anderen stattfinden wird.
Sada-kazu kasira-ivo sa-jv^ni furi \ sono viania ijasi-ki
j^ ^ {gio-zin)'no mi-nite \ sono kh-gat-wa ika-de tmtate-si.
I'Suke-wa kore-ni ^ ^ (fen-tbj-naku \ te-tvo komanui-te t^dtatm
vxyi^'kara \ sono si-sai-wa soregasi rabsan-to \ tsutsumi-no kage-
joH fai-ide-taru-wa \ o-sen-ga kago-wo kaki-taru ;^ ^ (rb-fu)
kamuri'si te-nugui-wo toki-nagara \ won-mi-wa S^ ^^ (jo-mei)
^ ^ ^ (i-no suke) narazu-ja, Ware koso tsitstno ^ r^ ^
(i'ta-jHyjo.
Sada-kazu schüttelte den Kopf nach rechts und links und
sagte : Wie hätte er somit als ein gemeiner Fischer die Haar-
nadel vererbt? — I-suke hatte hierauf keine Antwort. Er ver-
schränkte die Arme und erhob sich plötzlich. In diesem
Augenblicke kroch mit den Worten: Den Grund werde ich
angeben! aus dem Schatten des Dammes ein alter Mann,
Dm Hmb eines BUtthftltora tob Fari-ma. 823
welcher die Sänfte O-sen's getragen hatte, hervor. Das Taschen-
tuch, mit welchem er sich verhüllt hatte, lösend, sagte er: Ist
dein Kindername nicht I-no suke ? Ich bin dein Vater I-ta-jü !
I'suke odorokijoku mire-ha \ geni-mo tadzi-ma-no tsiUinam-
ni I Ba9u-ga tsugezu-te H j|^ (koku-enj-ae-si \ sono ajamatsi-wo
kajeri-mife \ kfisira-wo tarete i-tari-si-ga \ i-ta-jü-tca ko^'e-wa ^^
(sas) 8% I sa na-kokorO'WO-ba tstiijasi-so, Aka-tmki-no ije-no asi-
garu'fii , i-siike-to ijeru JH i^ (o'ko)'iw mono-no fu \ ain-to karte-
gane kiku-nnje-ni \ waga ko-mo kakaran ä J^ (jü-sij'to nara-
ha I wäre nani-fodoka uresi-karan-to \ urajami-onio i-suke-fo
ijeru'zo \ tka-de-ka siran, Waga ko naran-to-toa \ jorokobi koso
8ure nikusi'to omowazi. So-wa madzu sasi-oki kazu-sada-mm-ni
koto^iowan.
I-suke, erschrocken, blickte genau hin: es war wirklich
sein Vater aus Tadzi-ma. Indessen hatte er, ohne es bekannt
zu geben, sich von dem Reiche fern gehalten. Sein Ver-
gehen betrachtend, stand er mit gesenktem Haupte. I-ta-jü
errieth dieses und sagte: ,Zerquäle nicht so dein Herz. Als
ich früher hörte, dass unter den Fussgängern des Hauses Aka-
tsuki ein begnadeter Krieger Namens I-suke sich befindet, dachte
ich mit Neid : Wenn mein Sohn ein solcher muthiger Kriegs -
mann wäre, wie froh würde ich sein! Wie sollte ich wissen,
dass du I-suke genannt wirst? Der Gedanke, dass es mein
Sohn sein wird, wäre nur eine Freude gewesen, es hätte mich
nicht verdriessen dürfen. Vorerst lasse ich dieses bei Seite
und werde mit Herrn Kazu-sada ein Wort sprechen*.
Saje-ni, durch ^f^ ausgedrückt, hat die Bedeutung ,zu-
gleich*.
Waga ko-ga motsi-tai-u fc jjs^ (kata'je)-no kb-gai-wo \
togame-tamh-mo ^ ^ (fana-wakaydono-no \ am-ka-wo sirnn
tarne naran, Sono waka-gimi-toa foka narazi \ waga ko i-no stdce |
imano na-iva sato-mi i-svke-zo waka-gimi nari-to.
,Das8 ihr an der einästigen Haarnadel, welche mein Sohn
besitzt, einen Anstand findet, wird desswegen sein, um den
Aufenthalt des Qebieters Fana-waka zu erfahren. Dieser junge
Gebieter ist kein anderer. Mein Sohn I-no suke, jetzt mit Namen
Sato-mi I-suke genannt, ist der junge Gebieter.'
Kotoba-ni i-suke kazu-sada-mo \ »J^ ^ (gaku-zenyto säe
odoroki-tsutsu \ si-sai ika-ni-to ibvkaru-ni \ i-da-jü ma-naka-ni
21*
324 Pfitmftiar.
J^ (za)'WO simete \ kaganaje-mire-ha -p /V ^ (ziü-fatsi-nen)
koro-VM jajoi'UO tsu^gomori-gata \ ^ (jo) anü utan-to kuma-
saki-no \ watari-ni — • 1^ (itsi-jdj-no fune-wo ukame \ iri-je-no
fasi 8ita-ni fune-wo todome \ fuJcami-ni ami-vco zan-bu-to utsi-
komu I tO'tan-no W ^ (fib-styni fasi-no uje-jori db-to funa-
soko-ni otsuru mono ari. Odoroki junde-ni adzuna-wo motsi
me-de-ni funa-soko kai-sagure-ba \ ani fakaran-ja osana-go nari
Bei diesen Worte waren I-suke und Kazu-sada vor Staunen
ausser sich. Erschrocken fragend : Was ist der Grund ? hegten
sie Zweifel. I-ta-jü - nahm in der Mitte einen Sitz ein und
sprach: ,Wenn ich es überdenke, sind es achtzehn Jahre. Es
war an dem ersten Tage des dritten Monats, als ich in der
Nacht, um ein Netz auszuwerfen, in der Durchfahrt von Kuma-
saki ein Schiff schwimmen Hess. Ich legte das Schiff unter
der Brücke der Einfahrt an. Ebeu als ich das Netz in die
Tiefe warf, Hei von der Höhe der Brücke ein Gegenstand auf
den Boden des Schiffes. Erschrocken fasste ich mit der linken
Hand das Seil des Netzes, mit der rechten Hand suchte ich
auf dem Schiffsboden. Wie sollte man es muthmassenV Es
war ein Knäblein.
Ko'Wa ^ J^ (keo-zihyjori ajainatte \ tori-otose-si-ka-to
bgi-mire-domo \ awtUe-odoroku fito-nio nasi. Sa-wa tote jo-fxdct-
kakaru ^ ^ (gai'si)-no \ fitori fai-kon jb-mo nasi. ^ (Sas)
suru-ni ko-wa ije madzim-ku-te \ — • -^ (issij-ico fagokumu |f^
(zlütsuj-nasa-ni \ kano sute-go-wo-ja imsi-tarii-ran, ßSaru-nitemo
ono-ga ko-wo \ 'jjc pb (sui-tshtj-ni ^ (idj-zuru oja-gokoro
oni-to-mo 4^ (zxa)'tO'mo itl-be-kere. Josi-josi saiwai waga ko-to
si I oi'juku notsi-no tanosimi-to sen-to \ tadatsi-ni idaki-te tatsi-
kajerv.
,In der Meinung, dass man es von der Brücke vielleicht
aus Versehen herabfallen gelassen habe, blickte ich empor,
doch es war Niemand, der erschrocken gewesen wäre. Ich
sagte mir also : Im Beginne der tiefen Nacht kann ein Knäblein
allein nicht herbeikriechen. Nach meiner Vermuthung ist das
Haus arm und hat kein Geschäft, um ein Kind zu ernähren,
wesshalb man das Kind weggeworfen haben wird. Das Herz
der Aeltern, welche somit das eigene Kind in das Wasser
werfen, kann man ein Dämonen-, ein Schlangenherz nennen.
Das HftQS eines Statthslten Ton Fari-m« 325
Gut! Es ist ein Glück. Ich werde es zu meinem Kinde machen
und an ihm, wenn ich alt geworden bin, Freude haben. —
Ich nahm es geradezu in die Arme und kehrte nach Hause
zurück/
Tsutaumi-m ajasi-ki mono-no fu-no arasoi JJ ^ (asi-ma)-
je fisonii vkagaje-domo I ika-naru si-sai-ga sara-ni tokezu. Jagate
tcaga ^ (jaj'f^i tatsi-kajeri \ toboai-bi kakage joku mire-ba \ tama-
wo azamukn ^ ^ (JH-bi)-no osana-go \ mi-ni-wa j^ j^ (red-
ra)'no kvnt-wo matoi-si-xca \ tada-bito naranu tane-to-wa sire-do I
sirare-gataki'Wa osana-go-ga ^y j^ (kata-jej-no ko-gai tanigiri-
te I fanatsi-mo jaramt am-samn-wa ko-ion sute-iaru ßto-ga notsi-
no sirusi-ka,
,Den Streit mit einem seltsamen Krieger an dem Damme
hatte ich, zwischen dem Schilfrohr versteckt, zwar beobachtet,
doch aus welcher Ursache er stattfand, konnte ich mir durch-
aus nicht erklären. In mein Haus sogleich zurückgekehrt,
hängte ich eine Lampe auf und sah genau. Es war ein des
weissen Edelsteines spottendes liebliches Knäblcin, um dessen
Leib ein Kleid aus feinem Seidenflor gewickelt war. Dass es
kein Kind gewöhnlicher Menschen sei, wusste ich, aber nicht
wissen Hess sich, warum das Knäblein eine einästige Haarnadel
in der Hand hielt und aussah, als ob es sie nicht losliesse. War
dieses ein späteres Kennzeichen für die Menschen, welche das
Kind weggeworfen hatten?'
Sara-ba ^ pb (sui-tsinj-ni-tcn ^ (töj-zu-mazi-ki-ga | ^ß
(sas) Huru-ni osana-go-no \ Ö ^ (si-zenj-ni ^ pb (stti-Uiü)'
ni :^ (t6)'Zeraren-^oo \ kokoro-m osore siite-si oja-wo \ fanare-zi
mono-io kore-kare-ni \ tori-tstiki 8vgaru sono worini \ mosi ntike-
idesi'wo ^ ^ (isikara-giyto \ ta-nigiH-nagara otsi-tari-si-ga \
to-mare kakit-mare mi-ni soje-na-ba \ notsi-no sv^si-to ßsome-
oki-si-ga,
,Dann hätte man es nicht in das Wasser werfen dürfen.
Nach meiner Vermuthung war das Knäblein, als es mit Bedacht
in das Wasser geworfen werden sollte, im Herzen voll Furcht
und hielt sich, damit es der Vater, der es wegwarf, nicht los-
lasse, hier und dort fest. In diesem Augenblicke zog es vielleicht
die Haarnadel heraus, und indem es dieselbe als einen Baum
der Stärke ergriflF, fiel es herab. Es mochte wie immer sein,
326 Pfismaier.
wenn ich sie mir aneignete^ so war es ein späteres Kennzeichen^
und ich legte sie heimtich nieder/
Soiio notsi otn-kotsi-no uwasa-wo hiku-ni \ kb-fari-no mi-taisi-
no waka-gimi-wo \ nan-mono-ga tihai-toH-si-to-mo i-i \ mata sono
waka-gimi-no ktihi utan-to \ miobi-te saguru mono aH-to , kiku-ga
mani-mani kokoro-odoroki j sate-wa kono waka sore naran, ^ ,|^
(Kiü'teo) 8W'a fu-tokoi^o-ni ire-ba \ kari-suru mono dani kore-tco
torazu I iwan-ja fu-sigi-ni fune-ni iri-si \ tsumt-toga-mo naki
osana-go-ioo,
,Wie ich später durch ein hier und dort verbreitetes
Gerücht erfuhr, hatte den jungen Gebieter des Palastes des
Geschlechtes Kö-tari irgend Jemand geraubt. Ich hörte auch,
dass Jemand sei, der heimlich suche, um diesem jungen Gebieter
das Haupt abschlagen zu können. Im Herzen voll Schrecken,
sagte ich mir : Also wird es dieser junge Gebieter sein. Selbst
wenn ein erschöpfter Vogel in den Busen kommt, ergreift ihn
nicht der Jäger. Um wie viel mehr ist dieses der Fall bei
dem auf wunderbare Weise in das Schiff gekommenen schuld-
losen Knäblein!'
Mosi-mO'ja saguri-ubaware-na-ba \ ika-bakari-ka-wa kutsi-
tvosi-karan-to | fitori-zumi-naru kokoro-jasn-sa ^ ^fe (Jo-f^^J-
ni magirete kuni-wo tatsi-noki \ tazi-ma-no kuni-no siru-be-ni
tajori I wadzuka-ni kefuri-wo tafe-taru-ni \ kono ko -^ ^ j^
(ziü-srtn-sai)-to lü tosi-ni \ ije-wo idete kajeri-kozu. Sate-wa fisoka-
m kono watari made \ kano ^& ^ (aku-nm)-ra-no saguri-kltf
tsui-ni torajerare-ja sf-tamb-ran-to \ omoje-ba kokoro-mo kokoro-
nararle \ mata 1^ jHj (han-sinj-ni tafsi-kojete Ißsoka-ni jS-^tt-tco
saguH-kiku-ni \ sore-fo tasika-ni sirarezare-ba ^ ~J\ (zeo-ka)'
fadzure-ni mata ^^ J^ (dziH'kio)'8ite \ fi-bi-ni jh-su-wo ukagai-
tsutßu I tosi'Uuki'Wo ßiru koto snd^-ni -^ ^ (rokv-nen).
,Ich dachte: Wenn man es aufsuchte und raubte, wie
sehr bedauerlich würde dieses sein? Bei der Sicherheit meines
Alleinwohnens verliess ich unter dem Schutze der Mitternacht
das Reich imd brachte, indem ich an einer Bekanntschaft in
dem Reiche Tazi-ma eine Stütze fand, in winzigem Maasse
Rauch zuwege. Doch dieser Sohn ging in seinem dreizehnten
Jahre aus dem Hause und kam nicht zurück. Ich dachte:
Also sind heimlich bis zu dieser Durchfahrt jene schlechten
Menschen im Suchen gekommen, und er wird endlieh ergriffen
Das HftUB eines Stattluütera von Fari-roa. 327
worden sein. Wider Willen zog ich wieder nach Fari-ma
hinüber, forschte heimlich nach den Umständen und horchte,
doch es war von der Sache nichts Sicheres bekannt. An dem
Ende der unter der Feste befindlichen Stadt nahm ich wieder
meinen Wohnort, und dass ich, Tag für Tag die Umstände
beobachtend, Jahre und Monde verbringe, sind bereits sechs
Jahre/
Sikaru-m wototsui-no jü-sari-gafa — • ^ (ikko)-no
j^ ^ ^ (siü-geö-zta) waga ^ 0'ß)'ni itoi \ jo-so-nagara
j^ ^ (f^nn-kayno ^ XT (fai-bbj-wo-tadzune \ joku-joku mire- j
ha ^ rt^ (kt$ma-/iaki)-no in-je-ni \ ^ ^ (an-jaj'nagara'fno
mkasi-mi-si \ fitori-no mono-no fu-ni sa-mo ni-tam. Ko-ja kiki"
ojohu ^ ^^ (bu-dd)'no ff (sin) \ sa-je-mon kazu-sada-ni-mo
aran-ka-to \ "^ ^ (kun-kaj-no art^sama-wo kataru utsi-ni '
sono l(^ pb (sin-tsiü-wo sag^iri-miru-ni \ j^ ^ (zannin)-ni'Wa
katsu-te arazu,
,Indessen ruhte um die Zeit des vorgestrigen Abends ein
den Wandel Ordnender in meinem Hause aus. Derselbe fragte,
obgleich fremd, wegen der Zerstörung des Hauses des Gebieters.
Als ich ihn ganz genau anblickte, hatte er grosse Aehnlichkeit
mit dem einen Krieger, den ich an der Einfahrt von Kuma-saki
in finsterer Nacht ersehen hatte. Mich fragend, ob dieses der
gesetzlose Diener Sa-je-mon Kazu-sada, von dem ich gehört
hatte, sein werde, erforschte ich, während er von dem Zustande
des Hauses des Gebieters sprach, dessen Herz, und er war
keineswegs ein verderblicher Mensch.'
Sate-wa waka-gimi-no won-mi-no uje-mo \ ^? (ki)-dzukai
arazi-to kokoro-wo jasunzi \fazimete maktira-wo takb se-si ne-gomi-
u'o okosu na-nusi-no ko-e ^ i (reo-siuyno ^ J^ (nin-soku)-
in o-mi ko80 atareri. Asntte-iw asa -^ ^ (/nsi-viij-ni itare-to \
^ft ^ (hu'jekiyno ^ Jg^ (hun-fai) inami-gataku \ ke-sa kite
klke-ha sika-sika-iw koto-to \ jo-karanu icaza-mo ^^ i (reo-
siil)'7io [j|[ ^^ (ziki'dan) | jamu koto-wo jezu sasi-dzv-no mani-
ma I wonna-wo nosete fasiri-si-ga \ saki-jori isurugi-no isakm-m \
mi-no ke jodatsi-te ^ M (asi-mayni kakure \ ^ ^fe (^^'
matsuj'tvo kiku-ni j& ^ ^ (siu-geo-ziayica ^j^ -^ (sui-reoy
ni tagawazU'to i-i ^ j^ (knta-je)-no kh-gai-no -Ä- ^ (ai-
mon)-jori \ ijo-ijo tcaka- giml'naru'koto akirake-si-to.
328 Pfizmaier.
,Ua ich also wegen des jungen Gebieters nicht besorgt
zu sein brauchte, war ich im Herzen beruhigt. Ich war, indem
ich das Polster erhöht hatte, erst eingeschlafen, als mich die
Stimme des Dorfvorstehers erweckte. Er sagte: Zu einem Träger
des leitenden Vorgesetzten hast du es gebracht. Uebermorgen
früh triff in Fusi-mi ein. — Bei der Zutheilung eines Fuss-
dienstes konnte ich mich unmöglich weigern. Als ich heute
Morgens ankam und hörte, nannte man mir solche und solche
Dinge. Waren es auch keine guten Verrichtungen, der leitende
Vorgesetzte sagte es mit eigenem Munde, und ich konnte nicht
davon abstehen. Der Weisung gemäss trug ich ein Weib in
einer Sänfte und lief. Bei dem voran sich entspinnenden
Kampfe mit Schwertern standen mir die Haare zu Berge.
Zwischen dem Schilfrohr verborgen, hörte ich den Anfang und
das Ende. Aus den Reden ergab sich, dass es sich mit dem
den Wandel Ordnenden nicht anders verhielt, als ich ver-
muthete. Durch die Zusammenfügung der einästigen Haarnadel
wurde es vollkommen offenbar, dass es der junge Gebieter sei.'
Itsi bu-si-ziü'WO ioki-alcase-ha \ kazu-sada i-suke-ga maje-ni
fei'i-kurJan | sate-wa vtayai-mo nakl kb-tarl- ^ (ke)-no \ fana-
waka-ghni-nlte masi-viasu-zo-ja. Onore ka-hahiri sv^ata-wo kaje ,
koio-ni ^i ^ (zan-niiij-to moro-hito-no \ ;[§ g§ (si-tö)'ni ka-
kam 801X0 ju-e-wa \ sihi-sika narito tokan-se-si \ won-kara knia-
gata sibaraku-to \ ko-e kake-idzuru-wa \ akatstiki-ke-no \ -^ ^
(teo-sin) furu-ta ten-zen iiari.
Hiermit erklärte er alles vom Anfang bis zum Ende.
Kazu-sada demüthigte sich vor I-suke und sagte: Also seid
ihr ohne Zweifel der Gebieter Fana-waka aus dem Hause
Kö-tari. Mein Aussehen ist so verändert, dass ich an die
Finger aller Menschen als besonders grausam angehängt bin.
Die Ursache davon ist — Er wollte sich erklären, als Jemand
mit den Worten: Herren, einen Augenblick! sie anrief. Es
war Furu-ta, Vorgesetzter der Speisen, der älteste Diener des
Hauses Aka-tsuki.
Odoroku i-suke-wo jobi-kakete | nandzi-ni g^ (takuyse-si
koto-wa ika-ni. I-suke kastkomi-tsuttatte \ o-sen-ga non-taru kago-
nagara \ gutta tsukkomu sira-fa-no kissaJci \ te-gotoje-nakt-wa
tbukdsi'to ! nawa kiri-fodoki ake-mire-ba ani fakaran-ja o-sentca
mofO'jovi fito-kage sara-ni arazare-ba \ i-sukewa ^ ^ (gtJcw
Dis Hana ei&ei Statth<en von Furi-ma. 329
zen)'to odoroki'tsutsu \ — • ^ (itsi-do) narazu ^ ^ (saUdo)-
made \ utsi-morase-ai koso kntsi-wosi'kere'do \ do^to J^ (zaj-wo
sime katana saka-de \ sude-ni Ö ^ (seppukuynasan-to-sxL,
Dem erschrockenen I-suke rief er zu : Wie steht es mit der
Sache, die ich dir anvertraut habe? — I-suke erhob sich
ehrerbietig und löste an der Sänfte, in welche 0-sen gestiegen
war, mit der schnell hereingestossenen Spitze der blossen Klinge,
sich wundernd, dass ihm nichts Antwort gab, die Stricke. Als
er öffnete und hineinblickte, war — wie sollte man es ver-
muthen? von O-sen eigentlich nicht einmal der Schatten vor-
handen. Erstaunt und erschrocken, bedauerte er zwar, dass
sie nicht bloss einmal, sondern selbst zweimal ihm entschlüpft
war, doch er setzte sich fest nieder, kehrte das Schwert um
und wollte sich den Bauch aufschneiden.
KazU'Sada fase-jori sikka-to todome \ sono kono moto-wa
sirane-domo \ kimi fadznkasimeraru toki-wa ^ (sin) ^ (si)-
su'to I madzu sono si-sai-tco katari-tamaje. Ten-zen nikko-to site
{'suke-ni mnkai \ kago-nl o-sen-no arazarwico \ sa-koso >p ^
(fu-sinj-ni omi-heku \ maiu kata-gata-mo kiki-tamajc, Ware sugi-
fsuiui koro jamn-zaki-no \ ||ft S (ri-kiü) ^ d^ (fatsi-manj-m
mhde-si-ni \ jßj^ "^ (sia-zenj-no ^ ^^ (siü-roj-ni me-narezaru \
^ ^ (reo-sanyno J^ (si)-to ^^ ^ (reo-minyno \ taru'i-no
te-dai ted-ku-rt \ jM ^fi (rei-setsuj-wo midase-si ^ ^ (siü-jen)
*^ Sj5 (idn-sui) \ koto-ni "^ Ä (ko'SedJ-no monogatan-no
utsi I ka7io aka-tstikUno sa{-zi-r6 | aru-wa moto-faru ki-jafsu sono
mama | ika-de okamasi tada okazi-to \ ito niktisa-ge-narti kata-
Kazu-sada, hinzulaufend, hielt ihn mit Kraft zurück und
sagte: Ich weiss zwar nicht, was der Grund ist, doch es heisst:
Wenn der Gebieter mit Schande bedeckt wird, stirbt der
Diener. Saget mir früher die Ursache. — Der Vorgesetzte
der Speisen lächelte und sprach zu I-suke: ,Da8s O-sen sich
nicht in der Sänfte befindet, möget ihr für sonderbar halten.
Ihr Herren, höret es ebenfalls! Als ich in den verwichenen
Tagen zu dem Fatsi-man des abgesonderten Palastes von
Jania-zaki ging, hatten in einem vor dem Altare befindlichen
Weinhause zwei bis drei mir von Anblick fremde Kriegsmänner
und der zu dem Volke der Statthalterschaft gehörende Teo-
330 Pfiimftier.
ku-rö, Ilauptbediensteter des Haases Taru-I, ein Weingelag,
welches die ümgränzung der Gebräuche verwirrte. Volltrunken,
sagten sie in ihrem Gespräche, das sie mit besonders lauter
Stimme führten : Jener Sai-zi-ro oder Moto-faru aus dem Hause
Aka-tsuki, wie wird er es bleiben lassen? Er lässt es aber nicht
bleiben. — Es war ein sehr widerlicher gegenseitiger Handeln
Ko'Wa ibnkasi-to sore-jori-wa \ kokoro-wo jwimsade ari-tsuru-
ga I ko-tahi ^ ^|^ ^ (fh-sib-zi)- ^ (ke)-no tsuma-sadame-wo '
^ ^ (sb'Zi)'no fäkalen inami-tamh | sono mMo-wa kano o-sen-
to I fukaku ^ "^ (kai'rh)'WO Uikh-qa ju-e-to \ kikit-join nandzi-
ga ]^ S^ (si-rioj-wo saguru-ni \ o-seyi-wo nozokan — • Q (itsi-
dzu)-no ^^ ^ (kei'sahi) \ ito-mo uhe-naru koto-nagara j mala
sirizoi-te ^ ^ (gn-iywo meguram-ni \ ^ ^ (red-rmn) tsumi-
naki-ni ^ (gai-sen)-wa \ motto-mo Ä Ä (zi-ketj-no mitsi na-
razi'to \ jisoka-ni W flj (so-zi)-wo hnme-tate-mat^unini \ kam
wonna-wo dani katawara-ni oka-ba \ suhete tsiima-sadame inamazi-
to I soHU-ga tcaka-ge-no si-an-no foka \ moio-jori J^ (ai) "^ ^
(tai'fuyni ^ ^ (8ai-8ed)'7io \ sadamp-si are-ha nani faba-
karan-to,
, Darüber verwundert, war ich seitdem nicht sorglos.
Sobald ich hörte, dass der junge Sohn hinsichtlich der von
Seite des Hauses des Klosters Fo-sio erfolgten Bestimmung zur
Gattin aus dem Grunde entschieden sich weigert, weil er jener
O-sen feierlich den Eid des gemeinschaftlichen Alterns ge-
schworen, erforschte ich deine Gedanken. Obgleich der Plan,
O-scn aus dem Wege zu räumen, etwas sehr Angemessenes
war, ging ich wieder zurück und überlegte. Mir sagend,
dass, wenn die Menschen des Volkes der Statthalterschaft
schuldlos sind, sie morden, schlechterdings nicht der Weg des
Wohlwollens und der Güte sei, wollte ich heimlich dem jungen
Sohne Vorstellungen machen und ihm sagen, wenn er jenes
Weib nur zur Seite hinsetzte, brauche er sich hinsichtlich der
Bestimmung zur Gattin nicht zu weigern. In der That ist die
Jugend anders als man denkt. Da es ursprünglich für Kriegs-
männer und Grosse eine Bestimmung hinsichtlich der Gattin
und der Nebenfrau gibt, was sollte er sich da schämen?
Kon^-ni ^^ (kesj se-si-wa keo-no Ju-zari nandzi-fü kono koto
tsfifajen-to \ omoje-do mo-faja wodori-no ^j ^ (koku-gen) \ ^
Dm Hau e{n«s StatihAlten Ton Fari-mft. 33.1
(reij-no ^ fö^ (fi'Zib)'WO inumme-no tarne \ sinonde so-ko mi-
megum-ni \ kano ffi| ^ (rl-küD-nite mukake-si J^ (st) \ to-aru
mono-gake-ni ßsomi-tru-wo \ si-ja ibukasi-to ukagb woH-kara \
taru'i-no te-dai teö-ku-rb | ßtori-no wotome-wo ßttate-kitari \
In |ris (mthtaij'nikago'mwosi-komete \ ^ ^ (red-sanj-no ]^ J^
(bu-st)'to moro^tomo-ni \ tsutsnmi-no kata-je fase-juku-wo miru-jori
kokoro-ni omo jh \ ko-wa kartete kiku o-sen naran-ka, Sa-ara-ba
^ "^ (ß^o-tej-ni watasi-na-ba \ kajette koto-no totonoi-gatasi-to.
jHierzu entschlossen, gedachte ich, heute Abend dir diese
Sache xnitzutheilen, doch es war bereits die bestimmte Zeit
des Tanzes. Während ich wegen der üblichen Vorkehrungen
gegen ungewöhnliche Ereignisse im Stillen dort umherblickte,
waren die Kriegsmänner, welche ich in jenem abgesonderten
Palaste gesehen hatte, in einem Verstecke verborgen. Als ich,
über sie verwundert, beobachtete, zerrte Teo-ku-ro, der Haupt-
bedienstete des Hauses Taru-I, ein Mädchen herbei, schob sie
mit Gewalt in eine Sänfte und lief zugleich mit den zwei bis
drei Kriegsmännern nach der Gegend des Dammes fort. Sobald
ich dieses sah, dachte ich mir: Dieses wird wohl O-sen sein,
von der ich früher gehört habe. Wenn man sie also anderen
Händen übergibt, ist es wieder unmöglich, dass die Sache
zusammenstimmt.^
Okure-8i'7iagara okkake-si-ni fu-si-gi-ja saki-ni osi-komerare^
fti I otome-tca ^ ^ (bu'ZtJ-ni tai-M-i-no ama-to \ ko-knge-ni ja-
surb-nt kokor^o-madoi \ si-sai-wo toje-ba sirnrenu ^^ -it (rb-zio)-
ga I seügefsu-ni tsngete kore-no j^^ -^ (soku-dzio) \ j^ ^ (ki-
kiü)-no koto-no fanberu-zo \ fajfilciL odorl-ba-ni fjuki-ne-to j wostje-
no mant-ma koko^ni kite \ jukuri-naku o-sen-ni ni-si-to i-i \ o-sen-
ni toje-ba kore-wa onazi-ku \ teo-kti-rb-ga ffi |hk (mH-taf')-m kago-
no utsi-ni \ osi4rerarn.L-to omoi-si-ni \ fitori-no ona-no fase-kitari
tcarawa-wo tasuke-si-to omoi-si-ga \ sore-jori notsi-wa jnme ufsutsu \
ato-saki sirade fakarazu-mo \ fav:a-no ki-masu-ni ai-si-to id.
,Al8 ich, obgleich ich mich verspätet hatte, ihnen nach-
setzte, ruhte — 0 wunderbar! das Mädchen, welches vorhin in
die Sänfte geschoben wurde, wohlbehalten mit der Nonne des
Hauses Taru-I in dem Schatten der Bäume aus. Verblüfft
fragte ich die Nonne Sei-getsu um den Grund. Sie sagte:
Eine unbekannte alte Frau sagte zu mir: Die Tochter hier
332 Pfismafer.
schwebt in Gefahr. Gehet schnell auf den Tanzplatz! Diesem
Käthe gemäss kam ich hierher und traf unvermuthet 0-sen. —
Ich fragte O-sen. Diese sagte auf gleiche Weise: Als ich
glaubte, dass ich durch Teö-ku-rö mit Gewalt in die Sänfte
geschoben worden, kam eine alte Frau herbeigelaufen. Ich
glaubte, dass sie mir heraushalf. Hierauf wusste ich nicht, was
Traum oder Wirklichkeit, was nachfolgte oder vorherging, und
unverhofft kam die Mutter, mit der ich zusammentraft.
Kare-kore ajasi-ki wori-kava-ni \ ^ >teS (iiagaraj-fjoatari-
ni sato-mi i-stike \ mata-mo o-sen-wo ^ (gaij-se-si-to \ tare-to-
mo sirazu tsuguru-wo kiku-jori \ si-sai-wo min-to fntari-too izanb,
Seugetsu moro-to-mo koko-je-koko-je-to ■ nianeki-ni sei-getsu o-sen-
mo t(yino-in \ i-suke-ga ^5 to (ki-sikij-tvo osoru-osont, \ koko-m
ide-kite kazu-sada-wo miru-jori \ ko-wa waga tmima-ka t^tsi-nje-
110 I joku ko80 kajein-kima^te-si-to \ sei-getsu o-sen tatsi-joreba |
ten-zen-tca jf% ^^ (fu-shij-iiasi \ sate-wa faiu-i ^ ^ Ä& P^
(kiH-za-je-m^nJ-to-ioa \ won-mi-no koto-nite ari-keru-ka.
,Diese8 und jenes war wunderbar, als Jemand — man wusste
nicht, wer es war — meldete, an der Durchfahrt von Nagara
habe Sa-tomi I-suke noch O-sen gemordet. Sobald ich dieses
hörte, habe ich, um den Grund zu erfahren. Beide mitgenommen.
Sei-getsu, kommet mit ihr hierher, hierher!' — Mit diesen
Worten herbeigerufen, kamen Sei-getsu und O-sen, bei dem
Anblicke I-suke's furchtsam, hierher. Sobald sie Kazu-sada
erblickten, drängten Beide mit den Rufen: Mein Gatte! Der
Vater ist glücklich heimgekehrt! sich an ihn heran. Der Vor-
steher der Speisen staunte und sagte: Also Taru-I Kiü-za-je-mon
seid ihr gewesen?
KazU'sada-wa — • Jj^ (itsi-jü)'si \ ika-m-mo ^ ^ (go-
redj'no ku-za-je-mon-wa \ snnawatsi onore-ga kari-na-ni site j
fukaki ai-sauno fanhevu-nari-to \ i-i-tsutsu kazu-sada mi-wo okosi
sei-getsu o-sen-ga te-wo iotte \ Usuke-ga kaiatcara-ni suje-orasime
ilca-ni f^ ^ (ni-ko) o-sen-gimi \ kore-naru sai^mi i-sttke-to
ijerU'ZO \ f^ ^ (ni-koj-ga waka-gimi "^ ^ (fana-wakaydono-
nite I o-sen-gimi-to-wa Ä (sinj-no ^ jj^ (ren-sij-fo.
Kazu-sada machte eine Verbeugung und sagte: Wie es
auch sei, in eurer Statthalterschaft ist Ku-za-je-mon mein ent-
lehnter Name, und es hat einen tiefen Grund. — Mit diesen
Du Haas einei Stattbaltora Ton Fari-ma. 333
Worten erhob er sich, setzte, die Hände Beider ergreifend,
Sei-getsu und O-sen an die Seite I-Buke's und sprach: Frau
Nonne! Herrin O-sen! Dieser sogenannte Sato-uii I-suke ist
der junge Gebieter der Frau Nonne, der Herr Fana-waka, und
der wahre mit der Herrin 0-sen zusammengewachsene Zweig.
Kiku-jori sei-getau omoi-kakene-do \ tosi tsuki kogare-si waga
ko'to kiki fana-waka naru-ka-to tori-sugaru-wo | i-suke-wa todo-
mete ko-ja-ko-ja aa-je-mon I sei-getsu -^ -^ (bo-sO-ga nandzi-too
mote I fjoottO'jo tsitsi-to Ol dani ibukaai, Saru-wo nandzi-ga tsuma
ko'WO mote \ mata^mo onore-ga fawa imo-uto-to-wa kata-kata sono
kokoro ^ (geJ-si-gatasL
Sei-getsu, wie unerwartet ilir dieses auch kam, sobald sie
hörte, dass dieses ihr Sohn sei, um den sie durch Jahre und
Monde sich gekränkt, schloss sich mit dem Rufe: Bist du
Fana-waka? an ihn fest. I-suke hielt sie zurück un4 sagte:
Höre, Sa-je-mon ! Dass Sei-getsu und ihr Kind dich den Mann
und den Vater nennen, ist eben wunderbar. Dass aber deine
Gattin und dein Kind andererseits auch meine Mutter und
meine jüngere Schwester sind, welchen Sinn dieses hat, kann
ich mir unmöglich erklären.
Kazu-sada-wa ^ "^ (ton-8iil)-iiasi \ tosi-tsuki jubi-wori
kaganaje-ba \ kono ^ -^ ^ (i-ta'jüj-ga ijeru gotoku \ fata-
tose-tsikaki niaje-tsu kata \ i Ä (sin-kun) £^ ^ (jori-nori)
soregasi'ico \ ßsoka-ni niesare ko-ja kazu-sada nare-ga mame-naru
0k 5 AÜ^ (tesseki-ain) \ wäre siru-ga ju-e | /(^ fb (sin-tsiü)-
no -y^ ^ (dfii'zi)'WO uokosazu tsutb nari. Nandzi-mo siru
gotoku ;jj)| (Tiiakijno ^ (kata) ^ (fariij-no ^ (i) \ ^ ^
(sai'seo) sono naka mutsumazi-ku ^k "ffi (sni-gioj-no maziwari-
ico nasu-to ije-domo \ sono S^ ^ (siü-neki) koso kasiko-kere.
Kazu-sada neigte das Haupt zu Boden und sagte : ,Wenn
ich Jahre und Monde an den Fingern nachzähle, so war es,
wie dieser I-ta-jü sagt, nahezu vor zwanzig Jahren. Der Vor-
gesetzte und Gebieter Jori-nori beschied mich heimlich zu sich
und sprach: O Kazu-sada! Weil ich dein redliches Herz,
welches Eisen und Stein ist, kenne, theile ich dir eine wichtige
.Sache meines Herzens, ohne etwas wegzulassen, mit. Wie du
weisst, ist das Verhältniss zwischen Maki-nokata und Faru-no I,
Gattin und Nebenfrau, ein inniges und bewirkt die Vereinigung
334 PfiKBfti«r.
von Wasser und Fisch. Gleichwohl ist ihr Eigensinn zu
fürchtend
Sugi-tsuru ^ 4i (jO'Wa)'no jume-no ulsi ' waga migi-fidari-
ni maki-no kata \ faru-no i moro-tonio fusi-taru-ga \ futari-no
mune-jori futa-tsu-no fehl \ araware-idete ^ (jo^ga ma-uje-ni
kata-mi-ni febi-no agito-wo naroii me-wo ikarasUte knuai-si-ga \
tsui-ni faru-no i-ga febi-wa kizu-tsukerare naki-no kata-no febi-
wa fokori-ka-ni Icasira-wo motage jo-mo-wo mUmegtiH \ ^ (jo)-
ga 1^ ^ (ked'kanj'tii kldzu-tsuken-to 8e-»i-ga ! aka-UukUno kane
makura-ni ßbiki \ jume-wa ^ (atoj-naku same'tarisi'ga.
,In einem Traume, den ich in der vergangenen Mitternacht
träumte, lagen zu meiner Rechten und Linken Maki-no kata
und Faru-no I zugleich. Aus der Brust Beider kamen zwei
Schlangen zum Vorachein und Hessen über mir gegenseitig
die Schlangenkinnlade ertönen, rissen zornig die Augen auf
und bissen einander. Endlich wurde die Schlange Faru-no Fs
verwundet. Die Schlange Maki-no kata's erhob stolz das Haupt,
blickte nach den vier Gegenden umher und schickte sich an,
mich an der Brust zu verwunden. Die Glocke des Tages-
anbruchs wiederhalltc an dem Polster, und ich erwachte ohne
die Spur einer Verwundung aus dem Traume.
Tsura^isura omo-m kono mama nara-ha \ ika-narii 3^ Ä
(tsin-zi) aran-xoa sirezi \ sikazu faru-no t-tvo airizoken-ni'Wa-to
omo mono-kara mame-mame-siki \ kare-ga misawo-no tadasi-ki
uje I mata-mo mi-gomori-tavu josi-wo \ ^ "fC (mu-ge)'ni nasan-
mo ^ ^ (fu'hin) nari-to sasu-gani omoi-sadamezaH-gi-ga
faru-no i koao misoka-wo are-to \ maki-no kata-jovi fisoka-no
P ^ (ku-niü) I 8Utca-ja masasi-ki junie-no ura-kata, Faja
koto koko-ni ojobure-ba \ nandzi kaku se-jo wäre sika sen. Sono
notsi nandzi faru-no i-xco ^^ (gu)-8i \ ika-naru kata-ni-mo sino-
base-jo-to.
,Ich überlegte reiflich und dachte: Wenn es so bleibt,
weiss man nicht, was für Seltsamkeiten es geben wird. Man
muss Faru-no I zurücktreten lassen. — Sofort dachte ich
wieder: Bei ihrer Redlichkeit ihre lautere Festigkeit, ferner
ihre Schwangerschaft auf das Niedrigste veranschlagen, wäre
bedauerlich. — Ich war in der That nicht entschlössen. Die
heimliche Hinterbringung von Seite Maki-no kata's, dass Faru-
Dm Hftnt einet Stotthalten von Fari-m». 335
DO I e'men Buhlen habe, siehe da! es ist die richtige Aus-
leguDg des Traumes. Da es mit der Sache bereits bis dahin
gekommen ist, so thue du so und so, ich werde so und so
thun. Hierauf leiste du Faru-no I Gesellschaft und verstecke
sie in irgend einer Gegend^
Ki-gane soko-baku tamaware-ba \ kimi-no ||^ '^ (kon-mei)
1^ (zi)'zi gataku \ soregasi misoka-wo-no katatsi nasi \ kimi-mo
ikari-no sama nasi-tamai \ soregasi-ni '^ (meij-zite utai-sute-to
no-tamb. 8aru-kara ^ ^k (kb-guaij-ni ^ (tsiüj'Sii^wo na-to si
9ono ^^ (jo) airU'be-no kata-ni adziike | ^^ (tsiUj-se-si sama-nite
tatsi'kajeH'Si'-ga,
,Da er mir gelbes Gold in Menge schenkte, konnte ich
mich bei dem ernsten Befehle des Gebieters unmöglich weigern.
Ich machte den Buhlen, der Gebieter stellte sich zornig und
befahl mir, sie zu tödtcn und liegen zu lassen. Ich gab somit
vor, dass ich sie ausserhalb der Vorwerke hinrichte, Hess sie
in dieser Nacht bei einem Bekannten in Verwahrung, und
indem ich that, als ob ich sie hingerichtet hätte, kehrte ich
sogleich zurück*.
Ani fakaran fito atte \ fana-waka-gimi-wo kaktise-si-wa \
8ono kokoro Josi-asl wakatazu. Kata-gata xoaka-gimi-wo saguran-
<o I ^ ^ (siü'kunyni ^ JJ|J (ri-hetsuj-iio ^ (zio)-wo nobe ;
fisoka-ni faru^iio i-gimi-too tamonai-te \ kono jama-zaki-no kata
fotori-ni \ stimi-ka-too motome oniote-ni-ica \ nanigasi-ga ^ (mey
to kari-ni jobi \ jorl-jori jakata-no ^ 3J (an-fiywo kiku-ni \
ajii fakarari'ja fodo-mo naka ; ^^^^ (jori-nori)- ^ (kd^ni-tva
^1 ^ (Äi-AimJ-^jo koto-nüe ^ -^ (sei-kioj-niasi-masi ^j^
(koku-seij-wa \ — • IQ (it»i-jen) ^ ^|* (kazu'je)'ga fosi-i-mama-
m I nasu naru josi-wo kiku-jori-mo | aoiio ^ J^ (i-kan) fito-
kata-narazu,
,Wie sollte man es vermuthen? Es war Jemand, der
den Gebieter Fana-waka versteckte, und ob es in guter oder
schlechter Absicht geschehen, erkannte man nicht. Um den
jungen Gebieter in verschiedenen Gegenden aufzusuchen, er-
klärte ich dem Vorgesetzten und Gebieter, dass ich geneigt sei,
mich zu trennen. Indem ich die Gebieterin Faru-no I heimlich
begleitete, suchte ich hier in der Nähe von Jama-zaki einen
Wohnort und nannte sie zum Scheine meine Gattin. Während
336 Pfiimaier.
ich von Zeit zu Zeit hörte, wie es in dem Palaste Btehe, hörte
ich — wie sollte man es vermuthen? nicht lange nachher in
Betreff des Fürsten Jori-nori, dass er in Gefahr und Bedrängniss
aus der Welt geschieden^ dass die TiCnkung des Reiches ganz
der Willkür des Rechnungsvorstehers überlassen sei. Meine
Theilnahme war keine geringe/
Farn no i-gimi-mo kore-uo kikasi-te \ midoH-no kuro-gami-
tvonagitamö. Onore-mo ^ ^ (u-fafsuj-no ^ ^ (kuni-koku)
Üi^ 'fr (^^^'''9^^) i ^ (siü'lcuH)'no on-tame futa-tsu-ni-wa
fana-waka-gimi-no J^ ^jß (seo-sij-no fodo-mo \ kiki-sadamen-to
ije-too ^f^ (zij'si amaneku kuni-guni-ico fe-meguri-sUni \ furu-
sato-no natsukasi'Sa \ sinobi-fe ^jjSf Wl {han-sidyni ^ (tsiakv)-
se-si-ga \ kimi-ga JJ|j ^ (hekkuanj-no & -^ (fai-böj-too kam
'^ ^ ^ (f'ta-jü)'tO'Wa sirane-domo I ^ ^ (n6'fu)-ni kwoasi-
ku ktkt'si'jori \ fisoka-ni abara-jn-ni — • J^ (issiühi-ai \ ^ 'ß
(jh'kuai)'no ^ ft| (u'mu)'ico kokoro-mi-si-ni,
,Die Gebieterin Faru-no I, als sie diedcs hörte, schor ihr
grünschwarzes Haupthaar ab. Ich selbst, als ein das Haupt-
haar behaltender, in den Reichen herumziehender Ordner des
Wandels, nahm des Vorgesetzten und Gebieters wegen, dann
auch, um über Leben und Tod des Gebieters Fana-waka
Gewisses zu hören, von dem Hause Abschied und wanderte
in sämmtlichen Reichen umher. In der Sehnsucht nach meiner
Heimath gelangte ich heimlich nach Fari-ma. Warum der be-
sondere Palast des Gebieters zerstört sei, wusste jener I-ta-jü
zwar nicht, doch nachdem ich von dem Ackersmanne genaue
Kunde eingezogen, übernachtete ich insgeheim in dem zerstörten
Hause und suchte zu erfahren, ob es eine Ungeheuerlichkeit
gebe oder nicht.
Tajete ajasi-mi-nio na-kari-sika-donw \ aka-tsuki-tsikaki
jume-no vtsi-iii \ — • ^ (ikko)-uo ^ ^ (ju-kon) makara-
kami-ni tatte l-on-mi-ga motomtiru icaka-gimi koso asatte-no fi-ni
sirarU'besi, hogi jodo-gawa-tco noboru-besi > jutne na-utagai-tamai-
80'to I m-ka-to omoje-ba sino-no meno \ sora-danome-naru jume-
no utsi-to I omoi-nagara-mo josi-ja waga \ sutni^ka-mo t^asi,
Saiwai-ni \ faru-no i-gimi-nimo ^^ (es) sento \ isogi kajereru
kono tokoro fafasl-te i ^Jj^ (siii-ziü) meguri-b \ -^ j^ (h'-jenj-
no fodo koso fu-si-gi nare-to.
Dms Hans «inai 3totthaU«n Ton Fari-ma. 337
,£s gab durchaus nichts Wunderbares, allein in einem
Traume, den ich gegen Tagesanbruch träumte, stand ein Geist
über dem Polster und sagte: Der junge Gebieter, den ihr
suchet, wird an dem morgigen Tage erkannt werden. Ihr
sollet eilig zu dem Flusse Jodo-gawa hinaufziehen. Seid ja
nicht im Zweifel! — So, wie ich glaube, sagte er. Ich hielt
es für einen bei Tagesgrauen geträumten unzuverlässigen Traum,
doch dachte ich: Gesetzt auch, so ist mein Wohnort nahe. Ich
werde glücklicher Weise die Gebieterin Faru-no I besuchen!
— Indem ich eilig heimkehrte, traf ich an diesem Orte im
Umherwandern wirklich den Vorgesetzten und die Begleiter.
Die Beschaffenheit der wunderbaren Beziehung ist seltsam.'
Ari'si si'dai'WO katari-oware-ba \ sei-getsu- f^ (ntj-wa
Ä ^^ (kiü-kaatj-no \ namida-wo osaje-kane-nagara \ ima kazu-
sada-nusi-ga tokeru gotoku \ mi-wa nure-ginu-wo oi-sikanasi-saljai-
ha-mfusi-te moro-fito-ni , akaki kokoro-wo misen-to omoje-do \ wori-
fuai himi-ga on^nasake-no tane-wo jadose-ba \ u-ba-tama-no \ jami-
jorijami-ni majowasanan-to \ imada minu -^ (koj-ni kokoro-ßkare \
wosi-karanu tsuki-ß-wo okuri-tsutsu \ umi'Otose'si-wa kono o-sen.
Als er mit der Erzählung des Vorgefallenen zu Ende
war^ sagte die Nonne Sei-getsu, die längst angesammelten
Thränen zu unterdrücken nicht im Stande : ,In meiner Traurig-
keit darüber, dass ich, wie jetzt Herr Kazu-sada dargelegt hat,
ein* feuchtes Kleid auf dem Rücken trug, gedachte ich, mich
in die Klinge zu stürzen und allen Menschen das rothe Herz
zu zeigen, doch da ich die Saat der zeitweiligen Neigung des
Gebieters beherbergte, wollte ich nicht von schwarzer Finsterniss
in Finsterniss irren lassen. Von dem Kinde, das ich noch nicht
sah, im Herzen angezogen, verlebte ich die nicht bedauerten
Monde und Tage, und das Geborene war diese 0-sen.'
Sare^mo jj^ (jo)'Wa'ba fabakari-te \ kazu-sada-nusi-wo
iHUi'to jobi I fawO'Wo tsikara-ni fawa-wa -^ (ko)'WO \ tajori-
to nasi'te \ kono tosi-Uuki tsuraki ^ f^ (sin-kuj-wo nase^si
kai I ^ (si)-8e-8i'to omoi-si fana-waka-ica \ sitasi-ku katarb isuke-
nnsi'io-wa \ jfiji (kami) naranu mi-no sirade sugi-si | ^ ^
(Tcin-kakti) mbde-no kajeru-sa-ni | on-mi-ni fazimete cd- ^ (take)-
no I ^ ^ (fud-miyno sato-jon on-mi-no se-na-ni l^oware-tarU
n-mo oja-to ko-no \ tsukinu jinii-si ari-st-ka-tx) \ kata-mi-ni te-ni
te-too tori'kawasi \ ureai-namida-wo ndgaae-si-ga,
Siteaugiber. d. phU.-hiitt. a. LXXXYII. Bd. I. Hfl. 22
338 Pfitmaier.
JndesBen, vor der Welt mich schämend, nannte ich Herrn
Eazu-8ada Vater. Dass sie auf die Mutter baute, die Mutter
das Kind zur Stütze machte und diese Jahre und Monde hin-
durch harte Mühsal ertrug, war von Nutzen. Indem ich, da
ich keine Gottheit bin, nicht wusste, dass Fana-waka, den ich
für gestorben hielt, Herr I-suke sei, mit dem ich. selbst ge-
sprochen, traf ich auf der Rückkehr von dem Besuche in dem
goldenen Söller mit dir zum ersten Male zusammen. Dass ich
von dem Dorfe Fusi-mi aus auf deinem Rücken getragen wurde,
ist wohl das nicht endende Verhältniss zwischen A eitern imd
Kind gewesen.^ — Hier nahmen sie sich gegenseitig bei der
Hand und vergossen Freudenthränen.
Ten'Zen-wa kata-gata-no \ ^ ^R (ki-güj'too fotondo J^ Äj
(kan'tan)-8t \ saru-nite-mo -^ -^ (bosi) ^ ^ (svä-ziin) ' tarn-
atsume-si ajasi-ki -^ -^ (rb-dzio) \ ika-naru 9^ (rei)-no nasu
waza-ni-ja-to \ ibukaru kata-je-no jj^ ^ (asi-Tnayjori \ hait^
^ ^ (vi'ki)-no tatau-to fitosi-ku | ito-mo jase-taru wonna-no
augata \ same-zame-to naku kawo-katatsi-wo \ faru-no t-tca tauku-
dzuku mite \ won-mi maki-no kata-ni masi-rrMsazu-ja. Kazu-sada-
mo me-wo tomete \ geni-mo ^ \^ (toku-toku) mi-tate-matsure-
ba I tajete fisasi-ki oku-gata narazu-ja-to.
Der Vorgesetzte der Speisen, die merkwürdige Begeg-
nung dieser Menschen sich zu Herzen nehmend, sprach ver-
wundert: Die seltsame alte Frau, welche Mutter und Eünd,
Vorgesetzten und Diener zusammenführte, was fiir eines Geistes
Werk ist es, welches sie verrichtet? — Zwischen dem zur
Seite befindlichen Schilfrohr kam plötzlich, mit der aufsteigen-
den Luft der Finsterniss gleich, die Gestalt eines sehr abge-
magerten Weibes bitterlich weinend hervor. Faru-no I, genau
ihr in das Angesicht blickend, fragte: Seid ihr nicht Maki-no
kata? — Auch Kazu-sada heftete das Auge auf sie und sagte:
Ich betrachte euch in der That aufmerksam. Seid ihr nicht
die lange Zeit getrennte Hausfrau?
Fai^u-no i moro-tomo tstka-joru-ni | aru-ka naki-ka-ni kagerd-
no I faka-naki-nagara taje-daje-no \ musi-no ne naseru ko-e ari-te
medzurasi-ja faru-no i-gimi \ kazu'aada-misi'ni'mo cuamasi-ki
augata-wo ma'mije-mbaan'Wa ito-mo fadzukaai 8ari'n<igara\ f||^|^
(aan-gej'fii taumi-wo jd^ (mea) au-to kike-ba \ aore^wo taikara-ni
Das Haui eines Statthalten ron Fari-raa. 339
ari'si "j^^ (joj-no , kltanaki kokoroiio kazu-kazu-wo | koto nagdku-
t<Hno kiki'te tabe.
Als Faru-Do I zugleich nahe trat, erklang undeutlich eine
dem abgerissenen Insectentone der vergänglichen Libelle ähn-
liche Stimme^ welche sagte: ^Dass ich vor der seltenen Ge-
bieterin Faru-no I und dem Herrn Kazu-sada in ärmlicher
Gestalt erscheinen werde, ist sehr beschämend. Indessen hörte
ich: Durch Busse tilgt man die Schuld. Kraft dessen möget
ihr die zahlreichen unreinen Neigungen der gewesenen Welt,
ist die Sache auch langwierig, hören*.
Saki-ni kazu-sada-ga ijeri-d gotoku \ faru-no ugimi-wo
waga kimi-no \ itsukusi-mi-masi-masu-ga kokoro-nikuku \ ito net^Jt-
masi'ku amd-kara \ kori-kazuje-m amd mune-wo \ uUt-akcisi-tsutsti
fakari-goto-wo koje-ba \ sika-aika se-jo-to osije-si mama \ faru-no
ügimi-ni misoka-ivo ari-io \ ato-nasi-koto-wo makaUhai-jaka-ni
P >\ (k6-mü)'8e'Si'ka'ba fakaruno gotoku \ waga kimi-no koto-
ni ikari-masi'te \ faru-no i-gimi-wo ^ (kd)-zesime \ tsui-ni m-
je-mon-wo site ^ (tsiüj-aesime-tamb.
,Wie früher Kazu-sada gesagt, voll Verdruss darüber, dass
der Gebieter die Gebieterin Faru-no I begünstigte, empfand
ich grossen Neid, und indem ich dem Vorsteher der Rechnungen
des Sa*eises meine Gedanken mittheilte, bat ich ihn um Rath.
£r rieth mir, so und so zu thun. Diesem gemäss hinterbrachte
ich auf eine Weise, als ob es wahr wäre, das unbegründete
Wort, dass die Gebieterin Faru-no I einen Buhlen habe. Wie
zu vermuthen, war mein Gebieter besonders zornig. Er brachte
die Gebieterin Faru-no I in Verlegenheit und Hess sie hierauf
durch Sa-je-mon hinrichten.'
Kazuje-wa nawo-yno ne-wo tatan-to \ fana-waka-dono-wo
fisoka-ni ubai \ kuma-saki-to jnran iri-je-ni sidzume \ warawa-ga
nozomi'WO kanaje-si-ga sore-jori warawa-ni to-ni kaku-to j 1^ ^
(ren-bo)-no ¥^ (zihj-wo kaki-kudoku. Ko-wa mifai-naramt mono-
to omoje-do \ warawa-ga ^f "A (mitsu-ziJ'WO nasi-owose \ koto
totanoje-ai uje-kara-wa | ina-to-mo saau-ga je-mo iwade \ kare-ga
mani-mani mi-wo makaae,
,Der Vorgesetzte der Rechnungen, um noch mehr die
Wurzel abzuschneiden, raubte heimlich den Herrn Fana-waka,
versenkte ihn in der Einfahrt von Kuma-saki und erfüllte
meinen Wunsch. Hierauf sprach er zu mir auf jede Weise
22*
340 Pfiimftier.
von der Heftigkeit seiner Neigung. Ich hielt dieses zwar für
etwas Ungebührendes, doch weil er meine Geheimnisse bei
sich trug und die Sache eingerichtet hatte, konnte ich that-
sächlich nicht Nein sagen und überliess mich seinem Willen.'
Makura-no kazu-wo kasanure-ha \ itsn-si kimi-wo nku omi \
mata-nio kazuje-to fakari-tsutau \ ^ Ij^k (mottaij-naku-mo waga
kimi-ni \ J^ s (tsin-dokuj-wo susume momo-tose-no joicai-wo
tsidzime-tate-matsuri \ sore-jori-wa tare fahakaran - tsuTna-Jo tvotto-
to namameki'te \ Q ^ (niisi-ja) jj^ ^ (in-rakuj-too fosi-i-
mama-ni se-si-ni \ ^ Sf- (ten-batau) ika-de nogaru-beku \ waga
mesi'Uukb }& (namij-no J^ (uje)-to iü kosi-moto-ni niata-mo-ja
kokorO'WO knjowasite | ^ (sedj-ju-mo kowade soba-me-to se-ai-ni.
,Als er die Zahl der Polster vermehrte, dachte ich einst
bekümmert an den Gebieter. Indem ich mich nochmals mit
dem Vorgesetzten der Rechnungen berieth, reichte ich schänd-
licher Weise meinem Gebieter Gift und verkürzte sein hundert-
jähriges Lebensalter. Hierauf — wer sollte sich schämen?
schmeichelte ich mich ein wie die Gattin bei dem Manne und
beging Tag und Nacht Ausschweifungen nach Gefallen. Wie
konnte ich der Himmelsstrafe entkommen? Mit einer Auf-
wärterin Namens Nami-no uje, welche ich in Dienst nahm,
tauschte er ebenfalls die Gedanken aus und machte sie, ohne
sie von mir auszubitten, zur Nebenfrau.'
Kano nami-no itje-wa kawo-ni iii-ge-naki ^ ^ (doku-fu)
nare-ba \ sama-zama jokosirna-wo susume-tsuf^u | tsui-ni toarawa-
mo ^ 7^ (dokusas) serave-nv. Q ^ (In-gua) j^ ^ (teki-
fb)-no jj^ (jo)-no ari-aama | ^ ^ ^ ^ (zi-gb-zi-tohihto
i'i-nagara \ semete-wa kazuje-ga ^& ^ (aku-gfakuj-wo \ kono
kata-gata'7i{ tsnge-uüajen-to \ kare-kore koko-ni-wa ^^ ^| (/«-
injseru
,Diese Nami-no uje war, im Widerspruche mit ihrem
Gesichte, ein boshaftes Weib. Sie beredete ihn zu allerlei
Unrecht, und zuletzt ward auch ich durch Gift getödtet Nach
der Beschaffenheit der Welt der Strafe für Böses, der treffen-
den Vergeltung empfangt man je nach den Werken, doch um
wenigstens die Unthaten des Vorstehers der Rechnungen euch
Allen anzuzeigen, habe ich jeden Einzelnen hierher geführt,
Dms Hau eines Staftthftlten von Fari-ma. 341
Sate-ntata saki-ni i-suke-nusi-ga | o-sen-misi-zo-to ^ ^
(setsu-gaij'nase'si'^ca \ JJ|j ^ (hetsu-zin) narade maje-ni toki-si \
kazuje-ga aoba-me-no jÖ (nami)-no J^ (uje) nari. Warawa-ga
H ^ (on'gü)'WO wasurnru-ncmi'ka, Kare-ga ^ JfJ (zetth)-
ni j|t (gaij-serare-tare-ha \ toaga ä|| ^ (siü-neki)-nite i-suke-
nuai-ga te-too kam-motsi-te 2fe '^ (fon-gwn)'WO ^ (Ifa«) «eW.
, Ferner ist diejenige, welche vorhin Herr I-suke, sie für
die Gebieterin 0-sen haltend, mit dem Schwerte tödtete, keine
andere, als Nami-no uje, die Nebenfrau des Rechnungsvor-
stehers, über welche ich früher Aufschluss gegeben habe. Ver-
gisst man einfach meine gütige Begegnung? Da ich durch ihr
Zungenschwert gemordet wurde, hat durch meine Grimmigkeit
Herr I-suke die Hand geliehen und ihren Busen durchdrungen/
Kakai^ ]^ ^ (zan'nin)'no warawa-ga fara-ni \ [jj ^
(fiüssedj-nase-si -Ife ^ 9{ (ban-go-rö) ^ (tenj-no nikumi-ni
^ ħ (hurai)'no wotsi-wotsi \ kono notsi i-suke-nusi-wo kimi-
^0 hgi I JjS^ J^ (kb-tari) ^ (udzi)'WO tsugase-tamaje, Mata han-
gchrb'Wa sikasu-ga-m \ jori-nori-kS-no on-tane nare-ba \ koH-no
ije-wo tsugastmete \ nagaku ^ ^ (ka-sinj-to nasasime-taniaje.
Waga 4^ ^ (nen-riki) mote keo tada-ima jokosima-wo aizoke
su-e-nagakti \ kb-tari-udzi-no J^ ^^ (tsiü-soj-to na^an-to.
,Der aus meinem, der so Grausamen, Leibe hervorge-
kommene Ban-go-r6 spielt zum Abscheu des Himmels nichts-
würdige Stücke. Von jetzt blicket zu dem Herrn I-suke als
dem Gebieter empor und lasset ihn das Geschlecht K6-tari fort-
setzen. Da ferner Ban-go-rö in der That der Sprössling des
Fürsten Jori-nori ist, so lasset ihn das Haus des Kreises fort-
setzen und für immer sich zu einem Diener des Hauses machen.
Durch meinen Entschluss wird er heute, eben jetzt, das Unrecht
zurückweisen und lange Zeit bis zu Ende bei dem Geschlechte
Kö-tari sich zum Fussgestell der Redlichkeit machen.'
Kotoba-no sita-jori fitori-no oni-bi \ thre-fusi-taru ban-gb-rb-
ga I mune-no aida-ni irn-to mije-»i-ga \ jcigate ban-go-rb ^ ^
(mU'ku)'to oki'te \ atari-wo nagame i-suke-ga maje-ni nukadzuki-
noM I saki-jori ^t dl (mu-tsiil)'7ii nakt-bawa-iio | sugi-kosi-kata-
no "hh ^jr (8i-matsu)-wo katari | itakti onore-ico imoMme-tamai-
si I airazaru koto tote ^ ;|^ (d6-kon)'no | waga imo-nto-wo
^ (ken-renj-si \ mata ^ f^ (ked-daij-to ^ ^ (faku-
342 PfiimftUr. Dm Hau eine« StatthAlton Yon Fari-m».
zinj'ißo awase-si koto koao kasiko-kere. Ima-Jori »otd-ica 3J|5 ^
(zia-aku)-%oo tozake \ nagaku kb-tari-no omi taran-to \ ^ 4^
(aku-neii) tatsi-matsi ^ j^ (fokkij-site \ -jg i^ {sin-gi)-^o
mono-no fu-to nari-taru-wa \ iio ari-gataki koto nari-kein.
Am Schlüsse dieser Worte schien ein Irrlicht in die Brust
des zu Boden gefallenen Ban-go-r6 zu dringen. Ban-go-r6 stand
sogleich unverdrossen auf, blickte vor sich hin und vor I-suke
sich niederbeugend, sagte er : Vorhin erzählte mir im Traume
die todte Mutter den Anfang und das Ende längstvergangener
Dinge. Es war Unbekanntes, wegen dessen sie mich streng
tadelte. Dass ich zu meiner Jüngern Schwester, welche aus
derselben Wurzel gesprossen, in Liebe entbrannte, ferner mit
dem Bruder die blosse Klinge kreuzte, es erfüllt mich mit
Scheu. Von nun an werde ich das Böse fernhalten und fiir
immer der Diener des Geschlechtes K6-tari sein. — Indem
seine bösen Gedanken plötzlich verflogen, wurde er ein treuer
und gerechter Eriegsmann: es war etwas sehr Schätzbares.
Maki-no kata-no "^ ^ (bb-reij-wa \ kawa-kami-wo küto
mite I are-are kanata^ni ma-fo agete \ koko-ni noboreru funa-kage
ko80. ^ ^ (Kokvrzoku) kazuje ^ ^^ (itobu-mitstj-ga \ ban-
go-rb-no mukai-to jBk (seoj-si \ kokorono utsi-ni-wa ^ ^r (bö-
kei) atte \ mijako-ni noborerti fune nari-keri. Toki-mo tvori tote
koko-ni kuru koso ^ jft3 (ten-mo) nogarezaru tokoro nari. Ana
uresi-ja-to iü-ka-to omoje-ba \ sugatawa mijezu naH-ni-kerL
Der Geist Maki-no kata's blickte scharf nach dem oberen
Laufe des Flusses und sprach : Dort auf jener Seite hat man
ein Segel aufgespannt, hier ist das Bild eines herauffahrenden
Schiffes. Der Reichsräuber, der Rechnungsvorsteher Nobu-mitsi
gibt vor, Ban-go-rö entgegen zu ziehen, in seinem Herzen hat
er Hinterlist, es war das nach Mijako hinauffahrende Schiff.
Meinend, es sei die Zeit, kommt er hierher, es ist der Ort, wo er
dem Netze des Himmels nicht entkommt. O wie erfreulich! —
Man glaubte, dass sie so sprach, und ihre Gestalt war ver-
schwunden.
Bemerkung.
Das zehnte Capitel folgt an einem anderen Orte nach-
träglich.
He in sei. üeber die Bsdailben der altnordieclien Sprache. 343
Ueber die Endsilben der altnordischen Sprache.
Von
Biohard Heinzel.
Einleitung.
XJie Gestalt der altnordischen Sprache, wie wir sie aus
den Handschriften des dreizehnten und der folgenden Jahr-
hunderte kennen, muss schon geraume Zeit vorher ausgebildet
worden sein. Denn die Inschriften, welche die dänischen Könige
Gorm und Harald Ende des neunten oder in der ersten Hälfte
des zehnten Jahrhunderts * in Jaellinge einhauen Hessen, zeigen
im wesentlichen schon das nordische unserer Grammatiken.
Ueber die Jaellingesteine siehe Wimmer Opuscula ad Madvigium
a discipulis missa S. 193 ff.
Denselben Sprachformen aber begegnen wir auch in einer
Reihe runischer Denkmäler, welche zwar keine historische
Fixierung zulassen, aber sich eines alterthümlicheren Alpha-
betes bedienen als die jaellingischen, die Steine von Ealderup,
Snoldelev, Helnaes u. s. w. Ebenfalls dänische Inschriften,
welche demnach nicht mit den Jaellingesteinen als gleichzeitig
angenommen werden dürfen. Ein Jahrhundert können vrir
getrost als Zwischenraum ansetzen. S. Wimmer Runeskriftens
oprindelse S. 177.
Vorangehen müssen diesen verhältnissmässig jungen In-
schriften jene, welche ganz in dem älteren Alphabet, der
längeren Reihe, abgefasst sind. Verschiedenheiten in Gestalt
und Verwerthung der Zeichen, sich deckend mit Verschieden-
1 Dahlmann Geschichte von Dänemark I, 68 ff.
344 HeiDsel.
heiten der LautgebuDg, nöthigen die Zeit dieser sehr alten
Denkmäler in zwei Perioden zu zerlegen, die eine die der
ältesten Schrift und der ältesten Sprache, die zweite einen
Uebergang bildend.
Die Sprachformen nun, welche die älteste Periode bietet,
sind so beschaffen, dass sie unmittelbar oder sehr bald nach
der Geburt des germanischen Sprachtypus, d. i. nach Eintritt
des vocalischen Auslautgesetzes, entstanden sein können. Da-
durch ergibt sich eine mit der Geschichte der Schrift parallele
Periodisierung der nordischen Sprache seit ihrer Ablösung von
einer europäisch -arischen Urform bis auf die Zeit der uns
geläufigen Sprachform von selbst. Denn wenn es auch gar
keine älteren Inschriften gäbe als die von Kalderup oder die
Jaellingesteine, so müsste man doch versuchen, die nordische
Schriftsprache von einer älteren Form abzuleiten, welche aus
einer Vergleichung der ältesten geimanischen Sprachen mit
den übrigen der europäisch-arischen Gruppe, sowie mit der
nordischen Schriftsprache zu erschliessen wäre. Dass der
Infinitiv im ältesten nordisch einmal faran gelautet, der Genitiv
Sing, der masc. neut. a-Stämme einen Vocal vor dem s gehabt
haben müsse u. s. w., kann man mit aller Sicherheit voraus-
setzen. Und da z. B. der i-Umlaut im gewöhnlichen Nordisch
nicht mehr wirkt, in der ältesten nach Massgabe der übrigen
germanischen Dialekte noch nicht vorhanden war, ergibt sich
nothwendig eine zweite Periode.
Die dritte Periode bildet die Sprache unserer Hand-
schriften, welche aber, wie gesagt, sich bis vor die Zeit König
Gorms zurück verfolgen lässt.
In dem folgenden ist der Versuch gemacht, ein Bild der
nordischen Sprachentwicklung — vorzugsweise aber doch nicht
ausschliesslich der Endungen — in diesen drei Perioden zu
zeichnen: für die erste und zweite Periode sind die inschrift-
lichen Belege des ersten und zweiten Alphabets, nach Wimmers
Eintheilung, Runeskriftens oprindelse S. 177 beigesetzt.
Die Endungen sind bei jedem Vocal zunächst in Gruppen
gesondert, welche sich aus dem gleichen Schicksal der unter
ihnen vereinigten Fälle ergeben: innerhalb derselben herrscht
alphabetische Ordnung.
üeber die Endsilbtii der altBordisohen Sprache. 345
Eingerückt sind die Formen, in welchen der fragliche
Vocal nach Eintritt der vocalischen Auslautgesetze vor der
letzten Silbe zu stehen kommt, eingeklammert jenC; welche
später durch Analogiebildungen verdrängt wurden, so wie diese
selbst.
Die Beispiele sind zum grossen Theil die Paradigmen
der Wimmer'schen Grammatik. Hie und da wurden andere
Wörter gewählt, um die Einwirkung des Umlautes ersichtlich
zu machen. Die meisten werden am Schluss der Abhandlung
zu dem gewöhnlichen Schema def Declination und Conjugation
vereinigt vorgeführt.
346
Heinxel.
Yoi den Auslaatgesetzen.
Letste Silbe.
A -am . . . .
-an« ....
A -ä
-dn
-är
•dt
Ä 'da
-am, -aäm, -däm
Erste Periode.
Letzte Silbe.
armä (A.Sg.), staina Tune, landä
(N.A.Sg.), korna (A.Sg.)
GallehuuB, hlaiya (N. Sg.) Bö,
spakanä (A. Sg. Masc), mxnä
(G. Sg.), innanä (Adv.)
armann (A.Pl.), spakann (A.Pl.
Masc.)
landu (N.A.Pl.), vaJcu (N.Sg.),
Saraln Orstad, spaku (N.Sg.
Fem. N. A.P1. Neut.), [faru
(l.Sg.)]
hana (N.Sg.), ll(a)r(l)la Etel-
hem, Wlwila Vaeblungsnaes,
Nlnwila Varde.
fadar (N.Sg.)
tamida (3.Sg.),w(o)rta Etelhem.
kalld (l.Sg. Ind. [2.Sg.Imp.])
mannd (G.Pl.), arbingano Tuoe,
»pakaro, armo (G.Pl.), [vako
(A.Sg.)], vak6 {Gt.Tl), spako
(A.Sg. Fem.), tamido (l.Sg.),
tawldo Gallehuus, faihido
Einang, wird towidö^WOrahto
Tune.
tungo (N.Sg.), Flno Berga,
Lntliro Dalby, Hariso Hün-
linghöje, augo (N.A.Sg.)
armSr (N.Pl.), ^<^J^ (Q.Sg.N.
A.Pl.), ThuingoB (G.Sg.)
Tune, rnnoB (A.Pl.) Var-
num, Einang, thaior (N.A.P1.
Fem.)
üeber die Endwlbeik dar altnordisdien Spnohe.
347
Zweite Periode.
Letste Silbe.
A arma (A.Sg.) HariwnlAf A Ista-
by, Hathuwolafa Gommor,
landa (N. A, PI.) , spakana
(A. Sg. Masc), mina (G. Sg.),
innana (Adv.)
arman (A.PL), spakan (A.Pl.
Masc.)
A löndu(S. A.¥l)y üöikt* (N. Sg.),
spöku (N. Sg. Fem. N. A.Pl.
Neut), [föm (l.Sg.)]
hane (N.Sg.), dandeBjörketorp.
Dritte Pmode,
IietBte Silbe.
arm (A.Sg.), land (N.A.Sg.),
spakan (A. Sg. Masc.) , min
(G.Sg.), innan (Adv.)
arma (A.Pl.), spaka (A.PL Masc.)
lönd (N.A.P1.), vök (N.Sg.),
spök (N. Sg. Fem. N. A. PI.
Neut), [fer (l.Sg.)]
hani (N.Sg.)
fader (N.Sg.) fadtr (N.Sg.)
tamde (3. Sg.), sate Gomraor, i tamdi (3,Sg.)
wurte ? Tjörkö.
A kalU (l.Sg. Ind. [2.Sg. Imp.])
mannd, spakarä, armäf vakä
(G. PL), [vakä (A. Sg. )], spakd
(A.Sg. Fem.), tomda(l.Sg.)
tungd (N.Sg.), augä (N.Sg.)
armdr (N.PL), vakdr (G.Sg.N.
A. PL), rnnaR (A. PL) Istaby,
Björketorp, rnnoB Tjörkö,
ronoR Stentofte, thaidr (N.
A.PL Fem.), thaiaB (A. PL)
Istaby.
kalla (1. Sg. Ind. [2. Sg. Imp.])
manna, spakra, arma, vaka (G.
PL), [v'ök (A:Sg.)], spaka
(A.Sg. Fem.), tainda (l.Sg.)
tunga (N.Sg.), auga (N.Sg.)
armar (N.PL), vcJcar (G.Sg.
N. A. PL), ^er (N. A.PL Fem.)
348
Heiniel.
Vor den Auslautgesetzen. ! Erste Periode.
Letste Silbe. < Letate Silbe.
'ds ^ apt&r (Adv.)
' iUd (Adv.)
(l7lt
Vor der letzten Silbe.
A -anam ('alam^ -aram)
-anam
-anäm
-ancis
-ani
-antdn
-anti
-alfis
-anaa
-aras
-ald, -alaamdi, -aläi, -alai,
-alaiasy -alanam
-anai
^arai
-asja . .
tamidSn (3. PL) wird tamdun.
Vor der letaten Silbe.
thnmalä, aptanä, hanuirä
(A. Sg.), spakanä, gama-
lanä, audeganä (A. Sg.
Masc), innanä (Adv.)
hanan (A.Sg.)
[hanand{Q,Fl,)], arbingano
Tune, augand (G.Pl.)
hanann (G. Sg. A. PI.), [hanann
(N. PI.)], Kethan (G. Sg.)
Belland.
faran (Inf.), hanan (D. Sg.)
wltadahalaiban Tune.
faranda (Part. Prs.)
farann (3. PI.)
thumalr (N.Sg.)
aptanr (N.Sg.)
hamarr (N.Sg.)
gamalu (N.Sg. Fem. N.A.
PI. Neut.) , ganicdummu
(D. Sg. Masc.) , gamalu
( D. Sg. Neut.) , th umale
(D.Sg.), jfamaZer(N. PI.
Masc), gamalanä (A.8g.
Masc.)
aptane (D.Sg.)
hamare (D.Sg.)
armasSj thumalassy apiafutsit.
hamarass (G.Sg.), Hnabdas
Bö, Godagas ValsQord, lan-
dass (G.Sg.), onA<w(D. PI.)
Ueber die Bndgilb«n der altnordisehen Sprache.
349
Zweite Periode.
LetBte Silbe.
aptär (Adv.)
illd (Adv,)
tömdun (3. PI.)
Vor der letzten Silbe.
A thumala, aptana, hamara
(A. Sg.), spakana, gam^-
lana, audegana (A. Sg.
Masc), innana (Adv.)
hanan (A.Sg.)
[hanand (G.Pl.)], auganä
(G.Pl.)
hanan (G. Sg. A. Fl.) , [hanan
(N.Pl.)]
faran (Inf.), hanan (D. Sg.)
farande (Part. Prs.)
faran (3. PI.)
thumalr (N.Sg.)
aptanr (N.Sg.)
hamarr (N.Sg.)
gömulu (N. Sg. Fem. N. A.
PI. Neut), gömulumu (D.
Sg. Masc), gömtdu (D.
Sg. Neut.), thumale (D.
Sg.) , gamaler (N. PI.
Masc), gamalana (A.Sg.
Masc.)
aptane (D. Sg.)
hamare (D.Sg.)
armas, thumalaSj aptanas, ha-
maras, landab (G»Sg.), onkar
(D.Pl.)
Dritte Periode.
Letzte Silbe.
aptar (Adv.)
üla (Adv.)
tömdu (3. PI.)
Vor der letzten Silbe.
thumal, aptan^ hamar (A.
Sg.) , spaJcan , gamlan,
audgan (A. Sg. Masc),
innan (Adv.)
hana (A.Sg.)
[hana{Q.?l)laugna{Q.Fl)
hana (G.Sg. A. PL), [hanar (N.
PI.)]
fara (Inf.), hana (D.Sg.)
farandi (Part. Prs.)
fara (3. PI.)
thunmll (N.Sg.)
aptann (N.Sg.)
hamarr (N. Sg.)
gömul (N.Sg. Fem. N.A.
PI. Neut.), göndum (D.
Sg.Masc), gömlu(D.Sg.
Neut.), thumli (D.Sg.),
gamlir (N. PI. Masc),
gamlan (A. Sg. Masc.)
aptni (D.Sg.)
hamri (D.Sg.)
armSy thumah, aptans, hamars,
lands (G.Sg.), okkr (D.Pl.)
350
Hein tel.
Yor den Auslautgesetzen.
Vor der letsten Silbe.
'Osäm, -asjäs, -asjdi
-atai .
-atjani
^adam
^akas
-anas
-akaiaSj -akasmäi
-anaiaa, -anasmai
-ata
-am
-ama .
'anbkims
-anam
'Osmäi
Ä 'dni
'dnidn
'dnti
'dsdVf 'dstaa . . .
-Ärf
'dta
'ddhäm, -ddhäma usw.
Erste Periode.
Vor der letsten Silbe.
spakaro (G.Pl.)i spakaror
(G. Sg. Fem.) , spakare
(D. 8g. Fem.)
haitade (S.Sg.Pass.)
hugassan (Inf.)
that (N.A.Sg.), spakat (N.A.
Sg. Neut.)
audegr (N.Sg. Masc.)
farenr, takenr (Part. Pf.), hai-
tlnaBTanum, heidhenr, openr
(N.Sg. Masc.)
audeger (N. PI. Masc. j, an-
degummu (D.Sg.Masc.)
heidJiener , operier (N. PI.
Masc.) ; heidhenummu,
openummu (D.Sg. Masc.)
fared (2. PI.)
after (Praep.), afteB Tune,
yhar (Praep.), obaR Varnmn.
farum (l.Pl.)
armumry landumr, hanumr, /i«-
gumr (D.Pl.)
fadurä (A.Sg.)
spakummu (D.Sg. Masc.)
kalldn (Inf.)
kalldnda (PartPrs.)
kalldnn (3. PI.)
spakdra (N.Sg. Masc), spa-
kostr (N.Sg. Masc), sin-
gOsteB (N. PL Masc.)
Tune.
kall6r (2.Sg.)
\kamd (2. PI.)]
kallodd (l.Sg.), kalWddm
(l.Pl.) wird kalludufiu
Ueber die Endsilben der altnordischen Sprache.
351
Zweite Periode.
Vor der lotsten Silbe.
sfpdkard (G.PL), apakarär
(G. Sg. Fem.) , spakare
(D.Sg.Fem.)
heitade (3. Sg. Pass.)
hugasan (Inf.)
that (N. A. Sg.), that Björketorp,
spdkat (N. A.Sg.Neut.)
audegr (N. Sg. Masc.)
farenvy tekinr (Part. Pf.), heid-
hmr, openr (N.Sg.Masc.)
audger (N. PL Masc), aud-
gumu (D. Sg. Masc.)
heidhner y opner (N. PI.
Masc), heidhnumu, op-
nnmu (D. Sg.Masc.)
fared (2. PI.)
eftir (Praep.), yßr (Praep.)
forum (l.Pl.)
örnumr, löndumrj hönumr, au-
gumr (D.Pl.)
f'ödura (A. Sg.)
spökumu (D. Sg.)
Ä kallän (Inf.)
kaUdnde (Part.Prs.)
kcdldn (3. PI.)
spakare (N.Sg.Masc), spa-
kästr (N. Sg.Masc j
kalldr (2.Sg.)
[kaUdd (2. PI.)]
kallddd (l.Sg.), köUudum
(l.Pl.) usw.
Dritte Periode.
Vor der lotsten Silbe.
spakra (G. PI.) , spakrar
(G.Sg.Fem.), 8pakn{D.
Sg. Fem.)
heiti (3.Sg.Pass.)
kugsa (Inf.)
that (N. A. Sg.), spakt (N. A. Sg.
Nei^t.)
audigr (N.Sg.Masc)
farinn, tekinn (Part. Pf.) heiiinn,
opinn (N. Sg. Masc.)
audgir (N. PI. Masc), aud-
gum (D. Sg.Masc)
heidnir, o/mir(N.Pl.Masc),
heidnum, opnnm (D.Sg.
Masc.)
faHd (2. PI.)
epHr (Praep.), yfir (Praep.)
ßh^m (l.Pl.)
öi-mum, löndum, hönwn, augum
(D.Pl.)
födur (A.S.)
spökum (D.Sg.)
kalla (Inf.)
kaUandi (Part. Prs.)
kalla (3. PI.)
spakari (N. Sg. Masc), spa-
ka^tr (N.Sg.Masc)
kallar (2.Sg.)
[kallid (2.?l)]
kallada (l.Sg.), kölludum
(1. PI.) usw.
352
Heiniel-
Vor den Auslautgesetzen.
Vor der lotsten Silbo.
-dtaa
-an
-ana . .
'änam . .
'änäm
'dnas
'dnhhims
'äni
Letzte Silbe.
JA -ja
"jam
'ijam
'jas
'jus
'Jans
'Jans
JA 'ja
Erste Periode.
Vor der letsten Silbe.
kaUddr (Part. Pf.)
tamiddr (2. Sg.) wird tamddr,
kalldm (l.Pl.) wird kaüum, ta-
middm (1. PI.) wird tamdum,
augon (N. A.Pl.) wird atigun,
tungon (A.Sg.) wird tungun.
tungond (G.Pl.) wird tun-
guno.
tungdnn (G. Sg.), Igingon Sten-
stad, wird tungunnj \iun-
gdnn (N.A.Pl.)]
vakomr (D. PI.) wird vakumr^
tungdmr (D.Pl.) wird tungumr,
tungon (D. Sg.) wird tungun.
LetBte Silbe.
tami, bargi, domi (2.Sg.Imp.)
kunjä (N. A.Sg.), bakjä (A.Sg.)
Uddhijä (N. A. Sg.), hallijä (A.
Sg.)
hakir (N. Sg.), frdgir, vdnir (N.
Sg.Masc); SaligastiB Ber-
ga, HlewagastiB Gallehaus,
ThallB Bratsberg, MariR
Thorsbjerg.
halltr (N.Sg.)
batir, haMir (Adv.)
bakjann (A.Pl.)
halljann (A.Pl.)
tamju (l.Sg.), angju (N.Sg.),
kunju (S.A.F\.)yfrägjn, van-
ju (N.Sg. Fem.)
XTelier die Endsilben der altnordischen Sprache.
353
Zweite Periode.
Vor der letsten Silbe.
kallddr (Part. Pf.)
famder (2. Sg.)
Mlum (l.Pl.), tömdum (l.Pl.)
augun (N.A.P1.)
tungun (A.Sg.)
tungunä (G.Pl.)
tungun (G. Sg.), \tungun (N. A.
PL)]
vokumr (D. PL), tungumr (D. PL)
tungun (D.Sg.)
Letste Silbe.
JA temiy bergt, doemi (2, Sg. Imp.)
kifnja (N. A.Sg.), bekja (A.Sg.)
klaedhija (N. A. Sg.), hellija (A.
Sg.)
bekir (N. Sg.), fraegir, vaenir
(N.Sg.Masc.)
Dritte Periode.
Vor der letzten Silbe.
kaUadr (Part Pf.)
tamdir (2. Sg.)
köllum (l.PL), midum (l.PL)
augu (N.A.PL)
tungu (A.Sg.)
tungna (G.PL)
tungu (G. Sg.) [tungur (N. A. PL)]
v^kum (D.PL), tungum{D.V\.)
tungu (D.Sg.)
Letste Silbe.
<em, berg, doem (2. Sg.Imp.)
kyn (N.A.Sg.), bekk (A.Sg.)
klaedi (N. A. Sg.), hellt (A. Sg.)
bekkr (N.Sg.), fraegr, vaenn
(N.Sg.Masc.)
hdlir (N. Sg.), HaeruwulaflR? heüir (N. Sg.)
Istaby.
betir, heldir (Adv.)
bekjan (A.PL) wird bekin
helljan (A.PL)
betVj heldr (Adv.)
bekki (A.PL)
hella (A.PL)
JA temju (l.Sg.), engjn (N.Sg.), iem (l.Sg.), mg (N Sg.), kyn
kynju (N.A.PL), fraegju, , (N.A.PL), fraeg, vaen (N.
vaenju (N.Sg. Fem.) | Sg. Fem.)
SitiiingBber. d. phfl.-hi8i a. LXXXYII. Bd. I. Hft.
23
354
Heiniel.
Vor den AuslaatgeBetzen. ' lirste Periode.
Iietste Silbe. Letste Silbe.
-ijd I bargijuy ddmijn (l.Sg.), armgu
I (N.Sg.), klädhiju (N.A.Pl.)
'ijän
'ijän
'ja.
'jäm
'jäm
-jäm
'ijäm
'jaäm
atadja (N.Sg.)
andja (N.Sg.)
JA 'ja aggjo (l.Sg.Ind. [2.Sg.Imp.]j
frägjd (A.Sg.Fem.)
vänjd (A.Sg.Fem.)
[angjd (A.Sg.)]
[arm/ö (A.Sg.)J
bakjd, kunjd, rtkjS (G.Pl.)
haUjo, klddhjd (G.Pl.)
-jääm angjo (G.Pl.)
'jääm armjd (G.Pl.)
-jäm I forjd , tdkjo , tamidjo (später
tamdjS)y hargidjo, ddmidj6,
vakedjd (später vaktj6)y kal-
lddj6 (l.Sg.Opt.)
bulgjd (N.Sg.)
haUj6 (N.Sg.), aurj6 (N. A.Sg.)
'jän
-jän
'jän [frödi (N.Sg.)J
-jäs
•jäs
Vor der letzten Silbe.
JA -ja^
bakjdr (N.Pl.)
angjdr (G.Sg. N. A. PI.)
armj6r (G.Sg. N.A.Pl.)
Vor der letsten Silbe.
tamir (2. Sg.Ind.)
'ijasi I bargtr, d&mir (2.Sg.Lid.)
'jasja baktsSj kuniss (G. Sg.), frdgtssy
, vänise (G. Sg. Masc. Neut.)
'ijasja ' hallisSf klddhiss, rikSss (G. Sg.)
I
'janam atadjan (A. Sg.)
'janam andjan (A. Sg.)
üeb«r die BndsilbM der ftUnordiiicbeD Sprache.
355
Zweite Fehode.
Leiste Silbe.
bergiju, doemiju (1. Sg.), ermiju
(N. Sg.), klaedkiju (N. A. PL)
ttedje (N.Sg.)
mdje (N.Sg.)
JA eggjd (1.1^. Ind. [2.Sg.Imp.)]
fraegjä (A.Sg.Fem.)
vamjd (A.Sg.Fem.)
[engjd (A.Sg.)]
[ermjd (A.Sg.)]
hekjd, hynjd, nkja (G.Pl.)
hdljd, klaedhjd (G. Fl.)
engjd (G.Pl.)
ermjä (G.Pl.)
fonjd, toekjn, temdjd, bergiiijd,
doemidjd , wJctjd, kaVädjd
(i.Se.Opt.)
hylgjd (N.Sg.)
kdljd (N.Sg.), eifrjd (N.A.Sg.)
\Jroedi (N.Sg.)]
hekjär (N. PI.) wird heUr.
engjdr (N.A.Pl.)
ermjdr (N.A.Pl.)
Vor der letzten Silbe.
JA tendr (2.Sg.Ind.)
her^T, doemir (2.Sg.Ind.)
hekü, kynis (G.Sg.), fraegisj
vaenü (G.Sg. Masc.Neut.)
hellta, klaedhts, likts (G.Sg.)
stedjan (A.Sg.)
endjan (A.Sg.)
Dritte Periode.
Letste SUbe.
bergi\ doemi (1. Sg.), ermi \ermr]
(N.Sg.), klaedi (N.A.Pl.)
stedi (N.Sg.)
endi (N.Sg.)
^ggja (l.Sg.Ind. [2.Sg.Imp.])
fraegja (A.Sg.Fem.)r
vciena (A.Sg.Fem.)
[mg (A.Sg.)J
[ermi (A.Sg.)]
bekkja, kynja, rikja (G.Pl.)
hdla, klaeda (G.Pl.)
engja (G.Pl.)
erma (G.Pl.)
fofra, toeka, ternda, bergda,
doemda, vekta, kallada (1. Sg.
Opt.)
f>yigja (N.Sg.)
heila (N.Sg.), eyra (N.A.Sg.j
[froedi (N.Sg.)]
hekkir (N.Pl.)
engjar (N.A.Pl.)
ei^ar (N.A.Pl.)
Vor der letzten Silbe.
iemr (2.Sg.Ind.)
hergiry doemir (2. Sg. Ind.)
hekks [hekkjar\, kyns (G.Sg.),
fraegs, vaens (G. Sg. Masc.
Neut.)
hdlis, klaedia, rikis (G.Sg.)
stedja (A.Sg.)
enda (A.Sg.)
28*
356
H«inxel.
Vor den Ansiautgesetzen.
Vor der lotsten Silbe.
-jantM
-jani
'jani
"jani
'jani
'jantän
'jantdn
-janti
-janti
-jasämy -jasjäsy -jasjäi
-jata
'jama . .
'jama . .
'janbhims ,
'janbhims .
-janbhims .
'janbhims .
-jasmdi
'jasmäi
JA 'jädhäm, 'ji
•jäni
-jdntdn
Erste Periode.
Vor der lotsten Silbe.
stadjann (G.Sg. A.PL), Thra-
wingan (G.Sg.) Tanum, [stad-
jann (N.Pl.)]
andjann (G. Sg. A. PI.) , [and-
jann (N.PL)]
stadjan (D.Sg.)
andjan (D.Sg.)
tamjan bargjan (Inf.)
ddmjan (Inf.)
tamjanda, bargjanda (Part.
Pr8.)
domjanda (Part.PrB.)
tamjann, barg jann (3. PL)
ddmjann (3. PL)
frdgjaro (G. Fl),frdgjar6r
(G.Sg. Fem.), frdgjare
(D.Sg. Fem.)
tamjedj bargjed, d&mjed (2. PL)
tamjum, bargjum (1. PL)
ddmjum (l.PL)
bakjumr , kunjumr , i-ikjumrj
frdgjumr (D. PL)
halljumr, klddhjumr, vdnjumr
(D.Pl.)
stadjumr (D.PL)
andjumr (D. PL)
frdgjummu (D. Sg. Masc.)
vdnjummu (D.Sg. Masc.)
agg j6d6 {l.Sg,), aggjod^
(l.PL) wird aggjudum
usw.
aggjonda (Part. Prs.)
Veih%r die Endiilben der altnordiiolien Spnche.
357
Zweite Periode.
Vor der leisten Silbe.
ttedjan (G.Sg.A.PL), [stedjan
(N.Pl.)]
endjan (G. Sg. A.Pl.), [mdjan
(N.Pl.)]
stedjan (D.Sg.)
endjan (D.Sg.)
temjany bergjan (Inf.)
doemjan (Inf.)
temjandej bergjande (Part.
Pr8.)
doemjande (Part. Prs.)
temjan, bergjan (3. PI.)
doemjan (3. PI.)
fraegjard (G.Pl.), fraeg-
jardr(Ot.Sg.Fein.),fraeg-
jare (D.Sg. Fem.)
temjedf bergjed, domjed (2. PI.)
ternjum, bergjum (l.Pl.)
doemjum (l.Pl.)
bekjumr , gestnm R Stentofte,
kynjumr, rikjumry fraegjumr
(D.Pl.)
helljumry klaedhjumr, vaenjumr
(D.Pl.)
stedjumr (D.Pl.)
endjumr (D. PI.)
fraegjumu (D. Sg. Masc.)
vaenjumu (D.Sg. Masc.)
J-^ *?S/^<^" (l'SgO? ^ggjudum
(l.Pl.) usw.
eggjdn (Inf.)
eggjdnde (Part. Prs.)
Dritte Periode.
Vor der lotsten Silbe,
siedja (G.Sg.A.PL), [siedjar
(N.Pl.)]
enda (G.Sg.A.PL), [endar (N.
PL)]
steäja (D.Sg.)
enda (D.Sg.)
temja, bergja (Inf.)
doema (Inf.)
temjandiy bergjandi (Part.
Prs.)
doemandi (Part. Prs.)
temjaj bergja (3 PL)
doeina (3. PL)
fraegra (G.PL), fra^,grar
(G. Sg. Fem.) , fraegri
(D.Sg. Fem.)
temid, bevgid, doemid (2. PL)
temjwn bergjum, (l.PL)
doemum (l.PL)
bekkjum, kynjum, rikjum^ fraeg-
jum (D.PL)
hellum, klaedum, vaenum (D.Pl.)
stedjum (D.PL)
endiim (D.PL)
fraegjum (D.Sg. Masc.)
vaenum (D.Sg. Masc.)
eggjada (l.Sg.), eggjudum
(l.PL) usw.
eggja (Inf.)
eggjandi (Part. Prs.)
3Ö8
HeiBieL
Tor den Auslautgesetzen.
Vor der lotsten Silbe.
-jdnti
'jdsi
-y^to
'jdtas
'jdma
'jdnam
'jänam
'jdnam
-jdnam
'jdna^
'jdnas
'jdnhhims
-jdnhhims
'jdnbhims
'jdnbhims
'jdnt
'jdni
LetBte Silbe.
t 'tnt
4t
Vor der letsten Silbe.
I 'ilam^ -inam . . .
-üaa, 'inas
I
Siste Periode.
Vor der letsten Silbe.
aggjdnn (3. PL)
[aggjdd (2. PL)]
aggjddr (Part. Pf.)
aggjom (l.PL) wird aggjum,
hulgjon (A. Sg.) wird bulgjun.
halljdn (A.Sg.) wird halljun.
bulgjdnS (G.PL) wirdbfdg'
juno.
halljdnd (G. PL) wird hau-
jund.
hdgjonn (G.Sg.) wird hvlgjunn^
[hulgjmn (N.A.PL)]
halljonn (G. Sg.) wird halljunn,
[halljdnn (N.A.PL)]
angj&mr (D. PL) wird angjumr.
armj&mr (D.PL) wird armjvmr.
bulgjomr (D.PL) wird bulgjumr,
halljdmr (D. PL) wird halljumr,
bulgjdn (D. Sg.) wird bulgfun.
haUjdn (D.Sg.) wird kaUjun.
Iietste Silbe.
f6rin, toiän, tamidtn (später
tamdin)^ bargidtn^ ddmiün,
vakedtn (später vakt n), kaUo-
din (3.PL0pt.)
fdri, t6U, tamidt (später tamdi),
bargidi, dßmidi, vakedt (spä-
ter vaktijj kaUddi (3. Sg.
Opt.)
Vor der letaten Silbe.
lukilä, himinä (A. Sg.)
lukilr, himinr (N.Sg.), mücür
(N.Sg.Masc.)
Ueber die Bndtilben der »linordischeii Sprache.
359
Zweite Periode.
Vor der lotsten Silbe.
egsjän (3. PI.)
egsjär (2.Sg.)
[egajäd (2. PI.)]
eggjädr (Part. Pf.)
eggjum (l.Pl.)
hflgjun (A.Sg.)
helljun (A.Sg.)
hylgjunä (G.Pl.)
Mljunä (G.P1.)
hylgjun (G.Sg.), \hylgjun (N.
A.Pl.)]
hdljun (G.Sg.), \Mljun (N.A.
PI.)] ■
engjumr (D.Pl.)
ermjumr (D.Pl.)
hylgjumr (D.Pl.)
kelljumr (D.Pl.)
bylgjun (D. Sg.)
helljun (D.Sg.)
Leiste BÜbe.
1 /oeriny toekin, temdin, bergidtiiy
ddmidin y vekHn , kcUlddtn
(S.PLOpt.)
yoert , toekt , temdi , bergidt,
doemidi, vekti, kallddi (3.Sg.
Opt.)
Vor der letaten Silbe.
lykila, himina (A.Sg.)
lykilr, himinr (N.Sg.)^ mikilr
(N.Sg.Maßc.)
Dritte Periode.
Vor der lotsten Silbe.
eggja (3. PI.)
eggjar (2.Sg.)
[eggid (2. PI.)]
eggjadr (Part. Pf.)
^ggjum (l.Pl.)
hylgju (A.Sg.)
hellu (A.Sg.)
hylgna (G.Pl.)
hellna (G.Pl.)
hylgju (G.Sg.), [hylgjur (N.
A.P1.)]
hdlu (G. Sg.), [ÄeKuf (N. A. P1.)J
engjum (D. PI.)
ermum (D.Pl.)
6y^Mm (D.Pl.)
AeHwm (D.Pl.)
bylgju (D.Sg.)
heUu (D.Sg.)
Lotste Silbe.
foeriy toeki, temdiy hergdi, doem-
diy vektiy kalladi(d. PI Oipt)
foeri, toeki, temdi, bergdi, doemdi,
vektiy kalladi (3.Sg. Opt.)
Vor der lotsten Silbe.
lykil, himin (A.Sg.)
lykill, himinn (N.Sg.), mikül
(N.Sg.Masc.)
360
H«iniel.
Vor den Auslautgesetzen.
Vor der lotsten SUbe.
'idJiämy 'idhjäm . , .
-idhäm, -idhjäm .
-Hai, 'ilaias, -ilaamäi
-isdn
'ist . .
'istcts . .
'itd
'itaa . ,
'itaa .
4ti . .
'Üjä
'ihhims
1 4ma .
'isi . . .
'ita . ,
Erste Periode.
Vor der letEten Silbe.
tamidA (1 . Sg. Ind.), tawido
Gallehuus^ wird tamdo,
worahto (l.Sg.) Tune,
w(o)rta(3. Sg.) Etelhem,
usw. — tamidjd (l.Sg.
Opt.) wird tamdjo uaw.
bargid6,d6mido(l.Sg.lnd.)j
faihido Einang, usw. —
hargidjoy domidjö (l.Sg.
Opt.) usw.
lukile, himine (D.Sg.), miki'
ler (N. Pl.Masc), miki'
lummu (D.Sg.Masc.)
batira (N.Sg.Masc.)
farir (2.Sg.)
batistr (N. Sg. Masc.)
diupidhu (N. Sg.)
tamidr (Part. Pf.)
bargidr, dömidr (Part. Pf.)
Ifarid (3.Sg.)]
hmissu (N.A.P1.)
\burdufnrj stadumr (D. PL)]
fdrim, toJnm, tamidim (später
tamdtm), bargidtm, domidim,
vakedim (später vakttm)^ kal-
lödim (1. PL Opt.)
forir, tokir, tamidir (später
tamdir) , hargidir , ddmidir,
vakedir (später vakHr), kaüo-
dir (2.Sg.0pt.)
forid, tolAd, tamidid (später
tamdtd), bargidid, d6midtd,
vakedtd (später vak^d), kallo-
did (2. PL Opt)
U«ber die Bvdailban der altnorduchen Sprache.
361
Zweite Periode.
Vor der leisten Silbe.
tamdd (l.Sg.Ind.) ubw. —
iemdjd (l.Sg.Opt.) usw.
hergiddy doemida( l.Sg.Ind.)
usw. — hergidjäy doemid-
ja (l.Sg.Opt.) usw.
lykUey himine (D. Sg.), mi-
käer (N. Pl.Masc), miJd-
lumu (D.Sg.Masc.)
hetire (N.Sg.Masc.)
ferir (2. Sg.)
hetistr (N.Sg.Masc.)
d^idhu (N.Sg.)
inmdr (Part. Pf.)
bergidry domidr (Part. Pf.)
[ferid (3. Sg.)], abariutith Sten-
tofte.
hoentsu (N.A.P1.)
[burdumr, stödumr (D. PI.)]
1 foertmy toekiniy temdtniy hergidtm,
doemidim , vektim^ kallddim
(l.PLOpt.)
foeiir, toeMr, temdh\ hergidir^
doemidir , vektir , kallddir
(2.Sg.0pt.)
foerid, toekid, temdid, bergidid,
doemidtd , vekttd y kallddid
(2.P1.0pt.)
Dritte Periode.
Vor der letsten Silbe.
tamda (l.Sg.Ind.) usw. —
temda (l.Sg.Opt.) usw.
bergda, doemda (1. Sg.Ind.)
usw. — bergday doemda
(l.Sg.Opt.) usw.
lykliy himni (D. Sg.), miklir
(N. PL Masc.) , miklum
(D. Sg. Masc.)
betri (N.Sg.Masc.)
betstr (N.Sg.Masc.)
dypt (N.Sg.)
tamdi' (Part. Pf.)
bergdr, doemdr (Part. Pf.)
[/.rr (3. Sg.)]
hoens (N.A.Pl.)
burdurtty stödum (D. PI.)
foerimy toekimy temdimy bergdim^
doemdim, vektiniy kcdladim
(l.PLOpt.)
foevir, toekiry temdivy bergdir,
doemdiTy vektiry kalladir (2.
Sg.Opt.)
foeridy toekidy t^nidid, bergdid,
doemdidy vektid, kaUadid (2.
PI. Opt.)
362
Heiniel.
Yor den Auslautgesetzen.
Vor der letsten Silbe.
'tkai(My -ikasmäi. . .
'inaiaSf 'inasmdi.
•ikaa
'inas
Letzte Silbe.
U -u
-um
-uns .
'Unt
'U8
Vor der letzten Silbe.
U 'UlcLS
-unaa
'ubhima
'Uraa
'ukaiaSy -uhasmdi .
-ulam
-ulai
'Unam
'Wnai
-uram
-urai
Erste Periode.
Vor der letsten Silbe.
mahttger (N.Pl.Masc. ), mah'
tigummu (D. Sg. Masc.)
werden mahteger, mahie-
gummu.
guldhtner (N.Pl.Masc), gul-
dhtnummu (D. Sg. Masc.)
werden gtddhenery gvl-
dhenummu.
mahttgr (N. Sg. Masc.) wirdmoA-
tegr.
guldhtnr (N. Sg. Masc.) wird
gnldhenr.
Letste Silbe«
fehu (N.A.Sg.), arm (Praep.)
vallu (A. Sg.)
vallunn (A. PL)
f6run (3. PI.)
vallur (N.Sg.), waruR? Tomstai
Vor der letsten Silbe.
sadulr (N.Sg.)
iatunr (N.Sg.)
vallumr (D.Pl.)
ßaturr (N.Sg.)
afluger (N.Pl.Masc), aflii-
gummu (D. Sg.Masc.)
aadvlä (A.Sg.)
8aduU (D.Sg.)
iatunä (A.Sg.)
iatune (D. Sg.)
foaturä (A. Sg.)
fiature (D.Sg.)
üeber die Bndnlbmi d«r altnordischen Spraclie. 363
Zweite Periode. ! Dritte Periode.
Vor der lotsten Silbe.
moA^^er (N.PLMasc), Tnaht-
gumu (D.Sg.Masc.)
guldhner (N.Pl.Masc), gul-
dhnumu (D.Sg.Masc.)
mahtegr (N.Sg.Masc.)
guidhenr (N.Sg.MaBC.)
Letste Silbe.
U feku (N. A.Sg.), änu, onu (Praep.)
völlu (A.Sg.)
völlun (A.P1.)
fdrun (3. PL)
vöUur (N.Sg.)
Vor der letsten Silbe.
ü södulr (N.Sg.)
iötunr (N.Sg.)
vöUumr (D.Pl.)
fiötvar (N.Sg.)
ößuger (N.Pl.Masc), öflu-
gumu (D.Sg.Masc.)
9ödula (A. Sg.)
södule (D.Sg.)
iötuna (A.Sg.)
iötune (D.Sg.)
ßötura (A.Sg.)
föture (D.Sg.)
Vor der letzten Silbe.
mdtikiv (N. PI. Masc), matt-
kum (D.Sg.Masc.)
gidlnir (N. PI. Masc), gfwH-
num (D.Sg.Masc)
mätiigr (N.Sg.Masc)
gullinn (N.Sg.Masc)
Letzte Silbe.
fe (N.A.Sg.), äfiy Ön (Praep.)
voll (A. Sg.), sunu Sölvesborg,
Helnaes.
vöUu (A.P1.)
foru (3. PI.)
völlr (N.Sg.)
Vor der letzten Silbe.
södull (N.Sg.)
iötunn (N.Sg.)
vöUum (D.Pl.)
fiöturr (N.Sg.)
öflgir (N.Pl.Masc), öflgum
(D.Sg.Masc)
södul (A.Sg.)
södli (D.Sg.)
lötun (A.Sg.)
iötni (D.Sg.)
ßötur (A.Sg.)
ßötri (D.Sg.)
364 HaiiiBel.
Vor den Auslautgesetzen. Erste Periode.
Letste Silbe. IjetBte Silbe.
AI -ai haitctde (3.Sg.FaB8,), armey lande
(D.Sg.), Hite Varnum, Wo-
duride Tune [apaker (S.?l
, Masc.)], singoster Tune^ vah
(2.Sg.Imp.)
-aint fareti (3. PI. Opt.)
-alt fare (3. Sg. Opt.)
-aia vake (i.Sg. Ind.)
-aians burdenn (A. PL)
-aias fcMrdei' (N. PI.), «oA^er(N.A.Pl.)
-aiint vaken (3. PI. Opt.)
'aiit vake (3. Sg. Opt.)
-aiam ^ faro (l.Sg.Opt.)
-aiiam i vako (l.Sg.Opt.)
-aiäm burdo, sohto (G. PI.)
-aias [ burdoTy sohtor (G.Sg.)
AI -ai, 'osmdij -aai | t;aÄ;u (D.Sg.), «pa/cummu (D.Sg.
.Masc), »paku (D.Sg. Neut.)
-asQ'Jdi ' spakare (D.Sg. Fem.)
'dint ! kallen f3.P1.0pt.)
'dit 1 kalle (3.Sg.0pt.)
-diam , kallo (l.Sg.Opt.)
Vor der letzten Silbe. | Vor der letzten Silbe.
I
AI 'aidhävij'aidjäm,'aidhdma vakedo (l.Sg. Ind.) usw.,
vakedß (l.Sg.Opt.) usw.
— vakedöm (1. PL Ind.)
usw. werden vakto, vak-
tjd, vaktum usw.
-aima ' farem (1. PL Opt.)
vaker (2. Sg. Ind.), faver (2. Sg.
Opt.)
vaked (2. PL Ind.), fared (2. PI.
Opt.)
-am
'Ulla
Ueber die EndsHb^n der altnordischen Sprache.
365
Zweite Periode.
i Lotste Silbe.
I AI heit€tde(3,Sg.Va,BS.)yarmej lande
! (D.Sg.), f^aAer(N.Pl.Ma8c.)J,
vake (2.Sg.Imp.)
faren (3.P1.0pt)
fare (S.Sg.Opt.)
vake (l.Sg.Ind.)
bürden (A.Pl.)
burder (N.PL), sohter (N.A.Pl.)
vaken (S.Pl.Opt.)
vake (S.Sg.Opt.)
farä (l.Sg.Opt.)
vakä (l.Sg.Opt.)
burda, sohtd (G.Pl.)
burddr, sohiär (G.Sg.)
AI vöku (D.Sg.), spokumu (D.Sg.
Masc), spoku (D. Sg.Neut.)
spakare (D.Sg. Fem.)
kaUen (S.Pl.Opt.)
kaUe (S.Sg.Opt.)
kalld (l.Sg.Opt.)
Vor der letzten Silbe.
AI vaktd (l.Sg.Ind.) usw., vekt-
ja (1. Sg.Opt.) usw., vök-
tum (l, PL Ind.) usw.
farem (l.Pl.Opt.)
vaker (2. Sg. Ind.), farer (2. Sg.
Opt.)
vcJced (2. PI. Ind.), fared (2. PI.
Opt.)
Dritte Periode.
Letste Silbe.
heiti (S. Sg. Pass.), armiy landi
(D.Sg.), [«pafcir(N.Pl.Ma8c.)],
mki (2.Sg. Imp.)
fari (3. PL Opt.)
fan (S.Sg.Opt.)
vaki (l.Sg.Ind.)
burdi (A.PL)
burdir (N.PL), sottir (N.A.PL)
vaJd (S. PL Opt.)
vaki (3. Sg. Opt.)
fara (l.Sg.Opt.)
vaka (1. Sg. Opt.)
burdaj sdtta (Q.PLj
burdavj* sottar (G.Sg.)
vöku, vök (D. Sg.), apöhim (D.
Sg.Masc), «[pöÄ:M(D.Sg.Neut.)
spakri (D.Sg. Fem.)
kalU (3. PL Opt.)
kalli (3. Sg. Opt.)
kalla (1. Sg. Opt.)
Vor der letsten Silbe.
vakta (1. Sg. Ind.) usw.,
vekta (l.Sg.Opt.) usw.,
vöktum (1. PL Ind.) usw.
farivi (1. PL Opt.)
vakir (2.Sg.Ind.), /anV(2.Sg.
Opt.)
vakid (2. PL Ind.), fand (2. PL
Opt.)
366
H6lni«l:
Yor den Anslautgesetzen.
Vor der letsten Silbe.
Erste Periode.
Vor der letsten Silbe.
^aiima j vakem (1. PL Opt.)
vaker (2.Sg.0pt.)
vaked (2. PL Opt.)
-attst
-aiita
AI 'äima
-dita
Letste Silbe.
JAI "jai
-^jaint ,
'jaü
-jaiam .
'jaiam
JAI 'jdi, "jaai
-jäi, 'jaai
"jdiam . .
Vor der letsten Silbe.
JAI 'jaima
'jaisi
-jaita
Iietste Silbe.
AU -auas . . . .
^aucta . . . .
-aut . . . .
-auäm . . . .
-auas . . . .
kallwi (1. PL Opt.)
kaller (2.Sg.0pt)
kaUed (2. PL Opt.)
Letste Silbe.
hakje, hallje^ kunje, klddhje (D.
SgO> A«<7M ^nj^ (N.PL
Masc.)
tamjen, hargjen, domfen (3. PL
Opt.)
tamje, hargje^ domje (3.Sg.0pt.)
tamjo, hargj6 (l.Sg.Opt.)
ddmjo (l.Sg.Opt.)
angju (D.Sg.), frdgju (D.Sg.
Neut.)
[armju (D.Sg.)], vdnju (D.Sg.
Neut.)
aggjo (l.Sg.Opt.)
Vor der letsten Silbe.
tamjemy hargjem, domjem (1. PI.
Opt.)
tarnjeTj bargjei', ddmjer (2.Sg.
Opt.)
tamjed, hargjedj dSmjed (2. PL
Opt.)
IietBte Silbe.
vaUir (N.Pl.)
handir (N.PL), dohtrlr Tune.
vom (D.Sg.)
vom (G.pi.)
vaüdr (G.Sg.)
üab«r die Eadtllbei der a1toordf«e1ien Spraebe.
367
Zweite Periode.
Vor der letzten Silbe.
vakem (l.Pl.Opt.)
vaker (2.Sg.0pt.)
• vaked (2.P1.0pt.)
AI kaOem (l.Pl.Opt.)
kaller (2.Sg.0pt.)
kaUed (2.P1.0pt.)
IiOtste Silbe.
JAI bekJB, helljSf hynje, klaedhje (D.
Sg.), fraegjer, vaenjet (N. PI.
Masc.)
temjen, bergjen, doemjen (3. PI.
Opt.)
temje, bergje, doemje (S.Sg.Opt.)
temjd^ bergjd (l.Sg.Opt.)
dö^ä (l.Sg.Opt.)
JAI engjuy eng (D. Sg.), fraegju (D.
Sg.Neut.)
\ermju (D. Sg.)], vaenju (D. Sg.
Neut.)
«9a;« (l.Sg.Opt.)
Vor der letsten Silbe.
AI temjem^ hergjem, doemjem (1. PI.
Opt.)
temjer, hergjer, doemjer (2. Sg.
Opt.)
temjed-y bergjed, doemjed (2. PI.
Opt.)
Iietste Silbe.
U vemr (N.Pl.)
Aendir (N.Pl.)
veUi (D.Sg.)
V€Mm (Q.Pl.)
wzOdr (G.Sg.)
Mtte Periode.
Vor der letsten Silbe.
vakim (l.Pl.Opt.)
vakir (2.Sg.0pt.)
vcJcid (2. PI. Opt.)
hdlim (l.Pl.Opt.)
kallir (2.Sg.0pt.)
kaUid (2. PI. Opt.)
Letste Silbe.
bekki [bekk], helli, kym\ klaedi
(D. Sg.), fraegiry v€ienir (D.
PI. Masc.)
temi, bergi, doemi (S. PI. Opt.)
temi, bergi, doemi (S.Sg.Opt.)
temja, bergja (l.Sg.Opt.)
doema (l.Sg.Opt.)
engju, eng (D. Sg.), fraegju (D.
Sg. Neut.)
[ermi (D.Sg.)], vaenu (D.Sg.
Neut.)
eggja (l.Sg.Opt.)
Vor der letsten Silbe.
temim, bergim, doemim (l.Pl.
Opt.)
temiry bergir , doemir (2. Sg.
Opt.)
temid, bergid, doemid (2. PI.
Opt.)
Iietste Silbe.
velKr (N.Pl.)
hendr (N.Pl.)
veUi (D Sg.)
vaUa (G.Pl.)
vallar (G.Sg.)
368 Heinxel.
ERLÄUTERUNGEN ZU PERIODE I.
A.
A ursprünglich in letzter Silbe/
Kurz A.
Das Auslautgesetz ist vollzogen , kurzes a letzter Silbe
ab- oder ausgefallen. Die Inschriften zeigen Thrawingan (G. Sg.)
Tanum, Igingon (G. Sg.) Stenstad, iii(i)k (A. Sg.) Etelhem, rit
(N.Dual) Varnum, was (3. Sg. Pf. Ind.) Tanum.
Aber vor r des N. Sg. scheint a sich erhalten zu haben:
WiwaR Tune, lathingaB Reidstad, HiligaB Orstad, EirilaR
Vaeblungsnaes, ErilaB, LagnB Lindholm, ErilaB, HarabanaB
Varnum, HoltingaB Gallehuus, DiigaR £inang, HagnstaldaR
ValsQord (nach Zeichnung a) ), halaB Stenstad, stainaB Krog-
stad, thewaB Valsfjord, Thorsbjerg.
Man könnte dieses a fiir sy Ilabisch halten, für das alt-
arische a der Endung -as, da es anders behandelt wird als die
epenthetischen a, welche oft in I und II '^'zwischen Consonanten
ähnlich wie im ahd. erscheinen: witadahalaiban, got. gahlaiba
(comes), worahto Tune, HarabanaB, ahn. Hrafn, warita Var-
num für *tt?rrtM, Sarala Orstad I, HariwuIAfA, HathawalAfR,
HaerawulAflR, wArait Istaby (^4 das gewöhnliche Zeichen des
alten Alphabets, welches später nasaliertes a wiedergibt, a die
alte Jotrune), atharabasba^ ahn. ütharfaspä, barntB^ altn.
br^tr, arageu, altn. ergil, falah, altn. fal Björketorp, Haiku-
* Unter letzter Silbe ist im Folgenden auch der Fall zu verstehen, wenn
die vocalisch auslautende Snffixsilbe mit einer yocaliseh auslautenden
Endung versehen wird: a-din, ai-dm^ au-dm.
* I, II, III ist im Folgenden immer für erste, zweite, dritte Periode ver-
wendet.
Uebar die Endsilbea der altnordischen Sprache. 369
wolafB, HariwolafB, abarlutith, altn. hrytr^ Stentofte, Hatha-
wolafB Gommor II. Aehnliches zeigt sich auch in der späteren
Sprache, dem gewöhnlichen altn., s. Oislason Aarböger for
nordißk oldkyndighed 1869, S. 35, — über andere Epenthesen
der späteren Sprache , bei denen der Vocal gerne dem der
nächsten Silbe gleicht , s. Bugge Tidskrift for philologi og
paedagogik 7, 232. 8, 190. Aber vor den R des N.Sg.
erscheint i4 in 11 nicht mehr. — Die Erhaltung eines thema-
tischen a an dieser Stelle in I wäre nicht unglaublich. Die
auslautenden 8 des N. Sg. und des G. Sg. A. PI. wurden, wenn sie
nach n zu stehen kommen, verschieden behandelt, hana (G. Sg.
A.Pl.) aber aptann (N.Sg.), werden also verschiedene Qualität
gehabt haben. / hätte sich demnach in letzter Silbe ganz, n im
Auslaut und vor den meisten r verloren, vor r des N. Sg.,
dann auch vor m und ns bewahrt, wie wir unten sehen^ t« ganz
erhalten. — Die finnischen und lappischen kuningaSy gonogcta,
Icemas, ruhtinas (dröttinn), Thomson Einfluss der germanischen
Sprachen auf die finnisch-lappischen S. 86 ff., könnten diese
Auffassung stützen, aber wohl nicht begründen, jedenfalls ent-
scheiden sie nicht über die syllabische Qualität des a. Wahr-
scheinlich sind die Anleihen aus dem germanischen uralt und
vor der Durchführung des vocalischen Auslautgesetzes gemacht.
Wenn die Finnen in kulta (aurum), Thomson, S. 73. 89, eine
nordische Sprachform, die hinter das neunte Jahrhundert zurück-
reicht, bis heute bewahrt haben, dann können sie ebensogut
noch viele Jahrhunderte vorher schon im Mittelrussland von
den Vorfahren der späteren Goten und Skandinavier kttningaa
entlehnt haben, s. Thomson S. 121 ff. Aber allerdings erst nach
Beginn des consonantischen Auslautgesetzes. Denn germanisches
gulthariy got. giilihj wäre im finnischen wahrscheinlich kultan nicht
kulta geworden, da diese Sprache keine Abneigung gegen aus-
lautendes 71 hat 5 s. Thomson S. 29. — Die Schwierigkeit liegt
in der späten Entwicklung. In II wird a von fadar I zu e, in
III zu f, fadh-y d von tamiddr (2. Sg. Pf. Ind.) geht den gleichen
Weg, lamdiTy a in hamai-r bleibt a. A vor dem r des N. Sg. hätte
dann auf unerklärliche Weise eine von den verwandtesten Fällen
— denn r zeigt hier überall gleiche Qualität — abweichende
Bahn eingeschlagen, es wäre in II verschwunden, -wolafB,
neben gefärbtem oder erhaltenem a in fadet*, hamarr II, fadiry
SiUnngüber. d. phil.-hiai. Gl. LXXXYII. Bd. 1. Hfk. 24
370 Heinxel.
hamarr III. — Da erscheint es doch sicherer a in -aR I als eine
Schreibung zu betrachten, welche versuchte dem neuen Laat-
werth einer Rune, die ursprünglich z bedeutete und jetzt tönendes
r auszudrücken hatte, gerecht zu werden. Natürlich wurde
dadurch der Unterschied zwischen halaB (N. Sg.) und ttbaB
(Praep.) verwischt. In II schien diese umständliche Bezeichnung
des Nominativ-r nicht mehr nöthig.
Dagegen ist kein Grund an der syllabischen Geltung des
-a im A. Sg. Masc. N. A. Sg. Neut. der a-Stämme zu zweifeln.
Wimmer Aarböger 1867, S. 56, Bugge Tidskrift f. ph, 7, 118,
Aarböger 1870, S. 202, und Lundgren, Om substantivens stam-
mar S. 86,. weisen auf die Gestalt gewisser Consonantauslaute
hin, welche nordisch ganz anders sein müsste, wenn nicht
dahinter ein a gestanden hätte : band (N. A. Sg.), aber hatt (Pf.
von binda), hring (A. Sg.), aber gekk (Pf. von ganga), — Vgl.
auch finn. kulta, Thomsen a. a. O, S. 86. — A muss einst hier
gehört worden sein, während es sonst schon geschwunden war.
Wahrscheinlich ist es die Nasalierung, welche die aus -am
entstandenen -a vor der Wirkung des Auslautgesetzes schützte.
Im gotischen, sächsischen, friesischen wird wenigstens der A. Sg.
Masc. Adj. nasaliertes -a gehabt haben, blindana. Ebenso die im
gotischen am besten bewahrten Adverbia auf -ana. Nur ^innanam
erklärt das altn. innan der dritten Periode: ^iiinani z. B. hätte
inna ergeben, wie hana D. Sg., fara Inf., — innandt, Bezzen-
berger Untersuchungen über die got. Adv. und Part. S. 77,
hätte altn. zu innana, got. zu innano geführt; s. die Adv. auf
altn. -a, got. -ö. Wie innana werden gegangen sein ütan, got.
ütana, undan, framan, vestariy austan, sunnan^ nordan, sicUdan.
Die Qualität dieses -a von -am war von der des auf vor-
germanisch -au zui-ückgehenden N, Sg. der an-Stämme Masc.
unterschieden. Denn A. Sg. staiua, N. A. Sg. horna wird in
der dritten Periode stein, hom, während hana (N. Sg.) I hani
ni ergibt. Uebrigens verwendet die Inschrift von Istaby II
für das letzte a in üariwulAfA (A. Sg.) dasselbe Zeichen, mit
dem sie epenthetische a von anderen unterscheidet Und eben
dieses brauchen die jüngeren Inschriften zur Bezeichnung des
nasalierten a (A, q.) ; Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 177.
Wir lernen daraus nebenbei, dass das epenthetische wie nasa-
lierte a in der Aussprache von dem gewöhnlichen a nicht weit
Ueb«r die Endsilben der altnordiKcheu Sprache. 371
abgestanden haben kann, wie denn die OommorinBcbrift II
die graphische Unterscheidung des Istabysteines nicht kennt.
Keinesfalls aber wurde ar in -WulAfAB ausgesprochen, wie
im neuisländischen, als -ur. Auch hätte das nasalierte a des
A. Sg. mit dieser Geltung Umlaut wirken müssen, also in III
arm für ai'm ergeben.
Aber die Nasaliernng war wohl facultativ. Die a »-Stämme
müssen -am durch das Auslautgesetz ganz verloren haben.
Sonst wäre lianan die Form des A. Sg. statt hana.
Dagegen scheinen die tor-Stämme -a gehabt zu haben,
fadurä (A.Sg.j; s. unten ,a ursprünglich vor der letzten Silbe* I.
In der pronominalen Declination möchte ich weniger
Gewicht legen auf tbat in der archaisierenden Björketorper
Inschrift — s. Bugge Tidskrift f. ph. 7, 341 — als auf spdkt
(N. A. ?^g. Neut.) in III. Setzte man in I spakatä, II spakata
an, so hätten wir hier den einzigen Fall, dass a vorletzter
Silbe zugleich mit dem Vocal der letzten ausgefallen wäre,
8. hanwrs, hamar (G. A. Sg.) III. Es wird im altn. wie im west-
germanischen in I that spakat gegolten haben. — Auch die
Ausnahme heidinn (A. Sg. Masc.) in III gegenüber gamlan beruht
wohl darauf, dass man bei aTz- Ableitungen des Adj. nicht -and
in I sprach, sondern -an.
Auch bei and-, i-, ti- Stämmen zwingt nichts A. Sg. auf
-andäy -t, -ü anzunehmen.
Ganz dieselbe Erhaltung eines nasalierten a gegenüber
einem Gesetze, das a letzter Silbe befehdet, in III; s. unten.
Der A. PI. der a-Stämme kann in I nicht anders als auf
nn ausgelautet haben. S wurde durch das consonantische Aus-
lautgesetz nicht angegriffen, aber dem n assimiliert, und a
fand vor dem vocalischen durch die Doppelconsonanz Schutz:
dagns armns, dagnr armnr ^ 9^9^^ ai-mnn wären undeutliche
Formen gewesen, dagans wmans, daganr aiKoanr I hätten
in III ann ergeben, wie aptanas in I aptanr, in III aptann.
ebenso wurden die -ans behandelt, welche sich aus -anas nach
Eintritt des vocalischen Auslautgesetzes gebildet hatten, im
G. Sg. A. PI. der masc. an-Stämme, — ähnlich -ans im G. Sg. A. PI.
der cm-Stämme. Ueberliefert sind die G. Sg. Masc. Eethan
Belland, Thrawingan Tanum, Igingon Stenstad; s. Wimmer
24*
372 Heintel.
Navneordenes böjning S. 119 Anm. Vgl. die gleiche Behand-
lung des nt zwischen letzter und vorletzter Silbe : fara (3. PL)
aus faranti setzt farann als Uebergangsform voraus. — Der
N. Sg. Masc. aber duldet diese Assimilation nicht, s. haitinaR
Tanuni^ HarabaiiaB Varnum, wo -naR nach dem oben Ent-
wickelten gleich -nr ist. Das s wird hier länger tonlose Qualität
bewahrt haben, wenn es auch in I schon tönend ist. Die Mög-
lichkeit, 8 tonlos und tönend zu sprechen, wurde zur Diffe-
renzierung benutzt. — Nähme man in I schon nn für nr in
N. Sg. an wie fiir den G. Sg. der an-Stämme, so ei^äbe dies in
III apta statt aptann wie hana (G.Sg.), fara (3. PL).
A ursprünglich in letzter Silbe.
Lang A.
Vorbemerkung Über d und a.
Es ist hier unmöglich, die sprachlichen Thatsachen zu
erklären, wenn man nicht verschiedene Qualität der zu Grunde
liegenden vorgermanischen Laute annimmt. Eine Gruppe alt-
arischer langer a letzter Silbe wird nordisch inlautend zuerst a,
in der dritten Periode ?, auslautend ti, das in III abf&llt, —
eine andere zeigt zuerst o, in dritter Periode a, und zwar
zum Theil unter denselben Bedingungen wie die erste Gruppe.
Sowohl auslautend als in den Formeln -a», -dt wird altarisch d
einerseits zu i, andererseits zu a : vaku I, vök III (N. Sg.), aber
k€dla in (1. Sg.), hana I, hani III (N. Sg.), aber tungo I,
itinga III (N. Sg.), tamida I, tamdi III (3. Sg. Pf. Ind.), aber
lila III (Adv.), sind bezeugte Formen fiir die erste und dritte
Periode.
Scherer hat GDS. S. 120 zur Erklärung der verschiedenen
Behandlung, welche in allen germanischen Sprachen die vor-
germanischen d letzter Silbe erfahren, auf die vedischen aa,
doy ad aufmerksam gemacht, über welche Kuhn Beiträge 4,
180 ff. handelt. Es gab wahrscheinlich schon im altarischen
zwei lange a, ein einfaches und ein übermässiges.
Wenn wir nun im nordischen der Periode III einerseits r/,
andererseits * finden , und » nur ganz selten — tamdir (2. Sg.
üeber die Endsilben der aUnordisehen Sprache. 373
Pf. Ind.), — a ganz regelmässig einer Länge in den verwandten
germanischen Sprachen gegenübersteht, so wird man geneigt
sein, in den nordischen Formen mit a ursprünglich ä, in den
andern mit i einfach langes ä vorauszusetzen.
Aber zu den in den Veden als zweisilbig bezeugten d
der G. PI. , s. Kuhn a. a. O. S. 180 , der Aoristformen der
Wurzel dhd, s. S. 181, der N. PI. auf -eis, s. S. 181, der Adver-
bien auf 'ät^ s. S. 181, treten für das nord. noch hinzu die mit
dem G. PI. gleich gebildeten A. Sg. der a-Stämme, von denen
aber nur die adjectivischen, spaka, sich erhalten, während die
substantivischen in der dritten Periode dem Nominativ gleich
sind , vök, — der mit dem N. PI. auf -ds übereinstimmende
G. Sg. der a-Stämme, s. Scherer GDS. S. 120, — die l.Sg.Prs.
Ind. der schwachen Verba, welche got. ahd. 6 als Themavocal
haben, vielleicht weil sie in der That auf da ausging, wahr-
scheinlicher aber wohl wegen der d der vorletzten Silben, die
sich im germanischen als o, in III des nord. als a, erhielten
— kalhr (2. Sg. Prs. Ind.), :— auch die 2. Sg. Imp. bewahrt hier
ursprünglich auslautendes d als a in III, im Gegensatz zum
ahd., 8. Braune in seinen und PauFs Beiträgen 2, 152, — ferner
an im N. Sg. Fem. der aw-Stämme, im N. A. Sg. Neut. der
a;i- Stämme.
Dieses aus ä entstandene o in I habe ich als lang ange-
setzt, weil es in der zweiten Periode als a bezeugt ist, das
wenn es kurz gewesen wäre, jedenfalls auslautend in dritter
Periode hätte abfallen müssen, s. ami (A. Sg.), land (N. A. Sg.)
usw. Auch vor einfachem r wäre es wohl ausgefallen, wie in
okkr (D. PL).
Vor erhaltenem n ist 6 vor II, der Periode der Umlaute,
zu u geworden, wie tömdu in III zeigt.
Dagegen ist a I aus einfachem d als kurz anzusehen,
wie es das Auslautgesetz verlangt.
Auslautend muss dieses d schon vor dem consonantischen
Auslautgesetz eine andere Klangfarbe gehabt haben, als die d
in -4n, N. Sg. der masc. aw-Stämme, oder in -dtf 3. Sg. Pf. Ind.
schwacher Verba. Es wäre sonst nicht zu begreifen, wie die
Sprache ursprünglich auslautende und durch das consonantische
Auslautgesetz in den Auslaut versetzte d unterschieden hätte.
Bei 'dn könnte man an Nasalierung denken, aber hier so wenig
374 Heinzel.
als bei -at begegnet uns die dunklere Färbung^ sondern bei
ursprünglichem Auslaut.
Fer (1. Sg.) in III ist natürlich nur eine Analogieform:
fari braucht sogar nie wirklich bestanden zu haben. Vielleicht
ist im Medium föru-nik die ursprüngliche Form erhalten?
S. Blomberg Bidrag tili den germaniska omljudsläran S. 67.
Handn war die Urform des N. Sg. Masc. der an-Stämme.
Aus hanans wäre in III zwar nicht hana geworden, wie aus
armaas (A. PI.) aimaj s. oben S. 369, 371, aber hanann, wie
apta7i7i. Vgl, Leskien Die Declination im slavisch-litauischen
und germanischen S. 20. Die Endung a ist für I in Inschriften
bezeugt. Vgl. auch finnisch hertua (hertugi), Thomson a. a. O,
S. 106.
Ebenso pcUdr nicht patars, weil dieses in III nicht -ir,
sondern -arr oder vielleicht -nrr ergeben hätte, wie hamarry
ßSturr; s. Leskien a. a. O. S. 23 f., Scherer GDS. S. 316.
Vgl. J. Schmidt Vocalismus 2, 241, 416.
Die 3. Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba geht auf ein-
faches 'dt in der Endung -adhdt zurück; s. Scherer GDS.
S. 202 f. Allerdings ist w(o)rta auf der Etelhemer Inschrift
nicht ganz sicher; s. Wimmer Aarböger 18G7, S. 56, — und die
Einanginschrift : DagaR thaR runo(R) faihido kann doch min-
destens auch in der dritten Person abgefasst sein, — gegen
Bugge Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Christiania 1872
(gedruckt 1873), S. 325. Nur weil die zweite Periode den Aus-
gang -e aufweist, säte, und die dritte Periode tamdi in 3. Sg.^
tamda in 1. Sg. zeigt, sind wir berechtigt, die Möglichkeit
eines vorgermanischen Unterschiedes -dm 1. Sg., -dt 3. Sg. zur
Wahrscheinlichkeit zu erheben. Das -di der 3. Sg. Pf. Ind. kann
nicht mit dem ablativischen -dt des Adv. zusammengefallen sein.
Ueber die 1. Sg. Prs. Ind. 2. Sg. Inip. der schwachen Verba,
welche got. ahd. den Stammcharakter o zeigen, sowie über die
A. Sg. der (^-Stämme vbk und apaka s. oben S. 373.
Dass die 1. Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba den Vocal
der Wurzel dhd lang erhalten hat, als 6 von übermässigem ^r^
gegenüber der 3. Sg. — während in den Veden auch die
3. Sg. der Aoristformen von <^- Wurzeln zweisilbig ausgesprochen
Ueber die Eudüilben der altiiordiachen Sprache. 375
werden kann, b. Kuhn Beiträge 4, 181, ist vielleicht in der
Aehnliehkeit mit der Form des G. PL oder nur in der folgen-
den Nasah's begründet: -(ajdhdm Scherer GDS. S. 202 f. Auch
die Part. Pf. auf äna haben Doppel -a, Kuhn a. a. O. S. 182.
S. J. Schmidt über Dehnung des a vor einfachem n im Sanskrit,
Vocalismus 1, 39. — lieber den Unterschied der 1. und 3. Sg.
Pf. Ind. des schwachen Verba s. Bugge Tidskrift f. phil. 7, 221
und schon Munch Aarböger 1847 S. 334.
N. Sg. Fem. der a»-Stämme ist in I auf 6 bezeugt —
vgl. im finn. kallio (hella), Thomsen a. a. O. S. 106, — nicht
auf '6n für -onn von -6n«, und mit ihm stimmt in der Endung
a in das Neut. der an-Stämme überein. — An mit übermässiger
Quantität war die vorgermanische Endung. Vgl. Scherer GDS.
S. 120, 316. Leskien a. a. O. S. 63, Delbrück KZs. 22, 272
beweisen für das slaw. und ind. dass N. A. Sg. der neut.
a/2-Stämme auf Länge mehr Nasalis endete.
Wimmer fasst Aarböger 1867 S. 55 Luthro und Hariso
als Frauennamen der a-Classe, in Navneordenes böjning S. 68
sagt er, der N. Sg. der a-Stämme habe auf -o, der der a?i-Stämme
auf 'O ausgelautet. Ob Luthro, Hariso zu den einen oder den
andern gehören, lasse sich nicht entscheiden. Auch den N. A.
PI. der neut. a-Stämme setzt er consequenter Weise als -o an,
Navneordenes böjning S. 47. In Runeskriftens oprindelse S. 182
wird Saraltt Orstad als jüngere Form von Saralu erklärt und
allgemein bemerkt, dass älteres o schon in den ältesten In-
schriften manchmal zu u werde, ebenso wie langes 6 in rnnoB
später als a erscheine, runaB. Aber die Denkmäler berechtigen
eine solche Auffassung nicht. Dass o zu u wird, sehen wir
nur in der Wurzelsilbe und nur in der zweiten Periode: Hathu-
wolafR, HariwolafB Stentofte I, HathnwulAfB Istaby IL
U erscheint als Endung in den Inschriften der ersten Periode
nur in Saralü (N. Sg.) Orstad, waritu (1. Dual) Varnum, da-
lidun (3. PI.) Tune ; — o in ThuingoB (G. Sg.) Tune, runoB
Varnum, Einang, Fino (N. Sg.) Berga, Luthro (N. Sg.) Dalby
(Straarup), Hariso (N. Sg.) Himlinghöje, Igingon (G. Sg.)
worahto (l.Sg.) Tune, tawido (1. Sg.) Gallehuus, faihido
(^l.Sg.) Einang. Kein Fall der zwänge einen Uebergang aus
einem Laut in den andern anzunehmen, ausser vor erhaltenem n in
dalidan (3.P1.) gegenüber Igingon^ dem G.Sg. eines an-Stammes,
376 Heinzel.
dessen -on vor der zweiten Periode ebenfalls zu -wn geworden
sein rauss, wie der Umlaut ausweist, götu. Die Lautbezeichnung
und gewiss auch der Lautwerth der ersten Periode ist constant,
nie R im N. Sg. der masc. a-Stämme wie in II, nur -aR, nie
-ai? im G. Sg. N.A. PI. der a-Stämme wie in II, nur -6Ä. Auch
Bugge Tidskrift f. phil. 7, 245. 251 erklärt Harlso, Fino fiir
dii-Stämme. Aber mit ihm, Aarböger 1871 S. 209, Saraln gleich-
falls für einen rm-Stamm zu halten — u sei nur ungenaue
Bezeichnung des o-Lautes — sehe ich keinen Grund.
Die Comparativadverbien auf -ar III müssen in I auch -6r
gehabt haben, da -ai* sich nicht erhalten hätte, wie fadir in III
zeigt. Wie aptar sind zu beurtheilen optar, sialdnar, vidav,
nordar, sunnavy aiistar, vestar, Utar, Innar, ofar^ nednr, hindar,
wahrscheinlich vorgermanisch auf -äs auslautend, wie lengr
skemr, ßrr, naer, göiT (ö = t-Umlaut von o), betr, verr, mim
(midr), meir, heldr, fyn\ auf -ji8j s. Scherer GDS. S. 105 f.
Das d blieb hier unverkürzt wegen der adjectivischen Fülle,
in denen der Vocal vor der letzten Silbe stand. Bezeugt ist siii-
gOSteR (N. PL Masc.) Tune. Das Verhältniss also wie in 2, Sg.
Imp. der schwachen Verba dritter Conjugation.
Ueber thalör (N. A. PI. Fem.) , in III thaer , s. unten
bei ai.
Die 3. PI. Pf. Ind. der schwachen Verba auf -änt von
adhänt, Scherer GDS. 202, hat wahrscheinlich übermässiges d
gehabt, nach Ausweis des ahd. ; s. Braune in seinen und Paurs
Beiträgen 2, 136. Aber es wurde schon in I zu xt wie dalidun
Tune und der u-Umlaut der zweiten Periode zeigt.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
A ist meist bewahrt, zum Theil bezeugt, zum Theil durch
a in III gesichert: vor n (A. Sg. der masc. an-Stämme, im
Inf.), vor nrty d. i. altem nas (G. Sg. A. PL der an-Stämme i
und nti (3. PI. Prs. Ind.), dann vor /r, nvy rr (N. Sg.) und vor
s8 (G. Sg. der a-Stämme).
üeber die Endsilben der altnordischen Sprache. 377
Bei n wäre zu bemerken, dass die nach Scherer GDS.
S.474 für den Inf. angenommene Locativfonn auf -ani nicht die
einzig mögliche ist. Auch -anam (A. Sg. Neut.), b. Ebel KZs.
5, 303, Zimmer Zs. 19, 433, könnte in III a ergeben, da die
Nasalierung des a ja facultativ ist; s. oben S. 371.
Was nn anbelangt so ist der N. PI. der masc. an-Stämme
deutlich eine Analogieform nach der a-Classe. Regelmässig
müsste es in III statt hanas hana lauten, wie im G. Sg. A. PL,
s. Lyngby Tidskrift f. phil. 6, 48. Noch' jüngere Formen rfind
giimnar, hragnar III; sie setzen den schwächsten Casus des
G.Pl. abna III voraus; s. unten über D.Pl.
Dass hamarr in III bleibt, während fadar zu fadir wird,
mag in der verschiedenen Consonanz oder in dem vorgermani*
sehen ä begründet sein, auf welches fadar zurückgeht.
A in G. Sg. der masc. neut. a-Stämme ist bezeugt. Das
Doppel-« des Ansatzes soll mehr an die Bewahrung des
«-Lautes durch Assimilation des folgenden j erinnern^ als die
Aussprache aas für I behaupten. ^ Aber -assa muss jedenfalls
einmal gegolten haben, sonst wäre arms neben fei-r, temr^
doemir unerklärlich; s. Lyngby Tidskrift f. phil. 6, 27, Bugge
Aarböger 1870, S. 201. Nur das hat Gislason Tidskrift f. phil. 6, 237
mit Recht bemerkt, dass man sich nicht auf thess berufen dürfe.
Aber seine Erklärung aus thers nach Analogie von hvers scheint
mir weniger wahrscheinlich, als die Scherer's GDS. S. 364,
nach welcher es von thes-si stamme, wie man mit Bugge Tid-
skrift f. phil, 9, 115 ansetzen kann.
Diesen G. Sg. habe ich auch nnkas (D.Dual.) beigestellt,
als Vertreter der Formen okkr, ykkvj oss, ydr in III, welche
Kuhn KZs. 15, 130 und Scherer GDS. 242 f. als ursprüng-
liche Genitive deuten. Leskien Die Declination S. 152 macht
auf die lautgesetzliche Schwierigkeit aufmerksam, welche das
nordische beireite: sja ist sonst nur als s, nicht als r erhalten,
ai-ms, landsj thess. Aber seine Erklärung unterliegt grösseren.
Es hält das r der D. (und A.) PL okkr, ykkr, oss, ydr für
eine Analogiebildung nach dem Singular, r, ursprünglich is
wie im got. ugh's neben ugk, sei dem wie das gotische zeige.
1 Obwohl 99 in Hss. vorkommt, hirdi99, riki99; s. Gislason Oldnord. Form-
laere S. 37.
37H Heinxel.
zur Dativ- und Accusativbezeichnung ausreichenden nns^ so-
mit auch einem idv (izv), unk, ink angehängt worden. Aber
wenn es in erster Periode ynsir unkir usw. hiess, wäre Umlaut
eingetreten wie in betr, heldr, — setzt man -er an nach den
mi^r, ther, str, so erhalten wir die Analogie hurdir (N. PI. der t-St.),
das auf burder in I zurückgeht^ oder die der Partikeln nach
after in I, eptir in III. Wo bei diesen kein Umlaut erscheint,
wie in undir oder furir neben fyriv, da ist i in III bewahrt.
Der Ausfall des a von as der ersten Periode in III aber
stimmt gut zu armass I, arms III. Dass s hier nicht verdoppelt
wurde, also der Umwandlung zu z und r erlag, ist nichts andres
als was dem Element sja im Innern des Wortes bei der prono-
minalen Declination der Feminina, got. thizai, thizos, blindaizosj
ahn. theirij theirar, blindri, blindrar, geschehen ist. Eben die
singulare Verwendung eines Genitivsufßxes für dativischen
Gebrauch mag diese verschiedene Behandlung hervoi^erufen
haben. Die Analogie von armass ward nicht empfunden und
der Laut unterlag dem Zuge, welcher die nordischen «-Laute
erst tönend machte, dann zu R, r trieb. Sehen wir doch in
der Sprache der dritten Periode noch es und er, vesa und vera. '
Ueber that, spakat, s. oben S. 371.
Aber das a der Suffixe an und ag hat häufig Färbung
erlitten, zu e und m, in III i und w. Denn wenn auch die
Inschrift von Tanum haitinaR = haitinr zeigt, so beweist
doch der Mangel des Umlauts in III, dass i hier nicht die
gewöhnliche Geltung haben könne. Nur nach Gutturalen finden
wir Umlaut in den Part. Pf., tekinn neben haldinn, s. Wimmer
Navneordenes böjning S. 53, Bugge Tidskrift f. phil. 7, 250,
Holtzmann Gramm. 1, 82. 2, 63.*^
Selten blieb a bewahrt, im substantivischen aptann, in
dem vereinzelten heüagr. Die vertretenden Vocale schwanken,
morginn und morgtmn, atfdigr und audugr, s. Gislason Form-
laere S. 15, oder werden zur Differenzierung verwendet^ so
Adj. und Part. Pf. nur auf -iyin.
^ Uebrigens vgl. über dieses * und r im Dativ des Personalpronomen Bugge
KZs. 4, 244.
2 Ueber den Einfluss der Gutturalen auf Färbung bis zu • in der folgenden
Ableitungssilbe, s. Leflfler Tidskrift f. f., Neue Folge, 2, U. 274, STd.
Ueber die Endvilheo der aUnordiechen Sprache. 379
Allerdings könnte unter den Adj. auf -ugr eines oder das
andere mit echtem ug, s. got. handugsj vorkommen^ gewiss
keines mit echtem -ig-, oder -in-, got. nur fulgins» Denn auf
eine Färbung des echten i zu e, wie wir sie hier wegen des
fehlenden Umlauts doch annehmen müssten, werden wir sonst
nirgends geführt,
Wohl aber haben die Adj. auf got. -eigs, -eins ihr altes
i gegen e, in III i ohne Umlaut aufgegeben, o£fenbar nach
Analogie der Adj. auf -inrij -igVy s. unten ,i ursprünglich vor
der letzten Silbe^ Freilich ist es nur sehr wahrscheinlich, dass
nord. gidlinnj mdttigr, Ableitungen mit altem jnn, jag sind
wie got. gulihems, mnhteigs. Vgl. Blomberg Bidrag tili omljuds-
läran S. 16. 21.
Aehnlich scheint es den Ableitungen auf al ergangen zu
sein. Auch hier neben erhaltenem a, bagcdlf gamall, i^ ohne
Umlaut, und u in III, öfters in einem Worte schwankend
heimill heimall, drasill drösull, vadill vödull, s. Blomberg a. a. O.
S. 20.
Fared (2. PL Prs. Ind.) ist eine wahrscheinlichere Form für
die erste Periode als farad. Denn der Weg a I, e II, i III,
also in dritter Periode ohne Umlaut faHdj kommt sonst bei
ursprünglich vorletzten Silben nicht vor. Inlautend finden wir
ihn nur bei fadar I, in ursprünglich letzter Silbe, das in III
fadir wird. A in -ar von fadar I aber stammt von vor-
germanisch dj hatte also vielleicht eine verschiedene Qualität
und die Schlussconsonanz ist eine andre. Dazu kommt dass
got. hier die Färbung des Stamm vocals zu i bietet, farithy
übereinstimmend mit e, i, im griech., lat., altir., altslaw., während
die westgermanischen Sprachen, wie das litauische, a bewahrt
haben. Ein europäisches e hier mit Curtius Spaltung des
^-Lautes S. 26, J. Schmidt KZs. 21, 284, LeflFler Tidskrift f. f.,
Neue Folge, 2, 271, anzunehmen, von dem dann einige Sprachen
wieder auf a zurückgegangen wären, ist sehr bedenklich und
ganz unnöthig. Es liegen für ost- und westgermanisch zwei
Formen vor, deren eine ja ganz gut und ohne die Verwandt-
schaft der germanischen Sprachen irgendwie zu erschüttern,
mit der Form anderer arischer Sprachen sich begegnen kann.
Schwankend behandelt sind die Partikeln auf vorgerma-
nisch -arif 8. Bezzenberger Untersuchungen über die got, Adv.
380 Heinsel.
und Pavt. S. 112, Scherer GDS. S. 466, Lyngby Tidksrift f.
phil. 10, 89. Die Inschriften haben in I after, afteB und
nbaR bewahrt, welche in der dritten Periode aptir und yßr
lauten. Umlaut hat in III auch fyrir, daneben aber funr und
undir. Die Partikeln beharren also in I zum Theil wie fadar
(N. Sg.) von faddr auf a, und haben in III i ohne Umlaut, was
in II, der Periode der Umlaute, e voraussetzen lässt — undir, furir
wie fadir in III, — zum Theil haben sie in I bereits e, das in
zweiter Periode i ergeben haben muss, da III Umlaut zeigt, epfir,
fyrivj yfir. Im ahd. werden die Partikeln ganz ähnlich behandelt,
und gerade dieses Schwanken zwischen a und i gegenüber
dem entschiedenen Vorangehen, welches die Partikeln zeigen,
wenn es sich um die Lautwandlung i — e handelt, zwingt dort
den Weg, welchen die Partikeln von a nach e, i zurücklegen,
nicht als Schwächung, wie die Senkung des i auf e, sondern
als Färbung im eigentlichen Sinne anzusehen; s. Sitzungs-
berichte der Wiener Akademie 81^ 121 f.
Vor m wird a schon in I zu t^ geworden sein. Ein aus-
drückliches Zeugniss mangelt allerdings, in II gesfuniR, Aber
da n schwächer auf a einwirkt als wi, fara (Inf. 3. PL) neben
fömm (1. PI.), vor n aber u für a in I bezeugt ist, s. oben
S.- 376 dalidan, dürfen wir auch bei kurz a vor m u annehmen.
Vor allem aber ist der tt-Umlaut nicht über die zweite Periode
hinaus wirksam. Es ist das einfachste die Ursachen desselben
in I anzunehmen; s. bei II, Vorbemerkung.
Der Ansatz -anbhims, auch für die a-Stämme, soll die Ent-
stehung des m für bh im germ., slaw., lit., D. PL, im slaw.,
Ht., D. Dual. Instr. Sg. erklären. Es ist das Resultat einer bei
den an-Stämme verständlichen Assimilation — anbhims, ambhins,
ammimSj amims — auf die vocalischen Stämme übertragen
worden. — Für das Vicariat von an-Stämmen und vocalischen
bieten sich aus dem germanischen die Parallelen des G. PI.
der a-Stämme, die A. Sg. Masc. der a-Stämme auf -an dar, die
adjecti vischen wie die vereinzelten nach ahd. gotan. Die got.
nord. Dative nach abnamy uxnam hätten dann das Suffix an
zweimal, oder sind einfach Analogiebildungen, da man neben
hanaraVy hanumr doch nicht mehr ababr, oder wegen des Casus
schwächster Bildung, des G. PL, s. unten S. 382, abnabr, sagen
konnte; vgl. über N. PL S. 374.
Ueber die Endsilb«!! der altnordischen Sprache. 381
Im altslaw. allerdings wie es scheint, kein ähnlicher
Fall. Denn der G. Sg. der o-Stärame rqky, gleich dem A. PI.,
kann, wie Leskien Die Declination S. 41 gezeigt hat, nicht
ohne Verletzung der Lautgesetze auf -an-a« zurückgeführt
werden, ebensowenig freilich auf eine Locativform -d^dm.
Im ersteren Falle wäre rqkane das Resultat, im zweiten rakq
oder rqkü. — Aber im lit. wird der G. Sg. der ^a-Stämme
statt -68 öfters -§8 geschrieben, Geitler Lit. Studien S. 57, setzt
also älteres -eiis voraus, wie akmins, G. Sg. eines an-Stammes ;
vgl. men8 neben twä, N. PI. des Pers. Pron. 1. Person, Geitler
Lit. Studien S. 96. — Im lit. ferner kann ü im Loc. PI. vilkäsu
nur auf au oder an zurückgehen. Ati wäre kaum erklärlich, an
empfiehlt sich durch zemaitisches vilkunse. VilkÜ8u ist also auf-
zufassen wie vezüs (vehor) von einem alten vazan-si, Schleicher
Comp. §. 101. — Vielleicht gehört auch N. PL der lit. i- und
tt-Stämme hieher: dkya ("= akS8), sünüs. — Es sind dies
Zeugnisse für den Parallelismus der vocalischen und an-Stämme,
über welchen OsthoflF in zweiten Theil seiner Forschungen
gehandelt hat.
Leskien Die Declination S. 100 hat zwar die Erklärung
Bergaignes^ der das Element sma herbeizieht, durch Verweisung
auf die preussische Dativendung -man8 neben atesmu widerlegt,
selbst aber einen ganz singulären Vorgang, Angleichung des
anlautenden an den auslautenden Suffixconsonanten angenommen
— also wie lat. coquo aus pequo, qidnque aus pinque, s. Blom-
berg Bidrag tili den germaniska omljudsläran S. 4, — der
selbst wieder nur an einem nicht vorhandenen Singularsuffix
des Instrumental -bhjam zuerst stattgefunden haben könnte.
S. J. Schmidt in seiner Recension der Leskien'schen Schrift
Jenaische Litteraturzeitung 1877 S. 269 ff.
Das altirische scheint mit seinen durchgehenden 4b (-a-ib)^
das eigentlich nur für die i- und Ja-Stämme passt — auch
talvmnaib von einem an-Stamm — ein Gegenspiel zu den
nordeuropäischen -am, -um zu bieten.
Denn auch hier ist altn. a zu u geworden, und wirkt
in II Umlaut.
382 Heintel.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
A bleibt fast durchweg. Bezeugt ist es allerdings nur in
arbingano (G. PL, wohl von einem ^an-Stamm), aber es ist
kein Grund Ausfall oder Färbung anzunehmen, ausser in den
Adj. und Part. Pf. auf -in«, -igr III, deren Lautwandel oben
S. 378 besprochen worden ist.
Der G. PI. der masc. a?i-Stämme hat sich nicht erhalten.
In III heisst er liana, boga. Das geht nicht auf -ano zurück,
da sonst hogna wie Fem. Neut. tungna, augna erwartet werden
müsste. Solches -na ist aber nur eine seltene Ausnahme, gumna,
bragna, vgl. got. abne, und aus dem G. PI. sogar in die übrigen
Casus des Plural, den N. (A.) D. PI., gedrungen ; s. oben S. 377,
381 und Lyngby Tidskrift f. pliil. 6, 48.
Haitade (3. Sg. Pass.) ist sehr unsicher , aber möglich
wegen des ags. hätte (vocor, vocatur), Grein Ablaut S. 37,
Scherer GDS. 197. Allerdings könnte auch Uebertritt des
Praesens in die schwache Conjugation stattgefunden haben, wie
bei so manchem andern starken Verbum, ohne dass passivische
Bedeutung vorläge, z. B. hlota. Aber das hateka, welches
Bugge auf dem Lindholmer Amulet liest und dui'ch heitik über-
setzt, Aarböger 1871, S. 187, 1872, S. 194, ist nach Lesung
und Deutung viel zu zweifelhaft, als dass es zu einem Beweis
gegen die angesetzte Form und gegen die Annahme, dass a vor-
letzter Silbe sich in I noch erhalten habe — s. das überlieferte
arbingano — dienen könnte.
Der Inf. hagassan in III hugsa ist einem vorgermanischen
-atjani gegenüber gestellt. Es beruht dies auf Holtzmanns
Beobachtung Gramm. 1, 130, dass dem nordischen heilsa (salu-
tare), ags. hdlettan^ ahd. heäazjan entspricht, nicht heilison,
ags. hdlsjan (augurari), das nord. durch heilla gegeben wird.
S. über hoetis bei ,i ursprünglich vor der letzten Silbe^ Betreff
der scheinbar unterbliebenen Lautverschiebung im got. ags.
s. Leo Meyer Got. Sprache §. 107. Tj kann zu s nur werden
über ts, 88, Also derselbe, nur weiter fortgeführte Process wie
U»ber die Endsilben der altnordiachen Sprache. 383
got. matzia, Pifzia, worüber in meiner Geschichte der nieder-
fränkischen Geschäftsprache S. 147. Den dort nach Wacker-
nagel angeführten Ziurichi, Ziaherna für Zürich, Zabern wäre
vielleicht hinzuzufügen Zurzach, dem ein französisches Tortiacum
entspricht, und Abudiacum am Lech, wofür später Abuzacum;
s. Bacmeister Alemannische Wanderungen S. 20. 27.
Das a vor den Endungen G. D. Sg. Fem. des Adjectivs
ist nach dem sanskritischen Pronominaladjectivum angesetzt,
s. Sievers in Paul und Braune's Beiträgen 2, 99 ff. Da der
G. PI. dieselbe Entwicklung zeigt, liegt auch hier für das
germanische wahrscheinlich -asäm zu Grunde.
Die a vor- und drittletzter Silbe, (D. Sg. Masc. G. D. Sg.
Fem. G. PL), welche in den Ableitungssilben der Adj. und Part.
Pf. auf -inuy 4gr III zu e gefärbt worden waren, sind in I
gewiss noch nicht ausgefallen. Ausfall des e in I findet sich
bloss bei den durchaus kurzen Wurzeln der zweiten schwachen
Konjugation (got. ai-Stämme), während die erwähnten Adj. und
Part. Pf. sowohl lange als kurze Wurzeln zeigen. Auch die
Part. Pf. nach tekinn III, welche allerdings nur einfache Con-
Bonanz am Schlüsse der Wurzel bieten, haben ihren schon
in I zu i vorgedrungenen Ableitungsvocal bewahrt, denn nie
findet man in III z. B. taknirj wie luklar von lykllL —
Die kurzwurzeligen Verba erster schwacher Conjugation haben
allerdings, wie wir bei ,t ursprünglich vor der letzten Silbe'
sehen werden, schon in I den Ableitungsvocal verloren, tamda
III, tamdö I.
U erscheint für a des Suffixes im A. Sg. von fadar I,
faitir in : fadurä. Man möchte vermuthen, dass födur III sich
nach ßöturrj wfurr usw. gerichtet habe, wenn diese Wörter,
wie doch wahrscheinlich, alte Stämme auf -ara sind und den
Ableitungsvocal im Gegensatz z. B. zu hamaiT, wo er blieb,
zu ti (nicht auch zu e) gefärbt haben. — Auf G. D. Sg. ist dies
II ^wohl übertragen , da wir allen Grund haben schwächere
Bildungen wie fadn- (G. Sg.), got. fadrsj fadr (D. Sg.), got.
fadLry als die ursprünglichen anzunehmen. — Das u im G. D.
Sg"-, also in letzter Silbe, wäre in III wohl ausgefallen, wie u
in wjlh*.
Vor TD geht a hier, wie der Umlaut in II zeigt, ebenso
zu «/, w^ie in letzter Silbe.
384 Heiniel.
Die den Endungen auf ?« vorangehenden Suffixsüben haben
ihr a wahrscheinlich schon in I dem folgenden Vocal assimiliert^
da sie in II Umlaut wirken, gönml (N. Sg. Fem. N. A. PI. Neut),
gömlum (D. Sg. Masc).
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A,
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Lang a ist bewahrt als & im G, Sg. Igingon, das aber
wohl ein jan-Stamm sein wird. Vor m wandern diese o, wie
die kurzen a ursprünglich vorletzter Silbe zu u; ebenso
vor n, wie lang a ursprünglich letzter Silbe, dalidan ; s. oben
S. 376, 380. In II sehen wir den dadurch entstandenen Umlaut.
Aber der Inf. und die 3. PI. Prs. Ind. der dritten schwachen
Conjugation (got. ö- Stämme) wollen den charakteristischen
Vocal nicht entbehren^ in III kallä. Vor m wirkt diese Rück-
sicht nichts köUttm IIL
Durch Analogie zu erklären ist kallid III (2. PI. Prs. Ind.),
das nicht auf das angesetzte kalldd zurückgehen kann: das
hätte kailad ergeben. Die übrigen germanischen Sprachen, wie
die Natur der Sache, lassen keinen Zweifel, dass einst der-
selbe ö- Vocal die ganze dritte Conjugation der schwachen Verba
beherrschte.
Auch tömdud III — in I tamidddf — verdankt sein n
wohl nur der 1. und 3. PI. oder dem starken Perf.
Schwierig ist tamdir (2. Sg. Pf. Ind.) in III zu erklären.
Das vermuthungsweise angesetzte tamiddr ist sehr zweifelhaft.
Gehen wir von der Endung (ajdhäsi aus, so konnte keines-
falls tamidor das Resultat in I sein, da dies nie durch r^el-
mässige Entwicklung in UI tamdir ergeben hätte. Dagegen
hindert nichts in dieser Endung, die ja eigentlich keine ist,
bloss Länge des a, nicht auch Färbung zu 6 anzunehmen, wie
in dädy got. deda: tamiddr wäre dann als die einzige Endung
auf ^ in I ebenso behandelt worden, wie eine Endung auf ar,
wie fadar I, fadir III.
lieber die Budailben der altnordischen Sprache. 385
Aber möglicherweise hatten die ostgermanischen Sprachen
die secundäre Endung dhäs. Dann ist es wieder zweifelhaft^
ob das d als übermässig betrachtet wurde oder nicht. In
letzterem Falle hätten wir in I tamidar wie fadar, in III ton?^
dir wie fadir, — im ersten Falle müssten wir wie früher dar
als Entsprechung eines vorgermanischen dhäs ansetzen; was
ja bei dieser eigenthüm liehen Endung wohl möglich wäre.
Immer wäre die Uebereinstimmung zwischen gotisch und
nordisch -dJea, -dar oder -dar I, -dir III gegenüber hd. alts.
neritöst, neridos bemerkenswerth.
Aber auch an die Analogie der Praesensformen lang-
silbiger schwacher Verba könnte man denken, die sich im
Praes. so mancher starken geltend macht.
Nur aug&n (N. A. PL) I erklärt augu in III, und führt auf
vorgermanisches -äna, Aiigan in I aus augana wäre auga III
geworden wie D. Sg. hana aus hanani III. Auga stimmt dem-
nach bis auf die Voraussetzung eines a-Stammes zu got. augdna
und steht den westgermanischen Formen gegenüber wie N. A.
Sg. auga III, got. augd, dem hd. ouga. Es wird kein Zufall
sein, dass die beiden germanischen Sprachen, welche eine Form
des N. A. Sg. der neut an-Stämme , sowie des N. Sg. der dn-
Stämme auf an voraussetzen — s. oben S. 373, — im N. A. PL
der neut. an-Stämme auch Länge des Ableitungsvocales zeigen.
Dadurch entfallt die Analogie der nur ostarischen Endung
'äni; s. Scherer GDS. S. 432 und Zs. f. Österreich. Gymn.
1874, S. 258.
Genau aber entsprechen den got. Formen die ältesten
dänischen und schwedischen öghon, örun, Lyngby Tidskrift f.
phil. 6, 47, Wimraer Navneordenes böjning S. 113. Hier liegt
ein Stamm auf -dna zu Grunde, wie im got. — Die nordische
Urform in I wäre augdnu.
Deutliche Analogieform in III ist tungur (N. A. PL) nach
vcLkar, sdttir. Das Gesetzmässige wäre tungu, wie G. Sg. ; s. oben
über hanar S. 377. Lyngby Tidskrift f. phil. 6, 48 hat richtig
gesehen, dass die eigentliche Form des N. A. PL der an-Stämme
im schwachen Adj. erhalten ist, spöku, die, weil sie auch dem
N. A. Neut. zukam, erst auf N. A. Masc. übertragen wurde, um
dann allmälig alle Casus des Plural zu erobern.
SiUangKber. d. pUl.-hut Ci. LXXXVil. Bd. I. Hft. 26
386 Heinsei.
Uebermässiges ä haben vielleicht einige Formen des
schwachen Perfectums. Das macht hier keinen Unterschied.
Der Vertreter eines langen altarischen a ursprünglich vorletzter
Silbe ist 6, das in UI zu a wird; über die mögliche Ausnahme
in tamdir 2. Sg. Pf. Ind. III s. oben S. 384.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Auch hier ist 6 bezeugt und erscheint in III als a.
Für kalldddm (1. PL Pf. Ind.) scheint über kallodum sich
noch in I kalludum eingestellt zu haben^ da wir in III die in
II umgelautete Form kölludum finden. *
TungSno (G. PL) verdumpft sein vorletztes 6 vor 7i zu w,
wie dies langem d auch in letzter Silbe der Periode I geschieht;
s. S. 373, 384. Nur ti, d. h. kurzer Vocal, erklärt uns den
Ausfall in III tungna, wie iötna (G. PL) von iöttimi.
Vor nd aber bleibt o, in III a, kallandly vielleicht nur
um den charakteristischen Vocal der dritten schwachen Con-
jugation (got. ö-Stämme) zu erhalten.
ExGurs Über ä und ä.
Die andern germanischen Sprachen lassen die zweifache
Qualität des langen a ebenso deutlich erkennen, als das nor-
dische. Aber die Auftheilung beider Laute schwankt.
Im gotischen gilt für einfach lang das vorgermanische d
im Auslaut, also N. A. PL Neut. der a-Stämme, N. Sg. der
<^-Stämme, 1. Sg. Prs. Ind. starker Verba, dann ä in dn, N. Sg.
der masc. an-Stämme, d in äi*, N. Sg. der ar-Stämme, d in dt
3. Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba, alles wie im nordischen.
Aber darüber hinaus auch d in dniy A. Sg, der a-Stämme, und
1. Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba. In diesen Fällen ist
^ Blomberg' Bidrag tili den germaniska omljadslärau 8. 6 fahrt ein eUkaäum
neben dem regebnfissigen elskudum an.
Ueber die End9ilbeD der altnordischen Sprache. 387
gotischer Vertreter des alten d kurzes a, entsprechend nord. a
in erster, % in dritter Periode, mit Ausnahme des Auslautes,
wo nord. u herrscht.
Also altn. landu (N. A. PL) I, lönd III, got. hmda,
altn. hlindu (N. A. PI. Neut.) I, hlind III, got, hlinda,
altn. giafu (N. Sg.) I, giJöf III, got. giba^
altn. blindu (K. Sg. Fem.) I, hlind III, got. blinda^
altn, [faru (1. Sg.)] I, [fer] III, got. faruy
altn. hana (N. Sg.) I, haut III, got. hana,
altn. fadar (N. Sg.) I, fadir III, got. fadar,
altn. tamida (3. Sg.) I, tamdi III, got. tamida]
Aber altn. [^/ia/ö (A. Sg.)] I, [giöf] III. got. giba^
altn. blindo (A. Sg. Fem.), I, blinda III, got. blinda,
altn. tamidd (1. Sg.) I, tamda III, got. tnmida.
Uebermässiges fi zeigt auch im got. noch langen Vocal,
der entweder wie nord. wahrscheinlich schon sehr früh zu 8
gefärbt worden ist — oder aber zunächst ä blieb — vgl. das
oben S. 384 vermuthungsweise angesetzte altn. tamidär —
später aber den Weg zu e einschlägt. A und 6 wird einst
geschwankt haben und dieses Schwankens bediente man sich
zur DiflFerenzierung der Formen. — Beiden Sprachen gemein-
sam ist übermässiges ^ in 1. Sg. Prs. Ind., 2. Sg. Prs. Imp. der
dritten schwachen Conjugation, im G. Pl.^ im N. Sg. der -dn und
der neut. aw-Stämme, im N. PI. der masc. a- und der a-Stämme,
ebenso im G. Sg. A. PI. der <J-Stämme , in den Adverbien auf
got. -ö und den Comparativadverbien auf gotisch -6«,
Also altn. kalld (1. Sg.) I, kalla III, got. salho^
altn. mannd (G. PI.) I, manna TU, got. mannen
altn. dag6 (G. PI.) I, daga III, got. dagiy
altn. giaß (G. PI.) I, giafa III, got. gib6^
altn. tungo (N. Sg.) I, tunga III, got. tuggö,
altn. augo (N. Sg.) I, auga III, got. augo,
altn. dagtr (N. PI.) I, dagar III, got. dagds^
altn. giafor (G. Sg. N. A. PI.) I, giafar III, got. gibos,
altn. aptör (Adv. Comp.) I, aptar III, got. -letkos,
altn. -liko (Adv.) I, -liga III, got. -leiko.
Das nordische zeigt nun in seinem A. Sg. Fem. blinda^
der in I ein 6 voraussetzt, dass im nord. wenigstens d in dm
des A. Sg. als übermässig aufgefasst wurde, dass also der A. Sg.
26*
388 H«insel.
der subst. d-Stämme, giöf, nur die übertragene Nominativform
ist. Bei der grossen Uebereinstimmung, welche sich zwischen
nordisch und gotisch in Behandlung des alten d zeigt^ darf
man vermuthen, dass der got. A. Sg. Fem. giha, hlinda nicht
von dem als einfach lang angesehenen d in -dm stammen,
sondern dass sie^ wie A. Sg. giöf, Analogieformen nach dem
Nominativ sind. 0 scheint sogar erhalten in A. Sg. hveilöhuH,
ainohun; aber es ist nicht sicher, ob dieses o Resultat des Aus-
lautgesetzes ist, da auch N. Sg. ainöhvn vorkommt ; s. Scherer
GD8. S. 107. 119. — Möglich dass auch die l.Sg.Pf.Ind.
schwacher Verba im got. ursprünglich auf 6 oder e — s. die
2. Sg. tamides — ausgelautet und erst später die Form der
dritten Person angenommen hat.
Auch nur möglich, keinesfalls nothwendig ist es, dass got. a,
wo es vorgermanischem d des Auslauts entspricht, einen tieferen
Klang hatte, als das gewöhnliche a, s. oben S. 373, oder von einem
langen d u, o etwa zu der Zeit als die nicht zu 6 gefärbten
früheren zu e wanderten, auf a erhoben wurde. Schon vor Bil-
dung der germanischen Sprachen kann jene arische Gemein-
schaft, aus welcher später die Goten hervorgingen, auslautend d
gesprochen haben, wie die Slawen und Litauer, die Stammväter
der Skandinavier und der Westgermanen aber -o oder -t?.
Ahd., Alts., Ags., Altfr. stimmen darin überein, dass sie
die d derselben Endungen als einfach oder übermässig betrach-
ten, nicht aber in den Lautwerthen, welche sie zur Bezeich-
nung dieses Unterschiedes gebrauchen. Nur u, das ahd. alts.
mit o wechseln kann, ist in allen Sprachen Stellvertreter des
alten auslautenden -a. Sonst verwendet für vorgermanisches
einfaches d das ahd. und alts. kurzes a, das ags. und altfr.
kurzes e, — für vorgermam'sches übermässig langes a ahd. o,
das nicht mit u wechselt, — s. Braune in seinen und Pauls
Beiträgen 2, 152, — 6 und a, alts. o und a, wohl langes 6,
dj ags. altfr. a.
Einfaches d.
ahd. 8kif(u) (N. A. PI.), alts. skipu, ags. scipu, altfr. «ctp«,
ahd. fafar (N. Sg.), alts. fadaVy ags. fdder, altfr. feder,
ahd. neftita (3. Sg.), alts. nerida, ags. iierede, altfr, neredej
ahd. geba (A. Sg.), alts. geba, ags. gife, altfr. jeve^
üeber di« Bu drüben d«r altnordischan Sprache. 389
ahd. blinta (A. Sg.\ alts. hlinda^ ags. blinde, altfr. blinde,
ahd. neriVa (1. Sg.), alts. nerida, ags. nerecia, altfr. nerede,
ahd. ztin^a (N. Sg.); alts. tunga, ags. ^lAn^e, altfr. tunge,
ahd. öra (N. A. Sg.), alts. dra, ags. eäre, altfr. dre,
ahd. 96&a (G. Sg.); alts. geba, ags. gefe, altfr. ^eve.
Andre Fälle stimmen nicht.
ahd. geba (N. Sg.), alts. geba, ags. ^i/m, altfr. jeve.
Höchst wahrscheinlich hat nur das ags. das richtige be-
wahrt; ahd., alts., altfr. zeigen die Accusativform oder sind dem
Nom. der ^n-Stämme nachgebildet; s. Scherer GDS. S.429. Ahd.
and alts. haben ja noch -u zum Theil erhalten; s. Scherer
GDS. S. 118. 431.
ahd. blintu (N.Sg. Fem.), alts. blind, ags. blind(u), altfr. blinde.
Im alts. hat das Fem. gleich dem Masc. Neut. die kürzere
Form angenommen, die auch ahd. und ags. gilt, — im altfr.
wirkt die Analogie des A. Sg. oder des N. Sg. der schwachen
Declination.
ahd. blintu (N. A. PI. Neut.) , alts. blindu -a , ags. blindu,
altfr. blinda -e.
Im altfr. ist durchweg, im alts. zum Theil die Form
des Masc. ins Neut. getreten.
ahd. faru (1. Sg.), alts. faru, ags. fare, altfr. fare.
Ags. und altfr. scheint optativische Foi*m yorzuliegen.
Uebermässiges a.
ahd. hano (N. Sg.), alts. hano, ags. hana^ altfr. hona,
ahd. manno (G. PL), alts. manno, ags. monna, altfr. monna,
ahd. fisko (G. PI.), alts. ßsko, ags. ßska, altfr. ßska,
ahd. gebono (G. PL), alts. gehono, ags. gifena, altfr. jevena,
ahd.^Ä:a«-a-a(N.A.Pl.), dXi^.fiskos'aa-a, ags.ßsccts, alth.ßskar,
ahd. gebä (N. A. PL), alts. geiä, ags. gtfa, altfr. jeva.
Der N. PL der masc. a-Stämme lautet im ahd. gewöhnlich
auf kurzes a aus, aber Spuren einstiger Länge sind nachgewiesen,
s. Braune in seinen und Paul's Beiträgen 2, 135. 151, und as,
das nur äs sein kann, ist in Ortsnamen häufig. Ob d eine
Nebenform von äs gewesen, die auf altem äs beruhte, wie
dieses auf äsas, ist zweifelhaft. Das Uebergewicht der nicht
auf s ausgehenden N. PL scheint mir nach Scherer GDS. S. 427
390 Heinxel.
genügend; um ä, a im ahd. und alts. zu erklären. Ebenso hat
im altn. die Mehrzahl der auf r ausgehenden N. A. PI. hanar
und tungur geschaffen; s. oben S. 377. 385.
Auch hier weichen andere Formen in den verschiedenen
Sprachen von einander ab.
ahd. salböni (1. Sg.); alts. salbon, ags. sealfje, altfr. salvje.
Ags. und altfr. folgen der Analogie der ersten schwachen
Conjugation, und diese selbst hat den Ausgang auf e mit den
starken Verben gemein,
ahd. neritdn -un (3. PI.), alts. net^un, ags. neredon, altfr. nieredon.
Im ahd. herrscht meist, im alts. stäts der Vocal der
schwachen Form ; ags., altfr. neredon^ wie fundon,
ahd. 7ieritÖ8t (2. Sg.), alts. netndos, ags. neredes, altfr. neredes.
Im ags.; altfr. scheint die Praesensform eingedrungen
zu sein.
ahd. gemor (Adv.), alts. gemor, ags. geomoi\
Das r ist hier geblieben, weil die Comparativform sonst
unkenntlich geworden wäre. Das o im ags. fallt auf. Es hat
sich hier auch in letzter Silbe das alte o bewahrt, wegen der
adjectivischen Formen geomost und des später syncopierten
Comparativs * geornora^ vgl. sealfjan usw. neben sealfodc.
S. Braune in seinen und Paul's Beiträgen 2, 151 Anm.
ahd. gemo (Adv.), alts. gerno, ags. geomej altfr. j&rne,
Ags. und altfr. haben vielleicht das schwache Neut. Sg.
für die Adverbialform eingesetzt.
Der wichtigste Unterschied vom ostgermanischen besteht
in der entgegengesetzten Behandlung der -an, welche ursprüng-
lich für N. Sg. Masc. Fem. Neut. der an- und mi-Stämme gedient
hatten. Für die Ostgermanen war das r? von au im Fem.Neut. über-
mässig gewesen. Für die Westgermanen ist es das Masc. Vgl.
die 'drty mit welchen im griech. und lat. gerne Masculina ab-
geleitet werden, gegenüber -on im Fem. — aquilo, caro ; L. Meyer
Vergleich. Gramm. 2, 140, Osthoff Forschungen 2, 154 f.
Dass der G.A.Sg. der a-Stämme im westgermanischen ein-
faches d voraussetzt, ist vielleicht nur scheinbar. Es könnte
ahd. ursprünglich d geherrscht haben, das, nachdem der N. Sg.
die Form der schwachen Declination angenommen, seine Quan-
tität aufgegeben hätte.
Ueber die Endsilbeu der altBordischen Sprache. 391
Auch die l.Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba gleich mit der
dritten mag Formübertragung sein wie im got.^ s. oben S. 389.
So dass man sagen kann: in allen germanischen Sprachen
liegt einfaches d zu Qrunde dem N. A. PL Neut. der o-Stämme^
dem N.Sg. der (i-Stärame, der 1. Sg. Prs. Ind.. der starken Verba,
— vielleicht dem Instr. Sg., dessen Form i*, o aber nur ahd.
und alts. erhalten ist, s. Scherer GDS. S. 425 Anm., — ferner
dem N. Sg. der ar-Stämme, der 3. Sg. Pf. Ind. der schwachen
Verba. — Dagegen übermässiges ä der l.Sg, Prs. Ind. der schwa-
chen Verba dritter Classe, dem G. PL, dem N. PL der a-Stämme,
dem N. A. PL der a-Stämme.
JA.
Vorbemerkung über ja and jd.
In III finden wir Endungen, in welchen wir ursprüng-
liches ja oder jd voraussetzen dürfen, theils mit dem Vocal i,
theils ohne Vocal, immer aber mit umgelauteter Wurzel. Und
zwar hängt diese verschiedene Behandlung der alten Formeln
ja, jd von der Gestalt der vorhergehenden Wurzelsilbe ab^
Nach kurzer — langer Vocal oder gg im Auslaut der Wurzel
machen nicht Position, s. Holtzmann Gramm. 1, 108. 2, 64,
Lundgren Om substantivens stammar S. 70. 73, Wimmer Forn-
nordisk formlära §. 43, b, 3 — oder auf Gutturalis ausgehender
Wurzel zeigt sich Ausfall des ursprünglichen ja, nach Länge
mit beliebigem, aber nicht gutturalem Consonanten am Ende
bleibt i: bed, vegg, gn^, bekk, aber helli (A. Sg.), bedr, veggr,
gn^, beJclcr, aber hellir (N. Sg.), * ben, egg, ey, eng, aber ermi
(N.A.Sg.).
Bei den Neutris der ja-Stärame und den Verben der ersten
schwachen Conjugation gibt Kürze und Länge der Wurzelsilbe
allein den Ausschlag: kyn, skegg, jley, aber klaedi, riki, engt
» FylJdr ist eine Ausnahme. Ebenso die Fälle ohne Umlant avafnir^ Tdfnir,
GnHr, Thorir, tUlir neben yüir, guüir nSben gylUry s. Leffler Tidskrift
f. f.f Neue Folge, 2, 241. 309. Eigennamen und poetische NeubUdungen
entzogen sich der Regel, s. Wimmer Gramm. §. 41, Gislason Oldnordisk
Formlaere S. 92.
392 Heinsel.
(N. A. Sg. N. A. PL), fem, (hrek), legg^ gny, aber doemi, hergi
(1. Sg. Prs.Ind.). Vgl. dagegen bekk, dreng^ skraek (A.Sg.).
Genau wieder nach dem zuerst erwähnten Princip wird
in anderen Fällen j vor a, u entweder beibehalten oder aus-
geworfen : kynjaj skeggjaj fieyJQy i-tkja, engja, aber klaeda (6. PI.),
— henja, eggja, e^ja^ engja , aber erma (G. PL), — benjar^
eggjar, eyjar^ engjar^ aber ermar (N. A. PL), — miäja, dyggja^
n^'a, fraegja, aber vaena (A. Sg. Fem.), — ntedjay ttggjay virkJGy
aber enda (A. Sg.), — kynjum, skeggjum, fleyjitm, inkjvm, aber
klaedum (D. PL), — hedjum, veggjum, gnijjum, bekkjumy aber
hdlum (D. PL), — benjum, aggjumj eyjum^ evgjttm, aber ermiim
(D. PL), — temjum (hrekjumjf l^ggju'nt, gn^um^ bergjum^ aber
doemum (1. PL Prs. Ind.) usw. Ebenso in vorletzter Silbe tem-
jandi (hrekjandi), leggjandi, gn^'andiy bergjandi, aber doemandi
(Part. Prs.). »
Die Fälle, in welchen j vor a, u in III entweder bleibt
oder ausf&llt, lehren, dass j nach Kürze, Gutturalis oder Vocal
bequemer lag als ohne diese Bedingungen. Nach Vocal sehr
begreiflich, — die Gutturalen g, k sind mit j verwandt und
scheinen es im altn. sogar hervorzubringen, s. die Part. Perf.
^ Die Regel über ja, jd Megt in den Beispielen bei Grimm, Wimmer,
Oislaflon klar za Tage; s. Wimmer Gramm. §§. 41, 42, 43, 64, 66, 71,
74, 83, 142, 145, 146, 147, 148, 149, 161,— und einzelne Bemerkongen
über die Wichtigkeit der Kürze und des consonantischen Aoslauts sind
schon lange gemacht worden; s. Grimm Gramm. 1* 569, 575, Holtzmann
Gramm. 2, 61 f., Gislason Formlaere S. 92, Wimmer Gramm. §§. 34 d,
42, 43, 71, 136. Aber nur in der schwedischen Ausgabe von Wimmcr's
Grammatik, Fomnordisk formlära Lund 1874, wo der Abschnitt über die
^a-Dedination, auch der Adjectiva §. 83, eine wesentliche Umarbeitaog
erfahren hat, ist sie im wesentlichen übereinstimmend mit dem obigt'n
allsgesprochen. Die deutsche Ausgabe lehrt über das Princip, welches
bekkr und hirdir, kcUla und eggja scheidet, §. 40. 151, gar nichts.
§. 42 b heisst es: ,wie eng (;4- Stamm) geht eine Anzahl Wörter mit
langer und besonders mit kurzer Stammsilbe*. Aber von Längen finden
sich nur Pura oder solche mit Gutturalausgang. — §. 43 b : ,wie h/n
werden flectiert eine Reihe Wörter mit langer Stammsilbe*, wieder nur
Pura oder Wurzeln mit Gutturalauslaut, bis auf das dunkle ^/, das auch
nach ord geht Nicht ausreichend sind daselbst auch die Angaben über
die Behandlung des ja in jan-, j<t?i- Stämmen §§. 66, 69, 71, über die
jo-Stämme der Adj. §. 83: Adj. wie vaenn, welche nur Umlant, aber
nirgends mehr i oder j vor a, u zeigen, bleiben ganz unberücksichtigt.
Üeber die EndBÜben der altnordisclien Sprache. 393
tekinriy sleginn, aber farinn, haldin n; — was die Kürze anbelangt,
80 kann man den Abfall des j nach langer Silber als eine Ent-
lastung auffassen^ ähnlich wie wenn im altsächsischen Consonant-
um laut zwar bei Uggjan eintritt^ aber nicht bei wegjan, bei lettjan^
aber nicht bei hotjariy bei queädjan^ aber nicht bei leJjan,
Das gotische zeigt etwas dem nordischen Verfahren ähn-
liches. Altes ja erscheint als ji oder als ei, altes ^a als^a oder t.
Aber nur Kürze oder Länge der Wurzel und die Silbenzahl
des Wortes entscheidet. Consonantischer und vocalischer Aus-
laut werden verschieden behandelt. Es stehen sich gegenüber
harjis, tojis und hairdeis, lekeiSy laisareis (N. Sg.), — nayiSy
stojis und sandpis (2. Sg.), — sibja und bändig thivi, hvdftuU
(S, Sg). Also td-, 8t6' gilt als Kürze, Mm- als Länge. — Die
Neutra der got. ja-Stämme sind einförmig kuni wie andhahti.
— Vor anderen Vocalen als i bleibt got. j immer bewahrt, —
harjam wie hairdjam (D. PL) , nasjos wie sdkjos (1. Dual.),
während nord. engja, erma (G. PI.), hekkjiim, hellum (D. PI.) usw.
Die nähere Uebereinstimmung zwischen gotisch und nor-
disch beschränkt sich also auf jene gotischen Fälle, in denen ein
zu Ji gewordenes ja sich in ei und ji spaltet, altes ja entweder
als Ja bewahrt wird oder zu i geworden ist: harjis : hekkr,
kyn = hairdeis : hellirj klaedi = sihja : eng = bnndi : ermi.
Wenn wir für diese Formen aus dem gotischen eine
Erklärung finden, so wird sie wahrscheinlich auch für das
altnordische ausreichen.
Scherer GDS. S. 113 erklärt gotisch hnrjis, hairdeis mit
J. Schmidt's Beistimmung KZs. 21, 283 Anm. • durch Zer-
dehnung des Suffixes ia zu ija: harijas, hairdijas ergäben
gesetzmässig die gotischen Formen. Aber dann müsste zunächst
hat'ijs entstanden sein, darauf erst durch eine unwahrschein-
liche Umsetzung harjis.
Wenn wir im germanischen, wo das Suffix schon ja, nicht
ia war, ^ einen N. Sg. -jis neben -eis erblicken, so ist das nächst
wahrscheinliche doch, dass in dem ersten Falle j seine Stelle
' Aber der Beweis aus dem Slawischen, welchen J. Schmidt vorträgst, wird
von A. Bezzenberger in seiner Besprechung von Geitler*s litauischen
Studien, Göttinger gelehrte Anzeigen 187ö S. 2S1 angefochten.
2 Benfey Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften in Göttingen
1871 Bd. 16.
394 H«iDzeK
bewahrt habe^ unisomebr^ als er unter der Bedingung kurzer
Wurzelsilbe eintritt , derselben^ die im altnordischen mit der
andern Bedingung des gutturalen Wurzelauslautes altes j erhält.
Man wird also auch im gotischen nach langer Wurzelsilbe
weniger geneigt gewesen sein j zu articulieren als nach kurzer.
— Das fuhrt auf die Vermuthung, dass es neben jener oben
S. 392 erwähnten nordischen Methode der unbequemen Aussprache
durch Verschweigen des j abzuhelfen — kynjaj klaeda (G. PI.)
— auch eine andre gegeben habe, nämlich dem ja ein t vor-
zuschlagen; vgl. das altind. Dieser vocalische Einsatz desj
wird auch bei kurzer Wurzelsilbe nicht ganz gefehlt haben,
entschiedener, deutlicher war er bei langer. Zimmer weist
Zs. 19, 419 auf das germanische Accentgesetz hin — gewiss
mit Recht — hdrjü aber hairdjis (N. Sg.), — vgl. den Gebrauch
des indischen Svarita. Hairdijis mag ganz constant gewesen
sein, harijis mit harjis gewechselt haben. Das Auslautgesetz
ergibt aus hairdijas, hairdeis, bei harjis bewirkte die schwan-
kende Form, dass gleichsam ein Mittelweg zwischen harijs und
karjs eingeschlagen wurde, harjis. S. Gislason Tidskrift f.
phil. 6, 240.
Da nun sandeisy nasjis (2. Sg.) ebenso behandelt werden
wie hairdeis, harjis (N. Sg.), ist es gerathen, dieselbe Erklärung
auch hier anzuwenden, d. h. von ja nicht von altem q/a, ya
auszugehen, wie es Scherer wenigstens für die Imp. sandei,
nasei thut, GDS. S. 179 f.; s. auch J. Schmidt KZs. 18, 283 und
Leffler Tidskrift f. f.. Neue Folge, 2, 268 Anm. 2, 269 Anm. 3
billigen. Vgl. auch Ebel KZs. 5, 302 Anm. — Allerdings genau
dasselbe kann mit sandeis, nasjis nicht vor sich gegangen sein,
was mit hairdeis, harjis geschehen, da auf diese das Auslaut-
gesetz gewirkt hat, auf jene nicht. Aber j in nasjis hat seine
ursprüngliche Stellung nach kurzer Wurzelsilbe gewahrt wie
harjiSf sandeis erklärt sich aus sandijas wie hairdeis, Nasei
(2. Sg. Imp.) wird eine Analogieform sein für nasi nach sandei
aus sandija, wie altn. ttm, doem (2. Sg. Imp.) neben temr,
doemir (2. Sg. Ind.).
Wir sehen ja auch sonst ähnliche Behandlung alter y^,
ja in ursprünglich letzter und vorletzter Silbe. Schon vor dem
Auslautgesetz muss für das gotische Zusammenziehuog der
Formeln ja, ja zu i angenommen werden, in den Fem. nach
üeber die EndiiilbeB der altnordischeu Sprache. 395
bandiy und für got. wie die andern germ. Sprachen in den
Comparativadverbien nach haldisj s. Scherer GDS. S. 105 —
dann im Innern des Wortes bei dem ersten Comparativsuffix
der Adj., bei dem ja des Perfectstammes von Verben erster
schwacher Conjugation, bei dem ja des Opt. Pf.; mit Ausnahme
der 1. Sg. im got. nord., bei den ja der Adj. auf got. -eins
-eigSj der Subst. auf -eins.
Nach Analogie von harjls^ hairdeis kann man sich somit
für altn. bekkr, hellir vorstellen, dass beiden Paradigmen vor
Eintritt des Auslautgesetzes stärkere und geringere Neigung zu
-ijas eigen war, deren Resultat in dem einen Falle als -tV, in
dem andern als -r vorliegt. / von -?r in III kann aber in I
nicht kurz i gewesen sein, das wäre in UI ausgefallen wie in
fem' (2. Sg.). — 'IR ist allerdings inschriftlich nur in Wörtern
überliefert, welche sonst nach bekkr gehen — ThaliR ist zweifel-
haft. Aber wenn schon diese i in der Endung hatten, um wie
viel mehr jene nach hellir^ welche es noch in III besitzen,
aber nicht dasselbe i, da seine Entwicklung eine andere ist,
hdlir, bekkr. Vergleicht man überdiess got. hairddsj so bleibt
kaum etwas anderes übrig, als Länge des i: hallir. -R in III
bei Paradigma bekkr könnte auf Ja, ji, i in I zurückgehen,
überliefert ist -iR. Aber der Gebrauch der Jotruue ist schon in
den ältesten Inschriften sogar vor a, u im Absterben, arbingano
.6. PI.) Tune für arbingjano, Thrawingan (G. Sg.) Tanum für
Thrawinyjanfj gestümR (D. PL) Stentofte für gesfjumr ; vgl.
iah für jah Varnum ; s. Bugge Tidskrift f. phil. 7, 243, — die
Schwäche des j in III ist bekannt. Wimmer Gramm. §. 83.
Wenn wir an got. harjis denken und erwägen, dass die nach
Paradigma btkkr geformten Wurzeln keine Abneigung vor j an
den Tag legen, so werden wir kaum zweifeln, dass MariB, das
spätere maerr^ — Bugge Tidskrift f. ph. 7, 246 — für Mdrjir
s:tehe. Also bakjir : harjis = hallir zu hairdeis. Ueber die in
maerr vorliegende Abweichung vom Princip, s. unten S. 397.
Das finnische scheint hier auf einen dem vocalischen
Auslautgesetz vorausgehenden Zustand hinzuweisen, autia (Adj.),
got. auths Thomson a. a. O. S. 93.
Ahd. alts. kurz i aber im N. Sg. aller masc. Ja-Stämme
setzt, wenn wir diesen Laut als das Resultat des Auslautgesetzes
ansehen, vorgermanische Contraction des ja zu i voraus.
396 Hein sei.
Aber bei ja trügt die got. Analogie. Wenn wir ent-
sprechend dem got. sihja, bandi nord. I angjuy armi ansetzen,
so finden wir in III noch enni (neben etmr), nicht eiyn. Der
Abfall eines in I kurzen i aber wäre nothwendig. Dass N. Sg.
erini Formübertragung aus dem A. 8g. sei, ist sehr unwahr-
scheinlichy da im nord. vielmehr der A. Sg. der fem. Nomina
die Form des N. Sg. angenommen hat; s. oben S. 373. 387.
Da hier ein Vorgang wie in got. bandi jedenfalls nicht vor-
liegt, sonst aber die Formel -ja im got. als -ja, in den übrigen
germ. Sprachen als -ju bewahrt ist, wird nach Princip ju und iju
für unsere Periode anzunehmen sein. Auslautendes u muss,
w^enn es in die Periode III tritt, abfallen wie a unter den-
selben Umständen. Das erklärt etig, ernii (N. Sg.), tem, doemi
(1. Sg.) usw.
Auch sonst ist es das sicherste für den nord. Sprachstand
unmittelbar nach dem vocalischen Auslautgesetz die uncontra-
hierten Formen anzunehmen, wenn nicht bestimmte Gründe
dagegen sprechen.
So bei jam, A. Sg. der masc. ja-Stämme, N. A. Sg. der
neut. ja-Stämme. Am war uns in den entsprechenden Fällen
A. Sg. Masc. N. A. Sg. Neut. der a-Stämme substantivischer
Function als a I entgegengetreten, eine Qualität, welche am,
an sofort nach Eintritt des consonantischen Auslautgesetzes
erhalten haben musste. — Die Analogie des got. und der west-
germanischen Sprachen reicht hier nicht aus, da dort -am in
den erwähnten Fällen nicht zu ä geworden, sondern abgefallen
ist. — Da wir demnach über die Behandlung des jam nichts
wissen, dürften wir am wenigsten fehl gehen, wenn wir bei ihm
dieselbe Entwicklung wie bei am, ä voraussetzen, also ja oder
nach Princip ijä.
Bei Jans , A. PI. der masc. ^a-Stämme, und bei jdn, N.
Sg. der masc. ^aw-Stämme, haben auch das got. und die west-
germanischen Sprachen j und den folgenden Vocal gewahrt —
harjans (A. PL), ü/YJa, (N. Sg.).
In der Tabelle ist überall schon Verlust des j vor i
angenommen.
Betrachten wir das einzelne.
ü«ber die Eudsilb«!! der altnordiechen Sprache. 397
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JA.
Ueber ja 2, Sg. Imp. der schwachen Verba erster Conju-
g^ation s. oben S. 394.
Jam und jas gehen meist nach Princip. Von ja aus jam
schwindet in III j natürlich nach Abfall des a, i von ijä bleibt.
/ wie ij haben in II Umlaut gewirkt : l<yn, klaedi (N. A, Sg,),
lekk, hdli (A. Sg.).
Ueber die Störung des Princips bei den neut. /a-Stämmen
B. oben S. 391.
Um die Zeugnisse für jas (N. Sg.) id I steht es misslich.
Ob ThaliK kurze oder lange Wurzel habe, können wir nicht
sagen. MariK scheint mit dem Adj. maerr identisch zu sein
und entzieht sich dadurch der Regel. Die adj. ^a-Stämme sind
allerdings durch erhaltenes oder verlorenes j vor a, « unter-
schieden, in den übrigen Formen aber uniformirt : vaenn, saell,
froekfiy wie miär, n^s, fraegr, — Die andern Beispiele sind
Namen auf -ga^tlB, — ein Wort, das wohl ursprünglich wie
im got. ahd. zu den i-Stämmen gehört haben wird, aber im
wesentlichen die Declination der Ja-Stämme angenommen hat.
— Es hat nie j vor a, t*, aber im N. Sg. gestr^ nicht gestir,
G. Sg. gestsj nicht gestir, A. Sg. gest^ nicht geati; s. Wimmer
Gramm. §§. 43, b, 2. 46.
Die Comparativadverbien erster Comparation, welche in III
einförmig -r in der Endung mit Umlaut der Wurzel zeigen,
hetTj heldry haben jatf — s. Scherer GDS. S. 179 — gewiss
auch zu ijas erweitert, aber heldr ist Analogiebildung nach
hetr. Man sollte heldir, hetr in III, also heldir, hetjir, betir
in I erwarten.
Jan8 zeigt in lU hekkij hella (A. PI.). Also kein ija im
zweiten Fall. Ja, von Jans wurde zunächst bewahrt wie a von
ans, s. oben S. 371, und dann j abgeworfen, die erste Methode
sich der unbequemen Lautverbindung zu entledigen ; s. S. 392. /in
bekki weist auf i in einer früheren Periode, das nur aus einem
ja stammen kann, welches nach dem Auslautgesetz sich auf t
zusammengezogen hatte. Contraction vor dem Auslautgesetz
würde deutlicheres t vor Ja in jans bei Paradigma 6eX;ftr als
398
Heinsei.
bei Paradigma hellir voraussetzen, — bakijans, halljam — was
gegen unsere sonstige Erfahrung ist. Denn ohne i* vor jans
ergäbe das Auslautgesetz nach Contraction baU^ in III hekk. —
Ob die Contraction in I oder II stattgefunden habe, ist freilich
zweifelhaft und der Ansatz in II ziemlich willkürlich, lieber
die mögliche Veranlassung der Contraction, welche wir auch
im N. PI. finden werden, s. S. 400.
Auf der älteren Stufe sind geblieben nidr^ herr — noch
in in A. PL nidja, herja, und facultativ auch Grikkja, vaengja;
8. Wimmer Gramm. §. 41, b, 3. — Im altdän. und alt-
schwed. sind das die gesetzmässigen Formen dieser Declination;
8. Wimmer Navneordenes böjning S. 49 flF. 58 f. — Nidja
verhält sich also zu hella (A. PI.), wie kynja zu klaedu (G, PL).
Excurs Über die masculinen ja-Stämme.
Die hier und oben beim N. Sg. A. PL vertretene Auffassung
der Declination des Paradigma hekkr ist nicht die einzige.
Scherer GDS. S. 420 flF. sieht nach Grimm in diesen Wörtern
t-Stämme; auch Leskien Die Declination im Slaw., Lit. und
Germ. S. 78 f. Scherer hält Paradigma bekkr und hurdr für
Eine Declination, weil sie in den Endungen übereinstimmeD,
und gewisse Endungen keiner andern Declination nachgebildet
sein können, so D. Sg., hekk wie huvd, A. PL hekki wie hurdi,
und erklärt den in allen Casus erscheinenden Wechsel zwischen
Umlaut und Laut aus dem a des Gunadiphthongs, das einerseits
bis i getrieben worden sei, in hekkr, andrerseits auf a oder e
beharrt habe^ in hurdr. — Aber einmal sind die Thatsachen
nicht ganz richtig. Die Endungen G. Sg. hekk», D. Sg. hekki,
welche neben hekkjar, hekk erscheinen, sind nicht berücksich-
tigt; s. die flexionslosen D. Sg. in der a-Classe, Wimmer
Gramm. §. 31, — und reiner Laut auf der einen, Umlaut
auf der anderen Seite in der ganzen Declination wäi'C schwer
begreiflich. Wir müssten uns voi-stellen, dass die Masse der in
der Wimmer'schen Grammatik als f- und y«-Stämme bezeich-
neten Nomina sich dadurch von einander unterschieden hätten,
dass die auf Gutturalis ausgehenden langen, sowie ein Theil
der kurzen Wurzeln den Gunadiphthong ai im G. D. Sg.
Ueb«r die Endiilben der aUnordisehen Sprache. 399
N. G. PI. ZU ü, ij getrieben hätten, ein andrer Theil der
ebenso gestalteten Wurzeln hugr, bragr, gripr, grunr, klutr,
konr, skridr, skutr, rnnr, thulr , fridr, kvidr, matr, salr, zw-
sammt den langwurzeligen, welche nicht auf Gutturalis endigen,
fmrdvj burr, feldr, fundr^ Jcostr, kvittr , sandr^ akurdr, aultr,
verdr diese Färbung unterlassen hätten, — dass ferner bei den
ersteren N. A. Sg. D. A. PI. in der Annahme des Umlauts nur
der Analogie der übrigen Casus gefolgt wären. — Schon letzteres
ist unwahrscheinlich , wenn man sich des Vocal wechseis der
tt-Classe erinnert, vöUr, vallar, velli, voll, vdlir, valla, völlum
vöUu. Aber vor allem ist Färbung eines vorgermanischen a
sonst nicht von dem Auslaut der vorhergehenden Silbe abhängige
und warum Auslaut g, k nur bei langer Wurzelsilbe die Färbung
erzeugt habe und warum die Kürzen ganz reelles bald nach
bekkr bald nach stadr decliniert werden, bleibt unbegreiflich.
Als ja-Stämme gefasst haben die Nomina nach bekkr
nichts auffalliges bis auf N. A. PL bekkir bekki neben hellar,
hella. Wenn wir daneben die Fem. N. A. PI. engjar, ermar sehen,
so ist doch das wahrscheinlichste, dass ja in bakjann (A. PL),
jo in bakjor (N. PL), den Formen von I, sich nach Eintritt der
Auslautgesetze ebenso zu t zusammengezogen habe, wie wir
dies sonst in der vorgermanischen Periode anzunehmen ge-
nöthigt sind. Die Analogie der Feminina und Neutra macht es
fast unmöglich bekkr neben helUr anders zu erklären als eng und
kyn neben ermi und klaedi, — Ö.Sg. bekksj D.Sg. bekkt sind
die richtigen Formen, bekkjar und bekk Analogiebildungen.
Aber vereinzelt mag auch im nordischen Färbung des
Gnnadiphthongs oder reiner Themavocal ohne Guna bei der
i-Declination vorgekommen sein. Die Anomalie gestr, gloepr
erklärt sich daraus. Wenn in I der G. PL gasHjo, gastio war,
so lag bakjoj halljo, der G. PL der ^a-Stämme, nahe. Allerdings
nur ein Casus. Aber bei einer so vereinzelten Bildung, wie
dieses gastr durch die Färbung seines Gunadiphthongs oder
ungxinierten Stammvocal gewesen sein muss, ist es begreiflich,
dass auch ein geringer Anlass genügte, es in die Bahnen einer
gewöhnlicheren Declination zu drängen. Auffällig aber, dass
Paradigma bekkr, nicht hellir, gewählt wurde, das doch durch
die Wurzelgestalt näher lag. Vielleicht darf dies die Wag-
schale zu Gunsten der Form gastio, nicht gastijo (G. PL),
400 Heinsal.
senken^ da bei halljd sicher eher ein i vorgeschlagen werden
konnte, als bei hakj6\ s. oben S. 393 ff.
Daher der anorganische schon in I bezeugte N. Sg. -gastiR
gleich gastjir^ und der durchgeführte Umlaut in II. III.
Es ist möglich und wahrscheinlich, dass die oben S. 397
und unten S. 408 erwähnte, in I und II vollzogene Contraction
der -jor, -jann (N. A. PL) von Paradigma bekkr durch die
gesetzmässigen gasttr, gastinn (N. A. PI.) befördert, wenn nicht
hervorgerufen wurde, so dass nicht nur Paradigma bekkr auf
gestr, sondern auch dieses auf jenes eingewirkt hätte. Denn
die erwähnte Contraction ist nach dem Auslautgesetz ein sehr
vereinzelter Fall.
Vielleicht verdankt auch die Nebenform des D. Sg. hekk
neben bekki den Wörtern, welche ursprünglich der i-Declination
angehörten, ihre Entstehung. GestVf gloepr haben D. Sg. nur
gest, gloep. Das weist auf vorgermanisch gast-i-i, I. II gasti.
Diese ungunierte Dativform wird auch in jenen Fem. der
t-Classe Statt gehabt haben, deren ganze Declination zwischen
Laut und Umlaut schwankt, dtt aett, kvän kvaen, bon boen,
satt saett, Wimmer Gramm. §. 48, 3. Neben den regelmässigen
Formen herrschte hier einst G. Sg. N. A. PI. ahtir I, aus cJitijaSf
D. Sg. ahti I, aus aktiu Bei so vereinzelten Fällen wäre es
begreiflich, dass der Umlaut sich nicht auf den Formen, wo er
zu Recht bestand, fest setzte, sondern facultativ das ganze Wort
ei^riff. — Im ags. bekanntlich Umlaut in allen Casus der fem.
.-Declination.
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Lang JA.
Uebermässige Länge des ä in ja wird vor allem in jenen
Fällen anzunehmen sein, wo wir übermässiges d gefunden hatten,
da ja der Unterschied zwischen ä und ä in die arische Urzeit
hinaufreichen muss, — also in 1. Sg. Prs. Ind. 2. Sg. Imp. der
dritten schwachen Conjugation (got. j6-Stämme), im A. Sg. der
jä-Siämmey im G. PI., im N. Sg. der jän- und der neutralen
yan-Stämme, im N. (A.) PI. der ja- und y^f-Stämme; dazu
käme auch die 1. Sg. Opt. Pf., vielleicht von jd-am, — oder es
Ueber die EodsilbAn der altnordischen Sprache. 401
genügte die Analogie der G. PI. — Entsprechend den Formen
mit einfach langem d liegt einfaches ja zu Grunde der 1. Sg.
Prs. Ind. der ja-Conjugation, dem N. A. PI. Neut. derya-Stämme,
dem N. Sg. der ^a-Stämme, dem N. Sg. der masc. jian-Stämme.
Letztere Gruppe zeigt in III entweder t oder gar keinen
vocalischen Rest, erstere a oder ja^ in beiden Fällen aber ist
der Vocal der vorhergehenden Silbe umgelautet.
Darnach hat für ja in unserer Periode j6' gegolten, wie
für ä 6f — für jd im Auslaut ju, sonst ja.
Betrachten wir die Gruppe einfach langer ja, zunächst
auslautendes -jd. Wenn wir wie bei altem jam jä^ ijä so hier jm
iju unterscheiden, ergeben sich die Formen der Periode III von
selbst Ich hebe nur hervor, dass ich für N. Sg. der ^a-Stämme
nach Paradigma ermr die Nebenform auf -i als die ächte und
alte angenommen habe. Auch Wimmer Navneordenes böjning
S. 60 scheint r für jünger zu halten. Vgl. auch Blomberg
Bidrag tili den germaniska omijudsläran S. 73. Schlüter Die
mit dem Suffix ja gebildeten deutschen Nomina S. 214 weist
mit Recht, darauf hin, dass nirgends sonst in einer arischen
Sprache « hinter einem d des N. Sg, erscheint. — Wenn
es auch ein Kennzeichen der jüngeren isländischen Sprache
ist, die -i-Form statt der auf -r einzusetzen, so ist erstere
doch bei gewissen Wörtern alt; s. Wimmer Gramip. §. 42, 1.
Dass dafür r in regelmässigen Gebrauch kam, hängt vielleicht
mit dem Umstände zusammen, dass so viele weibliche Eigen-
namen nach dieser Declination gehen. Wenn nun neben denen
auf "dia für -diar das Appellativum dU als i-Stamm auftritt, Plural
d^ir^ so mag es sich mit den übrigen weiblichen Eigennamen
auf r auch so verhalten haben. D. h. als N, G. D. A. Sg. der
fem. i-Stämme ihre eigenthümliche Declination verloren und
sich nach dem Muster der a-Classe richteten, widerstrebten
die Eigennamen begreiflicher Weise, — sie fugten sich nur zum
Theil, nahmen D. A. Sg. der^a-Stämme an, behielten aber ihren
N. und vielleicht auch G. Sg. auf -r, -ar : Iitunr, dann Idunn
(N. Sg.), Idnnar (G. Sg.), Thi^Mr, Thrüdar. Nach den Eigen-
namen mögen sich dann jene Feminina der jf'a-Classe gerichtet
haben, welche ihnen den D. A. Sg. auf i geliehen hatten^ das
sind die langsilbigen ohne g, k am Ende der WuVzel, heidvj
ermr. Vgl. oben S. 400. Den Eigennamen folgten dann einige
Sitxnngsber. d. phil.-hist. Ol. LXXXYII. Bd. I. Hft. 26
402 Heinsei.
Appellativa der t-Classe; briidr, unnr (udr), gunnr Cgudr) —
hrHäA' Bezeichnung einer Frau, nnnvj gunnr in Frauennamen
verwendet, — Wörter, die sich von den eigentlichen ji(S-StämmeD
durch Mangel des Umlautes unterscheiden. Vgl. Gislason Tid-
skrift f. phil. 6, 241. — Aber auch die appellativen Feminina
der n-Classe kommen in Betracht. Als deren eigenthümliche
Declination zum grössten Theile aufgegeben wurde , konnte
sich doch die Erinnerung an das r des N. Sg. bewahren:
s. floedr, got. flodua.
Bei den gutturalisch endigenden Wurzeln ist ein gewisses
Schwanken bomerklich: ßski (fiskr kommt nicht vor), gffgr,
r^gr * gehen nach ermr, ermi.
Der N. Sg. Fem. der Adj. ist gleichförmig gebildet, wie
der N. Sg. Masc. und wie die 2. Sg. Imp. der ;a-8tämme : in III
vaen wie fraeg. Es ist entweder hier die Wurzelgestalt unbe-
achtet geblieben , oder ein älteres vaem dem fraeg gleich
gemacht worden.
Ueber die Modificierung des Princips in der l.Sg. Prs.
Ind. der schwachen Verba erster Classe und im N.A. PI. der
neut. jfa-Stämme s. oben S. 391 .
In jäny N. Sg. der masc. ^an-Stämme, ist der Unterschied
beider Wortgruppen vielleicht nur verwischt. Setzen wir in I
stadja, andija an, so ergibt dies in III — über stedje endije
in II, s. hana I, hane 11, hani III, — stedji stedi, endiß endi
s. unten. Langes i aber kennt das altnordische in Endung nicht.
In der Grammatik müsste hervorgehoben werden, dass
endi und die Worte nach stedi einer Declination, der der jan-
Stämme angehören, ebenso wie vaenn, froekn nicht weniger
ya-Stämme sind als midr^ nifTj fraegr.
Allerdings macht es die Nebenform endir, got. andeis,
wahrscheinlich, dass endi nicht von Anfang an ein ya/j-Stamm
war. Aber ja/i-Stämme, die wie endi flectiert wurden, muss es
doch gegeben haben, sonst wäre die Beschränkung der nach
stedi gehenden auf Kürze oder Gutturalausgang der vorher-
gehenden Silbe unbegreiflich.
Wenden wir uns zu ja.
* Die bei Wimmer Gramm. §. 42, 1 also nach ermr Cheidr) gehend ange-
führten gorvif lygi, mykr haben nach Cleasbv in 0. Sg. nie jar oder «r.
üeber di« Endsilben der sHnordischen Sprache . 403
Den Ausgang -ja setzt voraus die 1 . Sg. Prs. Ind. (2. Sg.
Imp.) der schwachen Verba, welche vor dem Themavocale a, 6
noch ein j haben, ^^99J^* ^^ ^^^ eigenthümlich, dass der Charakter
ja III nur in solchen Verben vorzukommen scheint, deren Wurzel
kurz ist oder auf Guttural is auslautet. Im gotischen findet sich
diese Beschränkung nicht. Es sind vielleicht im nordischen
noch y^-Stämme unter den Verben nach kalla versteckt.
J bleibt demnach bis III, eggja.
Der A. Sg. der ja-Stämme ist wie bei den a-Stämmen
nur im Adj. erhalten, welches nach Princip in III a oder ja
zeigt In Paradigma eng^ ermi (ermr) ist die oben S. 401
besprochene Nominativform auch in den Accusativ getreten,
wie vök für vaka erscheint.
Ganz rein erscheint das Princip im G. PL auf jäm, jadm^
jdäm, — während jäm der l.Sg. Opt. Pf. durchaus sein j in
III verliert: toeka, gi^'pa, skyta wie foera^ statt toekja usw. Es
galt hier nicht einmal, wie oben S. 391,' das Princip der Länge.
Oder es wurde nach Massgabe der überwiegenden Fälle der
Länge vor den Endungen des Opt. Pf. eine Uniformierung aller
1. Sg. Opt. Pf. vorgenommen. Jedenfalls aber liegt dem got. -jaw,
wie dem nord. -a mit Umlaut der Wurzel ja- m zu Grunde,
nicht t- m, wie den -i der westgermanischen Sprachen. Vgl.
Ebel KZs. 5, 55, Scherer GDS. S. 472.
Das alte jän, N. Sg. eines ^*<f n-Stammes, erscheint in III
als ja, hylgja, oder er, hellOf nach Princip; s. Wimmer Gramm.
§§. 69. 71, — parallel dem tunga III, tungo I. Wir werden
dadurch für I auf -/ö gefUhrt: hulgjo, halljo.
Exciirs Über die ja- und jcJ^i-Stäiniiie.
Die angesetzte Form bidgjo ist ganz gleich dem got.
rathjOy snorjd, — und wie gotisch Paradigma Tnnnagei, zum
grössten Theil von Adj. abgeleitete Abstracta, — so hat
Periode III des altn. neben hylgja, hella eine Reihe Feminina,
fast durchweg derselben Herkunft auf i, Paradigma froedi.
I g'eht durch alle Casus des Sg., Plural kommt nicht vor. —
Wenigstens die obliquen Casus von got. managei können nur
von einem in-, das ist einem jfVm-Stamme, kommen, und con-
sonantisch jedenfalls ist auch die Declination von froedi. Es
26*
404 Heinxei.
scheint demnach dass froedi sich zu hylgja ähnlich verhält wie
Tiella, also wie hellir zu bekkr, klaedi zu kyn^ emu zu eng, erma
zu engja, und in der That haben die Nomina nach hylgja kurze
oder auf Gutturalis ausgehende Wurzelsilben, die nach Mla
wahrscheinlich immer, die nach froedi zum grössten Theile
Länge ohne Gutturalis.
Es sind also im nord. die N. Sg. der Jan-Stämme mit
langer, nicht auf g, k endigender Wurzel zum Theil den
Stämmen mit kurzer oder gutturalisch auslautender Wurzel
gegenüber gestellt worden, wie A. Sg. Fem. vaena dem A. Sg,
Fem. fraegja, müssen also in I j6 gehabt haben, — zum Theil
aber ist dieses j6 irgend einmal zu i contrahiert worden.
Eine Dreitheilung wie in froedi, heUn, hylgja findet sich
auch im N. A. PL der masc. ja-Stämme, hekkir hekkt\ hellar hella,
aber auch mdjar nidja, kerjar herja usw. ; s. oben S. 397. 400
und unten bei jds.
Aber das Princip, nach welchem vaena (A. Sg. Fem.) sich
von fraegja scheidet, ist im Verhältniss dieser ja zu i gerade
umgedreht. Die Wurzelgestalt im Paradigma bekkr zeigt Kürze
oder Länge mit Gutturalis, im Paradigma /roe(f{ meist Länge
ohne Gutturalis.
Auffiillig ist auch, dass diese Form der Wurzel keines-
wegs ausschliesslich das Paradigma froedi hervorruft. Durch-
gehendes i im Sing, haben nicht nur Wörter, welche nach
hello gehen sollten, sondern auch solche, welche wir unter
Paradigma hylgja vermuthen möchten, gledi, gremi, Uli, myki,
lygi, ^ ergi, rekki, — dann die von den Adj. auf -agr, -igr, -vgr
gebildeten helgij graedgi, usw.
Nach der Analogie hekkr, eng sollten in Paradigma /ro^A*
entweder nur Nomina nach hylgja oder nur nach hella erscheinen.
Im gotischen eine ähnliche Unregelmässigkeit. Allerdings
zeigt Paradigma managet (nord. froedi) durchweg Länge der
Wurzel oder nach dieser nach ein Suffix, s. Leo Meyer Got.
Sprache §. 465, aber in Paradigma rathjo (nord. hylgja) ziem-
lich gleich viel Längen und Kürzen, s. Leo Meyer a. a. 0.
§. 459. Es hat sich also auch hier die Contraction nicht
1 S. Anm. auf S. 402.
üeber die Endsilben der altnordischen dprach«. 405
ausschliesslich einer Wortclasse bemächtigt^ was bei Paradigma
handij hairdeis doch geschehen ist.
Die inconsequente Dui*chführung eines deutlich zu Grunde
liegenden Principes führt zu der Vermuthung, dass hier eine
alte Formübertragung vorliege.
£ine solche bot sich in der That leicht dar. Bekannt
sind die weiblichen von schwachen Vocalstämmen abgeleiteten
Abstracta mit den Stämmen auf tni^ dni, jäniy atniy s. Scherer
GDS. S. 179, — got. daupeinSf gamitons, sunjonsj tkulains,
eigentlich Nomina actionis ; Leskien Die Declination S. 96. Die
Stämme auf mi setzen natürlich jani voraus. Die Declination
eines solchen Nomens vor der Contraction und vor dem voca-
lischen Auslautgesetze hatte mit der eines fem. ^an-Stammes
grosse Aehnlichkeit.
1) N. Sg. daujjjams 2) N. Sg. frodjd
G. Sg. daufjanaiaa G. Sg. frodjdnas
D. Sg. daupjanaii D. Sg. frodjdni
A. Sg. daupjani A. Sg. frddjdna.
Vielleicht gab es neben daupjanaii (D. Sg.) auch eine Form
ohne Guna daupjanuj wie D. Sg. kosti aus kostii im altslaw.,
vielleicht andere mit Färbung des Gunadiphthongs im G. D.
daupjanijas, daupjaniji, s. oben S. 400.
Der Perfectstamm nun der schwachen Verba erster Con-
jugation muss ebenso wie die Adjectivsuffixe jan, jag, das
Optativsuffix jd, sehr früh eine Contraction des ja zu i vor-
genommen haben, und gewiss auch das Nominalsuffix jani von
daupeins, da nirgends mehr eine Spur des ja erhalten scheint,
mag die vorhergehende Wurzel kurz oder lang sein; s. Leo
Meyer Die got. Sprache §. 399. Wenn nun daupjanis zu
dauptnis wurde, so ist es begreiflich, dass unter den so ähn-
liehen jan-Stämmen besonders jene die Contraction nachahmten,
welche durch ihre Wurzelgestalt eine gewisse Neigung zu ijd
statt jdy also zu vocalischem und zwar i-farbigem Einsatz der
Suffixsilbe hatten, aber auch andere, welche durch ihre Bedeu-
tung als Abstracta Verwandtschaft mit den ^ant-Stämmen zeigten.
1) N. Sg. dauptnis 2) frodi
G. Sg. daupmaias frodinas
D. Sg. dauptnaii frodini
A. Sg. daupini frödina
406 H«iiiiel.
Nach Eintritt der Auslautgesetze erscheint für 1. got
daupemsj daupeinais, daupeinai, daupein, nord. kurzes i vor n
in I voraussetzend keym (got. hauseins), s. Grimm Gramm. 2,
159, * — fiir 2. got. managei, manageins, managein, managein,
nord. froedi durchaus, was für Periode I frodi ei^bt. Die
Formen sind regelmässig bis auf N. Sg., welcher im nord. I
wie im got. die Länge der Suffixsilbe wohl dem Uebergewicht
der obliquen Casus verdankt.
Nur unter Voraussetzung von jdn^S^mmen neben jani-
Stämmen in uralter Zeit, erklärt sich die im gotischen wie im
nordischen erscheinende Vernachlässigung der Wurzelgestalt
bei der Scheidung der Jan-Stämme in contrahierte und nicht-
contrahierte. Ein Princip der Bedeutung hat über das formelle
gesiegt. Unter den J^Sn-Stämmen bezeichnete nun m die Adjectiv-
abstracta, jdn diente für die übrigen Wörter. Das gotische
suchte zu vermitteln. Es bewahrt nur solche Adjectivabstracta,
welche zugleich lange Wurzel haben oder mehrsilbig sind.
Schon Scherer GDS. S. 431 hat auf die Stämme mit int,
die got. Nomina auf -eins hingewiesen, aber nur zur Erklärung
der ahd. Form menegin neben menegL Das n in der Declination
des got. managet aber hält er nur für eine Folgerung aus dem
G. PI. Aehnlich Zimmer Zs. 19, 425. — Leskien Die Declination
S. 94 ff. verwendet die Fem. auf got. eiyjs von Suffix tjd aller-
dings zur Erklärung des got. G. Sg. manageins , D. A. Sg.
managein, aber in wenig überzeugender Weise. An Stelle des
Wortes managei manageins usw. habe ursprünglich ein Ja-Stamm
gestanden, weil ja in allen indogermanischen Sprachen derartige
von Adj. abgeleitete Abstracte bilde, S. 95; — ebenso Scherer
S. 430, Zimmer a. a. O. — diese hätten, da die vorhergehende
Wurzel fast immer lang ist, den N. Sg. vor dem Auslautgesetz
auf i gebildet, wie man diess für die jd-Stämme nach got.
bandi annehmen müsse. Von ihnen nun seien die andern von
Verben gebildeten Abstracta ähnlicher Bedeutung auf -tnis
schon vor dem Auslautgesetz nicht sicher zu scheiden gewesen,
man hätte z. B. den A. Sg. faurhtinin von faurhtmis auch als
* Eljan, herjan stammen von Verben der dritten Classe wie skipan, vgl.
got. 9unj6ns,
Ueb«r die Endsilben der »Iteordiachen Sprache. 407
A. Sg. des Ja-Stammes faurhtt (nach got. bandi), der faurkt-
jdn (got. handja) lauten musste, missverstehen können^ S. 97.
£benso muss Leskien sich wohl auch die Entstehung von ahd.
menegin aus metiegi durch Vermittlung des Paradigma toufin
vorstellen; obwohl er nur das gotische berücksichtigt, S. 99.
Das angenommene Miss verständniss/at^rAtömn (A. Sg.) von
faurhHnis, für faürhtjän (A. Sg.) von faürhti scheint schwer
glaublich. Die Laute liegen weit ab. Das charakteristische n
der Ableitung fehlt in dem einen Fall.
Vor allem aber : in verschiedenen germanischen Sprachen
liegen abstracte Feminina vor, deren Declination auf einen in-,
jan-Stamm zurückweist. Jan ist auch sonst als ein Suffix
bekannt, das aus nominalen Stämmen feminine Abstracta zu
bilden geeignet ist, lat. communis eommunio, got. gamainei,
vgl. miru8 mirio, s. Osthoff Forschungen 2, 91 ff. 88, L. Meyer
Orient und Occident 2, BIL Dass im ahd. daneben vor den-
selben Stämmen auch Bildungen auf ja vorkommen, ahd.
menegi neben menegin, kann doch die Berechtigung nicht rauben,
in got. managet, altn. froedt) ahd. menegin, in der That das zu
sehen, was diese Worte zu sein scheinen, nämlich Jein-Stämme ;
B. lat. luditM ludio, amasius amasio, laniua lanio, Osthoff For-
schungen 2, 62 f. Vgl. im got. selbst die neutralen Abstracte
auf Suffix ja und daneben Fem. auf jd^i: aglaiti aglaitei,
bamtski bamiskei, s. Leskien a. a. O. S. 98, im alts. antsceini
anUceint, ahd. äbtdgi äbulgi, s. Schlüter Die mit Suffix ja ge-
bildeten deutschen Nomina S. 141, vgl. ganudi (Neut.), gariudjo
Schlüter S. 133. — Allerdings sind im lateinischen fem. Abstracta
von Adj. wie communio viel seltener als im deutschen. Die
häufige Verwendung des Suffixes jdn in diesem Falle muss
als eine germanische Eigenthümlichkeit angesehen werden.
Das ahd. hat, wie die ostgermanischen Sprachen, jdn-
Stämme von Adjectiven. Es unterscheidet sich von ihnen da-
durch, dass es daneben von denselben Adjectivstämmen mittelst
des im westgermanischen beliebteren Suffixes ^ä auch ja-Stämme
bildet, und zwar in einer Form, welche durch Contraction sich
von den selteneren nicht von Adj. abgeleiteten Ja-Stämmen
unterscheidet, aippea, wunnea, suntea usw. — Die Contraction
wurde vielleicht spät voi^enommen, da dem menegi ein sippe
gegenübersteht. Aber der N. Sg. menegi konnte wie bei den
406 H«iiiiel.
ja«-Stämmen, ahd. menegin (N. Sg.), got. managet, altn. froedi
(frddt I)y aus den obliquen Casus gefolgert sein, wo sich langes
} auch bei Contraction vor dem Auslautgesetz begriffe.
Gewiss aber ist alt die Contraction in den Jan-Stämmen,
entsprechend dem gotischen und nordischen, und aus demselben
Grunde, durch Einwirkung der Verbalabstracta auf -tni-. Der
AnschlusB an diese war im ahd. sogar noch genauer und hatte
den unorganischen N. Sg. auf in zur Folge.
Sehr wahrscheinlich finde ich, dass die Scheidung der
ja-Stämme, nach welcher die auf Adj. zurückgehenden ja con-
trahierten, die übrigen nicht, undea, sundea — ganz selten
Fälle wie nppe, gerte, unde, — erst durch die ältere der jän-
Stämme veranlasst ward. Man sagte menegi statt menegea. weil
man daneben menegin brauchte.
Im ahd. wirken die jän-, tn-Stämme auf die jani-, int-
Stämme zurück. Sie sind es offenbar, welche den Verlust der
Endungen des G. D. Sg. zuerst in dieser Gruppe, dann in der
ganzen i-DecIination veranlassen ; s. Scherer GDS. S. 431. 439.
Das Neutrum eyra setzt einen Jan-Stamm voraus — vgl.
got. sigljd, — ist aber wohl das einzige Beispiel. Seiner Wurzel-
gestalt und späteren Entwicklung wegen ist es mit dem Fem.
hella aufgeführt.
Die N. PI. der masc. ja-Stämme habe ich in dieser Periode
gleich angesetzt, sowohl im Paradigma bekkr als hellir, auf -jör,
entsprechend dem -or der masc. a-Stämme, obwohl III bekkir
und hellar zeigt, ebenso wie A. PI. bekki, hella, s. oben S. 397.
Wie dort müssen wir sagen: hätte in I sofort nach dem Aus-
lautgesetz bakir gegolten, neben halljor, das wegen hellar in
III durchaus nothwendig ist, so wäre vor dem Auslautgesetz
der Vorschlag des i vor ja nach Gutturalis oder kurzer Silbe
deutlicher gewesen, als ohne diese Bedingungen, was unsrer
Erfahrung widerstreitet. Setzen wir einfache Contraction des
ja zu i vor Auslautgesetz an, so ergäbe diess in I bekkir, in
III bekkr.
Wann aus altem bakjdr bakir geworden^ ob in I oder II,
ist ungewiss, der Ansatz in II blosse Vermuthung. S. oben
über A. PL bekki S. 397, und über die Ursache , welche viel-
leicht die Contraction hervorgerufen hat S. 399.
üaber dl« BiidiUb«B d«r altnordiMheii Sprache. 409
Auch hier bleiben niäjar, herjar * und öfters auch Grikkjar,
vaengjar als Reste der alten Bildung^ genau nach dem Princip
heUar entsprechend^ zurück. S. Wimmer Oramm. §. 41, b, 3
und Navneordenes böjning S. 58 ; altschwedische und altdänische
Beispiele auch bei Lyngby Tidskrift f. phil. 6^ 35.
N. A. PL der ^d-Stämme entwickelt sich nach Princip.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Der Wechsel zwischen i und Ausfall des Vocals in III
ist ganz gleich dem Verhältniss in ursprünglich letzter Silbe,
B. oben S. 394, also wohl auf dieselbe Weise zu erklären,
durch ja und ya, woraus in I ji (i) und t wurde, um in III
entweder zu verschwinden oder als i zurückzubleiben. Das
Princip ist gewahrt mit der oben S. 391. 397 für die erste
schwache Conjugation für die Neutra der ya-Classe und für die
adjecti vischen jf'a-Stämme angeführten Modification. Also temr
(hrekr)j teggr^ gn^r^ doemir, bergir (2. 3. Sg.), — kynsj akeggs,
fleys, klaedis, rikis, engis (6. Sg.), — mids, n^s, fraegs, vaens,
8aeU, froekna (G. Sg. Masc. Neut.).
Vor n, nt bleibt ja, in III a oder ja nach Princip. Dass
die bezeugte Schreibung G. Sg. Thrawingan j wahrscheinlich
nur nicht ausdrückt, wurde oben S. 395 bemerkt. Noch in III
höfdingja, — Stedjar (N. PL) ist Analogieform wie hanar, s. oben
S. 377.
Was die 2. PI. Prs. Ind. der ersten schwachen Conjugation
anbelangt, so zeigt III durchweg «, temid, doenüd. Es könnte
eine üniformierung vorliegen wie im Imp., s. oben S. 394. Aber
der Unterschied konnte auch in III nur verwischt sein wie im
N. Sg. der masc. jan-Stämme, s. oben S. 402. Vielleicht galt
in I tamjed — s. oben über den Stammvocal der 2. PI. Prs.
Ind. S. 379 — und dömijed., was in III temid, doemid ergab.
Langes i aber erhielt sich in der Flexion nicht.
< Wimmer Gramm. §. 41, b, 2 sagt herr- werde im Plural nicht gebraucht,
aber s. Cleaaby.
410 H«i»iel.
Vor m verwandelt »ich ja in ju, in III nach Princip tt and
ju. II zeigt allerdings nur den i-Umlaut, aber wegen der ent-
sprechenden Fälle von am ist auch ^um schon in I wahrscheinlich.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA.
Nach Äuslautgesetz vor der letzten Silbe.
Auch hier erhält sich ja, selbst vor nt im Part. Prs., wo
in III Wechsel mit a nach Princip stattfindet.
Ebenso wird auch hier ja vor m (D. Sg. des Adj. Masc.)
zu ju und wechselt in III mit u nach Princip.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Aus)autgesetz in letzter Silbe.
J6 bleibt zunächst überall. 2. PI. Prs. Ind. Imp. aggjU
wird später durch eine Analogiebildung auf -id verdrängt,
s. oben S. 384 über kallid.
Auch wegen des entsprechenden Schicksals der d vor
m, n müssen wir hier noch in I Uebei^ang der Formeln ovi,
6n in um, un ansetzen. Nur die Ja-Stämme nach eggja halten
wie kcdla in 3. PI. Prs. Ind. den charakteristischen Vocal fest.
Analogieform ist N. A. PI. hylgjur für bylgju; s. oben über
hanar, tungur, stedjar S. 377. 385. 409.
Die dunklere Färbung des alten ja zeigt sich hier deut-
lich gegenüber altem ja, das vor n blieb, s. oben S. 409.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
J6 bleibt zunächst unangetastet: geht aber allmälig im PI.
Pf. Ind. der dritten schwachen Conjugation (got. jfö-Stämme), —
eggjudum III, — und wohl auch vor n zu ju über, wie d im
gleichen Fall. Vor nt. im Prt. Prs. erhielt sich 6 aus n ebenfalls.
ü«l>«r di« En(Uilb«a der »Itnordiicbe» Sprach«. 411
/ ursprünglich in letzter Silbe.
ExcuTS Über kurzes i letzter Silbe.
Der Vocal ist hier spurlos abgefallen. Bugge Forhand-
lingen i Videnskabs-Selskabet i Christiania 1872 (gedr. 1873)
S. 316 liest in der ValsQordinschrift HagnstaldiR (N. Sg.)
und erklärt das Wort für einen i-Stamm, ebenso wie MariB
Thorsbjerg, -gastlB Gallehuus, Berga, s. oben S. 397. Die
Valsfjorder Inschrift ist ausserordentlich abgeschliffen, s. Bugge
a. a. O. S. 312, so dass eine sichere Lesung nicht überall möglich
sein dürfte. Wenn Bugge sagt, in Bezug auf i in HagustaldiB
seien seine drei Abschriften einig, so ist das nicht ganz richtig,
da die Zeichnung a) auch die Lesung -aR erlaubt. Allerdings
hat er den fraglichen Buchstaben nochmals untersuchen lassen.
Aber da die Buchstaben kaum mehr eine Vertiefung zeigen,
auf ihre Gestalt nur aus der Farbe des Steines geschlossen
werden kann, so ist wahrscheinlich gar nicht möglich zu ent-
scheiden, ob der Schaft des i nicht die zwei kleinen Seiten-
striche gehabt habe, die sich in der Zeichnung a) finden und
den Buchstaben zu a machen würden. — Dazu kommt dass
UagustaldiR sprachlich bedenklich ist. Nord, haukstaldr, wie
die entsprechenden Formen der übrigen germanischen Sprachen,
ist ein a-Stamm, während MariR, -gastiR ja-Stämme sind nach
Ausweis des Umlauts, — maerr gestr. — Wäre HagnstaldiR
die richtige Schreibung, so müssten wir annehmen, eine spätere
Form -steldir sei verloren gegangen, oder das Wort früh aus
der Ja- Ciasee in die a-Classe übergegangen. Denn erhaltenes
i eines i-Stammes im N. Sg. ist ganz unglaublich. Der tiefste
Vocal u erhält sich auch im nordischen am längsten. Noch im
Anfang von III galt sunu (A. Sg.), wir finden die Form auf
den Inschriften von Sölvesberg und Helnaes. Dass a inr der
Endung -ali (N. Sg.) von o-Stämmen, nicht der alte Stammvocal
sei, erschien uns oben S. 369 als wahrscheinlich. Jedenfalls ist
a in der Genitivendung -as ausgefallen, Thrawingau Tanum,
Kethan Belland, Igingon Stenstad, t im D. Sg. witadahalaiban
412 Btinsel.
Tune. Vgl. Wimmer Aarböger 1867, S. 53. — Wie liätte sich
i im N. Sg. gehalten?
Vor allem aber wie erklärt sich der Mangel des Umlauts
in ni; da wir sonst, wo offenbar kurzes i in I, der ältesten Periode
der Sprache, den Vocal der letzten Silbe bildete, in III dieser
zwar verschwimden ist, aber Umlaut zurückgelassen hat jen
(2.Sg), heldr {kAv,)'i
Aarböger 1870, S. 203, will Bugge sogar — mit Lyngby's
Beistimmung Tidskrift f. ph. 10, 89 — in einer Reihe von ags.
Wörtern, welche allerdings got. und nord. z-Stämme sind, den
bewahrten Stammvocal finden : mete got. matSj stede got. stath^
siege got. slaha, aele altn. salr, häle altn. halr, Deiie altn. Dam^
vine altn. vinr, hyge got. hvgr, byre got. baüvy myne got. mum.
Noch andre bei Grimm, 1^, 555. Uebergang in die jfa-Classe
könne nicht stattgefunden haben, da der Consonantumlaut
mangle : mete^ aber z. B. flette^ stede^ aber beddj Dene, aber denn.
— Aber es können ja die fraglichen Wörter ganz junge Ana-
logiebildungen sein. Die t-Declination wurde aufgegeben und
dafür die durch den Umlaut nächstverwandte ja-Classe gewählt
Niemand kann die Pedanterie erwarten, dass dabei auch die
Wurzelgestalt geändert worden wäre. Im alts. D. PL der
t-Stämme gestiun, winiun liegt der Uebergang deutlich vor.
— Die meisten Neutra der ja-Classe werden durch Verlust
des e der a-Classe angeähnlicht , aber der Consonantumlaut
bleibt natürlich, cynn aus cynne. Der Unterschied zwischen
kurzer und langer Wurzel kommt hier nicht in Betracht: denn
cynne, woraus cynn hervorgegangen, ist ebenso lang als yrfe.
Ebensowenig als die ags. beweisen die altfriesischen und
ahd. Fälle, welche Leffler Tidskrift f. f.. Neue Folge, 2, 262
Anm. 3. beibringt, -kerne -kimi) -kvemi -kumi. Man sagt ja doch
altfries. leimi von lamjan, ahd. ztnian von tamjanj ohne Conso-
nantumlaut.
Bewahrung des Stammvocals i ist im ags. auch deshalb
unwahrscheinlich, weil diese Sprache die u im N. A. PI. Neut.
aus altem d schon meist verloren hat.
Bugge beruft sich ferner Aarböger 1870, S. 207 auf die
ags. Feminina ven, est, got. vms, ansfs: das sei Umlaut eines
vorhergehenden von, ost; s. Holtzmann Gramm. 1, 200. Ve«
könnte auch altes e haben für d, vgl. g^^den Part. Pf., Holtzmann
Ü«b6r dt« Bnd«Ub«n der aUnordinohen Sprach«. 413
Gramra. 1, 201. Aber der Umlaut uralautföhiger Vocale ist bei
den fem. t-Stämmen überhaupt Regel; s. Sievers in Paul und
Braune's Beiträgen 1, 4U5 S. Die Erklärung s. oben S. 399. ^
Nicht aufgeführt ist ferner in unserer Tabelle die Endung
-t'fi« (A. PI. der i-Stämme), in III i ohne Umlaut, burdi\ sotti.
Das Fehlen des Umlauts ist zu auffallend in einer Sprache, die so
grosse Empfindlichkeit der Vocale fiir folgendes i /, u v zeigt wie
die nordische^ die in der ?/-Clas8e beide Umlaute neben dem reinen
Laut in buntem Wechsel braucht. Wo j-Umlaut nordisch fehlt,
geschieht es in Ableitungssilben, -ari neben -m bei den Nom.
Agentis der ja-Classe, die in die yan-Classe übergetreten sind,
— im Suffix 'uly wenn das erste Comparativsuffix antritt, giöfulU
fiir giöfulliriy — im Fem. der zweiten Comparation apakarij —
im Opt. Pf. der dritten schwachen Conjugation, um den charakte-
ristischen Vocal zu erhalten, — hier wie im Comparativ auf
-ari war übrigens a in 11, der Periode des Umlauts, noch lang,
— in ßandr (N. PI.) neben gefendr; s. Lundgren Om substan-
tivens stammar S. 17. — Dann in Fällen falscher Analogie, so
in den Adj. auf -inn von Stamm -ma-, gullinn, auf -igr von
Stamm -iga- mdtttgr, wegen der ähnlichen Formen der ana-
und a^a-Stämme, opifWj audigr, die keinen Umlaut haben
können, s.* oben S. 378. — Die Nebenformen von tamdr und huldr
(Ptc. Pf Pass.), tamidr und hulidr, sind gewiss nicht die ächten,
wenn sie auch den altern Quellen eigenthümlich sind. Wimmer
Gramm. §§. *152, 2. Das Verhältniss zu den Verben langer
Wurzel ist gerade umgekehrt : 2. 3. Sg. Prs. Ind. doemir bergiVf
aber tewr, hylr. Im Ind. Pf. doemda bergda, aber tamda hulda.
In tamda f hulda muss i in 11^ der Periode des Umlauts, schon
fortgefallen sein, in den Verben mit langer Wurzel noch nicht.
Ebenso entsprechen sich regelrecht Part. Pf. doemdr, hergdr und
tamdr' huldr. Wahrscheinlich geht tamidr huldr auf taminn^
huünn zurück, auf Analogie der starken Verba, welche bei doema,
hergja nicht so leicht wirken konnte, da diese Verba sich durch
den Umlaut der Perfectformen zu deutlich von allen starken
unterschieden. Bei tamdr, huldr, oder vielmehr den für sie
^ Wenn finnisch kaunis, got. tkauns, erscheint, Thomsen a. a. O. 8. 96 so
beweist dies für die Gestalt des nordischen nach Darchfühmng des Aus-
lantgesetzes ebensowenig als kunigeu; s. oben S. 369.
414 Reiiix«1.
vorauszusetzenden alten tamid/r, hulidr in I konnte man aller-
dings an farinn, bundinn erinnert werden, um so mehr wenn man
Formen wie h^ja, hafinuj sverja svarinn vor Augen hatte. — Die
falschen Formen taminn, huUinn wurden dann nach Maassgabe der
übrigen scliwachen Part. Pf. corrigirt, haben sich aber im neu-
isländischen und nur bei Verben dieser Classe erhalten. In ein-
zelnen Wörtern sollen sie schon sehr früh vorkommen ; s. Wimmer
Gramm. §. 144 Anm. ^
Auslautend i ohne Umlaut sehen wir nun in III in solchen
Fällen, welche deutlich entweder auf altes -An, -af, hani (N. Sg.),
tamdi (3. Sg.) zurückgehen, s. oben S. 373, oder auf ai, aitj
aint, ata, aicu, aiit, aiint: heiti (1. 3. Sg. Pass.), afwi (D. Sg.), t>aki
(Imp.), fari (3. Sg. Opt.), faH (3. PI. Opt.), vaki (1. Sg. Ind.),
hurdir (N. PI.), vaki (3. Sg. Opt.), vaki (3. PL Opt). An -«n,
-di ist nicht zu denken, wohl aber möchte man vermuthen,
dass für burdiy sotH (A. PI.) eine Form vorauszusetzen sei, in
welcher der Stammvocal i gunicrt worden wäre. Vielleicht
-aiana nach Muster der a-Classe. Vgl. griech. x6X6flu;, -{kjxia;
neben N. PL ttoXsi;, ^k^julzIcj lat. oveis omSy umbrisch aveif, neben
N. PL auf -es, -er, besonders aber slawisch synovy neben syny
(A. PL) gegenüber synove (N. PL). Synovy bedingt Qunierung
des u und Annahme der Endung -ans; s. Schleicher Compen-
dium §. 250.
/ ursprünglich in letzter Silbe.
Lang J.
Die Optativformen des Perfects 3. Sg. 3. PL kommen in
Betracht. III hat die Endung i mit Umlaut der Wurzel, was
in unsrer Periode nach dem über ja, ja ursprünglich letzter
Silbe gesagten auf t schliessen lässt. Dass sich die Länge
bewahrt habe, ist nur bei den schwachen Verben begreiflich,
wo der vielleicht zu i gefärbte Vocal der Wurzel dha sich mit
i von ja verband. Hier hat das ahd. auch die Länge gewahrt.
1 Wohl junge Bildungen sind einige Abstracta auf n-tn«/; kradning, ruimn^y
»pamingy «purning, koming^ droUnnig, — neben aetning, fettning; b. Leffler
Tidskrift f. f., Neue Folge, 2, 14. 15. 306, Blomberg Bidrag tiU den germ^
niska omljudsläran S. 15. — Sie setsen altes -aningu voraus.
TTeb«r die Endsilbun der altnordijiclieii Sprache. 415
8. Braune in seinen und PauFs Beiträgen 2, 136. 137. Scherer
hat dazu das griechische öeCiQ verglichen, GDS. S. 204. Die
3. Sg. der starken Verba ist ahd. kurz, die 3. PI. lang wie in
der schwachen Conjugation, s. Braune a. a. O. Offenbar hat
«ich im nordischen der Einfluss der schwachen Optative auf
die 3. Sg. wie 3. PL erstreckt, der im ahd. auf die 3. PL
beschränkt blieb.
Keinesfalls ist für die 3. PL -ma wie im gotischen vor-
auszusetzen, daraus wäre in III -in geworden, wie aus aptanä
(A. Sg.) in III aptan,
I ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz 1.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
/ bleibt durchaus.
Die % in himinny mikill sind als ursprünglich angenommen
worden, weil gotisch und ahd. in i übereinstimmen. Das Wort
ErilaB erscheint in den ältesten Runen viermal nur mit i,
Leffler Tidskrift f. f., Neue Folge, 2, 316. Ausgemacht ist die
Sache darum nicht. Drottinny moiyinn (morgunn), — drasill (drö-
sull)y ßkutill^ studilly svadiUy vadill (vöduU) können trotz got.
maurgins in I noch nicht i gehabt haben, sondern nur e (u)
aus a; s. Leffler a. a. O. 2, 15. 273 und oben S. 379.
Aber i in lykill und ähnlichen ist des Umlauts wegen
alt. Obwohl doch vielleicht erst im Verlauf der Periode I oder
n entstanden. Denn die Gruppe lykill, Egill, ketill, ti'ygül,
tygill zeigt vier Wurzelausgänge auf Gutturalis. Dagegen drasill,
skutill, studill, svadill, vadill. Das erinnert an tekinn neben
farirm (Part. Pf.); s. oben S. 378.» Aber es könnte Zufall im
Spiele sein, und der Ableitungsvocal der Nomina nach lykill
wäre doch vorgermanisch. Ich habe es deshalb für sicherer ge-
halten, lykill hier, nicht bei a aufzuführen.
Hieher gehören auch die weiblichen Abstracta der t-Classe
nach heym (got. hauseins). Das alte ja muss hier schon vor
dem Auslautgesetze kurz gewesen sein wie im Perfectstamme
^ Engilly D. S^. engliy stammt vielleicht aus dem deutschen.
416 Heins«l.
der ja-Yerhsi, ; s. oben S. 405 f. Eigenthümlich sind die Fonnen
ohne Umlaut lausrij thaum, spum Gislason Formlaere §. 133 d,
Blomberg Bidrag tili den gerraaniska omljudsläran S. 15. Bei
dem kurzwurzeligen spum begriffe sich Ausfall des i in I noch
eher, s. unten die schwachen Perfecta der ersten Classe, aber
lausHj thausn sind wohl keine echten Bildungen.
Das Comparativsuffix im Superlativ des Adj. in heztr'ui
jedenfalls vorgermanisch is gewesen, nicht jaa, wie man für
den Comp. Adv. heldr^ betr annehmen muss ; s. oben S. 397.
Ueber die Part. Pf. der ja-Stämme bei Besprechung des
Ind. Opt. unter den Silben, welche nach dem Auslautgesetz Tor
der letzten stehen. Von den Formen tamidr, hulidr neben tamir
huldr wurde oben S. 413 gehandelt.
Die 3. Sg. Prs. Ind. wurde hier mit -id angesetzt, weil
noch n abariutith Stentofte zeigt gegenüber dem barntB der
nah verwandten von Björkethorp und ubbrintB auf dem Stein
von Glimming, s. Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 220. —
Hier wie in der 2. Sg. Prs. Ind. ist das alte a schon vor-
gormanisch als i anzunehmen. Jedenfalls für das nordische : wäre
hier nach dem Auslautgesetz noch e gehört worden, so wäre
es als i in III erhalten, und die Wurzel zeigte keinen Umlaat
8. Leffler Tidskrift f. f.. Neue Folge, 2, 270.
Der D. PI. der i-Classe hat sich nach der u- und a-Classe
gerichtet wie der «-Umlaut in II. III zeigt, stödumr,
I ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz J.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Hier beginnt bereits der Ausfall der Vocale. Noch nicht
im A. Sg. der Stämme -i7a-, -ina-y da in III noch lykil, himin.
Aber im Pf. der schwachen Verba erster Classe.
Die Perfecte der ^a-Stämme müssen ihr ja schon sehr
früh contrahiert und t dann verkürzt haben. Keine germanische
Sprache hat hier eine Spur der Länge. Zum Theil sind diese
kurzen i schon in I ausgefallen. Auf das überlieferte worahto,
worta darf man sich allerdings nicht berufen ; s. unten. Aber die
kurzsilbigen ja-Stämme müssen trotz der inschriftlichen tawido,
üeber di« Endiilben der altnordischen Spnthe. 417
dalidnn! noch in I i verloren haben, da sie in III ohne Umlaut
erecheinen: tamda, hulda usw. Die 1. Sg. Opt. temda, hylda
rechtfertigt ihren Umlaut durch das j\ welches jedenfalls noch
in II vor dem a gestanden hat. Das überlieferte tawido hatte
demnach noch in I eine weitere Veränderung tawdo erlitten,
und wohl auch faihido, wofür in III, wo das Verbum nach kalla
geht, fäda erscheint, ohne Umlaut. Das h wird in I schon so
schwach gewesen sein, dass man das Wort wie eine vocalisch
aaslautende, also kurze Wurzel behandelte.
Lange Wurzeln auch auf Guttural auslautende, s. oben
S. 392, zeigen in III Umlaut^ müssen also i in II noch
gehabt haben.
Die Part. Pf. machen begreiflicher Weise diese Unter-
scheidungen kurzer und langer Silben mit.
In den masculinen Stämmen -ila-, -ina-, welche in III den
D. Sg. imd 'den ganzen Plural mit Ausnahme des G. PI. des
Adj. contrahieren, wird i in I sich im Ganzen noch gehalten
haben, wie der Umlaut in lyklij lyklar usw. in III zeigt. Aber
daneben muss auch Ausfall in I angenommen werden, da sonst
Formen wie lukli, luklar, s. Wimmer Gramm. §. 37, 2, Gislason
Formlaere S. 80, Blomberg Bidrag tili den germaniska omljuds-
läran S. 56, welche in III neben den umgelauteten erscheinen,
unerklärbar blieben ; s. oben S. 415. Auch hier nur Kürzen wie
im schwachen Verbum.
Noch deutlicher ist der Einfluss der Quantität auf Er-
haltung oder Verlust des i in I bei den Deminutivbildungen,
Atli, aber kyndla, Blomberg a. a. O. S. 15.
Unter den Adjectiven finde ich keine umlautbaren.
Der Comparativ des Adj. hat jedenfalls i in I. II bewahrt:
in III betri. Ebenso in den Ableitungen auf it-: in III dypt, hoens.
Dieses hoens (N. A. PL) ist auf itjä zurückgeführt, nicht
auf 'isäf woran Grimm denkt, Gramm. 1^ 575. 2, 270, das aber
nur hoenn für hoenr ergeben könnte. Die Bildung ist wie bei
hugsa, s. oben S. 382. Man darf gegen Ansetzung eines Neutral-
stammes honitja- nicht belti, milti anführen, welche nach dem
oft erwähnten Princip i in ITI gewahrt haben, wie klaedi.
Durch Uebergang des ij in ss wurde das Wort honitjd, honissu
Sittongaber. d. phil.-hist. Cl. LXXXVII. Bd. I. Hft. 27
418 Reinsei.
ganz aus der Analogie der ^a-Stämme herausge^ssen ^ und wie
ord behandelt, d. h. wie ein a-Stamm, aber mit Suffix w»,
dessen i in II Umlaut wirkte, in III abfiel. Hoens vergleicht
sich somit den hd. neutralen ^a-Stämmen, ahd. mahalezij fisgazzi,
Grimm Gramm. 2, 214, altfries. benefe, atente Schlüter. Die mit
dem Suffix ja gebildeten deutschen Nomina S. 437. '^
ExGurs Über die erste schwache Coqjugation.
In Bezug auf die Perfectbildung steht das altnordische im
Gegensatz zu den westgermanischen Sprachen. Während in
diesen bei langer Wurzelsilbe der Äbleitungsvocal fehlen und die
Wurzel den reinen Laut zeigen kann, finden wir im nordischen
bei durchgehendem Ausfall des Ableitungsvocals Umlaut gerade
in dem langen, reinen Laut in den kurzen Wurzeln, doemda^
tamda. Die kurzwurzeligen müssen also ihr i schon vor Ein-
tritt der Umlautperiode verloren haben. Das ist nicht die Regel;
dypt, hoensj betri lehrt uns, dass i der vorletzten Silbe zur Zeit
des Umlauts noch gesprochen wurde, diupidhu, honisu. Bei den
Substantiven nach lykill ist der Ausfall nur facultativ. £in
äusserer Einfluss muss in den schwachen Perf. kurzer Wurzel
vorzeitigen Abfall des i in vorletzter Silbe bewirkt haben. Das
können nur die Praeteritopraesentia, an welche sich formal das
Verbum , wollen' schliesst; s. Scherer Zs. 19, 157, gewesen sein,
Perfectbildungen, welche mit denen der schwachen Verba eine
gewisse Aehnlichkeit haben, vielleicht aber ganz andrer Herkunft
sind ; s. Windisch Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung 8,
457 ff. Ihnen hatten sich schon sehr früh in allen germanischen
Sprachen eine Reihe von schwachen Verben angeschlossen,
deren Wurzel auf Gutturalis endigt. Die gebräuchlichsten sind
1 Aehnlich wie im G. D. Sg. Fem. der starken Adjectivdeclinatioii der frühe
Ausfall des j im Elemente »ja die nord. westgerm. r, die got z erklärt.
S. Leskieu: Die Declination S. 129.
2 Zimmer Zs. 19, 414 stellt eine Erörterung unsres Wortes in Aassicht,
Ebel nimmt einen ci«- Stamm an, KZs. 5, 54. 356, ebenso Thomsen Elin-
fluss der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen und Lund-
gren Om Substautivens stammar S. 33. Fick Vergleichendes Wörterbuch
33 61 setzt Grundform hönisna an wegen des heutigen haensn; s. auch
Leffler Tidskrift f. f., Neue Folge, 2, 319. Aber nur geschürftes * erklärt
den Sachverhalt.
Üeber die Endsilben der altnordiscbeu Sprache. 419
^t. h'ahta, thahta^ thuhtOy vaurhta, hauhta, brühta, altn. thätta,
ihottüy orta (worahto Tune), sotta, alts. brähta, thdhta^ thühtay
warhtay aohta, gihoht^ ags. hrohie, thohte, ikdhtey vorhte^ »ohte,
bohte. Das auffällige dieser Bildungen liegt in dem ht fUr gd,
kd, vgl. alts. wegdttf lagda^ sagda, altn. bergda, skenkta. Wohl
aber ist allen germanischen Sprachen ht eigen für altes g^ k
mehr altem t, got. nahts, altn. ndtt, alts. naht^ got. aihts, altn.
aeitf ags. aeht Das ahd. ist demnach nicht in Rechnung zu
ziehen; da seine ddhta^ dühta, worhta doch möglicher Weise,
obwohl es unwahrscheinlich wäre, der hd. Lautrerschiebung
ihren Ursprung verdanken.
Dass es Wurzeln auf Gutturalis sind, welche sich den
Praeteritopraesentibus anschliessen, mag darin begründet sein,
dass Qutturalis als mit j verwandt die Aussprache eines folgen-
den ja nicht durch Einschub eines t zu erleichtern brauchte;
s. oben S. 394. Ja wurde hier noch früher zu C, i, als bei
anderen; s. oben S. 416. Sie standen dadurch dem Perfect der
Praeteritopraesentia näher. Aber die Mehrzahl der gutturalisch
endigenden Wurzeln blieb natürlich der ihnen eigenthümlichen
Bildung getreu.
Es gab demnach in allen germanischen Sprachen eine
Gruppe von Verben, bestehend aus Praeteritopraesentibus und
einer Anzahl häufig gebrauchter Verben, welche ein schwaches
Perfect ohne Stammvocal bildeten. Da diese letzteren sonst
der ersten schwachen Conjugation angehörten, ist es begreif-
lich, dass allmälig die Neigung entstand, in dieser Conjugation
diejenigen Verba um ihr Ableitungs-i zu verkürzen , welche
jener Gruppe am ähnlichsten sahen. Aehnlichkeit ist aber in
gewisser Weise subjectiv. Die Westgermanen haben eine Ueber-
zahl langer Wurzeln in der Gesammtzahl jener Vorbilder. Die
Praeteritopraesentia nämlich stellen sich westgermanisch gleich,
wenn man das sächsische man vernachlässigt, sechs Kürzen,
sechs Längen. Zu diesen Längen kommen aber noch alts. hrähta,
thdhta, thühtay warhtäy sohid, denen nur giboht gegenüber steht.
Sie schlössen also: bei den langsilbigen ist es erlaubt, i im
schwachen Perfect auszulassen, — mit Vernachlässigung des
germanischen Betonungsprincips.
Im nordischen liegt die Sache etwas anders. Hier über-
wiegen bei den Praeteritopraesentibus die Kürzen: mega^
27»
420
Heinzel.
kndttUj mwia, munu, akulu, vita, viJja, sieben Kürzen, an Längen
nur vier: eiga^ kumia, unna, thurfa; daursan, motan ist verloren,
das futurisebe munu hinzugekommen. Allerdings ergibt sich
auch hier eine Majorität der Längen durch die hinzutretenden
thdtta, thotta, orta, sotta. Aber die Skandinavier werden nur das
Muster der Praeteritopraesentia vor Augen gehabt haben. Dazu
wirkte vielleicht das germanische Accentgesetz con servierend,
wenn es sich in dem die ganze Flexion verbaler wie nominaler
^a-Stämme beherrschenden Bestreben das Suffix nach kurzer Silbe
zu beseitigen, nach langer Silbe als t zu conser vieren geltend
macht, — kyn klaedi, bekkr heUir, tem doemi, temr doemir; s. S. 394.
Nur der allgemeinste Zug in Behandlung dieses Suffixes war
wirksam, die Sonderstellung der gutturalisch endigenden Wurzeln
fand hier keine Nachahmung, — bergda wie doemdoj dagegen
bekkr hellir, Wohl aber gilt vocalischer Ausgang oder kurzer
Vocal mehr gg auch hier für Kürze; s. oben S. 391.
Aber auch bei den neut. ^a-Stämmen und den Praesens-
stämmen der ersten schwachen Conjugation ist nur Länge und
Kürze der Wurzel massgebend; s. oben S. 391. Tamda : lagda :
gnüda : bergda : doemda = kyn : skegg : fley : riki : klaedi =
tem : legg : gn^ : bergi : doemi.
Natürlich muss auch hier — wie im ahd. immer — noch
lange ein Schwanken zwischen den alten und den Analogieformen
geherrscht haben. In I ist tawido, dalldnn! bezeugt, und doch
sind wir genötbigt, in dieser Periode das t der kurzwurzeligen
abfallen zu lassen, da sonst das Fehlen des Umlauts unbegreif-
lich wäre.
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang /.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
I des Opt. Pf. muss hier lang gewesen sein, da in III
noch foerir (2. Sg. Pf. Opt.), neben hleypr (2. Sg. Ind. Prs.), gilt.
/ in foerir also wie bergir, doemir ^ s. oben S. 409.
Die Adjectivstämme auf -igä-^ 4na-, got. -et</», -e»w ent-
behren in III des Umlauts, mdttigry gullinn. Sie haben sich
nach den ähnlichen auf -iga-, 'Ina- aus -aga-, -ana- gefärbten
gerichtet und darnach wahrscheinlich in unserer Periode e
gehabt, s. oben Ö. 378.
Ueber die EndHÜben der altnordischen Sprache. 421
/ ursprflnglich vor der letzten Silbe.
Lang I.
Nach Aiislautgesetz vor der letzten Silbe.
Nur die eben erwähnten Adjectiva, welche auch hier e
angenommen haben werden, wie die Adjectivstämme auf -aga-,
-ana-; s. oben S. 383.
U.
U ursprünglich in letzter Silbe.
Dass u in I noch vorhanden war, lehren nicht so sehr
die Runen aus I. II. IIl, HagnstaldaR Valsfjord I, Hathn-
wnlAfR Istaby II, sunu (A. Sg.) III, auf späteren Runen-
inschriften, s. Wimmer Navneordenes böjning S. 74 f., als der
Umlaut in III. ^
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Auch hier erweist der Umlaut in III Existenz des u in
der Ableitungssilbe vor der Periode des Umlauts, IL
ü ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Dasselbe beweist dieselbe Thatsache wie im vorhergehen-
den Falle.
Es sind hier einige Formen von öflvgr aufgenommen, weil
dieses Wort fast constant u, beinahe nie i in der Ableitung
zeigt, vgl. got. handugs; s. Gislason Formlaere S. 15 und
oben S. 379.
^ WepsUch olus (altn. öl), Thomsen Einflass der gfermanischen Sprachen
auf die finnisch-lappischen S. 102.
422 HeUxel.
Excuis Über ia, tV;.
Der BrechungsdiphthoDg ia im gewählten Paradigma iöhim
aas etunn > bedarf der Rechtfertigung. Nicht nach der gewöhn-
lichen Auffassung, welcher iö «-Umlaut des ia ist. Wenn wir
in II die Periode des Umlauts sehen, so muss ia in I, wenn
auch vielleicht erst Ende der Periode entstanden und nie
bezeichnet worden sein. Wohl aber gegenüber J. Schmidt, der
Vocalimus 2, 392 ff. ia als a-Umlaut des iö (d. i. io) zu erweisen
sucht. Uebrigens s. schon Holtzmann Gramm. 1, 80.
Braune Centralblatt 1875, S. 1553, und Siever's Jena'sche
Litteraturzeitung 1876, Artikel 79, haben dem gegenüber auf
die andern nordischen Sprachen hingewiesen, in denen zum
Theil ja flir altn. ia und lö (io) gilt, wie a für altes a und
H (o). Es sei in diesen Sprachen ia, das J. Schmidt als a-Um-
laut vor iö (io) auffasse, thei]weise noch vor u erhalten, gerade
wie a auch noch mitunter vor u stehen geblieben sei, ia müsse
demnach als der ältere Diphthong aufgefasst werden, der vor
u, V im isländischen ganz, im schwedisch-dänischen nur zum
Theil der Assimilation iö (io) erlegen sei.
Aber Wimmer sagt Runeskriftens oprindelse S. 215 mit
Recht, dass der u-Umlaut des a, also auch des za, im schwe-
disch-dänischen zwar vielleicht geringere Ausdehnung hatte
als im altnordischen, dass es sich aber kaum werde ausmachen
lassen, wann in jedem Falle ö (o) in diesen jungem Sprachen
durch a verdrängt worden sei.
Im aitdänischen finden wir neben Formen auf ö, iÖ (o, io)
auch a, ia : annnr (N. Sg. Fem. N. A. PI. Neut.), dagum (D. PL-,
«oA, marc, tharfj graf (N. A. Sg.), land, fang, all (N. A. PL,
«afAfiZ, satvgs (G. Sg.), — giald (N. A. PI.), fiatur, fiatre (D. Sg. ,
Wimmer Navneordenes böjoing S. 34; aber auch skioldae.
ßordh S. 77, biörn, biorn S. 79.
Im altschwedischen führt Rydkvist auf, 4, 124, iafur,
iatun und iaetuiiy giarth und giaerth, iarth und iorth^ iarmuH-
grundj 129 ßakumm (ßögurum).
« Nor f, nicht auch • erleidet die Brechung, 8. Leflfler Tidskrift t C Nene
r/.re, 2, 151. 240.
Ueber die Endnilben der altnordischen Sprache. 423
Nun findet sich aber im altschwedischen ia auch für id^
Rydkvist 4^ 126 tkianaj thianosta, fiarthi.
Dänisch scheint ia für lo zwar nicht bezeugt, Petersen
Det danske usw. Sprogs historie 1, 100. 146. 221, Wimmer
Navneordenes böjning S. 7. Aber es war doch wahrscheinlich
vorhanden. Denn nach den bei Orimm Gramm. 1^ 509 f. 521 f.
gesammelten Beispielen entspricht im neuschwedischen wie im
neudänischen je nur altn. ia, nicht altn. iö, für welches ja, jo,
jö gilt, wohl aber auch einigen altn. 20, schwed. tjena, tjenst,
fjerde, dän. tjene, tjeneste^ fjerde. Allerdings neudän. fjäder als
wie vom altn. fiötnrrj nicht vom altdän. fiatur; doch wird neudän.
auch f jeder wie neuschwed. f jetter neben fjätter geschrieben.
Man könnte darnach vermuthen, dass die Grenze zwischen
den Gebieten von ia und iö im schwedischen und dänischen
ursprünglich keine andern gewesen seien, als im altnordischen,
dass aber später im schwedisch-dänischen ein Theil der alten
io zu ia wurde und dabei einige iö (io) in dieselbe Bewegung
zog. Aber ganz befestigt haben sich diese ia für iö (io) nie,
die alten Formen werden daneben auch gegolten haben, so
dass dem altschw. iatun^ giarthj iarth jetzt jiUte, gjord, jord
g^enübersteht, dem altdän. ßatur, fjäder.
Die Sache bedarf genauerer Untersuchung.
J. Schmidt's Ansicht aber unterliegt anderen Bedenken.
Nach ihm ist ia immer a-Umlaut eines iö (io), welches aus e, i
durch folgendes w, v, n-farbiges h, und «-farbige l- und r- Ver-
bindungen entstanden sei. Die Consequenz dieser Auffassung
ist eine vollkommene Scheidung der Fälle, wo Brechung durch
folgendes u veranlasst wird von jenen wo r- und Z- Verbindungen
vorliegen. Denn die Grundformen, welche J. Schmidt für beide
Processe voraussetzt, sind durch Jahrhunderte von einander
getrennt. Das nord. Wort iarl (N. Sg.) kann nach seiner Theorie
nur erklärt werden, wenn man iarlar voraussetzt, S. 398. Ueber
die a vor dem Nom. r s. oben 8. 369 fif. Und ganz entschieden
in die Urzeit führt die 2. Sg. Imp. hialpy giald, giall, biarg,
skialf, deren ia aus noch älteren eOy io nur durch die alte
Endung a zu erklären ist. Analogie des Ind. fallt wog: der
heisst helpr, geldr, gellr^ bergr, skelfr.
Auch die 2. PL Prs. Ind. hialpid kann nur vor der got.
nord. Färbung des Then^avocals entstanden sein, — die 3. Sg.
424 Heinzel
Opt. hialpi begriffe sich zur Noth^ wenn man die alte Endung
-ait vor Augen hat. Aber ai der Endung ist schon in Periode I
zu 6 geworden, s. unten.
Dagegen setzt der a-Stamm ßöl^ fialar^ fiöluj fiöl, fialar^
fiala, ßölum, ßala, eine Zeit voraus, wo N. D. A. Sg. D. PI. schon
u angenommen hatten, oder wenigstens einige dieser Endungen;
s. Vocalismus 2, 395.
Auch die ti-Declination zeigt mit ihrem i der Wurzel im
D. Sg. N. PI. gegenüber lö, ia in den übrigen Casus, dass Fär-
bung des Gunadiphthongs au zu tu schon eingetreten war, als
man das ursprünglich nur für N. A. Sg. D. A. PI. passende w auf
G. Sg. G. PL übertrug, wo es dann unten dem Einfluss des fol-
genden a zu ia werden musste, Vocalismus 2, 395. Bevor tiara
(Theer) für tiorva, tiörva entstand, — vgl. tyrrj D. Sg. <yn;i,
Lundgren Om Substantivens stammar S. 47, — musste sogar
schon V ausgefallen sein.
Unmöglich wäre eine solche Wiederholung des Processes
nicht, stünde aber doch sehr vereinzelt da.
Der Ausgangspunkt fiir J. Schmidt's Untersuchungen
scheint der Gedanke gewesen zu sein : weil bei den u-Stämmen
wie kiölr, den a-Stämmen nach giöf und den va-Stämmen nach
hiörr die Brechung deutlich ihre Ursache in folgendem «, v
hat, so ist es einmal wahrscheinlich, dass, wo wir Brechung
vor r-, Z-Verbindungen sehen, ein diesen Lauten innewohnender
ti-ähnlicher Klang ebenso wirkte wie dort wirkliches u, t?, —
und zweitens, dass unter den zwei Brechungsformen ia, iö jene
die ältere sei, welche dem u-hant näher steht. — Beiden Folge-
rungen stehen Bedenken entgegen. Die ältesten Denkmäler der
nordischen Sprache erleichtern Z- und r- Verbindungen durch
eingeschobenes a, kaum je durch i, s. Bugge Aarböger 1870,
S. 209, nie durch u, so abgesehen von den a vor Nominativ-r,
wie HarabanaB, waritu Varnum, warait UariwalAfA, Haera-
walaflB HathnwalAfR Istaby.
Aber es scheint auch gar nicht nothwendig, dass eine
Assimilation des e an nachfolgendes u durch Anfügung des
dem u nächstverwandten Lautes, des o, ein e bewerkstelligt
werde, auch ea, ia ist eine Assimilation des e an u. Und nur
eine Art Assimilation erklärt die Sache, da man eine «-Moullie-
rung der Tenuis doch nicht annehmen kann — fiöturr. —
üeber die Endsilben der altnordischen Sprache. 425
Wenn aus sekkva, got. sigqany sökkva (unser Laut ö) wird, so
ist auch nur die dem e zunächst stehende Vertiefung gewählt,
0 läge dem u, v näher.
Es könnten also sowohl u, v als auch die i-, r- Verbindungen
ein e der vorhergehenden Silbe zunächst zu ea, ia verändert
haben. — Ob nicht die sonderbare Schreibung der Inschrift von
Istabj II, UaerawnlaflB, auf ea deutet? Zu Qrunde liegt
offenbar hiön', s. HiihUlfr. Allerdings auch haera, altn. hSr^
Björkethorp IL Wie ist EirilaR Vaeblungsnaes I statt des
gewöhnlichen . £n7a/f zu deuten?
Wenn aus diesen ia iö wurde, so ist dies ein Fortschritt
der Assimilation, vor l-^ r «Verbindungen vielleicht bedingt
durch veränderte Articulation dieser Liquiden.
Gegen J. Schmidt's Annahme sprechen auch die com-
ponierten Nomina, welche gewöhnlich ia zeigen. So von biörk
Biarkey, von fiödr bei Cleasby 6 Beispiele wie fiadrhamr, von
giöf 10 Beispiele wie giafvinr, von hiörd 6 Beispiele wie
hiardhundr, von iörd 52 Beispiele wie tardfe, von miöll 2 Bei-
spiele wie miallhvttrf von biöni 14 Beispiele wie bianiskinn,
von hiörtr 3 Beispiele wie hiartskinn^ von kiölr 3 Beispiele wie
kialtre — daneben Möls^'a, — von niördvj Niördr 4 Beispiele
wie Niardmk, von hiörr 42 Beispiele wie hiördomr, von miöl
10 Beispiele wie miölbelgr, von miödr 5 Beispiele wie miöd-
drykkja, Miödr ist u-Stamm, hiörr, miöl i?a-Stämme. Letztere
stehen allerdings vereinzelt, aber u-Stämme waren auch biöm,
hiörtr, kiölr, niördr, skiöldr. Ein Gesetz lässt sich wohl nicht
abnehmen. Aber deutlich ist, dass, wenn wir auch in den
ersten Bestandtheilen der Composita eine ursprünglichere Wort-
form erwarten dürfen, als wo sie als einfache Wörter auftreten,
doch in einzelnen Fällen die ursprüngliche Gestalt gegen die
gegenwärtige Nominativform aufgegeben worden sein kann.
Aber wie man dazu kam, wenn N. Sg. immer biöi-n, giöf lautete,
hiamakinn, giafvinr zu sagen, lässt sich nicht begreifen.
Wie will J. Schmidt ferner aiau erklären. Ich kann in
tiau für sibun neben fdö nur eine erstarrte Form sehen, in der
ia trotz des folgenden u geblieben ist.
Das Verhältniss von dau zu silX erinnert an die Ortho-
graphie einer norwegischen Handschrift aus dem Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts, die Liiiencron Zs. 7, 568 beschrieben
426 Heiniel.
hat. Sie bezeichnet den ti-Umlaut des a, wenn « weggefallen ist,
bei erhaltenem n bleibt er unbezeichnet, — aök^ mannum.
Ein Punkt verdient noch hervorgehoben zu werden. Altn.
idj aus e vor ursprünglichem, vorgermanischem v oder Uj hat
vielleicht nicht genau dieselbe Aussprache gehabt, wie iö vor
einem Uy das auf altarischem d beruht. Denn im altschwedischen
finden sich jene oben S. 423 erwähnten ia nur für letzteren
Fall: jard neben jord, aber nicht hjart neben kjort, Blomberg
Bidrag tili den germaniska omljudsläran 8. 14. 47. 53. 55. Wahr-
scheinlich lag jö von altem u, v, dem ju, einem im schwedischen
beliebten Laut, Blomberg S. 47, nahe und entzog sich dadurch
dem oben S. 423 angenommenen Rückgange auf ja. U aus
altarisch u wird dagegen mehr nach o hin ge&rbt gewesen
sein, s. oben S. 373.
AI.
AI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz AI.
E als angenommener Vertreter des Lautes in I ist
inschriftlich bezeugt, müsste aber auch ohne äussere Zeugnisse
angesetzt werden, weil w^ir in III für altes ai ein i treffen,
das keinen Umlaut wirken, also erst in dieser dritten Periode
entstanden sein kann. S. oben über haniy fadir^ tamdi S. 374.
Ueber das angesetzte Dativsuffix s. unten bei ,äi ursprüng-
lich in letzter Silbe^
Die 2. Sg. Prs. Imp. 1. Sg. Prs. Ind. der Verba nach Para-
digma vaka sind deutliche Anzeichen, dass die at-Classe der
schwachen Verba in einzelnen Formen noch erhalten war.
Vaki ist hier nur aus dem Thema vakai zu erklären. — Die
2. Sg. Imp. hat hier wie vielleicht auch das gotische und sicher
das althochdeutsche, Braune in seinen und PauPs Beiträgen 2,
153, den Stammesdiphthong den Auslautgesetzen unterworfen.
Abweichend von der 2. Sg. Imp. der dritten schwachen Conju-
gation, s. oben S. 373.'
N. PI. Masc. des Adj. hat schon in I, s. singOsteB, sich
nach Analogie der Substantiva ein r zugesetzt, s. Lyngby
Ueber die Endsilben d«r altnordiiclien Sprache. 427
Tidskrift f. phil. 6, 47, und die ganze Endung ir ist dann dem
N. PI. Masc. des Pronomens sä angefUgt worden^ the-dr. Ebenso
im Neutrum. Thau ist thä, das in I tho gewesen wäre, wie im
gotischen, mehr u, der Endung des N. A. PI. Subst Adj. Neut.
Wie der Plural vor sä ist auch tveir, tvaer, tvau gebildet.
Die 3. PI. Prs. Opt., in III fari, ist im .nordischen regel-
mässiger als im ahd. faren^ das sein langes e wohl nur den
übrigen Personen des Plural verdankt. Keinesfalls setzt fori
die gotische Endung -aina voraus : die hätte in III nur farin
zum Resultat haben können, vgl. got. hlindana (A. Sg. Masc),
altn. blwdan.
Die 3. Sg. Prs. Opt., in III fari, wird wie im got. farai
(fare) und ahd. fare die regelmässige Verkürzung erlitten haben.
Aber auch wenn auf ai noch a, ans, as folgt, finden wir
in ni i ohne Umlaut der Wurzel. Das kann entweder auf
Abfall der zweiten a in der Formel aia durch Wirkung des
vocalischen Auslautgesetzes beruhen, worauf das zurückbleibende
Ol in I ebenso behandelt wurde wie ai ursprünglich vor der
letzten Silbe, farim (1. PI. Prs. Opt.) III, von farem I, s. unten,
— oder i fiel zwischen beiden a aus und ä machte denselben
Weg wie in hani faS>ir III, aus hana fadar I, hane fader II.
Dass für die Tabelle die erstere Möglichkeit gewählt wurde, ist
ziemlich willkürlich. E statt a in I für altes aia hat nur den
Vortheil, dass die in I bezeugte Form des N. PI. Masc. der
Adj., singOSteB, aus -ai sich leichter erklärt^ wenn daneben
masc. Substantiva mit gesetzmässigem -e?* erschienen. Obwohl
allerdings tungur N. A. PI. sein r ohne Analogie einer Declination
erhält, welche gesetzmässig -ur im N. A. PL hervorbrachte.
Jedenfalls dürfen burdir, sottir (N. A. PI.) nicht wegen der übrigen
gernianischen Sprachen von ijas abgeleitet werden. Schon
der Hinblick auf vaki (1. Sg. Prs. Ind. der at-Classe) verbietet
dies. Vaki kann nur von aia stammen und hat in lU i ohne
Umlaut. Die mögliche Urform von burdir auf aias wird dadurch
beinahe zur Nothwendigkeit. Färbung des Gunadiphthongs in
der nord. i-Declination ist seltene Ausnahme; s. oben S. 399.
Leskien Die Declination S. 79 — er hält bekkr fiir einen
t-Stamm, s. oben S. 398 — erklärt den Mangel des Umlauts bei
burdr als eine Rückkehr zum reinen Laut. Im nordischen
ganz unglaublich, s. oben S. 413.
428 Heinzel.
Die Analogie, welche er anführt, Uebergang einer Reihe
von (^-Stämmen in die i-Classe durch äusserliche Annahme der
Pluralendungen N. A. auf iV, ohne deren nothwendige Wirkung,
den Umlaut, beruht wieder auf der willkürlichen Annahme,
dass ir nothwendig für altes ir aus ijas stehen müsse. Gerade
dadurch, dass, kein Umlaut der Wurzel stattfand, war eine
Mischung der d- und i-Stämme möglich oder erleichtert.
Ueber den A. PL der i-Stämme s. oben S. 413.
Sicher ergab ai mehr ?* in I e wie einfaches ai. Ob vaki
(3. Sg. PI. Prs. Opt.) in III mit den gotischen und althochdeutschen
Formen übereinstimme, können wir nicht sagen, got. hahai ist
zweideutig, habaina^ eine dem nordischen fremde Bildung, s.
oben S. 427, ahd. habee, habeen nicht klar. S. Braune in seinen^
und PauFs Beiträgen 2, 136 Anm.
Worin die Flexionslosigkeit des D. Sg. der masc. und
fem. t-Stämme ihren Grund hat, ist schwer zu sagen. S. 400
war für gestr, aett, dtt -ii als alte Endung vermuthet worden.
Aber der D. Sg. der grossen Mehrzahl der {-Stämme kann sich
nicht daraus entwickelt haben. Alle organischen Erklärungen
sind unmöglich oder unwahrscheinlich. Aii hätte in UI t ergeben
ohne Umlaut, aus e in I, II, wie vaki (3. Sg. Opt.), — -iji
ge&rbter Gunadiphthong, — s. got. gaateia, ansteis (N. PL), s.
Scherer Zs. f. österr. Gymn. 1873, S. 294, — wäre in III t
geworden mit umgelauteter Wurzel, in I. II langes t, — von
ii als i ausgesprochen — vgl. hellis (G. Sg.), s. oben S. 409,
und slaw. kosti aus kostii — hätte man in I. II i erhalten, das
in II Umlaut gewirkt hätte um in III zu verschwinden, vgl. tsm
(2. Sg. Imp.). — Aussprache des ü als ji würde den Abfall der
Endung in I erklären, ist aber bedenklich wegen des D. Sg. gest,
aett und wegen der fast durchweg langen Wurzeln der Feminina,
weiche kaum das bequeme ii, i, für das unbequeme ji vertauscht
hätten ; s. oben S. 392 f. Analogie der consonantischen Feminina
nach Paradigma rot, N. PL roetr, oder nach Paradigma froedi
konnte hier nicht so leicht wirken, als im ahd., da im nordischen
auch die masc. i-Stämme ihre eigenthümliche Declination im
Singular erhalten haben. Die consonantischen Masc. aber haben i
im D. Sg., fingn, foetiy — an födur ist nicht zu denken. — Viel-
leicht waren ursprünglich die Endungen aii und ii gleich-
berechtigt: erstere ergab bürde I. II, burdi III, letztere hurdi
tJeber die Endsilben der altnordipchen Sprache. 429
I, byrdi U, byrd UI, — und bv)d entstand in III aus dem
Schwanken zwischen burdi und byrd. Man fasste den Umlaut
in byrd wahrscheinlich als Fehler auf^ weil man daneben artni
und arm (D. Sg.) hörte.
Folgt auf ai aber -am, -iam, -ämy so entsteht offenbar
nach Ausfall des j übermässiges ä, das nach Auslautgesetz
die Länge 6 zurücklässt, s. oben S. 373. Der Fall aiam (1. Sg.
Prs. Opt.) woraus aam , vergleicht sich dem G. PI. der con-
sonantischen Stämme, -6 I aus -änu — Denn am, nicht ?»,
wird in jenem arischen« Dialekt, aus dem die nordische
Sprache hervorging, an das Moduszeichen der 1. Sg. Prs. Opt.
getreten sein, wie man es füi* das gotische annehmen muss,
s. Scherer GDS. S. 472. 228. Die übrigen germanischen
Sprachen setzen -i-m voraus. Aus aim aber wäre got. nie
a«, nord. III nie a hervorgegangen. Vgl. oben über 1. Sg. Opt.
Pf. S. 403.
Aber auch der G. Sg. der i-Stämme hat in III -avy weist
also auf -ör unserer Periode zurück, burdar, aSttar, im Gegen-
satz zu dem auf die gleiche Urform zurückgehenden N. PI.
burdir, sottir. An ijas ist natürlich noch weniger zu denken
als im N. PI. Aber aias wurde anders behandelt als im N.
PL Dort standen einst der Endung aias von i-Stämmen die
Endungen äs von a-, ^-Stämmen und ivas von u-Stämmen
gegenüber, wesentlich von einander abweichende Formen, deren
Einfluss auf aias sich gegenseitig aufhob. Im G.Sg. können
nur verglichen werden äs, G. Sg. der a-Stämme, und ungefärbtes
aucu von ii-Stämmen. Hier ist es eher begreiflich, dass die
Form äs die beiden andern gänzlich aufzehrte. Vielleicht fiel
schon vorgermanisch j, v in ajas, avas aus und äs galt als über-
mässig. N. A. Sg. der fem. i-Stämme sind ja auch den a-Stäm-
men nachgebildet.
AI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang AI.
Ai mit langem a wurde zum Theil von ai mit kurzem
4X unterschieden, zum Theil als derselbe Laut aufgefasst. Die
ächten Dative Sg. der nominalen ä-Stämme, der pronominalen
430 Heiasal.
a-Stämme der Masc. and Neut. haben u, zum Theil noch in
ni vöku neben vök, spöku. Dass daneben in spökuni (D. Sg.
Masc.) tt durchweg abgefallen ist, kommt wohl auf Rechnung
der Pluralform ; vgl. theim D. Sg. PI.
Nicht übersehen werden darf, dass die u aus di beständiger
sind als jene, welche aus einfachem d entspringen, diese sind
in in niemals erhalten. Zum deutlichen Zeichen, dass erst i
abfiel, dann d etwas später als das ursprünglich auslautende d
seinen Weg zu kurzem u einschlug.
Spöku (D. Sg. Neut.) anders denn als ächten Dativ auf-
zufassen, wäre misslich. Locativ -ai ei^äbe in III t, Ablativ
nach Massgabe der Adv. a, Instrumental, bei dem man auch 6
aus übermässigem d (ad) vermuthen könnte, nach Massgabe
des ahd. alts. allerdings auch n, aber eines, das sich in III
nur mehr durch Umlaut der vorhergehenden Silbe verriethe.
Wie im got. D. Sg. Fem. der Adj. ohne sja, so ist im
nord. D. Sg. Neut. ohne sma gebildet.
Wohl aber könnten Locative sein die D. Sg. thvt km für
älteres thvi hvij das in unserer Periode thve hve gelautet hätte,
— aber ebenso möglich ist es, dass auch hier wirkliche Dative
vorliegen, wie im Femininum der pronominalen Declination,
wobei dann di wie ai behandelt wurde; vgl. to>, tv) quoiy und
got. thi hve spricht dafür. E wäre zu beurtheilen wie in
ainummShun u. dgL, die Länge im Auslaut einer einsilbigen
Form bewahrt wie sonst. Da altn, thvi h% und got. thve hve
sich aus di erklären lassen, aus dem Locativ aber nicht, der
wäre got. wohl thai hvai, ebensowenig aus dem Instrumental,
der altn. thu hvu lauten müsste, oder aus dem Ablativ, für
den man got. nur tho hvo erwarten konnte, sind wir wohl
genöthigt uns für den Dativ zu entscheiden.
Dieselbe Ungenauigkeit in Behandlung der äi auch im Opt
Prs. der schwachen Verba dritter Conjugation (got. 6-Themen),
wenn nicht junge nach der Umlautperiode eingetretene Fonn-
übertragung stattfand.
Wie bei kurzem ai scheint i oder j ausgefallen, wenn
auf di am folgte. Es entstand übermässiges a, welches in I
Länge zurückliess.
Auffällig ist thaiaB (A. PI. Fem. des Dem. Pron.) in der
Inschrift von Istaby II, was in unserer Periode thaior gewesen
Ueber die Endsilben der altnordivchen Sprache. 431
wäre. Man könnte an thdi-ch denken, an eine Uebertragung
der fem. Nominalendung schon vor den Auslautgesetzen, —
ihdi wäre ja sonst in I the oder thu geworden, — auf den wie
im lat und griech. mit i gebildeten N. PL Aber es ist unwahr-
scheinlich, dass diäa anders behandelt worden sein sollte, als
-aiamy aiäm. Vielleicht wurde erst in II, nachdem man an ihe
(N. PI. Masc.) I. II -iV, an tho (N. PL Neut.) I, thä II -u angehängt
hatte, s. S. 426 f. und so diese Endungen ganz adjectivisch geworden
waren, das noch übrig gebliebene thdr I, thär II (N. PL Fem.)
als eine Unregelmässigkeit empfunden. Nach dem Wurzelvocal
sollte die Adjectivendung folgen, thoor war nicht deutlich genug,
man wählte die Endung der ya-Stämme, in lU fraegjar, also in
II thdjär. Die Schreibung mit i statt j wie iah fiir jah in der In-
schrift von Varnum. — In II aber mussj Umlaut wirken. ThaiaR
steht also für tkaejar, In III fallt j aus und thaear wird thaer^
wie dar, dr. Ebenso wäre natürlich tvaer zu beurtheilen.
Da thaiar sicher in der Bedeutung has überliefert ist
und das altn. thaer sich daraus begreift, so scheint es mir
unnöthig hier mit Bugge Tidskrift f. phiL 7, 320, an den
t-Umlaut des r zu denken , von dem Blomberg Bidrag tili
omljudsläran S. 17 allerdings einige beachtenswerthe Beispiele
gibt; berr (nudus), her (vas), usw., ohne j vor ö, u trotz der
kurzen Wurzel. — Wenn daneben auf der Einanger Inschrift
thaB vorkommt, so ist das vielleicht die dem got. thos ent-
sprechende Nebenform. Aber man sollte tho^^ erwarten, es
müsste denn die Inschrift an das Ende der ersten Periode
fallen. Oder ist es das Adv. thar? s. Scherer GDS. 465. —
Auch im Anfang der verzweifelten Rökinschrift, die schon
nach III gehört, liest Bugge Tidskrift f. phiL 9, 112 wohl
richtig : aft Uaninth stAnta ranaB thaB, was dieselben Deu-
tungen zulässt.
Dem alten ai entspricht demnach im nordischen e, später
t, dem alten di, u und ebenfalls e, später t. Es kann nicht
zweifelhaft sein, dass u die eigentliche Vertretung des alten di
ist, ej i beruht auf einer Vernachlässigung des Quantitätsunter-
schiedes. Dass u von di stammt, ist nach dem, was wir über d
wissen, begreiflich, u von ai wäre aller Erfahrung wider-
sprechend.
432 Heinsei.
Kurz und lang ai haben demnach oder können in I
dieselbe Lautgestalt haben, wie gefärbtes a in den Adj. auf
Suffix-an, -ag, oder i in den Adj. auf 4n, -ig; s. oben S- 420.
Von n ab schliessen sich beiden Gruppen die e an^ welche
auf vorgermanisch d zurückgehen, s. oben S. 372 f.
ExGurs Über die Yorgermanischen Endungen mit ai, di.
Ebenso wie die westgermanischen Sprachen mit dem
nordischen in Bezug auf u aus auslautendem alten ä überein-
stimmten; zeigen sie uns auch hier u für äi, nui* zum Theil
mit grösserer Consequenz als das nordische.
altn. tkeim (D. Sg. Masc), blindnm (D. Sg. Masc.) , giöf(u) (D.
Sg.), theirri (D. Sg. Fem.), hlindri (D. Sg. Fem.),
ahd. demu (D. Sg. Masc), blintemu (D. Sg. Masc), gebu (D. Sg.),
deru (D. Sg. Fem.), blinteru (D. Sg. Fem.),
alts. themu (D. Sg. Masc), blindamu (D. Sg. Masc), geiu (D. Sg.),
theru (D. Sg. Fem.), blindaru (D. Sg. Fem.),
ags. thdm (D. Sg. Masc), blindum (D. Sg. Masc), gife (D. Sg.),
thaere (D. Sg. Fem,), blindre (D. Sg. Fem.),
altfr. tham (D. Sg. Masc), jeve (D. Sg.), there (D. Sg. Fem.),
blindere (D. Sg. Fem.).
Ahd., alts. haben durchweg u, die richtige Entsprechung,
das ags. hat noch weniger u erhalten als das nordische und gar
keines das altfriesische, welches auch von u aus auslautendem
langem a nur N. A. PL der Neutra kennt.
Noch nähere Uebereinstimmung bei altem ai»
altn. fiski, landi (D. Sg.) , [blindir] (N. PI. Masc.) , fari (3. Sg.
Opt), heiti (1. Sg. Pass.),
ahd. fiske, lande (D.Sg.), blinde (N. PL Masc), fare (3.Sg.0pt.),
alts. fsice, lande (D.Sg.), blinde (N. PL Masc), fare (3.Sg.0pt.),
ags. fisce, lande (D.Sg.), blinde (N. PL Masc), fare (3.Sg.Opt.),
hätte (1.3. Sg. Pass.),
altfr. >fce, Uinde (D.Sg.), blinde (N. PL Masc), fare (3.Sg.Opt.).
Ueber die Endsilben der altnordischen Sprache. 433
Neben e im ahd., alts., altfr. überall auch «. Ob darauf
etwas zu geben ist^ dass altfr. nur hier, nicht aber wo altes
dl entspricht, a als Nebenform angeführt wird, untersuche
ich nicht.
Wichtiger ist das gotische. In die gewonnene Proportion
ai : di =z e : u wäre für e und u jedenfalls ai und a einzusetzen.
Es kann nicht zweifelhaft sein in welcher Ordnung.
dt: thamma (D. Sg. Masc. Neut.), 5-fiWamwa (D. Sg. Masc. Neut.),
gibai (D. Sg.), thizai (D. Sg. Fem.), hlindai (D. Sg. Fem.),
ai: daga, landa (D. Sg.), hlindai (N. PI. Masc.) , farai (3. Sg.
Opt.), haitada (3. Sg. Pass.).
Da im gotischen a aus altem d des Auslauts entsteht,
wie u in den andern germanischen Sprachen, ja die Länge
des Vocals als e noch erhalten ist im ainummekun^ hvammehy
hvarjammeh , so muss a in unseren Fällen als Vertreter des
alten äi aufgefasst werden, ai demnach die gotische Form für
altarisches ai bezeichnen. Dazu stimmt gut thamma, blindamma,
ebenso hlindai (N. PI. Masc), farai (3. Sg. Opt.). Nur gab es
Uebertragungen. Thamma, hlindamma zog daga, landa nach
sich, — im gotischen ist ja der D. Sg. Neut. nicht wie im
nordischen von dem D. Sg. Masc. verschieden ; — während in
gibai (D. Sg.)., hlindai^ thizai (D. Sg. Fem.) die Länge des di
vernachlässigt wurde. — Haitada (3. Sg. Pass.) verdankt sein a
statt ai wohl der 3. Sg. Perf. lud. der schwachen Verba.
Der Lautwerth dieser ai kann nur kurzes e gewesen sein,
da der Diphthong, welchen die gotische Formel ai bezeichnen
kann, durch das Auslautgesetz ausgeschlossen ist. Es ist, da
doppelte Verkürzung des di feststeht, nach dem Zeugnisse der
übrigen Dialekte und bei der durchgehenden Empfindlichkeit
der germanischen Sprachen für i letzter Silbe unglaublich, dass
ai auf dem arischen Standpunkt verblieben, dt zu a geworden
sei. Gegen Braune in seinen und Paulis Beiträgen 2, 163.
Scherer QDS. S. 118 f. nimmt als gotische Entsprechung
eines arischen kurzen ai Wechsel von a und ai (e) an, der aber
nicht wie ahd., alts. in 6iner Wortform sich zeige, sondern für
D. Sg. Masc. Neut. der a-Stämme und für das Passivum wurde
a gewählt, für N. PI. Masc. der pronominalen Declination, für
SiUnngsber. d. phlL-hist. Cl. LXXXYH. Bd. I. Hft. 28
434 Heinzel.
3. Sg. Opt. ai. Ein solcher Wechsel ist nach den übrigen ger-
manischen Sprachen nicht wahrscheinlich. Vor allem aber ist
der Thatsache nicht Rechnung getragen, dass dort, wo wir mit
allem Fug, wenn nicht dringende Gründe abrathen, vorgerma-
nisches dl annehmen dürfen^ sich ganz derselbe Wechsel zeigt,
a und aiy thamma imd hlindai (D. Sg.), dass also wie in den
Schwestersprachen für die beiden alten Diphthonge ai und di
sich zwei Zeichen finden, die wir ohne Noth nicht für Vertreter
dreier Laute f«, ai, e) halten werden. Wohl aber können wir bei so
nahverwandten Lauten wie ai, di^ die im D. Sg. in ähnlicher
Function auftreten, auf Verwechslungen imd Formübertragungen
gefasst sein. So lange es irgend möglich ist, got. a und ai dem
alten ai und di gegenüberzustellen, sind wir nicht berechtigt
ein Schwanken in der Vertretung anzunehmen.
Weder ein sonst im germanischen nicht vorkommender
Locativsuffix für D. Sg. gibai ist nöthig, — Scherer GDS.
S. 118. 287. 423, Leskien Declination im slaw., litt, und
germ. S. 43 f., — noch ein Instrumental, — Braune a. a. 0.
2, 161, — oder ein dem slaw., litt. germ. sonst unbekannter
Ablativ, Paul a. a. O. 2, 339 für D. Sg. daga. Auch ist das
Aufgeben der Dativendung wohl für die Form des Locativs,
nicht aber für die des Instrumentals oder Ablativs wahrschein-
lich. — Der germanische D. Sg. der Nomina Masc, Fem. und
Neut. ist Locativ, vielleicht mit Ausnahme der el-Stämme, wo
di aus d'i oder d-ai stammen kann.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Durchweg in DI i ohne Umlaut, also e in unserer Periode,
wie in ursprünglich letzter Silbe. Auch aii folgt hier wie dort
dieser Entwicklung.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Die schwachen Verba der ai-Classe scheinen wie die
kurzwurzeligen der ersten bereits in I das aus ai entstandene
Ueber di« Endsilben der dltnordischen Sprache. 435
e vor dem Hülfsverb der Perf. verloren zu haben, da in II
das iy j des Optativs den Wurzelvocal umlautet, in III Ind.
vaktaj Opt. vekta.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang AI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Derselbe Vorgang wie bei kurz ai.
JAL
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Knrz JJLI.
Nichts fuhrt darauf, dass jaij jdi schon vor dem Auslaut-
gesetz zu t zusammengezogen worden sei. Auch bei ja, ja
schien diese Annahme nur fiir Paradigma froediy oben S. 403
und für die S. 394 f. angeführten Fälle sich zu empfehlen. Auch
zeigen die andern germanischen Sprachen, wo jai^ jdi zu Grunde
liegt, überall noch j bewahrt, oder lassen durchblicken, dass
sie es einmal gehabt haben. Es ist somit am sichersten für
ai, di in jaij jdi dieselbe Entwicklung anzunehmen, wie für
einfaches at, di.
Nur D. Sg. der ^a-Stämme Masc. hekk neben hekki gegen-
über helli in in könnte zur Vermuthung führen, dass hier jai
wie Jos behandelt worden sei : hekk : helli (D. Sg.) = bekkr :
JieUir (N. Sg.), — dass also in I bakji später baki, s. oben
S. 395. 397, neben hallt aus vorgermanisch bakjai, hallijai anzu-
setzen wären. Aber bekk (D. Sg.) neben kyni wie kiaedi (D. Sg.)
ist gewiss eine Analogieform und bekki die alte richtige En-
dung. Da bekh' in Folge jüngerer Entwicklung, vielleicht
durch Vermittlung von gestr, s. oben S. 400, N. A. PI. bekkir^
hekki bekommen hat, also den t-Stämmen sehr ähnlich ge-
worden ist, begreift es sich, dass man auch den D. Sg. nach
Paradigma burdJr bildete.
28*
436 UeiDzel.
Die in I angesetzten je werden von II ab denselben Ent-
wicklungsgang durchgemacht haben, wie die e von altem ai
oder von altem dn, dr, dt : also je blieb, wirkte natürlich Um-
laut in II, in III Färbung des e zu i und Abfall des j.
Jaiam (1. Sg. Opt. Prs. der jf'a- Stämme) hat i früh ver-
loren, wie -aiam, -aiiamj -aidm, -aias -diarnj -dias^ da wir es
behandelt finden wie -jdm : temja^ hergja : doema = fraegja :
vaena (A. Sg. Fem.) = kynja, hekkja : hella^ klaeda (G. PL).
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang JAI.
Jdi verliert i, wie jedes i letzter Silbe verloren gehen
muss, und jd wird zu juy wie d zu Uy das in III noch erhalten
ist, wie im D. Sg. vöiw, D. Sg. Neut. spöku.
Was den D. Sg. der nominalen ^a-Stämme anbelangt, so
verhält sich engju zu der Nebenform e^tg offenbar wie vöku
zu vök. Das u von di ist etwas länger bewahrt als u von
auslautendem d oder altes ti, in III durchaus vök (N. Sg.), lönd
(N. A. PL), sunu (A. Sg.), zwar in Inschriften aus dem Anfang
der dritten Periode, aber sun in der Literatur. Eng in III steht
also für engj, — Aber auffällig ist ei^mi (D. Sg.) neben vaenu
(D. Sg. Neut.). Man sollte ermuy erm vermuthen. Vielleicht
haben die i-Formen des N. A. Sg. dazu beigetragen, dass ein
früheres ermiju sein u definitiv verlor, worauf ermi blieb.
Jdiam (1. Sg. Opt. Prs. der y(J-Stämme) muss i früh ver-
loren haben, wie -jaiam, s. oben. Das Resultat ist dasselbe.
Die 3. Sg. PL Opt. Prs. der Stämme auf jd haben in III
ebenfalls i und Umlaut, mögen also denselben Weg gegangen
sein: eggje, eggjen I. II, eggi, eggt III.
JAI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JAL
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
In III durchaus i und Umlaut, also nach Analogie von
ai in I je, in II desgleichen, in III Färbung des e zu t und
Ueber die Endsilben der aUnordischen Sprache. 437
Ausfall des j, — Auch jdi in 1.2. PI. 2. Sg. Prs. Opt. scheint
so behandelt worden zu sein. Also aggjem, aggjedy aggjer in I,
eggjem, eggjed, eggjer in II.
AU.
AU ursprünglich in letzter Silbe.
Der D. Sg. der ti-Classe velli setzt -iui aus -aui voraus.
Aus 'im wurde entweder schon vor dem Auslautgesetz -jui,
-n, nach demselben % wenn wir nicht nach dem Muster von
bekkir, bekki (N. A. PL), s. oben S. 397. 399. 408, .jüngere Con-
traction des ju zu { in I oder II annehmen wollen. In beiden
Fällen wäre kurzes i und Umlaut der Wurzel in HI Resultat.
Aber letzterer Weg ist unwahrscheinlich, da die Coritraction nach
dem Auslautgesetz selbst bei ja sehr vereinzelt ist und wir
hier nicht wie dort eine äussere Veranlassung dazu nachweisen
können; s. oben S. 399. Ju von Ja, jai erhält sich bis II und
selbst bis III : tem (1. iSg.), fraegju, vaenu (D. Sg. Neut.). Da
ist es wohl gerathener die Contraction des tu, ju in { vor das
vocalische Auslautgesetz zurückzuverlegen, -iwi, -jui, -ti, nach
dem Auslautgesetz ?, in III i mit Umlaut der Wurzel.
Dasselbe, d. i. derselbe unbeträchtliche Grad von Wahr-
scheinlichkeit, gilt vom N. PI. Auch hier ist der begreiflichste
Weg iuas, -juas, -las, nach Auslautgesetz , vielleicht über
'ijas 'tr, in III ir mit Umlaut der Wurzel. Also abweichend
vom got. sunjus; aber das westgermanische suni, neben welchem
ganz vereinzeltes ahd. suniu, ist vielleicht mit der nordischen
Form identisch.
Aber der G. Sg. vallar III, der auch auf mias zurück-
geht, wurde anders behandelt, ebenso der G. PI. valla III. —
Ueber die Genitivendung ar des Singulars und den hier wahr-
scheinlichen Ausfall des v in avas s. oben S. 432. Dieselbe
Entwicklung wie im G. Sg. auch im G. PI., — wenn wirklich
hier au vorhanden war. Abneigung gegen v nach kurzem Vocal
ist auch in III sehr ersichtlich, s. Grimm Gramm. 1^ 260 f., Holtz-
mann Gramm. 1, 120. Snivinn ist nur dichterisch, s. Wimmer
Gramm. §. 122, 9.
438 Heinifl.
Excurs über die yConsonantischen Stamme'.
N. PL foetr verhält sich zu N. PI. ve«iV, wie hekkr (N.Sg.)
zu hellir usw. Da der Sing, deutlich einen ti-Stamm verräth,
— D. Sg. foeti, — so ist es hier wohl sicher, dass altes -auctSj
'iuas sein u, v vor dem Auslautgesetz verloren hat, und -üu,
-ja8 dann nach demselben -ir ergab, wie bei hekkr aus bakja»\
s. oben S. 394. DohtriR, in III doetrj ist überliefert; s. Wimmer
Navneordenes böjning S. 54. 99. — Warum dieser masculine
u-Stamm — auch got. fotus — anders behandelt wurde, als die
Masc. nach vöUr, ist räthselhaft. Bei vetry got. vi^UniSf könnte
man vermuthen, dass das consonantische Fem. vaettr, N. A. PI.
vaettr, von Einfluss gewesen. — Vielleicht wurde foetr hendr
nachgebildet, s. Qislason Tidskrift f. phil. 6, 250; denn wie
fotr gehen im Plural die a-Stämme verwandter Bedeutung
fingVy nagl. Aber auch madr und Völkernamen: madr^ wohl
durch Vermittlung seines organischen N. A. PI. mannr nach
consonan tischer Declination, vgl. mdnaär^ manudr (N. PI.) in
der Graugans, Lyngby Tidskrift f. phil. 6, 45, — und nach
madr haben sich die Völkemamen gerichtet, wie nach kyr, spr,
aer der Plural yxn von uxi; s. unten.
Was die Feminina anbelangt, deren N. A. PI. in III wie
das Masc. fotr nur r ansetzt und Umlaut der Wurzel zeigt,
so ist gewiss der Umstand von Belang, dass im nordischen
Feminina der u-Classe gänzlich fehlen; s. Gislason Tidskrift
f. phil. 6, 248. Vgl. im altslaw. die Fem. auf y neben den
Masc. auf ü. Man kann vermuthen, dass viele der wie geit
önd, rotj müs flectierten Fem. alte u-Stämme sind, die sich im
Sing, nach der i-Classe richten, im N. A. PI. aber die zweite
Entsprechung des alten auaSy iuas voraussetzen, nämlich -ias,
'JOB. Vielleicht wurde einst N. PL Masc. in der Regel von 'i%ias^
N. PI. Fem. in der Regel von -icw, -jas gebildet. Im gotischen
entspricht dem nordischen Idnn kinmia, dem nordischen hond
handus. ' Vocalische Stämme verrathen die Form hönd stäng
1 Die Wurzelgestalt kommt allem Anschein nach nicht in Betracht. Die
Verzeichnisse bei Wimmer Gramm. §§. 49 — 62 und 55 — 59 ergeben, dass
unter den gewöhnlichen Masc. auf u sich ebensoviel kurze oder gutta-
ralisch endigende Wurzeln finden, als unter den Fem. nach geitr, hier 26
Ueber die Endsilbpn der sltnordischeD Sprache. 439
neben vatt, Pf. von vinda, stöng neben gekkj Pf. von ganga]
8. Lundgren Om Substantivens stammar S. 22.
Aber auch t-Stämme wären denkbar, — der i^-Umlaut
im N. A.Pl. hindert natürlich nicht, ond (anas) wie önd (spiritus).
Denn auch von -aias (G. Sg. N. PI.) kann -jcLS durch Vermitt-
lang von -ya«, der Urform für den got. ahd. N. PL, entstehen,
wenn i, j wie oben u, v ausgefallen ist. — Dann ursprünglich
consonantische Feminina. Sie können selbst unter jenen vor-
kommen, welche Umlaut zeigen. Er wird natürlich nur durch
die ähnlichen Formen der u-, i-Declination, wo er berechtigt
war, hineingekommen sein. So vor allem vaettr^ N. A. PI. vaeür,
vaettir, got. vaihts, G. Sg. vaihts, vaihtais, A. PL vaihtSj vaihtins.
Im gotischen müssen wir hier und in den verwandten Wörtern
consonantischen Stamm ansetzen, weil, wenn im G. Sg. N. A. PL
ja8 die Endung gewesen wäre, sie uns nach der Analogie von
harjis, hairdeisy haldia ihren Vocal in irgend einer Weise
erhalten hätte. — Die übrigen nordischen Feminina, welche
durch Endung -r im G. Sg. ohne Umlaut sich als consonantische
Stämme ausweisen , haben das Nominativzeichen verloren :
kverh, G. Sg. N. A. PL kverkr, miolk, G. Sg. N. A. PL midlkr^
got. miluksj G. Sg. miluks, vik, G. Sg. N. A. PL vikr, — facul-
tativ kommt dieser G. Sg. auch bei eik, saeing, tik vor, — bei
ndtt, got. ndhts, G. Sg. N. A. PL nahts, sogar mit Umlaut;
8. Wimmer Gramm. §§. 56, 1. 58 b.
Dieser G. Sg. auf r mit Umlaut der Wurzel kann organisch
sein, d. h. einem aus ituis oder lias stammenden G. Sg. eines
vocalischen Stammes auf ias, jas nachgebildet sein. S. die
Feminina k^j spr, (wr: dieselbe Form im N. Sg. wie im G. Sg.
N. A. PL, also abweichend vom Sing, der Fem. nach rot^ G. Sg.
rHar. Wahrscheinlich liegen diesen Thiernamen i-Stämme zu
Grunde. Neben drei ä:^, s^, är konnte sich das eine Hr,
8Ür, cter des N. Sg. nicht halten. Nätt aber widerstand.
auf 63, dort 24 auf 62: Von consonantisch gebildeten Masc. gar kein
Fall knrzer oder auf Gutturalis endigenden Wurzel, während wir doch
eine Majorität derselben erwarten müssten, wenn foetr sich zu vellir ver-
hielte wie hekkr zu hellir, — Auch die gewöhnlichen t-Stämme Masc. wie
Fem. haben Wurzelsilben der einen wie der andern Art: Paradigma
hurär und 8ladi\, ohne die Fälle auf -nadr, 'skapr^ 17 Kürzen, 12 Längen.
440 He in sei.
Der verwandten Bedeutung wegen wurde nxnar^ gebildet
wie gumnar^ s. oben S. 377, gegen yxn für yamr aufgegeben^
8. Lundgren Om Substantivens stammar S. 17.
Dass eonsonan tische Stämme sich nach i-, u-Stänunen
richten, erklärt sich aus der allgemeinen Aehnlichkeit beider
Declinationeu, gegenüber den a-Stämmen, welche in unserem
Falle durch die besondere Entwicklung der vocalischen noch
vermehrt wurde; vgl. Lundgren a. a. O. S. 51.
Sicher consonantisch waren ursprünglich die Verwandt-
schaftsnamen auf tar und die Part. Prs. substantivischer Bedeu-
tung. Aber wenigstens die ersteren haben nicht etwa fadiT (N.
A. PI.) nach Analogie der Nomina wie foetry wie mennr für
niannry mit Umlaut versehen, sondern sie sind schon früh in
die Analogie der hier behandelten Gruppe von ti-Stämmen
gezogen w^orden, — got, hröthruluho neben brothraluho und
dohtriR auf dem Tunestein. Aus dohtriv (N. PI.) von dohtrjas
wurde doettr, wie roetr, foetr auf demselben Wege entstand.
Ebenso gefendr aus gefandr (N. A. PL). AUmälig ergriff dieser
Umlaut bei den Verwandtschaftsnamen auf tar^ wohl wegen
des zweisilbigen Stammes im Sing., den ganzen Plural, so dass
er wie ein Numeralzeichen wirkte : fedra fedrum (G. D. PI.).
Sogar gefendum (D. PI.) zuweilen neben regelmässigem geföndum.
Eigenthümlich sind die D. Sg. hroedr^ s. Wimmer Gramm.
§. Gl Anm. Die Form sieht wie ein Compromiss aus zwischen
der gewöhnlichen Endungslosigkeit und dem Umlaut in foeti.
Zu dem Muster fotr wurde man natürlich durch N. A. PI.
fottr, broedr gedrängt. Vgl. über D. Sg. burdj sott S. 428,
über bekkrj lielHr S. 394.
Im ags., wo diu w-Declination in Auflösung begriffen ist,
finden sich älmliche Bildungen, mit Ausnahme von burh, mägd^
tiirf, nur in Wörtern, denen nordische entsprechen. Umlaut
ohne Endung haben im N. A. PI. die Feminina : 6öc, broc, gös^
ctly luSf mil.Sj nihi, N. A. PI. hilc usw., — die Masculina : /6/,
man, iöth, turf, N. A. PI. ßt usw. ; s. Sievers in Paul und
Braune's Beiträgen 1, 499 f. Es w^ird wie im nord. jas aus
i(u)a8f i(i)a8 zu Grunde liegen. Dieselbe Endung, aber zum
Unterschiede vom nordischen — wo nur broedr — auch im D. Sg.
und zuweilen wie in den oben angeführten Fällen des nordischen
auch im G. Sg, Auch hier wird man von den Grundformen
Ueber die Endsilben der a1tnordi<;chen Sprtche. 441
'i(u)i 'i(u)a8j -i(J)i -iQJas ausgehen. Aber auff&Uig ist im N.
A. PL, wie Q. D. Sg., das Fehlen der Endung. -JaSy -ji konnte
nach ags. Gebrauch nicht verschwinden, nachdem es seine
Spar in dem Umlaut der Wurzel zurückgelassen, s. byre (N.
Sg.), nerje (1. Sg.). Cynn für und neben cynne richtet sich
nach ovd. Die Ursache dieser Verstümmlung werden wir in den
Wörtern bürg, niht^ man sehen dürfen, welche im gotischen deut-
lich consonantische Flexion zeigen, deren scheinbare Flexions-
losigkeit also berechtigt ist. Diese mögen von den ti-, t-Stämmen
unserer Gruppe im G. D. Sg. N. A. PI. Umlaut angenommen, ihnen
dafür aber Flexionslosigkeit dieser Casus zurückgegeben haben.
Suna (G. Sg. N. A. PI.) kann nur auf ungefärbtes auaa
zurückgehen, wie altn. G. Sg. vallavy — sunu (N. A. PL) auf
woas, Scherer GDS. S. 434, oder Formübertragung aus dem
A. PL sein. S. Lundgren Om Substantivens stammar S. 62.
D. Sg. breder neben N. A. PI. brodru hat sich ohne die
Beihülfe dieses Casus nach fot gerichtet.
ERLÄUTERUNGEN ZU PERIODE IL
Vorbemerkung^ Über die Umlaute.
II ist die Periode der Umlaute. Bezeugt sind sie aller-
dings nicht, mit Ausnahme von gestnmR Stentofte, in einer
archaisierenden Inschrift, Wimmer Runeskriftens oprindelse
S. 170, Bugge Tidskrift f. phil. 7, 34L Dagegen HathnwnlAfB^
HarlwuIAfA, thaiaB Istaby (Schweden), aragent, barutR
Björketorp, abariutith Stentofte; s. Bugge Tidskrift f. phil. 7,
332. 338.
Aber auch in Beginn der Periode III wird der Umlaut
häufig nicht bezeichnet, obwohl einzelne Schreibungen gar
keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er existierte;
8. Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 214 ff., batri aherfrinta,
baistr, — fathur aber hukua^ Tanmaurk, fUr betri^ fraenda, btztr,
föduvy köggvoj Dannwrk. I und u für ^, h zeigen, dass in III
schon ganz entschiedene e und o herrschten. Auch die alten
442 Heinzel.
Handschriften drücken den Umlaut oft nicht aus; s. Gislason
Um frumparta S. 21 f., Vigfusson Eyrbyggja saga S. XXXVII.
Die Reime von a auf ö (o), hards: iördu beweisen nichts.
Es reimt ja auch i auf y, u auf o. — Aber allerdings können
wir in Periode II nur eine leise Hinneigung des alten a zu
e oder o annehmen^ und so auch in den übrigen Fällen. —
Vor allem aber gibt es in HI eine Reihe von i, der Endung,
welche keinen Umlaut wirken und historisch betrachtet, auch
nicht auf i oder j mehr Vocal zurückweisen. Sie können erst
entstanden sein, nachdem eine Periode vorhergegangen, in
welcher der t-Umlaut gewirkt und sich erschöpft hatte. Ebenso
scheint kein ci-Umlaut in III mehr vorzukommen — hananum,
avganu (D. Sg. mit suffigiertem Artikel) , und der li-Uralant
des langen n konnte sich nicht befestigen. — Ebensowenig
wirkt das epenthetische u des neuisländischen, seit dem vier-
zehnten Jahrhundert, Umlaut, Munch Oldn. Gramm. S. 81.
Beide Umlaute müssen ziemlich gleichzeitig gewirkt haben.
Der N. PI. des ti-Stammes spönn für spann heisst spoenir^ von
spann ist er spaenir, Spoenir zeigt, dass hier eher d in den
Casus auf u zu d geworden war, als i der folgenden Silbe
seinen Einfluss äussert, heUum aber (D. PI.) von hellir hat zuerst
Umlaut der a zu e erlitten und konnte deshalb auch nach
Ausfall des j in IH von folgendem u nicht mehr angegriffen
werden, obwohl sonst t- und u-Umlaut gemeinsam auftreten
können, sökkva (unser Laut ö), got. sagqjan.
A ursprünglich in letzter Silbe.
Knrz A. '
Nasaliertes a wurde in dieser Periode gewöhnliches a, da
in III nur dieses, nicht aber das durch Abfall des n entstandene
und als nasaliert bezeugte a abfiel , fara in III aus farany s.
bei ,a ursprünglich in letzter Silbe' III. Allerdings schreibt die
Inschrift von Istaby noch HarlwulAfA^ dass ist für Schluss-a
die alte a-Rune, welche später zum Zeichen des nasalierten
Lautes verwendet wurde, kristnA (Inf.) auf dem grösseren
Ueb«r die Endsilben d«r altnordischen Sprache. 443
JaelHngesteiD, stAtr (3. Sg.) auf dem Flemlöseßtein, s. Wimmer
Raneskriftens oprindelse S. 217. 238. Aber das wird sich im
Verlauf der Epoche II geändert haben. Dass ältere Formen
sich hie und da in II zeigen, ist ja ganz natürlich; s. unten
bei yd ursprünglich in letzter Silbe' rniioB und rnnaR.
Ann muss consonantischen Schluss bewahrt haben, da a
sonst in HI verloren gegangen wäre, nn aber hat sich wohl zu
n vereinfacht: es fällt in III ab.
A ursprünglich in letzter Silbe.
Lang A.
Auslautend u bleibt und wirkt Umlaut.
A von altem dn, dr, dt mit einfach langem a wird e,
zum Theil bezeugt, zum Theil durch i in III ohne Umlaut der
Wurzel zu erschliessen. Solches t geht immer auf e zurück,
das entweder auf altem ai beruht, oder auf a (2. PL Prs. Ind.),
s. oben S. 379, und in den gefärbten Ableitimgen der Adj. auf
alt -a»-, -ag-, welchen sich die Adj. auf alt -in, -ig anschliessen,
oder auf einfach langes altes d,
0 wird a. Ar ist bezeugt. RnnoB daneben könnte, da
es auf dem Stentoftestein vorkommt, Archaismus sein, oder es
deutet auf einen Uebergangszustand , wie auf dem Bracteaten
von Tjörkö. BnnaR beweist auch fiir aftdr.
Die Länge des a wird bewiesen durch a in III, s. oben
S. 373.
Aber u aus altem d in -dnt, 3. PL Pf. der schwachen
Verba, bleibt u und wirkt Umlaut.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Knrz A.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Wo a in I galt, da ist es geblieben, entweder weil es
noch in III vorhanden, wie in hana (A. Sg.), fara (Inf.), aptann
(N. Sg.) usw., oder weil es in III ausfällt, was bei Färbung
zu e nach unserer sonstigen Erfahrung nicht geschehen wäre.
Armes (G. Sg.) in 11 müsste nach Analogie von fanr (2. Sg. Opt.),
444 Heinzel.
farimy faridj fari (1. 2. 3. PI. Opt.) oder fadir (N. Sg.), oder
audigVy heidinn (N. Sg. Masc.) in III i ohne Umlaut ergeben.
Was den scheinbaren Widerspruch zwischen fader II
(N. Sg.) aus fadar I und hamarr in I. II betrifft, s. oben S. 377.
Auch die aus a entstandenen e in 2. PI. Prs. Ind., in den
Adj. Part, auf -an-, -ag sind geblieben, nur nach Qutturalis —
vgl. D. Sg. degt, Grimm Gramm. 1^ 567, Wimmer Navneordenes
böjning S. 39 — bei den Part. Pf. und in ein paar Praeposi-
tionen, s. oben S. 378. 379 f. zu i vorgeschritten, welches die
vorhergehende Wurzel umlautet.
U aus a wirkt Umlaut.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Karz JL.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Wo in I a war, ist kein Grund an Lautwandel oder
Ausfall zu denken. Wenn a in arma in III verloren gehen
konnte, ohne erst e geworden zu sein, s. oben, so gewiss
auch in Fällen vorletzter Silbe.
In spakana (A. Sg. Masc), innana {Adv. ),farande (Part. Prs.)
ist a vorletzter Silbe noch in III erhalten, spakan, innan, farandi.
Aber wo a in I sich zu e gefkrbt hatte, in den Part, und
Adj. auf alt -ag^ -an, ist dieses e in vorletzter und drittletzter
Silbe ausgefallen, denn bei u letzter Silbe hat III Umlaut;
z. B. öldnu (A. Sg. Fem. der schwachen Declination) oder höldvu
(D. Sg. Neut.). In I waren bereits die e, i nach kurzer Wurzel
im Pf. der ersten und zweiten (got. ai-Themen) schwacher
Conjugation verschwunden. Nach langer Wurzel halten sie sich
noch in unserer Periode; s. bei ,i ursprünglich und in II vor
der letzten Silbe'. Vielleicht erklärt sich dieser Vorrang des «
vor i nach langer Wurzelsilbe in II daraus, dass es unter den
Participien und Adjectiven auf alt -an, -ag so viele mit kurzer
Wurzelsilbe gab ; s. die Part. Pf. nach farinn. — Aber nicht
überall f^lt e vor der letzten Silbe aus ; es bleibt im N. Sg.
Fem. N. A. PI. Neut. N. A. Sg. Neut. in III audig^ audigt^ also
in II audegu, audegat, — im G. Sg. Masc. Neut., in III audtgs,
also in II audegas^ — im G. D. Sg. Fem., in III audigravy andtgri,
üeb«r die Endsilben der altfiordiscben Sprache. 445
also in II audegrar, audegre, — im G. PI, in III audigra, also
in 11 audeg^dy d. h. e aus a fallt nicht aus vor Doppelconsonanz,
jr, nr, und wo nach dem Abfall in III zu schliessen eine gewisse
Schwäche des Vocals nächster Silbe sich schon in II bemerkbar
gemacht haben wird : N. Sg. Fem. N. A. PI. Neut., in III audig,
N. A. Sg. Neut, in III audigt, G. Sg. Masc. Neut., in III audigs.
Ueber die Ausnahme heidinn A. Sg. Masc. III, also in II
heidhenan, s. oben S. 371.
U aus a bleibt und wirkt Umlaut.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Ueber 2. Sg. Pf. Ind. der schwachen Verba in I auf -<Jr,
nun auf -er, wie in den Fällen, welche auf altes einfaches ä
ursprünglich letzter Silbe zurückgehen, s. oben S. 384.
Die früheren 6 werden d, die in I vor m, n entstandenen
u bleiben und wirken Umlaut.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
0 wird d. Wo u aus 6 entstanden war, s. oben S. 386,
erleidet der Wurzelvocal Umlaut.
JA.
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Knrz JA»
Keine wesentliche Aenderung. Nur wie -ä von I in II -a
wird, so 'ja von I in II -ja; s. oben S. 442. — / bleibt und
t bleibt lang, da es in III als kurz i erhalten. — / wie j
wirken Umlaut. — Dass der Uebergang von -janny -Jan zu in,
A. Fl. des Paradigma hekkr , nicht mit Sicherheit unserer
Periode zuzuschreiben ist, wurde oben S. 397 bemerkt.
446 Heinsei.
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Lang JA.
Ju aus einfach langem jd bleibt und wirkt t-Umlaut.
— Ja aus altem jdn wird ^e, wie a, das in I aus ebfacli
langem a entstanden war, in II « wird, ja aus ja I daneben
ist kein Widerspruch.
Aus yS, jtr I wird ja, jdr wie aus 6 und 8r, d und
ar. — Von dem Uebergang des jdr in tr N. PL des Para-
digma hekkr, gilt dasselbe was eben vorher über den A.Pl.
gesagt wurde; s. oben S. 388.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Knrz JA.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Alles bleibt wie es in I gewesen, iy t — in III noch t,
— j<^> j^j j^> i^^r ^-Umlaut. In gestnmB Stentofte ist der
Umlaut bezeugt, seine Ursache aber entweder schon weg-
gefallen oder nicht ausgedrückt, s. oben S. 441.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Knrz JA.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Ja wie ju bleiben imd wirken i-Umlaut.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
J6 wird jd, das aus j6 entstandene ju von I bleibt;
beides wirkt «-Umlaut.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Jd wird jdj ju bleibt; überall t-Umlaut
Üeber di« Eodfilben der allnordischeD Sprache. 447
L
/ ursprünglich in letzter Silbe.
Lang I.
I wirkt Umlaut und bleibt lang, da es in III als i er-
scheint; 8. % aus ja S. 446.
1 ursprünglich vor der letzten Silbe.
Knrz /.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
/ bleibt und wirkt Umlaut; s. i von ja S. 446.
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz I.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
1 bleibt meist und wirkt Umlaut. Nur bei gewissen kurz-
wurzeligen Substantiven auf -ill kann Ausfall vorkommen, lykli
und lukli in III von lykill] s. oben S. 415. 417.
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang /.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Lang % bleibt, da es in III als i erscheint, und wirkt
Umlaut; s. i von ja S. 445.
Wo ? in I e geworden, bleibt e in II, wie e von a, 4,
wie je von altem jd^ s. S. 445, und wie e von ai; s. dieses.
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang /.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
E von t in den Adj. auf alt -^, -in richtet sich gewiss
nach den Adj. Part, auf alt -ajf, -an, — s. S. 444, — mit
denen es in I zusammengeflossen, und wirft e aus.
448 Heiniel.
u.
U ursprünglich in letzter Silbe.
U bleibt und wirkt Umlaut^ wie u aus auslautendem altem
d; 8. oben S. 443.
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
U bleibt und wirkt Umlaut, wie u von a, d; s. oben
S. 443 f.
ü ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
U bleibt und wirkt Umlaut, wie u von a, d; s. oben
S. 443 f.
AI.
AI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz AI.
E bleibt wie e von a, alt d^ s. oben S. 443, wie je von
ja, jdj s. oben S. 446, wie e von %, s. oben S. 447.
Wo ai mit folgendem -am, -lam, -dm, -o« in I o ergeben
hatte, erscheint jetzt d, wie d Vertreter des 8 aus altem ä
ist; s. oben S. 443. 445.
AI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang AL
U aus 'di bleibt, wie altes u, s. oben, wie u aus altem
auslautendem a, s. oben S. 443.
E bleibt wie im vorhergehenden Fall.
Das 0, das in I aus di mehr -am entstanden war, wandert
zu d, wie d in II für o aus ä; s. oben S. 443 f.
üeber die Endsilben der altnordischen Sprache. 449
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI.
Nach ÄUBlautgesetz in letzter Silbe.
E bleibt wie im yorhergehenden Fall.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang AI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
E bleibt wie im yorhergehenden Fall.
JAI.
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JAI.
Je bleibt und wirkt Umlaut^ wie je yon ja aus altem jäj
8. oben S. 446. Wo jai mit folgendem am in I j6 gebildet
hatte, wird es ja und wirkt Umlaut, wie ja yon j6 aus altem
jäj 8. oben S. 446.
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang JAI.
Ju bleibt ja und wirkt Umlaut wie ju von altem ja,
8. oben S. 446. J6 wird ja und wirkt Umlant wie ja yon
jd aus altem ja, s. oben S. 446.
JAI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JAI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Je bleibt und wirkt Umlaut wie je vor ja aus altem jd,
B. oben S. 446.
Sitsnngsber. d. phU.-hist. U. LXXXYII. Bd. I. Hft. 29
450 Heinzel.
AU.
AU ursprünglich in letzter Silbe.
1 bleibt in II und wirkt Umlaut wie i, gleich altem i,
8. oben S. 447, und gleich i von ja^ s. oben S. 446.
Auch kurz i bleibt und wirkt Umlaut, wie kurz i von
ja, 8. oben S. 446, oder wie altes i, s. oben S. 447.
Desgleichen bleibt ju und wirkt Umlaut wie ju von ja^
jd^ 8. oben S. 446, imd wie ju von jäi, s. oben S. 449.
0 aber wird ä wie 6 von altem <?, oder von ai, di mehr
-am, 'iamy -dm, -aa, 8. oben S. 448.
Zusammenfassung.
Die Veränderungen der Periode 11 sind «-Umlaut, tt-Umlaut,
B. oben S. 441, ferner wird ä zn a, a aus altem a zu e, — also
e erstens von ai, in I e, zweitens von i, in I e, drittens von «,
in I a, — 6, sowohl solches, das auf ä beruht, als das aus
ai, au mehr folgendem a, d hervorgegangen, wird a, — jo,
sowohl der Vertreter des alten ja, als das aus jai, jdi mehr
a entstandene, wird jd, Ausfall nur vor der letzten Silbe, e von
altem a und i; s. oben S. 444.
ERLÄUTERUNGEN ZU PERIODE III.
A ursprünglich in letzter Silbe.
Karz A.
Auslautendes a fallt ab, zugleich auslautendes n. Geht
diesem a voran, so wird es durch Nasalierung geschützt, ot-m
(A. Sg.), arma (A. PL), hana (A. Sg.). Nasalierung ist bekannt-
lich noch im zwölften Jahrhundert bezeugt und die ältesten
Runen drücken sie aus: stAtB (stendr) Flemlöse, Wimmer
Runeskriftens opriudelse S. 238, thAusi (theiina), hAns, AnAn
Ueber die Endsilbeu der altnordiochen Sprache. 451
Glavendrup, Wimmer S. 247; thAnsi dreimal^ klAmalan (diser-
tum) Tryggevaelde, Wimmer S. 255, standA (Inf.) Hällestad,
Wimmer S. 172, kristnA (Inf.), auf dem grossen Jaellingestein,
8. Wimmer Opuscula philologica ad Madvigium a discipulis
DiisBa S. 198, Hofmann Sitzungsberichte der Münchoner Aka-
demie 1866, S. 218, Lyngby Tidekrift f. phil. 2, 317. 6, 25.
Consequent ist diese Schreibung allerdings nicht durchgeführt.
Nasalierung ist z. B. nicht bezeichnet in thansl^ aithaiarthan
([eidverdan]) Qlavendrup, klAmulan, man, hithan Tryggevaelde.
In der Skivuminschrift — hAn uas . . . mAnA baistr i tAnmarku
ank fnrstr, Wimmer S. 216, — ist das zweite A von mAnA
(manna) gewiss falsch.
A ursprünglich in letzter Silbe,
Lang A.
Ursprünglich einfach langes a. U fallt ab, e wird i, wirkt
aber keinen Umlaut und bleibt.
Ursprünglich ä, Ä wird a, wo S in I « geworden, bleibt
tt nach Wegfall des n, wie a in a^fna (A. PI.)
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Dass a vor n, das in II auslautet, nicht ausfiel, obwohl
dieses verloren ging, haben wir eben erwähnt. Ausserdem
erschien a letzter Silbe in II nur noch vor Doppelconsonanz
Ir, in III Uy nr in UI nn, it, dann vor 8, t, r. In diesen letzten
Fällen ging es in III verloren, vor Doppelconsonanz bleibt es.
Also arms, spakt^ okkr — aber natürlich that musste bleiben,
— dagegen thumall, aptann, hamarr. Hinmll, aptnn, hamrr
wäre schwierige und undeutliche Aussprache gewesen, thumlr,
aptnr, haniarr mit vocalischem r des Nominativzeichens aller-
dings nicht, aber die Neigung zur Assimilation ist in ahn. III
ausserordentlich stark. S. auch unten bei ,i ursprünglich vor
der letzten Silbe'.
E — wie e von altem a, s. oben, — wird i, das keinen
Umlaut wirkt.
29*
452 Heinxol.
Die Praepositionen q^tir, yfir bleiben was sie schon in II
gewesen; s. S. 444. 379.
U vor m bleibt.
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
A fallt auS; aber nicht vor Doppelconsonanz und nicht
wenn a der nächsten Silbe ausgefallen ist; s. oben in II über
6 aus a und % ^ursprünglich vor der letzten Silbe' S. 444. 447.
Also augna (G. PL), gamlan (A. Sg. Masc), thundi (D. Sg.),
spakra (G. PL), spakri (D. Sg. Fem.), hugsa (Inf.), — aber
gamaUar, gamalli (G. D. Sg. Fem.), gamalla (G. PI.), thumalf
aptan, hamar (A. Sg.), spakan (A. Sg. Masc), thumals^ apUm,
hamars (G. Sg.), farandi (Part. Prs.). — Vgl. den Schutz, welchen
Doppelconsonanz dem a letzter Silbe gewährt.
Wie a werden die von a stammenden u behandelt; göm-
lum (D. Sg. Masc.) , gömlu (D. Sg. Neut.) , — aber ßdur (A.
Sg.), spökum (D. Sg. Masc).
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
E wird i, das keinen Umlaut wirkt und bleibt, tamdtr
(2. Sg. Pf. Ind.)
A wird a. U bleibt, da es in U nie im Auslaut steht,
tritt aber in denselben durch Abfall des n, tungu (G. D. A. Sg.).
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang A.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
A wird a. — U fallt aus, in tungna, wie u aus ö, das
ursprünglich vor der letzten Silbe stand, bleibt aber in köüuiumj
wohl um die Harmonie der Formen in der dritten Conjiigation
der schwachen Verba zu erhalten.
lieber die Endeilben der altnordischen Sprache. 453
JA.
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JA.
Auslautendes n geht überall, j im Auslaut und vor i ver-
loren; vor a, u schwindet es odet* erhält sich nach Princip.
/ fallt ab und aus, % wird /.
Ja aus ja I verliert n^ vgl. a von a I S. 450, und j kann
sich natürlich nicht halten, so dass die Formel ja schwindet^
ija i ergibt.
Jan aber behält a, wie a aus an II entsteht, s. oben S. 450^
und verliert j nach Princip.
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Lang e74.
^ in ju fallt ab, wie u von altem a; s. oben S. 451«
Vorhergehendes j kann sich auslautend nicht erhalten : ju ver-
schwindet, iju ergibt i.
E in je wird i, wie e von altem a, d, s. oben S. 451.
Es bleibt wie dieses, verliert aber vorhergehendes j.
A von jd wird a, wie a von 6 I, altem übermässigem d;
8. oben S. 451. J verschwindet nach Princip. Ueber die gleich-
massige Behandlung des Opt. Pf. s. oben S. 403.
/ wird auch hier t, wie x von kurzem ja.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
J fällt aus, % wird t, s. oben Ja, jd in ursprünglich letzter
Silbe. Ueber die gleichmässige Behandlung des G. Sg. Masc.
Neut. des Adj., fraegsj vaens, s. oben S. 409. 397.
Die Formel jan behält a, s. oben Ja in ursprünglich
letzter Silbe', und verliert j nach Princip.
Ebenso bleibt u von ju vor tu, wie u von a, a, s. oben
S. 451 f. J fällt ab nach Princip.
454 Heinsal.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
A in ja fHlIt unter denselben Bedingungen aus^ wie a im
gleichen Falle, s. oben S. 452, fraegra (G. PL), aber fraegjan
(A. Sg. Masc), temjandi (Part. Prs.). J schwindet nach Princip.
U von ju aus ja muss bleiben, da es nur vor auslauten-
dem u letzter Silbe steht, das abfällt, fraegjuvrij vaenum (D. Sg.
Masc.) ; s. oben über u aus a, S. 452. J schwindet nach Princip.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
Ja wird ja, wie in ursprünglich letzter Silbe.
Ju, das in II durchaus Consonanz hinter sich hatte, bleibt
auch nach Ausfall des n, s. oben S. 452. J fällt nach Princip
aus. Ebenso bleibt ju aus kurzem ja im gleichen Fall und
verliert j nach Princip.
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang JA.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
Ja wird ja, wie in ursprünglich letzter Silbe. — Ju
verliert u und somit j in hylgna, hellna (G. PI.), wie « von
d in tungna ausfällt, s. oben S. 452; — in eggjudam wird
es wohl aus demselben Grunde belassen, wie u in köUudum;
s. ebendaselbst.
I.
/ ursprünglich in letzter Silbe.
Lang I.
Lang i wird zu kurz i; s. oben bei ja, ja S. 453.
Ueber die Endsilben der altnordieclien Sprache. 455
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz I.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
1 fallt aus, wie i von ja in ursprünglich letzter und vor-
letzter Silbe ; s. S. 453, auch vor Doppelconsonanz heUtr
(N. Sg. Masc), hergdvy doemdr (Part. Pf.). Aber nicht vor nn^ II
aus nr, Ir: himfin, lykll, mikll wäre schwierig und undeutlich
gewesen; s. oben a im gleichen Falle S. 451.
U bleibt; nämlich vor w, wie m von a, d, s. oben S. 451 f.,
wie ju von y«, jä^ s. oben S. 453,
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz I.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
/ erhält sich nur, wenn a der letzten Silbe ausgefallen
ist. Abfall des u nächster Silbe hindert den Verlust des i nicht,
lykil (A. Sg.), aber dypi , dyrd (N. Sg.), dyptar , dyrdar (G.
Sg.), hoena (N. A. PL); s. oben über a, ja im gleichen Falle
S. 452. 454.
Im A. Sg. Masc. litinn, mikifm hat eine ähnliche Bildung
Platz gegriffen, wie bei heidinn, s. oben S. 371. In einigen
Adj., wie in heimüan (A. Sg. Masc), ist auffUlliger Weise das
i der Ableitung bewahrt; s. unten bei u im gleichen Falle.
/ ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang T.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
i wird i, wie in ursprünglich letzter Silbe und wie i von
jaj ja ursprünglich in letzter und vor der letzten Silbe, s. oben
S. 453.
E von altem t wird i wie e von altem ä in ursprünglich
letzter Silbe, s. oben S. 451, und wie e in je von altem ja an
gleicher Stelle, s. oben S. 454. Kein Umlaut.
456 HeiDtel.
U.
ü ursprünglich in letzter Silbe.
U fkllt ab, ausser wo in II n dahinter stand. Vielleicht
schwand u im Anfang der Periode III nur im Auslaut^ wie u
aus altem -4, -jd, s. oben S. 451. 453. Denn gunu (A. Sg.) ist
inschriftlich noch in III erhalten, nur wisßen wir nicht, ob
dagegen noch fehu oder schon ft galt. Sunu, vbllu (A. Sg.)
könnte sein bewahrtes u der alten Nasalierung verdanken,
welche über I. II gedauert hätte, wie a von altem -am in I
bleibt, 8. oben S. 370. Auch an Analogie von arm (A. Sg.)
könnte man bei der späteren Form voll (A. Sg.) denken. —
Ganz wie a nach Abfall des in II noch vorhandenen n, s. oben
S. 442, bleibt u in vöüu (A. PL), tthndu (3. PI. Pf. Ind.).
U ursprünglicli vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
U bleibt, immer vor consonantischem Auslaut, wie die u
a, äj ja, jäy i an gleicher Stelle ; s. oben S. 452. 453. 455.
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe.
U fällt aus unter denselben Bedingungen wie a, u von
a, jaj an gleicher Stelle, s. oben S. 452. 454, ^jfigir (N. PI. Masc),
öflgum (D. Sg. Masc), södli, iötni, fiöiri (D. Sg.), — aber «öJuZ,
iötun,ßötur (A. Sg.), öflugra (G. PL). -
Hie und da ist u, wo man einen Verlust erwarten sollte,
erhalten, s. Wimmer Gramm. §. 80, A, 1, klAmnlan (disertum)
Tryggevaelde, Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 255.
Excurs Über u der Ableitimg und Endung.
Man sieht, wie zähe altes u ursprünglich letzter Silbe
haftet, besonders wo es von di stammt, s. oben S. 430, nach-
dem von a, i kaum mehr eine Spur vorhanden. Die «-Stämme
wirken im N. A. Sg. Umlaut, völlr, voll, die i-Stämme nicht,
stadr, stad. — Auch vor der letzten Silbe ist u später ausgefallen
Ueber die Endsilben der altDordiBchen Sprache. 457
als ey i: tamday vakta war uns schon in I begegnet (l.Sg. Pf.
Ind.), s. oben S. 416, e in II, s. oben S. 444. 447, in Perioden,
deren a und u noch unerschüttert fest standen. In III fällt i
aus, wo u bleibt, d()pt aus dppiduy aber gömul aus gamalu,
g&mulu; s. oben S. 455.
Öldnv (A, Sg. Fem. der schwachen Declination) zeigt uns,
dass e von aldinn eher ausgefallen ist, als Umlaut der Periode
II wirkte, also wohl im Anfang von 11, — iötni (D. Sg.), und dass
u zu einer Zeit abfiel, vor welcher der Umlaut von II bereits
gewirkt hatte. Gegen Braune Centralblatt 1877, S. 48. Dass u
für das deutsche Accentgesetz ein passender Endungsvocal war,
ist eine gewiss richtige Beobachtung Scherer's GDS. S. 121 ffi
Im littauischen allerdings sagt man jetzt pons für ponaa, aber
alAs wie suniis; der littauische Accent ist eben ein andrer.
Dass neben dem Schwund der a, ti, alter und aus ja
entstandener t, die e von II als i sich in III bewahren, darf
nicht auffallen. Die Kraft, welche e zu i trieb, ruhte auf
einem ganz andren Princip, als dem daneben wirksamen Be-
streben, die Endsilben zu schwächen. Sie trug den Sieg davon.
Wenn sie ausreichte, den Abfall der e aufzuhalten, so war sie
natürlich auch im Stande, das von ihr aus e geschaffene i zu
schützen. Auch -d II wird in III -a, ohne dass dieses wegen
des alten a in gleicher Stelle abfallen müsste, at^m (A. Sg.),
aber arma (G. PL).
AL
AI ursprüngKch in letzter Silbe.
Kurz AI.
E wird zu t, das keinen Umlaut bewirkt, ebenso wie e
von altem ä; s. oben S. 451.
A wird a wie a von altem &; s. oben S. 451.
AI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang AI.
XJ ist hier besser bewahrt, als wo es von w, ttiw, ur oder
von auslautendem d stammt, vliku und vök] s. oben S. 451. 456.
458 Heinzel.
Niir im D. Sg. Masc. der starken Adjectiya ist es später au»-
gefallen; s. oben S. 430.
E wird zu iy das keinen Umlaut wirkt, wie e von kurz m.
Ä wird a, wie ä aus kurz ai. In thaejdr (N. A. PL Fem.)
assimiliert sich das aus ä entstandene a nach Ausfall desj
dem vorhergehenden ae; s. oben S. 431.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
E wird ij das keinen Umlaut wirkt, wie in ursprünglich
letzter Silbe.
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang AI.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe.
E wird if das keinen Umlaut wirkt, wie in ursprünglich
letzter Silbe.
JAI.
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JAI.
Je wird ji und j ftlUt aus, wie in je von altem ja; s. oben
S. 453.
Ja wird ja und verliert oder behält j nach Princip, wie
ja von altem ja; s. oben S. 455.
JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Lang JAI.
Ju bleibt und verliert j nach Princip. Im D. Sg. der fem.
jä'Siämme schwindet es allmälig, wie bei den 4-Stämmen und
j kann sich auslautend nicht halten; s. altes äi im gleichen
Falle S. 457 f.
Jd wird jay wie altes ja, s. oben S. 453.
Ueber die Endsilben der ftltnordicchen Sprache. 459
JAI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JAI.
Je wird ji und j fallt aus, wie je von jai in ursprüng-
lich letzter Silbe.
AU.
A U ursprünglich in letzter Silbe.
I wird i, kurz i fallt aus, wie i, i von ja, s. oben S. 453,
oder wie altes i, % ursprünglich in letzter und vor der letzten
Silbe, s. oben S. 453.
A wird a, wie a von altem ä, s. oben S. 451.
Zusammenfassung.
Charakteristisch für III ist der Abfall dos w, das aber
Nasalierung zurücklässt, wodurch die vorhergehenden Vocale
gestützt werden, hana (A. Sg.), fara Inf., tunga (A. Sg.), — ferner
der durchgehende Abfall des j vor e, das zu i wird, und der
nach dem Princip geregelte vor a, ti, s. stedi, endi (N. Sg.),
kyrija, klaeda (G. PL), kynjum, Tdaedum (D. PL).
Die Veränderungen des Vocalisraus von II auf III sind
folgende. Die gewählten Beispiele sollen nur einige Fälle
illustrieren.
Vocalwandel in letzter und vorletzter Silbe.
An II wird a, in der Tabelle durch a bezeichnet, arma
(A. PL), hana (A. Sg.), fara (Inf. 3. PL), — jan II wird ä oder
jäj heUa (A. PL), enda^ stedja (A. Sg.).
Lange Vocale werden verkürzt, a zu a, t zu i: kaüa
(1. Sg. Prs. Ind.), kallada (1. Sg.), spakari (N. Sg. Masc), manna
(Q. PL), armar, vakar (N. PL) von altem ä, — hurdar, sottar (G.
Sg.) von altem am, — vaUar (Qt. Sg.) von altem aua, — foeri\
temdi (3. Sg. PL Pf. Opt.) von altem i, — bergir, doemir (2. Sg. Prs.
Ind.), heUis^ klaedis G. Sg. von altem ja, — bekkir (N. PL) von
altem ja, — vellir (N. PL), velli (D. Sg.), von altem aiM, auL
4f)0 Heinzel.
E wird I, welches bleibt, haniy fadir (N. Sg.), tamdi
(3. Sg. Pf. Ind.) von altem a, — famdir (2. Sg. Pf. Ind.) von altem
äj — aüdigr, farinn (N. Sg. Masc), farid (2. PI. Prs. Ind.) von
altem a, — stedi (N. Sg.), femidj doennd (2. PI. Prs. Ind.) von
altem ja, — mdttigr (N. Sg. Masc.) von altem t, — arwit, ihumli,
landi (D. Sg.), fari (3. Sg. PI. Prs. Opt.), burdir (N. PL), »pakir
(N. PI. Masc.) von altem m, aia, — bekh', hellt (D. Sg.), fratgir
(N. PI. Masc), temi (3. Sg. PI. Prs. Opt.) von altem jai.
Vocalschwund in letzter Silbe.
Die kurzen Vocale a, t, u III, welche in II nicht
vor Nasalis standen, noch in II einen anderen Lautwerth
hatten, fallen in III ab, ausser vor Doppelconsonanz. Also
a in arm, thumal (A. Sg.), land (N. A. Sg.), von altem a»i,
in II a, — beJck, helli (A. Sg.), kyn, klaedi (N. A. Sg.) von
altem jam, ijam, in II ja, {ja, — nrms, thumah, lands, (Q.
Sg.) , okkr (D. PI.) von altem aaja , in II o« , — spakt (N.
A. Sg. Neut.) von altem atam , in II af, — { in tem, doem
(2. Sg. Imp.) von altem ja, in II i, — bekh* (N. Sg.), fraegr
(N. Sg. Masc), betr (Adv.) von altem jas, in II ir, — temr
(2. Sg.) von altem jasi, in II ir, — bekks (G. Sg.) von altem
jaßja, in II i«, — ferr (2. Sg.) von altem m, in II ir, —
betstr (N. Sg. Masc.) von altem istas, in II itstr, — doemdr
(Part. Pf.) von altem itas, in II idr, — hendr (N. A. PI.)
von altem atuis, in II ir, — t* in Zönd (N. A. PL), «pök (N. Sg.
Fem. N. A. PL Neut.) von altem d, in II u, — eng (N. Sg.),
kyn, klaedi (N. A. PL) von altem ja, in II ju, — fe (N. A. Sg.)
von altem u, in II ti, — voll (A. Sg,) von altem um, in II ti,
— vöUr, (N. Sg.) von altem ua, in II ur, — vök (neben vöku
D. Sg.) von altem di, in II u, — eng (neben engju, D. Sg.)
von altem jai, in II ju.
Aber erhalten bleiben nach der aufgestellten Regel a in
arma (A. PL) von altem ans, hana (A. Sg.) von altem anam, —
fara (Inf.) von altem ani, — fara (3. PL) von altem anti, —
stedja, enda (A. Sg.) von altem janam, — i überall in II -o«,
Jan, — manna (G. PL) von altem Am, in II d, — von t in
fadir (N. Sg.) von altem dr, in II er, — tamdi (3. Sg.) von altem
dt, in II e, — foeri (3. Sg. Pf. Opt.) von altem it, in II t, — «
in forum (l.PL) von altem ama, in II iiw, — ^rmum (D. PI.)
von altem anbhims, in II umr, augu (N. A. PL) von altem
Üeber die EndsilbeD der altnoidiechen Spreche. 461
ana, in II un, — tungu (A. Sg.) von altem dnamy in II un, —
hylgjn ( A. Sg.) von altem jdnam , in II un, — völlu (A. Pl.)>
von altem U7is, in II un.
Vor Doppelconsonanz bleibt a in thumally aptann, haman'
(N. Sg.) von altem alciSf anas, aras, — i in lykäl^ himinn (N.
Sg.) von altem ilas^ inasy — u in södull, iötunn, ßöturr (N. Sg.)
von altem ulasy wias, urcu.
Ausserdem ist u im D. Sg. vöku beinahe, im D. Sg. Neut.
spöku vollkommen constant. Dieses u beruht auf di und war
vielleicht länger als die übrigen ; s. oben S. 430.
Vocalschwund vor der letzten Silbe.
Die kurzen Vocale a, ij u, welche schon in II diese
Qualität haben, werden in vor- und drittletzter Silbe aus-
geworfen, wenn der Vocal der nächsten Silbe nicht nach der
früher angeführten Regel schwinden muss und wenn nicht
Doppelconsonanz folgt. S. oben S. 445. / macht eine Ausnahme,
indem es ausfällt in einigen Fällen folgender Doppelconsonanz
und gewöhnlich auch dann, wenn die nächste Silbe gleichfalls
ihren Vocal verliert; s. oben S. 456.
A fällt aus in augna (Q. PL), von altem anäm, gamlir
(N. Fl. Masc.) von altem alaiy gamlan (A. Sg. Masc.) von altem
alcumdij spdkra (G. PI.) von altem asärrij spakrar (G. Sg. Fem.)
von altem asQ'Jäsy spakri, gamalli (D. Sg. Fem.) von altem aajdi^
hugsa (Inf.) von altem atjaniy — fraegra (G. PI.) von altem
jcLsäm, fraegrar (G. Sg. Fem.) von altem ja8(j)äs^ — i in bergda,
doeinda (1. Sg.) von altem idhäntj lykli, himni (D. Sg.) von altem
ilaij inaiy miklir (N. PI. Masc.) von altem ilai, miklum (D. Sg.
Masc.) von altem ilasmdi, betri (N. Sg. Masc.) von altem f«an,
dypt (N. Sg.), von altem iidy hoens (N. A. PL) von altem itjdy
betstr (N. Sg. Masc.) von altem iatasj bergdr, doemdr (Part. Pf.) von
altem itasy — u in götnlum (D. Sg. Masc. D. PL) von altem alasmdiy
alanbhimsy gömlu (D. Sg. Neut.) von altem aldiy tungna (G. PL)
von altem dnärriy bylgnay kellna (G. PL) von altem jdnäm, öflgir
(N. PL Masc.) von altem nkaiy öflgum (D. Sg. Masc. D. PL) von
altem ukasmdiy ukanbhimsy södli (D. Sg.) von altem ulau
Aber erhalten bleibt a in apakan, gamlan (A. Sg. Masc.)
von altem anamy in II anuy thumals (G. Sg.) von altem asjoy
in II asy gamals (G. Sg. Masc.) von altem asja, in II asy — i
in doemi (1. Sg.) von altem ya, in II ijuy ermi (N. Sg.), klaedi
462
Heiozel
(N. A. PI.) von altem ijd, in II ?!/«, lykil, himin (A. Sg.) von
altem ilamj inam, in II ilay ina, mikiUa (6. PI) von altem
ilasämj in II ilardj — um göniul (N. Sg. Fem. N. A. PL Neut.)
von altem ald, in II ulu, södul (A. Sg.) von altem nlam, in II
ulay öflugra (Gr. PI.) von altem nkasämy in II ugard.
Durch Position verhindert ist der Ausfall von a in farandi
(Part. Prs.), von altem anidn, in II ande, iemjandiy (Ptc. Prs.),
von altem jantdn, in II jande.
Von späteren Lautwandlungen will ich nur hervorheben,
dass /an (1. Sg. Prs. Opt.), foeri (1. Sg. Pf. Opt.), temi (1. Sg.
Prs.Opt.), tamdi (1. Sg. Pf. Ind.), temdi (1. Sg. Pf. Opt.) für
fara, foera, temja, tamda, temda nur nach Analogie der 3. Sg.
gebildet sein kann, da a sonst erhalten bleibt.
Auch e und o fUr V, n der Endung scheint spätere Ent-
wicklung zu sein, obwohl gerade die ältesten Handschriften
diese Orthographie lieben. Aber da i auch im Opt. Pf. erscheint,
o im Pronomen ihü und sonst, wo jedenfalls t, u zu Grunde
liegt, — Gislason Um frumparta, S. 187 -legr, -lega, kaleca
(calix), töke (3. Sg. Pf. Opt.), 196 iitom (Titum), bkuiom
(Blasium)f — Hävamäl 132 R mvndo (= mundu 2. Sg,), da die
Umlaute wie j und v beweisen, von i, i/, nicht von e, o aus-
gingen, — so muss man schliessen, älteres t, u sei zu e, o
geworden, um wieder zu t, u zurückzukehren. Im Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts scheinen in Norwegen i u und e o
ausgesprochen worden zu sein, da z. B. eine Handschrift der
Dietrichsage zwischen beiden Lautgruppen nach Massgabe des
vorhergehenden Wurzelvocals wählt. Eine Art Vocalharmonie.
S. Lilienkron Zs. 7, 570 ff.
Uebttr die Endiilbeu d«T ultoordücheu Sprache.
463
PARADIGMEN ZU DEN DREI PERIODEN.
Substantiv a.
^-Stämme.
Maaculiua.
Sg.N.
arm Ar (brachixim)
armr
armr 8. S. 368
G.
armas8
armas
arms 8. 8. 377. 443. 451
D.
arme
arme
armi s. S. 434
A.
armä
arma
arm s. S. 370. 443. 450
P1.N.
arm6r
armdr
armar
G.
armo
ai-md
arma
D.
armumr
öi'mumr
örmum s. S. 380
A.
armann
arman
Neutra.
arma s. S. 371. 443. 450
Sg.N.
landä (terra)
landa
land 8. S. 370
G.
landasa
landas
lands 8. S. 377. 443. 451
D.
lande
lande
landi 8. S. 434
A.
landä
landa
land 8. S. 370
PL N.
landu
löndu
läfid
G.
lando
landä
landa
D.
landumr
Ibndumr
löndum 8. S. 380
A.
landu
löndu
lönd
-d-Stämme.
Feminioa.
Sg.N.
vaJcu (foramen in
vöku
vök 8. S. 373
G.
vakor
glacie)
vakdr
vakdr 8. S. 373
D.
vaku
vöku
vöku 8. S. 429. 434. 457
A.
vako
vakd
vök 8. 8. 373. 374. 387
PI. N.
vakor
vakdr
vakar s. 8. 443
G.
vakd
vakd
vaka
D.
vakomr
vökumr
vökum s. 8. 352. 380
A.
vakor
vakdr
vakar 8. 8. 443
464
HeiBial.
JilStämme.
MMctdina.
Sg.N. hakir (nuus)
hekir
bekkr 8. S. 395. 397
G. bdkiss
behis
bekks 8. S. 409
D. hakje
bekje
bekki 8. S. 400. 435
A- baJcjä
bekja
bekk 8. S. 396. 397
PI. N. 6ai;6r
bekir
bekkir 8. S. 400. 408
G. JaAJS
bekja
bekkja 8. S. 403
D. bakjumr
bekjumr
bekkjmi 8. S. 410
A. bdkjann
bekin
bekki 8. S. 396. 397. 400
Sg.N. AaWir ("»pec«»)
hdlir
heUir 8. S. 395. 397
G. ^;/^«
MtU
hellü 8. S. 409
D. haUje
hellje
heüi 8. S. 435
A. AaUtjd
hellija
hellt 8. S. 396. 397
PI. N. halljSr
heUjdr
hellar 8. S. 408
G. ÄaW^Ö
Mljd
heUa 8. S. 403
D. halljutnr
heüjumr
hellum 8. S. 410
A. halljann
hdljan
Neutra.
hella 8. S. 396. 397
Sg.N. A;u7i;ä (genus)
kynja
kyn 8. S. 391. 393. 397
G. Ä»nt««
kynis
kyns 8. S. 409
D. Äwny«
kynje
hftii 8. S. 435
A. X;un;d
kynja
kyn 8. S. 391. 393. 397
PI. N. ikun;«
kynju
kyn 8. S. 391. 402
Q. kunj6
kynjä
kynja 8. S. 403
D. kunjumr
kynjumr
kynjum 8. S. 410
A. X»inyu
kynju
kyn 8. S. 391. 402
Sg.N. JkMdÄyä ^«e«<i«;
klaedhija
kUiedi 8. S. 391. 393. 397
G. Jk;<{(2Ais«
klaedhu,
UaedU 8. S. 409
D. Mädhje
klaedhje
Uaedi 8. S. 435
A. Jk;<£<2Atyä
klaedhija
klaedi 8. S. 391. 393. 397
PI. N. Mädhiju
tdaedhiju
klaedi 8. S. 391. 402
Q. ÄMdÄ/Ö
klaedhjd
Uaeda 8. S. 403
D. Uddhjumr
klaedhjumr
kkudum s. S. 310
A. Jk^äcJAtju
klaedhiju
klaedi 8. S. 391. 402
Ueber die Endsilben der ftltnoidischen Sprache.
46r)
JÄ'Stämme.
Feminina.
Sg. N. angju (prnttim)
eug;«
eng 8. S. 393. 396
G. aJifjjor
e»g/(fr
engjar s. S. 392
D. an^ii
ß'W"
engju s. S. 436. 458
A. angjo
ai^ya
eng s. S. 403
PL N. angjor
^^*ä/<^^'
engjar s. S. 409
G. angjd
ewg/a
engja 8. S. 403
D. angjomr
en^Jwmr
mgjum s. S. 392. 410
A. angjor
eng/ar
engjar s. S. 409
Sg. N. m^niju (manica)
erwii/tt
ermi s. S. 393. 396. 401
G. annjor
errn/ar
erDiar s. S. 392
D. armju
6»7wyi*
ermi s. S. 436. 458
A. armjo
er7w/(^
ei-mi 8. S. 403
PI. N. arwijor
erwyar
ermar s. S. 409
G. armjo
frmjd
&rma s. S. 403
D. amijomr
evmjumr
ermum s. S. 392. 410
A. annjor
ennjdr
ei-mar 8. S. 409
/-Stämme
).
Masculina.
Sg. N. fri^rdr (parfus)
6wrdr
Imrdr 8. S. 411. 427. 429
G. hurdor
burddr
bmdar s. S. 429
D. 6wrde
bürde
burd 8. S. 428
A. 6«ird
burd
burd 8. S. 429
Fl. N. iurder
burder
burdir 8. S. 427
G. fewrdö
burdä
burda
D. hurdumr
burdumr
burdum s. S. 416
A. burdenn
bürden
Feminina.
burdi 8. S. 413
8g. N. «oÄfr (morbus)
sohtr
s6tt 8. S. 411. 427. 429
G. «oÄ^or
sohtär
sottar 8. S. 429
D. «r?Ä<e
sohle
s6tt 8. S. 428
A. «oÄ^
soht
sott 8. S. 429
PI. N. «oAfer
sohter
«6«<r 8. S. 427
G. «oA<ö
sohtd
sotta
D. sohtumr
sohtumr
sottum 8. S. 416
A. sohter
sohter
sdUir 8. S. 427
SttznngBber. d. phil-hiiit. Cl. LXXXYII. Bd. I. Hfl.
30
4G()
Heinzel.
Ü^-Stämme.
1
Masculiua.
Sg. N. vaUur (aimpusj
vöMwr
vö«r 8. S. 421
G. vallSr
t^aUdr
t;a«ar 8. S. 429. 437
D. valli
y^««
velli 8. S. 437
A. vallu
vöWt*
voll 8. S. 421. 456
PL N. mZßr
t?«Kir
vellir 8. S. 437
G. vaUd
vaKa
valla 8. S. 437
D. vallumr
vöWiimr
üöZ/«in
A. vallunn
t?öMim
FemiaiiUL
völlu 8. S. 456
Sg.N. handur (mamis)
Äöndwr
Aönd 8. S. 439
G. handor
Äawd<fr
handar s. S. 429. 437
D. Äand«
AendC
hmdi 8. S. 437
A. handu
AöndM
hönd 8. S. 439
PL N. ÄandtV
Äander
hendr 8. S. 438. 439
G. Aa^ido
Aa7ie{<2
handa 8, S. 437
D. handumr
Aöu(2f{mr
höndum
A. handir
Ae/id/r
hendr 8. S. 438. 439
AW-Stämme.
MascoUna.
Sg.N. Äana (gaUvft)
Aane
hani 8. S. 373
G. hanann
Aawan
hana
D. hanan
Aanan
hana
A. hanan
Aanan
hana 8. S. 371. 443. 450
PL N. Aanann
Aanan
hanar 8. S. 377
G. hanand
Aanci/i(!i
hana 8. S. 382
D. havumr
Äö'nwmr
hönum
A. Aanann
Aanan
Neotra.
hana 8. S. 376
Sg.N. ai/jfo (oculna)
awjf^f
auga s. S. 375
G. augann
ati^a»
auga
D. angan
au^a?i
auga
A. at^^d
aw(7<!c
auga s. S. 375
PL N. augon
au^wi
augu 8. S. 385
G. augnnd
atM/anei
nngna 8. S. 452
D. augumr
aMgriimr
augum
A. augon
£iti<^un
augu 8. S. 385
Ueber dio Endsilben der altnordischen Sprache.
4G7
Sg.N. tungd (lingua)
G. tungonn
D. tungonn
A. tungou
PL N. tungdn
G. tungonö
D. tungömr
A. Uingönn
Sg.N. stadja (incus)
Q, stadjaim
D. stadjan
A. stadjan
PI. N. stadjann
G. stadjano
D. sfadjumr
A. stadjann
Sg.N. andja (finis)
G. andjann
D. andjan
A. andjan
PL N. andjann
G. andjano
D. andjumr
A. andjann
Sg.N. awr/ß (auris)
G. aurjnnn
D. aurjan
A. awr/ö
PL N. ai*r/dn
G. aurjanS
D, aurjumr
A. aurjdn
Feminina.
tungä
tungun
tungun
tungun
tungun
tunguna
tungumr
tungun
JAN'Siäm
Masculina.
stedjan
stetJjan
stedjan
stedjan
stedjmid
stedjumy
stedjan
endje
ttndjan
endjnn
endjan
endjan
endjand
endjumr
endjan
Neutra.
eyrjd
eyrjan
eyrjan
eyrjd
eyrjun
eyrjand
eyrjumr
eyrjun
me.
<tin^a s. S. 375
etin^u 8. S. 384. 452
<un(^?< 8. S. 452
tungu 8. S. 452
tungur 8. S. 385
fungna s. S. 386. 452
tungur s. S. 385
me.
«««(t/ 8. S. 402
stedja 8. S. 409
stedja
sfedja 8. S. 392
stedjar 8. S. 409
stedja
stedjum
stedja
endi s. S. 402
enda 8. S. 409
enda
enda s. S. 392
endar 8. S. 409
enda
endum
enda
eyra 8. S. 408
eyra
eyra
eyra
eyru
eyma
eyi^um
eyru
30*
468
Hei nx6l.
Sg. N. bulgjo (wida)
G. hulgjonn
D. buigjdn
A. hulgjon
PI. N. hulgjonn
G. hulgjono
D. hulgjomr
A. bulgjonn
Feminina.
hylgjd
hylgjun
hylgjun
hylgjun
lylgjun
hylgjund
bylgjumr
hylgjun
Sg. N. Äa-?//6 ( lamina la- hdijd
G. halljonn piden) helljun
D. halljon
A. halljon
PI. N. Äa;//ö/m
G. halljonn
D. halljomr
A. halljonn
Sg.N. /rödi
G. frödinn
D. frodin
A. frodtn
IieUjun
helljun
htlljun
heUjnnd
helljumr
helljun
froedtn
froedin
froedin
froedtn
hylgja s. S. 403
hylgju
hylgju
hylgju
hylgjar s. S. 410
hylgna s, S. 454
hylgjum s. S. 410
bylgjuv 8. S. 410
//öZia 8. S. 403
hellu
hellu
hellur s. S. 410
A^ZZna s. S. 454
hellum s. S. 410
hellur s. S. 410
/roetfi 8. S. 403. 408
froedi s. S. 403
froedi 8. S. 403
froedi s. S. 403
A. d j e c t i V a
^-Stämme.
Masculina.
.spakr
Sg. N. spakAr (sapiens)
G. spakass spakas
D. spakummu spökumu
A. spakanä spakana
PL N. spaker spaker
G. spakaro spakarä
D. spakumr spökumr
A. spakann spnkan
spakr
spaks
spökum 8. S. 429. 452
spakan 8. S. 452
spakir s. S. 426
spakra s. S. 452
spaka
Ueber die EitdHÜbeo der aUnordiai'hen Sprticlie.
46Ü
Neutra.
Sg. N. spakat (sapiens)
»pa/cai
spakt 8. S. 371. 451
G. spakass
^paÄ:a«
«paJ;«
D. spaku
«2?öiwma
«pöiw s. S. 429
A. s])akat
spaiai
spakt 8. S. 371. 451
PI. N. spaku
«pÖÄM
spök
G. spakaro
*paiam
spakra
D. spakumr
Ä-pöÄiMwr
spökum
A. spaku
Feminina.
spök
Sg. N. «paiw (sapiens)
«pöÄw
spök
G- spakaror
ÄpaÄarar
spakrar s. S. 418
D. spakare
spaÄ:are
spakri 8. S. 418. 452
A. «paÄ;6
«paÄ:^:?
«pate 8. S. 373
PI. N. *pai6r
«pafcar
spakar
G. spakaro
spafaim
spakra
D. spakorar
spökumr
spökum
A. spakor
spakdr
spakar
J^-Stäinme.
Masculina.
Sg. N. fragil^ (clarxis)
/rae^V
fraegr s. S. 397. 402
G. /r^^w«
fraegis
fraegs s. S. 409
D, frdgjummu
fraegjumu
fraegjum s. S. 410
A. frdgjanä
fraegjana
fraegjan s. 8. 454
PI. N. fragjer
fraegjer
fraegir
G. frdgjaro
fraegjard
fraegra s. S. 410. 454
D. frdgjumr
fraegjumr
fraegjum s. S. 410
A. frdgjann
fraegjan
Neutra.
fra^gja
Sg.N. frdgjat (darum)
fraegjat
fraegt
G. /rajfw«
fraegis
fraegs 8. S. 409
D. /'«a/w
fraegju
fraegju
A. ß'dgjat
fraegjat
fraegt
Wim. frdgju
fraegju
fraeg
G. frdgjard
fraegjard
fraegra
D. frdgjumr
fraegjumr
fraegjum
A. /mä/tt
fraegju
fraeg
470
Heintel.
Sg. N. fi'd^u (clara)
G. frdgjar&i*
D. frägjare
A. frdgjo
PL N. fi'ägjdr
G. frdgjaro
D. frdgjomr
A. frdgjor
Sg.N. vdnir (pulcher)
G. vdniss
D. vdnjummu
A. vdnjanä
PI. N. mryer
G. vdnjard
D. vdnjumr
A. vdnjann
Feminina.
fraegju
fraegjardr
fraegjare
fraegjd
fraegjdr
fraegjard
fraegjuvxr
fraegjdr
Masculina.
vaenir
vaenia
vaenjumu
vaenjana
vaenjer
vaenjard
vaenjumr
vaenjan
Neutra.
Sg.N. vdnjat (pulchrum) vaenjat
G. vdnns vaenia
D. vdnju vaenju
A. vdnjat vaenjat
PL N. mn/ti vaenju
Q. vdnjard vaenjard
D. vdvjumr vaenjumr
A. t7<£n/ti vaenju
Sg.N. t?<!En;tt (pulchra)
G. vdnjaror
D. vdnjare
A. t?a«y6
PL N. vdnjor
G. vdnjard
D. vdnjomr
A. vdnjor
Feminina.
vaenju
vaenjardr
vaenjare
vaenjd
vaenjdr
vaenjard
vaenjumr
vaenjdr
fraeg 8. S. 402
fraegrar s. S. 410
fraegri s. S. 410
/ra6g/a s. S. 392. 403
fraegjar
fraegra
fraegjum
fraegjar
vaenn B. S. 397. 402
t;a€fi5 8. S. 409
vaenum 8. S. 410
vaenan s. S. 454
t?a«niV
vaenna s. S. 410. 454
vaenum s. S, 410
vaena
vaent
vaens 8. S. 409
vaenu
va£nt
vaen
vaenna
vaenum
vaen
vaen s. S. 402
vaennar 8. S. 410
vaenni s. S. 410
vaena 8. S. 392. 403
vaenar
vaenna
vaenum
vaenar
Uebei die Eodsilbeu der altuordisclien Sprache.
471
Schwache Decl
ination.
MasculinH.
Sg. N. spaka (sapiens)
spake
S2>ftki
G. spakann
spakan
spaka
D. spakan
spakan
spaka
A. spakan
spakan
spaka
PI. N. spakann
spakan
»pöku 8. S. 385.
G. spakano
spakanä
spöku
D. spakumr
spökumr
spökum
A. apakann
spakan
Neutra.
spöku 8. S. 385
Sg. N. «paAo (sapiens)
spakä
spaka
G. spakann
npakan
spaka
D. spakan
spakan
spaka
A. ^aiö
»pakä
spaka
PL N. «/>aftÖH
spökun
spöku s. S. 385
G. spakano
spakanä
spöku
D. spakumr
spökumr
spökum
A. s-pakon
spökun
spöku 8. S. 385 •
Sg. N. »paÄo (sapiens)
spakä
spaka
G. spakonn
spökun
spöku
D. spakon
spökun
spöku
A. spakdn
npökun
spöku
PL N. »pakonn
spökun
spöku 8. S. 385
G. spakono
spökund
spöku
D. spakdmv
spökumr
spökum
A. spakdnn
spökun
spöku 8. S. 385
Ve r b
a.
Pra. Ind.
il-Stämme.
Sg. 1. /artt (veh&r)
/oru
fer 8. S. 374
2. /anr
/enr
ferr 8. S. 416
3. /and
/^•id
ferr s. S. 416
PL 1. /art«m
/örww
forum
2. /arcd
fared
farid 8. S. 379. 451
3. farann
faran
fara
472
Hei D2e!.
Pre. Opt.
Sg. 1. färb
/am
fara 8. 8. 429
2. fctrer
/arer
farir
3. fare
/are
fari 8. S. 427
PL 1. farem
/arewi
farim
2. fared
/a?-ed
farid
3. faren
/ar«»
fari 8. S. 427
Pra. Imp.
Sg. 2. /ar
/ar
far
PI. 1. farum
/örwm
forum
2. /arerf
fared
farid
Pf. Ind.
Sg.l./6r
for
ßr
2. /Ol«
f(yrt
fort
3. ßr
for
/f
PI. 1. /onim
forum
forum
2. /oi-ttd
forud
forud
3. forun
forun
foru
Pf. Opt
Sg.l. /Örjo
foerjd
foera 8. S. 395. 400f. 403
2. /örCr
foerir
foerir s. S. 420
3. /Ör«
foeri
foeri 8. S. 414
PI. 1. f6Am
foemm
foerim
2. /md
foemd
foei'id
3. förin
foerin
foeri 8. S. 414
Inf.
faran
faran
fara s. S. 377. 443
Part. Prs.
faranda
faranJe
farandi s. S. 444
Part. Pf.
fareiiAr
favtnr
farinn s. S. 378. 392
Ptb. Ind.
J4-Stämme.
Sg. 1. faTw/w (dmno)
teniju
tem s. S. 392. 401
2. tonu'/'
temir
tenir s. S. 416
3. tamid
teniid
temr s. S. 416
PI. 1. tamjnm
temjnm
temjum s. S. 392. 410
2. tamjed
temjed
temid 8. S. 409
3. tamjann
ternjan
temja
üeber die Endnilbeii d4?r altuordischen Sprache.
473
Prs. Opt.
Sg. 1. tamjö
tenijd
temja s. S. 436
2. tamjer
temjer
temir
3. tamje
temje
temi
PL 1. tamjem
temjem
temim
2. tamjed
temjed
temid
3. temjen
temjen
temi
Prs. Imp.
Sg.2. tami
temi
tem 8. S. 394
PI. 1. tainjum
temjum
temjum
2. tamjed
temid
temid
Pf. Ind.
Sg. 1. «amidö
tamdd
^ , 8. S. 374. 387. 413.417.
tamaa 420
2. tamiddr
tamder
tamdir s. S. 384. 452
3. tamida
tamde
tamdi 8. S. 372. 374. 387
PL 1. tamidom
tönidum
tömdum
2. tamidod
tömdud
tömdud 8. S. 384
3. tamidon
tomdun
tömdu 8. S. 376. 384. 443. 456
Pf. Opt
Sg. 1. tamidjo
temdjä
temda 8. S. 403. 417
2. tamidtr
temdir
temdir
3. towid«
temdi
temdi
PL 1. tamidim
temdim
temdim
2. tamidid
temdid
tfmidid
3. tamidin
temdin
temdi
Inf.
'
farn/aw
temjan
temja
Part. Prs.
tom/anda
temjande
temjandi 8. S. 410. 454
Part. Pf.
<amidi4r
tamdr
tamdr s. S. 413. 417
Pra. Ind.
Sg. 1. domiju (iudico)
doemiju
doemi
2. domir
doemtr
doemtr
3. dömed
doemul
doemir
PL 1. ddmjum
doemjum
doemum
2. domjed
doemjed
doemid
3. danijann
doemjan
doema
474
Heiuzel.
Prs. Opt.
Sg. 1. d6mjd
(2oetn;(:£
doema
2. domjer
do^«*
doemir
3. ddmje
doewy«
doemi
PL 1. domjem
doemjem
doemim
2. domjed
doemjed
doemid
3. dörnjeii
doemjen
doemi
Prs. Imp.
Sg.2. domi
doeml
doem
PI. 1. domjum
doemjum
doemum
2. domjed
doemjed
doemid
Pf. Ind.
Sg. 1. rfSmidÖ
doemidä
doemda
2. ddmidär
doemider
doemdir
3. ddmida
doemide
doemdi
PI. 1. dömieWm
doemidum
doemdum
2. domidU
doemidud
doemdud
3. domidon
doemidun
doemdu
Pf. Opt
Sg.l. dSmidjo
doemidjd
doemda
2. ddmidir
doemidir
doemdir
3. d6mi(2t
doemidi
doemdi
PI. 1. dömidm
doemidtm
doemdim
2. domidtd
doemidtd
doemdid
3. domidtn
doemidin
doemdi
Inf.
rföwyan
doemjan
doema
Part. Pr».
domjanda
doemjande
doemandi
Part Pf.
d6mid-4r
doemidr
doemdr
il/-Stämme.
Prs. Ind.
Sg. 1. rafce (vigilo)
vake
vaki 8. S
2. raier
vakcr
vakir
3. vaĀd
vaked
vakir
PI. 1. vaiem
vakem
vökum
2. vai^d
vaked
vakid
3. vakenn
vaken
vaka
üeber die Eiidailben dar altnordischen Sprache.
475
Pre. Opt.
Sg. 1. vakd
m&d
vaka
2. vaker
vaker
vakir
3. vake
vake
vaki 8. S. 428
PI. 1. vakem
vakem
vakim 8. S. 434
2. vaked
vaked
vakid
3. vaken
vaken
vaki 8. S. 428
Prs. Imp.
1^.2. vake
vake
vaki 8. S. 426
PI. 1. uaA^m
vakem
vökum
2. vofccd
vaked
vakid
Pf. Ind.
Sg. 1. vakedÖ
vaktd
vakta 8. S. 434 f. .
2. vakedär
vakter
vaktir
3. vakeda
vakte
vakti
PI. 1. üatedom
vöktum
vöktum
2. vakeddd
vöktud
vöktud
3. vakeddn
vöktun
vöktu
Pf. Opt.
Sg. 1. vakedjo
vektjä
vekta 8. S. 403. 434 f.
2. mied«;-
vektir
vektir
3. uaÄedJ
vektt
vekti
PI. 1. i;dked«m
veküra
vektim
2. vakedtd
vektU
vektid
3. vakedin
vektin
vekti
Inf.
t;aÄ:en
vaken
vaka
Part. Prs.
t?aX:en(2a
vaJcende
vakandi
Part. Pf.
vaiedilr
vakedr
vakat
Pr». Ind.
-4-Stämme.
Sg. 1. kalld (adpello)
kalld
kalla 8. S. 373
2. kall&r
kalldr
kallar
3. kalldd
kalldd
kallar
PL 1. fcaZZow
köllum
köllum 8. S. 384
2. AaKÖd
kalldd
kallid 8. S. 384
3. Aa«ö/in
kalldn
kalla 8. S. 384
476
Prs. Opt.
Sg. 1. kalld
2. kaller
3. kalle
PL 1. kaltem
2. kalled
3. kauen
Prs. Imp.
Sg.2. kalld
PL 1. kallom
2. kallöd
Pf. Ind.
sg.i.
2.
3.
1.
2.
3.
PI
Pf. Opt.
Sg.l.
2.
3.
1.
2.
3.
PL
Inf.
Part. Prs.
Part. Pf.
kallodd
kallöddr
kalloda
kallodom
kallodöd
kallodon
kallddjd
kallddtr
kallddi
kallddim
kallddid
kallddtn
kalldn
kalldnda
kallddAr
Heinzel.
kalld
kalla 8. S. 430
kallei'
Icallir
kalte
kalli
kaltem
kallim
kalled
kallid
kalten
kalli
kalld
kalla 8. S. 373
köllum
köllum
katldd
kallid 8. S. 384
kattddd
kallada
kalldder
kalladir
katldde
kaltadi
kölluduni
kölludam s. S. 386. 452
kölludud
kölludud
kölludun
kölludu
kallddjd
kallada s. 8. 403
kaltddir
kalladir
kallddi
kalladi
kallddim
kalladim
kallddid
katladid
kallddtn
kalladi
kalldn
kalla 8. S. 384
kalldnde
kallandi s. S. 386
kallddv
kalladr
üeber dio Endsilben der aUnorditcben Sprache. 477
Inschriften der ersten und zweiten Periode.
Für die erste Periode wurden folgende Inschriften be-
nützt. Wenn nichts besonderes angegeben, sind es Inschriften
auf Stein.
Berga, Schweden, Södermansland.
saligastiR flno — Stephens The oldnoiihern runic monuments
London 1866, 1, 176. 2, 886, Bugge Tidskrift for philo-
logi og paedagogik 7, 244. 313, Wimmer Aarböger for
nordisk Oldkyndighed 1867 S. 53, Runeskriftens oprin-
delse S. 137.
Bell and, Norwegen, Lister.
. . . R kethan — Stephens 1, 261, Wimmer Runeskriftens
oprindelse S. 137.
Bö, Norwegen, Stavanger.
hnabdas hlaira — Stephens 2, 846, Bugge Tidskrift 7, 320.
Bratsberg, Norwegen, Tronjem.
thaliB — Stephens 1, 267, Bugge Tidskrift 7, 247. 8, 166,
Wimmer Aarböger 1867 S. 54.
Dalby (Strarup), Dänemark, Südjütland, auf einem Diadem.
lathro — Stephens 1, 283, Wimmer Aarb<%er 1867 S. 55.
Einang, Norwegen, Valdres.
dagaR thaB runo faihido — Bugge Forhandlinger i norske
videnskabs selskabet i Christiania 1872/73 S. 319.
£telhem, Schweden, Gotland, auf einer Spange.
mk mrla wrta — Stephens 1, 182, Bugge Tidskrift 7, 246.
8, 197, Wimmer Aarböger 1867 S. 56.
Gallehuus, Dänemark, Nordjütland, auf einem Hom.
ek hlewagastiR holtingaR horna tawido — Stephens 1, 320,
Dietrich Die Blekinger Inschriften S. 28, Bugge Tidskrift
7, 215. 312. 8, 187, Wimmer Aarböger 1867, S. 34. 51.
478 ir«inzel.
Himlinghöjß, Dänemark, Seeland, auf einer Spange.
hariso — Stephens 1, 297, Dietrich Germania 10, 296, Bugge
Tidskrift 7, 251. 8, 198, Wimmer Aarböger 1867 S. 55.
Krogstad, Schweden, Upland.
Nur stainaü ist deutlich. — Stephens 1, 184, Bugge Tidskrift
8, 167, Forhandlinger i videnskabe selskabet i ChriatiaDia
1872/73 S. 327, Aarböger 1871 S. 197, Wimmer Rudc-
skriftens oprindelse 106. 137. 181.
Lindholm, Schweden, Skon^, auf einem Amulet.
ek erilaR s»! lagaB hateka — Stephens 1, 219, Wimmer
Aarböger 1867 S. 38. 53, Runeskriftens oprindelse 145,
Bugge Aarböger 1871 S. 187, 1872 S. 194.
Orstad, Norwegen, Stavanger.
hlligaB snraln — Stephens 1, 258, Wimmer Aarböger 1867
S. 29. 53, Runeskriftens oprindelse S. 182.
Reidstad, Norwegen, Lister.
Nur InthingaR^ wraita ist deutlich — Stephens 1, 256, Bugge
Tidskrift 8, 172. 307, Wimmer Aarböger 1867 S. 53,
Runeskriftens oprindelse S. 179. 181.
Stenstad, Norwegen, Thelemark.
igingon halaB — Stephens 1, 254, Bugge Tidskrift 7, 250.
8, 176, W^immer Aarböger 1867 S. 53, Navneordenes böj-
ning S. 45. 119, Runeskriftens oprindelse S. 137.
Tan um, Schweden, Bohuslen.
thrawingan haftlnaB was — Stephens 1, 196, Bugge Tid-
skrift 7, 248. 361. 8, 197, Wimmer Runeskriftens oprin-
delse S. 138.
Thorsbjerg, Dänemark, Südjütland, auf einem Beschläge.
Deutlich ist nur thewaB, mariB — Stephens 1, 295, Wimmer
Aarböger 1867 S. 53, Runeskriftens oprindelse S. 92 An-
merkung, Bugge Tidskrift 8, 180, Forhandlinger in ri-
denskabs selskabet i Christiania 1872/73 S. 316.
Tomstad, Norwegen, Lister.
... an waruB - Stephens 1, 264. 2, 841, Bugge Tidskrift
8, 179.
Ueber die Eiidsilban der altnordischen Sprache. 479
Tune, Norwegen^ Smaalenene.
1. ek wiwaB after wodnride wltadahalAiban worahto . . .
2. arbinga singosteR arbingano thningoB dobtriB dalidan
[afteJR wodorlde stafna — Stephens 1, 247^ Muoch
Äarsberetning fra foreningen til norske fortidsmindesmaer-
kers bevaring 1856, Uppsti^öm Nova acta regiae societatis
Upsaliensis 1858 S.351, Dietrich Die Blekinger Inschriften
S. 22, Bugge Tidskrift 7, 225, 312. 8, 189, Wimmer
Aarböger 1867 S. 37. 51. 54. 56. 57. 60, Navneordenes
böjning S. 41, Runeskriftens oprindelse S. 133.
Vaeblungsnaes, Norwegen, Romsdal.
eirilaK wiwila — Stephens 1, 274, Bendixen und Bugge Aar-
böger 1872 S. 189.
Valsfjord, Norwegen, Fose.
hagnstaldiR tbewaB godagas oder hagnstaldaR — Bugge
Forhandlinger i videnskabs selskabet i Christiania 1872/73
S. 319.
Varde, Dänemark, Jütland, auf einem Bracteaten.
niawila — Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 180.
Varnum, Schweden, Vermland.
[a]baB bite harabanaR [wl]t iah ek erilaR rnnoR waritn
— Stephens 1, 216, Bugge Tidskrift 7, 237, 360. 8, 196,
Wimmer Aarböger 1867 S. 38 Anmerkung, 53. 56, Rune-
skriftens oprindelse S. 140.
Für die zweite Periode:
Björketorp, Schweden, Bleking.
ntharabasba saR that barntR nti eB wela dande haera ma-
lansR ginarnnaR aragen falah ak hadR oag haidRrn-
noronii — Stephens 1, 165, Dietrich Die Blekinger In-
schriften S. 6, Hofmann Sitzungsberichte der Münchener
Akademie 1866, 2, 119, Bugge Tidskrift 7, 323. 8, 198,
Wimmer Aarböger 1867 S. 56. 58. 59, Runeskriftens
oprindelse S. 170.
Gommor, Schweden, Bleking.
stathatbr in der ersten Zeile ist zweifelhaft, dann säte hathn-
WOlafa — Stephens 1, 206, Dietrich Die Blekinger In-
480 Heinzel.
Schriften S. 21, Hofmann Sitzungsberichte 1866, 2, 126,
Bugge Tidskrift 7, 347, Wimmer Aarböger 1867 S. 54.
Istaby, Schweden, Bleking.
afAtR hariwnlAfA hathuwnlAfB haernwalAflB vArait rn-
naB thaiaR — Stephens 1, 173, Dietrich Die Blekinger
Inschriften S. 19, Hofmann Sitzungsberichte 1866, 2, 116,
Bugge Tidskrift 7, 314. 8, 198, Wimmer Aarböger 18G7
S. 38. 51. 54. 56.
Stentofte, Schweden, Bleking.
Deutlich ist bordnmR, gestumr, hathuwoIafR gaf hariwolafB«
hideRrnngno^ ginoronoR abarintith, s. Björketorp, —
Stephens 1, 169, Munch Annaler for nordisk oldkyndighed
1848 S. 281, Dietrich Die Blekinger Inschriften S. 13,
Hofmann Sitzungsberichte 1866, 2, 119, Bugge Tidskrift
7, 323. 8, 200. 308, Aarböger 1872 S. 196, Wimmer Aar
böger 1867 S. 59, Runeskriftens oprindelse S. 170.
Tjörkö, Schweden, Carlscrona, auf einem Bracteaten.
Deutlich ist thnrte (wurte!) VunoR, heldaR kunimndiii —
Stephens 2, 539, Bugge Tidskrift 7, 247. 348.
Gegen Bugge's Deutung der ältesten Runen richtet
sich zum Theil der Aufsatz 6islason*s, Aarböger 1869
S. 35 ff. Ueber beide hat Möbius referiert KZs. 18, lo3.
19, 208.
Für die dritte Periode hebe ich nur hervor:
Helnaes, Dänemark, Fünen.
rhualfR sati stain iinRaknthi aft knthnmat bruthnrsnnn
sin trukenathn . . . AvaiR fathi — Stephens 1, 338,
Wimmer Runeskriftens oprindelse S. 230.
Sölvesborg, Schweden, Bleking.
ruti wai . . . Asmut sunu sin — Stephens 1, 192, Bugge
Tidskrift 7, 349. 8, 201. 308, Wimmer Runeskriftens oprin-
delse S. 184.
üaber die BndsUbaa dar altnordischen Spraokt. 48 1
Inhalt.
Einleitang 3^3
Tabelle za den drei Perioden 346
A —
J^ 362
^ 368
^ 862
^^ 364
JAI 306
AU _
ErlSnternng^en zu Periode I 368
A A nrsprünglich in letzter Silbe.
Kurz A —
Lang A .^ 372
Vorbemerkung über A und Ä —
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A. Nach Anslantgesetz in letzter Silbe 876
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe 382
Lang A, Nach Ansiautgesetz in letzter Silbe 384
Nach Anslantgesetz vor der letzten Silbe 386
Excurs über A und A in den übrigen gormanischen Sprachen . . . . —
JA Vorbemerkung über JA und JA 391
JA ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JA 397
Excurs über die masc. Ja-Stämme 398
Lang JA 400
Excurs über die jd- und jdnStämme 403
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Knrz JA. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 409
Nach Anslantgesetz vor der letzten Silbe 410
Lang JA, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzen Silbe —
/ / ursprünglich in letzter Silbe.
Excurs über kurzes % letzter Silbe 411
Lang / 414
Sitsnagsber. d. phil.-bist. Ci. LXXXVII. Bd. I. Hft. 31
482 HtlmtL
8«lte
/ urspränglich vor der letzten Silbe.
Kurz /. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 415
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe 416
Excurs über die erste schwache Conjngation 418
Lang /. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 420
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe 421
U U ursprünglich in letzter Silbe —
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
Excurs über la, »ö 422
AI AI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz AI 426
Lang AI 429
Kxcurs über die vorgermanischen Endungen ai, 6i 432
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 434
Nach Auslautgesetz vor de? letzten Silbe —
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Lang AI. Nach Ansiautgesetz in letzter Silbe 435
JAI JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JAI —
Lang JAI 436
JAI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JAL Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 437
AU AU ursprünglich in letzter Silbe —
Excurs über die consonan tischen Stämme 438
Erläuterungen zu Periode II 441
Vorbemerkung über die Umlaute —
A A ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz A 442
Lang A ***
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe 444
Lang A. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 445
Nach Auslantgesetz vor der letzten Silbe —
JA JA ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JA "~
Laug JA -Wß
Utber di« BniUllbts d«r »Itooirdiiehda Bpraelid. 483
8«lt«
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA, Nach Aoslautgesetz in letzter Silbe 446
Nach AuBlautgesetz vor der letzten Silbe —
Lang JA, Nach Aaslaatgesetz in letzter Silbe —
Nach Aufllantgesetz vor der letzten Silbe —
1 J ursprünglich in letzter Silbe.
Lang I .447
1 ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz i. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
Lang 7. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
ü ü ursprünglich in letzter Silbe 448
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
AI AI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz AI ^ —
Lang AI —
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 449
Lang AI, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
JAl JAI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JAI —
Lang JAI —
JAI ursprünglich vor der letzton Silbe.
Kurz JAI. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
AU AU ursprünglich in letzter Silbe 460
Zusammenfassung —
Erläuterungen zu Periode III —
A A ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz A —
Lang A 461
A ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz A, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe 462
Lang A, Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
JA JA ursprünglich in letzter Silbe.
Kur* JA 463
Lang JA "-
31»
484 H «in sei. üeb«r die En<lnlb«n d«r aUnordlMhen Sprache.
Seit«
JA ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JA* Nach Auslantgesetz in letzter Silbe 453
Nach Aaslautgesetz vor der letzten Silbe 454
Lang JA. Nach Aaslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
1 I ursprünglich in letzter Silbe.
Lang / —
I ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz 7. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 455
Nacli Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
Lang 7. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
U U ursprünglich in letzter Silbe 456
U ursprünglich vor der letzten Silbe.
Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
Nach Auslautgesetz vor der letzten Silbe —
Excurs über w der Ableitung und Endung —
AI AI ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz AI ^. 457
Lang AI —
AI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz AI Nach Auslautgesetz in letzter Silbe 458
Lang AI. Nach Auslautgesetz in letzter Silbe —
JAI JÄT ursprünglich in letzter Silbe.
Kurz JAI —
Lang JAI —
JAI ursprünglich vor der letzten Silbe.
Kurz JAI 459
AU AU ursprünglich in letzter Silbe —
Zusammenfassung —
Paradigmen zu den drei Perioden 46.5
Inschriften der ersten und zweiten Periode 47 1
Kaltenbrunner. Die Polemik «ber die Oregoriuiisehe Kalenderrefonii. 485
Die Polemik über die Gregorianische Kalender-
Reform.
Von
Dr. Ferdinand Kaltenbrunner,
Priratdocent an der Universit&t 6rax.
Jahrhunderte hindurch war der Ruf nach Verbegserung
des Julianischen Kalenders von Mathematikern und Theologen
erhoben worden. £inige Male schien eS; als ob die Reform
verwirklicht werden sollte; doch stets scheiterte sie entweder
an den äusseren Verhältnissen oder an den ihr anhaftenden
inneren Schwierigkeiten. Endlich unter Qregor XÜI. glaubte
man die letzteren überwinden zu können, und mit grosser
Energie wurde nun die Reform von diesem Pabste durch-
geführt. Aber damals lagen die äusseren Verhältnisse für ein
solches Werk möglichst ungünstig. Die Kirchenspaltung war
unheilbar geworden, Katholiken und Anhänger der neuen Lehre
standen sich nach sechzigjährigem Kampfe noch unermattet
gegenüber, stets bereit zur Abwehr gegen jeden Oedanken, der
aus dem feindlichen Lager kam. In solchen unruhigen Zeiten,
in denen die Gemüther aufs höchste erregt und erregbar sind,
ist kein Platz für eine gemeinnützige That: denn einerseits
drückt der Urheber unwillkürlich derselben den Stempel seiner
Oeistesrichtung auf, und andererseits übersieht der Gegner nur
allzttleicht ihren wahren Charakter und Werth und stösst sich
entweder an den sie begleitenden Nebenumständen, oder was
noch schlimmer ist, er sieht von der Sache ab und bekämpft
nur ihren Urheber. Dieses Schicksal nun hatte die Kalender-
reform Gregor XIII. Es wird heute Niemandem beifallen, aus
dem Kalender eine Glaubenssach^ zu machen und die Zeit-
rechnung in irgend einen Zusammenhang mit confessionellen
oder religiösen Dingen zu bringen. Von unserem Standpunkte
aus müssen wir daher die Durchführung der höchst nöthigen
486 Kaltenbrumnar.
und längst gewünschten Reform als gemeinnützige That an-
sehen, deren Vortheile wir noch heute geniessen. Diese Auf-
fassung aber hatten die Menschen des sechzehnten Jahrhunderts
nicht. Man wird nicht leugnen können, dass Gregor XIII.^
als er mit der Bulle hinter gravissimas^ einen neuen Zankapfel
in die Welt schleuderte, zunächst nur die Katholiken im Auge
hatte; so ging der neue Kalender, mit dem Fluche confessioneller
Autorschaft beladen, in die Welt hinaus. Und daraus erklärt
sich von selbst die heftige Opposition der Gegenpartei, deren
Gründe uns allerdings nicht stichhältig sein können, ja die uns
unbegreiflich und thöricht erscheinen, wenn wir uns nicht auf
den Standpunkt jener Zeiten zurückversetzen.
Bekanntlich wurde der Streit erst endgültig durch König
Friedrich IL von Preussen beendet. Doch indem ich hier die
Polemik über die Kalenderreform behandeln will, ist es nicht
meine Absicht, die Erzählung so weit auszudehnen; ich be-
schränke mich auf den unmittelbar nach der Kalenderreform
zwischen Theologen und Mathematikern der beiden Parteien
ausgetragenen Kampf, und setze als Grenze die officielle Ver-
theidigung des Kalenders durch Clavius. In der That lässt
sich hier ein Abschnitt machen, denn weiter hinaus verliert
einerseits der Kampf an Lebhaftigkeit und Intensität, anderer-
seits handelt es sich im ferneren Verlaufe nicht darum, warum
der Kalender fehlerhaft und unannehmbar sei, sondern darum,
wie eine Einigung erzielt werden könnte. — Es wird bei einer
solchen Arbeit nicht auffallen, wenn sich der Verfasser ent-
schuldigt, nicht alles, was er wollte, geleistet zu haben. Meist
handelt es sich da um schwer zugängliche Bücher, und obwohl
es mir vergönnt war, in Wien und Berlin die Bibliotheken be-
nützen zu können, und obwohl ich wegen einzelner Werke
auch in München nachfragte, so habe ich doch lange nicht
das Material erschöpft. Von den mathematischen Schriften habe
ich allerdings bis auf eine sämmtliche mir bekannt gewordenen
benützen können. Grosse liücken dagegen muss ich bei den
theologischen Tractaten constatiren. Mit wenigen Ausnahmen
glaube ich jedoch diesen Mangel nicht sehr beklagen zu müssen;
es konnte sich ja doch nur darum handeln, Specimina anzu-
führen und zu besprechen. Eine Darlegung aller dieser Schriften
x^ürde ohne Zweifel ermüden und kaum Neues bringen; denn
Die Polemik ftber die Gregoriftnisehe Kalenderreform. 487
auch die grösstc Phantasie kann über einen GegenBtand nur
eine bestimmte Anzahl von Argumenten ins Feld fuhren^ und
dass in der Kalenderfrag^e die Einbildungskraft der Theologen
Grosses geleistet hat, wird sich schon aus den hier besprochenen
Tractaten ergeben. Zur grösseren Verständlichkeit mancher auf-
geworfener Streitfragen habe ich es fiir nöthig erachtet, auch
kurz das Wesen der Reform selbst einer Betrachtung zu unter-
ziehen, und die politischen Verhandlungen über die Kalender-
angelegenheit flüchtig zu berühren. Zu letzterem habe ich
umfangreiches Material des Haus-, Hof- und Staats -Archiv es
in Wien benützen können. So sehr diese interessanten und
bisher völlig unbeachteten Acten zu einer weitläufigen Bearbei-
tung verleiteten, so musste ich doch davon abstehen, da es
nicht in den Rahmen der vorgesetzten Arbeit gehört.
I. Vorarbeiten und Pnblication der Kalenderreform.
Trotz mehrfacher Aufforderung* hatte das Concil von
Trient keinen Beschluss über die Verbesserung des Kalenders
gefasst, wohl aber hatte es in seiner letzten Sitzung am 4. De-
cember 1563 dem Pabste die Reform des Brevier's und Missal's
aufgetragen, 2 und es lag nahe, dass bei der Ausführung dieses
Canon auch der Kalender mit einbezogen wurde, war und ist
doch das Calendarium perpetuum ein Bestandtheil des Breviers.
In der That ist auch in der im Jahre 1568 erschienenen neuen
Ausgabe desselben ^ eine Verbesserung am Kalender angebracht.
Dieselbe besteht darin, dass man die Numeri aurei entsprechend -
dem damaligen Fehler des Mondcyclus um drei Tage zurtick-
rückte und ausserdem bestimmte, dass in je 300 Jahren ein
Bissextus eingeschaltet werden solle. ^
' Vergl. meine Abhandlung: Die Vorgeschichte der Gregorianischen Kalen-
derreform. Wiener Sitzungsberichte. B. 82. pag. 402 u. ff.
2 Theiner, Acta Oenuina concilii Tridentini, Tom. II. pag. 5()ö.
' Breviarium Romanum ex decreto concilii Tridentini reiititntum Pii V, juflsn
editum. Rom. P. Madrucius 1668. (Ueber die weiteren Ausgaben vergl.
Bmnet, Manuel du Libraire.)
* In dem Compntns, welcher nach alter Sitte dem Brevier vorgestellt ist,
und für den das Jahr 1568 als annus praesens gilt, findet sich folgende
Stelle: ,Vernm, qnia aureus numerus propter quasdam temporis minutias,
qnibns lunaris cjrclus cum solari cursu non cong^nit, multis abhinc annis
488 Ealt^nbrunner.
Dies ist einerseits so unvollständig und primitiv, anderer-
seits so sinnlos, 1 dass man auch in Rom nicht daran denken
konnte, damit das lang besprochene Problem gelöst zu haben^
und so können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass der
acT inveniendam novam Innam non deserrit, nisi per qninque (sie) dies
illis sjrllabifl, in quibus est hie contentuB, retrocedatnr ab eo loco, ubi in
calendario positus est, ideo ad eum reductus est locam, qui diem con-
junctionis lunae cum sole demonstrat. Ne autem in fatnruin, nt prius,
a loco sno dimoveatnr, sin^lis trecentis annis unns dies intercalandas
erit, quod fieri incipiet MDCCC/
Unvollfltfindig ist diese Massregel, weil man den anf 10 Tage ange-
wachsenen Fehler des Sonnenjahres ganz anberücksichtigt Hess, primitiv,
weil man für die Correctur des Mondcyclus eine Form gewählt hatte,
welche schon Computisten des 13. Jahrhunderts vorgeschlagen hatten,
welche aber nun tief unter dem Niveau der von da ab in der Frage der
Kalenderverbesserung gemachten Fortschritte stand. Sinnlos aber ist
sie, weil die Einschaltung eines Tages in je 300 Jahren — abgesehen
davon, dass sie den Fehler des Julianischen Jahres um mehr als V:^
des bisherigen Betrages vergrösserte — ja auch in Bezug auf die Neu-
monde gerade das Gegentheil des Beabsichtigten bewirkt hätte. Denn
die 19 Julianischen Jahre des Mondcyclus sind schon länger als die in
ihnen enthaltenen 236 Mondmonate; es g^lt daher entweder die Sonnen-
jahre zu verkürzen, oder die numeri aurei abermals um 1 Tag zurück-
zurücken. Schaltete man aber 1 Tag ein, so traten ja die ihre Stellang fix
einnehmenden Numeri aurei noch um 1 Tag zurück, d. h. die Neumonde
fielen noch um 1 Tag später als bisher, während sie doch umgekehrt
um 1 Tag früher angezeigt werden sollen. Auch aus einem dritten Grunde
war diese Massregel thöricht. Der Computus gibt die Anleitung zur Oster-
bestimmung; wollte man aber nun aus den numeris aureis des Brevier's
die Ostervollmonde berechnen, so gerieth man in vielfachen Conflict mit
der kirchlichen Ostertafel, die ja noch inmier die alte blieb. Es konnte
sich in allen Jahren des neunzehnjährigen Cyclus eine Differenz von
8 Tagen zwischen beiden Ansätzen ergeben; ja in den numeris aureis
XVI und y eine von 4 bis 6 Wochen, denn im Julianischen Kalender
sind dies die frühesten termini paschales (21. und 22. März). Diese um
3 Tage zurückgerückt, ergibt den 18. und 19. März, welche als vor dem
angeblichen Aequinoctium stehend, nicht zur Ostergrenze taugten; man
musste also um 1 Monat weiter gehen und erhielt den 16. und 17. April
als terminus paschalis. — Man scheint in Rom sich auch nicht viel auf
diese Reform eingebildet zu haben; das beweist schon das bescheidene
Plätzchen, welches man ihr im Computus einräumte, wo sie denn in der
That bisher unbeachtet schlummerte. Nach der Gregorianischen Kalender-
reform wurde auch schon im Jahre 1687 durch Sixtus V. eine neue Aus-
gabe des Brevier's veranstaltet, in welcher Computus und Calendarium
derselben entsprechend abgeändert sind.
Die PolMBft Aber di« Oregoriuiisek« Kalenderreform. 489
Wunsch nach Reform, der sich unter Pius V. in so wenig
zutreffender Weise manifestirt hatte, auch seinen Nachfolger
Gregor XIII. beseelte. Aber mehr können wir nicht annehmen
— wir haben keine Nachricht, dass von ihm jemand angeregt
worden wäre, abermals an die Lösung des Problems zu gehen.
Inzwischen aber arbeitete ein Arzt in 8üditalien — Aloisio
Lilio^ — 10 Jahre daran, einen Cyclus zu construiren, der
möglichst dem alten adaequat, doch so viel verjüngende Kraft
in sich selbst besitzt, auch für die kommenden Zeiten Gültig-
keit zu haben. Es war dem Manne nicht beschieden, die
Flüchte seiner Arbeit reifen zu sehen; er hinterliess das fer-
tige Manuscript seinem Bruder Antonio, der dasselbe bei der
päbstlichen Curie einreichte mit der Bitte, es prüfen zu lassen
und das Privilegium zum Druck zu ertheilen. Gregor XIII.
legte die Arbeit gerade in Rom anwesenden Mathematikern
vor, und unter ihnen war schon Clavius, der fortan die Seele
des Unternehmens wurde; auch Vincentio Laureo wird uns
namentlich angeführt.
Wir haben über diese Vorgänge sehr magere Nachrichten ;
selbst Pietro Maffei in seinen Annali di Gregorio XIII.,'^ der
über die Einführung des Kalenders in den einzelnen Ländern
werthvolle Aufschlüsse gibt, berichtet über die Vorgänge in
der Commission sehr wenig. In derselben waren ausser den
beiden schon genannten Männern der Cardinal Sirlet, der
nach Ranke 3 den grössten Einfluss auf die Sache ausübte,
dann der Spanier Ciaconius und Ignazio Danti; doch wissen
wir nicht, ob dieselben gleich zu Anfang von Gregor berufen
< Ueber die Lebensumstfinde des Mannes besitzen wir äusserst spärliche
Notizen. Selbst sein Geburtsort wird vernchieden angegeben. Jedoch ist
di^ Angabe des Cardinal Noris (Tratato sopra il cicle Ravennate) und
Riccioli*B (Almagesturo Novum), dass er ein Veronese sei, nicht haltbar
gegenüber Clavius (Rumani Calendarii Explicatio) und Pietro Maffei
(Annali di Gregorio XIII.), welche ihm Ziro in Calabrien als Geburtsort
zuweisen. Dem stimmen auch Neuere bei, so Tiraboschi (Storia d. letter.
Ital. VII. 1. pag. 390) und die Biographie Universelle.
^ Pietro Maffei: Degli Annali di Gregorio XIII. dati in luce da Carlo
Cocquelines. Rom 1742. Tom. II. pag. 270.
3 Ranke: Die Römischen Päpste I. 428. Dafür spricht auch, dass dem
Cardinal mehrere anlässlich der Reform abgefasste Schriften gewidmet
wurden.
490 KftlteBbrunnvr.
oder erst im Laufe der Jahre beigezog^n wurden, als der Plan
gereift war, auf Grund des Vorschlages Lilio's den Kalender zu
reformiren. 1577 hatte Antonio das Werk eingereicht und
Anfang 1578 war es zu Rom entschieden, dass Aloisio Lilio
unter die Unsterblichen eingereiht werden solle. Das Werk
Lilio's wurde nicht gedruckt, sondern seine Prüfung und Be-
nützung fand am Manuseripte statt. Dagegen wurde daraus
ein Auszug gemacht, und derselbe den katholischen Fürsten
und Universitäten zur Begutachtung überschickt. Als Grund
dieses Vorgehens wird von Gregor selbst der Wunsch ange-
geben, das Reformwerk möglichst zu beschleunigen.
Dieser Auszug fuhrt den Titel: ,C*ompendium novae ra-
tionis restituendi Kalendarii' und wahrscheinlich wurde auch
er nur handsehriftlich versandt, denn ich finde nii^ends eine
Nachricht über seinen Druck, und auch nur in diesem Falle
hat es einen Sinn, wenn (Mavius in der Vorrede zu seiner
,Expl]catio' schreibt, er habe das Compendium seinem Werke
vorgesetzt, ,tum ut apud posteros eins (Lilii") memoria relin-
quatur, tum vero maxime, ut omnibus pateat, quid in eo ab
iis, quibus cura commissa fuit Kalendarii emendandi, muta-
tum sit^
Betrachten wir nun das Compendium, so erweist sich das
Werk Lilio's nicht angethan, dass auf Grund desselben sogleich
die Reform hätte vorgenommen werden können. Seine Haupt-
bedeutung liegt in dem Epactencyclus, der ohne Zweifel die beste
Art der Mondrechnung angibt^ die bisher aufgestellt worden
war. Im Uebrigen ist die Arbeit ganz so, wie alle früheren
Tractatc, in welchen alle möglichen Arten der Correctur auf-
gezählt werden, wobei sich der Autor begnügt, der einen oder
andern seinen Beifall zu spenden. So gibt Lilio den Alphon-
sinischen Tafeln gegenüber den Prutenischen den Vorzug, ,quiÄ
earum mensura inter varias media est, atque ideo erron minm
obnoxia'; aber er trägt daneben auch dem Copemikanischen
Jahresansatzo Rechnung. In noch weniger präciser Weise eut-
scheidet sich Lilio über den Modus der acuten Reform — so
möchte ich die Auslassung einer Anzahl von Tagen behnfe
Correctur des Sonnenjahres nennen. Wenn er auch entschieden
das Aequinoctium vernum auf den Staud zur Zeit des Nicaeui-
schen Concils, also auf den 2L März, hergestellt wissen will.
Di« Polemik ftb«r di« Qrafroiiiinisolie Kalendemform. 491
80 bleibt es bei ihm dagegen eine völlig offene Frage, ob die
10 Tage auf einmal oder innerhalb 40 Jahre durch Sistirung
der Schaltungen auszulassen seien; für beide Eventualitäten
sind die Aenderungen im achtundzwanzigjährigen Honnencyclus
angegeben. In dieser Form^ also auch noch in der unent-
schiedenen, wurde es nun in einem Auszuge zur Begutachtung
versandt, ,weil der Pabst eine gemeinsame Angelegenheit auch
mit allgemeiner Zustimmung durchführen wolltet Natürlich
gehörten die Ketzer nicht dazu, denn zum eigenen Schaden
kehrte man in Rom von Anfang an allzusehr den kirchlichen
Charakter der Reform hervor. Auffallend ist, dass der einge-
laufenen Gutachten später mit keinem Worte erwähnt wird;
dass welche einliefen, berichtet Ranke ausdrücklich, und wir
sind in der glücklichen Lage, wenigstens eines besprechen zu
können — das der Universität Wien.
Die Aufforderung zur Begutachtung des Compendium's
hatte die Wiener Universität nicht direct von Rom aus son-
dern durch den Kaiser zugeschickt erhalten, der ihr mittelst
Decret auftrug, das Compendium durch Dr. Paulus Fabricius,
Professor der Mathematik, prüfen zu lassen und dessen Arbeit
sammt eigenem Gutachten an ihn zu überschicken. Auffallend
rasch entledigte sich die Universität dieser Aufgabe, denn schon
am 26. Juli 1578 konnte der Rector Dr. theol. Petrus Muchitsch
die beiden verlangten Stücke dem Kaiser übermitteln. * Es
kann daher nicht Wunder nehmen, dass beide nicht sehr aus-
fuhrlich geworden sind. Immerhin aber berührt das ,Judiciuin^
des Fabricius alle bei der Reform in Frage kommenden Punkte
und der Autor hatte selbst Zeit, in einer ziemlich langathmigen
Einleitung das Wesen der Zeitrechnung und die bisher ge-
brauchten Formen derselben auseinanderzusetzen, worauf er
mit einer Lobpreisung Gregor XIII., dem unsterblicher Ruhm
erblühen werde, zum sachlichen Theil übergeht. So sehr nun
auch der Verfasser bei jeder Gelegenheit die Vortrefflichkeit
1 Die beiden Schriftstücke finden mIoIi in dem Actenfaacikel ^eichssachen
in specie' 38*/^ im peb. Haus-, Hof- und StaatsarchiTe zu Wien, welcher
die gesammte vom Kaiser goführte Correspondenz über die Kalender-
frage enthSlt. Sämmtliche in der Fol^re citirten Actenstücke sind —
wenn nicht ausdrücklich ein anderer Fundort angegeben ist — dem-
selben entnommen.
492 Kaltenbranner.
des Lilio'schen Werkes betont, so zeigt er sich doch in man-
chem Punkte nicht einverstanden, ja es macht sich jener
principielle Gegensatz ziemlich stark bemerkbar, der zu An-
fang des Jahrhunderts bei Erwägung der Frage das lieber-
gewicht hatte, und der in der folgenden Polemik, noch mehr
aber kurz vor Einführung des ,Verbesserten Reichskalenders'
eine bedeutende Rolle spielt. Der Mathematiker Fabricius
wünscht, dass an Stelle der cjclischen Rechnung der astrono-
mische Calcül eingeführt werde. Er weist darauf hin, welchen
grossen Aufschwung gerade seine Wissenschaft in letzter Zeit
gemacht habe, und er befürchtet, dass der Eifer für dieselbe
wieder erlahmen würde, wenn man ihren Vertretern diesen
wichtigen Zweig versperren würde. Wollte man die astrono-
mische Rechnung in den Kalender einfuhren, so wäre dies ein
Trieb, allen Eifer auf die genauere Bestimmung der Umlaufs-
zeiten von Sonne und Mond zu verwenden, um stets Verbesse-
rungen am Kalender machen zu können. Derlei Aenderungen
aber würden jetzt bei den grossen Fortschritten der Buch-
druckerkunst leicht und ohne grosse Kosten zu bewerkstelligen
sein. Den von Lilio vorgeschlagenen Epactencyclus erklärt
Fabricius für das vollkommenste, was in dieser Hinsicht ge-
leistet werden könnte, geht aber nicht näher auf denselben
ein — natürlich, weil er im Früheren die cyclische Rechnung
im Princip verworfen hatte. Dagegen bietet sich bei der Cor-
rectur des Sonnenjahres ihm mehrfache Gelegenheit dar, andere
Ansichten auszusprechen und zu begründen.
Dadurch, dass das Compendium selbst den Modus, wie
der bisher aufgehäufte Fehler beseitigt werden sollte, unent-
schieden lässt, hält sich Fabricius für berechtigt, auch die
andern möglichen Arten in Betracht zu ziehen. Die Durch-
führung der Reform in 40 Jahren findet nicht seinen Beifall
und wohl mit Recht; von der plötzlichen Ausscheidung einer
Anzahl von Tagen befürchtet er Verwirrung und Tumult in
weltlichen Dingen und allzugrosse Störung des Kirchenjahres.
So spricht er schliesslich der Art das Wort, dass in einem
Jahre allmälig durch Verkürzung der Monate die überflüssigen
Tage ausgeschieden werden sollen. Auch begreift Fabricius
nicht, warum bis zum Jahre 1582 gewartet werden muss; er
schlägt daher vor, das Jahr 1580 zu wählen, denn je eher die
Die Polemik ftber die Oregorianisehe Kalenderreform. '493
ersehnte Reform durchgeführt werde, desto besser sei es, und dann
empfehle sich 1580 gerade durch seine Eigenschaft als Schalt-
jahr. Bei dieser Besprechung hatte Fabricius die Frage offen
gelassen, auf welchen Stand der Kalender wieder zurückge-
bracht werden solle, jetzt aber bekämpft er die Auslassung von
10 Tagen und meint, es sei der Natur der Sache viel ange-
messener, wenn der Stand Julius Caesar's wieder hergestellt
würde, mit dem sozusagen die Kömische Monarchie und die
christliche Kirche begann. Demgemäss plaidirt er für die
Auslassung von 13 Tagen.
Das Gutachten des Fabricius wurde durch eine vom Kector
niedei*gesetzte Commission ' geprüft; wie aus dem Wortlaute
des Actenstückes hervorgeht, reforirte in derselben Fabricius
über das Compendium imd knüpfte daran seine im Gutachten
gemachten Bemerkungen. So stellt sich denn auch das Gut-
achten der Universität als blosses Referat über die Arbeit des
Fabricius dar. Sie stimmt in allen Punkten den Auseinander-
setzungen desBelben bei, auch in dem Punkte der astrono-
mischen Rechnung, ,weil der von Lilio allerdings geistreich
und eifrig ausgedachte Cyclus der Epacten schwierig und was
noch mehr besagt, nicht also sicher, fest und dauerhaft sei,
dasB nicht mit ihm Fehler gemacht werden können, und er
nicht späterhin abermals einer Correctur bedürftig sein werdet
Ausserdem sind eine Anzahl von Arbeiten anzuführen,
die wahrscheinlich schon auf Grund des Compendium's abge<
fasBt worden sind. 1579 gab der Genuese Georg de Caretto
einen Tractat ,de cursu anni et calendario reformando' zu Mantua
heraus, und im selben Jahre veröffentlichte Franciscus Juncti-
nus die , Synopsis de restitutione Kalcndarii' zu Florenz und
Johann Bernhard Rastellius die ,Correctio Calendarii' in Paris.
1580 erschienen dann zu Venedig des Jos. Lardinus ,Tractatus
de Vera anni forma et de ejus emendatione' '^ und des Jos.
> Die CommiBsion bestand aus den vier Decauen, dann zwei Doctores der
Theologie des Jesuiten -Collegiams, dem Dr. juris Stephan Englmeier, dem
Dr. medicinae Andreas Dudius und dem Professor der Mathematik Martin
Bengel.
* Die vier bis hieher angeführten Tractate waren mir nicht zugänglich ; ich
habe von ihnen nur Kunde durcli Lipenius: Bibliotheca Realis Philo-
sophica. (Frankfurt 1682.)
494 K>lt6nbranner.
Zarlinus ,de vera anni forma sive de recta ejus emendatione
ad S. Gregorium XIII^ Aus gleichem Anlass wie Zarlinus
schrieb der Bischof Hugolinus Martellus zwei Tractate^ die
beide 1582 zu Lüttich gedruckt worden sind. Die erste Arbeit
dieses Bischofs ist dem Cardinal Sirlet gewidmet, der von
Qregor XIII. mit der Ausführung der Kalonderreform betraut
worden sei. Hugolinus Martellus ist Theologe und nur als
solcher behandelt er die Frage. Die cyclische Rechnung heisst
er stillschweigend gut, dagegen ist er durchaus nicht einver-
standen, dass der Kalender auf den Stand des Nicaenischen
Concils zurückgefiihrt werden sollte, sondern er will vielmehr
durch eine Ausscheidung von 14 Tagen denselben auf seine
ursprüngliche Gestalt zurückgebracht wissen. Um diese Frage
drehen sich beide Schriften;^ vor Allem macht Martellus
geltend, dass es müssig sei, sich da auf Autoritäten zu berufeu,
denn sicher sei doch die der Apostel und ihrer Schüler grösser,
als die des Nicaenischen Concils. Bezeichnend ist auch, dass
Martellus den Utilitätsstandpunkt hervorhebt; er macht nämlich
aufmerksam, dass man auf die Haeretiker Rücksicht nehmen
müsse, die schon wegen der starken Betonung des Nicaenischen
Concils dem Kalender Opposition machen werden; würde man
dagegen auf die Zeit Christi zurückgehen, so hätten sie in
dieser Hinsicht keinen Anhaltspunkt zum Widerspruch. Diese
Mahnung des katholischen Bischofs ist wohl zu beachten, denn
er hat richtig vorhergesagt, und andererseits ist es die einzige
katholische Stimme, die mit der künftigen Gegenpartei rechnet,
während sonst von Rom aus mit vollständiger Ausserachtlassung
der Evangelischen vorgegangen wurde. '^ Auch die Arbeit des
Musikdirectors bei St. Marco Josefus Zarlinus dreht sich
vornehmlich um die von Martellus angeregte Frage der Redu-
cirung auf die Zeit Christi. Daneben geht aber dieser Autor,
der ebenfalls den Cardinal Sirlet als die Hauptperson der Ka-
lender-Commission bezeichnet, auch auf die andern Punkte der
^ aj De anni integra in integrum restitutione unacum Apologia, quae est
sacrorum teraporum assertio. hj Sacrorum teniponim assertio.
2 Später hat »ich H. MarteUns doch mit der Reform befreundet, denn er
Hchrieb eine ,Chiave del Calendario Gregoriano' und nach Tarfuri (Utoria
degli Scrittori nati nel Regno di Napoli 175*2) hat er auch den Kalender
gegen die Angriffe Maestliu's und äcaliger's vertbeidigt.
Die Polemik ftber die OrttgoriaDUche Kalenderreform. 495
Reform ein, aber in äusserst schwerfalliger, umständlicher Weise,
so dass es uns nicht Wunder nehmen kann, wenn derlei Arbeiten
von der Commission nicht berücksichtigt wurden.
Nachdem die Commission in Rom mit der principiellen
Annahme des Lilio'schen W^erkes und der Abfassung und
Verschickung des Compendium's den ersten Abschnitt ihrer
Thätigkeit vollendet hatte, arbeitete sie rüstig weiter, um die
Durchfuhrung des Reformwerkes zu ermöglichen. Ob die vielen
eingesandten Werke und Gutachten Beachtung fanden, ist sehr
zweifelhaft, denn Clavius nimmt in seinen Werken auf keines
derselben auch nur mit einem Worte Bezug. Dagegen wurde
neben der Fassung von definitiven Beschlüssen in jenen Fragen,
welche Lilio noch offen gelassen hatte, auch der Epactencyclus
einer durchgreifenden Revision unterzogen und in einigen
Punkten abgeändert. Am 24. Februar endlich des Jahres 1581/2
erliess Pabst Gregor XIII. die Bulle ,Inter Gravissimas^ in
feierlicher Form, und nun wurden von Seite der Curie die
grössten Anstrengungen gemacht, die Annahme der Reform
möglichst zu beschleunigen, was denn auch in den rein katho-
lischen Reichen und in Frankreich sehr gut gelang. Neben der
Bulle wurden die ,Canones in Kalendarium Gregorianum per-
petuum' verschickt, die uns nun etwas zu beschäftigen haben
werden, deshalb weil sie die Grundlage des jetzigen Kalenders
bilden, und weil sie doch noch nicht so gewürdigt sind, als es
geschehen sollte. ^ Diese Canones nun sind sehr kurz gefasst;
eine Begründung der Reform enthalten sie fast gar nicht; in
dieser Beziehung wird mehrmals verwiesen auf den demnächst
erscheinenden ,liber novae rationis restituendi Kalendarii^, der
aber niemals ausgegeben wurde. Erst 1603 veröffentlichte
Clavius an dessen Stelle die ,£xplicatio Romani Kalendarii a
Gregorio XIII. restitutio
1 So bringt selbst Ideler den Immerwfihrenden Gregorianischen Kalender
ungenau, indem er die gleich unten anzuführenden Details übersieht.
In neuerer Zeit (1869) ist der Gregorianische Kalender durch Fr. Attens-
berger weitläufig auseinandergesetzt worden; doch ohne grosses Glück,
denn der Verfasser mischt Uebersetzung der Explicatio des Clavius und
seine eigene Darstellung so wirr durcheinander, dass man aus dem
206 Seiten z&hlenden Buche wenig Belehrung schöpfen kann.
496 KaltenbruiiDer.
Hatte Lilio den Alphonsifiischen Tafeln den Vorzug ge-
geben, 80 legte man jetzt die PruteniBchen zu Grunde, trotz-
dem der Hauptarbeiter der Commission, Clavius, mit dem
SjBteme ihres Urhebers Copernicus durchaus nicht einver-
standen war. ^ Die Ausscheidung von 10 Tagen wurde bekannt-
lich auf den October 1582 festgesetzt. Mehrfachen Veränderun-
gen wurde sodann der Epactencyclus unterworfen, sowohl in
seiner Einschreibung im immerwährenden Kalender, als auch
in den Tabellen, welche für die einzelnen Aequationsperioden
die den numeris aureis entsprechenden £pacten enthalten. Lilio
hat bekanntlich die dem Julianischen Kalender eingeschriebenen
Numeri aurei fallen lassen, weil sie in ihrer Art starr waren;
denn — sollten sie wirklich ein Bestandtheil des Calendarium
perpetuum sein, so konnte die allmälig in 310 Jahren zu 1 Tag
anwachsende Differenz zwischen solaren und lunaren Erschei-
nungen nicht berücksichtigt werden. An ihre Stelle setzte nun
Lilio die Epacten, indem er vom 1. Jänner mit 0 beginnend,
abwechselnd 30 und 29 Tage weiterzählt und an den be-
troffenen Tagen abermals Epacte 0 verzeichnet. Im December
angelangt, geht er wieder zuiück auf den Jänner und ver-
zeichnet nun zu dem Tage, auf den er durch Weiterzählung
um 30 gelangt, Epacte XI (0 + U)? beim nächsten üebergang
Epacte XXII (11 + 11), dann Epacte III (22— 19), alles dies
entsprechend dem Vorschreiten oder Zurückbleiben der lunaren
Erscheinungen über die solaren in den einzelnen Jahren des
n.eunzehnjährigen Cyclus. Durch diese Manipulation erhält
Lilio schliesslich zu allen Kalendertagen Zahlen, die sich also
von 0 (in diesem Falle = 30) bis 1 inclusive absteigende
Reihen dem Auge darstellen. Diese Epacten haben jetzt eine
ganz andere Bedeutung als früher im Julianischen Kalender;
dort bezeichnen sie das Mondalter des 22. März, hier sind sie
Bezeichnungswerthe für die Neumonde. Ihr arithmetisches Ver-
hältniss aber ist dasselbe, denn hier wie dort steigen sie
von einem Jahr zum nächsten um 11 auf, wenn ein lunares
* Clavius urtheilt über das CopernikaiuBche Sonnensystem bei Bespre-
chung der Prutenischen Tafeln, denen nicht yoUkommene Richtigkeit
beizumessen sei, ,praesertim cum incertis hypothesibus nedum absordis
et a communi horainum opinione abliorrentibus, ac quibus omnes Philo-
soph! naturales repngnant, fundatae sint^
t)ie Polemik über die Gregorianische KAJenderreform« 497
Gemeinjahr zu 354 Tagen gegenübergestellt wird den 365 vollen
Tagen des SonnenjahreS; oder sie fallen um 19 in embolisti-
sehen Jahren, weil dann nach 384 Tagen die Lunarerschei-
nungen um 19 Tage später eintreten als die des solaren Jahres.
Die Qregorianischen Epacten also zeigen nicht direct die Neu-
monde an, sondern sie sind nur Vertreter der Numeri aurei.
Jeder der 19 Zahlen des Cyclus entspncht eine solche. Wenn
man also früher direct mit dem berechneten numerus aureus
des Jahres aus dem immerwährenden Kalender die Neumonds-
tage bestimmen konnte, so muss man jetzt erst die dem nu-
merus aureus entsprechende Epacte suchen, und diese zeigt
dann im Kalender das erwünschte an. Der Zweck dieser Ein-
richtung zeigt sich erst, wenn eine jener zwei Modificationen an-
gewendet wird, welche Lilio für die immerwährende Gültigkeit
des Kalenders eingeführt hat, nämlich die Auslassung dreier
Schalttage in je 400 und die Correctur des Mondkalenders in je
300 Jahren. Denn, wenn ein Bissextus aussergewöhnlicher Weise
weg&Ut — es tritt dies bekanntlich in allen centenaren Jahren
ein, die nach Hinweglassung der beiden unteren Stellen (00)
bei der Division durch 4 einen Rest ergeben — handelt es
sich darum, dass von dieser Massregel der Lunarkalender nicht
betroffen werde. Dies wird dadurch erreicht, dass die den
Numeris aureis entsprechenden Epacten um 1 Tag vermindert
werden, was zur Folge hat, dass der Kalender die Neumonde
von nun an um 1 Tag später angibt. Dadurch wird also be-
wirkt, dass der Lunarkalender durch die Modification der
Schaltregel nicht irritirt wird, und somit bleibt das alte Ver-
hältniss zwischen 19 julianischen Jahren und 235 synodischen
Mondmonaten bestehen. Nun wächst aber der Ueberschuss der
ersteren über die lunaren Erscheinungen nach den Prutenischen
Tafeln (beiläufig) in 31272 Jahren zu 1 Tag an. Um dies zu
berücksichtigen und den Epactencyclus mit den wirklichen
Himmelserscheinungen im Einklang zu erhalten, mussten in je
312 V) Jahren die Neumonde im Kalender um 1 Tag zurück-
gerückt werden; der grösseren Uebersichtlichkeit halber ver-
legte man auch hier die Correctur auf die centenaren Jahre
und erhöhte daher die Epacten siebenmal nach je 300 und
hierauf nach 400 Jahren um 1. Es ergibt dies einen Cyclus
von 2500 Jahren, der durch 312 '/2 dividirt, genau 8 gibt. In
Sitzongiber. d. phU.-hi8t. Cl. LXIXVII. Bd. I. Uffc. 32
498 Kaltenbrnnner.
Folge dieser zweifachen Verschiebung (der aequatio solaris und
aequatio lunaris) durchlaufen mit der Zeit sämmtliche 30 Epacten
die einzelnen 19 numeri aurei, aber erst nach 300.000 Jahren
kehrt die Ordnung, in der die beiden Aequationen und die zu-
gehörigen Epacten reihen wechseln, wieder.
Dieser grosse Cyclus beruht auf folgenden Thatsachen:
Eine doppelte Manipulation wird mit den Epacten vorgenom-
men. In 2500 Jahren werden sie um 8 erhöht und in diesem
Zeitraum aber auch um ^^ X 3 = 188/4 vermindert ; gehen
wir zur nächst höheren Zahl, wo wir Ganze statt der 78-74
erhalten, über d. i. 4 X 2500 = 10000, so erhalten wir eine
Verschiebung von (4 X I8V4) - (4 X 8) = 75 — 32 = 43. Nach
einem Zeitraum von 10000 Jahren kehrt also das Verhältniss
der beiden Aequationen zu einander wieder, d. h. die Auf-
einanderfolge der beiden Aequationen und deren Zusammen-
fallen, sowie ihr Wegbleiben in jenen centenaren Jahren, die
durch 4 theilbar sind und ohne Lunar-Aequation bleiben, ist
nach Verlauf von 10000 Jahren dasselbe. Da jedoch 43 und
30 (d. i. die Anzahl der Epacten) incommensurabel sind, so ist
klar, dass erst nach 30 X 10.000, d. i. nach 300.000 Jahren, die
beiden Aequationen mit den gleichen Epacten reihen wiederkehren
können. Dies ist das Wesen des Epactencyclus ; und nun komme
ich zu den Details. Um das Alterniren von vollen und hohlen
Mondmonaten darstellen zu können, musste Lilio in letzteren
2 Epacten an 1 Tag zusammenfallen lassen. Er entschied sich
für den Anfang der Zahlenreihe und setzte O(XXX) und XXIX
zusammen. 1 Daran knüpft sich nun eine Modification, die sich
nur aus dem ängstlichen Bemühen erklären lässt, möglichst die
Eigenschaften des alten Cyclus zu wahren. Wenn zu 1 Kalender-
tage die 2 Epacten verzeichnet standen, traten in dem Falle,
dass die Epacten 0 und XXIX in einer und derselben Aequa-
tionsperiode zwei goldenen Zahlen zufielen, in 2 Jahren des
neunzehnjährigen Cyclus je 6 Neumonde des Jahres am selben
Tage ein. Dies war natürlich beim alten Numerus aureus nicht
möglich gewesen, mit Ausnahme in der December - Lunation
^ Die Ansicht Idelers, die auch Grotefend nachspricht, Lilio habe willkürlich
XXV und XXIV gewählt, ist danach zu berichtigen. Wir werden später
sehen, dass die Äenderung in XXV und XXIV von der Cominission nicht
ohne Grund vorgenommen wurde.
Die Polemik über die Uifgorianische E»lenderrefonii. 499
der numeri aurei XIII und II, was aber auch schon von mittel-
alterlichen Computisten — so von Paulus v. Middelburg — als
absurd erklärt wurde, da es im Wesen des neunzehnjährigen
Cyclus liege, dass erst nach Ablauf von 19 Jahren die Neu-
monde wieder an denselben Kalendertagen eintreten. Um nun
dies zu vermeiden, unterschied Lilio zwischen 2 Epacten 0;
die er mit * und o) bezeichnet. Das arithmetische YerhältnisS;
in welchem die £pacten in den Aequationstafeln zu einander
stehen — indem sie entweder um 11 steigen oder um 19
fallen — bringt es mit sich, dass nur in einem ganz bestimmten
Abstände der numeri aurei zwei unmittelbar arithmetisch aufein-
anderfolgende Epacten auftreten können. Das Verhältniss stellt
sich nun so, dass in einem Abstände von 11 immer die um
1 höhere Epacte eintritt, d. h. im numerus aureus XII erscheint
die Epacte um 1 grösser als im numerus aureus I und so fort
bis zur Grenze XIX und VIII. Umgekehrt aber ist es gar
nicht möglich, dass einer Epacte in der ersten Hälfte des
Mondcyclus die um 1 niedere in derselben Aequationstabelle
folgt, denn selbst für die Epacte des numerus I folgt die um
1 niedere erst im iingirten numerus aureus XX. Wenden wir
dies nun auf die Epacten 0 und XXIX an : (hiebei setzen wir
0 = XXX, denn arithmetisch sind sie in diesem Falle einander
vollkommen gleich). Nur in dem Falle, dass Epacte XXIX zu
einem numerus aureus kleiner als IX fällt, findet sich auch in der
Aequationstafel Epacte XXX (0); umgekehrt, wenn Epacte
XXX (0) in einem numerus aureus der ersten Hälfte des Cyclus
auftritt, erscheint Epacte XXIX nicht in derselben Tabelle.
Also nur im ersten Falle würde die zu vermeidende Culmini-
rung zweier Neumonde in 2 verschiedenen numeris aureis ein-
treten. Daher setzt in diesem Falle Lilio die zweite Art von 0,
d. i. 0) zu der vorherstehenden Epacte I, und natürlich erscheint
dann in einer solchen Aequationstafel ebenfalls dieselbe — mit
andern Worten, Lilio setzt den numeris aureis I — VIII (incl.) die
Epacte «, den späteren die Epacte d) bei. Im immerwährenden
Kalender aber erscheint folgendes Bild:
II.
Lü)
* XXIX
xxvm.
32*
500 Kallentirunner.
In den 6 vollen Monaten^ wo Epacte # und XXIX zu
aufeinanderfolgenden Tagen gesetzt sind; ist dies alles natürlich
nicht nöthig; jedoch um keine Verwirrung hervorzubringen und
die Sache übersichtlich dai-zustelleh^ setzt Lilio die beiden Arten von
Epacte 0 (« und la) nebeneinander; hätte er dies vernachlässigt,
so würden sich nämlich in den Fällen, wo Epacte (i> gilt, streng
genommen für die vollen Monate keine Neumonde ergeben
haben. Aus demselben Motive entsprang dann noch eine zweite
Modification, die jedoch äusserst selten auftritt. Sie betrifft den
Fall; dass numerus aureus XIX mit Epacte XIX zusammen-
fällt. Da das 19. Jahr des Cyclus embolistisch ist, zugleich
aber auch den Saltus lunae enthält, so hat es 13 Mondmonate
und eine Tagessumme von 383 Tagen. Da zum 2. December
Epacte XIX eingeschrieben ist, so würde man einen hohlen Monat
weiter gehend zum 31. December als der nächsten Lunation^
d. i. dem ersten Neumond des nächsten Cyclus gelangen, von wo
aus man dann -|- einen vollen Monat den 30. Jänner erreicht,
wo wirklich Epacte I verzeichnet steht. Aber der immer-
währende Kalender Lilio's hat zum 31. December Epacte XX
verzeichnet und würde also gar nicht diesen Neumond an-
zeigen. Um dies zu vermeiden, setzte Lilio zu diesem Tag
neben Epacte XX 19. Das angeführte arithmetische Verhält-
niss bringt es mit sich, dass, wenn zum numerus aureus XIX
19 verzeichnet steht^ keinem numerus aureus die Epacte XX
zufällt, so dass das ängstlich vermiedene Zusammentreffen
zweier Neumonde in verschiedenen Numeris aureis nicht zu
befürchten war.
An diesem Epactencyclus wurde nun von der Commis-
sion die Aenderung vorgenommen, dass das Culminiren der
Epacten nicht zwischen 0 und XXIX, sondern zu XXV und
XXIV gesetzt wurde. Entsprechend den Lilio'scheu Epacteu
* und (I) unterscheidet man jetzt zwischen XXV und 25, so
dass dies folgendes Bild gibt:
In den hohlen Monaten: i In den vollen Monaten:
XXVI. 25 XXVI
XXV XXIV XXV. 25
XXIII. ; XXIV.
Die Polemik über die Gregorianische Ralenderreform. ftOl
Es ist klar, dass dies nicht ohne Grund geschehen ist.
Derselbe wurzelt ebenfalls in dem Bestreben, möglichst die
alten computistischen Regeln zu wahren und sich an den alten
Dionysisch-Bedai'schen Cyclus anzuschliessen. In demselben
waren säramtliche Ostermonate hohl gewesen ; dies war jetzt
allerdings nicht mehr möglich , da sich nun die Zahl der
möglichen Ostermonate um 11 vermehrt hatte; denn vom
8. März bis 5. April incl. sind 29 Tage und dazu kommt im
Lilio'schen Kalender die Epacte (a> ^ im Gregorianischen 25;
somit sind 30 mögliche Fälle hiefiir gegeben, während früher
nur 19 waren.
Es war nun in den Augen der Commission die Aufgabe
gestellt, die Epactenzahlen innerhalb dieses Raumes stets um
29 Tage von einander abstehen zu lassen. Im Anfang geht dies
auch ganz gut, denn Epacte XXIII, die am 8. März die Reihe
beginnt, begegnet uns wieder am 6. April, d. i. 29 Tage später;
dies geht so fort, bis im Lilio'schen Kalender zum 30. März
Epacten I w stehen ; Epacte I tritt wieder auf am 28. April,
dies ergibt als noch einen hohlen Monat, aber die nächste
Epacte (I) findet sich erst am 29. April und somit erhalten wir
den ersten vollen Monat. Dagegen wird nochmals ein hohler
gewonnen, indem Epacte « am 31. März und 29. April steht.
Von da ab erhalten wir im Lilio'schen Kalender lauter volle
Monate, denn Epacte XXIX, die am 31. März mit Epacte «
culminirt; erscheint wieder am 30. April, also um 30 Tage
später, und um die gleiche Tagessumme stehen die Epacten in
den noch übrigen 5 Tagen (1. — 5. April incl.) von einander
ab. Im Ganzen hat also Lilio unter den 30 möglichen Oster-
monaten 7 volle erhalten. Vollständig Hess sich dies nicht besei-
tigen, da man eben alle 30 Epacten zu passiren hatte; aber
die Fälle Hessen sich reduciren, sobald man die culminirenden
Epacten ganz an das Ende der Reihe, d. i. zum 5. April setzte,
denn gerade diese hatten ja das Unheil angerichtet. Dort steht
nun Epacte XXV und dazu rückte man XXIV. Auf diese
Weise erhielt man nur 2 volle Monate, nämlich zwischen den
Epacten 25 f4. April und 4. Mai) und zwischen XXIV und
XXIV (5. April und 5. Mai), während die dazwischenliegende
Epacte XXV am 5. April und 4. Mai einen hohlen Monat ergab.
Ausserdem wurde auch die Aequationstafel LiHo's einer durch-
502 Kaltenbranner.
greifenden Aenderung unterzogen, indem sämmtliche Epacten-
zahlen um 1 niederer gestellt wurden, d. h. die Commission
rückte sämmtliche durch den Epactencyclus zu berechnenden
Neumonde um 1 Tag im Kalender vor; auch dies hatte seinen
guten Grund; man wollte soviel als möglich vermeiden, dass
Ostern am Vollmondstage selbst gefeiert werde, was denn bei
der Un Vollständigkeit und Unsicherheit, die jedem Cyclus an-
haftet, immerhin oft möglich war. Indem also die Commission
alle Neumonde um 1 Tag später eintreten lässt; als Lilio; ver-
mindert sie natürlich wesentlich diese Qefahr. Schliesslich haben
wir einer Aenderung zu gedenken, die wohl für den Gebrauch
des Kalenders ziemlich nebensächlich ist^ und der auch Clavius
nur insofern Gewicht beimisst, als sie zeigt, mit welcher Sorg-
falt man in Rom zu Werke ging. Sie betrifft den dreihundert-
tausendjährigen Cyclus des Lilio, der nicht in dem Compen-
dium und nicht in den Canones^ wohl aber von Clavius in der
,Explicatio' wiedergegeben und dort offenbar dem Lilio'schen
Werke entlehnt ist. Der Gregorianische Kalender setzt nach
den Pruteniachen Tafeln die Dauer des synodischen Mond-
monats zu 29^ 12»» 44' 3" 10'" 48"" an ; dies ergibt für die
235 Mondmonate des neunzehnjährigen Cyclus ein Product von
6939^ 16^ 32' 27" 18"'. Der Ueberschuss der 19 solaren Jahre
beträgt demnach P 17' 32" 42"' und diese sind also in der
vorzunehmenden Lunar - Aequation zu berücksichtigen; diese
Aequation, in der jedesmal die Epacten um 1 erhöht, also die
Neumonde im Kalender um 1 Tag zurückgesetzt werden, tritt
in 2500 Jahren achtmal auf. Lässt man aber den oben ange-
gebenen Ueberschuss der Julianischen Jahre 2500 Jahre lang
anwachsen^ so ergibt sich ein Product von 8^ 10^ 30' 36" T'^/io "•
In 2500 Jahren werden also nach der Gregorianischen Aequation
die Neumonde um 10** 30' 36" 7 'Vid' ' ^u wenig zurückgeschoben,
nach abermals2500Jahren wird dieser Fehler zu2Pl'12"15«Vi9^
und nach dem weiteren Verlauf einer solchen Aequationsperiode
ist der Fehler über einen Tag angewachsen. Im Gregorianischen
Kalender tritt die ersteLunar- Aequation undderAnfang der Periode
von 2500 Jahren im J. 1800 ein, somit überschreitet der Fehler
in der Periode zwischen 6800 (1800 + [2 X 2500J) und 9300
(6800 + 2500) die Grenze von 24 Stunden und zwar tritt dieser
Uebergang ein zwischen der 2. und 3. Aequation, d. i. zwischen
Die Polemik fiber die Gregorianische Kalenderreform. 503
7400 und 7700. * Diesem Fehler oun kann abgeholfen werden,
wenn im Jahre 7700 die Epacten um 2 erhöht werden, denn
dann treten die Neumonde um 2 statt um 1 Tag früher ein.
Clavius verschiebt diese Operation auf das Jahr 8200 aus einem
Grunde, den ich nicht anzugeben vermag; er bringt nämlich
die oben angeführte Rechnung nicht, sondern sagt nur, er habe,
als er für viele Jahrtausende die mittleren Neumonde berech-
nete, gefunden, dass von diesem Jahre an die Epacten Lilio's
durchwegs die Neumonde um 1 Tag zu spät anzeigen, und er
macht die Nachwelt darauf aufmerksam, wie für den Fall, dass
der Prutenische Ansatz da noch anerkannt sein wird, vom
Jahre 8200 an die richtigen Neumonde gefunden werden können.
Man müsste von hier an zu den Epacten Lilio's 1 hinzu-
zählen und vom Jahre 14600 (8200 + 8200 — 1800) 2 und so
fort. Damit ist natürlich der dreihunderttausendjährige Cyclus
fallen gelassen. Es ist übrigens sehr fraglich, ob dies schon
von der Commission festgestellt wurde, denn wie gesagt, findet
sich in den Canones davon keine Silbe. Es ist daher nicht un-
wahrscheinlich, dass erst späterhin Clavius bei seiner Verthei-
digung des Kalenders auf diesen Gedanken kam und ihn be-
rührte, um zu zeigen, dass er und seine Collegen den Fehler
nicht übersehen, sondern ihn wegen seiner Geringfügigkeit
übergangen hätten.
IL Die Aufnahme des Kalenders in Deutschland und die
Polemik der protestantischen Theologen.
So leicht, die Einführung des Kalenders in Italien, Spanien,
Frankreich und Polen von statten ging, ebenso grosse Schwie-
rigkeiten stellten sich derselben in Deutschland entgegen. Ob
man dies in Rom ahnte, ist schwer zu sagen, eine katholische
Stimme — Hugolinus Martellus — haben wir wohl die Befürch-
tung aussprechen hören. Auffallend ist es immerhin, dass der
Pabst auf dem 1582 zu Augsburg um Kaiser Rudolf versam-
melten Reichstage den Kalender nicht vorlegte. Es war dies
jedenfalls sehr gefehlt, denn man hätte manchen Punkt des An-
griffs den Protestanten von vornherein abgeschnitten, und bei
' Nach Angaben neuerer Astronomen wächst der Fehler erst nach etwa
21.000 Jahren zu 1 Tag au.
504 Kalten brnnnfr.
der Stirn muDg, die zu Anfang auch unter den protestantischen
Fürsten gegen den Kalender herrschte, hätte möglicherweise
eine Einigung erzielt werden können. Die folgende Darstellung
wird zeigen, dass erst, als die Theologen sich des Stoffes be-
mächtigten, die Fürsten davon beeinflusst dem Reformwerke
Widerstand entgegensetzten. Ideler hat behauptet, dass die Curie
zu Augsburg die Sache zur Sprache brachte, und dass gleich zu
Anfang der ChurfUrst von Sachsen und Landgraf Wilhelm von
Hessen Opposition gemacht hätten. Diese Nachricht findet sich
bereits bei Lundorp, * welcher auch eine Exposition der Giünde
gibt, die der Churfurst von Sachsen bei seiner Opposition geltend
machte. Dennoch halte ich die Nachricht für falsch. Die
Reichstags-Verhandlungen 2 enthalten auch nicht ein Wort dar-
über, und der Abgesandte des Erzherzogs Ferdinand von Tyrol,
von seinem Herrn beauftragt, wohl auf die Kalender -Verliand-
lungen zu Augsburg Acht zu haben, berichtet diesem, dass keine
stattgefunden hätten. Auch wäre es sehr auffallend, wenn der
Churfurst von Sachsen in dem gleich unten zu besprechenden
Schreiben an den Kaiser nicht auf seine zu Augsburg in dessen
Gegenwart geäusserten Bedenken Bezug genommen hätte Die
Exposition der Gründe des Churfürsten bei I^undorp hat auf-
fallende Aehnlichkeit mit eben dem Schreiben desselben an den
Kaiser — konnte nicht vielleicht dasselbe zu einer Flugschrift
verarbeitet und als Oppositionsmittel verwendet worden sein?
Freilich konnte in derselben nicht gesagt werden, dass diese
Gründe vom Churfürsten in Augsburg geltend gemacht wurden,
denn gerade über das Schweigen der Curie zu Augsburg vor
den Protestanten beklagen sich dieselben. So würde also der
Nachricht Lundorp's die thatsächliche Meinung Sachsens zu
Grunde liegen, dagegen die Verlegung ihrer Aeusserung nach
Augsburg ein Fehler dieses Historikers sein.
Dagegen wurde vom päbstlichen Legaten, dem Cardinal
von Trient Madrucius, privatim an mehrere katholische Fürsten
die Mittheilung gemacht, ^ und namentlich auch der Kaiser zur
1 M. C. Lundorp. Continuatio Sleidani. (1604—1619.) T. III. a. a. 1582.
2 Mainzer Erakanzler- Archiv. Reichstag 1682. 4 Bände. (Wiener Haus-,
Hof- und Staats-Archiv.)
3 Das erfahren wir z. B. aus dem später noch zu erwähnenden Briefe de»
Churfürsten von Mainz an den Kaiser vom 18. '28. Jänner 1683.
Die Polemik db<»r die Qregorinnlsrhe Kalenderrefnrm. 50o
schleunigen Publicirung des Kalenders im Reiche und in den Erb-
landen gedrängt. Aber schon damals erklärte Rudolf in einem
Schreiben an den Cardinal-Legaten, er könne da nicht allein
entscheiden, sondern er müsse die Sache vor die Stände des
Reiches bringen, so sehr er auch für seine Person die Kalender-
reform als nützlich und nothwendig erachte.* Es ist selbst-
verständlich, dass in Folge dessen der Termin der Einführung
am 5. October 1582 nicht eingehalten werden konnte. Für eine
solche Eventualität hatte man übrigens in Rom vorgesorgt, denn
am Schlüsse der Canones findet sich eine Anleitung für die-
jenigen, welche erst im nächsten oder in den folgenden Jahren
den Kalender publiciren werden. Für 1583 wird wieder der
5. October als Termin bezeichnet ; davon aber ging man später
ab, indem ein päbstliches Breve vom 7. Nov./28. Oct. 1582
anbefiehlt, die 10 Tage im Februar 1583 auszulassen. ^ Dies
beim Kaiser durchzusetzen, wurden von Rom aus grosse An-
strengungen gemacht; der Pabst schrieb deshalb an ihn, und
der Nuntius am kaiserlichen Hofe bemühte sich durch mehrere
Eingaben an den Kaiser und dessen geheime Räthe, ihn gefügig
zu machen. In diesen Actenstücken des Nuntius wird bereits
der Fall einer möglichen Opposition der Protestanten besprochen.
Der Kaiser wird aber daran erinnert, was schlimmer sei, wenn
in Deutschland einige Ländchen von der allgemeinen Zeit-
rechnung abweichen, oder wenn der Kaiser mit ganz Deutsch-
land sich von der übrigen christlichen Welt absondere. Es wird
ihm vorgestellt, welch' schwerer Kummer durch dieses sein
Zögern dem Pabste gemacht werde, denn nimmer hätte dieser
sich träumen lassen, dass der Kaiser, der früher seine Bereit-
willigkeit für das Reformwerk so unzweideutig geäussert habe,
1 Dieser Brief de« Kaisers ist datirt: Aagsbnrg 20. Sept. 1582. Dass trotz
der Anwesenheit beider Betheiligter eine schriftliche Mittheilung des Kaisers
erfolgte, lässt annehmen, dass derselbe diese als officielles Actensttick für
Rom auffasste. Der Brief findet sich in Copie im lunsbrucker Statthal-
terei-Arehiv als Beilage eines kaiserlichen Schreibens an Erzherzog Fer-
dinand.
' Domini Gregorii Papae XIII. Constitutio super observatione Kalendarii
nuper editi pro iis, qui de mense Octobre proximo praeterito illud obser-
varc non coeperunt (gedruckt). Vom 9. Februar sollte auf den 20. über-
gegangen werden. Der Grund für diese Aenderung ist darin zu suchen,
dass man für \ii'<:i eine Differenz in der Osterfeier vermeiden wollte.
506 Kaltenbrnnner.
nun demselben solche Schwierigkeit bereiten werde. * Der Kaiser
befand sich in einer misslichen Lage, denn einerseits konnte
es ihm nicht gleichgültig sein, wenn er fortwährend von Rom
gedrängt und an sein gegebenes Wort erinnert wurde, und
andererseits wurde er auch von Herzog Wilhelm von Baiem
und den Bischöfen des Salzburger Sprengeis getrieben. Diese
Heisssporne dachten gar nicht an ihre Mitstände und Nachbarn,
sondern Hessen dem Kaiser durch Herzog Wilhelm verkünden,
dass sie fest entschlossen seien, in ihren weltlichen und geist-
lichen Gebieten den Kalender im Februar 1583 einzuführen.
Dadurch aber waren des Kaisers Erblande direct betroffen, und
es war zu befürchten, dass nur allzubald Conflicte zwischen
weltlichen und geistlichen Obrigkeiten entstehen würden, wie
dies denn auch wirklich im nächsten Jahre in den vorder-
österreichischen Landen geschah.
Nichtsdestoweniger ging dem Nuntius am 20./30. December
von der Hof kanzlei der Bescheid zu, dass der Kaiser ohne Zu-
stimmung der Churfürsten nichts vornehmen wolle und könne,
und dass er auch dem Ansinnen des Pabstes, wenigstens in
seinen Erblanden im Februar den Kalender einzufuhren, nicht
Folge leisten werde.
Vom selben Tage ist nun das Rundschreiben des Kaisers
an die Churfürsten datirt. Rudolf meint in demselben, die
deutschen Fürsten sollten den Kalender mit Rücksicht auf den
Verkehr mit den Nachbarvölkern und auf seine mathematische
Begründung hin annehmen. Darauf erfolgten im Laufe des
nächsten Jahres fünf Antworten, von denen jede für sich charak-
teristisch ist. Zunächst erklärt Trier seine vollste Ueberein-
stimmung und drückt die Hoffnung aus, dass alles nach Wunsch
Sr. Heiligkeit in Deutschland gehen werde. Acht Tage darauf
aber betont Mainz, dass unbedingt einhellig vorgegangen werden
' Als der Kaiser im Jänner 1579 das Gutachten der Wiener Univ^ersitfit
dem Pabstc überschickte, schrieb er ihm in sehr zuvorkommender Weise
und schloss mit der Versicherung, dass er (iott anflehe, er möge die
frommen Bestrebungen und den Eifer des Pabstes in dieser Angelegenheit
zu einem glücklichen Abschluss und zum Ruhm der ganzen Christenheit
gedeihen lassen. Ausser dieser ist mir keine Kundgebung Rudolph^s dem
Pabste gegenüber bekannt, auf die sich dor Nuntius an dieser ti teile be-
rufen könnte.
Die Poleraik über die Gregorianische Kalenüerreform. IM)?
müsste. Der Churfürst schlägt vor, im Falle^ das8 die andern
Churfürsten sich überhaupt der Sache geneigt zeigen, eine De-
putation zusammenkommen zu lassen, um über ein einhelliges
Vorgehen zu berathen; im andern Fall kann er dem Kaiser
nicht rathen, den Kalender zu publieiren. Am bedeutsamsten
ist aber ohne Zweifel die Antwort Brandenburg's ; der Churfürst
erklärt sich vollständig einverstanden, wenn der Kaiser den
Kalender publicire, denn dann gehe das Werk von ihm und
nicht vom Pabste aus. Nur meint er, dass die Frist bis zum
Februar etwas kurz sein werde. Wie wenig der Churfürst an
einen Widerstand seitens seiner Qlaubensgenossen dachte, be-
weist der Umstand, dass er schliesslich dem Kaiser Rathschläge
über den Modus der Publication gibt ; da die in Rom gedruckten
Exemplare des Kalenders nirgends zu bekommen seien, so
empfiehlt er, der Kaiser solle dieselben, versehen mit einer neuen
zweckmässigen Vorrede, nachdrucken und jedem der Stände
eins oder mehrere Exemplare zukommen lassen. Im Gegensatz
zu dieser zuvorkommenden und gewiss vernünftigen Haltung
Brandenburg's Hess die Antwort des Churfürsten von Sachsen
bereits ahnen, dass die Sache nicht glatt ablaufen werde. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass dieselbe mit Zuziehung eines
Theologen abgefasst ist, denn sie strotzt von Gelehrsamkeit.
,Stet8 sei es Sache der Kaiser gewesen, die Zeitrechnung zu
bestimmen ; so habe Kaiser Julius (Caesar) den Kalender
reformirt und Kaiser Karl neue Monatsnamen eingeführt;
auch zu Nicaea haben die Concilsväter dem Kaiser Constantin
nicht vorgreifen wollen, denn nur dadurch ist es zu erklären,
dass sie nicht wieder den Kalender auf den Stand Christi
zurückgeführt haben; sie wollten eben die fiüheren Jahre als
kaiserliche Einrichtungen un verrückt lassen, und nur dem
Befehle Constantin's gemäss den tobenden Osterstreit besei-
tigen. Der Pabst habe also jetzt durchaus kein Recht, sich auf
dieses Concil zu berufen, denn damals und auch noch bis über
das Constanzer Concil hinaus stand der Pabst unter den ver-
sammelten Vätern/ So sehr nun auch der Churfürst in der
Absicht des Kaisers dessen väterliche Fürsorge für das Reich
erkennt, so kommt ihm dieselbe doch bedenklich vor, nicht bloss
wegen der grossen Zerrüttung in kirchlichen und weltlichen
Dingen, sondern auch, weil dadurch leicht dem Pabste ein
508 Kftltenbrnnner.
Eingriff in die Rechte und die Ehre des Reiches gestattet werden
könnte. Indem er der Leiden gedenkt, die das deutsche Vater-
land durch die Päbste schon erlitten, kann er nicht rathen, auf
des Pabstes Befehl hin den Kalender zu publiciren. Jedoch will
er nicht absolut dagegen sein und beantragt daher, die An-
gelegenheit von einem Deputationstage berathen zu lassen, aber
in keinem Falle dürfe Rom irgend eine Jurisdiction und Herr-
schaft über das Reich eingeräumt werden.
Auf den Vorschlag Sachsens und Mainz's, die Kalender-
frage einem Deputationstage zur Berathung vorzulegen, ging
der Kaiser nicht ein, er Hess sich offenbar lieber durch die
zwei anderen Antworten beeinflussen, und so schrieb er am
25. März/4. April an Sachsen, er hätte sich entschlossen, den
Kalender in Reich und Erblanden im kommenden October zu
publiciren, verspricht aber, dass sicherlich dabei der Würde
des Reiches nichts werde vergeben werden. Dies befriedigte
jedoch keineswegs den Churfürsten, denn in einem zweiten
Schreiben vom 26. April/6. Mai schlägt er einen entschiedeneren
Ton an. Es stehe ihm zu, seine Bedenken wegen der Publi-
cation im Reiche auszusprechen, wenn er auch nicht berufen
sei, irgend eine Handlung des Kaisers in dessen Erblanden zu
beurtheilen. Er habe nun in Erfahrung gebracht, dass der Pabst
nicht nur nicht die Haltung des Kalenders ,mandire', sondern
auch sich ungescheut rühme, dass diese Reform vom Triden-
tiner Concil als Reservat des päbstlichen Stuhls erklärt worden
sei. Der Kaiser wisse, was die Evangelischen gegen dieses
Concil eingewendet haben ; da nun der Pabst den Kalender als
ein Werk desselben ausgibt, so werde den Evangelischen nichts
anderes übrig bleiben, als die Annahme desselben zu ver-
weigern. Sollte aber der Kaiser trotz dieser Erklärung den
Kalender im Reiche publiciren, so werde er für seine Person
dem nicht Folge leisten können, ehe er sich nicht mit den seiner
Confession zugethanen Ständen verglichen haben wird. Dies ist
schon ziemlich deutlich gesprochen, doch immerhin Hess diese
Erklärung noch Hoffnung auf ein Einverständniss zu. Ganz
kurz und schroff abweisend dagegen ist die fünfte Antwort, die
erst am 3./13. September vom Churfürsten Von der Pfalz er-
folgte. Diese Meinungsäusserung ist bereits direct beeinflusst
durch das Gutachten eines deutschen Gelehrten — des Michael
t)ie Polemik fiber die Gregorianische Kalenderrefonn. 509
Maestlin. — Ehe ich jedoch diese und die ihr verwandten Streit-
schriften bespreche^ will ich noch kurz das weitere Verhalten
des Kaisers bis zur definitiven Entscheidung darstellen.
Der Februar-Termin war natürlich wieder verstrichen und
schon im zweiten Schreiben an den Churfürsten von Sachsen
hatte der Kaiser den October als solchen bezeichnet. Bei diesem
Beschlüsse beharrte er denn auch trotz der ablehnenden Haltung
Sachsen's. Die Verhältnisse drängten eben zu einer definitiven
Entscheidung; vom Pabste erhielt Rudolf geradezu eine Rüge
über sein zögerndes Verhalten^ und da mehrere Bischöfe^ deren
Sprengel in die österreichischen Erblande hineinreichten, den
Kalender im Februar eingeführt hatten, so drohten ernsthafte
Verwicklungen. In Ober- und Niederösterreich wusste allerdings
Erzherzog Ernst Ordnung zu halten, indem er den Bischof von
Passau zwang, die Publication in seinen österreichischen Pfar-
reien wieder rückgängig zu machen; um so mehr hatte Erz-
herzog Ferdinand in Tirol zu leiden, zu dessen Gebiet die
Sprengel von Trient und Augsburg gehörten,^ namentlich von
den Amtleuten Südtirols lief Klage auf Klage über das liick-
sichtslose Vorgehen des Cardinal Madrucius ein. Ferdinand
drängte daher fortwährend zuletzt schon durch eigene Couriere
den Kaiser, eine Entscheidung zu treffen. In der kaiserlichen
Kanzlei war man nun bemüht, für die Publication eine Form
zu finden, die nach dem Wunsche des Churfürsten von Sachsen
die Ehre des Reiches nicht verletzen konnte. Auf Befehl des
Kaisers erstatteten die beiden Geheimen Räthe Harrach und
Viehäuser über den Modus des Ausschreibens an die Stände
ihr Gutachten. Der erstere meint, es solle die Publication in
der Weise verfasst werden, wie es die Curie wünschte, jedoch
im Namen des Kaisers und mit Hinweglassung des Namens
des Pabstes und alles dessen, was in der Sache mit Rom ver-
handelt worden ist. Der in diesem Sinne abgefasste Entwurf
sollte aber nochmals den Churfürsten zur Begutachtung vor-
gelegt werden, und wenn sich die Mehrzahl günstig dafür aus-
spreche, könne Se. Majestät die Publicirung getrost vornehmen.
Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob nicht das Ausschreiben
* Salzburg und Brixen hatten dagegen auf Ansuchen Ferdinands die Publi-
cation bis October verschoben.
510 KdltPTibrnnnpr.
in doppelter Weise vorgenommen werden sollte, für die katho-
lischen Stände in Mandaten mit Anführung des päbstlichen
Willens, für die evangelischen in literae clausae ohne diese
Beigabe. Viehäuser bespricht in seinem Gutachten ausfuhrlich
diesen Punkt und meint, es solle durchweg die Publication in
literae clausae ohne Nennung des päbstlichen Namens geschehen.
Denn für den Fall mancher Weigerung würde so der kaiser-
lichen Reputation weniger geschadet, und dann besitze ja der
Kaiser allen Ständen gegenüber gleiche Autorität, die' durch
päbstliche Einäussnahme auch gegenüber den katholischen nicht
geschädigt werden solle. Viehäuser's Ansicht drang auch durch,
denn ganz in seinem Sinne wurde das kaiserliche Rundschreiben
vom 4./14. September abgefasst. Vom Pabste ist darin mit keinem
Worte die Rede, sondern die Eingangsworte lauten folgender-
massen: ,Derwegen denn unlängst nit allein mit unserm vor-
wissen, sondern auch nit weniger auf etlicher unserer als an-
derer christlichen Potentaten und Herrschaften fiirnemer Mathe-
maticorum vleissiges nachdenkhen vnd gutachten ein Neues
Calendarium verfasset vnd angerichtet ist worden*. Und nun
wird der Stellung Deutschlands inmitten der anderen Reiche
gedacht, aus welcher sich mit Nothwendigkeit ergibt, dass es
Uniformität in der Zeitrechnung wegen Handel und Verkehr
haben müsse. Demgemäss wird auch die kirchliche Seite der
Reform — Osterfeier und Heiligenfeste — vollständig ausser
Acht gelassen; kurz der Wortlaut ist so gehalten, dass auch
der vorsichtigste Protestant an ihm keinen E^ehl hätte finden
können.
Wir sind nun beim entscheidenden Schritte des Kaisers
angelangt, aber zugleich auch bei einem Wendepunkt seines
Verhaltens. Man wird seinem bisherigen Vorgehen nicht ab-
sprechen können, dass es sicher und correct gewesen sei, von
nun an kann man dies nicht mehr behaupten. Das Rund-
schreiben gelangte an die Churfürsten, die vornehmsten geist-
lichen und weltlichen Grossen und an mehrere Städte zur Ver-
sendung, theilweise aber so spät, dass manche es erst nach
dem 5. October — dem Termin der Einführung — erhielten.'
^ So erhielt selbst M&inz das Rundschreibeo so spät, dass dort erst im
November der Kalender eingeführt werden konnte.
f>ie Polemik ftb«r die Oregoriftnische Kftlenderreform. 511
Dann aber wurde die Verschickung plötzlich suspendirt und die
bereits mit UnterBchrift und AdresBe verBehenen Exemplare blieben
in der kaiserlichen Kanzlei liegen. VerhältnisBe in den Erblanden
waren die Veranlassung zu diesem auffallenden Verbalten.
In Ober- und Niederösterreich glaubte man ohne Zu-
stimmung der Stände vorgehen zu können^ obwohl man auch
hier es ftir gut befand, mit äusserster Vorsicht, ja mit List die
Publication vorzunehmen. ^ In Böhmen aber verhandelte man
mit den Ständen; es fehlte nicht an Widerstand in Prag; so
verweigerten die dortigen Mathematiker dem Erzbischof ent-
schieden jede Mithülfe, als er ein Kalenderfragment und die
Aenderung des Festkalenders zum Drucke vorbereitete. Auch
die Stände waren schwierig und erst nach mehrfachen Bedenken
gaben sie im November ihre Einwilligung. Als man in der kaiser-
lichen Kanzlei im September mit der Verschickung des Rund-
schreibens begann, glaubte man wohl, dass diese Zustimmung
früher erfolgen werde ; als keine Aussicht mehr dazu vorhanden
war, sistirte man die weitere Versendung. Nun sollte man meinen,
dass der Kaiser, welcher gerade auch in dem Rundschreiben
die Nothwendigkeit eines einhelligen Vorgehens betont, die
^ In Oberösterreich wurden die Stände geradezu überrumpelt. Obwohl das
Kalenderpatent für Ober- und Niederösterreich vom l./ll. Oetober datirt
ist, so wurde doch erst am *20. Oetober alten Styls dasselbe vom Landes-
hauptmann den gerade versammelten Ständen übermittelt und noch am
selben Tage die Poblication von den Kanzeln anbefohlen. Trotzdem also
der Einführungstermin bereits verstrichen war, sollte doch die Auslassung
der 10 Tage gelten, und der Landeshauptmann führte dies gleich praktisch
durch, indem sein diesbezügliches Patent vom Vortage, d. i. dem 19. Oetober
vom 29. Oetober neuen Styls datirt ist. Es ist dieses auffallende Benehmen
wohl nicht anders zu erklären, als dass man jeder Opposition das Wort
abschneiden wollte; und in der That gluckte es. Am nächsten Tage be-
antworteten die oberösterreichischen Stände eine Anfrage ihrer steirischen
GoUegen, wie sie sich dem neuen Kalender gegenüber verhalten werden.
Obwohl sie ihre Verwunderung über das rasche Vorgehen des Landes-
hauptmanns nicht verbergen, so erklären sie doch, sie wollten sich in
dieser Sache als getreue Unterthanen erweisen, da sie nicht ex auctoritat«
papali — welche ihnen hier zu Lande nichts zu gebieten habe — sondern
aus Reichs- und Landesfiirstlicher Macht und Gewalt vorgenommen worden
sei, und da sie ad politicam und nicht per se ad religionem gehörig sei.
(Linzer Landes-Archiv. Annalen. Vol. XVI. fol. 273 u. f.) Dieses Vor-
gehen der oberösterreichischen Stände, die sonst wegen ihrer Sanftmuth
eben nicht berühmt sind, ist gewiss sehr merkwürdig.
512 K alteobrunner.
Publication bei den bereits benachrichtigten Ständen rückgängig
machte. Dies aber geschah nicht, selbst nicht in Nieder- und
Oberösterreich, wo das Patent vom l./ll, October in Kraft
bestehen blieb, wenn es auch, wie aus mehreren Briefen des
Erzherzogs Ernst hervorgeht, durchaus nicht allgemein befolgt
wurde. Der Stein des Anstosses war jetzt durch die Erklärung
der böhmischen Stände beseitigt, und nun verfasste man in der
kaiserlichen Kanzlei ein zweites Schreiben, (d. d. 18./28. Dec),
worin neben Angabe des Qrundes der Verzögerung die Aus-
lassung der 10 Tage vom 7. zum 17. Jänner 1584 anbefohlen
wird. Aber auch dieses blieb in zahlreichen adressirten Exem-
plaren liegen, während es andererseits an viele Stände verschickt
wurde. Vielleicht hatte man inzwischen eingesehen, dass von
den Evangelischen keine Willfährigkeit mehr zu erwarten sei,
und in der That weisen die Adressen meist auf protestantische
Gebiete hin. Denn in den drei Monaten, die zwischen den beiden
Ausschreibungen liegen, konnte man ja die Wirkungen des
ersten beobachten, und diese waren wahrlich traurig genug. Den
beiden Vettern des Kaisers in Graz und Innsbruck erwuchsen
aus der Publication des Kalenders, die sie im October vor-
genommen hatten, keine frohen Stunden. Karl hatte die heftig-
sten Kämpfe mit seinen Ständen durchzufechten ^ und Ferdi-
nand entstanden wie früher aus dem neuen, nun aus dem alten
Kalender Schwierigkeiten in seinen Vorlanden, namentlich gab
es arge Streitigkeiten in Hagenau und Lindau.
In Ober- und Niederösterreich, wo man auf keinen
offenen Widerstand stiess, war man doch so flau in der
Haltung des Gebotes, dass es eines neuerlichen Patentes (vom
20./10. Jänner 1584) bedurfte. Noch viel schlimmer sah es im
Reiche aus. So war es in Augsburg zu getilhrlichen Händeln
zwischen dem Käthe und der evangelischen Bürgerschaft gekom-
men, die den Kaiser schliesslich zum Einschreiten zwangen.^
* Vgl. ZahD, Der Kaleuderstreit in Steiermark. (Mittheilungen des histVer.
f. Steiermark. 1864.)
2 Die ausführlichste auf Acteu des Augsburger Stadt-Archivs beruhende
Erzählung des Angsburger Kaleuderstreites findet sich in Paul von Stetten's
Geschichte der Stadt Augsburg (Frankf: und Leipz. 1743. Tom 1.) Ich
behalte mir vor, eine Darstellung dieser für das damalige Städteleben
Die Polemik über die Gregoriftnische Kaleuderreform. 513
Zudem liefen von einzelnen Reichsständen Antworten auf das
Randschreiben ein, die wenig Tröstliches meldeten. Wohl zeigten
Mainz und Trier an, dass sie den Kalender publicirt hätten,
aber der Bischof von Speier zum Beispiele erklärt, zu seinem
grössten Bedauern verhindert zu sein, dem Befehle des Kaisers
nachzukommen, denn er sei des Friedens willen gezwungen, auf
seine Kachbarn Rücksicht zu nehmen, und in ganz gleichem
Sinne antworteten die Städte Regensburg, Nürnberg und Strass-
burg. Von den protestantischen Fürsten aber gelangte gar keine
Antwort mehr an den Kaiser — auch nicht von Brandenburg — ;
die Verhetzung der Theologen trug bereits ihre Früchte.
Air diese Dinge machten dem Kaiser schwere Sorgen,
und er wandte sich daher an die Erzherzoge Ferdinand und
Ernst um Rath. Während der erstere keinen zu geben weiss,
fuhrt Ernst in einem weitläufigen und sehr merkwürdigen
Schreiben aus, dass es seiner Ansicht nach das beste wäre,
wenn der Kaiser die Publication des Kalenders wieder rück«
gängig machte. Man hätte zwischen zwei Uebeln zu wählen;
die Protestanten haben sich einmal verbunden , den neuen
Kalender nicht anzunehmen und sie werden, einmal im gemein-
samen Handeln begriffen, noch andere Schritte unternehmen,
die für den ohnehin so hart bedrängten Katholicismus höchst
gefahrlich werden können. Ernst spricht geradezu die Befürch-
tung aus, dass es den Protestanten beim Kalenderhandel nur
um einen Anfang zu thun sei und dass sie weitere gefahr-
lichere Angriffe gegen die Katholischen im Schilde führen.
Auf der anderen Seite kann man sich nicht verhehlen, dass —
sollte der Kaiser die Publication zurücknehmen — den Prote-
stanten dies als grosser Sieg erscheinen müsste, der sie — die
ohnehin schon die Stärkeren sind — leicht verleiten könnte,
nun mit grösserer Hartnäckigkeit ihre Ziele zu verfolgen. In
Hinblick auf die Türkennoth räth aber Ernst, doch nachzugeben,
da ohne Reichshülfe gegen den Erbfeind nichts auszurichten
wäre, geschweige denn, dass man innere Streitigkeiten im
Kücken habend, die Reichsgrenzen vertheidigen könnte. Diesen
Rath nun befolgte der Kaiser wohl nicht, sondern er datirt
interessanten Händel, für welche sich umfangreiches Material im Wiener
Haus-, Hof- und Staats-Archiv findet, zu geben.
SiUongiiber. d. phiL-hist. Cl. LXIXVII. Bd. I. Hft. 33
514 Kaltenbrnnner.
seine Briefe vom 7./17. Jänner 1584 an nach neuem Styl; aber
er that auch fernerhin nichts mehr in dieser Frage bis zum
Jahre 1603, wo Erzherzog Mathias am Reichstage zu Regens-
bürg in seinem Aufti-age die Stände zu einer Vergleichung
aufforderte. Die Delegirten der protestantischen Stände aber
erklärten^ hiefür keine Instructionen zu besitzen^ ^ und so blieb
die Sache beim Alten bis zum Jahre 1699, wo wenigstens eine
theilweise Einigung erzielt wurde. ^
Ich habe bei der Darstellung der Schicksale des Kalenders
vor dem Forum der Reichsfürsten mehrmals des Einflusses zu
erwähnen gehabt, den Schriften von protestantischen Gelehrten
auf ihre Entschliessungen ausübten. Ich gehe nun zur Bespre-
chung derselben über. Den Retgen eröffnet jenes Gutachten,
auf das sich der Pfalzgraf bei Rhein dem Kaiser gegenüber
beruft, und das in seinem Auftrage von dem Professor der
Mathematik in Heidelberg — Michael Maestlin — ab-
gefasst ist.
Maestlin theilt seine Arbeit,' abgesehen von der lang-
athmigen Einleitung in drei Theile. Im ersten handelt er über
die Nothwendigkeit der Reform; es klingt nun in dem Munde
eines Astronomen — Maestlin ist der Lehrer Kepler's — der
zudem sich über die Bestrebungen der früheren Jahrhunderte
nach Kalenderreform sehr gut unterrichtet erweist, befremdlich,
wenn er deren Berechtigung und Nothwendigkeit überhaupt
bestreitet. Für den ,6emeinen Mann^ und den Gelehrten sei
^ Die Reicbstags-Aeten des Jahres 1603 aus dem Chnr-Mainzischen Archir,
denen ich diese Notiz entnehme, befinden sich merkwürdiger Weise im
Linzer Landes-Archive.
^ Ueber die weiteren Schicksale des Kalenders im 17. und 18. Jahrhunderte
hat Piper in der Geschichte des Osterfestes nach der Gregorianischen
Kalenderreform gehandelt.
3 Die Schrift führt den Titel: Ausführlicher Bericht von dem allgemynen
Kalender oder Jahrrechnung wie sie erstlich angestellt worden und was
Irthumb allgem&chlich drjn seycn eingeschlichen; item ob und wie die-
selbige zu verbessern weren ; sampt Erkl&rung der newlichen aussgegmn-
genen Reformation von Bapst Gregorio XIII. und was davon zu halten
aej. — Zuerst gedruckt 1583 von Jakob Müller zu Heidelberg; dann
wiederholt in einem bei Johann Spies in Heidelberg 1584 gedruckten
Buche, das ausserdem noch andere derartige Gutachten von protesten-
tischen Gelehrten enthält. Ich citire dasselbe im folgenden als »Heidel-
berger Sammelbaud^
Die Polemik fiber die Gregorianische KAlenderreform. 515
sie überflüsBig, denn man habe sich bisher ganz gut mit dem
fehlerhaften Kalender beholfen, durch einen neuen könne
höchstens Zwietracht entstehen. Für den Gottesdienst aber habe
überhaupt die Zeitrechnung keine Bedeutung, denn die Oster-
regel sei kein Glaubensartikel und die unbeweglichen Feste
stehen in keinem Zusammenhang mit den Erscheinungen des
SonnenjahreS; in die man sie in den ersten christlichen Zeiten
gebracht hat. Alle diese Bedenken aber werden dadurch erhöht^
dass es sich gar nicht mehr lohnt, für die kurze Zeit, welche
die Welt noch bestehen wird, Unordnung und Zerrüttung durch
Äenderung der Zeitrechnung herbeizuführen ; denn sicher rücke
das Ende der Welt nahe heran. ^ Die Tendenz der Schrift,
welche schon in diesem Abschnitte hervorleuchtet, zeigt sich
nun deutlich im zweiten Theile, in welchem Maestlin unter-
sucht, was denn von der Reform Gregor XIII. zu halten sei.
Er spricht dem Pabste das Recht zur Reform direct ab, und
übt an dem Vorgehen Gregor's die härteste Kritik. Die Kalender-
reform sei kein politisch, sondern ein kirchlich Ding; wenig-
stens fasse man sie in Rom so auf; dies zeige die fortwährende
Berufung auf das Concil von Nicaea und die Worte des Pabstes
in der Bulle ,Inter Gravissimas'. Es gilt daher für die Prote-
stanten ihre evangelische Freiheit, die ihnen durch geheiligte
Verträge gewährleistet ist, zu wahren; denn indem der Pabst
den neuen Kalender ,mandire', greife er ein in das kirchliche
und politische Leben der Nation. Im Besonderen tadelt Maestlin^
dass Gregor dabei auf die Evangelischen keine Rücksicht ge-
* Der Glanbe an den nahen Weltuntergang spukte in der Keformationa-
zeit gewaltig. Nachdem der von Joh. Stoff 1er aus astrologischen Gründen
vorhergesagte Weltkrach im Jahre 1524 nicht eingetreten war, (vgl.Vorgesch.
d. Greg. Kal.-Ref. p. 390) übernahmen die Historiker das Geschäft der
Ung^lücksraben. Sleidanus (De quatuor summis imperiis libri tres Lib. III.)
und Melauchton-Peuccr (Chronicon Carionis. Ep. dedicat.) benützten die
Prophetien DaniePs für ihre geschichtsphilosophischen Drechseleien, indem
sie die Weltgeschichte in ,periodi universales* zu je oOO Jahren (70 pro-
phetische Wochen. 1 Wochentag — 1 gemeinen Jahr) theilten. Ging die
Rechnung nicht zusammen, so musste der Zorn Gottes über das sündige
Treiben der Menschen die Periode abkürzen. Wenn nun gar der Anti-
chriat dazukam, der ja zweifellos in Born sein Unwesen trieb, so war der
Weltuntergang jetzt, wo wieder eine solche Periode im Ablaufen war,
ganz sicher zu erwarten.
33*
516 KaU«nbiiiniier.
nommen habe und hebt im Gegensätze hierzu das Vorgehen
Leo X. rühmend hervor, der von allen Universitäten Gutachten
eingefordert und ausserdem die Hülfe der weltlichen Macht von
Anbeginn an in Anspruch genommen habe.' Maestlin macht
ferner darauf aufmerksam, dass der Pabst zu Augsburg den
versammelten Ständen seinen Plan verschwiegen habe, ferner
dass er ohne über das Reformwerk eine ausführliche Begrün-
dung zu geben, die Haltung des neuen Kalenders anbefehle,
und zwar binnen sehr kurzgestellter Fristen. Maestlin glaubt den
Grund zu diesem Vorgehen darin suchen zu müssen, dass der
Pabst eine gründliche Prüfung seines Werkes durch Gelehrte
scheute und andererseits der Meinung war, dass nach Annahme
des Kalenders auch im Falle, dass die Fehler desselben erkannt
würden, derselbe doch von Niemand mehr abgestellt werden
würde. Der Pabst habe die Evangelischen von Anfang an igno-
rirt, aber er wusste recht gut, dass, wenn die Katholiken den
Kalender annehmen werden, entweder die Protestanten ihnen
nachfolgen und damit selbst ihre evangelische Freiheit schädigen
müssten, oder dass in Folge der Weigerung derselben steter
Hader zwischen den beiden Religion Bparteien in Deutschland
entstehen werde, was ja auch für die geheimen Pläne des Pabst-
thums recht gut passt. Im dritten Theile geht nun Maestlin auf
eine sachliche Kritik des neuen Kalenders ein, für den Fall,
dass wirklich so allgemein, wie behauptet wird, eine Reform
des alten gewünscht werde. Hiebei machen sich mehrere prin-
cipiello Gegensätze zu demselben bemerkbar. Der eine betrifft
die Frage des Osterfestes, die ja den Angelpunkt des alten und
neuen Kalenders bildet. Maestlin ist oflfenbar durch Luthers
Schrift ,Von den Concilien'^ beeinflusst, wenn er für die Fixirung
des Osterfestes an einem bestimmten Tage plaidirt ; er geht aber
noch einen Schritt weiter, wenn er den Satz aufstellt, die kirch-
lichen Gebräuche müssen sich nach den Einrichtungen des bürger-
lichen Jahres richten und nicht umgekehrt. Soll das Sonnenjahr
wirklich corrigirt werden, so hat es keinen Sinn, den Stand des
^ Leo*X. brachte die Kalenderreform auf dem Lateranensischen Coucil zur
VerhandluDg, und forderte durch Kaiser MaximiUan Gutachten von den
deutschen Universitäten. (Vgl. die Vorgeschichte der Gregorianischen
Kalenderreform p. 385 u. ff.)
2 Lutheri Opera edd. Walch. Th. XII. p. 'J676 u. ff.
Die Polemik Ober <Iie Or<»sorianisc1ie Kalenderreform. 517
Nicaenisclien ConcilB herzustellen, denn Christus gelte doch mehr
als dasselbe. Hier zeige sich so recht die Wahrheit der früheren
Behauptung, dass es dem Pabste nur um das Brevier und Missal
und um seine Herrschaft, nicht aber um die allgemeine Wohl-
fahrt zu thun sei. Müssen nun wirklich Tage ausgelassen werden,
so möge man doch bis IßOO warten, denn bis dahin könne
Nutzen und Bedeutung der Reform der heranwachsenden Gene-
ration deutlich gemacht werden, während die alten Leute, die
sich schwer in neue Verhältnisse fügen können, grösstentheils
abgestorben sein werden; auch könnten die Ästronomen bis
dahin der Aenderung in ihren Tafeln Rechnung tragen, zumal
da mit 1600 die meisten Ephemeriden ablaufen. In Bezug auf
den Epactencyclns muss Maestlin eingestehen, dass sein Autor
,viele subtile Kunst' angewendet habe. Ob dies aber nützlich
und nothwendig sei, möge man daraus entnehmen, dass diese
Subtilitäten meist ihren Nutzen viele hundert Jahre nach dem
jüngsten Tage haben werden. Maestlin fragt, ob also Gott, die
Engel und wir in der ewigen Herrlichkeit auch diesen Kalender
werden gebrauchen müssen? Ueberhaupt fällt es ihm auf,
dass in den Schriftstücken des Pabstes niemals vom jüngsten
Tage die Rede ist, und er meint daraus und aus dem Ausdruck
,Ka]endarium perpetuum' den Schluss ziehen zu dürfen, dass
der Pabst und seine Anhänger überhaupt an den jüngsten Tag
nicht glauben. Aber abgesehen von allem dem fragt es sich,
ob denn diese subtilen Rechnungen mit dem astronomischen
Calcül stimmen, oder ob trotz derselben Fehler unterlaufen
können. Da macht sich nun der zweite principielle Gegensatz
bemerkbar: denn sobald Maestlin diese Frage beantworten will,
muss er der astronomischen Zeitrechnung das Wort gegenüber
der cycHschen reden. Indem es Maestlin gelingt, an bestimmten
Fällen eine Differenz zwischen beiden Rechnungen nachzuweisen,
fragt er, was es denn für einen Sinn hat, astronomische Sub-
tilitäten in den Kalender hineinzubringen, wenn man auf der
anderen Seite doch eingestehen muss, dass dieselben nur manch-
mal, aber nicht immer richtig sind. Auch findet es Maestlin
merkwürdig, dass man nicht die zu Grunde gelegten Tafeln
namentlich angeführt habe ; auf jeden Fall müsse mit der An-
nahme des Kalenders gewartet werden, bis darüber von Rom
Aufklärung gegeben worden sei; denn wenn die bisher auf-
518 Kaltenbrunner.
gestellten dabei benützt wurden^ so sei das Werk schon des-
halb hinfällig, habe man aber dafür neue gemacht; so müssen
diese erst eine Prüfung von Seite des Astronomen aushalten.
Indem Maestlin an dieser Stelle von der Schwierigkeit, gute
Tafeln aufzustellen, spricht und die astronomische Richtigkeit
eines neuen Kalenders mit allem Nachdrucke betont, kommt
er zum Schlüsse, dass ein jedes derartiges Unternehmen hin-
fällig sei, und daher am besten von der Reform überhaupt
Umgang genommen werden solle. Mit diesem negativen Resul-
tate schliesst Maestlin seine Arbeit ab.
So wüthend bereits der Protestantismus in dieser Schrift
gegen das Pabstthum ankämpfte, so war damit noch lange nicht
der Höhepunkt eireicht; dies leisteten im selben Jahre der
Reihe nach protestantische Theologen, deren Schriften wir nun
kurz zu betrachten haben. Der Tübinger Professor Lucas
Ossiander^ glaubt folgenden Beweggrund für die Kalender-
reform gefunden zu haben. Da dem Pabste mit den Ablass-
briefen nun in Deutschland das Handwerk gelegt sei, so wolle
er jetzt statt der Abiasszettel Kalender feil haben und dies sei
recht schlau angepackt, denn erstere kaufte man nur in be-
stimmten Jahren, Kalender aber müsse man alle Jahre haben.
Um dies Geschäft recht ausgiebig zu machen, unterstehe sich
der Pabst, mit diesem seinem Kram ein Monopol aufzurichten,
indem er allen Christen bei Strafe des Bannes und 1000 Ducaten
Busse verbietet, seinen neuen Kalender nachzudrucken.^ Ossian-
der sieht schon darin eine Beeinträchtigung der deutschen Na-
tion, da die Monopole in den Reichsconstitutionen und auf vielen
Reichstagen verboten worden seien. Nach dieser schönen Einleitung
1 Bedenken, ob der Newe Bfipstliche Kalender eine Nothdorfit by der
Christenheit seye unnd wie trewiich dieser Bapst Gregorius XIIL die
Sachen damit meyne; ob der Bapst Macht habe, diesen Kalender der
Christenheit auflTzudringen. Ob auch fromme und rechte Christen schuldig
seyn, denselbigen anzunehmen. (Heidelberger Sammelhand. 111.). Froher
gedruckt bei Georg Gruppenbach in Tübingen 1583.
2 In der That findet sich in der Bulle dieser Passus. Als Grund dafür wird
angegeben, dass dadurch Verwirrungen hintan gehalten werden sollen,
und man wird dies wohl als das wahre Motiv des Verbotes ansehen
können. Gehalten wurde es aber keineswegs, denn es lassen sich Kalender-
fragmente nachweisen, die in Wien, München, Trier und Dansig ge-
druckt sind.
Die Polemik Aber die Gregorianische Kftlenderrefonn. 519
geht Oßsiander auf den ersten der im Titel angekündigten
Punkte über. Aus theologischen Gründen^ deren Auseinander-
setzung man mir gerne erlassen wird, bestreitet er die Nothwen-
digkeit der Reform, zumal da der Pabst lieber darauf sehen
sollte, seine Kirche als den Kalender zu reformiren. Indem
Ossiander von den Anmassungen des Antichrist in Rom spricht,
verdächtigt er den Pabst, dass er auch den Gestirnen gebieten
wolle, nach seinem Kalender zu gehen. Wenn aber etwa
Mathematiker demselben Fehler nachweisen sollten, wird man
zu Rom sagen, dass diese, nicht der Pabst fehlen. Zu dieser
Unordnung habe jedenfalls Josua Veranlassung gegeben, als er
Sonne und Mond stille stehen liess, hätte er sie damals ruhig
laufen lassen, so würden ihre Erscheinungen sicherlich mit dem
Gregorianischen Kalender übereinstimmen. Wie Maestlin' schiebt
auch Ossiander der Curie unredliche Absichten unter: sie will
nach seiner Meinung unter den Reichsständen Zwietracht säen
und unter ihren Anhängern selbst sondiren; jene katholischen
Stände, die nicht allsogleich und bereitwillig den neuen Ka-
lender annehmen würden, werden von nun an von ihren geheimen
Plänen nicht mehr unterrichtet werden.
Bei diesen Gesinnungen ist es natürlich, dass Ossiander
dem Pabste das Recht streitig macht, die Reform vorzunehmen
und wieder ihm die evangelische Freiheit als Schild entgegen-
hält. In Folge dessen ist es auch für Ossiander eine aus-
gemachte Sache, dass die Evangelischen mit allen Kräften gegen
die Reform sich wehren müssen; wie aber sollen sich jene
Religionsgenossen verhalten, die unter katholischer Herrschaft
leben? Zunächst sollen auch sie sich auf ihre durch Verträge
geheiligte Freiheit berufen und die Annahme des Kalenders
verweigern. Sollte es aber soweit kommen, dass die Obrigkeit
mit Gewalt und Schliessung der Kirchen droht, so sollen sie
sich dem Zwange fugen; aber an den nun falsch gefeierten
Festtagen sollen die Prediger erklären, dass sie nur gezwungen
sich der Gewalt gefügt und dem römischen Antichrist auch in
diesem Punkte nicht unterworfen seien.
Dieser Rath Ossianders gewann praktische Bedeutung in
Steiermark; es ist nicht zu bezweifeln, dass das ganz in diesem
Sinne abgefasste Gutachten der Tübinger Universität an die
Stände dieses Landes unter dem Einfluss Ossiander's abgefasst
520 KalUnbrnnner.
wurde. ^ Vom gleichen Standpunkte und einem ähnlichen
Gedankengange folgend, bekämpft Lambert Floridus Plie-
ninger den Qregorianisclien Kalender.^ Ihm ist die Aufstellung
dcBselben ein Zeugniss mehr, dass der Pabat der Antichrist sei.
Denn indem er den Kalender auf das Nicaenische Concil und
nicht auf die Zeit Christi zurückführt, zeigt er, dass er nicht
ein Nachfolger des Heilands, sondern der heidnischen Kaiser
sei. Nun habe zur Zeit des Nicaenums die Herrschaft des
Antichrist begonnen, denn damals haben sich die Päbste zuerst
in weltliche Händel gemischt. Nun beginnt eine lange Abhand*
lung über Pabst, Antichrist und das Thier, welchem in der
Apocalypse (cap. XHI) 42 Monate gegeben werden; natürlich
wird der Pabst mit diesem identificirt und zugleich wird aus
dem Ablaufen dieser 42 Monate (1 Monat = 30 Tag, 1 Pro-
phetischer Tag = 1 Jahr) das Herannahen des Weltunterganges
angekündigt. Nähere Ausführungen wird man mir gerne er-
lassen; ich war nur genöthigt, diese Abirrungen menschlicher
Vernunft anzuführen, weil der Kalender darin eine Praemisse
bildet. Noch klarer als Ossiander erkennt Plieninger die Ab-
sicht Roms, wieder festen Fuss in Deutschland zu fassen,
nachdem es nicht gelungen sei, die Inquisition daselbst einzu-
führen. Er macht darauf aufmerksam, dass in dem auf Befehl
des Herzogs Wilhelm von Baiern zu München gedruckten
deutschen Kalenderfragment gesagt werde, der Pabst habe die
Emendation vorgenommen auf emsiges Anhalten der kaiser-
lichen Majestät und anderer vornehmer christlicher Potentaten;
dagegen in dem vom Pabste selbst herausgegebenen von einem
Befehle des Tridentiner Concils die Rede sei. Dahinter stecke
der Plan Roms, durch den deutschen Kalender die Fürsten zu
bewegen, den Kalender anzunehmen, ehe sie durch den italie-
nischen erfahren, welche Zwecke man eigentlich mit dem
Kalender verfolge. Aus der (in allen päbstlichen Bullen vor-
kommenden) Strafandrohung leitet Plieninger des Pabstes
Absicht her, den Religionsfrieden zu stören. Er warnt in eb-
dringlichen, mit den giftigsten AusiUllen auf Rom getränkten
1 vgl. Zahn, a. a. O.
2 Kurtz Bedenken von der Emendation des Jahrs durch Bapst Gregorium Xm.
fürgenoramen etc. (Heidelberger 8amme1band. V.) Vorher gednickt bei
Josias Ricel zn Strassbnrg.
Die Polemik über die Gregorianisrhe Kalenderreforin. 521
Worten die deutschen Fürsten^ sich nicht übertölpeln zu lassen,
damit nicht über sie ein Herzog Alba oder eine Bartholomäus-
nacht komme.
Sachlicher und in anständigerem Tone gehalten sind zwei
^Gutachtens die sich ebenfalls im Heidelberger Sammelbande
finden. Das eine^ ist verfasst auf der Pfalzgräflichen Schule
zu Neustadt a. d. Hardt und für den Pfalzgrafen bei Rhein
bestimmt. Schon dadurch unterscheidet sich der Verfasser von
seinen eben besprochenen Collegen, dass er die dringende
Nothwendigkeit einer Reform anerkennt, und geradezu den
Einwand, dieselbe sei wegen des herannahenden Weltunter-
ganges überflüssig, bekämpft. Auch er ist von Luther beein-
flusst und wünscht ein stabiles Osterfest; ausser den von Luther
angeführten Gründen, weiss er aber noch andere für ein solches
anzugeben. Da einerseits durch cyctische Rechnung niemals
vollständig richtige Ostertage erzielt werden können, anderer-
seits die astronomische Rechnung wegen der Verschiedenheit
der Ortslagen undurchführbar sei, so wäre es eben das beste
und vernünftigste, irgend einen Sonntag für den Ostertag aus-
zuwählen. Den Einwand, dass dadurch wegen einer Sonnen-
finsterniss am Ostertage der Kirche von Seite der Juden Spott
erwachsen könnte, löst der Verfasser auf sehr vernünftige Weise,
indem er daran erinnert, dass ja die christliche Kirche ihren
Gottesdienst am Sonntag feiere, trotzdem Christus ihn am
Sabbath gehalten hat; weicht man in diesem und manchem
andern von den Gebräuchen der ältesten Kirche ab, so hat es
keinen Sinn an anderen so ängstlich festzuhalten. Bezüglich
der Frage, ob die protestantischen Fürsten den Kalender an-
nehmen sollen, meint er, es komme alles auf ein Ueberein-
kommen an; er hofft, dass die Katholiken nicht übereilt und
ohne Rücksicht auf ihre Mitstände handeln werden, dass sie
mehr der Wohlfahrt ihrer Nation als des Gehorsams gegen den
Pabst eingedenk sein werden, und in Uebereinstimmung mit
den Protestanten gemeinsam und zugleich den Kalender an-
nehmen, oder denselben in bequemerer Weise, als es vom
Pabste geschehen sei, reformiren werden.
J Heidelberger Sammelband II. Zuerst gedruckt in der fürstlichen Pfalz
zu Neustadt durch Mathias Harnisch. 11^83.
*>22 Kaltenbrimner.
Der Verfasser des andern an die bairischen Fürsten ge-
richteten Gutachtens* mahnt die protestantischen Fürsten zur
äussersten Vorsicht, denn obwohl die Reform dringend nöthig
sei, so sei doch dieses schnelle Vorgehen des Pabstes höchst
verdächtig, da derselbe den Kalender ohne Zuziehung der
deutschen Fürsten und Mathematiker und noch dazu ohne
gehörige Begründung herausgegeben habe. Dies sei fiir die
Evangelischen Grund genug, sich wegen dieses heimlichen und
verdächtigen Werkes beim Kaiser zu beschweren, und für den
Fall, dass sie noch weiter gedrängt werden sollten, zu ver-
langen, der Pabst müsse früher in einem gründlichen Werke
das Wesen des neuen Kalenders auseinandersetzen, ehe der-
selbe in Deutschland angenommen werde. Hält dann der
Kalender die Prüfung der Astronomen aus und zeigt es sich,
dass er der evangelischen Freiheit nicht gefährlich sei, so wird
es keinen Anstand haben, dass derselbe angenommen werde.
Nur wird dabei die Erkläi'ung nöthig sein, dass die protestan-
tischen Stände den Kalender nicht vom Pabste, sondern vom
Kaiser als ihrer höchsten Obrigkeit annehmen wollen.
Wenn bereits die zuletzt betrachteten Gutachten vernünf-
tigen und ruhigen Vorstellungen einen Platz gönnten, so thut
dies noch mehr eine lateinische am l./H. December 1582 aus
Altdorf an die bairischen Fürsten gerichtete Schrift. ^ Allerdings
sieht der Verfasser die Nothwendigkeit einer Reform nicht ein,
denn das langsame Rückschreiten der Jahrpunkte und Neu-
monde sei schon noch zu ertragen, besonders wenn man das
ehrwürdige Alter dieser Einrichtungen erwägt. In einem cor-
rigirten Cyclus könne man ebensowenig auf die astronomische
Rechnung Rücksicht nehmen, wie im alten und auch keine
Dauerhaftigkeit erzielen; daher sei jetzt die Reform nur ftir
diejenigen nöthig, welche es als Pflicht erachten, die Decrete
der Päbste zu befolgen. Dem Verfasser war vom Herzog
Wilhelm von Baiern das schon erwähnte Kalenderfragment zu-
geschickt worden; an demselben hat er nichts auszusetzen, aber
er kann sich daraus kein Urtheil über die Reform selbst bilden,
was sehr begreiflich ist. Mehr als alle übrigen wendet der
* Heidelberger Sammelband. VI. a.
3 Heidelberger Sammelband VI. b.
Die Polemik über die Oregon aniscbe Kalenderreform. 523
Verfasser sein Augenmerk darauf, wie denn bei der voraus-
sichtlichen Zurückweisung des Kalenders durch die Protestanten
Ordnung in die Zeitrechnung gebracht werden könnte. Im
Falle einer einhelligen Weigerung wünscht er, dass die be-
weglichen Feste von ihnen ganz beseitigt, dagegen das Sonnen-
jahr durch Auslassung von 10 Tagen mit dem Jahre der Papisten
in Einklang gebracht werden solle. Wenn aber weder eine Ver-
einigung zwischen Katholiken und Protestanten, noch unter letz-
teren der angegebene Beschluss zu Stande kommen würde, so
wünscht er, dass jeder nach seinem Gutdünken einen der beiden
Kalender halten sollte, dabei aber müsste energisch dafiir gesorgt
werden, dass nicht noch ein dritter Modus hinzutrete.
Gleichfalls unter dem Uebelstande ungenügender Infor-
mation leidet das an den Landgrafen Wilhelm von Hessen
gerichtete Gutachten des bekannten Martinus Chemnitius.^
Wohl kennt derselbe Kalenderfragmente aus Danzig, Posen und
München, aber daraus erfahre man blutwenig über das Wesen
der Reform. Chemnitius ist übrigens derselben günstig gesinnt,
denn indem er die Fehler des alten Kalenders entwickelt und
auch von den Reformbestrebungen der früheren Zeiten spricht,^
erkennt er ihren Nutzen und ihre Nothwendigkeit vollständig an;
auch theilt er nicht die Befürchtung, es werde durch die Aus-
lassung von 10 Tagen grosse Verwirrung entstehen, denn 1583
würde ja alles wieder im alten Geleise sein, wenn nur ein-
hellig vorgegangen werden würde. Dagegen macht auch er
aufmerksam, dass man ja mit einer etwaigen Annahme der
Reform dem Pabste keine Rechte über die evangelische Kirche
einräume.
Noch im selben Jahre erfolgte aber auch von protestan-
tischer Seite die vollste Zustimmung zur Reform, nämlich von
> Bericht vom newen Päpstischen Gregoriano Calendario an den Land-
graffen zu Hessen, abgefasst 1582, gedrackt 1584 s. 1.
2 Hiebei bringt Cliemnitius die interessante Notiz, dass er beim Besuche
der Bibliothera Prutenica des Johannes Begiomontanns ,Con8ilium de
reformatione calendarii' gesehen habe. Das kann nur das von Regiomon-
tanus beabsichtigte Werk: ,De instauratione Kalendarii ecclesiae* sein,
und dadurch wird meine (Vorgesch. d. Gregor. Kalenderref. pag. 370)
ausgesprochene Vermuthung von der geschehenen Abfassung desselben
bestätigt.
524 Kaltenbranner.
dem Qörlitzer Patrizier Bartholomäus Scultetus in dem
an den Kaiser gerichteten Kalendarium Komanum, ^ das mir
leider weder in Wien noch in Berlin zugänglich war.
Alle diese bisher betrachteten Schriften sind mehr oder
weniger in die Form von Gutachten gebracht und als solche
entweder an die Nation oder an einzelne Fürsten gerichtet.
Sie hatten denn auch den von ihren Verfassern gewünschten
Erfolg: aller Orten machte sich Opposition bemerkbar, die
sich in Steiermark, namentlich aber in Augsbui^ zu bedenk*
liehen Tumulten steigerte. Gerade um den Ealenderstreit zu
Augsburg drehen sich nun mehrere Schriften, die meist ausser-
halb des Rahmens dieser Betrachtung gehören, da sie nur die
an denselben geknüpften rechtliehen Fragen behandeln. Aber
einer Schrift müssen wir noch Aufmerksamkeit schenken, da
sie an einer bedeutenden Universität entstand und den An-
stoss zu einer ausführlichen Widerlegung von katholischer
Seite gab. Der Tübinger Professor Jakobus Heerbrandua
fand sich veranlasst, die renitenten Prediger von Augsburg zum
Ausharren im Widerstand gegen ihre Obrigkeit zu ermuntern,
und stellte zu dem Behufe Thesen über die Kalenderfrage auf.^
^ Diesea KAlendarlnm Roroannm nnis» eine aiiAfiihrliobe Begründong und
Vertheidigung der Qregorianischen Reform als Einleitung haben. Wir
erfahren diea sowohl ans der später zu besprechenden Schrift des Pro-
testanten Schalin als auch ans der Moscovia des Jesuiten Possevinus*
Letzterer, welcher darauf grosses Gewicht legt, erzählt auch, dass Scul-
tetus eine zweite derartige Schrift zur Herausgabe vorbereite, in welche
er auch Einblick erhalten habe. Eine Stelle theilt Possevinus daraus mit,
— Scultetus bedauert darin, daMS man eine an sich gute Sache aas Hass
gegen ihren Urheber bekämpfe, das Licht der Finsterniss vorziehe n. s. f.
— Ob diese Arbeit jemals gedruckt wurde, vermag ich nicht anzugeben.
Gewiss wurde das Kalendarium veröffentlicht, aber trotz seiner versöhn«
liehen Haltung in Oesterreich vom Kaiser verboten. Es geschah die« anf
Antrag des Dr. Paulus Fabricius und zwar deshalb, weil Scultetus neben
dem alten und neuen Kalender eine dritte Form aufgestellt hatte, in
welcher 1585 ein Schaltjahr sein sollte. Fabricius, der gerade über diese
Frage ein Gutachten an den Kaiser abgab, beantragte diese IfassregeK
weil er fürchtete, es könnte der Kalender des Scultetus Verwirrung an-
stiften. Ueberhaupt beschäftigte sich die damals in Bliithe kommende
Büchercensur auch mit den Kalendern (vgl. Wiedcmann, Die kirchliche
Büchercensur in der Erzdiöcese Wien. Archiv f. österr. Gesch. L. 1.).
2 Disputatio de Adiaphorin et calendario Gregoriano. Tübingen 1684. Mit
einer Vorrede an die Doctoren, Pastoren und Diakonen von AQ|r*bnrg^.
Die Polemik über die Gre^orünUch« KaleDderreform. 526
Auch Ueerbrand erkennt, dass der Pabst durch sein Kalender-
werk neuerdings bewiesen habe, dass er der Antichrist sei. Die
Begründung hiefür nimmt er aus der Prophezeiung Daniels,
wo von ihm gesagt wird ,putabit se posse mutare temporal '
Es ist daher auch für ihn eine ausgemachte Sache, dass hinter
dem Kalender böse Pläne versteckt sind; er vergleicht den
Pabst mit dem Wolfe, der heulend die Hürden der Lämmer
umkreist, den Kalender mit dem trojanischen Pferd, das, würde
es in die evangelische Kirche gebracht werden, bald seinen
verbängnissvollen Inhalt päbstlicher Knechtschaft und Abgötterei
entleeren und namenlosen Jammer über die Getreuen Gottes
bringen würde. Denn zum Zwecke des Götzendienstes ist doch
der Kalender gemacht, denn in der Bulle gibt Gregor aus-
drücklich aUy dass die Gedächtnisstage der Heiligen wieder
richtig gestellt werden sollen. Interessant und neu ist es nun,
dass Heerbrand die Frage des Adiaphoron herbeizieht. '^ Luther
im Buche ,von den Concilien^ und die Apologie der Augsburger
Confession hatten die Festfeier — Ostern mit inbegriffen —
als für den Glauben gleichgültig hingestellt und etwaige Aen-
derungen als zur Competenz der weltlichen Obrigkeit gehörig
erklärt. Indem Heerbrand nun zu erweisen sucht, dass die
jetzige Frage kein Adiaphoron sei, fühlt er sich veranlasst,
diese beiden Aussprüche zu umgehen. Luther hatte zu klar
gesprochen, als dass sich da etwas deuteln liess. Heerbrand
greift daher einen andern Satz desselben heraus, nämlich, dass
man in Bezug auf ,an sich gleichgültige Dinge' äusserst vor-
sichtig sein müsse, damit nicht etwa unter dem Verwände der
weltlichen Sache die christliche Freiheit beeinträchtigt werde.
In dieser Lage aber befindet sich nach Heerbrand's Ansicht
die evangelische Kirche in der Kalenderfrage. Denn wenn
auch von der weltlichen Obrigkeit der Kalender publicirt wurde,
so geschah dies — man mag es nun noch so läugnen — auf
In Folge dieser wurde Heerbrand'a Schrift vom Augsburger Rathe ver-
boten. (Brief des Job. Maior an Tycho de Brahe. Cod. Vindob. 106866«
fül. 7öb.)
» Daniel 7, 25.
^ Vgl. über Begriff und Geschichte des Adiaphoron in der evangelischen
Kirche: Herzog, Real-£ncyclopaedie. I. 126.
526 Kaltenbranner.
Antrieb des Pabstcs, und wenn auch die Obi'igkeiten keine
Bchlimmen Hintergedanken haben^ so hat sie doch der Pabst^
was von ihm und seinen CoUegen klar bewiesen worden sei.
Also würde auch Luther in diesem Falle gegen die Annahme
des Kalenders sprechen. Leichter wird Ileerbrand mit der
Augsburger Apologie fertig, zumal da ihm im Eifer die Logik
abhanden kommt. Dieselbe nennt die Feier der Feste ^ordi-
nationes politicae^* Er führt nun aus, wie griechisch xsXutia
bedeute: ,gubernatio, regimen et quacumque administratione
accipitur'. Diese Verwaltung aber sei eine doppelte, eine welt-
liche und eine geistliche, und wenn daher von einer ordinatio
politica die Rede sei, so werde damit nicht gesagt, dass sie in
den Bereich der weltlichen Obrigkeit gehöre, sondern sie könne
ebenso gut kirchliche Angelegenheit sein. Jener Ausdruck be-
sage also nur, dass die Festfeier keine Glaubenssache sei, aber
eine kirchliche Angelegenheit bleibe sie doch, und eine solche
könne von der Obrigkeit nur mit Herbeiziehung von Theologen
behandelt werden. Nun hätten sich aus allbekannten Gründen
die protestantischen Geistlichen gegen die Annahme des Ka-
lenders entschieden, und daher stehe es der weltlichen Obrigkeit
nicht zu, ihnen denselben aufzudrängen. Hccrbrand behauptet
also, dass die an sich für den Glauben gleichgültige Frage durch
die aus ihr erwachsenden Gefahren und die sie begleitenden
Nebenumstände aus dem Bereiche des Adiaphoron heraustrete.
Dazu kommt folgende Erwägung: Wenn auch der Kalender
an sich Adiaphoron ist, so gehört zum Wesen desselben gc^n-
seitige Uebcreinkunft, respective Nachgiebigkeit des Stärkeren
gegenüber dem Schwächeren in einer den Glauben nicht be-
rührenden Sache. Hier aber ist von keiner Uebereinkunft die
Rede, denn der Pabst verständigte von Anfang an nur die
katholischen Fürsten und Universitäten, und er befiehlt unter
Androhung des Bannes und des Zornes der Apostelfürsten^
und so tritt von Seite der Katholischen Zwang an die Stelle
des Zugeständnisses, was überdies auch das ,Mandamus' und
der Satz: ,Nulli ergo omnino hominum' des Bulle deutlich
beweist. Nehmen also die Protestanten den Kalender an, so
machen sie sich zu Knechten des Pabstes und zu Dienern seiner
1 Artikel 28.
Die Polemik aber die Greforianische Kalenderreform. 527
Götzeu und räumen ihm Jumdiction über ihre Kirchen ein,
welche ihm durch den Passauer Vertrag und den Augsburger
Keligionsfrieden gesetzlich entzogen ist. *
' Dem hier gepredigtea Terroriitmas verdankt folgende Schrift ihre Ent-
stehung : JohannesSchulin: Entachuidigung und Ableinung wegen der
Praefation oder Declaratiuu den neuen pKpstischen Kalender betreffend,
welche ohne sein wissen willen und meinung seinen Calcndariis ist fUr-
gesetzt worden. Tübingen 1684. Die Sache verhält sich nach des Ver-
fassers Erzählung folge ndermassen: Der Buchdrucker Niclas Knor in
Nürnberg setzte ßchnlin*s Kalender für das Jahr 1584 eine Praefatio vor^
in der die Kalenderreform als nothwendig und richtig anerkannt wird;
ausserdem enthielt der Kalender die Feste und Jahrmärkte nach altem
und neuem Styl gegenübergestellt. Deshalb nun wurde Schulin von
yhochverstendigen* Leuten verdächtigt, als ob er mit dem Pabste unter
einem Hütlein spiele und dessen unnöthiges gerumpeltes Zeug als richtig
anerkenne. Schulin verwahrt sich nun dagegen feierlidist und erklärt,
er für seine Person halte es — trotz der Fehler des julianischen Jahres
— nicht mehr für nöthig, dasselbe zu corrlgiren, da nach der Prophezeiung
Daniels nur mehr 416 Jahre bis zum Ende der Welt seien. Auch sei klar
und deutlich, dass der Pabst mit dem neuen Kalender nur Verwirrung an-
richten und die evangelische Kirche knechten wolle. Bezüglich der leidigen
Praefatio aber verhalte es sich folgendermassen : Kurz vor Erscheinen
des Druckes habe ihm Knor geschrieben, er hätte eine Praefatio zum
Kalender gewünscht, da aber nicht mehr Zeit zur Abfassung einer solchen
sei, so habe er die ans dem Kalender des Scultetus genommen und vor-
gedruckt. Sollte Schulin dieselbe nicht haben wollen, so solle er nur
die zwei vorderen Blätter zusammenkleben lassen. Da aber die Kalender
gleich von Nürnberg aus verschickt wurden, so habe dies nicht geschehen
können und so sei die unsinnige Praefatio stehen geblieben. Dass er die
Feste und Jahrmärkte nach dem neuen Kalender beigegeben habe, könne
man ihm nicht zum Vorwurf machen; obwohl er hoffe, dass der Pabst
seinen Lumpenkram bald wieder aus Deutschland werde zurückziehen
müssen, so habe er jene Glaubensgenossen, denen von ihrer Obrigkeit
der neue Kalender aufgenöthigt wurde, vor Irrthum bewahren und so
den Plan des Pabstes, Verwirrung anzurichten, vereiteln wollen. —
Praktische Bedeutung gewann diese zelotische Ansicht Heerbrand's in
Stejr, wo die protestantischen Prediger, gemäss des Beschlusses der ober-
österreichischen Stände, den Kalender von der Kanzel verkündet hatten,
nachdem ihre Bitte, man möge ihnen wenigstens die Publication in der
Kirche erlassen, vom Landeshanptmanne abgeschlagen worden war. Als
88 sich nun im Jahre t&86 um die Besetzung einer neuen Praedicanten-
Stelle handelte, verweigerte der Superintendent in Regensburg — Bar-
tholomaeus Kosinus, — die Ordination, weil das Ministerium in Steyr durch
Annahme des neuen Kalenders sich wieder unter das Pabstthum begeben
habe. (Vgl. Preuenhuber, Annales Styrienses, pag. 302.)
528 Kalienbrunner.
Der Vorwurf, dass hiedurch Unfrieden im Reiche gpestiftet
werde, der berühre weiter nicht die Protestanten, denn wer
hat hier die Schuld, der, welcher den Grund zum Bruche des
Keligionsfriedeus gibt, oder der, welcher nur sein verbrieftes
Recht, vertheidigt? Der glühendste Hass gegen Rom durch-
weht die ganze Schrift Hecrbrand's, und sie bezeichnet den
Höhepunkt der Angriffe, die vom theologischen Standpunkte aus
gegen den Kalender gemacht wurden.
Natürlich fehlte es auch nicht an Flugschriften in dieser
Angelegenheit. So wurde anonym jener Absatz der Lutherischen
Schrift ,von den Concilien', der über den Kalender handelt und
der, wie wir gesehen haben, schon von mehreren benutzt wurde,
herausgegeben. Der Anonymus fügt demselben eine entsprechende
Einleitung bei, worin er die Meinung ausspricht, der Pabst
wolle alle Nationen, die noch unter seiner Stockmeisterei liegen,
von den Deutschen in Handel und Wandel trennen und ausser-
dem Zwietracht und Hader unter ihnen selbst slien. Auch ,ein
Neu Jahrsgeschenk' erhielten 1584 die christlichen Leser in
einem Gedichte, in welchem der Pabst verglichen wird mit
dem Athener Cynesias, ^ der darin seine Hauptbeschäftigung
sah, das zu thun, was andere Leute nicht thaten. So wolle
auch der Pabst jetzt die ganze Ordnung des Jahres verwirren,
in der Absicht, Zwietracht zu säen und Aergerniss zu erregen*
Der Dichter gibt sich übrigens der Hoffnung hin, dass ihm
dies nicht gelingen werde, und geht dann zu der sehr nütz-
lichen Beweisführung über, dass Gregor XHI. der wahre Pabst-
esel sei. Drollig und voll des derben Witzes jener Zeit ist ,ein
kurtzweiliges Gespräch zweier meissnerischer Bauern
über den neuen Bäpstischen Kalender^, das 1584 zu
Dresden gedruckt wurde. An die Spitze desselben sind zwei
Verse gestellt, von denen der eine unbedingt aus älterer Zeit
herrührt, der andere dem analogen Verhältnisse entsprechend
sich auf das Jahr 1584 bezieht. Sie lauten:
a. »Bremenses Asioi clanaabaDt Resurexi
Cam Popalus Dei cantavit Oculi mei/
6. jWeiin wir Bawru Oculi mei han
Des Bapst'B Gesindt ihr Ostern beghan.*
1 Es ist hiemit oflfenbar der Dytbryrambendichter Oinesias gemeint (vgl. Aup.
Pauly Real-Encyclopfidie der klassischen Alterth ums Wissenschaften).
Die Polemik fiber die Oregorianiiche Kalenderreforra. 529
Den ersten Vers berührt schon Regiomontanus, der die
Thatsache erzählt, dass die Priester von Bremen einst Ostern
um vier Wochen früher als die übrigen Christen gefeiert haben. *
Der zweite bezieht sich auf die Osterdifferenz des Jahres 1584,
in welchem nach dem Gregorianischen Kalender am 1. April
(alter Styl 22. März), nach dem alten am 19. April Ostern
gefeiert wurde.
Von dieser Verschiedenheit der Osterfeier erzählt Herten
beim Weinkrug seinem Freunde -ßebel und nun beginnen beide
ihren Gedankenaustausch über das neueste Werk des Antichrist.
Natürlich sehen sie die Nothwendigkeit einer Reform des alten
Kalenders, in und nach welchem Christus geboren worden sei,
nicht ein; auch müsse der alte der richtige sein, da ihn doch
die Thiere halten, so fliege der Storch genau nach diesem und
nicht nach dem neuen Kalender weg. Auch sie erkennen in
diesem Werke teuflische Bosheit; der Pabst fürchte, der jüngste
Tag möge zu rasch kommen; nun habe er den neuen Kalender
gemacht, damit Christus irre werde und nicht wissen soll, wann
er denn eigentlich zum Gericht zu erscheinen hat, so dass der
Pabst noch länger seine Bubenstücke vollführen könne.
Kbenfalls an diese Osterdifferenz knüpft eine ,Bawren-
klag über des Römischen Bapstes Gregorii XIII. newen
Calender' an. Im Besonderen wird hier geklagt, dass der
neue Kalender die Loostage verrückt habe, so dass die Bauern
nicht mehr wissen, wann sie das Feld bestellen sollen; auch
die Vögel sind nun in Ungewissheit, wann sie singen und ab-
fliegen sollen. Als Strafe für all' dieses Wirrniss, welches der
Pabst angerichtet, wünscht ihm der Dichter, dass Gott mit
ihm das jüngste Gericht 10 Tage früher als mit allen übrigen
Menschen anrichten möge. Nur in ganz losem Zusammenhang
steht die Kalenderfrage in dem 1590 gedruckten Gedichte:
,Der Weiber Krieg wider den Bapst, darumb das er
zehen tage aus dem Calender gestohlen hat^ Das weib-
liche Regiment über die Männer erstreckt sich über das ganze
Jahr mit Ausnahme der Marterwoche, wo diese nicht gehindert
werden können, in die Trinkstube und zur Unterhaltung zu
* V^l. Die Vorgeschichte der Gregor. Kalenderreform, pag. 370. Der
Wortlaut des Verses möge als Nachtrag zur dortigen Notiz gelten.
Sitinngibar. d. phiL-Mst. Q. LXXXYII. Bd. I. Hft. 34
530 Kaltenbrunner.
gehen (!). Durch die Auslassung von 10 Tagen wird nun insofern
das angemasste Recht der Frauen verletzt, als nun die Männer
zwei Marterwochen, nach altem und neuem Kalender nämlich,
annehmen; daher trachten die ersteren darnach, den Pabst zu
bekriegen und ihn zur Rücknahme seines Werkes zu zwingen.
Da der Dichter sichtlich auch unter der Herrschaft seiner Ehe-
hälfte schmachtet, so sollte man meinen, er stünde auf Seite
des Gregorianischen Kalenders; aber mit nichten, er zieht es
noch immer vor, auf der Erde die durch die Weiber ange-
zündete Hölle zu ertragen, als im ewigen Feuer mit den
Papisten zu braten.
III. Katholische Antworten.
Alle diese heftigen Angriffe gegen den Kalender muifeten
natürlich auch auf katholischer Seite zu Erwiderungen führen;
wir bemerken aber eine auffallende Ruhe, die wohl nur darin
ihre Erklärung finden kann, dass man erwartete, von Rom aus
werde eine energische Entgegnung erfolgen. Dort aber ignorirte
man alle diese Angriffe, und erst als eine sachliche Opposition
sich entwickelte, da sah man sich genöthigt, in den Kampf
einzutreten. Ganz jedoch fehlte es doch nicht an Erwiderungen,
die natürlich auch über das Ziel hinausschiessen; aber die Mass-
losigkeit der Gegner macht es ihnen leicht, eine gewisse geistige
Ueberlegenheit zur Schau zu tragen.
Die erste Widerlegung erfuhren die Gegner von jenem
Dr. Fabricius, dessen Gutachten über die Keform wir kennen
gelernt haben. Freilich ist dieselbe nicht in die Oeffentlichkeit
gedrungen, denn es lässt sich kein Druck nachweisen, aber sie
war für den Kaiser bestimmt und hat insofern Bedeutung. *
* Die Schrift des Fabricius findet sich handschriftlich im Cod. Vindob. 10711.
Anffalleud ist dabei, dass sich dieselbe auf der kaiserlichen Hofbibliothek
findet, während alle Schriftstücke über die Kalenderfrage in zwei Fascikeln
des Haus-, Hof- und Staats-Archives zusammengetragen sind. Durch diesen
Umstand könnte man versucht werden, anzunehmen, dass Fabriciira die
Schrift an den Kaiser nicht eingereicht habe, zumal da der vorliegende
Codex nicht Entwurf, sondern Beinschrift ist. Dass sie auf Befehl des
Kaisers abgefasst ist, sagt Fabricius ausdrücklich nebst Angabe der Ver-
anlassung hiezu ; ausserdem findet sich auf dem Briefe des Pfalzgrafen die
Kanzleinote vom 26. Sept./6. October: ,die8e Censura soll dem Dr. Fabricias
zur Begutachtung zugestellt werden'. Maestlin erzählt in seiner zweiten
Di« Polemik über 4i« Gregerlanieehe Kalenderreform. 531
Die Schrift des Maestlin nämlich war vom Pfalzgrafen Ludwig
Philipp dem Kaiser mit dem Briefe vom 3./ 13. Sept. 1583,
überschickt worden und dieser befahl, dieselbe dem Fabricius
zur Begutachtung zuzustellen. Des Fabricius Schrift ist daher
nur gegen Maestlin gerichtet im allgemeinen und besonderen.
Er übergeht die von demselben angeregten Religionsfragen als
nicht zur Sache gehörig und wendet sich hauptsächlich gegen
jene Punkte, die Maestlin dafür angeführt hatte, dass die Reform
des Kalenders an sich unnütz und schädlich sei.
jlst es doch durch das Naturrecht geboten, dass ein an-
erkannter Fehler beseitigt werde. Da bis jetzt 10 Tage zu
viel gezählt worden sind, so sind diese nichts als leere Zahlen,
ein effectus sine sua causa oder doch efFectus prior sua causa.
Da es nun absurd ist, efFectum ponere ante causam aut sine sua
causa, so müssen auch aus logischen Gründen diese 10 Tage
ausgelassen werden. Zudem widerspreche sich Maestlin ver-
blendet vom Hasse gegen den Pabst, wenn er einerseits keine
Reform will und von der Auslassung von 10 Tagen Verwirrung
befürchtet, und andei^rseits sich gegenüber der angewendeten
Form für eine solche von 13 Tagen ausspricht. Interessant ist,
dass Fabricius ebenfalls die Schrift Luther^s herbeizieht und
aus seinen Worten folgert, dass die Protestanten mit gutem
Gewissen den Kalender annehmen können, nachdem ihn der
Kaiser als weltliche Obrigkeit publicirt habe.
Maestlin hatte — wie angeführt wurde — das heran-
nahende Ende der Welt als Argument gegen die Reform an-
geführt und zugleich das unternehmen des Pabstes als ein
Symptom desselben bezeichnet. Fabricius fragt ihn nun, was
es bei diesen seinen Ansichten fiir einen Sinn habe, noch bis
1600 die Reform zu verschieben? Andererseits, wenn seine
An«*icht richtig sei — was ihm von glaubwürdigen Theologen
Arbelt - dem Altcnim Examen — üähs ein Mathematiker von bedeuten-
dem Ruf willer ihn g-eschrieben habe, aber durch höhere Autorität ver-
hindert worden »ei, die Schrift v.n veröffentlichen, da sie allzu starke
AusfKUe g^egen seine Person enthalten habe. Möglieh ist es immerhin,
dass dies auf Wahrheit beruht, und dann könnte man es recht gut auf
des Fabricius Schrift beziehen, in Hinblick auf die Aengstlichkeit, mit der
man am kaiserlichen Hofe bemüht war, eine Einigung in der Kalender-
sache herbeizuführen.
34»
532 Kaltenbrvnntr.
auch versichert werde — wie kann er es wagen, gegen dieses
Zeichen anzukämpfen, meint er etwa, damit den jüngsten Tag
aufhalten zu können? Nicht ohne Geschick bekämpft Fabricius
die Behauptung des Gegners, dass die Protestanten schon wegen
seines päbstlichen Ursprungs den Kalender nicht annelmien
könnten. Befurchtet Maestlin aus einem Lutheraner ein Papist
zu werden, so möge er doch bedenken, dass er dann allzeit
päbstisch gewesen sei, indem er doch bisher mit den Papisten
den Kalender und die vornehmsten Feste gehalten habe. Auch
sieht Fabricius nicht ein, wie denn durch die Auslassung von
10 Tagen so grosse Verwirrung entstehen könnte; überhaupt
könnte dies nur im Correctionsjahre selbst der Fall sein, aber
wenn den Bauern wegen ihrer Loostage und Kegeln die Sache
von den Predigern gehörig eingeprägt würde, werden sie es
wohl begreifen, und bei Zinsen und Gehalten muss eben darauf
Rücksicht genommen werden, dass 10 Tage fehlen und müssen
diese in Abzug gebracht werden.^ In einem Punkte aber be-
gegnen sich die beiden Männer, nämlich in der Frage der
cyclischen Berechnung und Fabricius erklärt, Maestlin hätte
mehr Ehre geemtet, wenn er einzig in diesem Punkte sein
Müthchen am Pabste gekühlt hätte, anstatt die ganze Religions-
sache herbeizuziehen. So bittet er denn schliesslich seinen
Herrn und Kaiser, er möge dem Buche Maestlin 's gar keine
Beachtung schenken, mit Ausnahme seiner Bemerkungen ,über
die Zirkelraitung und die observationes motuum coelestium^ '^
^ In der That wurde dies in Innerösterreieh gethan und den Beamten die
Quote von 10 Tagen abgezogen. (Kürschner, Die Einführung des Gregor.
Kalenders bei der Beichs-Hofkammer. Oesterreichische Wocbenscbrift. 1872.
Heft 27, pag. 849.)
' Fabricius war auch sonst in der Kalender- Angelegenheit thätig. 1583 ver-
faaste er einen Kalender, der sich handschriftlich im Cod. Viudob. U»693
findet. Er will damit den Uebergang zum neuen Styl erleichtern und steUr
daher bis 16U0 die Angaben des alten und des neuen Kalenders gegenfiber.
Daneben aber macht sich auch bei ihm die Neuerungssucht geltend, denn «1^
drittes erscheint ein «Kalendarium adoptivum*, dessen Angaben denen des
alten um 1 Tag voraus sind. Wie sich Fabricius dieses gedacht bat, läast
sich nicht sagen, denn er verweist nur in der Ueberschrift zu dieser Columne
auf ein anderes Werk, wo er ausführlich darüber gehandelt habe. In dem
grösstentheils Lambecius entnommenen Verzeichnisse seiner Werke bei
Adelung (Gelehrtenlexicon) findet sich kein entsprechendes angegeben and
auch sonst ist mir dasselbe nicht bekannt geworden.
Die Polemik ftber die Gkregorianieohe K»lenderreform. 533
Jenen Thesen, welche Jacobus Heerbrandus gegen den
Kalender aufgestellt hatte, wurden zu Mainz von dem Jesuiten
Johann Busaeus solche entgegengestellt. * Abgesehen davon,
dass Busaeus den Fehler begeht, die Autorität des Pabstes als
unanfechtbar hinzustellen, was natürlich für einen Polemiker,
der ganz in den Ideenkreis des Oegners eingehen soll, einem
Protestanten gegenüber schlecht angewendet ist, muss man
sagen, dass er mit grosser Ueberlegenheit und Gewandtheit die
Behauptungen seines Gegners entkräftet. Heerbrand und alle
seine Qesinnungsgenossep hatten behauptet, dass wegen des
Pabstes der neue Kalender nicht angenommen werden könne,
sondern dass die Reform Sache der weltlichen Obrigkeit ist
und stets war, wobei hauptsächlich Caesar und Constantin
herbeigezogen wurden. Busaeus macht mit Recht dagegen
geltend, dass Caesar nicht als Dictator, sondern als Pontifex
Maximus seine Reform unternommen und dass Constantin nur
die Initiative, nicht aber die Ausführung der Osterregelung er-
griffen habe. Busaeus ist so schlau, nicht zu behaupten, dass
der Pabst der einzige sei, der jetzt die Reform vornehmen
dürfe, sondern er stellt die These auf, dass er unter den gegen-
wärtigen Verhältnissen der einzige sei, welcher sie durchführen
könne. Er erinnert die Evangelischen daran, dass Deutschland
nicht allein in Europa da sei, und dass in Folge dessen die
deutschen Fürsten nicht von Europa verlangen können, dass
man entweder von der als nöthig erkannten Reform abstehe,
oder ihnen zu Liebe eine andere Form derselben wähle. Die
Berufung auf ein allgemeines Concil sei auch müssig, denn die
Nicht-Anerkennung des Pabstes als Vorsitzenden desselben bildet
eine zu grosse Kluft zwischen beiden Parteien. Höhnend hält
Busaeus den Gegnern vor, dass sie ja selbst unter sich nicht
einig sind, dass das von den Protestanten Behauptete aufs
heftigste von den Calvinisten bekämpft werde und umgekehrt.
Wer also — fragt Busaeus — wäre in den gegenwärtigen
Zeiten im Stande, in Europa ein Werk durchzuführen, als der
Pabst? Nun könne man ja von den Protestanten gar nicht
* De Cklendario Gregoriano DiBputatto apologetica, Doctoris Theologiae
Dispntationi Lutheranae Tübingens! opposita et in Academia Moguntia
anno MDLXXXV proposita. Main/. 1586.
534 Kaltenbrnnner.
verlangen^ dass sie aus Gehorsam gegen denselben den neuen
Kalender annehmen sollen; nur vom Standpunkt der Nützlich-
keit und des Friedens halber hätten sie sich dem Willen der
Katholischen fügen sollen. Im Weiteren sucht Busaeus zu
beweisen^ dass der Kalender ein Adiaphoron sei und von
den Protestanten, obwohl vom Pabste kommend, angenommen
werden könnte. Die Herbeiziehung des Wortes ,Mandamu8'
der Bulle sei ganz unrichtig, denn der Pabst habe ja damit
nur den Gläubigen, nicht den Ketzern etwas befohlen; des-
gleichen kann ja die Androhung dqs Bannes für die schon
längst Excommunicirtcn und Ausgestossenen nichts gelten. Den
Protestanten sei die Haltung des Kalenders vom Kaiser ohne
Nennung des päbstlichen Namens anbefohlen worden; wie
steht es da mit der Aufrichtigkeit des Hoerbrand und seiner
Genossen, die behaupteten, dass der Kalender anzunehmen
gewesen wäre, wenn er vom Kaiser publicirt worden wäre?
Der Kalender gehört ferner unter jene Dinge, die Katholiken
und Protestanten gemeinsam sind, haben doch bis jetzt alle
Ketzer aus gutem Willen das Osterfest mit der Kirche gefeiert;
ist doch auch der verbesserte Kalender nur der Form, nicht
dem Wesen nach, vom alten verschieden und berührt doch
diese Form nicht die Glaubenslehre, sondern gehört in das
Gebiet der Mathematik, daher auch die Aenderungen lediglich
durch den Fleiss der Mathematiker, nicht der Theologen, in
Rom zu Stande gekommen sind.
Auch von München aus wurde der Kalender vertheidigt.
Im Jahre 1586 gab dort Johannes Rasch ein deutsches Buch
zu dem Behufe heraus, das mir leider nicht zugänglich war;
ich kenne nur ein Capitel desselben aus Maestlin's später zu
besprechender Schrift. Aus diesem geht hervor, dass Rasch
sich auch auf die astronomischen Fragen einlässt (^das Capitel
führt die Ueberschrift ,Epacta') und gegen Maestlin's Buch
polemisirt. Besonders geschickt scheint übrigens die Verthei-
digung nicht gewesen zu sein, denn Rasch erklärt die von
Maestlin nachgewiesenen Fehler der Epactenrechnung durch
die Anwendung einer anderen Tagesepoche und eines anderen
Meridians, und scheint so weit über das Ziel hinausgeschossen
zu haben, indem er den Kalender über alle Fehler erhaben
hinstellte.
Die Polemik Aber die Gregori^niache Kalenderrefom. Öo5
Auch an Flugschriften Iiess man es katholische rseits
nicht fehlen, so dass wy* jene drei Specimina des Angriffs durch
drei gleichartige Vertheidiguugs-Methoden vertreten finden. Jene
zwei meissnerischen Bauern hatten erwähnt, dass die Störche
nach dem alten nicht nach dem neuen Kalender wegfliegen,
und wohl jedermann wii*d ihnen dies geglaubt haben. Katho-
lischerseits stellte man grössere Ansprüche auf Vertrauens-
seligkeit, denn nach einer lö84 zu Mainz gedruckten , Zeitung^ ■
richteten sich die Naturerscheinungen nach dem neuen Kalender
d. h. sie berücksichtigten die Auslassung von 10 Tagen. Dies
wird bewiesen durch den Bi'ief eines Reisenden an den Pfarr-
herrn von Nicolöburg folgenden Inhalte. Als der Schreiber
nach Graz zum Krzherzog Karl kam, erzählte ihm dieser, dass
in dem Dorfe Campo Longo bei Görz ein Nussbaum stehe, der
jedesmal am Johannestage zu grünen und Früchte zu tragen
anfange. Als nun 1583 die 10 Tage ausgelassen wurden, habe
der Baum ebenfalls am Johannistage, also 10 Tage früher als
in den Vorjahren gegrünt und damit wohl deutlich bewiesen,
dass er sich nach dem neuen Kalender richte. Der Schreiber
selbst ist dann in Görz gewesen und hat das Wunder vom
Kichter und Pfarrherrn bestätigen hören und auch vernommen,
dass zahlreiche Leute namentlich aus Italien dahin pilgern,
um den Wunderbaum zu sehen. Wie aus der weiteren Er-
zählung hervorgeht, wurde daraus Capital geschlagen, denn
Erzherzog Karl soll das Wunder durch den Nuntius nach Rom
berichtet haben, und der Schreiber selbst sagt, er habe Zweige
des Baumes an den Bischof von Olmütz und an den Grafen
von Dietrichstein geschickt mit der Bitte, die Sache dem Kaiser
zu erzählen.
Jene Klage der Bauern, dass die Loostage geändei*t worden
seien und dass man sich nicht mehr beim Feldbau zurecht finden
' Dieselbe findet sich als Anhang in einem 158 4 zn Mainz j^ednickten
Buche mit dem Titel: C. F. D. Warer Hericht, warnmb das alt römisch
Calender dieser Zeit notwendijr ersehen und gebessert worden, wie im
Nicenischen Concil vor 1265 Jahren auff begercn des grosszmächtigen
Römischen Keysers Constantin Magni aufh beschehen. Die Darlegung
der Gregorianischen Reform, die als nützlith und n(»thweudig erklärt
wird, ist völlig bedeutungslos, zumal da sich der Pseudonjmus aller
Polemik enthalt.
536 K»It«DbrttDner.
könne, fand eine Erwiderung in ähnlicher Form. ' Der Dichter
gibt eine Anleitung, wie man sich trotz des neuen Kalenders
der LooBtage bedienen könne, und führt uns dann in eine Ver-
sammlung der Vögel, worin diese erklären, sie kümmerten sich
um den Kalender der Menschen gar nicht, sondern nur um
den Himmelslauf, sie müssten dies auch thun, da sie bei ihren
Wanderungen in die fernen Länder auf manch' andere Kalender
stossen. Der jetzige Kalenderhandel kümmerte sie also gar nichts
und dabei sprechen sie folgende Verse, die ganz gut an den
SchluBs dieses ersten Hauptabschnittes unserer Abhandlung
pausen: '
,Doch wissen anter uns die Alten
Dass man vor Zeiten hat gehalten
In dem Land, das heisst Christenheit,
Eine bessere Einhelligkeit/
lY. Die Angriffe der Mathematiker.
Die protestantischen Theologen hatten ihr Ziel erreicht;
ihre Fürsten waren auf ihre Gedanken eingegangen, und so war
denn wirklich die evangelische Kirche vor dem drohenden Ein-
griff des Pabstthums bewahrt geblieben. Dafür hatte Deutsch-
land zu allem übrigen Hader noch einen neuen bekommen, der
aller Orten hervorbrach. Man sollte nun meinen, dass die Oppo-
sitionspartei Licht und Schatten gleichmässig vertheilt hätte und
dass sie das, was sie für ihre eigenen Keiigionsgenossen for-
derte, auch den Katholiken gewährte, d. h. dass sie den unter
protestantischer Obrigkeit lebenden Katholiken auch gönnte, den
neuen Kalender zu benützen. Es lässt sich nachweisen, dass
beim Kalenderstreit in Augsburg protestantische Fürsten, wie
Pfalz und Würtemberg, offene Partei für die renitenten Pre-
diger nahmen und es eben als Eingriff in den Keligionsfrieden
bezeichneten, dass der Augsburger Rath den neuen Kalender
auch den Evangelischen aufnöthigen wollte. Umgekehrt aber
haben wir Beispiele, dass protestantische Magistrate der katho-
lischen Geistlichkeit die Annahme des neuen Kalenders mit
1 Bawren Rathscbla^ aber den neweu Kalender auf ihnen zugemessene and
aussg^egangene Bawrenklag.
Die Pelemik ftber die Qregoriaoiieh« Kalenderreförm. 537
Gewalt wehrten. So lieBB der Wormser Rath die Publication
des Kalenders, welche der Bischof gemäss des kaiserlichen
Rundschreibens im October 1583 an die Kirchenthüren hatte
schlagen lassen, durch die Stadtknechte herunterreissen und
zwang den Clerus, auch fortan den alten Kalender zu benützen,
und ähnliches geschah in Hagenau und Lindau. Erst allmählich
nach Beilegung all' dieser localen Streitigkeiten kommt es dahin,
dass man die Benützung des einen oder andern Kalenders nach
Territorien scheiden kann. Die vorausgehende Darstellung hat
es gezeigt, dass bis zu diesem Zeitpunkte wesentlich nur auf
theologisch-politischem G-ebiete gekämpft wurde. Wir haben
erst einen Mann — Michael Maestlin — mathematische Gründe
ins Feld führen sehen, aber auch der hat durch seine früheren
Auseinandersetzungen die Leser derart eingenommen, und hat
auch die mathematischen Theile seiner Schrift mit solchen Aus-
fällen auf den Pabst gewürzt, dass von einer einigermassen
unparteiischen Beurtheilung nicht die Rede sein kann. Indem
wir jetzt die Angriflfe der Mathematiker vorfiihren werden, so
wird zu Anfang uns auch noch dies entgegentreten^ und erst
im zweiten Theile dieses Capitek werden wir auf rein sach-
liche Kritik stossen.
Der erste derartige Angriff ging von dem Zwickauer Astro-
nomen Tobias Müller aus in einem 1583 zu Mainz und dann
im Heidelberger Sammelbandc gedruckten Buche. Ganz eigen-
thümliche Motive leiteten den Mann bei Abfassung desselben,
unter welche gekränkte Eitelkeit jedenfalls gehört. Denn Müller
hatte dem 1582 zu Augsburg versammelten Reichstage eine
Bittschrift eingereicht, den Kalender zu reformiren, wofür er
die beste Lösung gefunden zu haben meinte. Er bittet seinen
Reformvorschlag durch eine Commission von Gelehrten prüfen
zu lassen und im Falle der Gutheissung ihm die Kosten, die
er nur auf 30.000 Guldeu anschlägt, zu ersetzen. * Es war
darauf keine Erledigung erfolgt und aller Orten machte sich
jetzt der päbstliche Kalender breit. Da ergriff er wieder die
Feder, um die schönen Künste und die liebliche Astronomie
» Mainzer Erzkanzler-Archiv. Reichstagsacten 1582. Tom. I. Supplicationum
pag. 389.
538 KalteDbrunner.
vor gänzlichem Untergang zu erretten, um der verblendeten
Welt zu zeigen, dass das ganze päbstlidie Kalendermachwerk
von Stümpern in der Astronomie gemacht, und jedes richtigen
Fundaments baar sei. Denn im neuen Kalender sind die canones
motuuni coelestium nicht berücksichtigt und weder neue Tafeln
noch corrigirte Ephemeriden benützt worden. Denn auf den
astronomischen Tafeln, nicht auf dem Sonnencyclus und dem
Numerus aureus beruhe die Zeitrechnung. Der Kalender habe
kein Fundament, weil die Dauer des tropischen Jahres gar nicht
angegeben werde und weil man nicht berücksichtigt, dass die
Dauer der einzelnen Jahre selbst von einander abweiche; wie
könne man bei einem solchen Vorgehen dem Julianischen Kalen-
der vorwerfen, dass er das Jahr unrichtig ansetzt! Ferner ist
die Reform falsch, weil sie ii\ der Wegwerfung der Tage so
weit gefehlt habe, denn wenn man einen Fehler corrigire, so
habe es nur Sinn, wenn man den ganzen corrigirt, also hätte
man auf die Zeit Caesar's zurückgehen müssen, und wenn man
sagt^ dass dieser Stunden und Minuten bei seinem Jahresansatze
zu wenig berücksichtigt habe, so sei es sinnlos, jetzt bei der
Correctur doch wieder nur v#lle Tage zu nehmen. Obwohl nun
Müller noch zwanzig derartige Einwürfe in der Tasche hätte,
so will er doch fUr diesmal schweigen mit Rücksicht darauf,
dass die von ihm ausgedachte Reform so viel Mühe und Zeit
gtikostet habe und er furchtet, es möchte ihm, wenn er alle seine
Gesichtspunkte darlegen würde, ein Anderer seine Arbeit weg-
schnappen. Wie diese Restitution ausgesehen hat, wissen wir
nicht, denn Müller hat seine hier ausgesprochene Absicht, die-
selbe in Druck zu legen, nicht ausgeführt. Wir hätten einen
neuen Monatsnamen erhalten, denn Müller hätte den September
zu Ehren des Churfürsten von Sachsen, von dem er angeblich
zu seinem Werke angeregt worden ist, ,Elector* genannt. Sie
beruhte auf den richtigen astronomischen Tafeln und ihrem
wahren Calcül, und hätte auch ein so gewisses Judicium mit
sich geführt, dass sich viele darüber gewundert hätten. Müller
vertraut auch deshalb mit voller Zuversicht sein Werk der
Prüfung der Astronomen an, denn er ist überzeugt, dass kein
einziger etwas dagegen einzuwenden haben wird.
Weit gemässigter und von andern Beweggründen aus-
gehend, urtheilt um dieselbe Zeit Jacobus Cuno zu Fiank-
Die Polemik ftber die Qregorianische Kalenderrefonn. 539
furt a./d. Oder über den Kalender. ^ Er meint, die Gregoria-
nische Reform sei weder mit dem harten Tadel, noch mit dem
unbedingten Lobe zu belegen» wie es bisher geschehen sei. Der
Verfasser scheint Katholik zu sein, lebt aber in einem Lande,
wo 1583 der neue Kalender noch nicht angenommen ist, und so
ist er bestrebt, einen Mittelweg einzuschlagen. Er meint, das rich-
tige Aequinoctium sei in der Weise zu berücksichtigen, dass man
für eine lange Reihe von Jahren dasselbe aus den Prutenischen
Tafeln berechnet, und nun jene Jahre des Bissextus beraubt,
in welchen die Differenz zwischen Julianischem und Coperni-
kanischem Jahr wieder zu 1 Tag angewachsen ist; auf diese Weise
würde das Aequinoctium vernum so ziemlich stets am 2L März
haften bleiben, was es im Gregorianischen Kalender keineswegs
thue. Ferner sollten die mittleren Ostervollmonde berechnet
und benützt werden, mit der Beschränkung, dass in den Fällen,
wo diese auf den Tag des Aequinoctium's fallen, der astronomisch
bestimmte Vollmond zur Osterberechnung verwendet werde.
Diese beiden Angriffe konnten in ihrer allgemeinen Fassung
dem Reformwerk nicht gefahrlich werden und so blieben sie
auch unbeantwortet. Bisher war man in eine sachliche Kritik
nicht eingegangen ; jetzt aber eröffnete jener Maestlin, von dem
zuerst der allgemeine Angriff begonnen worden war, auch den
Reigen der Mathematiker, und jetzt spielt die Polemik über auf's
sachliche und wird ein Beitrag zur Gelehrtengeschichte jener
Zeit. Nun verlassen wir auch den wüsten Schmäh ton, der bisher
in so trauriger Weise vorgeherrscht hatte, und begegnen durch-
aus akademischen in lateinischer Sprache abgefassten Schriften.
Sehr zart allerdings fassen sich auch jetzt die Gegner nicht an,
doch dies ist ein Merkmal, das den polemischen Schriften aller
Zeiten besonders aber jener Periode anhaftet.
Maestlin hatte seine erste Schrift in ganz anderer Absicht
verfasst als die jetzige.^ Damals galt es, seinen Fürsten und die
1 Theses de calendario Juliano, quo ecclesia imuc utitur viciato, ejusdemque
restitutione. Frankfurt a. d. O. 1ö83.
2 Die Schrift führt den Titel; Alterum Examen Novi PontilicaliB Grego-
riani Kalendarii, quo ex ipsis fontibus demoustraUirf quod novum Kalen-
darinm omnibus 9atis partibus, quibus quam rectissime reformatus vel est
vel esse putatur, maltis modis mendosum et in ipsis fundamentis vitiosum
Sit. Tübingen 1586.
540 KalteDbrunaer.
Glaubensgenossen abzuhalten, den Kalender anzunehmen, und
nichts war da geeigneter, als die Keligionsfrage in den Vorder-
grund zu stellen. Jetzt war dieser Zweck erreicht und es galt,
nun, auch die flüchtig hingeworfenen Bemerkungen über die
Fehlerhaftigkeit der Reform näher zu begründen. So wird denn
jetzt in der Schrift selbst nur die mathematische Seite der
Reform in*s Auge gefasst, dagegen hören wir in der Vorrede
und in der Conclusio Maestlin mehrmals den finiheren Ton an-
schlagen, wenn er auch etwas durch die lateinische Sprache
gemildert wird. Zwei Motive lassen sich in Maestlin's Arbeit
erkennen. Das eine spricht er in der Vorrede deutlich genug
aus: Im Bewusstsein, dass der neue Kalender durchaus fehler-
haft sei, kann er es nicht begreifen, wie in dem Zeitraum von
vier Jahren kein einziger Mathematiker aufgestanden ist und die
herrliche Wissenschaft der Astronomie gegen derlei Verunzie-
rungen in Schutz genommen hat. So sieht er es denn für seine
Pflicht an, aufzutreten und der gelehrten Welt die ganze Halt-
losigkeit des vom Pabste unternommenen Werkes darzulegen.
Im weiteren Verlaufe dagegen entschuldigt er sich, dass er
astronomische Subtilitäten — die nach seiner und aller ver-
nünftigen Leute Ansicht gar nichts mit der Zeitrechnung zu
thun haben — in den Kreis seiner Betrachtungen ziehe. Lediglich
die hochtönende Sprache der päbstlichen Bulle, vornehmlich
die Worte ,quod ipsum (Kalendarium) tam perfectum sit, ne
ulli umquam mutationi sit obnoxium in futurum^ bewege ihn,
dies zu thun. Maestlin's Werken und fast allen zu besprechenden
Angriffen wäre die Spitze abgebrochen gewesen, ja sie wären
beinahe unmöglich oder nur leer gewesen, wenn von Rom jenes
in den Canones versprochene Werk über eine nähere Begrün-
dung der Reform herausgegeben worden wäre. Auf diese un-
begründete Hinstellung der Reform fusst Maestlin abermals^
fordert aber zugleich auch die römischen Mathematiker auf
seinem Angriff zu entgegnen, widrigenfalls sie als unfähig hiezu
und als Störer der öffentlichen Ruhe erscheinen müssten.
Zunächst kritisirt Maestlin die Modiiication der Schalt-
regel, dass also in je 400 Jahren drei bissexti ausgelassen werden
sollen. Aus derselben erkennt er, dass die Prutenischen Tafeln
zu Grunde gelegt sind ; wie sehr aber über diese von den Mathe-
matikern geklagt werde, ist bekannt. Nun ist es auch ausgemachte
Die Polemik Aber die Gregoriftniselie Eftlenderreform. 541
Sache, dass die tropischen Jahre nicht gleiche Dauer haben,
sondern bis 33' 15" untereinander abweichen können ; die Folge
davon ist, dass die Jahrpunkte nicht in 133 Jahren um 1 Tag
im julianischen Jahre zurückinicken, sondern in Zwischenräumen,
die zwischen 50 und 300 schwanken; daraus folgt, dass das
Aequinoctium durchaus nicht so fix am 21. März haften wird,
als es die Bulle des Pabstes verspricht. Maestlin gibt hiefür
ein schlagendes Beispiel durch Vergleichung der Aequinoctien
in den Jahren 1600 und 1900. Ersteres fällt am 10. März alten
Styls, letzteres am 9. März. Die Anticipatio beträgt also 1 Tag;
nach der neuen Schaltregel aber werden 3 Tage ausgelassen
(1700, 1800, 1900), die Aequinoctien fallen also nach ihr im
alten Styl am 10. und 12., nach neuem am 20. (10 -f 10) und
22. (9 + 10 + 3) März. Dass es in der Jetztzeit sehr häufig
auf den 20. März fällt, entschuldigt bei den Schaltjahren selbst
Maestlin, aber das Beispiel von 1900 stehe im vollen Wider-
spruche mit dem Versprechen des Pabstes. Ein Massstab für
die Richtigkeit ist ihm auch folgender Umstand: wenn man
von jetzt an die Schaltregel zurück bis zum Concil von Nicaea
anwendet, so muss man vom 11. März — dem jetzigen Stand
des Aequinoctium's — zum 21. März gelangen, denn man kam
eben dadurch vom 21. zum 11., dass man die centenaren Jahre
500, 600, 700, 900, 1000, 1100, 1300, 1400, 1500 bissextil
setzte; nun sind dies 9; vorausgesetzt also, dass der Ansatz
des Nicaenischen Concils richtig ist, was man in Rom gewiss
nicht bezweifelt — so gelangt man zurück zum 20., nicht zum
21. März. Also auch jener Satz der Bulle, der so sehr die Her-
stellung des Nicaenischen Standes betont, ist unrichtig. Den
gleichen Weg wie beim Sonnenjahre schlägt Maestlin auch bei
Besprechung des Epactencyclus ein; auch hier hängt er sich
an die anpreisenden Worte des Pabstes; er findet zwischen diesen
und dem Zugeständnisse der Canones, dass in der Epacten-
rechnung unvermeidlich Fehler vorkommen müssen, einen un-
auflösbaren Widerspruch; aber nicht bloss in der Bestimmung
der Neumonde, sondern auch in der der termini paschales unter-
laufen Fehler, so dass alle fünf möglichen Fälle einer falschen
Osterberechnung, die im alten Kalender vorkamen, auch im
neuen eintreten können, was er durch zahlreiche Beispiele er-
härtet. Maestlin kommt zum Schlüsse: Er glaubt bewiesen zu
542 Kaltenbrunner.
haben, da88 der neue Kalender ein ^Colluvium omnium erro-
rum' ist; er zweifelt, ob Gregor XIII. alle diese Fehler über-
sehen habe; ist ihm dies geschehen, so ist seine Sorglosigkeit
nicht genug zu rügen, und der Christenheit bleibt nichts übrig
als a Pontifice male informato ad Pontificem melius informan-
dum zu appelliren. Maestlin ist aber geneigt, anzunehmen, dass
sowohl Autor als Pabst sich der Fehler wohl bewusst waren
und aus ganz bestimmten Gründen — der eine aus Ruhmsucht,
der andere um seine Decrete in die reformirte Kirche einzu-
schmuggeln — das Werk dennoch veröffentlicht hätten. Dies be-
weist der Vorgang bei der Publicirung ; warum hat man gerade
1582, das weder centenar noch bissextil war, dazu gewählt?
Dass der Pabst nicht länger gewartet habe, glaubt Maestlin
damit erklären zu können, dass Gregor selbst noch die Ein-
führung seines Werkes erleben wollte und gefürchtet habe^ dass
die Fehler desselben aufgedeckt werden, sobald man Zeit zur
Prüfung gebe. Aber wenn schon mit solchem Eifer voi^egangen
wurde, warum hat man erst im October und nicht schon im
Februar corrigirt, in welchem Falle dann 1582 schon Ostern
,richtig^ gefeiert worden wäre. Maestlin weiss auch hiefiir einen
Grund, der boshaft genug ist. 1582 lit. douiinic. C num. aur.
VI. term. pasch. 17. April B hätte nach neuem Styl am 18. April
Ostern gehabt, an welchem Tage aber nach dem astronomischen
Calcül Vollmond fiel; somit wäre gleich im ersten Jahre der
Reform Ostern falsch gefeiert worden, um dies nun zu ver-
meiden, habe man bis October gewartet. Zum Schlüsse geht
Maestlin in eine Kritik einiger Vertheidigungsschriften ein,
nämlich des C. F. D., des Johannes Rasch und des Johannes
Busaeus. Da Maestlin sich vorgenommen hat, in dieser Schrift
nur von der astronomischen Seite der Reform zu handeln, st»
hat er dabei nicht viele Gelegenheit zur Entgegnung. Nach-
dem er den Pseudonym als astronomisch ungebildet abgefertigt
hat, erwidert er dem J. Rasch, indem er das früher erwähnte
Capitel seiner Schrift heraushebt; er erklärt, dass alle Nach-
weise über die Fehlerhaftigkeit des Epactencyclus, welche er
gegeben, auf den Meridian von Rom und die Mitternachtsepoche
berechnet seien, daher sei der Einwurf des Rasch haltlos; jedoch
bittet er ihn, in seinem in Aussicht gestellten Computus auf die
neuerlichen Angriffe einzugehen und wenn möglich sie zu wider
Die PAlenilc aber die Orefoiianitche Kalendarreform. 543
legen. Auch die Thesen des Busaeus geben nicht viel Stoff;
und nar die Behauptung desselben, dass die besten Mathema-
tiker der Erde den Kalender theils gemacht, theils gut geheissen,
veranlassen Maestlin zu der Bemerkung, wie merkwürdig es
doch sei, dass Busaeus keinen einzigen deraelben beim Namen
nenne. Wie schlecht es übrigens mit dem Vertrauen auf das
Werk beim Pabste selbst bestellt sein müsse, zeigt, dass er
allen Mathematikern die Discnssion über die Reform verbietet
und es ^erzieht, mit dem Bannfluche statt durch überzeugende
Gründe die Annahme derselben zu erzwingen. Mit einer aber-
maligen Ermahnung an die Mathematiker, ihre Augen zu öffnen
und diesen ihrer schönen Wissenschaft Hohn sprechenden Kalen-
der gehörig zurückzuweisen, schliesst Maestlin seine Schrift ab.
Diese Aufforderung an die Gegner, ihn zu widerlegen,
blieb in der That in Rom nicht unbeachtet, denn endlich ging
Clavius daran, eine ausführliche Begründung des Kalenderwerkes
herauszugeben, die ihre Spitze gegen Maestlin richtete. Ehe
jedoch dieses Buch, das uns bald zu beschäftigen haben wird,
erschien, wurde dem Maestlin vom Jesuiten Antonius Posse-
vinus in seiner Moscovia erwidert.* Derselbe weiss, dass Cla-
vius die Absicht habe, zu antworten und so begnügt er sich,
den Angriff als nichtig und eitel hinzustellen, mehr nützlich
dem Reformwerk als schädlich. Nur auf eine Inconsequenz,
besser gesagt auf einen Widei*spruch Maestlin's macht Posse-
vinus aufmerksam, um damit einen Massstab für die Beurthei-
lung des ganzen Werkes zu geben. Maestlin mache es den rö-
mischen Mathematikern zum Vorwurf, dass sie nicht neue Tafeln
sondern die fehlerhaften Prutenischen Tafeln zu Grunde gelegt
haben, und andererseits benutzt er dooh dieselben, um mit An-
gabe von speciellen Fällen zu beweisen, dass das Aequinoctium
vernum durchaus nicht am 21. März gefestigt worden sei.
Auf diesen Angriff gab Maestlin 1588 eine ,Defensio al-
terius sui examinis^ heraus. Er constatirt, dass ausser Posse-
vinus in einem Zeitraum von zwei Jahren kein Mathematiker ihm
geantwortet habe, denn auch das von demselben angekündigte
Buch des Clavius sei ihm trotz eifrigen Nachforschens nicht
' Moflcovia et alia opera de statu hnjus aaecuH adversus Catholicae eccle-
siae hostes in officina Birkmannica 1587. Sect. IV. De anni et paschae
emendatione.
544 Kaltenbrunner.
ZU Gesichte gekommen J Durch Schweigen also geben die
Gegner zu, dass alle gemachten Angriffe gerechtfertigt sind.
Den Possevinus hält er eigentlich der Entgegnung nicht für
würdig, aber er will nicht, dass Anhänger des Kalenders, na-
mentlich solche, die, weil in der Mathematik unkundig, sein
Alterum examen nicht gelesen haben, sich durch derlei jesui-
tische Kunstgriffe täuschen lassen, und des Possevinus Behaup
tung glauben, er habe trotz eines dröhnenden Titels durchaus
nicht dem neuen Kalender geschadet. Der Reihe nach wieder-
holt nun Maestlin seine Angriffe und hält sich besonders ein-
gehend bei der Correctur des Sonnenjahres auf. Den angeführten
Einwurf des Possevinus nun weiss er sehr geschickt zu um-
gehen. Indem er nachwies, dass die Aequinoctien sehr schwan-
kend also durch den neuen Kalender nicht am 21. März ge-
festigt seien, habe er allerdings die Prutenischen Tafeln als die
verhältnissmässig besten benützt, nachdem die Kalendermacher
in Rom ihre Pflicht, neue aufzustellen, versäumt hatten. Die
Prutenischen Tafeln seien, wenn auch im Einzelnen fehlerhaft,
doch auf richtigen Grundlagen aufgebaut, und eine derselben
sei die Anomalie der Jahrpunkte — der Grund ihrer Schwan-
kungen. Indem er nun bestritten habe, dass das Aequinoctium fix
am 21. März bleibe, habe er die Qualität der Anomalie, nicht
deren Quantität im Auge gehabt, und nur nothgedrungen habe
er sich hiebei der allerdings nicht sicheren speciellen Beispiele
aus den Prutenischen Tafeln bedient. Wenn endlich Clavius,
oder ein anderer das versprochene Werk publiciren und von
(irund aus ihn eines andern belehren werden, so ist Maestlin
bereit, der Wahrheit die Ehre zu geben; wenn aber Clavius
nichts besseres zu sagen weiss, als Possevinus, so möge gleich
diese Schrift als Antwort ihm gelten. ^
' In der Thai erschien die betreffende Schrift de» Clavins erst im Jahre 1588
5 Maestlin schrieb denn in der That auch fernerhin über den Kalender,
wozu ihm ohne Zweifel die Erwiderung des Clavius Anlass gegeben hat.
Die Schrift führt den Titel: ^Examina eorumdeoiqne Apologin*; leider
findet flieh dieses Werk auf keiner der drei genannten Bibliotheken und
ich kenne den Titel nur aus Lipenius, Bihliotheca Realis Philosophica.
Dieser gibt 169S als Jahr des Erscheinens an; vielleicht ist dies in 1597
zu corrigiren, denn am 9./19. März dieses Jahres schreibt Maestlin an
Kepler, er habe vor einer Woche seine neue Schrift gegen den Grego-
rianischen Kalender vollendet. Aus dem Wortlaut des Briefes geht hervor»
Die Polemik Aber die OregorianiHche Kaien derreform. 545
Im selben Jahre, in welchem Maestlin seine Defensio al-
terius examinis herausgab, erschien endlich von Rom aus eine
Erwiderung und zwar von Christof Clavius, der schon bis-
her die Seele des Unternehmens gewesen war und der von nun
an unermüdlich thätig ist, seine Schöpfung zu vertheidigen. ^
Wie schon Possevinus angekündigt hatte, ist die Schrift direct
gegen Maestlin gerichtet, riierkwürdigerweise aber nicht dem
Pabste, sondern dem Kaiser gewidmet. In der VoiTede setzt
Clavius die Gründe hiefür auseinander ; der Kaiser als Scliirm-
vogt der Kirche müsse klar sehen, ob das von ihm unterstützte
Kalenderwerk aufrichtigen Grundlagen aufgebaut sei oder nicht;
ihm müsse ein Buch, das für die Ehre der Kirche kämpft, ge-
widmet werden. Die Erwiderung gegen Maestlin betrifft nur
das Älterum Examen, ausdrücklich sagt Clavius, dass ihm die
deutsche Schrift desselben nicht zu Gesicht gekommen sei, und
wie wir aus der Tendenz und Haltung des Clavius annehmen
können, wäre er auf dieselbe gar nicht eingegangen, denn ihm,
dem Jesuiten^ stand es ja fest, dass der Pabst das Recht habe,
derlei Werke für die Christenheit zu unternehmen ; ausdrücklich
sagt er auch, er wolle alle Schmähungen gegen den Pabst un-
erwidert lassen, obwohl es ihm schon daraus ein leichtes wäre
zu beweisen, dass Maestlin seinen Angriff nicht aus Wahrheits-
liebe und Sorge für das öffentliche Wohl sondern lediglich aus
Hass gegen Rom unternommen habe. Also nur auf das Sach-
liche ist sein Blick gerichtet, und da spitzt sich nun die ganze
Frage auf die Behauptung Maestlin's zu, dass der Kalender
dass er im Auftrage der Universität Tübingen dieses Werk abfasste, denn
er klagt, dass ihm die etwas verspätete Vollendung manche Unannehm-
lichkeit und eine Rüge vom Senate zugezogen habe. (J. Kepler! Opera
edd. Frisch. I. 34.) Ist die Angabe des Lipenius richtig, so bleibt nichts
anders übrig, als in dieser 1597 vollendeten Schrift einen fünften Angriff
Maestlin's zu sehen.
1 Ich bin genöthigt, schon hier die Schrift des Clavius anzuführen, ehe ich mit
der Darlegung der weiteren mathematischen Gegenschriften fortfahren kann;
denn die meisten derselben nehmen schon auf sie Bezug und so würde eine
Darlegung derselben ohne ihre Kenntniss sehr erschwert werden. Sie
führt den Titel: Novi Calendarii Romani Apologia adversus Michaelem
Maestlinum Göppingensem in Tübingensi Academia Mathematicum tribus
libris explicata. Rom 1688. ^Wiederholt im V. Bande der Opera Clavii.
Mainz 1612, mit Hinweglassung des dritten Theiis.)
SitzoBgsber. d. pbil.-hist. Cl. LXXXYII. Bd. I. Hft. 3ö
546 Kaltenbrunner.
durchaus nicht mit den Himmelsbewegungen übereinstimme,
trotzdem dies in der Bulle Gregorys behauptet worden sei.
Ersteres gesteht Clavius ehrlich und offen ein, und kommt da
auf die Frage, die uns schon mehrmals begegnete, nämlich, ob
cyclische oder ob astronomische Rechnung für den Kalender
tauglich sei? Sobald man ersterer den Vorzug gebe, — und
Maestlin habe das Gegentheil nicht bewiesen — so könne man
dem Gregorianischen Kalender aus Detailfehlern keinen Vor-
wurf machen, und ein Angriff kann nur dann gerechtfertigt
erscheinen, wenn man nachweisen wollte, dass in einem anders
eingerichteten cyclischen Kalender weniger Gattungen von
Fehlern und diese überhaupt seltener eintreten können. Die
Gründe, welche Clavius für die cyclische Rechnung anführt,
sind folgende. '
1. Die wirklichen Bewegungen sind bald schneller bald
langsamer, die mittleren dagegen gleichförmig; daher lassen
sich nur mit Hülfe der letzteren leicht fassliche Regeln für die
Bestimmung der Jahrpunkte und Neumonde aufstellen, obne
welche Irrthümer und Verwirrungen in der Zeitrechnung un-
vermeidlich sind. Es ist von keinem Belange, dass nur die
wirklichen Bewegungen ihre Basis in den Himmelserscheinungen
haben, die mittleren dagegen nur durch Abstraction gewonnen
sind, denn zu keiner Zeit war die Kirche an die strengen Ge-
setze der Bewegungen von Sonne und Mond gebunden, sondern
für sie kommt es darauf an, in kunstloser, leicht fasslicher
Weise ihre Zeitrechnung daran zu knüpfen; und nur darauf
muss sie bedacht sein, dass unbeschadet dieses Gesichtspunktes
dieselbe nicht allzusehr von ihnen abweiche.
2. Die Berücksichtigung der wirklichen Bewegungen würde
stets eine Quelle von Differenzen in Bezug auf die Feier des
Osterfestes sein, denn da es keineswegs allgemein anerkannte
astronomische Tafeln gibt — wie denn jetzt zwischen Alphon-
sinischen und Prutenischen ein Kampf besteht — so müsste
sich durch die Benützung verschiedener Tafeln unabweislich
hie und da ein verschiedener Osterausatz ergeben.
^ Cap. IV. Kcdesia cur posthabitis motibufl veris apparentibusve medios
tantom sive aequales aut potius cjclos in mobil iam festomra celebraUoDe
usurpet.
Di« Pol«mlk ttb»r die Oregorianiieb« Kftleoderreform . 547
3. Bis jetzt sind noch keine astronomische Tafeln verfertigt
worden, durch welche auf alle Zeiten hin und ohne allen Irr-
thuni die Bewegungen der Gestirne bestimmt werden können;
der sprechendste Beweis hiefiir ist, dass die Ptolomaeischen
Tafeln durch die Alphonsinischen, und diese wieder durch die
Prutenischen verdrängt worden sind. Wer aber bürgt uns dafür,
dass letztere die richtigen sind, da es jetzt schon viele Astro-
nomen gibt, die den Alphonsinischen den Vorzug geben, und
da ihnen namentlich durch Tycho de Brahe viele Fehler nach-
gewiesen worden sind? Wer nun wollte so leichtsinnig und
vermessen sein, diepKirche an so trügerische und unsichere
Angaben der Astronomen zu binden? Gewiss niemand, er
müsste denn auch zugleich wollen, dass die Kirche bald den
einen, bald den andern Tafeln folgen solle, jenachdem die einen
oder anderen in grösserem Einklang mit den Himmelsbewe-
gungen und den gerade herrschenden Theorien über dieselben
gefunden werden. Dies würde denn doch nichts anderes sein,
als das Schwanken der Zeitrechnung in Permanenz erklären. >
4. Aber wenn auch die genauesten und untrüglichsten
Tafeln bestünden, so hätte das ängstliche Beobachten von Stunden
und Stundentheilen keinen Sinn, denn durch die Verschieden-
heit der Ortslagen würde alle Mühe vereitelt werden. Denn in
Folge derselben kann es sich ereignen^ dass ein Vollmond im
Osten bereits als Ostergrenze tauglich ist, dagegen im Westen
noch vor dem Aequinoctium vernum steht, wodurch sich eine
Differenz von 4 bis 5 Wochen zwischen beiden Osteransätzen
ergeben müsste, abgesehen davon, dass noch öfter ein Unter-
schied von 8 Tagen eintreten würde, so oft nämlich Vollmond
im Westen spät am Samstag eintritt, in welchem Falle er im
Osten auf den Sonntag fällt. Einer Verschiedenheit der Oster-
feier aber steht der oberste Grundsatz des Nicaenischen Oster-
canons gegenüber, abgesehen davon, dass dadurch unausbleiblich
Verwirrung in den weltlichen Dingen entstehen müsste.
5. Von jeher hat die Kirche an den mittleren Bewegungen
festgehalten, warum soll sie jetzt davon abweichen, zumal da
* Dabei verwahrt sich Claviu» nachdrücklich dagegen, als woUte er und
seine Freunde die Arbeiten der Astronomen für unnütz erklären; denn
stets habe er es für erhaben und höchst lobenswerth gehalten, mit Bienen-
fleiss die Bewegungen der Gestirne zu erforschen.
36*
548 Kaltenbrnnner.
aus den heiligen Schriften des alten Bundes sich erweisen
lässt, dass Gott auch die Juden nur an die mittleren nicht
an die wirklichen Bewegungen im Ceremoniengesetze gebun-
den habe.
6. Für die cyclische Rechnung spricht die Autorität vieler
gelehrter Männer, welche über die Zeitrechnung geschrieben
haben.
Dies sind im Wesentlichen die Gründe, welche Clavius
für die cyclische Rechnung anfuhrt, und es wird wohl kaum be-
stritten werden können, dass die ersten vier Punkte ihre volle
Berechtigung haben. Die beiden letzteren allerdings sind schwach^
namentlich der sechste, denn die von Clavius angeführten Gewährs-
männer, Campanus, Paulus von Middelburg und Johannes Stöffler
sprechen eben über den Kalender, wie er vorlag; bei letzterem
habe ich nachgewiesen, dass er der astronomischen Rechnung
gegenüber der cyclischen in seinen Vorschlägen für die Kalender-
reform das Wort sprach. *
Indem sich also Clavius, gestützt auf diese Gründe, auf
die Seite der cyclischen Rechnung stellt, lässt er natürlich dem
Maestlin nicht gelten, wenn er an der Hand astronomischer
Tafeln dem Kalender einzelne Fehler nachweist. Ja er gesteht
selbst zu, dass das Aequinoctium vernum zur Jetztzeit meist
auf den 20. März fallt, und dass — wie Maestlin behauptet
hatte — sich dasselbe nach 1600 noch mehr vom 21. entfernen
werde. Aber er stellt dem gegenüber, dass es doch immer und
immer wieder darauf zurückkehren werde, und dass derlei
Schwankungen bei der ungleichen Dauer des tropischen Jahres
durchaus nicht vermieden werden können. Und hier greift nun
Clavius jenen Satz des Maestlin heraus, dass er selbst nicht
der Ansicht sei, als ob astronomische Subtilitäten Werth und
Bedeutung für die Zeitrechnung hätten, aber in Folge der hoch-
tönenden Sprache des Pabstes habe er sie herangezogen. Cla-
vius bestreitet das letztere, und indem er erklärt und beweist,
wie der Ausdruck ,Kalendarium perpetuum^ und der Satz ,aequatio
est perfecta, ut nulli mutationi sit obnoxia' zu verstehen seien,
wirft er alle Argumente Maestlin's über den Haufen. Letzterer
Satz war von der Modification der Schaltregel ausgesprochen
* Vorgeschichte der Gregorianischen Kalenderrefonn, pag. 391 n. ff.
Di0 Polemik ftb«r die Oregoriasische Kalenderreform. 549
worden, und da fragt Clavius, ob irgend eine andere aufgestellt
werden könne, die mit dem jetzigen mittleren Ansätze des tro-
pischen Jahres genauer übereinstimmt, dabei aber auch die
nöthige Bequemlichkeit und Fasslichkeit besitzt? Nur so war
der Satz gemeint, nicht wie Maestlin behauptet, dass man in
Rom meinte, das Aequinoctium werde niemals an einem anderen
Tage als den 21. März eintreten. Denn das könne mau doch
ihm und seinen Collegen zumuthen, dass sie recht gut von den
durch die Anomalie der Jahrpunkte bedingten Schwankungen
des tropischen Jahres unterrichtet waren. Den Ausdruck ,Kalen-
darium perpetuum' und ,perpetuitas Kalendarii' deutet Clavius
nur in Bezug auf die Einschreibung der Epacten zu den Monats-
tagen und mit einigen Beschränkungen auf die Aequationstafel.
Hinsichtlich eraterer hatte man ja auch schon vom Julianischen
Kalender als von einem ,immerwährenden' gesprochen, nur dass
dort Numeri aurei, hier Epacten ein für allemal den Tagen zu-
gewiesen sind. Bezüglich der Aequationstafeln ist Clavius äusserst
vorsichtig, und man muss gestehen, dass die Ealenderrefor-
matoren in dieser Hinsicht sehr einsichtsvoll und selbstlos vor-
gegangen sind. Die Aequationstafel des Gregorianischen Kalen-
ders besteht aus zwei Theilen, aus der tabula Epactarum, d. i.
einer Combination der 30 Epacten mit den 19 Jahren des Mond-
cyclus (denn im Laufe der Zeiten konnte jede Epacte jedem
Jahre desselben zufallen), und aus der tabula expansa, dem
Regulator der ersteren. In derselben sind eben die einzelnen
Perioden von Jahren gegeben, für welche die verschiedenen
Combination en zwischen Epacten und Numerus aureus gelten.
Nun ist die tabula Epactarum ihrer Natur nach ebenso perpe-
tuell, wie der immerwährende Kalender, denn in ihr sind nur
die Combinationen zwischen den beiden Factoren der Mond-
rechnung gegeben. Nun hätte man auch die ganze Aequations-
tafel perpetuell machen können, sobald man einfach die einzelnen
Perioden für die Aequationen als absolut richtig hinstellte ; dann
hätte es auch gar nicht der tabula expansa bedurft, sondern
man hätte neben der tabula Epactarum in eine Rubrik etwa
mit der Ueberschrift ,anni expansi^ die einzelnen Perioden setzen
können. Aber weil man nicht so bestimmt vorgehen wollte,
indem man sich bewusst war, dass eventuell die Nachwelt Ver-
besserungen der Aequationsperioden etwa durch Abänderung
550 Kaltenbrnnnar.
der Schaltregel oder Verschiebung der Mondgleichen anbringen
könnte, stellte man die tabula expansä auf, in welcher neben
den jetzt als richtig vorausgesetzten Perioden Buchstaben stehen,
mit welchen man dann in die tabula epactarum gehen muss, um
für die betreffende Aequationsperiode die Combination zwischen
Epacte und Numerus aureus zu finden. Wollte man also even-
tuell Aenderungen vornehmen, so brauchte man einfach die
Perioden dahin abzuändern, aber die ihre Werthe vertretenden
Buchstaben bleiben bestehen. *
Clavius hat hiemit die beiden Hauptargumente Maestlin's
entkräftet. Es würde zu weit führen, air die Details anzuführen,
die nun Clavius auf dessen specielle Angriffe anführt; nur jenes
boshaften Einwurfs des Maestlin will ich gedenken, dass nämlich
1582 erst im October der Kalender eingeführt worden sei, weil
man nach ihm sonst schon in diesem Jahre Ostern falsch ge-
feiert hätte. Clavius sagt, man habe dieses Jahr gewählt, weil
man da gerade fertig geworden war, und den October, weil
man einerseits die Festzeit vor Ostern nicht verkürzen wollte,
andererseits in diesem Monat am wenigsten Feste alterirt wurden.
Andererseits hatte es einen guten Grund, dass man für die-
jenigen, welche zu diesem Termin die 10 Tage noch nicht aus-
gelassen hatten, dies auf den Februar 1583 bestimmte, hätte
man auch da dem oben angegebenen Grrunde Raum gegönnt,
so wäre eine Differenz in der Osterfeier entstanden. Im übrigen
hätte der neue Kalender 1582 mit der Bestimmung des Oster-
festes keinen Fehler begangen, denn sowohl nach den Prute-
1 Clavius schreibt: jAdscripsimus autem trig^nta hisre lineis epactarum ta-
bulae expansae literas potios alphabeti, quam annos domini, qtiibus sin-
gulae lineae respondent, qoia voliunus tabulam haue expausam et perpetuam
esse f et ad quamcuinque anni solaris magnitudinem posse accomodari,
quod non fieret, si anni domini apponerentur, tum quia in tarn exigiio
spatio omnes anni coraprehendi non posaunt, tum vero maxime, qnoniam
incerta adhuc sit et noudum satis explorata anni solaris magnitudo, in-
certum quoque est, num anni domiui semper lineis illis epactarum sint
respousuri, quibus praefixi sunt. Quare ut posteris liberum sit, aliam
rationem aequaudi annum solarem instituere, si forte haec nostra aequandi
ratio post aliquot annos ab astronomis a vero aberrare deprehendatur,
apposuimus literas alphabeti, nt quaelibet earum cuivis anno domini res-
pondere possit. Ita enim fit, ut tabula £pactarum et perpetua fit^
Die Polemik ftber die Gregorianieebe KalenderrefoinL 551
nischen Tafelo; als auch nach denen des J. Maginas ' sei die
mittlere Conjunction am 17./7. 'April eingetreten, somit w&re
denn doch Ostern nach dem Vollmondtage gefeiert worden.
Ehe noch Clavius seine Apologia in die Welt versandte,
kam ihm jener zweite Angriff Maestlin's zu, in welchem wohl
nichts Neues gebracht, aber der alte mit schärferem Nach-
druck wiederholt wird. Chivius widmete demselben einen Ap-
pendix, 2 worin er namentlich die Gesichtspunkte hervorhebt,
unter welchen von einem ,Kalendarium Gregorianum perpe-
tuum' die Rede sein könne. Ausdrücklich führt er auch an, dass
vier Fehler dem neuen Kalender anhaften: 1. Das Schwanken
des Aequinoctiunrs ; 2. dass die Epacten das Mondalter manchmal
etwas zu spät angeben und daher Ostern möglicherweise in die
vierte Woche des Ostermondmonats fallt; 3. dass Ostern statt
in den ersten, in den letzten des Vorjahres oder in den zweiten
des laufenden Jahres fallen kann (d. h. dass Ostern sowohl vor
dem Aequinoctinm als 4 bis 5 Wochen nach demselben fallen
kann) ; 4. dass Ostern am Vollmondstage selbst eintreten kann.
Aber alle diese Fehler — wenn man überhaupt das ,Fehler^
nennen wolle, was nicht vermieden werden kann — sind nicht
zu umgehen in jedem Kalender, der auf Cyclen und gleich-
förmigen und leichtfasslichen Kegeln beruht. Wenn also Maestlin
auch fernerhin gegen den Gregorianischen Kalender ankämpfen
wolle, so zeichnet ihm Clavius folgenden Weg vor : er muss zu
beweisen suchen, dass im Gregorianischen Kalender ausser diesen
vier auch noch andere Fehler vorkommen, und dass diese im
neuen öfter eintreten, als im alten juHanischen. Leugnet er
aber, dass diese vier unvermeidlich sind^ so muss er darnach
streben, einen Kalender zu construiren, der ebenfalls auf cy-
clischer leicht fasslicher Rechnung beruht, ohne diese vier
Mängel zu haben.
An diesen Appendix schliesst sich dann ein dritter Theil
an, worin der neue Computus ecclesiasticus auseinandergesetzt
wird, worin aber Clavius nicht polemisch vorgeht.
1 J. £. Maginns gab Ephemeriden für 1580 — 1630 heraus.
3 Appendix, qua A. Posseviuus defenditur et summa totius Apologiae expU-
catur.
552 Kalten brauner.
Die bisher betrachteten Angriffe der Mathematiker waren
gegen das Wesen der Reform gerichtet; es machte sich bei
ihnen ein principieller Gegensatz bemerkbar, mit dem es kein
Paktiren gab. Ganz anders ist dies bei den nun zu betrach-
tenden Schriften. Ihre Tendenz geht dahin, auf dem Boden
der gemachten Reform stehend, dieselbe genau zu prüfen und
Verbesserungen an derselben anzubringen, oder sie stellen —
wenigstens das Princip beibehaltend — neue Correcturen auf.
Den Anfang hiemit macht ein Mann, der unbedingt einer der be-
deutendsten Gelehrten seiner Zeit war, wenn er auch leider
durch üeberhastung das im riesigen Umfange zusammengetra-
gene Material nicht immer richtig verwerthete. Es ist Josef
Scaliger, der in der Gelehrten -Welt jener Zeit fast unum-
schränktes Ansehen genoss, bis ihm in Dionysius Petavius ein
überlegener Gegner erwuchs, der mit grossem Scharfsinn, aber
auch schonungsloser und zum Theil ungerechter Härte Blatt
für Blatt aus dem Ruhmeskranze Scaliger^s vernichtete.
Im Jahre 15^3 erschien zu Lüttich Scaliger's grosses Werk
,De emendatione temporum^, worin zum ersten Male der Versuch
gemacht wird, systematisch die Zeitrechnungen der verschie-
denen Völker miteinander zu vergleichen. Wie sich schon
früher an solche chronologische Werke bei Paulus von Middel-
burg, Stöffler und Lucas Gauricas auch Betrachtungen über die
Fehler des julianischen Kalenders und Vorschläge zu deren
Beseitigung angeknüpft hatten, so behandelt auch Scaliger, dem
hiefür ein reiches Material zur Verfügung stand, ' diese Frag-e
im vierten Buche. Auffallend ist es immerhin, dass Scaliger hiebet
mit keinem Worte der Gregorianischen Reform P>wähnung
macht, nachdem bereits 1578 das Lilio'sche Compendium ver-
schickt worden war. Aber Scaliger war Protestant und lebte
in einem protestantischen Lande, und so ist es immerhin wahr-
scheinlich, dass Scaliger bei Abfassung dieses Theiles seines
Werkes von den Plänen Roms noch nicht unterrichtet war.
Es ist daher von Petavius nicht ehrlich, dass er bei der Be-
kämpfung alles dessen, was Scaliger gegen die Gregorianische
Reform vorbrachte, auch diesen Theil seiner Schrift herbei-
J So publicirte Scaliger ein Bruchstück aus dem Computus des laaac
Argyrus.
Dia Polemilc ftber die Gregorianische Kalenderreform. 553
zieht, 1 denn wahrlich, mau konnte es ihm doch nicht zum Vor-
wurfe machen, dass er nicht ganz das Gleiche ausdachte, was
dem Lilio eingefallen war; höchstens konnte es Petavius übel
vermerken, dass Scaliger später im achten Buche seine noch
unabhängig von Lilio aufgestellten Methoden für besser hält als
die Qregorianische. Aber in seinen späteren Schriften kommt
Scaliger nicht mehr auf diese Vorschläge zurück, wir können
also darin keine Bekämpfung des Gregorianischen Kalenders
sehen, und müssen daher die hier aufgestellten Methoden, als
ausserhalb des Rahmens unserer Betrachtung stehend, auffassen.
Zudem steht ja Scaliger auf demselben Principe, denn er will
sowohl die cyclische Rechnung beibehalten als auch den Ka-
lender auf den Stand des Nicaenischen Concils zurückfuhren.
Am Ende seines Werkes aber — im achten Buche — kommt
Scaliger kurz auf die ,Lilio'sche Reform^ zu sprechen. Nur in
Form eines Nachtrags erscheinen diese zwei kurzen Abschnitte,
von denen der eine die Correctur des Sonnenjahres, der andere
den Epactencyclas behandelt. Bei ersterer tadelt Scaliger, dass
die Auslassung der bissexti an die centenaren Jahre geknüpft
sei, er will sie in der vierhundertjährigen Periode nach zwei-
mal 132 und dann nach 136 Jahren eintreten lassen, denn nur
dies entspreche den Himmelsbewegungen. Aus gleichem Grunde
findet Scaliger die £pacten*Aequation in den centenaren Jahren
tiir unlogisch, denn nur in Vielfachen von 19 könne dieselbe
vorgenommen werden. Auf die Einrichtung des immerwährenden
Kalenders, sowie auf andere Details lässt sich Scaliger nicht
ein, da er sicher ist, dass die Gelehrten seinen beiden vorge-
schlagenen Reform - Methoden unbedingt den Vorzug vor der
Lilio'schen geben werden. Jedoch wird dies alles ruhig und
in gemessenem Tone gesagt, gleichsam als ob der neue Ka-
lender nichts weiter wäre als eine literarische Novität; nicht
in einem Worte lässt sich die Absicht erkennen, als wollte
Scaliger von der Annahme des päbstlichen Werkes abrathen.^
* Doctrina temponim Tom. I. Lib. V.
2 Ueber die Wirkung, welche trotzdem dieser Angriflf Sealiger'g hervor-
brachte (oder hervorgebracht haben soll), vgl. J. Bernays, J. J. Scaliger,
Berlin 1855 pag. 167. Scaliger agitirte nach Bernays gleich darauf
namentlich bei der Genfer Geistlichkeit gegen die Annahme des Kalenders.
554 Kaltcnbranner.
Wieder war es Possevinus, der die erste Erwiderung
machte, natürlich wieder nur in so allgemeinen Worten wie bei
Maestlin; iihev doch mit einer gewissen Scheu vor der Gelehr-
samkeit des Mannes, bei dem er schmerzlich eine ebenso grosse
Glaubenstreue vermisst. Auch hier wird darauf verwiesen,
dass Clavius auf alle Angriffe Sealiger's antworten werde.
Acht Jahre zögerte Scaliger mit der Antwort, weil er dieses
angekündigte Buch erwartete; da dies aber nicht erschien, gab
er 1595 den Elenchus et Castigatio Anni Gregoriani
heraus.* In der Vorrede hiezu spricht Scaliger Worte, wie
wir sie bisher im Verlaufe der Polemik noch nie gehört haben:
,Nachdem der Gregorianische Kalender angenommen sei, so
müssen wir mit allen Kräften darnach streben, dass er makelias
und zwar mit Zustimmung aller derer werde, welche ihn mehr
gierig als überlegt angenommen haben; dies wäre gewiss schon
geschehen, wenn sie nicht ein so blindes Vertrauen auf seine
Urheber gesetzt hätten, die allerdings darauf sehr viel Fleiss
und Gelehrsamkeit verwendet haben, aber doch vielen Fehlern
nicht entgehen konnten. Ersteres ist an ihnen zu loben und
zu bewundern, letzteres zu entschuldigen. Er will es nun ver-
suchen, ob es möglich ist, die Fehler zu beseitigen, und will
sich dabei möglichst der Mässigung befleissigen, weil er bedenkt,
dass jene gefehlt haben, weil sie Menschen sind, und dass im
gleichen Maasse auch er diesem ausgesetzt sei. Und doch fahren
diejenigen, welche heute Kritik üben, mit solcher Heftigkeit
gegen fremde Fehler los, dass, wenn jetzt bäuerliche Ungezogen-
heit bei irgend einer Gattung von Menschen constatirt werden
kann, sie vor Allem bei jenen gefunden wird, welche der
Wissenschaft obliegen. So hat auch er dem Hasse nicht ent-
gehen können, als er am Ende seines Werkes ,De emendatione
temporum' kurz und zart über die Kalenderverbesserung sprach.
Es widerfuhr ihm dies von einem jener Menschen, welche sich
verletzt und gekränkt fühlten, wenn man nicht blind auf ihre
Worte schwört und nicht glaubt, dass sie unfehlbar seiend
Scaliger erwähnt nun, dass Clavius, von dem er an dieser
Stelle mit der höchsten Achtung spricht, den Auftrag erhalten
^ Zusammen mit: Hyppolyti episcopi Canon Paschalis cum comnnentario et
Excerpta ex computo Graeco Isacii Argyri de correctione Paschatis.
Dia Polemik abor die OregorianlBChe K»lenderreform. 555
habe, wider ihn zu schreiben, wie er aus den Aeusserungen des
PoBsevinuB sowohl als auch aus mündlichem und brieflichem
Verkehre wisse; er kann sich übrigens gar nicht denken, was
denn Gegenstand des Angriffs sein werde, da er gar nichts
Verletzendes geschrieben habe.
Da Scaliger die Absicht hat, Verbesserungen am Grego-
rianischen Kalender vorzunehmen, so stellt er sich natürlich
auf den Standpunkt der Reform und spricht nicht ein Wort
gegen die cyclische Rechnung zu Gunsten der astronomischen.
An beiden Hauptpunkten des neuen Kalenders hat er aber
etwas zu tadeln. In Bezug auf das Sonnenjahr wiederholt er
seine früher gemachte Ausstellung, dass die Modification der
Schaltregel im Widerspruch stehe mit der thatsächlichen Ent-
wicklung des Fehlers und fordert nun, dass nach je zweimal
'l32 und dann nach 136 Jahren (132 H 132 + 13(5 ^ 400) ein
bissextus ausgelassen werde. Indem nun Sealiger diesen seinen
Vorschlag noch weiter begründen will, ist er sehr unglücklich.
Ausser dem logischen Zusammenhange zwischen Modification
der Schaltregel und den Himmelserscheinungen führt er nämlich
auch die grössere Bequemlichkeit seiner Methode ins Feld. Er
meint, dass die Reihe der Sonntagsbuchstaben in der vierhundert-
jährigen Periode bei Lilio viermal, bei ihm nur dreimal unter-
brochen werde; dies ist nun vollständig unrichtig, denn da auch
im Gregorianischen Kalender nur drei Schalttage und zwar am
Ende der Jahrhunderte ausgelassen werden, so wird auch hier
die Reihe nur dreimal unterbrochen. Bezüglich des Epacten-
cyclus, respective der (Jonstruction des immerwährenden Ka-
lenders differirt Scaliger in zwei Punkten. Er will — gestützt
auf Gregor von Tours ^ — das Jahr wieder im März beginnen
lassen, in Folge dessen stehen bei Scaliger die Epacten im
Jänner und Februar in der Regel um 11 niederer als im Grego-
rianischen Kalender; jedoch soll diese März -Epoche nur für
den Mondkalender gelten, beim Sonnenjahre behält er die bür-
gerliche Epoche bei, was sich auch äusserlich manifestirt, da
Jänner und Februar als die beiden ersten Monate im Kalender
Scaliger's erscheinen. Ferner lässt Scaliger jene feinen Unter-
' Gregor v. Tours zählt in der That die Monate vom März an. (Lib. VIII. 1 ;
IX. 2, 3; XX und XXI.)
556 Kaltenbrunner.
schiede mit Epaete XXV und 25 weg und setzt das Culminiren
der Epacten wieder bei Epaete * und XXIX, sowie es Lilio
gethan hatte. Man könnte da leicht auf die Vermuthung kommen,
dass Scaliger hiebei einfach auf den Lilio'schen Vorschlag
zurückgegangen sei, und in der That hat ihn Clavius dieses
Plagiats beschuldigt. Doch glaube ich, dass el* hierin dem
Scaliger Unrecht gethan hat. Einmal ist ja die von Lilio und
Scaliger angewendete Art die nächst liegende, und Scaliger
stimmt nur in diesem Punkte mit Lilio überein, während er
die von jenem angewendeten Nuancen fallen lässt. Allerdings
muss er den Lilio'schen Entwurf gekannt haben, wenn nicht
im Compendium — was, wie ich früher ausgeführt habe, un-
wahrscheinlich ist, — aber aus der Apologia des Clavius, die
er mehrmals citirt. Gegen Clavius spricht auch, dass sich
Scaliger gar nicht des Unterschiedes zwischen der Lilio'schen
und Gregorianischen Kedaction bewusst ist, denn er spricht
oft von Lilio'schen Epacten, wo unbedingt die Gregorianischen
gemeint sind; freilich ist dies eine Nachlässigkeit des Scaliger,
denn wie gesagt, aus der Apologie, wo der Unterschied und
die Begründung der Abänderungen weitläufig auseinandergesetzt
sind, hätte er sich darüber klar werden sollen. Auch nimmt
ja Scaliger diese Rückänderung am Gregorianischen Kalender
nicht ohne Begründung vor, wenn auch zugestanden werden
muss, dass dieselbe ziemlich matt ist. Er greift nämlich ein-
zelne Fälle heraus, wo die Gregorianischen Epacten, den wirk-
lichen Neumonden nach, im März um 1 Tag zu spät an-
gesetzt sind; z. B. 1900 num. aur. L Epaete XXIX Neumond
3L März. Daher sollte zu diesem 31. März Epaete XXIX
stehen, es steht aber erst * (XXX) da und so tritt nach dem
Kalender erst am 1. April Neumond ein; dabei muss auch
Scaliger zugestehen, dass sich dies Missverhältniss am 4/5 April
(Epaete XXV, XXIV) wieder ausgleicht; aber er betont, dass
sein Kalender ganz richtig zum 31. März Epaete XXIX (neben *)
habe. Dem ganzen Charakter des Angrilffes entspricht es, dass
Scaliger nur Details bringt. Zwei Punkte noch behandelt er
eingehend; der eine bezieht sich auf die Dauer der lunaren
Aequationsperiode ; merkwürdigerweise folgt er hierin der ganz
rohen Angabe der mittelalterlichen Computisten, nach welchen
die lunaren Erscheinungen nach 304 julianischen Jahren um
Die Polemik ftber die (Iregorianische Kalenderreform. 557
1 Tag vor den solaren eintreten, während die römischen Ka-
lendermacher diese Periode, gestützt auf die Prutenischen Tafeln,
zu 312 V2 Jahren ansetzten. Der zweite Punkt betrifft die Frage,
ob es richtig sei, dass die luna XIV als Vollmond tauglich zur
Ostergrenze angesehen werden dürfe. Bekanntlich war dies
auch Gegenstand der Controverse in der alten Kirche, dort aus
dem Grunde, um niemals Ostern mit dem jüdischen Paschah
zusammenfallen zu lassen. Dies greift Scaliger wieder auf und
kehrt allerdings nicht diesen Standpunkt hervor, macht aber
dafür auf den inneren Widerspruch in der Osterregel auf-
merksam: Ostern soll niemals am Vollmondstage gefeiert werden.
Astronomisch ist aber sicher, dass erst 14 Tage nach Neumond
(d. i. luna XV) Vollmond fällt; tritt nun an einem Samstag
luna XIV ein, so ist der nächste Sonntag Ostersonntag; dieser
ßlllt daher auf luna XV, d. i. auf den VoUmondstag. Auf den
ersten Anblick kann man diesen Schluss gelten lassen; aber
die mittelalterliche Osterregel, der auch der Gregorianische
Kalender folgt, setzt nach dem Worte ,Vollmond8tag' die Worte:
,d. i. luna XIV^ Und in diesem Sinne, also mit der Wahrung
des Althergebrachten, bekämpft auch später Clavius diese Con-
clusio des Scaliger, der übrigens — abgesehen von den Alten
— in diesen Jahrhunderten nicht der erste ist, der diese Frage
aufwarf; dies hat 100 Jahre früher schon Paulus v, Middelburg
gethan. ^
Durch die später zu besprechende Entgegnung des Clavius
muss sich Scaliger verletzt gefühlt haben, denn noch einmal
trat er gegen den Gregorianischen Kalender auf, gelegentlich
seiner Ausgabe des Chronicon Eusebii.^ Von dem massvollen
Tone, den er bisher dieser Frage gegenüber beobachtet hatte,
ist nun keine Spur mehr vorhanden; eine Selbstkritik hätte
Scaliger unbedingt zwingen müssen, jene getadelte ,bäuerliche
Ungezogenheit' der Literaten nun auch auf sich zu beziehen.
Es macht einen komischen Eindruck, wenn er jetzt den Clavius,
^ Vorgeschichte der Gregor. Kalenderreform pag. 383.
^ ThesanrnB terapornm Ensebii Pamphili Caesareae Palaestinae episcopi.
Lüttich 1606. Als Anhang: Isagogiconim chrononoligiao canonmn libri
tres, in quibns operis de Emendatione temporum doctrinae totius prae-
cepta demonstrative traduntur ac multa praeterea hactenus non vulgata
docentar. (Lib. III. handelt über den Kalender.)
558 Kalten braun er.
den er früher als yinsignis mathematicus et aBtronomus^ be-
zeichnet, baar aller mathematischen Kenntnisse schildert, trotz-
dem Clavius sowohl in dem gegen Scaliger direct gerichteten
Buche als auch in der ,Explicatio^ kaum einen Gedanken aus-
gesprochen hatte, der nicht schon in der dem Scaliger bekannten
Apologie wenigstens angedeutet wäre. Was nun den sachlichen
Inhalt anbelangt, so bringt er durchaus nichts neues, sondern
wiederholt seine früheren Behauptungen und Vorschläge, nun
aber gewürzt mit den bissigsten persönlichen Ausfällen gegen
Clavius. Hervorzuheben ist aber, dass Scaliger auch in dieser
Arbeit sich aller confessionellen Angriffe vollständig enthält —
er bleibt, abgesehen von den Persönlichkeiten, durchaus auf
sachlichem Boden, was denn für jene Zeit immerhin Anerken-
nung verdient.
Aehnlich wie Scaliger auf dem Principe der vorge-
nommenen Reform selbst stehend, bekämpften den neuen
Kalender Georgius Germanus, Franciscus Vieta und Sethus
Calvisius. Der erstere veröffentlichte nach dem Erscheinen der
Apologia des Clavius zu Frankfurt an der Oder seine Schrift,'
deren Erscheinen er direct mit jener Aufforderung des Clavius
rechtfertigt, man möge einen Kalender construiren, der auf
cyclische Weise eingerichtet, dennoch weniger als die vier
erwähnten Fehler oder doch diese seltener zulässt als der
Gregorianische. Germanus bekennt sich in der Vorrede als
Katholik und weiss wohl, dass ihm als solchen der Vorwurf
gemacht werden könnte, als begehe er mit der Opposition
gegen das vom Pabste unternommene Werk einen schweren
Fehler. Aber jene Aufforderung des Clavius und der redliche
Wille i der Christenheit durch sein Werk nützlich zu sein,
helfen ihm über diese Bedenken hinweg.^ Germanus verspricht
nun, dass er das Aequinoctium vernum besser am 21. März
erhalten wolle und dafür sorgen werde, dass die Ostervollmonde
1 Computns eccloslasticus sive Kalendarium triplex, Gregorüinum, Antiqnoic
et Novun), cum vero cyclo lunari et refutatione qnorundam insigniniQ
erromm Christophori Clavii clarissimi nostri temporis mathematici.
2 Bei dieser Versicherung des Katholicismus fallt allerdings auf, dass Ger-
manus sein Werk dem Professor David Origanus, einem eifrigen Prote-
stanten, zur Begutachtung einsandte — ein Punkt, der auch von ClaTiu«
in seiner Erwidenmg aufgegriffen wurde.
Die Polemik ftber die GregoriftniBChe Kalenderreform. 559
nicht vor den betreffenden Angaben der Prutenischen Tafeln
fallen werden. Da Qermanus direct an die Apologie des Clavius
anknüpft; so kann mau ihm hiebei schon zum Vorwurf machen,
dass er gewichtige Argumente des Gegners hiebei übersieht.
Was die Regelung des Sonnenjahres anbelangt^ so vergisst er,
dass Clavius den Prutenischen Tafeln durchaus keine absolute
Richtigkeit beimisst, er thut dies aber, und hat hiebei allerdings
ein leichtes Spiel, indem er — diese Tafeln zur Hand nehmei\d
— einfach jene centenaren Jahre zu Gemeinjahren erklärt, in
welchen der Ueberschuss der Julianischen Jahre über die Coper-
nikanischen wieder mehr als 1 Tag beträgt. Auf diese Weise
will er es verhindern, dass das Aequinoctium vernum über den
21. März hinausfallt, dass es auch unter diesen Tag eintritt zu
verhindern, hält sich auch er für unfähig. Im Mondcyclus will
er den ^verbannten' Numerus aureus wieder zu Ehren bringen,
da aber auch er die Absicht hat, einen immerwährenden Ka-
lender herzustellen und daneben doch berücksichtigen muss,
dass sich dann die Stellenwerthe der Numeri aurei ändern
müssen, so erweitert er die 19 Zahlen auf 30 und zwar so,
dass er jedesmal zwischen 2 um zwei Tage von einander
abstehenden Numeris die um 19 grössere Zahl schiebt. Das
arithmetische Verhältniss der dem julianischen Kalender ein-
geschriebenen Numeri aurei bringt es mit sich, dass der höher
stehende stets um 11 grösser oder um 11 — 19, d. i. um 8 kleiner
ist als der ihm zunächst stehende, und zwar ergibt sich die
letztere Differenz da, wo ein unbesetzter Tag zwischen zwei
Numeris aureis liegt. Indem nun Germanus zu diesen unbesetzten
Tagen Zahlen einschiebt, die um 19 grösser sind, als der jedes-
malige obere numerus aureus, so sind dieselben um 19 — 8,
d. i. um 11 grösser als die unten stehenden numeri, und so
erhält er eine Zahlenreihe, die, solange es geht, um 19 steigt
und dann ebensolange um 11 fällt.* Natürlich müssen nun die
Numeri aurei einen Läuterungsprocess durchmachen, um als , nu-
meri aurei aequati' für die verschiedenen Aequationsperioden
die Neumondstage bezeichnen zu können. Dies geschieht durch
1 Bei dieser Manipulation kommt Germanus nicht über 30 hinaus. Denn
im FaUe, dass unten der höchste Numerus aureus d. i. 19 steht, erscheint
oben nach dem erst zu besetzenden Tage 19 — 8 = 11; daher ist die
einzuschiebende Zahl 11 -f- 19 = 30.
560 Kalten1)rnnner.
Reductionszahlen, deren Reihe Germanus leicht aufstellen kann,
indem er an der Hand der Prutenischen Tafeln berechnet, wann
denn die Neumonde um 1 Tag im Kalender zurückgestellt
werden müssen, nachdem sie bei der jedesmaligen Auslassung
eines bissextus um einen vorgerückt worden waren. Und nun
hat Germanus nur jene Operation vorzunehmen, die schon im
Jahre 1345 Johann v. Muris und Firminus de Bella Valle aus-
gehegt hatten. * Durch Addition von Reductionszahlen und
eventuell darauf folgende Subtraction von 19 (wenn die Summe
grösser als 30 wird) gewinnt er aus dem laufenden Numerus
aureus des Jahres den die Neumonde anzeigenden für die ein-
zelnen Aequationsperioden. Ein doppelter Unterschied aber
besteht zwischen der Methode der Mathematiker des vierzehnten
Jahrhunderts und Germanus. Erstere hatten die mittleren Um-
laufszeiten angenommen, liessen daher die Aequation jedesmal
nach 310 Jahren eintreten, Germanus aber hat ungleiche Aequa-
tionsperioden, die nach den Prutenischen Tafeln bestimmt sind;
und dann hatten jene die Aequation sprungweise bald nach
310, bald nach 620 Jahren auftl*eten lassen müssen, weil sie
eben nicht zu allen Tagen numeri aurei vorfanden, dem ent-
geht Germanus durch die angeführte Erweiterung der Zahlen-
reihe auf 30. Auf diese Weise glaubt Germanus vermeiden
zu können, dass der Ostervollmond früher gesetzt werde, als
ihn die Prutenischen Tafeln anzeigen und hat so allerding« die
vier von Clavius angeführten Gattungen der Fehler des Grego-
rianischen Kalenders auf drei reducirt; aber um den Preis der
Leichtfasslichkeit und Handsamkeit des Kalenders, so dass er
denn doch eine Bedingung des Clavius nicht erfüllt, abgesehen
davon, dass er den Prutenischen Tafeln absolute Gültigkeit
beimisst.
In ganz eigenthümlicher Weise geht Franciscus Vieta
bei seinem Angriffe ^ vor. Voll Bewunderung fiir den Grund-
^ Vorgeschiclite der Gregorianisch en Kalenderrefomi pag-. 820 u. f.
2 Francisci Vietae Fontanensis libellomm sappliciim in Regia niagistrit
Relatio Kalendarii yere Gregoriani ad ecc.Iesiasticos doctores. Exhibita
Pontifice Maximo Clementi VIII. Anno Christi 1600 Jubilaeo Parisü.
Wie es scheint, wnrden von diesem Buche zwei Ausgaben im selben
• Jahre gemacht, anders kann ich mir die Vorwürfe des Clavius und des
Pabstes Clemens nicht erklären. Diese nämUch behaupten, Vieta habe
Die Polemilc ftber die Gregorianisclie Kalenderreform. 561
gedanken der Gregorianischen Kalenderreform stellt er die
Behauptung auf, dass die Intentionen, die Gregor XIII. dabei
leiteten, von seinen Mathematikern nicht durchgeführt worden
seien. Also nicht Gregor XIII., sondern dessen Sosigines
(Clavius) gelte sein Angriff, und nach den Principien des
Pabstes wolle er jetzt den ,reinen Gregorianischen Kalender'
construiren. Sehen wir zu, wie Vieta dies fertig bringt: Alle
seine Ausstellungen beziehen sich auf den immerwährenden
Kalender, also auf die Einschreibung der Epacten. In neun
Punkten fasst Vieta dieselben zusammen; wir können aber den
wenigsten von ihnen Gültigkeit beimessen. Denn dieselben sind
theils ganz aus der Luft gegriffen, theils durch mathematische
Künsteleien gewonnen, theils in Verkennung des cjclischen
Wesens aufgestellt. Zu den ersteren gehört, dass Vieta in
Punkt 2 und 3 die Behauptung ausspricht, man könne aus einer
seinem Kalender die Bulle ,Inter Gravissimas' beigefügt, beschuldigen
ihn, er habe unter der Autorität des päbstlichen Stuhles eine neue Form
des Kalenders einführen wollen und bezeichnen ihn daher geradezu als
Fälscher. Das mir bekannte Exemplar der kgl. Bibliothek in Berlin besteht
aus drei Theilen, entsprechend der Disposition Vieta^s; der dritte ist nun
allerdings insofern selbstständig, als eine ganze Seite fUr den Titel: ,Kalen-
darium Gregoriannm perpetuum* verwendet ist, aber die Paginirung läuft
durch und der Drucker (Jean Mettayer in Paris) nennt sich erst am Schlüsse
dieses dritten Theils und vorher nicht. Nach der Beschreibung dagegen,
die Clavius von dem ihm zugegangenen Werke gibt, ist derselbe schon
nach dem zweiten Theile angegeben und das Kalendarium perpetuum
findet sich als Appendix, dem die Bulle Gregor XIII. vorgesetzt ist. Aus
der Luft kann Clavius dies unmöglich gegriffen haben, seine und des
Pabstes Worte aber sind so deutlich, dass ein Irrthum kaum angekommen
werden kann. Clavius erklärt es für ein unerhörtes Verbrechen des Vieta
,qnod Kalendarium illud suum seorsim sua auctorite excudendum cnravit,
iisdem omnino verbis, quibus Gregorianum anno 1682 iij lucem aactori-
täte Pontificia prodiit, paucis quibusdam exceptis, qaae videlicet aliena
judicavit ab instituto suo, pracposita quoque ad auctoritatem Gregorii
bulla, ut nimirum, qui libellum illum coemerint, eoque decepti atque adeo
auctoritati Sedis Apostolicae paruisse videantur, cum tamen, ut deinceps
demonstrabo, nihil Gregoriano Kaiendario magis adversetur.* Und in dem
Breve des Pabstes vom J7./7. März 160:> heisst es: ,Ac praecipue quidam
Franciscus Vieta in tantam impudentiam pervenerit, ut Kalendarium quod-
dam a se compositum plenum erroribus et Gregoriano plene contrariuro,
(iregorianum tamen inscribere et edere ausus est, eique praedicti Gregorii
praedecessoris literas emendationis et resti tuend! Calendarii praeposuerit,
ut proposita palam veri specie falsae suae doctrinae venenum installaret*
Sitzunffsber. d. pliil..hist. Cl. LXXXVII. Bd. I. Hfl. 36
562 Kaltenbrunner.
Neumondsangabe nicht alle anderen des Jahres im Kalender
finden. Denn wenn einem Num. aur. XIX Epacte XIX ent-
spricht; tritt am 31. December Neumond ein; zu diesem Tage
aber stehen die Epacten XX und XIX, will ich daher die
andern Neumonde des Jahres finden, so ist mir nicht gesagt,
ob ich sie unter Epacte XIX oder XX suchen soll; desgleichen
wenn der Osterneumond in einem Jahre mit num. aur. XII
oder > XII auf den 4. April (Ep. XXVI. 25.) fällt, denn
gleich im nächsten Monat bin ich in Verlegenheit, ob ich Neu-
mond am 3. Mai unter Epacte XXVI oder am 4. unter Epacte 25
bestimmen soll. Es ist dies nichts als ein versteckter Angriff
gegen das Culminiren der Epacten XXV und XXIV, aber ein
sehr unglücklicher, denn Vieta vergisst, dass, wenn man eine
Neumondsbestimmung im Gregorianischen Kalender machen
will, man überhaupt zuerst in der Aequationstabelle die ent*
sprechende Epacte suchen niuss und nach deren Auffindung
unmöglich ein solcher Zweifel entstehen kann. In die zweite
Kategorie kann man zählen, wenn Vieta den Vorwurf erhebt,
dass die Grenze für die Epacten XXV und 25 unsymmetrisch
gesteckt worden sei; man hätte sie in die Mitte auf numerus
aureus X setzen sollen (Punkt 5) und wenn er nach einer
Bekämpfung des dreihunderttausendjährigen Cyclus des Lilio,
den Clavius ja ohnehin schon fallen gelassen hatte, erweist,
dass im einhundertachtzigsten und zweihundertneunzehnten Jahr-
tausend die Epacten nicht mehr richtig die Neumonde anzeigen
können (Punkt 8 und 9). Es bleiben also noch vier Einwürfe
übrig, die uns einigermassen stichhältig erscheinen können, aber
doch vom Vorwurfe nicht frei sind, dass sie zu wenig dem
cyclischen Wesen Rechnung tragen. Zwei davon (1 und 7)
beziehen sich darauf, dass die bissexti Störungen im Alterniren
von hohlen und vollen Monaten hervorrufen; denn wenn zwischen
dem 6. Februar und dem Schalttage ein Neumond eintritt, ergibt
sich ein einunddreissigtägiger Mondmonat, was absurd sei. In
der That ist dies der Fall und überhaupt werden die Neumonde,
obwohl die Aequation der Epacten nur von dem Dazwischen-
treten oder dem Ausfall der bissexti abhängt, doch^auch im
Jänner und Februar des laufenden bürgerlichen Jahres, also
vor Eintreten dieser Ursache beeinflusst. Die beiden übrig
gebliebenen Punkte endlich betreffen die leidige Culminirung
Die Polomik über die Gre^erianiBche Kalenderrefonn. 563
der Epacten XXV und XXIV, d. h. die hier von Vieta hervor-
gehobenen , Unregelmässigkeiten' des Gyclus finden darin ihren
Erklärungsgrund.
Die Veränderungen, die Vieta am Kalender vornimmt,
gehen daher nach diesen beiden Seiten hin; einmal will er
vermeiden, dass durch die bissexti auch die Neumonde vom
1. Jänner bis 24. Februar irritirt werden, und dann sucht er
die Unregelmässigkeiten, die sich durch das Culminiren der
beiden Epacten ergeben, zu vermeiden. Daher beginnt Vieta
sein Jahr am 8. März ^ mit einem vollen Mondmonat und zählt
hierauf hohle und volle Monate weiter, indem er abwechselnd
die Zahlenreihen von XXIX bis 0 und XXIX bis I den Monats-
tagen zuschreibt. Also das Culminiren der Epacten lässt er
ganz fallen, dafür ergibt sich in seinem Kalender ein gewaltiger
Uebelstand. Entweder behält Vieta in der Aequationstafel die
Epacte 0 bei, dann erhält er aber für den Fall, dass ein Numerus
aureus mit Epacte 0 zusammenfällt, aus dem Kalender nur
6 Neumonde des Jahres, oder er nimmt diese nicht in die
Tafel auf, dann kann auf die 6 Tage, zu welchen Epacte 0
steht, niemals ein Neumond fallen. Vieta entschied sich für
das letztere und stellt daher die Regel auf: ,der dreissigste
Tag jedes vollen Monats sei kein Neumond, und erhalte den
Charakter 0'.
Ich komme nun zu Sethus Calvisius,^ der den Reigen
der Bekämpfer des Gregorianischen Kalenders in dieser Periode
abschliesst. Calvisius, der seine Schrift gleich Grermanus dem
David Origanus widmet, geht von einem etwas anderen Stand-
punkte aus, als seine Vorgänger. Er meint, dass die vielen
Verwirrungen, welche bisher die doppelte Kalenderwirthschaft
angerichtet hatte, endlich die Evangelischen bewegen werden,
eine Verständigung mit den Katholischen herbeizuführen; anderer-
seits dürften auch einmal die Katholiken einsehen, wie sehr
sie mit dem Gregorianischen Kalender hinter's Licht geführt
^ Die Wahl gerade dieses Tages für die Jahresepocfae, über die Vieta keine
Rechenschaft gibt, hängt offenbar damit zusammen, dass auf den 8. MSrz
der früheste Frühlings - Neumond fällt.
2 Elenchus Calendarii Gregoriani, in quo errores, qui passim in anni qnan-
titate et Epactis commituntur, manifeste demonstrantur et dupplex Kalen-
darii melioris et expeditioris formala proponitur. Frankfurt 1612.
36*
564 Kaltenbrnnner.
wurden. Calvisius weiss, dass viele der Ansicht sind, es lohne
sich überhaupt nicht mehr, über die Kalenderfrage zu schreiben,
denn einerseits rücke das Ende der Welt heran, und es würden
weder die Katholischen von ihrem Kalender abstehen, auch
wenn ihnen noch tausend Fehler blosgelegt würden, noch
würden die Protestanten denselben annehmen, auch wenn er
ihnen fehlerfrei dargestellt werden könnte, eben wegen seines
Urhebers, des Antichrist. Den ersten Einwand fertigt Calvisius
damit ab, indem er meint, dass man aus demselben Grunde
auch keine Häuser mehr bauen dürfte; was aber den schroffen
Gegensatz der beiden Parteien anbelangt, so will er doch nicht
ganz die Hoffnung aufgeben, dass sie endlich des kleinlichen
Haders müde würden. Soll aber eine Verständigung herbei-
geführt werden, so kann nur gegenseitige Nachgiebigkeit helfen
und da gebe es kein anderes Mittel, als eben eine neue Form
des Kalenders aufzustellen, die möglichst der Gregorianischen
ähnlich ist, andererseits aber manche Fehler, die jener anhaften,
vermeidet. Von diesen Fehlern schliesst Calvisius wohl theil-
weise jene Gattungen aus, von denen Clavius gesagt hatte, dass
sie in jeder cyclischen Rechnung vorkommen müssen, aber er
will zeigen, dass zum mindesten dieselben reducirt werden
können.
In Bezug auf das Sonnenjahr entschuldigt er wohl die
Kalendermacher, da ihnen die Beobachtungen Tycho de Brahes
nicht zu Gebote gestanden hatten, aber er findet schon die
Methode ihrer Schaltung aus denselben Gründen wie Scaliger
absurd. Die Entgegnung des Clavius, dass sie am fasslichsten
und am leichtesten erklärbar sei, lässt er nur im ersten Falle
gelten. Im Ganzen unterscheidet sich der Kalender des Calvisius
sehr wenig von dem Gregorianischen; die Hauptsache ist, dass
er vollständig die vollen Ostermondmonate vermieden hat, um
deren willen bekanntlich die Culminirung der Epacten von
* XXIX auf XXV, XXIV geschoben worden war. Calvisius
rückte dieselbe zu den Epacten XXIV und XXIII; auf diese
Weise erhält er allerdings lauter hohle Ostermonde, aber um
einen theuren Preis — sobald nämlich irgend einem numerus
aureus Epacte XXIV entspricht, ergibt sich ihm kein Oster-
Neumond, denn Epacte XXIV steht bei ihm am 7. März und
6. April, also gerade vor und nach dessen Grenzen.
Die Polemik über die Gregoriani&che KaJenderrefona. 565
Die Schi'ift des Calvisius hat meines Wissens keine Er-
widerung gefunden, und ich habe dieselbe nur aus dem Grunde
angeführt, weil sie zuerst den im siebzehnten Jahrhundert lebhaft
ventilirten Gedanken ausspricht, einen dritten sozusagen neu-
tralen Kalender aufzustellen.
Y. Die Yertheidigung des Kalenders durch Glavins.
Clavius hatte, wie wir gesehen haben, in seiner Apologie
gegen Maestlin die Hauptgesichtspunkte der Reform klar und
deutlich auseinandergesetzt. Die erneuerten Angriffe machten
eine neue Entgegnung nöthig. Zunächst erwiderte Clavius dem
Scaliger auf seinen zweiten Angriif (dem Elenchus et castigatio
Anni Gregoriani). Den höflichen Ton, den Scaliger gegen ihn
angeschlagen hatte, erwidert er im gleichen Maasse in der Vor-
rede. Mit Begierde habe er dessen Buch ei-griiFen und in der
That viel Geistreiches und Gutes darin gefunden ; daneben freilich
sei ihm auch viel Unbegiündetes und Falsches aufgestossen und
zu dem habe er am Rande seine Bemerkungen gemacht. Auf
Andrängen seiner Freunde gebe er diese nun heraus, auf dass
man bei Beurtheilung des Kalenders nicht blind der Autorität
Scaliger*8 folge. Er bittet und beschAvört ihn, es nicht übel auf-
zunehmen, wenn nun sein Buch verbessert der Welt übergeben
wird und ihm das geschieht, was er dem Gregorianischen Kalen-
der zugedacht hatte. Seine schönen Worte in der Vorrede er-
muthigen ihn hiezu. Die Schrift * stellt sich nun in der That
^ J. Scaligeri Elenchus et castigatio Kalendarii Gregoriani a Chr. Clayio
castigata. (Im V. Bande der Opera.) Nach Brunet (a. a. O.) soll Clavius
schon früher gegen Scaliger geschrieben haben und zwar 1591 unter dem
Titel : ,Adversus J. Scaligeri £lenchum et castigationera Kalendarii Gre-
goriani', und ähnlich berichtet Calvisius, nach welchem die Schrift: ,Ca-
stigatus Elenchus* heissen soll. Dies könnte nur eine Antwort auf jene
kurzen Bemerkungen sein, die Scaliger in ,de Emendatione temporum^
gemacht hatte, denn die zweite Schrift Scaliger's erschien erst lö9&.
Allerdings hatte Possevinus eine Entgegnung des Clavius auf den ersten
Angriff des Scaliger angekündigt, und dieser hatte sie auch erwartet, sagt
aber ausdrücklich, dieselbe sei ihm nicht zu Gesichte gekommen. Also
Abgesehen davon, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass dem Scaliger
bei seinen weitverzweigten Verbindungen dies vor vier Jahren erschienene
Buch nicht zugänglich gewesen sein sollte, so stellt Clavius in seiner Schrift
entschieden in Abrede, dass ihm der Auftrag ertheilt worden sei, gegen Scaliger
Ö66 KftUenbtiinner. .
als glossirie Arbeit de» Scaliger dar, indem jedesmal nach den
einzelnen Absätzen desselben die entsprechenden Bemerkungen
des Clavius folgen.
Wir haben schon gesehen, dass Scaliger nur Details heraus-
gehoben hat, indem er selbst auf dem Boden cyclischer Rech-
nung steht und daher auch zugibt, dass in derselben Fehler
vorkommen müssen. Gegen die Richtigkeit seiner Schaltmethode
kann natürlich Clavius nichts einwenden, aber er hält derselben
die leichte Fasslichkeit der seinen gegenüber und meint, derlei
Subtilitäten hätten keinen Sinn, indem ebenso wenig nach Sca-
liger als nach dem Gregorianischen Kalender verhindert werden
kann, dass das Aequinoctium von dem 21. März abirre; es könne
sich da nur handeln, dieses einzudämmen und darnach zu trachten,
dass es nach einem gewissen Zeitraum wieder auf den 21. Man
komme. Bezüglich der Hauptneuerung, die Scaliger am Mond-
kalender vorgenommen hatte, nämlich die Verlegung der Epoche
auf den 1. März, kann Clavius im Principe nichts einwenden,
aber er erinnert daran, dass alte Gewohnheit und Bequemlichkeit
dagegen sprechen, hier eine Aenderung vorzunehmen. Was nun
air die anderen Einwendungen betrifft, die Scaliger gegen die
Details des Epactencyclus macht, kann sie Clavius leicht ent-
kräften. Zunächst bemerkt er zu den Beispielen, die jener fiir
manchen künftigen falschen Osteransatz anführt, dass er ja
schon in der Apologie derlei Möglichkeiten zugestanden habe,
und dass Scaliger selbst betone, dass mit der auch nach seiner
Meinung beizubehaltenden cyclischen Rechnung Fehler unter-
laufen müssen. Clavius erklärt daher diese Beispiele mit dieser
Ansicht Scaliger's selbst im Widerspruche stehend, und anderer-
seits wird es ihm natürlich ein Leichtes, auch aus dem von
Scaliger verbesserten Epactencyclus falsche Osteransätze heraus-
zufinden. Scaliger hatte sich hier sowohl als in andern Punkten
von seiner bekannten Streitlust zu weit hinreissen lassen, was
dem Clavius Anlass zu mancher spöttischen Bemerkung gibt;
zu schreiben, und Possevinus habe jedenfalls die Apologia gemeint, welche
er damals gerade in der Arbeit gehabt habe. Somit wird wohl unter
dem von Bmnet angefahrten Bnche die uns jetzt beschäftigende Arbeit
des Clavius gemeint sein. Dieselbe muss abgefasst sein zwischen 1593
und 1603, denn in der weiter unten zu besprechenden ,Explicatio% die in
diesem Jahre erschien, wiederholt Clavius dieselbe bereits im Auszöge.
Die Polemik über di» Oregoriauüchc Kalenderreform. 567
80 nennt Scaliger die (/ulminirung von Epacte XXV, XXIV
lächerlich und vergisst dabei ganz, dass er ja die gleiche Mass-
regel bei Epacte * XXIX anwendet. In gleicherweise ist auch
Clavius seinem Gegner in der Frage nach der Dauer der lunaren
Aequationsperiode überlegen, dagegen müssen wir dem Scaliger
bezüglich seiner Ansicht über den Ostervolhnond die Superio-
rität einräumen; Scaligcr war da reclit auf seinem Gebiete,
hatte massenhaftes Material zur Verfügung und konnte seinen
bekannten Scharfsinn erproben; hier reicht Clavius nicht hinan,
und er führt in der That kein anderes stichhältiges Argument
dagegen an, als dass man sich in Rom möglichst an die
Regeln der mittelalterlichen Computisten halten wollte. Zum
Schlüsse spricht Clavius, nachdem er seinen Gegner freund-
schaftlichst ermahnt hat, von seiner unnützen Opposition ab-
zustehen, zum ersten und letzten Male über die Motive der
Angriffe gegen den Kalender, und sieht da aber von Scaliger, den
er nicht mitzurechnen scheint, ab. Nach seiner Meinung steht es
fest, dass die Sachsen — womit er wohl die deutschen Prote-
stanten meint — die Engländer und Dänen nicht deshalb den
Kalender zurückgewiesen haben, weil er fehlerhaft sei, sondern
nur, weil er vom Pabste kam. Der Kalender gefalle, der Autor
werde gehasst.
Zum zweiten Male schreibt Clavius gegen Scaliger in der
Explicatio. ^ Da zwischen der eben besprochenen Schrift und
ihrem Erscheinen keine Antwort des Scaliger erfolgt war, so
ist das lediglich eine Wiederholung, respective eine Zusammen-
fassung der ersten Entgegnung; in der Form dagegen variiren
beide Redactionen wesentlich, indem in der zweiten der Text
Scaliger's weggelassen ist und die Glossen zu einem einheit-
lichen Ganzen verarbeitet sind.
Jener dritte Angriff Scaliger's in der Ausgabe des Chro-
nicon Eusebii veranlasste Clavius nochmals gegen ihn zu
schreiben.*^ Wir haben gesehen, dass Scaliger inzwischen die
schönen Worte in der Vorrede zu seinem Elenchus vergessen
hatte und seiner leidigen Gewohnheit gemäss hochfahrend und
1 Cap. XXIV. Confiitautur alii, qui Gregorianum Kalendarium oppugnarunt.
^ Responsio ad convicia et CRlnmnias J. Scaligeri in Kaleadai'iam Grego-
riauum. Mainz 1609.
568 KftUenbrnnner.
gehässig geworden war. Kein Wunder ist es daher , dass nun auch
Clavius aus seinem ruhigen Ton herausfällt, und theilweise in
der heftigsten Weise seinen Gegner bekämpft. Da im übrigen
Scaliger nichts neues vorgebracht hatte, so ist auch die Er-
widerung des Clavius für uns von keiner weiteren Bedeutung,
und wir haben nur aus den beiden Schriften das traurige Schau-
spiel genossen, dass zwei hochbedeutende Männer einander in
unwürdiger Weise bekämpfen, nachdem gerade ihr früheres
Verhalten zu einander der einzige Lichtblick in diesem Bilde
voll Hass und Qeifer gewesen ist.
Ich habe schon mehrmals das Hauptwerk des Clavius, die
1603 zu Rom erschienene Explicatio Roraani Kalendarii a Gre-
gorio XIII. P. M. restituti * zu erwähnen gehabt, und es handelt
sich nun darum, dessen Werth und Bedeutung, sowie seine Stel-
lung innerhalb der Polemik festzustellen. Wir haben mehrmals
den Vorwurf erheben gehört, dass der Gregorianische Kalender
ohne Begi*ündung in die Welt gesandt worden sei, und gesehen,
wie auch in Rom die Nothwendigkeit hiefiir durch das von
Anfang an gemachte Versprechen anerkannt wurde, dass demnächst
eine solche erscheinen werde. Nun war ja von dem Hauptarbeiter
der Commission im Jahre 1588 die Apologia erschienen, in der
das ganze Wesen der Reform weitläufig auseinandergesetzt
wurde. War es also noch nöthig, neuerdings ein Werk darüber
herauszugeben, zumal da der nunmehrige Hauptgegner — Sca-
liger — schon in einem Separatbuche bekämpft und widerlegt
* In Rom mu88 man bis kurz vor Erscheinen des Werkes die Absicht
gehabt haben, dafür jenen von Gregor XIII. in den Canones angege-
benen Titel: ,Liber novae rationis restituendi Kalendarii Romani* anzu-
wenden. Denn Vieta schreibt in seiner zweiten Schrift gegen Clavin«,
dieser habe in mehreren Briefen erwähnt, er habe sein (Vieta's) Bach
klar widerlegt in dem ,Liber novae rationis restituendi Kalendarii ali-
quando si Deo placnerit in lucom emitendus*. Dies gibt Castellani, den
wir noch als Gegner Vieta's kennen lernen werden, für einen Brief an
den Dr. Adrianus in Rom zu, indem er sich dabei direct auf Clavius
beruft. Nun ist die erste Widerlegung des Vieta in der Explicatio und
zwar nach Angabe des Clavius nach Schluss des Haupttheiles geschrieben
(,Absolveram jam, Deo bene juvante, librum hunc [Explicationum] eumqne
proelo propediem mandare decreveram, ecce in manus provenit Vietae
liber'.) Also erst um 1603, dem Jahre des Erscheinens der Explicatio,
muss diese Aendcrung des Titels eingetreten sein.
J>ie Polemik üb«r die Gregoiiftnische Kalenderreform. 569
worden war? Die Curie hatte bisher noch nicht gesprochen —
jene zwei Arbeiten des Clavius waren privater Natur; und so
ist das Erscheinen des grossen Werkes des Clavius doch zu
rechtfertigen und zu erklären. Im Auftrage des Pabstes, mit
dem Erscheinen einer neuen Kundgebung desselben tritt nun
Clavius hervor, antwortet auf alle sachlichen Einwürfe; und
gibt eine minutiöse Darlegung aller nur denkbaren Verhältnisse
des Kalenders.
Diesem allgemeinen Charakter des Werkes entspricht auch
die ganze Anlage; an die Spitze werden die in Frage kom-
menden Dinge — Lilio's Compendium, die Bulle ,Inter Qra-
vissimas' und die Cauones in Kalendarium Romanum gestellt.
Wie verhält es sich aber mit dem Inhalt? Wir haben gesehen,
dass sowohl der Angriff Maestlin's, als die Entgegnung des Cla-
vius die ganze Kalenderfrage umfasst, in folge dessen konnte
Clavius hier nicht viel Neues bringen. Immerhin aber treten
dem Clavius hier, wo es sich um eine allgemeine Darlegung
handelt, und wo er die Absicht hat, alle gegnerischen Einwürfe
zu bekämpfen, manche Fragen entgegen, die er in der Apo-
logie nicht zu berühren Gelegenheit hatte ; der von Luther aus-
gesprochene Wunsch, es möge das ,Schuckeln des Osterfestes'
beseitigt werden, wurde, wie w^ir gesehen haben, mehrmals in
der Polemik aufgegriffen. Clavius gesteht der Kirche das Recht
zu, Ostern zu einem imbeweglichen Feste zu erklären, aber
wegen der tiefen symbolischen Bedeutung, die ihm innewohne,
habe man die alte Osterregel beibehalten.^ Ferner haben wir
mehrmals dem Einwurf begegnet, warum denn der Stand des
Kicaenischen Concils und nicht der Christi wiederhergestellt
worden sei? Vom kirchlichen Standpunkte wird man dem
Clavius nicht Unrecht geben können, wenn er betont, dass es
der Würde der Kirche angemessen sei, an den Beschlüssen
eines so wichtigen und angesehenen Concils nichts zu ändern;
auch den praktischen Gesichtspunkt, dass im entgegengesetzten
Falle alle Breviere und Missale völlig unbrauchbar geworden
wären, kann man gelten lassen; dagegen ist es naiv von
< Clavius benift sich hiebe! auf Augustinus, der dem Jauuarius gegenüber
die Symbolik der Osterfeier weitläufig auseinandersetzte. (Epist. 55 ad
Januarium Lib. II.)
570 Kaltenbrnnner.
Clavius, wenn er meint, dass mau die Gedächtnisstage der Hei-
ligen, die doch meist vor oder zur Zeit des Nicaenischen Concils
gelebt haben, wieder richtig stellen wollte; als ob gleich nach
dem Martyrium oder Tode eines Heiligen sein Gedächtnisstag
in den Kalender eingezeichnet worden wäre.
Abgesehen aber von diesen vereinzelten Zusätzen ist die
Explicatio bis zum Capitel XXIV eine Umarbeitung der Apo-
logie. ^ Aber der allgemeine Charakter ist dadurch gewahrt,
dass nun die früher gegen Maestlin gerichteten Entgegnungen
verallgemeinert sind, was so weit geht, dass niemals des Maest-
lin Erwähnung geschieht. Die äussere Anlage ist insofern
verändert, als eine fortlaufende Capitelzählung eingeführt ist,
während die Apologie in drei Bücher getheilt ist.
Erst vom 24. Capitel an bis zum Schluss tritt eine Aende-
rung ein; es ist dies aber eigentlich ein Anhang, wie aus der
pag. 568 Anmerkung 1 angefahrten Bemerkung des Clavius
hervorgeht. War der erste Theil der Gesammtheit der Gegner
und aller derer, welche Aufklärung über den Kalender wünschten,
gewidmet gewesen, so beschäftigt sich dieser zweite mit jenen,
die Clavius einer besondern Entgegnung für würdig hält Einen
derselben haben wir schon in Scaliger kennen gelernt, der andere
ist Franciscus Vieta. Clavius meint, es könne kaum neben den
Kalendern Gregor' s, Scaliger's und Vieta's ein vierter ausgedacht
werden, indem er nun beweise, dass der erstere unter den drei
der beste sei, habe er seine Tüchtigkeit, ja aligemeine Gültig-
keit nachgewiesen. Es ist klar, dass Clavius dem Vieta die bit-
tersten Vorwürfe über sein allerdings etwas sonderbares Vor-
gehen macht, seinen Kalender als den richtigen Gregorianischen
hinzustellen, und dies durch dessen Bulle bekräftigen zu lassen.
Clavius meint, dass er, der 10 Jahre an der Reform gearbeitet
und fast ebenso lange in directem Verkehr mit Gregor XIII.
gestanden habe, wohl am besten wissen werde, was die Inten-
tionen des Pabstes gewesen seien. Stets habe dieser betont, er
wolle so wenig wie möglich an den alten Kalenderregeln geändert
« Clavius spricht dies auch in der Vorrede mit folgfenden Worten ans: ,Et
qnciniam anno lft><8 adversns haoreticum qiiendam satis longam noviKa-
lendarii Apologiam edidimus transferimus ex ea in hoc volnmen
üinnia quae huic rei utilia atque opportuna iudic^vimus^
Die Pulcmik über die OregoriftuiBche Kaleaderrefonn. 571
wissen; wie also konnte er gewollt haben, dass die Epoche auf
den 8. März gesetzt werde! Damit geht Clavius auf die sachliche
Widerlegung über. Zunächst schickt er die schon oft gethano
Aeusserung, respective das Zugeständniss voraus, dass jeder
cjclischen Rechnung ähnliche Unregelmässigkeiten, wie sie Vieta
dargestellt, anhaften müssen. Daher lässt Clavius auch einige
Punkte des Vieta zu Recht bestehen und erwidert nur damit,
dass er entweder in Vieta's Kalender ähnliche Fehler nachweist,
oder betont, dass bereits im alten Mondcyclus dasselbe ein-
getreten sei. Dazu gehören das Eintreten von einunddreissig-
tägigen Mondmonaten in bissextilen Jahren und die daraus fol-
il^enden Fehler der Osterfeier. Andere aber lässt er nicht gelten
und zwar mit Recht, so den Punkt 2 und 3, wo in der That
Vieta äusserst sophistisch vorgegangen war, und Punkt 8 und
9, bezüglich der Unhaltbarkeit des dreihunderttausendjährigen
Cyclus, wo Clavius sich darauf beruft, dass dies ja keine Be-
deutung mehr habe, nachdem man in Rom selbst denselben
hatte fallen lassen. *
Ehe wir von der Explicatio scheiden, müssen wir noch
der an ihre Spitze gestellten Kundgebung von Seite des Pabstes
* Mit dieser Entgegnung- hatte Clavius mit Vieta abgeschlossen, aber dieser
gab sich mit seinem ersten Angriffe nicht zufrieden, sondern veröffent-
lichte noch die, Expostulatio adversus Chr. Clavium*. Ob er dabei schon
die Entgegnung desselben gekannt hat, ist sehr zweifelhaft. Zunftchst
bin ich nicht in der Lage, das Jahr des Erscheinens dieser zweiten Schrift
anzugeben, da ich sie nur in einer Entgegnung des Laurentius Castellani
kenne; Vieta selbst sagt allerdings, er habe nur gehört, dass Clavius in
mehreren Briefen von einer beabsichtigten Entgegnung gesprochen habe.
Durch diese Aeusserung des Clavius mag er bewogen worden sein, noch-
mals die Feder zur Hand zu nehmen; die Schrift ist nur sehr wenig
sachlich, strotzt aber dafür umsomehr von groben Ausfällen gegen den
Gegner, die darin gipfeln, dass Vieta den Vätern der Gesellschaft Jesu
räth, sie möchten doch den Clavius von ferneren Arbeiten über den Ka-
lender abhalten, denn er mache ihrem Orden nur Schande. Die Ver-
theidigung des Clavius unternehmen zwei Schüler — Theodosius Rubens
und Laurentius Castellani, der Natur des Angriffs gemäss in höchst be-
leidigenden Ausdrücken gegen Vieta. (1. Admonitio pro Chr. Clavio ad-
versus Fr. Vietae Expostulationem. 2. Respousio ad Expostulationem
Fr, Vietae adversus Chr. Clavium im 5. Bande der Opera Clavii.) Der
letztere hatte sich dabei die Form der Refutatio Elenchi et Castigationis
J. Scaligeri von Clavius zum Muster genommen, und nur daraus kennen
wir diese Schrift Vieta's.
ui2 Kaltenbruaaer.
ClemenB VUI. gedenken. Das Breve (dat. Rom 16./6. März 1603)
gesteht selbst zu, dass in dem Kalender Fehler vorkommen,
da eben eine cyclische Rechnung nicht frei davon sein könne;
aber es komme dies im Gregorianischen Kalender seltener vor,
als in allen andern. Als Grund zur Abfassung des Werkes des
Clavius werden die unerhörten Angriffe, die der Kalender er-
fahren, bezeichnet und ausdrücklich wird hier Vieta hervor-
gehoben, dessen Kalender durch die charakteristiBchen Merk-
male gekennzeichnet und verboten wird.
Mit diesem grossen Werke hatte Clavius, der schon im
hohen Alter stand, seine Lebensaufgabe erfüllt. 25 Jahre lang
hatte er sich der Kalenderfrage gewidmet ; aber auch jetzt noch
glaubte er sich keine Ruhe gönnen zu können. Wir haben ge-
sehen, wie er nochmals die Feder gegen Scaliger ergriff, und
kaum war diese Schrift fertig, so ereilte ihn die Kunde von
einem neuen Angriff, nämlich von Georgius Germanus. Jetzt
aber stimmt Clavius seinen Schwanengesang an. ^ Er klagt, dass
er — der Greis — von Arbeit zu Arbeit geschleppt werde, um
die Belagerungsmaschinen» die immer und immer wieder von
neuem gegen seine feste Burg aufgeführt werden, zu erschüttern
und zu zertfümmerr^. Zu Germanus übergehend sagt er diesem,
dass es ihm wenig fromme, wenn er von ihm als der beste
Mathematiker seiner Zeit bezeichnet werde; wollte er mit diesem
Lobspruch das beigebrachte Gift versüssen, so möge er wisseo,
dass dies für ihn, den alten Mann, werthlos sei ; er schäle den
Kern hervor, und dieser sei, dass ihm abermals ein Gegner
erwachsen sei, und noch dazu ein angeblicher Katholike, den
das neuerliche päbstliche Verbot hätte abhalten sollen, gegen
den Kalender zu schreiben; übrigens bezweifelt Clavius den
Katholicismus des Germanus, da derselbe sein Buch dem David
Origanus gewidmet hatte. Was nun die sachliche Erwiderung
anbelangt, so ist in den meisten Punkten Clavius glücklich, nur
hätte er es unterlassen sollen, dem Kalender des Germanus
falsche Osteransätze nachzuweisen, nachdem er wie in allen
seinen Schriften so auch hier wieder betont hatte, dass gewisse
Fehler sich durchaus nicht vermeiden lassen. Die Art der
^ Confutatio Kaleudarü Georgii Germani Warteubergenig, Bornssi. Mainz. 1610.
(auch im 5. Band der Opera mit separater Paginirung).
Die Polemik über die Grefrorianische Kalenderreform. o73
Schaltung des Qerinanus findet Clavius zu coraplicirt, und mit
Recht macht er geltend, dass man hiedurch den Prutenischen
Tafeln allzugrosses Vertrauen schenken würde; auch kann man
dem Clavius beistimmen, wenn er dem Mondcyclus des Ger-
manus zu grosse Umständlichkeit und Complicirtheit zum Vor-
wurf macht.
Hiemit schliesst die Polemik über die Gregorianische Ka-
lenderreform ab. Der Streit freilich ist nicht ausgetragen, aber
er tritt in ein neues Stadium. Die Protestanten bleiben bei
ihrem Widerstand und im Folgenden dreht sich die Frage
darum, wie denn ein Modus des Einverständnisses gefunden
werden könnte. Ueber den Gregorianischen Kalender aber
sind die Acten geschlossen — die Protestanten erklären ihn
für unannehmbar, und Rom hatte auch sein letztes Wort ge-
sprochen, indem es die Fehler desselben eingesteht, aber doch
bei der vorgenommenen Reform beharrt.
VI. Competeiite Urtheile über den Kaleiiderstreit.
Ich kann diese Darstellung nicht besser beschliessen, als
indem ich nach so vielem kleinlichen Hader das Urtheil zweier
Männer wiedergebe, welche vor allen berufen waren, ihr Votum
in dieser Sache zu sprechen. Ich meine die beiden grossen
Astronomen dieses Zeitraums Tycho de Brahe und Johannes
Kepler.
Tycho de Brahe, der damals auf seinem Tusculum zu
Üraniburg lebte, interessirte sich lebhaft für die ganze Ange-
legenheit, und verlangte von seinen Freunden in Deutschland,
ihm alle in derselben erscheinenden Bücher zu schicken. Aus
zwei Briefen, welche ich im Anhange mittheile, • geht hinlänglich
* Ich entnehme die beiden bisher unedirten Briefe dem Cod. Vindob. 10686**.
Diese Handschrift ist ein Bestandtheil des Cod. 10686, welcher bis zur
Abfassung des neuen Katalogs als Fascikel in der kais. Hofbibliothek
aufbewahrt und dann in 40 Volumina gebunden wurde, und zwar so, dassf
jedes selbststJindige Stück als ein Ganzes betrachtet und nun mehrere
solche, hie und da aber auch nur eines, in einen Band vereint wurden.
In den 49 Blinden sind 90 solche Stücke enthalten. Der grösste Theil
derselben stellt sich dar als der literarische ungedruckte Nachlass Tycho
de Brahe^s; gross tentheils besteht derselbe aus Briefen, welche sich theilen
lassen in Originale und in bereita nach einem bestimmten Systeme zum
Zwecke der Herausgabe angelegten Abschriften. Brahe hatte einen Band
574 Kaltenbrnnner.
hervor, welche StelluDg Brahe gegenüber der ganzen Frage
einnahm. Er hat es erkannt, dass es den Protestanten nicht
um die Sache, sondern um den Autor des Kalenders zu thuD
war; sein definitives Urtheil über die Reform hält er übrigens
seiner Briefe 1596 zu Uraniburg herausgegeben, und zwar ist in demselben
enthalten seine Correspondenz mit dem Landgrafen Philipp v. Hessen.
Der Codex 10686^ nun ist ohne Zweifel das zum Drucke vorbereitete
Mannscript des zweiten Bandes der Sammlung. Ganz entsprechend der
von Anfang an ins Auge gefassten Disposition nach Persönlichkeiten
ist derselbe geordnet, und zwar enthält er — wie der erste gedruckte
Band — ein- und auslaufende Briefe, welche letztere meist mit der
Ueberschrift: ,responsio mea ad hanc epistolam' versehen sind. Die
Anlage ist derart, dass Brahe von verschiedenen Schreibern die ein-
zelnen Correspondenz - Gruppen copiren Hess — er selbst hatte vorher
schon eine Vorrede verfasst, welche den Plan des Ganzen auseinander-
setzt und bereits den Abschriften vorangestellt ist. Keiner ^er hier
enthaltenen Briefe geht über das Jahr 1590 hinaus — um diese Zeit
muss also das Unternehmen ins Stocken gerathen sein, denn nament-
lich die Correspondenz mit Thaddaeus Hagecius, die auch im Codex
schon den grössten Platz einnhnmt, geht bis kurz an den Tod Brahe's
heran, und alle diese Briefe finden sich nun im Gesammt - Codex zer-
streut im Originale vor, während die bereits abgeschriebenen nicht mehr
im Originale vorhanden sind. Ganz das gleiche Verhältnis« ergibt sich
bei dem Codex 1068 6^ Nach dem Tode Brahe*s im Jahre 1601 gelangte
dieser literarische Nachlass an die Erben, und nun wurde der Plan des
Verstorbenen, die Briefe herauszugeben, wieder aufgenommen. Es wurde
nun das im Codex lOese**^— " stehende Repertorium der Briefe zusammen-
gestellt. So weit die Abschriften reichen, schliesst sich dasselbe en^
an die Codd. 10686^ und 10686^ an, nur reiht es einige ausgelassene
— nun im Originale befindliche — Briefe ein, und verzeichnet auch die
Briefe von 1690 an bis an den Tod Brahe^s hinan. Das Repertorium ist
in einem Zuge angelegt und es kann an keine nachträglichen Einwägungen
gedacht werden. Dieselbe Hand arbeitete nun auch am Codex 10686*,
indem sie einerseits Randglossen zur Uebersicht bei längeren Briefen
anlegte, andererseits Notizen für den Drucker anbrachte (z. B. steht
fol. 43*: »dies soll in klein cursiv gesetzet werden*). Der Codex 10686'
dagegen ist auf diese Weise nicht revidirt worden. Es fragt sich nan,
wer dieser Ordner des Nachlasses war? Hiebei fUllt sogleich auf, dass
uns in den Papieren so häufig der Name Kepler 's beg^egnet. Doch
wäre dies an sich noch nichts bedeutend, denn einerseits konnte ja Brahe
Arbeiten Kepler's leicht in seinem Besitze haben, da derselbe ira Jahre
1600 vier Monate auf der Sternwarte des ersteren gearbeitet hatte —
daher konnte z. B. das Autograph KepWs im Codex 10686**-** auf diese
Weise in die Sammlung gekommen sein — , andererseits brauchte der
Umstand, dass Concepte und Abschriften von Vertragen zwischen den
Die Polemik Ober die Oregorianische Kalenderrefoim. 575
hier noch zurück. Dies spricht er bestimmter an einer dritten
Stelle aus, die sich in der an Kaiser Rudolf gerichteten Vor-
rede zu seinem Werke: ,De restitutione stellaruin inerrantium^
findet. ' Sie lautet: ,In vanum (itaque) laborant, qui ex Copernicis
Erben Brahe's und Kepler wegen der von letzterem zu besorgenden
Tabalae RadolfinAe vorkommen ^ niclit aufzufallen, denn diese konnten
von den Erben in die Papiere ihres Erblassers gelegt worden sein. Da-
gegen ist von grösster Wichtigkeit für diese Frage, dass sich auch das
mit Unterschrift und (Siegel versehene Zeugniss Brahe's für Kepler betreffs
seines viermonatlichen Anfenthaltes auf der Sternwarte in der Sammlung
befindet (Cod. 10686'*"*'*). Wenn man also nicht annehmen will, dass
Brahe dieser Act nach seiner völligen Ausfertigung reute und er das
Zeugniss zurückbehielt, so muss man auf die Lösung kommen, dass der
Nachlass in den Händen Kepler's war, und die Herausgabe von ihm
beabsichtigt wurde. Diese Annahme wird nun wesentlich untersttltzt
durch einen in Copie im Codex 10686*^*<> enthaltenen Brief Kaiser
Ferdinand's II. an den Herzog Johann Friedrich von Württenberg, datirt
Wien 5. November 1621. In demselben fordert er den Herzog auf, er
möge den von Linz nach Stuttgart Übersiedelten Kepler anhalten zur
Herausgabe der ihm von den Brahe^schen Erben im Jahre 1604 Über-
lieferten, , schön und sauber abgeschriebenen und in viel buecher einge-
bundenen Copien, bei welchen ex ipsis autographis gleichfalls etwas
mitgelaufen^ Freilich steht der Annahme auch zweierlei gegenüber:
einmal, dass die in den Codd. 10686 ^«-ii und 10686^ gemachten Vor-
arbeiten zur Edition nicht von Kepler^s Hand stammen, und dann, dass
in den Verhandlungen zwischen den Erben und Kepler immer nur von
den Tabulae Rudolfinae die Rede ist, welche in der That 1627 durch
Kepler herausgegeben wurden. Jedoch zwingen diese Umstände denn
doch nicht zur Negation der aufgestellten Vermuthung. Es kann ja eine
<lritte, uns unbekannte Person zwisclien dem Tode Brahe's (1601) und
der Uebergabe des Nachlasses an Kepler im Jahre 1604 bereits Hand
an die Ordnung und Verarbeitung desselben gelegt, oder es kann ja
auch ein Famulus Kepler's nach dessen Anleitung diese Vorarbeiten
gemacht haben; andererseits ist es ziemlich naheliegend, dass, wenn die
Erben Brahe's jemanden mit der Herausgabe des Hauptwerkes betrauten,
sie ihm den gesammten Nachlass anvertrauten, ihn aber zunächst zur
Publicirung des grossen Geld und Ansehen verh eissenden Werkes an-
trieben. Wie der ganze Codex an die kaiserliche Bibliothek gekommen
ist, vermag ich nicht anzugeben, vielleicht ist aber der Hinweis darauf
nicht unwichtig, dass Papiere Kepler's zahlreicli sich auf der Hofbibliothek
befinden, so der noch zu besprechende Codex 10704, und die Codd.
10702 und 10703, welche Abschriften von an Kepler eingelaufenen Briefen,
mitunter auch dessen Antworten enthalten.
1 Ich entnehme diese Stelle Gassen di's Calendarium Romanum eompendiose
expositum (Opera V. pag. 463; in der Voraussetzung, dass sie dieser nicht
576 Kaltenhrnnner.
et Prutenicis numeris anni restitutionem eruere laborant; fru-
straque neutericam illam Gregorianam Reformationem inde
oppugnant, cum haec longe proprius coelesti normae accedat,
nee summa in bis praecisio — praesertim inconsulto ipso coelo
— facile datur, aut etiam admodum necessaria est/ Wir sehen
also hier Tycho de Brahe auf jenem Standpunkt stehen, den
Clavius stets hervorgehoben hatte — es sei kein absolutes Er-
forderniss der Zeitrechnung, dass sie vollständig mit dem Himmel
übereinstimme.
Interessanter und bedeutsamer ist für uns die Ansicht^
welche Johannes Kepler über die ganze Frage hatte. Zu-
nächst spricht er sich gegen Maestlin in der Antwort auf dessen
Brief vom 9/19 März 1597 aus. ^ Natürlich muss Kepler hier
auf seinen verehrten Lehrer, der so stark in der Sache engagirt
war, Rücksicht nehmen, aber trotzdem ist auch diese Meinungs-
äusserung schon klar genug. Er will ja zugeben, dass die
protestantischen Theologen Recht hatten, wenn sie untersuchten,
ob eine Schlange unter den Blumen verborgen sei, und er will
berücksichtigen, dass die politischen Obrigkeiten der Evange-
lischen furchten mussten, dass sie durch die schweigsame
erdichtet hat Denn gedruckt kann ich sie nicht nachweisen, da Brahe
niemals ein Werk: ,De restitutione stellarum inerrantium* herausgegeben
hat. Wohl aber erschien im Jahre 1602 das von seinen Erben herans-
grgebend Werk: ,A8tronomiae instaaratae progymnasmata, quonim haer
prima pars de restitutione motuum solis et lunae stellarumque
inerrantium tractat, et praeterea de admiranda nova Stella anno tö72
exorta lucnlenter agit*. In demselben findet sich keine Vorrede Brahe's
an Rudolf und auch sonst nicht die angeführte Stelle. Brunet gibt einen
früheren Druck von 1589 an, hat ihn aber selbst nicht gesehen, und die
Bezeichnung ,opus posthumumS sowie der Wortlaut der an Kaiser Rudolf
gerichteten Widmung von Seite der Erben macht denselben ziemlich
unwahrscheinlich. Doch sagen diese auch, Brahe habe eine Vorrede über
den Werth der Astronomie und des Werkes schreiben wollen, und hieven
auch einige unvollkommene Blütter hinterlassen. Dass Brahe bereits uro
das Jahr 1680 an dem Werke zu drucken anfing, dass er darunter bereits
eine Dedication an Kaiser Rudolf fertig gebracht hatte, dass ausserdem
ein kaiserliches Privileg vom Jahre 1590 gedruckt worden war, dass
endlich Brahe diese Bogen an Freunde verschickte, meldet Friis: Tyge
Brahe. (Kyobenhavn 1871. pag. 304.) Einem solchen Aushängebogen
muss also Gassendi die Stelle entnommen haben.
1 vgl. pag. 644. Anmerk. 2. Das uns beschäftigende Bruchstück des Briefes
Kepler's ist abgedruckt bei Frisch, a. a. O. IV. 6.
Die Polemik fiber die Qregorianieche Kalendeireform. 577
Annahme der Reform bei den Katholiken Spott einärnten würden;
jetzt aber kümmert ihn nur die gegebene Sachlage und diese
ist so, dass Deutschland von dem übrigen Europa in der Zeit-
rechnung getrennt ist, und dass nun die Annahme des Kalenders
ohne Störung spielend leicht vor sich gehen könnte. Die
Trennung aber kann einzig aufgehoben werden, wenn sich die
Protestanten fügen, denn das könnten sie denn doch den Katho-
liken nicht zumuthen, dass sie wieder ihre unstreitbar bessere
Zeitrechnung aufgeben sollten; durch eine dritte Form aber ginge
dies ebensowenig, denn durch eine solche könnte und müsste
erst recht Verwirrung entstehen, auch dürfte sich nicht leicht
jemand zur Aufstellung einer solchen finden lassen. Kepler
erinnert daran, dass durch 150 Jahre man die Correctur ver-
langte, und wie schmählich es sei, dass Deutschland, welches
durch frühere astronomische Arbeiten so wesentlich den Weg
für sie gebahnt hatte, nun sich von ihr fernhält. Für die Fürsten
und Astronomen aber ist es nützlich, wenn sie den Widerstand
aufgeben; für erstere aus nachbarlichen Rücksichten und weil
dann wieder mehr Klarheit in die politische Situation kommen
kann ; auch mögen dieselben wohl bedenken, dass einst ein
weniger friedlich gesinnter Kaiser, als es Rudolf ist, ihren
Widerstand gegen den Kalender als casus belli auffassen könnte
— es sei doch besser, dieser Gefahr vorzubeugen, ehe sie
drohend emporsteigt, denn ist dies einmal geschehen, wird die
Nachgiebigkeit als Niederlage erscheinen. Und gar die Astro-
nomen sollten sich nicht länger sträuben, denn keiner könnte
die grössere Vollkommenheit des neuen Kalenders bestreiten;
wollte man ihm aber sagen, dass denselben durch die Nicht-
annahme kein Schaden erwächst, so erwidert er darauf, dass
die Astronomie nicht blos auf die Nützlichkeit zu sehen habe,
sondern auch auf Schönheit und Vollkommenheit, welcher in
der Natur der Zahlen und Grössen selber gelegen sei. Und wenn
nun schon Gefahr für die Protestanten bei der Annahme der
Reform vorhanden gewesen wäre, so besteht sie doch sicherlich
jetzt nicht mehr. Sie haben durch fast zwanzig Jahre dem Pabste
gegenüber ihre Freiheit gewahrt, und er muss wohl jetzt schon
einsehen, dass sie die alte Zeitrechnung beibehalten könnten,
und dass, wenn sie dieselbe nun so verbessern, wie er sie ver-
bessert hat, sie dies nicht gezwungen thun, sondern weil sie
SitznngBber. d. phil.-hi«t. Ol. LXXXVII. Bd. I. Hft 37
578 Kaltenbrunner.
es so für gut und nützlich halten. Dabei könnte ja auch ein
Modus der Einführung gefunden werden, welcher den Pabst
gänzlich aus dem Spiele lassen und einzig auf der Vereinbarung
der Keichsstände und dem Gutachten der Mathematiker beruhen
könnte. Kepler drückt den lebhaften Wunsch aus, dass seine
Glaubensgenossen das kommende Jahr 1600 durch diese grosse
und nützliche That verewigen möchten*
Viel wichtiger für uns ist aber Kepler's ^Dialogus de
Kaiendario Gregoriano',* weil er in ihm unumwunden, frei
' Dies ist der Titel, welchen Kepler dem von Frisch a. a. O. IV. 9 aus
einem Manuscripte Pulcavense abgedruckten Entwürfe vorg^esetzt hat
Zuerst ist derselbe herausgegeben worden von Hanschen im Jahre I7*jr.
Jussu atqne anspiciis Caroli \'I. n mannscripto^ Der Zeitpunkt der
Ausgabe lässt vermuthen, dass hiezu der Osterstreit des Jahres 1724
Veranlassung gab (vgl. Piper a. a. O. pap. 27 u. ff.). Ihr liegt eine
lateinische Redaction mit ausführlichem Titel vor, welche auch sonst
wesentliche Unterschiede mit der Redaction A (Pule.) aufweist. In der
Ausgabe von Frisch sind diese Abweichungen und die vielen Zusätze im
Petitdruck wiedergegeben. Hanschen führt nicht an, woher er sein
Mannscript genommen habe, und Frisch vermag dies ebenfalls meht
anzugeben ; er lässt es auch dahingestellt, ob Hanschen nicht etwa ein
deutsches Manuscript vorgelegen habe, welches er dann — wie öfter -
ins Latein übersetzt hätte. Sicher constatirt aber auch Frisch, dass hier
eine Umarbeitung der Red. Pule, vorliegt, welche ihrerseits nur ein Entwurf
ist, was neben der äusseren Form auch der Umstand beweist, dass sie
am Ende mitten in einem Batze abbricht. Nun befindet sich im Codex
Vindöb. 1 0704 fol. 1 — 70 ebenfalls der Dialogus, und zwar in einer Form,
welche auf das Verhältniss der Redactionen ein neues Licht wirft, und
einen interessanten Einblick in die Arbeitsmethode Kepler*s gewahrt.
Zunächst stellt sich die Red. Vind. dar, als die in einem Zuge gemachte,
mit einigen stilistischen Aendemngen versebene Reinschrift der Red. Pale,
sammt einem gleich unten anzuführenden, dem Zwecke der Abfassanf
entsprechenden Titel. Auch der in der Red. Pnlc. fehlende Schlnss des
letzten Satzes ist nun beigefügt. Hierauf brachte Kopier auf der anderen
Hälfte der gefalzten Seiten in einem Zuge zahlreiche Verbesserungen
und Erweiternngen an, nnd fügte ausserdem ein passendes Schlusswort
hinzu. Dieser Redac. Vind. liegt dann die Rede Hansch. zu Grunde und
zwar ist ihre Uebersetznng im engen Anschlüsse an die Vorlage gemacht
Daran, dass Hanschen erst diese Uebersetznng besorgt habe, ist nicht
zu denken, denn in der Red. Hansch. finden sich Stellen, welche die
Red. Vind. nicht hat, und auch der umgekehrte Fall tritt einmal eis
Somit hat Kepler zweimal sein Werk umgearbeitet, nnd dennoch hat er
es nicht der Oeffentlichkeit übergeben. Dass er die Absicht hiezu hatte»
geht schon aus dem Titel der Red. Vind. hervor. Er lautet: ,Ein GesprSeh
Die Polemik ftber die OregorlHnlscbe Kalenderreform 579
von persönlichen Rücksichten seine Meinung ausspricht. Er
hat denselben leider nicht dem Drucke übergeben, und erst
1726 wurde er von Hanschius und neuerdings von Frisch
publicirt.
Als Beweggrund zur Abfassung seiner Kchrift gibt Kepler
die Aufforderung vieler seiner Freunde an, welche meinten, er
sei vor Allem dazu berufen, seine Meinung über die Kalender-
frage auszusprechen, nachdem Tycho de Brahe, der seine Ar-
beiten bei den astronomischen Studien benützt hatte, sich im
von der Reformatiou des alten Caleuders, worauff die Corroctio Gregoriana
gegründet, wie wahr sie zuetreffe, item ob diejenige Stände des heiligen
Römischen Reichs und benachbarte Königpreichc, wölliche das Gregoriannm
Calendarinm noch nit angenommen, iren alten julianischen Calender
für sich selbst in einem oder mehr puncten verändern, oder Ueber das
Caiendarium Gregorianum auch annehmen, oder entlich gar bei dem alten
verpleiben wollen. Allerhand Fürschläge zur fiirhabenden Correction
dienstlich, und was auff alle Fälle beiderseitz streitende Partheieu geistlich
und weltlich, sowol auch die Mathematici vernünftiglich drein zu reden
oder bey der Sachen zu bedenkhen hätten. Gestellt und zugerlcht den-
jenigen zum underricht, wölliclien das Caiendarium amptshalben obligt,
und doch nit Weil haben^ alle scribenten in dieser Materi durch zulauffen,
und die privat aÜ'ecte von der Warhcit zu underscheideu, durch einen
Liebhaber der Wahrheit.* Der Titel in der Red.Hansch. ist eine IJebersetzung
desselben bis zum Satze: , Allerhand Fürschläge* und in Klammern ist
dann hinzugefügt: ,a Johanne Kopiere Mathematico CaesareoS was darauf
schliessen lässt, dass im Mannscripte der Verfasser gar nicht genannt
wird. Sowohl der ,Liebhaber der Wahrheit*, als das Verschweigen des
Namens in der Red. Hansch. zeigt, dass Kepler die Schrift anonym heraus-
geben wollte, und damit stimmt wohl nicht ganz die Vermuthung von
Frisch, dass er sie ausgearbeitet habe, um die Reichsstände in Regens-
burg zu einer Vereinigung in der Kalendcrsache zu bewegen — immerhin
aber wird sie den Zweck gehabt haben, Kepler's Thätigkeit auf dem
Reichstage 1613 vorzuarbeiten, d. h. den Standpunkt der Frage aus-
einanderzulegen. In Regensburg wollte nämlich Kaiser Mathias eine
Vereinbarung erzielen und zu dem Behufe berief er Kepler dahin. (Im
Codex Vindob. 10704 findet sich fol. 84* das Ausscbreiben zum Reichs-
tage mit der Kanzlei • Notiz : Citatur ad Comitia Ratisbonensia in negocio
Calendarii Gregoriani a Mathia Impuratore Job. Keplerus Mathematicus'.)
Kepler, welcher hiezu von den Ständen in Linz Urlaub erhalten hatte,
arbeitete auch Propositionen respective die Kalender -Vorlage des Kaisers
aus, welche sich bei Frisch (a. a. O. IV. pag. öS) ebenfalls aus dem
Entwürfe im Manuscripte Pulcavense abgedruckt findet. Die Schrift führt
den Titel: ,Was die Römische kayserliche Majestät an die drey Chur-
fürsten Augsburgischer Confession belangend das Kaleuderwesen frucht-
37*
580 KaltenbruBner.
Allgemeinen mit der Reform einverstanden erklärt habe. Kepler
verhehlt sich nicht, wie misslich es sei^ in dieser Sache noch neue
Gesichtspunkte hervorzuheben, aber er gibt sich doch der Hoff-
nung hin^ dass es trotzdem den streitenden Parteien nicht un-
angenehm sein werde, die Wahrheit zu hören. P]igentlich —
meint Kepler — hätte er die beiden Hauptkämpfer, Ciavius
und Maestlin einander gegenüberstellen sollen, aber er fürchtete,
dass in den Gemüthern durch Erinnerung an die alte Leiden-
schaft der alte Hass von Neuem angeregt, und dass das Gemüth
seines Freundes (Maestlin) dadurch unangenehm berührt würde.
So lässt er auf beiden Seiten je zwei — einen weltlichen und
einen geistlichen Beamten - die Sache besprechen; damit aber
wäre es ihm selbst nicht möglich gewesen, seine eigene Mei-
nung auszusprechen, und so führt er als fünfte Person den
Mathematicus ein, der sich bald, als über den Parteien stehend,
der Leitung des Gesprächs bemächtigt. Wohl alle Gesichts-
punkte, die wir im Laufe des Streites haben aussprechen hören,
werden hier von den beiden Gegnern herangezogen; in mancheD
Punkten hält sich hiebei der Mathematiker ganz vom Gespräche
fern, so bei der Berechtigung des Pabstes zur Reform. Ganz
entsprechend den Dimensionen und dem Resultate, welche die
Polemik genommen hatte, gelangen die Parteien zu keiner Eini-
gung, nachdem die Protestanten direct zugegeben hatten, dass,
auch wenn der Kalender vollständig frei von Fehlern wäre, sie
ihn doch wegen des päbstlichen Ursprungs zurückweisen würden.
Das weiteste Zugeständuiss, das sie machen, ist, dass sie zu-
stimmen, wenn von Reichswegen beschlossen würde, dass Ostern
barUch gelangen lassen möchten'. Dasselbe Schriftstück findet sich anch
im Codex Vindob. 10704 fol. 8S* und auch hier ist das Verhältniss der
beiden Redactionen so wie beim ,Dialogu8*. — loh muss es mir versagen,
diese and zahlreiche andere Arbeiten und Rechnungen, die von Kepler's
Hand sich in dem Codex Vindob. 1 0704 finden, zu besprechen. Sie hängen
alle mit der zuletzt angeführten Schrift zusammen, sind also theils als
Vorstudien zu betrachten, theils haben sie den Zweck, eine Vereinbarung
zwischen den beiden Parteien herbeizuführen ; sie liegen also schon jenseits
der Grenze, welche sich diese Arbeit gesetzt hat. Sehr auffallen muss
es aber, dass Frisch, der auf der Wiener Bibliothek arbeitete, diesen
werthvoUen und manches bisher unedirte Schriftstück Kepler's enthal-
tenden Codex übersehen hat. Vielleicht komme ich auf denselben bei
anderer Gelegenheit noch zu sprechen.
Die Polemik ftber die OregorianiBclie Kalenderreform 581
von nun an nach dem Nicaenischen Canon gefeiert und den
Astronomen der Auftrag ertheilt werden sollte, die Ostertage
gemäss diesem, jedoch mit Zuhülfenahme des astronomischen
Caleüls zu bestimmen. Welche Stellung nimmt nun der im
Mathematiker vertretene Kepler ein? Er verkennt natürlich
nicht im mindesten die Fehler, welche der Reform anhaften,
aber er meint doch, das» man mit ihr ganz zufrieden sein
könne. Besonders hebt er hervor, dass die Dauer des tro-
pischen Jahres richtig angegeben werde, dies haben die neueren
Untersuchungen Tycho de Brahe's gelehrt, der aus diesem
Grunde auch die Reform gutgeheissen hat, wenn er auch damit
nicht sagen wollte, dass alles übrige völlig fehlerfrei sei. Inter-
essanter ist, dass Kepler durchführt, dass die Mathematiker
überhaupt nichts mit dem ganzen Streite zu thun haben. Wenn
es den Theologen gelüste, Unfriede und Zwietracht zu stiften,
so mögen sie dies allein ausfechten, aber die Mathematiker
damit verschonen. Denn ihr Studium sei frei von Parteileiden-
schaft, nur der Wahrheit und dem Wohle der Menschheit ge-
widmet. Indem sich Kepler durch die andern einwerfen lässt,
dass ja gerade die Mathematiker den Streit begonnen und stets
darin mitgesprochen hätten, erklärt er, dass er mit einem Mathe-
matiker, der mit theologischen und politischen Argumenten
hantirt, und der sich von der Obrigkeit seine Meinung vor-
schreiben lässt, nichts zu schaffen haben wolle, denn nur der-
jenige gehöre für ihn zu seinen Wissenschafts -Genossen, der
einzig und allein mit Gründen der Mathematik streitet und
begründet. Von diesem bitteren Vorwurfe spricht Kepler selbst
Clavius, ja selbst seinen Lehrer Maestlin nicht frei. Vor der
Kalenderreform war dies eine andere Sache, damals traten
Mathematiker auf und bewiesen, dass der Kalender wirklich
ihrer Wissenschaft Hohn sprechende Einrichtungen zeige, und
mit vollem Rechte verlangten sie deren Beseitigung. Diese sind
nun entfernt worden, und der neue Kalender hat weit geringere
und durchaus keine Anstoss erregenden Fehler mehr. Daher
ist jetzt in der That die mathematische Verbesserung über-
flüssig geworden, und daher sollen die Vertreter dieser Wissen-
schaft dem Streite fern bleiben; denn es gezieme ihnen nicht,
der Kirche und dem Staate Gesetze vorzuschreiben, indem sie
das kirchliche und bürgerliche Jahr genau an den Lauf der
5o2 Kaltenbranner.
Gestirne binden wollen. Kepler bricht bei dieser Verhandlung
in die Worte aus: ^Möchten doch die Parteien fernerhin nicht
mehr sagen, unsere Mathematiker fassen die Sache so auf und
unsere so, möchten sie doch lieber sagen, wir können nach
unserem Belieben unsere Mathematiker sprechen machen, denn
sie sind unsere Knechtet
Es ist dies ein herbes Urtheil, das da Kepler ausspricht,
ob es wahr ist, darüber möge sich jeder selbst ein Urtheil aus
der vorausgehenden Darstellung der Polemik bilden.
ANHANG.
A. Zwei Briefe des Pabstes Gregor XIII. an Kaiser
Rudolf II. '
Gregorius Papa XIII. Carissiine in Christo iili noster
salutem et apostolicam benedictionem. Post susceptam a nobis
necessariam ac perfectam iamque editani Calendarii emenda-
tionem, coepinius vereri, ne forte opus ipsura tardius istuc per-
venerit, quam ut posset, qucmadmodum decreveramus, emen-
dationis initium lieri superiori mense Octobri. Providendum
igitur nobis omnino fuit, ne quid hoc primo anno in celebrando
sauctissimo Paschae die, cuius potissimum causa hoc negotium
a nobis susceptum est, inter Christianos discrepare; nihil enim
absurd] US fieri posse intclligebamus, quam si in tam celebri die
variaretur, et alii alium sibi constituerent diem; Sic autem fa-
cile Provider: posse iudicauimus, si emendationis initium fiat
sequenti anno post diem decimum Februarii statimque post cum
diem numeretur vigesimus. Hoc autem aliis nostris litteris
decrevimus earumque exemplum unacum rationo divinorum offi-
ciorum congruenter ad hanc emendationem post decimum illum
diem celebrandorum mittimus Maiestati tuae. Sicubi igitur in
tuis locis emendatio hactenus facta non est, conueniet magno-
pere spectatissimae pietati tuae, ut eures, nostras litteras for-
mamque eam, quam mittimus, diligentissime servari. Id vero
* Originale im Hau«-, Hof- und Staats -Archive zu Wien. — Vgl. pag. 21
und 25.
Die Polemik fl1>er die Gregorianische Kalenderreform. 583
libentissime facturam Maiestatem taam non dubitamus. Caetera
ex Nuncio nostro cognosces; cupimus, ut eius verbis omnem
fidem tribuas. Datum Romae apud aanctuni Petrum sub anulo
Piscatoriß, die XIII. Novembris MDLXXXII. Pontificatus nostri
anno undeeimo. Ant. Buecapadulius.
IL
Qregorius Papa XIII. Carissime in Christo fili noster
salutem et apostolicam benedictionem. Existimavimus signi-
ficandum esse Maiestati tuae piorum hominum desiderium:
verentur nonnulli^ ne Calendarii emenclatio tardius multo quam
oporteat in tuo Imperio reeipiatur. Nos vero non possumus
quin, quod facturum te ostendisti, eures emendationem ipsam
proponi proxinio mense Octobri, eamque diligentissime obser-
vari. Voluimus igitur has litteras multo ante dare, ut intelligeres,
id a catholicis magnopere expectari. Rogamus, ut id facias tanto
studio, quantum et res ipsa et eatholicarum tarn gravi in negotio
ecclesiarum ratio exposcit. Datum Romae apud sanctum Petrum
sub anulo Piscatoris die XVI. Julii MDLXXXIII. Pontificatus
nostri anno duodecimo. Ant. Buecapadulius.
B. Zwei Briefe Tycho de Brabe's. ^
I.
Tycho de Brahe Heinrico Brucaeo. ^
Desidero etiam Scriptum illud Germanicum Maestlini, quod
significasti ipsum edidisse contra restitutionem calendarii Gre-
gorianam. Cupio enim illud videre, si forte ipsius rationes in
anni metis constituendis inde perspicere Hcuerit. Non usque
adeo mihi displicet illa temporis reformatio a Gregorio Ponti-
fice noviter instituta, quamvis plurimi plus odio pontificum
quam veritatis amore huic contradicunt. Qua in re affectibus
' ex codice Vindob. 10686«« fol. 77t> und 84». (vgl. pag. 89.)
2 Bruchstück. Der Brief ist nndatirt. Seine Abfasnnng fallt in die ersten
Monate des Jahres 1854. Brahe begehrt im vorangehenden Theile von
Bmcaeua die Besorgung von Scaliger's ,De Emendatione tempomm*, welches
ihm dieser am 12/22 Jani ttberschickt, wie ans einem der folgenden Briefe
hervorgeht
584 KftlteDbrnAner.
veritatis lumen offuscantibus nimium indulgent. Certam est,
scrupula illa, quae ad. 6. horarum corapletionem deiiciunt super
integros dies anni^ longo lam tempore solstitia aequinoctiaque
per plurimoB dies anticipasse, ut non coincidant dies festl
araplius cum constitutionibus primitivae ecclesiae. Qaam si
rem penitius perspiciamus in christiana republica, nulla severa
fit dierum differentia neque rerum externarum usus necessa-
rius, ubi divinitus non mandantur; vult enim vulgus contioeri
in officio, ordine et distributione temporum atque cereraoniis.
Praestabat itaque vero propius in his accedere, et cum veterum
constitutionibus potius concordare, quam longius inde deviare;
quamvis liac in ipsa restitutione Gregoriana non habeatur ratio
exactae annuae quantitatis — nam et haec vulgaribus Astro-
nomis adhuc penitius incognita est. Rogo itaque, ut omnium
eorum scripta in Germania, qui aliquid hoc in negotio publi-
carunt — sive pro sive contra — mihi transmittas, ut, quo-
modo invicem et cum veritate consentiant, cognoscere possira.
11.1
Tycho de Brahe lohanni Maiori Augustano.
Quas ad rae ultimo dedisti literas, eruditissime lohannes
Maior, recte accepi et de libris procuratis gratias liabeo ; Wel-
lerianos hac vice non cupio. De Calendario Gregoriano, quod
tanta fuerit apud vos animarum concertatio, ut ferme ad arma res
devenerit, miror, et meo iudicio non decuisset eos, qui Theologiam
apud vos profitentur, occasionem sie dare his turbis, et populum
contra magistratum legitimuro commovere in re, uti opinor,
adiaphora et religione, quam illi tuentur, nihil profitente, sed
hac tamen salva, quatenus divino verbo fundatur. Nonne prions
et diu usitati calendarii Nicaenum Concilium secuti Romani
Pontifices auctores et conservatores fuere, et aliorum dieruni
festorum quibus ii, qui se Evangelium nuncupant, etiam nunc
utuntur? Cur igitur Pontifici Romano non liceret, praesertiiD
approbante id Imperatoria Maiestate, idem calendarium, q^w
tenus mancum et insufficiens longo aevi tractu redditum est.
* Der Brief ist die Antwort auf ein Schreiben des Johannes Maior «ro
8. Juni/21. Mai (postridie Pentecostes) 15Ö4 (fol. 75»>).
Die Polemik Über die aretrorianiaehe Kalenderreform. 585
emendare et in melius, quoad fieri potuit, restituere? Certe
videntur hi, qui tarn contentiose illi obstrepunt, non zelo secun-
dum Bcientiani id agere, sed potius affectibus indulgere et Phi-
lantia laborare, atque odio poDtificis saltem id facere. Si ante
Lutheri tempora tali modo fuisset renovatuni calendariura,
qaando per excellentem Germanorum Mathematieum lohannem
fiegiomontanum pontifex, qui tum Romae praefuit, id fieri
satagebaty certe Luther huie emeudationi non invite aequies-
cisset, cum nihil contineret ipaius doctrinae contrarium. Et
cur non successores eins eo, quod nunc redintegratum est,
contenti sunt? Videant, ne sie dent occassionem iis, qui
veterem doctrinam se profiteri aiunt, obiiciendi, quod nimio
contradictionis studio occaecati quidvis impugnent^ sive id
speciem aliquam dubitationis mereatur, sive non, atque ideo,
in caeteris quoque minus considerate agere, praesumatur. Et
si quidem de hoc Calendario renovato meam exquiris senten-
tiam, dicam tibi id, quod et aliis eadem sciscitantibus respondi.
Calendarium hoc Gregorianum noviter renovatum praevalet
veteri et prius usitato, et recte factum est a Pontifice, opera
Lilii Mathematici, ut 10. dies in eo ommissi sunt. Totidem
enim defectus anni caelestis et aequinoctialis a Juliane, qui
inde a Concilio Nicaeno direxit, quamproxime requirit. Et alia
etiam quaedam non inconvenienter in nupero calendario eraen-
data sunt; licet vero aliqua in his adhuc castigatius in eo pro-
poni possint, si caelitus deducti luminarium motus in consilium
adhiberentur; tarnen cum hoc non facile detur in tanta exactis-
simarum observationum penuria, et ccclesiae ac politiae usus
summam in his praecisionem, quam ipsi etiam Astronomi vix
assequuntur, non exigat, nee etiam magnopere opus habeat,
acqniescendum utique erit Pontificis Romani, cuius etiam nunc
maxima est in terris auctoritas, consultae et laudabili provisioni
in Calendarii diu frustraque desiderata reformatione, nee temere
quid in contrarium movendum cum periculo pacis publicae.
Habes breviter, quid ego sentiam et forte mecum viri cordati
non pauci. Quid vero penitius in hac renovatione praestari
possit, dicere non audeo, antequam de exacto motu solis et
lunae novis illis et maximis, quae adorno, organis certius quid
expertus fuero. Nam caelo inconsulto de iis, quae inde pro-
fluunt, censuram proferre volle, temerarium et infultum esse
586 Kaltenbrunner. Die Polemik Aber die Oregorianische Kftlendeirefonn.
iudico. Laudo itaque amplissimae vestrae reipublicae decisionem
consultam, quod CaleDdarium hoc Gregorianum pacis pnblicae
causa et ob vicinarum regionum consuetudinem atque cum lis
commercia susceperit, quamquam reclamitante incerto viilgo,
quod semper stndia in contraria scinditur. Atque de bis hoc
tempore satis, de quibus per occasionem, si res ita postulaverit,
alia plura in medium proferam. Vale. Dabantur ex aede nostra
Knudstrupiana 15. die Julii Stylo Veteri nobis adhuc usitato.
an. 1584.
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